Am Anfang w a r die Muskelkraft Vor den Riesenbauten der Pyramiden verhält unser Schritt. Könige haben sich diese Stein...
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Am Anfang w a r die Muskelkraft Vor den Riesenbauten der Pyramiden verhält unser Schritt. Könige haben sich diese Steingebirge in die Uferlandschaft des ewigen Nil gesetzt und wähnten, in den prunkenden Grabkammern in einem Dasein ohne Tod fortleben zu können. Aber wenn unser Blick den Steinquadern bis zur Spitze folgt, überwältigt von dem Spiel des Lichtes und der Schatten, das über die Steinstufen hingeht, sind unsere Gedanken mit einem Male nicht mehr dem Pharao zugewandt, dessen Mumie aus der nachtdunklen Grabesruhe längst in die Helle eines Museumssaales verbracht ist. Aus dem Dunkel tiefster Vergangenheit treten die Hunderttausende hervor, die diese Denkmalberge vor fünf Jahrtausenden aufgetürmt, eine Heerschar unvorstellbaren Leides. Von der gigantischsten der Pyramiden berichtet uns Herodpt, der älteste griechische Schriftsteller, der „Vater der Geschichte": „Zehnmal zehntausend Mann im Dienste des Königs Cheops zogen drei Monate lang Quadern aus den Steinbrüchen zum Nil, während die gleiche Zahl von zehnmal zehntausend Mann das über den Fluß gebrachte Material zu dem Platze schafften, auf dem die Pyramide errichtet wurde. Und diese Sklavenheere bauten allein zehn Jahre hindurch an dem Weg, auf dem sie die Felsquadern zum Bauplatz beförderten." Schwache menschliche Muskelkräfte ins vieltausendfache multipliziert, das waren die Motoren der ägyptischen Bauherren. Rücksichtslos wurde von ihnen Gebrauch gemacht —• das Leben des Sklaven wurde geringer geachtet als das Arbeitsgerät in seinen Händen. Menschenkräfte, die aus den Kriegs- und Eroberungszügen in unerschöpflicher Fülle hereinkamen, kosteten gerade so viel wie die Nahrung kostete, die zur Ingangsetzung und Erhaltung dieser Menschenmaschinen erforderlich war. Ein erschütterndes Bild aus jenen Zeiten ist uns erhalten: Vier lange Sklavenreihen schleppen das Riesensteinbild des Königs Dhutotep zu 2
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seinem Aufstellungsort. Das Denkmal lastet auf einem hölzernen Schlitten, der durch den Sandboden furcht. Die riesigen Seile schneiden in die Leiber der Männer. Hoch oben auf dem Steinbild steht der Aufseher, und sein Händeklatschen ist der Takt für das vorgeschriebene Maß der Schritte. Unten auf dem Koloß hockt der Vorarbeiter und gießt Wasserbäche auf die Gleitbahn, damit sich das Holz des Schlittens unter der Reibung ja nicht entzünde.
Auf den Ruderbänken Der Blick gleitet über das blaue südliche Meer. Im Gleichklang der Ruder jagt ein griechisches Schnellschiff durch die Flut. Die Muskelkräfte der Sträflinge und Sklaven erschöpfen sich fast unter dem immer schneller hämmernden Schlag des Taktklopfers. Wie gespenstige Geisterarme bewegen sich die kurzen Ruder der untersten Ruderbank in den Ruderlöchern. Mit ihnen im gleichen Rhythmus schnellen die immer länger werdenden Ruderarme der höher gelegenen Bankreihen nach vorn. Und in. jedes Ruder greifen drei, vier, fünf der ausgemergelten Knechte, Die Dreireiher unter diesen ältesten Kriegsruderschiffen der Antike, werden aber übertrumpft von den Vier-, Fünf- und gar Zwanzigreihern der späteren Zeit. Se'chshundertjluderer sollen allein auf der „Leotophares"-Galeere des Griechen Sysimachos, des Feldherrn Alexanders des Großen, gleichzeitig auf den Bänken gesessen haben. /- • j . - j. w J Auf den Galeeren des Mittelalters saßen Griechischer Vierruderer
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die Gefangenen an die Bänke gekettet. Durch den Gang, der mittschiffs zwischen den Sitzreihen lief, hetzte der Aufseher von vorn nach achtern und trieb mit Peitschen die Wehrlosen an. Und noch heute überkommt uns bei dem Namen „Ruderknechte", „Galeerensklave" das Grauen. Cervantes, der große Spanier, erlebte noch die Grausamkeit und gefühllose Härte der Galeerenvögte, die durch Karbatschenhiebe die Knechte zu verzweifelten Kraftanstrengungen hetzten, um die menschlichen Maschinen zu höchsten Geschwindigkeiten zu treiben. Und er läßt Sancho Pausa, den Gefährten des Don Quijote, schmerzerfüllt ausrufen: „Wahrlich, das scheint mir das Fegfeuer zu sein, wenn es nicht gar die Hölle ist".
In der Tretmühle Nicht minder schwer war das Los -der in die Tretmühlen Gepreßten. Am längsten von allen Muskelmaschinen der Vergangenheit haben diese 3
von Menschen getretenen Räderwerke dem technischen Fortschritt und dem Fortschritt der menschlichen Gesittung getrotzt. ,,In der Tretmühle gehen" —• mit dem Wort verbinden wir noch immer die Vorstellung eines ganz unwürdigen Daseins. •ix
Es ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Längst haben sich Maschinen weithin in die Arbeitsvorgänge eingeschaltet und den schaffenden Menschen von vieler Mühsal befreit. Aber noch immer fronen Unzählige unter einem grausamen Joch. Im Zentralgefängnis von Rangoon, dem größten Reishafen der Erde, steht Bhagwan Daß, der Maschinenmeister des Gefängnisses vor dem Direktor des Strafhauses. „Die Antrie'bsmaschine in unserer Fabrik ist viel zu schwach", poltert der Leiter des Gefängnisses ärgerlich und ein böser Blick trifft seinen ersten Beamten. ,,Ich verstehe nicht, \varum Sie die Gefangenen nicht ein bischen .Motor' spielen lassen. Sehen Sie hier den Entwurf für eine Tretmühle. Sechzig Sträflinge können da zur gleichen Zeit nebeneinander Dienst tun. Und billig ist es auch, jedenfalls billiger als die alte Maschine, diese jämmerliche Ruine." Bhagwan Daß ist ganz bleich geworden. „Aber Direktor, Sie denken doch nicht im Ernst daran . . . Das wäre doch entsetzlich. Das sind doch Menschen wie Sie und ich . . ," Der Mann ihm gegenüber hat sich jäh erhoben. |n der Tretmühle „Haben Sie auch schon etwas zu sagen?" höhnt er. „Seit wann diese Weibergefühle?" —• „Das ist Rebellion!" brüllt er dann und die Reitpeitsche des Gefängnisgewatigen saust hart und schneidend auf den steinernen Tisch. „Ich habe Sie durchschaut, Bhagwan Daß!" Der ist bis zur Wand zurückgewichen. Ein Augenblick unheimlichen Schweigens folgt. Nun hat sich der Maschinenmeister gefaßt: „Ich werde alles tun —• um den Bau der Foltermaschine zu verhüten!" entgegnet er in verhaltener Erregung. Ein schreckliches Hohnlachen! „Und ich sage Ihnen, daß Sie das nicht tun werden. Merken Sie sich: Sie sind entlassen, auf der Stelle entlassen!" Bhagwan Daß wendet sich zur Tür: „Gut! So werde ich um so mehr Zeit haben, zu tun was ich für Recht halte", sagt er im Hinausgehen. 4
Bhagwan Daß sollte nicht mehr die Freiheit finden, sein Wort wahr zu machen. Als er aus der Werkstube sein Gepäck holte und dem Ausgang zueilte, versperrten die Wachen ihm den Weg. So wurde die Tretmühle gebaut und 60 Sträflinge traten Tag und Nacht die Stufen der schweren Räder, beobachtet, bewacht und bis zum Letzten angetrieben. Stockschläge waren das Feuer in dieser grausamen Maschine. Der Vierte in der Reihe der Keuchenden war Bhagwan Daß, den ein gar zu williges Gericht wegen Rebellion zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt hatte. Fünf Jahre: Viel zu hoch gegriffen angesichts dieser lebenfressenden Mühlenmaschine mit ihren so kurzlebigen menschlichen Radgewichten. Keiner der trottenden Sträflinge überstand das erste halbe Jahr der marternden Qual. Die Tretmühlen der alten Zeit waren oft die fürchterlichsten Marterwerkzeuge. Ihre Fürchterlichkeit schien den Malern und Dichtern so grausig, daß sie das Tretrad als Werkzeug der Hölle darstellten. Kaum, daß sich einmal ein mutiger und fortschrittlich Denkender fand, der im Namen der gequälten Kreatur protestierte. Dort wo es geschah, verhallte der Ruf an das menschliche Gewissen ungehört. In den Gefängnissen und Strafanstalten ließ man selbst Frauen an den Treträdern arbeiten, und auch Mütter mit Kindern schonte man nicht. „Den geeigneten Weg zur Besserung" nannten die einen — die Interessierten — diese Menschenmaschinen. „Todesmühlen" nannten sie die andern, die Wenigen, die den Mut zum Protest fanden. In einem der ärztlichen Berichte jener Zeit liest man: „Einige mußten schon nach sieben Minuten triefend vor Schweiß unterbrechen. Engbrüstigkeit, Bluthusten, Geschwülste waren die körperlichen Folgen. Von der seelischen Tortur ganz zu schweigen." Aus dem Gefängnis von Toulon sind alte Akten überliefert, die besagen, daß jeder in den Treträdern Arbeitende nach fünf bis sechs Monaten sein Leben aushauchte. Fast ohne Licht und Luft verlief das kurze Dasein der Mühseligen. Maschinenstürmer oder Maschinenverehrer? Erst die Technik hat den unterdrückten Menschen freigemacht. Es ist nicht leicht, das heute auszusprechen, da der gleichen Technik so viele Menschenleben und kostbarste Güter zum Opfer gefallen sind. Ein Abend kommt uns in Erinnerung, da wir kürzlich beisammensaßen und heftig und sehr ernst über Wert oder Unwert der Technik, dieses große Problem unser Zeit, diskutierten. j „Es ist etwas Ruchloses an der Technik" meinte einet in der Runde; es war ein junger Schriftsteller, der sichtlich am tiefsten von allen die 5
menschlichen Nöte der Zeit durchlitt. „Ohne den so sehr gepriesenen Fortschritt unserer Erfindungen" sagte er „hätte es nie diese grausamen Kriege gegeben, nie diese ungeheuere Vernichtung so vieler Güter des Daseins und des Geistes." „Und doch bist Du als Schriftsteller so sehr der Technik verpflichtet, daß Du sie selber garnicht mehr in Acht und Bann tun kannst, wenn Du ehrlich bist", antwortete einer von uns. „Denk nur an die Wundermaschinen, die das Papier bereiten, auf dem Du schreibst, denk nur an die Druckpressen, die das Geschriebene vieltausendfach verbreiten! Gibt es überhaupt etwas Geistvolleres im Reich der Maschinen als etwa die Setzmaschine, die Deine Gedanken in greifbare Buchstaben übersetzt!" Wir empfanden nun alle, daß diese Erwiderung doch sehr im Äußerlichen verharrte, und daß das „Für und Wider -der Technik" auf einer ganz anderen^geistigen Ebene ausgetragen werden mußte. Und wir kamen in abwägender Rede und Gegenrede zu dieser Überlegung: Technik gut oder böse? Eigentlich sollte diese Frage garnicht gestellt werden; denn nichts an allem Geschaffenen ist an sich gut oder böse. Sehen die einen in der Technik den Quell alles Unsegens. den Ursprung alles Übels, so ist sie für die andern der Antrieb zum Wohlstand und zum sozialen und kulturellen Fortschritt der Menschen. Beide Gruppen haben mit solchen Aussagen unrecht, oder noch richtiger ausgedrückt: beide sprechen nur eine Teilwahrheit aus. Beide übersehen nämlich, daß stoffliche Dinge, wie z. B. die Maschine ohne das Zutun des Menschen gar keiner Bewertung zugänglich sind. Erst der mitbestimmende Mensch ist fähig, den ungeformten oder in Formen gebändigte in Stoff mit dem Bösen zu verquicken, umgekehrt aber auch, ihn in seine guten Zwecke und Ziele einzuordnen und ihn nicht zum Zerstörer sondern zum Wohltäter und Förderer werden zu lassen. Nicht der an sich toten Technik kann Schuld zugemesssen werden, dieser Vorwurf trifft immer nur den lebenden, urteilenden, freiverantwortlichen Menschen. Wenige haben die technische Entwicklung der Vergangenheit so gründlich und kritisch durchforscht wie der Historiker der Technik Conrad Matschoß. Sein Forschen galt immer auch dem arbeitenden Menschen, und die Frage ob der Fortschritt für ihn Entlastung oder neue Mühsal bedeutete, beschäftigte den Gelehrten bei all seiner Arbeit. Sein abwägendes Urteil möge hier stehen, weil es uns nachdenken läßt: „Für den Menschen, dieses denkende und empfindende Wesen gibt e's nichts Würdeloseres, als tagaus, tagein in einförmigster Weise nur als Teil einer Maschine mit seiner Muskelkraft und dem Gewicht seines Körpers ausgenutzt zu werden. Eine unglaubliche Härte und Grausamkeit 6
machte den einen Teil der Menschheit zum Arbeitstier des anderen. Galeerensklave zu werden, oder in den alten römischen Bergwerken in Spanien und Sizilien und anderen Orten zu arbeiten, war härter als sterben. Eine gewaltige Tragik menschlichen Leideiis liegt in dieser jahrtausendlangen Ausnutzung menschlicher Muskelkraft. Man muß sie fühlen, will man dem Kulturfortschritt, der in der immer weitergehenden Ablösung dieser menschlichen Kraftmaschine durch Naturkräfte liegt, auch nur in etwa gerecht werden. Die eisernen Sklaven haben einen großen Teil der schwersten Lasten dem Menschen abgenommen. Erst nachdem die Technik durch die Kraftmaschine Ersatz für die menschliche und tierische Muskelkraft geschaffen hat, ist auch das Mitleid mit der Ausnutzung in dieser rohesten Form Allgemeingut geworden, und wir entrüsten uns heute über Vorgänge, die oft' von den besten Männern der vergangenen Zeit als selbstverständlich ohne Mitgefühl hingenommen wurden. Der Fortschritt der Technik hat es hier erst möglich gemacht, die Forderungen menschlichen Empfindens jur Geltung zu bringen." Wie aber der Mensch dahin.kam, die Energie der Natur zu seinen Helfern zu machen, die Kräfte des fallenden Wassers, des quellenden Dampfes, des wehenden Windes allmählich zu nutzen lernte und sein Geschlecht durch den Bau von wasser-, wind- und dampf betriebenen Maschinen von vieler Last zu befreien, das wolllen wir nun sehen.
Wasser auf die Mühle Das gebrechliche Wasserrädchen, das wir als Kinder in die Strömung des Baches setzten und das sich dann freundlich schnurrend drehte, war unsere erstgebaute Maschine. Man sagt, daß auch für die Menschheit das Wasserrad die erste Antriebsmaschine gewesen sei, die nicht mehr durch Muskelkraft von Mensch oder Tier bewegt werden mußte, Es lohnt sich also schon vor dieser Maschine und bei der Kraft, die sie treibt, ein wenig zu verweilen. Ständig hebt die Sonnenstrahlung gewaltige Wassermengen vom Meeresspiegel als Wolken in die Höhe. In den Gebirgen fällt das Wasser als Regen zur Erde, und von hier aus beginnt sein Lauf zum Meere zurück. Wir können nun den zu Tal fließenden Strömen die mitgeführte Energie abnehmen, wir tun sogar ein gutes Werk damit; denn fast alle überschüssige Energie des talwärts flutenden Wassers wird in Zerstörungsarbeit umgesetzt: Wild- und Hochwasser reißen fruchtbaren Boden mit, zerfetzen die Ufer, treiben die Uferanwohner aus ihren Behausungen und schwemmen unendliche Bodenmengen mit ins Meer. Wird den Gewässern diese überschüssige Energie abgenommen, so läßt 7
man ihnen gerade noch sc viel Kraft daß sie gemächlich und manierlich] zu Tale fließen können. In früheren Zeiten war das mit mancherlei Schwierigkeiten verbunden.! Wasserkräfte fanden sich zumeist nur in unwirtlichen und abgelegenen! Gebirgsgegenden. Wer sie in Dienst nehmen wollte, mußte also dorthin] übersiedeln. So hausten die Schmiede der deutschen Sage, die zuerst] die Wasserkräfte für ihre Fallhämmer ausgenutzt haben sollen, in ab-i gelegenen finsteren Gebirgstälern, im engen Zusammenleben mit den Geistern des Wassers und der Felsentiefe. Aber diese Sage führt uns nicht weiter. Von den ersten Wasserrädern wissen wir nichts. Gewiß ist, daß die Menschen die fließende Energiequelle erst recht spät in Schaufelrädern ausnutzen, d. h. die geradgerichtete Bewegung des Wassers in drehende Bewegung verwandeln konnten. Wir lesen im letzten Jahrhundert vor Christus von einer Wassermühle, die in Kleinasien lief. Und schon bald darauf fand die Wässermühle ihren ersten begeisterten Sänger. Ahtipar, ein Zeitgenosse des Römers Cicero, hat die segenbringende Arbeitskraft des treibenden Wassers mit folgenden Worten besungen: „Laßt die Hände ruh'n ihr mahlenden Mädchen und schlafet lang; der Morgenhahn störe den Schlummer euch nicht! Ceres, die Göttin, hat eure Arbeit den Wassergeistern befohlen: Hüpfend stürzen sie sich über das rollende Rad, das mit vielen Speichen um seine Achse sich wälzend vier der mahlenden Steine, die schwer zermalmenden, antreibt. Jetzt genießen wir wieder der alten goldenen Zeiten, essen der Göttin Frucht ohne belastende Müh'." Deutlich spricht hier die Freude darüber mit, daß der mühseligen Sklavenarbeit ein Ende gesetzt ist, daß die Natur bei der schweren Arbeit der Menschen zu helfen bereit ist. ,,Die Räder leisten, gedreht von der Strömung des Flusses, ohne die Mühe des Antriebs die nötigen Dienste." So besingt der römische Ingenieur Vitruv die Wasserräder. Die praktischen Römer beließen es nicht beim poetischen Lobgesang. Zur Zeit des Nero sind Wasserräder vor den Toren Roms alltägliche Dinge, und bald unternehmen die fortschrittlichen Müller es, sie in die Stadt selber zu verlegen und das antreibende Wasser in langen Znstromkanälen von draußen hereinzuführen. Schon blicken die Wassermüller verächtlich auf die Tretradmüller und die Bäcker, die sich noch mit den Handmühlen abmühen; denn mit der Einführung der Wassermühlen sind Bäcker, und Müller verschiedene Berufe geworden. 8
Wohl ein halbes Jahrtausend seit der ersten Nachricht vom Wasserrad der Römer vergeht, bis irgendwo in einem deutschen Fluß eine Wassermühle ihren Lauf und ihre Arbeit beginnt. Aber sie scheint lange allein auf weiter Fläche geblieben zu sein. Noch drehen allüberall die Hand- und Roßmühlen die Mahlsteine. Und noch ein halbes Jahrtausend geht vorüber, bis die Müllersleute illgemein die Vorteile der Wassermühlen erfassen. Und ihnen folgen schon bald die anderen Gewerbe: die Sägemüller, die Tuchmacher, die Schleifer, die Bohrer, die Eisen* Unfersdilächtiges Wasserrad hüttenleute. Sie bauten die Radwerke als „unterschlächtige" Wasserräder: die wurden einfach ins Wasser gestellt und die Strömung drückte ihre Schaufeln; oder als „oberschlächtige": hier stürzte das Wasser aus einer Rinne von oben in einzelne Kammern des Wasserrades und füllte sie; die Wasserschwere brachte das Rad ins Drehen und im Drehen entleerten sich auch die Kammern wieder, um nach ihrer Rundreise erneut gefüllt zu werden. Aber das alles war recht primitiv. Nur wenige Pferdestärken (PS) mögen auf das Rad gekommen sein, und die Energie der Wasserströmung wurde nur zum geringsten Teil verwertet. 10 PS —• das waren schon seltene Ausnahmen. Wo mehr Leistung erforderlich wurde, oberschlSchüges Wasserrad da half man sich, indem man mehrere Wasserräder nebeneinander stellte, wenn es die Breite des Wasserlaufes gestattete. Groß war das Staunen über solche Wasserwerke. Für die maschinentechnische Entwicklung waren sie aber fast ohne Bedeutung. Sie waren gleichsam ein kostspieliger Seitensprung, und wir blicken auf sie wie auf merkwürdige Museumsstücke zurück.
Das Zwischenspiel: „Die Wasserkünste" Die Springbrunnen und Wasserspiele in den prunkvollen Königsschlössern von Versailles und Trianon zählten im 17. Jahrhundert zu den Weltwundem. Da war ein Plätschern und Rieseln in den Marmorbecken, ein spiegelndes Fluten über die Steinstufen der Kaskaden, das glitzerte und sprühte in den Geisern, das goß aus den Brunnenmäulem 9
seltsamer Fabeltiere und brach sich in allen Regenbogenfarben, wenn 1 die Sonne die springenden Wasserquellen traf. Die Kraftzentrale, die 1 all diese. Brunnen, Becken und Wässerlein speiste, lag bei Marly an 1 der Seine. Der Sonnenkönig hatte sie in Auftrag gegeben: Er wollte j „eine Wasserrad-Maschine, die aus der Seine soviel Wasser hebt und | in die königlichen Gärten bringt, als zu den allda befindlichen sehr j vielen Springbrunnen, Teichen und anderen Wässerungen vonnöten ist". I Das Werk lag mitten in der Seine. Dreizehn mächtige Wasserräder waren hinter- und nebeneinander gekoppelt. Jedes ragte acht Meter hoch aus dem Wasser. Dieses Räderwerk, das von der Strömung der Seine in ständiger Bewegung gehalten wurde, trieb nicht weniger als 235 Saugund Druckpumpen an. Die Verbindung zwischen den Rädern und den weitab befindlichen Pumpenanlagen wurde durch unzählige Schubstangen, Schwingen und Lenkgestänge hergestellt, die insgesamt 20 Kilometer lang waren. Die Pumpen hoben das Seine-Wasser in zwei Absätzen auf 160 Meter Höhe und über einen Uferberg hinweg. Das Geknarre der aus unzähligen Balken gefügten Anlage erfüllte die Landschaft. Die königlichen Gärten aber lagen weit genug entfernt, daß die Ruhe der Lustwandelnden dort keinerlei Störung erfuhr. 80 Millionen Franken aus den Steuerkassen wurden für dieses Luxusspielzeug, das der holländische Zimmermeister Ranneken in zehn Jahren gebaut hat, verausgabt. Das Riesenwerk gab eine Leistung von 124 Pferdestärken her. Heute würde eine kleine unscheinbare Wasser- , kraftmaschine, an die Stelle der weiträumigen Anlage gesetzt, das gleiche einfacher und zuverlässiger leisten. Die Wasserkunst aber, die der Uhrmacher Juanelo Tudriano für Kaiser Karl V. bei Toledo in das Bett des Tajo baute, war noch viel wundersamer und erfindungsreicher als die Wasserradanlage von Marly. Droben über dem Berg lag das gewaltige Kaiserschloß des ,'tausendzimmerigen" Alkazar—-drüben in Toledo arbeiteten in unzähligen Werkstätten die berühmten Klingenschmiede, die den Namen Toledos im ganzen Abendland berühmt gemacht hatten. Das Kaiserkastell und seine < Gärten, aber auch die Schmiedemeister der Stadt brauchten Wasser:' Hunderte Esel waren täglich dabei, es in Fässern und Schläuchen heranzuschaffen, und immer noch war es nicht genug. Da entwarf der Uhrmacher Juanelo seine Pläne: Zunächst eine Brücke aus Bronze und Holz, die von den Wasserrädern im Tale 90 Meter hoch bis nach Toledo hineinführte. Und über dieser Brücke, die nichts als ein aufwärtsstrebender Kanal war, ein Triebgestänge mit lautlosem Gang. Das Gestänge bewegte wassergefüllte Kübel, die sich einer in den andern ergossen, immer höher, bis oben das Wasser in natürlichem 10
Gefälle der Stadt und den Schloßbassins zustrebte. Das letzte Betriebsgeheimnis'dieses Wasserwerkes ist uns nicht mehr bekannt. Die zeitgenössischen Nachrichten darüber sind nicht sachkundig genug geschrieben und die spärlichen Abbildungen verraten zu wenig. Juanelo hat später bei den Bürgern Toledos nur wenig Dank gefunden, während der Kaiser ihm seine Huld bis zuletzt bewahrt hat. So kam es, daß das geförderte Wasser nur noch dem Schloß zugute kam und der „Bürgerkanal" durch kaiserlichen Machtspruch gesperrt wurde. Die undankbaren Toledaner Schmiede mußten also ihre Wasseresel wieder ans den Ställen holen. So also ging es nicht! Nicht die Hinter- oder Nebeneinanderreihung vieler schwerfälliger Radwerke konnte weiterführen. Die Vervielfältigung der Kräfte in solchen technischen Ungestümen erforderte zu viel Aufwand und der erhöhte Kraftgewinn war zu teuer erkauft. Hier und dort aber gab es bei der guten alten Wasserradmühle noch Verbesserungen und Einfälle, die, auch wenn sie sich nicht dauernd bewährten, technisch doch interessant genug sind, daß man sich ihrer erinnert.
Schwimmende Mühlen Auf altdeutschen Städtebildern sieht man manchmal vor einer Stadtmauer im Fluß verankerte Schiffe mit breiten Schaufelrädern. Das sind nun keine Vorläufer der Raddampfer; denn die Schiffe liegen vor Anker oder werden mit Tauen vom Ufer aus gehalten. Findige Leute hatten sich hier die strömende Energie des Wassers auf eine bemerkenswerte Weise zunutze gemacht. Die Schaufelräder verrichteten Arbeit: zum Mahlen von Getreide oder Ölkörnern, zum Walken von Tuchen, zum Reiben von Farben, zum Antrieb von Blasebälgen und zu manch anderen nützlichen Zwecken. Es waren schwimmende Wassermühlen, die immer dorthin gesteuert wurden, wo der Fluß gerade die kräftigste Flut aufwies. Und sie wechselte vielfach mit dem Stand des Wassers. Später als die Stromschiffahrt größeren Umfang annahm, wurden die Schiffsmühlen zu Hindernissen, und nach und nach verschwanden sie. Nur ganz wenige sind erhalten geblieben. Zwischen den großen Kriegen gab es in Deutschland unweit Mainz noch mehrere dieser alten Wasserwerke. Damals bestand sogar der Plan, eine der größten als technisches Denkmal zu erhalten.
Vom „Löffelrad" und von der Wasserturbine Die „Kunstmeister", die jene Wasserkünste gebaut haben, der Getreide-Müller, der seinen Mahlgang, der Sägemüller, der seine Sägen mit einem Wasserrad antrieb, die Hüttenleute, die ihre Schmiedehämmer 11
durch Wasserkraft poltern ließen, waren den friedlichen Wasserlilien verbunden; denen sie höchstens durch die geschickte Abzweigung von Zuflußkanälen oder gar durch ein kleines Stauwasser ein kräftigeres Gefälle gaben. So ist die Wassermühle so recht ein Symbol für die gute alte Zeit. In ihrem kühlen Schatten ließ sich träumen und dichten. Sie war das gemütvolle Motiv für besinnliche Maler, für romantische Dichter und die Phantasie des Volkes. Unverwertet stürzten indes in den Gebirgen die Wasserfälle ihre Energien zu Tal, ungenützt verströmten die Wildgewässer ihre lebendigen Kräfte. Fragt man sich, warum es so lange gedauert hat, bis man darauf kam, daß viele dieser Wasserläufe dem Menschen dienstbar gemacht werden könnten, so ist die Antwort nicht schwer: Die GeneTationen vor uns hatten es einfach nicht nötig! Arbeitsmaschinen, die mehr als 20 PS zu ihrem Antrieb erforderten, gab es noch nicht. Was man an Wasserkräften brauchte, lieferten die schwerfälligen Wasserräder gerade zur Genüge. Das letzte Jahrhundert aber verlangte mehr. Die erwachte Industrie schrie nach kräftigerem Antrieb. Die vermoosten, klappernden Wasserräder konnten sie nicht liefern. Da entsann man sich manch kühner Anregungen, die technisch denkende Köpfe in vergangener Zeit zur Verbesserung der Wassermühlen gegeben hatten. Solche Wasserräder mit viel höherer Kraftleistung hatte schon im 15. Jahrhundert der Maler und Ingenieur Leonardo da Vinci beschrieben, und Jakob de Strada hatte im 16. Jahrhundert etwas Ähnliches für die Mahlstühle der Mühlen entworfen; wir haben sogar noch einen Holzschnitt von seiner Radkunst. Das war etwas umstürzend Neues! Das Wasserrad sollte nach diesen Anregungen nicht mehr aufrecht gehen wie das herkömmliche Mühlrac oder wie ein Wagenrad, sondern es lief waagerecht, just wie die Scheibe eines Kreisels. Ringsum hatte man es dicht mit löffelartigen Schaufeln besetzt, und in diese Radlöffel zielte aus einer geneigten Wasserrinne ein frei hervorschießender Wasserstrahl, Unter dem Aufprall dieses Wassergusses drehte sich das Rad recht geschwind, und da das Mühlrat mit auf der gleichen Achse saß, drehte es sich im gleichen Rhythmus mit. Eigentlich war dieses 'schnellaufende Löffelrad schon eine richtige Turbine (von lateinisch „turbo" = der Kreisel). Was war nun das Neue an dieser Turbine? Mit gewöhnlichen Wasserrädern läßt sich ein Wassergefälle von 15 Meter Höhe fast garnicht mehr ausnützen. Denn Wasserräder, die diesen Wassersturz aushielten, ließen sich nicht herstellen. Zwar klapperten und ächzten mancherorts ansehnliche Riesenräder, aber man 12
verlangte nicht übermäßig viel von ihnen. Mit unseren heutigen Mitteln ließen sich solche Radkolosse gewiß konstruieren. Aber heute wäre das ein technischer Unsinn. Die Turbine löst diese Aufgabe viel eleganter! Das war schon bei der Turbine, die Jacob de Strada beschrieben hat, der Fall und manche Wasserturbinen von heute a r beiten im Grunde nicht viel anders als dieses „Löffelrad" des 16. Jahrhunderts. Damit der Strahl, der gegen die Löffelschaufeln des Laufrades drückt, recht kräftig ist, verlangen diese Turbinen eine möglichst große ausnutzbare Druckhöhe des Wassers. 350 Meter sind so das Richtige, was da begehrt ist. Solche „Freistrahlturbinen" — nach ihrem ersten Konstrukteur Freistrahlturbine (Pelton-Turbine) Pelton-Turbinen genannt — findet man daDas Drudewasser (1) schief]) aus den Düsen (2, 3) gegen die her noch viel in den Gebirgstälern der gekrümmten Schaufeln (Löffel) Schweiz. Bei Martigny im Rhonetal wird sodes Leitrades (4), das sich im gar eine WasserTurbinengehäuse (5) dreht. druckhöhe von 1650 Meter ausgenützt. In Rohrleitungen fällt das unbändige Wasser zu Tal, und wir verstehen, daß die Pelton-Turbine bei solchen Gefällen ein „Schnelläufer" ist. Fast die ganze Druckenergie des von den Bergen fallenden Wassers wird in der Freistrahlturbine auf das Laufrad übertragen. Da geht nun fast garnichts mehr an Wasserkraft verloren: d. h. der Druck des heranschießenden Wassers wird 'fast restlos in drehende Bewegung umgesetzt. Der „Wirkungsgrad" (Siehe Seite 22) der modernsten Peltonturbinen liegt bei 90 —• 95 °/o. Da genügt jedoch ein einziger Wasserstrahl Oberdruckturbine (Francis-Turbine) nicht mehr. Das Laufrad wird vielmehr gleich Das Oberwasser (1) strömt an mehreren Stellen „beschossen", so als wenn durch die Leitschaufeln (2), drei oder vier Mann in die Speichen eines die verstellbar sind, in das liegende stählerne Wagenrades greifen, um es flott zu machen. innen Laufrad. Durch das SaugDie Düsenöffnungen, aus denen das Druck- rohr (3) strömt das Druckwasser hervorprallt, lassen sich leicht größer wasser in das Unterwasser (4) ab. Auf der Turbinenoder kleiner stellen und entsprechend die Dreh- achse sitzt oben der Stromgeschwindigkeit des Rades beschleunigen oder erzeuger (5).
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verlangsamen. Peltonturbinen werden in allen Größen bis zu 60 000 I'S gebaut. Oft ist die Druckhöhe des fallenden Wassers aber garnicht so groß, die Wassermengen, die man zur Arbeit zwingen könnte, aber außerordentlich mächtig wie z. B. bei einem gestauten See oder einem gestauten Fluß. Hier verwendet man lieber die langsamer laufenden Überdruckturbinen. In diesen Turbinen läßt man mit einemmale eine t möglichst große Wassermenge von oben oder von der Seite her in das Laufrad wuchten. Düsen könnten das gamicht mehr schaffen. Die Wassermassen strömen bei diesen Überdruckturbinen durch die ge- i wundenen Trichter eines feststehenden Leitrades in die Turbine ein. In diesen Trichtern werden sie so geschickt geleitet, daß sie mit ungeheurem Schwung gegen die Schaufeln des Laufrades prallen und dieses Rad ins Laufen bringen. Damit die strudelnden Wasserstürze, die das Laufrad verlassen, sich nicht stauen können und den flüssigen Abstrom des arbeitenden Wassers nicht hemmen, endet das Turbinengehäuse unten in ein breites Saugrohr, in dem alle Wirbelungen gleich aufgelöst werden. Das abstürzende Wasser wird ohne Aufenthalt gleich dem „Unterwasser" zum schnellen Abfluß zugeleitet. Die bekannteste Überdruckturbine dieser Art ist die Francis-Turbine. Durch die Erfindung Victor Kaplans wurde einer der Nachteile der letztgenannten Turbinenart, nämlich ihr verhältnismäßig langsamer Lauf, behoben. Diese Turbine, die Kaplan-Turbine, hat bei verhältnismäßig geringem Gefälle und einer großen Wassermenge eine hohe Drehzahl. Das hier verwandte Rad ähnelt einer Schiffsschraube und wird einfach in einem senkrechten Wasserschacht mit rundem Querschnitt eingebaut, in dem das Kraftwasser herabstürzt. Es hat nur 4 bis 6 propellerartig ausgebildete Schaufeln (daher auch „Propeller-Turbine") im Gegensatz zu der rejchbeschaufelten Francisturbine. Einen Begriff von den Größenverhältnissen der Kaplan-Turbinen geben folgende Zahlen: Für eine Leistung von 42 500 PS werden Laufräder mit fünf Schaufeln verwandt, von denen jede einzelne ein Gewicht von 10 Tonnen hat. Der Durchmesser des Läufers beträgt 7 m, das Gewicht 280 Tonnen, der Wasserverbrauch 295 cbm je Sekunde. Die bisher wohl größte dieser Überdruckturbinen liefert z. Zt. etwa < 70 000 PS bei 70 Meter Gefälle in einem einzigen Maschinensatz. — Die Schraubenflügel der Kaplanturbine sind übrigens selbsttätig verstellbar, sodaß der „Wirkungsgrad" auch bei schwankendem Zustrom des Wassers unverändert bleibt. An der Vervollkommnung der Wasserturbinen arbeiten die Ingenieure mit immer neuen Erfindungen. Es gibt neben der Flugtechnik kein 14
Gebiet der technischen Zweckforschung, das in den letzten Jahrzehnten so umwälzende Fortschritte gemacht hat wie die Strömungsforschung. Alle Teile der Turbine werden immer wieder durchdacht und auf mögliche feinste Verbesserungen hin überprüft: Die Ausbildung der Schaufelformen, die Führung der Wasserwege, die Anlage der Zuflußkanäle und Rohrleitungen, die Zapfen und Lager, die Methoden der Gießtechnik und unzählige andere Momente. Es ist eine ganze Wissenschaft für sich. Daher sind auch die Fortschritte im Bau und in der Arbeitsweise der Wasserturbinen größer als auf irgendeinem anderen Felde des Ma • schinenbaus. .
Das „Donnernde Wasser"
Im Staate New-York, dort wo der Ontario-See und der Erie-See ganz nahe zusammenkommen, nicht weit von der regsamen Industrieund Hafenstadt Bufallo, stürzt das „donnernde Wasser" seine unendlichen Energien jäh über mächtige Stromstufen hinab. „Donnerndes Wasser", Niagara in der Sprache der Ureinwohner, das ist der treffende Name für diese gischtenden, tosenden, brodelnden Wasserstürze, die sich mitten im Verbindungsfluß zwischen den beiden Seen, im Niagara-River, gebildet haben. Nicht immer befanden sich die Stromstufen an dieser Stelle. Als der erste Europäer im Jahre 1669 das Wunder der Fälle erblickte, lagen sie dreihundert Meter stromab. Jedes Jahr ziehen sie sich mit der Auswaschung der Mergel- und Kalkwände um einen Meter zurück. Seit der Eiszeit sind die Fälle fast um eine Tagesreise gewandert, und einmal in fernen Zeiten werden sie den See, den Erie-See bei Buffallo erreicht haben. Den Indianern waren die tosenden Wasser furchterregende Gewalten. Aber der Weiße Mann ließ nicht viele Jahre nach der Entdeckung der Fälle vorübergehen, als er auch schon begann, dieses gewaltige Energiegeschenk der Natur sich dienstbar zu machen. Ein französischer Pelzjäger war es, der im Anfang des 18. Jahrhunderts in den Wassersturz ein kräftiges Wasserrad stellte, mit dem er eine Sägemühle betrieb. Die kleine Maschine nutzte von den 30 Millionen Pferdestärken der herabstürzenden Wasser nur ein ganz verschwindendes Quentlein, ganze 20 Pferdestärken aus. Nach weiteren hundert Jahren waren einige wenige Wasserräder hinzugekommen. Eine zweite Sägemühle, eine Papier- und drei Mahlmühlen wurden von den Fällen betrieben. Erst im Zeitalter der Elektrotechnik wagte man sich dann kühner in das Kraftfeld der Sturzwasser. 1880 bewegten die Fälle Stromgeneratoren von 2 000 PS. Antriebe waren auch damals noch die altgedienten 15
Wasserräder. Fünfzehn Jahre später aber liefen drei Turbinen, mit einer Leistung von 5 OOO PS. Und von da an entwickelten sich die Dinge schneller und schneller. Heute werden in mehreren, Werken dem „donnernden Wasser" 1 250 000 PS „abgenommen" und den Industriewerken und den Haushalten des Landes nutzbar gemacht. Bitte einmal den Rechenstift zur Hand! Die menschliche Leistungsfähigkeit wird mit Vs PS veranschlagt. 240 Millionen Menschen müßten schon ihre Kräfte einsetzen, wollten sie an die 30 Millionen PS der Niagara-Fälle herankommen. Diese 240 Millionen könnten ihre Leistung aber höchstens 12 Stunden am Tag zur Verfügung stellen, während die Wasser des Niagara ohne Rast und Ruh ihre Arbeit verrichten. Mithin müssen wir die Zahl der Menschen verdoppeln, wenn sie" die gleiche Leistung erreichen wollten, wie jene Sturzwasser; das wäre fast eine halbe Million menschlicher Muskelmaschinen, Das hieße, daß die gesamte europäische Bevölkerung in zwei Schichten zu tun hätte, der Energie der Niagarafälle das Gleichgewicht zu halten. Da aber die europäische Bevölkerung nicht nur arbeitsfähige Männer stellt, sondern auch Kinder, Frauen und Greise, müßten wir immer mehr Arbeitskräfte heranziehen. Erst mit den Arbeitsfähigen der gesamten Menschheit wäre es möglich, es der Naturgewalt des „donnernden Wassers" gleichzutun. Im Osten der Vereinigten Staaten entspringt der mächtige TenesseeStrom dem Alleghany-Gebirge und mündet nach mehr als 1000 Kilometer in den Ohio. Seine Täler und Seitentäler ertrugen seit vielen Jahrzehnten alljährlich Überschwemmungskatastrophen von schrecklichstem Ausmaß. Dabei stieg der Fluß bis 12 Meter über den normalen Wasserstand und mit jedem Male drang die Verwüstung tiefer in das Kulturland des Menschen ein. Niemand glaubte daran, daß man dem Hochwasser des Flusses jemals Einhalt gebieten könne. Und doch ist das Unglaubliche wahr geworden: Der Widerspenstige wmde unter dem Aufwand ungeheuerer Beton- und Stahlmassen gebändigt. Durch den Bau von 21 Riesendämmen haben die Ingenieure die Herrschaft über den Strom in ihre Verfügung bekommen; heute bestimmen die Dammingenieure, wieviel Wasser und mit welcher Geschwindigkeit es in Gefahrzeiten zu Tale fließt. Im Schutze der Dämme wurden die ausgelaugten und ausgeschwemmten Böden zu kostbarem Ackerland. Hunderte schmucker Dörfer sind in der einstigen Wüste gewachsen. Aus den gigantischen in die Dammbauten eingefügten Wasserkraftanlagen strahlen Überlandleitungen in alle Himmelsrichtungen und tragen Energien von rund 2 Millionen PS zu den Menschen. Zauberhafte Seen spiegeln sich hinter den Dämmen, und ihre gesamte Uferlänge von 14 500 km übertrifft an Ausdehnung sämtliche Meeresküsten der Ver16
einigten Staaten entlang des Atlantik, des Stillen Ozeans und des Golfes von Mexiko.*) Schon sind die Ingenieure dabei, Plläne zu noch größeren gewaltigeren Energieschatzkammern' zu entwerfen. Da breiten im Norden der Vereinigten Staaten gegen Kanada hin die fünf großen nordamerikanischen Seen ihre riesigen Wasserflächen. Vier dieser Binnenseen liegen im eigentlichen Grenzgebiet, und seit langem ist man bemüht, sie zu einem einzigen Wasserweg zu vereinen, der dann im St. Lorenz-Strom den unmittelbaren Zugang zum Atlantischen Ozean fände. Zwar führen natürliche Wasserläufe von See zu See; an eines dieser Verbindungsgewässer, den Niagara-River, sind die Kraftwerke der „Donnernden Wasser" gebaut. Nun sollen die seenverbindenden Flüsse auch für die große Schiffahrt befahrbar gemacht werden; das aber heißt, daß nicht nur die Flußengeh verbreitert und die Stromschnellen beseitigt, sondern daß auch die Hindernisse der Wasserfälle und die Unterschiede der Wasserspiegel überwunden werden müssen. 110 Meter Höhe sind allein an den Niagara-Fällen auszugleichen. Ein Umgehungskanal von 40 Kilometer Länge soll mit 8 Schleusen auch hier eine durchgehende Schiffahrt ermöglichen. Dort nun, wo der östlichste See in den St. Lorenzstrom übergeht, liegen riesige Stromschnellen im Wege, die „International Rapids". 'Diese bis heute ganz ungenutzte Kraftquelle will man jetzt endlich in den Dienst der Menschen zwingen und mit ihrer Hilfe den Nachbargebieten: New-York, der kanadischen Provinz Ontario und den Neu-England-Staaten aus 36 Stromerzeugereinheiten den mangelnden Industriestrom erschließen. Das Krafthaus auf dem Damm, der hier den Strom queren wird, soll ekie Länge von 1 Kilometer haben und 60 Meter breit sein. 2,2 Millionen PS, mehr also als die TennesseeKraftwerke und die Niagara-Werke liefern, werden entwickelt. In der Strommitte -wird das Werk durch die Grenze Kanada - USA in zwei Hälften geschieden, und entsprechend werden auch die beiden Staaten am Bau und an der Nutzung beteiligt sein. Das größte Kraftwerk der Erde aber soll in China erstehen und zwar im Jangtse bei Itschan. Es soll 96 Stromerzeuger zu je 3 00 000 KW erhalten. In PS ausgedrückt, würde die abgegebene Leistung rund 13 Millionen PS betragen! Das ist rund 10 mal soviel, als in allen Werken des Niagara erzeugt werden kann. Zum-Vergleich die Leistung des größten deutschen, des Walchenseekraftwerks in Oberbayern: In seinen Maschinen sind 168 000 PS gebannt. Wenn der See einmal die Wasserabflüsse des nahen Karwendel-Gebirges, die bisher ungenutzt der *) Lux-Jugend-Lesebogen 16 „Wasser-Wüste-Weizen". Das Heft berichtet ausführlich von dieser großartigen Menschheitsleistung.
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Isar zuflössen, aufgenommen hat, wird man die Leistung des Werkes, die zur Zeit durch den Wassermangel weit zurückliegt, erhöhen können und auch in wasserarmen Zeiten die Stromversorgung gleichbleibend sichern.
Die Wasserkräfte der Erde Alle bisher ausgebauten Wasserkräfte der Erde haben zusammengenommen eine Leistung von rund 55 000 000 PS. Man schätzt, daß es 472 Millionen PS ausbaufähige Wasserkräfte auf der Erde gibt. Die Zahl scheint aber eher zu niedrig als zu hoch gegriffen! Würden alle auf der Erde vorhandenen Wasserkräfte genutzt sein, so würde jeder einzelne der Planetenbewohner 4 - 5 PS ständig zur Verfügung haben, wenn man die natürlichen und technischen Verluste mit einrechnet. Und das wäre ein erbaulicher Zustand. Heute beträgt die erzeugte Gesamtkraftmenge (also nicht nur die dem Wasser zu verdankenden Energien) je Kopf der Menschheit etwa 0,15 PS. In England ist Erzeugung und Verbrauch in den letzten Friedensjahren auf etwa SU PS gestiegen, während man in Deutschand mit nur etwa der Hälfte auskommen mußte. Am günstigsten lagen und liegen die Verhältnisse in den USA, wo jeder Einzelne heute schon mit je 1 PS bedacht ist. Diese PS sind die „Haussklaven" von heute. Getreue, jederzeit dienstbereite Knechte, die nicht mit Peitsche und Kerkerdrohung 'zur Arbeit getrieben werden müssen wie die armseligen Sklavenkreaturen des Altertums.
Mit des Dampfes Kraft Die Dampfturbine hatte es eigentlich'viel schwerer sich durchzusetzen, als ihr Wasservetter, die Wasserturbine. Ihr Weg war viel mühevoller, und von der ersten brauchbaren Dampfmaschine, die schon lief, als in Marly an der Seine noch die vereinigten Räder der kgl. „Wasserkunst" sich abmühten, bis zur leistungsfähigen Dampfturbine hat es an Rückschlägen und Umwegen wahrlich, nicht gefehlt. Die Dampfmaschine hatte nicht nur die Widerstände der Materie zu überwinden; — die seelischen Widerstände, denen sie begegnete, waren kainn geringer. Die Schmiedehämmer der um ihr Brot fürchtenden Arbeiter rückten den ersten „Feuermaschinen" zu Leibe, ihr Einzug in die Schiffahrt rief die erbitterten Binnenschiffer, die Treidler und Halfen, an die Ufer, wo sie mit Steinwürfen und Hindernissen den Dampfbooten begegnetem! selbst die dainpfbetriebenen „Rosse" der Eisenbahn mußten zu Anfang mit mancherlei Schikanen rechnen, die ihnen von den aufgebrachten Fuhrknechten und Postkutschern angetan wurden. Aber die ersten Dampfmaschinen begegneten noch einem besonderem 18
Mißtrauen. Man erwartete wenig von ihnen. Die tierische Pferdekraft erschien den Damaligen viel zuverlässiger. Aus jener Zeit stammt die Maßeneinheit der Pferdekraft: „PS"; mußte doch tatsächlich das Pferd mit der Maschine in Konkurrenz treten und erst beweisen, daß es schwächer war, daß die ersten Dampfmaschinen 2 oder 3 PS zu liefern vermochten gegen das eine PS eines kräftigen .Gauls.
So entstand das PS. James Watt, den man als den Erfinder der Dampfmaschine anzusprechen pflegt, hatte viele Vorgänger und einige Wegbereiter. Da ist der französische Arzt Denis Papin zu nennen, der die erste einfache Dampfmaschine und sogar ein Räder-Dampfschiff konstruierte. Da verdienen die Dampfpumpen der Engländer Thomas Savery und Thomas Newcomen unsere nachträgliche Anerkennung. Aber das Verdienst, die ersten wirklich brauchbaren Kolbenmaschinen erfunden zu haben, bleibt James Watt für immer unbestritten. Auf ihn geht auch der technische Begriff „PS" zurück. Als Watt vor ungefähr 170 Jahren anfing, Göpelwe* Dampfpumpen für die Entwässerung der englischen Kohlengruben zu bauen, hatten die Grubenherren noch sogenannte Roßwerke in Betrieb. Gäule liefen in einem Göpelwerk ständig im Kreise »herum und lieferten, vor die Göpeldeichsel gespannt, die erforderliche Hebekraft auch für die Grubenentwässerung. Watt hatte es den Grubenbesitzern in einigen Fällen klar zu machen verstanden, daß seine Dampfpumpe bessere und vor allem billigere Arbeit zu leisten imstande sei als ihre Gäule, die oftmals' zu Hunderten vorgespannt werden mußten. Ein Brauereibesitzer in Withread, der ein solches Pumpwerk mit Roß und Göpel betrieb, war zwar für alle technischen Neuerungen durchaus zu haben, aber er blieb dabei ein kühl rechnender Kaufmann. „Gut", sagte er zu Watt, der bei ihm vorsprach, „Deine Maschine will ich Dir abkaufen. Aber bitte beweise mir erst, daß sie mir wenigstens dasselbe schafft, Dampfmaschine Walts 19
wie mein Göpelgaul!" Watt, der seine Maschine kannte, sagte ohne weiteres zu. Da ging der Bierbrauer hin, holte seinen besten und stärksten Gaul aus dem Stall — und Bierbrauergäule haben es in sich! —• rief seinen besten Kutscher heran und ließ ihn nun das Pferd acht Stunden lang im Göpel arbeiten. Mit der Peitsche holte der das Letzte aus dem Tier heraus. Als man die Wassermenge berechnete, die in den acht Stunden gepumpt worden war, stellte man fest, daß der Gaul alle bisherigen Leistungen weit überboten hatte. Trotzdem blieb Watt seiner Sache sicher. Der Gaul wurde ausgespannt und die Dampfpumpe angeschlossen. Da wies der Erfinder nach, daß seine Pumpe mehr als" das Doppelte zu leisten imstande war. Das Geschäft wurde abgeschlossen und das PS als Maßeinheit war geboren. Die Feuermaschine setzt sich durch Die Feuermaschine „Watts" war den einen der „Eiserne Engel", den andern der „Schwarze Teufel". Aber jeden Wettlauf mit den althergebrachten Maschinen gewannen die,Dampfkolben, Sie ließen alle technische Konkurrenz im Handumdrehen hinter sich. Und jede neu hingestellte Dampfmaschine bahnt fünf anderen den Weg. Watts Werk, wo es ins Laufen kommt, überzeugt die Hartnäckigsten. Um das Jahr 1800 gehen in England 5 000 „Eiserne Engel". Schon längst aber haben die Verladungen auf den Kontinent begonnen: 200 Feuermaschinen arbeiten um 1800 in Frankreich. In Preußen jedoch sind es ganze zwei oder drei. Man hat hier noch kein rechtes Vertrauen zu dem ausländischen Patent. „Soll man sich Gesundheit und Leben durch die ununterbrochenen und abscheulichen Ausdünstungen untergraben", rief der Freiherr von Recke, dem eine Dampfmaschine für sein Unternehmen angeboten worden war. „Ich bin es meinem Eigentumsrechte, der Erhaltung der Gesundheit meiner Familie schuldig, alles aufzuwenden, um dieses tötende Ungemach von meinem Hause fern zu halten." Selbst die wackere Maschine, die schon 1785 als erste deutsche Dampfmaschine im Mannsfeldschen aufgestellt worden war, hatte in Deutschland nicht Schule machen können. Dabei tat dieser Erstling von 75 PS so getreulich seinen Dienst, daß es erst 60 Jahre später mit ihm zu Ende ging. Er war übrigens in der kgl. Geschützgießerei in Berlin aus Kanonenbronze gegossen worden. Aber der Fortschritt ließ sich nicht aufhalten. Zumal als der amerikanische Erfinder Georg Henry Corliß heraus gefunden hatte, wie man den respektablen Kohlenfraß der ersten Dampfmaschine gewaltig herabsetzen konnte; da wurden die alten Vetranen allmählich von den Corliß20
Maschinen abgelöst. Eine alte Maschine von 180 PS verschluckte täglich rund fünf Tonnen Kohle. Das wurde nun anders. Die Ersparnisse an Brennstoff waren so groß, daß sich die neuen Maschinen schon in 2 Jahren bezahlt machten. Corliß baute auch den ersten Riesen unter den Dampfmaschinen. Er setzte sie 1876 in einer Halle der Ausstellung von Philadelphia in Betrieb. Sie hatte ein Gewicht von 607 Tonnen und leistete etwa 2 500 PS. Inzwischen hatte auch Deutschland aufgeholt. Die Maschinenfabrik Augsburg bot schon 1874 eine Dampfmaschine mit 900 PS Leistung an. Den PS-Rekord bis zur Jahrhundertwende hielt eine Kolben-Dampfmaschine von 6 000 PS. In den Folgejahren wurden sogar 25 000 PS erreicht. Aber damit war dann auch der Höhepunkt erklommen. Es ergab sich nämlich, daß es ratsamer und wirkungsvoller war, wenn man die Leistungen auf mehrere Kolbenmaschinen verteilte und bei der einzelnen Dampfmaschine nicht über 5 000 PS herausging. Ein& solche. 5 000 PS - Maschine arbeitet ebensoviel wie einst 120 000 Menschen, die man in drei Schichten in die Treträder pferchte. Treträder, die es mit jener Dampfmaschine aufnehmen sollten, müßten aneinandergereiht eine Länge von 40 km haben. Dampfturbine gegen Kolbenmaschine Die Kolben-Dampfmaschine hat ihre Grenzen erreicht. Sie wird zwar ihren Platz behaupten, aber Watts geniale Idee ist in ebenso genialer Weise fortentwickelt worden. In der Dampfturbine hat sie sich selber übertrumpft. Auch der Nichtfachmann kommt vor einer Dampfmaschine der alten Form zu folgender Überlegung: Gehen da durch das ewige Wandern der schweren Kolben, der Kolbenstange und der Pleuelstange, die hinundhergehende in drehende Bewegungen umsetzen, nicht beträchtliche Kräfte verloren? Da wird eine gewichtige Metallmasse nach vorn gestoßen, dann plötzlich zu Null abgestoppt, zurückgenommen, wieder nach vorn gestoßen: Im rasenden Wechsel! Die Wasserturbine lehrte, wie man mit Kräften haushalten kann. Also schaltete man Kolben und Pleuelstange aus und ließ den Dampf gleich auf ein Turbinenrad wirken. Und mit einemmale erzielte man Leistungen, die viele Verluste der Dampfmaschine ausschalteten und so ins Gigantische anstiegen. Am Michigansee in. Nordamerika steht eine Dampfturbine, die geradezu unheimliche Energien herausschleudert: 280 000 PS! Das ist heute die Spitzen-Dampfturbine der ganzen Welt. Zehn .Güterwagen Kohle verschluckt sie in jeder Stunde. Die zweite in der Reihe läuft im Gellgate-Drahtwerk bei New-York: 225 000 PS! Würde man diesen 21
Koloß neben die Corliß-Maschine stellen können, die 1876 in Philadelphia das Staunen der Menschen erregte, so würde die GellgateTurbine zwar einelnhalbmal soviel Ausstellungsraum wie die Kolbenmaschine beanspruchen, aber in diesen Raum wäre eine 154 mal größere Leistung zusammengeballt. Vergliche man dann noch die Gewichte untereinander, so ergäbe . sich, daß sich innerhalb des halben Jahr-, hundertes, das zwischen diesen Kraftmaschinenvettern liegt, die Leistungen je Kilogramm Maschinengewicht auf das Hundertsechzigfache gesteigert haben. Neben den großen und mittleren Turbinen, die zuerst das Feld be- . haupteten, entwickelten sich die Kleinen. 30 PS-Turbinen —• fast sind es Turbinchen —• erfüllen schon vielfach wichtige Aufgaben. Sie sind nicht viel größer als eine größere Gießkanne und wirkliche Liliputaner, gemessen an der ersten Wattschen Dampfmaschine, die an Raumbedarf schon ein Häuschen beanspruchte, aber nur 2 — 3 PS leistete. Der „Wirkungsgrad" von Dampfturbinen-Anlagen ist im allgemeinen besser als der von Kolbenmaschinen. Unter dem „Wirkungsgrad", von dem schon mehrmals gesprochen wurde, versteht der Techniker das Verhältnis zwischen zugeführter und abgegebener Leistung. Er beträgt praktisch nie 100 °/o. Bei der Dampfmaschine ist er besonders ungünstig. Der Dampfmaschinen-Wirkungsgrad liegt zwischen 8 und 2 5 % ; die aus dem Dampfkessel zugeführte Wärmeenergie wird im Höchstfall nur zu 25 %, also zu einem Viertel, in nutzbringende Arbeit verwandelt, während 75 °/o unverwertet verloren gehen. Das ist ungefähr so, als wenn einer, der 100 Mark Arbeitslohn erhält, 75 Mark fortwirft, um sich mit den restlichen 25 Mark zu begnügen. — Gegenüber den 25 % der Dampfmaschine erreicht die Dampfturbine einen Wirkungsgrad von 30 °/o, bei der Pelton-Wasserturbine sind es bis zu 95 %. — Trotzdem können wir n o c h nicht auf die kraftspendende Dampfmaschine verzichten. Als feststehende oder fahrende Antriebe, als Kolbenmaschinen oder Turbinen verrichten sie getreulich ihre wertvolle Arbeit. Es wird noch lange so bleiben! Die rollenden Dampfkolbenmaschinen der Eisenbahn vor allem, die Lokomotiven, scheinen unverwüstlich.
Überraschende Vergleiche Wir möchten den Fortschritt der Technik noch deutlicher sehen! Unser kleiner molliger elektrischer Heizofen lädt uns zu einer kurzen Betrachtung ein. 1 000 Watt Strom verbraucht er in der Stunde, uns die kleine Stube behaglich zu machen, 1 000 Watt —• ein Kilowatt, das ist die gleiche Leistung wie 1,36 PS. Ein Gaul mittlerer Stärke schafft s/t PS. Zwei Gäule müßten also dauernd im Kreise vor dem 22
Göpel traten, uns mit einem Dynamo das bißchen Heizofenwarme auf der gleichen Temperaturhöhe zu halten. Das alte.Tretrad würde es nur schaffen, wenn elf der bedauernswerten menschlichen Tretkräfte ohne Unterbrechung das Letzte hergäben. Vier Göpelrosse oder 22 Tretsklaven müßten eingespannt werden, eine normale elektrische Haushaltküche mit Strom zu versorgen. Hunderttausend Kilowatt liefert das Kraftwerk einer 100 000-Einwohner-Stadt in die Häuser und die Betriebe. Vier große Turbo-Stromerzeuger (Generatoren) von je 25 000 Kilowatt oder 34 000 PS können diese Strommepge liefern. In Göpelpferde umgerechnet, kämen dafür 200 000 Zugtiere in Betracht. Wallt man aber den erforderlichen Strom durch die Muskelarbeit von Sklaven erzeugen lassen, so müßte eine Million dieser Menschengeschönfe ins Geschirr gehen, zehnmal so> viel als die Stadt Einwohner zählt. Mit einer Durchchnittsleistung von 17 000 PS jagt eine moderne Schnellzuglokomotive über die Schienen. Wollte man die Lok durch Pferde ersetzen, so wären die erforderlichen 25 000 Gäule garnicht mehr zu' regieren. Mehr als Postkutschengeschwindigkeit würde auch der beste Postillon nicht aus ihnen herausholen können. Und schnell noch einen Blick in den Maschinenraum eines Ozeandampfers. In lautlosem Gang bewegen die Turbinen und Schrauben das Schiff mit durchschnittlich 25 000 PS durch das Wasser. Wollte man den Dampfer mit Kräften der Galeerenruderer vorwärtsbringen, so müßten 200 000 Menschenstärken, in drei Achtstundenschichten also 600 000 Menschen, in die Ruder greifen. Eine Großstadtbevölkerung! Die ,,Normandie"«nit ihren 160 000 PS müßte sich 4 Millionen Ruderknechte verpflichten, mehr als die Volkszahl ganz Finnlands.
W e g e zur Windturbine Die Ingenieure, die die Wasser- und Dampfturbinen auf immer höhere Touren gebracht haben, hatten für die Windturbine wenig übrig. Kaum ist sie über das Anfangsstadium hinausgekommen. Das gewaltige Energiegeschenk der Natur, der ewig strömende Wind, blieb nahezu ungenutzt. Erst in flen Jahren vor dem letzten Kriege wurde es in den Planungsbüros der Windkraftingenieure lebendiger. Aber dann kam die Zeit, die für solche Pläne wenig günstig war, und wieder mußte von ' neuem begonnen werden. Die Urkraft des Windes war den frühesten Menschen bekannt. In magischem Schrecken erfuhren sie die zerstörende Gewalt dieses „Unsichtbaren", wenn die Stürme über ihre Zelte hereinbrachen oder die Wälder unter ihren Schlägen erzitterten. Aber schon nutzten sie auch 23
die freundlicheren Seiten des Windes aus, indem sie ihre Fell- oder Rohrmattensegel ausspannten und ihre Boote von den Flügeln des Windes vorwärtstreiben ließen. Die Energie des Windes trug die Drachenboote der Wikinger an die unbekannten Küsten des „Westlandes" Amerika, sie führte die Inselvölker des Stillen Ozeans über Tausende von 'Meilen zu fernen Erdteilen, sie trieb die Kauffahrteischiffe der „Hanse", jener unternehrmihgsfrohen Kaufherren des Mittelalters, durch alle Meere, sie beflügelte die Karavellen des Columbus, sie führte noch bis in die neueste Zeit die Fünfmast-Segelschiffe mit Tausenden von Tonnen Getreide von Australien nach Europa. Aber die Windr&der! Wir wissen wenig von ihren Anfängen. Ab und zu taucht eine k«ze Nachricht auf. Da gab es um das Jahr 400 ,n. Chr. in Tibet kleine Gebetsmaschinen, Trommeln, auf die mit Tusche fromme Anrufungen Buddhas geschrieben waren. Kleine Windräder hielten sie in Bewegung. Der gläubige Lamaist war der Meinung, daß er damit bei seinen Göttern mindestens ebensoviel Erfolg haben müsse wie mit dem mechanischen, oft so gedankenlosen Bewegen der Lippen. Auch aus dem griechischen Altertum klingt eine Kunde zu uns herüber: Der weise Heron von Alexandrien, ein großartiger Erfinder und Mathematiker, entwarf um das Jahr 110 v. Chr. ein Windrad, mit dem er die Pumpe zu einer Orgel in Bewegung hielt. Aber das Ganze scheint über ein technisches Spielzeug nicht hinausgekommen zu sein. Die große Zeit der arbeitschaffenden Windräder, der „Windmühlen", war das Mittelalter und die beginnnende Neuzeit. Wir können uns heute kaum noch eine Vorstellung davon machen, ü" sehr die Windmühlen das Bild der altdeutschen Landschaften beherrschten. Man nimmt an, daß sie in Deutschland ihre Heimat hatten, jene Bockwindmühlen, bei denen die Windflügel mit dem ganzen dazu gehörigen Bau um einen senkrechten Ständer gedreht und so nach dem Winde gestellt werden konnten. Ihrem Ursprung nach wurde diese Bauart später allgemein als „deutsche" Windmühle bezeichnet, im Gegensatz zu den „holländischen", die nur ein drehbares Dach hatten. Die älteste noch erhaltene Windmühle stammt aus dem 12. Jahrhundert und steht in Bockwindmühle und holländische der Nähe von Lüttich. Die ist älter Windmilhla 24
als unsere gotischen Dome. Als sie gebaut wurde, begann das Abendland sich zu den Kreuzzügen zu rüsten. Wie es in jener Zeit Wasserrechte gab — nicht jeder durfte ein Wasserrad einrichten — so gab es einstmals auch Windrechte. Der Wind gehörte demjenigen, dem auch das Land gehörte, über das er dahinstrich. Ganz einfach: wer diesen Wind benutzen wollte, der mußte sich um gnädige Genehmigung an den „Windbesitzer", den Landesherrn, wenden. Der vergab dann gegen entsprechende Gebühren das Nutzungsrecht. Und manch windiger Prozeß ist um das Betreiben einer Windmühle ausgefochten worden. So kraftstrotzend sich die Windmühlen auch ausnahmen, so gering war ihre Leistung. Sie lag bei „armseligen" 10 PS. Und man ist auch trotz vieler Versuche nicht weit darüber hinausgekommen. Man gab den Flügeln die seltsamsten Formen und im späten Mittelalter gingen einzelne Mühlenmeister dazu über, die Flügel nicht mehr senkrecht laufen zu lassen, sondern waagerecht. Von solch merkwürdigen Bauten sind uns in alten Kupferstichen Bilder erhalten. Auf einem dieser Bilder, das im Germanischen Museum in Nürnberg aufbewahrt wird, sehen wir eine Waagerechtmühle mit 17 horizontal gelagerten Flügeln. Aber sie sind schon bald wieder aus dem Landschaftsbild verschwunden, denn die waagerecht kreisenden Flügelräder boten dem Wind zu wenig Angriffsfläche. Der eiserne Windmotor Den alten Windmühlen ist unter den sausenden Schwungrädern der Dampfmaschine "" Luft ausgegangen. Die Maler und Kameraleute haben sich ihrer angenommen. Der Wanderfrohe freut sich an ihrem Anblick. Hie und da drehen ihre Flügel noch einen Mahlgang, aber sie sind technisch nur noch Museumsstücke, an denen das Herz hängt. Aber da ist noch immer der Wind, dieser unerschöpfliche Betriebsstoff, den die Natur so freigiebig spendet! Soll er wirklich ungenutzt seine Kräfte verwehen und verstürmen? So kehrte denn neuerdings die alte Windmühle in veränderter Gestalt wieder in die Landschaft zurück. Der Nachkomme der Windmühle, der eiserne Windmotor, eine Idee amerikanischer Ingenieure, ist nüchterner aber auch praktischer geworden. Leicht gelagert, dreht er sich aus eigenem Antrieb nach dem Winde, auch seine Flügelflächen weiß er selbsttätig zu regulieren und schnell ist sein Anlaufvermögen. Er braucht keinen Wächter. Doch dreht er sich 25
-r- und das ist sein Nachteil —• immer nur dann, wenn der Wind geht und der weht in niederen Höhen sehr unregelmäßig. So hat man den Windmotor mit seinen eisernen Gerüsten dort aufgebaut, wo nicht ständig benutzte Anlagen zu betreiben sind: Wasserpumpen zur Bodenentw.ässerung, Wasserschöpfer zur Berieselung und Generatoren ZUT Elektrizitätserzeugung auf abgelegenen Farmen und Gehöften.
Türme der Winde „Warum aber", meint der Nichttechniker, „geht man mit den Windmotoren nicht in die Höhe. Mehr Leistung? Ganz einfach: Größer, kollosaler bauen!" — Nun, so einfach ist das nicht! Kraftmaschinen, gleich welcher Art, lassen ihre Kräfte nicht durch einfaches Vergrößern ihrer Maßstäbe beliebig multiplizieren. Wir sprachen idavon schon bei den Kolben-Dampfmaschinen. Mit wachsenden Größen wachsen die technischen und auch die wirtschaftlich-finanziellen Schwierigkeiten. Auf dem einstigen Nauener Funkturm (285 m Höhe) und auf dem Eiffelturm (300 m Höhe) hat man die Windströmungen sehr genau auf ihre Beständigkeit hin untersucht. Es ergab sich, daß in solchen Höhen die Windstärke sehr beständig ist und nur in geringen Unterschieden schwankt. In tieferen Lagen hat der Wind doch sehr störende Launen, je nach der Tages- und Jahreszeit, er ist dort völlig unberechenbar und ungleichmäßig, er wechselt sowohl in horizontaler wie in vertikaler Richtung meist schnell. Also in die Höhe der Funktürme hinauf! Der Pionier der Windkraftwerke, der Ingenieur Hermann Honnef, hat für solche Windkraftwerke genaue Pläne fertiggestellt. Sein „Einheitskraftwerk" arbeitet in 240 Meter Höhe mit Propellern von 160 Meter Durchmesser. Sie drehen sich auf riesigen Stahltürmen, und ihre Leistung soll 14 000 PS, oder da 1,36 PS einer elektrischen' Leistung von einem Kilowatt gleichkommt, gleich 10 000 Kilowatt sein. Der Ingenieur schlägt ein solches Windkraftwerk für das kohlearme Hamburg vor. Es ist ein phantastischer Plan: Auf zwanzig 240 Meter aufragenden Türmen bewegen sich die ungeheuren Windräder, 5 000 bis 20 000 Kilowatt kommen auf jeden der Türme. Das Windkraftwerk vereinigt seine Energien mit einem Wasserkraftwerk; zwei holsteinische Seen, mit 37 Meter Höhenunterschied sollen zu diesem Zwecke miteinander verbunden werden. An Kosten sind 165 Millionen Mark und an Baustahl für die Türme 100 000 Tonnen veranschlagt. Der Windkraftstrom könnte in diesen „Türmen der Winde" zu 0,65 Pfennig je Kilowattstunde gewonnen werden. Ein eintürmiges ..Einheits-Windkraftwerk" plant Honnef für die 26
Stadt Stuttgart, Der Turm von 250 m Höhe könnte in 1 bis 2 Jahren gebaut sein. Ertrag: 1 000 Kilowatt. Aber auch die Vertreter der „Niedrigtürme" haben ihre Pläne. Ihre Türme sind nur 20 Meter hoch, 15 m messen die Propeller. Die Nordseeinsel Neuwerk bei Cuxhaven und „eine Höhe bei Minden in Westfalen sehen die Ingenieure als Standorte vor..- 35 000 Kilowattstunden hoffen sie dem Wind zu entlocken. In etwas größeren Höhen bewegt sich das Windkraftwerk des Ingenieurs Voigt. Er plant gleich eine Turmreihe von 90 m Höhe und 100 m Breite. Die Flügelwerke sind in verschiedenen Höhen angebracht. Der Brocken im Harz,' auf dem dieses Windspiel gebaut werden soll, würde mit dem stählernen Mastenwald sein Aussehen weithin verändern.
Schwebende Windmaschinen Der Wind weht, wo er will! Also muß man ihm dahin folgen, wo er gerade weht. Der Ingenieur H. Hisserich glaubt, daß das garnicht einmal so schwer sei und daß auch ohne feste und teure Mastentürme beliebig große Höhen erreicht werden können. Die Höhenschicht, die er mit seinen schwebenden Windkraftwerken auszunutzen sucht, liegt über 200 Meter, dort also, wo stetigere und stärkere Winde gemessen werden als in größerer Bodennähe. Seine Windräder will H. Hisserich an gefesselten Ballonen aufhängen, die von Metallseilen gehalten werden. Man würde also den Winddruck in den verschiedenen Höhenlagen laufend registrieren und dann die Seilwinden in Bewegung setzen und das fliegender Kraftwerk höher hinauflassen, wenn dort ein günstiger Wind geht, oder es herunterwinden, wenn die Luftströmung hier mehr verspricht. Die Propeller in diesem Fesselballonbetrieb laufen besonders schnell, es sind Windturbinen, die nicht nach der Windrichtung eingestellt zu werden brauchen (Voith-Schneider-Propeller). Ein seltsames Bild: über Stadt und Land, stehen hoch im Blau des Himmels diese Kraftwerke und führen die kostenlose Energie der Höhenwinde, umgewandelt in Strom, der Erde zu. Dem Luftverkehr würden diese schwebenden Wolkenkratzer allerdings viele Sorge machen.
Düse und Turbine ersetzen Propeller Die Turbine soll sich aber in ein« noch viel kühneren Weise den Luftraum erobern. Schon kündigt sich der Turbinen-Clipper als das Flugzeug der nahen Zukunft an. Als „Typ 1950" sollen diese TurboLangstreckenmaschinen schon bald die Propeller-Flugzeuge von den großen Luftstraßen der Welt verdrängen, so wie die modernen Überseeschiffe die Segler von den Meeren vertrieben haben. 27
Die Antriebseinrichtung für solche propellerlosen Flugzeuge ist die vielgenannte Düse in Verbindung init der Gasturbine. Eine der großartigsten Erkenntnisse der Strömungswissenschaft ist hier mit dem Turbinengedanken von einst die erfolgreichste Verbindung eingegangen, die man sich denken kann. Es ist nicht leicht, den Vorgang zu verstehen, der sich hier vollzieht; denn er widerspricht weitgehend unserer Erfahrung, die wir unter ähnlichen Verhältnissen machen, und d^s hier wirksame Naturgesetz ist erst sehr spät erkannt worden. Es ist das Gesetz der Düse. Was verstehen wir nun unter einer Düse? Kurz gesagt: ein konisches (trichterförmiges) Stück aus einem sich verjüngenden Rohr. Eine Düse wäre zum Beispiel die hohle Spitzzwinge eines Bergstocks, wenn man sie am äußersten Ende abschneidet. Ein Fingerhut ohne Kuppe, der sich verjüngt, hat Düsengestalt. Ein gleichmäßig enger werdendes Rohr, das man in mehrere kleinere Stücke zerschneidet, würde Düsen unterschiedlicher Weite ergeben. Auch ein Trichter ohne das Ausflußmundstück kann als eine Düse angesehen werden. Die Querschnittsgröße spielt dabei keine wesentliche Rolle: entscheidend ist nur, daß sich der Querschnitt des an beiden Seiten offenen Rohres gleichmäßig nach einer Seite hin verjüngt. Wird durch solch eine Düse ein Luft- oder ein Wasserstrom geleitet, so geht in ihr etwas ganz Sonderbares vor sich; es ist auf den ersten Blick so unglaubhaft, daß die Wissenschaft diese Erscheinung ein Paradox, d. h. das Widersinnige, Unglaubliche, Unerwartete genannt hat. Soweit es sich auf die Luftströmung bezieht, ist dieses Paradox als das „aerodynamische Paradoxon" bekannt. Es besagt, daß sich die Geschwindigkeit einer Strömung, die durch die Düse geht, umso mehr beschleunigt, je enger die Düse wird. Die Strömungsgeschwindigkeit ist also am größten dort, wo die Düse in ihrem kleinsten Querschnitt ausmündet. Und merkwürdig, auch der Druck auf die Düsenwand nimmt mit der Verengung immer mehr ab. Wir brauchen uns nur einmal das Verhalten. einer strömenden Menschenmenge in einem immer enger werdenden Gang zu einem Versammlungsraum vor Augen zu halten, um das Überraschende des so ganz andersgearteten Vorgangs in einer Düse zu erfassen. Je enger der Gang wird, umso langsamer wird die Menschenmasse vorankommen und umso stärker .wird der Druck sein, mit dem die gestaute Menge sich gegen die Gangwände preßt. Bei der Düse ist also genau das Gegenteil der Fall; Je enger die Düse, umso geschwinder die Strömung, umso geringer auch der Druck auf die Düsenwand. In der Praxis ist dieser Vorzug der Düse verschiedentlich ausgenutzt worden. 28
Jedem bekannt ist die konische Form des Mundstücks bei einem Feuerwehrschlauch. Vielleicht hat hier, nicht einmal der Gedanke an eine Beschleunigung des herausschießenden Wasserstrahls die verjüngende Form des Strahlrohres finden lassen, sondern die Notwendigkeit, den Wasserstrahl am Ende des Spritzschlauches zu konzentrieren, damit er in verdichtetem Guß auf den Brandherd gezielt werden kann. Daß das Wasser in dem sich verengenden Rohransatz aber auch eine Beschleunigung erfährt, ist für die Brandbekämpfung von besonderem Vorteil, Bei manchen Wasserturbinen verjüngt sich aus dem gleichen Grunde das spiralig wie ein Ammonshorn gewundene Zuflußrohr des Druckwassers, um die im Gefälle herabstürzenden Wassermassen bis zum Einlauf in das Leit- oder Schaufelrad auf höchstmögliche Geschwindigkeit zu bringen. Das sind zwei Beispiele, in denen das „Paradox" der Düse energietechnisch ausgenutzt ist. Bei einer luftdurchströmten geraden Düse ergibt sich nun etwas Merkwürdiges, sobald die Düse selbst in Bewegung kommt, während die Luft in entgegengesetzter Richtung, zur engeren Öffnung hin, durch sie hindurchgeht. Die Bewegung der Düse wird eine umso größere Beschleunigung erfahren, je größer der Unterschied in den Geschwindigkeiten der in die Düse einströmenden und der sie verlassenden Luft ist, denn die beschleunigt hervorschießende Luft prallt sozusagen gegen die Masse der Außenluft und dadurch wird die Düse vorangetrieben. Eine fliegende Düse muß also von selber ihr Flugtempo erhöhen. Man nennt diese Tatsache den ,,Düseneffekt". Die Düse ist also gewissermaßen eine Kraftmaschine, deren Antrieb die sie durchströmende Luft ist. Die Geschwindigkeit, mit der die Luft in die Düse einströmt (und die erhöhte Geschwindigkeit, mit der sie die Düse auf Grund des Düseneffektes dann verläßt), ist natürlich ausschlaggebend für die Geschwindigkeit, mit der die Düse sich selber voranbewegt. Man erhöht die Strömungsgeschwindigkeit nun dadurch, daß man die Luft vor ihrem Eintritt in die Düse in einer Brennkammer erhitzt. Da erhitzte Luft sich ausdehnt, vergrößert sich auch der Druck, mit dem die Luft in die Düse hineinjagt. Man verbesserte die Wirkung noch, indem man in der Brennkammer statt des'Gasgemisches „Luft" die Gase von eingespritztem Benzin oder Dieselöl erhitzte, bei deren Verbrennung weit größere Energiemengen frei werden als bei der Verbrennung von Luft. Aus der Verbrennungskammer strömen diese Gase nun nicht unmittelbar in die Düse, sondern erst gegen die Schaufeln einer Turbine, einer Gasturbine. Die Turbine aber setzt einen Kompressor in Bewegung, der wiederum Druckluft in die Verbrennungskammer preßt, so daß die dort verbrannten Brennstoffe (Benzin oder 29
Öl) durch den Kompressor wie durch einen Blasebalg aufs äußerste entfacht werden. Diese ganze Einrichtung denken wir uns nun in Gestalt eines. Flugzeuges angeordnet, das also gleichsam als eine fliegende Düse anzusehen ist. Der Schwanz des Flugzeuges ist dabei offen und als die engste Öffnung der Düse zu betrachten. Schon durchjagen solche Flugzeuge ohne Propeller den Himmelsraum und haben die Geschwindigkeit des Schalles (1200 km in der Stunde) hinter sich gelassen. In den Düsen und Turbinen werden Triebkräfte erzeugt, die einmal auch den Passagierflugzeugen Geschwindigkeiten von über 800 km verleihen werden. Diese Flugzeuge werden in Höhen fliegen, in denen Propellermaschinen wegen des geringen Luftwiderstandes nur mit geringem Wirkungsgrad arbeiten können. In völlig luftdichten Kabinen werden die Passagiere in wenigen Stunden den Ozean überfliegen. Die Flugzeuge verändern aber nicht nur ihre Antriebsmaschine; auch äußerlich werden sie als die neuen Pioniere der Luftfahrt kenntlich sein an den V-förmig nach hinten zurückweichenden Flügeln. Diesen Flügeln werden viele Tugenden vorausgesagt: Sie sollen das Fliegen auch in Schlechtwettergebieten ruhiger und weicher machen und^es den Piloten ermöglichen, mit größeren Geschwindigkeiten gefahrlos auch durch „Luftlöcher" zu fliegen. Man hofft, mit solchen Turbo-Düsen-Maschinen den Atlantik, den jetzt schon alljährlich 8000 mal die Flugzeuge überqueren, sozusagen zu einem Binnenmeer zu machen. Die äußerste Entwicklung zielt dahin, das „atlantische Mittelmeer" vielleicht in zweieinhalb Stunden zu bewältigen — wenigstens kündigen das die Fachleute der größten amerikanischen Luftverkehrsgesellschaft für die nächsten 20 Jahre an.
Der Mensch hat es in der Hand . . . Es war ein langer Weg vom Tretrad zur Turbine, der Weg eines stetigen Aufstiegs. Er ist noch nicht zu Ende gegangen. Nicht nur die mancherlei kühnen Pläne, von denen in den letzten Abschnitten andeutend berichtet wurde, lassen ein schnelles Fortschreiten in der Entfaltung und Nutzung der Naturkräfte erwarten. In der Atomenergie ist eben erst die ungeheuerste Kraftquelle geweckt worden, die sich die Menschheit wohl je erschlossen hat. Wird sie Helfer sein, den wachsenden Energiehunger der Völker zu stillen? Von den neuen Gewalten getrieben, kann die Weiterentwicklung ebenso steil aufwärts wie jäh abwärts gehen. Technik: Segen oder Fluch? Der Mensch allein hat es in der Hand, die Kräfte zu bannen und sie zum Guten zu wenden. 30
Zum Bild auf der vorderen UmsMagseite: Altes Wasserrad* von riesigen Maßen. Die Kraftleistung dieses schwerfälligen Radkolosses würde heute von einer kleinen mechanischen Pumpe spielend übertrumpft. Das Bild auf der letzten UmsMagseite zeigt ergreifend den schonungslosen Einsatz des Menschen im Altertum: Ägyptische Sklaven beim Transport eines steinernen Riesenstandbildes. p Diesen Lesebogen schrieb Gustav Büscher, der als Schriftsteller und Journalist in Starnberg lebt. Seine elefetro- und funktechnischen Fachbücher sind weithin bekannt.
L U X - J U G E N D - L E S E B O G E N I\Tr. 42 . Heftpreis 20 Pfg. Natur-und kulturkundliche Hefte -Auflage 35000 • Bestellungen (viertel].6 Hefte) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. Verlag Sebastian Lux, (Lizenz US-E-138) Murnau-München . Herstellung: Hans Holzraann, Bad Wörishofen 31