Das bietet Ihnen die CDROM
Checklisten KonfliktCheck Konfliktsignale erkennen Bedenkliche Fehlzeiten und Dienst nach Vorschrift erkennen
Projektumfeldanalyse Umgang mit Widerständen u. v. a.
Anleitungen Stufentechnik zur Deeskalation Erste Hilfe bei Störungen Vorgehen bei der Stakeholder analyse
Mustervorlagen Projektleitervereinbarung Big Project Picture
Alle Arbeitshilfen auf der CD sind übersichtlich nach Themen gegliedert.
Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbib liographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN: 9783448075212
BestellNr. 000800001
1. Auflage 2008 © 2008, Rudolf Haufe Verlag GmbH & Co. KG Niederlassung München Redaktionsanschrift: Postfach, 82142 Planegg/München Hausanschrift: Fraunhoferstraße 5, 82152 Planegg/München Telefon: (089) 895 170, Telefax: (089) 895 17290 www.haufe.de
[email protected] Redaktion: Dr. Ilonka Kunow Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Mikrokopie) sowie die Auswertung durch Datenbanken, vorbehalten. Lektorat: Ulrike Wachter Eberle Korrektorat: Jutta Cram CDRedaktion: Sabine Seeberg Umschlag: Kienle Visuelle Kommunikation, Stuttgart Druck: BoschDruck GmbH, 84030 Ergolding Zur Herstellung dieses Buches wurde alterungsbeständiges Papier verwendet.
Konfliktmanagement für Projektleiter Roland Straube Dr. Hans Leuschner Petra Müller
Haufe Mediengruppe Freiburg · Berlin · München
Inhaltsverzeichnis
4
Vorwort Für wen wir dieses Buch geschrieben haben Begriffe und Bedeutungen SchnellCheck für akute Konflikte
8 9 11 12
Teil I: So erkennen Sie Konflikte
17
1
Welche Konflikte Ihnen begegnen können
18
1.1 1.2 1.3
Typische Projektkonflikte Gestörte Wahrnehmung Die Beteiligten
18 21 22
2
Warum Sie auf Konflikte achten müssen
23
2.1 2.2 2.3
Probleme sind gut Konflikte sind schlecht Nehmen Sie Konflikte ernst!
23 25 27
3
Was Sie als Projektleiter brauchen
29
4
Wie Sie Konflikte bemerken
31
4.1 4.2 4.3
Konflikte so früh wie möglich erkennen An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte Konfliktsignale richtig bewerten
31 33 61
5
Weshalb Sie auf sich selbst achten müssen
63
5.1 5.2
Selbstreflexion kommt oft zu kurz Vielleicht sind Sie am Konflikt beteiligt
63 64
Inhaltsverzeichnis
Teil II: So verstehen Sie Konflikte
67
6
Glauben Sie kein Wort
68
6.1 6.2 6.3
Konflikte verlaufen jenseits sachlicher Erwägungen Konflikte müssen auf Bedürfnisebene gelöst werden Positionen und Forderungen sind unwichtig
68 70 80
7
Fürchten Sie die Eskalation
83
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
Wie ein Konflikt vorbereitet wird Wodurch Konfliktpotenzial entsteht Warum nicht gleich ein Konflikt beginnt Was den Konflikt auslöst Weshalb die Konfliktursache so schwer zu verstehen ist Wie ein Konflikt eskaliert wird
83 84 88 89 91 92
Teil III: So reagieren Sie auf Konflikte
95
8
Sie können den Konflikt verschärfen
96
8.1 8.2
Wann Sie selbst in die Mühle des Konflikts geraten Wie Sie die Akzeptanz bei den Konfliktparteien verlieren
97 99
9
Sie können den Konflikt entschärfen
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7
Warum Sie auf den Konflikttyp achten müssen Wie Sie Konflikte zwischen Gruppen lösen Wie Sie innere Konflikte lösen Wie Sie Konflikte zwischen Parteien lösen Welche Voraussetzungen Sie schaffen müssen Warum Sie (fast) immer selbst vermitteln sollten Wie Konfliktvermittlung abläuft
10 Führen Sie das Vermittlungsgespräch 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
Unterbrechen Sie die Eskalation Wenden Sie sich allparteilich den Streitenden zu Lassen Sie die Luft aus dem Streit Konzentrieren Sie sich auf die Bedürfnisse Geben Sie die Ergebnisverantwortung zurück
105 105 107 110 114 119 120 123
126 126 127 131 135 142
5
1
Inhaltsverzeichnis
Teil IV: So beugen Sie Konflikten vor
153
11 Sie können sich auf Konflikte vorbereiten
154
11.1 11.2 11.3 11.4 11.5
Vier gute Gründe gegen Konfliktvorbeugung Was Sie trotzdem tun können und tun sollten Konflikteskalation verhindern In eigenen Konflikten die Eskalation verhindern Konfliktpotenzial vermeiden
12 Sorgen Sie für eine klare Projektdefinition 12.1 Wie Sie klare Ziele erreichen 12.2 Wie Sie smarte Ziele festlegen
13 Kümmern Sie sich um die Beteiligten 13.1 Wie Sie die Individualität der Teammitglieder nutzen 13.2 Wie Sie mit den anderen Stakeholdern umgehen 13.3 Wie Sie Gruppenkonflikte mit Stakeholdern verhindern
14 Sorgen Sie für interne Transparenz 14.1 14.2 14.3 14.4 14.5
Wie Sie mit Regeln umgehen Wie Sie offene und verdeckte Strukturen klären Wie Sie Ablaufstruktur und Schnittstellen gestalten Wie Sie Ressourcengeber einbinden Wie Sie Grenzverletzungen vermeiden
15 Schaffen Sie eine gemeinsame Identität 15.1 Welches Ziel ein ProjektStartmeeting hat 15.2 Wie Sie ein Projektleitbild entwickeln
16 Stärken Sie projektfördernde Umgangsformen 16.1 Wie Sie die Teamkommunikation effektiv gestalten 16.2 Wie Sie erwünschtes Verhalten deutlich machen 16.3 Wie Sie Kooperation und Loyalität fördern
6
154 156 156 158 168
172 173 175
177 177 179 182
185 185 186 186 188 189
190 190 191
192 193 195 196
Inhaltsverzeichnis
17 Akzeptieren Sie Schwächen und Fehler 17.1 Wie Sie BurnoutGefährdete erkennen 17.2 Wie Sie Störungen produktiv nutzen
199 199 201
18 Kümmern Sie sich richtig um die Motivation
205
19 Unterstützen Sie den inneren Zusammenhalt
209
Wenn Sie dieses Buch gelesen haben Literatur Stichwortverzeichnis Die Autoren
211 212 213 215
7
Vorwort Projekte gehören heute zu unserem Alltag und prägen die Zusammenarbeit zwischen Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen. Leider kommt es dabei immer wieder zu Konflikten. „Konflikte sind schlecht!“ und: „Nehmen Sie Konflikte ernst!“, rät das Autorenteam aus der GPM-Fachgruppe „Kooperative Konfliktlösung“ und macht deutlich, dass Konfliktscheu, Passivität oder der falsche Umgang mit Konflikten die Projektarbeit erschweren und Projekte sogar zum Scheitern bringen können. Dabei werden Konflikte in Projekten klar von Problemen oder Krisen abgegrenzt und eine kooperative Herangehensweise bei der Konfliktlösung empfohlen. Das Buch zeigt anschaulich mithilfe von Szenen aus dem Projektalltag, worauf Projektleiter achten sollten, um Konflikte frühzeitig zu erkennen, zu verstehen und richtig auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Beteiligten einzugehen. Es erfordert allerdings viel Fingerspitzengefühl, den Konflikt nicht unter Einsatz von Machtmitteln zu lösen. Da Projektleiter aber in der Praxis oft gar nicht über die erforderliche Macht verfügen, bietet sich der kooperative Konfliktlösungsansatz geradezu an – und darüber hinaus winkt die Belohnung in Form einer erfolgreicheren Projektabwicklung sowie einer besseren Zusammenarbeit, weit über die Projektdauer hinaus. Da Projekte in hohem Maße von der Kooperation unterschiedlicher Personen und Gruppen abhängig sind, wird die Fähigkeit zur kooperativen Konfliktlösung zukünftig zu einer Schlüsselkompetenz für Projektleiter. Deshalb würde ich mir wünschen, dass dieses Buch fester Bestandteil der Ausbildung von Projektleitern wird. Reinhard Wagner Vorstand für PM-Forschung und Facharbeit GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.
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Für wen wir dieses Buch geschrieben haben Ganz selten sind wir bisher Menschen begegnet, die gesagt haben: „Hurra, ein Konflikt!“ Glaubwürdig und überzeugend klang es in unseren Ohren aber selbst in diesen wenigen Fällen nicht. Schon der Begriff „Konflikt“ ist für die meisten Menschen negativ besetzt. Er löst Assoziationen wie Ärger, Unruhe, Unbequemlichkeiten, Bedrohung und Kampf, Angst vor Scheitern, Verletzungen, Verzweiflung und Tränen aus. Auch uns geht es mit Konflikten ganz ähnlich, wenn wir an unsere eigenen Erfahrungen in Projekten denken: Sie gehen einher mit viel Aufwand, unnötiger Verschwendung von Kraft, Zeit und Geld, sinnlosen Diskussionen, schlechten Ergebnissen und gescheiterten Hoffnungen. Und doch: Wenn es gelingt, Konflikte gemeinsam zum besten Nutzen aller Beteiligten zu lösen, entsteht daraus neue Energie, um Zustände zu verbessern, Gewagtes anzugehen und Probleme zu beseitigen. Ob Konflikte Ihre oder unsere Projekte in die Krise führen oder ob sie in einen gemeinsamen Aufbruch münden: Entscheidend dafür ist der souveräne und bewusste Umgang mit ihnen. Wir haben unser Buch deshalb zum einen für diejenigen Projektleiter geschrieben, die an Konflikten und ihren Auswirkungen immer wieder verzweifeln. Ihnen bietet das Buch klare Grundlagen, um Konflikte zu verstehen, und sichere Methoden für strategisch-effektives Handeln. Gleich an zweiter Stelle denken wir an eine andere Gruppe von Kollegen: Bei unserer Arbeit sind uns viele Menschen begegnet, die einen Konflikt in Projekten als etwas Außergewöhnliches ansehen. Konflikte haben für sie etwas mit verbaler oder körperlicher Gewalt zu tun. Sie nehmen das Wort deshalb kaum oder nie in den Mund. Es ist fast ein Tabuwort. In ihren Projekten erwarten sie schlimmstenfalls „Meinungsverschiedenheiten“.
9
1
Für wen wir dieses Buch geschrieben haben
Auch für diese Kolleginnen und Kollegen ist das Buch geschrieben. Wir zeigen darin, wie viel destruktives Potenzial in unerledigten Meinungsverschiedenheiten steckt und welche neuen Möglichkeiten im Projekt entstehen, wenn Konflikte wahrgenommen und gelöst werden. Und dann gibt es noch diejenigen Projektleiter, denen der störungsfreie, ruhige Verlauf ihrer Arbeit besonders wichtig ist. Für diese Kolleginnen und Kollegen haben wir mit dem vierten Teil wichtige Grundlagen der Konfliktprävention in das Buch aufgenommen. Wir empfehlen diese Kapitel auch allen anderen Lesern, weil wir glauben, dass sich in allen Projekten viele unvermeidbare Konflikte auftun. Da spart jedes rechtzeitig aufgelöste Konfliktpotenzial Ressourcen und stärkt die Arbeitsfähigkeit im Team. In diesem Sinne vermittelt dieses Buch sowohl die zum Verständnis von Konflikten nötigen Grundlagen als auch das Handwerkszeug für einen souveränen Umgang mit Konflikten zum Nutzen des Projekts und aller Beteiligter. Wenn Sie Anregungen haben, Hinweise oder Kritik, mailen Sie uns:
[email protected] Kloster Dobbertin, im September 2007 Petra Müller, Hans Leuschner, Roland Straube
Hinweis: Wenn wir in diesem Buch von „Projektleitern“, „Mitarbeitern“, „Mediatoren“ und „Chefs“ sprechen, dann sind damit selbstverständlich auch Projektleiterinnen, Mitarbeiterinnen, Mediatorinnen und Chefinnen gemeint.
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Begriffe und Bedeutungen In Literatur und Umgangssprache werden konfliktrelevante Begriffe teilweise nicht klar voneinander abgegrenzt. Im vorliegenden Buch haben sie folgende Bedeutungen:
Probleme Bei Problemen ist allen Beteiligten der Zustand des Projekts klar, sie sind sich über das nächste Ziel einig, wissen aber den Weg zum Ziel nicht. Problembeseitigung erfordert einen moderierten Prozess.
Konflikte Bei Konflikten ist allen Beteiligten der Zustand des Projekts klar, über das nächste Ziel gibt es unterschiedliche Ansichten und deshalb ist auch der Weg zum Ziel offen. Konfliktlösung gelingt mit Mediation.
Krisen Bei Krisen ist den Beteiligten der aktuelle Zustand des Projekts unklar, es gibt keine Vorstellungen vom nächsten sinnvollen Ziel und ein Ausweg scheint unmöglich. Die Beteiligten sind hinsichtlich der eigentlichen Aufgabe wie gelähmt. Krisen können durch die Reaktivierung von Ressourcen mittels Coaching oder Supervision überwunden und mit einem anschließenden Problembeseitigungsprozess bewältigt werden.
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SchnellCheck für akute Konflikte Wenn Sie dieses Buch in einer akuten Konfliktsituation zur Hand nehmen, hilft Ihnen der folgende Schnell-Check beim zügigen und richtigen Reagieren. Beantworten Sie die einzelnen Fragen mit Ja oder Nein.
Schließen Sie Probleme und Krisen aus! SchnellCheck: Es liegt wirklich ein Konflikt vor 1 Wir kennen den aktuellen Zustand des Projekts. 2
Wir sind uns über das nächste Ziel nicht einig.
Wenn Sie Zeile 1 nicht bestätigen können, liegt vermutlich eine Krise vor. Bestätigen Sie Zeile 1, aber nicht Zeile 2, haben Sie keinen Konflikt, sondern nur ein Problem.
Prüfen Sie die Notwendigkeit zur Konfliktlösung! SchnellCheck: Der Konflikt muss gelöst werden 3 Es handelt sich um Mobbing. 4
Der Konflikt gefährdet mein Projekt und ich will oder muss mit den Konfliktbeteiligten weiter zusammenarbei ten.
5
Aus Gründen der Mitarbeiterfürsorge fühle ich mich ver antwortlich für die Konfliktlösung.
Wenn Sie eine der Zeilen 3 bis 5 bestätigen konnten, müssen Sie für die Lösung des Konflikts sorgen. Trifft Zeile 3 zu, ist auch aus arbeitsrechtlichen Gründen sofortiges Handeln und schneller Opferschutz nötig.
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SchnellCheck für akute Konflikte
Haben Sie alle drei Zeilen mit Nein beantwortet, sollten Sie den Konflikt beobachten oder sich von den Konfliktbeteiligten trennen. Beachten Sie dabei mögliche Folgen insbesondere rechtlicher Art (s. Schnell-Check Zeile 27 bis 29).
Nutzen Sie, wenn möglich, interne Ressourcen SchnellCheck: Die Parteien lösen den Konflikt alleine 6 Die Beteiligten sind sehr lösungsbereit. 7
Die Beteiligten können noch gut miteinander reden.
8
Es sind nur wenige Beteiligte und es gibt noch keine „La gerbildung“ unter den Mitarbeitern. Die Beteiligten ha ben auch noch nicht begonnen, Anhänger um sich zu scharen.
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Die Beteiligten sind auf der gleichen Hierarchieebene oder stehen wenigstens nicht in einem Abhängigkeits oder Auftragsverhältnis zueinander.
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Die Beteiligten kommen aus dem gleichen regionalen und sozialen Kulturkreis.
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Der Konflikt ist frisch und hat keine lange Vorgeschichte.
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Es gibt keine gescheiterten Lösungsversuche.
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Es sind durch den Konflikt keine zentralen Projektziele oder besonders knappe Ressourcen gefährdet.
Wenn Sie Zeilen 6 bis 13 alle bestätigt haben, können Sie die Lösung des Konflikts den Beteiligten selbst überlassen. Stellen Sie aber sicher, dass sich die Streitenden tatsächlich zu einem klärenden Gespräch treffen und setzen Sie notfalls einen Termin. Scheitert dieses Gespräch oder konnten Sie nicht alle Zeilen bestätigen, übernehmen Sie selbst die Vermittlung oder wenden Sie sich an einen externen Mediator.
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1
SchnellCheck für akute Konflikte
SchnellCheck: Sie leiten das Vermittlungsgespräch 14 Ich bin inhaltlich unbeteiligt und habe weder Schaden noch Nutzen bei diesem oder jenem Konfliktausgang. 15
Es handelt sich um eine überschaubare Zahl von Betei ligten und ich kann für alle in gleicher Weise parteilich sein.
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Die Beteiligten wissen, dass Sie mir vertrauen können. Ich habe mit keinem Beteiligten einen offenen oder mit Machteinsatz erledigten Konflikt.
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Ich traue mir zu, in diesem Konflikt zu vermitteln.
18
Unsere Unternehmenskultur lässt es zu, über Konflikte halbwegs offen zu sprechen.
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Der Konflikt und die Beteiligten erinnern mich nicht an eigene frühere Erlebnisse.
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Keiner der Beteiligten ist mein Vorgesetzter.
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Das Risiko für das Projekt ist nicht so hoch, dass ich viel zu unruhig für eine Konfliktvermittlung wäre.
Wenn Sie jede der Zeilen 14 bis 21 bestätigen konnten, spricht nichts gegen ein Vermittlungsgespräch unter Ihrer Leitung. Was für ein solches Gespräch nötig ist, erfahren Sie ab Kapitel 9. Falls Sie sich – vielleicht auch aus zeitlichen Gründen – dagegen entscheiden, bleibt als letzte Möglichkeit die Einschaltung eines projektexternen Mediators. Findet sich innerhalb Ihres Unternehmens niemand dafür, wenden Sie sich an die GPM-Fachgruppe „Kooperative Konfliktlösung in Projekten“ unter
[email protected]. Außerdem finden Sie Mediatoren unter anderem auch auf den Internetseiten des Bundesverbandes Mediation und der Centrale für Mediation. Tipp: Unter diesen Adressen finden Sie Mediatoren: • GPM FG Konfliktlösung: www.kooperativekonfliktloesung.de • Bundesverband Mediation: www.bmev.de • Centrale für Mediation: www.mediate.de
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SchnellCheck für akute Konflikte
Die folgende Checkliste hilft Ihnen bei der Auswahl eines geeigneten Mediators: SchnellCheck: Auswahl eines Mediators 22 Der Mediator ist völlig unbeteiligt am Projekt, auch hin sichtlich des Ergebnisses. 23
Der Mediator hat Erfahrung.
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Der Mediator macht auf mich einen persönlich überzeu genden Eindruck.
25
Der Mediator arbeitet systemisch und transformativ. (Worterklärungen siehe in den Abschnitten 9.3 und 9.7)
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Der Mediator hat mir nicht Lösung des Konflikts verspro chen.
Die Zeilen 22 und 24 müssen auf den von Ihnen gewählten Mediator zutreffen, die anderen sollten es möglichst auch. Besonders wichtig ist Zeile 26. Erfahrungsgemäß führen Vermittlungsverfahren, in denen die Mediatoren ein besonderes Interesse an positiven Lösungen haben, zu schlechten Ergebnissen. Das hat etwas mit der Gesprächsdynamik und der hohen Sensibilität von Streitenden zu tun.
Sichern Sie sich rechtlich ab SchnellCheck: Rechtliche Fragen sind geklärt 27 Meine Rechtsabteilung hat dem von mir bevorzugten Konflikterledigungsweg zugestimmt. 28
Die Konfliktparteien werden hinsichtlich des Konfliktlö sungsprozesses und des Ergebnisses rechtlich beraten (außer es handelt sich ausschließlich um Konflikte auf der Beziehungsebene ohne rechtliche Relevanz).
29
Ich habe zum Schutz meines Projekts lieber einmal mehr als zu wenig Rat bei meiner Rechtsabteilung eingeholt und bleibe während des gesamten Verfahrens mit ihr in Kontakt.
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1
SchnellCheck für akute Konflikte
Der „Schnell-Check für akute Konflikte“ wurde ursprünglich von Manfred Lieber, Renate Raschke und weiteren Mitgliedern der GPMFachgruppe „Kooperative Konfliktlösung in Projekten“ entwickelt, denen an dieser Stelle für Hilfe und Anregung herzlich gedankt sei. Hinweis: Einen ausführlicheren Check für akute Konflikte finden Sie zum Ausdru cken auf der CD.
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Teil I: So erkennen Sie Konflikte
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1
Welche Konflikte Ihnen begegnen können
„Was haben die denn nun schon wieder?!“ Wenn Sie sich Ihr Umfeld anschauen und mit Blick auf Projektteam oder anderweitig Beteiligte diesen Satz ein bisschen genervt, ein bisschen enttäuscht und auch ein bisschen wütend denken, dann ist Ihnen möglicherweise ein Konflikt aufgefallen. Im Laufe des Projekts wird Ihnen das immer wieder passieren. Denn es gibt vieles, worüber sich zu streiten lohnt. Dass „sich darüber zu einigen“ noch besser wäre, fällt meistens nur denen auf, die nicht direkt beteiligt sind.
1.1 Typische Projektkonflikte Wie zeigen sich die Konflikte, denen Sie in Ihrer Arbeit als Projektleiter begegnen können? Sie erscheinen als • Ziel- und Richtungskonflikte, • Wahrnehmungs- und Beurteilungskonflikte, • Rollen- und Erwartungskonflikte, • Besitz- und Verteilungskonflikte, • Veränderungs- und Sicherheitskonflikte, • Beziehungs- und Statuskonflikte.
Ziel und Richtungskonflikte Beispiele: „Wir müssen mehr Mitarbeiter für das Team einstellen“, sagt der Pro jektleiter. „Wir müssen unsere Ausgaben reduzieren“, antwortet der Controller.
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Typische Projektkonflikte
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„Wir brauchen mehr Ressourcen für unser Projekt!“, fordert das Team. „Ich brauche die Stunden für meine eigene Arbeit“, antwortet der Ab teilungsleiter. „Ich will maximalen Funktionsumfang in möglichst kurzer Zeit“, denkt der Kunde. „Wir wollen möglichst viel Geld für unsere gute Arbeit“, meinen die Auftragnehmer.
Die Personen in den Beispielen haben unterschiedliche Ziele bezogen auf ein und dieselbe Sache. Solche Ziele müssen sich nicht unbedingt widersprechen. Tun sie es aber, zeigt sich das als Ziel- oder Richtungskonflikt.
Wahrnehmungs und Beurteilungskonflikte Beispiele: „Die Auslagerung der Produktion schafft uns neue Freiheiten!“, erklärt der Entwickler. „Aber wir verlieren vollständig die Kontrolle über das Ergebnis“, widerspricht der Fertigungsleiter. „Dieses Projekt ist eine große Herausforderung für uns!“, lobt der Chef. „Es wird in einer Katastrophe enden!“, denkt der Pressesprecher. „Der Kunde ist sehr qualitätsbewusst“, berichtet ein Mitarbeiter. „Ich halte ihn für übertrieben pingelig!“, ärgert sich ein anderer.
Die Personen in den Beispielen beurteilen ein und dieselbe Sache verschieden. In einem Wahrnehmungs- oder Beurteilungskonflikt geht es entweder darum, wer recht hat, oder darum, welche Handlungen aus der Beurteilung abzuleiten sind. Auch der Streit um die richtigen (ethischen) Werte gehört zu dieser Konfliktgruppe.
Rollen und Erwartungskonflikte Beispiele: „Eigentlich müsste ich unbedingt noch den Projektplan anpassen, das erwarten meine Leute von mir“, denkt der Projektleiter. „Andererseits sollte ich mich mal wieder bei meiner Tochter sehen lassen, bevor sie fest schläft“, schwankt er.
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1
Welche Konflikte Ihnen begegnen können
„Dass mich der Chef ins Vertrauen gezogen hat, darf ich den anderen nicht sagen“, überlegt ein Mitarbeiter. „Andererseits bin ich meinen Kollegen eigentlich die Wahrheit über ihre Situation schuldig“, zwei felt er. „Ich habe ja viel Verständnis für die persönlichen Schwierigkeiten meiner Sekretärin“, denkt der Leiter des Projektbüros. „Ich kann aber nicht zulassen, dass sie mir auf der Nase rumtanzt und an fünf von sechs Arbeitstagen fehlt!“, ärgert er sich.
Die Personen in den Beispielen haben unterschiedlichen eigenen und fremden Ansprüchen zu genügen. Weil sie das zeitlich oder inhaltlich nicht schaffen, geraten sie in einen Rollen- oder Erwartungskonflikt.
Besitz und Verteilungskonflikte Beispiele: „Ich brauche nächste Woche 20 Maschinenstunden“, erklärt ein Pro jektleiter. „Halt! Die sind schon für mein Projekt eingeplant“, wider spricht ein anderer. „Für dich hat sich der Chef zwei Stunden Zeit genommen, mir hat er nur fünf Minuten zugehört“, beklagt sich ein Teammitglied bei seiner Kollegin. „Die Bonzen links von der Straße haben ihre Lärmschutzwand ge kriegt, aber wir hier drüben müssen den Radau weiterhin aushalten!“, schimpft ein genervter Anwohner.
Die Personen in den Beispielen streiten sich um Besitz an Geld, Macht, Zeit, Unterstützung, Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Sie haben einen Besitz- oder Verteilungskonflikt.
Veränderungs und Sicherheitskonflikte Beispiele: „Ich habe mich gerade an die neue Aufgabe gewöhnt und jetzt sollen wir schon wieder in ein neues Projekt wechseln. Die spinnen ja wohl!“, ereifert sich ein Teammitglied.
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Gestörte Wahrnehmung
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„Man kann nie wissen, was es bringt, mit so einem neuen Produkt auf den Markt zu gehen“, warnt der Leiter des Projektbüros. „Darf ich mal kurz an deinen Rechner, meiner läuft nicht richtig“, bit tet ein Techniker. „Sag mir einfach, was du willst, ich tippe es selbst ein“, antwortet sein Kollege.
Die Personen in den Beispielen scheuen das Risiko von Veränderungen. Sie befinden sich in einem Sicherheits- oder Veränderungskonflikt.
Beziehungs und Statuskonflikte Beispiele: „Ich hab dich dreimal gebeten, mir rechtzeitig alle Unterlagen zu schicken“, schimpft ein Teammitglied. „Es spricht aber auch nichts dagegen, dass du dich selbst mal aus deinem Sessel bequemst und sie dir abholen kommst“, schlägt der Buchhalter zurück. „Wenn der Karl weiter so nach Rauch stinkt, werde ich mich an den Betriebsrat wenden“, droht die Projektassistentin. „Keiner von euch hat es bisher für nötig befunden, mich über das Problem zu informieren!“, erregt sich der Projektleiter.
Die Personen in den Beispielen suchen den Grund für irgendein Übel in den Eigenheiten des anderen, statt sich um die Beseitigung des Übels zu kümmern. Sie befinden sich in einem Beziehungs- und Verhaltenskonflikt.
1.2 Gestörte Wahrnehmung Wenn Ihnen beim Lesen dieser Beispiele gleich einige Konflikte aus Ihrem eigenen Projektumfeld einfallen, sind Sie den allerwichtigsten Schritt auf dem Weg zur Konfliktlösung schon gegangen: Sie haben Konflikte wahrgenommen. Sie haben sie nicht ängstlich oder beschönigend aus Ihrem Kopf verdrängt, sondern akzeptiert, dass es sie gibt. Das ist – wundern Sie sich nicht! – eine außergewöhnliche Leistung. Denn es entspricht viel mehr der menschlichen Natur und auch der
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Welche Konflikte Ihnen begegnen können
Kultur vieler Unternehmen, Konflikte harmonisierend zu übersehen und „auf schönes Wetter zu machen“. Die Folgen sind katastrophal: Rund 90 Prozent der während einer Studie von der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft (AFK) befragten Manager sehen in nicht bearbeiteten Konflikten die entscheidende Ursache für das Scheitern ihrer Teams. „Offene Konflikte“ machen dagegen nur rund 50 Prozent der Befragten für ihre Schwierigkeiten verantwortlich. Daraus wird deutlich, dass alleine schon der offene Umgang mit Konflikten – zumindest in den Augen der Leitenden – einen wesentlichen Anteil am Erfolg von Projekten hat. Achtung: Die erste entscheidende Voraussetzung für professionelles Konflikt management und damit für den Projekterfolg ist eine offene Konflikt kultur. Die zweite ist das Wissen um den richtigen Umgang mit Kon flikten und die Bereitschaft, die nötigen Methoden auch einzusetzen.
1.3 Die Beteiligten Konfliktpartner in einem Projekt ist potenziell jeder, der in irgendeiner Weise davon berührt ist. Das sind in der Regel die Teammitglieder und die sonstigen Stakeholder. Letztere sind alle Personen oder Personengruppen, die von Ihrem Projekt beeinflusst werden oder die das Projekt direkt oder indirekt beeinflussen können, also etwa Vorgesetzte, Auftraggeber, Dienstleister. Sie alle haben verschiedene Interessen. So können Sie und Ihr Projekt schnell in Konflikte mit Stakeholdern verwickelt werden. Das rechtzeitige Erkennen von Konflikten sowohl im Team als auch mit den Stakeholdern gehört zu Ihren wichtigsten Aufgaben.
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Warum Sie auf Konflikte achten müssen
2.1 Probleme sind gut Sind nun Konflikte generell eine Gefahr für Projekte? Diese Frage lässt sich beantworten, wenn zwischen Konflikten und Problemen unterschieden wird. Da Projekte stets zeitlich begrenzt, inhaltlich oder organisatorisch neuartig und damit innovativ sind, wird und muss es in jedem Projekt Probleme geben, Situationen also, in denen der nächste Schritt nicht klar ist, weil entweder tatsächlich niemand einen Weg kennt oder weil die möglichen Auswirkungen dieses nächsten Schrittes auf Projekt, Team und Stakeholder nicht wünschenswert sind. Solche Probleme können in fachlich sorgfältiger Arbeit beseitigt werden. Wie Sie dabei vorgehen, zeigt Ihnen die folgende Anleitung. Schritt für Schritt zur Problembeseitigung Definieren Sie das Problem präzise. Problemdefinitionen dürfen keine Ergebnisse vorwegnehmen oder Ursachen benennen, sondern müssen Auswirkungen beschreiben! Sammeln und beurteilen Sie die äußeren ergebnisbedin genden Faktoren (zum Beispiel Rahmenbedingungen des Projekts, Regeln etc.) Überlegen Sie, woran sich eine Verbesserung erkennen lässt. Beschreiben Sie den angestrebten Zustand. Leiten Sie davon eine konkrete Fragestellung ab. Überlegen Sie, welche Moderations und Kreativitäts techniken für Ursachenanalyse, Ergebnisentwicklung, Ent scheidungsfindung und Umsetzungsplanung eingesetzt werden können.
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Warum Sie auf Konflikte achten müssen
Wählen Sie einen Moderator und die anderen am Prob lembeseitigungsprozess Beteiligten aus. Dokumentieren Sie Ergebnis, Aufgaben und Termine (etwa in einer TodoListe) und stellen Sie sicher, dass jeder Be teiligte davon Kenntnis erhält. Überprüfen Sie, ob die Aufgaben erledigt und die Ergeb nisse erreicht wurden. Feiern Sie gemeinsam den Erfolg!
Es kommt aber auch vor, dass die Probleme nicht beseitigt, sondern versehentlich oder absichtlich übergangen werden. Dann rücken die möglichen Auswirkungen ins Blickfeld von Team und Stakeholdern und aus der Angst vor nicht wünschenswerten Auswirkungen entsteht im weiteren Verlauf ein Konflikt. Beispiel: Marie Beyer, im Steuerungsteam eines relativ neu am Markt agieren den Industriezulieferers für alle Einführungsprojekte zuständig, ist seit dem Unfalltod ihres Mannes vor vier Monaten alleinerziehende Mut ter zweier kleiner Kinder. Relativ kurzfristig soll sie für ihr Unternehmen für acht Tage auf eine Messe fahren. Das hat die Geschäftsleitung so entschieden – denn neue Verkaufsabschlüsse sind dringend nötig und niemand überzeugt die Kunden so gut wie Frau Beyer. Diese allerdings ist davon alles an dere als begeistert. Wie soll sie die Kinderbetreuung organisieren, wenn sie eine ganze Woche auf der Messe ist? Es ärgert sie, dass die Firmenleitung keine Rücksicht auf ihre Situation nimmt. Marie Beyer spricht das Problem an, doch die Geschäftsleitung geht nicht darauf ein: „Sie kriegen das schon hin!“ Nun überlegt sich die bisher so engagierte Mitarbeiterin enttäuscht, ob sie während der Messe nicht einfach zum ersten Mal krankmachen soll.
Achtung: Probleme sind keine Konflikte. Probleme sind aber mögliche Vorboten von Konflikten. Aus Problemen entstehen Konflikte, wenn sie in unge eigneter Form (oder nur scheinbar) beseitigt werden.
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Konflikte sind schlecht
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Wenn Probleme tatsächlich beseitigt werden, entstehen aus ihnen keine Konflikte. Probleme gehören zum Projekt wie die Butter zum Brot. Sie sind normal und keine außergewöhnliche Belastung. Tipp: Problembeseitigung funktioniert am besten mit geeigneten Modera tions und Visualisierungstechniken. Eine gute Sammlung solcher Tech niken finden Sie im bei Haufe erschienenen TaschenGuide „Moderation“ (siehe Literaturverzeichnis).
Als Projektleiter können Sie im Rahmen der allgemeinen Sachzwänge weitgehend frei entscheiden, in welcher Weise und zu welchem Zeitpunkt Sie das Problem beseitigen wollen.
2.2 Konflikte sind schlecht Bei Konflikten ist das anders. Sie fordern Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Handeln oft in unpassenden Situationen. Konflikte beginnen meist als Verteidigungskampf, als Abwehrreaktion gegen die befürchteten unerwünschten Auswirkungen von (scheinbaren) Problemlösungen. In vielen Fällen beginnen sie mit einer Art Hilferuf. Dieser Hilferuf ertönt zuerst innerlich. Wenn er nach außen dringt, verunglückt er meist – er kommt als Angriff heraus. Mit dem Angriff beginnt die sichtbare Konflikteskalation. Die möglichen Ergebnisse kennen Sie: Was im Privatleben die zugeschlagene Tür ist, sind im Projekt nicht weitergegebenen Zahlen, mit Schadenfreude übersehene Fehler oder rücksichtslose Stimmungsmache. Vor allem aber wird nicht mehr ehrlich, offen und projektorientiert miteinander geredet. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass Kommunikation über 50 Prozent der Projektarbeit ausmacht und dass die meisten Konflikte anfangs besonders über verunglückte Kommunikation eskalieren. Erst später kommen dann offene oder verdeckte Angriffe und projektschädigende Handlungen hinzu.
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2 Kommunika tionsdefizite begünstigen Konflikte
Warum Sie auf Konflikte achten müssen
Die „größte Achillesferse für Arbeits- und Projektteams“ sind gemäß der schon erwähnten AFK-Studie Kommunikationsschwierigkeiten mit 97 Prozent. Gestörte Kommunikation ist eines der deutlichsten Signale für verdeckte Konflikte. Wie sehr Konflikte zum Projektmisserfolg beitagen, zeigt auch die Studie „Projektmanagement: Abenteuer Wertvernichtung“ von Manfred Gröger. Danach sind aus Sicht von fast 1.000 befragten Führungskräften knapp 70 Prozent der Projektarbeit „nicht effizient“. Geld und Ressourcen werden verschwendet. Als Ursachen für diese Wertvernichtung werden Entscheidungsschwäche und diffuse Verantwortung benannt. Beides sind, zusammengefasst im Begriff „Führungsschwäche“, weitere Hinweise auf vorhandene Konflikte. Entscheidungsschwäche wird meist durch die Angst vor Konflikteskalation verursacht. Verantwortungsunklarheiten führen mit nahezu absoluter Sicherheit in einen Konflikt. Hinzu kommt, dass nach dieser Studie gut 50 Prozent der gestarteten Projekte in Unternehmen unnütz („nicht effektiv“) und somit ebenfalls wertvernichtend sind. Eine wesentliche Ursache dafür sei das Umgehen von Konflikten, wodurch eine klare Kosten-NutzenAnalyse für neue Projekte unterbleibe oder Projekte sogar nur deshalb angefangen würden, um sich oder andere ruhigzustellen. Um nun die Frage vom Beginn dieses Kapitels zu beantworten: Achtung: Ja, im Gegensatz zu Problemen sind Konflikte für Ihr Projekt gefährlich. Sie binden unkontrolliert Ressourcen und verbreiten sich unbemerkt tief im ganzen Projekt. Die Folge sind ein energiebindender Kampf oder allgemeine Lähmung.
Konflikte haben nichts Positives
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Die Konsequenz sehen Sie oben: Mit 90 Prozent sind Konflikte am Scheitern von Projekten beteiligt. Vergessen Sie deshalb alles, was man Ihnen bisher über das Positive von Konflikten im Projekt erzählt hat: etwa dass sie das Salz in der Suppe des Projekts seien, dass sie Entwicklung fördern würden, dass man sich Konflikte geradezu wünschen müsse.
Nehmen Sie Konflikte ernst!
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Tipp: Konflikte sind eine Gefahr für Ihr Projekt. Das Beste ist, sie zu vermei den – indem Sie Probleme rechtzeitig und richtig beseitigen. Falls es doch zu einem Konflikt kommt, gilt es, ihn schnell zu erkennen und zu verstehen. Wenn der Konflikt Ihr Projekt gefährdet, müssen Sie ihn erle digen, selbst dann, wenn Sie Ihre eigenen Ziele dadurch in Gefahr se hen. Sonst wirkt sich seine destruktive Macht auf das ganze Projekt aus.
Achtung: Sie müssen gefährliche Konflikte auch dann sofort erledigen, wenn Sie eigentlich keine Ressourcen dafür frei haben.
2.3 Nehmen Sie Konflikte ernst! Projekte sind komplexe Systeme und deshalb nicht voll erfassbar. Weil das so ist, bedarf es geeigneter Verfahren und Instrumente, um auf Unvorhergesehenes angemessen und wirksam zu reagieren. Deshalb beschäftigen Sie sich als Projektleiter mit Change Request, Risikomanagement, Claim Management, Walkthroughs und dergleichen mehr. Genauso wichtig und sogar viel unmittelbarer anwendbar ist das Konfliktmanagement. Neben den schon beschriebenen monetären Vorteilen funktionierenden Konfliktmanagements müssen drei weitere ganz wichtige Nutzeffekte betont werden: • Hohe Zufriedenheit des Teams und der Stakeholder • Bessere Qualität der Zusammenarbeit in Folgeprojekten • Wettbewerbsvorteile durch kürzere Projektlaufzeiten
Konflikt management gehört dazu
Natürlich: Nicht bei jedem Anzeichen eines Konflikt müssen Sie sich gleich einmischen. Beispiel: Katharina Weber und ihr Bürokollege Falk Schreiber haben jeden Tag einen kleinen Kampf um die Bürotemperatur. Während Katharina noch im Winter am liebsten das Fenster weit aufreißen würde, sitzt Falk Schreiber selbst bei voll aufgedrehter Heizung im dicken Schaf
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Warum Sie auf Konflikte achten müssen
wollpullover am Schreibtisch. Manchmal bringt Falk seiner Kollegin im tiefsten Winter ein Eis mit und neulich im heißesten Sommer hat Katharina ihrem Tischnachbarn eine warme Mütze geschenkt. So geht das schon seit zwei Jahren und ihr Projektleiter Tammo Klar schaut gelassen zu.
Sie können Ihren Teammitgliedern durchaus zutrauen, mit Problemen wie der richtigen Bürotemperatur eigenverantwortlich umzugehen. Auch Spitzen oder flapsige Bemerkungen können Sie überhören, wenn alle Betroffenen darüber lachen können. Ernst wird es, wenn sich das Spiel mit den Unterschieden in einen Kampf um den Sieg für die eigene Forderung verwandelt. Denn was harmlos beginnt, kann durchaus eskalieren. Ihre Aufgabe ist deshalb eindeutig:
Beobachten, verstehen, eingreifen
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Tipp: Wenn Sie wegen fehlender Brisanz nicht gleich in einen Konflikt ein greifen wollen, müssen sie ihn sorgfältig im Auge behalten. In Ab schnitt 7.6 des Buches erfahren Sie, wann es schließlich höchste Zeit ist, in den Konflikt einzugreifen.
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Was Sie als Projektleiter brauchen
Zum Konfliktmanagement gehört mehr als nur das Lösen von Konflikten. Es fängt früher an und hört später auf, wie die folgende Checkliste zeigt: Checkliste Konfliktmanagement: Was Sie dazu brauchen Wissen: Sie müssen die Bedeutung von Konflikten für das Projekt kennen. Erkennen: Sie müssen Konfliktpotenzial und Konflikte frühzeitig wahrnehmen. Verstehen: Sie müssen Konflikte analysieren, ihre Mecha nismen durchschauen. Reagieren: Sie müssen Konflikte bewerten, sie beobachten und möglichst dauerhaft lösen (lassen). Übertragen: Sie müssen die Ergebnisse für Verbesserun gen und Prävention nutzen.
Konfliktmanagement liegt in Ihrer Verantwortung! Viele Fähigkeiten dafür haben Sie bereits: • Analytisches Denken • Standfestigkeit in Krisen • Vorausblick
Werkzeuge für Konflikt management
Es gibt da aber noch etwas: Ihre fachliche Kompetenz. Und leider: So hilfreich und nützlich Sie Ihre Fachkompetenz im Allgemeinen erleben, für den Projekterfolg und für einen kontrollierten Projektverlauf ist sie im Hinblick auf Konflikte nicht entscheidend.
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Was Sie als Projektleiter brauchen
Beispiel: Der Prototypenbau hat schon den dritten Nachtermin versäumt. Die rechtzeitige Markteinführung gerät in Gefahr. Begründet werden die Verzögerungen mit ständigem Streit um Ressourcen zwischen dem Werkstattleiter Hans Hagel und den zuständigen Teammitgliedern Beatrice und Frank Scharschmidt. Projektleiter Konrad Wedder, der bisher auf die Vernunft der Beteilig ten vertraut hat, greift nun selbst ein. In Abstimmung mit den ande ren Projektleitern des Hauses und mit der Geschäftsleitung legt er die Ressourcenverteilung unter allen Projekten für die nächsten drei Wo chen fest. Nach 14 Tagen informiert ihn Beatrice Scharschmidt, dass auch der neue Termin nicht eingehalten werden könne. Die Werkstattleitung habe in die ihrem Projekt zugeteilten Zeiten gezielt Weiterbildungen gelegt, teilweise sei Urlaub genommen worden und angeforderte Res sourcen würden bestenfalls auf die Minute genau zur Verfügung ge stellt und wieder abgezogen. Fachkompetenz ist bei Konflik ten nicht entscheidend
Projektleiter Konrad Wedder ist kaufmännisch und technisch ein herausragender Fachmann, trotzdem hat er im Konfliktmanagement versagt. Er hat versagt und letztlich das Weihnachtsgeschäft verpasst, weil er die Frage der Ressourcenverteilung ausschließlich technisch, zeitlich und organisatorisch bearbeitete. Den ganz offensichtlichen Konflikt zwischen Werkstattleiter Hagel und den beiden Scharschmidts nahm er nicht ernst. Er war der Meinung, dass sich deren Streit durch die strukturellen Maßnahmen sozusagen von alleine erledigen würde. Das tun Konflikte aber nur höchst selten. Achtung: Nicht Fachkompetenz, sondern Konflikte erkennen und Konflikte ver stehen sind Ihre wichtigsten Fähigkeiten im Hinblick auf die sichere Abwicklung eines Projekts.
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Wie Sie Konflikte bemerken
4.1 Konflikte so früh wie möglich erkennen Das Leugnen von Konflikten ist ein großes Problem bei Projekten. Nicht genau hinzuschauen, einen schwelenden Streit zu ignorieren oder zu hoffen, dass „schon alles irgendwie wird“ – dieses Verhalten finden Sie in der Praxis sehr häufig. Ungeachtet der Folgen wird der Konflikt einfach unter den Teppich gekehrt. Es wird einfach nicht darüber und nicht miteinander geredet. Dabei sollte doch gerade die Kommunikation in der Projektarbeit besonders intensiv sein. Woher rührt dieses Verhalten? Es ist die Folge eines Phänomens, das man mit „Vermeiden klarer Gedanken und Worte“ umschreiben könnte. Das gibt es natürlich überall in unserer Gesellschaft. Nur: In Unternehmen wird der dadurch angerichtete Schaden besonders schnell spürbar. Als Leserin oder Leser dieses Buches sind Sie nicht konfliktscheu. Und das ist gut so. Denn je früher Sie einen Konflikt erkennen, desto größer ist Ihr Handlungsspielraum. Wenn der Konflikt hingegen bereits eskaliert ist – was bedeutet, dass sich die Beteiligten nicht nur unfair verhalten, sondern auch dem Projekt schaden – und wenn schließlich sogar Vorgesetzte oder Auftraggeber einbezogen werden, dann ist es zu spät. Denn dann entscheiden andere an Ihnen vorbei über das weitere Vorgehen. Das sollten Sie als Projektleiter unbedingt vermeiden.
Konflikte werden oft geleugnet
Handlungs spielraum erhalten
Beispiel: In Silke Strauss’ Projektteam kritisieren sich zwei ihrer Teammitglie der, Frau Metz und Herr Wien, über Monate hinweg gegenseitig vor versammelter Mannschaft. Schließlich gehen beide zu persönlichen Angriffen über. Erst als sich Frau Metz bei Silke Strauss beschwert, wird ein Dreiergespräch anberaumt. Doch dann muss die Projektleite rin zur Tochtergesellschaft nach Indien fliegen und das Gespräch fin
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Wie Sie Konflikte bemerken
det erst zwei Woche nach ihrer Rückkehr statt. Frau Strauss hat nur eine Stunde Zeit und redet beschwichtigend auf ihre beiden Mitarbei ter ein. Diese behaupten nun, sie hätten keinen Konflikt und jeder kümmere sich um seine Aufgaben. Zwei Tage später kommt Herr Wiens Vorgesetzter auf Silke zu und erklärt, er werde es keinesfalls tolerieren, dass einer seiner besten Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft ungeschützt fertig gemacht werde. Frau Metz’ Vorgesetzte fordert Frau Strauss noch am selben Tag auf, sich besser für ihre Mitarbeiterin einzusetzen. Ansonsten ver liere Frau Metz gänzlich die Motivation, sich für das Projekt zu enga gieren. Auf dem nächsten Projektmeeting sitzen Anna Metz und Lucas Wien leicht lächelnd in der Runde und beteiligen sich kaum. Hin und wieder verdrehen sie die Augen, wenn Frau Strauss sich engagiert für das Projektziel einsetzt.
Was war passiert? Während Silke Strauss’ Indienaufenthalt beklagten sich Anna Metz und Lucas Wien bei ihren Linienvorgesetzten über die Projektleiterin. Damit beförderten sie den Konflikt auf eine Ebene, zu der Frau Strauss keinen Zugriff mehr hatte. Die Vorgesetzten klärten in einem kurzen Telefonat miteinander, dass Frau Strauss das Projekt wohl nicht ganz im Griff habe und dass sie ihre Mitarbeiter dort nicht noch weiter verschleißen lassen wollten. Sie demontierten Silke Strauss in ihrer Position und wiesen ihre Mitarbeiter an, nur noch das Nötigste zu tun. Silke Strauss, aus Sicht der beiden Streitenden nur noch Projektleiterin auf Abruf, konnte es nun nicht mehr gelingen, den mittlerweile wieder verdeckten Konflikt zwischen den beiden aufzulösen. Das bestätigte deren Vorgesetzte in ihrer Meinung, Frau Strauss sei als Projektleiterin inkompetent. Silke Strauss hat aus ihrem Fehler gelernt und später nie mehr wochenlang gebraucht, bis sie einen Konflikt erkannte. Tipp: Gehen Sie Konflikten in Ihren Projekten nie aus dem Weg. Kümmern Sie sich um eine Lösung, solange Sie Einfluss auf die Beteiligten haben. Dieser Einfluss schwindet allerdings, wenn der Konflikt auf die Ebene Ihrer Vorgesetzten eskaliert wird.
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An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte
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Doch wie bemerken Sie Konflikte rechtzeitig?
4.2 An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte Ein Konflikt ist nicht erst da, wenn es laut wird. Es gibt Signale. Allerdings sind sie in der Regel nicht eindeutig: So wie nicht jeder Husten gleich von einer Lungenentzündung zeugt, muss auch nicht jedes Konfliktsignal gleich auf einen Konflikt hindeuten. Diese Unklarheit ist ein bisschen ärgerlich, aber in Ihren Projekten haben Sie schon größere Schwierigkeiten gemeistert. Auf welche Art von Signalen Sie achten müssen, steht in der folgenden Checkliste. Die einzelnen Punkte finden Sie in den nächsten Abschnitten genauer erklärt.
Uneindeutige Signale
Checkliste Konfliktsignale: Worauf müssen Sie achten? Gestörte Kommunikation: Kommunikation abseits der gesellschaftlichen Sitten und der im Kontext gewohnten Umgangsformen, Ignorieren von Kommunikationsregeln. Manipulation Dienst nach Vorschrift: Vom Rückzug auf exakte Arbeits zeiten und Aufträge bis zur gezielten Ausführung von Vor schriften, weil deren schädliche oder absurde Konsequen zen absehbar sind Fehlzeiten und Fluktuation: Abwesenheit von Mitarbei tern durch Krankheit, exzessive Ausdehnung und Wahr nehmung von Außenterminen, unverständliche Kündigun gen Führungsschwäche: Nicht funktionierende Entschei dungsstrukturen und undefinierte Prozesse, teils verbun den mit unpassendem oder unklarem Führungsstil Cliquenbildung: Abgrenzendes Zusammenfinden gegen andere Gruppen mit klaren „Gutböse“ und „Wirdie“ Vorstellungen Klammerverhalten: Absolutes Festhalten an bisherigen Aufgaben, Positionen und Zuständigkeiten weit über das normale Maß hinaus
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Wie Sie Konflikte bemerken
Achtung: Nicht überall, wo Sie Konfliktsignale feststellen, liegt ein Konflikt vor.
Gestörte Kommunikation Der feine Unterschied
Gestörte Kommunikation ist so wenig verifizierbar wie „gefühlte Temperatur“. Sie wird subjektiv als gestört empfunden. Dabei sind es oft Kleinigkeiten wie Tonfall, Wortstellung, Füllwörter, besondere Formulierungen oder verschiedene nonverbale Signale, die den Unterschied zwischen funktionaler und gestörter Kommunikation ausmachen. Beispiele: „Die sitzen in ihrem Elfenbeinturm und sind doch gar nicht auf kurz läufige Projekte eingestellt.“ (in genervtem Tonfall) In einer konflikt freien Diskussion würden Sie eher eine Aussage erwarten wie: „Ich glaube nicht, dass die Geschäftsleitung auf so kurzläufige Projekte vorbereitet ist.“ „Haben Sie jetzt verstanden, was ich damit meine?“ (in sehr kontrol liertem, kühlem Ton). Ohne Konfliktsignale: „Konnte ich mich ver ständlich ausdrücken?“ (in freundlichem Ton). „Ich halte es für vollkommen überflüssig, noch weiter über andere Lieferanten nachzudenken! Ich jedenfalls habe dafür keine Zeit.“ Ohne Konfliktsignale: „Ich denke, dass uns diese Diskussion über andere Lie feranten zu viel Zeit kostet, ohne dass es sich für unser Ziel wirklich lohnt.“ „Könntet Ihr einmal bitte nicht so schreien am Telefon!“ Ohne Kon fliktsignale: „Ich brauche ein bisschen mehr Ruhe im Raum.“
Die offensichtlicheren Formen gestörter Kommunikation sind: • Verabsolutierungen und Blockaden • Generalisierungen und Belastungen • Verbale Ausgrenzungen • Manipulation • Verweis auf unbestimmte andere Personen und auf Regeln • Ablenkungsmanöver und Themenwechsel
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Verletzung kontextüblicher Gesprächsregeln Im Kontext unpassende Wortwahl Stumme Signale
Verabsolutierungen und Blockaden Beispiel: „Das Gespräch mit Petra war vollkommen überflüssig. Es wird niemals möglich sein, mit ihr zu einer Einigung zu kommen. Ich kann keines falls mit ihr sprechen.“ Statt: „Das Gespräch mit Petra war größtenteils nicht hilfreich. Es wird nicht einfach, mit ihr zu einer Einigung zu kommen. Ich kann jetzt nicht mit ihr sprechen.“
Bei Verabsolutierungen wird eine Einschränkung im Detail zu einer absoluten Einschränkung der ganzen Sache erklärt und es wird mittels Behauptung und ohne Begründung eine innere oder äußere Blockade gegen andere Einschätzungen errichtet. Generalisierung und Belastungen Beispiel: „Alle hacken auf mir rum. Immer muss ich alles machen. Keiner unter stützt mich.“ Statt: „Viele hacken auf mir rum. Sehr oft muss ich den größten Teil der Arbeit alleine machen. Kaum jemand unterstützt mich.“
Bei Generalisierungen werden singuläre oder auch häufige Erlebnisse zur generellen Regel erklärt („immer“, „sowieso“, „ständig“, …), meist in Verbindung mit dem Beklagen der eigenen Überforderung oder Überlastung. Verbale Ausgrenzungen Beispiel: „Ihr habt ja davon keine Ahnung. Wir können euch da locker was vor machen. An Hilfe von denen da oben braucht ihr gar nicht erst zu denken.“
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Wie Sie Konflikte bemerken
Statt: „Ich sehe jetzt nicht, dass du, Thomas, uns da unterstützen kannst. Ich und meine Mitarbeiter haben sich damit schon lange be schäftigt. An Hilfe durch Peter brauchst du, Thomas, gar nicht erst zu denken.“
Bei verbalen Ausgrenzungen wird in unpersönlicher Form von Menschengruppen gesprochen, die in Abgrenzung zur eigenen Gruppe beschrieben werden. Manipulation Beispiel: „Wer die Notwendigkeit für schnelles Handeln noch immer nicht be griffen hat und weitere Verzögerungen will, kann ja auf diese dämli che Studie bestehen. Alle anderen bitte ich jetzt um ihr Handzeichen.“ Statt: „Wer trotz der knappen Zeit noch weiter prüfen will, kann sich ja für diese meiner Meinung nach unnötige Studie einsetzen. Alle an deren bitte ich …“
Neben dieser „Brunnenvergiftung“ genannten Manipulationstechnik gibt es viele weitere Tricks, Kommunikation zu missbrauchen. Eine gute Übersicht zum Erkennen und Abwehren solcher Methoden finden Sie im TaschenGuide „Manipulationstechniken“ (siehe Literaturverzeichnis). Verweis auf unbestimmte andere Personen und auf Regeln Beispiel: „Die haben hier schon wieder die Straße aufgerissen. Wir müssen uns das ja gefallen lassen.“ Statt: „Die Werksleitung hat hier schon wieder die Straße aufreißen lassen. Ich habe keine Lust mehr, dagegen vorzugehen.“
Beim Verweis auf unbestimmte andere Personen mit „die (machen)“ usw. ist meist eine Art „Obrigkeit“ gemeint, der man hilflos ausgeliefert sei. Ähnlich ist es beim Verweis auf scheinbar allgemeingültige Regeln, hinter denen sich der Redner versteckt.
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An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte
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Ablenkungsmanöver und Themenwechsel Beispiel: „Wo Sie jetzt gerade nach den Emissionswerten unseres geplanten Werks fragen und den Wind ansprechen, fällt mir ein, dass ich gestern eine interessante Broschüre über die mit dem Klimawandel verbunde nen Wetterveränderungen in der Hand hatte. Da stehen gerade die Sachen drin, die Sie angesprochen haben. Das Wetter …“ Statt: „Wo Sie jetzt gerade nach den Emissionswerten (…) fragen, kann ich Ihnen folgende Antwort geben: …“
Bei Ablenkungsmanövern wird gezielt am Thema vorbeigeredet. Zum Themenwechsel kommt es aber auch, wenn sich die Beteiligten nicht zuhören oder den Kopf voller eigener wichtiger Gedanken haben. Gespräche und Beratungen sind dann oft ergebnislos. Verletzung kontextüblicher Gesprächsregeln Beispiel: „Sie glauben ja wohl nicht im Ernst, Sie Doppelnull, dass ich auf die sen Müll irgendwie reagiere.“ Statt: „Sie erwarten sicherlich nicht ernsthaft, dass ich auf Ihre Vor würfe eingehe.“
Es ist besonders wichtig, hier auf den Kontext zu achten (zur Wortwahl siehe auch unten), aber unkooperatives Verhalten, NichtReagieren, Gesprächsabbrüche, wissentliche Lügen und Beleidigungen sind nirgendwo üblich und deshalb ein recht sicheres Signal für Konflikte oder zumindest für eine Überforderung des Handelnden. Tipp: Fällt Ihnen eine der bisher beschriebenen Kommunikationsstörungen auf, können Sie einen Konflikt vermuten. Finden Sie heraus, worum es wirklich geht, und kümmern Sie sich um die Konflikterledigung. (Mehr dazu ab Kapitel 8.)
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Wie Sie Konflikte bemerken
Im Kontext unpassende Wortwahl Achten Sie auf den Kommuni kationskontext
An der Wortwahl ist gestörte Kommunikation etwas schwieriger festzustellen, da Wörter je nach beruflichem oder sozialem Kontext verschiedene Bedeutungen haben können. So ist die Beschreibung „Er ist ein typischer Banker“ aus dem Mund der Personalleiterin einer Großbank anders zu verstehen als aus dem Mund eines Studenten der Erziehungswissenschaften im ersten Semester. Ist Ihr Gesprächspartner kein deutscher Muttersprachler, kennt er möglicherweise auch das zum Kontext passende Synonym eines Wortes nicht. Beispiel: Die italienische Museumsleiterin erreicht beim ersten Rundgang mit der Koordinierungsgruppe des großen deutschen Verleihers den mar morgetäfelten Speisesaal des Schlosses: „Und hier sehen Sie die Kan tine“, erklärt sie den überraschten Ausstellungsmachern.
Tipp: Nehmen Sie die Wortwahl nicht zu ernst bei der Suche nach Konflikten, sie kann kulturell bedingt sein. Achten Sie aber auf gutes gegenseitiges Verständnis, besonders dann, wenn Ihr Team oder der Kunde eine ande re (Fach)Sprache sprechen, als Sie es gewohnt sind. Fragen Sie nach, wenn Ihnen eine Reaktion unpassend erscheint oder unverständlich ist!
Stumme Signale Nonverbale Signale sind uneindeutig
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Am uneindeutigsten in Bezug auf das Erkennen von Konflikten sind nonverbale Signale. Es bestehen, mal abgesehen von in Projekten nicht so relevanten Standardsignalen wie herausgestreckter Zunge oder erhobenem Mittelfinger, so gut wie immer mehrere Deutungsmöglichkeiten und Sie haben, wenn diese nonverbalen Signale singulär ohne verbale Äußerungen einhergehen, keinerlei Möglichkeit, sie richtig zu interpretieren. Zu den nonverbalen Signalen gehören: • Gestik: Haare raufen, an der Nase kratzen, Handbewegungen, … • Mimik: lachen, weinen, Stirn runzeln, Gesicht verziehen, …
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•
Satzbetonung, Satzmelodie: Betonung von Adjektiven, verschobene Satzteilbetonung, … • Körperhaltung: zurücklehnen, wegdrehen, aufstehen, … • Unangemessenes* Verhalten: zu spät kommen, schweigen, SMS schreiben, … (* „Unangemessen“ ist natürlich bereits eine Bewertung des Verhaltens, also eine Deutung des Signals. Tatsächlich ist jedes Verhalten ein nonverbales Signal, nur nehmen Menschen „normales“ Verhalten in der Regel nicht als Signal wahr.) Viele nonverbale Signale sind nur scheinbar klar: Beispiele: Als der Projektleiter spricht, schüttelt Petra Eberlein den Kopf. „Sie sind nicht einverstanden, Frau Eberlein?“ – „Doch, natürlich, mir ist nur gerade eingefallen, wie unmöglich heute morgen die Lehrerin meines Sohnes reagiert hat. Also wirklich, die hat …“ „Wir hatten im Herbst über Ihre Situation im Team gesprochen. Hat sich das jetzt gebessert?“ – „Ja, vielen Dank für Ihre Geduld damals“, sagt Karoline Fallig und die Tränen rollen ihr über die Wangen. – „Stimmt das wirklich? Sie weinen ja!“, will sich Alfred Wagen versi chern. „Ja, ja, der Heuschnupfen!“, schnieft Karoline. „Wir brauchen die Entwürfe bis Ende nächster Woche.“, sagt der Pro jektleiter zum ausländischen Praktikanten. „Ich gebe sie Ihnen recht zeitig“ (statt: „Ich gebe sie Ihnen rechtzeitig.“), antwortet der. „Nein, das ist nicht nötig, Sie können Sie auch hier bei Herrn Ludwig abge ben.“ Die Sitzung nähert sich dem Ende. Plötzlich steht Klaus Kunkel auf und tritt hinter seinen Stuhl. „Sie sind in Eile?“, will der Moderator wissen. „Nein, ich habe noch Zeit, nur mein Rücken braucht mal kurz eine andere Haltung.“ „Sie haben heute noch gar nichts gesagt, Frau Sömmerda. Haben Sie kein Interesse mehr?“ Frau Sömmerda öffnet den Mund und krächzt: „Ich bin leider völlig heiser.“
Relativ sicher deutbar sind unter Menschen der gleichen Kulturgruppe die über Betonung und Satzmelodie vermittelten Botschaften, vorausgesetzt es sind keine Krankheiten wie Schlaganfall, Stottern u. Ä. im Spiel.
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Wie Sie Konflikte bemerken
Tipp: Bemerken Sie Veränderungen bei Betonung und Satzmelodie, können Sie ziemlich sicher von einem Konflikt ausgehen. Finden Sie ihn und sorgen Sie für seine Erledigung! (Mehr dazu ab Kapitel 8.)
Ebenso eindeutig (wenn auch unspezifisch) sind explizite Beleidigungsgesten. Der ausgestreckte Mittelfinger, die Ohrfeige, das Zusammenknüllen und Wegwerfen eines Briefes zeigen klar die Ablehnung des Handelnden, ohne dass aber Grund, Intensität und Zielrichtung dieser Ablehnung bekannt sind. Es ist möglich, dass der Empfänger des Signals gar nicht der Adressat war (der vielleicht hinter ihm steht), dass dem Handeln ein Missverständnis zugrunde liegt, dass nicht der Adressat als Person, sondern generell alle Störer des heutigen Tages gemeint sind usw. Tipp: Fallen Ihnen abwertende oder beleidigende Gesten auf, können Sie zwar von einem Konflikt ausgehen, müssen aber noch herausfinden, wer die tatsächlichen Beteiligten sind. Gehören die nicht in Ihren Verantwor tungsbereich, brauchen Sie sich nicht darum zu kümmern. Andernfalls sorgen Sie für die Erledigung des Konflikts. (Mehr dazu ab Kapitel 8.)
Der überwiegende Teil nonverbaler Signale ist nicht nur unspezifisch, sondern auch uneindeutig. Auch verbale Signale können missverstanden werden
Achtung: Nonverbale Signale sind von Ihnen nicht sicher deutbar! Erst in Verbin dung mit verbalen Äußerungen ist eine Annäherung an ihre Bedeutung möglich. Übrigens: Auch verbale Äußerungen sind uneindeutig, weil der Hörer ihren Sinn festlegt und vielleicht etwas anderes versteht, als der Spre cher gemeint hat.
Tipp: Deshalb: Vermeiden Sie Missverständnisse. Prüfen Sie durch Rückfragen nach, ob Sie das Gesagte richtig verstanden und das Gesehene richtig gedeutet haben, bevor Sie auf einen Konflikt schließen und entspre
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chend reagieren. Fragen Sie lieber zu viel als zu wenig nach, um sicher zugehen, dass Sie richtig verstanden haben.
Die folgende Checkliste fasst zusammen, woran Sie gestörte Kommunikation als Konfliktsignal erkennen können: Checkliste: Daran erkennen Sie gestörte Kommunikation Relativ sicher: Verabsolutierungen und Blockaden („niemals“) Generalisierungen und Belastungen („immer ich“) Verbale Ausgrenzungen („ihr“ ./. „wir“) Manipulation („Wer es noch nicht begriffen hat, …“) Verweis auf „die“ und auf Regeln („man muss“) Ablenkungsmanöver („da fällt mir ein …“) Verletzte Gesprächsregeln („Kein Kommentar“) Nicht so sicher: Wortwahl („typischer Banker“) Nonverbale Signale (gähnen, wegdrehen, …)
Denken Sie daran: Gestörte Kommunikation ist ein mögliches Merkmal für einen Konflikt. Sie kann aber auch durch Zahnschmerzen, durch Sorgen um den Klassenerhalt des Fußballclubs, durch Schüchternheit o. Ä. hervorgerufen sein.
Grenzen der Interpretation
Dienst nach Vorschrift Konflikte können Sie auch an der Arbeitshaltung Ihrer Mitarbeiter erkennen. Besonders schädlich ist Dienst nach Vorschrift, der in zwei Erscheinungsformen vorkommt. Die eine ist von Resignation gekennzeichnet, die andere von heimlichem Widerstand und Schadenfreude.
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4 Es hat ja sowieso alles keinen Sinn!
Wie Sie Konflikte bemerken
Dienst nach Vorschrift aus Resignation Resignation ist der Hauptgrund dafür, dass Mitarbeiter nur noch das absolut Nötigste tun, dabei jede Lücke in den Vorschriften nutzen und ihre Pausen- und Feierabendzeiten genau einhalten. Informationen fließen dann ausschließlich über das vorgegebene Berichtswesen und nur auf Nachfrage, Formblätter und Arbeitsanweisungen werden exakt genutzt, alle Aufgaben mit unklarer Zuständigkeit konsequent abgewiesen. Beispiel: Jonny Murr, neuer Projektleiter für die Optimierung von „Produktion und Logistik“ ärgert sich gleich zu Beginn über Lagerleiter Anton Wal ler, der offenbar noch nie etwas von geregelten Arbeitszeiten gehört hat. Wann immer er ihn erreichen will, ist er gerade nicht in der Fir ma. Als erste Amtshandlung sorgt Murr deshalb dafür, dass Anton Waller seine Arbeitszeiten in einer Abmahnung mitgeteilt bekommt: montags bis freitags von 7 bis 15 Uhr. Als am Montag gegen 17 Uhr wie üblich die unpünktliche Lieferung aus Helsinki ankommt, hat Anton Waller bereits Feierabend. Der Spe diteur, der normalerweise kurz vor Ankunft per Handy mit Anton Wal ler Kontakt aufnimmt, erreicht kurz nach 15 Uhr diesmal nur den An rufbeantworter. Die Ware kann nicht angeliefert werden und es kommt am nächsten Morgen zu Produktionsschwierigkeiten.
Dienst nach Vorschrift als heimlicher Widerstand Sich unangreifbar machen und trotzdem Widerstand leisten
Dienst nach Vorschrift kann aber auch das Ziel haben, im Rahmen der Regeln Widerstand zu leisten. Dann werden Vorgaben gerade deshalb exakt nach ihrem Wortlaut befolgt, weil dadurch ihre Absurdität deutlich wird, das Projektziel in Gefahr gerät oder der Konfliktgegner Schaden nimmt. Beispiel: Jonny Murr ärgert sich, wie oben beschrieben, über die Unerreichbar keit von Lagerleiter Anton Waller und lässt ihm seine Arbeitszeiten in einer Abmahnung mitteilen: montags bis freitags von 7 bis 15 Uhr. Dem Einwand von Anton Waller bezüglich der unregelmäßigen Liefer zeiten begegnet Murr mit der Vorschrift, dass verspätete Lieferungen
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schließlich vom Spediteur direkt vor dem Lager abgeladen werden könnten, auch wenn das Lager bereits geschlossen sei. Als am Montag ein Lieferant seine Verspätung bei Anton Waller telefonisch an kündigt, weist dieser ihn vorschriftsmäßig an, die Ware direkt vor dem Lager abzuladen. Am nächsten Morgen zeigt sich, dass die Paletten so unglücklich vor dem Lagertor platziert sind, dass es nicht mehr voll ständig aufgeht. Der Gabelstapler, mit dem die angelieferte Ware transportiert werden muss, ist jedoch in dieser Halle. Der gesamte Betrieb ist damit blockiert.
Die Checkliste fasst noch einmal zusammen, wie sich Dienst nach Vorschrift zeigt: Checkliste: Wie Sie Dienst nach Vorschrift erkennen Der Mitarbeiter hält Pausen und Feierabendzeiten strikt ein. Er kommt und geht pünktlich. Immer. Er gibt Informationen nur auf Anfrage weiter. Er beruft sich auf Vorschriften und hält sie exakt ein. 1. Als Mittel zur Verlangsamung der Arbeit: • Füllt jedes Formblatt aus. • Hält immer den Dienstweg ein. • Befolgt Arbeitsanweisungen genau. 2. Als Mittel zur Vermeidung von Arbeit: • Lehnt alle (zusätzlichen) Aufgaben ab, die nicht explizit in seinen Bereich fallen. • Beschäftigt sich übertrieben mit Formalien anstatt mit Inhalten. 3. Als Mittel zur Schädigung des Vorschriftengebers: • Beruft sich auch auf sachlich „unsinnige“ Vorschriften.
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4 Dienst nach Vorschrift schadet dem ganzen Team
Wie Sie Konflikte bemerken
Wenn in Ihrem Projekt jemand Dienst nach Vorschrift macht, dann hat das Auswirkungen auf Ihr gesamtes Team. Entweder machen die anderen aus Solidarität mit oder sie werden wütend, weil da jemand Zeit und Qualität ihres Ergebnisses gefährdet. Achtung: Macht auch nur ein Teammitglied ungestört Dienst nach Vorschrift, kann dadurch das gesamte Team in ein Motivationstief rutschen.
Tipp: Vermeiden Sie es aber, auf Dienst nach Vorschrift emotional zu reagie ren. Erkennen Sie die problematische Arbeitshaltung entweder als hilf los resignierte Reaktion auf einen ungelösten Konflikt (und erledigen Sie ihn – siehe ab Kapitel 9) oder als große (vorübergehend destruktiv eingesetzte) Energie, die sich für das Projekt nutzbar machen lässt (sie he Abschnitt 11.4). Grenzen der Interpretation
Dienst nach Vorschrift ist ein Signal für Konflikte. Es kann aber auch sein, dass von vornherein unterschiedlich hohe oder unterschiedlich gerichtete Motivation vorhanden ist, dass private Schwierigkeiten Zeit und Kraft fordern, dass die Prioritäten innerhalb der Work-Life-Balance nach einem Herzinfarkt zugunsten der Freizeit verschoben sind usw.
Fehlzeiten und Fluktuation Zeichen für Resignation
Ähnlich wie „Dienst nach Vorschrift“ können unüblich hohe Fehlzeiten oder die Flucht aus dem Arbeitsverhältnis Ausdruck von Resignation angesichts eines ungelösten und scheinbar unlösbaren Konflikts sein. Fehlzeiten
Nicht auf die Symptome konzentrieren
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Bei den Fehlzeiten handelt es sich meist um Krankschreibungen, aber auch um lang ausgedehnte Dienstgänge und Ähnliches. Weil die Ursache dieses Krankfühlens der schwelende Konflikt ist, helfen gegen Fehlzeiten weder Gesundheitsprogramme noch schärfere Kontrollen wie Untersuchungen beim Amts- oder Betriebsarzt.
An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte
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Achtung: Die fehlenden Mitarbeiter fühlen sich in der Regel wirklich krank. Be wusst widerständige Mitarbeiter weichen in der Regel eher in den Dienst nach Vorschrift als in Krankheit aus.
Tipp: Suchen Sie bei dauerhaft hohem Krankheitsstand zuerst nach einem verdeckten Konflikt. Dabei können sogenannte „Rückkehrgespräche“ nach längerer oder häufiger Erkrankung helfen. Wenn Sie einen Konflikt gefunden haben, sorgen Sie für seine Erledigung (mehr dazu ab Kapi tel 8). Nur wenn wirklich keiner zu finden ist, denken Sie über Möglich keiten zur verbesserten Gesundheitsfürsorge nach.
Fluktuation Menschen sind nicht sehr veränderungsbereit, wenn es ihnen in der aktuellen Situation halbwegs gut geht. Denn mit jeder Veränderung ist das Risiko der Verschlechterung verbunden. Aus evolutionsbiologischen Gründen richten Menschen ihre Aufmerksamkeit fast immer zuerst auf die potenzielle Gefahr und erst danach auf die mögliche Chance. Wenn also Mitarbeiter einen sicheren Arbeitsplatz in Ihrem Team verlassen, dann müssen entweder die Verlockung des Neuen oder die Belastung im Gegenwärtigen übermäßig groß sein. Das Sprichwort „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ beschreibt diese menschliche Grundhaltung.
Wenn die Belastung zu groß wird
Achtung: Weggehen, ohne schon den Ort des Ankommens zu kennen, ist immer ein Zeichen von Resignation an den gegenwärtigen Verhältnissen.
Fluktuation ist teuer für Ihr Projekt. Neben dem Verwaltungsaufwand bei der Einstellung neuer Kollegen kommen unproduktive Einarbeitung, Anfangsfehler und Verschiebungen im Gruppengefüge hinzu. Das alles kostet Zeit, Geld, Qualität und Kraft.
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Wie Sie Konflikte bemerken
Tipp: Suchen Sie bei Anzeichen für resignierte Fluktuation zuerst nach dem ursächlichen Konflikt und sorgen Sie für seine Erledigung (mehr dazu ab Kapitel 8). Nur wenn Sie wirklich keinen finden, zeigen Sie dem wech selwilligen Mitarbeiter mit Zusatzprämien, Weiterbildung oder Macht erweiterung, wie wichtig Ihnen sein Verbleiben im Team ist.
Checkliste: Fehlzeiten und Fluktuation erkennen Für die Branche unüblich hoher Krankheitsstand Hoher Zeitaufwand für Dienstgänge Exzessive Wahrnehmung und Ausdehnung von Betriebs ratssitzungen, Arztbesuchen und Ähnlichem Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Arbeitsfreistellung Ständiges Vorziehen „wichtigerer“ Aufgaben, z. B. aus der Linientätigkeit, Vernachlässigung der Projektaufgaben Kündigung trotz keiner oder schlechterer Ersatzstelle Kündigung als vollendete Tatsache (statt als Auftakt zu Bleibeverhandlungen) Grenzen der Interpretation
Fehlzeiten und Fluktuation sind Merkmale für Konflikte. Es kann aber auch sein, dass tatsächlich eine Grippewelle Ihr Team dezimiert, dass die Arbeit bei Ihnen gesundheitsschädlich ist, dass private Schwierigkeiten zu hohen Belastungen führen, dass Depression oder mangelndes Selbstvertrauen die beruflichen Aufgaben unlösbar erscheinen lassen usw.
Führungsschwäche Wenn Sie es mit offensichtlichen Anzeichen von Führungsschwäche zu tun haben, gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit auch einen Konflikt. Führungsschwäche kann verschiedene Ausprägungen haben: Teile-und-herrsche-Strategie, Entscheidungsunfähigkeit, mangelndes Durchsetzungsvermögen, uneinheitlicher Führungsstil.
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An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte
Zeigt einer Ihrer eigenen Vorgesetzten Führungsschwäche, stehen Sie vor einem echten Problem. Denn die Hierarchieebene über Ihnen • formuliert Ihren Projektauftrag, • trifft Entscheidungen zum Projekt, • stellt Ressourcen zur Verfügung und zieht sie wieder ab, • beeinflusst andere Stakeholder Ihres Projekts, • setzt einen Teil des Rahmens für die Motivation Ihrer Leute, • bewertet oft als interner Auftraggeber Ihre Ergebnisse.
4 Unberechenbare Projektlage durch Füh rungsschwäche
Und nichts von alledem ist bei Führungsschwäche berechenbar und kaum etwas ist von Ihnen beeinflussbar. Sie können nur lernen, damit umzugehen. Die TeileundherrscheStrategie Eine der verbreitetsten Formen von Führungsschwäche ist die altbekannte Teile-und-herrsche-Strategie. Die Führungskraft stellt sich mit allen Mitarbeitenden gut, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass zwischen den Mitarbeitenden selbst keine Einigkeit entsteht. Geboren aus der Angst, die Mitarbeiterkönnten sich gegen die Leitung zusammenschließen, zeigt diese Form der Führungsschwäche nicht nur Konflikte an, sondern befördert sie geradezu. Für Führungskräfte ist es enorm anstrengend, Mitarbeiter auf diese Art unter Kontrolle zu halten: Jedes unbeobachtete Gespräch muss als potenzielle Gefahr verhindert werden, ständiges Misstrauen liegt in der Luft. Wenn Sie an solche Führungskräfte über sich geraten, haben Sie wirklich Pech. Beispiel: Alfred Ritter, Projektleiter bei einem der letzten Spielzeughersteller des Landes, fehlen Ressourcen im Marketing. Wenn die quietschblau en GummiElefanten bis zum Sommer das Umsatzziel erfüllt haben sollen, braucht er dringend Unterstützung. Er wendet sich an Theolin do Markig vom Gesamtprojektmanagement und bittet um ergänzende Zuteilung. Markig bedankt sich ausführlich für die intensive Arbeit seines Projektleiters Ritter und erklärt: „Selbstverständlich bekommen Sie die MarketingRessourcen. Ihr Elefant hat doch weit größere
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Wie Sie Konflikte bemerken
Marktchancen als die komischen rosaroten Enten von Frank Simo witzsch oder der grüne Regenwurm aus dem Projekt unseres gemütli chen Herrn Friedrich.“ Nur wenig später trifft der Projektbürochef Theolindo Markig den EntenProjektleiter Simowitzsch am Kaffeeautomaten. „Na, läuft alles gut?“, will er von diesem wissen und fährt fort: „Ihre rosaroten Enten werden der totale Erfolgsschlager unseres Hauses in diesem Sommer sein. Sie haben alle meine Unterstützung, auch wenn Sie zusätzliche Ressourcen brauchen. Die ziehen wir notfalls bei den Elefanten ab, das wird sowieso nichts mit denen. Und sehen Sie zu, Simowitzsch, dass Sie sich vom RegenwurmFriedrich nicht die besten Werbeplätze wegschnappen lassen!“
Alfred Ritter hat eine Weile gebraucht, bis er dieses Spiel verstand. Heute bemüht er sich um kollegiale Kooperation mit seinen Projektleiterkollegen und hat sich einen Spruch über den Computer gehängt, der ihn vor zu viel persönlicher Enttäuschung schützen soll: Wer etwas zu schaffen versucht, darf sich durch einen schlechten oder guten Ruf nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen lassen, darf sich durch einen wohlwollenden Klaps auf den Rücken nicht in Verzückung verset zen oder durch einen Schlag aufs Maul nicht entmutigen lassen. (Sean O'Casey, irischer Freiheitskämpfer und Dramatiker)
Führungsverhalten nach der Teile-und-herrsche-Strategie kommt ursächlich nicht von Konflikten her, führt aber fast immer zu solchen. Dabei ist die betreffende Führungskraft oft nur unsicher und fürchtet womöglich die Konkurrenz der eigenen Mitarbeiter. Wenn die betreffende Person Ihr Chef ist, können Sie daran nichts ändern. Trotzdem können Sie etwas tun: Tipp: Tappen Sie nicht in die Konfliktfalle: Glauben Sie nicht, dass die Füh rungskraft Sie wirklich gegen Ihre internen Konkurrenten unterstützt. Statt mit der vermeintlichen Rückendeckung aus der Chefetage diese Konkurrenz zu verschärfen, sollten Sie sich besser für projektnützliche Kooperation entscheiden.
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An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte
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Etwas anderes ist es, wenn Sie bei Teilprojektleitern in Ihrem Team oder gar bei sich selbst eine Tendenz zur Teile-und-herrscheStrategie feststellen. Dann haben Sie Zugriff auf die Person. Tipp: Können Sie die mit der TeileundherrscheStrategie agierende Person beeinflussen, empfehlen Sie Beratung (siehe Abschnitt 9.3.2) oder küm mern Sie sich um die Konflikterledigung (mehr dazu ab Kapitel 8).
Wenn Sie in der folgenden Checkliste eine Zeile bestätigen müssen, können Sie bei der betreffenden Führungskraft die Teile-undherrsche-Strategie vermuten und auf einen vorhandenen (und drohenden) Konflikt schließen. Checkliste: Die TeileundherrscheStrategie erkennen Die Führungskraft … … betont gegenüber Mitarbeitern besondere Nähe, Unter stützung usw. im erklärten Unterschied zu anderen nicht anwesenden Personen aus der gleichen Hierarchieebene (den sog. Peers). … lehnt Teamsupervision und coaching entschieden ab, aus Furcht, das Team könnte sich gegen sie zusammen schließen. … zettelt Intrigen unter den Peers (zum Beispiel um Res sourcen) an. … macht häufig Zusagen, zeigt sich aber wenig verlässlich und schiebt die Schuld auf nicht anwesende Peers. … gibt keine eindeutigen Anweisungen, mit denen sie „festgenagelt“ werden kann. (Statt: „Holen Sie sich von A, was Sie brauchen“, sagt sie: „Ich finde, A hat zu viel …“.) … schafft keine klaren Aufgaben und Verantwortungs strukturen in ihrem Zuständigkeitsbereich, mit dem Ziel, alles unter eigener Kontrolle behalten zu können.
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Wie Sie Konflikte bemerken
Die Entscheidungsunfähigkeit
Entscheidungs unfähigkeit verhindert Zusagen
Entscheidungsunfähigkeit entsteht selten wegen fachlicher Lücken. Der Auslöser für Aussitzen oder Wankelmütigkeit ist meist Angst vor der persönlichen Haftung für die Folgen einer Entscheidung. Diese Angst ist Zeichen eines ungelösten (verdeckten) Konflikts im Zusammenhang mit einer früheren – unter Umständen sehr lange zurückliegenden – (Fehl-)Entscheidung. Sie kann auch auf einen inneren Konflikt hindeuten, also auf das anhaltende Schwanken zwischen mehreren Möglichkeiten, weil alle sowohl positive und als auch negative Auswirkungen haben. Leiden die für Ihr Projekt wichtigen Führungskräfte an Entscheidungsunfähigkeit, sind Sie in einer unsicheren Situation: Sie müssen mit gesteigerten Risiken kämpfen und können anderen keine Zusagen machen. Sie wirken also selbst unzuverlässig und entscheidungsunfähig. Nur selten dürfte es Ihnen gelingen, Ihren Vorgesetzten einen Konflikterledigungsprozess wie ab Kapitel 8 beschrieben anzubieten. In den meisten Fällen aber werden Sie sich mit der Entscheidungsunfähigkeit abfinden müssen. Tipp: Identifizieren Sie Entscheidungsunfähigkeit bei Ihren Vorgesetzten. Wenn Sie keinen Konflikterledigungsprozess anstoßen können, richten Sie Ihre Ressourcenplanung und Ihr Risikomanagement auf diese Ent scheidungsschwäche aus. Fordern Sie gleichzeitig die ausstehenden Entscheidungen immer wieder ein.
Keine Ausrede für dauernde Entscheidungsunfähigkeit haben Sie, wenn diese Form der Führungsschwäche bei Ihnen selbst oder bei Ihren Teilprojektleitern vorkommt. Tipp: Erkennen Sie Entscheidungsunfähigkeit bei sich selbst oder bei Ihren Teilprojektleitern, identifizieren Sie die zum auslösenden Konflikt gehö renden Streitparteien und stoßen Sie unverzüglich einen Konflikterledi gungsprozess an (mehr dazu ab Kapitel 8).
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An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte
Die Folgen von Entscheidungsunfähigkeit sind zu groß, als dass Sie den zugrunde liegenden Konflikt unerledigt lassen könnten: Entscheidungsunfähigkeit schafft Unsicherheit – und das kostet immer Ressourcen.
4 Entscheidungs unfähigkeit kostet Ressourcen
Beispiel: Johanna Frock hat gerüchtweise vernommen, dass sie das Projekt wechseln soll. Sie erkundigt sich im Projektbüro, wird aber auf eine spätere Entscheidung vertröstet. Johanna Frock ist gern in ihrem Pro jekt, steht aber auch neuen Aufgaben eigentlich aufgeschlossen ge genüber, nur nicht in Projekt 7. Seit drei Wochen bemüht sie sich nun während ihrer Arbeitszeit intensiv, über informelle Kontakte ihre zu künftige Einsatzstelle zu erfahren.
Entscheidungsunfähigkeit führt aber auch zu Demotivation. Beispiel: Ein halbes Jahr später, immer noch im gleichen Projekt, hat Johanna Frock mit viel Einsatz ein produktions und marktreifes Nebenprodukt entwickelt. Sie legt es dem Projektbüro vor, wo über die Herstellung entschieden werden muss. Die Reaktion ist begeistert, aber eine Rück meldung erhält Johanna Frock nie.
Und schließlich führt Entscheidungsunfähigkeit zu Ergebniseinbußen. Beispiel: Johanna Frock hat das Unternehmen gewechselt und dort als Leiterin Entwicklung ihr Nebenprodukt mit großem Erfolg herausgebracht. Ihrem alten Arbeitgeber geht beträchtlicher Gewinn verloren. Johanna Frock konnte sicher sein, dass eine Entscheidung über rechtliche Schritte gegen sie wegen des mitgenommenen Produktes in absehba rer Zeit nicht zu erwarten ist.
Entscheidungs unfähigkeit demotiviert
Entscheidungs unfähigkeit führt zu Ergebnis einbußen
Tipp: Versuchen Sie, Entscheidungsunfähigkeit zu erkennen und – soweit es in Ihrer Hand liegt – für die Erledigung des auslösenden Konflikts zu sorgen (mehr dazu ab Kapitel 8).
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Wie Sie Konflikte bemerken
Checkliste: Entscheidungsunfähigkeit erkennen Die Führungskraft … … kann nicht Nein sagen. … vertröstet Mitarbeiter auf spätere Entscheidung, weil vorher noch etwas zu klären sei. … versteckt sich (auch im Wortsinn) vor Menschen und Situationen, die Entscheidungen fordern: • • • •
Ist nie anzutreffen. Erscheint nicht zu wichtigen Meetings. Hat immer gerade wichtige Termine. Hält die Tür zum Büro meist geschlossen usw.
… denkt bei Entscheidungen vorwiegend an die Auswir kungen auf sich selbst statt an die Auswirkungen auf Pro jektziel und Umsatz.
Das mangelnde Durchsetzungsvermögen Wenn die Mäuse auf dem Tisch tanzen und es handelt sich dabei um das Geld, das Ihr Kunde für das Projektergebnis gezahlt hat, ist alles in Ordnung. Andernfalls ist, wenn jeder tut, was er will, mangelndes Durchsetzungsvermögen bei der zuständigen Führungskraft zu vermuten. Das kann Ihre eigenen Vorgesetzten, Sie selbst oder Ihre Teilprojektleiter betreffen. Mangelndes Durchsetzungsvermögen entsteht, • wenn die betroffene Führungskraft mit der über ihr stehenden Führungskraft oder Teilen der eigenen Peergroup (Führungskräfte der gleichen Hierarchieebene) einen Konflikt hat und deshalb nicht mit Rückendeckung rechnen kann oder • wenn die betroffene Führungskraft aufgrund früher erlebter und verlorener (und deshalb weiter bestehender) Konflikte vor Widerstand generell zurückscheut und deshalb alles laufen lässt. Mangelndes Durchsetzungsvermögen bemerken Sie relativ schnell, wenn Sie sich in Ihren Planungen auf Zusagen und Entscheidungen verlassen haben, die letztlich nie realisiert wurden.
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An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte
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Achtung: Mangelndes Durchsetzungsvermögen führt zur Herausbildung von „grauen Eminenzen“. Dadurch läuft zwar möglicherweise das Projekt wieder, aber in intransparenter Weise, was eine weitere Konfliktentste hung befördert.
„Graue Eminenzen“ sind Mitarbeiter, die ohne Auftrag Leitungsaufgaben übernehmen und damit das Projekt vor dem Abgleiten ins Chaos retten. Ihr Führungsanspruch wird so lange akzeptiert, wie zu seiner Durchsetzung personale oder materielle Macht ausreicht und keine strukturelle (disziplinarische) Macht nötig ist.
Mangelndes Durchsetzungs vermögen führt zu „grauen Eminenzen“
Nebenbei: Die Arten der Macht Macht entsteht aus Autorität. Autorität wird zugeschrieben als • deontische Autorität (Unterwerfung unter Zwang) oder als • epistemische Autorität (Unterwerfung unter Fähigkeiten). Aus deontischer Autorität leiten sich ab: •
strukturelle Macht (Besitz von disziplinarischen Zwangsmitteln), • materielle Macht (Besitz von notwendigen Ressourcen, Informationen, …), • indoktrinelle Macht (Ausnutzen von Verpflichtung, Stimmung, Bedürfnissen, …). Aus epistemischer Autorität leitet sich ab: • personale Macht (Besitz von überragenden persönlichen Eigenschaften wie beson deren Erfahrungen, Einsatz und Opferbereitschaft, Integrität, Ein fühlungsvermögen, …).
„Graue Eminenzen“ können bei versuchter Rückgewinnung von Einfluss durch die „echte“ Führungskraft in offene oder verdeckte Konkurrenz zur Leitung treten oder sich enttäuscht („Keiner dankt mir meinen Einsatz!“) mitsamt ihren Fähigkeiten auf „Dienst nach Vorschrift“ zurückziehen.
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Wie Sie Konflikte bemerken
Checkliste: Mangelndes Durchsetzen erkennen Es gibt „graue Eminenzen“. Kontrollfrage an jedes Teammitglied: Wer sind die beiden wichtigsten Personen für dich bei deiner Projektarbeit? Wird dabei eine strukturell nicht mit Führungsaufgaben betraute Person von vielen der Befragten genannt, können Sie eine „graue Eminenz“ vermuten. Achtung: Graue Eminenzen verdienen in erster Linie Dank, weil sie das Projekt in steuerungslosen Zeiten gerettet ha ben. Erst in zweiter Linie (nämlich wenn sie nicht mehr benötigt werden) können sie für das Projekt zu einer Ge fahr werden. Entscheidungen und Zusagen wird nicht vertraut. Kontrollfrage: Wenn X [die Führungskraft] euch sagen würde, dass er einen Affen als Firmenlogo durchsetzen will, wie sicher von 1 (gar nicht) bis 10 (sehr) wäre es, dass tatsächlich demnächst ein Affe unser Firmenlogo ist? Häu fen sich Bewertungen unter 7, können Sie mangelndes Vertrauen in Entscheidungen und Zusagen vermuten.
Erledigen Sie den Konflikt!
Tipp: Mangelndes Durchsetzungsvermögen schadet durch Intransparenz von Entscheidungen der Motivation Ihres Teams und durch nicht realisierte Zusagen dem Ergebnis Ihres Projekts und Ihrem Ansehen. Sorgen Sie deshalb für die Erledigung des zugrunde liegenden Konflikts! (Mehr da zu ab Kapitel 8.)
Der uneinheitliche Führungsstil An einer weiteren Form von Führungsschwäche können Sie Konflikte erkennen: am uneinheitlichen Führungsstil. Dabei praktizieren Leiter einen kooperativen oder moderierenden Führungsstil in guten Zeiten und wechseln in einen meist autoritären Führungsstil bei Konflikten (und in Krisen). Es kommt kaum vor, dass der Führungsstilwechsel in die andere Richtung, also von gebunden zu ungebunden, geht. Eher schon
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treten autoritärer Führungsstil und Entscheidungsunfähigkeit gleichzeitig auf, das heißt: Es entscheidet weder der Chef (wie im autoritären Führungsstil eigentlich üblich) noch lässt er Entscheidungen durch andere zu. Nebenbei: Führungsstile Es gibt drei Führungsstile. Bei uneinheitlichem Führungsstil nehmen die Mitarbeiter stets nur den gebundeneren als relevant wahr. • Autoritärer Führungsstil Der Chef denkt und entscheidet, die Mitarbeiter handeln, der Chef kontrolliert. • Kooperativer Führungsstil Die Mitarbeiter denken, der Chef entscheidet, die Mitarbeiter handeln, der Chef kontrolliert. • Moderierender Führungsstil Der Chef setzt ausschließlich, aber eindeutig den Arbeits rahmen, die Mitarbeiter denken, sie entscheiden, sie handeln, sie kontrollieren, der Chef kontrolliert autoritär ausschließ lich die Einhaltung des Arbeitsrahmens. (Wie weit oder wie eng der Chef den Arbeitsrahmen setzt, ist für den Führungs stil nicht ausschlaggebend, entscheidend ist seine Eindeutig keit.) Übrigens: Laisserfaire ist – wie schon der Wortsinn „machen lassen“ nahelegt – kein Führungsstil (auch wenn Sie das verschiedentlich an ders lesen können), sondern Führungsschwäche in den verschiedenen gerade beschriebenen Ausprägungen. Auf die Vor und Nachteile der jeweiligen Führungsstile sowie auf die Prinzipien zur richtigen Anwendung soll hier nicht weiter eingegan gen werden. Gute Führungskräfte werden situativ mitarbeiterbezogen entscheiden, wie eng sie den Arbeitsrahmen jeweils setzen.
Uneinheitlicher Führungsstil ist also Zeichen für unaufgearbeitete Konflikte, befördert neue Konflikte bei den betroffenen Mitarbeitern und kann Auslöser für Misstrauen zwischen Ihnen und der betroffenen Führungskraft sein.
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Wie Sie Konflikte bemerken
Letzteres macht Ihre Lage besonders schwierig. Aber Sie haben keine Wahl. Im Interesse Ihres Projekts müssen Sie einen Konflikterledigungsprozess anstoßen (mehr dazu ab Kapitel 8). Achtung: Wenn Sie als Beobachter uneinheitlichen Führungsstils einen Erledi gungsprozess für den aktuellen Konflikt anstoßen, kann Ihnen das die betroffene Führungskraft als Illoyalität auslegen. Die Führungskraft er wartet von Ihnen statt Konflikterledigung bedingungslose Unterstüt zung der eigenen Position.
Checkliste: Uneinheitlichen Führungsstil erkennen Vor dem Konflikt: Moderierender Führungsstil wird nicht eingehalten:
• Dauernde inhaltliche Nachkontrolle über den Arbeits rahmen hinaus • Permanente Versuche, inhaltliche Entscheidungen zu beeinflussen • Besonders enges ReportingSystem
Nach Ausbruch des Konflikts: Plötzliche inhaltliche Eingriffe in Zuständigkeitsbereiche der Mitarbeiter Starke Einschränkung des Entscheidungsspielraums der Mitarbeiter Unerwartete Umstrukturierungen, einhergehend mit der Entmachtung untergeordneter Führungskräfte Unvermittelte Verstärkung von Kontrollen Unangemessenes und übergriffiges Verhalten gegenüber „widerspenstigen“ Mitarbeitern Unnötige Machtdemonstrationen
Der uneinheitliche Führungsstil ist nicht zu verwechseln mit dem sogenannten „situativen Führungsstil“, der sich nach dem Entwick-
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An diesen Signalen erkennen Sie Konflikte
lungsstand des Mitarbeiters richtet. Auf der CD finden Sie dazu weiterführende Informationen. Führungsschwäche in allen vier Ausprägungen ist ein Signal für Konflikte. Es kann aber auch sein, dass Ihr Vorgesetzter oder Ihre Teilprojektleiter keine genaue Vorstellung über ihre Rollen als Führungskraft haben, dass sie die Prinzipien und Methoden guter Führung nicht kennen, dass sie schlichtweg nicht über ausreichende Erfahrung verfügen, …
4 Grenzen der Interpretation
Tipp: Stellen Sie bei einem Teilprojektleiter Führungsschwäche fest, tappen Sie nicht in die „DannführeichdasTeilprojektebenselbst“Falle. Führen Sie ihn stattdessen und coachen Sie ihn. Bei einem Vorgesetzten sind Ihre Möglichkeiten begrenzter. Hier können Sie nur durch Loyalität Vertrauen gewinnen und ihn stärken.
Cliquenbildung Cliquenbildung beginnt, wenn Selbstvergewisserung anders nicht möglich ist. In der Pubertät sind das die Gruppen der Jugendlichen, die auf jeden Fall anders sein wollen als die jüngeren oder älteren Menschen in ihrer Umgebung, die aber mangels ausgeprägten eigenen klaren Selbstbilds nur in einer Gruppe ebenfalls selbstungewisser Menschen Heimat finden. Ihre gemeinsame Identität ist das Anders-sein-Wollen oder das erlebte Anders-Sein. Im Wesentlichen beruht die Abgrenzung zur anderen Gruppe deshalb nur auf Zuschreibungen wie „typisch Männer“, „typisch Wirtschaftsabsolventen“, „typisch Geisteswissenschaftler“, „typisch Frauen“, „typisch Italiener“ usw. Besondere Selbstvergewisserung ist in späteren Zeiten immer wieder dann nötig, wenn bei Konflikten die eigenen Positionen infrage gestellt sind. Dabei werden diese Positionen zur eigenen Identität gemacht und in Abgrenzung zu den anderen Identitäten der Konfliktgegner ausgelebt.
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Wie Sie Konflikte bemerken
Beispiel: Berta Wagner gehört im Außendienst zu denen, die unabhängig vom Return on Investment jedem Kunden ausführlich Zeit widmen. Sie hat deshalb entsprechend lange Arbeitszeiten. Ralf Schneider teilt seine Kunden in Kategorie A, B oder C ein und kümmert sich am intensivs ten um die AGruppe. Bei einem Führungskräftetreffen für die nächs te Kampagne kommt es zum Streit zwischen den beiden. Wechselsei tig sprechen sie sich fachliche und emotionale Kompetenz ab. Am Abend im Hotel gibt es zwei deutlich sichtbare Gruppen. „Wir sind die mit mehr im Kopf und Herzen als nur Zahlen“, erklärt Berta und erntet zustimmendes Nicken bei den sieben Kollegen in ihrer Clique. „Wir sichern die Existenz der Firma und arbeiten professionell!“, er klärt Ralf und seine sechs Mitstreiter brummen zufrieden.
Cliquenbildung stört Zusam menarbeit im Projekt
Beide Gruppen (Cliquen) haben sich ihrer selbst vergewissert und sich eine Identität gegeben, die aus den Positionen – „Wichtig ist die Zeit mit dem Kunden!“/„Wichtig ist der ROI!“ – gewachsen ist. Cliquenbildung verhindert vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb Ihres Projektteams. Das braucht Sie nur dann nicht weiter zu kümmern, wenn Sie auf die Zusammenarbeit der verfeindeten Gruppen gar nicht angewiesen sind. Achtung Wenn Cliquen in Ihrem Team im gesunden, anregenden Wettbewerb am Projektziel arbeiten, vermeiden Sie durch Gewährenlassen eine in tensive, zeitraubende Wertediskussion. Jede Gruppe versucht, ihre ei gene Berechtigung durch Höchstleistungen zu beweisen. Mit einem Wandel vom gesunden Wettbewerb hin zu gegenseitigen Übergriffen (um die Höchstleistungen der anderen Gruppe zu behin dern) müssen Sie aber jederzeit rechnen! Solche Übergriffe gefährden Ihr Projektziel.
Tipp: Behalten Sie die zum Projekt gehörenden Cliquen im Auge. Zeigen Sie, wie wichtig Ihnen Vielfalt im Team ist und warum Vielfalt (meist) posi tiv wirkt. Stoßen Sie rechtzeitig einen Konflikterledigungsprozess an. Der wird, da es sich um einen Konflikt zwischen Gruppen handelt, in Teilen deutlich anders aussehen als der Prozess bei den anderen bisher beschriebenen Konflikten (siehe auch Abschnitte 9.1 und 9.2).
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Checkliste: Cliquenbildung erkennen Abfällige, mit (negativen) Zuschreibungen gespickte Reden über „die“ Optisch sichtbare Gruppenbildung bei Meetings Redebeiträge nur einiger weniger Personen in Meetings, deren näheres Umfeld zu den Worten jeweils bestätigend nickt oder klatscht
Cliquenbildung ist ein Signal für Konflikte. Es kann aber auch sein, dass in Ihrem Team Menschen mit gleichen privaten Interessen zusammenarbeiten (Clique der Fußballfreundinnen, Clique der Tupperparty-Freunde), gleiche berufliche und geistige Affinitäten haben (Clique der Programmierer, Clique der Verkäufer) usw.
Grenzen der Interpretation
Klammerverhalten Die Bezeichnung „Klammerverhalten“ erinnert ein wenig an Faultiere: Haben die sich einmal irgendwo angeklammert, dann bekommt sie niemand mehr woanders hin. Doch zum Klammerverhalten in Projekten gibt es zwei wichtige Unterschiede: • Klammernde Mitarbeiter im Projekt sind nicht faul, sondern oft sogar besonders emsig bei der Sache. • Faultiere ziehen schließlich doch weiter, wenn es woanders besseres Futter gibt, klammernde Mitarbeiter tun das nicht. Halten Mitarbeiter gegen alle „objektive Vernunft“ an ihren derzeitigen Aufgaben, Positionen und Zuständigkeiten fest, fürchten sie, dass andere sie am Greifen eines neuen, „sicheren Astes“ hindern. Beispiel: Albrecht Brunner gelang es vor Jahren, dem heutigen Chef des Pro jektbüros, Karlos Santiagos, einen umfangreichen Forschungsauftrag vor der Nase wegzuschnappen. Santiagos, damals ebenfalls Teamlei ter, musste daraufhin die Hälfte seiner Leute entlassen. Inzwischen nähert sich Albrecht Brunners Forschungsauftrag dem En de. Die meisten Teammitglieder sind inzwischen in anderen Bereichen tätig. Auch Albrecht Brunner hätte sich schon mehrfach beim Pro
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Wie Sie Konflikte bemerken
jektbüro um neue Aufträge bewerben können, um nach Projektende weiter beschäftigt zu sein. Stattdessen zögert er den Abschluss seines aktuellen Projekts immer wieder hinaus.
Klammerverhalten verzögert Ergebnisse und gefährdet Markttermine, also Ihre Wettbewerbsfähigkeit. Es kann sich über Jahre hinziehen. Beispiel: In einem groß angelegten Forschungsprojekt werden Wetterphäno mene auf hoher See gemessen. Schon nach der ersten Saison zeigt sich, dass im Teilprojekt „Auswertung“ keinerlei Ressourcen für die Verarbeitung der Messwerte vorhanden sind. Kurze Zeit später ist au ßerdem klar, dass es weltweit keine Technologie und keine Logarith men für diese Aufgabe gibt und dass nach derzeitigen Erkenntnissen auch niemals welche vorliegen werden. Das Teilprojekt „Auswertung“ wird beendet. Trotzdem wird das Teil projekt „Datenerfassung auf See“ über weitere sieben Jahre fortge führt.
Konfliktverursachtes Klammerverhalten beenden Sie kaum jemals durch „Locken mit besserem Futter“ oder mit der Taube auf dem Dach – also mit einer eventuellen Gehaltserhöhung oder mit versprochener Beförderung. Tipp: Sparen Sie sich gegenüber klammernden Mitarbeitenden Ihre um Ein sicht werbenden Worte. Wenn Sie auf die Zustimmung des Mitarbeiters verzichten können, treffen Sie Ihre Entscheidungen allein. Andernfalls identifizieren Sie den ursächlichen Konflikt und stoßen Sie einen Kon flikterledigungsprozess an (mehr dazu ab Kapitel 8). Ist das nicht mög lich, kann auch Beratung weiterhelfen (siehe Abschnitt 9.3.2).
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Konfliktsignale richtig bewerten
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Checkliste: Klammerverhalten erkennen Projekte ohne Ende Projekte mit unklarem oder unerreichbarem Ziel Übermäßige Betonung der eigenen Notwendigkeit oder der Bedeutung der eigenen Arbeit für das Unternehmen Forderungen nach absoluter Sicherheit für den Erfolg ge planter Veränderungen (absolute Sicherheit gibt es nicht)
Klammerverhalten ist ein Signal für Konflikte. Es kann aber auch sein, dass ein Mitarbeiter zum Beispiel seine Umlernfähigkeit (berechtigt oder unberechtigt) schlecht bewertet, dass private Gründe (beispielsweise) gegen einen Wohnortwechsel sprechen, dass persönliche Wertvorstellungen die Tätigkeit im angebotenen Bereich nicht zulassen, usw.
Grenzen der Interpretation
4.3 Konfliktsignale richtig bewerten Wie Sie wissen, sind Konfliktsignale kein absolut sicheres Zeichen für existierende Konflikte. Treten mehrere Signale gleichzeitig auf, ist ein Konflikt schon recht wahrscheinlich, aber immer noch nicht zwingend vorhanden. Stellen Sie bei vielen Mitarbeitern gestörte Kommunikation, Dienst nach Vorschrift oder Klammerverhalten fest, können Sie relativ sicher von einem Konflikt in Ihrem Team ausgehen; gleichzeitig kann aber auch das singuläre Auftreten bei nur einem Teammitglied dessen Konflikt anzeigen. Glücklicherweise gibt es zwei zusätzliche Kriterien, die Ihnen das Erkennen eines Konflikts erleichtern: • Das Konfliktsignal tritt über einen längeren Zeitraum hinweg konstant auf. • Es verschwindet „fühlbar“ Energie aus Ihrem Projekt, ohne dass es dafür sachliche Gründe gibt.
Die Intensität ist ein deutli cher Hinweis
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4 Letztlich ist es eine Frage Ihrer emotionalen Kompetenz
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Wie Sie Konflikte bemerken
Alles in allem bleibt es Ihrem Gespür überlassen, ob Sie aus den vorliegenden Signalen auf einen Konflikt schließen. Reden Sie mit Ihren Mitarbeitern, um mehr über unklare Situationen zu erfahren. Teil 2 des Buches: „So verstehen Sie Konflikte“ hilft Ihnen dabei, ein solches Gespür weiterzuentwickeln.
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Weshalb Sie auf sich selbst achten müssen
Es ist wichtig und nützlich für Ihr Projekt, wenn Sie Konfliktsignale erkennen und dann überprüfen, wer da wohl einen Konflikt mit wem haben könnte. Nehmen Sie sich selbst bei dieser Überprüfung nicht aus! Als guter Projektleiter schaffen Sie zweierlei: • Sie gehen voran, Sie zeigen, wo es langgeht: Ob Sie sich dabei mehr auf die Methoden und die Arbeitsrahmensetzung oder auf den Inhalt konzentrieren, entscheiden Sie selbst. • Sie kümmern sich um die Menschen, mit denen Sie arbeiten: Ob Sie das eher systemisch und bedürfnisorientiert tun, wie es in diesem Buch empfohlen wird, oder ob Sie eher mit Zielen, Vereinbarungen und Verhaltensregeln arbeiten, wie es viele andere Bücher vorschlagen, ist Ihre Entscheidung.
Die eigene Position bestimmen
Es gibt noch eine dritte Eigenschaft, die gute Projektleiter auszeichnet und die fast immer zu kurz kommt: • Sie kümmern sich um sich selbst: Ob in Form von Selbstreflexion oder mit Unterstützung durch Berater (was beides jeweils eigene Vorteile hat), legen Sie selbst fest.
5.1 Selbstreflexion kommt oft zu kurz Dass die Selbstreflexion, dieses „Kümmern um sich selbst“ bei Projektleitern und Führungskräften oft zu kurz kommt, hat nachvollziehbare Gründe: • Projektleiter treffen täglich viele Entscheidungen und müssen sie auch durchsetzen – ohne sicher zu wissen, ob sie überhaupt auf dem richtigen Weg sind. Da scheint es einfacher, nicht so viel zu reflektieren und die innere Unsicherheit auszublenden.
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Weshalb Sie auf sich selbst achten müssen
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Projektleiter leisten zahlreiche Überstunden, obwohl sie eigentlich merken, dass die Akkus leer sind. Da haben sie nicht noch Kraft, über sich selbst nachzudenken. Es scheint besser, den inneren Hinweis auf bevorstehendes Kräfteversagen auszublenden. Hinzu kommen die täglichen Kämpfe um die eigene Position, die immer wieder behauptet sein will, auch wenn der innere Halt durch klare Werte oder eine schützende Familie eigentlich nicht stabil genug ist. Da scheint es klug, die Leere unter den Füßen auszublenden. Projektleiter ziehen oft allein aus der Arbeit die Befriedigung aller ihrer Bedürfnisse, aber sie merken immer wieder, dass so vieles fehlt Da scheint es beruhigend, den inneren Hinweis auf die verrinnende Lebenszeit auszublenden.
So gerät in diesem Kreislauf aus Zwängen und Verdrängen die Frage nach dem eigenen Befinden schnell ins Abseits. Natürlich sind diese Gedanken störend. Vielleicht sind Sie beim Lesen auch wütend geworden. Doch die Fragen nach dem eigenen inneren Befinden gehören unabdingbar zu guter Führung. Wer sich der Selbstreflexion verweigert, hört irgendwann auf, professionell zu führen. Er reagiert schließlich nur noch emotional, unberechenbar und inkonsequent. Kennen Sie auch solche Führungskräfte? Tipp: Nehmen Sie sich selbst ernst! Das tut Ihnen gut und es hilft dabei, Pro jekt und Mitarbeiter auf Dauer professionell zu führen. Wenn Sie wis sen, was in Ihnen vorgeht, können Sie kontrolliert reagieren. Wenn Sie es nicht wissen, versinken Sie in Ihren eigenen Emotionen, ohne es zu merken.
5.2 Vielleicht sind Sie am Konflikt beteiligt Wenn Sie aktive Konfliktpartei sind, wird es Ihnen nicht verborgen bleiben, wenn Sie am Konflikt beteiligt sind. Aber falls nicht: Prüfen Sie trotzdem, ob Sie selbst (vielleicht ungewollt oder unbewusst) mit im Konflikt stecken. Dabei hilft Ihnen die folgende Checkliste. Je
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Vielleicht sind Sie am Konflikt beteiligt
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mehr Zeilen Sie bestätigen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie selbst am Konflikt beteiligt sind. Checkliste: Eigene Beteiligung am Konflikt Sie hören auf, mit einer oder mehreren Personen zu kom munizieren, oder schränken diese Kommunikation zumin dest stark ein. Beim Gedanken an den Konflikt oder an eine Person ver schwindet Ihre Arbeitsmotivation, als hätte jemand den Stöpsel aus der Badewanne gezogen. Ihr Interesse, das Problem anzusprechen, geht gegen null. Sie ärgern sich über eine der Konfliktparteien. Sie können oder wollen einigen Mitarbeitern gegenüber Ihre Führungsaufgaben nicht mehr (richtig) wahrnehmen. Sie haben eine klare Position zum Streitgegenstand, derer Richtigkeit Sie sich immer wieder versichern. Sie haben persönliche (über die Sorge um das Wohl des Projekts hinausgehende) Angst vor den Konsequenzen des Konflikts.
Tipp: Es kann aber auch sein, dass der Konflikt gar nicht von Ihnen selbst ausgeht, dass aber ein Teammitglied Sie als Konfliktgegner wahrnimmt.
In Abschnitt 11.4 lesen Sie, wie Sie selbst als Streitpartei zur Deeskalation des Konflikts beitragen können. Besser und schneller wird es aber oft gehen, wenn Sie einen projektexternen Mediator um Vermittlung in Ihrem eigenen Konflikt bitten. Achtung: Es reicht, wenn eine Person einen Konflikt hat. Es ist für die Existenz und Wirkung von Konflikten nicht nötig, dass alle Beteiligten den Kon flikt bereits wahrgenommen und seine Existenz akzeptiert haben.
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Teil II: So verstehen Sie Konflikte
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Glauben Sie kein Wort
Nichts ist in Konflikten so wenig vorhanden wie gesunder Menschenverstand, logisches Denken und vernünftiges Verhalten. Bestimmt ist Ihnen das schon oft aufgefallen. Denn wer würde schon klaren Kopfes das ganze Projekt, die eigene Arbeitsstelle, die Beziehungen zum Kunden und die ruhige Nacht aufs Spiel setzen? Doch genau das tun Menschen, die in Konflikten stecken. Beispiel Peter Lehmann hat es Marion Gericke endlich einmal gezeigt. Seit Wochen nörgelt sie über Unordnung im Projektbüro. Nun hat er auf geräumt. Dann ist er nach Hause gegangen, um Überstunden abzu bauen. Dass Marion zur Meilensteinbesprechung beim Kunden muss te, wusste er. Aber dass sie die vorbereiteten Präsentationsunterlagen und den Stick nicht gefunden hat, liegt nicht an ihm! Denn er hat al les fein säuberlich in ihr Postfach gelegt. Zwar nicht gleich obenauf, aber dann muss sie halt richtig nachschauen.
6.1 Konflikte verlaufen jenseits sachlicher Erwägungen Hinter Konflikten muss etwas stecken, was für vernünftiges Nachdenken nicht – oder sagen wir: fast nicht – zugänglich ist. Was kann das sein? Andersherum ist die Frage leichter zu beantworten: Was kann es nicht sein? Es kann nichts sein, das mit Vernunft verbunden ist: Es können nicht sachliche Erwägungen sein, auch nicht fachliche Fragen oder zwangsläufige Notwendigkeiten, durchdachte Regeln oder die Suche nach den besten Möglichkeiten für das Projekt. Den Konfliktbeteiligten ist meist selbst gar nicht bewusst, dass ihre sorgfältig vorgetragenen guten Streitgründe nicht ihre wirklichen Gründe sind.
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Konflikte verlaufen jenseits sachlicher Erwägungen
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Beispiel: Marion begründet ihre Forderung mit zwangsläufiger Notwendigkeit: „Wenn schon hier im Projektbüro Chaos herrscht, wie soll dann das Projekt ordentlich laufen?!“ Peter begründet seine Handlung mit Regeln: „Ich habe die Präsenta tionsunterlagen in Marions Fach gelegt. So ist das in unseren QM Richtlinien festgelegt und daran halte ich mich.“
Akzeptieren Sie es nicht, wenn Ihre Projektmitarbeiter Ihnen gute sachliche Gründe für die eigene Position im Konflikt nennen. Wundern Sie sich aber auch nicht darüber, denn schließlich lässt sich in zahlreichen Konfliktratgebern nachlesen, dass Recht bekommt, wer sachlich bleibt und seine Emotionen kontrolliert. Das mag so funktionieren, zur Konflikterledigung trägt es meistens nicht bei. Bedenken Sie: Das Chaos, das Menschen mit der Konflikteskalation verursachen, kann nicht bei normalem Verstand angerichtet worden sein. Deshalb: Tipp: Verzichten Sie darauf, in einem Konflikt über Fachfragen, Notwendig keiten und Regeln zu diskutieren. Reagieren Sie nicht auf Appelle um Unterstützung zum Wohle der großen Sache. Denn es ist nicht die Ebe ne der Sache und der rationalen Überlegung, auf der Konflikte ent schieden werden.
Konflikte werden auf einer viel tieferen und gleichzeitig viel einfacheren Ebene entschieden. Hinter Konflikten steckt etwas, das nicht verhandelbar ist, aber auch nicht verhandelt werden muss. Hinter Konflikten stecken unbefriedigte Bedürfnisse oder die Angst, an der Erfüllung der eigenen Bedürfnisse gehindert zu werden. Diese Bedürfnisse können Sie als Projektleiter erkennen und für die Lösung des Konflikts transparent machen. Wie das geht, lesen Sie in den folgenden Kapiteln. Achtung: Hinter Konflikten stecken immer unerfüllte Bedürfnisse oder die Angst, an der Erfüllung von Bedürfnissen gehindert zu werden.
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Glauben Sie kein Wort
6.2 Konflikte müssen auf Bedürfnisebene gelöst werden Bedürfnisse sind die Triebkraft aller unserer Handlungen. Sie beschreiben in ihrer Erfüllung den Optimalzustand unseres Lebens. Erfüllte Bedürfnisse geben dem Leben Sinn, sie sorgen für Freude am Leben und sie sichern den Lebenserhalt in der Zukunft. Ohne Sinn, Freude und Schutz ist Leben nicht vorstellbar. Deshalb richten Menschen ihre Aufmerksamkeit und ihr Handeln stets auf die Wiederbefriedigung verletzter Bedürfnisse. Wie intensiv jemand das Defizit bei der Bedürfniserfüllung spürt, hängt von seiner Persönlichkeitsstruktur ab und ist innerhalb eines Projekts und auch durch Konflikterledigungsverfahren nicht veränderbar. Beeinflussbar ist aber die tatsächliche Menge an gefühlter Bedürfnisbefriedigung durch veränderte Rahmenbedingungen. Diese Rahmenbedingungen beziehen sich nicht nur auf die Außenwelt, sondern auch auf das eigene Erleben und auf die erwartete Zukunft. Bedürfnisse lassen sich deshalb in drei Gruppen einteilen: 1. Bedürfnisse, die in Bezug auf die Außenwelt als erfüllt oder defizitär erlebt werden, 2. Bedürfnisse, die in Bezug auf sich selbst als erfüllt oder defizitär erlebt werden, 3. Bedürfnisse, die in Bezug auf die eigene Zukunft als erfüllt oder defizitär erlebt werden. In jeder dieser drei Gruppen muss ein Mindestmaß an Bedürfniserfüllung vorhanden sein. Ist das nicht der Fall oder erscheint dieses Mindestmaß bedroht, ist das für Menschen unerträglich und sie stecken – auch unbewusst – ihre gesamte verfügbare Energie in die Wiederbefriedigung der Bedürfnisse.
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Konflikte müssen auf Bedürfnisebene gelöst werden
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Nach außen gerichtete Bedürfnisse Mitbestimmung Bedürfniswahrnehmung Mitbestimmung Mitbestimmung bedeutet: Ich will nicht nur Anweisungen ausführen. Ich will Einfluss darauf haben, was ich tue und was hier getan wird. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Mitbestimmung vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: • • • •
Er hält sich für den Einzigen, der von der Sache Ahnung hat. Hier muss alles immer über seinen Tisch gehen. Wenn er mich vorher gefragt hätte, …! Ich fühle mich übergangen!
Beispiel: Erwin Wolter hat das Büro umgeräumt, als Petra Kleinschuh im Ur laub war. Die ist nun sauer und verlangt, dass alles wieder so steht wie zuvor. „Was fällt dir ein, hier alles umzuräumen, gerade dann, wenn ich nicht da bin?!“ Denn Petra will mitbestimmen, was in ihrem Büro passiert.
Zuwendung Bedürfniswahrnehmung Zuwendung Zuwendung bedeutet: Ich will nicht abgelehnt werden. Ich will geliebt, geachtet und verstanden werden. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Zuwendung vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: • • • •
Ich bin für die ja nur der Trottel, der die Arbeit macht. Niemand hat Zeit für mich. Um … wird viel mehr Gewese gemacht! Ich bin so hilflos und leer.
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Glauben Sie kein Wort
Beispiel: Hans Marlow ist anstrengend. Seit seine Frau gegen seinen Willen in die Steuerungsgruppe nach Dubai geschickt wurde, kommt er ständig in deren Firma, um stundenlang mit dem Golfstaat zu telefonieren. Das Telefonieren war zwar vereinbart, aber nicht in diesem Ausmaß. „Wenn meine Frau hier wäre, würde ich noch viel mehr Zeit mit ihr verbringen!“, widerspricht er allen Vorhaltungen. Hans braucht die Stimme seiner Frau, ihm fehlt ihre Zuwendung.
Wertschätzung Bedürfniswahrnehmung Wertschätzung Wertschätzung bedeutet: Ich will nicht übersehen werden. Ich will Beachtung und Anerken nung für meine Worte und Taten. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Wertschätzung vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: • • • •
Bei allem, was ich für euch getan habe , … Ein bisschen was könntest du auch tun! Das habe ich auch schon gesagt! Mir reicht's!
Beispiel: Gustaf Kranich hat schon zum dritten Mal hintereinander das Pro jektmeeting mit sinnlosen Berichten über seinen Bereich in die Länge gezogen. Es mag ja sein, dass er ordentliche Arbeit leistet, aber lang sam nervt es nur noch. Nun verlangt er auf der Abteilungsleiterbe sprechung sogar einen festen Tagesordnungspunkt für seine soge nannten „Sachstandsmeldungen“. Keiner hat Lust darauf, und das las sen die Kollegen Gustav auch spüren. Eines Tages bricht es aus ihm heraus: „Ihr könntet wenigstens zur Kenntnis nehmen, was ich hier alles für euch mache!“ Gustav hat das Gefühl, von niemandem für seine Arbeitsleistung wertgeschätzt zu werden.
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Konflikte müssen auf Bedürfnisebene gelöst werden
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Selbstbestimmung Bedürfniswahrnehmung Selbstbestimmung Selbstbestimmung bedeutet: Ich will nicht von Menschen oder Umständen abhängig sein. Ich will frei sein in meinen Entscheidungen und in meinem Handeln. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Selbstbestimmung vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: • • • •
Das geht dich nichts an! Ich lasse mir überhaupt nichts mehr vorschreiben. Das ist meine Sache, nicht deine. Ich will in Ruhe gelassen werden.
Beispiel: Inka Heilig hat vom Chef Dienstwagen, Telefon, Heimarbeitsplatz, Sekretärin und Konto bekommen. Sie leitet das Projektoffice und kei ner steht über ihr, nicht einmal der Chef. Der lässt sie machen, weil sie so gut ist. Rund um die Uhr war Inka bisher ansprechbar, doch plötzlich, mitten in der heißen Phase von drei wichtigen Projekten, will sie für zwei Monate in Urlaub gehen. Auf jeden Fall und ohne Diskussion und ab nächster Woche. „Das ist meine eigene Entschei dung“, sagt sie, „zum ersten Mal seit zehn Jahren entscheide ich et was, was ich für mich will.“ Bisher hat die Arbeit Inkas Leben dominiert, jetzt will sie (wovon auch immer so plötzlich ausgelöst) selbst über sich bestimmen.
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Glauben Sie kein Wort
In die Zukunft gerichtete Bedürfnisse Ressourcenzugriff Bedürfniswahrnehmung Ressourcenzugriff Ressourcenzugriff bedeutet: Ich will nicht darben. Ich will bekommen (mir nehmen können), was ich brauche und was mir zusteht. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Ressourcenzugriff vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: •
Er glaube, alles gehöre ihm! • Das hast du nicht alleine gemacht. • Das kann ich mir nicht leisten! • Und wovon soll ich leben?!
Beispiel: Paul Garbe setzt den Auftrag des Chefs knallhart um. Alle Überstun den im Team werden gestrichen, auch bei Tim Finger und Monika Bergmann, ohne deren Einsatz letztes Wochenende ein wichtiger Kunde verloren gegangen wäre. Paul macht alles, was der Chef sagt. Er braucht sein Gehalt, um seinen teuren Lebensstil aufrechtzuerhal ten. „Widerspruch kann ich mir nicht leisten.“ Paul hat Angst um seine Stelle, er hat Angst, seinen Zugriff auf finan zielle Ressourcen zu verlieren.
Zuhause Bedürfniswahrnehmung Zuhause (Ein) Zuhause (haben) bedeutet: Ich will nicht heimatlos/ungeschützt sein. Ich will wissen, wo ich meinen Lebensmittelpunkt habe.
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Konflikte müssen auf Bedürfnisebene gelöst werden
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Sie können ein Bedürfnisdefizit bei „ein Zuhause haben“ vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: •
Ich gehöre nirgends hin. • Mir fehlt die Orientierung. • Ich weiß nicht, wer ich bin. • Ich bin haltlos.
Beispiel: Susanne Kleinfeldt kann nicht klar denken. Im Büro macht sie ständig Fehler, hat den ganzen Tag Kopfschmerzen und vergisst die einfachs ten Regeln bei der Computereingabe. Als ihr Chef sie kritisiert, rea giert sie schnippisch und verlangt mehr Einfühlungsvermögen. Vor zwei Wochen hat sie ihren Mann verlassen und zieht seitdem bei Freundinnen von Sofa zu Sofa. Das Geld reicht nicht für die Wohnun gen, die zurzeit am Markt angeboten werden. Sie wird immer ruhelo ser, sie hat keinen Ort, der ihr gehört und an dem sie ihren Kopf ruhig betten kann. „Nirgends gehöre ich richtig hin, nirgends kann ich blei ben“, klagt sie ihrer Mutter am Telefon. Ihr fehlt das Zuhause.
Seinen Platz haben Bedürfniswahrnehmung „seinen Platz haben“ Seinen Platz haben bedeutet: Ich will nicht ziellos/nicht überflüssig sein. Ich will in meiner Rolle wahrgenommen und akzeptiert werden. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei „seinen Platz haben“ vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: • • • •
Ich muss mir das von dir nicht bieten lassen. Mit diesem Ergebnis gehe ich da nicht hin. Ich muss mich erst noch umziehen. Ich habe keine Lust, mich da zu blamieren.
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Glauben Sie kein Wort
Beispiel: Karin Spanne weiß, wo es langgeht. Sie ist seit 20 Jahren im Verein und es gibt keinen, der sich besser auskennt. Einer muss schließlich den Weg zeigen, wenn der Chef selbst schon seit drei oder vier Jahren zu krank ist, um die Richtung vorzugeben. Karin beklagt sich über die Mehrbelastung und schließlich erreicht sie, dass ein neuer Chef angestellt wird. Der wird sofort aktiv und zieht auch die Zeichnungsberechtigung für den Zahlungsverkehr wie der an sich. Jetzt ist Karin sauer: Erst wird sie gebraucht, und jetzt ist sie plötzlich überflüssig. Karin verlangt, dass sie in Zukunft nieman dem gegenüber Rechenschaft ablegen muss, wenn sie im Interesse des Vereins öffentlich tätig wird. „Das muss ich mir wirklich nicht bie ten lassen!“ Karin verlangt eine Sonderstellung, sie will ihren Platz als wichtigste Person des Vereins behalten.
Gesundheit Bedürfniswahrnehmung Gesundheit Gesundheit bedeutet: Ich will nicht hilflos/krank sein. Ich will allen Anforderungen ge wachsen sein. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Gesundheit vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: • • • •
Er glaubt, er kann uns wie Sklaven ausbeuten. Ich will das nicht auch noch! Ich kriege schon beim Zuhören Kopfschmerzen. Mir ist das zu viel!
Beispiel: Silva Gardner verlangt mehr Geld, wenn sie in der Schulprogramm kommission mitarbeiten soll. Dabei weiß jeder, dass das absurd ist. Doch Silva bleibt hart: „Entweder mehr Geld oder ich stecke nicht noch mehr Zeit in die Schule. Ich arbeite so schon jeden Tag zwölf Stunden, damit wir die Sekundarstufe im Herbst eröffnen können. Und wenn ich dann nach Hause komme, falle ich ins Bett und kann
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Konflikte müssen auf Bedürfnisebene gelöst werden
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trotzdem nicht schlafen. Seit Wochen lebe ich an der Grenze meiner Kraft.“ Silva hat Angst um ihre Gesundheit.
Nach innen gerichtete Bedürfnisse Relevanz Bedürfniswahrnehmung Relevanz Relevanz bedeutet: Ich will nicht sinnlos tätig sein. Mein Tätigsein und mein Leben sollen sich lohnen/nachhaltig sein. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Relevanz vermuten, wenn Sie fol gende oder ähnliche Sätze hören: • • • •
Das interessiert sowieso keinen. Ich jedenfalls habe alles richtig gemacht! Diese Mühe mache ich mir nicht noch einmal. Das ist alles so sinnlos!
Beispiel: Sarah Dressel hat drei Tage an der Präsentation gesessen. Dann hat Paul Wagner, der neben seiner SchmierstoffeFirma noch eine kleine Zauberbühne betreibt, sich umentschieden: Er will die Kunden statt mit einer Präsentation lieber mit einer Zaubershow gewinnen. Jetzt verlangt Sarah einen neuen, schnelleren Computer. Dann müsse sie nicht mehr so lange an Präsentationen sitzen, die nachher sowieso nicht gebraucht würden, begründet sie. Sarah geht es schlecht, weil sie sinnlos gearbeitet hat. Sie will, dass Relevanz hat, was sie tut.
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Glauben Sie kein Wort
Gemeinschaft Bedürfniswahrnehmung Gemeinschaft Gemeinschaft bedeutet: Ich will nicht auf mich allein gestellt sein. Ich will mich auf ande re verlassen können und Austausch haben. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Gemeinschaft vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: • • • •
Auf die kann man sich nicht verlassen. Die nerven mich alle. Früher bei euch war es schöner. Ich fühle mich ausgeschlossen.
Beispiel: Theo Fürtig soll das neue Büro im Osten aufbauen und leiten. Nach drei Wochen ist er zurück und will seine alte Stelle als Projektassis tent wieder, obwohl die viel schlechter bezahlt und außerdem relativ unsicher ist. „Dort drüben kenne ich keinen und keiner ist so wie ihr!“, klagt er. Er sehnt sich zurück in die Gemeinschaft der alten Kollegen.
Wohlfühlen Bedürfniswahrnehmung Wohlfühlen Wohlfühlen bedeutet: Ich will nicht traurig oder unzufrieden sein/mich unwohl fühlen. Ich will glücklich sein. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Wohlfühlen vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: •
Die sind alle so komisch hier. • Hier ist alles unangenehm. • Ich wäre lieber in …! • Mir geht es schlecht!
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Konflikte müssen auf Bedürfnisebene gelöst werden
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Beispiel: Margit Hecker darf im Büro nicht mehr rauchen. Ihre Finger zittern, sie fühlt sich müde und ihr Hals ist trocken. Seit am Montag das all gemeine Rauchverbot auch auf die Raucherecken ausgedehnt wurde, macht die Arbeit keinen Spaß mehr. Sie nimmt sich vor, keine Über stunden mehr zu leisten. „Ich bin lieber rechtzeitig zu Hause.“ Margit Hecker fühlt sich im Büro nicht mehr wohl.
Übereinstimmung Bedürfniswahrnehmung Übereinstimmung Übereinstimmung bedeutet: Ich will nicht gegen meine Überzeugungen leben. Ich will leben, wie es mir gefällt und richtig erscheint. Sie können ein Bedürfnisdefizit bei Übereinstimmung vermuten, wenn Sie folgende oder ähnliche Sätze hören: • • • •
Das haben andere so entschieden, nicht ich! Das liegt mir überhaupt nicht. Also ich würde das anders machen. Ich bin nicht zufrieden damit.
Beispiel: Seit die Softwareschmiede von der Konkurrenz übernommen wurde, kommt Thorsten Radtke morgens nur noch mit Mühe aus dem Bett. Er hat beim Betriebsrat schon die Verschiebung der Kernarbeitszeit an geregt, bis jetzt ohne Erfolg. Aber wenn er nachts nach seinem Absa cker endlich im Bett liegt, ist es fast schon wieder Zeit zum Aufste hen. Und ohne den Alkohol abends kommt er nicht mehr in den Schlaf, seit sie in der Firma statt Lernsoftware Panzersteuerungen programmieren. „Das ist nicht mehr meine Sache!“, hat er seiner Ex Freundin erklärt. Was Thorsten Radtke jetzt tagtäglich tun muss, stimmt nicht mehr überein mit seiner Lebensphilosophie.
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Glauben Sie kein Wort
6.3 Positionen und Forderungen sind unwichtig Vermeiden Sie es, im Zusammenhang mit Konflikten von Interessen statt von Bedürfnissen zu sprechen, wie Sie es manchmal lesen können. Das klingt zu sehr nach den offensichtlichen Forderungen der Konfliktparteien. Die enorme (und im Falle eines Konflikts destruktive) Kraftentfaltung der Beteiligten ist damit nicht ausreichend deutlich begründbar. Sie rührt direkt von den als bedroht erlebten Bedürfnissen her und damit von der Grundlage dessen, was unser Handeln bestimmt. Achtung: Alles, was in einem Konflikt von den Beteiligten sachlich und fachlich gefordert wird, ist völlig irrelevant für eine kooperative Lösung.
Denn wäre es möglich, auf der Ebene der Forderungen zu einem Ergebnis zu kommen, wäre das längst passiert. Konflikte kosten so viel Energie, dass kaum jemand aus bloßer Freude in die Eskalation geht. Beispiel: Alfons Schwarz leitet bei einem Nahverkehrsunternehmen das Projekt „Umstellung auf eine neue Internetfahrplanauskunft“. Doch gleich in der ersten Projektsitzung ist es zwischen zwei Teammitgliedern, Olaf Funkel, dem Leiter des technischen Kundenservices, und Thomas Stedlmayer, der als Stadtpolitiker im Aufsichtsrat des Unternehmens sitzt, zu einem lautstarken Streit gekommen. Thomas Stedlmayer for dert die externe Vergabe für die Programmierung der Internetfahr planauskunft. Olaf Funkel will die Programmierung weiterhin im Haus behalten. Eine Fremdfirma könne die – beispielsweise bei Straßen bauarbeiten – notwendigen Änderungen nicht schnell genug einpfle gen, erklärt er. Die maximale Umstellungszeit dürfe nicht mehr als sieben Stunden betragen. Thomas Stedlmayer erwidert, 24 bis 48 Stunden seien auf jeden Fall ausreichend.
Wenn Sie hier auf der Ebene der Forderungen und Positionen bleiben, handeln Sie höchstens einen Kompromiss zwischen sieben und
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Positionen und Forderungen sind unwichtig
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48 Stunden aus. In einem gut moderierten Prozess könnten Sie dabei sogar zur fachlich besten Lösung gelangen. Aber der Konflikt wäre damit ganz offensichtlich nicht gelöst. Denn noch nicht einmal die Forderungen der beiden Streitenden sind voll erfüllt (sondern eben kompromiss- oder ergebnisbedingt nur teilweise), erst recht sind die hinter den Forderungen liegenden Bedürfnisse unbefriedigt. Der Konflikt bleibt also bestehen: Beispiel (Fortsetzung): Olaf Funkel wird versuchen, die Fremdvergabe zu verhindern, und da zu seine Kontakte in das Stadtparlament aktivieren. Vielleicht lässt er „versehentlich“ hier oder dort auch noch die Bemerkung fallen, dass Herr Stedlmayer selbst eine Programmierfirma habe. Thomas Stedlmayer wird dann gegenüber dem Vorstand die Entlas sung des Technikers verlangen. Und so geht es weiter. Wenn sich dann noch die allgemeine Stadtpolitik einmischt, bleibt der Sachverstand völlig auf der Strecke.
Und warum sind die beiden so unversöhnlich? Weil es in Wirklichkeit nämlich gar nicht um die Zeitfrage geht. Beispiel (Fortsetzung): Für Olaf Funkel bedeutet die externe Programmierung den Verlust von drei Mitarbeitern in seinem Team und perspektivisch womöglich eine Ausgliederung der gesamten technischen Abteilung. Der Technikchef fühlt sich verantwortlich für seine Leute (Bedürfnis nach Gemein schaft oder nach Wertschätzung), er befürchtet einen Bedeutungsver lust innerhalb des Unternehmens (Bedürfnis, seinen Platz zu behalten) und hat Angst um seine gut bezahlte Arbeitsstelle (Bedürfnis nach Ressourcenzugriff). Thomas Stedlmayer hingegen ist die Sanierung des Stadthaushalts wichtig. Die höheren Gewinnausschüttungen des ziemlich undurch sichtigen Nahverkehrsbetriebs sind dabei ein wichtiger Baustein. Er will als Aufsichtsrat mitreden (Bedürfnis nach Mitbestimmung), sich als Sanierer der Stadtfinanzen profilieren (Bedürfnis nach Wertschät zung oder nach seinem Platz) und aus dieser Position heraus in naher Zukunft seine wacklige Programmschmiede zugunsten eines Land tagsmandats aufgeben (Bedürfnis nach Ressourcenzugriff).
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Diese eigentlichen inneren Wünsche, die Bedürfnisse, sind durch einen Kompromiss in der Zeitfrage nicht erfüllt. Im Gegenteil: Der Kompromiss macht die Bedürfniserfüllung in den Augen der Betroffenen noch unwahrscheinlicher und erhöht dadurch deren Bereitschaft zur Konflikteskalation.
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Fürchten Sie die Eskalation
Konflikteskalation ist wie ein Sog. Streiten sich einige Ihrer Teammitglieder, beginnt ein unheilvoller Mechanismus gegenseitigen Übertrumpfens: „Wenn ich eins draufsetze, wird der andere nachgeben.“ Doch dieser andere denkt und handelt genauso und erhöht ebenfalls den Druck. So steigt wechselseitig schrittweise die Eskalation. Dieser Mechanismus der Konflikteskalation ist deshalb so gefährlich für Ihr Projekt, weil die Beteiligten in der Konsequenz vor keinem Vernichtungsschlag haltmachen. Denn nicht mehr vernünftige Gründe sind für ihr Handeln ausschlaggebend, sondern der unbedingte (innere und unbewusste) Drang nach der Erfüllung von Bedürfnissen.
7.1 Wie ein Konflikt vorbereitet wird Bevor der Konflikt ausgelöst wird, gibt es zunächst einmal nur das Ausgangsproblem. Irgendetwas ist nicht so, wie es nach der Meinung einer oder mehrerer Personen sein sollte. Dieses Problem birgt Konfliktpotenzial, weil es die Wünsche und damit die Bedürfnisse bestimmter Personen nicht erfüllt. Konfliktpotenzial kann lange latent vorhanden sein, ohne dass es zu einem Konflikt kommt, wenn die Menge an Bedürfniserfüllung innerhalb jeder der drei Bedürfnisgruppen (s. oben) ausreichend ist und besonders defizitäre Bedürfnisse innerhalb der Gruppe durch die Übererfüllung anderer kompensiert werden. Beispiel: Susanne Teuschner und Thomas Abel sind Programmierer. Oft arbeiten sie bis spät in die Nacht an Routinen und Modulen, um Termine ein zuhalten. Neulich wollten sie nach der Arbeit ins Kino gehen. Doch es kommt wie so oft: Kurz vor halb acht ruft sie der Chef ins Büro und fordert sie auf, eine Änderung zu programmieren, die noch in der
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Fürchten Sie die Eskalation
Nacht nach Dubai übermittelt werden soll. „Und bestellt euch, was ihr wollt, beim PizzaService, ihr habt das Beste verdient! Ich bin total froh, dass ihr bis jetzt jeden Änderungswunsch des Kunden erfüllen konntet.“
Susanne und Thomas leiden unter einem eklatanten Mangel an Selbstbestimmung. Gleichzeitig erleben sie sehr viel Wertschätzung für ihre Arbeit, sowohl in Worten als auch materiell. Sie gleichen – unbewusst – die Bedürfnisse Selbstbestimmung und Wertschätzung untereinander aus. Das Defizit bei Selbstbestimmung kompensieren sie mit der Übererfüllung des Bedürfnisses Wertschätzung. Trotzdem bleibt das Defizit bei Selbstbestimmung als Konfliktpotenzial erhalten. Das eigentliche Vorhaben, ins Kino zu gehen, musste wie schon so oft für die Firma aufgegeben werden. Tipp: Eine Ihrer wichtigsten Aufgaben als Projektleiter ist es, Konfliktpoten zial zu erkennen, um projektgefährdende Konflikte zu vermeiden. Nut zen Sie die Chance auf Optimierung des Projekts, die Ihnen das Erken nen von Konfliktpotenzial bietet. Dazu erfahren Sie mehr in Kapitel 11.
Glauben Sie aber nicht, was Sie oft lesen können, dass Konflikte an sich eine Chance für Ihr Projekt seien. Das ist Unsinn! Konflikte binden enorme Mengen an persönlichen und finanziellen Ressourcen. Sie kosten, statt zu nutzen. Die Chance im Zusammenhang mit Konflikten liegt im rechtzeitigen Erkennen des Konfliktpotenzials. Achtung: Konflikte sind keine Chance. Konflikte sind ein Notstand!
7.2 Wodurch Konfliktpotenzial entsteht Konfliktpotenzial entsteht • durch objektive Umstände, • durch Ereignisse, • durch das Verhalten von Menschen.
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Wodurch Konfliktpotenzial entsteht
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Objektive Umstände Konfliktpotenzial kann entstehen und verstärkt werden durch bestimmte objektive Umstände. Das sind alle Bedingungen rund um das Projekt, die in irgendeiner Form als unveränderlich hingenommen werden müssen. Beispiel: Im Betrieb wurde ein generelles Rauchverbot eingeführt. Klaus Schä fer ist passionierter Zigarrenraucher und fühlt sich nun nicht mehr wohl, ist aber überzeugt vom Nutzen seiner Arbeit.
Das Rauchverbot fördert Konfliktpotenzial bei Klaus Schäfer hinsichtlich des Bedürfnisses Wohlfühlen, dessen Defizit derzeit noch durch die von ihm angenommene Relevanz (Nützlichkeit/Sinnhaftigkeit) seiner Arbeit kompensiert wird. Beispiel: Theodore Hafer ist Springer. Wo immer in einem Projekt Not herrscht, wird er hingeschickt. Heute hier, morgen dort, übermorgen am ande ren Ende des Landes. Es ist eigentlich ein Hundeleben. Aber das Geld ist nicht zu verachten. Er verdient mehr als sein Chef und kann sich die besten Hotels aussuchen. Ein paar Jahre wird er das auf jeden Fall noch so machen.
Der ständige Ortswechsel und die Bindungslosigkeit fördern Konfliktpotenzial bei Theodore Hafer hinsichtlich des Bedürfnisses, ein Zuhause haben, dessen Defizit durch die Übererfüllung des Ressourcenzugriffs derzeit noch kompensiert wird. Beispiel: In einer mittelgroßen Softwarefirma lässt sich als Folge der Umstel lung auf eine besondere Form der Programmierung ein Modul nicht mehr einem bestimmten Programmierer zuordnen. Selbst für gelun gene Funktionen gibt es deshalb keine direkte Wertschätzung mehr vom Chef. Gleichzeitig haben die Mitarbeiter an Freiheit gewonnen: Sie entscheiden frei, an welcher Stelle der Software sie gerade arbei ten möchten.
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Fürchten Sie die Eskalation
Die Prozessumstellung fördert Konfliktpotenzial bei den Programmierern hinsichtlich des Bedürfnisses Wertschätzung, dessen Defizit derzeit noch durch die erlebte Selbstbestimmung bei der Arbeit kompensiert wird.
Ereignisse Konfliktpotenzial kann entstehen und verstärkt werden durch Ereignisse, die in irgendeiner Form Einfluss auf Menschen und Projekt haben. Beispiel: Marius Müller sitzt in seinem kleinen Büro unterm Dach und versucht, die Zahlen zu sortieren. Jetzt hat er endlich die richtige Reihenfolge im Kopf und will sie gerade aufschreiben, da klingelt das Telefon. Die Kollegen vom ersten Stock laden ihn ein, zum Mittagessen mitzu kommen. Herr Müller bestätigt und legt auf. Die richtige Reihenfolge für seine Zahlen hat er vergessen, aber er freut sich, dass die von un ten an ihn gedacht haben.
Dass ständig jemand bei ihm anruft, fördert Konfliktpotenzial hinsichtlich Herrn Müllers Bedürfnisses nach Relevanz, also hinsichtlich seines Wunsches, mit sinnvollen Ergebnissen zu arbeiten. Dieses Defizit wird aber derzeit noch durch die erlebte Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit mit den Projektteams kompensiert. Beispiel: Karl Franke ist alleinerziehender Vater und mit seiner Kraft am Ende. Als er in der Firma mitteilt, dass er demnächst mit den Kindern für drei Wochen zur Kur fährt, erntet er mitleidige Blicke. In den nächs ten Tagen stellt er fest, dass sein alter Konkurrent im Team, Erich Sauer, Entscheidungen an sich zieht, die eigentlich nicht seine Sache sind. Doch Karl Franke hat dafür nur ein müdes Kopfschütteln. Er will und wird zur Kur fahren, um endlich wieder Kraft zu sammeln.
Das überraschende Eingeständnis von Schwäche und die Reaktion seines Kollegen darauf fördern Konfliktpotenzial bei Karl Franke hinsichtlich des Bedürfnisses, in der Hierarchie des Teams seinen
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Wodurch Konfliktpotenzial entsteht
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Platz zu haben (und zu erhalten), dessen Defizit durch die Aussicht auf verbesserte Gesundheit derzeit noch kompensiert wird.
Verhalten von Menschen Konfliktpotenzial kann entstehen und verstärkt werden durch das Verhalten von Menschen. Das gilt prinzipiell für jegliches Verhalten, auch wenn es fair und friedlich (gemeint) ist. Beispiel: Jonny Murrs Frau hat ihn seit drei Monaten nicht mehr geküsst. Wenn er ihr näher kommt, weicht sie aus. Viele Gelegenheiten zum Näher kommen hat er aber auch nicht, denn er ist fast ständig unterwegs in den unzähligen Projekten, mit denen er befasst ist: Projektsteue rungskomitee, Projektplanungsrunde, Projektbeiratssitzung, Projekt lenkungsunterausschuss, Projektkoordinationsrat – überall ist er dabei und überall ist seine Meinung gefragt.
Frau Murrs Rückzug und Abgrenzung fördern bei ihrem Mann Konfliktpotenzial hinsichtlich des Bedürfnisses nach Zuwendung, dessen Defizit derzeit noch durch die vielen Möglichkeiten zur Mitbestimmung kompensiert wird. Beispiel: Nicole Voss hat es schwer mit dem Rest des Teams. Alle lächeln mehr oder weniger über ihr Rohkostfrühstück, über ihre Wollpullover und darüber, dass sie Abendveranstaltungen nie nach halb neun verlässt, um mindestens drei Stunden vor Mitternacht zu schlafen. Doch sie lebt ihr Leben weiter, wie sie es für richtig hält.
Die Distanz und das Unverständnis des Teams für ihre Lebensweise fördern bei Nicole Voss Konfliktpotenzial hinsichtlich des Bedürfnisses nach Gemeinschaft, dessen Defizit durch ihr Leben in völliger Übereinstimmung mit sich selbst derzeit noch kompensiert wird.
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Fürchten Sie die Eskalation
7.3 Warum nicht gleich ein Konflikt beginnt Eigentlich können Sie über diesen Mechanismus des Ausgleiches unter Bedürfnissen ganz froh sein. Projektarbeit mit ihren schubweise hohen zeitlichen Belastungen, mit ihrer automatischen Begrenztheit auf das Projektende hin und mit dem Zusammentreffen von verschiedenen Menschen auf Zeit bietet viele konfliktträchtige Situationen. Ohne den ständigen inneren Ausgleich zwischen verletzten und erfüllten Bedürfnissen hätten Sie pausenlos mit Konflikten zu kämpfen.
Die Bedürfnisscheibe Ein gutes Modell, diesen Bedürfnisausgleich zu verstehen und handhabbar zu machen, bietet die von Roland Straube entwickelte Bedürfnisscheibe (zu den Bedürfnissen siehe auch Abschnitt 6.2). Die Bedürfnisscheibe Die Bedürfniserfüllung kann in vier Persönlichkeitsbereichen befrie digt oder belastet sein: • berufliche, private, ehrenamtliche Tätigkeit; • persönliche Beziehung; • gesellschaftliches Umfeld; • individuelle Eigentümlichkeit. Innerhalb jedes dieser vier Persönlichkeitsbereiche gibt es drei Rich tungen, aus denen her Bedürfnisse erlebt werden. • von außen her, • von innen her, • von der eigenen Zukunft her. Bedürfnisverletzungen führen nicht immer sofort zum Konflikt. Denn verletzte Bedürfnisse können durch Überbefriedigung eines anderen Bedürfnisses des gleichen Rings kompensiert werden. Hinter eingefor derten Bedürfniserfüllungen kann deshalb die Verletzung anderer Be dürfnisse auf dem gleichen Ring liegen.
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Was den Konflikt auslöst
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Lebenssinn (von innen)
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Die Bedürfnisscheibe finden Sie auch in Farbe auf der CD © Roland Straube
7.4 Was den Konflikt auslöst Das Kompensieren eines verletzten Bedürfnisses durch die Übererfüllung eines anderen auf dem gleichen Ring geht so lange gut, wie die Menge an Bedürfnisbefriedigung auf dem Ring eine bestimmte Grenze nicht unterschreitet. Diese Grenze ist nicht vorherbestimmbar und für jeden Menschen anders. Das Überschreiten dieser Grenze ist der Auslöser für den Übergang vom Konfliktpotenzial zum Konflikt. Achtung: Ein Auslöser macht Konfliktpotenzial zum Konflikt.
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Fürchten Sie die Eskalation
Der Auslöser kann real oder fiktiv sein Ein Tropfen bringt das Fass zum Überlaufen
Dabei kann dem Konfliktauslöser eine reale gesteigerte Bedürfnisverletzung zugrunde liegen. Etwas, was lange ertragen wurde, nimmt nun eine Intensität hat, die nicht mehr auszuhalten ist. Diese neuerliche Steigerung ist sozusagen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Beispiel: Susanne Teuschner, die Programmiererin, arbeitet oft bis spät in die Nacht, wenn der Chef sie braucht. Sie verzichtet auf viel Privatleben, weil sie merkt, dass ihr Chef ihre Arbeit achtet. Doch diesmal, als sie zur Hochzeit ihrer Schwester fahren will und er schon wieder um Überstunden bittet, wird sie wirklich sauer.
Manchmal reichen schon negative Be fürchtungen und Zuschrei bungen
Es kann sich aber auch um eine fiktive gesteigerte Bedürfnisverletzung handeln. Folgendes Beispiel, das der Geschichte über den Hammer des Nachbarn ähnelt, die der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ erzählt, zeigt einen solchen „hausgemachten Konfliktauslöser“. Beispiel: Karsten Busch hat die Parameter für die Steuerungsanlage verlegt. „Macht nichts, frage ich halt Klaus, der hat sie bestimmt griffbereit“, denkt er. Dann runzelt er die Stirn und überlegt: „Aber vorhin, als ich ihm auf dem Flur begegnet bin, hat Klaus mich so komisch ange schaut. Vielleicht gibt der mir die Papiere ja gar nicht, vielleicht hat der ja was gegen mich. Dabei habe ich ihm gar nichts getan. Ich hasse es, wenn Leute völlig ohne Grund plötzlich Streit anfangen. Solche wie Klaus müssten längst rausgeworfen sein. Die vergiften das ganze Betriebsklima. Die bilden sich ein, sie könnten mit jedem Streit anfan gen, bloß weil er eine andere Nase hat. Mit solchen Leuten will ich jedenfalls in Zukunft nichts mehr zu tun haben.“ Dann steht er auf, geht zu Klaus und faucht: „Ich werde die Zahlen auch woanders her bekommen, du kannst sie dir gerne sonst wohin stecken!“
Auch Schub ladendenken kann Konflikte auslösen
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Eine ähnliche Form „hausgemachter Auslöser“ durch fiktive Steigerung der Bedürfnisverletzung ist das Schubladendenken.
Weshalb die Konfliktursache so schwer zu verstehen ist
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Beispiel: Alf Rotter ist als Krisenmanager in ein Projekt gerufen worden. Wie ein Wilder hat er Tag und Nacht gearbeitet, um sich einen Überblick zu verschaffen. Auch seine Leute sind am Ende ihrer Kraft, wurden sie von ihm doch hin und her gehetzt. Jetzt spricht er im Projektbüro vor, um einen weiteren noch frischen Assistenten zu bekommen. „Okay“, sagt sein Chef. „Ich habe da jemanden, der gerade aus einem Projekt raus ist, der hat heute Vormittag Betriebsratssitzung, aber ab heute Nachmittag müsste er frei sein.“ Alf Rotter springt auf und schreit: „Ich habe schon genug Probleme mit diesem Chaosprojekt, da brau che ich nicht noch einen dämlichen Besserwisser aus dem Betriebsrat im Team.“ Dann knallt er die Tür hinter sich zu.
7.5 Weshalb die Konfliktursache so schwer zu verstehen ist Am vorherigen Beispiel können Sie gut erkennen, was Ihnen sicher aus vielen Projekten bekannt vorkommt: Der Einstieg in den Konflikt und in die Konflikteskalation ist oft eine völlig absurde Situation oder Forderung. Inzwischen wissen Sie, woran das liegt: Eine minimale Reduktion der Bedürfniserfüllung – im Beispiel die befürchtete Einschränkung von Alf Rotters Selbstbestimmung durch einen „Besserwisser aus dem Betriebsrat“ – führt zum Überschreiten der Grenze zwischen ausreichender Bedürfniserfüllung und defizitärer Bedürfniserfüllung, also zum Auslösen des Konflikts. Wirksam und sichtbar wird der Konflikt oft nicht beim hauptsächlich defizitären Bedürfnis, sondern bei dem Bedürfnis, das bisher das große Defizit kompensiert hat. Im Beispiel mit Alf Rotter liegt das Defizit vermutlich in geringer menschlicher Herzlichkeit und Freundlichkeit (Zuwendung), die Mitarbeiter einem Chef entgegenbringen, der sie bis zur Erschöpfung hetzt, auch wenn sie seine Leistungen anerkennen (Wertschätzung). Sein Kompensationsbedürfnis dürfte Selbstbestimmung sein. Die Konfliktauslösung ist für Außenstehende auch deshalb so unverständlich, weil das nun so vehement eingeforderte Bedürfnis nach Selbstbestimmung auch mit dem neuen Assistenten noch weitge-
Der Konflikt wird oft beim Kompensa tionsbedürfnis wirksam
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hend befriedigt sein müsste – nur für Alf Rotter selbst eben nicht mehr so ausreichend, dass er damit (natürlich in einem unbewussten Prozess) auch noch das Loch bei Zuwendung füllen kann. Das soll an einem weiteren Beispiel deutlich werden. Beispiel: Arthur Bormann ist Leiter eines Pilotprojekts in der Lehrwerkstatt zur überbetrieblichen Ausbildung von Jugendlichen. Immer wieder erklärt er den jungen Menschen die richtigen Handgriffe, doch da ist kaum einer, der wirklich Lust zum Begreifen hat. Zum Glück gibt es vier Pausen, in denen Arthur Bormann mit seinen Kollegen Zeitung lesen und Kaffee trinken kann. Da beschließt die Werkstattleitung plötzlich eine andere zeitliche Strukturierung des Ausbildungstages, wodurch es nur noch drei ge meinsame Pausen gibt. Arthur Bormann und seine Kollegen schalten den Personalrat ein, um auch die vierte Pause weiterhin gemeinsam verbringen zu können.
Das von den Ausbildern eingeforderte Bedürfnis nach Gemeinschaft auch in der vierten Pause scheint durch drei gemeinsame Pausen eigentlich ausreichend befriedigt. Es wird von den Kollegen aber als Kompensation für die mangelnde Sinnerfüllung ihrer Arbeit (Relevanz) in verstärktem Maße gebraucht und verträgt deshalb keinerlei Reduktion.
7.6 Wie ein Konflikt eskaliert wird Der Weg zum Konflikt beginnt also bei einem Problem, dessen Auswirkungen Bedürfnisse verletzen. Solange diese Bedürfnisverletzung durch andere Bedürfnisse kompensiert werden kann, besteht nur Konfliktpotenzial. Überschreitet das Maß an Bedürfnisverletzung bei einem der Beteiligten allerdings eine bestimmte Grenze durch eine reale oder eine fiktive Steigerung des Bedürfnisdefizits, wirkt das als Konfliktauslöser und es liegt ein Konflikt vor. Entsteht nun bei den Beteiligten der Eindruck, dass das Problem in absehbarer Zeit nicht von allein verschwindet, und befürchten sie
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Wie ein Konflikt eskaliert wird
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deshalb die dauerhafte Nichtbefriedigung ihrer Bedürfnisse, werden sie selbst aktiv und starten die Konflikteskalation. Achtung: Konfliktpotenzial steckt in Problemen, deren Auswirkungen die Bedürf nisbefriedigung einschränken. Der Konflikt kann dann jederzeit ausge löst werden, nämlich sobald die Beteiligten das Bedürfnisdefizit nicht mehr ertragen können. Glauben sie schließlich, dass eine bedürfnisbe friedigende Beseitigung des Problems nicht zu erwarten ist, starten sie die Konflikteskalation.
Die fünf Eskalationsstufen Die Stufen der Konflikteskalation können folgendermaßen beschrieben werden: Stufe 1: Engagierte Diskussion, schwierige Interaktion Stufe 2: Betonung der Unterschiede, negative Emotionen
Konflikt eskalation geschieht stufenweise
Stufe 3: Entgleisungen, Suche nach Verbündeten Stufe 4: Drohungen, begrenzte Vernichtungsschläge Stufe 5: Kampf, rücksichtslose Vernichtungsschläge
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Kampf und rück sichtslose Vernich tungsschläge
Drohungen und begrenzte Vernichtungsschläge
Entgleisungen und Suche nach Verbündeten
Betonung der Unterschiede, negative Emotionen
Engagierte Diskussion, schwierige Interaktion
Eskalationsstufen in Anlehnung an Eberhard G. Fehlau, 2000
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Fürchten Sie die Eskalation
Während in Stufe 1 alle Beteiligten noch bereit sind, ein für beide Seiten gutes Ergebnis zu erarbeiten, geht es spätestens in Stufe 3 nur noch darum, auf Kosten des anderen selbst zu gewinnen. In Stufe 5 allerdings, und das ist die große Gefahr für Ihr Projekt, geht es um Schaden für den Gegner um jeden Preis nach dem Motto: „Egal was mir passiert, Hauptsache du gehst zugrunde!“ Was es für Ihr Projekt bedeutet, wenn sich Mitarbeiter in dieser Weise gegenseitig fertigmachen, lässt sich unschwer erkennen. Tipp: Richtig gefährlich wird ein Konflikt ab Eskalationsstufe 3. Sie erkennen diese Stufe daran, dass Verbündete gesucht werden.
Die Suche nach Verbündeten ist manchmal erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Auch der Umgangston ist in dieser Stufe meist noch sehr konziliant und ausgesucht höflich. (Hier unterscheiden sich Firmen- und Familienkonflikte.) Beispiele: Susanne: Mein Arzt hat gesagt, ich brauche bei diesen Kopfschmerzen nicht arbeiten zu gehen. Marion: Wir sind alle der Meinung, dass hier mehr aufgeräumt wer den muss. Olaf: Der Referent neulich hat klar gesagt, dass wir unsere eigenen inneren Fähigkeiten stärken müssen. Karin: Niemand wird deine Idee unterstützen, da kannst du sicher sein.
„Mein Arzt“ ist genauso der Verweis auf einen Verbündeten wie „alle“ oder „der Referent“. Sogar „niemand“ mit der Bedeutung „alle sind dagegen“ gehört dazu. Tipp: Seien Sie wachsam, um den Übergang in Stufe 3 zu erkennen. Achten Sie auf die – auch indirekte und unpersönliche – Einbeziehung Dritter. Spätestens jetzt müssen Sie reagieren.
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Teil III: So reagieren Sie auf Konflikte
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Mobbing bindet Energien
Sie können den Konflikt verschärfen
Es gibt Situationen, da müssen Sie ganz klar Partei ergreifen. Wird jemand unter Ihren Mitarbeitern gemobbt, stehen Sie als Führungskraft in der Verantwortung (übrigens auch arbeitsrechtlich). Mobbing führt zu schweren psychischen und daraus folgend oft auch physischen Schäden bei den Betroffenen. Gleichzeitig schafft erfolgreiches Mobbing in Ihrem Projekt eine Stimmung des „Auch-mich-kann-es-Treffen“, was dauerhaft enorme Energien durch Angst bindet. Diese Angst verhindert Kreativität und behindert die Qualitätssicherung durch Kollaboration mit den Starken im Team. Achtung: Bei Mobbing müssen Sie auch aus arbeitsrechtlichen Gründen aktiv werden! Erfolgreiches Mobbing führt, wenn Sie nichts unternehmen, in kurzer Zeit zu erneutem Mobbing.
Mobbing ver langt einen klaren Macht eingriff
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Deshalb ist bei Mobbing, zumindest als erster Schritt, ein klarer Machteingriff nötig, der das Opfer schützt, den Täter stoppt und das Projekt aus der Gefahrenzone bringt. Doch prüfen Sie, ob wirklich Mobbing vorliegt, bevor Sie sich für Parteinahme und Machteingriff entscheiden, um nicht unnötig zur Verschärfung und Verstetigung des Konflikts beizutragen. Mobbing erfolgt • systematisch, regelmäßig und über einen längeren Zeitraum, • gezielt gegen eine schwächere und hilflos agierende Person, • direkt oder indirekt durch Demütigung, • mit dem Ziel des Ausstoßens.
Wann Sie selbst in die Mühle des Konflikts geraten
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Mobbingopfer • sind meist alleine, haben firmenintern kaum soziale Kontakte, • werden nicht eingeladen, • erkranken in immer schnellerer Folge hintereinander, • wehren sich meist nicht (mehr), • haben Beschwerden wie Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Angstzustände, Depressionen, Müdigkeit, Schlappheit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Schwindel, • wirken gereizt und gleichzeitig resignierend, • sehen Selbstmord als sinnvolles Ende ihres Leidens an.
8.1 Wann Sie selbst in die Mühle des Konflikts geraten Greifen Sie nur mit Macht ein, wenn tatsächlich Mobbing vorliegt. Denn in den „normalen Konflikten“ verschärfen und verstetigen Sie den Streit, wenn Sie sich als Helfer auf eine Seite schlagen und ein vermeintliches Opfer vor einem vermeintlichen Täter schützen. Beispiel: Anton Waller glaubt, die Lage richtig einzuschätzen: Der böse Peter Lehmann (Täter) hat Marion Gerickes (Opfer) Präsentationsunterlagen absichtlich versteckt, um sie zu schikanieren. Marion Guericke bedarf seiner Hilfe. „Es ist eine Sauerei, dass du Marions Präsentationsunter lagen versteckt hast. Ich werde dafür sorgen, dass das Konsequenzen hat!“ Marion Guericke findet es nun doch etwas übertrieben und unge recht, wie ihr Kollege Anton (Täter) ihren Mitarbeiter Peter (Opfer) behandelt und greift helfend ein: „Nun mach mal halblang, Anton. Das war schon echt fies von Peter, aber er hat immerhin endlich mal aufgeräumt und sonst macht er auch gute Arbeit. Da brauchst du überhaupt nicht so rumzubrüllen. Wenn du die Sache mit den Note books schon geregelt hättest, wäre das Problem gar nicht erst entstanden.“ Anton Waller versteht nicht, wieso plötzlich er angegriffen wird.
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Sie können den Konflikt verschärfen
In wenigen Sekunden wurde Anton vom Helfer für Marion zum Täter gegenüber Peter und dann zu Marions Opfer. Wenn jetzt Peter noch als Helfer für Anton eingreift, beginnt das Spiel von vorn: Peter (Täter) greift Marion (Opfer) an, Anton (Helfer) unterstützt Marion und wird damit zum Täter gegenüber Peter, dem wiederum Marion hilft und damit zum Täter gegenüber Anton wird, der nun die Unterstützung Peters erfährt usw. Achtung: Dieser Kreislauf vom Helfer zum Täter zum Opfer, der sich immer dann zu drehen beginnt, wenn ein bisher Unbeteiligter als Helfer für das (vermeintliche) Opfer in den Konflikt eingreift, wird als „Dramadreieck“ bezeichnet.
Täter
Helfer
Opfer Dramadreieck: Vom Helfer zum Täter zum Opfer – und immer so weiter. Wenn Sie als Helfer in einen Konflikt gehen, führt das unweigerlich dazu, dass Sie selbst angegriffen werden und eine Spirale in Gang setzen, von der später niemand mehr weiß, wie sie eigentlich angefangen hat – und Sie sind mittendrin.
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Wie Sie die Akzeptanz bei den Konfliktparteien verlieren
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Tipp: Gehen Sie niemals als Helfer in einen normalen Konflikt! Bleiben Sie unparteiisch (ausgenommen bei Mobbing oder in Situationen, die die physische oder psychische Leistungsfähigkeit eines der Beteiligten übersteigen). Beachten Sie: Wenn Sie einmal als Helfer eingegriffen ha ben, können Sie anschließend nicht mehr selbst im Konflikt vermitteln.
8.2 Wie Sie die Akzeptanz bei den Konfliktparteien verlieren Dass Sie nur das Beste wollten, ist nicht ausschlaggebend für Ihren Erfolg bei der Konflikterledigung. Nicht Ihre gute Absicht ist entscheidend dafür, ob Sie als ehrlicher Dritter wahrgenommen werden. Entscheidend ist, wie die Konfliktbeteiligten Ihr Verhalten deuten. Dabei gibt es einige typische Konfliktreaktionsmuster von Projektleitern, die regelmäßig unpassende Deutungen auslösen. Vermutlich werden Sie selbst nicht auf diese Weise reagieren; gleichwohl ist im Umgang mit Streitparteien Vorsicht geboten. Das liegt nicht etwa daran, dass die Beteiligten unwillig sind, Ihre guten Absichten zu erkennen, sondern an der hohen Emotionalität und leichten Verletzbarkeit in Konflikten.
Im Umgang mit Streitparteien wohlüberlegt agieren
Schnell wirken Sie gleichgültig, kalt und technokratisch unmenschlich Die folgenden drei Hinweise helfen Ihnen dabei, einer solchen Bewertung zu entgehen: 1. Vermeiden Sie es, bei jedem Konflikt eine rationale Grundlage herstellen zu wollen. Sonst unterstellt man Ihnen schnell, gefühlskalt zu sein. Nehmen Sie die Empfindungen und Emotionen ernst. Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht
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Sie können den Konflikt verschärfen
ernst.“ Herr Bärenfels setzt die Brille auf: „Wann ist der Abgabetermin und wann haben Sie zum ersten Mal nachgefragt? Haben Sie bereits eine Nachfrist im Projektkalender eingetragen? Dann sollten Sie ab warten, bis der Termin verstrichen ist, vorher besteht keinerlei Hand lungsbedarf.“
2. Vermeiden Sie es, Differenzen zu bagatellisieren: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels nickt freundlich: „Da lassen Sie sich mal keine grauen Haare wachsen, die beiden werden halt noch nicht fertig sein. Die werden Ihnen die Zahlen schon noch geben.“
3. Vermeiden Sie den Eindruck von Gleichgültigkeit, der entsteht, wenn Sie das Verhalten der Beteiligten tolerieren: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels zieht eine Augenbraue hoch: „Aber darüber brauchen Sie sich doch nicht aufregen. Die sind nun mal so, die nehmen nur sich selbst ernst. Und Sie als junge Frau müssen sich schon noch ein bisschen krumm machen, bis Sie deren Aufmerksamkeit erregen. Das ist immer so zwischen neuen und gestandenen Mitarbeitern.“
Schnell wirken Sie überheblich und anmaßend Die folgenden fünf Hinweise helfen Ihnen dabei, einen solchen Eindruck zu vermeiden.
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Wie Sie die Akzeptanz bei den Konfliktparteien verlieren
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1. Versuchen Sie nicht, das Verhalten der Konfliktbeteiligten zu diagnostizieren: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels lehnt sich zurück: „Wenn ich mir Ihren beruflichen Werdegang so anschaue, hatten Sie scheinbar wiederholt Schwierig keiten im Hinblick auf Ihre Kooperationsfähigkeit. Vielleicht haben Sie aus persönlichen Gründen ein Problem mit männlichen Kollegen?“
2. Versuchen Sie nicht, Lösungsmöglichkeiten aus Ihren eigenen Erfahrungen anzubieten. Das wirkt, als wollten Sie sich selbst in den Vordergrund spielen: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels beugt sich nach vorn: „Also da weiß ich, was Sie ma chen können. Als ich damals in Ihrer Situation war, vor vielen Jahren, da habe ich gar nicht lange gefackelt. Ich habe sofort Maßnahmen eingeleitet. Das Erste, was ich gemacht habe, war …“
3. Versuchen Sie nicht, die Beteiligten in eine Situation zu bringen, in der sie sich lächerlich machen oder lächerlich gemacht werden: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels bohrt sich einen Finger ins Ohr: „Habe ich das richtig gehört? Die machen einfach überhaupt nicht, was Sie sagen? Einfach so? Und obwohl Sie richtig BitteBitte gesagt haben? Ist das nicht
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Sie können den Konflikt verschärfen
total ungezogen? Na, die werde ich ja mal richtig ausschimpfen, wenn ich es nicht vergesse.“
4. Versuchen Sie nicht, den Zeigefinger zu heben und zu moralisieren: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels bekommt einen ganz bedeutungsvollen Gesichtsaus druck: „Wenn man Zuarbeiten haben will, muss man mit gutem Bei spiel vorangehen. Versuchen Sie, mehr Entgegenkommen zu zeigen, dann ist der Weg frei. Fangen Sie bei sich selbst an, das tut allen gut.“
5. Versuchen Sie nicht, Konflikte zu ignorieren: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels greift nach einer Mappe auf seinem Schreibtisch: „Bit te seien Sie so nett und bringen Sie diese Papiere mal zu Egon. Dan ke!“
Schnell wirken Sie unfähig und verständnislos Die folgenden drei Hinweise helfen Ihnen, ein akzeptierter Gesprächspartner zu bleiben. 1. Sie sollten den Konfliktbeteiligten niemals Ratschläge geben oder gar Befehle erteilen: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“
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Wie Sie die Akzeptanz bei den Konfliktparteien verlieren
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Herr Bärenfels hebt den Zeigefinger: „Da hilft nur klare Ansprache des Sachverhalts!“
2. Sie sollten niemals resignieren: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels nimmt seinen Kopf in beide Hände: „Das besprechen Sie besser mit der Geschäftsleitung, auf mich hören die beiden sowie so nicht.“
3. Sie sollten niemals infantile Verhaltensweisen zeigen (regredieren), wie trotzig sein, laut werden, rumbrüllen, schwierige Gespräche wütend abbrechen, die Türen knallen und Ähnliches: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels knallt den Aktenordner auf den Tisch: „Ich will mit die sem Gezänk nichts zu tun haben. Raus!“
Schnell wirken Sie berechnend und unehrlich Die folgenden drei Hinweise helfen Ihnen, vertrauenswürdig zu bleiben. 1. Versuchen Sie nie, den Konflikt für eigene Zwecke zu instrumentalisieren: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“
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Sie können den Konflikt verschärfen
Herr Bärenfels spitzt die Lippen: „Das brauche ich schriftlich von Ih nen. Darauf habe ich nur gewartet. Denen werde ich es jetzt mal rich tig zeigen!“
2. Versuchen Sie nie, die Beteiligten zu beschwichtigen, indem Sie sie wechselseitig beschützen und loben: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels lächelt aufmunternd: „Sie machen eine wirklich gute Arbeit. Ich bin zufrieden mit Ihnen. Und die beiden sind sicherlich ziemlich überlastet, die sind sonst immer sehr um Zuverlässigkeit be müht.“
3. Versuchen Sie nie, den Konflikt zu beenden, indem Sie den Beteiligten mit Sanktionen drohen und gleichzeitig bei Wohlverhalten Vorteile versprechen: Beispiel: Die neue Projektassistentin wendet sich an den Projektleiter Hans Bä renfels: „Thomas und Mike geben mir ihre Zahlen nicht, obwohl ich schon mehrmals nachgefragt habe. Die nehmen mich einfach nicht ernst.“ Herr Bärenfels stellt die Tasse ab: „Wenn Sie das nicht geregelt krie gen, können Sie sich schon mal nach einem neuen Job im Haus um sehen. Aber ich glaube, das schaffen sie. Dann werde ich auch keine Bedenken haben, wenn wir uns zum nächsten Meilenstein bei Ihnen finanziell erkenntlich zeigen.“
Falls Sie nach all diesen Beispielen glauben, es ließe sich rein gar nichts Richtiges tun, können Sie nun wieder Mut schöpfen. Es gibt einen richtigen Weg: Tipp: Sie müssen explizit einen Konflikterledigungsprozess anstoßen.
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Sie können den Konflikt entschärfen
9.1 Warum Sie auf den Konflikttyp achten müssen Die Lösung eines Konflikts entsteht, wenn die Beteiligten verstanden haben, welche Bedürfnisse hinter den gegenseitigen Forderungen und Positionen stehen, und wenn sie bereit sind, sich die Berechtigung dieser Bedürfnisse wechselseitig zuzugestehen. Das fällt ihnen in einer gut geführten Vermittlung nicht schwer, denn Bedürfnisse an sich sind immer positive, verständliche Wünsche. Endet der Konflikt mit der Anerkennung der Bedürfnisse, bleibt nur noch ein Problem. Dieses Problem aber, nun weitgehend frei von Emotionen und nicht mehr an unerfüllbare Forderungen gebunden, lässt sich recht zügig lösen. Doch nicht immer ist die Vermittlung zwischen zwei oder mehreren Streitparteien der richtige Weg zur Konfliktlösung. Vielleicht kennen Sie das: Mit viel Mühe und Aufwand haben Sie einen Konflikt bearbeitet, doch obwohl Sie bedürfnisorientiert vorgegangen sind, gibt es keine Lösung. Wenn das passiert, liegt es wahrscheinlich am falschen Konfliktlösungsweg. Denn wirksam ist nur, was zum Konflikttyp passt. Konflikttypen beschreiben im Unterschied zu den Konfliktausprägungen (wie Wahrnehmungskonflikt, Verteilungskonflikt usw., s. Abschnitt 1.1) nicht das äußere Ziel von Konflikten, sondern ihre innere Struktur. Die Konfliktausprägungen haben für die Art der Konflikterledigung keine Bedeutung. Das Erkennen des richtigen Konflikttyps aber ist entscheidend.
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Sie können den Konflikt entschärfen
Konflikttypen entscheiden über den Lösungsweg Es gibt drei Konflikttypen: • Konflikte zwischen Gruppen (interkulturell), • innere Konflikte (intrapersonal), • Konflikte zwischen Streitparteien (interpersonal). Interkulturell
Intrapersonal
Interpersonal
Streit beteiligte
Unbegrenzt viele Gruppen, mindes tens zwei
Eine Person
Unbegrenzt viele Personen, mindes tens zwei
Konflikt gegenstand
Zuschreibungen ohne konkreten Konfliktgegen stand
Konkreter Kon fliktgegenstand
Konkreter Kon fliktgegenstand
Sichtbares Konfliktziel
Von Abgrenzung bis Vernichtung
Entscheidung treffen
Eigene Forderungen durchsetzen
Lösungs strategie
Kennenlernen ermöglichen und dadurch Vorurteile und Ängste ab bauen
Innere Klarheit schaffen und Entscheidungs fähigkeit wieder herstellen
Bedürfnisse hinter den Forderungen finden und ihre Erfüllung vermit teln
Bevor Sie einen Konflikterledigungsprozess beginnen, prüfen Sie genau, welcher Konflikt vorliegt und welche Strategie (Kennenlernen, innere Klarheit schaffen, bedürfnisorientiert vermitteln) Sie wählen müssen. Wie wichtig das ist, sehen Sie auch im Leben außerhalb der Projekte: Unzählige Paare fahren gemeinsam in einen Beziehungsrettungsurlaub, wenn es zwischen ihnen immer wieder zu Streit kommt. Nachher führt dann der Weg meist direkt zum Scheidungsanwalt. Kein Wunder, denn es wird für solche Paare kaum nötig sein, sich „genauer kennenzulernen“, man kennt sich ja schon und geht sich tagtäglich auf den Geist. Vielmehr wäre die Beseitigung verschiedener, vielleicht auch verborgener Streitpunkte in einem Vermittlungsgespräch nötig gewesen.
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Wie Sie Konflikte zwischen Gruppen lösen
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9.2 Wie Sie Konflikte zwischen Gruppen lösen Die beiden folgenden Beispiele zeigen die Bandbreite möglicher Konflikte zwischen Gruppen: Beispiel 1: „Wir werden mit dem Projektteam aus Hannover zusammengelegt“, erzählt der Leipziger Ingenieur Peter Jahnke seinen Kollegen beim Mittagsmeeting. „Na, das kann ja was werden“, schimpft Albrecht Meißner, „aber das sage ich dir gleich: Ich werde mich von denen nicht bevormunden lassen.“
Beispiel 2: „Wir müssen unsere Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen aus dem Land abziehen“, erklärt der Projektleiter in der Krisensitzung. „Die Kämpfe zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Glaubensrichtungen ha ben an Intensität zugenommen und es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir zwischen die Fronten geraten.“
Unterscheiden Sie Konflikte zwischen Gruppen von solchen zwischen Streitparteien! Konflikte zwischen Parteien haben einen konkreten Konfliktgegenstand als Streitobjekt. Konflikte zwischen Gruppen beruhen auf Zuschreibungen von Eigenschaften, ohne dass es ein konkretes Streitobjekt oder einen realen Konfliktgrund gibt. Der Auslöser von Konflikten zwischen Gruppen ist schubladenhaftes Denken über die Mitglieder der anderen Gruppe, wie beispielsweise: • Die wollen sich einmischen/uns unterdrücken/… • Die haben eine ganz andere Arbeitskultur/sind anders/… • Denen kann man nicht vertrauen/Die sind falsch/… • Die nehmen uns unsere Aufgaben weg/schaden uns/… • Die sind sowieso gegen uns/wollen uns schaden/… • Die sind böse/unkooperativ/unfähig/reformunwillig/… Es ist müßig, in solchen Konflikten eine Vermittlung zu beginnen, denn es gibt gar keinen konkreten Konfliktgegenstand. Alle Forderungen und Kämpfe leiten sich nur aus Zuschreibungen her.
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Sie können den Konflikt entschärfen
Beispiel: Konflikt zwischen Parteien: „Der vor zwei Wochen eingestellte Uni Absolvent hat jetzt zum dritten Mal versucht, mir meine Arbeit zu erklären, und das, nachdem ich 30 Jahre im Beruf bin.“ Konflikt zwischen Gruppen: „Ich kann dir jetzt schon sagen, dass der für morgen erwartete neue UniAbsolvent versuchen wird, mir meine Arbeit zu erklären, obwohl ich schon 30 Jahre im Beruf bin.“
Im ersten Beispiel besteht ein realer Konfliktgegenstand, nämlich die vom älteren Kollegen erlebte konkrete Missachtung seiner Erfahrungen durch den Jüngeren. Im zweiten Beispiel gab es noch kein Zusammentreffen des Älteren mit seinem jüngeren Kollegen, er schreibt ihm aber bereits jetzt zu, dass es zur Missachtung kommen wird. Ähnlich unkonkret und zuschreibungsgesteuert verlaufen die noch viel gefährlicheren – weil für Projektleiter meist völlig unberechenbaren – Konflikte zwischen gesellschaftlichen oder ethnischen Gruppen in Krisengebieten. In solchen Fällen müssen in Kooperation von externen Konfliktfachleuten und Mitgliedern der verfeindeten Gruppen Strategien zur langfristigen Stabilisierung des Projektumfelds erarbeitet werden, was letztlich trotzdem oft genug daran scheitert, dass sich die Gruppen gegen das Projekt zusammenschließen. In projektinternen Gruppenkonflikten und in Gruppenkonflikten zwischen Projekt und projektinteressierten Stakeholdern reicht meist ein ganz einfacher unspektakulärer Kennenlern-Workshop. Tipp: Bei Konflikten zwischen Gruppen müssen Sie das schubladenhafte Den ken der Beteiligten beenden. Der Weg dahin führt über gegenseitiges Kennenlernen. Vermittlung oder Verhaltensregeln sind wirkungslos.
Organisieren Sie einen KennenlernWorkshop Um Kennenlernen zu erreichen, brauchen Sie keinen großen Teambildungsprozess. Die Beschäftigung mit Teamrollenmodellen (vgl. Abschnitt 13.1) kann Ihnen vielleicht das Verständnis für die aktuel-
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Wie Sie Konflikte zwischen Gruppen lösen
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le Situation erschließen, bietet aber keine Lösung. Suchen Sie sich stattdessen einen guten gruppenerfahrenen und systemisch arbeitenden Mediator, der einen Kennenlern-Workshop durchführt. Tipp: Sorgen Sie dafür, dass alle (!) relevanten Personen am Workshop teil nehmen. Oft versuchen gerade die Anführer der Gruppen, den Kennen lernprozess durch Fernbleiben zu behindern, weil die zukünftige Koope ration ihre Position als „Kampfleiter“ schwächen würde.
Je nach Größe der Teams sollten Sie für das Kennenlernen einen Zeitumfang von sechs Stunden bis zu zwei Tagen planen. Informieren Sie den ausgewählten Berater gründlich über die bisherigen Gruppengeschichten, über Ihre Ziele und über die aktuellen Probleme zwischen den und innerhalb der Gruppen. Ein guter Berater wird mit Methoden arbeiten, die Ihren Mitarbeitern vielleicht anfangs komisch vorkommen. Möglicherweise verlangt er, dass sie sich gegenseitig als Tiere vorstellen und deren Eigenschaften beschreiben. Oder er fordert dazu auf, Bilder von Häusern zu malen. Ziel dieser Methoden ist es, die Emotionen und damit die für den Konflikt entscheidenden Bedürfnisse der Beteiligten zu erreichen, ohne dass diese Bedürfnisse in großer Runde in Worte gefasst werden müssen. Es erfordert ein bisschen Mut, das Kennenlernen von Teams, Abteilungen oder Kunden und Auftragnehmern in dieser Weise zu organisieren. Vor allem fordert es Ihren Mut als Führungskraft, aber es ist unvergleichlich wirkungsvoll. Wenn es nicht ganz so gründlich sein soll, können Sie sich auch auf Kegelabende beschränken oder einen Ausflug auf See planen. Bedenken Sie aber, dass solche Events nichts mit den realen Arbeitssituationen der Beteiligten zu tun haben und dass echtes gegenseitiges Kennenlernen dabei nur zufällig passiert.
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Sie können den Konflikt entschärfen
9.3 Wie Sie innere Konflikte lösen Beispiel: Peter Jahnke ist Entwicklungschef im neuen DetroitTeam. Seine Ar beit fordert ihn, auch wegen der Zeitverschiebung, fast rund um die Uhr. Am liebsten würde er seinem Chef mal klar sagen, dass der die Aufgaben schlecht organisiert. Aber vermutlich würde der Chef ihn dann um Vorschläge bitten, und die vorzubereiten würde wieder eine Menge Zeit kosten. Also sollte er vielleicht doch lieber seinen Mund halten. Andererseits: Es müsste wirklich mal was passieren. Peter Jahnke ist in einem inneren Konflikt darüber, ob er mit seinem Chef sprechen oder ob er lieber alles weiter wie bisher laufen lassen sollte.
Innere Konflikte können Sie selbst betreffen oder einen Ihrer Mitarbeiter. Sie entstehen, wenn der betroffenen Person zu viele widersprüchliche und unüberschaubare Gedanken, Erwartungen und Befürchtungen durch den Kopf gehen. Die Person ist dann nicht mehr entscheidungsfähig. Solche Entscheidungsunfähigkeit gefährdet den Projekterfolg, weil die Betroffenen und die mit ihnen Zusammenarbeitenden nicht mehr effizient handlungsfähig sind. Entscheidungen werden blockiert, weil die Person im inneren Konflikt • keine Klarheit über die Folgen anstehender Fach-, Organisations- oder Personalentscheidungen bekommt oder • unter mehreren Handlungsoptionen das zielführende Verhalten nicht erkennen kann oder • die Priorität ihrer Bedürfnisse bezogen auf die eigene Lebensgestaltung (Arbeit, Freizeit, Familie) nicht festzulegen vermag und deshalb keine Entscheidungsgrundlage hat. Wenn Sie innere Konflikte auflösen wollen, müssen Sie deshalb dafür sorgen, dass die vielen widerstrebenden und unüberschaubaren Gedanken im Kopf des betroffenen Mitarbeiters (oder in Ihrem eigenen Kopf) sortiert werden. Ist das geschehen, gibt es eine Ent-
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Wie Sie innere Konflikte lösen
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scheidungsgrundlage, es kann entschieden und wieder gehandelt werden.
Kümmern Sie sich selbst darum Wenn Sie sich selbst um die Lösung eines eigenen inneren Konflikts kümmern wollen, wählen Sie Entscheidungstechniken aus, in deren Anwendung Sie bereits geübt sind. Denn die eigenständige Lösung innerer Konflikte erfordert viel Selbstdisziplin und eine hohe Reflexionsfähigkeit. Je emotionaler das Thema für Sie ist und je mehr Sie sich mit methodischen Fragen beschäftigen müssen, desto geringer sind Ihre Erfolgschancen. Gleiches gilt, wenn Sie einem Ihrer Mitarbeiter eine Technik empfehlen wollen, mit der er seine Gedanken sortieren kann. Greifen Sie auf Altbekanntes zurück und arbeiten Sie damit. Tipp: Probieren Sie in konfliktfreien Zeiten neue Entscheidungs und Klä rungstechniken aus, damit Sie sie später im Bedarfsfall erfolgreich ein setzen können.
Für die Lösung von inneren Konflikten zu Fach-, Organisationsund Personalfragen eignet sich die „mehrdimensionale Entscheidungsmatrix“, die Sie so oder ähnlich aus Ihrer Projektarbeit kennen und die hier an einem vereinfachten Beispiel dargestellt ist. Regeln: • Es müssen alle relevanten Parameter eingetragen werden. • Die maximale Wert (W)-Summe ist 100. Kein einzelner Parameter darf 100 Punkte haben, denn dann wäre dieser Parameter der allein ausschlaggebende Aspekt für die Beantwortung der Ausgangsfrage. • N kann die Schulnoten von 1 bis 6 annehmen. Beispiel: Konflikthafte Fragestellung: Wo sollte das Projektsteuerungsbüro an gesiedelt sein?
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Sie können den Konflikt entschärfen
Optionen:
Rostock
Seoul
Rostock + Seoul
W
N
N
W*N
N
W*N
Nähe Fertigung
5
6
30
1
5
1
5
Nähe Zentrale
5
1
5
6
30
1
5
Kosten
30
1
30
4
120
6
180
Mitarbeiter zufriedenheit
20
1
20
5
100
3
60
Kunden betreuung
10
4
40
1
10
1
10
Interne Kommu nikation
10
1
10
3
30
4
40
Projekt überwachung
20
5
100
1
20
1
20
Summen:
100
Parameter
W*N
235
315
320
Gewonnen hat Option Rostock mit der niedrigsten Summe.
Für die Lösung von inneren Konflikten, bei denen es um die Auswahl zielführenden Verhaltens und um Prioritäten der eigenen Lebensgestaltung (Rollenkonflikte) geht, sollten Sie sich Unterstützung suchen (oder Ihren Mitarbeitern Unterstützung empfehlen).
Suchen Sie sich Unterstützung Falls Sie bei sich oder bei einem Ihrer Mitarbeiter merken, dass es alleine nicht zur Lösung des inneren Konflikts kommt, zögern Sie nicht, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Auch wenn das vielleicht nicht alle Ihre Kollegen so sehen: Letztlich ist es ein Zeichen von Kompetenz, die eigenen Grenzen zu erkennen und dafür zu sorgen, dass das Projekt trotz dieser Grenzen erfolgreich verläuft. Versuchen Sie, sich für die richtige Form externer Unterstützung zu entscheiden. Das ist nicht ganz einfach. Denn im allgemeinen
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Wie Sie innere Konflikte lösen
9
Sprachgebrauch werden die verschiedenen Formen der Unterstützung nicht immer trennscharf gebraucht. Für die Lösung innerer Konflikte eignen sich folgende Verfahren: • Intervision: das strukturierte Herausarbeiten von Ursachen für Schwierigkeiten mit einer festen Gruppe von Kollegen, die bei regelmäßigen Treffen Probleme und innere Konflikte ihrer Mitglieder gemeinsam berät. • Kollegiale Beratung: die strukturierte Suche nach Handlungsoptionen in schwierigen Situationen mit einer festen Gruppe von Kollegen, die bei regelmäßigen Treffen Probleme und innere Konflikte ihrer Mitglieder gemeinsam berät. • Supervision: das Herausarbeiten von Ursachen für Schwierigkeiten oder innere Konflikte unter Anleitung eines professionellen Beraters (in der Regel*) im Einzelgespräch. • Systemische Beratung: das Suchen, Vergleichen und Bewerten von Handlungsoptionen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Ziele, Stakeholder und die eigene Bedürfnisbefriedigung unter Anleitung eines professionellen Beraters (in der Regel*) im Einzelgespräch. * Bezogen auf die Lösung innerer Konflikte handelt es sich normalerweise um Einzelgespräche. Supervision und systemische Beratung sind ansonsten auch mit Kliententeams möglich. Mit den beschriebenen Verfahren gelingt Ihnen (oder Ihrem betroffenen Mitarbeiter) das Sortieren von Gedanken und Einflüssen, sodass Sie wieder entscheidungsfähig werden. Nun können Sie den richtigen Handlungsweg auswählen. Etwas anderes ist Coaching: Coaching dient dazu, den Klienten auf einem bereits festgelegten Weg unterstützend zu begleiten, damit er sicher ans gewünschte Ziel kommt. Nebenbei: Die Arten der Beratung Es gibt drei Grundausrichtungen von Beratung:
• Psychodynamisch/tiefenpsychologisch („psychoanalytisch“) orien tierte Beratung fragt nach dem Warum für das Handeln einer Per son und hat das Ziel, die Persönlichkeit des Klienten zu verändern, ihn von inneren Bindungen und Störungen zu befreien.
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9
Sie können den Konflikt entschärfen
• Verhaltenstherapeutisch und trainingsorientierte Beratung fragt nach dem Was (Was macht der Klient?) und hat das Ziel, das Ver halten einer Person zu verändern, es an ein gesellschaftlich oder betrieblich adäquates Verhalten anzupassen. • Systemisch orientierte Beratung fragt: „Mit wem?“ und hat das Ziel, die Beziehungen und inneren Wahrheiten des Klienten zu fle xibilisieren, sodass er seine Interaktion mit sich selbst und mit an deren funktionaler gestalten kann. Für die Lösung innerer Konflikte sind systemisch orientierte Ansätze zweckmäßig, weil sie die Wirkung des Projektumfelds und der Stake holder auf die Lösungsentwicklung besonders intensiv bearbeiten.
9.4 Wie Sie Konflikte zwischen Parteien lösen An einem Konflikt zwischen Parteien sind oft zwei, manchmal aber auch sehr viele Menschen direkt beteiligt. Beispiel: Peter Jahnke und sein Assistent sind aufgebracht: „Wir haben euch gesagt, dass über Weihnachten alle Mann gebraucht werden, damit wir den Termin halten können. Aber vieren von euch fällt ein, beim Chef Urlaub zu beantragen!“, fauchen sie ihre Mitarbeiter an. Alfred Kolber lehnt sich betont lässig zurück: „Vielleicht sollten wir das Ge spräch im Betriebsratsbüro fortsetzen, Peter?“
Auch wenn hier auf beiden Seiten mehrere Personen miteinander streiten, so handelt es sich doch ganz klar um einen Konflikt zwischen Parteien (und nicht etwa um einen Konflikt zwischen Gruppen), denn es gibt mit dem Urlaub einen konkreten Streitgegenstand. Sie haben verschiedene Möglichkeiten, einen Konflikt zwischen Parteien zu erledigen: • Machtgeleitete Konflikterledigung • Regelbezogene Konflikterledigung • Bedürfnisorientierte Konflikterledigung
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Wie Sie Konflikte zwischen Parteien lösen
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Alle drei Wege haben Vor- und Nachteile.
Machtgeleitete Konflikterledigung Wenn Sie Ihre Macht einsetzen, können Sie einen Konflikt schnell und in einer von Ihnen bestimmten Weise beenden, vorausgesetzt Ihnen steht die nötige Macht zur Verfügung. In der Regel werden Sie sich diese Macht bei den Vorgesetzten Ihrer Teammitglieder „leihen“ müssen. Problematisch bei dieser machtgeleiteten Form der Konflikterledigung ist, dass das Konfliktpotenzial – nämlich die erlebten oder befürchteten Bedürfnisverletzungen – nicht beseitigt wird. Wenn Sie Macht einsetzen, verändern Sie dadurch also nur die aktuelle Konfliktausprägung, beenden aber nicht den Konflikt. Der taucht an anderer Stelle in neuer Form wieder auf.
Ein Machtwort beendet den Konflikt nur scheinbar
Beispiel: Weil Projektmitarbeiterin Petra Schmidt sich weigert, die Abrech nungsbelege in einer neuen, aufwendigeren Form einzureichen, droht ihr Bernd Lohmann mit dem Rauswurf aus dem Projekt. Sie hält sich jetzt an die „unsinnige Anweisung“. Als Projektleiter Lohmann aber kurze Zeit später aus privaten Gründen mehrere Male zu spät in eine Beratung kommt, meldet sie das der Geschäftsleitung.
Achtung: Nach machtgeleiteter Konflikterledigung kommt es oft zu einer Ver schiebung der Konfliktausprägung, das heißt, der Konflikt wird an an derer Stelle in einer neuen Form wieder sichtbar.
Gleichwohl gibt es Situationen, da müssen Sie Konflikte mit Macht unterbrechen. Das ist immer dann der Fall, wenn akute Gefahr für Menschen oder Dinge besteht. Ein Beispiel dafür ist Mobbing. Wenn Sie aus solchem Grund Macht einsetzen müssen, nennen Sie (auf Nachfrage) die Gründe für Ihre Entscheidung, aber diskutieren Sie nicht darüber. Verweisen Sie stattdessen auf einen nicht zu weit entfernt liegenden späteren Termin, an dem über die Situation ge-
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Sie können den Konflikt entschärfen
sprochen und der Konflikt nachträglich möglichst doch noch kooperativ gelöst werden kann. Im weiten Sinne zur Konflikterledigung durch Macht gehören auch: • Vermeiden der Konflikteskalation aus Liebe [eher selten im Projekt], weil die eigene Bedürfnisbefriedigung aus Liebe zum Konfliktgegner (vorläufig) zurückgestellt wird (personale Macht) • Verhandlungsorientierte Mediation („Harvard-Konzept“), weil nur vorhandene (von den Beteiligten eingebrachte) materielle Besitztümer und materiell darstellbare Leistungen in den interessengeleiteten gegenseitigen Ausgleich einbezogen werden (materielle Macht) • Verweigerung des Konflikts, weil sich das nur leisten kann, wer den Konfliktgegner zur Hinnahme dieser Verweigerung zwingen kann (strukturelle Macht) • Verhindern der Konflikteskalation durch informellen Druck auf den Konfliktgegner (mittels Erinnerung an alte Verpflichtungen, mit Androhung von Stimmungsmache, durch ständige Kontaktaufnahme), weil so Stillhalten erzwungen wird (indoktrinelle Macht) Eine besondere Form des Machteinsatzes ist die Verschärfung des Konflikts auf eine für den Gegner wirklich existenzbedrohende Ebene. Dabei wird der aktuelle Konflikt nicht erledigt, sondern die Eskalation nur unterbrochen, weil die Konsequenzen bei Fortführung zu unerträglich sind. Genaugenommen wenden Sie diese Form der Konfliktbehandlung gezielt an, wenn Sie mit Ihrer strukturellen Macht die Eskalation unterbrechen, um anschließend an einer bedürfnisorientierten Konfliktlösung zu arbeiten. Checkliste: Machteinsatz ist notwendig, wenn … … akute Gefahr für Menschen besteht (z. B. Mobbing). … akute Gefahr für Dinge besteht. … nur so ein vorläufiger Eskalationsstopp gelingt.
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Wie Sie Konflikte zwischen Parteien lösen
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Regelbezogene Konflikterledigung Manche Konflikte erledigen sich, wenn den Beteiligten klar wird, dass es für ihr Problem bereits Regeln gibt. Unbefriedigend bleibt dabei, dass der Streit zwischen den ursprünglich Beteiligten zwar erledigt ist, aber nun stattdessen oft zwischen einem der Beteiligten und dem Regelgeber ausbricht.
Der Verweis auf Regeln kann helfen
Beispiel (Variante): Bernd Lohmann zeigt Petra Schmidt die vom Leiter der Buchhaltung erstellte neue Regelung zur Projektabrechnung. „Na, dem werde ich was erzählen!“, sagt sie und geht eine Tür weiter.
Achtung: Bei regelbezogener Konflikterledigung kommt es oft zu einer Verschie bung der Konfliktparteien, das heißt, der gleiche Streit wird mit ande ren Personen ausgetragen.
Regelbezogene Konflikterledigung kann aber auch zur dauerhaften Lösung beitragen, wenn die Regel als „gute Regel“ von den Beteiligten akzeptiert wird. Im weiten Sinne zur Konflikterledigung durch Regeln gehören auch: • Vertragliche Regelungen, weil damit umfassende Vereinbarungen zum Umgang mit vorab konkret bedachten Problemen bereits getroffen sind (individuelle Regeln) • Verfahren vor Gericht oder Schiedsverfahren, weil damit auf verschiedene Situationen übertragbare, allgemein gehaltene Anleitungen (Gesetze, Präzedenzfälle) zum Umgang mit Problemen vorliegen, die auch bei inhaltlicher Ablehnung strukturellen Zwangscharakter haben (allgemeingültige Regeln) • Verweis auf ethische und religiöse Normen, weil damit Handlungsanweisungen vorliegen, die inhaltlich nicht diskutierbar sind, sofern die Beteiligten dem ethischen oder religiösen Konzept folgen (übergeordnete Regeln)
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Sie können den Konflikt entschärfen
Checkliste: Der Verweis auf Regeln hilft, wenn … … die Regel als gut akzeptiert ist. … die Regel als begründet akzeptiert ist. … die Regel als unveränderlich akzeptiert ist.
Bedürfnisorientierte Konflikterledigung Echte Konflikt lösung berück sichtigt Bedürf nisse
Bedürfnisorientierte Konflikterledigung funktioniert, weil Bedürfnisse selbst immer positiv sind und deshalb von allen Beteiligten auch wechselseitig akzeptiert werden können. Niemand wird ernsthaft auf die Idee kommen, dem anderen das grundsätzliche Recht auf ausreichende Ernährung, Gesundheit, sinnvolles Leben usw. abzusprechen. Nur die mit den Bedürfnissen unnötigerweise „zwanghaft“ verbundenen Forderungen werden natürlich zurückgewiesen und verhindern anfangs eine Beseitigung des Problems. Beispiel (Variante): Bernd Lohmann hat dieses Buch gelesen und reagiert bedürfnisorien tiert: „Du willst nicht, dass ich dir reinrede, und bist sauer, weil zu der vielen Arbeit, die du schon in das Projekt steckst, jetzt noch mehr da zukommt.“ „Genau!“, bestätigt Petra Schmidt. Bernd Lohmann ant wortet: „Ich sehe, dass du nicht immer mehr Arbeit am Hals haben willst. Für mich ist das Problem, dass ich bei der nächsten Steuerprü fung nicht dumm dastehen will. Dann muss ich mir nachher eine neue Stelle suchen.“ „Das kann ich nachvollziehen“, akzeptiert die Projekt leiterin, „aber gibt es nicht irgendeine vernünftige Möglichkeit, wie wir beide mit der Situation klarkommen?“ „Wir könnten vielleicht …“
Achtung: Bei bedürfnisorientierter Konflikterledigung wird der Streit kooperativ gelöst, also wirklich aus der Welt geschafft. Das wirkt motivations und leistungserhaltend. Es schafft Verbundenheit und gegenseitiges Ver trauen unter den ehemaligen Konfliktparteien und stärkt damit die Zu sammenarbeit, die Kreativität und die Krisenbewältigungsfähigkeit im Team.
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Welche Voraussetzungen Sie schaffen müssen
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Checkliste: Bedürfnisorientierung ist nötig, wenn Sie … … eine dauerhafte Konfliktlösung wollen. … eine weitere Zusammenarbeit wollen. … Motivation und Teamstärke wollen.
9.5 Welche Voraussetzungen Sie schaffen müssen Dass der Streit um den Weihnachtsurlaub aus dem Beispiel am Beginn des vorherigen Abschnitts nur die Forderung an der Oberfläche ist und dass auf beiden Seiten Bedürfnisse hinter den Forderungen stehen, wissen Sie schon. Um diese Bedürfnisse herauszuarbeiten, brauchen Sie Zeit und Raum für ein ausführliches Vermittlungsgespräch. In diesem Gespräch werden die Beteiligten ihre Bedürfnisse gegenseitig anerkennen. Anschließend entwickeln sie passende Möglichkeiten zur Beseitigung des ursprünglichen Problems. Checkliste: Voraussetzungen für Vermittlungsgespräche Ausreichend Zeit: Vermittlungsgespräche müssen oft mehrfach wiederholt werden, bis die Vermittlung vollstän dig durchgeführt und der Konflikt gelöst ist. Ausreichend großes Zeitfenster: Vermittlungsgespräche sollten nicht wegen eines Termins gerade im unpassenden Moment abgebrochen werden müssen. Passender Ort: Die Atmosphäre der Umgebung wirkt auf die Parteien und fördert oder behindert ihre Lösungsbe reitschaft. Der Vermittlungsraum sollte sich vom Ort des Streits unterscheiden. Er sollte auch nicht einer der beiden Parteien zugeordnet sein.
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Sie können den Konflikt entschärfen
Angemessene finanzielle Mittel: Konflikte kosten Geld. Im angemessenen Verhältnis zur Höhe des Schadens bei wei terer Eskalation sollte Geld für die Lösung des Konflikts bereitgestellt werden. Dabei müssen neben eventuellen Honoraren für externe Vermittler auch der Arbeitszeitver lust und die sonstigen Nebenkosten (Raum, Reise, …) be rücksichtigt werden.
9.6 Warum Sie (fast) immer selbst vermitteln sollten Wenn Sie das Vermittlungsgespräch selbst führen, stärkt das die Konfliktkultur in Ihrem Projekt und es spart Geld. Wann immer es möglich ist und wann immer Sie es sich zutrauen, sollten Sie deshalb die Konfliktvermittlung selbst in die Hand nehmen.
Vermitteln Sie selbst – aber nicht in jedem Fall! Es kann aber in Ihrer konkreten Situation auch gute Gründe geben, das Gespräch nicht selbst zu führen, sondern einen externen Mediator zu beauftragen. Denn es nützt weder den Beteiligten noch Ihrem Projekt, wenn Sie im Gespräch Ihre souveräne Rolle als Gesprächsleiter und Vermittler verlieren, weil Sie plötzlich zu sehr mit eigenen Zielen oder Erlebnissen beschäftigt sind. Klären Sie die folgenden vier Fragen: 1. Bin ich in irgendeiner Weise am Konflikt beteiligt? 2. Habe ich Nutzen oder Schaden von einem bestimmten Ausgang des Konflikts? Bin ich Begünstigter oder Beschädigter im Falle dieses oder jenes Ergebnisses? 3. Erinnert mich der Konflikt an eigene Erlebnisse, die mich noch immer beschäftigen oder mich sehr stark beschäftigt haben? 4. Erinnern mich die Beteiligten an Menschen, mit denen ich schlechte Erfahrungen gemacht habe, oder kann ich aus einem anderen Grund nicht allen gegenüber in gleicher Weise zugewandt sein?
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Warum Sie (fast) immer selbst vermitteln sollten
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1. Bin ich in irgendeiner Weise am Konflikt beteiligt? Beispiel: Ihrer Anweisung zufolge soll die Abrechnung von Tankbelegen mit einer Angabe über das Reiseziel verbunden werden. Zwischen einer Projektmitarbeiterin und einer Angestellten in der Buchhaltung ist es wegen fehlender Angaben zu einem Streit gekommen.
Sie sind an diesem Konflikt beteiligt, da die Anweisung von Ihnen ausgeht, die Buchhalterin also nur stellvertretend für Sie streitet. Sie haben eigene Interessen und sollten deshalb in diesem Konflikt nicht vermitteln. 2. Habe ich Nutzen oder Schaden von einem bestimmten Ausgang des Konflikts? Bin ich Begünstigter oder Beschädigter im Falle dieses oder jenes Ergebnisses? Beispiel: Fritz Köfel hat Streit mit dem Chef. Er wollte eigentlich Ihre Stelle haben, ist dann aber doch nur Zweiter geworden.
Sie sind je nach Ausgang dieses Konflikts Begünstigter oder Beschädigter. Entweder behalten Sie Ihre Stelle oder Sie verlieren sie an Ihren Stellvertreter. Deshalb sollten Sie in diesem Konflikt nicht vermitteln. Diese Form der Beteiligung als Begünstigter oder Beschädigter kann auch indirekter sein: Wenn sich zwei Mitglieder Ihres Teams über Arbeitszeiten streiten, neigen Sie innerlich automatisch dem zu, der für mehr Arbeit eintritt, weil das Ihr Projekt und damit Ihren Erfolg als Projektleiter fördert.
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Sie können den Konflikt entschärfen
3. Erinnert mich der Konflikt an eigene Erlebnisse, die mich noch immer beschäftigen oder die mich seinerzeit sehr stark beschäftigt haben? Beispiel: Vor einigen Jahren arbeiteten Sie als Projektleiter in Kairo. Der dortige Bürochef hat Sie wiederholt vor Geschäftspartnern zur Schnecke ge macht, weil Ihre Arabischkenntnisse unbefriedigend waren. Jetzt wendet sich eine ältere Mitarbeiterin an Sie, die von einem Vorfall beim letzten Meeting in London berichtete. Dort hatte man entgegen ihrer Bitte auf einen Übersetzer verzichtet, „weil man ja heutzutage wohl ordentlich Englisch kann“.
Wenn Ihnen bei diesem Bericht sofort wieder Erinnerungen an Kairo kommen, sollten Sie nicht selbst in diesem Konflikt vermitteln. Sie würden viel zu sehr in Ihrem „eigenen Film schwimmen“. 4. Erinnern mich die Beteiligten an Menschen, mit denen ich schlechte Erfahrungen gemacht habe oder kann ich aus einem anderen Grund nicht allparteilich (= für beide in gleicher Weise) sein? Beispiel: Karin Falcke klagt und klagt und klagt. Sie hat schon recht, wie Alfred Böckler mit ihr umgeht, ist unanständig. Aber dieses Gejammer geht Ihnen auf die Nerven. Genau wie seinerzeit Ihre Schwiegermutter, die hat es damals geschafft, mit dem Gejammer die ganze Familie zu be schäftigen.
Sie sollten in diesem Konflikt nicht vermitteln, da Sie innerlich viel zu wütend über das Gejammer von Karin Falcke sind. Auch hier sind Sie zu sehr in Ihrem „eigenen Film“. Tipp: Haben Sie eine der vier Fragen mit Ja beantwortet, sollten Sie sich die Konfliktklärung nicht selbst zumuten.
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Wie Konfliktvermittlung abläuft
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Denn abgesehen von dem Ungemach für sich selbst wird Ihnen vermutlich auch deshalb keine gute Lösung gelingen, weil die Beteiligten nicht genug Vertrauen zu Ihnen haben oder weil Sie nicht offen für Lösungen sein können, die von den Beteiligten selbst entwickelt werden. Checkliste: Holen Sie sich externe Unterstützung, wenn … … Sie am Konflikt selbst (indirekt) beteiligt sind. … Sie eigene Interessen im Konflikt haben. … Sie in Ihren „eigenen Film“ geraten könnten. … Sie nicht mit allen Beteiligten „gut können“.
9.7 Wie Konfliktvermittlung abläuft Wenn Sie selbst in den Konflikt verwickelt sind oder das Vermittlungsgespräch aus anderen Gründen nicht selbst führen möchten, holen Sie sich Unterstützung durch einen Mediator. Suchen Sie sich jemanden, der genau wie Sie weiß, dass die Bedürfnisse grundlegend für den Konflikt sind. Prüfen Sie diese innere Einstellung des Vermittlers in einem Vorgespräch und sorgen Sie dafür, dass nicht auf der Ebene von Forderungen um einen faulen Kompromiss gerungen wird. Mediatoren, die bedürfnisorientiert arbeiten, bezeichnen ihr Vorgehen meist als transformative Mediation (im Unterschied zur verhandlungsorientierten Mediation, dem „Harvard-Konzept“, bei dem es im Wesentlichen um die nachhaltige – und deshalb kooperative – Durchsetzung der eigenen Interessen geht). Transformative Mediation bedeutet, dass die ursprüngliche Forderung auf dem Weg über das Erkennen und Akzeptieren der Bedürfnisse in eine Lösung transformiert wird, die die Beteiligten aus eigener, neu gewonnener Stärke selbst entwickeln. Diese Stärke kommt aus der Befreiung von Energie und Kraft, die bisher im Konflikt gebunden war.
Transformative Mediation
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Sie können den Konflikt entschärfen
Verstehen Sie Mediation Ein Mediationsgespräch kann sich über eine oder mehrere Sitzungen erstrecken, vorab lässt sich zum Zeitbedarf keine seriöse Aussage machen. Ein betrieblicher Konflikt, der zur Klärung mehr als vier Sitzungen à 90 Minuten braucht, sollte aber selten vorkommen. Auch eintägige Mediationen sind möglich, empfehlenswert ist aber ein Prozess mit mindestens ein bis zwei Tagen Unterbrechung zwischen dem Sprechen über die Bedürfnisse und dem Erarbeiten von Möglichkeiten zur Problembeseitigung. Mediation ist ein geregeltes Verfahren und hat folgende Phasen mit jeweils zugeordneten Inhalten: 1. Trennen (der streitenden Parteien) durch Vermittler: Stopp der Eskalation, Klärung von Streitgegenstand und Zielen, Verfahrensfragen 2. Reden nur mit Vermittler: Forderungen, Positionen, Interessen darstellen, Konfliktverlauf beschreiben, Informationen beschaffen 3. Reden via Vermittler: Verletzungen, Wünsche, Ziele, Bedürfnisse verstehen und akzeptieren, Konfliktlösung 4. Reden in Begleitung durch Vermittler: Problembeseitigung, rechtliche Prüfung 5. Handeln ohne Vermittler: Ergebnis fest vereinbaren und umsetzen, ggf. Probezeit Wenn Ihnen das alles recht zeitaufwendig vorkommt, lesen Sie bitte das folgende Erlebnis eines Kollegen: Erlebnisbericht: „Das ist mir zu viel Aufwand mit diesen ganzen Stunden Mediation“, erklärt der Personalleiter eines mittelständischen Unternehmens ei nem Mediator nach dessen Seminarvorstellung. „Ich löse die Konflikte hier in unserem Haus innerhalb von zehn Minuten. Das reicht!“ – „Toll!“, sagte der Mediator. „Wie machen Sie das?“ – „Ganz einfach: Ich gehe jeden Tag zehn Minuten rüber und kläre, was nun schon wieder zwischen den beiden Projektleitern los ist.“
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Wie Konfliktvermittlung abläuft
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Der Personalleiter nahm schließlich doch an einer Mediationsweiter bildung teil. Als er den Mediator später wiedertraf, erzählte er ihm: „Ich habe nach dem Kurs bei Ihnen mal drei Stunden mit den beiden Projekleitern geredet. Das war vor zwei Jahren. Seitdem musste ich noch kein einziges Mal wieder rübergehen.“
Vermitteln Sie mit den gleichen Schritten Obwohl Sie es nicht wirklich in der Hand haben, dass Konfliktparteien Sie als Vermittler annehmen, können Sie durch eigene innere Klarheit über den notwendigen Konflikterledigungsprozess doch zu dieser Akzeptanz beitragen. Wenn dann die Streitenden auch noch darauf vertrauen, dass Sie ehrlich um ihr Wohlergehen besorgt sind, werden sie bereit sein, den Kampf und damit die weitere Eskalation zumindest vorübergehend einzustellen und sich mit Ihnen auf ein Vermittlungsgespräch einzulassen. Die in der folgenden Übersicht dargestellten und in den weiteren Kapiteln erläuterten fünf Schritte folgen im Wesentlichen dem Ablauf einer geregelten Mediation. Checkliste: Konfliktlösung in fünf Schritten 1. Unterbrechen Sie die Eskalation. 2. Wenden Sie sich allparteilich den Parteien zu. 3. Lassen Sie die Luft aus dem Streit. 4. Konzentrieren Sie sich auf die Bedürfnisse. 5. Geben Sie die Ergebnisverantwortung zurück.
Wenn Sie die Streitenden auf diesem Weg durch den Konflikt hindurch und zur Lösung leiten, kann wieder effektiv und effizient für das Projekt gearbeitet werden. Schon einige Stunden intensiver Kommunikation können Sie aus der drohenden Projektkrise führen. Und das spart Ihnen viel Geld, Zeit und Qualitätsverlust.
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Führen Sie das Vermittlungs gespräch
Unterbrechen Sie die Eskalation
Um es ganz klar zu sagen: Sobald Sie einen Konflikt erkannt und ihn als projektrelevant bewertet haben, müssen Sie mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Fortsetzung der Eskalation unterbinden. Jede weitere Eskalationsstufe macht Ihren Projekterfolg unwahrscheinlicher. Setzen Sie bei Bedarf alle Macht ein, die Sie haben. Besser noch ist es, einen freiwilligen Eskalationsstopp zu erreichen. Sie erhöhen die Chance darauf, wenn Sie die Unterbrechung zugleich mit einem Termin für die Konfliktklärung verbinden und damit den Beteiligten einen Ausweg aus der Eskalation eröffnen. Nutzen Sie die „Gefrierschrankmethode“. Verwenden Sie Worte wie im folgenden Beispiel: Beispiel: „Euer Streit wird jetzt hier eingefroren und in den Gefrierschrank ge legt. Jetzt machen wir die Gefrierschranktür zu und morgen treffen wir uns, um über einen Lösungsweg zu beraten. Ihr werdet euch bis morgen aller Handlungen enthalten, die den Streit verschärfen oder reduzieren. Der Konflikt ist bis morgen eingefroren, und das sage ich nur einmal!“
Sie können sich dieses Unterbrechen einfacher machen, wenn Sie schon zu Beginn der Zusammenarbeit im Projektteam dieses „Einfrieren auf Befehl“ als Regel festlegen, mit der eine Konflikterledigung beginnt. Sie können auch vereinbaren, dass jeder im Team bei Ihnen ein solches Einfrieren „beantragen“ darf.
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Wenden Sie sich allparteilich den Streitenden zu
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Tipp: Setzen Sie kurzfristig einen Termin zur Konflikterledigung an, um einen bereitwilligen Eskalationsstopp zu erreichen.
Übrigens: Es ist ein psychologischer Trick, wenn Sie in der „Frostphase“ nicht nur die Eskalation, sondern auch die Deeskalation verbieten. Weil Sie mit Verboten Widerstand erzeugen, entsteht in den Streitenden auch ein Widerstand gegen diese Anweisung. Dadurch kommen den Beteiligten ganz von selbst gute Gründe für eine Deeskalation des Konflikts in den Sinn – eine erste Hilfe für Ihr Vermittlungsgespräch am nächsten Tag.
Während der „Frostphase“ Deeskalation verbieten
Checkliste: Unterbrechen Sie die Eskalation! Verlangen Sie das Einfrieren des Konflikts bis zum Ver mittlungsgespräch (Gefrierschrankmethode): • Verbieten Sie weitere Eskalation. • Verbieten Sie Deeskalation. Terminieren Sie das Vermittlungsgespräch. Sorgen Sie für die Einhaltung der „Frostphase“.
10.2
Wenden Sie sich allparteilich den Streitenden zu
Ihre Allparteilichkeit ist wichtig, damit Sie als Vermittler akzeptiert werden und die Beteiligten zu guten Lösungen führen können. Allparteilich bedeutet: „für alle sein“, im Unterschied zu „neutral“, was bedeutet: „für keinen sein“. Doch allparteilich zu bleiben ist gar nicht immer so einfach. Denn manchmal kann man über Menschen und ihre Forderungen wirklich nur noch den Kopf schütteln. Was sie wollen, erscheint einem unangemessen, unverschämt oder „völlig daneben“. Solche Gedanken sind eine Falle für Vermittler.
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Beispiel: Die Kernarbeitszeit wurde um drei Stunden nach hinten verlegt, um eine bessere Abstimmung mit Bogota zu ermöglichen. Karin Lämmel schimpft in der ganzen Firma auf den „unfähigen“ Personalleiter, der ein „Workaholic“ sei, „familienfeindlich“ und „herzlos“. Als sie deshalb eine Abmahnung bekommt, wendet sie sich an den Betriebsrat und es kommt zu einem Vermittlungsgespräch.
Unzweifelhaft beschimpft man nicht seinen Personalleiter, zumindest nicht so, dass er es mitbekommt. Doch was steckt hinter den Beschimpfungen? Wenn Sie der Parteilichkeitsfalle entkommen wollen, müssen Sie sich fragen, von welchen Beweggründen die „unmögliche Person“ getrieben wird. Natürlich ändert das nichts am unpassenden Verhalten. Das soll auch auf keinen Fall beschönigt werden. Aber diese Suche nach den Beweggründen hilft Ihnen, dem Verhalten eine andere Bedeutung zu geben: • Vielleicht hat Frau Lämmel Angst, nicht genug Zeit für ihre Kinder zu haben. • Vielleicht macht sie sich Sorgen um ihre Beziehung, wenn sie erst lange nach dem Abendbrot zu Hause ankommt. • Vielleicht hätte sie gern mit überlegt, wie das Abstimmungsproblem mit Bogota zu lösen wäre. Das würde bedeuten: Frau Lämmel ist besorgt um die Relevanz ihrer Mutterrolle gegenüber ihren Kindern, sie hat Angst um die Zuwendung ihres Mannes, sie vermisst Mitbestimmung im Betrieb. Diese Sorgen, Ängste und Wünsche sind verständlich und es ist richtig und sinnvoll, dass sich eine Mutter um die Erziehung ihrer Kinder Gedanken macht, dass eine Ehefrau in einer guten Beziehung mit ihrem Mann leben will und dass eine Mitarbeiterin ihre Erfahrungen in die Betriebsorganisation einbringen möchte. Leider gelingt es Frau Lämmel nicht, ihre berechtigten Bedürfnisse in angemessener Form und mit passendem Verhalten zum Ausdruck zu bringen.
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Wenden Sie sich allparteilich den Streitenden zu
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Unpassendes Verhalten hat Tradition Alle Menschen haben in bestimmten Situationen Schwierigkeiten, ihre berechtigten Bedürfnisse angemessen auszudrücken. Das hat etwas mit der eigenen persönlichen Erfahrung zu tun und ist schade, aber nicht zu ändern. Menschen verhalten sich in solchen Situationen ganz unbewusst in einer Weise, die früher vielleicht sogar einmal nützlich war, jetzt aber zu Schwierigkeiten führt. Beispiel: Als Max Horcher ein kleiner Junge war, musste seine Mutter viel ar beiten, um beide durchzubringen. Wenn er etwas von ihr wollte, war sie meist nicht da oder zu sehr beschäftigt. Kam er in der Schule überhaupt nicht mehr mit, wurde er krank. Dann nahm sich seine Mutter Zeit für ihn, pflegte ihn und machte mit ihm die Hausaufga ben, die seine Klassenkameraden vorbeibrachten. Sie konnte ihm gut erklären, was er nicht verstand, und so verschwanden seine Schul probleme wieder. Heute ist Max Horcher 47 Jahre alt und ChefAssistent im Projekt büro. Wenn er wieder mal aus allen Projekten gleichzeitig die unmög lichsten Ressourcenanforderungen erhält, bekommt er fürchterliche Bauchschmerzen und kann nicht mehr arbeiten. Er geht dann zu sei nem Heilpraktiker, der sich zwei bis drei Stunden mit ihm unterhält. Danach sind die Schmerzen fast weg, aber das Problem mit den Res sourcen hat er immer noch. Oft wird es dann sofort wieder schlimmer mit seinem Bauch.
Max Horcher wird krank, wenn er den Anforderungen in Schule oder Büro nicht gewachsen ist. Früher hat das zur Verbesserung seiner Situation geführt, heute macht es alles nur noch schlimmer. Beispiel: Sebastian Hagge hatte als Kind nicht viel zu lachen. Wenn es Streit gab zu Hause, wurde der Vater schnell so wütend, dass es Schläge setzte. Wann immer etwas in der Luft lag, verschwand Sebastian nach draußen.
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Heute ist Sebastian Hagge Projektleiter. Sobald es in seinen Teambe ratungen zu Diskussionen kommt, unterbricht er die Auseinanderset zung mit Verweis auf die fortgeschrittene Zeit und beschleunigt den Verlauf der Sitzung, um anschließend sofort zu verschwinden.
Sebastian Hagge verzieht sich aus allen Konflikten. Früher war das die einzige Möglichkeit, um sich zu schützen. Heute verhindert er damit fruchtbare neue Ideen für sein Projekt und fördert Konfliktpotenzial. Es gibt viele weitere solche Reaktionsmuster: Der eine wird laut, der nächste weint, die dritte schimpft und sucht Verbündete wie Frau Lämmel, der vierte nimmt nichts richtig ernst, … Tipp: Als Vermittlerin oder Vermittler in einem Konflikt sollten Sie sich des halb nicht auf das sichtbare Verhalten konzentrieren, sondern an die dahinterliegenden – immer positiven – Bedürfnisse denken.
Ein anderer Deutungsrahmen verändert die Sicht
Deutungs rahmen wechseln
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Diese Bedürfnisse, die sich hinter dem Verhalten verbergen, sind – wie alle Bedürfnisse – immer positiv. Damit soll das unangemessene oder unpassende Verhalten nicht entschuldigt werden, aber Sie entwickeln bei dieser Betrachtungsweise Verständnis für alle Beteiligten, auch für die, die sich „unmöglich benehmen“. Diese Form des Betrachtens heißt „Reframing“, zu Deutsch: „einen neuen Rahmen geben“. Sie wechseln dabei den Deutungsrahmen hinsichtlich des Verhaltens der Beteiligten. Sie sagen nicht mehr: „Die Person ist unverschämt!“, sondern Sie vermuten: „Die Person macht sich Sorgen um ihre Kinder!“
Lassen Sie die Luft aus dem Streit
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Checkliste: Allparteilichkeit Bewerten Sie die Konfliktparteien nicht nach ihrem Ver halten, sondern gehen Sie davon aus, dass dieses Verhal ten nur eine unpassende Form ist, wichtige Bedürfnisse auszudrücken. Nutzen Sie Reframing, um in Ihrer Vorstellung einen neu en, positiven Rahmen um die Person zu legen. Erkennen Sie, dass die hinter dem Verhalten liegenden Be dürfnisse immer positiv sind. Entschuldigen Sie damit nicht unangemessenes Verhalten, aber versuchen Sie, es zu verstehen.
10.3
Lassen Sie die Luft aus dem Streit
Zu Beginn des Vermittlungsgesprächs ist es wichtig, die Konfliktgeschichte und die jeweiligen gegenseitigen Forderungen anzuhören. Das sollte so ausführlich geschehen, dass zum Ende dieser Phase wirklich alles gesagt ist und dass alle Beteiligten alles verstanden haben. Es gibt für diese Zeit der Vorwürfe und Forderungen einige Regeln, auf deren Einhaltung Sie strikt achten müssen.
Unterbrechen Sie die Kommunikation zwischen den Parteien Die Beteiligten sprechen bis kurz vor Ende des Vermittlungsgesprächs (obwohl alle anwesend sind) nur direkt zu Ihnen und nicht zueinander oder gar miteinander. Diese Gespräche miteinander haben die Beteiligten schon lange genug erfolglos geführt, sie führen nur zu weiteren Missverständnissen und Angriffen, also zur weiteren Eskalation.
Verfahrensregel Nr. 1
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Beispiel: Klaus Murra: „Peter wollte auf keinen Fall mitkommen. Das kann ich beweisen. Dann hast du nämlich gesagt, ich soll meinen Dreck alleine machen …“ Hans Klein, der Projektleiter unterbricht: „Erzähle es mir, Klaus!“ Klaus Murra: „Ja. also, er hat gesagt, ich solle mich selbst um meine Arbeit kümmern und das sei nicht seine Sache.“
Bewerten Sie nie, was Sie hören Verfahrensregel Nr. 2
Sagen Sie nicht: „Das ist richtig!“, „Das hast du falsch/gut, … gemacht!“, „So hätte ich auch gehandelt“ oder „Das verstehe ich gut.“ Eine solche Bewertung nimmt Ihnen die Allparteilichkeit, weil Sie sich damit auf eine Seite stellen. Sie ist außerdem oft unehrlich, weil Sie natürlich nicht wirklich verstehen können, wie es demjenigen vor Ihnen gerade geht, nicht einmal dann, wenn Sie Ähnliches schon selbst erlebt haben. Beispiel: Adele Wackner sagt im Verlauf eines Vermittlungsgesprächs: „Aha, du bist sicher, dass du richtig gehandelt hast.“ (Statt: „Das hast du richtig gemacht.“) „Ich sehe, dass du darüber noch immer ärgerlich bist.“ (Statt: „Das ist wirklich ärgerlich.“) „Diese Projektkrise war eine Katastrophe für dich, merke ich.“ (Statt: „Ich verstehe, wie es dir geht.“)
Deeskalieren Sie mit der Stufentechnik Verfahrensregel Nr. 3
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Bevor die Konfliktparteien überhaupt in der Lage sind, sich gegenseitig zuzuhören, muss ihre Eskalation so weit reduziert werden, dass ihre Energie nicht mehr auf die Auseinandersetzung fixiert ist, sondern in vernünftiges Denken fließen kann. Deeskalation gelingt Ihnen am schnellsten mit der von Jutta HöchCorona in Deutschland verbreiteten Stufentechnik, ursprünglich entwickelt am Orange County Dispute Settlement Center (USA).
Lassen Sie die Luft aus dem Streit
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Beim trockenen Lesen mag sie Ihnen etwas merkwürdig erscheinen, ihre positive Wirkung ist aber unvergleichlich. Sowohl als vermittelnde Person als auch als Beteiligter im Konflikt können Sie diese Technik anwenden. So funktioniert die Stufentechnik zur Deeskalation 1. Reagieren Sie auf jede eskalierende Äußerung Ihres Gegenübers mit einer sinngemäßen Wiederholung von Inhalt und Emotionen dessen, was er gerade gesagt hat. Dieses Wiederholen wird „Spie geln“ genannt. 2. Warten Sie dann ab, bis Sie ein Ja als Bestätigung dafür erhalten, dass sich Ihr Gesprächspartner richtig verstanden fühlt. 3. Jetzt können Sie auf die ursprüngliche Äußerung antworten oder eine Frage stellen. 4. Eskaliert Ihr Gegenüber wiederum, beschränken Sie sich erneut auf das Spiegeln von Inhalt und Emotionen, warten das Ja ab und antworten erst dann. Und so setzen Sie den Prozess fort, bis Ihr Gesprächspartner durch die vielen Ja so weit beruhigt ist, dass Sie vernünftig miteinander sprechen können.
Ja!
Es ka l
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aus s c hlie ßlic h: S pie g eln / Reframing
Ja! Frag e o der Antwo rt
Ja! Ge s präc hs e be ne
Mit jedem Ja sinkt die Eskalation eine Stufe tiefer. Statt den Inhalt des Gehörten nur wiederzugeben, können Sie durch Reframing, also das Wechseln des Deutungsrahmens, noch größere Wirkung erzielen.
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Beispiel: Karl Debrenz: „Ich habe es satt, hier immer nur die Pampelarbeiten zu machen!“ Vermittlerin: „Sie sind ärgerlich und wünschen sich sinnvollere Auf gaben.“ Karl Debrenz: „Ja!“ Vermittlerin: „Woran würden Sie merken, dass eine Aufgabe sinnvoll ist?“ Karl Debrenz: „Das muss ja wohl nicht ich mir ausdenken, schließlich ist Gabi Projektleiterin und nicht ich!“ Vermittlerin: „Sie würden sich wünschen, dass Ihnen Gabi mehr zu traut.“ Karl Debrenz: „Ja, genau!“ Vermittlerin: …
Mit jedem Ja sinkt die Eskalation ein Stück tiefer. Checkliste: Lassen Sie die Luft aus dem Streit Vermeiden Sie die Wiederholung bekannter Streitmuster: • Lassen Sie sich ausführlich allen Ärger und den ganzen Streit schildern, aber unterbinden Sie jeden direkten Dialog zwischen den Konfliktparteien. • Verhindern Sie weiterhin den direkten Dialog zwischen den Streitparteien bis kurz vor Lösung des Konflikts, al so fast bis zum Ende von Schritt 4, in dem es um die verletzten Bedürfnisse geht. Bleiben Sie unbeteiligt: • Lassen Sie sich nicht zur Unterstützung oder Ableh nung einer Position hinreißen. Bestätigen Sie stattdes sen durch Wiederholung („Spiegeln“), dass Sie gehört haben, welche Positionen vertreten werden. • Zeigen Sie kein falsches Verständnis. Bestätigen Sie stattdessen durch Wiederholung oder Benennung von Emotionen, dass Sie wahrgenommen haben, wie es den Beteiligten geht.
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Konzentrieren Sie sich auf die Bedürfnisse
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Kommunizieren Sie deeskalierend: • Nutzen Sie die Stufentechnik. • Verwenden Sie die Stufentechnik in Verbindung mit Reframing (Umdeuten).
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Konzentrieren Sie sich auf die Bedürfnisse
Konflikte werden immer auf der Ebene der Emotionen eskaliert und können daher auch nur auf dieser von Bedürfnissen bestimmten emotionalen Ebene bearbeitet werden. Wenn Sie stattdessen – wie Sie es oft lesen können – sachorientiert, rational und emotionsfrei verhandeln, stoßen Sie schon allein deshalb auf taube Ohren, weil die Beteiligten vor lauter aufgeheizten Emotionen Ihre sachlichen Argumente gar nicht hören und verstehen. Denken Sie in Ihrer Haltung gegenüber den Streitenden und gegenüber dem Konflikt daran, dass alle scheinbaren Sachfragen immer eine bedürfnisbezogene emotionale Bedeutung für die Beteiligten haben, sonst würde darüber nicht gestritten werden.
Die emotionale Bedeutung beachten
Tipp: Trennen Sie niemals die rationale Sach und die emotionale Bezie hungsebene, das funktioniert nicht! Verbinden Sie die (scheinbaren) Sachprobleme immer mit ihrer emotionalen Bedeutung für die Streiten den.
Bedürfnisse sind eine Chance, keine Last Wenn es Sie erschreckt, dass Konflikte so wenig sachlich greifbar und so irrational sind und dass Sie sich mit Emotionen und Bedürfnissen beschäftigen müssen, dann kann Sie der folgende Satz ermutigen: Es ist ein großes Glück, dass nicht die rationalen Dinge ausschlaggebend für den Konflikt sind. Denn was an Forderungen und
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Positionen sachlich begründet vorgetragen wird, lässt sich kaum jemals zur Zufriedenheit aller Beteiligten erfüllen. Sonst wäre es gar nicht erst zur Konflikteskalation gekommen. Nützlich für die Lösung sind stattdessen die hinter den Forderungen und Positionen liegenden Bedürfnisse. Doch anfangs verknüpfen die Beteiligten ihre Bedürfnisse unbewusst mit unerfüllbaren Forderungen, weil ihnen keine bessere Möglichkeit zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse einfällt. Es ist typisch für Menschen im Konflikt, dass diese Verknüpfung immer fester und unbeweglicher wird, je weiter der Konflikt eskaliert ist. Das ist auch kein Wunder. Denn geraten Menschen in einen Konflikt, bindet dieser Konflikt nicht nur die Energie für die Arbeit, sondern auch die Energie für das eigene Denken. Das hat etwas mit der natürlichen physiologischen Stressreaktion der Menschen zu tun, die körperliche Aktivität (Flucht oder Kampf) stärkt, Denken und Reflexion aber „abschaltet“. Die meisten Menschen klammern sich dadurch innerlich an eine bestimmte Forderung, die ihnen gerade noch einfällt, um ihr Bedürfnis zu erfüllen. Meist ist ihnen auch gar nicht (mehr) bewusst, dass es eigentlich um ein unerfülltes Bedürfnis geht. So kämpfen sie mit aller Kraft um unerfüllbare Forderungen und beharren auf verlorenen Positionen. Dabei ist aber jedes Bedürfnis auf vielfältige Weise erfüllbar. Der geforderte Weg ist nur einer von vielen möglichen. Diese Lösungsbreite ist Ihre große Chance! Während es Ihnen nie gelingen kann, den Konflikt durch Ausgleich der Forderungen zu beseitigen, finden Sie fast immer Lösungen auf der Ebene der Bedürfnisse – und damit auf der entscheidenden Ebene. Das eigentlich Erstaunliche bei dieser Sache ist, dass die Konfliktbeteiligten sich im gut geführten Vermittlungsgespräch mit Ihnen schon nach kurzer Zeit ohne Weiteres die wechselseitigen Bedürfnisse gern zugestehen werden. Dadurch endet der Konflikt und die Beseitigung der noch übrigen Probleme wird einfach. Achtung: Auf der Bedürfnisebene gibt es fast unendlich viele Lösungen, auch wenn es auf der Forderungsebene keine gibt.
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Deshalb müssen Sie Konfliktlösungen auf der Ebene der Bedürfnisse suchen. Immer, überall. Egal, was die Beteiligten Ihnen (und sich selbst) über ehrenwerte und sachliche und formale Gründe für den Streit einreden wollen. Lassen Sie sich nicht davon aufhalten. Kümmern Sie sich um die Bedürfnisse und sorgen Sie für eine zügige und nachhaltige Beseitigung des Ressourcenfressers Konflikt!
Holen Sie die emotionalen Bedeutungen ins Gespräch Erkundigen Sie sich nach den vom Problem bedrohten Bedürfnissen, um die emotionale Bedeutung von Problemen für die Beteiligten zu erfahren. Dazu wenden Sie die folgende spezielle Fragetechnik an: Das Frageschema für die Bedürfnisermittlung • Woran merkst du, dass … gut/nicht gut ist? • Und woran noch? • Und woran noch?
Mit Fragen emotionale Bedeutung ausloten
Vermutlich werden Sie diese Fragen als etwas gewöhnungsbedürftig empfinden. Ihren Teammitgliedern dürfte es genauso gehen. Doch es handelt sich um die effizienteste Methode, die emotionale Bedeutung von Problemen herauszuarbeiten. Wenn Sie deshalb voller Mut mit dieser Frageform arbeiten wollen, erleichtert die Ankündigung: „Jetzt kommt eine komische Frage“ deren Akzeptanz bei Ihren Mitarbeitern. Die Antworten auf diese Art Fragestellung führen direkt zu den Bedürfnissen der Beteiligten. Beispiel: Peter Frahm, Projektleiter und als Vermittler in einem Konflikt zwi schen Klaus Ader und Katharina Lauf tätig, fragt: „Klaus, du willst un bedingt ein weiteres Kundentreffen durchsetzen. Um zu verstehen, worum es dir geht und was den Konflikt zwischen euch ausmacht, stelle ich dir jetzt ein paar komische Fragen, okay? Also: Woran merkst du, dass ein zusätzliches Treffen besser ist?“
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Klaus: „Weil wir dann das Design des UserInterface (UI) noch einmal abstimmen könnten.“ Peter Frahm: „Aha, weil der Kunde dann sein Okay zum UI geben könnte. Woran würdest du merken, dass es besser wäre, wenn der Kunde das UI abgesegnet?“ Frank: „Weil wir dann nachher kein Theater hätten.“ Peter Frahm: „Ach so, mir scheint, dir ist wichtig, dass der Kunde nachher nicht unzufrieden ist. Und woran würdest du noch merken, dass es besser wäre, wenn das UI vom Kunden abgesegnet wird?“ Klaus: „Na, da würde es bei der Abschlussbesprechung keinen Ärger geben und keine Nachforderungen und so.“ Peter Frahm: „Ich habe verstanden: Die Abschlussbesprechung soll reibungslos verlaufen. Ja? Woran würdest du merken, dass sie gut verläuft?“ Klaus: „Also, ich habe nicht die geringste Lust, vor Erwin und Jürgen Holler als ein Depp dazustehen, der sein Arbeitspaket nicht im Griff hatte.“ Peter Frahm: „Okay, du willst ein souveränes Bild abgeben, richtig? Woran würdest du noch merken, dass alles gut abläuft?“ Klaus: „Na, wenn die Leitung sieht, dass ich gute Arbeit geleistet ha be.“ Peter Frahm: „Ah ja. Der Chef soll deine Leistung anerkennen, okay? Woran noch?“ Klaus: „Dann stehe ich nachher nicht auf der Straße, sondern komme hoffentlich auch für das nächste Projekt infrage.“
Klaus geht es also in Wirklichkeit nicht um die Abstimmung mit dem Kunden, sondern um seine eigene Zukunft in der Firma. Er wird sich nur auf Lösungen einlassen, die seinen Ressourcenzugriff (seinen Arbeitsplatz) sichern. Tipp: Fragen Sie nicht „Was wäre besser, wenn …?“, sondern „Woran merkst du, dass es besser wäre, wenn …?“. Die erste Frageform funktioniert nicht. Wenn Sie sich die „Woranmerkstdu…“Fragen nicht trauen, können Sie notfalls mit der Frage: „Wieso ist das für dich so wichtig?“ einige Ergebnisse erzielen, allerdings mit deutlich mehr zeitlichem Aufwand
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Konzentrieren Sie sich auf die Bedürfnisse
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und meistens nicht ausreichend gründlich. Probieren Sie einfach mal beide Varianten mit einem Kollegen aus, der dieses Buch ebenfalls gele sen hat.
Damit das Fragen nach Bedürfnissen erfolgreich ist, müssen Sie zwei Regeln beachten: • Lassen Sie die Deutungshoheit bei den Konfliktparteien! • Fallen Sie nicht auf Scheinbedürfnisse herein!
Führen Sie keinen Deutungskampf Lassen Sie sich nicht auf einen Deutungskampf mit den Beteiligten ein. Welches Bedürfnis verletzt ist, kann nur der Betroffene entscheiden. Auch bei allergrößter Mühe können Sie sich nicht in die Köpfe der Beteiligten hineindenken. Sie können aber Ideen und Hypothesen über möglicherweise verletzte Bedürfnisse entwickeln und die dann im Gespräch abklären.
Welches Be dürfnis verletzt ist, entscheidet der Betroffene
Achtung: Jedes Nachdenken über Bedürfnisse bleibt hypothetisch.
Beispiel: So nicht! (…) Klaus: „Na, da würde es bei der Abschlussbesprechung keinen Ärger geben und keine Nachforderungen und so.“ Peter Frahm: „Aha, dir ist Harmonie zwischen allen besonders wich tig.“ Klaus: „Nein, darum geht es mir nicht. Ich will nur, dass es nicht nachher unnötigen Ärger mit folgenschweren Konsequenzen gibt, wenn wir das jetzt mit wenig Aufwand vermeiden könnten.“ Peter Frahm: „Dann habe ich ja doch recht: Du willst, dass beim Ab schlussmeeting alles schön harmonisch verläuft, damit du dich dort wohlfühlst.“ Klaus: „Nein, es geht mir nicht um Wohlfühlen. Es geht mir darum, jetzt mit wenig Aufwand dafür zu sorgen, dass wir nicht nachher den Ärger haben.“
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Peter Frahm: „Ja, das sag ich doch, du willst, dass es beim Abschluss meeting keinen Ärger gibt und dass bei dir wie immer alles harmo nisch und gesetzt abläuft, weil du keinen Streit vertragen kannst.“ Klaus: „…“
Fragen Sie sich bis zu den echten Bedürfnissen durch Nicht auf vermeintliche Bedürfnisse hereinfallen
Die Bedürfnis scheibe hilft, sich Bedürfnis sen zu nähern
Sie müssen sich wirklich bis zu den verletzten Bedürfnissen durchfragen. Nur auf der Ebene echter Bedürfnisse entsteht zwischen den Konfliktbeteiligten eine neue Basis aus Verständnis und Akzeptanz. Bleiben Sie deshalb nicht an der Oberfläche. Denken Sie bis zum Ende. Alle Forderungen lassen sich auf die oben (Abschnitt 6.2) genannten zwölf Bedürfnisse zurückführen. Weder „Macht“ noch „Sicherheit“ (um nur die beiden wichtigsten „falschen“ Ergebnisse zu nennen) sind Bedürfnisse. Hinter Machtanspruch können zum Beispiel die Bedürfnisse nach Mitbestimmung, Ressourcenzugriff oder einem Platz stehen. Sicherheit ist immer mit einem konkreten Bedürfnis verbunden: Sicherheit, gesund zu bleiben, beispielsweise, oder Sicherheit, sich wohlfühlen zu können. Echte Bedürfnisse beschreiben immer ein positives Verlangen und haben allgemeine Geltung, unabhängig von der konkreten Situation. Glauben Sie auch nicht an das erstbeste Bedürfnis. Bedürfnisse innerhalb einer Ring-Gruppe (s. Bedürfnisscheibe, Abschnitt 7.3) können sich gegenseitig ausgleichen und das eigentlich defizitäre Bedürfnis bleibt dadurch verdeckt. Wirkliche Konfliktlösung erreichen Sie nur, wenn der Druck aus dem am meisten defizitären Bedürfnis genommen wird. Tipp: Nutzen Sie die Bedürfnisscheibe, um sich den Bedürfnissen zu nähern und auf diese Weise das wirkliche defizitäre Bedürfnis herauszufiltern.
Klare Benen nung der be drohten Be dürfnisse
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Nur das klare Benennen der bedrohten Bedürfnisse durch die Beteiligten oder (als Übersetzer) durch Sie führt zu neuem gegenseitigen Verständnis und zur Akzeptanz des anderen als Person, die „mir
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nichts Böses will, mit der ich Lösungen finden kann, deren Angst vor Bedürfnisverletzung ich verstehen kann“. Beispiel: (…) Klaus: „Na, da würde es bei der Abschlussbesprechung keinen Ärger geben und keine Nachforderungen und so.“ Peter Frahm: „Aha, du möchtest, dass die Abschlussbesprechung rei bungslos verläuft, richtig? Woran merkst du, dass es für dich gut ist, wenn alles ruhig abläuft?“ Klaus: „Dann habe ich mehr Sicherheit.“ Peter Frahm: „Du hast dann mehr Sicherheit. Was meinst du mit ‚Si cherheit'?“ Klaus: „Na ja, dass keiner denkt, ich hätte etwas falsch gemacht.“ Peter Frahm: „Ach so, du meinst, wenn die Abschlussbesprechung ru hig verläuft, dann wird das auch deinen guten Leistungen zugeschrie ben und dadurch hinterlässt du einen guten Eindruck, ja? Woran merkst du, dass es gut ist, wenn du einen guten Eindruck hinterlässt?“ Klaus: „Na, dann werde ich ins Folgeprojekt übernommen.“
Wenn Sie diesen Punkt im Gespräch erreicht haben, bei dem alle Beteiligten sich gegenseitig berechtigte Bedürfnisse zugestehen, ist der Konflikt eigentlich gelöst. Dann bleibt nur noch die Beseitigung des ursprünglichen Problems übrig. Tipp: Sie erkennen den entscheidenden Wendepunkt im Gespräch an einer plötzlich spürbaren Entspannung aller Beteiligten, einer oft fast gelös ten Stimmung und einer neuen Bereitschaft, das ursprüngliche Problem mit vereinten Kräften zu beseitigen. Aber Achtung: Kurz vor diesem Punkt kommt es fast immer noch einmal zu einem heftigen Aufwallen der Emotionen. Lassen Sie sich davon nicht erschrecken, es sind nur die letzten Zuckungen des Konflikts.
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Checkliste: Konzentrieren Sie sich auf die Bedürfnisse! Nehmen Sie die Emotionen ernst. • Verbinden Sie scheinbare Sachfragen immer mit deren emotionaler Bedeutung für die Beteiligten. • Fragen Sie „Woran merkst du, dass … gut (schlecht) ist?“ und ergänzen Sie mit vielen „Und woran noch?“, um die verletzten Bedürfnisse zu finden. Bleiben Sie bei der Bedürfnisermittlung nicht an der Ober fläche. • Akzeptieren Sie keine Scheinbedürfnisse wie „Macht“, „Sicherheit“, „dass er mich nicht mehr ärgert“. • Suchen Sie innerhalb eines Ringes nach dem tatsäch lich defizitären Bedürfnis, wenn Sie vermuten, dass Sie bisher nur Kompensationsbedürfnisse gefunden haben. Schaffen Sie Verständnis und Akzeptanz. • Wiederholen und „übersetzen“ Sie Bedürfnisse so lan ge, bis der Punkt des gegenseitigen Verstehens erreicht ist und Entspannung eintritt. • Halten Sie Ihre Aussagen immer in der Möglichkeits form und beharren Sie nicht auf Ihren Ideen. Sie sind kein Hellseher, sondern „Interessierter“.
10.5
Geben Sie die Ergebnisverantwortung zurück
Nachdem die Bedürfnisse geklärt sind und der Konflikt eigentlich gelöst ist, bleibt nur noch das Ausgangsproblem übrig. Jetzt geht es darum, mit welchem Ergebnis in Bezug auf dieses Problem die Beteiligten aus dem Konflikt herausgehen. Und nun müssen Sie etwas tun, das Ihnen als aktiver und problemlösender Projektleiter vielleicht schwerfällt. Sie müssen die Ergebnisverantwortung an die Beteiligten zurückgeben. Warum ist das nötig? Es ist klar, dass Sie unbewusst Lösungen bevorzugen, die Ihnen sinnvoll erscheinen. Auch wenn Sie sich um in-
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Geben Sie die Ergebnisverantwortung zurück
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haltliche Neutralität bemühen, werden Sie die Beteiligten automatisch in Ihre Richtung lenken. Und auch wenn trotzdem erst einmal alle zufrieden sind, besteht bei auf diese Weise beendeten Konflikten ein großes Risiko für die Effektivität des gesamten Lösungsprozesses. Das Risiko liegt darin, dass dauerhaft funktionierende Ergebnisse nur von den Betroffenen selbst entwickelt werden können. Denn entscheidend für die Wirksamkeit eines Ergebnisses ist nicht, ob es in Ihrer Sicht auf die Wirklichkeit oder in der „echten Realität“ passt, sondern ob es in der „eigenen Wirklichkeit“ der Betroffenen funktioniert. Das, was die Beteiligten glauben, was wirklich sei, bestimmt ihr Handeln, nicht die objektive Realität.
Lehnen Sie sich zurück Abgeleitet ist diese Erkenntnis von der Irrelevanz der Realität aus der systemischen Theorie. Die besagt im Wesentlichen, dass Menschen innerhalb einer definierten Gruppe (= System) dann gut zusammen handeln, wenn bei ihnen die innere Überzeugung besteht, dass sie gut zusammen handeln können. Besteht diese Überzeugung hingegen nicht, ist es völlig egal, ob die Gruppe nach objektiven Gesichtspunkten eigentlich perfekt zusammenarbeiten müsste. Sie tut es einfach nicht. Dummerweise lassen sich solche Überzeugungen nicht kausal von außen beeinflussen. Selbst wenn Sie auf die Menschen dieser Gruppe einreden und ihr „nachweisen“, wie gut alle harmonieren müssten, hat das keine zwingende Wirkung.
Die innere Überzeugung ist entscheidend …
… aber nicht kausal zu beeinflussen
Beispiel: Peter Rathjen hat seinem neuen Kollegen mehrfach deutlich gesagt, dass der mit allen Fragen zu ihm kommen könne. Das stimmt auch wirklich. Peter Rathjen ist froh, einen neuen Mitarbeiter zu haben, und teilt gern sein Wissen mit ihm. Doch Fred Müller glaubt das nicht. „Bestimmt will mich Herr Rathjen nur vorführen“, denkt er, „und mir beweisen, dass ich nichts kann.“ Anton Schreier widerspricht: „Hör mal Fred, Peter will dich wirklich in allem unterstützen. Der ist total froh über deinen Einstieg. Schau mal, die ganzen letzten Monate hat er Überstunden gemacht, um die Ar beit zu schaffen.“ „Wer's glaubt wird selig, Anton“, antwortet Fred.
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Der gleiche Mechanismus wirkt, wenn es um die Ergebnisse von Konflikten geht: Wenn die Beteiligten aus ihrer eigenen Wirklichkeit heraus eigene Ergebnisse entwickeln, passen die wie die Faust aufs Auge. Vorschläge von außen hingegen funktionieren fast nie dauerhaft in der Wirklichkeit der Beteiligten, weil sie „innerlich nicht stimmen“. Das heißt, die Streitparteien halten sich vielleicht anfangs an die ausgearbeiteten Regeln oder versuchen, das entstandene Ergebnis umzusetzen, innerlich aber warten sie immer schon darauf, dass es doch nicht funktioniert. Dann wird es oft noch schlimmer als zuvor. Beispiel: Karel Sänger und Loretta Klar streiten sich mit Vehemenz um das of fene oder geschlossene Bürofenster. Wenn der eine es aufmacht, steht die andere auf und schließt es wieder, woraufhin … Projektleiter Thor Maggisch setzt einen Kompromiss durch, den beide akzeptieren: Das Fenster wird jede Stunde für 15 Minuten geöffnet. Nach drei Tagen eskaliert der Streit erneut. Karel Sänger berichtet, Loretta habe das Fenster nicht wie vereinbart geöffnet, als er über eine Stunde nebenan in einer Besprechung war, weshalb dem Büro bei seiner Rückkehr 15 Minuten Frischluft fehlten. Loretta Klar klagt, dass Karel beim Rausgehen die Tür nie richtig zumache, um sie sozu sagen als Fensterersatz zu nutzen.
Nur wenn es Ihnen gelingt, den Parteien bei der Ergebnisfindung (innerhalb eines vernünftigen Rahmens) freie Hand zu geben, sollten Sie als Vermittler in den Konflikt gehen. Wenn Sie dagegen innerlich schon längst wissen, worauf sich die Parteien einigen müssten, damit alles wieder läuft, dann suchen Sie sich lieber jemand anderes für das Vermittlungsgespräch.
Lassen Sie sich überraschen Ergebnisse entstehen bei guter bedürfnisorientierter Vermittlung fast immer wie von selbst in den Köpfen der ehemals Streitenden. Denn wenn der Konflikt durch gegenseitiges Anerkennen der Bedürfnisse aus der Welt ist, richten sie ihre gemeinsame Energie auf die Suche nach Möglichkeiten zur Bedürfniserfüllung.
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Es reicht meistens, wenn Sie dann: „Und nun? Wie geht es weiter?“ fragen und sich von den vielen Ideen und der guten Kooperation der Beteiligten überraschen lassen. Tipp: Das bedeutet, dass Sie normalerweise die wenigste Zeit des ganzen Konfliktvermittlungsprozesses für die Ergebnissuche aufwenden. Die meiste Zeit brauchen Sie für die (Wieder)Herstellung von Vertrauen und gegenseitiger Akzeptanz zwischen den Beteiligten.
Wenn es nicht so leicht „von selbst“ geht, vielleicht wegen der Komplexität der Materie oder der vielen zu berücksichtigenden Einflüsse, dann sind die Beteiligten doch nun zumindest bereit, ihre Probleme so zu beseitigen, dass alle zufriedengestellt werden.
Setzen Sie Kreativitätstechniken ein Als Vermittler können Sie bei der Suche nach Wegen zur Problembeseitigung helfen, indem Sie gut ausgewählte Kreativitäts- und Moderationstechniken anbieten. Eine praktische Übersicht über solche Techniken finden Sie im TaschenGuide „Kreativitätstechniken“ (s. Literaturverzeichnis). Oder Sie nutzen die auf den folgenden Seiten erklärten Techniken. Gehen Sie dabei Schritt für Schritt vor! 1. Die Zielscheibe hilft Ihnen, die Wünsche der Beteiligten an das Ergebnis zu gewichten und daraus das Ziel zu formulieren. 2. Mittels Mindmapping können Sie alle ergebnisbedingenden Faktoren sammeln und darstellen. 3. Für die Ideensuche stehen zum Beispiel folgende Techniken zur Verfügung: a) Konventionelle Ideen: Beim Brainstorming finden Sie alle Problembeseitigungsmöglichkeiten, die besonders naheliegen. b) Kreative Ideen: Mit der Technik Bisoziation entdecken Sie ganz neue funktionsfähige Möglichkeiten. c) Arbeiten Sie vorrangig mit Jugendlichen oder passt es zu Ihrer Projektkultur, können Sie auch nonverbale Techniken anwenden.
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
4. Überarbeiten und präzisieren Sie die Ideen mittels freier Diskussion. 5. Per Konsenssuche wählen Sie die beste gemeinsam getragene Möglichkeit aus oder berechnen mit der De-Borda-Matrix den bestmöglichen Kompromiss. Zielscheibe Wünsche per Zielscheibe sortieren und Ziel ableiten
1. Zeichnen Sie eine große Zielscheibe auf die Pinnwand oder kleben Sie eine Zielscheibe mit Kreppband auf den Fußboden. 2. Lassen Sie die Beteiligten ihre Wünsche an das Ergebnis auf Karten notieren. Da Menschen in schwierigen Situationen eher wissen, wovon sie wegwollen, und nicht ausdrücken können, wo sie hinwollen, kann es sinnvoll sein, diese Wünsche zuerst invers zu formulieren. Also: „Ich will nicht, dass …!“ Solche „negativen Wünsche“ sollten Sie anschließend in Abstimmung mit den Beteiligten positiv umformulieren („Ich will, dass …“). 3. Fassen Sie die Wunschkarten in verschiedenen eindeutigen Gruppen zusammen und geben Sie diesen Gruppen dann Überschriften. Achtung: Für alle Gruppierungen nach Kartenabfragen gilt: Die Karten müssen sich eindeutig einer einzigen Überschrift zuordnen lassen, ansonsten sind die Überschriften falsch und damit auch die Struktur, die Sie in den Inhalt gebracht haben.
4. Legen Sie jetzt die Überschriften auf die Zielscheibe. Je wichtiger den Beteiligten ein Wunsch ist, desto näher zur Mitte liegt er. 5. Formulieren Sie aus den Wünschen das Ziel für die kreative Arbeit. Mindmapping Erstellen Sie ein sternförmiges Netz zum Sammeln und Strukturieren von Informationen. Es gibt zwei Wege, diese Technik einzusetzen: 1. Sie schreiben in die Mitte das Ziel. Auf der ersten Ebene ordnen Sie kreisförmig um dieses Ziel herum die zugehörigen Hauptas-
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pekte an. Anschließend führen Sie jede Achse weiter fort, bis Sie alle Informationen dazu gesammelt und strukturiert haben. 2. Sie sammeln allerlei Information zu dem in der Mitte notierten Ziel. Dann sortieren Sie diese Informationen und entwickeln aus dieser Sortierung die Hauptaspekte. Ergänzen Sie diese um weitere Informationen und zeichnen oder kleben Sie Ihr Mindmap. Tipp: Sich gegenseitig bedingende Informationen oder Gedanken können Sie mit Querlinien verbinden.
Brainstorming Sammeln und notieren Sie unkommentiert alle Vorschläge, die den Beteiligten einfallen, auch wenn diese Ideen absurd und unbrauchbar scheinen. Oft entstehen aus unsinnigen Ideen gute Ergebnisse.
Auch absurde Ideen sind brauchbar
Achtung: Die Wirkung von Brainstorming ist begrenzt. In der Regel werden mit dieser Technik kaum neue Ideen entwickelt. Nützlich ist sie aber, um die latent in den Köpfen der Beteiligten vorhandenen Ideen verfügbar zu machen.
Bisoziation Diese Technik wurde von Arthur Koestler entwickelt. 1. Wiederholen Sie das von den Konfliktbeteiligten mit der Methode Zielscheibe erarbeitete klare Ziel, in dem die Erfüllung aller im Verlauf des Vermittlungsgesprächs herausgearbeiteten Bedürfnisse und das zu lösende Problem klar benannt sind. Ergänzen Sie dieses Ziel um alle ergebnisbedingenden Faktoren, die im Mindmap gesammelt wurden. 2. Nun finden die Konfliktbeteiligten eine „zweite Denkdimension“, also zum Beispiel eine Tierart, bei der ihr Problem zufriedenstellend beseitigt (oder nicht vorhanden) ist. Wenn sie sich bei den Tieren nicht so genau auskennen, finden sie eine Tierart, der sie eine befriedigende Problembeseitigung zuschreiben können.
Eine „zweite Denkdimension“ finden
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
3. Dann suchen die Konfliktbeteiligten in dieser zweiten Denkdimension nach Prinzipien und Regeln, die begründen, warum das Problem dort kein Problem ist. 4. Schließlich übertragen die Konfliktbeteiligten unter Ihrer Anleitung diese Prinzipien und Regeln aus dem Tierreich in Möglichkeiten zur Beseitigung ihres eigenen Problems. Das folgende Beispiel gibt die Methode verkürzt wieder. Normalerweise sind sowohl Schritt 2 als auch Schritt 3 viel länger und mit viel mehr Ideen verbunden. Dadurch macht die Methode auch eine Menge Spaß. Beispiel: Vermittlerin: [Schritt 1] „Sie haben als Ziel formuliert: Wir brauchen Ideen, wie wir den Krankenstand unter den Pflegekräften senken, da mit es nicht regelmäßig zum Streit um Vertretungsstunden kommt. Ist das so richtig? – Okay. Dort am Mindmap stehen alle Rahmenbedin gungen, die wir beachten müssen. Was glauben Sie: [Schritt 2] Wo im Tierreich ist das Problem gelöst, dass trotz schwerer und von äußeren Vorgaben abhängiger Arbeit niemand kraftlos wird?“ Katharine Marquie meldet sich zu Wort: „Bei den Störchen.“ Fragezei chen in den Gesichtern ringsum. „Ja, seht mal“, fährt sie fort, „die müssen doch immer pünktlich die Babys ausliefern, die sind ganz schön schwer und manchmal müssen sie ganz schön weit fliegen. Und trotzdem habe ich noch nie gehört, dass ein Storch unterwegs mit einem Baby krank wurde und deutlich zu spät gekommen ist. Hat von euch schon mal jemand so was gehört? Nein. Seht ihr, das passt.“ Vermittlerin: [Schritt 3] „Und was glauben Sie, warum da nie ein Storch erschöpft krank wird? Die Frage geht auch an alle anderen!“ Piotr Ludwig: „Na vielleicht, weil die Störche neun Monate Zeit ha ben, ihre Arbeitszeit zu planen.“ Vermittlerin: [Schritt 4] „Wie können Sie dieses Prinzip der neun Mo nate für Ihre Situation nutzbar machen?“ Katharine Marquie: „Wir könnten zum Beispiel vorab im Dienstplan festlegen, wer Bereitschaft hat, wenn jemand krank wird. Wenn wir den Dienstplan samt Bereitschaft dann noch ein bisschen standardi sieren, können wir locker neun oder sogar zwölf Monate im Voraus wissen, wann wir möglicherweise Vertretungsdienst haben und wann mit Sicherheit nicht.“
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Freie Diskussion Es gibt viele gute Methoden zur Präzisierung und Überarbeitung von Ideen, beispielsweise die Denkhüte-Methode von Edvard de Bono oder die Checkliste von Alex Osborn. Um die freie, unangeleitete Kommunikation der ehemaligen Streitparteien zu fördern, kommt in der hier dargestellten kreativen Schrittfolge die Methode „freie Diskussion“ zum Einsatz. In diesem Stadium der Konfliktvermittlung sollte keine Gefahr mehr für gezielte oder unbewusste Manipulation des Gesprächs bestehen, was sonst einer der Hauptgründe gegen freie Diskussionen ist. Es sollte auch nicht nötig sein, Redezeiten festzulegen oder Regeln über die Reihenfolge der Wortmeldungen aufzustellen. Falls das doch notwendig scheint, hat es keine echte Konfliktlösung gegeben und die Problembeseitigung kann noch nicht begonnen werden.
Freie Diskussion fördert Kom munikations fähigkeit der ehemaligen Streitparteien
Konsenssuche Ergebnisse im Konsens erhalten die Motivation der Beteiligten und fördern ihre Bereitschaft, den nächsten Konflikt deutlich gelassener und schneller zu lösen. Man hat Vertrauen zueinander. Zum Konsens gelangen Sie über langes Reden, Überlegen, Verwerfen, neu diskutieren, sich gegenseitig überzeugen wollen, sich zuhören. Ein Konsens bedeutet immer hundertprozentige Zustimmung aller Beteiligten. Alles andere ist ein Vergleich, mit dem niemand wirklich zufrieden ist, und dafür hätten Sie sich die Mühe eigentlich sparen können. Tipp: Oft ist es hilfreich, das Vermittlungsgespräch nach der gegenseitigen Anerkennung der Bedürfnisse zu unterbrechen und es erst an einem der nächsten Tage mit der Konsenssuche fortzusetzen.
DeBordaMatrix Der französische Mathematiker Jean-Charles de Borda hat im 18. Jahrhundert ein Kompromissverfahren des Universalgelehrten Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus) weiterentwickelt. Das führt, wenn ein Konsens partout nicht möglich ist oder wenn die Sache
Die Suche nach dem best möglichen Kompromiss
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niemanden so sehr emotional berührt, dass ein Konsens gefunden werden muss, relativ schnell zum bestmöglichen Kompromiss. De Borda ging davon aus, • dass herkömmliche Auswahlverfahren immer auch Manipulation ermöglichen (zum Beispiel durch Abstimmung über die vom Wahlleiter gewünschte Option erst ganz zum Schluss, was deren Chancen auf 50 zu 50 erhöht, während eine gleich zu Beginn gewählte Option in jedem vorherigen Wahlgang abgewählt werden kann), • dass sie zu Extremen führen (jeder wählt seine Lieblingsoption und so stehen sich schließlich lauter Lieblingsoptionen unversöhnlich gegenüber) und • dass einige wenige (im schlimmsten Fall der 51. von 100) über das Ergebnis entscheiden. Er entwickelte deshalb ein Verfahren, bei dem nicht die Lieblingsoptionen jedes einzelnen Wählers gewinnen, sondern die fast liebsten aller. Angenommen, Sie haben fünf inhaltlich verschiedene Optionen. Notieren Sie diese Optionen und klären Sie miteinander, was diese Optionen bedeuten. Im nächsten Schritt vergibt jeder Wahlberechtigte Bewertungen, und zwar • fünf Punkte für die Option, die ihm am besten gefällt, • vier Punkte für die Option, die ihm am zweitbesten gefällt, • drei Punkte für die Option, die ihm am drittbesten gefällt, • zwei Punkte für die Option, die ihm am viertbesten gefällt • und einen Punkt für die Option, die ihm am wenigsten gefällt. Zählen Sie dann die Punkte pro Option zusammen. Die Option mit den meisten Punkten ist der „bestmögliche Kompromiss“. Nonverbale Techniken Nonverbale Techniken lassen sich gut anwenden, wenn die Konfliktbeteiligten ihre Bedürfnisse nur schwer in Worte fassen können. Durch Darstellung und Veränderung von Körperhaltungen im Kon-
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takt mit dem Konfliktgegner wird den Beteiligten fühlbar bewusst, welche konfliktlösenden anderen Verhaltensweisen es gibt. Beispiel: Petra Schauer ist wütend über ihren Kollegen Alex Teller. „Mit deinem dominanten Gehabe kotzt du mich total an!“, faucht sie in der Team beratung. Alex Teller ist völlig überrascht. „Was mache ich denn?“ Beide erklären ihre Bereitschaft, nach der Sitzung noch für eine halbe Stunde dazubleiben. Als sich die anderen verabschieden, bittet Projektleiterin Karin Jäger ihre Teammitglieder Petra und Alex in eine freie Ecke des Raums. Karin: „Alex, bitte beschreibe mal, welche Körperhaltung sozusagen typisch für Petra ist, wie du sie erlebst.“ Alex: „Ja, also so am Tisch, den Kopf nach vorn gereckt, so ganz scharfe Augen, die Lippen zusammengepresst, …“ Karin: „Petra, kannst du bitte mal diese Haltung nachmachen? Dan ke!“ Alex: „… ja, noch schärfer gucken und den Finger so ausstrecken, …“ Karin: „Okay. Danke! Petra, bitte merke dir mal diese Haltung genau. Okay? Gut. Dann gehe wieder raus aus der Haltung und beschreibe mal, welche Körperhaltung sozusagen typisch für Alex ist. Und du, Alex, machst diese Haltung bitte nach, okay? Danke!“ Petra: „Alex sitzt immer so ganz breit da, ja, so ungefähr, die Beine auseinander, die Hände auf den Knien, den Kopf leicht nach hinten gekippt, so von oben herab schauend, so leicht grinsend, ja, so unge fähr.“ Karin: „Okay. Danke! Alex, bitte merke dir diese Haltung, Okay? Gut. Dann gehe wieder raus aus der Haltung. Danke. Alles noch okay für euch? Können wir weitermachen? … Fein. Danke! Dann bitte ich dich, Alex, Petra nun mal in eine Haltung zu führen, die dir gut gefallen würde. Wie sollte Petra auf ihrem Stuhl sitzen, damit zwischen euch eine optimale Arbeitssituation wäre?“ Alex: „Also ein bisschen mehr zurückgelehnt, …“ (usw.) Karin: „Danke! Bitte merke dir auch diese Haltung Alex. Petra, kannst du jetzt bitte Alex in eine Haltung führen, die für eine optimale Ar beitssituation für euch gut wäre?“ Petra: „Erst mal anders gucken.“ Karin: „Wie? Petra: „Na ja, nicht so von oben, ja, so. Und dann …“ (usw.)
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Führen Sie das Vermittlungsgespräch
Karin: „Danke! Bitte merke dir diese Haltung.“ Alex: „Und jetzt?“ Karin: „Jetzt bitte ich euch, dass ihr euch in der ersten Haltung beide gegenüber auf die Stühle setzt. Ja, genauso wie in der ersten Haltung. Okay, danke. Bitte schließt jetzt die Augen und prüft mal, wie sich diese Haltung für euch anfühlt. Überlegt still für euch: Ist sie leicht oder schwer? Kostet sie irgendwo Kraft? Sitzt ihr sicher oder eher wa ckelig? Tut irgendwas weh? … So, und jetzt verändert bei weiter ge schlossenen Augen diese Haltung ganz, ganz langsam in die zweite Haltung von vorhin. Ganz langsam. Okay? Dann noch einmal zurück in die erste Haltung. Spürt kurz in euch, wie es sich anfühlt. Dann wech selt wieder ganz langsam in die zweite Haltung. Okay. Und jetzt fühlt auch hier, wie ihr sitzt, wie es euch geht, was fest und was leicht ist, was sich anders anfühlt. Okay. Und jetzt macht mal die Augen auf und schaut euch an.“ Petra, Alex: (lachen) Karin: „Wollt ihr noch was sagen?“ Alex: „Na ja, das ist schon irgendwie anders.“ Petra: „Ich wusste gar nicht, dass ich so wirke, aber wie jetzt zum Schluss ist es nicht so anstrengend.“ Karin: „Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt, um euren Streit aufzulösen. Bis später und noch mal danke!“
Tipp: Sie sollten nonverbale Techniken nur dann einsetzen, wenn Sie sich ih rer Anwendung und Wirkung sicher sind. Oft wird es sinnvoll sein, eine externe Beraterin oder einen externen Berater hinzuzuziehen.
Checkliste: Ergebnisverantwortung zurückgeben Versuchen Sie nicht, durch Druck oder eigene Vorschläge schnelle Lösungen zu erzwingen. Effektive Lösungen ent stehen meist von selbst. Bieten Sie bei Bedarf passende Kreativitätstechniken an.
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Teil IV: So beugen Sie Konflikten vor
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Sie können sich auf Konflikte vorbereiten
Bestimmt kennen Sie das: Wird darüber geredet, Konflikten vorzubeugen, nicken alle zustimmend mit dem Kopf. In der Praxis finden sich später aber jede Menge Gründe, warum Prävention doch nicht möglich ist. Allerdings lösen diese guten Gründe das Problem mit den Konflikten nicht, sondern sie verschärfen es sogar noch.
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Vier gute Gründe gegen Konflikt vorbeugung
Es gibt im Wesentlichen vier Gründe, warum Konfliktprävention im Projekt unterbleibt: • Mangelnde finanzielle oder zeitliche Ressourcen Aber: Konflikte verbrauchen ebenfalls Ressourcen, und zwar unkontrollierbar – wenn nicht jetzt bei der Prävention, dann später bei Ausbruch. • Überraschender Projektstart Aber: Beginnt ein Projekt ohne Vorbereitung, also auch ohne gründliche Risiko- und Stakeholderanalyse, gibt es umso mehr Konflikte in seinem Verlauf. • Man glaubt nicht an Konfliktpotenzial („Alles liebe Menschen …“) Aber: Je lieber die Menschen sind, desto weniger werden sie sich über lange Zeit hinweg Konflikte eingestehen und desto eskalierter und härter brechen diese schließlich hervor. Gerade in neuen Projektteams herrscht oft eine ausgeprägte Kuschelatmosphäre. Unvermeidbare Meinungsverschiedenheiten führen dann zu tiefer emotionaler Betroffenheit.
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Vier gute Gründe gegen Konfliktvorbeugung •
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Niemand weiß vorher, welche Konflikte es geben wird. Aber: Jeder Konflikt ist eine potenzielle Gefahr für Ihr Projekt. Jeder!
Das bringt Sie in ein Dilemma: Einerseits ist eine vollständige Konfliktvorbeugung nicht möglich. Viele Konflikte sind vor ihrer Eskalation nicht erkennbar, viele entstehen erst aus dem Prozessverlauf und die vorhersehbaren können aus Ressourcengründen nicht alle vorbeugend bearbeitet werden. Andererseits müssen Sie etwas tun, wenn Sie unkalkulierbaren Ressourcenverlust und das Scheitern Ihres Projekts vermeiden wollen. Es ist deshalb nötig, „Konfliktvorbeugung“ anders als im Wortsinn zu verstehen. Vorbeugen bedeutet dann nicht, konkrete, echte mögliche Konflikte vorab zu erahnen und damit im besten Fall alle Konflikte zu vermeiden. Das wäre ein aussichtsloses Unterfangen, sowohl im Blick auf ein angemessenes Verhältnis von Aufwand und Nutzen als auch hinsichtlich seiner Realisierbarkeit. Denn es lässt sich unmöglich genau voraussagen, wer welches seiner Bedürfnisse irgendwann bedroht sieht und diese Bedrohung dann außerdem nicht kompensieren kann. Vielmehr muss identifiziert werden, in welchen Projektbereichen Konflikte entstehen könnten. Diese Bereiche müssen dann präventiv bearbeitet, also bedürfnisorientiert gestaltet werden.
Konflikt vorbeugung richtig verstehen
Achtung: Konfliktvorbeugung im Projektmanagement hat also nichts mit dem gezielten Vermeiden konkreter Konflikte zu tun, sondern mit der Ge staltung konfliktvorbeugender Rahmenbedingungen.
Beispiel: Gert Schweiger, Laura Gallow und Paolo Grimm arbeiten in drei ver schiedenen Projekten und sind auf die Nutzung des Fuhrparks ange wiesen. Theoretisch stehen genügend Autos zur Verfügung. Praktisch können Autos zeitweise nicht einsatzbereit sein. Es lässt sich vermuten, dass es um die Autos zu einem Konflikt kom men kann, aber es lässt sich unmöglich vor Beginn des Projekts kon kret vorhersagen und mit Sicherheit vermeiden, dass sich Gert
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Sie können sich auf Konflikte vorbereiten
Schweiger und Paolo Grimm am 27. Mai des folgenden Jahres um das gleiche Auto streiten. Es müssen aber Rahmenbedingungen geschaf fen werden, die einen solchen oder ähnlichen Streit entweder recht unwahrscheinlich machen oder die Regeln für Erkennen und Deeska lation bei Ausbruch eines solchen Streits vorgeben.
11.2
Was Sie trotzdem tun können und tun sollten
Wenn Sie Konfliktvorbeugung in Ihrem Projekt betreiben wollen, müssen Sie das Projekt und sein Umfeld so gestalten, dass möglichst wenig Konfliktpotenzial entstehen kann. Außerdem ist es wichtig, beginnendes Konfliktpotenzial im Verlauf des Projekts schnell zu erkennen und aufzulösen, um jegliche Eskalation zu verhindern. Das bedeutet für Sie: • Verhindern einer Konflikteskalation • Nutzung der anfangs noch nicht destruktiv ausgerichteten Energie im Konflikt für dessen Lösung. • Vermeiden von Konfliktpotenzial • Prüfung der allgemeinen objektiven Umstände, des Verhaltens von Menschen und der eintretenden Ereignisse auf die damit möglicherweise verbundenen Bedürfnisverletzungen • Anstoßen der Veränderung unbefriedigender Situationen
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Konflikteskalation verhindern
Wenn Konflikte auftreten, hat die Konfliktprävention im speziellen Fall nicht geklappt. Wie Sie schon wissen, lassen sich Konflikte nicht völlig vermeiden. Deshalb dienen die folgenden Hinweise dazu, Konflikte möglichst auf niedriger Eskalationsstufe zu lösen und damit größerem Ressourcenverlust vorzubeugen.
Auftraggeber, Lieferanten, Vorgesetzte Vereinbaren Sie mit Auftraggebern, Lieferanten und, wenn möglich, mit internen Vorgesetzten Mediationsklauseln in den Verträgen.
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Konflikteskalation verhindern
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Beispiel: Für den Fall von Streitigkeiten zwischen den Vertragspartnern verein baren diese Mediation als erste Form der Konflikterledigung.
Eine solche Klausel kann noch weiter ausformuliert sein. Sie sollten den Wortlaut von Ihren Hausjuristen prüfen lassen.
Teammitglieder Vereinbaren Sie mit Ihren Teammitgliedern die „Gefrierschrankmethode“ (siehe Abschnitt 10.1), bei der jede Person direkt bei Ihnen das Einfrieren eines Konflikts beantragen darf. Überwachen Sie selbst die Einhaltung der Frostphase. Benennen Sie alternativ eine projektexterne Vertrauensperson, an die sich Teammitglieder und auch Sie zwecks Einfrierens wenden können, wenn Sie als Projektleiter selbst Konfliktpartei sind. Wenden Sie die „Gefrierschrankmethode“ bald nach ihrer Vereinbarung einige Male demonstrativ und zur Übung bei kleinen Konflikten an. Vermeiden Sie aber folgende Falle: Beispiel: (So nicht!) Im MeilensteinMeeting wird eine neue Möglichkeit zur Problembe seitigung vorgeschlagen. Zwischen dem Befürworter der ursprüngli chen und dem Erfinder der neuen Möglichkeit kommt es zu einem heftigen Streit. Der Projektleiter greift ein und verlangt das Einfrieren des Streits bis zur Klärung am nächsten Tag. Die Sitzung wird dann mit Terminierung und Budgetierung der nächs ten Arbeitspakete für den alten Weg fortgesetzt.
In diesem Beispiel wurde das Einfrieren des Streits zu einer Vorentscheidung über seinen Ausgang missbraucht. Durch das Terminieren und Budgetieren der Arbeitspakete für die ursprüngliche Möglichkeit ist eine Diskussion über andere Wege nicht mehr sinnvoll.
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Sie können sich auf Konflikte vorbereiten
11.4
In eigenen Konflikten die Eskalation verhindern
Sie wissen schon, dass Konflikte Ihr Projekt durch den ungesteuerten Zugriff auf Ressourcen in Schwierigkeiten bringen. Die zweite Ihnen bekannte Gefahr, die von Konflikten ausgeht, liegt in deren destruktiver Kraft. Dabei gibt es aber eine erfreuliche Einschränkung: Während auf Stufe 3 der Konflikteskalation bei den Beteiligten die Haltung „Ich will gewinnen, der andere soll verlieren!“ dominiert und auf Stufe 5 sogar „Egal was mir passiert, Hauptsache, der andere verliert!“ gilt, besteht auf Stufe 1 noch Einigungsbereitschaft „Wenn ich gewinne, kann der andere ruhig auch gewinnen.“ Auf Stufe 1 der Eskalation ist die Kraft des Konflikts noch nicht destruktiv ausgerichtet. Deshalb können Sie seine Kraft noch positiv lenken, wenn einer Ihrer Mitarbeiter Sie in einen Konflikt verwickelt und Sie das rechtzeitig bemerken. Beispiel: Salome Rubig will die Projektergebnisse selbst beim Kunden präsen tieren. Sie sieht nicht ein, dass Teilprojektleiter Franz Steiner schon wieder alleine nach Schwerin fährt. Schließlich hatte sie die ganze Arbeit. Also erfindet sie Ausreden, weshalb sie unmöglich rechtzeitig alle Präsentationsunterlagen für Franz Steiner erstellen kann. Ihr Pro jektleiter Xaver Schimmel holt beide an einen Tisch. Ihm gelingt es, eine gemeinsame Präsentation zu vereinbaren. Franz Steiner ist ei gentlich sogar froh, dass die Fachfrau mitfährt. Und Salome Rubig erstellt eine so gelungene Präsentation, dass der begeisterte Kunde das Auftragsbudget um 50 Prozent erhöht.
Achtung: Unmittelbar am Beginn eines Konflikts (am Beginn von Eskalationsstu fe 1) sind die Beteiligten noch bereit, die aus dem Drang nach Bedürf niserfüllung hervorgehende Kraft zum Nutzen aller einzusetzen, wenn dabei auch ihr eigenes Bedürfnis erfüllt wird.
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In eigenen Konflikten die Eskalation verhindern
Der Zustand des Konflikts in Eskalationsstufe 1 wird mit „engagierte Diskussion, schwierige Interaktion“ beschrieben. Während „engagierte Diskussion“ offen geschieht und sich deshalb leicht aufnehmen und klären lässt (etwa in einem Vermittlungsgespräch, siehe Kapitel 10), tritt „schwierige Interaktion“ meist verdeckt als Widerstand in Erscheinung. Der eigentliche Unterschied zur „engagierten Diskussion“ ist dabei die fehlende offene Forderung.
11 Schwierige Interaktion und Widerstand
Beispiel: Peter Frack und Adeline Köcher hören in der Kantine zum ersten Mal davon: Das von ihnen bisher betreute FirmenIntranet soll künftig in die Hände eines externen Dienstleisters gelegt werden. Für den Out sourcingProzess wurde eine Projektgruppe gebildet. Peter Frack be ginnt nach seiner Rückkehr ins Büro sofort zu telefonieren: Er ruft alle Leuten an, die Einfluss nehmen könnten. Außerdem vereinbart er ei nen Termin mit seinem Chef, um ihn vom Unsinn des neuen Projekts zu überzeugen. Adeline Köcher tut erst einmal nichts. Als sie jedoch einige Tage später gebeten wird, eine Kopie des aktuellen Intranet Strukturplans an das neue Projektteam zu übermitteln, braucht sie ziemlich lange dafür und schickt schließlich ohne weitere Aktualisie rungen die bereits drei Jahre alte und längst überholte Darstellung.
Peter Frack hat sich für „engagierte Diskussion“ entschieden und fordert die Rücknahme der Outsourcing-Entscheidung. Adeline Köcher dagegen leistet verdeckt Widerstand, indem sie die Arbeit des neuen Projektteams behindert. Auch Dienst nach Vorschrift, Cliquenbildung und Fehlzeiten/Fluktuation (siehe Kapitel 4) sind typische Merkmale eines Konflikts, der nicht offen, sondern verdeckt beginnt und durch heimlichen Widerstand geprägt ist. Die Möglichkeiten, solchen Widerstand zu üben, sind sehr vielfältig und reichen von mangelnder Unterstützung bis hin zu Sabotage. Widerstand kann „aktiv“ sein und zu Taten führen oder „passiv“ durch Unterlassen oder Nicht-Kommunizieren wirksam werden; er ist aber immer verdeckt. Weil Widerstand unausgesprochen bleibt und anfangs vielleicht gar nicht bemerkt wird, eskalieren verdeckte Konflikte still vor sich hin. Das macht Widerstand im Unterschied zu einer offenen Diskussion
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Sie können sich auf Konflikte vorbereiten
besonders gefährlich. Gleichzeitig macht Widerstand Sie auch ärgerlich, weil er ohne offene Begründung daherkommt und deshalb als persönliche Schikane wahrgenommen wird. Tipp: Um die noch nicht destruktiv gerichtete Kraft in Eskalationsstufe 1 zum Nutzen des Projekts einzusetzen, brauchen Sie neben einer positiven Sicht auf engagierte kritische Diskussionen auch eine gelassene, akzep tierende Sicht auf Widerstand.
Wie können Sie zu dieser gelassenen und akzeptierenden Sicht auf Widerstand kommen? Betrachten Sie Widerstand genauer: Widerstand ist richtig
Widerstand zeugt von bedrohten Bedürfnissen
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Widerstand als Anzeichen beginnender Konflikte positiv zu sehen ist nicht ganz so einfach. Denn schon der Begriff „Widerstand“ an sich impliziert eine negative Blickrichtung. Wenn Sie als Person Widerstand erleben, spüren Sie eine gegen sich gerichtete Kraft. Das heißt, jemand möchte etwas, das Sie nicht wollen. Kehren Sie die Blickrichtung jedoch um, sehen Sie, dass aus der Sicht des anderen Sie etwas möchten, das er nicht will. Er wird Ihr Handeln vielleicht „Zwang“ nennen, aber im Grunde sind es zwei Seiten einer Medaille. Beide Seiten sind mit etwas konfrontiert, das sie nicht wollen. Beide fühlen sich im Recht. Beide werden ihren Druck so lange aufrechterhalten, wie Gegendruck vorhanden ist. Dieser Gegendruck entsteht bei allen Beteiligten aus der (erwarteten) Bedürfnisverletzung. Auch wenn es Ihnen bei manchen Ihrer Teammitglieder oder Kunden vielleicht doch hin und wieder so vorkommt: Widerstand leistet niemand, um Ihnen das Leben schwer zu machen, sondern weil er seine Bedürfnisse bedroht sieht. • Wenn Sie das bedrohte Bedürfnis nicht sofort oder überhaupt nicht erkennen können, ist es trotzdem da und wartet darauf, von Ihnen gebührend berücksichtigt zu werden. • Wenn Sie sicher sind, mit Ihrem Tun und Lassen im Recht zu sein, so hat trotzdem auch der andere ein Recht auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse, denn Bedürfnisse sind immer positiv.
In eigenen Konflikten die Eskalation verhindern
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Tipp: Gehen Sie davon aus: Widerstand hat immer einen guten Grund. Und Widerstand ist immer gerechtfertigt.
Widerstand liefert Ihnen wertvolle Informationen Als Projektleiter wünschen Sie sich von Ihren Mitarbeitern und Stakeholdern, dass die sich immer engagiert, klar, deutlich und konstruktiv äußern, wenn ein Problem auftaucht und der Umgang damit zu Unzufriedenheit führt. Leider tun sie das in der Praxis häufig nicht. Vielleicht ist dabei Angst im Spiel, vielleicht die alte Erfahrung, sowieso nicht gehört zu werden, vielleicht wird Ihnen auch keine Verbesserung der Situation zugetraut – wer weiß? Stattdessen ertragen die Betroffenen ihre Bedürfnisverletzung, bis es nicht mehr geht und ein Konflikt ausgelöst wird. Die für Stufe 1 der Konflikteskalation typische schwierige Interaktion, also der Widerstand gegen Zustände, Personen oder Veränderungen, kann Ihnen Probleme im Projekt anzeigen, auf die Sie bisher niemand hingewiesen hat. Tipp: Widerstand zeigt Ihnen, wo in Ihrem Projekt unentdeckte Probleme ste cken, die bereits in einen Konflikt gemündet sind. Sie erhalten beim Blick auf Widerstand ein umfassenderes Bild des Projektzustands und können versuchen, die weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern.
Widerstand ist Motivation Scheinbar ist das ein Widerspruch: Motivation ist eine Energie hin zu einem Ziel, Widerstand will etwas verhindern. Doch auch dahinter steckt Energie. Das Ziel von Widerstand ist die Befriedigung von Bedürfnissen, was ja das Ziel in allen Konflikten ist. Deshalb sind Motivation und Widerstand keine Gegensätze, sie sind vielmehr die zwei Seiten einer Medaille – eigentlich das Gleiche, je nach Blickrichtung nur anders genannt.
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Sie können sich auf Konflikte vorbereiten
Damit steckt im Widerstand die gleiche Menge Energie wie in der Motivation. Das ist gut für Sie als Projektleiter. Mit einem resignierten Team könnten Sie keinerlei Ziele erreichen. Die Energie aus dem Widerstand lässt sich aber für das Projekt gut gebrauchen. Tipp: Verstehen Sie Widerstand als zielgerichtete Motivation und nutzen Sie seine Energie für Ihr Projekt. Widerstand mit Widerstand zu begegnen führt zu unnötigem Verlust nützlicher Energie bei allen Beteiligten und zur Konflikteskalation.
Lenken Sie die Energie des Konflikts positiv um
Auf Widerstand nicht mit Gegendruck reagieren
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Während es relativ einfach ist, offene, engagierte Diskussionen und Kritik in ein Konfliktvermittlungsgespräch zu verwandeln, lässt sich Widerstand nicht so leicht packen. Trotzdem gilt es zu handeln, um die weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern und die noch positiv nutzbare Kraft in Eskalationsstufe 1 zum Besten des Projekts einzusetzen. Dieses Handeln ist nicht so einfach. Die schlechteste aller Reaktionen wäre es, die Energie zu ignorieren und zu hoffen, dass sie von alleine verschwindet. Dann eskaliert der Konflikt weiter und befindet sich vielleicht gerade dann in Eskalationsstufe 3, wenn Sie es am wenigsten gebrauchen können. Auf Widerstand mit Gegendruck zu reagieren und den Widerstand „brechen“ zu wollen ist genauso wenig nützlich. Dadurch wird auch die andere Seite ihren Druck erhöhen und die Eskalation schreitet ebenfalls voran (siehe auch Abschnitt 7.6). Nützlich ist es stattdessen, die auf (verdeckte) Forderungen gerichtete Energie auf die Erfüllung der dahinterliegenden Bedürfnisse umzulenken und damit die Lösung des Konflikts zu erreichen. Aber Vorsicht: Das funktioniert mit dem folgenden Prozess nur so lange, wie diese Energie noch nicht destruktiv ausgerichtet ist, also nur in Eskalationsstufe 1.
In eigenen Konflikten die Eskalation verhindern
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Der Prozess zur Energieumlenkung hat vier Schritte: 1. Reduzieren Sie den Druck auf den „Widerständler“. 2. Helfen Sie ihm, seine bedrohten Bedürfnisse zu identifizieren. 3. Setzen Sie klar den Rahmen, innerhalb dessen sich Konfliktlösungen bewegen können. 4. Geben Sie die Verantwortung für die Lösungssuche an den „Widerständler“ zurück. Kümmern Sie sich keinesfalls selbst um das Entwickeln der Lösung. Beachten Sie die Reihenfolge dieser vier Schritte zur Energieumlenkung: Wenn Sie Auftrag und Verantwortung für die Lösungssuche bereits vor Schritt 2 an den Widersacher zurückgeben, holen Sie sich den Konflikt wegen unerfüllbarer Forderungen endgültig selbst ins Boot und werden externe Unterstützung zur Vermittlung benötigen. Wenn Sie die Verantwortung vor Schritt 3 zurückgeben, provozieren Sie die Entwicklung unpassender Lösungen und damit neue Enttäuschung und auch neuen Widerstand. 1. Reduzieren Sie den Druck auf den „Widerständler“ Alles, was Sie an Energie gegen Kritik und Widerstand einsetzen, provoziert neuen Energieeinsatz, also neuen Widerstand. Dabei ist es völlig egal, ob Sie Ihre eigene Energie zum Drohen, zum Überzeugen, zum Überreden oder zum Mitreißen verschwenden – Ihr Gegner wird stets mit eigener Energie antworten, denn er will ja gerade nicht überzeugt oder mitgerissen werden, sondern er will, dass die allgemeinen Rahmenbedingungen seiner Arbeit im Projekt anders sind, als sie nun mal sind. Reduzieren Sie den beiderseitigen Druck, indem Sie Kritik und Widerstand akzeptieren. Achten Sie aber auch darauf, die anderen, „folgsamen“ Mitarbeiter nicht zu vernachlässigen, indem Sie sich nur um die Widerständigen kümmern. Beispiel: „Ich sehe, dass du nicht zufrieden bist. Danke dafür, dass du es zeigst und wir dadurch vielleicht noch bessere Möglichkeiten finden.“
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Sie können sich auf Konflikte vorbereiten
2. Helfen Sie dem „Widerständler“, seine bedrohten Bedürfnisse zu identifizieren Sie können die Energie aus Kritik und Widerstand nur nutzen, wenn Sie die ihnen zugrunde liegenden Bedürfnisse berücksichtigen. Sind diese Bedürfnisse nicht zu privat, braucht es dazu nicht unbedingt ein Gespräch unter vier Augen, Sie können auch gleich in der Teamberatung daran arbeiten – aber es bedarf immer einer konkreten persönlichen Ansprache Ihres Widersachers. Tipp: Wenn Sie Ihren Widersacher direkt ansprechen, achten Sie darauf, dass Sie ihm keine Vorwürfe machen und keine Anschuldigungen vorbringen. Bedenken Sie: Sie sind hier nicht allparteilicher Vermittler, der ein Me diationsgespräch führt (siehe Kapitel 10), sondern Konfliktgegner des „Widerständlers“. Sie betreiben aktive Deeskalation in eigener Sache. Entsprechend sorgfältig müssen Sie formulieren.
Beispiel: (So nicht!) „Herr Conradi! Was ist denn los mit Ihnen? Bei der Festlegung unserer nächsten Teambesprechung haben Sie ja total überreagiert.“
Eine Formulierung wie im Beispiel wäre eine negative Verhaltensbewertung und nur aus Ihrer Blickrichtung gesehen richtig. Herr Conradi, der endlich mal wieder mit seiner Frau ins Theater gehen wollte, wird sein Verhalten als ganz vernünftig und richtig bewerten und folglich auf Ihre Worte mit Angriff oder Rechtfertigung reagieren. Beides hilft Ihnen nicht. Gute Unterstützung bei der Formulierung in kritischen Situationen bietet das Sprachmodell der „gewaltfreien Kommunikation“ von Marshall B. Rosenberg.
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In eigenen Konflikten die Eskalation verhindern
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Sprachmodell „gewaltfreie Kommunikation“: © Marshall B. Rosenberg Das folgende Sprachmodell soll den Angesprochenen für Kritik und Wünsche öffnen, indem es bewertungs und angriffsfrei ist und da durch keine Gegenwehr provoziert. 1. Schildern Sie wertfrei die beobachtete Situation. 2. Beschreiben Sie, wie Sie sich gerade fühlen. 3. Nennen Sie Ihre eigenen Bedürfnisse in Bezug auf die Situation. 4. Äußern Sie einen Wunsch, bei dessen Erfüllung Ihre eigenen Be dürfnisse aus 3. befriedigt werden und von dem Sie erwarten, dass auch Ihr Gegenüber ihn ohne Verletzung seiner Bedürfnisse erfül len kann. Die vier Schritte müssen Sie vielleicht mehrmals wiederholen.
Beispiel: (So ist es besser!) 1. Herr Conradi, mir ist aufgefallen, dass Sie vorhin bei der Festle gung unserer nächsten Teambesprechung sehr unzufrieden waren. 2. Ich bin verwirrt, weil mir das zum ersten Mal aufgefallen ist, und ich bin besorgt, welche Auswirkungen Ihre Unzufriedenheit auf unser Projekt haben könnte. 3. Mir ist wichtig, dass wir hier erfolgreich zusammenarbeiten und uns gegenseitig aufeinander verlassen können. 4. Deshalb bitte ich Sie, mir zu sagen, was Sie an der Terminfestle gung so gestört hat: Woran merken Sie, dass unsere Entscheidung für Sie nicht gut ist?
Natürlich können Sie Ihre Frage auch schneller und direkter stellen. Vermeiden Sie aber immer Bewertungen, wenn Sie eine nützliche Antwort erhalten wollen. Und je schwieriger die Situation ist, desto genauer sollten Sie dem Sprachmodell von Rosenberg folgen. Tipp: Ganz wichtig ist: Fragen Sie an dieser Stelle auf keinen Fall, was getan werden müsste oder gar was Sie selbst tun sollten, um Herrn Conradis
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Problem zu beseitigen. In 99 von 100 Fällen wird Herr Conradi an dieser Stelle noch nicht sein verletztes Bedürfnis nennen können, auf dessen Grundlage dann eine Lösung gefunden werden kann, sondern er wird Sie mit einer unerfüllbaren Forderung konfrontieren. Wenn Sie die dann zwangsläufig ablehnen müssen, ist der Konflikt bereits eine Stufe wei ter eskaliert.
Beispiel: (So nicht!) „Was soll denn anders sein, damit Sie zufrieden sind, Herr Conradi?“ – „Die Teamsitzungen sollen in die Kernarbeitszeit verlegt werden und ab 18 Uhr will ich spätestens hier raus sein.“ – „Aber das geht nicht, Herr Conradi, wir können doch nicht tagsüber für drei Stunden von der Bildfläche verschwinden, für den Kunden nicht mehr erreichbar sein, …“
Und schon sind Sie wieder beim Überzeugen und Überreden, wenden Energie auf und provozieren Gegendruck. Fragen Sie stattdessen nach dem Grund für Kritik oder Widerstand, also nach den verletzten Bedürfnissen. Wenn Sie ehrlich bemüht sind, die Ursache zu erfahren und anschließend eine gemeinsame Lösung zu finden, wird der andere dies spüren und sich Ihnen früher oder später anvertrauen. Verwenden Sie für die Suche nach dem Grund die schon aus Abschnitt 10.4 bekannte systemische Frage, bis Sie die ursprüngliche Erwartung Ihres Gegenübers an die Situation und dahinter sein Bedürfnis entdeckt haben: Das Frageschema für die Bedürfnisermittlung • Woran merkst du, dass … gut/nicht gut ist? • Und woran noch? • Und woran noch?
3. Setzen Sie klar den Rahmen, innerhalb dessen sich Konflikt lösungen bewegen können Wenn in Schritt 4 der Widerständige selbst die Lösung seines Konflikts erarbeiten soll, muss er wissen, welchen Spielraum Sie ihm
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dafür zur Verfügung stellen. Als Projektleiter mit moderierendem Führungsstil (siehe Abschnitt 4.2.4) ist es Ihre Aufgabe, die Grenzen des Handelns zu definieren. Deshalb setzen Sie jetzt einen klaren Rahmen für den Lösungsraum. Beispiel: „Okay, Herr Conradi. Was ich verstanden habe, ist, dass Sie gern mehr Zeit für Unternehmungen mit Ihrer Partnerin hätten, zum Beispiel heute wollten Sie ins Theater gehen, und dass Sie Angst haben, unse re bisherigen Arbeitszeiten könnten den Zusammenhalt Ihrer Familie gefährden. Wir brauchen also jetzt für unsere Teamsitzungen eine Lösung, die Ihnen einerseits Zeit für Ihre Familie lässt, bei der aber andererseits die Kernarbeitszeiten nicht berührt werden dürfen, die Dienstage und Freitage wegen der Präsentationen frei bleiben und wir trotzdem alle unsere Themen schaffen.“
4. Geben Sie die Verantwortung für die Lösungssuche an den Widerständler zurück Kümmern Sie sich nun keinesfalls selbst um die Entwicklung der passenden Lösung. Sie wissen schon aus der Beschäftigung mit der systemischen Theorie (siehe Abschnitt 10.5), dass dauerhaft nur funktioniert, was die Betroffenen selbst erdacht haben. Beispiel: „Bitte sagen Sie mir, Herr Conradi, welche Lösungen Ihnen vorschwe ben oder auf welche Weise wir zu Lösungen kommen könnten. Ich schreibe mal mit, was Sie vorschlagen.“
Checkliste: Konflikteskalation verhindern Die Bereitschaft zur engagierten Diskussion in Eskalationsstufe 1 nut zen: • Mediationsklauseln in Verträge aufnehmen • „Gefrierschrankmethode“ vereinbaren • Vermittlungsgespräch führen: siehe Kapitel 10
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Sie können sich auf Konflikte vorbereiten
Die Energie der schwierigen Interaktion (Widerstand) nutzen: • Widerstand akzeptieren, Druck rausnehmen • Die bedrohten Bedürfnisse herausfinden • Einen klaren Lösungsrahmen setzen • Die Lösungsverantwortung zurückgeben
11.5 Ein unklares Projektumfeld sorgt für Kon fliktpotenzial
Konfliktpotenzial vermeiden
Konfliktpotenzial entsteht und verstärkt sich immer dann, wenn Menschen ihre Bedürfniserfüllung als bedroht erleben. Das geschieht besonders schnell, wenn die Rahmenbedingungen des Projekts unklar sind, wenn sich die beteiligten Menschen unberechenbar verhalten und wenn der Umgang mit Fehlern, Verzögerungen und Planabweichungen nicht geregelt wurde. Achtung: Das Konfliktpotenzial sinkt, wenn die Rahmenbedingungen stimmen: – wenn die objektiven Umstände (Projektdefinition, Arbeitsweise usw.) im Projekt klar sind, – wenn das Verhalten der Menschen (Kommunikation, Kooperation usw.) berechenbar ist, – wenn der Umgang mit unerwarteten oder problematischen Ereignis sen (Fehler, Mehrarbeit usw.) geregelt wurde.
Diese Gesamtrahmenbedingungen werden als „Setting“ bezeichnet. Jedes Projektteam und innerhalb des Teams jedes Mitglied bewegt sich innerhalb eines solchen Settings. Achtung: Ohne einen klaren Rahmen wären die Personen nicht handlungsfähig. Deshalb findet Setting auf jeden Fall statt.
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Konfliktpotenzial vermeiden
Welche Sicht haben wir auf Projekt- und Rahmenbedingungen?
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Wie wollen wir mit erschwerenden Anforderungen/ Ereignissen umgehen?
Wie wollen wir miteinander umgehen?
Die Gestaltung des Settings wird von diesen drei Fragen bestimmt Das Setting wird entweder explizit definiert (von Ihnen oder gemeinsam), dann können Sie von ähnlichen Vorstellungen bei allen Beteiligten ausgehen. Oder es entsteht als Ersatz für einen fehlenden vorgegebenen Arbeitsrahmen im Kopf des Teammitglieds selbst. Dann wird kaum ein Setting dem anderen gleichen.
Setting macht Verhalten berechenbar(er)
Achtung: Jeder Mitarbeiter hält das in seinem eigenen Kopf entstandene Setting für das allgemein gültige.
Zu Konfliktpotenzial kommt es spätestens, wenn sich die anderen Kollegen scheinbar „settingwidrig“ verhalten. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die explizite „öffentliche“ Definition des Settings oft unterbleibt. Sie wissen es aus eigener Erfahrung: Projektleiter schwimmen nicht selten selbst in Unsicherheit angesichts mangelnder Zielklarheit beim Auftraggeber, sie sind beschränkt von knappen Ressourcen, bleiben fortwährend durch Parallelarbeiten überlastet und werden mit Linien- und Individualbedürfnissen konfrontiert. Wie sollen da Kapazitäten für so etwas wie Setting frei sein, dessen Fehlen anfangs kaum auffällt und demgegenüber alles andere viel dringender erscheint. Tipp: Nur mit expliziter Definition des Settings erreichen Sie eine Verringe rung des Konfliktpotenzials, weil Ihren Mitarbeitern erst dann die all
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Sie können sich auf Konflikte vorbereiten
gemeinen objektiven Umstände klar sind, das Verhalten der beteiligten Menschen berechenbar(er) ist und der Umgang mit Ereignissen geregelt wurde. Eine explizite Definition des Settings ist unbedingt nötig. Wenn Sie diese Definition „häppchenweise“ durchführen, belastet das Ihre Ressourcen kaum. Setting bedürfnis orientiert gestalten!
Wollen Sie sich und Ihrem Projekt Dienst nach Vorschrift, Cliquenbildung, gestörte Kommunikation, gegenseitige Schikane, Qualitätsverlust und weitere Unerfreulichkeiten ersparen, gestalten Sie die in der folgenden Checkliste dargestellten Projektbereiche bedürfnisorientiert. Wie Sie das tun können, lesen Sie es in den weiteren Kapiteln. Checkliste: Setting Allgemeine objektive Umstände des Projekts Projektdefinition (Problem, Auftrag, Ziel) Beteiligte (Teammitglieder, Stakeholder) Regeln (Gesetze, Normen, Leitbilder) Strukturen (Organisation, Zuständigkeiten) Arbeitsweise (Abläufe, Schnittstellen) Ressourcen (Bedarf, Zuteilung) Grenzen (sonstige lösungsbedingende Faktoren) Identität (Projektleitbild, Big Project Picture) Interaktion von Menschen im Projekt Umgangsformen (Kommunikation, Verhalten) Kooperationsformen (Loyalität, Unterstützung) Umgang mit Ereignissen Belastungen (Mehrarbeit, Überstunden) Störungen (Fehler, Probleme, Konflikte) Engagement (Motivationsveränderungen) Privates (Veränderung/Entwicklung von Menschen)
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Konfliktpotenzial vermeiden
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Tipp: Je eher Sie konfliktvorbeugende Rahmenbedingungen gestalten, desto weniger Aufwand haben Sie damit und desto weniger vermeidbare Kon flikte entstehen. oder Firefighting und Troubleshooting
Aktivitäten
frühzeitig intensiv beeinflussen
Anfrage
Projektlaufzeit
EndTermin
Je später Sie sich um Konflikte kümmern, desto höher wird der Aufwand im Verlauf des Projekts. Diese Form der Konfliktvorbeugung, deren Elemente im Folgenden noch detaillierter beschrieben sind, • verlangt keine (oder fast keine) zusätzlichen Ressourcen, • lässt sich trotz bereits erfolgten Projektstarts umsetzen, • bezieht sich nicht auf bestimmte Menschen und • erfordert keine konflikt-hellseherischen Fähigkeiten. Sie ist deshalb eine sehr wirkungsvolle und realitätsgerechte Form, Konflikten vorzubeugen und Projekte effizient zu führen.
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Ziel abstimmen
Sorgen Sie für eine klare Projektdefinition
Es ist schon merkwürdig: Da erwartet alle Welt von den Projektleitern, dass sie mit ihrem Projekt schnell und sicher ans Ziel kommen; aber was das Ziel ist, sagt ihnen oft niemand. Stattdessen bleiben Ziele vage, sind selten messbar, entstehen aus der Laune des Augenblicks. Fehlt in Ihrem Projekt ein klares, mit Auftraggeber, Mitarbeitern und deren Vorgesetzten abgestimmtes Ziel oder ist es nicht sorgfältig formuliert, kommt es zu zahlreichen Konflikten. Denn eine nur formale Zielformulierung • unterliegt unterschiedlichen Auslegungen, die bei Schwierigkeiten im Projekt weit auseinanderdriften werden, • verführt zu unklaren und vernachlässigten Arbeitspaketen, unter Umständen sogar zu fehlenden oder fehlerhaften Teilprojektergebnissen und • macht jede Ressourcenplanung mangelhaft. Als Projektleiter haben Sie sich an solche Situationen wahrscheinlich schon gewöhnt und machen das Beste daraus. Mit den Hinweisen im nächsten Abschnitt kann Ihnen das in Zukunft noch erfolgreicher gelingen. Tipp: Verzichten Sie nicht auf eine schriftliche Projektleitervereinbarung. Sie erhöht die Zielklarheit sowohl bei Ihnen als auch bei Ihrem Vorgesetzen. Außerdem fällt Ihre Durchsetzungskraft nach Annahme des Projektauf trags ohne Projektleitervereinbarung rapide ab. Eine MusterProjekt leitervereinbarung finden Sie auf der CD.
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Wie Sie klare Ziele erreichen
12.1
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Wie Sie klare Ziele erreichen
Projekte entstehen, falls sie nicht nur zur Beschäftigung von Mitarbeitern gedacht sind (was gar nicht so selten vorkommt), um ein Problem zu beseitigen. Das kann ein zu geringer Umsatz sein, zu dessen Steigerung ein neues Produkt entwickelt werden soll, das kann eine fehleranfällige Technik sein, deren Optimierung nötig ist, das kann die veraltete Software sein, die ersetzt werden muss, und noch vieles andere. Wie immer, wenn Menschen vor einem Problem stehen, fällt es ihnen viel leichter zu sagen, was sie nicht mehr wollen (nämlich das Problem), als zu sagen, was sie stattdessen wollen (nämlich das Ziel). Aufgabe: Denken Sie an einen unbefriedigenden aktuellen Zustand in Ihrem Berufs oder Privatleben. Schreiben Sie innerhalb von zehn (!) Sekun den auf, was Sie an diesem Zustand nicht mehr wollen. Fertig? Dann weiter: Drehen Sie nun das Blatt um und schreiben Sie wiederum in zehn (!) Sekunden auf, wie dieser Zustand stattdessen besser sein müsste. Fer tig? Dann weiter: Sie werden vermutlich feststellen, dass auf der ersten Seite weit mehr steht als auf der zweiten (oder dass Sie auf der zweiten Seite haupt sächlich Umkehrungen von negativen Beschreibungen notiert haben, etwa: „Ich will nicht mehr unglücklich sein.“)
Entsprechend erhalten Sie von Auftraggebern oft nur eine Problembeschreibung, aber keinen konkreten Auftrag und erst recht kein klares Ziel. Darum müssen Sie sich nun selbst kümmern. Vom Problem über die Auftragsklärung zur Zielformulierung 1. Fordern Sie von Ihrem Auftraggeber eine vollständige negative Problembeschreibung (Lastenheft) an. Ist selbst das nicht möglich, entscheiden Sie sich besser gegen die Übernahme des Projekts. 2. Formulieren Sie dann, am besten gemeinsam mit Ihrem Team, diese Problembeschreibung positiv in einen Auftrag (Pflichten-
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12 Projektziel gemeinsam formulieren
Sorgen Sie für eine klare Projektdefinition
heft) um. Stimmen Sie diesen Auftrag detailliert mit dem Auftraggeber ab. 3. Formulieren Sie – unbedingt gemeinsam mit Ihrem Team – ein Ziel für Ihr Projekt. Dieses Ziel enthält a) den Auftrag (das Ziel des Kunden), b) Ziele für Ihr Unternehmen, c) Ziele für das Team, d) Ziele für einzelne Teammitglieder, e) weitere (übergeordnete) Ziele. 4. Gleichzeitig müssen Sie festlegen, woran Sie bei Projektabschluss das Erreichen oder Verfehlen der Teilziele erkennen werden, damit Sie ein insgesamt messbares Ziel haben. Beispiel: Bei einem Haushaltsgerätehersteller häufen sich die Garantiefälle, weil der neue elektronische Handmixer beim Einsetzen in den Lade sockel die gerade eingestellte Mixgeschwindigkeit vergisst. Ein Inge nieurbüro wird beauftragt, „den Mixer störungsfrei“ zu machen. 1. Der zuständige Projektleiter fordert eine vollständige Problembe schreibung an. 2. Dann formuliert er positiv: „Der Hersteller beauftragt uns, die Mi xerSteuerung so zu verändern, dass Benutzereinstellungen bis zum Ausschalten des Geräts erhalten bleiben“ und stimmt diesen Auftrag mit dem Auftraggeber ab. 3. und 4. In einer Teamsitzung wird das Projektziel definiert: a.
b.
c.
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Wir wollen den Auftrag erfüllen – den Erfolg merken wir an der Erledigung des Pflichtenhefts und an der Akzeptanz durch den Kunden. Wir wollen einen Fachartikel über die neue Steuerung veröf fentlichen und dadurch neue Kunden akquirieren – den Erfolg merken wir an mindestens drei neuen Kunden innerhalb von neun Monaten für derartige Entwicklungsaufträge. Wir wollen unsere Stellung im Unternehmen als technologisch und wirtschaftlich erfolgreiches Team noch mehr verstärken – den Erfolg merken wir, wenn wir ein unmittelbares Anschluss projekt übertragen bekommen, ohne uns selbst darum küm mern zu müssen.
Wie Sie smarte Ziele festlegen
d.
e.
12.2
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Wir wollen das Projekt nutzen, um Thomas und Christine in Java fit zu machen und Herr Schröder soll es für seine Dip lomarbeit verwenden können – wir merken den Erfolg an einer guten Diplomnote. Bei Thomas und Christine merken wir den Erfolg nicht direkt messbar. Wir wollen ein Ergebnis erreichen, das weniger statt mehr Strom im Vergleich zur bisherigen Technologie des Mixers verbraucht, um neben Kostenvorteilen für den Verbraucher vor allem auch die Umwelt zu entlasten – den Erfolg merken wir durch Nachmessen.
Wie Sie smarte Ziele festlegen
Ein so formuliertes Ziel ist nicht nur spezifisch und messbar, sondern wegen der Zieleinbindung der Mitarbeiter auch attraktiv. Um ein wirklich „smartes“ Ziel zu definieren, müssen außerdem alle Teilziele auf ihre realistische Umsetzbarkeit geprüft und mit Terminen versehen werden.
SMART Kriterien
Tipp: Formulieren Sie smarte Ziele: s spezifisch m messbar a attraktiv r realistisch t terminiert
Techniken zur Unterstützung bei der gemeinsamen Zielformulierung finden Sie zum Beispiel im TaschenGuide „Moderation“ (s. Literaturverzeichnis). Achtung Mit der Zielformulierung kann erst begonnen werden, wenn der Auf traggeber die Auftragsformulierung verstanden und bestätigt hat.
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Sorgen Sie für eine klare Projektdefinition
Das Ziel gilt erst als definiert, wenn es (mit Ausnahme der „privaten“ Anteile „Ziele für das Team“ und „Ziele für einzelne Teammitglieder“) von den Vorgesetzten der Projektteammitglieder und vom Projektbüro verstanden und bestätigt ist.
Durch eine gute Auftragsklärung vermeiden Sie viel Konfliktpotenzial beim Auftraggeber hinsichtlich der Nützlichkeit seiner Investition in Ihr Projekt und bei sich selbst hinsichtlich vollständiger Bezahlung des Ergebnisses (beides: Ressourcenzugriff). Durch eine vollständige Zieldefinition vermeiden Sie viel Konfliktpotenzial beim Team hinsichtlich der Bedürfnisse Mitbestimmung, Relevanz und seinen Platz haben, bei den Vorgesetzten besonders hinsichtlich Mitbestimmung und bei Ihnen als Projektleiter außerdem noch hinsichtlich Selbstbestimmung.
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13
13.1
Kümmern Sie sich um die Beteiligten
Wie Sie die Individualität der Team mitglieder nutzen
Unterstützen Sie die Mitglieder Ihres Teams dabei, all die vielfältigen Seiten verschiedener großartiger Menschen kennenzulernen. Denn Konflikte entstehen im Projektverlauf oft innerhalb des Teams. Menschen reiben sich an unterschiedlichen Befindlichkeiten, Überzeugungen und Verhaltensweisen. Dabei ist diese Verschiedenheit eigentlich ein wertvolles Element von Teamarbeit. Es ist deshalb wichtig, die Diversität Ihrer Mitarbeitenden zu verstehen und zu nutzen, statt sich mit ihr herumzuquälen. Alle Ihre Mitarbeiter erfüllen im Team bestimmte Rollen. Die haben sie sich entweder bewusst gesucht oder sie passen besonders gut zu ihnen oder sie waren gerade noch frei. Beispiel: Hannes Mager wechselt das Projektteam. In seinem alten Team war er immer auf der Überholspur. Er hat die Kollegen mitgerissen, hat neue Ideen eingebracht, hat ermutigt, hat Begeisterung geweckt, war – kurz gesagt – der durch nichts zu brem sende Vorausdenker des Teams. Über den Arbeitsstil in seinem neuen Team ist er ziemlich entsetzt. Schon bei der ersten Sitzung musste er feststellen, dass die Kollegen offenbar keinerlei Bindung an die Realität mehr haben. Ohne Blick auf Ressourcen planen sie immer neue Details, entwerfen Visionen und sind schon beim Übernächsten, bevor das aktuelle Arbeitspaket auch nur begonnen ist. Hannes Mager versucht, Ruhe und Ordnung in den Laden zu bringen, er verlangt Prüfungen, Meilensteine, Bestandsauf nahmen. Schon nach wenigen Tagen liegt die gesamte Qualitätssiche rung und damit quasi die fachliche Projektleitung in seiner Hand.
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Kümmern Sie sich um die Beteiligten
Überlegen Sie im Blick auf Ihr Team, welche Rollen besetzt sind, welche fehlen oder welche vielleicht auch zu sehr dominieren. Stellen Sie sich Fragen wie: • Habe ich in meinem Team Mitstreiter, die tolle Ideen entwickeln wollen? • Habe ich Leute, die diese Ideen auch umsetzen? • Habe ich gewissenhafte Qualitätssicherer? • Habe ich Mitarbeiter, die den Überblick behalten? Und prüfen Sie: • Welche Rollen müssen außerdem in meinem Projekt ausgefüllt werden und wie befähige ich Teammitglieder dazu, solche Rollen zu übernehmen? Um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, können Sie Modelle wie das von Belbin heranziehen. Ein solches Modell hilft Ihnen, sich zumindest schon einmal grob über die aktuelle Besetzung von Rollen in Ihrem Projektteam klarzuwerden. Sie finden das Modell zur Identifikation von Teamrollen mit Anwendungshinweisen auf der beiliegenden CD. Doch Vorsicht! Tipp: Vermeiden Sie es unbedingt, Personen einseitig zu bewerten oder sogar Stigmata (z. B. „Das ist unser Vollstrecker“, „Du bist ja unser bewährter Erbsenzähler“) zu kultivieren. Erstens entspricht das nicht der komple xen Realität, zweitens beschneiden Sie die in der Diversität liegenden Ressourcen und drittens kann es entwürdigend sein und wirken – auch wenn das Gegenteil Ihre Absicht ist.
Nutzen Sie solche Modelle als Einstieg zur Teamsituationsanalyse, zum gedanklichen Spiel und zum eigenen Verständnis von bestimmten Haltungen und Handlungen. Nutzen Sie solche Modelle nie als dauerhafte Banalisierung der Realität! Ziehen Sie Personen zu Rate, die dafür die entsprechende Expertise mitbringen. Prüfen Sie deren Expertise gründlich.
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Wie Sie mit den anderen Stakeholdern umgehen
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Tipp: Wenn Sie diese Rollenarbeit gemeinsam mit Ihrem Team durchführen (und nicht nur zu Ihrer eigenen Erkenntnis), ist die Gefahr dauerhafter Stigmatisierungen und daraus folgender Ressourcenbeschneidung be sonders groß. Beenden Sie einen solchen gemeinsamen Prozess deshalb unbedingt mit einer Flexibilisierungsphase: Wohin willst du dich entwickeln? Welche Rolle willst du einnehmen? Welche Rolle wünschst du dir mehr von xy? usw. So wird dem Team deutlich, dass die festgestellten Rollen nur momentane Muster und nicht für alle Ewigkeit vergeben sind.
Achtung: Menschen können mehrere Teamrollen gleichzeitig ausfüllen. Unter veränderten Bedingungen können sie auch Teamrollen wechseln. Das gilt auch für situationsabhängiges Verhalten. Ein in der Mitarbeitersit zung dominanter Typ kann im Führungskräftemeeting „soft“ werden. Ein „Erfinder“ kann auch „Umsetzer“ sein oder dazu werden.
13.2
Wie Sie mit den anderen Stakeholdern umgehen
Stakeholder sind alle Personen, die von Ihrem Projekt beeinflusst werden oder die das Projekt selbst (direkt oder indirekt) beeinflussen können. Beispiel: Stakeholder sind Ihre Projektmitarbeiter, der oder die Auftraggeber, Mitarbeiter in anderen Abteilungen, die von der Umsetzung betroffen sind (zum Beispiel Mitarbeiter des zentralen Vertriebs, wenn ein Au ßendienstnetz aufgebaut werden soll und der zentrale Vertrieb redu ziert wird), Betroffene außerhalb des Unternehmens (zum Beispiel Verbände, Behörden, Zulassungsstellen und Anwohner) oder die diszi plinarischen Vorgesetzten Ihrer Projektmitarbeiter.
Stakeholder können Sie sowohl aktiv als auch passiv unterstützen oder behindern. Es ist deshalb wichtig, ihre Bedürfnisse und Ein-
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Kümmern Sie sich um die Beteiligten
flussmöglichkeiten zu analysieren und daraus notwendige Maßnahmen abzuleiten. Damit betreiben Sie Stakeholder-Management. Konflikte mit Stakeholdern sind besonders gefährlich, wenn • sie in ihren Auswirkungen für das Projekt unterschätzt und deshalb zu spät als relevant wahrgenommen werden, • sie sich zu Gruppenkonflikten entwickeln.
Unterschätzte und verspätet wahrgenommene Konflikte Beispiel: Paul und sein Team haben gründlich gerechnet und ein optimales neues Bereitschaftsdienstmodell vorgelegt. Alle gesetzlichen Rah menbedingungen sind berücksichtigt, alle Wünsche der Mitarbeiter eingearbeitet, die finanziellen Vorgaben der Geschäftsleitung erfüllt – alles ist wunderbar. Bei der Präsentation steht der Vertreter des Personalrats auf und er klärt, dass ein solches, in keiner Weise mit dem Personalrat abgespro chenes Modell niemals seine Zustimmung finden werde. Eine weitere Diskussion erübrige sich.
Fachlich gesehen war der Personalrat nicht so wichtig und deshalb auch nicht eingebunden. Auf der Bedürfnisebene hat der Betriebsoder Personalrat jedoch ein ausgeprägtes Verlangen nach Relevanz und Wertschätzung. Dafür hat er häufig auch gute Gründe, die Ihnen bei Ihrer fachlichen Arbeit aber vielleicht nicht so präsent sind. Wenn Sie eine Stakeholder-Analyse durchführen, werden Sie auf die Bedürfnisse und Ziele der Stakeholder aufmerksam. Nun könnten Sie beispielsweise den Betriebsrat frühzeitig einbinden und vermeiden, dass er sich auf die Hinterbeine stellt und blockiert, um Macht zu demonstrieren. Das ist zusätzliche Arbeit und erfordert Zeit, die knapp ist, aber Sie haben ein zweifellos projektgefährdendes Konfliktpotenzial hinsichtlich der Bedürfnisse nach Wertschätzung, Relevanz und Mitbestimmung reduziert.
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Wie Sie mit den anderen Stakeholdern umgehen
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Achtung: Beachtete und eingebundene Stakeholder sind Kooperationspartner für das gemeinsame Projekt. Vergessene Stakeholder sind potenzielle Geg ner.
StakeholderAnalyse durchführen Die Stakeholder Ihres Projekts haben in verschiedener Weise und mit unterschiedlicher Intensität Einfluss auf das Projekt. In Abhängigkeit davon, wie sie dem Projektziel und der Projektarbeit gegenüberstehen, können sie Sie unterstützen oder behindern. In einer ersten Analyse notieren Sie die Stakeholder (Personen oder Gruppen) und differenzieren wie folgt: • Promotoren: Personen oder Gruppen, die Ihr Projekt aktiv unterstützen (würden), zum Beispiel Ihr Auftraggeber • Befürworter: Personen oder Gruppen, die Ihrem Projekt positiv gegenüberstehen, es aber nicht aktiv (aus eigenen Interessen) unterstützen, zum Beispiel die Projektmitarbeiter • Neutrale: Personen oder Gruppen, die Ihr Projekt nicht berührt und die darin keinen Konflikt zu den eigenen Interessen sehen, zum Beispiel Ihr Linienvorgesetzter (soweit nicht identisch mit dem Auftraggeber) • Opponenten: Personen oder Gruppen, die direkt oder indirekt gegen Ihr Projekt vorgehen bzw. schlechte Bedingungen für das Projekt unterstützen, zum Beispiel Vorgesetzte Ihrer Projektmitarbeiter, weil sie Ihrem Projekt Ressourcen zur Verfügung stellen mussten, die sie für ihre eigenen Vorhaben einsetzen möchten
Schritt 1
Tipp: Analyse und Grobzuordnung lassen sich gut im Projektteam durchfüh ren. Die Projektmitarbeiter können Stakeholder zum Teil besser oder an ders einschätzen als Sie, z. B. wenn es um deren Vorgesetzte geht oder um andere vom Projekt betroffene Personen und Gruppen.
Im zweiten Schritt ermitteln Sie, welchen Einfluss die verschiedenen Stakeholder wiederum auf andere Stakeholder haben. Lassen sich
Schritt 2
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Schritt 3
Kümmern Sie sich um die Beteiligten
Promotoren dafür einsetzen, dass wichtige Neutrale das Projekt sichtbar unterstützen? Sind Opponenten Sprachführer in anderen, wichtigen Gruppen? Haben Befürworter solchen Einfluss auf Opponenten, dass diese zumindest neutralisiert werden können – eventuell auch nur temporär? Im dritten Schritt geht es darum, Ihre Handlungskonsequenzen abzuleiten und umzusetzen. Das können direkte oder über Dritte geführte Gespräche oder auch die bewusste Einbindung in Informations- und Entscheidungsprozesse des Projekts sein.
Von der StakeholderAnalyse zum Stakeholder Management Für das Stakeholder-Management wird die oben beschriebene Analyse dynamisiert. Das heißt, Sie überlegen sich Szenarien, die dazu führen, dass wichtige Stakeholder die eigene Haltung zu Ihrem Projekt verändern. Zu diesem Zweck können Sie zunächst eine Risikoanalyse durchführen: Notieren Sie die einzelnen Arbeitspakete und Projektphasen untereinander und stellen Sie sich die Frage, was jeweils passieren muss, damit dieser oder jener Stakeholder zur Gefahr für Ihr Projekt wird. Daraus können Sie weitere vorbeugende und mögliche reaktive Maßnahmen ableiten. Dabei werden Sie feststellen, dass neue Anforderungen an die Kommunikation mit den Stakeholdern auf Sie zukommen. Mehr dazu finden Sie in diesem Buch unter anderem in den Abschnitten 7.3 und 11.3. Mehr zur Stakeholder-Analyse finden Sie außerdem auf der CD.
13.3
Wie Sie Gruppenkonflikte mit Stake holdern verhindern
Dass Sie Konflikte zwischen Ihrem Projekt und Stakeholdern wie auch alle anderen Konflikte nicht mit Sicherheit vermeiden können, wissen Sie bereits. Sie müssen aber unbedingt verhindern, dass aus dem Konfliktpotenzial einzelner Stakeholder Gruppenkonflikte entstehen.
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Wie Sie Gruppenkonflikte mit Stakeholdern verhindern
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Beispiel: André Gogel macht sich Sorgen über das neue Chemielabor, das in seiner Nachbarschaft entstehen soll. Er befürchtet, dass er seine Ter rasse womöglich wegen schädlicher Gase und Gerüche nicht mehr nutzen kann. Weil er niemanden hat, den er fragen kann, geht er zu seinem Nachbarn. Der hatte über die Emissionen des Unternehmens noch gar nicht nachgedacht, findet aber, dass hier auf keinen Fall Ab gase die Luft verpesten dürfen. Auf der Kleingärtnerversammlung am Abend schimpft er, dass es wieder mal die kleinen Leute treffe, die sich mit Mühe ihre Häuschen und Gärten aufgebaut haben und die jetzt womöglich vergiftete Luft atmen müssen. Der Gartenverein be schließt eine Resolution gegen das Bauvorhaben und schreibt einen offenen Brief an die Zeitung. Als der erscheint, sprechen sich so gut wie alle Bewohner des Orts gegen das Labor aus, das zahlreiche neue Arbeitsplätze böte.
Der Konflikt hat alle Merkmale eines Gruppenkonflikts: Es gibt zurzeit keine giftigen Emissionen, es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass es zu solchen Abgasen kommen könnte, und es wären im schlimmsten Fall einige Nachbarn betroffen, aber nicht der ganze Ort. Trotzdem gehen die Bewohner geschlossen gegen die „Giftschleuder“ vor. Ein solcher Gruppenkonflikt lässt sich kaum wieder einfangen, weil • viele der Beteiligten ihn inzwischen für eigene Zwecke instrumentalisieren (zum Beispiel, um dem politischen Gegner zu schaden), • sich das Misstrauen „der Kleinen“ gegen „die Großen“ hartnäckig hält, • die komplexe Materie von den meisten fachlich nicht verstanden wird und die Gegenseite einfache Sätze gebraucht, • eine Solidarisierung eingesetzt hat, die auch kleinste Nachteile für einige wenige zum großen Nachteil aller macht. Falls es doch gelingt, diesen Gruppenkonflikt zu deeskalieren, dann nur mit sehr hohem Aufwand und mit der schon in Abschnitt 9.2 beschriebenen Methode des Kennenlernens, also nicht durch das Verhandeln über die tatsächliche Giftemission usw.
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Kümmern Sie sich um die Beteiligten
Achtung: Auch für Konflikte zwischen Gruppen gilt: Diskutieren Sie nicht über Sachfragen (wie beispielsweise die Ungefährlichkeit von Abgasen). Sor gen Sie stattdessen für das gegenseitige Kennenlernen der Konfliktgeg ner.
Ressourcenschonender ist es, wenn es Ihnen gelingt, solche Stakeholder-Gruppenkonflikte so weit wie möglich zu verhindern. Das ist einfacher, als es scheint. Denn Sie brauchen dazu nur einen Ansprechpartner für die einzelnen Stakeholder. Checkliste: Der Ansprechpartner für Stakeholder muss … … für die jeweiligen Stakeholder konkret benannt und be auftragt werden. … den Stakeholdern bekannt und für sie schnell erreichbar sein. … Zugang zu allen relevanten Informationen und zu den Entscheidungsträgern haben. … eigene Entscheidungsbefugnisse (etwa zum Einberufen eines Treffens) besitzen. … auf ein Budget für schnelle Hilfe oder Vermittlung zu greifen können.
Seine Aufgabe ist es, das vorhandene Konfliktpotenzial entweder aufzulösen oder es in einen Parteienkonflikt mit dem konkreten Stakeholder umzuwandeln, der dann mit den üblichen Vermittlungsverfahren zu lösen ist. Auf jeden Fall aber muss der Ansprechpartner verhindern, dass wegen Unerreichbarkeit des Unternehmens oder wegen seines scheinbaren Desinteresses am Problem ein Konflikt zwischen dem Projekt und einer Gruppe von Stakeholdern entsteht.
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14.1
Sorgen Sie für interne Trans parenz
Wie Sie mit Regeln umgehen
Neben den gesetzlichen Grundlagen und den (zum Beispiel im Leitbild aufgeschriebenen) unternehmensinternen Normen gibt es viele ungeschriebene Regeln für Ihr Projekt. Dazu gehören • Umgangsformen (z. B.: Wer duzt wen?), • Geheimnisse und Tabus (z. B.: Worüber wird nicht geredet, auch wenn es offensichtlich ist?), • Koalitionen (z. B.: Wem fühlen wir uns verbunden und wen im Unternehmen mögen wir gar nicht?) und • Verbote (z. B. kein Rauchen am Fenster in der Teeküche). Da diese Regeln selten schriftlich festgehalten werden, kennen neue Teammitglieder sie oft nicht, während Alteingesessene sie für völlig selbstverständlich halten. Reduzieren Sie das durch erwartetes Verhalten einerseits und Unwissenheit andererseits entstehende Konfliktpotenzial (insbesondere hinsichtlich der Bedürfnisse Gemeinschaft, Wohlfühlen, Übereinstimmung und seinen Platz haben), indem Sie • Ihr Team auf die Schwierigkeit mit ungeschriebenen Regeln hinweisen und • alle relevanten Regeln möglichst transparent machen.
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14
Sorgen Sie für interne Transparenz
14.2
Wie Sie offene und verdeckte Strukturen klären
Sie müssen Ihren Teammitgliedern die Aufbaustrukturen (Organigramm) in Ihrem Unternehmen (und beim Auftraggeber) bekannt machen. Dazu gehören auch die Zuständigkeiten und Kompetenzen der jeweiligen Ebenen. Unterscheiden Sie, wenn möglich, zwischen den Kompetenzen laut Organigramm und den tatsächlich gelebten. Die Aufbaustruktur innerhalb Ihres Projektteams legen Sie vielleicht selbst oder gemeinsam mit dem Team fest. Auch wenn Sie diese Struktur projekttypisch flach halten, sollten Sie klare funktionale Zuständigkeiten festlegen, um das Konfliktpotenzial hinsichtlich der Bedürfnisse Mitbestimmung und Relevanz zu reduzieren. Tipp: Verbinden Sie diese funktionale (qualitative) Rollenklärung mit dem Treffen zum gegenseitigen Kennenlernen (persönliche Rollenklärung) der Teammitglieder (siehe Abschnitt 13.1).
14.3
Wie Sie Ablaufstruktur und Schnitt stellen gestalten
In der Anfangsphase des Projekts entsteht üblicherweise ein Projektstrukturplan, in dem sowohl die Teilprojekte als auch die Arbeitspakete abgebildet sind. Weil dieser Projektstrukturplan meist durch den Projektleiter alleine erstellt wird, fehlt den Mitarbeitern der mit seiner Entstehung verbundene Klärungs- und Verständnisprozess. Sie kennen dann später nur ihre Teilprojekte, haben aber kein Gespür für das Projekt im Ganzen und für die Bedeutung ihrer Arbeit. Beispiel: Claudia Schall übergibt zum Kickoff ihren Teammitgliedern die fertig strukturierten Arbeitspakete und betont die hohe Komplexität und den engen zeitlichen Rahmen des Projekts.
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Wie Sie Ablaufstruktur und Schnittstellen gestalten
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Das Projektteam setzt sich aus Spezialisten verschiedener Fachrich tungen zusammen. Jeder „nimmt“ sich sein Teilprojekt heraus und be ginnt, es zu spezifizieren, um rasch die erforderlichen Schritte für sich zu definieren. Bei der Vorlage der Teilprojektergebnisse sieht sich plötzlich jeder mit Bedingungen durch andere Teilprojekte konfrontiert, die er inkompa tibel spezifiziert oder gar nicht berücksichtigt hat. Es kommt zu Kon flikten darüber, wer sich wem anzupassen habe. Informationen wer den zurückgehalten, personelle Ressourcen abgezogen, Cliquen gebil det. Claudia Schall zieht die falsche Schlussfolgerung, beim nächsten Mal noch genauere Vorgaben machen zu müssen.
Projektleiter stellen an sich selbst oft die Anforderung, das Projekt bereits vollständig zu überblicken, wenn sie damit zu ihrem Team kommen. Dieser Anspruch führt zu den beschriebenen Vorleistungen. Die Projektmitarbeiter konzentrieren sich dann sehr rasch auf ihre Themen im Strukturplan und grenzen ihre Teile von den anderen Themen ab. Damit sind sie gleich im Fachdetail, wo sie sich auch wohl und sicher fühlen. Ein Blick für das Ganze und für die Schnittstellen entfällt. Um Konfliktpotenzial hinsichtlich der Bedürfnisse Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Relevanz zu reduzieren, brauchen Ihre Teammitglieder ein klares gemeinsames Verständnis über • die Projektstruktur samt der Teilprojektziele, • die Projektbestandteile und die Arbeitspakete sowie • den Projektablauf mit Rahmen und Meilensteinen. Tipp: Erarbeiten Sie deshalb zumindest die Grobgliederung des Projektstruk turplans gemeinsam im Team und führen Sie kurze Zeit später ein wei teres Treffen durch, um nach der inzwischen erfolgten Spezifizierung der Arbeitspakete die Schnittstellen zwischen den Teilprojekten zu fin den und zu definieren. Auch bei Projekten mit hohem Routineanteil und deshalb verkürztem Strukturierungsprozess sollten Sie diese Schnittstellendiskussion nicht auslassen.
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Sorgen Sie für interne Transparenz
14.4
Wie Sie Ressourcengeber einbinden
Den Hauptzugriff auf die „Ressource Teammitglied“ hat in den meisten Projektorganisationsformen dessen unmittelbarer disziplinarischer Vorgesetzter. Das sind in der Regel nicht Sie. Deshalb benötigen Sie Ihre Personentage-Ressourcenzusagen nicht nur von den Beteiligten und vom zahlenden Auftraggeber, sondern auch von Linienmitarbeitern Ihres Unternehmens. Doch die verstehen Ihr Projekt oft nicht, erwarten deshalb keinen Nutzen davon und sind vielleicht selbst knapp an Ressourcen. Auch blockieren manche von diesen Leuten Ihr Projekt, wenn sie nicht rechtzeitig beteiligt und um Rat gefragt wurden. Andere hingegen blockieren Ihre Planungen, wenn sie zu früh einbezogen werden. Wieder andere blockieren Sie, weil sie gern an Ihrer Stelle stünden. Das ist ein ziemliches Übel! Leider haben Sie nicht die Zeit, auf alle diese Befindlichkeiten einzugehen. Auch auf die Ressourcensorgen der anderen können Sie nur begrenzt Rücksicht nehmen. Was also können Sie tun? In den meisten Fällen reduzieren Sie das Konfliktpotenzial hinsichtlich der Bedürfnisse Ressourcenzugriff und Mitbestimmung am besten, indem Sie die Ressourcengeber vom Sinn Ihres Projekts überzeugen und sie dann um Hilfe bitten, sie also zu Beteiligten machen. Klären Sie dabei auch, welche Bedenken und K.-o.-Kriterien die Linienvorgesetzten zum Projekt und zum Einsatz „ihrer“ Mitarbeiter haben und inwieweit sie zukünftig informiert und involviert werden möchten. Tipp: Wenn persönliche Treffen mit den Ressourcengebern zu aufwendig sind, nutzen Sie das Telefon für Beteiligung und Klärung. Verzichten Sie auf EMails. Falls nötig, können Sie Gesprächsprotokolle verschicken. Übernehmen Sie die abgesprochenen Maßnahmen zur Information der Linienvorgesetzten in Ihren Projektereignisinformationsplan.
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Wie Sie Grenzverletzungen vermeiden
14.5
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Wie Sie Grenzverletzungen vermeiden
Im Beispiel vom Anfang des Kapitels 12 (Küchenmixgerät) hat das Entwicklungsteam eine Reihe von Faktoren zu beachten, die einschränkend auf die Form der Auftragserledigung wirken. So dürfen beispielsweise keine Patente verletzt werden, auch muss auf speziellen Wunsch des Juniorchefs die Betriebsanzeige blau leuchten und es soll gleichzeitig noch eine Senkung der Produktionskosten um fünf Prozent erreicht werden. Diese Einschränkungen werden „lösungsbedingende Faktoren“ genannt. Sind diese Faktoren nicht bekannt, scheitert das Projekt unter Umständen trotz auftragsgemäßen Ergebnisses. Beispiel: An einer freien Schule beauftragt der Geschäftsführer seine Schullei terin, unter den Kollegen ein Projektteam für die Herrichtung des neuen Klassenraums zu bilden: „Über die Ferien muss der Raum ein gerichtet werden. Wir haben aber kaum Geld für neue Möbel. Seht mal zu, was sich machen lässt, und kümmert euch darum.“ Dann fährt er in den Urlaub. Die Lehrerinnen gründen eine Projektgruppe, besorgen sich alte Möbel aus aufgelösten Schulen, restaurieren und bemalen die, so gut es geht, und richten den Klassenraum ein. Als der Geschäftsführer aus dem Urlaub zurückkehrt, ist er entsetzt: „Aber wir können doch nicht alte Möbel verwenden, das ist völlig ausgeschlossen, wir sind eine moderne, zukunftsorientierte Schule. Das Zeug hier muss alles wieder raus!“
Die Begeisterung der Lehrerinnen können Sie sich vorstellen. Wenn Sie Konfliktpotenzial hinsichtlich des Bedürfnisses nach Relevanz reduzieren wollen, sorgen Sie für vollständige Bekanntgabe aller lösungsbedingenden Faktoren. Grenzen trans Tipp: parent machen Dokumentieren Sie lösungsbedingende Faktoren schon im Auftrag und/oder im Ziel, je nachdem, ob die Faktoren dem Auftraggeber oder dem eigenen Unternehmen zuzuordnen sind.
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Schaffen Sie eine gemeinsame Identität
Vielleicht kennen Sie den folgenden Text von Antoine de SaintExupéry: „Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen; sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Natürlich dürfen Sie das jetzt nicht wörtlich nehmen, denn in Ihren Projekten müssen Sie sehr wohl Aufgaben vergeben, Arbeitspakete einteilen und sich um Ihr Team kümmern. Und doch kann es nicht schaden, auch die Sehnsucht zu wecken, die Menschen zu Höchstleistungen motiviert. Sie reduzieren Konfliktpotenzial hinsichtlich der Bedürfnisse Übereinstimmung, Gemeinschaft, Relevanz und Mitbestimmung, wenn Sie Ihre Teammitglieder bei der Arbeit am Projekt einer inneren Vision folgen lassen. Diese Vision trägt dann auch durch Motivationskrisen hindurch. Zu den Voraussetzungen für das Entstehen einer solchen Vision gehören zwei Schritte:
15.1
Welches Ziel ein ProjektStartmeeting hat
Beginnen Sie Ihr Projekt mit einem „Kick-off“, einem Startmeeting. In welcher Form Sie das tun, hängt von der Kultur Ihres Unternehmens ab. Es muss gar nicht eventartig aufgezogen sein. Wichtig ist nur, dass ein Gedanke anschließend in allen Köpfen ist: • Wir gehen einen gemeinsamen Weg! • Zusammen werden wir gewinnen oder zusammen untergehen. • Wir werden gewinnen!
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Wie Sie ein Projektleitbild entwickeln
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Holen Sie sich Unterstützung innerhalb des Unternehmens oder auch von außen, wenn Sie ein solches Kick-off-Meeting noch nie selbst organisiert haben.
15.2
Wie Sie ein Projektleitbild entwickeln
Das „Big Project Picture“ ist das Leitbild für Ihr Projekt und wird nach folgender Struktur gemeinsam von allen Teammitgliedern formuliert: Big Project Picture Hier fehlt was. Aber jetzt kommen wir mit unserem Projekt:
So wird es laufen und du profitierst davon, wie wir alle davon Nutzen haben. Es ist unser aller Projekt!
Alle kursiv gesetzten Wörter müssen inhaltlich gefüllt werden, und zwar einmal in Kurzform für den Elevator Pitch (für die umfassende Erklärung des eigenen Projekts zwischen zwei Etagen im Aufzug) und bei Bedarf und Zeit noch einmal in Langform, damit wirklich allen alles klar ist. Beispiel: Hier ist ein Steuerungsfehler im Mixer. Aber jetzt haben wir, die Spezialisten von Team 9, mit unserem neuen Projekt KÜMISTE (Akronym) die Sache in die Hand genommen. Wir erarbeiten mit sieben Leuten einen standardisierten Steuerungs algorithmus für solche Geräte bis zum Beginn des Weihnachtsge schäftes im August. Das nütztdDir, Thomas (Leiter Marketing), weil es ein im Markt bisher nicht vorhandenes Produkt hervorbringt, es nützt uns allen, weil es den Umsatz steigert und sich damit auch unsere Umsatzbeteiligung erhöht. Es ist also ein Projekt der ganzen Firma.
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Stärken Sie projektfördernde Umgangsformen
Gibt es in Gruppen für die Kommunikation und für den Umgang miteinander keine transparenten Regeln, entsteht viel Konfliktpotenzial, weil Folgendes passiert: • Gruppen diskutieren chaotisch (Palavertechnik). • Es wird nicht zielorientiert beraten, wichtige Aspekte gehen verloren. • Mitläufer und Nachdenkliche werden nicht in die Diskussion einbezogen. • Ranking und implizite Gruppenrollen (Zuschreibungen und induziertes Verhalten) bestimmen schon längst, wer was in welcher Reihenfolge sagt und wie viel es im Projektteam gilt. • Es wird kein Feedback genutzt. Einer schnellen kleinen Mehrheit von „Leitwölfen“ wird nicht widersprochen. Andere Meinungen werden sogar als Störung bewertet. • Die Verabschiedung von Ergebnissen erfolgt „scheindemokratisch“ nach dem Mehrheitsprinzip (siehe auch in Abschnitt 10.5.3 die Hinweise zur „De-Borda-Matrix“). • Verhaltensregeln werden implizit festgelegt. • Es gibt keinen einheitlichen und transparenten Verhaltenskodex, weder nach innen noch nach außen. • Die Starken dominieren die Schwachen. Die Schwachen verhalten sich unauffällig, ihre Ressourcen, Erfahrungen und Fähigkeiten werden nicht vollständig genutzt. • Es gibt keine halbwegs sicher funktionierenden Interaktionsstrukturen (Informationsverteilung, Einbeziehung, …). Es gibt keine halbwegs sicher funktionierenden Verwaltungsstrukturen (Projektablage, …).
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Wie Sie die Teamkommunikation effektiv gestalten •
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Das Projekt wird aufgeteilt wie erbeutetes Land, sodass jeder mit seinem Teil zufrieden ist und dort „herrschen“ darf.
Beugen Sie Konflikten vor, indem Sie sich rechtzeitig um Teamkommunikation, Verhalten und Kooperation kümmern.
16.1
Wie Sie die Teamkommunikation effektiv gestalten
Die chaotische Diskussionsweise in Teamsitzungen mit all ihren Folgen beseitigen Sie, indem Sie Besprechungen grundsätzlich moderieren lassen. Der Moderator achtet dann von selbst auf allgemeine Beteiligung, Aufnahme aller Gedanken und Störungen, hilfreiche Formen von Kritik und Fehlerbeschreibung, Vermeiden von Manipulation etc.
Moderation beugt chaoti scher Diskussi onsweise vor
Tipp: Als Projektleiter sollten Sie nur dann selbst die Besprechungen moderie ren, wenn Sie auch sonst den moderierenden Führungsstil anwenden (siehe in Abschnitt 4.2.4), also inhaltlich weitestgehend unbeteiligt sind. Setzen Sie nur Mitarbeiter für die Moderation schwieriger Bespre chungen ein, die in den nötigen Techniken und vor allem in der not wendigen inneren Haltung weitergebildet sind, oder holen Sie sich Hilfe von außen. In Besprechungen ohne großes Konfliktpotenzial können auch wenig erfahrene Mitarbeiter Moderation und Leitung üben. Steht Ihnen nie mand für die Moderation zur Verfügung, achten Sie zumindest auf ein klar strukturiertes Vorgehen. Befolgen Sie außerdem die Grundregel: Alles, was passiert, wird vi sualisiert.
Wenn es für Sie schwierig ist, die Moderation von Besprechungen durchzusetzen, dann orientierten Sie sich wenigstens an den folgenden Mindestanforderungen für effektive Besprechungen.
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Stärken Sie projektfördernde Umgangsformen
Checkliste: Mindestanforderungen für effektive Bespre chungen Sorgen Sie dafür, dass jedem Teilnehmer Anlass, Aufgaben und Ziel der Besprechung klar sind. Definieren Sie den Nutzen für die Teilnehmer. Legen Sie einen zeitlichen Rahmen fest. Visualisieren Sie den Verlauf der Besprechung: 1. Definition eines gemeinsamen Ziels 2. Klärung des IstZustands 3. Beschreibung des Problems 4. (Erforschen der Ursachen) 5. Ergebnisbedingende Faktoren sammeln 6. Möglichkeiten zur Problembeseitigung finden 7. Ergebnis festlegen 8. Maßnahmen ableiten 9. Aufgaben terminieren 10. Aufgaben verteilen (z. B. TodoListe) 11. Qualitätssicherungsverfahren klären 12. Aufgabenerledigungskontrolle klären Gehen Sie entsprechend dieses Verlaufs vor. Visualisierung Sie alles während der Besprechung. Lassen Sie ein Protokoll anfertigen.
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Wie Sie erwünschtes Verhalten deutlich machen
16.2
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Wie Sie erwünschtes Verhalten deutlich machen
Die impliziten, intransparenten Verhaltensregeln mit all ihren Folgen beseitigen Sie in zwei Schritten: 1. Stellen Sie gemeinsam bei der Formulierung des Big Project Pictures (Projektleitbild) diejenigen Verhaltensregeln auf, die Ihren Teammitgliedern als wichtig einfallen. 2. Kündigen Sie deutlich (!) an, dass Sie weitere Regeln (gemeinsam) aufstellen werden, wenn es im Verlauf des Projekts nötig wird. Tun Sie das dann auch bei Bedarf. Beispiel: Ein Projektteam bei einem großen deutschen Technologie und Anla genunternehmen hat im Verlauf seiner Arbeit folgende Regeln aufge stellt: • Pünktlichkeit • Handy in Besprechungen aus • Vertraulichkeit: Gesprochenes bleibt im Team, es sei denn, das Team entscheidet anders. • Einer spricht, nicht zwei gleichzeitig. • Zuhören und ausreden lassen • Sich kurz fassen – zielführend zum Thema • Unterschiedliche Meinungen gelten lassen, Ideen und Gedanken zu neuen Themen sowie Fragen zunächst nur sammeln • Immer mit Agenda • Immer mit methodischem Fahrplan von der Zielklärung bis zur Maßnahmenverabschiedung • Störungen sofort mit Vereinbarungen beseitigen
In Ihrem Projekt können manche dieser Regeln so selbstverständlich sein, dass sie gar nicht mehr definiert werden. Andere treffen vielleicht nicht zu, dafür brauchen Sie weitere, die hier nicht genannt sind.
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Stärken Sie projektfördernde Umgangsformen
Tipp: Um eine breite Identifikation zu erreichen, lassen Sie die meisten Re geln vom Team entwickeln. Nutzen Sie möglichst den Anlass sofort, wenn Sie ein problematisches Verhalten entdecken (z. B. ein Handy klingelt, jemand kommt zu spät zum Meeting, …). Geben Sie möglichst wenige Regeln selbst vor.
Wenn Sie mit Moderation in Besprechungen arbeiten und transparente Verhaltensregeln einführen, reduzieren Sie Konfliktpotenzial hinsichtlich der Bedürfnisse Relevanz, Mitbestimmung, Selbstbestimmung, Übereinstimmung, Wertschätzung, seinen Platz haben und Gemeinschaft.
16.3
Wie Sie Kooperation und Loyalität fördern
In neu zusammengesetzten Teams und zwischen Menschen, die seit längerer Zeit nicht mehr zusammengearbeitet haben, behindern Kämpfe um das Teamgefüge („Hackordnung“) die Arbeitsfähigkeit. Ist dann endlich geklärt, wer sich wem zu fügen hat, erschwert auch diese Unterordnung oft Kreativität und Qualitätssicherung. Hinzu kommt, dass die Hackordnung informell ist, also weder öffentlich genutzt noch öffentlich bekämpft werden kann. Dieses Phänomen des zwangsläufig immer entstehenden Teamgefüges widerspricht der These von der Nützlichkeit flacher Hierarchien. Schon der Grundgedanke – bei flachen Hierarchien diskutieren gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe miteinander zum besten Nutzen des Projektergebnisses – ist falsch. Es sind eben keine gleichberechtigten Kollegen, die da miteinander arbeiten, sondern eine Gruppe von Leuten mit einer eindeutigen Hackordnung. Achtung: Projekte mit flachen Hierarchien und lauter gleichberechtigten Team mitgliedern sind wegen der andauernden Kämpfe um die Hackordnung und wegen den Folgen der Unter und Überordnung weder effizient noch effektiv.
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Wie Sie Kooperation und Loyalität fördern
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Nun können Sie in einem Projekt mit 20 Teammitgliedern aber nicht 20 verschiedene Hierarchiestufen vorgeben, um Rangfolgekämpfe und informelle Hackordnungen zu vermeiden. Sie haben deshalb nur die Möglichkeit, Ihr Projekt funktional klar zu strukturieren und diese Funktionen Ihren Mitarbeitern zuzuordnen. Dabei müssen Sie sich nicht nur an den Teilprojekten aus dem Projektstrukturplan orientieren, sondern können auch die Projektziele und die Ressourcen einbeziehen. Tipp: Nehmen Sie zuerst (gemeinsam mit dem Team) eine sinnvolle funktio nale Strukturierung des Projekts vor und verteilen Sie erst danach (auch gemeinsam mit dem Team) die Funktionen auf die Mitarbeiter. Die notwendige funktionale Struktur ist immer von der zu erledi genden Aufgaben abhängig und nicht von den beteiligten Men schen.
Beispiel: Im Projekt KÜMISTE (Optimierung der Mixersteuerung) wird folgende Funktionsstruktur festgelegt: • Projektleiterin Ina Krauß mit Assistenten für Qualitätssicherung Otto Mahn mit Assistenten für Auftragserfolg Arndt Freitag mit Bereichsleiter Entwicklung Samuel Klar mit drei Ingenieuren (Bettina Sams u. a.) mit Bereichsleiter Prototyp Edgar Alons mit Techniker Armin Jahr mit Bereichsleiter Kundenkontakt Samuel Klar (!) mit Assistenten für Unternehmenszielerfolg Fritz Kuhn mit Bereichsleiter Fachartikel Bettina Sams (!) mit Bereichsleiter Kundenanfragen Samuel Klar mit Assistenten für Teamzielerfolg Karin Schneider mit Assistenten für Diplomantenbetreuung Ina Krauß mit Assistenten für Werkstattauslastung Heinz Immers usw.
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Stärken Sie projektfördernde Umgangsformen
Dabei werden manchen Mitarbeitern mehrere Funktionen zugeordnet.
Wenn jeder ein kleiner Häuptling für einen bestimmten Bereich ist, gibt es keine Indianer für Rangkämpfe. Klare funktionsbezogene Zuständigkeiten werden in der Regel fachlich und disziplinarisch akzeptiert. Die informelle Hackordnung ist nicht mehr so wichtig. Wenn Sie außerdem deutlich machen, dass es sich bei den Funktionszuordnungen um temporäre, auf das Projekt bezogene Festlegungen handelt, die im nächsten Projekt neu ausgehandelt werden, erreichen Sie in der Regel Loyalität der Mitarbeiter gegenüber den ihnen unmittelbar über- und untergeordneten Kollegen. Mit klarer temporärer Funktionszuordnung reduzieren Sie Konfliktpotenzial hinsichtlich der Bedürfnisse Mitbestimmung, Selbstbestimmung und seinen Platz haben.
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17.1
Akzeptieren Sie Schwächen und Fehler
Wie Sie BurnoutGefährdete erkennen
Wahrscheinlich sind Ihnen schon Teammitglieder aufgefallen, die mit hohem zeitlichen Einsatz ohne Blick auf die Uhr über Monate oder Jahre hinweg für Ihre Projekte arbeiten und die dann von heute auf morgen plötzlich krank sind und gar nichts mehr tun. Krankheitsauslösend für diese Kollegen war nicht die hohe (selbst gewählte) Arbeitsbelastung. Aber was hat dann dazu geführt, dass sie sich plötzlich krank und ausgebrannt fühlen, und wer ist gefährdet? In sozialen Projekten trifft das Burnout-Syndrom Menschen aus allen Altersgruppen. In allen anderen Projekten sind meist junge Teammitglieder betroffen, die keine ausgeprägten privaten Kontakte pflegen. Außerdem fallen dem Ausbrennen Führungskräfte zum Opfer, die ihre privaten und familiären Beziehungen durch Trennung oder durch Verlagerung des Dienstsitzes verloren haben. All diese Personengruppen sind davon gekennzeichnet, dass sie ihre Bedürfnisbefriedigung fast ausschließlich über die Arbeit erreichen: sinnvolles Tun im Pflegeheim, gute Gemeinschaft mit den Kollegen am gleichen Auftrag, berufliche Erfolge, kreative Ideen usw. Da aber nicht alle zwölf menschlichen Bedürfnisse im Arbeitskontext befriedigt werden können, kommt es zwangsläufig zu Überkompensierungen. Diese Kompensation geschieht unbewusst, und zwar in einem sich steigernden Teufelskreis:
Bedürfnisse werden weit gehend über Arbeit befriedigt
Beispiel: Arius Black ist jung und dynamisch. Er ist neu in einer mittelgroßen ostdeutschen Stadt. Seine Freundin hat sich von ihm getrennt, als er ihr seine Umzugspläne eröffnete. Doch das Gehalt in der neuen Firma reizte ihn.
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Akzeptieren Sie Schwächen und Fehler
Arius Black vermisst persönliche Zuwendung und ist abends oft trau rig. Doch schon nach einigen Tagen hat er sich angewöhnt, länger im Büro zu bleiben. Der Chef lobt ihn für seine Kreativität und Ausdauer. Diese Wertschätzung saugt Arius Black auf wie ein trockener Schwamm. Er arbeitet noch intensiver und manchmal bis Mitternacht, um am nächsten Morgen eine neue Möglichkeit zur Problembeseiti gung vorzustellen. Die Kollegen nehmen die Ergebnisse dankbar an. Vor lauter Arbeit kommt Arius Black nicht dazu, irgendjemanden au ßerhalb des Betriebs kennenzulernen. Auch in der Firma findet sich niemand, der ihm private Zuneigung schenkt. Arius Black richtet sich einen Heimarbeitsplatz ein, um noch mehr für das Projekt leisten zu können. Sein Chef bezahlt die nötige Technik gern und hat auch bereits mehrfach Gehaltserhöhungen für ihn durchgesetzt.
Arius Black vermisst eigentlich Zuwendung. Er kompensiert dieses Defizit durch die Wertschätzung, die ihm sein Chef und seine Kollegen entgegenbringen. Er arbeitet immer mehr, um sich diese Wertschätzung zu sichern. Gleichzeitig verhindern seine Arbeitszeiten jegliche privaten Kontakte. Dadurch bleibt das Bedürfnis nach Zuwendung weiter defizitär, zum Ausgleich steigert Arius Black durch weitere Überstunden die Kompensation mittels Wertschätzung. Mit dem Heimarbeitsplatz für die Nacht behindert er private Zuwendung noch weiter … Eine ganze Weile geht das gut. Projektleiter und Team freuen sich. Die Katastrophe in Form eines Burnout-Syndroms tritt nicht etwa dann ein, wenn Arius Black über den Rand seiner Kraft hinwegarbeitet. Sein (ihm selbst unbewusster) Drang nach Befriedigung des Bedürfnisses Wertschätzung setzt enorme Kräfte frei, auch wenn eigentlich gar keine mehr da sind. Die Katastrophe geschieht, wenn an dem zur Überkompensation missbrauchten Bedürfnis nur ein ganz klein wenig gekratzt wird. Bei Arius Black würde es reichen, wenn sein Chef einen einzigen seiner vielen Vorschläge als nicht hilfreich zurückweist. Es wäre falsch, herablassend auf Arius Black zu schauen, der nicht fähig zu sein scheint, sich eine neue Freundin zu suchen und seine Arbeit vernünftig einzuteilen. Was ihm passiert, passiert auch allen
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Wie Sie Störungen produktiv nutzen
17
anderen Menschen immer wieder, mit mehr oder weniger ernsten Konsequenzen. Die von Burnout betroffenen Menschen nehmen die Situation im Moment ihres Zusammenbruchs wahr • als Missachtung ihrer Leistung, was zu einem Konflikt mit dem „Missachter“ führt („Für den werde ich nichts mehr tun, so wie ich mich hier weit über meine Kräfte verausgabt habe, und ihm ist das völlig egal!“) oder • als Sinnlosigkeit ihrer Leistung, was zu einem inneren Konflikt führt („Ich bin zu schlecht, um die nötigen Leistungen zu erbringen, ich sollte es lieber lassen!“). In beiden Fällen reagieren die Betroffenen mit Dienst nach Vorschrift aus Resignation. Außerdem führt der Burnout zu körperlichem Absturz, da schon lange über die vorhandenen Kräfte gearbeitet wurde, jetzt aber kein Antrieb zur Mobilisierung der allerletzten Kraftreserven mehr da ist. Sie reduzieren Konfliktpotenzial hinsichtlich der Bedürfnisse Wertschätzung, Relevanz und Gemeinschaft, wenn Sie Burnouts vermeiden. Das tun Sie, indem Sie darauf achten, dass ihre Mitarbeiter Zeit für außerbetriebliche Beziehungspflege haben und nicht sämtliche Bedürfnisse mittels Arbeit befriedigen oder kompensieren müssen.
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Wie Sie Störungen produktiv nutzen
Störungen im Projekt lassen sich nicht vollständig vermeiden. Ausschlaggebend für Ihren Projekterfolg ist, wie mit Fehlern und anderen Problemen umgegangen wird. Oft werden Fehler vertuscht. Passiert das, ist es meist die Folge schlechter – auf Fehler strafend reagierender – Unternehmenskultur oder es liegt an einer besonderen Konflikt- und Problemscheue der betroffenen Person. Dann entwickelt sich aus einem vielleicht unbedeutenden Fehler leicht eine richtige Krise. Dass viele Menschen Konflikte und Kritik scheuen, ist durchaus nachvollziehbar.
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Akzeptieren Sie Schwächen und Fehler
Beispiel: Bärbel, die langjährige Mitarbeiterin: „Ich schweige lieber, sonst zer störe ich die Harmonie.“ Peter, der neue, ungeliebte Projektleiter: „Ich schweige lieber, um die Stimmung nicht noch weiter zu verschlechtern.“ Jörn, der Azubi: „Ich schweige lieber, um mit meiner Kritik nicht Kritik an mir zu provozieren.“ Karen, die bei den Reisekosten nicht ganz so sorgfältig war: „Ich schweige lieber, um keine ‚schlafenden Hunde' zu wecken.“ Sabine, die in der Kantine arbeitet: „Ich schweige lieber, denn viel leicht habe ich gar kein Recht, etwas zu sagen.“ Susanne, die auf einem Kommunikationskurs war: „Ich schweige lie ber, denn vielleicht sind das ja nur meine Empfindungen.“ Gustav, der Techniker: „Ich schweige lieber, weil sonst die andere Sei te auch beginnt, mir jede kleine Abweichung vorzuhalten.“ Marianne, die immer sehr still ist: „Ich schweige lieber, ich will mich nicht so wichtig nehmen, hier geht es ja um viel größere und umfas sendere Dinge.“
Das bedeutet: Ihre Teammitglieder brauchen die ausdrückliche Erlaubnis für das Ansprechen von Fehlern, Konflikten und anderen Störungen und sie müssen einen direkten Nutzen aus solchem Ansprechen ziehen. Diese Erlaubnis wird noch deutlicher, wenn Sie regelrechte Verfahren dafür einrichten. Solche explizit definierten und eingeübten Verfahren sind wirklich nötig. Denn Projekte haben ein großes Fehler-, Problem-, Risikound Konfliktpotenzial. Sie erfordern ein sehr konsequentes und diszipliniertes Vorgehen. Projekte laufen phasenweise unter Druck ab und die Beteiligten stehen oft unter Stress. Gerade in diesen Situationen fällt es jedem Menschen schwer, sich vollständig kontrolliert zu verhalten. Man „vergisst seine gute Kinderstube“, und zwar meistens deshalb, weil man meint, andere hätten die „gute Kinderstube“ schon zuvor vergessen. All dieses Konfliktpotenzial hinsichtlich Wertschätzung, Relevanz und seinen Platz haben reduzieren Sie durch klar definierte Verfahren, die zu einer projektnützlichen Fehler- und Problemkultur bei-
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Wie Sie Störungen produktiv nutzen
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tragen. Legen Sie in diesen Verfahren auch fest, wann Sie sich externe Unterstützung ins Projekt holen.
Auf Fehler freudig warten Zu Beginn des Projekts sammeln Sie von allen Teammitgliedern fünf Euro ein. Aus diesem Budget erhält jeweils zehn Cent, wer einen Fehler gemacht hat, und sechs Cent, wer diesen Fehler bemerkt und meldet. Vier Cent erhält, wer den Fehler beseitigt oder den Weg zur Beseitigung entwickelt.
Fehlerkultur institutionali sieren
Auf Probleme vorbereitet sein Entwickeln Sie Rettungs- und Informationspläne für den Umgang mit Problemen oder nutzen Sie im Unternehmen vorhandene Anleitungen. Dazu gehören auch: • Gesetze, Vorschriften, Normen (soweit sie für das Projekt relevant sind): Compliance List, rechtskundige Experten als erreichbare Ansprechpartner • Informationsregeln: Wer muss wann wen in welcher Weise worüber in welchem Umfang informieren (Projektereignisinformationsplan)? • Sofortmaßnahmenplan bei Problemeintritt
Problem behandlung rechtzeitig festlegen
Verlassen Sie sich aber nicht nur auf diese Pläne, achten Sie auch auf die betroffenen Menschen. Denn Probleme bedeuten meist gleichzeitig Veränderungen. Prüfen Sie, welche möglichen Bedürfnisverletzungen mit diesen Veränderungen verbunden sind, und entdecken Sie das dadurch entstehende Konfliktpotenzial. Achtung: Richten Sie einen großen Teil Ihrer Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse der von Veränderungen betroffenen Menschen. Denn die sollen schließ lich mit Motivation und Engagement ausführen, was in den Plänen vor gegeben ist.
Das Auflösen des konkreten Konfliktpotenzials ist dann nicht mehr allein Ihre Sache. Sie wissen nicht und können auch nicht wissen,
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Akzeptieren Sie Schwächen und Fehler
wer welche Bedürfnisse überkompensiert oder welche Veränderungen die Veränderung erfahren muss, damit aus dem Konfliktpotenzial kein Konflikt entsteht. Was müssen Sie tun? 1. Stellen Sie fest, wer möglicherweise von der Veränderung bedürfnisverletzend betroffen ist. 2. Gehen Sie zu den Betroffenen und sprechen Sie Ihre Vermutung von Konfliktpotenzial offen an. Beispiel: „Hallo Sabine! Der Kunde verlangt doch schon wieder eine Änderung in seiner Hauptroutine. Ich könnte mir vorstellen, dass dich diese wie derholte Arbeit für den Papierkorb ärgerlich macht. Ist das so?“
3. Bestätigen die Betroffenen das Konfliktpotenzial, bitten Sie um Vorschläge (bis zu einem bestimmten Termin), wie die unbefriedigende Situation verbessert werden könnte. Erklären Sie dabei, dass Sie die Umsetzung der Ideen nicht versprechen können, aber nicht ruhen werden, bis eine gute Lösung gefunden ist. Tipp: Verfahren Sie in ähnlicher Weise auch gegenüber Stakeholdern und Auftraggebern. Dabei sollten Sie allerdings ein bis zwei Vorschläge mit bringen und trotzdem explizit nach weiteren Ideen zur Beseitigung der ungünstigen Situation fragen. Setzen Sie dann diese Ideen um (sofern möglich) und nicht Ihre eigenen Vorschläge.
Ihre Mitarbeiter schreiben Ihnen große epistemische (siehe Arten der Macht im Abschnitt 4.2.4) Autorität zu, wenn Sie Konfliktpotenzial offen ansprechen und sich um seine Auflösung bemühen: Auf den können wir uns verlassen! Der kümmert sich darum, dass es uns gut geht und dass das Projekt läuft!
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Kümmern Sie sich richtig um die Motivation
Vielleicht haben Sie schon viele Bücher über Mitarbeitermotivierung gelesen und wundern sich, warum es trotz Einsatz aller empfohlenen Tricks bei Ihren Mitarbeitern nicht funktioniert. Die Antwort ist ganz einfach: Man kann niemanden motivieren! Wieso nicht? Erinnern Sie sich an den Unterschied zwischen primärer und sekundärer Motivation: • Primäre Motivation: Motivation aus sich selbst heraus, das Teammitglied will ein gutes Projektergebnis. • Sekundäre Motivation: Motivation in Bezug auf Belohnung oder Strafe, das Teammitglied will eine Prämie. Beispiel: Produktmanager Karl Schnauer hat ein bisschen mit den neu entwi ckelten HightechBadeanzügen gespielt und festgestellt, dass der Verschluss im feuchten Zustand abreißen kann. Bei den ausführlichen Tests ist das niemandem aufgefallen. Morgen geht die erste Lieferung an den Kunden raus. Unmittelbar danach soll es ein kleines Fest ge ben, bei dem auch eine Prämie an alle Entwickler verteilt wird. Wenn Karl Schnauer primär motiviert ist, wird er die Auslieferung fehlerhafter Produkte verhindern. Ist Karl Schnauer sekundär moti viert, wird er den Mund halten, die Prämie kassieren und sich im Re klamationsfall auf die ausführlichen Tests im Labor berufen.
Im Beispiel wird deutlich, dass Sie für Ihre Projektteams primär motivierte Mitarbeiter brauchen. Alles, was Sie anbieten können, sind aber nur sekundäre Motivatoren. Etwas präziser müsste der Satz von oben lauten: Man kann niemanden primär motivieren! Während eine primäre Motivation „im Mitarbeiter drin“ ist und von ihm selbst gar nicht bewusst wahrgenommen wird, sind sekundäre Motivatoren wie erhaltene oder verlorene Prämie sehr präsent
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Kümmern Sie sich richtig um die Motivation
und gegenwärtig. Sekundäre Motivatoren überdecken die ursprünglich vorhandene primäre Motivation, weil sie zu einem konkreten Gewinn oder Verlust führen. Achtung: Sekundäre Motivation zerstört primäre Motivation.
Das ist übrigens auch der Grund, warum die meisten öffentlichen deutschen Schulen bei den heute beliebten Schülervergleichstest so schlecht abschneiden: Das gesamte Lernen ist auf sekundäre Motivation (gute oder schlechte Zensuren) ausgerichtet. Dadurch kümmern sich die Schüler ausschließlich um das Erreichen oder Vermeiden bestimmter Zensuren und sind nicht bereit, sich darüber hinaus um Verständnis und Erkenntnis zu bemühen. Das kann man ihnen noch nicht einmal vorwerfen: Auch der in der ersten Klasse am meisten primär motivierte Schüler wechselt zwangsläufig mit Beginn der Zensierung auf die Seite der sekundären Motivation. Denn von den erreichten Zensuren hängt letztlich sein Platz in Klasse und Familie ab. Tipp: Wenn Sie die primäre Motivation Ihrer Teammitglieder erhalten wollen, sorgen Sie für bedürfnisbefriedigende Rahmenbedingungen insbesonde re hinsichtlich der Bedürfnisse Selbstbestimmung und Relevanz.
Für die Konfliktprävention aber ist ein anderer Aspekt der Motivation wichtig. Konflikte werden oft durch Motivationsveränderungen und deren Deutung ausgelöst (siehe auch Abschnitt 7.4).
Motivation verändert sich Die Standard motivations kurve
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Um Konfliktpotenzial hinsichtlich der Bedürfnisse Wertschätzung und Gemeinschaft zu reduzieren, sollten Sie Ihre Teammitglieder rechtzeitig mit der Standardmotivationskurve bekannt machen.
Kümmern Sie sich richtig um die Motivation
(D
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)
(B)
(A
)
(C)
Die Standardmotivationskurve: (A) neu und spannend; (B) Schwierigkeiten treten auf, Motivation bricht ein; (C) das Tal der Tränen; (D) jetzt läuft es wieder! Die Grafik stellt dar, dass Menschen eine neue Aufgabe in der Regel mit hoher primärer Motivation beginnen, zumindest dann, wenn sie diese Aufgabe freiwillig oder gutwillig erledigen. Diese Motivation wächst sogar noch, bis ein Punkt erreicht wird, an dem die bisher vorhandenen Fähigkeiten nicht mehr ausreichen. Dann wird es richtig schwierig und die Erfolge bleiben aus. Die Motivation bricht zusammen, es folgt das Tal der Tränen. Ein für die Aufgabe primär motivierter Mitarbeiter kämpft sich durch dieses Tal hindurch; ein sekundär motivierter Mitarbeiter überlegt sich gründlich, ob der Lohn für die Arbeit die Mühe wert ist. Aber auch dem primär motivierten Mitarbeiter merken Sie Mühe und Unlust an. Darauf können Sie oder Kollegen enttäuscht reagieren und in Ihren Gedanken fälschlich einen Konflikt konstruieren und auslösen. Sie vermeiden solche Konflikte, wenn das Tal der Tränen als solches erkannt wird. Ist das Tal der Tränen durchwandert und sind die Schwierigkeiten überwunden, geht es mit Motivation und Arbeitslust wieder aufwärts.
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Kümmern Sie sich richtig um die Motivation
Achtung: Die Standardmotivationskurve trifft auf alle Aufgaben und auf alle Mit arbeiter zu. Auch Sie selbst sind davon betroffen. Dabei ist das Tal der Tränen mehr oder weniger tief und lang.
Übrigens: Wenn Ihre Mitarbeiter im Tal der Tränen sind, sollten Sie ihnen keinesfalls Hilfe anbieten oder sie mit Worten wie „Das schaffst du schon, das haben wir alle geschafft“ zu ermutigen versuchen. Stellen Sie sich vor, Sie verzweifeln fast an einer Aufgabe und fragen sich, ob Sie überhaupt die richtige Person sind, und dann kommt jemand zu Ihnen, klopft Ihnen auf die Schulter und sagt: „Na mein Kleiner, das schaffst du schon, das haben schon Dümmere als du geschafft.“. (Sie können diesen Satz auch laut lesen, um zu verstehen, was er bei verunsicherten Personen bewirkt, dieses Verständnis ist auch anderen Lesern schon gelungen, als sie ihn laut gelesen haben.) Tipp: Die einzige sinnvolle Unterstützung für Mitarbeiter im Tal der Tränen ist die klare Bestätigung, dass sie da gerade wirklich in einer schwierigen Situation stecken und dass es erlaubt ist, daran zu verzweifeln. Aus die ser Anerkennung ihrer Mühen schöpfen die Mitarbeiter neue Kraft, das Tal der Tränen hinter sich zu lassen.
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Unterstützen Sie den inneren Zusammenhalt
Menschen verändern sich. Auch innerhalb einer Projektlaufzeit können private oder berufliche Ereignisse (Auto kaputt, Kunde nervt) oder Zustände (Kopfschmerzen, Ressourcenmangel) zu plötzlichem – dauerhaft oder vorübergehend – verändertem Verhalten führen.
Wie Sie die gegenseitige Achtsamkeit schärfen Sie reduzieren Konfliktpotenzial hinsichtlich des Bedürfnisses Gemeinschaft durch regelmäßige „Befindlichkeitsrunden“ zu Beginn von Teamsitzungen und durch wiederholte separate Treffen zum persönlichen Austausch. Inhaltlich geht es in diesen „Befindlichkeitsrunden“ darum, dass zu Beginn eines jeden Meetings jeder (in selbst gewählter Ausführlichkeit oder Kürze) sagt, wie es ihm mit dem Projekt und auch sonst (privat) gerade geht. Verbinden Sie diese Runde gleich mit einer Abfrage nach weiteren Tagesordnungspunkten. Tipp: Befindlichkeitsrunden wirken nur, wenn Sie sie bei jedem Treffen durch führen. Wenn Ihr Team auf solche „amerikanischen Methoden“ aller gisch reagiert, erklären Sie, dass die Methode Ihres Wissens nach aus Schottland stammt, und vereinbaren Sie eine Probezeit über mindestens zehn Sitzungen.
Wie Sie gegenseitigen Austausch fördern Den persönlichen Austausch unter Ihren Teammitgliedern können Sie auch durch regelmäßige Außer-Haus-Treffen fördern. Wenn nicht gerade ein latenter Gruppenkonflikt vorliegt, brauchen Sie
Separate Treffen zum persönlichen Austausch
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Unterstützen Sie den inneren Zusammenhalt
dafür keine besondere Gruppenmethoden. Achten Sie aber auf die richtigen Rahmenbedingungen für persönlichen Austausch: • keine zu laute Musik, die Gespräche unverstehbar macht, • keine Vorführung, die Gespräche verhindert, • keine Sitzordnung, die zu festen Gesprächspartnern führt.
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Wenn Sie dieses Buch gelesen haben Als wir den Text für dieses Buch beim Verlag eingereicht hatten, bekamen wir einen Anruf. „Wissen Sie“, sagte die Redakteurin aus München, „wenn man das Buch so liest, könnte man denken, es klappt immer mit der Konfliktlösung. Und wenn es dann bei dem einen oder anderen unserer Leser nicht klappt, glaubt er womöglich, es liege an ihm, und er zweifelt an sich.“ Wir haben uns diese Sorgen zu Herzen genommen und sind noch einmal in Klausur gegangen. Herausgekommen ist ein Gedanke: Wir glauben, dass unser Buch all denen hilft, die mutig und risikobereit sind, all denen, die vor ungewissem Ausgang nicht zurückschrecken – und die gerade deshalb das bestmögliche Ergebnis erreichen. Kurz gesagt: Wir glauben, dass das Buch allen Projektleitern hilft. Denn wo gibt es ein Projekt, dessen Verlauf nicht voller Risiken steckt und das die Ungewissheit des Erfolgs in sich trägt? Wer Projekte leiten kann, wird auch Menschen aus Konflikten führen. Denn mit Menschen ist das ganz genauso: Ihr Verhalten ist nie vorhersehbar und nur sehr begrenzt zu beeinflussen. So, wie das Scheitern zu Projekten gehört – man lernt daraus, es droht aber doch in jedem Projekt wieder –, so gehört das Scheitern zum Bemühen um die Lösung von Konflikten. Je gelassener wir davon ausgehen, dass wir erfolglos bleiben können, desto sicherer werden wir das Ziel erreichen, in Projekten genauso wie bei Konflikten. Diese Gelassenheit des Erfolgs wünschen wir Ihnen! Hans Leuschner, Petra Müller, Roland Straube Kloster Dobbertin, im September 2007
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Literatur Edmüller, Andreas; Wilhelm, Thomas: Manipulationstechniken, Planegg, 5. Aufl. 2006 Edmüller, Andreas; Wilhelm, Thomas: Moderation, Planegg, 4. Aufl. 2007 Fehlau, Eberhard: Konflikte im Beruf, Planegg, 4. Aufl. 2006 Gröger, Manfred: Projektmanagement: Abenteuer Wertvernichtung, Eine Studie der MBA GmbH, München 2003/2004 Nöllke, Matthias: Kreativitätstechniken, Planegg, 5. Aufl. 2006 Rosenberg, Marshall B.: Gewaltfreie Kommunikation, Jungfermann Verlag, 6. Aufl. 2004 Watzlawick, Paul: Anleitung zum Unglücklichsein, Piper-Verlag, 2007
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Stichwortverzeichnis
Allparteilichkeit 127 Autoritärer Führungsstil 55
Erwartungskonflikt 19 Eskalation 83, 92 Eskalationsstufen 93
B
F
Bedürfnisermittlung 137 Bedürfniskompensation 91, 199 Bedürfnisscheibe88 Bedürfnisse 69, 70, 91, 135 Befindlichkeitsrunde 209 Beratung – Arten 113 Besitzkonflikt 20 Besprechungen, effektive 194 Beurteilungskonflikt 19 Beziehungskonflikt 21 Big Project Picture 191 Bisoziation 145, 147 Blockade 35 Brainstorming 145, 147 BurnoutSyndrom 199
Fehlerkultur203 Fehlzeiten 44 Fluktuation 44, 45 Führungsschwäche 46 Führungsstile 55
A
C Cliquenbildung 57 Coaching 113
D DeBordaMatrix 146, 149 Deeskalation 132 Dienst nach Vorschrift 41 Dramadreieck 98 Durchsetzungsvermögen, mangelndes 52
E Einfrieren des Streits 126
G Gefrierschrankmethode 126 Gesprächsregeln 37 Gewaltfreie Kommunikation 165 Grenzverletzungen 189 Gruppenkonflikte 182
H HarvardKonzept 123
I Intervision 113
K KennenlernWorkshop 108 Klammerverhalten 59 Kommunikation 26, 193 Kommunikation, gestörte 34 Kommunikation, gewaltfreie 165 Konflikt 11, 25, 114 – Auslöser 89 – Bedürfnisorientierte Erledigung 118 – Beteiligte 22, 64, 97, 99, 177 – Deeskalation 132 – Entschärfung 105
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Stichwortverzeichnis – – – – – – –
Erkennung 17, 31 Eskalation 83, 92 Eskalationsverhinderung 156 Innerer ~110 Lösung 106, 125 Lösung auf Bedürfnisebene 70 Machtgeleitete Erledigung 115 – Reaktion 99 – Regelbezogene Erledigung 117 – Signale 33, 61 – Unterstützung von außen 112 – Ursachen 69, 91 – Verlauf 68 – Vermittlung 120, 123 – Verschärfung 96 – Vorbeugung 153 Konfliktmanagement 27 Konflikttyp 105 Konsenssuche 146, 149 Kooperativer Führungsstil 55 Kreativitätstechniken 145 Krise 11
L Leitbild 191 Lösungsbedingende Faktoren 189
M Manipulation 36 Mediation 65, 123 Mindmapping 145, 146 Mobbing 96 Moderierender Führungsstil 55 Motivation 205
P Postitionen 80 Problem 11, 23, 203 Projektdefinition 172
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Projektleitbild 191 R Reframing 130 Regeln 36 – Umgang mit ~ 185 Richtungskonflikt 18 Rollenkonflikt 19
S Selbstreflexion 63 Setting168 Sicherheitskonflikt 20 Stakeholder 179 StakeholderAnalyse 181 StakeholderManagement 182 Startmeeting 190 Statuskonflikt 21 Stufentechnik 132 Supervision 113 Systemische Beratung 113
T Teamkommunikation 193 TeileundherrscheStrategie47
U Umgangsformen, projekt fördernde 192
V Verabsolutierung 35 Veränderungskonflikt 20 Verbale Ausgrenzung 35 Vermittlungsgespräch119, 126 Verteilungskonflikt 20
W Wahrnehmungskonflikt 19 Widerstand 160
Z Zielformulierung 173 Zielkonflikt 18
Die Autoren Roland Straube Mediator und Strukturberater. Er war unter anderem 14 Jahre als Leiter des Projektmanagements und als Personalleiter für eine NonProfit-Organisation tätig und unterstützt heute Teams und Führungskräfte bei der Lösung von Konflikten und bei der strukturellen Gestaltung von Arbeitsprozessen. Neben den bekannten und von ihm weiterentwickelten systemischen Techniken setzt er ein neu entwickeltes Verfahren zum Bedürfnisausgleich ein, um gründliche und nachhaltige Veränderungen zu erreichen. Ziel und Ergebnis ist dabei die Sicherung oder Wiederherstellung von Arbeitsfähigkeit. Er ist Gründungsmitglied der GPM-Fachgruppe „Kooperative Konfliktlösung in Projekten“ und vom Bundesverband Mediation anerkannter Mediator und Ausbilder für Mediation (BM). Dr. Hans Leuschner Studium der Wirtschaftswissenschaften, Soziologie und Fertigungstechnologie, hat über 20 Jahre Programme und Projekte im Anlagenbau, in der Marktforschung, in der Produktentwicklung und Reorganisation geleitet und betreut. Seit 2003 arbeitet er als Berater mit den Schwerpunkten Programm- und Change-Management. Heute ist er Partner und Geschäftsführer der GLP bR in München. Er leitet innerhalb der GPM die Fachgruppe „Kooperative Konfliktlösung in Projekten“. Petra Müller Diplom-Betriebswirtin, Diplom-Umweltwissenschaftlerin, Wirtschafts-Mediatorin, zertifizierte Projektmanagementfachfrau und Mitglied der GPM-Fachgruppe „Kooperative Konfliktlösung in Projekten“. Sie hat langjährige Erfahrung im Projektmanagement und in der Prozessoptimierung in der Industrie. Derzeit ist sie in einem Mobilfunkunternehmen im Stab der Geschäftsführung tätig mit den Schwerpunkten Multiprojektmanagement, Projektcontrolling, interne Kommunikation und Konfliktmanagement.
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