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Gedruckt mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Wien
Gleichheit vor dem Gesetz Magdalena Pöschl
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Forschungen aus Staat und Recht 147 Herausgeber: Univ.-Prof. Dr. Bernhard Raschauer, im Zusammenwirken mit Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler und Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter
Verfasserin: Univ.-Prof. Dr. Magdalena Pöschl Institut für Österreichisches, Europäisches und Vergleichendes Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre der Karl-Franzens-Universität Graz Universitätsstraße 15/D3, 8010 Graz
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2008 Springer-Verlag/Wien Printed in Austria SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch/wissenschaftlichen Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Eine Haftung des Autors oder des Verlages aus dem Inhalt dieses Werkes ist ausgeschlossen. Reproduktionsfertige Vorlage des Herausgebers Druck: Ferdinand Berger & Söhne Gesellschaft m.b.H., 3580 Horn, Österreich Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF
SPIN: 11353522
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISSN
0071-7657
ISBN
978-3-211-23876-9 SpringerWienNewYork
Daß die Menschen gleich seien, mußte man glauben – sehen konnte man das nicht. ASFA-WOSSEN ASSERATE
Vorwort Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Jahr 2004 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck angenommen wurde. Sie befasst sich mit dem allgemeinen Gleichheitssatz, der in der Judikatur zwar unablässig angewendet wird, in der Lehre jedoch im Ruf steht, einer rationalen Handhabung kaum zugänglich zu sein. Dieses Grundrecht gleich zu behandeln wie jede andere Rechtsnorm auch, es also mit den herkömmlichen Methoden auszulegen, ist ein gewisses Wagnis. Dass ich es dennoch unternommen habe, verdanke ich zuerst meinem Lehrer, Univ.-Prof. Dr. Karl Weber. Er hat meinen wissenschaftlichen Werdegang vielfältig gefördert, mir in jeder Hinsicht Freiheit gewährt und mich schließlich ebenso wie der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Univ.-Prof. DDr. hc. mult. Karl Korinek und Univ.-Prof. Dr. Michael Holoubek ermutigt, meine Habilitationsschrift dem Gleichheitssatz zu widmen: Ohne ihren Zuspruch hätte ich diese Arbeit nicht verfasst. Die Professoren Weber und Holoubek haben meine Schrift überdies trotz großer Arbeitsbelastung innerhalb kurzer Frist begutachtet und mit wichtigen Anregungen zu ihrer Verbesserung beigetragen: Für all das mein aufrichtiger Dank. Diese Arbeit versteht sich nicht primär als eine Analyse der Gleichheitsjudikatur, sondern als eine Analyse des Gleichheitssatzes. Doch liegt auf der Hand, dass das zweite ohne das erste nicht geht. Schon deshalb war meine Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Verfassungsgerichtshof in den Jahren 1997 und 1998 für mich so ertragreich; ich habe aber auch sonst von Dr. Kurt Gottlich, dem ich dort zugeteilt war, viel gelernt und bin ihm dafür herzlich verbunden. Ganz besonderer Dank gilt dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, Univ.-Prof. DDr. hc. Clemens Jabloner, ebenso wie Univ.-Prof. Dr. Franz Merli und Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin: Sie haben das Manuskript dieser Arbeit vor der Drucklegung gelesen und mich so vor etlichen Irrtümern bewahrt. Ihrer scharfsinnigen Kritik und ihren wertvollen Anregungen bin ich fast durchwegs gefolgt; wo nicht, habe ich immerhin versucht, meinen Standpunkt klarer zu fassen. Univ.-Prof. Dr. Arno Kahl und a. Univ.-Prof. Dr. Benjamin Kneihs haben zur gleichen Zeit wie ich an ihren Habilitationsschriften gearbeitet – so waren wir eine Art Gefahrengemeinschaft; bessere Gefährten kann man sich auf einem solchen Weg nicht wünschen. Ich danke ihnen ebenso wie Univ.-Prof. Dr. Georg Lienbacher, der in dieser Zeit zwar längst
VIII
Vorwort
außerhalb der Gefahrengemeinschaft, mir aber mit seinem Rat immer hilfreich zur Seite gestanden ist. Wir haben bemerkenswerte, oft auch aufbauende Gespräche geführt, die ich nicht vergesse. Danken will ich auch Dr. Ulrich Zellenberg: Er hat mich während der Arbeit an meiner Habilitationsschrift unermüdlich mit Literatur versorgt – wer ihn kennt, kann ermessen, wie kostbar diese Hilfe war. Die Akademie der Wissenschaften hat die vorliegende Arbeit durch ein großzügiges Stipendium gefördert, der Forschungsförderungsfonds hat ihre Drucklegung finanziell unterstützt, das Fürstentum Liechtenstein hat sie durch einen Forschungspreis ausgezeichnet. Ihnen gilt mein Dank und auch jenen, die meine Arbeit für alle diese Zuwendungen begutachtet haben. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Raschauer war spontan bereit, meine Schrift in die Reihe „Forschungen aus Staat und Recht“ aufzunehmen. Dafür und auch für seine Geduld mit meiner (deutlich weniger spontanen) Übergabe des Manuskripts an den Verlag: mein bester Dank. Er gilt ebenso der liebenswürdigen und professionellen Betreuung durch Mag. Jan Sramek und später durch Mag. Barbara Warschitz vom Springer Verlag. Eine reine Freude war schließlich die Zusammenarbeit mit Susanne Karner, die mein Manuskript mit größter Könnerschaft für den Druck eingerichtet hat. Dass es fast schwerer war, diese Arbeit abzuschließen als sie zu schrei-ben, davon können vor allem meine Mitarbeiter Mag. Florian Herbst, Mag. Petra Peyerl und MMag. Dr. Wolfgang Schleifer ein Lied singen. Sie haben mich mit höchster Sorgfalt und Geduld bei der scheints nicht enden wollenden Kontrolle der Fußnoten, bei der Erstellung des Schlagwort-, Literatur- und Abkürzungsverzeichnisses und beim Lesen der Druckfahnen unterstützt. Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, ihnen für ihren bewundernswerten Einsatz herausragenden Dank zu sagen. Abgeschlossen wurde diese Arbeit dann wirklich im Sommer 2007; spätere Änderungen wurden nur noch vereinzelt berücksichtigt. Für ihr Verständnis und ihre Unterstützung in vielerlei Hinsicht danke ich schließlich von Herzen meiner Familie, und ganz speziell meinem Bruder: Wir haben – früher an praktischen Beispielen, heute nur mehr theoretisch – oft, hart und immer mit Gewinn darüber diskutiert, was das ist: ein Recht, gleich zu sein. Graz, im September 2007 Magdalena Pöschl
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Vorwort...................................................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis...............................................................................................XVII A. Problemstellung und Gang der Untersuchung.....................................................
1
B. Historische Entwicklung ...................................................................................... I. Märzrevolution 1848 und Pillersdorffsche Verfassung .................................... 1. Das Kaiserliche Patent vom 15. März 1848 ................................................ 2. Vorentwürfe zur Pillersdorffschen Verfassung ............................................. 3. Die Gleichheitsgarantien der Pillersdorffschen Verfassung.......................... 4. Vorbilder und Originalität.......................................................................... 5. Ideologische Zuordnung............................................................................. 6. Das Wahlrecht zum Reichstag .................................................................... II. Der Kremsierer Verfassungsentwurf ................................................................ 1. Beratung im Verfassungsausschuss .............................................................. a. Der allgemeine Gleichheitssatz............................................................... b. Spezielle Gleichheitssätze........................................................................ c. Gleichheit und Freiheit .......................................................................... 2. Beratung im Reichstag................................................................................ a. Der allgemeine Gleichheitssatz............................................................... b. Spezielle Gleichheitssätze........................................................................ c. Gleichheit und Freiheit .......................................................................... III. Reaktion und Märzverfassung 1849................................................................ 1. Reaktionäre Tendenzen während der Beratungen des Reichstages .............. 2. Vorarbeiten zur Märzverfassung 1849 und Auflösung des Reichstages ....... 3. Die Gleichheitsgarantien der Märzverfassung............................................. IV. Sylvesterpatent 1851 ....................................................................................... V. StGG 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger .............................. 1. Beratung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Reichsrat ........................... 2. Zeitgenössische Literatur ............................................................................ 3. Judikatur..................................................................................................... VI. Die Verfassungen Deutschösterreichs .............................................................. 1. Die Provisorische Verfassung 1918 ............................................................. 2. Die Märzverfassung 1919 ........................................................................... VII. Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 ............................................................... 1. Vorarbeiten und Vorentwürfe ..................................................................... a. Die Entwürfe Kelsens............................................................................. b. Die Entwürfe Mayrs............................................................................... c. Der Linzer Entwurf................................................................................ d. Der Entwurf Danneberg ........................................................................ e. Der Renner-Mayr-Entwurf .................................................................... f. Der Zweite Entwurf der Christlichsozialen ............................................ 2. Die parlamentarische Beratung................................................................... a. Verfassungsunterausschuss...................................................................... b. Verfassungsausschuss und Plenum.......................................................... VIII. Zusammenfassung...........................................................................................
9 9 9 11 15 19 22 23 25 25 26 36 48 53 54 62 68 74 74 78 80 89 94 94 97 101 103 103 106 108 108 108 110 111 113 115 118 119 119 123 124
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C. Allgemeine Probleme ........................................................................................... I. Bindung der Vollziehung und Gesetzgebung................................................... II. Gleichbehandlung oder Gleichstellung? .......................................................... III. Modell 1: Prinzip oder Präsumtion der Gleichbehandlung ............................. 1. Das Konzept: Gleichbehandlung als Grundsatz.......................................... 2. „Gleichbehandlung“ ................................................................................... 3. Prämissen des Grundsatzes der Gleichbehandlung ..................................... 4. Einwände.................................................................................................... 5. Neutralisierung durch eine Rationalitätsvermutung? .................................. IV. Modell 2: Gleichbehandlung des Gleichen, Ungleichbehandlung des Ungleichen .............................................................. 1. Die Gleichbehandlung des Gleichen........................................................... a. Gleiches.................................................................................................. b. Wesentlich Gleiches ............................................................................... c. Fehlen wesentlicher Unterschiede........................................................... d. Begründungslast des Gleichbehandlungsgebotes .................................... 2. Die Ungleichbehandlung des Ungleichen ................................................... a. Entbehrlichkeit des Ungleichbehandlungsgebotes?................................. b. Varianten des Ungleichbehandlungsgebotes ........................................... aa. Behandlung als gleichwertig ............................................................. bb. Ungleichbehandlung nach einem bestimmten Maßstab ................... c. „Entsprechend“ ungleiche Behandlung .................................................. d. Besondere Begründungslast des Ungleichbehandlungsgebotes ............... e. Asymmetrie des Ungleichbehandlungsgebotes? ...................................... 3. Was ist „wesentlich“? .................................................................................. a. Der historisch feststehende Wertungsbestand......................................... aa. Gleichheitssensible Rechtsmaterien .................................................. bb. Verpönte Differenzierungskriterien .................................................. b. Leugnung des verbleibenden Wertungsproblems.................................... c. Verschiebung des Wertungsproblems ..................................................... d. Kapitulation vor dem Wertungsproblem................................................ e. Rechtsordnung als Wertungsquelle......................................................... 4. Einwände.................................................................................................... a. Der Sachgerechtigkeitseinwand.............................................................. b. Der Einwand der Substanzlosigkeit ........................................................ V. Modell 3: Substanzieller Schutzbereich ........................................................... 1. Das Eingriffsmodell von Huster: Interne Zwecke – externe Zwecke........... 2. Einwände.................................................................................................... 3. Erträge ........................................................................................................
133 133 139 140 140 143 145 148 151 152 152 152 154 155 156 157 159 161 161 163 164 165 169 172 172 174 178 179 180 184 186 189 189 190 194 194 197 200
D. Judikatur – Eine Bestandsaufnahme.................................................................... I. Vergleichende Gleichheitsprüfung................................................................... 1. Der Gegenstand der Gleichheitsprüfung: Objekte des Vergleichs ............... a. Vergleichbarkeit...................................................................................... b. Anzahl der Vergleichsobjekte.................................................................. 2. Unterschiede „im Tatsächlichen“ ................................................................ 3. Sachlichkeit ................................................................................................ a. Unparteilichkeit ..................................................................................... b. Sachgerechtigkeit.................................................................................... c. Sachliche Rechtfertigung........................................................................ d. Sachliche Begründung............................................................................ e. Differenziertes begriffliches Repertoire...................................................
205 205 205 205 207 211 213 214 216 217 218 219
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4. 5. 6. 7.
Legitime Ziele............................................................................................. Taugliche Mittel ......................................................................................... Über- und Unterinklusivität bzw Erforderlichkeit der Mittel ..................... Interessenabwägung .................................................................................... a. Kollidierende Interessen ohne Schwellengewicht.................................... b. Prima-facie-Interessen ............................................................................ aa. Externe Zwecke ................................................................................ bb. Eingriff in verfassungsgesetzlich gewährleistete Freiheitsrechte ......... cc. Allgemeine Handlungsfreiheit .......................................................... dd. Wohlerworbene Rechte .................................................................... 8. Durchschnittsbetrachtung und Verwaltungsökonomie ............................... a. Das Problem........................................................................................... b. Durchschnittsbetrachtung und Regelfall ................................................ c. Verwaltungsökonomie............................................................................ d. Härtefälle ............................................................................................... e. Gewicht der Rechtsfolgen ...................................................................... f. „Eingriff“ in den allgemeinen Gleichheitssatz ........................................ II. Vergleichsfreie Gleichheitsprüfung .................................................................. 1. Mehrdeutige Fälle....................................................................................... 2. Eindeutige Sachlichkeitsprüfung ................................................................ a. Sachlichkeitsgebot als Substitut für Freiheit ........................................... b. Sonstige Prima-facie-Rechte ................................................................... c. Entpersonalisierte Sachlichkeitsprüfung ................................................. d. Résumé .................................................................................................. III. Ordnungssystemjudikatur............................................................................... 1. „Systemübergreifender“ Vergleich ............................................................... a. Judikatur ................................................................................................ b. Würdigung............................................................................................. 2. Keine besondere Rechtfertigungspflicht für Systemdurchbrechungen ........ a. Judikatur ................................................................................................ b. Würdigung............................................................................................. 3. Systementscheidungen von besonderem Gewicht....................................... a. Beispiel: Grundsatz der Einmalbesteuerung ........................................... b. Beispiel: Grundsatz der Wettbewerbsneutralität ..................................... c. Beispiel: Anrechnung der Vorhaft........................................................... d. Beispiel: Strafmilderung ......................................................................... e. Beispiel: Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zum Nachteil des Beschuldigten............................................................. IV. Zwischenbilanz ............................................................................................... 1. Das Gleichheitskonzept der Judikatur ........................................................ a. Grundsatz der Gleichbehandlung? ......................................................... b. Gleiches gleich, Ungleiches ungleich behandeln? ................................... c. Substanzielles Schutzbereichsmodell ...................................................... 2. Scheinbare und unausweichliche Wertungsprobleme.................................. 3. Offene Fragen.............................................................................................
219 225 227 229 230 232 232 233 234 235 237 237 240 248 253 255 258 260 260 264 267 269 275 279 279 280 280 284 288 288 291 297 297 299 300 301
E. Persönliche Rechtsgleichheit................................................................................. I. Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG: Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse, Bekenntnis ...... 1. Theoretische Vorüberlegungen ................................................................... 2. Judikatur..................................................................................................... a. Vorbemerkung ....................................................................................... b. Motivationsverbot für die Vollziehung, Prima-facie-Verbot für die Gesetzgebung ...............................................
315 316 316 320 320
302 304 304 304 305 305 309 313
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c. Verbot der Anknüpfung an subjektive, in der Person gelegene Merkmale ........................................................... d. Vom subjektiven Merkmal zum subjektiven Grund ............................... e. Auflösung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG im allgemeinen Gleichheitssatz.... f. Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln .............................. g. Von subjektiver zu objektiver Willkür, vom Exzess zur Unsachlichkeit ..... h. Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG in der jüngeren Judikatur ............................... i. Zusammenfassung.................................................................................. 3. Literatur...................................................................................................... 4. Würdigung ................................................................................................. a. Sachlicher Schutzbereich ........................................................................ b. Verpönte Differenzierungsmerkmale ...................................................... c. Vorrechte................................................................................................ d. Mittelbare Diskriminierung ................................................................... e. Positive Maßnahmen.............................................................................. f. Einfluss des Gemeinschaftsrechts ........................................................... g. Persönlicher Schutzbereich ..................................................................... II. Art I Abs 1 BVG-RD: Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationale, ethnische Herkunft.................................................. 1. Theoretische Vorüberlegungen ................................................................... 2. Judikatur..................................................................................................... a. Bedeutungslosigkeit des BVG-RD in der älteren Judikatur .................... b. Bedeutung des BVG-RD in der jüngeren Judikatur ............................... c. Anwendung des BVG-RD auf fremdenunspezifische Normen............... 3. Literatur...................................................................................................... 4. Würdigung ................................................................................................. a. Rassische Diskriminierung ieS ............................................................... aa. Sachlicher Schutzbereich .................................................................. bb. Verpönte Differenzierungsmerkmale ................................................ cc. „Unterscheidung“ ............................................................................. dd. Persönlicher Schutzbereich ............................................................... b. Rassische Diskriminierung iwS .............................................................. III. Staatsbürgerschaft, EWR-Bürgerschaft, Drittstaatsangehörigkeit .................... 1. Ausländerdiskriminierung........................................................................... a. Judikatur ................................................................................................ b. Literatur ................................................................................................. c. Würdigung............................................................................................. 2. Inländerdiskriminierung ............................................................................. 3. Diskriminierung Drittstaatsangehöriger gegenüber EWR-Bürgern ............ 4. Diskriminierung von EWR-Bürgern gegenüber Staatsbürgern ................... a. Art 12 EGV ........................................................................................... aa. Judikatur .......................................................................................... bb. Lehre ................................................................................................ cc. Würdigung....................................................................................... b. Art 4 EWRA .......................................................................................... IV. Schlussfolgerungen für den allgemeinen Gleichheitssatz ................................. 1. Zentrale Aussage der Diskriminierungsverbote........................................... 2. Der personale Schutzzweck des allgemeinen Gleichheitssatzes.................... 3. Verpönte Differenzierungen........................................................................ a. Explizit verpönte Differenzierungskriterien............................................ b. Implizit verpönte Differenzierungskriterien ........................................... aa. Beispiel: Un/Ehelichkeit ................................................................... bb. Beispiel: Sexuelle Ausrichtung ..........................................................
323 325 330 335 338 341 357 360 364 364 367 374 389 390 403 407 411 411 412 412 414 419 423 423 423 423 424 428 430 431 433 434 434 435 438 441 444 447 447 447 450 451 453 456 456 462 467 467 468 472 473
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cc. Beispiel: Parteizugehörigkeit ............................................................. c. Mittelbare Diskriminierung ................................................................... d. Bloße Anknüpfung an verpönte Differenzierungskriterien..................... e. Fehlerhafte Eigenschaftszuschreibungen................................................. aa. Beispiel: Familienangehörigkeit ........................................................ bb. Beispiel: Alter ................................................................................... 4. Sachbereichsspezifische Konkretisierungen des Gleichheitssatzes................ a. Fließende Übergänge zur sachlichen Rechtsgleichheit............................ b. Fremdherrschaft und Mitbestimmung ................................................... c. Schuld und Strafe................................................................................... d. Haftung für fremde Schulden ................................................................ e. Auferlegung nicht erfüllbarer Pflichten .................................................. 5. Unverdächtige Differenzierungen ............................................................... a. Differenzierungen, denen der Einzelne ausweichen kann....................... b. Differenzierungen, die der Verfassung selbst zugrunde liegen................. V. Zwischenergebnis ............................................................................................
483 485 488 491 491 494 497 497 499 508 521 527 528 528 531 535
F. Gleichheit und Freiheit.......................................................................................... I. Das Verhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit ............................................ 1. Gleichheit und Freiheit als abstrakte Prinzipien.......................................... a. Antinomie, Harmonie oder Indifferenz? ................................................ b. Freiheit als Privileg ................................................................................. c. Freiheit als Handlungsspielraum ............................................................ d. Freiheit und Gleichheit im faktischen und im rechtlichen Sinn ............. e. Wirkung der Freiheit auf die Gleichheit................................................. f. Wirkung der Gleichheit auf die Freiheit................................................. g. Antinomie, Harmonie und Indifferenz .................................................. 2. Gleichheit und Freiheit als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte...... II. Das Auslegungspotential der Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz............... 1. Freiheitsrechte als Differenzierungsverbote, -erlaubnisse und -gebote......... a. Freiheitsrechte als prima facie geltende Differenzierungsverbote ............ b. Freiheitsrechte als Differenzierungsermächtigungen............................... c. Freiheitsrechte als relative Differenzierungsgebote.................................. d. Freiheitsrechte als absolute Differenzierungsgebote ................................ e. Vorrang der freiheitsrechtlichen Differenzierungsregeln ......................... 2. Gleichheitssatz als allgemeine Handlungsfreiheit?....................................... 3. Freiheitsbeschränkung und verpönte Differenzierung................................. 4. Verhältnismäßige Eingriffe in ein Freiheitsrecht ......................................... 5. Versagen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ................................................. a. Steuern und Gebühren........................................................................... b. Öffentlich-rechtliche Ansprüche auf finanzielle Leistungen ................... c. Strafen.................................................................................................... d. Wirkung des Gleichheitssatzes ............................................................... 6. Beschränkungen unterhalb der Eingriffsschwelle ........................................ a. Beispiel: Erwerbsfreiheit ......................................................................... b. Beispiel: Achtung des Privat- und Familienlebens .................................. c. Beispiel: Freizügigkeit............................................................................. d. Wirkung des Gleichheitssatzes ............................................................... 7. Begünstigungen im Schutzbereich des Freiheitsrechts................................. a. Pflicht zur Privilegierung freigestellter Handlungen?.............................. b. Förderung der Freiheitsausübung als legitimer Differenzierungsgrund .... c. Derivative Förderungsansprüche ............................................................ d. Wirkung des Gleichheitssatzes ...............................................................
547 547 547 547 550 551 552 553 554 558 558 563 563 563 567 567 567 568 583 588 590 592 592 602 603 605 605 606 609 613 615 615 615 618 620 621
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III. Art 14 EMRK ................................................................................................. 1. Vorbemerkung ............................................................................................ 2. Judikatur..................................................................................................... a. Konventionsorgane ................................................................................ aa. Schutzbereich ................................................................................... bb. Differenzierungskriterien.................................................................. cc. Vergleichbarkeit................................................................................ dd. Rechtfertigung.................................................................................. b. VfGH..................................................................................................... 3. Literatur...................................................................................................... 4. Würdigung ................................................................................................. 5. Verhältnis des Art 14 EMRK zum allgemeinen Gleichheitssatz .................. IV. Zusammenfassung...........................................................................................
622 622 622 622 622 629 630 631 639 643 646 650 653
G. Gleichheit und Solidarität.................................................................................... I. Problemstellung .............................................................................................. 1. Faktische Gleichheit als primäres Ziel des Gleichheitssatzes? ...................... 2. Herstellung faktischer Gleichheit als Eingriff in den Gleichheitssatz?......... 3. Faktische Gleichheit als subsidiäres Ziel des Gleichheitssatzes? ................... 4. Derivative Leistungsrechte .......................................................................... 5. Soziale Gleichgültigkeit des Gleichheitssatzes?............................................ II. Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG................................................................................. 1. Entstehungsgeschichte ................................................................................ 2. Behinderung ............................................................................................... a. Art 3 Abs 3 Satz 2 GG ........................................................................... b. Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG ........................................................................ 3. Benachteiligung .......................................................................................... a. Unmittelbare und mittelbare Benachteiligung ....................................... b. Objektive und subjektive Benachteiligung ............................................. 4. Rechtfertigung ............................................................................................ 5. Bevorzugung............................................................................................... 6. Persönlicher Schutzbereich ......................................................................... 7. Drittwirkung? ............................................................................................. III. Schlussfolgerungen für den allgemeinen Gleichheitssatz ................................. 1. Gesellschaftliche und reale Nachteile .......................................................... 2. Benachteiligung sozial schwacher Gruppen ................................................ a. Allgemeines ............................................................................................ b. Beispiel: Armut ...................................................................................... c. Beispiel: Alter ......................................................................................... 3. Begünstigung sozial schwacher Gruppen .................................................... a. Gestaltungsfreiheit ................................................................................. b. Grenzen der Begünstigung, verbotene und gebotene Differenzierungen ... aa. Allgemeine Grenzen ......................................................................... bb. Beispiel: Sozialversicherung .............................................................. cc. Beispiel: Fürsorge- und Förderungsleistungen .................................. c. Ausbau von Sozialleistungen .................................................................. d. Rücknahme von Sozialleistungen ........................................................... IV. Zusammenfassung...........................................................................................
659 659 664 666 669 671 673 674 674 676 676 678 681 681 685 688 695 699 700 702 702 704 704 705 711 715 715 717 717 719 726 729 731 732
H. Gleichheit und Rechtsstaat .................................................................................. 739 I. Vorbemerkung ................................................................................................ 739
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II. Gleichheit vor dem Gesetz und Bindung der Vollziehung an das Gesetz......... 1. Willkür ....................................................................................................... 2. Anwendung einer gleichheitswidrigen Norm.............................................. 3. Unterstellung eines gleichheitswidrigen Norminhalts ................................. 4. Anwendungsvorrang................................................................................... 5. Keine „Gleichheit im Unrecht“................................................................... III. Gleichheit vor dem Gesetz und Rechtssetzung durch die Vollziehung ............ 1. Gleichheit und Entscheidungsspielraum..................................................... a. Praxisabweichung ................................................................................... b. Praxisänderung....................................................................................... c. Unterschiedliche Praxis verschiedener Behörden .................................... 2. Erlassung von Verordnungen ...................................................................... IV. Gleichheit vor dem Gesetz und Bestimmtheit des Gesetzes ............................ 1. Gleichheit als Gebot ausreichender Determinierung? ................................. 2. Gleichheit als Determinierungsersatz? ........................................................ 3. Rechtsfolgen, deren Eintritt von Zufällen und manipulativen Umständen abhängt..................................................... V. Gleicher Zugang zum Recht ........................................................................... 1. Egalitärer Zugang zu Rechtsquellen............................................................ 2. Rechtsnormen, die nur mit Spezialkenntnissen verständlich sind ............... VI. Gleicher Zugang zum Richter ......................................................................... 1. Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ................................ 2. Parteirechte................................................................................................. a. Judikatur ................................................................................................ aa. Komparativer Begründungsansatz .................................................... bb. Prima facie gebotene Parteistellung................................................... cc. Beschränkung der prima facie gebotenen Parteistellung ................... b. Literatur ................................................................................................. c. Würdigung............................................................................................. aa. Parteistellung als Folge der Rechtswirkungen, die ein Bescheid erzeugt.................................................................... bb. Parteistellung zur Durchsetzung von Schutznormen ........................ cc. Beschränkung der prima facie gebotenen Parteistellung ................... 3. Rechtsschutzerschwernisse .......................................................................... VII. Gleichheit, Gnade und Amnestie .................................................................... VIII. Gleichheit und Vertrauensschutz..................................................................... 1. Vorbemerkung ............................................................................................ 2. Schutz wohlerworbener Rechte................................................................... a. Eingriffe in Pensionsansprüche und -anwartschaften.............................. aa. Der Begründungsansatz.................................................................... bb. Kürzung von Pensionsansprüchen .................................................... cc. Anhebung des Pensionsanfallsalters .................................................. b. Kürzung von Gehaltsansprüchen ........................................................... c. Entziehung oder Verweigerung behördlich eingeräumter Berechtigungen................................................................. d. Zusammenfassung.................................................................................. 3. Dispositionsschutz ...................................................................................... a. Rückwirkung.......................................................................................... aa. Der Begründungsansatz.................................................................... bb. Der Tatbestand ................................................................................. aaa. Berechtigtes Vertrauen...............................................................
741 742 747 747 751 754 755 755 756 761 762 764 765 765 772 774 778 778 779 782 782 785 786 786 789 793 797 800 801 808 811 813 817 820 820 822 822 822 832 836 841 845 846 847 847 847 851 851
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Inhaltsverzeichnis Seite
bbb. Irreversible Disposition.............................................................. ccc. Erheblichkeit des Eingriffes?...................................................... cc. Sachliche Rechtfertigung .................................................................. b. Vergleichbare Durchkreuzung getroffener Dispositionen ....................... aa. Zwingende Kausalität zwischen Vorteil und Disposition .................. bb. Mögliche Kausalität zwischen Vorteil und Disposition..................... cc. Einführung neuer Belastungen ......................................................... c. Zusammenfassung.................................................................................. IX. Zusammenfassung...........................................................................................
855 856 858 862 862 863 865 869 870
I. Résumé .................................................................................................................. I. Der Schutzbereich des Gleichheitssatzes.......................................................... 1. Komparative und nichtkomparative Rechte................................................ 2. Kein Prima-facie-Recht auf Gleichbehandlung........................................... 3. Ermittlung komparativer und nichtkomparativer Rechte ........................... 4. Die personale, individualistische und demokratische Bedeutungsschicht...... 5. Flankierender Freiheitsschutz...................................................................... 6. Relative Solidaritätsrechte ........................................................................... 7. Die rechtsstaatliche Bedeutungsschicht....................................................... 8. Vielfalt der Rechte ...................................................................................... II. Der Gesetzesvorbehalt des Gleichheitssatzes.................................................... III. Ablauf der Gleichheitsprüfung ........................................................................ IV. Judikatur und Lehre ........................................................................................ 1. Das Gleichheitskonzept der Judikatur ........................................................ 2. Stärken und Schwächen der Judikatur ........................................................ 3. Der Beitrag der Lehre .................................................................................
879 879 879 879 880 881 883 884 885 887 887 889 891 892 894 895
Literaturverzeichnis.................................................................................................... 897 Schlagwortverzeichnis ................................................................................................ 939
Abkürzungsverzeichnis aA aaO AB ABGB ABl Abs AEMR aF AG Ah AnwBl AöR Appl Art ASoK ASVG AsylG
AufG AuslBG AVG AWG B BAO
BayVBl Bd BDG BEinstG BewG
anderer Ansicht am angeführten Ort Ausschussbericht Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS 1811/946 (zuletzt BGBl I 2006/113) Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft bzw Amtsblatt der Europäischen Union Jahr, Teil, Nummer/Seite Absatz Allgemeine Erklärung der Menschenrechte alter Fassung Aktiengesellschaft Allerhöchste, -er, -es Österreichisches Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts application/requête (Beschwerde bei der EKMR bzw dem EGMR) Artikel Arbeits- und Sozialrechtskartei BG über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz), BGBl 1955/189 (zuletzt BGBl I 2007/101) BG über die Gewährung von Asyl (AsylG 1991, BGBl 1992/8, aufgehoben durch BGBl I 1997/76; AsylG 1997, BGBl I 1997/ 76, aufgehoben durch BGBl I 2005/100; AsylG 2005, BGBl I 2005/100, zuletzt BGBl I 2008/4) BG, mit dem der Aufenthalt von Fremden in Österreich geregelt wird (Aufenthaltsgesetz), BGBl 1992/466 (aufgehoben durch BGBl I 1997/75) BG, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz), BGBl 1975/218 (zuletzt BGBl I 2007/78) Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1950, wv BGBl 1991/ 51 (zuletzt BGBl I 2008/5) Abfallwirtschaftsgesetz (AWG 1990, BGBl 1990/325, aufgehoben durch BGBl I 2002/102; AWG 2002, BGBl I 2002/102, zuletzt BGBl I 2007/43) Bescheid BG betreffend allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung), BGBl 1961/194 (zuletzt BGBl I 2007/ 99) Bayrische Verwaltungsblätter Band BG über das Dienstrecht der Beamten (Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979), BGBl 1979/333 (zuletzt BGBl I 2007/96) BG über die Einstellung und Beschäftigung Behinderter (Behinderteneinstellungsgesetz), BGBl 1970/22 (zuletzt BGBl I 2005/ 82) BG über die Bewertung von Vermögenschaften (Bewertungsgesetz 1955), BGBl 1955/148 (zuletzt BGBl I 2006/100)
XVIII BG BGB BGBl BGE BGStG BHG
B-KUVG Blg BlgKNV BlgNR B-PVG BSVG BT-PlProt BV BVA BVerfG BVerfGE BVergG B-VG 1920 BVG B-VG B-VGNov BVG-RD BVKK BVRBG bzw d DAG DDR
Abkürzungsverzeichnis Bundesgesetz (Deutsches) Bürgerliches Gesetzbuch, dBGBl 2002 I S 42 (zuletzt BGBl 2007 I S 3189) Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts, Amtliche Sammlung BG über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz), BGBl I 2005/82 BG über die Gewährung der Leistung der Betriebshilfe (des Wochengeldes) an Mütter, die in der gewerblichen Wirtschaft oder in der Land- und Forstwirtschaft selbständig erwerbstätig sind (Betriebshilfegesetz), BGBl 1982/359 (zuletzt BGBl I 1997/47) BG über die Kranken- und Unfallversicherung öffentlich Bediensteter (Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz), BGBl 1967/200 (zuletzt BGBl I 2007/101) Beilage, -n Beilage(-n) zu den stenographischen Protokollen der Konstituierenden Nationalversammlung Beilage(-n) zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates BG über die Pensionsversicherung der in der Land- und Forstwirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Bauern-Pensionsversicherungsgesetz), BGBl 1970/28 (aufgehoben durch BGBl 1978/559) BG über die Sozialversicherung der in der Land- und Forstwirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Bauern-Sozialversicherungsgesetz), BGBl 1978/559 (zuletzt BGBl I 2007/101) Plenarprotokoll des Bundestages Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999, SR 101 Bundesvergabeamt Bundesverfassungsgericht (Bundesrepublik Deutschland) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Band, Seite BG über die Vergabe von Aufträgen (BVergG 2002, BGBl I 2002/ 99, aufgehoben durch BGBl I 2006/17; BVergG 2006, BGBl I 2006/17, zuletzt BGBl I 2007/86) Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird, BGBl 1920/1 Bundesverfassungsgesetz Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929, wv BGBl 1930/1 (zuletzt BGBl I 2008/2) Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 1973/390 Bundesvergabekontrollkommission Bundesverfassungsgesetz zur Bereinigung des Bundesverfassungsrechts (Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz), BGBl I 2008/2 beziehungsweise deutsche, -e, -er, -es BG über eine pauschalierte Abgabe von Dienstgebern geringfügig beschäftigter Personen (Dienstgeberabgabegesetz), BGBl I 2003/ 28 (zuletzt BGBl I 2005/71) Deutsche Demokratische Republik
Abkürzungsverzeichnis dems dens ders dh dies DÖV DR DRdA DVBl DZPhil ebd ECHR EDV EG EGMR EGV EGVG EKMR ElWOG EMRK EnWG Erk EStG etc EU EuGH EuGRZ EuR EuZW EWG EWR EWRA F f FamRZ ff FinStrG FLAG
XIX
demselben denselben derselbe das heißt dieselbe Die öffentliche Verwaltung European Commission of Human Rights, Decisions and Reports Das Recht der Arbeit Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Philosophie ebenda European Court of Human Rights Elektronische Datenverarbeitung Europäische Gemeinschaft(en) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrengesetzen 1991, wv BGBl 1991/50 (zuletzt BGBl I 2008/5) Europäische Kommission für Menschenrechte BG, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz), BGBl I 1998/143 (zuletzt BGBl I 2007/85) Europäische Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten), BGBl 1958/210 (zuletzt BGBl III 2002/179) G zur Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz), dRGBl 1935 I S 1451 (aufgehoben durch BGBl I 2000/121) Erkenntnis BG über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988), BGBl 1988/400 (zuletzt BGBl I 2007/104) et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechtezeitschrift Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (Europäisches Wirtschaftsraum-Abkommen), BGBl 1993/909 (zuletzt BGBl III 2006/53) Folge und der (die) folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht und die folgenden BG betreffend das Finanzstrafrecht und das Finanzstrafverfahrensrecht (Finanzstrafgesetz), BGBl 1958/129 (zuletzt BGBl I 2007/ 99) BG betreffend den Familienlastenausgleich durch Beihilfen (Familienlastenausgleichsgesetz 1967), BGBl 1967/376 (zuletzt BGBl I 2007/103)
XX
Abkürzungsverzeichnis
FN FPG
FrG FS FSVG F-VG G Gasöl-StBG GedS GewO GewStG GG GmbHG GP GSPVG
GSVG hA HDG HGB hL HRLJ Hrsg HSchG IA idF idR ieS insb iS iSd
Fußnote, -n BG über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005), BGBl I 2005/100 (zuletzt BGBl I 2008/4) BG über die Einreise und den Aufenthalt von Fremden (FrG 1991, BGBl 1992/838, aufgehoben durch BGBl I 1997/75; FrG 1997, BGBl I 1997/75, aufgehoben durch BGBl I 2005/100) Festschrift BG über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger, BGBl 1978/624 (zuletzt BGBl I 2005/155) BVG über die Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen dem Bund und den übrigen Gebietskörperschaften (Finanz-Verfassungsgesetz 1948), BGBl 1948/45 (zuletzt BGBl I 2007/103) Gesetz BG betreffend eine Ermäßigung der Mineralölsteuer für zum Verheizen bestimmtes Gasöl (Gasöl-Steuerbegünstigungsgesetz), BGBl 1966/259 (aufgehoben durch BGBl 1994/630) Gedenkschrift, Gedächtnisschrift Gewerbeordnung (GewO 1973, BGBl 1974/50; wv als GewO 1994, BGBl 1994/194, zuletzt BGBl I 2008/8) BG betreffend Gewerbesteuer (Gewerbesteuergesetz 1953), BGBl 1954/2 (außer Kraft gesetzt durch BGBl 1993/818) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, BGBl 1949 I S 1 (zuletzt BGBl 2006 I S 2034) G über Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz), RGBl 1906/58 (zuletzt BGBl I 2007/72) Gesetzgebungsperiode BG über die Pensionsversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Gewerbliches SelbständigenPensionsversicherungsgesetz), BGBl 1957/292 (aufgehoben durch BGBl 1978/560) BG über die Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz), BGBl 1978/560 (zuletzt BGBl I 2007/101) herrschende Auffassung Heeresdisziplinargesetz, wv BGBl I 2002/167 (zuletzt BGBl I 2008/17) Handelsgesetzbuch, dRGBl 1897/219, durch BGBl I 2005/120 in UBG (siehe dort) umbenannt herrschende Lehre Human Rights Law Journal Herausgeber BG über die Österreichische Hochschülerschaft (Hochschülerschaftsgesetz 1973), BGBl 1973/309 (aufgehoben durch BGBl I 1999/22) Initiativantrag in der Fassung in der Regel im engeren Sinn insbesondere im Sinne in Sinne des/der
Abkürzungsverzeichnis iVm JAP JBl JGG JRP JSt JuS JZ KGG KOVG leg cit LFG lit mE MinroG mN MOG MR MRG mwN NAG NJW nö Nov NR Nr NRWO NSDAP NVwZ OGH OGHG ÖIAGFinanzierungsG
ÖJK ÖJT ÖJZ OLG oö
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in Verbindung mit Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung Juristische Blätter BG über die Rechtspflege bei Jugendstraftaten (Jugendgerichtsgesetz 1988), BGBl 1988/599 (zuletzt BGBl I 2007/109) Journal für Rechtspolitik Journal für Strafrecht Juristische Schulung Juristenzeitung BG über das Karenzgeld (Karenzgeldgesetz), BGBl I 1997/47 (zuletzt BGBl I 2007/76) Kriegsopferversorgungsgesetz, wv BGBl 1957/152 (zuletzt BGBl I 2008/28) legis citatae BG über die Luftfahrt (Luftfahrtgesetz), BGBl 1957/253 (zuletzt BGBl I 2006/149) litera(e) meines Erachtens Mineralrohstoffgesetz, BGBl I 1999/38 (zuletzt BGBl I 2006/113) mit Nachweisen Marktordnungsgesetz 1985, wv BGBl 1985/210 (aufgehoben durch BGBl I 2007/55) Ministerrat BG über das Mietrecht, BGBl 1981/520 (zuletzt BGBl I 2006/ 124) mit weiteren Nachweisen BG über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz), BGBl I 2005/100 (zuletzt BGBl I 2008/4) Neue Juristische Wochenschrift niederösterreichisch, -e, -er, -es Novelle Nationalrat Nummer Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates (Nationalrats-Wahlordnung 1992), BGBl 1992/471 (zuletzt BGBl I 2007/28) Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Oberster Gerichtshof BG über den Obersten Gerichtshof, BGBl 1968/328 (zuletzt BGBl I 2007/112) BG, mit dem Finanzierungsmaßnahmen für Gesellschaften des ÖIAG-Konzerns getroffen, das ÖIAG-Anleihegesetz geändert und organisationsrechtliche Bestimmungen für vom 1. Verstaatlichungsgesetz betroffene Unternehmungen aufgehoben werden (ÖIAGFinanzierungsgesetz 1987), BGBl 1987/298 (zuletzt BGBl 1993/ 973) Österreichische Juristenkommission Österreichischer Juristentag Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht oberösterreichisch, -e, -er, -es
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Abkürzungsverzeichnis
ORF ORF-G ÖStZ ÖVA ÖVP ÖWAV ÖZP ÖZW PersFrG 1862 PersFrG PGS RDG RdJB RDK RdS RdU RdW Red RFG RGBl RJD RL RLV Rs RTR-GmbH RUDH RV RVZG
RZ Rz S s sen Sess Slg sog SoSi Sp SPÖ
Österreichischer Rundfunk BG über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz), wv BGBl 1984/379 (zuletzt BGBl I 2007/102) Österreichische Steuerzeitung Österreichisches Verwaltungsarchiv Österreichische Volkspartei Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht G vom 27. Oktober 1862 zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl 1862/87 (aufgehoben durch BGBl 1988/684) BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 1988/ 684 (zuletzt BGBl I 2008/2) Politische Gesetzessammlung (1790-1848) BG über das Dienstverhältnis der Richter und Richteramtsanwärter (Richterdienstgesetz), BGBl 1961/305 (zuletzt BGBl I 2007/ 96) Recht der Jugend und der Bildung Internationales Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 1972/377 Recht der Schule Recht der Umwelt Recht der Wirtschaft Redaktion Rechts- und Finanzierungspraxis der Gemeinden Reichsgesetzblatt Reports of Judgments and Decisions, Entscheidungssammlung des EGMR Richtlinie V des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien-Verordnung), BGBl 1993/266 Rechtssache Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH Revue universelle des droits de l’homme Regierungsvorlage G über die Ruhe- und Versorgungsgenusszulage der Beamten der Bundeshauptstadt Wien, ihrer Hinterbliebenen und Angehörigen (Ruhe- und Versorgungsgenußzulagegesetz 1995), LGBl 1995/72 (zuletzt LGBl 2004/44) Österreichische Richterzeitung Randzahl Seite(n), Schilling siehe senior Session Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz sogenannt, -e, -er, -es Soziale Sicherheit Spalte Sozialdemokratische Partei Österreichs
Abkürzungsverzeichnis SR Stb StbG StenProtAH StenProtBR StenProtKNV StenProtNR StenProtProvNV StenProtRT StGB StGBl StGG StPO StudFG StV StVO SWK Tb TGVG TP ua uam UBAS UG 2002 UGB UN UOG UStG usw UVS V va
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Systematische Sammlung des Bundesrechts Der Staatsbürger, Beilage zu den Salzburger Nachrichten Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, wv BGBl 1985/311 (zuletzt BGBl I 2008/4) Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses Stenographische Protokolle des Bundesrates Stenographische Protokolle der Konstituierenden Nationalversammlung Stenographische Protokolle des Nationalrates Stenographische Protokolle der Provisorischen Nationalversammlung Stenographische Protokolle des Reichstages von Kremsier BG über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch), BGBl 1974/60 (zuletzt BGBl I 2007/112) Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, RGBl 1867/142 (zuletzt BGBl 1988/684) Strafprozeßordnung 1975, wv BGBl 1975/631 (zuletzt BGBl I 2007/109) BG über die Gewährung von Studienbeihilfen und anderen Studienförderungsmaßnahmen (Studienförderungsgesetz 1992), BGBl 1992/305 (zuletzt BGBl I 2007/46) Staatsvertrag BG, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960), BGBl 1960/159 (zuletzt BGBl I 2006/152) Österreichische Steuer- und Wirtschaftskartei Tatbestand Tiroler Grundverkehrsgesetz 1983, wv LGBl 1983/69 (zuletzt LGBl 2005/85) Tarifpost und andere, unter anderem und andere(s) mehr Unabhängiger Bundesasylsenat BG über die Organisation der Universitäten und ihre Studien (Universitätsgesetz 2002), BGBl I 2002/120 (zuletzt BGBl I 2007/87) BG über besondere zivilrechtliche Vorschriften für Unternehmen (Unternehmensgesetzbuch), BGBl I 2005/120 (zuletzt BGBl I 2007/72) United Nations BG über die Organisation der Universitäten (UOG 1975, BGBl 1975/258, außer Kraft gesetzt durch BGBl 1993/805; UOG 1993, BGBl 1993/805, zuletzt BGBl I 2002/120) BG über die Besteuerung der Umsätze (UStG 1972, BGBl 1972/ 223, teilweise außer Kraft gesetzt durch BGBl 1994/663; UStG 1994, BGBl 1994/663, zuletzt BGBl I 2007/99) und so weiter Unabhängige(r) Verwaltungssenat(e) Verordnung vor allem
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Abkürzungsverzeichnis
Vbg VerfGG VerwArch VfGH VfSlg vgl VStG VVDStRL VwGG VwGH VwSlg – [Nummer] A – [Nummer] F WAG WAO WBl WHO WiPolBl WRV wv Yb Z ZaöRV ZAS zB ZDG ZfV ZfVB zit ZÖR ZPEMRK ZPO ZRP ZUV ZVR
Vorarlberger Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, wv BGBl 1953/85 (zuletzt BGBl I 2008/4) Verwaltungsarchiv Verfassungsgerichtshof Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vergleiche Verwaltungsstrafgesetz 1991, wv BGBl 1991/52 (zuletzt BGBl I 2008/5) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, wv BGBl 1985/10 (zuletzt BGBl I 2008/4) Verwaltungsgerichtshof Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes administrativrechtlicher Teil finanzrechtlicher Teil Wohnungsanforderungsgesetz, wv BGBl 1949/204 (außer Kraft gesetzt durch BGBl 1955/101) G betreffend allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von der Abgabenbehörde der Stadt Wien verwalteten Abgaben (Wiener Abgabenordnung), LGBl 1962/21 (zuletzt LGBl 2003/3) Wirtschaftsrechtliche Blätter World Health Organization Wirtschaftspolitische Blätter Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, dRGBl I 1919, S 1383 wiederverlautbart Yearbook Zahl, Ziffer Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht zum Beispiel BG über den Zivildienst (Zivildienstgesetz 1986), wv BGBl 1986/679 (zuletzt BGBl I 2006/40) Zeitschrift für Verwaltung Die administrativrechtlichen Entscheidungen des VwGH und die verwaltungsrechtlich relevanten Entscheidungen des VfGH in lückenloser Folge, Beilage zur ZfV zitiert Zeitschrift für Öffentliches Recht Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention G über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung), RGBl 1895/113 (zuletzt BGBl I 2006/7) Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift der Unabhängigen Verwaltungssenate Zeitschrift für Verkehrsrecht
A. Problemstellung und Gang der Untersuchung Der allgemeine Gleichheitssatz ist nach wie vor das schillerndste und zugleich das rätselhafteste Grundrecht, das die österreichische Verfassung zu bieten hat. Er soll einen Anspruch auf Gleichbehandlung vermitteln, aber auch ein Recht auf Ungleichbehandlung gewähren. Er ist konfrontiert mit dem Fundamentalbedürfnis des Menschen, aus der Gesellschaft nicht ausgegrenzt zu werden, aber auch mit seinem Wunsch, etwas Besonderes zu sein und aus der Masse herauszuragen. Der Gleichheitssatz soll Durchschnittsbetrachtungen erlauben und zugleich vor Stereotypen und Vorurteilen schützen. Er soll den Gesetzgeber nicht daran hindern, atypische Fälle zu vernachlässigen, dann aber gerade den Außenseiter vor Diskriminierungen bewahren. Er soll alle Menschen als gleichwertig anerkennen, zugleich aber zulassen, dass der Gesetzgeber manche von ihnen bloß aus verwaltungsökonomischen Erwägungen übergeht. Die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz scheint voller Widersprüche zu sein, alles zugleich und nichts definitiv zu garantieren. Sie hat uferlose Hoffnungen geweckt, aber auch größte Skepsis hervorgerufen. Bis heute wird sie von manchen mit der Gerechtigkeit identifiziert1, von anderen als leere Hülle abgetan2. Problematisch zu sein, ist dem allgemeinen Gleichheitssatz in Österreich schon in die Wiege gelegt, bezeichnete doch Kelsen kurz nach der Schaffung des B-VG das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz als einen „Gemeinplatz des politischen Liberalismus“ und als ein Grundrecht, dessen Bedeutung „außerordentlich unklar“ sei3. Die Lehre hat zum Gleich____________________
1 S zB Kaufmann, VVDStRL 3 (1927) 10; Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 7 ff; Bleckmann, Struktur 15 ff; Schlag, FS Mayer-Maly 237 ff; s auch Tipke, FS Stoll 235, nach dem die Gleichbehandlung ein Ausfluß der Gerechtigkeit sei; ebenso Fasching, Zivilgerichtliches Verfahren 344; Burger, Menschenwürde 131, sieht im Gleichheitssatz einen Schutzauftrag an den Staat, „grundlegende materielle Gerechtigkeit zu achten und zu wahren“; s auch Huster, Rechte passim, insb 41 ff, 195 ff, sowie die Feststellung desselben, Art 3 GG Rz 32, das allgemeine Gleichheitsrecht verwandle sich strukturell dem klassischen Gebot der Gerechtigkeit an. 2 S schon Kelsen, Gerechtigkeit 26, nach dem das Prinzip, Gleiche sollen gleich behandelt werden, „zu leer [ist], um die inhaltliche Gestaltung einer Rechtsordnung bestimmen zu können“; ähnlich Werndl, FS Schäffer 948, nach dem der Gleichheitssatz „selbst inhaltsleer und auf eine Dezision des Gesetzgebers angewiesen ist, die ihrerseits wiederum weitgehend gestaltbar und allein durch das Sachlichkeitsgebot begrenzt ist“; s zur inhaltlichen Leere des Gleichheitssatzes ferner zB Podlech, Gehalt 84 f; Firlei, FS Strasser 391; Luhmann, Grundrechte 169. 3 Kelsen, Staatsrecht 50, bezogen auf Art 2 StGG.
2
Problemstellung und Gang der Untersuchung
heitssatz auch stets vorsichtige Distanz gehalten und allen Bemerkungen zu diesem Grundrecht vorausgestellt und nachgeschickt: Der Gleichheitssatz setze die Vornahme von Wertungen voraus, ohne anzugeben, welche Wertungen dies sein sollen; diese Wertungen könnten dann – wie oft weiter angenommen wurde – bloß präpositiver Natur sein, wodurch nicht nur das Spannungsverhältnis zwischen demokratisch legitimiertem Gesetzgeber und dem zu seiner Kontrolle berufenen Verfassungsgericht besonders prekär, sondern auch eine rational nachprüfbare Handhabung des Gleichheitssatzes praktisch verunmöglicht werde4. Dieses Misstrauen der Lehre erklärt, warum die Literatur zwar eine Fülle von Einzelbeiträgen hervorgebracht hat, in denen die einschlägige Judikatur dargestellt, bezogen auf einzelne Sachgebiete erläutert und kritisiert wird5, warum aber davon abgesehen eine literarische Durchdringung des Gleichheitssatzes in Österreich bislang nicht annähernd in einer Weise stattgefunden hat wie in anderen Ländern. Weithin unerforscht ist nach wie vor die Struktur dieses Grundrechts, sein Verhältnis zu den speziellen Gleichheitssätzen, zu Freiheits- und auch zu Verfahrensrechten. Auch die in Deutschland exzessiv diskutierte Frage, ob und inwieweit im Rahmen des Gleichheitssatzes eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist und bejahendenfalls, wie sie begründet werden kann6, ist in Österreich auf wenig Interesse gestoßen, nicht anders als die Frage, ob der allgemeine Gleichheitssatz eine Regel ist oder ein Prinzip, ob er definitive Rechte gewährt oder bloß relative Ansprüche, ob er über einen Schutzbereich verfügt, in den eingegriffen werden kann, ob und bejahendenfalls welche Prima-facie-Rechte ihm entnommen werden können, wie sie zu begründen und wie sie zu schützen sind7. Überwiegend gibt sich die Lehre damit zufrieden, den Gleichheitssatz durch die Formel zu erläutern, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln sei, durch einen Satz also, der das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz letztlich ganz substanzlos erscheinen lässt. Dieser Zurückhaltung der Lehre steht eine Judikatur gegenüber, die sich zwar – anders als jene des deutschen BVerfG und des schweizerischen ____________________
4 S zB Walter, ZVR 1979, 37; s auch Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1345: „eine kognitive Aussage über den Inhalt dieses Grundsatzes ist nur in Grenzfällen möglich; in allen anderen Fällen erweist er sich als Einfallspforte für außerrechtliche Wertvorstellungen des jeweils zur Vollziehung zuständigen Organs“; s auch Schäffer, Interpretation 76, der im Gleichheitssatz eine dynamische Verweisung für außerrechtliche Wertmaßstäbe sieht; vgl ferner Korinek, VVDStRL 39 (1981) 48; Stoll, ÖStZ 1989, 196 ff; näher noch unten C.IV.3. 5 S etwa den Überblick bei Berka, Art 7 B-VG 3 ff sowie Rz 40 ff; Walter/Mayer/ Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 639 ff. 6 S jeweils mwN etwa Huster, Rechte 175 ff; Sachs, JuS 1997, 124 ff; Brüning, JZ 2001, 669 ff. 7 S nunmehr aber Somek, Rationalität.
Problemstellung und Gang der Untersuchung
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BG – davor hütet, den Gleichheitssatz mit Gerechtigkeitserwägungen in Zusammenhang zu bringen8 und die auch stets die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers betont, die den allgemeinen Gleichheitssatz aber nicht nur um ein Vielfaches häufiger heranzieht als jedes andere Grundrecht9, sondern ihm auch Inhalte zuschreibt, die sich keineswegs von selbst verstehen10. Einer selbsterfüllenden Prophezeiung aller Wertskeptizisten gleich ist der wissenschaftlich vernachlässigte Gleichheitssatz in den Händen des VfGH zu einem Grundrecht geworden, das alles zu können und auf jede Frage eine Antwort zu wissen scheint, das spezielle Gleichheitssätze verschluckt11 und Freiheitsrechte verdrängt12, dem Legalitätsprinzip Konkurrenz macht13, im Vorbeigehen für eine effiziente Verwaltung sorgt14, auch ____________________
8 S zB VfSlg 1764/1949, wonach sich der VfGH nicht berufen fühlt, die dem „Gerechtigkeitsgefühl widersprechenden Härten des Gesetzes“ zu beseitigen. Ansätze, den Gleichheitssatz explizit in Zusammenhang mit der Gerechtigkeit zu bringen, finden sich nur bei § 4 F-VG, den der VfGH als Ausdruck eines „allgemeinen Sachlichkeitsgebotes (Gerechtigkeitsgebotes) im Bereich des finanzausgleichsrechtlichen Regelungssystems“ ansieht (zB VfSlg 9280/1981, 10.633/1985, 16.849/2003). Davon abgesehen trifft für die Judikatur nach wie vor die Feststellung Adamovichs, Diskussionsbeitrag 207, zu, der VfGH habe sich in seiner älteren Rechtsprechung „peinlich davor gehütet – fast wie der Teufel vor dem Weihwasser sich fürchtet – irgendeinen Zusammenhang zwischen seiner Judikatur und dem, was man als Gerechtigkeit zu bezeichnen pflegt, herzustellen“. Der Ausdruck „gerecht“ wird in der Judikatur wenn, dann nur als Wortteil verwendet, so in „gerechtfertigt“, „sachgerecht“, „verkehrsgerecht“ etc (mwN Schlag, FS Mayer-Maly 247 ff). Das BVerfG ist demgegenüber der Auffassung, der Gleichheitssatz gebiete, „Gleiches gleich, Ungleiches aber nach seiner Eigenart zu behandeln, wenn die Gleichheit oder die Ungleichheit in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam ist, daß ihre Beachtung bei einer gesetzlichen Regelung nach einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise geboten erscheint“ (zB BVerfGE 9, 124 [129 f]). Aus dem Gleichheitssatz der Schweizer Bundesverfassung 1874 wurde bis zur neuen Bundesverfassung 1999 ein Willkürverbot abgeleitet, das nun abgesondert vom allgemeinen Gleichheitssatz in Art 9 BV als ein eigenes Grundrecht gewährt ist. Nach der Judikatur des BG verletzt ein staatlicher Akt dieses Verbot, wenn er sachlich nicht begründbar ist, sinn- und zwecklos erscheint, höherrangiges Recht krass verletzt oder in stoßender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (mwN J.P. Müller, Grundrechte 467 f; Häfelin/Haller, Bundesstaatsrecht Rz 805). 9 S zB Somek, Rationalität 2, sowie Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 760: „Der Gleichheitssatz ist heute die praktisch wirksamste verfassungsrechtliche Schranke der Gesetzgebung überhaupt.“ 10 S dazu etwa die Bemerkung Adamovichs, Diskussionsbeitrag 207: „Ich muß ehrlich bekennen, daß mich mitunter ein gewisses Schwindelgefühl überkommt, wenn ich feststelle, was aus dem Gleichheitssatz alles herausgeholt wird; mit dem Wortlaut des Gleichheitssatzes hat das alles längst nichts mehr zu tun“; gleichsinnig zuvor Adamovich/Huppmann, FS 75 Jahre Bundesverfassung 524; s auch Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 760: „Wie kaum eine andere Verfassungsbestimmung wurde das an den Gesetzgeber adressierte Gleichheitsgebot in richterlicher Rechtsfortbildung dynamisch entwickelt.“ (Hervorhebungen im Original). 11 Näher unten E.I.2.e., E.II.2.b. 12 Näher unten F.II.1.e. 13 Näher unten H.IV.
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sonst in den Dienst rein kollektiver Zwecke gestellt wird15 und neuerdings sogar den Charakter eines Baugesetzes haben soll16. Ob die Judikatur eine andere Entwicklung genommen hätte, wenn die Lehre strukturellen Fragen des Gleichheitssatzes mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte, kann hier dahin stehen. Feststeht, dass die manchmal pauschal ausgesprochene Empfehlung, der VfGH habe sich bei der Anwendung des Gleichheitssatzes Zurückhaltung aufzuerlegen17, das Wertungsproblem dieses Grundrechtes nicht lösen, sondern bestenfalls auf die Frage verschieben kann, wann eine Regelung evident gleichheitswidrig ist. Zudem kommt diese Empfehlung nicht darüber hinweg, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber an die Verfassung und damit auch an den Gleichheitssatz gebunden ist: Nicht seine Gestaltungsfreiheit kann daher den Gleichheitssatz begrenzen; es ist umgekehrt gerade der Gleichheitssatz, der den Gesetzgeber beschränkt18. Die Frage, wo die Grenze zwischen Gestaltungsfreiheit und verfassungsrechtlicher Bindung verläuft, ist damit noch nicht beantwortet, sondern erst gestellt. Doch sie ist kaum zu beantworten, solange man annimmt, die Wertungen, die im Rahmen des Gleichheitssatzes vorzunehmen sind, könnten nur präpositiver Natur sein. Wirklich überzeugend ist diese Annahme indes nicht. Denn der Gleichheitssatz ist nicht vom Himmel gefallen, sondern – so wie jede andere Verfassungsnorm auch – eine Bestimmung, die einen Wortlaut, eine Geschichte und einen Schutzzweck hat und die Teil der Verfassung ist; diese ist aber ihrerseits reich an Wertentscheidungen, die die Gleichheitsprüfung steuern können und in der Judikatur zum Teil auch durchaus steuern. Dass die Verfassung selbst die Auslegung des Gleichheitssatzes erleichtern und näher bestimmen kann, ist in der Lehre auch durchaus anerkannt19; bislang wurde dieser Ansatz aber in Österreich noch kaum näher entfaltet20. ____________________
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Näher unten D.I.8.c, D.II.2.c. Näher unten D.II.2.c. 16 VfSlg 15.373/1998; s dazu Hiesel, ÖJZ 2000, 281 ff; Balthasar, Grundordnung 522 ff. 17 S zB Rosenzweig, Verfassungsgericht 100 ff; näher unten C.IV.3.c. 18 S nur Korinek, FS Melichar 52; Peine, Systemgerechtigkeit 105 f; Merten, FS Adamovich 474; näher unten C.IV.3.c. 19 S schon Antoniolli, JBl 1956, 612 = ÖJZ 1956, 647; Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 320; Korinek, FS Melichar 47; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 605 f; Spielbüchler, FS Floretta 304; Potacs, Devisenbewirtschaftung 375; Korinek/Holoubek, Abgabenrecht 85; Stolzlechner, FS Walter 673 ff; Grabenwarter, Selbstanzeige 100 („Wertungen der Rechtsordnung“); Thienel, Vertrauensschutz 61; ders, Berufungsverfahren 26 ff; anders als hier wohl Firlei, FS Strasser 391, nach dem die gängigen Interpretationsmethoden beim Gleichheitssatz versagen. 20 S aber die Arbeiten von Stolzlechner, FS Walter 673 ff, sowie Thienel, Berufungsverfahren 26 ff. 15
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Ausgehend von der Annahme, dass die Wertungsoffenheit des Gleichheitssatzes nicht zu einer Kapitulation und zur Preisgabe herkömmlicher Interpretationsmethoden führen kann, versucht die vorliegende Arbeit, sich dem Gleichheitssatz pragmatisch zu nähern: Sie wird in einem ersten Teil (B) die Geschichte dieses Grundrechts rekapitulieren, die ihren Ausgang im Jahr 1848 in der Pillersdorffschen Verfassung nimmt und damit endet, dass der Gleichheitssatz als einziges Grundrecht in das 1. Hauptstück des B-VG Aufnahme gefunden hat21. Aufbauend auf den Erkenntnissen der Entstehungsgeschichte sollen sodann allgemeine Probleme des Gleichheitssatzes erörtert werden (C). Zu diesem Zweck werden ua die drei gängigen, in der Literatur entwickelten Gleichheitskonzepte dargelegt und auf ihre Vereinbarkeit mit der Entstehungsgeschichte des allgemeinen Gleichheitssatzes untersucht: zum Ersten die Annahme, der Gleichheitssatz sei ein Prinzip der Gleichbehandlung, zum Zweiten seine Erläuterung als Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, und schließlich ein Eingriffsmodell, das dem Gleichheitssatz einen von der Gleichbehandlung verschiedenen Schutzbereich zuschreibt. Im Anschluss daran wird untersucht, wie der VfGH den Gleichheitssatz erläutert und handhabt (D), wobei auf die vergleichende Gleichheitsprüfung (I), auf die vergleichsfreie Sachlichkeitsprüfung (II) und auf die Ordnungssystemjudikatur einzugehen ist, die Elemente der vergleichenden und der vergleichsfreien Prüfung enthält (III). Ziel dieser Untersuchung ist eine Rekonstruktion jener Grundsätze, die den VfGH bei der Anwendung des Gleichheitssatzes explizit und implizit leiten. Abschließend wird eine erste Zwischenbilanz gezogen, die zeigen soll, welches der drei erörterten Gleichheitskonzepte der Judikatur zugrunde liegt (IV). Im vierten Teil dieser Arbeit (E) werden sodann zwei spezielle Gleichheitssätze näher untersucht, die Aufschluss über die Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes geben, erstens das in unmittelbarem Zusammenhang mit Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG erlassene Verbot der Vorrechte aufgrund der Geburt, des Geschlechts, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG (I), zweitens das BVG-Rassendiskriminierung, das ebenso wie Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ein Diskriminierungsverbot enthält, aber auch als allgemeines Gleichheitsgebot verstanden wird (II). Untersucht wird dabei auch, inwieweit Differenzierungen aufgrund der Staatsbürgerschaft, der EWR-Bürgerschaft oder der ____________________
21 Zur Bedeutung der subjektiv-historischen Auslegung auch für die Grundrechte mwN etwa Jabloner, JRP 2001, 46; die Ergiebigkeit dieser Auslegungsmethode im Bereich der Grundrechte zeigen zB die Arbeiten von Mayer, JRP 1995, 222 ff, und Wiederin, Art 9 StGG; dems, Art 10 StGG.
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Drittstaatsangehörigkeit verfassungsrechtlich erlaubt sind (III). Aus dem Inhalt dieser speziellen Gleichheitsgebote werden sodann Schlussfolgerungen für den allgemeinen Gleichheitssatz gezogen; sie werden zeigen, dass der Gleichheitssatz kein substanzloses Grundrecht ist, sondern einen Kernbereich hat, der zum Teil abwägungsfeste Rechte, zum Teil prima facie bestehende Ansprüche vermittelt, die nur aus triftigen Gründen überspielt werden können. Im Anschluss daran wird untersucht, inwieweit die Judikatur dem Prüfungsmaßstab, der in diesem Bereich gilt, Rechnung trägt (IV). Der fünfte Teil dieser Arbeit untersucht, in welcher Beziehung der allgemeine Gleichheitssatz zu den Freiheitsrechten steht (F), ob beide Rechte wirklich – wie in der Literatur vielfach angenommen – in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen (I), welches Auslegungspotential die Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz beinhalten, wann und inwieweit sie dem Gleichheitssatz vorgehen und welche eigenständige Bedeutung dem Gleichheitssatz neben den Freiheitsrechten zukommt (II). Näher untersucht wird in diesem Zusammenhang auch Art 14 EMRK, der Diskriminierungen im Schutzbereich der Konventionsrechte untersagt, und das Verhältnis, in dem diese Bestimmung zum allgemeinen Gleichheitssatz steht (III). Im Anschluss daran wird der Frage nachgegangen, ob dem Gleichheitssatz auch ein Gebot zur Solidarität mit sozial benachteiligten Gruppen entnommen werden kann (G). Nach einer Erörterung und Bewertung der hiezu in der Lehre vertretenen Positionen (I) wird Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG näher untersucht, also ein spezieller Gleichheitssatz, der die Benachteiligung behinderter Menschen untersagt und ihre Bevorzugung in bestimmtem Umfang gebietet (II). Auch diese Bestimmung gibt Aufschluss darüber, inwieweit der allgemeine Gleichheitssatz Personen in schwieriger Ausgangslage vor Benachteiligungen schützt und inwieweit er den Gesetzgeber zu einem sozialen Ausgleich verhält (III). Der siebente Teil dieser Arbeit wendet sich schließlich Gleichheitsproblemen zu, die im Zusammenhang mit dem rechtsstaatlichen Prinzip stehen (H): Zunächst der Frage, inwieweit das an die Vollziehung gerichtete Legalitätsprinzip den allgemeinen Gleichheitssatz näher konturiert, und was aus dem an den Gesetzgeber gerichteten Determinierungsgebot für den Gleichheitssatz folgt (II-IV). Dann wird erörtert, welche Anforderungen der Gleichheitssatz an Vorschriften stellt, die den Zugang zum Recht und zum Richter erschweren und inwieweit der Gleichheitssatz den Gesetzgeber dazu verpflichtet, dem Rechtsunterworfenen überhaupt Parteirechte zu gewähren (V-VI). Angesprochen wird weiter, wie sich der Gleichheitssatz zu Gnade und Amnestie verhält (VII). Zuletzt wird die „Vertrauensfrage“ gestellt, ob und inwieweit nämlich der allgemeine Gleich-
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heitssatz „wohlerworbene Rechte“ schützt, rückwirkende Vorschriften untersagt und unter welchen Voraussetzungen er wirtschaftliche Dispositionen vor einer Frustration bewahrt (VIII). Fragen des Gemeinschaftsrechts werden integrativ, also dort erörtert, wo sie in Zusammenhang mit einem der genannten Teile stehen, die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts für die Gleichbehandlung der Geschlechter also etwa bei dem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG statuierten Verbot der Vorrechte aufgrund des Geschlechts (E.I), das Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV bei der Frage, inwieweit der Gesetzgeber verfassungsrechtlich zur Gleichbehandlung von Staatsbürgern und Fremden verpflichtet ist (E.III), die Frage, ob und inwieweit die Außerachtlassung des Anwendungsvorranges einen Bescheid mit Gleichheitswidrigkeit belastet, im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Legalitätsprinzip und Gleichheit (H.II). Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Anfang; sie nimmt weder für sich in Anspruch, auf jedes gleichheitsrechtliche Problem eine letztgültige Antwort zu geben noch, das Auslegungspotential der Verfassung für den Gleichheitssatz abschließend darzulegen. Beabsichtigt ist, theoretisch und praktisch besonders wichtige Verfassungsbestimmungen für die Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes fruchtbar zu machen und zu zeigen, dass die historische Entwicklung des allgemeinen Gleichheitssatzes und seine Stellung im System der Verfassung ein bislang unausgeschöpftes Auslegungspotential beinhalten, das die Bedeutung dieses Grundrechts maßgeblich erhellen und seine rationale, im Einzelfall vorhersehbare Anwendung erheblich erleichtern kann. Plädiert wird einerseits für eine zurückhaltendere, andererseits aber auch für eine differenzierte Handhabung des allgemeinen Gleichheitssatzes, die Spezialgebote wieder zur Geltung kommen lässt und verfassungsrechtlich vorgegebenen Unterschieden und Gemeinsamkeiten zureichend Rechnung trägt.
B. Historische Entwicklung I. Märzrevolution 1848 und Pillersdorffsche Verfassung 1. Das Kaiserliche Patent vom 15. März 1848 Nachdem die Gleichheit, begleitet von Freiheit und Brüderlichkeit, in der französischen Revolution ihren Siegeszug angetreten und den Bürgern der französischen Republik rechtliche Gleichheit vor dem Gesetz und politische Gleichstellung gebracht hatte, begann man auch im deutschsprachigen Raum, sich mit dieser Forderung auseinander zu setzen1. Die Losung der Gleichheit schien den Deutschen zunächst allerdings als ein französisches Nationalattribut, als etwas Fremdes, das Skepsis und zum Teil auch offene Ablehnung hervorrief und manche geradezu herausforderte, die Ungleichheit der Stände, des Vermögens, der Kräfte, der Vorteile nicht nur als unvermeidlich, sondern auch als unentbehrlich zu postulieren2. Erst Kant legte den Grundstein für eine differenziertere Bewertung, die es ermöglichte, aus der Vielfalt der Forderungen, die unter dem Titel der Gleichheit erhoben worden waren, jene der bürgerlichen Rechtsgleichheit auszusondern und positiv zu würdigen. In der Annahme, dass allen Menschen der Anspruch zukommt, selbst Zweck zu sein, von jedem anderen auch als ein solcher geschätzt und von keinem bloß als Mittel zu anderen Zwecken gebraucht zu werden, verschaffte Kant der Gleichheit der Menschen eine neue Grundlage: Sie war nicht mehr auf die Behauptung der gleichen Natur aller Menschen angewiesen und damit auch gegen den Einwand immun, zwischen den Menschen bestünden faktische Unterschiede; die Gleichheit ergab sich nun vielmehr aus dem autonomen Vernunftwillen und der sittlichen Würde, die jedem Menschen zukommt. Von diesen Prämissen ausgehend ließ sich Gleichheit erstens als „formale“ Rechtsgleichheit begründen, also als gleiche Geltung des Rechts für jeden Menschen; zweitens konnte diese Gleichheit auch abgegrenzt werden von ____________________
1 S hiezu und zum Folgenden Dann, Gleichheit 1014 ff; zur Entwicklung des Gleichheitsdenkens seit der Antike ebd 1000 ff, sowie dens, Gleichheit 1 ff; zur Rezeption der französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789/91 in der deutschen Aufklärungsgesellschaft auch Bödeker, Menschen- und Bürgerrechtserklärung 258 ff; zu Gleichheitsbestimmungen in den Aufklärungskodifikationen und Konstitutionen des Vormärz in Deutschland Kleinheyer, Gleichheit; zur Verwirklichung der bürgerlichen Rechtsgleichheit in Deutschland zwischen 1780 und 1850 Scheuner, Bürgerliche Gleichheit 376 ff. 2 S die Nachweise bei Dann, Gleichheit 1019; s zur Rezeption der französischen Revolution in Deutschland und Österreich auch Gangl, Verfassungsstaat 39 ff.
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der nicht erwünschten „materialen“ Gleichheit, die über die gleiche Geltung des Rechts hinaus allen Menschen auch Rechte gleichen Inhalts zusprechen wollte3. Die solcherart isolierte Rechtsgleichheit wurde schon bald zur Parole der bürgerlichen Intelligenz- und Besitzschichten, die die Aufhebung der Standesprivilegien, die gleiche Teilhabe an jenen Rechten, die bislang dem Adel vorbehalten waren und eine konstitutionelle Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz verlangten, sich zugleich aber, besorgt um ihre eigenen Besitzstände, stets gegen jene politischen und sozialen Demokratisierungstendenzen abgrenzten, die von den unteren Volksschichten ausgingen4. So sehr sich die Interessen und Forderungen dieser Gruppierungen auch im Einzelnen voneinander unterschieden5, so sehr waren sich ihre Vertreter doch in dem einen Punkt einig, dass die Bevölkerung in weiterem Umfang als bisher Anteil am staatlichen Geschehen nehmen und dass die Stände zu echten Volksvertretungen ausgebaut werden müssten. Das liberale Lager wollte diese politische Mitwirkung freilich ausdrücklich auf das gehobene Bürgertum beschränkt wissen, die demokratische Bewegung verlangte hingegen eine Repräsentation auch der unteren Schichten. Beide Gruppierungen erhoben damit aber dieselbe, genuin gleichheitsrechtliche Forderung, an der politischen Macht gleichberechtigt mit dem Adel teilnehmen zu können. Diese Forderung hat eine doppelte Grundlage: Sie leitet politische Rechte zum einen aus dem Umstand her, dass auch dem Adel solche Rechte zukommen und verlangt insofern eine Gleichstellung mit diesem Stand. Zum anderen kann politische Mitbestimmung aber auch als an sich geboten angesehen werden, also unabhängig davon, ob sie einem Teil der Bevölkerung bereits zugestanden worden ist. Auch diese – stärkere – Forderung stützt sich auf die Gleichheit, diesmal aber auf die Gleichheit der Menschen an sich, die es ausschließt, dass einer oder auch nur ein Teil der Menschen über alle anderen herrscht bzw dass Teile der Bevölkerung von der Herrschaft ausgeschlossen werden6. ____________________
3 Näher Dann, Gleichheit 1021 ff; s aber auch Luf, Freiheit 133 ff, nach dem Kants Konzept des Rechtsstaates es theoretisch nicht ausgeschlossen hätte, aus dem Gleichheitsprinzip auch soziale Konsequenzen zu ziehen. Dass Kant solche Konsequenzen tatsächlich nicht gezogen hat, sei im Wesentlichen Folge seiner eigenen sozialen Perspektive gewesen: Ihm schien Freiheit bereits dann für alle gleich realisierbar, wenn ständische Barrieren beseitigt, die Grunduntertänigkeit aufgehoben, das Eigentum gleich zugänglich und so eine Ordnung geschaffen wird, die auf leistungsbedingten sozialen Differenzierungen beruht. Schon seine Schüler dehnten den von Kant begründeten Gleichheitsbegriff aber aus, teils in die Richtung einer politischen, stärker aber in die Richtung einer sozialökonomischen Gleichheit, s dazu mwN Dann, Gleichheit 1023 f. 4 S Dann, Gleichheit 1029 ff; Floretta, FS Rosenzweig 137 f. 5 Vgl im Einzelnen Huber, Verfassungsgeschichte 453 ff mwN. 6 S nur Kelsen, Demokratie 3: „Er ist ein Mensch wie ich, wir sind gleich! Wo ist also sein Recht, mich zu beherrschen? So stellt sich die […] Idee der Gleichheit in den Dienst der […] Forderung der Freiheit“ (Hervorhebungen im Original).
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Diese und andere Forderungen begannen im Vormärz zu gären, sie erhitzten sich am Vorbild der Umwälzungen in Frankreich und den deutschen Mittel- und Kleinstaaten und entluden sich schließlich am 13. März 1848 in einer Revolution, die Angehörige des gehobenen Bürgertums, Studenten, Intellektuelle, Handwerker und Arbeiter gleichermaßen vereinigte7, Metternich am 14. März 1848 zum Rücktritt bewegte und dem Kaiser am folgenden Tag das Versprechen einer Verfassung sowie die Zusicherung abrang, dass „[w]egen Einberufung von Abgeordneten aller Provinzial-Stände und der Central-Congregationen des lombardisch-venetianischen Königreiches in der möglichst kürzesten Frist mit verstärkter Vertretung des Bürgerstandes und unter Berücksichtigung der bestehenden ProvinzialVerfassungen zum Behufe der von Uns beschlossenen Constitution des Vaterlandes [...] das Nöthige verfügt ist. Sonach erwarten Wir mit Zuversicht, daß die Gemüther sich beruhigen, die Studien wieder ihren geregelten Fortgang nehmen, die Gewerbe und der friedliche Verkehr sich wieder beleben werden“8.
2. Vorentwürfe zur Pillersdorffschen Verfassung Dieses Kaiserliche Patent vom 15. März 1848 hatte zwar eine „Constitution des Vaterlandes“ in Aussicht gestellt, die unter der Mitwirkung der Abgeordneten aller Provinzialstände, also einer – wenn auch nach ständischen Gesichtspunkten zusammengesetzten – Volksvertretung zustande kommen sollte. Dementsprechend wurden auch die Landstände der österreichischen Reichshälfte nach Wien einberufen, wo sie am 10. April 1848 als „Ständischer Centralausschuß“9 zusammentraten. Ein entscheidender Einfluss auf die sodann erlassene Verfassung kam diesem Organ jedoch keineswegs zu, ja, die Statuierung von Grundrechten scheint ihm nicht einmal ein nennenswertes Anliegen gewesen zu sein10: Ausführlich debattiert wurde in diesem Gremium nur (im Zusammenhang mit der Besetzung des Reichstages) die Frage der politischen Gleichstellung11. Von allem Anfang ____________________
7 Vgl im Einzelnen zB Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1913 (1914) 177 ff; F. Walter, Zentralverwaltung 1 ff; Ehnl, Erhebungen 33 ff; s allgemein zu den Ereignissen des Jahres 1848 Höbelt, 1848, sowie die zahlreichen Literaturnachweise bei Huber, Verfassungsgeschichte 547 ff. 8 Ah Patent vom 15. März 1848, PGS 1848/29, wiedergegeben zB bei Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 235 f; Reiter, Texte 1. 9 Zu diesem näher Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1913 (1914) 170 ff; zur Konstituierung des Zentralausschusses ebd 183 ff. 10 Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 199 f. 11 Vgl Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1913 (1914) 193, sowie das ebd, 228 ff, wiedergegebene Referat des Abgeordneten von Kleyle, der zwar
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an behielt die Regierung bei der Ausarbeitung der Verfassung die Zügel fest in ihren Händen, und spätestens am 12. April 1848 setzte sich im Ministerrat auch die Meinung durch, dass diese Konstitution im Wege eines Oktroy ins Leben treten sollte12, dies übrigens durchaus mit Billigung der ständischen Abgeordneten, die die Regierung geradezu auf die Bahn der Oktroyierung gedrängt haben sollen13. Der Ministerratskonferenz vom 12. April 1848 lagen bereits „Grundlinien“ der zukünftigen Verfassung vor, deren Urheberschaft dem Minister des Inneren Pillersdorff zugeschrieben wird14. Diese Grundlinien sahen nicht an erster Stelle, sondern erst nach der Garantie anderer Grundrechte die „Gleichstellung vor allen Gesetzen“15 vor und konzipierten unter dem Titel „Rechtsinstitute“ ua einen „[gleichen] Gerichtsstand für alle Staatsbürger“ sowie die „Ausschaltung der Patrimonialgerichte“16. Die Grundlinien wurden sodann in 23 Paragraphe formuliert und am 13. April 1848 der ministeriell-ständischen Verfassungskonferenz als „Grundzüge der Constitution“ zugrunde gelegt17. Auch in diesem Entwurf war der Gleichheitssatz anderen Staatsbürgerrechten systematisch nachgereiht18 und erhielt nun folgenden Wortlaut: ____________________
ein Zweikammernsystem vorschlug, sich aber zugleich für eine möglichst breite Volksvertretung aussprach und sogar auf die Festsetzung eines Zensus verzichten wollte, wenn auch die Wahlen zum deutschen Parlament mit allgemeinem Stimmrecht vorgenommen würden (ebd 244). 12 KleteJka, Protokolle, MR vom 22. April 1848, 102; Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 236 ff; F. Walter, Zentralverwaltung 45 f. 13 Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1913 (1914) 182 f, 191; ders, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 237; s auch KleteJka, Protokolle, MR vom 22. April 1848, 102, sowie F. Walter, Zentralverwaltung 49 f. 14 Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 202; F. Walter, Zentralverwaltung 42 ff (46); s aber Gschliesser, FS 200 Jahre Haus-, Hof- und Staatsarchiv 45. 15 Vgl Gschliesser, FS 200 Jahre Haus-, Hof- und Staatsarchiv 45 f; s auch Ermacora, Menschenrechte I 135 f. F. Walter, Zentralverwaltung 46, gibt diese Passage der Grundlinien – allerdings nicht unter Anführungszeichen, daher wohl nicht als wörtliches Zitat – mit „Gleichheit aller vor dem Gesetz“ wieder. 16 Vgl Gschliesser, FS 200 Jahre Haus-, Hof- und Staatsarchiv 45 f; s auch Ermacora, Menschenrechte I 135 f, bei dem von einer „Umgestaltung der Patrimonialgerichte“ die Rede ist; F. Walter, Zentralverwaltung 47, spricht von einer „Umstaltung der Patrimonialgerichte“. 17 S Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 240 ff; F. Walter, Zentralverwaltung 48 f; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 200. 18 Nämlich als § 13; in § 11 wurde zunächst die persönliche Freiheit, die Glaubens-, Rede-, Presse- und Petitionsfreiheit gewährt, in § 12 das Recht, Grundbesitz aller Art zu erwerben, jeden gestatteten Erwerbszweig auszuüben und zu allen Ämtern und Würden zu gelangen; Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 242.
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„Allen Staatsbürgern gebührt Gleichheit vor dem Gesetze und Niemand kann seinem gesetzlichen Richter entzogen werden“19.
Die mit dem Ständischen Zentralausschuss geführte Debatte über die Konstitution war innerhalb eines Tages abgeschlossen20. Protokolle über diese Beratung fehlen zwar21, den Berichten ihrer Teilnehmer ist aber zu entnehmen, dass die Regierung gewillt war, allen Konfessionen politische und bürgerliche Gleichberechtigung einzuräumen. Der Zentralausschuss goutierte eine solche Gleichberechtigung hinsichtlich der christlichen Konfessionen, gegen die sog „Judenemanzipation“ regte sich aber unter Berufung auf die „Volksstimmung“ Widerspruch22. Dass in dieser Konferenz noch andere gleichheitsrechtliche Fragen debattiert worden sind, geht aus den vorhandenen Berichten nicht hervor. Dennoch ist anzunehmen, dass solche Fragen – wenn auch ohne weitere Diskussion – Thema der Beratungen waren. Einem Ersuchen des Ständischen Zentralausschusses folgend23 gab das Ministerium nämlich bereits am 15. April 1848 in der „Wiener Zeitung“ bekannt, dass die Konstitution in ihren Grundzügen beschlossen und nur noch die in kurzer Zeit vollendete Redaktion vorzunehmen sei; ihr Inhalt wurde sodann mit folgenden Worten wiedergegeben: „Gleichstellung der politischen und bürgerlichen Rechte ohne Unterschied des GlaubensBekenntnisses – Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze – gleiche Berechtigung zu Gemeinde- und Staatsämtern – Freiheit des Glaubens, der Person, der Rede und der Presse – Petitions- und freies Vereinigungsrecht – gleichmäßiger Gerichtsstand für alle Staatsbürger – Gleichheit der Wehrpflicht und des Wehrrechts – Unabhängigkeit der Justiz – Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege und Schwurgericht in Strafsachen – endlich eine auf das Princip der Volksvertretung basirte Verfassung mit 2 Kammern und entscheidender Stimme der Kammern in der Gesetzgebung und Besteuerung mit dem Rechte der Initiative und der vollständigen inneren Autonomie mit jährlicher Berufung und Verantwortlichkeit der Minister – sind die wesentlichen Grundrechte, welche dem Oesterreichischen Volke durch die Verfassungs-Urkunde gewährleistet werden sollen.“24 ____________________
19 Vgl Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 242. 20 Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 247. 21 Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1913 (1914) 199 f; ders, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 238; F. Walter, Zentralverwaltung 48. 22 Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 244; F. Walter, Zentralverwaltung 49. 23 Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1913 (1914) 201; F. Walter, Zentralverwaltung 49. 24 S Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 247 FN 1. Merkwürdigerweise findet sich am selben Tag auch ein Bericht über die Verfassung in „Die Neue Zeit“, der die beschlossenen Grundrechte in einer verkürzten, wenn nicht überhaupt verfälschten Form zwar aufzählt, das Recht auf Gleichheit aber
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Kam der Garantie der Gleichheit in den „Grundlinien“ und „Grundzügen“ hinsichtlich ihrer Stellung und näheren Ausführung noch nachrangige Bedeutung zu, so scheint dem Ministerrat der Öffentlichkeit gegenüber nun an einer Betonung gerade dieses Grundrechts gelegen zu sein. Ohne zu erwähnen, dass die Emanzipation der Juden durch die Konstitution nicht gewährleistet sein würde, betont der in die „Wiener Zeitung“ eingeschaltete Text gleich eingangs die „Gleichstellung der politischen und bürgerlichen Rechte ohne Unterschied des Glaubens-Bekenntnisses“. Er greift damit eine zentrale Forderung der Revolutionäre, nämlich die politische Gleichstellung auf, um ihre Gewährung dann freilich auf die Außerachtlassung konfessioneller Unterschiede zu beschränken. Wie die Entwürfe sagt auch dieser publizierte Text ganz allgemein die „Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze“ zu und weiters die „gleiche Berechtigung zu Gemeinde- und Staatsämtern“, die sich in den früheren Fassungen noch schlicht als „Zulassung“ der Staatsbürger „zu allen Ämtern und Würden“ gefunden hatte25, also ohne die Garantie, dass jedermann auch unter gleichen Bedingungen zugelassen werden sollte. Abweichend von den Entwürfen verspricht dieser Text auch eine „Gleichheit der Wehrpflicht und des Wehrrechts“, schließlich wird den Rechtsunterworfenen dort ein gleicher Gerichtsstand zugesagt, der zwar schon in den „Grundlinien“ vorgesehen, in den „Grundzügen“ dann aber plötzlich verschwunden war26. All diese Änderungen und Ergänzungen müssen im Zuge der Konferenz mit dem Ständischen Zentralausschuss vorgenommen worden sein. Da Berichte über eingehende Debatten hierüber fehlen, kann angenommen werden, dass eine Einigung in diesen Punkten relativ leicht zu erzielen war. Am 15. April 1848 legte Pillersdorff die Verfassung auch dem Kaiser zur Sanktion vor. In seinem hiebei gehaltenen Vortrag betonte er, man habe bei der Gewährung der Freiheiten nicht die „Verschiedenheit der Kultur- und Bildungsstufe der einzelnen Länder und Völker [...] in Rechnung gezogen [...], weil diese sonst die Ertheilung gleichförmiger Institutionen ausschließen würde; ein allgemeiner Gesichtspunkt läßt sich daher ____________________
nicht mit einem Wort erwähnt. Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 247 f FN 1 (hier 248), hält für möglich, dass dieser Bericht nicht auf der eigentlich beschlossenen Konstitution beruht, sondern auf einem Referat des Hofrates Salzgeber, das durch eine Indiskretion weitergegeben worden ist. Rückschlüsse auf den mehrheitlichen Willen der an der Verfassung beteiligten Organe lässt dieser Bericht jedenfalls nicht zu. 25 S FN 18. 26 Die Grundzüge der Constitution garantierten nur, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen wird (FN 19). Das schließt nicht aus, dass das Gesetz für verschiedene Stände je verschiedene Gerichte einrichtet, dass der gesetzlich vorgesehene Gerichtsstand also gerade nicht gleich ist.
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nur aus dem Grundsatze ableiten, daß alle diejenigen Freiheiten, welche mit monarchischen Einrichtungen verträglich, und sich als solche im monarchischen Staate bewährt haben, zugleich aber bei den jetzt vorherrschenden Ideen und Gesinnungen als ein unabweisbares Bedürfniß anerkannt werden, in die Verfassungsurkunde aufgenommen werden sollen.“27 Die Grundrechte im Einzelnen zu erörtern, hielt Pillersdorff in seinem Referat für überflüssig; sie fänden sich ohnedies in den meisten Verfassungen der durch repräsentative Einrichtungen gemäßigten Monarchien und würden von den Völkern als Bürgschaft verlangt und in hohem Werte gehalten28. Diese ministerielle Zurückhaltung ist bedauerlich, denn sie verschließt – da auch das Protokoll über die Ministerialberatungen nicht ergiebig ist – warum die Konstitution gerade bei den Gleichheitsgarantien von den Entwürfen derart abgewichen ist29.
3. Die Gleichheitsgarantien der Pillersdorffschen Verfassung Am 25. April 1848 wurde die vom Kaiser genehmigte Verfassung schließlich in der Wiener Zeitung verlautbart30. Während der zehn Tage zuvor in dieser Zeitung bekannt gegebene Verfassungsinhalt den Gleichheitsgarantien schon in systematischer Hinsicht einen besonderen Stellenwert eingeräumt hatte, war man bei der endgültigen Fassung der Konstitution nun wieder zum ursprünglichen Konzept zurückgekehrt. Die Aprilverfassung statuierte in ihrem III. Abschnitt unter der Rubrik „Staatsbürgerliche und politische Rechte der Staatseinwohner“ keineswegs an erster Stelle, sondern erst nach der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der persönlichen Freiheit, der Meinungsfreiheit, der Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses, dem Petitionsrecht, der Vereinsfreiheit, der Auswanderungsfreiheit, der Liegenschafts- und der Erwerbsfreiheit eine Gleichheitsgarantie in § 25, der nun folgenden Wortlaut hatte: ____________________
27 Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 249 ff (hier: 252). 28 Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 253. 29 Aus dem Protokoll vom 22. April 1848 (abgedruckt bei KleteJka, Protokolle 101 ff ) geht nur hervor, dass die in der Pillersdorffschen Verfassung enthaltenen Gleichheitsgarantien gegenüber den Vorentwürfen noch abgeändert wurden und dass der Ministerrat diese Änderungen zu jenen wesentlichen Punkten zählte, auf die sich die Debatte angesichts der fortgeschrittenen Zeit beschränken müsse; s auch F. Walter, Zentralverwaltung 51. 30 Kundgemacht wurde diese Verfassung in PGS 1848/49; ihr Text ist wiedergegeben bei Reiter, Texte 1 ff; s auch Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 259 ff; eine Wiedergabe des Grundrechtskataloges findet sich auch bei Hartung, Entwicklung 78 ff.
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„Die Wirksamkeit des Gesetzes ist gleich für alle Staatsbürger, sie genießen einen gleichen persönlichen Gerichtsstand, unterliegen der gleichen Wehr- und Steuerverpflichtung, und keiner kann gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden.“
Anders als in den Entwürfen ist jetzt nicht mehr von einer „Gleichstellung vor allen Gesetzen“ bzw von einer „Gleichheit […] vor dem Gesetze“ die Rede, sondern bloß von der gleichen „Wirksamkeit“ des Gesetzes für alle Staatsbürger. Diese Formulierung lässt keinen Zweifel daran offen, dass die nun gewährte Gleichheit ausschließlich formaler Natur ist: Sie garantiert bloß, dass jeder Staatsbürger unter dem Gesetz und keiner außerhalb des Gesetzes steht und dass das Gesetz auf jeden Staatsbürger gleich anzuwenden ist31. Diese Deutung wird auch durch ein Schreiben bestätigt, das Pillersdorff nach der Kundmachung der Aprilverfassung an sämtliche Landeschefs schickte, um darzulegen, was bei der Handhabung der Verfassung zu beachten sei. Im Hinblick auf den Gleichheitssatz wird darin ausgeführt: „Die Gleichstellung aller Staatsbürger vor dem Gesetze schließt die gewissenhafte und unparteiische Anwendung derselben ohne Rücksicht auf Personen und zufällige Verhältnisse in sich. Ausnahmen vom Gesetze sind deßhalb schlechterdings unzulässig, indem jede Ausnahme das Gesetz schwächt, und zur Willkür führt, Abänderungen aber nur auf dem verfassungsmäßigen Wege zu Stande gebracht werden dürfen.“32 Anders als im Text der Wiener Zeitung wurde in § 25 nun auch wieder das Recht aufgenommen, seinem ordentlichen Richter nicht entzogen zu werden; darin wurde wohl ein Spezialfall der formalen Gleichstellung gesehen33, dessen ausdrückliche Statuierung deutlich machen sollte, dass die zu Metternichs Zeiten praktizierte Kabinettsjustiz34 nun ein Ende haben werde. Keineswegs ausgeschlossen war durch den in der Aprilverfassung garantierten Gleichheitssatz aber, dass die – für jeden gleich wirksamen – Gesetze den Staatsbürgern völlig ungleiche Rechte einräumen und unterschiedliche Pflichten auferlegen, dass sie dem Adel weiterhin Privilegien zuerkennen und ganz allgemein die ständische Gliederung der Gesellschaft ____________________
31 S insoweit auch Kelsen, Gerechtigkeit 26 f, der zum „Prinzip der sogenannten Gleichheit vor dem Gesetz“ bemerkt: „Es bedeutet nichts anderes, als daß die rechtsanwendenden Organe keine Unterschiede machen sollen, die das anzuwendende Recht nicht selbst macht. [...] Mit Gleichheit hat dieses Prinzip kaum noch etwas zu tun. Es besagt nur, daß das Recht so angewendet werden soll, wie es seinem Sinne nach anzuwenden ist. Es ist das Prinzip der Recht- oder Gesetzmäßigkeit, das jeder Rechtsordnung ihrem Wesen nach immanent ist, gleichgültig, ob diese Ordnung gerecht oder ungerecht ist.“ 32 Wiedergegeben bei Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 266 ff FN 1 (hier: 267). 33 Vgl zum Zusammenhang dieser Garantie mit dem allgemeinen Gleichheitssatz auch Dohna, Ausnahmegerichte 116, sowie unten H.VI.1. 34 S zu dieser Berchtold, Gesetzlicher Richter 712; Piska, Art 87/1-2 B-VG Rz 2 ff.
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aufrechterhalten. Die Beschränkung auf die „Wirksamkeit“ der Gesetze sollte wohl sogar deutlich machen, dass man zu einer vollständigen Beseitigung der ständischen Unterschiede gerade nicht bereit war. Mit der Garantie eines gleichen persönlichen Gerichtsstandes, der gleichen Wehr- und Steuerpflicht hebt die Aprilverfassung aber doch einzelne Standesvorrechte auf und trägt so den Forderungen der Revolutionäre zumindest teilweise Rechung, wenn auch in § 26 sofort bestimmt wurde, dass der Gerichtsstand für das Militär bis zum Erscheinen eines besonderen Gesetzes unverändert bleibt. Einstweilen aufrechterhalten wurden auch die „in einigen Teilen der Monarchie noch gesetzlich bestehenden Verschiedenheiten der bürgerlichen und politischen Rechte einzelner Religions-Confessionen“; die Beseitigung dieser Verschiedenheiten (und damit der vor allem die Juden betreffenden Benachteiligungen) wurde in der Verfassung aber immerhin in Aussicht gestellt: Sie sollte nach § 27 Gegenstand der dem ersten Reichstag vorzulegenden Gesetzesvorschläge sein35. Vom Reichstag aufzuheben waren nach § 27 außerdem jene Beschränkungen, die der Erwerbung aller Arten von Grund „noch“ entgegenstanden. Dass damit nicht schlechthin jede, sondern nur solche Beschränkungen gemeint waren, die bestimmten Personengruppen auferlegt waren, sie also anderen gegenüber benachteiligten, zeigt schon § 24, der die Freiheit des Liegenschaftserwerbs36 als solche in einer eigenen Bestimmung gewährt. Die in der Wiener Zeitung vom 15. April 1848 noch angekündigte „gleiche Berechtigung zu Gemeinde- und Staatsämtern“ fehlte in der Aprilverfassung jedenfalls mit diesem explizit gleichheitsrechtlichen Inhalt. Wie schon in den beiden Entwürfen wurde die Garantie des Ämterzuganges wieder der Erwerbsfreiheit zugeordnet, sie beschränkte sich auf die Zusicherung des § 24, dass „Jeder Staatsbürger [...] zu allen Aemtern und Würden gelangen [kann]“, verbürgte aber gerade nicht, dass dieser Zugang für jeden unter gleichen Bedingungen stattfinden werde. Dass der ursprünglich gleichheitsrechtliche Gehalt dieser Bestimmung nun nicht mehr vorhanden war, ergibt sich wohl auch aus ihrer systematischen Stellung in § 24, also noch vor der in § 25 gegebenen Garantie der allgemeinen Gleichheit und ihrer speziellen Ergänzungen. ____________________
35 Einen ähnlichen Weg hatte auch die Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 (vgl Huber, Dokumente 89) beschritten. Sie bestimmte in Art 16, dass „Die Verschiedenheit der christlichen Religions-Partheyen [...] in den Ländern und Gebiethen des deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte begründen“ kann; Bekennern des jüdischen Glaubens stellte sie den „Genuß der bürgerlichen Rechte gegen die Uebernahme aller Bürgerpflichten in den Bundesstaaten“ hingegen bloß in Aussicht. 36 „Jeder Staatsbürger kann Grundbesitzer werden, jeden gesetzlich erlaubten Erwerbszweig ergreifen, und zu allen Aemtern und Würden gelangen.“
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Weder dem Gleichheitssatz noch den Grundrechten überhaupt wurden in der Aprilverfassung die von den Revolutionären geltend gemachten Rechte der Nationalitäten zugeordnet; sie fanden unter der Rubrik „I. Allgemeine Bestimmungen“ in § 4 eine bescheidene Regelung, der zufolge „Allen Volksstämmen [...] die Unverletzlichkeit ihrer Nationalität und Sprache gewährleistet“ war. Diese Bestimmung garantierte zwar mehr als bloßen Sprachenschutz, nicht aber eine Gleichstellung aller Nationalitäten, wie sie damals von vielen Seiten, allen voran von Böhmen gefordert worden war37. ____________________
37 Vgl Stourzh, Gleichberechtigung 22 FN 21. Nur wenige Wochen vor der Erlassung der Aprilverfassung war am 11. März 1848 auf der ersten Wenzelsbad-Versammlung in Prag die Forderung nach „vollkommener Gleichberechtigung“ der böhmischen und der deutschen Nationalität erhoben worden. Diese Forderung wurde dem Ministerpräsidenten am 20. März 1848 als Petition überreicht (näher Stourzh, Gleichberechtigung 17 ff mwN). Kurz danach richtete die Prager Deputation eine zweite Petition an den Kaiser, in der sie „die vollkommenste Gleichstellung der böhmischen und deutschen Nationalität in allen Lehr- und Verwaltungszweigen“ verlangte und darüber hinaus in einer Erläuterung ein kaiserliches Manifest forderte, demzufolge „Seine k.k. Majestät die Gleichstellung der Nationalität und Sprache eines jeden Volkes in allen Zweigen der Staatsverwaltung und des öffentlichen Unterrichts als Staatsprincip“ annehmen und garantieren sollte. Dieser Wunsch nach einer Gleichstellung aller Nationalitäten wurde sodann auch aus anderen Kronländern an den Kaiser herangetragen (s Stourzh, Gleichberechtigung 17 f ). Am 8. April 1848 beantwortete der Kaiser die erwähnte zweite Prager Petition mit einem später als „Böhmische Charte“ bezeichneten Handschreiben, dessen erster Punkt lautete: „Die böhmische Nationalität hat durch vollkommene Gleichstellung der böhmischen Sprache mit der deutschen in allen Zweigen der Staats-Verwaltung und des öffentlichen Unterrichtes als Grundsatz zu gelten“ (s Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1916 und 1917 [1917] 510 ff [hier 510]). Unter Berufung auf dieses Handschreiben initiierte dann Sommaruga, einer der zwei österreichischen Vertreter im Bundestag in Frankfurt, die Aufnahme des § 188 in die Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1949, der folgenden Wortlaut hatte: „Den nicht deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands ist ihre volksthümliche Entwicklung gewährleistet, namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprachen, so weit deren Gebiete reichen, in dem Kirchenwesen, dem Unterrichte, der innern Verwaltung und der Rechtspflege“ (s Stourzh, Gleichberechtigung 21 FN 20, sowie dens, Minderheit 442 f, 446 f ). Schon zuvor war der österreichische Abgeordnete Kuranda für eine Gleichberechtigung der Nationalitäten eingetreten, und zwar mit spezifisch gleichheitsrechtlichen Argumenten: Er zog aus dem ersten Punkt des vom Vorparlament beschlossenen Kataloges der „Grundrechte und Forderungen des deutschen Volkes“, nämlich der Forderung nach „Gleichstellung der politischen Rechte, ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses und Unabhängigkeit der Kirche vom Staate“ folgenden Schluss: „Der Glaube, die Religion eines Menschen, beginnt mit dem Knabenalter. Die Sprache aber gehört schon dem Kinde an, die Nationalität beginnt mit der Geburt. Wo alle Glaubensrichtungen gleiche Freiheit im Staate genießen, da müssen alle Nationalitäten zu gleicher Freiheit umso sicherer berechtigt sein“ (vgl auch Stourzh, Minderheit 441). Die wenige Tage später angenommene Aprilverfassung reihte die Nationalitätenrechte weder in die Grundrechte ein (s auch Stourzh, Minderheit 443 f, der zeigt, dass sich sowohl in den Verfassungsberatungen in Frankfurt, später aber auch in Österreich die Systematisierung des Nationalitäten- und Sprachenschutzes als Grundrecht durchsetzte), noch weniger sprach sie sich so deutlich wie der erwähnte § 188 der späteren Verfassung des Deutschen Reiches für eine Gleichberechtigung der Nationalitäten aus. Weniger zurückhaltend legte aber schon der mährische Landtag ein paar Monate später,
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4. Vorbilder und Originalität Pillersdorff selbst behauptete, die Aprilverfassung sei größtenteils eine Nachbildung der belgischen Verfassung vom 7. Februar 1831 gewesen38, die nach der französischen Charte von 1814 zum Musterbeispiel einer modernen europäischen Konstitution geworden war39. Ein Vergleich der beiden Verfassungen bestätigt dieses Urteil jedenfalls für die Gleichheitsgarantie nicht40. Die belgische Verfassung behandelte dieses Grundrecht bereits in systematischer Hinsicht als prioritär und bestimmt unmittelbar nach der Regelung der belgischen Staatsbürgerschaft (Art 4 und 5) in Art 6: „Es gibt im Staate keine Standesunterschiede. Die Belgier sind vor dem Gesetz gleich; sie allein sind zu den bürgerlichen und militärischen Ämtern zugelassen, unbeschadet der Ausnahmen, die durch ein Gesetz für besondere Fälle bestimmt werden können“41. Die Formulierung, dass die „Belgier [...] vor dem Gesetze gleich [sind]“ könnte zwar für die Entwürfe der Aprilverfassung vorbildlich gewesen sein, in der Endfassung nahm man von ihr aber gerade Abstand und gewährte bloß die gleiche „Wirksamkeit“ der Gesetze. Ohne Vorbild in der belgischen Verfassung ist auch der Zusammenhang, den die Aprilverfassung zwischen Gleichheit und dem Recht auf ein Verfahren vor dem ordentlichen Richter herstellt. Umgekehrt behält die belgische Verfassung unmittelbar nach der Gleichheitsgarantie den Staatsbürgern alle Ämter vor, während die Aprilverfassung nicht die Exklusivität der Ämter, sondern ihre Zugänglichkeit betont ____________________
im August 1848, in § 5 seines Verfassungsentwurfes fest, dass dem „slavischen und deutschen Volksstamme des Landes [...] die Unverletzlichkeit seiner Nationalität und die gleiche Berechtigung gewährleistet“ ist (Stourzh, Gleichberechtigung 24), und in ähnlicher Weise bestimmte auch der steiermärkische Landtag in seinem Verfassungsentwurf: „Den Steiermärkern deutschen wie slovenischen Stammes sind gewährleistet: die Gleichstellung ihrer Nationalitäten, die Gleichheit aller vor dem Gesetze, die persönliche und die Gewissensfreiheit, das Petitionsrecht und das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden, die Rede- und Preßfreiheit, das Recht zur Herstellung und Erhaltung einer kräftigen Volkswehr, so wie alle übrigen Rechte, welche zu Folge der Verfassung des österreichischen Staates jedem Staatsbürger zustehen“ (Stourzh, Gleichberechtigung 24 FN 27). Hier wurden die Rechte der Nationalitäten also zum einen den Grundrechten zugeordnet und zum anderen in unmittelbaren Zusammenhang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gestellt, wenn auch nicht aus diesem abgeleitet. 38 Pillersdorff, Rückblicke 37; dieser Ansicht sind auch Ermacora, Menschenrechte I 116, 134; Dann, Revolutionen 522, sowie KleteJka, Protokolle XIX. 39 S Huber, Verfassungsgeschichte 554. 40 S auch Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 253 f FN 2; Gschliesser, FS 200 Jahre Haus-, Hof- und Staatsarchiv 48 f, der allerdings gezeigt hat, dass die belgische Verfassung von 1831 mittelbar doch jedenfalls auf das StGG 1867 eingewirkt hat; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 203. 41 Vgl den Text der belgischen Verfassung samt Übersetzung ins Deutsche bei Franz, Staatsverfassungen 54 ff (57); s auch Hartung, Entwicklung 69 ff; Hartung/Commichau/ Murphy, Entwicklung 84 ff.
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und diese zudem der Erwerbsfreiheit zuordnet. Schließlich scheut sich die belgische Verfassung nicht davor, die Standesunterschiede direkt anzusprechen und für unzulässig zu erklären – eine Deutlichkeit, die die Aprilverfassung gerade vermissen lässt. Auch die anderen Quellen, die als Vorlagen für diese Verfassung in Betracht kommen, etwa die Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern vom 26. Mai 181842, des Großherzogtums Baden vom 22. August 181843, des Königreichs Württemberg vom 25. September 181944, des Großherzogtums Hessen vom 17. Dezember 182045 sowie die Verfassungen Frankreichs46 unterscheiden sich jedenfalls hinsichtlich der Positionierung und ____________________
42 Die Gleichheitsgarantien werden dort zwar auch erst nach anderen Grundrechten gewährt, dies aber mit folgendem Wortlaut: „Gleiches Recht der Eingebornen zu allen Graden des Staatsdienstes und zu allen Bezeichungen des Verdienstes. Gleiche Berufung zur Pflicht und Ehre der Waffen. Gleichheit der Gesetze und vor dem Gesetze. Unpartheylichkeit und Unaufhaltbarkeit der Rechtspflege. Gleichheit der Belegung und der Pflichtigkeit ihrer Leistung.“, s Huber, Dokumente 156; Hartung/Commichau/Murphy, Entwicklung 79. 43 Dort beginnt der II. Abschnitt „Staatsbürgerliche und politische Rechte der Badener und besondere Zusicherungen“ mit folgenden Garantien: „§ 7. Die staatsbürgerlichen Rechte der Badener sind gleich in jeder Hinsicht, wo die Verfassung nicht namentlich und ausdrücklich eine Ausnahme begründet. Die großherzoglichen Staatsminister und sämmtliche Staatsdiener sind für die genaue Befolgung der Verfassung verantwortlich. § 8. Alle Badener tragen ohne Unterschied zu allen öffentlichen Lasten bey. Alle Befreyungen von directen oder indirecten Abgaben bleiben aufgehoben. § 9. Alle Staatsbürger von den drey christlichen Confessionen haben zu allen Civil- und Militärstellen und Kirchämtern gleiche Ansprüche. Alle Ausländer, welchen Wir ein Staatsamt conferiren, erhalten durch diese Verleihung unmittelbar das Indigenat. § 10. Unterschied in der Geburt und der Religion begründet, mit der für die standesherrlichen Familien durch die Bundesacte gemachten Ausnahme, keine Ausnahme der Militärdienstpflicht.“, s Huber, Dokumente 173; Hartung/Commichau/Murphy, Entwicklung 79 f. 44 Dort wird nach Regelungen über das Staatsbürgerrecht bestimmt: „§ 21. Alle Württemburger haben gleiche staatsbürgerliche Rechte, und eben so sind sie zu gleichen staatsbürgerlichen Pflichten und gleicher Theilnahme an den Staats-Lasten verbunden, soweit nicht die Verfassung eine ausdrückliche Ausnahme enthält; auch haben sie gleichen verfassungsmäßigen Gehorsam zu leisten. § 22. Kein Staatsbürger kann wegen seiner Geburt von irgend einem Staats-Amte ausgeschlossen werden. § 23. Die Verpflichtung zur Vertheidigung des Vaterlandes und die Verbindlichkeit zum Waffendienste ist allgemein; es finden in letzterer Hinsicht keine andere[n] als die durch die Bundes-Akte und die bestehenden Gesetze begründeten Ausnahmen statt. Ueber das Recht, Waffen zu tragen, wird ein Gesetz die nähere Bestimmung geben.“, s Huber, Dokumente 190; Hartung/Commichau/Murphy, Entwicklung 81 f. 45 Nach ausführlichen Regelungen über Erwerb und Verlust der Staatsbürgerschaft heißt es dort: „Art. 18. Alle Hessen sind vor dem Gesetz gleich. Art. 19. Die Geburt gewährt Keinem eine vorzügliche Berechtigung zu irgend einem Staats-Amte. Art. 20. Die Verschiedenheit der in dem Großherzogthume anerkannten christlichen Confessionen hat keine Verschiedenheit in den politischen oder bürgerlichen Rechten zur Folge.“, s Huber, Dokumente 224. 46 Vgl Franz, Staatsverfassungen 305, 309 (Verfassung 1791), 373, 397 (Verfassung 1793); Hartung, Entwicklung 47 (Verfassung 1791), 51 (Verfassung 1793), 57 (Verfas-
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näheren Ausgestaltung der Gleichheitsgarantien von der Pillersdorffschen Verfassung deutlich. Ähnlichkeiten sind aber zwischen dieser Verfassung und den Beschlüssen des Frankfurter Vorparlaments vom 31. März und 1. bis 4. April 1848 zu erkennen. Dass dieser Verfassungsentwurf dem österreichischen Ministerrat und insbesondere Pillersdorff bei der Ausarbeitung der Aprilverfassung bereits bekannt gewesen ist, kann schon deshalb angenommen werden, weil Unterrichtsminister Sommaruga selbst österreichisches Mitglied im Vorparlament war47. Der damals in Frankfurt angenommene Verfassungsentwurf enthielt eine Auflistung jener Grundrechte, die „als geringstes Maaß deutscher Volksfreiheit“ angesehen wurden, allen voran die „Gleichstellung der politischen Rechte, ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses“, dann – nach einer Aufzählung anderer Grundrechte – auch ein „Gerechtes Maaß der Steuerpflicht nach der Steuerkraft. Gleichheit der Wehrpflicht und des Wehrrechts. Gleiche Berechtigung aller Bürger zu Gemeinde- und Staatsämtern“48. Sieht man von der nach der Steuerkraft zu bemessenden Steuerpflicht ab, so findet sich jede dieser – speziellen – Gleichheitsverbürgungen zum Teil fast wortgleich in der Wiener Zeitung vom 15. April 184849. Die dort ebenfalls angekündigte Garantie der „Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze“ hatte allerdings in den Beschlüssen des Vorparlaments kein Vorbild, ebenso wenig die sodann beschlossene Garantie der gleichen „Wirksamkeit des Gesetzes für alle Staatsbürger“. Insofern ist dieser allgemeine, wenn auch bloß formale Gleichheitssatz der Aprilverfassung wohl tatsächlich eine originäre Schöpfung Pillersdorffs50. Die zugleich beschlossenen speziellen Gleichheitssätze haben sich aber wohl zum Teil die Beschlüsse des Frankfurter Vorparlaments zum Vorbild genommen51. Anders als dort wurden die Gleichheitsgarantien in der Aprilverfassung aber in eine Bestimmung zusammengezogen, deren ____________________
sung 1795); Hartung/Commichau, Entwicklung 66 f (Verfassung 1795), 70 f (Französische Charte 1814). 47 Vgl zur Zusammensetzung der Regierung und zur Person Sommarugas Huber, Verfassungsgeschichte 553 f. 48 Vgl die Textwiedergabe bei Huber, Dokumente 336. 49 S oben im Text bei FN 24. 50 Vgl zum originären Charakter der Pillersdorffschen Verfassung als ganzer Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 202. 51 Die in § 25 ausgesprochene Garantie, dass niemand gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden kann, findet sich in den Beschlüssen des Vorparlaments nicht, wohl aber der „Schutz gegen Justizverweigerung“ und die „Unabhängigkeit der Justiz“ (Huber, Dokumente 336). Die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 spricht – allerdings ohne systematischen Zusammenhang mit der Gleichheitsgarantie des § 137 – in § 175 Abs 2 aus: „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte sollen nie stattfinden.“ (Huber, Dokumente 394; Hartung/ Commichau/Murphy, Entwicklung 100).
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Positionierung nach der Gewährleistung der Freiheitsrechte jedenfalls ungewöhnlich ist.
5. Ideologische Zuordnung Von ihrer „ideologischen“ Ausrichtung her sind die Gleichheitsgarantien der Pillersdorffschen Verfassung gewiss nicht vom revolutionären Geist der damaligen Zeit beseelt; sie sind aber auch nicht reaktionär. Am ehesten entsprechen sie den Vorstellungen eines konservativen Liberalismus, freilich in einer sehr gemäßigten Form52. Das der Regierung und insbesondere Pillersdorff gewiss bekannte Staats-Lexikon von von Rotteck und Welcker53, die damalige „Bibel des Liberalismus“54, hatte der Gleichheit jedenfalls einen bedeutenderen Stellenwert eingeräumt als die Aprilverfassung in § 25. Weder die absolute Priorität, die von Rotteck der Gleichheit sogar vor der Freiheit einräumte55, hat auch nur in der systematischen Anordnung der Grundrechte dieser Verfassung Niederschlag gefunden, noch wird der versteckten, aber aus dem dargelegten Konzept doch erkennbar resultierenden Kritik von Rottecks an angeborenen Standesvorrechten56 konsequent Rechnung getragen. Auch die demokratische Mitbestimmung, in der von Rotteck den eigentlichen Garant der Gleichheit sah, wurde in der Aprilverfassung unter Restriktionen ermöglicht, die von Rotteck ablehnte57. Die Aprilverfassung war weit ____________________
52 Auch innerhalb des Liberalismus war die Bandbreite der vertretenen Positionen beträchtlich; der Tscheche Palacky etwa bezeichnete sich selbst als „entschiedene[n] Liberale[n]“ und lehnte gerade deshalb die Einladung des Kaisers ab, Minister zu werden, unter anderem, weil er der Ansicht war, dass mit dem „alten Bevormundungsprinzip“ und mit den „erblichen Privilegien und Vorrechten einer Volksklasse über die andere“ Schluss gemacht werden müsse, was er der Regierung offenbar nicht zutraute, vgl F. Walter, Zentralverwaltung 76 f. 53 Von Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon. 54 So Fischel, Protokolle XII. 55 Von Rotteck, Freiheit 182 f: „Das erste Princip des vernünftigen Rechts also ist die Gleichheit. [...] Das zweite Princip des Rechts ist sodann die größtmögliche Freiheit, d.h. die ohne Widerspruch möglicher Weise Allen zu gewährende.“ (Hervorhebungen im Original). 56 Von Rotteck überlässt es zwar dem Leser zu beurteilen, ob die bestehenden historischen Rechtsungleichheiten (wie die verschiedenen Vorrechte des Erbadels oder die persönliche und angeborene Unfreiheit der Bauern) den Anforderungen der Gleichheit entsprechen; er glaubt aber, dass dies „der unbefangene Beurtheiler einerseits aus den oben aufgestellten Grundsätzen, andererseits aus den hier oder dort vorhandenen factischen Umständen und Verhältnissen leicht entnehmen“ wird (von Rotteck, Gleichheit 47 [Hervorhebungen im Original]). Bloß ein paar Absätze früher hat sich von Rotteck aber schon ausdrücklich gegen die von den Söhnen des Adels als Standes-Vorzug in Anspruch genommene Befreiung von der Conscription ausgesprochen, und auch sonst wird in seinen Ausführungen deutlich, dass er an einem vernünftigen Grund für historische Vorrechte zweifelt. 57 Von Rotteck, Census 147 ff, hielt es zwar grundsätzlich für zulässig, Ärmere durch einen Census vom Wahlrecht auszuschließen, weil derjenige, der von der Gunst anderer
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davon entfernt, ihren Staatsbürgern eine allgemeine Gleichheit in einem umfassenden Sinn zu gewähren; sie beschränkte sich auf die Beseitigung jener punktuellen Ungleichheiten, die in der Revolution besonders hart bekämpft worden waren und deren Abschaffung der Regierung zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse unbedingt erforderlich erschien. Im Bereich der politischen Gleichheit versuchte die Regierung hingegen bereits, ausschließlich ihre Vorstellungen einer Volksvertretung zu verwirklichen, obwohl, wie Pillersdorff wusste, „in der herrschenden Meinung bedeutender Widerspruch dagegen zu erwarten sein dürfte“58.
6. Das Wahlrecht zum Reichstag Mit dieser Einschätzung sollte Pillersdorff Recht behalten. Die Erlassung der Konstitution war zwar zweifellos ein wesentlicher Forschritt für die Revolutionäre. Doch die Freude über diese Errungenschaft wurde entscheidend durch den Umstand getrübt, dass diese Konstitution durch ein Oktroy ins Leben getreten war und dass sie die Teilnahme des Volkes am Reichstag durch ein Zweikammernsystem stark beschränkte: Die erste dieser beiden Kammern – der Senat – sollte das konservative Element verkörpern und sich aus einer in der Verfassung noch nicht näher genannten Zahl an Prinzen des kaiserlichen Hauses, vom Kaiser für ihre Lebensdauer ernannten Mitgliedern und schließlich aus 150 Repräsentanten des bedeutendsten Grundbesitzes zusammensetzen. Die zweite Kammer sollte aus 383 Abgeordneten bestehen und auf der Vertretung aller staatsbürgerlichen Interessen beruhen59. Das kontinuierlich ansteigende Unbehagen der Bevölkerung gegen dieses System erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt, als mit Patent vom 9. Mai 1848 die provisorische Wahlordnung publiziert wurde60. Die Zahl der Senatsmitglieder war darin zwar auf 200 beschränkt (§ 1) und das Wahlrecht zum Abgeordnetenhaus auch nicht an einen Zensus gebunden; dass aber der Großteil der Arbeiterschaft und der unteren sozialen Schichten vom Wahlrecht ausgeschlossen war (§ 31), trug erkennbar die Handschrift einer ersten Reaktion und musste in der ____________________
Personen seinen Lebensunterhalt bezieht, in der Regel keine Freiheit des Willens mehr habe und deshalb mit seiner Stimme bloß das Gewicht der Stimme seines „Brodherrn“ verstärken würde (aaO 155). Wenn man sich aber zur Festsetzung eines – niedrigen – Census entschlossen habe, dann müsse man, so von Rotteck, auf das Institut der Wahlmänner und die Festsetzung eines Census für das passive Wahlrecht jedenfalls verzichten. Gerade letzteres war in der Aprilverfassung aber nicht der Fall, s sogleich im Text. 58 F. Walter, Zentralverwaltung 45. 59 S §§ 34 ff der Aprilverfassung. 60 PGS 1848/57; wiedergegeben bei Reiter, Texte 5; s auch Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 269 ff; F. Walter, Zentralverwaltung 81 ff, 168 ff.
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Bevölkerung umso schlechter aufgenommen werden, als die bereits eingeleiteten Wahlen zum Frankfurter Parlament wesentlich freisinniger geregelt waren61. Der Regierung selbst war schon im April bewusst gewesen, dass eine „Rückwirkung dieser Wahlform auf unsere Wahlen der Reichsstände [...] nicht zu vermeiden [ist]. Frankfurt ist viel weiter gegangen, als wir die Absicht hatten zu gehen“62. Die Regierung empfahl dem Kaiser damals jedoch, bloß die Deputierten zur Frankfurter Versammlung wählen zu lassen und gleichzeitig den Vorbehalt auszusprechen, „daß dieser Wahlmodus nicht bindend sei für die österreichischen Provinzen in Ansehung der Wahlen zu ihrem eigenen Reichstage“63. Schon wenige Tage nach der Veröffentlichung der provisorischen Wahlordnung für den Reichstag musste die Regierung jedoch ein weiteres Mal dem Druck der aufgebrachten Bevölkerung weichen. Aufgrund einer Petition vom 15. Mai 1848 wurde am folgenden Tag eine Proklamation herausgegeben, derzufolge, „die Verfassung vom 25. April 1848 vorläufig der Berathung des Reichstages unterzogen werden soll, und die Anordnungen des Wahlgesetzes, welche Bedenken hervorgerufen haben, in einer neuerlichen Prüfung zu erwägen seyen“64. Ebenso wurde in dieser Proklamation beschlossen, für den ersten Reichstag nur eine Kammer wählen zu lassen, „wornach also für die Wahlen gar kein Census bestehen und jeder Zweifel einer unvollkommenen Volksvertretung entfallen wird“. Die sodann am 30. Mai 1848 erlassene Wahlordnung schloss allerdings nach wie vor die ____________________
61 Vgl zum „Kampf um die Gleichheit“, der dem Frankfurter Wahlrecht vorausgegangen war, Huber, Verfassungsgeschichte 784 ff. 62 KleteJka, Protokolle, MR vom 14. April 1848, 65. 63 KleteJka, Protokolle, MR vom 14. April 1848, 65. Die Forderung, dass die Wahlen zum Reichstag parallel zu jenen des deutschen Parlaments auszugestalten seien, wurde schon während der Beratung der Aprilverfassung in einer Petition an den Kaiser herangetragen (Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1913 [1914] 201 f FN 1) und wurde auch von Abgeordneten des Ständischen Zentralausschusses, allen voran von von Kleyle (FN 11) erhoben, vgl zur Debatte im Ständischen Zentralausschuss Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1913 (1914) 205 f. 64 PGS 1848/65; wiedergegeben bei Reiter, Texte 10; s auch Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 271. Mit Wirkung vom selben Tag hörten nach einem kaiserlichen Erlass vom 17. April 1848 „alle Roboten und sonstigen unterthänigen Leistungen sowohl der Grundwirthe als auch der Häusler und Inleute“ auf. Zugleich erloschen die patrimonialen Pflichten der Grundherrschaften. In Böhmen sollen die Stände erwogen haben, den Bauern die dort noch bestehende Robot zu erlassen, freilich nicht aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern in der Absicht, sich die Bauern weiterhin gefügig zu erhalten. Auch in anderen Provinzen wollten die Stände in dieser Weise vorgehen, sie scheiterten jedoch an der Widerständigkeit der Bauern, die dieses „Geschenk“ nicht annehmen wollten. Im Reichstag wurde dann am 31. August 1848 die Abschaffung der Untertänigkeitsverhältnisse, allerdings gegen eine den Grundherren zu leistende Entschädigung, beschlossen, vgl zu alldem F. Walter, Zentralverwaltung 64, 96, 203 ff.
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Arbeiterschaft vom Wahlrecht aus (§ 16)65, weil „diese[n] Klassen der Bevölkerung“, wie Pillersdorff meinte, „nicht nur die intellektuel[l]e Bildung, sondern auch die selbständige Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft fehle, um das Wahlrecht auf eine unabhängige, dem gemeinen Besten förderliche Weise zu üben“66. Wie dem auch sei, diese Klassen der Bevölkerung waren immerhin intellektuell genug, den Wert des Wahlrechts zu erkennen, entschieden für seine Zuerkennung einzutreten und ihre Position schließlich durchzusetzen: Kurz vor Beginn der Wahlen dehnte die Regierung das Wahlrecht auf die Arbeiterschaft aus, freilich, um das Gesicht nicht völlig zu verlieren, im Gewand einer „Erläuterung“ der Wahlordnung67. Ausgeschlossen vom Wahlrecht waren nun nur mehr Frauen, Dienstleute und Personen, die von der öffentlichen Fürsorge abhängig waren68. Natürlich erscheint aus heutiger Sicht auch diese Beschränkung fragwürdig69; feststeht jedoch, dass der Versuch der Regierung, die demokratische Mitbestimmung nach ständischen Gesichtspunkten zu regeln, damit gescheitert und eine weitgehende Verwirklichung der politischen Gleichheit gelungen ist.
II. Der Kremsierer Verfassungsentwurf 1. Beratung im Verfassungsausschuss Der nach den neuen Bestimmungen gewählte Reichstag nahm seine Arbeit im Juli 1848 auf, hatte jedoch gleich zu Beginn mit einem Problem zu kämpfen, das aus der unterschiedlichen Nationalität seiner Mitglieder resultierte: Die aus den verschiedensten Provinzen angereisten Abgeordneten sprachen naturgemäß nicht alle dieselbe Sprache. Nach langen, ____________________
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PGS 1848/75; wiedergegeben bei Reiter, Texte 10 ff. Vgl F. Walter, Zentralverwaltung 168. 67 Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 272; F. Walter, Zentralverwaltung 170; s auch R. Walter, ÖJZ 1990, 612. 68 § 16 der Wahlordnung. 69 Zur relativen Überzeugungskraft historischer Ein- und Ausschlusskriterien des Wahlrechts s allgemein Pöschl, FS Schäffer 635 ff. Der Ausschluss der Frauen vom Wahlrecht lag übrigens nicht daran, dass diese ihre Interessen nicht artikuliert hätten. Sie sind schon 1848 für ihr Recht auf demokratische Mitbestimmung eingetreten (vgl mwN Hauch, Frauenrechte 35 f ), wurden dabei aber nicht ernst genommen. Vgl für die Stimmung der Zeit exemplarisch die spätere Debatte im Ausschuss des Reichsrates, als Hein, um seine Ablehnung des allgemeinen Wahlrechts zu bekräftigen, meinte: „Wollte man die Demokratie in jeder Beziehung durchführen, so müßte man auch die Frauen zur Wahl zulassen“ (Springer, Protokolle 186), woraus Brestel scharfsinnig folgerte: „Wollte man die Weiber zulassen, weil sie an den Staatslasten Theil nehmen, so müßte man aus gleichem Grunde auch die Kinder und Narren zulassen“ (Springer, Protokolle 187). 66
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leidenschaftlich geführten Debatten einigte man sich darauf, in Deutsch zu verhandeln, also in jener Sprache, derer die Mehrheit der Abgeordneten mächtig war70. Noch eine Reihe anderer Fragen war zu klären, bis der Reichstag schließlich am 1. August 1848 aus seiner Mitte einen Verfassungsausschuss wählte71. Dieser konstituierte sich am folgenden Tag und bildete sogleich zwei Unterausschüsse: einen „Dreierausschuß“, dem die Erarbeitung eines Grundrechtskataloges aufgetragen war, und einen „Fünferausschuß“, der einen Entwurf der restlichen Verfassung erstellen sollte72. Die Mitglieder des Dreierausschusses waren Rieger, Violand und Hein. Rieger wurde zum Berichterstatter gewählt und konzipierte einen Grundrechtsentwurf, der im Unterausschuss erörtert und bereits am 18. August 1848 dem Verfassungsausschuss zur Beratung vorgelegt wurde73. Der Riegersche Urentwurf ist leider nicht erhalten74, ebenso wenig existieren Protokolle über dessen Beratung im Dreierausschuss. Daher kann nicht festgestellt werden, wie groß der Anteil Riegers an dem Entwurf des Unterausschusses wirklich ist. Feststeht aber, dass dieser Entwurf keineswegs bloß aus einer „Berathung“ des Grundrechtsteils der Aprilverfassung hervorgegangen sein kann, wie sie dem Reichstag durch die Proklamation vom 16. Mai 1848 gestattet oder, wenn man so will, auch aufgetragen war75. Der Grundrechtsentwurf des Dreierausschusses hebt sich vielmehr deutlich von dieser Verfassung ab, und zwar sowohl in inhaltlicher als auch in systematischer Hinsicht und ganz sicher auch im Hinblick auf den nun wirklich liberalen, wenn nicht teilweise sogar radikalen „Geist“, von dem dieser Entwurf beseelt ist76. a. Der allgemeine Gleichheitssatz Gleich in seiner ersten Bestimmung stellte dieser Entwurf fest, dass „Alle Menschen […] frei geboren [sind], alle haben gleiche, angeborene und unveräußerliche Rechte, deren wichtigste sind: Selbsterhaltung, per____________________
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F. Walter, Zentralverwaltung 197 ff; s auch Helfert, Reichstag 24 ff. Bestehend aus je drei Vertretern der zehn Gouvernementbezirke Niederösterreich, Oberösterreich, Galizien, Böhmen, Mähren und Schlesien, Steiermark, Illyrien, Küstenland, Tirol und Dalmatien; vgl zu den gewählten Abgeordneten im Einzelnen Fischel, Protokolle IX f; s auch F. Walter, Zentralverwaltung 199 ff. 72 Vgl Fischel, Protokolle XI. 73 Fischel, Protokolle XI, XV. 74 S auch Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 215. 75 S oben bei FN 64. 76 Vgl auch die Einschätzung Helferts, Kremsier 254, demzufolge der Dreierausschuss sich „aus allen Constitutions-Entwürfen anderer Staaten dasjenige zusammengesucht [hat], was an Überschwänglichkeit der Theorie, an Ungebundenheit des einzelnen Staatsbürgers am weitesten gieng“. 71
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sönliche Freiheit, Unbescholtenheit und Förderung des geistigen und materiellen Wohles. Die Unverletzlichkeit der gleichen angeborenen Rechte anderer ist die natürliche und die einzig notwendige Beschränkung dieser Rechte.“77 § 2 fehlt zwar in dem bruchstückhaft erhaltenen Entwurf des Dreierausschusses, inhaltlich dürfte er dem Staat aber den wirksamen Schutz und die Förderung der in § 1 genannten Rechte aufgetragen und überdies festgestellt haben, dass die Staatsbürger von der Gesamtheit ihrer Rechte nur soviel an den Staat übertragen, als zu dessen Zweck notwendig ist78. Noch kühner als diese allgemeine Einleitung war jedoch, dass der Entwurf in § 3 ein ganz deutliches Bekenntnis zur Demokratie ablegte: „Der Inbegriff aller einzelnen Staatsbürger ist das Volk. Die Herrschaft des erkennbaren Volkswillens ist ein angeborenes unveräußerliches Recht des Volkes. Die Regierung besteht nur durch die Autorität desselben und zu seinem Wohle.“79 Im unmittelbaren Anschluss daran statuierte § 4 bereits die Gleichheitsgarantie; ihre Fassung im Entwurf des Dreierausschusses ist zwar nicht erhalten80, sie lässt sich aber aus den Beratungen im Verfassungsausschuss fast vollständig rekonstruieren; aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sie folgenden Wortlaut: „Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetze gleich81. ____________________
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Fischel, Protokolle 181. § 2 wurde im Verfassungsausschuss zwar nicht beschlossen, die Mitglieder des Dreierausschusses Rieger, Hein und Violand stellten aber (unterstützt von Palacky, Vacano und Ziemiałkowski) ein Minderheitsvotum, demzufolge § 2 lauten sollte: „Diese Rechte wirksam zu schützen und zu fördern, ist Aufgabe des Staates, die einzelnen Staatsbürger übertragen von der Gesamtheit ihrer Rechte nur so viel an den Staat, als zu dessen Zwecke notwendig ist.“ (s Reiter, Texte 13). In dieser oder einer ähnlichen Formulierung dürfte § 2 also auch im Entwurf des Dreierausschusses enthalten gewesen sein. Der in § 2 angekündigte Rechtsschutz war übrigens kein leeres Versprechen. Nach § 138 des Konstitutionsentwurfes sollte der Rechtsunterworfene nämlich „Wegen Verletzung der durch die Constitution festgestellten staatsbürgerlichen Rechte durch Bedienstete der Staates in Ausübung ihrer Amtsgewalt [...] durch eine Civilklage vom Staate volle Genugthuung“ verlangen können. Über solche Klagen sollte nach § 140 Z 1 das Oberste Reichsgericht als einzige Instanz entscheiden (s Reiter, Texte 28). Diesem Gericht war damit zwar nicht die Kompetenz übertragen, Staatsakte zu kassieren, es konnte aber die Vereinbarkeit eines Staatsaktes mit den in der Konstitution garantierten Rechten inzident kontrollieren. Insofern kam diesen Rechten nicht bloß die Qualität von Staatszielbestimmungen zu, s dazu R. Walter, ÖJZ 1990, 609 f; aA Brauneder, ÖJZ 1989, 417 f. 79 S Fischel, Protokolle 181. 80 Vgl Fischel, Protokolle 181. 81 Diese Fassung lässt sich aus dem Antrag Lassers erschließen, der die im ersten Satz des § 4 enthaltene Wendung „vor dem Gesetze“ an den Satzanfang gestellt haben wollte (vgl Fischel, Protokolle 34). Dieser – in der weiteren Beratung nicht mehr modifizierte – Antrag Lassers wurde dann vom stellvertretenden Vorsitzenden in folgender Fassung zur Abstimmung gebracht: „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich“ (Fischel, Protokolle 36), der erste Satz des § 4 musste also ursprünglich wie oben angeführt gelautet haben. 78
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Alle Standesunterschiede und Standesvorrechte haben aufzuhören, der Adel ist abgeschafft82. Alle Staatsbürger ohne Unterschied haben ein gleiches Recht zu allen öffentlichen Ämtern83. Zu öffentlichen Auszeichnungen oder Belohnungen berechtigt nur das persönliche Verdienst; keine Auszeichnung ist erblich84.“
Diese Gleichheitsgarantien wurden anders als in der Pillersdorffschen Verfassung – nach den drei einleitenden Paragraphe – an die Spitze des Grundrechtskataloges gestellt, und bereits der erste Satz des § 4 sollte den Staatsbürgern nicht mehr bloß die gleiche „Wirksamkeit des Gesetzes“ garantieren, sondern ganz allgemein Gleichheit „vor dem Gesetze“. Explizit wurde nun auch eine Beseitigung der Standesunterschiede und Standesvorrechte, ja sogar die Abschaffung des Adels selbst vorgeschlagen. Auch die speziellen Gleichheitsgarantien der letzten beiden Absätze des § 4 sind offensichtlich nicht von der Aprilverfassung inspiriert, denn sie beziehen sich weder auf den gleichen persönlichen Gerichtsstand85 noch auf die gleiche Wehr- und Steuerverpflichtung86 noch auch auf das Verfahren vor dem ordentlichen Richter87, sondern auf die (in der Aprilver____________________
82 In dieser Fassung hat der Berichterstatter im Ausschuss selbst den zweiten Satz verlesen, vgl Fischel, Protokolle 37. 83 Diese Fassung erschließt sich – allerdings nicht ganz eindeutig – aus dem Antrag Palackys, den vom Dreierausschuss vorgeschlagenen Satz unter Auslassung der Worte „ohne Unterschied“ anzunehmen (Fischel, Protokolle 49). Palackys Antrag erhielt die Zustimmung der Mehrheit; der sodann als Ergebnis der Abstimmung festgestellte Satz lautete: „Alle Staatsbürger haben ein gleiches Recht zu allen öffentlichen Ämtern“ (Fischel, Protokolle 50). Die entfernte Wortfolge „ohne Unterschied“ könnte ursprünglich – wie oben angeführt – nach dem Subjekt „Alle Staatsbürger“ placiert gewesen sein; möglich wäre auch, dass diese Wortfolge nach dem Prädikat „haben“ eingefügt war. Ihrem Sinn nach sind beide Varianten gleichbedeutend. 84 Dem Beratungsprotokoll zufolge wurde dieser Satz in der Fassung des Ausschussentwurfes angenommen, nachdem das Wort „erblich“ in das Wort „vererblich“ korrigiert worden war (Fischel, Protokolle 50). 85 Dieser wurde im Entwurf des Dreierausschusses erst im Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit garantiert, vgl Fischel, Protokolle 53, 65, 183. 86 Die Gleichheit der Wehrverpflichtung war im Entwurf des Dreierausschusses an anderer Stelle, nämlich in § 31 vorgesehen (Fischel, Protokolle 182). Eine Garantie der gleichen Steuerverpflichtung findet sich im Entwurf hingegen nicht; wohl aber bestimmte § 25 des Entwurfs nach der ersten Lesung, dass „Jedermann […] nach Maßgabe seines Vermögens und Einkommens zu den Lasten des Staates beizutragen [hat].“ (Fischel, Protokolle 186). Ob diese Bestimmung schon im Urentwurf vorgesehen war, lässt sich nicht feststellen, weil dieser nur bruchstückhaft erhalten ist. Die Grundrechte der Paulskirche statuierten die gleiche Steuerbelastung (§ 173: „Die Besteuerung soll so geordnet werden, daß die Bevorzugung einzelner Stände und Güter in Staat und Gemeinde aufhört.“) ebenso explizit wie eine allgemeine Wehrverpflichtung (§ 137 Abs 7: „Die Wehrpflicht ist für alle gleich; Stellvertretung bei derselben findet nicht statt.“). Die gleichmäßige Auferlegung dieser Pflichten wurde dort durchwegs als eine konsequente Durchführung des Gleichheitssatzes angesehen, vgl Scholler, Paulskirche 251 ff, insb 258 f. 87 Auch dieses Recht wurde im Entwurf des Dreierausschusses gewährt, allerdings wie die Beseitigung der Ausnahms- und privilegierten Gerichte im Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit, vgl Fischel, Protokolle 53.
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fassung noch der Erwerbsfreiheit zugeordnete) Zugänglichkeit zu allen öffentlichen Ämtern. Gänzlich neu ist schließlich der letzte Satz des § 4, der Auszeichnungen und Belohnungen nur mehr nach dem persönlichen Verdienst zulässt. So sehr sich die Gleichheitsgarantien des Ausschussentwurfes von jenen der Pillersdorffschen Verfassung unterscheiden, so sehr weisen sie nun jene Ähnlichkeit mit der belgischen Verfassung von 1831 auf, die Pillersdorff bereits als Vorbild für die Aprilverfassung in Anspruch nehmen wollte88. Dass der erste Satz des § 4 auch an der französischen Charte aus dem Jahr 1814 orientiert ist89, hat Rieger selbst in der Beratung offen gelegt90. Von diesen Verfassungen waren auch die Grundrechtsberatungen in Frankfurt beeinflusst, insbesondere der vom Ausschuss der deutschen Nationalversammlung am 19. Juni 1848 beschlossene Entwurf der „Grundrechte des deutschen Volks“91. Auf diesen Entwurf wiederum nahmen die österreichischen Abgeordneten immer wieder Bezug92, wenn sie auch prinzipiell die Erstellung eines eigenständigen Grundrechtskataloges anstrebten93. ____________________
88 S dazu oben B.I.4. Die ersten beiden Sätze des § 4 sind bloß geringfügig anders stilisiert als die beiden Eingangssätze des Art 6 der belgischen Verfassung („Es gibt im Staate keinen Standesunterschied. Die Belgier sind vor dem Gesetz gleich“, s Franz, Staatsverfassungen 57), davon abgesehen wurden sie in der Reihenfolge vertauscht (positionieren also die allgemeine Garantie der Gleichheit vor der Beseitigung der Standesvorrechte), und um die Bemerkung ergänzt, dass der Adel abgeschafft sei. Der in der belgischen Verfassung ausgesprochene Vorbehalt bürgerlicher und militärischer Ämter für belgische Staatsbürger („sie allein sind zu den bürgerlichen und militärischen Ämtern zugelassen, unbeschadet der Ausnahmen, die durch ein Gesetz für besondere Fälle bestimmt werden können.“) wurde vom Dreierausschuss in abgeschwächter Form übernommen. Sein Entwurf stellt die Staatsbürger in der Ämterzugänglichkeit gleich, lässt aber die Frage offen, ob diese Ämter auch für ausländische Staatsangehörige zugänglich sind. Dass die gleiche Zugänglichkeit bloß österreichischen Staatsbürgern garantiert wird, impliziert freilich die Aussage, dass es zulässig ist, Ausländer nicht gleich, und das heißt wohl: schlechter zu behandeln als Staatsbürger. Der vierte, die öffentlichen Auszeichnungen und Belohnungen betreffende Satz des § 4 findet in der belgischen Verfassung kein Vorbild. S zum Einfluss der belgischen Verfassung auf den Gleichheitssatz auch Gumplowicz, Staatsrecht 264 f; Fischel, Protokolle XII; Stier-Somlo, Gleichheit 174 ff; Sander, Prager Juristische Zeitschrift 1931, Sp 287; Ermacora, Handbuch 37. 89 Der erste Halbsatz ihres Art 1 lautete in der deutschen Übersetzung: „Die Franzosen sind vor dem Gesetz gleich“, vgl Hartung/Commichau, Entwicklung 71; Ermacora, Menschenrechte I 118. 90 Fischel, Protokolle 36; s zu den Einflüssen auf den Riegerschen Entwurf allgemein Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 221 ff. 91 Fischel, Protokolle XII. 92 S die Nachweise bei Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 225 f. 93 S auch Ermacora, Menschenrechte I 134. Vgl dazu exemplarisch die Bemerkung Dylewskis, StenProtRT 77. Sitzung am 24. Jänner 1849, 544: „Ich muß sagen, meine Herren, daß, da in diesen Grundrechten ziemlich genug Berufungen auf spätere Gesetze enthalten sind, ich jede solche Berufung auf ein späteres Gesetz für ein Loch in den Grundrechten ansehe. Wenn ich die Menge dieser Löcher betrachte, [...] so kann ich mich nicht
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Der erste Satz des vom Dreierausschuss konzipierten § 4 entspricht jedenfalls wörtlich der in Frankfurt gebrauchten (und von der belgischen Verfassung inspirierten) Formulierung des allgemeinen Gleichheitssatzes94. Dem Dreierausschuss sind, wie Rieger ausführte, bei der Ausarbeitung dieses Entwurfes aber auch „die Verfassungen anderer Staaten, z. B. die nordamerikanische, preußische Verfassung u. a., dann Robespierres Menschenrechte vorgeschwebt“95; ein unmittelbarer Einfluss der dort vorgesehenen Gleichheitsgarantien auf § 4 ist allerdings nicht erkennbar. Angenommen werden kann schließlich, dass die Mitglieder des Dreierausschusses das von Rotteck/Welckersche Staats-Lexikon für ihren Entwurf nutzbar machten96. Darauf weisen schon die ersten drei Paragraphe des Entwurfes hin, die erkennbar von der Erklärung der Menschenrechte der französischen Verfassungen von 1791 und 1793 sowie von den Grundsätzen der Verfassung des Staates Texas beeinflusst sind97, von Verfassungswerken also, deren mustergültige Anerkennung der Menschenrechte von Struve in dem genannten Staats-Lexikon besonders hervorgehoben hat98. Dass der Entwurf in seinem § 3 unter dem Einfluss der französischen Verfassungen ein Bekenntnis zur Volkssouveränität ablegt, zeigt, dass jedenfalls der Dreierausschuss die in Deutschland und Österreich lange bestehende Skepsis gegen die französische Revolution nicht teilte99. Die besondere Bedeutung, die der Gleichheit auch im von Rotteck/Welckerschen Staats-Lexikon zugeschrieben wird100, dürfte wohl ____________________
genug wundern, wie der Abg. für Krems uns vorwerfen konnte, daß an diesen Grundrechten so wenig vom österreichischen Typus ist. (Allgemeine Heiterkeit und Beifall.)“; s auch Fischof, StenProtRT 80. Sitzung am 29. Jänner 1849, 641: „Meine Herren, man hat ferner als Einwand vorgebracht, daß bis jetzt noch kein großer Staat die Todesstrafe abgeschafft hat. Aber, meine Herren, können denn die Gesetze, wie Rasirmesser oder Putzwaren, nur dann gut und schön seyn, wenn sie von London oder Paris kommen? [...] Müssen denn die Engländer und die Franzosen stets die Generalquartiermacher edler Ideen und großer Entdeckungen seyn?“ 94 S auch Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 226. 95 Fischel, Protokolle 7. Gerade für die demokratisch-republikanischen Staaten Nordamerikas hegte das Bürgertum schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts große Sympathien; sie verkörperten gleichsam das Ideal einer Gesellschaft ohne Adel und ständische Ungleichheiten, waren Staaten, „[wo] süße Gleichheit wohnet, und Adelsbrut, Europens Pest, die Sitte der Einfalt nicht befleckt“ (Ode auf die Freiheit Amerikas, Berlinische Monatsschrift 1 [1783] 387, zit nach Dann, Gleichberechtigung 129). 96 Von Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon. Auf österreichische Literatur konnte der Dreierausschuss demgegenüber nicht zurückgreifen, weil solche nicht vorhanden war, s auch Berka, Medienfreiheit 43. 97 S Fischel, Protokolle XII FN 3. 98 Vgl von Struve, Menschenrechte 66 ff. 99 Vgl oben bei FN 2. 100 Von Rotteck, Freiheit 182: „Die allein vernünftige und schon gemein verständige, daher zur allgemeinen Anerkennung geeignete Regel für die oft bemerkte Vereinbarung der
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in der Systematisierung des Ausschussentwurfes Niederschlag gefunden haben, und auch die in § 4 konzipierte Abschaffung der Standesvorrechte spricht aus, was von Rotteck in seinem Kommentar zur Gleichheit fordert101. Wenn sich die Aussagen von Rottecks auch sonst nicht im Einzelnen in § 4 wieder finden, so trägt diese Bestimmung doch insgesamt ebenso wie der Verfassungsentwurf als ganzer jene deutlich liberalen Züge, die dieses Staats-Lexikon kennzeichnen102. Die erste Lesung des § 4 im Verfassungsausschuss zeigt zunächst das Spektrum der Inhalte, die man zum damaligen Zeitpunkt ganz allgemein mit einer Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz verbinden konnte. Zugleich wird in der Beratung des Ausschusses auch deutlich, dass die im Entwurf gebrauchte Formulierung, alle Staatsbürger seien vor dem Gesetze gleich, aus der Sicht der Abgeordneten keinen dieser Inhalte von vornherein ausschloss. Die im Ausschuss geführte Debatte kann freilich zum Teil nur unter Schwierigkeiten nachvollzogen werden, weil die Abgeordneten sich einer bestimmten Terminologie bedienen, ohne aber offen zu legen, welchen Inhalt sie den jeweils gebrauchten Ausdrücken beimessen. Wenn dort von der „formellen“ und „materiellen“, der „gesetzlichen“, „richterlichen“, „politischen“, „rechtlichen“ oder „speziellen“ Gleichberechtigung, der Gleichheit „vor dem Gesetz“ und „vor dem Richter“ die Rede ist, dann ist keineswegs von vornherein klar, in welchem Sinn diese Attribute jeweils verwendet werden. Zum Teil ist dadurch wohl auch in der Literatur der Eindruck entstanden, die Abgeordneten hätten „unklare und verworrene Vorstellungen“ vom Grundsatz der Gleichheit gehabt103. ME kann diesem Urteil jedoch nicht vorbehaltlos zugestimmt werden104. Die Abgeordneten hatten von diesem Grundsatz eher unterschiedliche, zum Teil auch nicht wirklich ausgegorene Vorstellungen. In einem entscheidenden Punkt bestand zwischen ihnen aber bald Einigkeit, nämlich in der Frage, was unter der durch § 4 gewährleisteten Gleichheit vor dem Gesetz nicht zu verstehen sei: ____________________
äußeren Freiheit jedes Einzelnen mit jener aller Anderen, [...] besteht in der ohne Widerspruch gedenkbaren größtmöglichen und gleichen Freiheit Aller; und diese größtmögliche und gleiche Freiheit Aller nennen wir – das Recht. Dasselbe ist hiernach identisch mit der vernünftig anzuerkennenden oder zu behauptenden (äußeren) Freiheit und Gleichheit, oder es sind wenigstens Freiheit und Gleichheit schon gegeben durch den bloßen Begriff des Rechtes. [...] Das erste Princip des vernünftigen Rechts also ist die Gleichheit.“ (Hervorhebungen im Original). 101 S schon oben FN 56. 102 S auch Fischel, Protokolle XII. 103 So zB Ermacora, Handbuch 41. 104 S auch Fischel, Protokolle XVII, der feststellt, dass sich im Konstitutionsausschuss „neben mancher Unbeholfenheit, vielem gedankenlosen Phrasengeklingel und noch allerlei unreifen Anschauungen viel gesundes Urteil zeigte“.
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So wurde gleich zu Beginn der Beratung über den ersten Satz des § 4 die Frage aufgeworfen, ob die im Entwurf garantierte Gleichheit vor dem Gesetz eine „materielle oder formelle Gleichstellung“ statuiere. Miklosich stellte diese Differenzierung in den Raum, ohne sie näher zu erklären105, bezog sich dabei aber wohl auf eine zum damaligen Zeitpunkt etablierte Begriffsbildung, die unter der „formalen Gleichheit“ die gleiche Verbindlichkeit der Gesetze für alle Staatsbürger und die Beseitigung der ständisch begründeten Rechtsungleichheiten verstand, unter „materialer Gleichheit“ aber die Verwirklichung von auch inhaltlich gleichen Rechten für alle Bürger, also nicht nur die Beseitigung von Privilegien, sondern auch eine gleichmäßige Ausstattung aller mit bestimmten Lebensgütern106. Dass auch die übrigen Mitglieder des Ausschusses von diesem Verständnis ausgingen, zeigt bereits eine Äußerung Mayers, der als Beispiel einer formellen Berechtigung das – jedermann zustehende – Recht auf Eigentum anführte und es dem materiellen Recht auf ein gegebenes Eigentum gegenüberstellte. Die im Entwurf garantierte Gleichstellung sei, wie Mayer meinte, nur im ersten, formellen Sinn zu verstehen, sodass die von Palacky befürchteten „Konsequenzen kommunistischer Art“ aus dem ersten Satz des § 4 nicht zu ziehen seien107. In diesem Sinn meinte auch Lasser, dieser erste Satz des § 4 spreche bloß die „rechtliche Gleichstellung überhaupt“ aus, eine „spezielle Gleichstellung“ könne in ihn nicht hineingelegt ____________________
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Fischel, Protokolle 34. Dann, Gleichheit 1023, unter Hinweis auf Jacob, Rechtslehre 56: „Die formale rechtliche Gleichheit kann gar nicht bezweifelt werden [...] eine nur mögliche materiale rechtliche Gleichheit der moralische[n] Wesen zu behaupten, das heißt allen Rechte von gleichem Inhalt zu geben, ist eine ganz hirnlose, sich selbst zerstörende Idee, [...] sie führt auf die Zerstörung alles Rechts“). In der neueren Literatur wird das Begriffspaar der formellen und materialen Gleichheit zum Teil in einem abweichenden Sinn verstanden, s dazu etwa die unterschiedlichen Begriffsbildungen bei Herzog, Gleichheit Sp 1183, und Weinberger, Moral 223 ff, sowie unten C.III.2. 107 Fischel, Protokolle 35; auch in der Paulskirche sollte bloß die bürgerliche Gleichheit gewährt werden, nicht hingegen, wie Ahrens meinte, „jene rohe materialistisch-communistische Gleichheit, welche alle natürlichen Unterschiede in den geistigen und physischen Fähigkeiten aufheben, und auch die Folgen derselben in bezug auf Arbeit und Vermögenserwerb vertilgen will“ (vgl Wigard, Stenographischer Bericht 1293); s auch die Ausführungen Michelsens: „was bedeutet der Satz? Derselbe bedeutet keineswegs eine Gleichheit der Rechte und der Rechtssphären [...]; der Satz bezieht sich vielmehr auf die subjective Erwerbsfähigkeit, er bezieht sich darauf, daß alle Rechte von Allen erworben werden können, nach den Gesetzen, welche für Alle gleiche Geltung haben; daher ist es ein großer Gedanke, es ist der Gedanke, daß alle Rechte und alle politischen Stellungen im Staate Jedem offen stehen; daher enthält der Satz auch in sich den Ausspruch, daß alle Aemter Allen offen stehen, und ich würde auch hinzufügen: ‚und alle Ehren und Würden.‘ Dieß ist enthalten in den Principe: ‚Alle sind vor dem Gesetze gleich‘; es ist [...] der Grundsatz der freien Concurrenz auf dem öffentlichen Rechtsgebiete, der darin enthalten ist; es entwickeln sich daher die Sätze, welche der Entwurf der Grundrechte aufgestellt, ganz richtig als Consequenzen.“ (vgl Wigard, Stenographischer Bericht 1314). 106
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werden. Dies werde durch die Worte „vor dem Gesetze“ deutlich, könne aber noch prägnanter ausgedrückt werden, wenn diese Wendung an den Anfang des Satzes gestellt werde108. Ähnlich dürfte auch Ziemiałkowski den Gegensatz zwischen formaler und materialer Gleichheit verstanden haben. Dem Bedenken Fischhofs, man könne aus der im Entwurf gebrauchten Formulierung eine Gleichberechtigung „zu allen Genüssen“, vergleichbar dem in Frankreich garantierten Recht auf Arbeit ableiten, entgegnete er nämlich, der erste Satz des § 4 spreche bloß eine formelle Gleichstellung aus. Dies werde bereits aus den nachfolgenden Sätzen ersichtlich, die – um jeden Zweifel auszuräumen – mit dem ersten Satz durch den Partikel „daher“ zu verbinden seien109. „Formelle“ Gleichheit muss für Ziemiałkowski zwar mehr gewesen sein als gleiche Verbindlichkeit (inhaltlich allenfalls ungleicher) Gesetze bzw bloße Rechtsanwendungsgleichheit, sie schließt nämlich eine durch das Gesetz verwirklichte Gleichberechtigung der Bürger untereinander ein, kann aber gerade nicht garantieren, dass diese gleichberechtigten Bürger auch das gleiche Recht „zu allen Genüssen“ haben. Dass dieses Verständnis der in § 4 Abs 1 gewährleisteten „formellen“ Gleichheit im Verfassungsausschuss herrschend war, beweisen auch die Wortmeldungen der anderen Abgeordneten. So verlangte Smolka eine Aufklärung darüber, ob durch den Entwurf die „Gleichheit vor dem Gesetze und vor dem Richter, die Gleichberechtigung ausgesprochen werden wollte“110, was Rieger mit dem Hinweis bejahte, dass diese Gleichberechtigung „namentlich in Beziehung auf die Bürger“ statuiert werden solle, „welche bisher nicht gleichberechtigt waren, und daß fortan keine Verschiedenheit der Pflichten und keine Verschiedenheit der Rechte statthaben soll“111 – eine Bemerkung, die wohl nur auf die im Gesetz festgelegten Rechte und Pflichten bezogen sein kann. Smolka und ihm folgend Mayer waren zunächst der Ansicht, dass der Ausdruck „Gleichheit vor dem Gesetze“ hiefür nicht genüge, weil er die Privilegien der bisher bevorrechteten „Kasten“ unberührt lasse112. Ihre Bedenken wurden aber offenbar beseitigt, als Lasser darauf hinwies, dass der vorgeschlagene Satz sich in den meisten Konstitutionen finde und wohl immer eine „rechtliche Gleichstellung vor dem Gesetze“ ausdrücken wolle, durch die alle Vorrechte des Standes, wie etwa ein Vorrecht auf öffentliche Ämter oder auf ein privates Forum – sohin auch durch das Gesetz und nicht nur durch dessen An____________________
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Fischel, Protokolle 34. Fischel, Protokolle 35 f. Fischel, Protokolle 34. Fischel, Protokolle 34 (Hervorhebungen nicht im Original). Fischel, Protokolle 35.
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wendung begründete Ungleichheiten – aufzuhören hätten113. Goldmark fand hiefür eine „rechtliche Gleichstellung“ nicht ausreichend. Da auch die bisherigen österreichischen Gesetze den Grundsatz enthalten hätten, dass vor dem Gesetz alle gleich seien, müsse für die nunmehr angestrebte Beseitigung der Standesvorrechte die „richterliche und politische Gleichberechtigung“ festgehalten werden114. Mit der „richterlichen“ Gleichberechtigung meinte er offenbar nicht die von Smolka115 im Sinne einer Rechtsanwendungsgleichheit eingeforderte „Gleichheit vor dem Richter“; eher dürfte seine Forderung auf eine Gleichheit des persönlichen Gerichtsstandes zielen. Mit der „politischen“ Gleichberechtigung war wohl die Einräumung eines gleichen Wahlrechtes gemeint116. So verstanden ist die „richterliche und politische Gleichberechtigung“, die Goldmark fordert, ganz klar eine durch das Gesetz zu gewährende Gleichheit. Beiden Forderungen trat Lasser keineswegs entgegen; seine Replik macht vielmehr deutlich, dass die Differenz zu Goldmark nicht in der Sache bestand, sondern bloß terminologischer Natur war. Lasser hielt nämlich fest, dass der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz in der Vergangenheit gerade nicht verwirklicht war, weil das „Gesetz […] bisher Unterschiede gemacht habe, doch solle dies aufhören, das sei also hier auszusprechen“117. Lasser verstand unter diesem in § 4 ausgesprochenen Grundsatz also auch die Gleichheit im bzw durch das Gesetz118, während Goldmark darin bloß die Rechtsanwendungsgleichheit gesehen hatte. Nach der Aufklärung dieses Missverständnisses beantragte Palacky die Abstimmung, „weil aus der Verhandlung hervorgehe, daß man nicht im Prinzip, sondern nur in der Fassung streitig sei“119. Der Ausschuss nahm in der Folge § 4 Abs 1 mit der von Lasser vorgeschlagenen Umstellung an120, zog also die Wendung „Vor dem Gesetze“ an die Satzspitze: Die Staatsbürger sollten nach all dem nicht ____________________
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Fischel, Protokolle 35. Fischel, Protokolle 36. 115 Fischel, Protokolle 34. 116 Unter „politischer Gleichberechtigung“ verstand Goldmark in diesem Zusammenhang hingegen – anders als Borrosch im Reichstag, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 375 – wohl nicht die gleiche Zugänglichkeit zu allen Staatsdiensten, die ja in § 4 Abs 3 verankert war und daher nicht eigens eingemahnt werden musste. 117 Fischel, Protokolle 36 (Hervorhebungen nicht im Original). 118 Freilich war diese nach dem Kremsierer Entwurf nicht einklagbar und musste dies aus damaliger Perspektive wohl auch gar nicht sein, weil von einem durch das Volk gewählten Gesetzgeber gerade keine Verletzung, sondern viel eher die Realisierung des Gleichheitssatzes erwartet wurde. Deshalb ließ § 138 nur eine Zivilklage „Wegen Verletzung der durch die Constitution festgestellten staatsbürgerlichen Rechte durch Bedienstete des Staates in Ausübung ihrer Amtsgewalt“ zu, s dazu schon oben FN 78. 119 Fischel, Protokolle 36. 120 Fischel, Protokolle 36. 114
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nur vor dem Richter, sondern auch vor dem Gesetz gleich sein; tatsächlich gleich gemacht werden sollten sie durch § 4 Abs 1 hingegen nicht. Die Feststellung Palackys, man sei nicht im Prinzip, sondern nur in der Fassung streitig, trifft also jedenfalls auf die Frage zu, ob § 4 Abs 1 neben der unstreitig garantierten Rechtsanwendungsgleichheit auch eine Gleichheit durch das Gesetz gewähre, und bejahendenfalls, ob er den Staatsbürgern diesfalls auch eine gleiche Teilhabe an materiellen Gütern zusage. Diese letzte Variante einer „materialen“ Gleichheit wurde vom Verfassungsausschuss einhellig abgelehnt. Einig waren sich die Abgeordneten darüber hinaus auch darin, dass bestimmte gesetzlich begründete Unterschiede zwischen den Staatsbürgern aufhören sollten. Dabei hatten sie jedenfalls die im Gesetz begründeten Standesunterschiede vor Augen. Ob § 4 Abs 1 darüber hinaus auch Ungleichbehandlungen ausschließen sollte, die an andere Kriterien als den Stand anknüpfen, wurde im Ausschuss zwar nicht ausdrücklich diskutiert. Vereinzelt angesprochen wurde allerdings die hiefür entscheidende Frage, in welchem Verhältnis der die allgemeine Gleichheit statuierende erste Satz des § 4 zu den nachfolgenden Sätzen dieses Paragraphen steht. Pinkas sah in ihnen eine „Erklärung dessen [...], was man unter Gleichberechtigung verstehe“121, ließ dabei allerdings offen, ob diese Erklärung bloß demonstrativ sei oder taxativ. Miklosich meinte, jede der Bestimmungen des § 4 „[verdiene] einen eigenen Paragraph“, er sah diese Regelungen also offenbar als relativ unabhängig voneinander an und war wohl auch der Ansicht, dass sie als spezielle Gleichheitsgarantien nicht unmittelbar aus dem ersten Satz des § 4 folgten. Zugleich monierte er, dass der Zugang zu Militärstellen nicht geregelt, die Ämterzugänglichkeit für Ausländer nicht ausgeschlossen und auch über die bisher erblich gewesenen Ämter keine Regelung getroffen worden sei122. Miklosich dürfte also angenommen haben, dass die speziellen Gleichheitsgarantien – vielleicht gerade weil sie im ersten Satz des § 4 nicht enthalten seien – möglichst vollständig aufgezählt werden müssten. Rieger verteidigte die Systematisierung des § 4 und meinte, dass alle darin statuierten Bestimmungen in einen Paragraphen gehörten, denn „die gleiche Berechtigung aller zu allem“ sei der „oberste Grundsatz, aus welchem der übrige Inhalt des Paragraphen abgeleitet erscheint“123. Einen inneren Zusammenhang zwischen dem ersten Satz des § 4 und den ihm folgenden Sätzen sahen auch die übrigen Abgeordneten; die von Miklosich beantragte Spaltung der Bestimmungen in mehrere Paragraphe wurde nämlich verworfen124. Unklar bleibt nach der Replik Riegers aber, ob ____________________
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Fischel, Protokolle 34. Fischel, Protokolle 34. Fischel, Protokolle 36. Fischel, Protokolle 36.
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die im ersten Satz gewährte Gleichheit (von der Rechtsanwendungsgleichheit abgesehen) einer Ergänzung durch die Garantien der nachfolgenden Sätze bedarf oder ob diese Sätze bloß besonders wichtige Schlussfolgerungen aus der allgemein garantierten Gleichheit exemplarisch aussprechen. b. Spezielle Gleichheitssätze Ergänzungen zu dem auch an den Gesetzgeber gerichteten Grundsatz der Gleichbehandlung fanden sich nicht nur, der Systematik nach aber doch in erster Linie in § 4, und zwar in den dem ersten Satz unmittelbar nachfolgenden Sätzen. Bei der Beratung des zweiten Satzes dieses Paragraphen („Alle Standesunterschiede und Standesvorrechte haben aufzuhören, der Adel ist abgeschafft.“) herrschte unter den Abgeordneten relative Einigkeit darin, dass die dem Adel bisher eingeräumten Vorrechte zu beseitigen seien. Dies wurde jedoch nur teilweise als eine Konsequenz der in § 4 Abs 1 garantierten Gleichheit vor dem Gesetz angesehen. Manche Abgeordnete betonten, ohne auf den Grundsatz der Gleichheit Bezug zu nehmen, dass diese Vorrechte mit der Demokratie unvereinbar seien125, andere hielten diese Regelung immerhin für notwendig, um dem Willen der Bevölkerung nun Rechnung zu tragen126. Das Verhältnis zwischen Gleichheit und Demokratie war bereits bei der Beratung des § 4 Abs 1 angesprochen worden, als nämlich Mayer meinte, dass „bei Bildung einer demokratischen Staatsgesellschaft jeder einzelne gleich viel Rechte an den Staat abgeben müsse, und so entstehe die Gleichberechtigung aller oder die gleiche Beschränkung der Rechte aller“127. Lasser hielt dem entgegen, „[d]ie Demokratie fordere, daß alles, was zum Demokratismus gehört, an der Regierungsgewalt teilnehme, und nicht, daß alles gleiche Rechte habe“128. Mayer replizierte darauf nicht, und auch die übrigen Abgeordneten bezogen zu dieser Frage bei der Beratung des § 4 Abs 1 keine Stellung. Offenbar teilten sie aber die Ansicht Lassers nicht und sahen in der Demokratie mehr als nur die Gleichberechtigung in politischer Hinsicht. Andernfalls hätten sie sich wohl kaum auf diese Staatsform bzw den Willen der Bevölkerung berufen, um die – schon dem Wortlaut nach nicht auf die politischen Rechte beschränkte – Beseitigung der Standesvorrechte und Standesunterschiede zu befürworten. ____________________
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Vgl die Wortmeldungen Goldmarks und Palackys: Fischel, Protokolle 38. Pinkas meinte etwa, in der Konstitution seien Grundsätze auszusprechen, „die allen Gemütern entsprechen sollen, auch solchen, die auf einer niederen Stufe der politischen Bildung stehen.“ (Fischel, Protokolle 37). Zurückhaltender war Lasser, der als Volksrepräsentant nicht weiter gehen wollte als es das Gemeinwohl erfordere (Fischel, Protokolle 42). 127 Fischel, Protokolle 35. 128 Fischel, Protokolle 35.
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Noch deutlicher wird das enge Verhältnis, das der Verfassungsausschuss zwischen Gleichheit und Demokratie herstellte, bei dem eigentlichen Streitpunkt in der Beratung, bei der Frage nämlich, ob mit den Standesvorrechten auch die Adelsbezeichnungen zu beseitigen seien, oder – so die Gegner einer solchen Regelung –, ob es unklug sei, eine noch immer mächtige Partei zu beleidigen, ohne jemandem zu nützen129. Jene Abgeordneten, die sich für die Beibehaltung der Adelstitel aussprachen, argumentierten eher politisch als juristisch130. Die Befürworter der im Entwurf vorgeschlagenen Regelung stützten sich mehrheitlich auf das demokratische Prinzip, zum Teil aber auch auf die Gleichheit vor dem Gesetz131 und stellten letztlich die knappe Mehrheit der Abgeordneten. Dass der Adel dem Prinzip nach abzuschaffen sei, wurde nämlich durch die Majorität einer einzigen Stimme entschieden – ein Umstand, den Turco ausdrücklich im Protokoll festgehalten wissen wollte132. Die sodann beschlossene Fassung des zweiten Satzes wich jedenfalls stilistisch vom Entwurf des Dreierausschusses ab; sie lautete: „Alle Standesvorrechte und alle Arten von Adelsbezeichnungen sind abgeschafft und dürfen nicht mehr verliehen werden.“ ____________________
129 So Turco, vgl Fischel, Protokolle 37; auch Lasser meinte, man solle dem Adel die Vorrechte nehmen, aber die Namen belassen, um ihn nicht unnötig zu reizen (Fischel, Protokolle 42). 130 Nur der persönlich nicht anwesende Abgeordnete Filippi vertrat in einer schriftlichen Erklärung die Ansicht, dass „obschon der Staat sich auf weit ausgedehnter konstitutioneller Basis stützt, dennoch ein monarchischer Staat ist, und daß ein beschränkter und auf persönlichem Verdienste basierter Adel die der Monarchie schuldigen Pflichten mit jenen der Freiheit vereint, wo wir hingegen mit gänzlicher Abschaffung des Adels uns dem republikanischen Boden nähern würden“ (Fischel, Protokolle 44). 131 Goldmark sprach sich für eine vollständige Beseitigung des Adels, also auch dessen Recht, einen Titel zu fordern, aus. Belasse man den Adel nämlich, so müsse er auch etwas bedeuten, also Vorrechte haben, was sich jedoch mit der Demokratie nicht vertrage (Fischel, Protokolle 38, 41). Auch Rieger votierte für eine unbedingte Abschaffung des Adels, „weil dies mit dem Begriffe eines demokratischen Staates notwendig verbunden sei.“ Er leitete seine Ansicht aber wohl auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ab, wenn er sagte: „Sollen aber alle Staatsbürger gleich sein, so dürfe das Gesetz keine Auszeichnung [gemeint: des Adels] anerkennen.“ (Fischel, Protokolle 39 f). Ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Demokratie argumentierte Violand, der entschieden für die Abschaffung des Adels eintrat: „Besteht derselbe, so bestehe ein Unterschied zwischen den Staatsbürgern“ (Fischel, Protokolle 40). Vacano war der Ansicht, dass man „[i]n einem demokratischen Staate [...] dem Adel alles [nehme], man könne ihn auch nicht auf den Namen anweisen“ (Fischel, Protokolle 42). Cavalcabo wollte mit dem Adel moderater umgehen, er sprach sich dafür aus, künftig keinen Adel mehr zu erteilen, „weil wir Demokraten sind“, hielt es mit dieser Staatsform aber für vereinbar, den bestehenden Adel beizubehalten (Fischel, Protokolle 41). Auch für Palacky waren künftige Erhebungen in den Adelsstand mit der Konstitution und Gleichberechtigung unvereinbar, weil sie besagten, dass der Adelige etwas „Besseres sei als der Nichtadelige, was in thesi gegen den demokratischen Hauptgrundsatz verstoße“; eine Notwendigkeit, den adeligen Namen abzuschaffen, sah er allerdings ebenso wie Cavalcabo nicht (Fischel, Protokolle 38). 132 Fischel, Protokolle 43.
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Im Zuge der Debatte über den dritten Satz des § 4 („Alle Staatsbürger ohne Unterschied haben ein gleiches Recht zu allen öffentlichen Ämtern“) wurden zahlreiche Amendements gestellt, die darauf zielten, die Zugänglichkeit zu einem Amt gerade nicht unterschiedslos zu gewähren, sondern von bestimmten persönlichen Voraussetzungen abhängig zu machen, so von „Tugenden und Talenten“133, der „Befähigung“ bzw dem „persönlichen Verdienst“134, dem „Verdienst um den Staat“135 oder der „Rechtlichkeit und Befähigung“136. In ihrem gleichheitsrechtlichen Gehalt bestanden zwischen den vorgeschlagenen Modifikationen zwar graduelle Unterschiede137; gemeinsam ist ihnen aber, dass sie bestimmte persönliche Eigenschaften nicht nur zu einem zulässigen, sondern auch zu einem gebotenen Differenzierungskriterium erheben und gleichzeitig eine Ungleichbehandlung nach jedem anderen Kriterium ausschließen. So besehen unterscheiden sich diese Vorschläge bloß quantitativ, nicht aber qualitativ von der im zweiten Satz des § 4 getroffenen speziellen Gleichheitsgarantie. Wie dort nämlich eine einzige Eigenschaft, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand, als Grund für eine Ungleichbehandlung ausgeschlossen wird, sollte nach den Änderungsvorschlägen zum dritten Satz gleichsam umgekehrt eine Eigenschaft zum einzig erlaubten und zugleich gebotenen Unterscheidungskriterium erhoben werden138. Ein solcherart fokussiertes Differenzierungsgebot wurde aber vom Verfassungsausschuss offenbar nicht mehr als Ausfluss des Gleichheitsgrundsatzes angesehen. Hein wandte nämlich als Vertreter des Dreierausschusses gegen die genannten Änderungsvorschläge ein, dass die Qualifikationen zu den verschiedenen Ämtern nicht in der Konstitution, sondern in den Administrativgesetzen festzulegen seien. Bei den Grundrechten müsse demgegenüber der allgemeine Grundsatz der gleichen Ämterzugänglichkeit ausgesprochen werden, „um die Aufhebung des bisher in Österreich herrschend gewesenen Sys____________________
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So der erste Vorschlag Cavalcabos, vgl Fischel, Protokolle 46. So die Vorschläge Turcos, Palackys und Mayers, vgl Fischel, Protokolle 46 ff. 135 So der Vorschlag Ziemiałkowskis, vgl Fischel, Protokolle 46. 136 So der spätere Vorschlag Cavalcabos, vgl Fischel, Protokolle 46. 137 Cavalcabo wollte garantiert wissen, dass alle Staatsbürger „ohne einen anderen Unterschied als den der Tugenden und Talente […] ein gleiches Recht zu allen öffentlichen Ämtern“ haben (Fischel, Protokolle 45 f ). Turco meinte dagegen, es genüge auszusprechen, dass nur Befähigung und persönliches Verdienst zu öffentlichen Ämtern berechtigen (Fischel, Protokolle 46). Mayer wollte das persönliche Verdienst schließlich zu jenem Kriterium erheben, das bei der Auswahl unter mehreren qualifizierten Bewerbern den Ausschlag gibt (Fischel, Protokolle 46). 138 Hier wie dort wird eine Regelung über die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung getroffen, im ersten Fall ohne Einschränkung auf einen bestimmten Anwendungsbereich, dafür mit dem Verbot bloß einer Differenzierung, im zweiten Fall mit beschränktem Anwendungsbereich, dafür mit dem Verbot jeder anderen als einer ganz bestimmten Differenzierung, die dem Gesetzgeber damit nicht bloß erlaubt, sondern auch geboten ist. 134
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tems anzudeuten, nach welchem die Kinder des hohen Adels, der hohen Beamten und der reichen Bankiers die besten und sozusagen fettesten Stellen [...] erhielten“139. Hein sah also offenbar bloß das ausdrückliche Gebot einer Gleichbehandlung als gleichheitsrechtliche Regelung an, nicht aber auch das Gebot, eine Ungleichbehandlung nach einem einzigen und keinem anderen Kriterium vorzunehmen140. Mit der gleichen Argumentation trat Goldmark auch dem zweiten Amendement Mayers entgegen, der den Ämterzugang österreichischen Staatsbürgern vorbehalten und ausländische Staatsangehörige vom Staatsdienst ausschließen wollte141. Durch diese Fassung würde dem dritten Satz des § 4, wie Goldmark sinngemäß monierte, sein spezifisch gleichheitsrechtlicher Gehalt genommen. Die von Mayer beantragte Formulierung spreche nämlich bloß aus, dass nur österreichische Staatsbürger Zugang zu den Ämtern haben sollen, nicht aber auch, dass die Bewerber dabei im Verhältnis zueinander gleich zu behandeln seien142. Auch die übrigen Abgeordneten sahen im Ausschluss von Ausländern offenbar genauso wenig eine gleichheitsrechtliche Anordnung143 wie im Gebot, Ämter nur nach dem persönlichen Ver____________________
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Fischel, Protokolle 47. Dasselbe Gleichheitsverständnis hatte wohl auch Goldmark, der die Fassung des Entwurfes befürwortete und sich dabei ausdrücklich für die Beibehaltung des Ausdrucks „ohne Unterschied“ aussprach, weil dieser „für unser junges konstitutionelles Leben [...] gar nicht [schade]“, sondern im Gegenteil sogar notwendig sei (Fischel, Protokolle 46). Die Argumente Heins und Goldmarks hätten vielleicht noch den Vorschlag Turcos treffen können, der die Gleichheit des Ämterzugangs nicht ausdrücklich aussprechen wollte (s FN 137); der Vorschlag Cavalcabos hatte aber gerade diese Aussage beibehalten und sie bloß um das Gebot der Rücksichtnahme auf „Tugenden und Talente“ ergänzt (FN 137). Dass dieser Vorschlag gleichwohl auf Ablehnung stieß, kann also nicht in seinem fehlenden gleichheitsrechtlichen Gehalt begründet sein, sondern in einer darüber hinausgehenden Aussage, die aus der Sicht Heins und Goldmarks gerade nicht gleichheitsrechtlich war und daher auch nicht in die Konstitution, sondern in die „Administrativgesetze“ gehörte. 141 Ähnlich motivierte Anträge wie Mayer haben auch Gobbi und Palacky gestellt, vgl Fischel, Protokolle 48 f. 142 Fischel, Protokolle 48. Diesem Einwand hätten sich zumindest zwei Dinge entgegnen lassen: Zum einen war Mayers Amendement gerade nicht darauf beschränkt, den Ämterzugang österreichischen Staatsbürgern vorzubehalten, er forderte vielmehr darüber hinaus, dass diese Ämter den Staatsbürgern „mit alleiniger Rücksicht auf Verdienst und Befähigung verliehen werden“. Dazu kommt, dass auch die von Mayer vorgeschlagene Beschränkung des Ämterzuganges ohne weiteres in einen Zusammenhang zum Gleichheitssatz hätte gestellt werden können. Denn die im ersten Satz des § 4 gewährte Garantie, dass alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind, enthält ja implizit die Aussage, dass eine Differenzierung zwischen Staatsbürgern und Ausländern zulässig ist. Der von Mayer vorgeschlagene Vorbehalt nimmt vor diesem Hintergrund bloß die Erlaubnis, eine Ungleichbehandlung vorzunehmen, für einen bestimmten Fall in Anspruch und verdichtet sie zugleich zu einem Differenzierungsgebot. 143 Auch Mayer selbst betrachtete die von ihm vorgeschlagene Fassung des dritten Satzes offenbar nicht in jeder Hinsicht als gleichheitsrechtlich, denn er versuchte den Einwand Goldmarks nur durch den Hinweis zu entkräften, dass „bereits im Beginne dieses Paragraphen die gleiche Berechtigung aller Staatsbürger ausgesprochen sei. Es wäre somit über-
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dienst zu vergeben. Mayers Vorschlag wurde folglich abgelehnt. Offensichtlich war das Gleichheitsverständnis des Verfassungsausschusses insgesamt auf Bestimmungen konzentriert, die Ungleichbehandlungen nach ganz bestimmten Kriterien verbieten, aber sehr weit reichende Verbote, die gleichsam in ein Differenzierungsgebot umschlagen, nicht umfasste. Im Ergebnis wurde der im Entwurf vorgeschlagene § 4 Abs 3 mit der Änderung angenommen, dass die Worte „ohne Unterschied“ ausgelassen werden. Die Streichung dieser Worte wurde von Palacky ohne weitere Begründung beantragt und von der Mehrheit ohne Debatte akzeptiert144. Möglicherweise wurde darin ein Kompromiss gesehen zwischen dem Entwurf des Dreierausschusses und der von Palacky und anderen Abgeordneten vertretenen Ansicht, dass ein öffentliches Amt gerade nicht unterschiedslos jedem, sondern nur dem hiefür (wie auch immer) qualifizierten Bewerber zugänglich sein soll. Die sodann beschlossene Fassung des dritten Absatzes lautete: „Alle Staatsbürger haben ein gleiches Recht zu allen öffentlichen Ämtern“145. Den vierte Absatz des vom Dreierausschuss konzipierten § 4 nahm der Verfassungsausschuss praktisch ohne Debatte nach einer stilistischen Korrektur des Wortes „erblich“ in „vererblich“ mehrheitlich an, sodass der ganze § 4 nach der ersten Lesung am 30. August 1848 folgende Fassung hatte: „Vor dem Gesetze146 sind alle Staatsbürger gleich. Alle Standesvorrechte und alle Arten von Adelsbezeichnungen sind abgeschafft und dürfen nicht mehr verliehen werden. Alle Staatsbürger haben ein gleiches Recht zu allen öffentlichen Ämtern. Zu öffentlichen Auszeichnungen oder Belohnungen berechtigt nur das persönliche Verdienst; keine Auszeichnung ist vererblich.“
Zwischen dem Abschluss der ersten und dem Beginn der zweiten Lesung der (nunmehr) in § 3 statuierten Gleichheitsgarantien lagen nicht ____________________
flüssig, dies auch in jedem Absatze desselben Paragraphen zu wiederholen“ (Fischel, Protokolle 47). 144 Fischel, Protokolle 49. 145 Fischel, Protokolle 50. 146 Der laut Fischel, Protokolle 50, am Ende der Beratung verlesene erste Satz des (dann) § 5 verwendet den Plural, lautete also „Vor den Gesetzen sind alle Staatsbürger gleich.“ und wurde in dieser Fassung auch in der Abendbeilage der Wiener Zeitung Nr 171 am 29. September 1848 bekannt gegeben (Fischel, Protokolle 183). Beschlossen wurde dieser Satz allerdings wie oben wiedergegeben im Singular (Fischel, Protokolle 36), und in dieser Form wurde er dann auch – nachdem keine Änderungen vorgenommen worden waren – am Ende der zweiten Lesung festgestellt (Fischel, Protokolle 87) und im Extrablatt zur Abendbeilage der Wiener Zeitung vom 23. Dezember 1848 veröffentlicht (Fischel, Protokolle 188). Der Wiedergabe bei Fischel, Protokolle 50, liegt daher wohl eine unrichtige Protokollierung zugrunde.
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bloß dreieinhalb Monate147, sondern auch die Oktoberrevolution148, die zur Verlegung des Reichstages nach Kremsier geführt149 und auch die Stimmung im Verfassungsausschuss nicht unbeeinflusst gelassen hatte. Die Wortmeldungen wurden im Ton defensiver, wenn nicht gar resignativ, jedenfalls waren sie weniger radikal als zuletzt150. Schließlich änderten sich auch die Mehrheitsverhältnisse, dies zwar nicht im Hinblick auf den ersten, die allgemeine Gleichheit statuierenden Satz des § 3, der durch die zweite Lesung nicht verändert wurde; vielmehr wurde nun neuerlich bestätigt, dass aus diesem Satz keine „kommunistischen“ Konsequenzen zu ziehen seien: Um solche nicht zu veranlassen, wurde eine Umstellung des Satzes nach dem Vorbild der Frankfurter Grundrechte151 abgelehnt, ebenso der Antrag, den Passus „Vor dem Gesetze“ zwar an der Satzspitze zu belassen, aber fortzufahren: „genießen alle Staatsbürger gleiches Recht.“152 Der zweite Satz dieser Bestimmung wurde nun aber einer grundlegenden Modifikation unterzogen. Waren bei der ersten Lesung die Stimmen gegen die Abschaffung der Adelsbezeichnungen noch in der knappen Minderheit geblieben, so gewannen sie nun vor dem Hintergrund der Oktoberereignisse die Oberhand. Gleich zu Beginn der Beratung beantragte Lasser, selbst adelig153 und nun weniger zurückhaltend, die bisherige Fassung des zweiten Satzes durch die Formulierung zu ersetzen: „Alle Standesvorrechte, auch die des Adels, sind abgeschafft“. Hiedurch sei, wie Lasser meinte, „der Adel als Stand aufgehoben; denn den Adel haben bisher bloß Privilegien zu einem Stande gemacht – Privilegien, welche er mit der anerkannten Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze allerdings für unverträglich halte, deren er ihn jedoch entkleiden wolle, womit genug geschehen sei“154. Mehr als das zu verlangen, hieße, wie Lasser meinte, die Gleichheit ad absurdum führen, denn vom rechtlichen Standpunkte ____________________
147 Der erste Grundrechtsentwurf des Verfassungsausschusses wurde am 2. Oktober 1848 abgeschlossen, sodann in den Abteilungen des Reichstages beraten und dann wieder dem Verfassungsausschus zur zweiten Beratung übermittelt, s mwN Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 215 f. 148 Vgl zu dieser näher Ehnl, Niederwerfung 249 ff; Tschudi, Oktobertage. 149 Ah Patent vom 22. Oktober 1848, PGS 1848/132; vgl näher Ehnl, Reichstag 303 ff. 150 Vgl zu den Parteibildungen im Reichstag Ehnl, Reichstag 308 ff. 151 Vgl den Antrag Mayers: „Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetze gleich.“ (Fischel, Protokolle 80). 152 So der Vorschlag Heins (Fischel, Protokolle 80). 153 In der Beratung im Plenum des Reichstages legte Lasser dies auch ausdrücklich offen (StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 426): „Ich muß Ihnen vor allem, um meinen Standpunkt anzudeuten und Verdächtigungen vorzubeugen, bekennen, was vielleicht nicht Alle unter Ihnen bisher gewußt oder gemerkt haben, daß ich selbst ein Adeliger bin.“ 154 Fischel, Protokolle 81 (Hervorhebungen nicht im Original).
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aus sei es „eine ausgemachte Sache, daß einzelne Staatsbürger dem Staate von der Gesamtheit ihrer Rechte nur soviel abtreten, als zu dessen Zweck notwendig sei. Warum sollte aber der Staat z. B. einen Fürsten Liechtenstein oder Schwarzenberg in seinem Rechte, den ererbten Namen des Vaters fortzuführen, einschränken?“155. Lasser explizierte damit, dass die Gleichstellung der Staatsbürger auch an Grenzen stoßen kann, und zwar jedenfalls dann, wenn sie für bestimmte Personen mit einer Einschränkung oder gar einem Verlust bisher gewährter Rechte verbunden ist. Die Befürworter der Adelsabschaffung sahen anders als Lasser gerade in der Führung eines adeligen Namens das größte Vorrecht des Adels156, dessen Beseitigung ihnen unerlässlich zu sein schien. Bezeichnenderweise beriefen sie sich für ihren Standpunkt ebenso wie Lasser auf den allgemeinen Gleichheitssatz157, vermochten die Mehrheit des Verfassungsausschusses jedoch nicht mehr zu überzeugen: Auch Abgeordnete, die an sich für die Abschaffung des Adels waren, hielten die Beseitigung der Adelstitel in der bestehenden Situation nicht mehr für angebracht. Die im Ausschuss herrschende Stimmung spiegelt wohl am treffendsten eine Wortmeldung Pinkas wider: „Literaten sind nicht die Stimme dieses Volkes, und wir, meine Herren, vielleicht die einzig Radikalen in Österreich! Anders standen die Dinge im März und Mai – seit den Oktobertagen sind wir die Besiegten. Machen wir uns keine Illusionen und suchen wir eine den Zuständen angemessene Konstitution zu geben. Verbergen wir uns nicht, meine Herren, daß die Reaktion, vormals nur ein Gespenst, nun verkörpert vor uns stehe [...]. Lassen wir von unfruchtbaren Debatten, durch die wir am Ende noch die staatliche Existenz unseres Reichstages in Frage stellen“158. Tatsächlich war es wohl auch die Sorge, durch eine Kränkung des Adels den ____________________
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Fischel, Protokolle 82 (Hervorhebungen im Original). S etwa Fischhof (Fischel, Protokolle 84); vgl auch Hein (Fischel, Protokolle 81). 157 Vgl etwa die Wortmeldung Palackys: „Noch fortan statthabende Adelserhebungen, durch welche eine Klasse Menschen besser erscheine, als eine andere, verstoßen gewaltig gegen den im neuen § 3 dieser Grundrechte (resp. vorigem Absatze) ausgesprochenen Grundsatz“ (Fischel, Protokolle 84). 158 Fischel, Protokolle 83. Pinkas scheint es wirklich schwer gefallen zu sein, gegen die Abschaffung des Adels zu sprechen; er kam auch bei der Beratung anderer Grundrechte immer wieder darauf zurück und versuchte sein Stimmverhalten neuerlich zu erklären, aus ihm aber auch Argumente zu ziehen, so etwa, als er für die Emanzipation der Juden eintrat und meinte: „Ich hätte schon bezüglich der Abschaffung des Adels eine andere Stimme abgegeben, würde es sich dort nicht bloß darum gehandelt haben, durch Beleidigung der Eitelkeit einer gewissen Klasse mögliches Übel zu verhüten. Hier aber handelt es sich um die Anerkennung der Rechte einer bisher schmählich bedrückten Klasse, und abgesehen von jeder anderen Ansicht meiner eigenen Wahlmänner, werde ich hier nicht anders stimmen, als gemäß meiner innersten Überzeugung“ (Fischel, Protokolle 126 f ). Im Zusammenhang mit der Pressefreiheit führte er dann noch aus, dass er „nur in der Aussicht, in den Grundrechten materielle Freiheiten retten zu können, punkto Adel, er möchte sagen, milder gestimmt habe“ (Fischel, Protokolle 143). 156
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weiteren Bestand des Reichstages zu gefährden, die die Mehrheit des Verfassungsausschusses schlussendlich dazu bewog, das Amendement Lassers anzunehmen159. Auch der dritte Absatz des § 3 wurde in dieser Lesung noch einer Änderung unterzogen. Mayer forderte erneut eine Regelung, die die Ämterzugänglichkeit von bestimmten persönlichen Eigenschaften des Bewerbers abhängig machte und beantragte statt des dritten Satzes die Formulierung: „Die öffentlichen Ämter und Staatsdienste sind für alle dazu befähigten Staatsbürger gleich zugänglich.“160 Diese Fassung begegnete zwar nicht mehr dem in der ersten Lesung erhobenen Einwand, die Gleichstellung der Staatsbürger würde nicht bzw nicht deutlich genug ausgesprochen; sie enthielt aber durch die Festschreibung des Erfordernisses der Befähigung nach wie vor eine Regelung, die Hein noch in der ersten Lesung den Administrativgesetzen vorbehalten wollte. Dass er diese Forderung nun nicht mehr erhob, liegt möglicherweise an der weitgehenden Unbestimmtheit des Ausdrucks „befähigten“, der eher eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck bringt als konkrete Anstellungserfordernisse. Vielleicht war es aber auch nur die neue Stilisierung, die dem Amendement nun einen Widerspruch ersparte, enthielt es doch scheinbar nur ein Gleichbehandlungsgebot, das in seinem Anwendungsbereich nicht für alle Staatsbürger galt, sondern nur für die Befähigten unter ihnen. Schlussendlich wurde die von Mayer beantragte Formulierung von der Mehrheit des Verfassungsausschusses ohne längere Debatte angenommen161. Im Zuge der Beratung des § 28 („Jeder Staatsbürger ist zum Dienste im Heere persönlich verpflichtet. Ausnahmen davon werden durch das Heergesetz bestimmt.“) wurde dann aber erneut die schon bei der ersten Lesung diskutierte Frage aufgeworfen, ob ausländische Staatsangehörige weiterhin in den Kriegsdienst aufgenommen werden sollten, was die Mehrheit der Abgeordneten nun verneinte162. Strittig war allerdings, an welcher Stelle eine solche Aussage systematisch richtig zu treffen sei. Lasser schlug vor, im § 28 selbst einen Satz einzuschalten, demzufolge „Ausländer […] künftighin nicht in die Volkswehr eintreten [dürfen]“163. Hein beantragte demgegenüber, dem zweiten Absatz des § 3 anzufügen: „Ausländer sind vom Eintritte in Zivildienste und in die Volkswehr ausgeschlossen“164. Dieses Amendement fand die Zustimmung der Mehrheit165 und stellte zumindest teilweise jene Rechts____________________
159 160 161 162 163 164 165
Fischel, Protokolle 85. Fischel, Protokolle 85. Fischel, Protokolle 86. Fischel, Protokolle 164 ff. Fischel, Protokolle 166. Fischel, Protokolle 165. Fischel, Protokolle 166 f.
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lage her, die eine Minorität schon bei der ersten Lesung des § 3 (damals § 4) angestrebt hatte166. Am vierten Absatz des § 3 wurde zwar bei der zweiten Lesung noch Kritik geübt167, ein Abänderungsantrag wurde aber nicht gestellt, sodass der ganze § 3 nach Abschluss der zweiten Lesung am 18. Dezember 1848 folgende Fassung hatte168: „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich. Alle Standesvorrechte, auch die des Adels, sind abgeschafft. Die öffentlichen Ämter und Staatsdienste sind für alle dazu befähigten Staatsbürger gleich zugänglich. Ausländer sind vom Eintritte in Zivildienste und in die Volkswehr ausgeschlossen. Zu öffentlichen Auszeichnungen oder Belohnungen berechtigt nur das persönliche Verdienst; keine Auszeichnung ist vererblich.“
Zweifellos war diese Bestimmung der zentrale Sitz der Gleichheitsgarantien; doch der Kremsierer Entwurf enthält neben ihr auch noch andere Grundrechte, die spezifisch auf die Herstellung von Gleichheit bzw auf die Beseitigung von Ungleichheiten gerichtet sind und insofern die Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes mitbestimmen könnten. Zwei Vorschriften, die in der Aprilverfassung noch in unmittelbarem Zusammenhang mit der Garantie des allgemeinen Gleichheitssatzes geregelt waren, fanden auch in den Entwurf des Dreierausschusses Eingang, wurden dort aber bei der Gewährleistung der persönlichen Freiheit placiert: das Recht, seinem ordentlichen Richter nicht entzogen zu werden, und die Beseitigung privilegierter und Ausnahmsgerichte 169. Die gleichheitsrechtliche Implikation dieser Garantien wurde zwar vom Berichterstatter Hein durchaus gesehen, als dieser bei der ersten Lesung anmerkte: „es bestehen in Österreich sehr viele privilegierte Gerichtsstände, welche gewisse Staatsbürger auszeichnen, wo nicht gar bevorrechten“170. Eine Zuordnung dieser Bestimmung zu den Gleichheitsgarantien wurde aber von keinem der Abgeordneten verlangt171. ____________________
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Fischel, Protokolle 48 f. Fischel, Protokolle 86 f. 168 Fischel, Protokolle 87, 165 f, 188. 169 Welche Fassung diese beiden Bestimmungen im Entwurf des Dreierausschusses hatten, ist unbekannt (vgl den bruchstückhaft erhaltenen Entwurf bei Fischel, Protokolle 181) und lässt sich auch aus den hierüber geführten Beratungen nicht rekonstruieren (Fischel, Protokolle 54 f ). Ebenso wenig findet sich in den Protokollen eine Begründung, warum diese Bestimmungen anders als in der Aprilverfassung systematisiert wurden. 170 Fischel, Protokolle 54. 171 Nur Goldmark könnte eine solche Forderung im Auge gehabt haben, als er bei der ersten Lesung des § 4 meinte, im Zusammenhang mit der Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz sei auch die „richterliche Gleichstellung“ auszusprechen (Fischel, Protokolle 36). Er begnügte sich dann zwar vorläufig mit der Zusicherung Lassers, dass der erste Satz des § 4 auch gesetzlich begründete Unterschiede ausschließe, und stellte kein Amendement zur Änderung oder Ergänzung dieses Satzes. Bei der Beratung des § 7 trat er aber ent167
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Auch im Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit sah der Entwurf des Dreierausschusses eine spezifisch gleichheitsrechtliche Bestimmung vor, nämlich in § 15, der garantierte, dass „[d]ie Religionsverschiedenheit [...] keinen Unterschied in staatsbürgerlichen Rechten begründen [kann]“172. In der ersten Lesung erweiterte der Ausschuss diese Gleichstellung auf die Pflichten der Staatsbürger und widmete ihr mit dieser Ergänzung einen eigenen Paragraphen173, der durch die zweite Lesung nicht mehr geändert wurde174. Neben diesem Differenzierungsverbot sprach der Kremsierer Entwurf auch die Gleichheit der Religionsgesellschaften als solcher aus. Der in der ersten Lesung in § 16 aufgenommene Satz „Eine Staatskirche gibt es nicht“ war, wie Ziemiałkowski in der zweiten Lesung meinte, „eine Konsequenz des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Assoziationen“, er könne aber zu irrigen Auslegungen, etwa zur Annahme führen, es gebe keine Religion im Lande175. Um derartigen Missdeutungen vorzubeugen, schloss sich Ziemiałkowski dem Amendement Mayers ____________________
schieden Smolka entgegen, der den Passus über die privilegierten und Ausnahmsgerichte für überflüssig hielt und daher weglassen wollte (Fischel, Protokolle 54). Ohne nähere Begründung, insbesondere ohne gleichheitsrechtliche Erwägungen anzustellen, lehnte auch die Mehrheit der übrigen Abgeordneten Smolkas Forderung ab und votierte in der ersten Lesung für die vom Entwurf abweichende Fassung: „Privilegierte und Ausnahmsgerichte dürfen nicht bestehen“ (Fischel, Protokolle 55). In der zweiten Lesung versuchte Lasser, diese Regelung etwas abzuschwächen und beantragte, die Ausnahmsgerichte nur insoweit zu verbieten, als „sie nicht durch die Konstitutionsurkunde für zulässig erklärt werden“. Begründend führte er aus, er „halte zum Beispiel ein Berggericht oder ein Wechselgericht, vor dem ein Fürst Liechtenstein so gut Rede und Antwort geben müsse wie jeder andere, für ein Ausnahmegericht, aber nicht für ein privilegiertes. Erstere können allenfalls noch ferner bestehen, nicht so die letzteren“ (Fischel, Protokolle 88). Eine Ungleichheit der Gerichtsstände war für Lasser also nicht an sich verpönt, sondern nur dann, wenn sie bestimmte Personengruppen privilegierte. Es kann nicht festgestellt werden, ob die Mehrheit der Abgeordneten bereits diese, auf die Beseitigung von Privilegien beschränkte Zielsetzung ablehnte oder bloß die Annahme Lassers, Ausnahmsgerichte hätten nicht notwendig eine Privilegierung zur Folge; das Amendement Lassers wurde nämlich ohne weitere Debatte abgelehnt (Fischel, Protokolle 89), sodass der letzte Satz des (nunmehrigen) § 4 durch die zweite Lesung unverändert blieb. 172 Fischel, Protokolle 182. 173 Die Protokolle hierüber sind in Verstoß geraten, s aber § 17 bei Fischel, Protokolle 185. 174 Die dort von Mayer amendierte Formulierung „Durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt, noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch tun“ wurde nach einer kurzen Debatte über die sog „Judenemanzipation“ abgelehnt (Fischel, Protokolle 126 f ). Manche Abgeordnete sprachen sich zwar gegen eine Emanzipation der Juden (Lasser, s Fischel, Protokolle 127) oder doch gegen deren sofortige und vorbehaltlose Gleichstellung aus (Palacky, s Fischel, Protokolle 127); niemand stellte jedoch ein Amendement, das eine fortgesetzte Benachteiligung der Juden zugelassen hätte. Daher wurde die ursprüngliche Textierung des (nunmehr) § 17 beibehalten und beschlossen: „Die Religionsverschiedenheiten begründen keinen Unterschied in den Rechten und Pflichten der Staatsbürger.“ 175 Fischel, Protokolle 123.
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an, den Gedanken der Gleichstellung klarer so zu formulieren: „Keine Religionsgesellschaft genießt vor anderen Vorrechte durch den Staat“. Mit dieser Feststellung sollten die „aristokratischen Kirchen“ beseitigt werden176. Zwar hätten manche Abgeordnete diesen Satz anders stilisiert177; die Notwendigkeit, die dort statuierte Gleichheit deutlich auszusprechen, wurde jedoch von der Mehrheit im Verfassungsausschuss anerkannt178. Obwohl jede dieser beiden Garantien auf die Beseitigung von Ungleichheiten gerichtet war, stellte keiner der Abgeordneten bei ihrer Beratung einen unmittelbarer Zusammenhang zu der in § 4 garantierten Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz her. Eine solche Bezugnahme wäre dabei bisweilen durchaus nahe gelegen, so insbesondere in der Frage der sog „Judenemanzipation“: Auch sie wurde jedoch – wo sie gefordert wurde – aus den „Grundsätzen der Humanität und des wahrhaft erfaßten Christentums“179 abgeleitet, aber offenbar von niemandem als eine aus dem allgemeinen Gleichheitssatz folgende Selbstverständlichkeit angesehen180. Noch weniger war man im Verfassungsausschuss der Ansicht, dass die Gleichstellung der Juden mit dem allgemeinen Gleichheitssatz bereits angeordnet sei. Die flankierend zur Religionsfreiheit statuierten Gleichheitsgarantien sah der Ausschuss also offenbar nicht als eine Ausführung bzw Konretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes an, sondern als durchaus eigenständige Bestimmungen. Gleiches gilt auch für eine Vorschrift betreffend den Dienst in der Nationalgarde. Bereits der Entwurf des Dreierausschusses hielt im ersten Satz des § 31 fest: „Alle wehrhaften Männer, die nicht im aktiven Militärdienste stehen, haben in der Regel ein gleiches Recht und eine gleiche Pflicht, in der Nationalgarde zu dienen“181. Das eigentliche Ziel dieser Bestim____________________
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So Mayer, s Fischel, Protokolle 121. Vgl die bei Fischel, Protokolle 191, wiedergegebenen Minderheitsvoten. 178 Dies wohl auch, weil man von der in der ersten Lesung vorgenommenen Gleichstellung der Religionsgesellschaften mit den Assoziationen nun wieder abgegangen war; vgl dazu die Wortmeldungen Flucks, Ziemiałkowskis, Lassers und Heins (Fischel, Protokolle 122 ff ). 179 Vgl die Wortmeldung Pinkas (Fischel, Protokolle 126). 180 Im Unterschied dazu wurde dieser Zusammenhang etwa in der Diskussion der Frankfurter Grundrechte sofort hergestellt, vgl Scholler, Paulskirche 228. 181 Fischel, Protokolle 182 (Hervorhebungen nicht im Original). In der ersten Lesung wurde bloß der erste Halbsatz dieser Bestimmung anders stilisiert, inhaltlich wurde sie nicht verändert. In der zweiten Lesung beantragte dann aber Pinkas, die gleiche Berechtigung und Verpflichtung zum Dienst in der Nationalgarde nicht schlechthin allen wehrhaften Männern zuzusprechen, sondern nur allen „wehrhaften Staatsbürger[n] von Besitz oder Intelligenz“ (Fischel, Protokolle 168). Mayer befürwortete dieses Amendement, weil es „uns auf den Boden zurückführt, auf dem wir eigentlich stehen, nämlich auf dem Boden der Konzessionen vom 15. März, infolge deren nur Besitz und Intelligenz zum Eintritte in die Nationalgarde berechtigten.“ (Fischel, Protokolle 169). Goriup war gegen die bean177
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mung scheint allerdings – anders als ihr Wortlaut suggeriert – nicht so sehr die Statuierung einer gleichen Berechtigung und Pflicht zum Dienst in der Nationalgarde gewesen zu sein, sondern eher eine Sicherung der Nationalgarde als solcher182. Das wurde deutlich, als Rieger dem Vorschlag einiger Abgeordneter, den ganzen Paragraphen überhaupt wegzulassen183, entgegenhielt, dass „in diesem Paragraphen eine der wichtigsten Errungenschaften verbürgt ist. Daß wir eine Nationalgarde brauchen, sei außer Zweifel, und damit man uns dieses Recht nicht nehme, müsse es hier ausgesprochen werden.“184 Am Ende wurde diese Bestimmung (mit gewissen stilistischen Änderungen) angenommen185. Auch der Nationalitätenschutz weist gleichheitsrechtliche Bezüge auf. Bereits der Entwurf des Dreierausschusses hielt im letzten Satz des § 20 fest, dass „[bei] der Einrichtung der Schulen und höheren Lehranstalten [...] die Landessprachen gleich gerechte Berücksichtigung finden [sollen]“186. Im Zuge der ersten Beratung wurde darüber hinausgehend (nun in § 21) bestimmt: „Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate gewährleistet.“187 In der zweiten Lesung wurde diese Anordnung schließlich um den Zusatz „Alle Volksstämme des Reiches sind gleichberechtigt“ ergänzt188. ____________________
tragte Änderung, weil nicht einzusehen sei, warum hier ein Zensus eingeführt werden soll, wenn man sogar für das Wahlrecht keinen Besitz und keine Intelligenz verlangt habe (Fischel, Protokolle 169). Pinkas zog schlussendlich sein Amendment zurück (Fischel, Protokolle 171). 182 Anders möglicherweise Fischel, Protokolle XVII, der in dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht eine Forderung der Demokratie sieht. 183 Dies verlangten Goriup, Mayer und Vacano, s Fischel, Protokolle 169 f. 184 Fischel, Protokolle 170. 185 „Alle wehrhaften Staatsbürger, die nicht im Heere dienen, haben in aller Regel ein gleiches Recht und eine gleiche Pflicht zum Dienste in der Nationalgarde. Die näheren Bestimmungen und Ausnahmen von dieser Regel enthält das Nationalgardegesetz.“ (Fischel, Protokolle 171). 186 Fischel, Protokolle 182. 187 Fischel, Protokolle 185. 188 Fischel, Protokolle 152. Der Welschtiroler Turco beantragte in der zweiten Lesung überdies, die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Konstitution zu einem Grundsatz zu erheben. Namentlich in Tirol sei die Gleichberechtigung der Sprache nämlich bereits verwirklicht, in materiellen Interessen bestehe aber durchaus noch eine Abhängigkeit von Deutschland. In seiner bisherigen Fassung bringe § 21 für Tirol daher keine Verbesserung, weshalb Turco folgenden Beisatz amendierte: „Eine nationale Suprematie irgend einer Art darf nicht stattfinden.“ Rieger fand diesen Antrag zu unbestimmt und wandte dagegen ein: „Was heißt Suprematie? [W]ie will man alle Verschiedenheiten zwischen einzelnen Nationen durch eine Staatsrechtstheorie wegleugnen? Eine Nation hat 5 Millionen, eine andere 2 Millionen Menschen, eine Nation ist gebildeter als die andere. Schon hiedurch werde eine natürliche Suprematie begründet. Das kann durch Grundsätze nicht beseitigt werden“ (Fischel, Protokolle 149, 151). Turcos Amendement wurde auch sonst mehrheitlich abgelehnt.
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Jede der genannten Garantien sollte auf ihre Weise sicherstellen, dass bestimmte Ungleichbehandlungen nicht (mehr) stattfinden, teils wurden solche Ungleichbehandlungen für einen bestimmten Regelungsbereich überhaupt verboten189, teils wurde eine Ungleichbehandlung nach bestimmten Kriterien in einem näher umschriebenen Regelungsbereich ausgeschlossen190, teils wurde die Ungleichbehandlung bestimmter Personengemeinschaften ohne Einschränkung auf einen Regelungsbereich, also generell untersagt191. Insofern weisen die genannten Grundrechtsbestimmungen eine Zielsetzung auf, die jener des allgemeinen Gleichheitssatzes durchaus entspricht. Und doch wurde im Verfassungsausschuss bei der Beratung dieser Grundrechte, wenn überhaupt, dann bloß auf ein überpositives Gleichheitsprinzip rekurriert, nicht aber auf die im ersten Satz des § 3 statuierte Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Dieser positivierte Gleichheitssatz schien die Aufstellung spezieller Differenzierungsverbote nicht zu präjudizieren, weder, indem er solche Verbote an sich forderte, noch, indem er sie inhaltlich prädeterminierte. Die genannten Verbote waren von der in § 3 gewährten Gleichheit vor dem Gesetz offenbar völlig unabhängig, sie wurden weder aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleitet noch als „Ergänzungen“ dazu aufgefasst. Der allgemeine Gleichheitssatz des § 3 war nach den Vorstellungen des Verfassungsausschusses so allgemein also nicht. Er war vornehmlich, wenn nicht sogar ausschließlich gegen jene Ungleichbehandlungen gerichtet, die Gesetz und Vollziehung aufgrund des Standes vorgenommen hatten. c. Gleichheit und Freiheit Gleichheitsrechtliche Fragen kamen in der Beratung des Konstitutionsentwurfes auch bei den Freiheitsrechten zur Sprache. Unter den Abgeordneten bestand wohl bis zuletzt Einigkeit darüber, dass die Freiheitsrechte so wie alle anderen Grundrechte einerseits jedermann oder doch zumindest jedem Staatsbürger gleichermaßen zukommen sollten, und dass sie andererseits gerade aufgrund ihrer generellen Geltung ihre notwendige Schranke in den gleichen Rechten anderer finden müssten. Diese Verknüpfung von Gleichheit und Freiheit zur gleichen Freiheit aller wurde im Entwurf des Dreierausschusses noch ausdrücklich vorgenommen, als eine Art grundsätzliches Bekenntnis an die Spitze des Grundrechtskataloges gestellt192 ____________________
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So im Fall der Beseitigung der privilegierten und Ausnahmsgerichte. So beim Verbot, hinsichtlich der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten nach dem Bekenntnis zu differenzieren. 191 So bei der Gleichheit der Religionsgemeinschaften und Volksstämme. 192 Vgl Fischel, Protokolle XIII, 181, sowie die hierüber geführte Debatte ebd 7 ff. 190
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und nach geringfügigen stilistischen Änderungen in der ersten Lesung von der Mehrheit der Abgeordneten in folgender Fassung angenommen: „§ 1. Alle Menschen haben gleiche, angeborene und unveräußerliche Rechte, deren wichtigste sind: das Recht auf Selbsterhaltung, auf persönliche Freiheit, auf Unbescholtenheit und auf Förderung des eigenen geistigen und materiellen Wohles. Die Ausübung dieser Rechte findet nur in den gleichen Rechten jedes andern ihre natürliche und notwendige Beschränkung. § 2. Diese Rechte wirksam zu schützen und zu fördern, ist Aufgabe des Staates. Die einzelnen Staatsbürger übertragen von der Gesamtheit ihrer Rechte nur soviel an den Staat, als zu dessen Zwecke notwendig ist“193.
Erst in der zweiten Lesung wurden dann – wohl auch unter dem Einfluss der Oktoberereignisse – Stimmen laut, die die Weglassung dieser beiden Bestimmungen forderten. Keiner der Abgeordneten bestritt dabei die inhaltliche Richtigkeit dieser Paragraphen, sondern bloß die Notwendigkeit ihrer ausdrücklichen Statuierung, denn – wie Lasser formulierte – „der Gebildete kennt ihn ohnedies, der Ungebildete versteht ihn aber nicht“194. Die §§ 1 und 2 wurden sodann durch ein Bekenntnis zur Demokratie und die Ankündigung einer Regelung über Erwerb, Ausübung und Verlust der Staatsbürgerschaft ersetzt195. Dass die Aussagen der ursprünglichen Fassung dieser beiden Paragraphen dem Kremsierer Entwurf gleichwohl, nun aber als unausgesprochene Prämissen zugrunde lagen, beweist der weitere Verlauf der Debatte im Einzelnen. Zunächst wurde auch nach der Weglassung dieser zwei Bestimmungen von keinem Abgeordneten verlangt, die Möglichkeit eines Eingriffes bei jedem Grundrecht eigens auszusprechen, obwohl die Zulässigkeit derartiger Eingriffe für die Abgeordneten nicht zweifelhaft sein konnte. Der einzig bei der Assoziationsfreiheit statuierte Eingriffsgrund der gleichen Rechte anderer196 wurde in der ____________________
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Fischel, Protokolle 10 f, 17, 182 f. Fischel, Protokolle 75. 195 § 1. Alle Staatsgewalten gehen vom Volke aus und werden auf die in der Konstitution festgesetzte Weise ausgeübt. § 2. Das Volk ist die Gesamtheit der Staatsbürger. Die Konstitution und das Gesetz bestimmen, unter welchen Bedingungen die Eigenschaft eines österreichischen Staatsbürgers und die staatsbürgerlichen Rechte erworben, ausgeübt und verloren werden (vgl Reiter, Texte 12 f ). 196 Die Religionsfreiheit stand zwar nach dem Entwurf des Dreierausschusses unter einem ähnlichen Vorbehalt, bestand also nur, soweit sie „dem gleichen Recht anderer, der öffentlichen Sittlichkeit und dem Staatszwecke überhaupt nicht entgegensteht.“ Schon nach der ersten Lesung fand sich die Religionsfreiheit aber scheinbar völlig „unbelastet“, also ohne die im letzten Halbsatz enthaltene Möglichkeit einer Beschränkung (Fischel, Protokolle 181, 184). Was den Verfassungsausschuss zu dieser Änderung motiviert hat, ist nicht feststellbar; dass man die Aufnahme eines speziellen Vorbehaltes in der ersten Lesung im Hinblick auf § 1 als überflüssig ansah, ist eher unwahrscheinlich. Denn diese Motivation hätte auch zu einer entsprechenden Änderung der Assoziationsfreiheit führen müssen, die in der ersten Lesung gerade nicht vorgenommen worden ist. In dieser waren die Abgeordneten zur Auffassung gelangt, dass das Assoziationsrecht nach § 14 nicht anders beschränkt werden sollte, „als insoferne seine Ausübung dem gleichen Rechte anderer, der öffentlichen 194
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zweiten Lesung sogar ohne Widerspruch eliminiert197. Als bei der Debatte dieses Grundrechts die Frage auftrat, ob und inwieweit bestimmte geistliche Orden zu verbieten seien, wurde offenkundig, dass die gleichmäßige Gewährung der Freiheit dem Verfassungsausschuss nach wie vor ein Anliegen war. Ausgelöst wurde diese Diskussion von Hein, der meinte, die Entscheidung über den Fortbestand der Klöster und geistlichen Orden solle einem eigenen Gesetz vorbehalten werden, um „den Jesuiten usw. den Glauben zu nehmen, dass sie in Österreich wieder Fuß fassen können“198. Gobbi sprach sich überhaupt für eine Aufhebung des Jesuitenordens aus, meinte aber, dass diese in einem anderen Teil der Konstitution auszusprechen sei199. Beiden Abgeordneten gestand Palacky zunächst zwar zu, dass er selbst kein Freund der geistlichen Orden sei, wendete gegen ihre Forderung dann aber ein, dass er „die Freiheit gerade so [will], wie sie ist, gleich für mich wie für meinen größten Feind. Sind daher diese Orden staatsgefährlich, so können sie nicht toleriert werden; sind sie es nicht, so wäre es eine einseitige Auffassung der Freiheit, wenn man diese Orden aufheben möchte.“200 Durchgesetzt hat sich schlussendlich nach ____________________
Sittlichkeit oder dem Staatszwecke überhaupt entgegensteht“ (Fischel, Protokolle 184). Diese Regelung hob sich in zweifacher Hinsicht von den übrigen Grundrechten des Konstitutionsentwurfes ab. Während der Gesetzgeber bei der Beschränkung eines Grundrechts sonst regelmäßig bloß durch die §§ 1 und 2 determiniert war (vgl die §§ 9, 10, 12, 19, 20, 24 des Konstitutionsentwurfes nach der ersten Lesung im Verfassungsausschuss, wiedergegeben bei Fischel, Protokolle 182 ff ), knüpft § 14 die Beschränkung der Assoziationsfreiheit an Voraussetzungen, die zum Teil mit den in den §§ 1 und 2 statuierten Eingriffsgründen übereinstimmen, zum Teil aber auch konkreter sind als diese. Nur für Eingriffe in die Versammlungsfreiheit und das Eigentum stellte der Konstitutionsentwurf nach der ersten Lesung noch inhaltliche Bedingungen auf, die sich aber ihrerseits wieder auf öffentliche Interessen beschränkten (vgl Fischel, Protokolle 184 f ), die „gleichen Rechte anderer“ wurden dabei nicht erwähnt. Welche Gründe den Verfassungsausschuss dazu bewogen haben, für die Assoziationsfreiheit einen derart genau determinierten Gesetzesvorbehalt aufzunehmen, ist nicht feststellbar, weil die Protokolle der ersten Lesung des § 14 in Verstoß geraten sind (Fischel, Protokolle VII). 197 Die Gründe dafür sind unklar. Vielleicht waren es wirklich Erwägungen der Einheitlichkeit, die Mayer dazu bewogen haben, § 14 unter Streichung der Bezugnahme auf die gleichen Rechte anderer wie folgt zu amendieren: „Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, ohne alle behördliche Bewilligung Vereine zu bilden, insofern Zwecke und Mittel der Vereinigung weder rechtswidrig noch staatsgefährlich sind. Die Regelung dieses Rechtes darf nur durch ein Gesetz geschehen“ (Fischel, Protokolle 115). Krainz sprach sich als einziger Abgeordneter gegen diese Neufassung aus, monierte aber nicht etwa, dass in ihr die gleichen Rechte anderer als Eingriffsgrund nicht mehr enthalten waren, sondern nur, dass nun die Rücksicht auf die öffentliche Sittlichkeit fehle, die auch nicht in den Staatszwecken aufgehen könne, weil diesfalls das Wort „rechtswidrig“ überflüssig sei (Fischel, Protokolle 115). Andere Einwände wurden gegen die von Mayer amendierten Eingriffsgründe nicht erhoben, ihre Fassung wurde schließlich von der Mehrheit des Verfassungsausschusses angenommen (Fischel, Protokolle 116). 198 Fischel, Protokolle 115. 199 Fischel, Protokolle 115. 200 Fischel, Protokolle 115 (Hervorhebungen nicht im Original).
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längerer Debatte keine der beiden Extrempositionen: Die genannten Orden wurden weder aufgehoben noch vor einer Aufhebung geschützt. Die Abgeordneten kamen vielmehr überein, die Beantwortung dieser Frage dem Gesetzgeber zu überlassen. Sie nahmen daher in § 16 den Satz auf: „Die Bedingungen, unter welchen geistliche Orden bestehen oder aufzuhören haben, werden durch besondere Gesetze bestimmt.“201 Stärker als bei der Assoziations- und Religionsfreiheit setzten sich die Abgeordneten für die gleichmäßige Gewährleistung der Pressefreiheit ein. Der Konstitutionsentwurf hatte nach der ersten Lesung noch bestimmt, dass diese Freiheit „unter keinen Umständen und in keiner Weise, namentlich weder durch Zensur noch durch Konzessionen, weder durch Sicherheitsleistungen noch durch Stempelgebühren beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden“ könne202. In der zweiten Lesung traten aber – wohl auch unter dem Eindruck der Oktoberrevolution – einzelne Abgeordnete für die Zulassung von Kautionen und für ein Konzessionssystem ein203. Dass die erste Beschränkung die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit im Ergebnis von den finanziellen Möglichkeiten des jeweiligen Grundrechtsträgers abhängig machte, wurde von den Abgeordneten durchaus als ____________________
201 Fischel, Protokolle 126. Zu einer weiteren Debatte, welche Gründe die Aufhebung eines Ordens ganz allgemein rechtfertigen könnten und ob diese im speziellen Fall des Jesuitenordens gegeben sind, kam es vorerst nicht, weil die Mehrheit der Abgeordneten diese Frage erst bei der Gewährung der Religionsfreiheit behandelt wissen wollte (Fischel, Protokolle 116). Dort wurde den Stimmen, die sich für eine Aufhebung des Jesuitenordens aussprachen (Fischel, Protokolle 116 ff ) zum Teil seine Ungefährlichkeit entgegengehalten (Fischel, Protokolle 120 f ), manche Abgeordnete sahen den Jesuitenorden zwar als gefährlich an, hielten dessen Aufhebung aber nicht für geeignet, um sich gegen ihn zu verwahren (Fischel, Protokolle 117, 119 f ). Ratz schließlich meinte, es sei „ein großer Widerspruch, die Freiheit der Assoziationen anzuerkennen und zwei Orden aufzuheben. Ich bin kein Jesuitenfreund, wohl aber der Ansicht, daß das Assoziationsrecht ohne Unterschied der Beschäftigung und der Religion frei bleiben soll“ (Fischel, Protokolle 117). Er habe, wie er etwas später ausführte, „nichts dagegen[, ein allgemeines Gesetz zu erlassen]; aber ich möchte nicht 2 Orden in der österreichischen Konstitution als die gefährlichsten brandmarken“ (Fischel, Protokolle 118). In diese Richtung argumentierte auch Palacky: „Sind die Jesuiten staatsgefährlich, so unterliegen sie den allgemeinen Strafgesetzen. Sind sie es nicht, so lasse man sie in Ruhe“ (Fischel, Protokolle 117), und ebenso meinte Halter, man müsse die Jesuiten bestehen lassen, wenn man sich schon einmal dazu entschlossen habe, die Assoziationen frei zu geben (Fischel, Protokolle 117). Mit der Forderung nach einem allgemeinen Gesetz machte Ratz deutlich genug, dass er die Aufhebung eines konkreten und nicht nach generellen Merkmalen umschriebenen Ordens ablehnte, was Hein wohl ganz bewusst missverstand, als er replizierte: „Ratz will nur ein allgemeines Gesetz. Mein Amendement [„Die Orden der Jesuiten, Liguorianer und Redemptoristen sind als staatsgefährlich in Österreich für immer aufgehoben. Über ihr Vermögen, sowie über den Umfang des Fortbestandes anderer Klöster, Stifte und Orden wird ein besonderes Gesetz verfügen“, s Fischel, Protokolle 116] ist ja nichts anderes, als ein allgemeines Gesetz gegen Zulassung der Jesuiten und Liguorianer (Fischel, Protokolle 119, Hervorhebung im Original). Dieses Amendment blieb aber in der Minderheit. 202 Fischel, Protokolle 185. 203 Vor allem Dylewski, Mayer und Hein (Fischel, Protokolle 138 ff ).
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gleichheitsrechtliches Problem erkannt und von Fischhof auch ganz offen angesprochen: Er müsse, so meinte er, „fragen, wie es sich mit der Gleichberechtigung der einzelnen Staatsbürger zusammenreime, wenn man dem Reichen mehr Recht gibt als dem Armen, was namentlich bei der Kaution offenbar der Fall ist“204. Mit dem gleichen Argument wandte sich Fischhof auch gegen die Konzessionen, weil diese eine „privilegierte Presse“ schafften205. Obwohl es im Verfassungsausschuss auch Stimmen gab, die sich scharf gegen eine freie Presse aussprachen, wurde schlussendlich das Amendement Fischhofs angenommen206. Der gleichmäßigen Gewährung der Freizügigkeit der Person und des Vermögens gab der Verfassungsausschuss schließlich selbst dann den Vorzug, wenn sie in ein Spannungsverhältnis zu dem allenfalls ungleichen Bedürfnis der Gemeinden trat, diese Freiheit zu beschränken. Nach der ersten Lesung sollte die Freizügigkeit innerhalb des Staatsgebietes „nur den von den Gemeindeordnungen festgesetzten Beschränkungen [unterliegen]. Von Seite der Staatsgewalt wird die Auswanderung nicht beschränkt; es darf insbesondere kein Abfahrtsgeld gefordert werden“207. Im Zuge der zweiten Lesung dieses Grundrechts beantragte Mayer, statt „Gemeindeordnungen“ „Gemeindegesetz“ zu setzen208, stieß mit diesem Vorschlag aber zunächst auf den Widerspruch Palackys und auch Pinkas, der meinte, es sei „[i]n Österreich [...] ein Unsinn, zu glauben, daß man ein oberstes Gemeindegesetz wird machen können. Wie kann da allen verschiedenen Nationalitäten gehörige Rechnung getragen werden!“209 Der Vorschlag Mayers fand jedoch auch Anhänger, etwa in Hein, der warnte: „Wenn jede Provinz, jeder Kreis, jede Gemeinde die Freizügigkeit beschränken könnte, so hieße das 20 Vaterländer schaffen“210. Mayer vertiefte diesen ____________________
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Fischel, Protokolle 143. Fischel, Protokolle 143. 206 Das „Recht, seine Gedanken frei auszusprechen und durch Schrift, Druck oder bildliche Darstellung zu veröffentlichen“, durfte nach diesem Amendment „unter keinen Umständen und in keiner Weise, namentlich weder durch Zensur noch durch Konzessionen, weder durch Sicherheitsleistungen noch durch Staatsauflagen, weder durch Beschränkungen des Buchdrucks und Buchhandels noch endlich durch Postverbote und ungleichmäßigen Postsatz oder durch andere gewerbliche oder sonstige Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden.“ (Fischel, Protokolle 145, 194). 207 Fischel, Protokolle 184. 208 Fischel, Protokolle 108. 209 Fischel, Protokolle 108. 210 Fischel, Protokolle 109. Auch Goldmark sah das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Dezentralisation und entschied sich zu Gunsten der ersteren, als er sagte: „Obwohl ich die Gemeinde so frei haben will wie möglich, so will ich doch die Freiheit der Person gewahrt wissen, und diese wäre gefährdet, wenn man die Autonomie der Gemeinden so weit treiben wollte, daß sie einen jeden aus der Gemeinde hinauswerfen kann“ (Fischel, Protokolle 109). 205
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Gedanken noch und fügte an: „Wenn man also auch noch so viele Disparitäten zugibt, gleiche Grundrechte müssen alle haben und darauf kann sich ein allgemeines Gemeindegesetz beziehen“211. Lasser setzte noch hinzu, dass „[i]n der Gleichmäßigkeit der Institutionen [...] das Heil der Monarchie“ liege212. Am Ende entschied sich die Mehrheit des Verfassungsausschusses für die Freiheit bzw für ihre möglichst gleichmäßige Gewährung und nahm das Amendement Mayers an213. Auch wenn also nach der zweiten Lesung nicht mehr ausdrücklich statuiert war, dass die Grundrechte jedermann oder jedem Staatsbürger gleichermaßen zukommen, so lag dieser Gedanke dem Grundrechtsentwurf doch nach wie vor als Prämisse zugrunde. Keiner der Abgeordneten leitete diese Gleichheit der Freiheitsgewährung aus der in § 3 garantierten Gleichheit „vor dem Gesetze“ ab oder brachte sie mit ihr auch nur in Verbindung. Sie schien die Freiheitsgewährleistung vielmehr wie ein unausgesprochenes Prinzip zu beherrschen oder der Freiheit selbst überhaupt immanent zu sein214. Die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz war für den Verfassungsausschuss damit kein „Übergrundrecht“, das den Freiheitsrechten vorgeordnet war, sondern bloß ein Grundrecht neben vielen anderen. Über ihr und auch über den anderen Grundrechten schien aber die Gleichheit als ein nicht positiviertes Prinzip zu stehen, das den Grundrechtskatalog als roter Faden durchzog und wie ein Andenken an die nicht beschlossene Erklärung wirkte, dass alle Menschen gleiche, angeborene und unveräußerliche Rechte haben.
2. Beratung im Reichstag Nach dem Abschluss der zweiten Lesung wurde der Grundrechtsentwurf einer redaktionellen Revision unterzogen, reingeschrieben und schließlich am 19. Dezember 1848 im Verfassungsausschuss verlesen. Zwei Tage später trug Hein den Entwurf dem Reichstag vor, der am 4. Jänner 1849 mit der zweiten Lesung der Grundrechte begann215. Die Debatte, die dort an drei Verhandlungstagen über die Gleichheitsgarantien geführt wurde, war redegewaltig und zeitaufwendig216. Sie war keineswegs in erster Linie der „Gleichheit vor dem Gesetz“ gewidmet, sondern der schon im Verfas____________________
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Fischel, Protokolle 109. Fischel, Protokolle 110. 213 Fischel, Protokolle 110. 214 Vgl die Bemerkung Palackys, der in der Forderung, ganz bestimmte Orden aufzuheben, eine „einseitige Auffassung der Freiheit“ erblickte (Fischel, Protokolle 115). 215 Fischel, Protokolle XXIV. 216 Vgl StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 369 ff; 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 408 ff; 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 434 ff. 212
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sungsausschuss strittigen Frage, ob neben den Vorrechten des Adels auch dessen Bezeichnungen abzuschaffen seien. Die Abgeordneten versuchten dabei regelmäßig, ihren Standpunkt in dieser speziellen Frage aus der Gleichheit vor dem Gesetz abzuleiten und waren so gezwungen offen zu legen, welche Bedeutung sie dieser Garantie jeweils beilegten. Erst auf diesem Umweg zeigt sich, dass die pauschale Behauptung, die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sei „ein Satz, der keine Vertheidigung braucht, weil er durchaus nicht angegriffen werden kann“217, so nicht zutraf: Denn hinter dieser einhellig als unanfechtbar bezeichneten Garantie standen sehr unterschiedliche Vorstellungen, die sich zum Teil auch von dem im Verfassungsausschuss gefundenen Konsens wieder entfernten. a. Der allgemeine Gleichheitssatz Unter den Abgeordneten herrschte weiterhin Einigkeit darüber, dass die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz alle Staatsbürger ohne Ausnahme dem Gesetz unterstellen, ihnen die gleichmäßige Anwendung der Gesetze sichern und auch bestimmte, durch das Gesetz selbst begründete Unterschiede ausschließen sollte. Dieses insoweit einmütige Verständnis beruhte aber auf durchaus unterschiedlichen Prämissen, und dementsprechend verschieden waren auch die Ausprägungen, die die Abgeordneten der Gleichheitsgarantie im Einzelnen gaben. Vor allem jene Redner, die eine Abschaffung der Adelsbezeichnungen abwenden wollten, betonten nicht primär, dass der erste Satz des § 3 unter den Staatsbürgern Gleichheit schaffen solle. Sie verwendeten im Gegenteil einen erheblichen Teil ihrer rhetorischen Bemühungen darauf, die Grenzen dieser Gleichheit darzulegen, indem sie sich von den „Mißdeutungen“ und „Carricaturen“ dieses Grundsatzes distanzierten, so insbesondere von der dem Kommunismus zugeschriebenen „materiellen“ Gleichheit des Besitzes218, die im Reichstag allerdings von niemandem gefordert ____________________
217 So der Abgeordnete Neuwall, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 369; vgl auch Schustelka, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 443, der auf den Vorwurf, dass über die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz noch so wenig gesagt worden sei, erwiderte: „Nun, ich glaube, daß für die Auffassung eines solchen Grundsatzes, und weiter gedacht, auch für die Sanctionierung eines Grundsatzes, der sich von selbst versteht, und dessen Vorbehaltung das himmelschreiendste Unrecht wäre, in der That Niemand Dank schuldig ist, und in dieser Beziehung glaube ich, ist es bei allen Rednern der Fall gewesen, daß sie über diesen Paragraph lediglich mit der Aeußerung hinweggegangen sind, daß sie nichts dagegen einzuwenden haben“. 218 Vgl zB die Wortmeldung Selingers, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 413: „In der rohen Auffassung, wie die Gleichheit hie und da genommen wird, kann dieses Princip für uns, in diesem Hause weder Maß noch Bestimmungsgrund seyn […] so finden wir, daß die Gleichheit allerdings ursprünglich auf einem vernünftigen Grundgedanken beruhe, daß aber diese Gleichheit im Munde vieler unklarer Köpfe und namentlich im
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wurde. Gleichheit schien für diesen Teil der Abgeordneten nicht ein allgemein gültiger Grundsatz zu sein, an dem sich die Gesetzgebung fortan in jeder Hinsicht orientieren sollte, sondern vielmehr ein punktuell wirksames Prinzip, das in bestimmten Bereichen Ungleichbehandlungen nach bestimmten Kriterien ausschließt. Treffend hat dieses Verständnis, das im Wesentlichen von den bürgerlichen Intelligenz- und Besitzschichten vertreten wurde219, Lasser charakterisiert, der in der Gleichheit vor dem Gesetz „das Princip der bürgerlichen Gleichheit [erkannte], gemäß welchem alle Rechte nach Gesetzen, die für alle gleichmäßig erlassen sind, von Jedermann ohne Unterschied erworben und ausgeübt werden können; gemäß welchem es kein Ausnahmegesetz mehr geben kann, weder für Personen noch für Sachen, sondern dieselben Gesetze gleichmäßig für alle gelten, welche in gleicher Lage sich befinden; gemäß welchem alle Unterschiede, die durch menschliche Leidenschaften, Irrthümer und Vorurtheile ersonnen wurden, aufzuhören haben [...] Die Gleichheit vor dem Gesetze spricht die Wahrheit aus, daß das Rechtsgesetz ein allgemeines, natürliches und nothwendiges, und Eines sei für Alle, und daß das gleiche Maß der Menschenrechte und Volksrechte Jedermann ohne Unterschied zugemessen werden müsse“220. Damit war nicht gemeint, dass Gleichheit nur hinsichtlich des Erwerbes und der Ausübung von Rechten sowie der Verfügung über sie bestehen musste; auch eine ungleiche Auferlegung von Pflichten, die Einräumung ungleicher Kompetenzen und die Statuierung verschiedener Verfahrensgarantien konnte mit der Gleichheit vor dem Gesetz ohne weiteres in Konflikt geraten. Als mit ihr unvereinbar beurteilten die Abgeordneten etwa den privilegierten Gerichtsstand, der dem Adel eine „distinguiertere Behandlung“ vor Gericht sicherte, seine Befreiung von der Militärpflicht221, seine besondere Vertretung auf den Provinzial____________________
Munde der Communisten zur Carricatur geworden.“ S auch Lasser, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 425: „Die Gleichheit vor dem Gesetze […] ist nicht jene materielle, communistische Gleichheit, die in unnatürlicher Nivellierungssucht selbst den Besitz und die Familie antastet; die Gleichheit vor dem Gesetze ist auch nicht jene sociale Gleichstellung Aller, welche in ohnmächtigem Bestreben alle Unterschiede des Alters, der höheren Kraft, der besseren Einsicht, der Gewerbs- und Berufszweige und verschiedenen Functionen des gesellschaftlichen Organismus negiren würde; die Gleichheit vor dem Gesetze ist endlich auch nicht jene absolute Gleichstellung der Rechte und der Rechtssphären, denen durch die Wirklichkeiten des Lebens tausendfältig widersprochen wird.“ (Hervorhebungen im Original). 219 S schon oben B.I.1. 220 StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 425 (Hervorhebungen im Original); vgl die zum Teil wortgleiche Äußerung des Abgeordneten Ahrens in der Frankfurter Grundrechtsdiskussion, wiedergegeben bei Scholler, Paulskirche 234 f. 221 Die mit Patent vom 5. Dezember 1848, RGBl 1849/6, beseitigt worden ist. Vgl zu den zuvor bestehenden Privilegien Dantscher von Kollesberg, Die Politischen Rechte, II. Lieferung 8 ff.
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Landtagen222, aber auch die erst 1848 aufgehobenen Feudal- und obrigkeitlichen Rechte des Adels223. Diese Beispiele zeigen, dass durch die Gleichheit vor dem Gesetz nicht jede Ungleichbehandlung pauschal verhindert werden sollte, sondern primär jene, die auf einem ganz bestimmten Kriterium, nämlich dem des Standes beruht, und die zudem eine Privilegierung bzw Benachteiligung zur Folge hat. Differenzierungen nach anderen Kriterien als dem Stand, etwa nach dem persönlichen Verdienst, sollten durch die Gleichheit vor dem Gesetz ebenso wenig ausgeschlossen werden wie gesetzlich begründete Unterschiede, die niemanden privilegieren, niemandes „Rechtsfähigkeit“ beeinträchtigen, kurz: die dem dritten Stand nicht schadeten. Vor diesem Hintergrund war es ein Leichtes, den Beweis zu führen, dass die Beseitigung der Adelstitel durch den ersten Satz des § 3 nicht geboten sei; denn, wie Hein es ausdrückte, „[w]enn vor dem Gesetze alle gleich sind, so wird eben für jene, welche betitelt, bebändert oder mit Ordenssternen versehen vor das Gesetz treten, auch keine Ausnahme gemacht werden“224. Zum Teil gingen die Abgeordneten sogar noch weiter und bestritten nicht nur, dass die Abschaffung der Adelstitel schon durch den Gleichheitssatz geboten sei, sondern nahmen darüber hinaus den Standpunkt ein, die Befugnis, diese Titel zu führen, sei ein historisches Recht, das ohne dringende Notwendigkeit gar nicht beseitigt werden dürfe 225. Sie kehrten damit gleichsam die Beweislast für die Adelsab____________________
222 Vgl die von Lasser aufgezählten Beispiele, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 426; vgl für den privilegierten Gerichtsstand und die Ausnahme von der Wehrpflicht auch Borrosch, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 376; Machalski, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 379 f; s für den ungleichen Gerichtsstand auch Brestel, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 435; überhaupt für eine ungleiche Bestrafung je nachdem, ob jemand einen Titel trägt oder nicht: Löhner, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 458. 223 Vgl die Wortmeldungen Neuwalls, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 370; Machalskis, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 379, sowie Dylewskis, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 409. 224 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 465; ähnlich Borrosch, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 376, nach dem es für die durch die Gleichheit zu gewährende „Volksfreiheit“ genüge, dem Adel keine Vorrechte mehr zu gewähren. 225 Vgl vor allem Selinger, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 412 f; ähnlich auch die Argumentation Borroschs, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 374, der in der Abschaffung des Adels eine „willkürliche Verläugnung einer früheren, nach dem Maßstabe damaliger Gerechtigkeit erwiesenen Anerkennung von Verdiensten“ sah; s auch dens, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 449, sowie Helfert, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 423, der meinte, der Adel werde umso stärker, je schärfer man mit ihm verfahre und dann versicherte: „So lange Sie mir nicht beweisen werden, daß unsere Verhältnisse sich nach den Grundrechten richten werden, so lange werde ich darauf bestehen, daß unsere Grundrechte sich nach den Verhältnissen richten sollen“ (im Original mit Hervorhebung). Auch Lasser, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 428, sah die Befugnis, Adelstitel zu tragen, nicht als Vorrecht an, weil sie das gleiche Recht der anderen nicht kränke. Die Beseitigung der Adelstitel sei daher nur zulässig, wenn diese mit dem Staatszweck unvereinbar seien.
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schaffung um und machten so an einem Beispiel deutlich, was ganz grundsätzlich die Tendenz ihrer Überzeugung war: Die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz sei bloß ein beschränktes Zugeständnis, das nicht dazu führen konnte, jede Ungleichbehandlung einer Rechtfertigungspflicht zu unterwerfen. Um die Richtigkeit dieses Verständnisses darzutun, beriefen sich die Abgeordneten gerne auf die „Natur“, die die Menschen mit unterschiedlichen geistigen und körperlichen Eigenschaften ausgestattet habe und daher eine ungleiche Behandlung legitimiere, wenn nicht geradezu fordere226. Sogar die Standesunterschiede selbst sollten nach Lasser durch die Gleichheit vor dem Gesetz nur insofern beseitigt werden, als sie „nicht durch die Verschiedenheiten der geistigen und materiellen Berufsund Erwerbszweige social und natürlich sich gestaltet haben“227; verpönt sollte nur sein, dass das Gesetz den Adeligen „als solchen“ besondere Ansprüche zuerkennt und Vorrechte einräumt228. Die Befürworter der Adelsabschaffung sahen all das anders. Sie stellten keineswegs in Abrede, dass zwischen den Menschen naturgegebene Unterschiede bestehen, leiteten daraus aber nicht die Legitimität rechtlicher Ungleichbehandlungen ab. Dass in der Natur keine absolute Gleichheit existiert, bedeutete für sie vielmehr, dass man nur von der „naturgemäßen“, dh der richtigen und damit der juristischen Gleichheit sprechen könne229. Die – in diesem Sinn nicht real, sondern wohl ideal verstandene – Natur „kennt“, wie Klaudi formulierte, „keine Ungleichheit; die Natur spricht sich in ihrer ganzen Einrichtung dagegen aus, daß irgend eine Ungleichheit auch nur bestehe, daß irgend eine Ungleichheit in dem rechtlichen Zustande der Gesellschaft geschützt werde; am allermeisten aber spricht sie sich dagegen aus, daß mit dem bloßen Verdienste der Geburt und der Abstammung Rechte verknüpft werden, die nicht bloße Vorzüge sind, sondern eine Erniedrigung, eine Entwürdigung der Majorität, die diese Vorrechte, diese Vorzüge nicht genießt. […] die Natur kennt keine Ungleichheit, und der Staat, der den Naturzustand ausbilden soll, darf nicht solche Ungleichheiten bestehen lassen“230. Gleichheit vor dem Gesetz wurde demnach als eine umfassende Gleichheit angesehen, die alle Staatsbürger gleichermaßen dem im Recht zum Ausdruck kommenden ____________________
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Vgl zB Selinger, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 413. StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 425. 228 StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 426 (Hervorhebung im Original). 229 Vgl Klaudi, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 414; s auch Brestel, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 437: „wenn man auch die vollkommene Gleichheit nicht durchsetzen kann, aus dem Grunde, weil es gegen die Natur ist, so soll man wenigstens nicht dazu beitragen, daß diese Ungleichheit noch größer werde, als es absolut notwendig ist“. 230 StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 414. 227
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„Gesammtwillen“ unterwirft, die allen gleichmäßig den Schutz des Staates gewährt, die vor dem privaten wie dem öffentlichen Recht231 besteht und die nur dann verwirklicht war, „wenn keine Vorzüge, und wären es auch nur die des Namens, des Prädikates […] von der Staatsgewalt geschützt werden“232. Rechtliche Ungleichheiten sollten nur mehr stattfinden, wenn sich der „vernünftige Gesammtwille der Mehrheit“ für sie aussprechen konnte233, und wurden offenbar in jedem Fall als rechtfertigungsbedürftig angesehen, also nicht nur dann, wenn sie zu einer Privilegierung führten. Auch wenn Klaudi und die ihm gleichgesonnenen Abgeordneten vor allem Ungleichbehandlungen nach der Standeszugehörigkeit bekämpften, lässt ihr umfassend formulierter Gleichheitsanspruch doch die Bereitschaft erkennen, auch andere Differenzierungen auf ihre Berechtigung zu hinterfragen234. Gerade in dieser Bereitschaft liegt wohl der entscheidende Unterschied zu dem oben dargestellten restriktiven Gleichheitskonzept, das zwar Differenzierungen nach einem ganz bestimmten Kriterium und in bestimmten Materien als unzeitgemäß erkennt, daraus aber nicht den Schluss zieht, dass jede Differenzierung einer Rechtfertigung bedarf. Welches dieser Gleichheitskonzepte im Reichstag herrschend gewesen ist, kann kaum zuverlässig festgestellt werden. Denn bis zum Ende der Beratung wurde kein einziges Amendement eingebracht, das den ersten Satz des § 3 anders formuliert hätte als der Ausschussentwurf. Nachdem zahlreiche Abgeordnete ihre unterschiedlichen Ansichten über die zu gewährende Gleichheit dargetan hatten, konnte deshalb nur über den einen Satz abgestimmt werden, dass vor dem Gesetze alle Staatsbürger gleich sind. Und da wohl jeder einzelne Abgeordnete seine Ansicht in dieser ____________________
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Vgl Klaudi, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 415. So Klaudi, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 415; s auch Sidon, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 377: „Beläßt man die Bezeichnung, so beläßt man die ganze Kaste [...], die äußerlich in die Augen fallende, wenn auch geringfügige Unterscheidung unter den Staatsbürgern“; Schustelka, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 445: „die wirkliche Gleichstellung des Adels mit den anderen Staatsbürgern muß nothwendig zuerst damit beginnen, daß der Adel aufhöre Adel zu seyn, allein ihn als Adel den anderen Staatsbürgern gleichzustellen, ist ein Widerspruch.“ 233 S Klaudi, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 414. S dazu aber auch die Bemerkung Strassers, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 452: „Man sagt immer, die Mehrheit der österreichischen Staatsbürger verlangt die Abschaffung dieser Ehrenauszeichnung. Meine Herren, wissen Sie, wer die Mehrheit der österreichischen Staatsbürger bildet? Nach den statistischen Tabellen das weibliche Geschlecht (Gelächter)“ (Hervorhebungen im Original). 234 Für diese Vermutung sprechen auch die – für Klaudi ganz offensichtlich vorbildlichen (s auch Helfert, Kremsier 276; dens, Geschichte Oesterreichs 68) – Ausführungen von Rottecks, die für Ungleichbehandlungen allgemein eine Rechtfertigung durch den vernünftigen Gesamtwillen fordern und keineswegs nur die Standesunterschiede zum Thema haben (von Rotteck, Gleichheit 43 ff ).
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deutungsoffenen Aussage wieder fand, wurde dieser Satz am Ende einstimmig beschlossen235. Angenommen werden kann aber, dass das restriktivere, auf die Beseitigung ganz bestimmter Differenzierungen beschränkte Gleichheitsverständnis von Lasser und anderen Abgeordneten im Reichstag als Minimalkonsens jedenfalls akzeptiert wurde. Bei allen Unterschieden in der theoretischen Grundlage und der konkreten Ausprägung, die dem Gleichheitssatz im Reichstag gegeben wurde, zeigt die Beratung insgesamt besehen aber immerhin eine Tendenz, die als überwiegend, wenn nicht sogar als einmütig bezeichnet werden kann: Die Abgeordneten neigten nun anders als im Verfassungsausschuss dazu, der Gleichheit vor dem Gesetz unter verschiedenen Rücksichten eine Bedeutung beizumessen, die sie aus der Masse der Grundrechtsgarantien hervorhob. Dies findet zunächst in der Beurteilung des Verhältnisses zwischen dem ersten Satz des § 3 und den ihm nachfolgenden Sätzen Ausdruck. Repräsentativ sind in dieser Hinsicht die Wortmeldungen Lassers, der meinte, der erste Satz des § 3 sei das oberste Prinzip, das alle folgenden Sätze dieses Paragraphen in sich enthalte und streng genommen entbehrlich mache. Wenn man diese Folgerungen speziell ausspreche, so geschehe dies nur um des leichteren Verständnisses willen236. Damit war noch nicht gesagt, dass diese Folgerungen den Inhalt der Gleichheit vor dem Gesetz bloß exemplarisch ausführen. Die Mehrheit im Reichstag schien dieser Ansicht aber zuzuneigen. Denn wenn einzelne Abgeordnete auch die Unvollständigkeit der speziellen Gleichheitsgarantien des § 3 monierten237, so beantragten sie am Ende doch nicht die Ergänzung dieses Paragraphen238 und traten damit wohl der Ansicht bei, dass die von ihnen vermissten Gleichheitsgarantien im Satz von der Gleichheit vor dem Gesetz bereits enthalten seien239. ____________________
235 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 467. Auch aus dem Umstand, dass die deutliche Mehrheit der Abgeordneten für die ausdrückliche Beseitigung der Adelsbezeichnungen votierte (StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 469), folgt wohl noch nicht, dass diese Mehrheit geschlossen das von manchen Abgeordneten hiefür ins Treffen geführte weite Gleichheitsverständnis akzeptierte. 236 StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 425. 237 Vgl etwa Helfert, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 419 f, der insbesondere die Gleichheit der Staatsbürger rücksichtlich des persönlichen Gerichtsstandes, der Konfession, der Steuerpflicht und der Wehrpflicht vermisste, zugleich aber selbst die Auslegung erwog, dass der im § 3 ausgesprochene Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz bloß durch einige seiner Folgerungen durchgeführt werde. 238 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 467 ff. 239 Vgl etwa die Wortmeldung Brestels, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 435: „Was soll nun das heißen gegenüber dem Satze: ‚Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich‘; wäre denn das Gleichheit vor dem Gesetze, wenn Einzelne einen verschiedenen Gerichtsstand haben sollten? Daß dem nicht so sei, ist also ganz in diesem Satze enthalten.“ Dass der privilegierte Gerichtsstand bereits mit dem ersten Satz des § 3 un-
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Darüber hinaus wurde die Gleichheit vor dem Gesetz in den Beratungen des Reichstages nun auch zum „Leitgedanken“ der gesamten Konstitution erhoben: Die Abgeordneten betonten in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, welche besondere Bedeutung ihr für die Neugestaltung des Staates zukomme. So verteidigte Hein den zum Teil scharf kritisierten § 1 des Grundrechtsentwurfes („Alle Staatsgewalten gehen vom Volke aus und werden auf die in der Konstitution festgesetzte Weise ausgeübt“240) als die „Basis des Rechtsstaates“, der „seine Grundlage in der gleichen, ursprünglichen Berechtigung aller Einzelnen [findet]. Im Rechtsstaate, der jeden Einzelnen als Person gleichachtet, muß auch die Gleichheit Aller vor dem Gesetze ausgesprochen werden“241. Szábel forderte wie Hein die Beibehaltung des § 1, setzte den Akzent aber anders und sah in dieser Bestimmung vor allem die Einrichtung der demokratisch-konstitutionellen Monarchie, die „die Vortheile der Gleichheit mit jenen [verbindet], welche die erbliche Monarchie darbietet.“242 Lasser meinte in diesem Zusammenhang, das demokratische Element der konstitutionellen Monarchie bedeute vor allem, „daß jedem Individuum [...] nach dem Grundsatze der wahren Gleichberechtigung das gleiche Maß der Volksrechte unverkümmert zugemessen werde und daß jedes Individuum auch auf gleiche Weise, ohne allen Unterschied, bei der Vertretung der Rechte der Einzelnen und der Gesammtheit concurriere“243. Die enge Verknüpfung zwischen demokratischem Prinzip und Gleichheit machte sich Sierakowski auch bei ____________________
vereinbar ist, nahmen auch die in FN 232 genannten Abgeordneten als selbstverständlich an. Auf demselben Verständnis beruht wohl auch der Vorschlag Schmitts, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 463, nach dem ersten Satz des § 3 bloß auszusprechen, dass Standesvorrechte nicht stattfinden, die übrigen Sätze aber wegzulassen, teils, weil sie nicht in die Konstitution gehörten, teils aber auch, „weil sie bloße Folgerungen sind, die hier vereinzelt stehen, während noch viele andere […] eben so wichtige Rechte auch auf die Gleichberechtigung aller Staatsbürger Bezug haben“. Und auch Borroschs Wortmeldung, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 375, kann in diese Richtung verstanden werden: Die von ihm als Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes angesehene „gleiche politische Berechtigung“ war nämlich in keinem speziellen Gleichheitssatz garantiert. 240 Fischel, Protokolle 187. Im Entwurf des Dreierausschusses fand sich dieses Demokratiebekenntnis noch in § 3, s oben bei FN 79. 241 StenProtRT 68. Sitzung am 9. Jänner 1849, 315. Dass die Gleichheit ein konstitutives Element des Rechtsstaates ist, wurde auch bei der Beratung des Gleichheitssatzes selbst hervorgehoben, zunächst wieder von Hein, nach dem der erste Satz dieses Paragraphen hier stand, „[weil] wir den Rechtsstaat wollen, folglich alle Consequenzen desselben wollen müssen“ (StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 464) und auch von Klaudi, der meinte: „Im Rechtsstaate existiert Alles durch den vernünftigen Gesammtwillen, und was den vernünftigen Gesammtwillen nicht für sich hat, darf im Rechtsstaate nicht existieren; [...] so lange wir die Gleichheit nicht nur anerkennen, sondern so lange wir sie nicht practisch durchführen, so lange sind wir nicht im Rechtsstaate, so lange haben wir die Revolution nicht beendet“ (StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 414). 242 StenProtRT 68. Sitzung am 9. Jänner 1849, 320. 243 StenProtRT 69. Sitzung am 10. Jänner 1849, 339 (Hervorhebungen im Original).
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der Debatte des § 3 selbst zunutze: Er setzte als allgemein bekannt voraus, dass „durch die Beschlüsse des Mai und Juni das demokratische Princip von Sr. Majestät Kaiser Ferdinand I. feierlichst anerkannt wurde, daß Gleichheit die Grundlage dieses Principes war, daß demnach alle Standesunterschiede, als mit diesem Principe unvereinbar, aufgehoben werden müssen“244. Und noch bei der Beratung der in § 11 vorgesehenen Versammlungsfreiheit bezeichnete Borrosch die Demokratie als die „herrschende Idee der Gleichberechtigung aller Staatsbürger an dem Genusse der Freiheit“, die er scharf von jener Demokratie unterschieden wissen wollte, „die bloß in der numerischen Majorität ihre Berechtigung zu finden wähnt“245. Im Zuge der Beratung des § 6, nach dem keine Strafe ohne Gesetz verhängt, die Todesstrafe für politische Verbrechen und andere Strafarten generell abgeschafft werden sollte, stellte Pitteri dann das „Dogma der Gleichberechtigung aller Staatsbürger“ in eine Reihe mit dem in § 1 aufgestellten „große[n] staatsrechtliche[n] Dogma [...], daß alle Staatsgewalten vom Volke allein ausgehen“ und mit der durch das Verbot bestimmter Strafarten, insbesondere der Todesstrafe bewirkten Abschaffung der Menschenquälerei246. Schneider nennt bei der Debatte des in § 14 geregelten Verhältnisses von Staat und Kirche die Gleichberechtigung das „Grundprincip des constitutionellen Lebens“247. Die umfassendste Bedeutung für die Konstitution hat der Gleichheit vor dem Gesetz wohl Lasser zugeschrieben, als er dieses Grundrecht „ein Palladium des Rechtes und der Freiheit“ nannte und den „wichtigsten Grundpfeiler des Staatsgebäudes, die Quintessenz der Volksrechte und des mit der Monarchie vereinbaren Demokratismus“248. Am Ende der Beratung im Reichstag hatte die Gleichheit vor dem Gesetz damit nicht unbedingt ein schärferes Profil bekommen, aber doch jedenfalls ein neues Gesicht. Sie sicherte den Staatsbürgern einerseits zumindest eine „Rechtsfähigkeit“ zu, die nicht je nach Stand verschieden war, erschöpfte sich andererseits aber nicht in den speziellen Gleichheitsgarantien des § 3, sondern wurde durch diese bloß beispielhaft ausgeführt. Überdies sollte sie – als Bedingung oder Konsequenz der Demokratie und des Rechtsstaates – einer der Leitgedanken für die neue Konstitution und die durch sie zu errichtende Staatsform sein. Die im Verfassungsausschuss vorhandene Ambivalenz der Gleichheit, die einmal ein Grundrecht war und dann bloß ein überpositives Prinzip, wurde damit im Plenum des ____________________
244 245 246 247 248
StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 441. StenProtRT 84. Sitzung am 6. Februar 1849, 8. StenProtRT 80. Sitzung am 29. Jänner 1949, 638. StenProtRT 92. Sitzung am 22. Februar 1949, 206. StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 425 (Hervorhebung im Original).
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Reichstags aufgelöst: Was der Ausschuss noch dem außerrechtlichen Prinzip der Gleichheit zugeschrieben hatte, ist im Reichstag zum Inhalt eines Grundrechts geworden249. b. Spezielle Gleichheitssätze Die soeben konstatierte Tendenz des Reichstags, den allgemeinen Gleichheitssatz im System der Grundrechte aufzuwerten und ihn darüber hinaus zu einem Leitgedanken der gesamten Konstitution zu erheben, zeigt sich auch in der Beratung der speziellen Gleichheitssätze. Anders als im Verfassungsausschuss250 beriefen sich die Abgeordneten bei der Debatte über den zweiten Satz des § 3 („Alle Standesvorrechte, auch die des Adels, sind abgeschafft“) im Reichstag nicht mehr auf die Demokratie, um die Beseitigung der Standesvorrechte bzw der Adelsbezeichnungen zu verlangen. Unter den Abgeordneten herrschte vielmehr Einigkeit, dass die Beseitigung der Standesvorrechte bereits aus der im ersten Satz statuierten Gleichheit vor dem Gesetz folgte251. Erfasst waren davon alle Vorrechte, also etwa die „der Geistlichkeit, der Doctoren, [...] der zünftigen Meister, [...] der Städtebürger“252, vor allem aber „auch die des Adels“. Dass im Ausschussentwurf nur diese zuletzt genannten Vorrechte ausdrücklich hervorgehoben wurden, ist zunächst auf das drückende Gewicht zurückzuführen, das ihnen im Empfinden der Bevölkerung zukam; dann sollte damit aber auch dem Einwand begegnet werden, der Adel sei kein besonderer Stand, weshalb seine Vorrechte aufrechterhalten werden könnten253. Ein Teil der Abgeordneten hielt die ausdrückliche Nen____________________
249 Vgl auch den allgemeinen Befund Brauneders, Entwicklung 4, demzufolge die Verfassung 1848 „vor allem die ungleich-ständische Gesellschaftsordnung und die absolutistische Staatsordnung“ überwinden will. Auch bei den Frankfurter Grundrechten spielte die Gewährung der Gleichheit vor dem Gesetz eine zentrale Rolle, s zB Planitz, Ideengeschichte 615 f, der freilich auch betont, dass der Satz von der Gleichheit vor dem Gesetz sich an den Richter und das Verwaltungsorgan richtete, nicht aber an den Gesetzgeber; der Sinn dieser Garantie sei die „Wegschaffung der letzten Reste des ständischen Staates“ gewesen. Diese Beschränkung auf die Rechtsanwendungsgleichheit trifft für Österreich jedenfalls nicht zu. 250 S oben B.II.1.b. 251 S zB Borrosch, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 375; Selinger, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 413; Lasser, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 426; Kromer, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 440; Sierakowski, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 441; Schustelka, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 445; Strasser, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 452 f; Löhner, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 458; Hein, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 464. 252 Vgl die Wortmeldung Neuwalls, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 370. 253 Vgl die Wortmeldungen Heins, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 466, und Brestels, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 434 f.
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nung des Adels aber für gehässig und beantragte deren Weglassung254, womit der Berichterstatter Hein einverstanden war, wenn auch aus ganz anderen Motiven, nämlich um die Deutung zu verhindern, dass der Adel als Stand fortbestehen solle und in dieser Eigenschaft gewisse Sonderinteressen im Staat zu vertreten habe255. Die Mehrheit der Abgeordneten schloss sich diesem Vorschlag an und votierte gegen die besondere Erwähnung des Adels256 – ob aus Rücksicht auf dessen Empfindlichkeiten oder doch aus den von Hein genannten Motiven, ist nicht verbindlich feststellbar. Wahrscheinlicher ist aber Letzteres, wenn man sich die Abstimmung über die Adelsbeseitigung vor Augen führt. Die Redner, die sich im Reichstag gegen diese Bestimmung aussprachen, überwogen zwar zahlenmäßig; die deklarierten Befürworter der Adelsabschaffung257 repräsentierten aber die Mehrheit, denn am Ende sprachen sich die Abgeordneten mit 231 zu 84 Stimmen für die Aufhebung der Adelsbezeichnungen aus und nahmen folgendes Amendement Schustelkas an: „Alle Standesvorrechte sind abgeschafft. Adelsbezeichnungen jeglicher Art werden vom Staate weder verliehen, noch anerkannt“258. Der dritte Satz des § 3 („Die öffentlichen Ämter und Staatsdienste sind für alle dazu befähigten Staatsbürger gleich zugänglich“) blieb im Reichstag unverändert. Die Abgeordneten waren nun einhellig der Ansicht, dass auch dieser Satz aus der Gleichheit vor dem Gesetz resultiere; sie zogen daraus aber unterschiedliche Konsequenzen: Schmitt meinte, man könne den dritten Satz überhaupt weglassen, weil er sich von selbst verstehe259. Helfert war der Ansicht, wegen des Zusammenhanges zum ersten Satz müsse im dritten Satz nicht noch einmal von „Staatsbürgern“ gesprochen werden, und schlug vor, die gleiche Ämterzugänglichkeit „allen dazu Befähigten“ zu garantieren260. Keiner dieser Vorschläge fand jedoch die Mehrheit des Reichstages261. ____________________
254 So etwa Neuwall, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 370 ff, und Helfert, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 421. 255 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 466. 256 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 468 f. 257 Vgl zB Sidon, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 377; Machalski, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 380 f; Klaudi, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 415 („ ,Der Adel ist kein historisches Recht.‘ Wenn Alles, was wirklich da ist, wenn alles Vorhandene historisches Recht wäre, dann [hätten] wir uns nie [...] anmaßen sollen, aus jenem Joche des Absolutismus heraustreten zu wollen.“ [Hervorhebungen im Original]); Kromer, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 440; Schustelka, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 445; Löhner, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 458. 258 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 469. 259 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 463. 260 StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 420. 261 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 469. Offensichtlich hielten es die Abgeordneten für notwendig, die gleiche Ämterzugänglichkeit ausdrücklich zu garantieren,
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Wie schon im Verfassungsausschuss, so wurden auch im Reichstag Einwände gegen die Zuordnung des vierten Satzes („Ausländer sind vom Eintritte in Civildienste und in die Volkswehr ausgeschlossen“) zu den gleichheitsrechtlichen Garantien erhoben. Lasser meinte, in einem Paragraphen, der die Gleichstellung aller Staatsbürger vor dem Gesetz ausspricht, sei eine Bestimmung, die Ausländer ausschließt, nicht am Platz262. Auch Helfert erhob den Vorwurf der fehlerhaften Systematisierung, er stützte sich dabei auf den Inhalt der Grundsätze des § 3 und plädierte dafür, diese Vorschrift in zwei Paragraphe zu teilen, „deren einer den Grundsatz der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze durchführt, der Zweite aber rücksichtlich des Zutrittes zu öffentlichen Aemtern und Staatsdiensten, nebst dem Grundsatze der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze, auch den Grundsatz der Ausschließung aller Ausländer von den öffentlichen Diensten und Aemtern ausspricht“263. Zur Verteidigung des Ausschussentwurfes wusste Hein nur zu sagen, dass es für den vierten Satz keinen anderen Platz in den Grundrechten gegeben habe264. Die Mehrheit der Abgeordneten gab sich damit zufrieden265. Entscheidender als die systematische Zuordnung des vierten Satzes schien dem Reichstag nämlich ____________________
und zwar nicht allen „Befähigten“, sondern weiterhin bloß den „befähigten Staatsbürgern“, um zu verhindern, dass diese – wie Hein bemerkte – von den Ausländern verdrängt werden können (StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 464). Ausländer waren demnach zwar durch den dritten Satz nicht generell von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen; sie sollten aber befähigten Staatsbürgern keinesfalls vorgezogen werden können. 262 StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 426. 263 StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 420; s auch Helfert, Geschichte Oesterreichs 72. 264 „Wenn man [...] dem Inländer das Recht wahren wollte, vor jedem Ausländer seinen Kopf und sein Herz dem Vaterlande zu weihen, so war nur hier der Ort dazu“ (StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 464). 265 Was sich bei Hein wie eine Verlegenheitslösung anhörte, hatte Löhner kurz zuvor sogar zur zwingenden Notwendigkeit erklärt. Für ihn war die Gleichheit als solche nämlich nichts als ein formales Prinzip, das mit einer materiellen Berechtigung verbunden werden muss, um überhaupt wirksam zu werden: „Die Consequenzen eines Begriffes sind wenig, wenn man seinen Inhalt wegschneidet, und so […] ist es ganz gut und logisch verbunden, daß, nachdem man gesagt hat, die Gleichberechtigung der Bürger existiere, – daß auch dafür gesorgt werde, daß ein Object da sei, auf welches die Gleichheit gehe, nämlich daß nicht ein Ausländer […] dem Inländer das wegnehme, was eigentlich den Werth des Rechtes oder vielmehr den Gegenstand dieses Rechtes ausmacht“ (StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 457). Dass dieses restriktive Gleichheitsverständnis von den Abgeordneten mehrheitlich geteilt wurde, muss bezweifelt werden. Denn die Gleichheit vor dem Gesetz erschöpfte sich für den Reichstag nicht in der Garantie der gleichen Ausübung subjektiver Rechte. Das beweist schon der mit großer Mehrheit angenommene zweite Satz des § 3, durch den nicht nur die Standesvorrechte, sondern auch die – e contrario nicht als Vorrechte zu qualifizierenden – Adelsbezeichnungen abgeschafft werden sollten. Wenn die Abgeordneten den Ausschluss der Ausländer von bestimmten Ämtern auch im Reichstag den Gleichheitsgarantien zuordneten (StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 470), dann taten sie dies wohl nur, weil sie ebenso wenig wie der Berichterstatter Hein einen besseren Platz für diese Bestimmung wussten.
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die Frage, ob und bejahendenfalls inwieweit von dem Ausschluss der Ausländer bereits in der Konstitution Ausnahmen gestattet werden sollten266. Einzelne Abgeordnete hielten die nachträgliche Statuierung solcher Ausnahmen zwar für bedenklich, teils weil sie meinten, eine solche Regelung sei immer an konkrete Fälle gebunden und daher willkürlich267, teils weil sie zu diesen künftigen Bestimmungen – und damit wohl auch zu dem Organ, das sie beschließt – kein Zutrauen hatten268. Die Mehrheit des Reichstages schien dem künftigen Gesetzgeber aber zu vertrauen und nahm die Fassung des Ausschusses mit der Ergänzung an, dass Ausnahmen von dem Ausschluss der Ausländer durch besondere Gesetze zu bestimmen seien269. Der fünfte Satz des § 3 („Zu öffentlichen Auszeichnungen oder Belohnungen berechtigt nur das persönliche Verdienst. Keine Auszeichnung ist vererblich.“) wurde vom Reichstag ohne Veränderung angenommen270; vereinzelt unternommene Versuche, den bestehenden Erbadel von dieser Bestimmung auszunehmen, blieben erfolglos271. Der im fünften Satz ausgesprochene Grundsatz wurde sogar noch durch den Zusatz verdeutlicht, dass auch „Amtstitel [...] nicht als bloße Ehrentitel verliehen werden [dürfen]“272. Bemerkenswert an der Debatte über diesen fünften Satz ist, dass sein gleichheitsrechtlicher Gehalt weder im Ausschuss noch im Reichstag von irgend jemandem in Zweifel gezogen wurde, obwohl er seiner Struktur nach mit der im dritten Satz angeordneten Bindung des Ämterzugangs an die Befähigung und mit dem Ausschluss der Ausländer von öffentlichen Ämtern durchaus vergleichbar ist. Hier wie dort erklärte die Konstitution ein Merkmal – das persönliche Verdienst, die Befähigung bzw ____________________
266 Vgl die Wortmeldungen Neuwalls, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 372 f; Wildners, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 381; Dylewskis, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 410 f; Selingers, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 411; Klaudis, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 419; Lassers, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 426; Brestels, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 435 f; Kautschitschs, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 442 f; Schustelkas, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 447 f; Borroschs, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 450 f; Szábels, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 455; Löhners, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 460; Schmitts, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 463. 267 So Borrosch, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 451. 268 So Szábel, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 455. 269 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 470; die beschlossene Fassung lautete also: „Ausländer sind vom Eintritte in Civildienste und in die Volkswehr ausgeschlossen. Ausnahmen werden durch besondere Gesetze bestimmt.“ 270 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 470. 271 Vgl Neuwall, StenProtRT 70. Sitzung am 11. Jänner 1849, 373, 470, der amendierte: „Keine künftig zu verleihende Auszeichnung ist vererblich“, dies mit der Begründung, dass „kein vernünftiges Gesetz beabsichtigen kann und darf, eine Rückwirkung zu wahren“. 272 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 471.
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die Staatsbürgerschaft – zu dem einzig zulässigen Kriterium einer Ungleichbehandlung, deren Vornahme dem Gesetzgeber zugleich geboten ist, sofern er überhaupt Auszeichnungen, Belohnungen oder Ämter vergibt. Während der Ausschuss dieses Differenzierungsgebot im dritten Satz (zunächst) noch nicht als gleichheitsrechtliche Regelung ansehen wollte273, bereitete die Zuordnung des strukturell ganz gleichartigen fünften Satzes zur Gleichheit vor dem Gesetz offenbar keine Schwierigkeiten. Am Ende der Debatte über den § 3 wurde dieser Paragraph schließlich mit § 2 vereinigt und – da das in § 1 ausgesprochene Bekenntnis zur Demokratie im Reichstag keine Mehrheit gefunden hatte274 – an die Spitze des Grundrechtskataloges gestellt. Dass die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz in diesem Paragraphen zuerst garantiert wurde, spiegelt neuerlich die besondere Bedeutung wider, die der Reichstag dem allgemeinen Gleichheitssatz zuschrieb, und erfüllte zugleich die Forderung Schustelkas, den Katalog mit dem „wahren Grundrechte“ zu beginnen275: „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich. Die Constitution und das Gesetz bestimmen, unter welchen Bedingungen die österreichische Staatsbürgerschaft erworben, ausgeübt und verloren wird. Die Gesammtheit der Staatsbürger ist das Volk. Alle Standesvorrechte sind abgeschafft. Adelsbezeichnungen jeglicher Art werden vom Staate weder verliehen noch anerkannt. Die öffentlichen Aemter und Staatsdienste sind für alle dazu befähigten Staatsbürger gleich zugänglich. Ausländer sind vom Eintritte in Civildienste und in die Volkswehr ausgeschlossen. Ausnahmen werden durch besondere Gesetze bestimmt. Zu öffentlichen Auszeichnungen oder Belohnungen berechtigt nur das persönliche Verdienst. Keine Auszeichnung ist vererblich. Amtstitel dürfen nicht als bloße Ehrentitel verliehen werden.“276
Dass die Gleichheit vor dem Gesetz im Reichstag weiter ausgelegt wurde als im Verfassungsausschuss, änderte also auch die Bedeutung der dem allgemeinen Gleichheitssatz unmittelbar nachfolgenden Sätze des (nunmehrigen) § 1. Die dort gegebenen Garantien sollten den ersten Satz des § 1 nur exemplarisch ausführen, sie ergänzten ihn weder noch erschöpften sie ihn. Ob auch alle anderen, nicht unmittelbar in § 1 geregelten Gleichheitssätze nur die Aufgabe hatten, die Gleichheit vor dem Gesetz punktuell zu verdeutlichen, kann nicht eindeutig festgestellt werden. Denn die wichtigsten Grundrechte dieser Art wurden im Reichstag aufgrund der politischen Ereignisse nicht mehr beraten277. Die Debatte über das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und die Beseitigung der privilegierten und Ausnahmsgerichte 278 zeigt ____________________
273 274 275 276 277 278
Vgl dazu oben B.II.1.b. StenProtRT 69. Sitzung am 10. Jänner 1849, 358; s dazu noch unten B.III.1. StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 443. StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 471. Vgl dazu noch unten B.III.1 und 2. Nunmehr im zweiten Satz des § 2 (vormals § 4): „[...] Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden; privilegirte und Ausnahmsgerichte dürfen nicht bestehen.“, vgl StenProtRT 74. Sitzung am 19. Jänner 1849, 476 ff.
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jedenfalls auf den ersten Blick keine Ansätze für eine neue Bewertung dieser Bestimmung, im Gegenteil: Die im Ausschuss geführte Debatte wiederholte sich sogar in gewisser Weise, führte aber nicht zu einer Änderung der dort beschlossenen Fassung279. So sehr diese Bestimmung eine Gleichheit vor dem Richter herstellt, so wenig wurde sie zwar in der Debatte auf die Gleichheit vor dem Gesetz bezogen. Möglicherweise war dieser Zusammenhang aber auch zu offensichtlich, um besonders erwähnt zu werden. Dafür spricht zum einen schon die systematische Stellung dieser Bestimmung unmittelbar nach den Gleichheitsgarantien. Zum anderen hat der Reichstag das Recht auf einen gleichen Gerichtsstand wohl bereits aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleitet280; er könnte in der Beseitigung der privilegierten und Ausnahmsgerichte also auch nur mehr die institutionelle Umsetzung des Gleichheitssatzes gesehen haben. Rückschlüsse auf den Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes lässt auch § 14 zu. Der erste Satz dieser Bestimmung garantiert in der Fassung des Ausschussberichtes, dass „[k]eine Religionsgesellschaft (Kirche) [...] vor anderen Vorrechte durch den Staat [genießt].“281 Wie bereits erwähnt wurde, hatte diese Vorschrift ihren explizit gleichheitsrechtlichen Charakter erst während der zweiten Lesung im Verfassungsausschuss erhalten282. Im Reichstag wurde dieses Grundrecht dann – im Einklang mit dem bereits konstatierten Trend eines weiten Gleichheitsverständnisses – überwiegend auf die Gleichheit vor dem Gesetz zurückgeführt. Besonders deutlich geschah dies bei Mayer, der verlangte, dass man die katholische Kirche von der Aufsicht des Staates befreit, und unterstützend hinzufügte: „Thäten Sie es nicht, meine Herren, so würden jene Staatsbürger, die sich zur ____________________
279 Diesmal war es nicht Lasser, sondern Zbyszewski, der dafür plädierte, Ausnahmsgerichte ihrerseits nicht ausnahmslos zu beseitigen (StenProtRT 74. Sitzung am 19. Jänner 1849, 478 f ). Er war der Ansicht, dass solche Gerichte gerade für die Armee unerlässlich seien und machte damit der Sache nach wohl auch geltend, dass diese Ausnahme keine willkürliche Bevorzugung der Militärangehörigen, sondern durch die bestehenden Verhältnisse (in heutiger Terminologie) „sachlich gerechtfertigt“ sei. Der Reichstag nahm den von Zbyszewski unterbreiteten Änderungsvorschlag jedoch ebenso wenig an wie sich zuvor der Ausschuss von Lasser zu einer Ausnahmeregelung hatte bringen lassen (StenProtRT 74. Sitzung am 19. Jänner 1849, 492 f ). Die Abgeordneten waren offenbar nicht bloß gegen eine Ausnahme für das Militär; sie lehnten Ausnahmsgerichte ganz generell ab. Außer Zbyszewski versuchte nämlich niemand, die Beseitigung dieser Gerichte einzuschränken. Nachdem der Reichstag gegen den Antrag Zbyszewskis gestimmt hatte, wurde die Ausschussfassung einhellig angenommen (StenProtRT 74. Sitzung am 19. Jänner 1849, 493). Nach § 28 idF des Ausschussentwurfes sollten Militärgerichte allerdings im Krieg zulässig sein; zu einer Beratung dieser Bestimmung ist es aber wegen der vorzeitigen Auflösung des Reichstages nicht mehr gekommen. 280 Vgl dazu die Nachweise oben FN 239. 281 S Reiter, Texte 15. 282 Nach der ersten Lesung im Verfassungsausschuss lautete diese Bestimmung bloß: „Eine Staatskirche gibt es nicht.“, vgl oben bei FN 175.
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gewesenen Staatskirche bekennen, nicht gleichberechtiget mit den Bekennern anderer Glaubensbekenntnisse sein, sie wären nicht gleich vor dem Gesetze“283. Sollte Mayers Äußerung repräsentativ für die Ansicht des Reichstages gewesen sein – und viele Wortmeldungen sprechen für diese Annahme284 –, dann war die Religion und daher auch das Bekenntnis zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft als Differenzierungskriterium bereits durch den ersten Satz des § 1 ausgeschlossen. Die in § 14 ausgesprochene Gleichstellung der Religionsgemeinschaften hatte in dieser Hinsicht also dieselbe Funktion wie die speziellen Gleichheitssätze des § 1: Sie sprach bloß ein Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes ausdrücklich aus. Ob der Reichstag auch die anderen, im Ausschussentwurf vorgesehenen Gleichheitssätze in diesem Sinn verstanden hat, kann nicht festgestellt werden, weil eine Debatte dieser Vorschriften nicht mehr stattfand. Die Beratung der genannten Grundrechtsgarantien zeigt aber, dass der allgemeine Gleichheitssatz durch eine Reihe von Vorschriften näher konkretisiert werden konnte: erstens durch die unmittelbar in § 1 getroffenen Garantien, die den Inhalt der Gleichheit vor dem Gesetz für bestimmte, dem Reichstag besonders wichtig erscheinende Bereiche ausdrücklich aussprachen, zweitens durch eine Regelung, die ein Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes durchführte (die Beseitigung privilegierter und Ausnahmsgerichte sowie das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter), und schließlich drittens durch die Gleichstellung der Religionsgemeinschaften, die flankierend zur Religionsfreiheit gewährt wurde. c. Gleichheit und Freiheit Während die Abgeordneten im Verfassungsausschuss die gleiche Geltung der Freiheit für alle Staatsbürger noch aus einem präpositiven Prin____________________
283 284
StenProtRT 99. Sitzung am 6. März 1849, 401. S Szábel, StenProtRT 87. Sitzung am 12. Februar 1849, 81, der meinte, § 14 sei „consequent auch in allen jenen Grundsätzen, welche wir über die Gleichheit der Staatsbürger, über die Aufhebung der Standesvorrechte in früheren Paragraphen niedergelegt haben“. Kral, StenProtRT 87. Sitzung am 12. Februar 1849, 88, der aus der Gleichheit vor dem Gesetz in erster Linie die Gewährleistung gleicher Freiheit ableitete, hielt die Gleichstellung der Religionsbekenntnisse und der Religionsgesellschaften nur für eine logische Fortsetzung der den einzelnen Staatsbürgern und auch den Nationalitäten bereits zugestandenen Gleichheit. Ziemiałkowski, StenProtRT 88. Sitzung am 13. Februar 1849, 110, sah im Staat den „Inbegriff gleichberechtigter Christen und Nichtchristen“ und folgerte daraus – dh aus der Gleichberechtigung der Staatsbürger –, dass keine Kirche Vorrechte vor den anderen haben dürfe. Wildner, StenProtRT 89. Sitzung am 14. Februar 1849, 132, wiederum ging von der gleichen Würde des Menschen aus, die den gleichen Schutz aller Religionsgesellschaften gebiete. Bevorzuge der Staat eine Religion vor der anderen, so mache er sich einer Verletzung des Prinzips der Gleichheit schuldig. Schneider, StenProtRT 92. Sitzung am 22. Februar 1849, 206, meinte überhaupt, dass die Existenz einer herrschenden Kirche „das Grundprincip des constitutionellen Lebens, die Gleichberechtigung in ihren Grundfesten erschüttern muß“.
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zip der Gleichheit herzuleiten schienen, stützten sie sich hiefür im Plenum des Reichstages auf das in § 1 niedergelegte „Princip der Gleichheit“ oder auf das Gebot der Gerechtigkeit, aus der die Gleichheit ihrerseits resultieren sollte285. Die überwiegende Zahl der Redner im Reichstag sah die Grundlage der Konstitution und des auf ihrer Basis zu errichtenden Rechtsstaates in der „gleichen, ursprünglichen Berechtigung aller Einzelnen“, und „Eben weil das gleiche Recht Aller als Grundlage anerkannt wird, und werden muß, kann und wird der Rechtsstaat auch gleiche Freiheit [...] für Alle gewähren.“286 Viele Abgeordnete formulierten denselben Gedanken auch von der anderen Seite, etwa Wierzchlejski, der feststellte: „Wer Freiheit will, muß sie auch gleichmäßig für Alle wollen, wer Recht spricht, der darf auf die Person keine Rücksicht nehmen.“287 Gleichheit und Freiheit waren so innig und notwendig miteinander verbunden, dass sie kaum voneinander trennbar waren: Aus dem gleichen Recht für alle folgte die gleiche Freiheit aller288, und umgekehrt konnte die Forderung nach Freiheit nur erhoben werden, wenn sie zugleich auch jedem anderen zugebilligt wurde289. Verlangt und postuliert wurde „Freiheit!“ und – stets im selben Atemzug – „Freiheit für Alle!“290, der Reichsrat stimmte in den „Gewaltruf nach Freiheit und Gleichberechtigung“ ein291, suchte die „Idee der Freiheit und Gleichheit“ zu verwirklichen, die man „nicht anfechten kann, nicht zu vertheidigen braucht“292 und sah als „Forderung unseres Jahrhunderts [...] die, daß das Recht, weil es ein gemeinsames Recht ist, für Alle durch die Gleichberechtigung Aller zur Wahrheit werde“293. Ganz in diesem Sinn erörterte auch Rieger schon am Beginn der Beratung im Reichstag die Systematisierung des Grundrechtsentwurfes: „Das System, ____________________
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S etwa Wildner, StenProtRT 89. Sitzung am 14. Februar 1849, 132. Hein, StenProtRT 68. Sitzung am 9. Jänner 1849, 315. StenProtRT 95. Sitzung am 1. März 1849, 271. S etwa Borrosch, StenProtRT 89. Sitzung am 14. Februar 1849, 124: „Gleiches Recht für Alle heißt der Grundsatz der wahren Volksfreiheit“ (Hervorhebungen im Original). 289 S etwa Feifalik, StenProtRT 94. Sitzung am 27. Februar 1849, 236, nach dem „Freiheit und Privilegium [...] unvereinbar [sind]. Wer die Freiheit für seine Kirche will, der kann sie nur in soferne und nur deßhalb wollen, weil er sie für alle Confessionen im Staate wollen muß“. 290 So Dylewski, StenProtRT 98. Sitzung am 5. März 1849, 366; s auch Prato, StenProtRT 88. Sitzung am 13. Februar 1849, 100: „denn ich will die Freiheit für Alle, ich will die Freiheit von oben bis unten, ich will die Freiheit nicht bloß für mich, [...] nein, ich sage: ich will frei seyn, weil das mein gutes Recht ist, und ich will die Uebrigen frei haben, seien sie Individuen, Kirchengesellschaften, weil ich gerecht seyn will“; Ziemiałkowski, StenProtRT 88. Sitzung am 13. Februar 1849, 109: „Ich will diese Freiheit für mich, und was ich für mich verlange, das gebe ich selbst meinen Gegnern“; Rieger, StenProtRT 99. Sitzung am 6. März, 418: „geben Sie die Freiheit nicht für Einige, die Freiheit für Alle, und Sie werden gerecht entschieden haben“. 291 Call, StenProtRT 87. Sitzung am 12. Februar 1849, 78. 292 Szábel, StenProtRT 87. Sitzung am 12. Februar 1849, 81. 293 Purtscher, StenProtRT 99. Sitzung am 6. März 1849, 394.
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von dem der Verfassungs-Ausschuß bei der Ordnung der Grundrechte ausgegangen ist, ist das allgemeine der Freiheit. Jeder Mensch ist frei, jeder hat das gleiche Recht, sein materielles und geistiges Wohl zu fördern. In diesem Satze liegt das ganze System der Grundrechte.“294 Wie schon im Verfassungsausschuss, so wurde auch im Reichstag eingehend erörtert, ob die Beschränkung der Freizügigkeit dem Reichsgesetzgeber oder den Gemeinden zu überlassen sei. Nach wie vor sprach sich zwar ein Teil der Abgeordneten unter Berufung auf die Gleichheit dafür aus, derartige Beschränkungen nicht in die Hände der Gemeinden zu legen. „Gott behüte uns“, meinte etwa Borrosch, „daß unsere allgemeine, in einer ganz anderen Zeit herangewachsene, für alle Staatsbürger möglichst dieselben gleichen Güter gewähren sollende constitutionelle Freiheit jemals durch die vorbehaltlichen verschiedenartigen Gemeindefreiheiten beeinträchtigt werden könne.“295 Und auch Lasser wollte weiterhin durch ein Reichsgesetz verhindern, „daß [...] das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetze in seiner wichtigsten Richtung, in der breitesten Basis des socialen Zusammenlebens, nämlich im Gemeindeleben zur bloßen Scheingleichheit herabsinke“296. Seine Sorge wurde nun aber, anders als noch im Verfassungsausschuss, nicht mehr mehrheitlich geteilt. Die richtige Beschränkung der Freizügigkeit sei, wie Jonak festhielt, nicht in den „gesetzlichen Bestimmungen“ zu finden, sondern in einer organischen Gestaltung des Staatslebens, „und das ist die freie Gemeinde“. Der Gefahr, dass die gemeindliche Eingriffsbefugnis eine Masse an Freiheiten hervorbringen werde, aber keine Freiheit, könne durch eine Norm begegnet werden, die zwar für alle Gemeinden gelte, aber aufgrund der Verhältnisse in Österreich nicht ganz und gar uniform sein dürfe297. Die Gemeindeordnungen seien, wie WézniƷy hinzufügte, nicht jenes Gespenst, das Lasser in ihnen sah, denn sie „werden ja nicht beliebig von den Gemeinden gemacht, und darin beliebige Willkürlichkeiten festgestellt werden können; denn alle diese Ordnungen werden sich bewegen innerhalb der Marken und Gränzen, welche diese Grundrechte, die die hohe Kammer selbst geben wird, den einzelnen Gemeinden stellt“298. Ob die Abgeordneten sich mit einem noch zu erlassenden Eingriffsgesetz beruhigten oder auf die beschränkende Kraft der Grundrechte bauten, lässt sich nicht beurteilen; feststeht nur, dass die Mehrheit des Reichstages nun die Ausschussfassung änderte und beschloss, dass „Die Freizügigkeit der Person und des Vermögens ____________________
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StenProtRT 67. Sitzung am 8. Jänner 1849, 302. StenProtRT 81. Sitzung am 30. Jänner 1849, 681 (Hervorhebung im Original). StenProtRT 82. Sitzung am 31. Jänner 1849, 697 (Hervorhebungen im Original); ähnlich auch Hein, StenProtRT 82. Sitzung am 31. Jänner 1849, 705. 297 StenProtRT 82. Sitzung am 31. Jänner 1849, 688 f. 298 StenProtRT 82. Sitzung am 31. Jänner 1849, 701.
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innerhalb des Staatsgebietes [...] nur den in den Gemeindeordnungen enthaltenen Beschränkungen [unterliegen]“ sollten299. Dass der Reichstag dem Gedanken der Gleichheit ganz allgemein höheres Gewicht zumaß als dies der Verfassungsausschuss noch getan hatte, hinderte ihn also keineswegs, die gleichmäßige Gewährung der Freizügigkeit dem Interesse der Gemeindeautonomie nachzuordnen. Auch bei der Erörterung der Glaubensfreiheit 300, der Gleichheit der Religionsgesellschaften 301 und der Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche 302 zogen Gleichheit und Freiheit letztlich an einem Strang, waren also keine Widersacher, sondern zielten in dieselbe Richtung. Dementsprechend wurde auch die Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Religionsgemeinschaften von manchen als ein Problem der Gleichheit und von anderen als ein Problem der Freiheit thematisiert. Ein Teil der Abgeordneten sah in der Gleichheit der Religionsgesellschaften eine Fortführung der Gleichheit der Staatsbürger303, und in der Benachteiligung einer Religionsgemeinschaft dementsprechend eine „schreiende Inkonsequenz“ und Verletzung des allgemein gewährten Rechtes304, eine Verletzung des „Principes der Gleichheit“305, weil diesfalls die Bekenner dieser Religionsgemeinschaft nicht gleich vor dem Gesetze wären306, ebenso wie angenommen wurde, dass eine herrschende Kirche „das Grundprinzip des constitutionellen Lebens, die Gleichberechtigung in ihren Grundfesten erschüttern muß“307. Andere wiederum hielten die Gleichheit der Religionsgesellschaften für eine Konsequenz der in § 13 niedergelegten Religionsfreiheit308. Wenn erst einmal „in folgerechter Durchführung des Principes der Freiheit“ anderen Religionsgemeinschaften volle Autonomie zu____________________
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StenProtRT 82. Sitzung am 31. Jänner 1849, 707 (Hervorhebung nicht im Original). § 13: „Jedem österreichischen Staatsbürger ist die Freiheit des Glaubens und der öffentlichen Religionsübung gewährleistet. Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen.“ 301 § 14: „Keine Religionsgesellschaft (Kirche) genießt vor den anderen Vorrechte durch den Staat. Niemand kann zu religiösen Handlungen und Feierlichkeiten überhaupt oder insbesondere zu den Verpflichtungen eines Cultus, zu welchem er sich nicht bekennt, vom Staate gezwungen werden.“ 302 § 15: „Die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche, namentlich in Beziehung auf das Kirchenvermögen, und die Wahl der Kirchenvorsteher, sowie die Bedingungen, unter welchen Klöster und geistliche Orden fortzubestehen oder aufzuhören haben, werden durch besondere Gesetze bestimmt.“ 303 ZB Szábel, StenProtRT 87. Sitzung am 12. Februar, 81. 304 Helfert, StenProtRT 96. Sitzung am 2. März, 297. 305 Wildner, StenProtRT 89. Sitzung am 14. Februar, 132; s auch Goriupp, StenProtRT 91. Sitzung am 21. Februar 1849, 172. 306 Mayer, StenProtRT 99. Sitzung am 6. März, 401. 307 Schneider, StenProtRT 92. Sitzung am 22. Februar, 206. 308 Tomek, StenProtRT 88. Sitzung am 13. Februar, 98; Neumann, StenProtRT 94. Sitzung am 27. Februar, 236.
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gebilligt werde, dann sei die staatliche Bevormundung der katholischen Kirche ein „schreiendes Unrecht“309. Allein der Kirche auferlegten Eigentumsbeschränkungen wurde entgegengehalten, dass das Eigentum seine Natur nicht ändere, egal, ob ein Einzelner oder eine ganze Gesellschaft es besitzt310. Oft beriefen sich die Abgeordneten aber auch ohne weiteres auf die gleiche Freiheit Aller, um Sonderregelungen für die katholische Kirche abzuwehren311. Nur vereinzelt wurde zwischen Gleichheit und Freiheit unterschieden und festgehalten, § 14 verlange nur eine gleichmäßige Behandlung aller Konfessionen, spreche aber keine Freiheit derselben aus und lasse daher auch eine Knechtung aller Konfessionen zu312. Weitgehend einig waren sich die Abgeordneten auch im Reichstag darüber, dass die Religionsfreiheit Schranken dulden müsse, sei es im Interesse der Rechte anderer, sei es, um eine Gefährdung des Staates abzuwehren313. Manche wollten eine Beschränkung dieser Freiheit allerdings auch schon dann zulassen, wenn dies einer Majorität als richtig erscheint. So meinte etwa Ingram, eine Gemeinde müsse berechtigt sein, Ankömmlinge zurückzuweisen, wenn deren Bekenntnis der Mehrheit der Gemeindebürger nicht entspricht, weil doch „in jeder Gesellschaft die Minorität der Majorität sich fügen muß“. Einen Verstoß gegen das in § 1 niedergelegte „Princip der Gleichberechtigung und der Gleichheit“ sah Ingram darin nicht, er glaubte gar, „das Gegentheil erweisen zu können, es würde ____________________
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Call, StenProtRT 87. Sitzung am 12. Februar, 78. Kratochwill, StenProtRT 87. Sitzung am 12. Februar, 80. 311 Kral, StenProtRT 87. Sitzung am 12. Februar, 88: „Ich gehöre nicht zu Denjenigen, [...] welche die Freiheit und die Gleichheit als das höchste Staatsziel festsetzen wollen, weil die letztere solange ein frommer Wunsch bleiben wird, bis nicht die Menschen körperlich und geistig vollkommen gleich aus der Hand der Natur hervorgehen; ich gehöre vielmehr zu Denjenigen, welche im Sinne der alten Römer aequam libertatem d.h. die gleiche Freiheit für Alle ohne Unterschied in Anspruch nehmen. Diese gleiche Freiheit haben Sie bereits einzelnen Staatsbürgern einhellig zugestanden; diese gleiche Freiheit werden Sie auch folgerecht allen Religionsbekenntnissen, Sie werden sie auch den einzelnen religiösen Gesellschaften zugestehen müssen“; Prato, StenProtRT 88. Sitzung am 13. Februar 1849, 100: „Mit welcher Partei soll ich es halten, mit welcher Partei soll ich stimmen? mit denjenigen, welche der Kirche die Unabhängigkeit versagt, weil sie dieselbe für übermüthig hält, oder mit derjenigen, welche dem Volke die Freiheit entziehen will, weil sie es als unmündig erklärt? Ich halte es mit keiner von beiden, denn ich will die Freiheit für Alle, ich will die Freiheit von oben bis unten, ich will die Freiheit nicht bloß für mich, ich bin nicht so anmaßend zu sagen ‚Laßt mich frei, denn ich bin mündig, jenen aber will ich nicht frei haben, weil er unmündig oder übermüthig ist‘; nein, ich sage: ich will frei seyn, weil das mein gutes Recht ist, und ich will die Uebrigen frei haben, seien sie Individuen, Kirchengesellschaften, weil ich gerecht seyn will“; Ziemiałkowski, StenProtRT 88. Sitzung am 13. Februar 1849, 109: „Ich will diese Freiheit für mich, und was ich für mich verlange, das gebe ich selbst meinen Gegnern“. 312 So Popiel, StenProtRT 92. Sitzung am 22. Februar 1849, 210. 313 S zB Call, StenProtRT 87. Sitzung am 12. Februar 1849, 78; Sidon, StenProtRT 96. Sitzung am 2. März 1849, 288; Helfert, StenProtRT 96. Sitzung am 2. März, 297. 310
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dagegen verstoßen, wie es sich ausschließlich auf eine Religion oder gewisse Classen von Religionen beschränken würde, allein mein Amendement umfaßt alle Religionen und ist basirt auf den Grundsatz der vollständigsten Reciprocität; ich gestehe eben so gut den Judengemeinden das Recht zu, den katholischen Cultus, wenn er in ihrer Mitte nie ausgeübt wurde zurückzuweisen“314. Dieses Argument löste im Reichstag Gelächter aus und forderte Rieger zu der Replik heraus, er „möchte dann wissen, wo denn in der Welt die Juden eine Gemeinde errichten könnten [...] – sie müßten nur in den Mond gehen.“315 Am Ende scheiterte Ingram an dem von ihm selbst postulierten Mehrheitsprinzip; denn sein Vorschlag blieb in der Minorität316, nicht anders als eine von Klebersberg vorgetragene Petition, in Deutsch-Tirol die Öffentlichkeit des Cultus nicht für jede Religion, sondern nur für die katholische zu gestatten, weil in Tirol die katholische Kirche in der Ausübung des Cultus allein sei. Da Disparitäten im Cultus in diesem Land nicht vorhanden seien, könne durch die Erfüllung seiner Petition niemand verletzt werden317. Strasser gestand wohl zu, dass die Bekenner der katholischen Religion fünf Sechsteile der Bevölkerung ausmachten, wollte aber „[u]ngeachtet dieses überwiegenden Verhältnisses der Katholiken [...] in Bezug auf das Recht der öffentlichen Cultusübung allen Religionsgesellschaften mit Einschluß des Judenthums gleichgestellt wissen“318. Wieder überließen es die Abgeordneten am Ende mehrheitlich dem Gesetzgeber, die Grenzen der Religionsfreiheit zu bestimmen. Der von ihnen angenommene § 13 sollte österreichischen Staatsbürgern – allerdings nur ihnen319 – die Freiheit des Glaubens gewährleisten und: „Sie sind unbeschränkt in der häuslichen und öffentlichen Ausübung ihrer Religion, so weit diese Ausübung weder rechts- noch sittenverletzend ist, noch auch den bürgerlichen oder staatsbürgerlichen Pflichten widerstreitet.“320 Wie die vorausgehende Diskussion und die Ablehnung der Anträge Ingrams und Klebersbergs zeigen, war dem Reichstag aber wohl bewusst, dass auch die Mehrheit die Freiheit der Minderheit und damit die Freiheit an sich zerstören kann321. Die erwähnte Debatte macht ____________________
314 315 316 317 318 319
StenProtRT 89. Sitzung am 14. Februar 1849, 140 f. StenProtRT 91. Sitzung am 21. Februar 1849, 187. StenProtRT 91. Sitzung am 21. Februar 1849, 191. StenProtRT 91. Sitzung am 21. Februar 1849, 173 f. StenProtRT 91. Sitzung am 21. Februar 1849, 178. Der Einwand Helcels, StenProtRT 91. Sitzung am 21. Februar 1849, 175, die Religionsfreiheit „könne nicht das Vorrecht – wenn auch in Österreich – bloß des österreichischen Staatsbürgers seyn. Es ist das Recht eines jeden Menschen“ fand nicht die Zustimmung der Mehrheit. 320 StenProtRT 91. Sitzung am 21. Februar 1849, 193. 321 Dies gilt mE ganz allgemein: Besteht nur die Möglichkeit, sich einer Religion, nämlich jener der Mehrheit anzuschließen, dann fehlt es eben an einer Freiheit. Dies trifft die
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überdies deutlich, dass der Reichstag die Gleichheit in den Dienst der Freiheit stellte, beide Prinzipien also nicht gegeneinander ausgespielte, sondern sie im Interesse der gleichen Freiheit aller zusammenwirken ließ. Von dem in der damaligen Literatur oft konstatierten Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit oder gar einer Unvereinbarkeit dieser beiden Postulate322 war im Reichstag also nichts zu hören, dies wohl vor allem deshalb, weil die Gleichheit im Reichstag einerseits von vornherein nicht als eine „materielle“ oder gar „kommunistische“, sondern bloß als eine formelle Gleichheit verstanden wurde und weil unter den Abgeordneten andererseits auch stets unbestritten war, dass die Freiheit nicht schrankenlos gewährt, sondern durch die gleichen Rechte anderer und durch das Gemeinwohl begrenzt war. Gerade weil sich der Reichstag weder einem radikalen Egalitarismus noch einem extremen Liberalismus verschrieben hatte, konnte er – nicht anders als von Rotteck323 – Gleichheit und Freiheit gemeinsam verlangen, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten324.
III. Reaktion und Märzverfassung 1849 1. Reaktionäre Tendenzen während der Beratungen des Reichstages Der Regierung erschien der Reichstag freilich alles andere als gemäßigt. Sie war schon im Frühjahr 1848 nur durch den Sturm der Massen ____________________
Minderheit gewiss weit härter, kann aber auch von dem, der sich der Mehrheit vielleicht aus freien Stücken angeschlossen hätte, letztlich nur als Zwang empfunden werden. 322 Als Antithesen wurden Gleichheit und Freiheit bereits bei Montesquieu aufgefasst, s dazu zB G. Dietze, Menschenrechte 36; dass Gleichheit zu einem Verlust von persönlicher Freiheit und Autonomie führt, war auch die Überzeugung der konservativen Gegenreaktion gegen moderne Gleichheitsbestrebungen nach 1790, so insb Tocquevilles, und überhaupt des deutschen Bürgertums im Vormärz, s dazu mwN Dann, Gleichheit 1026 ff, 1029 ff; s auch Bluntschli, Rechtsgleichheit 503, der die Befürchtung äußert, dass eine mangelnde Unterscheidung der „wahre[n] Gleichheit von der falschen [...] voll Gefahr für die Freiheit und für die Kultur“ sei. Zur Behandlung dieser Problematik bei Kant s Luf, Freiheit, sowie Dann, Gleichheit 1021 f. Zum Verhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit noch näher unten F.I. 323 S von Rotteck, Freiheit 182 f, der in der gleichen Freiheit aller das Fundament einer vernünftigen Rechtsordnung sah: „Die allein vernünftige und schon gemein verständige, daher zur allgemeinen Anerkennung geeignete Regel für die oft bemerkte Vereinbarung der äußeren Freiheit jedes Einzelnen mit jener aller Anderen, [...] besteht in der ohne Widerspruch gedenkbaren größtmöglichen und gleichen Freiheit Aller“ (im Original mit Hervorhebungen). 324 S demgegenüber zB Stahl, Philosophie 188 f, 196 f, der in der Forderung nach Freiheit und Gleichheit einen logischen Widerspruch sah, freilich ausgehend von einem anderen Begriffsverständnis.
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dazu bewegt worden, weiten Teilen des Volkes das Wahlrecht zum Reichstag zuzugestehen und stand diesem Organ auch nach dessen Zusammentreten skeptisch gegenüber. Mit Vorsicht, wenn nicht gar mit Argwohn verfolgte sie die Beratungen des Reichstages und seiner Ausschüsse und zog schon bald einige der (konservativen) Abgeordneten in ihr Vertrauen, um mit ihnen den Grundrechtsentwurf des Dreierausschusses zu beraten. Bereits dabei zeigte sich, wie weit der Standpunkt der Regierung von dem des Ausschusses abwich: Während dieser aus allen vorhandenen Konstitutionen die jeweils freisinnigste Bestimmung ausgewählt und in seinen Entwurf aufgenommen hatte, war dem Ministerium „in den Entwürfen anderer Staaten nur das willkommen, was die bestehenden Verhältnisse achtete, die öffentliche Ordnung festigte, die Macht der Regierung kräftigte“325. Nach der Oktoberrevolution und der damit einhergehenden Verlegung des Reichstages nach Kremsier musste den Abgeordneten zwar bewusst sein, dass sie nicht nur in der Bevölkerung an Ansehen verloren326, sondern sich auch das Misstrauen der Regierung zugezogen hatten, ja, dass im äußersten Fall sogar die Existenz der Volksvertretung gefährdet sein könnte327. Wenige Tage nachdem der Reichstag in Kremsier zusammengetreten war, setzte die neue Regierung aber schon ein Signal, das die Abgeordneten zuversichtlich hätte stimmen können: Als Schwarzenberg nämlich am 27. November 1848 das neue Ministerium vorstellte, betonte er dessen Solidarität mit dem Reichstag, bekannte sich zur konstitutionellen Monarchie und, wie im vorliegenden Zusammenhang hervorzuheben ist, auch zur Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz: „Wir wollen die constitutionelle Monarchie aufrichtig und ohne Rückhalt. Wir wollen diese Staatsform [...], begründet auf der gleichen Berechtigung und unbehinderten Entwicklung aller Nationalitäten, sowie auf der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze, gewährleistet durch Öffentlichkeit in allen Zweigen des Staatslebens, getragen von der freien Gemeinde und der freien Gestaltung der Ländertheile in allen inneren Angelegenheiten“ – all dies allerdings „umschlungen von dem gemeinsamen Band einer kräftigen Centralgewalt“328. Schwarzenberg gab sich damit keineswegs als Anhänger der Revolution zu erkennen, er hielt es eher aus Gründen der politischen Opportunität für angezeigt, den Forderungen seiner Zeit zumindest teilweise nachzugeben329. Dementsprechend zeichnete er auch verant____________________
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Helfert, Kremsier 254; vgl auch Gottsmann, Kremsier 88. Gottsmann, Kremsier 118 f. 327 Vgl die bereits zitierte Mahnung des regierungsvertrauten Abgeordneten Pinkas, der Reichstag möge sich um eine den Zuständen angemessene Konstitution bemühen (oben bei FN 158). 328 Vgl F. Walter, Zentralverwaltung 245 (Hervorhebungen nicht im Original). 329 Helfert, Geschichte Oesterreichs 467. 326
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wortlich für die Thronrede, die Franz Joseph wenige Tage später, am 2. Dezember 1848 in ganz ähnlichem Ton hielt, und durchkreuzte damit – vorläufig – die Absicht seines Schwagers Windischgrätz, der mit der Abdankung Ferdinands eine politische Wende zur Reaktion einleiten wollte. Schwarzenberg hatte die Reden des scheidenden Kaisers und seines Thronfolgers eigenmächtig geändert und ließ den neuen Kaiser nun gleichsam ein Bekenntnis zum Liberalismus ablegen: „Das Bedürfnis und den hohen Wert freier und zeitgemäßer Institutionen aus eigener Ueberzeugung erkennend, betreten Wir mit Zuversicht die Bahn, welche Uns zu einer heilbringenden Umgestaltung und Verjüngung der Gesammt-Monarchie führen soll. Auf den Grundlagen der wahren Freiheit, auf den Grundlagen der Gleichberechtigung aller Völker des Reiches und der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze, so wie der Theilnahme der Volksvertreter an der Gesetzgebung, wird das Vaterland neu erstehen, in alter Größe, aber mit verjüngter Kraft“330. Mag sich der Reichstag durch diese Bekenntnisse auch vorläufig in Sicherheit gewogen haben, der politischen Realität entsprachen sie keineswegs, und das Vorgehen Schwarzenbergs hielt Windischgrätz auch nicht davon ab, sich umso entschiedener gegen den Reichstag zu stellen, ja sogar dessen umgehende Auflösung zu verlangen331. Das Verhalten der demokratischen Gruppierungen im Reichstag bewog denn auch die Regierung nach und nach dazu, diesen Forderungen näher zu treten332. In der Ministerratssitzung vom 28. Dezember 1848 war bereits spürbar, dass eine Auflösung des Reichstages und die Oktroyierung der Verfassung ernstlich in Erwägung gezogen wurden. Wohl um dem Reichstag gleichsam eine letzte Chance zu geben, wurde beschlossen, seinen Clubs einen an der preußischen Verfassung orientierten Entwurf der Grundrechte mit dem Bemerken zukommen zu lassen, dass dessen Annahme erwartet werde, andernfalls der Reichstag aufzulösen sei333. Zum ersten Paragraphen des Ausschussentwurfes („Alle Staatsgewalten gehen vom Volke aus und werden auf die in der Konstitution festgesetzte Weise ausgeübt“334) gab der Ministerrat eine eigene, ganz ablehnende Erklärung ab, derzufolge dieser Satz theoretischer Natur und daher einer Zeit, die Taten erfordere, nicht ____________________
330 Vgl das Kaiserliche Patent vom 2. Dezember 1848, RGBl 1849 Ergänzungsband/1 (Hervorhebungen nicht im Original), wiedergegeben bei Reiter, Texte 30; s auch F. Walter, Zentralverwaltung 262 ff. 331 F. Walter, Zentralverwaltung 272; Gottsmann, Kremsier 94. 332 Hiezu und zum Folgenden F. Walter, Zentralverwaltung 284 ff; Gottsmann, Kremsier 88 ff. 333 Vgl das bei Ermacora, Menschenrechte I 137, wiedergegebene Ministerratsprotokoll von diesem Tag; s auch Gottsmann, Kremsier 89; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 217 f. 334 Fischel, Protokolle 187.
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angemessen sei. Zudem sei diese Bestimmung mit dem monarchischen Staat in keiner Weise vereinbar335. Die Regierung hatte zwar mit dem Widerspruch der Linken gerechnet, nicht aber damit, dass auch weite Teile des Zentrums und sogar der Rechten sich entrüstet gegen diese Erklärung wandten. Was die Abgeordneten erboste, waren nicht die inhaltlichen Einwände des Ministeriums – sie wurden von den Anhängern der Rechten sogar geteilt. Als völlig unangebracht und mit der Funktion einer Volksvertretung unvereinbar wurde vielmehr die in der Regierungserklärung zum Ausdruck kommende Absicht angesehen, auf die Willensbildung des Reichstags noch vor Beginn der Beratungen Einfluss zu nehmen. Nur dagegen setzte sich der Reichstag mit einem von 196 (gegen 99) Abgeordneten angenommenen Dringlichkeitsantrag336 zur Wehr, dessen Begründung Pinkas mit den Worten abschloss: „Mag jetzt die Existenz dieser Kammer verloren seyn, ist doch ihre Ehre gerettet“337. So entschieden der Reichstag für seine Unabhängigkeit kämpfte, so wenig brachte er doch den Mut auf, der Regierung auch in der Sache entgegen zu treten: Schon am 10. Jänner 1849 beschloss er, den von ihr angegriffenen § 1 „als nicht hierher gehörig wegzulassen“338. Dieser Schritt erklärt wohl auch, warum die Abgeordneten dem im Anschluss daran beratenen Gleichheitssatz nun einen deutlich weiteren Umfang und ein viel höheres Gewicht zuschrieben als noch der Verfassungsausschuss: Dass der Gleichheitssatz nun zur Basis der Demokratie und des Rechtsstaates und geradezu zur Leitlinie der neuen Konstitution erklärt wurde, wirkt wie ein Versuch zu retten, was noch zu retten war. Dass der Reichstag zuvor auf ein ausdrückliches Bekenntnis zur Demokratie verzichtet hatte, konnte den Ministerrat tatsächlich auch nicht ernsthaft beschwichtigen. Der – wenn auch bloß formale – Widerstand des Reichstages gegen die Einflussnahme der Regierung hatte deren Misstrauen unumkehrbar vertieft und war für sie auch Anlass, mit der Ausarbeitung einer eigenen Verfassung zu beginnen, die nun nicht mehr dem Reichstag unterbreitet, sondern durch Oktroy in Kraft gesetzt werden sollte339. Am 20. Jänner 1849 – drei Tage, nachdem der Reichstag die Beratung des Gleichheitssatzes beendet hatte – sprach der Ministerrat bereits die Notwendigkeit aus, „den Reichstag wegen seiner in der neuesten ____________________
335 Vgl näher Helfert, Kremsier 258 f, 270 ff; dens, Geschichte Oesterreichs 18 ff, 464 ff; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 218; Gottsmann, Kremsier 89. 336 StenProtRT 67. Sitzung am 8. Jänner 1849, 289. 337 StenProtRT 67. Sitzung am 8. Jänner 1849, 281; s auch F. Walter, Zentralverwaltung 288; Gottsmann, Kremsier 90 f. 338 StenProtRT 69. Sitzung am 10. Jänner 1849, 358. 339 F. Walter, Zentralverwaltung 294 f; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 243; Gottsmann, Kremsier 94 f.
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Zeit unverholen hervorgetretenen radikalen Tendenz und seiner feindseligen Haltung gegen das Ministerium, welche jede geordnete Regierung unmöglich zu machen strebe, aufzulösen“340.
2. Vorarbeiten zur Märzverfassung 1849 und Auflösung des Reichstages Die Ablehnung des Reichstages bedeutete keine vollständige Abkehr von liberalem Gedankengut, auch nicht von den hier interessierenden Gleichheitsgarantien. Ihre Gewährung sollte nun aber neben der grundrechtlichen Dimension noch eine weitere, nicht die Unabhängigkeit des Einzelnen, sondern die Macht des Reiches sichernde Funktion erhalten. Erste Anzeichen dieser Tendenz wurden sichtbar, als Schwarzenberg dem jungen Kaiser vorschlug, „viribus unitis“ zu seinem neuen Wahlspruch zu erheben und dazu erklärte, der Kaiser habe „die Gleichberechtigung aller unter [seinem] Szepter vereinten Völker als den leitenden Gedanken [seiner] Regierung anerkannt und ausgesprochen. Durch die konsequente Durchführung dieses Grundsatzes sollten die verschiedenen, in dem großen Kaiserreiche vorhandenen, oft sich widerstrebenden Elemente zu einem harmonischen Zusammenwirken vereinigt und hiedurch die Kraft und Blüthe des Gesamtstaates einer neuen und gedeihlichen Entwicklung zugeführt werden. – Nur wenn alle Völker Oesterreichs, auf der Grundlage gleicher Rechte und gleicher Pflichten, berufen sind, mit vereinten Kräften den Bau der Größe des gemeinsamen Vaterlandes zu fördern, kann das hohe Ziel, das [dem Kaiser] vorschwebt, erreicht werden“341. Anders als noch in der Regierungserklärung vom 27. November 1848 und in der Thronrede vom 2. Dezember desselben Jahres wird die Gleichheit der Staatsbürger hier nicht mehr als ein an sich wertvolles und zu verwirklichendes Prinzip beschworen, sondern erkennbar in den Dienst des gesamtstaatlichen Interesses an der Zentralisierung und Einheit des Vielvölkerstaates gestellt. Franz Joseph folgte der Empfehlung Schwarzenbergs und nahm den Wahlspruch am 12. Februar 1849 an342. Die Verknüpfung von Gleichheit und Reichseinheit war in einem weiteren Sinn auch eines der beherrschenden Themen bei der Ausarbeitung der Märzverfassung selbst, die letztlich ein Tauziehen zwischen antikonstitutionell-konservativen und konstitutionell-liberalen Kräften war343. ____________________
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F. Walter, Zentralverwaltung 295; Gottsmann, Kremsier 95. Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 5, 75 (Hervorhebungen nicht im Original); F. Walter, Zentralverwaltung 305. 342 F. Walter, Zentralverwaltung 305; Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 5, 75. 343 Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 244. Vgl zum äußeren Ablauf der Entstehung dieser Verfassung, deren Verhandlungen praktisch nicht protokolliert sind, ders, Gesetzgebungsgeschichte 244 ff; s auch Gottsmann, Kremsier 95 ff.
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Nur der Entschiedenheit der wenigen liberalen Regierungsmitglieder ist es zu verdanken, dass die Verfassung 1849 nicht zu jenem altständischen Muster zurückkehrte, das Windischgrätz erzwingen wollte344. Als Feind jeden revolutionären Gedankengutes trat er mit Vehemenz für die Aufrechterhaltung des Grundbesitzes und für die Repräsentanz des Adels in den Vertretungskörpern ein345. Doch selbst sein – gewiss konservativer – Schwager Schwarzenberg wollte die adelige Geburt nicht mehr zu dem maßgeblichen Differenzierungskriterium der neuen Ordnung machen. Er setzte dem ständischen Prinzip das Kriterium des Besitzes entgegen und sah es bereits als ein Entgegenkommen an seinen Schwager an, die Fideikommisse und Majorate beizubehalten, „um dem aristokratischen Elemente wenigstens in der Zukunft eine Chance zu geben diejenige Rolle zu spielen, zu der es jetzt leider noch gar keine Befähigung gezeigt hat“346. Davon abgesehen war Schwarzenberg aber nicht bereit, alle Vorrechte des Adels aufrechtzuerhalten, und so widerstrebte es ihm auch, das Wahlrecht zu dem weiterhin vorgesehenen, in seinen Kompetenzen freilich beschränkten Reichstag347 an die Zugehörigkeit zu diesem Stand zu knüpfen. Viel angemessener erschien ihm die Einführung eines auf dem Besitz beruhenden Zensuswahlrechtes, das – wie er Windischgrätz zu vermitteln versuchte – im Ergebnis ohnedies den Adel begünstige, weil dieser ja den großen Besitz in den Provinzen in Händen hielt. Schwarzenberg stand nicht nur dem ständischen Prinzip als solchem skeptisch gegenüber; auch die föderalistischen Vorstellungen vieler Vertreter des Adels waren mit dem von ihm angestrebten Einheitsstaat nicht vereinbar. Dementsprechend konnte er sich auch mit der Beschickung eines Reichs-Senates aus den Landtagen nicht für einverstanden erklären, weil „auf diese Weise [...] das Provinzielle überwiegend [bliebe], den Particular-Interessen [...] ein zu großer Spielraum eingeräumt [wäre], und die nothwendige Einigung über unerläßliche für das Ganze zu behandelnde Gegenstände [...] große Schwierigkeiten haben [würde]“348. Als Windischgrätz in Ansehung des nicht mehr vom altständischen Prinzip beherrschten Verfassungsentwurfes mit der Aufkündigung jeder Hilfe drohte, wenn seinen Wünschen nicht ausreichend Rechnung getragen würde, sprachen vier Mitglieder des Ministeriums die gleiche Drohung aus, freilich für den umgekehrten Fall, dass nämlich den Forderun____________________
344 Vgl näher Helfert, Geschichte Oesterreichs 469; Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 35 f; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 244; Gottsmann, Kremsier 97 ff. 345 Helfert, Geschichte Oesterreichs 468; Gottsmann, Kremsier 97 ff. 346 Wiedergegeben bei Helfert, Geschichte Oesterreichs 468 (Hervorhebungen im Original). 347 Näher Gottsmann, Kremsier 101. 348 Wiedergegeben bei Helfert, Geschichte Oesterreichs 470.
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gen Windischgrätz’ entsprochen werde. Nicht nur die Unentbehrlichkeit dieser Minister für die Regierung, auch der Umstand, dass der MinisterPräsident selbst mit Windischgrätz nicht zu einer Einigung kommen konnte, ließ die Regierung an ihrem Verfassungsentwurf festhalten, verbunden allerdings mit dem versöhnlichen Versuch, sich zumindest in einzelnen Punkten den Forderungen Windischgrätz’ zu nähern349. Seiner Anregung folgend wurde ein Teil der Grundrechte aus der Reichsverfassung ausgegliedert und in ein eigenes Grundrechtspatent überstellt, das allerdings nur in Cisleithanien (dem Geltungsbereich der Pillersdorffschen Verfassung) in Kraft gesetzt wurde350. Der andere Teil der Grundrechte verblieb – ungeachtet der Wünsche Windischgrätz’ – in der Reichverfassung und galt damit für das gesamte Staatsgebiet der Monarchie. Mit einem Manifest vom 4. März 1849 wurde schließlich der Reichstag aufgelöst351 und unter einem die Reichsverfassung352, das Grundrechtspatent353 und (zur Beruhigung der Bauern354) auch das Entschädigungsgesetz für Urbarialabgaben355 in Kraft gesetzt.
3. Die Gleichheitsgarantien der Märzverfassung So umstritten genuin gleichheitsrechtliche Fragen im Vorfeld der Reichsverfassung auch waren, so stand doch stets außer Frage, dass den Reichsbürgern auch durch die neue Verfassung die „Gleichheit vor dem Gesetze“ garantiert sein sollte. Gemeinsam mit anderen gleichheitsrechtlichen Grundrechtsbestimmungen wurde dieser allgemeine Gleichheitssatz auch nicht in das Grundrechtspatent verbannt; er behielt vielmehr den ihm von Anfang an zugedachten Platz in der Reichsverfassung, genauer in deren ____________________
349 Vgl Helfert, Geschichte Oesterreichs 468 ff; s auch Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 39; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 244; Gottsmann, Kremsier 97 ff. 350 Das Grundrechtspatent sollte also wohl an die Stelle des Grundrechtskataloges von 1848 treten, während in den anderen Ländern der bisherige Zustand, allenfalls auch ohne Grundrechte fortdauern sollte, s dazu Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 254. 351 Kaiserliches Manifest vom 4. März 1849, wodurch der Reichstag von Kremsier aufgelöset, und den Völkern Oesterreichs aus eigener Macht des Kaisers eine Reichsverfassung für das gesammte Kaiserthum Oesterreich verliehen wird, RGBl 1849/149, wiedergegeben bei Reiter, Texte 31; s zur Auflösung des Reichstages näher Helfert, Kremsier 316 ff; Gottsmann, Kremsier 103 ff. 352 Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, die Reichsverfassung für das Kaiserthum Oesterreich enthaltend, RGBl 1849/150, wiedergegeben bei Reiter, Texte 33. 353 Kaiserliches Patent vom 4. März 1849 über die durch die konstitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Rechte, RGBl 1849/151, wiedergegeben bei Reiter, Texte 43. 354 Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 6 f, 23 f, 28 ff. 355 S das Ah Patent vom 7. September 1848. Aufhebung des Unterthänigkeitsverbandes und Entlastung des bäuerlichen Besitzes, PGS 1848/112, ausgeführt durch Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, RGBl 1849/152, wodurch die Durchführung der Aufhebung des Unterthans-Verbandes und der Entlastung des Grund und Bodens angeordnet wird.
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III. Abschnitt „Von dem Reichsbürgerrechte“356. Der Gleichheit vor dem Gesetz wurde dabei allerdings schon in systematischer Hinsicht nicht jene prioritäre Rolle zugewiesen, die sie noch im Grundrechtsentwurf von Kremsier hatte. Keineswegs an der Spitze, sondern erst als fünfte Bestimmung des Grundrechtskataloges statuierte § 27 der Verfassung den allgemeinen Gleichheitssatz mit folgendem Wortlaut: „Alle österreichischen Reichsbürger sind vor dem Gesetze gleich, und unterstehen einem gleichen persönlichen Gerichtsstande.“
Die nachrangige Positionierung dieser Gleichheitsgarantie im Grundrechtskatalog und die unmittelbar anschließende Statuierung des gleichen Gerichtsstandes erinnert zwar an die Aprilverfassung 1848. In seiner Formulierung wich der nunmehr aufgestellte Gleichheitssatz von dieser Verfassung aber ab, denn er beschränkte die Gleichheit nicht auf die „Wirksamkeit“ der Gesetze und ging damit offenbar über die Garantie einer gleichen Rechtsanwendung hinaus357. Der Gleichheitssatz der Märzverfassung entsprach aber auch nicht der Formulierung, auf die sich der Reichstag geeinigt hatte. Denn in § 27 leg cit heißt es nicht: „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich“, sondern „Alle österreichischen Reichsbürger sind vor dem Gesetze gleich“. Die Märzverfassung knüpfte in dieser Hinsicht also nicht an ein österreichisches Vorbild an358; sie übernahm vielmehr die bei den Frankfurter Grundrechten359 bzw in der Preußischen Verfassung360 gebrauchte Formulierung, die sich ihrerseits an die Belgische Verfassung anlehnt361. Diese Wortfolge war zunächst auch vom Dreierausschuss des Reichstages vorgeschlagen worden362, wurde im Verfassungsausschuss dann aber auf Betreiben Lassers umgestellt. Durch das Vorzie____________________
356 In diesem Abschnitt waren alle Grundrechte der Reichsverfassung geregelt, mit einer Ausnahme: § 5, der im I. Abschnitt „Von dem Reiche“ die Gleichberechtigung aller Volksstämme ausspricht und festhält, dass jeder Volksstamm ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache hat. Die systematische Einordnung dieser Bestimmung folgt dem Vorbild der Aprilverfassung 1848. 357 Die „Förderung der Einheit und Gleichförmigkeit des Ganges der Staatsverwaltung“ war dem Ministerrat freilich ein zentrales Anliegen, wie ein zu diesem Zweck erlassenes Ministerialblatt beweist, dessen Herausgabe wenige Tage nach der Märzverfassung beschlossen wurde, vgl dazu F. Walter, Zentralverwaltung 345. 358 Mag sie an diesen Vorbildern auch sonst orientiert gewesen sein, vgl Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 248 f. 359 Vgl den ersten Satz des Art II § 6 in der Fassung des Ausschussentwurfes, der sodann auch vom Parlament angenommen wurde (s Wigard, Stenographischer Bericht 1291, 1347): „Alle Deutschen sind gleich vor dem Gesetze.“ 360 Art 4 der Verfassung für den preußischen Staat vom 5. Dezember 1848, wiedergegeben bei Huber, Dokumente 484: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Aemter sind für alle dazu Befähigten gleich zugänglich“. 361 „Die Belgier sind vor dem Gesetze gleich.“, vgl oben FN 41. 362 Vgl oben bei FN 81.
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hen der Wendung „vor dem Gesetze“ sollte betont werden, dass eine Gleichheit nur in rechtlicher, nicht aber auch in materieller Hinsicht garantiert ist363. Gewiss wollte die Regierung den Bürgern eine solche „kommunistische“ Gleichheit ebenso wenig zusagen wie der Reichstag. Wenn sie von der Formulierung des Kremsierer Entwurfes gleichwohl abging, dann wohl, um ihre Distanz zu der Bedeutung auszudrücken, die der Reichstag dem allgemeinen Gleichheitssatz insgesamt beigelegt hatte. Für diese Deutung spricht auch, dass sich die speziellen Gleichheitsgarantien, die der Reichstag aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleitet und bloß der Klarheit halber ausgesprochen hatte, in der Märzverfassung nicht mehr fanden, so die Abschaffung der Standesvorrechte und der Adelsbezeichnungen364, aber auch die Garantie, dass zu Auszeichnungen und Belohnungen nur das persönliche Verdienst berechtigt. Auch die im Reichstagsentwurf gewährte konfessionelle Gleichbehandlung sah die Märzverfassung nicht mehr vor; sie wurde nur in das Grundrechtspatent aufgenommen, das aber, wie erwähnt, einen örtlich beschränkten Geltungsbereich hatte365. Umgekehrt garantiert die Märzverfassung unmittelbar nach der ____________________
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S oben bei FN 108, 151 und 218. Die Weglassung der Adelsabschaffung entsprach der reaktionären Tendenz der ganzen Märzverfassung, insbesondere ihrer Oktroyierung, s auch F. Walter, Zentralverwaltung 325 f; das Regierungsmitglied Helfert hatte sich in seiner Funktion als Abgeordneter schon im Reichstag gegen die Abschaffung der Adelstitel ausgesprochen, vgl Helfert, Kremsier 280. 365 Vgl § 1 Grundrechtspatent: „Die volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung des Religionsbekenntnisses ist Jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig, doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen.“ Ziel dieser Bestimmung war es vor allem, eine Gleichstellung der Juden auszusprechen (vgl dazu Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 26 ff; s auch das bei Ermacora, Menschenrechte I 140 f, wiedergegebene Ministerratsprotokoll). Ihrem Wortlaut nach ist diese Garantie konfessioneller Gleichbehandlung nicht auf Staatsbürger beschränkt, sondern „Jedermann“ gewährt. Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 256 f, meint jedoch, die Rechte des Grundrechtspatents seien aus „sachlichen Gründen“ ganz allgemein nicht als Menschenrechte anzusehen, denn es wäre unverständlich, warum die Reichsverfassung den allgemeinen Gleichheitssatz zuerst den Reichsbürgern vorbehalten, das Grundrechtspatent dann aber ein „Element“ des Gleichheitssatzes jedermann zukommen lassen sollte. Dieses Argument unterstellt, dass sich die Grundrechtsträger eines speziellen Gleichheitssatzes stets mit jenen des allgemeinen Gleichheitssatzes decken müssen. Tatsächlich ist dies nicht der Fall; das Verbot, nach einem bestimmten Kriterium zu differenzieren, kann ohne weiteres für einen größeren Personenkreis gelten als der allgemeine Gleichheitssatz. Beispielhaft dafür sind etwa die speziellen Gleichheitssätze der Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG, Art 7 Abs 3 B-VG, Art 14 Abs 6 B-VG, die allesamt anders als Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG nicht auf Staatsbürger beschränkt sind. Nicht unbestreitbar ist auch das weitere Argument Brauneders, Gesetzgebungsgeschichte 256, § 1 Grundrechtspatent garantiere die Glaubensfreiheit zwar „jedermann“, dies aber nur unter dem Vorbehalt, dass staatsbürgerliche Pflichten durch diese Freiheit nicht beeinträchtigt werden. Das Grundrechtspatent setze also voraus, dass „jedermann“ auch staatsbürgerliche Pflichten habe. Staatsbürgerliche Pflichten sind nach § 1 Grundrechtspatent aber keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Glau364
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Gleichheit vor dem Gesetz ausdrücklich den gleichen persönlichen Gerichtsstand366, also eine Gleichbehandlung, die der Reichstag wohl noch als selbstverständlichen, keiner ausdrücklichen Erwähnung bedürftigen Bestandteil der Gleichheit vor dem Gesetz angesehen hatte367. Alles in allem schien die Regierung der Gleichheit vor dem Gesetz jedenfalls keine derart zentrale Bedeutung und dann wohl auch keinen so umfassenden Inhalt mehr beizulegen wie dies der Reichstag getan hatte368. Wohl in diesem Sinn meinte auch Sporschil, die Reichsverfassung halte sich „[ferne] von dem Nivellirungssystem der Revolution, zu dem es den entgegengesetzten Pol bildet“369. Dieser Befund wird nur scheinbar relativiert, wenn man sich vor Augen führt, dass die Märzverfassung vor und nach der Garantie des allgemeinen Gleichheitssatzes Grundrechte statuiert, die ihrerseits fast ausnahmslos eine gleichheitsrechtliche Zielsetzung haben. So wird schon an der Spitze der Grundrechte festgehalten, dass es nur ein allgemeines österreichisches Reichsbürgerrecht gibt, das für alle Völker des Reiches gilt (§ 23). Im Anschluss daran stellt die Verfassung sicher, dass die Reichsbürger in jedem Kronland zumindest in bestimmten Belangen gleich behandelt werden: § 24 verbietet der Gesetzgebung in den Kronländern, zwischen ihren Angehörigen und den Angehörigen eines anderen Kronlandes Unterschiede „im bürgerlichen oder peinlichen Rechte, im Rechtsverfahren oder in der Vertheilung der öffentlichen Lasten“ zu begründen370. Für die Vollziehung bestimmt § 24 weiters, dass die rechtskräftigen Urteile der Gerichte aller österreichischen Kronländer „in allen solchen gleich wirksam und vollziehbar“ sind. § 25 gewährleistet die Freizügigkeit der Person innerhalb ____________________
bensfreiheit. Diese Freiheit wird nur unter dem Vorbehalt gewährt, dass durch sie – allenfalls bestehenden – staatsbürgerlichen Pflichten kein Abbruch geschieht, so wie Grundrechte auch sonst oft unter dem Vorbehalt stehen, dass ihre Ausübung nicht den Rechten anderer oder öffentlichen Interessen zuwiderläuft. 366 Korrespondierend dazu bestimmte die Märzverfassung in § 100, dass in Hinkunft keine Patrimonial-Gerichte bestehen. 367 S oben FN 239. 368 Dazu passt auch, dass die Märzverfassung zwar in § 106 II vorsah, dass ein oberstes Reichsgericht eingesetzt werden sollte, das ua als oberste Instanz „bei Verletzung der politischen Rechte“ zu entscheiden hatte (s dazu Brauneder, ÖJZ 1989, 418 f ). Mit diesen politischen Rechten waren allerdings nicht die in der Märzverfassung selbst garantierten Rechte gemeint, sondern nur die im Grundrechtspatent gewährleisteten Rechte, unter denen sich das – allein in der Märzverfassung statuierte – Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz gerade nicht fand; s dazu auch Nowak, Grundrechte 53. 369 Sporschil, Reichsverfassung 120. 370 Vgl den ganz ähnlichen § 134 der Frankfurter Reichsverfassung (wiedergegeben bei Huber, Dokumente 390; Hartung/Commichau/Murphy, Entwicklung 93): „Kein deutscher Staat darf zwischen seinen Angehörigen und andern Deutschen einen Unterschied im bürgerlichen, peinlichen und Proceß-Rechte machen, welcher die letzteren als Ausländer zurücksetzt.“
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der Reichsgrenzen und überlässt eine Beschränkung dieser Freiheit anders als der Kremsierer Entwurf nicht mehr den Gemeindeordnungen371. Gerade im Zusammenhang mit der vorhergehenden Bestimmung wird deutlich, dass auch diese Garantie gleichheitsrechtlich motiviert ist, also sicherstellen will, dass die Staatsbürger unter bestimmten Rücksichten an jedem Ort des Reiches gleich behandelt werden, sei es, indem dem Landesgesetzgeber (in § 24) eine ungleiche Behandlung verboten wird, sei es, indem sichergestellt wird, dass die Niederlassung in jeder Gemeinde unter gleichen Voraussetzungen möglich ist372. Offensichtlich gleichheitsrechtlich motiviert ist auch die in § 26 angeordnete Aufhebung der Leibeigenschaft sowie der Untertänigkeits- und Hörigkeitsverbände, die verbietet, dass sich ein Rechtsunterworfener über den anderen stellt und damit eine Form der Ungleichheit der Staatsbürger im Verhältnis zueinander untersagt. § 28 garantiert weiters, dass „[die] öffentlichen Aemter und Staatsdienste [...] für alle zu denselben Befähigten gleich zugänglich [sind]“373. Gegen die bis ____________________
371 In § 33 der Reichsverfassung wurde den Gemeinden allerdings die „Aufnahme neuer Mitglieder in den Gemeindeverband“ als ein „Grundrecht“ gewährleistet. Nach § 12 des provisorischen Gemeinde-Gesetzes vom 17. März 1849, RGBl 1849/170 (wiedergegeben bei Reiter, Texte 44 ff [45 f ]), erfolgte diese Aufnahme in den Gemeindeverband durch förmlichen Gemeindebeschluss, bei Frauen durch Verehelichung mit einem Gemeindemitglied, oder stillschweigend durch Duldung eines österreichischen Staatsbürgers ohne Heimatschein, der sich seit vier Jahren in der Gemeinde aufhält. Die Gemeinde schien damit auch berechtigt, einer ihr nicht genehmen Person die Aufnahme in den Gemeindeverband zu verweigern. Dass es in ihrem Belieben gestanden wäre, dieser Person auch die Niederlassung in der Gemeinde zu verwehren, kann daraus aber wohl nicht abgeleitet werden, sodass die Reichsverfassung iVm mit dem provisorischen Gemeinde-Gesetz keine ungleichmäßige, dh gemeindeweise verschiedene Beschränkung der Freizügigkeit zuließ. Das Ziel einer gleichmäßigen Gewährung und Beschränkung der Freizügigkeit wollte auch der Reichstag durch die Bindung der Gemeinde an ein einheitliches Gemeindegesetz erreichen; s dazu schon oben B.II.2.c. 372 Die gleichheitsrechtliche Intention der Freizügigkeit wird 1867 noch deutlicher. Das StGG garantiert flankierend zur Freizügigkeit in Art 4 Abs 2, dass allen „Staatsbürgern, welche in einer Gemeinde wohnen und daselbst von ihrem Realbesitze, Erwerbe oder Einkommen Steuer entrichten, [...] das aktive und passive Wahlrecht zur Gemeindevertretung unter denselben Bedingungen, wie den Gemeindeangehörigen“ gebührt. Die Inanspruchnahme der Freizügigkeit sollte also nicht mit einem Verlust des Wahlrechts bezahlt werden müssen; s dazu näher Pöschl, Art 4 StGG Rz 5. 373 Anders als im Grundrechtsentwurf von Kremsier ist diese Garantie jedenfalls ihrem Wortlaut nach nicht mehr auf Staatsbürger beschränkt; ebenso wenig werden Ausländer nun von bestimmten öffentlichen Ämtern ausdrücklich ausgeschlossen. Aus der Überschrift zu diesem Abschnitt „Von dem Reichsbürgerrechte“ könnte zwar geschlossen werden, dass die unter diesem Titel geregelten Grundrechte, also auch die gleiche Ämterzugänglichkeit nur den Reichsbürgern gewährt sein sollte. Gegen diese Deutung spricht allerdings der zweite Satz des unter der selben Überschrift befindlichen § 26, demzufolge die Betretung des österreichischen Bodens oder eines österreichischen Schiffes jeden Sklaven frei macht – eine Bestimmung, die ganz offensichtlich nicht auf Reichsbürger beschränkt ist. Keine Auslegungshilfe ist die Äußerung des Unterrichtsministers vom 4. Juli 1849, wonach die Anstellung von Ausländern im Staatsdienst „im allgemeinen nicht zulässig“, also – wie
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dahin bestehenden Vorrechte bestimmter Stände und Klassen ist schließlich auch § 30 gerichtet, der es jedem österreichischen Reichsbürger ermöglicht, in allen Teilen des Reiches Liegenschaften jeder Art zu erwerben, sowie jeden gesetzlich erlaubten Erwerbszweig auszuüben374. Eine Ergänzung zu den speziellen Gleichheitssätzen der §§ 25 f stellt schließlich die in § 31 gewährte Freizügigkeit des Vermögens dar, dann aber auch § 32, der die Schuldigkeiten und Leistungen, die aus einem Untertänigkeits- oder Hörigkeitsverband oder aus dem Titel des geteilten Eigentums auf einer Liegenschaft haften, für ablösbar erklärt und die Begründung unablösbarer Leistungen für die Zukunft untersagt. Mögen diese speziellen Gleichheitssätze auf den ersten Blick auch sehr unterschiedlich und umfangreich sein, so passen sie bei näherer Betrachtung doch ganz zu der bereits angedeuteten Motivation der Märzverfassung, die keineswegs revolutionär und auch nur scheinbar liberal gewesen ist375. Beinahe jedes der nun statuierten Gleichheitsgebote hatte einen Effekt, an dem nicht nur dem Bürger, sondern – und wohl in erster Linie – dem Monarchen selbst gelegen war. Zum Teil unterstützten sie das allgemeine Ziel, die Länder in den großösterreichischen Einheitsstaat einzugliedern und ihre bislang bestehende Macht auf den Gesamtstaat überzuführen – ein Vorhaben, das bislang ua durch die fortwährende Bestätigung ständischer Rechte und Freiheiten verunmöglicht worden war376. Zum Teil wurden durch die Gleichheitsgarantien der Märzverfassung aber auch die innerhalb der Gesellschaft bestehenden Herrschaftsverhältnisse aufgebrochen, freilich nur, um die dadurch frei werdende Macht sogleich in staatliche Hände zu legen. Der Märzverfassung war es also nicht primär darum zu tun, den Reichsbürgern einen Teil jener Rechte zuzugestehen, die in der Revolution gefordert worden waren; ihr lag vielmehr daran, die innerhalb des Staates bestehenden Subverbände aufzulösen oder wenigstens zurückzudrängen, um die vorhandene Macht beim Staat zu konzentrieren377. Vor diesem Hintergrund erscheint auch durchaus schlüssig, dass ____________________
Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 258, schließt – ausnahmsweise doch erlaubt ist. Denn die ausnahmsweise Zulassung Fremder zu den öffentlichen Ämtern besagt noch nicht, dass diesen der Zugang zu den öffentlichen Ämtern auch unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsbürgern garantiert ist. 374 Diese Bestimmung richtet sich gegen das bisher den Grundherren vorbehaltene Recht des Liegenschaftserwerbs und die aus dem Zunftwesen resultierenden Berufsvorrechte; s dazu näher Morscher, Niederlassungsfreiheit 516 f. 375 S auch F. Walter, Zentralverwaltung 326, der von einem „schleißig[en]“ liberalen Mäntelchen spricht, das sich die Märzverfassung umgehängt hat. 376 S auch F. Walter, Zentralverwaltung 327. 377 S bereits Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 254, demzufolge diese Rechte im Dienste der „Ausbildung des modernen, egalitären Machtstaates mit seiner Aufhebung der intermediären Gewalten“ stehen; s zu den Zielen der Märzverfassung auch Gottsmann,
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sich die vom Reichstag beschlossene Aufhebung der Adelsbezeichnungen in der Märzverfassung nicht mehr fand, trafen diese Bezeichnungen doch bloß eine nominelle Unterscheidung zwischen den Bürgern, die den Nichtadeligen wohl kränken mochte, aber – und nur das war entscheidend – dem Adel kein Herrschaftsrecht über andere Stände verschaffte. Eben so wenig war es angesichts der Zielsetzungen der Märzverfassung erforderlich zu garantieren, dass Auszeichnungen und Belohnungen künftig nur nach der Befähigung verliehen würden, wie überhaupt Gleichheitsgebote immer dann unattraktiv erscheinen mussten, wenn sie dem Staat keine weitere Macht zuspielten, sondern ihn im Gegenteil in der Ausübung seiner Macht beschränkten. Selbst Windischgrätz, der mit der Märzverfassung sonst ganz unzufrieden war, musste den zentralisierenden Effekt der Gleichheitsgarantien anerkennen, wenn er meinte: „Auf was beruhet eine wünschenswerthe Centralisation im Regieren? – Auf gleichmäßiger Besteuerung für alle Provinzen, auf einer nach der Population berechneten Recrutirung der Armee, auf einer gleichen Gerichtspflege, auf einem unbedingten politischen Einfluß auf alle Provinzen“ 378. Dass der Gleichheitssatz ungeachtet seines Nutzens für die Zentralisierung in der Märzverfassung nicht zu einer bloßen Staffage verkommen ist, zeigt jedoch zunächst das am 15. August 1849 erlassene Rundschreiben des Innenministers Bach, das den Behörden die rasche und umsichtige Durchführung vor allem jener wichtigen Gesetze auftrug, von denen „wie bei dem Gemeinde-, dem Grundentlastungsgesetze und der neuen Organisation der Administrativ-Behörden, die thatsächliche Verwirklichung der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze und die nachhaltige Begründung einer kräftigen, nach allen Richtungen hin wirksamen Executivgewalt bedingt sei.“379 In grundsätzlich gleicher Weise forderte auch Schwarzenberg am 2. Juni 1849 in seinem Vortrag über die künftige unmittelbare Leitung der Zivilverwaltung des Kronlandes Ungarn, dass der „Grundsatz der Gleichberechtigung aller Staatsbürger [...] durch Einführung von Civilgerichten, welche nach dem gleichen Gesetze sowohl dem Landmanne, als dem Edelmanne Recht sprechen, in Anwendung gebracht und dadurch insbesondere das moralische Selbstgefühl des bisher gedrück____________________
Kremsier 100; vgl auch den – nicht speziell auf die Märzverfassung, aber doch auf den nachrevolutionären Staat bezogenen – Befund Gumplowicz’, Staatsrecht 265: „Der moderne Staat ist die Herrschaftsorganisation und der Herrschaftsverband [...] und duldet keinen anderen auf seinem Gebiete“; s weiters die von Herrnritt, Verfassungsrecht 39 ff, teilweise schon dem aufgeklärten Absolutismus attestierte Tendenz, derartige Herrschaftsverbände innerhalb des Staates im Interesse des zentralisierten Einheitsstaates zurückzudrängen. 378 Vgl die Denkschrift Windischgrätz’ vom 18. März 1850, wiedergegeben bei Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 205 ff (hier: 206). 379 Vgl F. Walter, Zentralverwaltung 371.
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ten Bauern gehoben werden [muß].“380 Um die „einheitliche[…] Constituirung der ganzen Erbmonarchie und [die] Gleichstellung der Vortheile und Lasten aller Kronländer“ durchzuführen, ordnete Schwarzenberg die Aufhebung der Zwischenzoll-Linie an. Als Ersatz für diese Einnahmequelle forderte er dann allerdings die „gleichmäßige[…] Vertheilung der directen Steuern auf alle Klassen der Bevölkerung und [die] Einführung von Verbrauchsabgaben“381. Ungeachtet ihrer zentralistischen Motivation ließen sich die Gleichheitsgarantien der Märzverfassung problemlos auch als Wohltat für den Bürger präsentieren, so etwa im Schreiben eines Wiener Advokaten an das Gesamtministerium vom 18. Dezember 1850, in dem es heißt, die Regierung habe „die Freiheit der Gemeinden und mit ihr Millionen Bürgern in den Städten und auf dem Lande die nichtrücknehmbare Sprech- und Handlungsfreiheit gegeben, sie hat die Patrimonien aufgehoben und dadurch den größten aller Stände – den Bauernstand – gegen jede Reacktion, die ihn mit der Rückkehr zum Zehent und Robot ängstigt, unmöglich gemacht, und sie hat die Geburtsprivilegien vernichtet und dadurch die letzte Macht gebrochen, die ein Volk in seiner Unterwürfigkeit erhält.“382 Der ehemalige Ministerpräsident Wessenberg hielt die Märzverfassung gar für so „demokratisch, als immer bei Beibehaltung der monarchischen Staatsform denkbar“ und meinte damit die „Entfernung aller Bevortheilung irgend eines Standes, irgend einer Klasse, irgend einer Persönlichkeit, also die Gleichberechtigung aller“383. Damit war aus damaliger Sicht aber ohne weiteres vereinbar, dass das Wahlrecht zum Reichstag durch einen Steuerzensus beschränkt war384. Gleichberechtigung meinte also nach wie vor die Beseitigung der auf dem Prinzip der Geburt gründenden Vorrechte, schloss aber Differenzierungen nach dem Besitz nicht aus und umfasste insbesondere nur die formale Rechtsgleichheit; von allgemeiner politischer Gleichheit konnte nach wie vor keine Rede sein. Tatsächlich war die Stütze des neuen Regimes nun nicht mehr der Adel, sondern der wohlhabende Mittelstand, der sich gemeinsam mit den liberal gesinnten Adeligen zur Märzverfassung bekannte. Der Großteil des Adels fand sich eher in der Opposition; denn zum einen war die vom Ministerium angestrebte Verwirklichung des Einheitsstaates mit seinen föderalistischen Vorstellungen nicht vereinbar. Zudem musste der Adel ____________________
380 381 382
Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 147. Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 148. Vgl die Wiedergabe dieses Schreibens bei Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 195 ff (hier: 197). 383 F. Walter, Zentralverwaltung 328 f. 384 S §§ 43 und 45 der Reichsverfassung, sowie F. Walter, Zentralverwaltung 329; s zum Wahlrecht der Märzverfassung näher Nowak, Grundrechte 280 f.
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der Regierung übel nehmen, dass sie ihm durch die Grundentlastung eine wichtige Einnahmequelle und auch sonst bedeutsame Vorrechte genommen hatte385. Humelauer, ein ehemaliger Hofrat der Staatskanzlei, meinte gar, dass der Adel durch die Märzverfassung „an seinem Vermögen zu Grunde gerichtet werden [soll], und – um seinen Einfluß auf das Volk für die Zukunft zu vernichten – werden Völker, die noch nicht revoluzionnair sind, durch das Ministerium wider ihre eigene Neigung demokratisirt und der Bauer zu kommunistischen Eingriffen in das adelige Eigenthum durch die Agenten der Regierung aufgemuntert. [...] Das Einige Oesterreich des Ministeriums soll erzielt werden durch ein Hinwegräumen der geschichtlichen und staatsrechtlichen Eigenheiten einzelner Theile des Kaiserstaates, während im Innern der Länder alle aus der Zeit des ständischen Wesens herrührenden Stellungen beseitigt werden und auf der Grundlage der neuen Gemeindeordnung, Provinzialstatute mit Provinziallandtagen ins Leben treten sollen. [...] Nun sollen die in der Vergangenheit wurzelnden Gefühle vernichtet und an deren Stelle ein neues allgemein oesterreichisches Gefühl geschaffen werden durch die Einführung einer gleichförmigen und im höchsten Grade centralisirten Organisation und Verwaltung [...] nebst der Einführung einer Gemeindeordnung, nach welcher ein Minimum des Steuerbetrages die gleiche Berechtigung mit den höher besteuerten Gemeindegliedern giebt, und wo der größere Grundbesitz in die Gemeinde verschmolzen wird, ohne demselben einen vorwiegenden Einfluß in den Angelegenheiten der Gemeinde zuzusichern. Welche Wirkungen darf man sich wohl von einer in so demokratischer Richtung verfaßten Gemeindeordnung erwarten, wenn zu gleicher Zeit in diesen freien Gemeinden die dem Mittelstande angehörigen Elemente und die Judenschaft, das Element, welches sich in unseren Crisen als das schlechteste und verworfenste erwiesen hat, zu vollständiger politischer Geltung gebracht werden?“386 ____________________
385
Kiszling, Revolution II 317 ff. Vgl die Denkschrift Humelauers, wiedergegeben bei Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 165 ff (hier: 175, 182 ff ) (Hervorhebungen zum Teil nicht im Original). S auch die Kritik Windischgrätz’: „Warum sollen in der für die oesterreichische Monarchie allein passenden monarchischen Form den Provinzen alle alten Traditionen genommen, ihnen alles von nun an entzogen werden, was einer entsprechenden Centralisation nicht entgegenwirkt, diese selbst kräftigen muß? [...] Eine democratische Form ist für keine monarchische Regierung passend; am allerwenigsten aber ist sie für einen Staaten-Complex wie Oesterreich eine Bürgschaft des Bestandes, daher [...] nicht allein nicht wünschenswerth, sondern muß selbst als sehr bedenklich erklärt werden. Durch die Formen, die man annehmen will, wird [...] die Revolution legalisirt; die neue Gemeindeordnung, die noch dazu keinen Anklang findet, bildet die unteren Classen der Gesellschaft zum Widerstande gegen jede Autorität, gegen jene Authoritäten, die der Staatsverwaltung stets vorbehalten bleiben sollen! […] Eine Illusion muß man sich nicht machen über die Tendenz der verbrecherischen Revolutions-Parthei; dieser wird keine Form genügen; jede Form, die an386
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IV. Sylvesterpatent 1851 Die Märzverfassung, die nur durch den Einsatz der liberalen Kräfte im Ministerrat zuwege gebracht worden war, hatte bekanntlich kein langes Leben. Die Liberalen gerieten nicht nur im Ministerrat nach 1849 weiter in die Minderheit, auch der Reichsrat wurde bereits bewusst konservativ besetzt387. An seiner Spitze stand Präsident Kübeck, der in einer Denkschrift vom 15. Juni 1851 gar die Meinung äußerte, dass „die Verfaßung sammt Grundrechten an der Spitze [...] mit dem monarchischen Zwecke im Widerspruche“ stünde388. Noch im August desselben Jahres verfügte der Kaiser, dass der Reichsrat „von nun an nur als Mein Rath und als Rath der Krone anzusehen“ ist389. Darüber hinaus fühlte sich der Kaiser aber auch dazu bestimmt, das Ministerium „aus seinen zweifelhaften politischen Beziehungen in die ihm als Meinem Rathe und Meinem obersten Vollziehungsorgan zustehende gehörige Stellung zu bringen“390, oder weniger gewunden formuliert: Der Ministerrat wurde dem Kaiser als vollziehendes Organ nachgeordnet und verlor damit die Möglichkeit, auf Gesetzesinitiativen und -änderungen bestimmenden Einfluss zu nehmen. Als unmittelbare Folge dieser Beschlüsse beauftragte der Kaiser Ministerpräsident Schwarzenberg, gemeinsam mit Reichsratspräsident Kübeck „die Frage über den Bestand und die Möglichkeit der Vollziehung der Verfassung vom 4. März 1849 in reife und eindringliche Erwägung zu ziehen“, und bei der Erörterung dieser Frage „das Princip und de[n] ____________________
genommen wird, dient zum Vorwande, um noch mehr zu erreichen, um ihren Zweck zu verfolgen, nemlich Auflösung des gesellschaftlichen Zustandes – den Communismus“ (Denkschrift Windischgrätz’ vom 18. März 1850, wiedergegeben bei Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 205 ff [hier: 206 f ]). 387 Die Mitglieder des Reichsrates wurden nach § 97 der Märzverfassung vom Kaiser ernannt. Der in § 37 der Märzverfassung außerdem in Aussicht gestellte Reichstag, der gemeinsam mit dem Kaiser die gesetzgebende Gewalt ausüben sollte, wurde niemals einberufen, ein für ihn maßgebliches Wahlgesetz nie erlassen, s dazu Nowak, Grundrechte 281. 388 S Schlitter, Versäumte Gelegenheiten 209 ff (hier: 213 f ). 389 Ah Cabinetschreiben Seiner Majestät des Kaisers an den Reichsrathspräsidenten vom 20. August 1851, womit demselben die (unter Nr. 194 des Reichsgesetzblattes vorkommenden) Beschlüsse über die Bezeichnung der Verantwortlichkeit und die künftige Stellung des Ministeriums mitgetheilt und mehrere Abänderungen in der Stellung und dem Statute des Reichsrathes festgesetzt werden, RGBl 1851/196, wiedergegeben bei Reiter, Texte 66. Zuvor war es die „vorzüglichste Aufgabe“ des Reichsrathes, den Kaiser und den Ministerrat zu beraten (Kaiserliches Patent vom 13. April 1851, wodurch das Statut für den Reichsrath erlassen und kundgemacht wird, RGBl 1851/92, wiedergegeben bei Reiter, Texte 62). 390 Ah Cabinetschreiben Seiner Majestät des Kaisers an den Ministerpräsidenten vom 20. August 1851, womit die Bedeutung und der Umfang der Verantwortlichkeit des Ministeriums, so wie die hieraus für die Verpflichtungen und die künftige Stellung desselben fließenden Bestimmungen festgesetzt werden, RGBl 1851/194, wiedergegeben bei Reiter, Texte 65 f.
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Zweck der Aufrechterhaltung aller Bedingungen der monarchischen Gestaltung und der staatlichen Einheit Meines Reiches unverrückt im Auge zu behalten, und als unabweisliche Grundlage aller Arbeiten anzusehen“391. In seinem hiezu verfassten Gutachten392 löste Schwarzenberg die Grundrechte aus der Reichsverfassung und dem Grundrechtspatent, ordnete sie bestimmten Sachmaterien zu und versuchte so zu zeigen, dass diese Rechte ohnedies weitgehend umgesetzt seien, einer ausdrücklichen Statuierung in der Verfassung also gar nicht mehr bedürften. Zu den „privatrechtlichlegislativen Bestimmungen“ rechnete Schwarzenberg dabei ua die gleichmäßige Berechtigung zur Erwerbung von Liegenschaften und zur Ausübung gesetzlich erlaubter Erwerbszweige ebenso wie die gleichmäßige Vollziehbarkeit der von österreichischen Gerichten gefällten Urteile – Vorschriften, gegen die, wie Schwarzenberg bemerkte, kein Widerspruch zu erwarten sei, weil sie nur eine Folge der ausgesprochenen Einheit des Reiches seien. Auch die gleichmäßige Zugänglichkeit öffentlicher Ämter und Staatsdienste für alle dazu gesetzlich Befähigten war nach Schwarzenberg mit Ausnahme von Ungarn von jeher ein Grundsatz der österreichischen Regierung gewesen. Eine privatrechtlich-legislative Bestimmung war nach Schwarzenberg schließlich auch die Aufhebung des Untertänigkeitsverbandes und des Grundbelastungszwanges, die der Kaiser bereits als in vollem Umfang aufrechterhalten erklärt hatte. Die „Gleichhaltung aller Staatsangehörigen vor dem Gesetze“ ordnete Schwarzenberg in seinem Gutachten hingegen den „administrativ-legislativen Bestimmungen“, und hier bemerkenswerter Weise der Gruppe der „Allgemeinen legislativen Grundsätze“ zu: Sie sei „ein von jeher die österreichische Gesetzgebung durchdringender, übrigens theoretischer Grundsatz, der in Hinkunft auch im ganzen Reiche Geltung behalten wird“, und zwar ebenso wie der Grundsatz der Gleichstellung im Betreff des persönlichen Gerichtsstandes393. Schwarzenberg zählte die Gleichheit vor dem Gesetz also einerseits nicht zur Administrative, er sah in ihr offensichtlich nicht primär ein Gebot der gleichen Rechtsanwendung oder der gleichen „Wirksamkeit“ ____________________
391 Ah Cabinetschreiben Seiner Majestät des Kaisers an den Ministerpräsidenten vom 20. August 1851, womit demselben aufgetragen wird, gemeinschaftlich mit dem Reichsrathspräsidenten ein Gutachten über die Art der Berathungen zu erstatten, welche zur Erwägung des Bestandes und der Möglichkeit der Vollziehung der Verfassung vom 4. März 1849 einzuleiten sind, RGBl 1851/197 (Hervorhebungen nicht im Original), wiedergegeben bei Reiter, Texte 66 f; ein gleichartiges Schreiben erging auch an den Reichsrathspräsidenten, s dazu Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 265 FN 394. 392 Wiedergegeben bei Redlich, Staatsproblem I/2 133 ff, dort allerdings fälschlich Innenminister Bach zugeschrieben: s Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 271 FN 413; ferner F. Walter, Zentralverwaltung 526 f. 393 Wiedergegeben bei Redlich, Staatsproblem I/2 135 f; s auch F. Walter, Zentralverwaltung 528.
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des Gesetzes, wie sie noch in der Aprilverfassung zugesagt worden war. Als legislativer Grundsatz sollte die Gleichheit aber andererseits nur „theoretischer“ Natur sein und die österreichische Gesetzgebung zudem von jeher durchdrungen haben – eine Feststellung, die bezeichnend für die nachrevolutionäre Phase ist, in der die Gleichheit nicht mehr als politisches Schlagwort verwendet, sondern zu einem Theoriebegriff herabgesetzt wurde, dem nicht selten auch Abstraktheit und Leerheit angelastet wurde394. Dass der Gleichheitssatz die – erst vor kurzem zweifelhaft gewordenen – Vorrechte der Geburt oder des Standes ausschließen könnte, erscheint bei der von Schwarzenberg gewählten Formulierung zwar zweifelhaft. Als bedeutungsloses Recht konnte er aber doch nicht verstanden worden sein; denn Minister Bach trat in einer Denkschrift im Spätherbst 1851 nachdrücklich für die Erhaltung der Rechte ein, die den Staatsbürgern in der Märzverfassung zuerkannt worden waren und erwähnte dabei insbesondere die Gleichheit vor dem Gesetz, die Zugänglichkeit der öffentlichen Ämter für jeden Befähigten und die uneingeschränkte Aufrechterhaltung der Grundentlastung395. Auch als Graf Thun in der Folge Sonderbestimmungen für den adeligen Großgrundbesitz durchzusetzen versuchte, hielt ihm Justizminister Karl Krauß entgegen, dass die „Gleichheit vor dem Gesetze ausgesprochen und das System der Bevorzugung verlassen sei“396. In dem sodann im Dezember 1851 einberufenen „Revisionskomitee“, dem unter dem Vorsitz des Reichsratspräsidenten Kübeck drei Reichsräte und drei Minister angehörten, waren die Gegner der Verfassung bereits in der Überzahl. Ihr Entwurf einer Aufhebung der Verfassung fand sofort die Zustimmung im Reichsrat, nur im Ministerrat wurden weiterhin Bedenken erhoben397. Finanzminister Phillipp Krauß hatte sich schon im Vorfeld für die Beibehaltung der Grundrechte ausgesprochen und für den Fall ihrer Aufhebung seinen Rücktritt angeboten, der am 26. Dezember 1851 auch tatsächlich angenommen wurde398. Kurz vor seiner Abberufung regte er noch an, die Grundrechte wenigstens in die „Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates“ zu übernehmen, die an die Stelle der Verfassung treten sollten; denselben Vorschlag erstatte am folgenden Tag sein Bruder, Justizminister Karl Krauß, und zwar insbesondere für die Gleichheit vor dem Gesetz und die Aufhebung des Untertänigkeitsverbandes399. ____________________
394 395 396 397 398 399
S die Nachweise bei Dann, Gleichheit 1031. F. Walter, Zentralverwaltung 521. Vgl F. Walter, Zentralverwaltung 538. Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 267 f; F. Walter, Zentralverwaltung 536 ff. S auch Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 265, 268. S auch Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 268.
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Tatsächlich waren diese letzten Rettungsversuche teilweise erfolgreich: Mit kaiserlichem Patent vom 31. Dezember 1851 wurde zwar neben dem Grundrechtspatent auch die Märzverfassung 1849 außer Kraft gesetzt, weil sie „weder in ihren Grundlagen den Verhältnissen des österreichischen Kaiserstaates angemessen, noch in dem Zusammenhange ihrer Bestimmungen ausführbar sich darstellt“400. Die Gleichheit aller Staatsangehörigen vor dem Gesetze sowie die Unzulässigkeit und die durch besondere Gesetze gegen billige Entschädigung der früher Berechtigten erfolgte Abstellung jedes bäuerlichen Untertänigkeits- oder Hörigkeits-Verbandes und der damit verbundenen Leistungen wurden jedoch „ausdrücklich bestätiget“401. Dass diese beiden Garantien wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Bürger aufrechterhalten wurden, darf freilich bezweifelt werden; eher zeigt ihre Bestätigung, dass selbst der neoständisch-neoabsolute Staat Grundrechte garantieren kann, freilich nur solche, die seinen Interessen dienen. Dies war bei den genannten Garantien gewiss der Fall, konnte der Staat durch sie doch weiterhin sein Machtmonopol gegenüber den intermediären Gewalten behaupten und den Länderpartikularismus ebenso wie die Grundherrschaften eindämmen oder ganz ausschalten402, oder in den Worten Tocquevilles: „Jede Zentralgewalt [...] liebt die Gleichheit und begünstigt sie; denn die Gleichheit erleichtert einer solchen Macht außerordentlich ihr Handeln, erweitert und sichert es.“403 Durchaus unter diesem zentralistischen, der Machtkonzentration verpflichteten Motto standen dann auch die „Grundsätze für die organischen Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates“404, die an die Stelle der aufgehobenen Verfassung traten, die Verhältnisse neu ordneten und insbesondere durch die Gleichschaltung der Verwaltung aus dem Vielvölkerreich einen Einheitsstaat bilden sollten, dessen Nebeneffekt eine einheitliche Organisation der Rechtsprechung in den Ländern dieses Staates war405. Folgerichtig wurde auch mit Kaiserlichem Diplom ____________________
400 Kaiserliches Patent vom 31. December 1851, RGBl 1852/2, wiedergegeben bei Reiter, Texte 67; die Aufhebung des Grundrechtspatents erfolgte mit Kaiserlichem Patent vom 31. December 1851, RGBl 1852/3, wiedergegeben bei Reiter, Texte 68. 401 Kaiserliches Patent vom 31. December 1851, RGBl 1852/2; aufrechterhalten wurden außerdem mit Kaiserlichem Patent vom 31. Dezember 1851, RGBl 1852/3, gewisse konfessionelle Grundrechte. 402 Brauneder, Entwicklung 18; s auch die allgemeine Feststellung von Neisser/ Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 319, dass die Gleichheitsbestrebungen auch die Entmachtung lokaler, partikulärer und kirchlicher Gewalten vor Augen hatten – eine Zielsetzung, in der sich Bürgertum und Monarch schon während des Liberalismus trafen. 403 Tocqueville, Demokratie II, Zweiter Teil, dort Teil 4 Kapitel 3. 404 Ah Cabinetschreiben Seiner Majestät des Kaisers an den Minister-Präsidenten vom 31. December 1851, RGBl 1852/4, wiedergegeben bei Reiter, Texte 69 ff. 405 F. Walter, Zentralverwaltung 545 ff.
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vom 20. Oktober 1860 festgestellt, dass „die Elemente gemeinsamer organisatorischer Einrichtungen und einträchtigen Zusammenwirkens durch die Gleichheit Unserer Unterthanen vor dem Gesetze, die Allen verbürgte freie Religionsausübung, die von Stand und Geburt unabhängige Aemterfähigkeit und die Allen obliegende gemeinsame und gleiche Wehr- und Steuerpflichtigkeit [...] in Unserer Monarchie sich erweitert und gekräftigt haben“406. Die sodann erlassene Reichsverfassung vom 26. Februar 1861407 enthielt zwar weiterhin keine Grundrechte; die im Oktoberdiplom angesprochenen Rechte galten durch sie aber als bestätigt und der nun ermöglichte Parlamentarismus trieb in der Folge auch ihre Positivierung voran408. Vor diesem Hintergrund konnte bereits in einem neuen Licht erscheinen, dass der Kaiser im Mai 1861 in einer Thronrede die „Gleichberechtigung aller Völker des Reiches“ beschwor und ua die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze als „Prinzipien“ bezeichnete, welche „nunmehr […] verwirklicht werden sollen“409. Tatsächlich brachte der Reichsrat dann auch am 27. Oktober 1862 neben dem Gesetz zum Schutze des Hausrechtes410 das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit hervor, dessen § 1 bestimmte, dass „Niemand [...] seinem gesetzlichen Richter entzogen werden [darf ]411 – eine Garantie, die sich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gleichheit vor dem Gesetz fast wortgleich schon in einem Entwurf zur Aprilverfassung 1848 fand412, die dann mit gewissen sprachlichen Änderungen auch in diese Verfassung aufgenommen wurde413 und die im Kremsierer Entwurf unmittelbar im Anschluss an die Gleichheitsgarantien vorgesehen war414. ____________________
406 Kaiserliches Diplom vom 20. October 1860, zur Regelung der inneren staatsrechtlichen Verhältnisse der Monarchie, RGBl 1860/226, wiedergegeben bei Reiter, Texte 87 f (Hervorhebungen nicht im Original). 407 Kaiserliches Patent vom 26. Februar 1861, RGBl 1861/20, wiedergegeben bei Reiter, Texte 89 ff. 408 Brauneder, Parlamentarismus 83 ff; ders, Gesetzgebungsgeschichte 270. 409 Bezecny, Thronreden 56 (Hervorhebung nicht im Original). 410 Gesetz vom 27. October 1862, zum Schutze des Hausrechtes, RGBl 1862/88. 411 Gesetz vom 27. October 1862, zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl 1862/87. 412 S oben bei FN 19: „Allen Staatsbürgern gebührt Gleichheit vor dem Gesetze und Niemand kann seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.“ 413 S § 25 der Aprilverfassung 1848 (oben B.I.3.): „Die Wirksamkeit des Gesetzes ist gleich für alle Staatsbürger [...] und keiner kann gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden.“ 414 S § 2 Satz 2 des Kremsierer Entwurfes (oben FN 278): „ [...] Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden; privilegirte und Ausnahmsgerichte dürfen nicht bestehen.“ Der Ausschluss von Ausnahmegerichten war zwar auch für das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit beantragt worden, wurde aber nicht akzeptiert, weil man überwiegend der Auffassung war, dass es in einem Staat krisenhafte Situationen geben könne,
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V. StGG 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 1. Beratung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Reichsrat Nachdem der Ausgleich mit Ungarn zur österreichisch-ungarischen Monarchie geführt hatte, wurde der Weg für die sog Dezemberverfassung frei, mit der den Rechtsunterworfenen durch das StGG vom 21. Dezember 1867 auch wieder „allgemeine Rechte“ zuerkannt wurden415. Die äußeren Bedingungen der Entstehung dieses StGG entsprachen im Wesentlichen jenen des Grundrechtsentwurfes von Kremsier: Der Reichsrat bestimmte zunächst aus seiner Mitte einen Verfassungsausschuss, der seinerseits ein Subkomitee bildete, das wiederum einen Referenten mit der Ausarbeitung eines Grundrechtsentwurfes betraute. Nachdem dieser Entwurf im Subkomitee und sodann im Verfassungsausschuss verhandelt worden war, wies man ihn dem Plenum des Reichsrates zu. Dort wurde er zuerst im Abgeordnetenhaus und anschließend im Herrenhaus beraten, das zur Vorberatung eine „juridisch-politische Commission“ einsetzte und sodann seine Änderungswünsche dem Abgeordnetenhaus übermittelte. Von dort wurde der Entwurf neuerlich dem Verfassungsausschuss zugewiesen, der die beantragten Änderungen teilweise übernahm, zum Teil aber auch ablehnte und in dieser Entscheidung vom Abgeordnetenhaus bestätigt wurde. Nachdem auch die juridisch-politische Commission des Herrenhauses die Fassung des Abgeordnetenhauses angenommen hatte, wurde das Staatsgrundgesetz vom Kaiser sanktioniert und kundgemacht416. Um die Zustimmung des Kaisers zu diesem Gesetz leichter zu erlangen, orientierte sich Eduard Sturm, der Referent des Subkomitees, bei der Ausarbeitung seines Entwurfes in erster Linie an der vom Kaiser selbst oktroyierten Märzverfassung 1849. Darüber hinaus zog er aber auch den Grundrechtsentwurf von Kremsier heran und nahm weiters auf Grundrechte Bedacht, die in anderen europäischen Verfassungen gewährt worden waren417. Insgesamt besehen hatte zwar die Märzverfassung 1849 den ____________________
in denen die Schaffung eines Ausnahmegerichtes erforderlich sei, s StenProtAH 1. Sess 1861, 1773 ff, 1778 ff; s auch Lehne, JBl 1986, 344. 415 Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, RGBl 1867/142. 416 Vgl näher zum äußeren Ablauf auch Gschliesser, FS 200 Jahre Haus-, Hof- und Staatsarchiv 50 f; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 275 ff; Haider, Protokolle 118 ff. 417 Vgl auch den Bericht des Verfassungsausschusses (Gesetzgebung 311), demzufolge „[d]ie allgemeinen Rechte der Staatsbürger, wie solche der vorliegende Entwurf eines Staatsgrundgesetzes in Uebereinstimmung mit den meisten europäischen Verfassungen enthält, [...] mit sehr wenigen und geringen Ausnahmen den Völkern Oesterreichs von Sr. Majestät dem Kaiser schon in der oktroyirten Verfassungsurkunde vom 4. März 1849 verliehen“ waren; in gleichem Sinn äußert sich auch die vereinigte juridisch-politische Commission
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stärksten Einfluss auf den Grundrechtsentwurf des StGG, dessen Erarbeitung Sturm – wohl auch aus taktischen Gründen – mit den Worten abschloss: „Alles 1849!“418 Auf die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz trifft dieser Befund jedoch in dieser Allgemeinheit nicht zu. Sturm placierte den allgemeinen Gleichheitssatz bereits im zweiten Artikel seines Grundrechtsentwurfes und wählte für ihn die Formulierung „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich.“
Diese Garantie deckt sich schon ihrem Wortlaut nach nicht mit jener des § 27 der Märzverfassung 1849, sondern mit dem Wortlaut, den der Reichstag in Kremsier gewählt hatte. Auch die prioritäre Stellung, die Sturm dem allgemeinen Gleichheitssatz im Grundrechtskatalog einräumte, entspricht viel eher der Systematik des Kremsierer Entwurfes als jener der Märzverfassung: Zwar widmete Sturm den ersten Artikel seines Grundrechtsentwurfs ebenso wie die Märzverfassung dem österreichischen Staatsbürgerrecht, unmittelbar anschließend nahm er aber schon den allgemeinen Gleichheitssatz auf, der so – wie in Kremsier – als das erste und bedeutendste Grundrecht erscheinen musste, das den österreichischen Staatsbürgern zugestanden wird. Auch die Gleichheit des persönlichen Gerichtsstandes, die in der Märzverfassung 1849 nach dem allgemeinen Gleichheitssatz garantiert worden war, findet sich im Entwurf Sturms nicht, und zwar ebenso wenig wie im Kremsierer Grundrechtskatalog, der den gleichen persönlichen Gerichtsstand wohl als einen nicht gesondert zu erwähnenden Bestandteil der Gleichheit vor dem Gesetz verstanden hatte419. Ungeachtet dieser Unterschiede bestehen zwischen dem von Sturm konzipierten Gleichheitssatz und jenem der Märzverfassung allerdings auch gewisse Parallelen: Sturm verzichtete ebenso wie die Märzverfassung auf eine ausdrückliche Beseitigung der Standesvorrechte und des Adels bzw seiner Bezeichnungen und hielt es auch nicht für angezeigt, in seinem Entwurf zu garantieren, dass Titel und Auszeichnungen nur mehr nach dem persönlichen Verdienst verliehen werden420. Ob diese speziellen Gleich____________________
des Herrenhauses in ihrem Bericht (Gesetzgebung 349). S auch Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 281 f; Haider, Protokolle 118 f. 418 S Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 282; s auch Haider, Protokolle 118 FN 378. 419 S oben FN 239. 420 In § 137 der Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 (wiedergegeben bei Huber, Dokumente 390; Hartung/Commichau/Murphy, Entwicklung 94) wurde demgegenüber deutlich ausgesprochen: „Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als Stand ist aufgehoben. Alle Standesvorrechte sind abgeschafft. Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Alle Titel, insoweit sie nicht mit einem Amte verbunden sind, sind aufgehoben und dürfen nie wieder eingeführt werden. Kein Staatsangehöriger darf von einem auswärtigen Staate einen Orden annehmen. Die öffentlichen Aemter sind für alle Befähigten gleich zugänglich. Die Wehrpflicht ist für Alle gleich; Stellvertretung bei derselben findet nicht Statt.“
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heitssätze Sturm zu selbstverständlich oder immer noch zu provokant erschienen, ergibt sich aus den Materialien nicht. Tatsache ist aber, dass keiner der Abgeordneten die Aufnahme dieser Garantien in den Grundrechtskatalog verlangt hat, auch Brestel nicht, der schon 1848/49 dem Reichstag angehört hatte und in dieser Funktion noch für eine ausdrückliche Beseitigung der dem Adel zukommenden Vorrechte421 und auch für die Abschaffung der Adelstitel eingetreten war422. Anders als der Kremsierer Grundrechtskatalog und gleich wie die Märzverfassung spaltet schließlich auch der Entwurf Sturms die Garantie der gleichen Ämterzugänglichkeit vom allgemeinen Gleichheitssatz ab und widmet ihr in Art 3 StGG einen eigenen, der Gleichheit vor dem Gesetz unmittelbar nachfolgenden Artikel. Der von Sturm konzipierte allgemeine Gleichheitssatz entspricht daher in Ansehung seiner Formulierung, systematischen Stellung im Grundrechtskatalog und auch hinsichtlich der Garantien, die in unmittelbarem Zusammenhang mit ihm gewährt waren, überwiegend dem Kremsierer Entwurf, weist aber auch gewisse Ähnlichkeiten mit der Märzverfassung auf 423. So ausführlich der allgemeine Gleichheitssatz und die ihn konkretisierenden speziellen Gleichheitsbestimmungen den Reichstag von Kremsier noch beschäftigt hatten, so bedeutsam genuin gleichheitsrechtliche Fragen auch bei der Erarbeitung der Märzverfassung 1849 waren, so unspektakulär verlief die Beratung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Jahr 1867: Genau genommen fand eine solche Beratung überhaupt nicht statt, denn der von Sturm vorgeschlagene Art 2 wurde schon vom Verfassungsausschuss ohne Debatte angenommen424. In seinem Bericht an das Abgeordnetenhaus hielt der Ausschuss zwar allgemein fest, dass die Grundsätze der Gesetzgebung und Verwaltung in einem konstitutionellen Staat ua von der „rechtlichen Gleichheit aller Staatsbürger auszugehen haben“ und dass die Gleichheit vor dem Gesetz den Staatsbürgern in einem solchen Staat durch Verfassungsbestimmung zu gewähren sei. Die in Art 2 des Entwurfes getroffene Bestimmung erläuterte der Ausschuss aber nicht näher, denn er betrachtete sie (ebenso wie andere, von ihm nicht kommentierte Grundrechte) „als allgemein anerkannte Postulate des constitutionellen Staatsrechtes, welche einer besonderen Erläuterung oder Rechtfer____________________
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Vgl StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 434 f. Vgl seine Wortmeldung, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 437: „wenn man auch die vollkommene Gleichheit nicht durchsetzen kann, aus dem Grunde, weil es gegen die Natur ist, so soll man wenigstens nicht dazu beitragen, daß diese Ungleichheit noch größer werde, als es absolut notwendig ist.“ Um niemanden weiter zu kränken als absolut notwendig, wollte Brestel, ebd, 438 f, allerdings nur aussprechen, dass weder neue Adelstitel verliehen, noch die bestehenden vom Staat anerkannt werden. 423 Der Feststellung Ermarcoras, Handbuch 41, der Reichsrat habe sich bei Art 2 StGG „der Grundgedanken des Jahres 1848 erinnert“, ist daher weitgehend zuzustimmen. 424 Haider, Protokolle 119, 210.
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tigung nicht bedürfen.“425 Auch im Abgeordnetenhaus426, in der vom Herrenhaus eingesetzten „juridisch-politischen Commission“427 und schließlich im Herrenhaus selbst428 wurde die in Art 2 gewährte Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz ohne jede Debatte angenommen. Ganz offensichtlich kreisten die vordringlichen Interessen der Abgeordneten und wohl auch die Bedürfnisse der Zeit im Jahr 1867 nicht mehr um die Frage, welche Rechte man dem Adel zugestehen und inwieweit man überhaupt die Stände gleich stellen sollte. Denn diese Frage war in den vergangenen Jahren einfachgesetzlich soweit zu Lasten des Adels beantwortet worden, dass sich die Gemüter daran nicht mehr ernsthaft erhitzen konnten. Was die Revolution im Jahr 1848/49 unter dem Titel „Gleichheit vor dem Gesetz“ vordringlich gefordert hatte, war im Jahr 1867 also in vielen Belangen realisiert, wohl auch akzeptiert und schien daher nicht mehr wirklich diskussionsbedürftig.
2. Zeitgenössische Literatur Näheren Aufschluss über das Verständnis, das dem Art 2 StGG historisch beigelegt wurde, geben allerdings zwei literarische Stellungnahmen, die diese Bestimmung unmittelbar nach dem Inkrafttreten des StGG erläutern. Göllerich nennt in einem Kommentar zum StGG dessen Art 2 einen „hochwichtigen Artikel“, der alle Vorrechte, alle Sonderstellungen aufhebe und auf das System der Vergangenheit verzichte, das „durch Bevorrechtung einzelner Klassen die Bürger in Kasten einschachtelte“429. Vorläufig liege die Bedeutung dieses Grundrechtes zwar nur darin, dass niemand Ausnahmen vom Gesetze begehren könne, die nicht im Gesetz selbst liegen. Art 2 StGG verpflichte den Gesetzgeber aber darüber hinaus zu vielfältigen Änderungen der bestehenden Rechtslage. Unvereinbar mit der Gleichheit vor dem Gesetz seien nicht nur die ungleiche Behandlung der verschiedenen Gesellschaftsklassen bei den Ehekonsensen, der Bestiftungszwang430 und die Bestimmungen über die Erbfolge in Bauerngütern, sondern auch die Ungleichheit vor dem Richter, wie sie durch die (den ____________________
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Gesetzgebung 312. Die in erster Lesung abgehaltene Spezialdebatte begann mit Art 4, die in zweiter Lesung geführte Debatte widmet sich als erstem Grundrecht dem Art 3, vgl Gesetzgebung 334 ff, 371 ff. 427 Die von dieser Kommission unterbreiteten Änderungsvorschläge setzen erst bei Art 3 ein, vgl für deren Bericht Gesetzgebung 349 ff. 428 Vgl die dort geführte Debatte, die in erster Lesung mit Art 4 beginnt und sich in zweiter Lesung auf Art 10 beschränkt, Gesetzgebung 352 ff, 391 ff. 429 S hiezu und zum Folgenden Göllerich, Grundrechte 12 f. 430 Das ist die Pflicht, für die Abtretung eines Grundstückes, das zu einem Haus „gestiftet“, ihm also im Kataster zugeschrieben ist, eine Bewilligung einzuholen, vgl Morscher, Niederlassungsfreiheit 517 FN 59.
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Adel privilegierende) Gerichtsbarkeit des Obersthofmarschallamtes und der Militärgerichte bestehe, sofern diese nicht eigentliche Militärverbrechen behandelten. Bemerkenswerterweise sieht Göllerich auch im Zensuswahlrecht einen Verstoß gegen Art 2 StGG, er scheint aus der Gleichheit vor dem Gesetz also sogar ein allgemeines Wahlrecht abzuleiten, von dem auf einfachgesetzlicher Ebene jedenfalls noch keine Rede war431. In „grellstem“, sogar zur Derogation führendem Widerspruch zu Art 2 StGG stand nach Göllerich schließlich Art 14 des Konkordates, das die katholische Geistlichkeit beim Vollzug gerichtlich verhängter Strafen vor anderen Staatsbürgern begünstige432. Vor allem in diesem letzten Punkt war die Juristische Gesellschaft anderer Ansicht. In einem eigens in Auftrag gegebenen Gutachten zur Frage, ob und welche gesetzlichen Bestimmungen durch das StGG aufgehoben oder abgeändert worden sind433, vertrat sie mehrheitlich den Standpunkt, dass der in Art 2 StGG „enthaltene Grundsatz, wegen seiner Allgemeinheit nicht geeignet [sei], eine derogierende Wirkung zu üben“. Nur eine Minderheit von drei Stimmen sah in Art 14 des Konkordates ein Standesvorrecht, das durch Art 2 StGG beseitigt worden sei. Davon abgesehen wies die Juristische Gesellschaft in ihrem Gutachten darauf hin, dass Art 2 StGG in Ansehung des Sylvesterpatents 1851 keine neue Vorschrift sei. Die „Tendenz“ dieser Bestimmung beziehe sich auf die Beseitigung der Vorrechte, die „gewissen Gesellschaftsclassen und Confessionen bis in die neuere Zeit eingeräumt“ gewesen seien; zur Beseitigung noch bestehender Ungleichheiten enthalte sie eine „Cynosur sowohl für die Legislation als für die Administration“434. Mag also kurz nach der Entstehung des StGG auch die derogatorische Kraft des Art 2 StGG unterschiedlich beurteilt worden sein, so bestand doch offensichtlich Einigkeit darüber, dass sich die Gleichheit vor dem Gesetz nicht bloß an die Vollziehung wendet, sondern – als Richtschnur – auch an den Gesetzgeber selbst. Dieser Befund entspricht nicht nur der bereits in Kremsier herrschenden Ansicht, dass sich die Gleichheit vor dem Gesetz auch gegen bestimmte gesetzlich festgelegte Ungleichbehandlungen richtet435; wie gezeigt, hatte auch Schwarzenberg kurz vor der Er____________________
431 S nur Art 4 Abs 2 StGG, der das Wahlrecht zur Gemeindevertretung nur jenen Staatsbürgern gewährte, die in einer Gemeinde wohnen und daselbst von ihrem Realbesitze, Erwerbe oder Einkommen Steuer entrichteten, sowie mwN Nowak, Grundrechte 289 ff. 432 Göllerich, Grundrechte 12 f. 433 Juristische Gesellschaft, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung 1868, 65 ff, 73 f, 78 f, 82 f, 86 ff. 434 Juristische Gesellschaft, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung 1868, 73 f. 435 S schon oben B.II.1.a., insb bei FN 117; B.II.1.b. aE, B.II.2.a., insb bei FN 220.
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lassung des Sylvesterpatentes 1851 in der Gleichheit vor dem Gesetz einen legislativen Grundsatz gesehen, der die österreichische Gesetzgebung seit jeher durchdringe436. Tatsächlich verstand dann auch die folgende zeitgenössische Lehre Art 2 StGG als eine Norm, die zum einen die Rechtsanwendung bindet: Jeder Staatsbürger sollte zufolge Art 2 StGG dem Gesetz unterworfen sein und daher auch diesem Gesetz gemäß behandelt werden, wenn er die dort aufgestellten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Ausnahmen, die im Gesetz nicht begründet sind, sollten niemandem zugestanden werden; für jede individuelle Ausnahme wurde also eine gesetzliche Ermächtigung verlangt437. Zum anderen sah die überwiegende Lehre in Art 2 StGG aber auch einen Programmsatz für den Gesetzgeber. Das Ziel dieses Grundrechts wurde einhellig in der Beseitigung der rechtlichen Ungleichheiten gesehen, die zwischen den Bevölkerungsklassen, Ständen und Konfessionen lange bestanden haben und die zum Teil auch noch nach Inkrafttreten des StGG existierten438. Damit waren einerseits Ausnahmen von gesetzlich auferlegten Lasten gemeint, etwa die dem Adel vormals eingeräumte Befreiung von der Steuer- und Wehrpflicht439, andererseits aber auch der Ausschluss von bestimmten Rechten, so etwa der Fähigkeit, eine Liegenschaft zu erwerben oder einen bestimmten Beruf auszuüben440. Den kleinsten gemeinsamen Nenner der zeitgenössischen Lehre bildete dabei die Ansicht, dass jeder Staatsbürger die gleiche Fähigkeit haben müsse, bürgerliche Rechte zu ____________________
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B.IV., insb bei FN 393. Göllerich, Grundrechte 13; Ulbrich, Lehrbuch 114; ders, Staatsrecht 192; Herrnritt, Verfassungsrecht 86. 438 Göllerich, Grundrechte 12 f; Juristische Gesellschaft, Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung 1868, 74; Herrnritt, Verfassungsrecht 86 f. 439 Vgl allgemein Hauke, Verfassungsrecht 22, der die Gleichheit explizit auf die „Pflichten gegen den Staat“ bezieht, sowie Herrnritt, Verfassungsrecht 86 f, s auch Ulbrich, Lehrbuch 114, der allerdings unter dem Titel „Princip der rechtlichen Gleichheit“ nicht nur die in Art 2 StGG garantierte „Gleichheit vor dem Gesetz“ behandelt, sondern auch andere Gleichheitsgebote, die im Einzelnen aber keiner positiv-rechtlichen Bestimmung zugeordnet werden. Daher kann nicht immer eindeutig festgestellt werden, welche der genannten Garantien Ulbrich tatsächlich aus Art 2 StGG ableitet; dass er die allgemeine Wehr- und Abgabenpflicht als Folge dieses Grundrechts ansieht, ist aber schon deshalb anzunehmen, weil eine speziellere Vorschrift hiefür nicht ersichtlich ist. Zudem bezeichnet Ulbrich später (Staatsrecht 191) bestimmte Befreiungen von der Steuer- und Wehrpflicht ausdrücklich als „Verletzung des staatsgrundgesetzlich anerkannten Prinzipes der Rechtsgleichheit“ (Hervorhebung nicht im Original). 440 S allgemein Hauke, Verfassungsrecht 22, nach dem zur Rechtsgleichheit ua das „Prinzip der Gleichheit der Staatsangehörigen in Rechten […] gegen den Staat“ gehört (im Original mit Hervorhebung); s im Besonderen Herrnritt, Verfassungsrecht 88, der die in Art 6 StGG gewährte Liegenschafts- und Erwerbsfreiheit als eine „fernere Wirkung der Gleichheit vor dem Gesetze“ ansieht. 437
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erwerben bzw deren Träger zu sein441. Darüber hinaus wurde aus Art 2 StGG aber auch die Gleichheit in der Ausübung öffentlicher Rechte abgeleitet442, so jedenfalls der (übrigen) im StGG garantierten „allgemeinen“ Rechte der Staatsbürger443 bzw der mit diesen fast deckungsgleichen444 „politischen“ Rechte445. Mitunter wurde die Gleichheit vor dem Gesetz aber, wie erwähnt, auch auf das Wahlrecht bezogen und die Standeszugehörigkeit als Voraussetzung für dieses Recht ebenso abgelehnt wie das Zensuswahlrecht446. Neben dieser (unterschiedlich weit gefassten) Fähigkeit, Rechte zu erwerben und auszuüben, leitete die Lehre aus Art 2 StGG auch einen gleichen Schutz dieser Rechte ab447, insbesondere einen gleichen persönlichen Gerichtsstand448, und auch eine Gleichbehandlung der Staatsbürger hinsichtlich ihrer Bestrafung449. Innerhalb dieser „gleichheitssensiblen“ Materien wurden Ungleichbehandlungen nach Geburt und Konfession als verpönt angesehen. Vereinzelt wurden auch nach dem Geschlecht vorgenommene Ungleichbehandlungen als gleichheitswidrig ab____________________
441 Vgl neben der bereits referierten Ansicht Göllerichs, Grundrechte 13, die ungleiche Behandlung verschiedener Gesellschaftsklassen bei den Ehekonsensen, der Bestiftungszwang und die Bestimmungen über die Erbfolge in Bauerngütern sei unvereinbar mit Art 2 StGG, auch Ulbrich, Lehrbuch 114; Gumplowicz, Staatsrecht 265. 442 Herrnritt, Verfassungsrecht 87. 443 Ulbrich, Lehrbuch 114. 444 Das Reichsgericht qualifizierte jedenfalls alle im StGG gewährleisteten Rechte mit Ausnahme der Eigentumsgarantie als „politische“ Rechte, s mwN Melichar, ZÖR 1966, 258 ff. 445 Ulbrich, Lehrbuch 114; vgl auch Dantscher von Kollesberg, Die politischen Rechte, III. Lieferung 226 ff, der zwar nicht den Inhalt des Art 2 StGG darstellt (und diesen Artikel auch bei den ebd, II. Lieferung 106 ff, näher beschriebenen politischen Rechten des StGG nicht erwähnt), sich aber allgemein über die in einem Staat zu gewährende „politische Gleichheit“ äußert. 446 Vgl Göllerich, Grundrechte 13. Gumplowicz, Staatsrecht 265, nimmt einerseits aus historischen Gründen an, dass Art 2 StGG keine politische Gleichheit gewähre, fordert aber andererseits gerade unter dem Titel der „Gleichheit vor dem Gesetz“ ein allgemeines Wahlrecht ein; s auch Herrnritt, Verfassungsrecht 87, der das Vorrecht des adeligen Grundbesitzes bezüglich der erblichen Herrenhauswürde und des Wahlrechts für den Tiroler Landtag mit Art 2 StGG für „[s]chwer vereinbar“ hält. Auch Ermacora, Handbuch 113, sah übrigens die spätere Ausdehnung des Wahlrechtes auf alle Gemeindebewohner als dem Gleichheitssatz entsprechend an. 447 Vgl Ulbrich, Lehrbuch 114; s auch Hauke, Verfassungsrecht 22, nach dem die Rechtsgleichheit auch die Gleichheit vor dem Gericht umfasst, die „jedermann das Betreten des Rechtsweges [ermöglicht].“ 448 Vgl neben Göllerich, Grundrechte 13, der aus diesem Grund, wie erwähnt, die Gerichtsbarkeit des Obersthofmarschallamtes und der Militärgerichte, sofern diese nicht eigentliche Militärverbrechen behandeln, als Verletzung des Art 2 StGG ansah, auch Ulbrich, Staatsrecht 191. 449 Vgl die bereits referierte Ansicht Göllerichs (FN 432), Art 14 des Konkordates sei mit Art 2 StGG unvereinbar, weil er katholischen Geistlichen beim Vollzug gerichtlich verhängter Strafen Vergünstigungen gewährte und Bischöfe von der weltlichen Strafjurisdiktion sogar überhaupt befreite.
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gelehnt450. Differenzierungen nach anderen Merkmalen qualifizierte die Lehre hingegen dann als zulässig451, wenn jeder Staatsbürger diese Merkmale „erwerben“ konnte452 oder wenn die vorgenommene Differenzierung durch öffentliche Interessen gerechtfertigt war453.
3. Judikatur Mag die Lehre dem allgemeinen Gleichheitssatz in der Monarchie auch eine gewisse Beachtung geschenkt haben, so war diese Bestimmung für die Praxis doch kaum von Bedeutung. Ob die geringe Anzahl einschlägiger Beschwerden auf die besondere Rechtstreue der Behörden hinweist oder bloß auf die fehlende Beschwerdebereitschaft der Rechtsunterworfenen, kann hier offen bleiben. Klar dürfte sein, dass die praktische Bedeutungslosigkeit des Art 2 StGG in der Monarchie auch auf die bescheidene Kompetenz des Reichsgerichtes zurückzuführen ist. Dieses war nämlich nur dazu berufen, die Verletzung der „durch die Verfassung gewährleisteten politischen Rechte“ (zu denen auch die Gleichheit vor dem Gesetz gehörte) durch behördliche Entscheidungen festzustellen454, nicht hingegen dazu, Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz zu überprüfen455. Den spärlichen Aussagen des Reichsgerichts zu Art 2 StGG ist zunächst zu entnehmen, dass die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz „die Aufhebung der vordem einzelnen Klassen zugestandenen Privilegien“456 bzw ____________________
450 Bernatzik, Zulassung 13 ff, der unter Berufung auf Art 3 und 18 StGG die Öffnung der juristischen Fakultäten (und aaO 15 nebenher und ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes Grundrecht auch ein Wahlrecht) für Frauen forderte; vgl dazu allgemein auch Forkl/Koffmahn, Frauenstudium; E. Berger, JBl 2000, 634 ff. 451 Vgl für die politische Gleichheit Dantscher von Kollesberg, Die politischen Rechte, III. Lieferung 226 ff. 452 Herrnritt, Verfassungsrecht 87, hielt in diesem Sinn bestimmten Berufsständen zuerkannte Vorrechte für zulässig, weil diese Vorrechte mit der Stellung und der beruflichen Tätigkeit dieser Personen sachlich zusammenhingen und der Eintritt in diesen Berufsstand jedem Staatsbürger aufgrund der Gleichheit vor dem Gesetz offen stehe. 453 So hält zB Ulbrich, Staatsrecht 191, individuelle Steuerprivilegien für zulässig, wenn sie durch volkswirtschaftliche Erwägungen, etwa die Unterstützung gemeinnütziger Erwerbsunternehmungen gerechtfertigt sind; s auch Dantscher von Kollesberg, Die politischen Rechte, III. Lieferung 226 ff. 454 Art 3 lit b des Staatsgrundgesetzes vom 21. December 1867, über die Einsetzung eines Reichsgerichtes, RGBl 1867/143, wiedergegeben bei Reiter, Texte 120; dazu zB Melichar, ZÖR 1966, 258 f. Ob die Feststellungskompetenz des Reichsgerichts im Vergleich zu der in Kremsier konzipierten Möglichkeit, im Fall einer Verletzung von Rechten „volle Genugtuung“ zu begehren, wirklich ein so großer Fortschritt war, kann man mit guten Gründen bezweifeln, s dazu R. Walter, ÖJZ 1990, 610 f. Immerhin war nun aber ein Rechtsweg nicht nur konzipiert, sondern auch eingerichtet. 455 S etwa Hye 1686/1909, sowie mwN Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 297. 456 Hye 1375/1905.
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„die Aufhebung der vordem einzelnen Klassen und Ständen zugestandenen Vorrechte (Privilegien)“457 festgestellt habe. In der gesetzlich verfügten Aufhebung der Befreiung des Adelsstandes von der Militärpflicht458 sah das Reichsgericht im Hinblick auf Art 2 StGG sogar einen „integrierenden Theil der Staatsverfassungseinrichtungen“459. Es sei daher ausgeschlossen, dass jemand aufgrund speziellerer Bestimmungen von der Wehrpflicht befreit werden kann, denn: „es erhellt schon aus dem klaren Wortlaute sowohl des citirten Recrutirungsgesetzes vom 5. December 1848, als auch des allegirten [StGG], daß dieselben sich in Beziehung auf die Aufhebung der Militärbefreiung des gesammten Adels und in Betreff der Gleichstellung aller Staatsbürger auch vor dem Wehrgesetze sich als unbedingte, ausnahmslose und in allen Fällen geltende Gesetze angekündiget haben.“460 Was – vom Adelsstand abgesehen – unter einer privilegierten „Klasse“ zu verstehen ist, erläuterte das Reichsgericht im Rahmen des Art 2 StGG nicht näher; es sah allerdings in Art 3 StGG ein „Corollar der im vorangehenden Artikel 2 ausgesprochenen Gleichheit Aller vor dem Gesetz“ und meinte, dieser Bestimmung zufolge dürfe einerseits „keine Classe von Staatsbürgern, etwa aus Gründen des Religionsbekenntnisses, der Nationalität, des Standes und dergl. von der Erlangung von Staatsämtern ausgeschlossen und andererseits [...] kein Staatsamt nur für gewisse Classen der österreichischen Staatsbürger zugänglich sein“461. Nicht anwendbar war Art 2 StGG nach Ansicht des Reichsgerichtes allerdings, als ein Arzt behauptete, er sei schlechter behandelt worden als andere Ärzte, die sich zur deutschen Nationalität bekennen und die auch anderer politischer Gesinnung sind462. Kein Anwendungsfall des Art 2 StGG lag nach der Judikatur weiters vor, als die in slowenischer Sprache eingebrachten Schriftsätze eines Beamten anders behandelt wurden als die Schriftsätze eines Staatsbürgers, der nicht in einem Dienstverhältnis zum Staat stand463. Art 2 StGG statuierte nach der Judikatur überhaupt keine „Gleichheit der behördlichen Entscheidungen“464, und noch weniger die „Gleichheit behördlicher Entscheidungen in verschiedenen Fällen“465. Rügte daher jemand, dass ihm verweigert werde, was einem anderen zugebilligt worden ____________________
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Hye 1863/1911. Kaiserliches Patent vom 5. December 1848, wodurch verschiedene Abänderungen in den bestehenden Recrutirungs-Gesetzen vorgeschrieben werden, RGBl 1849/6. 459 Hye 55/1874. 460 Hye 55/1874 (Hervorhebungen im Original). 461 Hye 165/1878, 255/1882. 462 Hye 1375/1905. 463 Hye 1863/1911. 464 Hye 1492/1907. 465 Hye 2134/1914. 458
Die Verfassungen Deutschösterreichs
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war, so lag ein Anwendungsfall des Art 2 StGG nach Ansicht des Reichsgerichtes nicht vor. Alles in allem war keine der wenigen Beschwerden, die sich zwischen 1869 und 1918 auf Art 2 StGG berufen haben, erfolgreich. Kaum günstiger war in dieser Hinsicht die Judikatur des VwGH; dieser vertrat zwar die Ansicht, dass es dem Art 2 StGG widerspricht, den Angehörigen des jüdischen Religionsbekenntnisses zu verbieten, bestimmte Vornamen zu führen466. Dass jüdische Bürger für die Benützung des Gemeindegutes höhere Abgaben zahlen müssen als katholische Gemeindeangehörige, beanstandete der VwGH nach Art 2 StGG aber nicht, und zwar nicht etwa deshalb, weil diese ungleiche Abgabenbelastung im konkreten Fall gesetzlich vorgesehen war, sondern, weil Art 2 StGG nicht besagen wolle, „daß es künftighin keine Rechte geben darf, welche nicht jedermann zustehen, sondern deren Bestand an gewisse Voraussetzungen geknüpft wäre.“467 Art 2 StGG stehe daher auch Sonderrechten in der Gemeinde nicht im Wege, die nicht allen Gemeindemitgliedern, sondern nur gewissen Kategorien derselben eingeräumt sind. Auch Art 14 StGG, nach dem der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte von dem Religionsbekenntnisse unabhängig ist, beziehe sich, wie der VwGH weiter meinte, auf die Fähigkeit zur Erlangung dieser Rechte im Allgemeinen: „hier aber handelt es sich nur um die Voraussetzungen des Bestandes eines konkreten, auf Übung und Gewohnheit basierten Rechts. Vom Standpunkt der Gleichberechtigung ist es aber auch nach den geltenden Auffassungen nicht als unmoralisch anzusehen, wenn der Genuß des gedachten Rechtes von einem bestimmten Religionsbekenntnisse abhängig gemacht oder für Angehörige verschiedener Religionsbekenntnisse verschieden geregelt wird“. Bei einem derart restriktiven Verständnis kann nicht weiter verwundern, dass Art 2 StGG ebenso wie Art 14 StGG in der Monarchie praktisch ohne jede Bedeutung geblieben sind.
VI. Die Verfassungen Deutschösterreichs 1. Die Provisorische Verfassung 1918 Nachdem Kaiser Karl I. den Nationalitäten am 16. Oktober 1918 gestattet hatte, eigene Staatswesen im Verbande der Monarchie zu bilden468, traten am 21. Oktober 1918 die sieben Jahre zuvor gewählten deutschen ____________________
466
VwSlg 805 A/1902. VwSlg 8932 A/1912. 468 Kaiserliches Manifest vom 16. Oktober 1918, Extra-Ausgabe der Wiener Zeitung vom 17. Oktober 1918, Nr 240, wiedergegeben bei Reiter, Texte 154 f; Kelsen, Verfassungsgesetze I 3 f; s dazu auch Berchtold, Verfassungsgeschichte 6 ff. 467
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Reichstagsabgeordneten zusammen, um „für das deutsche Volk in Österreich als seine gewählte Gesamtvertretung das Recht auf Selbstbestimmung und eigene unabhängige Staatlichkeit feierlich zu erklären und für den Staat Deutschösterreich [...] die grundlegenden Beschlüsse zu fassen.“469 Die sodann konstituierte Provisorische Nationalversammlung wählte aus ihrer Mitte einen zwanzigköpfigen Vollzugsausschuss und erließ am 30. Oktober 1918 eine Provisorische Verfassung der Republik Deutschösterreich470. Dieser Verfassung zufolge sollte die oberste Gewalt des Staates Deutschösterreich ebenso wie die gesetzgebende Gewalt durch die Provisorische Nationalversammlung ausgeübt werden. In § 1 der genannten Verfassung nahm dieses Gremium für sich in Anspruch, „auf Grund des gleichen Wahlrechts aller Bürger gewählt“ worden zu sein – eine zweifellos euphemistische Annahme, weil die Abgeordneten der Provisorischen Nationalversammlung ihre „bereits sehr verblaßte Legitimation von Volkes Gnaden aus schon weit zurückliegenden Wahlen für den österreichischen Reichsrat, also für den Vertretungskörper eines fremden nicht mehr bestehenden Staates“471 herleiteten. Davon abgesehen waren zur Wahl des Reichsrates auch Frauen nicht zugelassen gewesen, sodass von einem gleichen Wahlrecht aller Bürger nicht die Rede sein konnte. Einem Vorschlag Renners folgend472 wurde in die vorläufige Verfassung vom 30. Oktober 1918 zwar kein eigener Grundrechtskatalog aufgenommen; man begnügte sich in dieser Hinsicht vielmehr mit der Rezeption des aus der Monarchie stammenden Rechtsbestandes473. Mit Beschluss vom selben Tag wurde allerdings nicht nur die volle Freiheit der Presse hergestellt, sondern auch die volle Vereins- und Versammlungsfreiheit, die nun erstmals „ohne Unterschied des Geschlechtes“ gelten sollte474; Frauen waren damit (anders als nach dem Vereinsgesetz vom 15. November 1867475) auch von politischen Vereinen nicht mehr ausgeschlossen. ____________________
469 470
S Kelsen, Verfassungsgesetze I 5. Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 30. October 1918, über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt, StGBl 1918/1; Kelsen, Verfassungsgesetze I 11; s zu diesem Beschluss auch Berchtold, Verfassungsgeschichte 19 ff. 471 Merkl, Verfassung der Republik Deutschösterreich 30; s auch Kelsen, Verfassungsgesetze I 36 f, nach dem das Abgeordnetenhaus keineswegs die Rechtsbasis für die Provisorische Nationalversammlung war: „Diese hat überhaupt keine Rechtsgrundlage, sondern ist ein revolutionärer Anfang“. 472 S Brauneder, FS Walter 89. 473 § 16 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 30. October 1918, über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt. 474 Beschluß der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, StGBl 1918/3; s auch Kelsen, Verfassungsgesetze I 82 f. 475 § 30 Gesetz vom 15. November 1867, über das Vereinsrecht, RGBl 1867/134: „Ausländer, Frauenspersonen und Minderjährige dürfen als Mitglieder politischer Vereine nicht aufgenommen werden.“
Die Verfassungen Deutschösterreichs
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Rund zwei Wochen später, am 11. November 1918 erkannte der Kaiser schon im Voraus die Entscheidung an, die Deutschösterreich über seine künftige Staatsform treffen würde und erklärte, sich der Regierungsgeschäfte zu enthalten476. Auf den Thron verzichtete der Kaiser aber nicht, was die Provisorische Nationalversammlung dazu veranlasste, Deutschösterreich schon am folgenden Tag ausdrücklich zu einer demokratischen Republik zu erklären477. Letztlich wurde damit nur jene Weichenstellung bekräftigt, die schon in der Provisorischen Verfassung getroffen worden war, denn nach dieser kam die gesamte Staatsgewalt gerade nicht einer einzigen physischen Person zu erblichem Rechte zu, sondern der (wenn auch schwach) demokratisch legitimierten Nationalversammlung478. Dennoch stieß die ausdrückliche Festlegung des republikanischen Prinzips auf den Widerstand der Christlichsozialen, die nicht nur den „Versuch, durch den Terror der Straße Entscheidungen zu erzwingen“ als undemokratisch ansahen, „undemokratisch ist es [...] auch, wenn diese Versammlung von Abgeordneten, die sich selbst für die Frage der Staatsform inkompetent erklärt hatten, dem Drucke nachgab“479. Die Sozialdemokraten verteidigten das genannte, gegen die Stimmen der Christlichsozialen beschlossene Gesetz ihrerseits unter Berufung auf die Demokratie, die allein einen Wiederaufbau ermögliche: Deutschösterreich müsse zu einer Republik erklärt werden, um die Mitentscheidung des Volkes auf allen Ebenen zu gewährleisten, dann aber auch, weil die aus der Not geborene Zusammenarbeit von Bürgern, Bauern und Arbeitern nur auf dem Boden der Rechtsgleichheit möglich sei480. Auch wenn die beiden Großparteien geteilter Meinung darüber waren, wer nun berufen sei, die republikanische Staatsform festzulegen – die Provisorische Nationalversammlung oder nur das Volk selbst –, so herrschte doch wiederum Einigkeit über Art 8 des erwähnten Gesetzes481, mit dem alle politischen Vorrechte aufgehoben, die Delegationen, das Herrenhaus und die bisherigen Landtage abgeschafft wurden482. Konsens bestand ____________________
476
S Kelsen, Verfassungsgesetze I 9; näher Berchtold, Verfassungsgeschichte 31 ff. Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, StGBl 1918/5; Art 1 lautete: „Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt.“ 478 Kelsen, Verfassungsgesetze I 32. 479 S R. Schmitz, Volkswohl 1918, 269. 480 StenProtProvNV, 3. Sitzung am 12. November 1918, 66; s auch Berchtold, Verfassungsgeschichte 34. 481 S Berchtold, Verfassungsgeschichte 34 FN 49. 482 Nach Kelsen, Verfassungsgesetze I 36, sind unter diesen Vorrechten nur die Mitgliedschaft im Herrenhaus und das Wahlrecht in gewissen Landeskurien zu verstehen; insofern sei Art 8 eine überflüssige Wiederholung der bereits mit Beschluss vom 30. Oktober 1918, StGBl 1918/1, verfügten Aufhebung des Reichsrates und der Landtage. 477
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ebenso über Art 9, der die Wahl der konstituierenden Nationalversammlung für Anfang 1919 festsetzte und eine Wahlordnung in Aussicht stellte, die „auf der Verhältniswahl und auf dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts“ beruhen sollte. Die gleichen Grundsätze galten nach Art 10 leg cit für die Wahl der Landes-, Kreis-, Bezirks- und Gemeindevertretungen. Damit war erstmals in Österreich ein allgemeines und gleiches Wahlrecht eingeführt483. Kurz vor der Abhaltung dieser Wahlen stellte die Provisorische Nationalversammlung noch in einem weiteren Punkt Gleichheit zwischen den Staatsbürgern her: Das Gesetz vom 6. Februar 1919, betreffend vorläufige Bestimmungen über die bewaffnete Macht statuierte in § 7 nicht nur eine allgemeine, sondern auch eine gleiche Wehrpflicht und hob damit Wehrbegünstigungen auf, die bislang aufgrund bestimmter Bildungsnachweise bestanden hatten484. Überdies kamen dem in der bewaffneten Macht dienenden Staatsbürger nun nach § 14 leg cit die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten im selben Umfang zu wie jedem anderen Staatsbürger. Diese Gleichstellung wurde als selbstverständliche Konsequenz der Demokratie angesehen485, sie derogierte allen entgegenstehenden Bestimmungen des Vereins-, Versammlungs- und des Wahlrechtes und beseitigte auch die vormals geltenden Beschränkungen des Petitionsrechtes und des Rechtes auf freie Meinungsäußerung486. Die Ausübung des Wahlrechts musste den Angehörigen der bewaffneten Macht, wie § 14 Abs 2 ausdrücklich festhielt, „unter allen Umständen“ ermöglicht werden, erforderlichenfalls also auch durch besondere Verfügungen, wie sie für die Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung auch tatsächlich getroffen worden sind487.
2. Die Märzverfassung 1919 Aus der am 16. Februar 1919 durchgeführten Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung gingen die Sozialdemokraten zwar mit 40,8% als Sieger hervor, die Mehrheit der Bevölkerung repräsentierten sie jedoch nicht: 35,9% der Stimmen entfielen auf die Christlichsozialen, 20,7% ____________________
483 Art II des Gesetzes vom 18. Dezember 1918 über die Einberufung der konstituierenden Nationalversammlung, StGBl 1918/114, wiederholte diese Grundsätze, die sodann im Gesetz vom 18. Dezember 1918 über die Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung, StGBl 1918/115, näher ausgeführt wurden; s dazu Kelsen, Verfassungsgesetze II 1 ff; Nowak, Grundrechte 300 ff; Berchtold, Verfassungsgeschichte 77 ff. 484 StGBl 1919/91; s auch Kelsen, Verfassungsgesetze III 58. 485 Kelsen, Verfassungsgesetze III 65. 486 StenProtProvNV, 18. Sitzung am 6. Februar 1919, 675. 487 S die Nachweise bei Kelsen, Verfassungsgesetze III 66.
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auf die Großdeutschen, sodass in der Konstituierenden Nationalversammlung letztlich eine bürgerlich-bäuerliche Mehrheit bestand488. Diese – nun wirklich allgemein – gewählte Nationalversammlung trat am 4. März 1919 erstmals zusammen und erließ in der Folge drei Gesetze, die zusammen die Märzverfassung 1919 bildeten. Das Gesetz vom 12. März 1919 über die Staatsform bekräftigte zunächst, dass Deutschösterreich eine demokratische Republik ist489. Im Gesetz vom 14. März 1919 über die Volksvertretung übernahm die Konstituierende Nationalversammlung „als höchstes Organ des Volkes die oberste Gewalt der Republik“ (Art 1)490. Nach dem Gesetz vom 14. März 1919 über die Staatsregierung wählte die Konstituierende Nationalversammlung schließlich die Staatsregierung (Art 2)491. Ebenso wie die Provisorische Verfassung 1918 enthielt auch die Märzverfassung 1919 keinen Grundrechtskatalog. In der Folge erließ die Konstituierende Nationalversammlung allerdings eine ganze Reihe von Gesetzen, die als konsequente Durchführung der in einer Demokratie geltenden Gleichheit aller Bürger angesehen wurden492: Nachdem schon 1918 mit dem Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich die dem Kaiser und den Mitgliedern des kaiserlichen Hauses eingeräumten Vorrechte aufgehoben worden waren493, beseitigte das Gesetz vom 3. April 1919, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen494 nun auch „[d]ie scheinbare Personifikation der Gefährdung des Prinzips der Gleichheit“495. Als „dem demokratischen Prinzipe der Gleichheit aller Staatsbürger“ widersprechend496 wurden mit Gesetz vom selben Tag weiters der Adel, die weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisse Titel und Würden aufgehoben497. Beseitigt wurden ferner die nicht im allgemeinen Völkerrecht ____________________
488
Berchtold, Verfassungsgeschichte 139. StGBl 1919/174, Art 1: „Die konstituierende Nationalversammlung wiederholt, bestätigt und bekräftigt feierlich die im Gesetze vom 12. November 1918, St.G.Bl.Nr. 5, über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, niedergelegten Beschlüsse der provisorischen Nationalversammlung wie folgt: 1. Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volk eingesetzt. [...]“. 490 StGBl 1919/179. 491 StGBl 1919/180. 492 Kelsen, Verfassungsgesetze III 171; s auch Ermacora, Handbuch 42 f; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte 304. 493 S oben B.VI.1. 494 StGBl 1919/209. 495 Ermacora, Handbuch 43. Dieses Gesetz wurde teils gegen die Stimmen der Christlichsozialen beschlossen, die in der angeordneten Konfiskation ein Ausnahmegesetz sahen; s dazu näher Berchtold, Verfassungsgeschichte 153 f. 496 S Kelsen, Verfassungsgesetze III 171. 497 Gesetz vom 3. April 1919 über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden (AdelsaufhebungsG), StGBl 1919/211. 489
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vorgesehenen Exterritorialitäten und die damit einhergehende Steuerfreiheit und Befreiung von der inländischen Gerichtsbarkeit498, die in der Monarchie bestimmten souveränen Fürsten zuerkannt worden waren499. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie und dem Übergang zur demokratischen Republik wurden also teils einfachgesetzlich, teils durch Verfassungsgesetz endgültig alle Standesvorrechte beseitigt, das Wahlrecht allgemein zugesichert und damit auch politische Gleichheit hergestellt und schließlich aufgrund geänderter gesellschaftlicher Anschauungen auch die Gleichberechtigung der Geschlechter anerkannt, kurzum: eine Gleichheit der Staatsbürger herbeigeführt, die über die in Art 2 StGG garantierte Gleichheit vor dem Gesetz klar hinausging. Diese Bedeutungserweiterung der Gleichheit sollte auch Konsequenzen für die Ausarbeitung der Verfassung haben, die die Konstituierende Nationalversammlung in der Folge für Österreich in Angriff nahm.
VII. Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 1. Vorarbeiten und Vorentwürfe a. Die Entwürfe Kelsens Die Vorarbeiten zum B-VG nahmen im Mai 1919 ihren Ausgang in der Staatskanzlei; in deren Auftrag erarbeitete Kelsen im Sommer 1919 sechs Verfassungsentwürfe500, die allesamt einen eigenen sechsten Abschnitt hatten, der „Von den Grund- und Freiheitsrechten“ bzw im Entwurf V in Anlehnung an die Weimarer Reichsverfassung (WRV) „Von den Grundrechten und Grundpflichten“ handelte501. An der Spitze dieses Abschnittes stand in allen Entwürfen eine allgemeine Garantie der Gleichheit, deren Wortlaut in den Entwürfen I-IV und VI jenem des Art 2 StGG entsprach: „Vor dem Gesetz(e) sind alle Staatsbürger gleich“, dann aber noch um einen Satz ergänzt wurde, der in das StGG – aus welchen Gründen immer – gerade nicht aufgenommen worden war und der sich auch von der Formulierung des Kremsierer Entwurfes unterschied502: „Vorrechte der Geburt, der Nationalität und der Konfession sind für immer aus____________________
498 Gesetz vom 3. April 1919 über die Abschaffung der nicht im Völkerrecht begründeten Exterritorialität, StGBl 1919/210. 499 RGBl 1851/183, 1880/134, 1881/27, 1883/5; s auch Kelsen, Verfassungsgesetze III 176 ff. 500 Ermacora, Entstehung IV 45 ff; s auch 991 BlgKNV 3, sowie G. Schmitz, Vorentwürfe 44. 501 S Ermacora, Entstehung IV 172 f. 502 S zu den sonst bestehenden Parallelen zwischen Kremsierer Entwurf und B-VG Adamovich sen, ZÖR 1927, 561 ff.
Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920
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geschlossen.“ Die Entwürfe II, III und VI übernahmen im Anschluss daran in einem eigenen Artikel wesentliche Bestimmungen des AdelsaufhebungsG, nämlich die Aufhebung des Adels, seiner äußeren Ehrenvorzüge, bloß zur Auszeichnung verliehener, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht in Zusammenhang stehender Titel und Würden sowie der weltlichen Ritter- und Damenorden. Bisher verliehene Orden und Ehrenzeichen sollten nach allen drei Entwürfen weiter getragen werden dürfen, neue Ehrenzeichen hingegen nur mehr durch Bundesgesetz geschaffen werden können. Schließlich wurde in einem weiteren Artikel auch die in Art 3 StGG getroffene Regelung rezipiert und angeordnet: „Die öffentlichen Aemter und Funktionen sind für alle Staatsbürger gleich zugänglich“503 bzw „Die öffentlichen Aemter und Funktionen sind für alle Staatsbürger ohne Unterschied gleich zugänglich.“ 504 Während die Entwürfe I-IV und VI von der in Österreich geltenden Rechtslage ausgingen, knüpfte der Entwurf V nicht nur in der Abschnittsüberschrift, sondern auch sonst an die WRV an. So lehnt sich bereits der erste Absatz seines Art 125 „Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetze gleich“ erkennbar an die in Art 109 Abs 1 WRV gebrauchte Formulierung („Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich“) an. Der folgende Absatz „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ ist direkt aus Art 109 Abs 2 WRV übernommen. Der dritte Absatz erklärt fast wortgleich mit dem ersten Satz des Art 109 Abs 3 WRV „Oeffentlichrechtliche Vorrechte und Nachteile der Geburt oder des Standes“ für aufgehoben, übernimmt aber nicht auch dessen zweiten Satz, nach dem Adelsbezeichnungen nur als Teil des Namens gelten und nicht mehr verliehen werden dürfen. An die Stelle dieses Satzes tritt im Entwurf Kelsen V die Aufhebung des Adels, seiner äußeren Ehrenvorzüge, bloß zur Auszeichnung verliehener, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht in Zusammenhang stehender Titel und Würden sowie der weltlichen Ritter- und Damenorden. Der letzte Absatz gestattet, dass bisher verliehene Orden und Ehrenzeichen weiter getragen werden; neue Ehrenzeichen sollten hingegen nur mehr durch Bundesgesetz geschaffen werden können. Die gleiche Zugänglichkeit zu den öffentlichen Ämtern wird zwar auch in diesem Entwurf garantiert, systematisch aber nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz zugeordnet, sondern an die Spitze einer eigenen Reihe von Bestimmungen betreffend Beamte gestellt, dies mit folgendem Wortlaut: „Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der ____________________
503 504
Entwürfe I und IV. Entwürfe II, III und VI.
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Gesetze und entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen Aemtern zuzulassen. Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.“505 b. Die Entwürfe Mayrs Während die Sozialdemokraten in der Verfassungsfrage von allem Anfang an relativ klare und auch einheitliche Vorstellungen hatten, gingen die Meinungen der Christlichsozialen in dieser Hinsicht beträchtlich auseinander. Zur Koordinierung ihrer Ansichten, insbesondere zur Behebung der zwischen ihnen bestehenden Gegensätze wurde auf Wunsch der Christlichsozialen der Historiker Mayr als Staatssekretär bestellt und damit beauftragt, an der Verfassungs- und Verwaltungsreform mitzuwirken506. Er führte Gespräche mit den Landespolitikern und erarbeitete sodann auf Basis der dabei wahrgenommenen Verfassungswünsche einen „eigenen“, den sog „Privatentwurf Mayr“507. In späteren Debatten lehnte Mayr die volle Verantwortung für diesen Entwurf ab, den er offenbar nicht alleine oder doch nicht ausschließlich nach seinen Vorstellungen erarbeitet hat. Kelsen gibt später sogar an, er sei Mayr bei der Ausarbeitung dieses Entwurfes formal zugewiesen gewesen und habe dabei völlig freie Hand gehabt508. So erklärt sich wohl die starke Ähnlichkeit dieses Entwurfes mit den von Kelsen vorgelegten Verfassungskonzepten. Wie diese enthielt auch der Privatentwurf Mayr einen eigenen Abschnitt „Von den Grund- und Freiheitsrechten“, an dessen Spitze ein allgemeiner Gleichheitssatz stand, der fast gleich wie Art 2 StGG lautete: „Vor dem Gesetze sind die Staatsbürger gleich“. Auch der folgende, Vorrechte der Geburt, der Nationalität und der Konfession ausschließende Satz ist den Entwürfen Kelsens entnommen. Diesen Garantien ist dann ein zweiter Absatz angefügt, der (wie der Entwurf Kelsen V) jenem der WRV entspricht, also Männern und Frauen grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten zuerkennt. Auch der dritte und vierte Absatz dieses Artikels sind (anders als der Entwurf Kelsen V) fast wörtlich aus Art 109 WRV übernommen: „(3) Öffentlichrechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt und des Standes sind aufgehoben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden. (4) Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichnen; akademische Grade sind dadurch nicht betroffen.“ Während Art 109 WRV in seinem fünften Absatz die Verleihung von Orden und ____________________
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Art 143 Kelsen Entwurf V, vgl Ermacora, Entstehung IV 185. Ermacora, Quellen 191; ders, Entstehung IV 9. Ermacora, Entstehung IV 275 f, 290 ff, 378. Vgl G. Schmitz, Vorentwürfe 74; s auch Ermacora, Entstehung IV 275.
Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920
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Ehrenzeichen durch den Staat verbietet, bestimmte der Privatentwurf Mayr an dieser Stelle (wie der Entwurf Kelsen V), dass die bisher verliehenen Orden und Ehrenzeichen weiter getragen werden dürfen und dass neue Ehrenzeichen nur durch Bundesgesetz geschaffen werden können. Der sechste Absatz lehnt sich wieder an Art 109 Abs 6 WRV an: „Kein Bundesangehöriger darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen.“509 Die Rezeption der WRV mag dem Koalitionspakt entsprochen haben; mit der österreichischen Rechtslage vereinbar war sie aber jedenfalls hinsichtlich der Adelsbestimmungen nicht. Denn das AdelsaufhebungsG war mit dem Adel rigider verfahren als die WRV, es untersagte nicht (wie der Privatentwurf Mayer) bloß die Verleihung von Adelsbezeichnungen, sondern auch die Führung von Adelsbezeichnungen und sonstiger, nicht mit einer amtlichen Stellung, einem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung in Zusammenhang stehender Titel und Würden. Dieser spezifisch österreichischen Rechtslage wurde erst in einem zweiten, dem sog „Entwurf Mayr“ Rechnung getragen510, der den ersten Absatz der Gleichheitsgarantie aus dem Privatentwurf Mayr praktisch unverändert als eigenen Artikel 109 übernimmt, und dann in einem weiteren Artikel 110 wie das AdelsaufhebungsG bestimmt, dass der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge, bloß zur Auszeichnung verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhang stehende Titel und Würden und der damit zusammenhängenden Ehrenvorzüge sowie die weltlichen Damen- und Ritterorden aufgehoben sind und nicht wieder eingeführt werden dürfen (Abs 1). Der zweite Absatz dieses Artikels bestimmt wie schon der Privatentwurf Mayer, dass kein Bundesangehöriger von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen darf. Art 111 garantiert sodann den Bürgern die gleiche Zugänglichkeit zu den öffentlichen Ämtern und Funktionen, nun allerdings (anders als im Privatentwurf Mayer) „nach Maßgabe der Gesetze“. Auch die Erstellung dieses Entwurfs hat Kelsen später für sich in Anspruch genommen511. c. Der Linzer Entwurf Nach einer Länderkonferenz in Salzburg wurde in der Staatskanzlei aus dem Mayr-Entwurf die „Zweite Fassung eines Vorentwurfes einer Bundesstaatsverfassung“ erarbeitet, die sodann im April 1920 der Linzer Län____________________
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Ermacora, Entstehung IV 378. G. Schmitz, Vorentwürfe 241. Vgl G. Schmitz, Vorentwürfe 74.
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derkonferenz vorgelegt wurde512. Dieser „Linzer Entwurf“ folgt im Bereich der Grund- und Freiheitsrechte ganz allgemein dem Privatentwurf Mayr513 und übernimmt auch dessen gleichheitsrechtliche Bestimmungen fast unverändert als Art 108, der nun folgenden Wortlaut hatte514: „(1) Vor dem Gesetze sind die Staatsbürger gleich. Vorrechte der Geburt, der Nationalität und der Konfession sind für immer ausgeschlossen. (2) Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (3) Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt und des Standes sind aufgehoben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden. (4) Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichnen; akademische Grade und berufliche Standesbezeichnungen515 sind dadurch nicht betroffen. (5) Die bisher verliehenen Orden und Ehrenzeichen dürfen weiter getragen werden, neue Ehrenzeichen können nur durch Bundesgesetz geschaffen werden. (6) Kein Bundesangehöriger darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen.“
Art 109 lautet in diesem Entwurf: „Die öffentlichen Ämter und Funktionen sind für alle Bundesangehörigen ohne Unterschied gleich zugänglich.“
Die Vertreter aller drei in Linz vertretenen Parteien – Sozialdemokaten, Christlichsoziale und Großdeutsche – waren sich (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen) darin einig, dass die Grund- und Freiheitsrechte auf dieser Konferenz nicht abschließend beraten werden sollten, um Zeit für die Besprechung jener Materien zu gewinnen, die die Länderinteressen spezifischer betreffen als die Grundrechte516. Dennoch konnte der sozialdemokratische Abgeordnete Danneberg nicht umhin, sich auch zum Grundrechtsabschnitt des vorgelegten Linzer Entwurfes zu äußern. Er monierte zunächst ganz grundsätzlich, dass dieser Entwurf entgegen den Koalitionsvereinbarungen zu wenig an der WRV orientiert sei, und übte dann im Besonderen auch an den gleichheitsrechtlichen Bestimmungen dieses Entwurfes scharfe Kritik. Mayr sei hier, wie Danneberg bemerkte, „so rückschrittlich [...] als unsere Gesetzgebung“, denn gleich im ersten Artikel dieses Abschnittes sei „vom Adel in einer Weise erwähnt [...], die dem Gesetze vom 3. April 1919 geradewegs widerspricht. Dieses Gesetz vom April 1919 hat den Adel abgeschafft und hat ausdrücklich festgestellt, daß ein Adelstitel nicht mehr geführt werden darf. Der Herr ____________________
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S R. Walter, Entstehung 12 f FN 5. G. Schmitz, Vorentwürfe 83. 514 Ermacora, Entstehung IV 378; ders, Quellen 131. 515 Der Passus „und berufliche Standesbezeichnungen“ war im Privatentwurf Mayr noch nicht enthalten. 516 G. Schmitz, Vorentwürfe 86. 513
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Staatssekretär bringt hier im Artikel 108 eine milde Fassung, daß Adelsbezeichnungen nur als ein Titel des Namens gelten und nicht mehr verliehen werden dürfen. Das ist nicht das, was im Adelsabschaffungsgesetz steht, am allerbesten [gemeint wohl: allerwenigsten] aber das, was wir brauchen, weil die Praxis im letzten Jahre zeigte, daß auch dieses Gesetz nicht zureicht [...], sondern daß es verschärft werden muß, weil die Adeligen alle möglichen Methoden zur Führung ihres Namens anwenden, was für eine demokratische Republik nicht paßt. Es möchte manchem das vielleicht als Kleinigkeit erscheinen. Es erscheint uns nicht als Kleinigkeit, weil wir auf dem Standpunkt völliger Gleichheit in jeder politischen Beziehung stehen, und darum ist der ganze Artikel 108, wie ihn der Herr Staatssekretär verfaßt hat, nicht sympathisch, und wir sind der Meinung, daß man die A[b]schaffung jedweden Vorrechtes auch noch in viel präziserer und schärferer Weise zum Ausdrucke bringen müßte“517. Mayr wies den Vorwurf, sich zu wenig an die WRV gehalten zu haben, als ungerechtfertigt zurück und führte zum Beweis dafür – wohl nicht ganz ernst gemeint – ausgerechnet Art 108 des Linzer Entwurfes ins Treffen: „Wenn Herr Dr. Danneberg [...] beanstandet hat, daß ich eine andere Fassung über die Rechte des Adels aufgenommen habe, so möchte ich hinweisen, daß mir gerade da das deutsche Muster fast Wort für Wort maßgebend gewesen ist. Es ist vielleicht eine kleine Bosheit von mir. Ich persönlich lege nicht viel Wert auf Adel und Adelsvorrechte und beabsichtige nicht in mittelalterliche Zustände zurückzukommen.“518 d. Der Entwurf Danneberg Noch auf der Linzer Landeskonferenz legte Danneberg namens der Sozialdemokraten einen eigenen Entwurf vor519. Dieser sah wie alle bis dorthin erarbeiteten Verfassungskonzepte einen sechsten Abschnitt über „Die Grund- und Freiheitsrechte“ vor, an dessen Spitze in Art 105 bestimmt wird: „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich. Vorrechte der Nationalität, der Konfession, des Geschlechtes, Standes oder der Klasse sind für immer ausgeschlossen.“ Der erste Satz dieser Bestimmung übernimmt also wie die meisten anderen Entwürfe die Formulierung des Art 2 StGG, der zweite Satz fasst alle Kriterien, die bis dorthin als Grund für die Einräumung von Vorrechten verpönt worden waren (Nationalität, Konfession, Geschlecht, Stand), zusammen und fügt ihnen – möglicherweise als Erbe ____________________
517 Protokoll der Linzer Länderkonferenz 1920, 3. Sitzung am 23. April 1920, wiedergegeben bei Ermacora/Wirth, Bundesverfassung 24 f. 518 Protokoll der Linzer Länderkonferenz 1920, 3. Sitzung am 23. April 1920, wiedergegeben bei Ermacora/Wirth, Bundesverfassung 30. 519 Vgl Ermacora, Entstehung IV 279.
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der sozialistischen Doktrin520, vielleicht aber auch nur in Anknüpfung an die Judikatur des Reichsgerichtes521 – noch jenes der „Klasse“ hinzu. Der anschließende Art 106 wiederholt in seinem Abs 1 die bereits im AdelsaufhebungsG ausgesprochene Aufhebung des Adels, seiner äußeren Ehrenvorzeichen, seiner Titel und Würden und der damit verbundenen Ehrenvorzüge sowie der weltlichen Ritter- und Damenorden und verschärft dies noch um die Aussage, dass alle diese Erscheinungen „nicht wieder eingeführt werden [dürfen]“. Der zweite Absatz des Art 106 entspricht der in Art 109 Abs 6 WRV getroffenen Bestimmung, dass kein Bundesangehöriger Titel oder Orden von einer ausländischen Regierung annehmen darf. In Art 107 bestimmt der Entwurf Danneberg schließlich wie alle anderen Entwürfe und weitgehend im Einklang mit Art 3 StGG, dass „[die] öffentlichen Aemter und Funktionen [...] für alle Staatsbürger ohne Unterschied nach Maßgabe der Gesetze gleich zugänglich [sind].“522 ____________________
520 Dass sich Danneberg deren Terminologie durchaus bediente, zeigen etwa seine (in anderem Zusammenhang getroffenen) Äußerungen im Plenum der Konstituierenden Nationalversammlung: „Bei uns ist es so, daß infolge der Siedlungsverhältnisse der Industrie die Arbeiterklasse zum weitaus überwiegenden Teil auf dem Fleck von Wien zusammenwohnt und daß in allen Ländern dieses Staates mit Ausnahme von Wien die Arbeiterklasse nur eine Minderheit darstellt. Wien den anderen Ländern ohne Rücksicht auf die Einwohnerzahl gleichstellen heißt, die Arbeitsklasse nullifizieren, das heißt die Arbeiter um ihren Einfluß, um ihre Geltung und um ihre politische Macht in diesem Staate bringen wollen.“ (StenProtKNV, 100. Sitzung am 29. September 1920, 3388 f ), und dann noch deutlicher: „Die Arbeiter verteidigen diese Republik, obwohl diese demokratische Republik und diese Verfassung, wie wir alle wissen und wie den Herren auch bekannt ist, keineswegs das letzte und das entscheidende Ziel der Sozialdemokraten ist, denn auch in diesem Staate, auch in dieser demokratischen Republik lebt der Kapitalismus, auch in diesem Staate schaffen die Arbeiter Mehrwert für ihre Ausbeuter, wenn auch als politisch freie und als gleichberechtigte Bürger, aber sie sind auch in diesem Lande wirtschaftlich ausgebeutet. Wenn sie aber die Republik verteidigen, dann verteidigen sie sie als den Boden, auf dem sie ihren Klassenkampf führen können, als den Boden, auf dem sie ihren Kampf gegen den Kapitalismus führen können. [...] Die Machtverhältnisse werden entscheiden, die Machtverhältnisse draußen in der Welt und die Machtverhältnisse im Lande werden entscheiden, ob die politische Demokratie zu einer wirtschaftlichen Demokratie ausgestaltet und ausgebaut werden kann, ob wir zu dem letzten und großen Ziele der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung gelangen. Die Machtverhältnisse werden entscheiden und darauf vertrauen wir, und wenn die Zeiten reif geworden sind, dann werden wir dazu kommen, dann werden wir vorwärts gehen über die Demokratie zum Sozialismus.“ (StenProtKNV, 100. Sitzung am 29. September 1920, 3398). 521 Wie oben B.V.3. gezeigt, stellt Art 2 StGG dieser Judikatur zufolge „die Aufhebung der vordem einzelnen Klassen zugestandenen Privilegien“ bzw „die Aufhebung der vordem einzelnen Klassen und Ständen zugestandenen Vorrechte (Privilegien)“ fest. Nach Art 3 StGG dürfe „keine Classe von Staatsbürgern, etwa aus Gründen des Religionsbekenntnisses, der Nationalität, des Standes und dergl. von der Erlangung von Staatsämtern ausgeschlossen und andererseits [...] kein Staatsamt nur für gewisse Classen der österreichischen Staatsbürger zugänglich sein“. 522 Die Gleichheitsbestimmungen dieses Entwurfs weichen zwar offenkundig von jenen des Privatentwurfes Mayr und des Linzer Entwurfs ab; in Ansehung der oben wiedergegebenen Äußerung Mayrs auf der Linzer Länderkonferenz schienen die Meinungsgegensätze
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e. Der Renner-Mayr-Entwurf Gleich nach der Linzer Länderkonferenz setzte die Regierung ein Verhandlungskomitee ein, das sich aus Staatskanzler Renner, Vizekanzler Fink, Staatssekretär Mayr und Kelsen als wissenschaftlichem Berater zusammensetzte523. Dieses Komitee sollte die noch bestehenden Meinungsunterschiede zwischen den Parteien zu einem Ausgleich bringen und sodann auf der Grundlage des gefundenen Konsenses einen eigenen Verfassungsentwurf erstellen. Maßgeblich für diese Arbeit waren vor allem der Linzer Entwurf und der von Danneberg in Linz vorgelegte Sozialdemokratische Entwurf 524. Die letzte Beratung dieses Komitees fand am 8. Juni 1920 statt525. Ob die Verhandlungen an diesem Tag formell abgebrochen oder nur deshalb nicht mehr weitergeführt wurden, weil zwei Tage später die Regierungskoalition zerbrach, ist ungeklärt526. Feststeht aber, dass Mayr am 25. Juni 1920 in der Konstituierenden Nationalversammlung einen eigenen Verfassungsentwurf einbrachte527, obwohl zwischen den beiden Parteien vereinbart worden war, in der Verfassungsfrage trotz Beendigung der Koalition weiter zusammenzuarbeiten. Renner sah sich durch diese Vorgangsweise Mayrs dazu veranlasst, am 8. Juli 1920 jenen Verfassungsentwurf zu publizieren, der aufgrund der Vereinbarungen des Verhandlungskomitees erstellt worden war („Renner-Mayr-Entwurf“)528. Wie Renner in der Einleitung zu diesem Text erläuterte, enthielt der vorgelegte Entwurf nur eine Fassung, soweit ein einheitlicher Text vereinbart oder zumindest vorläufig angenommen worden sei. Diese Fassung sei dann „weder jene der Christlichsozialen noch jene der Sozialdemokraten, sondern schon Kompromißfassung“, die allerdings, wie Renner hinzufügte, „nunmehr, da die Koalition gelöst ist, weder die eine noch die andere Partei bindet.“529 Der Renner-Mayr-Entwurf regelt die Grund- und Freiheitsrechte in einem neuen, siebenten Hauptstück, das in vier Abschnitte un____________________
zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen in dieser Frage aber zunächst offenbar nicht als unüberwindbar. Denn eine in der Staatskanzlei angefertigte „Gegenüberstellung der wesentlichen Differenzpunkte zwischen den sozialdemokratischen und den christlichsozialen Verfassungsvorschlägen bei der Linzer Länderkonferenz“ weist gerade bei der Gewährung der Gleichheitsgarantien keinen Gegensatz zwischen den beiden Parteien aus (vgl Ermacora, Entstehung I 199, 341 ff; dens, Entstehung IV 286). Wie sich später zeigen sollte, war diese Gegenüberstellung jedoch entweder unvollständig oder zu optimistisch. 523 S G. Schmitz, Vorentwürfe 94; R. Walter, Entstehung 14 FN 8; Ermacora, Quellen 192. 524 S Ermacora, Quellen 192 und 193 FN *. 525 Ermacora, Quellen 192. 526 S G. Schmitz, Vorentwürfe 94. 527 888 BlgKNV 1 ff. 528 Ermacora, Quellen 188 FN *; ders, Entstehung IV 414; s auch R. Walter, Entstehung 14. 529 Ermacora, Quellen 192; ders, Entstehung IV 418 f.
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tergliedert ist. Der erste Abschnitt handelt von der „Rechtsgleichheit“ und trifft gleich zu Beginn in Art 137 eine – offenbar von beiden Parteien akzeptierte – Bestimmung mit folgendem Wortlaut530: „1. Die Bundesangehörigen sind vor dem Gesetze gleich. Die Fremden, die sich innerhalb des Bundesgebietes aufhalten, genießen mit Ausnahme der politischen Rechte, die den Staatsbürgern vorbehalten sind, die gleichen Rechte wie die Bundesangehörigen, soweit nicht Bundesgesetze im Rahmen des Völkerrechtes und der Staatsverträge Einschränkungen ausdrücklich vorsehen. 2. Einschränkungen der Rechtsgleichheit aus dem Grunde der Zugehörigkeit zu einer Religion oder Nation sind unzulässig. 3. Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“
Diese Garantie muss praktisch neu verhandelt worden sein; denn sie ist weder in ihrem Aufbau noch in ihrer Formulierung dem Linzer Entwurf oder dem Entwurf Danneberg eindeutig zuordenbar. Abweichend von beiden Entwürfen ist zunächst im ersten Satz des Abs 1 nicht von „Staatsbürgern“, sondern von „Bundesangehörigen“ die Rede. Keiner der beiden Entwürfe hatte auch nur ansatzweise den Gedanke ausgesprochen, dass – wie nun in Abs 1 Satz 2 festgelegt war – Fremde den Bundesangehörigen grundsätzlich gleichgestellt sein sollten. Geht man davon aus, dass das Hinterfragen überkommener Differenzierungskriterien (zunächst des Standes und der Konfession, dann der Nationalität und schließlich des Geschlechtes) einen Fortschritt darstellt, dann muss gerade diese Regelung als extrem „fortschrittlich“ gewertet werden, denn sie verbietet erstmals das Differenzierungskriterium schlechthin – die Staatsbürgerschaft – als Grund für eine Ungleichbehandlung531. Auch der zweite Absatz wurde offensichtlich neu formuliert; er entspricht inhaltlich wohl weitgehend dem im Linzer Entwurf und im Entwurf Danneberg übereinstimmend ausgesprochenen Ausschluss von Vorrechten der Nationalität und der Konfession, weicht aber doch im Wortlaut von den beiden Entwürfen ab. Der dritte Absatz deckt sich schließlich mit dem Linzer Entwurf, der sich in dieser Hinsicht wiederum an die WRV anlehnte; Männer und Frauen sollten danach nur „grundsätzlich“ gleiche staatsbürgerliche Rechte und Pflichten haben, während der Entwurf Danneberg – offensichtlich rigoroser – Vorrechte des Geschlechts ebenso „für immer“ ausschließen ____________________
530 531
Ermacora, Quellen 228 f; ders, Entstehung IV 463. Dass das Gleichheitsrecht von der Staatsbürgerschaft abhängig gemacht wurde, war zum damaligen Zeitpunkt auch im internationalen Vergleich durchaus üblich; s etwa die Beispiele bei Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 319 f FN 10. Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 ist kein Gegenbeispiel, sie erklärt zwar zunächst, dass alle Menschen von Natur aus frei und gleich sind, im Zusammenhang mit staatlichen und politischen Rechten spricht sie jedoch nur mehr vom Staatsbürger, s auch Schmitt, Verfassungslehre 227.
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wollte wie Vorrechte der Nationalität, der Konfession, des Standes und der Klasse. So sehr es einerseits erstaunt, dass sich das Verhandlungskomitee ohne erkennbare Vorlage auf eine weitgehende Gleichstellung von Fremden und Staatsbürgern einigte, so sehr verwundert andererseits, dass es in einem anderen Punkt nicht zu einem Kompromiss gelangen konnte, nämlich in der Frage der Führung von Adelsbezeichnungen, die doch bereits durch das AdelsaufhebungsG geregelt war und in der Mayr seinen eigenen Vorschlag, die mit diesem Gesetz nicht vereinbare Regelung der WRV zu übernehmen, auf der Linzer Länderkonferenz als „kleine Bosheit“ enttarnt und auch einbekannt hatte, dass er selbst nicht in mittelalterliche Zustände zurückkommen wolle532. Warum auch immer diese schon in Kremsier überaus strittige Frage rund 70 Jahre später unter völlig neuen politischen und staatsrechtlichen Bedingungen keiner einheitlichen Lösung zugeführt werden konnte: Der Renner-Mayr-Entwurf gibt jedenfalls sowohl Art 108 Abs 3 des Linzer Entwurfes533 als auch den – sprachlich und inhaltlich modifizierten – Art 106 des Entwurfes Danneberg wieder534; letzterer enthielt nun den Zusatz, dass bisher verliehene Orden und Ehrenzeichen weiter getragen werden dürfen, solange ein Bundesgesetz nichts anderes verfügt, und dass neue Ehrenzeichen nur durch Bundesgesetz geschaffen werden können535 – für eine Einigung zwischen den Parteien schien dieses Zugeständnis aber nicht genügt zu haben. Ein Konsens konnte demgegenüber wieder über die (von allen Entwürfen weitgehend einheitlich geregelte) Ämterzugänglichkeit erzielt werden: Art 139 bestimmte, dass „[die] öffentlichen Ämter und Funktionen [...] allen Bundesangehörigen ohne Unterschied gleich zugänglich [sind].“536 Im Unterschied zu allen anderen bis dorthin erstellten Verfassungsentwürfen findet sich im Renner-Mayr-Entwurf auch außerhalb des Abschnittes über die Grund- und Freiheitsrechte eine gleichheitsrechtliche ____________________
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S schon oben bei FN 518. „Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt und des Standes sind aufgehoben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden.“ 534 Vgl Ermacora, Quellen 229; dens, Entstehung IV 463 f; s auch G. Schmitz, Vorentwürfe 96. 535 „1. Der Adel und dessen äußere Ehrenvorzüge sowie Titel und Würden, welche bloß zur Auszeichnung verliehen werden und nicht mit amtlicher Stellung, bürgerlichem Beruf und wissenschaftlicher oder künstlerischer Leistung zusammenhängen, sind mit allen damit verbundenen Ehrenrechten aufgehoben und dürfen nicht mehr verliehen werden. 2. Die bisher verliehenen Orden und Ehrenzeichen dürfen, solange ein Bundesgesetz nicht anders verfügt, weiter getragen werden, neue Ehrenzeichen können nur durch Bundesgesetz geschaffen werden. 3. Kein Bundesangehöriger darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen.“ 536 Ermacora, Quellen 229; ders, Entstehung IV 464. 533
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Bestimmung, und zwar bereits im ersten Hauptstück über „Die grundlegenden Einrichtungen Österreichs“ und dort wieder im Ersten Abschnitt, der mit den Worten „Der Bund. Das Bundesgebiet und das Bundesvolk“ überschrieben ist. In diesem Abschnitt wurde in Art 7 eine Bestimmung aufgenommen, die auch schon im Privatentwurf Mayr (Art 5), im Linzer Entwurf (Art 5) und im Entwurf Danneberg (Art 6 Abs 2) vorgesehen war: „Jeder Bundesangehörige hat in jedem Lande des Bundes die gleichen Rechte und Pflichten wie die Bürger des Landes selbst“537. Diese Bestimmung erinnert an § 24 der Märzverfassung von 1849, demzufolge „[in] keinem Kronland [...] zwischen seinen Angehörigen und jenen eines anderen Kronlandes ein Unterschied im bürgerlichen oder peinlichen Rechte, im Rechtsverfahren oder in der Vertheilung der öffentlichen Lasten bestehen“ durfte. Diese Vorschrift war in der Märzverfassung gemeinsam mit anderen Gleichheitsgarantien im III. Abschnitt „Von dem Reichsbürgerrechte“ statuiert; sie lehnte sich inhaltlich und auch in ihrer systematischen Zuordnung an § 134 der Frankfurter Reichsverfassung an538. Ganz ähnlich traf dann auch die WRV unmittelbar nach dem allgemeinen Gleichheitssatz in Art 110 Abs 2 die Festlegung: „Jeder Deutsche hat in jedem Lande des Reichs die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst.“ Kelsen539, Mayr und Danneberg lösten diese Vorschrift aus ihrem grundrechtlichen Zusammenhang und reihten sie gleich zu Beginn unter die allgemeinen Bestimmungen der Verfassung ein. Die grundrechtliche Wurzel dieser Regelung war dabei aber offenbar nicht völlig in Vergessenheit geraten. Im Renner-Mayr-Entwurf findet sich nach dieser Regelung nun nämlich plötzlich in Art 8 eine Vorschrift, die den Grundinhalt des 7. Abschnittes über die Grund- und Freiheitsrechte „[vorführt]“540 und bestimmt541: „1. Alle Bundesangehörigen sind vor dem Gesetze gleich. Vorrechte der Geburt, des Standes und des Bekenntnisses sind für immer ausgeschlossen. 2. Die politischen Rechte und Freiheiten des Volkes sind durch die Bundesverfassung gewährleistet. Ihrem Schutze dient der Verfassungsgerichtshof.“
f. Der Zweite Entwurf der Christlichsozialen Als Mayr nach Beendigung der Koalitionsverhandlungen den Zweiten Entwurf der Christlichsozialen in die Konstituierende Nationalversamm____________________
537 538 539 540
Vgl Ermacora, Quellen 194; dens, Entstehung IV 294 f, 421. Wiedergegeben bei Huber, Dokumente 390; s schon oben bei FN 370. S die Kelsen Entwürfe II, III, V und VI, vgl Ermacora, Entstehung IV 64 f. Vgl die Erläuterungen zu diesem Entwurf, wiedergegeben bei Ermacora, Quellen
246. 541
Ermacora, Quellen 194; ders, Entstehung IV 421.
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lung eingebracht hatte, schien er das Vertrauen, dass sich die Parteien auf einen Grundrechtskatalog einigen würden, bereits verloren zu haben; denn dieser Entwurf sah nun überhaupt keinen Abschnitt über die Grund- und Freiheitsrechte mehr vor, wohl aber an systematisch gleicher Stelle wie im Renner-Mayr-Entwurf einen Art 6 des Wortlauts542: „1. Alle Bundesangehörigen sind vor dem Gesetze gleich. Vorrechte der Geburt, des Standes und des Bekenntnisses sind für immer ausgeschlossen. 2. Die politischen Rechte und Freiheiten des Volkes werden durch die Bundesverfassung gewährleistet.“
2. Die parlamentarische Beratung a. Verfassungsunterausschuss Nach dem Ende der Koalition verlagerte sich die Vorbereitung der Verfassung in das Parlament, das nun in Ermangelung einer Regierungsvorlage selbst einen Verfassungsentwurf ausarbeiten musste. Zu diesem Zweck wurde zunächst ein Verfassungsausschuss eingesetzt, der am 8. Juli 1920 einen Unterausschuss unter dem Vorsitz Otto Bauers mit der Erarbeitung eines Verfassungsentwurfes betraute543. Ihm standen dabei neben dem Renner-Mayr- und dem Linzer Entwurf auch die Entwürfe Mayrs und Dannebergs, der bereits erwähnte Zweite Entwurf der Christlichsozialen544 sowie ein Entwurf der Sozialdemokraten545 und der Großdeutschen546 zur Verfügung. Als Grundlage der Beratungen wurde ganz allgemein der Linzer Entwurf gewählt547, punktuell griff man allerdings auch auf den So____________________
542
888 BlgKNV 4; Ermacora, Quellen 142; ders, Entstehung IV 563. Diesem Unterausschuss gehörten die Sozialdemokraten Bauer, Eisler und Eldersch (als Ersatzmitglied Danneberg), die Christlichsozialen Aigner, Fink und Seipel (als Ersatzmitglied Kunschak) sowie der Großdeutsche Clessin (als Ersatzmitglied Schönbauer) an; als Fachmann wurde weiters Kelsen zugezogen, neben ihm wirkten auch andere Beamte der Staatskanzlei (insbesondere Froehlich und Mannlicher) als Experten mit; s G. Schmitz, Vorentwürfe 98; R. Walter, Entstehung 14 f; R. Walter/Thienel, Parlament 21, sowie Ermacora, Quellen 17 f. 544 Antrag der Abgeordneten Mayr und Genossen vom 25. Juni 1920, 888 BlgKNV; s auch den zuvor, nämlich am 14. Mai 1919 eingebrachten Kurzentwurf der Christlichsozialen, 231 BlgKNV. 545 Antrag der Abgeordneten Abram und Genossen vom 7. Juli 1920, 904 BlgKNV. 546 Antrag der Abgeordneten Dinghofer und Genossen vom 28. April 1920, 842 BlgKNV. 547 Der Antrag Seipels, den Linzer Entwurf als Grundlage der Verhandlungen zu nehmen, wurde in der 1. Sitzung am 11. Juli 1920 vom Verfassungsunterausschuss angenommen, s Ermacora, Quellen 270; s auch R. Walter, Entstehung 12 f FN 5, der darauf hinweist, dass gerade dieser Linzer Entwurf unter dem Titel „Vorentwurf einer Bundesstaatsverfassung (zweite Fassung)“ auch bei Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 463 ff, als Anlage wiedergegeben wird; s ferner das Protokoll der 9. Sitzung des Verfassungsunterausschusses vom 23. August 1920, demzufolge der Vorsitzende die Beratung 543
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zialdemokratischen Entwurf, den Entwurf Renner-Mayr sowie den Großdeutschen Entwurf zurück548. In seiner konstituierenden Sitzung fasste der Unterausschuss den Beschluss, die Frage der Verfassung in fünf Themen zu untergliedern, die getrennt voneinander in Beratung zu ziehen seien. Eines dieser Themen waren die Grundrechte, für die allerdings im Unterschied zu den übrigen Themen kein Berichterstatter bestellt wurde549. In Ansehung der weiteren Entwicklungen war eine solche Bestellung auch nicht erforderlich. Denn die Parteien traten außerhalb des Parlaments wieder in Verhandlungen ein und einigten sich, die strittigen Fragen, zu denen auch die Grundrechte zählten, beiseite zu lassen, um überhaupt eine Verfassung zustande zu bringen550. In seiner 9. Sitzung vom 23. August 1920 nahm der Unterausschuss sodann den ersten Abschnitt der Verfassung in Angriff 551. Nachdem die ersten Artikel des Linzer Entwurfes verhandelt waren und zuletzt dessen Art 6 (heute Art 8 B-VG) betreffend die Staatssprache übernommen worden war, zog der Vorsitzende Bauer Art 117 des Sozialdemokratischen Entwurfes in Beratung552, der gleich wie Art 105 im Entwurf Danneberg lautete: „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich. Vorrechte der Nationalität, der Konfession, des Geschlechtes, Standes oder der Klasse sind für immer ausgeschlossen.“553
Laut Protokoll bemerkte der Vorsitzende, dass diese Bestimmung „eigentlich nur eine Ausführung des Wortes demokratisch in Artikel 1 Abs. 1“ sei. Weiters habe Seipel beantragt, die Worte „für immer“ im zweiten Satz zu streichen. Darüber hinausgehende Wortmeldungen sind im Protokoll nicht verzeichnet; vermerkt ist nur, dass Art 4a mit folgendem Wortlaut angenommen wurde554: „(1) Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetze gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.“
Diese Fassung weicht von Art 117 des Sozialdemokratischen Entwurfes offenkundig in weiterem Umfang ab, als dies im Protokoll verzeichnet ist: Zunächst entspricht bereits der erste Satz des Art 4a nicht dem Art 117 des Sozialdemokratischen Entwurfes, er deckt sich eher mit Art 8 des Ren____________________
des Linzer Entwurfes von Anfang an einleitete: Ermacora, Quellen 336; s weiters G. Schmitz, Vorentwürfe 98 f; R. Walter/Thienel, Parlament 22. 548 R. Walter, Entstehung 16. 549 Ermacora, Quellen 18. 550 S R. Walter, Entstehung 17. 551 S Ermacora, Quellen 336 ff. 552 Ermacora, Quellen 339. 553 904 BlgKNV 30; Ermacora, Quellen 177; ders, Entstehung IV 379, 593. 554 Ermacora, Quellen 339.
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ner-Mayr-Entwurfes555 bzw mit dem Zweiten Entwurf der Christlichsozialen556, wie überhaupt die Einordnung des allgemeinen Gleichheitssatzes in den ersten Abschnitt der Verfassung nur in diesen beiden Entwürfen vorgesehen war. Weder die Formulierung dieses Satzes noch seine systematische Stellung schien den Abgeordneten aber diskutabel oder ihre Diskussion dem Protokollführer erwähnenswert gewesen zu sein. Die Ausschussmitglieder waren wohl ebenso wie der Vorsitzende der Ansicht, dass der nun vollzogene Übergang zur republikanischen Demokratie es rechtfertige, das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz bereits im ersten Hauptstück auszusprechen; ganz in diesem Sinn stellen auch Kelsen/Froehlich/Merkl fest, dass Art 7 zwar „systematisch in den Katalog der Grundund Freiheitsrechte [gehört]. Da die Verfassung auf eine selbständige Kodifizierung verzichtet hat, empfahl es sich, das politisch wichtige Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz, in dem die demokratischen Errungenschaften besonders zum Ausdruck kommen, nachdrücklich hervorzuheben und schon in die allgemeinen Bestimmungen aufzunehmen.“557 Dass man dabei von der Formulierung des Sozialdemokratischen Entwurfes abwich, könnte mit der vorher beschlossenen Fassung des Art 4 Abs 4 zusammenhängen, nach dem „Jeder Bundesbürger [...] in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Bürger des Landes selbst“ hat558. In dem für diese Bestimmung vorbildhaften Art 5 des Linzer Entwurfes war noch von „Bundesangehörigen“ die Rede559; die sodann vorgenommene Änderung in „Bundesbürger“ sollte wohl in Art 4a durchgehalten werden und entsprach auch dem bundesstaatlichen Aufbau Österreichs eher als der im Sozialdemokratischen Entwurf gewählte Ausdruck „Staatsbürger“. Bedeutungsunterschiede liegen darin nicht. Auch der zweite Satz des Art 4a entspricht nicht völlig jenem des Art 117 des Sozialdemokratischen Entwurfes. Die dort noch nicht angesprochenen Vorrechte der Geburt waren aber bereits im „akkordierten“ Renner-Mayr-Entwurf und im Zweiten Entwurf der Christlichsozialen ausgeschlossen560 und wurden auch von sozialdemokratischer Seite abgelehnt, wie nicht nur der Disput zwischen Danneberg und Mayr auf der Linzer ____________________
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„Alle Bundesangehörigen sind vor dem Gesetze gleich.“ „Alle Bundesangehörigen sind vor dem Gesetze gleich.“ 557 Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 74; s auch Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 755, nach dem es beim zweiten Satz des Art 7 Abs 1 B-VG um die „Überwindung tradierter Fragmentierungen der Gesellschaft [geht], die einer demokratisch-republikanischen Staatsform widersprechen.“ 558 Ermacora, Quellen 339. 559 S R. Walter, Entstehung 31 sowie oben FN 537. 560 In beiden Entwürfen mit folgendem Wortlaut: „Vorrechte der Geburt, des Standes und des Bekenntnisses sind für immer ausgeschlossen.“, vgl oben bei FN 541 und FN 542. 556
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Konferenz erweist561, sondern auch Art 118 des Sozialdemokratischen Entwurfes selbst562. Nicht übernommen wurde das in Art 117 des Sozialdemokratischen Entwurfes vorgesehene Verbot von Vorrechten der Nationalität. Zwar war auch im Grundrechtsteil des Renner-Mayr-Entwurfs bestimmt, dass „Einschränkungen der Rechtsgleichheit aus dem Grunde der Zugehörigkeit zu einer [...] Nation unzulässig“ sind; weder die im 1. Hauptstück placierte „Vorführung“ der Grundrechte noch der Zweite Entwurf der Christlichsozialen erwähnten die Nationalität aber eigens. Dass Art 4a anders als die Sozialdemokratische Vorlage nicht von Vorrechten der Konfession, sondern von Vorrechten des Bekenntnisses spricht, ist wohl eine gewisse Erweiterung; sie entspricht der Formulierung im RennerMayr-Entwurf und im Zweiten Entwurf der Christlichsozialen563. Die beiden zuletzt genannten Entwürfe schlossen ebenso wie der Sozialdemokratische Entwurf Vorrechte des Standes aus, sodass es einer Diskussion diesbezüglich nicht bedurfte. Durchgesetzt hat sich die Sozialdemokratische Position aber – und offenbar auch dies ohne nennenswerte Debatte – hinsichtlich der beiden letzten in Art 4a verpönten Merkmale: Während der Grundrechtsteil des Renner-Mayr-Entwurfes noch in Anlehnung an die WRV vorsah, dass Männer und Frauen nur „grundsätzlich“ die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten haben, schloss man nun, dem Sozialdemokratischen Entwurf entsprechend, Vorrechte des Geschlechts ganz allgemein aus. Im Renner-Mayr-Entwurf und im Zweiten Entwurf der Christlichsozialen nicht vorgesehen war schließlich ein Verbot von Vorrechten der Klasse, das aber anscheinend anstandslos, wie im Sozialdemokratischen Entwurf vorgeschlagen, in Art 4a übernommen wurde. Ganz selbstverständlich dürfte die Aufnahme dieser beiden Differenzierungsmerkmale aber doch nicht gewesen sein, denn Kelsen/Froehlich/ Merkl bemerken in ihrer Erläuterung zu dieser Bestimmung, dass der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz durch den zweiten Satz des (nunmehr) Art 7 Abs 1 B-VG „näher interpretiert wird, und zwar dahin, daß die Gleichheit in der Ausschließung von ‚Vorrechten‘ besteht. Bei dieser Interpretation ist namentlich charakteristisch die Hervorhebung von Geschlecht und Klasse.“564 ____________________
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S dazu oben im Text ab FN 516. Dieser lautete: „(1) Der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge, sowie bloß zur Auszeichnung verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Berufe oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhange stehende Titel und Würden und die damit verbundenen Ehrenvorzüge, sowie die weltlichen Ritter- und Damenorden sind aufgehoben und dürfen nicht wieder eingeführt werden. (2) Kein Bundesangehöriger darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen.“, vgl Ermacora, Quellen 178; dens, Entstehung IV 593. 563 S bereits FN 560. 564 Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 74.
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Tatsächlich weckte der Ausschluss von Vorrechten des Geschlechts in der Folge auch Bedenken im Staatsamt für Justiz, das die Gefahr sah, Frauen könnten durch diese Bestimmung „gewisse Privilegien, z. B. bei Vormundschaft und Geschworenenamt etc. verlieren.“ Diese Stellungnahme wurde dem Verfassungsunterausschuss am 22. September 1920 zur Kenntnis gebracht565. Seitz hielt ihr entgegen, dass „auch andere Personen, z.B. Geistliche und Beamte, das Geschworenenamt ablehnen können“, worauf Froehlich meinte, ein Mann könne nur aus besonderen Gründen ablehnen, die Frau aber aus dem Grunde des Geschlechts; das Staatsamt für Justiz wäre daher durch Art 4a gezwungen, die gesetzliche Bestimmung über die Geschworenen und über die Vormundschaft im außerstreitigen Verfahren abzuändern. Diese Diskussion war im Ausschuss offenbar rasch wieder beendet, denn: „Prof. Kelsen hält den Abänderungsvorschlag566 nicht für wesentlich, worauf der Unterausschuß den Art. 4a, Abs. 1 im vorgeschlagenen Wortlaut annimmt“567. Ganz beseitigt waren die Zweifel damit allerdings nicht, denn bei Kelsen/Froehlich/Merkl findet sich zu Art 7 Abs 1 B-VG dann doch die Feststellung: „Die juristische Bedeutung dieses Artikels ist äußerst problematisch, da nach herrschender Auffassung ungeachtet der rechtlichen Gleichstellung in der Verfassung dennoch eine unterschiedliche Behandlung des Geschlechtes oder der anderen im Absatz 1 genannten Tatbestände im Wege des Gesetzes nicht ausgeschlossen ist (z.B. Befreiung der Frauen von der Geschworenenpflicht oder einer allfälligen Wehrpflicht). Die Gleichstellung bezieht sich wohl hauptsächlich auf das Wahlrecht. Wie weit aber die Differenzierungsmöglichkeit trotz dieser verfassungsmäßig gleichen Stellung geht, läßt sich durch eine allgemeine Formel nicht ausdrücken.“568 b. Verfassungsausschuss und Plenum Der Unterausschuss beendete seine Arbeiten am 23. September 1920 und erstatte dem Verfassungsausschuss am folgenden Tag Bericht569. Dieser trat sodann in die Beratung des ihm vorgelegten Entwurfes ein, unterzog Art 7 Abs 1 B-VG aber keiner Änderung mehr570. Auch in dem Bericht, den der Verfassungsausschuss der Konstituierenden Nationalversammlung in der Folge vorlegte, wird wohl allgemein erwähnt und auch ____________________
565
Ermacora, Quellen 472 f. Gemeint ist der Abänderungsvorschlag des Staatsamtes für Justiz, dessen Textierung bei Ermacora, Quellen 472 f, allerdings nicht wiedergegeben ist. 567 Ermacora, Quellen 473 (Hervorhebung im Original). 568 Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 74. 569 R. Walter/Thienel, Parlament 23. 570 R. Walter, Entstehung 34 f. 566
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bedauert, dass der Verfassung ein „Abschnitt über die Grund- und Freiheitsrechte [fehlt], der zum typischen Requisit moderner Staatsverfassungen gehört“571; eine besondere Erwähnung der in Art 7 B-VG statuierten Gleichheitsgarantien findet sich in diesem Bericht aber nicht. Ebenso wenig wurde Art 7 Abs 1 B-VG im Plenum der Konstituierenden Nationalversammlung noch einmal angesprochen, und zwar weder in der Generalnoch in der Spezialdebatte. Er behielt somit jene Fassung, die er bereits in der ersten Beratung im Unterausschuss erhalten hatte, und wurde offenbar nur mehr redaktionell geändert: Aus dem „Gesetze“572, vor dem alle Bundesbürger gleich sein sollten, wurde im sodann kundgemachten B-VG das „Gesetz“573. Rund 80 Jahre später wurde noch der Ausdruck „Bundesbürger“ in Art 7 Abs 1 B-VG durch den Ausdruck „Staatsbürger“ ersetzt574; eine Bedeutungsänderung war damit nicht verbunden.
VIII. Zusammenfassung Die Geschichte des allgemeinen Gleichheitssatzes beginnt in Österreich im März des Jahres 1848 mit einer Revolution, in der sich erstmals die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Minderheit auflehnte: Angehörige des gehobenen Bürgertums, Studenten, Intellektuelle, Handwerker und Arbeiter waren sich, ungeachtet ihrer sonst unterschiedlichen Interessen, darin einig, dass die dem Adel bisher zugestandenen Vorrechte aufzuhören hätten und dass ihnen ab nun politische Mitbestimmung gewährt werden müsse. Der Kaiser erfüllte diese Forderungen jedoch nur halbherzig. Er berief eine – nach ständischen Gesichtspunkten zusammengesetzte – Volksvertretung ein, die gemeinsam mit der Regierung eine „Constitution des Vaterlandes“ erstellen sollte. Nach ersten Vorarbeiten kündigte die Regierung der Öffentlichkeit einen Grundrechtskatalog an, in dem Gleichheitsgarantien eine zentrale Bedeutung haben sollten. Die dem Volk sodann oktroyierte Aprilverfassung 1848 löste diese Zusage aber keineswegs ein. In ihrem Grundrechtskatalog spielte der Gleichheitssatz schon systematisch keine vorrangige Rolle. Und er beschränkte sich auch auf die Zusage, dass die „Wirksamkeit des Gesetzes“ für alle Staatsbürger gleich ist, dass diese einen gleichen persönlichen Gerichtsstand genießen, der gleichen Wehr- und Steuerverpflichtung unterliegen und dass keiner gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden kann. ____________________
571 572
991 BlgKNV 4. Vgl Ermacora, Quellen 339; ders, Entstehung IV 638; R. Walter, Entstehung
33 f. 573 574
StGBl 1920/450. BGBl I 2003/100.
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Diese Bestimmung ist zunächst eine rechtsstaatliche Garantie: Indem sie erklärt, dass das Gesetz für jeden Staatsbürger gleich wirksam ist, bestimmt sie, dass fortan jeder Bürger unter dem Gesetz und niemand mehr über ihm stehen soll. Folgerichtig garantiert die Aprilverfassung in diesem Zusammenhang auch, dass niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden darf. Denn die Wirksamkeit des Gesetzes wäre ein leeres Versprechen, könnte der Staat die Anwendung des Gesetzes dann doch durch einen willkürlichen Austausch des entscheidungsbefugten Richters manipulieren. Dass das Gesetz selbst den Bürgern völlig ungleiche Rechte einräumt und unterschiedliche Pflichten auferlegt, dass es insbesondere den Adel weiterhin privilegiert, war durch die Aprilverfassung jedoch keineswegs ausgeschlossen. Mit der Garantie eines gleichen persönlichen Gerichtsstandes, der gleichen Wehr- und Steuerpflicht beseitigt die Aprilverfassung nur bestimmte, politisch besonders hart bekämpfte Differenzierungen, auch dies aber, ohne Vorrechte des Adels ausdrücklich auszuschließen. Ebenso hinhaltend verfuhr die Aprilverfassung mit den in der Märzrevolution geforderten demokratischen Garantien: Sie sah zwar die Wahl eines Reichstages vor, der zur Gesetzgebung ermächtigt war; doch dieses Gremium sollte so besetzt sein, dass dem Adel, dem Großgrundbesitz und sonstigen Vertrauensmännern des Kaisers entscheidender und weiten Teilen der Bevölkerung, insbesondere dem Großteil der Arbeiterschaft gar kein Einfluss zukam. Erst neuerliche Volksaufstände bewegten den Kaiser dazu, das Wahlrecht zum Reichstag – abgesehen von Frauen, Dienstleuten und Fürsorgeempfängern – jedem Bürger zuzuerkennen. Dieser erstmals nicht nach ständischen Gesichtspunkten gewählte, später sogenannte Reichstag von Kremsier setzte aus seiner Mitte einen Verfassungsausschuss ein und beauftragte ihn mit der Erarbeitung eines Grundrechtsentwurfes. Der sodann im Dezember 1848 abgeschlossene Entwurf bestimmte schon in seinem ersten Paragraphen, dass alle Staatsgewalten vom Volk ausgehen und auf die in der Konstitution festgesetzte Weise ausgeübt werden. Im zweiten Paragraphen wurde klargestellt, dass das Volk die Gesamtheit der Staatsbürger ist. Unmittelbar anschließend statuierte § 3 einen Gleichheitssatz, der sich nun keineswegs auf die gleiche Wirksamkeit des Gesetzes beschränkte. Den Staatsbürgern wurde vielmehr zugesagt, dass sie „vor dem Gesetze“ gleich sind – eine Garantie, die sich durchaus auch an den Gesetzgeber richtete: Sie verpflichtete diesen zwar nicht, allen Bürgern gleiche materielle Güter zuzuteilen, wohl aber dazu, ihnen gleiche Rechte zuzuerkennen. In diesem Sinn bestimmte der Entwurf dann auch ausdrücklich, dass alle Standesvorrechte, „auch die des Adels“, abgeschafft sind. Öffentliche Ämter und Staatsdienste sollten, wie der Entwurf weiter vorsah, für alle dazu befähigten Staatsbürger – und nur
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für sie – gleich zugänglich sein. Im Verfassungsausschuss bestanden in der ersten Lesung noch Zweifel, ob die Festlegung, dass Ämter und Staatsdienste nur nach der Befähigung zu vergeben sind, wirklich eine gleichheitsrechtliche Garantie ist; schon in der zweiten Lesung wurde dies aber nicht mehr in Frage gestellt. Tatsächlich ist diese Garantie auch nur die Kehrseite der Absage an jene Vorrechte, die dem Adel bislang „unverdient“, bloß aufgrund der Geburt gewährt worden waren. Diese Doppelseitigkeit kommt dann auch deutlich im letzten Satz der Gleichheitsgarantien zum Ausdruck: Dort wurde zunächst bestimmt, dass zu öffentlichen Auszeichnungen und Belohnungen „nur das persönliche Verdienst“ berechtige, und dann noch hinzugesetzt: „keine Auszeichnung ist vererblich.“ Neben diesen speziellen Gleichheitssätzen enthielt der Grundrechtsentwurf noch weitere besondere Gleichheitsgarantien, so das Recht, seinem gesetzlichen Richter nicht entzogen zu werden, die Beseitigung von privilegierten und Ausnahmegerichten, die Gleichberechtigung der Religionsgesellschaften, der Anhänger verschiedener Religionsbekenntnisse und der verschiedenen Volksstämme des Reiches; auch sollten Staatsbürger ein gleiches Recht und eine gleiche Pflicht haben, in der Nationalgarde zu dienen. Ein direkter Bezug zwischen diesen Garantien und dem allgemeinen Gleichheitssatz wurde im Verfassungsausschuss aber nicht hergestellt, insbesondere sah man diese Garantien nicht als eine bloße Erläuterung der Gleichheit vor dem Gesetz an. Auch bei der Beratung der Freiheitsrechte stellte der Verfassungsausschuss in der Regel keine unmittelbare Verbindung zum allgemeinen Gleichheitssatz her; ein Leitgedanke der Beratung war jedoch, dass die Freiheitsrechte allen Staatsbürgern zuzuerkennen und dass sie im Interesse der gleichen Freiheit anderer auch beschränkbar seien. Dieser Grundrechtsentwurf des Verfassungsausschusses war – deutlich anders als jener der Aprilverfassung – überaus freisinnig und gerade deshalb geeignet, das von Anbeginn bestehende Misstrauen der Regierung gegen den Reichstag unumkehrbar zu vertiefen. Um diesem Gremium noch eine letzte Chance zu geben, bezog die Regierung zu dem Ausschussentwurf, insbesondere zu dem dort gegebenen Demokratiebekenntnis ganz ablehnend Stellung und übermittelte dem Reichstag unter einem einen Grundrechtsentwurf mit dem Bemerken, dass dessen Annahme bei sonstiger Auflösung des Reichstages erwartet werde. Der Reichstag verwahrte sich gegen diese Intervention zwar energisch mit einem Dringlichkeitsantrag. Nur zwei Tage später beschloss er aber, den von der Regierung so vehement angegriffenen ersten Paragraphen des Entwurfs „als nicht hierher gehörig wegzulassen.“ Die nachfolgende Beratung der Gleichheitsgarantien erweckt allerdings den Eindruck, dass der Reichstag weiterhin,
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nun aber an anderer Stelle versuchte, seine Ziele durchzusetzen. Anders als der Verfassungsausschuss schien das Plenum dem Gleichheitssatz nun all das zuzuschreiben, was zuvor im ersten Paragraphen festgelegt war: Die Garantie der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz wurde von den einen als Bedingung, von den anderen als die Konsequenz der Demokratie und des Rechtsstaates und von vielen überdies als die Grundlage dafür angesehen, dass allen gleiche Freiheiten zu gewähren sind. Ganz überwiegend betrachteten die Abgeordneten nun auch die speziellen Gleichheitsgarantien als aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleitet: Sie sollten nur die wichtigsten, keineswegs aber alle Schlussfolgerungen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ausdrücklich aussprechen. Solcherart zum Leitgedanken des Grundrechtskataloges, ja der neuen Konstitution und der durch sie zu errichtenden Staatsform überhaupt erstarkt, wurde die Garantie, dass „Vor dem Gesetze […] alle Staatsbürger gleich [sind]“ als das „wahre Grundrecht“ an die Spitze des Grundrechtskataloges gestellt. Drei Tage, nachdem der Reichstag diesen Gleichheitssatz angenommen hatte, fasste die Regierung den Entschluss, dieses Gremium „wegen seiner in der neuesten Zeit unverholen hervortretenden radikalen Tendenz“ aufzulösen. Die dem Volk sodann oktroyierte Märzverfassung 1849 statuierte erst als fünfte Garantie des Grundrechtskataloges einen Gleichheitssatz, demzufolge „Alle österreichischen Reichsbürger […] vor dem Gesetze gleich [sind], und […] einem gleichen persönlichen Gerichtsstande [unterstehen].“ Diese Formulierung nimmt wohl Distanz von jener des Kremsierer Entwurfes. Sie kehrt zwar nicht zu der in der Aprilverfassung bloß zugesagten gleichen „Wirksamkeit“ des Gesetzes zurück; wie diese betont aber auch die Märzverfassung vor allem den rechtsstaatlichen Aspekt des Gleichheitssatzes, wenn sie die Reichsbürger unmittelbar anschließend ausdrücklich einem gleichen persönlichen Gerichtsstand unterstellt – eine Garantie, die der Reichstag von Kremsier bereits dem allgemeinen Gleichheitssatz entnommen hatte. In einem eigenen, dem Gleichheitssatz nachfolgenden Paragraphen sagt die Märzverfassung weiterhin zu, dass öffentliche Ämter und Staatsdienste für alle dazu Befähigten gleich zugänglich sind. Dass Standesvorrechte beseitigt und Auszeichnungen nur mehr nach dem Verdienst vergeben werden, garantiert die Märzverfassung zwar nicht ausdrücklich. Tatsächlich beabsichtigte die Regierung nun aber, die bislang privilegierten Stände in ihrer Vormachtstellung zurückzudrängen, dies allerdings primär, um die Macht des Monarchen zu stärken: So unterstützten die speziellen Gleichheits- und auch die Freiheitsrechte, die die Märzverfassung flankierend zum allgemeinen Gleichheitssatz gewährte, das Ziel, die Länder in den großösterreichischen Einheitsstaat einzugliedern und ihre bislang bestehende Macht auf den Gesamtstaat überzu-
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führen – ein Vorhaben, das bis dahin ua durch die fortwährende Bestätigung ständischer Rechte und Freiheiten verunmöglicht worden war. Zum Teil wurden durch die Gleichheitsgarantien, insbesondere die Aufhebung der Untertänigkeits- und Hörigkeitsverbände aber auch die innerhalb der Gesellschaft bestehenden Herrschaftsverhältnisse aufgebrochen, um die dadurch frei werdende Macht sogleich in staatliche Hände zu legen. Dass der allgemeine Gleichheitssatz in diesem Kontext eine völlig andere Funktion erfüllte als im Grundrechtsentwurf von Kremsier, ist offensichtlich: Er sollte die Reichsbürger ausnahmslos dem Gesetz unterwerfen, dessen Inhalt allein der Monarch zu bestimmen berechtigt war. Dass der allgemeine Gleichheitssatz problemlos auch in den Dienst der Konzentration staatlicher Macht gestellt werden kann, zeigt noch deutlicher das Sylvesterpatent 1851, das die Märzverfassung und damit auch die in ihr gewährten Grundrechte als „den Verhältnissen des österreichischen Kaiserstaates nicht angemessen“ außer Kraft setzte. Nur zwei dieser Grundrechte überstanden die damit eingeleitete Rückkehr zum absoluten Staat: die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz und die Abschaffung bäuerlicher Untertänigkeits- oder Hörigkeits-Verbände – sie wurden im Sylvesterpatent „ausdrücklich bestätiget“. Diese Phase der Reaktion wurde endgültig erst 1867 überwunden. Der Ausgleich mit Ungarn ebnete den Weg für die Dezemberverfassung, die den Bürgern im StGG 1867 auch wieder „allgemeine Rechte“ zuerkannte. Um die Zustimmung des Kaisers zu diesem Gesetz leichter zu erlangen, orientierte man sich bei seiner Ausarbeitung zwar vorwiegend an der vom Kaiser selbst oktroyierten Märzverfassung 1849. Der im StGG garantierte Gleichheitssatz entspricht aber in seiner Formulierung und systematischen Stellung viel eher dem Kremsierer Entwurf: Er wurde als erstes Grundrecht in Art 2 placiert und lautet wie in Kremsier: „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich.“ Erläuternde Spezifizierungen wurden diesem Gebot (abgesehen von der Garantie der gleichen Ämterzugänglichkeit in Art 3 StGG) anders als in Kremsier nicht mehr hinzugefügt, dies aber wohl, weil die Frage, inwieweit man dem Adel Sonderrechte zugestehen sollte, in den vergangenen Jahren einfachgesetzlich weit genug zu dessen Lasten beantwortet worden war. In diesem Sinn nahmen denn auch zeitgenössische Autoren ebenso wie das Reichsgericht an, dass Art 2 StGG sich gegen Vorrechte des Adels, aber auch gegen andere Vorrechte, etwa aufgrund der Konfession, der Nationalität oder des Standes wende. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 und dem Übergang Österreichs zu einer demokratischen Republik wurden teils einfachgesetzlich, teils durch Verfassungsgesetz alle Relikte der Monarchie und mit ihnen auch die letzten Vorrechte des Adels, ja sogar der Adel selbst endgül-
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tig beseitigt, das Wahlrecht unabhängig von einem Zensus, von Stand oder Geschlecht ganz allgemein zugesichert und so die schon seit 1848 geforderte politische Gleichheit hergestellt. Die nun wirklich demokratisch gewählte Konstituierende Nationalversammlung übernahm, da die Erstellung eines neuen Grundrechtskataloges an ideologischen Differenzen gescheitert war, notgedrungen den Grundrechtsbestand der Monarchie und mit ihm auch den in Art 2 StGG garantierten allgemeinen Gleichheitssatz. Dennoch wurde in Art 7 Abs 1 B-VG noch einmal festgehalten, daß „[a]lle Bundesbürger [...] vor dem Gesetz gleich“ sind und zur näheren Präzisierung in einem zweiten Satz bestimmt, dass Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses ausgeschlossen sind. Diesen prominenten Platz mitten im ersten Hauptstück des B-VG verdankt der Gleichheitssatz dem Übergang Österreichs zu einer demokratischen Republik: Art 7 Abs 1 B-VG ist, wie der Vorsitzende des Verfassungsausschusses bemerkte, „eigentlich nur eine Ausführung des Wortes demokratisch in Artikel 1 Abs. 1“. Seit dem Inkrafttreten des B-VG wurde Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG nur mehr einmal novelliert: Der Ausdruck „Bundesbürger“ wurde im Jahr 2003 durch „Staatsbürger“ ersetzt. Aus der Geschichte des Gleichheitssatzes lassen sich verschiedene Lehren ziehen. Zunächst fällt auf, dass der Wortlaut dieses Grundrechts seit dem Entwurf des Reichstages von Kremsier im Wesentlichen unverändert blieb; gewechselt haben nur die Satzstellung und die Bezeichnung der Begünstigten. Ob Staatsbürger, Reichsbürger oder Bundesbürger, stets wurde ihnen zugesichert, dass sie „vor dem Gesetz“ gleich sind. Diese äußere Kontinuität des Wortlautes korrespondiert jedoch nicht mit dem Inhalt, der dem Gleichheitssatz jeweils zugeschrieben wurde und auch nicht mit der Funktion, die er insgesamt erfüllen sollte: Wie die Geschichte zeigt, kann dieser Satz die Ikone der Revolution ebenso sein wie ein Instrument der Reaktion. Offensichtlich erschließt sich der Sinn eines Gleichheitssatzes niemals allein aus einer isolierten Betrachtung, sondern erst aus dem verfassungsrechtlichen Kontext, in dem er jeweils steht. In diesem Kontext sind, auch das lehrt die Geschichte, zumindest vier Aspekte besonders bedeutsam: Wie zuerst die Pillersdorffsche Verfassung, dann aber auch die Märzverfassung 1849 deutlich machen, ist der Satz, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind, zunächst eine rechtsstaatliche Garantie: Sie ordnet in vorderster Linie an, dass jeder unter dem Gesetz und niemand außer ihm steht. Dies ist ein Inhalt, der dem Gleichheitssatz unabhängig von der politischen Konstellation, in der er gewährt wurde, immer zukam. Dementsprechend wurde dieses Grundrecht stets auch explizit oder implizit mit einem gleichen Gerichtsstand, dem Verbot von
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privilegierten oder Ausnahmegerichten und schließlich mit dem Recht verbunden, seinem gesetzlichen Richter nicht entzogen zu werden. Entscheidend für die Bedeutung eines Gleichheitssatzes ist zweitens, ob er von demokratischen Garantien begleitet ist oder nicht. Wie die Entwicklung von 1848 bis 1920 zeigt, bildet den historischen Ausgangs- und Endpunkt der Gleichheit vor dem Gesetz die Forderung nach politischer Mitbestimmung, nicht von ungefähr: Die Demokratie reduziert schon institutionell die Gefahr, dass die Mehrheit der Bevölkerung von einer Minderheit beherrscht oder ihr gegenüber sonst benachteiligt wird; sie wehrt also in der Regel die Privilegierung einiger weniger ab, löst allerdings aus ihrer Eigengesetzlichkeit heraus gerade nicht das umgekehrte Problem, dass nämlich die Mehrheit eine Minderheit ausgrenzt und sie diskriminiert. Solange eine Demokratie noch nicht verwirklicht ist, wendet sich ein Gleichheitssatz daher in vorderster Front gegen Vorrechte einflussreicher Gruppen, die die Mehrheit dominieren. In einer funktionierenden Demokratie erledigen sich derartige Vorrechte oft von selbst; als Aufgabe des Gleichheitssatzes tritt dann verstärkt der Schutz jener Gruppen hervor, deren Stimme in einer Demokratie zu schwach ist, um gehört zu werden. Ein dritter Aspekt, der über den Inhalt des Gleichheitssatzes Aufschluss gibt, sind jene speziellen Gleichheitssätze, die zu seiner Erläuterung statuiert worden sind: Aus ihnen erschließt sich, worum es dem Gleichheitssatz im Kern geht. Häufig heben diese speziellen Gleichheitssätze aus der unendlichen Zahl an denkbaren Differenzierungsmerkmalen manche als verpönt hervor. Dabei ist zu beobachten, dass sich die Zahl dieser Differenzierungsmerkmale im Verlauf der Geschichte tendenziell erhöht. Differenzierungsmerkmale, die einmal verworfenen worden sind, bleiben in aller Regel auch weiterhin verpönt und werden im Lauf der Entwicklung noch durch weitere ergänzt, so auch in Österreich: Zu Geburt und Bekenntnis traten nach und nach die Nationalität, der Stand, später auch Klasse und Geschlecht. Soweit sich an diesen Merkmalen ein gemeinsamer Nenner feststellen lässt, ermöglicht auch er ein besseres Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes. Bedeutsam für die Funktion eines Gleichheitssatzes ist schließlich viertens, ob dieser (wie im Sylvesterpatent) als Grundrecht weitgehend isoliert gewährt ist, ob ihm (wie in der Märzverfassung 1849) Freiheitsrechte zumindest auch an die Seite gestellt werden, um intermediäre Gewalten aufzubrechen und den Einheitsstaat zu stärken oder ob er (wie im Reichstag von Kremsier, im StGG und durch dieses auch im B-VG) von Freiheitsrechten umgeben ist, die primär im Interesse des Einzelnen gewährt werden. In jedem dieser Kontexte kommt dem Gleichheitssatz eine je verschiedene Funktion zu; auch dies ist bei seiner Auslegung zu berücksichtigen.
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Nicht zuletzt gibt die Entwicklungsgeschichte des Gleichheitssatzes auch Antwort auf die Frage, ob dieses Grundrecht sich nur an die Vollziehung oder auch an den Gesetzgeber richtet, ob es bloß rechtliche oder auch faktische Gleichheit gewährt, und schließlich darauf, wie dieses Grundrecht dogmatisch richtig erfasst werden kann. Mit diesen allgemeinen Fragen wird sich der nächste Abschnitt beschäftigen.
C. Allgemeine Probleme I. Bindung der Vollziehung und Gesetzgebung Der Wortlaut des allgemeinen Gleichheitssatzes – „Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich“ – ist in hohem Maße deutungsbedürftig. Fraglich ist zunächst, ob sich dieser Satz bloß an die Vollziehung wendet oder auch an den Gesetzgeber selbst. Dass „vor dem Gesetz“ alle Staatsbürger gleich sind, bedeutet eines gewiss: Jeder Bürger ist ohne Ausnahme dem Gesetz unterworfen, niemand steht über und keiner außer dem Gesetz. Der Vollziehung ist es daher jedenfalls verwehrt, sich über das Gesetz hinwegzusetzen, um einzelnen Bürgern einen gesetzwidrigen Vorteil zu verschaffen oder um ihnen umgekehrt eine gesetzlich zugestandene Begünstigung vorzuenthalten1. Ob sich der Gleichheitssatz in dieser rechtsstaatlichen Garantie erschöpft, ob die Wendung „vor dem Gesetz“ also nur die Vollziehung meint, die das Gesetz anzuwenden hat, oder ob er die Staatsbürger auch vor dem Gesetzgeber für gleich erklärt, lässt sich allein aus dem Wortlaut des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG nicht zweifelsfrei beurteilen, wohl aber aus seiner Entstehungsgeschichte. Schon aus den Beratungen des Reichstages von Kremsier geht nämlich deutlich hervor, dass der allgemeine Gleichheitssatz – anders als noch in der Aprilverfassung 1848 – nicht nur die gleiche Wirksamkeit des Gesetzes sicherstellen, sondern dem Einzelnen (wenn auch bloß punktuell) überdies Gleichheit im Gesetz verschaffen sollte. Dementsprechend sahen sowohl der Verfassungsausschuss als auch das Plenum bestimmte, vor allem nach Stand und Bekenntnis getroffene Differenzierungen an sich als gleichheitswidrig an, also unabhängig davon, ob sie durch die Vollziehung oder schon zuvor auf gesetzlicher Ebene vorgenommen werden2. Dass diese schon 1848/49 angenommene Bindung in der Folge wieder gelöst werden sollte, ist nicht anzunehmen: Die Märzverfassung 1849 mag sich zwar ____________________
1 Insofern überschneidet sich der Gleichheitssatz teils mit dem Legalitätsprinzip (s noch H.II.), er bindet die Vollziehung aber auch, wo das Gesetz Spielräume lässt oder wo es – wie bisweilen in der Privatwirtschaftsverwaltung – an gesetzlichen Vorgaben fehlt (dazu H.III.). 2 B.II.1.a., B.II.2.a. und b.; ebenso Walter, ZVR 1979, 35; s auch Sander, Prager Juristische Zeitschrift 1931, Sp 275 ff, zur Bindung des Gesetzgebers an die Erklärung der Menschenrechte der französischen Verfassungen 1791 und 1793 und an die nachfolgenden Gleichheitssätze in deutschsprachigen Verfassungen; s auch Sachs, Diskriminierungsverbot 97, der für Deutschland von einem „Auftrag an die zuständigen Gesetzgeber“ spricht, Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes aufzuheben.
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sprachlich und in systematischer Hinsicht von den Gleichheitsgarantien des Kremsierer Grundrechtsentwurfes distanziert haben3. Dass der Gleichheitssatz ein „legislativer“, also den Gesetzgeber bindender Grundsatz ist, wurde aber weiterhin angenommen4. Auch Art 2 StGG wandte sich, wie gezeigt, an die Vollziehung ebenso wie an den Gesetzgeber5. In der zeitgenössischen Lehre war nur strittig, ob Art 2 StGG die Kraft hat, gleichheitswidrigen Gesetzen zu derogieren. Dass Art 2 StGG auch den Gesetzgeber bindet, wurde in der Literatur hingegen nicht bezweifelt6. Zugegebenermaßen hat diese Bindung in der Monarchie kaum praktische Bedeutung erlangt, weil dem Einzelnen ein Rechtsweg nur gegen gleichheitswidrige Verwaltungsakte, nicht auch gegen gleichheitswidrige Gesetze offen stand. Diese fehlende Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit für den Einzelnen ändert aber an der objektiv-rechtlichen Bindung des Gesetzgebers nichts7. ____________________
3
B.III.3. B.IV. 5 Nicht gefolgt werden kann in dieser Hinsicht Pfeifer, Expertenkollegium 241, nach dem der Ausschussbericht zum StGG zeige, dass es ursprünglich darum gegangen sei, die Berücksichtigung der religiösen und politischen Überzeugungen in der Gesetzvollziehung auszuschließen. Erst später habe sich dank der Rechtsprechung des Reichsgerichtes in Leipzig und des österreichischen VfGH die Auffassung durchgesetzt, dass der Gleichheitssatz auch den Gesetzgeber verpflichtet. Wie oben B.V.1. bereits dargelegt, wurde der allgemeine Gleichheitssatz 1867 im Verfassungsausschuss nicht weiter debattiert, insbesondere wurde er weder bloß auf Unterscheidungen nach dem Bekenntnis oder der politischen Überzeugung bezogen, noch geht aus den Ausschussberatungen hervor, dass der Staatsgrundgesetzgeber nur eine Bindung der Vollziehung beabsichtigt hat. 6 B.V.2. 7 Berchtold, FS Ermacora 328, zieht aus den oben unter B.V.2. genannten literarischen Äußerungen den Schluss, dass „der Gleichheitssatz in seinem ursprünglichen Verständnis in der Lehre [...] nicht über die Garantie der gleichen Gesetzesanwendung hinausging. Bemerkenswert ist aber, daß der Gedanke der Bindung des Gesetzgebers durch den Gleichheitssatz bereits ‚in der Luft‘ lag.“ (Hervorhebungen im Original). Neisser/Schantl/ Welan, ÖJZ 1969, 645, folgern aus der Tatsache, dass die Lehre gleichheitswidrige Gesetze vor dem B-VG nicht als absolut nichtig, sondern als absolut gültig angesehen hat, der Gleichheitssatz sei nur als Rechtsanwendungsgleichheit verstanden worden; dies weil die Bedeutung des Gleichheitsrechtes, wenn auch nicht theoretisch, so doch praktisch vom Umfang des richterlichen Prüfungsrechtes abhänge; ähnlich Noll, Sachlichkeit 192; Flossmann, Grundrechtssubjektivität 19; Sporrer, Gleichheit 912 FN 33. Gerade auf diesen Unterschied zwischen Theorie und Praxis kommt es hier allerdings an. Zutreffend bezeichnet daher Korinek, FS Melichar 40, die programmatische Bedeutung, die dem Gleichheitssatz in der Literatur zugeschrieben wurde, als „durchaus verständlich, da doch von der Praxis her die Bedeutung und Tragweite des Gleichheitsgrundsatzes vom Umfang des richterlichen Prüfungsrechts mitbestimmt wird. Mit der Übertragung der Gesetzesprüfungskompetenz an den Verfassungsgerichtshof war jedoch diese Schranke für die praktische Wirksamkeit der den Gesetzgeber bindenden Funktion des Gleichheitsgrundsatzes gefallen.“ Auch Walter, ZVR 1979, 35, stellt nur fest, dass die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz im Hinblick auf die fehlende Gesetzesprüfungskompetenz des Reichsgerichts „nicht von weittragender Bedeutung“ war, ohne deshalb die Bindung des Gesetzgebers selbst in Frage zu stellen. Bejaht wird die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers auch für die Monarchie ferner von Berka, Vorbem StGG Rz 2, freilich mit dem 4
Bindung der Vollziehung und Gesetzgebung
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Als der Verfassungsgesetzgeber den VfGH im Jahr 1920 dazu ermächtigte, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, wollte er keineswegs vordringlich die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers einklagbar machen8. Diese Zuständigkeit des VfGH war vielmehr in erster Linie als ein Instrument gedacht, das den neu errichteten Bundesstaat absichern, Bund und Ländern also die Möglichkeit geben sollte, Kompetenzübergriffe der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft abzuwehren. Dementsprechend ermächtigte Art 140 B-VG 1920 die Bundesregierung dazu, Landesgesetze, und die Landesregierung dazu, Bundesgesetze beim VfGH anzufechten. Flankierend erhielt der VfGH die Zuständigkeit, Gesetze auch von Amts wegen auf ihre Verfassungskonformität zu überprüfen. Zum Maßstab dieser Gesetzesprüfung erklärte das B-VG aber in jedem dieser drei Fälle nicht nur die Kompetenzverteilung, sondern die gesamte Verfassung. Der Verfassungsgesetzgeber hat damit – möglicherweise sogar ohne sich der vollen Tragweite bewusst zu sein9 – die seit Jahrzehnten bestehende Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz erstmals effektiv, also einklagbar gemacht. Die Annahme, dass der Gleichheitssatz auch nach dem B-VG – so wie in den siebzig Jahren zuvor – Vollziehung und Gesetzgebung binden sollte, bestätigen auch die Materialien zu Art 7 Abs 1 B-VG selbst: Dem dort im ersten Satz statuierten allgemeinen Gleichheitssatz wurde nämlich, wie gezeigt, bereits im B-VG 1920 zur Verdeutlichung ein zweiter Satz angefügt10. Ihm zufolge sind „Vorrechte [...] der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses ausgeschlossen“. Diese strikte ____________________
Zusatz, dass diese Bindung in Ansehung der fehlenden Normprüfungskompetenz des Reichsgerichts „praktisch folgenlos“ geblieben ist. Ähnlich Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 8, nach denen der Gleichheitssatz in Ansehung der fehlenden Prüfungskompetenz des Reichsgerichts für den Gesetzgeber nur „programmatische Bedeutung“ hatte; allgemein zur programmatischen Bindung des Gesetzgebers durch die Rechte des StGG, Lehne, JBl 1986, 425 ff. 8 Vgl dazu Öhlinger, FS Melichar 135 f; dens, ÖJZ 1990, 6; Jabloner, JPR 2001, 42. 9 S dazu Jabloner, JRP 2001, 42, sowie Kelsen, VVDStRL 5 (1929) 68 ff, der einige Jahre nach Inkrafttreten des B-VG 1920 auf der Staatsrechtslehrertagung 1928 meint, als Maßstab der verfassungsgerichtlichen Prüfung kämen nur rechtliche Normen in Betracht. Weise die Verfassung selbst auf überpositive Prinzipien hin, rufe sie etwa das Ideal der Gerechtigkeit, Gleichheit, Billigkeit, Sittlichkeit etc an, ohne näher zu bestimmen, was damit gemeint sei, so ermächtige sie den Normanwender dazu, den ihm gelassenen Spielraum nach freiem Ermessen zu erfüllen. Gerade im Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit seien derartige Formeln aber höchst gefährlich, weil sich „die Grenzen zwischen derartigen, nur dem politischen Schmuck der Verfassung dienenden Formeln und der üblichen Bestimmung des Inhaltes künftiger Gesetze im Katalog der Grund- und Freiheitsrechte leicht verwischen lassen“. 10 S Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 74, wonach der zweite Satz den ersten näher „interpretieren“ soll.
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Allgemeine Probleme
Formulierung verbietet die Annahme, dass nur der Vollziehung die gesetzwidrige Einräumung derartiger Vorrechte untersagt, dem Gesetzgeber selbst aber bei der Gewährung solcher Privilegien völlig freie Hand gelassen werden sollte. Dementsprechend wurde dem Bedenken, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG verpflichte den Gesetzgeber zur Beseitigung bestimmter Bevorzugungen der Frau, im Verfassungsunterausschuss auch keineswegs entgegengehalten, diese Bestimmung richte sich nur an die Vollziehung11. Weder aus den Materialien noch aus dem Wortlaut des Art 7 Abs 1 B-VG geht hervor, dass sich der erste und der zweite Satz dieser Vorschrift in ihrer Bindungsrichtung voneinander unterscheiden. Dass der zweite Satz den ersten erläutern und verdeutlichen sollte, legt vielmehr das Gegenteil nahe. Beide Sätze adressierten daher von Anfang an die Vollziehung ebenso wie die Gesetzgebung12. Für dieses Ergebnis spricht schließlich auch der Umstand, dass die Gesetzesbindung der Verwaltung, die bis dahin punktuell der Gleichheitssatz und die Gesetzesvorbehalte der übrigen Rechte des StGG bewerkstelligt hatten, im B-VG 1920 nun ganz allgemein durch das Legalitätsprinzip angeordnet wurde13. Zugleich wurde dem Einzelnen die Möglichkeit eröffnet, sich über rechtswidrige Entscheidungen oder Verfügungen einer Verwaltungsbehörde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts mit der Behauptung zu beschweren, er sei in seinen Rechten verletzt14. Dass sich Art 7 Abs 1 B-VG in Ansehung dieser nun explizit gegebenen Garantien in der „rechtsstaatlichen ‚Selbstverständlichkeit‘“15 des Gesetzesvorrangs erschöpfen und nur die Verwaltung binden sollte, wäre kaum zu erklären. Viel näher liegt, dass der allgemeine Gleichheitssatz, gerade weil die Vollziehung nun durch Art 18 B-VG umfassend an das Gesetz gebunden war, seine Wirkung weiterhin auch und sogar vornehmlich dem Gesetzgeber gegenüber entfalten sollte16. ____________________
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S oben B.VII.2.a. S auch Kucsko-Stadlmayer, JRP 1997, 37, die gerade aus dem zweiten Satz des Art 7 Abs 1 B-VG eine Bindung auch des Gesetzgebers an den allgemeinen Gleichheitssatz ableitet. 13 S schon Berka, ZÖR 1986, 77 f; dens, ZÖR 1999, 43; dens, Vorbem StGG Rz 5. 14 Vgl Art 129 Abs 1 und Art 144 Abs 1 B-VG 1920. 15 Huster, Rechte 16; s auch schon Kelsen, Staatsrecht 50; dens, Rechtslehre 146, sowie Leibholz, Gleichheit 30 f; Schaumann, JZ 1966, 721; Alexy, Grundrechte 358. 16 S schon Schantl, JBl 1968, 360; Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 320; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 7; allgemein für die Gesetzesbindung der Grundrechte auch Korinek/Gutknecht, Grundrechtsschutz 291 ff. Treffend auch Kaufmann, VVDStRL 3 (1927) 6: „Bloß auf die Gesetzesanwendung bezogen, besagt der Satz von der Gleichheit vor dem Gesetz nur etwas Selbstverständliches, ist er nur eine Trivialität [...]. Etwas wirklich Bedeutsames besagt der Satz von der Gleichheit nur in seiner Anwendung auf den Gesetzgeber.“ Näher zur Bedeutung des Gleichheitssatzes für die Vollziehung unten H.II.H.III.
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Ganz zu Recht ist die Bindung des Gesetzgebers an den allgemeinen Gleichheitssatz daher in Österreich nach anfänglichen Zweifeln17 heute in Rechtsprechung18 und Lehre19 praktisch einhellig anerkannt20. In Art I ____________________
17 S zum Diskussionsstand in Deutschland zur Weimarer Zeit zB Kaufmann, VVDStRL 3 (1927) 2 ff; Aldag, Gleichheit 51 ff; Holstein, AöR 50 (1926) 3 ff; Leibholz, Gleichheit 34 ff, sowie die Darstellung bei Stolleis, Geschichte 188 ff. Die österreichische Lehre hat zu dieser Frage, wie schon Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 645, festgestellt haben, kaum etwas beigetragen. S allerdings die skeptische Haltung Kelsens, Staatsrecht 50; Sander, Prager Juristische Zeitschrift 1931, Sp 275 ff, zur Gesetzesbindung einerseits, andererseits aber auch Adamovich sen, Staatsrecht 106, der die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz ausdrücklich bejahte: „Die Gesetzgebung darf nur für alle Staatsbürger in gleicher Weise verbindliche Normen aufstellen, d.h. an den gleichen Tatbestand ohne Ansehung der Person die gleichen rechtlichen Folgen knüpfen“. Kritik äußerte Adamovich sen, ZÖR 1927, 143, nur an dem Erkenntnis VfSlg 449/1925, das den Art 66 und 67 StV St Germain derogatorische Kraft zuerkannte; der VfGH glaube damit, dem Gleichheitssatz einen „außerordentlich weittragenden[n] Inhalt“ geben zu können: „Es dürfte kaum anzunehmen sein, daß der Gerichtshof an diesem seinem Standpunkt, der in seiner vollen Auswirkung auf anderen Gebieten zu geradezu unmöglichen Konsequenzen führen müßte, auch in anderen, vom konkreten Anlaß verschiedenen Fällen festhalten wird.“ S auch Welan, Stb 1969 F 24, 2 f; s weiters Walter, Kelsen 49. 18 Erste Andeutungen einer Gesetzesbindung finden sich bereits im Erkenntnis VfSlg 216/ 1923, nach dem Art 7 Abs 1 B-VG nicht hindere, „daß aus wichtigen Gründen des Gemeinwohls einzelne Klassen der Bevölkerung oder selbst zeitweilig einzelne Gebiete, ausnahmsweise ungleich behandelt werden [...]. Es bedarf dies aber stets eines Bundesgesetzes und auch dieses muß die durch seinen Zweck gebotenen Grenzen einhalten; werden diese Grenzen überschritten, so wird das verfassungsmäßig gewährleistete Recht verletzt.“ (Hervorhebungen nicht im Original). In VfSlg 449/1925 nahm der Gerichtshof an, dass einer Bestimmung des Reichsvolksschulgesetzes durch die Art 66 und 67 StV St Germain derogiert worden sei, weil sie keine faktische Gleichheit zwischen den Konfessionen herstellte. In VfSlg 651/1926 stellte er fest, Art 7 B-VG habe § 7 Abs 1 der Betriebsordnung für das Wiener Platzfuhrwerk derogiert, weil diese Bestimmung nur Männer als Wagenlenker zuließ. In VfSlg 1123/1928 ließ sich der VfGH auf die Behauptung mehrerer Landesregierungen, das MietenG verletze die Gleichheit vor dem Gesetz, inhaltlich ein und bemerkte dazu, dass Art 7 B-VG nur verbiete, Unterschiede zu machen, die sich aus der Zugehörigkeit eines Staatsbürgers zu einer bestimmten Gruppe des Volkes ergeben, namentlich Vorrechte nach den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Kriterien: „solche subjektive Momente und Gesichtspunkte sollen in der Gesetzgebung nicht berücksichtigt werden dürfen.“ Die Regelung des Mietvertrages betreffe aber ein objektives Rechtsverhältnis, die angebliche Begünstigung eines der beiden Vertragspartner verletzte den Gleichheitssatz daher nicht. In VfSlg 1226/1929 meinte der VfGH wiederum, eine Verletzung der Gleichheit vor dem Gesetz liege nicht vor, „wenn die Ungleichheit in der verbindlichen Form des Gesetzes festgelegt ist“, und auch nach VfSlg 1232/1929 besteht die Gleichheit vor dem Gesetz nur darin, dass alle im Staat geltenden Gesetze gegenüber allen Bundesbürgern in gleicher Weise angewendet werden. Kurz zuvor war allerdings in VfSlg 1230/1929 ein außer Kraft gesetztes Gesetz als unvereinbar mit Art 7 Abs 2 B-VG (heute: Art 7 Abs 4 B-VG) qualifiziert worden. In VfSlg 1318/1930, 1396/1931, 1426/1931 wurde Gesetzen wiederum Unbedenklichkeit im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes attestiert. Erst in VfSlg 1451/1932 stellte der VfGH dann ohne weitere Umschweife fest: „Wenn der Beschwerdeführer behauptet, daß der Gleichheitsgrundsatz nicht nur für die Vollziehung – Gerichtsbarkeit und Verwaltung –, sondern auch für die Gesetzgebung Geltung hat, so ist ihm darin [...] zuzustimmen.“ In VfSlg 1494/1932 meinte der VfGH zwar noch einmal, eine Verletzung des Gleichheitssatzes liege nicht vor, wenn die Ungleichheit in der verbindlichen Form eines Gesetzes festgelegt ist. Von dieser Entscheidung abgesehen wurde die Bindung
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Allgemeine Probleme
Abs 1 BVG-RD hat diese Bindung in der Zwischenzeit auch positiven Ausdruck gefunden. Nach dieser Bestimmung haben „Gesetzgebung und Vollziehung [...] jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft zu unterlassen“. Wie sich aus den Materialien ergibt, sollte Art I Abs 1 BVG-RD jenen Schutz, der Staatsbürgern bereits durch Art 7 Abs 1 B-VG gewährt war – somit auch den dem Gesetzgeber gegenüber bestehenden Schutz – nun auf Fremde erstrecken21. Die Materialien zu dem dritten Satz, der Art 7 Abs 1 B-VG 1997 angefügt wurde, setzen schließlich die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz als selbstverständlich voraus22. ____________________
des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz nun aber in ständiger Rsp anerkannt, s zB VfSlg 2645/1954, 2639/1954, 2770/1954, 2841/1955 („Nun ist selbstverständlich auch der Gesetzgeber [...] an die im Art. 7 B.-VG. normierten Grundsätze gebunden“), 2901/1955 („der Verfassungsgerichtshof hat stets an der Ansicht festgehalten, daß der Gleichheitsgrundsatz […] nicht nur für die Vollziehung sondern auch für die Gesetzgebung gilt“), 3334/1958, 3397/1958, 3965/1961, 5252/1966, 5727/1968, 6204/1970, 7330/1974, 7885/1976, 8457/1978, 10.084/1984, 10.841/1986 („Daß der Gesetzgeber in all seinen Maßnahmen an den Gleichheitssatz gebunden ist, bedarf keiner näheren Begründung mehr“), 11.369/1987, 13.492/1993, 14.301/1995, 15.031/1997, 15.785/2000, 16.407/2001, 17.807/2006. 19 S bereits Kelsen, Entwicklung 154 f („Mit einem Katalog von Grund- und Freiheitsrechten wendet sich der Verfassungsgesetzgeber in erster Linie – wenn auch nicht ausschließlich – an den einfachen Gesetzgeber“); ferner Stifter, ÖJZ 1959, 281; Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 60; Ermacora, Handbuch 40; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 9; Raschauer, Namensrecht 92; Öhlinger, EuGRZ 1982, 227; M. Berger, EuGRZ 1983, 618; Korinek, FS Melichar 39 ff; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 603; Ermacora, Grundriß Rz 268; Thienel, Vertrauensschutz 59; Korinek/Holoubek, Abgabenrecht 74; Berka, Art 7 B-VG Rz 39; dens, Grundrechte Rz 917; Somek, Rationalität 1; Pernthaler, Bundesstaatsrecht 694 ff; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 760; Walter/Mayer/KucskoStadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1349; allgemein zur Bindung staatlicher Gewalt an die Grundrechte Grof, Schutzrichtung 101 ff; Holoubek, ZÖR 1999, 57 ff. AA scheint nur Noll, Sachlichkeit 192, zu sein: „Nur die sog. besonderen Gleichheitssätze (etwa Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 StGG oder Art. 7 Abs. 1, 2. Satz B-VG) wenden sich auch an den Gesetzgeber. Und genau so wurde der ‚allgemeine Gleichheitssatz‘ im Jahr 1920 ins B-VG übernommen. Der ‚allgemeine Gleichheitssatz‘ verbietet der Exekutive und der Rechtsprechung die Ungleichbehandlung der Rechtsunterworfenen. Mehr ist da nicht.“ Diese Ansicht ist historisch nicht fundiert und scheint letztlich wohl auch gar nicht die Position Nolls zu sein, der gerade dann besonders scharf gegen die Judikatur polemisiert, wenn der VfGH Normen als gleichheitskonform qualifiziert, die nach Noll zu verwerfen gewesen wären (s zB aaO 156 ff ). 20 Gleiches gilt auch für Art 3 GG, s etwa Alexy, Grundrechte 358 f; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 8 ff; Starck, Art 3 GG Rz 2. 21 Zu Art I BVG-RD noch näher unten E.II. S auch die RV 823 BlgNR 15. GP 25 zur UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau, BGBl 1982/ 443, die unter Berufung auf die Materialien zur RDK neuerlich anerkennt, dass der VfGH das Gebot der Gleichbehandlung vor dem Gesetz „zu einem Verbot jeder unsachlichen Differenzierung und jeder Willkür ausgebaut [hat], das sowohl den Gesetzgeber als auch die Vollziehung bindet“. 22 AB 785 BlgNR 20. GP 3 f, s zu dieser Bestimmung noch näher G.II. Für die Diskriminierungsverbote der Art 66 StV St Germain, Art 6 StV Wien und Art 14 EMRK er-
Gleichbehandlung oder Gleichstellung
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II. Gleichbehandlung oder Gleichstellung? Dass Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG ebenso wie seine Vorgängerbestimmungen Gleichheit „vor dem Gesetz“ gewährt, spricht also keineswegs gegen eine Bindung des Gesetzgebers an dieses Grundrecht. Wie die historische Betrachtung gezeigt hat, sollte diese Formulierung vielmehr klarstellen, dass sich der Gleichheitssatz nur gegen bestimmte „künstliche“, durch das Recht erst geschaffene Unterschiede richtet, aber nicht dazu verpflichtet, zwischen den Menschen auch faktisch gleiche Verhältnisse herzustellen23. Diese Klarstellung war nur unter der Voraussetzung erforderlich, dass der allgemeine Gleichheitssatz neben der Vollziehung auch den Normgeber bindet. Denn nur ihm wäre die Herstellung faktisch gleicher Verhältnisse überhaupt möglich. Jene Ungleichheiten, die zwischen den Rechtsunterworfenen real bestehen, werden von der Verfassung aber vorausgesetzt, akzeptiert und durch die Garantie der Freiheitsrechte zum Teil sogar bewusst ermöglicht24. Keinesfalls werden sie als ein Missstand angesehen, den es zu beseitigen gilt, und dies kann anders auch nicht sein. Denn Verschiedenheiten der Herkunft, der Intelligenz, Gesundheit, äußeren Erscheinung, der Talente und Fähigkeiten könnten durch rechtliche Maßnahmen allenfalls gemindert werden, ganz beseitigen lassen sie sich jedoch nicht25. Eingeebnet werden könnten hingegen die Unterschiede im Vermögen. Auch dies sollte jedoch durch den Gleichheitssatz nicht erzwungen werden. In diesem Sinn hielten schon die Abgeordneten des Reichstags von Kremsier ausdrücklich fest, dass dieses Gebot nicht im Sinne einer „kommunistischen“ Gleichheit zu verstehen sei26. Dass sich an dieser Einschätzung in der folgenden Entwicklung nichts geändert hat, zeigt nicht nur die in Art 5 StGG garantierte und in Art 149 B-VG aufrechterhaltene Unverletzlichkeit des Eigentums. Auch Art 7 Abs 1 B-VG selbst schließt nur ____________________
gibt sich eine Bindung des Gesetzgebers zudem noch aus dem Völkerrecht, s auch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 58, 60. 23 B.II.1.a. S auch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 63: „der Verfassungsgesetzgeber spricht ja auch nur von der Gleichheit vor ‚dem Gesetz‘.“ 24 S zum Verhältnis von Gleichheit und Freiheit näher unten F.; zu weiteren systematischen Argumenten für die Annahme, der allgemeine Gleichheitssatz gebiete die Herstellung faktisch gleicher Verhältnisse grundsätzlich nicht, s unten E.IV.1. und G.I.1. 25 S schon Weinberger, Gleichheit und Freiheit 644, sowie Alexy, Grundrechte 360. Selbst wenn sich eine Einebnung derartiger Unterschiede bewerkstelligen ließe, wäre sie jedoch nicht wünschenswert; denn mit der Beseitigung dieser Unterschiede müsste auch die Unterscheidbarkeit des Einzelnen und damit seine Identität verloren gehen. Der allgemeine Gleichheitssatz fordert eine derartige Egalisierung nicht, sondern verbietet sie, wie eine systematische Auslegung noch ergeben wird, in bestimmtem Umfang sogar, s dazu näher E.IV.1. 26 S oben B.II.1.a., B.II.1.b., B.II.2.a. sowie exemplarisch Lasser oben Abschnitt B FN 218.
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Allgemeine Probleme
„Vorrechte“ der Klasse aus, verbietet also, dass der Gesetzgeber – wie dies in der Monarchie insbesondere beim Klassenwahlrecht geschehen ist – Angehörigen der unteren Einkommensschichten bestimmte Rechte vorenthält, gebietet aber gerade nicht, reale Vermögensunterschiede zu beseitigen und eine „klassenlose“ Gesellschaft herzustellen27.
III. Modell 1: Prinzip oder Präsumtion der Gleichbehandlung 1. Das Konzept: Gleichbehandlung als Grundsatz Wenn der allgemeine Gleichheitssatz nun den Gesetzgeber bindet, ihn aber nicht zur Einebnung faktischer Unterschiede verpflichtet, liegt die Annahme nahe, dass er sich jedenfalls gegen rechtlich geschaffene Unterscheidungen, also gegen Ungleichbehandlungen wendet. Dass dem einfachen Gesetzgeber Ungleichbehandlungen absolut verboten sind, muss dabei freilich von vornherein ausgeschlossen werden. Ein derartiges Verbot wäre schlechthin unerfüllbar bzw müsste konsequent befolgt sogar zur Aufhebung der Rechtsordnung führen. Denn jede Norm nimmt notwendig Differenzierungen vor28; selbst wenn sich eine Vorschrift ausnahmslos an jeden Rechtsunterworfenen wendet, kann sie sich doch ____________________
27 S in diesem Sinn zB VfSlg 2586/1953, wonach eine wirtschaftliche Gleichstellung von der Verfassung von vornherein gar nicht beabsichtigt war. Dass der Gleichheitssatz nicht zur Einebnung der im Tatsächlichen bestehenden Unterschiede zwingt, ist in Österreich, soweit zu ersehen, auch in der Lehre unbestritten (zB Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 15 sowie Berka, Grundrechte Rz 890; ders, Art 7 B-VG Rz 16) und wird auch für Art 3 Abs 1 GG angenommen (zB Alexy, Grundrechte 359 f; Huster, Rechte 23 f; Starck, Art 3 GG Rz 3 ff ). Dass der allgemeine Gleichheitssatz die Einebnung faktischer Unterschiede, insbesondere solcher des Vermögens nicht gebietet, heißt freilich nicht, dass er dem Gesetzgeber Umverteilungsmaßnahmen verwehrt. Sofern sich der Gesetzgeber hiebei an die Grenzen hält, die ihm die Verfassung allgemein und im Besonderen das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums ziehen, steht es ihm frei, ob er derartige Maßnahmen ergreift; dazu noch unten G.I.2. und G.III.3.a. Wenn er solche Maßnahmen aber ergreift, darf er die zwischen den Rechtsunterworfenen bestehenden Vermögensunterschiede nicht ignorieren. Ob er eine Einkommensteuer als Kopfsteuer ausgestaltet oder an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen orientiert, ist daher gleichheitsrechtlich sehr wohl relevant; s dazu noch F.II.5.a.; zur Frage, ob und inwieweit der Gleichheitssatz auch einen sozialen Gehalt hat, s unten G. 28 S schon Antoniolli, JBl 1956, 611 = ÖJZ 1956, 646: „Die ganze Rechtsordnung ist geradezu nichts anderes als eine Summe ‚ungleicher Behandlungen‘ “; Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 63, nach dem die Annahme, der Gleichheitssatz untersage dem Gesetzgeber jegliche Differenzierung zu einer Auflösung der notwendigerweise differenzierten Rechtsordnung führen müsste. Dass Art 7 B-VG keineswegs ein absolutes Gleichheitsprinzip aufstellt, betonen auch Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 15. S für Deutschland auch Ipsen, Gleichheit 141 f; Podlech, Gehalt 44 f; Huster, Rechte 21 ff; Osterloh, Art 3 GG Rz 2 f.
Modell 1: Prinzip oder Präsumtion der Gleichbehandlung
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immer nur auf ganz bestimmte, von anderen also verschiedene Sachverhalte beziehen und muss so Personen, die sich in der tatbestandsmäßigen Situation befinden, anders behandeln als alle anderen Personen. Die Annahme, der allgemeine Gleichheitssatz verlange Gleichheit in allen Rechtspositionen, würde aber nicht nur zu unmöglichen, sondern auch zu unzweckmäßigen und ungerechten Ergebnissen führen, etwa dazu, dass Kinder ebenso wie Erwachsene für wehrpflichtig erklärt oder die Einkommensteuer als Kopfsteuer ausgestaltet werden müsste29. Solches zu gebieten, kann dem Verfassungsgesetzgeber nicht unterstellt werden. Denkbar wäre allerdings, dass der allgemeine Gleichheitssatz die Gleichbehandlung grundsätzlich gebietet und die Ungleichbehandlung zur begründungsbedürftigen Ausnahme erklärt, gerade so wie die Freiheitsrechte prinzipiell die Freiheit garantieren und ihre Einschränkung nur in begründeten Fällen erlauben30. Im allgemeinen Sprachgebrauch klingt ein sol____________________
29 S auch Kelsen, Rechtslehre 391; Podlech, Gehalt 43 ff; Walter, ZVR 1979, 36; Alexy, Grundrechte 360; Huster, Rechte 22. 30 Dass eine Freiheit prima facie geboten und ein Eingriff in sie nicht ohne weiteres erlaubt, also begründungsbedürftig ist, kommt deutlich dann zum Ausdruck, wenn ein Freiheitsrecht unter einem formellen und noch mehr, wenn es unter einem materiellen Gesetzesvorbehalt steht (s dazu näher zB Berka, Grundrechte Rz 252 ff; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 710 ff; grundlegend zur Funktion und Wirkung der Gesetzesvorbehalte Korinek, FS Merkl 171 ff; ders, FS Wenger 248 f ). Nichts anders gilt aber aus systematischen Gründen auch für eine Reihe vorbehaltlos gewährter Freiheitsrechte: Auch sie beinhalten ein verfassungsrechtliches Votum für die Freiheit, lassen eine Beschränkung dieser Freiheit aber aus bestimmten Gründen, unter anderem auch zum Schutz der gleichen Freiheit anderer zu. Zu Recht wird in Lehre und Judikatur daher angenommen, dass diese Freiheitsrechte unter einem „ungeschriebenen“ Gesetzesvorbehalt stehen (vgl etwa Art 4 Abs 1, Art 6 Abs 1 1. und 2. Tb, Art 17, Art 17a und Art 18 StGG; s zu diesen näher Berka, Grundrechte Rz 287 ff; für eine historische und systematische Begründung des ungeschriebenen Gesetzesvorbehaltes in Art 4 StGG und Art 6 Abs 1 1. Tb StGG s Pöschl, Art 4 StGG Rz 35 ff; dies, Art 6 Abs 1 1. Tb StGG Rz 30 ff; zu den absolut gewährten Grundrechten zB Morscher, JBl 2003, 609). Die Freiheitsrechte moderner Demokratien unterscheiden sich insofern wesentlich von der Freiheit im Verstand des Mittelalters: Die Freiheit heutiger Prägung muss nicht mehr durch die Einräumung von Privilegien eigens begründet werden, vielmehr ist es ihre Beschränkung, die nun einer Begründung bedarf (Kriele, Befreiung 64; ders, Staatslehre 191). Diese Argumentationslast stellt sich ein, sobald ein Freiheitsrecht positiv gewährleistet ist: Begründungsbedürftig ist dann, dass diese Freiheit einmal nicht gelten soll. In diesem Sinn sind die Freiheitsrechte als Prinzipen zu verstehen und werden so auch in Judikatur und Lehre überwiegend gedeutet; s mwN Holoubek, FS Rill 120 ff; dens, Gewährleistungspflichten 137 f; Berka, Grundrechte 136 f; Öhlinger, Verfassungsrecht7 Rz 693. Dass die Freiheitsrechte bestimmte Interessen für prima facie schutzwürdig erklären und dem Gesetzgeber eine Rechtfertigung abverlangen, wenn er diese Freiheit beschränkt, zwingt aber keineswegs zur Annahme, die Freiheitsrechte seien zugleich auch „Optimierungsgebote“ in dem Sinn, dass sie dem Gesetzgeber bei der Verfolgung seiner Ziele nicht bloß Schranken ziehen, sondern ihm gerade vorgeben, welche Ziele und mit welchen Mitteln er sie optimal zu verfolgen hat. Tatsächlich versteht auch die „neuere“ Judikatur des VfGH die Grundrechte weiterhin und zutreffend nur als „Rahmenordnung“, nicht hingegen als eine „Wertordnung“, die dem Gesetzgeber die Verfolgung bestimmter Ziele aufträgt: s dazu mwN Holoubek, Bauele-
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Allgemeine Probleme
ches Verständnis an, wenn der Gleichheitssatz als „Gleichheitsgrundsatz“ oder auch als „Gleichheitsprinzip“ bezeichnet wird31. Und auch explizit sind allgemeine Gleichheitssätze in diesem Sinn gedeutet worden. So wurde etwa angenommen, Art 3 Abs 1 GG verbiete prima facie jede Ungleichbehandlung, unabhängig davon, ob sie an persönliche Eigenschaften, an das Verhalten, die Umstände oder sonstige Kriterien anknüpfe. Daher sei jede Differenzierung als ein Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes anzusehen. Gerechtfertigt sei dieser Eingriff nur, wenn die Ungleichbehandlung verhältnismäßig ist32. Eine abgeschwächte Variante dieser Auffassung findet sich bei jenen Autoren, die dem allgemeinen Gleichheitssatz eine Präsumtion der Gleichbehandlung und folglich eine Argumentationslast für die Ungleichbehandlung entnehmen: Art 3 Abs 1 GG gebietet in diesem Verständnis eine Gleichbehandlung dann, wenn es keinen zureichenden Grund für die Erlaubtheit einer Ungleichbehandlung gibt33, und in ähnlicher Weise wurde ____________________
mente 76; ders, Gewährleistungspflichten 114 ff, insb aaO 134 ff zur gegenteiligen Einschätzung Stelzers, Wesensgehalt; ablehnend zu einer „Werttheorie der Grundrechte“ bzw für ein Verständnis der Grundrechte als „Rahmenordnung“ auch Korinek, VVDStRL 39 (1981) 40 ff; Öhlinger, EuGRZ 1982, 224; ders, Verfassungsrecht 7 Rz 693; Berka, Vorbem StGG Rz 27. 31 Der VfGH gebraucht beide Ausdrücke immer wieder, „Gleichheitsgrundsatz“ zB in VfSlg 2537/1953, 8169/1977, 9006/1981, 9217/1981, 9607/1983, 9728/1983, 11.771/ 1988, 12.186/1989, 12.227/1989, 12.572/1990, 12.638/1991, 14.301/1995, „Gleichheitsprinzip“ etwa in VfSlg 5484/1967, 5750/1968, 6030/1969, 9608/1983, 9624/1983. Auch in der Lehre ist oft von einem „Gleichheitsgrundsatz“ (zB bei Marschall, 1. ÖJT I/4 [1961] 57; Kolb, FS Kummer 390; Pernthaler, JBl 1965, 71; Neisser/Schantl/ Welan, ÖJZ 1969, 320; Ringhofer, Bundesverfassung 24; Potacs, Devisenbewirtschaftung 372 ff ) oder „Gleichheitsprinzip“ (zB bei Kelsen, Gerechtigkeit 26 f; Ermacora, Grundriß 61; Pernthaler, Raumordnung II 338 ff; ders, JBl 2005, 198; Schambeck, ÖJZ 1992, 638; Novak, JBl 1993, 20) die Rede, mag dieser Ausdrucksweise auch vielfach nicht die Absicht zugrunde liegen, den Gleichheitssatz als ein Prinzip im beschriebenen Sinn auszuweisen. 32 Martini, Prinzip, insb 166 ff. 33 Alexy, Grundrechte 370; s auch Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 111: „Der Gleichheitssatz beinhaltet einen Gerechtigkeitsauftrag, erfüllt ihn aber nicht als inhaltlich vorgegebenes Richtmaß, sondern insoweit als Schlüsselbegriff als er Ungleichbehandlungen begründungsbedürftig macht“; E.-W. Böckenförde, VVDStRL 47 (1989) 95: „Zunächst hat der Gleichheitssatz aus sich eine normative Tendenz zur Gleichheit; nicht die Gleichheit, die Gleichbehandlung, sondern die Ungleichbehandlung ist begründungs- und rechtfertigungsbedürftig“; Rüfner, FS Kriele 272 f: „Die Gleichbehandlung ist nach Art. 3 Abs. 1 GG der Grundsatz und muß prinzipiell […] nicht begründet werden, während die Ungleichbehandlung einer vernünftigen und vor den Wertungen der Verfassung haltbaren Begründung bedarf“. Auch Podlech, Gehalt 77, 85 ff, nimmt eine Argumentationslast für Ungleichbehandlungen an, gibt diese Annahme allerdings unter der Hand wieder auf, wenn er den Begriff der Ungleichbehandlung in einem materiellen Sinn verwendet, ihm also auch das Unterlassen einer Differenzierung subsumiert, jedenfalls insofern, als er dieses Unterlassen in eine Ungleichbehandlung umformuliert (53 ff, 59, 214 FN 26). Demgegenüber versteht Alexy, Grundrechte 364 ff, den Begriff der Ungleichbehandlung of-
Modell 1: Prinzip oder Präsumtion der Gleichbehandlung
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auch dem Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG der grundsätzliche Inhalt entnommen: „Wenn nichts dagegen spricht, dann ist die Gleichbehandlung geboten“34. Wann ein zureichender Grund für die Erlaubtheit einer Ungleichbehandlung vorliegt bzw unter welchen Voraussetzungen nichts gegen eine Gleichbehandlung spricht, wird dabei unterschiedlich beurteilt, muss jedoch im vorliegenden Zusammenhang noch nicht beschäftigen. Denn zuvor ist zu fragen, was mit einer „Gleichbehandlung“ bzw „Ungleichbehandlung“ überhaupt gemeint ist.
2. „Gleichbehandlung“ Der Begriff der „Gleich-“ bzw „Ungleichbehandlung“ versteht sich keineswegs von selbst, ihm lassen sich vielmehr je nach dem Standpunkt, den man einnimmt, unterschiedliche Inhalte zuschreiben, die auf den Einzelfall angewendet diametral entgegengesetzt sein können35. Der Ausdruck „Gleichbehandlung“ kann zunächst in einem formalen (deskriptiven, schematischen, mechanischen, absoluten) Sinn verstanden werden: Eine Gleichbehandlung liegt dann vor, wenn für zwei oder mehrere Personengrup____________________
fensichtlich formal. Er leitet aus dem Satz, wesentlich Gleiches sei gleich zu behandeln, den Satz ab, eine Gleichbehandlung sei geboten, wenn es keinen zureichenden Grund für die Erlaubtheit einer Ungleichbehandlung gibt, und zieht daraus den Schluss, der allgemeine Gleichheitssatz statuiere eine Argumentationslast für die Ungleichbehandlung. Somek, Rationalität 41 ff, geht umgekehrt von dieser Argumentationslast zu Ungunsten der Ungleichbehandlung aus und nimmt an, diese sei nicht vereinbar mit dem herkömmlichen Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes als eines Gebotes, Gleiches gleich zu behandeln; s dazu noch unten C.IV.4.a. 34 Somek, Rationalität 43, 119, 329, der dieses Prinzip dann allerdings radikal einschränkt, s dazu noch unten C.III.5; ein Prinzipienverständnis klingt auch an bei Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 761: „Der Gleichheitssatz verlangt vom Gesetzgeber, eine Person wie eine andere zu behandeln, sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen.“ S schon zuvor Rosenzweig, Expertenkollegium 239, der als Mitglied des Expertenkollegiums der Grundrechtsreform 1962-1965 den Standpunkt vertrat, bei der Frage, ob eine Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist, sei „ein enger Auslegungsgrundsatz anzuwenden und eher für die Nichtdifferenzierung als für die Differenzierung die Auslegungsregel anzuwenden.“ Unklar in dieser Hinsicht Ermacora, Grundriß Rz 278, der feststellt, dass „Durchbrechungen des Gleichheitssatzes [...] von einem Gesetzesvorbehalt nicht gedeckt [sind]. Sie werden aber dennoch vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit, der Sachgerechtigkeit, der Günstigkeitsklausel, der Wesensgehaltsgarantie beherrscht sein müssen, soll der Grundsatz selbst nicht obsolet werden. Die Durchbrechungen des Gleichheitssatzes gehören wesensmäßig zum Prinzip selbst, soll Gleichheitssatz nicht niveaulose Gleichmacherei bedeuten.“ (Hervorhebungen im Original). 35 Zur Mehrdeutigkeit der Begriffe der Gleich- und der Ungleichbehandlung s bereits Alexy, Grundrechte 377 ff; Sachs, Diskriminierungsverbot 117; Huster, Rechte 18 ff; dens, Art 3 GG Rz 27 ff; zu dem mitunter synonym verwendeten Begriffspaar der arithmetischen (iSv schematischen) und proportionalen (iSv materiellen) Gleichheit s zB Spaemann, Kritik 159 ff. Ein Teil der Differenzen, die über den Inhalt des Gleichheitssatzes bestehen, ließe sich durchaus beilegen, würde einmal offen gelegt, in welchem Sinn der Begriff der „Un/gleichbehandlung“ verwendet wird; s auch Rüpke, FS Ermacora 489.
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Allgemeine Probleme
pen dieselbe Rechtsfolge angeordnet wird. Bestimmt eine Norm also, dass für A und B die Rechtsfolge a gilt, dann werden A und B im Verhältnis zueinander formal gleich, im Verhältnis zu allen anderen Personen aber formal ungleich behandelt36. Ob eine „Ungleichbehandlung“ in diesem Sinn vorliegt, richtet sich also ausschließlich nach den gleichen oder ungleichen Rechtsfolgen einer Norm. Eine andere Bedeutung gewinnt dieser Begriff aber, wenn man ihn von den Auswirkungen her bestimmt, die eine Norm real zeitigt: Eine Regelung, die allen erwerbstätigen Personen monatlich eine Steuer in der Höhe von 500 € abverlangt, behandelt zwar alle Steuerpflichtigen formal gleich. Materiell (faktisch) behandelt sie die Steuerpflichtigen aber ungleich, weil sie – im Ergebnis – ganz ungleiche Belastungen schafft37: Wer ein niedriges Einkommen bezieht, für den kann diese Steuer existenzbedrohend sein, für Bezieher eines hohen Einkommens fällt sie hingegen kaum ins Gewicht. Ein und dieselbe Behandlung kann also, je nachdem, welches Begriffsverständnis man zugrunde legt, einmal als Gleich- und das andere Mal als Ungleichbehandlung angesehen werden38. Ob eine materielle Ungleichbehandlung vorliegt, lässt sich freilich erst feststellen, nachdem die vielfältigen Auswirkungen einer Vorschrift wertend beurteilt worden sind39. Dies setzt einen Maßstab voraus, dessen Auswahl letztlich eine Vorentscheidung über die Zulässigkeit der Vorschrift erfordert40. Im genannten Beispiel der Kopfsteuer liegt es zwar nahe, die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen als Richtschnur der Beurteilung zu wählen und zu konstatieren, dass im Hinblick auf sie eine materielle Ungleichbehandlung vorliegt; aber dieser Maßstab ergibt sich nicht von selbst. Denn die Vorschreibung einer ganz niedrigen, nicht am Einkommen orientierten Gebühr für eine Verwaltungsleistung würde wohl kaum jemand als Ungleichbehandlung qualifizieren, ____________________
36 Eine rechtliche Ungleichbehandlung liegt dabei nicht nur vor, wenn eine Norm an zwei Sachverhalte zwei verschiedene Rechtsfolgen knüpft, sondern auch dann, wenn eine Rechtsfolge wegen ihrer Unbestimmtheit erst im Einzelfall zu einer Ungleichbehandlung führt. Zu denken ist etwa an die Einhebung einer Steuer in der Höhe von 10% des Einkommens: Da die jeweils zu entrichtende Abgabe von der Höhe des Einkommens abhängt, haben Bezieher unterschiedlich hoher Einkommen Abgaben in unterschiedlicher Höhe zu entrichten. Sie werden daher formal ungleich behandelt. Im Ergebnis ebenso Huster, Rechte 21, der eine Gleichbehandlung annimmt, wenn die Rechtsfolgen identisch oder „vertauschbar“ sind. 37 S auch P. Kirchhof, Gleichheitssatz Rz 37. 38 Exemplarisch dafür ist das Erkenntnis VfSlg 9750/1983, wonach in der Festsetzung des gleichen Steuerbetrages für verschiedene Spielautomaten „eine Ungleichbehandlung nur liegen [kann], wenn die Unterschiede im Tatsächlichen so schwerwiegend wären, daß eine Gleichbehandlung unsachlich wäre“ (Hervorhebung nicht im Original). 39 S auch Alexy, Grundrechte 380. 40 S auch Huster, Rechte 19 f; dens, Art 3 GG Rz 29.
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obwohl auch sie – wie die Kopfsteuer – für den Unbemittelten stärker ins Gewicht fällt als für den Wohlhabenden. Dass die Anordnung einer solchen Gebühr dennoch als (formale und materielle) Gleichbehandlung wahrgenommen wird, ist letztlich auf eine implizite Zulässigkeitsprüfung zurückzuführen: Zunächst soll durch die Gebühr der Aufwand für eine öffentliche Leistung pauschal abgegolten werden, dann ist ihre Höhe und dementsprechend auch die Ungleichheit ihrer Auswirkung gering, schließlich wäre gerade wegen dieser Geringfügigkeit eine Berücksichtigung der Einkommensunterschiede mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden. In Ansehung dieser – in der Praxis wohl oft nicht explizit angestellten – Überlegungen erscheint die Erhebung einer solchen Gebühr unbedenklich und wird gerade deshalb nicht als Ungleichbehandlung wahrgenommen. Hängt die Frage, ob eine Norm eine Ungleichbehandlung vornimmt, aber von einer Wertung ab, die implizit über die Zulässigkeit dieser Norm entscheidet, so sind Konfusionen vorprogrammiert. Jedenfalls ist ein Begriff, der den Gegenstand der Gleichheitsprüfung (die Ungleichbehandlung) und die Prüfung selbst (die Frage nach der Zulässigkeit der Ungleichbehandlung) miteinander vermengt, unzweckmäßig. Daher wird den folgenden Erwägungen der Begriff der Un/gleichbehandlung im formalen Sinn zugrunde gelegt, sofern nicht ein anderes Begriffsverständnis ausdrücklich gekennzeichnet ist. Eben in diesem Sinn wird dieser Begriff offenbar auch von den Vertretern der Gleichheitspräsumtion gebraucht41.
3. Prämissen des Grundsatzes der Gleichbehandlung Der Annahme, der allgemeine Gleichheitssatz beinhalte ein Prinzip oder eine Präsumtion der Gleichbehandlung, liegt ausdrücklich oder unausgesprochen die Prämisse zugrunde, die Gleichbehandlung sei – ebenso wie die Freiheit – ein „Wert an sich“42. Nur unter dieser Prämisse kann nämlich die Vermutung aufgestellt werden, dass die Gleichbehandlung prima facie geboten und die Ungleichbehandlung nur im Fall einer zureichenden Begründung43 zulässig sei. In der Literatur wird die Argumentationslast zu Ungunsten der Ungleichbehandlung44 zum Teil unter ____________________
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S FN 33. S etwa Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 90, nach dem der Gleichheitssatz einen „Eigenwert“ habe, deshalb sei die Gleichbehandlung „immer dann geboten, wenn keine zureichenden Gründe für eine unterschiedliche Behandlung bestehen.“ 43 Sei dies irgendein sachlicher Grund, sei dies seine Rechtfertigung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit. 44 S zB Tugendhat, Gleichheit 11 ff; mwN Krebs, Egalitarismus 64; Schramme, DZPhil 2003, 258. 42
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dem Titel der „Gleichheitspräsumtion“ nur postuliert45, zum Teil aber auch mit durchaus eingängigen Beispielen plausibel zu machen versucht, etwa mit dem viel zitierten Kuchen, den eine Mutter zwischen ihren Kindern aufzuteilen habe: Wenn nichts dagegen spricht, dann müsse jedes der Kinder ein gleich großes Stück bekommen, während eine ungleiche Verteilung des Kuchens einer besonderen Begründung bedürfe46. Dagegen ist nichts zu sagen. Doch die Probleme, die sich in einer Rechtsordnung stellen, gehen in ihrer Komplexität über die Verteilung eines Kuchens weit hinaus47. Sie lassen sich einerseits nicht auf Verteilungsfragen reduzieren und können andererseits selbst dann, wenn Güter, Vermögen oder Ressourcen zu verteilen sind, oft gerade nicht mit einer Vermutung zugunsten der Gleichbehandlung gelöst werden, sondern, wenn überhaupt, so nur mit der Vermutung, dass eine Ergebnisgleichheit wünschenswert ist. Diese herzustellen bedarf aber im Regelfall, also nicht bloß ausnahmsweise, einer Umverteilung und damit gerade keiner Gleich-, sondern einer Ungleichbehandlung48. Aber auch in anderen als diesen Verteilungsfragen sind unendlich viele Beispiele denkbar, in denen die formale Gleichbehandlung nicht schon für sich genommen wertvoll ist: Wer wollte bestreiten, dass die Ungleichbehandlung nach dem Verdienst in bestimmten Fällen nicht nur erlaubt, sondern auch geboten erscheint49, dass die Vergabe von Ämtern nur an den Qualifizierten nicht als Ausnahme von einer Regel, sondern als aus____________________
45 S etwa Berlin, Equality 305: „The assumption is that equality needs no reasons, only inequality does so“, und dazu Schramme, DZPhil 2003, 258: „Die Tatsache, dass Gleichheit unter Voraussetzung der Präsumtion keine Gründe braucht, heißt aber nicht, dass die Gleichheitspräsumtion selbst keiner Begründung bedürfte.“ 46 ZB Tugendhat, Gleichheit 11 f; s auch die Nachweise bei Krebs, Egalitarismus 84; Schramme, DZPhil 2003, 260. 47 S zur Kritik, der Egalitarismus verkenne die Komplexität der „Gerechtigkeitskultur“ mwN Krebs, Egalitarismus 74. 48 Zu Recht differenzierter daher Koller, Soziale Gleichheit 59, der von dem Grundsatz spricht, dass jedes Mitglied der Gesellschaft „gleiche Rechte und Pflichten und gleichen Anteil an den sozialen Gütern und Lasten haben [soll], sofern soziale Ungleichheiten, aus unparteiischer Perspektive betrachtet, nicht dem wohlüberlegten Interesse aller entsprechen“; s auch noch unten C.IV.3.a.aa. Auch über den Wert der Ergebnisgleichheit kann man übrigens geteilter Meinung sein, s nur Leisner, Egalisierung 39 ff. 49 Treffendes Beispiel etwa bei Huster, Art 3 GG Rz 132: Wenn ein Lehrer die Prüfungsarbeiten von zehn Schülern zu beurteilen hat, soll er dann wirklich prima facie verpflichtet sein, ihnen allen die gleiche Note zu geben? Und wenn er neun von zehn Schülern bereits beurteilt hat, kann dann der zehnte einen Anspruch darauf haben, prima facie gleich behandelt zu werden? Und wenn ja: gleich mit den als „sehr gut“ oder mit den als „befriedigend“ oder mit den als „nicht genügend“ beurteilten Schülern? Eine solche Forderung macht offensichtlich keinen Sinn. Der zehnte Schüler kann nur einen Anspruch darauf haben, nach dem gleichen Maßstab wie die anderen Schüler beurteilt, also – je nach seiner Leistung – gleich oder ungleich wie diese behandelt zu werden.
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nahmslose Regel gelten sollte?50 Außer Streit gestellt werden kann wohl auch, dass die Gleichbehandlung von Kindern und Erwachsenen, von Armen und Reichen, von Behinderten und nicht Behinderten, von Kranken und Gesunden in vielerlei Hinsicht gerade nicht geboten ist51. Handelt es sich dabei wirklich nur um Ausnahmen, die die Regel bestätigen? Und wenn dem so wäre, wie ist dann zu erklären, dass Normen, die jeden Menschen gleichermaßen adressieren, sich in unserer Rechtsordnung nur ausnahmsweise finden? Derart allgemeine Bestimmungen sind etwa die Grund- und Freiheitsrechte, zu denken ist aber auch an § 16 ABGB, nach dem jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte hat und daher als Person zu betrachten ist. Schon bei der näheren Ausgestaltung dieser allgemein gültigen Rechte wird jedoch sogleich unterschieden zwischen dem Volljährigen und dem Minderjährigen, der nicht oder eingeschränkt geschäftsfähig, nicht wahlberechtigt, zur Ausübung mancher Grundrechte nicht befugt ist52, es wird differenziert zwischen dem Mieter und dem Vermieter, dem Schenkenden und dem Beschenkten, dem nahen, dem entfernten und dem nicht Verwandten, zwischen Ärzten, Rechtsanwälten, Angestellten, Arbeitern und Beamten. Für viele dieser Differenzierungen wird sich leicht Einigkeit darüber erzielen lassen, dass sie nicht nur erlaubt, sondern gerade deshalb geboten sind, weil eine Gleichbehandlung höchst bedenklich wäre. Die Situation ist hier also grundsätzlich anders als bei der Freiheit, die schrankenlos genützt gewiss auch zu Ergebnissen führen kann, die für ____________________
50 Dementsprechend wurde etwa in Kremsier beschlossen, dass die öffentlichen Ämter und Staatsdienste nur „für alle dazu befähigten Staatsbürger gleich zugänglich“ sind (s B.II.1.b. und B.II.2.b.). Diese Garantie stellte, wie Hein es ausdrückte, sicher, dass „[v]on nun an [...] der Verstand vor Erlangung des Amtes da sein [soll]“ (Fischel, Protokolle 47). Auch nach § 28 der Märzverfassung 1849 waren die öffentlichen Ämter und Staatsdienste nur „für alle zu denselben Befähigten gleich zugänglich“ (B.III.3.). Art 3 StGG erklärt die öffentlichen Ämter zwar nur mehr „für alle Staatsbürger gleich zugänglich“; die Befähigung des Bewerbers wurde als Zugangsbedingung aber offensichtlich als selbstverständlich vorausgesetzt. 51 Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 135, führt in diesem Zusammenhang auch Konzentrationslager an, die, wollte man in der Gleichheit einen „Wert an sich“ sehen, als Veranstaltung gleichen Leids und Elends das Modell einer gerecht verfassten Gesellschaft sein müssten. Dieses Beispiel ist plakativ, widerlegt aber nicht die These, die Gleichheit sei ein „Wert an sich“. Denn diese These schließt nicht die Behauptung ein, dass die Gleichheit der einzig bedeutsame Wert und dass es mit ihr für die „Gerechtigkeit“ schon getan sei. Gerade das und eigentlich nur das zeigt das von Dürig genannte Beispiel, wenn man davon absieht, dass diesem Beispiel ein gleichsam „idealisierter“ Begriff des Konzentrationslagers zugrunde liegt. In der historischen Wahrheit herrschte in diesen Lagern keine Gleichbehandlung; sie wiesen vielmehr eine soziale Tiefenstaffelung auf: Die Delegation der Zwangsausübung auf die Insassen war geradezu ein Organisationsprinzip, s dazu zB Kogon, Der SS-Staat 1998. 52 Zur Grundrechtssubjektivität und -mündigkeit Minderjähriger s Feik, ZÖR 1999, 24 ff.
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manche Personen oder für die Rechtsgemeinschaft als solche unerwünscht sind. Für den, der sie unbeschränkt in Anspruch nimmt, bleibt diese Freiheit aber doch ein eigenständiger und nützlicher und damit ein „Wert an sich“53 – eben deshalb kann seine Schmälerung auch nur hingenommen werden, soweit sie im Interesse eines anderen Wertes erforderlich ist54. Werden demgegenüber die oben genannten Personengruppen gleich behandelt, Kinder etwa ebenso für wehrpflichtig erklärt wie Erwachsene, so entsteht durch diese Gleichbehandlung niemandem ein Vorteil; sie ist in keiner Hinsicht erstrebenswert und repräsentiert dementsprechend auch nicht einen Wert, von dem nur mit besonderer Begründung ein Abstrich gemacht werden könnte. Dementsprechend erscheint es auch gekünstelt und wirklichkeitsfremd, in der Ungleichbehandlung dieser Personengruppen einen „Eingriff“ in die Gleichheit zu sehen, der ausnahmsweise akzeptiert werden kann. Die These, die Gleichbehandlung sei ein „Wert an sich“, ist dementsprechend auch in der Lehre keineswegs unbestritten55.
4. Einwände Im vorliegenden Zusammenhang kann freilich nur entscheidend sein, ob der Verfassungsgesetzgeber in Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG zum Ausdruck bringt, er halte die Gleichbehandlung für einen solchen Wert und daher für grundsätzlich geboten. Der Wortlaut des Art 7 Abs 1 B-VG legt eine solche Deutung nicht nahe; denn diese Bestimmung sagt ebenso wenig wie ihre Vorgängerbestimmungen, dass alle Staatsbürger durch das Gesetz gleich zu behandeln sind. Er sagt vielmehr, dass alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind. Das ist nicht dasselbe. ____________________
53 Dass die Einschränkung der Freiheit des einen für die Freiheit des anderen durchaus notwendig sein kann, wird dabei nicht bestritten. Auch in einem solchen Fall bleibt die Freiheit für den Einzelnen aber ein Wert an sich. Nur wer diesen individualistischen Ansatz aufgibt, kann bestreiten, dass eine Freiheitsbeschränkung, die der Freiheit eines anderen dient, Eingriffscharakter hat, s auch Huster, Rechte 80 FN 69. 54 Dieser Ausgangslage entsprechend sind Eingriffe in ein Freiheitsrecht idR nur zulässig, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig sind. 55 Gegen die Annahme, die Gleichbehandlung im formalen Sinne sei ein „Wert an sich“ zB auch Huster, Rechte 23, 228 f, 362; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 135; ähnlich Bydlinski, Methodenlehre 343; dass der allgemeine Gleichheitssatz prima facie eine strenge und schematische Gleichbehandlung gewährleistet, verneint auch Lübbe-Wolff, Grundrechte 18 f, 258; s weiters Schmithals, Freiheit und Gleichheit 272 ff; Rüpke, FS Ermacora 489; Schramme, DZPhil 2003, 255. Für einen Eigenwert der formalen Gleichbehandlung hingegen Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 90; s auch die Nachweise in FN 33.
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Auch die historische Entwicklung des allgemeinen Gleichheitssatzes weist nicht darauf hin, dass dem Gleichheitssatz eine Vermutung für die Gleichbehandlung zu entnehmen ist: Zwar gab es im Reichstag von Kremsier durchaus Abgeordnete, die in der „Gleichheit“ eine Art Prinzip sahen, das in größtmöglichem Umfang zu realisieren sei56. Die Forderung nach „Gleichheit“ wurde aber, wann immer man sie im Verlauf der Geschichte erhob, keineswegs mit einer Forderung nach Gleichbehandlung identifiziert. Sie wandte sich vielmehr nur gegen ganz bestimmte, aus damaliger Sicht als „ungerecht“ empfundene Ungleichbehandlungen, so vor allem gegen Benachteiligungen aufgrund des Standes und des Bekenntnisses, später auch gegen Ungleichbehandlungen nach dem Geschlecht. Bekämpft wurden unter dem Titel der Gleichheit also stets konkrete Differenzierungen, nie hingegen die Differenzierung an sich 57. Auch die Forderung nach Lastengleichheit meinte ganz selbstverständlich nicht, dass jeder mit demselben, sondern, dass jeder mit dem gleichen, ihm entsprechenden und daher auch formal unterschiedlichen Anteil an den staatlichen Lasten teilnehmen sollte58. Versteht man den allgemeinen Gleichheitssatz als eine ____________________
56 S etwa Brestel, StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 437, der meinte: „wenn man auch die vollkommene Gleichheit nicht durchsetzen kann, aus dem Grunde, weil es gegen die Natur ist, so soll man wenigstens nicht dazu beitragen, daß diese Ungleichheit noch größer werde, als es absolut notwendig ist“. Klaudi, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 414, war sogar der Auffassung, die „Natur“ spreche sich „in ihrer ganzen Einrichtung dagegen aus, daß irgend eine Ungleichheit auch nur bestehe, daß irgend eine Ungleichheit in dem rechtlichen Zustande der Gesellschaft geschützt werde.“ 57 Selbst strikt egalitäre Forderungen, die auf faktische Gleichheit abzielen, also auf die Einebnung der zwischen den Menschen real bestehenden Unterschiede, sei es im Vermögen, sei es in der Begabung, sei es in der sozialen Herkunft, selbst diese Forderungen (die, wie erwähnt, aus dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht abgeleitet werden können) kommen ohne rechtliche Ungleichbehandlung nicht aus, sondern sind im Gegenteil sogar besonders auf sie angewiesen, denn dem Verteilen geht bekanntlich das Nehmen voran: Kersting, Egalitarismus 137. Wie Alexy, Grundrechte 378, und Heun, Art 3 GG Rz 67 zu Recht betonen, wird sich faktische Gleichheit vielfach nur durch rechtliche Ungleichbehandlung herstellen lassen. Dementsprechend meinte bereits Marx, Kritik 24, dass das „Recht statt gleich, ungleich sein“ müßte, um zu vermeiden, dass „der eine faktisch mehr als der andre“ hat. Huster, Rechte 24, konstatiert überhaupt, dass die faktische Gleichheit zur schematischen Gleichbehandlung keine engere Verbindung aufweist als zur Ungleichbehandlung: „der Zusammenhang ist völlig kontingent“; s schließlich auch Winkler, Expertenkollegium 242, der hervorhebt, dass die Kodifikation von Grundrechten immer ganz konkreten Gefährdungslagen begegnen sollte – eine Voraussetzung, die bei der Egalität nicht vorstellbar sei. 58 S in diesem Sinn schon § 24 des Kremsierer Entwurfes, wonach „Jedermann [...] nach Maßgabe seines Vermögens und Einkommens zu den Lasten des Staates beizutragen [hat]“ (Reiter, Texte 18, Hervorhebungen nicht im Original). S auch von Rotteck, Constitution 523, der zum Wesen des constitutionellen Systems ua „die gleiche, d.h. dem Maß des empfangenen Schutzes für Besitz und Erwerb entsprechende – Theilnahme an den Lasten des Staates“ zählt, und aaO 532, von der „vielfach misverstandene[n] ‚Gleichheit‘ sowohl in Theilnahme an den Wohlthaten als in Tragung der Lasten des Staatsver-
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Antwort auf diese Forderungen, dann kann nicht angenommen werden, dass durch ihn die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung schon dem Grunde nach in Zweifel gezogen werden sollte59. Eine derartige Annahme beruht vielmehr auf einem – historisch nicht begründbaren und auch logisch nicht gerechtfertigten – Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine: Mögen bestimmte, im Laufe der Geschichte bekämpfte Ungleichbehandlungen heute auch als noch so unhaltbar empfunden werden, so kann daraus doch nicht gefolgert werden, dass jede Ungleichbehandlung schon an sich suspekt ist. Die Annahme, der Gleichheitssatz misstraue bereits der Ungleichbehandlung als solcher, begegnet aber auch systematischen Einwänden. Konsequent zu Ende gedacht belastet eine solche Annahme nämlich die gesamte Rechtsordnung mit dem (wenn auch widerleglichen) Verdacht der Gleichheitswidrigkeit. Jede Norm nimmt schließlich notwendig Differenzierungen vor und müsste daher, was immer sie anordnet, gleichheitsrechtlich schon an sich suspekt sein60. Dass der Gesetzgeber, sobald er tätig wird, schon in den Verdacht gerät, den Gleichheitssatz zu verletzen, ist aber in einer Demokratie eine ganz unplausible Annahme. Denn gerade in dieser Staatsform bürgt der Gesetzgeber als Repräsentant der Mehrheit ja schon institutionell dafür, dass eine wesentliche, ja sogar die historisch erste Gleichheitsforderung erfüllt, die Mehrheit nämlich nicht von einer Minderheit beherrscht und ihr gegenüber benachteiligt wird61. Dass das B-VG, das Österreich in Art 1 zu einer Demokratie erklärt und den Gleichheitssatz als zentralen Ausdruck dieser Staatsform versteht62, den Gesetzgeber einerseits zur Normsetzung und damit zur Differenzierung ermächtigt, ihm aber andererseits das Misstrauen ausspricht, sobald er von dieser Ermächtigung Gebrauch macht, kann schlicht nicht unterstellt werden63. ____________________
bands und über die mit ihrem vernünftigen Sinne dennoch vereinbarliche [...] theils auch rechtliche […] Ungleichheit“ spricht (Hervorhebungen im Original). 59 Sehr klar Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 65: „Bei der Auslegung des Gleichheitsgrundsatzes müssen wir also davon ausgehen, daß Differenzierungen an sich zulässig sind, daß aber der Verfassungsgesetzgeber dem Gesetzgeber verwehrt hat, gewisse Differenzierungen vorzunehmen.“ 60 S auch Huster, Rechte 21 f; dens, Art 3 GG Rz 71; ähnlich Luhmann, Grundrechte 165. 61 S schon oben B.VIII. 62 B.VII.2.a. 63 S auch Nishihara, Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung 223 FN 149, 233, nach dem ein Prima-facie-Recht auf absolute Gleichbehandlung auf ein prinzipielles Verbot der Rechtsnormen hinausläuft, die eine Rechtsfolge an einen erfüllten Tatbestand knüpfen.
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5. Neutralisierung durch eine Rationalitätsvermutung? In Ansehung dieser Einwände könnte allerdings erwogen werden, den Vordersatz der Gleichheitspräsumtion radikal einzuschränken. So hat etwa Somek vorgeschlagen, die allgemeine Formel „Wenn nichts dagegen spricht, dann ist die Gleichbehandlung geboten“ in den Satz zu modifizieren: „Wenn die Gründe für eine Ungleichbehandlung diskriminierend sind, dann ist die Gleichbehandlung geboten“64. Nicht die Ungleichbehandlung als solche ist dann gleichheitsrechtlich suspekt, wohl aber ist die diskriminierende Ungleichbehandlung – und nur sie – verboten. Der allgemeine Gleichheitssatz wird damit auf ein Diskriminierungsverbot reduziert. Ein solches Verständnis wird jedenfalls der Entstehungsgeschichte des Art 7 Abs 1 B-VG nicht gerecht, hat diese doch gezeigt, dass der Gleichheitssatz sich zwar auch, aber keineswegs nur gegen Diskriminierungen richtete: Er war auch Motor für die Demokratie und die Gewährung von Freiheitsrechten und ist seit jeher innig mit dem Rechtsstaat verbunden. Angesichts der Bedeutungsvielfalt des Gleichheitssatzes lässt sich seine Reduktion auf ein Diskriminierungsverbot nur durchhalten, wenn man den Diskriminierungsbegriff überspannt65. Zudem müssen bei einer derart radikalen Einschränkung der Gleichheitspräsumtion auch ihre Prämissen zweifelhaft werden; dies wird besonders deutlich, wenn Somek zuerst annimmt, jegliche Ungleichbehandlung stelle sich prima facie als unerlaubte Diskriminierung dar, dann weiter davon ausgeht, der Diskriminierungsverdacht lasse sich durch die Vermutung ausschließen, zwischen der Ungleichbehandlung und irgendeinem anderen rationalen Zweck als dieser selbst bestehe irgendein rationaler Zusammenhang, um schließlich zu konstatieren: „Der umfassende Diskriminierungsverdacht wird folglich durch eine ebenso umfassende Rationalitätsvermutung neutralisiert. [...] Durch die Symmetrie von Rationalität und Diskriminierung hebt sich das Gleichheitsrecht selbst auf. Dieser Selbstaufhebung lässt sich nur vorbeugen, indem durch den asymmetrischen Ausschluss bestimmter Gründe der Ungleichbehandlung näher spezifiziert wird, unter welchen Bedingungen die Diskriminierung einen Handlungsgrund darstellt, der nicht wegrationalisiert werden kann.“66 ME lässt sich der beschriebenen Selbstaufhebung wesentlich besser durch eine Änderung der ersten Prämisse vorbeugen: Denn es ist eben nicht plausibel, dass jede Ungleichbehandlung prima facie diskriminierend ist. ____________________
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Somek, Rationalität 43. So auch der (unabhängig von der Entstehungsgeschichte erhobene) Einwand Husters, Der Staat 2003, 145 ff; desselben, Art 3 GG Rz 23 gegen des Konzept Someks; s auch noch unten C.IV.4.a., E.IV.4.a. 66 Somek, Rationalität 329. 65
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IV. Modell 2: Gleichbehandlung des Gleichen, Ungleichbehandlung des Ungleichen 1. Die Gleichbehandlung des Gleichen a. Gleiches Die entscheidende Frage ist damit freilich erst gestellt: Wenn die Ungleichbehandlung nicht schon an sich suspekt ist, wann ist sie dann bedenklich bzw wann ist die Gleichbehandlung geboten? Auch für dieses Problem liefert die Entstehungsgeschichte des allgemeinen Gleichheitssatzes erste Anhaltspunkte: Wie sich im vorstehenden Teil dieser Arbeit gezeigt hat, wurden historisch vor allem Unterscheidungen nach dem Stand und nach dem Bekenntnis als gleichheitswidrig bekämpft, weiters die ungleichmäßige Belastung männlicher Staatsbürger mit der Wehrpflicht, Privilegierungen bei der Steuerpflicht, der Ausschluss vom Wahlrecht und schließlich die Schaffung von Ausnahmegerichten und eigenen Gerichtsständen für bestimmte Personengruppen. Diese Ungleichbehandlungen waren keineswegs grundlos vorgenommen worden; sie hatten aus der jeweiligen Zeit heraus verstanden sogar eine innere Logik, die nachvollziehbar ist, sofern man ihre Prämissen teilt: Dass etwa das Wahlrecht zunächst dem Adel vorbehalten war, beruhte auf der Meinung, nur die Angehörigen dieses Standes verfügten aufgrund ihrer Herkunft und Bildung über jene Einsicht, die einen sinnvollen Gebrauch dieses Rechts erst ermöglicht67. Wenn das Wahlrecht später an einen Zensus gebunden wurde, dann, weil man annahm, dass derjenige, der durch Steuern zum Staatsetat beiträgt, auch ein Recht haben müsse, zu bestimmen, was mit diesen Mitteln geschieht und weil man aus seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ableitete, dass er nicht bloß die Stimme seines Brotherrn verstärken, sondern zu einer eigenständigen Ausübung des Wahlrechts in der Lage sein werde68. Der generelle Ausschluss der Frauen vom Wahlrecht war wiederum auf den Glauben zurückzuführen, sie seien für den Gebrauch dieses Rechts zu einfältig69. Ohne jede Begründung waren diese historischen ____________________
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MwN Pöschl, FS Schäffer 635 ff. S dazu oben B.I.6.; wN bei Pöschl, FS Schäffer 635 f. 69 Vgl – auch unter diesem Aspekt – exemplarisch die Debatte im Ausschuss des Reichsrates von Kremsier, in der Brestel zum Wahlrecht der Frauen meinte: „Wollte man die Weiber zulassen, weil sie an den Staatslasten Theil nehmen, so müßte man aus gleichem Grunde auch die Kinder und Narren zulassen“ (Springer, Protokolle 187); bemerkenswert auch der sog „Hirnbeweis“, demzufolge schon das „geringere Gewicht des Frauenhirns“ gegen eine höhere Frauenbildung spräche (s dazu mwN E. Berger, JBl 2000, 636 FN 13); s zu weiteren Argumenten, die historisch gegen ein Frauenwahlrecht ins Treffen geführt wurden, Pöschl, FS Schäffer 640 f. Allgemein zur rechtlichen Situation der Frau in der Monarchie M. Berger, EuGRZ 1983, 615; Flossmann, Grundrechtssubjektivität 1 ff; 68
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Ungleichbehandlungen also nicht; wenn sie dennoch als gleichheitswidrig angesehen wurden, dann, weil man die Gründe, die für sie ins Treffen geführt wurden, nicht mehr akzeptieren konnte, weil an ihre Stelle neue Einsichten getreten waren, so die Auffassung, dass jedem mündigen Staatsbürger an der Rechtsordnung, der er unterworfen ist, auch eine demokratische Mitwirkung zuzuerkennen sei; dass Frauen die nötige Einsichtsfähigkeit für die Ausübung des Wahlrechts dann doch besitzen70; dass die Zugehörigkeit zu einem Stand irrelevant für die Militär- und Steuerpflicht oder für den Gerichtsstand sei; dass die Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis frei sei und daher nicht mit rechtlichen Nachteilen verbunden sein dürfe. Niemand hätte dabei bestritten, dass zwischen den Angehörigen verschiedener Stände, unterschiedlicher Bekenntnisse, zwischen Männern und Frauen reale Unterschiede bestehen. Doch diese Unterschiede wurden nun als unmaßgeblich für bestimmte rechtliche Ungleichbehandlungen angesehen. Da man die genannten Personen in dieser Hinsicht für „gleichwertig“ hielt, waren die zwischen ihnen sonst bestehenden Unterschiede kein zureichender Grund mehr für die bekämpften rechtlichen Differenzierungen. Unter dem Titel des Gleichheitssatzes wurde also die Gleichbehandlung des Gleichen oder genauer: des als gleich Bewerteten verlangt, nachdem die Unterschiede, die man bislang für eine Ungleichbehandlung ins Treffen geführt hatte, hinterfragt und für unzureichend befunden worden waren. Ganz in diesem Sinn meinte dann auch Lasser im Reichstag von Kremsier, dem Gleichheitssatz zufolge müssten „dieselben Gesetze gleichmäßig für alle gelten, welche in gleicher Lage sich befinden“ und „alle Unterschiede, die durch menschliche Leidenschaften, Irrthümer und Vorurtheile ersonnen wurden, [haben] aufzuhören“71. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet nach alldem nicht prinzipiell die Gleichbehandlung. Er verlangt nur, dass „Gleiches“ gleich behandelt wird und verbietet Ungleichbehandlungen, die sich auf irrelevante oder tatsächlich gar nicht bestehende Unterschiede stützen 72. ____________________
Sporrer, Gleichheit 912 mwN; zur Zulassung der Frauen zum Studium E. Berger, JBl 2000, 634 ff. 70 S dazu mwN auch Sporrer, Gleichheit 912; Pöschl, FS Schäffer 641. 71 StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 425 (Hervorhebungen nicht im Original); vgl die zum Teil wortgleiche Äußerung des Abgeordneten Ahrens in der Frankfurter Grundrechtsdiskussion: „Der Satz also, daß Alle gleich seien vor dem Gesetze, will nicht bedeuten, daß eine allgemein gleiche, Alles nivellirende Gesetzgebung stattfinden soll, sondern nur, daß für alle Personen und Sachen, welche sich in gleicher Lage befinden, auch gleiche Gesetze bestehen müssen. […] es ist darin nur die Wahrheit ausgedrückt, daß das Rechtsgesetz ein allgemeines, ein nothwendiges, ein natürliches ist, welches alle, durch irgend welche menschliche Leidenschaften ersonnenen Unterschiede aufhebt“ (wiedergegeben bei Scholler, Paulskirche 234, Hervorhebungen im Original). 72 S dazu bereits Leibholz, Gleichheit 45. Dementsprechend entnimmt etwa auch Holoubek, ÖZW 1991, 76 FN 56, dem Gleichheitssatz eine Argumentationslast nur für
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Letztlich beruht wohl auch das oben73 erwähnte „Kuchen-Beispiel“ auf dieser Prämisse: Dass alle Kinder ein gleich großes Stück Kuchen bekommen sollen, leuchtet nämlich nur deshalb sofort ein, weil in diesem Beispiel von Kindern die Rede ist, zwischen denen keine Unterschiede namhaft gemacht werden74. Es ist dann aber die – in Ermangelung von Unterschieden – angenommene Gleichheit der Kinder, die den Anspruch auf gleich große Kuchenstücke erzeugt, nicht die Tatsache, dass die Gleichbehandlung als „Wert an sich“ prima facie geboten wäre. Ergänzt man das genannte Beispiel um die Information, dass das erste Kind Geburtstag hat, das zweite besonders hungrig und das dritte zuckerkrank ist, das vierte beim Kuchenbacken mitgeholfen, das fünfte Kind das Meerschwein des sechsten versteckt hat und dieses sechste Kind aus der Schule eine gute Note heimgebracht hat, während das siebte bei einer Prüfung durchgefallen ist, dann steht man vor der – viel schwierigeren, der Realität aber weit näheren – Frage, wie und vor allem nach welchen Kriterien der Kuchen ungleich zu verteilen ist. b. Wesentlich Gleiches Der Satz, Gleiches müsse gleich behandelt werden75, darf dabei nicht dahin missverstanden werden, dass irgendeine im Tatsächlichen bestehende Gleichheit zwischen zwei Personen zur Gleichbehandlung in jeder Hinsicht zwingt oder dass umgekehrt eine Ungleichbehandlung mit jeder beliebigen Verschiedenheit begründet werden kann76. Dies folgt schon aus ____________________
„rechtliche“ Ungleichbehandlungen, die nur dann vorlägen, wenn an in bestimmter Hinsicht vergleichbare Sachverhalte unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft werden. 73 C.III.3. 74 Überdies wird in diesem Beispiel unterstellt, dass der Kuchen überhaupt zur Verteilung ansteht, dass die Kinder einen Anspruch auf den Kuchen haben und dass jeder so viel wie möglich will, s Schramme, DZPhil 2003, 261. 75 S zur Herkunft dieses Aristoteles zugeschriebenen Satzes: Podlech, Gehalt 53 ff; Huster, Rechte 36 ff. Zum zweiten Teil dieses Satzes, wonach Ungleiches ungleich zu behandeln sei, sogleich unten C.IV.2. 76 S schon Podlech, Gehalt 50 f; Sachs, Diskriminierungsverbot 343. In der älteren Judikatur des VfGH fanden sich mitunter derartige Begründungen, so etwa im Erkenntnis VfSlg 8605/1979, in dem es der VfGH als unbedenklich ansah, dass Eltern von der Familienbeihilfe ausgeschlossen wurden, sobald ihr Kind das 18. Lebensjahr erreicht und aus einem gesetzlich nicht anerkannten Lehrverhältnis Einkünfte in einem monatlich 1000 S übersteigenden Betrag erzielt. Stand das Kind hingegen unter sonst gleichen Bedingungen in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis, so wurde seinen Eltern die Familienbeihilfe zuerkannt. Die Rechtfertigung für diese Differenzierung fand der VfGH in dem Umstand, dass der Gesetzgeber im Ausbildungsrecht zwischen gesetzlich anerkannten Lehrverhältnissen und anderen Ausbildungsverhältnissen unterscheidet. Dass es zulässig ist, zwischen zwei Sachverhalten in der einen Materie (hier im Ausbildungsrecht) zu unterscheiden, lässt allerdings nicht den Schluss zu, dass dieselbe Unterscheidung auch in anderem Zusammenhang (hier dem Familienbeihilfenrecht) gerechtfertigt ist. Ob ein Kind in einem ge-
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dem Umstand, dass zwei Personen sich regelmäßig in der einen Hinsicht gleichen, in der anderen aber voneinander unterscheiden können77. Für den Gleichheitssatz kommt es nicht auf beliebige, sondern auf im jeweiligen Kontext wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede an78, wobei vorläufig offen bleiben kann, wonach sich diese Wesentlichkeit bestimmt, welches also das tertium comparationis ist, nach dem der Vergleich zu ziehen ist79. c. Fehlen wesentlicher Unterschiede Auch der gängige Satz, wesentlich Gleiches müsse gleich behandelt werden, ist allerdings nicht ganz präzise. Denn das Bestehen wesentlicher Gemeinsamkeiten schließt nicht notwendig aus, dass auch wesentliche Unterschiede vorliegen80. Da Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG die Gleichbehand____________________
setzlich anerkannten oder in einem gesetzlich nicht anerkannten Lehrverhältnis steht, macht für die Unterhaltslast seiner Eltern jedenfalls keinen Unterschied. 77 Gerade darin liegt der Unterschied zwischen Gleichheit und Identität: Erstere bedeutet Übereinstimmung in mindestens einer, letztere Übereinstimmung in jeder Hinsicht, s schon Radbruch, Rechtsphilosophie 122: „Gleichheit ist immer nur Abstraktion von gegebener Ungleichheit unter einem bestimmten Gesichtspunkte“; s auch Walter, ZVR 1979, 36; Alexy, Grundrechte 362; Sachs, Diskriminierungsverbot 343; Robbers, DÖV 1988, 749 f; Stoll, ÖStZ 1989, 189 f; Tipke, FS Stoll 233; Huster, Rechte 30; Kischel, AöR 124 (1999) 181 f; Nishihara, Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung 171; Krebs, Egalitarismus 51. 78 S in diesem Sinn schon VfSlg 5397/1966, 11.190/1986, wonach „nicht jeder Unterschied im Tatsächlichen jede rechtliche Differenzierung zu rechtfertigen vermag. Vielmehr muß die Ungleichheit eine in bezug auf die rechtliche Regelung wesentliche sein“. Dass etwa wissenschaftliche Mitarbeiter – anders als Studienassistenten, Demonstratoren, Tutoren und Lehrbeauftragte – nicht in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zum Bund, sondern in einem Rechtsverhältnis besonderer Art stehen, tut „in keiner Weise“ dar, warum sie – anders als die zweitgenannte Personengruppe – vom Wahlrecht zum Senat ausgeschlossen sein sollten: VfSlg 17.208/2004. S auch Kelsen, Rechtslehre 256: „Da kein Fall einem anderen in jeder Hinsicht gleich ist, kann die ‚Gleichheit‘ zweier Fälle [...] nur darin bestehen, daß sie in gewissen wesentlichen Punkten übereinstimmen“; ebenso Walter, ZVR 1979, 36; Leibholz, Gleichheit 47 ff; Huster, Rechte 31. 79 S dazu unten C.IV.3. Zum Vorgang des Vergleichens mwN Huster, Rechte 29; kritisch zum Begriff des tertium comparationis Kischel, AöR 124 (1999) 182 f. 80 Ein Beispiel dafür liefert das Erkenntnis VfSlg 8539/1979, in dem der VfGH zu prüfen hatte, ob haushaltsangehörige Arbeitnehmer der Landwirtschaftskammer oder der Landarbeiterkammer zuzuordnen sind: Da die beiden Kammern als soziale Gegenspieler auf den Ausgleich gegenläufiger Interessen angelegt sind, war für die Zuordnung wesentlich, welche Interessen der haushaltsangehörige Arbeitnehmer typischerweise hat. Einerseits stehen seine Interessen als Arbeitnehmer zwar jenen des Arbeitgebers gegenüber, andererseits wird die zwischen Angehörigen an sich schon bestehende Interessenparallelität durch die Haushaltsgemeinschaft mit dem Arbeitgeber noch verstärkt. Zwischen den Interessen des haushaltsangehörigen Arbeitnehmers und jenen anderer Arbeitnehmer bestehen daher sowohl wesentliche Gemeinsamkeiten als auch wesentliche Unterschiede. Ein anderes Beispiel findet sich im Erkenntnis VfSlg 10.002/1984, das die Ungleichbehandlung zwischen Mieter und Eigentümer in Bezug auf einen Räumungsaufschub betrifft:
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lung nicht prinzipiell und demnach auch nicht im Zweifel präferiert, ist bei wesentlichen Gemeinsamkeiten und wesentlichen Unterschieden die Ungleichbehandlung durch Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG nicht grundsätzlich verboten, sondern erlaubt81. Bedenklich ist eine Ungleichbehandlung also erst dann, wenn wesentliche Unterschiede fehlen. d. Begründungslast des Gleichbehandlungsgebotes Dem Tatbestand des Gleichheitssatzes ist eine Norm nach all dem subsumierbar, wenn sie wesentlich Gleiches ungleich behandelt. Dass, wie Art 7 Abs 1 B-VG bestimmt, „Alle Staatsbürger […] vor dem Gesetz gleich [sind]“, kann freilich nicht bedeuten, dass sie alle in jeder Hinsicht und in jeder Situation wesentlich gleich sind82. Eine solche Deutung führte ____________________
„Zu Unrecht stellt das antragstellende Gericht allein auf das Schutzbedürfnis des Räumungspflichtigen ab. Es steht dem Gesetzgeber nämlich frei, auch darauf zu sehen, warum es zur Räumung kommt und wie sich ein Räumungsaufschub sonst auswirkt. In dieser Hinsicht zeigen sich aber Unterschiede, die [...] eine unterschiedliche Regelung [...] rechtfertigen.“ S schließlich auch das Erkenntnis VfSlg 14.802/1997, in dem zu beurteilen war, ob es gleichheitskonform ist, Sozialversicherungsbeiträge, die die Höchstbeitragsgrundlage übersteigen, nur dem Dienstnehmer zurückzuerstatten, nicht hingegen dem Dienstgeber. Wie der VfGH feststellte, nähme der Gesetzgeber, wenn er Dienstnehmer und Dienstgeber in dieser Hinsicht gleich behandelt, dafür eine andere Ungleichbehandlung in Kauf: Er begünstigte dann jene Dienstgeber, deren Dienstnehmer aufgrund anderer Vereinbarungen ein Gesamteinkommen erzielen, das die Höchstbeitragsgrundlage überschreitet. 81 Dementsprechend stellte der VfGH im Erkenntnis VfSlg 8539/1979 (FN 80) etwa fest, dass es Sache des Gesetzgebers sei, ob er die gemeinsamen Interessen der Angehörigen für gewichtiger hält als die auch dann noch vorhandenen Interessengegensätze oder ob er die Gegensätze im Verhältnis zu den Gemeinsamkeiten als ausschlaggebend ansieht. In gleicher Weise verfuhr der Gerichtshof in VfSlg 14.802/1997 (FN 80): Es sei, wie der VfGH meinte, Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob ihm eine Gleichbehandlung der Beitragsleistungen der Dienstnehmer und Dienstgeber wichtiger erscheint oder die Gleichbehandlung der verschiedenen am Arbeitsmarkt in Konkurrenz stehenden Dienstgeber. S auch Gschnitzer, Expertenkollegium 242, der die von Rosenzweig (FN 34) vertretene Auffassung, man müsse sich aufgrund des Gleichheitssatzes im Zweifel für den Verzicht auf Differenzierung entscheiden, sogar als „höchst gefährlich“ bezeichnet; eher sei umgekehrt zu sagen, dass „man, wenn sachliche Unterschiede bestehen, zunächst von der Differenzierung auszugehen hat und nur wenn sich daraus dann eine sachlich ungerechtfertigte Bevorrechtung ergebe [...] dann muß man davon abgehen und muß man den Gleichheitsgrundsatz durchsetzen“; gegen die Deutung des Gleichheitssatzes als allgemeines Willkürverbot in Verbindung mit der Auffassung, dass dieser Satz im Zweifel die egalitäre Behandlung fordert, auch Klecatsky, Expertenkollegium 242; ernste Bedenken gegen die Vermutung für die Gleichbehandlung äußerte auch Lehne, Expertenkollegium 244. Anderes müsste gelten, wenn dem Gleichheitssatz ein Prinzip der Gleichbehandlung zu entnehmen wäre. Bei einer Gleichwertigkeit der Argumente für und gegen die Differenzierung wäre dann gleich zu behandeln, sofern dieses Prinzip nicht, wie etwa bei Somek, zuvor durch eine flankierende Rationalitätsvermutung neutralisiert worden ist (s dazu oben C.III.5.). 82 Dementsprechend wurde auch schon oft festgestellt, dass die Aussage, alle Menschen (bzw Staatsbürger) seien vor dem Gesetz gleich, in diametralem Gegensatz zu dem Befund
Modell 2: Gleichbehandlung des Gleichen, Ungleichbehandlung des Ungleichen
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nicht nur geradewegs zu jenem Ergebnis zurück, das hier aus guten Gründen verworfen worden ist, dazu nämlich, dass der Gesetzgeber doch wieder (zumindest prinzipiell) nicht differenzieren dürfte, sondern (zumindest grundsätzlich) alles und jedes gleich behandeln müsste. Bei einer solchen Deutung wäre auch die im zweiten Satz des Art 7 Abs 1 B-VG getroffene Anordnung ganz überflüssig: Wenn diese Bestimmung aus der unendlichen Masse denkbarer Differenzierungskriterien fünf – Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis – heraushebt, dann weil die Träger dieser Merkmale wesentlich gleich sind: Deshalb sind Vorrechte aufgrund der genannten Kriterien ausgeschlossen. Diese Anordnung wäre sinnlos, wenn zwischen den Staatsbürgern auch sonst in keiner Hinsicht wesentliche Unterschiede bestünden. Für Art 2 StGG, der nicht durch eine solche Spezialbestimmung näher erläutert wird, gilt nichts anderes; denn diese Bestimmung rezipiert im Wesentlichen den Gleichheitssatz des Reichstages von Kremsier83. Auch dieser wandte sich aber nicht gegen die Ungleichbehandlung schlechthin, sondern nur gegen ganz bestimmte Ungleichbehandlungen, insbesondere gegen solche nach Geburt, Stand und Bekenntnis. Soweit der Verfassung eine Vorentscheidung darüber, was wesentlich gleich ist, nicht entnommen werden kann, muss daher gesondert dargetan werden, dass die ungleich behandelten Personen wesentlich gleich sind bzw dass die zwischen ihnen angeblich bestehenden Unterschiede tatsächlich nicht vorliegen oder irrelevant sind. Das ist nichts Ungewöhnliches: Auch die Berufung auf jedes andere Grundrecht setzt den Nachweis voraus, dass sein Tatbestand erfüllt ist.
2. Die Ungleichbehandlung des Ungleichen Dass der allgemeine Gleichheitssatz den Gesetzgeber dazu verpflichtet, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, bedeutet noch nicht, dass der Gesetzgeber auch gezwungen ist, zwischen wesentlich Ungleichem zu differenzieren84. Dennoch wird dem allgemeinen Gleichheitssatz in Judika____________________
der Wirklichkeit steht, dass alle Menschen verschieden sind, s etwa Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 1; Möckel, DVBl 2003, 488; s auch Bluntschli, Staatsrecht: „Alle Menschen sind als Menschen sich gleich“ (691) und: „Alle Menschen sind hinwieder als Individuen ungleich“ (693; Hervorhebungen im Original). 83 B.V.1. 84 Dass aus dem Gebot, Gleiches sei gleich zu behandeln, nicht auch das Gebot folgt, Ungleiches sei ungleich zu behandeln, betont mit Nachdruck Weinberger, Moral 223 f; ebenso Antoniolli, JBl 1956, 612 = ÖJZ 1956, 647, der zur Vorsicht rät bei einer „dem Schein nach geradezu logisch notwendigen Umkehr des Gleichheitssatzes […], daß nicht nur gleiches gleich, sondern auch ungleiches ungleich behandelt werden muß“ (Hervorhebungen nicht im Original); anders Bydlinski, 1. ÖJT I/1 (1961) 5: „Der Satz, daß Gleiches gleich zu behandeln ist, woraus e contrario folgt, daß Ungleiches ungleich behandelt werden muß“.
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Allgemeine Probleme
tur und Lehre überwiegend neben dem Gebot der Gleichbehandlung des wesentlich Gleichen auch ein Gebot entnommen, wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln: Der VfGH stellte am Beginn seiner Judikatur zwar nur fest, der allgemeine Gleichheitssatz gebiete dem Gesetzgeber, Gleiches gleich zu behandeln und erlaube die Ungleichbehandlung von Ungleichem85, schien also davon auszugehen, dass aus dem Gleichheitssatz nur ein Gebot der Gleichbehandlung resultiert. In der folgenden Judikatur wurde die in der ursprünglichen Formel enthaltene Erlaubnis der Ungleichbehandlung aber um ein Gebot der Differenzierung ergänzt, das zunächst in besonderen Einzelfällen zum Tragen kam86, allmählich aber als ebenbürtiger Gegenspieler neben das Gebot der Gleichbehandlung trat und mit diesem gemeinsam zum Inhalt des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG erhoben wurde87. Dieses Verständnis findet heute in der Formel Ausdruck, ____________________
85 Vgl zB VfSlg 2956/1956, 5727/1968, 7135/1973: Der Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen bzw verwehrt ihm, Gleiches ungleich zu behandeln; VfSlg 3754/1960, 4140/1962, 4392/1963, 4916/ 1965: der Gleichheitssatz verbietet dem Gesetzgeber nur unsachliche, also durch tatsächliche Unterschiede nicht begründete Differenzierungen bzw Differenzierungen, die sachlich nicht begründbar sind. 86 VfSlg 3334/1958: Ein Unterschied kann so beträchtlich sein, dass er eine nicht differenzierende Regelung verfassungsrechtlich unzulässig macht; VfSlg 3769/1960: wenn ein zwingender Anlass vorliegt, Unterschiede im Tatsächlichen auch rechtlich zu differenzieren, verstößt eine rechtliche Gleichstellung gegen das Gleichheitsgebot; VfSlg 5397/1966: der Gleichheitssatz gebietet eine entsprechende Ungleichbehandlung von Ungleichem nur dann, wenn die Ungleichheit „eine in bezug auf die Regelung wesentliche“ ist, wenn eine Gleichbehandlung „sachfremd“ wäre; VfSlg 6004/1969, 6332/1970, 9753/1983, 10.030/ 1984: der Gleichheitssatz verlangt keineswegs eine einheitliche Regelung für alle Versicherten, denn in diesem Bereich sind die sachlichen Voraussetzungen (selbständig oder unselbständig, aber auch wegen der Vielzahl der Berufszweige) so verschieden, „daß eine differenzierende Regelung nicht nur zulässig, sondern unter Umständen sogar geboten erscheint“; VfSlg 9750/1983: in der Festsetzung des gleichen Steuerbetrages für jeden der in Rede stehenden Spielautomaten kann „eine Ungleichbehandlung nur liegen, wenn die Unterschiede im Tatsächlichen so schwerwiegend wären, daß eine Gleichbehandlung unsachlich wäre“; VfSlg 11.309/1987: der Vergleich erweist, dass der Unterschied im Tatsachenbereich derart schwer wiegt, dass er einer – im Gesetz allerdings vorgesehenen – schematischen Gleichbehandlung der Betroffenen entgegensteht; s auch VfSlg 3822/1960, 4455/1963, 5169/1965: eine Untätigkeit des Gesetzgebers verstößt dann gegen den Gleichheitssatz, wenn durch sie bei völlig gleichen Sachverhalten eine Differenzierung nach unsachlichen Unterscheidungsmerkmalen herbeigeführt würde. 87 VfSlg 8279/1978: Das Gleichheitsgebot verbietet dem Gesetzgeber nicht bloß, sachlich nicht begründbare Differenzierungen vorzunehmen, sondern auch Ungleiches gleich zu behandeln, wobei allerdings die Ungleichheit in Bezug auf die Regelung wesentlich sein muss; VfSlg 8806/1980: wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich sind durch entsprechende rechtliche Regelungen zu berücksichtigen; VfSlg 12.641/1991: der Gleichheitssatz beinhaltet das Gebot einer differenzierenden Regelung wesentlich unterschiedlicher Sachverhalte; VfSlg 12.923/1991: Barbetriebe und andere Gastgewerbebetriebe unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Betriebsart voneinander, sodass es gleichheitswidrig ist, wenn diese Betriebe alle zur selben Zeit zugesperrt werden müssen; VfSlg 14.095/1995: die Pflicht, unberechtigt bezogenes Arbeitslosengeld zurückzuzahlen, ist gleichheitswidrig, wenn sie
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dem allgemeinen Gleichheitssatz zufolge sei Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln88. Nach überwiegender Ansicht in Österreich gibt diese Formel den Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes zutreffend wieder, ja sie ist in der Lehre sogar weit gebräuchlicher als in der Judikatur89. a. Entbehrlichkeit des Ungleichbehandlungsgebotes? Dass dem allgemeinen Gleichheitssatz auch ein Differenzierungsgebot zu entnehmen ist, wird dabei regelmäßig mehr behauptet als begründet90. Die größten Schwierigkeiten bereitet die Begründung eines solchen Gebo____________________
keine Rücksicht darauf nimmt, ob den Bezieher ein Vorwurf trifft oder ob seine Leistungsfähigkeit aufgrund der neuen Erwerbsquelle feststeht; VfSlg 14.723/1997: die Mindestbesteuerung der unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften führt dazu, dass im Effekt Kapitalgesellschaften mit geringeren Erträgen relativ höher und solche mit höheren Erträgen relativ geringer besteuert werden. 88 S zB VfSlg 8806/1980, 17.091/2003, s auch VfSlg 16.635/2002, wonach es dem Gesetzgeber verwehrt ist, wesentlich Ungleiches ohne sachliche Rechtfertigung gleich und wesentlich Gleiches ohne sachliche Rechtfertigung ungleich zu behandeln; VfSlg 16.585/ 2002, wonach es dem Gesetzgeber verwehrt ist, Gleiches ungleich und Ungleiches gleich zu behandeln. 89 Zunächst nahm allerdings auch die Lehre an, dass eine Ungleichbehandlung nur dann geboten sei, wenn sie zwingend erforderlich ist, s etwa Kneucker, ÖStZ 1966, 217 ff; Schantl, JBl 1968, 361; Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 647. Dass der Gleichheitssatz nicht nur gleiche, sondern auch ungleiche Behandlung fordere, stellte aber schon Kelsen, Rechtslehre 392 f, fest. Ohne weiter zu unterscheiden, entnimmt dann auch Walter, ZVR 1979, 38, dem allgemeinen Gleichheitssatz sowohl ein Differenzierungsverbot als auch ein Differenzierungsgebot; dass der Gleichheitssatz nicht nur gleiche, sondern auch ungleiche Behandlung fordere, betonen auch Adamovich sen/Spanner/ Adamovich, Handbuch 518; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 15; vom Satz, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln sei, gehen schließlich zB Öhlinger, EuGRZ 1982, 226; Korinek, FS Melichar 44 ff; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 603; Schambeck, ÖJZ 1992, 638; Pöschl, JBl 1997, 426; Mayer, B-VG Art 2 StGG III.1.; Berka, Art 7 B-VG Rz 7, 32, Mayr, ÖZW 2001, 102 f; Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht III Rz 42.013; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1357, aus; wohl ebenso Pernthaler, Bundesstaatsrecht 695; s auch Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 761 und 764: „Der Gleichheitssatz verbietet nicht nur Gleiches ungleich zu behandeln, sondern verbietet es auch, Ungleiches unsachlicherweise gleich zu behandeln“ (im Original mit Hervorhebung). Ausgehend von der (hier nicht geteilten) Gleichheitspräsumtion aA Somek, Rationalität 43 ff, s dazu noch unten C.IV.4.a. 90 Oft wird zwischen Gleich- und Ungleichbehandlungsgebot auch gar nicht explizit unterschieden und ein Ungleichbehandlungsbegriff zugrunde gelegt, der eine Gleichbehandlung einschließt; s etwa Gassner, Gleichheitssatz 3, nach dem ein Rechtssatz in sich Ungleichbehandlungen birgt, wenn er wesentlich ungleiche Sachverhalte erfasst und an diese wesentlich gleiche Rechtsfolgen knüpft oder wesentlich gleiche Sachverhalte mit wesentlich ungleichen Rechtsfolgen bedenkt; s auch Robbers, DÖV 1988, 752: „Nur die im Hinblick auf einen bestimmten Vergleichsgesichtspunkt Gleichen sollen gleich behandelt werden. Damit meint der Gleichheitssatz auch Differenzierung entsprechend der Eigenart des Falles. Insofern bedeutet er ‚Jedem das Seine‘“ (Hervorhebungen nicht im Original); nach Berka, Art 7 B-VG Rz 7, verbietet der Gleichheitssatz Ungleichbehandlungen, „in diesem Sinn [muss] daher Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden“.
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tes dabei naturgemäß jenen Autoren, die von einer Gleichheitspräsumtion oder einem Prinzip der Gleichbehandlung ausgehen91. Nimmt man nämlich einmal an, dass der Gleichheitssatz die Ungleichbehandlung prima facie verbietet, dann lässt sich kaum plausibel erklären, warum der Gleichheitssatz eine solche – zuvor gerade für suspekt erklärte – Ungleichbehandlung anordnen sollte. Manche Autoren nehmen angesichts dessen an, ein Ungleichbehandlungsgebot sei als selbständiger Inhalt des Gleichheitssatzes entbehrlich, weil sich jede Gleichbehandlung durch die Wahl einer entsprechenden Vergleichsgruppe in eine Ungleichbehandlung umformulieren lasse, die sodann problemlos auf ihre gleichheitsrechtliche Zulässigkeit überprüft werden könne92. Das trifft in vielen Fällen auch tatsächlich zu, weil es oft bloß eine Frage der formalen Gestaltung einer Regelung ist, ob sie als Gleichoder als Ungleichbehandlung qualifiziert wird93. Gerade diese Fälle machen aber die Fragwürdigkeit der Gleichheitspräsumtion besonders deutlich: Soweit sich eine Gleichbehandlung nämlich wirklich in eine Ungleichbehandlung umformulieren lässt, sind Gleich- und Ungleichbehandlung ja völlig austauschbar: Warum sollte dann aber nur für die Ungleichbehandlung eine Argumentationslast bestehen?94 ____________________
91 Treffend Huster, Art 3 GG Rz 66: „Eine Dogmatik des Gleichheitssatzes, die von einer Präsumtion zugunsten der Gleichbehandlung im deskriptiven Sinne ausgeht, hat immer mit einem Problem zu kämpfen: dem Gebot der Ungleichbehandlung.“ 92 S Podlech, Gehalt 57 ff, insb 59; Pieroth/Schlink, Grundrechte Rz 436; s auch Rüfner, FS Kriele 271 ff, der dem Gleichheitssatz ein Ungleichbehandlungsgebot auch deshalb nicht entnehmen will, weil ein solches Gebot bereits aus anderen verfassungsrechtlichen Normen folge. 93 S auch Rüpke, FS Ermacora 489, sowie allgemein VfSlg 8017/1977: „Der Gesetzgeber kann ein und denselben Regelungsinhalt auf verschiedene rechtstechnische Weise zum Ausdruck bringen. Es darf nicht von legistischen Zufälligkeiten abhängen, ob der VfGH in die Lage kommt, eine Gesetzesstelle auf ihre Verfassungskonformität zu untersuchen.“ S schließlich als konkretes Beispiel den VfSlg 16.203/2001 zugrunde liegenden Fall, in dem Pensionsbezieher in die Arbeitslosenversicherung einbezogen wurden, obwohl gesetzlich ausgeschlossen war, dass sie je in den Genuss einer Leistung aus dem Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit kommen. Die Pensionisten wurden also einerseits gleich behandelt wie andere Versicherte, andererseits aber anders als Personen, die von vornherein nicht in die Arbeitslosenversicherung einbezogen waren. Ob die Pensionisten nun verlangen, (anders als die anderen Versicherten) nicht in die Arbeitslosenversicherung einbezogen zu werden oder aus ihr (ebenso wie die übrigen Nichtversicherten) ausgenommen zu bleiben, ist ganz gleichgültig. 94 An einem Beispiel verdeutlicht: Unterwirft eine Norm A und B einer Belastung, die C nicht auferlegt ist, dann kann B verlangen, anders als A behandelt zu werden, er kann aber auch geltend machen, dass er gleich wie C zu behandeln sei. Beide Forderungen sind synonym, wenn die Gründe, auf die B seine Forderung nach einer Ungleichbehandlung mit A stützt, die Gleichbehandlung mit C als die einzige gleichheitskonforme Alternative zu der inkriminierten Behandlung erweisen. In diesem Fall ist die Forderung, ungleich behandelt zu werden, tatsächlich bloß eine Paraphrase der Forderung nach Gleichbehandlung. Wer die Gleichbehandlung für grundsätzlich geboten, die Ungleichbehandlung hin-
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Davon abgesehen trifft aber auch nicht zu, dass sich schlechthin jede Gleichbehandlung in eine Ungleichbehandlung umformulieren lässt. Wenn eine Rechtsordnung ausnahmslos alle Rechtsunterworfenen in einer bestimmten Hinsicht schematisch gleich behandelt, etwa Kinder ebenso wie Erwachsene für geschäftsfähig erklärt oder keine wie immer geartete Unterstützung für behinderte, alte oder kranke Menschen gewährt, dann gibt es keine Vergleichsgruppe, mit der das schutzbedürftige Kind, der Unbemittelte oder der körperlich Benachteiligte eine Gleichstellung begehren könnten95. Diesen Personen stünde nur die Forderung nach Ungleichbehandlung offen, die sich auf den allgemeinen Gleichheitssatz jedoch kaum plausibel stützen ließe, wenn dieser die Ungleichbehandlung grundsätzlich verböte96. b. Varianten des Ungleichbehandlungsgebotes aa. Behandlung als gleichwertig Manche Vertreter der Gleichheitspräsumtion scheinen denn auch konsequenterweise anzunehmen, der Gleichheitssatz enthalte gar kein Ungleichbehandlungsgebot97. Auch sie müssen allerdings einräumen, dass es Gleichbehandlungen gibt, die nicht minder bedenklich sind als eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung. Zu denken ist, um nur ein Beispiel zu nennen, an eine Norm, die behinderten ebenso wie allen anderen Kindern Zugang zu einer Einheitsschule verschafft, die bloß auf das „normale“ ____________________
gegen für prinzipiell begründungsbedürftig hält, müsste hier allerdings an die Behandlung des B einander widersprechende Maßstäbe herantragen: Dass er gleich wie A behandelt wird, ließe die zugrunde liegende Norm prima facie gleichheitskonform erscheinen. Diese Gleichbehandlung wäre aber zugleich eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu C, die prima facie verboten und daher rechtfertigungsbedürftig wäre. Ein und dieselbe Norm wäre dann prima facie geboten und prima facie verboten. Solches anzuordnen, kann dem Verfassungsgesetzgeber schwerlich unterstellt werden. Wenn die Gleichheitspräsumtion einen Sinn hat, dann doch nur den, dass sie in scheinbar unentscheidbaren Fällen eine Entscheidungshilfe gibt, für Zweifelsfälle also eine Lösung anbietet. Hier wäre das gerade Gegenteil der Fall: Dass es diese Entscheidungsregel überhaupt gibt, erzeugt eine unlösbare Situation. 95 S auch Huster, Rechte 230 f. 96 Dass sich nicht jede Gleichbehandlung in eine Ungleichbehandlung umformulieren lässt, betont auch Huster, Rechte 230 f; ders, Art 3 GG Rz 69. Gegen den Ausschluss des Ungleichbehandlungsgebotes aus dem allgemeinen Gleichheitssatz auch Osterloh, Art 3 GG Rz 2 f; Rüpke, FS Ermacora 476 ff, 489. Beispiele für ein echtes Differenzierungsgebot finden sich etwa in VfSlg 10.030/1984: die sachlichen Voraussetzungen bei selbständigen und unselbständigen Tätigkeiten und den verschiedenen Berufszweigen können so verschieden sein, dass eine differenzierende Regelung geboten erscheint; VfSlg 16.534/2002: Gleichheitswidrigkeit des § 62 Abs 2 Nö BauO, der einen ausnahmslosen Anschlusszwang vorsah, also auch dann, wenn jemand bereits über eine gleichwertige oder sogar überlegene Abwasserversorgung verfügt. 97 So wohl Somek, Rationalität 43.
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Kind maßgeschneidert ist. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Norm behinderte Kinder – gerade weil sie sie gleich behandelt wie Kinder, die nicht behindert sind – im Ergebnis benachteiligt, ihnen und nur ihnen nämlich keine adäquate Bildung ermöglicht. Dass eine solche Gleichbehandlung bedenklich ist, kann schwer geleugnet werden und muss auch nicht geleugnet werden, wenn man sich von der Vorstellung löst, dass sich der Gleichheitssatz nur gegen die (formale) Ungleichbehandlung der Rechtsunterworfenen richtet. Auch das zeigt die Entstehungsgeschichte dieses Grundrechts, insbesondere die Debatte im Reichstag von Kremsier. Die Abgeordneten dieses Gremiums brachten den Gleichheitssatz immer wieder mit der Achtung des Einzelnen als Person in Verbindung98 und sahen dementsprechend in den Adelsvorrechten auch „nicht bloße Vorzüge, sondern eine Erniedrigung, eine Entwürdigung der Majorität, die diese Vorrechte, diese Vorzüge nicht genießt“99. Es war also offenbar nicht so sehr die Ungleichbehandlung als solche, gegen die sich die Abgeordneten unter dem Titel des Gleichheitssatzes wandten. Was ihren Widerstand erregte, war vielmehr die in dieser Ungleichbehandlung zum Ausdruck kommende Herabsetzung jener Menschen, die von diesen Vorzügen ausgeschlossen blieben, der Umstand, dass ihr Anspruch, als Person anerkannt und gleich geachtet zu werden, verletzt worden war. Folgerichtig ordnete der Gleichheitssatz des Kremsierer Grundrechtskataloges auch gar nicht an, dass alle Staatsbürger gleich zu behandeln sind; denn darauf kam es nicht entscheidend an. Dieser Gleichheitssatz spricht vielmehr ebenso wie später Art 2 StGG und wie der nunmehr geltende Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG aus, dass alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind. Dieser Satz steht unübersehbar in einem Gegensatz zu der Tatsache, dass sich die Menschen in der Realität in unendlich vielen Gesichtspunkten voneinander unterscheiden. Werden sie dennoch für „gleich“ erklärt, dann kann dies nur bedeuten, dass sie vor dem Gesetz als Person gleichwertig sind – trotz oder gerade aufgrund der Unterschiede, die im Tatsächlichen zwischen ihnen bestehen100. Ist die Gleichwertigkeit jedes Staatsbürgers als Person aber die zentrale Aussage und innere Begründung des Gleichheitssatzes, dann zwingt nichts mehr zur Annahme, dass dieser ____________________
98 S etwa Hein, StenProtRT 68. Sitzung am 9. Jänner 1849, 315: „Im Rechtsstaate, der jeden Einzelnen als Person gleichachtet, muß auch die Gleichheit Aller vor dem Gesetze ausgesprochen werden“ (Hervorhebungen nicht im Original); s auch Wildner, StenProtRT 89. Sitzung am 14. Februar 1849, 132, der von der gleichen Würde des Menschen ausging, um den gleichen Schutz aller Religionsgesellschaften zu begründen. 99 So Klaudi, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 414 (Hervorhebung nicht im Original). 100 S auch Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 1; treffend auch Asserate, Manieren 364, für die religiöse Gleichheit, die das Christentum schon viel früher gefordert hatte: „Daß die Menschen gleich seien, mußte man glauben – sehen konnte man das nicht.“
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Anspruch nur durch eine Gleichbehandlung erfüllt werden könnte101, im Gegenteil: Auch eine schematische Gleichbehandlung kann – wie das Beispiel der behinderten Kinder zeigt – dazu führen, dass Rechtsunterworfene aufgrund ihrer speziellen Ausgangslage im Ergebnis von den Vorteilen einer Norm ausgeschlossen bleiben oder dass sie die durch diese Norm angedrohten Nachteile anders als alle anderen Rechtsunterworfenen nicht oder nur unter unzumutbaren Anstrengungen abwenden können. Diese Personen werden dann zwar formal gleich behandelt; tatsächlich werden sie aber in ihrer Eigenheit ignoriert und damit gerade nicht als Gleichwertige behandelt, sondern so, als gäbe es sie nicht. Dass alle Staatsbürger als Person gleichwertig sind, heißt also keineswegs, dass es mit ihrer Gleichbehandlung schon getan ist. bb. Ungleichbehandlung nach einem bestimmten Maßstab Somek meint, in einem Fall wie dem geschilderten wäre „eine Regelung, die vordergründig als Gleichbehandlung auftritt, der Ungleichbehandlung überführt“. Von derart versteckten Diskriminierungen abgesehen scheint er ein aus dem Gleichheitssatz resultierendes Ungleichbehandlungsgebot aber abzulehnen102. Ausgehend von seiner Grundannahme, der Gleichheitssatz sei nur als Antidiskriminierungsgrundsatz zu verstehen, ist dies auch konsequent. Ein derart reduziertes Verständnis des Gleichheitssatzes wird aber, wie gezeigt, der entstehungsgeschichtlich belegbaren Bedeutungsvielfalt dieses Grundrechts nicht gerecht103. So ist auch nicht überraschend, dass dem allgemeinen Gleichheitssatz historisch durchaus Ungleichbehandlungsgebote entnommen wurden, die sich nicht in einem Diskriminierungsverbot erschöpften: Zu denken ist zunächst an § 1 des Kremsierer Grundrechtsentwurfes, der zur näheren Verdeutlichung des allgemeinen Gleichheitssatzes ua anordnete, dass zu öffentlichen Auszeichnungen oder Belohnungen „nur das persönliche Verdienst [berechtigt]“. Dass diese Vorschrift dem Gleichheitssatz zuzuordnen ist, wurde weder im Ausschuss noch im Plenum in Zweifel gezogen104. Anderes galt in dieser Hinsicht zunächst für den sechsten Satz des § 1, nach dem öffentliche ____________________
101 S schon Leibholz, Gleichheit 45 f. Ganz problemlos lässt sich ein Gebot der Ungleichbehandlung auch begründen, wenn man aus dem Gleichheitssatz das Recht ableitet, „als Gleicher“ behandelt zu werden oder wenn man diesem Grundrecht die Forderung entnimmt, „die Interessen aller gleichermaßen zu berücksichtigen“; s etwa Dworkin, Bürgerrechte 370, der zwischen dem Recht auf gleiche Behandlung und dem Recht, als ein Gleicher behandelt zu werden, unterscheidet: Letzteres ist das grundlegende Recht, aus dem das Recht auf gleiche Behandlung nur abgeleitet ist; dazu auch Huster, Rechte 42; ders, Art 3 GG Rz 38. 102 Somek, Der Staat 2004, 431. 103 S schon oben C.III.5. 104 S dazu oben B.II.2.b.
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Ämter und Staatsdienste für alle dazu befähigten Staatsbürger gleich zugänglich sind: Im Ausschuss wurde zum Teil noch bestritten, dass die Vergabe eines Amtes nach der Befähigung aus dem Gleichheitssatz folge105; bereits im Plenum wurde dies aber nicht mehr in Frage gestellt106. Zu denken ist schließlich auch an die besondere Bedeutung, die der Gleichheitssatz seit jeher für die Besteuerung der Rechtsunterworfenen hatte: Er wandte sich vornehmlich gegen die Ausnahme ganzer Personengruppen, insbesondere des Adels von der Steuerpflicht, ordnete deshalb aber keineswegs an, dass alle Rechtsunterworfenen eine Steuer in der selben Höhe entrichten müssen. Explizit bestimmt denn auch der Grundrechtsentwurf von Kremsier in § 24, dass „Jedermann […] nach Maßgabe seines Vermögens und Einkommens zu den Lasten des Staates beizutragen“ habe. Diese drei Grundsätze – Auszeichnungen sind nach dem Verdienst, Ämter nach der Befähigung und Steuern nach der Leistungsfähigkeit zu verteilen – können nicht nur aufgestellt worden sein, um eine Verteilung nach diskriminierenden Kriterien, insbesondere nach Stand und Geburt zu verhindern. Denn eine derart diskriminierende Verteilung war bereits durch die in § 1 ausdrücklich angeordnete Abschaffung aller Standesvorrechte untersagt107. Der Reichstag von Kremsier legte also nicht nur fest, nach welchen Kriterien eine Verteilung nicht stattfinden darf; er bestimmte auch, nach welchen Kriterien eine Verteilung vorzunehmen, nach welchem Maßstab also ungleich zu behandeln ist. c. „Entsprechend“ ungleiche Behandlung Sowohl historische Gründe als auch der Wortlaut des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG sprechen daher dafür, dem allgemeinen Gleichheitssatz neben dem Gebot, wesentlich Gleiches (formal) gleich zu behandeln, auch ein Gebot zu entnehmen, wesentlich Ungleiches (formal) ungleich zu behandeln. Der geläufige Satz, wesentlich Ungleiches müsse ungleich behandelt werden, ist allerdings ähnlich unpräzise wie der Satz, wesentlich Gleiches sei gleich zu behandeln108. Denn dem Ungleichbehandlungsgebot ist nicht schon durch die Ungleichbehandlung als solche Genüge getan: Dass Kinder und Erwachsene im Hinblick auf ihre Geschäftsfähigkeit ungleich behandelt werden müssen, heißt nicht, dass Erwachsene für geschäftsunfähig und Kinder für geschäftsfähig erklärt werden sollen. Es genügt keineswegs, dass sie schlechthin, also in irgendeiner Weise anders behandelt werden: Gefordert ist, dass sie „entsprechend“ ungleich, also in einer Weise behandelt ____________________
105 106 107 108
S dazu oben B.II.1.b. S dazu oben B.II.2.b. S näher oben B.II.2.b. Dazu oben C.IV.1.b. und C.IV.1.c.
Modell 2: Gleichbehandlung des Gleichen, Ungleichbehandlung des Ungleichen
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werden, die ihrer spezifischen Ausgangslage adäquat ist109. Während das Gleichbehandlungsgebot sich damit begnügt, dass „jedem das Gleiche“ gegeben wird, verlangt das Ungleichbehandlungsgebot somit, dass „jedem das Seine“ zugestanden wird110. Es versteht sich von selbst und wurde auch schon vielfach festgestellt, dass diese „proportionale“, „geometrische“ – auf Ungleichbehandlung angewiesene – Gleichheit viel schwerer herzustellen ist als die „arithmetische“ Gleichheit, die sich mit einer formalen Gleichbehandlung begnügt111. d. Besondere Begründungslast des Ungleichbehandlungsgebotes Dem allgemeinen Gleichheitssatz ist nach all dem sowohl ein Gleichals auch ein Ungleichbehandlungsgebot zu entnehmen, und beide Gebote stehen grundsätzlich gleichwertig nebeneinander. Innerhalb des Ungleichbehandlungsgebotes sind drei Fallgruppen voneinander zu unterscheiden: Wer eine Ungleichbehandlung verlangt, die sich ebenso gut als eine Gleichbehandlung formulieren lässt, fordert in Wahrheit, dass er einem Maßstab bzw einer Regel entsprechend behandelt wird, die er als solche anerkennt. Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn der Gesetzgeber einen bestimmten Sachverhalt besteuert, weil dieser der Allgemeinheit Kosten verursacht. Alle Personen, die diesen Sachverhalt verwirklichen, müssen dann eine Steuer entrichten. Umgekehrt müssen alle Personen, die diesen Sachverhalt nicht verwirklichen, von einer Steuer frei bleiben. Ob der Einzelne nun verlangt, gleich wie die eine oder anders als die andere Gruppe behandelt zu werden, ist völlig unerheblich, seine Forderung wird, wie immer er sie formuliert, stets auf dasselbe hinauslaufen: Er will der Regel, dass (nur) kostenverusachendes Verhalten besteuert wird, entsprechend behandelt werden. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei damit nur eine Forderung an die Vollziehung formuliert, die eine bestehende Vorschrift anzuwenden habe. Doch dieser Eindruck trügt; knüpft der Gesetzgeber nämlich die Steuer nicht unmittelbar an den kostenverursachenden ____________________
109 S in diesem Sinne etwa VfSlg 5356/1966: Der Gleichheitssatz „verbietet dem Gesetzgeber, sachlich Gleiches ungleich zu behandeln, er verbietet aber nicht, verschiedene tatsächliche Gegebenheiten entsprechend unterschiedlich zu behandeln.“ S auch Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 14: „Ungleiches kann nach seiner Eigenart verschieden behandelt werden.“ Ebenso etwa BVerfGE 9, 124 (129 f ), wonach der Gleichheitssatz den Gesetzgeber verpflichten könne, Ungleiches „nach seiner Eigenart zu behandeln“. 110 Ermacora/Klecatsky/Ringhofer, ÖJZ 1959, 30; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 15. Dabei wird nicht verkannt, dass die Formel „Jedem das Seine“ völlig offen, in jede, selbst in die missbräuchlichste Richtung ausfüllbar und folglich schwer belastet ist, s Walter, FS Mayer-Maly 214. 111 S schon Kelsen, Illusion 221; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1348; s zur Bedeutung dieser beiden Aspekte der Gleichheit für den Bundesstaat Gamper, FS Pernthaler 143 ff.
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Allgemeine Probleme
Sachverhalt, sondern an einen Sachverhalt, der solche Kosten nur typischerweise verursacht, dann liegt bereits eine Abweichung von der Regel vor: Alle atypischen Fälle werden dann gerade nicht der Regel entsprechend behandelt. Sie müssen entweder Steuer bezahlen, obwohl sie keine Kosten verursachen, oder sie bleiben, obwohl sie solche Kosten hervorrufen, von der Steuer frei. Neuerlich kann der Rechtsunterworfene hier eine Gleichbehandlung ebenso wie eine Ungleichbehandlung verlangen; für diese beiden Forderungen eine unterschiedliche Begündungslast anzunehmen, wäre ganz unplausibel. Denn letztlich laufen beide Forderungen immer darauf hinaus, dass der Rechtsunterworfene der Regel entsprechend behandelt wird, die der konkreten Norm „eigentlich“ zugrunde liegt. Die Regel selbst wird dabei gar nicht hinterfragt; sie wäre auch nicht zu beanstanden: Zwischen Personen, die der Allgemeinheit Kosten verursachen und Personen, auf die das nicht zutrifft, besteht ein wesentlicher Unterschied; sie dürfen daher steuerrechtlich ungleich behandelt werden. Dass eine Ungleichbehandlung mit wesentlichen Unterschieden begründet werden kann, bedeutet noch nicht, dass sie deshalb auch vorgenommen werden muss112. Die „wesentlichen“ Unterschiede, die eine Differenzierung erlauben, sind daher – auch wenn dies in der Gleichheitsformel nicht zum Ausdruck kommt – nicht synonym mit jenen „wesentlichen“ Unterschieden, die eine Ungleichbehandlung gebieten. Wird eine Ungleichbehandlung mit der Begründung verlangt, eine Gleichbehandlung führe im Ergebnis zu einer Benachteiligung bestimmter Personen, so muss zunächst bedacht werden, dass Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG ebenso wie seine Vorgängerbestimmungen keine Gleichheit im Tatsächlichen gewährt, sondern nur Gleichheit „vor dem Gesetz“. Diese Wendung stellt klar, dass der Gesetzgeber nicht initiativ werden muss, um die zwischen den Menschen tatsächlich bestehenden Unterschiede einzuebnen113. Dass Menschen sich faktisch voneinander unterscheiden, wird in Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG vielmehr vorausgesetzt und akzeptiert. In gewissem Ausmaß muss der Gleichheitssatz daher auch billigend in Kauf nehmen, dass die Anwendung ein und derselben Norm für unterschiedliche Rechtsunterworfe____________________
112 Zutreffend hat der VfGH dementsprechend betont, dass auch mehrere, inhaltlich voneinander abweichende Bestimmungen gleichheitsgemäß sein können (VfSlg 9217/ 1981, 14.301/1995) bzw dass der Gleichheitssatz den Gesetzgeber nicht zu einer bestimmten Lösung eines Problems zwingt (VfSlg 8650/1979). S auch VfSlg 12.005/1989: „Es kann dahingestellt bleiben, ob [bestimmte] Erwägungen […] die Nichteinbeziehung der Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen in den Geltungsbereich des [Bauarbeiter-SchlechtwetterentschädigungsG] gebieten. Jedenfalls kann eine solche Nichteinbeziehung mit den ins Treffen geführten Argumenten gerechtfertigt werden“ (Hervorhebung nicht im Original); s zur Unhaltbarkeit der Annahme, dass jede begründete Differenzierung zugleich geboten ist, auch Rüfner, FS Kriele 272; s auch Pöschl, JBl 1997, 426. 113 C.II.
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ne verschiedene Folgen hat, den einen somit schwerer und den anderen weniger schwer trifft, diesem mehr nützt und jenem weniger114. Denn das „Gesetz“, vor dem die Staatsbürger gleich sind, ist als generelle Norm auf Verallgemeinerung angewiesen115. Es gehört zu seinem Wesen, von den zwischen den Rechtsunterworfenen bestehenden tatsächlichen Unterschieden in bestimmtem Umfang zu abstrahieren116. Dass eine Norm aufgrund ihrer ungleichen Auswirkungen einer Gleichheitsprüfung unterzogen werden soll, bedarf daher immer einer besonderen Begründung: Es genügt nicht, dass zwischen den ungleich zu behandelnden Personen ein wesentlicher Unterschied besteht und dass die Gleichbehandlung dieser Personen für sie ungleiche Folgen hat. Es muss auch dargetan werden, dass diese Folgen nicht marginal sind117 und dass sie nicht diffus auftreten, sondern eine legistisch durchaus fassbare Personengruppe treffen, deren Berücksichtigung also nicht schon an rechtstechnischen Hindernissen scheitern konnte. Eine Norm, die den Unterricht für behinderte und nicht behinderte Kinder gleich regelt, mag hiefür als Beispiel dienen: Sie trifft behinderte Kinder zum einen spürbar, zum Zweiten nicht diffus. Da ____________________
114 S in diesem Sinn zB VfSlg 2423/1952, wonach durch den Gleichheitssatz nicht ausgeschlossen ist, dass die Anwendung eines und desselben Gesetzes bei verschiedenen Staatsbürgern zu verschiedenen Ergebnissen führt. S auch Stelzer, DRdA 2001, 512 f: „Nun ist von vornherein klar, dass wahrscheinlich kaum eine Regelung denkbar ist, die die von ihr betroffenen Menschen nicht faktisch unterschiedlich trifft. Das allein kann also noch kein Gleichheitsproblem ausmachen.“ 115 S zB VfSlg 10.455/1985, 14.301/1995, 15.031/1997: Ein Gesetz ist nicht schon dann gleichheitswidrig, wenn sein Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen wird. S auch Robbers, DÖV 1988, 750; wie auch Rüfner, FS Kriele 271 f, zutreffend feststellt, ist das scheinbar paradoxe Ergebnis, dass eine Gleichbehandlung wegen ungleicher Voraussetzungen stets ungleiche Wirkungen hat, unvermeidbar, weil jede Rechtsordnung trotz vorhandener Ungleichheit allgemein gültige Regeln aufstellen muss; dazu noch näher unten D.I.8. 116 S schon VfSlg 3790/1960: „Der Gleichheitssatz wäre überfordert, wollte man ihm das Gebot einer die Lage jedes einzelnen Falles berücksichtigenden Regelung unterlegen. Das würde letzten Endes die Auflösung jeder generellen Norm bedeuten.“ S ferner K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 175; Ipsen, Gleichheit 180; Rüfner, FS Kriele 271 f; Starck, Art 3 GG Rz 9, sowie noch näher unten D.I.8. 117 Dass es erforderlich sein kann, die Folgen einer Rechtsnorm in die Gleichheitsprüfung einzubeziehen, nimmt auch der VfGH an, wenn er feststellt: „Grundsätzlich steht es dem Gesetzgeber frei zu entscheiden, welche Mittel er – unter Berücksichtigung allfälliger erwünschter oder in Kauf genommener Nebenwirkungen – jeweils als zur Zielerreichung geeignet erachtet“ (zB VfSlg 11.639/1988 [Hervorhebung nicht im Original], s auch VfSlg 14.644/1996, 16.582/2002). Dass eine Gleichbehandlung bedenklich wird, wenn sie ungleiche Folgen von einigem Gewicht zeitigt, ist ein Gedanke, der der Grundrechtsdogmatik an sich vertraut ist: Auch bei den Freiheitsrechten kann sich die Frage stellen, ob eine Norm, die an eine geschützte Handlung zwar keine rechtlichen Nachteile knüpft, sich auf diese Handlung aber faktisch nachteilig auswirkt, als Eingriff in das Freiheitsrecht anzusehen ist: Sind diese faktischen Nachteile von spürbarem Gewicht, so nimmt die überwiegende Ansicht mE zu Recht einen mittelbaren Eingriff an, der den Anforderungen des jeweiligen Grundrechts entsprechen muss; s dazu mwN Pöschl/Kahl, ÖJZ 2001, 41 ff.
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behinderte Kinder als Gruppe legistisch leicht erfassbar sind, ist ihre Vernachlässigung nicht schon eine rechtstechnische Notwendigkeit, die jedenfalls hingenommen werden müsste. Anspruchvoller als die Forderung, im Ergebnis gleich bzw nicht krass ungleich behandelt zu werden, ist die dritte Forderung, die sub titulo Ungleichbehandlungsgebot erhoben werden kann, die Forderung nämlich, einem bestimmten Maßstab entsprechend behandelt zu werden, der dem einfachen Gesetzgeber vorgegeben ist. Dieser habe etwa Rechtsunterworfene nach ihrer Leistungsfähigkeit zu besteuern, nach ihrer Schuld zu bestrafen, Belohnungen nur nach dem Verdienst zu vergeben oder soziale Unterstützung nur nach Bedürftigkeit zu gewähren. Auch wenn sich dies nicht auf den ersten Blick erschließt, wird die Ungleichbehandlung in solchen Fällen nicht absolut, sondern nur relativ verlangt. Gefordert wird nicht, dass der Gesetzgeber überhaupt besteuert, bestraft, belohnt oder unterstützt. Es wäre ihm daher auch erlaubt, auf Belastungen und Vergünstigungen für alle Rechtsunterworfenen gleichermaßen zu verzichten. Erst wenn er sich dazu entschließt, zu besteuern, zu strafen, zu belohnen oder zu unterstützen, muss er dies – so der Inhalt dieser Forderungen – nach einem bestimmten Maßstab tun, den das „Ungleichbehandlungsgebot“ ihm vorgibt. Dass dem allgemeinen Gleichheitssatz derartige Differenzierungsgebote zu entnehmen sind, ist, wie gezeigt, entstehungsgeschichtlich nachweisbar118. Ob und inwieweit der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber gebietet, in bestimmten Materien nach bestimmten Kriterien zu differenzieren, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei kommt nicht nur eine historische Auslegung in Betracht. Auch eine systematische Betrachtung der übrigen Verfassung kann ergeben, dass Personen in bestimmter Hinsicht als wesentlich ungleich anzusehen und dementsprechend zu behandeln sind119. Stets bedarf die Annahme einer solchen Differenzierungspflicht aber einer besonderen Begründung. Gelingt sie nicht, dann ist von einer Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auszugehen. Für die drei Unterfälle des gleichheitsrechtlichen Ungleichbehandlungsgebotes besteht nach alldem eine unterschiedliche Begründungslast. Im ersten Fall wird nur die Forderung erhoben, einer Regel entsprechend behandelt zu werden, die der Gesetzgeber selbst aufgestellt hat. Ob man diese Forderung als ein Verlangen nach Gleich- oder nach Ungleichbehandlung vorträgt, ist ganz unerheblich. Dementsprechend trifft denjenigen, der hier eine Ungleichbehandlung verlangt, auch keine höhere Begründungslast als den, der eine Gleichbehandlung verlangt. Anderes gilt für den zweiten und den dritten Unterfall des Ungleichbehandlungsgebo____________________
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C.IV.2.b.bb. Beispiele dafür unten E.IV.4., F.II.5.a., G.III.3.b.bb. und cc., H.VI.2.
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tes. Das Verlangen, zur Erreichung gleicher Ergebnisse ungleich behandelt zu werden, setzt einen erhöhten Begründungsaufwand voraus, ebenso die Forderung, einem bestimmten Maßstab entsprechend behandelt zu werden, der dem einfachen Gesetzgeber vorgegeben ist. Dies wurde in der älteren Rechtsprechung und Literatur zum Ausdruck gebracht, indem für das Ungleichbehandlungsgebot „zwingende“ Gründe gefordert wurden120. In der jüngeren Rechtsprechung und Literatur kommt dieser unterschiedliche Begründungsaufwand bisweilen nicht zureichend zum Ausdruck, wenn dem allgemeinen Gleichheitssatz als ebenbürtige Forderungen einerseits ein Gleichbehandlungs-, andererseits aber auch ein Ungleichbehandlungsgebot entnommen wird. Diese Gleichrangigkeit ist nur gerechtfertigt, soweit dem Ungleichbehandlungsgebot Fälle unterstellt werden, in denen eine Differenzierung gefordert wird, die sich bei einer entsprechenden Wahl der Vergleichsgruppe ebenso gut als eine Gleichbehandlung artikulieren ließe. e. Asymmetrie des Ungleichbehandlungsgebotes? Mitunter wird der Unterschied zwischen dem Gleich- und dem Ungleichbehandlungsgebot in der Literatur allerdings auch zu hoch veranschlagt, so, wenn Vertreter der Gleichheitspräsumtion annehmen, beide Forderungen seien asymmetrisch: Die Gleichbehandlung sei schon dann geboten, wenn nichts gegen sie spricht. Eine Ungleichbehandlung müsse hingegen erst vorgenommen werden, wenn kein zureichender Grund für eine Gleichbehandlung vorliegt. Diese Asymmetrie, so wird behauptet, sei erforderlich, zum einen, weil der allgemeine Gleichheitssatz andernfalls seine Richtung auf Gleichheit verlöre121, zum anderen, weil er den Gesetzgeber sonst von zwei Seiten „in die Zange“ nehme und ihn dadurch in unzulässiger Beschränkung seines Gestaltungsspielraumes zwinge, so und nicht anders zu handeln122. ____________________
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S dazu die Nachweise in FN 86 und FN 89. Alexy, Grundrechte 372; s auch schon Podlech, Gehalt 56; s auch Rüfner, FS Kriele 279: „Ein Gebot der Ungleichbehandlung ist mit der Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht vereinbar“. Auch Somek, Rationalität 42, nimmt an, dass der Gleichheitssatz „seine spezifische Bedeutung verliert“, wenn man ihm eine symmetrische Vermutung sowohl zugunsten der Gleich- als auch der Ungleichbehandlung entnimmt, weil daraus folgt, dass jede Regelung die gleiche Begründungslast trägt. Dieser Vorwurf trifft die hier vertretene Position nicht, weil sie – aus den genannten Gründen – weder eine Argumentationslast zuungunsten der Ungleichbehandlung annimmt noch eine symmetrische Vermutung zugunsten der Ungleichbehandlung. 122 Podlech, Gehalt 57; ihm folgend Alexy, Grundrechte 371; s auch Rüfner, FS Kriele 279; die These Podlechs als „[z]u weitgehend“ qualifiziert Somek, Rationalität 42 FN 7. 121
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Das erste Argument birgt einen Widerspruch in sich: Wenn das Ungleichbehandlungsgebot den allgemeinen Gleichheitssatz in Gefahr brächte, seine Richtung auf Gleichheit zu verlieren, dann wäre nicht begründbar, dass ein solches Gebot dem allgemeinen Gleichheitssatz überhaupt entnommen werden kann. Tatsächlich sind die Gründe, die die Vertreter eines asymmetrischen Gleichheitsverständnisses für die Existenz eines Ungleichbehandlungsgebotes anführen, auch nicht recht überzeugend: Alexy meint etwa, ein solches Gebot müsse nur dann verneint werden, wenn es unumgänglich wäre, dies sei jedoch nicht der Fall: „Man kann durchaus beides haben, eine Richtung auf Gleichheit und sowohl eine Gleichbehandlungs- als auch eine Ungleichbehandlungsnorm. Um beides haben zu können, darf der Ungleichbehandlungsnorm freilich nicht [...] die gleiche Struktur wie der Gleichbehandlungsnorm [...] gegeben werden.“123 Die Begründung für das Ungleichbehandlungsgebot erschöpft sich damit letztlich in der Feststellung, dass auf ein solches Gebot nicht verzichtet werden muss; die eigentlich entscheidende Frage, wie ein solches Gebot aus dem Gleichheitssatz abgeleitet werden kann, bleibt damit aber unbeantwortet. Nach der hier vertretenen Auffassung folgt dieses Gebot aus dem Gleichheitssatz nur dann, wenn man „Gleichheit“ nicht unbesehen mit „Gleichbehandlung“ identifiziert, sondern sie als Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Bürger als Person versteht. Diese Gleichwertigkeit kann dann – je nach Fallkonstellation – eine Gleichbehandlung ebenso fordern wie eine Ungleichbehandlung, für letztere müssen allerdings aus den genannten Erwägungen besondere Gründe beigebracht werden. Das Ungleichbehandlungsgebot läuft so verstanden gerade nicht Gefahr, dem allgemeinen Gleichheitssatz seine Richtung auf Gleichheit zu nehmen, eher im Gegenteil: Es setzt diese Richtung vielmehr fort, ergänzt sie also dort, wo mit einer formalen Gleichbehandlung kein Auslangen gefunden werden kann124. Das zweite Argument, das für die Asymmetrie zwischen Gleich- und Ungleichbehandlungsgebot ins Treffen geführt wurde – die Notwendigkeit, den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht übermäßig zu beschränken – begegnet zunächst dem Einwand, dass nicht der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers den Inhalt des Gleichheitssatzes bestimmen kann. Es ist vielmehr umgekehrt der Gleichheitssatz, der den Gestaltungs____________________
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Alexy, Grundrechte 372. S schon Leibholz, Gleichheit 45 f, nach dem in „Wirklichkeit [...] die differenzierenden Normen geradezu als Ausdruck des Gleichheitsgedankens [erscheinen]“; s weiters Pfeifer, Expertenkollegium 241, nach dem ein Egalitätsprinzip, das so weit verstanden und überspannt werde, dass man auch etwas, das „wirklich ungleich ist“, gleich behandeln will, mit dem „richtig verstandenen Gleichheitssatz [in Widerspruch gerate]“. 124
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spielraum des Gesetzgebers beschränkt125. Eine Aufhebung dieser Gestaltungsfreiheit wäre außerdem bei einer Symmetrie von Gleich- und Ungleichbehandlungsgebot nur dann zu besorgen, wenn zwei Personengruppen oder Sachverhalte nur entweder wesentlich gleich oder aber wesentlich ungleich sein könnten126 und wenn außerdem jeder Unterschied, der eine Ungleichbehandlung erlaubt, auch immer zu einer Ungleichbehandlung verpflichtet. Wäre dies der Fall, dann beließe ein symmetrisches Gleich- und Ungleichbehandlungsgebot dem Gesetzgeber tatsächlich keinen Gestaltungsspielraum mehr: Er müsste dann immer entweder gleich oder ungleich behandeln, ohne dass Konstellationen denkbar wären, in denen er sowohl das eine als auch das andere tun kann. Dies ist indes nicht der Fall. Denn es ist erstens ohne weiteres denkbar, dass zwei Personengruppen in einer Hinsicht wesentlich gleich, in anderer Hinsicht aber wesentlich ungleich sind127. In einem solchen Fall steht es dem Gesetzgeber frei, sie gleich oder ungleich zu behandeln, weil er sie sowohl gleich als auch ungleich gar nicht behandeln kann und weil im Zweifel, also in Ermangelung einer eindeutigen Handlungspflicht von der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auszugehen ist128. Zweitens kann die Forderung nach einer Ungleichbehandlung, wie gezeigt, nicht allein auf den Umstand gestützt werden, zwischen zwei Personen bestünden wesentliche Unterschie____________________
125 S auch Peine, Systemgerechtigkeit 105 f, der treffend feststellt, dass die Erhaltung der Gestaltungsfreiheit nur die Konsequenz, nicht aber die Prämisse verfassungsrechtlicher Untersuchungen sein kann. 126 Von dieser Annahme geht wohl Somek, Rationalität 43 f, aus. 127 S dazu die Beispiele oben in FN 80. 128 S schon oben C.IV.1.c., C.IV.2.d. Nach Huster, Rechte 232, lässt sich das „Prinzip der Gleichheit“ nicht dadurch aufrechterhalten, dass für die Ungleichbehandlung dem Staat und für die Gleichbehandlung dem Bürger die Argumentationslast auferlegt wird. Denn dabei würde die Bedeutung der Asymmetrie überschätzt: Sobald nämlich eine Seite einen Grund für die von ihr bevorzugte Behandlung geltend macht, sei die Gegenseite gezwungen, auf dieses Argument zu antworten; es sei dann „ziemlich egal, wer letztlich die ‚Argumentationslast‘ trägt“. Versteht man die Argumentationslast nur in diesem Sinn, ist sie tatsächlich bedeutungslos, denn wer letztlich die Diskussion „eröffnen“ muss, kann keine Rolle spielen. Gewicht kommt einer ungleichen Verteilung der Argumentationslast nur dann zu, wenn man sie als eine Regel für Zweifelsfälle versteht, also so, dass die Gründe, die für die Ungleichbehandlung sprechen, stärker sein müssen als die Gründe, die gegen sie sprechen, sodass bei einem Gleichgewicht der Gründe nicht ungleich behandelt werden darf. ME macht eine ungleiche Verteilung der Argumentationslast nur so verstanden überhaupt einen Sinn, und sie „passt“ dann auch auf jene Situation, in der sich Staat und Bürger nicht in einem Prozess (etwa in einem Normprüfungsverfahren vor dem VfGH) gegenüberstehen: nämlich auf den Zeitpunkt der Erlassung einer Norm. Soll der allgemeine Gleichheitssatz seine Funktion erfüllen, dem Gesetzgeber eine Schranke zu ziehen, dann muss er gerade für diesen Zeitpunkt Direktiven bereithalten. Aus den dargelegten Gründen kann diese Direktive allerdings nicht darin bestehen, dass die Ungleichbehandlung schlechthin mit der Vermutung der Unzulässigkeit belastet ist. Die Zweifelsregeln, die dem Gleichheitssatz entnommen werden können, sind wesentlich differenzierter, s dazu noch näher C.V.
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de: Sonst müsste nämlich eine Ungleichbehandlung, die durch wesentliche Unterschiede begründet werden kann, immer zugleich auch geboten sein. Dass dies nicht richtig sein kann129, ist evident; soweit ersichtlich, wird dies auch nirgendwo vertreten. Der Einwand, ein symmetrisches Ungleichbehandlungsgebot beschränke den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu stark, weil es ihn dazu verpflichte, so und nicht anders zu handeln, könnte aber noch eine weitere Zielrichtung haben: Wie gezeigt, kann unter dem Titel des Ungleichbehandlungsgebotes nämlich auch die Forderung erhoben werden, der Gesetzgeber habe Rechtsunterworfene nach einem bestimmten Maßstab ungleich zu behandeln. Ihm steht dann zwar frei, ob er handelt; wenn er dies aber tut, muss er sich an jenen Maßstab halten. Dann ist er tatsächlich dazu verpflichtet, in einer ganz bestimmten Weise zu handeln. Derart (relative) Handlungspflichten beschränken zwar den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Sie sind allerdings auch bei einem asymmetrischen Gleichheitsverständnis nicht ausgeschlossen. Denn auch ein Ungleichbehandlungsgebot, das erst eingreift, wenn kein zureichender Grund für eine Gleichbehandlung vorliegt, wird den Gesetzgeber dazu verpflichten, nach einem ganz bestimmten Kriterium zu differenzieren. Das Problem des Ungleichbehandlungsgebotes besteht in Wahrheit auch gar nicht darin, dass es dem Gesetzgeber eine eindeutige Handlungspflicht auferlegt. Das Problem besteht vielmehr darin herauszufinden, wie der Gesetzgeber handeln, nach welchem Kriterium er also differenzieren, an welchen Maßstab er sich halten muss. Diese Frage zu beantworten, mag im Einzelfall schwierig sein. Das allein kann aber nicht dazu führen, sie erst gar nicht zu stellen, zumal auch sie nicht in unlösbare Situationen führt: Lässt sich durch Auslegung des Gleichheitssatzes nämlich nicht eindeutig ermitteln, dass der Gesetzgeber bestimmte Personen in bestimmter Weise (ungleich) behandeln muss, dann fehlt es eben an einer Handlungspflicht. Die Gestaltungsfreiheit, die die Vertreter des asymmetrischen Gleichheitsverständnisses aufrechterhalten wollen, stellt sich damit auch ohne Asymmetrie ein.
3. Was ist „wesentlich“? a. Der historisch feststehende Wertungsbestand So überzeugt die überwiegende Lehre in Österreich davon ist, dass nach Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist, so sicher ist sie umgekehrt, dass der Gleichheitssatz keine Auskunft darüber gibt, was im jeweiligen Fall als ____________________
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S schon oben C.IV.2.d.
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„wesentlich“ anzusehen ist. Die Beantwortung dieser Frage sei vielmehr in hohem Maß von Wertungen abhängig130. Tatsächlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Wesentlichkeit zu unterschiedlichen Zeiten verschieden beurteilt werden kann. So selbstverständlich man im 19. Jahrhundert Stand, Bekenntnis und Geschlecht als legitime Unterscheidungsmerkmale ansah, so evident ist aus heutiger Sicht, dass diese Merkmale im Regelfall keinen rechtlich relevanten Unterschied zwischen Menschen begründen. Das bedeutet indes nicht, dass die Feststellung, was wesentlich ist, völlig beliebig ist. Denn Differenzierungsmerkmale, die im Laufe der Geschichte einmal explizit verworfen worden sind, werden in der Regel auch weiterhin als unwesentlich angesehen. Die Beurteilung der Wesentlichkeit scheint also ein fortschreitender Erkenntnisprozess zu sein, der dazu führt, dass dem Gleichheitssatz immer wieder neue Bedeutungsinhalte entnommen werden131, während alte Bedeutungsinhalte erhalten bleiben und unvermindert weiter wirken132. Der Inhalt, der dem allgemeinen Gleichheitssatz historisch beigelegt wurde, ist daher nach wie vor als ein fester Bestand dieses Grundrechts anzusehen: Seine Entwicklung weist einerseits gewisse Rechtsmaterien als differenzierungsfeindlich aus und zeigt andererseits, dass bestimmte Merkmale im Regelfall keinen zureichenden Grund liefern, um zwischen Menschen rechtlich zu unterscheiden. In den genannten Rechtsmaterien ist die Gleichbehandlung der Menschen grundsätzlich geboten, sodass jede Differenzierung rechtfertigungsbedürftig erscheint133. Ebenso wird die Unwesentlichkeit der verpönten Unterscheidungsmerkmale134 für jede Mate____________________
130 Das wurde in der Literatur schon oft festgestellt, vgl zB Leibholz, Gleichheit 28 f; Kneucker, ÖStZ 1966, 219, 221; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 15; Mayer, ÖJZ 1980, 343; Korinek, FS Melichar 46; Alexy, Grundrechte 363, 373; Berchtold, FS Ermacora 341; Stoll, ÖStZ 1989, 192; Thienel, Vertrauensschutz 34; Korinek/Holoubek, Abgabenrecht 97; Noll, Sachlichkeit 105; Bernegger, Gleichheitsgrundsatz 720; Kischel, AöR 124 (1999) 185; Berka, Grundrechte Rz 878, 894; ders, Art 7 B-VG Rz 4, 20. 131 Dementsprechend steigt auch die Zahl der Merkmale, nach denen grundsätzlich nicht differenziert werden darf, ständig an: Im Reichstag von Kremsier wurde hier nur der Stand genannt, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nennt bereits Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis, in Art 14 EMRK finden sich schon 12, in Art 21 der Grundrechte-Charta sogar 16 Merkmale. 132 S schon Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 5. Rückfälle einer Gesellschaft sind deshalb freilich nicht ausgeschlossen. 133 Was aber, wie gezeigt, gerade nicht den Schluss zulässt, dass die Gleichbehandlung als solche prinzipiell auch in jeder anderen Hinsicht geboten ist. 134 Wenn hier und im Folgenden von „verpönten Unterscheidungs- oder Differenzierungsmerkmalen“ die Rede ist, dann ist damit im Einklang mit der ganz gängigen Terminologie in der Lehre nicht gemeint, dass das Merkmal selbst verpönt ist, sondern, dass es verpönt ist, dieses Merkmal zum Grund für eine Differenzierung zu machen. Soviel zur Kritik Adomeits, JZ 2003, 998, an der von Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht (2001) 25, 59, verwendeten Formulierung „verpönte Merkmale“ oder „pönalisierte Merkmale“.
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rie vermutet; eine danach getroffene Differenzierung ist daher prinzipiell verboten135. aa. Gleichheitssensible Rechtsmaterien Zu den gleichheitssensiblen Materien gehört erstens – in den Worten Riegers – das „Recht, sein materielles und geistiges Wohl zu fördern“136, also die Fähigkeit, Träger von liberalen Grundrechten zu sein137. Der Kerngedanke dieser bürgerlich-liberalen Bedeutungsschicht des Gleichheitssatzes ist nicht die Gleichheit aller in der Ausstattung mit materiellen Gütern, wohl aber die gleiche Chance aller, diese Güter in freier Konkurrenz mit allen anderen zu erwerben138. Sie verlangt daher gleiche Startchancen, insbesondere gleiche Grundrechte für alle und bekräftigt die Unteilbarkeit dieser Rechte durch spezielle Diskriminierungsgebote immer wieder aufs Neue139; sie billigt allerdings auch, dass derjenige als erster ans Ziel gelangt, der im Wettstreit mit den anderen die höchste Leistung erbringt140. Dass der Reichstag von Kremsier es sogar als gleichheits____________________
135 Was aber, wie gezeigt, gerade nicht den Schluss zulässt, dass auch die Unterscheidung nach jedem anderen Kriterium prinzipiell verboten ist. 136 StenProtRT 67. Sitzung am 8. Jänner 1849, 302. 137 Vgl bereits § 27 der Pillersdorffschen Verfassung 1848: „Die Beseitigung der, in einigen Theilen der Monarchie noch gesetzlich bestehenden Verschiedenheiten der bürgerlichen und politischen Rechte einzelner Religions-Confessionen, so wie die Aufhebung der, der Erwerbung aller Arten von Grundbesitz noch entgegenstehenden Beschränkungen werden den Gegenstand, dem ersten Reichstage vorzulegender Gesetzesvorschläge bilden“; s dann auch die Diskussion der Gleichheits- und Freiheitsrechte in Kremsier (unten B.II.2.a. und c.); s weiters § 24 der Märzverfassung 1849, wonach in keinem Kronlande zwischen seinen Angehörigen und jenen eines anderen Kronlandes ein Unterschied „im bürgerlichen oder peinlichen Rechte“ bestehen darf. 138 In den Worten Lassers: Jeder soll „auf gleiche Weise, ohne allen Unterschied, bei der Vertretung der Rechte der Einzelnen und der Gesammtheit concurriere[n]“ (StenProtRT 69. Sitzung am 10. Jänner 1849, 339). 139 So durch den Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, wonach die volle Vereins- und Versammlungsfreiheit ohne Unterschied des Geschlechts hergestellt ist, durch Art 14 Abs 2 StGG (s auch Schantl, JBl 1968, 359 ff ), und Art 66 Abs 2 StV St Germain, wonach der Genuß der bürgerlichen Rechte vom Religionsbekenntnis unabhängig ist, durch Art 63 Abs 1 StV St Germain, der allen Einwohnern Österreichs ohne Unterschied der Geburt, Staatsangehörigkeit, Sprache, Rasse oder Religion vollen und ganzen Schutz von Leben und Freiheit gewährt, durch Art 6 StV Wien, der eine Diskriminierung österreichischer Staatsbürger ua in Bezug auf ihre bürgerlichen Rechte untersagt, und schließlich auch durch Art 14 EMRK, der Benachteiligungen bei der Gewährleistung der Konventionsrechte verbietet. 140 Ob man diese bürgerlichen Werte nun teilt oder nicht und ob man die dadurch geschaffene Gesellschaft mit Somek als eine solche der „Tüchtigen, Fleißigen und Anständigen“ (Somek, Der Staat 2004, 432) gering schätzen will oder nicht: Die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz steht nun einmal auf diesem liberalen Boden, der – das sei zugestanden – die „Faulen … systematisch benachteiligt“ (Somek, Der Staat 2004, 432, s auch ders, Rationalität 395). Man kann darin ein Problem sehen, aber dieses Problem ist keines des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG.
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rechtlich geboten angesehen hat, Auszeichnungen nur nach dem Verdienst und Ämter nur nach der Befähigung zu vergeben, liegt ganz auf dieser Linie. Gleichheitssensibel ist zweitens die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die den Einzelnen dazu verhalten, einen Beitrag zum allgemeinen Wohl zu leisten: Sowohl die Entrichtung von Steuern als auch die Leistung des Wehrdienstes wurden historisch als Pflichten angesehen, die grundsätzlich jeden treffen müssen141. Dieser Lastengleichheit entsprechend erklärt heute auch Art 9a Abs 3 B-VG jeden – allerdings nur männlichen142 – österreichischen Staatsbürger für wehrpflichtig und ordnet für Personen, die die Erfüllung dieser Pflicht aus Gewissensgründen verweigern, einen Ersatzdienst an143. Allgemein formuliert verlangt diese Bedeutungsschicht des Gleichheitssatzes, dass das Wohl aller nicht auf Kosten einiger weniger realisiert werden darf. Zur Verwirklichung des Gemeinwohles ist vielmehr jeder heranzuziehen, der dazu einen Beitrag leisten kann. ____________________
141 Vgl § 25 der Pillersdorffschen Verfassung: „[...] alle Staatsbürger [...] unterliegen der gleichen Wehr- und Steuerverpflichtung [...]“; § 24 des Kremsierer Entwurfes, wonach jedermann nach Maßgabe seines Vermögens und Einkommens zu den Lasten des Staates beizutragen habe, § 29 des Kremsierer Entwurfes, wonach alle wehrhaften Staatsbürger, die nicht dem Heere dienen, in der Regel ein gleiches Recht und eine gleiche Pflicht zum Dienst in der Nationalgarde haben (s Reiter, Texte 18 f ); weiters die Feststellung Riegers, dass durch die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz „fortan keine Verschiedenheit der Pflichten und keine Verschiedenheit der Rechte statthaben soll“ (Fischel, Protokolle 34); s auch Helfert, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 419 f, der die ausdrückliche Feststellung der Gleichheit der Steuerpflicht und der Wehrpflicht vermisste, aber keinen Änderungsantrag stellte, wohl, weil er der Ansicht war, dass der in § 3 (später § 1) ausgesprochene Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz im Entwurf nur durch einige seiner Folgerungen ausgeführt werde, s dazu näher oben B.II.2.a.; s weiters § 24 der Märzverfassung, wonach in keinem Kronlande zwischen seinen Angehörigen und jenen eines anderen Kronlandes ein Unterschied in der Verteilung der öffentlichen Lasten bestehen darf; s schließlich die Feststellungen aus der Literatur bei Tipke, FS Stoll, 229, wonach das Steuerrecht am Anfang der Debatte um den Gleichheitssatz stehe, und die steuerliche Gleichheit „das klassische Thema der Anhänger des Gleichheitssatzes“ gewesen sei. 142 Die Legitimität dieser geschlechtsspezifischen Unterscheidung ist heute fraglich geworden, und zwar vor allem aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts: Der EuGH Rs C285/98, Kreil, Slg 2000, I-69, ist der Ansicht, dass Frauen der Zugang zum Wehrdienst zwar offen stehen muss. Eine Pflicht, sie zum Wehrdienst ebenso wie Männer heranzuziehen, resultiere aus dem Gemeinschaftsrecht aber nicht: EuGH Rs C-186/01, Dory, Slg 2003, I-2479; s zur erstgannnten Entscheidung Lenz, ZRP 2000, 265 ff; Scholz, DÖV 2000, 417 ff; Stahn, EuGRZ 2000, 121 ff. Der mit BGBl I 1998/30 eingefügte Art 9a Abs 4 (jetzt: Abs 3) B-VG bestimmt denn auch nur, dass österreichische Frauen freiwillig Dienst im Bundesheer als Soldatinnen leisten können und das Recht haben, diesen Dienst zu beenden. Die Wehrpflicht trifft damit nach wie vor nur männliche Staatsbürger; s zu den Grundpflichten auch Schreiner, ZÖR 1999, 109 ff. 143 S auch Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 599, die in § 2 Abs 1 ZDG iVm Art 9a Abs 3 (nunmehr: Abs 4) B-VG ein „eigenes Stück Gleichheit“ sehen; s auch schon Ermacora, Handbuch 97 ff; allgemein zu Waffendienstverweigerung und Gleichheitssatz auch Schantl, JBl 1968, 359 ff; zu nicht unerheblichen Befreiungsbestimmungen und ihrer Vollziehung s Merli, ZfV 1984, 605 ff.
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Zum historischen Kernbestand der Gleichheit zählt drittens – und dies ist ihre demokratische Bedeutungsschicht – dass kein Rechtsunterworfener über einem anderen stehen und ihn beherrschen können soll. Daraus folgt zunächst, dass jede Art von Leibeigenschaft, Untertänigkeit oder Hörigkeit absolut unzulässig ist144, wie dies auch Art 7 StGG ausdrücklich garantiert145. Weiters folgt daraus, dass alle Staatsbürger als Träger politischer Rechte gleichberechtigt an der Staatswillensbildung mitwirken können müssen146, zuallererst durch das aktive und passive Wahlrecht147, das ab der Märzrevolution immer unter dem Titel der Gleichheit verlangt, nach der Pillersdorffschen Verfassung 1848 auch kurzfristig in relativ weitem Umfang gewährt148, dann wieder eingeschränkt, in der Folge aber schrittweise ausgebaut wurde: Zunächst durch eine stetige Senkung des für das Wahlrecht erforderlichen Zensus149, 1896 durch die Schaffung einer „allgemeinen Wählerklasse“150, 1907 durch die endgültige Beseitigung des ____________________
144 Das bedeutet Entfeudalisierung, Aufhebung der Grundherrschaft, Abschaffung der Untertänigkeits- und Hörigkeitsverbände, Bauernbefreiung, Verbot der Sklaverei, vgl dazu zB § 26 der Märzverfassung 1849: „Jede Art von Leibeigenschaft, jeder Unterthänigkeits- oder Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben. Die Betretung des österreichischen Bodens oder eines österreichischen Schiffes macht jeden Sclaven frei“, dann aber auch für das 20. Jahrhundert das Erkenntnis VfSlg 2976/1956, nach dem reichsdeutschen Vorschriften derogiert worden ist, die den Arbeitgeber dazu ermächtigten, seinen Arbeitnehmern eine zusätzliche Mehrarbeit von zwei Stunden über die regelmäßige Arbeitszeit anzuordnen. Der nationalsozialistische Gesetzgeber hatte damit, wie der VfGH feststellte, „in der Frage der Arbeitszeitverlängerung den ‚Betriebsführer‘ zum Gerichtsherrn über freie Männer und Frauen, die er zu seiner ‚Gefolgschaft‘ erniedrigt hat, gemacht“ und damit ein „Untertänigkeitsverhältni[s] der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern“ begründet. Diese Regelung war „ihrer Art nach typisch nationalsozialistisch und widerspricht dem Grundsatze der Gleichheit vor dem Gesetz.“ 145 Zu dieser Bestimmung näher Zellenberg, Art 7 StGG. 146 S auch Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 319. Zu den (hier nicht bedeutsamen) Schwierigkeiten, den Begriff der bürgerlichen Rechte von jenem der politischen Rechte abzugrenzen, s Nowak, Grundrechte 14 ff; s auch Koja, ÖJZ 1963, 645. 147 S auch Marcic, Expertenkollegium 239, wonach das Egalitätsprinzip eine Parallelerscheinung zum Demokratisierungsprinzip sei und sich deshalb am meisten auf den status activus auswirke, also dort, wo es um die Beteiligung des Einzelnen an der Normerzeugung gehe; ebenso Winkler, Expertenkollegium 242, nach dem das Egalitätsprinzip mit dem status activus untrennbar zusammenhängt und dort seine Domäne hat. 148 Dazu oben B.I.6.; s zum engen Zusammenhang, der zwischen Gleichheit und Demokratie auch in Kremsier hergestellt wurde, oben B.II.1.b., B.II.2.a.; allgemein zu diesem Zusammenhang mwN Pöschl, FS Schäffer 643 ff, 649 ff, 661 f. 149 S § 9 Abs 5 Reichsratswahlordnung, RGBl 1873/41 idF 1882/142 (Taaffesche Wahlreform) sowie die Novelle RGBl 1896/226, s dazu Ucakar, Demokratie 178 ff, 558; Nowak, Grundrechte 294 f. 150 S Art I des Gesetzes vom 14. Juni 1896, RGBl 1896/168, sowie die Novelle zur Reichsratswahlordnung RGBl 1896/169 (Badenische Wahlreform) und dazu Ucakar, Demokratie 256 ff; Nowak, Grundrechte 294 f.
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Zensus151 und nach dem Zusammenbruch der Monarchie schließlich auch durch die Einbeziehung der Frauen in das Wahlrecht152. Gerade weil diese demokratischen Errungenschaften in dem „politisch wichtige[n] Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz […] besonders zum Ausdruck kommen“, wurde der Gleichheitssatz dann auch in Art 7 Abs 1 B-VG nachdrücklich hervorgehoben153. Auch die übrigen Staatsämter müssen für jeden Staatsbürger grundsätzlich gleich zugänglich sein; ein Grund, hier zwischen den Bürgern zu differenzieren, ist aber ihre Befähigung für das jeweilige Amt. Sowohl das allgemeine und gleiche Wahlrecht154 als auch die gleiche Ämterzugänglichkeit155 werden in der österreichischen Verfassung ausdrücklich gewährt, sie werden aber flankierend dazu durch spezielle Unterscheidungsverbote zusätzlich abgesichert156. Als gleichheitssensibel hat sich – dies ist die rechtsstaatliche Bedeutungsschicht des Gleichheitssatzes – viertens die Rechtsdurchsetzung erwiesen157, was nur konsequent ist, denn die Verteilung gleicher Rechts____________________
151 § 7 Gesetz vom 26. Jänner 1907, RGBl 1907/15, und die in Durchführung dazu erlassene Reichsratswahlordnung, RGBl 1907/17, s dazu Ucakar, Demokratie 290 ff; Nowak, Grundrechte 295 ff. 152 Dazu oben B.VI.1. 153 Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 74; s schon oben B.VII.2.a. 154 Art 23a, 26, 60, 95 und 117 B-VG. 155 Art 3 StGG. S auch die Vorläuferbestimmungen in § 24 der Pillersdorffschen Verfassung 1848, § 1 des Kremsierer Entwurfes und § 28 der Märzverfassung 1849; näher LiskaConstantopoulou, Zugänglichkeit 847 ff; Kucsko-Stadlmayer, Art 3 StGG. 156 Vgl Art 7 Abs 4 B-VG, der den öffentlichen Bediensteten einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres (anders als in der Monarchie) die ungeschmälerte Ausübung ihrer politischen Rechte versichert (s zu dieser Bestimmung näher und mwN Kucsko-Stadlmayer, Art 7/4 B-VG; zu den Beschränkungen, die in der Monarchie gegolten haben, ferner Nowak, Grundrechte 239 ff ); Art 14 Abs 2 StGG, der ebenso wie Art 66 Abs 2 StV St Germain ausdrücklich festlegt, dass der Genuß der politischen Rechte von dem Religionsbekenntnis unabhängig ist; Art 6 Abs 2 StV Wien, der Gesetzgebung und Vollziehung eine Diskriminierung österreichischer Staatsbürger ua in Bezug auf ihre politischen Rechte untersagt; ferner das als verfassungsändernd genehmigte Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau, BGBl 1969/256 idF BGBl III 2000/182, nach dem Frauen in Gleichberechtigung mit Männern ohne jede Diskriminierung das Stimmrecht bei allen Wahlen haben (Art I), ohne jede solche Diskriminierung in alle öffentlich gewählten, auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung geschaffenen Organe wählbar sind (Art II) und das Recht haben, ohne Diskriminierung alle öffentlichen Ämter zu bekleiden und alle auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung geschaffenen Funktionen auszuüben (Art III). Den zu Art III im Hinblick auf Art 9a B-VG abgegebenen Vorbehalt hat Österreich zurückgezogen, nachdem Frauen durch Art 9a Abs 4 B-VG idF BGBl 1998/30 das Recht gewährt wurde, freiwillig Dienst im Bundesheer als Soldatinnen zu leisten und diesen Dienst zu beenden (vgl BGBl III 2000/182 und dazu RV 171 BlgNR 21. GP). 157 So durch die Abschaffung der Kabinettsjustiz, die Statuierung eines für alle gleichen Gerichtsstandes, des „gesetzlichen“ Richters, der niemandem entzogen werden darf; vgl § 25 der Pillersdorffschen Verfassung 1848: „Die Wirksamkeit des Gesetzes ist gleich für alle Staatsbürger, sie genießen einen gleichen persönlichen Gerichtsstand [...] und keiner kann gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden“; § 2 Satz 2 des
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positionen ist wertlos, wenn die Durchsetzung dieser Positionen dann durch den Staat manipuliert werden kann und am Ende doch nur manchen möglich ist oder umgekehrt manchen wesentlich erschwert oder ganz verwehrt wird158. Im Dienste dieser Gleichheit steht etwa das in Art 83 Abs 2 B-VG gewährte Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und das darin enthaltene Verbot von Ausnahmegerichten, die Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit in Art 84 B-VG, der in Art 87 Abs 3 B-VG normierte Grundsatz der festen Geschäftsverteilung und das Gebot der Waffengleichheit in Art 6 EMRK. bb. Verpönte Differenzierungskriterien Als verpönte Differenzierungskriterien haben sich im Laufe der Entwicklung des Gleichheitssatzes die dann in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG auch explizit genannten Merkmale Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis, daneben aber auch Nationalitäten und Stämme herauskristallisiert159, die durch weitere Diskriminierungsverbote in Art 14 Abs 2 StGG, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, Art 14 Abs 6 B-VG, Art 63 Abs 1 und Art 66 StV St Germain, Art 6 Abs 2 StV Wien, Art 14 EMRK sowie Art I Abs 1 BVG-RD teils bekräftigt und teils ergänzt worden sind160. Nicht suspekt ist hingegen die Unterscheidung zwischen Staatsbürgern ____________________
Kremsierer Entwurfes, der im unmittelbaren Anschluss an den in § 1 gewährten Gleichheitssatz bestimmte: „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden; privilegirte und Ausnahmsgerichte dürfen nicht bestehen“; § 24 der Märzverfassung 1849: „In keinem Kronlande darf zwischen seinen Angehörigen und jenen eines anderen Kronlandes ein Unterschied [...] im Rechtsverfahren [...] bestehen. Die rechtskräftigen Urtheile der Gerichte aller österreichischen Kronländer sind in allen solchen gleich wirksam und vollziehbar“; § 27 Märzverfassung 1849: „Alle österreichischen Reichsbürger sind vor dem Gesetze gleich, und unterstehen einem gleichen persönlichen Gerichtsstande“; § 100 Märzverfassung 1849: „Alle Gerichtsbarkeit geht vom Reiche aus. Es sollen in Hinkunft keine Patrimonial-Gerichte bestehen“; § 1 Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit 1862: „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.“ S dazu noch näher H.VI. 158 Dazu noch näher H.VI. 159 Vgl § 27 der Pillersdorffschen Verfassung 1848: „Die Beseitigung der, in einigen Theilen der Monarchie noch gesetzlich bestehenden Verschiedenheiten der bürgerlichen und politischen Rechte einzelner Religions-Confessionen [...] werden den Gegenstand, dem ersten Reichstage vorzulegender Gesetzesvorschläge bilden; § 1 des Kremsierer Entwurfes: „[...] Alle Standesvorrechte sind abgeschafft. Adelsbezeichnungen jeglicher Art werden vom Staate weder verliehen noch anerkannt [...]“; zu den speziellen Gleichheitsätzen des Kremsierer Entwurfes, die im Reichstag überwiegend als Ausführung des allgemeinen Gleichheitssatzes angesehen wurden, s B.II.2.b.; s weiters die Rsp des Reichsgerichtes zu Art 2 und Art 3 StGG, nach der keine Klasse von Staatsbürgern aus Gründen des Religionsbekenntnisses, der Nationalität, des Standes und dergl von Staatsämtern ausgeschlossen werden darf (B.V.3.). 160 Dazu noch näher unten E.I., E.II.
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und Fremden, wie sich aus dem auf Staatsbürger beschränkten persönlichen Schutzbereich des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG ergibt161. b. Leugnung des verbleibenden Wertungsproblems Soweit die Verfassung diesen historischen Kernbestand der Gleichheit weiter ausführt und konkretisiert, verschafft sie auch näheren Aufschluss darüber, was im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes als wesentlich gleich und was als wesentlich ungleich anzusehen ist. Darauf wird in den folgenden Kapiteln noch zurückzukommen sein162. Woraus sich die „Wesentlichkeit“ oder „Unwesentlichkeit“ eines Unterschiedes sonst ergibt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Zunächst ist nichts wesentlich an sich; alles kann nur in dieser oder in jener Hinsicht wesentlich sein. Ein Unterschied, der für die eine Regelung bedeutsam ist, kann dementsprechend in anderem Zusammenhang ganz belanglos sein. Die Schlüsselfrage des Gleichheitssatzes163, was wesentlich und was unwesentlich ist, ist also offensichtlich kontextrelativ. Innerhalb eines Kontextes hängt die Antwort auf diese Frage aber nach hA auch von Wertungen ab164. Nur vereinzelt ist in der Literatur versucht worden, dem Gleichheitssatz mit Logik oder mit Mathematik beizukommen165. Die Abstinenz von Werten, die dieses Konzept verspricht, wird jedoch tatsächlich nicht durchgehalten166 und kann realistischerweise auch gar nicht durchgehalten werden167. Dem Wertungsproblem des Gleichheitssatzes kann mE auch nicht ausgewichen werden, indem man ihn als ein reines Diskriminierungsverbot interpretiert168. Jedenfalls in Österreich spricht gegen eine solche Deutung, wie gezeigt, schon die Entwicklung, die zur Garantie des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG geführt hat169. Davon abgesehen kann das Wertungsproblem des Gleichheitssatzes auch nicht gelöst werden, wenn man ihn auf ein Diskriminierungsverbot reduziert. Denn dann ist eben offen, was eine Diskriminierung ist; auch diese Frage kann aber nicht wertfrei beantwortet werden170. ____________________
161 162 163 164
Dazu noch unten E.III. E.-H. S schon Leibholz, Gleichheit 48; Huster, Rechte 34. S zB Walter, ZVR 1979, 36; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 15, 20; Mayer, ÖJZ 1980, 343; Berka, Art 7 B-VG Rz 49; für Deutschland zB Heun, Art 3 GG Rz 24, sowie die Nachweise oben in Abschnitt A FN 4. 165 S etwa das Konzept von Podlech, Gehalt. 166 S etwa Podlech, Gehalt 79: „Plausibilität“, 176: „Zeitvorstellungen des öffentlichen Denkens und Handelns“, „Überzeugungskraft“. 167 S schon Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 4. 168 So der Vorschlag Someks, Rationalität passim. 169 S dazu oben C.III.5. 170 S in diesem Sinn speziell zur Konzeption Someks allgemein Huster, Der Staat 2003, 145 ff, sowie noch unten E.I.4.c. ab FN 266, und als Beispiel für eine besonders deut-
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Der Versuch, den allgemeinen Gleichheitssatz so zu deuten, dass er ohne Wertungen anwendbar ist, läuft stets Gefahr, dass das alte Wertungsproblem in einem neuem Gewand präsentiert und behauptet wird, die Gleichheitskonformität einer staatlichen Maßnahme lasse sich so formuliert nun plötzlich objektiv beurteilen. In Wahrheit wird das Wertungsproblem auf diese Weise aber nur geleugnet. Das erleichtert die Anwendung des Gleichheitssatzes nicht, es belastet sie vielmehr mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass Wertungen nach wie vor, nun aber unter der Hand vorgenommen, also nicht gekennzeichnet und dementsprechend auch nicht zur Diskussion gestellt werden. c. Verschiebung des Wertungsproblems Akzeptiert man, dass die Anwendung des Gleichheitssatzes Wertungen voraussetzt, muss man sich freilich auch dem Problem stellen, dass sich aus Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG oft nicht ergibt, welche Wertungen dabei zugrunde zu legen sind. Nicht selten wird dem Gleichheitssatz daher attestiert, er sei bloß eine leere Hülle171. Seine Anwendung scheint sich dann auf die Frage zuzuspitzen, wer befugt ist, Wertungen vorzunehmen bzw wessen Wertungen maßgeblich sind. Klar ist dabei zunächst, dass die in der Gesellschaft herrschenden Wertvorstellungen nicht entscheidend sein können. Denn wenn diese Vorstellungen irgendwo greifbar werden, dann im demokratisch legitimierten Parlament172. Allein auf die Wertungen des Gesetzesgebers kann es aber auch nicht ankommen, weil das einfache Gesetz am Gleichheitssatz zu messen ist und nicht umgekehrt dessen Inhalt bestimmt. Ebenso unabweisbar ist schließlich, dass das zur Kontrolle des Gesetzgebers berufene Verfassungsgericht nicht befugt sein kann, die Wertungen des Gesetzgebers durch seine eigenen zu ersetzen und solcherart als ein Nebengesetzgeber aufzutreten. Um das Spannungsverhältnis zwischen demokratisch legitimiertem Gesetzgeber und Verfassungsgericht zu entschärfen, wird Verfassungsgerichten bisweilen empfohlen, sich mit Wertungen eben ganz allgemein zurückzuhalten173 und eine Gleichheitswid____________________
liche Wertung die Annahme Someks (FN 140), Faule würden in unserer Gesellschaft systematisch diskriminiert. Natürlich kann man das so sehen, aber man kann es ebenso gut anders sehen. Dies aber zu einem gleichheitsrechtlichen Problem zu erklären, ist angesichts des liberalen Bodens, auf dem Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG steht, mE nur möglich, wenn man den Gleichheitssatz mit außerrechtlichen – hier gesellschaftskritischen – Wertungen auflädt. 171 ZB Weinberger, Gleichheit und Freiheit 643; Podlech, Gehalt 84 f; Firlei, FS Strasser 391; Heun, Art 3 GG Rz 31; Osterloh, Art 3 GG Rz 5, 42. 172 Gerade darauf beruhte auch das historische Vertrauen in das allgemeine Gesetz als eines Garanten der Gleichheit; s auch Starck, Art 3 GG Rz 14. 173 Zu diesem so genannten „judicial self restraint“ allgemein zB Heller, ZÖR 1988, 89 ff; für diese richterliche Zurückhaltung zB Rosenzweig, Verfassungsgericht 100 ff; Firlei, FS Strasser 394 ff; „Grenzen von Verfassungsrecht durch Richterspruch“ zeigt
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rigkeit nur dann anzunehmen, wenn sie offenkundig ist. Das Wertungsproblem des Gleichheitssatzes wird dadurch allerdings nicht beseitigt. Reduziert man den Gleichheitssatz nämlich auf ein Willkürverbot, also auf ein Verbot „evident“ unsachlicher Ungleichbehandlungen174 oder – wie die ältere Judikatur des VfGH – auf ein Verbot gesetzgeberischer „Exzesse“ 175, dann verschiebt sich die Frage nach der Wesentlichkeit eines Unterschiedes nur auf die Frage nach der Evidenz: Auch sie ist aber von Wertungen abhängig176. ____________________
auch Berchtold, FS Ermacora 342 ff auf; s weiters Öhlinger, FS Melichar 133 f. Zur Kritik an der Zurückhaltung der älteren Judikatur (etwa bei Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 21; Spanner, Pernthaler und Korinek, jeweils Diskussionsbeitrag; Klecatsky/ Walzel von Wiesentreu, FS Adamovich [2002] 260 f ) und der dann geübten Kritik an dem „judicial activism“ der (schon seit geraumer Zeit sog) neueren Judikatur (zB bei Berchtold, FS Ermacora 342 ff ) s Korinek, FS Melichar 52 ff; dens, FS Adamovich 265 ff; Adamovich, FS Ermacora 234 ff; dens, FS Matscher 1 ff; Hiesel, Verfassungsgesetzgeber 192 ff. Die neue Judikatur im Grundsatz begrüßend zB Novak, ZAS 1982, 234; Klecatsky/Walzel von Wiesentreu, FS Adamovich (1992) 211 ff; dies, FS Adamovich (2002) 260 f. 174 S etwa die Willkürtheorie von Leibholz, Gleichheit 72 ff, die ihre Wurzeln in der Schweizer Lehre findet (dazu W. Böckenförde, Gleichheitssatz 47). Zur Schwierigkeit, die Grenze zwischen „bloß ungerechten“ und „schon willkürlichen“ Ungleichbehandlungen zu ziehen, etwa P. Kirchhof, FS Geiger 106; besonders skeptisch auch Walter, ZVR 1979, 37, der in der Bezugnahme auf die Willkür einen Rekurs auf die Gerechtigkeit sieht; zur Kritik der Willkürtheorie zB Huster, Rechte 58 ff, der zutreffend darauf hingewiesen hat, dass die Interpretation des Gleichheitssatzes als Willkürverbot auch auf der funktionellrechtlichen Überlegung beruht, die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dürfe nicht im Wege des Gleichheitssatzes auf das Verfassungsgericht übergehen. Gegen ein Verständnis des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG als bloßes Willkürverbot auch Berka, Art 7 B-VG Rz 43. 175 S noch VfSlg 5862/1968, 6030/1969, 6419/1971. Heute rekurriert der VfGH auf die Exzessivität nur mehr vereinzelt, etwa in VfSlg 11.369/1987, 12.431/1990, s auch VfSlg 14.888/1997, wonach Überstundenvergütung und Verwendungszulage ganz verschiedene Einrichtungen sind, die der Gesetzgeber verschieden behandeln kann, „solange die gewählte Lösung [...] nicht exzessiv ist“; s auch VfSlg 16.203/2001, wonach es exzessiv sei, mit der einen Norm ein zur Beitragsleistung verpflichtendes Versicherungsverhältnis (hier in der Arbeitslosenversicherung) zu begründen, dieses Verhältnis dann aber durch eine andere Norm wieder aufzuheben, indem jegliche Leistung aus diesem „Versicherungsverhältnis“ ausgeschlossen wird. S zur Exzessjudikatur noch unten E.I.2.g., sowie zB Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 21; Pernthaler, Raumordnung II 342 f; Korinek, FS Melichar 52 ff; dens, Grundrechtsfragen 32, 41; Bernegger, Gleichheitsgrundsatz 722 f; Berka, Grundrechte Rz 935. 176 S für die Exzessjudikatur schon Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 604; zur Willkürtheorie auch Huster, Rechte 60; ebenso zur Forderung, ein Verfassungsgericht habe sich ganz allgemein auf die Prüfung „evidenter“ Widersprüche zwischen Gesetz und Verfassung zu beschränken Öhlinger, FS Melichar 133 f. Besonders deutlich wird die Unausweichlichkeit der Wertungen etwa bei Firlei, FS Strasser 396, der für eine Beschränkung des VfGH auf eine Exzesskontrolle eintritt und einen Exzess dann als gegeben ansieht, wenn „die Bedeutung des Differenzierungsgrundes und die Wirkungen der Differenzierung auf das angestrebte Ziel aus der Sicht […] fundamentale[r] Gleichheitsvorstellungen in keinem vernünftigen und tolerierbaren Verhältnis zu den dadurch entstandenen Ungleichheiten stehen“; die bezeichneten Gleichheitsvorstellungen seien dabei solche, die „im
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Davon abgesehen begegnet die pauschale Forderung nach richterlicher Zurückhaltung auch einem systematischen Einwand177. Die Verfechter eines judicial self restraint machen zwar zutreffend geltend, dass den Entscheidungen des vom Volk gewählten Gesetzgebers in einer Demokratie Respekt gebührt. Dieser Respekt entbindet den Gesetzgeber aber nicht von der Beachtung des Gleichheitssatzes. Wie sich schon aus den Materialien des B-VG ergibt, sind Gleichheit und Demokratie aufs Engste miteinander verbunden178. Diese beiden Forderungen gehen aber nicht ineinander auf, sie ergänzen sich vielmehr und sind wechselseitig aufeinander bezogen. Die Forderung nach Demokratie findet ihre innere Begründung zunächst in der Annahme, dass alle Bürger gleich sind: Keiner soll folglich über den anderen herrschen, vielmehr soll jeder zumindest mittelbar an der Erzeugung des Rechts beteiligt sein, dem er dann unterworfen ist. Aus gleichheitsrechtlicher Sicht verspricht diese politische Mitwirkung des Volkes in der Tat auch eine materielle Richtigkeitsgewähr: Denn „wenn jemand etwas gegen einen anderen verfügt, [ist es] immer möglich, daß er ihm dadurch unrecht tue, nie aber in dem, was er über sich selbst beschließt“179. Der hohe Anspruch, dass jeder einzelne seine Zustimmung ____________________
Bewußtsein der Bevölkerung breit verankert sind und tief in der Vorstellung wurzeln, daß die Menschen hinsichtlich ihrer materiellen und ideellen Grundbedürfnisse gleichbehandelt werden sollen“. 177 Gegen ein generelles Postulat richterlicher Zurückhaltung auch Korinek, FS Melichar 52 ff; Korinek/Holoubek, Abgabenrecht 97; allgemein zur Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen Korinek, VVDStRL 39 (1981) 7 ff, hier insb 45; Merten, FS Adamovich 473 f. 178 S schon die Bemerkung des Vorsitzenden im Verfassungsunterausschuss, Art 7 Abs 1 B-VG sei „eigentlich nur eine Ausführung des Wortes demokratisch in Artikel 1 Abs. 1“, Ermacora, Quellen 339. 179 Vgl Kant, Metaphysik 432, der aus dem Gedanken der Volkssouveränität allerdings noch keine institutionell-demokratischen Konsequenzen zog, ihm genügte, dass der Gesetzgeber seine Gesetze so gibt, als könnten sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volkes entspringen, s dazu Luf, Freiheit 138 ff. S auch von Rotteck, Gleichheit 47 f, nach dem das Gleichheitsprinzip nur dann befriedigt war, „wenn überhaupt keine Rechtsungleichheiten anerkannt oder statuirt werden, als welche auf vernünftigen Gründen beruhen und demnach von allen Staatsangehörigen ohne Ausnahme [...] gewollt werden können oder müssen, oder, was noch zuverlässiger ist, wozu der Gesammtwille durch das Organ einer ächten und lauteren Volksrepräsentation seine Zustimmung wirklich ertheilt hat. Weil nehmlich darüber, ob der Gesammtwille Etwas genehmigen könne oder müsse, gar leicht Zweifel entstehen oder auch von den Machthabern einseitig behauptet werden kann, ihr Dictat sei dem wahren oder vernünftigen Gesammtwillen entsprechend, wenn es auch demselben noch so sehr widerstreitend ist; so folgt daraus, daß in Bezug auf RechtsGleichheit, wie überhaupt in Bezug auf alles Recht im Staate keine andere befriedigende Garantie gedenkbar ist als eine dem wahren Gesammtwillen ein lebenskräftiges Organ verleihende Verfassung.“ (im Original mit Hervorhebungen); s ebenso von Rotteck, Constitution 534, nach dem „die demokratische, d.h. die Idee der Volkssouverainetät [...] verkündende Verfassung […] als ihre allernächsten Principien die Herrschaft des Gesammtwillens und die Rechtsgleichheit unter den Staatsangehörigen, welche auch die Grundprincipien des allgemeinen constitutionellen Systems sind“ aufstellt (Hervorhebungen im Ori-
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zu allen Regelungen erteilt, ist freilich in keiner Demokratie der Welt verwirklicht. Schon aus praktischen Rücksichten muss sich die Demokratie damit begnügen, dass eine Regelung die Zustimmung der im Parlament repräsentierten Mehrheit findet180. In der Realität ist Demokratie damit nur „ein System der politischen Gleichheit vieler, nicht aber aller. Sie ist allenfalls das System der kleinsten auf Dauer vernachlässigten Minderheit“181. Für die Gleichheit vor dem Gesetz genügt dies aber offenkundig nicht, sonst wäre dieses Grundrecht in einer Demokratie ganz überflüssig. Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG erklärt denn auch „Alle Staatsbürger“ vor dem Gesetz für gleich, also jeden einzelnen und damit auch denjenigen, der im demokratischen Prozess in der Minderheit bleibt182. Bedenkt man diesen Zusammenhang zwischen Gleichheit und Demokratie, dann kann die Forderung nach richterlicher Zurückhaltung keinesfalls pauschal gelten. Zurückhaltung ist wohl angezeigt, wenn der Gesetzgeber eine Regelung erlässt, die gerade die Mehrheit der Bevölkerung betrifft183 oder wenn er über Lebenssituationen (etwa den Abschluss eines Kaufvertrages) entscheidet, in die jeder Mensch immer wieder gerät. Denn in solchen Fällen mag die Vermutung dafür streiten, dass den Anforderungen des Gleichheitssatzes schon durch die Mechanismen der Demokratie Rechnung getragen ist. Das bedeutet umgekehrt: Gruppen, die in einer De____________________
ginal). Aus diesem Grund wurde die Zuerkennung eines allgemeinen Wahlrechts stets als eine zentrale Forderung des Gleichheitssatzes angesehen; s dazu schon oben B.I.6. und B.II.2.a., s auch Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 319; Berka, ZÖR 1986, 75 ff; weiters Starck, Gleichheitssatz 52, der betont, dass das Gleichheitsproblem nur dann erst bei der Anwendung des Gesetzes anfängt, wenn das Gesetz Ausdruck des allgemeinen Willens oder der Vernunft und damit allgemein in einem materiellen Sinn ist. Denn Gleichheit bedeutet diesfalls bloß Gesetzmäßigkeit. 180 S dazu schon Kelsen, Demokratie 11 ff. 181 Zacher, AöR 93 (1968) 358 f. 182 S zur Minderheitenschutzfunktion der Grundrechte allgemein und mwN Holoubek, Gewährleistungspflichten 124; zu der des Gleichheitssatzes im Speziellen zB Tipke, FS Stoll 230; s insb auch Öhlinger, FS Melichar 143, der – freilich noch im Jahr 1983 – konstatiert, dass der VfGH eine Unsachlichkeit vornehmlich in zwei Fallkonstellationen feststellt: Erstens dann, wenn eine gesetzliche Regelung an einem Mangel leidet, der sich erst im Vollzug herausstellt und der vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt war oder vorausgesehen wurde, bei einer Regelung also, die nicht ausreichend durchdacht ist; zweitens bei Regelungen, die eine oft sehr kleine Minderheit benachteiligen. Beide Fallgruppen sind, wie Öhlinger treffend feststellt, nicht deutlich voneinander abgrenzbar; was sie verbindet ist, dass der VfGH hier „Mängel [korrigiert], deren Ursachen im Gesetzgebungsprozeß einer modernen Demokratie strukturell bedingt sind“ (im Original mit Hervorhebung). 183 So laufen etwa, worauf Somek, Rationalität 230, zutreffend hingewiesen hat, bei der gegenwärtigen Bevölkerungsstruktur „klassische“ Familien mit ein bis zwei Kindern in einer Demokratie nicht wirklich Gefahr, benachteiligt zu werden, weil die Mehrheit der Bevölkerung sich gerade in einer solchen Familienkonstellation befindet. Das kann sich freilich ändern; entschließen sich die Menschen etwa mehrheitlich dazu, kinderlos zu bleiben, dann können Familien tatsächlich in Bedrängnis geraten.
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mokratie in Ermangelung eines Wahlrechts überhaupt nicht repräsentiert sind oder deren Stimme zu schwach ist, um gehört und beachtet zu werden, Personen ohne Lobby und Vertretung sind in besonderer Weise auf den Schutz des Gleichheitssatzes angewiesen184. Die Gefahr, dass ihre Interessen im politischen Prozess übergangen werden, ist groß. In solchen Belangen wäre richterliche Zurückhaltung daher völlig fehl am Platz185. Die Forderung, Verfassungsgerichte hätten sich bei der Kontrolle der Gleichheitskonformität einer Norm generell zurückzuhalten, verkennt nach all dem den Zusammenhang, in dem Gleichheit und Demokratie zueinander stehen. Davon abgesehen vermag sie auch das dem Gleichheitssatz immanente Wertungsproblem nicht zu beseitigen. d. Kapitulation vor dem Wertungsproblem Ein weiterer, in der österreichischen Literatur bisweilen feststellbarer Weg, mit dem Wertungsproblem des Gleichheitssatzes umzugehen, besteht darin, es beim Namen zu nennen, aber für unlösbar zu erklären: Der allgemeine Gleichheitssatz sei, so wird immer wieder betont, auf Wertungen angewiesen, enthalte diese aber nicht selbst und entziehe sich daher großteils einer rationalen Handhabung186. Von den Gerichten, die – ____________________
184 Daraus folgt nicht im Umkehrschluss, dass die Demokratie schon die hinreichende Gewähr für eine gleichheitskonforme Behandlung der Mehrheit ist. Denn dann wäre schon eine Norm, die wie Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zum Teil auch die Mehrheit vor der Minderheit (den Nichtadel vor dem Adel) schützt, ganz überflüssig. Dass das B-VG dieses (dem StGG noch zugrunde liegende) Vertrauen in den Gesetzgeber nicht mehr hat, beweist auch die Einrichtung der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle. Zur Unzulässigkeit eines solchen Umkehrschlusses s auch Zacher, AöR 93 (1968) 358 f; zur Bedeutung des Gleichheitssatzes für unterrepräsentierte Gruppen s weiters Somek, Rationalität 364 f. 185 S bereits Korinek, VVDStRL 39 (1981) 46; dens, FS Adamovich 270 mwN; s auch Öhlinger, Sozialrecht 166, unter Hinweis auf die Zeitungskolporteure, die durch eine überaus fragwürdige – und vom VfGH in VfSlg 14.802/1997 auch als gleichheitswidrig qualifizierte – Regelung des sog „Strukturanpassungsgesetzes“ 1996 gewissermaßen unter die Räder gekommen sind. Von der oft zu pauschal ausgesprochenen Empfehlung, ein Verfassungsgericht habe sich bei der Anwendung des Gleichheitssatzes Zurückhaltung aufzuerlegen, zu unterscheiden ist allerdings die berechtigte Forderung, dass die jeweils vorgenommenen Wertungen offen zu legen, zu begründen und konsequent anzuwenden sind, sodass die Judikatur vorhersehbar und von Widersprüchen frei bleibt. S zur diesbezüglichen Kritik am Begründungsstil der älteren Judikatur des VfGH etwa Pernthaler/Pallwein-Prettner, Entscheidungsbegründung 217 ff; an dem der neueren Judikatur etwa Firlei, FS Strasser 387 ff; Berchtold, FS Ermacora 342 ff; Noll, Sachlichkeit passim. 186 S bereits Kelsen, Staatsrecht 50; dens, VVDStRL 5 (1929) 69 f, der im Gleichheitssatz einen „Gemeinplatz des politischen Liberalismus“ sah, dessen Bedeutung vom verfassungsrechtlichen Standpunkt betrachtet „außerordentlich unklar“ sei; s auch den Befund von Ermacora/Klecatsky/Ringhofer, ÖJZ 1959, 29, die zwar feststellen, dass die österreichische Rechtswissenschaft „bedauerlicherweise keine erschöpfende Darstellung“ des Gleichheitssatzes aufweist, sogleich aber anfügen: „Gerade der Gleichheitssatz ist von so vielen ideologischen Elementen durchsetzt, daß eine rein rationale Aussage – und nur eine
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anders als die Wissenschaft – gezwungen sind, den allgemeinen Gleichheitssatz im konkreten Fall anzuwenden, wird dann einerseits gefordert, ihre Wertungen offen zu legen, andererseits wird verlangt, sich bei der Vornahme der (vorher als unausweichlich gekennzeichneten) Wertungen Zurückhaltung aufzuerlegen. Wird das eine oder das andere oder beides nicht getan, so hat die Judikatur mit scharfer Kritik zu rechnen187, manchmal gerade von jenen, die selbst im konkreten Fall eine andere Wertung vorgenommen hätten188. ____________________
solche wollen wir treffen – darüber jedenfalls kärglich ausfallen muß“ (Hervorhebung im Original). Bezeichnend auch Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 648, die meinen, die Gleichheitsprüfung könne nur durch ein Prüfungsschema rationalisiert, nachvollziehbar und im Endergebnis vorhersehbar gemacht werden; auch für die sodann im Einzelnen festgestellten Prüfungsschritte wird jedoch konstatiert: „Der Grad irrationaler Einflüsse bei der Beurteilung der einzelnen Fragen nimmt im Lauf des Verfahrens der Beurteilung sukzessive zu“. Besonders skeptisch auch Kelsen, Gerechtigkeit 26 f, und Walter, ZVR 1979, 37: „alle Versuche ‚Gleichheit‘ zu bestimmen [enden damit], daß ‚Gerechtigkeit‘ bestimmt werden muß. Wer meint, dies zu können, scheint hier in einer günstigen Position. Aber er muß mit seinem Ergebnis Glauben finden. Deshalb ist er letztlich in keiner besseren Lage als jene, die meinen, daß die Frage ‚Was ist Gerechtigkeit‘ rational nicht beantwortbar ist“; s auch Mayer, ÖJZ 1980, 343; Stoll, ÖStZ 1989, 196 ff, sowie Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1348: „In den meisten Erk des VfGH wird diese [gemeint: die gleichheitsrechtliche] Problematik berührt. Ein Grund dafür ist, dass der Gleichheitsgrundsatz in einem besonderen Maß unbestimmt ist, was der Entscheidungstätigkeit des VfGH einen weiten Spielraum eröffnet. Die Grenzen rationaler Erkenntnis sind hier eng gesteckt. Eine kognitive Aussage über den Inhalt des Gleichheitssatzes ist nur in Grenzfällen möglich; in allen anderen Fällen erweist er sich als Einfallspforte für außerrechtliche Wertvorstellungen des jeweils zur Vollziehung zuständigen Organs“. Von der Präpositivität der im Rahmen des Gleichheitssatzes vorzunehmenden Wertungen geht auch Ermacora, Handbuch 38 ff, aus (kritisch zu dieser Annahme Scheuner, DÖV 1966, 434). S auch Öhlinger, Verfassungsrecht7 Rz 762, nach dem das Ergebnis der im Rahmen einer Gleichheitsprüfung vorzunehmenden Abwägung ein Werturteil voraussetze „und damit, da es dabei stets um öffentliche Angelegenheiten geht, eine politische Entscheidung. Der Gleichheitssatz in der dargestellten Interpretation ermächtigt somit den VfGH zur Korrektur politischer Entscheidungen nach Kriterien, die selbst wiederum politisch sind: Der VfGH setzt seine Werturteile an die Stelle des – demokratisch gewählten – Gesetzgebers. Dies stellt in einer parlamentarischen Demokratie durchaus ein Problem dar.“ 187 S nur exemplarisch die Kritik von Berchtold, FS Ermacora 341, nach dem der Jurist in der Praxis zwar Argumente für und gegen die Gleichheitskonformität einer Regelung angeben kann, nicht hingegen, nach welchen Gesichtspunkten der VfGH diese Frage entscheiden werde; s auch die bekannte Kritik von Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1348, wonach der VfGH „– ohne seine Gründe ausreichend offenzulegen – einmal eine strenge, dann wieder eine ganz lockere Linie [vertritt], um das von ihm gewünschte Ergebnis zu begründen.“ 188 Auch die – scheinbar wertfreie – Forderung, bei der Vornahme von Wertungen Zurückhaltung zu üben, kann gerade von dem Wunsch getragen sein, dass eine ganz bestimmte Wertung nicht vorgenommen wird. Als Beispiele seien politisch besonders umstrittene Entscheidungen wie das Fristenlösungs-Erkenntnis VfSlg 7400/1974 oder das UOG-Erkenntnis VfSlg 8136/1977 genannt, zu ersterem zB Groiss/Schantl/Welan, ÖJZ 1978, 6 ff; s auch die Reaktionen auf das Heiratsgut-Erkenntnis VfSlg 11.368/1987, wiedergegeben bei Adamovich, FS Ermacora 240, und Berchtold, FS Ermacora 343
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e. Rechtsordnung als Wertungsquelle Vor dem Wertungsproblem des allgemeinen Gleichheitssatzes zu kapitulieren ist nicht zielführender als dieses Problem zu verschieben oder gar zu leugnen, jedenfalls dann nicht, wenn man sich zum Ziel setzt, zumindest einen Beitrag zu einer vorhersehbaren und rational nachprüfbaren Handhabung dieses Grundrechts zu leisten. Es bleibt dann nur, einerseits einzugestehen, dass eine Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes ohne die Vornahme von Wertungen nicht möglich ist, sich andererseits aber auch von der Vorstellung zu lösen, dass diese Wertungen, soweit sie dem allgemeinen Gleichheitssatz selbst nicht zu entnehmen sind, notwendig präpositiv sein müssen. Man mag in diesen Wertungen einen Ausdruck der „Gerechtigkeit“ sehen oder nicht189; darauf kommt es nicht entscheidend ____________________
(„Klassenjustiz“, „konservative Neben- und Gegenregierung“, „Mißbrauch des Gleichheitsgrundsatzes“); ebenso die heftige Kritik am Familienbesteuerungserkenntnis VfSlg 12.940/ 1991 (mwN Korinek, FS Adamovich 267 f; Adamovich, FS Matscher 1 f ); aus der jüngeren Vergangenheit sind auch die Turbulenzen rund um die Ortstafelerkenntnisse VfSlg 16.404/2001 und 17.733/2005 zu nennen, dazu Winkler, Ortstafeln; ders, Prüfung; Merten, FS Adamovich 463. In einen besonders offenen Widerspruch tritt die Forderung nach richterlicher Zurückhaltung einerseits und die gleichzeitige Rüge einer „falschen“, zur Bestätigung eines Gesetzes als gleichheitskonform führenden Wertung andererseits bei Noll, Sachlichkeit 153 ff; s zu diesem schon Somek, Rationalität 141. Dass auch judizielle Zurückhaltung eine politische Dimension hat, betont Korinek, FS Adamovich 270; s auch Pernthaler, Diskussionsbeitrag 79 ff. 189 In der deutschen Literatur wird die Forderung nach Gleichheit häufig mit der Forderung nach Gerechtigkeit identifiziert und auch das BVerfG hat den Begriff der Gleichheit in vielen Entscheidungen mit dem Problem der Gerechtigkeit in Zusammenhang gebracht; s zB Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 10 ff; ihm zustimmend E.-W. Böckenförde, VVDStRL 47 (1989) 95; s auch die Nachweise bei Huster, Rechte 34 f; kritisch dazu etwa in der Aussprache der Staatsrechtslehrertagung Ipsen, VVDStRL 47 (1989) 87 f; Stern, VVDStRL 47 (1989) 91; Starck, Gleichheitssatz 60 f. Die österreichische Lehre ist in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend, s schon Antoniolli, JBl 1956, 612 = ÖJZ 1956, 647, der das Naturrecht als tauglichen Maßstab zur Prüfung von Gleichheitsverletzungen durch den VfGH verwirft; dens, JBl 1967, 230: „Das Gleichheitsgebot darf nicht einem allgemeinen Gerechtigkeitsgebot gleichgesetzt werden“; s auch Korinek, VVDStRL 47 (1989) 71, der bezweifelt, dass der Gleichheitssatz als Gerechtigkeitspostulat verstanden seine normative Bedeutung behalten kann; ebenso Thienel, Vertrauensschutz 59; ders, Berufungsverfahren 27 f; s allerdings auch Pernthaler, Rechtsstaat 188, der für die Geltung des allgemeinen Gleichheitssatzes auch im Standesrecht plädiert und eine Beschränkung des militärischen Gehorsams auf ein sachlich gebotenes Maß verlangt, das erreicht sei, wenn sich der Vorgesetzte an die Pflicht halte, „in Ausübung seiner Befugnisse gerecht zu sein“ (Hervorhebung im Original); dens, JBl 1965, 71, nach dem der „Gleichheitsgrundsatz [...] in sich die grundlegenden gesellschaftlichen Gerechtigkeitsvorstellungen beschließt“; s auch Berka, Art 7 B-VG Rz 42, nach dem eine Differenzierung, um zulässig zu sein, „nicht irgendeinen Grund im Tatsächlichen haben [muss], sondern sie muss einen zureichenden und gerechten Grund im Tatsächlichen haben. Damit wird deutlich, dass der Gleichheitsgrundsatz auf Wertungen angewiesen ist, die auf die Frage hinauslaufen: Gibt es für eine Ungleichbehandlung (Differenzierung) einen vernünftigen, gerechtfertigten und gerechten Grund?“ (im Original mit Hervorhebungen). S allgemein zum Problem der Gerechtigkeit Kelsen, Gerechtigkeit; dens, Illusion; Walter, FS Mayer-Maly 207 ff.
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an. Maßgeblich ist allein, woher diese Wertungen bezogen werden. Soll ihre Vornahme weder dem Rechtsanwender noch der Rechtsgemeinschaft überantwortet sein, dann kommt als denkbare Quelle der Wertungen allein die Rechtsordnung selbst in Betracht190, dies in zweifacher Hinsicht: Zunächst ist die Verfassung selbst reich an Wertentscheidungen, die für die Handhabung des allgemeinen Gleichheitssatzes fruchtbar gemacht werden können191. Zu denken ist dabei zunächst an die speziellen Gleichheitsgebote, die in der Praxis zwar kaum Beachtung finden, in der Verfassung aber in beträchtlicher Zahl normiert sind192, weiters an die Freiheitsrech____________________
190 Dies wurde auch in der österreichischen Lehre schon oft festgestellt, s etwa Antoniolli, JBl 1956, 612 = ÖJZ 1956, 647; Heidinger, ÖStZ 1963, 194; Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 71; Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 320; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 5, 18 f; Korinek, FS Melichar 47; dens, FS Wenger 252; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 605 f; Spielbüchler, FS Floretta 304; Potacs, Devisenbewirtschaftung 375; Korinek/Holoubek, Abgabenrecht 85; Stolzlechner, FS Walter 673 ff; Grabenwarter, Selbstanzeige 100; nur für die Beachtlichkeit verfassungsrechtlicher Wertungen Thienel, Vertrauensschutz 61; weniger kategorisch nun aber ders, Berufungsverfahren 28 FN 67. S auch VfSlg 2966/1956, wonach gerade Normen des Verfassungsrechts nur begriffen werden können, „wenn man sie aus dem Zusammenhang des ganzen Staatsgefüges, von dem sie nur einen Teil bilde, beurteilt“. Auch Walter, ZVR 1979, 36, anerkennt, dass die Herausarbeitung allgemeiner Grundsätze aus der Rechtsordnung „ein wichtiger Schritt [ist], um zu einer größeren Rationalität der Begründung zu gelangen“, er bezweifelt allerdings, dass man deshalb zu einem stringenten Ergebnis gelangen könne (ZVR 1979, 37): „Die Unterscheidung von ‚willkürlichem‘ und ‚nicht willkürlichem‘ Handeln kann nur erfolgen, wenn eine normative Ordnung gilt, nach der diese Unterscheidung gemacht werden kann. Die Rechtsordnung kann diese erforderliche normative Ordnung nicht sein; denn sie löst das angesprochene Problem nicht“; ähnlich auch noch Thienel, Vertrauensschutz 62 ff. 191 Dass der allgemeine Gleichheitssatz nicht isoliert im Gefüge der Verfassung steht, wurde in Deutschland und zum Teil auch in der Schweiz schon früh betont, s Nawiasky, VVDStRL 3 (1927) 30 ff; Ipsen, Gleichheit 162 ff; dens, VVDStRL 47 (1989) 88; Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 29; G. Müller, VVDStRL 47 (1989) 47 f; Rohloff, Zusammenwirken 28; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 271; Brüning, JZ 2001, 672; Starck, Art 3 GG Rz 17, 52 ff. S für Österreich Ermacora, Handbuch 70, nach dem die „Ausgangsbasis“ für die Ermittlung relevanter Werte „die Verfassungsrechtsordnung [bietet], in der ja bestimmte Wertvorstellungen deutlich zum Ausdruck kommen“; ebenso Thienel, Vertrauensschutz 64; ders, Berufungsverfahren 45 ff; Stolzlechner, FS Walter 673 ff; Gutknecht, ZAS 1993, 123. AA offenbar Noll, Sachlichkeit 105, nach dem „der Gleichheitssatz selbst wertauffüllungsbedürftig und auch -fähig ist, derartige Werte aber in gänzlich unzureichendem Maß dem Verfassungstext selbst zu entnehmen sind, sondern vielmehr nur den tagespolitisch motivierten Anliegen der an den VfGH Herantretenden bekannt sind“, ebenso ders, aaO 194 FN 468; aA wohl auch Somek, Rationalität 69 FN 16, der meint, ein Rekurs auf eine Wertentscheidung, die dem österreichischen Bundesverfassungsrecht zugrunde liegt, sei „mit der gravierenden Unklarheit belastet [...], ob das positive Verfassungsrecht selbst (also Art. 7 B-VG und die verwandten Bestimmungen) oder das Verfassungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung des VfGH gemeint ist“. Diese Unklarheit kann für die vorliegende Arbeit beseitigt werden: Gemeint ist das positive Verfassungsrecht selbst. Die von Somek, Rationalität 104, vertretene Ansicht, dass der Verfassung eine von ihrer Interpretation unabhängige Bedeutung nicht zukommt, wird hier nicht geteilt. 192 S schon Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 599, nach denen die besonderen Gleichheitsgewährleistungen „in der einen oder anderen Form Auswirkung auf das Verständnis
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te, die die Gleichheit der bürgerlich-liberalen Rechte sicherstellen und auch leitende Gesichtspunkte für die Lasten- und Pflichtengleichheit geben193, dann aber auch an jene organisations- und verfahrensrechtlichen Verfassungsgarantien, die die Gleichheit der Rechtsdurchsetzung näher konkretisieren194. Schließlich gibt, wie gezeigt195, auch die enge Verbindung zwischen Gleichheit und demokratischem Prinzip Anhaltspunkte für die Handhabung des Gleichheitssatzes. Soweit weder aus dem „historischen Bestand“ des allgemeinen Gleichheitssatzes noch aus seinem Wortlaut oder seiner Zielsetzung noch auch aus der restlichen Verfassung eine Festlegung resultiert, was wesentlich gleich und was wesentlich ungleich ist, muss es dem Gesetzgeber – mangels verfassungsrechtlicher Vorgaben – freistehen, diese Festlegung selbst zu treffen. Der allgemeine Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber dann allerdings dazu, alles, was im Lichte dieser Wertung gleich ist, gleich und alles, was ungleich ist, ungleich zu behandeln. Welche Wertungen einer Norm zugrunde liegen, ist dabei letztlich eine Auslegungsfrage, wie sie sich dem Rechtsanwender auch sonst in vielen Zusammenhängen stellt. Ob diese Wertungen konsequenterweise auch bei einer anderen Norm Berücksichtigung finden müssten, hängt davon ab, was der einfache Gesetzgeber mit dieser zweiten Norm erreichen will: Auch die Beantwortung dieser Frage ist qualitativ aber nicht von jenen Problemen verschieden, die bei der Auslegung von Rechtsnormen auch sonst zu lösen sind. Das dem allgemeinen Gleichheitssatz immanente Wertungsproblem tritt damit auf zwei verschiedenen Ebenen auf, die voneinander zu unterscheiden sind: Zum einen kommt es innerhalb der einfachgesetzlichen Rechtsordnung zum Tragen, die auf ihre Konsequenz und Widerspruchsfreiheit hin zu durchleuchten ist, und zwar am Maßstab jener Wertentscheidungen, die der einfache Gesetzgeber selbst getroffen hat196; diese hat der Rechtsanwender nur zu ermitteln, nicht aber zu korrigieren. Darin allein ____________________
des allgemeinen Gleichheitssatzes entfalten und auf diese Weise dazu beitragen, insbesondere in den Randbereichen des allgemeinen Gleichheitssatzes die Konturen schärfer zu zeichnen.“ S auch noch unten E. und G. 193 S wiederum Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 599, die zutreffend betonen, dass in den Grundrechten „ein substantielles Stück Gleichheit“ steckt. S auch noch unten F. 194 S dazu unten H. 195 B.VIII., C.IV.3.c. 196 S auch VfSlg 10.365/1985, wonach es dem Gesetzgeber freisteht, Abgabenerhöhungen auch dann vorzunehmen, wenn sich die Ertragsverhältnisse der Steuerpflichtigen verschlechtern, sofern nur die Regelung nicht jeder sachlichen Rechtfertigung entbehrt oder zu einer Aushöhlung des Grundrechts auf Unversehrtheit des Eigentums führt und wenn die Regelung nur in sich nicht widersprüchlich ist; s auch das Erkenntnis VfSlg 12.566/ 1990, in dem der VfGH eine Norm gleichheitskonform interpretiert, um dem Gesetzgeber nicht einen unerklärlichen Wertungswiderspruch unterstellen zu müssen.
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erschöpft sich der allgemeine Gleichheitssatz allerdings nicht; er ermöglicht es vielmehr auch, die einfachgesetzlichen Wertungen selbst zu problematisieren und erforderlichenfalls umzustoßen. Maßgebliche Quelle dieser Wertungskorrektur kann dann freilich nicht mehr die einfachgesetzliche Rechtsordnung, sondern nur die ihr übergeordnete Verfassung sein. Auch in diesem Fall geben also nicht die Wertungen des Rechtsanwenders den Ausschlag; entscheidend sind vielmehr die Wertungen, die sich dem Gleichheitssatz im Wege der Auslegung entnehmen lassen oder die in der sonstigen Verfassung zum Ausdruck kommen. In Zweifelsfällen, wenn also eine Patt-Stellung besteht zwischen den Argumenten, die eine Gleichbehandlung nahe legen, und den Gründen, die für eine Ungleichbehandlung sprechen, ist grundsätzlich vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, also von der Gleichheitskonformität einer Regelung auszugehen, es sei denn, es lägen besondere Gründe vor, die diese Vermutung für die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit umkehren und eine Zweifelsregel für die Gleich- oder für die Ungleichbehandlung aufstellen. Bei der Vornahme von Wertungen, die nicht auf die Rechtsordnung selbst rückführbar sind, ist demnach tatsächlich die in der Lehre – bisweilen freilich zu pauschal – eingeforderte Zurückhaltung geboten.
4. Einwände a. Der Sachgerechtigkeitseinwand Die Annahme, der Gleichheitssatz sei ein Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, ist in Österreich zwar überwiegende, aber doch nicht völlig unbestrittene Lehre. Somek meint, diese Annahme formuliere „metaphysischen Unsinn“. Das „an sich Gleiche oder Ungleiche“ gäbe es nicht. „Als gleich oder ungleich erscheinen Fälle oder Fallgruppen bloß im Hinblick auf einen politischen Zweck.“197 Ersteres wird hier und wurde, soweit zu sehen, auch sonst nirgendwo behauptet; zweiteres noch nie bestritten. Das an sich Gleiche oder Ungleiche gibt es natürlich nicht. Deshalb wird auch stets betont, dass nur das „wesentlich“ Gleiche gleich und das „wesentlich“ Ungleiche ungleich zu behandeln ist198. Was „wesentlich“ ist, hängt sehr oft vom Regelungskontext ab, dieser wiederum ist durch die Ziele bestimmt, die der Gesetzgeber mit einer Regelung jeweils verfolgt199. Dass das B-VG gewisse Unterschiede aber auch unabhängig vom Regelungskontext für unmaßgeblich erklärt, etwa Unter____________________
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Somek, Der Staat 2004, 428. S hier C.IV.1.b., C.IV.2.b. und c. S C.IV.3.b. und c. sowie noch unten D.I.4.
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schiede der Geburt oder des Geschlechts, lässt sich kaum bestreiten und dürfte auch von Somek, der den Gleichheitssatz ausschließlich als Diskriminierungsverbot deutet, nicht bestritten werden. In diesem Punkt bestehen also wohl keine echten Differenzen. Tiefer geht der Einwand Someks, die Deutung des Gleichheitssatzes als Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, bringe das Gleichheitsrecht zum Verschwinden. Sie ersetze es durch ein Gebot der Sachgerechtigkeit, also durch kontextspezifische Weisungen, aufgrund von Kriterien der Sachgerechtigkeit Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Der im Gleichheitssatz in Wahrheit zum Ausdruck kommende Antidiskriminierungsgrundsatz verliere dadurch seine Tiefe und werde von der Sachgerechtigkeit absorbiert200. Dieser Befund ist teilweise richtig, teilweise aber auch nicht. Das Gebot, wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, läuft in seiner dritten Variante (also soweit es Maßstäbe aufstellt, nach denen zu differenzieren ist)201, tatsächlich auf ein Gebot der Sachgerechtigkeit hinaus; dass dem Gleichheitssatz ein solches Gebot zu entnehmen ist, lässt sich aber entstehungsgeschichtlich begründen202. Es mag auch sein, dass ein Gericht sich mit diesem Aspekt des Gleichheitssatzes so sehr beschäftigt, dass es den – historisch ebenso belegbaren – Antidiskriminierungsaspekt des Gleichheitssatzes ganz aus dem Blick verliert. Dies läge dann allerdings an einer einseitigen Anwendung des Gleichheitssatzes, nicht hingegen an seiner Deutung als ein Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Richtig verstanden bringt diese Deutung das Diskriminierungsverbot des Gleichheitssatzes nämlich keineswegs zum Verschwinden, eher ist sogar das Gegenteil der Fall: Wie gezeigt, lassen sich im Gewand einer Gleichbehandlung auftretende, deshalb aber nicht minder schwerwiegende Diskriminierungen gleichheitsrechtlich überhaupt erst erfassen, wenn man akzeptiert, dass der Gleichheitssatz sich nicht gegen die Ungleichbehandlung schlechthin wendet, sondern gegen die Herabsetzung eines Menschen als Person, mag diese nun durch eine Differenzierung oder durch eine Gleichbehandlung geschehen203. b. Der Einwand der Substanzlosigkeit Dennoch trifft Someks Kritik einen wunden Punkt der beschriebenen Standardformel. Versteht man den allgemeinen Gleichheitssatz ohne weitere Beachtung seiner historischen Entwicklung und seiner Stellung im ____________________
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Somek, Rationalität 45. C.IV.2.d. C.IV.2.b.bb. C.IV.2.b.aa. S zum Diskriminierungsverbot des Gleichheitssatzes noch unten E.
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System der Verfassung bloß als ein Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, so scheint er ein Grundrecht zu sein, das inhaltsleer ist und ohne substanziellen Kern204. Es sieht so aus, als hätte der allgemeine Gleichheitssatz in dieser Deutung anders als die Freiheitsrechte keinen Schutzbereich, in den eine Norm eingreifen könnte: Denn entweder sind zwei Personengruppen wesentlich gleich, dann sind sie gleich zu behandeln, sodass ihre Ungleichbehandlung nicht erst in den Gleichheitssatz eingreift, sondern diesen bereits verletzt. Oder zwei Personengruppen sind wesentlich ungleich, dann sind sie nicht bloß prima facie, sondern definitiv ungleich zu behandeln205. So wie es auf den ersten Blick unpassend erscheint, hier von einem „Eingriff“ oder von „Schranken“ des Gleichheitssatzes zu sprechen, ist zunächst auch kein mit den Freiheitsrechten vergleichbarer Lebensbereich ersichtlich, den man dem Gleichheitssatz als „Schutzobjekt“ zuordnen könnte. Dementsprechend wurde in der Lehre immer wieder angenommen, dass sich der allgemeine Gleichheitssatz in dieser Hinsicht grundsätzlich von den Freiheitsrechten unterscheide. Er besitze anders als diese keinen Schutzbereich206, oder es ließen sich doch die „mit dem üblichen ‚Schrankendenken‘ verbundenen dogmatischen Konstruktionen [...] nicht ohne weiteres auf den Gleichheitssatz übertragen“207. Nimmt man die Formel, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, ernst, dann müsste allerdings jede Ungleichbehandlung zwischen Rechtsunterworfenen auf Unterschiede rückführbar sein, die zwischen den Vergleichsgruppen bestehen; nur weil und wenn diese in relevanter Hinsicht ungleich sind, dürften sie auch ungleich behandelt werden208. So plausibel diese Forderung auf den ersten Blick erscheint, so ____________________
204 In diese Richtung wohl auch Somek, Rationalität 43 ff, der allerdings seinerseits von der hier nicht geteilten Gleichheitspräsumtion ausgeht; diese wird etwa bei Luhmann, Grundrechte 162 ff, gerade als Ergebnis einer vorausgehenden „Entleerung“ des Gleichheitssatzes postuliert (169). 205 S exemplarisch B. Davy, Anlagenrecht 216 f: „So kann ein Gesetz nicht in den vom Gleichheitssatz [...] geschützten Bereich ‚eingreifen‘, ohne das Gleichheitsrecht zugleich zu verletzen. Es kann lediglich eine Regelung treffen, durch die wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt wird, oder die gleichheitswidrig ist.“ 206 Berka, Art 7 B-VG Rz 38; P. Kirchhof, Gleichheitssatz Rz 290; Lübbe-Wolff, Grundrechte 17 f; Rohloff, Zusammenwirken 231 ff. Anders hingegen Kloepfer, Gleichheit 54 ff; Huster, Rechte passim; Möckel, DVBl 2003, 488 ff. 207 Berka, Art 7 B-VG Rz 38; s auch Somek, Rationalität 444 f, der eine Schutzbereichskonstruktion allerdings nur ablehnt, weil er die Konsequenzen fürchtet, s dazu noch näher unten E.I.4.c. 208 In diesem Sinn wird der allgemeine Gleichheitssatz in der Lehre auch regelmäßig erläutert, s etwa Walter, ZVR 1979, 38, nach dem in der dritten und letzten Phase der Gleichheitsprüfung zu erwägen ist, „ob der eine oder andere der festgestellten Unterschiede die differenten Rechtsfolgen ‚rechtfertigen‘ und die Unterscheidung der Folgen – im Rahmen der getroffenen Regelung – somit ‚sachlich‘ und nicht ‚unsachlich‘ oder ‚willkür-
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wenig ist sie in der Lage, jedes in der Praxis auftretende Gleichheitsproblem zu bewältigen. Besonders augenfällig wird dies, darauf hat Huster mit voller Deutlichkeit hingewiesen209, wenn der Gesetzgeber bei der Erlassung einer Norm von einer „Durchschnittsbetrachtung“ ausgeht und atypische Fälle vernachlässigt oder wenn er aus verwaltungsökonomischen Erwägungen bewusst Differenzierungsdefizite in Kauf nimmt: Werden etwa die Werbungskosten, die einem Steuerpflichtigen entstanden sind, nicht individuell ermittelt, sondern mit einer Pauschale festgesetzt, so werden Steuerpflichtige mit unterschiedlich hohen Werbungskosten gleich behandelt. Sollen die Kosten, die einer Partei in einem Verfahren entstanden sind, nur pauschal abgegolten werden, so erhält der, der einen hohen Aufwand hatte, gleich viel wie der, dessen Aufwand gering war. Auch wenn die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nur im Rahmen einer jährlich festgelegten Quote zugelassen ist, werden Personen in gleicher Lage ungleich behandelt: Anträge, die vor der Ausschöpfung der Quote behandelt werden, sind (wenn alle sonstigen Erfordernisse erfüllt sind) zu bewilligen, Anträge, die nach diesem Zeitpunkt behandelt werden, sind abzuweisen. Die Antragsteller werden also ungleich behandelt, obwohl zwischen ihnen kein wesentlicher Unterschied besteht; und ein solches System nimmt auch von vornherein nicht für sich in Anspruch, zwischen den Antragstellern zu differenzieren, weil sie sich voneinander unterscheiden. Es stützt sich vielmehr unter Berufung auf öffentliche Interessen auf das Ziel, die jährliche Einwanderung zu begrenzen. Gleiches gilt ganz allgemein für Differenzierungen, die nach einem zeitlichen Moment getroffen werden: Fristen oder Stichtage führen dazu, dass Personen in gleicher Lage vor dem Verstreichen der Frist oder dem Eintritt ____________________
lich‘ ist“; Potacs, Devisenbewirtschaftung 374, wonach entscheidend für die Frage der Gleichheitskonformität die Frage ist, ob „die Unterschiede im Einzelfall so wesentlich sind, daß sie eine Differenzierung sachlich rechtfertigen“; s auch Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 761, der unter Berufung auf die Judikatur feststellt: „Nur dann, wenn gesetzliche Differenzierungen aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ableitbar sind, entspricht das Gesetz dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz“, und dann in Rz 762 anschließt: „Es geht bei der Gleichheitsprüfung um die Frage, ob eine rechtliche Differenzierung mit tatsächlichen Unterschieden in einer Weise korrespondieren, die sachlich gerechtfertigt werden kann.“ (im Original jeweils mit Hervorhebungen); ebenso Mayer, B-VG Art 2 StGG III.1., nach dem eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung Unterschiede im Tatsachenbereich voraussetzt; Fürst, Quotenregelung 238, nach der die sachliche Rechtfertigung für eine Differenzierung nur aus Unterschieden im Tatsachenbereich ableitbar ist; s auch die Hinweise in FN 89; auch die Verfasserin selbst hat das sogleich zu erörternde Problem vor einigen Jahren noch nicht gesehen und sich mit dem Satz, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, begnügt und zu apodiktisch behauptet: „Eine Ungleichbehandlung ist vor dem Gleichheitssatz nur dann erlaubt, wenn im Tatsächlichen wesentliche Unterschiede bestehen; wesentlich Gleiches muß der Gesetzgeber aber gleich behandeln“ (Pöschl, JBl 1997, 427). 209 Huster, Rechte 260 ff; ders, Art 3 GG Rz 127 ff.
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des Stichtages anders behandelt werden als nach diesem Zeitpunkt. Hielte man sich in Fällen wie diesen an den Satz, dass nur Ungleiches ungleich behandelt werden darf, müssten die beschriebenen Vorschriften allesamt als gleichheitswidrig verworfen werden. Hier muss nicht beurteilt werden, ob jede dieser Regelungen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar wäre; klar ist aber, dass es Fallkonstellationen geben kann, in denen aus Zweckmäßigkeitserwägungen oder sonstigen öffentlichen Interessen in gewissem Umfang von den Umständen des Einzelfalles abgesehen und eine Ungleichbehandlung von Gleichem oder eine Gleichbehandlung von Ungleichem in Kauf genommen werden muss. In diesen Fällen gerät die These, der allgemeine Gleichheitssatz verfüge über keinen Schutzbereich, ins Wanken. Denn der Gesetzgeber scheint dann ja die eigentlich, prima facie gebotenen Un/gleichbehandlung zu durchbrechen, ohne dass deshalb auch gesagt werden könnte, er verletze jedenfalls den Gleichheitssatz. Nun fällt auf 210, dass die Lehre zwar einerseits – und ungeachtet solcher Fälle – annimmt, der Gleichheitssatz habe keinen Schutzbereich, sich aber andererseits darüber uneinig ist, ob und inwieweit es für die Gleichheitskonformität einer Regelung auch auf ihre Verhältnismäßigkeit ankommen kann211. Die Bandbreite der vertretenen Meinungen reicht von der ausnahmslosen Ablehnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung212 bis hin zur Annahme, eine solche Prüfung könne im Rahmen des Gleichheitssatzes nur bei einer Ungleichbehandlung verschiedener Personengruppen213 oder aber ganz allgemein stattfinden214. Zwischen diesen Positionen befinden sich jene Autoren, die zwar für eine Interessenabwägung im Rahmen der Gleichheitsprüfung eintreten, zugleich aber feststellen, diese ____________________
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Auch dies hat zum ersten Mal Huster, Rechte 175, in voller Klarheit gesehen. S allgemein und mwN Huster, Rechte 61 ff, 176 ff; Pöschl, JBl 1997, 413 ff; Sachs, JuS 1997, 124 ff; Brüning, JZ 2001, 669 ff. 212 ZB Lerche, Übermaß 29 ff; Grabitz, AöR 98 (1973) 585; W. Pesendorfer, ZÖR 1977, 284; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit 111 ff; Robbers, DÖV 1988, 752; Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot 104 ff; möglicherweise auch Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 98 FN 372, nach dem der Gleichheitssatz weder die Funktion haben könne, „fehlende spezielle Gleichheitsverbürgungen zu supplieren, noch […] die verfassungsrechtlichen Garantien dort gleichsam zu ‚verdoppeln‘, wo auch ein anderes Grundrecht thematisch einschlägig ist“; darauf laufe es aber der Sache nach hinaus, wenn „unter dem Gleichheitssatz jene elaborierte Verhältnismäßigkeitsprüfung abgeführt wird, die im Bereich der Freiheitsrechte ihren dogmatischen Platz hat“. 213 S etwa K. Hesse, FS Lerche 121, 128, sowie die Nachweise bei Huster, Rechte 62 FN 78. 214 S zB Funk, WBl 1987, 183 FN 7; Ermacora, Grundriß Rz 274; Novak, FS Winkler (1989) 58; Grabenwarter, Selbstanzeige 97; wohl auch Oberndorfer/Binder, FS Klecatsky 687 f; für Deutschland zB Ipsen, AöR 78 (1952/53) 314 FN 46; Wittig, DÖV 1968, 821 ff; Kloepfer, Gleichheit 58 ff; Schoch, DVBl 1988, 874; Wendt, NVwZ 1988, 781 ff; Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 23; Martini, Prinzip 166 ff.
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Allgemeine Probleme
Abwägung unterscheide sich maßgeblich von jener Verhältnismäßigkeitsprüfung, die bei den Freiheitsrechten vorgenommen werde215. Wie immer man sich in dieser Frage positioniert, eines steht fest: Wenn man der Ansicht ist, im Rahmen der Gleichheitsprüfung sei auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen, muss man auch die Annahme aufgeben, der Gleichheitssatz habe keinen Schutzbereich, in den eingegriffen werden kann: Denn ohne einen solchen Eingriff in ein prima facie geschütztes Interesse macht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung keinen Sinn. Dass der Gleichheitssatz einen Schutzbereich hat, liegt aber in Ansehung der oben geschilderten Fälle nahe, in denen Gleiches aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen ungleich behandelt wird, ohne dass dies von vornherein als gleichheitswidrig angesehen werden kann. An der Standarderläuterung des Gleichheitssatzes – Gleiches ist gleich, Ungleiches ist ungleich zu behandeln – scheint also etwas nicht zu stimmen. Das führt zum dritten Modell, das in der Lehre für eine dogmatisch richtige Erfassung des Gleichheitssatzes vorgeschlagen worden ist.
V. Modell 3: Substanzieller Schutzbereich 1. Das Eingriffsmodell von Huster: Interne Zwecke – externe Zwecke Huster hat die Meinungsverschiedenheiten über die gleichheitsrechtliche Relevanz einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auf den Umstand zurückgeführt, dass unter dem Titel des Gleichheitssatzes zwei verschiedene Fallkonstellationen auftreten können216; nur eine davon sei aber einer Ver____________________
215 ZB G. Müller, VVDStRL 47 (1989) 41, 51; Thienel, Vertrauensschutz 34 ff; Holoubek, ÖZW 1991, 79; Korinek/Holoubek, Abgabenrecht 88; Kischel, AöR 124 (1999) 191; s aber auch Berka, Grundrechte Rz 925; dens, Art 7 B-VG Rz 47, nach dem die jeweils anzustellenden Erwägungen „praktisch gleichartig“ sind. Für eine Abwägung im Rahmen des Gleichheitssatzes offen ist wohl auch Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 762, nach dem eine „festgestellte rechtliche Differenzierung den unterschiedlichen Sachverhalten, auf die sie sich bezieht, gegenüberzustellen und abzuwägen [ist], inwieweit diese ‚Unterschiede im Tatsächlichen‘ die in den Rechtsvorschriften an sie geknüpften unterschiedlichen Rechtsfolgen rechtfertigen.“ (Hervorhebung nicht im Original); aaO Rz 722, nimmt Öhlinger allerdings an, dass das allgemeine Gebot der Sachlichkeit Ähnlichkeiten mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip aufweise, ohne mit diesem aber identisch zu sein; zuvor plädierte Öhlinger, AnwBl 1994, 669 FN 34, zwar dafür, „ ,Verhältnismäßigkeit‘ und ‚Sachlichkeit‘ als unterschiedliche […] Anforderungen an die Gesetzgebung, die sich aus jeweils unterschiedlichen Grundrechtspositionen ergeben, zu verstehen“, räumte aber auch ein, dass sich diese Anforderungen überschneiden. Gegen die „gleichheitsspezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung“ der Judikatur wendet Öhlinger, Sozialrecht 163 FN 47, ein, sie vermische in zweifelhafter Weise die Differenz zwischen dem Gleichheitssatz und den Freiheitsrechten. 216 Huster, Rechte 165 ff; ders, Art 3 GG Rz 73 ff.
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hältnismäßigkeitsprüfung zugänglich. Die Befürworter einer gleichheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung hätten diese eine Konstellation vor Augen, während jene Autoren, die sich gegen eine solche Prüfung aussprechen, von der zweiten Konstellation ausgingen. Diese zweite Konstellation betreffe Ungleichbehandlungen, die nicht als Mittel zur Erreichung eines davon verschiedenen Zwecks verstanden werden können, sondern den „internen Zweck“ verfolgen, einem „Gerechtigkeitsmaßstab“ zu entsprechen: Wenn zwei Straftäter je nach ihrer Schuld ungleich bestraft werden oder wenn zwei Personen je nach ihrer Leistungsfähigkeit eine Abgabe in unterschiedlicher Höhe vorgeschrieben wird, dann lasse sich zwar fragen, ob die Strafe der Schuld und die Steuer der Leistungsfähigkeit „angemessen“ sei. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung finde dabei jedoch in Wahrheit nicht statt: Denn Schuld und Strafe bzw Steuer und Leistungsfähigkeit seien keine kollidierenden Rechtsgüter, sodass eine Abwägung zwischen ihnen nicht möglich sei. Die Ungleichbehandlung, die in der unterschiedlich hohen Bestrafung besteht, sei gerechtfertigt, weil sie sich am Ausmaß der Schuld orientiert. Die unterschiedliche Höhe der absoluten steuerlichen Belastung legitimiere sich durch das Prinzip der Leistungsfähigkeit. Würde man fragen, warum die Ungleichbehandlung nach diesem Maßstab gerechtfertigt ist, könne die Antwort darauf nur sein: „Weil dies gerecht ist“217. Die Ungleichbehandlung habe also den Zweck, gerecht zu sein. Sinnvoll gefragt werden könne nicht, ob sie geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig zur Erreichung dieses Zwecks ist, sondern nur, ob sie diesem Maßstab entspricht 218. Anderes gelte für Ungleichbehandlungen, die einen „externen“ Zweck verfolgen, also ein Ziel, das von der Unterscheidung selbst verschieden ist. Dies sei etwa der Fall, wenn zwei Straftäter unterschiedliche Rechtsgüter verletzt und dabei die gleiche Schuld auf sich geladen haben, einer von ihnen aber härter bestraft wird, weil er ein Delikt begangen hat, das in Mode zu kommen droht und dessen Bekämpfung der Polizei noch nicht gelungen sei. Ein vergleichbarer Fall liege vor, wenn von zwei gleich leistungsfähigen Personen eine erheblich weniger Steuern bezahlen muss, weil ihr – um die Baukonjunktur anzukurbeln – gestattet werde, die Kosten für den Bau eines Eigenheims abzusetzen. In beiden Fällen könne man fragen, ob das Mittel (die ungleiche Bestrafung bzw Besteuerung) geeignet und erforderlich sei, um den dadurch angestrebten Zweck (Schutz der ____________________
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Huster, Rechte 173. Huster, Rechte 170 f. Ein von Husters Begriffsbildung wohl abweichendes Verständnis der „Entsprechungsprüfung“ legt Kischel, AöR 124 (1999) 192, zugrunde, wenn er meint, bei einer Entsprechungsprüfung sei zu fragen, ob „sachliche Gründe die Ungleichbehandlung im Hinblick auf die gleichen und ungleichen Eigenschaften aufwiegen können.“ 218
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Allgemeinheit, Ankurbelung der Bauwirtschaft) zu erreichen, und dieser Zweck lasse sich seinerseits gegen das Mittel abwägen. Dabei sei etwa im zweiten Fall zu fragen, ob die Durchbrechung des steuerrechtlichen Gleichbehandlungsgebotes, das sich im Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit konkretisiert, durch den wirtschaftspolitischen Zweck aufgewogen wird, ob dieser Zweck es also rechtfertige, „die ‚eigentlich‘ vorzunehmende Gleichbehandlung von X und Y zu modifizieren“219. Die steuerliche Belastungsgleichheit sei also gegen die Förderung der Bauwirtschaft abzuwägen. In dieser Differenzierung zwischen internen und externen Zwecken sieht Huster den „Schlüssel, um den unfruchtbaren Gegensatz zwischen genereller Befürwortung und genereller Ablehnung einer Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aufzuheben“220. Habe man aber einmal akzeptiert, dass es im Rahmen des Gleichheitssatzes in bestimmten Fallkonstellationen zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung kommen kann, dann müsse man sich konsequenterweise auch von der Auffassung lösen, dass sich dieses Grundrecht einer Eingriffsdogmatik nicht fügt221: Der allgemeine Gleichheitssatz habe daher – anders als die herrschende Lehre annehme – sehr wohl einen Schutzbereich, der durch das Recht konstituiert werde, „gemäß den jeweiligen Maßstäben der Gerechtigkeit im engeren Sinne und damit gemäß der individuellen Würdigkeit behandelt zu werden“222. Der Unterschied zwischen Gleichheitssatz und Freiheitsrechten bestehe auf dieser Stufe nur darin, „daß in der Gleichheitsprüfung zunächst festgestellt werden muß, welche Differenzierung dem Gleichheitssatz ‚eigentlich‘ entspricht“223. Dabei sei es innerhalb der Grenzen des Willkürverbotes zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, diese Rechte festzulegen224. Ausschlaggebend dafür müsse sein, „welche Gerechtigkeitsmaßstäbe sich aus der Verfassung, aber auch aus der Rechtsgeschichte, der Rechtsphilosophie, also dem gesamten Diskurs der ‚offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten‘ mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lassen“225. Eine Durchbrechung dieser Maßstäbe bzw eine Un/gleichbehand____________________
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Huster, Rechte 165, 171 f. Huster, Rechte 181. 221 S schon Huster, Rechte 65. 222 Huster, Rechte 225; s auch dens, Art 3 GG Rz 79: Der Schutzbereich des Gleichheitssatzes wird konstituiert durch die Gleichbehandlung im normativen Sinn. Diese wird durch „sachbereichsspezifische Gerechtigkeitsmaßstäbe oder interne Zwecke konkretisiert, die die relevante Vergleichshinsicht definieren.“ 223 Huster, Rechte 219, 221, 238; s auch dens, Art 3 GG Rz 79. 224 Huster, Rechte 226, 238; s auch dens, Art 3 GG Rz 90. 225 Huster, Rechte 226. 220
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lung, die keinem denkbaren sachbereichsspezifischen Maßstab entspricht226, sei dann als Eingriff in die eigentlich geforderte Un/gleichbehandlung bzw in das Gleichheitsrecht zu verstehen. Beruhe dieser Eingriff auf externen Zwecken, so sei seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz „im Rahmen insbesondere der Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen“227. Daneben könne der Gesetzgeber die Gerechtigkeit im engeren Sinn aber auch verfehlen, ohne externe Zwecke zu verfolgen, so, wenn er nach einem Kriterium differenziere, das keinem internen Gerechtigkeitsmaßstab des Regelungsbereiches entspricht228.
2. Einwände Gegen dieses Eingriffsmodell wurde in der Literatur der Einwand erhoben, dass sich eine Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken überhaupt nicht durchführen lasse229 – eine These, die Huster mE zu Recht mit dem Argument zurückgewiesen hat, die Begriffe des internen und externen Zwecks seien nur die handlungstheoretische Umformulierung der Unterscheidung zwischen Gerechtigkeits- und Nützlichkeitserwägungen; diese gehöre aber unbestritten „zum Grundbestand unseres Nachdenkens über normative Fragen“230. Zugestanden hat Huster allerdings, dass es gelegentlich schwierig sei, eindeutig zu entscheiden, ob eine Differenzierung Gerechtigkeits- oder Nützlichkeitserwägungen folgt231. Er räumt auch ein, dass Regelungen (etwa solche der Lastenverteilung) sowohl auf externen als auch auf internen Zwecken beruhen können. Die grundsätzliche Unterscheidungen zwischen diesen beiden Kategorien werde dadurch aber nicht in Frage gestellt; ob eine Differenzierung auf internen oder externen Zwecken beruht, sei nämlich in vielen Fällen „recht eindeutig“ oder doch bei einer näheren Analyse des jeweiligen Regelungsbereiches regelmäßig erkennbar232. ____________________
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Huster, Art 3 GG Rz 80. Huster, Rechte 233; ders, Art 3 GG Rz 80 f, 125 f. 228 Huster, Rechte 233; s auch dens, Art 3 GG Rz 121. 229 ZB Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit 193. 230 Huster, Art 3 GG Rz 83. 231 Huster, Rechte 243; ders, Art 3 GG Rz 84 mN dieses Einwandes in FN 158; die Unbestimmtheit der Definition interner Zwecke kritisiert auch Möckel, DVBl 2003, 492; s weiters Kischel, AöR 124 (1999) 191 FN 80, der darauf hinweist, dass sich fast jeder Regelung sowohl externe als auch interne Zwecke zuordnen lassen. Dass „Gerechtigkeitsmaßstäbe“ ihrerseits durch vielfältige, mitunter auch konkurrierende Zwecke beeinflusst sind, betonen Heun, Art 3 GG Rz 29; Kallina, Willkürverbot 177 ff; Gubelt, Art 3 GG Rz 15; s auch Somek, Rationalität 117. 232 Huster, Art 3 GG Rz 84. 227
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Allgemeine Probleme
Ganz so leicht vom Tisch wischen lässt sich der Einwand der Mehrdeutigkeit von Regelungszwecken mE nicht. Denn es bleibt die Frage, was zu gelten hat, wenn eine Regelung sowohl externe als auch interne Zwecke verfolgt. Derartige Regelungen treten nicht bloß ausnahmsweise auf; eher sieht es so aus, als lasse sich die Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken nur idealtypisch durchführen, am konkreten Einzelfall aber sehr häufig nicht. Wenn zwei Personen etwa vorsätzlich ein Delikt begangen, dabei aber jeweils unterschiedliche Rechtsgüter verletzt haben, ließe sich wohl sagen, es sei „gerecht“, jenen Delinquenten, der das „höherwertige“ Rechtsgut verletzt hat, auch höher zu bestrafen. Eine Bestrafung, die sich an dem durch das Delikt betroffenen Rechtgut orientiert, dieses also zum Differenzierungskriterium erhebt, verfolgt aber wohl auch den externen Zweck, dieses höher bewertete Rechtsgut stärker vor Angriffen zu schützen als ein Rechtsgut, dessen Wert der Gesetzgeber niedriger veranschlagt. Dieser Differenzierung geht ihrerseits bereits eine Interessenabwägung voraus: Das Interesse des Einzelnen, in seiner persönlichen Freiheit nicht beeinträchtigt zu werden, wird abgewogen gegen das Interesse der Allgemeinheit, Angriffe gegen Rechtsgüter abzuwehren. Je höher der Wert des bedrohten Rechtsgutes ist, desto schwerer wiegt das Interesse der Allgemeinheit und desto tiefer kann das Freiheitsinteresse des Einzelnen beschnitten werden. Ergebnis dieser Abwägung ist, dass Delikte gegen hochwertige Rechtsgüter mit hohen Strafen und Delikte gegen Rechtsgüter von niedrigerem Wert auch mit niedrigeren Strafen bedroht werden. Kann nun aber dieser „Maßstab“, also die Orientierung der Strafe (auch) an dem jeweils verletzten Rechtsgut, wirklich nur deshalb ein anderes Gewicht haben als das Schuldprinzip, weil mit ihm auch ein externer Zweck verfolgt wird? Nimmt ihm das allein schon die Qualität, „gerecht“ zu sein? Man könnte versucht sein zu sagen, wer ein höherwertiges Rechtsgut verletzt, habe auch höhere Schuld auf sich geladen, sodass die Differenzierung nach dem verletzten Rechtsgut ohnedies in dem durch das Schuldprinzip konstituierten Gerechtigkeitsmaßstab aufgehe. Aber das wäre wenig plausibel. Denn erstens differenziert die Strafnorm eben nicht nur nach der Schuld, sondern auch nach dem Rechtsgut, also nach einem Umstand, der – anders als die Schuld – außerhalb der Person liegt. Zweitens dient diese Differenzierung auch externen Zwecken der Allgemeinheit. Es scheint also auch Differenzierungen zu geben, die einem Maßstab entsprechen, den man ohne weiteres als „gerecht“ ansehen könnte, die aber dennoch externe Zwecke verfolgen. Selbst das von Huster angeführte Schuldprinzip dient wohl nicht ausschließlich einem internen Zweck. Denn ein Strafrecht, das einen vorsätzlichen und einen fahrlässigen Angriff auf ein Rechtsgut mit gleich hohen Strafen bedroht, erhöht die Gefahr,
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dass eine Rechtsgutverletzung in Kauf genommen wird, sodass sich wohl sagen ließe, dem Schuldprinzip komme auch der – externe – Zweck zu, dieser Gefahr gerade zu begegnen. Und selbst wenn der Gesetzgeber diesen Zweck nicht bewusst verfolgte, könnte es darauf wirklich ankommen? Man könnte freilich noch erwägen, bei einem Zusammentreffen interner und externer Zwecke stets den internen Zweck prävalieren zu lassen, weil eine Regelung, die einem internen Zweck folgt, als gerecht angesehen werden muss, auch wenn sie zugleich für externe Zwecke nützlich ist. Eine Durchbrechung des Schuldprinzips oder des Rechts, dass eine Strafe auch nach dem Gewicht des jeweils beeinträchtigten Rechtsgutes bemessen wird, müsste dann weiterhin als ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in den Gleichheitssatz angesehen werden. In anderen Fällen ist diese Entscheidung aber wesentlich schwerer zu treffen: Wenn der Gesetzgeber etwa die Berufsvoraussetzung der Zuverlässigkeit für Notare, Rechtsanwälte und Wirtschaftstreuhänder jeweils verschieden regelt, ließe sich wohl sagen, er folge dem internen Zweck, die Berufsvoraussetzungen nach den Erfordernissen des jeweiligen Berufs festzusetzen. Offensichtlich dient diese Regelung aber auch dem externen Zweck, Gefährdungen der Allgemeinheit abzuwehren, die mit der Berufsausübung durch unzuverlässige Personen einhergehen. In Wahrheit handelt es sich hier wohl nur um zwei verschiedene Formulierungen ein und desselben Zwecks. Soll aber der Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes wirklich davon abhängen, ob eine Formulierung gefunden werden kann, die einen externen Zweck als intern erscheinen lässt? Zu diesen Unwägbarkeiten kommt schließlich, dass selbst Ungleichbehandlungen, die keine externen Zwecke verfolgen, nie mit Sicherheit als „gerecht“ beurteilt werden können. Denn über „Gerechtigkeit“ lässt sich bekanntlich trefflich streiten; das gilt selbst für das von Huster angeführte Leistungsfähigkeitsprinzip, dessen „Gerechtigkeit“ in der Literatur keineswegs einhellig bejaht wird233. Überlässt man, wie Huster vorschlägt, die Festlegung der Gerechtigkeitsmaßstäbe dem Gesetzgeber und bindet man diesen wieder an die Gerechtigkeitsmaßstäbe der ‚offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten‘ so macht dies den Inhalt des Gleichheitssatzes nicht wirklich klarer; vielmehr besteht die Gefahr, dass sich dieser Inhalt dann allein durch außerrechtliche Wertmaßstäbe bestimmt. ____________________
233 S mwN etwa Ruppe, EStG Rz 540 f; Werndl, FS Schäffer 950 ff. Zum ideengeschichtlichen Kontext des Leistungsfähigkeitsprinzips und zu den Schwierigkeiten seiner Umsetzung vgl auch Sturn, WiPolBl 1992, 626 ff.
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Allgemeine Probleme
3. Erträge Diese Einwände ändern aber nichts daran, dass Husters scharfsinnig begründetes Modell des allgemeinen Gleichheitssatzes eine völlig neue Einsicht über die Struktur dieses Grundrechts ermöglicht hat. Ob man nun den Gleichheitssatz als ein Gebot der Gerechtigkeit versteht, die „offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“ als Auskunftsquelle für diese Gerechtigkeit akzeptiert und die Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken für klar genug hält oder nicht: Huster hat gezeigt, und dies ist letztlich entscheidend, dass im Rahmen des Gleichheitssatzes verschiedene Fallkonstellationen auftreten können, die nicht über einen Leisten geschlagen werden können, sondern dogmatisch verschieden zu verarbeiten sind: Ein Teil dieser Fälle ist einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zugänglich, der andere nicht. Die erste Fallgruppe ist nur erklärbar, wenn der Gleichheitssatz Prima-facie-Rechte vermittelt, wenn er also einen Schutzbereich hat. Nun ist die in der Lehre nach wie vor anzutreffende These, der allgemeine Gleichheitssatz verfüge über keinen Schutzbereich, tatsächlich unbefriedigend. Zuallererst muss schon in Ansehung der historischen Entwicklung des allgemeinen Gleichheitssatzes bezweifelt werden, dass am Ende all der leidenschaftlich geführten Kämpfe gegen Leibeigenschaft, Untertänigkeit, Privilegien, Diskriminierungen und für die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Menschen ein Grundrecht steht, das sich – ohne jeden substanziellen Kern – damit begnügt, dem Gesetzgeber für Un/gleichbehandlungen eine Begründung abzuverlangen. Die Reduktion des allgemeinen Gleichheitssatzes auf ein technisches Begründungsgebot wird seiner Geschichte nicht gerecht, hat diese doch gezeigt, dass bestimmte Rechtsmaterien in besonderer Weise „gleichheitssensibel“ sind und dass bestimmte Merkmale als Grund für eine Differenzierung im Laufe der Geschichte verworfen worden sind234. Freilich kann weder angenommen werden, dass in den genannten Rechtsmaterien stets eine schematische Gleichbehandlung angebracht ist, noch, dass eine Differenzierung nach den verpönten Merkmalen absolut ausgeschlossen ist. So sollen zwar jedem Menschen bürgerliche Rechte zugestanden und die Pflichten und Lasten zwischen den Rechtsunterworfenen gleich verteilt werden, zugleich ist aber unbestreitbar, dass es auch in diesem Bereich Gründe geben kann, um zwischen den Menschen rechtlich zu unterscheiden, ja dass es sogar – im Fall der Lastengleichheit235 – problematisch erscheinen müsste, alle Menschen schematisch gleich zu behandeln. Selbst die auf den ersten Blick so diffe____________________
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C.IV.3.a. S oben C.IV.2.b.bb.
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renzierungsfeindliche politische Gleichheit ist nicht schematischer Natur, sondern muss – etwa bei Minderjährigen – Einschränkungen dulden. Auch dass verpönte Differenzierungskriterien keinesfalls zum Anlass für rechtliche Unterscheidungen genommen werden dürfen, kann nicht angenommen werden, wie sich etwa an den sowohl im Zeitpunkt der Schaffung des B-VG als auch heute noch bestehenden Differenzierungen zwischen den Geschlechtern, dem Stand oder der Klasse zeigt236. Umgekehrt gibt es Anhaltspunkte dafür, dass der Gleichheitssatz auch bereichsspezifische Differenzierungsgebote enthält, so etwa das Gebot, Ämter nach der Befähigung zu vergeben; dennoch kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass es auch andere, etwa soziale Kriterien gibt, die bei der Besetzung einer Stelle berücksichtigt werden dürfen. Die Situation ist hier nicht grundsätzlich anders als bei den Freiheitsrechten: Die Verfassung wünscht zwar prinzipiell eine bestimmte Un/gleichbehandlung, kann diese aber realistischerweise nicht absolut garantieren, sondern muss dem einfachen Gesetzgeber vorbehalten, auch der prima facie gebotenen Behandlung Schranken zu ziehen. Gewiss bedarf der historisch überkommene Kernbestand des allgemeinen Gleichheitssatzes noch einer näheren Entfaltung, die mit Hilfe seiner verfassungsrechtlichen Konkretisierungen auch geleistet werden kann237. Doch muss bereits an dieser Stelle die in der Lehre immer wieder vertretene Ansicht in Zweifel gezogen werden, dass der allgemeine Gleichheitssatz „substanzlos“ ist, also von vornherein keinen Schutzbereich besitzt, in den durch eine Norm eingegriffen werden kann. Soweit sich weder aus dem Gleichheitssatz noch aus der übrigen Verfassung ergibt, dass bestimmte Personen in bestimmten Situationen prima facie gleich oder ungleich zu behandeln sind, steht es dem Gesetzgeber frei zu entscheiden, welche Ziele er verfolgen will. Durch die Wahl dieser Ziele legt er fest, was wesentlich und was unwesentlich ist: Wesentlich ist, was zur Zielerreichung beiträgt und was sie verhindert; unwesentlich, was das angepeilte Ziel nicht berührt. Was in diesem Sinn gleich ist, muss der Gesetzgeber dann gleich, was ungleich ist, muss er ungleich behandeln. Auch diese – durch den einfachen Gesetzgeber gestalteten – Rechte sind dem Einzelnen aber nur prima facie gewährt: Denn der Gesetzgeber kann in sie – etwa ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung oder aus verwaltungsökonomischen Erwägungen – eingreifen und so wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich behandeln. Der Einzelne wird insoweit nicht aufgrund seiner individuellen Voraussetzungen behandelt und beurteilt; seine Gleich- bzw Ungleichbehandlung ist nur ein Mittel zur Erreichung eines Zweckes, der mit den Eigenschaften der betroffe____________________
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Dazu noch näher unten E.I.4.c. Dazu sogleich unten E.-H.
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Allgemeine Probleme
nen Personen nichts zu tun hat. Solche Zwecke werden im Folgenden – in Anlehnung an Huster – „externe“ Zwecke genannt. Sie können einen Eingriff rechtfertigen, allerdings nur dann, wenn er zur Erreichung dieser externen Zwecke geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist. Der „unfruchtbare“ Gegensatz zwischen Befürwortern und Gegnern einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes dürfte sich also tatsächlich, wie Huster festgestellt hat, damit erklären lassen, dass die Vertreter beider Positionen unterschiedliche Fallkonstellationen vor Augen haben. Diese Fallkonstellationen unterscheiden sich dadurch, dass manche Regelungen gleichheitsrechtlich prima facie geboten bzw verboten sind und andere nicht. Diese Prima-facie-Rechte sind mE nicht durch einen Rekurs auf die Gerechtigkeit zu ermitteln, sie ergeben sich vielmehr aus dem Gleichheitssatz und der restlichen Verfassung; soweit derartige Bindungen nicht bestehen, werden diese Prima-facie-Rechte durch den einfachen Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit festgelegt. Die Gesamtheit dieser Rechte bildet den Schutzbereich des Gleichheitssatzes und damit seine Substanz. Eine Abweichung von diesen Rechten kann nur hingenommen werden, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet und erforderlich ist und wenn sie zu diesem Ziel zudem in einem angemessenen Verhältnis steht. Regelungen hingegen, die in kein derartiges Prima-facie-Recht eingreifen, müssen weder noch können sie einer derart strengen Prüfung unterzogen werden: Denn diese Regelungen kollidieren mit keinem verfassungsrechtlich geschützten Interesse. Daher ist auch nicht ersichtlich, was eine Interessenabwägung zur Lösung der Frage beitragen könnte, ob diese Regelungen gleichheitskonform sind oder nicht238. Die Gleichheitsprobleme, die in der Praxis auftreten, sind also zu vielfältig und zu komplex, um mit dem einfachen Satz bewältigt zu werden, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Dazu kommt, dass dieser Satz sich auf einem Abstraktionsniveau befindet, das zur Lösung eines konkreten Falles kaum etwas beizutragen vermag239. Es kann daher nicht verwundern, dass auch der VfGH den allgemeinen Gleichheitssatz keineswegs nur in dieser Weise erläutert, sondern eine Rei____________________
238 Die Verfasserin selbst hat diesen Unterschied in JBl 1997, 413 ff, noch nicht erkannt und daher zu pauschal behauptet, dass sich jede Gleichheitsprüfung in eine Verhältnismäßigkeitsprüfung „übersetzen“ lasse. Die Fallbeispiele, an denen diese These näher erläutert wurde, waren denn auch – zwar in guter Absicht, aber – mit verengtem Blick gewählt. Ihnen lagen allesamt Fallkonstellationen zugrunde, in denen eine Gleich- oder Ungleichbehandlung prima facie geboten war oder die zumindest in der Judikatur so behandelt wurden, als wäre dies der Fall. 239 S schon Kelsen, Gerechtigkeit 25 f; s auch Alexy, Grundrechte 361 ff; Huster, Rechte 34, 41.
Modell 3: Substanzieller Schutzbereich
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he weiterer Formeln entwickelt hat, um die Anforderungen dieses Grundrechts näher zu konkretisieren. Diese Judikatur soll im Folgenden in ihren Grundsätzen dargestellt und auf ihre Übereinstimmung mit den bisher gewonnenen Erkenntnissen überprüft werden.
D. Judikatur – Eine Bestandsaufnahme I. Vergleichende Gleichheitsprüfung 1. Der Gegenstand der Gleichheitsprüfung: Objekte des Vergleichs a. Vergleichbarkeit Gegenstand einer Gleichheitsprüfung ist im Regelfall die Frage, ob zwei Personengruppen oder Sachverhalte gleich oder ungleich behandelt werden dürfen. Am Beginn einer solchen Prüfung muss daher geklärt werden, was miteinander zu vergleichen, was also Gegenstand der Gleichheitsprüfung ist. Da zwischen zwei Personengruppen in irgendeiner Hinsicht immer sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede bestehen, kann theoretisch alles mit allem verglichen werden1. Um die „uferlosen Weiten“2, in die der Gleichheitssatz damit führt, zu begrenzen, wird mitunter vorgeschlagen, die Gleichheitsprüfung mit der Frage zu beginnen, ob zwei Personengruppen oder Sachverhalte miteinander überhaupt „vergleichbar“ bzw „kommensurabel“ seien3. Dieser Ansicht scheint auf den ersten Blick auch der VfGH zu sein. Denn er lehnt eine Gleichheitsprüfung immer wieder mit der Begründung ab, zwei Personengruppen bzw Sachverhalte könnten miteinander nicht verglichen werden4. Regelmäßig soll damit al____________________
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Pöschl, JBl 1997, 426 f; Kischel, AöR 124 (1999) 182, 184. Kischel, AöR 124 (1999) 184. 3 S zB Hirschberg, Verhältnismäßigkeit 130; Wendt, NVwZ 1988, 782; Holoubek, ÖZW 1991, 76. 4 VfSlg 7957/1976: Der dem unselbständig Erwerbstätigen gesicherte Arbeitsplatz und die Fixkosten des selbständig Erwerbstätigen sind im Hinblick auf die unterschiedliche Art der Berechnung des Einkommens unvergleichbar; VfSlg 8457/1978: Private und Unternehmer sind im Hinblick auf die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Unternehmern nicht vergleichbar; VfSlg 10.284/1984: zwischen einem Verfahren zur Durchführung einer Zwangsversteigerung und zur Durchführung einer freiwilligen Feilbietung besteht sowohl hinsichtlich des Anlasses als auch hinsichtlich des Zweckes ein Unterschied, der es von vornherein ausschließt, die beiden Verfahren unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes zueinander in Beziehung zu bringen; VfSlg 10.064/1984: die rechtliche Ausgangslage für die Vorschreibung der Einkommensteuer und der Erbschafts- und Schenkungssteuer ist so unterschiedlich, dass sie einen Vergleich der Regelungen nicht erlaubt; VfSlg 11.373/1987: die die Rechtsstellung des Haupt- und jene des Untermieters regelnden Vorschriften dürfen nicht ohne weiteres miteinander verglichen werden; VfSlg 16.754/2002: die Versehrtenrente ist eine öffentlich-rechtliche Transferleistung, die ungeachtet ihrer sozialpolitischen Funktion mit einer nicht wiederkehrenden einkommensteuerfreien Schadenersatzleistung 2
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
lerdings nicht gesagt sein, dass ein Vergleich zwischen den genannten Objekten überhaupt nicht möglich ist5, sondern, dass zwischen ihnen keine wesentliche Gemeinsamkeit besteht, aus der sich ein Anspruch auf Gleichbehandlung ableiten ließe bzw dass die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede ohne weiteres genügen, um ihre Ungleichbehandlung sachlich zu begründen6. Eine derartige Vorauswahl geht der eigentlichen Gleichheitsprüfung zwar praktisch voran, sie setzt aber Kenntnis darüber voraus, welche Eigenschaften „wesentlich“ sind, in welcher Hinsicht also ein Vergleich zu ziehen ist. Keine Personengruppe und auch kein Sachverhalt kann von einem solchen Vergleich schon von vornherein ausgeschlossen sein, wenn nicht die Verfassung selbst dies bestimmt. Eine derartige Beschränkung folgert die Judikatur zu Recht aus dem bundesstaatlichen Aufbau der Republik, der länderweise verschiedene Regelungen gerade ermöglichen soll – ein Anliegen, das nicht durch den Gleichheitssatz durchkreuzt werden kann. Dies schließt einen Vergleich der in die Kompetenz der Länder fallenden Regelungen unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes aus7, nicht hingegen einen Vergleich länderweise unterschiedlicher Bestim____________________
nicht vergleichbar ist; VfGH 18.6.2007, G 220/06: elektrische Dressurgeräte für Tiere sind mit elektrischen Weidezäunen nicht vergleichbar. 5 Anderes gilt für die sog „Ordnungssystemjudikatur“, derzufolge verschiedene Ordnungssysteme nicht miteinander verglichen werden können, s zB VfSlg 5241/1966, 11.665/1988, 12.732/1991, 13.829/1994, 14.842/1997, 16.923/2003, 17.706/2005: das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis und das Sozialversicherungswesen sind tiefgreifend verschiedene Materien, sodass ein Vergleich zwischen den diese Rechtsgebiete regelnden Vorschriften nicht gezogen werden kann, s noch näher unten D.III.1.a. 6 S zB VfSlg 11.751/1988, wonach zwei Tarifposten des Gerichtsgebührengesetzes „durchaus verschiedene Sachverhalte“ erfassten, es sei daher verfassungsrechtlich nicht geboten, sie miteinander zu vergleichen und wechselseitig am Gleichheitssatz zu messen; s auch Bernegger, Gleichheitsgrundsatz 720, die von der Frage spricht, „ob die Tatbestände der gegenübergestellten Rechtsvorschriften vergleichbar sind oder nicht, ob sie also gleich sind oder nicht“; s zur umgangssprachlichen Ungenauigkeit in der Verwendung des Begriffs der „Vergleichbarkeit“ schon Huster, Rechte 30 FN 70; dens, Art 3 GG Rz 30, 55; s auch Tipke, FS Stoll 234, der treffend bemerkt, dass der Lehrsatz, man dürfe Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, den unrichtigen Eindruck erweckt, die Gleichheit setze Objekte voraus, die in allem gleich seien: „Äpfel und Birnen sind in der Tat nicht in allem gleich; sie sind aber durchaus vergleichbar.“ 7 S bereits VfSlg 1440/1932, wonach eine Verschiedenheit des Inhaltes von Landesgesetzen in den einzelnen Ländern nicht nur dem Gleichheitssatz nicht widerstreitet, sondern „geradezu eine notwendige Folge der bundesstaatlichen Organisationsform ist, auf der die österreichische Verfassung aufgebaut ist“; s auch VfSlg 1462/1932 und dann VfSlg 6755/ 1972, 7038/1973, 8161/1977, 8247/1978, 9116/1981, 9804/1983, 11.641/1988, 14.783/ 1997, 14.846/1997. Dass die aus der Verschiedenheit von Landesgesetzen resultierende „Ungleichbehandlung“ gleichheitsrechtlich nicht angreifbar ist, bedeutet keine „Ausschaltung des Prinzips der Anwendung gleichen Rechts auf gleiche Sachverhalte“ (so aber Bussjäger, JBl 2007, 292), weil gleiches Recht hier ja gar nicht vorliegt. Der Gleichheitssatz verpflichtet die Landesgesetzgeber nur dazu, in ihrem Hoheits- und Wirkungsbereich Glei-
Vergleichende Gleichheitsprüfung
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mungen in Bundesgesetzen: Trifft der Bundesgesetzgeber also etwa gerade für Vorarlberg eine eigene Schulpflichtregelung oder schafft er eine wasserrechtliche Sonderregelung für das Land Salzburg, so kann sehr wohl geprüft werden, ob dieses partikuläre Bundesrecht im Vergleich mit den für alle anderen Bundesländer geltenden Regelungen gleichheitskonform ist8. b. Anzahl der Vergleichsobjekte Die Gleichheitskonformität der Behandlung einer Gruppe kann bei näherer Betrachtung nicht nur im Verhältnis zu einer zweiten Gruppe, sondern auch zu mehr als einem Vergleichsobjekt zweifelhaft erscheinen. In der Lehre wurde immer wieder hervorgehoben, dass die Auswahl des Vergleichsobjekts diesfalls eine Wertung voraussetze9 bzw dass die Feststellung des „richtigen“ Vergleichsobjekts mit Schwierigkeiten behaftet sei, die ____________________
ches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Wenn verschiedene Landesgesetzgeber verschiedene, aber jeweils für sich gleicheitskonforme Regelungen erlassen, entsteht daher nicht einmal im Ansatz ein Gleichheitsproblem, es muss also auch nicht erst ein „Prinzip“ ausgeschaltet werden, um eine Gleichheitswidrigkeit verneinen zu können. Auch das sog Berücksichtigungsgebot, das Bundes- und Landesgesetzgeber dazu verpflichtet, die Interessen der jeweils gegenbeteiligten Gebeitskörperschaft nicht zu unterlaufen, hat mit der Garantie der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz nichts zu tun; der Gleichheitssatz kann auch nicht „analog“ angewendet werden, um ein solches Berücksichtigungsgebot zu begründen (so aber Bussjäger, JBl 2007, 297). Dieses Gebot muss, wenn überhaupt, aus dem bundesstaatlichen Prinzip begründet werden können; gelingt dies nicht, dann gibt es dieses Gebot eben nicht. 8 Vgl VfSlg 7461/1974, 11.641/1988, 13.917/1994, VfGH 13.10.2006, B 3612/05. 9 Korinek, FS Melichar 46; ders, VVDStRL 47 (1989) 71 f; ders, Grundrechtsfragen 42; ders/Holoubek, Abgabenrecht 83; Adamovich, FS Matscher 6; Noll, Sachlichkeit 184; Fürst, Quotenregelung 237; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 762. Bisweilen wird allerdings die Frage, welche Vergleichsobjekte auszuwählen sind, mit der Frage vermischt, unter welchen Gesichtspunkten zwei Objekte miteinander zu vergleichen sind, s etwa Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 605, die als Beispiel für die Wertabhängigkeit der Auswahl der Vergleichsobjekte das Erkenntnis VfSlg 8871/1980 anführen: Dort war die Gleichheitskonformität der unterschiedlichen Behandlung der Witwen- und der Witwerpension zu klären. Das antragstellende Gericht war der Ansicht, Witwen und Witwer seien pensionsrechtlich gleich zu behandeln, weil Ehegatten durch eine Novelle des Unterhaltsrechts einander wechselseitig zum Unterhalt verpflichtet worden waren. Demgegenüber sah die Bundesregierung diese familienrechtlichen Änderungen für das Sozialversicherungsrecht als belanglos an. Die Auswahl der Vergleichsobjekte war zwischen den Parteien also nicht strittig. Zu vergleichen waren Witwen und Witwer. Fraglich war nur, welche Eigenschaften dieser Vergleichsobjekte wesentlich sind: die Unterhaltspflicht, die jedem Ehegatten dem jeweils anderen gegenüber obliegt (dann wären Witwen und Witwer wesentlich gleich) oder andere Umstände, etwa die Tatsache, dass Männer aus damaliger Sicht nach wie vor signifikant häufiger für den Unterhalt der Frauen sorgten als umgekehrt – dann wären Witwer und Witwen wesentlich ungleich, freilich nur bei einer Durchschnittsbetrachtung. Ob eine Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht auf der Grundlage einer Durchschnittsbetrachtung bzw aus verwaltungsökonomischen Erwägungen (Vermeidung aufwendiger Ermittlungen, ob ein Witwer von seiner verstorbenen Frau Unterhalt bezogen hat) zulässig ist, wäre dann noch eigens zu klären; s dazu unten E.I.4.c.
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gar nicht überschätzt werden können10. Dass es richtige und falsche Vergleichsobjekte gibt, scheint bisweilen auch der VfGH anzunehmen, wenn er feststellt, eine Gruppe A sei im Lichte des Gleichheitssatzes nicht mit einer Gruppe B, sondern mit einer Gruppe C zu vergleichen. So hatte der VfGH etwa zu prüfen, ob das Einkommensteuerrecht die geminderte Leistungsfähigkeit jener Steuerpflichtigen zureichend berücksichtige, die Unterhaltsleistungen an Kinder zu erbringen haben. Der Gerichtshof stellte in diesem Zusammenhang fest, „der ausschlaggebende Vergleich“ dürfe „nicht zwischen Eltern mit niedrigerem und höherem Einkommen, sondern muss zwischen unterhaltspflichtigen Personen gleicher Einkommensstufe gezogen werden“11. Diese Aussage erweckt den Eindruck, aus der – theoretisch unendlichen – Zahl an Vergleichsgruppen könne für eine Gleichheitsprüfung stets nur eine in Betracht kommen. Das Ergebnis einer Gleichheitsprüfung scheint solcherart durch die Auswahl der Vergleichsgruppe manipulierbar: Vergleiche man – wie die Bundesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren – nur Eltern mit niedrigerem und solche mit höherem Einkommen, sei die Regelung gleichheitskonform. Vergleiche man hingegen – wie der VfGH – zwischen unterhaltspflichtigen Personen gleicher Einkommensstufe, sei sie gleichheitswidrig. Tatsächlich werden hier aber zwei verschiedene Relationen zum Gegenstand einer Gleichheitsprüfung gemacht, und nur die erste entsprach dem Gleichheitssatz, während die zweite Relation diese Prüfung nach Ansicht des VfGH nicht bestand12. ____________________
10 S etwa Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 648; Stoll, ÖStZ 1989, 192; Berka, Art 7 B-VG Rz 45, nach dem die „sachgerechte Auswahl der Vergleichspaare [...] unter Umständen eine schwierige Entscheidung sein [kann], durch die bereits gewisse Weichen für die nachfolgende Beurteilung der Begründetheit einer Differenzierung gestellt werden“. 11 VfSlg 12.940/1991, 12.941/1991, s auch VfSlg 15.859/2000: Für die Frage, ob ein unterschiedliches Beitragsrecht für Pflichtversicherte nach § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 GSVG einerseits und Pflichtversicherte nach § 2 Abs 1 Z 4 leg cit andererseits gerechtfertigt ist, dürfen nicht Pflichtversicherte miteinander verglichen werden, die keine oder negative Einkünfte erwirtschaften; maßgeblich ist vielmehr ein Vergleich der Pflichtversicherten, die bei gleichen Einkommensverhältnissen und daher gleicher Bemessungsgrundlage unterschiedlich hohe Beiträge zu bezahlen haben. Das ist natürlich richtig; aber es geht nicht um die Frage, wer mit wem verglichen werden darf. Es geht um die Frage, nach welchem Kriterium die Beitragspflicht zu bemessen ist. Ist dies die Leistungsfähigkeit und wird die Leistungsfähigkeit nach dem Einkommen bestimmt, dann müssen bei gleichem Einkommen auch gleich hohe Beiträge vorgeschrieben werden. Die Bedenken können also überhaupt erst bei einer Ungleichbehandlung jener Versicherten entstehen, die ein Einkommen erwirtschaften. 12 In vielen Fällen wird dies nicht weiter problematisiert, s etwa das Erkenntnis VfSlg 11.630/1988, wonach es gleichheitskonform ist, den Ausbildungsbeitrag eines Rechtspraktikanten, der (auch) in einem Dienstverhältnis zum Bund steht, zu kürzen; gleichheitswidrig sei es hingegen, diese Kürzung auf derartige Fälle zu beschränken, in sie also Rechtspraktikanten nicht einzubeziehen, die bei einem anderen Dienstgeber als dem Bund (etwa dem Land oder der Gemeinde) beschäftigt sind. Die Ungleichbehandlung zwischen Rechts-
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Bestehen zwischen einer Gruppe A Gemeinsamkeiten mit der Gruppe B, aber Unterschiede mit der Gruppe C, so sind also beide Relationen als jeweils eigenständige Prüfungsgegenstände gesondert auf ihre Gleichheitskonformität zu untersuchen13. Dass die Behandlung einer Personengruppe verglichen mit einer zweiten Gruppe unbedenklich ist, bedeutet nicht, dass sie dem allgemeinen Gleichheitssatz auch bei einem Vergleich mit einer dritten Gruppe standhält. Insofern trifft zwar zu, dass das Ergebnis einer Gleichheitsprüfung von der Wahl der Vergleichsgruppe abhängt; in dieser Hinsicht unterscheidet sich der allgemeine Gleichheitssatz aber nicht von jedem anderen Grundrecht: Auch dort hängt der Ausgang der Grundrechtsprüfung naturgemäß davon ab, was zum Gegenstand dieser Prüfung gemacht wird. Die Besonderheit des allgemeinen Gleichheitssatzes liegt nur darin, dass ein Baustein des Prüfungsgegenstandes (der Ausgangssachverhalt) konstant, der andere Baustein (der Vergleichssachverhalt) aber variabel ist und erst die Relation zwischen diesen beiden Sachverhalten den Prüfungsgegenstand konstituiert. Ebenso wie jeder Eingriff in ein Freiheitsrecht an diesem gemessen werden kann, muss auch jede Gleichbehandlung von Ungleichem und jede Ungleichbehandlung von Gleichem zum Gegenstand einer Gleichheitsprüfung gemacht werden können. Wenn der Gesetzgeber also zB bestimmt, dass die Beamtenversorgung eines pensionierten Beamten, der gegen Entgelt tätig ist, während der Dauer dieser Tätigkeit teilweise ruht, dann kommen, wie Korinek gezeigt hat14, für eine Gleichheitsprüfung mehrere Vergleichsgruppen in Betracht: Man kann pensionierte Beamte erstens mit Sozialversicherungspensionisten vergleichen, für die eine solche Ruhensbestimmung schon immer bestand. Zweitens kann man pensionierte Beamte mit aktiven Beamten vergleichen, deren Bezüge bei einer zweiten Tätigkeit nicht ruhen. Und schließlich können auch pensionierte Beamte, die in einem Regime aktiv waren, in dem die genannte Ruhensbestimmung noch nicht galt, mit pensionierten Beamten verglichen werden, die sich während ihrer aktiven Zeit schon auf diese Ruhensbestimmung einstellen konnten. Nichts zwingt zu der Annahme, dass sich eine Gleichheitsprüfung auf eine der genannten Vergleichsgruppen beschränken müsste. Zudem ist die Aus____________________
praktikanten, die in einem Dienstverhältnis zum Bund stehen, und Rechtspraktikanten ohne ein sonstiges Dienstverhältnis erwies sich also als gleichheitskonform. Gleichheitswidrig war aber die Ungleichbehandlung zwischen der zuerst genannten Gruppe und Rechtspraktikanten, die ein zusätzliches Einkommen zwar nicht aus einem Dienstverhältnis zum Bund, wohl aber aus einem anderen Dienstverhältnis beziehen. 13 S schon Podlech, Gehalt 65 f; dann auch Kischel, AöR 124 (1999) 183 f; Pöschl, JBl 1997, 427. 14 Korinek, VVDStRL 47 (1989) 71 f.
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wahl einer solchen Vergleichsgruppe weniger schicksalhaft, als dies auf den ersten Blick erscheint. Denn durch die Hintertür können auch bei einer Gleichheitsprüfung, die sich auf eine Vergleichsgruppe beschränkt, alle anderen Vergleichsgruppen Eingang finden: Zöge man etwa bloß einen Vergleich zwischen pensionierten Beamten und Sozialversicherungspensionisten, so könnte zwar konstatiert werden, dass die Gleichbehandlung dieser beiden Personengruppen nicht zu beanstanden ist. Zugleich könnte aber geltend gemacht werden, dass innerhalb der pensionierten Beamten Unterschiede bestehen zwischen Personen, die sich auf die Ruhensbestimmung einstellen konnten und Beamten, denen dies nicht möglich war, und dass die zuletzt genannte Gruppe sich ihrerseits von Sozialversicherungspensionisten unterscheide, für die eine entsprechende Ruhensbestimmung schon immer gegolten hat. Ob dieser Vergleich dann trägt, ob die geltend gemachten Gemeinsamkeiten zu einer Gleichbehandlung zwingen und die dargestellten Unterschiede eine Ungleichbehandlung gebieten, ist eine andere Frage, die durch die Gleichheitsprüfung erst zu klären ist. Dass diese Frage überhaupt gestellt wird, kann aber nicht durch den Ausschluss bestimmter Vergleichsgruppen verhindert werden15. ____________________
15 Die erwähnte Ruhensbestimmung wurde in VfSlg 11.665/1988 als gleichheitswidrig qualifiziert. Maßgeblich für diese Beurteilung war ua, dass die betroffenen Ruhestandsbeamten jahrzehntelang Beiträge in der Erwartung entrichtet haben, der während der Aktivzeit erzielte Standard der Lebensführung würde mit der Pensionierung nicht erheblich absinken. Eine Enttäuschung dieses Vertrauens wiege bei Pensionisten besonders schwer, weil sie sich nachträglich meist nicht mehr auf geänderte Umstände einstellen könnten. Die von der Ruhensbestimmung überraschten Ruhestandsbeamten wurden also mit Ruhestandsbeamten verglichen, die auf diese Bestimmung vorbereitet waren. Darüber hinaus zog der VfGH aber auch einen Vergleich zwischen den pensionierten und den Beamten des Aktivstandes: Dass erstere beim Erwerb eines zusätzlichen Einkommens im Interesse der Budgetentlastung schlechter behandelt werden als zweitere, sei sachlich nicht zu rechtfertigen. Einen Vergleich mit ASVG-Pensionisten lehnte der VfGH mit der Begründung ab, das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis und die Materie des Sozialversicherungswesens seien tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete (s zum systemübergreifenden Vergleich noch unten D.III.1.a.). Selbst wenn dieser Vergleich zu dem Ergebnis geführt hätte, dass die Gleichbehandlung zwischen diesen beiden Gruppen von Pensionisten durch den Gleichheitssatz geboten gewesen wäre, hätte dies weder die Ungleichbehandlung zwischen aktiven und Ruhestandsbeamten gleichheitskonform gemacht noch die mangelnde Differenzierung zwischen Ruhestandsbeamten, die sich auf die neue Regelung einstellen können, und jenen, die durch diese Regelung überrascht werden. Ein Vergleich zwischen ASVGPensionisten und Ruhestandsbeamten hätte allerdings ein tragendes Argument dieses Erkenntnisses grundsätzlich relativiert: Dass die kritisierte Regelung nämlich im Sinne der Entlastung des Bundeshaushaltes und der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation einen Akt der Solidarität nicht ausgewogen von größeren Gruppen der Bevölkerung (allenfalls abgestuft nach sozialen Merkmalen), sondern von einer sehr kleinen Gruppe von Pensionisten verlangt. Dieser Vorwurf hätte an Gewicht verloren, wenn in die Betrachtung einbezogen worden wäre, dass der – durchaus beachtlichen – Gruppe der ASVG-Pensionisten ein solcher Solidaritätsakt auch abverlangt wurde. Die tiefgreifenden Verschiedenheiten zwischen dem Sozialversicherungswesen und dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis vermögen an diesem Befund nichts zu ändern. Er hätte allerdings direkt zu der Frage geführt, die
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Es gibt nach alledem also keine „richtige“ oder „falsche“ Vergleichsgruppe; dass die Behandlung einer Personengruppe im Verhältnis zur Behandlung einer beliebigen anderen Personengruppe gleichheitswidrig sei, kann jederzeit behauptet werden. Diese Behauptung bedarf nur der Begründung, dass zwischen den beiden Personengruppen wesentliche Gemeinsamkeiten oder wesentliche Unterschiede bestehen. Nicht die Auswahl des Vergleichsobjektes ist daher von einer Wertung abhängig, sondern die Frage, ob die behaupteten Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen den verglichenen Objekten wesentlich sind16.
2. Unterschiede „im Tatsächlichen“ Nach ständiger Rechtsprechung gebietet der allgemeine Gleichheitssatz dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln. „Sachlich Gleiches ungleich zu behandeln“ ist ihm demnach verwehrt. Zulässig sind rechtliche Differenzierungen hingegen, wenn sie „aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen abgeleitet“17, „gerechtfertigt“18 bzw „sachlich begründet“19 werden können. Weisen zwei Sachverhalte neben Unterschieden auch Gemeinsamkeiten auf, so zwingt dies den Gesetzgeber noch nicht zur Gleichbehandlung. Denn der Gleichheitssatz verbietet nur, „tatsächlich Gleiches ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedlich zu behandeln. Das bedeutet, daß unterschiedliche Rechtsfolgen ihre jeweilige sachliche Rechtfertigung in Unterschieden im Bereich des Tatsächlichen finden müssen“20. Unzulässig sind folglich Differenzierungen, „die nicht aus entsprechenden Unter____________________
der VfGH ohnedies gestellt und für den allein präjudiziellen Bereich der Beamten verneint hat: Ob es nämlich zu rechtfertigen ist, dass dieser Solidaritätsakt nur von Pensionisten verlangt wird. Der VfGH hat dies letztlich mit der Begründung verneint, dass die Ruhensbestimmung bei näherem Hinsehen ungeeignet ist, den Arbeitsmarkt zu entlasten. S zu diesem Erkenntnis auch noch FN 109, G.III.2.c. und H.VIII.2.a.aa., s auch VfSlg 12.592/ 1990 (Ruhensbestimmungen nach dem ASVG), 12.740/1991, 13.078/1992 (Ruhensbestimmungen nach dem GSVG), 12.741/1991 (Ruhensbestimmungen nach dem BSVG), sowie 17.683/ 2005 (gleichheitswidrige Kürzung des Ruhebezuges von Beamten allein wegen des Bezuges von Erwerbseinkommen neben der Pension). 16 S auch Kischel, AöR 124 (1999) 184 ff; s aber auch noch unten bei FN 381 zur sog Ordnungssystemjudikatur, deren (hier nicht geteilte) Prämissen die Auswahl des Vergleichsobjekts tatsächlich zu einer Wertungsfrage macht. 17 ZB VfSlg 5727/1968; s auch VfSlg 2956/1956, 3334/1958, 3389/1958, 5931/1969, 6411/1971, 6680/1972, 7059/1973, 7331/1974, 8938/1980, 9455/1982, 11.373/1987, 17.718/2005. 18 VfSlg 7059/1973, 7313/1074, 7331/1974, 7973/1976. 19 VfSlg 6471/1971, s auch VfSlg 17.315/2004 („durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen begründet“). 20 S den Prüfungsbeschluss zu VfSlg 10.001/1984 (Hervorhebungen nicht im Original); s auch VfSlg 17.315/2004.
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schieden im Tatsachenbereich gerechtfertigt werden können“21. „[V]erschiedene tatsächliche Gegebenheiten entsprechend unterschiedlich zu behandeln“, ist dem Gesetzgeber hingegen erlaubt22. Nicht nur erlaubt, sondern auch geboten ist eine Ungleichbehandlung, wenn ein „Unterschied im Tatsachenbereich“ derart schwer wiegt, dass er einer „schematischen“ Gleichbehandlung entgegensteht23. Der Gesetzgeber muss daher nicht nur „an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen knüpfen“24. Er muss auch wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich durch entsprechende rechtliche Regelungen berücksichtigen25. Diese Formeln zeigen, dass zwischen zwei Vergleichsgruppen nicht zwingend in einem ausschließlichen Sinn entweder wesentliche Gemeinsamkeiten oder aber wesentliche Unterschiede bestehen; vielmehr kann es zwischen zwei Gruppen auch unter einem Aspekt Übereinstimmungen und unter einem anderen Aspekt Abweichungen geben. Die Gemeinsamkeiten zwingen dann für sich nicht schon zur Gleichbehandlung; erst das Fehlen von Unterschieden macht eine Ungleichbehandlung bedenklich26. Liegen gleichwertige Gemeinsamkeiten und Unterschiede vor, bleibt es grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen, ob er gleich behandeln oder unterscheiden will. Diese Freiheit endet erst dort, wo keine wesentlichen Unterschiede bestehen (diesfalls muss gleich behandelt werden) oder wo diese umgekehrt von besonderem Gewicht sind (diesfalls ist zu differenzieren). Dass die genannten Unterschiede oder Gemeinsamkeiten „im Tatsächlichen“ bestehen müssen, bedeutet nicht, dass es für den allgemeinen Gleichheitssatz nur auf empirische oder faktische Eigenschaften ankommt. Nach der zutreffenden Judikatur kann sich die Notwendigkeit einer Gleichoder Ungleichbehandlung vielmehr auch aus rechtlichen Gemeinsamkeiten oder Unterschieden der jeweils verglichenen Personen ergeben27: In einem solchen Fall werden eben rechtliche Gegebenheiten zu einer relevanten Tatsache28. ____________________
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VfSlg 7976/1977, 8421/1978, 8600/1979, 17.315/2004. VfSlg 5356/1966. VfSlg 11.309/1987, s auch VfSlg 14.723/1997. VfSlg 17.315/2004. VfSlg 8217/1977, 8806/1980, 13.558/1993, 17.315/2004. S schon oben C.IV.1.c. S zB VfSlg 9365/1982, 9753/1983, 10.099/1984, wonach die unterschiedliche Gestaltung des Leistungsrechts in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung eine Differenzierung des Beitragsrechts rechtfertigen kann; s auch VfSlg 8871/1980, 9995/1984, wonach Änderungen im Bereich eines Rechtsgebietes die für ein anderes Rechtsgebiet maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse ändern können; s ferner das Erkenntnis VfSlg 17.875/2006, in dem dann auch von „Unterschiede[n] tatsächlicher und rechtlicher Art“ die Rede ist; s auch Lerche, Übermaß 29 ff; Holoubek, ÖZW 1991, 77. 28 S zB Schäffer, Hauptströmungen 14, 17.
Vergleichende Gleichheitsprüfung
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3. Sachlichkeit Die zitierten Entscheidungen erwecken zum Teil den Eindruck, eine Ungleichbehandlung könne nur durch wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen gerechtfertigt werden. Das ist indes nicht der Fall. Differenzierungen können ihre Rechtfertigung auch aus „externen Zwecken“ beziehen, die mit den Eigenschaften der Vergleichsgruppen nichts zu tun haben29. Dementsprechend nimmt der VfGH auch in vielen Erkenntnissen auf „im Tatsächlichen“ vorhandene Gemeinsamkeiten oder Unterschiede nicht Bezug, sondern begnügt sich mit der Feststellung, dass der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber nur verbiete, Gleiches ungleich zu behandeln30, ihm die „Schaffung sachlich gerechtfertigter Differenzierungen“ aber erlaube31. Eine Ungleichbehandlung verstößt demnach gegen das Gleichheitsgebot, wenn sie „unsachlich“32 oder „sachlich nicht begründbar“33 ist, wenn für sie „keine sachlichen Gründe“ erkennbar sind34, wenn sie „sachlich nicht rechtfertigbar“35, „sachlich nicht gerechtfertigt“36, „sachwidrig“37, „sachfremd“38 ist oder wenn sie den „sachliche[n] Erfordernisse[n]“39 nicht entspricht. Nicht zu beanstanden ist eine Ungleichbehandlung hingegen, wenn sie in der „Natur der Sache“40 liegt, „sachgerecht“41 ist, „sachlich, dh. aus der Regelungsmaterie heraus begründbar“42 ist, in einem „sachbezogenen Konnex zum Regelungsgegenstand“43 steht oder doch immerhin „sachlich begründet“44, „nicht unsachlich“45, „nicht ____________________
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C.IV.4.b. S zB VfSlg 5727/1968, 8457/1978, 13.777/1994, 16.585/2002, 17.506/2005. 31 VfSlg 8457/1978, 9144/1981. 32 VfSlg 5727/1968, 8073/1977, 10.841/1986, 13.455/1993, 14.683/1996, 15.031/ 1997, 16.203/2001, 16.824/2003, 17.874/2006. 33 VfSlg 5481/1967, 6410/1971, 7135/1973, 8457/1978, 9121/1981, 9728/1983, 10.064/1984, 10.084/1984, 10.620/1985, 10.624/1985, 11.155/1986, 11.369/1987, 13.558/1993, 13.743/1994, 14.301/1995, 15.031/1997, 15.326/1998, 15.570/1999. 34 VfSlg 17.141/2004, s auch VfSlg 17.171/2004 („ohne ersichtlichen sachlichen Grund“). 35 VfSlg 8421/1978, 8859/1980. 36 VfSlg 4154/1962, 4916/1965, s auch VfSlg 17.145/2004 („der sachlichen Rechtfertigung entbehrt“), 17.466/2005 („keine sachliche Rechtfertigung“). 37 ZB VfSlg 15.117/1998. 38 VfSlg 17.683/2005 („sachfremd und somit gleichheitswidrig“); s auch VfSlg 17.142/ 2004 („sachfremde[r] […] Umstand“). 39 VfSlg 7974/1977. 40 VfSlg 9162/1981. 41 VfSlg 11.934/1988, 16.744/2002. 42 VfSlg 10.588/1985 (im Original mit Hervorhebung). 43 VfSlg 8938/1980. 44 ZB VfSlg 17.605/2005. 30
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sachfremd“46 oder „nicht sachwidrig“47 ist, in manchen Fällen genügt sogar, dass eine Regelung „nicht von vornherein unsachlich“48 ist. Zwar wird in jeder dieser Wendungen ein Bezug zur „Sache“ bzw „Sachlichkeit“ hergestellt. Die Anforderungen, die dem Gleichheitssatz dabei jeweils entnommen werden, sind aber durchaus unterschiedlich, und sie besitzen zudem mehr Aussagekraft als die allgemeine, in der Judikatur auch gar nicht besonders geläufige Formel, wonach Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist49. a. Unparteilichkeit Schon dem Ausdruck „sachlich“ kommen mehrere Bedeutungen zu. Er meint zunächst im allgemeinen Sprachgebrauch „objektiv“, „unvoreingenommen“, „unparteiisch“, „neutral“50, beschreibt also eine Haltung, die jemand einer Person oder einer Problemstellung gegenüber einnimmt. Wer „sachlich“ in diesem Sinne ist, betrachtet eine Sache von vielen Seiten, um sich ein vollständiges Bild von ihr zu verschaffen, er blendet nicht die eine Seite aus oder misst der anderen ungeprüft höhere Bedeutung zu51, macht sich frei von Vorurteilen und stereotypen Beurteilungen, besitzt mithin alle Tugenden, die man von einem Organ erwartet, das – wie der Gesetzgeber – berufen ist, die vielfältigen und oft auch divergierenden Interessen innerhalb einer Gesellschaft zu einem Ausgleich zu bringen. Unparteilichkeit bedeutet insbesondere, sich in die Lage des von einer Regelung Betroffenen zu versetzen und sich zu fragen, ob man diese Regelung, wäre man in der Lage des Betroffenen, auch gegen sich selbst gelten lassen würde52. Gerade das Fehlen einer solchen Unparteilichkeit hat historisch zu jenen Ungleichbehandlungen geführt, die den allgemeinen Gleichheitssatz erst auf den Plan gerufen haben: Die Privilegien des Adels gingen auf eine einseitige Überbewertung der Interessen gerade dieses Standes zurück, die historischen Benachteiligungen bestimmter Konfessionen beruhten auf einer Intoleranz dem „Anderen“ gegenüber, teils waren sie ____________________
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ZB VfSlg 17.207/2004, 17.617/2005. VfSlg 10.188/1984, s auch VfSlg 9144/1981, 13.581/1993 sowie 14.191/1995 („keineswegs sachfremd“). 47 VfSlg 11.771/1988, s auch VfSlg 9524/1982. 48 ZB VfSlg 16.485/2002. 49 Dass die vergleichbaren Feststellungen des BVerfG nicht voreilig als „leere Formeln“ abgetan werden können, betont zu Recht auch Huster, Rechte 46. 50 S W. Müller, Duden 523, 597. 51 S auch Raschauer, Namensrecht 88, nach dem das Gebot der Sachlichkeit genau genommen die Berücksichtigung aller Lebensumstände und nicht zuletzt eine sorgfältige Interessenabwägung erfordert. 52 S auch Somek, Rationalität 366; s auch noch unten E.I.4.c. 46
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zudem gespeist aus Vorurteilen, nicht anders als etwa die vielfältigen Diskriminierungen, die aufgrund des Geschlechts vorgenommen worden sind. So besehen kann der Satz, eine Ungleichbehandlung müsse durch Unterschiede „im Tatsächlichen“ begründbar sein, auch in einem zweiten Sinn verstanden werden, dahin nämlich, dass die Annahme dieser Unterschiede nicht bloß auf Unterstellungen und Mutmaßungen beruhen darf: Diese Unterschiede müssen vielmehr tatsächlich bestehen. Dass Voreingenommenheit und Parteilichkeit den Nährboden für Diskriminierungen bereiten, kam in der älteren Judikatur besonders deutlich dann zum Ausdruck, wenn der VfGH dem Gleichheitssatz die Verpflichtung für Gesetzgebung und Vollziehung entnahm, „sich bei der rechtlichen Behandlung der Staatsbürger nur von sachlich gerechtfertigten Momenten leiten und subjektive, nur in der Person – des Standes – begründete Erwägungen beiseite zu lassen“53. Hinge die Gleichheitswidrigkeit einer Norm freilich von dem Nachweis ab, dass der Gesetzgeber sich im konkreten Fall von derart subjektiven Erwägungen hat leiten lassen, wäre der Rechtsunterworfene in einer ungünstigen Situation. Denn erstens wird ein solcher Nachweis kaum je zu erbringen sein, weil eine Diskriminierungsabsicht regelmäßig nicht offen zutage tritt, sondern von Scheinrationalisierungen begleitet ist54. Zweitens macht es aus der Sicht des Betroffenen begreiflicherweise keinen wesentlichen Unterschied, ob er aus böser Absicht oder „nur“ aus Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit oder Inkompetenz schlechter behandelt wird als alle anderen. Zu Recht ist der VfGH daher auch von seinem ursprünglichen Standpunkt abgerückt, eine Gleichheitswidrigkeit sei schon ausgeschlossen, wenn der Gesetzgeber sich um eine gleichheitskonforme Regelung nur „bemüht“ hat55. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung hängt die Sachlichkeit einer Norm nicht vom subjektiven Verhalten ihres Urhebers ab, sondern von ihrem objektiven Gehalt 56. Es kommt also „nicht darauf an, was einzelne, im Gesetzgebungsvorbereitungsprozeß beteiligte Personen subjektiv allenfalls gemeint haben mögen, sondern darauf, was ____________________
53 S noch VfSlg 12.032/1989 (Hervorhebung nicht im Original), sowie zuvor sinngemäß VfSlg 2717/1954, 2724/1954, 2884/1955, 3240/1957, 4036/1961, 5356/1966. S zu dieser Judikatur noch näher unten E.I.2.c. 54 S auch Somek, Rationalität 390, 417. 55 ZB VfSlg 2957/1956, 6438/1971. Ausdrücklich aufgegeben in VfSlg 10.090/1984, s zuvor schon VfSlg 5251/1966, 8457/1978, 9287/1981, 9579/1982, 9750/1983. Kritisch zur Judikatur, die sich mit dem Bemühen des Gesetzgebers begnügte zB Funk, ZAS 1976, 4 FN 9; Raschauer, Namensrecht 88; s für Deutschland auch P. Kirchhof, FS Geiger 93: „Das Verfassungsrecht leitet vorbeugend staatlichen Willen, mißt staatliches Handeln aber an seinen Erfolgen.“ 56 S VfSlg 5251/1966, 8350/1978, 8457/1978, 9287/1981, 9750/1983, 10.365/1985; s auch VfSlg 14.868/1997; zur Vorjudikatur s unten E.I.2.g.
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das Gesetz objektiv zum Ausdruck bringt“57. Für eine Gleichheitswidrigkeit ist daher nicht erforderlich, dass es dem Gesetzgeber auf ein bestimmtes Ergebnis gerade angekommen ist, denn „[d]ie Gleichheitswidrigkeit eines Gesetzes ist ja nicht erst die Sanktion einer (bösen) Absicht des Gesetzgebers, sondern schon die Folge der unsachlichen Wirkung des Gesetzgebungsaktes“58. Dass sich die sonach geforderte „Sachlichkeit“ nicht mehr auf die Haltung und das Vorgehen des Gesetzgebers bezieht, sondern auf das Gesetz selbst59, bedeutet allerdings nicht, dass die Gründe, die den Gesetzgeber zu einer Un/gleichbehandlung veranlasst haben, völlig außer Betracht bleiben müssten, im Gegenteil: Gerade diese Gründe zeigen ja, worin aus der Sicht des Gesetzgebers jene Unterschiede oder Gemeinsamkeiten bzw Ziele bestehen, die die von ihm vorgenommene Regelung legitimieren sollen. b. Sachgerechtigkeit Wenn der VfGH Differenzierungen als gleichheitskonform ansieht, die „in der Natur der Sache liegen“, in einem „sachbezogenen Konnex zum Regelungsgegenstand“ stehen, „sachgerecht“ oder doch wenigstens „nicht sachfremd“ oder „nicht sachwidrig“ sind, so weist dies darauf hin, dass die Frage, wann ein Unterschied „wesentlich“ und wann er bedeutungslos ist, vom Gegenstand einer Regelung abhängt, also von der Sache, um die es jeweils geht. Die Ungleichheit muss also in den Worten des VfGH „in bezug auf die Regelung wesentlich sein“60. Dies ist ebenso unabweislich wie unbestritten: Dass zwei Personen in einer Hinsicht gleich oder ungleich behandelt werden müssen, bedeutet keineswegs, dass sie deshalb auch in anderem Zusammenhang so zu behandeln sind61: Die für die Gleichheitsprüfung maßgebliche „Wesentlichkeit“ ist offenkundig kontextrelativ62. Dementsprechend stellt etwa die Bedürftigkeit im Sozialhilferecht einen ____________________
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VfSlg 10.179/1984, s auch VfSlg 10.365/1985. VfSlg 10.926/1986 (Hervorhebungen nicht im Original). 59 S auch Korinek, FS Melichar 50 f, sowie den Befund desselben, VVDStRL 39 (1981) 24, wonach in der österreichischen Judikatur eine Verhaltenskontrolle des Gesetzgebers unterbleibt. Demgegenüber schreibt Tomandl, ZAS 1980, 209, dem allgemeinen Gleichheitssatz neben seiner Funktion des Individualrechtsschutzes sogar eine „Erziehungsfunktion“ dem Gesetzgeber gegenüber zu; auch Öhlinger, VVDStRL 39 (1981) 190 f, tritt sub titulo Gleichheitssatz für eine Verhaltenskontrolle des Gesetzgebers ein; ähnlich Morscher, 8. ÖJT I/1 B (1982) 87 f. 60 ZB VfSlg 8279/1978. 61 S nur Alexy, Grundrechte 363; Huster, Rechte 31, 44, 362, sowie oben C.IV.1.b., C.IV.3.b. 62 C.IV.3.b.; s auch Huster, Rechte 44, 361; dens, Art 3 GG Rz 59, 88; Tipke, FS Stoll 236. 58
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wesentlichen63, in der Straßenverkehrsordnung hingegen einen unwesentlichen Gesichtspunkt dar. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist im Einkommensteuerrecht wesentlich64, im Melderecht unwesentlich. Zwischen Selbständigen und Unselbständigen besteht aus der Sicht des Sozialversicherungsrechts ein wesentlicher65, aus strafrechtlicher Sicht hingegen ein unwesentlicher Unterschied: Es wäre daher „sachfremd“ oder gar „sachwidrig“, Bedürftige von der Einhaltung der Straßenverkehrsordnung zu befreien, eine polizeiliche Meldepflicht nur besonders Leistungsfähigen aufzuerlegen und Selbständige für gleiche Taten höher zu bestrafen als Unselbständige. „Sachgerecht“ erscheint es hingegen, bei der Zuerkennung von Sozialhilfe nach der Bedürftigkeit zu differenzieren, Abgaben nach der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu bemessen, die Höhe einer Strafe von der Schuld des Täters abhängig zu machen. c. Sachliche Rechtfertigung In den zuletzt erwähnten Rechtsmaterien nach den genannten Kriterien zu unterscheiden, liegt so nahe, dass es geradezu unpassend erscheint zu sagen, diese Unterscheidungen seien „sachlich gerechtfertigt“, denn der Ausdruck der Rechtfertigung suggeriert, dass – eigentlich, prima facie, an sich – eine Differenzierung nach einem anderen Kriterium oder gar keine Ungleichbehandlung angebracht oder doch zumindest ebenso nahe liegend erscheint. Von einer „sachlich gerechtfertigten“ Unterscheidung zu sprechen ist daher eher angemessen, wenn zwischen Personen zwar wesentliche Gemeinsamkeiten bestehen, die an sich für eine Gleichbehandlung sprechen, wenn aber doch Gründe vorliegen, die ihre Ungleichbehandlung legitimieren. Analoges gilt, wenn zwei Personengruppen an sich ungleich behandelt werden müssten, weil zwischen ihnen wesentliche Unterschiede bestehen: Eine Durchbrechung dieses Differenzierungsgebotes muss dann sachlich gerechtfertigt werden können. Einer „sachlichen Rechtfertigung“ bedarf es schließlich auch, wenn Personen aus Gründen ungleich behandelt werden, die gewissermaßen „von außen“ kommen66, die ____________________
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S noch unten G.III.3.b.cc. S noch unten F.II.5.a. 65 S zB VfSlg 10.030/1984: Die sachlichen Voraussetzungen bei selbständigen und unselbständigen Tätigkeiten und den verschiedenen Berufszweigen können so verschieden sein, dass eine differenzierende sozialversicherungsrechtliche Regelung nicht nur zulässig, sondern unter Umständen sogar geboten erscheint. Eine von der allgemeinen Regelung abweichende Zuständigkeit für eine bestimmte Berufsgruppe ist daher ebenso unbedenklich wie Unterschiede in der Entrichtung der Beiträge und der Erbringung der Leistungen. 66 Diesen Unterschied hat, soweit ersichtlich, erstmals Huster, Rechte 47, deutlich gemacht. In der Literatur wird die Frage nach dem sachlichen Grund einer Ungleichbehandlung und nach dem wesentlichen Unterschied häufig als synonym angesehen, s etwa 64
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mit den Eigenschaften der Vergleichsgruppen also von vornherein nichts zu tun haben: In solchen Fällen scheint prima facie alles für die Gleichbehandlung zu sprechen, sind doch wesentliche Unterschiede nicht ersichtlich. Wenn dennoch eine Ungleichbehandlung vorgenommen wird, dann muss diese sachlich – etwa durch Erwägungen der Verwaltungsökonomie67 oder andere legitime Ziele – gerechtfertigt sein. In Fällen wie diesen erweist zwar der für den Gleichheitssatz typische Normenvergleich, dass zwei Personengruppen ungleich behandelt werden. Die Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung kann aber gerade nicht aus einem Vergleich der Personengruppen selbst bezogen werden. Dementsprechend verlangt der VfGH – anders als noch in den eingangs genannten Erkenntnissen68 – auch nicht mehr, dass zwischen den verglichenen Personen Unterschiede im Tatsächlichen (bzw Rechtlichen) bestehen: Es genügt vielmehr eine sachliche Rechtfertigung. d. Sachliche Begründung Dass eine Differenzierung „sachlich begründbar“ sein muss, ist schließlich eine neutrale Formulierung. Im Unterschied zur „sachlichen Rechtfertigung“ weist sie nicht auf eine besondere Argumentationslast hin. Anders als die „sachgerechte“ Differenzierung beruht sie auch nicht auf Unterschieden, die so wesentlich sind, dass ihre Berücksichtigung geradezu geboten erscheint. Diese begrifflichen Differenzierungen werden in der Literatur regelmäßig übergangen, insbesondere, wenn „Begründung“ und „Rechtfertigung“ in eins gesetzt werden69. Tatsächlich zeigt dieser Unterschied jedoch, dass manche Regelungen prima facie suspekt, andere hingegen grundsätzlich unbedenklich sind. Der Argumentationsaufwand ist ____________________
Sachs, Diskriminierungsverbot 343; ferner Alexy, Grundrechte 364 ff, der den Satz, dass wesentlich Gleiches nicht ungleich behandelt werden darf, in den Satz umformuliert: „Wenn es keinen zureichenden Grund für die Erlaubtheit einer Ungleichbehandlung gibt, dann ist eine Gleichbehandlung geboten“ und hieraus wiederum auf die (in der vorliegenden Arbeit allerdings abgelehnte) Argumentationslast für Ungleichbehandlungen und damit auf den Prinzipiencharakter des allgemeinen Gleichheitssatzes schließt. Tatsächlich decken sich sachliche Gründe und wesentliche Unterschiede insoweit, als wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichspersonen stets einen sachlichen Grund für ihre Ungleichbehandlung liefern, nicht aber umgekehrt: Auch wenn zwischen den Vergleichspersonen kein wesentlicher Unterschied besteht, kann ihre Ungleichbehandlung sachlich, etwa durch verwaltungsökonomische Erwägungen gerechtfertigt sein; s schon oben C.IV.4.b., C.V. Diesem Unterschied in der möglichen Begründung von Ungleichbehandlungen trägt die Judikatur durch entsprechend differenzierte Formeln Rechnung. 67 S zu Durchschnittsbetrachtung und Verwaltungsökonomie noch unten D.I.8. 68 D.I.2. 69 S nur beispielhaft W. Böckenförde, VVDStRL 47 (1989) 95: „[N]icht die Gleichheit, die Gleichbehandlung, sondern die Ungleichbehandlung ist begründungs- und rechtfertigungsbedürftig.“
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hier und dort verschieden: Im ersten Fall sind triftige Gründe für die Zulässigkeit einer Regelung vorzubringen; gelingt dies nicht, liegt eine Gleichheitswidrigkeit vor. Im zweiten Fall ist umgekehrt zu begründen, dass die Regelung unsachlich ist; im Zweifel ist daher von ihrer Gleichheitskonformität auszugehen. e. Differenziertes begriffliches Repertoire Hier soll nicht behauptet werden, dass der VfGH selbst jede der genannten Wendungen immer nur in dem beschriebenen Sinn verwendet. Gezeigt werden sollte aber, dass die Judikatur durchaus über ein begriffliches Repertoire verfügt, das imstande ist, unterschiedlichen Fallkonstellationen Rechnung zu tragen, einer dem Regelungsgegenstand entsprechenden, mithin „sachgerechten“ Differenzierung also ebenso wie einer Ungleichbehandlung, für die eine sachliche Begründung ausreicht und schließlich einer Ungleichbehandlung, die einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Sachgerechte und sachlich begründete Differenzierungen werden regelmäßig auf unterschiedlichen Eigenschaften der Vergleichspersonen beruhen. Ungleichbehandlungen, die einer sachlichen Rechtfertigung bedürfen, treffen Personengruppen, zwischen denen zumindest auch wesentliche Gemeinsamkeiten bestehen oder zwischen denen wesentliche Unterschiede von vornherein gar nicht vorliegen70. In jeder dieser Fallkonstellationen spielen die Ziele, die der Gesetzgeber mit einer Regelung verfolgt und auch die Mittel, die er dafür einsetzt, eine ausschlaggebende Rolle. Auch hiezu enthält die Judikatur ein breites Formelrepertoire.
4. Legitime Ziele Etwa seit den 1970er Jahren entnimmt der VfGH dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht nur ein Verbot, sachlich nicht begründbare bzw nicht gerechtfertigte Differenzierungen vorzunehmen, sondern explizit auch ein „allgemeines Sachlichkeitsgebot“. Ihm zufolge setzt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber „insofern inhaltliche Schranken, als er verbie____________________
70 Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 604, unterscheiden grundsätzlich zwischen Differenzierungen, die sich aus der „Natur der Sache“ bzw den „objektiven Lebensverhältnissen“ ergeben und Unterscheidungen, die auf den „jeweiligen gesetzlichen Ordnungsvorstellungen“ bzw „politischen Zielen“ beruhen. Idealtypisch sind diese zwei Gesichtspunkte wohl von „völlig unterschiedlicher Qualität“, in der Praxis werden sie jedoch häufig miteinander verbunden sein, einerseits, weil sich ein politisches Ziel nicht über die objektiven Lebensverhältnisse hinwegsetzen kann, wenn es realisiert werden will, andererseits weil oft gerade in Ansehung bestimmter objektiver Lebensverhältnisse politische Ziele erst formuliert werden.
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tet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen“71. Diese Formulierung erweckt den Eindruck, dem Gleichheitssatz werde ein Recht entnommen, das nicht mehr eine Gleich- oder Ungleichbehandlung im Auge hat, sondern dem Gesetzgeber für jede Regelung an sich eine Begründung abverlangt, also fordert, dass die Rechtsfolge dem Tatbestand der zu prüfenden Norm bzw den von ihm erfassten Sachverhalten adäquat ist72. Quantitativ gesehen trügt dieser Eindruck jedoch bei näherem Hinsehen. In einem nicht unerheblichen Teil jener Erkenntnisse, die sich auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot berufen, prüft der VfGH in Wahrheit sehr wohl, ob eine Gleich- oder Ungleichbehandlung mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist73. Nur gibt es eine beträchtliche Zahl von Fällen, in denen eine Ungleichbehandlung nicht auf wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen zurückgeführt werden kann, sondern auf andere, gleichsam von außen kommende Gründe. In solchen Fällen kann die vergleichende Prüfung zwar aufdecken, dass eine Regelung begründungs- bzw rechtfertigungsbedürftig ist. Die Zulässigkeit dieser Regelung kann aber nur geprüft werden, indem die Sachlichkeit der für sie ins Treffen geführten Gründe hinterfragt wird. Die enge innere Verbindung zwischen der Sachlichkeit einer Regelung und der Gleichheitskonformität einer Differenzierung kommt denn auch zum Ausdruck, wenn der Gerichtshof feststellt, es sei dem Gesetzgeber durch den Gleichheitsgrundsatz verwehrt, „andere als sachlich begründbare Differenzierungen zu schaffen. [...] Dem […] Gesetzgeber steht – freilich nicht unbegrenzt – rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu. Die ihm ____________________
71 ZB VfSlg 11.369/1987 (Hervorhebung nicht im Original) unter Hinweis auf VfSlg 8457/1978, 10.064/1984, 10.084/1984; s auch VfSlg 7182/1973, 8328/1978, 8726/ 1980, 9520/1982, 9607/1983, 10.692/1985, 12.154/1989, 12.227/1989, 13.558/1993, 13.743/1994, 14.301/1995, 14.694/1996, 15.031/1997, 16.407/2001, 16.582/2002, 17.266/2004, 17.807/2006; VfGH 28.9.2006, G 122/05 ua. 72 So die überwiegende Deutung des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes in der Literatur, s zB Öhlinger, EuGRZ 1982, 225; Korinek, FS Melichar 48 f; Stoll, ÖStZ 1989, 193 f; Holoubek, ÖZW 1991, 72; Bernegger, Gleichheitsgrundsatz 731; Berka, Grundrechte Rz 911, 926; dens, Art 7 B-VG Rz 33; Mayer, B-VG Art 2 StGG IV.1.; s dazu noch unten D.II.2. 73 S auch den Befund Holoubeks, ÖZW 1991, 80, und Ruppes, Steuerrecht 123; ferner Öhlinger, Verfassungsrecht7 Rz 765, nach dem der VfGH das Sachlichkeitsgebot „gelegentlich zur Anwendung bringt, ohne die (dem Gleichheitsgebot begrifflich immanente) Vergleichung vorzunehmen.“ (Hervorhebung nicht im Original); s dazu noch unten D.II.1. Zu einer grundsätzlichen Kritik des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes Somek, Rationalität 43 ff, allerdings ausgehend von der Annahme, der Gleichheitssatz lasse sich plausibel nur als ein Antidiskriminierungsverbot verstehen: Teilt man diese Prämisse, dann geht das Sachlichkeitsgebot ebenso wie das allgemeine, also nicht speziell auf Diskriminierungen beschränkte Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, weit über das hinaus, was der Gleichheitssatz gebietet. Die vorliegende Arbeit teilt allerdings diese Prämisse, wie bereits dargetan, nicht, s dazu schon oben C.III., C.IV.2.b., C.IV.4.a.
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von Verfassungs wegen durch das Gleichheitsgebot gesetzten Schranken überschreitet er dann, wenn für die getroffene Regelung keine sachliche Rechtfertigung gefunden werden kann.“74 Wenn der VfGH in anderen Erkenntnissen nur mehr den zweiten Teil dieser Formel rezitiert, lässt dies also keineswegs den Schluss zu, dass er deshalb schon den Weg einer vergleichenden Prüfung verlassen hat, wie überhaupt aus der verkürzten Wiedergabe einer Grundrechtsformel in der Judikatur keine voreiligen Schlüsse gezogen werden dürfen75. Dass der VfGH in die Prüfung einer rechtlichen Differenzierung auch die Regelung einbezieht, in deren Rahmen diese Differenzierung vorgenommen worden ist, hat überdies einen guten Sinn: Ob eine Unterscheidung nämlich „sachgerecht“, „sachlich gerechtfertigt“ oder „sachlich begründbar“ ist, lässt sich vielfach überhaupt nur beurteilen, wenn man weiß, was der Gesetzgeber mit einer Regelung oder mit einem Regelungskomplex insgesamt erreichen will. Gerade an diesem Punkt kommt also ins Spiel, was oben bereits festgestellt worden ist: Dass die Forderung der Sachlichkeit sich nun nicht mehr auf die subjektive Haltung des Gesetzgebers bezieht, sondern auf das Gesetz selbst, bedeutet nicht, dass die Ziele, die der Gesetzgeber mit einer Regelung insgesamt verfolgt, aus der Gleichheitsprüfung ausgeblendet werden können76. Soweit der Gesetzgeber eine Unterscheidung ganz bewusst einsetzt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, kann die Sachlichkeit dieser Unterscheidung ohne Bedachtnahme auf dieses Ziel gar nicht beurteilt werden. Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn der Gesetzgeber ein erwünschtes Verhalten ____________________
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VfSlg 9006/1981 (Hervorhebungen nicht im Original). S auch Spielbüchler, FS Floretta 290 f, der einräumt, dass der Gebrauch verschiedener Formeln durch den VfGH gelegentlich „weniger auf die besondere Fragestellung oder das konkrete Beschwerdevorbringen, als auf das bloße Fortschreiben eines inzwischen überholten Erkenntnisstandes zurückzuführen“ ist. Gleiches gilt wohl auch für den umgekehrten Fall, dass nämlich der Gerichtshof eine längere Formel verkürzt wiedergibt oder verschiedene in der Judikatur bislang beachtete Aspekte in einer Formel zusammenfasst. Gerade das allgemeine Sachlichkeitsgebot dürfte auf eine solche Vorgangsweise zurückzuführen sein: Denn in dem Verbot, Regelungen zu erlassen, die „sachlich nicht begründbar“ sind, kommen die verschiedenen, in der Judikatur aber durchaus vorhandenen Schattierungen der „Sachlichkeit“ nicht mehr unmittelbar zum Ausdruck, zunächst also die Sachlichkeit, die sich als Unparteilichkeit auf den Gesetzgeber bezieht, die aber auch das Gesetz selbst betrifft, weiters die „sachgerechte“, sich von der Sache her geradezu aufdrängende Differenzierung und schließlich eine Unterscheidung, die nur nicht „sachfremd“ ist oder die ihre legitimierende Kraft nicht aus Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen bezieht, sondern aus rein externen Zwecken. 76 S zur Bedeutung des Regelungszieles für die Feststellung der Wesentlichkeit schon oben C.V.3., Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 648; Gassner, Gleichheitssatz 4; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 15; Gusy, JuS 1982, 34; dens, NJW 1988, 2507; Stoll, ÖStZ 1989, 191; Pöschl, JBl 1997, 429 f; Häfelin/Haller, Bundesstaatsrecht Rz 754. Für Walter, ZVR 1979, 36, ist die Frage der Wesentlichkeit bereits eine Wertungsfrage, was zutrifft, mE allerdings mit dem im vorliegenden Zusammenhang bedeutenden Zusatz, dass diese Wertung der Gesetzgeber zu treffen hat. 75
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
durch Zuwendungen fördert77 oder wenn er umgekehrt ein unerwünschtes Verhalten höher besteuert, um es einzudämmen78. Es sind dann gerade die erwünschten oder unerwünschten Effekte, die das jeweils geförderte oder erschwerte Verhalten aus der Sicht des Gesetzgebers von anderen Verhaltensweisen wesentlich unterscheiden. Nicht jede Differenzierung ist aber ein Mittel, das bewusst eingesetzt wird, um ein davon verschiedenes Ziel zu erreichen79. Eine Ungleichbehandlung kann auch vorgenommen werden, um den zwischen zwei Personengruppen bestehenden Unterschieden Rechnung zu tragen, sie etwa auszugleichen. Das ist zB der Fall, wenn der Gesetzgeber Eltern behinderter Kinder eine besondere Zuwendung gewährt, um die mit der Pflege und Betreuung des Kindes einhergehenden besonderen Aufwendungen zu lindern oder sogar abzudecken. Diesfalls gehen Ziel (Ausgleich besonderer Belastungen) und Mittel (Sonderzuwendung) gleichsam ineinander auf. Auch dann gibt aber das Ziel der Regelung Auskunft darüber, welche Unterschiede (besondere Belastung) den Gesetzgeber zu seiner Regelung bewogen haben. Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH ist es dem Gesetzgeber von Verfassung wegen „nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art und Weise zu verfolgen“80. In manchen Entscheidungen fügt der Gerichtshof einschränkend hinzu, dass diese Freiheit der Zielwahl „nicht unbegrenzt“ sei81 bzw „im Falle eines Exzesses“ nicht mehr bestehe82. Nach anderen Entscheidungen kann der einfache Gesetzgeber „seine jeweiligen rechtspolitischen Vorstellungen im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen auf die ihm geeignet erscheinende Art verwirklichen“83. Ob eine Regelung zweckmäßig ist oder gar, ob mit ihr der ____________________
77 S zB VfSlg 17.142/2004: Der Gesetzgeber verfolgt, wie aus den Materialien erweislich, bei der Gewährung von Studienbeihilfe das Ziel, die Studierenden zu motivieren und für Studienwechsler eine längerfristige Perspektive auf den Wiedergewinn der Studienbeihilfe zu schaffen. Im Lichte dieses Zieles widerspricht es dem Gleichheitssatz, den Bezug der Studienbeihilfe nicht bloß von Bedarf und Zielstrebigkeit, sondern überdies von der Gliederung des Studiums in Studienabschnitte abhängig zu machen. 78 So zB indem er bei der Einkommensteuer betrieblich bedingte Anschaffungen für abzugsfähig erklärt, davon aber aus Umweltschutzgründen die Anschaffung von Pkws und Kombis ausnimmt, um solche Anschaffungen einzudämmen, vgl VfSlg 8457/1978. 79 S schon K. Hesse, AöR 109 (1984) 190 FN 57; Robbers, DÖV 1988, 752; Kischel, AöR 124 (1999) 191. 80 VfSlg 12.227/1989, 14.301/1995, 15.031/1997, 16.176/2001, 16.504/2002, 17.807/ 2006; VfGH 28.9.2006, G 122/05 ua. 81 VfSlg 8457/1978. 82 VfSlg 9583/1982, 11.369/1987, 12.431/1990, 14.644/1996, s auch VfSlg 6030/ 1969: „Der Gleichheitssatz erlaubt es – es sei denn, daß eine exzessive Regelung vorliegt – nicht, dem Gesetzgeber wegen der Wahl wirtschaftspolitischer oder finanzpolitischer Ziele entgegenzutreten.“ 83 VfSlg 13.558/1993, 13.743/1994, jeweils unter Hinweis auf VfSlg 7973/1976 (Hervorhebung nicht im Original).
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optimale Weg zur Zielerreichung beschritten wird, sind aber jedenfalls „Fragen, die nicht vom Verfassungsgerichtshof unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes zu beurteilen sind“84. Unter der Sachlichkeit einer Regelung ist daher nach ständiger Rechtsprechung weder ihre Zweckmäßigkeit noch ihre „Richtigkeit“ oder „Gerechtigkeit“ zu verstehen85. Es steht dem Gesetzgeber daher zB frei, „Maßnahmen zur Förderung bestimmter wirtschaftlicher Zwecke [zu] treffen“86. Es ist auch nicht unsachlich, wenn er durch steuerrechtliche Maßnahmen die Bildung von Gesellschaftsformen begünstigt, die ihm erwünscht sind, weil sie eine persönliche Haftung der Gesellschafter gewährleisten87, oder wenn er aleatorische Geschäfte unterbinden oder erschweren88, den Absatz bestimmter Lebensmittel fördern89, das Ansehen des österreichischen Weines im In- und Ausland heben90, die Umwelt schonen91, gewisse Spekulationen unterbinden92, die Leistungserbringung durch Krankenanstalten in ökonomischer und qualitativer Hinsicht optimieren93 oder die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung aufrechterhalten will94. Der VfGH tritt dem Gesetzgeber erst entgegen, wenn dieser Ziele verfolgt, „die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind.“95 Dieser Judikatur ist zuzustimmen. Was der Gesetzgeber als erwünscht und was er als unerwünscht ansieht, ist ihm grundsätzlich ebenso überlassen wie die Entscheidung, ob und inwieweit er bestimmte, im Tatsächlichen bestehende Unterschiede zwischen den Rechtsunterworfenen ausgleichen oder bestehen lassen will96. Für die Wahl seiner Ziele kann dem ____________________
84 VfSlg 7885/1976, 11.369/1987, 12.227/1989, 12.417/1990, 14.301/1995, 14.644/ 1996, 15.031/1997, 16.735/2002, 17.315/2004; VfGH 28.9.2006, G 122/05 ua; 4.10. 2006, G 96/05. 85 VfSlg 4627/1963, 5862/1968, 7885/1976, 12.416/1990, 14.301/1995. Nach VfSlg 4289/1962 besitzt auch der „Grundsatz der Steuergerechtigkeit“ innerhalb der österreichischen Verfassungsordnung keinen Verfassungsrang; das Bestreben des Gesetzgebers, der „Steuergerechtigkeit“ Rechnung zu tragen, sei aber jedenfalls sachlich gerechtfertigt. 86 VfSlg 4289/1962. 87 VfSlg 4379/1963. 88 VfSlg 4627/1963. 89 VfSlg 5862/1968. 90 VfSlg 11.369/1987. 91 VfSlg 11.369/1987. 92 VfSlg 6030/1969. 93 VfSlg 17.232/2004. 94 VfSlg 17.500/2005. 95 VfSlg 16.740/2002, 17.315/2004. 96 Dass der allgemeine Gleichheitssatz zur Herstellung faktischer Gleichheit gerade nicht verpflichtet, wurde bereits oben C.II. festgestellt. Dass die „Richtigkeit“ einer Norm am allgemeinen Gleichheitssatz nicht geprüft werden kann, hebt auch die Lehre immer wieder hervor, s etwa Antoniolli, JBl 1967, 230; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 604;
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Gesetzgeber daher keine „Rechtfertigung“ abverlangt werden; vielmehr bedarf umgekehrt die Behauptung, ein bestimmtes Ziel sei unzulässig, einer besonderen Begründung. Diese Begründung kann nur dann gelingen, wenn sie sich ihrerseits auf verfassungsrechtliche Wertungen stützt, etwa darauf, dass der Gesetzgeber entgegen Art 8 EMRK eine Beschränkung der Kinderzahl anstrebt97, oder bestimmte Unternehmer entgegen Art 6 StGG vor einer Konkurrenz durch andere Marktteilnehmer schützen will, ohne dass damit ein darüber hinausgehender Nutzen für die Allgemeinheit verbunden wäre98. Liegen derartige Gründe nicht vor, scheitert die Regelung also nicht schon an ihrem unzulässigen Zweck, dann kann sich gerade aus diesem Zweck ergeben, dass zwischen Personen wesentliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede bestehen: Wesentlich ist, was zur Zielerreichung beiträgt oder sie verhindert; unwesentlich, was sich auf das Ziel nicht auswirkt. Die Frage der Wesentlichkeit ist insofern zwar von einer Wertung abhängig, diese Wertung vorzunehmen, ist aber prinzipiell Aufgabe des einfachen Gesetzgebers. Der Rechtsanwender ist darauf beschränkt, diese Wertung zu ermitteln99. Das kann im Einzelfall zwar mit Schwierigkeiten behaftet sein100; sie gehen aber nicht grundsätzlich über jene Probleme hinaus, die mit der Auslegung von Normen ganz allgemein verbunden sind. Lässt sich nicht ermitteln, welches Ziel der Gesetzgeber mit einer Regelung verfolgt hat, dann genügt für ihre Gleichheitskonformität, dass sich für diese Vorschrift eine Begründung finden lässt101. Denn eine gesetzliche Un/gleichbehandlung ist nicht schon dann gleichheitswidrig, ____________________
Stoll, ÖStZ 1989, 196; allgemein zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Korinek, FS Walter 372 ff. 97 S zB VfSlg 12.940/1991: „Von einem öffentlichen Interesse an einer Beschränkung der Kinderzahl kann nicht die Rede sein.“ 98 VfSlg 13.555/1993, 15.700/1999, 15.740/2000. 99 Treffend Kischel, AöR 124 (1999) 185 f: „Unabhängig von der [...] Frage der Rechtfertigung ist die Auswahl der gesetzgeberischen Ziele, der Differenzierungskriterien und des Inhalts der Differenzierung – wie alles gesetzgeberische Handeln – auch ein Wertungsproblem. Es ist aber nicht das Problem des Art. 3 Abs. 1 GG. [...] Merkmal der gleichheitsrechtlichen Kontrolle ist es [...], daß eine zu überprüfende Regelung und damit das Differenzierungskriterium fest vorgegeben ist: es findet sich im Gesetzestext […]. Wertungen bei der Suche nach ihm sind nicht erforderlich.“ 100 S dazu auch Somek, Rationalität 144 f. 101 S zB das Erkenntnis VfSlg 3308/1958, in dem der VfGH dem Gesetzgeber ausdrücklich ein sachlich einwandfreies Ziel unterstellt; s auch VfSlg 4379/1963: „Es ist [...] nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber durch steuerrechtliche Maßnahmen Einfluß nimmt auf die Bildung von Gesellschaftsformen, die ihm deshalb erwünscht sind, weil sie eine persönliche Haftung der Gesellschafter gewährleisten. Ob eine solche Absicht des Gesetzgebers aus den Gesetzesmaterialien entnommen werden kann, ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes rechtlich belanglos. Maßgebend ist lediglich, ob eine solche Absicht sachlich gerechtfertigt wäre. Dies ist aber der Fall.“
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wenn sie nicht begründet ist, sondern erst, wenn sie nicht begründbar ist102. Gleiches gilt, wenn der Zweck einer Regelung zwar feststellbar ist, die getroffene Differenzierung aber nicht zu begründen vermag: Auch in diesem Fall kann sie noch immer auf andere Gründe gestützt werden, mag der Gesetzgeber diese auch nicht im Auge gehabt haben. Unzulässig ist es hingegen, dem Gesetzgeber statt des tatsächlich verfolgten Zieles, das die Regelung begründen könnte, ein anderes Ziel zu unterschieben und die Gleichheitskonformität der Regelung daran zu messen. Diesfalls wird nämlich eine Un/gleichbehandlung nicht an den Wertungen des Gesetzgebers gemessen, sondern daran, was das rechtsanwendende Organ für wesentlich hält. Werden mit einer Regelung mehrere Ziele zugleich verfolgt, muss es genügen, dass die Ungleichbehandlung sich auf Unterschiede stützt, die sich bloß aus einem dieser Ziele ergeben. Verfolgt eine Regelung divergierende Ziele, dann können zwischen den Vergleichsgruppen sowohl wesentliche Unterschiede als auch wesentliche Gemeinsamkeiten bestehen. Wenn nichts dagegen spricht, steht es dem Gesetzgeber in einer solchen Situation frei, sie gleich oder ungleich zu behandeln103.
5. Taugliche Mittel Ein vertretbares bzw nicht exzessives Ziel allein kann die Gleichheitskonformität einer Regelung freilich noch nicht garantieren, weil das bloße Bemühen des Gesetzgebers, also sein Wille, nicht für das Werk stehen kann. Der VfGH scheint dies nur auf den ersten Blick anders zu sehen, wenn er feststellt, der Gesetzgeber dürfe seine Ziele auf die „ihm geeignet erscheinende Art“ verwirklichen104 oder wenn er in VfSlg 5862/1968 als Rechtfertigung für eine Unterscheidung ein legitimes wirtschaftspolitisches Ziel akzeptiert, „ungeachtet ob die Maßnahme auch den wirtschaftlich beabsichtigten Erfolg verbürgt“. In VfSlg 8233/1978 verlangte der VfGH schon, dass die höhere steuerliche Belastung einer bestimmten Personengruppe mit dem angestrebten Regelungszweck „in sachlichem Zusammenhang“ stehen muss. In der Folgejudikatur stellte der VfGH dann ganz allgemein fest, dass „[d]iese Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers [...] sowohl in Ansehung der angestrebten Ziele als auch bezüglich der Auswahl der zur Zielerreichung einzusetzenden Mittel [besteht]. ____________________
102 S auch Somek, Rationalität 354 f. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Anforderungen, die der allgemeine Gleichheitssatz an den Gesetzgeber und an die Vollziehung stellt; s zB VfSlg 15.826/2000, wonach es nicht reicht, dass ein Bescheid begründbar ist; sie muss vielmehr begründet sein, damit sie von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts überprüft werden kann. S dazu auch noch unten H.II.1. 103 S schon oben C.IV.1.c. 104 S die Nachweise in FN 80.
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Grundsätzlich steht es dem Gesetzgeber frei, zu entscheiden, welche Instrumente er – unter Berücksichtigung allfälliger erwünschter oder in Kauf genommener Nebenwirkungen – in der jeweils gegebenen Situation zur Zielerreichung geeignet erachtet und welches unter mehreren möglichen Mitteln er auswählt und einsetzt. Der VfGH kann dem Gesetzgeber nur dann entgegentreten, wenn er bei der Bestimmung der einzusetzenden Mittel die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Schranken überschreitet. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er das sich aus dem Gleichheitsgebot ergebende Sachlichkeitsgebot verletzt, wenn er also beispielsweise zur Zielerreichung völlig ungeeignete Mittel vorsieht oder wenn die vorgesehenen, zur Zielerreichung an sich geeigneten Mittel zu einer sachlich nicht begründbaren Differenzierung führen“105.
Überdies ist der Gesetzgeber, wie der VfGH später noch hinzufügte, durch den Gleichheitssatz „nicht verhalten, alle nur denkbaren Mittel zur Erreichung eines Zieles einzusetzen; noch weniger ist er verhalten, dies gleichzeitig zu tun“106. Dass der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber die Ergreifung ungeeigneter Mittel verwehrt, ist schlüssig: Eine Differenzierung, die nicht geeignet ist, das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zu erreichen, kann durch dieses Ziel nicht legitimiert werden107. Wenn der VfGH sich in der wiedergegebenen Formel darauf beschränkt, nur ganz offenkundig untaugliche Mittel aufzugreifen, ist dies als ein Ausdruck richterlicher Zurückhaltung zu werten, die jedenfalls der älteren Judikatur entspricht. Die jüngere Rechtsprechung legt an die Tauglichkeit in manchen Fällen zwar weiterhin einen milden108, in anderen Fällen aber auch einen strengen109 Maßstab an. ____________________
105 VfSlg 8457/1978 (Hervorhebungen nicht im Original), 11.369/1987, 11.639/1988, 12.227/1989, 12.486/1990, 16.582/2002. 106 VfSlg 11.369/1987. 107 S mwN Pöschl, JBl 1997, 430; s für Deutschland auch Osterloh, Art 3 GG Rz 19, nach der das Eignungsgebot Mindestanforderungen an Zweckrationalität und damit Begründungsrationalität jedes staatlichen Handelns enthält, weshalb sein normativer Gehalt im Ergebnis über ein Willkürverbot nicht hinausgehe. Im Erkenntnis VfSlg 12.568/1990 meinte der VfGH anknüpfend an das Erkenntnis VfSlg 8871/1980 ausdrücklich, eine pensionsrechtliche Bevorzugung von Frauen sei nur zulässig, wenn sie ein taugliches und angemessenes Mittel zum Ausgleich der rollenbedingten Doppelbelastung der Frau sei. Dies wurde im konkreten Fall eines früheren Pensionsalters verneint: Jene Frauen, die eine solche Doppelbelastung tatsächlich trifft, seien nämlich in Ermangelung der für den Pensionsantritt erforderlichen Versicherungszeiten regelmäßig nicht in der Lage, von der Möglichkeit eines frühzeitigen Pensionsantrittes Gebrauch zu machen. Ein „völlig untaugliches“ Mittel zur Zielerreichung wurde in VfSlg 12.831/1991 konstatiert, als § 253 Abs 1 ASVG idF BGBl 1986/111 den Anspruch auf Alterspension ua davon abhängig machte, dass der Versicherte an einem bestimmten Stichtag keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgeht. Der arbeitsmarktpolitische Zweck, den der Gesetzgeber dabei verfolgte, war mit dieser Vorschrift nicht erreichbar, hätte doch der Versicherte die Möglichkeit gehabt, nach Erlangung der Alterspension jederzeit wieder eine neue versicherungspflichtige Tätigkeit zu begründen oder eine solche Tätigkeit überhaupt nur für einen einzigen Tag – den Stichtag – zu unterbrechen. Weitere Beispiele für zur Zielerreichung untaugliche Regelungen finden sich etwa in den Erkenntnissen VfSlg 8457/1978, 9068/1981, 17.420/2004. 108 ZB das Erkenntnis VfSlg 12.486/1990 betreffend Vorschriften des MOG, nach denen Silomais nicht in die Berechnung der Futterbasis zum Einzelrichtlinienmengenerwerb
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6. Über- und Unterinklusivität bzw Erforderlichkeit der Mittel Die Untauglichkeit einer Differenzierung ist nach der oben wiedergegeben Formel des VfGH nur ein Beispiel für eine Verletzung des Sachlichkeitsgebotes110. Von diesem Fall abgesehen kann eine Regelung nach der Judikatur auch dann gleichheitswidrig sein, „wenn die vorgesehenen, zur Zielerreichung an sich geeigneten Mittel zu einer sachlich nicht begründbaren Differenzierung führen“111. Der Gesetzgeber kann, wie der VfGH in anderen Entscheidungen feststellt, zur Erreichung eines verfassungsrechtlich erlaubten Zwecks taugliche Mittel verwenden, freilich nur: „sofern sie sachlich sind“112. Diese Sachlichkeit muss verneint werden, wenn eine Differenzierung „über- oder unterexklusiv“ ist, wenn der von einer Norm erfasste Personenkreis also entweder zu weit oder zu eng geraten ist113. Zu weit gefasst war etwa eine Regelung, die Frauen als Ausgleich für ihre Doppelbelastung einen früheren Pensionsantritt ermöglichte: Denn durch die schematische Anknüpfung bloß an das Geschlecht wurden nicht nur doppelt belastete Frauen begünstigt, sondern auch Frauen, die von einer Doppelbelastung gerade nicht betroffen sind, etwa weil sie alleinstehend, kinderlos oder mit einem Mann liiert sind, der abweichend von der üblichen Rollenverteilung für Kinder und Haushalt sorgt. Zwischen diesen Frauen und Männern, die nach dem herkömmlichen Rollenbild leben, ____________________
einzubeziehen war. Diese Berechnung sollte die Verfütterung von Silomais an Milchkühe zurückdrängen, was dem VfGH durch Umweltschutzinteressen gerechtfertigt erschien. Dass der Gesetzgeber zur Erreichung dieses Zieles völlig ungeeignete Mittel vorgesehen hat, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. S auch VfGH 4.10.2006, G 96/05. 109 S etwa das bereits erörterte (FN 15) Erkenntnis VfSlg 11.665/1988, in dem es als gleichheitswidrig qualifiziert wurde, die Pension eines Beamten bei gleichzeitigem Erwerbseinkommen aus einer Nebentätigkeit teilweise ruhend zu stellen; das mit dieser Bestimmung verfolgte Ziel der Entlastung des Bundeshaushaltes und der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation sei gar nicht oder nur ganz geringfügig erreicht worden. Die Ruhendstellung der Pensionen vermindere nämlich zwar die Pensionslast; der Vollzug der Ruhensbestimmungen sei aber arbeitsaufwendig, verursache also seinerseits Kosten. Ebenso führten die Minderung des Gesamteinkommens und der damit einhergehende Kaufkraftverlust zu indirekten Einbußen an Abgaben. Verzichte der Beamte hingegen auf eine Nebenbeschäftigung, so gingen dem Bundeshaushalt Einnahmen an Einkommens- bzw Lohnsteuer verloren; überdies entfielen dann Sozialversicherungsbeiträge, was zu Einbußen im Haushalt der vom Bund subventionierten Pensionsversicherungsträger führe. Kritisch zu dieser strengen Bewertung des VfGH Tomandl, ZAS 1988, 184 f; Kucsko-Stadlmayer, ÖJZ 1990, 653; Günther, Sozialversicherung 115 FN 272. 110 S auch Bernegger, Gleichheitsgrundsatz 724. 111 VfSlg 8457/1978, gleichsinnig VfSlg 11.369/1987, 11.639/1988, 12.182/1989, 12.227/1989, 12.486/1990, 13.823/1994, 14.362/1995, 14.846/1997, 16.740/2002, 17.222/2004, 17.503/2005. 112 ZB VfSlg 10.089/1984. 113 S auch Häfelin/Haller, Bundesstaatsrecht Rz 754: „Adressatenkreis und Regelungsgegenstand dürfen nicht weiter oder enger umschrieben werden, als der Gesetzeszweck dies erfordert“.
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besteht gemessen an dem Regelungsziel kein wesentlicher Unterschied, der eine pensionsrechtliche Ungleichbehandlung dieser beiden Personengruppen rechtfertigen könnte114. Zu eng gefasst war etwa eine Regelung, die Ausländer mit Wohnsitz in ihrem Heimatstaat zur Jagd in einem österreichischen Bundesland berechtigte, wenn sie in ihrem Heimatstaat die Jagdberechtigung erworben haben. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung Ausländern das nochmalige Ablegen einer Jagdprüfung ersparen. Nicht ersichtlich war aber, warum diese Begünstigung Österreichern vorenthalten blieb, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Ausland hatten und in ihrem Wohnsitzstaat über eine Jagdberechtigung verfügten. Die Regelung war also zu eng geraten und daher gleichheitswidrig115. In beiden Fällen legt der Gesetzgeber letztlich selbst fest, welche Eigenschaften er als wesentlich für die Unterscheidung ansieht: Im ersten Fall ist es die Doppelbelastung, im zweiten Fall die bereits abgelegte Jagdberechtigungsprüfung. Differenziert er nach diesen Kriterien, dann muss er dabei konsequent sein: Er darf nur jene Personen begünstigen, die eine Doppelbelastung trifft und muss umgekehrt alle Personen zur Jagd berechtigen, die sich dazu im Ausland bereits qualifiziert haben. Die Begünstigung von Frauen, die nicht doppelt belastet sind und die Benachteiligung von Staatsbürgern, die eine Jagdprüfung im Ausland abgelegt haben, bedürfte einer eigenen Begründung, die in den genannten Fällen nicht erbracht werden konnte. Wenn man will, lassen sich beide Fälle auch in eine Ziel-Mittel-Relation bringen: Das Ziel der ersten Regelung bestand darin, Unterschieden im Tatsächlichen (Doppelbelastung) durch eine entsprechende rechtliche Differenzierung Rechnung zu tragen, diese Unterschiede also „auszugleichen“. Ziel und Mittel müssen sich dann freilich decken. Das Ziel der Regelung – die Doppelbelastung auszugleichen – wird erreicht, wenn die Doppelbelastung (und nur sie) ausgeglichen wird. Im zweiten Fall sollte demjenigen, der bereits im Ausland eine Jagdprüfung abgelegt hat, eine weitere Prüfung erspart werden. Auch hier gehen Ziel und Mittel ineinander auf: Das Ziel wird erreicht, wenn dem bereits Qualifizierten (ihm aber jedenfalls) ein neuerlicher Nachweis seiner Qualifikation erlassen wird. Nicht immer hängen Ziel und Mittel derart eng zusammen. Wenn der Gesetzgeber etwa sicherstellen will, dass dem Patienten beim Abschluss eines Behandlungsvertrages eine natürliche, nicht eine juristische Person ____________________
114 VfSlg 12.568/1990. Das ungleiche Pensionsalter für Männer und Frauen war außerdem – worauf der VfGH allerdings nicht einging – unterinklusiv, also zu eng, weil es doppelt belasteten (alleinerziehenden) Männern keinen früheren Pensionsantritt ermöglichte. 115 VfSlg 13.084/1992.
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gegenübertritt, muss er ein Mittel ergreifen, das von diesem Ziel verschieden ist. Er wird Ärzten etwa verbieten, eine Außengesellschaft zu gründen, die mit den Patienten kontrahiert. Was „wesentlich“ ist, ergibt sich freilich auch hier aus dem Regelungsziel. Zwischen Sachverhalten, die zur Erreichung dieses Zieles beitragen und Sachverhalten, die dies nicht tun, besteht ein wesentlicher Unterschied, sie sind daher auch unterschiedlich zu behandeln. Ergreift der Gesetzgeber daher ein zur Zielerreichung zwar geeignetes, nicht aber erforderliches Mittel, so behandelt er wesentlich Ungleiches gleich, verletzt also den Gleichheitssatz. Aus derartigen Erwägungen wurde etwa das für Ärzte pauschal bestehende Verbot, Außengesellschaften zu gründen, als gleichheitswidrig aufgehoben116. Es erwies sich als überschießend, soweit eine Ordinations- oder Apparategemeinschaft Ordinationsräume mietet oder Geräte kauft. Letztlich ist es nur eine Frage der Terminologie, ob man in einem solchen Fall von einer nicht erforderlichen Un/gleichbehandlung spricht oder von einer überinklusiven Regelung, ebenso wie man umgekehrt sagen könnte, es sei zum Ausgleich der Doppelbelastung nicht erforderlich, auch Frauen zu begünstigen, die nicht doppelt belastet sind. Überinklusivität und Erforderlichkeit sind letztlich nur verschiedene Ausdrücke für strukturell gleiche Problemlagen.
7. Interessenabwägung Zur Zielerreichung an sich geeignete Mittel können nach der Judikatur auch dann „zu einer sachlich nicht begründbaren Differenzierung führen“117, wenn sie die Betroffenen unverhältnismäßig schwer benachteiligen. „Welche Unterschiede eine differenzierende Regelung rechtfertigen“, hängt nach Ansicht des VfGH nämlich „auch von dem Gewicht der angeordneten (unterschiedlichen) Rechtsfolgen ab“118. Dass der VfGH im Rahmen der Gleichheitsprüfung auch Interessenabwägungen vornimmt, zeigt noch deutlicher die Judikaturformel zu Art I Abs 1 BVG-RD: Diese Bestimmung enthalte, wie der VfGH in nunmehr ständiger Rechtsprechung festhält, „über Art 7 B-VG hinausgehend und diesen gleichsam erweiternd ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist [...] also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist“119. Diese Formel gilt ____________________
116
VfSlg 14.444/1996. VfSlg 8457/1978, 11.369/1987, 11.639/1988, 12.227/1989, 12.486/1990. 118 VfSlg 8871/1980, 11.641/1988, s auch VfSlg 9995/1984. Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Sachlichkeitsprüfung s auch Holoubek, ÖZW 1991, 72 ff. 119 S VfSlg 14.191/1995 (Hervorhebungen nicht im Original), 14.369/1995, 14.393/ 1995, 14.421/1996, 14.516/1996, 14.664/1996, 14.728/1997, 14.729/1997, 14.823/ 117
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nicht nur für die Ungleichbehandlung Fremder untereinander; sie fasst vielmehr jenen Gleichheitsschutz zusammen, der vordem schon für Staatsbürger aus Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG abgeleitet wurde120. Ganz ähnlich meint der VfGH unter Berufung auf den Gleichheitssatz auch, es stehe den Parteien eines Gesamtvertrages iSd § 341 ASVG offen, welche Mittel sie einsetzen, um das ihnen gesetzlich vorgegebene Ziel zu erreichen, „soweit diese Mittel zur Zielerreichung geeignet, angemessen und auch sonst sachlich gerechtfertigt sind“121. Die Fallkonstellationen, in denen der VfGH im Rahmen der Gleichheitsprüfung eine Interessenabwägung vornimmt, sind sehr inhomogen und nicht auf ein einziges Fallschema reduzierbar. Unabdingbare Voraussetzung für eine Interessenabwägung ist das Vorliegen kollidierender Interessen122. Kommt einem dieser Interessen von Verfassung wegen ein gewisses Schwellengewicht zu, ist es also prima facie schützenswert, dann unterscheidet sich die Abwägung mit einem gegenläufigen Ziel durch nichts von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie sie im Rahmen der Freiheitsrechte vorgenommen wird123. Aber auch wenn keines der beteiligten Interessen oder wenn beide mit einem solchen Gewicht ausgestattet sind, kann es zu einer Interessenabwägung kommen, dann nämlich, wenn der Gesetzgeber durch eine Regelung versucht, divergierende Interessen verschiedener Personengruppen auszugleichen124. a. Kollidierende Interessen ohne Schwellengewicht In diesem zweiten Fall können die jeweiligen Interessen der Vergleichsgruppen wesentliche Gemeinsamkeiten und wesentliche Unterschiede konstituieren. Ob und inwieweit erstere oder letztere den Ausschlag geben, lässt sich kaum anders klären, als durch eine Abwägung der dahinter stehenden Interessen125. Ein sachlicher, also unparteiischer Normgeber wird ____________________
1997, 14.864/1997, 14.902/1997, 14.989/1997, 14.995/1997, 14.996/1997, 16.080/2001, 16.160/2001, 17.026/2003, 17.419/2004, 17.516/2005, 17.856/2006; VfGH 26.2.2007, B 1802/06 ua. 120 S auch Holoubek, FS Krejci 1915. 121 VfSlg 16.463/2002, bezugnehmend auf VfSlg 11.369/1987, 12.227/1989, 13.576/ 1993, 14.301/1995, 15.031/1997; bestätigt in VfSlg 16.607/2002. 122 S schon Huster, Art 3 GG Rz 73 f. 123 S dazu Pöschl, JBl 1997, 413 ff, sowie schon oben C.V.2. und C.V.3. 124 Zu denken ist etwa an Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Unternehmer und Konsumenten, Vermieter und Mieter, Bauherren und Nachbarn; s zB für Veranstalter von Gewinnspielen und Konsumenten VfSlg 17.574/2005, für Rauchfangkehrer und ihre Kunden VfGH 28.9.2006, G 135/05. Auf die besondere Rolle, die der Staat als „Schiedsrichter im Interessengegensatz sozialer Klassen und Gruppen“ spielt, weist bereits Pernthaler, JBl 1965, 67, hin. Mit divergierenden Interessen ist der Gesetzgeber permanent konfrontiert, s etwa die Beispiele bei Stolzlechner, ZfV 2000, 214 ff. 125 S schon Raschauer, Namensrecht 88, nach dem das Gebot der Sachlichkeit genau genommen eine sorgfältige Interessenabwägung erfordert.
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beide Seiten sehen und nicht eine von ihnen ungeprüft über die andere stellen. Selbstverständlich kommt ihm bei der Abwägung der Interessen Spielraum zu, insbesondere steht es ihm frei, wem er bei einem Gleichgewicht der Interessenlage den Vorzug gibt126. Der allgemeine Gleichheitssatz verhindert aber, dass der Gesetzgeber die Interessen einer der beiden Personengruppen völlig außer Acht lässt. Es ist nicht zu sehen, warum in einer solchen Fallkonstellation keine Interessenabwägung vorgenommen werden sollte oder noch schärfer: wie – wenn nicht durch eine Interessenabwägung – sonst entschieden werden könnte, ob die wesentlichen Gemeinsamkeiten oder die wesentlichen Unterschiede den Ausschlag geben. Eine derartige Interessenabwägung kann nach der Judikatur allerdings entfallen, wenn eine Norm, wie dies etwa bei Kollektivverträgen der Fall ist, einen Interessenausgleich festschreibt, der zuvor in Verhandlungen erzielt worden ist. Diesfalls geht der VfGH davon aus, dass die Interessen der beteiligten Gruppen zureichend berücksichtigt worden sind; eine unsachliche Benachteiligung einer dieser Gruppen kann dann nur ausnahmsweise angenommen werden127. Gleiches gilt nach der Judikatur auch für finanzausgleichsrechtliche Regelungen: Beruht eine solche Regelung auf einer vorangehenden Einigung zwischen den beteiligten Gebietskörperschaften, so hat sie grundsätzlich die Vermutung der sachlichen Richtigkeit iSd § 4 F-VG für sich. Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar, so, wenn die Verhandlungspartner von verfehlten Prämissen ausgegangen sind, wenn die Interessen eines Partners willkürlich missachtet worden sind oder wenn einzelne Bestimmungen des Finanzausgleiches zueinander in einem ____________________
126 S schon VfSlg 5581/1967: keine Unsachlichkeit, wenn der Gemeinderat bei einem Gleichgewicht der Interessenlage den Interessen des Grundeigentümers den Vorzug gibt. 127 S zB VfSlg 16.607/2002: Die zwischen Sozialversicherungsanstalt und freiberuflich tätigen Ärzten vereinbarte Honorarordnung über die Vergütung vertragsärztlicher Tätigkeit ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Interessenvertretungen; sie bringt den zwischen den gegenbeteiligten Interessen erzielten Ausgleich zum Ausdruck. Im Allgemeinen ist daher davon auszugehen ist, dass die gesamtvertraglich vereinbarten ärztlichen Leistungen sowie die je geschuldeten Honorare angemessen sind (s auch VfSlg 16.463/ 2002). Die Annahme der Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit einer einzelnen Bestimmung des Gesamtvertrages gemäß § 879 ABGB müsste eingehend begründet werden, insbesondere wäre darzulegen, aus welchen Gründen im besonderen Fall der Interessenausgleich als verfehlt anzusehen ist. S auch VfSlg 17.313/2004: Wurde zwischen zwei Parteien ein Rechtsverhältnis begründet, bei dem Leistung und Gegenleistung zunächst gesetzlich eindeutig bestimmt waren, so verletzt der Gesetzgeber den Gleichheitssatz, wenn er die Gegenleistung im Nachhinein in nicht unerheblicher Weise zu Lasten einer der beiden Parteien vermindert. Dies wäre etwa der Fall, wenn das Entgelt für Lehraufträge an einer Universität zu einem Zeitpunkt gekürzt würde, in dem die Lehrbeauftragten faktisch nicht mehr die Möglichkeit haben, ihrerseits ihre Leistungsverpflichtung den geänderten Bedingungen anzupassen. Eine solche Regelung wäre, wenn es für sie keine besondere Rechtfertigung gäbe, unsachlich und verstieße daher gegen den Gleichheitssatz.
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sachlich nicht rechtfertigbaren Widerspruch stehen128. Dieser Gedanke lässt sich vorsichtig verallgemeinern: Werden divergierende Interessen verschiedener Gruppierungen durch deren Vertreter zu einem Ausgleich gebracht, der sodann im Gesetz festgeschrieben wird, so spricht dies prima facie für die Ausgewogenheit der jeweiligen Regelung. Das Verdikt der Gleichheitswidrigkeit bedarf dann einer besonderen Begründung. Wurde umgekehrt eine Gruppe im Gesetzgebungsprozess notorisch übergangen, nicht angehört oder nur zum Schein zu Verhandlungen eingeladen, dann liegt der Verdacht nahe, dass ihre Interessen gerade nicht zureichend berücksichtigt worden sind. In einem solchen Fall ist eine genaue Prüfung der Norm im Lichte des Gleichheitssatzes durchaus angezeigt. b. Prima-facie-Interessen aa. Externe Zwecke Den Charakter einer „echten“ Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie sie von den Freiheitsrechten geläufig ist, nimmt die Interessenabwägung an, wenn zwei Interessen miteinander kollidieren, einem von ihnen aber ein gewisses Schwellengewicht zukommt, weil es – aus welchen Gründen immer – prima facie schützenswert ist. Der allgemeine Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen zwar, wie gezeigt, kein Prima-facie-Recht, in jeder Hinsicht gleich wie jeder andere behandelt zu werden. Bestehen aber zwischen Personen wesentliche Gemeinsamkeiten, dann spricht prima facie alles dafür, sie gleich zu behandeln. Ihre Ungleichbehandlung bedarf dann nicht bloß einer Begründung, sondern einer Rechtfertigung. Fehlen wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen, dann kann diese Rechtfertigung nur in einem externen Ziel gefunden werden, das zum Interesse an der Gleichbehandlung nicht außer Verhältnis steht – gerade so, wie eine Freiheitsbeschränkung einem Ziel von einigem Gewicht dienen muss. In der Judikatur finden sich durchaus Entscheidungen, die in diese Richtung gehen: So hatte der VfGH etwa in VfSlg 14.503/1996 eine Regelung zu prüfen, nach der Arbeitsbewilligungen an Fremde nur im Rahmen eines Kontingents zu vergeben waren. Diese Regelung führte zu einer Ungleichbehandlung von Fremden in gleicher Lage: Einem Teil wurde die beantragte Bewilligung gewährt, dem anderen wurde sie nur deshalb verwehrt, weil das Kontingent bereits erschöpft war. Nach Ansicht des VfGH war diese Kontingentierung zwar grundsätzlich durch arbeitsmarktpolitische Interessen zu rechtfertigen; er sah es aber als „unverhältnismäßig und unsachlich“ an, dass Beschäftigungsbewilligungen ab einer bestimmten ____________________
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ZB VfSlg 12.505/1990, 16.849/2003.
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Höchstzahl absolut ausgeschlossen waren und dass die Behörde nach dem Gesetz keine Möglichkeit hatte, innerhalb der Höchstzahl oder bei deren Überschreitung nach der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Bedeutung der beantragten Bewilligungen zu differenzieren. Eine Bewilligung sei folglich selbst dann ausgeschlossen, wenn Beschäftigungen im öffentlichen oder gesamtwirtschaftlichen Interesse geradezu erforderlich waren. Diesem Befund liegt wohl tatsächlich eine Interessenabwägung zugrunde: Die für die Regelung sprechenden arbeitsmarktpolitischen Interessen schienen dem VfGH nicht schwer genug zu wiegen, um Personen vom Arbeitsmarkt auszuschließen, die eine für die Wirtschaft oder Gesellschaft besonders wertvolle Beschäftigung anstreben. bb. Eingriff in verfassungsgesetzlich gewährleistete Freiheitsrechte Das genannte Erkenntnis VfSlg 14.503/1996 und die darin konstatierte Unverhältnismäßigkeit lassen sich freilich auch anders deuten: Die Bewilligungspflicht für Beschäftigungen greift nämlich in das durch Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK geschützte Recht des Antragstellers ein, einen Arbeitsvertrag abzuschließen129. Dieser Eingriff darf nicht außer Verhältnis zu den öffentlichen Interessen stehen, die der Gesetzgeber mit dem Kontingentsystem verfolgt. Wenn der VfGH dieses System als unverhältnismäßig qualifiziert hat, könnte dies also auch bloß das Ergebnis einer Prüfung am Maßstab des Eigentums sein. Tatsächlich nimmt der VfGH unter dem Titel des Gleichheitssatzes Verhältnismäßigkeitsprüfungen auffallend häufig dann vor, wenn eine staatliche Maßnahme den Schutzbereich eines Freiheitsrechtes berührt130. In der Regel lassen sich Freiheitsbeschränkungen auch ohne weiteres in ein Gleichheitsproblem umformulieren: Eine Freiheitsbeschränkung, die einen Teil der Normadressaten unverhältnismäßig schwer trifft, behandelt diese Personen nämlich gleich wie jene Normadressaten, die der Eingriff „nur“ verhältnismäßig belastet. Sie behandelt also, so ließe sich wohl sagen, Fälle gleich, die sich wesentlich voneinander unterscheiden. Und auch wenn ein Eingriff ausnahmslos alle Normadressaten unverhältnismäßig schwer trifft, könnte darin noch ein Gleichheitsproblem gesehen werden: Der Gesetzgeber hätte diese Personen dann eben gleich behandeln müssen wie jene Personen, die von einem Eingriff verschont geblieben sind. Ließe sich solcherart jede Freiheitsbeschränkung in ein Gleichheitsproblem „übersetzen“ und dann am Maßstab der Verhältnismäßigkeit prüfen, dann fragt sich allerdings, welche ____________________
129 Nach der neueren Judikatur des EGMR liegen hier auch civil rights iSd Art 6 EMRK vor, s EGMR 27.7.2006, Mehrerau, Appl 62539/00; 27.7.2006, Coorplan-Jenni GmbH und Hascic, Appl 10523/02. 130 Dazu näher unten F.II.1.e.
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selbständige Bedeutung den Freiheitsrechten neben dem Gleichheitssatz noch zukommt: Wird der Gleichheitssatz dann nicht selbst zu einem Freiheitsrecht, das alle anderen speziell gewährleisteten Freiheitsgarantien überflüssig macht? Diese Frage bedarf einer näheren Untersuchung, in welchem Verhältnis Freiheitsrechte und Gleichheitssatz ganz allgemein zueinander stehen131. cc. Allgemeine Handlungsfreiheit Gleiches gilt auch, wenn der VfGH Regelungen auf ihre Verhältnismäßigkeit prüft, die zwar nicht in ein speziell garantiertes Freiheitsrecht eingreifen, dem Rechtsunterworfenen aber doch ein bestimmtes Verhalten gebieten oder verbieten und damit seine „allgemeine Handlungsfreiheit“ beschränken. In diesem Sinn sah es der Gerichtshof etwa in VfSlg 13.781/ 1994 als gleichheitswidrig an, dass das MeldeG dem Rechtsunterworfenen nur eine persönliche und eine Meldung durch Boten ermöglichte, die postalische Meldung jedoch nicht akzeptierte. Die Bundesregierung versuchte diese Differenzierung ua mit verwaltungsökonomischen Erwägungen zu rechtfertigen, die der VfGH jedoch für unzureichend hielt: Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, Meldepflichtigen, für die die persönliche Meldung mit besonderen Belastungen verbunden ist (etwa weil sie krank, alt, durch Dienstpflichten in Anspruch genommen sind), „die Möglichkeit einer bestimmten für sie entlastenden Form der postalischen Anmeldung zu nehmen, um dafür eine geringfügige, keineswegs besondere Mehrbelastung der staatlichen Verwaltung zu vermeiden.“132 Diese Entscheidung wird in der Literatur oft als ein Beispiel angeführt, in dem der VfGH den Weg einer vergleichenden Prüfung verlassen hat133. Wenn man will, kann man freilich auch in ihr noch eine Kritik an einer Ungleichbehandlung entdecken. Denn der Sache nach läuft die Argumentation des VfGH darauf hinaus, dass kranke, alte, durch Dienstpflichten besonders in Anspruch genommene oder sonst, etwa aus familiären Gründen unabkömmliche Meldepflichtige durch den pauschalen Ausschluss der postalischen Meldung im Ergebnis benachteiligt werden. Unausgesprochene Prämisse der in diesem Erkenntnis vorgenommenen Güterabwägung scheint allerdings zu sein, dass dem Rechtsunterworfenen auferlegte Pflichten ganz allgemein nur insoweit zulässig sind, als sie zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ieS sind. Dabei erfüllt die Abwägung noch immer den Zweck, wesentliche Unterschiede zwischen den Rechts____________________
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Dazu näher unten F.II. Hervorhebungen nicht im Original. 133 ZB Berka, Grundrechte Rz 911; ders, Art 7 B-VG Rz 33; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 766. 132
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unterworfenen festzustellen, hier eben den Unterschied zwischen Personen, denen aufgrund ihrer momentanen Lebenssituation eine persönliche oder eine Meldung durch Boten nicht oder nur schwer möglich ist, und allen anderen Rechtsunterworfenen. Das Problem an einer solchen Begründung besteht nicht darin, dass Gleichheitsprüfung und Verhältnismäßigkeitsprüfung strukturell voneinander verschieden wären, sie sind es keineswegs. Fraglich ist aber, ob das dem Regelungsziel entgegenstehende Primafacie-Interesse, das der VfGH in die Gleichheitsprüfung einbezieht, bloß auf einer Wertung des Gerichtshofes beruht oder ob es verfassungsrechtlich begründet werden kann134. dd. Wohlerworbene Rechte Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch jene Judikaturlinie135, die für Eingriffe in sog „wohlerworbene Rechte“ eine Abwägung zwischen dem Eingriffsziel und der Rechtsposition der Betroffenen verlangt136. Selbst das Bestreben, gleiche sachliche Voraussetzungen aufweisende Anspruchsberechtigte gleich zu behandeln, kann nach dieser Judikatur nicht die Minderung „wohlerworbener Rechte jedweder Art in jedweder Intensität sachlich begründen“137. Wann ein Recht „wohlerworben“ und daher schutzwürdig in diesem Sinne ist, hat der VfGH bislang nicht mit letzter Deutlichkeit offen gelegt138. Jedenfalls zählen hierher aber pensionsrechtliche Anwartschaften und Ansprüche139. Inwiefern deren Schmälerung ein gleichheitsrechtliches Problem aufwirft, hat der Gerichtshof, soweit ersichtlich, nur einmal, nämlich in der Leitentscheidung VfSlg 11.309/1987 erläutert: Es sei sachlich nicht begründbar, einen „Amtsträger, der sein öffentliches Amt langjährig im Vertrauen darauf ausübt, daß er die Anwartschaft ____________________
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Dazu noch näher unten F.II.2. Zu dieser näher unten H.VIII.2., sowie Thienel, Vertrauensschutz; Holoubek, Interpretation 77 ff; ders, ZAS 1994, 9 ff; ders, Vertrauensschutz 795 ff; Tomandl, FS 75 Jahre Bundesverfassung 617 ff; Öhlinger, Sozialrecht 155; Berka, Art 7 B-VG Rz 101 ff; Walzel von Wiesentreu, JAP 1999/2000, 5 ff; ders, ÖJZ 2000, 1 ff; Stelzer, DRdA 2001, 508 ff; Gruber, JRP 2003, 210 ff; Kucsko-Stadlmayer, Anwartschaften 100. Allgemein zum Begriff des Vertrauens Klecatsky/Walzel von Wiesentreu, FS Adamovich (2002) 259 ff. 136 So die Einschätzung der hL, s etwa Lang, RdW 1989, 403; Griller, Betriebspensionen 139 ff; Kucsko-Stadlmayer, ÖJZ 1990, 655; Thienel, Vertrauensschutz 19; Holoubek, Vertrauensschutz 804; Berka, Grundrechte Rz 974. 137 S zB VfSlg 11.309/1987, 11.665/1988. 138 Sehr hilfreich ist aber die Systematisierung der Judikatur bei Kucsko-Stadlmayer, Anwartschaften 100 f; s auch noch unten H.VIII.2. 139 Dem Vertrauensschutz kommt nach der Judikatur „gerade im Pensionsrecht besondere Bedeutung“ zu: s zB VfSlg 16.764/2002; zuvor schon VfSlg 11.665/1988, 12.568/ 1990, 14.090/1995, 14.846/1997, 15.269/1998, 16.292/2001, 16.370/2001, 16.689/2002 ua.; s näher unten H.VIII.2. 135
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auf einen an seinem Amtseinkommen orientierten Ruhebezug erwirbt […], plötzlich einem strengen, […] auf die Berufspension greifenden Kürzungssystem zu unterwerfen. Er würde dadurch nämlich einem solchen Amtsträger völlig gleichgestellt, der entweder überhaupt schon im vorhinein oder zumindest während eines nicht unbeträchtlichen Zeitraums seiner Amtsausübung […] Kenntnis davon hat, daß sein späterer Ruhebezug einem rigorosen Kürzungssystem unterliegen wird.“ Der Unterschied zwischen diesen beiden Personengruppen wiege derart schwer, dass er einer schematischen Gleichbehandlung der Betroffenen entgegenstehe140. Die inkriminierte Ruhensbestimmung, die zu einer Kürzung der Pension bestimmter Stadtpolitiker um bis zu 38% führte, wurde daher aufgehoben. Die Judikatur, die sich in der Folge zum Schutz wohlerworbener Rechte entwickelt hat, ist im Einzelnen nicht leicht zu durchschauen und dementsprechend auch schwer vorhersehbar. Dies wurde in der Literatur schon oft festgestellt141, muss an dieser Stelle aber noch nicht beschäftigen142. Maßgeblich ist im vorliegenden Zusammenhang nur, dass der VfGH auch im Rahmen der Vertrauensschutzjudikatur eine Interessenabwägung durchführt. Dies ist nicht schon deshalb problematisch, weil – wie in der Literatur geltend gemacht wurde – Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung voneinander grundsätzlich verschieden seien143. Der Gleichheitssatz erfordert zwar idR einen „Vergleich verschiedener normativ erfasster Lebensbereiche“, während die Verhältnismäßigkeitsprüfung eine „Abwägung verschiedener Rechtsgüter“ verlangt144. Aber das schließt nicht aus, dass es im Rahmen einer Gleichheitsprüfung auch zu einer Güterabwägung kommt. Nach der Judikatur besteht zwischen Personen, die sich auf eine Pensionskürzung einstellen können, und Personen, die diese Änderung unvorbereitet trifft, nämlich nur dann ein wesentlicher Unterschied, wenn diese Rechtsänderung besonders schwer wiegt. Ob dies der Fall ist, hängt einerseits vom Ausmaß des Eingriffes, andererseits aber auch vom Gewicht des Regelungszieles ab. Die Abwägung zwischen diesen beiden Posten dient also nur dazu, einen wesentlichen Unterschied zu identifizieren. ____________________
140 VfSlg 11.309/1987 (Hervorhebungen nicht im Original); VfSlg 11.308/1987 und 11.310/1987. S auch das sonach erlassene BVG über die Begrenzung von Bezügen oberster Organe, BGBl 1987/281, nach dem gesetzliche Beschränkungen von Politikerbezügen „zulässig“ sind – ein wohl untauglicher Versuch, solche Eingriffe künftig zu legitimieren, hatte doch auch der VfGH eine Beschränkung dieser Bezüge nicht für absolut unzulässig erklärt; s dazu Funk, JRP 1993, 92; s aber auch Klecatsky, FS Ermacora 322 f. 141 S etwa Griller, Betriebspensionen 139 ff FN 61 (hier: 142); Novak, ZAS 1988, 114; Thienel, Vertrauensschutz 40; Tomandl, FS 75 Jahre Bundesverfassung 628; Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 10; Kucsko-Stadlmayer, Anwartschaften 96. 142 S dazu noch näher unten H.VIII.2. 143 So zB Thienel, Vertrauensschutz 37 ff. 144 Thienel, Vertrauensschutz 38 (im Original zum Teil mit Hervorhebung).
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Dagegen allein ist noch kein Einwand zu erheben. Fraglich ist vielmehr, woher das Interesse, dessen Schonung der VfGH hier verlangt, dem er also ein Schwellengewicht zuspricht, eigentlich kommt: Dass wohlerworbene Rechte bzw das Vertrauen in deren Fortbestand grundsätzlich schützenswert sind, ist eine Wertung, die aus den jeweils geprüften Normen selbst nicht abgeleitet werden kann145. Sie müsste entweder aus dem Regelungssystem als solchem146 oder aus der Verfassung147 begründet werden. Eine solche Begründung hat der VfGH jedoch in seiner Vertrauensschutzjudikatur nie gegeben. Ob sie gänzlich fehlt oder nur nachgetragen werden muss, bedarf noch einer näheren Untersuchung148.
8. Durchschnittsbetrachtung und Verwaltungsökonomie a. Das Problem Dass der Gesetzgeber weiß, welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten für die Regelung eines Lebenssachverhaltes wesentlich sind, was also gleich und was ungleich zu behandeln ist, stellt für sich genommen noch nicht sicher, dass die sodann erlassene Norm das erwünschte „Differenzierungsschema“ auch wirklich umsetzt149. Denn jede Rechtssetzung ist mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden, die dazu führen können, dass die „Praxisnorm“ von der „Idealnorm“ abweicht150. Zunächst kann schon die Umschreibung der als wesentlich gleich und als wesentlich ungleich angesehenen Fälle, also die Festlegung des Tatbestandes rechtstechnische Probleme bereiten; dies umso mehr, je komplexer die von einer Norm zu erfassenden Sachverhalte sind. Wenn der Gesetzgeber etwa die Höhe einer Fremdenverkehrsabgabe von dem Nutzen abhängig machen will, den der Abgabepflichtige aus dem Fremdenverkehr zieht, stellt sich die Frage, an welches Kriterium er anknüpfen soll, um ____________________
145 Anderes gilt dann, wenn der Gesetzgeber selbst eine Differenzierung gerade auf den Schutz wohlerworbener Rechte stützt, wie dies etwa in dem dem Erkenntnis VfSlg 12.378/ 1990 zugrunde liegenden Sachverhalt der Fall war: Durch die in Rede stehende Norm hatte der Gesetzgeber das Hypothekenbankgeschäft pro futuro nur mehr für Aktiengesellschaften zugelassen, aus Gründen der Wahrung des überkommenen Besitzstandes aber die Rechte „alter“ Hypothekenbanken unangetastet gelassen. Die sachliche Rechtfertigung dieser Privilegierung alter Hypothekenbanken gegenüber neuen lag im Schutz des Vertrauens auf seinerzeit rechtmäßig erworbene Rechtspositionen, die der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz auch dann unangetastet lassen kann, wenn er für neu zu verleihende Hypothekarbankkonzessionen erschwerte Voraussetzungen schafft. 146 Kucsko-Stadlmayer, ÖJZ 1990, 655. 147 Thienel, Vertrauensschutz 42 ff. 148 S dazu unten H.VIII.2. 149 S auch Isensee, Die typisierende Verwaltung 166; Huster, Rechte 248. 150 Zu dieser Unterscheidung mwN Huster, Rechte 253 f.
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diesen – schwer greifbaren – Nutzen zu erfassen. So klar auch sein mag, dass die Norm nach dem Nutzen differenzieren soll, so schwierig erscheint es, ihn legistisch in einer Weise festzumachen, die in der Praxis auch vollziehbar ist. Regelmäßig weicht der Gesetzgeber in Situationen wie diesen auf ein „Surrogatmerkmal“151 aus. Er knüpft also an einen Umstand an, der seiner Ansicht nach Rückschlüsse auf das eigentliche Differenzierungskriterium zulässt, im Fall der Fremdenverkehrsabgabe also beispielsweise an den Umsatz, den der Abgabepflichtige durch den Fremdenverkehr jeweils erzielt. Die Anknüpfung an ein Surrogatmerkmal eröffnet freilich eine potentielle Fehlerquelle. Trifft der vom Gesetzgeber unterstellte Zusammenhang zwischen Surrogatmerkmal und Differenzierungsmerkmal überhaupt nicht zu, so wird nicht bloß ausnahmsweise, sondern regelmäßig wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich behandelt. Besteht dieser Zusammenhang zwar grundsätzlich, aber doch nicht zwingend, so kann es immerhin in einer mehr oder weniger großen Zahl von Fällen zu Abweichungen von dem der Norm eigentlich zugrunde gelegten Differenzierungsschema kommen: Unternehmer mit hohem Umsatz werden dann zur Entrichtung einer hohen Abgabe verpflichtet, auch wenn sie aus dem Fremdenverkehr nur einen niedrigen Nutzen ziehen. Von Unternehmern, die einen niedrigen Umsatz erzielen, wird auch dann bloß eine niedrige Abgabe verlangt, wenn sie ihren Umsatz primär gerade dem Fremdenverkehr verdanken. Je lockerer der Zusammenhang zwischen Unterscheidungsmerkmal und Surrogatmerkmal ist, desto höher ist die Zahl derartiger Abweichungen. Wie eng dieser Zusammenhang ist, lässt sich nicht immer mit letzter Gewissheit bestimmen. Es kann aber auch offen zutage liegen, dass das vom Gesetzgeber gewählte Unterscheidungsmerkmal neben den wesentlich gleichen Fällen zum Teil auch wesentlich ungleiche Fälle erfasst und gleich behandelt. Wenn der Gesetzgeber etwa, um die Doppelbelastung durch Haushalt und Beruf auszugleichen, allen Frauen schlechthin einen früheren Pensionsantritt ermöglicht, so wählt er das Differenzierungsmerkmal des Geschlechtes, um die mit diesem Merkmal häufig einhergehende Doppelbelastung normativ zu erfassen. Doch liegt klar auf der Hand, dass dieser Zusammenhang nicht zwingend ist: Einerseits sind Frauen, die alleinstehend oder kinderlos sind, nicht durch Beruf und Haushalt doppelt belastet, andererseits ist aber auch nicht auszuschließen, dass Männer einer solchen Doppelbelastung ausgesetzt sind152. Die zuerst genannte Gruppe wird durch eine ausschließlich an das Geschlecht anknüpfende Norm be____________________
151 Zu diesem mwN Huster, Rechte 247; s zur Rationalität von Stereotypen auch Somek, Rationalität 20. 152 S zu einer modifizierten Form dieses Beispiels Huster, Rechte 246 f.
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günstigt, obwohl ihr das für die Begünstigung entscheidende Kriterium fehlt. Der zweiten Gruppe wird diese Begünstigung vorenthalten, obwohl sie das hiefür nach dem Differenzierungsschema entscheidende Kriterium aufweist. Während der Gesetzgeber Abweichungen zwischen Idealnorm und Praxisnorm im Fall der Fremdenverkehrsabgabe also nicht ausschließen kann, nimmt er derartige Abweichungen im Fall des frühzeitigen Pensionsantrittes bewusst in Kauf. Nicht immer sind Defizite wie diese aber schon im Prozess der Rechtssetzung sichtbar: Eine Norm kann sich auch erst im Laufe ihrer Anwendung als zu ungenau erweisen, sei es, weil sie gleichwertige Fälle, die der Gesetzgeber nicht vorhergesehen hat, ausschließt, sei es, weil sie planwidrig auch Fälle erfasst, die nach dem Differenzierungsschema wesentlich ungleich sind und daher ausgeschlossen sein sollten. Dass sich eine Norm im Laufe der Zeit als lückenhaft oder überschießend erweist, kann nie mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, sondern ist letztlich eine unvermeidbare Begleiterscheinung der Rechtssetzung überhaupt153. Abweichungen von dem einer Norm zugrunde liegenden Differenzierungsschema können aber nicht nur die Folge rechtstechnischer Schwierigkeiten, sie können auch durch Erwägungen der Verwaltungsökonomie motiviert sein. Je detaillierter eine Norm die von ihr erfassten Sachverhalte umschreibt, desto höher ist im Regelfall der Aufwand, den ihre Vollziehung verursacht. Um diesen Aufwand gering zu halten, kann sich der Gesetzgeber veranlasst sehen, auf eine exakte Umsetzung des Differenzierungsschemas zu verzichten. Dies kann etwa durch eine Pauschalierung geschehen, die der Behörde die individuelle Ermittlung ziffernmäßig bestimmbarer Größen erspart154, oder durch eine Typisierung, also die Anknüpfung an allgemeine Kategorien, die eine gesonderte rechtliche Beurteilung atypisch gelagerter Fälle unnotwendig macht155, schließlich auch dann, wenn der Gesetzgeber ziffernmäßig bestimmte Grenzen zieht, also ____________________
153
S auch Tomandl, ZAS 1980, 207; Huster, Rechte 251 f. Zu denken ist etwa an die Besteuerung nach Durchschnittssätzen oder an die im Einkommensteuerrecht geläufige Werbungs- und Sonderausgabenpauschale; s auch Gassner, Gleichheitssatz 12; H.-W. Arndt, NVwZ 1988, 787, 789 f; Tipke, FS Stoll 241. Soweit die Festsetzung pauschaler Beträge dem Rechtsunterworfenen die Möglichkeit lässt, einen von der Pauschale abweichenden tatsächlichen Betrag nachzuweisen (s zB Betriebsausgaben- oder Gewinnpauschalierungen nach § 17 EStG), wirken sie stets begünstigend und werden in der Praxis kaum beanstandet; s auch Ruppe, Steuerrecht 136, nach dem die gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen eine Typisierung entscheidend davon abhängen, ob sie widerlegbar oder unwiderlegbar ist. Auch bei widerlegbaren Typisierungen können gleichheitsrechtliche Bedenken aber erhoben werden, wenn das Wahlrecht nur zum Schein besteht, weil die individuelle Ermittlung im Einzelfall so aufwendig ist, dass sie praktisch ausscheidet. 155 Etwa, wenn der Gesetzgeber die Einkünfte aus Gewerbebetrieb typisierend unter die Arbeitseinkünfte einreiht: VfSlg 4542/1963; s auch Gassner, Gleichheitssatz 12. 154
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Fristen festlegt, Stichtage bestimmt, Steuern gestaffelt nach Einkommensklassen erhebt, ab einer Mindestpension in bestimmter Höhe auf die Einbeziehung in weitere Pensionsversicherungen verzichtet etc. Auch bei solchen Vergröberungen nimmt der Gesetzgeber Differenzierungsdefizite bewusst in Kauf 156. Diesen Nachteilen stehen aber gewichtige Vorteile beim Normvollzug gegenüber: Die Behörde wird nicht mit der zeitaufwendigen Ermittlung komplizierter Sachverhalte belastet. Sie ist nicht auf schwer nachprüfbare Angaben der Rechtsunterworfenen angewiesen. Klar und einfach formulierte Normen können schwerer umgangen werden und ermöglichen zudem eine raschere Verfahrensabwicklung, an der nicht nur die Verwaltung, sondern auch der Rechtsunterworfene interessiert sein kann157. Zu bedenken ist schließlich, dass eine Norm, die auf jeden Einzelfall eingeht oder dessen Beurteilung in das Ermessen der Behörde stellt, die behördliche Entscheidung auch schwer vorhersehbar macht und damit zulasten der Rechtssicherheit geht158. Denjenigen, der bei einer solchen vergröberten Normsetzung vernachlässigt wird, kann es freilich kaum zufrieden stellen, wenn er mit seinem Wunsch nach Gleichbehandlung darauf verwiesen wird, dass er nicht dem „Durchschnitt“ entspricht, sondern nur ein „atypischer Fall“ ist, den zu berücksichtigen dem Gesetzgeber zu kompliziert und der Verwaltung zu aufwendig ist159. In jedem dieser Fälle stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen und inwieweit es hingenommen werden kann, dass der Einzelne auf sein Recht, in gleicher Lage gleich und in ungleicher Lage ungleich behandelt zu werden, aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen verzichten muss, also aus Gründen, die weder mit dem primären Regelungsziel noch mit den wesentlichen Eigenschaften der Rechtsunterworfenen etwas zu tun haben160. b. Durchschnittsbetrachtung und Regelfall Der VfGH betont in ständiger Rechtsprechung, dass es dem Gesetzgeber durch den allgemeinen Gleichheitssatz nicht verwehrt ist, bei der ____________________
156 S auch Tomandl, ZAS 1980, 207, nach dem die geringen Kosten der Vollziehung einer Regelung mit deren Sachgerechtigkeit und damit mit dem Anspruch des Bürgers auf Gleichheit konkurrieren. 157 S zu den Vorteilen praktikabler Regelungen schon Huster, Rechte 250 f. 158 S auch Tomandl, ZAS 1980, 207; Huster, Rechte 251. 159 S auch Tomandl, ZAS 1980, 207, nach dem die Durchschnittsbetrachtung, für die im Einzelfall zwingende Gründe sprechen können, grundsätzlich die „Gefahr einer fundamentalen Aufweichung des Gleichheitssatzes in sich [trägt]. Sie impliziert, daß sich der Bürger nur dann gegen eine sachlich unbegründete Behandlung durch den Gesetzgeber zur Wehr setzen kann, wenn sie nicht Einzelschicksal, sondern kollektives Los ist“; s auch BVerfGE 66, 66 (82), sowie Huster, Rechte 262. 160 S Huster, Rechte 260.
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Normsetzung zu generalisieren, von einer auf den Modellfall (Regelfall) abstellenden Durchschnittsbetrachtung auszugehen und bei seinen Regelungen zu typisieren161. Härtefälle ergeben sich, wie der VfGH zu Recht festgestellt hat, „bei jeder Grenzziehung“162. Tatsächlich muss der allgemeine Gleichheitssatz in diesem Sinn verstanden werden. Denn ohne Abstraktion und Gattungsbildung wäre generelle Rechtssetzung überhaupt nicht möglich163. Dass das Gesetz nicht jeden einzelnen Fall erfassen kann, muss als Kehrseite seiner Allgemeinheit grundsätzlich hingenommen werden164. Wie „durchschnittlich“ die Betrachtung sein darf, die einem Gesetz zugrunde liegt, wird in der Judikatur von Fall zu Fall unterschiedlich beurteilt. In manchen Entscheidungen verlangt der VfGH, dass die Durchschnittsbetrachtung „wirklichkeitsnah“ ist165 und den „allgemeinen Erfahrungen“166 bzw den „Erfahrungen des täglichen Lebens“167 entspricht oder ____________________
161 ZB VfSlg 3568/1959, 3595/1959, 4289/1962, 5318/1966, 5484/1967, 8147/1977, 8161/1977, 9671/1983, 9908/1983, 10.089/1984, 11.469/1987, 11.615/1988, 15.850/ 2000, 16.048/2000, 16.744/2002, 17.315/2004, 17.816/2006. 162 VfSlg 3723/1960. 163 S schon Gassner, Gleichheitssatz 11 ff; Walter, Spannungsverhältnis 588; Korinek, FS Melichar 47; dens, Grundrechtsfragen 45 f; Potacs, Devisenbewirtschaftung 379; Huster, Rechte 252; Somek, Rationalität 320; Starck, Art 3 GG Rz 23, sowie ganz deutlich VfSlg 5692/1968: „Wenn es im Einzelfall zu Ergebnissen kommen sollte, die […] als Härte empfunden werden, so liegt dies in der Natur jeglicher generellen Norm“; s ferner VfSlg 5484/1967, wonach der Gesetzgeber bei Steuergesetzen eine Durchschnittsbetrachtung sogar anstellen muss. 164 Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 326 FN 2, meint sogar, dass Typisierungen „gerade der Sinn des Art. 3 für die Gesetzesqualität des Allgemeinen“ seien. Dem atypischen Rechtsunterworfenen dürfte freilich schwer eingehen, dass der Sinn des ihm individuell zugestandenen Gleichheitsrechts darin bestehen soll, ihn ungleich zu behandeln, auch wenn er gleich ist. Die Annahme, der Gleichheitssatz ziele in gewissem Umfang gerade auf die Typisierung ab, überzeugt aber auch deshalb nicht, weil eine nicht-typisierende, besonders detaillierte Regelung dann mit dem Gleichheitssatz in Widerspruch stehen müsste. Dass sich der Gesetzgeber für detaillierte Regelungen vor dem Gleichheitssatz zu verantworten hat, ist aber nicht anzunehmen. Denn unübersichtliche, zu weit verästelte und schwer vollziehbare Regelungen zu verhindern, ist nicht die Aufgabe des allgemeinen Gleichheitssatzes, sondern der Sinn des Effizienz- und des Legalitätsgebotes (s aber VfSlg 11.190/ 1986 und dazu noch unten D.I.8.c.). 165 VfSlg 8605/1979. 166 S zB VfSlg 10.792/1986: Nach allgemeinen Erfahrungen besteht in einer großen Anzahl von Fällen keine Sorgepflicht der Witwe (des Witwers) für die Kinder des (der) verstorbenen Versicherten. 167 S allgemein zB VfSlg 5022/1965, 5882/1969, 7136/1973, 7286/1974, 9608/1983, 16.048/2000, 17.775/2006, im Besonderen zB VfSlg 5098/1965: nach den Erfahrungen des täglichen Lebens wird Hausrat im eigenen Haushalt verwendet; VfSlg 9935/1984: die Mitglieder vertretungsbefugter Organe juristischer Personen können nach den Erfahrungen des täglichen Lebens auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verstärkt und unmittelbar Einfluss nehmen und sich auch rechtzeitig persönlich einen umfassenden Einblick in die maßgeblichen Verhältnisse verschaffen; VfSlg 12.642/1991: es kann als wahrscheinlich angesehen werden, dass Absolventen der ersten Diplomprüfung (des ersten Ri-
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in den „tatsächlichen Gegebenheiten“ begründet ist168. Nach anderen Erkenntnissen genügt bereits, dass der Gesetzgeber nicht von Annahmen ausgeht, die der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechen169, „jeglicher Erfahrung entgegensteh[en]“170, die historischen Gegebenheiten „grob [verkennen]“171, „mit den tatsächlichen Verhältnissen offenkundig gar nicht übereinstimmen könnte[n] oder wollte[n]“172 oder die „lebensfremd“ sind173. In den zuletzt genannten Formulierungen kommt eine Argumentationslastregel zum Ausdruck: Zu beweisen ist nicht, dass die dem Gesetz zugrunde liegenden Annahmen mit den Erfahrungen des täglichen Lebens übereinstimmen; vielmehr müssen umgekehrt Gründe beigebracht ____________________
gorosums) ihr Studium vollenden werden; VfSlg 15.117/1998: nach den Erfahrungen des täglichen Lebens gibt es eine nicht unbedeutende Zahl von Fällen, in denen gerade durch den Eintritt der Arbeitslosigkeit oder durch andere Umstände das (umsatzmäßige oder ertragsmäßige) Ergebnis selbständiger Erwerbstätigkeit gravierend verändert wird; es liegt keineswegs auf der Hand, dass Arbeitslose in früheren Jahren aus ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit durchwegs geringere Umsätze erzielt haben als im aktuellen Zeitpunkt ihrer Arbeitslosigkeit. 168 VfSlg 8605/1979: Die Ausbildung eines Kindes dauert für einen Beruf zumindest bis zum 18. Lebensjahr; VfSlg 11.155/1986: der zeitliche Aufwand für die Pflege und Erziehung eines Kindes nimmt – durchschnittlich gesehen – mit dessen steigendem Lebensalter wesentlich ab. 169 VfSlg 6401/1971: Der Anspruch auf völlige Freistellung von der Arbeitsleistung eines Betriebsratsmitgliedes kann sich nach einer an der Dienstnehmerzahl orientierten Maßzahl richten, wenn diese der allgemeinen Lebenserfahrung nicht widerspricht; VfSlg 9624/1983: es widerspricht nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens, dass der Inhaber einer Ferienwohnung und seine Angehörigen bei einer Durchschnittsbetrachtung zumindest einen Großteil ihres Urlaubes in der von ihnen angeschafften Ferienwohnung verbringen. 170 VfSlg 5484/1967 und 9314/1982: Die Bemessung einer Frist ist nur dann sachlich nicht gerechtfertigt, wenn sie jeglicher Erfahrung entgegenstünde. 171 VfSlg 16.485/2002. Krass verkannt hatte nicht der Gesetzgeber, wohl aber eine Behörde die historischen Gegebenheiten, als sie annahm, die Auswanderung der Beschwerdeführerin nach dem 24. August 1938 sei durch keine konkrete, gegen die Beschwerdeführerin veranlasste Verfolgungshandlung veranlasst gewesen; eine Entschädigung nach dem Kriegs- und Verfolgungssachentschädigungsgesetz stehe daher nicht zu: „Es kann doch nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden, daß die wegen ihrer Abstammung durch eine unmenschliche Gesetzgebung verfemten Personen in ihrer Ehre, Menschenwürde, Existenz, Freiheit und an ihrem Leben unmittelbar bedroht waren. Die Auffassung der Behörde kommt dem Verlangen nahe, die Opfer hätten zu warten, bis kein Ausweg mehr für ein Entrinnen gegeben war. Eine Auswanderung unter solchen Umständen nicht als erzwungen anzusehen, widerstreitet der allgemeinen Erfahrung, die näher zu beschreiben wahrhaftig entbehrlich ist, und setzt sich mit den grundsätzlichen Entscheidungen des Gesetzgebers […] in Widerspruch, die ihrerseits wieder auf allgemein anerkannten Grundsätzen beruhen. Die offenkundige Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung ist von einer Qualität, die nur durch eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Gesetz erklärbar ist“ (VfSlg 4480/1963); s dann auch VfSlg 17.506/2005: „Es ist dem Verfassungsgerichtshof […] unbegreiflich, wenn die belangte Behörde […] davon ausgeht, es habe für Personen jüdischer Abstammung (und damit auch für die Beschwerdeführerin) am 12. März 1938 keine allgemeine Gefahr einer Verfolgung bestanden.“ 172 VfSlg 14.601/1996. 173 VfSlg 9624/1983.
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werden, warum dies nicht so sein sollte174. Deutlich wird in der Bandbreite dieser Formulierungen aber auch, dass der VfGH nicht an jeden Fall dasselbe Maß anlegt: Ob eine Annahme des Gesetzgebers „wirklichkeitsnah“ sein muss oder ob genügt, dass er die Realität nicht „grob verkennt“, ist nicht dasselbe. Seinen – je und je verschiedenen – Beurteilungsspielraum überschreitet der Gesetzgeber aber jedenfalls, wenn er von „weitgehend überholten Zahlen“ ausgeht175. Die Prämissen eines Gesetzes können freilich nicht nur durch Zeitablauf unrichtig werden; sie können auch von Anfang an unrichtig sein176. Holt der Gesetzgeber, um solches zu vermeiden, vor Erlassung eines Gesetzes fachlichen Rat ein, dann wird er sich der von einer deutlichen Mehrheit der Sachverständigen vertretenen Ansicht nicht grundlos verschließen können177. Wo sich die maßgeblichen Sachverhaltsmerk____________________
174 Die von Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 604 f, aufgeworfene Frage, wer über mehr Erfahrungen des täglichen Lebens verfüge, der VfGH oder der Gesetzgeber, ist also mit diesen in Zweifelsfällen grundsätzlich zugunsten des Gesetzgebers zu entscheiden. Anderes gilt nur dann, wenn eine verfassungsrechtliche Wertung zu einer Umkehr der Argumentationslast zwingt: Nimmt die Verfassung etwa prima facie an, dass zwischen zwei Personengruppen keine wesentlichen Unterschiede bestehen, genügt es nicht, dass der Gesetzgeber Unterschiede bloß behauptet und sich dabei auf die Erfahrungen des täglichen Lebens beruft; s dazu noch unten E.I.4.c. 175 VfSlg 11.048/1986; s auch VfSlg 16.678/2002: Bewertung von Leibrenten im Jahr 2002 auf der Grundlage der Sterbetafeln 1959/61; VfGH 7.3.2007, G 54/06 ua: Bewertung von Liegenschaften für die Bemessung der Erbschaftssteuer nach historischen Einheitswerten, die bloß pauschal vervielfacht wurden; eine solche Bemessung ist nicht geeignet, die Wertentwicklung von Grundstücken angemessen abzubilden, weil der Wert eines Grundstückes im Zeitablauf durch ganz unterschiedliche Faktoren beeinflusst wird. Sie kommt daher als eine taugliche Grundlage für eine sachgerechte Erbschaftsbesteuerung nicht in Frage; ebenso wenig für die Besteuerung von Schenkungen: VfGH 15.6.2007, G 23/07. 176 Wenn etwa geplant ist, Fremde zur Absolvierung eines Deutsch-Integrationskurses zu verpflichten, von zahlreichen Sprachwissenschaftlern und Sprachpädagogen im Begutachtungsverfahren aber mit Nachdruck darauf hingewiesen wird, dass das für diesen Kurs vorgeschlagene Unterrichtsprogramm der Sprachkompetenz einer beträchtlichen Zahl von Fremden nicht gerecht wird und insbesondere für nicht oder nicht in einem lateinischen Schriftsystem alphabetisierte Fremde überhaupt nicht bewältigbar ist (näher dazu mwN Pöschl, Integrationsvereinbarung 224 ff, insb 230 ff ), dann kann ein Gesetzgeber, der sich über diese Information hinwegsetzt, nicht für sich in Anspruch nehmen, von einer zulässigen Durchschnittsbetrachtung ausgegangen zu sein, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht in einem offenkundigen Widerspruch steht. 177 Sprechen sich etwa neun von elf beigezogenen Fachleuten begründet dagegen aus, für (männliche) Homosexualität ein höheres Schutzalter als für Heterosexualität beizubehalten, und führen die zwei anderen befragten Experten nur an, dass sie ein höheres Schutzalter für erforderlich halten bzw dass dem Jugendlichen länger Zeit gegeben werden soll, seine sexuelle Identität zu finden, die aber – wie dabei zugestanden wird – schon lange vor der Pubertät festgelegt ist (dazu noch unten E.IV.3.b.bb.), dann ist nicht nur unverständlich, warum sich der Gesetzgeber diese nicht weiter begründete Mindermeinung zu eigen macht; er muss sich auch im Lichte des Gleichheitssatzes den Vorwurf gefallen lassen, bei seiner Norm von unrichtigen und daher nicht dem Durchschnitt entsprechenden Annahmen ausgegangen zu sein.
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male nicht mit Fachexpertise feststellen lassen, ist der Gesetzgeber zwangsläufig auf die „Erfahrungen des täglichen Lebens“ angewiesen178. Dass er dabei vom „Regelfall“ ausgehen muss und nicht einen atypischen Fall zum Leitbild seiner Vorschrift machen darf 179, zwingt ihn jedenfalls dazu, sich an jener Fallkonstellation zu orientieren, die verglichen mit anderen Konstellationen die Mehrheit bildet180. Treten in der Realität aber vorherseh____________________
178 S einerseits zB VfSlg 9314/1982: Von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehend kann im vorliegenden Fall nicht gesagt werden, dass die dreimonatige Antragsfrist für die Geltendmachung einer Entschädigung im Falle einer Enteignung nicht ausreichend wäre; VfSlg 11.301/1987: der Gesetzgeber kann bei einer Durchschnittsbetrachtung „sicherlich“ davon ausgehen, dass der am Fortbestand einer Lenkerberechtigung interessierte Inhaber auch in der Lage ist, die Kosten für die Befunde über den Nachweis seiner weiterhin bestehenden Befähigung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges aus eigenem zu tragen; es war daher zulässig, die Lenkerberechtigung bei Nichtvorlage dieser Befunde zu entziehen, mag diese auch in atypischen, ausnahmsweise auftretenden Härtefällen bloß am Fehlen der dafür erforderlichen finanziellen Mittel gescheitert sein; VfSlg 14.044/1995: dem Normgeber kann nicht entgegengetreten werden, wenn er bei einer Durchschnittsbetrachtung davon ausgeht, dass sich Ankündigungen für Reklamezwecke im Bereich von Obergeschossen generell auf das Stadtbild negativ auswirken; es war daher gerechtfertigt, die Genehmigung für die Anbringung neuer Anlagen im Bereich von Obergeschossen auch dann zu versagen, wenn diese bereits bestehende Anlagen ersetzen, mögen die bestehenden (und in ihrer Zulässigkeit durch die Regelung nicht berührten) Anlagen auch höher angebracht oder größer gewesen sein; VfSlg 16.454/2002: es ist unbedenklich, wenn der Gesetzgeber den (als Abgabe zu qualifizierenden) Kabelrundfunkbeitrag nicht dem Empfangsberechtigten selbst, sondern dem gewerblichen Betreiber der Kabelrundfunkanlage auferlegt; bei einer Durchschnittsbetrachtung kann nämlich davon ausgegangen werden, dass dieser Beitrag auf den Empfangsberechtigten überwälzbar ist. S andererseits VfSlg 5319/1966, 5750/ 1968, 5984/1969: es ist nicht der Regelfall, dass ein Dienstgeber wirtschaftlich in der Lage ist, einem bei ihm beschäftigten Kind, Ehegatten bzw Elternteil im Krankheitsfall jene Leistungen zukommen zu lassen, die der Träger der Krankenversicherung gewährt; VfSlg 11.054/1986: nichts spricht dafür, dass das Einkommen der selbständig Erwerbstätigen, die einen Antrag auf besondere Schulbeihilfe stellen, bei einer durchschnittlichen Betrachtungsweise als so hoch anzusetzen wäre, dass bei ihnen im Gegensatz zu den unselbständig Erwerbstätigen in allen Fällen die Anwendung einer bestimmten Obergrenze sachlich gerechtfertigt wäre; VfSlg 17.309/2004: ändert der Gesetzgeber die Anforderungen für die Ausübung eines Berufes und legt er im Übergangsrecht fest, welche Kenntnisse diesen neuen Anforderungen gleichwertig sind, so muss er ein geeignetes Abgrenzungskriterium verwenden. Er tut dies nicht, wenn er für die fachliche Eignung von Heilmasseuren allein an das Bestehen eines Kassenvertrages bzw an ein Abrechnungsverhältnis mit einem Sozialversicherungsträger anknüpft. Das Bestehen eines solchen Vertrages oder Abrechnungsverhältnisses weist nämlich zwar auf die fachliche Qualifikation des Heilmasseurs hin; dass Heilmasseuren ohne einen solchen Vertrag die fachliche Qualifikation jedenfalls fehlt, kann aber keinesfalls angenommen werden. 179 S zB VfSlg 15.836/2000: Drittstaatsangehörigen Kindern den Nachzug zu ihrer Familie nur bis zum vollendeten 14. Lebensjahr zu gestatten, ist sachfremd und daher gleichheitswidrig, weil auch ältere Kinder noch vielfach des elterlichen Beistandes bedürfen und im Regelfall nicht selbsterhaltungsfähig sind. Von Sonderfällen abgesehen dürfen Kinder bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres schon beschäftigungsrechtlich gar nicht zu Arbeiten irgendwelcher Art herangezogen werden. 180 S auch Tomandl, ZAS 1980, 207, nach dem eine Regelung, die nicht einmal für die Mehrzahl der Fälle sachlich begründet erscheint, nicht akzeptiert werden kann.
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bar mehrere Fallgruppen auf, so hat der Gesetzgeber auf jede dieser Gruppen Bedacht zu nehmen181. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Gruppe ihrerseits typische Merkmale aufweist, an die eine rechtliche Regelung problemlos anknüpfen kann182; dass diese Gruppe zahlenmäßig nur wenige Personen erfasst, ändert daran nichts183. Die üblichen Vermögensverhältnisse des Normadressaten können dabei leichter einzuschätzen sein184 als das Verhalten, das Rechtsunterworfene typischerweise an den Tag le____________________
181 S auch Tomandl, ZAS 1980, 207, der einen rein quantitativen Ansatz – etwa derart, dass eine Regelung toleriert wird, wenn sie 51% der Fälle adäquat erfasst, bei 49% jedoch zu unsachlichen Ergebnissen führt – zu Recht als verfehlt qualifiziert; s auch VfSlg 8806/1980: keinesfalls kann die sachliche Rechtfertigung für eine Begünstigung ausschließlich darin erblickt werden, dass sie die Fälle trifft, die häufiger eintreten als andere; VfSlg 11.662/1988: der Fall, dass eine Haushaltsgemeinschaft neben dem durch Sozialhilfe Hauptunterstützten aus mehr als zwei weiteren Haushaltsangehörigen besteht, ist kein seltener (vernachlässigbarer) Ausnahmefall, sondern eher die Regel; es ist nicht etwa ungewöhnlich, wenn ein Ehepaar mehr als ein Kind hat. – Selbst wenn heute aber die Zahl der Ehepaare, die nur ein Kind haben, größer wäre als die Zahl der Ehepaare mit mehr als einem Kind, dürfte der Gesetzgeber mE die zweite Fallgruppe nicht einfach deshalb vernachlässigen, weil sie nicht schon die Mehrheit bildet. 182 S auch Huster, Rechte 252. 183 Nicht überzeugend daher VfSlg 11.469/1987: Die in dieser Entscheidung auf ihre Gleichheitskonformität geprüfte Regelung des B-KUVG schloss gewisse freiberuflich Erwerbstätige als Angehörige eines öffentlich Bediensteten von einem Versicherungsanspruch aus. Der VfGH gestand zwar zu, dass dieser Ausschluss eigentlich auch für die gesetzlich leicht erfassbare Gruppe der Notare gelten müsste, weil Notare auf Leistungen als Angehörige öffentlich-rechtlich Bediensteter ebenso wenig angewiesen seien wie etwa die von der Ausnahme erfassten Rechtsanwälte. Der Gesetzgeber müsse, wie der VfGH dann aber weiter meint, auf die Gruppe der Notare „schon deshalb nicht durch eine zusätzliche, allfällige Vorteile beseitigende Vorschrift Bedacht nehmen, weil der Fall, daß der Ehegatte eines Notars im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, so selten sein wird, daß er praktisch vernachlässigt werden kann.“ Diese Argumentation übersieht, dass der Gesetzgeber ja nur deshalb von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen darf, weil generelle Rechtsnormen ohne Gattungsbildung und Typisierung gar nicht erlassen werden können. Hier liegt aber gerade eine legistisch leicht fassbare Gattung – eben die Gruppe der Notare – vor. Zutreffend demgegenüber VfSlg 17.503/2005 zu Bestimmungen, die die Entschädigung für land- und forstwirtschaftliche Ablösungsgrundstücke allein nach dem Nutzungswert bemaßen und damit gänzlich außer Acht ließen, dass der Verkehrswert eines Grundstückes seinen Nutzungswert übersteigen kann. Der VfGH gestand dabei zu, dass zwischen dem Verkehrswert land- und forstwirtschaftlich genutzter Liegenschaften und dem Wert der Nutzungen regelmäßig kein Unterschied bestehe. Dennoch sei zwischen dem Verkehrswert und dem Wert der Nutzungen grundsätzlich zu unterscheiden. Da die inkriminierten Bestimmungen andere wertbildende Umstände als die Nutzung gezielt ausklammerten, kam es nicht darauf an, wie häufig sich Fälle ereignen, in denen der Verkehrswert eines land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstückes dessen Nutzungswert übersteigt. 184 S einerseits VfSlg 11.301/1987 (FN 178); andererseits VfSlg 8233/1978: Nichts lässt die Annahme zu, die tatsächliche Kapitalausstattung einer AG bzw GmbH sei allgemein derart gestiegen, dass ein Mindestvermögen von 10 Millionen bzw 1 Million S die Regel bilde und eine diesem Vermögen entsprechende Besteuerung nur in vernachlässigbaren Ausnahmefällen zu Härten führen würde; VfSlg 11.054/1986 (FN 178); s auch VfSlg 14.381/ 1995: statistische Erhebung der für Wohnungen durchschnittlich entrichteten Ablösebeträge.
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gen185. Liegt der Durchschnittsbetrachtung eine Wertung zugrunde, etwa darüber, was dem Rechtsunterworfenen zumutbar ist186 oder welche Sachverhalte als störend187 oder als erwünscht empfunden werden, hat der Gesetzgeber einen größeren Spielraum. Da das Leben nicht nur „unendlich konkret“188, sondern auch unendlich vielfältig ist, wird es freilich immer Fälle geben, die den allgemeinen Erfahrungen widersprechen. Ein Gesetz, das nicht für jeden einzelnen dieser Fälle eine eigene Regelung vorsieht, kann der Vorwurf der Gleichheitswidrigkeit nicht treffen189. Denn einem derart strengen Maßstab gerecht zu werden, würde die Leistungsfähigkeit des Gesetzgebers überschreiten und damit auch die Funktionsfähigkeit des Gesetzes selbst in Frage stellen. Da der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber nicht mehr abverlangen kann, als dieser zu leisten imstande ist, muss ihm auch die Anknüpfung an ein Surrogatmerkmal gestattet sein, wenn das Differenzierungskriterium selbst190 rechtstechnisch nicht zum Tatbestandsmerkmal erhoben werden kann. Ist kein Merkmal ersichtlich, das mit dem Differenzierungskriterium in einem zwingenden Zusammenhang steht, wird man sich damit begnügen müssen, dass das Merkmal, an das die Norm anknüpft, in der Regel zutreffende Rückschlüsse auf das Differenzierungskriterium zulässt191. Ein solches ____________________
185 VfSlg 8709/1979: Es kann nicht angenommen werden, dass Ehegatten oder Lebensgefährten, die an einer Kapitalgesellschaft beteiligt sind, nur auf Grund ihres persönlichen Naheverhältnisses so regelmäßig wirtschaftlich zusammenwirken, dass ein anderes Verhalten eine zu vernachlässigende Ausnahme bedeutet; VfSlg 9524/1982: die Annahme, dass Blinde verhältnismäßig häufig selbständig erwerbstätig sind, und zwar typischerweise in Kleinbetrieben, ist nicht unsachlich; VfSlg 12.641/1991: dass Eltern das Studium ihrer großjährigen Kinder auch dann finanzieren, wenn sie dazu nicht verpflichtet sind, ist eine zulässige Annahme; dass hingegen Stiefeltern ohne Rücksicht auf eine allfällige Haushaltsgemeinschaft auch nur faktisch zum Unterhalt ihrer großjährigen Stiefkinder beitragen, darf der Gesetzgeber nicht unterstellen: VfSlg 12.665/1991. 186 S zB VfSlg 9314/1982: Von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehend kann im vorliegenden Fall nicht gesagt werden, dass die dreimonatige Antragsfrist für die Geltendmachung einer Entschädigung im Falle einer Enteignung nicht ausreichend wäre. 187 S zB VfSlg 14.044/1995 (FN 178). 188 Starck, Art 3 GG Rz 23. 189 Wenn der Gesetzgeber etwa nicht jeder örtlichen Gegebenheit Rechnung trägt, berührt dies die Gleichheitskonformität einer Regelung nicht: VfSlg 10.357/1985. 190 Etwa der Nutzen aus dem Fremdenverkehr bei der Fremdenverkehrsabgabe, die Leistungsfähigkeit bei der Einkommensteuer, die veranstaltete Vergnügung bei der Vergnügungssteuer. 191 VfSlg 8727/1980: Die Höhe der von den Vertragsparteien vereinbarten Leibrente lässt in der Regel einen zutreffenden Schluss auf den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert des übertragenen Wirtschaftsgutes zu; VfSlg 8452/1978: keine Bedenken gegen eine Aufenthaltsabgabe, die an das Merkmal der Nächtigung anknüpft; VfSlg 9608/1983: Unbedenklichkeit einer Kurtaxe, die für Ferienwohnungen mit einer kleineren Nutzfläche als 40 m2 pauschal mit 90 Nächtigungen, bei größeren Ferienwohnungen mit 120 Nächtigungen berechnet wird; VfSlg 9750/1983: das Halten von Spielautomaten kann nach
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Merkmal muss den begünstigten vom belasteten Bereich nach der Judikatur jedenfalls „relativ eindeutig“ abheben192; ob dies gelingt, ist keine Wertungs-, sondern eine quantitative Frage193. Unerwünschten, aber vorhersehbaren Nebenwirkungen einer solchen Anknüpfung kann durch Härteoder Billigkeitsklauseln begegnet werden194. Ganz allgemein ist für die Zulässigkeit rechtstechnisch bedingter Abweichungen zwischen Praxis- und Idealnorm bedeutsam, welche Alternativen dem Gesetzgeber bei der Umsetzung des Differenzierungsschemas zur Verfügung stehen. Wenn der Gesetzgeber etwa eine Regelung in Kraft setzt und durch das Nichterlassen von Übergangsvorschriften für anhängige Fälle vereinzelt Unbilligkeiten in Kauf nimmt, fällt ins Gewicht, dass derartige Unbilligkeiten mit der Setzung jedes Stichzeitpunktes zwangsläufig verbunden sind und dass Übergangsbestimmungen neue Stichzeitpunkte erfordern und damit wieder andere Grenzfälle möglich machen würden195. Knüpft der Gesetzgeber im Wohnbauförderungs-ZweckzuschußG bei der Festlegung des Auf____________________
verschiedenen Methoden besteuert werden. Der Steuer unterworfen ist ja nicht das Einkommen oder der Umsatz, sondern die veranstaltete Vergnügung. Der Gesetzgeber kann dabei an den Ertrag oder an den Umsatz anknüpfen, er kann nach der bloßen Ertragsfähigkeit des Geräts unterscheiden, er kann aber auch jede Spielgelegenheit mit dem gleichen Betrag belegen. In der Festsetzung des gleichen Steuerbetrages für jeden der in Rede stehenden Automaten könnte eine Ungleichbehandlung nur liegen, wenn die Unterschiede im Tatsächlichen so schwerwiegend wären, dass eine Gleichbehandlung unsachlich wäre; VfSlg 14.601/1996: die Höhe einer Fremdenverkehrsabgabe darf vom Fremdenverkehrsnutzen abhängig gemacht und dieser Nutzen darf seinerseits aus dem Umsatz des Abgabenpflichtigen abgeleitet werden. Dass das Verhältnis zwischen Umsatz und Fremdenverkehrsnutzen und das Verhältnis der Fremdenverkehrsnutzen verschiedener Unternehmenstypen zueinander auch als Durchschnittsgröße nicht exakt zu bestimmen ist, macht die Regelung noch nicht unsachlich oder willkürlich; VfSlg 17.326/2004: soll den Teilnehmern des Rundfunktmarktes ein Finanzierungbeitrag für den Aufwand der RTRGmbH auferlegt werden, darf der Gesetzgeber aus Vereinfachungsgründen eine Durchschnittsbetrachtung wählen und den Aufwand nach einem Maßstab anlasten, der die Bedeutung des regulierten Marktes für das jeweilige Unternehmen widerspiegelt. Der Umsatz, den ein Marktteilnehmer aus der Veranstaltung von Rundfunk erzielt, ist hiefür ein tauglicher Maßstab; VfSlg 17.593/2005: die Parteistellung im Baubewilligungsverfahren darf nicht auf Grundstückseigentümer beschränkt werden, deren Grundstück an das zu bebauende Grundstück unmittelbar angrenzt. Denn baulich bedingte Immissionen einer bestimmten Intensität treten nicht notwendig und nicht nur auf angrenzenden Grundstücken ein: Einerseits kann auf einem großen Grundstück ein Wohngebäude so errichtet werden, dass für das anrainende Grundstück keine Immissionen zu erwarten sind. Wird andererseits vom Baugrundstück eine geringfügige Liegenschafsfläche (etwa für Verkehrszwecke) abgetrennt, so geht die gemeinsame Grenze trotz gleich bleibender Immissionsbelastung verloren. 192 VfSlg 10.089/1984. 193 S auch Huster, Rechte 257. 194 Starck, Art 3 GG Rz 23; s auch Stoll, Ermessen 166 ff; ferner das Erkenntnis VfSlg 14.212/1995, in dem eine Regelung als zulässig qualifiziert wurde, weil sie für besonders berücksichtigungswürdige Fälle eine Härteklausel aufgenommen hatte. 195 VfSlg 9645/1983, 17.238/2004.
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teilungsschlüssels an die Bevölkerungszahl an, so ist zu bedenken, dass die Bevölkerungszahl „wesensnotwendig variabel“ und dass es „verwaltungsökonomisch praktisch ausgeschlossen ist, daß jede Änderung sofort zu einer Änderung der den Ländern gebührenden Zahlungen führt“196. Entziehen sich die zu schätzenden Bemessungsgrundlagen einer Abgabe von vornherein einer Durchschnittsbetrachtung, dann darf der Gesetzgeber zunächst von vermuteten Erträgen ausgehen; er muss diese Vermutung aber widerlegbar gestalten, um eine Besteuerung nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit zu ermöglichen197. c. Verwaltungsökonomie Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH sind auch verwaltungsökonomische Erwägungen ein anerkennenswertes Motiv, das normative Vergröberungen und damit einhergehende Härten im Einzelfall rechtfertigen kann. Gründe der Verwaltungsökonomie erlauben es dem Gesetzgeber daher jedenfalls, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen198. Dem ist zuzustimmen, auch wenn dies für den Betroffenen im Einzelfall unbefriedigend sein mag. Einer von der Verfassung durchaus erwünschten199 sparsamen Verwaltungsführung kann der allgemeine Gleichheitssatz nicht schon absolut im Wege stehen200. Im Prüfungsbeschluss zu VfSlg 11.190/1986 ist der VfGH allerdings noch einen Schritt weiter gegangen und hat vorläufig Bedenken dagegen geäußert, dass einer „primär aus fiskalischen Motiven erklärbaren Grunderwerbssteuerpflicht eine Vielzahl von kasuistischen Ausnahmetatbeständen gegenübersteht, die – wie gerichtsbekannt ist – sowohl auf seiten der Steuerpflichtigen (insgesamt) wie auch auf seiten der öffentlichen Hand zu einem enormen Verwaltungsaufwand führen, der – setzt man ihn in Verhältnis zum Steuerertrag – unverhältnismäßig sein dürfte [...]. Dies scheint dem aus dem Gleichheitsgebot erfließenden Sachlichkeitsgebot der Bundesverfassung insofern zu widersprechen, als damit eine effiziente, an den Kriterien der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (Art. 126b Abs. 5, 127 Abs. 1 und 127a Abs. 1 B-VG) orientierte Verwaltungstätigkeit [...] geradezu inhibitiert scheint.“ Zu Recht hat der VfGH diesen Gedanken im Gesetzesprü____________________
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VfSlg 12.832/1991. VfSlg 17.342/2004. 198 VfSlg 3682/1960, 5022/1965, 7136/1973, 7873/1976, 8827/1980, 9258/1981, 9924/1984, 10.089/1984, 10.455/1985, 11.616/1988, 11.775/1988, 15.117/1998, 16.754/ 2002, 17.067/2003, 17.315/2004; VfGH 28.9.2006, G 122/05 ua. 199 Art 126b Abs 5, Art 127 Abs 1 und Art 127a Abs 1 B-VG. 200 S auch Gassner, Gleichheitssatz 12 f. 197
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fungserkenntnis nicht mehr weiter verfolgt201. Denn es ist erstens nicht ersichtlich, inwieweit der Einzelne – und nur auf ihn kommt es hier an – durch eine besonders verwaltungsaufwendige Regelung in seinem Recht verletzt sein sollte, gleich bzw ungleich behandelt zu werden. Zweitens widerspricht diese These auch der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung des VfGH, dass der allgemeine Gleichheitssatz keine Handhabe biete, um über die bloße Zweckmäßigkeit einer gesetzlichen Bestimmung zu urteilen202. Vor allem aber wird der allgemeine Gleichheitssatz geradezu auf den Kopf gestellt, wenn ihm ein Gebot der Zweckmäßigkeit zugeschrieben wird: Er dient dann nicht mehr dem Schutz des Individuums, sondern der Durchsetzung kollektiver Interessen. Darin besteht die Funktion des allgemeinen Gleichheitssatzes aber gewiss nicht; der Anspruch auf Gleichbehandlung mag im Einzelfall aus Gründen des Allgemeinwohls zurückstehen müssen. Dass das Allgemeinwohl aber den Schutzgegenstand eines Individualgrundrechtes bildet, ist nicht anzunehmen. Dementsprechend hat der VfGH auch schon mehrfach und zutreffend festgestellt, dass eine Regelung nicht schon deshalb unsachlich ist, weil sie – möglicherweise auch in größerem Ausmaß – nicht befolgt wird; eine Steuerpflicht darf daher auch an Tatbestände anknüpfen, die etwa wegen des Bankgeheimnisses nur schwer erfassbar sind; dass der Rechtsunterworfene diesen Umstand missbräuchlich ausnützen kann, belastet eine solche Regelung noch nicht mit Gleichheitswidrigkeit203. Auch wenn die Zweckmäßigkeit einer Regelung Ungleichbehandlungen und Differenzierungsdefizite rechtfertigen kann, ist und bleibt sie immer nur ein Gesichtspunkt unter mehreren. Insbesondere eignet sie sich nicht als primäres Ziel einer Differenzierung, sondern nur als ein – allerdings nicht ungewichtiger – Aspekt, der (ebenso wie die Durchschnittsbetrachtung) die Umsetzung des der Norm zugrunde liegenden Differenzierungsschemas im Rechtssetzungsprozess und im Bereich der Vollziehung steuert204. Wohl in diesem Sinn hat auch der VfGH festgestellt, dass die ____________________
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S aber noch unten D.II.2.c. VfSlg 4711/1964, 6541/1971, 7885/1976, 9655/1983, 9668/1983, 11.369/1987. 203 S VfSlg 12.922/1991 mwN. 204 VfSlg 16.534/2002: „dem Gesetzgeber [ist es] gestattet, eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu treffen. Nun liegt es aber auf der Hand, daß nicht jede Regelung, die einfach und leicht handhabbar ist, damit schon vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt ist.“ S ferner VfSlg 17.886/2006; s auch schon Huster, Rechte 253, nach dem die Typisierung gerade nicht vorgenommen wird, weil ein Regelungsziel mit einem anderen Regelungsziel in Konflikt steht. Das Problem, das die Typisierung zu bewältigen hat, betrifft nicht den Regelungsinhalt, sondern die individualisierende Regelungstechnik: „Nicht was die Norm im Ergebnis erreichen will, sondern wie sie es will, bereitet Probleme.“ Dass Zweckmäßigkeitserwägungen auf sekundären Wertentscheidungen beruhen, stellt auch Bydlinski, Allgemeines Gesetz 71, fest; ähnlich Isensee, Die typisierende Verwaltung 138. 202
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Berücksichtigung der Verwaltungsvereinfachung bei der Beurteilung der Sachlichkeit einer Regelung nicht so weit gehen kann, dass sie eine „in sich unsachliche Durchbrechung eines Systems“ rechtfertigt. Es gehe daher nicht an, dass der Gesetzgeber, der eine Begünstigung unter gewissen Voraussetzungen gewährt, dieselbe Begünstigung in jenen Fällen ausschließt, bei denen die Überprüfung der Voraussetzungen einen seiner Auffassung nach zu hohen Aufwand erfordert205. Auch dass eine Regelung zur Vermeidung von Missbräuchen geeignet ist, kann nach der zutreffenden Judikatur für sich allein niemals nachweisen, dass sie dem allgemeinen Gleichheitssatz entspricht206. Knüpft der Gesetzgeber aus verwaltungsökonomischen Erwägungen nicht direkt an das Differenzierungskriterium an, sondern an eine andere, rechtlich bereits vorgegebene Kategorie, so muss diese verlässliche Rückschlüsse auf das verwiesene Kriterium zulassen207. Legt der Gesetzgeber Größen, die sich individuell bestimmen ließen, pauschal fest, so muss dieser Ersatzmaßstab die tatsächlichen Größen zumindest annähernd treffen; er darf daher nicht von Sachverhalten ausgehen, die sich üblicherweise nicht ereignen208 oder von Zahlen, die nicht den Durchschnitt repräsentieren209 oder die bereits überholt sind. Denn dass eine Regelung den aktuellen Verhältnissen angepasst ist, erschwert ihre Handhabung nicht210. ____________________
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VfSlg 11.368/1987. VfSlg 8656/1979, 8709/1979, 9006/1981, 10.155/1984. 207 S zB VfSlg 8880/1980: Der Gesetzgeber konnte bei einer Durchschnittsbetrachtung davon ausgehen, dass Steuerpflichtige, die für den Unterhalt eines erheblich behinderten Kindes zu sorgen haben, sich um eine erhöhte Familienbeihilfe bewerben werden; es war daher zulässig, die Gewährung einer steuerlichen Begünstigung an die Voraussetzung zu binden, dass dem Steuerpflichtigen eine erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird. 208 VfSlg 11.615/1988: Die Regelung des § 17 Abs 2 oö LustbarkeitsabgabeG 1979 würde nur dann gegen den Gleichheitssatz verstoßen, wenn die Pauschalierung der Lustbarkeitsabgabe für einen Betriebsmonat an sich unsachlich wäre, wenn und weil die abgabepflichtigen Automaten in einer Gemeinde nicht einen ganzen Monat betrieben werden. Tatsächlich erfolgt der Betrieb dieser Apparate aber üblicherweise für länger als einen Monat. 209 VfSlg 17.518/2005: Es ist nicht von vornherein unzulässig, die Höhe des Kostenzuschusses für eine Hauskrankenpflege pauschal festzulegen. Die Pauschalierung muss dann aber von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen, keinesfalls darf sie an der Untergrenze des in Betracht kommenden Aufwandes erfolgen. 210 Nicht gerechtfertigt werden konnte daher, dass § 16 Abs 2 BewG 1955 Leibrenten noch im Jahr 2002 auf der Grundlage der Sterbetafeln 1959/1961 bewertete; aufgrund der zwischenzeitig eingetretenen Veränderung der demographischen Entwicklung hatte diese Bewertung zur Folge, dass eine Steuerpflicht in manchen Fällen schon dann eintrat, wenn eine Rente erst etwa die Hälfte der Leistung erreichte, die für sie hingegeben worden war. Damit wurde eine bloße Vermögensumschichtung besteuert, was den Gleichheitssatz verletzt. Der Versuch der Bundesregierung § 16 Abs 2 BewG 1955 mit Argumenten der Verwaltungsökonomie zu rechtfertigen, schlug fehl, weil nicht ersichtlich war, warum eine Regelung, die die Vervielfacher des § 16 Abs 2 BewG 1955 den aktuellen de206
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Pauschalierungen und Typisierungen sind umso eher zulässig, je größer der zu bewältigende Verfahrensanfall in einem Rechtsgebiet ist und je schwieriger und aufwendiger eine Ermittlung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles wäre211. Im Steuer- und Sozialversicherungsrecht, das Massenerscheinungen ordnen muss, werden derartige Regelungstechniken daher eher gebilligt werden können als in anderen Rechtsgebieten212. Die Erleichterung, die eine verwaltungsökonomisch motivierte Normgestaltung der Vollziehung verschafft, darf nach der zutreffenden Judikatur nicht bloß unerheblich sein. Eine „wesentliche Verwaltungsvereinfachung“, die der Behörde die zweimalige Prüfung der erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen erspart213, oder die zur Folge hat, dass eine Frist nicht vom Kalendertag, sondern vom Ablauf eines Kalenderjahres an berechnet werden muss214, fällt dabei ebenso ins Gewicht wie ein „beträchtlich vereinfachendes Abgabenverfahren“215, eine „erhebliche Verwaltungsvereinfachung“216, die Vermeidung einer Häufung von Verwaltungsverfahren, die in absehbarer Zeit durch generelle Zulassung erledigt werden können217, die Möglichkeit einer raschen Erledigung der Anträge durch zentrale Bearbeitung (Berechnung) mit einer EDV-Anlage218, der Umstand, dass eine Regelung Leistungen ausschließt, die nur „mit unzumutbaren Kosten überhaupt festzustellen und nicht oder nur mit verhältnismäßig großem Aufwand wieder rückforderbar sind“219, und eine Regelung, die einen „unwirtschaftlichen“220, „unvertretbaren“221 oder „unzumutba____________________
mographischen Verhältnissen anpasst und verfeinert, schwieriger zu handhaben sein soll als die (damals) geltende Fassung: VfSlg 16.678/2002. 211 S etwa VfSlg 4289/1962: Für die Sachlichkeit der Regelung, die Höhe der Einkünfte nach generellen Merkmalen zu bestimmen, spricht bei Einfamilienhäusern schon der Umstand, dass diese nach Lage und Ausstattung außerordentlich differieren. Aus diesem Grund und dem weiteren, dass sie nicht im Mietverkehr stehen, wäre es sehr schwierig, für das konkrete Objekt einen Mietwert zu bestimmen. Die Vermeidung eines unwirtschaftlichen Verwaltungsaufwandes ist ein anzuerkennendes Motiv des Gesetzgebers. 212 S zB VfSlg 9119/1981: Wenn der Gesetzgeber für bestimmte Arten von Werbungskosten Pauschalbeträge vorsieht, die ohne besonderen Nachweis der tatsächlich getätigten Aufwendungen absetzbar sind, so dient dies der Vermeidung eines unwirtschaftlichen Verwaltungsaufwandes und findet darin eine sachliche Rechtfertigung; s auch VfSlg 9624/ 1983, 11.615/1988, 13.726/1994. 213 VfSlg 8880/1980. 214 VfSlg 8313/1978. 215 VfSlg 11.615/1988. 216 VfSlg 11.298/1987. 217 VfSlg 11.632/1988. 218 VfSlg 8827/1980. 219 VfSlg 12.672/1991. 220 VfSlg 4289/1962: Bestimmung des (der Einkommensteuer unterliegenden) Mietwertes eines Einfamilienhauses aufgrund von generellen Merkmalen.
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ren“222 Verwaltungsaufwand vermeidet. Als zulässig wurde es auch angesehen, dass der Gesetzgeber selbst die Zuweisung aller Bediensteten der Österreichischen Glücksspielmonopolverwaltung an eine einzige Dienststelle vornimmt, um einen „vermeidbaren unwirtschaftlichen Verwaltungsaufwand“ auszuschalten223. Die an sich mögliche individuelle Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen muss nicht vorgenommen werden, wenn der damit verbundene Verwaltungsaufwand „unangemessen hoch“ wäre; „aufwendige Erhebungsmaßnahmen“ bei schwierig zu ermittelnden Sachverhalten dürfen daher durch eine Pauschalierung vermieden werden224. In manchen Fällen begnügt sich der VfGH aber auch schon mit der Feststellung, dass eine Regelung Schwierigkeiten vermeidet, die eine differenzierte Regelung nach den Erfahrungen des täglichen Lebens der Behörde bereiten könnte225 oder dass die (allein) zugelassenen Beweismittel der Behörde „ohne besonderen Verwaltungsaufwand“ verlässlichen Aufschluss über den maßgeblichen Sachverhalt geben226. Bisweilen führt der VfGH für die Zulässigkeit einer Regelung auch ins Treffen, dass eine relativ vergröberte Umsetzung des Differenzierungsschemas für den Rechtsunterworfenen selbst mit Vorteilen verbunden sei, etwa weil das vom Gesetzgeber gewählte Differenzierungsmerkmal nicht nur für die Vollziehung, sondern auch für den Rechtsunterworfenen „unschwer handhabbar“ ist227 oder weil eine Vereinfachung nicht nur die ____________________
221 VfSlg 9588/1982: Die Kontrolle, ob die Voraussetzungen eines Halteverbotes (noch) gegeben sind, im Abstand von zwei Jahren ist ausreichend. 222 Einen solchen Aufwand verneinte der VfGH zB in VfSlg 16.820/2003, als das FLAG nur Lehrlingen, die sich in einem gesetzlich anerkannten Ausbildungsverhältnis befanden, eine Lehrlingsfreifahrt gewährte. Dass Lehrlinge im Betrieb eines kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnisses keine solche Förderung erhielten, ließ sich nicht mit verwaltungsökonomischen Erwägungen rechtfertigen: Denn es war kein Grund ersichtlich, warum es unmöglich oder mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden wäre, auch bei diesen Lehrverhältnissen einen Fahrausweis für jene Tage auszustellen, die der Lehrling in seinem Betrieb zu verbringen hat. 223 VfSlg 13.738/1994. 224 VfSlg 9624/1983: Wenn der Gesetzgeber bei der Bemessung der Aufenthaltsabgabe nur bei den am schwierigsten zu kontrollierenden Ferienwohnungen, nicht aber bei den leichter überprüfbaren gewerblichen Beherbergungsbetrieben und privaten Zimmervermietungen eine Pauschalierung vorgesehen hat, kann ihm keine unsachliche Differenzierung vorgeworfen werden; s auch VfSlg 4289/1962. 225 VfSlg 9237/1981: Schwierigkeiten, die bei einer Befristung der Nachsicht von einem Befähigungsnachweis entstehen können. 226 VfSlg 8767/1980. 227 VfSlg 10.089/1984; s ferner das Erkenntnis VfSlg 8767/1980, in dem für die Beschränkung der Partei auf bestimmte Beweismittel auch ins Treffen geführt wurde, dass diese Beweismittel für den Rechtsunterworfenen leicht zu erbringen seien; ebenso VfSlg 4289/1962, wonach eine pauschalierende Festsetzung des Mietwertes eines Einfamilienhauses auch für den Abgabepflichtigen Vorteile mit sich bringe, weil er von der Verpflichtung befreit ist, Aufzeichnungen zu führen.
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Rechtspflege entlastet, sondern auch den Prozessparteien zu einer rascheren Erledigung verhilft228. d. Härtefälle Ob es zulässig ist, von einem an sich gebotenen Differenzierungsschema abzuweichen, ist nach der Judikatur letztlich auch eine quantitative Frage, hängt also davon ab, wie viele Fälle aufgrund einer Durchschnittsbetrachtung oder aus verwaltungsökonomischen Erwägungen vernachlässigt werden. Auf diese Weise wird – gleichsam von der anderen Seite – kontrolliert, ob die Durchschnittsbetrachtung, die Verwendung eines Surrogatmerkmals, die Pauschalierung oder Typisierung wirklich den Regelfall trifft. Die Zahl der vernachlässigten Fälle ist insofern kein eigenständiges, sondern ein komplementäres Kriterium zu den bisher genannten229. In Prozenten lässt sich gewiss nicht ein für alle mal angeben, wie viele Fälle der Gesetzgeber vernachlässigen darf. Auch abstrakt wird die Zahl der hinzunehmenden Härten in der Judikatur aber durchaus unterschiedlich umschrieben: Besonders geläufig ist die Feststellung, die Sachlichkeit einer Regelung werde nicht berührt, wenn es in „Einzelfällen“230 bzw „vereinzelt“231 zu unbefriedigenden Ergebnissen und Härten kommt. „Etwaige“232, „ge____________________
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VfSlg 8597/1979; s auch VfSlg 14.986/1997. Allfällige Einwände gegen die Bedachtnahme auf die Zahl der betroffenen Fälle müssten daher schon früher ansetzen. Rüfner, Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart (1979) 69, meint etwa, es sei vom Einzelnen her nicht überzeugend, dass typisierungsbedingte Härten hinzunehmen sind, wenn sie nur wenige treffen, aber beanstandet werden können, wenn viele Personen betroffen sind. Gerade größere Gruppen könnten sich ja für gewöhnlich politisch zur Wehr setzen; die wenigen, die in einer Demokratie übersehen werden, seien demgegenüber auf den Grundrechtsschutz besonders angewiesen. Dieser Einwand ist an sich berechtigt; tatsächlich muss zunächst befremden, dass die Durchsetzbarkeit eines Individualgrundrechts von – letztlich – kollektiven Gesichtspunkten abhängt. Dennoch kann dieser Einwand nicht schlagend sein, einerseits, weil sonst Durchschnittsbetrachtungen und verwaltungsökonomisch motivierte Regelungstechniken schon grundsätzlich unzulässig wären; dass und warum dies nicht der Fall ist, wurde bereits dargetan. Andererseits wäre aber auch nicht einzusehen, warum der allgemeine Gleichheitssatz nur die kleine Gruppe schützen, die große Gruppe aber auf ihre Möglichkeit verweisen sollte, sich bei der nächsten Wahl zu Wehr zu setzen. Dazu kommt, dass typisierungsbedingte Härten oft diffus eintreten, also gerade nicht gezielt Personen treffen, die durch gruppentypische Merkmale verbunden sind. Soweit eine Härte aber gerade bei einer solchen Gruppe eintritt, ist ihr eine Berufung auf den Gleichheitssatz auch nicht verwehrt; denn der Gesetzgeber könnte – da ein gruppentypisches, also rechtlich fassbares Merkmal vorhanden ist – die Vernachlässigung dieser Personen gerade nicht mit legistischen Schwierigkeiten rechtfertigen; s auch schon oben C.IV.2.d. 230 VfSlg 8457/1978, 8871/1980, 9645/1983, 9924/1984, 10.981/1986, 12.568/1990, 15.683/1999, 16.125/2001, 17.816/2006. 231 VfSlg 11.665/1988, 17.171/2004. 232 VfSlg 10.089/1984. 229
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legentlich“233, „relativ selten“234 auftretende Härtefälle, „atypische, bloß ausnahmsweise“235, „in wenigen ausnahmehaften Situationen“236 oder in „Grenzfällen“237 auftretende Härten könnten in Kauf genommen werden. Größer ist bisweilen die Toleranz im Sozialversicherungsrecht: Wegen des dort im Vordergrund stehenden Versorgungsgedankens muss in Kauf genommen werden, dass es „in manchen Fällen“ trotz bestehender Versicherungspflicht zu keinem Rentenanfall kommt; für die Abgrenzung einer Riskengemeinschaft reicht daher, dass eine solche Härte „keinesfalls der Regelfall“ ist238. Eine Regelung müsse nicht „in allen Fällen“ zu einem befriedigenden Ergebnis führen239. Ebenso wenig müssen sich aber umgekehrt die besonderen Gründe der Gleichheitswidrigkeit in allen Anlassfällen in der zur Gleichheitswidrigkeit führenden Intensität auswirken240. Für einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot kann schon genügen, dass eine Regelung „in nicht bloß vernachlässigbaren Ausnahmefällen“241, „durchaus nicht nur in Ausnahmefällen“242 oder in „durchaus typischen Beispielsfällen“243 zu einer nicht gerechtfertigten Un/gleichbehandlung führt. In VfSlg 3595/1959 wurde bei einer Pauschalbesteuerung eine 10%ige Abweichung als unbedenklich qualifiziert; dass die Unfallrenten____________________
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VfSlg 10.731/1985. VfSlg 11.201/1986. 235 VfSlg 8806/1980, 11.301/1987, s auch VfSlg 8767/1980 („Ausnahmefälle“), VfSlg 12.645/1991 („atypische Fälle“). 236 VfSlg 11.616/1988. 237 VfSlg 6471/1971, 7891/1976, 8457/1978. S auch VfSlg 10.291/1984, 11.665/1988, 14.846/1997, wonach die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nicht davon abhängt, wie sie sich auf „einzelne Anlaßfälle“ auswirkt. Dass nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Härten in Kauf genommen werden kann, wird auch für Art 3 GG in Lehre und Rechtsprechung angenommen, s dazu mwN zB Osterloh, Art 3 GG Rz 109; Heun, Art 3 GG Rz 33; Starck, Art 3 GG Rz 23. 238 VfSlg 7047/1973; s weiters VfSlg 10.451/1985, 12.739/1991, 14.842/1997, 15.859/ 2000, 16.203/2001, 16.539/2002. 239 VfSlg 8827/1980, 10.455/1985, 11.909/1988, 12.416/1990, 14.301/1995, 14.694/ 1996, 16.285/2001. 240 VfSlg 11.665/1988. 241 VfSlg 12.735/1991: Die inkrimierte Regelung führte in nicht bloß vernachlässigbaren Ausnahmefällen dazu, dass ein unehelicher Vater zwar zustimmen musste, bevor seinem Kind ein eigener Reisepass ausgestellt oder das Kind in den Reisepass der Mutter miteingetragen wurde, er selbst aber die Eintragung des Kindes in seinen Reisepass nicht erreichen konnte, und zwar auch dann nicht, wenn er dessen gesetzlicher Vertreter war. Die Miteintragung eines ehelichen Kindes in den Reisepass seines Vaters war demgegenüber sogar dann zulässig, wenn dem Vater die elterlichen Rechte entzogen oder wenn sie eingeschränkt worden waren. 242 VfSlg 8806/1980: Fremdwährungsdarlehen sind durchaus nicht nur in Ausnahmefällen vorkommende Rechtsgeschäfte; ihre gebührenrechtliche Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Kreditverträgen in Fremdwährungen war sachlich nicht zu rechtfertigen. 243 VfSlg 10.155/1984. 234
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besteuerung für 18% der Betroffenen zu einer erheblichen Einkommensverminderung führt, wurde hingegen nicht mehr als Härtefall angesehen244. Auch dass von einer Begünstigung „lediglich 20%“ der in Betracht kommenden Personen ausgeschlossen wurden, änderte in VfSlg 11.190/ 1986 an der Gleichheitswidrigkeit nichts. Noch strenger war der VfGH in VfSlg 10.620/1985, als die Bundesregierung vorbrachte, die Änderung des für die Umsatzsteuer maßgeblichen Einheitswerts sei für den Steuerpflichtigen „in aller Regel“ voraussehbar: Der VfGH entnahm dem das Zugeständnis, dass es eine „nicht vernachlässigbare Anzahl von Fällen“ gibt, in denen die Berechnung nicht möglich ist245. Die Toleranz endet aber jedenfalls, wenn die inkriminierte Norm eine „erhebliche“246, „große“247, „beachtliche“248 Zahl von Personen in gleicher Lage nicht erfasst, oder wenn durch die Anknüpfung an ein Merkmal die „Kernfälle“ jener Gruppe ausgeschlossen bleiben, die den Gesetzgeber zu der Regelung gerade bewogen haben249. e. Gewicht der Rechtsfolgen Der Anforderungen, die der VfGH an eine Durchschnittsbetrachtung stellt, das von ihm geforderte Ausmaß der Verwaltungsvereinfachung und die Zahl der Fälle, die nach der Judikatur vernachlässigt werden dürfen, schwanken nach dem bisher Gesagten von Fall zu Fall. Ob ein strenger oder ein milder Maßstab angelegt wird, ist regelmäßig durch einen weiteren Faktor bestimmt, der in der Gesamtbeurteilung oft ausdrücklich, manchmal aber auch nur unausgesprochen veranschlagt wird: Das Ausmaß der bei einer Durchschnittsbetrachtung hinzunehmenden Fälle hängt nach der Judikatur auch vom „Gewicht der angeordneten Rechtsfolgen“ ab250. ____________________
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VfSlg 16.754/2002. Dass jene Fälle, in denen eine solche Berechnung unmöglich ist, „nicht vernachlässigbar“ sind, wollte die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme gewiss nicht einräumen; ihr Rekurs auf den Regelfall zielte wohl in die entgegengesetzte Richtung. 246 VfSlg 10.089/1984. 247 VfSlg 10.792/1986. 248 VfSlg 10.731/1985, 12.645/1991. 249 S das Erkenntnis VfSlg 12.645/1991 betreffend die Klage zur Vaterschaftsfeststellung, die binnen Jahresfrist nach dem Tod des Vaters erhoben werden musste: Die gesetzte Frist war für eine beachtliche Zahl von Fällen von vornherein zu kurz und bei dieser Kürze für eine andere Fallgruppe zu starr, weil die Frist nicht gehemmt wurde, solange das Kind rechtlich oder faktisch an einer Klage gehindert war. 250 VfSlg 8871/1980, s weiters VfSlg 9995/1984, 10.180/1984, 11.155/1986, 13.726/ 1994, 13.890/1994, 15.819/2000, 17.070/2003; s auch VfSlg 12.783/1991: Dass getrennt lebende Eltern und ein außerehelicher Elternteil von einer steuerlichen Begünstigung ausgeschlossen bleiben, kann keinesfalls als bloßer Härtefall angesehen werden; die Belastung der Eltern durch die Unterhaltspflicht ist nämlich erheblich und die Zahl der 245
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In gleicher Weise können verwaltungsökonomische Überlegungen nach ständiger Rechtsprechung nicht jede Art der Regelung rechtfertigen; sie müssen vielmehr in einem „angemessenen Verhältnis zu der damit in Kauf genommenen differenzierenden Behandlung ihrer Adressaten stehen“251. Bisweilen lässt der VfGH erkennen, dass seltene Bevorzugungen weniger schwer wiegen und daher eher gerechtfertigt werden können als vereinzelte Benachteiligungen: Führten die ungleichen Rechtsfolgen einer Vorschrift etwa zu einer Bevorzugung bei der Verteilung von Geldmitteln, so könne diese allenfalls gerechtfertigt sein, wenn sie notwendig wäre, um höhere Kosten einer anderen Lösung zu vermeiden252. Knüpft der Gesetzgeber an ein Surrogatmerkmal an, so wird mitunter in Rechnung gestellt, ob dem Rechtsunterworfenen zugemutet werden kann, dieses Surrogatmerkmal zu erfüllen, um in den Genuß der damit verknüpften Rechtsfolge zu kommen253. Auch sonst untersucht der VfGH, ob die für eine Verwaltungsvereinfachung in Kauf genommenen Rechtsfolgen dem Einzelnen zumutbar sind. Das Gewicht dieser Rechtsfolgen kann dabei einerseits gemindert werden, wenn sie bloß für eine Übergangszeit gelten254. Anderer____________________
Fälle, in denen der das Kind betreuende Elternteil kein oder nur ein geringes eigenes Einkommen hat, nicht zu vernachlässigen; s auch das Erkenntnis VfSlg 8017/1977, in dem – ohne explizit auf das Gewicht der Rechtsfolgen zu rekurrieren – geprüft wurde, ob die Anrechnung der Vorhaft im Verwaltungsstrafverfahren aus Gründen der Verwaltungsökonomie ausgeschlossen werden könne. Der VfGH verneinte diese Frage, weil die Anrechung „keinen von den Verwaltungsbehörden nicht mehr zu bewältigenden Aufwand bewirkt“. Dass hier anders als in anderen Fällen gewisse Verwaltungserleichterungen noch nicht genügten, ist wohl auf das Gewicht der Rechtsfolgen zurückzuführen; s auch noch D.III.3.c. 251 VfSlg 8871/1980: Mit verwaltungsökonomischen Erwägungen war nicht zu rechtfertigen, dass einer Witwe im ASVG, im GSPVG und im B-PVG ohne weitere Voraussetzungen eine Hinterbliebenenpension nach ihrem verstorbenen Ehemann zugestanden wurde, während einem Witwer ein solcher Anspruch nach seiner Ehefrau nur zukam, wenn diese seinen Lebensunterhalt überwiegend bestritten hatte und er erwerbsunfähig und bedürftig war; VfSlg 11.630/1988: Gleichheitswidrigkeit des § 3 Abs 1 Rechtspraktikanten-AusbildungsbeitragsG, nach dem Rechtspraktikanten eine Kürzung ihres Ausbildungsbeitrages hinnehmen mussten, wenn sie neben der Gerichtspraxis in einem Dienstverhältnis zum Bund stehen, nicht aber, wenn ein anderes Dienstverhältnis (etwa zum Land oder zur Gemeinde) besteht: „In Fällen der hier in Rede stehenden Art kommt einem allfälligen höheren Verwaltungsaufwand keine ausschlaggebende Bedeutung zu“; s auch VfSlg 11.201/1986, 17.886/2006. 252 VfSlg 8871/1980. 253 VfSlg 8880/1980: Wenn der Gesetzgeber eine steuerliche Begünstigung vom Bezug erhöhter Familienbeihilfe abhängig macht, so ist dies unbedenklich; es ist dem Steuerpflichtigen nämlich zumutbar, eine erhöhte Familienbeihilfe zu beantragen, um sich auch die steuerliche Begünstigung zu verschaffen. 254 S schon VfSlg 8204/1977: Dass eine Regelung zu Härten führt, macht sie – vor allem, wenn es sich um eine Übergangsbestimmung handelt – noch nicht unsachlich; in VfSlg 11.632/1988 war eine Regelung zu prüfen, die grundsätzlich erlaubte, dass die Ungefährlichkeit eines lebensmittelrechtlich nicht ausdrücklich zugelassenen Zusatzstoffes nachgewiesen wird; nur für bestimmte, aufgrund weitergeltender Vorschriften verbotene Zusatzstoffe wurde ein solcher Nachweis erst mit Inkrafttreten einer Verordnung nach
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seits ist dieses Gewicht aber auch den Einsparungen für die Verwaltung gegenüberzustellen. Einem solchen Vergleich hielt eine Regelung nicht stand, die Meldepflichtigen die Möglichkeit einer postalischen Meldung genommen hatte, „um dafür eine geringfügige, keineswegs besondere Mehrbelastung der staatlichen Verwaltung zu vermeiden, [...] zumal sich die Situation von der auf anderen Gebieten der öffentlichen Verwaltung in der hier maßgeblichen Beziehung nicht signifikant unterscheidet255. Nicht hingenommen wurde auch, dass in den von einer Regelung vernachlässigten „durchaus typischen Beispielsfällen“ Dienstnehmer mit einer Einkommensteuer belastet werden, die ein Vielfaches dessen beträgt, was sich bei einer differenzierten Regelung ergeben hätte. Dass die Ermittlung der individuellen Voraussetzungen dabei langwierig sein, ja sogar, dass sie im Einzelfall ergebnislos bleiben könne, gestand der VfGH in diesem Fall zu. Ob und inwieweit es sachlich gerechtfertigt wäre, eine Verwaltungsvereinfachung etwa durch Pauschalierungen oder Beweisregeln zu erreichen, musste jedoch nicht weiter geprüft werden. Der gesetzlich angeordnete ausnahmslose Ausschluss der betroffenen Personengruppe von der begünstigenden Norm ging nach Ansicht des VfGH nämlich jedenfalls zu weit256. Auch wenn die Berichtigung einer im Wege der Selbstbemessung festgesetzten Abgabe nur zum Nachteil des Abgabepflichtigen, nicht auch zu seinem Vorteil zugelassen wird, „treten Überlegungen der Verwaltungsökonomie [...] in den Hintergrund“257. Härtefälle können, wie der VfGH ganz allgemein festgestellt hat, nur dann in Kauf genommen werden, wenn die Regelung an sich gleichheitskonform ist und der Gesetzgeber lediglich aus praktischen Gründen bei der notwendigen Abstraktion des Gesetzes nicht auf alle denkbaren Einzelfälle Bedacht nehmen konnte. Ist die Möglichkeit exzessiver Ungleichbehandlungen aber „vom System der Regelung mitgedacht“, so kann sie auch durch Rechtsinstitute nicht mehr gerettet werden, die nur dazu dienen, von der Art der Regelung her nicht vermeidbare Härten in Einzelfällen auszuschalten258. Nicht hingenommen ____________________
dem neuen LMG zugelassen. Die Behörden mussten solcherart über individuelle Zulassungsanträge erst entscheiden, wenn die bisher geltende generelle Regelung durch eine Verordnung ersetzt worden war; so wurde eine Häufung von Verwaltungsverfahren in Fällen vermieden, die durch generelle Zulassung erledigt werden können. Der VfGH billigte diese Beschränkung der Antragslegitimation für eine Übergangszeit, weil sie der Verwaltungsvereinfachung diente und den Interessenten für die Zeit, die die Vorbereitung einer allgemeinen Richtlinie benötige, auch zumutbar sei. S für frühere Entscheidungen die Nachweise bei Rebhahn, DRdA 1981 123 f. 255 VfSlg 13.781/1994. 256 VfSlg 10.155/1984. 257 VfSlg 8726/1980. 258 VfSlg 9901/1983: Gleichheitswidrigkeit des § 17 Abs 2 lit a FinStrG, der den Verfall als absolute Strafdrohung vorsah, also unabhängig vom Grad des Verschuldens und von der Höhe des durch das Finanzvergehen bewirkten Schadens (etwa der Abgabenverkür-
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
werden konnte aus denselben Gründen, dass ein Verfahrenshelfer bei besonders umfangreichen und arbeitsintensiven Vertretungen und Strafverteidigungen, die ihn wochen- und auch monatelang in Anspruch nehmen, bloß pauschal abgegolten wird; dass sich derartige Fälle nur selten ereignen mögen, änderte daran nichts259. Inakzeptabel war auch, dass ein Kind Fremder aufgrund einer vergröberten Regelung sein Aufenthaltsrecht in Österreich verliert260. Ebenso wenig konnte durch verwaltungsökonomische Erwägungen gerechtfertigt werden, dass jemand einem Anschlusszwang an eine kommunale Anlage unterworfen wird, obwohl er bereits vor der Errichtung dieser Anlage über eine gleichwertige oder sogar überlegene Abwasserversorgung verfügte, deren Errichtung für ihn mit spürbaren Aufwendungen verbunden war, die nun frustriert erscheinen261. f. „Eingriff“ in den allgemeinen Gleichheitssatz Offensichtlich nimmt der VfGH, wenn er die Zulässigkeit einer Durchschnittsbetrachtung oder verwaltungsökonomisch motivierter Differenzierungsdefizite auf ihre Gleichheitskonformität untersucht, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor262. Dies wird in der gesamten Judikatur deutlich und kommt besonders klar zum Ausdruck, wenn der Gerichtshof feststellt: „der Gleichheitssatz [läßt es] zwar an sich zu, auf die Praktikabilität des Gesetzes Bedacht zu nehmen. Doch ist diese Erlaubnis nicht schrankenlos; sie findet ihre Grenze dort, wo an____________________
zung); ganz ähnlich VfSlg 10.597/1985; s weiters VfSlg 11.662/1988: Gleichheitswidrigkeit einer Vorschrift des Kärntner SozialhilfeG, die voraussetzte, dass die unterhaltsberechtigten Angehörigen des Hauptunterstützten in jedem Fall mit ihren Einkünften unbeschränkt zum Lebensunterhalt der Haushaltsgemeinschaft beitragen, und zwar auch dann, wenn sie den Mitgliedern dieser Gemeinschaft gegenüber nicht unterhaltspflichtig sind. Dies konnte dazu führen, dass der Vater oder die Mutter auf Kosten der Alimente lebt, die ihren Kindern von dritter Seite gewährt werden. Derartige Konstellationen sind keine vernachlässigbaren Härtefälle, sondern ergeben sich aus dem System der Regelung; s auch VfSlg 11.201/1986, wonach gleichheitswidrige Konsequenzen, die nicht bloß in Einzelfällen eintreten, sondern „im System der getroffenen Regelung“ liegen, nicht mehr als „(relativ seltene) Härtefälle“ angesprochen werden können, die bei einer Durchschnittsbetrachtung vernachlässigbar sind; ebenso VfSlg 14.095/1995: dass ein Arbeitsloser zur Rückzahlung des bezogenen Arbeitslosengeldes auch dann verpflichtet wird, wenn er durch eine selbständige Tätigkeit während des Bezuges die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet, ohne dass dies für ihn erkennbar war, kann nicht als zufällige Folge einer an sich sachlichen Regelung abgetan werden, sondern ist „in der rigiden Regelung [...] geradezu angelegt. Eine solche Regelung ist unsachlich“. 259 VfSlg 12.638/1991. 260 VfSlg 15.755/2000. 261 VfSlg 16.534/2002. 262 S auch Korinek, Grundrechtsfragen 46, der in diesem Zusammenhang von der „typisch gleichheitsrechtliche[n] Verhältnismäßigkeitsprüfung“ spricht; für die Judikatur des BVerfG gleichsinnig, aber mit kritischer Tendenz zur Nachgibigkeit dieser Prüfung im Einzelfall Huster, Rechte 273 ff, insb 299 ff; ders, Art 3 GG Rz 129 ff.
Vergleichende Gleichheitsprüfung
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deren Überlegungen, die gegen die Regelung sprechen, größeres Gewicht beizumessen ist als den verwaltungsökonomischen Erwägungen“263.
Jene Zweckmäßigkeitserwägungen, die zu einer Abweichung von dem der Norm zugrunde liegenden Differenzierungsschema führen, werden also dem Interesse gegenübergestellt, das der Rechtsunterworfene an der Einhaltung dieses Schemas hat. Zuvor wird freilich der Sache nach auch geprüft, ob die Durchbrechung dieses Schemas erforderlich ist. Das ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn dem Gesetzgeber aus legistischen Gründen keine Regelungsalternative zur Verfügung steht – ob dies der Fall ist, ist keine Wertungsfrage, sondern schlicht ein Problem der Rechtstechnik und auch der vorhandenen Kapazität. Davon abgesehen kommt Zweckmäßigkeitserwägungen umso mehr Gewicht zu, je schwieriger und kostspieliger eine an sich mögliche Alternative für die Verwaltung wäre, dh je höher die jeweils erzielten Einsparungseffekte sind – auch dies ist eine quantitative Frage, die ohne die Vornahme von Wertungen beantwortet werden kann. Die grundsätzlich anerkennenswerten Motive der Verwaltungsökonomie müssen aber dann zurücktreten, wenn das Interesse des Einzelnen, dem Differenzierungsschema gemäß behandelt zu werden, schwerer wiegt als budgetäre Gründe. Wann dies der Fall ist, ist eine Wertungsfrage. Aus dem Differenzierungsschema selbst kann sie nicht beantwortet werden; dieses legt zwar jene wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest, die den Anspruch auf Gleich- oder Ungleichbehandlung erst begründen. Es sagt aber weder, welches Gewicht diesem Anspruch zukommt, noch kann angenommen werden, dass Zweckmäßigkeitserwägungen als sekundäre Ziele den primären (das Differenzierungsschema konstituierenden) Zielen stets oder auch nur im Zweifel nachgeordnet wären. Auch der allgemeine Gleichheitssatz kann aus sich heraus nicht in allen Fällen beantworten, wann primären Zielen der Vorrang vor sekundärer Zweckmäßigkeit gebührt. Soll die Beurteilung dieser Frage nicht in das Belieben des Verfassungsgerichts gestellt sein, führt an einer systematischen Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes kein Weg vorbei. Was die geschilderte Judikaturlinie aber neuerlich zeigt, ist, dass mit dem Satz, Gleiches sei gleich und Ungleiches sei ungleich zu behandeln, nicht jedes Gleichheitsproblem gelöst werden kann. Denn Durchschnittsbetrachtung und Verwaltungsökonomie sind Gründe, die Differenzierungsdefizite unter den beschriebenen Voraussetzungen legitimieren können, ____________________
263 VfSlg 9524/1982, 13.726/1994 (Hervorhebungen nicht im Original). Ganz ähnlich auch Tomandl, ZAS 1980, 209, nach dem der Anteil der nicht berücksichtigten Fälle umso kleiner sein muss, je einschneidender die Rechtsfolgen sind, je schwieriger zu handhaben und je kostspieliger eine weiter differenzierende Regelung ist und je eher dem Gesetzgeber untypische Lebenslagen bekannt sein müssen; s in diesem Sinn auch Tipke, FS Stoll 242.
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
obwohl sie mit den für die jeweilige Differenzierung relevanten Eigenschaften der Vergleichsgruppen gerade nicht in Zusammenhang stehen, zwischen ihnen also auch keine wesentlichen Unterschiede begründen können: Insoweit liegt also ein Eingriff in den allgemeinen Gleichheitssatz vor264.
II. Vergleichsfreie Gleichheitsprüfung 1. Mehrdeutige Fälle Es wurde bereits festgestellt, dass der VfGH, auch wenn er sich auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot beruft, zum Gegenstand seiner Prüfung in vielen Fällen entweder eine Ungleichbehandlung macht oder eine Regelung, die zu wenig differenziert ist265. Zum Teil handelt es sich dabei um „klassische“ Gleichheitsfälle, in denen der Gesetzgeber zwischen Personen differenziert, die sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden266. Zum Teil werden unter Berufung auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot auch Ungleichbehandlungen geprüft, die sich zwar nicht auf wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen stützen lassen, möglicherweise aber auf andere – von „außen kommende“ – legitime Gründe267. Schließ____________________
264 S schon oben C.IV.4.b., sehr klar formuliert dieses Problem auch Rebhahn, DRdA 1981, 121: „Jede Typisierung bedarf aber der positiven Rechtfertigung mit Gründen, die eine Durchschnittsbetrachtung fordern oder doch für sie sprechen; nur so kann die Ungleichbehandlung gleicher Lebenslagen, die an sich ja dem [Gleichheitssatz] widerspricht, gerechtfertigt werden.“ (Hervorhebungen nicht im Original). 265 S oben D.I.4. 266 S zB VfSlg 9374/1982, wonach es dem Gesetzgeber freisteht, Begünstigungen (also Ungleichbehandlungen) zu schaffen, „dies allerdings unter Berücksichtigung des aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließenden Sachlichkeitsgebotes [...]. Die Rechtsvermutung des § 34 Abs 3 letzter Satz EStG […], welche […] undifferenziert eine Besserstellung von geschiedenen Ehegatten bewirkt, verstößt […] gegen das Sachlichkeitsgebot. Der Umstand, daß die Rechtsvermutung ohne jede weitere Differenzierung alle Geschiedenen erfaßt, hat ihre Verfassungswidrigkeit auch unter den Aspekten [der Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Situation Geschiedener und getrennt lebender Verheirateter] zur Folge“; VfSlg 13.084/ 1992: „Das dem Gleichheitsgebot immanente Sachlichkeitsgebot verwehrt es dem Gesetzgeber insbesondere, Auslandsösterreicher gegenüber Ausländern desselben Wohnsitzstaates zu diskriminieren“; s auch das bei Raschauer, Allgemeiner Teil Rz 166, genannte Erkenntnis VfSlg 12.378/1990, wonach es sachlich ist, das Hypothekenbankgeschäft gesetzlichen Aktienbanken vorzubehalten (diese also anders als andere Banken zu behandeln); s weiters die ebd genannten Erkenntnisse VfSlg 14.167/1995, 14.435/1996, nach denen es unsachlich ist, wenn einem praktischen Arzt die gleichzeitige Tätigkeit als Facharzt verwehrt, die Ausübung mehrerer fachärztlicher Tätigkeiten nebeneinander aber zugelassen wird: Auch hier wird eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem beanstandet. 267 S zB das Erkenntnis VfSlg 14.191/1995, in dem der Gerichtshof das sog Quotensystem prüfte, demzufolge jährlich bloß einer beschränkten Zahl von Fremden eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird. Der Gerichtshof sah es als „keineswegs sachfremd“ an, die Einwanderungspolitik in dieser Weise zu steuern, mag dieses System der zahlenmäßigen Beschränkung es auch, wie der VfGH einräumte, „geradezu notwendig mit sich [brin-
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lich subsumiert der VfGH dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot auch Fälle, in denen der Gesetzgeber wesentliche Unterschiede nicht berücksichtigt, also eine zu wenig differenzierte Regelung getroffen hat oder eine Vorschrift, die für einen Teil der Normadressaten zu einer unzumutbaren Belastung führt268. Wenn sich der VfGH in derartigen Konstellationen nicht einfach auf den allgemeinen Gleichheitssatz, sondern auf das ihm „immanente Sachlichkeitsgebot“ stützt, mag dies zum Teil darauf beruhen, dass eine Regelung ihre allfällige Legitimation von vornherein nicht aus gleichen oder unterschiedlichen Eigenschaften der Vergleichsgruppen bezieht. Aus einem Vergleich dieser Gruppen ist für die Sachlichkeit der Regelung dann nichts zu gewinnen269. In manchen Fällen mag die Berufung auf das Sachlichkeitsgebot ihren Grund auch bloß darin haben, dass die Auswahl aus dem Fundus der vorhandenen Gleichheitsformeln nicht immer mit Bedacht erfolgt. Letztlich scheint aber nicht von Belang zu sein, unter welchem Titel der VfGH eine Gleichheitsprüfung abführt, solange er zum Gegenstand einer solchen Prüfung die Frage macht, ob der Gesetzgeber eine zulässige Ungleich- oder Gleichbehandlung vorgenommen hat. Was der VfGH in diesen Fällen „überspringt“, ist nur der erste Schritt der Gleichheitsprüfung, also die Feststellung, dass eine begründungsbedürftige Gleich- oder Ungleichbehandlung vorliegt. Sehr wohl erörtert wird hingegen die – entscheidende – Frage, ob und warum diese Regelung gleichheitskonform oder gleichheitswidrig ist. Einige Beispiele mögen genügen, um dies zu veranschaulichen: Wenn der VfGH am allgemeinen Sachlichkeitsgebot prüft, ob es gerechtfertigt ist, den Verpächter für die Schulden des Pächters einstehen zu ____________________
gen], daß ein bestimmter Teil grundsätzlich gleichgelagerter Einwanderungsfälle unterschiedlich behandelt, also je nachdem positiv oder negativ erledigt wird, ob die nach dem jeweiligen Bundesland in Betracht kommende Quote schon ausgeschöpft ist oder nicht“ (Hervorhebungen im Original). 268 S etwa das bereits oben (FN 255) erwähnte Erkenntnis VfSlg 13.781/1994 betreffend das Verbot der postalischen Meldung. 269 S auch Holoubek, ÖZW 1991, 81, der es nicht für ausschlaggebend hält, ob es „bei der Frage nach dem sachlichen Grund der Ungleichbehandlung darum geht, Unterschiede im Tatsächlichen zu finden, die eine diesbezügliche wesentliche Ungleichheit der verglichenen Sachverhalte erweisen sollen, oder ob einfach nach einem vernünftigen, objektiv-rationalen Grund für eine bestehende rechtliche Ungleichbehandlung gefragt wird“. Dem ist zuzustimmen, allerdings mit einer Ergänzung: Soweit sich eine Ungleichbehandlung auf wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen stützt, greift sie nicht in den Gleichheitssatz ein; für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ist dementsprechend auch kein Raum. Differenziert der Gesetzgeber hingegen aus externen Zwecken, die mit den individuellen Voraussetzungen der Vergleichsgruppen nichts zu tun haben, so liegt ein Eingriff in den Gleichheitssatz vor, näherhin in das Recht, in gleicher Lage gleich behandelt zu werden. Dogmatisch sind die beiden Differenzierungsarten, die Holoubek nennt, also unterschiedlich zu verarbeiten. Die erste ist jedenfalls gleichheitskonform, die zweite nur, wenn dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen ist.
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
lassen270, dann kann man darin durchaus ein klassisches Gleichheitsproblem sehen. Die Frage, die sich bei einer solchen Prüfung stellt, lautet: Warum wird der Verpächter, der keine Schulden hat, so behandelt, als hätte er sie, warum wird er also gleich behandelt wie der Pächter? Diese Frage lässt sich auch von der anderen Seite her formulieren: Warum haftet ausgerechnet der Verpächter für die Schulden des Pächters, warum trägt den Abgabenausfall nicht auch jeder andere, mithin die Allgemeinheit?271 Auch wenn der VfGH dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot ein Verbot exzessiv hoher Strafbestimmungen entnimmt272, kann darin unter bestimmten Voraussetzungen ein herkömmliches Gleichheitsproblem gesehen werden. Solange nämlich das Urteil der Exzessivität nur ausgesprochen wird, wenn der Gesetzgeber für eine Tat eine wesentlich höhere Strafe vorsieht als für andere vergleichbare Taten, wird eigentlich nur der Vorwurf erhoben, der Gesetzgeber habe Gleiches gravierend ungleich behandelt273. Eine Ungleichbehandlung wird auch geprüft, wenn der VfGH feststellt, Abgabepflichtigen dürften nicht nur Verpflichtungen auferlegt werden, die eine Verkürzung der Abgabe verhindern; vielmehr müsse auch dafür gesorgt sein, dass die für die Abgabenbemessung nach den materiellrechtlichen Abgabenvorschriften maßgeblichen Umstände in objektiver Weise und daher auch zugunsten des Abgabepflichtigen festgestellt werden können274. Solange damit nur gesagt sein soll, dass der Gesetzgeber zu hohe und zu niedrige Abgabenbemessungen gleich behandeln, also entweder in beiden Fällen oder in keinem eine Korrektur zulassen muss, liegt hier ein klassisches Gleichheitsproblem vor. Nichts anderes gilt, wenn der Gesetzgeber als Frist für die Anfechtung der Ergebnisse eines Volksbegehrens eine Woche vorsieht275, werden hier doch an die Anfechtung vor und nach Ablauf dieser Frist ungleiche Rechtsfolgen geknüpft276. Ein Vergleich mit an____________________
270 S VfSlg 11.921/1988; s auch Holoubek, ÖZW 1991, 75 f; näher zur Judikatur betreffend die Haftung für Abgabenschulden Dritter unten E.IV.4.d. 271 S auch Holoubek, ÖZW 1991, 80 FN 103, der die Ungleichbehandlung darin sieht, dass eine bestimmte Personengruppe verglichen mit der Gesamtheit der Steuerpflichtigen herangezogen wird; ebenso Korinek/Holoubek, Abgabenrecht 84, und Ruppe, Steuerrecht 122 f. 272 S zB VfSlg 10.597/1985, 10.904/1986, 10.926/1986, 11.587/1987, 12.240/1989, 12.763/1991; s auch Holoubek, ÖZW 1991, 75; näher zu dieser Judikaturlinie unten E.IV.4.c. 273 S auch Holoubek, ÖZW 1991, 80 f. 274 VfSlg 8726/1980, 12.734/1991, 15.029/1997. 275 Dieses Beispiel nennt Raschauer, Allgemeiner Teil Rz 166; s auch VfSlg 9234/ 1981. 276 S bereits VfSlg 5484/1967: „Die Befristung eines [...] Antragsrechts kann zu Differenzierungen führen, die die Frage nach der sachlichen Begründbarkeit aufwerfen. [...] Wird der Antrag auf Veranlagung bis zum Ende des [...] Kalenderjahres gestellt, können die Einkünfte [...] mit einem Verlust [...] ausgeglichen werden; wird der Antrag auf Ver-
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deren Anfechtungsfristen ist in einem solchen Fall kaum zielführend, dies nicht nur, weil ein solcher Vergleich das Ordnungssystem überschreiten würde277, sondern weil er von der eigentlich zu prüfenden Ungleichbehandlung (der Zulässigkeit der Anfechtung vor Fristablauf und ihrer Unzulässigkeit nach diesem Zeitpunkt) ablenken würde. Die Festsetzung einer derartigen Frist ist freilich im Regelfall das Ergebnis einer Abwägung zwischen dem Interesse des Rechtsunterworfenen, eine Anfechtung so lange wie möglich vorzunehmen und dem Interesse an der Rechtssicherheit und Verwaltungsökonomie, die durch die unbegrenzte Möglichkeit einer Anfechtung beeinträchtigt würden. Es spricht nichts dagegen, unter dem Titel des Gleichheitssatzes nachzuprüfen, ob der Gesetzgeber diese beiden widerstreitenden Interessen zu einem ausgewogenen Ausgleich gebracht hat; schließlich markiert ja gerade das Ergebnis dieser Interessenabwägung jenen Punkt, an dem die Frist und die durch sie bewirkte Ungleichbehandlung festgesetzt wird. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn der VfGH nicht jedes Mal aufs Neue darlegt, worin die durch eine Frist vorgenommene Ungleichbehandlung liegt, sondern sich direkt der dieser Frist zugrunde liegenden Interessenabwägung zuwendet278. Viele Fälle, die der VfGH unter dem Titel des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes prüft, lassen sich also auch als „klassische“ Gleichheitskonstellationen verstehen. Und doch bleibt ein Unbehagen. Denn man wird das Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht stimmt, dass die soeben vorgeführte Vergleichsrhetorik nur der Beruhigung dient, die eigentliche Problemstruktur der genannten Fälle aber zudeckt. Näheres Hinsehen zeigt, dass dieser Eindruck nicht trügt. So ist der Judikatur, die sich um die Haftung des Verpächters für die Schulden des Pächters rankt, insgesamt der Grundsatz zu entnehmen, dass eine Haftung für fremde Schulden nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zulässig ist279; der Judikatur zum Verbot exzessiv hoher Strafen, dass eine Strafe nicht außer Verhältnis zur Schuld und ____________________
anlagung jedoch nicht innerhalb dieses Zeitraumes gestellt, kann ein solcher Ausgleich nicht vorgenommen werden.“ 277 So Raschauer, Allgemeiner Teil Rz 166; zur Ordnungssystemjudikatur s noch unten D.III.1. 278 Wird hingegen für eine bestimmte Fallgruppe abweichend von der Regel eine kürzere oder längere Frist festgesetzt, dann wird in der Judikatur nach wie vor explizit ein Vergleich mit den übrigen Fallgruppen gezogen, so etwa, als § 243 Abs 3 WAO nur für Anträge über Abgabenrückzahlungen eine Devolutionsfrist vorsah, die das Vierfache der normalen Frist betrug: VfSlg 16.751/2002. In dieser Entscheidung ging der VfGH – gestützt auf das Gebot der faktischen Effizienz des Rechtsschutzes – implizit davon aus, dass die kürzere Frist grundsätzlich geboten, die längere hingegen die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme ist. Die Verlängerung der Frist war nicht für alle von ihr erfassten Fälle zur Entlastung der Abgabenbehörden erforderlich, also überschießend bzw überinklusiv. Sie wurde daher als gleichheitswidrig qualifiziert. 279 Näheres unten E.IV.4.d.
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zum Unwertgehalt der Tat stehen darf 280. Der Entscheidung, nach der Korrekturen einer unrichtig bemessenen Abgabe nicht nur zu Lasten, sondern auch zugunsten des Rechtsunterworfenen möglich sein müssen, könnte auch entnommen werden, dass die Korrektur einer unrichtig bemessenen Abgabe an sich geboten ist. Und hinter den Entscheidungen, die die Gleichheitskonformität von Fristen beurteilen, scheint die Annahme zu stehen, dass dem Rechtsunterworfenen eine angemessene Frist zur Verfolgung seiner Rechte zugebilligt werden muss. Natürlich kann man alle diese Aussagen so lange zerlegen, bis man irgendetwas mit irgendetwas anderem vergleichen kann. Löst man sich aber von diesem Vergleichsbedürfnis, dann wird sichtbar, dass der VfGH hier aus dem Gleichheitssatz bestimmte Maßstäbe ableitet, nach denen der Gesetzgeber den Rechtsunterworfenen zu behandeln hat. Man begegnet also dem dritten Unterfall des Ungleichbehandlungsgebotes: Dem Recht des Einzelnen, einem bestimmten Maßstab entsprechend behandelt zu werden, der dem einfachen Gesetzgeber vorgegeben ist281. Die Gleichheitsprüfung bekommt so eine Richtung, sie verliert sich nicht mehr in uferlosen Vergleichen, sondern geht von einem Grundsatz aus, fragt, ob dieser Grundsatz durchbrochen wird und bejahendenfalls, ob es dafür eine sachliche Rechtfertigung gibt. Die Frage, wer mit wem und mit wievielen Personengruppen überhaupt er verglichen werden kann und wie man das „richtige“ Vergleichsobjekt findet282, stellt sich hier nicht bzw sie ist schon beantwortet: Zu vergleichen ist der Grundsatz und seine Durchbrechung – sie, nicht die Ungleichbehandlung an sich bedarf einer Rechtfertigung.
2. Eindeutige Sachlichkeitsprüfung So sind die Übergänge zu Entscheidungen fließend, in denen der VfGH Vorschriften auf ihre Sachlichkeit prüft, ohne ausdrücklich oder auch nur implizit den Vorwurf zu erheben, der Gesetzgeber habe zwei Personengruppen oder Sachverhalte unzulässigerweise gleich oder ungleich behandelt. In der Literatur wird oft festgestellt, es handle sich dabei um Rechtssätze, die „wegen der Besonderheit der getroffenen Regelung kaum praktikabel mit anderen Rechtssätzen in Relation gebracht werden können“283. Der Gerichtshof untersuche die Regelung in einem solchen Fall „‚auf ihre Sachlichkeit‘, in concreto darauf, ob die Rechtsfolge dem Tat____________________
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S auch dazu noch unten E.IV.4.c. C.IV.2.b.bb., C.IV.2.d. 282 D.I.1. 283 Korinek, FS Melichar 48 f; s auch Holoubek, ÖZW 1991, 72; Mayer, B-VG Art 2 StGG III.1. 281
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bestand der zu prüfenden Norm entspricht, ob sie diesem ‚adäquat‘ ist“284 bzw darauf, ob die Regelung auf einem vernünftigen Grund beruht und verhältnismäßig ist285. Auch in diesen Fällen könne aber, wie in der Lehre zur allgemeinen Beruhigung angemerkt wird, eine vergleichende Prüfung stattfinden, und zwar durch einen Vergleich der zu prüfenden Regelung mit der gesamten Rechtsordnung, mit bestimmten Teilgebieten der Rechtsordnung286 oder mit einer Nicht-Regelung287, mag dieser Weg des Normvergleichs auch, wie dann noch nachgesetzt wird, realiter kaum gegangen werden288. Insofern wird diese Judikatur in der Literatur zum Teil gebilligt289, zum Teil wird sie als vertretbar qualifiziert, sofern sie einzelne „Schritte“ der Gleichheitsprüfung überspringt, weil diese gewissermaßen evident sind290. Von manchen wird die Sachlichkeitsprüfung aber auch rundweg abgelehnt291 oder doch immerhin festgestellt, dass das allgemei____________________
284 So die Beschreibung der vergleichsfreien Sachlichkeitsprüfung bei Korinek, FS Melichar 49; s auch Thienel, Vertrauensschutz 39 FN 73; Korinek/Holoubek, Abgabenrecht 83 f; Bernegger, Gleichheitsgrundsatz 731; Grabenwarter, Selbstanzeige 97. 285 Holoubek, ÖZW 1991, 72 ff; ebenso Grabenwarter, Selbstanzeige 96; s auch Raschauer, Verwaltungsrecht 2 Rz 661, nach dem unter dem Titel des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes zu prüfen ist, ob eine „Regelung – unabhängig vom Vorgang des Vergleichens – in einer die tatsächlichen Gegebenheiten berücksichtigenden Weise, in sich stimmig und in einer zur Erreichung des betreffenden Zieles adäquaten Weise ausgestaltet“ ist; ebenso ders, Allgemeiner Teil Rz 166; s auch Mayer, B-VG Art 2 StGG IV.1., V.2., nach dem in einem ersten Schritt festzustellen sei, ob die Relation von Sachverhalt und Rechtsfolge auf einem vernünftigen Grund beruht; bejahendenfalls sei weiter zu fragen, ob die an sich sachlich gerechtfertigte Regelung auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, ob die Rechtsfolge also in einem ausgewogenen Verhältnis zum erfassten Sachverhalt steht. In diesem Sinn stellt der VfGH etwa im Zusammenhang mit Strafbestimmungen immer wieder fest, die Relation des inkriminierten Verhaltens zur vorgesehenen Rechtsfolge müsse sachlich begründbar sein (VfSlg 9901/1983, 10.597/1985, 10.904/1986). 286 Gassner, Gleichheitssatz 3; zustimmend Korinek, FS Melichar 49; s auch dens/ Holoubek, Abgabenrecht 84; Holoubek, ÖZW 1991, 80. 287 Holoubek, ÖZW 1991, 80, nach dem die inkriminierte Regelung, schon um festzustellen, ob überhaupt eine „rechtliche Ungleichbehandlung“ vorliegt, mit einer anderen Vorschrift, mit einem anderen Rechtsbereich oder überhaupt mit einer Nicht-Regelung verglichen werden müsse. 288 Korinek, FS Melichar 49, der richtig darauf hinweist, dass „das Sachlichkeitsgebot häufig absolutiert und in praxi vom Gleichheitsgebot abstrahiert“ wird. 289 Gassner, Gleichheitssatz 3; wohl auch Korinek, FS Melichar 49; s weiters Holoubek, ÖZW 1991, 80, der betont, dass das Vergleichen – wenn auch auf sehr abstrakter Stufe – immer erfolgen müsse, wenn man das Verständnis des Gleichheitsgrundsatzes als „Relationsbegriff“ nicht aufgeben will. 290 Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 767, allerdings mit dem Zusatz, dass die Überlegungen des VfGH bei einem solchen Gedankensprung an Rationalität und Nachvollziehbarkeit verlören. 291 Noll, Sachlichkeit 192: „Heute wie früher ist die Umbildung des ‚allgemeinen Gleichheitssatzes‘ in ein allgemeines Sachlichkeitsgebot aus der Verfassung selbst nicht herleitbar“; ebenso Somek, Rationalität 3: „Der VfGH hat sich jeder Anwendung des
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ne Sachlichkeitsgebot über das subjektive Recht des Einzelnen auf Gleichheit hinausreiche292. Übereinstimmung dürfte in der Literatur wieder darüber bestehen, dass diese Form der Sachlichkeitsprüfung „zu einer Vergrößerung des nicht oder nur sehr bedingt rationalisierbaren und nachprüfbaren Wertungsspielraums des Verfassungsgerichtshofes“ führt293, dass „die Frage, ob es für eine gesetzliche Regelung sachliche Gründe gibt oder nicht, [...] letztlich die entscheidende rechtspolitische Frage [ist], die sich jeder Gesetzgeber in erster Linie selbst zu stellen hat und die in einer Demokratie auch dem Gesetzgeber überantwortet ist“294, oder noch schärfer: „Ein auf diese Weise seiner inneren gedanklichen Struktur entgrenzter Gleichheitssatz wird zu einem Prüfungsmaßstab, der dem VfGH nahezu jede beliebige Entscheidung erlaubt: Gleichheitswidrig ist eine Regelung, wenn sie der Mehrheit der Richter des VfGH unvernünftig, unplausibel oder auch nur unnötig erscheint“295. ____________________
Gleichheitsrechts zu enthalten, in der dieses als Gebot der Sachgerechtigkeit verstanden wird. Ein solches Verständnis des Gleichheitsrechts lässt sich nicht allgemein rechtfertigen.“ 292 S etwa U. Davy, ÖJZ 1986, 299; Potacs, Auslegung 287; skeptisch zur gleichheitsrechtlichen Begründbarkeit des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes auch Novak, FS Winkler (1989) 58, der die Sachlichkeit als „objektiv“ und als „vergleichs-unabhängig“ bezeichnet; ebenso Stoll, ÖStZ 1989, 193 f; Bedenken gegen die Judikatur äußern in dieser Hinsicht auch Mayer, ÖJZ 1980, 343, und Thienel, Vertrauensschutz 39 FN 73; s weiters Öhlinger, FS Melichar 143, nach dem das allgemeine Gebot der Sachlichkeit „im wesentlichen richterliche Rechtsschöpfung [ist], die mit einer subsumtionsartigen Anwendung des Verfassungstextes offenkundig nichts mehr gemein hat“; Berka, Art 7 B-VG Rz 33, der für zweifelhaft hält, ob die „Bedeutungserweiterung des Gleichbehandlungsgebots zu einem umfassenden Sachlichkeitsgebot noch vom Sinngehalt des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes gedeckt ist, der im Prinzip auf Gleichbehandlung, dh auf ein Vergleichen, angelegt ist und nicht auf eine Gewährleistung von Sachlichkeit schlechthin“, sowie Raschauer, Allgemeiner Teil Rz 166, nach dem sich das allgemeine Sachlichkeitsgebot „nicht mehr unmittelbar aus der Interpretation des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes erschließt, sondern einen Stand der Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung darstellt.“ 293 Korinek, FS Melichar 49; s auch Korinek/Holoubek, Abgabenrecht 84. 294 Berka, Grundrechte Rz 912; ders, Art 7 B-VG Rz 33; in diese Richtung zielt wohl auch die Feststellung Wiederins, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 98 FN 372, das allgemeine Sachlichkeitsgebot werfe die schon oft thematisierte Frage nach dem Verhältnis zwischen demokratisch legitimiertem Gesetzgeber und Verfassungsgerichtsbarkeit auf. Früher setzen ähnliche Bedenken von Groiss/Schantl/Welan, ÖJZ 1975, 372, gegen die Annahme des VfGH ein, der Gleichheitssatz verbiete unsachliche Differenzierungen; dadurch habe die Rechtsprechung die „Gleichheit [...] zur Sachlichkeit transformiert. [...] Sachlich ist das, was der VfGH als zureichenden Grund für eine Differenzierung ansieht. Diese ‚Versachlichung‘ des Gleichheitsgrundsatzes iS einer Operationalisierung und Objektivierung soll trotz aller Relativität und Subjektivität, die mit der Konkretisierung des Gleichheitsgrundsatzes verbunden bleibt, nicht unterschätzt werden. Die stufenweise Abfolge der nachprüfenden Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes [...] macht die subjektiv gefällten und gefärbten Entscheidungen intersubjektiv nachvollziehbar und kontrollierbar. Darin, nur darin liegt die Objektivität oder zumindest Plausibilität der Judikatur.“ 295 Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 767; ebenso Noll, Sachlichkeit 191.
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Alles in allem scheint sich die Lehre nicht recht entscheiden zu können, wie sie es mit dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot halten soll: Die Beruhigungsformeln (ein Vergleich sei ja in Wahrheit doch möglich, die Sachlichkeitsprüfung überspringe nur einzelne Prüfungsschritte) zeigen einerseits, dass man das Sachlichkeitsgebot nicht völlig verwerfen will. Die mahnenden Worte, der VfGH erweitere mit der Sachlichkeitsprüfung seinen Wertungsspielraum, artikulieren andererseits ein deutliches Unbehagen. Diese Ambivalenz ist vielleicht nur der Tatsache geschuldet, dass es die eine Sachlichkeitsprüfung nicht gibt. Richtigerweise sind in dieser Hinsicht zumindest drei Fallgruppen voneinander zu unterscheiden: a. Sachlichkeitsgebot als Substitut für Freiheit Erstens gehören hierher Fälle, in denen der VfGH dem Rechtsunterworfenen auferlegte Belastungen auf ihre Sachlichkeit prüft, ohne dass es dabei auf einen Vergleich mit anderen Belastungen oder auch mit nicht belasteten Rechtsunterworfenen ankäme. So hat der VfGH etwa die Pflicht, Sicherheitsgurte anzulegen, auf ihre Verhältnismäßigkeit kontrolliert und als zulässig qualifiziert296. Ebenso hat er einem Radfahrverbot im Wald attestiert, mit dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot vereinbar zu sein297. Auch im Verbot, Wein in Tetrapak an den Verbraucher abzugeben, sah der Gerichtshof keine Überreaktion des Gesetzgebers auf den sog Weinskandal, „ist das Anliegen, das Ansehen des österreichischen Weines im In- und Ausland zu fördern, doch volkswirtschaftlich so bedeutsam, daß die mit dem getroffenen Verbot verbundenen Beschwernisse vertretbar und adäquat sind“298. Problematisch an solchen Entscheidungen ist mE weniger, dass die Überlegungen des VfGH, nur weil sie auf keinem Vergleich beruhen, nicht rational oder nicht nachvollziehbar wären299. Der Vergleich an sich verbürgt die Nachvollziehbarkeit einer Begründung noch nicht. Es gibt, wie gezeigt, auch Ungleichbehandlungen, die sich von vornherein nicht auf Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen stützen, die aber dennoch aus anderen Gründen gerechtfertigt sind300. Ob dies der Fall ist, kann dann ebenso wenig durch einen Vergleich entschieden werden wie in den ____________________
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VfSlg 11.917/1988. VfSlg 12.998/1992. 298 VfSlg 11.369/1987. 299 S auch Holoubek, ÖZW 1991, 81, der zutreffend darauf hinweist, dass die Gleichheitsprüfung in demselben Maß rationalisierbar ist wie sonstige Grundrechtsprüfungen, wenn man nach der Formel vorgeht, dass Ungleichbehandlungen auf einem vernünftigen Grund beruhen und überdies verhältnismäßig sein müssen. 300 S schon oben C.IV.4.b., C.V., D.I.4. 297
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hier genannten Erkenntnissen. Die Frage, die sich in diesen Fällen stellt, ist viel eher, ob der allgemeine Gleichheitssatz auf sie überhaupt zur Anwendung kommen kann. Zwar ließe sich sagen, theoretisch liege letztlich doch eine Ungleichbehandlung vor, schließlich könne man die jeweilige Belastung mit der restlichen Rechtsordnung oder genauer: mit allem vergleichen, was dem Einzelnen nicht verboten ist. Und tatsächlich nimmt die Lehre zum Teil auch ausdrücklich an, dass im Rahmen der Gleichheitsprüfung eine Norm auch mit der „allgemeinen Handlungsfreiheit“ verglichen werden könne, so etwa, wenn geprüft wird, ob ein Rauchverbot in öffentlichen Räumen zulässig ist oder nicht301. Ein derartiger Vergleich macht allerdings den allgemeinen Gleichheitssatz selbst zu einem Freiheitsrecht302, wie sich gerade an dem Beispiel des Rauchverbotes zeigt: Anders als im oben erwähnten Fall der Haftung für fremde Schulden – in dem die Frage zu stellen ist: warum haftet gerade der Verpächter? – stellt sich hier nicht die Frage, warum gerade dem Raucher das Rauchen verboten ist, sondern man fragt, warum das Rauchen verboten ist. Man könnte vielleicht noch hinzufügen: Warum ist das Rauchen verboten und nicht auch der Konsum alkoholischer Getränke? Was unterscheidet das Rauchen so sehr vom Trinken oder von allen anderen erlaubten Verhaltensweisen, dass gerechtfertigt werden könnte, dieses zu verbieten, jene aber zu erlauben? Dass hier aber – ungeachtet der gleichheitsrechtlich formulierten Fragestellung – in Wahrheit ein Freiheitsproblem vorliegt, wird offenkundig, wenn man bedenkt, was der Raucher eigentlich will: Ihn stört nicht primär, dass der Trinker trinken darf (vielleicht trinkt der Raucher sogar selbst). Ihn stört, dass er in seiner Freiheit, zu rauchen beschränkt wird. Sein Unbehagen würde daher nicht beseitigt, wenn der Gesetzgeber in das Verbot auch das Trinken einbezöge (möglicherweise würde das Unbehagen ____________________
301 Berka, Grundrechte Rz 922; ders, Art 7 B-VG Rz 45; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 762. 302 Vgl schon den Befund von Novak, JBl 1992, 483, das Sachlichkeitsgebot sei ein „Ersatz für die in der österr Grundrechtsordnung fehlende allgemeine Handlungsfreiheit“; ebenso Potacs, ZfV 1994, 555; s auch Holoubek, Gewährleistungspflichten 365 ff, der – ausgehend von der Prämisse, das allgemeine Sachlichkeitsgebot binde Beschränkungen von Rechtspositionen an einen guten Grund und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – konsequenterweise annimmt, dass diese unbenannten Rechtspositionen unter der Bezeichnung „allgemeine Handlungsfreiheit“ zusammengefasst und als durch das Sachlichkeitsgebot geschützt angesehen werden können; anders Merli, JBl 1994, 316 f, der für eine Trennung der allgemeinen Handlungsfreiheit einerseits und des Sachlichkeitsgebots andererseits plädiert; erstere sei durch die Rechtsordnung „vorausgesetzt“ und begründe ein subjektives Recht; das allgemeine Sachlichkeitsgebot hingegen schütze – akzessorisch – vor unsachlichen Eingriffen in dieses Recht. S schließlich Barfuss, ÖJZ 1989, 677, der meint, es sei eine eher theoretische, sekundäre Frage, ob man das zulässige Maß einer Freiheitsbeschränkung aus einer mehr materiellen Auffassung vom Gesetzesvorbehalt ableitet oder aber aus einer dem Gleichheitsgrundsatz entnommenen Sachlichkeitsprüfung.
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dadurch sogar erhöht), sondern erst, wenn der Gesetzgeber den Raucher wieder rauchen lässt, wo es ihm gefällt. In den oben genannten Fällen liegen die Dinge nicht anders: Wer sich über die Gurtenpflicht beschwert, will von ihr befreit werden, er will nicht, dass sie auf öffentliche Verkehrsmittel ausgedehnt wird. Wer das Verbot bekämpft, Wein in Tetrapak an den Verbraucher abzugeben, dem geht es nicht darum, dass Wein auch nicht mehr in Plastikflaschen abgegeben werden darf, sondern darum, dass das ursprüngliche Verbot beseitigt wird. Dass es hier um die Geltendmachung eines Freiheitsrechts, nicht aber um ein Gleichheitsproblem geht, zeigt schließlich auch die Tatsache, dass ein Vergleich mit der gesamten Rechtsordnung bzw mit allen Handlungen, die dem Einzelnen nicht verboten sind, gar nicht gezogen werden kann. Denn die Zahl der erlaubten Handlungen ist unendlich. Was sie von der verbotenen Handlung unterscheidet, ist folglich nicht zu beantworten. Kontrollierbar wäre ein Rauchverbot, eine Gurtenpflicht oder ein Verbot, Wein in Tetrapak an den Verbraucher abzugeben, nur dann, wenn man annähme, dass die Verfassung dem Einzelnen ein Prima-facie-Recht darauf einräumt, in seiner Freiheit, diese Handlungen zu setzen, nicht unverhältnismäßig beschränkt zu werden. Gäbe es ein solches Recht303, dann wäre nur zu begründen, warum dieses eine Verbot für sich genommen im öffentlichen Interesse gelegen, zur Zielerreichung geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist. Warum nicht auch jede andere denkbare Handlung verboten ist, bedürfte hingegen keiner weiteren Begründung. Ob der allgemeine Gleichheitssatz dem Einzelnen ein solches Prima-facie-Recht einräumt, nicht in seiner Handlungsfreiheit beschränkt zu werden, kann nur durch eine systematische Interpretation geklärt werden, insbesondere durch eine Analyse des Verhältnisses, in dem Gleichheit und Freiheit ganz allgemein zueinander stehen304. b. Sonstige Prima-facie-Rechte Von den erörterten Fällen, in denen der VfGH den Gleichheitssatz im Ergebnis als eine Freiheitsgarantie versteht – sei es, dass er auf diese Weise verfassungsgesetzlich ausdrücklich garantierte Freiheitsrechte verdoppelt, sei es, dass er eine in der Verfassung jedenfalls nicht explizit gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit surrogiert – sind Fälle zu unterscheiden, in denen sich ein Vergleich weder mit der Handlungsfreiheit noch mit sonstigen Rechtsnormen ziehen lässt und in denen es auf einen solchen – dem ____________________
303 Im Fall des Verbotes, Wein in Tetrapak abzugeben, bestand ein solches Recht: Art 6 StGG; im Fall des Rauchverbotes könnte noch an Art 8 EMRK gedacht werden; im Fall der Gurtenpflicht aber wohl nicht mehr. 304 S dazu unten F.II.1. und 2.
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Gleichheitssatz oft als logisch immanent zugeschriebenen305 – Vergleich auch gar nicht ankommt. Hierher gehört etwa die Feststellung, eine Regelung sei unsachlich, wenn sie die Erlangung von Rechtsschutz mühsam macht oder unnötig erschwert306. Unsachlich sei es auch, wenn nur der Gerichtsvorsteher, nicht hingegen der entscheidungsbefugte Richter Akteneinsicht gewähren könne307. Eine Vorschrift, die eine effektive Vertretung der Parteiinteressen in einem Verfahren verhindert, verletze nicht nur Art 6 EMRK; sie überschreite auch die Grenzen der Sachlichkeit und verstoße damit gegen den Gleichheitssatz308. Ist eine Habilitationskommission so besetzt, dass die nicht habilitierten Mitglieder in der Frage der wissenschaftlichen Qualifikation des Habilitationswerbers die habilitierten Mitglieder überstimmen können, sei das Sachlichkeitsgebot verletzt309. Gleiches gelte für eine Regelung, die dazu führt, dass eine Partei, die ihrem berufsmäßigen Parteienvertreter Informationen erteilt, Gefahr läuft, Beweismittel gegen sich selbst zu schaffen310. Wem die Rechtsordnung subjektive Rechte einräumt, dem müssten nach dem Sachlichkeitsgebot „in aller Regel“ auch Parteirechte zukommen311. Nur aus besonderen Gründen dürfe die Behörde an die Ergebnisse von Verfahren gebunden werden, an denen sich der Betroffene nicht beteiligen konnte312. Hierher rechnen schließlich auch die bereits erwähnten Entscheidungen zur Selbstbemessungsabgabe313, sofern man ____________________
305 Vgl etwa Ruppe, Steuerrecht 122, nach dem die Prüfung von Vergleichspaaren dem Gleichheitssatz „logischerweise innewohn[t]“; Berka, Art 7 B-VG Rz 33, nach dem der Gleichheitssatz „im Prinzip auf Gleichbehandlung, dh auf ein Vergleichen angelegt ist“; Öhlinger, Verfassungrecht 7 Rz 767, der in dieser Hinsicht von der „inneren gedanklichen Struktur“ des Gleichheitssatzes spricht; s auch die oft (etwa bei Gassner, Gleichheitssatz 3; Korinek, FS Melichar 44; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 605; Holoubek, ÖZW 1991, 80) zitierte Feststellung von Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 648: „Gleichheit ist ein Relationsbegriff. Die Anwendung des Gleichheitssatzes setzt zwei oder mehrere Gegebenheiten voraus, die miteinander verglichen werden können.“ 306 VfSlg 14.039/1995. Dazu noch unten H.VI.3. 307 VfSlg 13.581/1993. 308 VfSlg 10.291/1984. 309 VfSlg 14.362/1995. 310 VfSlg 10.291/1984; s auch VfSlg 10.394/1985, 10.505/1985: Auskunftspflichten, die im Ergebnis zu strafrechtlicher Selbstbeschuldigung zwingen, verletzen den Gleichheitssatz. 311 VfSlg 11.934/1988, 12.240/1989, 13.646/1993, s auch VfSlg 15.123/1998, sowie zuvor VfSlg 8279/1978, wonach der Gesetzgeber im Hinblick auf seine Pflicht zu differenzierter Behandlung bei verschiedenen tatsächlichen Gegebenheiten gegen das Gleichheitsgebot verstoße, wenn er Parteirechte unterschiedslos nicht einräume; dann wieder VfSlg 12.465/1990, 13.013/1992, wonach es weitgehend im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liege, welchem von einem Verwaltungsverfahren Betroffenen er eine gesicherte Verfahrensposition einräumt. Zu alldem näher unten H.VI.2. 312 VfSlg 11.934/1988. 313 VfSlg 8726/1980, 12.734/1991, 15.029/1997, s auch VfSlg 11.635/1988 sowie schon oben bei FN 274.
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ihnen entnimmt, dass eine unrichtige Abgabenbemessung – sei sie zu hoch, sei sie zu niedrig – jedenfalls korrigiert werden können muss. In all diesen Fällen kommt es nicht darauf an, wie der Gesetzgeber den Rechtsschutz innerhalb der Rechtsordnung sonst ausgestaltet, ob er in anderen Verfahren eine effektive Vertretung der Interessen der Partei ermöglicht und wann er dem Rechtsunterworfenen Parteistellung zugesteht. Der Einzelne hat also nicht bloß derivative Rechte, er kann Rechtsschutz nicht nur verlangen, wenn, soweit und weil er auch anderen in vergleichbaren Situationen gewährt ist. Diese Rechte kommen ihm vielmehr unabhängig davon zu, ob sich vergleichbare Verfahrenspositionen in der Rechtsordnung überhaupt finden. Der Gesetzgeber kann sich daher in Fällen wie diesen von dem Verdikt der Gleichheitswidrigkeit gerade nicht befreien, indem er das allgemeine Rechtsschutzniveau auf jenes der beanstandeten Norm senkt. Er würde im Gegenteil die Gleichheitswidrigkeit durch eine solche Vorgangsweise nur weiter vertiefen. Korrigiert werden kann die Gleichheitswidrigkeit – nicht anders als eine unzulässige Freiheitsbeschränkung oder die Verletzung eines Verfahrensrechts – nur durch die Beseitigung der inkriminierten Bestimmung selbst. Der allgemeine Gleichheitssatz vermittelt in Fällen wie diesen keine komparativen Rechte314. Er gewährt allerdings, wie die Judikatur zeigt, auch nicht durchwegs absolute Rechte315, die keinesfalls beschränkt werden dürften: Ein effizienter Rechtsschutz ist nur prima facie gewährt; wem die Rechtsordnung subjektive Rechte einräumt, dem müssen nur „in aller Regel“ auch Parteirechte zukommen; aus besonderen Gründen darf die Behörde auch an das Ergebnis eines Verfahrens gebunden werden, an dem der Betroffene nicht beteiligt war etc. In grundsätzlich vergleichbarer Weise nimmt der VfGH auch an, dass es unsachlich sei, „wenn jemand verhalten wird, für etwas einzustehen, womit ihn nichts verbindet, [...] also auch für Umstände, die außerhalb seiner Interessen- und Einflußsphäre liegen“316. Ganz allgemein wird der Verfassung der „Grundsatz“ entnommen, „daß strafgerichtliche Verantwortlichkeit nur an eigenes Verhalten geknüpft sein darf“317. Unsachlich sei es ____________________
314 Als besonders anschauliches Beispiel eines komparativen Gleichheitsrechts nennt Krebs, Egalitarismus 53, den Satz: „Alle Anwesenden sollen ein gleich großes Stück Kuchen erhalten.“ Dieser Satz lässt offen, wie groß das Stück Kuchen sein soll, das jeder bekommt, und er schließt auch nicht aus, dass niemand ein Stück Kuchen erhält: Wird aber einem ein Stück Kuchen gegeben, dann müssen alle anderen ein gleich großes Stück bekommen. S auch Schramme, DZPhil 2003, 257. 315 Ein derart absolutes Recht würde etwa, um bei Krebs, Egalitarismus 53 f, zu bleiben, durch den Satz gewährt: „Jeder Anwesende soll satt werden.“ Die Gleichheit ist in diesem Fall ein Nebenprodukt, zentral und entscheidend ist, dass Sättigung eintritt: Der Einzelne soll also nicht satt werden, weil auch ein anderer satt geworden ist; er soll jedenfalls satt werden, unabhängig davon, was mit anderen geschieht. 316 VfSlg 5318/1966 (Hervorhebung nicht im Original). Dazu noch näher E.IV.4.d. 317 VfSlg 15.200/1998. Dazu näher unten E.IV.4.c.
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weiters, jemandem eine Arbeitsbewilligung pauschal zu verwehren, wenn er eine Beschäftigung vor Erteilung der dazu erforderlichen Bewilligung aufgenommen hat, ohne dass es darauf ankäme, warum und wie lange die Entscheidung über den Bewilligungsantrag ausgeblieben ist318. Auch hier werden dem Einzelnen nichtkomparative Prima-facie-Rechte zugesprochen. Greift der Gesetzgeber in diese Rechte ohne vernünftigen Grund und in unverhältnismäßiger Weise ein, dann könnte er diese Gleichheitsverletzung gerade nicht korrigieren, indem er die inkriminierte Behandlung ausdehnt, eine Haftung für fremdes Verhalten etwa zum Grundsatz erhebt. Die Sachlichkeitsprüfung wird dementsprechend auch nicht durch einen Vergleich entschieden; es wird vielmehr gefragt, ob eine Norm den erwähnten Grundsätzen „entspricht“319. Tut sie dies nicht und lässt sich dafür keine Rechtfertigung finden, dann wird ihre Unsachlichkeit konstatiert. Bisweilen lehnt der VfGH einen Vergleich mit anderen Normen auch explizit ab, so etwa wenn der Gesetzgeber festlegt, wie ein Selbstverwaltungsorgan zu wählen ist: Aus einem Vergleich dieser Regelung mit Wahlvorschriften für Organe anderer Selbstverwaltungsträger sei nichts zu gewinnen. Wohl aber sei der Gesetzgeber bei der Statuierung dieser Wahlvorschriften an das aus dem Gleichheitssatz erfließende Sachlichkeitsgebot gebunden, das ihm allerdings einen weiten Gestaltungsspielraum belässt320. Der Gesetzgeber sei nicht gehalten, jedenfalls ein persönliches Wahlrecht vorzusehen; auch eine indirekte Wahl könne zulässig sein, um eine Vertretung der Interessen aller Gruppen in den obersten Organen der Selbstverwaltung zu gewährleisten. Wie intensiv die Mitwirkung der Mitglieder einer Selbstverwaltung an der Kreation ihrer obersten Organe sein muss, hänge von den Aufgaben dieser Organe und von der Auswirkung ihrer Tätigkeit auf die Rechtssphäre der Mitglieder der Selbstverwaltung ab321. Entscheidet sich der Gesetzgeber für ein Verhältniswahlsystem, so sei zwar eine möglichst exakte proportionale Verteilung der Mandate anzustreben. Doch können auch beträchtliche Abweichungen von dieser Verteilung gerechtfertigt sein, etwa um eine Repräsentation möglichst vieler Gruppen zu erreichen oder um die Zahl der Mandate nicht zu hoch werden zu lassen322. ____________________
318
VfSlg 13.120/1992. Die von Huster, Rechte 165 ff „entdeckte“ Entsprechungsprüfung (C.II.1.) findet sich also auch in der Judikatur des VfGH. S auch Somek, Rationalität 113, 160 ff. Zur Vergleichsunabhängigkeit des Schuldprinzips s auch Karollus, ÖJZ 1987, 679 f. 320 S zB VfSlg 17.023/2003, VfGH 4.10.2006, G 96/05. 321 S VfSlg 17.023/2003. 322 S zB VfGH 4.10.2006, G 96/05. 319
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Zu nennen ist hier schließlich die Judikatur zur Zulässigkeit rückwirkender Gesetze 323. Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH ist es dem Gesetzgeber – abgesehen von dem in Art 7 EMRK statuierten Verbot rückwirkender Strafvorschriften – nicht schon an sich verboten, rückwirkende Gesetze zu erlassen; eine solche Rückwirkung muss allerdings mit dem Gleichheitssatz vereinbar sein324. Dies ist, wie der VfGH in VfSlg 12.186/1989 weiter konkretisiert, nicht der Fall, wenn der Rechtsunterworfene durch „einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht“ wird und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen. Dass der VfGH hier von einem „Eingriff“ spricht und auf einen Normenvergleich verzichtet, zeigt, dass er die Rückwirkung unter den beschriebenen Voraussetzungen an sich für suspekt und damit jedenfalls für rechtfertigungsbedürftig hält325. Der Sache nach scheint also ein berechtigtes Vertrauen in die Rechtslage326 ein Prima-facie-Recht darauf zu begründen, in diesem Vertrauen nicht enttäuscht zu werden. Eingriffe in dieses Recht bedürfen einer Rechtfertigung, die umso gewichtiger sein muss, je schwerer der Eingriff wiegt327 – nicht grundsätzlich anders als dies auch bei Eingriffen in Freiheitsrechte der Fall ist328. Auf die – hier nur exemplarisch angeführten – Entscheidungen trifft die in der Lehre geläufige Feststellung, der VfGH prüfe, ob die Rechtsfolge einer Norm ihrem Tatbestand entspricht, nicht zu. Der VfGH prüft hier ____________________
323 Dazu noch näher unten H.VIII.3.a. sowie mwN Holoubek, Interpretation 77 ff; ders, Vertrauensschutz 805 ff; Ruppe, FS Adamovich 567 ff; ders, Vertrauensschutz 205 ff; s auch die Judikaturübersicht bei Berka, Art 7 B-VG Rz 97 ff; zur älteren Judikatur Novak, FS Wenger 164 ff. 324 VfSlg 2009/1950, 3336/1958, 3665/1959, 6182/1970, 7705/1975, 8195/1977, 8421/1978, 8589/1979, 8994/1980, 9483/1982. 325 Allerdings auch für rechtfertigbar; deshalb ist es überschießend, wenn in VfSlg 14.779/ 1997 von „dem aus dem Gleichheitssatz erfließenden Rückwirkungsverbot“ die Rede ist; gemeint ist, dass die Rückwirkung (unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen) prima facie verboten ist. 326 Ob ein solches Vertrauen besteht, ist nach der Judikatur von mehreren Faktoren abhängig; s dazu noch näher unten H.VIII.3. 327 S auch VfSlg 12.688/1991: „Ob und inwieweit ein sachlich nicht gerechtfertigter und damit gleichheitswidriger Eingriff vorliegt, hängt vom Ausmaß des Eingriffes und vom Gewicht der für die Rückwirkung sprechenden Gründe ab“; ebenso VfSlg 14.861/1997: „rückwirkende Gesetzesänderungen, die die Rechtsposition der Rechtsunterworfenen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, [sind] im Lichte des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig [...] für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Gesetzesänderungen [sind] die Gravität des Eingriffs sowie das Gewicht der für diesen sprechenden Gründe maßgeblich“. 328 S auch Holoubek, Vertrauensschutz 808 FN 43, der „in diesen Anwendungskonstellationen des Gleichheitsgrundsatzes auch zwischen Schutzbereich (gleichheitsrechtlich geschützte Vertrauensposition) und der Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs (‚sachliche Rechtfertigung‘) in diesen Schutzbereich“ unterscheidet.
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vielmehr, ob eine Norm konkreten Grundsätzen und Rechten entspricht, die er dem Gleichheitssatz unter dem Titel des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes entnimmt. Er verschafft dem Gleichheitssatz so einen eigenständigen Schutzbereich, in den einzugreifen dem Gesetzgeber prima facie verwehrt oder überhaupt verboten ist. Geprüft wird also zwar nicht, ob die Regelung an sich, wohl aber, ob der durch sie bewirkte Eingriff in den Gleichheitssatz „auf einem vernünftigen Grund beruht und verhältnismäßig ist.“ Diese Fälle unterscheiden sich in ihrer Problemstruktur durch nichts von den oben genannten „mehrdeutigen“ Fällen329: Auch sie lassen sich zwar, wenn man will, in Gleich- und Ungleichbehandlungen auflösen; das verstellt aber nur den Blick darauf, dass der VfGH dem Gleichheitssatz hier in Wahrheit einen bestimmten Maßstab entnimmt, nach dem der Gesetzgeber den Rechtsunterworfenen zu behandeln hat. Man begegnet damit ein weiteres Mal dem dritten Unterfall des Ungleichbehandlungsgebotes, und das bedeutet: Wer dieses Gebot als einen Inhalt des Gleichheitssatzes ansieht, hat dem Grunde nach das Sachlichkeitsgebot längst akzeptiert; wer umgekehrt das Sachlichkeitsgebot rundweg ablehnt, müsste dies konsequenterweise auch beim Ungleichbehandlungsgebot tun330. Soweit zu sehen, nimmt die Lehre aber nahezu einhellig an, dass der Gleichheitssatzsatz nicht nur ein Gleichbehandlungs-, sondern, dass er auch ein Differenzierungsgebot enthält331. Wie oben bereits gezeigt wurde, läuft das Ungleichbehandlungsgebot (in der hier bedeutsamen dritten Variante) auf die Frage hinaus, wie bzw nach welchem Maßstab der Gesetzgeber Personen zu behandeln hat332. Das kommt auch zum Ausdruck, wenn das Ungleichbehandlungsgebot als Gebot erläutert wird, Ungleiches entsprechend ungleich zu behandeln333, was nur bedeuten kann, es einem bestimmten Maßstab entsprechend zu behandeln334. Gerade solche Maßstäbe bzw Grundsätze stellt der VfGH auf, wenn er sich auf das das allgemeine Sachlichkeitsgebot beruft. Ob sie aus dem allgemeinen Gleichheitssatz wirk____________________
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D.II.1. Das geschieht etwa bei Somek, Rationalität (s dazu schon oben C.IV.2.a., C.IV.2.b.), und zwar gerade, um die oben angesprochene Konsequenz zu vermeiden. 331 S etwa Kneucker, ÖStZ 1966, 217 ff; Schantl, JBl 1968, 361; Neisser/Schantl/ Welan, ÖJZ 1969, 647; Kelsen, Rechtslehre 392 f; Walter, ZVR 1979, 38; Adamovich sen/Spanner/Adamovich, Handbuch 518; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 15; Öhlinger, EuGRZ 1982, 226; Korinek, FS Melichar 44 ff; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 603; Schambeck, ÖJZ 1992, 638; Mayer, B-VG Art 2 StGG III.1; Berka, Art 7 B-VG Rz 7, 32, Mayr, ÖZW 2001, 102 f; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 764; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1357. 332 C.IV.2.e. 333 C.IV.2.c. 334 Hier findet sich also ganz allemein, was Huster, Rechte 165 ff, als Entsprechungsprüfung kenntlich gemacht hat, s zu ihr schon oben C.V.1. 330
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lich abzuleiten sind, wird in einer systematischen Auslegung zu klären sein. Es fällt aber auf, dass diese Grundsätze zum Teil jene Rechtsbereiche betreffen, die schon die Entstehungsgeschichte als „gleichheitssensibel“ erwiesen hat und die in der Verfassung eine nähere Erläuterung gefunden haben: Dies gilt zum einen für den Bereich des Rechtsschutzes, dann aber auch für Wahlvorschriften, die ausgehend von dem demokratischen Gedanken der Gleichheit aller Mitglieder einer Gemeinschaft eine Mitbestimmung ihrer Glieder realisieren. c. Entpersonalisierte Sachlichkeitsprüfung Die dritte Gruppe von Entscheidungen, in denen eine vergleichsfreie Sachlichkeitsprüfung vorgenommen wird, steht in Zusammenhang mit organisationsrechtlichen Vorschriften. Hierher gehört zunächst die mit dem Erkenntnis VfSlg 8108/1977 einsetzende Judikatur zur Zusammenlegung von Gemeinden: Derartige Maßnahmen qualifiziert der VfGH unter Berufung auf den Gleichheitssatz als unsachlich, wenn sie zur Erreichung der angestrebten Kommunalstrukturverbesserung völlig untauglich sind oder wenn sie bloß geringfügige Vorteile, aber sehr gewichtige Nachteile mit sich bringen335. Der VfGH konstruiert damit über den Gleichheitssatz eine Art relative Bestandsgarantie für die individuelle Ortsgemeinde: Ihre Auflösung durch Zusammenlegung scheint einer Rechtfertigung zu bedürfen, die fehlschägt, wenn die Auflösung unverhältnismäßig ist336. Wie ein solches Prima-facie-Recht der Gemeinde aus dem Satz, dass alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind, abgeleitet werden kann, ist allerdings nicht erkennbar und wurde in der Judikatur auch nie dargelegt337. Wenn überhaupt, wäre eines solches Recht wohl in den Art 115 ff B-VG zu suchen338. Findet man es dort (etwa im Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden), dann erübrigt sich ein Rekurs auf den Gleichheitssatz. Findet man es dort nicht (etwa, weil die Bundesverfassung einen – dann allerdings – absoluten Bestandsschutz nur jenen Gemeinden verschafft, die sie indivi____________________
335 S zB VfSlg 9068/1981, 11.372/1987; wesentlich zurückhaltender noch VfSlg 6697/ 1972, 7830/1976. Die Judikatur ist im Detail dargestellt zB bei Pernthaler, Raumordnung III 149 ff; Stolzlechner, Art 116 Abs 1 B-VG Rz 9 ff. 336 S schon Novak, ZAS 1982, 233; Pernthaler, Raumordnung III 150. 337 Kritisch zu VfSlg 8108/1977 auch zB Spanner, JBl 1980, 306. 338 So wohl auch Pernthaler, Raumordnung III 154. Der VfGH hat dies allerdings in VfSlg 6697/1972 ausdrücklich abgelehnt: Das B-VG enthalte zwar eine Bestandsgarantie für die Gemeinde als Institution, es garantiere der konkreten Gemeinde aber keineswegs ein Recht auf „ungestörte Existenz“. In derselben Entscheidung deutet der VfGH jedoch bereits an, dass eine Gemeindezusammenlegung unsachlich sein könne, vorläufig freilich noch ohne Konsequenz und mit dem Ergebnis, dass die in Rede stehende Gemeindezusammenlegung wenn überhaupt, so nur unzweckmäßig sei; über die Zweckmäßigkeit einer gesetzlichen Bestimmung zu urteilen, biete der Gleichheitssatz aber keine Handhabe.
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duell bezeichnet339), so kann es auch nicht durch den Gleichheitssatz suppliert werden. Nichts anderes gilt für das sog Berücksichtigungsgebot, mit dem der VfGH seit dem Erkenntnis VfSlg 10.292/1984 kompetenzrechtliche Konflikte zwischen Bund und Ländern zu lösen versucht340: Diesem Gebot zufolge ist es dem Bundesgesetzgeber verwehrt Regelungen zu erlassen, die sich als sachlich nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Effektivität landesgesetzlicher Regelungen darstellen; dasselbe gelte umgekehrt im Verhältnis des Landesgesetzgebers zum Bundesgesetzgeber. Dass der VfGH hier die Wendung „sachlich nicht gerechtfertigt“ gebraucht, hat verschiedentlich den Eindruck erweckt, er stütze das Berücksichtigungsgebot auf den Gleichheitssatz341; und dieser Eindruck ist wohl durch ein in dieselbe Richtung deutendes Literaturzitat des VfGH noch verstärkt worden342. Tatsächlich meint der VfGH in dieser Entscheidung aber auch, das erwähnte Berücksichtungsgebot müsse der „den Bundesstaat konstituierenden Bundesverfassung […] unterstellt werden“; ob dies als Begründung genügt, kann hier dahin stehen343. Sollte diese Begründung aber scheitern, kann jedenfalls der Gleichheitssatz kein Lückenbüßer für sie sein. Denn es ist schlicht nicht zu sehen, warum dieses Individualgrundrecht die Abgrenzung zwischen Bundes- und Landeskompetenzen regeln sollte344. Ähnlichen Einwänden begegnet der Prüfungsbeschluss zu dem bereits erwähnten Erkenntnis VfSlg 11.190/1986345. Der VfGH rückte dort das Sachlichkeitsgebot in engen Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Effizienzgebot und zog in Erwägung, eine Regelung als unsachlich aufzuheben, weil sie schwer vollziehbar war. Im Gesetzesprüfungserkenntnis selbst wurde dieser Gedanke nicht mehr weiter verfolgt. Einige Zeit später stellte der VfGH wiederum fest, die Beleihung ausgegliederter Rechtsträger müsse wie jeder Akt der Gesetzgebung „den bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben, wie dem aus dem Gleichheitssatz erfließenden Sachlichkeitsgebot [...] oder dem verfassungsrechtlichen Effizienzgebot [...] entspre____________________
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S dazu näher Stolzlechner, Art 116 Abs 1 B-VG Rz 7. Vgl ab dann VfSlg 12.105/1989, 13.586/1993, 15.281/1998, 15.552/1999, 17.497/ 2005. 341 S zB Pernthaler, ÖZW 1985, 95 f; Schäffer, ZfV 1985, 366; Mayer, ÖJZ 1986, 519. 342 Der VfGH zitiert wörtlich Adamovich/Funk, die aus dem „Grundsatz der exklusiven Trennung der Aufgabenbereiche iVm mit dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot (Gleichheitssatz)“ eine Verpflichtung zur wechselseitigen Treue von Bund und Ländern ableiten. 343 S dazu mwN aus der Literatur Lebitsch-Buchsteiner, Rücksichtnahmepflicht. 344 Treffend meint auch Novak, FS Koja 363, man möge dem „mit mannigfachen Facetten verfassungsdogmatischer Interpretationskunst belastete[n]“ Gleichheitssatz „nicht auch noch Bauelemente des Staatsorganisationsrechts aufbürden“; in diesem Sinn auch Mayer, ÖJZ 1986, 519. 345 S D.I.8.c.
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chen.“346 In seiner Entscheidung VfSlg 17.023/2003 betreffend die Organisation des Hauptverbandes der Sozialversicherung fasst der VfGH seine bisherige Judikatur zur Ausgliederung dann dahin zusammen, dass er dem aus der Bundesverfassung ableitbaren Gebot sparsamer, wirtschaftlicher und zweckmäßiger Haushaltsführung die Bedeutung eines allgemeinen, auch die Gesetzgebung bindenden Effizienzprinzips beigemessen habe. Nach diesem mutatis mutandis auch für die Selbstverwaltungskörper geltenden Prinzip haben diese, wie der VfGH weiter feststellt, „die ihnen zugewiesenen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich sparsam, wirtschaftlich und zweckmäßig zu besorgen. Soweit daher das Effizienzgebot als eine besondere Ausprägung des Sachlichkeitsgebotes auch an den Gesetzgeber gerichtet ist, obliegt es diesem, Selbstverwaltungskörper gemessen an den ihnen übertragenen Aufgaben zweckmäßig, dh. so zu gestalten, dass eine diesen Grundsätzen entsprechende Verwaltungsführung gewährleistet ist“347. Tragend geworden ist dieser Gedanke in der genannten Entscheidung zu Recht ebenso wenig wie in jenen Fällen, in denen der VfGH die Zulässigkeit einer Ausgliederung zu beurteilen hatte348. Denn eine ineffiziente Maßnahme behandelt weder Bürger in gleicher Lage ungleich noch behandelt sie Personen gleich, obwohl zwischen ihnen ein wesentlicher Unterschied besteht. Gewiss kann man eine Regelung, die eine Ausgliederung vornimmt, mit anderen Regelungen vergleichen, die dies nicht tun; und man mag dann auch konstatieren, dass die Besorgung anderer vergleichbarer Aufgaben nicht ausgegliedert erfolgt349. Sähe man deshalb aber die die Ausgliederung vornehmende Sonderregelung als sachlich nicht gerechtfertigt und damit als gleichheitswidrig an, so müsste es dem Gesetzgeber freistehen, diese grundlose Sonderregelung entweder zu be____________________
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VfSlg 14.473/1996, 16.400/2001, 17.421/2004 (Hervorhebung nicht im Original). Hervorhebungen nicht im Original. 348 Die Ausgliederung wurde im Fall der Austro Control GmbH als zulässig qualifiziert: VfSlg 14.473/1996; die Einrichtung der Kärntner Krankenanstalten-Betriebsgesellschaft wurde hingegen als verfassungswidrig angesehen, weil sie die Diensthoheit der Landesregierung verletzte (VfSlg 15.946/2000); die Einrichtung der Bundes-Wertpapieraufsicht als selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts scheiterte, weil sie Kernaufgaben des Staates betraf, zudem war die Leitungs- und Organisationsverantwortung des BM als eines obersten Organes nicht ausreichend gesichert (VfSlg 16.400/2001); die in § 13 Abs 2 ElWOG vorgesehene Verordnungsermächtigung war verfassungswidrig, weil sie nicht bloß vereinzelte Aufgaben übertrug (VfSlg 16.995/2003); an der Übertragung von Kernaufgaben scheiterte auch die Ausgliederung von Teilen der Zivildienstverwaltung (VfSlg 17.341/ 2004); die Beleihung der Gebühreninkasso Service GmbH mit der Wahrnehmung von Aufgaben der Hoheitsverwaltung (Einhebung eines Kulturförderungsbeitrages) wurde als verfassungswidrig qualifiziert, weil die beliehene Gesellschaft nicht der Leitungsbefugnis der Landesregierung als dem obersten (dem Landtag gegenüber verantwortlichen) Organ unterstellt war (VfSlg 17.421/2004). 349 S zB Korinek, ÖZW 2000, 48; ihm folgend Kucsko-Stadlmayer, 15. ÖJT I/1 (2003) 57; Baumgartner, Ausgliederung 241. 347
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seitigen oder die dort angeordnete Ausgliederung auf alle anderen Bereiche auszudehnen. Gerade diesen zweiten Weg will der VfGH dem Gesetzgeber aber wohl gar nicht eröffnen; es sieht eher so aus, als halte er nicht die ungleichmäßig vorgenommene, sondern die Ausgliederung bzw Beleihung an sich für rechtfertigungsbedürftig. Diese Skepsis hat gewiss gute Gründe für sich. Aber diese Gründe beruhen auf staatsorganisatorischen, demokratischen und rechtsstaatlichen Erwägungen350; auf den Satz, dass alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind, lassen sie sich mE nicht stützen. Der Gleichheitssatz gewährt dem Einzelnen kein Prima-facie-Recht darauf, dass Staatsaufgaben nicht ausgegliedert oder nicht durch Beliehene besorgt werden; Ausgliederungen oder Beleihungen greifen auch in kein sonstiges nichtkomparatives Recht des Einzelnen ein, sie beeinträchtigen bloß kollektive Interessen351. Deren Schutz ist aber nicht das Anliegen des allgemeinen Gleichheitssatzes, der ein Individualrecht ist, kein Zweckmäßigkeitsprinzip352. Nicht von ungefähr ist denn auch das Effizienzgebot im B-VG nur durch Normen des objektiven Rechts statuiert353. ____________________
350 S zu den daraus resultierenden verfassungsrechtlichen Grenzen der Ausgliederung näher und mwN Baumgartner, Ausgliederung 252 ff, s auch die Gründe, aus denen der VfGH eine Ausgliederung in den in FN 348 genannten Fällen bisher beanstandet hat. 351 Ganz anders liegen die Dinge, wenn der Gesetzgeber einem ausgegliederten Rechtsträger Wettbewerbsvorteile gegenüber seinen Mitkonkurrenten einräumt, ihn etwa, wie dies bei den ÖBB der Fall war, von bestimmten Steuern und Gebühren befreit: Das ist natürlich ein Gleichheitsproblem, weil eine solche Norm wesentlich gleiche, nämlich am Markt in Konkurrenz zueinander stehende Personen ungleich behandelt und einem von ihnen ein Vorrecht verschafft, s dazu noch unten F.II.6.a.; Gleichheitsprobleme können auch entstehen, wenn sich der Staat etwa aus der Daseinsvorsorge zurückzieht, ohne dafür zu sorgen, dass diese Leistungen weiterhin auch Unbemittelten zur Verfügung stehen, s unten G.III.2.b.; s auch Rill, Staatsaufgaben 17; Kahl, Personennahverkehr 212 ff. 352 S in Bezug auf Ausgliederungen schon Wiederin, Umweltverantwortung 83 f; scharf, aber mE treffend auch Raschauer, ZfV 1999, 512: „Wer die Art 20 und 77 B-VG nicht wahrhaben will, flüchtet […] in den Gleichheitssatz und entnimmt diesem, daß Ausgliederungen dann verfassungsmäßig sind, wenn sie (unter anderem) sachlich sind – obwohl niemand angeben kann, wann eine Organisationsnorm unsachlich sein soll“; die hL ist mit dem VfGH aA, sie gesteht dem Gesetzgeber hier aber überwiegend einen erheblichen Gestaltungsspielraum und umgekehrt dem VfGH nur eine Vertretbarkeitskontrolle zu; s mwN Baumgartner, Ausgliederung 241. Zum Teil wird aber auch eine strengere Kontrolle verlangt, etwa von Rill, Kernaufgaben 102 ff, bei dem (aaO, 102) aber auch deutlich wird, dass es gerade nicht der Gleichheitssatz ist, der die Bedenken gegen Ausgliederungen auslöst: „es kann dem Verfassungsgesetzgeber nicht zugesonnen werden, ein vom demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzip getragenes Organisationskonzept einfachgesetzlicher Aushöhlung auszusetzen. Die Auflösung des Spannungsverhältnisses muss […] durch Entwicklung von Kriterien zulässiger Ausgliederung erfolgen, die aus dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot abzuleiten und am in Rede stehenden Organisationssystem orientiert sind“; s auch dens, ÖBA 1996, 754 ff: „Reicht zur Rechtfertigung einer Ausgliederung der Wertpapieraufsicht das Anliegen aus, Mängeln, die in der unmittelbaren Staatsverwaltung bestehen, durch Einrichtung eines eigenen Rechtsträgers zu entgehen? Bejaht man dies, so liegt allerdings die weitere Frage nahe, warum nicht auch andere Behörden ausgegliedert werden sollen. Letztlich wird die Staatsverwaltung als solche in Frage
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d. Résumé Betrachtet man die Fallkonstellationen, die der VfGH unter dem Titel des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes abhandelt, näher, dann wird die Ambivalenz, mit der die Lehre dieser Judikatur gegenübersteht, verständlich. In der ersten Fallgruppe macht das Sachlichkeitsgebot den Freiheitsrechten Konkurrenz oder es schafft sogar eine „allgemeine Handlungsfreiheit“, die die österreichische Verfassung jedenfalls explizit nicht gewährt. Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, ob der Gleichheitssatz dies leisten kann, wenn nein, dann trifft insoweit der Befund der Lehre zu, dass das Sachlichkeitsgebot über das subjektive Recht des Einzelnen auf Gleichheit hinausreiche. Differenzierter zu beurteilen ist die zweite Fallgruppe. In ihr entnimmt der VfGH dem Sachlichkeitsgebot konkrete Maßstäbe, nach denen der einfache Gesetzgeber den Einzelnen behandeln soll und aus der Sicht des Einzelnen: sachbereichsspezifische Prima-facie-Rechte. Das Sachlichkeitsgebot ist in diesen Fällen nur eine Form des Ungleichbehandlungsgebotes. Wer zweiteres als einen Inhalt des Gleichheitssatzes akzeptiert – und das tut die ganz überwiegende Lehre in Österreich mE zu Recht –, der kann das allgemeine Sachlichkeitsgebot in dieser Variante nicht schon dem Grunde nach ablehnen. Die Frage, die sich hier stellt, lautet nur, aber immerhin: Lassen sich die genannten Maßstäbe wirklich aus dem Gleichheitssatz ableiten? Soweit das nicht der Fall ist, reichen auch sie über das Recht des Einzelnen auf Gleichheit hinaus. Soweit diese Maßstäbe dem Gleichheitssatz aber entnommen werden können, sind die Bedenken der Lehre gegen das Sachlichkeitsgebot unbegründet. Einfach zu beurteilen ist schließlich die dritte Fallgruppe: Der VfGH stellt hier gestützt auf das Sachlichkeitsgebot bestimmte organisationsrechtliche Grundsätze auf, die mit einem Individualrecht nichts zu tun haben. Ob und inwieweit sich diese Grundsätze aus den organisatorischen Vorschriften des B-VG ableiten lassen, muss in dieser Arbeit nicht weiter untersucht werden. Hier genügt die Feststellung, dass diese Grundsätze aus dem Gleichheitssatz nicht folgen. Insoweit reicht das allgemeine Sachlichkeitsgebot jedenfalls über das Recht des Einzelnen auf Gleichheit hinaus.
III. Ordnungssystemjudikatur Eine besondere Stellung innerhalb der Judikatur zum Gleichheitssatz nimmt die sog „Ordnungssystemjudikatur“ ein. Sie begünstigt zum Teil ____________________
gestellt. Ich meine daher, daß die Ausgliederung der Wertpapieraufsicht einer sachlichen Rechtfertigung entbehrt“ (im Original mit Hervorhebung der gesamten Passage). 353 Art 126b Abs 5, Art 127 Abs 1 und Art 127a Abs 1 B-VG.
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die Anwendung des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes, indem sie eine vergleichende Prüfung ausdrücklich für unzulässig erklärt (1.) und annimmt, auch Abweichungen von einem System müssen nur „in sich“ sachlich gerechtfertigt sein (2.); gewissen Systementscheidungen hat die Judikatur allerdings abweichend von diesem Grundsatz besonderes Gewicht zuerkannt (3.).
1. „Systemübergreifender“ Vergleich a. Judikatur Der VfGH orientiert sich bei der Auswahl der Vergleichsobjekte mitunter an rechtlichen Differenzierungen, die der jeweils kritisierten Ungleichbehandlung übergeordnet sind und lehnt einen Vergleich verschiedener „Ordnungssysteme“ untereinander grundsätzlich ab. Dementsprechend betont der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, der Gesetzgeber sei nicht gehalten, bei der Regelung verschiedener Rechtsinstitute und verschiedener Verwaltungsmaterien gleichartig vorzugehen354. Er dürfe bei der Regelung verschiedener Materien an denselben Sachverhalt verschiedene Rechtsfolgen knüpfen355, und es stehe ihm auch frei, zur Erreichung ähnlicher Ziele verschiedene, in sich sachlich gerechtfertigte Systeme zu wählen356. Jedenfalls in seiner älteren Judikatur folgerte der VfGH daraus weiter: „Die Verpflichtung des Gesetzgebers, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, und das Verbot, Differenzierungen zu schaffen, die nicht aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen abgeleitet werden können [...], bezieht sich in vollem Umfang auf die Relation der Normen zu den von ihnen erfaßten tatsächlichen Gegebenheiten innerhalb eines und desselben Rechtsinstitutes. Bei der Regelung verschiedener Rechtsinstitute [...] ist aber jedes Rechtsinstitut für sich am Gleichheitssatz zu messen“357.
Das bedeutet in der Praxis zwar nicht, dass verschiedene Rechtsinstitute und Ordnungssysteme niemals miteinander verglichen werden. In der Regel wird ein solcher Vergleich jedoch nur gezogen, wenn dies dem Gerichtshof durch besondere Gründe gerechtfertigt erscheint. Diese sog Ordnungssystemjudikatur ist besonders im Sozialversicherungsrecht etabliert: Sie lehnt nicht nur einen Vergleich zwischen Versorgungssystemen für ____________________
354
VfSlg 8938/1980, 9319/1982. VfSlg 5165/1965, 5318/1966, 5727/1968, 6733/1972, 8605/1979, 13.829/1994. 356 ZB VfSlg 10.823/1986: Die Einhebung eines Importausgleichs nach dem GeflügelwirtschaftsG und nach anderen Gesetzen muss nicht durch gleichartige Systeme der Bemessung, Erhebung und zwangsweisen Einbringung des Importausgleichs bewerkstelligt werden. 357 VfSlg 5727/1968 (Hervorhebungen nicht im Original); s auch VfSlg 7331/1974, 8938/1980, 9319/1982. 355
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Beamte und Sozialversicherungssystemen ab358, sondern auch einen Vergleich der unterschiedlichen Regelungen, die innerhalb der Sozialversicherung für verschiedene Risikogemeinschaften getroffen worden sind359. Keinen Vergleich will der VfGH weiters zwischen Beamtendienstrecht und Arbeitsrecht ziehen360. Und auch innerhalb des Beamtendienstrechts steht es dem Gesetzgeber nach Ansicht des VfGH frei, öffentlich Bedienstete verschiedenen Disziplinarrechten zu unterwerfen, solange diese nur in sich gleichheitsgemäß sind. In Vergleich zueinander seien sie nur zu bringen, wenn dem Gesetzgeber „– in bestimmten Fragen – aus ganz besonderen Gründen auszuschließende Abweichungen (exzeptionellen Gewichts) verwehrt bleiben“361. Besondere Bedeutung hat die Ordnungssystemjudikatur weiters im Verfahrensrecht: Aus der allgemeinen Zulässigkeit, verschiedene Rechtsbereiche verschiedenen Verfahrensordnungen zu unterwerfen, folgert der VfGH, dass einzelne Rechtsinstitute in verschiedenen Verfahrensordnungen unterschiedlich ausgestaltet werden dürfen362; wer eine ____________________
358 VfSlg 4331/1962, 11.870/1988, 13.829/1994, 16.923/2003, 17.706/2005: öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis und Sozialversicherungswesen sind tief greifend verschiedene Materien, sodass ein Vergleich zwischen den diese Rechtsgebiete regelnden Vorschriften nicht gezogen werden kann; diese tief greifende Verschiedenheit schließt es auch aus, Teilbereiche der diese Materien betreffenden Regelungen herauszugreifen und einander zur Beurteilung anhand des Gleichheitssatzes gegenüberzustellen; VfSlg 13.804/1994: kein Vergleich zwischen dem Vbg Landes-BezügeG und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (s auch VfSlg 16.292/2001); VfSlg 17.684/2005: dass die aus einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis gebührenden Ruhebezüge die gleiche wirtschaftliche Funktion wie Sozialversicherungspensionen haben, ändert nichts an deren „wesenhaft rechtlichen Verschiedenheit“. Die tief greifenden Verschiedenheiten der einzelnen Versicherungssysteme verbieten dem Gesetzgeber aber nach VfSlg 13.743/1994 nicht, die Höhe der Ruheund Versorgungsgenüsse an die Höhe der Pensionen nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften anzugleichen. S auch VfSlg 12.568/1990, wonach eine Harmonisierung des Sozialversicherungsrechts mit Regelungen betreffend Pensionssysteme durch das Gemeinschaftsrecht geboten sein könnte. 359 S zB VfSlg 3721/1960, 15.859/2000: Differenzierungen müssen nur innerhalb einer einheitlichen Risikogemeinschaft sachlich gerechtfertigt sein; VfSlg 10.030/1984: grundlegende Verschiedenheit der sachlichen Voraussetzungen bei selbständigen und unselbständigen Tätigkeiten und den verschiedenen Berufszweigen, daher Unbedenklichkeit einer von der allgemeinen Regelung abweichenden Zuständigkeit für eine bestimmte Berufsgruppe sowie der Unterschiede im Beitrags- und Leistungsrecht. 360 VfSlg 14.867/1997; s nun aber auch VfGH 28.6.2007, G 34/06, wonach die „wesensmäßige Verschiedenheit“ des Beamtendienstverhältnisses und des Arbeitsvertrages eine jeweils unterschiedliche Regelung der Mitwirkungsbefugnisse des Personalvertretungsorgans rechtfertigen. 361 VfSlg 10.084/1984; s auch VfSlg 11.795/1988, 13.455/1993. 362 VfSlg 9314/1982: Dass in anderen Rechtsvorschriften – mögen sie mit der vorliegenden vergleichbar sein oder nicht – längere Fristen enthalten sind, macht die Regelung des § 23 Abs 3 bgld NaturschutzG (noch) nicht unsachlich; VfSlg 9409/1982: allein aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Kostenbeitrag in der StPO anders regelt als im Verwaltungsstrafverfahren oder im Finanzstrafverfahren, ist für oder gegen die Sachlichkeit der jeweiligen Regelung nichts zu gewinnen; VfSlg 10.770/1986: Gleichheitskonformität des
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übereinstimmende Normierung verlangt, müsse dafür besondere Gründe beibringen363. Wann eigenständige Rechtsinstitute vorliegen, die miteinander nicht in Vergleich zu bringen sind, und wann ein Vergleich innerhalb desselben Rechtsinstituts stattfindet, ist dabei nicht immer klar: So hat der VfGH etwa die Regelung der Sozialversicherungspflicht bei Mehrfachbeschäftigung als ein und dasselbe Rechtsinstitut angesehen, dessen unterschiedliche Ausgestaltung in verschiedenen Ordnungssystemen (hier Subsidiarität, dort Anordnung einer mehrfachen Pflichtversicherung) einem Vergleich unterzogen werden kann364. Bisweilen setzte der VfGH sogar einzelne ____________________
§ 71 Abs 1 lit a AVG aF, der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – anders als andere Verfahrensordnungen – nur zuließ, wenn die Partei kein (auch kein leichtes) Verschulden trifft; VfSlg 13.420/1993: es steht dem Normsetzer frei, sich in einzelnen Verfahrensbereichen für eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die den Erfordernissen und Besonderheiten unterschiedlicher Verfahrensarten – konkret der Verfahren in Wahlangelegenheiten – Rechnung tragen; s auch VfSlg 9875/1983, 10.084/1984, 10.291/1984, 12.863/ 1991, 13.455/1993, 14.610/1996, 15.190/1998. 363 S zB VfSlg 10.084/1984, wonach nicht zu sehen sei, weshalb gerade die Rechtseinrichtung der Wiederaufnahme übereinstimmend normiert werden müsse. Anders hingegen die Haftanrechnung, die in allen Verfahrensordnungen vorgenommen werden muss: VfSlg 8017/1977 (s dazu auch noch D.III.3.c.); s auch VfSlg 9956/1984, wonach das Fehlen der bedingten Strafnachsicht im Finanzstrafverfahren wegen des geringeren Gewichts der Straftat und des Tadels im Verhältnis zum gerichtlichen Strafverfahren gerechtfertigt ist. Ein Vergleich wird also immerhin zugelassen, wenn auch mit dem Ergebnis, dass die Ungleichbehandlung gleichheitskonform ist. In VfSlg 10.291/1984 war der VfGH mit einer Regelung konfrontiert, die für eine Beschlagnahme einen unterschiedlichen Rechtsschutz vorsah, je nachdem, ob sie im Zuge eines gerichtlichen oder eines verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens erfolgte; die gravierende Beschränkung des Rechtsschutzes im verwaltungsbehördlichen Verfahren hielt der VfGH für bedenklich, zumal es oft von Zufällen abhängt, ob die Beschlagnahme noch im Laufe des verwaltungsbehördlichen oder schon im gerichtlichen Verfahren erfolgt; s weiters VfSlg 10.367/1985: Gleichheitswidrigkeit des § 46 Abs 1 VwGG aF, der eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zuließ, wenn die Partei kein Verschulden trifft, während im Beschwerdeverfahren vor dem VfGH eine Wiedereinsetzung auch bei einem minderen Grad des Versehens der Partei möglich ist; Zulässigkeit des Vergleichs, weil es dem Beschwerdeführer im Allgemeinen freisteht, VfGH-Beschwerde mit gleichzeitigem oder späterem Begehren auf Beschwerdeabtretung an den VwGH oder doch unmittelbar an den VwGH zu erheben (s zu dieser Entscheidung auch Barfuss, ÖJZ 1989, 677); s auch VfSlg 11.865/1988: Gleichheitswidrigkeit des § 170 Abs 2 FinStrG, der anders als die §§ 352 ff StPO, §§ 24, 52 VStG ein Wiederaufrollen rechtskräftig beendeter Finanzstrafverfahren auch zum Nachteil des Beschuldigten ermöglichte, ohne dafür gesetzlich streng umrissene Wiederaufnahmegründe festzulegen; Zulässigkeit eines Vergleichs, weil die inkriminierte Vorschrift ein die gesamte Strafrechtsordnung durchdringendes, in der österreichischen Strafrechtstradition tiefverwurzeltes und dem Wesen eines (auch) die Verteidigungsrechte sichernden Verfahrens entsprechendes Grundprinzip verlassen habe (vgl dazu auch D.III.3.e.); s schließlich VfSlg 14.973/1997: Gleichheitswidrigkeit des in der StVO für bestimmte [Alkohol-]Delikte verfügten Entfalls der außerordentlichen Strafmilderung, wie sie in § 20 VStG allgemein vorgesehen ist. 364 VfSlg 9753/1983: Vergleich der im ASVG und B-KUVG angeordneten Mehrfachversicherung in der Krankenversicherung mit den nach Subsidiaritätsgrundsätzen geord-
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Subsysteme der Sozialversicherung zueinander in Beziehung, dies aber mit Schwankungen365. Ähnliche Divergenzen zeigt die Judikatur auch in anderen Bereichen: So lehnte es der VfGH in VfSlg 12.008/1989 noch ab, Haftungsregelungen des ASVG mit solchen des GmbHG und der BAO zu vergleichen. Diese Regelungen entstammten verschiedenen Rechtsgebieten, die in unterschiedlichem Kontext stünden; die dort jeweils angeordnete Haftung gesellschaftsrechtlich Vertretungsbefugter müsse nur für sich sachlich gerechtfertigt sein. In einer späteren Entscheidung verglich der VfGH dann aber selbst ABGB, HGB, BAO und ASVG miteinander hinsichtlich der dort jeweils geregelten Haftung, die jemand zu übernehmen hat, wenn er einen Betrieb im Zuge eines Ausgleichsverfahrens erwirbt – diese Haftungsregelung, nicht etwa die vier genannten Gesetze bildeten nun ein Ordnungssystem. Dass das ASVG eine davon abweichende (und für den Erwerber ungünstigere) Regelung getroffen hatte, qualifizierte der VfGH als gleichheitswidrig366. Nicht selten konstatiert der VfGH auch zunächst das Vorliegen verschiedener Rechtsinstitute, die jeweils für sich am Gleichheitssatz zu messen seien, um dann aber doch Gründe anzuführen, die die jeweils inkriminierte Ungleichbehandlung als sachlich erweisen367. ____________________
neten Versicherungsfällen nach dem GSVG, FSVG und BSVG. Im Gesetzesprüfungserkenntnis selbst wurde diese Ungleichbehandlung allerdings als zulässig qualifiziert. Ganz allgemein legt der VfGH hier einen lockeren Maßstab an: Subsidiarität darf nach der Judikatur durchaus selektiv angeordnet werden, s dazu mwN aus der Judikatur Pöschl, Mehrfachversicherung 106 f. 365 So wurde in VfSlg 9365/1982 die beitragsrechtliche Ungleichbehandlung zwischen GSVG- und FSVG-Versicherten geprüft und als gerechtfertigt angesehen, weil den Unterschieden im Beitragsrecht beachtliche Unterschiede im Leistungsrecht gegenüberstanden (s auch VfSlg 9753/1983, 10.099/1984, 10.100/1984). 13 Jahre später lehnte der VfGH einen Vergleich zwischen den im FSVG und GSVG vorgesehenen Beitragssätzen aber wieder ab (s den Ablehnungsbeschluss VfGH 27.11.1995, B 171/95, B 1460/95). Im Erkenntnis VfSlg 16.492/2002 prüfte er dann doch wieder die beitragsrechtliche Ungleichbehandlung zwischen Ärzten und Apothekern in § 8 FSVG einerseits und GSVG-Versicherten andererseits auf ihre sachliche Rechtfertigung, die er im Ergebnis bejahte; s dazu auch Petridis, ASoK 2001, 348. 366 VfSlg 14.683/1996. 367 ZB VfSlg 5727/1968, wonach die Zuerkennung der Kinderermäßigung und die Regelung der Abzugsfähigkeit von Sonderausgaben im Rahmen des Einkommensteuerrechts verschiedene Rechtsinstitute seien, die sich inhaltlich nicht vergleichen lassen. Die in der Beschwerde beanstandete Ungleichbehandlung wird dann aber doch mit den unterschiedlichen Zielsetzungen dieser beiden Rechtsinstitute begründet; s auch VfSlg 8938/1980, wonach die unterschiedlichen Regelungen der Vertrauenswürdigkeit im Bereich freier Berufe (Wirtschaftstreuhänder, Notare, Rechtsanwälte) verschiedene Rechtsinstitute bilden, die nur für sich betrachtet sachlich sein müssen. Die strengere Regelung für Wirtschaftstreuhänder wird dann aber mit den besonderen (und damit von den anderen Berufen gerade verschiedenen) Erfordernissen dieses Berufes begründet. Abschließend meinte der VfGH dann allerdings wieder, dem Gesetzgeber könne nicht durch einen Vergleich mit anderen Berufsrechten entgegengetreten werden, wenn er die von Wirtschaftstreuhändern
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b. Würdigung Zu folgen ist der Ordnungssystemjudikatur, soweit sie herausstellt, dass der Gesetzgeber in verschiedenen Rechtsbereichen unterschiedliche Regelungen treffen darf: Dies ergibt sich ohne weiteres aus dem Umstand, dass es dem Gesetzgeber durch den allgemeinen Gleichheitssatz nicht verwehrt ist, wesentlich Ungleiches auch ungleich zu behandeln. Es kann dementsprechend durchaus zulässig, ja sogar geboten sein, an ein und denselben Sachverhalt unter verschiedenen Gesichtspunkten unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen368. Es trifft auch zu, dass die Bedeutung einer Vorschrift, die Teil eines komplexeren Regelungssystems ist, nicht ohne Bedachtnahme auf dieses System ermittelt werden kann. Ein isolierter Vergleich bloß dieser Vorschrift mit einer gleichartigen Regelung eines anderen Regelungssystems ist daher tatsächlich nicht ohne weiteres möglich369. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein solcher Vergleich überhaupt nicht gezogen werden kann, sondern nur, dass er das systematische Umfeld der jeweiligen Vorschriften mit berücksichtigen muss. Eine Ungleichbehandlung, die durch einen solchen Vergleich aufgedeckt wird, mag in vielen Fällen gerade aus jenen Gründen gerechtfertigt sein, die den Gesetzgeber ganz allgemein dazu veranlasst haben, zwei verschiedene Ordnungssysteme zu schaffen370. Zwingend ist dies jedoch keineswegs. Dass Beamte und Unselbständige bei der Pensionsvorsorge nicht in jeder Hinsicht gleich behandelt werden müssen, bedeutet nicht, dass deshalb jede beliebige Ungleichbehandlung ____________________
verlangte besondere Vertrauenswürdigkeit so determiniere, dass er für eine fehlende Vertrauenswürdigkeit an Tatbestände des Finanzstrafrechtes anknüpft; s weiters VfSlg 9319/ 1982, wonach Arbeitsrecht und Schulrecht unterschiedliche Rechtsinstitute seien; der Sache nach wird dann aber ein Vergleich zwischen den Regelungen gezogen, die dort zur Begrenzung der Belastung von Kindern und Jugendlichen jeweils getroffen worden sind: Der Gesetzgeber habe einerseits an die unterschiedliche Art der Belastung von Personen, die im Arbeitsleben stehen, und solchen, die in einer schulischen Ausbildung stehen, angeknüpft und andererseits auf die bestehenden Erfordernisse des Wirtschaftslebens bzw der Schulorganisation Bedacht genommen. Dies rechtfertige, dass die Belastung im Arbeitsrecht durch eine Beschränkung der Arbeitszeit und eine Regelung des Freizeitmindestmaßes begrenzt wird, während im Schulrecht eine wesentlich höhere Zeit wöchentlicher Belastung akzeptiert, die Belastung aber durch eine großzügigere Ferienregelung, durch eine besondere Pausenreglung und durch Variationen in der Beschäftigungsart (Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Unterrichtsgegenstände) begrenzt wird. 368 Zu denken ist etwa, um ein ganz einfaches Beispiel zu nennen, an das Alter eines Menschen: Dass ein 14-Jähriger für strafmündig erklärt wird, heißt nicht, dass er deshalb auch wahlberechtigt sein muss. In beiden Fällen liegt ein und derselbe Sachverhalt vor: die Vollendung des 14. Lebensjahres; aber in diesem Alter besitzt ein Jugendlicher eben bei einer Durchschnittsbetrachtung zwar schon die Einsichtsfähigkeit, um Verantwortung für sein eigenes Verhalten zu übernehmen, nicht hingegen die für die Ausübung des Wahlrechts erforderliche Reife. 369 S schon Wendt, NVwZ 1988, 782. 370 Wendt, NVwZ 1988, 782; Kischel, AöR 124 (1999) 181; s auch VfSlg 9753/1983.
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zwischen diesen Personengruppen automatisch erlaubt ist371. Zwischen dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und der Materie des Sozialversicherungswesens mögen tief greifende Unterschiede bestehen, doch das schließt nicht aus, die in beiden Systemen vorgesehenen Ruhensbestimmungen für Pensionisten miteinander zu vergleichen372. Auch wenn sich einzelne Ungleichbehandlungen bei einem Vergleich zwischen zwei Ordnungssystemen also häufig als zulässig erweisen werden, kann weder angenommen werden, dass ein solcher Vergleich von vornherein nicht gezogen werden darf 373, noch genügt es, denjenigen, der für eine Ungleichbehandlung eine Begründung verlangt, auf die das System als solches begründenden Unterschiede zu verweisen. Ein solches „Binnendenken“374 beruht erstens auf einem Fehlschluss vom Allgemeinen (der grundsätzlichen Zulässigkeit, verschiedene Ordnungssysteme zu schaffen) auf das Besondere (der Zulässigkeit auch jeder einzelnen Ungleichbehandlung)375. Zweitens macht es die Gleichheitskon____________________
371 S auch Günther, Sozialversicherung 112 f, nach dem die Unterschiede zwischen Beamten und Arbeitnehmern des Privatsektors im Bereich der Alterssicherung nicht so gravierend sind, dass von „tiefgreifend verschiedenen Rechtsgebieten“ gesprochen werden könne; s auch Tomandl, ZAS 1988, 181 ff. 372 Anders VfSlg 11.665/1988, s dazu schon oben FN 15. 373 S auch Potacs, Devisenbewirtschaftung 380, der an der geschilderten Judikatur zutreffend beanstandet, sie vermittle den Eindruck, dass „gewisse Differenzierungen in der Rechtsordnung auch ohne sachliche Rechtfertigung zulässig sind“; kritisch stellt auch Korinek, FS Melichar 49 f, zur Judikatur über die Unvergleichbarkeit verschiedener Rechtsinstitute fest, dass „mit dieser Konstruktion der theoretische Weg des Vergleichs einer Regelung mit der gesamten übrigen Rechtsordnung verlassen [würde], was insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rationalität der Konkretisierung des Gleichheitsgrundsatzes bedauerlich wäre“; s auch Holoubek, ÖZW 1991, 81. 374 Kritisch zu diesem auch Zacher, AöR 93 (1968) 353 ff, 361; Wendt, NVwZ 1988, 782; Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 30; Kischel, AöR 124 (1999) 181 mwN. 375 Besonders deutlich wird dies im Erkenntnis VfSlg 10.084/1984, in dem der VfGH zutreffend annahm, dass der Gleichheitssatz nicht zur Schaffung eines inhaltlich übereinstimmenden Disziplinarrechts für alle öffentlich-rechtlichen Bediensteten, also zu einer Vereinheitlichung des Disziplinarrechts etwa für Richter (RDG), Heeresangehörige (HDG) und Bedienstete unter dem Regime des BDG zwinge. Die Argumentation des VwGH, es sei gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen, nur Richtern die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens zu verwehren, kranke – da nicht zu sehen sei, warum gerade die Wiederaufnahme übereinstimmend normiert sein müsse – an einem inneren Widerspruch; denn sie führe letzten Endes zwangsläufig zu einem einheitlichen Bundesdisziplinarrecht und damit zur Aufgabe der auch vom VwGH für richtig gehaltenen Ausgangsposition, dass eigenständige Disziplinargesetze für verschiedenartige Bundesdienstzweige überhaupt zulässig sind. Dieser Einwand lässt die entscheidenden Prämissen der beschrieben Ausgangsposition allerdings außer Acht: Zulässig kann die Erlassung unterschiedlicher Disziplinargesetze ja nur deshalb sein, weil zwischen den Bundesbediensteten wesentliche Unterschiede bestehen, die es rechtfertigen, die ihnen abzuverlangende Disziplin verschieden zu regeln. Deshalb wäre es evidentermaßen unzulässig, große und kleine Richter unterschiedlichen Disziplinargesetzen zu unterwerfen. Zu fragen wäre also – ohne dass hiefür exzeptionelle Gründe beigebracht werden müssten –, ob die Unterschiede, die zwischen
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trolle auch manipulierbar. Konsequent zu Ende gedacht hätte der Gesetzgeber es dann nämlich in der Hand, sich der Bindung an den Gleichheitssatz durch eine „Parzellierung“ der Rechtsordnung teilweise zu entziehen, seinen Gestaltungsspielraum also durch die Schaffung von Ordnungssystemen und Subsystemen erheblich auszuweiten376. Letztlich wäre damit die Reichweite des allgemeinen Gleichheitssatzes von legistischen Zufällen oder gar von Kunstgriffen des Gesetzgebers abhängig, der durch den Gleichheitssatz aber gerade beschränkt werden soll377. Dass eine solche Manipu____________________
den verschiedenen Gruppen von Bundesbediensteten bestehen, es auch rechtfertigen, sie hinsichtlich der Wiederaufnahme eines sie betreffenden Disziplinarverfahrens ungleich zu behandeln. Warum dies der Fall sein sollte, ist vorderhand nicht einsichtig: Für diese Ungleichbehandlung müssten daher Gründe gefunden werden, nicht für die Zulässigkeit, diese Ungleichbehandlung zu hinterfragen. Denselben Einwand wie in VfSlg 10.084/1984 erhob der VfGH in VfSlg 11.373/1987, als das Landesgericht Linz Bedenken gegen die unterschiedlichen Sanktionen für die Überschreitung der Höchstzulässigkeitsgrenzen bei Hauptmietzinsen einerseits und Untermietzinsen andererseits geltend machte: Während der Hauptmieter im Fall einer solchen Überschreitung eine Rückforderung ex tunc erheben kann, steht dem Untermieter nur eine Ermäßigung ab dem folgenden Zinstermin zu. Hier war der Einwand des VfGH allerdings berechtigt: Wenn es gleichheitskonform ist, dass der Gesetzgeber den Erfordernissen des Rechtsverkehrs entsprechend verschiedenartige Vertragsinstrumente schafft und die Hauptmiete als das stärkere, die Untermiete aber als das schwächere Recht ausgestaltet, dann kann es nicht gleichheitswidrig sein, dass der Untermieter auch im Fall der Mietzinsüberschreitung schwächere Rechte hat als der Hauptmieter. Dies zu verneinen, würde tatsächlich zwangsläufig zu einem einheitlichen Mietbegriff überhaupt führen. In VfSlg 10.002/1984 war der VfGH wiederum grundsätzlich bereit, eine für Mieter und Eigentümer unterschiedliche Regelung in Bezug auf den Räumungsaufschub unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes zu prüfen: „In der Tat ist das Schutzbedürfnis des von der Obdachlosigkeit bedrohten Eigentümers nicht anders als das des gekündigten Mieters oder Arbeitnehmers in der gleichen Lage. Die Bundesregierung kann durch den Hinweis auf die besondere Behandlung des Mieters in anderer Hinsicht die Bedenken nicht ausräumen, weil es ja seinerseits erst der Prüfung bedürfte, ob der allgemeine Vollstreckungsschutz für das Mietrecht [...] und der Kündigungsschutz des Mieters [...] im Vergleich mit der Behandlung des Eigentümers gerechtfertigt sind.“ In vergleichbarer Weise stellte der Gerichtshof auch in VfSlg 10.155/1984 fest, dass es dem Gesetzgeber zwar nicht verwehrt sei, Einkünfte aus selbständiger Arbeit anders zu behandeln als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, „jedoch nur insoweit, als eine verschiedenartige Besteuerung aus den tatsächlichen Unterschieden zwischen den verschiedenen erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten abgeleitet werden kann“ (Hervorhebung nicht im Original). 376 Deutlich in diese Richtung geht der Standpunkt, den die Bundesregierung in dem zu VfSlg 10.084/1984 geführten Verfahren eingenommen hatte: Sie zog aus der Judikatur des VfGH den Schluss, verschiedene und damit nicht vergleichbare Rechtsinstitute seien dann anzunehmen, „wenn unterschiedliche Gesetze vorliegen, die an denselben Sachverhalt unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen“. Nimmt man das ernst, dann müsste der Gesetzgeber, um eine gleichheitsrechtlich unangreifbare Unterscheidung zu treffen, nur die ungleich behandelten Sachverhalte oder Personengruppen in zwei verschiedenen Gesetzen regeln. 377 In dieser Hinsicht ist allgemein auf das Erkenntnis VfSlg 8017/1977 hinzuweisen, wonach es nicht von legistischen Zufälligkeiten abhängen kann, ob der VfGH in die Lage kommt, eine Gesetzesstelle auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen: „Der Gesetzgeber kann nämlich ein und denselben Regelungsinhalt auf verschiedene rechtstechnische Weise zum Ausdruck bringen, etwa indem er für alle in Betracht kommenden (sachlichen, per-
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lierbarkeit nicht nur von theoretischer Bedeutung, sondern auch praktisch relevant ist, zeigt sich in Österreich in besonderer Weise im Sozialversicherungsrecht, dessen (zum Teil bloß historisch begründbare) Zersplitterung378 eine wirkungsvolle Gleichheitskontrolle in der Vergangenheit oft behindert hat379; dies, obwohl sich die vielfältigen sozialversicherungsrechtlichen Differenzierungen, die zwischen den einzelnen Berufsgruppen getroffen worden sind, keineswegs von selbst verstehen. Gegen die Annahme, verschiedene Ordnungssysteme oder Rechtsinstitute seien miteinander von vornherein nicht vergleichbar, spricht schließlich noch ein dritter und gewichtiger Grund: Es ist kein Kriterium ersichtlich, nachdem sich objektiv bestimmen ließe, wann überhaupt ein „Ordnungssystem“ oder ein „Rechtsinstitut“ vorliegt. Ob der allgemeine Gleichheitssatz auf eine Ungleichbehandlung zur Anwendung kommt, liegt dann nicht nur in der Hand des Gesetzgebers, sondern letztlich auch in der des VfGH selbst: Je nachdem, wie weit dieser nämlich den Begriff des „Ordnungssystems“ oder des „Rechtsinstituts“ im Einzelfall zieht, wäre eine Ungleichbehandlung einer Prüfung am Gleichheitssatz entzogen oder unterstellt380. Letztlich wird damit die Auswahl der Vergleichsobjekte von – nicht nachprüfbaren und regelmäßig auch nicht offen gelegten – Wertungen abhängig gemacht381. ____________________
sönlichen, zeitlichen) Anwendungsbereiche verschiedene – positiv oder negativ formulierte – Regelungen nebeneinander erläßt, oder indem er explizit von einer allgemeinen Regel Ausnahmen vorsieht, oder indem er nur für einen bestimmten Anwendungsbereich eine ausdrückliche Regelung trifft und damit implizit für andere gleichartige Bereiche eine gegenteilige Regelung erläßt (daß nämlich für diese anderen Bereiche Freiheit gelassen oder ein Ausnahme von der positiv statuierten Regel begründet wird).“ 378 S zu dieser Klecatsky, FS Ermacora 319 f, sowie Günther, Sozialversicherung 96. 379 S auch Klecatsky, FS Ermacora 319. 380 S auch die Feststellung Korineks, FS Melichar 50: „je größer der Inhalt des Begriffs ‚Rechtsinstitut‘, umso größere Möglichkeiten gibt es für eine Prüfung am Gleichheitssatz nach der Relationsmethode; je enger jedoch der Begriff des Rechtsinstitutes gefaßt wird, umso stärker wird man auf eine von der Relationsprüfung abstrahierende isolierte Sachlichkeitsprüfung verwiesen“; s allgemein auch Peine, Systemgerechtigkeit 24, der feststellt, dass der Ausdruck „System“ zu jenen Begriffen gehört, „die wohl am ehesten in der Lage sind, zu Unklarkeiten und Mißverständnissen zu führen“, und aaO 28, 94, auch konstatiert, dass das BVerfG nie ausdrücklich erklärt, welche Inhalte es mit dem Begriff des „Systems“ verbindet bzw wann und unter welchen Voraussetzungen seiner Meinung nach ein System vorliegt, um schließlich aaO 308, festzuhalten, dass Rechtsprechung und Literatur jeden oder nahezu jeden beliebigen Gegenstand als System charakterisieren und daran Rechtsfolgen knüpfen. 381 Insofern trifft die in der Lehre immer wieder geäußerte Feststellung, dass bereits die Auswahl der Vergleichsobjekte eine Wertungsfrage ist, für die Judikatur durchaus zu; s schon die Nachweise in FN 9. Dass gerade diese Frage von Wertungen freigehalten werden kann, wurde bereits festgestellt, s dazu oben D.I.1.b. Wie hier auch Rebhahn, DRdA 1981, 115: „Die Prüfung sollte nicht schon bei der Auswahl der Vergleichsobjekte eingeengt werden, weil hier die Gefahr eines bestimmten Vorverständnisses besonders groß ist und die Entscheidung weniger bewußt erfolgt.“
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Dass der Gesetzgeber ein größeres Rechtsgebiet in verschiedene Teilsysteme aufspaltet, kann folglich für sich genommen eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Daher kann die Vornahme einer Gleichheitsprüfung auch nicht mit dem Argument abgelehnt werden, die miteinander verglichenen Rechtsvorschriften entstammten unterschiedlichen Ordnungssystemen oder stellten verschiedene Rechtsinstitute dar. Bestehen zwischen den Vergleichsgruppen wesentliche Gemeinsamkeiten oder scheint für ihre Ungleichbehandlung eine sachliche Begründung zu fehlen, so muss eine nähere Kontrolle der Zulässigkeit dieser Differenzierung unter dem Titel des Gleichheitssatzes möglich sein.
2. Keine besondere Rechtfertigungspflicht für Systemdurchbrechungen a. Judikatur In seiner älteren Rechtsprechung nahm der VfGH den Standpunkt ein, es sei dem Gesetzgeber „nicht verwehrt, innerhalb eines von ihm geschaffenen rechtlichen Ordnungssystems einzelne Tatbestände auf eine nicht systemgemäße Art zu regeln, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen. Bei der Wahrung der Sachlichkeit ist der Gesetzgeber deshalb allein, weil er Gleichgeartetes prinzipiell einer gleichen rechtlichen Ordnung unterzogen hat, nicht einer verstärkten Bindung an das von ihm gewählte Ordnungssystem unterworfen. Im österreichischen Verfassungsrechtsbereich läßt es der Gleichheitssatz nicht zu, die Sachlichkeit einer Sonderregelung einzelner Tatbestände innerhalb eines geschlossenen prinzipiellen Ordnungssystems anders zu beurteilen als die Sachlichkeit einer Regelung außerhalb eines solchen Systems. Es ergibt sich nicht aus dem Gleichheitssatz und ist daher nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, den Gesetzgeber zu zwingen, innerhalb des rechtlichen Ordnungssystems [...] eine notwendig erkannte Ausnahmeregelung […] nur deshalb zu unterlassen, weil sie dem System dieser Ordnung nicht entsprechen würde. Aus diesen Gründen scheidet das Ordnungsprinzip als Maßstab für die Sachlichkeit der Ausnahmeregelung aus. Maßgebend ist vielmehr hier ebenso wie sonst, ob die vom Gesetzgeber getroffene Differenzierung in irgendwelchen Gründen ihre sachliche Rechtfertigung findet. Eine weitergehende Verpflichtung würde den Gesetzgeber unerträglichen und seinen legislativen Aufgaben nicht entsprechenden Bindungen unterwerfen, die über die Forderung nach sachlicher Rechtfertigung weit hinausgingen.“382
Bezugnehmend auf diese Judikatur stellte der VfGH in seiner späteren Rechtsprechung fest, es sei dem Gesetzgeber „durch das Gleichheitsgebot nicht verwehrt, innerhalb eines von ihm geschaffenen Ordnungssystems einzelne Tatbestände auf eine nicht systemgemäße Art zu regeln, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen. Die bloße Systemwidrigkeit einer Ausnahme widerspricht nicht dem Gleichheitsprinzip. Es kommt darauf an, ob die in der Ausnahmeregelung liegende Differenzierung sachlich begründbar ist.“383 ____________________
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VfSlg 4379/1963, s auch VfSlg 4753/1964, 5241/1966, 5481/1967, 5862/1968. VfSlg 6030/1969, s auch VfSlg 6471/1971, 8233/1978, 8457/1978, 8605/1979, 10.043/1984, 10.405/1985, 11.368/1987, 16.754/2002.
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„Grundgedanken der Rechtsordnung“, die sich erst aus der Zusammenschau einfachgesetzlicher Vorschriften ergeben, seien, wie der VfGH in einer weiteren Entscheidung erläuterte, kein Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit einfachgesetzlicher Bestimmungen. Stimme eine Norm mit diesen Grundgedanken nicht überein, so sei sie „als deren ‚Abänderung‘, nicht aber als gegen die Verfassung verstoßender ‚Widerspruch‘“ anzusehen384. In manchen Entscheidungen hat sich der VfGH sogar damit begnügt, dass die von einem Ordnungssystem abweichende Regelung „in sich“ sachlich begründet ist385. Dementsprechend lässt er sich mitunter auch gar nicht auf die Frage ein, ob eine Regelung überhaupt als Durchbrechung eines Ordnungssystems anzusehen ist386. Dass Träger der Rechte und Pflichten einer Personengesellschaft zivilrechtlich die Gesellschafter sind, schließt es dementsprechend nicht aus, OHG und Kommanditgesellschaft gewerbesteuerlich als selbständige Rechtsträger zu behandeln, die den an ihnen beteiligten Personen gegenüberstehen387. Kapitalgesellschaften mögen als juristische Personen privaten Rechts derselben zivilrechtlichen Ordnung angehören und einander auch gewerbesteuerlich prinzipiell gleichgeordnet sein; das hindert den Gesetzgeber aber nicht, bei der Ermittlung des Gewerbeertrages von diesem „Ordnungsprinzip“ abweichend zwischen personenbezogenen und anonymen Kapitalgesellschaften zu differenzieren: Hinsichtlich der Möglichkeit, den Gewerbeertrag zu gestalten, stünden personenbezogene Kapitalgesellschaften Personengesellschaften nämlich näher als anonymen Kapitalgesellschaften388. Macht der Gesetzgeber den Rechtsbegriff „Kapitalgesellschaft“ im KapitalverkehrsteuerG zu einem „Ordnungsfaktor“, an den er die Steuerpflicht knüpft, so kann er doch andere Gesellschaften ____________________
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VfSlg 8067/1977. S zB VfSlg 7423/1974, s aus der jüngeren Vergangenheit auch VfSlg 17.207/2004: Es steht dem Gesetzgeber frei, die Ausübung von bestimmten Gewerben (hier der Güterbeförderung und des Gelegenheitsverkehrs) auch in Sondergesetzen außerhalb der GewO zu regeln. Dabei kann er unterschiedliche Systeme wählen, die einander nicht im Detail entsprechen und nur in sich selbst sachlich sein müssen. Es steht dem Gesetzgeber auch frei, Änderungen der GewO auf Sondergesetze nicht durchschlagen oder vorläufig (zur Prüfung der Auswirkungen in deren Bereich) noch nicht wirksam werden zu lassen und diese Sondergesetze gegebenenfalls erst später an das allgemeine Recht anzupassen, wenn nur jedes System in sich sachlich bleibt. 386 Wenn der Gesetzgeber etwa im FLAG einerseits und im Zivil- sowie im Einkommensteuerrecht andererseits an unterschiedliche Altersgrenzen anknüpft, „also einem einheitlichen Ordnungssystem nicht folgt“, so kann daraus noch kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot abgeleitet werden. Ob es sich dabei überhaupt um die Durchbrechung eines einheitlichen familienpolitischen Ordnungssystems handelt, qualifizierte der VfGH folglich als belanglos; vielmehr sei die jeweilige Regelung (hier jene des FLAG) für sich am Gleichheitssatz zu messen: VfSlg 8605/1979, s auch VfSlg 7331/1974. 387 VfSlg 6854/1972. 388 VfSlg 4379/1963, s auch VfSlg 4753/1964. 385
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in diese Regelung einbeziehen, wenn dies – wie bei bestimmten Kommanditgesellschaften – sachlich begründbar ist389. Sieht der Gesetzgeber im Handelsrecht für künftig zu entrichtende Pensionen eine Passivierungspflicht vor, so muss er dies nicht auch steuerrechtlich tun; er kann dort eine Passivierungspflicht und auch ein Passivierungsrecht vorsehen oder (teilweise) beseitigen und künftig zu entrichtende Pensionen nicht oder nur teilweise als (gewinnmindernde) Betriebsausgaben anerkennen: „Die Zwecke der handelsrechtlichen und der steuerrechtlichen Bilanzierungsvorschriften sind völlig verschieden.“390 Auch dass das Einkommensteuerrecht zwar grundsätzlich einen Ausgleich von Verlusten und Gewinnen ermöglicht, hindert den Gesetzgeber nicht daran, den Ausgleich von Verlusten auszuschließen, die bei der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft entstanden sind391. Der Gesetzgeber ist auch frei, eine handelsrechtliche Zielsetzung durch steuerrechtliche Maßnahmen zu verstärken oder zu verändern; unerwünschte Arten von Kapitalgesellschaften dürfen daher – ungeachtet ihrer Zulässigkeit – durch eine höhere Besteuerung eingedämmt werden392. Dass betrieblich bedingte Anschaffungen nach dem Einkommensteuerrecht gewinnmindernd sind, muss nicht ausnahmslos gelten: Der Gesetzgeber kann von dieser Regelung abgehen, um unternehmerische Entscheidungen in bestimmtem Sinn zu beeinflussen, etwa um die Aufwendungen für die Anschaffung von Pkws und Kombis einzuschränken393. In manchen Fällen hat der VfGH Ausnahmen von Systementscheidungen aber auch nicht akzeptiert: Dass Heiratsgut und Ausstattung nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt wurden, schien ihm sachlich nicht begründbar394. Auch die Ausnahme der Jubiläums____________________
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VfSlg 5165/1965, 5481/1967, 6269/1970. VfSlg 8457/1978, s auch VfSlg 15.040/1997, 17.067/2003. 391 VfSlg 6030/1969. 392 Im konkreten Fall stand die steuerliche Belastung allerdings mit den gegebenen Unterschieden in den tatsächlichen Verhältnissen bzw mit der rechtlichen Verfassung der Gesellschaft und dem angestrebten Regelungszweck nicht in sachlichem Zusammenhang, sie war mit einem Wort untauglich zur Erreichung des allenfalls angestrebten Gläubigerschutzes: VfSlg 8233/1978. 393 VfSlg 8457/1978. 394 VfSlg 11.368/1987: Nach dem Grundtatbestand des § 34 Abs 1 EStG lag eine außergewöhnliche Belastung vor, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Die Lehre und auch der VwGH qualifizierten eine Belastung zwar überwiegend nur dann als außergewöhnlich, wenn sie in den besonderen Verhältnissen des einzelnen Steuerpflichtigen oder einer kleinen Minderheit von Steuerpflichtigen begründet war. Der Gesetzgeber selbst hatte sich, wie der VfGH annahm, von diesen Kriterien aber schon bei der durch die Novelle 1962 eingefügte Rechtsvermutung des § 34 Abs 3 letzter Satz EStG nicht mehr leiten lassen. Dementsprechend sah es der VfGH in VfSlg 9374/1982 als sachlich gerechtfertigt an, den Unterhalt, den ein wiederverheirateter Ehegatte an den geschiedenen Ehegatten 390
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und Treuegelder von Rückstellungen wich nach Ansicht des Gerichtshofes überschießend von dem allgemeinen Grundsatz ab, dass Rückstellungen für „sonstige ungewisse Verbindlichkeiten“ nach § 9 Abs 1 Z 3 EStG beachtlich sind395. b. Würdigung Der VfGH hat mit der beschriebenen Judikaturlinie ganz bewusst einen anderen Weg eingeschlagen als das BVerfG396. In seiner älteren Rechtsprechung benügte sich dieses bei Durchbrechungen eines einfachgesetzlich geschaffenen Systems nicht mit irgendeiner sachlichen bzw willkürfreien Begründung, es verlangte dafür vielmehr eine besondere Rechtfertigung: Die Gründe für eine solche Durchbrechung müssten, wie das BVerfG annahm, in ihrem „Gewicht der Intensität der Abweichung von dem grundsätzlich gewählten Ordnungsprinzip“ entsprechen397. ____________________
leisten muss, als eine außergewöhnliche Aufwendung einzustufen. Das Kriterium der Außergewöhnlichkeit sei demnach auch gegeben, wenn eine Belastung eine große Gruppe von Steuerpflichtigen in einer spezifischen Situation in gleicher Weise trifft. Dies treffe aber auch auf Eltern zu, die ihren Kindern aus Anlass ihrer Heirat ein Heiratsgut oder eine Ausstattung geben. Dem Gesetzgeber stehe es, wie der VfGH weiter meinte, sicherlich frei, Begünstigungen wie die in § 34 EStG enthaltene zu schaffen, es stehe ihm auch frei, diese Begünstigung als solche abzuschaffen, wenn er den damit verbundenen Einnahmenentfall oder den Verwaltungsaufwand als zu hoch erachte. Wenn der Gesetzgeber aber die Begünstigung „nach einem bestimmten – dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden – System gewährt, bedarf ein Abweichen von einem solchen System (wie hier bei Heiratsgut und Ausstattung) abermals einer sachlichen Rechtfertigung.“ Eine solche konnte der VfGH weder in dem Zweck der Einnahmenerzielung noch in dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung finden; auch das Ziel, eine allfällige missbräuchliche Inanspruchnahme auszuschalten, verwarf der VfGH, weil das Abstellen auf das Angehörigenverhältnis allein nach ständiger Rechtsprechung nicht ausreiche, um eine steuerliche Schlechterstellung sachlich zu begründen; s zu dieser Entscheidung auch Beiser, RdW 1988, 208 f; Barfuss, ÖJZ 1989, 679. 395 VfSlg 15.040/1997. 396 S die Erkenntnisse VfSlg 4753/1964, 5481/1967, in denen der VfGH es auch bezugnehmend auf die Judikatur des BVerfG ausdrücklich ablehnt, Fälle, die einem rechtlichen Ordnungssystem folgen und Fälle, die einem solchen System nicht folgen, verschieden zu beurteilen. Die Rechtsprechung des BVerfG beruhe auf dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit und auf der „im Grundgesetz intendierten sozialen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik“, also auf Verfassungsgrundsätzen, die die österreichische Rechtsordnung nicht enthalte. 397 ZB BVerfGE 13, 331 (341); zu dieser Judikatur mwN Huster, Rechte 386 f, der den vom BVerfG zugrunde gelegten Maßstab als Verhältnismäßigkeitsprüfung qualifiziert, sowie Starck, Art 3 GG Rz 44 ff. Zur neueren Rechtsprechung des BVerfG, die vom Gedanken der Systemgerechtigkeit wieder abzurücken scheint und in einem Systemverstoß nur mehr ein Indiz für eine Gleichheitswidrigkeit sieht mwN Schoch, DVBl 1988, 878; Huster, Rechte 389; ders, Art 3 GG Rz 110; s auch die Studie von Peine, Systemgerechtigkeit 57 f, 63 et passim, nach der das BVerfG den Gedanken der Systemgerechtigkeit nie in jener Schärfe vertreten hat, die ihm in der Lehre zugesprochen wurde.
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Auch in der Literatur besteht keine Einigkeit in der Frage, ob und inwieweit der allgemeine Gleichheitssatz den Gesetzgeber dazu verpflichten kann, seinen eigenen Systementscheidungen „treu“ zu bleiben, ob sich der Gesetzgeber durch derartige Entscheidungen also gleichsam selbst binden kann398. Jene Autoren, die dem Gleichheitssatz ein Gebot der Systemgerechtigkeit entnehmen, hegen die Hoffnung, die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf diese Weise von präpositiven Wertungen frei zu halten: Zu entscheiden, was wesentlich gleich und was wesentlich ungleich ist, obliege zwar dem Gesetzgeber. Wenn er sich aber einmal entschieden hat, dann müsse er dabei konsequent bleiben. Dies zu überprüfen, sei ohne Vornahme außerrechtlicher Wertungen möglich und mit einem Gewinn an Rationalität verbunden399. Tatsächlich liegt in einer Systemdurchbrechung eine Ungleichbehandlung von Personen, zwischen denen – gemessen an der Systementscheidung – eine Gemeinsamkeit besteht400. Dass diese Ungleichbehandlung (wie jede andere Ungleichbehandlung auch) einer sachlichen Begründung ____________________
398 Kritisch zur zurückhaltenden Linie des VfGH etwa Stoll, ÖStZ 1989, 194, der meint, der Gesetzgeber, der sich einmal für ein bestimmtes Regelungsprinzip entschieden habe, müsse der getroffenen Entscheidung „in gewissem (und zwar erhöhten) Maße treu bleiben“; s für die deutsche Lehre den Überblick bei Huster, Rechte 387 ff, sowie Kischel, AöR 124 (1999) 175 FN 2. 399 S zB Marschall, ÖJZ 1967, 87 f; Schoch, DVBl 1988, 877 ff; Tipke, FS Stoll 236, 238 f; Osterloh, Art 3 GG Rz 91, Rz 98 ff; möglicherweise auch Antoniolli, JBl 1956, 612 (fast wortgleich ders, ÖJZ 1956, 647, der in den „aus der Fülle der einzelnen Vorschriften hervorleuchtenden allgemeinen Grundsätze[n], die unsere Rechtsordnung beherrschen, [den] Baugesetze[n] des positiven österr. Rechtes, konkrete, höchst bestimmte Rechtssätze“ sieht, die den Prüfungsmaßstab für ein Gesetz oder einen Verwaltungsakt bestimmen (fast wortgleich auch ders, ÖJZ 1956, 647); wohl auch Stoll, JBl 1986, 280; ders, ÖStZ 1989, 194. 400 S zB Degenhart, Systemgerechtigkeit 50, 52; Wendt, NVwZ 1988, 783; Tipke, FS Stoll 239. Kischel, AöR 124 (1999) 194, verneint hingegen bereits das Vorliegen einer Ungleichbehandlung: Der Schluss von der Systemwidrigkeit auf die Ungleichbehandlung „vergleiche einen Gegenstand in seiner gesetzlichen Behandlung mit einem entsprechenden Gegenstand in einer imaginären, gerade nicht in einem Gesetz vorgesehenen Behandlung, die aber einem bestimmten System entspräche. Eine nicht reale, sondern nurmehr fiktive Ungleichbehandlung ist aber kein Fall des Art. 3 Abs. 1 GG.“ Letzteres trifft zu, gilt aber für den Systemverstoß gerade nicht: Denn die Feststellung, dass bestimmte Personen systemwidrig behandelt werden, setzt ja die Feststellung voraus, dass sie Eigenschaften haben, die den Gesetzgeber sonst – also in anderen Fällen – tatsächlich zu einer systemkonformen Behandlung veranlasst haben. Am Beispiel des Erkenntnisses VfSlg 8457/1978 verdeutlicht: Wenn der Gesetzgeber sich dafür entscheidet, betrieblich bedingte Anschaffungen als gewinnmindernd anzuerkennen, davon abweichend aber eine Abschreibung von Aufwendungen für die Anschaffung von Pkws und Kombis nicht zulässt, behandelt er diese Aufwendungen anders als alle anderen betrieblich bedingten Aufwendungen. Gleiches gilt für den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, den Kischel, AöR 124 (1999) 207, selbst als Systementscheidung anerkennt: Jede Ausnahme von diesem Grundsatz führt dazu, dass Personen in bestimmter Lage – anders als andere – nicht allein nach ihrer Leistungsfähigkeit besteuert werden.
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bedarf, ist kaum zu bestreiten. Das Vorliegen besonders gewichtiger Gründe könnte für eine solche Ungleichbehandlung aber nur verlangt werden, wenn der Einzelne ein Prima-facie-Recht darauf hätte, systemkonform behandelt zu werden. Der Systementscheidung des Gesetzgebers müsste dann prinzipieller Charakter zukommen, sie hätte quasi-verfassungsrechtlichen Rang oder wiese doch eine besondere Verfassungsnähe auf 401. Dass dies der Fall ist, erscheint aus verschiedenen Gründen zweifelhaft: Erstens ist die Schaffung derart quasi-verfassungsrechtlicher Normen in der Verfassung selbst nicht vorgesehen402. Eine solche Normsetzungskompetenz könnte konsequent zu Ende gedacht auch zu kaum wünschenswerten Ergebnissen führen: Dass der Gesetzgeber sich für ein bestimmtes System entscheidet, gewährleistet nämlich keineswegs schon dessen Zulässigkeit403. Käme einem System schon an sich besonderes Gewicht zu, müsste der Gesetzgeber eine offenkundig unzulässige Differenzierung nur konsequent und systematisch genug vornehmen, um ihr erhöhte Bestandskraft zu verleihen. Dass der allgemeine Gleichheitssatz nicht die Funktion haben kann, ein „Unrechtssystem“ zu befestigen, liegt allerdings auf der Hand. Wenn überhaupt, könnte eine Selbstbindung des Gesetzgebers daher nur für Systementscheidungen angenommen werden, die ihrerseits mit dem Gleichheitssatz vereinbar sind404. Selbst wenn man nur eine solche Systemgerechtigkeit als geboten ansähe, könnte sie aber – und dies ist der zweite Einwand – die in sie gelegten Erwartungen einer wertfreien Gleichheitsprüfung nicht erfüllen, eher ist das Gegenteil der Fall: Denn es ist, wie bereits erwähnt wurde, kein Kriterium ersichtlich, nach dem objektiv bestimmt werden könnte, wann ____________________
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S schon Huster, Rechte 387, 389. S schon Peine, Systemgerechtigkeit 247, der betont, dass der Vorrang der Verfassung ein Konzept der Trennung ist, nicht des Zusammenwirkens; s ferner Kischel, AöR 124 (1999) 205, der geltend macht, dass die strenge Grenze zwischen Verfassungs- und Gesetzesrecht nicht durchbrochen werden dürfe. In eine ähnliche Richtung geht der Vorwurf, der Gleichheitssatz führe so verstanden „Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung“: s allgemein Leisner, Verfassungsmäßigkeit; im Besonderen Gusy, NJW 1988, 2508; Kischel, AöR 124 (1999) 196; s auch Thienel, Vertrauensschutz 63 f, der annimmt, dass eine solche Selbstbindung des Gesetzgebers seinen Gestaltungsspielraum übermäßig einschränke. 403 Peine, Systemgerechtigkeit 287, weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass eine willkürliche Norm mit Blick auf die Leitidee konsequent sein kann; dann wäre eben die Leitidee selbst willkürlich; s auch Kischel, AöR 124 (1999) 195. 404 So etwa Stoll, ÖStZ 1989, 194 f; in diesem Sinn meint auch der VfGH in VfSlg 11.368/1987, wenn der Gesetzgeber die Begünstigung „nach einem bestimmten – dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden – System gewährt, bedarf ein Abweichen von einem solchen System [...] abermals einer sachlichen Rechtfertigung.“ (Hervorhebungen nicht im Original); ebenso VfSlg 15.040/1997. 402
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überhaupt ein „System“ vorliegt405: In einer Rechtsordnung, die dem Gesetzgeber die Rechtssetzung und damit auch die Rechtsänderung freistellt, kann nicht angenommen werden, dass die frühere Norm jedenfalls das System bilde und die spätere als seine (besonders rechtfertigungsbedürftige) Durchbrechung anzusehen sei406. Nicht einzusehen ist auch, warum die „Grundsätzlichkeit“ oder „Allgemeinheit“ einer Norm sie schon mit erhöhter Bestandskraft ausstatten sollte407. Auch dass Normen, die interne Zwecke verfolgen bzw einen „Gerechtigkeitsmaßstab“ entfalten, ein System begründen, während Normen, die diesen Maßstab aus externen Gründen durchbrechen, als Systemverstoß anzusehen seien408, ermöglicht mE eine klare Abgrenzung nicht, weil Normen regelmäßig interne und externe Zwecke zugleich zugeschrieben werden können409. So ist auch in der Judikatur bislang unklar geblieben, von welchen Kriterien das Vorliegen eines „Systems“ eigentlich abhängt: Zum Teil verwendet der VfGH den Begriff des „Ordnungssystems“ für komplexere Rechtsgebiete, wie etwa das Arbeitsrecht und das Beamtendienstrecht410, das Familienrecht und das Sozialversicherungsrecht411, das Handelsrecht, das Zivilrecht oder das Verfahrensrecht412. Auch innerhalb dieser Rechtsgebiete sollen wiederum eigene „Ordnungssysteme“ bestehen, so etwa die einzelnen Verfahrensordnungen (AVG, StPO, ZPO etc)413, die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung (ASVG, GSVG, FSVG etc)414, das davon tief greifend verschiedene Pensionsrecht der Beamten415, selbst die Disziplinarrechte für Beamte, Richter und Heeresbedienstete bilden nach ____________________
405 Dazu näher Kischel, AöR 124 (1999) 206 ff; kritisch auch Thienel, Vertrauensschutz 64; Somek, Rationalität 79. 406 So zutreffend Huster, Rechte 392. 407 Huster, Rechte 392; s auch Peine, Systemgerechtigkeit 97, 283: „Nach dem Gesetz der Masse darf nicht entschieden werden“. 408 So der Vorschlag Husters, Rechte 392 ff; ders, Art 3 GG Rz 112 f, der in sich völlig schlüssig auch die „Verfassungsnähe“ der Systementscheidung erklären kann, weil er in Normen, die internen Zwecken dienen, nur eine Entfaltung bzw Konkretisierung des dem Gleichheitssatz immanenten Gerechtigkeitsgedankens sieht. Unter dieser (hier allerdings nicht geteilten) Prämisse ist die Annahme folgerichtig, dass der Einzelne ein Prima-facieRecht auf (system)gerechte Behandlung hat. 409 Dazu bereits oben C.V.2. 410 VfSlg 14.867/1997. 411 VfSlg 8871/1980, 11.665/1988, 11.870/1988, 13.634/1993. 412 ZB VfSlg 4986/1965, 9409/1982, 9875/1983, 10.084/1984, 13.420/1993, 13.455/ 1993, 14.610/1996, 15.190/1998. 413 ZB VfSlg 4986/1965, 9409/1982, 9875/1983, 10.084/1984, 13.420/1993, 13.455/ 1993, 14.610/1996, 15.190/1998. 414 S zB VfSlg 10.030/1984, 15.859/2000. 415 S zB VfSlg 11.870/1988, der Sache nach auch VfSlg 13.804/1994, 13.829/1994.
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der Judikatur je eigene Ordnungssysteme416. Stellt der VfGH hingegen eine begründungsbedürftige Systemdurchbrechung fest, so legt er im Regelfall einen eher engen Systembegriff zugrunde: Bisweilen spricht er von einem Ordnungssystem, wenn er leitende Gedanken eines Gesetzes meint417, oft wird von einem „Ordnungsprinzip“ oder von einem „Ordnungssystem“ in diesem Zusammenhang aber auch schon dann gesprochen, wenn der Gesetzgeber einfach eine Regel aufstellt, von der Ausnahmen entweder vorgesehen sind oder (in einer Beschwerde) verlangt werden418. Nicht selten ist es dabei bloß eine Frage des Standpunktes, welche Regel man als systembildend und welche man als ihre Durchbrechung ansieht419. Solange aber nicht beantwortet werden kann, wann eine Regelung ein System bildet oder ergänzt, erweitert und damit mitkonstituiert, und wann sie als dessen Durchbrechung anzusehen ist, bleibt jedes System letztlich ein mehr oder weniger „willkürliches Konstrukt“420. Wird der Prüfungsmaßstab des ____________________
416
VfSlg 10.084/1984. S etwa das Erkenntnis VfSlg 5241/1966, in dem der VfGH die versicherungsrechtlichen Prinzipien in der Sozialversicherung als „Ordnungssystem“ bezeichnet. 418 S etwa das Erkenntnis VfSlg 8457/1978, in dem zu klären war, ob die Nichtabsetzbarkeit von Aufwendungen für die Anschaffung von Pkws und Kombis gleichheitskonform war; das Erkenntnis VfSlg 11.368/1987, in dem zu beurteilen war, ob Heiratsgut bzw Ausstattung von den abzugsfähigen Belastungen ausgeschlossen werden dürfen; s auch die Entscheidung VfSlg 11.572/1987, in der die dem ORF auferlegte Verpflichtung, einen bestimmten Teil der gesamten Sendezeit politischen Parteien zur Verfügung zu stellen, ohne dabei auf die Perioden der Wahlwerbung Bedacht zu nehmen, als ein „Ordnungsprinzip“ bezeichnet wird; s für Deutschland auch Peine, Systemgerechtigkeit 97. 419 Ein Beispiel dafür ist das Erkenntnis VfSlg 15.040/1997 (FN 395): Während der VfGH dem § 9 Abs 1 Z 3 EStG den Grundsatz entnahm, dass Rückstellungen für „sonstige ungewisse Verbindlichkeiten“ beachtlich sind, sah die Bundesregierung in dieser Bestimmung umgekehrt eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Rückstellungen die steuerliche Anerkennung versagt sei: Nur „verbindlichkeitsnahe“ Rückstellungen seien von diesem Grundsatz durch § 9 Abs 1 Z 3 EStG ausgenommen (s dazu auch Somek, Rationalität 79). Gleiches gilt auch für das Erkenntnis VfSlg 9138/1981, in dem der VfGH einen Bescheid zu beurteilen hatte, der das Recht des Verlustabzuges bei der Gewerbesteuer als höchstpersönlich qualifizierte und einer Abgabepflichtigen dementsprechend einen Abzug der Verluste des Betriebsvorgängers (ihres verstorbenen Vaters) verweigerte. Der VfGH ging einerseits davon aus, die Behörde habe in ihrer Rechtsauslegung eine Durchbrechung des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer angenommen. Auch bei diesem Inhalt sei die angewendete Vorschrift verfassungsrechtlich aber unbedenklich, weil es dem Gesetzgeber freistehe, innerhalb eines von ihm geregelten Ordnungssystems einzelne Tatbestände auf eine nicht systemgerechte Art zu regeln. Andererseits qualifizierte der VfGH diese Durchbrechung dann ihrerseits als sachlich, weil sie mit dem „System“ des § 4 Abs 2 GewStG übereinstimme: Dieser Vorschrift zufolge war ein Gewerbebetrieb im Fall der Rechtsnachfolge als durch den übernehmenden Unternehmer neu gegründet anzusehen. Nimmt man das ernst, dann stellte ein und dieselbe Vorschrift eine Durchbrechung des einen Systems und unter dem Gesichtspunkt einer anderen Vorschrift wiederum eine systemkonforme Regelung dar. Deutlicher kann wohl kaum werden, wie beliebig sich „Systeme“ bilden lassen. 420 Kischel, AöR 124 (1999) 206 f; s auch die Hinweise in FN 405. 417
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Gleichheitssatzes von einer solchen Vorentscheidung abhängig gemacht, trägt dies nicht zu einem Gewinn an Rationalität bei, sondern eher dazu, dass bei der Festlegung des Systems Wertungen unter der Hand vorgenommen und mit dem Schein der Rationalität bemäntelt werden. Geht man wie der VfGH überdies davon aus, dass sich verschiedene Ordnungssysteme nicht miteinander vergleichen lassen müssen421, dann kann die Feststellung, ob eine Ungleichbehandlung auf unterschiedlichen Systemen beruht oder auf einer Systemdurchbrechung, zu einer Schicksalsfrage der Gleichheitsprüfung werden: Im ersten Fall ist eine sachliche Begründung verzichtbar, im zweiten Fall wird sie ausdrücklich verlangt. Das Ergebnis der Gleichheitsprüfung wird damit von Unwägbarkeiten abhängig gemacht, die sich nur vermeiden lassen, wenn man der Zugehörigkeit einer Norm zu einem System keine besondere Bedeutung beimisst: Weder ist anzunehmen, dass zwei Normen nur deshalb nicht miteinander zu vergleichen sind, weil sie verschiedenen „Ordnungssystemen“ entstammen, noch ist anzunehmen, dass an die Begründung einer Ungleichbehandlung nur deshalb höhere Anforderungen zu stellen sind, weil sie ein System durchbricht. Es genügt, dass eine Systemdurchbrechung durch wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen sachlich begründet werden kann; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Erst wenn es an derartigen Unterschieden fehlt, wenn also wesentlich Gleiches vorliegt, bedarf die Abweichung von einer Regelung einer Rechtfertigung; dies aber nicht, weil das „System“ an sich erhöhte Bestandskraft hätte, sondern weil der Gesetzgeber dann – nach seinen eigenen Wertungen – wesentlich Gleiches ungleich behandelt, also in den Gleichheitssatz eingreift. Sieht man in der Abweichung von einem (wie immer festgelegten) System nur eine Ungleichbehandlung, die keiner erhöhten Rechtfertigung bedarf, sondern bloß einer sachlichen Begründung, dann spielt die Systemwidrigkeit der Norm für die Frage ihrer Gleichheitskonformität keine tragende Rolle. Ihr kommt nur die Funktion zu, Vergleichsgruppen festzustellen und potentielle Gleichheitswidrigkeiten aufzudecken. Dass eine Systemwidrigkeit den Gleichheitssatz verletzt, bedarf dann aber einer eigenen Begründung, die neben den Befund der Systemwidrigkeit treten muss422. Ein striktes Konsequenzgebot ist dem allgemeinen Gleichheitssatz daher nicht zu entnehmen. Eine Norm kann ungeachtet ihrer Konsequenz gleichheitswidrig sein, umgekehrt kann aber auch eine inkonsequente Norm gleichheitskonform sein423. Dem VfGH ist daher zuzustimmen, wenn er für Systemabweichungen nur eine sachliche Begründung ____________________
421 422 423
S oben D.III.1.a. S auch Peine, Systemgerechtigkeit 58. S schon Peine, Systemgerechtigkeit 287.
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verlangt. Nicht gefolgt werden kann aber der – den Vergleich wiederum beschränkenden – Annahme, eine Abweichung vom System müsse nur „in sich“ gerechtfertigt sein424. Dass der VfGH in seiner jüngeren Judikatur von dieser Annahme zunehmend abgeht425, ist daher zu begrüßen. In manchen Entscheidungen meint der Gerichtshof allerdings auch, er habe die „Systemgerechtigkeit einer [...] Regelung nicht zu beurteilen“426. Derartigen Feststellungen dürfte dann freilich ein Begriffsverständnis zugrunde liegen, das den Ausdruck „Systemgerechtigkeit“ nicht als Gegenstück zur Systemabweichung verwendet.
3. Systementscheidungen von besonderem Gewicht Scheinbar abweichend von der soeben geschilderten Judikatur hat der VfGH einfachgesetzlichen Systementscheidungen in manchen Fällen höhere Bedeutung beigemessen und für eine Systemdurchbrechung eine besondere Rechtfertigung verlangt. a. Beispiel: Grundsatz der Einmalbesteuerung Dies gilt etwa für den „Grundgedanken“ des Einkommensteuerrechts, nur einen Vermögenszuwachs zu erfassen, bloße Vermögensumschichtungen aber außer Acht zu lassen. Unter Berufung auf diesen Grundgedanken qualifizierte der VfGH § 22 Z 1 EStG 1953 idF BGBl 1954/1 als gleichheitswidrig. Diese Vorschrift ließ das Entgelt für die Veräußerung von Privatvermögen zwar steuerfrei, wenn es in einer fest bestimmten Summe oder in fest bestimmten Teilbeträgen entrichtet wurde, unterwarf es aber zur Gänze der Einkommensteuer, wenn es in Rentenform abgetragen wurde. Für diese „Steuerpflicht kraft Rentenform“ war dem VfGH kein „innerer Grund einsehbar“427. Die zwei Nachfolgeregelungen des EStG hatten dem erwähnten Grundgedanken des Einkommensteuerrechts zwar an sich entsprochen; sie bestimmten aber die Steuerpflicht bei Rentenverträgen nach dem Wert des übertragenen Wirtschaftsgutes im Zeitpunkt der Übertragung. Der VfGH hielt dies für „nicht geeignet, den auf die Vermögensumschichtung entfallenden Teil der wiederkehrenden Bezüge von der Besteuerung auszuschließen“. Anders als in anderen Entscheidungen begnügte sich der VfGH hier nicht damit, dass diese Regelung durch „ir____________________
424 Kritisch zu dieser Judikatur bereits Korinek, FS Melichar 49 f, der hier einen Verlust an Rationalität befürchtet; kritisch zur Annahme, Systemabweichungen müssten nur „in sich“ gerechtfertigt sein, auch Stoll, JBl 1986, 280, der allerdings für Systemabweichungen eine besondere Rechtfertigung zu verlangen scheint. 425 S neben VfSlg 11.368/1987, 15.040/1997 (FN 394 f) zB VfGH 9.3.2007, G 103/05. 426 ZB VfSlg 15.106/1998 (Hervorhebung nicht im Original). 427 VfSlg 4627/1963; s auch VfSlg 7018/1973, 8383/1978, 10.101/1984.
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
gendwelche Gründe“ gerechtfertigt werden könnte, insbesondere verwarf er eine Rechtfertigung durch den – an sich legitimen – Zweck, aleatorische Geschäfte zu unterbinden oder zu erschweren und hob die inkriminierten Regelungen als gleichheitswidrig auf 428. Akzeptiert hat der VfGH aber in VfSlg 8727/1980, dass die Steuerpflicht an die Höhe der von den Vertragsparteien vereinbarten Leibrente anknüpfte, weil diese in der Regel einen zutreffenden Schluss auf den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert des übertragenen Wirtschaftsgutes zulässt. Diese Methode der Berechnung bewirke bei einer Durchschnittsbetrachtung, dass lediglich jener Rententeil der Einkommensteuerpflicht unterzogen wird, der (aufgrund des aleatorischen Charakters des Leibrentenvertrages) den wirtschaftlichen Wert des übertragenen Gutes übersteigt. Die Inflationsrate sei in den Durchschnittsfällen nicht derart hoch, dass das Gesetz dadurch unsachlich geworden wäre. Erst im Erkenntnis VfSlg 10.612/1985 findet sich der eigentliche Grund für diesen strengeren Prüfungsmaßstab: Der „Grundgedanke“, dessen Beibehaltung der VfGH so genau kontrollierte, entsprach nach seiner Ansicht dem „schon aus dem Gleichheitssatz erfließende[n] Grundsatz der ,Einmalbesteuerung‘“ 429. Ob dieser Grundsatz wirklich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz folgt, kann hier vorläufig dahin stehen430; wenn dies aber der Fall ist, wären an seine Durchbrechung tatsächlich strengere Anforderungen zu stellen: Da er von Verfassung wegen bestünde, würde er dem Einzelnen ein Prima-facie-Recht verschaffen, grundsatzkonform behandelt zu werden. Jede Durchbrechung dieses Grundsatzes wäre ein Eingriff in dieses Recht, der nur zulässig wäre, wenn er im öffentlichen Interesse gelegen, geeignet und erforderlich wäre und überdies in einem angemessenen Verhältnis zu dem beeinträchtigten Interesse des Betroffenen stünde. ____________________
428 VfSlg 5726/1968, 6409/1971, 6688/1972; s dann allerdings das Erkenntnis VfSlg 8021/1977, in dem gegen § 22 EStG keine Bedenken mehr erhoben wurden. 429 Hervorhebungen nicht im Original. S auch VfSlg 14.779/1997 sowie das bereits erwähnte (FN 210) Erkenntnis VfSlg 16.678/2002, in dem der VfGH die Bewertung von Leibrenten aufgrund der Sterbetafeln 1959/1961 als gleichheitswidrig qualifizierte. In den seither verstrichenen Jahrzehnten hat sich die demographische Entwicklung so wesentlich verändert, dass die ursprünglich noch zulässigen Pauschalwerte heute nicht mehr geeignet sind, die Steuerfreistellung der bloßen Vermögensumschichtung zu gewährleisten: In den Anlassfällen dieses Gesetzesprüfungsverfahrens führten sie dazu, dass sich eine Steuerpflicht bereits eingestellt hatte, als die zufließenden Renten erst 65,17 bzw 48,45% der hingegebenen Einmalleistung erreichten. Für diese Besteuerung einer bloßen Vermögensumschichtung war eine sachliche Rechtfertigung nicht ersichtlich. Nicht zu rechtfertigen war ferner die Besteuerung einer Rente, die zur Abdeckung des aus einer Behinderung resultierenden Mehrbedarfs bezogen wird; eine solche Rente gleicht nur den erhöhten Existenzbedarf des Rentenbeziehers aus, erhöht also nicht seine Leistungsfähigkeit: VfGH 7.12.2006, B 242/06. 430 Dazu noch unten F.II.5.a.
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b. Beispiel: Grundsatz der Wettbewerbsneutralität Besondere Bedeutung maß der VfGH im Umsatzsteuerrecht auch dem „Grundsatz der Wettbewerbsneutralität“ bei. Er qualifizierte dementsprechend in VfSlg 10.043/1984 eine unechte Umsatzsteuerbefreiung als gleichheitswidrig, weil sie generell und völlig undifferenziert den Verlust eines Vorsteuerabzuges auslöste und damit den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität in sein Gegenteil verkehrte. In VfSlg 10.405/1985 erhob der VfGH gleichartige Bedenken gegen § 6 Z 9 lit a UStG: Die darin angeordnete Umsatzsteuerbefreiung wurde unter gewissen Umständen durch den Nachteil des Verlustes eines Vorsteuerabzuges für umsatzsteuerpflichtige Aufwendungen weit übertroffen – ein Ergebnis, das wettbewerbsverzerrend wirke und durch das Ziel, die doppelte Besteuerung ein und desselben Vorganges zu vermeiden, zumindest so undifferenziert nicht gerechtfertigt werden könne. Die Bundesregierung wandte gegen diese Bedenken ein, der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität sei im UStG nirgendwo ausdrücklich festgelegt. Er könne zwar bei der Auslegung einzelner Bestimmungen des UStG herangezogen werden, nicht aber schlechthin den Prüfungsmaßstab für die Verfassungskonformität einer Umsatzsteuerbefreiung bilden. Selbst wenn es im Umsatzsteuerrecht aber ein generelles Prinzip der Wettbewerbsneutralität gäbe, sei es dem Gesetzgeber nach ständiger Judikatur erlaubt, innerhalb eines von ihm geschaffenen Ordnungssystems einzelne Tatbestände auf eine nicht systemgerechte Art zu regeln, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen. Die folgenden Versuche der Bundesregierung, eine solche Rechtfertigung beizubringen, überzeugten den VfGH nicht. Wie dieser abschließend feststellte, hätte seine Bedenken nur der Nachweis zerstreut, „daß die aufgezeigten nachteiligen Folgen der Steuerbefreiung durch keine andere Lösung vermieden werden können, die in Prüfung stehende Regelung also die einzige Möglichkeit wäre, eine mehrfache Besteuerung zu vermeiden.“431 Die Literatur und auch die Praxis in anderen Ländern zeige indes, daß es Möglichkeiten gebe, „das gesetzgeberische Ziel der Vermeidung einer doppelten Besteuerung zu erreichen, ohne die Nachteile eines ausnahmslosen Verlustes des Vorsteuerabzuges auszulösen.“ Ganz offensichtlich nimmt der VfGH hier eine Erforderlichkeitsprüfung vor. Er geht also wohl davon aus, dass der Unternehmer ein Primafacie-Recht hat, nicht durch eine unechte Umsatzsteuerbefreiung einem Wettbewerbsnachteil ausgesetzt zu werden. Ein Eingriff in dieses Recht ist nur zulässig, wenn kein gelinderes Mittel zur Verfügung steht, um das angepeilte Ziel zu erreichen. Auch dieses Prima-facie-Recht wurde in ____________________
431
Hervorhebungen nicht im Original.
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Wahrheit jedoch nicht einem einfachgesetzlich aufgestellten „Grundsatz“ entnommen, sondern – wie eine frühere Entscheidung des VfGH zeigt – dem „– schon aus dem Gleichheitssatz erfließenden – Grundsatz der Wettbewerbsneutralität“432. Wenn ein solcher Grundsatz aus dem Gleichheitssatz ableitbar ist433, dann ist es auch gerechtfertigt, an die Zulässigkeit seiner Durchbrechung strengere Maßstäbe anzulegen. c. Beispiel: Anrechnung der Vorhaft Besonderes Gewicht hat der VfGH auch dem Umstand beigemessen, dass sowohl das StGB als auch das FinStrG die Anrechnung einer Verwahrungs- oder Untersuchungshaft auf die Strafe vorsahen, während § 19 VStG aF eine solche Anrechnung ausschloss: Der VfGH sah nicht, wie diese unterschiedliche Behandlung der Anrechnung der Vorhaft sachlich gerechtfertigt sein sollte. Insbesondere sei sie weder durch die verschiedenen Systeme von Strafen, noch durch die verschiedenen Strafzwecke, noch durch Unterschiede in der Organisation der jeweils zuständigen Strafbehörden, noch durch Gründe der Verwaltungsökonomie sachlich begründbar. Die Bundesregierung unterließ den – in Ansehung der Judikatur an sich nahe liegenden – Einwand, dass es dem Gesetzgeber gestattet sei, in unterschiedlichen Ordnungssystemen unterschiedliche Regelungen vorzusehen und brachte erst in der mündlichen Verhandlung vor, der Gerichtshof vergleiche Unvergleichbares, was der VfGH jedoch nicht gelten ließ434; er hob die entsprechende Vorschrift des VStG auf, weil sie Personen, die in einem Verwaltungsstrafverfahren nach dem VStG bestraft werden, gegenüber Personen benachteilige, die nach dem StGB oder FinStrG bestraft werden. Auf den ersten Blick erweckt der Vergleich mit dem StGB und dem FinStrG den Eindruck, die Anrechnung der Vorhaft im VStG sei nur deshalb geboten, weil auch die beiden anderen Strafgesetze sie vorsehen. Dann freilich hätte es dem Gesetzgeber freistehen müssen, das Niveau zu senken, die Anrechnung der Vorhaft also auch im StGB und im FinStrG auszuschließen, um dem Gleichheitssatz zu entsprechen. Dies scheint aber gerade nicht die Position des VfGH gewesen zu sein. Seine Entscheidung erweckt viel eher den Eindruck, dass die inkriminierte Ungleichbehandlung nur in eine Richtung, nämlich durch die Anrechnung der Vorhaft auch im VStG behoben werden konnte; das würde aber bedeuten, dass diese Anrechnung – wie die Einmalbesteuerung und die Wettbewerbsneutralität – durch den Gleichheitssatz schon grundsätzlich ____________________
432 433 434
VfSlg 10.043/1984. S dazu unten F.II.6.a. VfSlg 8017/1977.
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geboten ist und dass jede Abweichung von diesem Grundsatz einer besonderen Rechtfertigung bedarf 435. d. Beispiel: Strafmilderung In etwa gleich verfuhr der VfGH, als § 100 StVO idF BGBl 1994/518 die im VStG vorgesehene außerordentliche Strafmilderung ua für das Lenken eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ausschloss. Der Gerichtshof verglich diese Bestimmung – neuerlich das Ordnungssystem überschreitend – mit den Strafbemessungsvorschriften des gerichtlichen Strafrechts, dem ein Ausschluss der außerordentlichen Strafmilderung ausnahmslos unbekannt ist. Dies führe – auch im Hinblick darauf, dass das Lenken eines Fahrzeuges in alkoholisiertem Zustand als Verwaltungsübertretung nur subsidiär, nämlich nur dann zu ahnden ist, wenn es nicht einen wesentlichen Gesichtspunkt einer gerichtlichen Straftat darstellt – zu einem extremen Missverhältnis der gerichtlichen Strafdrohung einerseits und der verwaltungsbehördlichen andererseits. Es sei „von der Sache her“ nicht einsichtig, dass bei einem solchen Delikt beträchtlich überwiegende Milderungsgründe zwar bei der Strafbemessung vom Gericht wahrzunehmen, diese für die Verwaltungsbehörde hingegen rechtlich belanglos seien436. Dieses Missverhältnis – und die darin liegende Ungleichbehandlung – ließe sich freilich problemlos beseitigen, indem die außerordentliche Milderung in derartigen Fällen eben generell, also auch im gerichtlichen Strafrecht ausgeschlossen wird. Dass der VfGH dies als Korrektur der Gleichheitswidrigkeit akzeptiert hätte, ist allerdings zweifelhaft. Denn er schien nicht so sehr die Ungleichbehandlung eines Straftäters im gerichtlichen und im verwaltungsbehördlichen Verfahren für gleichheitswidrig zu halten, als vielmehr den Ausschluss der außerordentlichen Strafmilderung an sich. Dementsprechend verwarf der VfGH auch den Hinweis in den Materialien, die inkrimierte Bestimmung sei durch den besonders hohen Unrechtsgehalt derartiger Alkoholdelikte geboten: Dieser Unrechtsgehalt finde nämlich, wie der VfGH meinte, in der abstrakten Höhe der gesetzlichen Strafdrohung ihren Ausdruck, „nicht aber im – an sich bereits unsachlichen […] – Verbot der Berücksichtigung selbst beträchtlich überwiegender Milderungsgründe bei der konkreten Strafbemessung.“437 Auch in dieser Entscheidung entnimmt der VfGH also bereits dem Gleichheitssatz selbst ein Prima-facie-Recht auf eine außerordentliche Strafmilderung, ____________________
435 436 437
S dazu noch unten E.IV.4.c. VfSlg 14.973/1997. Hervorhebungen nicht im Original.
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das im gerichtlichen Strafrecht nur „realisiert“ ist, aber auch unabhängig davon zu bestehen scheint. Geht man von dieser Prämisse aus, dann ist einsichtig, dass für eine Abweichung von diesem Grundsatz des Gerichtsstrafrechts besonders triftige Rechtfertigungsgründe verlangt wurden438. e. Beispiel: Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zum Nachteil des Beschuldigten Auf ähnlichen Prämissen beruht wohl auch das Erkenntnis VfSlg 11.865/1988, in dem der VfGH annahm, es sei ein „die gesamte Strafrechtsordnung durchdringendes, in der österreichischen Strafrechtstradition tiefverwurzeltes und dem Wesen eines (auch) die Verteidigungsrechte sichernden Verfahrens entsprechendes Grundprinzip“, dass ein rechtskräftig beendetes Strafverfahren zum Nachteil des Beschuldigten im Allgemeinen nur dann wiederaufgerollt werden kann, wenn gesetzlich streng umrissene Wiederaufnahmsgründe im Tatsachenbereich erfüllt sind. Konstituiert sah der VfGH diesen Grundsatz durch die §§ 352 ff StPO, § 24 und § 52 VStG, durchbrochen hingegen durch den ersten Halbsatz des § 170 Abs 2 FinStrG: Dieser ermächtigte die Oberbehörde im Finanzstrafverfahren, in Ausübung ihres Aufsichtsrechts bestimmte (rechtskräftige) Entscheidungen nach den Regeln der BAO aufzuheben. Diese Schlechterstellung gerade im Teilrechtsgebiet des Finanzstrafverfahrens schien dem VfGH sachlich nicht gerechtfertigt. In dem sodann eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren stellte die Bundesregierung zunächst in Abrede, dass der vom VfGH angenommene Grundsatz wirklich den ganzen Strafrechtsbereich erfasse. Dieses Prinzip sei vielmehr nur in der StPO verwirklicht. Warum es Maßstab für anders gestaltete Rechtsbereiche sein solle, sei nicht erkennbar. Insbesondere seien bei deduktiven Ableitungen auch die dem vermeintlichen Grundsatz widersprechenden Bestimmungen – wie gerade die vom VfGH in Prüfung genommene – zu bedenken. Der VfGH ließ sich auf die Frage, ob das genannte Grundprinzip in der österreichischen Rechtsordnung einfachgesetzlich tatsächlich verwirklicht sei, ein und hielt der Bundesregierung entgegen, der von ihr angeführte § 68 Abs 4 lit d AVG widerlege diesen Grundsatz nicht: Diese Vorschrift ermächtige zwar (iVm § 24 VStG) die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde dazu, einen rechtskräftigen Strafbescheid von Amts wegen für nichtig zu erklären, wenn der Bescheid an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leidet. „Nun gibt es aber derzeit keine gesetzliche Vorschrift, die für den Bereich des Verwaltungsstrafrechtes eine solche Nichtigkeit vorsieht. Durch den Hinweis auf die bloße ____________________
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S dazu noch E.IV.4.c.
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Möglichkeit, auch für den Bereich des Verwaltungsstrafrechtes Nichtigkeitstatbestände vorzusehen (deren Verfassungsmäßigkeit keineswegs von vornherein feststeht), ist aber für den Standpunkt der Bundesregierung nichts zu gewinnen, weil es eben nur darauf ankommt, ob das im Einleitungsbeschluß angenommene Grundprinzip der tatsächlich derzeit bestehenden Rechtslage zu entnehmen ist.“ Die vorläufige Annahme des Einleitungsbeschlusses, „daß die Strafrechtsordnung vom dargelegten Grundprinzip beherrscht werde und die darauf aufbauende Folgerung, daß Abweichungen von diesem Grundsatz einer (besonderen) sachlichen Rechtfertigung bedürfen“ habe sich damit als zutreffend herausgestellt. Doch dieser Grundsatz steht, solange er nur aus dem einfachgesetzlichen Recht abgeleitet wird, auf tönernen Beinen. Denn wenn der einfache Gesetzgeber die Ermächtigung des (heute) § 68 Abs 4 Z 4 AVG nützte und einen Nichtigkeitsgrund statuierte, geriete dieser Grundsatz bereits ins Wanken. Das angesprochene Problem der einfachgesetzlichen Systembindung wird damit neuerlich deutlich: Wenn es dem Gesetzgeber frei steht, ein System jederzeit zu ändern, dann ist nicht plausibel, warum er von diesem System – solange es besteht – nur mit besonderer Rechtfertigung abgehen können soll. Tatsächlich dürfte auch dem VfGH nicht ganz geheuer gewesen sein, dass die Geltung des von ihm angenommenen Grundprinzips davon abhängen sollte, ob der einfache Gesetzgeber nun nach § 68 Abs 4 AVG Nichtigkeitsgründe statuiert oder nicht. Denn er merkte wohl nicht von ungefähr an, dass die „Verfassungsmäßigkeit [derartiger Nichtigkeitsgründe] keineswegs von vornherein feststeht“. Mit dieser Hintertür behält sich der VfGH wohl vor, die das Grundprinzip gefährdenden Bestimmungen ihrerseits zu Fall zu bringen, um das Prinzip zu stabilisieren. Das freilich wäre nur begründbar, wenn dieses Prinzip selbst aus dem Gleichheitssatz resultierte. Versteht man den Grundsatz, dass ein Strafverfahren zu Lasten des Beschuldigten nur aus gesetzlich fest umrissenen Wiederaufnahmsgründen neu aufgerollt werden darf, als eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes, dann – und nur dann439 – erscheint plausibel, dass der VfGH diesem Grundsatz hohes Gewicht beimisst und für eine Abweichung von diesem Grundsatz eine besondere sachliche Rechtfertigung verlangt. Das Erfordernis einer solchen Rechtfertigung könnte dann gerade nicht dadurch obsolet werden, dass der Gesetzgeber diesen Grundsatz einfachgesetzlich einmal mehr durchbricht, im Gegenteil: Es müsste dann auch für diese weitere Durchbrechung eine Rechtfertigung beigebracht werden. ____________________
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S dazu noch E.IV.4.c.
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IV. Zwischenbilanz 1. Das Gleichheitskonzept der Judikatur Der vorstehende Überblick über die wesentlichen Leitlinien der Judikatur zeigt, dass in der Praxis des VfGH ganz unterschiedliche Gleichheitsformeln in Verwendung stehen und dass der Gerichtshof keineswegs an jede Gleich- oder Ungleichbehandlung dasselbe Maß anlegt. Zumindest an der sprachlichen Oberfläche spiegeln sich in diesen Formeln alle drei Gleichheitskonzeptionen wider, die oben (C.) allgemein diskutiert worden sind. a. Grundsatz der Gleichbehandlung? Wenn der VfGH feststellt, eine Ungleichbehandlung sei „nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist“440, so klingt ein Prinzipienverständnis an, das auf einer Gleichheitspräsumtion beruht, also auf der Annahme, der allgemeine Gleichheitssatz vermittle dem Einzelnen ein Prima-facie-Recht, in jeder Hinsicht gleich behandelt zu werden wie jeder andere. In einem solchen Konzept stellt jede Ungleichbehandlung einen Eingriff in das Recht auf Gleichbehandlung dar, der einer Rechtfertigung durch ein höherwertiges Ziel bedarf. Es wurde bereits gezeigt, dass der allgemeine Gleichheitssatz nicht in diesem Sinn verstanden werden kann441. Tatsächlich darf auch der VfGH mit der genannten Formel nicht beim Wort genommen werden. Es gibt zwar Fälle, in denen der Gerichtshof im Rahmen des Gleichheitssatzes eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführt442. In vielen Fällen genügt ihm aber auch, dass eine Ungleichbehandlung sachlich begründbar bzw nicht unsachlich ist443. In manchen Fällen lehnt es der VfGH sogar schon von vorneherein ab, Ungleichbehandlungen einer Gleichheitsprüfung zu unterziehen: So wenn er der Ansicht ist, die ungleich behandelten Fallgruppen seien miteinander überhaupt nicht vergleichbar444, weiters, wenn eine Ungleichbehandlung auf unterschiedliche Ordnungssysteme zurückgeht: Dann soll es nach der Judikatur genügen, dass jedes Ordnungssystem für sich dem Gleichheitssatz entspricht; in Vergleich zueinander seien diese Systeme nur ausnahmsweise aus ganz besonderen Gründen zu bringen445. Dass jede Ungleichbehandlung schon ____________________
440 441 442 443 444 445
D.I.7. C.III. D.I.7., D.I.8.e., D.II.2.a., D.II.2.b., D.III.3. D.I.3.d. D.I.1. D.III.1.a.
Zwischenbilanz
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an sich, also ohne weitere Voraussetzungen rechtfertigungsbedürftig wäre, ist nach all dem nicht die Position, die der Judikatur zugrunde liegt. b. Gleiches gleich, Ungleiches ungleich behandeln? Wenn der VfGH eine Gleichheitsprüfung mit dem Argument ablehnt, zwei Fallgruppen seien miteinander nicht vergleichbar, so ist damit regelmäßig gemeint, dass zwischen diesen Gruppen keine Gemeinsamkeiten bestehen, die eine nähere Prüfung der Differenzierung erfordern oder dass diese Gruppen so verschieden sind, dass ihre Ungleichbehandlung von vornherein unbedenklich, also nicht weiter überprüfungsbedürftig erscheint446. Dem Tatbestand des Gleichheitssatzes ist eine Ungleichbehandlung nach der Judikatur also nicht jedenfalls, sondern nur dann zu subsumieren, wenn sie Gleiches bzw nicht offensichtlich Unterschiedliches betrifft. Dementsprechend erläutert der VfGH den Gleichheitssatz auch mit der Formel, Gleiches sei gleich zu behandeln; eine Ungleichbehandlung sei nur erlaubt, wenn sie sich auf wesentliche Unterschiede stützt. Komme solchen Unterschieden besonderes Gewicht zu, so sei eine Ungleichbehandlung nicht nur erlaubt, sondern auch geboten. Der Gesetzgeber ist nach der Judikatur also auch dazu verpflichtet, Ungleiches ungleich zu behandeln447. Die Annahme, der Gleichheitssatz gebiete, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, entspricht dem zweiten Gleichheitskonzept, das oben erörtert worden ist. Wie gezeigt, kann diese Standardformel allerdings keine absolute Geltung beanspruchen; unter bestimmten Voraussetzungen darf nämlich auch Gleiches ungleich und Ungleiches gleich behandelt werden448. c. Substanzielles Schutzbereichsmodell Dass dies auch die Position der Judikatur ist, wird besonders deutlich, wenn der Gesetzgeber eine an sich gebotene Un/gleichbehandlung aus rechtstechnischen Gründen oder aus verwaltungsökonomischen Erwägungen nur im Regelfall umsetzt, in atypischen Fällen aber nicht. Der VfGH sieht derartige Vergröberungen nicht als absolut unzulässig an449, er nimmt aber an, dass das Ausmaß der Härtefälle, die bei einer Durchschnittsbetrachtung hinzunehmen sind, „vom Gewicht der angeordneten Rechtsfolgen“ abhängt450. Ebenso müssen verwaltungsökonomische Erleichterungen ____________________
446 447 448 449 450
D.I.1.a. D.I.2. C.IV.4.b. D.I.8. D.I.8.b.
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
in einem „angemessenen Verhältnis zu der damit in Kauf genommenen differenzierenden Behandlung ihrer Adressaten stehen“451. Dass der VfGH solche Fälle als Eingriffe in den Gleichheitssatz behandelt, zeigt sich in der gesamten Judikatur; besonders klar kommt dies aber zum Ausdruck, wenn der VfGH meint, der Gleichheitssatz lasse es zwar zu, auf die Praktikabilität eines Gesetzes Bedacht zu nehmen; diese Erlaubnis ist jedoch „nicht schrankenlos; sie findet ihre Grenze dort, wo anderen Überlegungen […] größeres Gewicht beizumessen ist“452. Wenn in den Gleichheitssatz „eingegriffen“ werden kann, muss dieser auch einen Schutzbereich haben; er muss dem Einzelnen also Rechte vermitteln, die nur prima facie bestehen. Dass der VfGH dies auch tatsächlich annimmt, ergibt sich aus der übrigen Judikatur. Sie hat ein breites Repertoire an Gleichheitsformeln entwickelt, die nicht nur viel gebräuchlicher, sondern auch aussagekräftiger sind als der Satz, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist: Zunächst attestiert der VfGH Un/gleichbehandlungen bisweilen, sie lägen „in der Natur der Sache“, stünden in einem „sachbezogenen Konnex zum Regelungsgegenstand“ oder seien „sachgerecht“. Diese Wendungen weisen darauf hin, dass sich Un/gleichbehandlungen bereichsspezifisch geradezu „von der Sache her“ aufdrängen können, dass also nur sie „der Sache gerecht“ werden. Un/gleichbehandlungen, die dem nicht entsprechen, qualifiziert der VfGH dann auch als „sachfremd“ oder „sachwidrig“ 453. Sind derartige Gebote der Sachgerechtigkeit in der einfachgesetzlichen Rechtsordnung bereits verwirklicht, so prüft der VfGH punktuelle Abweichungen davon streng auf ihre Zulässigkeit. Er behandelt sie als Systemdurchbrechungen und bringt dafür sogar – abweichend von seiner sonstigen Judikatur – verschiedene Ordnungssysteme zueinander in Vergleich454. Auf den ersten Blick scheint der VfGH in diesen Fällen zu beanstanden, dass Gleiches ungleich behandelt wird: Einmal folgt der Gesetzgeber dem System, das andere Mal nicht. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass der Gerichtshof hier in Wahrheit nicht eine Ungleichbehandlung rügt, sondern eine Abweichung von Grundsätzen, die er als gleichheitsrechtlich geboten ansieht. Die beanstandete Gleichheitswidrigkeit ließe sich daher regelmäßig nicht durch eine Beseitigung des Grundsatzes, sondern nur durch seine vollständige Realisierung, also durch die Beseitigung der Systemdurchbrechung korrigieren. ____________________
451 452 453 454
D.I.8.c. D.I.8.f. D.I.3.b. D.III.1., D.III.3.
Zwischenbilanz
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Konkrete nichtkomparative Gleichheitsrechte entnimmt der VfGH in manchen Fällen auch direkt dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot 455. Bei diesen handelt es sich erstens um Quasi-Freiheitsrechte, also um Rechte des Einzelnen, in seiner Freiheit nicht übermäßig beschränkt zu werden456. Zweitens zählen hierher Rechte, einem bestimmten Maßstab entsprechend behandelt zu werden, so etwa das Recht, unter gewissen Voraussetzungen Parteistellung zu erhalten, keine unnötigen Rechtsschutzerschwernisse in den Weg gelegt zu bekommen, keine Enttäuschung durch rückwirkende Regelungen erleiden zu müssen, nicht für etwas einstehen zu müssen, womit einen nichts verbindet uam457. Eine dritte Gruppe von Entscheidungen stellt schließlich unter Berufung auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot Gebote und Grundsätze auf, die mit einem Individualrecht in Wahrheit nichts zu tun haben, so etwa eine Rechtfertigungspflicht des Gesetzgebers für Gemeindezusammenlegungen, für Beleihungen und für Ausgliederungen458. Diese staatorganisatorischen Grundsätze bleiben, da sie mE aus dem Gleichheitssatz nicht abgeleitet werden können, im Folgenden außer Betracht. Häufig anzutreffen ist in der Judikatur auch die Feststellung, eine Un/ gleichbehandlung sei „sachlich begründbar“, „sachlich begründet“, „sachlich“ oder jedenfalls „nicht unsachlich“. Diese Formulierungen passen auf Regelungen, die sich zwar nicht von der Sache her aufdrängen, die aber vertretbar sind, ohne dass deshalb alternative Lösungen ausgeschlossen wären459. Jenseits der Sachgerechtigkeit, der Treue zu einem gebotenen System und des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes hat der Gesetzgeber also Gestaltungsspielraum im wörtlichen Sinn: Er kann die Realität gestalten und bestimmen, ob und inwieweit er im Tatsächlichen bestehende Unterschiede ausgleichen und inwieweit er durch eine Un/gleichbehandlung bestimmte Ziele erreichen will. Aus diesen Zielen ergibt sich dann, was wesentlich und was unwesentlich ist: Wesentlich ist, was zur Zielerreichung beiträgt und was sie verhindert; unwesentlich ist, was sich auf das Ziel nicht auswirkt. In vielen Entscheidungen prüft der Gerichtshof schließlich, ob eine Un/gleichbehandlung „sachlich gerechtfertigt“ ist – eine Formulierung, in der anklingt, dass Un/gleichbehandlungen rechtfertigungsbedürftig, aber auch rechtfertigbar sein können: Eigentlich sollte dann zwar gar nicht oder nach einem anderen Kriterium differenziert werden; unter bestimm____________________
455 456 457 458 459
D.II.2. D.II.2.a. D.II.2.b. D.II.2.c. D.I.3.d.
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
ten Voraussetzungen darf aber dennoch so differenziert werden wie es in der zu prüfenden Regelung geschieht460. Als rechtfertigungsbedürftig muss es jedenfalls angesehen werden, wenn der Gesetzgeber ein (aus Systemen oder aus dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot resultierendes) nichtkomparatives Recht beschränkt, dann aber auch, wenn er wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich behandelt, wenn er also in ein komparatives Recht aus Gründen eingreift, die mit den Eigenschaften der Vergleichsgruppen nichts zu tun haben und daher zwischen ihnen auch keine (neuen) wesentlichen Gemeinsamkeiten oder Unterschiede begründen. Nicht das einzige, wohl aber das prominenteste Beispiel eines solchen Eingriffs sind normative Vergröberungen, Typisierungen und Pauschalierungen: Sie werden bloß aus rechtstechnischen oder verwaltungsökonomischen Gründen vorgenommen und können nach der Judikatur auch hingenommen werden, sofern sie die Position der negativ Betroffenen nicht unverhältnismäßig schwer beeinträchtigen461. Das Gleichheitskonzept, das der Judikatur des VfGH zugrunde liegt, folgt nach all dem einem substanziellen Schutzbereichsmodell, also dem dritten Gleichheitskonzept, das oben besprochen worden ist462: Der allgemeine Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen nach der Judikatur ein Recht, in wesentlich gleicher Lage gleich und in wesentlich ungleicher Lage entsprechend ungleich behandelt zu werden und schließlich – mit fließenden Übergängen – konkrete nichtkomparative Rechte, einem bestimmten Maßstab entsprechend behandelt zu werden. Diese Rechte sind dem Gesetzgeber zum Teil (durch Kriterien der Sachgerechtigkeit, durch Systemgrundsätze und durch das allgemeine Sachlichkeitsgebot) vorgegeben; soweit dies nicht der Fall ist, liegt es an ihm, derartige Rechte durch die Wahl legitimer Ziele zu gestalten. Die Gesamtheit dieser komparativen und nichtkomparativen Rechte bildet den Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes. Im Regelfall sind diese Rechte dem Einzelnen nicht absolut, sondern nur prima facie gewährt. Dem Gesetzgeber bleibt es also vorbehalten, in diese Rechte einzugreifen. Dieser Eingriffsermächtigung sind aber ihrerseits durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Schranken gezogen. Bezeichnet man Eingriffe in den Gleichheitssatz (respektive in die aus ihm resultierenden Prima-facie-Rechte) als „Ungleichbehandlungen“, dann wird auch die eingangs wiedergegebene Formel des VfGH verständlich, ja sie fasst das dargelegte Gleichheitskonzept der Judikatur sogar treffend in einem Satz zusammen: Eine Ungleichbehandlung – nicht im formellen, ____________________
460 461 462
D.I.3.c. D.I.8. C.V.
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sondern im Sinne eines Eingriffes – ist „nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist“.
2. Scheinbare und unausweichliche Wertungsprobleme Geht man von einem solchen substanziellen Schutzbereichsmodell aus, so stellen sich bei der Anwendung des Gleichheitssatzes zum einen Auslegungs-, zum anderen aber auch Wertungsfragen. Ein Teil dieser Wertungsprobleme wurde bereits im zweiten Teil dieser Arbeit identifiziert463. Die nunmehr vorgenommene Bestandsaufnahme der Judikatur erlaubt eine zusammenfassende Vertiefung dieser Problemanalyse. Sie zeigt, dass die Wertungsfragen, die bei einer Gleichheitsprüfung entstehen, zum Teil künstlich erzeugt werden, zum Teil aber tatsächlich unausweichlich sind. Was zum Gegenstand einer Gleichheitsprüfung gemacht werden kann, ist – anders als in der Lehre oft angenommen wird – kein Wertungsproblem. Wertungen werden auf dieser Stufe nur erforderlich, wenn man annimmt, dass sich diese Prüfung stets auf eine Vergleichsgruppe beschränken müsse. Dann muss aus mehreren in Betracht kommenden Vergleichsgruppen eine ausgewählt werden; für diese Auswahl ist aber kein Kriterium ersichtlich, sie kann daher nur wertend erfolgen: Will man die Ungleichbehandlung einer Personengruppe im Verhältnis zu einer zweiten einer näheren Kontrolle entziehen, wird man behaupten, dies sei die „falsche“ Vergleichsgruppe; die richtige Gruppe sei eine andere, im Verhältnis zu der die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sei. Derartige Manipulationen sind vermeidbar, wenn man anerkennt, dass jeder Rechtsunterworfene verlangen kann, gleich wie ein anderer behandelt zu werden; er muss aber dartun, dass er auch wesentlich gleich wie dieser andere bzw von ihm nicht wesentlich verschieden ist. Gelingt ihm dieser Nachweis, dann darf eine nähere Prüfung dieser Ungleichbehandlung nicht verweigert werden. Dass dieser Nachweis von vornherein nur für eine Vergleichsgruppe erbracht werden kann, lässt sich schlicht nicht begründen. Selbst wenn eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu einer Personengruppe gerechtfertigt ist, beweist dies noch nicht, dass sie auch im Verhältnis zu einer zweiten Personengruppe gleichheitskonform ist464. Aus denselben Gründen kann – anders als die Judikatur annimmt – eine Gleichheitsprüfung auch nicht mit dem Argument abgelehnt werden, eine Ungleichbehandlung sei auf verschiedene „Ordnungssysteme“ zurück____________________
463 464
C.IV.3. D.I.1.b.
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
zuführen; diese seien aber zueinander nicht in Vergleich zu bringen465. Eine solche Annahme setzt die Festlegung voraus, was überhaupt ein „System“ ist und weiter, ob zwei Regelungen verschiedenen Systemen zugehören oder ob die eine Regelung bloß als Abweichung von einem System anzusehen ist, das die andere Regelung begründet. Auch für diese Festlegung fehlt es an nachvollziehbaren Kriterien; sie kann daher nur durch eine Wertung vorgenommen werden466: Hält man eine Ungleichbehandlung für rechtfertigungsbedürftig, wird man sie als Systemabweichung interpretieren; will man ihren Bestand garantieren, wird man das Vorliegen verschiedener Systeme behaupten. Ein ähnliches Potential stünde dann allerdings auch dem Gesetzgeber offen, der sich durch die Schaffung (und ausdrückliche Bezeichnung) von Systemen und Subsystemen einer Gleichheitskontrolle ganz entziehen könnte. Diese Manipulationen sowohl des Rechtsanwenders als auch des Gesetzgebers sind indes vermeidbar. Denn so wenig sich begründen lässt, dass ein Vergleich stets nur mit einer (der „richtigen“) Vergleichsgruppe gezogen werden kann, so wenig lässt sich begründen, dass eine Personengruppe von einem Vergleich per se ausgeschlossen wäre, nur weil der Gesetzgeber für sie ein eigenes Ordnungssystem errichtet hat. Bei einem solchen Vergleich muss dann allerdings auch das ganze Ordnungssystem berücksichtigt werden. Dabei kann sich herausstellen, dass die punktuelle Schlechterstellung einer Personengruppe (etwa die höhere Beitragspflicht einer Sozialversicherungsgruppe) durch eine Besserstellung in einem anderen Bereich desselben Systems (etwa ein entsprechend höheres Leistungsrecht eben dieser Sozialversicherungsgruppe) wieder ausgeglichen wird. Dann liegt bei einer Gesamtbetrachtung eben keine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor. Die Schlüsselfrage des Gleichheitssatzes – was ist wesentlich und daher gleich oder ungleich zu behandeln? – ist, wie bereits dargelegt, auch keine Wertungsfrage. Sie kann nicht mit außerrechtlichen Wertungen, sondern nur durch die Rechtsordnung selbst beantwortet werden467: Zum Teil legt der Gleichheitssatz, allenfalls auch in Verbindung mit anderen Verfassungsbestimmungen, fest, was wesentlich gleich oder ungleich ist. Soweit dies nicht geschieht, steht es dem Gesetzgeber frei, durch die Wahl legitimer Ziele selbst festzulegen, was er für wesentlich hält. In beiden Fällen ist die „Wesentlichkeit“ zwar abhängig von Wertungen; diese Wertungen vorzunehmen ist aber Sache des Verfassungs- und des einfachen Gesetzgebers. Für den Rechtsanwender ist die Frage der Wesentlichkeit daher bloß ein Auslegungsproblem. ____________________
465 466 467
D.III.1.a. D.III.2.b. C.IV.3.e., C.V.3.
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Besonders prekär ist dieses Auslegungsproblem beim Ungleichbehandlungsgebot. Das Recht des Einzelnen, in ungleicher Lage entsprechend ungleich behandelt zu werden, läuft nämlich in aller Regel auf ein Recht hinaus, einem bestimmten Maßstab entsprechend behandelt zu werden. Eben solche Maßstäbe stellt der VfGH unter Berufung auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot auf 468. Wer akzeptiert, dass der Gleichheitssatz nicht nur ein Gleichbehandlungs-, sondern auch ein Ungleichbehandlungsgebot enthält, kann daher das allgemeine Sachlichkeitsgebot nicht schon dem Grunde nach ablehnen. Zu fragen ist vielmehr, ob die konkreten Maßstäbe, die der VfGH dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot entnimmt, tatsächlich im Gleichheitssatz enthalten sind. Soweit dies nicht der Fall ist, gehen diese Maßstäbe über das Recht des Einzelnen auf Gleichheit vor dem Gesetz hinaus. Soweit sich diese Maßstäbe aber aus dem Gleichheitssatz ableiten lassen, sind die Bedenken der Lehre gegen das allgemeine Sachlichkeitsgebot unbegründet. In diesen Fällen könnte man dann getrost darauf verzichten, irgendwelche Vergleiche herbeizureden; sie finden ja doch nicht statt469 und verstellen nur den Blick auf das Problem, um das es eigentlich geht, ob nämlich der Einzelne dem jeweiligen Maßstab entsprechend behandelt worden ist470 und wenn nein, ob dieser Eingriff zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist. Das führt zur nächsten, in der Lehre kontroversiell und in der Judikatur verschieden beantworteten Frage, ob nämlich eine Abweichung von einem „System“ bzw die Ausnahme von einer Regel einer Rechtfertigung von besonderem Gewicht bedarf oder ob genügt, dass sie nicht unsachlich ist. Richtigerweise hängt dies davon ab, ob die Systementscheidung selbst durch den Gleichheitssatz (allenfalls in Verbindung mit anderen Verfassungsbestimmungen) prima facie geboten ist: Dann ist eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ein Eingriff in den Gleichheitssatz, der durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden können muss471. Hat der Gesetzgeber hingegen aus eigenem ein System begründet, das vertretbar ist, das aber ebenso gut anders aussehen könnte oder gar nicht bestehen müsste, dann ist es ihm auch erlaubt, von diesem System punktuell wieder abzugehen und durch die Wahl eines zusätzlichen Zieles (nun eben neu) festzulegen, was wesentlich und was unwesentlich ist; hat dieses Ziel mit den Eigenschaften der Vergleichsgruppen nichts zu tun, stiftet es also zwischen ihnen keine wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede, ____________________
468 D.II.1., D.II.2.b. Die „entpersonalisierte“ Sachlichkeitsprüfung bleibt auch dabei außer Betracht. 469 D.II.2. 470 D.II.1., D.II.2., D.II.2.d. 471 D.III.3.
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Judikatur – Eine Bestandsaufnahme
dann – und erst dann – liegt ein Eingriff in ein Prima-facie-Recht des Gleichheitssatzes vor472. Nimmt man – wie auch die Judikatur – an, dass der Gleichheitssatz nicht absolut, sondern nur prima facie gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, dann entsteht ein Wertungsproblem für den Rechtsanwender erst auf der Ebene der Rechtfertigung eines Eingriffes, wenn also geprüft wird, ob und inwieweit ein Eingriff in ein gleichheitsrechtliches Prima-facie-Recht noch hingenommen werden kann. Dieses Wertungsproblem unterscheidet sich aber grundsätzlich nicht von jenem, das auch bei der Anwendung von Freiheitsrechten entsteht. Eine Sondersituation besteht allerdings in den – praktisch sehr bedeutsamen – Fällen, in denen der Gesetzgeber von einem erlaubten (soweit Gestaltungsspielraum besteht) oder sogar gebotenen (soweit Vorgaben durch den Gleichheitssatz bestehen) Differenzierungsschema aufgrund einer Durchschnittsbetrachtung oder aus verwaltungsökonomischen Erwägungen abweicht. Die Zulässigkeit einer solchen Vergröberung hängt von mehreren Faktoren ab, die ihrerseits wieder verschieden gewichtet werden können. Das kommt auch in der Judikatur zum Ausdruck: Sie verlangt in manchen Fällen, dass eine Durchschnittsbetrachtung „wirklichkeitsnah“ ist, in anderen Fällen genügt, dass der Gesetzgeber die Realität „nicht grob verkennt“473. Einmal fordert der VfGH, dass die Vergröberung eine „wesentliche Verwaltungsvereinfachung“ bringt, ein anderes Mal reicht aus, dass eine Regelung „ohne besonderen Verwaltungsaufwand“ vollzogen werden kann474. Manchmal toleriert der VfGH Härten, die „keinesfalls der Regelfall“ sind, dann wieder folgert er aus der Feststellung, eine Vorschrift führe „in aller Regel“ zu befriedigenden Ergebnissen, dass dies auf eine „nicht vernachlässigbare Anzahl von Fällen“ eben nicht zutreffe475. Wie viele Fälle abweichend vom Differenzierungsschema behandelt werden, wie aufwendig eine differenziertere Regelung rechtstechnisch wäre und wie hoch das Einsparungspotential einer undifferenzierten Regelung für die Verwaltung ist, sind quantitative, keine Wertungsfragen. Dass die Toleranz hier dennoch von Fall zu Fall divergiert, hängt mit dem vierten, eigentlich entscheidenden Faktor zusammen: Dem Gewicht der nachteiligen Auswirkungen, die die Regelung für den Einzelnen hat476. Die Abwägung zwischen rechtstechnischen Schwierigkeiten und Verwaltungsersparnissen einerseits und Nachteilen für den Rechtsunterworfenen andererseits ____________________
472 473 474 475 476
D.III.2.b. D.I.8.b. D.I.8.c. D.I.8.d. D.I.8.e.
Zwischenbilanz
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ist natürlich eine Wertungsfrage. Ihre Beantwortung kann aber durch eine weitere Differenzierung erleichtert werden: Es macht einen Unterschied, ob in ein Prima-facie-Recht eingegriffen wird, das bereits direkt verfassungsrechtlich begründet ist oder ob dieses Recht „nur“ der einfache Gesetzgeber durch die Wahl legitimer Ziele selbst gestaltet hat. Im ersten Fall wird ein strengerer Maßstab anzulegen sein als im zweiten.
3. Offene Fragen Die vorliegende Arbeit versteht sich nicht primär als eine Analyse der Gleichheitsjudikatur, sondern als eine Analyse des Gleichheitssatzes. Stellt man das Gleichheitskonzept, das im zweiten Teil477 aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte478 erarbeitet worden ist, der Gleichheitskonzeption der Judikatur gegenüber, so zeigen sich allerdings Übereinstimmungen. Der VfGH deutet den Gleichheitssatz mE zu Recht nicht als ein Prinzip der Gleichbehandlung im formalen Sinn. Sein Verständnis des Gleichheitssatzes erschöpft sich auch nicht in der Deutung als ein Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Der VfGH nimmt vielmehr an, dass dem Gleichheitssatz bestimmte Prima-facie-Rechte zu entnehmen sind, in die der Gesetzgeber eingreifen darf, wenn er dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Welche Rechte dies nach der Judikatur sind, wurde hier nur beispielhaft und überblicksartig dargestellt. Ob sie dem Gleichheitssatz wirklich und welche Rechte ihm sonst entnommen werden können, ist eine andere Frage, die nun durch eine systematische Auslegung des Gleichheitssatzes zu klären ist.
____________________
477 478
C.III., C.V. B.
E. Persönliche Rechtsgleichheit Die Gleichheit vor dem Gesetz ist nach Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG dem „Staatsbürger“ gewährt: Er ist es also, der nach dem Wortlaut dieser Bestimmung gleich wie andere behandelt werden soll. Dies gerät bisweilen aus dem Blick, wenn unter dem Titel des Gleichheitssatzes Geflügelimport und Geflügelexport1, Kreditvertrag und Darlehensvertrag2, Glas und Tetrapak3, Banderole und Kontrollzeichen4, Silomais und andere Futtermittel5 miteinander verglichen werden. Auch in diesen Fällen ist es zwar der Mensch, um den es letztlich geht: Der Geflügelimporteur, der seine Tiere anders als der Geflügelexporteur amtstierärztlich untersuchen lassen muss, der Kreditnehmer, der höhere Gebühren entrichten muss als der Darlehensnehmer, der Weinhändler, der eine teure Banderole an seinem Wein anbringen muss und der, der es bei einem günstigeren Kontrollzeichen bewenden lassen kann. Zumindest theoretisch kann aber jeder Staatsbürger in eine dieser „Rollen“ schlüpfen, also in die Lage kommen, Geflügel zu importieren oder zu exportieren, einen Kreditvertrag oder einen Darlehensvertrag abzuschließen, Wein zu produzieren, an seine Tiere Silomais oder etwas anderes zu verfüttern. Es waren nicht Fälle wie diese, also Normen, deren Adressaten so umschrieben sind, dass sie gleichsam „austauschbar“ sind, die die Forderung nach Gleichheit haben laut werden lassen. Ihren Ausgang nahm diese Forderung vielmehr bei Ungleichbehandlungen, aus denen sich der Einzelne auch theoretisch niemals lösen konnte: Die dem Adel eingeräumten Privilegien waren für den Bürger schlechthin unerreichbar, die dem Bauern auferlegten Lasten konnten nie den Adeligen treffen, Frauen konnten, wie immer sie es auch anstellten, unmöglich in die Lage kommen, Männer zu sein und wählen zu dürfen. Dass sich der allgemeine Gleichheitssatz zuallererst gegen solche Ungleichbehandlungen wendet, zeigt nicht nur die historische Entwicklung dieses Grundrechts. Auch die geltende österreichische Verfassung enthält eine Reihe spezieller Gleichheitssätze, die Ungleichbehandlungen nach derart persönlichen Merkmalen verpönen. Eine systematische Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes muss daher bei diesen Geboten beginnen. ____________________
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VfSlg 8653/1979. VfSlg 8806/1980. VfSlg 11.369/1987. VfSlg 11.639/1988. VfSlg 12.486/1990.
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Persönliche Rechtsgleichheit
I. Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG: Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse, Bekenntnis 1. Theoretische Vorüberlegungen Das in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG statuierte Verbot, Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses zu gewähren, ist eine der wichtigsten Auslegungshilfen für den allgemeinen Gleichheitssatz; immerhin sind beide Bestimmungen gleichsam „aus einem Guss“ entstanden und zueinander in unmittelbaren systematischen Zusammenhang gestellt6. Welche Bedeutung diesem Verbot zukommt und wie es sich zum allgemeinen Gleichheitssatz verhält, ist allerdings bis heute nicht geklärt. Dieser Frage wird in Lehre und Rechtsprechung auch wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet ein deutscher Autor erstmals mit aller Deutlichkeit auf den „Geltungsverlust des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 B-VG“ hingewiesen hat7, zumal die mit Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vergleichbare Bestimmung des Art 3 Abs 3 Satz 1 GG8 in der Rechtsprechung des BVerfG im Verhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz eine wichtige und durchaus eigenständige Bedeutung erlangt hat9. Bevor untersucht wird, welchen Stellenwert Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG in der Judikatur hat und wie die Lehre diese Bestimmung deutet, erscheint es für eine erste Orientierung angezeigt, zu skizzieren, welche Auslegungsvarianten für diesen speziellen Gleichheitssatz überhaupt in Betracht kommen. Seinem apodiktischen Wortlaut nach könnte Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, indem er Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses schlechthin „[ausschließt]“, zunächst ein absolutes Verbot beinhalten, an eines dieser Merkmale eine Ungleichbehandlung zu knüpfen10. Die Handhabung eines solchen Anknüpfungs____________________
6 S schon die Feststellung Kelsens, Staatsrecht 221, wonach der „schon im Art. 2 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aufgestellte Grundsatz der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz […] ausdrücklich auch im Art. 7 des BundesVerfassungsgesetzes ausgesprochen und insoferne näher präzisiert [ist], als Vorrechte [...] ausgeschlossen werden“ (Hervorhebungen im Original); nach Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 74, wurde der Grundsatz der Gleichheit durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG „näher interpretiert“; s ebenso Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 57, nach dem Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG eine „Erläuterung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes“ ist. 7 Sachs, ZÖR 1985, 305 ff; ders, Diskriminierungsverbot 198 ff. 8 „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ 9 S mwN zB Heun, Art 3 GG Rz 99 ff. 10 So wird etwa der mit Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vergleichbare Art 3 Abs 3 GG von einem Teil der deutschen Lehre verstanden, vgl zB Sachs, Diskriminierungsverbot 421 ff; dens, Besondere Gleichheitsgarantien Rz 66; s allgemein zur Bandbreite der in Deutsch-
Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG
317
verbotes wäre vergleichsweise einfach: Es wäre verletzt, sobald eines der verpönten Kriterien zu einem Tatbestandsmerkmal erhoben wird, also etwa dann, wenn Männern und Frauen (aus welchem Grund immer) Tabakwaren in unterschiedlich hohem Ausmaß zugeteilt werden11. Nicht erfasst wäre von einem Anknüpfungsverbot aber eine Regelung, die an die genannten Kriterien zwar nicht unmittelbar anknüpft, sich auf die Träger dieser Kriterien aber dennoch unterschiedlich auswirkt, sei es, weil die Anwendung der Regelung von einer Voraussetzung abhängt, die typischerweise mit einem der genannten Kriterien einhergeht, sei es, weil sich die Träger der Kriterien im Tatsächlichen so gravierend voneinander unterscheiden, dass auch eine kriterienneutral formulierte Regelung bei ihnen ganz verschiedene Folgen zeitigt. Wird etwa die Erlangung einer Schulleiterstelle von der Befähigung abhängig gemacht, den Religionsunterricht in einem bestimmten Bekenntnis zu erteilen, dann verstößt dies streng betrachtet nicht gegen das Verbot, an das Bekenntnis anzuknüpfen. Hängt aber die Befähigung, das Bekenntnis zu unterrichten, ihrerseits von der Zugehörigkeit zu diesem Bekenntnis ab, dann führt die Anknüpfung an diese Befähigung mittelbar eben doch zu einer Ungleichbehandlung aufgrund des Bekenntnisses12. Ist die Verwendungsdauer eines (halbbeschäftigten) Vertragsassistenten von Gesetzes wegen mit vier Jahren begrenzt und eine unbefristete Verwendung nur als (vollbeschäftigter) Universitätsassistent möglich, dann wird es für Frauen typischerweise schwieriger, eine universitäre Laufbahn einzuschlagen, weil sie im Regelfall Haushalt und Kinder betreuen und daher seltener in der Lage sind, ein vollbeschäftigte Stelle zu übernehmen13. In der Befristung der Vertragsassistentenstelle kann also zwar eine faktische Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen gesehen werden, wegen ihrer geschlechtsneutralen Ausgestaltung in formaler Hinsicht aber kein Verstoß gegen ein auf das Merkmal „Geschlecht“ bezogenes Anknüpfungsverbot. Derart mittelbare Ungleichbehandlungen wären aber durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG untersagt, wenn man diese Bestimmung folgenorientiert deutete, also annähme, dass sie jede Regelung verbietet, die sich auf die Träger der ausdrücklich verpönten Kriterien unterschiedlich auswirkt. Die Anwendung eines solchen Folgenverbotes ist schwieriger als die des Anknüpfungsverbotes; sie verlangt nicht primär die Befassung mit der konkreten Ausgestaltung einer Norm, sondern vor allem eine Ermittlung ihrer rechtlichen und empirischen Konsequenzen. ____________________
land vertretenen Positionen zu Art 3 Abs 2 und 3 GG jeweils mwN Sacksofsky, Gleichberechtigung 101 ff; Nishihara, Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung 169 ff. 11 Vgl den VfSlg 1526/1947 zugrunde liegenden Fall, s dazu auch noch E.I.2.d. 12 Vgl VfSlg 449/1925, s auch noch E.I.4.d. und E.IV.3.c. 13 VfSlg 13.558/1993, s auch noch E.I.2.h. und E.I.4.d.
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Persönliche Rechtsgleichheit
Nicht alle, aber doch bestimmte Fälle der mittelbaren und faktischen Ungleichbehandlung wären mit Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG weiters dann unvereinbar, wenn staatlichen Autoritäten durch diesen Gleichheitssatz verboten wäre, sich bei der Erlassung eines Rechtsaktes von der Absicht leiten zu lassen, die Träger der in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmale zu benachteiligen. In einer strengeren Variante dieses Verbots wäre der Benachteiligungsabsicht das Fehlen einer solchen Absicht gleichzuhalten, wenn es bloß Ausfluss der Gleichgültigkeit gegenüber den Trägern dieser Merkmale ist. Der Gesetzgebung und Vollziehung wäre also jeder Rechtsakt untersagt, von dem sie weiß oder wissen musste, dass er die Träger eines dieser Merkmale benachteiligt. Das Verbot, die Träger dieser Merkmale bewusst oder auch nur „fahrlässig“ ungleich zu behandeln, soll im Folgenden als Motivationsverbot bezeichnet werden14. Seine Handhabung setzt anders als die des Anknüpfungsverbotes nicht bei der technischen Ausgestaltung einer Norm an, im Unterschied zum Folgenverbot auch nicht bei den Auswirkungen der Norm, sondern bei demjenigen, der diese Norm setzt, genauer: bei dessen Absicht und gesolltem Wissen um die Folgen der Norm. Keines dieser beiden Kriterien ist einfach zu handhaben – die Benachteiligungsabsicht, weil sie schwer zu beweisen ist15, das gesollte Wissen, weil es seinerseits einen Maßstab voraussetzt, nach dem beurteilt wird, ob die zuständige staatliche Autorität die Folgen einer Norm wirklich hätte vorhersehen müssen. In jeder dieser drei denkbaren Deutungen enthielte Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ein absolutes Verbot, oder, um in einer bekannten Dichotomie zu sprechen, eine Regel und kein Prinzip16: Wenn eine Norm an ein ausdrücklich verpöntes Merkmal unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, wenn sie sich auf die Träger dieser Kriterien unterschiedlich auswirkt oder wenn der Normsetzer um die ungleichen Folgen einer Norm wusste, wissen musste oder sie gar beabsichtigt hat, dann wäre Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG jedenfalls verletzt, ganz gleichgültig, welchem Ziel die Regelung dient und wie gravierend die vorgenommene (formale oder materielle) Ungleichbehandlung ist. Keine dieser drei Deutungen ist allerdings zwingend; in ____________________
14 In der deutschen Literatur ist manchmal auch von der Kausalität oder Finalität des Kriteriums für die Ungleichbehandlung die Rede; s etwa Heun, Art 3 GG Rz 119 ff; Nishihara, Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung 178 ff; s auch Somek, Rationalität 7, der diese Variante eines Diskriminierungsverbotes – freilich auf allgemeiner Ebene, nicht speziell bezogen auf Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG – als eine deontologische Reduktion der Diskriminierung auf einen Akt bezeichnet: „Sollte das Verhalten des Adressaten die nichtintendierte Folge haben, dass eine Person schlechter dasteht als andere, lässt sich der Vorwurf der Diskriminierung solange nicht erheben, als die Schlechterstellung nicht den Grund des Verhaltens darstellte.“ 15 Dazu bereits oben D.I.3.a. 16 S mwN Alexy, Grundrechte 71 ff; dens, Rechtsprinzipien 31 ff.
Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG
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Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG könnte vielmehr auch ein Grundsatz gesehen werden, der Ungleichbehandlungen nach Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis nicht ausnahmslos verbietet, sondern nur erschwert, indem er die Unzulässigkeit einer solchen Ungleichbehandlung vermutet und ihre Vornahme im Fall einer besonderen Rechtfertigung erlaubt: Zum einen dann, wenn die Vermutung, dass dieses Merkmal zwischen Menschen keinen wesentlichen Unterschied begründet, eindeutig widerlegt werden kann; zum Zweiten dann, wenn die Ungleichbehandlung nach diesen Merkmalen geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig zur Erreichung eines legitimen (externen) Zieles ist, das mit den Eigenschaften der Vergleichsgruppen nichts zu tun hat. Für jeden dieser Prüfungsschritte kommen unterschiedlich strenge Maßstäbe in Betracht: Als Rechtfertigung für eine prima facie verbotene Ungleichbehandlung könnte entweder nur ein zwingendes oder schon ein (das Gleichbehandlungsinteresse) überwiegendes oder ein zu ihm nicht außer Verhältnis stehendes oder schlechthin jedes öffentliche Interesse akzeptiert werden. Von dem Mittel, das zur Zielerreichung eingesetzt wird, könnte eine besonders hohe „Treffsicherheit“ verlangt werden, also die Gewissheit und nicht nur die Möglichkeit seiner Eignung, dann aber auch, dass die vorgenommene Ungleichbehandlung die einzige Möglichkeit ist, um das angepeilte Ziel zu erreichen. Was schließlich die Folgen der Ungleichbehandlung betrifft, so wäre denkbar, die Prüfung auf die rechtlichen Auswirkungen einer Ungleichbehandlung zu beschränken oder in sie auch die faktischen Konsequenzen einer Norm einzubeziehen. Die beschriebenen Prüfungsmaßstäbe sind beliebig miteinander variierbar; vor allem auf der Stufe des rechtfertigenden Interesses kommt ihre Anwendung nicht ohne die Vornahme von Wertungen aus. Neben den dargestellten Deutungsmöglichkeiten wäre auch noch denkbar, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG eine Ungleichbehandlung nach einem der genannten Merkmale nur dann erlaubt, wenn sie einem Kriterium der Gerechtigkeit entspricht. Die Handhabung eines so verstandenen Verbotes wäre schwierig. Zunächst müsste das jeweils in Betracht kommende Kriterium der Gerechtigkeit ermittelt werden, was ohne Zugriff auf außerrechtliche Wertmaßstäbe nicht möglich ist. Sodann wäre zu prüfen, ob die inkriminierte Ungleichbehandlung diesem Gerechtigkeitskriterium „entspricht“. Nähme man etwa in dem bereits erwähnten Fall der Zuteilung von Tabakwaren an, dass es gerecht ist, diese Zuteilung an dem Bedarf der Bevölkerung zu orientieren und unterstellte man weiters, dass der Bedarf nach Tabakwaren bei Männern und Frauen signifikant verschieden ist, dann entspräche es einem Kriterium der Gerechtigkeit und damit auch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, Männern ein größeres Quantum an Tabakwaren zuzuteilen als Frauen.
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Persönliche Rechtsgleichheit
Schließlich kommen auch für das Verhältnis, in dem Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zum allgemeinen Gleichheitssatz steht, mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht: Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG könnte den allgemeinen Gleichheitssatz exemplarisch verdeutlichen, sodass nicht nur Differenzierungen nach den explizit genannten Kriterien untersagt sind oder einer speziellen Begründung bedürfen, sondern auch Ungleichbehandlungen nach anderen Kriterien. Diese Unterscheidungen könnten dann entweder demselben Prüfungsmaßstab wie Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG unterliegen oder einem milderen Prüfungsmaßstab oder aber teils demselben, teils einem milderen Prüfungsmaßstab, je nachdem, ob diese Kriterien den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ausdrücklich aufgezählten wertungsmäßig gleichzuhalten sind oder nicht.
2. Judikatur a. Vorbemerkung Die Bedeutungen, die der VfGH dem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG statuierten speziellen Gleichheitssatz im Laufe seiner Judikatur zugedacht hat, sind in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Sie sind einerseits beinahe so vielfältig wie die Gesamtheit der denkbaren Deutungsmöglichkeiten des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG. Anderseits sind sie aber auch deshalb wert, memoriert zu werden, weil Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG für die Entwicklung der Judikatur zum allgemeinen Gleichheitssatz prägender war als jede andere Verfassungsvorschrift. Eine Analyse der einschlägigen Rechtsprechung muss sich freilich damit zurechtfinden, dass der VfGH bei der Entscheidung der ihm vorliegenden Fälle kaum je ausdrücklich auf eines der dargelegten Deutungsschemata verweist. Die Art und Weise, in der der Gerichtshof Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zur Anwendung bringt, lässt aber in der Regel doch den Schluss zu, welche der genannten Deutungsmöglichkeiten unausgesprochen hinter seiner Entscheidung steht. Der nachstehend vorgenommenen Analyse liegt weder die Ansicht zugrunde, dass der VfGH sich bewusst einmal an dieses und das andere Mal an jenes Deutungsschema hält, noch soll der Judikatur vorgehalten werden, dass sie eine derart bewusste Entscheidung und die hiefür erforderliche dogmatische Durchdringung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vermissen lässt. Ziel der folgenden Analyse ist es vielmehr, die Leitlinien dieser Judikatur nachzuzeichnen, zu zeigen, dass jede der genannten Deutungsmöglichkeiten in der praktischen Handhabung auch Schwierigkeiten mit sich bringt, und dass wohl gerade diese Schwierigkeiten für den immer wieder vorgenommenen Wechsel des Prüfungsmaßstabes mitverantwortlich sind. Die Judikatur zum allgemeinen Gleichheitssatz kann dabei nicht ausgeblendet
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werden17, schon deshalb, weil sich der VfGH bei dessen Auslegung zunächst an Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG orientiert, dann aber für den allgemeinen Gleichheitssatz eigenständige Prüfungskriterien entwickelt und diese wieder auf Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG rückübertragen hat. b. Motivationsverbot für die Vollziehung, Prima-facie-Verbot für die Gesetzgebung Seine erste einschlägige Entscheidung zum Gleichheitssatz hatte der VfGH schon 1919 zu fällen18, also zu einem Zeitpunkt, in dem das B-VG noch nicht in Kraft stand, sodass ausschließlich Art 2 StGG anzuwenden war. Der Gerichtshof knüpfte in der genannten Entscheidung erkennbar an die (spärliche) Judikatur des Reichsgerichts an, als er zu einer Beschwerde über die Versagung einer Konzession feststellte, eine Verletzung des Satzes „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich“ finde nur statt, „wenn ein Staatsbürger wegen irgendwelcher persönlicher Eigenschaften, die nach dem Gesetz von maßgebender Bedeutung nicht sein dürfen, zum Beispiel wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Religionsbekenntnisse, zu einer Nationalität oder zu einem sozialen Stande von dem Erwerbe oder dem Genusse von Rechten, die jedem Staatsbürger zukommen dürfen, ausgeschlossen wird. Im vorliegenden Falle ist aber die Abweisung auf rein sachliche, aus der Anschauung über die Bedürfnisse der Bevölkerung geholte Gründe gestützt“.
In dieser kurzen Passage werden gleich mehrere Kriterien genannt, die ein Verwaltungshandeln gleichheitswidrig machen können: zunächst die Tatsache, dass die Behörde sich von persönlichen Eigenschaften des Bescheidadressaten leiten lässt (1), die zudem nach dem Gesetz nicht von maßgebender Bedeutung sein dürfen (2), weiters der Ausschluss von Rechten, die allen Staatsbürgern zukommen (3), und schließlich das Fehlen rein sachlicher Gründe, das wohl als Synonym für die Orientierung an persönlichen Eigenschaften (1) zu verstehen ist. Als Beispiele für derartige Eigenschaften nennt der VfGH das Bekenntnis, den sozialen Stand und die Nationalität, also drei Merkmale, die nach der Judikatur des Reichsgerichtes eine „Klasse“ konstituierten, die als Differenzierungsmerkmal verpönt war19. Die Gegenüberstellung von persönlichen Eigenschaften und rein ____________________
17 S auch M. Berger, EuGRZ 1983, 619; s zur Entwicklung der Judikatur auch die Darstellung bei Klemenz, Gleichheitssatz 22 ff, 34 ff, 59 ff, 72 ff; Berchtold, FS Ermacora 330 ff; Sachs, ZÖR 1985, 305 ff. 18 VfSlg 5/1919. 19 Vgl etwa die Erkenntnisse Hye 165/1878, 255/1882, denen zufolge Art 3 Abs 1 StGG nur dahin verstanden werden könne, dass „keine Classe von Staatsbürgern, etwa aus Gründen des Religionsbekenntnisses, der Nationalität, des Standes und dergl. von der Erlangung von Staatsämtern ausgeschlossen“ werden darf. Art 2 StGG beinhaltete nach Ansicht des Reichsgerichtes „die Aufhebung der vordem einzelnen Klassen zugestandenen Privilegien“ (Hye 1375/1905) bzw „nur die Aufhebung der vordem einzelnen Klassen und
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sachlichen Gründen zeigt wohl, dass der VfGH den allgemeinen Gleichheitssatz in diesem Erkenntnis als ein Motivationsverbot im oben beschriebenen Sinn gedeutet hat, also als das Verbot, sich bei einer Entscheidung von der Absicht leiten zu lassen, jemanden aufgrund „persönlicher“ Eigenschaften zu benachteiligen bzw von bestimmten Rechten auszuschließen. Für Gesetze leitete der VfGH aus dem Gleichheitssatz andere Maßstäbe ab: In seiner ersten einschlägigen Entscheidung VfSlg 216/1923 stellte er bereits fest, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG als Folge des im ersten Satz statuierten allgemeinen Gleichheitssatzes kein striktes Verbot der Ungleichbehandlung enthalte; vielmehr dürften einzelne Klassen der Bevölkerung und selbst Gebiete aus wichtigen Gründen des Gemeinwohles ausnahmsweise ungleich behandelt werden, wenn dies durch ein Bundesgesetz vorgesehen sei und die durch den Zweck gebotenen Grenzen eingehalten würden20. In dieselbe Richtung geht auch das Erkenntnis VfSlg 617/1926, nach dem die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Rechtes nicht daran hindert, dass aus wichtigen Gründen einzelne Klassen der Bevölkerung oder einzelne Berufe ausnahmsweise ungleich behandelt werden, und wohl auch die Entscheidung VfSlg 651/1926, derzufolge Art 7 Abs 1 B-VG eine Ungleichbehandlung der Geschlechter ausnahmsweise zulasse, sofern sie ihre Rechtfertigung in der „Natur des Geschlechtes“ findet. Den genannten Erkenntnissen liegt die Annahme zugrunde, dass eine Unterscheidung nach einem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Kriterium grundsätzlich verboten und nur ausnahmsweise aus bestimmten Gründen erlaubt ist. Diese Gründe mussten in den ersten beiden Fällen von besonderem Gewicht und die zu ihrer Verwirklichung eingesetzte Ungleichbehandlung durfte nach VfSlg 216/1923 nicht überschießend sein; im dritten Fall sollten die rechtfertigenden Gründe besonderen Ursprungs sein. Hier wie dort wird Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG als ein Prima-facie-Verbot im oben beschriebenen Sinn gedeutet21. Dabei bezog sich der Gerichtshof allerdings ____________________
Ständen zugestandenen Vorrechte (Privilegien)“ (Hye 1863/1911; auf dieses Erkenntnis bezieht sich der VfGH in VfSlg 5/1919 ausdrücklich); s zur Judikatur des Reichsgerichtes auch schon oben B.V.3. 20 Diese Entscheidung wurde, wie Walter, Kelsen 47, berichtet, im VfGH kontrovers diskutiert: Kelsen wollte ursprünglich überhaupt keine Beschränkung der Gleichbehandlung zulassen, ließ sich dann aber nach längerer Debatte von der oben wiedergegebenen Formel überzeugen. 21 Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 9, und Melichar, FamRZ 1955, 130, sehen im Erkenntnis VfSlg 617/1926 bzw VfSlg 651/1926 eine Vorwegnahme der späteren Sachlichkeitsforderung, was Sachs, ZÖR 1985, 312 FN 29, für eine Überinterpretation hält. Es kann dahin gestellt bleiben, ob hier spätere Prüfungsansätze „vorweggenommen“ worden sind; feststeht jedenfalls, dass in dieser Entscheidung für bestimmte Ungleichbehandlungen eine besondere Rechtfertigung verlangt worden ist und dass die Judikatur dem Gleichheitssatz ein Gebot, rechtliche Differenzierungen ganz allgemein nur vorzunehmen, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind, erst später entnommen hat. So gesehen ist auch Leibholz,
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nicht nur auf die in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ausdrücklich genannten Kriterien; er schloss beispielhaft auch eine Differenzierung nach Gebieten22 in seine Formel ein, schien also vorläufig auch den allgemeinen Gleichheitssatz in diesem Sinn zu verstehen. Schon in dieser frühen Phase der Rechtsprechung wurde die Aufzählung in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG also bloß als beispielhaft angesehen23. c. Verbot der Anknüpfung an subjektive, in der Person gelegene Merkmale In der folgenden Judikatur versuchte der VfGH, den allgemeinen Gleichheitssatz etwas schärfer zu fassen. Er deutete ihn – wohl ausgehend von Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG – als ein Verbot, nach Merkmalen zu unterscheiden, die in der Person der Bundesbürger gelegen sind24 bzw die sich aus der Zugehörigkeit eines Staatsbürgers zu einer Gruppe des Volkes ergeben25; derart subjektive Momente und Gesichtspunkte seien in der Gesetzgebung nicht zu berücksichtigen26. Das Verbot der ungleichmäßigen ____________________
Gleichheit 174 FN 3, nicht zuzustimmen, wenn er in den genannten Erkenntnissen eine Annäherung des VfGH an die – damals – neuere Lehre sah, die den Gleichheitssatz als ein allgemeines Willkürverbot deutete. Gerade dieses Verständnis scheint den genannten Entscheidungen nicht zugrunde zu liegen; denn erstens ziehen sie eine Gleichheitswidrigkeit nicht für jede nur erdenkliche Differenzierung in Betracht, sondern nur für Ungleichbehandlungen, die nach bestimmten Kriterien – Klasse, Beruf, Geschlecht – vorgenommen werden. Zweitens werden für derartige Ungleichbehandlungen besondere Gründe verlangt. Dass für sie nur irgendein (nicht willkürlicher) Grund ins Treffen geführt werden kann, scheint also gerade nicht zu genügen. 22 VfSlg 216/1923. 23 S bereits Walter, ZVR 1979, 35, der darauf hinweist, dass der VfGH zunächst Vorrechte bestimmter Gruppen „wie sie im Art 7 B-VG genannt sind“ als durch Art 7 B-VG ausgeschlossen ansah (Hervorhebung nicht im Original); ähnlich Adamovich sen/Spanner/Adamovich, Handbuch 517; ebenso Sachs, ZÖR 1985, 309, 311. Anders wird die Judikatur etwa von Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 9; M. Berger, EuGRZ 1983, 619; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1357, gedeutet, denen zufolge der VfGH am Beginn seiner Judikatur nur Differenzierungen als gleichheitswidrig betrachtet habe, die nach Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse oder Bekenntnis erfolgten. Die oben genannten Entscheidungen sprechen wohl gegen diese Deutung; zuzugestehen ist allerdings, dass der VfGH in der Entscheidung VfSlg 384/1925 und auch in späteren Erkenntnissen immer wieder Formulierungen gebraucht hat, die den Eindruck erwecken, er halte die Aufzählung in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG für taxativ (s noch FN 47). Diesen Formulierungen darf aber kein zu großes Gewicht beigemessen werden. Erstens wurden sie nämlich vom Gerichtshof auch noch verwendet, als er den beispielhaften Charakter der Aufzählung in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG in den Erkenntnissen VfSlg 1123/1928 und 2088/ 1951 ausdrücklich klargestellt hatte. Zweitens lehnte der VfGH im Erkenntnis VfSlg 384/ 1925 eine Gleichheitsverletzung nur hilfsweise mit der Begründung ab, es liege keine Differenzierung nach einem Merkmal des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vor; s schon Sachs, ZÖR 1985, 311. 24 VfSlg 1318/1930. 25 VfSlg 1396/1931. 26 VfSlg 1318/1930, 1396/1931.
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Behandlung beziehe sich hingegen nicht auf objektive Momente, die ohne Ansehen der Person bzw in einer für alle Staatsbürger ohne Rücksicht auf ihre persönlichen Standesverhältnisse gleichmäßig wirkenden Weise als Maß für eine Differenzierung angenommen werden27. Kein Anwendungsfall des Gleichheitssatzes sei daher die Vorschreibung einer Kanalgebühr, die bloß an den Besitz einer Liegenschaft anknüpft, auf der eine Kanalisierung durchgeführt worden ist28, ebenso wenig die Pflicht, eine Mautgebühr zu entrichten, die sich nur nach der Einfuhr bzw dem Wohnsitz bestimmt29, und schließlich auch nicht die verschiedene Behandlung beweglicher und unbeweglicher Sachen30. Für die Verfassungskonformität einer Ungleichbehandlung war damit – anders als nach den ersten Entscheidungen – nicht mehr maßgeblich, aus welchen Gründen sie getroffen wurde, sondern an welche Merkmale sie anknüpft. Eine Übertragung dieser Deutung auch auf Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG führte jedoch, wie sich bald herausstellte, zu Schwierigkeiten. So hatte der VfGH im Erkenntnis VfSlg 1426/1931 über die Verfassungskonformität der Wiener Hauspersonalabgabe zu befinden, die die Beschäftigung von männlichem Hauspersonal mit einem höheren Abgabensatz belegte als die Beschäftigung von weiblichem Hauspersonal. Der VfGH stellte zwar fest, dass der Gesetzgeber bei dieser Regelung offenbar von der Annahme ausgegangen sei, die Anstellung von männlichem Hauspersonal lasse auf eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des abgabepflichtigen Haushaltsvorstandes schließen als die Beschäftigung von weiblichem Hauspersonal. Er betonte jedoch sogleich, dass er nicht zu prüfen habe, ob diese Annahme wirtschaftlich gerechtfertigt ist. Maßgebend sei für die Gleichheitskonformität allein, ob der progressive Steuersatz „unter gleichen äußeren Verhältnissen für alle Steuerpflichtigen ohne Rücksicht auf subjektive Merkmale, die sich in deren Person finden, die gleichen sind“31. Diese Frage war nach Ansicht des VfGH zu bejahen, weil die inkriminierte Regelung keineswegs eine ungleiche Behandlung der Geschlechter in Ansehung des Steuersubjekts verfüge; das Moment der Verschiedenheit des Geschlechts sei vielmehr „in das Steuerobjekt, somit in den äußeren objektiven Tatbestand verlegt, an dessen Vorhandensein im einzelnen Fall die Besteuerung anknüpft“32. Diese Unterscheidung zwischen Steuersubjekt und -objekt suggeriert ebenso wie die ausdrückliche ____________________
27 28 29 30 31 32
VfSlg 1318/1930, 1335/1930, 1396/1931. VfSlg 1318/1930. VfSlg 1335/1930. VfSlg 1396/1931. Hervorhebungen im Original. Hervorhebungen im Original.
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Feststellung, der Gerichtshof habe die Gründe der vorgenommenen Differenzierung nicht zu hinterfragen, dass der VfGH seine Judikatur über die Beachtlichkeit der Anknüpfung an subjektive oder objektive Merkmale fortführt. Nähere Betrachtung erweist dies allerdings eher als einen rhetorischen Kunstgriff. Denn Faktum bleibt doch, dass ein Haushaltsvorstand, der männliches Personal beschäftigt, anders behandelt wird als ein Haushaltsvorstand, der weibliches Personal anstellt. Dass das Kriterium dieser Unterscheidung – das Geschlecht des beschäftigten Personals – „in das Steuerobjekt [...] verlegt“ ist, ändert nichts daran, dass dieses Kriterium nach dem damals ganz herrschenden Verständnis subjektiv und zudem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ausdrücklich genannt ist. Selbst wenn man es für maßgeblich halten wollte, dass die Steuersubjekte nicht nach ihrem Geschlecht unterschiedlich behandelt wurden, hatte der Gesetzgeber doch an das Geschlecht angeknüpft. Dass diese Bestimmung aus der Sicht des Hauspersonals gegen den Gleichheitssatz verstößt, hat der VfGH indes nicht in Erwägung gezogen33. Die Begründung seines Erkenntnisses zeigt, dass der Gerichtshof einerseits um eine Kontinuität seiner Judikatur bemüht war, dass aber andererseits die Deutung des Art 7 Abs 1 B-VG als Anknüpfungsverbot nicht ohne weiteres zu erwünschten Ergebnissen führte. d. Vom subjektiven Merkmal zum subjektiven Grund Die mit der Handhabung eines Anknüpfungsverbotes verbundenen praktischen Schwierigkeiten waren freilich beim allgemeinen Gleichheitssatz gravierender als bei Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG. Denn die zuletzt genannte Bestimmung zählt die Merkmale, an die nicht angeknüpft werden darf, immerhin ausdrücklich auf. Im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes ist hingegen eigens zu begründen, warum ein Kriterium subjektiv, eine Anknüpfung daran also unzulässig ist34. Dass die Grenze zwischen einem subjektiven und einem objektiven Merkmal nicht immer leicht zu ziehen ist35, zeigt bereits die erwähnte Entscheidung zur Hauspersonalabgabe: Der VfGH billigte in ihr implizit, dass die höhere Leistungsfähigkeit eines Haushaltsvorstandes, der männliches Hauspersonal beschäftigt, auch zu einer höheren Abgabepflicht führte. Dass die wirtschaftliche ____________________
33 S auch Sachs, ZÖR 1985, 313 FN 38, der diese Frage für diskutabel hält; s auch noch unten E.IV.3.d. 34 S auch Huster, Art 3 GG Rz 21: „Die Liste der plausiblen Diskriminierungsverbote ist endlich, die Anzahl der denkbaren problematischen Ungleichbehandlungen aber unendlich.“ 35 S schon Wengler, FS 100 Jahre DJT 241 FN 3; Lewisch, Vergleich 44 ff; Sachs, ZÖR 1985, 313; s auch noch E.IV.4.a.
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Leistungsfähigkeit eines Staatsbürgers kein Merkmal ist, das in seiner Person gelegen ist oder das ihn als einer bestimmten (etwa der wohlhabenderen) Gruppe des Volkes zugehörig erweist, liegt freilich nicht völlig auf der Hand. Ein Jahr später wurde der VfGH mit dieser Frage aus anderem Anlass noch einmal befasst36: An ihn wurde eine Beschwerde über die sog „Ledigensteuer“ herangetragen, die der Gerichtshof allerdings für unbedenklich hielt. Diese Steuer treffe nämlich bei näherer Betrachtung keineswegs nur Ledige und auch nicht alle Ledigen, sondern nur Personen, denen nicht die Versorgung näherer Familienangehöriger obliegt. Die steuerliche Erfassung dieser Personen hielt der VfGH jedoch für gleichheitskonform, weil „die für die Steuerpflicht maßgebenden Gründe nicht subjektiver Natur sind, sondern in dem rein objektiven Merkmal der größeren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bestehen.“ Warum der Familienstand ein subjektives Kriterium ist und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Person ein objektives Merkmal, wird in der Entscheidung zwar nicht näher ausgeführt37. Diese Klassifizierung leuchtet aber ein, wenn man in Abkehr von der bisherigen Judikatur mit „subjektiv“ nicht mehr „in der Person gelegen“ meint – denn dies ließe sich von der Leistungsfähigkeit wohl auch behaupten –, sondern „unsachlich“ oder „unvernünftig“38. Wandelt sich der Inhalt des Begriffes „subjektiv“ aber im beschriebenen Sinn, dann ändert sich auch sein Bezugspunkt: Relevant ist dann nicht mehr, ob die Merkmale, an die angeknüpft wird, in der Person gelegen sind oder nicht, sondern ob die Gründe, aus denen an ein Merkmal angeknüpft wird, sachlich oder unsachlich sind. Dieser Wechsel sowohl der Bedeutung des Ausdrucks „subjektiv“ als auch seines Bezugspunktes wird zunächst auch in der Entscheidung selbst deutlich, wenn von „Gründe[n] nicht subjektiver Natur“ die Rede ist, er verschwimmt allerdings wieder, wenn die Leistungsfähigkeit in der Folge als ein „objektives Merkmal“ bezeichnet wird. Diese Entscheidung ist jedoch nicht nur bemerkenswert, weil in ihr erste Anzeichen eines Judikaturwandels erkennbar werden, sondern auch, weil ____________________
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VfSlg 1452/1932. Kritisch in dieser Hinsicht Sachs, ZÖR 1985, 314. Auch in späteren Entscheidungen hat der VfGH die Unterscheidung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als „objektiv“ qualifiziert und der „Differenzierung nach rein subjektiven Gesichtspunkten“ gegenübergestellt, s etwa das Erkenntnis VfSlg 2841/1955 betreffend die Beitragsbemessung im Sozialversicherungsrecht und die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld, in dem sich der VfGH ausdrücklich auf VfSlg 1452/1932 beruft; s auch VfSlg 2858/1955. 38 Diesen Begriffswandel in der Judikatur hat Sachs, ZÖR 1985, 315 ff, deutlich herausgestellt, allerdings erst bei dem sogleich im Text zu besprechenden „Zigaretten-Erkenntnis“ VfSlg 1526/1947. S auch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 68, nach dem der VfGH im Erkenntnis VfSlg 2858/1955 „unter dem Gesichtspunkt eines objektiven Kriteriums auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Unterscheidungskriterium abgestellt und somit ein sachliches Moment gemeint“ hat. 37
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der VfGH hier im Anschluss an die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG als einen eigenständigen Prüfungsmaßstab heranzieht: Auch ihm hielt die Regelung freilich stand, erstens weil sie, wie ausgeführt, in Wahrheit nicht an den Ledigenstand, sondern an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpfte, zweitens weil sich der „Stand“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, wie der VfGH feststellte, auf die soziale Gliederung der Gesellschaft nach der gesellschaftlichen Rangordnung und nach Berufsklassen beziehe, aber evidenterweise nicht auf das Verhältnis zur Ehe. Dass die Auslegung als Anknüpfungsverbot nicht nur beim allgemeinen Gleichheitssatz, sondern selbst bei Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zu Schwierigkeiten führen kann, zeigt noch deutlicher als das Erkenntnis zur Hauspersonalabgabe das berühmte „Zigaretten-Erkenntnis“ VfSlg 1526/1947. In dieser Entscheidung hatte der VfGH über die Gleichheitskonformität einer Verordnung zu befinden, derzufolge Männern eine größere Menge an Rauchwaren zuzuteilen war als Frauen. Diese Regelung knüpfte zweifellos an das in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ausdrücklich verpönte Kriterium des Geschlechts unterschiedliche Rechtsfolgen, und diese Anknüpfung führte auch – anders als die Hauspersonalabgabe – unbestreitbar zu einer Ungleichbehandlung der „Zuteilungssubjekte“. Dennoch hob der Gerichtshof die Verordnung nicht als gleichheitswidrig auf. Mit der hiefür gegebenen Begründung versuchte er zwar, den Eindruck der Kontinuität zu erwecken oder wenigstens nicht zu zerstören. In Wahrheit vollzog sich nun aber die im Erkenntnis zur Ledigensteuer bereits angedeutete Änderung der Judikatur: Der VfGH stellte zunächst fest, die staatliche Verwaltung könne die Verteilung von Rauchwaren „niemals nach den individuellen Wünschen und tatsächlichen Bedürfnissen der einzelnen Staatsbürger, sondern immer nur mit der Zielrichtung einer möglichst gerechten Berücksichtigung aller Staatsbürger nach einem sachlich gerechtfertigten objektiven Maßstab vornehmen [...]. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes könnte in einer solchen Maßnahme nur dann erblickt werden, wenn in Wahrheit nicht dieser, nach allgemeinen Momenten geschätzte Bedarf, sondern andere in der Qualität der betreffenden – bevorzugten oder benachteiligten – Gruppen gelegene Momente erwiesenermaßen den Grund für die Differenzierung bilden würden.“39
Nur wenn die ungleiche Beteilung der Männer und Frauen erwiesenermaßen nicht im Interesse einer möglichst gerechten Bedarfsdeckung, sondern aus anders gearteten Erwägungen erfolgt wäre, läge, wie der VfGH weiter meinte, eine Verletzung des Art 7 B-VG vor. Die verordnungserlassende Behörde habe aber in durchaus glaubwürdiger Weise die Ungleichheit der Beteilung damit begründet, dass der Bedarf der Männer an Rauch____________________
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Im Original zum Teil mit Hervorhebungen.
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waren nach dem allgemeinen Durchschnitt im ganzen Bundesgebiet ein Vielfaches von dem der Frauen betrage. Diese Ausführungen stünden im Einklang mit den Erfahrungen des täglichen Lebens. Eine so ermittelte Verteilungsgrundlage sei, wie der VfGH weiter meinte, „keine willkürliche, sie fußt auf objektiven Merkmalen und beinhaltet daher nicht die Einräumung eines Vorrechtes an das männliche Geschlecht. Nur letzteres wird durch die Bestimmungen der Bundesverfassung ausgeschlossen, dagegen soll durch diese nicht eine unterschiedslose Gleichstellung der Geschlechter in allen Fragen herbeigeführt werden. Tatsächlich weist sowohl die Gesetzgebung als auch die Praxis in manchen Fällen ausdrücklich eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter auf, die bald diesem, bald jenem Geschlecht eine Begünstigung einräumt und, wenn sie in objektiven Merkmalen begründet ist oder aus der Natur oder Eigenart des betreffenden Geschlechtes sich ergibt, keines Verfassungsgesetzes zu ihrem rechtlichen Bestande bedarf.“40
Nicht umsonst hat diese Entscheidung solche Bekanntheit erlangt41. Der Gerichtshof zieht eine Vielzahl von Begründungslinien zusammen und fügt ihnen neue Gedanken hinzu, um die nach dem Geschlecht verschiedene Zuteilung von Rauchwaren zu rechtfertigen. Er behandelt zunächst die in der Verordnung vorgenommene Anknüpfung an das Geschlecht als eine Anknüpfung an das Rauchverhalten der Geschlechter und wertet dieses in der Folge als ein objektives Merkmal. Der Begriff „objektiv“ wird dabei nicht mehr als Gegensatz zu „subjektiv“ iSv „in der Person gelegen“ verwendet, sondern bereits als Gegenstück zu „unsachlich“ bzw „willkürlich“. Mit dieser Bezugnahme auf die Motive der Ungleichbehandlung wird die Deutung des Art 7 B-VG als Anknüpfungsverbot aufgegeben. Obwohl der Gerichtshof sodann wie schon im Erkenntnis VfSlg 651/1926 feststellt, dass eine in der „Natur des Geschlechts“ begründete Ungleichbehandlung zulässig ist, scheint er in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nun kein Prima-facie-Verbot mehr zu sehen. Erstens betont er nämlich, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nicht schlechthin jede Ungleichbehandlung, sondern nur „Vorrechte“ des Geschlechts verbietet. Zweitens erweitert er den Kreis der Gründe, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können, um die „Eigenart des Geschlechts“ und um „objektive Merkmale“, was den Ausnahmecharakter der Rechtfertigung stark relativiert. Drittens sieht der VfGH nun offenbar nicht mehr die Zulässigkeit, sondern die Unzulässigkeit einer Ungleichbehandlung als beweispflichtig an: Ein ____________________
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Hervorhebung im Original. Das „Zigarettenerkenntnis“ ist zu einem Lehrbuchbeispiel dafür geworden, dass die „Vorstellungen über die Gleichheit von Mann und Frau den Wandlungen der Zeit unterworfen sind“, s etwa Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 779; ebenso Berka, Grundrechte Rz 955. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1349, meinen, rational sei überhaupt nicht erkennbar, ob die ungleiche Verteilung von Tabakwaren zwischen Männern und Frauen dem Gleichheitssatz entspricht; s zum Zigarettenerkenntnis auch Noll, Sachlichkeit 105 ff. 41
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Anlass, die Verteilungsnorm in Prüfung zu ziehen, bestünde nach Ansicht des Gerichtshofes nämlich nur, „wenn die ungleiche Beteilung der Männer und Frauen erwiesenermaßen nicht im Interesse einer möglichst gerechten Bedarfsdeckung, sondern aus anders gearteten Erwägungen erfolgt wäre.“42 Diese anders gearteten Erwägungen mussten wohl zudem von einer diskriminierenden Absicht getragen sein. Denn die ungleiche Verteilung der Rauchwaren auf Männer und Frauen hätte den Gleichheitssatz nur dann verletzt, „wenn in Wahrheit nicht dieser, nach allgemeinen Momenten geschätzte Bedarf, sondern andere in der Qualität der betreffenden – bevorzugten oder benachteiligten – Gruppen gelegene Momente erwiesenermaßen den Grund für die Differenzierung bilden würden.“43 Entscheidend für die Gleichheitskonformität einer Regelung ist also nicht mehr – wie es einem Anknüpfungsverbot entspräche – die technische Ausgestaltung einer Norm, sondern – im Sinne eines Motivationsverbotes – die Absicht der normerlassenden Autorität. Demgegenüber darf mE der Hinweis des VfGH auf eine „gerechte“ Beteilung von Männern und Frauen nicht überbewertet werden. Zunächst schien nämlich das Fehlen von Willkür die Gleichheitskonformität der Regelung viel eher zu begründen als die bloß grob geprüfte Frage, ob diese Regelung einem Kriterium der Gerechtigkeit entspricht. Zudem ist dieser Rekurs auf die Gerechtigkeit in der Judikatur auch ein Einzelfall geblieben44. ____________________
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Hervorhebung nicht im Original. Hervorhebungen nicht im Original. 44 S zB VfSlg 1764/1949, wonach sich der VfGH nicht berufen fühlt, die dem „Gerechtigkeitsgefühl widersprechenden Härten des Gesetzes“ zu beseitigen; s auch die bereits zitierte Feststellung Adamovichs, Diskussionsbeitrag 207, dass der VfGH eine Berufung auf die Gerechtigkeit scheut, fast wie der Teufel das Weihwasser. Anderes gilt allerdings für § 4 F-VG, den der VfGH als Ausdruck eines „allgemeinen Sachlichkeitsgebotes (Gerechtigkeitsgebotes) im Bereich des finanzausgleichrechtlichen Regelungssystems“ bezeichnet (zB VfSlg 9280/1981, 10.633/1985, 16.849/2003). In eine ähnliche Richtung könnte das Erkenntnis VfSlg 3104/1956 weisen: In dieser Entscheidung stellte sich der Gerichtshof im Rahmen der Gleichheitsprüfung die Frage, ob das inkriminierte Nachtarbeitsverbot im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen steht, welche die österreichische Rechtsordnung beherrschen. Aus der Fülle der Normen zum Schutz des arbeitenden Menschen „leuchtet“, wie der Gerichtshof sodann feststellte, „der Gedanke durch, daß der Gesetzgeber berufen ist, menschenwürdige Arbeitsverhältnisse durch Regelung der Arbeitszeit zu schaffen.“ Diesem Ziel diene auch das Nachtarbeitsverbot, das daher nicht als gleichheitswidrig anzusehen sei. Dieser Prüfungsansatz könnte zwar an der Gerechtigkeit orientiert sein; eher scheint der VfGH damit aber einen Gedanken aufzugreifen, den Antoniolli, JBl 1956, 612 = ÖJZ 1956, 647, kurz vor Fällung der Entscheidung geäußert hatte (s auch Ermacora/Klecatsky/Ringhofer, ÖJZ 1959, 30; Marschall, 1. ÖJT I/4 [1961] 71): „Wir dürfen den Maßstab für den Gleichheitssatz nicht im Naturrecht suchen, müssen uns aber dem primitiven Positivismus des nackten Wortes entreißen. Wir müssen in bestimmten Rechtssätzen jene Ordnung ausdrücken, die ihre Wurzel in unserer Kultur, Geschichte und in den Bedingungen unseres sozialen Lebens hat und aus jeder einzelnen Bestimmung der österreichischen Rechtsordnung hervorleuchtet.“ 43
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e. Auflösung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG im allgemeinen Gleichheitssatz Die Deutung, die der VfGH Art 7 Abs 1 B-VG im Erkenntnis zur Ledigensteuer und im Zigarettenerkenntnis gegeben hat, blieb auch in der weiteren Judikatur aufrecht. Sie wurde nun zu einem allgemeinen Standard, der sowohl für Ungleichbehandlungen nach den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmalen als auch für andere Differenzierungen galt. In vielen Entscheidungen wird deutlich, dass der Gerichtshof mit „objektiv“ nun „sachlich“ meint45, und dass die Sachlichkeit eines Rechtsaktes schon zu bejahen ist, wenn der verantwortlichen Autorität keine Willkür nachgewiesen werden kann, wenn sie ihre Entscheidung also nicht in der Absicht getroffen hat, jemanden aufgrund seiner Geburt oder Klasse, seines Geschlechtes, Standes oder Bekenntnisses oder aus anderen unsachlichen Gründen schlechter zu behandeln als andere Personen46. Manche Aussagen des VfGH erwecken zwar den Eindruck, dass eine Gleichheitswidrigkeit überhaupt nur vorliegt, wenn eine Differenzierung nach einem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ausdrücklich genannten Merkmal vorgenommen wird, dass die Fälle einer möglichen Gleichheitsverletzung also in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG taxativ aufgezählt sind47. Die ganz überwie____________________
45 VfSlg 1777/1949, 1959/1950, 2042/1950, 2130/1951, 2375/1952 („sachlich“ als Gegenstück zu „in der Person gelegen“), 2375/1952, 2441/1952, 2470/1953, 2537/1953, 2639/1954, 2645/1954, 2724/1954, 2770/1954, 2774/1954, 2794/1955, 2884/1955, 2901/1955 („objektive, d. h. sachlich gerechtfertigte Unterscheidungsmerkmale“), 2912/ 1955, 3240/1957, 3334/1958 („objektive Unterscheidungsmerkmale“ als Synonym für „sachlich gerechtfertigte Momente“ bzw für einen „sachlich gerechtfertigten Grund“); s auch Marschall, 1. ÖJT I/4 [1961] 67 f. 46 S zB VfSlg 1777/1949: „die nach sachlichen Gesichtspunkten verfügten Differenzierungen [bilden] keine Beeinträchtigung der Gleichheit, sondern nur die aus persönlichen subjektiven Momenten entspringenden Vorrechte sollen ausgeschlossen sein“; s auch VfSlg 2859/1955, wonach Art 7 B-VG „nicht allgemein und absolut die ungleiche Behandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz [verbietet], sondern nur aus Gründen, die subjektiver Natur sind, die also in der Person der Staatsbürger selbst, etwa wegen ihrer Geburt, ihres Geschlechtes, ihres Standes, ihrer Klasse oder ihres Bekenntnisses gelegen sind.“ 47 Vgl das Erkenntnis VfSlg 1803/1949, demzufolge für eine Gleichheitswidrigkeit erwiesen sein müsse, „daß die Beschwerdeführerin bei Auslegung des Gesetzes anders behandelt wurde als sonstige Staatsbürger, u. zw. aus Gründen, die lediglich in ihrer Person, in ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Staatsbürgern liegen, d. h. wegen ihres Geschlechtes, ihres Standes, ihrer Klasse oder ihres Bekenntnisses“; ebenso VfSlg 1986/ 1950; ganz ähnlich VfSlg 2042/1950; s weiters VfSlg 2286/1952, wonach das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht erkennen lasse, „daß für ihre Behandlung eines der in Art. 7 B.-VG. aufgezählten subjektiven Momente (Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse oder Bekenntnis) maßgebend gewesen ist. Nur gegen eine auf solche Momente gegründete Sonderbehandlung richtet sich aber die Verfassungsbestimmung des Art. 2 StGG. und Art. 7 B.-VG“; VfSlg 2375/1952, 2423/1952, wonach der Gesetzesanwendung eine Grenze in der Differenzierung nur insofern gezogen ist, „als die Entscheidung nicht von rein subjektiven persönlichen Merkmalen (Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse, Bekenntnis) abhängig gemacht werden kann“; s auch VfSlg 2537/1953, 2641/1954, 2770/1954, 2841/1955, 3240/1957.
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gende Zahl der Entscheidungen lässt aber erkennen, dass der VfGH die Aufzählung in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG für demonstrativ hielt, ohne in ihr freilich einen Prüfungsmaßstab zu sehen, der sich von jenem des allgemeinen Gleichheitssatzes abhebt48. Die immer wiederkehrende Auflistung der Kriterien des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG auch in Fällen, in denen keines dieser Kriterien betroffen war, zeigt einerseits, dass der VfGH die wenigen Anhaltspunkte des B-VG für die Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes keinesfalls ungenützt lassen wollte. Andererseits sah er in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG aber doch nur eine Auslegungshilfe für den allgemeinen Gleichheitssatz, nicht aber eine spezielle Gleichheitsbestimmung. Dementsprechend erwähnt er oft gar nicht eigens, dass eine Regelung nach einem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ausdrücklich verpönten Kriterium differenziert49. Der Gerichtshof betrachtete die ersten beiden Sätze des Art 7 Abs 1 B-VG also offenbar als eine Einheit und entnahm ihnen ganz generell das an Gesetzgebung und Vollziehung gerichtete Verbot, willkürliche bzw begründungslos getroffene Ungleichbehandlungen nach welchen Kriterien immer vorzunehmen50. Der Beweis hiefür oblag dabei grundsätzlich dem Beschwerdeführer51; vor allem für den Bereich der Vollziehung war er freilich kaum je zu ____________________
48 Dass die Merkmale in Art 7 Abs 1 B-VG nur beispielsweise aufgezählt sind, stellt der VfGH ausdrücklich in VfSlg 2088/1951 fest, s auch VfSlg 1721/1948, 1914/1950, 1945/ 1950, 2014/1950, 2025/1950, 2055/1950, 2361/1952, 2774/1954, 2848/1955, 2930/1955. 49 ZB VfSlg 5589/1967: Unterscheidung nach dem Geschlecht; s auch das Erkenntnis VfSlg 2858/1955, in dem der VfGH unter Berufung auf VfSlg 1452/1932 nebenher erwähnt, dass „rein abstrakt gesehen, eine Unterscheidung zwischen ‚wirtschaftlich Stärkeren und wirtschaftlich Schwächeren‘, also eine Unterscheidung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, eine solche objektiver Art und daher vom Standpunkt des Grundsatzes der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz im Sinne des Art. 7 B-VG. zulässig ist“; demgegenüber werden in VfSlg 384/1925 Besitzlose und Besitzende noch als ein Anwendungsfall des Differenzierungsmerkmals „Klasse“ in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannt. 50 VfSlg 1914/1950, 2014/1950, 2088/1951: Art 7 Abs 1 B-VG als „Schutzbestimmung gegen willkürliche Rechtsetzung und Rechtsanwendung“; VfSlg 2470/1953, 2957/1956, 3197/1957: „Der Gleichheitssatz, wie er heute verstanden wird, verbietet willkürliche, unsachliche Differenzierungen auf dem Gebiet der Normsetzung und des Normvollzuges. Über das Willkürverbot hinaus wird die Souveränität des Gesetzgebers durch den Gleichheitssatz nicht beschränkt“. 51 Vgl zB VfSlg 2445/1952: „Es müßte vielmehr erwiesen sein, daß der Betroffene von der Verwaltungsbehörde bei Auslegung des Gesetzes anders behandelt wurde als sonstige Staatsbürger, u. zw. aus Gründen, die lediglich in seiner Person, in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Staatsbürgern liegen, insbesondere wegen des Geschlechtes, der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand oder einer bestimmten Klasse oder wegen seines Bekenntnisses“; s weiters das Erkenntnis VfSlg 2774/1954, in dem der Beschwerdeführer behauptete, er sei aus subjektiven Gründen, „wegen Konkurrenz politischer und nationaler Art und bei Verfassung von Schulbüchern“ nicht auf einen Dienstposten übernommen worden, worauf der VfGH jedoch „mangels jeder näheren Präzisierung“ nicht einging: „Es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen, die konkreten Momente für die Richtigkeit seiner Behauptung genau zu umschreiben und gleichzeitig die Beweise anzubieten, mit de-
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erbringen52: In zahlreichen Beschwerdefällen vermisste der VfGH bereits die Behauptung oder doch den Nachweis, dass für die Entscheidung der Behörde subjektive Momente ausschlaggebend gewesen seien53, oftmals fand er aber auch in den Verwaltungsakten keinen Anhaltspunkt für die vom Beschwerdeführer behauptete Willkür54. Mitunter verneinte der Gerichtshof den Vorwurf der Willkür auch mit der Feststellung, nichts deute darauf hin, dass die Behörde in vergleichbaren Fällen anders entscheiden würde55. Machte der Beschwerdeführer solche Fälle aber namhaft, so wurde ihm entgegengehalten, dass aus ihnen für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen sei, weil niemand einen Anspruch auf Gleichheit im Unrecht habe56, dass in diesen Fällen bloß ein Indiz für ein willkürliches Vorgehen der Behörde gesehen werden könne57 oder dass die Behörde nicht verpflichtet sei, an einer von ihr geübten Praxis festzuhalten58. War der Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen eingeräumt, so nahm der Gerichtshof mitunter sogar an, dass ein willkürliches Verhalten schlechthin ausgeschlossen59 oder doch jedenfalls kaum nachzuweisen sei60. Ähnlich ____________________
nen er seine diesbezüglichen Angaben untermauern zu können glaubt“; VfSlg 3254/1957: „Die Behörde hat solche öffentlichen Interessen angenommen und daher die Bewilligung beschränkt, ohne sich jedoch im Bescheid über ihre Gründe auszuweisen. Darin liegt gerade im vorliegenden Fall ein schwerer Verstoß gegen verfahrensrechtliche Vorschriften, durch den v.a. die Behörde den Verdacht der Unsachlichkeit und damit der Gleichheitsverletzung auf sich gezogen hat. Allein diese Verletzung einfachgesetzlicher Verfahrensvorschriften ist im verfassungsgerichtlichen Verfahren unerheblich, solange sich die wahren Beweggründe der Behörde nicht als unsachlich erweisen“; vgl weiters VfSlg 3017/1956, 3035/1956, 3075/1956, 3240/1957, 3345/1958, 3466/1958. 52 S hiezu auch die kritischen Ausführungen bei Klemenz, Gleichheitssatz 36 ff, und Ermacora, Handbuch 72, nach dem bei dieser Judikatur „dem Beweisnotstand des Beschwerdeführers geradezu die Funktion einer Legitimation verfassungswidrigen Handelns der Behörde“ zukommt. 53 VfSlg 1763/1949, 1914/1950, 2148/1951, 2303/1952, 2330/1952, 2420/1952, 2445/1952, 2724/1954, 2881/1955, 2925/1955, 3240/1957, 3397/1958. 54 VfSlg 1945/1950, 2058/1950, 2120/1951, 2361/1952 (aus den Verwaltungsakten ergebe sich, dass der Beschwerdeführerin die Übernahme in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis nicht etwa wegen ihres Geschlechtes oder wegen ihres Standes als verheiratete Frau verwehrt worden sei, sondern ausschließlich in Anbetracht ihrer sozialen Lage: Die Behörde habe nämlich die Beschwerdeführerin im Hinblick auf den Beruf ihres Gatten als Steuerberater nicht als hinreichend berücksichtigungswürdig erachtet – eine Erwägung, die der VfGH für sachlich hielt); s ferner zB VfSlg 2350/1952, 2400/1952, 2517/1953, 2774/ 1954, 2788/1955, 2882/1955; s auch Klemenz, Gleichheitssatz 37, die zutreffend bemerkt, dass sich subjektive Beweggründe als „böse Absicht“ der Behörde äußerst selten den Verwaltungsakten entnehmen lassen. 55 VfSlg 1803/1949, 2361/1952. 56 VfSlg 3016/1956, 3187/1957, 3223/1957, 3225/1957, 3342/1958, 3489/1959, 3732/1960, s zum Problem der Gleichheit im Unrecht noch unten H.II.5. 57 VfSlg 3521/1959, 3581/1959, 3703/1960, 3814/1960. 58 VfSlg 2982/1956. 59 VfSlg 1575/1947: „es könnte daher, wenn die Kiba in einem konkreten Falle eine Vorzugsstellung erhält und man hierin eine ungerechtfertigte Bevorzugung erblicken wollte,
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zurückhaltend verfuhr der VfGH, wenn die Behörde einen unbestimmten Gesetzesbegriff nach Ansicht des Beschwerdeführers gleichheitswidrig ausgelegt hatte61. Ausgeschlossen war ein willkürliches Vorgehen auch schon dann, wenn sich die Behörde um eine richtige Auslegung des Gesetzes „bemüht“ hat, und zwar selbst dann, wenn sie dabei geirrt haben sollte62. Auch die Behauptung, eine generelle Norm verletze Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, sah der VfGH regelmäßig als unbegründet an. Konnte für eine Ungleichbehandlung ein Argument ins Treffen geführt werden, das nicht auf eine Diskriminierungsabsicht hinwies, also ein „objektiver“ Grund, dann wurde die Regelung als unbedenklich angesehen. Nur wenn sich für eine Differenzierung nach einem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Kriterium überhaupt keine tragbare Begründung finden ließ, wurde ihre Gleichheitswidrigkeit konstatiert63. Nur vereinzelt begnügte sich der VfGH für Ungleichbehandlungen nach dem Geschlecht unter Berufung auf seine ältere Judikatur (und damit abweichend vom Zigaretten-Erkenntnis) nicht ____________________
gegebenenfalls eine Überschreitung des der Behörde eingeräumten freien Ermessens geltend gemacht werden, niemals aber könnte hierin eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes erblickt werden“; in VfSlg 1827/1949 werden die Gründe einer Entscheidung gerade deshalb als bedeutungslos qualifiziert, weil der Behörde Ermessen eingeräumt war; s auch VfSlg 1434/1932. Anders noch die Erkenntnisse VfSlg 216/1923, 914/1927, 943/1928, in denen der Umstand, dass der Behörde Ermessen eingeräumt ist, nicht als Hindernis für eine Gleichheitsprüfung angesehen wird. 60 Vgl das Erkenntnis VfSlg 2848/1955, in dem der VfGH selbst feststellt, dass „der Schutz, den Art. 7 B-VG gewährt, gegenüber allen Akten des freien Ermessens eine wesentliche Einschränkung erfährt“. In dieselbe Richtung auch VfSlg 1875/1949, 2124/1951, wonach eine Ermessensentscheidung den Gleichheitssatz nur verletze, wenn die Behörde jemanden aus subjektiven, in seiner Person gelegenen Momenten gegenüber anderen Personen benachteilige – ein Umstand, der sich regelmäßig nicht nachweisen ließ. In VfSlg 1924/1950 meinte der VfGH, dass § 5 WAG, der die Behörde zur Wohnungsanforderung ermächtigte, nicht aber verpflichtete, von vornherein eine vollständig gleiche Behandlung aller Staatsbürger ausschließe. Zu Recht kritisch zu dieser Judikatur Lewisch, Vergleich 86; s auch Klemenz, Gleichheitssatz 39 f, die von den zwei einzigen Ermessensbescheiden berichtet, die zwischen 1946 und 1955 als gleichheitswidrig aufgehoben wurden: VfSlg 2602/1953 und die denselben Beschwerdeführer betreffende Entscheidung VfSlg 2743/ 1954. Beiden Entscheidungen zufolge ist ein Ermessensexzess verfassungswidrig, wenn er auf Motive zurückzuführen ist, die gegen ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verstoßen. 61 VfSlg 3021/1956: Das Mitführen von Personen im Damenreitsitz auf Motorrädern konnte bestraft, das Mitführen auf Motorrollern aber geduldet werden. 62 VfSlg 3066/1956, 4916/1965, 5469/1967, 6128/1970, 6471/1971, s aber auch noch H.II.1. 63 ZB VfSlg 2701/1954: Ausschluss der Durchführung eines gesetzlich begründeten Rückstellungsanspruches in Fällen, in denen von der Einverleibung des Eigentumsrechts „schwere Störungen der öffentlichen Ordnung zu erwarten sind“; VfSlg 2976/1956: Derogation reichsdeutscher Vorschriften, die in der Frage der Arbeitszeitverlängerung den „Betriebsführer“ zum Gerichtsherrn über seine Arbeitnehmer gemacht, sie zu seiner „Gefolgschaft“ erniedrigt und damit ein Untertänigkeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer begründet haben.
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mit jedwedem objektiven Grund, er verlangte vielmehr eine Rechtfertigung aus der „Natur des Geschlechts“: Diese wurde – ebenso wie bereits in einem Vorerkenntnis64 – verneint, als weiblichen Kraftwagenlenkerinnen in der Zeit von 22 bis 6 Uhr das Beziehen von Standplätzen untersagt wurde65, und als § 26 EStG eine Zusammenrechung von Einkünften nur anordnete, wenn der Ehegatte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, nicht aber bei gleichartigen Einkünften der Ehegattin66. Auch jenseits der in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Differenzierungskriterien wurde eine Gleichheitswidrigkeit vielfach schon ausgeschlossen, wenn der Normgeber glaubhaft um eine sachgerechte Regelung „bemüht“ war67. In diesen Entscheidungen kommt besonders deutlich zum Ausdruck, dass der VfGH den Gleichheitssatz als ein Motivationsverbot deutete, und zwar in der engeren Variante eines Verbotes, das vornehmlich gegen die „böse“ Absicht staatlicher Autoritäten gerichtet ist68. Dass die Anwendung eines und desselben Gesetzes bei verschiedenen Staatsbürgern zu verschiedenen Ergebnissen führt, begründete demgegenüber, wie der Gerichtshof im Erkenntnis VfSlg 2423/1952 ausdrücklich festhielt, keine Gleichheitswidrigkeit. Unmerklich, aber eben doch war damit ein von den Ursprüngen der Rechtsprechung relativ weit entferntes Gleichheitskonzept entstanden. Durch die Umdeutung des subjektiven Merkmals, an das eine Differenzierung anknüpft, in das unsachliche Motiv, das hinter einer Differenzierung steht, wurde erstens der Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes ausgedehnt: Jede, nicht nur die nach persönlichen Merkmalen ____________________
64 VfSlg 651/1926: Damals hob der VfGH die inkriminierte (aus dem Jahr 1913 stammende) Regelung allerdings nicht auf, er nahm vielmehr an, dass ihr durch Art 7 B-VG derogiert worden sei. 65 VfSlg 2979/1956. 66 VfSlg 3334/1958. 67 S zB VfSlg 2957/1956: „Die geschichtliche Entwicklung allein beweist, daß der Gesetzgeber bemüht war, das schwierige Problem […] zu lösen. […] Ob das Familienlastenausgleichsgesetz in allem eine zweckmäßige, richtige und ausreichende Lösung gefunden hat, kann nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung sein. Entscheidend bleibt allein die Frage, ob der Gesetzgeber nach Willkür vorgegangen ist und andere als sachlich gerechtfertigte Überlegungen angestellt hat; dies muß verneint werden“; s auch VfSlg 3197/1957: „Die zweifellos gegebene Absicht des Gesetzgebers des ASVG, Interessen der Allgemeinheit zu wahren, schließt die Annahme willkürlicher Zielsetzung aus und der Regelung selbst liegen keine willkürlichen Differenzierungen zu Grunde“; s weiters VfSlg 3052/1956; ganz deutlich dann auch später VfSlg 6438/1971: „Dieses Bemühen des Gesetzgebers um eine sachgerechte Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen schließt Bedenken gegen eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus.“ 68 In diesem Sinn wird die Judikatur auch in der Literatur gedeutet: Klemenz, Gleichheitssatz 60; Ermacora/Klecatsky/Ringhofer, ÖJZ 1959, 29: „Nicht die ‚reine Rechtslage‘ wird also für die Prüfung der Verletzung des Gleichheitssatzes herangezogen, sondern es wird die Rechtslage im Spiegel der obrigkeitlichen Motive und Absichten beurteilt.“ Kritisch zu dieser Judikatur auch Funk, ZAS 1976, 4 FN 9; Raschauer, Namensrecht 88; Rebhahn, DRdA 1981 122 f.
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getroffene Ungleichbehandlung konnte nun gleichheitswidrig sein, wenn sie auf unsachlichen Gründen beruhte. Der VfGH ging dabei zweitens von einer Zweifelsregel für die Gleichheitskonformität staatlicher Akte aus: Zu begründen war nicht, warum eine Ungleichbehandlung erlaubt ist, sondern warum sie nicht erlaubt sein sollte. Das „Bemühen“, also die gute Absicht der Behörde oder des Gesetzgebers schloss dabei eine Gleichheitswidrigkeit in aller Regel aus, und die „böse Absicht“, die eine Gleichheitswidrigkeit begründet hätte, war kaum je nachweisbar. Dieser Maßstab galt im Wesentlichen undifferenziert für alle Anwendungsfälle des Art 7 Abs 1 B-VG. So hatte die Ausdehnung des allgemeinen Gleichheitssatzes auch einen Preis: Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG hat seine eigenständige Bedeutung verloren, er wurde im allgemeinen Gleichheitssatz aufgelöst69. f. Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln Von diesem allgemeinen Trend weichen zunächst nur einige wenige Entscheidungen ab: Im Erkenntnis VfSlg 1871/1949 war der VfGH mit einer Regelung konfrontiert, die Hochschulvertretungen die Einbringung eines Wahlvorschlages nur gestattete, wenn sie einer zur Nationalratswahl zugelassenen politischen Partei angehörten. Der VfGH sah dies als gleichheitswidrig an. Da den Hochschülerschaften jede parteipolitische Betätigung untersagt sei, müssten auch Hochschulvertretungen, die nicht auf parteipolitischen Gesichtspunkten fußen, Vertreter in die Hochschülerschaften entsenden können: „Sie haben das gleiche Interesse und müssen grundsätzlich das gleiche Recht haben, an der Selbstverwaltung der Hochschulen mitzuwirken.“ Anders als sonst untersucht der Gerichtshof hier nicht, welche Motive für die Ungleichbehandlung maßgeblich waren; er vergleicht vielmehr die ungleich behandelten Hochschulvertretungen, konstatiert, dass sich ihre Interessen gleichen und zieht daraus den Schluss, dass sie alle zur Mitwirkung an der Selbstverwaltung der Hochschulen berechtigt sein müssen70. Die vertraute Feststellung, dass die getroffene Differenzierung auf subjektiven Momenten beruhe und daher gleichheitswid____________________
69 Im Ergebnis geht auch die Lehre davon aus, dass das Unterscheidungsverbot des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG im allgemeinen Gleichheitssatz aufging: s zB M. Berger, EuGRZ 1983, 619; Ch. Pesendorfer, ecolex 1992, 600; s auch Sporrer, Gleichheit 937 f; dies, Gleichheitsgrundsatz 85, 88 f, sowie Somek, Rationalität 124. Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 10, meinen hingegen, dass „in der Verallgemeinerung [...] alle bisher konkretisierten Bedeutungen erhalten [bleiben]“. 70 Dieser vergleichende Ansatz findet sich auch im Erk VfSlg 2030/1950, er führte dort allerdings zur Feststellung der Gleichheitskonformität einer Regelung, die an zwei ganz verschieden gelagerte „Tatbestände“ (aus rassischen Gründen vertriebene Rechtsanwälte einerseits und Rechtsanwälte, die ihre Ausbildung im Ausland erlangt haben andererseits) unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfte (die Frist für den Antrag um Zulassung als Rechtsanwalt nämlich nur für die zuerst genannte Personengruppe verlängerte).
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rig sei, taucht erst am Ende der Begründung auf 71. Unter Berufung auf diese Entscheidung und mit ganz ähnlicher Argumentation verwarf der Gerichtshof wenig später auch eine Bestimmung der Arbeiterkammerwahlordnung, die die Einbringung von Wahlvorschlägen nur solchen Gruppierungen gestattete, die sich an der Wahlwerbung für den Nationalrat beteiligt haben72. Deutlich auf einen Vergleich gestützt ist auch das Erkenntnis VfSlg 2794/1955. Der VfGH hob darin Vorschriften über den Disziplinarausschuss bei den Bundestheatern auf, weil sie Bundestheaterbedienstete gegenüber den Bediensteten von Privatbühnen, aber auch gegenüber anderen Vertragsangestellten des Bundes wesentlich benachteiligte. Diese Regelung ließ sich nach Ansicht des VfGH „nur aus der politischen Zeit, zu der das Gesetz geschaffen wurde, erklären und durch keinerlei andere, objektive Merkmale rechtfertigen.“ Primär maßgebend für dieses Urteil war aber ein Vergleich der betroffenen Gruppen: Bundestheaterbedienstete und Bedienstete von Privatbühnen unterscheiden sich, wie der VfGH feststellte, zwar in der Person des Dienstgebers. Dieser Unterschied konnte die rechtliche Differenzierung aber nicht plausibel erklären; denn zwischen Bundestheaterbediensteten und anderen Vertragsangestellten des Bundes bestand ein solcher Unterschied gerade nicht. Diese beiden Gruppen unterschieden sich nur in der Art der erbrachten Dienstleistung, die aber ihrerseits wieder eine Gemeinsamkeit der Bundestheaterbediensteten und der Bediensteten von Privatbühnen bildete73. Diese – vergleichende – Vorgangsweise der Gleichheitsprüfung fand schließlich im Erkenntnis VfSlg 2956/1956 erstmals auch allgemeinen Ausdruck, als der VfGH feststellte, ____________________
71 Demgegenüber wurde dieser Umstand im Anlassfall VfSlg 1880/1949 wieder ganz in den Vordergrund gerückt. 72 VfSlg 1954/1950. 73 In ganz ähnlicher Weise erkannte der VfGH auch § 13 Abs 4 des BeamtenentschädigungsG als gleichheitswidrig, weil dieser die Bediensteten der Selbstverwaltungskörper durch die Befristung der Möglichkeit, Entschädigungsansprüche geltend zu machen, schlechter stellte als andere Bedienstete des Bundes und der Länder. Die Bundesregierung verteidigte diese Bestimmung mit der Behauptung, die besondere Behandlung der Bediensteten der Selbstverwaltungskörper folge aus dem besonderen, nämlich autonomen Charakter der Rechtsträger, gegen den sich der Entschädigungsanspruch richtet. Gleichartige Erklärungen haben dem Gerichtshof in anderen Fällen als Nachweis mangelnder Diskriminierungsabsicht genügt (etwa im Erkenntnis VfSlg 2055/1950, in dem der VfGH es für unbedenklich hielt, dass Erleichterungen bei der Erlangung des akademischen Grades „Dr. techn.“ vom Sitz der Hochschule des Absolventen abhängig gemacht wurden). Hier akzeptierte er die Rechtfertigung nicht mehr; er sah nicht ein, warum die allgemein als Grundsatz geltende Entscheidungspflicht zugunsten der Selbstverwaltungskörper so eingeschränkt werden soll, dass der säumige Rechtsträger aus seiner Säumnis einen Vorteil ziehen kann und hob die inkriminierte Bestimmung als gleichheitswidrig auf: VfSlg 2901/ 1955; dass der VfGH in dieser Entscheidung einen strengeren Maßstab anlegte als sonst, stellt auch Klemenz, Gleichheitssatz 47, fest.
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der Gesetzgeber verletze den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn er Gleiches ungleich und Ungleiches gleich behandle. Der Prüfungsmaßstab, den der VfGH damit an eine Norm sub titulo Gleichheitssatz anlegte, wurde tendenziell strenger. Für die Gleichheitskonformität einer Norm genügte nicht mehr, dass dem Gesetzgeber kein Exzess nachgewiesen werden kann; für Ungleichbehandlungen wurde nun vielmehr ein wesentlicher Unterschied, also eine positive Voraussetzung verlangt. Dieser strengere Maßstab machte sich in der Folge auch durchaus in einigen Entscheidungen bemerkbar74. Soweit eine Differenzierung sich nicht unmittelbar aus Unterschieden im Tatsächlichen begründen ließ, verlangte der VfGH nun zum Teil auch, dass sie ein sachliches Mittel war, um einen sachlichen Zweck zu erreichen75. Neben dieser neuen Judikaturlinie hatte das „in der Person“ gelegene Differenzierungskriterium seine Bedeutung noch immer nicht ganz verloren; es kam etwa bei einer Regelung zum Tragen, die ein zum Großteil in Bundeseigentum stehendes Unternehmen privilegierte: Dieses Unter____________________
74 So hob der VfGH etwa im Erkenntnis VfSlg 3334/1958 eine Norm des EStG auf, die eine Haushaltsbesteuerung einerseits für die Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten und minderjährigen Kindern vorsah, nicht aber auch für wirtschaftlich gleichartige Gemeinschaften – eine, wie der VfGH konstatierte „der Sachlichkeit entbehrende Sonderregelung“ für Ehegatten und Kinder. Der Gerichtshof hielt aber andererseits auch für gleichheitswidrig, dass diese Haushaltsbesteuerung für Ehegatten schlechthin angeordnet war, also unabhängig davon, ob die Ehegatten zusammen oder getrennt lebten. Nur im ersten Fall, also bei einem Zusammenleben der Ehegatten liege nämlich eine gesteigerte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vor, die mit der Zusammenrechnung der Einkünfte und der Progression des Steuertarifes erfasst werden dürfe. Unter dem – im Einkommensteuerrecht – einzig entscheidenden Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bestehe zwischen Ehegatten, die eine gemeinsame Wirtschaft führen und Ehegatten, die aus welchem Grunde immer getrennt leben, folglich ein so beträchtlicher Unterschied, dass eine Gleichstellung dieser beiden Personengruppen den Gleichheitssatz verletze. Als gleichheitswidrig qualifizierte der VfGH schließlich in VfSlg 3754/1960 auch § 54 GehaltsüberleitungsG, der eine Witwenpension einschränkte, wenn einer Witwe bereits aus einem öffentlichen Dienstverhältnis ein fortlaufender Ruhegenuss gebührt. Der Gesetzgeber habe mit dieser Regelung, wie der VfGH begründend ausführte, „von einer Mehrheit gleichartiger Tatbestände“ (Witwen, die ein ihren Lebensunterhalt sicherstellendes Einkommen beziehen) „einen herausgegriffen“ (Witwen, die einen Bezug aus einem öffentlichen Dienstverhältnis erhalten) „und die durch ihn erfassten Personen schlechtergestellt […] als die von den übrigen Tatbeständen betroffenen Personen.“ 75 VfSlg 3185/1957: Unterschiedliche steuerliche Behandlung von Überstundenentlohnungen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder kollektivvertraglicher Regelungen gewährt wurden einerseits und Entlohnungen, die auf einer individuellen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruhten andererseits. Diese Regelung sollte verhindern, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer geringere steuerpflichtige Grundlöhne vereinbaren und dass ein weiterer Betrag im Rahmen der zulässigen Höchstbeträge steuerfrei als „Überstundenentlohnung“ ausbezahlt wird. Die Annahme des Gesetzgebers, bei Überstundenentlohnungen im Rahmen gesetzlicher Vorschriften oder von Kollektivverträgen sei die Umgehung von Steuervorschriften zumindest weniger wahrscheinlich als bei sonstigen Überstundenentgelten, beanstandete der VfGH nicht.
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scheidungsmerkmal hielt der Gerichtshof für „rein subjektiv; daher ist es unsachlich.“76 Aus denselben Gründen hob er auch eine Bestimmung auf, die von einer Enteignungsermächtigung nur Bundeseigentum ausnahm: Diese Ausnahme sei „lediglich mit Rücksicht auf die Person des Betroffenen“ vorgenommen worden, sie sei sachlich nicht gerechtfertigt77. An Ungleichbehandlungen nach einem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Kriterium wurde allerdings weiterhin kein strenger Prüfungsmaßstab angelegt. Im Erkenntnis VfSlg 5589/1967 wich der VfGH dem Problem einer geschlechtsspezifischen Ungleichbehandlung überhaupt aus78 und prüfte nur, ob die inkriminierte Regelung „in sich“ sachlich ist: Dementsprechend fand er es nicht zu beanstanden, dass eine Beamtin keine Haushaltszulage bekommt, wenn ihr Ehemann als Beamter Einkünfte in bestimmter Höhe bezieht; unkommentiert blieb aber der (in der Beschwerde gerade kritisierte) Umstand, dass einem Beamten bei einem entsprechenden Einkommen seiner Ehegattin die Haushaltszulage sehr wohl gewährt wurde79. In VfSlg 6219/1970 attestierte der VfGH einer inhaltlich gleichartigen Regelung, nur formell nach dem Geschlecht zu differenzieren, materiell aber anders begründet zu sein: Die vorgenommene Unterscheidung gehe auf die §§ 91 f ABGB und die ihnen entsprechenden gesellschaftlichen Vorstellungen zurück, denen zufolge der Ehegatte jedenfalls, also auch im Fall der Berufstätigkeit seiner Ehefrau für die Kosten des Haushaltes aufzukommen hat. Erst sieben Jahre später hob der VfGH die (inhaltlich unveränderte) Nachfolgeregelung der Haushaltszulage mit der lapidaren Begründung auf, dass sie nicht darauf abstelle, aus welchem Rechtstitel der andere Ehegatte Einkünfte bezieht, sondern immer nur darauf, welchen Geschlechts der Beamte ist. Dies wurde in ausdrücklicher Abkehr vom Erkenntnis VfSlg 5589/1967 als gleichheitswidrig qualifiziert80, allerdings ohne Hinweis auf Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG und auch ohne Bezugnahme auf die Entscheidung VfSlg 6219/1970 und den zwischenzeitig im ABGB vollzogenen Übergang zum partnerschaftlichen Charakter der Ehe. g. Von subjektiver zu objektiver Willkür, vom Exzess zur Unsachlichkeit In der Folge gab sich der Gerichtshof für die Gleichheitskonformität einer Regelung ganz allgemein immer weniger mit dem Fehlen einer Dis____________________
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VfSlg 5854/1968. VfSlg 7720/1975. So auch die Einschätzung bei Sachs, ZÖR 1985, 319 FN 67. Dies ist ein besonders krasses Beispiel dafür, dass ein Binnendenken, das nur prüft, ob eine Regelung „in sich“ gleichheitskonform ist, an den entscheidenden Gleichheitsproblemen ganz vorbeigehen kann; s dazu schon oben D.III.1.b. 80 VfSlg 8147/1977.
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kriminierungsabsicht oder dem Vorliegen irgendeines „objektiven“ Unterscheidungsmerkmales zufrieden. Für den Bereich der Vollziehung stellte er im Erkenntnis VfSlg 4480/196381 sogar ausdrücklich fest, dass Willkür nicht nur dann gegeben sei, wenn die Behörde absichtlich Unrecht begeht, sondern auch, wenn sie ihre Entscheidung leichtfertig fällt, etwa indem sie sich über allgemein bekannte Erfahrungstatsachen oder allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze hinwegsetzt oder ohne zureichende Begründung von einer bisher allgemein geübten Praxis abweicht. Wie die folgende Judikatur näher konkretisierte, lag Willkür auch in schweren Verfahrensfehlern82, einem gehäuften Verkennen der Rechtslage und in einer fehlenden oder grob mangelhaften Bescheidbegründung83. Auch dass sich die Behörde um eine dem Gesetz entsprechende Entscheidung „bemüht“, schloss eine Gleichheitswidrigkeit nun nicht mehr automatisch aus; vielmehr war ein Bescheid auch dann gleichheitswidrig, wenn die Behörde dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte; ob sie dies in vorwerfbarer Weise tat oder nicht, spielte dabei keine Rolle84. Auch im Bereich der Gesetzgebung ging der VfGH nach und nach von der Ansicht ab, dass das bloße „Bemühen“ des Gesetzgebers eine Gleichheitswidrigkeit ausschließe85; diese Rechtfertigung wird immer seltener gebraucht und schließlich im Erkenntnis VfSlg 10.090/1984 ausdrücklich aufgegeben86. Der Gerichtshof blickt für die Gleichheitsprüfung nicht ____________________
81 Veranlasst durch eine besonders krasse Verkennung der historischen Tatsachen im Jahr 1938, s dazu schon oben Abschnitt D FN 171; s zu diesem Erkenntnis auch Marginter, JBl 1964, 592. 82 So im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit im entscheidenden Punkt, im Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes, s zB VfSlg 8808/1980 sowie noch näher unten H.II.1. 83 VfSlg 9293/1981, 10.057/1984, 10.997/1986, 12.101/1989, 13.007/1992, 14.661/ 1996, 15.621/1999, 16.607/2002, 17.539/2005, 17.891/2006. 84 S VfSlg 5411/1966 (dazu Welan, Stb 1967, F 6, 4; Spielbüchler, FS Floretta 291) und VfSlg 5442/1966, 5609/1967. 85 S die Erk VfSlg 5251/1966, 8350/1978, 8457/1978, 9287/1981, 9750/1983, 10.365/ 1985, wonach die Sachlichkeit einer Norm nicht vom subjektiven Verhalten ihres Urhebers, sondern von ihrem objektiven Gehalt abhängt. In einem gewissen Spannungsverhältnis zu dieser Aussage steht es, wenn der VfGH in VfSlg 9588/1982 meint, die Anpassung einer Norm an einen geänderten Lebenssachverhalt müsse nicht unverzüglich erfolgen; vielmehr sei dem Normsetzer hiefür eine gewisse Verzögerung zuzubilligen. Diese Verzögerung sei jedoch im Allgemeinen nur so lange tolerabel, bis der Normsetzer von der Änderung des Sachverhaltes Kenntnis erlangte oder erlangen musste und es ihm sodann zumutbar ist, die Anpassung der Norm vorzunehmen. Insofern kommt es für die Gleichheitskonformität einer (invalidierten) Norm also doch auf das subjektive Verhalten des Normsetzers an, nicht bloß auf ihre – objektive – Übereinstimmung mit den tatsächlichen Lebensverhältnissen. 86 Diese Rsp bestätigend VfSlg 10.179/1984: „es (kommt) nicht darauf an, was einzelne, im Gesetzgebungsvorbereitungsprozeß beteiligte Personen subjektiv allenfalls gemeint
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mehr bloß auf die Absichten des normsetzenden Organs, sondern auch auf die Norm als das Produkt der gesetzgeberischen Tätigkeit. Er prüft genauer nach, welches Ziel der Normgeber mit einer Regelung verfolgt, welche Mittel er zur Erreichung dieses Zieles einsetzt und welche Folgen diese Mittel tatsächlich zeitigen. Die Gleichheitsprüfung wird damit gewissermaßen „entpersonalisiert“: Der Vorwurf der Gleichheitswidrigkeit richtet sich nicht mehr gegen den Gesetzgeber, sondern gegen das Gesetz selbst87. Dementsprechend selten wird nun auch die Formel, der Gleichheitssatz verbiete dem Gesetzgeber Exzesse88; sie wird nur mehr verwendet, um besonders krasse Gleichheitsverletzungen oder um Rechtsbereiche zu kennzeichnen, in denen dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt89. Seltener wird nun auch die Formel, der Gleichheitssatz verbiete eine Unterscheidung nach Merkmalen, die in der Person gelegen sind. Differenziert der Gesetzgeber nach einem solchen Merkmal, so führt dies zwar regelmäßig zu einer Aufhebung der geprüften Bestimmung90; dass ein Differenzierungskriterium nicht in der Person gelegen ist, reicht für den Nachweis der Gleichheitskonformität für gewöhnlich aber nicht mehr aus91. Maßgeblich für die Gleichheitskonformität einer Gleich- oder Un____________________
haben mögen, sondern darauf, was das Gesetz objektiv zum Ausdruck bringt“; VfSlg 10.926/1986: „Der Gerichtshof hat seine Bedenken nirgends dahin formuliert, daß es dem Gesetzgeber etwa gerade auf dieses Ergebnis angekommen sei. Die Gleichheitswidrigkeit eines Gesetzes ist ja nicht erst die Sanktion einer (bösen) Absicht des Gesetzgebers, sondern schon die Folge der unsachlichen Wirkung des Gesetzgebungsaktes“; s auch schon oben D.I.3.a. 87 Dazu bereits oben D.I.3.a. 88 S mwN auch Klemenz, Gleichheitssatz 76 f. 89 S als Beispiel für eine krasse und deshalb als exzessiv bezeichnete Gleichheitsverletzung VfSlg 16.203/2001, wonach es exzessiv sei, ein zur Beitragsleistung verpflichtendes Versicherungsverhältnis (hier in der Arbeitslosenversicherung) zu begründen, dieses Verhältnis dann aber wieder aufzuheben, indem jegliche Leistung aus diesem „Versicherungsverhältnis“ ausgeschlossen wird. Beispielhaft für die Beschränkung des Gleichheitssatzes auf ein Exzessverbot in Bereichen, in denen dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt, ist die noch zu erörternde Judikatur zu „exzessiv“ hohen Strafen (E.IV.4.c.), dann aber auch das Erkenntnis VfSlg 14.888/1997, wonach Überstundenvergütung und Verwendungszulage ganz verschiedene Einrichtungen sind, die der Gesetzgeber verschieden behandeln kann, „solange die gewählte Lösung [...] nicht exzessiv ist“. 90 S noch VfSlg 9003/1980: Gleichheitswidrigkeit einer steuerrechtlichen Begünstigung nur für Arbeitnehmer, die bei bestimmten völkerrechtlich privilegierten Arbeitgebern beschäftigt sind. Nicht mehr ausdrücklich Bezug genommen wurde auf das in der Person gelegene Merkmal aber schon in VfSlg 11.402/1987: Gleichheitswidrige Begünstigung der im Eigentum einer Gebietskörperschaft oder einer anderen Körperschaft stehenden Realapotheke. 91 Eine der seltenen Ausnahmen ist die Entscheidung VfSlg 12.032/1989, in der der VfGH die Klasse iSd Art 7 B-VG als eine Gruppe von Menschen definiert, deren gesamte Lebensführung sich von der Lebensführung anderer Gruppen von Menschen unterscheidet, und sodann feststellt: „Das Gleichheitsgebot des Art. 7 B-VG bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 2717/1954, 2724/1954, 2884/1955, 3240/1957)
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gleichbehandlung wird nun im Wesentlichen ihre „Sachlichkeit“, in den bereits erläuterten Ausprägungen der Sachgerechtigkeit, der sachlichen Begründung und der sachlichen Rechtfertigung92. Diese Sachlichkeit kann sich aus dem Regelungsgegenstand (also gleichsam „aus der Sache“) ergeben, sie kann auf Unterschieden beruhen, die zwischen den Vergleichsgruppen im Tatsächlichen oder im Rechtlichen bestehen, sie kann aber auch „von außen“ kommen, also auf ein legitimes Ziel zurückzuführen sein, das mit den Eigenschaften der Vergleichsgruppen nichts mehr zu tun hat93. h. Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG in der jüngeren Judikatur Dieses neue, strengere Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes hat jedoch nicht zu einer Wiederbelebung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG geführt. Die jüngere Judikatur zitiert diesen speziellen Gleichheitssatz nur mehr selten ausdrücklich oder seinem Inhalt nach, dies selbst dann, wenn ein Bescheid oder eine generelle Norm eindeutig nach einem Kriterium differenziert, das in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannt ist94. Unterscheidungen nach derartigen Kriterien werden heute nur mehr am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes gemessen95. Da nicht geprüft wird, ob eine Regelung dem Vorrechteverbot des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG unterfällt, ist auch dessen Anwendungsbereich durch die Judikatur nicht restlos geklärt. Das gilt vor allem für die Frage, wann eigentlich eine Unterscheidung nach ____________________
die Verpflichtung von Gesetzgebung und Vollziehung, sich bei der rechtlichen Behandlung der Staatsbürger nur von sachlich gerechtfertigten Momenten leiten und subjektive, nur in der Person – des Standes – begründete Erwägungen beiseite zu lassen. Beruht eine verschiedene Behandlung jedoch darauf, daß objektive Merkmale verschieden sind, dann wird dadurch der Gleichheitssatz nicht verletzt (vgl VfSlg 4036/1961, 5356/1966).“ 92 Dazu bereits oben D.I.3. 93 S bereits oben C.IV.4.b., C.V.3., D.I.3., D.I.7.b.aa., D.I.8. 94 Ausnahmen bilden die in FN 91 genannte Entscheidung VfSlg 12.032/1989 (in der allerdings nur veranlasst durch das Beschwerdevorbringen auf die Frage eingegangen wird, ob ein Disziplinarstandesrecht für Rechtsanwälte mit Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vereinbar ist) sowie das Erkenntnis VfSlg 10.384/1985, in dem der VfGH das Bedenken erhob, „daß es sich um den durch Art 7 Abs 1 B-VG ausdrücklich verpönten Fall eines Vorrechtes des Geschlechts handelt, das weder aus Unterschieden in der Natur des Geschlechts (siehe dazu zB VfSlg. 2979/1956) noch durch sonstige Unterschiede im Tatsächlichen (VfSlg. 7461/1974) gerechtfertigt werden kann“, sowie VfSlg 12.568/1990: „Gemäß Art. 7 Abs. 1 B-VG iVm Art. 2 StGG sind alle Bundesbürger vor dem Gesetz gleich. Vorrechte des Geschlechtes sind ausgeschlossen. Gesetzliche Regelungen, die nach dem Geschlecht unterscheiden, widersprechen daher dem Gleichheitssatz, sofern keine sachliche Rechtfertigung für die geschlechtsspezifische Unterscheidung vorliegt“. 95 S zB das Erkenntnis VfSlg 11.155/1986, in dem in einer nach dem Geschlecht differenzierenden Abfertigungsregelung ein Verstoß „gegen das auch den Gesetzgeber bindende, diesem sachlich nicht begründbare Differenzierungen verwehrende Gleichheitsgebot“ gesehen wird.
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Geburt, Stand oder Klasse vorliegt96. Eindeutiger zu identifizieren sind Differenzierungen nach dem Bekenntnis, die allerdings selten geworden sind97, und schließlich geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungen, mit denen der VfGH immer wieder befasst worden ist. Der in der älteren Judikatur verwendete Satz, Differenzierungen nach dem Geschlecht seien durch Art 7 Abs 1 B-VG nicht ausnahmslos verboten, sondern erlaubt, wenn sie durch die „Natur des Geschlechts“98 gerechtfertigt sind, ist aus der Rechtsprechung praktisch verschwunden99. Auch sonst finden sich in der Judikatur für geschlechtsspezifische Differenzierungen keine besonderen Grundrechtsformeln; der VfGH zieht in diesen Fällen nur den allgemeinen Gleichheitssatz heran100. Dem Gerichtshof wird dabei immer wieder attestiert, an die Zulässigkeit geschlechtsbezogener Differenzierungen auch der Sache nach keine besonderen Anforderungen zu stellen, sie vielmehr ebenso – streng oder milde – zu beurteilen wie andere Ungleichbehandlungen auch101. Dieser Befund ist allerdings wenig aussagekräftig, denn der VfGH legt an Ungleichbehandlungen tatsächlich keinen einheitlichen, sondern einen von Fall zu Fall stark divergierenden Prüfungsmaß____________________
96 S zB das Erkenntnis VfSlg 12.735/1991, nach dem eine Ungleichbehandlung zwischen ehelich und unehelich geborenen Kindern nur aus „sehr gewichtigen Gründen“ zulässig ist; ob eine solche Ungleichbehandlung unter Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG fällt, der Vorrechte aufgrund der „Geburt“ ausschließt, wurde dabei nicht erörtert. 97 Mitunter wich der VfGH der Frage nach der Zulässigkeit einer solchen Differenzierung aber auch auf prozessualem Weg aus, s etwa VfSlg 6998/1973 und dazu Groiss/ Schantl/Welan, ÖJZ 1976, 295. 98 Zur Mehrdeutigkeit dieser Wendung s Sporrer, Gleichheit 937. 99 Eine Ausnahme stellt auch in dieser Hinsicht das Erkenntnis VfSlg 10.384/1985 (FN 94) dar. 100 S auch Sporrer, Gleichheit 927; dass die Judikatur einen oder mehrere „Verdächtiger-Inhalt-Tests“ nicht mehr auszeichnet, konstatiert auch Somek, Rationalität 121. 101 S bereits M. Berger, EuGRZ 1983, 619, wonach der VfGH nicht bereit war, zwischen einem allgemeinen Sachlichkeitsgebot und einem speziellen Gleichbehandlungsgebot mit einem jeweils unterschiedlichen Maßstab für die Zulässigkeit von Differenzierungen zu unterscheiden; ebenso Ch. Pesendorfer, ecolex 1992, 600; Rebhahn, Familie 148; Gutknecht, ZAS 1993, 125; s auch Sporrer, Gleichheit 937 f, nach der geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungen fast ausschließlich nach den Kriterien des allgemeinen Gleichheitssatzes geprüft werden, allenfalls werde das in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG statuierte besondere Diskriminierungsverbot mittelbar berücksichtigt; s auch dies, Gleichheitsgrundsatz 88 f; ebenso Somek, Rationalität 124: „Wie aus der Rechtsprechung weithin bekannt, werden Regelungen, die prima facie gegen ein in Art. 7 Abs. 1 Satz 2 B-VG etabliertes Differenzierungsverbot verstoßen, wenigstens aus diesem Grund keinem vergleichsweise strengeren Test unterworfen. Sie werden vielmehr genauso wie alle anderen gleichheitsrechtlichen Fragen daraufhin beurteilt, ob die Differenzierung über einen sachlichen Grund verfügt“. Einen Überblick über die Judikatur zur Ungleichbehandlung der Geschlechter bieten zB Hornyik, Geschlechtergleichheit 271; dies, Gleichheit von Mann und Frau 67 ff; Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 151 ff; Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 56 ff; Sporrer, Gleichheit 927 ff; Fürst, Quotenregelung 240 ff; Berka, Grundrechte Rz 955 ff.
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stab an, mag er sich dabei auch auf gleiche oder ähnliche Grundrechtsformeln berufen: Das Spektrum der vorhandenen Prüfungsmaßstäbe reicht, wie gezeigt, von einer milden, den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betonenden Kontrolle bis hin zur Annahme von Prima-facie-Rechten, deren Beschränkung dem Gesetzgeber nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gestattet wird102. Ähnlich weit schlägt die Prüfungsamplitude der Judikatur auch bei geschlechtsbezogenen Differenzierungen aus. Nach ihrer Problemstruktur lassen sich hier drei Fallkonstellationen unterscheiden: Erstens Ungleichbehandlungen zwischen Männern und Frauen, die sich von vornherein nicht auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern stützen, sondern auf externe Zwecke, die mit den Eigenschaften der Vergleichsgruppen nichts zu tun haben; zweitens Ungleichbehandlungen, die für sich in Anspruch nehmen, auf wesentlichen Unterschieden zwischen den Geschlechtern zu beruhen, wobei diese Unterschiede ausnahmslos, bei näherer Betrachtung nur typischerweise, nicht einmal im Regelfall oder überhaupt nicht bestehen können. Soweit es an solchen Unterschieden fehlt, liegt ein Fall der ersten Kategorie vor: Die Ungleichbehandlung kann sich dann, wenn überhaupt, nur mehr auf externe Zwecke stützen. Die dritte Kategorie von Fällen betrifft Regelungen, die zwar geschlechtsneutral formuliert sind, sich aber auf Männer und Frauen typischerweise ungleich auswirken, sie insoweit im Ergebnis also doch ungleich behandeln. Ob der VfGH dem Recht des Einzelnen, nicht aufgrund seines Geschlechts benachteiligt zu werden, prinzipiellen Charakter und damit ein gewisses „Schwellengewicht“ zugesteht, ist unklar. Manche Entscheidungen legen ein solches Verständnis nahe, andere gerade nicht103. Die Mehrzahl der Fälle, die an den VfGH herangetragen worden sind, zählen zur zweiten Kategorie, betreffen also Ungleichbehandlungen, die sich auf behauptete Unterschiede zwischen den Geschlechtern stützen. Zu nennen ist zunächst § 28 SchulpflichtG idF BGBl 1962/241, der Mädchen in Vorarlberg nach Beendigung ihrer Schulpflicht verpflichtete, eine ____________________
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Dazu oben D. Nicht aussagekräftig sind dabei jene Entscheidungen, in denen für eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund weder erkennbar war noch von der Bundesregierung angeführt wurde; sie können hier außer Betracht bleiben: s etwa VfSlg 11.928/1988: Gleichheitswidrigkeit einer Vorschrift, die arbeitslosen Frauen die Notstandshilfe vorenthielt, wenn ihr Ehemann oder Lebensgefährte im Vollverdienst stand, selbständig erwerbstätig oder durch Kapitaleinkommen versorgt war, während eine entsprechende Beschränkung für einen männlichen Notstandshilfebezieher nicht vorgesehen war; VfSlg 15.054/1997: Gleichheitswidrigkeit des § 1 BHG, der Frauen durch eine (dem Karenzgeld entsprechende) Teilzeitbeihilfe die Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit zum Zwecke der Kinderbetreuung ermöglichte, Männer aber undifferenziert vom Empfang der Teilzeitbeihilfe ausschloss; gleichsinnig VfSlg 15.961/2000 betreffend die Nachfolgebestimmungen des BHG im GSVG sowie VfSlg 16.707/2002 betreffend § 14 KGG.
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hauswirtschaftliche Schule zu besuchen, sofern sie keine mittlere oder höhere Schule besuchten und nicht zum Besuch einer anderen Berufsschule verpflichtet waren104. Die Vorarlberger Landesregierung hielt diese Regelung für erforderlich, weil ohne sie die Zahl der Frauen, die lediglich über eine allgemeine Pflichtschulbildung verfügen, ungleich höher wäre als die entsprechende Zahl bei Männern. Der Sache nach behauptete die Landesregierung also, weibliche Jugendliche würden das über die Schulpflicht hinaus gehende Bildungsangebot seltener in Anspruch nehmen als männliche: Darin würden sich Männer und Frauen wesentlich voneinander unterscheiden. Dem VfGH genügte dies als Rechtfertigung. Er legte nicht näher dar, ob die behaupteten Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Jugendlichen im Regelfall bestehen oder seltener; er prüfte nicht, ob es auch gelindere Mittel gibt, weibliche Jugendliche zu motivieren, über die allgemeine Schulpflicht hinausgehende Bildungsangebote in Anspruch zu nehmen. Ebenso wenig beanstandete der VfGH, dass die den Frauen verordnete zusätzliche Bildung auf hauswirtschaftliche Tätigkeiten bezogen war: Die Stellung der Geschlechter in der Gesellschaft habe zwar einen bedeutsamen Wandel erfahren, der überkommene Vorstellungen von geschlechtsspezifischen Aufgaben zunehmend in Frage stelle. Ungeachtet dessen sei „die hauswirtschaftliche Tätigkeit eine Aufgabe, die auch heute noch überwiegend von Frauen ausgeübt wird“; daher sei die inkriminierte zusätzliche Schulpflicht für Mädchen nicht zu beanstanden105. Diese Entscheidung zeigt zunächst, dass der VfGH das Spektrum der möglichen Rechtfertigungsgründe für eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung nicht mehr auf „biologische“ Unterschiede zwischen den Geschlechtern einschränkt106. Andernfalls hätte die genannte Schulpflicht keinen Bestand gehabt107. Auch sonst legt der VfGH hier lockere Maßstäbe an: Er begnügt sich mit Unterschieden, die bestenfalls bei einer Durchschnittsbetrachtung bestehen (Inanspruchnahme von Bildungsangeboten) oder die nur auf gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen (Erledigung des Haushaltes als Aufgabe der Frau) beruhen. Dass Ungleichbehandlungen nach dem Geschlecht prinzipiell verboten, also soweit wie möglich zu ver____________________
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VfSlg 7461/1974. Zu Recht kritisch zu dieser Entscheidung Hornyik, RdS 1981, 101; s auch Somek, Rationalität 22, der treffend (allgemein) bemerkt, dass das Stereotyp (hier die Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern) hervorbringt, was von ihm vorausgesetzt worden ist. Insofern kann die Orientierung an einem Stereotyp auch durchaus rational sein. 106 S auch Kucsko-Stadlmayer, JRP 1997, 38. 107 Tatsächlich wurde diese Bestimmung erst rund 20 Jahre später als gleichheitswidrig aufgehoben, allerdings nicht, weil sie nach dem Geschlecht differenzierte, sondern weil sie für das Bundesland Vorarlberg eine Sonderregelung geschaffen hatte: VfSlg 13.917/1994; die geschlechtsbezogene Differenzierung wurde aus Rechtskraftgründen nicht neuerlich geprüft, s dazu Pöschl, Rechtskraft 133. 105
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meiden sind, ist offensichtlich nicht die Position, die dieser Entscheidung zugrunde liegt. Ganz andere Maßstäbe legte der VfGH vier Jahre später an Regelungen der Hinterbliebenenpension an. Er beanstandete eine Vorschrift, die einer Witwe ohne weitere Voraussetzungen eine Hinterbliebenenpension nach ihrem verstorbenen Ehemann zugestand, einem Witwer hingegen nur, wenn er erwerbsunfähig und bedürftig und wenn sein Lebensunterhalt überwiegend von seiner verstorbenen Ehefrau bestritten worden war108. Die Bundesregierung versuchte die strengeren Anspruchsvoraussetzungen für Witwer ua mit dem Argument zu rechtfertigen, der Fall, dass ein Mann seiner Ehefrau gegenüber unterhaltsberechtigt sei und daher auch Anspruch auf eine Witwerpension habe, komme so selten vor, dass es dem Gesetzgeber erlaubt sein müsse, bei Frauen das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zu vermuten und Männern dafür einen besonderen Nachweis abzuverlangen. Eine Regelung, die Witwen so behandle wie Witwer, belaste die Verwaltung nur mit unnötigem Aufwand. Dem VfGH genügte dies als Rechtfertigung nicht. Er räumte zwar ein, dass diese Regelung der in der Ehe auch damals typischen Lage entsprach, dass Frauen regelmäßig den Haushalt führen und daher ihrem Mann gegenüber Anspruch auf Unterhalt haben, der durch die Hinterbliebenenversorgung ersetzt werde. Erstmals in seiner Rechtsprechung stellte der VfGH nun aber fest, dass das Ausmaß der bei einer Durchschnittsbetrachtung hinzunehmenden ungleichen Auswirkungen auch vom „Gewicht der angeordneten Rechtsfolgen“ abhängt109. Hier begünstige die Durchschnittsbetrachtung Witwen, die als Folge ihrer Berufstätigkeit keinen oder nur einen geringen Unterhalt von ihrem verstorbenen Mann bezogen haben, denen aber dennoch eine Hinterbliebenenversorgung zuerkannt wird; diese Bevorzugung sei nur gerechtfertigt, wenn sie das notwendige Mittel wäre, um höhere Kosten einer anderen Lösung zu vermeiden. Dass eine Prüfung der individuellen Verhältnisse der Witwen kostspieliger ist als die Gewährung einer Witwenpension an Witwen mit ausreichendem Einkommen, sei jedoch auszuschließen, dies zumal sich im Familienrecht eine Abkehr von der Hausfrauenehe vollzogen habe und Frauen zunehmend berufstätig seien110. Der Gerichtshof nimmt in dieser Entscheidung also an, dass zwi____________________
108 VfSlg 8871/1980. S zu dieser Entscheidung auch Tomandl, ZAS 1980, 203 ff; Rebhahn, DRdA 1981, 111 ff; Hieden-Sommer, ÖZP 1994, 180 f; Rosenkranz, BundesGleichbehandlungsgesetz 63 ff. 109 Allgemein zur Durchschnittsbetrachtung schon oben D.I.8. 110 Im Gefolge dieses Erkenntnisses wurden weitere geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungen in der Hinterbliebenenversorgung als gleichheitswidrig aufgehoben: VfSlg 9995/ 1984, 10.077/1984, 10.180/1984. S zur Etappenregelung bei der Angleichung der Witwerpension an die Witwenpension, die der VfGH als verfassungskonform angesehen hat
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schen den Geschlechtern im Tatsächlichen bestehende Unterschiede (hier der Rollenverteilung) eine Ungleichbehandlung grundsätzlich rechtfertigen können; geht diese Ungleichbehandlung aber mit einer Begünstigung der atypischen, vom Regelfall abweichenden Fälle (hier der ausreichend versorgten Frauen) einher, so bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung (einzige Lösung zur Vermeidung höherer Kosten einer differenzierten Regelung), die im vorliegenden Fall nicht gefunden werden konnte111. Noch weniger konnte der VfGH folgerichtig akzeptieren, dass der Gesetzgeber ohne jede rechtstechnische oder verwaltungsökonomische Notwendigkeit von einer Durchschnittsbetrachtung ausging. Er sah es daher als gleichheitswidrig an, dass Frauen, die den Namen ihres Ehemannes als gemeinsamen Familiennamen akzeptierten, diesem Namen ihren (ledigen) Familiennamen nachstellen durften, während das gleiche Recht Männern, die den Namen ihrer Ehefrau annahmen, verwehrt wurde112. Dass Männer kaum je den Namen ihrer Frau annähmen, rechtfertige, ____________________
(VfSlg 12.180/1989, 12.691/1991, 14.050/1995, 14.960/1997), der UN-Ausschuss für Menschenrechte hingegen als diskriminierend iSd Art 26 des UN-Pakts über bürgerliche und politische Rechte: 26.3.1992, Appl 415/1990, EuGRZ 1992, 344 mit Anm Nowak; s weiters Pauger, ZAS 1992, 145 f; dens, DRdA 1998, 463 f. Eine Diskriminierung konstatierte auch der EGMR 29.6.2006, Zeman, Appl 23960/02. 111 Hieden-Sommer, ÖZP 1994, 181, kritisiert, dass der VfGH in dieser Entscheidung für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zwischen Witwen und Witwern „strukturelle Einkommensunterschiede“ zwischen Männern und Frauen nicht heranzieht, sie somit als für die Gleichstellung irrelevant erkläre. ME wäre auch schwer einzusehen, warum derartige Einkommensunterschiede pauschal für alle Frauen unabhängig von ihrer individuellen Situation durch eine großzügige Witwenpension ausgeglichen werden sollten. Ein solcher Ausgleich müsste sich zudem den Vorwurf gefallen lassen, ledige Frauen gegenüber verheirateten Frauen zu diskriminieren, Frauen also wiederum nur wahrzunehmen, wenn sie die ihnen zugeschriebene Rolle der Haus- oder doch Ehefrau einnehmen. Wollte man auch diesen Vorwurf abwehren, müsste man allen Frauen eine pauschale Entschädigung für „strukturelle Diskriminierungen“ erstatten. Aber das wäre ein zweifelhaftes Signal, das die Diskriminierung nur oberflächlich zudeckt, statt sie an der Wurzel zu beseitigen. Dass der VfGH, wie Hieden-Sommer, ÖZP 1994, 181, weiter kritisiert, in dieser Entscheidung „nicht einmal ansatzweise [überlegt], ob von der Sache her gesehen familienpolitisch begründete Pensionszahlungen wie die Witwenpension sinnvollerweise an bestimmte Betreuungs- und Versorgungsleistungen als Voraussetzung anknüpfen sollten statt an die Ehe“, dürfte daran liegen, dass derartige Erwägungen nicht vom VfGH, sondern vom Gesetzgeber anzustellen sind. Ihm hat der VfGH im Übrigen keineswegs aufgetragen, die Pension für Witwen und Witwer exakt gleich zu gestalten; er hat es vielmehr auch als zulässig qualifiziert, die Hinterbliebenenversorgung für beide Personengruppen jeweils eigen zu gestalten. Nur die pauschale und undifferenzierte Benachteiligung des Witwers sollte dem Gesetzgeber verwehrt bleiben. Das hindert ihn nicht daran, von Frauen erbrachte Betreuungs- und Versorgungsleistungen bei ihrer Pension zu berücksichtigen. 112 VfSlg 10.384/1985; kritisch zu dieser Bestimmung äußerte sich bereits zuvor die Literatur: s mwN Raschauer, Namensrecht 90, der zutreffend darauf hingewiesen hat, dass das an den Mann gerichtete Verbot, einen Doppelnamen zu führen, indirekt dazu zwingt, im Fall des Aufeinandertreffens zweier „erhaltenswerter“ Namen den Mannesnamen zu wählen, weil sonst einer der beiden Namen bereits mit der Eheschließung untergeht.
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wie der VfGH ausführte, nicht, sie als einen atypischen Härtefall zu vernachlässigen: „Der eigens formulierte Ausschluß von Fällen, die den geregelten sämtlich gleichwertig sind, kann niemals mit dem bloßen Hinweis darauf gerechtfertigt werden, daß es sich um seltene Fälle handle“. Auf einer Durchschnittsbetrachtung beruhte schließlich auch das ungleiche Pensionsalter für Männer und Frauen. Die Bundesregierung verteidigte den früheren Pensionsantritt von Frauen erstens mit dem Argument, die Arbeitskraft lasse bei Frauen früher nach als bei Männern, zweitens seien Frauen typischerweise und nach wie vor durch Beruf und Haushalt doppelt belastet; das frühere Pensionsantrittsalter stelle dafür nur einen Ausgleich dar. Den ersten Unterschied bezweifelte der VfGH schon dem Grunde nach113: Dass die Arbeitskraft bei Frauen früher als bei Männern unter das notwendige Maß sinke, gelte keineswegs allgemein. Zwar gebe es noch immer Berufe, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden und die erhöhte körperliche Beanspruchung mit sich brächten. Dies würde aber nur eine nach der Art der Tätigkeit differenzierende Regelung, nicht hingegen eine Begünstigung aller Frauen in gleicher Weise, also eine rein geschlechtsspezifische Differenzierung rechtfertigen. Außer Streit stellte der VfGH hingegen, dass viele Frauen aufgrund ihrer traditionellen gesellschaftlichen Rolle besonderen Belastungen durch die Haushaltsführung und Obsorge für Kinder ausgesetzt waren und noch ausgesetzt sind. Die Festlegung eines unterschiedlichen Pensionsalters für Frauen und Männer sei jedoch „kein geeignetes Mittel [...], um den Unterschieden in der gesellschaftlichen Rolle der Frauen und Männer angemessen Rechnung zu tragen“. Doppelt belastete Frauen könnten von solchen Regelungen nämlich in wesentlich geringerem Ausmaß Gebrauch machen, weil ihnen die für den vorzeitigen Pensionsantritt erforderlichen Versicherungszeiten häufig fehlen. Das frühere Pensionsantrittsalter komme damit vor allem der nicht zu vernachlässigenden Zahl berufstätiger Frauen zugute, die der erwähnten Doppelbelastung nicht ausgesetzt seien, deren Rollenbild sich von jenem der Männer also nicht unterscheidet114. Der VfGH ____________________
113 VfSlg 12.568/1990 (betreffend das ASVG), 12.660/1991 (betreffend das BSVG), 13.275/1992 (betreffend das GSVG); s auch Rebhahn, DRdA 1991, 337 ff; Ch. Pesendorfer, ecolex 1992, 600 f; Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 119 ff. Kritisch Sturn, JBl 1990, 538 ff; Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 153, sowie mwN Noll, Sachlichkeit 167 ff. 114 Das BVerfG hat eine gleichgelagerte Vorschrift des deutschen Rechts anders beurteilt und angenommen, es sei dem Gesetzgeber nicht verwehrt, „einen sozialstaatlich motivierten typisierenden Ausgleich von Nachteilen [anzuordnen], die ihrerseits auch auf biologische Unterschiede zurückgehen“; dies sei eine „Kompensation erlittener Nachteile“, die Frauen ganz allgemein etwa durch Ausbildungsdefizite, Beschäftigung in unteren Lohngruppen oder verminderte Aufstiegschancen treffen, aber keine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts: BVerfGE 74, 163 (180); zu dieser Entscheidung mwN Nishihara,
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nimmt in dieser Entscheidung demnach wie im Witwerpensionserkenntnis an, dass zwischen Männern und Frauen bestehende biologische oder funktionale (nämlich rollenbedingte) Unterschiede eine rechtliche Differenzierung grundsätzlich rechtfertigen können. Er verlangt allerdings, dass diese Differenzierung zur Zielerreichung auch geeignet und dass sie nicht „überinklusiv“ ist, also nur jene Personen einschließt, die von den genannten Unterschieden wirklich betroffen sind115. ____________________
Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung 208 f. Die österreichische Bundesregierung stützte das unterschiedliche Pensionsalter in ihrer Stellungnahme ausdrücklich nicht auf derartige Gründe und auch der VfGH zog eine solche Rechtfertigung nicht in Erwägung; sie wäre auf der Grundlage seiner Prämissen wohl auch zum Scheitern verurteilt gewesen: Wenn die nicht alle Frauen treffende Doppelbelastung ein generell ungleiches Pensionsalter nicht rechtfertigen konnte, dann musste Gleiches auch für sonstige Nachteile gelten, die Frauen allenfalls typischerweise, aber eben doch nicht durchgängig treffen. Eine solche „großflächige Kompensation“ mE zu Recht ablehnend auch Tomandl, ZAS 1992, 67; Ch. Pesendorfer, ecolex 1992, 601; kritisch zur Entscheidung des VfGH hingegen Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 153. 115 Als Reaktion auf die genannten Entscheidungen des VfGH wurde bekanntlich das Bundesverfassungsgesetz über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl 1992/832 (BVG Altersgrenzen), erlassen, das unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten in der gesetzlichen Sozialversicherung für zulässig erklärt (§ 1) und die schrittweise Angleichung des Pensionsalters beginnend mit 1. Jänner 2019 (§ 2 betreffend vorzeitige Alterspension) bzw 1. Jänner 2024 (§ 3 betreffend Alterspension) anordnet. Auf diese Weise wurden Differenzierungen nach dem Geschlecht im Bereich des Pensionsalters der Überprüfung durch den allgemeinen Gleichheitssatz entzogen. Das verbietet, wie Wiederin, SoSi 2000, 489 FN 12, zutreffend festgestellt hat, eine Auslegung, die § 1 leg cit mit dem Gleichheitssatz auflädt, weil sonst eine Ausnahme regelkonform interpretiert würde; aA Tomandl, ecolex 1993, 104, nach dem § 1 leg cit ein ungleiches Pensionsalter für Männer und Frauen nur zulässt, wenn dies sachlich gerechtfertigt werden kann. In diesem Verständnis wäre § 1 leg cit überflüssig; denn er entspräche dann gerade der Ansicht, die der VfGH im Pensionsalterserkenntnis vertreten hat. ME erteilt das BVG Altersgrenzen allerdings keinen allgemeinen Gestaltungsauftrag an den einfachen Gesetzgeber, auf einen Abbau faktischer Benachteiligungen der Frau hinzuwirken. Der RV zufolge sollte zwar „das bisherige gesetzliche Pensionsanfallsalter für Frauen durch Übergangsbestimmungen so lange [aufrechterhalten werden], wie deren gesellschaftliche, familiäre und ökonomische Benachteiligung sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes in die gesetzliche Pensionsversicherung dies erfordern“, und die Bundesregierung ging auch davon aus, dass diese Bedingung für eine pensionsrechtliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen bis zum Jahr 2018 verwirklicht werden könne (RV 737 BlgNR 18. GP 4). Im Text des sodann vom Verfassungsgesetzgeber beschlossenen BVG Altersgrenzen selbst hat diese Absichtserklärung der Bundesregierung jedoch keinen Ausdruck gefunden. Auch in die andere Richtung sollte das BVG Altersgrenzen aber nicht überbewertet werden: Eine Gesamtänderung der Verfassung hat es nicht bewirkt (s bereits Berka, Grundrechte Rz 887; ders, Art 7 B-VG Rz 12; Wiederin, SoSi 2000, 489 FN 12; aA wohl Novak, JBl 1996, 703, der diese Frage aufwirft, und Zitta, AnwBl 1998, 22, der meint, dieses Gesetz hätte einer Volksabstimmung unterzogen werden müssen). S zu den Auslegungsschwierigkeiten, die das BVG Altersgrenzen bereiten kann und zu einer Interpretation, die dem Gesetzgeber die Möglichkeit offen hält, eine europarechtlich und völkerrechtlich gebotene Gleichstellung der Geschlechter im Bereich des Pensionsalters herbeizuführen: Wiederin, SoSi 2000, 489 ff. Der VfGH hat eine gleichzeitige und gleichmäßige Anhebung der unterschiedlichen Altersgrenzen mit
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Andere Maßstäbe legte der VfGH dann allerdings beim Nachtarbeitsverbot für Frauen an: Er gestand zwar zu, dass dieses Verbot neben gewissen Vorteilen auch beachtliche Nachteile mit sich brachte und dass der Anwendungsbereich dieses Verbotes nur grob abgegrenzt war116. Dennoch sei das Nachtarbeitsverbot gleichheitskonform, weil Frauen noch immer doppelt belastet und daher einem erhöhten Druck zur Nachtarbeit ausgesetzt seien117. Ob ein Nachtarbeitsverbot wirklich geeignet ist, Frauen von dieser Doppelbelastung zu befreien, prüfte der VfGH nicht118; ebenso wenig, ob es nicht gelindere Mittel zur Zielerreichung gegeben hätte119. Der VfGH beanstandete auch nicht, dass dieses Verbot überinklusiv ist, dass ihm Frauen also selbst dann unterfallen, wenn sie keiner Doppelbelastung ausgesetzt sind: Diesen Frauen sei, wie der VfGH meinte, zuzumuten, „in Solidarität mit den Schutzbedürftigen auf Nachtarbeit zu verzichten.“120 Die Ermittlung der – vielgestaltigen – konkreten Ver____________________
dem BVG Altersgrenzen jedenfalls als vereinbar angesehen, weil das genannte BVG dazu keine Regelung enthalte (VfSlg 16.923/2003; kritisch dazu Heindl, RdW 2003, 511 ff ); als zulässig angesehen hat es der VfGH auch, dass der Gesetzgeber die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeits- bzw Erwerbsfähigkeit als solche beseitigte, nachdem sich das für diese Pension vorgesehene ungleiche Antrittsalter als gemeinschaftswidrig erwiesen hatte: VfSlg 16.764/2002, s dazu Weissensteiner, RdW 2003, 517 f; zur Vorgeschichte Rudda, SoSi 2001, 337. 116 VfSlg 11.774/1988. 117 VfSlg 13.038/1992. 118 Dies wäre wohl zu verneinen gewesen: Denn ein Nachtarbeitsverbot beseitigt die Doppelbelastung der Frauen nicht, es führt nur dazu, dass jene Hausarbeiten, die vorher tagsüber erledigt wurden, soweit als möglich in die Nacht verlegt, also für die Öffentlichkeit unsichtbar gemacht werden (s auch Sporrer, Gleichheit 932 FN 119). Tätigkeiten, die (wie die Kinderbetreuung) nur untertags verrichtet werden können, müssen bei einem Nachtarbeitsverbot entweder einer anderen Person übertragen werden oder sie stehen – wenn eine solche Aufsichtsperson nicht vorhanden bzw finanzierbar ist – einer Tagesarbeit der Frau überhaupt entgegen. Das Nachtarbeitsverbot hat dann entweder den Effekt, dass den betroffenen Frauen die Erledigung ihrer doppelten Aufgaben nur erschwert wird oder dass sie vom Arbeitsmarkt überhaupt ferngehalten werden; im ersten Fall ändert sich an ihrer Doppelbelastung nichts, im zweiten Fall werden Frauen auf die ihnen traditionell zugedachte Aufgabe der Kinder- und Haushaltsbetreuung verwiesen. Es geht dann in Wahrheit nicht darum, Frauen vor einer Doppelbelastung, sondern darum, den Arbeitsmarkt vor den Frauen zu schützen und überkommene Rollenvorstellungen abzusichern, s auch Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 101 ff mwN. 119 S dazu Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 154; an der Erforderlichkeit zweifelt auch Sporrer, Gleichheit 932 FN 119. 120 Kritisch zu dieser Annahme des VfGH Wiederin, SoSi 2000, 489 FN 12; kritisch zur ganzen Entscheidung Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 154. Auch das BVerfG akzeptierte als Rechtfertigung für das Nachtarbeitsverbot die Doppelbelastung der Frau nicht, weil „die zusätzliche Belastung mit Hausarbeit und Kinderbetreuung […] kein hinreichend geschlechtsspezifisches Merkmal [ist]“. Dem Schutzbedürfnis für Frauen und Männer, die zugleich Kinder zu betreuen und einen Mehrpersonenhaushalt zu führen haben, könne „sachgerechter durch Regelungen Rechnung getragen werden, die an diesen Tatbestand anknüpfen“: BVerfGE 85, 191.
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hältnisse, die Frauen zur Übernahme von Nachtarbeit bewegen, sei im Einzelfall nämlich schwierig und den Betroffenen in der Regel unerwünscht. Wenn der Gesetzgeber annehme, dass Frauen „vor jenem besonderen Druck […] zur Übernahme von Nachtarbeit“ nur durch ein generelles Beschäftigungsverbot wirksam geschützt werden können, sei dies nicht zu beanstanden. Es sei die „Aufgabe des Gesetzgebers, abzuwägen, ob er den für (noch) erforderlich gehaltenen Schutz gewährt und damit indirekt […] ‚die überkommene Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern verfestigt‘, oder die Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern auf Kosten eines verlässlichen Schutzes der gegenwärtig Betroffenen für die Zukunft vorantreibt.“121 Durch diese Argumentation wird freilich das eigentliche Problem des Nachtarbeitsverbots verlegt, denn plötzlich ist nicht mehr die Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht thematisch, sondern die Zulässigkeit der Gleichbehandlung ein und desselben Geschlechts122. Die aus der Doppelbelastung resultierenden Schwierigkeiten vieler Frauen werden damit auch im übertragenen Sinn zu einem reinen „Frauenproblem“, also zu einem Problem, das bei einem Teil der Frauen besteht und für dessen – vermeintliche – Lösung die übrigen Frauen ein Opfer zu bringen haben. Dem Interesse nicht doppelt belasteter Frauen, hiefür nicht in Anspruch genommen zu werden, scheint der VfGH in der genannten Entscheidung kein eigenes „Schwellengewicht“ zuzuerkennen, wenn er es ganz dem Gesetzgeber überlässt, Vorteile und Nachteile des Nachtarbeitsverbotes für Frauen gegeneinander abzuwägen123. Kein eigenständiges Gewicht hat offenbar auch das Interesse der doppelt belasteten Frauen, keinem paternalistischen „Schutz“ unterworfen zu werden, der ihr ____________________
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VfSlg 13.038/1992. Vergleichbar hatte der VfGH auch schon im Pensionsalterserkenntnis VfSlg 12.568/ 1990 argumentiert, in dem er das ungleiche Pensionsalter vor allem deshalb verwarf, weil es Frauen im Verhältnis zueinander formal gleich, wegen der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede aber im Ergebnis ungleich behandle; s dazu auch Ch. Pesendorfer, ecolex 1992, 601; Sporrer, Gleichheit 931. 123 In der Zwischenzeit ist diese Problematik überholt, weil generelle Nachtarbeitsverbote für Frauen europarechtswidrig sind: EuGH Rs C-345/89, Stoeckel, Slg 1991, I-4047; Rs C-13/93, Minne, Slg 1994, I-371; Rs C-197/96, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-1489; Rs C-207/96, Kommission/Italien, Slg 1997, I-6869. Österreich hat sich anlässlich seines Beitrittes zur EU vorbehalten, das Nachtarbeitsverbot für Frauen bis 2001 aufrechtzuerhalten (Anhang XV zur Beitrittsakte, V); danach wurde das BG über die Nachtarbeit der Frauen aufgehoben und das ArbeitszeitG um geschlechtsneutrale Beschränkungen der Nachtarbeit ergänzt (EU-Nachtarbeits-AnpassungsG, BGBl I 2002/122); s zum Nachtarbeitsverbot auch Bei, Frauennachtarbeitsverbot 81; Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 95 ff; Ziegler, Frauennachtarbeitsverbot. Diskriminierend sind aber auch sonst generelle Beschäftigungsverbote für Frauen, die bloß auf einer Durchschnittsbetrachtung aufbauen, s etwa zu dem in den Verordnungen BGBl 1973/501 und BGBl II 2001/ 356 verfügten Beschäftigungsverbot für Frauen im untertägigen Bergbau, bei Arbeiten in Druckluft und bei Taucherarbeiten EuGH Rs C-203/03, Österreich/Kommission, Slg 2005, I-935.
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Problem nicht löst, sondern in Wahrheit wohl nur den Arbeitsmarkt „entlastet“. Ähnlich lockere Maßstäbe legte der VfGH auch an § 93 ABGB idF BGBl 1986/97 an, der den Namen des Mannes zum gemeinsamen Familiennamen erklärte, wenn die Ehegatten keine anders lautende Bestimmung getroffen hatten124. Der Gerichtshof hielt dies für unbedenklich: Der Gesetzgeber habe nämlich, wenn er vom Erfordernis des gemeinsamen Familiennamens ausgehe, kaum Spielraum; einer der Verlobten müsse sich dann damit begnügen, dem gemeinsamen Namen seinen bisherigen Namen anzufügen. Solle – für den Fall mangelnder Einigung zwischen den Partnern – der Einsatz aleatorischer Mittel vermieden werden, „muß den Verlobten, die sich beide weigern, den Familiennamen des anderen als gemeinsamen zu führen, eben klar sein, daß sie die Ehe nicht schließen können. Begehren sie gleichwohl die Trauung, haben sie sich offenbar mit der Notwendigkeit eines gemeinsamen Familiennamens abgefunden und ihre Wahl getroffen. Wenn das Gesetz dann nicht auf einer förmlichen Erklärung besteht, sondern mangels einer solchen ausdrücklichen Wahl annimmt, daß der Name des Mannes gewählt wurde, ist dies keine Bevorzugung des Mannes, sondern [...] die Bedachtnahme auf die erfahrungsgemäß im Einzelfall vorliegenden tatsächlichen Gegebenheiten“, also, wie der VfGH schon in VfSlg 10.384/1985 festgestellt hatte, die „technisch einfachste Form, die von den Verlobten regelmäßig gewünschte Rechtsfolge eintreten zu lassen“ oder, wie es in den Materialien ganz offen hieß: gerechtfertigt, weil dadurch „unnützer Verwaltungsaufwand“ vermieden werde125. Dass die für diese Gegebenheiten verantwortliche Tradition ihrerseits die Verlobten häufig veranlasst, den Familiennamen des Mannes als gemeinsamen Familiennamen zu wählen, verkannte der VfGH dabei nicht. Doch sei es gerade die Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, ob und gegebenenfalls wie er die Angleichung der tatsächlichen Lebensverhältnisse von Frauen und Männern für die Zukunft vorantreibt: Der Gleichheitssatz verpflichte den Gesetzgeber nicht, auf eine Änderung der tatsächlichen Gepflogenheiten bei der freien Wahl des Ehenamens hinzuwirken126. Diese Argumentation bagatellisiert das Problem der genannten Bestimmung. Denn letztlich werden durch diese Regelung jene Frauen, die den Namen des Mannes nicht übernehmen wollen und deren Partner auch nicht be____________________
124 VfSlg 13.661/1993; kritisch dazu Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 155; Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 81 ff mwN. 125 AB 893 BlgNR 16. GP 1. 126 S demgegenüber die Entscheidung BVerfGE 84, 9 = EuGRZ 1991, 105 (108), nach der eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Frau vorliegt, wenn eine Regelung den Vorzug des Mannesnamens für den Fall anordnet, dass die Ehegatten keinen gemeinsamen Ehenamen bestimmen.
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reit ist, ihren Namen anzunehmen, gezwungen, sich dem Durchschnitt anzupassen, sich also so zu verhalten, wie Frauen sich üblicherweise verhalten und den Namen des Mannes doch zu akzeptieren. Das Problem besteht also nicht darin, dass der Gesetzgeber nicht auf eine Änderung rollenbedingter Gepflogenheiten hinwirkt, sondern darin, dass er den Mann bei den Verhandlungen über den gemeinsamen Familiennamen in die bessere Position versetzt und Frauen im Fall mangelnder Einigung – und nur auf diesen kommt es hier an – zu rollenkonformem Verhalten zwingt127. Tatsächlich ist der Gesetzgeber bei der Lösung dieses Problems in einer schwierigen Lage, solange er zwei Dinge gleichzeitig will: einen gemeinsamen Familiennamen und keine Entscheidung durch Los, nach der alphabetischen Reihenfolge der Familiennamen oder nach anderen Kriterien, die mit den Ehegatten in keinem Zusammenhang stehen. Unter diesen Prämissen gibt es nur zwei Lösungen: Der Gesetzgeber kann entweder die Einigung der Verlobten auf einen gemeinsamen Namen zur Voraussetzung der Ehe machen und damit beiden Ehegatten eine gleich starke Verhandlungsposition geben. Will er das nicht, so muss er zwangsläufig im Fall der Nichteinigung entweder dem Namen des Mannes oder dem der Frau den Vorzug geben. Geht man von der Gleichwertigkeit beider Geschlechter aus, dann ist der Vorrang des Mannesnamens aber ebenso wenig begründbar wie der Vorrang des Namens der Frau. Das Problem scheint unlösbar zu werden, weil irgendein – außerhalb des Geschlechts – liegendes Kriterium gefunden werden müsste, das eine Entscheidung ermöglicht, gerade solche Kriterien aber zuvor als unerwünscht ausgeschieden wurden. Erkennt man dem Interesse, nicht aufgrund seines Geschlechts benachteiligt zu werden, ein eigenes Schwellengewicht zu, dann wäre in einer solchen Situation das Regelungsziel zu hinterfragen: Die Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht mag geeignet und erforderlich zur Sicherung eines gemeinsamen Familiennamens sein; fraglich ist aber, ob ein gemeinsamer Familienname wirklich so fundamental bedeutsam ist, dass man von ihm nicht einmal in jenen – wie Gesetzgeber und VfGH selbst annahmen – seltenen Fällen abgehen kann, in denen beide Partner ihren bisherigen Familiennamen beibehalten wollen. Der VfGH hat diese Frage im Rahmen der Gleichheitsprüfung nicht gestellt. Veranlasst durch das Beschwerdevorbringen nahm er zur Bedeutung des gemeinsamen Familiennamens aber im Lichte des Art 8 EMRK Stellung. Die Eheschließung sei, wie der VfGH meinte, „als Neugründung einer Familie ein derart ein____________________
127 Kritisch auch Wiederin, Casebook 125 f: „Der Mann sitzt am längeren Hebel. Mit ihm und für ihn streitet die gesetzliche Vermutung. Er muß weder seinen Standpunkt argumentieren noch mit seiner Partnerin eine Einigung erzielen, sondern lediglich heiraten“; s auch Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 87; zur Anpassung an stereotype Erwartungen allgemein Somek, Rationalität 22 ff, 382 f, 397 ff.
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schneidender Akt, daß an der Berechtigung des Gesetzgebers, daran namensrechtliche Folgen zu knüpfen, auch unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK kein Zweifel bestehen kann.“ Die genannten Entscheidungen erwecken den Eindruck, der VfGH messe mit zweierlei Maß: besonders streng dann, wenn – wie im Fall der Witwerpension, des Pensionsantrittsalters und des ersten Namensrechtserkenntnisses – Männer benachteiligt werden, besonders milde aber, wenn es – wie im Fall der besonderen Schulpflicht für Mädchen, des Nachtarbeitsverbots und des zweiten Namensrechtserkenntnisses – um die Benachteiligung von Frauen geht128. Manche Entscheidungen sind allerdings auch geeignet, diesen Eindruck zu widerlegen: So hätte der VfGH schon zweimal die Gelegenheit gehabt, frauenbevorzugende Quotenregelungen in Prüfung zu nehmen. Derartige Regelungen versuchen strukturelle, aber nur bei einer Durchschnittsbetrachtung auftretende Benachteiligungen von Frauen im Berufsleben aufzugleichen, auch sie stützen sich also auf Unterschiede, die zwischen Männern und Frauen nicht ausnahmslos, sondern nur typischerweise bestehen, und auch sie räumen Frauen einen Vorteil ein. Dennoch hat der VfGH solche Regelungen bisher nicht in Prüfung gezogen, wohl, weil er gegen sie – jedenfalls aus Anlass der anhängigen Beschwerdefälle – keine Bedenken hatte129. Durchwegs streng geprüft hat der Gerichtshof hingegen Vorschriften der ersten Fallkategorie, also Ungleichbehandlungen, die sich von vornherein nicht auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern stützen. So hielt es der Gerichtshof für bedenklich, dass weiblichen Beamten (und nur ihnen) eine Abfertigung zuerkannt wurde, wenn sie innerhalb von 18 Jahren nach der Geburt ihres eigenen Kindes freiwillig aus dem Dienstverhältnis austraten. Ihm schien zweifelhaft, „ob der [...] Regelungszweck für die Abfertigungsgewährung, nämlich daß die Beamtin wegen der Erziehung ihres Kindes aus dem Dienstverhältnis austritt, im Gesetz zureichenden Niederschlag gefunden hat, und zwar so, daß die Regelung überhaupt oder im Wesentlichen auf diesen Zweck beschränkt ist.“130 Selbst wenn dies aber der Fall sei, müsse, wie der Gerichtshof im Prüfungsbeschluss annahm, auf die – wenn auch selten – eintretenden Fälle männlicher Beamter in gleicher Lage Bedacht genommen werden: Ihnen sei zumindest die Möglichkeit zu geben, ihre Erziehungsabsicht im Einzelfall nachzuweisen. Der Sache nach prüft der VfGH damit, ob die vorgenommene Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht in dieser Form wirklich erforderlich ist, ob sie also nicht durch ein „gelinderes Mittel“ abgeschwächt ____________________
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So der Vorwurf von Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 154. S VfSlg 14.368/1995 und 14.370/1995 sowie Sporrer, Gleichheit 935 f. VfSlg 11.155/1986 (Hervorhebung nicht im Original).
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werden könnte. Im Gesetzesprüfungserkenntnis selbst musste der VfGH auf diese Frage nicht mehr eingehen; wie sich im Verfahren herausgestellt hatte, diente die Regelung nämlich in Wahrheit allgemeinen arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen, die die inkriminierte Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht nicht rechtfertigen konnten. Ähnlich gelagert waren die Satzungen zweier Agrargemeinschaften, denen zufolge die Mitgliedschaft bei Töchtern von Mitgliedern während ihrer Verheiratung ruhte. Die Agrargemeinschaften hielten diese Regelung für eine „unumgängliche Voraussetzung“ zur Limitierung der Mitgliederzahl und damit für den Weiterbestand von Agrargemeinschaften. Ob dieses Ziel gerechtfertigt war, ließ der VfGH offen; feststand für ihn nur, dass dieses Ziel nicht allein durch die Ausgrenzung von Frauen verwirklicht werden dürfe131. Nur auf externe Zwecke kann sich auch das derzeit im ABGB vorgesehene Ehenamensrecht stützen. Ihm zufolge müssen Ehegatten nun nicht mehr einen gemeinsamen Ehenamen führen; behalten sie ihre bisherigen Familiennamen auch nach der Eheschließung bei, haben sie allerdings für die aus der Ehe stammenden Kinder einen dieser beiden Familiennamen zu bestimmen. Mangels einer solchen Bestimmung erhält das Kind zufolge § 139 Abs 3 ABGB den Familiennamen des Mannes. Auch diese Vorschrift wurde beim VfGH bekämpft132. Anders als im zweiten Namensrechtserkenntnis versuchte der VfGH hier gar nicht mehr, die Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern (etwa auf Traditionen bei der Wahl des Familiennamens für ein Kind) zurückzuführen; er hielt sie vielmehr für gerechtfertigt, um dem Missstand der Namenslosigkeit des Kindes vorzubeugen. Alle in Betracht kommenden Ersatzlösungen seien im Gesetzgebungsverfahren erwogen worden, aber entweder nicht praktikabel oder mit schwerwiegenden Nachteilen verbunden: Gegen die Bestimmung eines Doppelnamens spreche, dass auf diese Weise endlose Namensketten entstünden; um dies zu verhindern, müsste sich das Kind ab einem gewissen Alter für einen der beiden Namen entscheiden. Dies brächte das Kind in einen Entscheidungsnotstand, weil es sich gegen den Namen eines Elternteiles aussprechen müsse, und es würde auch uneheliche Kinder gegenüber ehelichen ____________________
131 VfSlg 13.975/1994. Dass der VfGH die Satzungen am Gleichheitssatz prüfte, war schon an sich bemerkenswert, weil derartige Satzungen, wie der VfGH selbst feststellte, nicht als Verordnungen zu qualifizieren sind. Die besondere Organisationskonstruktion der Agrargemeinschaften und die ihnen überwiesenen öffentlichen Aufgaben führten aber nach Ansicht des VfGH dazu, dass ihre konstitutiven Satzungen wie andere generelle Normen auch in den Grundrechten ihre Schranken finden müssen; s dazu auch Attlmayr, JBl 1996, 542 f; Novak, JBl 1997, 487; Walter, RZ 1999, 64; VwGH 25.3.1999, 98/ 07/0148. 132 VfSlg 15.031/1997.
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diskriminieren, weil die Führung eines Doppelnamens ehelichen Kindern vorbehalten wäre. Der Gesetzgeber sei auch nicht dazu verhalten, eine Entscheidung durch Los herbeizuführen. In einer solchen Situation sei es ihm lediglich verboten, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen; dies sei hier aber nicht geschehen: Aufgrund des elterlichen Naheverhältnisses könne es nämlich nicht unsachlich sein, als Familiennamen des Kindes den Namen eines der beiden Elternteile zu wählen. Auffallend streng prüfte der VfGH schließlich Vorschriften der dritten Fallkategorie, also geschlechtsneutral formulierte Regelungen, die sich auf Männer und Frauen im Ergebnis ungleich auswirken: Im Erkenntnis VfSlg 13.558/1993 hob der Gerichtshof eine Regelung als gleichheitswidrig auf, die die Gesamtverwendungsdauer von Vertragsassistenten mit höchstens vier Jahren begrenzte. Diese Regelung schlug, wie der VfGH feststellte, aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten überwiegend zum Nachteil solcher Vertragsassistentinnen aus, die sich infolge der Belastung durch Haushaltsführung und Obsorge für Kinder und sonstige Angehörige außerstande sehen, ein Vollbeschäftigung erforderndes Dienstverhältnis als Universitäts- oder Hochschulassistentin einzugehen133. Der VfGH hatte dabei keine Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber das „Institut des Vertragsassistenten“ von vornherein auf bestimmte Fälle beschränken wollte; die ausnahmslose Begrenzung der Gesamtverwendungsdauer des Vertragsassistenten sei jedoch „nicht zwingend erforderlich“. Dass, wie in den Materialien zu lesen war, diese Begrenzung soziale Härten für Personen verhindere, deren Dienstverhältnis in fortgeschrittenem Alter nicht mehr verlängert werde, hielt der VfGH nicht für einen „triftigen Grund, der diese Regelung sachlich zu rechtfertigen vermöchte.“ Einem Vertragsassistenten sei die eigenverantwortliche Bestimmung seiner beruflichen Laufbahn zumutbar; dass die bekämpfte Beschränkung einem „überwiegenden Interesse dient“, sei den parlamentarischen Materialien nicht zu entnehmen134. Der VfGH hat in dieser Entscheidung also erstmals auch eine bloß mittelbare Diskriminierung thematisiert und sie überdies einer auffallend strengen Prüfung unterzogen: Gleichheitskonform wäre diese Vorschrift nur ____________________
133 Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 157, meint, der VfGH verleihe dem Diskriminierungsverbot „Steuerungskraft in eine paternalistische Richtung [...], wenn damit für die Frauen nur jene Berufssegmente freigehalten werden, die mit keinerlei Aufstiegschancen verbunden sind, sich jedoch mit der ‚Belastung durch Haushaltsführung und Obsorge für Kinder und sonstige Angehörige‘ hervorragend vereinbaren lassen.“ ME kann dem Erkenntnis des VfGH nicht die Aussage entnommen werden, dass für Frauen nur das genannte Berufssegment frei bleiben, sondern, dass dieses Berufssegment für Frauen auch zugänglich sein soll. Ob und inwieweit Frauen rechtlich und faktisch auch Zugang zu Berufssegmenten mit höheren Aufstiegschancen haben, war nicht Gegenstand dieses Verfahrens, konnte daher vom VfGH schon aus prozessualen Gründen nicht erörtert werden. 134 Hervorhebungen nicht im Original.
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gewesen, wenn ihr Ziel das Interesse der betroffenen Frauen überwogen hätte, auch eine halbbeschäftigte Assistententätigkeit auf Dauer auszuüben. Einige Zeit lang sah es so aus, als würde die Prüfung einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ein Einzelfall bleiben135. Wohl auch unter dem Einfluss der strengen Rechtsprechung des EuGH zu geschlechtsbezogenen Differenzierungen136, nahm der VfGH aber schon im Erkenntnis VfSlg 15.368/1998 eine weitere Bestimmung in Prüfung, die zwar geschlechtsneutral formuliert war, sich aber dennoch auf Männer und Frauen signifikant ungleich auswirkte. Nach dieser Vorschrift rückten vollzeitbeschäftigte Apotheker im Gehaltsschema jedes Jahr, teilzeitbeschäftigte hingegen nur jedes zweite Jahr vor. Der VfGH thematisierte zwar hier – anders als im Vertragsassistentenerkenntnis – nicht ausdrücklich, dass Teilzeitbeschäftigungen viel häufiger von Frauen als von Männern übernommen werden. Er war jedoch der Ansicht, dass „auch im Rahmen des Gleichheitssatzes nach österreichischem Recht zu untersuchen [ist], ob sich die genannte Bestimmung nicht für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer diskriminierend auswirkt“. Wie der VfGH in seinem Prüfungsbeschluss vorläufig annahm, begründe die bloße Tatsache der Teilzeitbeschäftigung für sich allein die in Rede stehende Differenzierung nicht: Die eingeschränkte Verfügbarkeit, das eingeschränkte Verhältnis zu Kunden und die geringere Erfahrung gegenüber einem Vollzeitbeschäftigten rechtfertigten eine unterschiedliche Gestaltung des Entgeltes nicht. Sie würden zudem durch den Umstand wettgemacht, dass Teilzeitbeschäftigte aufgrund ihrer geringeren Ermüdung Leistungen erbringen, die überproportional zu ihrer Stundenzahl sind. Im sodann eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren stellte sich heraus, dass die inkriminierte Regelung in Ansehung des Urteils des EuGH im Fall Hill/Stapleton137 dem Gemeinschaftsrecht widersprach, also unanwendbar und daher im Verfahren vor dem ____________________
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S auch die Einschätzung von Somek, Rationalität 152. Der Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter gilt gemeinschaftsrechtlich zufolge Art 141 Abs 1 EGV für die Festsetzung des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitnehmer: Bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gebührt beiden gleiches Entgelt. Eine diese Vorschrift verletzende mittelbare Diskriminierung liegt nach der Judikatur des EuGH vor, wenn eine geschlechtsneutral formulierte Regelung wesentlich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft, ohne dass dafür objektiv gerechtfertigte Gründe gegeben sind, die einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers dienen und zur Zielerreichung geeignet und erforderlich sind, s zB EuGH Rs 96/80, Jenkins, Slg 1981, 911, Rz 13; Rs 170/84, Bilka, Slg 1986, 1607, Rz 29 f; Rs 171/88, Rinner-Kühn, Slg 1989, 2743; Rs C-184/89, Nimz, Slg 1991, I-297, Rz 12; Rs C-360/90, Bötel, Slg 1992, I-3589, Rz 27; Rs C-196/02, Nikoloudi, Slg 2005, I-1789, Rz 44; s zu dieser Judikatur mwN Urlesberger, ZAS 1994, 181 ff; Kokott, NJW 1995, 1049 ff; Pirstner, DRdA 1997, 461 ff; dies, DRdA 2000, 549 ff; Herda, Gleichbehandlung 259; Stix-Hackl, AnwBl 1998, 229; Kucsko-Stadlmayer, RZ 1999, 106 ff; dies/Kuras, Art 141 EGV Rz 47 ff; Nishihara, Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung 132 ff. 137 EuGH Rs C-243/95, Hill/Stapleton, Slg 1998, I-3739.
Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG
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VfGH nicht (mehr) präjudiziell war. Das Gesetzesprüfungsverfahren wurde dementsprechend eingestellt; die Gründe, die zur Annahme der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit geführt hatten, entsprachen aber der Sache nach weitgehend jenen, die beim VfGH auch Bedenken im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes ausgelöst hatten138. Sollte der Gerichtshof – wenn auch beeinflusst durch den EuGH – diese strenge Linie in Zukunft auch in Fällen weiterführen, die nicht schon dem Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts unterfallen, könnte auch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG „reanimiert“ werden139. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf diese Bestimmung würde jedenfalls deutlich machen, dass der strengere Prüfungsmaßstab für geschlechtsbezogene Ungleichbehandlungen auch eine Grundlage in der Verfassung hat. i. Zusammenfassung In einer kurzen Phase am Beginn seiner Judikatur hat der VfGH Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG als ein Prima-facie-Verbot verstanden: Eine Differenzierung nach den dort genannten Merkmalen sei grundsätzlich verboten und nur ausnahmsweise aus triftigen Gründen erlaubt. Schon bald deutete der VfGH diese Bestimmung aber als ein Anknüpfungsverbot, das den allgemeinen Gleichheitssatz nur exemplarisch ausführe. Die in Art 7 Abs 1 ____________________
138 Dass der VfGH die fragliche Bestimmung im Prüfungsbeschluss selbst noch nicht als unanwendbar angesehen, die für ein Normprüfungsverfahren erforderliche Präjudizialität also bejaht hat, liegt nur daran, dass das Urteil des EuGH Rs C-243/95, Hill/Stapleton, Slg 1998, I-3739, zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefällt worden war. Daher kann aus dem Prüfungsbeschluss mE nicht gefolgert werden, der VfGH habe die später vom EuGH aufgegriffene mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts als mit Art 7 B-VG vereinbar angesehen. Das Verbot der Geschlechterdiskriminierung des (ex-)Art 119 EGV war zwar, worauf Kienast, RdW 1999, 482, hingewiesen hat, gewiss nicht „Prüfungsmaßstab“ für den (nationalen) Gleichheitsgrundsatz. Wohl aber dürfte die zu (ex-)Art 119 EGV ergangene Judikatur des EuGH den VfGH für mittelbare Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts auch im Lichte des Art 7 B-VG sensibilisiert haben. Dagegen spricht nicht, dass der VfGH den Bescheid im Anlassverfahren (nur) wegen einer Verletzung des Art 1 1. ZPEMRK aufgehoben hat (VfSlg 15.448/1999). Grund für die Aufhebung war ja, dass der Bescheid auf einer Vorschrift beruhte, die aus Gründen des Gemeinschaftsrechts unanwendbar war, ohne dass die Anwendung dieser Bestimmung der Behörde zum Vorwurf gemacht werden konnte. In einer solchen Situation lässt sich gewiss sagen, der Bescheid sei gesetzlos (verletze also das Grundrecht auf Eigentum), viel schwerer aber, der Bescheid sei willkürlich (was Voraussetzung für eine Gleichheitswidrigkeit wäre), weil der Begriff der Willkür stets mit einem Vorwurf an die Behörde verbunden ist. Hier Willkür zu konstatieren, wäre also nur in Abkehr vom tradierten Willkürbegriff möglich (s noch näher unten H.II.4.); eine solche Abkehr war in diesem Fall – da der Bescheid auch in das Eigentum eingriff – aber gar nicht nötig. 139 S auch Wiederin, EuGRZ 1992, 511 FN 17, nach dem auch der in der jüngeren Judikatur eingetretene Wandel des Grundrechtsverständnisses im Bereich der übrigen Grundrechte den Gleichheitssatz von Surrogatfunktionen entlastet hat und dem VfGH Gelegenheit böte, sich der besonderen Schutzrichtung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG wieder in stärkerem Maße zu besinnen.
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Satz 2 B-VG aufgezählten Merkmale verbinde ihre „Subjektivität“, also der Umstand, dass sie „in der Person gelegen“ sind. Der allgemeine Gleichheitssatz verbiete folglich ganz generell Ungleichbehandlungen nach „subjektiven“ Merkmalen; Differenzierungen nach „objektiven“ Merkmalen seien hingegen erlaubt. Auch dieses Verständnis erwies sich in der Praxis jedoch als unbefriedigend, erstens weil die Grenzziehung zwischen subjektiven und objektiven Merkmalen schwierig ist, zweitens, weil es Unterscheidungen nach subjektiven Merkmalen absolut entgegenstand. Ab dem Ende der 1940er Jahre beurteilte der Gerichtshof die Gleichheitskonformität immer weniger nach den Merkmalen, an die eine Unterscheidung anknüpft. Maßgeblich wurde nun, aus welchen Motiven eine Differenzierung vorgenommen wird. Diese Neuorientierung begann bei Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, kam in der Folge aber auch beim allgemeinen Gleichheitssatz zum Tragen. Die Kontinuität zur früheren Judikatur wurde nur äußerlich durch die Beibehaltung der Dichotomie „subjektiv“ – „objektiv“ gewahrt. Tatsächlich wurden diese Begriffe nun aber in neuer Bedeutung verwendet: „Subjektiv“ bezeichnete nicht mehr ein Merkmal, das „in der Person gelegen“ ist, sondern eine „willkürliche“ Ungleichbehandlung. Der Ausdruck „objektiv“ wurde zum Synonym für einen „sachlichen“ Unterscheidungsgrund. Dies führte zwar dazu, dass der Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes ausgedehnt wurde. Er erfasste nun jede Ungleichbehandlung nach welchem Kriterium immer, sofern sie willkürlich getroffen war. Diese Ausdehnung hatte allerdings auch einen Preis: Differenzierungen nach den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmalen wurden nun – wie andere Ungleichbehandlungen auch – als gleichheitskonform angesehen, sofern sie nicht erwiesenermaßen auf unsachlichen Erwägungen beruhten. Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG hat damit seine eigenständige Bedeutung neben dem allgemeinen Gleichheitssatz verloren. Die folgende Judikatur hat an dieser Weichenstellung nichts mehr geändert; sie begnügt sich für die Gleichheitskonformität zwar nicht mehr mit dem Fehlen eines gesetzgeberischen Exzesses, sondern prüft neben der Absicht, die hinter einer Ungleichbehandlung steht, auch die Art ihrer Umsetzung und deren Auswirkungen. Dieses neue, strengere Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes hat aber nicht zu einer Neubewertung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG geführt. Diese Bestimmung wird praktisch nicht mehr gesondert zitiert; Ungleichbehandlungen nach den dort verpönten Kriterien werden auf ihre Zulässigkeit nur mehr unter dem Titel des allgemeinen Gleichheitssatzes geprüft. Für die Zulässigkeit der – praktisch noch bedeutsamen – Unterscheidungen nach dem Geschlecht verlangt der VfGH anders als am Beginn
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seiner Judikatur nicht mehr, dass sie auf Unterschieden beruhen, die in der „Natur des Geschlechts“ gelegen oder in biologischen Verschiedenheiten begründet sind. Auch andere Unterschiede können derartige Ungleichbehandlungen rechtfertigen, so etwa die Doppelbelastung der Frau140, der dadurch erzeugte Druck zur Nachtarbeit141, die Haushaltsführung durch die Frau142, die (in den 1970er Jahren angenommene) niedrigere Bildung junger Frauen in Vorarlberg143 oder die Tatsache, dass üblicherweise der Mannesname zum gemeinsamen Familiennamen gewählt wird144. Ob diese auf einer Durchschnittsbetrachtung beruhenden Unterschiede eine Ungleichbehandlung nur dann und nur insoweit rechtfertigen können, als sie bei einer Person tatsächlich vorliegen, beurteilt der VfGH von Fall zu Fall verschieden: Nicht toleriert wurde, dass Frauen, die nicht doppelt belastet sind, ein früherer Pensionsantritt ermöglicht wurde als Männern und dass Frauen, die bereits ausreichend versorgt sind, eine Hinterbliebenenversorgung gewährt wurde, die Männern in gleicher Lage verwehrt worden ist. Toleriert wurde hingegen, dass Frauen, die keinem Druck zur Nachtarbeit ausgesetzt sind, anders als Männern die Nachtarbeit verboten wird und dass Frauen, die nicht bereit sind, ihren Namen aufzugeben, eine Ehe nur eingehen können, wenn sie den Mannesnamen als gemeinsamen Familiennamen akzeptieren. Unterschiedlich streng wird in der Judikatur auch geprüft, ob eine geschlechtsspezifische Differenzierung zur Erreichung des Regelungszieles geeignet und erforderlich ist, genau etwa im Pensionsalterserkenntnis, relativ genau im dritten Namenserkenntnis145, nachgiebig im Fall des Nachtarbeitsverbots für Frauen und im zweiten Namenserkenntnis146. Steht ein Regelungsziel allerdings in keinem Zusammenhang mit Unterschieden zwischen den Geschlechtern, so wird eine Verwirklichung dieses Zieles auf Kosten eines Geschlechts nur dann geduldet, wenn dies unbedingt erforderlich ist147. In bislang zwei Fällen hat der VfGH auch geschlechtsneutral formulierte Regelungen als gleichheits____________________
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VfSlg 12.568/1990 (ungleiches Pensionsalter). VfSlg 11.774/1988, 13.038/1992 (Nachtarbeitsverbot). 142 VfSlg 8871/1980 (Frauen führen regelmäßig den Haushalt, haben folglich typischerweise Anspruch auf Unterhalt und erfüllen daher auch die Anspruchsvoraussetzungen der Hinterbliebenenversorgung). 143 VfSlg 7461/1974. 144 VfSlg 10.384/1985, 13.661/1993. 145 VfSlg 15.031/1997 (Familienname des Kindes). 146 VfSlg 13.661/1993 (gemeinsamer Familienname der Ehegatten). 147 Nicht erforderlich war die Ungleichbehandlung zur Zielerreichung in VfSlg 11.155/ 1986 (arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen) und in VfSlg 13.975/1994 (Senkung der Mitgliederzahl einer Agrargemeinschaft); als erforderlich wurde sie hingegen in VfSlg 15.031/1997 angesehen (Vermeidung des Misstandes der Namenslosigkeit und der Überwälzung des Problems der Namensfindung auf das Kind). 141
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widrig qualifiziert, die Frauen signifikant häufiger nachteilig trafen als Männer148. Der dabei angelegte Prüfungsmaßstab war auffallend streng und inkludierte in einem Fall auch eine Interessenabwägung149. Der der Judikatur bisweilen ausgestellte Befund, an geschlechtsspezifische Differenzierungen keinen strengeren Maßstab anzulegen als an andere Ungleichbehandlungen, trifft in dieser Allgemeinheit folglich nicht zu. Es gibt Entscheidungen, die diese Ansicht stützen150, es gibt aber auch Entscheidungen, die in eine andere Richtung weisen.
3. Literatur Anders als die Judikatur tendierte die Literatur am Beginn der ersten Republik dazu, dem Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nur eingeschränkte Bedeutung zuzuerkennen151. So wurde zum Teil die Auffassung vertreten, diese Bestimmung beziehe sich vorwiegend auf das Wahlrecht, schließe aber Ungleichbehandlungen in anderen Belangen nicht aus; insbesondere seien – vom Wahlrecht abgesehen – Differenzierungen nach dem Geschlecht weiterhin möglich152. Jene Autoren, die den sachlichen Anwendungsbereich des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG für unbegrenzt hielten, sahen die strikte Formulierung dieser Bestimmung zum Teil als „gänzlich mißglück[t]“ an und bedauerten, dass sich der Verfassungsgesetzgeber nicht an der restriktiveren Ausdrucksweise der WRV orientiert hat153, die Männern und Frauen nur „grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ zugestand154. Goutiert werden musste in dieser Hinsicht wohl auch die ständestaatliche Verfassung von 1934, die in Art 16 Abs 2 bestimmte: „Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten wie die Männer, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt ist“. Der in Art 16 Abs 1 dieser Verfas____________________
148 VfSlg 13.558/1993 und 15.368/1998 (die Bedenken wurden im zweiten Fall allerdings nicht weiter verfolgt, weil nach dem Prüfungsbeschluss die Präjudizialität der inkriminierten Vorschrift wegfiel). 149 VfSlg 13.558/1993. 150 Vorwiegend auf diese Entscheidungen beruft sich etwa Somek, Rationalität 123 ff; die mE strengere Prüfung im Pensionsalterserkenntnis VfSlg 12.568/1990 wertet er als „nachgiebig“ (aaO, 143, erkennt er allerdings an, dass der VfGH an die Eignung der Regelung einen strengen Maßstab angelegt hat), die Vertragsassistentenentscheidung VfSlg 13.558/ 1993 als eine ironische Bestätigung der Tatsache, dass der VfGH einen klassifikationsbezogenen „Verdächtiger-Inhalt-Test“ weder beabsichtigt noch unbeabsichtigt durchführt. 151 S zum Ausschluss der Vorrechte aufgrund des Geschlechts auch A.M. Sturm, Geschlechtergleichheit 17. 152 Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 74; wohl auch Kelsen, Staatsrecht 50; gegen eine solche Begrenzung des Unterscheidungsverbotes aber implizit Adamovich sen, Staatsrecht 107 FN 4; explizit Frisch, Verfassungsrecht 60. 153 Adamovich sen, Staatsrecht 107 FN 4. 154 Hervorhebungen nicht im Original.
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sung verfügte Ausschluss von Vorrechten der Geburt, des Standes und der Klasse wurde demgegenüber als unbedingt angesehen155. Mit dem Wiederinkrafttreten des B-VG im Jahr 1945 setzte sich die Ansicht durch, dass weder der erste noch der zweite Satz des Art 7 Abs 1 B-VG seinem sachlichen Anwendungsbereich nach beschränkt ist. Die in dieser Bestimmung geforderte Gleichheit wurde nun ganz allgemein auf die rechtliche Situation des Grundrechtsträgers bezogen. Im Hinblick auf den Ausschluss von Vorrechten des Geschlechts wurde allerdings weiterhin betont, dass eine unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen notwendig und daher auch durch Art 7 Abs 1 B-VG nicht schlechthin verboten sei156. Ähnlich wie die Judikatur, die Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG in seiner Eigenständigkeit abwertete157, scheint auch die Literatur teilweise anzunehmen, dass diesem speziellen Gleichheitssatz neben dem allgemeinen keine besondere Bedeutung zukommt158. Überwiegend hebt die Lehre aber hervor, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nicht vernachlässigt werden dürfe159. Auch Autoren, die dieser Bestimmung hinsichtlich der ____________________
155 Adamovich sen, Staatsrecht 3 66 f; Merkl, Die ständisch-autoritäre Verfassung 39; ders, JBl 1936, 378 ff (= in Mayer-Maly/Schambeck/Grussmann 307 ff ), freilich mit der Einschränkung, dass die in Art 32 Abs 2 und 3 der ständischen Verfassung enthaltene Ermächtigung, den Berufsständen die Selbstverwaltung ihrer berufseigenen Angelegenheiten unter staatlicher Aufsicht zu ermöglichen und die Heranbildung zum Beruf und die Berufsausbildung gesetzlich zu regeln, eine lex specialis zu Art 16 Abs 1 leg cit bildet. 156 S etwa Kolb, FS Kummer 390, nach dem der VfGH „dankenswerter Weise den Gleichheitsgrundsatz nicht [übertreibt], sondern [...] sachlich gerechtfertigte Unterschiede [anerkennt]“; s auch Melichar, FamRZ 1955, 130, nach dem der VfGH „in richtiger Erkenntnis der Sachlage“ keine schematische Gleichbehandlung von Mann und Frau verlangt; Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 65, nach dem Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG keine schematische Gleichstellung gebietet; Walter, ZVR 1979, 36, der die vollständige Gleichbehandlung von Mann und Frau, der Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften oder Klassen als „unpraktikabel“ bezeichnet; s zuvor schon Kelsen/Froehlich/ Merkl, Bundesverfassung 74: „Die juristische Bedeutung [des Art 7 B-VG] ist äußerst problematisch, da nach herrschender Auffassung ungeachtet der rechtlichen Gleichstellung in der Verfassung dennoch eine unterschiedliche Behandlung des Geschlechtes oder der anderen im Absatz 1 genannten Tatbestände im Wege des Gesetzes nicht ausgeschlossen ist“. 157 S dazu oben E.I.2.e., E.I.2.h.; eine der ganz seltenen Ausnahmen bildet in dieser Hinsicht das Erkenntnis VfSlg 1452/1932, in dem der VfGH die sog „Ledigensteuer“ zunächst nach dem allgemeinen Gleichheitssatz und dann am Vorrechteverbot des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG auf ihre Verfassungskonformität überprüfte. 158 S etwa Tomandl, ZAS 1980, 203, der in seiner Besprechung des Witwerpensionserkenntnisses VfSlg 8871/1980 sehr gehaltvolle Vorschläge zur Konkretisierung des Gleichheitssatzes, insbesondere zur Zulässigkeit einer Durchschnittsbetrachtung macht, dem in diesem Erkenntnis maßgeblichen Umstand, dass eine Differenzierung nach dem Geschlecht vorgenommen wurde, aber offenbar keine weitere Bedeutung beimisst; die Judikatur letztlich billigend wohl auch Thienel, Berufungsverfahren 33, der der Kritik an dieser Judikatur zwar nicht nachgehen will, aber doch meint, die gefestigte Position des VfGH habe manches für sich. 159 S zB Merkl, JBl 1955, 166 f; Antoniolli, ÖJZ 1956, 646, der feststellt, dass zu dem in Art 7 Abs 1 B-VG statuierten allgemeinen Gleichheitssatz „die verfassungsrechtlichen
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Gleichheit der Geschlechter rechtspolitisch reserviert gegenüberstehen, haben auf die Beachtlichkeit des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG hingewiesen160. Auf welche Weise und inwieweit diesem speziellen Gleichheitssatz praktisch Rechnung zu tragen ist, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt: Nicht vertreten wird in Österreich zunächst die Auffassung, dass die Anknüpfung an ein in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genanntes Merkmal ausnahmslos verboten ist161. Viele Autoren nehmen an, eine Differenzierung nach einem solchen Merkmal sei dem Verdacht einer Gleichheitswidrigkeit ausgesetzt, sodass sich die Argumentationslast im Rahmen des Art 7 ____________________
Sonderbestimmungen, wie z.B.: Art. 7 Abs. 1 2. Satz B-VG“ kommen, und aaO 647, betont, „daß man immer den besonderen Aufhebungsgrund vor dem allgemeineren heranzuziehen hat. Der VfGH wird ein Gesetz zuerst immer darauf zu prüfen haben, ob es im Widerspruch zu einem besonderen Gleichheitstatbestand der Verfassung steht“; s weiters Kelsen, Rechtslehre 146, nach dem Gleichheit im Gesetz nur garantiert werden könne, wenn die Verfassung ganz bestimmte Unterschiede, wie etwa die der Rasse, der Religion, des Standes oder des Vermögens statuiert, die die Gesetzgebung nicht machen dürfe, „das heißt: daß Gesetze, in denen solche Unterschiede gemacht werden, als verfassungswidrig aufgehoben werden können“. Damit dürfte Kelsen nicht gemeint haben, dass derartige Ungleichbehandlungen absolut verboten sind, wohl aber, dass sie eine besondere Rechtfertigung benötigen. Zu dieser Lösung der älteren Judikatur hat er jedenfalls nach anfänglichen Zweifeln als Verfassungsrichter gefunden, s schon oben FN 20. Auch Walter, ZVR 1979, 38, meint, dass Unterscheidungen, die die Verfassung ausdrücklich verbietet, nicht jedenfalls unzulässig sind, „doch sind Bedenken indiziert“. Dass die zu Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG entwickelten Grundsätze nicht auch für Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gelten, bejahen ferner Bydlinski, 1. ÖJT I/1 (1961) 78; Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 65; M. Berger, EuGRZ 1983, 619. Auch Raschauer, Namensrecht 89, kritisiert, dass die normative Bedeutung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG in der Judikatur durch den pauschalierenden Freispruch zu „sachgemäßer Differenzierung“ verloren gegangen ist; s weiters Rebhahn, DRdA 1981, 117; dens, Familie 148; dens, JBl 1993, 693; Sachs, ZÖR 1985, 310 ff; Wiederin, EuGRZ 1992, 511; Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 157 f; Sporrer, Gleichheit 937 ff; ferner Berka, Grundrechte Rz 913; dens, Art 7 B-VG Rz 34, der Differenzierungen nach in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmalen als suspekt ansieht, zustimmend U. Davy, FS Funk 80; ebenso Öhlinger, Verfassungsrecht7 Rz 761, der für solche Differenzierungen eine „besonder[e] sachlich[e] Rechtfertigung“ als erforderlich ansieht. 160 Bydlinski, 1. ÖJT I/1 (1961) 78, der aaO 80 zugesteht, dass er „zu denen [gehört], die dieses Ergebnis für das Familienrecht bedauern“; Ehe und Familie bedürften, „wie jede Gemeinschaft, einer Organisation, die eine Willensbildung ermöglicht. Diese kann keine demokratische Mehrheitsherrschaft sein, da eine solche unter zwei Personen nicht möglich ist. Will man nicht ständig von außen in die Familie eingreifen, muß daher ein Ehegatte das Übergewicht haben und das kann nach der Tradition unseres Kulturkreises nur der Mann sein.“ Er sehe sich jedoch „juristisch nicht in der Lage, ein seinem Wortlaut und seiner historischen Funktion nach klares Gleichbehandlungsgebot der Verfassung zum Gebot sachgerechter, dem Rechtsempfinden entsprechender Behandlung von Mann und Frau zu verharmlosen.“ 161 Ausdrücklich gegen eine solche Auffassung Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 64; Wiederin, EuGRZ 1992, 511; Berka, Grundrechte Rz 913; Somek, Rationalität 435 ff; Kneihs, Privater Befehl 166 f FN 390; sie als fragwürdig qualifizierend Thienel, Berufungsverfahren 33 f.
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Abs 1 Satz 2 B-VG umkehre162: Daraus folgt nach manchen nur, dass der Gesetzgeber im verfassungsgerichtlichen Verfahren die prozessuale Begründungslast für die Verteidigung des Gesetzes trägt, dass also bis zum Beweis der Zulässigkeit einer Differenzierung von ihrer Unzulässigkeit auszugehen ist163. Häufiger wird für Ungleichbehandlungen iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG eine spezielle Rechtfertigung verlangt, also besonders triftige Gründe164, im Fall einer Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht auch biologische165 bzw biologisch-funktionale166 Verschiedenheiten; gesellschaft____________________
162 Melichar, FamRZ 1955, 131; Rebhahn, DRdA 1981, 117; s auch Berka, Grundrechte Rz 913; dens, Art 7 B-VG Rz 34, der Differenzierungen nach einem verpönten Merkmal als suspekt ansieht; zustimmend U. Davy, FS Funk 81; in dieselbe Richtung wohl auch Walter, ZVR 1979, 38, nach dem bei Unterscheidungen, die die Verfassung ausdrücklich verbietet, Bedenken indiziert sind; ähnlich Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 65, demzufolge Ungleichbehandlungen nach den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmalen nur „ausnahmsweise“ vorgenommen werden dürfen, während man im übrigen nicht sagen könne, dass sonstige Differenzierungen die Ausnahme bilden oder bilden sollen. 163 Bezogen auf geschlechtsspezifische Differenzierungen Melichar, FamRZ 1955, 131; Thienel, Berufungsverfahren 33; ebenso Rebhahn, DRdA 1981, 117, der allerdings auch Sympathien dafür erkennen lässt, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG als einen besonderen Gleichheitssatz zu verstehen, der sich nicht damit zufrieden gibt, dass eine Differenzierung der herrschenden Anschauung entspricht. 164 S schon Merkl, JBl 1955, 167, der für Unterscheidungen aufgrund des Geschlechts „zwingende und allgemein einleuchtende Besonderheiten“ verlangt; offene Fragen seien im Sinne einer möglichsten Gleichberechtigung zu beantworten; s ferner Öhlinger, Verfassungsrecht 5 Rz 755, der annimmt, dass Differenzierungen nach den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Kriterien besonders suspekt und nur bei Vorliegen besonders gravierender Gründe zulässig seien; ders, Verfassungsrecht 7 Rz 761, sieht eine „besonder[e] sachlich[e] Rechtfertigung“ als erforderlich an; s auch Pernthaler, Bundesstaatsrecht 687, 697 f. Unklar Urlesberger, ZAS 1998, 36, der meint, an Ausnahmen vom Vorrechteverbot des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG sei „mindestens […] ein […] besonders strenge[r] Prüfungsmaßstab anzulegen“, dann aber weiter annimmt: „Sie müßten wohl durch Verfassungsgesetz verfügt werden.“ Urlesberger scheint tatsächlich der Ansicht zu sein, dass auch eine im Verfassungsrang erlassene Ausnahme einer besonderen Rechtfertigung bedarf; denn bei frauenbevorzugenden Quotenregelungen stellt sich für ihn „selbst dann“ die Frage, „ob der Wesensgehalt des Grundrechts auf Gleichheit noch gewahrt ist, wenn eine Hälfte der Bevölkerung bevorzugt und die andere benachteiligt werden soll“. Die solcherart konstatierte Wesensgehaltsverletzung soll nach Urlesberger also offenbar nicht einmal im Rang eines (einfachen) Verfassungsgesetzes zulässig sein, sondern einer Volksabstimmung bedürfen. Eine Begründung für diesen extremen Standpunkt liefert er allerdings nicht. 165 Berka, Grundrechte Rz 956; ders, Art 7 B-VG Rz 54. Ermacora, Handbuch 71, meint, Differenzierungen zwischen den Geschlechtern könnten durch die „Natur des Geschlechtes“ gerechtfertigt werden; auch Merkl, JBl 1955, 167, geht von dieser (damals) durch den VfGH entwickelten Formel aus, meint allerdings, dass diese „dehnbare, den Wandlungen der Kulturauffassung Raum gebende Maxime einengend gehandhabt werden“ müsse (im Original mit Hervorhebungen); namentlich gegen eine Kriegsopferversorgung, die Männer mit einer Ernährungszulage von 239 S und Frauen mit einer solchen von 147 S bedenkt, wendet er ein, dass „der biologische Nahrungsbedarf zwar individuell, aber doch nicht allgemein für Mann und Frau, noch dazu in dem gesetzlich willkürlich pauschalierten Ausmaß verschieden“ sei. 166 Raschauer, Namensrecht 89; Wiederin, EuGRZ 1992, 511, nach dem die primäre Funktion des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes in dem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG
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lich-funktionale Unterschiede werden als Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung der Geschlechter zum Teil ausdrücklich ausgeschlossen167, zum Teil aber auch als legitimer Grund angesehen, um eine faktische Gleichstellung der Geschlechter herbeizuführen168. Als zulässig werden zum Teil auch Differenzierungen angesehen, die zwar verschiedene, im Ergebnis aber gleichwertige Rechtsstellungen schaffen169. Vertreten wird schließlich die Ansicht, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG enthalte iVm anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften einen Gestaltungsauftrag, der den Gesetzgeber zum Abbau tatsächlicher Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern durch positive Maßnahmen verpflichte170 oder zumindest berechtige171. Zum Teil wird in der Lehre beklagt, dass eine eigenständige Dogmatik zu Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nicht entwickelt sei172.
4. Würdigung a. Sachlicher Schutzbereich Auf den ersten Blick scheint die Aufzählung verpönter Differenzierungskriterien in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG an die Judikatur des Reichsgerichts anzuknüpfen. Ihr zufolge hatten die Art 2 und 3 StGG jene Vor____________________
verankerten Diskriminierungsverbot liege, „das die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unter anderem dort in höherem Grade einschränkt, wo dieser die beiden Geschlechter verschieden behandeln will“ (Hervorhebung im Original). Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG dürfe zwar nicht als absolutes Differenzierungsverbot gelesen werden, eine Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht müsse sich jedoch auf biologisch-funktionale Verschiedenheiten zurückführen lassen. In diesem Sinn wurde lange auch Art 3 Abs 2 GG in der Judikatur des BVerfG und zum Teil auch in der deutschen Lehre verstanden, s dazu mwN Nishihara, Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung 170, 189 ff. 167 ZB bei Raschauer, Namensrecht 89; möglicherweise nicht bei Wiederin, EuGRZ 1992, 511, der von biologisch-funktionalen Unterschieden spricht – ein Ausdruck, den auch das BVerfG verwendet, das darunter allerdings einerseits biologische, andererseits aber auch funktionale iSv gesellschaftlichen Unterschieden versteht. 168 S zB Kucsko-Stadlmayer, FS Adamovich (1992) 296 ff, gestützt auf die Judikatur des VfGH, insbesondere auf das Witwerpensionserkenntnis und das Pensionsalterserkenntnis; ferner Wiederin, Casebook 125. 169 Bydlinski, 1. ÖJT I/1 (1961) 79 f. 170 Flossmann, Positive Diskriminierung 51; Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 158; Sporrer, Gleichheit 913. 171 Ch. Pesendorfer, ecolex 1992, 600 f; s weiters Kucsko-Stadlmayer, JRP 1997, 41, die aus den Materialien zur Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau, BGBl 1982/443 (nunmehr idF BGBl II 2000/183) schließt, dass der Verfassungsgesetzgeber „vorübergehende Sondermaßnahmen“ schon nach dem B-VG für zulässig gehalten hat; zum selben Ergebnis kam, allerdings noch vor der erwähnten Konvention auch Bydlinski, 1. ÖJT I/1 (1961) 79, nach dem Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG dem rechtlichen Ausgleich einer tatsächlichen Schlechterstellung eines Geschlechts nicht entgegenstehe. 172 Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 157; Sporrer, Gleichheit 938.
Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG
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rechte bzw Privilegien aufgehoben, die vormals einzelnen „Klassen“ zugestanden worden waren. Den Begriff der „Klasse“ umschrieb das Reichsgericht im Zusammenhang mit Art 3 Abs 1 StGG näher: Diese Bestimmung solle verhindern, dass eine „Klasse von Staatsbürgern, etwa aus Gründen des Religionsbekenntnisses, der Nationalität, des Standes und dergl.“ von der Erlangung eines Staatsamtes ausgeschlossen wird173. Mag Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG auch an die Wortwahl des Reichsgerichts erinnern, so geht er doch über den Stand dieser Judikatur hinaus174: Erstens nennt Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG „Stand“ und „Bekenntnis“ nämlich als gleichwertige Merkmale neben der „Klasse“ und nicht – wie das Reichsgericht – als Beispiele für eine Klasse. Zweitens fehlt die vom Reichsgericht als klassenkonstitutiv qualifizierte „Nationalität“ in der Aufzählung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG175. Drittens verpönt Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG auch Vorrechte des Geschlechts, die in der Judikatur des Reichsgerichts keinerlei Erwähnung fanden176. Diese hatte zwar zugegebenermaßen keinen numerus clausus verbotener klassenbestimmender Merkmale aufgestellt177. Männer und Frauen als „Klassen“ von Staatsbürgern zu bezeichnen, dürfte die Grenzen dieses Begriffes allerdings sprengen. Zudem war die Gleichheit der Geschlechter offensichtlich auch kein Anliegen des Art 2 StGG; denn auch nach dessen Inkrafttreten wurden Frauen in der Monarchie in vielfältiger Hinsicht rechtlich benachteiligt und von der Inanspruchnahme mancher Grundrechte sogar überhaupt ausgeschlossen178. Dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG über die reichsgerichtliche Judikatur hinaus____________________
173
S dazu oben B.V.3. AA Sachs, Diskriminierungsverbot 198, nach dem Art 7 B-VG nur festschreibt, was durch die Judikatur ohnedies geklärt war. 175 Das Differenzierungsmerkmal der „Geburt“ ist von dem der „Nationalität“ verschieden, wie sich aus zahlreichen Entwürfen zum B-VG ergibt, in dem beide Merkmale nebeneinander genannt wurden, s dazu oben B.VII.1. 176 Diesen Umstand wertet auch Walter, ZVR 1979, 34, als eine „Ausdehnung“ gleichheitsrechtlicher Garantien im Verhältnis zur Judikatur des Reichsgerichts; s weiters Melichar, FamRZ 1955, 129; M. Berger, EuGRZ 1983, 615; auch Sachs, Diskriminierungsverbot 198, gesteht zu, dass das Merkmal des Geschlechts nicht als Kodifikation der reichsgerichtlichen Judikatur angesehen werden kann. S hingegen Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 9, die meinen, „Art. 7 B-VG verankert rechtlich, was durch die politische Entwicklung an Privilegien im großen und ganzen bereits überwunden war, ohne wesentlich Neues zu bieten.“ 177 S Sachs, ZÖR 1985, 308 FN 15, der mit diesem Argument dem Befund Walters, ZVR 1979, 34, entgegentritt, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gehe über den Bestand der reichsgerichtlichen Judikatur hinaus. 178 S näher M. Berger, EuGRZ 1983, 615; Flossmann, Grundrechtssubjektivität 2; Gutknecht, ZAS 1993, 124; Sporrer, Gleichheit 912 mwN; dies, Gleichheitsgrundsatz 78 f. Gegen Ende der Monarchie wurde allerdings vereinzelt auch die Gleichberechtigung von Frauen in bestimmten Bereichen eingefordert, so etwa von Bernatzik, Zulassung 13, unter Berufung auf Art 3 und 18 StGG; s auch E. Berger, JBl 2000, 634 ff. 174
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Persönliche Rechtsgleichheit
geht, zeigen schließlich auch die Materialien: Der Vorsitzende des Verfassungsunterausschusses bezeichnete nämlich den Ausschluss der genannten Vorrechte im zweiten Satz des Art 7 Abs 1 B-VG nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, als eine Erläuterung oder Ergänzung zum ersten Satz dieser Bestimmung, sondern als eine Ausführung des Wortes „demokratisch“ in Art 1 Abs 1 B-VG179. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass Vorrechte im B-VG vor einem ganz neuen, von dem des StGG verschiedenen Hintergrund ausgeschlossen wurden: der Demokratie, die jedem Staatsbürger durch die Ausübung seines Wahlrechts eine Mitwirkung an der staatlichen Willensbildung ermöglicht. Diese neue Qualität der Gleichheit, die den Einzelnen dezidiert in die Erzeugung genereller Normen einbezieht, würde verkannt, wollte man in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG bloß eine Festschreibung der reichsgerichtlichen Judikatur sehen. Aus der zitierten Bemerkung des Ausschussvorsitzenden kann freilich nicht der Schluss gezogen werden, dass sich Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG auf das Wahlrecht beschränkt. Gegen diese Annahme spricht schon der Wortlaut dieser Bestimmung, der in keiner Weise auf eine solche Einschränkung hindeutet. Zudem wurde im Zuge der parlamentarischen Beratung die Sorge geäußert, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG stehe Bevorzugungen entgegen, wie sie Frauen etwa beim Geschworenenamt und bei der Vormundschaft eingeräumt sind180. Niemand im Verfassungsunterausschuss hielt dem entgegen, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG beziehe sich von vornherein nur auf das Wahlrecht. Auch Kelsen/Froehlich/Merkl meinten in ihrem Kommentar zu Art 7 Abs 1 B-VG zwar, die dort angeordnete Gleichstellung beziehe sich „wohl hauptsächlich auf das Wahlrecht“, stellen anschließend aber fest: „Wie weit [...] die Differenzierungsmöglichkeit trotz dieser verfassungsmäßig gleichen Stellung geht, läßt sich durch eine allgemeine Formel nicht ausdrücken“181. Die Frage nach einer solchen Formel stellt sich nur, wenn Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ganz allgemein gegen geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungen gerichtet ist. Dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nicht bloß wahlrechtliche Ungleichbehandlungen erfasst, bestätigen schließlich systematische und teleologische Erwägungen. Hätte Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG tatsächlich einen derart engen Anwendungsbereich, müsste er zunächst im Verhältnis zu der in Art 26 B-VG gegebenen Garantie des gleichen Wahlrechts redundant erscheinen. Zudem hätte das B-VG bei einem solchen Inhalt teilweise einen Rückschritt im Vergleich zur bisherigen Rechtslage gebracht. Drei der in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmale – Stand, Geburt und Bekenntnis – waren nämlich als Un____________________
179 180 181
S oben B.VII.2.a. S oben B.VII.2.a. Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 74.
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terscheidungsgrund nach der Judikatur des Reichsgerichts bereits durch Art 2 StGG verpönt, dies zwar nicht im Hinblick auf das Wahlrecht, wohl aber hinsichtlich der Gewährung anderer Rechte. Nichts weist darauf hin, dass das B-VG in Art 7 Abs 1 Satz 2 hinter diesen Standard zurückgehen wollte. Hätte der Verfassungsgesetzgeber eine Begrenzung auf das Wahlrecht gewollt, dann wäre der Platz für eine solche Garantie zudem eher im zweiten (heute: vierten) Absatz des Art 7 B-VG gewesen, der den öffentlichen Bediensteten, einschließlich der (in der Monarchie nicht wahlberechtigten) Angehörigen des Bundesheeres ausdrücklich nur die Gleichbehandlung im Hinblick auf politische Rechte garantiert. Nicht einmal aus dieser Bestimmung ist aber, wie in der Lehre zu Recht festgestellt wurde, der Umkehrschluss zu ziehen, dass öffentlich Bedienstete in allen übrigen Belangen schlechter gestellt werden können als andere Rechtsunterworfene182. Dann kann aber erst recht nicht angenommen werden, dass der unbeschränkt formulierte Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nur eine auf das Wahlrecht bezogene Gleichheit statuiert. Der sachliche Anwendungsbereich des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ist daher umfassend und nicht auf bestimmte Rechte beschränkt. b. Verpönte Differenzierungsmerkmale In der österreichischen Lehre ist viel über die Vorrechte des Geschlechts gesagt worden, aber wenig über die anderen Kriterien des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG183. Das mag daran liegen, dass der Gesetzgeber nach diesen Kriterien nur mehr selten differenziert; das mangelnde Interesse der Lehre am Ausschluss dieser Vorrechte ist aber wohl auch eine Reaktion auf den Geltungsverlust, den Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG in der Judikatur erfahren hat. Für die Auslegung dieser Bestimmung lohnt es sich gleichwohl, derart pragmatische Erwägungen beiseite zu lassen und die in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmale einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Die am Beginn dieser Vorschrift genannte „Geburt“ kann grob mit der Abstammung eines Menschen umschrieben werden, historisch war vor allem die adelige oder nicht-adelige Herkunft gemeint184, aus heutiger Sicht kann man darunter auch die Zugehörigkeit zu einer angesehenen oder übel beleumundeten Familie verstehen, ebenso die Eigenschaft, das Kind einer großen Persönlichkeit oder eines kleinen Verbrechers zu sein, wegen Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG aber nicht die mit der Geburt erworbene ____________________
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Kucsko-Stadlmayer, Art 7/4 B-VG Rz 5 mwN. Um eine nähere Bestimmung dieser Kriterien bemüht haben sich aber Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 58, sowie Ermacora, Grundriß Rz 291 ff. 184 S auch Adamovich sen, Staatsrecht 107; Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 58; Adamovich sen/Spanner/Adamovich, Handbuch 518; Ermacora, Grundriß Rz 291. 183
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Staatsangehörigkeit. Durch die „Geburt“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG wird der Mensch mit Merkmalen ausgestattet, die er sich einerseits nicht aussuchen und die er andererseits nicht ablegen kann. Eine „angeborene“ und in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG besonders hervorgehobene Eigenschaft ist das „Geschlecht“, also ein biologisches Merkmal, das heute zwar nicht mehr schlechthin unveränderbar, dem Menschen aber doch in die Wiege gelegt und für seine Identität fundamental prägend ist. Unter einem „Stand“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ist, wie der VfGH am Beginn seiner Judikatur festgestellt hat, die soziale Gliederung der Gesellschaft nach der gesellschaftlichen Rangordnung und nach Berufsklassen zu verstehen185. Als eigenen Stand qualifizierte der VfGH zB Beamte und Lehrer186, später ist auch vom Stand der Rechtsanwälte die Rede187. Die zeitgenössische Literatur nannte weiters den geistlichen Stand, den Soldaten-, Gelehrten- oder Bauernstand188, die in Gewerbe, Industrie, im Geldwesen und in freien Berufen tätigen Menschen, ebenso jede durch gleichartige Wirtschaftsziele gekennzeichnete Teilgruppe dieser Stände, so die Forstwirte, Zimmerleute, die Metallwarenindustrie, das Bankwesen, die Notare, Ärzte, Apotheker etc189. Der Ehestand hat mit der Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe offenkundig nichts zu tun, er ist daher kein „Stand“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG190. Während der Stand eine Gesellschaft vertikal gliedert, indem er „alle, die durch dasselbe Arbeitsgebiet verbunden sind, von zuunterst bis zuoberst“ als eine Einheit begreift191, gliedert die in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ebenfalls genannte Klasse eine Gesellschaft horizontal: Sie fasst „die unter gleichen oder ähnlichen Lebensbedingungen Stehenden, auf welchem Gebiete immer sie tätig sein mögen“, zu einer Einheit zusammen192. Historisch richtete sich das Verbot von Klassenvorrechten in vorderster Front ____________________
185 186 187
VfSlg 1230/1929, 1452/1932, s auch noch VfSlg 12.032/1989. VfSlg 1231/1929, 1777/1949. VfSlg 11.007/1986; s allerdings auch das Erkenntnis VfSlg 12.032/1989, in dem der VfGH gegen ein (Disziplinar-)Standesrecht für Rechtsanwälte keine Bedenken hat, weil es auf objektiven Merkmalen beruhe. 188 Seipel, Kampf 202 ff; s dann auch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 78. 189 Merkl, JBl 1936, 379 f (= in Mayer-Maly/Schambeck/Grussmann 309 f, 312), zwar bereits bezogen auf die Ständische Verfassung 1934, aber anknüpfend an den Standesbegriff des Art 7 B-VG und dessen Verständnis durch den VfGH; s dann auch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 78, der Landwirte, Bundesangestellte und Notare als verschiedene Stände ansieht. 190 Zutreffend VfSlg 1452/1932, unter Hinweis auf die historische Entwicklung des Gleichheitssatzes; anders hingegen das Erkenntnis VfSlg 2361/1952, in dem als „Stand“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG auch der „Ehestand“ aufgefasst wurde; zu Recht skeptisch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 59. 191 Seipel, Kampf 204. 192 Seipel, Kampf 204.
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gegen das sog Klassenwahlrecht, das von einem Steuerzensus in bestimmter Höhe abhing und damit die untersten Einkommensschichten von politischer Mitbestimmung ausschloss. In diesem sozioökonomischen Sinn wurde die Klasse dann auch in der Judikatur verstanden: Eine Klasse sei eine Gruppe von Menschen, die sich in ihrer gesamten Lebensführung von der Lebensführung anderer Gruppen erkennbar unterscheide193, so könne von einer Klasse der Besitzenden im Unterschied zu einer Klasse der Besitzlosen gesprochen werden, nicht hingegen von einer Klasse der Aktivbürger und aller anderen Bürger; denn „Bemittelte wie Minderbemittelte finden sich unter den einen wie den anderen.“194 Auch Dienstnehmer und Dienstgeber bilden noch keine „Klassen“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG195, ebenso wenig Angestellte und Arbeiter196. Lehrer197 und Bundesangestellte198 hat der VfGH hingegen als eigene Klassen angesehen; für die erste Gruppe können ähnliche Einkommensverhältnisse durchaus bejaht werden, die zweite Gruppe bildet aber wohl eher einen Stand als eine Klasse. Die Gliederung der Gesellschaft nach Stand und Klasse war im Zeitpunkt der Schaffung des B-VG gewiss bedeutsamer als heute; bedeutungslos ist sie aber nach wie vor keineswegs. Mag sich auch das Spektrum der Professionen in der Zwischenzeit enorm verbreitert haben199, so ist doch der Beruf eines Menschen für seine Stellung in der Gesellschaft nach wie vor alles andere als belanglos und auch rechtlich, etwa in den ziemlich ____________________
193 VfSlg 384/1925, s zu dieser Entscheidung auch Walter, Kelsen 47; gleichsinnig wie VfSlg 384/1925 auch VfSlg 12.032/1989. Demgegenüber sahen das Reichsgericht und ganz am Beginn seiner Rechtsprechung auch der VfGH die Klasse noch nicht als materielles Differenzierungsmerkmal an, sondern eher als das Ergebnis einer Klassifizierung nach anderen Kriterien, so, wenn von einer nach Stand, Bekenntnis oder Nationalität gebildeten Klasse der Bevölkerung die Rede ist, s schon oben FN 19 und bei FN 173. 194 VfSlg 384/1925, s auch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 59; Ermacora, Grundriß Rz 294. 195 VfSlg 2423/1952; ebenso Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 77, unter Hinweis darauf, dass zu den Dienstnehmern sowohl besitzlose Hilfsarbeiter und kleine Angestellte zählen können wie besitzende Angestellte mit Spitzengehältern. Die Lebensführung dieser verschiedenen Dienstnehmer unterscheide sich dann auch beträchtlich voneinander. 196 S auch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 77, der feststellt, dass es innerhalb der Gruppe der Angestellten besitzlose ebenso gibt wie solche mit Spitzengehältern; eher noch lasse sich die Arbeiterschaft als Klasse auffassen, freilich seien auch bei ihr die Einkommensund Lebensverhältnisse nicht annähernd gleich. 197 VfSlg 617/1926. 198 VfSlg 775/1927. 199 Dürig, Art 3 Abs 3 GG Rz 91, spricht von zwanzig- bis dreißigtausend Berufen und meint, der Beruf komme im Hinblick auf die Vielzahl dieser Professionen als Gliederungskriterium der Gesellschaft nicht mehr in Betracht; auch K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 179, nimmt an, dass der Einfluss der beruflichen Gliederung zurückgetreten ist, nach seiner Einschätzung zugunsten des Besitzes.
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ausdifferenzierten Risikogemeinschaften der Sozialversicherung noch teilweise relevant200. Weiterhin besteht gesellschaftlich auch eine Rangordnung nach sozialökonomischen und schichtspezifischen Merkmalen; diese korrelieren zum einen mit dem Einkommen bzw Vermögen, zum Zweiten mit der Bildung bzw Ausbildung eines Menschen: Sie bestimmen seine gegenwärtige Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht und weisen ihn oft einer „Klasse“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zu201. Unter einem „Bekenntnis“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ist schließlich der religiöse Glaube eines Menschen zu verstehen, und zwar gleichgültig, ob er einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen ausgeübt wird. Wenn sich Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gegen Vorrechte des Bekenntnisses ausspricht, schließt er wohl auch die mit einem solchen Vorrecht verbundene Benachteiligung von Personen aus, die keinem Bekenntnis zugehören. Daher ist anzunehmen, dass das „Bekenntnis“ eine religiöse ebenso wie eine areligiöse und eine antireligiöse Anschauung umschreibt. Auch sie ist nach wie vor kein irrelevanter Faktor für die Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft. Das zeigen in der jüngeren Vergangenheit Ressentiments, die zum Teil gegen Angehörige des Islam bestehen, aber auch auf katholischen Studentenverbindungen beruhende Seilschaften von langer Tradition, die in bestimmten Berufen dem sozialen Aufstieg durchaus förderlich sind. Der VfGH hat die Gemeinsamkeit dieser fünf Merkmale – Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis – zutreffend darin gesehen, dass sie „in der Person gelegen“ sind202. Doch das ist längst nicht alles. Diese Merkmale sind – und das erklärt ihre hohe gesellschaftliche Bedeutung – zunächst bequem, weil sie es ermöglichen, die Vielfalt ganz unterschiedlicher Menschen in eine überschaubare Zahl homogener Kollektive einzuteilen. Diese Komplexitätsreduktion wirkt entlastend, sie hat allerdings auch einen Preis: Zweckmäßig ist eine soziale Untergliederung der Gesellschaft nämlich nur, wenn den Angehörigen dieser Gliederungen dann auch bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Wie historische Erfahrungen gezeigt haben, sind diese Zuschreibungen gerade bei den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Gruppen in hohem Maß fehleranfällig: Oft ____________________
200 S für die in der Krankenversicherung bestehende Sonderversicherung von Bundesangestellten, Notaren und Landwirten etwa Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 78 f. 201 AA wohl Somek, Rationalität 30, der meint, die soziale Schicht, der man entstammt, genieße in speziellen Diskriminierungsverboten keine Anerkennung; diese Verbote sprächen vermöge ihres Schweigens die Erwartung der Anpassung aus; anders für Art 3 Abs 3 GG Dürig, Art 3 Abs 3 GG Rz 87; s weiters Gusy, JuS 1982, 31. Das BVerfG versteht unter der in Art 3 GG erwähnten „Herkunft“ „die von den Vorfahren hergeleitete soziale Verwurzelung, nicht die in den eigenen Lebensumständen begründete Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht“ – eine Deutung, mit der dieses Kriterium, wie Zacher, AöR 93 (1968) 375, meint, „der sozialen Aktualität [entbehrte und entbehrt]“. 202 S oben E.I.2.b. und c.
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treffen die behaupteten Eigenschaften überhaupt nicht oder doch nicht in signifikant höherem Maße zu als bei Angehörigen anderer Gruppen auch. Werden Angehörige einer solchen Gruppe gestützt auf eine fehlerhafte Eigenschaftszuschreibung benachteiligt, so fehlt es dieser Ungleichbehandlung nicht „nur“ an einem sachlichen Grund; sie bringt die Betroffenen auch in eine ausweglose Situation. Denn die Zugehörigkeit zu diesen Gruppen ist – und dies ist die zweite Gemeinsamkeit der genannten Merkmale – nicht oder doch nicht zumutbar beeinflussbar: Niemand kann bestimmen, unter welchen Umständen er geboren wird, ob als Mann oder Frau, ob als Kind wohlhabender Eltern oder sozialer Außenseiter. Auch die spätere Zugehörigkeit zu einer „Klasse“ oder zu einem „Stand“ ist für den Einzelnen nur bedingt steuerbar: Er kann sein Vermögen aufgeben, um sozial abzusteigen, was aus freien Stücken wenig überraschend kaum je geschieht. Denn der soziale Aufstieg ist beträchtlich schwieriger, und zwar umso mehr, je weniger jemand hat. Nichts zu haben, also arm zu sein, ist ein Los, das niemand für erstrebenswert hält, das zu vermeiden aber bei realistischer Betrachtung nicht immer durch individuelle Anstrengungen möglich ist. Armut hat vielfältige Ursachen, an vorderster Stelle stehen Gesundheitsbeeinträchtigungen und niedrige Bildung203 – zwei Armutsfaktoren, die bei Kindern aus sozial schwachen Schichten häufig zusammentreffen und sich dann wechselseitig verstärken können204: So ist auch nachweisbar, dass diese Kinder ein erhöhtes Armutsrisiko tragen205. Dass ihnen jeder Beruf ohne weiteres offen steht, kann schlicht nicht behauptet werden206; und auch sonst kann nicht jeder alles werden, weil das Schicksal Fähigkeiten und Talente zwischen den Menschen ganz ungleich verteilt. Nur wer an der Wahl eines Berufes nicht durch seine Herkunft ____________________
203 S etwa Ulrich/Binder, Armut 309; Heinzel-Gutenbrunner, Armutslebensläufe 105. Auslöser für Armut können aber auch Schicksalsschläge wie Scheidungen, eine schwere Krankheit oder der Tod von Familienangehörigen sein, s dazu Klocke, Armut 272 f; Ulrich/Binder, Armut 316 f. 204 So weisen diese Kinder im Vergleich zu Menschen ohne Armutserfahrung eine tendenziell schwächere Gesundheit auf (Heinzel-Gutenbrunner, Armutslebensläufe 11; s auch Mielck, Soziale Ungleichheit 119 ff, wonach der Gesundheitszustand von Schulkindern in unteren sozialen Schichten auffallend schwächer ist als in oberen). Treten häufige und längere Krankheiten schon im Kindheits- und Jugendalter auf, können Schulund Berufsausbildungen nur eingeschränkt in Anspruch genommen werden (HeinzelGutenbrunner, Armutslebensläufe 17); auch sonst gibt es Benachteiligungen ärmerer Schichten im Bildungswesen (Beisenherz, Kinderarmut 81 ff ). Hinzu kommt, dass die Bildung eines Kindes oft auch durch die Bildung seiner Eltern geprägt ist (Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung, Bildungszugang 35 ff, 81 ff ). 205 Die Armutsforschung spricht in diesem Zusammenhang sogar von „vererbter“ Armut, s mwN etwa Buhr, Teufelskreis 87 f; Schönig, Kinderarmut 209 f. 206 Das schließt nicht aus, dass Kinder aus wirtschaftlich benachteiligten Familien sozial aufsteigen können – gelingt es, so ernten sie oft Bewunderung und manchmal Neid; beide Reaktionen zeigen, dass dieser Aufstieg gesellschaftlich als etwas Irreguläres betrachtet wird.
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oder fehlende Begabung faktisch gehindert ist, wählt seinen „Stand“ wirklich frei. Diese Wahl ist dann allerdings eine Lebensentscheidung, die es dem Einzelnen ermöglicht, seine Fähigkeiten und Wünsche zur Entfaltung zu bringen. Sie ist Ausdruck seiner Persönlichkeit, die der Einzelne nicht ohne weiteres ablegen kann und deren Preisgabe die Verfassung ihm durch flankierende Freiheitsgarantien an anderer Stelle auch nicht zumutet207. Gleiches gilt auch für das in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannte Bekenntnis: Es ist zwar grundsätzlich veränderbar, wenn man es ernst nimmt, aber nicht ohne weiteres gegen ein anderes austauschbar208 und auch deshalb zusätzlich durch Freiheitsgarantien geschützt209. Man kann unterschiedlicher Auffassung darüber sein, in welchem Verhältnis diese Faktoren – die Anlage eines Menschen, das sozialökonomische Umfeld, aus dem er kommt und in dem er lebt, seine individuellen Vorstellungen von Transzendentalität – die Persönlichkeit und das Leben eines Menschen prägen210; doch es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass diese Determinanten zusammen genommen die Individualität und Identität des Menschen, sein „So-Sein“ maßgeblich ausmachen. Wer aufgrund solcher Faktoren benachteiligt wird, kommt nicht nur in eine auswegslose Situation, er wird – und dies ist die dritte Gemeinsamkeit der in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmale – auch als Person abgewertet. Wenn Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG angesichts dessen Vorrechte aufgrund dieser prägenden Faktoren des Menschen – seiner Geburt und Klasse, seines Geschlechts, Standes und Bekenntnisses – ausschließt, dann akzeptiert er den Einzelnen im Kern seiner teils schicksalhaft, teils frei bestimmten Persönlichkeit als gleichwertig und lässt nicht zu, dass er gerade aufgrund dieser Persönlichkeitsmerkmale benachteiligt oder bevorzugt wird211. Von eben dieser Achtung des Einzelnen als Person212 war denn auch der Reichstag in Kremsier bei der Garantie der Gleichheit geleitet213. ____________________
207 So durch die Berufswahlfreiheit in Art 18 StGG, durch die Erwerbsfreiheit in Art 6 StGG und überhaupt durch die Achtung der persönlichen Lebensführung in Art 8 EMRK. 208 S auch Somek, Rationalität 29. 209 Vgl die in Art 14 StGG, Art 63 Abs 2 StV St Germain und Art 9 EMRK garantierte Religionsfreiheit. 210 S zu dieser alten Kontroverse etwa Pinker, Das unbeschriebene Blatt; Ridley, Nature Via Nurture; zu beiden Hochadel, heureka 4/2003, 22; s zu Milieutheorie, Vererbungstheorie und Gleichheitssatz auch Herzog, DVBl 1970, 714 f. 211 Ähnlich schwer wie eine Diskriminierung aufgrund dieser persönlichkeitsbildenden Eigenschaften wird auch die Vertreibung aus der nicht geistig-seelischen, sondern geographischen Heimat empfunden. Auch sie trifft den Menschen im Kern seiner Existenz, weil sie ihm den Schauplatz seiner Wurzeln nimmt. Nicht zufällig beruhten die im Laufe der Geschichte vorgenommenen Massenvertreibungen immer zugleich auf einem unbeeinflussbaren Persönlichkeitsmerkmal; s dazu Henckaerts, Mass Expulsion 1 ff. 212 Ermacora, Handbuch 39; Ernst, FS Floretta 163; Pernthaler, Bundesstaatsrecht 701, entnehmen dem Gleichheitssatz überdies ein Gebot, die Menschenwürde jedermanns
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Kehrseite dieser Akzeptanz ist die Absage an jede Art der Sippen- oder Gruppenhaftung: Maßgeblich für die rechtliche Behandlung eines Menschen ist nicht, welcher Gruppe er gesellschaftlich zugehört, welche Eigenschaften die Gesellschaft ihm aufgrund seiner Gruppenangehörigkeit zuschreibt und mit welchen Vorurteilen sie ihm begegnet. Maßgeblich ist allein, welche Eigenschaften der Einzelne jenseits all dieser Zuschreibungen tatsächlich hat. Wenn Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG die sozial bedeutsame Zugehörigkeit zu diesen Gruppen rechtlich für bedeutungslos erklärt, dann löst er den Einzelnen zum einen aus dieser kollektiven Umklammerung und akzeptiert ihn in seiner Individualität. Zum zweiten verpflichtet er den einfachen Gesetzgeber hier in besonderer Weise zur Unparteilichkeit, also dazu, die Träger eines der verpönten Merkmale nur einer Behandlung zu unterwerfen, die man – in der Lage der Betroffenen – auch gegen sich selbst gelten lassen würde214. Sich in die Position des „anderen“ zu versetzen, fällt leicht, wenn man selbst ohne weiteres in seine Lage geraten könnte, aber schwer, wenn man weiß, dass es zu einem solchen Rollentausch niemals kommen wird, etwa, weil man niemals so geboren sein wird wie er, nie sein Geschlecht oder sein Bekenntnis annehmen oder weil man nie seinen Stand und seine Klasse teilen wird: Wie anfällig derart unabänderliche Positionen für parteiliche Beurteilungen sind, zeigen denn auch die vielfältigen Diskriminierungen, denen die Träger der in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmalen historisch ausgesetzt waren und teils noch immer sind. Gerade die Unabänderlichkeit dieser Merkmale macht eine daran geknüpfte Benachteiligung dann aber auch besonders drückend: Die Betroffenen sind dieser Behandlung unausweichlich unterworfen. Vor solchen Unterdrückungen kann die Demokratie allein – mag sie auch die Gleichheit der Bürger zur Prämisse haben – nicht wirksam schützen; diese offene Flanke schließt erst Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG. So ist wohl auch erklärbar, dass der Verfassungsunterausschuss in dieser Vorschrift eine Ausführung des Ausdrucks „demokratisch“ in Art 1 B-VG gesehen hat215. ____________________
gleich zu achten, dies allerdings vornehmlich gestützt auf § 16 ABGB. Eine Verbindung zwischen dem mit Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vergleichbaren Art 3 Abs 3 GG und dem „Grundsatz der Menschenwürde“ wird auch in der deutschen Literatur hergestellt, s etwa Heun, Art 3 GG Rz 116; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 1 ff. 213 S etwa Hein, StenProtRT 68. Sitzung am 9. Jänner 1849, 315: „Im Rechtsstaate, der jeden Einzelnen als Person gleichachtet, muß auch die Gleichheit Aller vor dem Gesetze ausgesprochen werden“ (Hervorhebungen nicht im Original). 214 S auch schon oben D.I.3.a. 215 S oben B.VII.2.a., s zum Verhältnis von Diskriminierung und Demokratie auch Somek, Rationalität 363 ff.
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c. Vorrechte Schlüssig ist von daher auch, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG bereits „Vorrechte“ aufgrund der genannten Merkmale ausschließt, und nicht etwa erst „Benachteiligungen“: Er packt das Übel also an der Wurzel und verbietet die Überordnung und Herrschaft gerade eines Geschlechts, Standes, Bekenntnisses, der Angehörigen einer Klasse oder einer Geburt, als deren Folge dann die Benachteiligung der jeweils anderen erst eintritt. Mit dem Ausschluss von Vorrechten ist also immer auch die dadurch hervorgerufene Schlechterbehandlung aller anderen gemeint216. Von einem „Vorrecht“ wird gemeinhin allerdings nicht gesprochen, um jedwede Ungleichbehandlung, sondern nur, um eine Privilegierung zu bezeichnen, die – aus welchen Gründen immer – als ungerechtfertigt empfunden wird217. Ungerechtfertigt wäre, soviel lässt sich nach den Materialien sicher sagen, ein Wahlrecht, das nach einem der in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Kriterien differenziert. Davon abgesehen muss es aber neben unzulässigen auch zulässige Differenzierungen geben218. Schon der Wortlaut des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG spricht daher gegen die Annahme, dass diese Bestimmung ein Anknüpfungsverbot statuiert219. Diesen Befund bestätigt auch eine historische Betrachtung: In der österreichischen Rechtsordnung existierten im Zeitpunkt der Erlassung des B-VG unbestreitbar Differenzierungen nach den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Kriterien, die allseits akzeptiert wurden. Zu denken ist nicht nur an die im Verfassungsunterausschuss ausdrücklich angesprochene und als unbedenklich qualifizierte Bevorzugung von Frauen beim Geschworenenamt und bei der Vormundschaft220, sondern auch an das Erbrecht, das an ____________________
216 S auch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 64, 66; Gschnitzer, 1. ÖJT II/1 (oJ) 9; Berka, Art 7 B-VG Rz 31. 217 S auch Melichar, FamRZ 1955, 130 f, demzufolge ein „Vorrecht“ als „Bevorzugung [...] schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Gewährung einer sachlich nicht gerechtfertigten besseren rechtlichen Position“ sei; ihm folgend Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 64, 66; Gschnitzer, 1. ÖJT II/1 (oJ) 8; s auch Walter, ZVR 1979, 36, nach dem Vorrechte stets bedeuten, „daß das Mehr an Rechten ‚ungerechtfertigt‘ ist“; s weiters Adamovich/Funk, Verfassungsrecht 383, die das Vorrecht als „irrationales Privileg“ von der „sachlich gerechtfertigten Differenzierung“ abgrenzen. 218 S bereits die Feststellung bei Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung (FN 156) sowie die übrigen Nachweise in FN 156. 219 Eine solche Deutung vertritt für Art 3 Abs 3 GG vor allem Sachs, Diskriminierungsverbot 428 ff; kritisch etwa Huster, Rechte 316, 322; Heun, Art 3 GG Rz 122. Gegen dieses Verständnis für Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 63 f; Wiederin, EuGRZ 1992, 511; Berka, Grundrechte Rz 913; Somek, Rationalität 435 ff; Kneihs, Privater Befehl 166 f FN 390, wohl auch Thienel, Berufungsverfahren 33 f. Auch das in Art 8 Abs 2 BV statuierte Diskriminierungsverbot wird nicht als ein Anknüpfungsverbot verstanden, s J.P. Müller, Grundrechte 412 ff; Häfelin/Haller, Bundesstaatsrecht Rz 774. 220 S oben B.VII.2.a.
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die Geburt anknüpft, an das Berufs- und Sozialversicherungsrecht, das teilweise an den Stand und an die Armenfürsorge, die an die Klasse anknüpft. Die Zulässigkeit solcher Differenzierungen ließe sich nur mit Kunstgriffen begründen, wenn man Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG als Anknüpfungsverbot deutete. Verschiedentlich wird in solchen Fällen die Vergleichbarkeit der ungleich behandelten Personengruppen verneint und das Anknüpfungsverbot folglich für unanwendbar erklärt221, dies aber mit Gründen, die die Ungleichbehandlung in Wahrheit durch wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen sachlich rechtfertigen222. So wird argumentiert, Frauen würden sich durch ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären, von Männern so stark unterscheiden, dass sie mit ihnen unter diesem Aspekt nicht vergleichbar sind – daher liege gar keine Ungleichbehandlung vor, wenn der Mutterschutz nur Frauen gewährt wird223. Dass Frauen in der Lage sind, schwanger zu werden, unterscheidet sie zweifellos gravierend von Männern, doch ist nicht einzusehen, warum gerade dieser auf einem Vergleich beruhende Befund die Vergleichbarkeit zwischen Frauen und Männern ausschließen sollte. Richtig ist vielmehr, dass dieser gravierende Unterschied eine rechtliche Unterscheidung in gewissem Ausmaß geradezu gebietet, sie aber jedenfalls gerechtfertigt erscheinen lässt224. Insofern ist der Begriff der mangelnden „Vergleichbarkeit“ zumindest unglücklich gewählt; denn vergleichbar ist alles mit allem. Wird die Vergleichbarkeit verneint, dann ist der Sache nach idR gemeint, dass zwischen den verglichenen Personen wesentliche Unterschiede bestehen225. Schließt man deshalb allein schon die Anwendbarkeit des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG aus, so werden Unterscheidungen unkontrollierbar, für die ein Kontrollbedarf durchaus besteht. Denn dass zwischen zwei Personen wesentliche Unterschiede bestehen, bedeutet ja noch nicht, dass die konkret vorgenommene Ungleichbehandlung (etwa hinsichtlich ihrer Intensität) gerechtfertigt ist226. Dazu kommt, dass das Argument der Vergleichbarkeit auch dazu ____________________
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S etwa Sachs, Diskriminierungsverbot 349 ff. So zutreffend Somek, Rationalität 437. Sachs, Diskriminierungsverbot 378 ff; s auch ders, Besondere Gleichheitsgarantien Rz 36, 83 ff. 224 Dass Benachteiligungen aufgrund vermuteter Schwangerschaft als Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts anzusehen sind, nimmt auch der EuGH Rs C-177/88, Dekker, Slg 1990, 3941, an; zu gemeinschaftsrechtlich gebotenen Schutzmaßnahmen bei Schwangerschaft und Mutterschaft s mwN Kucsko-Stadlmayer/Kuras, Art 141 EGV Rz 172 ff. 225 Dazu schon oben D.I.1.a.; s auch Somek, Rationalität 437, nach dem die Argumentationsfigur der Vergleichbarkeit die gewichtigen Rechtfertigungsgründe für eine Differenzierung in das Modell des Anknüpfungsverbotes schmuggelt. Gegen die Leugnung der Vergleichbarkeit bereits auf begrifflicher Ebene auch Huster, Rechte 30 FN 70. 226 Um im Beispiel zu bleiben: Die Schwangerschaft rechtfertigt natürlich nicht jedwede Differenzierung, sondern nur solche Ungleichbehandlungen, die zum Schutz der schwangeren Frau geeignet und erforderlich sind; s aus arbeitsrechtlicher Sicht auch Rebhahn,
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verleiten kann, Gleichheitsprüfungen schon auf der Tatbestandsebene abzuschneiden, um eine nähere Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung erst gar nicht geben zu müssen227. Gegen die Deutung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG als Anknüpfungsverbot sprechen aber neben dem Wortlaut dieser Bestimmung und historischen sowie teleologischen Erwägungen auch systematische Gründe: Der im Jahr 1998 in das B-VG eingefügte Art 7 Abs 2 erklärt nämlich „Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten“ ausdrücklich für zulässig. Wie sich aus den Materialien ergibt, sollte dieser Satz nur „[klarstellen], daß durch diese Novelle […] der Gleichheitsgrundsatz keineswegs durchbrochen werden soll“228. Die Fördermaßnahmen, von denen Art 7 Abs 2 B-VG spricht, werden nun aber regelmäßig eine Anknüpfung an das Geschlecht erfordern. Wird ihre Zulässigkeit in Art 7 Abs 2 B-VG nur „klargestellt“, kann Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG eine Anknüpfung an die dort genannten Merkmale nicht ausnahmslos verbieten. Daraus kann allerdings nicht der umgekehrte Schluss gezogen werden, dass eine Unterscheidung nach den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmalen schon dann zulässig ist, wenn sie nicht erwiesenermaßen in diskriminierender Absicht vorgenommen wurde. Eine solche Deutung als Motivationsverbot ließe Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, wie auch die Judikatur gezeigt hat, völlig leer laufen, weil der Nachweis einer Diskriminierungsabsicht dem Rechtsunterworfenen praktisch nie gelingen kann229. Hinzu kommt, dass gerade bei Ungleichbehandlungen nach den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmalen die Gefahr einer Diskriminierung, also einer vorurteilsbeladenen und parteiischen Beurteilung besonders hoch ist. Sieht man den Kerngedanken dieser Bestimmung in der Aussage, dass Menschen unabhängig von ihrer Geburt, ihrem Geschlecht, ihrem Stand, ihrer Klasse und ihrem Bekenntnis gleichwertig sind230, dann ist anzuneh____________________
JBl 1993, 692; aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts ferner Kucsko-Stadlmayer/Kuras, Art 141 EGV Rz 174. 227 Ein Beispiel dafür findet sich im Urteil BVerfGE 6, 389 (431 f ), das männliche und weibliche Homosexualität als unvergleichbare soziale Phänomene betrachtet und dementsprechend die Strafbarkeit bloß der männlichen Homosexualität nicht als Anwendungsfall des Art 3 Abs 2 und 3 GG wertet: „die Eigenart der Frau als weibliches Geschlechtswesen und die Eigenart des Mannes als männliches Geschlechtswesen [prägen] den Tatbestand so wesentlich und so entscheidend verschieden [...], daß das vergleichbare Element, die anormale Wendung des Triebes auf das eigene Geschlecht, zurücktritt und lesbische Liebe und männliche Homosexualität im Rechtssinne als nicht vergleichbare Tatbestände erscheinen.“ 228 AB 1114 BlgNR 20. GP 1 (Hervorhebung nicht im Original), s dazu noch näher unten E.I.4.e. 229 Vgl oben D.I.3.a. und E.I.2.e. 230 S oben E.I.4.b.
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men, dass das B-VG grundsätzlich von der rechtlichen Unerheblichkeit der genannten Kriterien ausgeht, also vermutet, dass zwischen den Trägern dieser Merkmale kein wesentlicher Unterschied besteht. Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vermittelt dem Einzelnen damit ein Prima-facie-Recht, nicht aufgrund eines der genannten Persönlichkeitsmerkmale benachteiligt zu werden231. Die Vermutung, dass die genannten Merkmale zwischen Menschen keinen wesentlichen Unterschied begründen, ist zwar widerlegbar. Die bloße Behauptung eines solchen Unterschiedes kann dafür aber nicht genügen. Denn auf solchen Behauptungen beruhten auch jene Differenzierungen, denen Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gerade ein Ende bereiten wollte. Diese Unterscheidungen wurden, wie schon gezeigt, nie ohne Begründung vorgenommen232, sondern regelmäßig auf Eigenschaften gestützt, die sich bei näherer Betrachtung als bloße Vorurteile erwiesen. Diese historische Erfahrung legt eine Umkehr der Argumentationslast nahe: Der Gesetzgeber kann eine Ungleichbehandlung auf wesentliche Unterschiede nur dann stützen, wenn diese – entgegen der Vermutung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG – tatsächlich vorliegen, also auch erwiesen sind und nicht bloß auf Spekulationen und Unterstellungen beruhen233. Solange ein solcher Nachweis ____________________
231 Eben die in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen zum Ausdruck kommende Vermutung, dass Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Rechtsunterworfenen begründen, rechtfertigt auch die Annahme, dass die Gleichbehandlung der Träger dieser Merkmale grundsätzlich geboten, also ein Wert an sich ist und dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG dem Einzelnen ein Prima-facie-Recht vermittelt, nicht aufgrund eines solchen Merkmals benachteiligt zu werden. AA für Art 3 Abs 3 GG Huster, Rechte 321. 232 C.IV.1.a.; s auch Huster, Rechte 318. 233 Vor diesem Hintergrund hätte etwa die dem § 209 StGB aF zugrunde liegende These, prägende homosexuelle Erlebnisse spielten bei Frauen eine geringere Rolle als bei Männern, im Erkenntnis VfSlg 12.182/1989 einer genaueren Überprüfung bedurft, zumal diese These in der Wissenschaft zum damaligen Zeitpunkt bereits als falsifiziert galt (vgl dazu nur Wiederin, EuGRZ 1992, 510 f ). Nicht mehr haltbar sind auch jene Vorurteile, mit denen Frauen nach wie vor konfrontiert sind, etwa die Annahme, sie seien sozialisationsbedingt weniger durchsetzungskräftig, weniger loyal, aufgrund ihrer (potentiellen) Zuständigkeit für die Kindererziehung weniger belastbar etc (s zu diesen sekundär sexistischen Annahmen Holzleithner, JRP 1995, 84), aber auch die vom VfGH in dieser Allgemeinheit zu Recht abgelehnte Annahme, die Arbeitsfähigkeit von Frauen sinke früher als jene der Männer, weil die Bundesregierung, wie der VfGH feststellte, „nicht belegen [konnte], daß die für die berufliche Tätigkeit erforderliche Leistungsfähigkeit generell bei Frauen in einem niedrigeren Lebensalter wegfällt als bei Männern“ (VfSlg 12.568/ 1990 [Hervorhebungen teilweise nicht im Original]). Gleiches gilt auch für die nach wie vor bestehenden Vorurteile gegen bestimmte Bekenntnisse, von denen in jüngerer Zeit verstärkt Angehörige des Islam betroffen sind, nach wie vor aber auch Angehörige anderer Bekenntnisse oder Bekenntnislose, denen bisweilen – je nach eigener (oft politischer) Position – bei der Besetzung von Ämtern besondere Loyalität zu- oder abgesprochen wird. Evident unhaltbar ist ebenso die – in der Monarchie aber noch ganz verbreitete – Annahme, untere Einkommens- und Bildungsschichten, also Angehörige einer bestimmten Klasse
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nicht gelingt, ist von der Gleichheitswidrigkeit der Ungleichbehandlung auszugehen. Lässt sich ohne Zugriff auf Vorurteile zeigen, dass ein in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genanntes Merkmal treffsicher auf Eigenschaften verweist, die eine Ungleichbehandlung sachlich rechtfertigen können und ist die konkret vorgenommene Ungleichbehandlung dann auch geeignet und erforderlich zur Erreichung eines legitimen Zieles, dann liegt eine Ungleichbehandlung von Ungleichem, also gar kein Eingriff in das durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG garantierte Recht des Einzelnen vor. Eine Interessenabwägung muss in einem solchen Fall nicht stattfinden: Denn wenn jeder einzelne Träger eines in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmals die für die Ungleichbehandlung maßgebliche Eigenschaft aufweist und wenn diese Ungleichbehandlung überdies ein taugliches und nicht überschießendes Mittel zur Erreichung eines legitimen Zieles ist, dann wird das Interesse, nicht allein aufgrund seiner Geburt, seines Geschlechts, seiner Klasse, seines Standes oder seines Bekenntnisses benachteiligt zu werden, nicht beeinträchtigt. Folglich ist auch nicht ersichtlich, warum dieses Interesse mit dem Regelungsziel abgewogen werden sollte. Eine solche Ungleichbehandlung liegt etwa vor, wenn Mittellosen (also Angehörigen einer Klasse) eine soziale Unterstützung gewährt wird, die an das (fehlende) Einkommen bzw Vermögen des Unterstützten anknüpft. Die Anknüpfung an dieses Merkmal verweist treffsicher auf die Bedürftigkeit der Träger dieser Merkmale; diese Bedürftigkeit auszugleichen kollidiert in keiner Weise mit dem Interesse des Einzelnen, nicht allein aufgrund seiner Klassenzugehörigkeit benachteiligt zu werden. Sie kollidiert aber auch nicht mit dem gleichlautenden Interesse der Angehörigen aller anderen Klassen, weil ihnen die für die Unterstützung relevante Eigenschaft der Bedürftigkeit gerade fehlt. Gleich zu beurteilen sind Vorschriften, die für Angehörige eines bestimmten Berufsstandes einen besonderen Versicherungsschutz schaffen, weil die Ausübung des betreffenden Berufes mit spezifischen Lebensrisken einhergeht. Diese Anknüpfung an den Stand ist unbedenklich, soweit und solange die Angehörigen dieses Standes wirklich spezielle Risken treffen. Schafft der Gesetzgeber für sie einen eigenen, mit anderen Berufsständen aber gleichwertigen Versicherungsschutz, so ist Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ohne weiteres entsprochen234. Kein Eingriff in das ____________________
oder eines bestimmten Standes seien zu einem vernünftigen Gebrauch des Wahlrechts nicht in der Lage. 234 Eine solche Gleichwertigkeit wäre nicht gegeben, wenn der Gesetzgeber den Angehörigen dieses Standes im Vergleich zu allen anderen höhere Beiträge vorschriebe, aber ohne sachlichen Grund niedrigere – und damit unterproportional aus Allgemeinmitteln finanzierte – Leistungen gewährte. Ihm wären die Angehörigen dieser Gemeinschaft dann im wörtlichen Sinn nicht gleich viel, sondern weniger wert als die Angehörigen aller ande-
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durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gewährte Recht liegt weiters vor, wenn der Staat für verschiedene Bekenntnisse je eigene, aber neuerlich: gleichwertige Fakultäten einrichtet. Denn die Bekenntnisse unterscheiden sich ja gerade durch ihren Glauben; dessen Lehren an je eigenen Einrichtungen zu vermitteln, setzt kein Bekenntnis herab, solange diese Einrichtungen gleichwertig sind235. Für Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts lassen sich Beispiele zulässiger Differenzierungen viel schwerer finden – schlicht deshalb, weil es Eigenschaften, die sich nur bei Männern oder nur bei Frauen finden, höchst selten gibt. Zu nennen wäre hier die Fähigkeit, Kinder zu gebären, die den meisten Frauen in einem bestimmten Lebensabschnitt, Männern hingegen nie zukommt. Vorschriften, die zum Schutz schwangerer Frauen geeignet und erforderlich sind, behandeln daher Ungleiches ungleich, greifen also nicht in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ein. Von diesem Beispiel abgesehen verweist das Geschlecht als Differenzierungsmerkmal aber – wie auch die Beispiele aus der Judikatur zeigen – in aller Regel nicht treffsicher auf Eigenschaften, die nur bei Männern oder nur bei Frauen vorliegen, sondern auf Merkmale, die bestenfalls den Vertretern des einen Geschlechts häufig zukommen, aber auch, wenngleich seltener bei den Vertretern des anderen Geschlechts anzutreffen sind. Für gewöhnlich beruhen derartige Durchschnittsbetrachtungen auf gesellschaftlichen Vorstellungen davon, wie sich eine Frau als Frau und wie sich ein Mann als Mann zu verhalten hat. Geht man davon aus, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG den Einzelnen gerade in seiner Individualität anerkennt und ihm versichert, nicht als Teil eines Kollektivs, sondern als Individuum aufgrund seiner persönlichen Voraussetzungen beurteilt zu werden236, dann erscheint eine solche Durchschnittsbetrachtung grundsätzlich bedenklich. Denn sie bedeutet für den atypischen Fall entweder, dass er allein aufgrund seiner ____________________
ren Risikogemeinschaften. Freilich kommt es hier immer auf eine Gesamtbetrachtung an; Einzelbestimmungen eines Systems dürfen daher nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert einer entsprechenden Einzelbestimmung eines anderen Systems gegenüber gestellt werden, weil dies außer Acht lassen könnte, dass gewisse Nachteile durch systemimmanente Vorteile wieder ausgeglichen werden; s schon oben D.III.1.b.; zu zulässigen und gebotenen Differenzierungen im Sozialversicherungsrecht noch näher unten G.III.3.b.bb. 235 Weitere Beispiele zulässiger Differenzierungen aufgrund des Bekenntnisses, allerdings bezogen auf Art 3 Abs 3 GG bei Heckel, FS Dürig 241 ff. 236 In diesem Sinn für Art 3 Abs 2 und 3 GG Nishihara, Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung 198; s auch Sachs, NJW 1989, 556, der das Ziel des Art 3 Abs 2 und 3 GG darin sieht, „daß niemand ohne Rücksicht auf seine jeweils sachlich maßgeblichen Qualitäten behandelt (bevorzugt oder benachteiligt) wird allein wegen einer Gruppenzugehörigkeit, der er nicht entrinnen kann oder deren freie Wahl als essentielle Persönlichkeitsentscheidung respektiert werden soll. Dem einzelnen soll eine Existenz ermöglicht werden, die dem gleichen Geltungsanspruch des menschlichen Individuums gerecht wird und ihm gleiche Möglichkeiten bietet, seine Persönlichkeit frei zu entfalten.“
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Gruppenzugehörigkeit benachteiligt237 oder begünstigt238 oder dass er gezwungen wird, sich rollenkonform zu verhalten, also so wie die Mehrheit der Mitglieder jener Gruppe, der er angehört239. Die Freiheit, sich unabhängig von Klischees und Rollenerwartungen zu entfalten240, besteht unter diesen Voraussetzungen gerade nicht. Daher liegt in solchen Fällen ein Eingriff in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vor, der nur gerechtfertigt werden kann, wenn er zur Erreichung eines schwerwiegenden (externen) Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist241. Nichts anderes gilt, wenn sich eine Ungleichbehandlung im Anwendungsbereich des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG von vornherein nicht auf Un____________________
237 Männer, die abweichend von dem üblichen Rollenverhalten den Haushalt führen und daher ihrer Ehefrau gegenüber unterhaltsberechtigt sind, bekommen keine Witwerpension; alleinerziehenden Männern bzw Männern, die durch Haushaltsführung und Beruf doppelt belastet sind, wird ein früherer Pensionsantritt verwehrt; nicht „schutzbedürftigen“ Frauen wird verboten, in der Nacht zu arbeiten. 238 Frauen, die erwerbstätig sind und keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann haben, kommen in den Genuss einer Witwenpension; Frauen, die nicht doppelt belastet sind, wird ein früherer Pensionsantritt gewährt; doppelt belastete Männer dürfen in der Nacht arbeiten – legt man paternalistische Maßstäbe an, könnte darin freilich auch eine Benachteiligung gesehen werden: Doppelt belastete Männer werden nicht vor dem Druck zur Übernahme von Nachtarbeit geschützt. Dass wohl kein Mann diesen fehlenden „Schutz“ als Benachteiligung empfinden würde, zeigt, dass das Nachtarbeitsverbot in Wahrheit eine Bevormundung ist. 239 Frauen, die anders als die Mehrzahl ihrer Geschlechtsgenossinnen nicht bereit sind, den Namen ihres Ehemannes anzunehmen, werden gezwungen, diesen Namen doch zu akzeptieren. S auch Nishihara, Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung 198, der zutreffend feststellt, dass „[r]echtlich sanktionierte Rollenklischees – d.h. die gesetzliche Vorgabe des Ideals, wie eine Frau als Frau und ein Mann als Mann ihr Leben leben sollen – [...] ein Hindernis für die Entfaltung der Individualität aufgrund der freien persönlichen Entscheidung dar[stellen].“ 240 S auch Sachs, NJW 1989, 556: „Das Ziel [des Art 3 Abs 2 und 3 GG] heißt also Befreiung, Eröffnung von Freiheit, von Handlungsalternativen, die jeder Mann und jede Frau gleichermaßen soll wahrnehmen können, ohne daß dabei die Zugehörigkeit zum einen oder anderen Geschlecht im Wege steht.“ 241 AA für Art 3 Abs 3 GG Huster, Rechte 320, der typisierende Anknüpfungen an ein verpöntes Merkmal nicht für bedenklicher hält als andere Typisierungen. ME vernachlässigt diese Position, dass die typisierende Anknüpfung an verpönte Merkmale geradezu der klassische Fall einer Diskriminierung ist, die, wie natürlich auch Huster, Rechte 318, weiß, in aller Regel nicht ohne Begründung vorgenommen wird: „Das Problem des Rassisten ist weniger, daß er die absurde Meinung vertritt, der Rassenunterschied als solcher, d. h. ohne weitere Erläuterung, sei ein relevanter Differenzierungsgrund; es besteht eher darin, daß er den Rassenunterschied auf eine ganz irrationale Weise mit anderen Eigenschaften in Verbindung bringt, daß er also Vorurteile gegenüber anderen Rassen hat.“ Eben dieses Vorurteil äußert sich dann aber gesellschaftlich in Klischees und rechtlich häufig in Typisierungen. Diese Typisierungen treffen den atypischen Fall aus den genannten Gründen weit härter als andere Durchschnittsbetrachtungen: Sie bringen ihn in eine auswegslose Situation und werten ihn als Person und Individuum ab. Deshalb nehmen sich Diskriminierungsverbote gerade dieser Persönlichkeitsmerkmale an. Das in ihnen zum Ausdruck kommende erhöhte Schutzbedürfnis muss dann aber auch Konsequenzen haben.
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terschiede zwischen den Vergleichsgruppen stützt: Dann hat die Benachteiligung mit den betroffenen Personen und ihren individuellen Voraussetzungen überhaupt nichts zu tun; sie bzw die Nachteile, die ihnen auferlegt werden, sind bloß Mittel zur Erreichung eines Zweckes. Zu rechtfertigen ist ein solcher Eingriff nur, wenn er unausweichlich ist, wenn sein Zweck also an sich schwer wiegt, auch schwerer als der Nachteil, der den Betroffenen auferlegt wird, und wenn es zudem unmöglich ist, diesen Zweck auf andere Weise als durch diese Benachteiligung zu realisieren. Baut eine Differenzierung schließlich bloß auf Vorurteilen auf, stützt sie sich also nur auf Unterschiede, die zwischen den Vergleichsgruppen tatsächlich überhaupt nicht bestehen, dann ist Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG jedenfalls verletzt: Es gibt keinen Grund und auch keinen Zweck, der eine solche Behandlung rechtfertigen könnte. Die Witwerpensionsregelung wurde nach alldem zu Recht als gleichheitswidrig qualifiziert242; denn dass die atypischen Fälle (Witwen, die keinen Unterhaltsanspruch ihrem Mann gegenüber hatten und Witwer, die einen solchen Unterhaltsanspruch hatten) jeweils gleich behandelt wurden wie ihre Geschlechtsgenossen und damit anders als das andere Geschlecht, war nur durch die verwaltungsökonomische Erwägung motiviert, dass eine individuelle Prüfung zu hohe Kosten verursacht hätte. Akzeptierte man dies als Rechtfertigung, so würde die verfassungsrechtlich gewährleistete Anerkennung des Einzelnen als gleichwertig letztlich davon abhängig gemacht, ob sich der Staat diese Anerkennung leisten will oder nicht243. Dass eine solche Sicht der Dinge mit dem Schutzzweck des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG unvereinbar ist, liegt auf der Hand. Im konkreten Fall stellte sich heraus, dass die typisierende Prüfung tatsächlich gar nicht kostengünstiger war, weil sie ja dazu führte, dass Pensionen auch an Personen ausbezahlt wurden, deren Versorgung bereits anderweitig sichergestellt war. Selbst wenn eine typisierende Prüfung aber gewisse Verwaltungseinsparungen erbracht hätte, könnte sie deshalb allein noch nicht gerechtfertigt sein. Anerkennt man, dass diese Typisierung in das durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG garantierte Recht, nicht allein aufgrund eines der dort genannten Merkmale benachteiligt zu werden, eingreift und dass diesem Recht ein hohes Schwellengewicht zukommt, dann können verwaltungsökonomische Erwägungen einen Eingriff nur rechtfertigen, sofern die Prüfung der individuellen Voraussetzungen mit einem Aufwand verbunden wäre, der zum Gewicht des Eingriffes außer jedem Verhältnis steht. Dies ____________________
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VfSlg 8871/1980. Freilich trifft diese mangelnde Anerkennung nur den, der durch die Regelung benachteiligt wird, hier also den Witwer, nicht auch die Witwe. Dieser Aspekt geht in VfSlg 8871/1980 allerdings unter, weil der VfGH in erster Linie die Begünstigung der atypischen Witwe moniert.
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wird praktisch aber nie der Fall sein. Die in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ausgesprochene Achtung des Einzelnen als Person und Individuum kann der Allgemeinheit also durchaus Kosten verursachen244, sie muss dem Staat nicht nur im übertragenen Sinn etwas wert sein. Zutreffend hat der VfGH daher auch angenommen, dass ein ungleiches Pensionsalter von Mann und Frau nicht mit der Doppelbelastung der Frauen begründet werden kann, mE allerdings nicht nur, weil es Frauen gibt, die nicht doppelt belastet sind, sondern auch, weil es Männer gibt, die abweichend von ihrem überkommenen Rollenbild eine Doppelbelastung tragen245. Es spricht nichts dagegen, doppelt belasteten Personen einen früheren Pensionsantritt zu ermöglichen; mit Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG unvereinbar ist es aber, eine solche Doppelbelastung nicht im Einzelfall zu verlangen, sondern sie einem Geschlecht pauschal zuzuschreiben und dem anderen Geschlecht pauschal abzusprechen, Frauen also „als eine einheitliche Gruppe“246 Männern gegenüberzustellen. Ein ebenso strenger Maßstab wäre allerdings auch bei der Prüfung des Nachtarbeitsverbotes anzulegen gewesen247. Denn auch dieses Verbot stützte sich auf Unterschiede, die keineswegs bei allen Frauen vorlagen. Wenn der VfGH es hier dennoch als gerechtfertigt angesehen hat, nicht doppelt belastete und daher nicht „schutzbedürftige“ Frauen dem Nachtarbeitsverbot zu unterwerfen, dann, weil er annahm, eine zwischen Frauen differenzierende Regelung hätte ihr Ziel nicht erreicht, die Einbeziehung nicht schutzbedürftiger Frauen sei also zur Zielerreichung erforderlich. Zu diesem Ergebnis konnte er freilich nur gelangen, weil er zuvor die Eignungsprüfung übersprungen hatte. Sie hätte gezeigt, dass das Nachtarbeitsverbot den ange____________________
244 Das gilt aufgrund der Antidiskriminierungsrichtlinien 2000/43/EG vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl 2000 L 180/22, und 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl 2000 L 303/16, bzw ihrer Umsetzung in das innerstaatliche Recht nun in gewissem Umfang auch für die Privatwirtschaft und stößt dort auf Widerstand, was durchaus verständlich ist. Denn die Anknüpfung an stereotype Einschätzungen ist für den Arbeitgeber wirtschaftlich betrachtet völlig rational; sie erspart ihm Kosten. Das Antidiskriminierungsrecht zwingt Arbeitgeber also auch, unwirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, die den Angehörigen der geschützten Gruppen zugute kommen. Darin kann man durchaus eine Umverteilungsmaßnahme sehen; dass sie gerade Arbeitgeber trifft, wird mit dem Umstand gerechtfertigt, dass ihnen bei der gesellschaftlichen Güterverteilung eine Schlüsselrolle zukommt, die nun auch mit erhöhter Verantwortung wahrzunehmen ist, s Gerlach, DRdA 2004, 225; Britz, VVDStRL 64 (2005) 376 ff; s zum Problem des Diskriminierungsschutzes im Privatrecht ferner und grundsätzlich Jestaedt, VVDStRL 64 (2005) 298 ff. 245 Zu denken ist etwa an die kleine, aber doch vorhandene Gruppe allein erziehender Väter. 246 VfSlg 12.568/1990 (Hervorhebungen nicht im Original). 247 VfSlg 11.774/1988, 13.038/1992. Kritisch zu diesem Widerspruch schon Sporrer, Gleichheit 940; s auch Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 152 ff.
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strebten Schutz gar nicht erreichen konnte248. Selbst wenn es aber zur Zielerreichung geeignet gewesen wäre, hätte noch gefragt werden müssen, ob dieses Ziel nur auf diesem Weg und nicht auch durch geschlechtsneutrale Maßnahmen erreichbar gewesen wäre249. Auch hätte nicht in das Belieben des Gesetzgebers gestellt werden dürfen, das mutmaßliche Schutzbedürfnis doppelt belasteter Frauen gegen das Interesse abzuwägen250, nicht bloß aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit – zumal in der Erwerbsausübung – benachteiligt zu werden. Gleichen Bedenken begegnet auch das zweite Namensrechtserkenntnis251: Dass eine Mehrheit von Frauen den Namen ihres Ehemannes annimmt, rechtfertigt nicht, ein solches Verhalten auch von jenen Frauen zu verlangen, die dazu nicht bereit sind und deren Partner umgekehrt auch den Namen der Frau nicht annahmen will. Der Vorrang des Mannesnamens dient zwar dem legitimen Ziel, einen gemeinsamen Familiennamen sicherzustellen. Dieses Ziel ist aber nicht zwingend, der „atypischen“ Frauen auferlegte Zwang, sich dem Durchschnitt anzupassen, steht daher auch außer Verhältnis zu diesem Ziel, das der Gesetzgeber zwei Jahre nach dem Erkenntnis des VfGH zu Recht aufgegeben hat – soweit zu sehen: ohne jeden Schaden für die Gesellschaft. Im dritten Namensrechtserkenntnis252 hat der Gerichtshof das in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gewährte Recht – wenn auch unter dem Titel des allgemeinen Gleichheitssatzes – ansatzweise als ein Prima-facie-Recht behandelt. Er unternahm zu Recht gar nicht den Versuch, die Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu stützen, etwa auf eine Tradition, für das Kind den Namen des Mannes auszuwählen. Selbst wenn eine solche Tradition bestünde, könnte nicht sie die Differenzierung nach dem Geschlecht begründen, sondern nur das – freilich gewichtige – Regelungsziel, das mit dem Geschlecht nichts mehr zu tun hat: die Vermeidung der Namenslosigkeit des Kindes. Die Verwirklichung dieses externen Zieles nur auf Kosten eines Geschlechts muss allerdings unumgänglich sein. ME war das hier nicht der Fall. Denn es wäre ohne weiteres möglich, die Eheschließung von einer Einigung der Ehegatten über den Familiennamen des Kindes abhängig zu machen. Darin ____________________
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S dazu schon oben FN 118. Kritisch auch Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 154. Anders deutet die Entscheidungen zum Nachtarbeitsverbot Somek, Rationalität 440, der annimmt, der VfGH habe hier eine Abwägung vorgenommen, die zugunsten des öffentlichen Interesses ausging. Wörtlich meinte der VfGH allerdings in VfSlg 13.038/1992, es sei die „Aufgabe des Gesetzgebers, abzuwägen, ob er den für (noch) erforderlich gehaltenen Schutz gewährt […] oder die Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern auf Kosten eines verläßlichen Schutzes der gegenwärtig Betroffenen für die Zukunft vorantreibt.“ 251 VfSlg 13.661/1993. 252 VfSlg 15.031/1997.
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läge zwar ein Eingriff in ihr Recht, eine Ehe abzuschließen; er ist aber durch das Ziel gerechtfertigt, die Benachteiligung eines Ehegatten bloß aufgrund seines Geschlechts zu vermeiden, haben doch die Ehegatten nach Art 5 7. ZPEMRK untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art. Es wäre höchst seltsam, wenn die Herstellung einer solchen Gleichberechtigung dann gerade an Art 12 EMRK scheitern müsste. Der Vorrang des Mannesnamens ist daher zwar ein geeignetes Mittel zur Erreichung des gewiss gewichtigen Zieles, er ist zur Erreichung dieses Zieles aber nicht erforderlich und daher mit Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG unvereinbar. Zu Recht strenger geprüft hat der VfGH andere Differenzierungen nach dem Geschlecht, die bloß auf externen Zwecken beruhten: Er hat es als gleichheitswidrig angesehen, wenn das Ziel, den Arbeitsmarkt zu entlasten bzw die Mitgliederzahl einer Agrargemeinschaft zu reduzieren, nur auf Kosten eines Geschlechts realisiert wird; da sich beide Ziele auch geschlechtsneutral verwirklichen lassen, ist eine Differenzierung nach dem Geschlecht nicht erforderlich253. Die in der Lehre zum Teil vertretene These, Ungleichbehandlungen nach dem Geschlecht könnten nur durch biologische oder gesellschaftliche Unterschiede zwischen Mann und Frau gerechtfertigt werden, erscheint so besehen einerseits zu eng, andererseits aber auch zu weit. Zu eng insofern, als Ungleichbehandlungen auch aus triftigen Gründen, die außerhalb des Geschlechts liegen, gerechtfertigt werden können. Zu weit ist diese These mE, soweit sie sich mit bloß typischerweise vorliegenden Unterschieden zwischen den Geschlechtern zufrieden gibt; dies gilt weniger für biologische Verschiedenheiten, die zwischen den Geschlechtern unbestreitbar bestehen, sondern für funktionale Unterschiede, die auf der überlieferten Rollenverteilung zwischen Mann und Frau beruhen. Lässt man derartige Unterschiede als Rechtfertigung für Ungleichbehandlungen gelten, benachteiligt oder begünstigt man den, der sich nicht rollenkonform verhält oder erzeugt einen Druck, sich dem überkommenen Rollenbild anzupassen. In jedem dieser Fälle besteht die Notwendigkeit einer erhöhten Rechtfertigung, die durch den Umstand, dass sich die Mehrheit rollenkonform verhält, nicht geliefert werden kann. Die „Tradition“, mit der Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gerade bricht, kann daher nicht zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen ins Treffen geführt werden254. ____________________
253
VfSlg 11.155/1986, 13.975/1994. S bereits Wiederin, Casebook 125; auch Heun, Art 3 GG Rz 111; zur mangelnden Rechtfertigungskraft der Tradition s auch schon Klaudi, StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 415: „Ich sage: ‚Der Adel ist kein historisches Recht.‘ Wenn Alles, was wirklich da ist, wenn alles Vorhandene historisches Recht wäre, dann würde ich es Ihnen unbedingt zugestehen; da müßten Sie mir aber zugestehen, daß wir uns nie hätten anmaßen sollen, 254
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Die hier vorgeschlagene Deutung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG arbeitet mit hergebrachtem grundrechtsdogmatischem Instrumentarium; sie versteht diese Vorschrift als ein Prima-facie-Recht, nicht allein aufgrund eines der in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmale benachteiligt zu werden. Soweit sich eine Benachteiligung nicht mit Eigenschaften sachlich begründen lässt, die der jeweils Benachteiligte bei einer vorurteilslosen Beurteilung tatsächlich hat, liegt ein Eingriff in sein durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gewährtes Recht vor. Ein solcher Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn er zur Erreichung eines schwerwiegenden Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist. Diese Deutung mag banal erscheinen und Abwägungsgegnern wie Somek die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Sein Alternativkonzept einer Diskriminierung ist originell. Doch will mir scheinen, dass es im Ergebnis von dem hier vorgetragenen Konzept nicht allzu sehr abweicht. Somek versteht die Diskriminierung im Wesentlichen als eine Verletzung der Unparteilichkeit, also des Gebotes, „sich bei der Normselektion in die Position von Personen zu versetzen, die von einer Regelung betroffen sein könnten“ und sich zu fragen, „ob man die hypothetisch erwogene Norm bei Einnahme dieser Position auch gegen sich selbst gelten ließe“255. Fehlt es an dieser Unparteilichkeit, dann liege eine Diskriminierung vor, drei Fälle seien hier zu unterscheiden: Zunächst die „Demütigung“, die stattfindet, wenn „eine Person in der moralischen Urteilsbildung insofern nicht vorkommt, als sie als eine gleichwertige Person nicht zur Kenntnis genommen wird“; sie existiere für das Urteil dann nur „als Objekt, dessen Verhalten kontrolliert wird“. Beispielhaft hiefür nennt Somek eine Regelung, nach der nur Personen mit Kindern das Wahlrecht hätten. Dies müsste, wie er zu Recht ausführt, von kinderlosen Personen als Demütigung erfahren werden: „Mit ihnen würde verfahren, als wären sie nicht vorhanden“256, sie würden „[depersonalisiert]“, ihre Existenz vernachlässigt257. ____________________
aus jenem Joche des Absolutismus heraustreten zu wollen, und daß die Russen niemals aus jenem Joche heraustreten dürften, das sie zwingt, den Menschen zu verläugnen, und sich der Willkür einer Herrscherlaune hingegeben zu sehen“. S auch Walter, ZVR 1979, 40: „Der Unterschied ist gewiß historisch erklärbar; aber ein Umstand, der die Verschiedenheit rechtfertigt, scheint nicht vorzuliegen.“ (Hervorhebungen im Original); ferner das Erkenntnis VfSlg 2794/1955, in dem eine Regelung als gleichheitswidrig aufgehoben wurde, weil sie sich „nur aus der politischen Situation der Zeit, zu der das Gesetz geschaffen wurde, erklären und durch keinerlei andere, objektive Merkmale rechtfertigen“ ließ; VfSlg 8871/1980, demzufolge ein Festhalten am Modell der Hausfrauenehe im Zusammenhang mit der Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern nicht mehr gerechtfertigt ist. 255 Somek, Rationalität 366. 256 Somek, Rationalität 380. 257 Somek, Rationalität 384.
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Als zweiten Fall der Diskriminierung nennt Somek die „Stereotypisierung“. Sie liegt vor, wenn „eine Person in der moralischen Urteilsbildung insofern nicht vorkommt, als ihr Sosein nur innerhalb der Grenzen eines Stereotyps berücksichtigt wird“; sie existiere „in den darüber hinausgehenden Eigenschaften nur als Objekt“. Solches geschähe etwa, würde den Wählerstimmen kinderloser Erwachsener ein geringerer Erfolgswert mit der Begründung beigemessen, sie würden bei ihrer Wahlentscheidung nicht auf das Wohl künftiger Generationen achten258. Wen eine Stereotypisierung trifft, der werde „[entindividualisiert]“, die Wahrnehmung seiner Person werde durch ein Stereotyp überlagert259. Der dritte Fall einer Diskriminierung ist nach Somek die „Überdeterminierung“. Sie liegt vor, wenn „eine Person in der moralischen Urteilsbildung nur insofern vorkommt, als von ihr, um das Urteil verallgemeinern zu können, in unzumutbarer Weise erwartet wird, einem bestimmten Modell des Personseins zu entsprechen“; diese Person existiere „in ihrem eigenen Sosein nur als Objekt260. Wer einer Überdeterminierung unterworfen ist, werde „[modelliert]“, sein Sosein werde „durch [eine] normative Erwartung verformt“261. Ihm werde „aufgebürdet, ein gewisses Sosein anzunehmen“, um einem Nachteil zu entgehen, dies ohne Rücksicht darauf, ob ihm die Verantwortung für sein Personsein zumutbar ist: Ihm werde also mit einer unerfüllbaren normativen Erwartung begegnet262. Diese drei Typen der Diskriminierung sind, wie auch Somek einräumt263, nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden; mE beschreiben sie tatsächlich oft ein und dasselbe Problem aus unterschiedlicher Perspektive: Der atypische Fall, der bei einer Durchschnittsbetrachtung ausgeblendet wird, wird in seiner Existenz vernachlässigt (insofern „entpersonalisiert“), er fällt zugleich einem Stereotyp zum Opfer und wird bloß als Teil eines Kollektivs betrachtet (insofern „entindividualisiert“), schließlich müsste er, um den ihm auferlegten Nachteilen zu entgehen, ein anderer werden als er ist: Er müsste sich dem Durchschnitt anpassen und wird insofern durch eine normative Erwartung „verformt“. Der atypische Fall ist es dem Gesetzgeber nicht wert, berücksichtigt zu werden, und zwar – wie die Beispiele aus der Judikatur zeigen – nicht nur in einem übertragenen, sondern durchaus in einem wörtlichen Sinn: Für die Vernachlässigung atypischer Fälle werden oft verwaltungsökonomische Er____________________
258 259 260 261 262 263
Somek, Rationalität 381 f. Somek, Rationalität 384. Somek, Rationalität 383. Somek, Rationalität 384. Somek, Rationalität 383. Somek, Rationalität 387.
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wägungen, also Kostengründe angeführt264. Sie wiegen in aller Regel nicht schwer genug, um einen Eingriff in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zu rechtfertigen. Soweit sich eine Ungleichbehandlung nach einem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmal nicht einmal auf eine Durchschnittsbetrachtung, sondern von vornherein nur auf (nun primär) externe Zwecke stützen lässt, etwa auf die Entlastung des Arbeitsmarktes oder die zur Erhaltung einer Agrargemeinschaft erforderliche Senkung ihrer Mitgliederzahl, wird der Benachteiligte zwar nicht zum Opfer eines Stereotyps, nach Somek aber wohl gedemütigt265, jedenfalls aber und nun noch gravierender durch normative Erwartungen verformt: Um den Nachteilen zu entgehen, müsste er sich nicht „nur“ dem Durchschnitt anpassen, er müsste jemand sein, der er nicht oder nicht zumutbar sein kann: Adelig geboren statt nicht adelig, ein Mann statt eine Frau, reich statt arm, ein Notar statt ein Landwirt, ein Katholik statt ein Moslem. Ein solcher Eingriff kann nach der hier vertretenen Position nur gerechtfertigt werden, wenn er tauglich zur Erreichung eines schwerwiegenden Zieles ist und wenn dieses Ziel sich auf andere Weise nicht erreichen lässt. Auch nach Somek lässt sich eine Ungleichbehandlung vom Verdacht einer Diskriminierung befreien, „wenn der mit ihr verfolgte Zweck zwingenden Charakter hat“266 und „wenn sich keine alternative, weniger verdächtige Regelung denken lässt“267. Diese beiden Prüfungsmaßstäbe will Somek aber nicht als Abwägungsgebote missverstanden wissen268. Sie seien nicht dazu da, eine inhaltliche Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse einerseits und der Abwehr von Diskriminierungen andererseits anzuleiten. Die Diskriminierung lasse sich „auch nicht durch noch so gewichtige öffentliche Interessen aufwiegen, weil diese, sobald sie zur Diskriminierung autorisierten, ihren Charakter einbüßen würden, öffentliche Interessen zu sein“269. Die beiden genannten Prüfungsmaßstäbe seien vielmehr Regelungen der Beweislast: Der Staat müsse zeigen, „dass ein wichtiges (‚zwingendes‘) öffentliches Interesse nicht anders als mit diesem Mittel erreicht werden kann. Wenn dies gelingt, dann ist der Verdacht abgewehrt, diese Gruppe werde diskriminiert […]. Sollte sich der Verdacht be____________________
264 Ob Someks Vorstellung von Diskriminierung auch solche Fälle erfasst, ist freilich zweifelhaft; sie auszuschließen wäre jedenfalls nicht begründbar, wenn man anerkennt, dass Durchschnittsbetrachtungen und Typisierungen leicht und mit fließenden Grenzen in eine Stereotypisierung übergehen können. 265 S Somek, Rationalität 396, wonach bei einer Demütigung zwischen der Ungleichbehandlung und ihrem Zweck keine wie immer geartete rationale Beziehung besteht. 266 Somek, Rationalität 413. 267 Somek, Rationalität 414. 268 Somek, Rationalität 415. 269 Somek, Rationalität 416.
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stätigen, dann ist das Gesetz wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz für nichtig zu erklären.“270 Das ist eine problematische Definition, denn sie führt in einen Zirkel: Sie macht zunächst die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung von dem Interesse abhängig, dem die Ungleichbehandlung dient: Es muss zwingend und öffentlich sein; sodann aber wird ein Merkmal dieses Interesses – die Qualität, öffentlich zu sein – davon abhängig gemacht, ob eine Diskriminierung vorliegt. Damit ist noch nicht bewiesen, dass das Gewicht des Interesses für die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung nicht relevant ist. Wenn Somek ein zwingendes Interesse verlangt, öffnet er aber wohl die Tür zu einer Abwägung. Denn als zwingend wird ein öffentliches Interesse umso eher erscheinen, je weniger schwer eine Ungleichbehandlung wiegt. Somek, meint, man solle sich davor hüten, „auch bloß zu vermuten, das Übel der Diskriminierung sei gradierbar“271. Das trifft in Fällen zu, in denen Demütigung, Überdeterminierung und Stereotypisierung ein und dasselbe Problem aus drei verschiedenen Perspektiven beschreiben. Eine Graduierung zwischen diesen drei Aspekten ist dann tatsächlich nicht möglich. Davon abgesehen können Diskriminierungen aber sehr wohl unterschiedlich schwer wiegen; dass sie allesamt ein Übel sind, soll dabei nicht bestritten werden. Aber es ist offensichtlich nicht dasselbe, ob Frauen das Wahlrecht verwehrt wird oder ob ihre Kinder den Familiennamen ihres Ehemannes erhalten, wenn sie diesen nicht davon überzeugen können, dass der Name der Frau an die Kinder weitergegeben werden soll. Dass die erste Diskriminierung durch zwingende öffentliche Interessen gerechtfertigt sein kann, lässt sich rundweg ausschließen. Im zweiten Fall muss man aber nur zwei Variablen verändern, um zu sehen, dass der Vorrang des Mannesnamens unter bestimmten Voraussetzungen doch zulässig sein kann. Man stelle sich vor, der Verfassungsgesetzgeber hätte – aus welchen Gründen immer – eine Entscheidung durch Los absolut verboten und das in Art 12 EMRK gewährte Recht auf Eheschließung wäre absolut, also ohne (auch ohne immanenten) Gesetzesvorbehalt gewährt272. Dann gäbe es zum Vorrang des Mannesnamens nur eine Alternative: Den Vorrang des Frauennamens. Für keine Lösung spricht mehr als für die andere. Dennoch müsste eine dieser beiden Lösungen gewählt werden, um das gewichtige Ziel, die Vermeidung einer Namenslosigkeit des Kindes, zu realisieren. In einer solchen Patt-Situation wäre der Gesetzgeber mE ____________________
270
Somek, Rationalität 415. Somek, Rationalität 389. 272 Man ergänze zur Sicherheit, dass auch sonst kein geschlechtsneutrales Auswahlkriterium zur Verfügung steht, lege also die Prämissen zugrunde, von denen der VfGH in VfSlg 15.031/1997 ausgegangen ist. 271
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frei, die eine oder die andere Lösung zu wählen273. Ihm könnte weder bei einem Vorrang des Mannesnamens noch bei einem Vorrang des Namens der Frau entgegengetreten werden, weil die einzige Alternativlösung ebenso viel oder wenig für sich hätte wie die tatsächlich gewählte. Anders lägen die Dinge, wenn es – unter sonst gleichen Voraussetzungen – nur darum ginge, einen einheitlichen Familiennamen der beiden Ehegatten sicherzustellen. Dieses Ziel ist legitim, aber es wiegt nicht schwer, jedenfalls nicht schwer genug, um zu rechtfertigen, dass jemand einen Nachteil hinnehmen muss, der ihn als Person herabsetzt. Ob man diese verschiedene Gewichtung der beiden Ziele – hier die Vermeidung der Namenslosigkeit des Kindes als schwer, dort die Einheitlichkeit des Familiennamens als minder schwer274 – nun teilt oder nicht, ist dabei nebensächlich. Was dieses Beispiel zeigen soll, ist nur, dass die Frage der Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung in manchen Fällen ohne eine Güterabwägung schlicht nicht auskommt. Auch Someks Konzept tut dies nicht, denn es hält sich durch das Erfordernis eines „zwingenden“ Interesses durchaus offen, ein Interesse als gewichtig genug und daher als zwingend einzustufen oder nicht. Ohne Blick auf die konkrete Ungleichbehandlung wäre eine solche Einstufung aber nur möglich, wenn es andere Kriterien gäbe, nach denen sich ein Interesse als zwingend ausweisen lässt275. Solange diese Kriterien nicht offengelegt und begründet werden, ist die Qualifikation eines Interesses als „zwingend“ mit denselben Unwägbarkeiten und Gefahren verbunden, die Somek wohl bei der Interessenabwägung befürchtet276. d. Mittelbare Diskriminierung Von den bisher genannten Fällen zu unterscheiden sind Regelungen, die nicht an ein verpöntes Differenzierungsmerkmal anknüpfen, sich aber auf die Träger dieser Merkmale wegen der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede faktisch ungleich auswirken, sodass eine Vergleichsgruppe wesentlich häufiger nachteilig betroffen ist als die andere. Derartige Vorschriften haben, soweit sie das Geschlecht betreffen, regelmäßig zur Folge, dass Personen, die sich rollenkonform verhalten, im Ergebnis benach____________________
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Zu einer solchen argumentativen Patt-Stellung s schon oben C.IV.1.c. und C.IV.3.e.
aE. 274 Jedenfalls im zweiten Fall dürfte Somek, Rationalität 125, die hier vertretene Wertung teilen. 275 Keine Hilfe ist hier die neuerlich in einen Zirkel führende Annahme, ein öffentliches Interesse sei nur dann zwingend, „wenn sich jeglicher Diskriminierungsverdacht ausräumen lässt“ (so offenbar die Deutung der Judikatur des BVerfG bei Somek, Rationalität 440). 276 S etwa Somek, Rationalität 444: „Die zur Beurteilung der Zulässigkeit von Eingriffen erforderlichen Abwägungen beruhten entweder auf dem Nutzenkalkül oder auf bloßer Intuition.“
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teiligt werden: Frauen, die Haushalt und Kinder betreuen und daher nicht in der Lage sind, eine Vollzeitbeschäftigung einzugehen, bleibt etwa eine Universitätskarriere verschlossen277 oder eine zügige Gehaltsvorrückung verwehrt278. Diese ungleiche Auswirkung kann in Ansehung des Schutzzwecks des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nicht unbeachtet bleiben; so wie die Träger der dort verpönten Merkmale ohne zwingenden Grund nicht dazu verpflichtet werden können, sich rollenkonform zu verhalten, muss es dem Einzelnen auch freistehen, sein Leben an geschlechtsspezifischen Rollenbildern auszurichten, ohne dafür benachteiligt zu werden. Dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG in derartigen Fällen unmittelbar zur Anwendung kommt, ist gleichwohl zweifelhaft. Denn diese Bestimmung schließt nur „Vorrechte“, nicht aber faktisch ungleiche Auswirkungen aufgrund des Geschlechts und anderer verpönter Merkmale aus. Von einem „Vorrecht“ des Geschlechts kann aber wohl nicht gesprochen werden, wenn eine geschlechtsneutrale Regelung ein Geschlecht signifikant häufiger nachteilig trifft als das andere. Gleiches gilt auch für die anderen in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Differenzierungsmerkmale. Dem Schutzzweck dieser Vorschrift muss daher in solchen Fällen im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes Rechnung getragen werden279. e. Positive Maßnahmen Ein Sonderproblem des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG stellen sog „positive Maßnahmen“280 dar, die an ein in dieser Vorschrift genanntes Merkmal anknüpfen, um faktische Benachteiligungen strukturell diskriminierter Gruppen auszugleichen. Derartige „affirmative actions“ wurden in den USA vor allem zugunsten rassischer und ethnischer Minderheiten ergriffen281. Ihrem Vorbild folgten in den 1990er Jahren ua in Österreich vergleichbare Maßnahmen zugunsten von Frauen, insbesondere frauenbegünstigende Quotenregelungen bei der Einstellung im öffentlichen Dienst und im Universitätsbereich282. Die Zulässigkeit derartiger Regelungen wur____________________
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S VfSlg 13.558/1993. VfSlg 15.368/1998. 279 Dazu noch unten E.IV.3.c., für mittelbare Diskriminierungen aufgrund der Klasse s auch F.II.5.a., G.III.2.b. 280 Früher war bisweilen auch von „positiver Diskriminierung“ die Rede, kritisch zu diesem Ausdruck, der die Unsachlichkeit solcher Maßnahmen suggeriert, Kucsko-Stadlmayer, RZ 1999, 108 f; Dies/Kuras, Art 141 EGV Rz 144. 281 S mwN zB Haller, FS Häfelin 79 ff; Sacksofsky, Gleichberechtigung 207 ff. 282 Allgemein zu Quotenregelungen mwN Maidowski, Umgekehrte Diskriminierung; Raasch, Frauenquoten; Haller, FS Häfelin 79 ff; Sachs, NJW 1989, 553 ff; Rössler, Quotierung; Rosenberger, Geschlechter 171 ff; Huster, AöR 118 (1993) 109 ff; ders, Rechte 323 ff; Holzleithner, JRP 1995, 84; Sacksowsky, Gleichberechtigung 167 ff, 278
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de zunächst kontroversiell und nicht ohne emotionalen Einsatz diskutiert. In der Zwischenzeit sind diese Debatten in Österreich weitgehend abgeflaut; das Spektrum der hiezu vertretenen Positionen war bemerkenswert breit: Es reicht von vorsichtigen Andeutungen, die Erlassung von Quotenregelungen sei verfassungsrechtlich geboten283, über die Meinung, an die gleichheitsrechtliche Zulässigkeit solcher Regelungen sei ein milder Maßstab anzulegen284; wieder andere sahen Quotenregelungen als besonders rechtfertigungsbedürftig, aber auch rechtfertigbar an285; manche meinten, derartige Vorschriften seien überhaupt nicht zu rechtfertigen, benötigten also eine verfassungsrechtliche Absicherung286; andere wollten in Quotenregelungen gar eine Gesamtänderung der Bundesverfassung sehen, die einer Volksabstimmung bedarf 287. ____________________
405 ff; Kucsko-Stadlmayer, JRP 1997, 35 ff; Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 230 ff; Fürst, Quotenregelung 233. 283 In diese Richtung wohl Flossmann, Positive Diskriminierung 58 f; Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 158; Sporrer, Gleichheit 913, die Art 7 Abs 1 B-VG auch als einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber verstehen, die tatsächlichen Chancenungleichgewichte zwischen den Geschlechtern zu überwinden; dies ua gestützt auf die Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (FN 171). Die Vertragsstaaten sind nach dieser Konvention verpflichtet, Diskriminierungen der Frau zu beseitigen (Art 2) und durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten, dass alle Frauen die Menschenrechte und Grundfreiheiten gleichberechtigt ausüben und genießen können (Art 3). Art 4 legt sodann zwar fest, dass „[v]orübergehende Sondermaßnahmen […] zur beschleunigten Herbeiführung der De-facto-Gleichberechtigung von Mann und Frau“ nicht als Diskriminierung gelten. Das bedeutet aber nur, dass sie erlaubt sind; ein Gebot, derartige Maßnahmen zu ergreifen, ergibt sich daraus mE nicht (ebenso Rebhahn, JBl 1993, 694). Hinzukommt, dass der Nationalrat die Art 1 bis 4 der Konvention zwar als „verfassungsändernd“ genehmigt hat, weil sie, wie den Materialien zu entnehmen ist, „dem Bereich der Grund- und Freiheitsrechte zuzuzählen sind“ und im Wesentlichen den allgemeinen Gleichheitssatz inhaltlich und formell ausgestalten (RV 823 BlgNR 15. GP 25). Unmittelbar anwendbar ist die Konvention allerdings nicht; zu ihrer Umsetzung wurde vielmehr die Erlassung ausführender Gesetze als erforderlich angesehen (RV 823 BlgNR 15. GP 25 f; AB 960 BlgNR 15. GP 1 f ). Rebhahn, JBl 1993, 694, hat daraus mE zu Recht gefolgert, dass die Konvention den allgemeinen Gleichheitssatz nicht geändert hat; sie kann aber vorsichtig zu dessen Konkretisierung herangezogen werden. Dass sie Ungleichbehandlungen erleichtert, die im Interesse einer faktischen Gleichheit nach dem Geschlecht vorgenommen werden, nehmen mE zu Recht auch Ch. Pesendorfer, ecolex 1992, 601; Gutknecht, ZAS 1993, 128; Kucsko-Stadlmayer, JRP 1997, 41, an; interpretationsleitende Bedeutung schreibt dieser Konvention auch Berka, Grundrechte Rz 958; ders, Art 7 B-VG Rz 88, zu. 284 So wohl Sporrer, Gleichheit 936 FN 132, nach der Frauenförderungsmaßnahmen keinem strengen Prüfungsmaßstab zu unterstellen seien, weil eine besondere gleichheitsrechtliche Gefährdungslage im Gegensatz zur klassischen Form der Diskriminierung nicht gegeben sei. 285 ZB Berka, Grundrechte Rz 960; ders, Art 7 B-VG Rz 90 FN 70. 286 ZB Gutknecht, ZAS 1993, 129 f; Thienel, Berufungsverfahren 42 ff. 287 S etwa Urlesberger, ZAS 1998, 36, der anzunehmen scheint, dass Quotenregelungen dem Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG jedenfalls widersprechen; selbst für den Fall, dass sie in Verfassungsrang gehoben würden, sei fraglich „ob der Wesensgehalt des Grundrechts auf
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Drei dieser Positionen können auf der Basis des nunmehr geltenden Verfassungsrechts von vornherein ausgeschlossen werden: Die Erlassung von Quotenregelungen ist verfassungsrechtlich weder geboten noch ist sie absolut verboten. Beides folgt ohne weiteres aus Art 7 Abs 2 B-VG. Diese Vorschrift hat ihren Ursprung in einer Initiative der BM für Frauenangelegenheiten Johanna Dohnal, die im Zuge der Vorbereitung auf die Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen vom 14.-25. Juni 1993 in einem Positionspapier „Frauenrechte sind Menschenrechte“ eine Neufassung des Art 7 B-VG mit folgendem Inhalt vorschlug288: „Alle Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Die Republik Österreich garantiert allen Frauen und Männern die gleichberechtigte Anerkennung, Inanspruchnahme und Ausübung ihrer Rechte auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und staatsbürgerlichem Gebiet. Die gleichberechtigte Partizipation von Frauen ist insbesondere durch Quotierung und andere geeignete Maßnahmen herzustellen. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen; vorübergehende Sondermaßnahmen zur Herbeiführung der beschleunigten De-Facto-Gleichberechtigung von Frauen und Männern gelten nicht als Vorrechte.“
Aufbauend auf diesem Positionspapier wurde im März 1995 im Auftrag der BM für Frauenangelegenheiten ein Gesetzesvorschlag vorgelegt und sodann mit gewissen Änderungen vom Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst zur Begutachtung ausgesandt289. Die darin vorgeschlagene Neufassung des Art 7 B-VG sah neben einer sprachlichen Änderung des Abs 1 („Alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger“ statt „Alle Bundesbürger“) ua die Aufnahme eines dritten Absatzes in Art 7 B-VG vor, der folgenden Wortlaut hatte290: „Maßnahmen vorübergehender Förderung und Bevorzugung von Frauen zur beschleunigten Herbeiführung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern sind zulässig. Gesetzgebung und Vollziehung haben auf die beschleunigte Herbeiführung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern hinzuwirken und insbesondere diese Gleichstellung zu fördern.“
Dieser Entwurf wurde keiner parlamentarischen Beratung zugeführt, weil die Regierungskoalition im Herbst 1995 ein vorzeitiges Ende fand291. Zwei Jahre später trug jedoch das sog „Frauen-Volksbegehren“ an den Nationalrat neuerlich die Forderung heran, die Gleichstellung von Frauen und Männern im B-VG zu verankern und die Republik zum aktiven, um-
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Gleichheit noch gewahrt ist, wenn eine Hälfte der Bevölkerung bevorzugt und die andere benachteiligt werden soll“; s ferner die Wortmeldung des Abgeordneten Böhm im Zuge der Debatte des Art 7 Abs 2 B-VG im Bundesrat: StenProtBR 20. GP 640. Sitzung 83, s dann aber auch die Abschwächung aaO 86. 288 S Flossmann, Grundrechtsverständnis 216 f. 289 S Flossmann, Grundrechtsverständnis 217. 290 Flossmann, Grundrechtsverständnis 218. 291 Flossmann, Grundrechtsverständnis 218.
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fassenden Abbau der Benachteiligung von Frauen zu verpflichten292. Im Zuge der Beratungen dieses Volksbegehrens legte der Gleichbehandlungsausschuss dem Nationalrat einen Selbständigen Antrag vor293, demzufolge in Art 7 B-VG ein neuer zweiter Absatz mit folgendem Wortlaut eingefügt werden sollte: „Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten sind zulässig.“
Die vorgeschlagene Änderung des Art 7 B-VG wurde sodann vom Nationalrat beschlossen und im BGBl I 1998/68 kundgemacht. Betrachtet man die Genese des Art 7 Abs 2 B-VG, so zeigt sich zunächst, dass die jeweils vorgeschlagene Verpflichtung zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter hinsichtlich ihrer Reichweite und Durchschlagskraft schrittweise zurückgegangen ist. Wurde zunächst noch die Herstellung einer gleichberechtigten Partizipation von Frauen insbesondere durch Quotierung zugesagt und festgestellt, dass Sondermaßnahmen zur Herbeiführung der beschleunigten De-Facto-Gleichberechtigung nicht als „Vorrechte“ gelten, so „bekennen“ sich die Gebietskörperschaften im schlussendlich angenommenen Art 7 Abs 2 B-VG nur mehr zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Daraus folgt zunächst, dass der Verfassungsgesetzgeber durch diese Bestimmung gerade kein subjektives Recht einräumen, sondern die Gebietskörperschaften nur durch eine objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung auf eine derartige Gleichstellung verpflichten wollte294. Die in VfSlg 11.774/1988 getroffene Feststellung, es sei „gerade die Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, ob – und gegebenenfalls wie – er die Angleichung der (tatsächlichen) Lebensverhältnisse von Frauen und Männern für die Zukunft vorantreibt“295, trifft also seit dem Inkrafttreten des Art 7 Abs 2 B-VG idF BGBl I 1998/68 in dieser Form nicht mehr zu296. Ob der Gesetzgeber Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter ergreift, ist durch Art 7 Abs 2 B-VG seiner Entscheidungsfreiheit entzogen; welche Maßnahmen er einsetzt, liegt hingegen nach wie vor in seinem Gestaltungsspielraum. ____________________
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716 BlgNR 20. GP 1; s auch Flossmann, Grundrechtsverständnis 219. AB 1114 BlgNR 20. GP 1. 294 S auch Berka, Grundrechte Rz 959; dens, Art 7 B-VG Rz 89; Somek, Rationalität 125; Kucsko-Stadlmayer/Kuras, Art 141 EGV Rz 163; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 783. Allgemein zu Funktion und Wesen der Staatsziele zB Weber, FS 75 Jahre Bundesverfassung 709 ff; Berka, Grundrechte Rz 1044 ff. 295 S ferner VfSlg 13.661/1993, wonach der Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet sei, auf „eine Änderung der tatsächlichen Gepflogenheiten“ hinzuwirken. 296 S auch Somek, Rationalität 125. 293
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Um eine faktische Gleichstellung von Mann und Frau zu erreichen, genügt die – bereits durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG garantierte – Rechtsgleichheit der Geschlechter nicht. Aufgrund der Unterschiede, die zwischen Männern und Frauen in gesellschaftlicher Hinsicht bestehen, kann dafür vielmehr auch eine rechtliche Ungleichbehandlung erforderlich werden297. Fraglich ist allerdings, wie weit der Gesetzgeber dabei gehen darf, insbesondere, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen ihm auch Quotenregelungen erlaubt sind298. Dass Art 7 Abs 2 Satz 2 B-VG „Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten“ für zulässig erklärt, ist für diese Frage isoliert betrachtet wenig aufschlussreich; ebenso die Feststellung des Ausschussantrages, „daß ____________________
297 S auch Berka, Grundrechte Rz 958, nach dem sich die Benachteiligungen, denen Frauen im wirtschaftlichen, politischen und sozialen Leben ausgesetzt sind, in den Kategorien der rechtlichen Gleichheit nur beschränkt erfassen lassen; s auch Kucsko-Stadlmayer, RZ 1999, 106, sowie allgemein Alexy, Grundrechte 378: „Wer faktische Gleichheit herstellen will, muß rechtliche Ungleichheit in Kauf nehmen.“ 298 Ein Teil der Literatur hat Ansätze für die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen schon in der Judikatur des VfGH gesehen; so etwa im Witwerpensionserkenntnis VfSlg 8871/ 1980, nach dem „nur solche Ungleichbehandlungen (vorübergehend) sachlich sein [können], die wenigstens in der Richtung eines Abbaus der Unterschiede wirken würden“ (s etwa M. Berger, EuGRZ 1983, 620; Ch. Pesendorfer, ecolex 1992, 601; KucskoStadlmayer, JRP 1997, 39; s aber auch die Einwände Rebhahns, JBl 1993, 693 FN 66). Zum Teil wurde auch vorgeschlagen, die Entscheidung VfSlg 9224/1981 für die faktische Gleichstellung der Frau nutzbar zu machen (etwa von M. Berger, EuGRZ 1983, 620; s auch Ulrich, juridikum 2001, 175). Der VfGH hat in diesem Erkenntnis aus der Wertentscheidung der Verfassung zugunsten der Minderheiten abgeleitet, dass es „je nach dem Regelungsgegenstand [...] der Schutz von Angehörigen einer Minderheit gegenüber Angehörigen anderer gesellschaftlicher Gruppen sachlich rechtfertigen oder sogar erfordern [kann], die Minderheit in gewissen Belangen zu bevorzugen.“ Ebenso wie der Verfassung eine Wertentscheidung zugunsten der Minderheiten zu entnehmen sei, enthalte sie, so die zitierte Literatur, in Art 1 bis 4 der Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau auch eine Wertentscheidung zugunsten der Gleichberechtigung der Geschlechter. Lege man das Erkenntnis VfSlg 9224/1981 auf die Situation von Frauen um, so seien positive Maßnahmen zu ihren Gunsten geboten, weil sich Frauen in vielen Bereichen noch immer in der Minderheit befänden. Rebhahn, JBl 1993, 694, hat gegen diese Argumentation mE zu Recht eingewendet, dass Frauen – gerade anders als ethnische Minderheiten – als Gruppe theoretisch die Möglichkeit und die Chance haben, ihre Interessen politisch wirksam zu vertreten und auch durchzusetzen oder sogar die Mehrheit im Parlament zu erringen. Dass Frauen nur gesellschaftlich eine Mehrheit, in der Politik aber eine Minderheit bilden, trifft zwar zu (Bauböck, Gleichheit 37), unterscheidet sie aber dennoch maßgeblich von jenen „echten“ Minderheiten, die sich bereits zahlenmäßig in einer unterlegenen Position befinden (so im Ergebnis auch Urlesberger, ZAS 1998, 36). Dass der VfGH Ungleichbehandlungen nach dem Geschlecht zum Ausgleich geschlechtsspezifischer Unterschiede gleichwohl nicht grundsätzlich für unzulässig hält, kommt allerdings im Pensionsalterserkenntnis VfSlg 12.568/1990 zum Ausdruck – freilich mit der Einschränkung, dass Regelungen, die Frauen bevorzugen, ein taugliches und angemessenes Mittel zur Kompensation der noch immer bestehenden Doppelbelastung sein müssen; s auch KucskoStadlmayer, JRP 1997, 39.
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durch diese Novelle – entgegen den Bedenken im Begutachtungsverfahren – der Gleichheitsgrundsatz keineswegs durchbrochen werden soll. Selbstverständlich ist eine unsachliche Diskriminierung von Männern weiterhin genauso verboten wie eine unsachliche Diskriminierung von Frauen, doch besteht kein Zweifel, daß angesichts der tatsächlichen Schlechterstellung von Frauen deren Förderung mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist.“299 Ob und inwieweit Quotenregelungen Männer diskriminieren, bleibt dabei zunächst offen. Im Plenum des Nationalrates wurde die Formulierung des Art 7 Abs 2 B-VG dann auch kritisiert: So monierte der Abgeordnete Böhmdorfer ua, der Ausdruck „Maßnahmen“ sei unbestimmt und „aufladbar mit allen möglichen Dingen“. Entnehme man ihm, dass Quotenregelungen geboten seien, so widerspreche dieser „kollektive Gleichheitssatz dem bisher individuellen Gleichheitsgrundsatz. Denn es könnte der Fall eintreten, daß man unter Bewerbern beider Geschlechter, verteilt auf mehrere Personen, einen bevorzugt, um eine Quote auszufüllen, und den Besserqualifizierten, weil er nicht in die Quote fällt, nicht in Betracht zieht, was in diesem speziellen Fall gleichheitswidrig ist. Und wer sich zu unseren Grund- und Freiheitsrechten als individuelle Rechte und nicht als kollektive Rechte bekennt, der müsste dafür ein besonders geschärftes Auge haben!“300 Die Abgeordnete Fekter verteidigte die Formulierung des Art 7 Abs 2 B-VG: Sie sei „zu rechtfertigen, auch durch ein klares EU-Recht. Sie lehnt sich an die Gleichbehandlungsrichtlinie an. Unser Vorschlag war, diese Gleichbehandlungsrichtlinie in die Verfassung mit aufzunehmen. Von sozialdemokratischer Seite wurde dann der Wunsch geäußert, die Formulierung aufzunehmen, daß sich Bund, Länder und Gemeinden zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau bekennen“301. Mit der angesprochenen Richtlinie war offensichtlich die RL 76/207/ EWG gemeint302, die nach Art 1 Abs 1 die Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung, hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der sozialen Sicherheit verwirklichen will. Art 2 Abs 4 dieser Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten zu diesem Zweck auch „Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Arti____________________
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AB 1114 BlgNR 20. GP 1. StenProtNR 20. GP 116. Sitzung 203. 301 StenProtNR 20. GP 116. Sitzung 207. 302 RL 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl 1976 L 39/40. 300
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kel 1 Absatz 1 genannten Bereichen beeinträchtigen“303. Quotenregelungen sind geradezu der klassische Anwendungsfall solcher Maßnahmen. Wenn Art 7 Abs 2 Satz 2 B-VG die in Art 2 Abs 4 der RL 76/207/EWG gebrauchte Formulierung weitgehend wörtlich übernimmt, dann kann dies wohl nur so verstanden werden, dass er auch zur Erlassung von Quotenregelungen ermächtigt; dies jedenfalls, soweit derartige Regelungen auch gemeinschaftsrechtlich erlaubt sind304. Dementsprechend verweist auch der Ausschussantrag zu Art 7 Abs 2 B-VG auf die Entscheidung des EuGH im Fall Kalanke, in der – für die Öffentlichkeit durchaus überraschend – eine leistungsabhängige Quotenregelung als gemeinschaftswidrig beurteilt wurde, weil sie Frauen „automatisch“ den Vorrang vor Männern eingeräumt habe305. Manche Formulierungen dieser Entscheidung erweckten sogar den Eindruck, der EuGH halte Quotenregelungen schon dem Grunde nach für gemeinschaftswidrig306. Im Zeitpunkt der Beratung des Art 7 Abs 2 B-VG waren diese Zweifel aber durch das Urteil des EuGH im Fall Marschall weitgehend ausgeräumt307: Der EuGH beurteilte darin eine leistungsabhängige Quotenregelung, die eine Berücksichtigung überwiegender Interessen des männlichen Bewerbers im Einzelfall ermöglichte, als gemeinschaftsrechtskonform. Der Ausschussantrag zu Art 7 Abs 2 B-VG nimmt nun ausdrücklich auf ____________________
303 Seit dem Vertrag von Amsterdam ermächtigt Art 141 Abs 4 EGV die Mitgliedstaaten, spezifische Begünstigungen beizubehalten oder zu beschließen, um die Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts zu erleichtern oder Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn zu verhindern oder auszugleichen; eine Beschränkung auf die Förderung der Chancengleichheit ist in Art 141 Abs 4 EGV nicht mehr vorgesehen. Diese primärrechtliche Ermächtigung hat Art 2 Abs 4 der RL 76/207/EWG überflüssig gemacht; der mit RL 2002/73/EG, ABl 2002 L 269/15, neu eingefügte Art 2 Abs 8 RL 76/207/EWG sieht nunmehr vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen iSd Art 141 Abs 4 EGV beibehalten und beschließen können; s näher E. Sturm, DRdA 2003, 83 ff; ferner Kucsko-Stadlmayer/Kuras, Art 141 EGV Rz 119 ff, 144 ff; s auch die – noch nicht umgesetzte – RL 2004/ 113/EG, ABl 2004 L 373/37, die eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen nun auch beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen verlangt. 304 Im Ergebnis ebenso Kucsko-Stadlmayer, RZ 1999, 109, nach der Art 7 Abs 2 B-VG gemeinschaftskonform auszulegen sei, um einen Konflikt mit dem auch für Männer geltenden Diskriminierungsverbot des Art 141 Abs 1 EGV zu vermeiden; Dies/Kuras, Art 141 EGV Rz 153, wonach Art 7 Abs 2 B-VG eine ausreichende verfassungsrechtliche Basis für alle nach Art 141 Abs 4 EGV zulässigen Maßnahmen liefert. AA wohl Berka, Grundrechte Rz 961; ders, Art 7 B-VG Rz 91, nach dem der Gleichbehandlungsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts im Lichte der Judikatur des EuGH „unter Umständen noch engere Zulässigkeitsgrenzen“ als das nationale Verfassungsrecht statuiert. 305 EuGH Rs C-450/93, Kalanke, Slg 1995, I-3051. 306 S zB Suhr, EuGRZ 1998, 123 mwN in FN 23, sowie noch unten E.I.4.f. 307 EuGH Rs C-409/95, Marschall, Slg 1997, I-6363 = EuGRZ 1997, 563; s auch die Folgeentscheidungen EuGH Rs C-158/97, Badeck, Slg 2000, I-1875; Rs C-407/98, Abrahamsson, Slg 2000, I-5539; s zu dieser Judikatur zB Pirstner, DRdA 1997, 461 ff; Dies, Dimensionen 212 f; Suhr, EuGRZ 1998, 121 ff; Kucsko-Stadlmayer, RZ 1999, 106 ff.
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die Entscheidung Kalanke Bezug und stellt fest, der EuGH habe die „automatische“ Bevorzugung von Frauen zwar für richtlinienwidrig erklärt, gleichzeitig aber auch betont, dass Maßnahmen zur Förderung von Frauen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind308. Damit waren wohl nicht nur von Quotenregelungen verschiedene Maßnahmen gemeint; denn dass dem Ausschuss die Entscheidung im Fall Marschall und die darin genannten Voraussetzungen zulässiger Quotenregelungen bekannt waren, kann schon deshalb vorausgesetzt werden, weil er sich – wie die Beratung im Plenum zeigt – ja ganz bewusst an Art 2 Abs 4 der Gleichbehandlungsrichtlinie anlehnt, nach dem der EuGH Quotenregelungen auf ihre Zulässigkeit geprüft hat309. Die Sorge des Abgeordneten Böhmdorfer, Art 7 Abs 2 B-VG könnte die Erlassung leistungsunabhängiger Quotenregelungen gar gebieten, war vor diesem Hintergrund und auch sonst unbegründet. Schon der Wortlaut des Art 7 Abs 2 Satz 2 B-VG spricht gegen diese Annahme: Er erklärt die dort näher umschriebenen Maßnahmen ja nur für zulässig; Gleiches gilt auch für Art 2 Abs 4 der RL 76/207/EWG, der nur bestimmt, dass die Richtlinie solchen Maßnahmen nicht entgegensteht. Eine Pflicht, sie zu ergreifen, ergibt sich daraus nicht310. Dass Quotenregelungen, selbst wenn sie erlassen werden, Frauen nicht unabhängig von ihrer Leistung bevorzugen dürfen, war im Übrigen schon durch Sonderverfassungsbestimmungen klargestellt, die vor dem Inkrafttreten des Art 7 Abs 2 B-VG erlassen wurden, um gleichheitsrechtliche Bedenken gegen Quotenregelungen im Universitätsbereich auszuräumen: Diesen Vorschriften zufolge sollten vorübergehende Sondermaßnahmen zur beschleunigten Herbeiführung der De-facto-Gleichberechtigung von Mann und Frau iSd Art 4 der Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau „nicht als Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 B-VG [gelten]“311. Den Materialien zufolge sollten diese Maßnahmen kein „frauen____________________
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AB 1114 BlgNR 20. GP 1. Auch Berka, Grundrechte Rz 960; ders, Art 7 B-VG Rz 90, nimmt an, dass man in Art 7 Abs 2 Satz 2 B-VG – allerdings „[v]or dem Hintergrund der rechtspolitischen Diskussion“ – „eine Aussage zur Zulässigkeit von Maßnahmen der ‚positiven Diskriminierung‘ “ sehen müsse (im Original mit Hervorhebungen); Kucsko-Stadlmayer, RZ 1999, 106, qualifiziert Art 7 Abs 2 B-VG als Absicherung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit positiver Maßnahmen; Ulrich, juridikum 2001, 175, deutet Art 7 Abs 2 Satz 2 B-VG als „Klarstellung der Zulässigkeit von vorübergehenden Sondermaßnahmen zur Herstellung faktischer Gleichberechtigung“. 310 Auch Art 141 Abs 4 EGV, der Art 2 Abs 4 der RL 76/207/EWG abgelöst hat (s oben FN 303), ist eine solche Pflicht nicht zu entnehmen; s auch Kucsko-Stadlmayer/Kuras, Art 141 EGV Rz 152, wonach diese Bestimmung die Mitgliedstaaten nicht zu bestimmten positiven Aktionen verpflichtet. 311 S § 106a Abs 2 UOG 1975, BGBl 1975/258 idF BGBl 1990/364, § 39 Abs 2 UOG 1993, BGBl 1993/805, § 25a Abs 2 Akademie-OrganisationsG, BGBl 1988/25 idF BGBl
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privilegierender Verzicht auf fachliche Qualifikation“ sein, sie sollten insbesondere keine „qualifikationsunabhängige[n] Quoten“ ermöglichen312. Der Verfassungsgesetzgeber hat dies fünf Jahre später, nämlich bei der Aufnahme des Art 7 Abs 2 in das B-VG wohl nicht plötzlich anders gesehen. Auch aus der Judikatur des EuGH geht deutlich hervor, dass eine Bevorzugung von Frauen unabhängig von ihrer Qualifikation mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar ist313. Art 7 Abs 2 B-VG lassen sich unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte demnach jedenfalls drei Aussagen entnehmen: Der Verfassungsgesetzgeber wollte durch diese Bestimmung erstens klarstellen, dass der Gleichheitssatz angesichts der tatsächlichen Schlechterstellung von Frauen Maßnahmen zu deren Förderung, darunter auch Quotenregelungen mit Öffnungsklausel zulässt. Er wollte den einfachen Gesetzgeber deshalb aber zweitens nicht von der Beachtung des Art 7 Abs 1 B-VG entbinden: Eine unsachliche Diskriminierung von Männern ist, wie es in den Materialien heißt, weiterhin genauso verboten wie eine unsachliche Diskriminierung von Frauen314. Mit Art 7 Abs 1 B-VG unvereinbar sind drittens leistungsunabhängige Quoten: Der Verfassungsgesetzgeber sah sie bereits 1993 als eine Privilegierung von Frauen an; dass er seine Meinung in dieser Hinsicht bei der Erlassung des Art 7 Abs 2 B-VG geändert hat, geht aus den Materialien zu dieser Bestimmung nicht hervor. Jenseits des Art 7 Abs 2 B-VG ist nun freilich auch von allgemeinem Interesse, ob diese Vorschrift Art 7 Abs 1 B-VG ändert oder ob sie seinen Inhalt nur klarstellt. Die punktuellen Vorläuferbestimmungen zu Art 7 Abs 2 Satz 2 B-VG im Hochschulbereich wurde in dieser Hinsicht unterschiedlich gedeutet: Zum Teil wurde angenommen, diese Bestimmungen hätten in erster Linie den Schutzgehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes klargestellt bzw diesen authentisch interpretiert315. Andere vertraten die Ansicht, der Verfassungsgesetzgeber habe in diesen Vorschriften indirekt zum Ausdruck gebracht, dass die erwähnten Sondermaßnahmen an sich dem Gleichheitsgrundsatz widersprächen316. ____________________
1993/250 und § 14b Abs 2 Kunsthochschul-OrganisationsG, BGBl 1970/54 idF BGBl 1993/251 (Hervorhebung nicht im Original). Die genannten Bestimmungen sind durch Art 7 Abs 2 B-VG entbehrlich gemacht worden, s § 78 Abs 5 des Bundesgesetzes über die Organisation der Universitäten der Künste, BGBl I 1998/130, sowie § 2 Abs 3 Z 6 1. BVRGB und die Erl zur RV 314 BlgNR 23. GP 15. 312 RV 1125 BlgNR 18. GP 57 zu § 39 Abs 2 UOG 1993. 313 EuGH Rs C-407/98, Abrahamsson, Slg 2000, I-5539, Rz 55. 314 AB 1114 BlgNR 20. GP 1. 315 So zB Siegmund-Ulrich, ÖZP 1994, 158; Ulrich, juridikum 2001, 175. 316 Öhlinger, Verfassungsrecht 2 272 FN 47. Thienel, Berufungsverfahren 69 ff, war der Ansicht, die genannten Vorschriften würden Quotenregelungen überhaupt nicht decken; dass in den Materialien ausdrücklich betont wird, diese Bestimmungen seien nicht
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In dieser Hinsicht ist zunächst zu klären, ob Quotenregelungen bloß ein Problem des allgemeinen Gleichheitssatzes oder ob sie am strengen Maßstab des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zu prüfen sind. Für die zweite Auffassung spricht, dass nach den Materialien „eine unsachliche Diskriminierung von Männern weiterhin genauso verboten [ist] wie eine unsachliche Diskriminierung von Frauen“317. Der Verfassungsgesetzgeber ist also offenbar der Ansicht, dass es keinen Unterschied macht, ob Frauen benachteiligt werden oder Männer, dass also an beide Formen der Benachteiligung dasselbe Maß anzulegen ist. Dies entspricht auch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, der nicht nur Vorrechte des Mannes, sondern Vorrechte aufgrund des Geschlechts an sich ausschließt. Dass Quotenregelungen nach dem Geschlecht differenzieren und Männer benachteiligen, ist nun unstreitig. Dass sie in das durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gewährte Recht auch eingreifen, kann mE noch nicht mit dem Argument verneint werden, sie seien von vornherein keinem Diskriminierungsverdacht ausgesetzt318 oder enthielten kein geschlechtsspezifisches Unwerturteil319. Für die Eingriffsqualität ist nach der hier vertretenen Deutung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG allein entscheidend, ob eine Maßnahme ein Geschlecht aus Gründen benachteiligt, die mit dem Geschlecht nichts zu tun haben. Soweit das der Fall ist, muss ein Eingriff bejaht und seine Rechtfertigung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprüft werden; ist das nicht der Fall, so genügt eine Prüfung nach dem allgemeinen Gleichheitssatz. Quotenregelungen werden heute im Wesentlichen auf zwei Gründe gestützt320, zum einen auf die Annahme, die in der Gesellschaft noch immer herrschenden Vorurteile gegen Frauen hätten zur Folge, dass ihnen selbst bei gleicher Qualifikation tendenziell männliche Bewerber vorgezogen werden: Die Quotenregelung schaffe zu dieser Tendenz ein Gegengewicht. Zum zweiten werden diese Regelungen – zukunftsbezogen – als ein Mittel betrachtet, um das Vorurteil zu überwinden, Frauen seien für bestimmte Tätigkeiten nicht geeignet: Dieses Vorurteil werde genährt ____________________
als frauenprivilegierender Verzicht auf fachliche Qualifikation anzusehen und bedeuteten „nicht das Festlegen starrer, qualifikationsunabhängiger Quoten“ verschlage nichts. 317 AB 1114 BlgNR 20. GP 1 (Hervorhebung nicht im Original). 318 AA wohl Sporrer, Gleichheit 936 FN 132, nach der Frauenförderungsmaßnahmen keinem strengen Prüfungsmaßstab zu unterstellen seien, weil eine besondere gleichheitsrechtliche Gefährdungslage im Gegensatz zur klassischen Form der Diskriminierung nicht gegeben sei. Dem ist für Maßnahmen, die nicht nach dem Geschlecht differenzieren, zuzustimmen, allerdings nur für sie. In allen anderen Fällen dürfte es eine Frage der Betroffenheit sein, ob man eine gleichheitsrechtliche Gefährdungslage annimmt. 319 So zunächst Huster, Rechte 327, s aber noch FN 322. 320 Das Argument, die Quotenregelung kompensiere Benachteiligungen, denen Frauen in der Vergangenheit ausgesetzt waren, wird aus guten Gründen nicht mehr ins Treffen geführt, s dazu Huster, Rechte 326 ff; Holzleithner, JRP 1995, 85 f; Thienel, Berufungsverfahren 48, 57 ff; s auch Sacksofsky, Gleichberechtigung 266 ff.
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durch die Unterrepräsentanz von Frauen in eben diesen Tätigkeiten; die erhöhte Präsenz von Frauen erleichtere es daher, dieses Vorurteil zu widerlegen. Zudem könnten Frauen in solchen Positionen auch als Identifikationsfigur für andere Frauen dienen321. Das erste Argument beruht auf einer Durchschnittsbetrachtung: Gesellschaftliche Vorurteile gegen Frauen mögen wohl oft dazu führen, dass ihnen selbst bei gleicher Qualifikation ein männlicher Bewerber vorgezogen wird; zwingend ist dies allerdings nicht. Auf die konkrete Frau und den konkreten Mann, die sich als gleich qualifizierte Bewerber um eine Stelle gegenüberstehen, muss also der erste Grund, auf den Quotenregelungen gestützt werden, nicht zutreffen. Die Durchschnittsbetrachtung dient hier allerdings (anders als etwa bei der Witwerpension und beim ungleichen Pensionsalter) nicht dem Zweck, der Vollziehung die Feststellung der Umstände des Einzelfalles zu ersparen; sie beruht vielmehr darauf, dass eine solche Feststellung hier so gut wie unmöglich ist: Dass ein konkreter Arbeitgeber Vorurteile gegen Frauen hat, wird sich kaum je nachweisen lassen; denn wenn er sie hat, wird er sie gewiss nicht offen legen. Soweit Quotenregelungen auf das erste Argument gestützt werden, knüpfen sie also an das Geschlecht an, um einer Beweisnot zu entgehen. Das ist ein externer Grund; mit dem Geschlecht des konkreten Bewerbers hat er nichts zu tun. Gleiches gilt noch deutlicher für das zweite Argument, das für Quotenregelungen ins Treffen geführt wird: Das Ziel, Vorurteile gegen Frauen abzubauen, ist rein kollektiver Natur; es ist für die Gesellschaft von Nutzen, steht aber mit den individuellen Eigenschaften des konkreten Bewerbers nicht in Zusammenhang. Die Gründe, auf die Quotenregelungen gestützt werden, sind also aus der Sicht des Bewerbers extern. Seine Benachteiligung ist nur ein Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Quotenregelungen greifen daher in sein Recht ein, nicht aufgrund des Geschlechts benachteiligt zu werden; dass sie dem Ziel der faktischen Gleichstellung von Mann und Frau dienen, ändert daran nichts322. ____________________
321 S mwN Huster, Rechte 333 ff; Holzleithner, JRP 1995, 86 ff; Sporrer, DRdA 1995, 444 f; Thienel, Berufungsverfahren 54 f; Kucsko-Stadlmayer/Kuras, Art 141 EGV Rz 148, 193. 322 S auch Rebhahn, JBl 1993, 693, der hier eine Prüfung am Maßstab des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ohne weiteres bejaht; Berka, Grundrechte Rz 893; dens, Art 7 B-VG Rz 19, der annimmt, dass Quotenregelungen dem Prinzip der Rechtsgleichheit widersprechen, auch wenn man darin einen gerechtfertigten Ausgleich für außerrechtliche Nachteile der bevorzugten Gruppe sehen kann; ihm wohl folgend Pernthaler, Bundesstaatsrecht 699. Von einer Normenkollision geht für die vergleichbaren Bestimmungen des Art 3 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 GG auch Osterloh, Art 3 GG Rz 266, aus. Anders Huster, Rechte 330, der zwar annimmt, dass die Quotenregelung eine Ungleichbehandlung vornimmt, die „eigentlich“ nicht gerechtfertigt ist. Sie greife aber (bei leistungsabhängigen Quotenregelungen) nur in das allgemeine Recht des Mannes auf gleiche individuelle Berücksichti-
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Dieser Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn er zur Erreichung eines schwerwiegenden Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist323. Dass das Ziel, Vorurteilen gegen Frauen in der konkreten Bewerbungssituation gegenzusteuern und derartige Vorurteile auch für die Zukunft abzubauen, schwer wiegt, ergibt sich aus Art 7 Abs 2 B-VG, der die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau zu einem Staatsziel erklärt324. Zur Erreichung dieser Ziele sind Quotenregelungen geeignet325. Ob sie auch das gelindeste Mittel zur Zielerreichung sind, hängt von ihrer konkreten Ausgestaltung ab. Nicht erforderlich sind Quotenregelungen, ____________________
gung ein; der Anspruch, nicht wegen des Geschlechts benachteiligt zu werden, sei bloß eine negative Konkretisierung dieses Rechts. Jedenfalls auf Quoten, die bei gleicher Qualifikation den Vorrang der Frau vorsehen, sofern nicht Gründe in der Person des Bewerbers überwiegen, trifft dies mE nicht zu. Hier liegt nur ein Eingriff in den Anspruch vor, nicht wegen des Geschlechts benachteiligt zu werden. Denn das allgemeine Recht des Mannes auf gleiche individuelle Berücksichtigung kann ja nur bedeuten, dass er nach seinen für die Stelle maßgeblichen Fähigkeiten und Eigenschaften beurteilt wird. Gerade danach wurde er aber beurteilt, wenn der Vorrang der Frau erst bei gleicher Qualifikation einsetzt und wenn es zudem keine Gründe in der Person des Bewerbers gibt, die die Interessen der Frau überwiegen. In einer solchen Patt-Situation müsste es dem Arbeitgeber eigentlich freistehen, wem er die Stelle gibt. Er könnte nach Sympathie entscheiden, aber auch das Los werfen. Da es nun keine zwingenden Kriterien mehr gibt, also auch keine Kriterien, auf deren Berücksichtigung der männliche Bewerber ein Recht haben kann, ist sein Recht auf gleiche individuelle Berücksichtigung erfüllt. Das Recht, nicht aufgrund des Geschlechts benachteiligt zu werden, hat daneben einen eigenständigen Charakter. 323 Ähnlich Berka, Grundrechte Rz 958, 960; ders, Art 7 B-VG Rz 88, 90, der feststellt, dass positiven Maßnahmen das Gebot zur rechtlichen Gleichbehandlung entgegengehalten werden könnte; Frauenförderung sei zwar ein legitimes Ziel staatlichen Handelns, dürfe aber wie jeder legitime Zweck nur mit verhältnismäßigen Maßnahmen verfolgt werden; ebenso Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 783, nach dem positive Maßnahmen zu Lasten von Männern insoweit zulässig sind, „als sie einer Beseitigung tatsächlicher Benachteiligung von Frauen förderlich und verhältnismäßig sind.“ 324 Da Art 7 Abs 2 B-VG dem Gesetzgeber die Herstellung faktischer Gleichheit von Mann und Frau nur zur Aufgabe macht, ohne die Erfüllung dieser Aufgabe für einklagbar zu erklären, muss angenommen werden, dass Frauen oder Männern „als Gruppe“ keine Rechte zukommen. Ausgangspunkt der Überlegung, ob und inwieweit positive Maßnahmen zulässig sind, bleibt daher einerseits Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, der das Individuum berechtigt. Die Ermächtigung des Art 7 Abs 2 Satz 2 B-VG verbietet aber andererseits die Annahme, dass die einfachgesetzliche Einräumung eines „Gruppenrechtes“ von vornherein unzulässig ist. Individuelle und kollektive Interessen sind daher im Einzelfall zu einem Ausgleich zu bringen. S zu den unterschiedlichen Positionen, mit denen Gruppenrechte allgemein postuliert oder angegriffen werden, Marko, Autonomie 172 ff. 325 Thienel, Berufungsverfahren 59, verneint dies mit dem Argument, die Quotenregelung sei zwar „geeignet, Diskriminierungen aufgrund überkommener Rollenvorstellungen im Einzelfall zu verhindern, weil ein Ausweichen auf (unbewußte) diskriminierende Denkweisen ausgeschlossen ist – dies aber nur, solange die Quote nicht erreicht ist! “ (Hervorhebungen im Original). Dieses Argument spricht offensichtlich nicht gegen die Eignung der Quote, sondern gesteht diese Eignung gerade zu; ob auch nach Erreichung der Quote Maßnahmen gesetzt werden, um bewussten oder unbewussten Diskriminierungen gegenzusteuern, ist eine rechtspolitische Frage. Ihrem Konzept nach müsste eine Quote dann freilich überflüssig sein, weil durch die verstärkte Präsenz von Frauen gerade die gegen sie bestehenden Vorurteile abgebaut sein sollten.
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die Frauen unabhängig von ihrer Qualifikation den Vorrang einräumen, also auch dann, wenn sie nicht gleich qualifiziert sind wie der beste männliche Bewerber326. Ein solcher Vorrang würde das Ziel der Quotenregelung mE sogar gefährden; denn der bevorzugten Frau haftete dann der Makel an, nicht qualifiziert zu sein, was das gesellschaftliche Vorurteil, Frauen seien für bestimmte Tätigkeiten nicht geeignet, ja eher befestigen als entkräften kann. Ob der automatische Vorrang gleich qualifizierter Frauen außer Verhältnis zu dem Recht des jeweiligen Mitbewerbers steht, nicht allein aufgrund seines Geschlechts benachteiligt zu werden, ist eine Wertungsfrage. Geht man hier wie auch sonst davon aus, dass Eingriffe in dieses Recht nur aus zwingenden Gründen gerechtfertigt sind, muss die Verhältnismäßigkeit ieS wohl verneint werden. Denn das Ziel, Vorurteile gegen Frauen abzubauen, wiegt zwar schwer; zwingend ist es aber nicht oder doch nicht in jedem Fall: Für den Vorrang des männlichen Mitbewerbers können im Einzelfall durchaus triftige Gründe sprechen, etwa, dass er ein alleinerziehender Vater, ein Langzeitarbeitsloser oder körperlich behindert ist: Dann ist nicht unbedingt einzusehen und sicher nicht zwingend, dass seine Interessen hinter das kollektive Ziel, Vorurteile gegen Frauen abzubauen, zurücktreten muss. Diesen Interessen kann allerdings durch eine Öffnungsklausel Rechnung getragen werden. Wird der Vorrang der Frau immer dann ausgeschlossen, wenn in der Person des männlichen Bewerbers liegende (nicht geschlechtsspezifische) Gründe überwiegen, so wird der Eingriff in seine Rechte auf das geringst mögliche Maß reduziert. Er besteht nur mehr dort, wo der konkrete Bewerber keine überwiegenden Gründe für sich anführen kann: Dann gibt bei gleicher Qualifikation das Geschlecht den Ausschlag. Beseitigt wird also nur die Chance des männlichen Bewerbers, dass in einer Patt-Situation der Zufall zu seinen Gunsten ausschlägt327. Auch solcherart reduziert hat der Eingriff in sein ____________________
326 So wohl auch Rebhahn, JBl 1993, 695; der EuGH ist in dieser Hinsicht etwas weniger streng, er sieht es auch als gemeinschaftsrechtskonform an, einen Bewerber des unterrepräsentierten Geschlechts vorzuziehen, wenn die Verdienste der Bewerber gleichwertig oder fast gleichwertig sind: EuGH Rs C-407/98, Abrahamsson, Slg 2000, I-5539, s auch Pirstner, DRdA 2000, 549 ff. 327 Thienel, Berufungsverfahren 61 f, zieht eine solche Öffnungsklausel nicht in Erwägung, sondern verneint die Erforderlichkeit von Quotenregelungen generell, dies mit dem Argument, ein Schutz vor Diskriminierungen sei auch durch die rechtliche Bekämpfbarkeit der Auswahlentscheidung möglich; zudem seien mittlerweile auf fast allen Ebenen der Berufswelt Frauen tätig: Dass sie als Identifikationsfiguren für andere Frauen wirken, lasse sich auch durch allgemeine Informationskampagnen und durch die Bekanntmachung ihrer Leistungen erreichen. Das erste Argument hat einiges für sich, das zweite Argument überzeugt mE nicht. Es geht von der Annahme aus, dass „die Schaffung eines ‚Leitbildes‘ und von ‚Rollenvorbildern‘ in keiner Weise davon abhängt, wie hoch der Frauenanteil in bestimmten Funktionen ist“ (aaO 62). Die Realität widerlegt diese Annahme. Vereinzelt hat es immer wieder Frauen gegeben, die durch exzellente Leistungen in klassisch-männlichen Berufen bekannt geworden sind. Das hat aber offensichtlich nichts bewirkt, weil diese
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durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG garantiertes Recht freilich noch immer Gewicht. Dieses Gewicht gegen das Ziel der Quotenregelung unparteilich abzuwägen, wird Männern naturgemäß ebenso schwer fallen wie Frauen. Im Hinblick auf das in Art 7 Abs 2 Satz 1 B-VG statuierte Staatsziel, eine faktische Gleichstellung von Mann und Frau herbeizuführen, steht dieser Eingriff aber mE nicht außer Verhältnis zu dem Ziel, Vorurteile gegen Frauen abzubauen. f. Einfluss des Gemeinschaftsrechts Die aus Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG iVm Art 7 Abs 2 B-VG abgeleiteten Anforderungen decken sich im Ergebnis mit jenen Voraussetzungen, die auch der EuGH an die Zulässigkeit von Quotenregelungen stellt. Sein Urteil im Fall Kalanke hat die Literatur freilich noch vor einige Rätsel gestellt: Der EuGH meinte darin zum einen, es sei mit Art 2 Abs 1 und 4 der RL 76/207/EWG unvereinbar, gleich qualifizierten Frauen „automatisch“, also absolut und unbedingt den Vorrang einzuräumen328. Zum anderen hielt der EuGH in dieser Entscheidung fest, Art 2 Abs 4 der RL 76/207/EWG erlaube zwar die einseitige Förderung der Chancengleichheit, verbiete aber Regelungen, die auf eine Ergebnisgleichheit abzielen329. Die erste Feststellung scheint Quotenregelungen zu billigen, die durch eine Öffnungsklausel die Berücksichtigung der Interessen des gleich qualifizierten männlichen Mitbewerbers in jedem Einzelfall ermöglicht330. Das zugleich ausgesprochene Verbot, eine Ergebnisgleichheit anzupeilen, stellte hingegen nach manchen Autoren die Quotenregelung schon dem Grunde nach in Frage331. In der Zwischenzeit sind diese Auslegungsprobleme durch das Urteil des EuGH im Fall Marschall weitgehend geklärt332: In ____________________
Frauen einen „Exotenstatus“ hatten und schon deshalb als Identifikationsfiguren für viele Frauen nicht geeignet waren; sie bestätigten ja gerade durch ihre Seltenheit den Eindruck, dass es Frauen nur mit ganz außerordentlichen Fähigkeiten möglich ist, einen solchen Beruf auszuüben. Die Quotenregelung setzt hier an: Sie will allmählich einen Zustand herbeiführen, in dem es nicht mehr außergewöhnlich, sondern „normal“ ist, dass Frauen bestimmte, bis dahin männerdominierte Tätigkeiten ausüben. Dieses Ziel lässt sich nicht erreichen, wenn durch „Informationskampagnen“ auf die Leistungen einzelner Frauen hingewiesen wird. 328 EuGH Rs C-450/93, Kalanke, Slg 1995, I-3051, Rz 16, 22. 329 EuGH Rs C-450/93, Kalanke, Slg 1995, I-3051, Rz 23. 330 Fraglich war allerdings, warum der EuGH im konkreten Fall einen solchen Automatismus überhaupt angenommen hatte; das vorlegende Bundesarbeitsgericht hatte der entscheidungsgegenständlichen Regelung nämlich in verfassungskonformer Auslegung eine Härteklausel entnommen; s dazu näher und mwN Sacksofsky, Gleichberechtigung 407 ff; Suhr, EuGRZ 1998, 123; s auch Urlesberger, ZAS 1998, 33 ff. 331 S zB Suhr, EuGRZ 1998, 123 mwN in FN 23. 332 EuGH Rs C-409/95, Marschall, Slg 1997, I-6363 = EuGRZ 1997, 563; s auch die Folgeentscheidungen EuGH Rs C-158/97, Badeck, Slg 2000, I-1875; Rs C-407/98, Ab-
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dieser Entscheidung hatte der EuGH über die Anwendbarkeit einer leistungsberücksichtigenden Quotenregelung mit expliziter Öffnungsklausel zu befinden333. Diese Regelung sei, wie der EuGH zunächst festhielt, dann keine unmittelbare Diskriminierung iSd Art 2 Abs 1 RL 76/207/EWG, wenn sie eine Maßnahme zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen iSd Art 2 Abs 4 RL 76/207/EWG ist. Bezugnehmend auf den Fall Kalanke führt der EuGH weiter aus, dass eine Regelung, die gleich qualifizierten Frauen automatisch den Vorrang einräume, deren männliche Mitbewerber diskriminiere. Schließlich meint der EuGH, die ihm nunmehr vorgelegte Bestimmung enthalte eine Öffnungsklausel, die darauf zu prüfen sei, ob sie der Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen iSd Art 2 Abs 4 RL 76/207/EWG diene: Dieser erlaube Maßnahmen, die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, die aber tatsächlich in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen. Nationale Maßnahmen im Bereich des Zugangs zur Beschäftigung einschließlich des Aufstieges seien daher zulässig, wenn sie Frauen spezifisch begünstigen und ihre Fähigkeit verbessern sollen, auf dem Arbeitsmarkt mit anderen zu konkurrieren und unter gleichen Bedingungen wie Männer eine berufliche Laufbahn zu verwirklichen. Die geltenden Gleichbehandlungsvorschriften, die zur Stärkung der Rechte des Einzelnen erlassen wurden, reichten nicht aus, um alle faktischen Ungleichheiten zu beseitigen, wenn nicht gegen jene Benachteiligung der Frauen in der Arbeitswelt vorgegangen werde, die durch Einstellungen, Verhaltensmuster und Strukturen in der Gesellschaft verursacht werden. Selbst bei gleicher Qualifikation würden tendenziell männliche Bewerber vor weiblichen befördert; dies hänge vor allem mit einer Reihe von Vorurteilen und stereotypen Vorstellungen über die Rolle und die Fähigkeiten der Frau im Erwerbsleben und zB mit der Befürchtung zusammen, Frauen würden ihre Laufbahn häufiger unterbrechen, ihre Arbeitszeit aufgrund häuslicher und familiärer Aufgaben weniger flexibel gestalten oder sie fielen durch Schwangerschaften, Geburten und Stillzeiten häufiger aus. Dass zwei Bewerber unterschiedlichen Geschlechts gleich qualifiziert sind, bedeute daher nicht, dass sie auch gleiche Chancen haben. Art 2 Abs 4 RL 76/207/EWG lasse folglich Regelungen zu, die Frau____________________
rahamsson, Slg 2000, I-5539; Rs C-476/99, Lommers, Slg 2002, I-2891; Rs C-319/03, Briheche, Slg 2004, I-8807; s ferner Pirstner, DRdA 1997, 461 ff; Dies, Dimensionen 212 f; Suhr, EuGRZ 1998, 121 ff; Kucsko-Stadlmayer, RZ 1999, 106 ff; Dies/Kuras, Art 141 EGV Rz 146 ff, 193 ff mwN. 333 Vgl § 25 Abs 5 Satz 2 1. Halbsatz des nordrhein-westfälischen Beamtengesetzes: „Soweit im Bereich der für die Beförderung zuständigen Behörde im jeweiligen Beförderungsamt der Laufbahn weniger Frauen als Männer sind, sind Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu befördern, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen; […]“.
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en bei gleicher Qualifikation in Bereichen, in denen sie unterrepräsentiert sind, vorbehaltlich der Öffnungsklausel bevorzugt behandeln. Denn eine solche Regelung könne ein Gegengewicht zu den nachteiligen Auswirkungen schaffen, die sich für weibliche Bewerber aus den beschriebenen Einstellungen und Verhaltensmustern ergeben, sie verringere damit in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten. Da Art 2 Abs 4 leg cit eine Ausnahme von einem in der RL verankerten individuellen Recht darstelle, könne eine derart begünstigende Maßnahme den Frauen allerdings keinen absoluten und unbedingten Vorrang einräumen. Im Gegensatz zur Regelung im Fall Kalanke überschreite eine nationale Regelung, die – wie die nunmehr vorliegende – eine Öffnungsklausel enthält, diese Grenzen nicht, sofern sie gleich qualifizierten männlichen Bewerbern in jedem Einzelfall garantiert, dass ihre Bewerbung Gegenstand einer objektiven Beurteilung ist, bei der alle die Person des Bewerbers betreffenden Kriterien berücksichtigt werden und sofern der den weiblichen Bewerbern eingeräumte Vorrang entfällt, wenn eines oder mehrere dieser Kriterien zugunsten des männlichen Bewerbers überwiegen. Solche Kriterien dürfen allerdings gegenüber den weiblichen Bewerbern keine diskriminierende Wirkung haben334. Die Voraussetzungen, die der EuGH in dieser Entscheidung für die Zulässigkeit einer Quotenregelung aufstellt, stimmen mit den Grundsätzen überein, die nach dem hier vertretenen Verständnis auch für die Anwendung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gelten: Zunächst sieht wohl auch der EuGH in Quotenregelungen einen Eingriff in das individuelle Recht auf Gleichberechtigung, weil sie zur Erreichung eines externen Zieles nach dem Geschlecht unterscheiden, also an die Zugehörigkeit zu einer Gruppe anknüpfen335. Ein solcher Eingriff ist allerdings gerechtfertigt, ____________________
334 Wann derartige Kriterien für Frauen diskriminierende Wirkung haben, wird in der Entscheidung nicht näher ausgeführt; mit Kucsko-Stadlmayer, RZ 1999, 109 f, ist jedoch anzunehmen, dass neben unmittelbar diskriminierenden Kriterien (möglicher Ausfall wegen Schwangerschaft und Geburt, Befürchtung mangelnder Flexibilität aufgrund häuslicher und familiärer Aufgaben), auch scheinbar neutrale Kriterien ausgeschlossen sind, die Frauen mittelbar diskriminieren: Zu denken ist etwa an die Alleinverdienereigenschaft, an höheres Dienstalter, geringeres Lebensalter oder höhere Mobilität. Überwiegende Gründe in der Person des männlichen Bewerbers dürfen auch abschließend gesetzlich festgelegt werden (EuGH Rs C-158/97, Badeck, Slg 2000, I-1875, Rz 35: Wiedereinsteiger, beim jeweiligen Arbeitgeber bereits Teilzeitbeschäftigte, ehemalige Soldaten, Schwerbehinderte, Langzeitarbeitslose). 335 S etwa die Feststellung des EuGH, eine solche Regelung sei „dem Anschein nach diskriminierend“ (Rz 26); sie stelle eine „Ausnahme“ von einem in der RL verankerten individuellen Recht dar (Rz 32); s auch EuGH Rs C-476/99, Lommers, Slg 2002, I-2891, Rz 39, wonach bei Ausnahmen von einem Individualrecht wie dem Recht von Männern und Frauen auf Gleichbehandlung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Auch die Lehre geht zumindest implizit von einem Eingriff aus, wenn sie verlangt, dass Quotenregelungen verhältnismäßig sein müssen (s mwN Kucsko-Stadlmayer/Kuras,
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wenn er zur Erreichung des Ziels der Chancengleichheit geeignet und erforderlich ist: Beides ist zu bejahen, weil der Vorrang der Frau ein Gegengewicht schafft zu der – auf Vorurteilen und stereotypen Vorstellungen beruhenden (und durch die tatsächliche Unterrepräsentation belegbaren) – Tendenz, Frauen im Beruf den Nachrang einzuräumen. Zudem muss ein solcher Eingriff, um zulässig zu sein, auch sicherstellen, dass die Verwirklichung der Chancengleichheit der Frau die Interessen ihres Mitbewerbers nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt: Gerade das bewerkstelligt aber eine Öffnungsklausel, die eine objektive – also vorurteilsfreie – Beurteilung des Mitbewerbers nicht bloß als Mitglied einer Gruppe, sondern aufgrund aller seine Person betreffenden Kriterien ermöglicht und zulässt, dass diese Kriterien im Einzelfall gegen die Interessen der Frau abgewogen werden336. Unter diesen Bedingungen bleibt die Benachteiligung des Mannes erstens auf das geringst mögliche Maß beschränkt337, zweitens weicht auf diese Weise der „kollektivistische“ Ansatz der Quote fast vollständig einer Beurteilung der Umstände und Interessen der Bewerber im Einzelfall. Quotenregelungen, die diese Voraussetzungen erfüllen, greifen auch in das durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG garantierte Recht des Mannes ein, sie sind mit dieser Bestimmung aber vereinbar, zumal dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter durch Art 7 Abs 2 B-VG ein besonderes Gewicht verliehen worden ist. Fasst man Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG also als ein Prima-facie-Recht auf, das für Ungleichbehandlungen nach dem Geschlecht eine besondere Rechtfertigung verlangt, und nimmt man weiters an, dass Förderungsmaßnahmen durch Art 7 Abs 2 Satz 2 B-VG nicht von der Bindung an Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG freigestellt werden ____________________
Art 141 EGV Rz 157, 193). Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung kann nur vorgenommen werden, wenn zwei widerstreitende Interessen gegeneinander abzuwägen sind, von denen einem ein gewisses Schwellengewicht zukommt. Jedenfalls bei leistungsabhängigen Quotenregelungen mit Öffnungsklausel kann dieses eine Interesse nur das Interesse sein, nicht aufgrund seines Geschlechts benachteiligt zu werden; s schon oben bei FN 322. 336 Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob der EuGH bereits im Fall Kalanke das Vorliegen einer solchen Öffnungsklausel hätte annehmen müssen (FN 330); im Fall Marschall war sie jedenfalls explizit in der dem EuGH vorgelegten Bestimmung vorgesehen (FN 333). Ein bloßes „Feigenblatt“ ist in der Forderung nach einer solchen Klausel entgegen Urlesberger, ZAS 1998, 35 f, nicht zu sehen; sie rechtfertigt auch nicht alle, insbesondere keine leistungsunabhängigen Quoten, die das Geschlecht zum zentralen Auswahlkriterium machen statt es bloß als Hilfskriterium für eine Patt-Stellung bei der Auswahlentscheidung vorzusehen. 337 Sachs, JuS 1998, 553, meint sogar, durch das Erfordernis einer Abwägung im Einzelfall blieben Quotenregelungen mit Öffnungsklausel im Ergebnis ohne praktische Relevanz. ME ist das nicht der Fall; denn auch die Quotenregelung mit Öffnungsklausel erlegt dem entscheidungsbefugten Organ immerhin die Begründungslast auf, wenn einer gleich qualifizierten Frau der Nachrang eingeräumt wird; das zwingt zum einen zu einer genauen Auseinandersetzung und Offenlegung der Entscheidungsgründe und führt zum anderen bei einer Patt-Situation der Argumente zu einer Entscheidung zugunsten der Frau. Nach wie vor besteht also eine Zweifelsregel für die jeweilige Bewerberin.
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sollten, dann decken sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Quotenregelung im Wesentlichen338 mit jenen des Gemeinschaftsrechts339. g. Persönlicher Schutzbereich Sieht man den zentralen Gedanken des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG darin, dass der Einzelne nicht aufgrund seiner Geburt, seines Geschlechts, seines Standes, seiner Klasse und seines Bekenntnisses benachteiligt werden soll, dass er unabhängig von seiner mehr oder weniger zufälligen, nicht oder nicht zumutbar beeinflussbaren Zugehörigkeit zu einer Gruppe als Individuum von gleichem Wert zu respektieren ist, dann fragt sich, ob dieser Respekt von Verfassung wegen wirklich nur dem Staatsbürger gebühren kann. Wenn Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG in der Lehre stets nur auf den Staatsbürger bezogen wurde, dann wohl in der Annahme, diese Bestimmung konkretisiere den allgemeinen Gleichheitssatz und teile daher auch seinen persönlichen Schutzbereich. Diese Annahme ist jedoch nicht unbestreitbar. ____________________
338 Ein Unterschied besteht: Der EuGH sieht eine Vorrangregelung mit Öffnungsklausel nicht nur bei gleicher, sondern auch bei fast gleicher Qualifikation der Bewerber als zulässig an (EuGH Rs C-407/98, Abrahamsson, Slg 2000, I-5539); mE ist ein Verzicht auf gleiche Qualifikation dem Ziel der Quotenregelung abträglich, jedenfalls zur Zielerreichung nicht erforderlich, s schon oben bei FN 326. 339 AA wohl Berka, Grundrechte 960 f; ders, Art 7 B-VG Rz 90 f, der die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen als strenger ansieht und aus verfassungsrechtlicher Sicht annimmt, dass „[h]istorisch begründete Benachteiligungen der Frauen als Gruppe [...] bestimmte ausgleichende, der Herbeiführung von Chancengleichheit im gesellschaftlichen Leben dienende Maßnahmen rechtfertigen [können].“ Berka fügt allerdings auch hinzu, dass derartige Maßnahmen oft zu einer Diskriminierung ganz konkret betroffener Einzelner führen können und daher zeitlich und in ihren Auswirkungen (etwa durch eine Härteklausel) begrenzt gehalten werden müssen. Das Erfordernis einer Härteklausel dürfte Berka allerdings aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht als zwingend ansehen; denn er nimmt an, dass die leistungsabhängigen – aber nicht mit einer Öffnungsklausel ausgestatteten – Quotenregelungen der §§ 41 ff Bundes-GleichbehandlungsG, BGBl 1993/100, die Verhältnismäßigkeit wahren, freilich mit dem Zusatz, dass „vieles von der näheren Gestaltung der Frauenförderungspläne abhängt“. Die Verfassungskonformität dieser Vorschriften nahm schon vor dem Inkrafttreten des Art 7 Abs 2 B-VG Rebhahn, JBl 1993, 695 an, ebenso Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 243 ff, der freilich auch auf die Unzulässigkeit dieser Regelungen im Lichte des Urteiles im Fall Kalanke hinwies. Für die Einfügung einer Härteklausel plädiert aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht vorsichtig auch Kucsko-Stadlmayer, JRP 1997, 43, mit dem mE zutreffenden Hinweis, dass dies „dem Anliegen der Frauenförderung möglicherweise dienlicher“ sei. Nachdem auch der OGH einen automatischen Vorrang von Frauen bei gleicher Qualifikation als gemeinschaftswidrig qualifiziert hatte (OGH 30.1.2001, 1 Ob 80/00x, RdW 2001, 552 mit Anm Eichinger = DRdA 2001, 442 mit Anm Wagner), wurde mit BGBl I 2001/87 in § 43 Bundes-GleichbehandlungsG (s nunmehr §§ 11b-11d leg cit idF BGBl I 2004/65) eine Öffnungsklausel eingefügt. Diese Bestimmungen gelten nach § 44 UG 2002 auch im Universitätsbereich.
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Zunächst trifft nämlich der Wortlaut des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zum Kreis der Grundrechtsträger keine Aussage, er schränkt nur seinen sachlichen, nicht jedoch seinen persönlichen Anwendungsbereich ein. Anders als der erste Satz des Art 7 Abs 1 B-VG gilt sein zweiter Satz nur für ganz bestimmte Ungleichbehandlungen und verlangt für sie eine besondere Rechtfertigung. Dass ein spezieller Gleichheitssatz das Schutzniveau in einem eingeschränkten Bereich anhebt, diesen Schutz dann aber allen Menschen zuerkennt, wäre für das B-VG an sich nichts Ungewöhnliches: Auch der dritte Satz des Art 7 Abs 1 B-VG, der Benachteiligungen aufgrund der Behinderung verbietet, ist nicht auf Staatsbürger beschränkt340. Der zur näheren Ausführung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ergangene Art 7 Abs 3 B-VG gewährt, ohne den Kreis der Grundrechtsträger einzuschränken, also offenbar jedem das Recht, Amtsbezeichnungen, Titel, akademische Grade und Berufsbezeichnungen in der sprachlichen Form zu verwenden, die das Geschlecht des Trägers zum Ausdruck bringt. Die Staatszielbestimmung des Art 7 Abs 2 B-VG spricht ganz allgemein von der „tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau“, nicht etwa bloß von der Gleichstellung „des Staatsbürgers und der Staatsbürgerin“. Gleiches gilt schließlich auch für Art 14 Abs 6 B-VG, der – ohne weitere Einschränkung – bestimmt, dass öffentliche Schulen „allgemein ohne Unterschied der Geburt, des Geschlechtes, der Rasse, des Standes, der Klasse, der Sprache und des Bekenntnisses, im übrigen im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen zugänglich“ sind. Jede dieser Vorschriften bezieht sich auf persönliche Eigenschaften, die sich der Disposition des Einzelnen entziehen. Wenn an solche Eigenschaften in der Vergangenheit rechtliche Benachteiligungen geknüpft wurden, beruhte dies oft auf der Meinung, die Träger dieser Merkmale seien in irgendeiner Weise minderwertig. Nach wie vor werden solche Differenzierungen als abwertend empfunden, sie stehen prima facie in Widerspruch zu dem in allen westlichen Demokratien anerkannten Grundgedanken, dass kein Mensch mehr oder weniger „wert“ ist als ein anderer. Diese Anerkennung des gleichen Werts aller Menschen knüpft unmittelbar an das Menschsein an: Sie dem Einzelnen nur deshalb zu versagen, weil er kein Staatsbürger ist, liegt nun nicht eben auf der Hand341. ____________________
340 341
Dazu noch unten G.II.6. Dass die Beschränkung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG auf Staatsbürger in der Vergangenheit bisweilen nicht einsehbare Konsequenzen hatte, zeigt das Erkenntnis VfSlg 8784/ 1980. Im Verfahren, das dieser Entscheidung zugrunde lag, hatte eine österreichische Staatsbürgerin einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet. Dieser gab unter Hinweis auf die erfolgte Eheschließung die Erklärung ab, der Republik Österreich als getreuer Staatsbürger angehören zu wollen. Seine Eingabe wurde allerdings „wegen Nichtzutreffens der gesetzlichen Voraussetzungen“ zurückgewiesen. Tatsächlich sah § 9 Abs 1 StbG in der damals geltenden Fassung nur vor, dass „Eine Fremde [...] durch die Erklärung, der Republik als ge-
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Wie die Entstehungsgeschichte des B-VG zeigt, ist diese Deutung auch nicht zwingend. Eine Geltung des Gleichheitsrechtes für Fremde war am Beginn der Republik aus der Sicht der Christlichsozialen und der Sozialdemokraten nämlich keineswegs abwegig: So bestimmte der im Vorfeld zwischen diesen Parteien ausgehandelte „Renner-Mayr-Entwurf“342 in Art 8: „1. Alle Bundesangehörigen sind vor dem Gesetze gleich. Vorrechte der Geburt, des Standes und des Bekenntnisses sind für immer ausgeschlossen.“
Diese Garantie war als ein Vorgriff auf den in einem späteren Abschnitt konzipierten Grundrechtskatalog gedacht, der in Art 137 eine ausführliche Gleichheitsbestimmung mit folgendem Wortlaut enthielt: „1. Die Bundesangehörigen sind vor dem Gesetze gleich. Die Fremden, die sich innerhalb des Bundesgebietes aufhalten, genießen mit Ausnahme der politischen Rechte, die den Staatsbürgern vorbehalten sind, die gleichen Rechte wie die Bundesangehörigen, soweit nicht Bundesgesetze im Rahmen des Völkerrechtes und der Staatsverträge Einschränkungen ausdrücklich vorsehen. 2. Einschränkungen der Rechtsgleichheit aus dem Grunde der Zugehörigkeit zu einer Religion oder Nation sind unzulässig. 3. Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. “
Der in Art 8 statuierte Ausschluss von Vorrechten war also, wie seine nähere Ausführung in Art 137 zeigt, wohl nicht auf Staatsbürger beschränkt. Denn nach Art 137 Abs 1 sollten Fremde – von politischen Rechten und völkerrechtlich begründeten Einschränkungen abgesehen – gleiche Rechte wie Staatsbürger genießen; der in Art 8 angeordnete Ausschluss von Vorrechten der Geburt, des Standes und des Bekenntnisses muss dann auch für sie gegolten haben. Art 137 Abs 2 bekräftigt sogar allgemein, dass die Rechtsgleichheit nicht aufgrund des Bekenntnisses eingeschränkt werden darf. Dass schließlich Art 137 Abs 3 Männern und Frauen grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten ____________________
treue Staatsbürgerin angehören zu wollen, die Staatsbürgerschaft [erwirbt], wenn [...] ihr Ehegatte die Staatsbürgerschaft besitzt“ und wenn weitere (im vorliegenden Zusammenhang nicht bedeutsame) Voraussetzungen vorlagen. Männern war ein Erwerb der Staatsbürgerschaft auf diesem Weg nicht möglich. Die Unsachlichkeit dieser nach dem Geschlecht vorgenommenen Differenzierung lag wohl ebenso auf der Hand wie das hinter dieser Regelung stehende Klischee: Eine Frau übernimmt die Staatsbürgerschaft des Mannes, nicht umgekehrt. Gleichwohl scheiterte die an den VfGH erhobene Beschwerde des Staatsbürgerschaftswerbers ebenso wie der Individualantrag seiner Ehegattin, § 9 StbG teilweise aufzuheben: Da sich diese Bestimmung nur an Fremde wandte, berührte sie die Rechtssphäre der österreichischen Antragstellerin nicht. Und ihrem von § 9 StbG unmittelbar betroffenen Ehemann war – als Fremdem – die Berufung auf den Gleichheitssatz verwehrt. Hätte man Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG seinem Wortlaut entsprechend als ein Menschenrecht aufgefasst, wäre die offenkundig nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht ohne weiteres bekämpfbar gewesen, s zu dieser Entscheidung auch die Anmerkung von G. Stadler, EuGRZ 1981, 174 ff. 342 S oben B.VII.1.e.
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zuerkennt, verschlägt nichts. Es bringt nur zum Ausdruck, dass bei anderen als staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten nach dem Geschlecht durchaus differenziert werden darf. Das gilt dann natürlich auch für Fremde. Der von Renner und Mayr erstellte Verfassungsentwurf wurde zwar, da die Koalition auseinanderbrach, nicht als Regierungsvorlage in das Parlament eingebracht343. Er lag aber neben anderen Entwürfen jenem Unterausschuss vor, der mit der Erarbeitung des Verfassungsentwurfes betraut war344. Wie die weiteren Beratungen in diesem Ausschuss zeigen, dürfte dann auch der erste Satz des Art 7 Abs 1 B-VG dem Renner-MayrEntwurf entnommen worden sein. Basis des zweiten Satzes war zunächst Art 117 des Sozialdemokratischen Entwurfs345, auch er wurde jedoch nicht wörtlich übernommen: Das dort verpönte Kriterium der „Nationalität“ findet sich etwa in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nicht wieder, wohl aber das in Art 8 des Renner-Mayr-Entwurfs vorgesehene Merkmal der „Geburt“, auch wurde der Ausdruck „Konfession“ durch den im Renner-Mayr-Entwurf gebrauchten Begriff „Bekenntnis“ ersetzt. Letztlich scheint der zweite Satz des Art 7 Abs 1 B-VG also ein Kompromiss zwischen dem Sozialdemokratischen und dem Renner-Mayr-Entwurf zu sein. Da der zuletzt genannte Entwurf ausdrücklich auch Fremden ein Recht auf Gleichheit zugestehen wollte, da weiters der persönliche Schutzbereich des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG seinem Wortlaut nach nicht beschränkt ist und da schließlich die Kernaussage dieses speziellen Gleichheitssatzes, wie dargelegt, in dem Respekt vor dem Einzelnen als Mensch und der Anerkennung seiner Gleichwertigkeit besteht, ließe sich mE mit guten Gründen vertreten, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG von Anbeginn an kein Staatsbürger-, sondern ein Menschenrecht statuiert hat. Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG im Verfassungsunterausschuss als eine Ausführung des Ausdruckes „demokratisch“ in Art 1 Abs 1 B-VG betrachtet wurde. Denn die Demokratie, die mit dem B-VG eingerichtet wurde, setzt zwar jedenfalls ein Wahlrecht der Staatsbürger voraus; Art 1 Abs 1 B-VG schließt deshalb aber mE ein Wahlrecht für Ausländer nicht aus. Auch das zeigt die Entstehungsgeschichte, besonders deutlich die B-VGNovelle 1929, mit der das Wahlrecht für bestimmte Ausländer geöffnet wurde, ohne dass auch nur im Ansatz das Bedenken laut wurde, dies stehe im Widerspruch zu Art 1 B-VG346. Wie immer man freilich den persön____________________
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S oben B.VII.1.e. S oben B.VII.2.a. 345 S oben B.VII.2.a. 346 S dazu mwN Pöschl, FS Schäffer 633 ff. Der VfGH sieht dies bekanntlich anders: VfSlg 17.264/2004. 344
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lichen Schutzbereich des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG im Jahr 1920 beurteilen will – feststeht, dass diese Bestimmung spätestens seit 1973 ein Menschenrecht statuiert: In diesem Jahr hat sich der Verfassungsgesetzgeber nämlich dazu entschlossen, den allgemeinen Gleichheitssatz auch auf Fremde auszudehnen; davon ist im Folgenden zu handeln.
II. Art I Abs 1 BVG-RD: Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationale, ethnische Herkunft 1. Theoretische Vorüberlegungen Zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (RDK)347 wurde am 3. Juli 1973 ein Bundesverfassungsgesetz348 (BVG-RD) erlassen, dessen Art I Abs 1 bestimmt: „Jede Form rassischer Diskriminierung ist – auch soweit ihr nicht bereits Art. 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 und Art. 14 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegenstehen – verboten. Gesetzgebung und Vollziehung haben jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft zu unterlassen.“
Nach Abs 2 dieser Bestimmung „[hindert] Abs. 1 […] nicht, österreichischen Staatsbürgern besondere Rechte einzuräumen oder besondere Verpflichtungen aufzuerlegen, soweit dem Art. 14 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht entgegensteht.“
Wie aus den Materialien eindeutig hervorgeht, sollte durch dieses BVG Fremden ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht iSd Art 144 B-VG eingeräumt werden349; dies wird von der Lehre350 und seit Anfang der 1990er Jahre auch vom VfGH in ständiger Rechtsprechung vertreten351. Keine Einigkeit besteht allerdings in der Frage, welchen Inhalt dieser spezielle Gleichheitssatz im Einzelnen hat und in welchem Verhältnis er zu ____________________
347 BGBl 1972/377; zu Entstehung, Inhalt, Ratifikation und Transformation dieser Konvention in das innerstaatliche Recht s Ermacora, FS Veiter 61 ff; dens, JBl 1973, 179 ff; Stolzlechner, Die politischen Rechte 91 ff; Marschik, UN-Rassendiskriminierungskonvention 19 ff, 65 ff; Pfanner, Racial Discrimination 23 ff. 348 BGBl 1973/390. 349 RV 732 BlgNR 13. GP 2 f. 350 Ermacora, Grundriß Rz 266; Stolzlechner, Die politischen Rechte 95; Freudenschuss, EuGRZ 1983, 630; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 603; Adamovich/Funk, Verfassungsrecht 379; Holzinger, JBl 1993, 7; Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 98 f; Korinek, FS Rill 194; Marschik, UN-Rassendiskriminierungskonvention 77; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1355. 351 Dazu sogleich unter E.II.2.
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Art 7 Abs 1 B-VG steht. Betrachtet man bloß den Wortlaut des Art I Abs 1 BVG, so ist zunächst fraglich, ob der zweite Satz den ersten erschöpfend ausführt oder demonstrativ erläutert, ob Art I Abs 1 BVG-RD also nur einen kriterienbezogenen Gleichheitssatz statuiert oder neben Ungleichbehandlungen nach den ausdrücklich genannten Merkmalen auch andere Differenzierungen untersagt. Unklar ist weiters, ob Art I Abs 1 BVG-RD auch Ungleichbehandlungen zwischen Fremden und Staatsbürgern erfasst oder ob er sich auf Differenzierungen zwischen Fremden beschränkt, und im letzteren Fall, ob er nur auf Regelungen anzuwenden ist, die ausschließlich Fremde betreffen oder auch auf Vorschriften, die zwischen Staatsbürgern und Fremden nicht differenzieren und damit zwar auch, aber doch nicht nur für Fremde gelten. Was schließlich das Verhältnis des Art I BVG-RD zu Art 7 Abs 1 B-VG anlangt, wäre denkbar, dass Art I BVG-RD den allgemeinen Gleichheitssatz ergänzt, dass er ihn modifiziert und/oder dass er ihn erläutert.
2. Judikatur a. Bedeutungslosigkeit des BVG-RD in der älteren Judikatur Nicht nur vor, sondern auch eine beträchtliche Zeit nach dem Inkrafttreten des BVG-RD hat der VfGH immer wieder den Standpunkt vertreten, dass Fremden ein Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz nicht zukomme352, sind doch nach Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG nicht alle Menschen, sondern bloß alle „Staatsbürger“ vor dem Gesetz gleich353. Nur punktuell hat ____________________
352 VfSlg 7138/1973, 7307/1974, 7581/1975, 7893/1976, 8006/1977, 8611/1979, 8996/1980, 9028/1981, 9030/1981, 9174/1981, 9283/1981, 9381/1982, 9541/1982, 10.288/1984, 10.894/1986, 10.901/1986, 10.923/1986, 10.993/1986, 11.414/1987, 11.813/1988, 12.669/1991, 12.704/1991, 12.770/1991, 13.159/1992, s auch noch VfSlg 13.314/1992, 13.660/1993. S ferner VfSlg 7448/1974 und 8784/1980, wonach der allgemeine Gleichheitssatz auf eine Vorschrift nicht anwendbar ist, die voraussetzungsgemäß nur Ausländer betrifft – eine wohl überschießende Formulierung, wie das Erkenntnis VfSlg 10.036/1984 zeigt: In dem Fall, der dieser Entscheidung zugrunde lag, hatte ein unehelich geborenes Kind durch seine Legitimation ex lege (nach seinem Vater) die österreichische Staatsbürgerschaft erworben und damit seine frühere (liechtensteinische) Staatsangehörigkeit verloren. Zu Recht gestattete der VfGH dem Betroffenen eine Berufung auf Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG, schließlich war dieser – wenn auch gegen seinen Willen – durch die inkriminierte Vorschrift zum österreichischen Staatsbürger geworden. AA Thienel, Staatsbürgerschaft II 73 ff, der die Anwendbarkeit des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG auf diesen Fall mit der Begründung verneint, die staatsbürgerschaftsrechtliche Vorschrift betreffe nur Ausländer. Das trifft zunächst zwar zu, ändert aber nichts daran, dass ein Ausländer durch diese Vorschrift gerade zum Staatsbürger geworden ist. Er muss sich gegen diese automatische Einbürgerung unter Berufung auf den Gleichheitssatz ebenso zur Wehr setzen können wie ein Staatsbürger, dem die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft verweigert wird. 353 Der VfGH hat nie erwogen, den Ausdruck „Bundesbürger“ bzw „Staatsbürger“ nach dem Vorbild der Schweizer Judikatur (zB BGE 93 I 1 [3]) über seine eigentliche Bedeutung hinaus auf Fremde auszudehnen.
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der VfGH den engen persönlichen Schutzbereich des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG entschärft: So ließ er eine Berufung auf Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG zu, wenn die Nicht-Staatsbürgerschaft einer Person bescheidmäßig festgestellt wird, weil der – nach Maßgabe des Bescheides – Fremde im Fall seines Obsiegens als Staatsbürger anzusehen und damit durch den Gleichheitssatz subjektiv berechtigt sei354. Davon abgesehen konnten Fremde eine Gleichheitswidrigkeit nur geltend machen, wenn sie gerade durch diese Gleichheitswidrigkeit in einem (anderen) subjektiven Recht verletzt worden waren. Soweit die Gleichheitswidrigkeit bereits auf der Ebene der generellen Norm anzusiedeln war, reichte dabei aus, dass diese Norm den Fremden in einem einfachgesetzlich gewährleisteten Recht verletzte355. Denn der VfGH beurteilt die Gleichheitswidrigkeit eines Gesetzes unabhängig davon, ob von diesem Gesetz im konkreten Anlassfall Österreicher oder Fremde betroffen sind356. Lag die Gleichheitswidrigkeit hingegen auf der Ebene der Vollziehung, war ein „Umweg“ über ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes „Jedermannsrecht“ erforderlich, das dann wegen denkunmöglicher Rechtsanwendung als verletzt qualifiziert werden konnte357. Fand sich ein solches subjektives Recht aber nicht, wurde ein ausländischer Beschwerdeführer mit dem Vorwurf einer Gleichheitswidrigkeit ____________________
354
VfSlg 8006/1977, 8705/1979. Die Verfassungswidrigkeit einer generellen Norm kann nach Art 139, 140 und 144 B-VG bereits bekämpft werden, wenn sie den Einzelnen „in seinen Rechten verletzt“; dafür genügt ein einfachgesetzliches Recht, s etwa VfSlg 8009/1977 sowie Funk, ÖZW 1977, 58; Ringhofer, FS Hellbling 1981, 362; Rohregger, Art 140 B-VG Rz 168; s auch Feik, ZÖR 1999, 21 f; aA Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1161, nach denen für einen Individualantrag zufolge Art 140 B-VG die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts erforderlich ist. 356 Dies gilt jedoch nach VfSlg 13.303/1992 nicht für die unterschiedliche Behandlung von In- und Ausländern als solche, weil diese durch Art 7 Abs 1 B-VG vorgezeichnet ist, sondern nur für sonstige Differenzierungen. S etwa VfSlg 9758/1983, 11.282/1987, 14.008/1995, wonach die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit genereller Normen unabhängig davon zu erfolgen hat, ob der Beschwerdeführer als Ausländer das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz für sich in Anspruch nehmen kann; s auch die Entscheidung VfSlg 12.329/1990, in der der Gerichtshof aus Anlass der Beschwerde eines Fremden feststellte, die präjudizielle Vorschrift könne am Gleichheitssatz gemessen werden, weil sie nicht nur ausländische Kläger, sondern auch inländische Beklagte als Prozessparteien betrifft. 357 VfSlg 5345/1966, 5513/1967, 8515/1979, 8940/1980, 9758/1983, 11.282/1987. S auch noch VfSlg 14.049/1995, wonach es grob unsachlich ist, wenn eine Behörde eine Fremde an einen Arbeitgeber vermittelt, ihr aber gesetzwidrig nicht zugleich von Amts wegen eine Beschäftigungsbewilligung ausstellt, um ihr dann die Erteilung dieser Berechtigung allein mit der Begründung zu versagen, sie habe die Beschäftigung noch vor Erlangung der amtswegig auszustellenden Beschäftigungsbewilligung aufgenommen. Obwohl der VfGH diese Gesetzauslegung als gleichheitswidrig qualifizierte, konstatierte er schlussendlich (nur) eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums. 355
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auf den Umstand verwiesen, dass Art 7 Abs 1 B-VG die Gleichheit vor dem Gesetz nur Staatsbürgern garantiert358. In der Lehre wurde diese Judikatur vereinzelt als inkonsequent kritisiert; wenn Fremden grundsätzlich kein Recht auf Gleichheit zuerkannt werde, dann dürfe dem Vorwurf einer Gleichheitsverletzung auch nicht über ein anderes subjektives Recht die Hintertür geöffnet werden359. Mehrheitlich wurde diese Judikatur jedoch ohne Bewertung referiert360 und vereinzelt auch als eine zu billigende Abschwächung des engen persönlichen Schutzbereiches des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG qualifiziert361. b. Bedeutung des BVG-RD in der jüngeren Judikatur Erst in den 1990er Jahren hat der VfGH anerkannt, dass Art I Abs 1 BVG-RD auch Fremden ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz einräumt. Diesem Recht kam zunächst allerdings keine übermäßige Bedeutung zu. Dem Gesetzgeber sollten nämlich, wie der VfGH in seiner ersten einschlägigen Entscheidung annahm, durch das BVG-RD bloß Regelungen verboten sein, die „auf eine Diskriminierung iS dieses Verfassungsgesetzes [abzielen]“362. Im Erkenntnis VfSlg 13.836/1994 wurde diese Position noch weiter konkretisiert: Bezugnehmend auf den Wortlaut des Art I Abs 1 BVG-RD, der Unterscheidungen „aus dem alleinigen Grund“ der sodann aufgezählten Merkmale verbietet, meinte der VfGH, dass durch diese Bestimmung „nicht jede unterschiedliche Behandlung von Staatsangehörigen verschiedener Staaten bzw. von Menschen verschiedener nationaler Herkunft verboten wird; vielmehr untersagt diese Verfassungsvorschrift dem Gesetzgeber (im materiellen Sinn) nur, sachlich nicht gerechtfertigte Regelungen für Staatsangehörige verschiedener Staaten zu treffen; dem zitierten BVG widersprechen also nur Regelungen, die eine Schlechterstellung von Angehörigen bestimmter Staaten bewirken und die nicht sachliche Gründe haben, sondern […] eine nach ihrer Staatsangehörigkeit abgegrenzte Gruppe von Fremden allein aus dem Grund der ‚nationalen Herkunft‘ (aus dem Grund ihrer Angehörigkeit zu einem bestimmten Staat) diskriminieren“363. ____________________
358 S zB VfSlg 8006/1977, 8611/1979, 8784/1980 = EuGRZ 1981, 174 mit Anm G. Stadler; VfSlg 9174/1981, 9381/1982, 10.541/1985. 359 S etwa Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 13; kritisch aus der jüngeren Vergangenheit auch U. Davy, Asyl II 365, die sich der neueren Judikatur des VfGH allerdings aus anderen Gründen im Ergebnis anschließt. 360 S etwa Gassner, Gleichheitssatz 2; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 603. 361 S etwa Groiss/Schantl/Welan, ÖJZ 1975, 369: „Man kann [...] überpointiert feststellen, da[ß] das Eigentumsrecht den Ausländern das ihnen von der Jud nicht garantierte Gleichheitsrecht ersetzt“. Zur rechtspolitischen Diskussion, die Gleichheit als ein Menschenrecht auszugestalten zB Neisser, ÖZP 1975, 23 ff, 27. 362 VfSlg 13.314/1992 (Hervorhebung nicht im Original). 363 Hervorhebungen nicht im Original.
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Der VfGH scheint in dieser Entscheidung also anzunehmen, dass die nationale Herkunft für sich genommen zwischen Fremden noch keinen Unterschied begründet, der ihre ungleiche Behandlung rechtfertigen kann. Die Unterscheidung nach dem Kriterium der nationalen Herkunft ist deshalb aber keineswegs verboten; sie ist vielmehr zulässig, wenn sie auf sachlichen Gründen beruht. Dass diese Gründe besonders triftig sein oder in Abwägungen zum Interesse des Fremden treten müssten, nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit benachteiligt zu werden, geht aus dieser Entscheidung nicht hervor. Eher scheint die Argumentationslast für die Unsachlichkeit dem Rechtsunterworfenen auferlegt zu sein. Der VfGH verweist nämlich in der zitierten Passage auf seine Entscheidung VfSlg 8146/ 1977, die dem Vorwurf mehrerer Minderheitenangehöriger, sie seien durch eine Amtshandlung diskriminiert worden, entgegenhielt, es sei „auf Grund der Verfahrensergebnisse nicht nachweisbar, daß die einschreitenden Exekutivorgane mit den bekämpften Verwaltungsakten den Zweck verfolgten, die Bf. wegen ihres Bekenntnisses zur slowenischsprachigen Minderheit zu diskriminieren, d.h. schlechter zu stellen als österreichische Staatsbürger, die sich nicht zu einer solchen Minderheit bekennen.“364 Dementsprechend wurde es auch in VfSlg 13.836/1994 ohne weiteres als unbedenklich angesehen, dass EWR-Bürger und zum Teil auch ihre Angehörigen aufenthaltsrechtlich besser gestellt sind als andere Fremde. Nicht zu beanstanden fand der Gerichtshof im Lichte des BVG-RD auch den Abschluss von Sichtvermerksabkommen und auf solchen Abkommen beruhende innerstaatliche Regelungen, „weil sie keineswegs auf eine Diskriminierung von Angehörigen bestimmter Staaten abzielen“365 bzw nicht auf eine solche Diskriminierung „hinaus[laufen]“. Die Sachlichkeit einer Differenzierung nach dem Kriterium der nationalen Herkunft scheint nach dieser Entscheidung also schon dann erwiesen zu sein, wenn ihr keine Diskriminierungsabsicht zugrunde liegt bzw wenn eine solche Absicht nicht nachgewiesen werden kann. Im Erkenntnis VfSlg 14.191/1995 maß der VfGH sodann auch der in Art I Abs 1 BVG-RD enthaltenen Bezugnahme auf Art 7 B-VG Bedeutung zu. Er leitete aus ihr ab, dass Art I Abs 1 BVG-RD nicht nur Unter____________________
364
Hervorhebungen nicht im Original. Hervorhebung nicht im Original. In der Sache ist dem VfGH durchaus zuzustimmen: Dass EWR-Bürger und ihre Familienangehörigen in aufenthaltsrechtlicher Sicht besser behandelt werden als andere Fremde, ist durch ihren europarechtlich begründeten Sonderstatus ohne weiteres zu rechtfertigen; dass diese Besserstellung nicht „intentional“ ist, also nicht auf eine Diskriminierung der EWR-Ausländer abzielt, ist hingegen unerheblich. Denn die Gleichheitswidrigkeit eines Gesetzes ist, wie der VfGH in VfSlg 10.926/1986 zutreffend festgestellt hat, „nicht erst die Sanktion einer (bösen) Absicht des Gesetzgebers, sondern schon die Folge der unsachlichen Wirkung des Gesetzgebungsaktes“; s dazu schon oben D.I.3.a. 365
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scheidungen aus dem alleinigen Grund der ausdrücklich verpönten Merkmale verbiete; vielmehr enthalte diese Bestimmung „(auch) das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot [...], sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Mit anderen Worten ausgedrückt: Art. I Abs. 1 [...] enthält – über Art. 7 B-VG hinausgehend und diesen gleichsam erweiternd – ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist […] also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist“366.
Es liegt auf der Hand, dass sich die Gleichheitskonzeption dieser Entscheidung grundlegend von der des Vorerkenntnisses VfSlg 13.836/1994 unterscheidet: Dort wurde nämlich dem Art I Abs 1 BVG-RD nicht einmal ein Prima-facie-Recht entnommen, nicht aufgrund eines ausdrücklich verpönten Differenzierungskriteriums benachteiligt zu werden. Eine Differenzierung nach einem solchen Kriterium war demnach kein „Eingriff“ in ein Recht, der mit diesem abgewogen werden müsste. Sie war vielmehr schon dann zulässig, wenn sie nicht auf diskriminierenden Motiven beruht. Demgegenüber wird im Erkenntnis VfSlg 14.191/1995 nicht nur die Differenzierung nach einem der verpönten Merkmale, sondern – nimmt man die Formulierung des VfGH wörtlich – schon die Ungleichbehandlung an sich für suspekt erklärt. Wie gezeigt, kann der VfGH mit dieser Formel jedoch nicht beim Wort genommen werden, genauer: das Wort „Ungleichbehandlung“ ist nicht in einem formellen367, sondern in einem normativen Sinn zu verstehen, nämlich als Eingriff in den Gleichheitssatz, der in einer Ungleichbehandlung ebenso bestehen kann wie in einer Gleichbehandlung oder schlicht in einer Behandlung, die prima facie einem gleichheitsrechtlichen Maßstab widerspricht368. Dem ersten Satz des Art I Abs 1 BVG-RD ist damit ein ähnliches Schicksal widerfahren wie dem zweiten Satz des Art 7 Abs 1 B-VG. Dass beide Vorschriften aus der unendlichen Masse denkbarer Differenzierungsmerkmale ganz bestimmte Kriterien herausheben, wird anscheinend nicht mehr als bedeutsam angesehen, vielmehr werden Unterscheidungen nach diesen Kriterien auf eine Ebene mit anderen Differenzierungen gestellt. Dass der VfGH das BVG-RD im Wesentlichen so versteht wie den in Art 7 Abs 1 B-VG statuierten allgemeinen Gleichheitssatz, zeigt die folgende Judikatur, in der der VfGH mit durchaus unterschiedlichen Fall____________________
366 Hervorhebungen nicht im Original. S neben VfSlg 14.191/1995 zB auch VfSlg 14.369/1995, 14.393/1995, 14.421/1996, 14.516/1996, 14.664/1996, 14.728/1997, 14.729/1997, 14.823/1997, 14.864/1997, 14.902/1997, 14.989/1997, 14.995/1997, 14.996/1997, 16.080/2001, 16.160/2001, 17.026/2003, 17.419/2004, 17.516/2005, 17.856/2006. 367 C.III.2. 368 D.IV.1.
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konstellationen befasst war, in VfSlg 14.191/1995 und 15.173/1998 etwa mit einer Ungleichbehandlung, die nur externen Zwecken diente, die also nicht auf wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen rückführbar war. In beiden Entscheidungen prüfte der VfGH der Sache nach, ob die jeweils vorgenommene Ungleichbehandlung zur Zielerreichung erforderlich war; im ersten Fall reduzierte er sie in verfassungskonformer Auslegung auf das erforderliche Maß, im zweiten Fall verwarf er sie ganz, weil er der Ansicht war, dass das Ziel des Gesetzgebers auch ohne die inkriminierte Ungleichbehandlung zu verwirklichen gewesen wäre369. Eine ____________________
369 Das Erkenntnis VfSlg 14.191/1995 betraf das sog Quotensystem, demzufolge jährlich bloß einer beschränkten Zahl von Fremden die Bewilligung erteilt wird, in Österreich einen Hauptwohnsitz zu begründen. Der VfGH akzeptierte dieses System zwar dem Grunde nach, konstatierte allerdings, dass es „gleichgelagert[e] Einwanderungsfälle unterschiedlich behandelt, also je nachdem positiv oder negativ erledigt […], ob die nach dem jeweiligen Bundesland in Betracht kommende Quote schon ausgeschöpft ist oder nicht“ (Hervorhebungen nicht im Original). Das endgültige Schicksal eines Einwanderungsbegehrens von der Ausschöpfung einer Quote im Entscheidungszeitpunkt abhängig zu machen, sei jedoch sachfremd. Daher müsse dem Antragsteller zugebilligt werden, zu einem späteren Zeitpunkt neuerlich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, bei deren Erledigung „die Behörde gehalten ist, insbesondere jene Umstände zu berücksichtigen, die schon im früheren Verfahren vorlagen und grundsätzlich für die Bewilligungserteilung gesprochen hätten“. Im Ergebnis forderte der VfGH also, dass die mit dem Quotensystem einhergehende, aber – sofern man dieses System akzeptiert – unvermeidliche Ungleichbehandlung gleicher Fälle sich auf das erforderliche Maß beschränkt: Bewilligungswerber, die bloß aufgrund des Zeitpunkts ihrer Antragstellung abgewiesen worden sind, sollen wenigstens bei einer Antragstellung im Folgejahr im Zweifel positiv beschieden werden. Die Gleichheitsprüfung setzt hier also erst auf der zweiten Ebene an; sie fragt nicht, ob es tatsächlich erforderlich ist, die Antragsteller allein aus kollektiven Gründen ungleich zu behandeln, ob also nicht ein anderes Differenzierungskriterium als der – weitgehend von Zufällen abhängige – Zeitpunkt der Antragserledigung gefunden werden kann, das mit den Voraussetzungen der (ungleich behandelten) Antragsteller in einem sachlichen Zusammenhang steht, mE zu Recht kritisch zur Anwendung des „Windhundverfahrens“ im Aufenthaltsrecht Muzak, ÖJZ 1996, 498 ff; s auch noch unten Abschnitt F FN 112; allgemein kritisch zum Prioritätsprinzip Scholler, Chancengleichheit 76 ff. Das Erkenntnis VfSlg 15.173/ 1998 betraf eine Übergangsvorschrift das AsylG 1997: Sie ordnete an, dass Verfahren betreffend Asylbescheide nach dem AsylG 1991, die vor der Kundmachung des neuen AsylG beim VfGH oder VwGH angefochten wurden, in das Stadium vor Erlassung des Berufungsbescheides zurücktreten und dann am Maßstab des AsylG 1997 noch einmal zu erlassen sind; Beschwerden, die nach der Kundmachung des AslyG 1997 erhoben wurden, sollten hingegen von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts meritorisch am Maßstab des AsylG 1991 geprüft werden. Diese ungleiche Behandlung negativ beschiedener Asylwerber qualifizierte der VfGH als gleichheitswidrig, weil das Ziel der Regelung – die Entlastung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts – nicht „ausschließlich auf dem legislativ tatsächlich eingeschlagenen Weg“ erreichbar gewesen sei. So hätte der Gesetzgeber, wie der VfGH beispielhaft anführte, auch jenen Asylwerbern, deren Bescheid nach der Kundmachung des AsylG 1997, aber noch auf der Grundlage des AsylG 1991 erlassen worden war, die Möglichkeit einräumen können, im Verwaltungsweg eine neuerliche Berufungsentscheidung unter dem Aspekt zu verlangen, ob der an sie gerichtete Berufungsbescheid sich auch auf dem Boden des AsylG 1997 als rechtmäßig erweist. Die im AsylG 1997 angeordnete Ungleichbehandlung war also – wie der VfGH der Sache nach annahm –, zur Ziel-
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Erforderlichkeitsprüfung nahm der VfGH auch im Erkenntnis VfSlg 14.393/1995 vor, dabei ging es allerdings nur auf den ersten Blick um die Erforderlichkeit einer Ungleichbehandlung; bei näherem Hinsehen scheint der VfGH dem Gleichheitssatz hier ein Prima-facie-Recht Fremder zu entnehmen, dass ihre Einbürgerung nicht zur Abwehr von Gefahren abgelehnt wird, die gar nicht mehr bestehen370. Im Erkenntnis VfSlg 15.814/2000 nahm der VfGH zur Lösung einer Gleichheitsfrage schließlich auch eine Interessenabwägung vor: Er hielt es für gleichheitswidrig, einem Fremden, der eine Aufenthaltsbewilligung vom Inland aus beantragen darf, diese Bewilligung nur deshalb zu versagen, weil er den Ausgang dieses Verfahrens auch nach Ablauf seines Einreisetitels, also rechtswidrig im Inland abgewartet hat. Die Rechtswidrigkeit dieses Aufenthaltes wiege zum einen nicht schwer genug, um eine Abweisung des Antrages zu rechtfertigen. Zum Zweiten sei die Dauer des Bewilligungsverfahrens für den Antragsteller nicht beeinflussbar; es liege vielmehr in der Hand der Behörden, ob sie ihre Entscheidung noch vor oder erst nach Ablauf des Einreisetitels fällt. Hinter dem ersten Grund steht – unausgesprochen – die Prämisse, dass der Gleichheitssatz unangemessen hohe Sanktionen ____________________
erreichung nicht erforderlich. Kritisch zu dieser Entscheidung Wiederin, ZUV 2000, 12 f; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 767 FN 25. 370 Entscheidungsgegenständlich waren staatsbürgerschaftsrechtliche Bestimmungen, denen zufolge die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden kann, wenn er seit mindestens vier Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt (§ 10 Abs 3 StbG aF); der Lauf dieser Frist wurde nach damals geltendem Recht durch ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot unterbrochen (§ 15 Abs 1 lit a StbG aF), es sei denn, dieses Aufenthaltsverbot war aufgehoben worden, weil sich seine Erlassung in der Folge als unbegründet erwiesen hatte (§ 15 Abs 2 StbG aF). Im konkreten Beschwerdefall hatte die Behörde eine Unterbrechung dieser Frist angenommen, weil über den Staatsbürgerschaftswerber zu einem früheren Zeitpunkt ein Aufenthaltsverbot wegen (unverschuldeter) Mittellosigkeit verhängt worden war. Dem VfGH schien dies mit Art I Abs 1 BVG-RD in Widerspruch zu stehen; denn es sei nicht einzusehen, weshalb in jedem Fall – also unabhängig vom Anlass des Aufenthaltsverbotes – der Lauf der vierjährigen Wohnsitzfrist unterbrochen werden sollte. In verfassungskonformer Interpretation des § 15 StbG aF sei vielmehr anzunehmen, dass eine Unterbrechung des Fristenlaufes über den ausdrücklich geregelten Fall (nachträgliche Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes) hinaus auch in gleichwertigen Fällen nicht eintreten sollte. Eine solche Konstellation sei gegeben, wenn „das Aufenthaltsverbot zwar seinerzeit rechtmäßig verhängt wurde, die Gründe hiefür aber in der Folge weggefallen sind und nunmehr keine negativen Auswirkungen auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft mehr haben.“ Der VfGH vergleicht hier zwar Fremde, über die rechtswidrig ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde, mit Fremden, denen wegen Mittellosigkeit (rechtmäßig) der Aufenthalt in Österreich verboten wurde. Zum Maßstab des Vergleichs machte er aber die Frage, ob eine Unterbrechung der Wohnsitzfrist im zweiten Fall (anders als im ersten) erforderlich ist, um negative Auswirkungen auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft abzuwehren. Nachdem der VfGH diese Frage verneinte, hob er den bekämpften Bescheid auf, weil dieser dem § 15 StbG aF einen Inhalt unterstelle, der mit Art I Abs 1 BVG-RD unvereinbar sei; s zu dieser Entscheidung noch unten G.III.2.b.
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verbiete. Der zweite Grund scheint auf der Annahme aufzubauen, dass eine dem Rechtsunterworfenen auferlegte Verhaltenspflicht allein durch das Gesetz, nicht auch durch Manipulationen in der Sphäre der Behörde determiniert sein darf. Beide Annahmen sprechen dem Rechtsunterworfenen nichtkomparative Rechte und dem Gleichheitssatz einen substantiellen Schutzbereich zu. Ob diese Annahmen zutreffen, ist eine andere, später zu untersuchende Frage371. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt die Feststellung, dass der VfGH auch dem BVG-RD ein allgemeines Sachlichkeitsgebot entnimmt. c. Anwendung des BVG-RD auf fremdenunspezifische Normen Das BVG-RD wurde vom VfGH zunächst nur auf Vorschriften angewendet, die sich ausschließlich auf Fremde beziehen372. Adressierte eine Norm neben Fremden auch Staatsbürger oder differenzierte sie überhaupt nicht zwischen diesen beiden Personengruppen, so lehnte der VfGH die Anwendung des BVG-RD zwar nicht ausdrücklich ab; doch er umging sie in manchen Fällen, indem er – wie in der früheren Judikatur – einen Eingriff in ein anderes Grundrecht konstatierte und diesen im Hinblick auf die allfällige Gleichheitswidrigkeit der Rechtsgrundlage oder ihre denkunmögliche Auslegung als verfassungswidrig beurteilte373. In VfSlg 14.694/ ____________________
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S noch E.IV.4.c., H.IV.3. VfSlg 13.836/1994 (AufenthaltsG, FrG 1991), 14.191/1995 (AufenthaltsG), 14.388/ 1995 (AufenthaltsG), 14.393/1995 (StaatsbürgerschaftsG – Verleihung der Staatsbürgerschaft), 15.755/2000 (FrG 1997), 15.836/2000 (FrG 1997), 16.214/2001 (AuslBG). 373 Als etwa eine deutsche Staatsangehörige rügte, dass das TGVG Lebensgefährten und Ehegatten ohne sachlichen Grund verschieden behandle, stellte der VfGH unter Berufung auf seine ältere Judikatur fest, die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit genereller Normen habe unabhängig davon zu erfolgen, ob die Beschwerdeführerin als Ausländerin das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger für sich in Anspruch nehmen kann: VfSlg 14.008/1995 – vor dieser Entscheidung hatte der VfGH zwar bereits festgestellt, dass Fremde durch Art I Abs 1 BVG-RD vor einer unsachlichen Ungleichbehandlung nach ihrer nationalen Herkunft geschützt seien (VfSlg 13.836/1994); dass Art I Abs 1 BVG-RD auch unverhältnismäßige Ungleichbehandlungen nach anderen Differenzierungskriterien verbietet, wurde aber erst in VfSlg 14.191/1995 ausgesprochen. S auch das Erkenntnis VfSlg 16.243/2001, in dem der Gerichtshof dem von drei Staatsbürgern und einem Fremden erhobenen Vorwurf, die Behörde habe ihnen in gleichheitswidriger Gesetzesauslegung eine zu hohe Verwaltungsabgabe auferlegt, zwar zugestimmt hat; den Bescheid hob der VfGH aber letztlich nicht als Verletzung des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG bzw im Fall des Fremden als mit Art I Abs 1 BVG-RD unvereinbar auf; er konstatierte vielmehr eine Verletzung des „auch Fremden garantierten“ Rechts auf Eigentum. Dass die Bescheidaufhebung – je nachdem, ob der Beschwerdeführer Staatsbürger oder Fremder ist – auf unterschiedliche Grundrechte gestützt wird, ist in der Judikatur durchaus schon vorgekommen, vgl etwa VfSlg 8940/1980; s auch das Erkenntnis VfSlg 14.633/1996, in dem der VfGH anlässlich der Versagung einer grundverkehrsrechtlichen Genehmigung feststellte, die (deutsche) Erstbeschwerdeführerin sei nicht in dem gemäß Art I Abs 1 BVG-RD gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden unter372
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1996 stellte der VfGH allerdings schon fest, dass eine ausländische Beschwerdeführerin, der die Familienbeihilfe für ihr österreichisches Kind verweigert worden war, mit Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit nur (aber immerhin) in dem durch Art I Abs 1 BVG-RD gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander verletzt werden könne. An die Gleichheitskonformität der in der Beschwerde kritisierten Regelung wurde dann allerdings ein milder Maßstab angelegt; der VfGH betonte, dass der Gesetzgeber nicht gehalten sei, Beihilfen in unbeschränkter Weise zu gewähren. Der Gesetzgeber sei bei der Verfolgung familienpolitischer Ziele frei, sein Gestaltungsspielraum durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die keine sachliche Rechtfertigung besteht. Dass die Beschwerdeführerin, die mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet war, für ihr Kind keine Familienbeihilfe beziehen konnte, während sie eine solche Beihilfe erhielte, wenn ihr Ehemann seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet hätte, schien dem VfGH gleichheitsrechtlich unbedenklich. In einer weiteren Entscheidung beanstandete der Gerichtshof auch nicht, dass Familienbeihilfe für ein ständig im Ausland lebendes Kind nicht bezogen werden kann. Der Gesetzgeber habe zwar die für ein solches Kind entstehenden Unterhaltslasten steuerrechtlich zu berücksichtigen; dies müsse jedoch nicht durch Transferleistungen, sondern könne auch im Wege des Steuerrechts geschehen. Da ein solcher Weg nach der geltenden Rechtslage nicht schlechthin versperrt war, wurde die in der Beschwerde kritisierte Vorschrift nicht als gleichheitswidrig qualifiziert374. Ganz allgemein hat der VfGH in seiner jüngeren Judikatur das BVGRD immer häufiger auf Vorschriften angewendet, die nicht bloß Fremde adressieren; dies vorwiegend dann, wenn der Behörde ein schwerer, in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen ist. Hatte der VfGH anfänglich noch implizit angenommen, das BVG-RD erlege der Vollziehung kein Willkürverbot auf 375, so geht er nun in ständiger Rechtsprechung ____________________
einander und die (österreichische) Zweitbeschwerdeführerin nicht im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art 7 B-VG verletzt worden. Allerdings war der Vorwurf der Gleichheitswidrigkeit in diesem Fall zum einen nicht gegen das Gesetz, sondern gegen das Vorgehen der Behörde gerichtet; überdies wurde er auch nicht inhaltlich geprüft, weil er sich auf Umstände stützte, die im Verwaltungsverfahren verspätet vorgebracht worden waren. 374 VfSlg 16.380/2001; s auch VfSlg 16.542/2002. 375 Dementsprechend sah sich der VfGH – da die Art 2 StGG und Art 7 B-VG nur Staatsbürger berechtigten und auch Art 14 EMRK kein Recht auf Gleichheit aller vor dem Gesetz verbürge – in VfSlg 13.314/1992 nicht in der Lage, in einem Fremde betreffenden Bescheidprüfungsverfahren „ – auch grobe – Vollzugsfehler (etwa Verfahrensmängel) [aufzugreifen]“. Auch in VfSlg 14.049/1995 qualifizierte er die Versagung einer Beschäftigungsbewilligung zwar als grob unsachlich, konstatierte dann aber nur eine Verlet-
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davon aus, dass Art I Abs 1 BVG-RD ein willkürliches Vorgehen der Behörde in allen Varianten verbietet, die aus der Rechtsprechung zu Art 7 Abs 1 B-VG bekannt sind376, also nicht bloß das absichtliche Zufügen von Unrecht377, sondern auch grobe Verfahrensfehler378, vor allem die Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt379, das Außerachtlassen des maßgeblichen Sachverhaltes380, das Ignorieren des Parteivorbringens381, dann aber auch die grob unrichtige, also die Rechtslage verkennende382 Gesetzesauslegung und die Erlassung eines gesetzlosen383, begründungslosen384 oder mit schweren Begründungsmängeln behafteten Bescheides385. Ob dieses willkürliche Verhalten auf Merkmalen des Beschwerdeführers beruht, die in Art I Abs 1 BVG-RD ausdrücklich genannt sind, spielt dabei keine Rolle386. Dementsprechend schützt Art I BVG-RD nicht nur physische, sondern auch juristische Personen vor Willkür387. Eine Verletzung des BVG-RD liegt nach der Rechtsprechung weiters dann vor, wenn die Behörde dem Gesetz einen mit Art I BVG-RD unvereinbaren Inhalt unterstellt388, und auch dann, wenn ____________________
zung des verfassungsgesetzlichen Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums, ohne das BVG-RD weiter zu erwähnen. 376 S allgemein zB VfSlg 14.650/1996, 16.939/2003, 17.419/2004, 17.273/2004, 17.856/ 2006, sowie noch unten H.II.1. 377 Dem auf der Ebene der generellen Norm die gezielte Diskriminierung entspricht. 378 VfSlg 15.668/1999, 16.117/2001. 379 ZB VfSlg 14.728/1997, 14.729/1997, 14.745/1997, 14.823/1997, 15.074/1998, 15.109/1999, 15.451/1999, 15.465/1999, 15.743/2000, 16.025/2000, 16.080/2001, 16.297/2001; VfGH 20.6.2007, B 223/07. 380 ZB VfSlg 14.646/1996, 14.902/1997, 14.996/1997, 17.506/2005, 17.856/2006. 381 VfSlg 14.999/1997, 16.117/2001, 17.856/2006; s auch VfSlg 16.939/2003: jahrelange Verschleppung eines Verfahrens durch die Behörde, um den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung dann mit der Begründung abzuweisen, der Antrag sei vom Inland aus gestellt worden; gerade dies war aber nach Auskunft der Behörde im Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 1996 (noch) zulässig. 382 ZB VfSlg 14.388/1995, 14.448/1996, 14.541/1996, 14.845/1997, 14.864/1997, 14.965/1997, 14.989/1997, 15.508/1999, 15.528/1999, 15.572/1999, 16.383/2001, 16.702/2002, 17.419/2004. 383 VfSlg 15.591/1999. 384 VfSlg 14.369/1995, 14.421/1996, 17.891/2006. 385 VfSlg 15.812/2000, 17.230/2004. 386 S zB VfSlg 14.421/1996, 14.448/1996, 14.516/1996, 16.314/2001 und 16.383/ 12.2001: Verkennung der Rechtslage, VfSlg 14.646/1996, 14.728/1997 und 16.297/2001: Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt. 387 VfSlg 15.668/1999, 17.230/2004. 388 VfSlg 14.393/1995: „Eine Verletzung des [...] verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander liegt auch dann vor, wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum BVG [gemeint: BVG-RD] stehend erscheinen ließe“; s auch VfSlg 15.814/2000, 15.992/2000, 17.419/2004, 17.506/ 2005, 17.578/2005.
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sie eine Rechtsvorschrift anwendet, die dem BVG-RD widerspricht389. Derart grobe Fehler einer Behörde können Fremde nicht nur im Asyl-, Staatsbürgerschafts-, Aufenthalts- oder Ausländerbeschäftigungsverfahren geltend machen, sondern ebenso in Vergabe-390, Grundverkehrs-391 oder Datenschutzverfahren392, also auch in Materien, die Staatsbürger ebenso betreffen wie Fremde. Auch wenn die Formel, eine Ungleichbehandlung von Fremden müsse auf einem vernünftigen Grund beruhen und dürfe nicht unverhältnismäßig sein, von einem Prima-facie-Recht auf Gleichbehandlung auszugehen scheint, hat der VfGH in den genannten Entscheidungen – nicht anders als im Rahmen des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG – an Ungleichbehandlungen keineswegs immer einen strengen Prüfungsmaßstab angelegt. Insbesondere wird nicht jede rechtliche Differenzierung als ein Eingriff in ein Prima-facie-Recht behandelt, der möglichst gering zu halten und gegen das Interesse an der Gleichbehandlung abzuwägen ist. Das zeigen besonders deutlich jene beiden Entscheidungen, in denen der VfGH einen Ausschluss vom Bezug der Familienbeihilfe im Wesentlichen unter Hinweis auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers als gleichheitskonform qualifiziert hat393. Maßgeblich für diesen milden Prüfungsmaßstab könnte sein, dass die inkriminierte Vorschrift dem Rechtsunterworfenen keine Belastung auferlegt, ihn also nicht in seiner Freiheit beschränkt, sondern ihm „nur“ eine Zuwendung vorenthält, deren Gewährung dem Gesetzgeber grundsätzlich frei steht394. Beruht eine Ungleichbehandlung auf Gründen, die mit unterschiedlichen Eigenschaften der Vergleichsgruppen von vornherein in keinem Zusammenhang stehen, legt der VfGH einen strengeren Maßstab an, wie die Entscheidungen zur Zulässigkeit des Quotensystems395, der Übergangsregelung im AsylG 1997396 und schließlich das Erkenntnis VfSlg 15.814/2000 zeigen, in dem die Auslegung der Behörde dazu geführt hätte, dass bloß manipulative Umstände darüber entscheiden, ob ein Fremder bis zur Erlangung der Niederlassungsbewilligung im Inland bleiben darf oder nicht. Von dem Gedanken, dass für eine Ungleichbehandlung grundsätzlich die individuellen Voraussetzungen des Rechtsunterworfenen maßgeblich sein müssen, könnte auch das erwähnte Er____________________
389 VfSlg 15.211/1998; VfGH 3.12.1999, B 2269/98 (Anlassfall zu VfSlg 15.836/2000); 10. 3. 2000, B 1017/98; 13. 6. 2000, B 922/98 (Anlassfälle zu VfSlg 15.755/2000). 390 VfSlg 15.668/1999. 391 VfSlg 16.128/2001. 392 VfSlg 16.383/2001. 393 VfSlg 14.694/1996, 16.380/2001. 394 S dazu noch unten G.III. 395 VfSlg 14.191/1995. 396 VfSlg 15.173/1998.
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kenntnis zum Staatsbürgerschaftsrecht getragen sein397. Denn der VfGH erzwingt in dieser Entscheidung durch eine gleichheitskonforme Auslegung eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung, die darauf Bedacht nimmt, ob dem Staatsbürgerschaftswerber wirklich Verfehlungen anzulasten sind, die einer Einbürgerung im Wege stehen. Insgesamt besehen entspricht die Judikatur zu Art I BVG-RD damit durchaus jener zu Art 7 Abs 1 B-VG.
3. Literatur In den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des BVG-RD wurde in der Lehre verschiedentlich erwogen, dass Art I Abs 1 leg cit nur Ungleichbehandlungen nach den im zweiten Satz ausdrücklich genannten Merkmalen der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, der nationalen oder ethnischen Herkunft untersagen könnte398. Bisweilen wurde diese Ansicht auch in der jüngeren Vergangenheit vertreten399. Die überwiegende Lehre scheint die Aufzählung im zweiten Satz des Art I Abs 1 jedoch als eine demonstrative Erläuterung der im ersten Satz verbotenen „rassische[n] Diskriminierung“ anzusehen. Denn sie entnimmt dieser Bestimmung im Einklang mit der Judikatur ganz allgemein ein Verbot sachlich nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlungen400, und wohl auch ein Differenzierungssowie ein allgemeines Sachlichkeitsgebot für Fremde401.
4. Würdigung a. Rassische Diskriminierung ieS aa. Sachlicher Schutzbereich Art I Abs 1 BVG-RD untersagt Gesetzgebung und Vollziehung jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der ____________________
397 398
VfSlg 14.393/1995 (FN 370). Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 603: „Zumindest punktuell, das heißt in Beziehung auf die im BVG BGBl 1973/390 ausdrücklich ausgesprochenen Diskriminierungstatbestände, kommt dem allgemeinen Gleichheitssatz auf der Basis der genannten Vorschrift die Qualität eines Menschenrechts zu“ (Hervorhebung im Original). 399 U. Davy, Asyl II 366; Berka, Grundrechte Rz 899; ders, Art 7 B-VG Rz 25, die allerdings aus anderen Gründen zu dem Ergebnis kommen, dass Fremde vor unsachlichen Differenzierungen und Willkür geschützt sind, s dazu sogleich im Text. 400 Stolzlechner, Die politischen Rechte 95; Adamovich/Funk, Verfassungsrecht 379; Thienel, Staatsbürgerschaft II 74 f; Holzinger, JBl 1993, 7; Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 100; Korinek, FS Rill 187 f; Funk, Einführung Rz 419; Marschik, UN-Rassendiskriminierungskonvention 77; Mayer, B-VG Art 2 StGG Vorb 1; Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht III Rz 42.007; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 757; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1355. 401 S zB Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 100; Holoubek, FS Krejci 1924; Pernthaler, JBl 2005, 198; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1355.
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Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft, ohne dieses Verbot auf bestimmte Rechte oder Rechtsbereiche zu spezifizieren. Dieses Verbot ist insbesondere nicht auf Normen beschränkt, die nur Fremde adressieren. Es gilt daher für sie ebenso wie für Normen, die Fremde und Staatsbürger gleichermaßen treffen und schließlich auch für Vorschriften, die sich allein auf Staatsbürger beziehen. Seinem sachlichen Schutzbereich nach ist Art I Abs 1 Satz 2 BVG-RD also – nicht anders als Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG – unbeschränkt. bb. Verpönte Differenzierungsmerkmale Wenn Art I Abs 1 BVG-RD in seinem zweiten Satz bestimmt, dass Gesetzgebung und Vollziehung jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft zu unterlassen haben, lehnt er sich erkennbar an Art 1 Abs 2 RDK an, der die rassische Diskriminierung gerade als Unterscheidung nach diesen Kriterien umschreibt. Rasse, Hautfarbe, Abstammung und ethnische Herkunft sind Merkmale, die dem Einzelnen erstens vorgegeben und die seiner Disposition zweitens entzogen sind402. Sie wurden in der Vergangenheit immer wieder zum Anlass genommen, um Menschen zu verfolgen, zu versklaven, ihnen Rechte vorzuenthalten oder sie sonst zu benachteiligen, dies regelmäßig mit der Begründung, Angehörige einer bestimmten Rasse, Hautfarbe etc seien „minderwertig“ und anderen „von Natur aus“ unterlegen. Dass die RDK diese historisch vorgenommenen Diskriminierungen als einen Angriff auf die Würde des Menschen bewertet, geht deutlich aus ihrer Präambel hervor403; dass sie solchen Unterscheidungen für die Zukunft mit aller Schärfe entgegentreten will, zeigt Art 1 Abs 1 RDK, der zum Teil redundant, aber offenkundig von dem Bestreben getragen ist, jede nur erdenkliche Form einer rassischen Diskriminierung auszuschließen, also jede auf eines der genannten Merkmale gründende „Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, die Anerkennung, den Genuß oder die Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in gleichberechtigter Weise im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens zu vereiteln oder zu beseitigen.“ ____________________
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S auch Marschik, UN-Rassendiskriminierungskonvention 22 f. Die RDK beruht ihren einleitenden Erwägungen zufolge auf den Grundsätzen der „allen Menschen angeborenen Würde und Gleichheit“ (s die erste Erwägung der RDK, die sich auf die Satzung der Vereinten Nationen beruft) und gründet sich auf die Annahme, dass „alle Menschen frei und an Würde und Rechten gleich geboren sind“ (s die zweite Erwägung der RDK, die auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Bezug nimmt). 403
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Vor diesem Hintergrund ist durchaus verständlich, dass der Vorschlag, in den Katalog verpönter Differenzierungskriterien auch die „nationale Herkunft“ aufzunehmen, im Zuge der Beratung der RDK auf gewisse Widerstände gestoßen ist404; schließlich räumen alle Staaten ihren eigenen Staatsbürgern besondere Rechte ein, ohne dass deshalb Nichtstaatsbürgern der gleiche Wert als Mensch abgesprochen oder deren Würde angegriffen wird. Um klarzustellen, dass derartige Differenzierungen weiterhin zulässig sind, bestimmt die RDK unmittelbar nach der Erläuterung der rassischen Diskriminierung in Art 1 Abs 2, dass dieses Übereinkommen „keine Anwendung auf Unterscheidungen, Ausschließungen, Beschränkungen oder Bevorzugungen [findet], die ein Vertragsstaat zwischen Bürgern und Nichtbürgern macht“405. Das in Art 1 Abs 1 RDK verpönte Differenzierungsmerkmal der „nationalen Herkunft“ kann dementsprechend von vornherein nicht iS der „Staatsbürgerschaft“ verstanden werden406. Das allein legt allerdings den Inhalt dieses verpönten Differenzierungsmerkmals noch nicht mit hinreichender Klarheit fest: Die „nationale Herkunft“ könnte nämlich (ähnlich wie die ethnische Herkunft) die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe meinen, sie könnte sich aber auch auf die Staatsangehörigkeit eines Fremden oder auf die frühere Staatsangehörigkeit einer eingebürgerten Person beziehen. Für die erste Deutung spricht zunächst, dass die RDK selbst zwischen nationaler Herkunft und Staatsangehörigkeit unterscheidet: Sie spricht in Art 1 Abs 1 RDK von „national origin“/„origine nationale“ und gerade nicht von „nationality“/ „nationalité“. Der zuletzt genannte Ausdruck wird hingegen in Art 1 Abs 3 RDK verwendet: Ihm zufolge ist keine Bestimmung dieses Übereinkommens so auszulegen, als berühre sie auf irgendeine Weise die Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten über Staatsangehörigkeit (nationality/nationalité), Staatsbürgerschaft (citizenship/citoyenneté) oder Einbürgerung (naturalization/naturalisation), sofern solche Vorschriften nicht Angehö____________________
404 S dazu die Nachweise bei Thienel, Staatsbürgerschaft I 157 ff; U. Davy, Asyl II 367 FN 430. 405 Hervorhebungen nicht im Original. 406 Diese Annahme findet auch eine Bestätigung in Art 5 lit c RDK, nach dem jedermann ohne Unterschied der Rasse, der Hautfarbe, des nationalen Ursprungs oder der ethnischen Herkunft das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz gewährleistet ist, dies insbesondere hinsichtlich des Genusses der politischen Rechte: Dass diese Rechte üblicherweise nur Staatsbürgern zugestanden werden, wollte die RDK offensichtlich auch für die Zukunft zulassen; verhindert werden sollte aber, dass Staatsbürger von diesen politischen Rechten aus rassischen Gründen ausgeschlossen werden. Die deutsche Übersetzung des Art 5 RDK verwendet die Ausdrücke „nationalen Ursprungs oder der ethnischen Herkunft“, während Art 1 Abs 1 RDK von „nationale[r] oder ethnische[r] Herkunft“ spricht. Ein Bedeutungsunterschied liegt darin aber nicht, denn in der englischen und französischen Fassung ist sowohl in Art 1 Abs 1 als auch in Art 5 einheitlich von „national or ethnic origin“ bzw „origine nationale ou ethnique“ die Rede.
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rige eines bestimmten Staates diskriminieren (do not discriminate against any particular nationality/ne soient pas discriminatoires à l’égard d’une nationalité particulière). Dass die RDK mit der sprachlichen Unterscheidung zwischen „national origin“/„origine nationale“ und „nationality“/ „nationalité“ auch unterschiedliche Bedeutungen verbunden wissen will, ist auch aus teleologischen Erwägungen anzunehmen: Es ist in der Staatenpraxis durchaus üblich, den Angehörigen eines bestimmten Staates auf der Grundlage von Staatsverträgen besondere Rechte einzuräumen; läge darin schon eine Bevorzugung nach der „nationalen Herkunft“, wären derartige Sonderbehandlungen als rassische Diskriminierung durch die RDK für alle Zukunft ausgeschlossen. Soll nicht angenommen werden, dass die Vertragsstaaten schon in jeder Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit eine – fortan verpönte – rassische Diskriminierung sahen, muss das Merkmal der „nationalen Herkunft“ enger, also iS der nach soziologischen, kulturellen und historischen Kriterien bestimmten Zugehörigkeit zu einer Minderheit verstanden werden407. Ob auch der Verfassungsgesetzgeber den Begriff der „nationalen Herkunft“ in Art I Abs 1 BVG-RD in dieser Bedeutung verwendet, ist fraglich. Denn die Materialien betonen ausdrücklich, dass durch „Art. I [...] keine formelle Gleichheit statuiert werden [soll]. So wie bisher auf dem Boden des Art. 7 B-VG werden sachlich gerechtfertigte Unterscheidungen zulässig bleiben. Die Formulierung des Art. I Abs. 1 des Gesetzentwurfs bringt dies im ersten Satz durch die Verwendung des Wortes ‚Diskriminierung‘ und im zweiten Satz durch die Worte ‚aus dem alleinigen Grund‘ zum Ausdruck. Eine durch diese Bestimmung verbotene Unterscheidung liegt insbesondere dann nicht vor, wenn sie in einem Staatsvertrag ihre Grundlage hat, weil die in Staatsverträgen vorgesehene besondere Behandlung der Staatsangehörigen der Vertragstaaten ihre sachliche Berechtigung in der Herstellung der Gegenseitigkeit hat.“408
Die Materialien scheinen also anzunehmen, dass eine Ungleichbehandlung zwischen Fremden verschiedener Staatsangehörigkeit zwar unter den Tatbestand des Art I Abs 1 Satz 2 BVG-RD fällt, aber nicht absolut, sondern nur dann verboten ist, wenn sie nicht sachlich begründet werden ____________________
407 So auch Marschik, UN-Rassendiskriminierungskonvention 23, der betont, dass die nationale Herkunft streng von der jederzeit veränderbaren Nationalität iS einer Staatsangehörigkeit abzugrenzen ist; in diesem Sinn wohl auch Thienel, Staatsbürgerschaft I 158; s auch die Materialien zur RDK RV 35 BlgNR 13. GP 25, denen zufolge durch Art 1 „nicht allein die Benachteiligung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse verhindert [werden], sondern auch ethnische und andere Minderheiten geschützt werden [sollen]“; s auch AB 241 BlgNR 13. GP 1, wonach die RDK den Schutz des Einzelmenschen, „aber auch bestimmter rassischer und ethnischer Gruppen gegen jede Art von rassischer Diskriminierung garantieren soll“. 408 RV 732 BlgNR 13. GP 3; s auch AB 801 BlgNR 13. GP 1, wonach durch das Diskriminierungsverbot des Art I Abs 1 BVG-RD „[w]ie bisher [...] sachlich gerechtfertigte Unterscheidungen zulässig bleiben [sollen].“
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kann409. Dass der Anwendungsbereich des Art I Abs 1 BVG-RD über jenen des Art 1 RDK hinausgeht, wird auch in dem Verständnis deutlich, das die Materialien dem Ausdruck der „Diskriminierung“ beilegen: Während Art 1 RDK unter einer rassischen Diskriminierung nur Unterscheidungen nach einem der ausdrücklich verpönten Differenzierungsmerkmale versteht (diese aber jedenfalls), sollte der Begriff der Diskriminierung in Art I Abs 1 BVG-RD zum Ausdruck bringen, dass diese Bestimmung keine schematische Gleichbehandlung verlangt; sachlich gerechtfertigte Unterscheidungen sollten vielmehr „so wie bisher auf dem Boden des Art 7 B-VG“ weiterhin zulässig sein. Diese Einschränkung wäre wohl nicht erforderlich gewesen, wenn Art I Abs 1 BVG-RD nur Benachteiligungen aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe hätte ausschließen sollen; denn dass diese Merkmale keinen sachlichen Grund für eine rechtliche Unterscheidung liefern können, ist gerade die zentrale Aussage der RDK und sollte wohl auch durch das BVG-RD nicht in Zweifel gezogen werden. Eine Ungleichbehandlung nach einem ausdrücklich verpönten Kriterium lässt die RDK in Art 1 Abs 4 nur dann zu, wenn sie zum Zweck einer angemessenen Entwicklung gewisser schutzbedürftiger rassischer oder ethnischer Gruppen oder Einzelpersonen getroffen wird, um ihnen den gleichen Genuss oder die gleiche Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu sichern: Derartige Maßnahmen gelten nach Art 1 Abs 4 RDK nicht als rassische Diskriminierung, sofern sie nicht die Aufrechterhaltung getrennter Rechte für verschiedene rassische Gruppen zur Folge haben und sofern sie nicht aufrechterhalten werden, nachdem die Ziele, deretwegen sie getroffen wurden, erreicht worden sind. Offenkundig hatten die Gesetzesredaktoren bei der Schaffung des BVG-RD nicht derartige Förderungsmaßnahmen im Auge, als sie betonten, dass Art I Abs 1 BVG-RD sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlungen weiterhin zulasse; sie gingen vielmehr davon aus, dass Art I Abs 1 BVG-RD sich nicht bloß gegen eine Differenzierung nach bestimmten Merkmalen, sondern ganz allgemein gegen sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen (nach welchem Kriterium immer) wendet. Je weiter der Anwendungsbereich eines Gleichheitssatzes gezogen wird, desto eher verliert er zwangsläufig an Striktheit: Kann eine Unterscheidung nach Rasse und Hautfarbe (von Förderungsmaßnahmen abgesehen) noch ohne weiteres kategorisch als unzulässig angesehen werden, so gilt Gleiches selbstverständlich nicht für die Ungleichbehandlung zwischen Menschen schlechthin: Sie ist, wie schon mehrfach betont wurde, nicht einmal prima facie suspekt, sondern in vielen Fällen wünschenswert, ____________________
409 Auch der VfGH versteht unter der „nationalen Herkunft“ iSd Art I Abs 1 BVG-RD die „Angehörigkeit zu einem bestimmten Staat“: VfSlg 13.836/1994.
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wenn nicht gar geboten. Unzulässig ist sie nur dann, wenn sie nicht mit Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen korrespondiert und auch sonst nicht durch ein legitimes Ziel sachlich gerechtfertigt ist410. cc. „Unterscheidung“ Der Verfassungsgesetzgeber wollte mit Art I Abs 1 BVG-RD – über die RDK hinausgehend – zwar unsachliche Ungleichbehandlungen unabhängig von dem jeweils verwendeten Differenzierungskriterium verbieten. Dies lässt aber nicht den Schluss zu, dass deshalb die Striktheit des Verbotes rassischer Diskriminierung iSd Art 1 RDK relativiert oder aufgeweicht werden sollte: Denn einerseits war es das erklärte Ziel des BVGRD, die RDK umzusetzen, andererseits lässt auch die RDK selbst in Art 1 Abs 4 Förderungsmaßnahmen ausdrücklich zu. Soll beiden Gesichtspunkten Rechnung getragen werden, dann ist anzunehmen, dass Art I Abs 1 BVG-RD Ungleichbehandlungen nach der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung und der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe grundsätzlich für suspekt erklärt, dem Einzelnen also (ebenso wie Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG) ein Prima-facie-Recht einräumt, aufgrund dieser Merkmale nicht ungleich behandelt zu werden. Von diesem Recht erfasst ist nicht nur eine Besser- oder Schlechterstellung, die auf einem der genannten Merkmale beruht, sondern schlechthin jede rechtliche Unterscheidung nach einem dieser Kriterien. Dies folgt schon aus der Präambel der RDK, die „die Politik der Apartheid, der Segregation oder der Rassentrennung“ ausdrücklich verurteilt, dann aber auch aus Art 1 Abs 4 RDK, nach dem Förderungsmaßnahmen nur dann keine rassische Diskriminierung darstellen, wenn sie nicht die Aufrechterhaltung getrennter Rechte für verschiedene rassische Gruppen zur Folge haben411. Jede Regelung, die zwischen den Trägern der verpönten Kriterien differenziert, stellt daher einen Eingriff in dieses Recht dar und bedarf, um zulässig zu sein, einer besonderen Rechtfertigung. Das gilt (anders als nach Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG) nicht nur für Normen, die unmittelbar an eines dieser Kriterien anknüpfen, sondern auch für Vorschriften, die zwar kriterienneutral formuliert sind, sich aber für Personen einer bestimmten Rasse, Hautfarbe, Abstammung oder für Angehörige einer bestimmten Volksgruppe signifikant häufiger nachteilig auswirken als für andere Personen. Auch derart mittelbare Diskriminierungen sind nämlich von der weiten Definition der rassischen ____________________
410
C.III.4., C.IV.4.b., C.V.3., D.I.8.f., D.IV.1.c. Gleichwertige Differenzierungen nach dem Muster „separate but equal“ sind daher – anders als nach Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG (E.I.4.c.) – stets als ein Eingriff anzusehen, weil in ihnen immer eine Ungleichwertigkeit der Vergleichsgruppen zum Ausdruck kommt. 411
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Diskriminierung in Art 1 Abs 1 RDK erfasst412 und dem zur Umsetzung dieser Konvention erlassenen Art I Abs 1 BVG-RD seinem Wortlaut nach subsumierbar413. Als legitimes Ziel einer solchen Ungleichbehandlung kommt im Lichte des Art 1 Abs 4 RDK auch für Art I Abs 1 BVG-RD nur das Bestreben in Betracht, gewissen schutzbedürftigen rassischen oder ethnischen Gruppen oder Einzelpersonen eine angemessene Entwicklung zu ermöglichen, um ihnen den gleichen Genuss oder die gleiche Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu sichern. Derartige Maßnahmen müssen aber, um vor Art I Abs 1 BVG-RD bestehen zu können, zur Zielerreichung geeignet und erforderlich sein, dies auch in zeitlicher Hinsicht: Ist das Ziel, deretwegen diese Maßnahmen getroffen wurden, erreicht, so verletzt ihre weitere Aufrechterhaltung nicht nur Art 1 Abs 1 RDK, sondern auch Art I Abs 1 BVG-RD. Solange und soweit solche Maßnahmen aber erforderlich sind, wiegt ihr Ziel schwerer als das durch Art I Abs 1 BVGRD statuierte Prima-facie-Recht, nicht aufgrund eines verpönten Kriteriums ungleich behandelt zu werden414. Für Vorschriften, die zwischen Fremden nach ihrer Staatsangehörigkeit differenzieren, gelten derart strenge Maßstäbe nicht. Wie aus den Materialien hervorgeht, scheint der Verfassungsgesetzgeber allerdings unter der „nationalen Herkunft“ iSd Art I Abs 1 BVG-RD auch die Staatsangehörigkeit Fremder zu verstehen. Er hebt dieses Merkmal damit aus der Masse der denkbaren Differenzierungskriterien hervor und verwirft es als „alleinigen Grund“ für eine Ungleichbehandlung. Fremden wird auf diese Weise ein Prima-facie-Recht eingeräumt, nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit ungleich behandelt zu werden. Ein Eingriff in dieses Recht ist allerdings gerechtfertigt, wenn zwischen den Angehörigen verschiedener Staaten aus anderen Gründen wesentliche Unterschiede bestehen. Nach den Materialien können derartige Unterschiede etwa (und wohl vor allem) durch Staatsverträge begründet werden: Diesfalls finde die besondere Be____________________
412 Art 1 Abs 1 RDK versteht unter rassischer Diskriminierung jede Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung nach einem der genannten Kriterien, die zum Ziel oder zur Folge hat, die Anerkennung, den Genuss oder die Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in gleichberechtigter Weise zu vereiteln oder zu beeinträchtigen; s auch Marschik, UN-Rassendiskriminierungskonvention 25. 413 Verboten ist nach Art I Abs 1 BVG-RD jede „Unterscheidung“ aus dem alleinigen Grund der Rasse etc, s demgegenüber zu Art 7 Abs 1 Satz 2 oben E.I.4.d. 414 Die Probleme, die sich dabei ergeben können, sind grundsätzlich vergleichbar mit jenen der positiven Maßnahmen zugunsten des unterrepräsentierten Geschlechts, s dazu schon oben E.I.4.e. Auch hier ist die Einräumung von Gruppenrechten nicht ausgeschlossen, sie ist aber die Ausnahme, die den Kriterien der Verhältnismäßigkeit genügen muss, um zulässig zu sein. Wiederum sind individuelle und kollektive Interessen also zu einem Ausgleich zu bringen, s dazu schon oben FN 324.
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handlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten nämlich ihre sachliche Berechtigung in der Herstellung der Gegenseitigkeit415: Zur Herstellung der Gegenseitigkeit kann freilich genügen, dass den Staatsangehörigen des Vertragsstaates ein bestimmter Status eingeräumt wird; dass dieser Status allen anderen Fremden vorenthalten bleibt, wäre nur dann erforderlich, wenn ein Vertrag gerade dazu dient, besondere und privilegierte Beziehungen mit einem Drittstaat zu schaffen: Dies hat der VfGH etwa für Assoziierungs-Abkommen iSd Art 310 EGV angenommen, und zwar unabhängig davon, ob diese Abkommen (wie im Fall der Türkei) auch als Vorbereitung auf einen allfälligen späteren Beitritt zur EU dienen oder ob sie (wie hier bei Algerien, Marokko und Tunesien) den Aufbau von Freihandelszonen bezwecken. Dass nur die Angehörigen dieser Staaten, nicht aber auch andere Drittstaatsangehörige zur Arbeiterkammer passiv wahlberechtigt waren, beanstandete der VfGH folglich nicht416. Freilich wird man auch dann, wenn ein Abkommen nicht (auch) auf die wechselseitige Privilegierung der Angehörigen des jeweiligen Vertragsstaates gerichtet ist, eine Ungleichbehandlung dieser Staatsangehörigen im Verhältnis zu anderen als sachlich ansehen können, weil sonst der Abschluss eines Abkommens immer eine Kettenreaktion auslösen würde, die womöglich dazu führte, dass derartige Abkommen gar nicht mehr geschlossen werden können. Eine solche Lähmung außenpolitischer Beziehungen zu vermeiden, ist zwar ein externer, aber gewiss gerechtfertigter Grund, um die den Angehörigen eines Staates vertraglich zugestandenen Begünstigungen nicht auch auf alle anderen Fremden auszudehnen. Nicht das Ziel, Gegenseitigkeit herzustellen, liefert dann die sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung, sondern die staatsvertraglich begründeten Unterschiede zwischen den ungleich behandelten Personengruppen und außenpolitische Interessen der Republik. Gerechtfertigt ist eine solche Differenzierung allerdings nur, soweit diese Unterschiede reichen. Ein Sichtvermerksabkommen könnte dementsprechend keine ausreichende Rechtfertigung liefern, um die Angehörigen des jeweiligen Vertragsstaates von der Steuerpflicht zu befreien. dd. Persönlicher Schutzbereich Ebenso wenig wie Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG differenziert auch Art I Abs 1 Satz 2 BVG-RD zwischen Staatsbürgern und Fremden. Er bestimmt vielmehr ohne weitere Einschränkung, dass Gesetzgebung und Vollziehung jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft zu ____________________
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RV 732 BlgNR 13. GP 3. VfSlg 17.672/2005, s aber auch noch E.IV.4.b.
Art I Abs 1 BVG-RD
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unterlassen haben. Auch der erste Satz dieser Bestimmung verbietet ganz allgemein jede Form rassischer Diskriminierung, und zwar „auch soweit ihr nicht bereits Art. 7 des [B-VG] und Art. 14 der [EMRK] entgegenstehen“417. Wie sich aus den Materialien ergibt, sollten die beiden zuletzt genannten Bestimmungen durch das BVG-RD nicht ersetzt, sondern lediglich ergänzt werden418. Da Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG hinsichtlich seines sachlichen Anwendungsbereiches bereits ohne Beschränkungen gilt, kann sich die in Art I Abs 1 BVG-RD intendierte Erweiterung des allgemeinen Gleichheitssatzes nur auf seinen persönlichen Anwendungsbereich beziehen; sie führt also zu einer Ausdehnung des nur Staatsbürgern gewährten Diskriminierungsschutzes auf Fremde. Teils in Wiederholung des Art 7 Abs 1 B-VG, teils als dessen Ergänzung gewährt Art I Abs 1 BVG-RD also allen Menschen das Recht, nicht aus rassischen Gründen diskriminiert zu werden. Auch dieser unbeschränkte persönliche Schutzbereich des Art I Abs 1 BVG-RD entspricht der Zielsetzung der RDK, die auf den Grundsätzen der „allen Menschen angeborenen Würde und Gleichheit“419 beruht und sich auf die Annahme gründet, dass „alle Menschen frei und an Würde und Rechten gleich geboren sind“420. Völlig zu Recht hat der VfGH daher Art I Abs 1 BVG-RD auch auf eine österreichische Staatsbürgerin afrikanischer Herkunft angewendet, die des Drogenhandels verdächtigt, festgenommen, durchsucht und einer Röntgenuntersuchung unterzogen worden war; in einer dagegen erhobenen Maßnahmenbeschwerde brachte sie vor, die Organwalter hätten sich bei ihrer Amtshandlung nur von der Hautfarbe und der (vermuteten) Herkunft der Beschwerdeführerin leiten lassen. Der UVS setzte sich mit diesem Vorwurf nicht auseinander und verletzte die Beschwerdeführerin dadurch, wie der VfGH zutreffend entschied, in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz421. b. Rassische Diskriminierung iwS Wie sich aus den Materialien ergibt, soll Art I BVG-RD nicht nur Unterscheidungen nach den ausdrücklich genannten Merkmalen verbieten; er richtet sich vielmehr auch gegen andere, aus unsachlichen Gründen getroffene Differenzierungen. Dementsprechend bekundet die RV die Absicht, „den verfassungsgesetzlich garantierten Gleichheitssatz auf die Be____________________
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Hervorhebung nicht im Original. RV 732 BlgNR 13. GP 2. S die erste Erwägung der RDK. S die zweite Erwägung der RDK. VfSlg 17.017/2003.
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handlung von Ausländern untereinander auszudehnen“422, und stellt im Zusammenhang mit Art I Abs 2 BVG-RD ua fest: „Der vorliegende Gesetzentwurf verbietet in Verbindung mit Art. 7 B-VG jede sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen Inländern einerseits und zwischen Ausländern einschließlich Staatenloser andererseits.“423 Ein derart allgemeines Verbot unsachlicher Ungleichbehandlungen kommt im Wortlaut des Art I Abs 1 BVG-RD allein zwar nicht zum Ausdruck. Es findet aber einen gewissen Niederschlag in Art I Abs 2 BVG-RD. Nach dieser Vorschrift hindert Abs 1 – wie in Ansehung der Materialien ergänzt werden muss: nur – nicht, österreichischen Staatsbürgern besondere Rechte einzuräumen oder besondere Verpflichtungen aufzuerlegen, untersagt es aber – wie mit Blick auf die Materialien e contrario anzunehmen ist – durchaus, Fremde aus unsachlichen Gründen ungleich zu behandeln424. In der Lehre wird dieser Inhalt des BVG-RD im Einklang mit den Materialien regelmäßig als das „Recht Fremder auf Gleichbehandlung untereinander“ umschrieben425; in ähnlicher Weise spricht auch die Judikatur von einem „Verbot [...], sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen“426. Diesen Formulierungen ist insoweit zuzustimmen, als sie ausdrücken, dass das BVG-RD nicht zur Gleichbehandlung von Staatsbürgern und Fremden zwingt. Nicht berechtigt wäre allerdings die Annahme, dass Art I Abs 1 BVG-RD nur auf Vorschriften anwendbar ist, die sich – wie etwa das FPG, NAG oder das AsylG – von vornherein ausschließlich auf Fremde beziehen. Dass eine Ungleichbehandlung neben Fremden auch Staatsbürger trifft, kann einer Berufung auf Art I Abs 1 BVG-RD nicht entgegenstehen: Erstens werden nämlich auch durch eine solche Differenzierung Fremde im Verhältnis zueinander ungleich behandelt. Zweitens wäre nicht einzusehen, warum der Anspruch Fremder, nicht aus unsachlichen Gründen benachteiligt zu werden, seine ____________________
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RV 732 BlgNR 13. GP 2; s auch AB 801 BlgNR 13. GP 1. RV 732 BlgNR 13. GP 3. 424 S in diesem Sinn auch die Materialien zur RDK, RV 35 BlgNR 13. GP 25, wonach sich „durch einen Umkehrschluß aus Artikel 1 Absatz 2 ergibt“, dass „das Übereinkommen auch für die Behandlung von Ausländern im Verhältnis zu anderen Ausländern [gilt].“ Da Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG sich nur auf Staatsbürger bezieht, wurde Art 1 RDK als verfassungsändernd behandelt. Österreich hat den zitierten Materialien zufolge durch die RDK die Pflicht übernommen, auch Ausländer untereinander gleich zu behandeln. 425 ZB Stolzlechner, Die politischen Rechte 95; Freudenschuss, EuGRZ 1983, 630; Adamovich/Funk, Verfassungsrecht 379; Thienel, Staatsbürgerschaft II 74 f; Coulon, Ausländer 40; Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 98 f; Mayer, Verfassungsrechtswissenschaft 74; Marschik, UN-Rassendiskriminierungskonvention 75; Korinek, FS Rill 187 ff; Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht III Rz 42.007; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 757; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1355. 426 ZB VfSlg 14.728/1997; 17.398/2004, 17.648/2005, 17.856/2006. 423
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Berechtigung verlieren sollte, sobald eine unsachliche Ungleichbehandlung sich auch auf Staatsbürger erstreckt. Ganz zu Recht hat der VfGH daher in seiner jüngeren Judikatur eine Berufung auf Art I Abs 1 BVG-RD auch in Familienbeihilfe-, Grundverkehrs-, Vergabe- oder Datenschutzangelegenheiten zugelassen, also in Materien, die für Fremde ebenso gelten wie für Staatsbürger427. Konsequenterweise müssen auch alle anderen „besonderen“ Rechtsprechungslinien zu Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG einschließlich jener zum allgemeinen Sachlichkeitsgebot für Fremde Geltung haben: Wenn daher etwa in ein wohl erworbenes Recht eingegriffen oder eine unzulässige Rückwirkung angeordnet, jemand für die Haftung fremder Schulden herangezogen oder über ihn eine exzessive Strafe verhängt wird, steht einem Fremden eine Berufung auf Art I Abs 1 BVG-RD ebenso offen wie dem Staatsbürger die Geltendmachung des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG428. Ob eine Ungleichbehandlung nach einem in Art I Abs 1 BVG-RD nicht ausdrücklich genannten Kriterium mit dem BVG-RD vereinbar ist, richtet sich also nach jenen Grundsätzen, die auch für Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG gelten. Dass eine Ungleichbehandlung zwischen Fremden, wie der VfGH in VfSlg 14.191/1995 angenommen hat, „nur dann und insoweit zulässig [ist], als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist“, gilt ebenso wie bei Ungleichbehandlungen zwischen Staatsbürgern nicht für schlechthin jede Ungleichbehandlung im formalen Sinn, sondern nur für Eingriffe in ein gleichheitsrechtlich geschütztes Prima-facie-Recht. Nur in solchen Fällen hat der Einzelne ein Recht darauf, dass die ihn treffende rechtliche Benachteiligung auf das zur Zielerreichung erforderliche Maß reduziert bleibt und zum Gewicht des Regelungsziels nicht außer Verhältnis steht. Für andere, nicht prima facie verbotene Un/gleichbehandlungen kommt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht in Betracht, weil hier kein Interesse besteht, das gleichheitsrechtlich prima facie schutzwürdig wäre. Für die Zulässigkeit solcher Ungleichbehandlungen genügt eine sachliche Begründung durch wesentliche Unterschiede zwischen den ungleich behandelten Personengruppen.
III. Staatsbürgerschaft, EWR-Bürgerschaft, Drittstaatsangehörigkeit Das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz ist in Österreich also durch zwei Vorschriften garantiert: Zum einen durch Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG, ____________________
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E.II.2.c. S auch Holoubek, FS Krejci 1924.
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der alle Staatsbürger vor dem Gesetz für gleich erklärt, zum Zweiten durch Art I Abs 1 Satz 1 BVG-RD, der den bis dahin nur Staatsbürgern gewährten Gleichheitsschutz auf Fremde erstreckt. Dieser erste Absatz „hindert“ nach Art I Abs 2 BVG-RD aber „nicht, österreichischen Staatsbürgern besondere Rechte einzuräumen oder besondere Verpflichtungen aufzuerlegen, soweit dem Art. 14 [EMRK] nicht entgegensteht.“ Die Bedeutung dieser Bestimmung ist in der Lehre umstritten und durch die Judikatur noch nicht geklärt. Sie wirft die Frage auf, ob Art I Abs 1 BVG-RD Fremde vor einer Benachteiligung gegenüber Staatsbürgern und ob Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG Staatsbürger vor einer Benachteiligung gegenüber Fremden schützt.
1. Ausländerdiskriminierung a. Judikatur Während der VfGH in jüngerer Zeit auch Normen am BVG-RD misst, die zwischen Staatsbürgern und Fremden nicht differenzieren, die also für jedermann gelten, hat er bislang noch offen gelassen, ob Art I Abs 1 BVG-RD Fremde auch davor schützt, Staatsbürgern gegenüber benachteiligt zu werden429. Eine gewisse Bereitschaft, diese Frage zu bejahen, könnte allerdings im Erkenntnis VfSlg 14.191/1995 gesehen werden, in dem der VfGH sich für die Erstreckung des Gleichheitssatzes auf Fremde zum einen auf Korinek beruft, der an einer anderen Stelle des zitierten Beitrages die Anwendung des BVG-RD auf Differenzierungen zwischen Staatsbürgern und Fremden ausdrücklich bejaht430, zum Zweiten auf Adamovich/Funk, denen zufolge der Gleichheitsgrundsatz durch das BVGRD „wenigstens zu einem gewissen Grad auch auf Ausländer ausgedehnt worden [ist], insbesondere auf das Verhältnis der Ausländer zueinander“431. Balthasar meint, der VfGH habe der Position Korineks in dieser Hinsicht eine „deutliche Absage“ erteilt, weil er dem Art I Abs 1 BVG-RD nur ein Recht auf „Gleichbehandlung von Fremden untereinander“ entnimmt ____________________
429 Dass eine Unterscheidung zwischen Fremden und Staatsbürgern nicht weiter rechtfertigungsbedürftig ist, klingt etwa in VfSlg 12.704/1991 an: Dem Vorwurf, Regelungen betreffend den Ausländergrundverkehr verletzten Art I BVG-RD, wurde bloß entgegengehalten, dass nach Art I Abs 2 BVG-RD das Verbot der Diskriminierung aus dem alleinigen Grund der nationalen Herkunft nicht hindert, österreichischen Staatsbürgern besondere Rechte einzuräumen, sofern hiebei nicht gegen Art 14 EMRK verstoßen wird, was in concreto nicht der Fall sei; s auch VfSlg 14.393/1995, 17.200/2004, 17.578/2005, 17.891/ 2006, wo nur vom Recht „auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander“ die Rede ist (Hervorhebung nicht im Original). 430 Korinek, FS Rill 191 ff. 431 Adamovich/Funk, Verfassungsrecht 366 f (Hervorhebungen zum Teil nicht im Original), s auch dies, aaO 379.
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und sich auch nur insoweit auf den zitierten Beitrag Korineks bezieht432. Man sollte wohl in beiden Richtungen nicht übertreiben. Weder erteilt die Entscheidung VfSlg 14.191/1995 der Geltung des Art I BVG-RD auch für das Verhältnis zwischen Fremden und Staatsbürgern jene „deutliche“ Absage, die Balthasar darin sehen will, noch kann in ihr eine Rezeption der von Korinek vertretenen Position gesehen werden. Viel näher liegt die Annahme, dass der VfGH diese Frage einfach offen lassen und die Tür in keine Richtung zuschlagen wollte. Denn der VfGH löst Auslegungsprobleme ganz allgemein nicht vorab, sondern erst dann, wenn dies zur Entscheidung eines bei ihm anhängigen Falles erforderlich ist, getreu der Ansicht, dass „seine Erkenntnisse nicht der Ort sind, wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten zu erörtern, zu ihnen Stellung zu nehmen und sie auszutragen“433. b. Literatur In der Lehre besteht zwar Einigkeit darin, dass Art I BVG-RD sich jedenfalls auf die Gleich- bzw Ungleichbehandlung Fremder untereinander bezieht434; ob das BVG-RD darüber hinaus auch auf Differenzierungen zwischen Staatsbürgern und Fremden Anwendung findet, ist jedoch umstritten. Korinek und ihm folgend ein beträchtlicher Teil der Lehre haben diese Frage mit der Begründung bejaht, dass Art I Abs 2 BVG-RD nur eine Ermächtigung an den einfachen Gesetzgeber enthalte, also nicht anordne, dass Ausländer und Staatsbürger unterschiedlich zu behandeln sind, sondern bloß feststelle, dass Abs 1 „nicht hindert“, Staatsbürgern besondere Rechte einzuräumen oder besondere Verpflichtungen aufzuerlegen. Nichts zwinge zu der Annahme, dass diese Ermächtigung schrankenlos und undeterminiert sei, dem Gesetzgeber also eine Differenzierung zwischen Inländern und Ausländern aus jedem beliebigen Grund erlaube. Eine Betrachtung dieser Ermächtigung im Kontext des gesamten Verfassungssystems lege vielmehr die gegenteilige Annahme nahe: Schließlich werde nirgendwo in der österreichischen Rechtsordnung einem repräsentativen Staatsorgan die Möglichkeit zu willkürlicher Rechtssetzung einge____________________
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Balthasar, ZÖR 1998, 198 (Hervorhebung im Original). VfSlg 2455/1952. 434 Freudenschuss, EuGRZ 1983, 630; Adamovich/Funk, Verfassungsrecht 379; Thienel, Staatsbürgerschaft II 74 f; ders, Berufungsverfahren 21 f; Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 100; Korinek, FS Rill 187 f; Muzak, Aufenthaltsberechtigung 10 f; ders, ÖJZ 1996, 498 f; Baumgartner, Grundrechtsschutz 212 (implizit); Mayer, Fremdenrecht 96 f; Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 35; Marschik, UN-Rassendiskriminierungskonvention 78 ff; Ulrich, juridikum 2001, 177; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 757; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1355; wohl auch Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 603 f. 433
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räumt, die auf ihre Rechtfertigung nicht hinterfragt werden kann. Das BVG-RD erlaube daher zwar eine Ungleichbehandlung zwischen Inländern und Ausländern, dies allerdings nur unter der (vielfach ohnedies vorliegenden) Voraussetzung, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist435. Zu diesem Ergebnis kommt, allerdings mit anderer Begründung, auch U. Davy, nach der das BVG-RD den allgemeinen Gleichheitssatz nicht ergänzt, sondern teilweise außer Kraft gesetzt hat436: Die Beschränkung des Art 7 Abs 1 B-VG auf Staatsbürger stelle nämlich eine nach Art I Abs 1 BVG-RD verbotene Unterscheidung aufgrund der „nationalen Herkunft“ dar, an der sich Gesetzgebung und Vollziehung grundsätzlich nicht mehr ausrichten dürften. Dass sich die „nationale Herkunft“ auf die Staatsangehörigkeit bezieht, leitet U. Davy einerseits aus der Entstehungsgeschichte der RDK, andererseits aber aus Art I Abs 2 BVG-RD ab. Der schon in der RDK gebrauchte Ausdruck „national origin“ verweise vor allem im englisch- und französischsprachigen Rechtskreis auf die Staatsangehörigkeit, weshalb seine Aufnahme in den Katalog der verpönten Differenzierungsmerkmale der RDK auf Widerstand gestoßen sei. Um den Einwänden der englisch- und französischsprachigen Staatenvertreter zu begegnen, sei in Art 1 Abs 2 RDK ausdrücklich festgehalten worden, dass die Konvention der Unterscheidung zwischen Fremden und eigenen Staatsangehörigen nicht entgegensteht; von dem strengen Verbot rassischer Diskriminierung habe man durch Art 1 Abs 3 RDK außerdem das Staatsbürgerschaftsrecht entbunden, solange es nicht bestimmte Staatsangehörige unsachlich benachteiligt. Dass sich auch der österreichische Verfassungsgesetzgeber bei der Umsetzung der RDK an diesem spezifischen Verständnis der „nationalen Herkunft“ orientiere, bestätige Art I Abs 2 BVG-RD: Diese Ausnahmebestimmung wäre nicht erforderlich gewesen, wenn schon ____________________
435 Korinek, FS Rill 191 ff. Im Ergebnis ähnlich wohl auch Adamovich/Funk, Verfassungsrecht 379, denen zufolge am BVG-RD „insbesondere“ die Rechtsstellung der Ausländer untereinander zu messen ist; zur Ansicht Korineks tendierend auch Marschik, UN-Rassendiskriminierungskonvention 78 ff, deutlicher 82; Feik, FS Hofer-Zeni 79; ihr zustimmend Rosenkranz, Bundes-Gleichbehandlungsgesetz 35 FN 25; Baumgartner, Grundrechtsschutz 212; Ulrich, juridikum 2001, 177. Im Ergebnis ähnlich wie Korinek wohl auch Öhlinger, Verfassungsrecht3, 303, nach dem der Gleichheitssatz durch das BVG-RD „auf die Behandlung der Fremden untereinander sowie in abgeschwächter Weise auch auf die Behandlung von Fremden im Verhältnis zu Staatsbürgern ausgedehnt“ worden ist. Soweit damit nur gemeint ist, dass sich eine Ungleichbehandlung zwischen Fremden und Staatsbürgern wegen Art I Abs 2 BVG-RD leichter rechtfertigen lässt, weicht diese Auffassung von jener Korineks wohl kaum ab; denn auch er betont, dass eine Ungleichbehandlung zwischen Fremden und Staatsbürgern vielfach ohnedies sachlich gerechtfertigt sein wird. Anders noch Öhlinger, Verfassungsrecht2 265, und wohl auch ders, Verfassungsrecht 5 Rz 757 (s noch FN 437). 436 U. Davy, Asyl II 365 ff.
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Art I Abs 1 BVG-RD eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit erlaubt hätte. Derartige Unterscheidungen seien daher seit der Geltung des BVG-RD nur mehr eingeschränkt zulässig, nämlich dann, wenn sie sich auf die in Art I Abs 2 BVG-RD genannten „besonderen Rechte“ oder „besonderen Verpflichtungen“ beziehen. Gegen die Ansicht, dass Art I BVG-RD auch auf Differenzierungen zwischen Staatsbürgern und Fremden anzuwenden sei, wurden in der Lehre vor allem die Materialien zum BVG-RD ins Treffen geführt437, die im Zusammenhang mit Art I Abs 2 leg cit feststellen: „Der vorliegende Gesetzentwurf verbietet in Verbindung mit Art. 7 B-VG jede sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen Inländern einerseits und zwischen Ausländern einschließlich Staatenloser andererseits. Eine Verpflichtung zur Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern ergibt sich auf Grund der vorgeschlagenen Regelung nicht.“438 Zudem wurde in der Argumentation Korineks auch ein Zirkelschluss gesehen, insofern nämlich, als das Willkürverbot in dem auf den Staatsbürger bezogenen allgemeinen Gleichheitssatz wurzle und daher nicht zugleich die Erweiterung des Gleichheitssatzes auf Ausländer begründen könne439. Berka teilt die Judikatur des VfGH im Ergebnis, meint aber, Art I Abs 1 BVG-RD richte sich ausschließlich gegen jene Formen der Benachteiligung, die ihren alleinigen Grund in einem der verpönten Merkmale haben. Allerdings sei der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art 7 B-VG durch die Judikatur ohnedies über seinen ursprünglichen Bedeutungsgehalt hinaus zu einem allgemeinen Sachlichkeitsgebot und Willkürverbot ausgebaut worden, in dem sich grundlegende Forderungen der Rechts____________________
437 Vgl Thienel, Staatsbürgerschaft II 74 f; ders, Berufungsverfahren 21 f FN 45; s auch Kucsko-Stadlmayer, ecolex 1995, 344; Muzak, Aufenthaltsberechtigung 9 f; dens, ÖJZ 1996, 498 f FN 20; Mayer, Fremdenrecht 97 f; dens, Verfassungsrechtswissenschaft 74; Zellenberg, ÖJZ 2000, 443; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1355; s weiters Freudenschuss, EuGRZ 1983, 630, nach dem die RDK den personellen Geltungsbereich des österreichischen Gleichheitssatzes dahingehend ausgeweitet habe, dass eine Ungleichbehandlung zwischen Ausländern unzulässig ist; ohne Hinweis auf die Materialien, aber gegen eine Anwendung des BVG-RD auf das Verhältnis zwischen Staatsbürgern und Fremden Balthasar, ZÖR 1998, 198 f; Pernthaler, Bundesstaatsrecht 700, und wohl auch Öhlinger, Verfassungsrecht 2 265, der von dieser Ansicht in der 3. Auflage, 303, vorübergehend abgegangen ist (FN 435), in der 5. Auflage, Rz 757, aber nur mehr annimmt, der Gleichheitssatz sei durch das BVG-RD auf die Behandlung Fremder untereinander ausgedehnt worden. In der 7. Auflage Rz 757 stellt Öhlinger fest, durch die Rechtsprechung sei nicht nur der Gleichheitssatz auf die Behandlung Fremder untereinander ausgedehnt, sondern zu einem Jedermannsrecht fortentwickelt worden. Gesetzliche Differenzierungen zwischen Staatsbürgern und Fremden seien aber weiterhin zulässig. Ob sie einer Rechtfertigung bedürfen, bleibt dabei offen. 438 RV 732 BlgNR 13. GP 3. 439 Balthasar, ZÖR 1998, 199; s auch Mayer, Fremdenrecht 99; Zellenberg, ÖJZ 2000, 443; ferner Wiederin, AöR 125 (2000) 160 f.
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staatlichkeit ausdrücken440. Der Wortlaut des Art 7 B-VG dürfe daher nicht überbewertet werden; im Hinblick auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot und das Verbot willkürlichen Staatshandelns dürfe der Rechtsstaat Ausländer nicht anders behandeln als Inländer441: Beide Personengruppen könnten sich dementsprechend unter Berufung auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 7 B-VG gegen eine unsachliche oder willkürliche Behandlung zur Wehr setzen. Ob unter dem Titel des Art 7 B-VG auch eine Ungleichbehandlung zwischen Staatsbürgern und Fremden überprüft werden kann, bleibt dabei offen, wäre aber zu bejahen, wenn das allgemeine Sachlichkeitsgebot auch als Verbot aufgefasst wird, sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen vorzunehmen442. Wohl in diesem Sinn stellt Berka auch fest, der Gesetzgeber dürfe Österreicher weiterhin „in bestimmten Rechtsbeziehungen“, etwa bei sozialen Ansprüchen oder im Bereich der persönlichen Freizügigkeit, besser stellen als Fremde. Dies stelle Art I Abs 2 BVG-RD zweifelsfrei fest443. c. Würdigung Nach Art I Abs 2 BVG-RD „hindert“ der erste Absatz dieser Bestimmung „nicht, österreichischen Staatsbürgern besondere Rechte einzuräumen oder besondere Verpflichtungen aufzuerlegen, soweit dem Art. 14 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht entgegensteht.“ Dieser Satz ist isoliert betrachtet für mehrere Deutungen offen. Klar und in der Lehre auch unbestritten ist, dass Art I Abs 2 BVGRD den einfachen Gesetzgeber dazu ermächtigt, Differenzierungen zwischen Staatsbürgern und Fremden vorzunehmen. Fraglich ist hingegen, ob diese Ermächtigung schrankenlos ist oder ob sie unter dem Vorbehalt steht, dass eine Ungleichbehandlung nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft – wie jede andere Ungleichbehandlung auch – auf wesentlichen Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen beruhen bzw zur Erreichung eines legitimen Zieles sachlich gerechtfertigt sein muss. ____________________
440 Diesen Standpunkt hat zuvor auch schon Holoubek, Gewährleistungspflichten 366 FN 785, eingenommen. 441 Berka, Grundrechte Rz 899; ders, Art 7 B-VG Rz 25; ebenso zuvor schon Holoubek, Gewährleistungspflichten 366 FN 785. 442 Wohl nicht im zuletzt genannten Sinn versteht das Sachlichkeitsgebot Berka, Grundrechte Rz 911; ders, Art 7 B-VG Rz 33, wenn er feststellt, dass der VfGH den Gleichheitssatz zu einem allgemeinen Sachlichkeitsgebot weiter entwickelt hat, „das auch dann angewendet werden kann, wenn es gar nicht mehr um einen Vergleich unterschiedlicher Regelungen geht.“ In Rz 912 bzw Rz 33 wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass sich das Sachlichkeitsgebot aus der Judikaturformel entwickelt hat, nach der der Gesetzgeber bei Differenzierungen das aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließende Sachlichkeitsgebot zu beachten habe. 443 Berka, Grundrechte Rz 898; ders, Art 7 B-VG Rz 24.
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Für diese zweite Deutung könnte ins Treffen geführt werden, dass Art I Abs 1 BVG-RD unter dem Titel der „nationalen Herkunft“ die Staatsangehörigkeit eines Menschen als alleinigen Grund für eine Ungleichbehandlung ausschließt; Differenzierungen nach diesem Kriterium sind deshalb zwar nicht absolut verboten, sie müssen aber durch andere Gründe als die jeweils verschiedene Staatsangehörigkeit legitimiert sein. Art I Abs 2 BVGRD könnte vor diesem Hintergrund als eine Ausnahme bzw Einschränkung des Art I Abs 1 BVG-RD verstanden werden, nämlich so, dass die Staatsbürgerschaft (anders als die Staatsangehörigkeit eines Fremden) nicht dem Tatbestandsmerkmal der „nationalen Herkunft“ zu subsumieren ist. Sie wäre dann als „alleiniger Grund“ für eine Ungleichbehandlung nicht von vornherein ausgeschlossen. Differenzierungen nach diesem Kriterium wären deshalb aber nicht unangreifbar, weil Art I Abs 1 BVG-RD sich nicht bloß auf Ungleichbehandlungen nach den ausdrücklich genannten Kriterien bezieht, sondern auch Differenzierungen nach jedem anderen Merkmal verbietet, wenn diese unsachlich sind. Eine Ungleichbehandlung zwischen Staatsbürgern und Fremden wäre demnach zwar kein Eingriff in das Prima-facie-Recht, nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit ungleich behandelt zu werden; sie wäre deshalb aber vom Erfordernis einer sachlichen Begründung nicht befreit, könnte also bekämpft werden, wenn sie ohne jede Begründung vorgenommen wird. Gegen diese Deutung spricht allerdings, dass Art I Abs 2 BVG-RD den einfachen Gesetzgeber zu einer Sonderbehandlung von Staatsbürgern nur insoweit ermächtigt, als dem Art 14 EMRK nicht entgegensteht. Dies ausdrücklich festzustellen war nach den Materialien erforderlich, weil Art 14 EMRK „auch jede ungerechtfertigte Differenzierung von In- und Ausländern untersagt.“444 An dieser konventionsrechtlichen Bindung sollte nun zwar durch Art I Abs 2 BVG-RD nichts geändert werden; wenn die Materialien im letzten Halbsatz dieser Bestimmung aber einen „Vorbehalt zugunsten des Art. 14 [EMRK]“ sehen445, zwingt dies wohl zu der Annahme, dass Art I Abs 2 BVG-RD außerhalb des Anwendungsbereiches des Art 14 EMRK für Differenzierungen zwischen In- und Ausländern eine sachliche Begründung nicht verlangt. Diesem Befund entsprechend stellen die Materialien auch ausdrücklich fest, dass der „vorliegende Gesetzentwurf […] in Verbindung mit Art. 7 B-VG jede sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen Inländern einerseits und zwischen Ausländern einschließlich Staatenloser andererseits [verbietet]. Eine Ver____________________
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RV 732 BlgNR, 13. GP 3. RV 732 BlgNR, 13. GP 3.
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pflichtung zur Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern ergibt sich aufgrund der vorgeschlagenen Regelung nicht.“446 Außerhalb des Anwendungsbereiches des Art 14 EMRK kann der einfache Gesetzgeber Staatsbürger demnach anders behandeln als Fremde, ohne dass ihm dabei durch Art I BVG-RD Schranken auferlegt wären. In dieser Hinsicht hat das BVG-RD an der vordem bestehenden Rechtslage nichts geändert; es ermächtigt den einfachen Gesetzgeber so besehen nicht zu willkürlicher Rechtssetzung, sondern verzichtet nur weiterhin darauf, ihm in einem bestimmten Regelungsbereich Beschränkungen aufzuerlegen. Derartige Schranken ergeben sich auch nicht aus dem in Art I Abs 1 BVG-RD statuierten Verbot, Unterscheidungen aufgrund der „nationalen Herkunft“ zu treffen, weil die Staatsbürgerschaft im Lichte des Art I Abs 2 BVG-RD gerade nicht dem Tatbestandsmerkmal der „nationalen Herkunft“ unterfällt. Ebenso wenig sind mE aus Art I Abs 2 BVG-RD selbst inhaltliche Grenzen abzuleiten; denn mit den dort für zulässig erklärten „besonderen“ Rechten und Pflichten der Staatsbürger können nur Rechte und Pflichten gemeint sein, die von jenen der Nichtstaatsbürger abweichen. Da rechtliche Differenzierungen sich stets in ungleichen Rechten und Pflichten der Normadressaten niederschlagen, wird durch Art I Abs 2 BVG-RD jede Ungleichbehandlung zwischen Staatsbürgern und Fremden für zulässig erklärt. Hätte der Verfassungsgesetzgeber tatsächlich den Willen gehabt, den Gleichheitssatz auf das Verhältnis zwischen Staatsbürgern und Fremden auszudehnen, hätte er wohl überdies einen viel einfacheren Weg beschritten: Es hätte ja genügt, das Wort „Bundesbürger“ (heute: „Staatsbürger“) in Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG durch den Ausdruck „Menschen“ zu ersetzen447. Dass dies nicht geschehen, vielmehr ein eigener Gleichheitssatz geschaffen worden ist, spricht mE iVm den Materialien deutlich gegen die Annahme, der Verfassungsgesetzgeber habe ab nun eine Schlechterstellung von Fremden gegenüber Staatsbürgern dem Gleichheitssatz unterwerfen wollen. Über dieses Ergebnis kommt man mE auch nicht durch die Annahme hinweg, der allgemeine Gleichheitssatz sei durch die Judikatur zu einem allgemeinen Sachlichkeitsgebot bzw Willkürverbot ____________________
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RV 732 BlgNR, 13. GP 3 (Hervorhebungen nicht im Original). An der grundsätzlichen Zulässigkeit, zwischen Staatsbürgern und Fremden zu differenzieren, Staatsbürgern also besondere Rechte einzuräumen oder besondere Pflichten aufzuerlegen, hätte sich dadurch nichts geändert, ist doch evident, dass sich Staatsbürger durch ihre herausgehobene Beziehung zu Österreich in vielerlei Hinsicht wesentlich von Fremden unterscheiden. Auch dass Fremde nur unter erschwerten Bedingungen weiterhin auf den Arbeitsmarkt zugelassen werden, wäre schon deshalb weiterhin möglich gewesen, weil die in Art 6 StGG gewährte Erwerbsfreiheit Staatsbürgern vorbehalten ist. Die darin liegende Ermächtigung, zwischen Staatsbürgern und Fremden zu differenzieren, könnte – als speziellere Norm – durch den allgemeinen Gleichheitssatz auch dann nicht relativiert werden, wenn dieser ein Menschenrecht wäre. 447
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ausgebaut worden, in dem sich grundlegende Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit ausdrücken. Es trifft zwar zu, dass „[n]ichts [dafür] […] [spricht], diesen rechtsstaatlichen Grundgedanken nur auf österreichische Staatsbürger anzuwenden“448; aber das ändert nichts daran, dass der Verfassungsgesetzgeber dies in Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG und Art I Abs 2 BVGRD doch getan hat449.
2. Inländerdiskriminierung Eine andere Frage ist, ob die Unanwendbarkeit des Art I Abs 1 BVGRD auf das Verhältnis zwischen Fremden und Staatsbürgern in beide Richtungen gilt: Wenn Art I BVG-RD zulässt, dass Fremde gegenüber Staatsbürgern benachteiligt werden, müsste Gleiches dann nicht auch für den umgekehrten Fall gelten, dass nämlich Staatsbürger ohne sachlichen Grund schlechter behandelt werden als Fremde? Die Judikatur und die überwiegende Lehre verneinen die Zulässigkeit solcher Inländerdiskriminierungen450 mE zu Recht mit einem Größenschluss aus Art 7 Abs 1 B-VG451: Indem diese Bestimmung das Recht auf Gleichheit Staatsbürgern vorbehält, privilegiert sie Staatsbürger ganz deutlich. Wollte der Verfassungsgesetzgeber schon nicht, dass ein Staatsbürger einem anderen Staatsbürger gegenüber grundlos benachteiligt wird, so kann er erst recht nicht gewollt haben, dass Staatsbürger gegenüber Fremden diskriminiert werden. In einer Demokratie, die das Wahlrecht Staatsbürgern vorbehält, ist die Gefahr einer solchen Diskriminierung gewiss gering; und auch die in einer Demokratie noch immer verbleibende Gefahr, dass eine Minderheit diskriminiert wird, realisiert sich bei Staatsbürgern im Verhältnis zu Fremden für gewöhnlich nicht. Dass es in Einzelfällen zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung von Staatsbürgern kommt, kann indes, wie auch die Judikatur zeigt, nicht völlig ausgeschlossen werden452. Auch vor solchen Benachteiligungen schützt Art 7 Abs 1 B-VG. ____________________
448 So Holoubek, Gewährleistungspflichten 366 FN 785; ebenso Berka, Grundrechte Rz 899: „Daher darf die im Wortlaut des Art 7 B-VG und Art 2 StGG ausgedrückte Beschränkung auf Inländer nicht überbewertet werden“. 449 Soweit nicht gerade eine Differenzierung zwischen Staatsbürgern und Fremden in Rede steht, gilt das Willkür- und allgemeine Sachlichkeitsgebot für Fremde natürlich auch, s schon oben E.II.4.b. 450 „Diskriminierung“ hier wie auch sonst in dieser Arbeit verstanden als sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung. 451 S schon Rill, Gewerberecht 30 ff; ihm folgend VfSlg 14.963/1997 (kritisch Zellenberg, RdW 1999, 516); s auch VfSlg 15.683/1999, 17.150/2004, 17.422/2004, 17.554/2005, 17.555/2005, sowie mwN Knobl, FS Rill 293 324; Holoubek, Inländerdiskriminierung 176 ff. 452 So etwa, wenn der Gesetzgeber eine Jagdberechtigungsprüfung, die ein Ausländer im Ausland abgelegt hat, auch in Österreich anerkennt, einem Staatsbürger aber unter
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Die Materialien zu Art I BVG-RD sprechen mE nicht gegen diese Auffassung453: Ihnen zufolge sollte Art I BVG-RD zwar „die Möglichkeit unberührt lassen, Sonderregelungen zu treffen, die nur für Inländer gelten“454. Damit ist aber nur gesagt, dass zwischen Inländern und Fremden auch schon vor Erlassung des BVG-RD differenziert werden durfte und dass diese Differenzierungsmöglichkeit, soweit sie besteht, weiterhin aufrecht bleiben soll. Wie weit diese Differenzierungsmöglichkeit bisher reichte, sagen die Materialien nicht; sie lassen daher auch nicht den Schluss zu, Art 7 Abs 1 B-VG erlaube es, Staatsbürger ohne sachliche Rechtfertigung schlechter zu stellen als Fremde. Eine solche Aussage wäre von den Materialien auch gar nicht zu erwarten. Denn Art I Abs 2 BVG-RD sollte die in Art I Abs 1 BVG-RD vorgenommene Ausweitung des Gleichheitssatzes auf Fremde ja nur begrenzen. Dass der Verfassungsgesetzgeber mit dieser Bestimmung jenen Schutz aufheben wollte, den er Staatsbürgern bis dahin vor einer Diskriminierung gegenüber Fremden gewährt hat, ist daher nicht anzunehmen. Von unmittelbaren Inländerdiskriminierungen zu unterscheiden sind sog Inlandsmarktdiskriminierungen. Sie liegen vor, wenn Sachverhalte mit Gemeinschaftsbezug aufgrund des Gemeinschaftsrechts besser behandelt werden als rein innerstaatliche (interne) Sachverhalte. In einem solchen Fall wird zwar idR nicht unmittelbar nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft differenziert, wohl aber trifft diese Differenzierung im Ergebnis vor allem Staatsbürger; deshalb hat sich auch für sie der etwas unpräzise Ausdruck „Inländerdiskriminierung“ eingebürgert455. Ob der Gleichheitssatz auch in einem solchen Fall verletzt ist, war in der Lehre zunächst umstritten. Wenn diese Frage verneint wurde, dann in aller Regel aus der Sorge, der nationale Gesetzgeber sei sonst gezwungen, ____________________
völlig gleichen Voraussetzungen die neuerliche Absolvierung dieser Prüfung im Inland abverlangt: VfSlg 13.084/1992, s auch schon oben D.I.6. Diese Ungleichbehandlung wurde wohl nicht in der Absicht vorgenommen, Staatsbürger zu diskriminieren; sie beruhte vielmehr auf einer Durchschnittsbetrachtung; tatsächlich wird der Fall, dass ein Ausländer eine Jagdprüfung im Ausland ablegt, ja auch viel häufiger vorkommen als der Fall, dass dies ein Inländer tut. „Der eigens formulierte Ausschluß von Fällen, die den geregelten sämtlich gleichwertig sind“, kann aber, wie der VfGH schon in anderem Zusammenhang (VfSlg 10.384/1985) festgestellt hat, „niemals mit dem bloßen Hinweis darauf gerechtfertigt werden, daß es sich um seltene Fälle handle“. Eine Abweichung von dem der Norm eigentlich zugrunde liegenden Differenzierungsschema müsste entweder durch legistische Schwierigkeiten oder durch Erfordernisse der Verwaltungsökonomie zu rechtfertigen sein; beides war hier aber nicht der Fall. 453 AA Zellenberg, ÖJZ 2000, 443; gegen die Anwendbarkeit des Art 7 B-VG auf eine Benachteiligung von Staatsbürgern gegenüber Fremden wohl auch Wiederin, AöR 125 (2000) 160 f. 454 RV 732 BlgNR 13. GP 3 (Hervorhebung nicht im Original). 455 S auch Holoubek, Inländerdiskriminierung 159 ff; Kucsko-Stadlmayer, Art 12 EGV Rz 54.
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auch rein innerstaatliche Sachverhalte an jene (nicht immer erwünschten) Standards anzupassen, die das Gemeinschaftsrecht für Sachverhalte mit Gemeinschaftsbezug vorsieht. Diese Sorge ist berechtigt, doch die Argumente, die vorgetragen wurden, um ihr Rechnung zu tragen, überzeugen mE nicht. Im Wesentlichen wurde für solche Fälle bereits die Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes mit der Begründung verneint, dieser sei keine Rechtsvorschrift, die sowohl das Gemeinschaftsrecht (einschließlich gemeinschaftsrechtlich determiniertes innerstaatliches Recht) als auch autonom gesetztes nationales Recht umspanne456; ein Vergleich nationaler und gemeinschaftsrechtlicher (bzw gemeinschaftsrechtlich determinierter innerstaatlicher) Vorschriften sei daher ebenso unzulässig wie ein Vergleich von Normen verschiedener Landesgesetzgeber. Die Annahme, zwei Sachverhalte seien miteinander nicht vergleichbar bzw ein Vergleich zwischen ihnen sei unzulässig, ist nun immer mit Vorsicht zu genießen457. Nicht selten verbirgt sich dahinter der Wunsch, eine Ungleichbehandlung einer näheren Kontrolle auf ihre Rechtfertigung zu entziehen, weil es an einer solchen Rechtfertigung fehlt458. Löst man sich von der Vergleichsrhetorik und wendet man sich dem Problem aus der Sicht des Rechtsunterworfenen einerseits und aus der des Gesetzgebers andererseits zu, dann liegt offen zutage, dass Rechtsunterworfene im Fall einer Inlandsmarktdiskriminierung im Hoheitsgebiet eines und desselben Gesetzgebers in gleicher Lage ungleich behandelt werden und dass es diesem Gesetzgeber und nur ihm ohne weiteres möglich wäre, diese Ungleichbehandlung zu ändern; unterlässt er das, dann behandelt er die Rechtsunterworfenen ungleich, obwohl sie wesentlich gleich sind459. Gerade hier liegt auch der entscheidende Unterschied zu einer Ungleichbehandlung der Rechtsunterworfenen, die aus unterschiedlichen Gesetzen verschiedener Länder resultiert. Dass ein Rechtsunterworfener in Tirol ein Haus unter anderen Bedingungen bauen kann als in der Steiermark, ist schon deshalb kein Gleichheitsproblem, weil diese unterschiedlichen Landesgesetze einen unterschiedlichen örtlichen Wirkungsbereich haben: In seinem Hoheitsgebiet behandelt aber jeder Landesgesetzgeber alle Rechtsunterworfenen in gleicher Lage gleich460. Demgegenüber kommt es im Fall der In____________________
456 Balthasar, ZÖR 1998, 204 FN 204; Zellenberg, RdW 1999, 518; ders, ÖJZ 2000, 444. 457 S schon oben D.I.1.a. 458 Manchmal soll mit dem Argument der fehlenden Vergleichbarkeit aber auch nur gesagt werden, dass Unterschiede, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können, evident sind, s dazu schon oben D.I.1.a. sowie E.I.4.c. im Text ab FN 221. 459 S auch Epiney, Diskriminierungen 430. 460 S auch Epiney, Diskriminierungen 423. Zellenberg, ÖJZ 2000, 444, meint, diese Argumentation setze voraus, was sie zu erweisen sucht, dass nämlich der Gleichheitssatz
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landsmarktdiskriminierung zu einer Ungleichbehandlung gleicher Fälle auf ein und demselben Hoheitsgebiet und, wie gezeigt, auch durch eine und dieselbe Autorität. Anders als nationales Recht und Gemeinschaftsrecht stehen die verschiedenen Landesgesetze zueinander auch nicht in einem hierarchischen Verhältnis; eine Gleichbehandlung aller Rechtsunterworfenen ließe sich daher nur durch ein akkordiertes Vorgehen aller Landesgesetzgeber erreichen. Das ist zwar möglich, in einem Bundesstaat aber keinesfalls als Regelfall gedacht und durch den Gleichheitssatz auch nicht geboten: Diesem genügt, dass der Landesgesetzgeber in seinem Hoheitsgebiet Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt; er verlangt aber auch, dass Landes- und Bundesgesetzgeber in ihrem Hoheitsgebiet gemeinschaftsrechtlich hervorgerufene Ungleichbehandlungen zwischen Rechtsunterworfenen in gleicher Lage durch eine Anpassung ihrer Normen an das Gemeinschaftsrecht abstellen, sofern es für die Aufrechterhaltung dieser Ungleichbehandlung keine triftigen (externen) Gründe gibt. Die heute wohl herrschende Lehre geht daher ebenso wie von Beginn an der VfGH zu Recht davon aus, dass Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG auch eine Inlandsmarktdiskriminierung (bzw eine mittelbare Inländerdiskriminierung) untersagt461.
3. Diskriminierung Drittstaatsangehöriger gegenüber EWR-Bürgern Die Freiheit des einfachen Gesetzgebers, Fremde (vorbehaltlich der Schranken des Art 14 EMRK) beliebig schlechter zu stellen als Staatsbürger, ist eine Lücke des Gleichheitssatzes, die rechtspolitisch durchaus kritisiert werden kann. Sie hat insbesondere die Konsequenz, dass eine unsachliche Benachteiligung Fremder umso schwerer bekämpfbar wird, je weiter sie reicht: Eine Regelung, die Fremde nur zum Teil von einer Begünstigung ausschließt oder ihnen eine Belastung auferlegt, kann nämlich nach Art I Abs 1 BVG-RD als unsachliche Ungleichbehandlung Fremder untereinander angefochten werden. Werden hingegen alle Fremden ohne ____________________
auf das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und gemeinschaftsrechtlich determiniertem innerstaatlichen Recht zu autonom gesetztem Recht anwendbar ist; mir scheint, die Dinge liegen umgekehrt: Die Gegner eines Verbots der Inlandsmarktdiskriminierung setzen die Nichtanwendbarkeit des Gleichheitssatzes voraus, die sich mit der Annahme, der Gleichheitssatz „umspanne“ nicht zwei Rechtsordnungen, aber gerade nicht begründen lässt. 461 Rill, Gewerberecht 30 f; Knobl, FS Rill 325 ff; Baumgartner, Grundrechtsschutz 214; Hengstschläger, JBl 2000, 419; Holoubek, Inländerdiskriminierung 176 ff; Mayer, B-VG Art 2 StGG Vorb.3.; Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht III Rz 42.008; Kucsko-Stadlmayer, Art 12 EGV Rz 55; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht 97 f; VfSlg 17.150/2004, 17.422/2004, 17.554/2005, 17.555/2005; VfGH 5.12.2006, G 121/ 06. Anders akzentuiert, aber letztlich mit ähnlichem Ergebnis Pauger, Marktwirtschaft 45 ff.
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sachlichen Grund pauschal belastet oder nicht begünstigt, haben sie gegen diese Diskriminierung keine Handhabe mehr462. Die Bindung an Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG und an Art I Abs 1 BVG-RD wird damit für den Gesetzgeber manipulierbar, kann sich dieser doch den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes gezielt entwinden, indem er den Adressatenkreis einer Norm entsprechend abgrenzt463. ____________________
462 Anderes gälte, wenn ein Teil der Fremden einen so wesentlichen Unterschied zu allen anderen Fremden nachweisen könnte, dass eine Differenzierung zwischen ihnen gleichheitsrechtlich geboten wäre, und zwar so, dass die zuerst genannte Gruppe von Fremden gleich wie die Staatsbürger behandelt werden müsste. Anderes gälte weiters, wenn eine solche Regelung das allgemeine Sachlichkeitsgebot verletzt, also ein nichtkomparatives Primafacie-Recht unverhältnismäßig schwer beschränkt, etwa das Recht, seiner Schuld gemäß bestraft, seiner Leistungsfähigkeit entsprechend besteuert oder nicht grundlos einer Rückwirkung unterzogen zu werden. 463 Als Beispiel dafür sei etwa die im Erkenntnis VfSlg 15.129/1998 in Prüfung genommene Vorschrift genannt, nach der Notstandshilfe bestimmten Fremden nur für eine begrenzte Dauer zuerkannt, anderen Fremden und Staatsbürgern hingegen unbefristet gewährt wurde. Nachdem der VfGH diese Differenzierung als mit Art 14 iVm Art 1 1. ZPEMRK unvereinbar aufgehoben hatte (s zuvor schon EGMR 16.9.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, 1129 = ÖJZ 1996, 955), erließ der Gesetzgeber eine neue Regelung, der zufolge Notstandshilfe unbefristet nur mehr von Personen bezogen werden konnte, die eine besonders enge Beziehung zu Österreich haben, wie sie regelmäßig nur bei Staatsbürgern besteht. Die neue Bestimmung diskriminierte Fremde nun also nicht mehr offen, sondern verdeckt. Da sie „um nichts sachlicher als die alte, nach der Staatsbürgerschaft unterscheidende war“, verfiel auch sie der verfassungsgerichtlichen Kassation (VfSlg 15.506/1999; zu Recht kritisch zu der „zweifelhafte[n] Hinhaltetaktik“ des Gesetzgebers Öhlinger, JBl 1998, 442 f; zur kaum besser geglückten Nachfolgeregelung s Muzak, ZAS 2001, 3 ff ). Der Gerichtshof stützt sich dabei zwar wie im Vorerkenntnis auf Art 14 EMRK iVm Art 1 1. ZPEMRK; grundsätzlich wäre die inkriminierte Vorschrift, da sie nicht explizit nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft differenzierte, nun aber sowohl nach Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG als auch nach Art I Abs 1 BVG-RD angreifbar gewesen. Im Prüfungsbeschluss stellte der VfGH auch noch fest, dass diese Bestimmung nicht nur nach Art 14 EMRK iVm Art 1 1. ZPEMRK, sondern auch im Hinblick auf den Gleichheitssatz bedenklich erscheine. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, wie wenig überzeugend es letztlich ist, wenn eine Ungleichbehandlung zwischen Staatsbürgern und Fremden vom Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung freigestellt wird: Wird das maßgebliche Differenzierungskriterium der Staatsbürgerschaft nämlich durch ein anderes, annähernd gleichwertiges ersetzt, ist eine solche Rechtfertigung plötzlich erforderlich. Ein vergleichbarer Fall lag dem Erkenntnis VfSlg 10.155/1984 zugrunde, mit dem der VfGH eine einkommensteuerrechtliche Vorschrift als gleichheitswidrig qualifizierte, die im Ausland ansässigen Arbeitnehmern einen Jahresausgleich verwehrte. Durch diese Bestimmung sollten der Verwaltung aufwendige Ermittlungen über Einkünfte erspart werden, die der Arbeitnehmer allenfalls im Ausland erzielt hatte. Der VfGH erkannte das Motiv der Verwaltungsvereinfachung zwar grundsätzlich an, war aber der Meinung, dass es den ausnahmslosen und zwingenden Ausschluss vom Jahresausgleich im Lichte des Gleichheitssatzes nicht rechtfertigen konnte, weil Arbeitnehmer auf diese Weise keineswegs nur in atypischen Ausnahmefällen mit einer – im Vergleich zu einer differenzierten Berechnung – weit überhöhten Lohnsteuer belastet würden. Die inkriminierte Bestimmung zielte wohl nicht darauf ab, Fremde im Verhältnis zu Staatsbürgern zu benachteiligen. Im Ergebnis betraf sie aber vor allem ausländische Saisonarbeiter. Hätte der Gesetzgeber die vom VfGH als gleichheitswidrig qualifizierte Verweigerung des Jahresausgleichs in der Folge nur mehr auf Fremde beschränkt, wäre ihm der Gerichtshof – zum damaligen Zeitpunkt – wohl nicht mehr entgegengetreten. Heute könnte eine solche Regelung
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Das daraus entstehende Gleichheitsdefizit für Fremde ist allerdings durch die Mitgliedschaft Österreichs bei der EU erheblich relativiert. Denn die gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgebote verpflichten den österreichischen Gesetzgeber in vielen Bereichen, EWR-Bürger gleich zu behandeln wie österreichische Staatsbürger. Die dadurch bewirkte Ungleichbehandlung zwischen EWR-Bürgern und anderen Ausländern ist zwar im Lichte des Art I Abs 1 BVG-RD regelmäßig nicht zu beanstanden; sie ist deshalb aber von der Notwendigkeit einer sachlichen Begründung nicht schlechthin befreit464. Trifft der einfache Gesetzgeber daher eine uneinsichtige Differenzierung zwischen Staatsbürgern und Fremden und stellt er in Befolgung des Gemeinschaftsrechts EWR-Bürger den österreichischen Staatsbürgern gleich, dann kann die Unsachlichkeit dieser Differenzierung im Verhältnis zwischen EWR-Bürgern und anderen Fremden nach Art I Abs 1 BVG-RD durchaus angegriffen werden. Eine Regelung, die Staatsbürger und EWR-Angehörige etwa – um ein besonders drastisches Beispiel zu nennen – von der Steuerpflicht oder von der Bindung an die StVO befreite, könnte daher als unsachliche Ungleichbehandlung zwischen EWR-Angehörigen und anderen Fremden nach Art I BVG-RD bekämpft werden. Bei der Korrektur dieser Ungleichbehandlung hätte der Gesetzgeber nicht mehr die Wahl, das Niveau entweder anzuheben oder abzusenken: Soweit ihm eine Benachteiligung von EWR____________________
freilich als eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung Fremder untereinander (nämlich der im Ausland und der im Inland ansässigen Fremden) bekämpft werden. Beanstandet werden könnte aber auch unter dem Titel des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes, dass diese Regelung unverhältnismäßig schwer in das Recht des Lohnsteuerpflichtigen eingreift, nur seiner Leistungsfähigkeit gemäß belastet zu werden, s zu diesem nichtkomparativen Recht noch unten F.II.5.a. 464 Eher rigoros zB VfGH 21.6.2007, B 978/06, wonach es nicht unsachlich ist, wenn der Gesetzgeber den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf österreichischen Staatsbürgern oder EU- bzw EWR-Bürgern vorbehält; dass eine solche Beschränkung für Wirtschaftstreuhänder nicht gelte, sei ebenfalls unbedenklich, weil es sich bei diesen beiden Berufsgruppen um unterschiedliche „Systeme“ handle (s zur Ordnungssystemjudikatur schon oben D.III.1.); deutlich offener zuvor das Erkenntnis VfSlg 17.672/2005 betreffend die Beschränkung des passiven Wahlrechts zur Arbeiterkammerwahl auf österreichische Staatsbürger, EU-Bürger und Bürger aus Staaten, mit denen die Europäische Gemeinschaft ein Assoziationsabkommen geschlossen hat (im konkreten Fall: Türkei, Marokko, Tunesien, Algerien, Rumänien und Bulgarien). Der VfGH schneidet hier den Beschwerdevorwurf der sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung Fremder untereinander nicht von vornherein mit dem Argument ab, zwischen den Staaten, denen die jeweils begünstigten Fremden angehören und der Europäischen Gemeinschaft bestünden vertragliche Beziehungen. Er setzt vielmehr sogar bei der Ausgangsdifferenzierung an, also bei der Entscheidung des Gesetzgebers, das passive Wahlrecht grundsätzlich den Staatsbürgern vorzubehalten: Dies sei nicht unsachlich, weil den Arbeiterkammern zahlreiche Befugnisse zur Mitwirkung an der staatlichen Verwaltung zukämen. Die erwähnten Assoziationsabkommen der Gemeinschaft dienten, wie der VfGH sodann weiter meint, dazu, besondere und privilegierte Beziehungen mit einem Drittstaat zu schaffen. Daher sei es auch sachlich gerechtfertigt, nur den Angehörigen dieser Staaten ein passives Wahlrecht zuzuerkennen. S dazu aber auch noch E.IV.4.b.
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Bürgern im Verhältnis zu Staatsbürgern gemeinschaftsrechtlich verwehrt ist, wäre er vielmehr gezwungen, die Behandlung der Drittstaatsangehörigen an das Niveau der EWR-Bürger und damit auch an das der Staatsbürger anzugleichen. Sollte dieses einheitliche Niveau im Ergebnis unerwünschte Folgen haben, etwa einen Abgabenausfall oder eine höhere Belastung des Staatshaushaltes, müssten neue – von der Staatsangehörigkeit unabhängige – Kriterien gefunden werden, um die anstehenden Rechte und Pflichten zwischen den Rechtsunterworfenen adäquat zu verteilen.
4. Diskriminierung von EWR-Bürgern gegenüber Staatsbürgern a. Art 12 EGV Aus der Vielzahl der vorhandenen Diskriminierungsverbote des Gemeinschaftsrechts, die den Gesetzgeber zu einer Gleichbehandlung von Unionsbürgern und Staatsbürgern zwingen, ist im vorliegenden Zusammenhang vor allem auf Art 12 EGV zu verweisen, der als kriterienbezogener Gleichheitssatz ganz ähnliche Auslegungsfragen aufwirft wie die bisher erörterten Diskriminierungsverbote. Art 12 EGV zufolge ist „[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages [...] in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“ aa. Judikatur Der EuGH sieht in dieser Vorschrift „lediglich eine besondere Ausformung“ des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes465, der als ein ungeschriebenes Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts gilt. Dementsprechend werden spezielle Diskriminierungsverbote in manchen Entscheidungen auch mit der Formel erläutert, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln sei, so etwa, wenn festgestellt wird, ein Diskriminierungsverbot untersage, „gleichgelagerte Sachverhalte ungleich oder verschieden gelagerte gleich“ zu behandeln466. Entscheidungen wie diese erinnern durchaus an die auch in der Judikatur des VfGH – freilich noch viel stärker – vorhandene Tendenz, spezielle Gleichheitsgebote im allgemeinen Gleichheitssatz gewissermaßen „aufgehen“ zu lassen. Bedenken gegen derartige Erläuterungen bestehen freilich erst dann, wenn dadurch (wie dies bei Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zum Teil geschehen ist) auch der spezifische Schutzgehalt des besonderen Gleichheitsgebotes verloren geht, wenn al____________________
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EuGH Rs 147/79, Hochstrass, Slg 1980, 3005, Rz 7. EuGH Rs 13/63, Kommission/Italien, Slg 1963, 359, 384; s auch EuGH Rs 106/83, Sermide, Slg 1984, 4209, Rz 28; s ferner die Nachweise bei Kischel, EuGRZ 1997, 3 f. Allgemein zum Verhältnis zwischen allgemeinem Gleichheitssatz und speziellen Gleichheitssätzen in der Rechtsprechung des EuGH Sattler, FS Rauschning 251 ff. 466
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so an Ungleichbehandlungen nach einem ausdrücklich verpönten Differenzierungsmerkmal kein strengerer Maßstab mehr angelegt wird als an andere Ungleichbehandlungen467. Solange aber – wie wohl überwiegend in der Judikatur des EuGH – durch eine Bezugnahme auf den allgemeinen Gleichheitssatz nur zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der spezielle Gleichheitssatz den allgemeinen näher konkretisiert, ist dagegen nichts einzuwenden. Schließlich gibt das besondere Diskriminierungsverbot ja tatsächlich auf die schwierige und sonst nur aus dem Kontext zu lösende Frage, was als gleich und was als ungleich anzusehen ist, punktuell eine verbindliche Antwort: Es stellt fest, dass das jeweils verpönte Differenzierungskriterium in keinem Kontext einen wesentlichen Unterschied zwischen den Rechtsunterworfenen begründet. Fraglich ist dann nur mehr, ob diese Antwort als eine Vermutung oder aber als apodiktisch, also unwiderlegbar zu verstehen ist. Gestützt auf den Wortlaut des Art 12 EGV, der sich gegen „jede“ Diskriminierung wendet, nimmt der EuGH in ständiger Rechtsprechung an, dass Art 12 EGV nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen468. Dass eine Regelung auch Angehörige anderer Mitgliedstaaten trifft, genügt dafür noch nicht; eine versteckte (mittelbare) Diskriminierung kommt vielmehr erst in Betracht, wenn die aus einer Regelung folgende Benachteiligung bei Angehörigen anderer Mitgliedstaaten typischerweise eintritt, diese also hauptsächlich trifft469, wie dies etwa bei einer Anknüpfung an den Wohnsitz oder an die Muttersprache regelmäßig der Fall sein wird470. Eine durch Art 12 EGV verbotene Diskriminierung liegt nach der Judikatur allerdings dann nicht vor, wenn eine differenzierende Behandlung „objektiv gerechtfertigt wäre“471. Knüpft eine Regelung etwa an den Wohnsitz im Inland bzw im Ausland an, so legt dies zwar eine versteckte Diskriminierung nahe472; eine Unterscheidung nach dem Wohnsitzerfordernis wäre allerdings ____________________
467 In diesem Sinn zu Recht kritisch zur gelegentlichen „Verschleifung von allgemeinem Gleichheitssatz und besonderen Gleichheitssätzen“ in der Judikatur des EuGH Huster, Art 3 GG Rz 10. 468 EuGH Rs 22/80, Boussac, Slg 1980, 3427, Rz 9; Rs 41/84, Pinna, Slg 1986, 1, Rz 23; Rs 313/86, Lenoir, Slg 1988, 5391, Rz 14; Rs C-398/92, Mund & Fester, Slg 1994, I-467, Rz 14; Rs C-147/03, Kommission/Österreich, Slg 2005, I-5969, Rz 41. 469 EuGH Rs C-29/95, Pastoors, Slg 1997, I-285, Rz 17. 470 Weitere Beispiele bei Kucsko-Stadlmayer, Art 12 EGV Rz 40. 471 EuGH Rs 106/83, Sermide, Slg 1984, 4209, Rz 28 ff; Rs 167/88, AGPB, Slg 1989, 1653, Rz 22 ff; Rs C-309/89, Codorniu, Slg 1994, I-1853, Rz 26; Rs C-398/92, Mund & Fester, Slg 1994, I-467, Rz 17. 472 EuGH Rs 41/84, Pinna, Slg 1986, 1, Rz 23 f.
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dann gerechtfertigt, „wenn es auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhte und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stünde, der mit den nationalen Rechtsvorschriften verfolgt wird“473. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle prüft der EuGH das Vorliegen einer solchen Rechtfertigung von vornherein nur, wenn eine Vorschrift nach einem anderen Kriterium als dem der Staatsangehörigkeit unterscheidet474. Bestimmungen, die an dieses Merkmal offen anknüpfen, werden demgegenüber regelmäßig ohne weiteres als unzulässig verworfen475. Als allerdings § 57 ZPO von Ausländern (und nur von diesen) eine Prozesskostensicherheit verlangte, sofern sie ihren Wohnsitz in einem Staat haben, in dem Kostenentscheidungen nicht vollstreckbar sind, zog der EuGH die Möglichkeit einer sachlichen Rechtfertigung in Erwägung: Der Zweck dieser Vorschrift, die Vollstreckung einer Kostenentscheidung sicherzustellen, sei als solcher mit Art 12 EGV nicht unvereinbar. Die inkriminierte Vorschrift verlange aber Staatsbürgern, die in Österreich weder Vermögen noch einen Wohnsitz haben, sondern in einem Drittstaat wohnen, in dem die Vollstreckung einer Kostenentscheidung nicht gewährleistet ist, keine Prozesskostensicherheit ab. Im Ergebnis beanstandete der EuGH also, dass sich das an sich legitime Ziel auch ohne Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit verwirklichen lasse und qualifizierte die inkriminierte Vorschrift als diskriminierend476. In einem weiteren Fall traten an den EuGH ein spanischer Staatsangehöriger, Herr Garcia Avello, und seine belgische Ehefrau, Frau Weber heran. Ihre beiden in Belgien geborenen Kinder besaßen sowohl die spanische als auch die belgische Staatsangehörigkeit; wie im belgischem Recht vorgesehen, wurde als ihr Familienname jener des Vaters eingetragen. Nach spanischem Recht wird demgegenüber der Familienname der Kinder aus dem ersten Namen des Vaters und dem zweiten Namen der Mutter gebildet. Einen Antrag, den Familiennamen der Kinder in diesem Sinn, also auf Garcia Weber zu ändern, gaben die belgischen Behörden jedoch nicht statt; dies mit der Begründung, in Belgien würden Kinder den Namen ihres Vaters führen. Der EuGH sah darin eine Verletzung des Art 12 EGV; die Behörden hätten den Besonderheiten eines solchen Falles Rechnung zu tragen, den Kindern folglich – aufgrund ihrer spanischen Staatsangehörigkeit und ____________________
473 EuGH Rs C-274/96, Bickel, Slg 1998, I-7637, Rz 27; s auch EuGH Rs C-15/96, Schöning-Kougebetopoulou, Slg 1998, I-47, Rz 21; Rs C-147/03, Kommission/Österreich, Slg 2005, I-5969, Rz 48. 474 S die bei Holoubek, Art 12 EGV Rz 49 f, angeführten Beispiele einer versteckten Diskriminierung aus der Judikatur. 475 S die Beispiele bei Holoubek, Art 12 EGV Rz 45 ff; Kucsko-Stadlmayer, Art 12 EGV Rz 41. 476 EuGH Rs C-122/96, Saldanha, Slg 1997, I-5325, Rz 26 ff.
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der Namenstradition in Spanien – eine Sonderbehandlung gewähren müssen477. Art 12 EGV enthält demnach offenbar kein absolutes Verbot, nach der Staatsangehörigkeit zu differenzieren, im Gegenteil: Er kann eine Unterscheidung nach diesem Kriterium sogar gebieten, vermittelt den Unionsbürgern also, wie der EuGH hier auch erläuternd ausführte, einen Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung, freilich nur, soweit sie „sich in der gleichen Situation befinden“478. bb. Lehre In der Literatur werden zur Auslegung des Art 12 EGV im Wesentlichen drei verschiedene Positionen vertreten. Ein Teil der Lehre sieht in Art 12 EGV ein absolutes Diskriminierungsverbot479; dies zum einen, weil in einem Gemeinsamen Markt eine Unterscheidung nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit nie sachlich gerechtfertigt sein könne, zum anderen, weil Art 12 EGV sonst neben dem allgemeinen Gleichheitssatz des Gemeinschaftsrechts keine besondere Bedeutung mehr habe. Vorschriften, die nur versteckt nach der Staatsangehörigkeit differenzieren, seien als – wiederum absolut verbotene – Diskriminierung anzusehen, wenn sie nicht objektiv gerechtfertigt werden können. Lasse sich für derartige Vorschriften hingegen eine sachliche Rechtfertigung beibringen, so seien sie dem Tatbestand des Art 12 EGV von vornherein nicht zu subsumieren. Andere Autoren schreiben dem Art 12 EGV eine unterschiedliche Bedeutung zu, je nachdem, ob eine Vorschrift offen oder versteckt differenziert: Im ersten Fall habe Art 12 EGV den Charakter eines absoluten Diskriminierungsverbotes, im zweiten Fall ermögliche er eine Rechtfertigung durch objektive Gründe480. Eine dritte Position versteht Art 12 EGV als eine Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes und zieht daraus den Schluss, dass jede – sowohl die offene als auch die versteckte – Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit nicht absolut, sondern nur dann verboten sei, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist481. ____________________
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EuGH Rs C-148/02, Carlos Garcia Avello, Slg 2003, I-11613, Rz 41 ff. EuGH Rs C-148/02, Carlos Garcia Avello, Slg 2003, I-11613, Rz 23. ZB Reitmaier, Inländerdiskriminierungen 36 ff; ebenso Holoubek, Art 12 EGV Rz 53 ff, unter Hinweis auf die besondere Bedeutung des Grundsatzes der Inländergleichbehandlung im Gemeinschaftsrecht. 480 ZB Arnull, General Principles 274; von Borries, EuZW 1994, 475; s auch Hengstschläger, JBl 2000, 418, der unmittelbare Differenzierungen als absolut verboten ansieht, die Frage, ob mittelbare Diskriminierungen absolut oder relativ verboten sind, hingegen offen lässt. 481 ZB Fastenrath, JZ 1987, 171; Ehlers, NVwZ 1990, 811; Zuleeg, Art 6 EGV Rz 3; Rossi, EuR 2000 212 ff; von Bogdandy, Art 12 EGV Rz 20 ff; Epiney, Art 12 EGV Rz 7, 37, 40; Kucsko-Stadlmayer, Art 12 EGV Rz 31 f.
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cc. Würdigung ME ist dieser dritten Position zuzustimmen. Art 12 EGV verbietet zwar jede Diskriminierung absolut; dies erlaubt jedoch nicht den Schluss, dass jede Unterscheidung nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit automatisch diskriminierend ist. Viel eher legt der Begriff der „Diskriminierung“ die Annahme nahe, dass es neben unzulässigen auch zulässige Unterscheidungen geben kann. Dass eine Unterscheidung in diesem Sinn schon dann unzulässig ist, wenn sie Unionsbürger benachteiligt, zulässig hingegen, wenn sie zu einer Bevorzugung von Unionsbürgern führt, ist nicht anzunehmen; denn als „diskriminierend“ wird im Allgemeinen nur eine Ungleichbehandlung bezeichnet, die – inhaltlich – nicht gerechtfertigt ist482. Wenn Art 12 EGV freilich aus der Masse der denkbaren Differenzierungskriterien gerade jenes der Staatsangehörigkeit hervorhebt, bringt er zum Ausdruck, dass eine Differenzierung nach diesem Merkmal in aller Regel nicht gerechtfertigt werden kann483. Art 12 EGV verschafft dem Einzelnen damit ein Prima-facie-Recht, nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit benachteiligt zu werden, erlegt dem Staat, der dennoch nach diesem Kriterium unterscheidet, eine besondere Begründungslast auf und bezieht gerade daraus seine eigenständige Bedeutung neben dem allgemeinen Gleichheitssatz. Gerechtfertigt wäre eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit nur dann, wenn erwiesen werden könnte, dass zwischen Inländern und Ausländern entgegen der Vermutung des Art 12 EGV im Lichte eines legitimen Regelungszieles doch ein Unterschied besteht, der eine Ungleichbehandlung zwischen diesen beiden Gruppen rechtfertigt bzw wenn eine solche Unterscheidung ein geeignetes, erforderliches und ieS verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines legitimen (externen) Zweckes wäre. Dieser Beweis wird zwar im Regelfall misslingen; aus diesem Grund prüft wohl auch der EuGH diese Frage in vielen Entscheidungen nicht näher484. Dass ein solcher Beweis unter keinen Umständen je erbracht werden kann, ist aber nicht anzunehmen485. Das zeigt deutlich der bereits erwähnte Fall Garcia Avello, in dem der EuGH eine Differen____________________
482 S auch Kucsko-Stadlmayer, Art 12 EGV Rz 31; aA Hengstschläger, JBl 2000, 418 FN 91, unter Berufung auf den Ausdruck „jede“ in Art 12 EGV sowie den Umstand, dass die Freizügigkeitsgarantien des EGV Einschränkungen vorsehen, die in Art 12 EGV gerade fehlten. Tatsächlich steckt eine solche Einschränkung im Ausdruck „Diskriminierung“, der das Fehlen jener Rechtfertigung impliziert, die in den ordre public-Klauseln für eine Beschränkung der Grundfreiheiten ausdrücklich verlangt wird. Eine „gerechtfertigte Diskrimierung“ wäre ein Widerspruch in sich, den der EGV zu Recht vermeidet. 483 S auch Epiney, Art 12 EGV Rz 40; Kucsko-Stadlmayer, Art 12 EGV Rz 31; s weiters allgemein für das Verhältnis zwischen speziellen Diskriminierungsverboten und allgemeinem Gleichheitssatz Kischel, EuGRZ 1997, 5 f. 484 So auch die Einschätzung von Epiney, Art 12 EGV Rz 40. 485 S auch Kucsko-Stadlmayer, Art 12 EGV Rz 31 f.
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zierung aufgrund der Staatsangehörigkeit nicht nur als zulässig, sondern unter den gegebenen Umständen sogar als geboten erachtet hat: Wollte man sich auf den Standpunkt stellen, dass eine Differenzierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausnahmslos verboten ist, wäre Belgien nun gezwungen, sein ganzes Namensrecht dem Spaniens anzupassen, was schon deshalb unsinnig wäre, weil belgische Familiennamen (anders als spanische) typischerweise nicht aus zwei Namen zusammengesetzt sind, sodass die spanische Regel für Belgien überhaupt nicht passt. Man könnte einwenden, Belgien sei dann eben verpflichtet, sein Namensrecht so zu formulieren oder zu handhaben486, dass es – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – beide Lösungen, den Namen des Vaters als Familiennamen des Kindes und auf Wunsch der Eltern eine Doppelnamenslösung zulässt. Unter der Annahme, spanische Staatsbürger trügen immer und alle anderen Staatsangehörigen nie einen Doppelnamen, müsste aber auch die Anknüpfung an die spanische Staatsangehörigkeit unbedenklich sein. Denn das Kriterium der Staatsangehörigkeit wäre unter dieser Prämisse ein treffsicheres Surrogatmerkmal für den Doppelnamen. Dass aber von zwei Regelungen, die dasselbe Ergebnis erzielen, eine absolut verboten, die andere hingegen einer Rechtfertigung zugänglich sein soll, wäre nicht begründbar487. Sofern sich aber – was der Regelfall ist – eine offene Ungleichbehandlung nach der Staatsangehörigkeit nicht treffsicher auf wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen zurückführen lässt, wird Gleiches ungleich behandelt und damit in das durch Art 12 EGV garantierte Prima-facie-Recht eingegriffen. Ein solcher Eingriff wäre nur gerechtfertigt, wenn er zur Erreichung eines externen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist. Nichts anderes kann mE gelten, wenn Unionsbürger nicht unmittelbar, sondern mittelbar gegenüber den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates benachteiligt werden. Dass sich eine derart versteckte Ungleichbehandlung mit wesentlichen Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen begründen lässt, ist von vornherein nicht zu erwarten; gäbe es solche Unterschiede, dann hätte der Normsetzer ja direkt an die Staatsangehörigkeit angeknüpft. In solchen Fällen ist daher nur zu fragen, ob die mittelbare Benachteiligung geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig zur Erreichung eines legitimen (externen) Zweckes ist. ____________________
486 Im konkreten Fall lag der Fehler eher in der Anwendung des Gesetzes, das den Behörden wohl auch eine andere Entscheidung ermöglicht hätte. 487 S auch Epiney, Art 12 EGV Rz 40, nach der Art 12 EGV für eine Differenzierung trotz gegebenenfalls weitgehend identischer Auswirkung nicht – je nach dem verwendeten Differenzierungsmerkmal – einen jeweils anderen Inhalt haben kann.
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Die hier vorgeschlagene Deutung des Art 12 EGV als ein Prima-facieRecht hat nicht nur den Vorteil, dass sie die Zulässigkeit einer offenen Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit nicht vorschnell und apodiktisch ausschließt. Sie ermöglicht es auch, unmittelbare Differenzierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, die nicht auf wesentlichen Unterschieden beruhen, und mittelbare Differenzierungen (die nie auf wesentlichen Unterschieden beruhen) dogmatisch erstens gleich und zweitens auf der richtigen Ebene zu verarbeiten. Dass diese beiden Formen der Differenzierung, wie ein Teil der Lehre annimmt, unterschiedlich zu beurteilen sind, dass also die offene Differenzierung absolut verboten, die versteckte hingegen einer Rechtfertigung zugänglich sein soll, ist mE nicht plausibel: Für eine derartige Unterscheidung findet sich schon im Wortlaut des Art 12 EGV kein Anhaltspunkt; hinzu kommt, dass die versteckte Diskriminierung ja nur in den Schutzbereich einbezogen wird, um der Umgehung einer offenen Diskriminierung gegenzusteuern. Werden aber beide Formen der Diskriminierung aus den gleichen Erwägungen ausgeschlossen, dann kann eine Rechtfertigungsmöglichkeit nicht nur bei einer von ihnen bestehen488. Maßgeblich ist vielmehr hier wie dort, ob eine Benachteiligung von Unionsbürgern, die (wie im Regelfall) nicht auf wesentlichen Unterschieden beruht, durch einen legitimen externen Zweck gerechtfertigt werden kann. Konsequenterweise sollte diese Frage dann – anders als dies in der Lehre zum Teil geschieht – nicht schon auf der Ebene des Tatbestandes abgehandelt, sondern der Rechtfertigungsebene zugeordnet werden. b. Art 4 EWRA Praktisch gleich lautend wie Art 12 EGV bestimmt Art 4 EWRA, dass „[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Abkommens [...] in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten“ ist. Diese Vorschrift wurde vom Nationalrat als verfassungsändernd genehmigt. Den Materialien zufolge spricht sie „[i]n der gleichen Formulierung wie in Art 7 des EWG-Vertrages [...] ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit [aus], das allerdings – wie im EWG-Vertrag – nur zugunsten der Vertragsparteien gilt und demnach der Diskriminierung von Angehörigen dritter Staaten nicht entgegensteht.“ Wie den Erläuterungen weiter zu entnehmen ist, stellt Art 4 EWRA eine verfassungsergänzende Bestimmung zum BVG-RD dar: „Art. I Abs. 2 dieses Bundesverfassungsgesetzes sieht nämlich vor, daß das in Art. I Abs. 1 vorgesehene Diskriminierungsverbot nicht hindert, österreichischen Staatsbürgern besondere Rechte einzuräumen oder besondere Verpflichtungen aufzuerlegen, soweit dem Art. 14 ____________________
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S bereits Epiney, Art 12 EGV Rz 40.
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der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht entgegensteht. Diese Ausnahmebestimmung wird durch Art. 4 dahingehend erweitert, daß sich aus dem Abkommen ergebende Vorteile für Staatsangehörige von EWR-Staaten zulässig sind. Unvorgreiflich einer allfälligen – flankierenden – Änderung des erwähnten Bundesverfassungsgesetzes ist Art. 4 daher als verfassungsergänzende Bestimmung zu genehmigen.“489
Die Materialien scheinen also davon auszugehen, dass jene Vergünstigungen, die EWR-Bürgern durch das nationale Recht eingeräumt werden, einer besonderen verfassungsrechtlichen Grundlage bedürfen490. Dass dies wirklich der Fall ist, muss allerdings bezweifelt werden, statuierte doch schon Art I Abs 1 BVG-RD kein absolutes Verbot, zwischen Angehörigen verschiedener Staaten zu unterscheiden, insbesondere wiesen die Materialien zu Art I Abs 1 BVG-RD ausdrücklich darauf hin, dass Staatsverträge eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit rechtfertigen könnten491. Soll sich Art 4 EWRA nicht in einer Wiederholung der bereits vor dessen Erlassung bestehenden Möglichkeit erschöpfen, zur Umsetzung eines Staatsvertrages zwischen Fremden zu differenzieren, dann muss er EWRBürgern ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verschaffen, nicht in einer Weise diskriminiert zu werden, die Art 4 EWRA ausdrücklich untersagt492. Wird ein EWR-Bürger daher iSd Art 4 EWRA bzw Art 12 EGV offen oder versteckt diskriminiert, so kann er sich dagegen unter Berufung auf Art 4 EWRA zur Wehr setzen; ihm steht also nicht nur die Beschwerde an den VwGH wegen einfachgesetzlicher Rechtsverletzung, sondern auch die Beschwerde an den VfGH offen493. Keine Anwendung findet Art 4 EWRA hingegen auf Regelungen, die weder offen noch versteckt nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft differenzieren. Die all____________________
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RV 460 BlgNR 18. GP 1114. S auch G. Eberhard, JBl 2001, 302. 491 S schon oben RV 732 BlgNR 13. GP 3 sowie oben E.II.4.a.bb. 492 S auch Holoubek, FS Krejci 1917, nach dem der Verfassungsgesetzgeber in Art 4 EWRA von „einer gleichheitsrechtlichen Gleichstellung von österreichischen Staatsbürgern und Staatsbürgern eines EWR-Staates“ ausgegangen ist; er zieht auch aaO 1925 in Erwägung, Art 4 EWRA als ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Diskriminierungsverbot von Unionsbürgern zu verstehen. 493 Anwendungsfälle des Art 4 EWRA werden sich allerdings bei Unionsbürgern nur sehr selten ereignen. Denn eine einfachgesetzliche Vorschrift, die mit Art 12 EGV unvereinbar ist, wäre von der Vollziehung ja gar nicht anzuwenden; wendet die Behörde das Gesetz dennoch an, dann handelt sie willkürlich, sofern die Gemeinschaftswidrigkeit offenkundig ist. Willkür kann der Unionsbürger aber ohnedies nach Art I BVG-RD bekämpfen. Stellt sich die Gemeinschaftswidrigkeit erst nach der Bescheiderlassung heraus, dann kann der Behörde jedenfalls kein Vorwurf gemacht werden, dass sie das (nicht offenkundig unanwendbare) Gesetz angewendet hat. Der VfGH nimmt in solchen Fällen dennoch (objektive) Willkür an und hebt den Bescheid auf (s dazu noch unten H.II.4.). Einer Berufung auf Art 4 EWRA bedarf es also auch in diesem Fall nicht. Nur wenn man für solche Fälle das Vorliegen von Willkür verneint, käme Art 4 EWRA eigenständige Bedeutung zu, dann nämlich, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich (wenn auch nicht vorwerfbar) einen mit Art 4 EWRA unvereinbaren Inhalt unterstellt hat. 490
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fällige Gleichheitswidrigkeit einer solchen Vorschrift kann der EWR-Bürger – wie jeder andere Fremde auch – schon unter Berufung auf Art I Abs 1 BVG-RD bekämpfen. Vor Diskriminierungen, die nicht durch Art 4 EWRA bzw Art 12 EGV, wohl aber durch andere Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts verboten sind (etwa durch die – gegenüber Art 4 EWRA bzw Art 12 EGV spezielleren – Freizügigkeitsgarantien), schützt Art 4 EWRA allerdings nicht. Soweit eine solche Diskriminierung den EWR-Bürger nicht auch in einem anderen, jedermann gewährleisteten Grundrecht verletzt494 und soweit auch nicht Art 6 StGG einschlägig ist, müsste in gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung eine Berufung auf Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG zugelassen werden, wenn ein Unionsbürger eine Gleichbehandlung mit österreichischen Staatsbürgern begehrt. Denn unter dem Titel des Art I Abs 1 BVGRD könnte ein solches Verlangen nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, da diese Bestimmung nur eine Gleichbehandlung Fremder untereinander garantiert495. Bloß willkürliche Bescheide oder Maßnahmen kann der EWR-Bürger hingegen wie jeder andere Fremde auch unter Berufung auf Art I Abs 1 BVG-RD bekämpfen, denn Willkür liegt vor, wenn sich eine Behörde über das Gesetz schlechterdings hinwegsetzt; ob sie dies nur ____________________
494 Zu denken ist etwa an Art 14 EMRK iVm den übrigen Konventionsrechten, dann aber auch (bei innerstaatlichen Freizügigkeitsbeschränkungen) an Art 4 StGG und Art 2 Abs 1 4. ZPEMRK bzw (bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen) an Art 8 EMRK; s auch Pöschl, Art 6/1 1. Tb StGG Rz 12. 495 Ausgehend von der Prämisse, dass Art I Abs 1 BVG-RD auf Ungleichbehandlungen zwischen Staatsbürgern und Fremden unanwendbar ist, nimmt auch Holoubek, FS Krejci 1921 f, 1924 ff, für derartige Fallkonstellationen die Anwendbarkeit des Art 4 EWRA bzw Art 7 B-VG an, dies allerdings nur insoweit, als dem Unionsbürger nicht ohnedies eine Beschwerde an den VwGH offen steht. ME kann eine Diskriminierung des Unionsbürgers nur dann ausgeschlossen werden, wenn dieser die dem Staatsbürger vorbehaltene materielle Rechtsposition – unter Berufung auf welche Norm immer – mit den gleichen Rechtsschutzmöglichkeiten wie ein Staatsbürger auch für sich erzwingen kann. Bleibt dem Unionsbürger aber von zwei in Betracht kommenden Beschwerdemöglichkeiten eine nur deshalb vorenthalten, weil er kein Staatsbürger ist, dann liegt eine Diskriminierung vor. Die Gefahr einer solchen Diskriminierung besteht von vornherein nicht, wenn eine Norm weder offen noch versteckt nach der Staatsangehörigkeit, sondern nach anderen Kriterien differenziert. Diesfalls verschafft Art I Abs 1 BVG-RD dem EWR-Bürger als Fremdem nämlich einen mit Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG gleichwertigen Schutz. Dieser Schutz versagt erst dann, wenn Fremde im Verhältnis zu Staatsbürgern ungleich behandelt werden. Art 4 EWRA fängt einen Teil dieser Fälle auf, indem er dem EWR-Bürger ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verschafft, im Verhältnis zu Staatsbürgern nicht iSd Art 4 EWRA bzw Art 12 EGV diskriminiert zu werden. Diese materiell-rechtliche Position ist kraft ihres Verfassungsranges auch mit dem dazugehörigen prozessualen Schutz versehen, eröffnet dem EWR-Bürger also auch die Möglichkeit, an den VfGH Beschwerde zu erheben. Soweit Art 4 EWRA keinen Schutz vor Diskriminierung mehr bietet, folgt der materielle Anspruch, nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden, nur aus dem Gemeinschaftsrecht; seine Durchsetzung muss dem EWR-Bürger aber so möglich sein, als wäre er ein Staatsbürger.
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bei einem Fremden oder auch bei einem Staatsbürger oder womöglich in einem Mehrparteienverfahren jeweils nur zum Nachteil des EWR-Bürgers tut, spielt keine Rolle: Für den Befund der Willkür kommt es auf einen Vergleich nicht an496. EU- bzw EWR-Bürger hätten sich demnach – je nachdem, welchen Inhalts ihre Diskriminierung ist – entweder auf Art 4 EWRA, Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG oder auf Art I Abs 1 BVG-RD zu stützen – eine einigermaßen obskure Situation, die deutlich macht, dass Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG hinsichtlich seines persönlichen Schutzbereiches revisionsbedürftig ist497: Das einfachste wäre, den Ausdruck „Staatsbürger“ in Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG durch „Menschen“ zu ersetzen, die in Art I Abs 1 BVG-RD ausdrücklich verpönten Differenzierungsmerkmale in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zu übernehmen, das BVG-RD aufzuheben und Art 4 EWRA auf die Stufe eines einfachen Gesetzes zu stellen. Differenzierungen zwischen Staatsbürgern sowie EWR-Bürgern einerseits und Drittstaatsangehörigen andererseits wären auch dann noch möglich, weil zwischen diesen beiden Personengruppen ja tatsächlich wesentliche Unterschiede bestehen können. Unsachliche Benachteiligungen Drittstaatsangehöriger könnten allerdings direkt nach Art 7 Abs 1 B-VG und nicht bloß über den Umweg der Art I BVG-RD und Art 4 EWRA bekämpft werden. Und EWR-Bürger könnten sich ohne weiteres auf Art 7 B-VG berufen, wenn sie im Anwendungsbereich des EGV/EWRA Staatsbürgern gegenüber benachteiligt werden.
IV. Schlussfolgerungen für den allgemeinen Gleichheitssatz 1. Zentrale Aussage der Diskriminierungsverbote Nach dem bisher Gesagten ruht das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz in Österreich auf zwei Säulen: Zum einen auf Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG, der alle Staatsbürger vor dem Gesetz für gleich erklärt, zum Zweiten auf Art I Abs 1 Satz 1 BVG-RD, der das bis dahin nur Staatsbürgern gewährte Gleichheitsrecht auf Fremde erstreckt. Die zuletzt genannte Bestimmung schützt Fremde zwar nicht vor einer Benachteiligung gegenüber Staatsbürgern. Dieses Gleichheitsdefizit ist aber durch die Mitgliedschaft Österreichs in der EU relativiert. Art 4 EWRA vermittelt EWR-Bürgern nämlich ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Prima-facie-Recht, im Anwendungsbereich des EWRA nicht schlechter behandelt zu werden ____________________
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S auch noch H.II.1. Auf den Anpassungsbedarf des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG an das Europarecht hat bereits Korinek, Einleitungsstatement 127, hingewiesen; zustimmend Ulrich, juridikum 2001, 177, die für eine Totalrevision des Art 7 B-VG plädiert und dessen Ausbau zu einem Menschenrecht vorschlägt.
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als Österreicher. Werden sie infolge dessen gleich wie Staatsbürger, aber besser als andere Fremde behandelt, so ist diese Differenzierung zwischen EWR-Bürgern und anderen Fremden zwar noch nicht suspekt, ohne jeden sachlichen Grund darf aber auch sie nicht vorgenommen werden. Auf diesem Umweg ist daher auch eine grundlose Benachteiligung Fremder gegenüber Staatsbürgern bekämpfbar. Strenger sind die Anforderungen, die die Verfassung an Ungleichbehandlungen in die Gegenrichtung stellt: So wie EWR-Bürger nach Art 4 EWRA (im Anwendungsbereich des EWRA) Staatsbürgern gegenüber grundsätzlich nicht benachteiligt werden dürfen, ist es nach Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG auch suspekt, wenn Staatsbürger schlechter behandelt werden als Fremde. Der allgemeine Gleichheitssatz ist daher, wenn auch erst durch das Zusammenwirken mehrerer Vorschriften, in Österreich ein Menschenrecht. Er verbietet prima facie eine Benachteiligung von Staatsbürgern gegenüber Fremden, im Anwendungsbereich des EWRA ebenso eine Benachteiligung von EWR-Bürgern gegenüber Staatsbürgern; nicht suspekt, aber doch einer Begründung bedürftig ist es schließlich, wenn Drittstaatsangehörige EWR-Bürgern gegenüber benachteiligt werden. Sowohl Art 7 Abs 1 Satz 1 B–VG als auch Art I Abs 1 Satz 1 BVG-RD ist ein spezieller Gleichheitssatz nachgestellt, der Differenzierungen nach ganz bestimmten Merkmalen untersagt, im ersten Fall nach Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis (Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG), im zweiten Fall nach Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft (Art I Abs 1 Satz 2 BVG-RD). Was diese Merkmale miteinander verbindet, ist, wie gezeigt, dass sie „in der Person“ gelegen sind: Sie knüpfen an das Menschsein an und schützen konsequenterweise nicht nur den Staatsbürger oder allein den Fremden, sondern den Menschen schlechthin. Rechtliche Unterscheidungen nach Merkmalen, die der zumutbaren Disposition des Einzelnen entzogen sind, werden nicht nur in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG und Art I Abs 1 BVG-RD verpönt. Gleichartige Diskriminierungsverbote finden sich verstreut über die ganze Verfassung: Dass der Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte vom Religionsbekenntnis unabhängig ist, stellte schon Art 14 Abs 2 StGG fest. Durch den Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918498 wurde die volle Vereins- und Versammlungsfreiheit ohne Unterschied des Geschlechts hergestellt. Art 66 StV St Germain verbietet Unterscheidungen nach Sprache, Rasse und Religion499. Art 63 Abs 1 StV St Germain ____________________
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StGBl 1918/3 idF BGBl 1920/1 (= StGB 1920/450). Zu diesem VfSlg 6919/1972; zu Art 66 Abs 2 StV St Germain näher Kucsko-Stadlmayer, Art 66/2 StV St Germain. 499
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verpflichtet Österreich, seinen Einwohnern ua ohne Unterschied der Geburt, Sprache, Rasse oder Religion vollen und ganzen Schutz von Leben und Freiheit zu gewähren. Art 14 EMRK wendet sich hinsichtlich der Gewährleistung der in der Konvention statuierten Rechte und Freiheiten gegen Benachteiligungen, die im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet sind. Nach Art 14 Abs 6 B-VG sind schließlich öffentliche Schulen, Kindergärten, Horte und Schülerheime allgemein ohne Unterschied der Geburt, des Geschlechts, der Rasse, des Standes, der Klasse, der Sprache und des Bekenntnisses zugänglich500. Ganz offensichtlich wird die österreichische Verfassung nicht müde, Differenzierungen nach Merkmalen zu verpönen, die im Einzelnen zwar durchaus heterogen sein mögen; was diese Kriterien aber jedenfalls miteinander verbindet, ist die Tatsache, dass sie historisch zum Anlass für vielfältigste rechtliche Unterscheidungen genommen worden sind, die aus heutiger Sicht in allen westlichen Demokratien als unzulässig abgelehnt werden501. Diese einmütige Ablehnung hat verschiedene Gründe: Soweit ____________________
500 S auch den (nicht in Verfassungsrang stehenden) Art 6 StV Wien, nach dessen Z 1 Österreich alle erforderlichen Maßnahmen treffen wird, um allen unter der österreichischen Staatshoheit lebenden Personen ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion den Genuss der Menschenrechte und der Grundfreiheiten einschließlich der Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse und Veröffentlichung, der Religionsausübung, der politischen Meinung und der öffentlichen Versammlung zu sichern; in Art 6 Z 2 StV Wien verpflichtet sich Österreich dazu, dass die in Österreich geltenden Gesetze weder in ihrem Inhalt noch in ihrer Anwendung Staatsbürger aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Sprache oder ihrer Religion, sei es in Bezug auf ihre Person, ihre Vermögenswerte, ihre geschäftlichen, beruflichen oder finanziellen Interessen, ihre Rechtsstellung, ihre politischen oder bürgerlichen Rechte, sei es auf irgendeinem anderen Gebiet, diskriminieren oder für sie Diskriminierungen zur Folge haben werden. S weiters die auf Art 13 EGV beruhenden Antidiskriminierungsrichtlinien 2000/43/EG vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl 2000 L 180/22, und 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl 2000 L 303/16 (zu diesen zB Urlesberger, ZAS 2001, 72 ff; Stalder, JRP 2002, 227 ff, sowie noch unten G.II.7.), sowie Art 21 der EU-Charta der Grundrechte, ABl 2000 C 364/1, und Art 1 des völkerrechtlich bereits in Kraft getretenen, von Österreich aber noch nicht ratifizierten 12. ZPEMRK; s zu diesem auch unten Abschnitt F FN 298. 501 Dementsprechend wurde bereits in Art 2 der (in Österreich nicht amtlich kundgemachten) Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgestellt, dass jeder Mensch Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten hat, ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer und sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen. Weiters darf nach dieser Vorschrift keine Unterscheidung gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stel-
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Ungleichbehandlungen an unabänderliche Eigenschaften wie Geschlecht, Geburt, Rasse, Hautfarbe, Abstammung, Sprache, nationale oder ethnische Herkunft anknüpfen, bringen sie den Einzelnen in eine auswegslose Situation: Er wird nicht nur in seinem „So-Sein“ abgewertet, ihm ist auch unmöglich, dieser rechtlichen Benachteiligung zu entgehen. Letztlich wird er auf diese Weise wegen einer Eigenschaft belastet, die sich seiner individuellen Verantwortung entzieht502. Dies steht in Widerspruch zur Vorstellung westlicher Demokratien, dass der Mensch ein freies, selbstbestimmtes Wesen ist, das für sein Verhalten einerseits verantwortlich ist, dem aber andererseits Unmögliches nicht abverlangt werden darf. Nicht alle Eigenschaften, die die Verfassung als Grund für eine Ungleichbehandlung verpönt, sind allerdings dem Einfluss des Einzelnen vollkommen entzogen: Sowohl das Bekenntnis als auch die politischen oder sonstigen Anschauungen eines Menschen sind keine feststehenden Größen, sondern grundsätzlich veränderbar503. Wenn die Verfassung eine daran anknüpfende rechtliche Ungleichbehandlung dennoch verbietet, dann, weil sie es dem Einzelnen nicht zumutet, sein Bekenntnis oder seine Anschauung zu wechseln, um einem rechtlichen Nachteil zu entgehen. Diese Eigenschaften sind also zwar in einem deskriptiven Sinn veränder____________________
lung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört. Zufolge Art 2 Abs 2 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl 1978/590, verpflichten sich die Vertragsstaaten zu gewährleisten, dass die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status ausgeübt werden. In Art 3 desselben UN-Paktes verpflichten sich die Vertragsstaaten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung aller in diesem Pakt festgelegten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sicherzustellen. S weiters Art 2 und Art 141 EGV sowie Art 13 EGV, nach dem der Rat unbeschadet der sonstigen Bestimmungen des EGV im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen kann, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. 502 S auch Somek, Rationalität 29: „Es ist die normative Grundintention spezieller Diskriminierungsverbote, dass jede Person zu schützen ist, die ein Element des solcherart konstruierten Negativbildes inklusiver Fitness realisiert, weil sie es nicht vermeiden kann, von Natur aus ein unveränderliches Merkmal zu tragen. Denn ein solches Merkmal zu tragen, ist von keiner Person zu verantworten. Die Anpassung an diskriminierendes Verhalten (durch Ausweichen, Lernen, Training etc.) ist nämlich diesfalls nicht möglich.“ (Hervorhebungen im Original). 503 Das in Art 14 EMRK genannte „Vermögen“ zählt nicht zu den veränderlichen Eigenschaften, weil es, wie Sachs, ZÖR 1984, 369 ff, gezeigt hat, nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem Status zu lesen und dementsprechend als ein Standesmerkmal zu verstehen ist; es entspricht damit in etwa der „Klasse“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, s zu dieser schon oben E.I.4.b. sowie noch unten G.III.2.b.
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bar, sie werden aber normativ für unabänderlich erklärt504, weil sie Ausdruck einer Persönlichkeitsentscheidung sind, die die Verfassung respektiert505. Diskriminierungen nach den heute als verpönt geltenden Merkmalen wurden in der Vergangenheit freilich oft zu rationalisieren versucht: Frauen wurde das Wahlrecht nicht einfach deshalb vorenthalten, weil sie Frauen sind, sondern weil ihnen die Eigenschaft mangelnder Einsichtsfähigkeit zugeschrieben wurde506. Gleiches gilt für rassische Diskriminierungen: Auch sie stützten sich oft auf die Annahme, dass nicht allein wegen der Rasse oder Hautfarbe differenziert werde, sondern deshalb, weil die Träger dieser Merkmale bestimmte Eigenschaften hätten, die ihre Ungleichbehandlung legitimiere. Rationalisierungen sind die „Begleitmusik jeder Diskriminierung“507, doch sie erzeugen Misstöne, denn sie beruhen regelmäßig auf Vorurteilen, Stereotypen oder groben Verallgemeinerungen, also auf der Zuschreibung von Eigenschaften, die die betroffenen Personen überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in signifikant höherem Maß haben als andere Menschen. Eine Benachteiligung, die an ein unabänderliches Merkmal als Chiffre für eine andere, tatsächlich nicht vorhandene Eigenschaft anknüpft, ist aber ebenso diskriminierend wie eine Ungleichbehandlung, die sich gar nicht erst die Mühe einer solchen Scheinrationalisierung macht508. Alle diese Zuschreibungen versuchen nachzuweisen, dass zwischen den jeweils diskriminierten Gruppen und allen anderen Menschen im Tatsächlichen wesentliche Unterschiede bestehen, die eine Ungleichbehandlung gleichsam als „naturgegeben“ rechtfertigen. Dass Ungleichbehandlungen nach den genannten Merkmalen heute als diskriminierend angesehen werden, beruht freilich gar nicht auf der Ansicht, die genannten Kriterien könnten zwischen Menschen gesellschaftlich, soziologisch, psychologisch keine bedeutsamen Unterschiede begründen, ganz im Gegenteil: Viele dieser Merkmale sind für die Identität des Menschen fundamental prägend509, ____________________
504 S zur deskriptiven und normativen Konnotation der Unveränderlichkeit Somek, Rationalität 394. 505 S die in Art 14 Abs 1 StGG, Art 63 Abs 2 StV St Germain und Art 9 EMRK statuierte Bekenntnisfreiheit sowie die in Art 13 StGG und Art 10 EMRK garantierte Meinungsfreiheit. 506 S schon oben B.I.6., zu den anderen Gründen, die historisch für ein Männerwahlrecht ins Treffen geführt wurden s Pöschl, FS Schäffer 640 f. 507 Somek, Rationalität 390. 508 Auch ob hinter einer Diskriminierung die Absicht steht, jemanden herabzusetzen, ist aus der Sicht des Betroffenen letztlich gleichgültig; Somek, Rationalität 25, unterscheidet in dieser Hinsicht die „Diskriminierung als Akt“ von dem diskriminierenden Verhalten, das nicht gehässig oder demütigend ist, sondern schon dann vorliegt, wenn jemand aus irgendeinem Grund wegen eines bestimmten Merkmals schlechter als andere behandelt wird. 509 S auch Huster, Rechte 26.
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sie kennzeichnen seine biologische Ausstattung, seine Biographie, das Umfeld, in dem er aufgewachsen ist, seine kulturelle und soziale Herkunft, mithin seine Wurzeln, das, was ihn als Person determiniert und es ihm möglich macht, sich selbst als „einmalig“ und das heißt: als von anderen tatsächlich verschieden zu definieren. Wenn die Verfassung gleichwohl immer und immer wieder betont, dass diese Merkmale prima facie nicht zum Anlass für eine rechtliche Benachteiligung genommen werden dürfen, dann bringt sie zum Ausdruck, dass jeder Mensch, mag er sich von anderen auch noch so sehr unterscheiden, als Person gleichwertig mit anderen ist510, dass er als Individuum und nicht als Teil eines Kollektivs zu betrachten und zu behandeln ist, dass er in seiner Individualität und in dem, was seine Identität prägt, Schutz verdient: Indem die Verfassung verbietet, einen Menschen allein aufgrund dieser, sein „So-Sein“ bestimmenden Eigenschaften anders zu behandeln, verschafft sie ihm letztlich ein Recht darauf, anders zu sein511, sie ermöglicht ihm, seine Persönlichkeit unabhängig von Klischees und stereotypen Rollenerwartungen zu entfalten, sichert ihm also Handlungsspielräume und damit ein Stück Freiheit zu. An diesem Punkt trifft die Gleichheit somit auf die Freiheit, die angeblichen Gegensätze zwischen beiden Rechten lösen sich auf 512, und die in der Lehre vertretene Ansicht, Gleichheitsrechte hätten keinen Schutzbereich513, verliert an Plausibilität: Denn diese Ansicht vergisst oder verdrängt, was den Ruf nach Gleichheit erst hat laut werden lassen und worin dieses Recht in seinem Kern besteht: Es ist die Anerkennung des Einzelnen als Person 514, es ist der Respekt vor dem Rechtsunterworfenen als ____________________
510 S auch Berka, Art 7 B-VG Rz 1, nach dem durch den Satz, dass alle Menschen bzw Bürger vor dem Gesetz gleich sind, „jenen Auffassungen eine Absage erteilt [wird], die aus der Abstammung, der Stellung oder anderen vergleichbaren persönlichen Eigenschaften eines Menschen ein Mehr an Rechten ableiten wollten“; s auch Somek, Rationalität 32. 511 S schon A. Arndt, FS Leibholz 185; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 34 f; G. Jürgens, NVwZ 1995, 452. 512 S auch P. Kirchhof, FS Geiger 106 f: „Soweit der Gleichheitssatz als Garantie der ‚persönlichen Rechtsgleichheit‘ […], also als Prinzip des gleichen Rechtswerts aller Personen verstanden wird […], gewinnt Art. 3 Abs. 1 GG deutlich den Gehalt eines materiellen subjektiven Rechts. Der Gleichheitssatz wird zu einem Freiheitsrecht […], das den Staat nicht nur zum Unterlassen staatlicher Aktivitäten bestimmten Inhalts oder bestimmter Art […], sondern zur materiellen Gewährleistung des Schutzgutes ‚Mensch‘ in seiner personalen Eigenheit verpflichtet und zur Abwehr von übermäßiger Macht und Privilegien berechtigt“. 513 C.IV.4.b., C.V. 514 S schon die Feststellung Heins im Kremsierer Reichstag: „Im Rechtsstaate, der jeden Einzelnen als Person gleichachtet, muß auch die Gleichheit Aller vor dem Gesetze ausgesprochen werden“ (StenProtRT 68. Sitzung am 9. Jänner 1849, 315, Hervorhebung nicht im Original); auch Ermacora, Handbuch 48; Pernthaler, Bundesstaatsrecht 701, sehen in dem Gebot, jedermann als Person zu achten, „den absoluten Kern“ des Gleichheitssatzes.
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Mensch, der ein Recht darauf hat, unverwechselbar, untypisch, über-, unter- oder schlicht durchschnittlich zu sein. Dieses Recht ist nichtkomparativ: Denn die Achtung des einen kann nicht davon abhängen, ob auch ein anderer geachtet wird. Daher kann seine Missachtung auch nicht korrigiert werden, indem einem anderen der Respekt als Person ebenso versagt wird. Erkennt man an, dass der Gleichheitssatz die Achtung jedes Einzelnen als Person und Individuum garantiert und dass die Ungleichbehandlung nur eine besonders deutlich sichtbare Missachtung der Person sein kann, aber keineswegs der einzige (und nicht einmal der notwendige) Fall einer Gleichheitsverletzung ist, dann ist es erstens kein Widerspruch und nimmt dem Gleichheitssatz auch keineswegs seine „Richtung auf Gleichheit“515, wenn ihm sowohl ein Gleichbehandlungs- als auch ein Ungleichbehandlungsgebot entnommen wird. Denn die Achtung des Einzelnen als Person schließt die Achtung seiner Individualität und damit auch seiner Verschiedenheit notwendig mit ein. Zweitens können – gerade weil der Kern des Gleichheitssatzes ein nichtkomparatives Recht ist – aus ihm auch nichtkomparative Rechte resultieren. Dass die Judikatur dem Gleichheitssatz ein allgemeines Sachlichkeitsgebot entnimmt, ist daher – anders als in der Lehre oft angenommen wird516 – nicht schon deshalb bedenklich, weil bei dessen Anwendung auf einen Vergleich verzichtet wird.
2. Der personale Schutzzweck des allgemeinen Gleichheitssatzes Die genannten Gleichheitsgebote gehen dem allgemeinen Gleichheitssatz zwar als speziellere Normen vor, sie entlasten ihn also einerseits; andererseits liefern sie aber auch entscheidende Anhaltspunkte für seine Auslegung. Regelmäßig kommen spezielle Diskriminierungsverbote wie diese nämlich zu spät: Sie werden nicht dann statuiert, wenn die jeweilige Diskriminierung gleichsam an ihrem Höhepunkt ist, sondern erst, wenn sie in einer Rechtsordnung weitgehend überwunden ist und mehrheitlich als unzulässig betrachtet wird517. Spezielle Diskriminierungsverbote wie Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, Art I Abs 1 BVG-RD, Art 14 Abs 2 StGG, Art 66 StV St Germain und Art 14 EMRK umschreiben also die zentrale Aussage ____________________
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S dazu schon oben C.IV.2.e. S oben D.II.2. Das bedeutet freilich nicht, dass die hinter der Diskriminierung stehenden Vorurteile auch aus der Gesellschaft verschwunden sind, s dazu Somek, Rationalität 27 f, nach dem Diskriminierungsverbote deshalb zu spät kommen, weil sie von der Diskriminierung als einem systemischen Moment der sozialen Kooperation abstrahieren: Sie blenden also das systemische, keinem bestimmten Subjekt zurechenbare Geflecht rationaler Diskriminierungen aus bzw tasten es nicht an, und versuchen den Zirkel an einem Punkt zu durchbrechen, indem sie ein Subjekt isolieren, etwa den Staat oder den Arbeitgeber und ihm verbieten zu diskriminieren.
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des Gleichheitsgebotes; sie bringen zum Ausdruck, was in dieser Hinsicht jedenfalls außer Streit steht und müssen demgemäß auch den Ausgangspunkt für eine Interpretation des allgemeinen Gleichheitssatzes bilden518. Tatsächlich hat der VfGH den personalen Schutzzweck der Gleichheit zunächst auch zur Leitlinie seiner Judikatur gemacht und angenommen, Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG verbiete Ungleichbehandlungen nach Eigenschaften, die „in der Person“ gelegen sind519. In diesem Verständnis begegnete die Handhabung des Gleichheitssatzes allerdings drei Schwierigkeiten: Zunächst war unklar, wann eine Eigenschaft „in der Person“ gelegen ist. Zum Zweiten bestand bisweilen das Bedürfnis, auch Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen, die eindeutig an derartige Merkmale anknüpften. Und schließlich sollte der Schutz des Gleichheitssatzes nicht vollständig versagen, wenn nach Kriterien differenziert wird, die eindeutig nicht in der Person gelegen sind. In Ansehung dieser Schwierigkeiten revidierte der VfGH, wie gezeigt, zunächst den Standpunkt, dass eine Ungleichbehandlung nach subjektiven, in der Person gelegenen Merkmalen absolut verboten sei. Zugleich wurde aber auch das subjektive (in der Person des Rechtsunterworfenen gelegene) Merkmal der Unterscheidung in einen subjektiven (auf diskriminierenden Absichten des Gesetzgebers beruhenden) Grund für die Unterscheidung umgedeutet. Aus diesen diskriminierenden Motiven des Gesetzgebers wurde schließlich der (objektiv) unsachliche Grund, auf dem eine Ungleichbehandlung nach welchem Kriterium immer fortan nicht mehr beruhen durfte. Parallel dazu trat in der Judikatur auch die Formel auf, der allgemeine Gleichheitssatz gebiete, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG wurde auf diese Weise in einem doppelten Sinn „entpersonalisiert“: Die Gleichheitskonformität einer Norm wurde einerseits – und zu Recht – nicht mehr davon abhängig gemacht, ob der Gesetzgeber sich um eine ausgewogene Regelung „bemüht“ hat oder ob er böswillig war. Andererseits wurde aber auch der personale Schutzzweck des Gleichheitssatzes teilweise verschüttet unter dem Verbot „sachfremder“, „sachwidriger“ oder nicht „sachgerechter“ Ungleichbehandlungen und dem technischen und – für sich genommen – letztlich substanzlosen Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Ihren Höhepunkt erreicht diese Entpersonalisierung, wenn der Gleichheitssatz nicht mehr in den Dienst individueller, sondern kollektiver Interessen wie Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verwaltungsführung gestellt wird520. ____________________
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S auch Somek, Rationalität 31. Dazu und zum Folgenden näher oben E.I.2.c.; s auch Leibholz, Gleichheit 174 FN 3. S oben D.I.8.c., D.II.2.c.
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Im Gebot der „Sachlichkeit“ blieb allerdings der personale Bezug des Gleichheitssatzes noch erhalten, insofern nämlich, als darunter die unparteiliche, vorurteilsfreie Beurteilung und Behandlung des Einzelnen verstanden wird521, aber auch insofern, als der VfGH dem Gleichheitssatz über das allgemeine Sachlichkeitsgebot nichtkomparative Rechte entnimmt, Rechte also, die eine Kernaussage des Gleichheitssatzes bereichsspezifisch konkretisieren. Wenn der VfGH schließlich in seiner jüngeren Judikatur verlangt, dass Ungleichbehandlungen auf einem vernünftigen Grund beruhen und verhältnismäßig sein müssen, dann bricht der personale Schutzzweck des allgemeinen Gleichheitssatzes zwar einerseits ganz allgemein wieder durch, andererseits bleibt er aber auch verdeckt, solange das Gebot der Verhältnismäßigkeit – zumindest an der sprachlichen Oberfläche – pauschal für jede Ungleichbehandlung postuliert wird. Denn die Ungleichbehandlung ist, wie schon mehrfach betont wurde, nicht schon an sich suspekt, aber sie ist es dann, wenn sie den Einzelnen in seinem nicht oder nicht zumutbar veränderlichen „So-Sein“ ignoriert oder ihn deshalb benachteiligt, wenn sie ihn zu einer Anpassung an eine Gruppe zwingt, der er mehr oder weniger zufällig angehört, oder über ihn wegen dieser Gruppenzugehörigkeit rechtliche Nachteile verhängt, und auch dann, wenn sie auf Stereotypen, Vorurteilen und fehlerhaften Eigenschaftszuschreibungen beruht, die den Einzelnen an einer freien Entfaltung seiner Persönlichkeit hindern. Regelungen, die eine solche Wirkung haben, greifen in das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz ein, sie bedürfen nicht bloß einer Begründung, sondern einer Rechtfertigung. Diese kann erstens geliefert werden, wenn zwischen den Vergleichsgruppen entgegen der Vermutung der Verfassung für einen legitimen Regelungszweck relevante Unterschiede oder Gemeinsamkeiten bestehen. Dabei ist freilich besonders gründlich zu untersuchen, ob die Eigenschaften, die der Gesetzgeber den Vergleichsgruppen zuschreibt, nicht auf Vorurteilen oder Verallgemeinerungen beruhen. Zweitens ist ein Eingriff in den Gleichheitssatz auch dann gerechtfertigt, wenn die jeweilige Regelung zur Erreichung anderer, mit den Eigenschaften der Vergleichsgruppen nicht zusammenhängender Ziele geeignet und erforderlich ist. Diese kollektiven Ziele müssen dann aber gewichtig sein und sie müssen schwerer wiegen als das Recht des Einzelnen, nicht aufgrund seines nicht oder nicht zumutbar veränderbaren So-Seins benachteiligt zu werden522. Diese Form der Gleichheitsprüfung unterscheidet sich in ih____________________
521
S dazu oben D.I.3.a. Ähnlich im Ergebnis Kischel, AöR 124 (1999) 190, wonach der „an Gleichheitsverstöße anzulegende Maßstab […] davon ab[hängt], wie weit das Differenzierungskriterium den Menschen in seinen vorgegebenen, unbeeinflußbaren Merkmalen betrifft und 522
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rem Ablauf durch nichts von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie sie bei den Freiheitsrechten vorgenommen wird: Dass die „[Gleichheits-] Beeinträchtigung in ihrem Gewicht durch entsprechende sachliche Gründe aufgewogen“ werden muss, begründet einen solchen Unterschied gerade nicht523, sondern zeigt im Gegenteil, dass es hier wie dort um einen Ausgleich kollidierender – einerseits nämlich individueller und andererseits kollektiver – Interessen geht. Der individualistische Kern des allgemeinen Gleichheitssatzes erklärt auch – gleichsam von der anderen Seite her –, warum die auf einer Durchschnittsbetrachtung oder auf verwaltungsökonomischen Erwägungen beruhende Abweichung von einem Differenzierungsschema als ein Eingriff in den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstehen ist524: Art 7 Abs 1 B-VG hat zwar eine individualistische Zielrichtung, er vermittelt dem Einzelnen also ein Recht, in seiner Eigenheit nicht übergangen und nicht nach seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sondern aufgrund seiner individuellen Eigenschaften beurteilt und behandelt zu werden. Klar ist aber auch, dass die Verfassung das Versprechen, niemanden jemals zu übergehen, weder vorbehaltlos geben kann noch gibt: Wenn sie Gleichheit „vor dem Gesetz“ verspricht, dann eben nur im Rahmen dessen, was dem Gesetzgeber und der Vollziehung realistischerweise möglich ist. Nur „vor dem Gesetz“ und das heißt: vor der ihm eigenen Tendenz zur Generalisierung sind daher alle Staatsbürger gleich525. So besehen ist auch der Gleichheitssatz ein Grundrecht, das unter Gesetzesvorbehalt steht526. Auch er hat – nicht anders als die Freiheitsrechte – ein ganz grundlegendes Spannungsverhältnis zu bewältigen: Er muss zwischen Individuum und Kollektiv vermitteln, zwischen dem Bedürfnis des Menschen, in seiner Eigenheit nicht übergangen zu werden, seinem Interesse, nicht allein deshalb benachteiligt zu ____________________
deshalb den geschützten Kern seiner Individualität erfaßt, insbesondere wenn dieser Kern unter besonderem grundrechtlichen Schutz steht“. 523 So aber Kischel, AöR 124 (1999) 191, der meint, der Begriff der Verhältnismäßigkeit könne im Rahmen der Gleichheitsprüfung „nicht so wie bei den Freiheitsrechten im Sinne einer Zweck-Mittel Relation verstanden werden, in der das verwendete Mittel in der Intensität der von ihm ausgehenden Freiheitsbeeinträchtigung im Verhältnis zum angestrebten Zweck geeignet, erforderlich und angemessen sein muß.“ 524 S dazu oben D.I.8.f. Diesen Zusammenhang stellt auch Thienel, Berufungsverfahren 36, her. 525 Gerade diese Generalisierung verspricht ja ihrerseits ein hohes Maß an Rechtsgleichheit (s Starck, Art 3 GG Rz 7). Da das Gesetz Distanz nimmt vom Einzelfall, muss es auf Gründen beruhen, die verallgemeinerungsfähig sind, und das heißt auch: die die Zustimmung aller finden können. 526 S demgegenüber die wohl hA, der Gleichheitssatz stehe nicht unter Gesetzesvorbehalt zB Schäffer, Verfassungsinterpretation 166; Korinek, FS Melichar 42; s auch Stifter, ÖJZ 1959, 281, der meint, der Gleichheitssatz sei ein Grundrecht, das „unbedingt“ zustehe; Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 61.
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werden, weil er atypisch, über- oder unterdurchschnittlich ist, zwischen dem Wunsch nach Individualität und „Einzelfallgerechtigkeit“ einerseits und der Generalisierung, die mit der Allgemeinheit des Gesetzes und seiner effizienten Vollziehung notwendig einhergeht. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Verallgemeinerung ist gleichsam das innere Dilemma des Gleichheitssatzes527. Es wird aufgelöst oder doch entschärft, wenn der Gesetzgeber ein abstraktes Differenzierungsschema schafft, das auf verallgemeinerungsfähigen Gründen beruht. Weicht seine Norm aber aus technischen oder verwaltungsökonomischen Erwägungen von diesem Schema ab, so wird dem Einzelnen die ihm prima facie zustehende Beurteilung seiner individuellen Voraussetzungen gerade verwehrt. Zu Recht behandelt der VfGH daher eine vergröbernde Betrachtungsweise des Gesetzgebers der Sache nach als einen Eingriff in den allgemeinen Gleichheitssatz, der nur gerechtfertigt werden kann, wenn er geeignet, erforderlich und für den Einzelnen nicht mit einem unverhältnismäßigen Nachteil verbunden ist528. Dass es für die Zulässigkeit einer solchen Vergröberung auch auf das „Gewicht der Rechtsfolgen“ ankommt, hat der VfGH nicht von ungefähr gerade bei einer Differenzierung nach dem Geschlecht erstmals ausgesprochen. In einem solchen Fall weicht der Gesetzgeber nicht bloß von einem einfachgesetzlich begründeten Differenzierungsschema ab, er greift vielmehr in ein Prima-facie-Recht des Gleichheitssatzes ein, das dem einfachen Gesetzgeber vorgegeben ist. Knüpft der Gesetzgeber daher an ein Kriterium an, das die Verfassung als Differenzierungsmerkmal ausdrücklich verpönt, dann muss an die Zulässigkeit von Durchschnittsbetrachtungen und verwaltungsökonomischen Differenzierungsdefiziten ein besonders strenger Maßstab angelegt werden. Die altmodische Redeweise von „unveräußerlichen“ Werten bekommt hier einen unmittelbar greifbaren Sinn: Der gleiche Wert eines jeden Menschen als ____________________
527 Es wurde kaum je dramatischer veranschaulicht als in Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“ (in: Kafka, Der Prozeß 196 f; s dazu auch Jabloner, JBl 2006, 412 f ), in der der Mann vom Lande um Eintritt in das Gesetz bittet. Das sei möglich, sagt ihm der Türhüter: „jetzt aber nicht“. Der Mann vom Lande verbringt sein halbes Leben vergeblich damit, auf diesen Eintritt zu warten. Kurz vor seinem Tod sammelt er die letzte Kraft und fragt den Türhüter, wie es kommen kann, dass – wo doch alle nach dem Gesetz streben – in den vielen Jahren niemand außer ihm Einlass verlangt hat. Da brüllt ihn der Türhüter, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, an: „Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“ 528 S dazu oben D.I.8.f. und D.IV.2. Die gebotene Güterabwägung ist zwischen dem Interesse des Einzelnen, nach seinen individuellen Voraussetzungen behandelt zu werden, und den einer solchen Einzelfallbetrachtung entgegenstehenden Zweckmäßigkeitserwägungen vorzunehmen – darin, nicht so sehr in der Tatsache, dass „bei der Durchschnittsbetrachtung auf den verhältnismäßig häufigsten Fall abgestellt [wird]“ (Potacs, Devisenbewirtschaftung 379), liegt die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.
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Person gehört jedenfalls hierher; er kann nicht schon für eine Verwaltungseinsparung preisgegeben werden. Im Folgenden soll an ausgewählten Beispielen näher dargelegt werden, wann der allgemeine Gleichheitssatz in seinem Kern betroffen ist und ob bzw inwieweit die Judikatur den strengen Anforderungen Rechnung trägt, die der allgemeine Gleichheitssatz an Rechtsvorschriften in solchen Fällen stellt.
3. Verpönte Differenzierungen a. Explizit verpönte Differenzierungskriterien Soll den Wertungen der genannten Diskriminierungsverbote bei der Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes Rechnung getragen werden, so ist zunächst anzunehmen, dass Ungleichbehandlungen nach einem ausdrücklich verpönten Differenzierungsmerkmal auch im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes suspekt sind. Von Bedeutung ist dies vor allem dann, wenn ein Diskriminierungsverbot – wie Art 14 EMRK – die Ungleichbehandlung nach einem persönlichen Merkmal nur hinsichtlich bestimmter Rechte verpönt. Ist ein solches Recht nicht berührt, das spezielle Gleichheitsgebot also nicht anwendbar, dann unterfällt die suspekte Ungleichbehandlung dem allgemeinen Gleichheitssatz, der an ihre Zulässigkeit strenge Anforderungen stellt. Die meisten der in Art 14 EMRK genannten Kriterien finden sich freilich auch in Diskriminierungsverboten, die ihrem sachlichen Schutzbereich nach unbeschränkt sind529. Nur die politische oder sonstige Anschauung ist als Differenzierungskriterium allein in Art 14 EMRK verpönt. Ungleichbehandlungen nach diesen Merkmalen sind, wenn sie nicht ohnedies dem Art 14 EMRK unterfallen, auch im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes bedenklich. Soweit ersichtlich, hatte der VfGH eine Unterscheidung nach der politischen oder sonstigen Anschauung bislang noch nicht zu prüfen530. Im Erkenntnis VfSlg 3822/1960 lag ihm aber eine Bestimmung des OpferfürsorgeG vor, die nach Sprache und nationaler Herkunft differenzierte, also nach Merkmalen, die nur in Art 14 EMRK und Art 66 StV St Ger____________________
529 Geschlecht, Religion, soziale Herkunft, durch Vermögen oder Geburt begründeter Status sind auch von Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG erfasst. Rasse, Hautfarbe, nationale Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit finden sich auch in Art I Abs 1 BVGRD. Ungleichbehandlungen nach der Sprache werden auch in Art 66 StV St Germain für suspekt erklärt, allerdings nur bezogen auf Staatsbürger. Da die Muttersprache für die Identität des Einzelnen – als Mensch, nicht bloß als Staatsbürger – fundamental prägend und zudem unabänderlich ist, müssen Differenzierungen nach diesem Merkmal auch nach Art I Abs 1 BVG-RD einer strengen Prüfung unterzogen werden. 530 S zu einer Differenzierung nach der Parteizugehörigkeit allerdings noch unten E.IV.3. b.cc.
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main genannt sind, nicht aber in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG531. Der VfGH prüfte diese Unterscheidung am allgemeinen Gleichheitssatz und stellte fest, eine Differenzierung der Anspruchsberechtigung nach der Sprachzugehörigkeit oder der Herkunft aus dem deutschen Sprachgebiet und die Schlechterstellung der Sprache einer Minderheit sei nie sachlich, weil die Sprachzugehörigkeit zu Aufgabe und Zweck der Opferfürsorge in keinem sachlichen Zusammenhang stehe. Sie war nach Ansicht des VfGH insbesondere nicht geeignet, den Kreis der Anspruchsberechtigten im Sinne einer „qualifizierten Opfereigenschaft“ zu umschreiben. Der von der Bundesregierung vertretenen Meinung, die Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger nichtdeutscher Sprachzugehörigkeit sei aus rechtstechnischen Gründen zulässig, trat der Gerichtshof ausdrücklich entgegen: Es sei sicher auch technisch möglich, die Anspruchsberechtigung auf qualifizierte Opfer auszudehnen, ohne nach der Sprache zu differenzieren. Die inkriminierte Unterscheidung nach der deutschen Sprachzugehörigkeit bzw der Herkunft verstoße daher gegen den allgemeinen Gleichheitssatz; überdies sei sie mit Art 66 Abs 1 und Art 67 StV St Germain nicht vereinbar. Der VfGH legte in dieser Entscheidung, vor allem verglichen mit seiner sonstigen Judikatur aus dieser Zeit, zutreffend einen strengen Maßstab an; er lehnte die getroffene Unterscheidung rigoros als gleichheitswidrig ab und machte deutlich, dass rechtstechnische Erwägungen allein eine Unterscheidung nach Sprache und Herkunft nicht rechtfertigen können. b. Implizit verpönte Differenzierungskriterien Neben Unterscheidungen nach Kriterien, die in der Verfassung ausdrücklich verpönt sind, müssen auch Differenzierungen nach Merkmalen, die mit den verpönten vergleichbar sind, im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes als grundsätzlich suspekt angesehen werden. Dagegen kann nicht eingewendet werden, dass die Kriterienaufzählung in den speziellen Gleichheitssätzen taxativ und daher nicht analogiefähig sei; denn diese Aufzählungen versammeln nur Diskriminierungen, die historisch tatsächlich vorgenommen worden sind. Dass sie auf Vorgefundenes reagieren, lässt nicht den Schluss zu, der allgemeine Gleichheitssatz sei nicht in der Lage, neu auftretende gleichartige Diskriminierungen mit gleicher Schärfe abzuwehren532. Den Rassenwahn des Nationalsozialismus konnte der Ver____________________
531 Art I Abs 1 BVG-RD nennt zwar das Kriterium der nationalen Herkunft, stand aber zum damaligen Zeitpunkt noch nicht in Kraft. 532 S auch Berka, Art 7 B-VG Rz 3, nach dem die Emanzipation der Juden oder die Beseitigung der Vorrechte des Adels beim Liegenschaftserwerb „exemplarische Beispiele für die Stoßrichtung des historischen Gleichheitspostulats“ waren. AaO Rz 12 nimmt Berka
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fassungsgesetzgeber des Jahres 1920 nicht vorhersehen, und nur deshalb wurden Vorrechte der Rasse in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nicht ausdrücklich verboten. Doch kann kein Zweifel daran bestehen, dass die menschenverachtenden Diskriminierungen, die die nationalsozialistische Diktatur vorgenommen hat, in grellstem Widerspruch zu dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG gestanden wären533. Nur um das tief greifende Unrecht dieser Diskriminierungen klarzustellen, wurde die Rasse nach 1945 in zahlreichen völkerrechtlichen Menschenrechtsdokumenten534 und Verfassungen535 zu einem verpönten Differenzierungskriterium erklärt. Vergleichbar abwegige Unterscheidungsmerkmale vorwegzunehmen, fällt schwer. Zu denken ist dabei ganz allgemein an genetische Merkmale eines Menschen, wie seine DNA, seine Körpergröße, Augenfarbe oder Statur. Ähnlich aberwitzig wäre es auch, zwischen Menschen danach zu unterscheiden, ob sie auf „natürlichem“ Weg oder durch künstliche Fortpflanzung gezeugt oder ob sie – sollte dies je möglich werden – geklont worden sind536. Es mag auch noch absurd erscheinen, an das Sternzeichen eines Menschen rechtliche Unterscheidungen zu knüpfen537, also gleichsam an die Minute und den Ort seiner Geburt. Ebenso fragwürdig erschiene es auch, nach dem Ort, an dem jemand geboren und aufgewachsen ist, zu differenzieren538. Durchaus gebräuchlich waren aber lange ____________________
an, dass der Kernbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes dann berührt ist, „wenn einzelne Menschen aus subjektiven, in der Person liegenden Gründen benachteiligt oder bevorzugt werden“; die in Art 7 Abs 1 Satz 2 und in Art 14 EMRK genannten Kriterien könnten dabei exemplarisch herangezogen werden. S auch Somek, Rationalität 28 f, der zutreffend darauf hinweist, dass „Spezielle Diskriminierungsverbote [...] ein Negativbild der systemischen Selektion bestimmter Merkmale [zeichnen], an denen die inklusive Fitness sozial bemessen wird. Deren Selektivität ist kontingent. In einer Gesellschaft, in der Kahlköpfigkeit als stigmatisierend gilt, fände folglich die Kahlköpfigkeit Aufnahme in spezielle Diskriminierungsverbote“ (Hervorhebung im Original). 533 S in diesem Sinn auch das Erkenntnis VfSlg 2976/1956, in dem einer Regelung attestiert wird, sie sei „ihrer Art nach typisch nationalsozialistisch und widerspricht dem Grundsatze der Gleichheit vor dem Gesetz.“ 534 Art 2 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art 2 Abs 2 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Art 14 EMRK, Art 1 Abs 1 RDK, s auch Art 13 EGV sowie Art 21 der EU-Charta der Grundrechte. 535 Art 6 StV Wien, Art 14 Abs 6 B-VG, Art I Abs 1 BVG-RD, s zuvor schon Art 63 StV St Germain, der allerdings auf den Schutz ethnischer Minderheiten abzielt; s auch Art 3 Abs 3 GG und Art 8 Abs 2 BV. 536 Für eine ziemlich beklemmende Vision einer Gesellschaft, die geklonten Menschen das Recht abspricht, ein Mensch zu sein, s Ishiguro, Alles, was wir geben mussten. 537 Dieses Beispiel bringt Sachs, ZÖR 1984, 379. 538 Gesellschaftlich wird danach hingegen bereits unterschieden, so treten sich „Städter“ und Menschen „vom Land“ wechselseitig bisweilen durchaus mit Ressentiments entgegen, und es kann auch innerhalb einer Stadt einen Unterschied machen, aus welchem Stadtteil man kommt, ob etwa aus einem Arbeiterbezirk oder aus einer Nobelgegend, weil von dieser örtlichen Herkunft auf die Schichtzugehörigkeit, also auf die „Klasse“ geschlossen wird, die in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nicht von ungefähr als Differenzierungsmerkmal verpönt
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und sind zum Teil auch noch heute Ungleichbehandlungen zwischen Kindern, die ehelich und solchen, die unehelich geboren sind. An derartige Ungleichbehandlungen mag nicht gedacht worden sein, als in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG Vorrechte aufgrund der Geburt ausgeschlossen wurden; gleichzuhalten sind sie Differenzierungen aufgrund der adeligen oder nichtadeligen Geburt dennoch, weil auch sie die rechtliche Behandlung eines Menschen von Umständen abhängig machen, die ihm vorgegeben oder durch die Geburt mitgegeben sind539. Mit explizit verpönten Differenzierungskriterien vergleichbar ist auch die sexuelle Ausrichtung (die dem Merkmal „Geschlecht“ nahe steht540), ebenso die verfassungsrechtlich ausdrücklich frei gestellte Zugehörigkeit zu einer Gruppe, etwa zu einem Verein oder einer politischen Partei (die mit der politischen oder sonstigen Anschauung in Verbindung steht). Auch Regelungen, die nach diesen Merkmalen differenzieren, berühren den allgemeinen Gleichheitssatz in seinem Kernbereich und bedürfen daher einer strengen Prüfung auf ihre Zulässigkeit541. Derartige Kriterien haben die Vermutung für sich, keinen wesentlichen Unterschied zu begründen, eine Ungleichbehandlung also nicht zu rechtfertigen542. Die Vermutung der Unwesentlichkeit dieser Kriterien ist aller____________________
wird; s in diesem Zusammenhang auch das Erkenntnis VfSlg 3822/1960, in dem der VfGH Sprache und Herkunft der Sache nach als gleichwertige (und damit gleich suspekte) Unterscheidungskriterien behandelt. 539 Dass die in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannte Geburt sich auch auf die Ehelichkeit der Geburt bezieht, haben etwa Adamovich sen/Spanner, Handbuch 437 FN 1; Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 58; Ermacora, Grundriß Rz 291 und Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 761, erwogen bzw angenommen. Ob das zutrifft, kann letztlich dahin stehen, weil die Un/Ehelichkeit eines Kindes der „Geburt“ in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zumindest gleichzuhalten ist. 540 S etwa die Entscheidung der EKMR 1.7.1997, Sutherland, Appl 25186/94, § 57, die ausdrücklich offen lässt, ob eine Differenzierung nach der sexuellen Orientierung im Lichte des Art 14 EMRK als eine Differenzierung nach dem Geschlecht oder nach dem sonstigen Status anzusehen ist. 541 Somek, Rationalität 395, nennt als unveränderliche Merkmale auch die Eigenschaft, „unbequem, […] langsam, faul, […] unflexibel“ zu sein – eine Einschätzung, die wohl als rechtspolitsche Kritik an der Leistungsgesellschaft zu verstehen ist, s dazu schon oben Abschnitt C FN 140 und 170. 542 Unter diesem Gesichtspunkt ist etwa die Praxis, bei der Besetzung von Ämtern einen „Verbindungsbruder“ nur deshalb vorzuziehen, weil er einer bestimmten Studentenverbindung, Burschen- oder sonstigen Seilschaft angehört, natürlich evident gleichheitswidrig, ebenso der Parteiproporz und die Ämterpatronage im öffentlichen Dienst. Gegen derartige Missstände sollte eigentlich das in Art 3 StGG garantierte Recht jedes Staatsbürgers auf gleiche Zugänglichkeit zu den öffentlichen Ämtern eine Handhabe bieten. Der VfGH versteht diese Bestimmung allerdings vor allem als ein Recht, sich um ein öffentliches Amt zu bewerben (zB VfSlg 11.736/1988), sodass Art 3 StGG in der Praxis regelmäßig leer läuft. Zu Recht kritisch zu dieser Judikatur Kucsko-Stadlmayer, FS Walter 399 ff; dies, Art 3 StGG Rz 5, 34 mwN; Novak, JBl 1994, 304; Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 116 f.
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dings nicht unwiderleglich. Sie kann im Einzelfall umgestoßen, aber auch übergangen werden, wenn dies durch triftige Gründe geboten erscheint; bloß verwaltungsökonomische Erwägungen reichen dafür jedenfalls nicht hin. Beruht die Anknüpfung an ein solches Kriterium auf der Annahme, dass es mit anderen – wesentlichen – Merkmalen einhergeht, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob diese Annahme berechtigt ist oder ob sie bloß auf Vorurteilen oder groben Verallgemeinerungen beruht543: Stellt sich heraus, dass das Kriterium absolut treffsicher auf ein anderes Kriterium verweist, das die Ungleichbehandlung sachlich rechtfertigen kann, dann wird Ungleiches ungleich behandelt, in den Gleichheitssatz also gar nicht eingegriffen. Erweist sich umgekehrt, dass die behaupteten Unterschiede in Wahrheit gar nicht bestehen, dann ist der Gleichheitssatz verletzt. Verweist das verpönte Differenzierungskriterium nicht ausnahmslos, sondern nur regelmäßig auf jenes Merkmal, das die Ungleichbehandlung dem Grunde nach rechtfertigen könnte, so liegt ein Eingriff in den Gleichheitssatz vor: Er trifft all jene Personen, die dieser Typisierung nicht entsprechen, und er wiegt schwer, könnte also nur gerechtfertigt werden, wenn er zur Erreichung eines gewichtigen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig wäre. Gleiches gilt schließlich, wenn sich eine Differenzierung von vornherein nur auf externe Zwecke stützt, also auf die Erreichung eines Zieles, das mit den individuellen Eigenschaften der Vergleichsgruppen nichts zu tun hat: Dieses Ziel muss dann zwingend sein, und es darf keinen anderen Weg als die gewählte (verpönte) Differenzierung geben, um es zu erreichen. Inwieweit die Judikatur diesen Grundsätzen folgt, soll nun an einigen Beispielen untersucht werden. ____________________
543 Um beim Beispiel der vorigen FN zu bleiben: Typische Scheinrationalisierungen finden sich etwa bei parteipolitisch motivierten Postenbesetzungen, zu deren Rechtfertigung oft ins Treffen geführt wird, man vertraue einer Person gleicher Weltanschauung eher als jemandem, der einer anderen Ideologie angehört. Dass ideologische Gemeinsamkeiten das Vertrauen in eine Person erhöhen, mag richtig sein; das ändert aber nichts daran, dass dieses Vertrauen auf einem Vorurteil beruht, weil die Weltanschauung einer Person bei Licht besehen weder Schlüsse auf ihre fachliche Kompetenz noch auf ihre Vertrauenswürdigkeit zulässt. Sachlich begründbar ist die Auswahl nach politischen Kriterien wohl überhaupt nur dann, wenn Aufgaben übertragen werden, die durch das Gesetz nicht streng vorherbestimmt sind, sondern weite Ermessenspielräume belassen. Selbst dann ist aber die politische Ausrichtung ein unverlässlicher Indikator für Vertrauenswürdigkeit. Das zeigt auch die Praxis immer wieder: So funktioniert etwa die Amtsübernahme in Ministerien erfahrungsgemäß auch nach einem politischen Machtwechsel – dass neu antretende Minister in einem solchen Fall auf eine Belegschaft treffen, die von politisch anders ausgerichteten Vorgängern ausgewählt wurden, behindert die Amtsübernahme und -ausübung in aller Regel nicht. Umgekehrt sind gerade innerhalb ein und derselben Partei Vertrauensverletzungen keineswegs ausgeschlossen, glaubt man dem Volksmund, so kommt nach dem Freund der Feind, danach aber und weit gefährlicher: der Parteifreund.
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aa. Beispiel: Un/Ehelichkeit Dass der allgemeine Gleichheitssatz Ungleichbehandlungen nach Eigenschaften untersagt, die in der Person gelegen sind, findet sich in der Judikatur zwar als eigenständige Formel nicht mehr. In der Sache lässt die jüngere Judikatur aber teilweise durchaus erkennen, dass an die Zulässigkeit suspekter Differenzierungen strengere Anforderungen zu stellen sind. Dies gilt etwa für die Benachteiligung unehelicher Kinder. So hielt es der VfGH im Erkenntnis VfSlg 4678/1964 noch für gleichheitskonform, außerehelichen Kindern keinen Anspruch auf Waisenpension nach ihrem verstorbenen Vater zuzugestehen; begründet fand der Gerichtshof diese Differenzierung durch die Tatsache, dass „die Familie als Rechtsinstitution ein wesentliches Element der rechtlichen Ordnung menschlicher Beziehungen ist, die familienrechtlichen Bande zwischen dem außerehelichen Kind und dem Vater aber fehlen, während sie zwischen dem ehelichen Kind und dem Vater bestehen.“ Diese Argumentation lässt die Situation des von der Benachteiligung betroffenen Kindes außer Acht: Sie verweist es auf die besondere Bedeutung der Ehe, die seine Eltern nicht geschlossen haben – ein Umstand, für den das Kind nicht verantwortlich ist und den es auch nicht ändern kann. Es allein deshalb anders zu behandeln als das eheliche Kind, seine Versorgung durch eine Waisenpension also von einem Umstand abhängig zu machen, der einerseits mit seiner Bedürftigkeit in keinem Zusammenhang steht und der andererseits außerhalb seiner Einflusssphäre liegt, ist offenkundig diskriminierend544: Diese Benachteiligung kann weder auf wesentliche Unterschiede gestützt werden, noch ist sie durch gravierende (externe) Interessen zwingend geboten. Zu Recht legte der VfGH daher im Erkenntnis VfSlg 10.036/1984 an eine Ungleichbehandlung zwischen ehelichen und unehelichen Kindern einen strengeren Maßstab an und hob eine Vorschrift als gleichheitswidrig auf, nach der das uneheliche Kind eines österreichischen Staatsbürgers mit seiner Legitimation automatisch – also auch gegen den Willen aller Beteiligten – die österreichische Staatsbürgerschaft erwarb. Die Bundesregierung verteidigte diese Vorschrift mit dem Argument, sie stelle lediglich das legitimierte Kind nachträglich dem ehelichen gleich; schließlich erwerbe auch das eheliche Kind mit seiner Geburt die Staatsbürgerschaft seines Vaters. Wie der VfGH jedoch zutreffend feststellte, lief diese Gleichstellung in ihrer Wir____________________
544 Kritisch zu dieser Entscheidung auch Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 649, die feststellen, der VfGH habe hier den falschen Vergleichsmaßstab, also nicht den Zweck der Waisenpension, sondern die Familie als Rechtsinstitution gewählt. Bedenken gegen eine Bevorzugung ehelicher Kinder im Anerbenrecht äußerte zu Recht auch schon Stolzlechner, JBl 1982, 277 ff; kritisch zur Benachteiligung unehelicher Kinder aus gleichheitsrechtlicher Sicht auch schon Walter, 1. ÖJT II/1 (oJ) 61 f; diese Ungleichbehandlungen befürwortend hingegen noch Gschnitzer, 1. ÖJT II/1 (oJ) 14 ff.
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kung auf eine Ungleichbehandlung hinaus, deren Berechtigung rasch abnimmt. Je mehr Zeit nämlich zwischen Geburt und Legitimation verstreicht, desto weniger ist einzusehen, warum ein uneheliches Kind seine bisherige Staatsangehörigkeit auch gegen seinen Willen verlieren soll. Dies vor allem, wenn man bedenkt, dass ein eheliches Kind, dessen Elternteil die österreichische Staatsbürgerschaft erwirbt, diese Staatsbürgerschaft nicht automatisch, sondern nur auf Antrag erwirbt, also – anders als das uneheliche Kind – wählen kann, ob es seine bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten oder aufgeben will. Da diese Ungleichbehandlung weder durch Unterschiede zwischen ehelichen und unehelichen Kindern noch aus anderen Gründen gerechtfertigt war, wurde sie als gleichheitswidrig aufgehoben. Völlig zu Recht hat der VfGH nun auch ganz allgemein festgestellt, dass eine Ungleichbehandlung zwischen ehelich und unehelich geborenen Kindern nur aus „sehr gewichtigen Gründen“ zulässig ist545. bb. Beispiel: Sexuelle Ausrichtung Die Triebrichtung eines Menschen ist, wie die Wissenschaft heute weiß, von mehreren Faktoren abhängig; zum Teil wird sie auf eine genetische Disposition zurückgeführt, zum Teil auch auf frühkindliche Prägungen546. Feststeht aber, dass sie dem willentlichen Einfluss des Einzelnen entzogen ist: So wenig sich ein heterosexueller Mensch selbst verordnen kann, eine Person gleichen Geschlechts sexuell attraktiv zu finden, so wenig kann ein homosexueller Mensch beschließen, sich fortan nur mehr zu Vertretern des anderen Geschlechts hingezogen zu fühlen. Die sexuelle Ausrichtung ist dem Einzelnen aber nicht nur unabänderlich vorgegeben; sie prägt auch entscheidend seine Identität und gehört zum innersten Bereich seiner Persönlichkeit. Rechtliche Benachteiligungen, die an diese Eigenschaft anknüpfen, treffen den Einzelnen im Kern seiner Persönlichkeit und werten ihn in seinem „So-Sein“ ab. Sie sind daher in besonderer Weise dem Verdacht ausgesetzt, diskriminierend zu sein und bedürfen aus der Sicht des allgemeinen Gleichheitssatzes einer strengen Prüfung auf ihre Rechtfertigung. Es wurde bereits festgestellt, dass Diskriminierungen oft von Scheinrationalisierungen begleitet sind; die sexuelle Ausrichtung kann dafür als Beispiel dienen. Homosexuelle Handlungen wurden, zum Teil bloß bei Männern, zum Teil aber auch für beide Geschlechter, in vielen Staaten Europas, darunter auch in Österreich, lange unter Strafe gestellt. Ab den 1970er Jahren ging man zwar allmählich davon ab, (einvernehmliche) ____________________
545 VfSlg 12.735/1991: Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern bei der Miteintragung in den Reisepass des Vaters. 546 S mwN Ebensperger/Murschetz, RZ 2002, 152, FN 31, 34 f.
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homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen für strafbar zu erklären547; aufrechterhalten wurde aber vielfach ein im Verhältnis zur Heterosexualität höheres Schutzalter für Jugendliche. In diesem Sinn war bis vor einigen Jahren auch nach § 209 StGB ein Mann mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wenn er nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres mit einer Person, die das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, „gleichgeschlechtliche Unzucht treibt“. Für heterosexuelle Beziehungen existierte eine solche Strafdrohung nicht. Wohl kaum eine Vorschrift der österreichischen Rechtsordnung ist derart oft und auch derart häufig erfolglos beim VfGH bekämpft worden wie § 209 StGB. Nachdem der Gerichtshof zwei Individualanträge eines Homosexuellen auf Aufhebung dieser Vorschrift mit durchaus anfechtbaren Argumenten zurückgewiesen hatte548, sah er einen neuerlichen Antrag desselben Betroffenen im Erkenntnis VfSlg 12.182/1989 zwar als zulässig, nicht aber als begründet an. Der vom Antragsteller behauptete Eingriff in sein Privat- und Familienleben sei erstens „ganz offenkundig eine nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässige gesetzgeberische Maßnahme zum Schutz der Rechte anderer [...], nämlich zum Schutz der ungestörten Entwicklung der von den Straftaten betroffenen Personen.“ Zweitens meinte der VfGH, dem Strafgesetzgeber könne „unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Art. 7 Abs. 1 B-VG und 2 StGG nicht mit Grund entgegengetreten werden, wenn er – unter Berufung auf maßgebende Expertenmeinungen in Verbindung mit Erfahrungstatsachen den Standpunkt einnehmend, daß eine homosexuelle Einflußnahme männliche Heranreifende in signifikant höherem Grad gefährde als gleichaltrige Mädchen – auf dem Boden und in Durchsetzung seiner Wertvorstellungen mit Beachtung der eingeschränkten, maßhaltenden Ziele der vorherrschenden Strafrechtspolitik (bei sorgsamer Abwägung aller vielfältigen Vor- und Nachteile) ableitet, es sei mit einer strafrechtlichen Ahndung homosexueller Handlungen an jungen Menschen männlichen Geschlechts, wie in § 209 StGB festgelegt, das Auslangen zu finden. Denn es handelt sich hier – alles in allem genommen – um eine Differenzierung, die auf Unterschieden im Tatsachenbereich beruht und deswegen aus der Sicht des Art. 7 Abs. 1 B-VG iVm Art. 2 StGG verfassungsrechtlich zulässig ist.“ ____________________
547 Dies auch unter dem Einfluss der Judikatur des EGMR und der EKMR, die die Bestrafung freiwilliger homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen nicht als „notwendig in einer demokratischen Gesellschaft“ und dementsprechend als eine Verletzung des Art 8 EMRK ansahen: EGMR 22.10.1981, Dudgeon, Serie A 45 = EuGRZ 1983, 488; 26.10.1988, Norris, Serie A 142 = EuGRZ 1992, 477; 22.4.1993, Modinos, Serie A 259; s auch EKMR 13.5.1992, Zukrigl, Appl 17279/90. 548 VfSlg 11.505/1987 und 12.182/1989 = EuGRZ 1992, 505; zu Recht kritisch zu beiden Zurückweisungen Wiederin, EuGRZ 1992, 509 f.
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Der VfGH prüfte in dieser Entscheidung also (gebunden an das Antragsvorbringen) nur die in § 209 StGB vorgenommene Differenzierung nach dem Geschlecht, nicht aber auch die in dieser Bestimmung grundsätzlich getroffene Unterscheidung zwischen Homosexualität und Heterosexualität. Die „maßgebende[n] Expertenmeinungen“ und „Erfahrungstatsachen“, auf die sich der Gesetzgeber bei der Erlassung des § 209 StGB berufen hatte, waren allerdings schon in den 1980er Jahren keineswegs so eindeutig, wie dies in der zitierten Passage des genannten Erkenntnisses den Anschein hatte. Schon damals wurde die sog „Prägungstheorie“, also die Annahme, dass die Triebrichtung eines Menschen durch sexuelle Erfahrungen während der Pubertät beeinflusst oder gar festgelegt werde, von vielen Fachleuten in Zweifel gezogen. Man kann vielleicht noch unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob Homosexualität tatsächlich eine „Gefahr“ darstellt, die es abzuwehren gilt. Klar ist aber, dass diese Gefahr durch ein Verbot homosexueller Handlungen während der Pubertät nur dann gebannt werden kann, wenn der Einzelne in diesem Lebensabschnitt in seiner Triebrichtung noch prägbar ist. Ist dies nicht der Fall, so ist die Festlegung eines höheren Schutzalters für homosexuelle Handlungen nicht mehr rational erklärbar. Angesichts dessen darf sich eine Prüfung der Gleichheitskonformität nicht damit begnügen, die vom Gesetzgeber behaupteten Unterschiede als gegeben hinzunehmen, wenn gerade die Richtigkeit dieser Unterschiede bestritten wird. Vielmehr wäre in einem solchen Fall besonders genau, auch durch die Heranziehung weiterer Experten, nachzuprüfen, ob die Eigenschaften, die der Gesetzgeber Jugendlichen hinsichtlich ihrer sexuellen Prägbarkeit zuschreibt, auch tatsächlich zutreffen549. Rund elf Jahre nach der Entscheidung VfSlg 12.182/1989 beantragte das OLG Innsbruck beim VfGH neuerlich die Aufhebung des § 209 StGB als unvereinbar mit Art 7 B-VG, Art 8 EMRK und dem „Benachteiligungsverbot des Art 14 EMRK“, nicht verkennend, dass der VfGH § 209 StGB in einem früheren Erkenntnis mit Rechtskraftwirkung Unbedenklichkeit im Hinblick auf Art 7 B-VG, Art 2 StGG und Art 8 EMRK attestiert hatte. Das OLG hielt eine neuerliche Prüfung dieser Bestimmung gleichwohl für zulässig, ua weil die Prägungstheorie verworfen worden sei, dann aber auch im Hinblick auf die in der Europäischen Gemeinschaft ____________________
549 S auch Wiederin, EuGRZ 1992, 510 f, der zu Recht kritisiert, dass der VfGH in VfSlg 12.182/1989 ohne weitere Prüfung von der Annahme ausging, eine homosexuelle Einflussnahme gefährde männliche Jugendliche in signifikant höherem Maß als gleichaltrige Mädchen, obwohl der Antragsteller behauptet und mit umfangreichen Untersuchungen belegt hatte, dass die sog Prägungstheorie wissenschaftlich längst falsifiziert sei; kritisch auch Hornyik, juridikum 1992/3, 18 ff; Noll, Sachlichkeit 153 ff; Rosenkranz, BundesGleichbehandlungsgesetz 115.
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zustande gekommene Willensbildung, die eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung ablehne und den Grundsatz der Gleichheit von Männern und Frauen in allen Bereichen festgeschrieben habe. Dieses Vorbringen veranlasste den VfGH jedoch nicht, in eine neue Prüfung des § 209 StGB einzutreten. Die nicht nur für den früheren Antragsteller, sondern inter omnes eintretende Rechtskraftwirkung des Vorerkenntnisses könne zwar aufgehoben werden, wenn sich jene Umstände, die für die Beurteilung einer Gesetzesbestimmung als verfassungskonform tragend waren, ins Gewicht fallend ändern; dies allerdings nur, sofern diese geänderten Umstände in Verbindung mit demselben Bedenken entsprechend geltend und zur Grundlage eines neuerlichen Gesetzesprüfungsantrages gemacht werden. Diesem Erfordernis entsprach der Antrag des OLG nach Ansicht des VfGH allerdings nicht, und zwar auch nicht durch den bloß allgemeinen Hinweis auf eine Äußerung, die die beteiligte Partei (nämlich der im Strafverfahren Beschuldigte) erstattet hatte bzw auf die ihr beigefügten umfangreichen Unterlagen. Der Antrag des OLG wurde dementsprechend mit Erkenntnis VfSlg 16.374/2001 als unzulässig zurückgewiesen. Auch diese Zurückweisung war mE problematisch. Es entspricht zwar der ständigen und zutreffenden Judikatur des VfGH, dass über dieselben Bedenken gegen eine identische Norm nur dann ein weiteres Mal abgesprochen werden kann, wenn entscheidungserhebliche Änderungen in der Sach- oder Rechtslage eingetreten sind550; und man wird auch verlangen können, dass derartige Änderungen nicht nur behauptet, sondern auch im Einzelnen dargelegt werden. Dass das OLG in seinem Antrag wirklich dieselben Bedenken gegen § 209 StGB erhoben hat wie sie im Vorerkenntnis abgehandelt worden waren, muss aber in Zweifel gezogen werden; schließlich hatte sich das antragstellende Gericht nicht nur auf Art 7 B-VG berufen, sondern auch auf Art 14 EMRK, der im Vorerkenntnis VfSlg 12.182/1989 gerade nicht releviert worden war. Wenn der VfGH diesem Bedenken keine weitere Beachtung schenkte, dann wohl in der Annahme, die Anforderungen des Art 14 EMRK würden über jene des Art 7 B-VG nicht hinausgehen, sodass das OLG durch die Berufung auf Art 14 EMRK der Sache nach kein neues Bedenken erhoben habe551. Diese Annahme ____________________
550 S mwN Pöschl, Rechtskraft 119 ff. Die Rechtskraftwirkung tritt bei Normprüfungserkenntnissen nach der Judikatur des VfGH nicht nur dem Antragsteller gegenüber ein, sondern wirkt nach allen Seiten hin, ist also in subjektiver Hinsicht unbegrenzt, s zB VfSlg 5872/1968, 6391/1971, 7748/1976, 12.661/1991, 15.763/2000. 551 Mit diesem Argument verneinte der VfGH eine Rechtskraftdurchbrechung im Erkenntnis VfSlg 8484/1979, als eine Norm, die er schon im Erkenntnis VfSlg 8457/1978 im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes, der Unverletzlichkeit des Eigentums und der Erwerbsfreiheit für unbedenklich befunden hatte, neuerlich mit denselben Argumenten als verfassungswidrig bekämpft wurde, diesmal aber nicht nur gestützt auf den allgemeinen Gleichheitssatz und die Unverletzlichkeit des Eigentums, sondern auch auf die Frei-
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trifft allerdings nicht zu; denn zwischen dem Prüfungsmaßstab des Art 14 EMRK und dem des allgemeinen Gleichheitssatzes bestehen jedenfalls insofern Unterschiede, als eine Prüfung nach Art 14 EMRK auch einen Vergleich mit den Rechtsordnungen der anderen Konventionsstaaten einschließt552. Gerade ein solcher Vergleich hätte aber die Konventionskonformität des § 209 StGB besonders zweifelhaft erscheinen lassen, war doch die Angleichung des Schutzalters für männliche Homosexualität an das allgemeine Schutzalter in den Vertragsstaaten der EMRK fast durchgehend verwirklicht553. Dazu kam, dass zwischen dem Erkenntnis VfSlg 12.182/ 1989 und dem Prüfungsantrag des OLG die EKMR ihre frühere Judikatur554 revidiert und eine mit § 209 StGB vergleichbare Bestimmung im ____________________
heit der Berufswahl. Nach Ansicht des VfGH erhob der Beschwerdeführer damit gegen die inkriminierte Bestimmung „der Sache nach dieselben Vorwürfe [...], über die der VfGH [...] mit Erk. Slg. 8457/1978 rechtskräftig abgesprochen und die er verworfen hat.“ Implizit großzügiger beurteilte der Gerichtshof die Rechtskraft im Erkenntnis VfSlg 14.301/ 1995, als die Verfassungswidrigkeit einer Norm zum zweiten Mal mit denselben Argumenten behauptet wurde, diesmal aber nicht nur gestützt auf Art 8 EMRK, sondern auch unter Berufung auf Art 5 7. ZPEMRK, Art 14 EMRK und den allgemeinen Gleichheitssatz. Der VfGH verneinte das Vorliegen einer rechtskräftig entschiedenen Sache in diesem Fall zwar schon, weil die inkriminierte Norm nach Fällung des ersten Erkenntnisses VfSlg 12.103/1989 novelliert worden war; er brachte dabei aber zum Ausdruck, dass auch ohne diese Novelle Rechtskraft nur im Hinblick auf die nach Art 8 EMRK erhobenen Bedenken eingetreten wäre; s dazu näher Pöschl, Rechtskraft 130. 552 S auch noch unten F.III.5. 553 Die weit überwiegende Zahl der Konventionsstaaten differenziert bei der Festlegung des Schutzalters überhaupt nicht mehr zwischen Homosexualität und Heterosexualität: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Niederlande, Norwegen, Polen, Rumänien, Russland, San Marino, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ukraine, Ungarn sowie das Vereinigte Königreich. Seit 2002 besteht auch in Estland, Moldawien und Zypern ein einheitliches Schutzalter für Heterosexualität und Homosexualität; in Litauen wurden einheitliche Altersgrenzen 2002 beschlossen, allerdings noch nicht in Kraft gesetzt. Nur Albanien und Portugal legten im Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH sowohl für männliche als auch für weibliche Homosexualität einheitlich ein höheres Schutzalter fest; s auch Homosexuelle Initiative Wien, Strafrechtsvergleich 5; s ferner den bei Ebensperger/Murschetz, RZ 2002, 152, angestellten Rechtsvergleich mit anderen EU-Staaten sowie die zahlreichen ebd 152 angeführten Menschenrechtsinstitutionen, die Österreich bereits mehrfach zur Aufhebung des § 209 StGB aufgefordert hatten. 554 S die Entscheidungen EKMR 12.10.1978, DR 19, 66; 17.7.1986, Johnson, Appl 10389/83; 13.5.1992, Zukrigl, Appl 17279/90; 26.6.1995, H. F., Appl 22646/93, in denen ein höheres Schutzalter für männliche Homosexualität mit dem Schutz der Moral und der Rechte jugendlicher Personen nach Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt wurde, weil diese Personen durch frühzeitige homosexuelle Kontakte erheblichem sozialen Druck ausgesetzt seien, der ihrer seelischen Entwicklung abträglich sein könne. Auch die in § 209 StGB getroffene Differenzierung zwischen männlicher und weiblicher Homosexualität sah die EKMR in den Entscheidungen EKMR 13.5.1992, Zukrigl, Appl 17279/90; 26.6.1995, H. F., Appl 22646/93, unter Bezugnahme auf ihre bisherige Judikatur und das Erkenntnis VfSlg 12.182/1989 als unbedenklich an, dies in der Annahme, die Gefahr einer homosexuellen Einflussnahme sei bei männlichen Jugendlichen gravierender als bei weiblichen.
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Fall Sutherland als Verletzung des Art 14 iVm Art 8 EMRK qualifiziert hatte555. In Ansehung dieser neueren Rechtsprechung hatten mehrere Homosexuelle auch bereits den Versuch unternommen, § 209 StGB in Straßburg zu bekämpfen: Sie erhoben Beschwerden an den EGMR und machten die Unvereinbarkeit dieser Bestimmung mit Art 8 EMRK sowie mit Art 14 iVm Art 8 EMRK geltend. Die österreichische Bundesregierung verwies in diesen Beschwerdeverfahren für die Konventionskonformität des § 209 StGB auf das Erkenntnis VfSlg 12.182/1989 und auf die ältere Judikatur der EKMR. Zur jüngeren Rechtsprechung der EKMR vertrat sie den Standpunkt, dass sich jene Strafbestimmung, die im Fall Sutherland als konventionswidrig qualifiziert worden war, maßgeblich von § 209 StGB unterscheide; letzterer erkläre nämlich gerade nicht den Jugendlichen, sondern nur seinen erwachsenen homosexuellen Partner für strafbar. Weiters führte die Bundesregierung ins Treffen, dass das Parlament sich nach eingehender Debatte im Jahr 1996 und 1998 dazu entschlossen hatte, § 209 StGB beizubehalten. Die Überzeugungskraft dieser Argumente war freilich begrenzt, denn erstens war die ältere Judikatur, auf die sich die Bundesregierung berief, überholt. Zweitens hatte die EKMR sich im Fall Sutherland grundsätzlich gegen ein höheres Schutzalter für männliche Homosexualität ausgesprochen, also unabhängig davon, ob nur der erwachsene homosexuelle Partner oder auch der Jugendliche strafbar ist556. Auch dass das Parlament sich für die Beibehaltung des § 209 StGB entschieden hatte, konnte die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit Art 14 iVm Art 8 EMRK im Lichte des Falles Sutherland nicht nachweisen, dies vor allem, wenn man bedenkt, dass sich das Parlament bei seiner Entscheidung über die deutliche Mehrheit der von ihm beigezogenen Experten hinweggesetzt hatte557. Es konnte dementsprechend kaum überraschen, ____________________
555
EKMR 21.5.1996, Sutherland, Appl 25186/94; 1.7.1997, Sutherland, Appl 25186/
94. 556 EKMR 1.7.1997, Sutherland, Appl 25186/94, Z 66. Dass die inkriminierte Bestimmung neben dem Erwachsenen auch den Jugendlichen für strafbar erklärte, war nicht der tragende, sondern bloß ein zusätzlicher Grund, die Regelung als unverhältnismäßig zu qualifizieren: s auch EGMR 9.1.2003, S.L., Appl 45330/99, Z 40; 9.1.2003, G.L. und A.V., Appl 39392/98 und 39829/98. 557 1995 plädierten neun von elf Sachverständigen klar für die Aufhebung des § 209 StGB, während sich bloß zwei Experten für dessen Beibehaltung aussprachen: Einer der beiden führte dabei schlicht aus, dass er § 209 StGB für den Schutz männlicher Jugendlicher als notwendig erachte. Die andere Expertin räumte sogar ein, dass die Prägungstheorie überholt sei, meinte aber, jenen männlichen Jugendlichen, die sich ihrer sexuellen Orientierung auch in der Pubertät noch nicht sicher sind, solle mehr Zeit gewährt werden, um sich über ihre Identität klar zu werden (s auch EGMR 9.1.2003, S.L., Appl 45330/99, sowie Ebensperger/Murschetz, RZ 2002, 152 FN 32). Dass sich das Parlament gleichwohl nicht zur Streichung des § 209 StGB entschlossen hatte (91 Abgeordnete votierten gegen, 91 Abgeordnete stimmten für die Beibehaltung dieser Vorschrift: StenProtNR 20. GP 47. Sitzung 96), konnte die Konventionskonformität dieser Bestimmung nicht dar-
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dass der EGMR die an ihn erhobenen Beschwerden im November 2001 für zulässig erklärte558. Nachdem der VfGH den Antrag des OLG Innsbruck zurückgewiesen hatte, machte das OLG die Konventionswidrigkeit dieser Bestimmung ein weiteres Mal geltend. In diesem zweiten Prüfungsantrag brachte das OLG nicht mehr vor, dass § 209 StGB eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht vornehme559. Es kritisierte aber weiterhin die Differenzierung zwischen Homosexualität und Heterosexualität als einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz sowie gegen Art 14 iVm Art 8 EMRK, dies mit denselben Argumenten wie im ersten Antrag, nun aber unter der vom VfGH in seinem Zurückweisungsbeschluss eingeforderten detaillierten Darlegung jener geänderten Umstände, die eine neuerliche Prüfung der bereits im Erkenntnis VfSlg 12.189/1989 abgehandelten Bedenken ermöglichen sollten. Daneben brachte das OLG noch ein weiteres Bedenken vor, das in keinem der bisher geführten Verfahren geltend gemacht worden war: Eine homosexuelle Beziehung zwischen männlichen Jugendlichen verschiedenen Alters bleibe nach § 209 StGB zunächst straffrei, werde sodann (sobald einer der beiden Partner das neunzehnte Lebensjahr vollendet hat) strafbar, um mit Erreichen des achtzehnten Lebensjahres des anderen Partners wiederum straffrei zu werden. Diese wechselnde Strafbarkeit im zeitlichen Verlauf sei unsachlich und unverhältnismäßig und verletze daher den allgemeinen Gleichheitssatz sowie Art 8 EMRK. In Kenntnis der Judikatur des VfGH, insbesondere der Tendenz des Gerichtshofes, gleichheitsrechtliche Fragen auch dann nach dem allgemeinen Gleichheitssatz zu lösen, wenn ein spezielles Gleichheitsgebot einschlägig wäre, kann es kaum überraschen, dass der VfGH sich in der vorliegenden Entscheidung auf eine Behandlung des zuletzt genannten Bedenkens beschränkt und festgestellt hat, die durch § 209 StGB bewirkte wechselnde Strafbarkeit erweise diese Bestimmung als „in sich unsachlich“560. Bedenkt man freilich, dass die Straßburger Organe Ungleichbehandlungen nach der sexuellen Orientierung dem Art 14 EMRK subsumieren und für sie (ebenso wie für Differenzierungen nach dem Geschlecht) ____________________
tun, eher im Gegenteil; denn die Aufrechterhaltung des § 209 StGB konnte in Ansehung der Ergebnisse des Expertenhearings gerade nicht auf der Annahme tatsächlicher Unterschiede, sondern wohl nur auf Vorurteilen beruhen. Dies musste die bereits bestehenden Zweifel an der Vereinbarkeit des § 209 StGB mit Art 14 iVm Art 8 EMRK eher verstärken. 558 EGMR 22.11.2001, G.L. und A.V., Appl 39392/98 und 39829/98; 22.11.2001, S.L., Appl 45330/99. 559 Dieser Frage konnte der VfGH daher nicht mehr nachgehen, da er an die im Antrag geltend gemachten Bedenken gebunden ist: s zB VfSlg 5636/1967, 9911/1983, 12.691/ 1991, 14.802/1997, 16.103/2001, 16.754/2002, 16.911/2003. 560 VfSlg 16.565/2002.
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besonders triftige Rechtfertigungsgründe verlangen561, so wäre das unter dem Blickwinkel des Art 14 iVm Art 8 EMRK vorgebrachte Bedenken zumindest auch zu prüfen gewesen. Einer Beurteilung dieses Bedenkens stand die Rechtskraft des Erkenntnisses VfSlg 12.182/1989 prozessual nicht entgegen, weil der VfGH in dieser Entscheidung, wie erwähnt, auf Art 14 EMRK gar nicht Bezug genommen hat. Folglich lag nicht ein identisches, sondern ein neues Bedenken vor. Selbst wenn man aber von einer Identität des Bedenkens ausgegangen wäre, hätte jedenfalls die (nunmehr zureichend dargelegte) Falsifikation der Prägungstheorie und der in den Konventionsstaaten eingetretene Wertungswandel eine neuerliche Beurteilung der Ungleichbehandlung zwischen Homosexualität und Heterosexualität ohne weiteres ermöglicht562. Dass dieses Bedenken begründet war, konnte in Ansehung der jüngeren Judikatur der Konventionsorgane kaum bezweifelt werden. Als der EGMR rund ein halbes Jahr nach der genannten Entscheidung des VfGH über die an ihn erhobenen Beschwerden entschied, war § 209 StGB also zwar aus dem Rechtsbestand beseitigt worden. Da diese Aufhebung aber weder ausdrücklich noch der Sache nach auf die Konventionswidrigkeit dieser Bestimmung zurückzuführen war, betrachtete der EGMR die Beschwerdeführer weiterhin als „Opfer“ iSd Art 34 EMRK563. Dass er in der Folge die Unvereinbarkeit des § 209 StGB mit Art 14 iVm Art 8 EMRK feststellte, war abzusehen564: Nachdem die Prägungstheorie verworfen und ein einheitliches Schutzalter zum europäischen Konsens geworden war, kam, wie der EGMR festhielt, in § 209 StGB nur mehr ____________________
561 EGMR 27.9.1999, Smith und Grady, RJD 1999-VI, Z 90, 94 = NJW 2000, 2089; 9.1.2003, G.L. und A.V., Appl 39392/98 und 39829/98, Z 45; 9.1.2003, S.L., Appl 45330/99, Z 37, sowie die Entscheidung der EKMR 1.7.1997, Sutherland, Appl 25186/ 94, Z 57, die zwar offen ließ, ob eine Differenzierung nach der sexuellen Orientierung als eine Differenzierung nach dem „Geschlecht“ oder nach einem „sonstigen Status“ anzusehen ist, aber festhielt, dass der Gestaltungsspielraum der Staaten bei einer solchen Unterscheidung jedenfalls eng sei. 562 Fraglich könnte überdies sein, ob der VfGH im Erkenntnis VfSlg 12.182/1989 die Ungleichbehandlung nach dem Kriterium der sexuellen Orientierung überhaupt untersucht hat; explizit beziehen sich die Ausführungen in dieser Entscheidung nämlich nur auf die Differenzierung nach dem Geschlecht. Implizit geht aus ihnen aber hervor, dass der VfGH auch die Unterscheidung nach der sexuellen Orientierung für sachlich gerechtfertigt hielt, diente das höhere Schutzalter doch, wie der VfGH meinte, „dem Schutz des heranreifenden jungen Menschen vor sexueller Fehlentwicklung“; s auch Wiederin, EuGRZ 1992, 510; zur Frage der Rechtskraft bei implizit behandelten Bedenken Pöschl, Rechtskraft 126 FN 40, 129 f. 563 EGMR 9.1.2003, S.L., Appl 45330/99, Z 35; im Urteil EGMR 9.1.2003, G.L. und A.V., Appl 39392/98 und 39829/98, Z 43, ergab sich die Opfereigenschaft schon aus der Tatsache, dass die Beschwerdeführer nach § 209 StGB verurteilt worden waren; s auch EGMR 21.10.2004, Woditschka und Wilfling, Appl 69756/01 und 6306/02 = ÖJZ 2005, 396; 3.2.2005, Ladner, Appl 18.297/03 = ÖJZ 2005, 725. 564 S auch die Einschätzung von Ebensperger/Murschetz, RZ 2002, 153.
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das Vorurteil einer heterosexuellen Mehrheit gegenüber einer homosexuellen Minderheit zum Ausdruck; dies könne eine Ungleichbehandlung aber ebenso wenig rechtfertigen wie entsprechende Vorurteile gegen eine bestimmte Rasse, Herkunft oder Hautfarbe eine taugliche Grundlage für eine rechtliche Unterscheidung sind565. Eine derart deutliche Aussage hätte man sich auch vom VfGH erwarten dürfen. Warum der Gerichtshof in dem genannten Erkenntnis, statt den eigentlichen Sitz der Diskriminierung des § 209 StGB beim Namen zu nennen, auf den „Nebenschauplatz“ der wechselnden Strafbarkeit im zeitlichen Verlauf ausweicht, ist nicht recht verständlich. Es zeigt aber, dass die Einebnung des gleichheitsrechtlichen Prüfungsmaßstabes auf ein einheitliches Niveau dazu führen kann, dass offenkundige Diskriminierungen unausgesprochen bleiben und von anderen, weniger gravierenden Gleichheitsfragen verdrängt werden. Dies ist nicht nur rechtsdogmatisch bedenklich; für den Betroffenen ist auch keineswegs gleichgültig, mit welcher Begründung eine Norm als verfassungswidrig aufgehoben wird. Denn das Erkenntnis des VfGH zwingt nur dazu, eine wechselnde Abfolge von Strafbarkeit und Straflosigkeit innerhalb ein und derselben Beziehung zu vermeiden, etwa indem ein bestimmter Altersunterschied zwischen dem Jugendlichen und seinem erwachsenen Partner zur Voraussetzung der Strafbarkeit gemacht wird. Vor der Wiedereinführung eines höheren Schutzalters für Homosexualität gewährt diese Entscheidung aber keinen Schutz. Fälle wie diese zeigen besonders deutlich, dass das dem Gleichheitssatz immanente Wertungsproblem keineswegs pauschal durch die Empfehlung gelöst werden kann, ein Verfassungsgericht habe sich bei der Vornahme von Wertungen Zurückhaltung aufzuerlegen566. Denn der Respekt vor der Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers führt in einem Fall wie diesem eben dazu, dass die Mehrheit einer Minderheit ihre Vorstellungen von einer „richtigen“ Lebensführung auch in einem höchstpersönlichen Bereich aufzwingen kann. Gerade davor soll aber der allgemeine Gleichheitssatz den Einzelnen schützen. Vor dem Gesetz ist nicht nur die politische Mehrheit, sondern jeder Mensch als Person gleich. Wohl unter dem Einfluss der Judikatur des EGMR hat der VfGH in letzter Zeit Differenzierungen nach der sexuellen Ausrichtung zum Teil strenger geprüft: Unter Berufung auf Art 12 EMRK, der ein Recht auf Eheschließung nur Männern und Frauen gewährt, hält es der VfGH zwar (mE zu Recht) für unbedenklich, wenn der Gesetzgeber die Eheschließung ____________________
565 EGMR 9.1.2003, S.L., Appl 45330/99, Z 44; 9.1.2003, G.L. und A.V., Appl 39392/ 98 und 39829/98, Z 52. 566 S schon oben C.IV.3.c.
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heterosexuellen Personen vorbehält567. Dem Gesetzgeber stehe es auch frei, an den Bestand der Ehe Rechtsfolgen zu knüpfen, die für andere Beziehungen nicht vorgesehen sind. Diese Rechtsfolgen müssen nach der neueren Judikatur allerdings in einem Sachzusammenhang zur Ehe stehen: Dies sei etwa der Fall, wenn ein Nachzugsrecht für ausländische Angehörige auf die „konventionelle“ Familie beschränkt wird, um das Zusammenleben von Ehegatten und von Eltern und Kindern zu fördern568. Dass hingegen eine Mitversicherung in der Krankenversicherung andersgeschlechtlichen Partnern vorbehalten bleibt, qualifizierte der VfGH als gleichheitswidrig, und zwar ausdrücklich gestützt auf die Judikatur des EGMR, die eine Benachteiligung wegen der sexuellen Ausrichtung nur aus triftigen Gründen zulässt569. Die Bundesregierung versuchte die inkrimierten Regelungen mit dem Argument zu rechtfertigen, sie dienten der Förderung von Familien mit Kindern. Der VfGH akzeptierte dies zu Recht nicht: Zum einen stellte die fragliche Regelung nämlich gar nicht auf das Vorhandensein von Kindern ab, zum Zweiten sei zu bezweifeln, dass die Möglichkeit der Mitversicherung einen nennenswerten Anreiz in diese Richtung schaffen kann. Zutreffend hat der VfGH auch den Versuch der Bundesregierung verworfen, die genannte Benachteiligung Homosexueller mit verwaltungsökonomischen Erwägungen zu rechtfertigen: Festzustellen, ob der Mitzuversichernde mit dem Versicherten in Hausgemeinschaft lebt und unentgeltlich den gemeinsamen Haushalt führt, bereitet der Behörde nämlich bei gleichgeschlechtlichen Personen keine größeren Schwierigkeiten als bei andersgeschlechtlichen. Bei diesem Ergebnis wäre an sich zu erwarten gewesen, dass der VfGH die Gleichheitswidrigkeit der inkriminierten Regelung durch Aufhebung des Wortes „andersgeschlechtliche“ beseitigt. Um dieses Wort bereinigt, hätten die einschlägigen Bestimmungen jedem, auch dem gleichgeschlechtlichen Hausgenossen, eine Mitversicherung in der Krankenversicherung ermöglicht, sofern er den gemeinsamen Haushalt führt. In ungewohnter Zurückhaltung meinte der Gerichtshof jedoch, eine solche Aufhebung ändere den Gesetzesinhalt zu intensiv, die erforderliche rechtspolitische Entscheidung solle dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, nicht aber vom VfGH durch eine Teilaufhebung in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Aus diesem Grund hob der Gerichtshof die gesamte Bestimmung, somit auch die Möglichkeit der Mitversicherung für andersgeschlechtliche Hausgenossen, auf. Unter einem betonte der VfGH ausdrücklich, dass der Gesetzgeber seine familienpolitische Zielsetzung ohne weiteres verwirklichen könne, indem er die Möglichkeit der Mitversiche____________________
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VfSlg 17.098/2003, 17.337/2004, s auch noch unten F.II.6.b. VfSlg 17.337/2004. VfSlg 17.659/2005.
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rung auf eine Hausgemeinschaft mit Kindern einschränke – eine mE problematische Einladung, der der Nationalrat denn auch in kurzer Frist Folge leistete570. cc. Beispiel: Parteizugehörigkeit Auch die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei ist ein grundsätzlich suspektes, weil der „politischen Anschauung“ nahe stehendes Differenzierungskriterium. Unterscheidungen nach diesem Merkmal hatte der VfGH vor allem in seiner älteren Judikatur zu prüfen; der Maßstab, den er dabei anlegte, war verglichen mit der sonstigen Rechtsprechung zu dieser Zeit auffallend streng. Dies gilt zunächst für jene Bescheide, die in der Zweiten Republik nach dem VerbotsG und dem NS-Gesetz erlassen wurden571. Beide Gesetze verhängten über Personen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer politischen Organisation Sühnefolgen. Als Verfassungsgesetze waren sie zwar einer Überprüfung am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht zugänglich; der VfGH nahm aber an, dass eine unrichtige Anwendung dieser Gesetze den Betroffenen in seinem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletze. Er wich damit – unter Berufung auf den Verfassungsrang der beiden Gesetze – von seiner zum damaligen Zeitpunkt noch vertretenen Ansicht ab, dass Verfahrensmängel an sich nicht zu einer Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte führen572. Auch sonst tendierte der VfGH in diesem speziellen Bereich abweichend von seiner sonstigen Grundlinie573 dazu, im Zweifel zugunsten des Beschwerdeführers zu entscheiden und das Vorgehen der Behörde als gleichheitswidrig zu beurteilen574 – ein Wechsel, dem man (rechtspolitisch) durchaus am____________________
570 S § 123 Abs 7a ASVG, § 78 Abs 6a BSVG, § 56 Abs 6a B-KUVG und § 83 Abs 8 GSVG, jeweils idF BGBl I 2006/131 und BGBl I 2007/31; s zuvor schon die RV 1408 BlgNR 22. GP iVm den Abänderungsanträgen AA 233 und 235 22. GP, allerdings auch den Einspruch des Bundesrates 1563 BlgNR 22. GP; s auch noch unten E.IV.3.c. bei FN 591. Weitherziger ist neuerdings der OGH 16.5.2006, 5 Ob 70/06i, hinsichtlich des Eintrittsrechts homosexueller Lebenspartner nach § 14 Abs 3 MRG, auch dies allerdings erst im Gefolge der Entscheidung des EGMR, 24.7.2003, Karner, Appl 40016/98 = ÖJZ 2004, 36; s dazu zB Schoditsch, ÖJZ 2007, 347. 571 S dazu auch Klemenz, Gleichheitssatz 41 ff. 572 VfSlg 2012/1950; s auch VfSlg 2819/1955, 2870/1955. Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht das Erkenntnis VfSlg 2456/1952 dar, in dem wesentliche Verfahrensmängel bei der Anwendung des NS-Gesetzes nur als eine Verletzung des Rechts auf richtige Anwendung dieses Verfassungsgesetzes, nicht aber als Gleichheitsverletzung angesehen wurden, „weil die Akten des Verwaltungsverfahrens keinen Anhaltspunkt dafür bieten, daß der Beschwerdeführer bei Auslegung des NS-Gesetzes, auf das sich der angefochtene Bescheid stützt, anders behandelt worden wäre als bei gleichgelagertem Sachverhalt sonstige Staatsbürger, und zwar aus Gründen, die ausschließlich in seiner Person gelegen sind“. 573 S dazu oben E.I.2.e. 574 VfSlg 1715/1948, 1716/1948, 1737/1949, 1738/1949, 1856/1949; s auch Klemenz, Gleichheitssatz 42.
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bivalent gegenüber stehen kann, wurden doch durch das VerbotsG und das NS-Gesetz gerade jene massiven Gleichheitsverletzungen verurteilt und geahndet, die im Nationalsozialismus begangen worden sind575. Als ein Nationalsozialist unter Berufung auf § 2 Abs 2 VeranstaltungsbetriebsG vom Betrieb eines Kinounternehmens ausgeschlossen wurde, beanstandete der VfGH sogar, dass die Behörde dem Gesetz einen Inhalt unterstellt hatte, der durch das VerbotsG nicht gedeckt sei; diese Auslegung sei „verfassungswidrig, weil sie für die Nationalsozialisten eine verfassungsgesetzlich nicht gedeckte Rechtsfolge aufstellen würde, die das Gleichheitsrecht verletzt.“ Dass „ein Gesetz [...] nicht in einer Weise interpretiert werden [darf ], die eine Verfassungswidrigkeit beinhalten würde bzw. [daß] durch eine willkürliche Interpretation dem Gesetzgeber eine Verfassungswidrigkeit nicht imputiert werden [darf ]“576, war ein Gedanke, den der VfGH in diesem Zusammenhang erstmals aussprach und der allgemein in der Judikatur erst rund 20 Jahre später wieder auftrat577. Als schließlich § 60 KOVG Personen, die nach dem VerbotsG sühnepflichtig waren, von einer Kriegsopferversorgung ausschloss, stellte der VfGH fest: „Die ungleiche Behandlung der sühnepflichtigen Personen, die das KOVG verfügt, findet im VerbotsG 1947 keine Deckung; § 60 KOVG steht somit in Widerspruch zum verfassungsgesetzlich festgelegten Gleichheitssatz und war daher als verfassungswidrig aufzuheben.“578 ____________________
575 S auch Noll, Sachlichkeit 101. S dann allerdings auch VfSlg 10.705/1985, wonach bei der Zulassung eines Wahlvorschlages nach § 15 Abs 5 HSchG zu prüfen sei, ob die Beteiligung an einer Wahl durch eine wahlwerbende Gruppe oder eine kandidierende Person den verfassungsgesetzlichen Verboten des Art 9 StV Wien 1955 und des § 3 VerbotsG widerspricht; § 3 VerbotsG sei auch dann anwendbar, wenn das für die Behörde maßgebliche Gesetz seine Beachtung nicht ausdrücklich oder durch einen allgemeinen Vorbehalt der Rechtmäßigkeit des Vorhabens oder Begehrens vorschreibt. Kritisch dazu in methodischer Hinsicht Wiederin, EuGRZ 1987, 137 ff. 576 VfSlg 1715/1948. 577 S VfSlg 5411/1966, wonach ein Bescheid das Gleichheitsrecht auch dann verletzt, wenn die Behörde dem Gesetz einen Inhalt unterstellt, der, wenn ihn das Gesetz hätte, dieses mit Gleichheitswidrigkeit belasten würde, s dazu noch unten H.II.3. 578 VfSlg 2255/1951. Die Hände gebunden waren dem VfGH nach seinem Selbstverständnis allerdings in VfSlg 1764/1949; der VwGH hatte eine Verordnungsbestimmung angefochten, die als Bemessungsgrundlage für die einmalige Sühneabgabe ehemaliger Mitglieder der NSDAP das Vermögen bestimmte, das dem Vermögenssteuerbescheid zum 1. Jänner 1944 zugrunde lag. Der VfGH hielt sich nicht für befugt, die dadurch möglichen Härten (etwa im Falle eines kriegsbedingten Vermögensverlustes) im Auslegungsweg zu korrigieren. Er stellte allerdings „ausdrücklich fest, daß die dem Gerechtigkeitsgefühl widersprechenden Härten des Gesetzes, die dazu führen, daß unter Umständen Kriegsverbrecher besser behandelt werden als weniger belastete Personen, dringendst einer Remedur bedürfen. Diese vorzunehmen stünde aber nur dem Gesetzgeber, und zwar dem Verfassungsgesetzgeber zu.“ Berchtold, FS Ermacora 337, hat aus dieser Entscheidung den Schluss gezogen, dass der VfGH sich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht für befugt erachtete, „ein personenunabhängiges, objektives Moment, nämlich die Vermögensanlage einer Person zum 1. Jänner 1944, unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes in Frage zu stellen.“
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Auch in den bereits erwähnten Erkenntnissen VfSlg 1871/1949 und 1954/1950 legte der VfGH an Differenzierungen nach der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei strengere Maßstäbe an als zu dieser Zeit üblich, so bei einer Regelung, die die Einbringung eines Wahlvorschlages zu den Hochschülerschaftswahlen nur solchen Hochschulvertretungen gestattete, die einer zur Nationalratswahl zugelassenen politischen Partei angehörten. Der VfGH stellte zutreffend fest, dass auch Hochschulvertretungen, die nicht auf parteipolitischen Gesichtspunkten fußen, berechtigt sein müssen, Vertreter in die Hochschülerschaften zu entsenden: „Sie haben das gleiche Interesse und müssen grundsätzlich das gleiche Recht haben, an der Selbstverwaltung der Hochschulen mitzuwirken.“579 Die getroffene Differenzierung beruhe auf subjektiven Momenten und sei daher gleichheitswidrig580. Unter Berufung auf diese Entscheidung qualifizierte der Gerichtshof wenig später auch eine Bestimmung der Arbeiterkammerwahlordnung als gleichheitswidrig, weil diese das Recht zur Einbringung von Wahlvorschlägen auf Wahlparteien beschränkt hatte, die sich an der Wahlwerbung für den Nationalrat beteiligt haben581. c. Mittelbare Diskriminierung Wie bereits gezeigt wurde, folgt aus dem Wortlaut des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG, aus seiner Entstehungsgeschichte und aus systematischen Erwägungen, dass der Gesetzgeber nicht initiativ werden muss, um die zwischen den Menschen tatsächlich bestehenden Unterschiede einzuebnen582. Da das „Gesetz“, vor dem alle Menschen gleich sind, als generelle Norm vom Einzelfall abstrahieren und verallgemeinern muss, nimmt der Gleichheitssatz auch billigend in Kauf, dass die Anwendung ein und derselben Norm für unterschiedliche Personen verschiedene Folgen hat. Das bedeutet noch nicht, dass er den Auswirkungen einer Norm stets indifferent gegenübersteht. Soll eine Norm gerade aufgrund ihrer ungleichen Folgen einer Gleichheitsprüfung unterzogen werden, so bedarf dies allerdings einer besonderen Begründung583; sie kann ua in den speziellen Gleichheitssätzen und im personalen Schutzzweck des allgemeinen Gleichheitssatzes gefunden werden. Denn die durch diese Vorschriften gebotene Achtung ____________________
Der letzte Satz der zitierten Entscheidungspassage legt mE ein anderes Verständnis nahe; der VfGH war offenbar der Ansicht, dass die Verordnung im VerbotsG gedeckt, dieses aber seinerseits als Verfassungsgesetz für ihn unangreifbar war. 579 VfSlg 1871/1949. 580 Im Anlassfall VfSlg 1880/1949 wurde dieser Umstand ganz in den Vordergrund gerückt. 581 VfSlg 1954/1950. 582 Hiezu und zum Folgenden s oben C.II. 583 S dazu schon oben C.IV.2.d.
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des Einzelnen als Person lässt der Gesetzgeber gerade vermissen, wenn er Menschen – sei es auch nur im Ergebnis – aufgrund von Merkmalen benachteiligt, die „in der Person gelegen“ sind. Dass der Gesetzgeber diese Gruppen nur übersehen hat, kann angesichts ihrer Nennung in der Verfassung keine Rechtfertigung sein; ebenso wenig, dass ihre (allenfalls erforderliche besondere) Berücksichtigung auf rechtstechnische Schwierigkeiten gestoßen wäre, sind doch gerade diese Personengruppen durch ein gemeinsames Merkmal gekennzeichnet und damit legistisch durchaus fassbar. Eine Vorschrift, die ein verpöntes Differenzierungsmerkmal zwar nicht zum Anlass für eine rechtliche Differenzierung nimmt, sich auf die Träger dieser Merkmale aber faktisch ungleich auswirkt, muss daher – soweit nicht bereits ein spezieller Gleichheitssatz einschlägig ist584 – im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes stets auf ihre Rechtfertigung untersucht werden können. Freilich ist von vornherein nicht zu erwarten, dass zwischen den faktisch ungleich behandelten Personengruppen – entgegen der Vermutung der Verfassung – im konkreten Fall doch Unterschiede bestehen, die ihre faktische Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Denn solche tatsächlich oder vermeintlich bestehenden Unterschiede waren regelmäßig nicht der Grund für die faktische Ungleichbehandlung; diese ist vielmehr als Nebenfolge einer Regelung eingetreten, die aus anderen Gründen erlassen worden ist. In Kauf genommen werden kann diese unerwünschte Nebenfolge nur, wenn das Interesse der Betroffenen, nicht aufgrund einer persönlichen Eigenschaft benachteiligt zu werden, zugunsten eines anderen, schwerer wiegenden Interesses zurücktreten muss. Die Gleichheitsprüfung nimmt in solchen Fällen also zwangsläufig die Form einer Verhältnismäßigkeitsprüfung an: Zu fragen ist, ob sich die faktische Benachteiligung nicht hätte vermeiden lassen, ob das Regelungsziel also nicht ebenso ____________________
584 So insb Art I Abs 1 BVG-RD (s schon oben E.II.4.a.cc.), für mittelbare Diskriminierungen offen ist auch der Wortlaut des Art 14 EMRK, mE hingegen nicht der Wortlaut des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG (s schon oben E.I.4.d.), s ferner Art 67 StV St Germain, demzufolge österreichische Staatsangehörige, die einer Minderheit nach Rasse, Religion oder Sprache angehören, „dieselbe Behandlung und dieselben Garantien, rechtlich und faktisch, wie die anderen österreichischen Staatsangehörigen [genießen]“ (Hervorhebung nicht im Original). Gestützt auf diese Bestimmung sah der VfGH in VfSlg 449/1925 eine Vorschrift als derogiert an, nach der zu einem Schulleiter nur ernannt werden konnte, wer die Befähigung besitzt, jenes Bekenntnis zu unterrichten, dem die Mehrzahl der Schüler während der letzten fünf Jahre angehört hat. Da diese Befähigung zum einen nur Angehörigen des jeweiligen Bekenntnisses erteilt wurde, und da zum Zweiten die Mehrheitsreligion damals (wie heute) in Österreich das katholische Bekenntnis war, konnten Angehörige des evangelischen Glaubens faktisch keine Schulleiterstelle erlangen. Durch die inkriminierte Vorschrift wurde, wie der VfGH zu Recht ausführte, ihre „Möglichkeit beseitigt oder doch wesentlich herabgesetzt, die Stellung eines Schulleiters zu erlangen“. Dies sei mit Art 67 StV St Germain unvereinbar.
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gut durch ein Mittel erreicht werden könnte, das derart ungleiche Auswirkungen nicht zeitigt. Steht ein gelinderes Mittel nicht zur Verfügung, so ist das Regelungsziel selbst zu hinterfragen: Seine Verfolgung ist nur dann zulässig, wenn es schwerer wiegt als die Benachteiligung der betroffenen Personengruppe. Eine solche Untersuchung nahm der VfGH, wie erwähnt585, vor, als die mit vier Jahren befristete Gesamtverwendungsdauer für Vertragsassistenten in Prüfung stand586, und auch als die Gehaltsvorrückung vollzeitbeschäftigter Apotheker günstiger geregelt wurde als die der teilzeitbeschäftigten587. Auch eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des Bekenntnisses hat der VfGH schon früh, nämlich in der bereits erwähnten Entscheidung VfSlg 449/1925 aufgegriffen, damals allerdings gestützt auf Art 67 StV St Germain, der faktische Benachteiligungen einer Minderheitsreligion verbietet588; Gleiches müsste nach Art 7 Abs 1 B-VG auch für mittelbare Diskriminierungen einer Mehrheitsreligion gelten. Einer besonderen Rechtfertigung bedürfte es nach all dem auch, wenn eine Vorschrift Rechtsunterworfenen eine Pflicht auferlegt, deren Erfüllung einen finanziellen Aufwand verursacht, den untere Einkommensschichten nicht zumutbar tragen können: In einem solchen Fall liegt eben eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Klasse vor589. Bedenklich ist es mE ebenso, wenn der Gesetzgeber Rechte an Voraussetzungen knüpft, die Homosexuelle typischerweise nicht erfüllen, wenn also etwa die Mitversicherung eines Lebensgefährten davon abhängig gemacht wird, dass dieser im gemeinsamen Haushalt lebende Kinder betreut590. Da homosexuelle Paare keine gemeinsamen Kinder zeugen können und jedenfalls derzeit noch von Rechts wegen keine Kinder adoptieren dürfen, bleiben sie bei einer solchen Regelung von der Mitversicherung im Ergebnis ausgeschlossen: Ihr Schutz vor den Risken des Lebens ist – anders kann eine solche Vorschrift nicht verstanden werden – dem Gesetzgeber dann eben nichts wert. Nichts anderes gilt auch für alle anderen Personengruppen, die durch spezielle Gleichheitssätze ausdrücklich geschützt oder diesen Personengruppen gleich zu halten sind. Vorschriften, die ihnen, wenn auch nur im Ergebnis Rechte vorenthalten, die anderen gewährt werden, oder die ihnen härtere Pflichten auferlegen als allen anderen, bedürfen einer sachlichen Rechtfertigung, die schwerer wiegt als das durch den Gleichheitssatz garantierte Prima-facie-Recht, als Person geachtet und nicht herabgesetzt zu werden. ____________________
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Dazu oben E.I.2.h. VfSlg 13.558/1993. VfSlg 15.368/1998. S FN 584. S dazu noch unten G.III.2.b. Anders hat dies offenbar der VfGH im Erkenntnis VfSlg 17.659/2005 gesehen, s dazu schon oben bei FN 570 und nun auch ausdrücklich VfGH 27.9.2007, B 1829/06.
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Dem Grunde nach finden Fallkonstellationen wie diese auch in einer der gängigen Gleichheitsformeln des VfGH Erwähnung: So steht es dem Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung frei, welche Instrumente er in der jeweils gegebenen Situation als zur Zielerreichung geeignet erachtet und welches unter mehreren möglichen Mitteln er auswählt und einsetzt, dies aber „unter Berücksichtigung allfälliger erwünschter oder in Kauf genommener Nebenwirkungen“591. d. Bloße Anknüpfung an verpönte Differenzierungskriterien Die speziellen Gleichheitsgebote des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, Art I Abs 1 BVG-RD, Art 14 Abs 2 StGG, Art 66 StV St Germain und Art 14 EMRK schützen den Rechtsunterworfenen nur davor, wegen eines verpönten Differenzierungsmerkmals benachteiligt zu werden. Sie kommen aber nicht zur Anwendung, wenn ein solches Kriterium zwar zu einem Tatbestandsmerkmal gemacht wird, die damit verbundene Rechtsfolge aber nicht die Träger dieses Merkmals trifft. Dies ist etwa der Fall, wenn eine Norm die Beschäftigung männlichen Hauspersonals mit einem anderen Abgabensatz belegt als die Beschäftigung weiblichen Hauspersonals592; wenn eine juristische Person wegen des Geschlechts ihrer Mitglieder benachteiligt wird593; wenn ein Kind nur in den Reisepass seiner Mutter, nicht auch in den des Vaters eingetragen werden kann594; wenn der aufenthaltsrechtliche Status eines Kindes ausnahmslos an den seiner Mutter gebunden wird595; wenn die aufenthaltsrechtliche Stellung Drittstaatsangehöriger unterschiedlich ausgestaltet würde, je nachdem, welchem Bekenntnis ihr Ehegatte angehört oder wenn Arbeitnehmer, die bei einem Arbeitgeber von bestimmter nationaler Herkunft beschäftigt sind, steuerrechtlich begünstigt oder benachteiligt werden596. Derartige Differenzierungen unterfallen nur dem allgemeinen Gleichheitssatz; bei seiner Anwendung ist allerdings zu berücksichtigen, dass den Differenzierungsverboten die Vermutung der Unerheblichkeit der genannten Merkmale zu entnehmen und dass es dem Gesetzgeber untersagt ist, ein Unwerturteil über die Träger dieser Merkmale auszusprechen. ____________________
591 S VfSlg 8457/1978, 11.369/1987, 11.639/1988, 12.227/1989, 12.486/1990, 16.582/ 2002, s auch D.I.5. 592 VfSlg 1426/1931; s auch Melichar, FamRZ 1955, 132, sowie schon oben E.I.2.c. 593 Beispiel nach Osterloh, Art 3 GG Rz 269. 594 Ein ähnlicher Fall lag VfSlg 12.735/1991 zugrunde. 595 VfSlg 15.755/2000. 596 Ein ähnlicher Sachverhalt lag VfSlg 9003/1980 zugrunde; der dort in Prüfung gezogene § 67 Abs 11 Z 1 EStG 1972 gewährte eine Steuerbegünstigung allen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern, die entweder lohnsteuerpflichtig waren oder zur Einkommensteuer veranlagt werden, wenn sie bei bestimmten völkerrechtlich privilegierten Arbeitgebern beschäftigt sind.
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Dem hat der VfGH bei der nach dem Geschlecht des Hauspersonals differenzierenden Besteuerung des „Haushaltsvorstandes“, wie gezeigt597, in VfSlg 1426/1931 keine Beachtung geschenkt. Als maßgebend für die Gleichheitskonformität dieser Regelung sah er allein an, ob der progressive Steuersatz „unter gleichen äußeren Verhältnissen für alle Steuerpflichtigen ohne Rücksicht auf subjektive Merkmale, die sich in deren Person finden, die gleichen sind“598. Dies konnte im konkreten Fall bejaht werden, weshalb die Regelung als gleichheitskonform beurteilt wurde. Richtigerweise wäre in diesem Fall zu fragen gewesen, ob zwischen weiblichem und männlichem Hauspersonal entgegen der Vermutung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG im konkreten Fall ein Unterschied besteht, der es rechtfertigt, an die Beschäftigung dieses Personals jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen. Gewiss war der „Marktwert“ männlichen Personals zum damaligen Zeitpunkt höher als jener weiblichen Personals; dennoch liegt es keineswegs nahe, vom Geschlecht des jeweils beschäftigten Personals auf die Leistungsfähigkeit des Haushaltsvorstandes zu schließen: Denn diese Leistungsfähigkeit ließe sich ja wesentlich treffsicherer durch die Anknüpfung an das Einkommen des Haushaltsvorstandes oder doch an den Lohn erfassen, den er seinem Hauspersonal bezahlt. Wenn der Gesetzgeber dennoch – und insoweit nicht rational – an das Geschlecht anknüpft, übernimmt und befestigt er eine gesellschaftliche Meinung, die sich in der beschriebenen Marktsituation nur manifestiert: Weibliches Personal ist weniger wert als männliches – ein Urteil, das der in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG zum Ausdruck kommenden Achtung beider Geschlechter als gleichwertig widerspricht und als Ausgangspunkt für die konkrete Regelung auch rechtstechnisch nicht notwendig war. Dass die Anknüpfung an ein in der Person gelegenes Merkmal gleichheitsrechtlich auch dann bedenklich ist, wenn sie nicht die Träger des Merkmals benachteiligt, sondern andere Personen, nahm der VfGH dann auch der Sache nach in VfSlg 9003/1980 an: Er qualifizierte eine Regelung als gleichheitswidrig, weil sie eine steuerrechtliche Begünstigung nur Arbeitnehmern gewährte, die bei bestimmten völkerrechtlich privilegierten Arbeitgebern beschäftigt sind. Diese Differenzierung zwischen Arbeitnehmern beruhte nach Ansicht des VfGH – ohne dass dafür eine sachliche Rechtfertigung ersichtlich war – auf Eigenschaften, die in der Person des jeweiligen Arbeitgebers (Sitz im Inland, völkerrechtliche Privilegierung) gelegen sind599. Streng geprüft wurde auch § 21 Abs 3 FrG, der die auf____________________
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S oben E.I.2.c. Hervorhebungen im Original. 599 Ähnlich auch VfSlg 15.366/1998, wonach es nicht sachlich zu rechtfertigen wäre, die Bediensteten von Verkehrsunternehmungen versicherungsrechtlich je nachdem unter598
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enthaltsrechtliche Stellung eines Kindes ausnahmslos vom Aufenthaltsstatus seiner Mutter abhängig machte, also nach dem Geschlecht des Elternteiles differenzierte. Wenn die Verfassung vermutet, dass Männer und Frauen sich in rechtlich relevanter Hinsicht nicht wesentlich unterscheiden, dann besteht auch Grund zur Annahme, dass die Beziehung eines Kindes zu seiner Mutter und zu seinem Vater grundsätzlich gleichwertig ist. Diese Annahme liegt auch Art 5 7. ZPEMRK zugrunde, nach dem Ehegatten in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben. Ganz zu Recht stellte der VfGH daher in dem erwähnten Fall fest, dass die Bindung des Kindes an seine Mutter bei einer Durchschnittsbetrachtung zwar besonders eng sein mag, dass aber eine gleichartige Bindung zum Vater keinesfalls ausgeschlossen werden könne, dies insbesondere, wenn dem Vater die alleinige Obsorge gerichtlich übertragen wird, im Fall des Todes der Mutter oder einer die Betreuung des Kindes hindernden schweren Erkrankung der Mutter600. Der Gesetzgeber darf derartige Fälle, wie der VfGH feststellte, im Hinblick auf die ansonsten für das Kind eintretenden besonders gravierenden Rechtsfolgen nicht als Härtefälle betrachten und vernachlässigen. Zu ergänzen wäre: Er darf auch kein Unwerturteil über den Vater im Verhältnis zur Mutter aussprechen. Als das FrG drittstaatsangehörige Verwandte eines EWR-Bürgers aufenthaltsrechtlich besser behandelte als drittstaatsangehörige Verwandte eines österreichischen Staatsbürgers, meinte der VfGH sogar, dass sich für „eine solche Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger gegenüber ausländischen Staatsangehörigen im konkreten Zusammenhang [...] keinerlei sachliche Rechtfertigung finden [lässt]. [...] Vor allem wäre eine derart unterschiedliche Behandlung diskriminatorisch im Sinne des Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK, da eine ‚objektive und vernünftige Rechtfertigung‘ dafür nicht ersichtlich ____________________
schiedlich zu behandeln, ob sie bei den ÖBB oder bei einem anderen (Verkehrs-)Unternehmen beschäftigt sind. 600 VfSlg 15.755/2000. Im Prüfungsbeschluss sah es der VfGH noch als bedeutsam an, dass diese Regelung „Vater und Mutter eines minderjährigen Kindes anscheinend in einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Weise ungleich behandelt“ bzw dass sie „ausschließlich nach dem Geschlecht [differenziert]“. Im Gesetzesprüfungserkenntnis selbst wurde dieser Gedanke nur mehr mittelbar releviert, insofern nämlich, als die Fähigkeit beider Elternteile, für ihr Kind zu sorgen, herausgestellt wurde. S zuvor schon die Entscheidung VfSlg 15.074/1998: In dem zugrunde liegenden Fall wurde der Antrag einer zweijährigen Fremden auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG abgewiesen, weil die Mutter der Antragstellerin – im Unterschied zu deren Vater – in Österreich nicht aufenthaltsberechtigt war. Dass die belangte Behörde in diesem Fall ohne nähere Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse einzig die Mutter-Kind-Beziehung für ausschlaggebend hielt und davon ausging, der Kindesvater könne die Obsorge für die Antragstellerin nicht übernehmen, qualifizierte der VfGH als willkürlich.
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ist, weil sie offenkundig kein legitimes Ziel verfolgt“601. Da die inkriminierte Regelung die österreichische Staatsbürgerschaft nur zu einem Tatbestandsmerkmal gemacht hatte, ihrem persönlichen Anwendungsbereich nach aber bloß Fremde betraf, wäre hier eher die Anwendung des Art I Abs 1 BVG-RD zu erwarten gewesen602; auch bei einer Prüfung nach dieser Norm wäre freilich zu veranschlagen, dass die Verfassung österreichische Staatsbürger in vielerlei Hinsicht und nicht zuletzt in Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG gegenüber Fremden begünstigt603. Mit Staatsbürgern verwandt zu sein, sollte daher prima facie nicht zum Nachteil einer Person ausschlagen; wenn doch, wäre dafür eine besondere Rechtfertigung erforderlich. e. Fehlerhafte Eigenschaftszuschreibungen Wie bereits hervorgehoben wurde, treten Diskriminierungen oft im Gewand scheinbarer Rationalität auf, beruhen aber bei näherer Betrachtung darauf, dass der benachteiligten Personengruppe Eigenschaften zugeschrieben werden, die ihnen tatsächlich fehlen oder doch nicht häufiger zukommen als anderen Personen auch. Wird eine Ungleichbehandlung auf Eigenschaften gestützt, die tatsächlich nicht vorliegen, so fehlen auch jene wesentlichen Unterschiede, die diese Ungleichbehandlung rechtfertigen. Knüpft eine Regelung daher an ein Surrogatmerkmal an, um persönliche Eigenschaften zu erfassen, die von diesem Merkmal verschieden sind, so ist sorgfältig zu untersuchen, ob der unterstellte Zusammenhang zwischen dem Anknüpfungskriterium und der dadurch „verwiesenen“ Eigenschaft wirklich besteht. Dies soll im Folgenden an zwei Differenzierungskriterien veranschaulicht werden, die für fehlerhafte Eigenschaftszuschreibungen besonders anfällig sind. aa. Beispiel: Familienangehörigkeit Die Familienangehörigkeit ist – anders als die bisher genannten Merkmale – kein Kriterium, nach dem zu differenzieren verpönt wäre. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass die Verfassung selbst an mehreren Stellen zwischen familiären und anderen Beziehungen unterscheidet. Zuallererst ist in diesem Zusammenhang Art 8 EMRK zu nennen, der jedermann ein Recht auf Achtung seines Familienlebens einräumt, weiters Art 12 EMRK, der Männern und Frauen mit Erreichung des heiratsfähi____________________
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VfSlg 14.863/1997. Auch die Anwendung des Art 14 iVm Art 8 EMRK entsprach aber der Judikatur der Straßburger Organe, s dazu noch unten F.III.2.a.aa. 603 S zum daraus folgenden Prima-facie-Verbot, Inländer gegenüber Ausländern zu diskriminieren, schon oben E.III.2. 602
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gen Alters das Recht gewährt, gemäß den einschlägigen Gesetzen eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, zu denken ist aber auch an Art 2 1. ZPEMRK, nach dem der Staat bei der Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten hat, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. Art 5 7. ZPEMRK stellt schließlich fest, dass Ehegatten untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben. Besonders hervorgehoben wird die Familie auch in Art 10 Abs 1 Z 17 B-VG, der die „Bevölkerungspolitik, soweit sie die Gewährung von Kinderbeihilfen und die Schaffung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familie zum Gegenstand hat“ zu einem eigenen Kompetenztatbestand erklärt604. Dass die Familienangehörigkeit kein verpöntes Differenzierungskriterium ist, bedeutet freilich nicht, dass sie zum Anlass für jedwede Unterscheidung genommen werden könnte. Dies hatte der VfGH anlässlich der Prüfung einer Bestimmung klarzustellen, die eine Haushaltsbesteuerung nur für die Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten und minderjährigen Kindern vorsah, nicht aber auch für wirtschaftlich gleichartige Gemeinschaften. Die Bundesregierung verteidigte diese Regelung mit dem Hinweis, dass die Ehegemeinschaft sich von einer bloßen Lebensgemeinschaft unterscheide und dass die fundamentale Institution der Ehe und der Familie ihren Besonderheiten gemäß in der Rechtsordnung auch eine besondere Behandlung erfahren habe. Diese Argumentation erinnert durchaus an jene Gründe, die nach dem Erkenntnis VfSlg 4678/1964 eine Benachteiligung unehelicher Kinder gerechtfertigt hatte605. Im vorliegenden Zusammenhang begnügte sich der VfGH mit dem bloßen Hinweis auf den besonderen Charakter der Ehe nicht, und zwar wohl auch, weil der Gesetzgeber hier an die Ehe keine Vorteile, sondern nachteilige Rechtsfolgen geknüpft hatte: Denn „von einer Meinung, die mit vollem Recht die Bedeutung der Ehe für Staat und Gesellschaft hervorhebt“, hätte man, wie der VfGH der Bundesregierung entgegenhielt, „eher erwartet, daß sie Maßnahmen befürwortet, die die Ehe gegenüber Gemeinschaften ohne Bindungen begünstigt. In dem hier allein in Betracht kommenden wirt____________________
604 Diese Bestimmung ist bloß eine unverbindliche Ermächtigung, die der Bundesgesetzgeber nicht in Anspruch nehmen muss; eine Schutzpflicht des Staates oder ein Anspruch des Einzelnen auf positive Leistungen ist aus ihr nicht abzuleiten (Pernthaler/Rath-Kathrein, Ehe und Familie 249 f mwN). Indem der Verfassungsgesetzgeber die Familie an dieser Stelle aber besonders hervorhebt, unterscheidet er bereits zwischen familiären und sonstigen Bindungen. Allein darauf kommt es im vorliegenden Zusammenhang an. 605 S oben E.IV.3.b.aa.
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schaftlichen und steuerlichen Zusammenhang wird aber die Bedeutung der Ehe von der Bundesregierung nur zu dem Zwecke betont, eine die Ehegatten im Verhältnis zu anderen Gemeinschaften im höheren Maße treffende Steuerlast zu rechtfertigen.“606 Tatsächlich habe der Gesetzgeber aber mit der inkriminierten Regelung für den an sich zulässigen Typus der Haushaltsbesteuerung einen zu engen Ausschnitt aus dem Bereich gemeinsamer Konsumationswirtschaften gewählt und so für Ehegatten und Kinder „eine der Sachlichkeit entbehrende Sonderregelung“ geschaffen. Dass die Familienangehörigkeit allein nicht ausreicht, um eine steuerrechtliche oder sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung zu begründen, hat der VfGH seither mehrfach festgestellt607. Aber auch der Umstand, dass die eheliche Verbindung es besonders erleichtert, Dienstverhältnisse nur vorzutäuschen, rechtfertigt, wie der Gerichtshof schon in VfSlg 5252/1966 festgestellt hat, für sich allein nicht ohne weiteres eine steuerliche Benachteiligung. Dem ist zuzustimmen; die gegenteilige Ansicht unterstellt Eheleuten, sich durch die Vortäuschung falscher Tatsachen Rechtsvorteile zu verschaffen, sobald ihnen dies möglich ist, schreibt ihnen also zum einen die Eigenschaft der Rechtsuntreue zu608. Zum Zweiten lässt sich das gewiss legitime Ziel, (rechtmäßige) Steuerumgehungen zu vermeiden, auch durch die Anwendung der in §§ 21-23 BAO vorgesehenen Instrumente, somit durch gelindere Mittel als durch einen Rechtsausschluss realisieren609. Aus vergleichbaren Erwägungen qualifizierte der VfGH auch eine einkommensteuerliche Regelung als gleichheitswidrig, die Ehegatten bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen benachteiligte. Der Zweck dieser Vorschrift bestand darin, mögliche Missbräuche (Vermeidung der Doppelbesteuerung der Gewinne von Kapitalgesellschaften durch Gewinnthesaurierung und anschließende Anteilsveräußerung) durch Ehegatten hintan zu halten. Die der inkriminierten Vorschrift zugrunde liegende Annahme, Ehegatten oder Lebensgefährten, die an einer Kapitalgesellschaft beteiligt sind, würden auf Grund ihres persönlichen Naheverhältnisses so regelmäßig wirtschaftlich zusammenwirken, dass ein anderes Verhalten dieser Personen eine zu vernachlässigende Ausnahme bedeutet, konnte der VfGH jedoch nicht teilen610. Als gleichheitswidrig wurde aus ähnlichen Erwägungen auch eine Vorschrift des BSVG angese____________________
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VfSlg 3334/1958. VfSlg 3863/1960, 4571/1963, 4824/1964, 5252/1966, 5319/1966, 5750/1968, 5984/1969, 6345/1970, 6773/1972, 6948/1972, 7280/1974, 8709/1979, 10.157/1984, 11.368/1987, 12.474/1990, 13.028/1992. 608 S auch VfSlg 5750/1968. 609 S auch Doralt/Ruppe, Steuerrecht II Rz 388. 610 VfSlg 8709/1979. 607
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hen: Ihr zufolge hafteten Personen, die in ihrem Eigentum stehende Wirtschaftsgüter dem Betrieb eines Angehörigen zur Verfügung stellten, im Fall einer Betriebsveräußerung für die offenen Sozialversicherungsbeiträge des (mit ihnen verwandten) Betriebsvorgängers, sofern sie nicht nachwiesen, dass sie die Beitragsschulden nicht kannten oder trotz ihrer Stellung im Betrieb des Vorgängers nicht kennen konnten. Demgegenüber wurden Dritte, die dem Versicherungspflichtigen Wirtschaftsgüter überlassen hatten, zu einer Haftung selbst dann nicht herangezogen, wenn sie den Bestand oder das Entstehen der Beitragsschulden kannten oder kennen mussten. Im Ergebnis begründete damit, wie der VfGH monierte, allein das Angehörigenverhältnis die Haftung. Dies sei sachlich nicht zu rechtfertigen611. Als zutreffend wurde hingegen die Annahme qualifiziert, dass zwischen Angehörigen eine Interessenparallelität an sich angelegt ist, die sich durch die Zugehörigkeit zur selben Hausgemeinschaft infolge der damit verbundenen ständigen persönlichen Begegnung im privaten Bereich noch deutlich verstärkt; dem Gesetzgeber stehe es daher frei, haushaltszugehörige familieneigene Arbeitskräfte entweder der Berufsvertretung der Arbeitnehmer oder aber jener der Arbeitgeber zuzuordnen, er darf sie nur – wegen des zwischen den beiden Berufsvertretungen bestehenden Interessengegensatzes – nicht beiden zugleich zuordnen612 oder Angehörige unterschiedslos aus dem Geltungsbereich der überbetrieblichen Arbeitnehmervertretung herausnehmen613. bb. Beispiel: Alter Anders als die verpönten Differenzierungsmerkmale ist auch das Alter kein unveränderliches Merkmal, im Gegenteil, es ist permanent im Fluß. Deshalb gleichen sich Differenzierungen nach dem Alter auf der Zeitachse auch regelmäßig aus. Rechte, die erst ab einem bestimmten Alter zuerkannt werden, kommen über kurz oder lang eben doch jedem zu; und auch Rechte, die ab einem bestimmten Alter aberkannt werden, hatte bis zu diesem Zeitpunkt jeder. Nach dem Alter zu unterscheiden ist dem Gesetzgeber keineswegs prinzipiell verwehrt, sondern kann im Gegenteil sogar geboten sein. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die Verfassung selbst an verschiedenen Stellen an das Alter der Rechtsunterworfenen anknüpft, so etwa bei der Zuerkennung des aktiven und passiven Wahlrechts in Art 26 Abs 1 und Abs 4 sowie Art 60 Abs 3 B-VG, weiters in dem ____________________
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VfSlg 13.028/1992; s auch VfSlg 10.157/1984, 12.474/1990. VfSlg 8539/1979. 613 VfSlg 8485/1979; s allerdings auch die bedenkenswerten Einwände, die gegen die Begründung dieser Entscheidung erhoben wurden, mwN Wimmer, DRdA 1982, 32 ff; Firlei, FS Strasser 387 ff; Noll, Sachlichkeit 135 ff. 612
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schon erwähnten Art 12 EMRK, der das Recht auf Eheschließung erst im „heiratsfähigen“ Alter einräumt, sodann in Art 88 Abs 1 B-VG, demzufolge einfachgesetzlich eine Altersgrenze zu bestimmen ist, nach deren Erreichung Richter in den dauernden Ruhestand treten614. Es ist daher irreführend, das Alter in Diskriminierungsverboten neben Merkmalen wie Rasse, sexueller Ausrichtung, Bekenntnis etc zu nennen, wie dies etwa in der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG und in Art 21 der Grundrechte-Charta geschieht. Näheres Hinsehen zeigt dann auch regelmäßig, dass Differenzierungen nach dem Alter auch nach diesen Vorschriften in Wahrheit nicht prinzipiell verpönt, sondern vielfach erlaubt, wenn nicht gar geboten sind615. Dass gerade zwischen Kindern und Erwachsenen aus der Sicht der Verfassung ein wesentlicher Unterschied besteht, ergibt sich schon aus Art 2 1. ZPEMRK und Art 5 7. ZPEMRK. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auf Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG zu verweisen, der ua die „Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge“ zu einem eigenen Kompetenztatbestand erklärt, weiters auf Art 14 B-VG, der die Kompetenzen im Bereich des Schul- und Erziehungswesens festlegt. Wenn die Verfassung selbst davon ausgeht, dass Kinder unterrichtet und erzogen werden sollen, dass ein Mensch erst ab einem gewissen Alter die nötige Reife besitzt, um zu wählen oder zu heiraten, dann ist es aus der Sicht des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, überall dort, wo die Einsichtsfähigkeit eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung von Rechten ist, nach dem Alter zu unterscheiden. Dementsprechend macht die Rechtsordnung etwa die Geschäftsfähigkeit und die Strafmündigkeit von der Vollendung des 18. bzw 14. Lebensjahres abhängig616. Eine solche Differenzierung nicht vorzunehmen, Kinder also ebenso wie Erwachsene für geschäftsfähig und strafmündig zu erklären, stünde in Widerspruch zum allgemeinen Gleichheitssatz, weil auf diese Weise Personen gleich behandelt würden, obwohl zwischen ihnen bereits nach der Verfassung wesentliche Unterschiede bestehen. Dass das Alter kein verpöntes, sondern – als Indikator für die Einsichtsfähigkeit eines Menschen – zum Teil sogar ein gebotenes Differenzierungskriterium ist, ändert freilich nichts an der Tatsache, dass eine Anknüpfung an das Alter auf der Zuschreibung alterstypischer Eigenschaften beruhen kann. Soweit derartige Zuschreibungen nicht bereits der Verfassung entnommen werden können, sind sie nach der allgemeinen Lebenserfahrung ____________________
614 S auch VfSlg 5799/1968, 7040/1973, 7423/1974, 7705/1975, 9292/1981, 13.743/ 1994, wonach es grundsätzlich keinen Bedenken begegnet, wenn eine Regelung zwischen Beamten des Dienststandes und solchen des Ruhestandes differenziert. S allerdings zur besonderen Schutzwürdigkeit älterer Menschen unten G.III.1. und 2.c. 615 S zur Antidiskriminierungsrichtlinie treffend Marhold, Alter 82 ff. 616 § 21 ABGB, § 4 JGG, § 4 VStG.
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und – wenn diese fehlt – unter Beiziehung von Fachleuten vorzunehmen617. Dass es bei der Festlegung einer Altergrenze einzelne Personen geben mag, die die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften noch nicht oder nicht mehr haben, kann aus der Sicht des allgemeinen Gleichheitssatzes idR nicht beanstandet werden, weil derartige Fälle unvermeidlich sind; sie werden denn auch von der Verfassung selbst in Kauf genommen618. Gleichheitsrechtlich unzulässig wird eine Eigenschaftszuschreibung allerdings dann, wenn sie nicht vom typischen, sondern von einem atypischen Fall ausgeht, also nicht die Mehrheit, sondern eine Minderheit der jeweiligen Altersgruppe repräsentiert. Im Einklang mit der allgemeinen Lebenserfahrung war nach Ansicht des VfGH etwa die Annahme des Gesetzgebers, dass die Ausbildung eines Kindes für einen Beruf zumindest bis zum 18. Lebensjahr dauert619, mit den Lebensverhältnissen hingegen in Widerspruch die Annahme, dass ein Kind seine Lehre jedenfalls bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres abgeschlossen hat620. Eine falsche Zuschreibung hat der Gesetzgeber auch in § 21 Abs 3 FrG aF vorgenommen, der drittstaatsangehörigen Kindern einen Familiennachzug nur bis zum vollendeten 14. Lebensjahr gestattete. Die Festlegung dieser Altersgrenze qualifizierte der VfGH als „sachfremd“ und daher gleichheitswidrig621, weil Kinder nach der allgemeinen Lebenserfahrung und bei gebotener Durchschnittsbetrachtung auch nach Vollendung des 14. Lebensjahres in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Eltern stehen können; Kinder dieser Altergruppe bedürfen vielfach – vor allem wenn sie nicht wesentlich ____________________
617 Die Konsultation von Entwicklungspsychologen wird sich etwa bei der Festsetzung des strafrechtlichen Schutzalters empfehlen; im Fall des § 209 StGB aF hat der Gesetzgeber solche Experten auch herangezogen, sich dann aber ohne nachvollziehbaren Grund über deren Meinung hinweggesetzt, s dazu oben E.IV.3.b.bb. Bei der Festsetzung des Pensionsantrittsalters ist die allgemeine Lebenserwartung zu berücksichtigen; zeigen demographische Untersuchungen, dass diese sich verändert, dass sie sich etwa aufgrund verbesserter medizinischer Versorgung und eines allgemeinen Anstiegs der Lebensqualität erhöht, dann kann auch das Pensionsantrittsalter entsprechend angehoben werden. Zu berücksichtigen ist dabei aber auch, dass die Arbeitskraft in bestimmten Berufen infolge erhöhter Beanspruchung früher nachlässt. Das rechtfertigt nicht nur, sondern erfordert auch eine Senkung des Pensionsantrittsalters in diesem Bereich, wie der VfGH in VfSlg 12.568/1990 festgestellt hat. Nicht akzeptiert hat der VfGH in dieser Entscheidung hingegen die pauschale Annahme, die Arbeitskraft lasse bei Frauen ganz allgemein früher nach als bei Männern. Dass Frauen ihre Pension um fünf Jahre früher antreten können als Männer, ließ sich folglich nicht rechtfertigen, s dazu schon oben E.I.2.h. 618 So hat etwa die Festlegung des Wahlalters mit der Vollendung des 16. Lebensjahres in Art 26 Abs 1 B-VG zur Folge, dass Jugendliche nicht wählen dürfen, obwohl sie die zur Ausübung des Wahlrechts nötige Reife schon vor der Erreichung dieses Alters besitzen, und dass umgekehrt Jugendliche wahlberechtigt sind, auch wenn ihnen diese Reife nach Vollendung des 16. Lebensjahres noch fehlt. 619 VfSlg 8605/1979. 620 VfSlg 8656/1979. 621 VfSlg 15.836/2000.
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älter als 14 Jahre sind – des elterlichen Beistandes und sind im Regelfall nicht selbsterhaltungsfähig. Den Einwand der Bundesregierung, nachziehende Minderjährige über 14 Jahre strebten als Hauptziel unmittelbar eine Erwerbstätigkeit in Österreich an, qualifizierte der VfGH zutreffend als verfehlt. Diese Annahme steht schon mit den schul- und beschäftigungsrechtlichen Bestimmungen in Widerspruch, dauert doch die allgemeine Schulpflicht in Österreich neun Schuljahre. Beschäftigungsrechtlich dürfen Kinder, also Minderjährige bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres (abgesehen von Sonderfällen) dementsprechend nicht zu Arbeiten irgendwelcher Art herangezogen werden. Eine Altersgrenze von 15 Jahren hielt der VfGH daher für unbedenklich622.
4. Sachbereichsspezifische Konkretisierungen des Gleichheitssatzes a. Fließende Übergänge zur sachlichen Rechtsgleichheit In den bisher besprochenen Fallkonstellationen wurden überwiegend Vorschriften als gleichheitswidrig oder doch als gleichheitsrechtlich suspekt ausgewiesen, weil sie den Einzelnen, sei es auch nur im Ergebnis, aufgrund von Merkmalen herabsetzen, die „in seiner Person“ gelegen sind. Der personale Schutzzweck des Gleichheitssatzes könnte zur Annahme veranlassen, dass sich der Gleichheitssatz auf derartige Fallkonstellationen beschränkt. Wie gezeigt, war dies zunächst auch die Position der Judikatur: Der Gleichheitssatz verbiete nur Ungleichbehandlungen nach subjektiven, in der Person gelegenen Merkmalen; Unterscheidungen nach „objektiven“ Merkmalen seien von seinem Anwendungsbereich hingegen von vornherein nicht erfasst623. Auch in der älteren Literatur wurde der Standpunkt vertreten, der allgemeine Gleichheitssatz garantiere bloß eine „persönliche Rechtsgleichheit“. Eine „sachliche Rechtsgleichheit“ sei durch ihn nicht gewährt; die Gleich- oder Ungleichbehandlung von Sachverhalten, Situationen oder Sachen sei daher kein gleichheitsrechtliches Problem624. Sowohl die Judikatur als auch die ganz überwiegende Lehre haben diesen Standpunkt allerdings nach und nach aufgegeben625, mE zu Recht. ____________________
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VfSlg 16.672/2002. E.I.2.c. 624 S insb Nawiasky, VVDStRL 3 (1927) 35 ff, der auf dieser Unterscheidung besteht. 625 S für die Judikatur schon oben E.I.2.d.-E.I.2.g. Gegen eine Reduktion des Gleichheitssatzes auf die persönliche Rechtsgleichheit explizit zB Huster, Rechte 28 f; ders, Art 3 GG Rz 96; implizit die wohl herrschende Lehre in Österreich, die entweder überhaupt nicht zwischen persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit unterscheidet oder auf die ältere Judikatur des VfGH nur mit der Bemerkung hinweist, dass heute Differenzierungen nach jedem Kriterium am Gleichheitssatz geprüft werden, s zB Gassner, Gleich623
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Eine Beschränkung des Gleichheitssatzes auf die persönliche Rechtsgleichheit vermag aus vielen Gründen nicht zu überzeugen, zunächst schon deshalb nicht, weil sich zwischen persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit keine klare Grenze ziehen lässt626: Wenn der Gesetzgeber zwischen Sachverhalten und Situationen unterscheidet, so unterscheidet er immer auch zwischen Personen, die diese Sachverhalte verwirklichen oder sich in einer bestimmten Situation befinden; differenziert er zwischen Sachen, so differenziert er immer auch zwischen Personen, die zu diesen Sachen in Beziehung stehen. Insofern hat jede Unterscheidung, nach welchem Kriterium sie auch vorgenommen sein mag, immer einen mehr oder weniger starken Personenbezug627. Dass die Übergänge zwischen Vorschriften, die nach persönlichen Merkmalen und solchen, die nach „objektiven“ Kriterien unterscheiden, fließend sind, zeigen sogar die in den speziellen Gleichheitssätzen verpönten Differenzierungsmerkmale selbst: Sie definieren das „So-Sein“, die Personalität eines Menschen nicht nur durch das, was er ist, sondern auch durch das, was er tut und selbst durch das, was er hat: So beschreibt der in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG als Differenzierungsmerkmal verpönte „Stand“ zwar zunächst eine Gruppenzugehörigkeit; diese wird aber durch den Beruf gebildet, den jemand ausübt. Das in dieser Bestimmung ebenfalls genannte Bekenntnis und auch die in Art 14 EMRK ausgewiesene politische oder sonstige Anschauung werden für die Rechtsordnung wahrnehmbar und erfassbar erst, wenn ein Mensch nach außen tritt und sich zu einem Glauben bekennt, seine Anschauungen äußert oder sich seinem Glauben und seiner Weltanschauung entsprechend verhält. Die Zugehörigkeit zu einer „Klasse“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG bestimmt sich schließlich nach dem Vermögen und Einkommen, das ein Mensch ____________________
heitssatz 2 ff; Korinek, FS Melichar 44 ff; Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 603 ff; Schambeck, ÖJZ 1992, 638; Pöschl, JBl 1997, 426 ff; Berka, Grundrechte Rz 875 ff; ders, Art 7 B-VG Rz 1 ff; Grabenwarter, Selbstanzeige 95 ff; Mayer, B-VG Art 2 StGG III.1.; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1357; aA offenbar Somek, Rationalität 602 f, der die Ungleichbehandlung von Situationen nicht als einen Anwendungsfall des Gleichheitssatzes anzusehen scheint; s auch ders, Rationalität 403 („Jede Ungleichbehandlung ist – zumindest solange Personen direkt betroffen sind – eine ‚Diskriminierung‘ “), 405 („Die Unterscheidung zwischen personen-bezogenen und auf Umstände bezogenen Merkmalen macht zur Bestimmung der Demütigung also durchaus Sinn“); Sympathie für Someks Position bekundet Öhlinger, Verfassungsrecht 7, Rz 767 FN 26, der aaO Rz 762 aber doch ausführt, es gehe bei der Gleichheitsprüfung „um die Frage, ob eine rechtliche Differenzierung mit tatsächlichen Unterschieden in einer Weise korrespondiert, die sachlich gerechtfertigt werden kann.“ (Hervorhebungen im Original). 626 S schon Böckenförde, Gleichheitssatz 46 f; Wengler, FS 100 Jahre DJT 241 FN 3; Lewisch, Vergleich 44 ff; Sachs, ZÖR 1985, 313; W. Brüning, JZ 2001, 669; skeptisch zur Abgrenzbarkeit auch Huster, Art 3 GG Rz 96; noch weiter gehend Leibholz, Gleichheit 177, der meint, die Unterscheidung zwischen persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit sei überhaupt undurchführbar. 627 S bereits Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 309.
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hat628. Dass Benachteiligungen, die an die genannten Handlungen oder an den Besitz einer Person anknüpfen, von den speziellen Gleichheitssätzen nicht mehr erfasst wären, wurde, soweit ersichtlich, und auch aus gutem Grund noch nie behauptet. Differenzierungen zwischen Sachverhalten, Situationen und Sachen können daher nicht schon per se aus dem Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes herausfallen. Eine solche Reduktion ist auch bei historischer Betrachtung keineswegs indiziert: Nicht einmal im Reichstag von Kremsier wurde der Gleichheitssatz derart eng verstanden. In diesem Sinn betonte etwa Lasser, der gewiss kein Anhänger eines übertrieben weiten Gleichheitsverständnisses war, dass es nach dem allgemeinen Gleichheitssatz „kein Ausnahmegesetz mehr geben kann, weder für Personen noch für Sachen, sondern [daß] dieselben Gesetze gleichmäßig für alle gelten, welche in gleicher Lage sich befinden“629. Die in der älteren Judikatur und Lehre – wenngleich mit überschießender Konsequenz – getroffene Unterscheidung zwischen persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit hat allerdings auch einen wahren Kern. Sie macht jedenfalls deutlich, dass vor dem Gleichheitssatz nicht schlechthin jede und auch nicht jede Unterscheidung gleich problematisch ist630: Ob der Gesetzgeber Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert oder ob er zwischen Silomais und anderen Futtermitteln differenziert, ist offensichtlich nicht dasselbe. Dass bedeutet zwar nicht, dass sich der Anwendungsbereich des Gleichheitssatzes auf Regelungen beschränkt, die nach subjektiven, in der Person gelegenen Merkmalen differenzieren; dass diese Regelungen aber gleichheitsrechtlich suspekt sind, lässt den Schutzzweck des Gleichheitssatzes deutlich hervortreten. Von diesem Schutzzweck ausgehend können Regelungen, die gleichheitsrechtlich prima facie geboten oder verboten sind, von anderen Regelungen unterschieden werden. Das soll im Folgenden an einigen Beispielen veranschaulicht werden. b. Fremdherrschaft und Mitbestimmung Eine wesentliche Funktion des Gleichheitssatzes besteht, wie gezeigt, darin, offene Flanken der Demokratie zu schließen. Er vermittelt jedem Menschen ein Recht, nach seinen individuellen Voraussetzungen vorurteilsfrei beurteilt und unparteiisch behandelt, insbesondere nicht aufgrund ____________________
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S dazu schon oben E.I.4.b. StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 425 (Hervorhebungen nicht im Original); vgl auch die zum Teil wortgleiche Äußerung des Abgeordneten Ahrens in der Frankfurter Grundrechtsdiskussion, der Satz, dass alle vor dem Gesetz gleich seien, bedeute „daß für alle Personen und Sachen, welche sich in gleicher Lage befinden, auch gleiche Gesetze bestehen müssen“ (wiedergegeben bei Scholler, Paulskirche 234, Hervorhebungen im Original). 630 S dazu auch schon oben C.III., C.V.3.
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eines indisponiblen Persönlichkeitsmerkmales benachteiligt und damit einer Rechtsfolge unterworfen zu werden, der er weder zustimmen konnte noch je wird ausweichen können. Eine solche Fremdbestimmung kann die Demokratie allein – mag sie auch die Gleichheit der Bürger zur Prämisse haben – nicht vollständig verhindern; vor ihr zu schützen, ist eine zentrale Aufgabe des Gleichheitssatzes. Auf den ersten Blick nicht gefährdet ist die Gleichheit zwischen den Menschen im Zivilrecht, das den „relativ höchste[n] Grad demokratischer Rechtserzeugung“ erreicht631, indem es den Bürgern die Erzeugung der zwischen ihnen geltenden (individuellen) Normen selbst überlässt: Verhaltenspflichten treffen den Einzelnen dann nur, soweit er dazu sein Einverständnis erklärt. Freilich kann es auch hier zu Divergenzen zwischen der Norm und dem Willen des Normunterworfenen kommen, dies nicht nur, wenn der Normunterworfene seinen Willen nachträglich ändert632, sondern auch, wenn er seinen Willen schon ursprünglich nicht frei bilden oder fehlerlos erklären konnte, etwa weil er sich beim Abschluss des Rechtsgeschäfts in einem Irrtum oder in einer Zwangslage befunden hat. In solchen Fällen muss zwischen den divergierenden Interessen der beiden Vertragspartner ein Ausgleich gefunden werden, der nicht immer zugunsten des Erklärenden ausgeht: Vorrang hat sein „wahrer“, nur falsch erklärter Wille aber, wenn sein Vertragspartner auf die Erklärung nicht vertraut hat und auch sonst nicht schutzwürdig ist633. Der Gesetzgeber erklärt die privatautonom erzeugte Norm dann für nichtig oder doch für vernichtbar und stellt damit das aus dem Lot geratene Gleichgewicht zwischen den Vertragsparteien wieder her, verhindert also, dass ein Bürger dem anderen seinen Willen aufzwingen kann. Ordnet ein Gesetz umgekehrt an, dass sich ein Privater den Anordnungen eines anderen fügen muss, obwohl er hiezu nie seine (nicht einmal eine fehlerhafte) Zustimmung erteilt hat, so bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung. Denn eine solche Subordination greift in das aus dem Gleichheitssatz erfließende Prima-facie-Recht des Einzelnen ein, nicht der Herrschaft eines anderen unterstellt zu werden634. Eingriffe dieser Art können etwa bei der elterlichen Gewalt über Kinder, der Entscheidungsmacht ____________________
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S schon Kelsen, Staatslehre 367. Diesen Fall hebt Kelsen, Staatslehre 367, hervor. 633 S für Willensmängel §§ 870 ff ABGB und Koziol/Welser, Grundriss I 94 ff, 143 ff; für Verträge, bei denen zwischen Leistung und Gegenleistung ein krasses Missverhältnis besteht, § 879 Abs 2 Z 4 und § 934 ABGB; für den Kontrahierungszwang in Fällen, in denen jemand auf die Leistung anderer angewiesen ist, Koziol/Welser, Grundriss I 141 f; zur Drittwirkung des Gleichheitssatzes auch Berka, Art 7 B-VG Rz 115 ff. 634 Im Ergebnis, wenn auch mit anders akzentuierter Begründung ebenso Kneihs, Privater Befehl 52 f. 632
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des Sachwalters über seinen Schutzbefohlenen oder den Befehls- und Zwangsbefugnissen über Insassen von Krankenanstalten und Heimen635 mit der fehlenden oder eingeschränkten Geschäftsfähigkeit und der daraus resultierenden Schutzbedürftigkeit der Gewaltunterworfenen gerechtfertigt werden. In unauflösbarem Widerspruch zum Gleichheitssatz standen hingegen die bis ins 19. Jahrhundert existierenden, durch Art 7 StGG aber „für immer“ verbotenen Untertänigkeits- und Hörigkeitsverbände, ebenso, wie der VfGH auch deutlich aussprach, die Untertänigkeitsverhältnisse, die im Nationalsozialismus zwischen Arbeitgebern und ihren Arbeitnehmern begründet wurden636, ferner die faschistischen Korporativsysteme und die ständisch-autoritären Berufsorganisationen des Ständestaates nach 1934637: Herrschaftsverhältnisse diesen Zuschnitts sind mit der Gleichheit der Bürger offensichtlich nicht vereinbar. Von diesen Systemen autoritärer Disziplinierung zu unterscheiden sind Einrichtungen der Selbstverwaltung: Zwar sind auch ihnen Personen zwangsweise eingegliedert und dann der Hoheitsmacht der Selbstverwaltungsorgane unterstellt, doch werden diese Organe durch die Angehörigen des jeweiligen Verbandes aus ihrer Mitte selbst bestimmt638. Bis vor kurzem regelte das B-VG ausdrücklich nur die territoriale Selbstverwaltung (Art 115 ff B-VG), seit der Novelle BGBl I 2008/2 legt es auch fest, unter welchen Voraussetzungen andere Selbstverwaltungskörper errichtet werden dürfen (Art 120a ff B-VG). Im Großen und Ganzen werden damit jene Bedingungen festgeschrieben, die der VfGH zuvor für eine verfassungsrechtlich einwandfreie Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern aufgestellt hat639. Der Gesetzgeber war dieser Judikatur zufolge und ist ____________________
635 S zu diesen und anderen Formen privaten Befehls und Zwangs Kneihs, Privater Befehl 207 ff. 636 VfSlg 2976/1956; s auch schon oben C.IV.3.a.aa. bei FN 144, sowie Korinek, Selbstverwaltung 17. 637 Zu beiden näher und mwN Pernthaler, Kammern 42 ff. 638 Zu diesem und weiteren Merkmalen der Selbstverwaltung s zB Korinek, Selbstverwaltung 11 ff, 17 f, 92; Winkler, Universitäten 319 ff; Pernthaler, Kammern 26 f; Öhlinger, DRdA 2002, 192 ff; Rill, JRP 2005, 120 ff; H. Eberhard, JRP 2007, 351 ff, jeweils mwN. 639 S aber auch noch FN 651; s zur genannten Judikatur mwN Pernthaler, Kammern 25 ff; Stolzlechner, FS 75 Jahre Bundesverfassung 366 ff; Öhlinger, DRdA 2002, 192 ff; Rill, JRP 2005, 111 f; zur Lehre, die anders als der VfGH für die Einrichtung einer Selbstverwaltung teils eine ausdrückliche oder zumindest implizite verfassungsrechtliche Ermächtigung als erforderlich ansah, mwN Stolzlechner, FS 75 Jahre Bundesverfassung 366 ff; Rill, JRP 2005, 109 ff; H. Eberhard, JRP 2007, 351; s ferner AB 370 BlgNR 23. GP 5, wonach Art 120a Abs 1 B-VG – wohl in Ansehung dieser Divergenz zwischen der Judikatur und Teilen der Lehre – „die Zulässigkeit der Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern klar[stellt]“. S schließlich zu den mit Art 120a ff B-VG teils deckungsgleichen Vorschriften, die die Expertengruppe für Staats- und Verwaltungsreform vorgeschlagen hatte, H. Eberhard, JRP 2007, 351 ff.
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Persönliche Rechtsgleichheit
auch weiterhin nach Art 120a B-VG nicht verpflichtet, sondern nur ermächtigt, Personen zu Selbstverwaltungskörpern zusammenzufassen640, die die gemeinsamen Interessen der Verbandsangehörigen wahrnehmen. Aus dieser Funktion der Selbstverwaltung ergibt sich auch der Kreis der Pflichtmitglieder641: Einzubeziehen sind grundsätzlich alle Personen, die durch gleichartige und gleichgerichtete Interessen verbunden sind642, teilweise divergierende Interessen schaden noch nicht643, unzulässig ist es aber, Personen mit direkt gegenläufigen Interessen zusammenzufassen644. Bei der Einschätzung dieser Interessen darf der Gesetzgeber von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen645; ist die Interessenlage nicht eindeutig, kommt ihm Spielraum zu646. Naheliegend und unbedenklich ist es auch, verschiedene Stände (zB Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftstreuhänder ua) aufgrund ihrer beruflichen Interessen in je eigene Verbände zusammenzufassen, solange diese Stände dann als gleichwertig ____________________
640
VfSlg 2835/1955, 3978/1961, 8485/1979, 12.021/1989, 17.023/2003. So wohl auch VfSlg 3753/1960, 8485/1979, 12.021/1989, 17.023/2003, wonach der Personenkreis, der in eine berufliche Vertretung einbezogen wird, durch objektive und sachliche bzw sachlich gerechtfertigte Momente bestimmt sein muss, VfSlg 8539/1979, wonach der Kreis der Kammerzugehörigen nach Gesichtspunkten abzustecken ist, die im Hinblick auf die Aufgaben und Eigenarten dieser Einrichtungen sachlich sind; s nun auch Art 120a Abs 1 B-VG, nach dem Personen zur selbständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, die in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden, durch Gesetz zu Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst werden können, und dazu H. Eberhard, JRP 2007, 353. 642 S zB VfSlg 8539/1979. 643 VfSlg 12.021/1989 unter Hinweis auf die Kammern der gewerblichen Wirtschaft, die Landwirtschaftskammern und die Kammern der Wirtschaftstreuhänder, in denen Wirtschaftstreuhänder ebenso wie Berufsanwärter zu Wirtschaftstreuhändern zusammengefasst sind. 644 VfSlg 8539/1979, 13.877/1994; zu denken ist vor allem an soziale Gegenspieler wie Arbeiter- und Wirtschaftskammer; s auch Stolzlechner, FS 75 Jahre Bundesverfassung 371 ff; H. Eberhard, JRP 2007, 353. 645 Insbesondere müssen die Interessen nicht bei jedem Verbandsangehörigen gleich intensiv sein. Daher ist es zB zulässig, in eine berufliche Interessenvertretung auch Pensionisten einzubeziehen: VfSlg 4825/1964, 8590/1979, 14.440/1996. 646 Der Gesetzgeber kann dann den Betroffenen entscheiden lassen, in welchen Verband er eintreten will (dies zumindest zur Erwägung stellend VfSlg 8539/1979, 14.440/1996); er kann ihn aber auch selbst dem einen oder dem anderen Verband zuordnen (s zB VfSlg 12.021/1989: Zuordnung unselbständiger Berufsanwärter der Wirtschaftstreuhänder zur Kammer der Wirtschaftstreuhänder). Sogar eine Doppelzuordnung ist zulässig, sofern dies den Rechtsunterworfenen nicht mit Beitragspflichten unverhältnismäßig schwer belastet und sofern die beiden Verbände nicht widerstreitende Interessen verfolgen (vgl zB VfSlg 8539/1979: Unzulässigkeit der Zuordnung haushaltsangehöriger Arbeitnehmer sowohl zur Landarbeiterkammer als auch zur Landwirtschaftskammer; VfSlg 13.877/1994: Zulässigkeit der Zuordnung unselbständiger Berufsanwärter der Wirtschaftstreuhänder zur Arbeiterkammer und zur Kammer der Wirtschaftstreuhänder, weil diese beiden Kammern keine sozialen Gegenspieler sind). 641
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behandelt und nicht einzelnen von ihnen iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG „Vorrechte“ vor anderen eingeräumt werden647. Auch innerhalb des Verbandes darf es keine Vorrechte oder autoritären Strukturen geben: Voraussetzungsgemäß sind die Angehörigen ja durch ihre gleichartigen Interessen miteinander verbunden. Folglich kann hier keiner über dem anderen stehen, insbesondere müssen alle Verbandsmitglieder das Recht haben, aus ihrer Mitte das oberste Selbstverwaltungsorgan nach demokratischen Grundsätzen zu wählen. Der VfGH hat dies teils als dem „Begriff“ der Selbstverwaltung immanent bzw als einen „Kerngedanken“ der Selbstverwaltung angesehen648, teils hat er es auf das demokratische Prinzip649, teils und mE zu Recht auf den Gleichheitssatz gestützt650: Erst die Mitsprache der Verbandsangehörigen bei der Organkreation kompensiert ja, dass dieses Organ sodann nach innen über die Verbandsangehörigen Hoheitsmacht ausübt651 und gegebenenfalls (wie etwa bei der wirtschaftlichen und beruflichen Selbstverwaltung652) nach außen mit dem Anspruch auftritt, die Interessen der Verbandsangehörigen zu vertreten653. Eine gesetzliche Organkreation kann diese Mitbestimmung nicht ersetzen654, weil sich das Bundes- bzw Landesvolk, das der Gesetzgeber repräsentiert, mit den Mitgliedern des Selbstverwaltungskörpers ja nicht deckt. Zutreffend hat es der VfGH auch durchwegs als gleichheitswidrig ____________________
647
S schon oben E.I.4.c. sowie VfSlg 13.877/1994. VfSlg 8644/1979, 13.500/1993, 17.023/2003. 649 VfSlg 8644/1979, 10.306/1984, und dazu mwN Poier, AnwBl 2006, 126; H. Eberhard, JRP 2007, 356. 650 VfSlg 2835/1955, 3673/1960, 4825/1964. 651 Dieses Merkmal der Selbstverwaltung soll nun möglicherweise verstärkt werden: Art 120b Abs 1 B-VG ermächtigt Selbstverwaltungskörper, „im Rahmen der Gesetze“ Satzungen zu erlassen und räumt damit, wie der Ausschussbericht erläutert, ein „gesetzesergänzendes Verordnungsrecht“ ein (AB 370 BlgNR 23. GP 5), was sich aus dem Wortlaut des Art 120b Abs 1 B-VG nicht zwingend ergibt: Die Wendung „im Rahmen der Gesetze“ hebt sich zwar von der in Art 18 Abs 2 B-VG gebrauchten Formulierung „aufgrund der Gesetze“ ab, entspricht aber wörtlich der Formulierung des Art 118 Abs 4 B-VG, die jedenfalls bisher nicht als eine Lockerung des Legalitätsprinzips verstanden wurde; s dazu auch H. Eberhard, JRP 2007, 359. Zum Teil wurde aber auch schon bisher die Auffassung vertreten, Satzungen der Selbstverwaltungskörper seien bereits dann rechtmäßig, wenn sie nicht gegen höherrangige Rechtsvorschriften verstoßen, s dazu mwN Stolzlechner, FS 75 Jahre Bundesverfassung 388 ff. 652 S zum Begriff Rill, JRP 2005, 108. 653 S auch VfSlg 8644/1979, 10.306/1984. 654 Den Präsidenten der Wiener Arbeiterkammer ex lege auch zum Präsidenten des Österreichischen Arbeiterkammertages zu erklären, war daher offensichtlich gleichheitswidrig, weil die Basis der demokratischen Legitimation dieses Präsidenten auf eine Minderheit von weniger als einem Drittel der durch den Arbeiterkammertag repräsentierten Personen beschränkt war; dass die Amtsführung dieses Präsidenten am Sitz der Zentralstellen des Bundes zweckmäßig ist, rechtfertigt, wie der VfGH zutreffend feststellte, diese Durchbrechung des Gleichheitssatzes nicht: VfSlg 8644/1979. 648
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angesehen, wenn bestimmte Verbandsangehörige vom Wahlrecht ausgeschlossen wurden, so, als das passive Wahlrecht zur Hochschülerschaftswahl auf Hochschulvertretungen beschränkt wurde, die einer zur Nationalratswahl zugelassenen politischen Partei angehörten655, als von der Arbeiterkammerwahl Parteien ausgeschlossen wurden, die sich nicht an der Wahlwerbung für den Nationalrat beteiligt haben656, als die Sozialversicherungsträger zu einem Hauptverband zusammengeschlossen, von der Bestellung des Verwaltungsrates dieses Hauptverbandes aber zur Gänze ausgeschlossen wurden657, ferner, als pensionierte Landarbeiter der Landarbeiterkammer658, Verpächter landwirtschaftlicher Grundstücke der Landwirtschaftskammer659 und Eigentümer sehr kleiner landwirtschaftlicher Grundstücke der Bauernkammer660 zwar eingegliedert und dort zur Zahlung von Umlagen verpflichtet, zur Wahl der Kammerorgane aber nicht zugelassen wurden. Auf den ersten Blick hat der VfGH hier nur moniert, dass einem Teil der Verbandsangehörigen ein Wahlrecht zugestanden wurde, dem anderen Teil hingegen nicht. Bei näherem Hinsehen hat der Gerichtshof das Wahlrecht aber viel stärker begründet, als er im Erkenntnis VfSlg 3673/1960 feststellte, es sei unsachlich, Personen zwar in eine Kammer einzubeziehen und ihnen eine Umlagepflicht aufzuerlegen, sie dann aber vom Wahlrecht auszuschließen. Der VfGH betonte dabei, dass er weder die Abgrenzung der Wahlberechtigten noch die der Umlagepflichtigen an sich kritisiere; er beanstande nur, dass sich diese beiden Personenkreise nicht deckten, sah das Wahlrecht also offenbar als eine notwendige Folge der Umlagepflicht an661. Leitet man das Wahlrecht aus dieser Pflicht oder genauer: aus der Hoheitsmacht ab, die den Verbandsorganen nach innen zukommt und dem Vertretungsanspruch, den sie gegebenenfalls nach außen erheben, dann greift der Ausschluss vom Wahlrecht nicht in erster Linie in das komparative Recht ein, gleich wie andere zur Wahl zugelassen ____________________
655
VfSlg 1871/1949, s schon oben E.IV.3.b.cc. VfSlg 1954/1950, s schon oben E.IV.3.b.cc. 657 VfSlg 17.023/2003, sowie Öhlinger, DRdA 2002, 197 f. 658 VfSlg 4825/1964. 659 VfSlg 3673/1960. 660 VfSlg 3978/1961, s auch VfSlg 2835/1955. 661 Vgl VfSlg 3673/1960, wonach die Ausführungen der nö Landesregierung über die Gründe, die für den Ausschluss der Verpächter land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke vom Wahlrecht in die Kammer sprechen, „nicht erforderlich [waren] […]. Es handelt sich lediglich darum, ob vom Wahlrecht ausgeschlossene Personen umlagepflichtig gemacht werden können.“ S zuvor auch schon das Erkenntnis VfSlg 2835/1955, in dem das Bauernkammergesetz nicht als gleichheitswidrig eingestuft wurde, „weil sich der Kreis der kammerzugehörigen Personen mit dem der Wahlberechtigten und Wählbaren […] deckt“; von „einzelnen […] Verschiedenheiten“ zwischen diesen beiden Personenkreisen sah der VfGH hier ab, weil sie für den Anlassfall nicht relevant waren. 656
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zu werden662. Er durchbricht vielmehr das nichtkomparative Prima-facieRecht des Einzelnen, nicht ohne seine Mitsprache der Herrschaft anderer unterstellt und/oder durch sie vertreten zu werden663. Dieses Recht wäre nicht nur verletzt, wenn einzelnen, sondern auch (und erst recht), wenn allen Verbandsangehörigen eine Mitsprache verweigert würde. Erlaubt ist ein Eingriff in dieses Mitbestimmungsrecht nur, wenn er zur Erreichung eines gewichtigen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist664. Ins Wanken geraten ist im Bereich der Selbstverwaltung in letzter Zeit sogar die Beschränkung des passiven Wahlrechts auf Staatsbürger, zunächst allerdings nur durch das Gemeinschaftsrecht: So muss das passive Wahlrecht zur Arbeiterkammer nach der Judikatur des EuGH Arbeitnehmern aus EU- bzw EWR-Staaten, assoziationsberechtigten türkischen Arbeitnehmern und selbst Angehörigen von Drittstaaten zugestanden werden, mit denen die Gemeinschaft Assoziationsabkommen abgeschlossen hat, die eine Diskriminierung in Bezug auf Arbeitsbedingungen verbieten665. Dass ____________________
662 Dieses komparative Recht verhindert insbesondere, dass „bestimmte Gruppen von Angehörigen der Selbstverwaltungskörper andere unverhältnismäßig dominieren können“ (vgl Holoubek, Selbstverwaltung 119). 663 Vgl VfSlg 3673/1960: „Es ist nicht zu rechtfertigen, eine landwirtschaftliche Berufsvertretung […] zu schaffen, in sie alle Eigentümer von land(forst)wirtschaftlich genutzten Liegenschaften ohne Rücksicht darauf einzubeziehen, von wem die Gründe bewirtschaftet werden, diese wegen Zugehörigkeit zu dieser Berufsvertretung mit einer Beitragspflicht zu belasten und sie von der Willensbildung der Berufsvertretung mit der Begründung auszuschließen, daß sie dem Berufsstande doch nicht angehören.“ S dann auch das Erkenntnis VfSlg 3978/1961, wonach es gleichheitswidrig ist, Personen mit landwirtschaftlichen Grundstücken unter einem Hektar zwar in die Bauernkammer einzubeziehen, ihnen aber kein Wahlrecht zuzuerkennen. Das von der Landesregierung für diese Regelung ins Treffen geführte Ziel, eine „Überfremdung“ der Kammer als einer ausschließlich beruflichen Vertretung zu verhindern, akzeptierte der VfGH nicht als Rechtfertigung: „Innerhalb gleichverpflichteter Mitglieder darf nicht ein Teil von der Willensbildung der Berufsvertretung ausgeschlossen werden“; s ferner VfSlg 4825/1964, wonach es gleichheitswidrig ist, Personen „vom Wahlrecht auszuschließen, sie aber an den Pflichten, insbesondere der Beitragspflicht, teilnehmen zu lassen.“ S auch Stolzlechner, FS 75 Jahre Bundesverfassung 373 ff, der es zu Recht als gleichheitswidrig ansieht, Rechtsanwaltsanwärter und Berufsanwärter der Wirtschaftstreuhänder dem Disziplinarrecht der jeweiligen Kammer zu unterwerfen, ohne ihnen eine (direkte oder indirekte) Mitwirkung an der Zusammensetzung der Disziplinarbehörde zuzugestehen. 664 S in diesem Sinn zB das Erkenntnis VfSlg 17.023/2003 betreffend den Hauptverband der Sozialversicherung, in dem der VfGH konstatiert, dass die für eine Unvereinbarkeitsregelung ins Treffen geführten Gründe „weder die Weite des von der Unvereinbarkeitsregelung betroffenen Personenkreises noch den gänzlichen Ausschluss dieser Personen von der Mitgliedschaft zum Verwaltungsrat sachlich rechtfertigen.“ 665 EuGH Rs C-171/01, Wählergruppe Gemeinsam, Slg 2003, I-4301; Rs C-465/01, Kommission/Österreich, Slg 2004, I-8291; s auch den Vorlageantrag des VfGH VfSlg 16.100/2001, sowie G. Hesse, DRdA 2003, 603 ff; s zuvor schon Feik, FS Hofer-Zeni 57 ff; G. Hesse, ecolex 1999, 184 f.
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Angehörige anderer Drittstaaten weiterhin vom passiven Wahlrecht zur Arbeiterkammer ausgeschlossen waren, sah der VfGH aber als gleichheitskonform an: Die erwähnten Assoziationsabkommen der Gemeinschaft verfolgten nämlich das entwicklungs- bzw außenpolitische Ziel, besondere und privilegierte Beziehungen mit einem Drittstaat zu schaffen; das rechtfertige es, den Angehörigen dieser Staaten ein passives Wahlrecht zuzugestehen, das allen anderen Drittstaatsangehörigen verwehrt bleibt666 – eine Begründung, die nicht restlos überzeugt, wenn man akzeptiert, dass auch Fremde ein Prima-facie-Recht haben, nicht von anderen Fremden dominiert zu werden und dass ein Eingriff in dieses Recht schwerwiegenden Zielen dienen und verhältnismäßig sein muss667. Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, weil der in das B-VG neu eingefügte Art 120c Abs 1 ausdrücklich bestimmt, dass die „Organe der Selbstverwaltungskörper […] aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden [sind]“. Das ermöglicht es, wie in den Materialien eigens angemerkt wird, „jedes Mitglied des Selbstverwaltungskörpers – ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit – zum Organwalter zu bestellen“668. Wie intensiv die Angehörigen eines Selbstverwaltungskörpers an der Kreation ihrer obersten Organe mitwirken können müssen, regelt Art 120c Abs 1 B-VG nicht näher. Der VfGH hat diese Frage bisher mE zu Recht von den Aufgaben dieser Organe und von der Auswirkung ihrer Tätigkeit auf die Rechtssphäre der Verbandsangehörigen abhängig gemacht669. Aus einem Vergleich mit den Wahlvorschriften anderer Selbstverwaltungsträger ist deshalb idR nichts zu gewinnen: Denn dem als Referenz herangezogenen Selbstverwaltungsträger können andere Funktionen übertragen sein, sodass sein Wahlverfahren auf das zu prüfende gar nicht passt; selbst wenn er aber gleichartige Funktionen zu erfüllen hätte, wäre durch gleiche Wahlverfahren in beiden Systemen keineswegs sichergestellt, dass das eigentliche Problem der Selbstverwaltung – die Subordination und Kollektivierung des Einzelnen – durch eine angemessene Form der Mitsprache aufgelöst worden ist. Dafür ist vielmehr zuerst zu prüfen, welche Funktionen dem zu wählenden Organ übertragen sind und dann, ob das vorgesehene Wahlverfahren die Kreation eines Organs ermöglicht, das diesen Funktionen entspricht. Bei der Festlegung dieses Verfahrens kommt ____________________
666 VfSlg 17.672/2005; anders Feik, FS Hofer-Zeni 77 ff; allgemein zur Benachteiligung ausländischer Arbeitnehmer Runggaldier, RdW 1996, 477 ff. 667 Entgegenstehen könnte einem passiven Wahlrecht für Ausländer in der Selbstverwaltung wenn überhaupt, dann nur Art 3 StGG (s dazu Stolzlechner, FS 75 Jahre Bundesverfassung 384; H. Eberhard, JRP 2007, 357), auf den sich der VfGH hier aber nicht beruft. 668 AB 370 BlgNR 23. GP 5. 669 S VfSlg 17.023/2003; s auch H. Eberhard, JRP 2007, 356 f.
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dem Gesetzgeber ein beträchtlicher Spielraum zu670: Dem Gleichheitssatz ist weder eine Präferenz für direkte oder für indirekte Formen der Mitwirkung in der Selbstverwaltung zu entnehmen671 noch ein Vorrang des Verhältnis- vor dem Mehrheitswahlrecht; insbesondere ist der Gesetzgeber nicht an die im B-VG für die allgemeinen Vertretungskörper statuierten Wahlgrundsätze gebunden. Er muss daher nicht wie dort zwingend ein persönliches Wahlrecht vorsehen672: Um eine Vertretung der Interessen aller Gruppen in den obersten Organen der Selbstverwaltung zu gewährleisten, kann eine indirekte Wahl sogar weit zweckmäßiger sein673. Hat sich der Gesetzgeber innerhalb des ihm zustehenden Spielraumes einmal für ein bestimmtes Wahlsystem entschieden, so gestaltet er selbst Prima-facieRechte der Verbandsangehörigen, diesem System entsprechend behandelt zu werden. Eingriffe in dieses Recht sind nur erlaubt, wenn sie zur Errei____________________
670 S auch VfSlg 17.023/2003; VfGH 5.10.2006, G 96/05; s ferner Stolzlechner, FS 75 Jahre Bundesverfassung 382 f; H. Eberhard, JRP 2007, 356, sowie konkret zu den Möglichkeiten, die etwa für Rechtsanwaltskammerwahlen in Betracht kommen Poier, AnwBl 2006, 126 ff; Bammer, AnwBl 2006, 134 ff; Hoffmann, AnwBl 2006, 141 ff. 671 Anders wohl Stolzlechner, FS 75 Jahre Bundesverfassung 380 f, der – allerdings gestützt auf das demokratische Prinzip – einen Vorrang repräsentativer Formen der Mitwirkung annimmt; eine direktdemokratische Mitbestimmung sei nur zulässig, wenn sie „sachlich gerechtfertigt (Art. 7 B-VG) und historisch grundgelegt“ ist (aaO 381, Hervorhebungen im Original). Dass eine direktdemokratische Mitwirkung nach Art 7 B-VG einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, setzt voraus, dass Art 7 B-VG diese Form der Mitwirkung prima facie verbietet. Ein solches Verbot statuiert das B-VG aber nur für die Bundes- und Landesverwaltung; dort wiederum besteht es nicht nur prima facie, sondern, soweit es besteht, absolut. Für den Bereich der Selbstverwaltung ist ein solches Verbot verfassungsrechtlich mE nicht nachweisbar; folglich besteht hier kein Grundsatz, von dem der einfache Gesetzgeber von vornherein ausgehen müsste. Das sieht wohl auch der VfGH so, wenn er im Erkenntnis VfSlg 17.023/2003 den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont, als Kriterien dieser Gestaltung die Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers und die potentiellen Auswirkungen seiner Tätigkeit auf die Rechtssphäre der Mitglieder nennt, sodann auf die beträchtlichen Unterschiede hinweist, die in dieser Hinsicht zwischen den einzelnen Selbstverwaltungseinrichtungen bestehen und schließlich konstatiert, dass sich im positiven Recht dementsprechend „eine gestufte Skala der Intensität demokratischer Legitimation“ findet, von direktdemokratischen bis hin zu repräsentativen Elementen der indirekten Wahl. 672 S schon VfSlg 8590/1979, 14.440/1996, 17.023/2003 und nunmehr auch Art 120c Abs 1 B-VG, der nur allgemein bestimmt, dass die Organe der Selbstverwaltungskörper „aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden [sind]“. 673 Das gilt zB für die Vertretung der verschiedenen Berufssparten in der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, s dazu Korinek, Selbstverwaltung 57, 222 f, 254; Stolzlechner, FS 75 Jahre Bundesverfassung 380 f, und VfSlg 14.440/1996, 17.023/2003; s ferner für die Sozialversicherung, die nicht nur von den Versicherten, sondern auch von den Arbeitgebern getragen wird, VfSlg 17.023/2003, und Rill, JRP 2005, 113 f; s ferner Holoubek, Selbstverwaltung 119, der der Judikatur zutreffend den Grundsatz entnimmt, die Repräsentation (hier: der Sozialversicherungsträger und der in ihnen zusammengefassten Gruppen von Versicherten) müsse so erfolgen, dass sie „die Struktur der Selbstverwaltungskörper widerspiegelt und nicht bewirkt, dass bestimmte Gruppen von Angehörigen der Selbstverwaltungskörper andere unverhältnismäßig dominieren können“.
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chung eines (externen) Zieles geeignet und erforderlich sind und wenn sie zu diesem Ziel nicht außer Verhältnis stehen674. Soweit Selbstverwaltungsträger – wie insbesondere die wirtschaftlichen und beruflichen Kammern – auch oder sogar vordringlich eingerichtet werden, um die Interessen ihrer Angehörigen im politischen Prozess zu vertreten, ist zu bedenken, dass die Verbandsorgane gerade wegen ihrer demokratischen Legitimation zwar die Interessen der Mehrheit, nicht aber die der Minderheit repräsentieren. Werden divergierende Interessen verschiedener Gruppierungen, etwa der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber durch deren Interessenvertreter zu einem Ausgleich gebracht, der sodann im Gesetz festgeschrieben wird, so spricht dies prima facie dafür, dass diese Regelung für die Mehrheit der Betroffenen auf beiden Seiten ausgewogen ist. Nicht indiziert ist damit aber, dass eine solche Regelung auch die Minderheitsinteressen gebührend berücksichtigt. Bei der Gleichheitsprüfung solcher Regelungen muss daher besonderes Augenmerk auf kleine Gruppierungen gelegt werden, die in Interessenverbänden zwar ihrer Größe entsprechend, aber eben schwach repräsentiert sind; ebenso auf Personengruppen, die – wie etwa die sog „Neuen Selbständigen“ – (noch) überhaupt nicht zu einer Interessenvertretung formiert sind. Denn gerade diese Personen laufen Gefahr, erst gar nicht ins Blickfeld zu kommen, nur als Teil eines Kollektivs wahrgenommen oder in ihrer Interessenlage zwar gesehen, aber für minderwichtig gehalten und damit nicht unparteilich behandelt zu werden675. c. Schuld und Strafe Wie gezeigt, werden jene Ungleichbehandlungen, die die Verfassung in speziellen Differenzierungsverboten ausdrücklich verpönt, ua deshalb als diskriminierend angesehen, weil sie den Einzelnen aufgrund von Umständen benachteiligen, die sich seiner Disposition entziehen. Dieser Gedanke muss auch bei verhaltensbezogenen Unterscheidungen Beachtung ____________________
674 Als externer Grund kommt etwa der Zweck in Betracht, die Zahl der Mandate nicht zu hoch werden zu lassen (vgl zB VfGH 4.10.2006, G 96/05), nicht hingegen das Ziel zu verhindern, dass sich Personen aus wahlpolitischen Gründen kurzfristig in eine die Verbandszugehörigkeit begründende Lage begeben. Dieses Ziel kann nämlich auch durch gelindere Mittel erreicht werden, indem die Aufnahme in den Verband erst nach einer gewissen Dauer vorgenommen wird (vgl VfSlg 4825/1964). 675 Das gilt umso mehr, wenn es der Gesetzgeber sogar in die Hand einer solchen Interessenvertretung legt, ob bestimmte Regelungen für ihre Angehörigen gelten oder nicht, so etwa, wenn die Begründung einer Pflichtversicherung von einem Antrag der jeweiligen Interessenvertretung abhängig gemacht wird. Wird ein solcher Antrag nicht gestellt, mag dies dem Wunsch der Mehrheit entsprechen; dass die Minderheit eines solchen Versicherungsschutzes nicht bedarf, beweist dies allein aber noch nicht. Anders wohl VfSlg 9753/1983, 11.469/1987; dazu kritisch Günther, Sozialversicherung 101 f.
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finden. Er rechtfertigt die Annahme, dass es aus der Sicht des allgemeinen Gleichheitssatzes unzulässig ist, jemanden wegen eines Verhaltens, an dem ihn kein Verschulden trifft, zu tadeln, ihn also zu bestrafen676. Die Strafe kommt, wie bei Freiheitsstrafen besonders deutlich wird, durchaus dem gleich, was diskriminierten Personen geschieht: Der Straftäter wird eingesperrt und damit im wörtlichen Sinn aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Gerichtlich verurteilten Personen haftet selbst nach ihrer Freilassung der Makel der Strafe noch für lange Zeit an677: Sie werden in ein Register eingetragen, was ihre Reintegration in die Gesellschaft erschwert; in gravierenden Fällen hat ihre Strafe sogar den Ausschluss vom Wahlrecht zur Folge (§ 22 NRWO) – eine besonders krasse Form der Ausgrenzung, die auf der Annahme beruht, dass bestimmte Straftäter „so weit außerhalb der Gemeinschaft stehen, daß es nicht zu rechtfertigen wäre, sie an einer Entscheidung teilnehmen zu lassen, die auch alle anderen Menschen im Staat betrifft“678. Zu rechtfertigen ist der Tadel, den der Staat durch eine Strafe ausspricht, nur, wenn und soweit der Rechtsunterworfene die ihm angelastete Tat selbst gesetzt hat und wenn sie ihm auch wirklich zum Vorwurf gemacht werden kann, wenn ihn daran also ein Verschulden trifft. Schwere Schuld darf dabei schwer, minderschwere Schuld nur minderschwer getadelt werden. Der Einzelne hat ein Recht darauf, diesem (nichtkomparativen) Maßstab des Gleichheitssatzes entsprechend behandelt zu werden. Eingriffe in dieses Recht sind nur zulässig, soweit sie zur Erreichung schwerwiegender Ziele geeignet und erforderlich sind. Der einfachgesetzliche Grundsatz, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (§ 4 StGB, §§ 3 f VStG, § 6 FinStrG), ist insofern nur eine bereichsspezifische Konkretisierung des Gleichheitssatzes679. Eine – gerechtfertigte – Durch____________________
676 S auch Karollus, ÖJZ 1987, 679, der annimmt, dass „das allgemeine Sachlichkeitsgebot […] die Schuld als Verbrechenselement, dh als Voraussetzung der Bestrafung überhaupt […], verfassungsrechtlich vorschreibt“; er leitet dies aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ab; s auch Mayer, ecolex 1996, 804, der „aus dem tradierten Verständnis des Begriffes ‚Strafrecht‘, das ‚Unrecht‘ sanktionieren soll und außerdem auf das Verschulden als wesentliches Element abstellt“, folgert, dass „eine strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Menschen verfassungsrechtlich zulässigerweise nur an sein eigenes Verhalten geknüpft werden darf“; s zum Verfassungsgrundsatz des Schuldstrafrechts auch Lewisch, Strafrecht 256 ff; Leitner/Grabenwarter, JBl 2000, 620 f. 677 S zur Stigmatisierungsfunktion der gerichtlichen Strafe Miklau, ÖJZ 1991, 362 f; zu den (derzeit) fließenden Grenzen zwischen gerichtlichem und Verwaltungsstrafrecht und zu Vorschlägen, wie eine solche Grenze de lege ferenda sinnvoll gezogen werden könnte, s eingehend Wiederin, 16. ÖJT III/1 (2006) 34 ff. 678 Ringhofer, Bundesverfassung 103 (Hervorhebungen nicht im Original). 679 Vgl daneben Art 7 EMRK, wonach niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden kann, die zur Zeit ihrer Begehung nicht strafbar war; Art 6 Abs 2 EMRK, wonach bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld von der Unschuld eines Angeklagten auszugehen ist; s auch Art 91 Abs 1 B-VG, wonach bei mit schweren Strafen be-
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brechung dieses Grundsatzes findet sich in § 287 StGB, nach dem strafbar ist, wer im Zustand schuldhafter, die Zurechnung ausschließender Berauschung eine Tat begeht, für die er außer diesem Zustand strafbar wäre680. Ein ganz anderer, unter dem hier relevanten Aspekt aber doch vergleichbarer Fall liegt vor, wenn Unternehmen zwar von Wirtschaftsdelikten ihrer Mitarbeiter profitieren, ihnen selbst aber – anders als Menschen – eine Individualschuld von vornherein nicht vorgeworfen werden kann. Die Strafen, die dann allein über die schuldhaft handelnden Mitarbeiter verhängt werden können, sind gemessen an den enormen Schäden ihrer Tat und dem Profit, den das Unternehmen daraus gezogen hat, oft lapidar. Deshalb sollen nach dem neuen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, BGBl I 2005/151, auch Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden können, die Maßnahmen zur Verhinderung derart strafrechtlicher Erfolge unterlassen: Über sie wird zwar keine „Strafe“, sondern eine „Geldbuße“ verhängt; auch sie soll aber – wie die Strafe – einen sozialethischen Tadel zum Ausdruck bringen681. Da dieser Tadel nur ausgesprochen wird, wenn ein Unternehmen die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat682, bestehen gegen die Verbandsverantwortlichkeit keine gleichheitsrechtlichen Bedenken. Davon abgesehen sind bei der Festsetzung von Strafen aus gleichheitsrechtlicher Sicht drei Fragen zu unterscheiden: Zunächst, ob ein bestimmtes Verhalten überhaupt bestraft werden soll oder darf; dann, wie hoch eine Strafe angesetzt werden kann und schließlich, wieviel Spielraum der Gesetzgeber der Behörde bei der Strafzumessung belassen muss, damit diese alle Umstände des konkreten Einzelfalls berücksichtigen kann. Da Strafen dem Schutz bestimmter Rechtsgüter dienen, ist für die erste Frage maßgeblich, ob die Verfassung ein Rechtsgut überhaupt für schutzbedürftig erklärt und ob der Schutz dieses Rechtsgutes nur mit den Mitteln des Strafrechts effizient erreicht werden kann: Soweit dies der Fall ist, muss der Gesetzgeber Verhaltensweisen, die das jeweilige Rechtsgut gefährden, unter Strafe stellen. Derartige Schutzpflichten können sich aus ____________________
drohten Verbrechen sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen Geschworene über die Schuld des Angeklagten entscheiden. 680 S näher und mwN Lewisch, Strafrecht 274. 681 Erl zur RV 994 BlgNR 22. GP 20. 682 S grundlegend zum Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, das im Einzelnen vielschichtige dogmatische Probleme aufwirft, Hilf, RFG 2006, 34 ff; dies, JStG 4/2006, 112 ff; vor Erlassung dieses Gesetzes war in der Lehre insb strittig, ob es neben der den Menschen treffenden Individualschuld auch eine eigene Kategorie der Verbandsschuld geben kann, dagegen etwa Moos, RZ 2004, 98 ff; dafür zB Hilf, RFG 2006, 34 f; dies, JStG 4/2006, 115 ff.
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objektivem Verfassungsrecht683, aus den Freiheitsrechten684, allenfalls auch aus völkerrechtlichen Verpflichtungen ergeben685. Soweit der Gesetzgeber nicht schon von Verfassung wegen verpflichtet ist, ein Verhalten mit Strafen zu bedrohen, kann ihm dies – gleichsam von der anderen Seite her – durch die Freiheitsrechte sogar verboten sein, dann nämlich, wenn eine Strafe in ein solches Freiheitsrecht unverhältnismäßig schwer eingreift686. Jenseits dieser verfassungsrechtlichen Bindungen liegt es im Wertungsspielraum des Gesetzgebers, ob er ein Verhalten als strafwürdig ansieht oder nicht. Durch die Wahl des jeweils zu schützenden Rechtsgutes legt er selbst fest, was wesentlich ist: Wesentlich ist, was das Rechtsgut beeinträchtigt, unwesentlich, was es nicht berührt. Gleichwertige Beeinträchtigungen eines Rechtsgutes müssen daher gleich bestraft werden; schwerwiegende Beeinträchtigungen dürfen schwer, minderschwere nur minderschwer bestraft werden, und wer ein Rechtsgut nicht verletzt, muss auch keine Strafe dulden. Der Einzelne hat ein Recht darauf, diesem (einfachgesetzlich) aufgestellten Maßstab entsprechend behandelt zu werden. Eingriffe in dieses Recht sind aus externen Zwecken möglich, sofern sie verhältnismäßig sind: In Betracht kommt hier neben legistisch bedingten Typisierungen auch der Strafzweck der Generalprävention. Dieses kollektive Ziel hat mit dem Verhalten des Einzelnen zunächst nichts zu tun; dennoch kann es rechtfertigen, dass Personen in gleicher Lage ungleich und solche in ungleicher Lage gleich behandelt werden687. Der Gleichheitssatz gebietet zudem, dass die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten widerspruchsfrei gezogen wird688. Freilich hat der Gesetzgeber auch hier Gestaltungsspielraum, schon deshalb, weil die Summe der strafbaren Verhaltensweisen endlich, die der straflosen ____________________
683 S etwa Art 9 und 10 StV Wien, die Österreich dazu verpflichten, alle Spuren des Nationalsozialismus aus dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu beseitigen und ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu beseitigen; Organisationen faschistischen Charakters sind aufzulösen, Bestand und Tätigkeit derartiger Organisationen sind unter Strafe zu stellen, s dazu das VerbotsG sowie Art IX Abs 1 Z 4 EGVG. 684 Etwa aus dem Recht auf Leben, das ein Strafrecht für Delikte gegen Leib und Leben fordert, oder aus dem Recht auf Eigentum, das die Bestrafung von Vermögensdelikten verlangt. 685 Vgl etwa Art IX Abs 1 Z 3 EGVG, der Benachteiligungen einer Person allein aufgrund ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe, ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft, ihres religiösen Bekenntnisses oder einer Behinderung durch Private unter Strafe stellt, sowie Art 4 f RDK und dazu zB Pfanner, Racial Discrimination 24; vgl neben Art IX Abs 1 Z 3 EGVG auch Art IX Abs 1 Z 4 EGVG, das VerbotsG, § 87 Abs 1 GewO sowie § 5 RLV und dazu Heidinger/Frank-Thomasser/Schmid, Antidiskriminierung 34 ff. 686 Zu denken wäre etwa an Strafen für die öffentliche Äußerung unbedenklicher Meinungen, für jedwede religiöse Handlung in der Öffentlichkeit uam. 687 Beispiele aus der Judikatur sogleich im Text ab FN 713. 688 S dazu auch Lewisch, Strafrecht 168 ff.
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Verhaltenweisen hingegen unendlich ist. Es ist daher unmöglich, den Nachweis zu erbringen, dass sich ein für strafbar erklärtes Verhalten von jedem nur erdenklichen straflosen Verhalten wesentlich unterscheidet689. Vor der Versuchung, jede Strafnorm durch uferlose Vergleiche mit allen möglichen straffreien Verhaltensweisen in Frage zu stellen und womöglich eine unendliche Kette weiterer Strafnormen auszulösen690, bewahrt nur eine Besinnung auf den Schutzzweck des Gleichheitssatzes: Schon weil Strafnormen in aller Regel undifferenziert für jeden Menschen gelten, ist in einer Demokratie nicht zu vermuten, dass sie auf Vorurteilen oder parteiischen Beurteilungen beruhen. Bedenken sind daher erst indiziert, wenn die Auswahl des für strafbar erklärten Verhaltens sich in Wahrheit gegen bestimmte Personen richtet oder wenn die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten nicht erklärbar erscheint691. Das ist nicht der Fall, wenn der Gesetzgeber etwa das Mountainbiken auf Forststraßen verbietet, nicht aber das Schifahren692; dass eine solche Strafe eine gezielte Maßnahme gerade gegen „die Mountainbiker“ ist, liegt schon deshalb ferne, weil „die Mountainbiker“ (von ihrer Sportlichkeit abgesehen) eine völlig inhomogene Gruppe der Bevölkerung sind. Es bedarf auch keiner besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber eine Gurtenpflicht aufstellt und sanktioniert, sonst aber selbstgefährdende Verhaltensweisen in aller Regel nicht für strafbar erklärt693; dass der Gesetzgeber „die Autofahrer“ gezielt schikaniert, kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil „die Autofahrer“ nicht nur inhomogen, sondern in der Bevölkerung auch breit vertreten und daher kaum anfällig sind, zum Opfer einer Schikane zu werden. Auch wenn das gerichtliche Strafrecht zwischen mehreren Delikten einzelne „weiße Flecken“ lässt694, ist dies im Allgemeinen unbedenklich oder doch mit einer Durchschnittsbetrachtung zu rechtfer____________________
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D.II.2.a. Eine Strafnorm, die zu wenig weit reicht, muss natürlich nicht ausgedehnt, sie könnte auch ganz aufgegeben werden; das könnte aber neue Gleichheitsprobleme auslösen, weil durch den Wegfall einer Strafnorm wiederum andere, noch bestehende Strafvorschriften gleichheitswidrig erscheinen könnten. Weiterungen könnten also in beide Richtungen entstehen. 691 Für einen gelockerten Prüfungsmaßstab im Ergebnis wohl auch Lewisch, Strafrecht 174, nach dem die Abgrenzung des Hausfriedensbruches in § 109 StGB (Verbot nur des Eindringens mit Gewalt oder Gewaltandrohung, nicht hingegen eines Verweilens gegen den Willen des Hausrechtsberechtigten) „nicht gänzlich unsachlich erscheint“, und der sich dann (aaO 175) weiter auf die Judikatur des BVerfG beruft, nach der dem Strafgesetzgeber nur Differenzierungen verboten sind, für die sachliche Gründe „schlechterdings nicht mehr erkennbar sind“. 692 ME zu Recht kurz abgetan in VfSlg 12.998/1992. 693 S auch VfSlg 11.917/1988, allerdings erst nach einer relativ ausführlichen Darlegung, dass die Gurtenpflicht nicht nur dem Selbstschutz dient. 694 Beispiele bei Lewisch, Strafrecht 169 ff. 690
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tigen. Erklärungsbedarf besteht aber zB, wenn der Gesetzgeber eine Abgabensäumnis immer nur mit einem Zuschlag sanktioniert, diese Säumnis dann aber plötzlich bei einer ganz bestimmten Abgabe – und nur bei ihr – für strafbar erklärt695; ferner, wenn eine Blankettstrafnorm nur die Verletzung einer einfachgesetzlich umschriebenen Verhaltenspflicht mit Strafe bedroht, infolge fehlender Rechtsanpassung aber nicht die Verletzung einer ganz gleichwertigen, aber „nur“ aus dem Gemeinschaftsrecht resultierenden Verhaltenspflicht696; zu denken wäre auch an Kriminalstrafen für offensichtliche Trivialitäten wie etwa das laute Niesen auf öffentlichen Plätzen oder das Zuschlagen von Türen697. Nicht bloß ein Erklärungsbedarf, sondern sogar ein Diskriminierungsverdacht besteht schließlich, wenn nur homosexuelle Beziehungen eines Erwachsenen zu einem mündigen Minderjährigen bestraft werden, nicht hingegen heterosexuelle Beziehungen; denn das in einer solchen Strafnorm zum Ausdruck kommende Unwerturteil richtet sich ja offensichtlich gegen die Homosexualität, also gegen ein Merkmal, nach dem zu differenzieren an sich suspekt ist698. Was zweitens die Höhe der Strafe betrifft, sind dem Gesetzgeber gewisse Grenzen durch die Freiheitsrechte gezogen, in die eine Strafdrohung eingreift. Diese Grenzen sind freilich weit gesteckt, denn wie hoch das Gewicht des jeweils geschützten Rechtsgutes veranschlagt wird, ist weitgehend eine politische Frage, die zu beantworten im Wertungsspielraum des Gesetzgebers liegt699, dem Gleichheitssatz sind hiezu keine absoluten Vorgaben zu entnehmen. Er verpflichtet den Gesetzgeber aber auch hier dazu, sich nicht in Wertungswidersprüche zu verwickeln, wesentlich gleiche Taten also nicht einmal hoch und dann wieder niedrig zu bestrafen. Wesentlich ist dabei zum einen das Ausmaß der Schuld, zum Zweiten die Schwere der Rechtsgutbeeinträchtigung. Die bisweilen getroffene Feststellung, eine Strafe stehe „außer Verhältnis“ zu einer Tat, kann daher nur bedeuten, dass eine Strafe dem Gewicht der Schuld und der Rechtsgutbeeinträchtigung nicht „entspricht“. Ein solches Urteil kann sich – aus der Sicht des Gleichheitssatzes – aber nie allein auf eine konkrete Strafe beziehen, so als hätte eine Tat „aus sich heraus“ oder aus der „Natur der Sache“ einen feststehenden Unwertgehalt. Ein solcher Befund setzt vielmehr einen ____________________
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S dazu auch noch unten FN 707. S dazu Jabloner, ÖJZ 1995, 928. 697 Beide Beispiele nach Lewisch, Strafrecht 220. 698 S dazu schon oben E.IV.3.b.bb. 699 Welches Gewicht er etwa der Verkehrssicherheit, dem Schutz der Umwelt oder dem Tierschutz (s hiezu auch VfGH 18.6.2007, G 220/06) beimisst – ob hoch, sehr hoch oder minderschwer – ist im Großen und Ganzen ihm überlassen; deshalb versagt hier auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung am Maßstab des Eigentums (bei Geldstrafen) oder der persönlichen Freiheit (bei Freiheitsstrafen) regelmäßig, s auch noch unten F.II.5.c. 696
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– oft auch bloß implizit vorgenommenen – Vergleich voraus zwischen der konkreten Tat und anderen vergleichbaren Taten einerseits und der konkret festgesetzten und der in den Vergleichsfällen bestimmten Strafe andererseits. Nur auf diese Weise lässt sich sub titulo Gleichheitssatz ein Urteil darüber fällen, ob eine Strafe außer Verhältnis zu einer Tat steht700. Ein Eingriff in das Recht des Täters, nach seinen individuellen Voraussetzungen (hier nach seiner Schuld und der von ihm verursachten Rechtsgutbeeinträchtigung) bestraft zu werden, liegt vor, sobald sich die Strafhöhe (auch) an externen Zwecken, insbesondere am Strafzweck der Generalprävention orientiert; ebenso, wenn sie an bloß externe Faktoren anknüpft: Wird etwa der Strafsatz für Geschwindigkeitsüberschreitungen erhöht, die durch ein Messgerät festgestellt worden sind, so hat dies mit den individuellen Voraussetzungen des Täters nichts zu tun; triftige Gründe, die einen solchen Eingriff rechtfertigen können, sind nicht in Sicht701. Evident gleichheitswidrig wäre es auch, bei der Strafart nach dem Sozialprestige des Täters zu differenzieren, bei völlig gleichem Fehlverhalten also etwa für Chargen und Wehrmänner eine freiheitsentziehende Disziplinarstrafe vorzusehen, bei Offizieren und Unteroffizieren hingegen nicht702. Wie viel Spielraum der Gesetzgeber drittens der Behörde bei der Strafzumessung belassen muss, ist differenziert zu beantworten: Für die Umschreibung jener Verhaltensweisen, die das jeweils zu schützende Rechtsgut beeinträchtigen und daher mit Strafen bedroht werden, muss dem Gesetzgeber zwar hier wie überall sonst eine Durchschnittsbetrachtung zugestanden werden, soweit dies rechtstechnisch notwendig ist. Durch den Gleichheitssatz unmittelbar vorgegeben ist dem Gesetzgeber allerdings, dass ein Mensch nur für sein eigenes und nur für schuldhaftes Verhalten rechtlich getadelt werden darf. Schwere Schuld darf dabei schwer, minderschwere Schuld nur minderschwer getadelt werden. Durch die Auswahl des zu schützenden Rechtsgutes hat der Gesetzgeber selbst noch einen zweiten Maßstab bestimmt: Schwere Beeinträchtigungen dieses Rechts____________________
700 Nur zur Probe stelle man sich vor, man würde in eine völlig fremde Rechtsordnung gestellt und gefragt, ob eine fünfjährige Haftstrafe für den Besitz einer kleinen Menge Drogen angemessen ist. Man könnte dann wohl sagen: In unserem Rechtssystem ist eine solche Strafe unangemessen; ob dieser Befund aber auch für jene fremde Rechtsordnung zutrifft, ließe sich nur beurteilen, wenn man ihr Strafrechtssystem zumindest im Überblick kennt. 701 Tatsächlich vorgekommen in dem VfSlg 4470/1963 zugrunde liegenden Fall und (zu Recht) als gleichheitswidrig qualifiziert. 702 S VfSlg 9728/1983; ferner VfSlg 11.561/1987, wonach es gleichheitswidrig ist, Disziplinarhaft nur für Grundwehrdiener vorzusehen, weil diesfalls gleiches Fehlverhalten ungleichen Sanktionen – und zwar nichtfreiheitsentziehender und freiheitsentziehender Art – unterliegt, je nachdem, ob der Verantwortliche bereits Sprossen der militärischen Stufenleiter erklommen hat oder nicht.
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gutes dürfen schwer, minderschwere nur minderschwer bestraft werden. Das Ausmaß der Schuld und der Beeinträchtigung des Rechtsgutes, an dem sich eine Strafe orientiert, muss daher möglichst exakt ermittelt und dann bei der Strafzumessung entsprechend berücksichtigt werden können. Schließt der Gesetzgeber eine Berücksichtigung dieser Faktoren bei der Strafzumessung aus, so greift er in den Gleichheitssatz ein; dies bedarf einer Rechtfertigung, die umso schwerer wiegen muss, je höher die angedrohte Strafe ist. So lassen sich bei Bagatelldelikten, die sehr häufig begangen werden, typisierte Strafen (etwa Organstrafmandate) durch verwaltungsökonomische Überlegungen rechtfertigen703. Auch Erwägungen der Generalprävention kommen als Gründe für eine Vergröberung in Betracht, freilich nur, wenn sie schwerer wiegen als das Recht des Einzelnen, nur seiner Schuld und dem von ihm verursachten Schaden entsprechend getadelt zu werden. Insofern sind also auch die einfachgesetzlichen Strafzumessungsnormen (§§ 32 ff StGB, §§ 19 ff VStG, § 23 FinStrG) nur bereichsspezifische Konkretisierungen des Gleichheitssatzes. Im Großen und Ganzen folgt diesen Grundsätzen auch die Judikatur: Dass Normen, die ein Verhalten des Rechtsunterworfenen sanktionieren, die Schuld des Betroffenen nicht außer Acht lassen dürfen, dass rechtlicher Tadel also individuelle Verantwortlichkeit voraussetzt, hat der VfGH schon mehrfach festgestellt. Der „Grundsatz, daß strafgerichtliche Verantwortlichkeit nur an eigenes Verhalten geknüpft sein darf“, ist nach der Judikatur „so selbstverständlich, daß er in den einschlägigen verfassungsrechtlichen Garantien (Art. 90 ff. B-VG, Art. 6 und 7 EMRK) unausgesprochen vorausgesetzt wird“704. Eine Norm, die für den Einsatz von Schwarzarbeitern nicht nur den Beschäftiger, sondern nach Art einer Erfolgshaftung auch seinen Auftraggeber mit Strafe bedroht, verletzt diese Vorschriften daher schwer705, mE wäre sie aus den genannten Gründen auch als gleichheitswidrig anzusehen. Für die illegale Ausländerbeschäftigung, die ein Subunternehmer begeht, darf der Generalunternehmer daher nur dann bestraft werden, wenn er vorwerfbar eine zumutbare Verhaltenspflicht verletzt hat, die die Gesetzesübertretung des Subunternehmers zumindest erleichtert oder auf sonstige Weise begünstigt hat706. Von diesen Fällen abgesehen, hat der VfGH die Entscheidung des Gesetzgebers, ein bestimmtes Verhalten für strafbar zu erklären, dem Grunde ____________________
703
S auch Lewisch, Strafrecht 214 FN 781. VfSlg 15.200/1998 (Hervorhebung nicht im Original). 705 VfSlg 15.200/1998; s dazu Mayer, ecolex 1996, 803 ff; empört über die inkriminierte Vorschrift zuvor auch Wilhelm, ecolex 1996, 149; s ferner VfSlg 15.216/1998. 706 VfSlg 16.662/2002; s auch VfSlg 10.517/1985, wonach verschuldensunabhängige Sanktionen nicht als Strafe bewertet werden können. 704
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nach bisher selten, und wenn, dann nur mit komparativer Begründung beanstandet: So sah er es als eine „außerordentliche Härte“ und daher als gleichheitswidrig an, dass der Zahlungsverzug im Bereich der Kommunalsteuer – anders als bei sonstigen Abgaben – mit Strafe bedroht wurde707. Gleich beurteilte er eine Strafdrohung für den bloßen Zahlungsverzug bei der Entrichtung der Vergnügungssteuer, hier mit dem zusätzlichen Argument, die WAO sehe im Fall der Säumnis zwingend die Verhängung eines Säumniszuschlages von 2% und damit eine vom Verschulden und von der strafrechtlichen Wertung unabhängige Sanktion vor708. Derartige Säumniszuschläge seien eine adäquate, aber auch ausreichende Reaktion auf das Fehlverhalten des Säumigen709. Was die Höhe einer Strafe betrifft, nimmt der VfGH in ständiger Rechtsprechung an, dass Strafen in einem angemessenen Verhältnis zum Grad des Verschuldens und zur Höhe des durch das Vergehen bewirkten Schadens stehen müssen710. Um Gefahren für gewichtige Ziele abzuwehren, sind strenge Strafdrohungen folglich gerechtfertigt711; eine typisierende Umschreibung des Tatbildes ist dem Gesetzgeber dabei erlaubt712. Die Höhe der Strafe darf sich auch direkt am Strafzweck selbst orientieren713. Schwere Strafen können daher erforderlich sein, wenn der potentielle Täterkreis aus der inkriminierten Handlung einen wirtschaftlichen Vorteil zieht: Soll die Strafe ihren Zweck hier nicht verfehlen, muss sie entspre____________________
707 Dass es im Einzelfall möglich war, die Strafe niedrig festzusetzen oder von ihrer Verhängung überhaupt abzusehen, änderte daran nichts: VfSlg 16.564/2002. 708 VfSlg 17.077/2003. 709 Der Säumniszuschlag erfüllt dieselbe Funktion wie Verzugszinsen (VfSlg 10.517/ 1985, 11.833/1988, 16.566/2002) und wurde bisher nicht als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft (VfSlg 9924/1984, 16.101/2001, 16.566/2002, 17.077/2003). 710 VfSlg 9901/1983, 10.597/1985, 10.904/1986, 11.587/1987, 15.785/2000, 16.633/ 2002, 17.719/2005; s auch VfSlg 12.240/1989, 12.763/1991. Der Dienstgrad des Täters ist für die Höhe der verhängten Strafe hingegen unmaßgeblich; dass Chargen und Wehrmänner nach dem HDG für dieselbe Straftat schwerer bestraft wurden als Offiziere und Unteroffiziere, wurde daher als gleichheitswidrig qualifiziert: VfSlg 9728/1983; s auch VfSlg 11.561/1987. 711 S zB VfSlg 15.785/2000, wonach die Umwelt ein sensibles Gut und das Ziel des Umweltschutzes ein berechtigtes Anliegen sei, das es rechtfertige, Übertretungen des AWG aus Gründen der General- und Spezialprävention mit strengen Strafen zu bedrohen. 712 Will der Gesetzgeber etwa zum Schutz der Gesundheit und des Lebens der Verkehrsteilnehmer besondere Gefahrenmomente vermeiden, so darf er an Situationen anknüpfen, die typischerweise mit hohen Gefahren einhergehen: Die Annahme, Verkehrsunfälle mit Personenschaden seien in der Regel gefährlicher als solche mit reinem Sachschaden, ist nicht unsachlich. Nur die Verursachung der erstgenannten Unfälle zu bestrafen, ist daher unbedenklich; dass es dabei auch zu Strafen für Personen kommen kann, die nur für sich selbst eine besondere Gefahrensituation geschaffen haben, ändert daran nichts: VfSlg 16.124/2001. Unbedenklich ist auch ein generelles Verbot der Verwendung elektrisierender Dressurgeräte im TierschutzG: VfGH 18.6.2007, G 220/06. 713 VfSlg 7967/1976, 15.677/1999.
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chend hoch, gegebenenfalls auch als Mindeststrafe angesetzt werden, weil der Täter den Strafbetrag sonst als bloßen Preis für den erwarteten Nutzen seiner Straftat kalkulieren könnte714. Gleiches gilt, wenn das Risiko, bei einem Delikt betreten zu werden, derart gering ist, dass es praktisch vernachlässigt werden kann; um ein im Regelfall normgemäßes Verhalten durchzusetzen, darf die Strafdrohung dann empfindlich sein715. Lassen sich diese Strafzwecke durch die Ausschöpfung einer Höchststrafe nicht erreichen, so darf auch eine Mindeststrafe festgesetzt werden. Sie muss dann aber auf jenen Täterkreis beschränkt bleiben, für den dies erforderlich ist; für alle anderen Personen wäre eine solche Mindeststrafe übermäßig716. Ein extremes Missverhältnis zwischen Strafe und Straftat kann aber auch bestehen, wenn die Obergrenze einer Geldstrafe zu hoch angesetzt wird717 oder wenn der Verfall als absolute Strafdrohung ausgesprochen wird, also unabhängig vom Grad des Verschuldens, vom Wert der verfallenen Sache und von der Schadenshöhe: Dies war, wie der VfGH feststell____________________
714 Nicht beanstandet wurden daher zB die – hohen – Strafsätze für die unerlaubte Beschäftigung von Ausländern (VfSlg 13.790/1994; VfGH 27.9.2007, G 24/07) und für die unerlaubte Entgegennahme von Wohnungsablösen (VfSlg 14.381/1995); ebenso wenig die Festsetzung einer Mindeststrafe von 10.000 S für die Übertretung des GefahrgutbeförderungsG, dies im Hinblick auf das diesem Regelungsbereich innewohnende Gefahrenpotential und das mögliche Einkalkulieren des Strafausmaßes; unangemessene Härten im Einzelfall ließen sich durch die §§ 20 f VStG abwenden (VfSlg 16.633/2002). 715 Vgl VfSlg 15.677/1999: Mindeststrafe von 20.000 S für Abgabenhinterziehungen nach § 6 Abs 1 Gasöl-StBG (Verwendung von für Heizzwecke zu verwendendes Gasöl für den Antrieb von Dieselfahrzeugen). 716 Eine Mindeststrafe nach AWG, die auch nicht gewerbsmäßige Abfallsammler und -behandler treffen konnte, war daher unsachlich (VfSlg 15.785/2000); gleichheitskonform hingegen die Nachfolgeregelung, die die Mindeststrafe auf strafbare Verstöße gewerbsmäßiger Abfallsammler oder -behandler beschränkte (VfSlg 17.719/2005). Überschießend war wiederum die Festsetzung einer Mindeststrafe von 20.000 S für die Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über den Güterverkehr auf der Straße (Pflicht, bestimmte Papiere mitzuführen). Diese Strafe traf nämlich in erster Linie die von Transportunternehmen beschäftigten Lkw-Lenker, also Personen, die aus der inkriminierten Handlung in aller Regel gerade keinen eigenen wirtschaftlichen Vorteil haben und die diesbezüglich sogar nicht selten unter dem Druck ihres Arbeitgebers stehen. Wegen der Komplexität der maßgebenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften konnten diese Personen überdies die Tatbestandsmäßigkeit ihres Verhaltens nur eingeschränkt erkennen; zudem konnten sie die für die Einhaltung der Vorschriften erforderlichen Vorkehrungen (zB Ausstattung mit Ökopunkten) oft gar nicht in ihrem Verantwortungsbereich treffen (VfSlg 16.407/2001, 16.649/2002, 16.819/2003, 17.828/2006). Gleichheitskonform war hingegen eine Mindeststrafe von 872 € für die Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand; sie richtet sich zum einen – anders als im vorstehend genannten Fall – geradezu an den, der als Verursacher in Frage kommt; zudem gefährdet das Autofahren in alkoholisiertem Zustand die Gesundheit und das Leben anderer Menschen schwer, dementsprechend hoch ist auch der Unrechtsgehalt eines solchen Verhaltens (VfSlg 16.624/ 2002). 717 Dies nahm der VfGH etwa an, als für eine auch bloß fahrlässig begangene Abgabenverkürzung eine Geldstrafe bis zum Dreißigfachen (VfSlg 12.151/1989) bzw Fünfzigfachen des Verkürzungsbetrages (VfSlg 12.282/1990) festgelegt wurde.
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te, auch durch präventive (also externe) Zwecke nicht zu rechtfertigen718. In einer weiteren Entscheidung macht der VfGH auch deutlich, welches Interesse hier eigentlich beeinträchtigt wird: Zumindest schwere Strafen müssten „in angemessenem Verhältnis zu den Umständen des Einzelfalles stehen“719. Auch der VfGH entnimmt dem Gleichheitssatz also wohl ein Prima-facie-Recht des Rechtsunterworfenen, nach seinen individuellen Voraussetzungen beurteilt zu werden. In dieses Recht greift eine Strafe ein, die unabhängig von der Schwere der Schuld und der Höhe des eingetretenen Schadens, also starr bemessen wird. Je höher die tatsächlich verhängte Strafe ist, desto schwerer wiegt der Eingriff. Liegen ausreichend gewichtige Gründe für einen solchen Eingriff nicht vor, dann ist der Eingriff unverhältnismäßig, verkürzt (und etwas missverständlich) gesagt: Die Strafe steht außer Verhältnis zur Tat. Selbst wenn eine Strafdrohung abstrakt dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden ist, kann sie nach der Judikatur noch immer gleichheitswidrig sein, dann nämlich, wenn der Gesetzgeber der Behörde ohne guten Grund keine genaue Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ermöglicht. Dieser Standpunkt entwickelte sich in der Judikatur allerdings erst allmählich: Als der Gesetzgeber im FinStrG eine bedingte Strafnachsicht ausschloss, ließ der VfGH in VfSlg 9956/1984 zwar einen Vergleich zwischen administrativem Finanzstrafverfahren und gerichtlichem Strafverfahren zu. Dass im zuerst genannten Verfahren keine bedingte Strafnachsicht vorgesehen war, qualifizierte er aber wegen des geringeren Gewichts der Straftat und des Tadels im Verhältnis zum gerichtlichen Strafverfahren als gleichheitskonform – eine Begründung, die nicht recht überzeugt. Denn die Gewährung der bedingten Strafnachsicht stellt eine schuldangemessene Strafe sicher und konkretisiert damit eine Forderung des Gleichheitssatzes, die unabhängig davon besteht, ob in einem Verfahren bei einer Durchschnittsbetrachtung niedrigere Strafen verhängt werden oder nicht. Zu Recht nicht gebilligt hat der VfGH dann später, dass der Gesetzgeber eine außerordentliche Strafmilderung bzw ein Absehen von der Strafe für bestimmte Verwaltungsübertretungen nach der StVO720 und nach dem FührerscheinG721 ausschloss; dies allerdings noch immer mit ambivalenter Begründung: Zum einen zog der VfGH einen Vergleich zum gerichtlichen Strafverfahren, das eine außerordentliche Strafmilderung oder die Möglichkeit, von der Strafe abzusehen, stets vor____________________
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VfSlg 9901/1983, 10.597/1985, 10.904/1986. VfSlg 11.587/1987 (Hervorhebungen nicht im Original). 720 VfSlg 14.973/1997 (Ausschluss des § 20 VStG), 15.772/2000 (Ausschluss des § 21 VStG). 721 VfSlg 16.184/2001. 719
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sehe. Dies für bestimmte Verwaltungsdelikte auszuschließen, erzeuge ein „extremes Mißverhältnis der jeweiligen Strafdrohungen im Gerichts- und im Verwaltungsstrafrecht“ – ein Missverhältnis freilich, das sich problemlos korrigieren ließe, indem die außerordentliche Strafmilderung auch im gerichtlichen Strafverfahren ausgeschlossen wird. Dieser rein komparative Begründungsansatz lässt das eigentliche Problem verdeckt, das der VfGH nur nebenher, letztlich aber doch ansprach: Das Verbot, selbst beträchtlich überwiegende Milderungsgründe bei der konkreten Strafbemessung zu berücksichtigen, sei, wie der VfGH meinte, „an sich bereits unsachlich […]“722. Wenn auch zögerlich und abgesichert durch eine komparative Zusatzbegründung, so entnimmt der VfGH dem Gleichheitssatz hier mE zutreffend ein Prima-facie-Recht des Einzelnen, dass seine Strafe so exakt wie möglich nach der ihn treffenden Schuld bemessen wird. Dass dieses Recht allerdings auch nach Ansicht des VfGH nicht absolut, sondern nur prima facie besteht, zeigt das Erkenntnis VfSlg 15.677/1999, in dem der VfGH den Ausschluss der außerordentlichen Strafmilderung bei vorsätzlichen Abgabenhinterziehungen nach § 6 Abs 1 Gasöl-StBG akzeptierte: Dieses Gesetz verfolgte das Ziel, für Heizzwecke verwendetes Gasöl steuerlich zu entlasten. Flankierend wurde für strafbar erklärt, wer nur für Heizwecke zu verwendendes Gasöl für den Antrieb von Dieselmotoren gebraucht. Das Risiko, bei einem solchen Delikt betreten zu werden, war freilich äußerst gering; zudem war damit zu rechnen, dass im Falle einer Betretung regelmäßig bloß ein geringfügiger Abgabenhinterziehungsbetrag festgestellt werden kann. Die Anwendung des § 25 FinStrG auf diese Fälle hätte dazu geführt, dass die Behörde regelmäßig von der Einleitung eines Strafverfahrens hätte absehen müssen. Da der Strafzweck damit aber weitgehend unterlaufen worden wäre, qualifizierte der VfGH den Ausschluss des § 25 FinStrG in diesem Fall als sachlich gerechtfertigt723. Ähnlich ambivalent wie den Ausschluss der bedingten Strafnachsicht hat der VfGH auch den im VStG vorgesehenen Ausschluss der Vorhaftanrechnung beurteilt724. Abweichend von seiner Ordnungssystemjudikatur verglich er hier nicht nur das VStG mit den „Ordnungssystemen“ des StGB und des FinStrG, er erlegte dem Gesetzgeber auch eine erhöhte Rechtfertigungspflicht auf, wenn er die Anrechung der Vorhaft bloß in einem dieser Systeme ausschließt; im konkreten Fall gelang eine solche Rechtfertigung nicht. Dieser Begründungsansatz ist allerdings noch immer komparativ: Die Anrechnung der Vorhaft ist im einen System nur deshalb geboten, weil sie auch in zwei anderen Systemen vorgesehen ist. Eine gene____________________
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VfSlg 14.973/1997; s zu dieser Entscheidung schon oben D.III.3.d. VfSlg 15.677/1999. VfSlg 8017/1977 sowie oben D.III.3.c.
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relle Beseitigung dieser Anrechnung müsste gleichheitsrechtlich also unbedenklich sein. Diese Denkprobe offenbart aber erst das eigentliche Problem, ob nämlich die Anrechnung der Vorhaft nicht schon an sich geboten ist, um eine Strafe sicherzustellen, die der tatsächlich bestehenden Schuld entspricht und nicht über sie hinausgeht725. Bejaht man diese Frage, wofür mE viel spricht, dann erübrigt sich ein Rekurs auf andere Ordnungssysteme, ja in Wahrheit weicht ein solcher Rekurs dem eigentlichen Problem nur aus oder noch schlimmer: Er lädt den Gesetzgeber dazu ein, den an sich gebotenen und überwiegend auch gesetzlich gewährten Schutz generell auf das niedrigste in der Rechtsordnung realisierte Niveau abzusenken. Anders lagen die Dinge mE, als der VfGH § 170 Abs 2 FinStrG beanstandete726: Diese Vorschrift ermächtigte die Oberbehörde in Finanzstrafverfahren, in Ausübung ihres Aufsichtsrechts bestimmte rechtskräftige Strafbescheide aufzuheben. Nach Ansicht des VfGH widersprach dies einem „die gesamte Strafrechtsordnung durchdringende[n]“ Grundprinzip, dass ein rechtskräftig beendetes Strafverfahren zum Nachteil des Beschuldigten im Allgemeinen nur dann wiederaufgerollt werden kann, wenn gesetzlich streng umrissene Wiederaufnahmegründe erfüllt sind. Dieses Grundprinzip sah der VfGH sowohl in der StPO als auch im VStG verwirklicht; dass das FinStrG von diesem Prinzip ohne einsichtigen Grund abwich, qualifizierte der VfGH als gleichheitswidrig. Seine Entscheidung erweckt allerdings nicht den Eindruck, dem VfGH hätte hier ohne weiteres genügt, dass der einfache Gesetzgeber das Niveau insgesamt senkt, den erwähnten Grundsatz also auch in der StPO und im VStG beseitigt und die weitreichende Wiederaufnahmeermächtigung im FinStrG wieder einführt; jedenfalls deutete der VfGH an, dass die Ausdehnung einer solchen Ermächtigung auch auf das VStG nicht von vornherein zulässig wäre727. Das setzt freilich voraus, dass der Gleichheitssatz eine solche Wiederaufnahme von vornherein nur aus bestimmten Gründen zulässt; welche Gründe dies sein sollten, ist aber nicht ersichtlich. Das erklärt wohl, warum der ____________________
725 Lewisch, Strafrecht 263, stellt fest, der VfGH habe die Regelung, wie er sie im StGB und FinStrG vorgefunden hat, zum Vergleichsmaßstab für die (abweichenden) Vorschriften des VStG gemacht, und meint dann weiter: „Aber doch nur deshalb, weil er gerade die Regelung von StGB und FinStrG als die grundlegende (und wohl auch sachgerechte) Normierung angesehen hat.“ Letzteres dürfte im konkreten Fall stimmen, ist aber nicht zwingend. Die VfGH hätte jedenfalls nicht die Möglichkeit gehabt, die konstatierte Ungleichbehandlung auch in die andere Richtung, nämlich durch eine Aufhebung der entsprechenden Vorschriften des StGB und des FinStrG zu korrigieren. Diese Vorschriften waren in seinem Verfahren ja nicht präjudiziell, konnten also gar nicht in Prüfung gezogen werden. So ergibt sich schon aus prozessualen Gründen, welche der beiden eine Ungleichbehandlung begründenden Normen am Ende fällt; das kann dann auch die Prüfungsrichtung selbst steuern. 726 VfSlg 11.865/1988, s auch schon oben D.III.3.e. 727 S oben D.III.3.e.
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VfGH die Gleichheitswidrigkeit hier letztlich doch nur komparativ, also schwach begründet. Einen starken Schutz gewährt in dieser Hinsicht allerdings Art 4 des – in Österreich seit 1988 geltenden – 7. ZPEMRK: Er erlaubt die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens nur, wenn neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder wenn das vorausgegangene Verfahren schwere, seinen Ausgang berührende Mängel aufweist. Diese Einschränkung zulässiger Wiederaufnahmegründe ist nicht komparativ, hängt also gerade nicht davon ab, wie der einfache Gesetzgeber die Wiederaufnahme in einem anderen Verfahren geregelt hat. Ist diese nicht komparative Grundbedingung einmal in allen Verfahren erfüllt, so kann sich freilich immer noch ein Gleichheitsproblem stellen. Man mag dann die jeweils unterschiedlichen Regelungen in verschiedenen Verfahren miteinander vergleichen und konstatieren, dass der Gesetzgeber ohne ersichtlichen Grund hier strenger und dort milder verfahren ist. Diese Ungleichbehandlung zu beanstanden, birgt freilich immer ein Risiko in sich. Denn der Gesetzgeber kann die inkriminierte Gleichheitswidrigkeit durch eine Angleichung des Niveaus in jede Richtung korrigieren; ob er das Niveau anhebt oder senkt, bleibt ihm überlassen. d. Haftung für fremde Schulden Nach dem bisher Gesagten besteht zwischen einem Verhalten, das der Einzelne zu verantworten hat, und einem Verhalten, das sich seiner Disposition entzieht, aus der Sicht des allgemeinen Gleichheitssatzes ein wesentlicher Unterschied. Das lässt auch Regelungen, die dem Rechtsunterworfenen eine Haftung für fremdes Verhalten, insbesondere für Schulden eines anderen auferlegen, grundsätzlich bedenklich erscheinen. Vorschriften, die neben dem Primärschuldner einer Abgabe, Gebühr oder eines Sozialversicherungsbeitrages eine zweite Person zur Haftung heranziehen, existieren gleichwohl zu Genüge. Sie dienen zweifellos dem öffentlichen Interesse, die Einbringlichkeit der genannten Schulden sicherzustellen. Indes muss klar sein, dass dieses Ziel allein eine solche Haftung nicht rechtfertigen kann728. Denn es erklärt nicht, warum gerade diese eine Person zur Haftung herangezogen wird und nicht auch jeder andere, warum mithin für die im Allgemeininteresse gelegene Einbringlichkeit nicht auch die Allgemeinheit einsteht. Klar ist auch, dass eine solche Haftung noch nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass der zur Haftung Herangezogene gegen den eigentlichen Schuldner einen Regressanspruch hat729. Denn die Regressforderung ist bloß die Folge einer Haftung für fremde Schulden; eine Begründung für diese Haftung ersetzen kann sie nicht. Sie steht zu____________________
728 729
S bereits VfSlg 5318/1966, 6903/1972; s auch Mayr, ÖZW 2001, 105 f. S auch VfSlg 11.771/1988; Mayr, ÖZW 2001, 109.
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dem jedem zu, der für fremde Schulden einsteht, erklärt also neuerlich nicht, warum gerade diese eine Person zur Haftung herangezogen wird. Davon abgesehen kann die Regressforderung auch ins Leere gehen, dann nämlich, wenn der Primärschuldner sie nicht zu befriedigen vermag; sie gleicht die Haftung für fremde Schulden also auch nicht aus730. Geht man von dem allgemeinen Grundsatz aus, dass Vorschriften gleichheitsrechtlich suspekt sind, wenn sie den Einzelnen in eine ausweglose Situation bringen, dann muss eine Haftung für fremde Schulden freilich unbedenklich sein, sobald der Haftende auf das die Abgaben-, Gebühren- oder Beitragschuld begründende Verhalten des Primärschuldners Einfluss nehmen kann: Dann ist die Haftung nämlich für den Betroffenen steuerbar, also auch vermeidbar; gleichheitsrechtliche Bedenken lassen sich so folglich ausräumen. Bedenkt man weiters, dass Abgaben und Gebühren an einen Vorteil des Primärschuldners anknüpfen – sei es, dass er (im Fall der Abgabe) einen finanziellen Vorteil erwirtschaftet, sei es, dass er (im Fall der Gebühr) eine staatliche Leistung in Anspruch nimmt –, dann kann die Haftung eines Dritten auch gerechtfertigt werden, wenn er selbst von dem die jeweilige Abgaben- oder Gebührenschuld begründenden Sachverhalt profitiert731: Die Gründe, die die Einhebung der Abgabe oder der Gebühr rechtfertigen, treffen dann, wenngleich in herabgesetztem Maß, auch auf den Haftenden zu. Das rechtfertigt es, ihn bis zu einem gewissen Maß gleich wie den Primärschuldner zu behandeln. Diese beiden Gedanken hat der VfGH schon früh auf die allgemeine und zutreffende Formel gebracht, es sei unsachlich, „wenn jemand verhalten wird, für etwas einzustehen, womit ihn nichts verbindet, [...] also auch für Umstände, die außerhalb seiner Interessen- und Einflußsphäre liegen“732. Die Judikatur, die sich ausgehend von diesem Grundsatz entwickelt hat, ist ziemlich differenziert und wurde literarisch auch schon feinsinnig analysiert733. Es genügt hier, nur auf ihre Grundlinien hinzuweisen und diese in der allgemeinen Dogmatik des Gleichheitssatzes zu verorten. Der VfGH hat den genannten Grundsatz in seiner Judikatur durch die Feststellung näher konkretisiert, zwischen dem Primärschuldner und dem Haftenden müsse eine qualifizierte Beziehung rechtlicher oder wirtschaftlicher Art bestehen734: Aus ihr ergibt sich dann in aller Regel entweder ein hinreichendes Interesse des Haftenden oder eine Einflussmög____________________
730 731 732 733 734
S auch Mayr, ÖZW 2001, 109. S auch Mayr, ÖZW 2001, 106. VfSlg 5318/1966. S Mayr, ÖZW 2001, 102. ZB VfSlg 11.942/1988, 15.773/2000.
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lichkeit, oft sogar beides. So kann der Haftende die Möglichkeit haben, durch eine entsprechende Vertragsgestaltung auf den die Abgabenschuld auslösenden Sachverhalt Einfluss zu nehmen; hat sich dieser Sachverhalt bereits vor der Begründung der Rechtsbeziehung ereignet, kann auch genügen, dass der Haftende die Abgabenschuld kennt oder kennen muss und sie sodann bei der Begründung der Rechtsbeziehung wirtschaftlich in Anschlag bringen kann. Ein die Haftung rechtfertigendes Interesse muss nach der Judikatur eine gewisse Intensität erreichen, es darf nicht zu weitläufig und allgemein, sondern muss spezifisch sein. Eine Haftung für fremde Schulden kann nach alldem problemlos begründet werden, wenn jemand das Unternehmen oder Vermögen eines anderen übernimmt. In einem solchen Fall sieht die Rechtsordnung an verschiedenen Stellen, so in § 1409 ABGB, § 38 UGB, § 14 BAO und § 67 Abs 4 ASVG vor, dass der Übernehmer für jene Schulden haftet, die zum übernommenen Vermögen oder Unternehmen gehören. Der VfGH hat dies in mehreren Entscheidungen zu Recht als gleichheitskonform angesehen735: Zum einen stellt nämlich das übertragene Unternehmen bzw Vermögen die objektive Haftungsgrundlage für die Forderungen der Gläubiger dar, die ihnen nicht durch einen bloßen Wechsel in der Person des Eigentümers entzogen werden kann736. Zum Zweiten kann sich der Übernehmer des Unternehmens bzw Vermögens von den offenen Forderungen auch Kenntnis verschaffen und sie dann bei der Übernahme durch eine entsprechende Preisgestaltung wirtschaftlich in Anschlag bringen. Er übernimmt diese Haftung also sehenden Auges und muss eben entscheiden, ob sie für ihn angesichts der Unternehmensaktiva noch wirtschaftlich rentabel ist. Das bringt ihn nicht in jene ausweglose Lage, die schon bei diskriminierenden Vorschriften und auch sonst den Verdacht einer Gleichheitswidrigkeit auslöst. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Haftung ist allerdings, dass der Übernehmer die auf ihn zukommende Haftung auch wirklich abschätzen kann. Dementsprechend beschränkt etwa § 67 Abs 4 ASVG die Haftung auf den Betrag, der dem Erwerber auf Anfrage vom Versicherungsträger als Rückstand ausgewiesen wird. Dass eine gleichartige Haftungseinschränkung in § 14 BAO idF BGBl 1961/194 fehlte, sah der VfGH als gleichheitswidrig an, weil dem Erwerber eines Unternehmens solcherart in einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Weise das Risiko des Bestandes offener Abgabenschulden und Steuerabzugsbeträge aufgebürdet werde737. ____________________
735 VfSlg 5369/1966, 6903/1972, 11.478/1987, 11.771/1988, 12.764/1991, 12.844/ 1991. 736 S zB Koziol/Welser, Grundriss II 132. 737 VfSlg 12.764/1991.
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Persönliche Rechtsgleichheit
Nicht derart dicht, aber immer noch ausreichend eng ist auch die rechtliche Beziehung des Verpächters zu seinem Pächter738. Er kann sich anlässlich des Vertragsabschlusses mit dem Pächter alle ihm erforderlich erscheinenden Einfluss- und Einschaurechte sichern, weiters partizipiert er durch den Pachtzins am Ertrag des Betriebes, schließlich bleibt er auch Eigentümer des Betriebes, der nach Beendigung des Pachtverhältnisses wieder an ihn zurückfällt. Das rechtfertigt die Haftung des Verpächters für Abgabenschulden des früheren Pächters. Diese Haftung darf allerdings nicht unbegrenzt sein; dass sie nur jene Rückstände umfasst, die im letzten Kalenderjahr vor dem Betriebsende des Pächters entstanden sind, genügte dem VfGH nicht, weil der Verpächter auch bei dieser zeitlichen Einschränkung für „Abgabenschulden jeglicher Höhe und selbst bei strafbaren Handlungen des Pächters“ haftet. Das setzt ihn erstens außer Stande, das Haftungsrisiko vertraglich zu limitieren739 und lässt zweitens den Zusammenhang mit der Partizipation des Verpächters am Unternehmensertrag gänzlich außer Acht. Beide Gesichtspunkte – zum einen also der Einfluss des Verpächters auf die Haftung, zum Zweiten sein Interesse an der die Abgabenschuld begründenden Betriebsführung – sind aber für die sachliche Rechtfertigung der Haftung dem Grunde nach entscheidend. Eng genug für eine Haftung war weiters die rechtliche Beziehung zwischen dem Vertreter einer juristischen Person und dieser selbst; sie rechtfertigte eine Haftung des Vertreters für die Schulden der juristischen Person allerdings nur dann, wenn die Schulden bei dieser uneinbringlich sind740. Dass der Bevollmächtigte hingegen als Bürge und Zahler für Gebühren haftet, die er durch sein Einschreiten entscheidend mitbestimmt, sah der VfGH als gleichheitskonform an741; ebenso die Haftung des Eigentümers für die Vergnügungssteuer, die für den Betrieb eines Spielautomaten anfällt, den ein anderer in seinem Geschäftslokal aufgestellt hat: Der Eigentümer wird dem nur zugestimmt haben, wenn er sich davon ____________________
738
VfSlg 2896/1955, 11.771/1988, 11.921/1988. Eine derartige Limitierung lasse sich, wie der VfGH ergänzend ausführte, durch eine Regelung bewerkstelligen, die das Ausmaß der Haftung durch eine stärkere zeitliche Eingrenzung besser vorhersehbar macht oder etwa an die Höhe des Pachtschillings oder an das frühere oder betriebsdurchschnittliche Aufkommen der jeweiligen Steuer oder an andere betriebsspezifische Bezugsgrößen anknüpft. Fehlt es an einer solchen Limitierung, so kann die Gleichheitswidrigkeit der Haftung, wie der VfGH in VfSlg 12.572/1990 feststellte, nur mehr abgewendet werden, wenn dem Verpächter die Möglichkeit gegeben wird, seine Haftung auszuschließen, wie dies im (damaligen) § 4 Abs 2 Kärntner GetränkeabgabeG geschehen ist; dieser Bestimmung zufolge tritt eine Haftung des Verpächters nicht ein, wenn dieser den Beginn des Pachtverhältnisses zwei Wochen und dessen Beendigung sechs Wochen nach dem Eintritt dieses Umstandes der Gemeinde nachweislich mitteilt. 740 VfSlg 12.008/1988. 741 VfSlg 5851/1968, 6753/1972. 739
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eine Steigerung des Konsums seiner Gäste verspricht; hier gab also primär das Interesse am steuerbegründenden Sachverhalt den Ausschlag für die Haftung742. Gebilligt hat der VfGH schließlich auch die – sogar – unbegrenzte Haftung des Grundeigentümers für alle auf seinem Grundstück anfallenden Abwassergebühren743: Die Verbindung zu diesen war freilich ziemlich lose744; denn dass der Eigentümer an diesem Abwasserverbrauch ein Interesse hat, kann wohl ausgeschlossen werden; auch ist nicht erkennbar, wie er diesen Abwasserverbrauch beeinflussen können soll. Dem VfGH genügte hier, dass bei einer Durchschnittsbetrachtung „Art und Ausmaß des Verbrauchs und dementsprechend die Höhe der Haftungssumme für den Grundeigentümer bei Vertragsabschluss abschätzbar“ sind. Als gleichheitskonform angesehen hat der VfGH auch, dass ein neuer Wasserabnehmer neben dem früheren für alle Wassergebührenrückstände haftete, die für die Abnahmestelle seit Beginn des letzten vor dem Wechsel liegenden Kalenderjahres aufgelaufen sind745; dies obwohl der alte und der neue Wasserabnehmer in aller Regel gar keine vertragliche Beziehung zueinander unterhalten. Dennoch meinte der VfGH, dass zwischen diesen beiden Personen „unbestreitbar“ ein „sachlicher Zusammenhang“ besteht, der die Haftung des Nachfolgers rechtfertige. Er hafte überdies nicht unbeschränkt; weiters könne er die offenen Wassergebühren auch feststellen und anlässlich der Begründung jener Rechtsbeziehungen, die ihn zum nachfolgenden Wasserabnehmer werden lassen, wirtschaftlich in Anschlag bringen. Zu weit ging dem VfGH erst eine Regelung, die den Hauseigentümer für die das Haus betreffenden rückständigen Wassergebühren – anders als die übrigen Wasserabnehmer – ohne jede zeitliche Beschränkung haften ließ; dass der Hauseigentümer diese Rückstände wirtschaftlich in Anschlag bringen kann, genügte ihm für eine derart weitreichende Haftung nicht746. Nicht gebilligt hat der VfGH in einer sehr frühen Entscheidung auch eine Regelung, die in gemeinsamem Haushalt lebende Personen als Gesamtschuldner für die Entrichtung der Einkommensteuer heranzog747. Personen, die in einer Ehe oder eheähnlichen Gemeinschaft zusammenleben, erzielten zwar bei einer Durchschnittsbetrachtung eine höhere Leistungsfähigkeit, was eine Haushaltsbesteuerung rechtfertige. Dass sie sich als Miteigentümer ansehen und ihr Vermögen gemeinsam verwalten, kön____________________
742 743 744 745 746 747
VfSlg 12.776/1991. VfSlg 11.942/1988. S auch Mayr, ÖZW 2001, 109. VfSlg 6903/1972, 11.929/1988. VfSlg 11.478/1987. VfSlg 5318/1966.
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ne jedoch nicht angenommen werden. Der VfGH räumte dabei ein, dass eine Haftung der Haushaltsgenossen als Gesamtschuldner für die Abgabenverwaltung einfacher ist: „das rechtfertigt aber nicht, in Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes Personen mit Verpflichtungen zu belasten.“ Als gleichheitswidrig beurteilt hat es der VfGH ferner ganz allgemein, jemandem bloß aufgrund seiner Verwandtschaft eine Haftung für die Schulden seines Angehörigen aufzuerlegen748, zu Recht: Das liefe ja direkt auf eine Sippenhaftung hinaus, solches ist durch den Gleichheitssatz aber jedenfalls verboten749. So sah es der VfGH auch als gleichheitswidrig an, dass den Wohnungseigentümern bereits errichteter Wohnungen eine Ausgleichsabgabe vorgeschrieben wurde, die die (im Konkurs befindliche) Mehrheitseigentümerin für neu zu errichtende Wohnungen geschuldet hatte: Die Errichtung dieser neuen Wohnungen verschaffte den Wohnungseigentümern keinen wirtschaftlichen Vorteil; auch dass sie ihr zugestimmt hatten, konnte eine Haftung nicht begründen, weil im Zeitpunkt dieser Zustimmung nicht absehbar gewesen sei, dass die Mehrheitseigentümerin in Zahlungsschwierigkeiten geraten wird750. Nicht gebilligt hat der VfGH ferner eine Haftung des Pächters für die Getränkeabgabenrückstände sowohl des früheren Pächters als auch des Verpächters: Eine „besondere Konstellation“, wie sie im Verhältnis des Verpächters zum Pächter bestehe, liege hier nicht vor, zudem sei die Haftung lediglich in zeitlicher Hinsicht, nicht aber ihrem Inhalt nach begrenzt751. Schon dem Grunde nach gleichheitswidrig war die Haftung des Herausgebers eines Druckwerkes für die Anzeigenabgaben seines Verlegers: Der Herausgeber kann zwar die grundlegende Ausrichtung des Druckwerkes beeinflussen; die Abwicklung des Anzeigengeschäfts obliegt aber allein dem Verleger. Auch das Interesse des Herausgebers an der Einschaltung von Anzeigen war nicht spezifisch genug, um seine Haftung zu rechtfertigen752. Aufgehoben wurde weiters § 30 Abs 8 EStG aF: Er verpflichtete Kreditinstitute nicht nur dazu, die bei Depotgeschäften anfallende Spekulationsertragssteuer abzuziehen und abzuführen, sondern ließ sie darüber hinaus auch neben dem primär Steuerpflichtigen für die Einbehaltung und Abfuhr dieser Steuer haften753. Das Kreditinstitut haftete solcherart auch für die Einbehaltung der Steuer aus Geschäften, an denen es nicht beteiligt war und deren einziges Bindeglied die Depotzugehörigkeit des jeweiligen Wertpapiers war. Sie zur ____________________
748 749 750 751 752 753
VfSlg 13.028/1992; s auch VfSlg 10.157/1984, 12.474/1990. S schon oben E.I.4.b. VfSlg 15.784/2000. VfSlg 11.771/1988. VfSlg 13.583/1993. VfSlg 15.773/2000.
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Entrichtung der Abgabe zu verpflichten, obwohl ihnen weder die dafür nötigen Informationen noch die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung standen, war ebenso gleichheitswidrig wie die Sanktionierung dieser Pflicht mit Haftungsfolgen. Man muss nicht mit jeder dieser Einscheidungen einverstanden sein; die Grundlinie der Judikatur ist aber richtig. Sie geht von dem (nichtkomparativen) Grundsatz aus, dass eine Haftung für fremde Schulden nur dann zulässig ist, wenn der Haftende auf den schuldbegründenden Sachverhalt (hilfsweise auf die Haftung selbst) Einfluss nehmen kann oder an seiner Verwirklichung ein starkes Interesse hat. Liegt weder das eine noch das andere vor, dann greift die Haftung für fremde Schulden in den Gleichheitssatz ein; sie könnte dann nur gerechtfertigt sein, wenn sie zur Erreichung eines öffentlichen Interesses geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist. Geeignet zur Sicherung der Einbringlichkeit von Abgabenschulden ist die Haftung für fremde Schulden allemal; doch existiert für sie immer ein gelinderes Mittel, das das Ziel ebenso realisiert: Die Kollektivierung der Abgabenrückstände, also ihre gleichmäßige Verteilung auf die Allgemeinheit. Deshalb kommt es hier letztlich nie zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ieS. Wenn der VfGH in manchen Fällen eine unbeschränkte Haftung zulässt (etwa bei der Haftung des Eigentümers für die Abwassergebühren), in anderen Fällen hingegen ihre zeitliche und inhaltliche Begrenzung verlangt (etwa bei der Haftung des Verpächters für die Abgabenrückstände des Pächters), prüft er tatsächlich noch immer, ob die Haftung dem genannten Grundsatz „entspricht“. Das zeigt deutlich das Erkenntnis über die Haftung des Verpächters: Sie durfte nur soweit gehen, wie sein Einfluss und sein Interesse reichten; soweit sie darüber hinausging, verletzte sie den Gleichheitssatz. Die unbeschränkte Haftung des Eigentümers für Abwassergebühren qualifizierte der VfGH demgegenüber als zulässig, weil das Ausmaß der Haftung für den Eigentümer von vornherein abschätzbar und damit auch kalkulierbar war. e. Auferlegung nicht erfüllbarer Pflichten So wie es gleichheitsrechtlich prima facie unzulässig ist, jemanden für ein Verhalten einstehen zu lassen, das sich seiner individuellen Verantwortung entzieht, muss es im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes auch bedenklich sein, wenn der Gesetzgeber an ein Verhalten nachteilige Rechtsfolgen knüpft, das der Einzelne, sei es aus faktischen, sei es aus rechtlichen Gründen, nicht oder nicht zumutbar setzen kann. Denn auch das bringt ihn in eine ausweglose Situation. Zu Recht hat es der VfGH daher als gleichheitswidrig angesehen, einem Abgabepflichtigen ein Verhalten auf-
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zutragen, das ihm aufgrund einer Verschwiegenheitspflicht gerade verboten ist754. Es ist auch gleichheitswidrig, der Abgabenbehörde eine Schätzungsbefugnis allein deshalb einzuräumen, weil ein Rechtsanwalt die Vorlage von Unterlagen oder von Auskünften verweigert, die er aufgrund seiner gesetzlich auferlegten Verschwiegenheitspflicht nicht vorlegen oder erteilen darf 755. Gleichheitswidrig wäre es auch, eine Kündigungsfrist beginnen zu lassen, noch ehe derjenige, der die Kündigung aussprechen soll, vom Kündigungsgrund Kenntnis hat756. Nichts anderes gilt, wenn Kreditinstitute zur Abfuhr der Spekulationssteuer verpflichtet werden, obwohl ihnen die für die ordnungsmäßige Steuerabfuhr erforderlichen Daten und/oder die für die Steuerentrichtung nötigen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stehen und sie diese auch nicht ohne weiteres beschaffen bzw zurückerlangen können757.
5. Unverdächtige Differenzierungen a. Differenzierungen, denen der Einzelne ausweichen kann Nach dem bisher Gesagten vermittelt der allgemeine Gleichheitssatz dem Einzelnen ein Prima-facie-Recht, nicht aufgrund von Eigenschaften, die er nicht oder nicht zumutbar ändern kann oder aufgrund eines Verhaltens, das zu setzen oder zu unterlassen ihm nicht oder nicht zumutbar möglich ist, benachteiligt zu werden. Daraus folgt umgekehrt, dass Unterscheidungen nach Eigenschaften, die sich der Rechtsunterworfene mit zumutbaren Mitteln aneignen kann, im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht suspekt sind: Differenziert eine Norm daher nach der Ausbildung758, der im Beruf übernommenen Verantwortung759, den dort ____________________
754 755 756 757 758
VfSlg 6694/1972 und 8322/1978. VfSlg 6694/1972. VfSlg 17.287/2004; s auch VfSlg 16.049/2000 (Frist für Einwendungen im Baurecht). VfSlg 15.773/2000. S VfSlg 8938/1980: Im Bereich verschiedener freier Berufe darf der Gesetzgeber unterschiedliche Voraussetzungen für die Berufsausübung vorsehen und auf den Wegfall dieser Voraussetzungen unterschiedlich reagieren. 759 S VfSlg 9144/1981: Der Gesetzgeber handelt keineswegs sachfremd, wenn er Vorsteher von Bezirksgerichten mit weniger als drei systemisierten Planstellen für Richter und ohne familienrechtliche Abteilung gehaltsmäßig auf die in § 66 Abs 11 Z 2 RDG festgelegte Weise anders (schlechter) einstuft als die übrigen Gerichtsvorsteher (größerer Gerichte), weil hier ein – die Ungleichbehandlung rechtfertigender – tatsächlicher Unterschied besteht, nämlich das höhere Maß an Verantwortung, das die nicht von der Ausnahmebestimmung des § 66 Abs 11 Z 2 RDG erfassten Vorsteher tragen; s auch VfSlg 10.588/ 1985, wonach eine günstigere besoldungsrechtliche Einordnung der Präsidenten der Gerichtshöfe erster Instanz im Vergleich zu anderen Funktionsträgern unbedenklich ist, weil sie schon aus dem organisatorischen Aufbau der Justizbehörden heraus unter Bedachtnahme auf die Leistungsfunktionen erklärt werden kann.
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erworbenen Verdiensten und erbrachten Leistungen760, so löst dies noch keinen Diskriminierungsverdacht aus. Gleiches gilt, wenn der Gesetzgeber an ein Verhalten, das zu setzen dem Einzelnen möglich und zumutbar ist, unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, und zwar umso weniger, je leichter es dem Rechtsunterworfenen fällt, das tatbestandsmäßige Verhalten zu setzen oder zu vermeiden. Auch wenn der Gesetzgeber nach Lebenssachverhalten differenziert, in die jeder Mensch leicht gelangen kann, ist eine strenge Prüfung nicht angezeigt, weil diesfalls von vornherein nicht die Gefahr besteht, dass er auf kränkenden Vorurteilen und Stereotypen aufbaut oder parteilich urteilt. Es liegt im Gegenteil die Vermutung nahe, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber gerade für solche Situationen eine ausgewogene Regelung trifft. So ist es etwa unbedenklich, wenn der Gesetzgeber für verschiedene Rechtsmaterien unterschiedliche Verfahrensordnungen vorsieht; denn er knüpft bei dieser Differenzierung gerade nicht an persönliche Merkmale, sondern an Situationen an, in die jeder Rechtsunterworfene geraten oder in die er sich begeben kann. Insofern ist der Judikatur zuzustimmen, wenn sie aus der Tatsache, dass in verschiedenen Verfahrensordnungen unterschiedliche Regelungen getroffen werden, nicht auf deren Gleichheitswidrigkeit schließt, ja sogar die Beweislast umgekehrt und verlangt, dass für die Unzulässigkeit einer solchen Differenzierung besondere Gründe beigebracht werden müssen761. Glei____________________
760 S zB VfSlg 9006/1981, wonach der Budgetgesetzgeber bei der Beurteilung, welche Planstellen mit welchen im Besoldungsschema vorgesehenen Gruppen verknüpft werden, darauf Bedacht nehmen kann, welche Kenntnisse und Fähigkeiten für die Erfüllung der Aufgaben eines bestimmten Planstellenbereiches im Durchschnitt erforderlich sind; s aber auch VfSlg 9607/1983: Keine Verfassungsnorm – auch nicht das Sachlichkeitsgebot – verhält den Gesetzgeber dazu, mit einer Beförderung das Erreichen eines bestimmten Gehaltes zu verknüpfen. Ebenso wenig ist der Gesetzgeber nach VfSlg 11.193/1986 verpflichtet, jede über dem Durchschnitt liegende Leistung eines Beamten Zug um Zug finanziell abzugelten. Schon gar nicht ist er gezwungen, hiefür eine (bestimmte) Nebengebühr vorzusehen. Das Sachlichkeitsgebot erfordert lediglich, das System des Dienst-, Besoldungsund Pensionsrechtes derart zu gestalten, dass es im Großen und Ganzen in einem angemessenen Verhältnis zu den den Beamten obliegenden Dienstpflichten steht: VfSlg 11.998/ 1989, 16.721/2002, 17.451/2005, 17.706/2005. Unbedenklich ist es daher, wenn Beamte, die mehr als 300 Nebengebührenbezugsmonate erworben haben, bei der Festsetzung der Ruhegenusszulage anders behandelt werden als Beamte, die diese Grenze nicht überschritten haben, zumal nach § 5 Abs 2 RVZG sichergestellt ist, dass in jedem Fall mindestens die Ruhegenusszulage gebührt, die bei 300 Bezugsmonaten gebührt hätte: VfSlg 16.513/2002, 16.721/2002. 761 S dazu schon D.III.1.a. Aus ähnlichen Erwägungen postuliert das BVerfG für Art 3 Abs 1 GG einen gestaffelten Prüfungsmaßstab, es unterscheidet Differenzierungen nach rein verhaltensbezogenen Merkmalen, an die ein milder Maßstab anzulegen sei; nicht persönlich beeinflussbare Merkmale; weiters unmittelbar und mittelbar personenbezogene und schließlich personenbezogene Merkmale, die sich den in Art 3 Abs 3 GG genannten annähern und daher als Grund für eine Differenzierung besonders streng zu prüfen seien, s die Judikaturnachweise bei Kischel, EuGRZ 1997, 5; Jarass, NJW 1997, 2545 ff; Sachs, JuS 1997, 124 ff; Kallina, Willkürverbot 73 ff; Huster, Art 3 GG Rz 95.
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ches gilt zB, wenn der Gesetzgeber nur den Erwerb bestimmter dinglicher Rechte dem Eintragungsgrundsatz unterwirft: Will er Felddienstbarkeiten – anders als andere Dienstbarkeiten – von diesem Grundsatz ausnehmen, so genügt, dass er dies nicht völlig grundlos tut762. Dass derartige Differenzierungen gleichheitsrechtlich nicht suspekt sind, bedeutet allerdings nur, dass sie nicht schon von vornherein in den Gleichheitssatz eingreifen, dass sie also keiner sachlichen Rechtfertigung bedürfen. Es bedeutet aber nicht, dass sie jedenfalls erlaubt sind. Auch diese – nicht suspekten – Differenzierungskriterien müssen im jeweiligen Regelungskontext wesentliche Unterschiede begründen. Ist das nicht der Fall, so behandelt der Gesetzgeber wesentlich Gleiches ungleich: Dann und erst dann greift er in den Gleichheitssatz ein. Was wesentlich ist, ergibt sich bei diesen Differenzierungen jedenfalls aus dem Ziel, das der Gesetzgeber mit einer Regelung verfolgt. Wie gezeigt, steht dem Gesetzgeber bei der Wahl seiner Ziele ein weiter Gestaltungsspielraum zu763. Verlässt er diesen Spielraum nicht, so legt er durch die Wahl des jeweiligen Zieles selbst fest, was wesentlich ist: Wesentlich ist, was zur Zielerreichung beiträgt oder sie behindert; unwesentlich ist, was das Ziel nicht berührt. Daraus ergibt sich eine Pflicht des Gesetzgebers, rational zu handeln, also zur Zielerreichung geeignete und erforderliche Differenzierungen vorzunehmen. Setzt er zur Zielerreichung ungeeignete Mittel ein oder differenziert er in einem Ausmaß, das zur Zielerreichung gar nicht nötig ist, so besteht der Verdacht, dass er nicht mehr rational vorgeht, dass seine Regelung also sachlich nicht begründbar ist. Hinter irrationalem Handeln können sich Vorurteile verbergen, aber auch bloße Gleichgültigkeit. Beides verletzt denjenigen, den eine solche Regelung nachteilig trifft, in seinem durch den Gleichheitssatz garantierten Recht, als gleichwertig anerkannt zu werden: Er ist es dem Gesetzgeber dann eben nicht wert gewesen, nach seinen individuellen, für das Regelungsziel relevanten Voraussetzungen beurteilt und behandelt zu werden. Der Verdacht der Irrationalität ist freilich nicht unwiderleglich: Bei näherem Hinsehen kann sich herausstellen, dass sich die Ungleichbehandlung wesentlich gleicher und die Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Personen oder Sachverhalte doch rechtfertigen lässt. Der häufigste Fall einer solchen Rechtfertigung sind legistische Schwierigkeiten, die den Gesetzgeber zu einer Durchschnittsbetrachtung zwingen, aber auch verwaltungsökonomische Erwägungen, die den Behörden die Vollziehung des Gesetzes erleichtern sollen. Beides kann und muss hingenommen werden, sofern es – neuerlich – rational, also geeignet und erforderlich ist, soweit ____________________
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VfSlg 11.641/1988. D.I.4.
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also eine andere rechtstechnische Möglichkeit nicht zur Verfügung gestanden ist oder die Vergröberung für die Vollziehung wirklich Erleichterungen bringt. Da diese Vergröberung in den Gleichheitssatz eingreift, muss sie überdies ieS verhältnismäßig sein: Die nachteiligen Rechtsfolgen für den Einzelnen dürfen also nicht außer Verhältnis zu den Vorteilen der Vergröberung stehen. Das Gewicht dieser Rechtsfolgen ist dabei allerdings nicht hoch zu veranschlagen, weil der Gesetzgeber hier ja nur von einem einfachgesetzlich begründeten Differenzierungsschema abweicht. b. Differenzierungen, die der Verfassung selbst zugrunde liegen Nicht suspekt ist es aus gleichheitsrechtlicher Sicht schließlich, wenn der einfache Gesetzgeber Gattungsbildungen, die der Verfassung selbst zugrunde liegen, im jeweiligen Regelungskontext nur wieder aufgreift. Es begegnet daher keinen Bedenken, wenn der Gesetzgeber öffentlich Bedienstete einem Dienstrecht und privat beschäftigte Arbeitnehmer einem davon verschiedenen Arbeitsrecht unterwirft (Art 10 Abs 1 Z 11, Art 10 Abs 1 Z 16, Art 21 B-VG); unbedenklich ist es auch, wenn die Versicherung gegen allgemeine Risken des Lebens wie Krankheit, Unfall, Alter oder Arbeitslosigkeit für beide Gruppen je verschieden geregelt wird (Art 10 Abs 1 Z 11, Art 10 Abs 1 Z 16, Art 21 B-VG)764. Innerhalb der öffentlich Bediensteten darf wiederum dienst- und disziplinarrechtlich zwischen Richtern und anderen öffentlich Bediensteten unterschieden (Art 86 ff B-VG, Art 20 Abs 1 B-VG), und hier neuerlich für Lehrer (Art 14 Abs 2 B-VG)765 und Heeresangehörige eine gesonderte Behandlung vorgesehen werden (Art 79 B-VG)766. Der Gesetzgeber darf auch zwischen Wehrpflich____________________
764 S zB VfSlg 5241/1966, 11.665/1988, 12.732/1991, 13.743/1994, 13.829/1994, 16.923/2003, 17.306/2004, 17.706/2005, wonach zwischen dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und der Materie des Sozialversicherungsrechts tiefgreifende Unterschiede bestehen. 765 S zB VfSlg 8976/1980: In der unterschiedlichen Behandlung der Lehrer und der Beamten der allgemeinen Verwaltung liegt eine Differenzierung, die in der Eigenart der Dienstverrichtung ihre sachliche Rechtfertigung findet. 766 S zB VfSlg 10.084/1984, wonach der Gleichheitssatz nicht zur Vereinheitlichung des Disziplinarrechts etwa für Richter, Heeresangehörige und Bedienstete unter dem Regime des BDG verpflichtet; VfSlg 16.754/2002, wonach es keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken begegnet, wenn Versehrtenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Einkommensteuer belastet werden, nicht hingegen die gleichartigen für Präsenzdiener und Zeitsoldaten vorgesehenen Beschädigtenrenten nach dem HeeresversorgungsG; diese Beschädigtenrenten sind einerseits keine Leistungen im Rahmen eines Versicherungssystems, sondern staatliche Transferleistungen, die unmittelbar aus dem allgemeinen Bundeshaushalt getragen werden. Andererseits knüpft das HeeresversorgungsG ausdrücklich an die gesetzliche Wehrpflicht an, dh an deren besonders intensive Inanspruchnahme der Staatsbürger im Interesse der Sicherheit des Landes.
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tigen und Zivildienern differenzieren (Art 9a Abs 3 und 4 B-VG)767, und hier wieder zwischen Männern und Frauen (Art 9a Abs 3 B-VG)768. Unbedenklich ist es auch, wenn der Gesetzgeber den öffentlichen Dienst hierarchisch gliedert und die öffentlich Bediensteten je nach ihrer Funktion und Verantwortung besoldungsrechtlich verschieden behandelt (Art 20 Abs 1, Art 78a, Art 81a, Art 81b, Art 87a, Art 88a, Art 92 B-VG)769. Innerhalb der privat beschäftigten Arbeitnehmer darf der Gesetzgeber arbeitsrechtlich grundsätzlich zwischen Arbeitern und Angestellten differenzieren, weil ihn die Verfassung dazu ermächtigt (Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG)770, Gleiches gilt für eine arbeitsrechtliche Sonderbehandlung einschließlich eigener Schutzbestimmungen für land- und fortwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte (Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG). Auch dass sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber typischerweise als soziale Gegenspieler gegenübertreten, ergibt sich bereits aus der verfassungsrechtlichen Ermächtigung, für beide Gruppen jeweils eigene Interessenvertretungen einzurichten: Diesen Interessengegensatz darf der Gesetzgeber bei der Regelung der Kammerzugehörigkeit nicht übergehen (Art 10 Abs 1 Z 8, Art 10 Abs 1 Z 11, Art 21 Abs 2 B-VG)771, weil sonst die Gefahr besteht, dass sich eine Gruppe ____________________
767 VfSlg 15.758/2000, 16.389/2001: Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, Zivildienstleistende und Wehrdienstleistende in jeder Hinsicht gleichzustellen, kann aus Art 9a B-VG nicht abgeleitet werden; die unterschiedliche Höhe der Grundvergütung einerseits bzw des Monatsgeldes plus Prämie im Grundwehrdienst andererseits muss bei einer gesamthaften Betrachtung der Belastungen der beiden Dienste abgewogen und nicht abgemessen werden. Eine Grenze für die zulässige Ungleichbehandlung ist allerdings dann erreicht, wenn die in Art 9a Abs 3 (heute: Abs 4) B-VG iVm § 2 Abs 1 ZDG gewährleistete Möglichkeit, bei Vorliegen näher umschriebener Gewissensgründe einen Ersatzdienst zu leisten, faktisch vereitelt oder (erheblich) erschwert wird. Die Grenze für die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung zieht hier also das Recht auf Zivildienst; näher zum Verhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit noch unten F. 768 Die Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer ist daher gleichheitsrechtlich nicht angreifbar: VfSlg 12.830/191; s auch Novak, JBl 1996, 703: „in Anbetracht des Art 9a Abs 3 B-VG […] kein Wunder“. 769 S VfSlg 7167/1973, 9905/1983, 11.998/1989: Unbedenklichkeit einer Regelung, die leitende Beamte bezüglich der von ihnen zu erbringenden Mehrleistungen und des besonderen Maßes ihrer Verantwortung besoldungsrechtlich anders als andere Beamte behandelt; VfSlg 10.588/1985: Unbedenklichkeit einer günstigeren besoldungsrechtlichen Einordnung der Präsidenten der Gerichtshöfe erster Instanz im Vergleich zu anderen Funktionsträgern, weil diese Einordnung schon aus dem organisatorischen Aufbau der Justizbehörden heraus unter Bedachtnahme auf die Leistungsfunktionen erklärt werden kann. 770 Das bedeutet allerdings nicht, dass jede beliebige Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten deshalb auch sachlich gerechtfertigt werden kann: Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG entbindet den Gesetzgeber nicht von der Beachtung des Gleichheitssatzes; s zu den arbeitsrechtlichen Differenzierungen zwischen diesen beiden Personegruppen im Detail und kritisch Drs, Arbeiter 65 ff. 771 S das Erkenntnis VfSlg 8539/1979, in dem der VfGH festhält, dass die besondere Bedeutung der Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern schon in den Kompetenzbestimmungen zum Ausdruck kommt; sie habe auch Gewicht für die Frage,
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über die andere erheben und sie dominieren kann. Umgekehrt sind Differenzierungen, die einem Ausgleich dieser gegenläufigen Interessen dienen, gleichheitsrechtlich unbedenklich. Nicht suspekt ist es auch, wenn der Gesetzgeber eben wegen dieser unterschiedlichen Interessenlage jeweils verschiedene Sozialversicherungssysteme für Selbständige und Unselbständige einrichtet772. Auch innerhalb der Selbständigen gibt es unterschiedliche Interessen verschiedener Berufsstände, denen der Gesetzgeber im Berufs- und Sozialversicherungsrecht entsprechend Rechnung tragen kann (Art 10 Abs 1 Z 8, Art 11 Abs 1 Z 2 B-VG)773. Es ist auch nicht von vornherein suspekt, wenn er für Wissenschaftler (Art 17 StGG) und Künstler (Art 17a StGG) Sonderregelungen trifft, die ihre spezifische Interessenlage berücksichtigt774. Keinen Bedenken begegnet es auch, wenn der ____________________
nach welchen Gesichtspunkten der Gesetzgeber den Kreis der Kammerzugehörigen abstecken muss. Dass ein und dieselbe Person sowohl der Landarbeiterkammer als auch der Landwirtschaftskammer zugeordnet wird, widerspreche dem Gebot der Sachlichkeit, weil beide Kammern einander in wesentlichen Bereichen ihrer gesetzlichen Aufgaben typischerweise als soziale Gegenspieler gegenübertreten. Mit der auf einen Ausgleich dieser gegenläufigen Interessen angelegten Aufgabenstellung sei eine Doppelmitgliedschaft zu beiden Kammern aus gleicher Tätigkeit aber nicht vereinbar. Bei haushaltsangehörigen Arbeitnehmern, deren Interessen mit dem Arbeitgeber typischerweise parallel laufen, stehe es dem Gesetzgeber wegen der mangelnden Eindeutigkeit der Interessenlage frei, ob er den gemeinsamen Interessen zwischen Angehörigen oder den auch dann noch vorhandenen Interessengegensätzen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern für die Zuordnung zu der einen oder der anderen Kammer den Vorrang einräumen will; s auch VfSlg 8485/1979. 772 S zB VfSlg 6004/1969, 9753/1983, 10.030/1984, wonach die sachlichen Voraussetzungen bei selbständigen und unselbständigen Tätigkeiten und den verschiedenen Berufszweigen so verschieden sein können, dass eine differenzierende Regelung in der Krankenversicherung nicht nur zulässig, sondern unter Umständen sogar geboten sein kann. Nach VfSlg 2957/1956 ist es dem Gesetzgeber auch nicht verwehrt, die in der gegenwärtigen Wirtschaftsverfassung begründeten mannigfaltigen Unterschiede zwischen den in nichtselbständiger Arbeit stehenden Bevölkerungskreisen und den selbständig Erwerbstätigen wahrzunehmen. Daran anknüpfend erachtete der VfGH in der Folge in ständiger Rsp auch die steuerliche Differenzierung zwischen den verschiedenen Einkunftsarten des EStG für grundsätzlich unbedenklich: VfSlg 3334/1958, 3595/1959, 4239/1962, 5740/1968, 6533/1971, 10.155/1984. Verwendet der Gesetzgeber die un/selbständige Erwerbstätigkeit aber als ein Surrogatmerkmal, um mit ihr bloß typischerweise zusammenhängende Umstände zu erfassen, kann eine Gleichheitswidrigkeit vorliegen, wenn dieser Zusammenhang bei einer Durchschnittsbetrachtung nicht besteht, s zB VfSlg 11.054/1986: Nichts spricht dafür, dass das Einkommen selbständig Erwerbstätiger, die eine besondere Schulbeihilfe beantragen, bei einer Durchschnittsbetrachtung so hoch anzusetzen ist, dass bei ihnen im Gegensatz zu den unselbständig Erwerbstätigen in allen Fällen die Anwendung einer bestimmten Obergrenze sachlich gerechtfertigt wäre. 773 S zB VfSlg 8162/1977, wonach freiberufliche und gewerbliche Tätigkeiten dem Berufstyp nach nicht Gleiches darstellen; auch vergleichbare Tätigkeiten können unter dem Gesichtspunkt des Berufsbildes verschieden behandelt werden; VfSlg 16.492/2002, wonach die unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung der Ärzte und Apotheker in § 8 FSVG im Verhältnis zu den nach GSVG Versicherten sachlich gerechtfertigt ist. 774 Eine solche Sonderbehandlung von Künstlern kann durch Art 17a StGG sogar geboten sein, s im Hinblick auf das AuslBG zB VfSlg 11.737/1988.
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Gesetzgeber Kriegsteilnehmer und deren Hinterbliebene besonders versorgt (Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG), sozial Bedürftigen Zuwendungen gewährt (Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG)775, wenn er für Kranke und Pflegebedürftige Vorsorge und Betreuung sicherstellt (Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG)776, wenn er behinderten Menschen Vergünstigungen gewährt (Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG)777, Schutzvorschriften für Kinder, Jugendliche und für den Fall der Mutterschaft erlässt778 und Familien in besonderer Weise unterstützt (Art 10 Abs 1 Z 17 B-VG)779. Der Gesetzgeber darf auch an den Bezug einer Fürsorgeleistung andere Rechtsfolgen knüpfen als an den Bezug einer Sozialversicherungsleistung (Art 12 Abs 1 Z 1, Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG)780. Keine grundsätzlichen Bedenken kann es im Lichte des Gleichheitssatzes auch auslösen, wenn zwischen gesetzlichen und anderen Erben unterschieden (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG)781 und das Erbrecht bei Bauern wiederum eigens geregelt wird (Art 10 Abs 2 B-VG)782. Verfassungsrechtlich vorgegeben ist etwa auch die Unterscheidung zwischen gesetzlich anerkannten und anderen Kirchen und Religionsgesellschaften (Art 15 StGG)783, zwischen im Nationalrat vertretenen politischen Parteien und solchen, die nicht im Nationalrat vertreten sind (Art II § 2 ParteienG)784 ____________________
775
Dazu noch näher unten G.III.3.b.cc. Dazu noch näher unten G.III.1. 777 Dazu noch näher unten G.II.5. 778 Dazu noch näher unten G.III.1. 779 S auch VfSlg 14.694/1996, wonach der Gesetzgeber bei der Verfolgung familienpolitischer Ziele frei ist. 780 VfSlg 4331/1962: Dass der Gesetzgeber von der Pflichtversicherung nach dem GSVG Personen ausnimmt, die bereits durch ein anderes System der sozialen Sicherheit versorgt sind, zwingt ihn nicht dazu, eine gleichartige Ausnahme auch für andere Arten der privaten oder öffentlichen Versorgung vorzusehen, so etwa für staatliche Fürsorgemaßnahmen zugunsten von Kriegsopfern: Bei dieser Art der Versorgung liegen die Verhältnisse ganz anders als bei den Systemen der sozialen Sicherheit. 781 VfSlg 12.567/1990: Dass der Gleichheitssatz keine allgemeine Gleichbehandlung von Pflichtteilsberechtigten und Erben verlangt, ist offenkundig. Nichts hindert den Gesetzgeber, Pflichtteilsberechtigten – anders als den am Nachlass berechtigten Erben – nur einen Anspruch (gegen die Erben) auf Zahlung einer Geldsumme einzuräumen. 782 Hier wiederum darf nicht diskriminiert werden: Die Bevorzugung von ehelichen Kindern im Anerbenrecht verletzt daher den Gleichheitssatz und auch Art 14 EMRK iVm Art 1 1. ZPEMRK: s EGMR 28.10.1987, Inze, Serie A 126, Z 36 = ÖJZ 1988, 177; s auch schon oben E.IV.3.b.aa. 783 S VfSlg 6919/1972, 9185/1981, 11.931/1988, 16.998/2003, 17.021/2003. 784 S auch VfSlg 11.572/1987: Wenn der Gesetzgeber nur einer bestimmten Kategorie politischer Gruppierungen, und zwar den „im Nationalrat vertretenen“ Anspruch auf Belangsendezeiten einräumt, so stellt er, sachgerecht differenzierend, einerseits auf das jedenfalls größere politische Gewicht solcher Vereinigungen im öffentlichen Leben – verglichen mit jenen Gruppen, die nicht in der gesetzgebenden Körperschaft vertreten sind – ab, andererseits aber auch auf offen zu Tage tretende tatsächliche und wirtschaftliche Gegebenheiten, die einer Berücksichtigung jeder einzelnen der zahlreichen politischen Klein776
Zwischenergebnis
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und zwischen dem verwaltungsbehördlichen und dem gerichtlichen Verfahren hinsichtlich der dort jeweils neben dem Deutschen zuzulassenden Amtssprache (Art 7 Z 3 StV Wien)785. Unterscheidungen nach solchen – hier bloß exemplarisch genannten – Kriterien stellen keinen „Eingriff“ in den Gleichheitssatz dar, der einer besonderen Rechtfertigung bedürfte. Sie werden auch in der Judikatur regelmäßig nicht beanstandet786. Die Verfassung vermutet gerade nicht, dass zwischen diesen Gruppen in keiner Hinsicht wesentliche Unterschiede bestehen. Den Gesetzgeber trifft daher auch keine erhöhte Argumentationslast dafür, dass diese Kriterien wesentliche Unterschiede begründen. Das bedeutet freilich nicht, dass er deshalb ermächtigt wäre, zwischen den genannten Personengruppen in beliebigen Zusammenhängen zu differenzieren, Arbeiter also etwa strafrechtlich anders zu behandeln als Angestellte (und damit das Schuldprinzip zu durchbrechen787). Denn auch die Verfassung selbst trifft diese Unterscheidungen im Regelfall nur in bestimmten Sachzusammenhängen. Das macht neuerlich deutlich, dass die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung stets kontextabhängig ist, und es zeigt auch, dass sich der Gleichheitssatz in einem kontextunabhängigen Diskriminierungsverbot nicht erschöpfen kann.
V. Zwischenergebnis Der allgemeine Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen ein Recht, in gleicher Lage gleich und in ungleicher Lage ungleich behandelt zu werden. Das Recht auf Ungleichbehandlung tritt in drei Formen in Erscheinung: erstens als Anspruch, bestimmten Maßstäben entsprechend behandelt zu werden, die dem einfachen Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz vorgegeben sind788, zweitens als Anspruch, einem Differenzierungsschema entsprechend behandelt zu werden, das der einfache Gesetzgeber selbst aufgestellt hat789, drittens als Recht, zur Erreichung gleicher Ergebnisse formal ungleich behandelt zu werden790. Dieses Recht, in gleicher Lage ____________________
und Kleinstgruppen bei Vergabe des für Belangsendungen vorgesehenen (geringen) Teils der Gesamtsendezeit entgegenstehen. 785 VfSlg 17.425/2004: Die unterschiedliche Amtssprachenregelung für Verwaltungsbehörden und Gerichte ist eine Folge des Umstandes, dass Art 7 Z 3 StV Wien auf die in territorialer Hinsicht unterschiedlichen Begriffe des „Verwaltungsbezirkes“ einerseits und des „Gerichtsbezirkes“ andererseits abstellt. Sie ist daher gleichheitsrechtlich unbedenklich. 786 S die in FN 764- 785 genannten Erkenntnisse. 787 S dazu oben E.IV.4.c. 788 C.IV.2.b.bb., C.IV.2.d., D.II.2.b., D.IV.1.c. 789 C.IV.2.d., C.IV.4.b., D.I.8. 790 C.IV.2.b.aa.
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gleich, in ungleicher Lage ungleich und (unabhängig von einem Vergleich) bestimmten Maßstäben entsprechend behandelt zu werden, besteht allerdings nur prima facie. Eingriffe sind erlaubt, wenn sie zur Erreichung eines zulässigen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig sind791. Diese Umschreibung des Gleichheitssatzes ist reichlich abstrakt; sie bedarf näherer Konkretisierung, die zunächst durch ausgewählte spezielle Gleichheitsgebote zu leisten ist. Das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz beruht in Österreich auf zwei Säulen: Zum einen auf Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG, der alle Staatsbürger vor dem Gesetz für gleich erklärt, zum Zweiten auf Art I Abs 1 Satz 1 BVG-RD, der den bis dahin nur Staatsbürgern gewährten allgemeinen Gleichheitssatz auf das Verhältnis Fremder untereinander erstreckt. Beiden Vorschriften ist ein spezieller Gleichheitssatz nachgestellt, der Vorrechte bzw Unterscheidungen nach ganz bestimmten Merkmalen untersagt, einmal nach Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis (Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG)792, dann nach Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft (Art I Abs 1 Satz 2 BVG-RD)793. Diese Merkmale waren historisch und sind zum Teil noch heute Anlass für vielfältige rechtliche Unterscheidungen. Wie die Erfahrung zeigt, beruhen diese Differenzierungen jedoch sehr häufig auf Parteilichkeit und bloßen Vorurteilen. Damit fehlt es diesen Benachteiligungen aber nicht nur an einem sachlichen Grund; sie bringen den Betroffenen auch in eine ausweglose Situation, weil er jene Eigenschaften, die Anlass für seine Benachteiligung sind, entweder nicht oder nicht zumutbar ablegen kann794: Teils sind diese Eigenschaften ihm durch die Geburt vorgegeben, teils sind sie Ausdruck seiner Persönlichkeit, die er nicht einfach abstreifen kann, jedenfalls machen sie die Individualität und Identität eines Menschen, sein „So-Sein“ maßgeblich aus. Benachteiligungen, die an solche Determinanten anknüpfen, werten die Betroffenen daher regelmäßig auch als Person ab795. Die Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG und Art I Abs 1 BVG-RD verbieten diese historisch geläufigen Diskriminierungen ausdrücklich und verdeutlichen damit den zentralen Gedanken des allgemeinen Gleichheitssatzes: Jeder Mensch ist im Kern seiner teils schicksalhaft, teils frei bestimmten Persönlichkeit gleichwertig – deshalb dürfen die genannten und vergleichbar prägende Faktoren eines Menschen nicht zum Anlass für eine Benachteiligung genommen werden796. Mit dieser Achtung des Einzelnen als Person ____________________
791 792 793 794 795 796
C.V.3., D.IV.1.c., D.IV.2. E.I. E.II. E.I.4.b. E.I.4.b., E.II.4.a.bb., E.IV.1. E.I.4.b., E.II.4.a.bb., E.IV.1.
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erteilt der Gleichheitssatz auch jeder Art der Sippen- oder Gruppenhaftung eine Absage: Für die rechtliche Behandlung eines Menschen darf nicht maßgeblich sein, welcher Gruppe er gesellschaftlich zugehört, welche Eigenschaften die Gesellschaft ihm aufgrund seiner Gruppenangehörigkeit zuschreibt und mit welchen Vorurteilen sie ihm begegnet. Entscheidend soll allein sein, welche Eigenschaften der Einzelne jenseits dieser Zugehörigkeiten und Zuschreibungen – als Individuum – tatsächlich hat797. Der Schutzzweck des allgemeinen Gleichheitssatzes ist nach alldem personal und individualistisch: Er vermittelt dem Einzelnen ein Recht, nach seinen individuellen Voraussetzungen vorurteilsfrei beurteilt und unparteiisch behandelt, insbesondere nicht als Person herabgesetzt, nicht nur als Glied einer Gruppe wahrgenommen und nicht in eine Lage gebracht zu werden, aus der er sich durch eigene Kraft nicht befreien kann: Vor einer solchen Missachtung, Herabsetzung und Unterdrückung kann die Demokratie allein – mag sie auch die Gleichheit der Bürger zur Prämisse haben – nicht vollständig schützen. Diese offene Flanke zu schließen, ist eine zentrale Funktion des Gleichheitssatzes. Aus den Materialien zu Art 7 Abs 1 B-VG und Art I Abs 1 BVG-RD wird zwar deutlich, dass selbst eine Differenzierung nach den dort explizit genannten Merkmalen nicht absolut ausgeschlossen ist. Soll den historischen Erfahrungen und dem Schutzzweck des Gleichheitssatzes Rechnung getragen werden, ist jedoch anzunehmen, dass diese und vergleichbare Merkmale, die der Einzelne nicht oder nicht zumutbar ändern kann, prima facie keinen wesentlichen Unterschied zwischen Menschen begründen798. Das Gegenteil darzutun obliegt dem, der nach einem derart suspekten Merkmal differenziert; solange dies nicht gelingt, ist die Differenzierung als gleichheitswidrig anzusehen. Kann hingegen nachgewiesen werden, dass ein suspektes Merkmal bei vorurteilsfreier und unparteilicher Beurteilung absolut treffsicher auf eine andere Eigenschaft verweist, die kontextspezifisch einen wesentlichen Unterschied zwischen Menschen begründet, so ist die Ungleichbehandlung gerechtfertigt799. Praktische Beispiele dafür finden sich im Einkommensteuer- und im Sozialrecht, das nach der Klasse differenziert, um das Merkmal der Leistungsfähigkeit bzw der Bedürftigkeit zu erfassen, ebenso im Sozialversicherungs- und im Kammerrecht, das an den Stand anknüpft, um Personen mit gleichartigen Lebensrisiken bzw beruflichen Interessen zusammenzufassen. Stützt sich eine Ungleichbehandlung nach einem suspekten Merkmal von vornherein nicht auf wesentliche Unterschiede, sondern nur auf einen ____________________
797 798 799
E.I.4.b., E.IV.1. E.I.4.c., E.II.4.a.cc., E.IV.3. E.I.4.c., E.II.4.a.cc., E.IV.3.
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externen Zweck, der mit den Eigenschaften der Betroffenen nichts zu tun hat, behandelt sie wesentlich Gleiches ungleich. Dieser Eingriff in den Gleichheitssatz ist nur gerechtfertigt, wenn er zur Verwirklichung eines zwingenden öffentlichen Interesses geeignet und erforderlich ist und wenn dieses Interesse zudem schwerer wiegt als die Benachteiligung der Betroffenen800. Nichts anderes gilt, wenn ein suspektes Differenzierungsmerkmal zwischen Menschen nur typischerweise einen wesentlichen Unterschied begründet; dies ist etwa bei geschlechtsspezifischen Differenzierungen bisweilen der Fall801. Solche Unterscheidungen benachteiligen oder privilegieren nur – aber eben doch – den atypischen Fall, also den, der nicht dem Durchschnitt entspricht, das heißt praktisch: den, der gesellschaftliche Rollenerwartungen nicht erfüllt. Auch solche Differenzierungen greifen in den Gleichheitssatz ein, näherhin in das Recht, als Individuum, nicht bloß als Glied einer Gruppe behandelt zu werden. Folgerichtig lassen sich solche Eingriffe nicht schon mit dem Interesse rechtfertigen, den Verwaltungsaufwand einer individualisierenden Prüfung zu vermeiden802. Zulässig kann eine Durchschnittsbetrachtung bei suspekten Merkmalen aber für sog „positive Maßnahmen“ sein, also um Nachteile auszugleichen, die den Merkmalsträgern aufgrund gesellschaftlicher Vorurteile häufig entstehen. Auch dieses Ziel darf aber nur mit verhältnismäßigen Mitteln verfolgt werden803. Ein Eingriff in den Gleichheitssatz liegt ferner vor, wenn eine Vorschrift zwar merkmalsneutral formuliert ist, die Träger eines suspekten Merkmales aber im Ergebnis signifikant häufiger nachteilig trifft als andere Personen804: Dass eine solche mittelbare Diskriminierung durch wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen gerechtfertigt werden kann, ist nicht zu erwarten. Denn diese Benachteiligung stützte sich von vornherein nicht auf derartige Unterschiede. Sie wurde entweder vorgenommen, um die eigentlich erwünschte direkte Diskriminierung zu verschleiern, oder sie wurde als Nebeneffekt einer Regelung in Kauf genommen, die auf anderen Erwägungen beruht. Auch in solchen Fällen braucht die Gleichheitsprüfung daher nicht nach rechtfertigenden Unterschieden zu suchen; sie kann sich auf die Frage beschränken, ob die inkriminierte Benachteiligung verhältnismäßig ist. Bedenklich ist die Anknüpfung an suspekte Differenzierungsmerkmale schließlich auch, wenn sie nicht die Träger dieser Merkmale selbst trifft, ____________________
800 801 802 803 804
E.I.4.c., E.II.4.a.cc., E.IV.3. E.I.4.c. E.I.4.c. E.I.4.e., E.II.4.a.cc. E.I.4.d., E.II.4.a.cc., E.IV.3.c.
Zwischenergebnis
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sondern Personen, die mit ihnen in Verbindung stehen, etwa ihre Ehegatten, Kinder, Eltern, ihre Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder andere Vertragspartner805. Nicht selten laufen solche Vorschriften auf eine Art „Sippenhaftung“ hinaus, häufig beruhen sie zudem auf einem Unwerturteil über die Träger der suspekten Differenzierungsmerkmale. Auch hier ist streng zu prüfen, ob allenfalls behauptete wesentliche Unterschiede wirklich ausnahmslos bestehen (dann ist die Differenzierung erlaubt) oder ob sie nur auf Vorurteilen beruhen (dann ist die Differenzierung verboten). Verweist das suspekte Merkmal bloß auf Unterschiede, die typischerweise bestehen oder wurde die Unterscheidung von vornherein nur zur Erreichung externer Zwecke vorgenommen, ist weiter zu fragen, ob die Benachteiligung der Rechtsunterworfenen, die mit dem Merkmalsträger in Verbindung stehen, verhältnismäßig ist. Der personale Schutzzweck des Gleichheitssatzes könnte zur Annahme veranlassen, dieses Grundrecht wende sich nur gegen Ungleichbehandlungen nach derart personenbezogenen, „subjektiven“ Merkmalen, erfasse hingegen Differenzierungen nach anderen, „objektiven“ Merkmalen nicht. Eine Beschränkung des Gleichheitssatzes auf die persönliche Rechtsgleichheit ist indes historisch nicht indiziert, und sie ließe sich auch kaum durchhalten, weil es zwischen personenbezogenen und anderen Differenzierungskriterien keine klare Grenze gibt. Jede Unterscheidung hat, nach welchem Kriterium sie auch vorgenommen sein mag, immer einen mehr oder weniger starken Personenbezug. Vorschriften, die zwischen Verhaltensweisen, Situationen oder Sachen unterscheiden, fallen daher nicht schon per se aus dem Anwendungsbereich des Gleichheitssatzes heraus806. Klar ist aber, dass nicht jede solche Differenzierung sogleich den Verdacht einer Gleichheitswidrigkeit auslöst. Vergegenwärtigt man sich den Schutzzweck des Gleichheitssatzes, dann sind Unterscheidungen nach Eigenschaften, die man sich mit zumutbaren Mitteln aneignen und die man wieder ablegen kann, nicht suspekt; ebenso Differenzierungen nach einem Verhalten, das zu setzen oder zu unterlassen dem Einzelnen möglich und zumutbar ist und nach Situationen, in die jeder Mensch leicht gelangen und aus denen er sich auch wieder lösen kann807: Hier besteht gerade nicht die Gefahr, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber auf Vorurteilen aufbaut und parteilich entscheidet; nahe liegt vielmehr, dass er sich in solchen Fällen in die Lage aller Betroffenen versetzt und eine ausgewogene Regelung trifft. Nicht suspekt ist aus gleichheitsrechtlicher Sicht ferner, wenn der Gesetzgeber ____________________
805 806 807
E.IV.3.d. E.IV.4.a. E.IV.5.a.
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an Gattungsbildungen anknüpft, die der Verfassung selbst zugrunde liegen808. Bedenklich werden alle diese Differenzierungen erst, wenn sie auf Unterschieden beruhen, die im jeweiligen Regelungskontext nicht wesentlich sind: Dann behandelt der Gesetzgeber wesentlich Gleiches ungleich, greift also in den Gleichheitssatz ein. Was wesentlich ist, ergibt sich dabei aus dem Ziel, das der Gesetzgeber mit einer Regelung verfolgt: Wesentlich ist, was zur Zielerreichung beiträgt oder sie behindert; unwesentlich ist, was das Ziel nicht berührt. Der Einzelne hat ein Recht darauf, dem sich daraus ergebenden Differenzierungsschema gemäß, dh mit Blick auf das Regelungsziel rational behandelt zu werden. Soweit eine Abweichung von diesem Schema nur die Folge von Achtlosigkeit oder groben Fehleinschätzungen ist, verletzt sie den Gleichheitssatz. Gerechtfertigt kann die Durchbrechung eines Differenzierungsschemas hingegen durch legistische oder verwaltungsökonomische Erwägungen sein, wenn und soweit sie zur Erreichung dieser sekundären Ziele geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist809. Bei dieser Prüfung sind milde Maßstäbe anzulegen. Denn die inkriminierte Norm greift ja nicht in ein Prima-facie-Recht ein, das dem einfachen Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz unmittelbar vorgegeben ist; sie durchbricht nur ein Schema, das der einfache Gesetzgeber selbst aufgestellt hat. Neben dem Prima-facie-Recht, nicht aufgrund indisponibler Persönlichkeitsmerkmale benachteiligt zu werden und dem Prima-facie-Recht, einfachgesetzlich aufgestellten Maßstäben entsprechend (gleich oder ungleich) behandelt zu werden, lassen sich aus dem Schutzzweck des Gleichheitssatzes auch konkrete Maßstäbe ableiten, die dem einfachen Gesetzgeber prima facie vorgeben sind. Die Funktion des Gleichheitssatzes, die offene Flanke der Demokratie zu schließen, erlaubt zunächst den Schluss, dass es einer besonderen Rechtfertigung bedarf, Menschen ohne ihre Einwilligung der Herrschaft eines anderen zu unterstellen. Das betrifft die Übertragung von Hoheitsmacht auf Private ebenso wie die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern, deren Organe nach innen Hoheitsmacht über die Verbandsangehörigen ausüben und gegebenenfalls nach außen mit dem Anspruch auftreten, die Interessen der Verbandsmitglieder zu vertreten. Die Einrichtung solcher Selbstverwaltungskörper steht dem Gesetzgeber aus der Sicht des Gleichheitssatzes an sich frei; doch muss sichergestellt sein, dass die damit einhergehende Subordinaton und Kollektivierung des Einzelnen durch eine angemessene Form der Mitsprache aufgelöst wird: Prima facie haben daher alle Verbandsangehörigen ein aus dem Gleichheitssatz erfließendes Recht, aus ihrer Mitte das oberste Selbstver____________________
808 809
E.IV.5.b. E.IV.5.a.
Zwischenergebnis
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waltungsorgan nach demokratischen Grundsätzen zu wählen. Eingriffe in dieses Recht sind nur zulässig, wenn sie zur Erreichung eines gewichtigen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig sind. Dieses Wahlrecht bedarf einer näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber, dem dabei durchaus Gestaltungsspielraum zukommt. Dem Gleichheitssatz ist weder eine Präferenz für direkte oder indirekte Formen der Mitbestimmung noch ein Vorrang des Verhältnis- vor dem Mehrheitswahlrecht zu entnehmen; er fordert nur, dass grundsätzlich jedem Verbandsmitglied eine Mitwirkung ermöglicht wird, die den Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers und den Auswirkungen seiner Tätigkeit auf die Rechtssphäre der Mitglieder angemessen ist810. Auch das – oben noch sehr allgemein formulierte – Recht, nicht als Person herabgesetzt bzw nicht in eine ausweglose Lage gebracht zu werden, lässt sich bereichsspezifisch konkretisieren: Es bedeutet für das Strafrecht, dass der Tadel, den der Staat durch eine Strafe über Menschen ausspricht, nur zu rechtfertigen ist, soweit es dem Rechtsunterworfenen möglich und zumutbar gewesen wäre, die ihm angelastete Tat nicht zu setzen, soweit ihn an dieser Tat also ein Verschulden trifft. Der Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen folglich ein Recht darauf, nur für eigenes und nur für schuldhaft gesetztes Verhalten bestraft zu werden, ferner ein Recht darauf, dass das Ausmaß der Schuld und des verursachten Schadens im konkreten Fall exakt ermittelt und die Strafe danach bemessen wird. Dieses Recht ist nichtkomparativ: Es kommt dem einen nicht deshalb zu, weil es auch einem anderen gewährt ist; seine Beachtung ist vielmehr an sich geboten. Ein Eingriff in dieses Recht liegt vor, wenn eine Strafe nach Umständen bestimmt wird, die mit dem Verschulden des Täters und dem Schaden, den er verursacht hat, nichts zu tun haben, wenn also etwa aus generalpräventiven Erwägungen Pauschal- oder Mindeststrafen verhängt oder Milderungsgründe ausgeschlossen werden. Derart externe Zwecke können einen Eingriff rechtfertigen, allerdings nur, wenn und soweit dies verhältnismäßig ist811. Ähnliches gilt für Regelungen, die dem Rechtsunterworfenen eine Haftung für fremdes Verhalten, insbesondere für Schulden eines anderen auferlegen. Das öffentliche Interesse, die Einbringlichkeit solcher Schulden sicherzustellen, allein rechtfertigt solche Regelungen ebenso wenig wie die dem Haftenden zustehende Möglichkeit, beim Primärschuldner Regress zu nehmen. Begründbar ist eine Haftung für fremde Schulden nur, wenn und soweit der Haftende auf den schuldbegründenden Sachverhalt (hilfsweise auf die Haftung selbst) Einfluss nehmen kann oder wenn er an der ____________________
810 811
E.IV.4.b. E.IV.4.c.
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Persönliche Rechtsgleichheit
Verwirklichung dieses Sachverhalts ein Interesse hat. Entspricht eine Haftung für fremde Schulden diesen Voraussetzungen nicht, so greift sie in den Gleichheitssatz ein. Ein solcher Eingriff wird zwar in aller Regel öffentlichen Interessen (der Einbringlichkeit von Abgaben-, Sozialversicherungsschulden uä) dienen. Er wird zur Förderung dieser Interessen aber kaum je erforderlich sein; denn es gibt für ihn immer eine gelindere Alternative, die das Ziel ebenso realisiert: Die Kollektivierung der aushaftenden Rückstände, also ihre gleichmäßige Verteilung auf die Allgemeinheit. Die Gleichheitsprüfung beschränkt sich daher in solchen Fällen regelmäßig auf die Frage, ob die jeweilige Haftungsregelung dem gleichheitsrechtlichen Prima-facie-Recht entspricht812. Der Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen schließlich ein Recht darauf, keinen Pflichten unterworfen zu werden, die er nicht oder nicht zumutbar erfüllen kann. Auch dieses Recht ist nichtkomparativ: Wird jemandem eine unerfüllbare Pflicht auferlegt, so könnte dies nicht damit gerechtfertigt werden, dass auch ein anderer solche Pflichten tragen muss. Zu rechtfertigen wäre die Auferlegung einer solchen Pflicht dem einen wie dem anderen gegenüber nur, wenn dies – was schwer vorstellbar ist – zur Erreichung eines zwingenden öffentlichen Interesses geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig wäre813. Im Großen und Ganzen entspricht diesen Grundsätzen auch die Judikatur des VfGH. Der personale und individualistische Schutzzweck des Gleichheitssatzes kommt zwar in den Judikaturformeln nicht direkt zu Ausdruck814. Im Ergebnis trägt der VfGH diesem Zweck aber in vielen Bereichen Rechnung. So lässt er bei Vorschriften, die nach suspekten Differenzierungskriterien unterscheiden, im Allgemeinen eine erhöhte Sensibilität erkennen. Das gilt etwa für Ungleichbehandlungen aufgrund der Sprache bzw der Herkunft aus einem bestimmten Sprachgebiet815, nach der ehelichen Geburt816 oder nach der Parteizugehörigkeit817, ebenso bei mittelbaren Diskriminierungen818 und bei der Anknüpfung an suspekte Merkmale, die zwar nicht die Merkmalsträger unmittelbar beeinträchtigt, wohl aber Personen, die mit ihnen in Verbindung stehen819. In manchen Bereichen legt der VfGH aber auch zu milde Maßstäbe an, so bei Diffe____________________
812 813 814 815 816 817 818 819
E.IV.4.d. E.IV.4.e. E.IV.2. E.IV.3.a. E.IV.3.b.aa. E.IV.3.b.cc. E.IV.3.c. E.IV.3.d.
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renzierungen nach der sexuellen Ausrichtung820, zum Teil auch bei Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts821. Immerhin hat der VfGH aber gerade aus Anlass einer geschlechtsspezifischen Differenzierung erstmals ausgesprochen, dass die Zulässigkeit von Durchschnittsbetrachtungen und verwaltungsökonomisch motivierten Typisierungen auch vom „Gewicht der angeordneten Rechtsfolgen“ abhängt822. Im Ergebnis anerkennt der VfGH damit erstens, dass Durchschnittsbetrachtungen und verwaltungsökonomisch motivierte Typisierungen in den Gleichheitssatz eingreifen823; zweitens, dass an sie ein strenger Maßstab anzulegen ist, wenn eine Norm an suspekte Merkmale anknüpft824. Davon abgesehen fällt drittens auf, dass der VfGH legistische und verwaltungsökonomisch motivierte Vergröberungen auch dann tendenziell strenger prüft, wenn der Gesetzgeber einen Maßstab durchbricht, der dem einfachen Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz unmittelbar vorgegeben ist. Mit dieser Leitlinie liegt der VfGH auch richtig; doch es wäre zweckmäßig, sie einmal explizit zu machen, schon deshalb, weil es dann leichter fiele, sie konsequent zu befolgen. Auffallend genau trägt der VfGH dem demokratischen Schutzweck des Gleichheitssatzes bei Wahlrechtsbestimmungen für Selbstverwaltungskörper Rechnung825. Er sieht es zutreffend als unsachlich an, jemanden in einen Selbstverwaltungskörper einzubeziehen und ihn mit Pflichten zu belasten, ihn aber vom Wahlrecht zu den obersten Organen der Selbstverwaltung auszuschließen. Der Sache nach entnimmt der VfGH dem Gleichheitssatz damit ein nichtkomparatives Recht jedes Verbandsmitgliedes, an der Wahl der genannten Organe mitzuwirken. Eingriffe in dieses Recht prüft der VfGH streng auf ihre Zulässigkeit; in aller Regel verwirft er sie als gleichheitswidrig. Gestaltungsspielraum gesteht er dem Gesetzgeber hingegen zutreffend bei der näheren Ausgestaltung des Wahlrechts zu; die Intensität der gebotenen Mitwirkung hängt dabei von den Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers ab und auch von den Rechtswirkungen seiner Tätigkeit für die Mitglieder. Davon abgesehen hat der Gesetzgeber aber nach der Judikatur Entscheidungsfreiheit; insbesondere ist er im Bereich der Selbstverwaltung nicht an die im B-VG für die allgemeinen Vertretungskörper statuierten Wahlgrundsätze gebunden. Für das Strafrecht entnimmt der VfGH dem Gleichheitssatz zu Recht, dass Strafen in einem angemessenen Verhältnis zum Grad des Verschul____________________
820 821 822 823 824 825
E.IV.3.b.bb. E.I.2.h., E.I.4.c. E.I.2.h. D.I.8.f., E.IV.2. E.I.4.c. E.IV.4.b.
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Persönliche Rechtsgleichheit
dens und zur Höhe des durch die Tat bewirkten Schadens stehen müssen. Er geht auch zutreffend davon aus, dass der Behörde eine Strafzumessung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles möglich sein muss. Eingriffe in das daraus resultierende Prima-facie-Recht auf eine möglichst präzise Strafzumessung unterzieht der VfGH allerdings tendenziell nur einer komparativen Prüfung, zu der die Rechtsordnung auch geradezu einlädt: Regelmäßig findet sich in solchen Fällen nämlich in einem anderen Ordnungssystem, also im gerichtlichen, verwaltungsbehördlichen oder im Finanzstrafrecht eine Norm, die eine präzise Strafzumessung (etwa durch Milderungsgründe, eine Strafnachsicht uä) zulässt. Der VfGH verlangt dann eine Rechtfertigung dafür, dass die inkriminierte Norm von dieser Regel abweicht. Wäre wirklich nur zu beanstanden, dass wesentlich gleiche Fälle (in verschiedenen Ordnungssystemen) ungleich behandelt werden, müsste diese Gleichheitswidrigkeit allerdings auch durch eine Beseitigung der präzisen Strafzumessung im Referenzsystem zu beheben sein. Dies scheint aber – zumindest in manchen Fällen – gerade nicht die Position des VfGH zu sein; in anderen Fällen bleibt durch den komparativen Ansatz allerdings auch offen, ob die inkriminierte Vorschrift schon an sich oder ob sie nur deshalb bedenklich ist, weil für gleichartige Fälle in einem zweiten Ordnungssystem anderes gilt826. Deutlich nichtkomparativ argumentiert der VfGH hingegen bei Vorschriften, die eine Haftung für fremde Schulden vorsehen: Noch lange bevor das „allgemeine Sachlichkeitsgebot“ in der Judikatur explizit als solches bezeichnet wurde, hat der VfGH ausgesprochen, dass es unsachlich ist, wenn jemand dazu verhalten wird, für etwas einzustehen, womit ihn nichts verbindet, also auch für Umstände, die außerhalb seiner Interessen- und Einflusssphäre liegen. Ausgehend davon nimmt der VfGH zutreffend an, dass eine Haftung für fremde Schulden nur dann zulässig ist, wenn und soweit der Haftende an der Verwirklichung des schuldbegründenden Sachverhalts ein Interesse hat oder wenn er auf diesen Sachverhalt (hilfsweise auf die Haftung selbst) Einfluss nehmen kann827. Als gleichheitswidrig sieht der VfGH es schließlich zu Recht auch an, wenn dem Einzelnen Pflichten auferlegt werden, die dieser nicht oder nicht zumutbar erfüllen kann828. Auf einen sehr einfachen Nenner gebracht, lässt sich die Judikatur mit folgender Faustformel charakterisieren: Die Wahrscheinlichkeit, dass der VfGH eine Norm als gleichheitswidrig qualifiziert, ist umso größer, je schwerer es dem Einzelnen fällt, die nachteiligen Folgen dieser Norm aus ____________________
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E.IV.4.c. E.IV.4.d. E.IV.4.e.
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eigener Kraft abzuwenden, je eher eine Norm den Rechtsunterworfenen also in eine ausweglose Lage bringt und ihn damit fremdbestimmt. Diese Grundlinie ist auch richtig. Der VfGH hat allerdings bisher darauf verzichtet, explizit zu machen, dass diese Linie den individualistischen und personalen Schutzzweck des Gleichheitssatzes realisiert und dass sie Demokratiedefizite kompensiert. Eine solche Verdeutlichung könnte freilich sicherstellen, dass der Gleichheitssatz seinen Schutz auch dort entfaltet, wo er besonders dringlich ist, dort nämlich, wo Menschen diskriminiert, also aufgrund von Eigenschaften herabgesetzt werden, die ihre Identität maßgeblich bestimmen und die abzulegen ihnen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Dieser Schutzbedarf besteht nicht nur für Diskriminierungen, die – wie etwa die Ausgrenzung unehelicher Kinder – gesellschaftlich bereits überwunden sind, er besteht auch und vor allem für Diskriminierungen, die – wie zB die Benachteiligung Homosexueller – noch immer im Gange sind.
F. Gleichheit und Freiheit Im vorigen Kapitel wurde festgestellt, dass der allgemeine Gleichheitssatz dem Einzelnen in seinem Kern ein „Stück Freiheit“ verschafft, insofern nämlich, als er ihm das Recht vermittelt, seine Persönlichkeit unabhängig von Klischees und Rollenerwartungen und unabhängig von der Gruppe, der er mehr oder weniger zufällig angehört, zu entfalten, vor allem aber nicht für Umstände einstehen zu müssen, die sich seiner (zumutbaren) Disposition entziehen. Damit ist noch nicht gesagt, ob und inwieweit dem Einzelnen eine Anpassung abverlangt werden darf, die ihm möglich und zumutbar ist1, insbesondere bedeutet dieses „Stück Freiheit“ noch nicht, dass der allgemeine Gleichheitssatz dem Einzelnen ganz generell ein Prima-facie-Recht verschafft, von Belastungen und Beschränkungen welcher Art immer frei zu bleiben, dass derartige Belastungen also nur zulässig sind, wenn sie ein geeignetes und erforderliches Mittel sind, das den Einzelnen überdies nicht unverhältnismäßig in seiner „allgemeinen Handlungsfreiheit“ beschränkt. Die Judikatur tendiert, wie gezeigt, bisweilen dazu, den allgemeinen Gleichheitssatz in diesem Sinn zu verstehen2. Ob dem allgemeinen Gleichheitssatz ein solcher Inhalt wirklich zukommt, ist eine Frage, die nur durch eine Untersuchung des Verhältnisses geklärt werden kann, in dem Gleichheits- und Freiheitsrechte ganz allgemein zueinander stehen.
I. Das Verhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit 1. Gleichheit und Freiheit als abstrakte Prinzipien a. Antinomie, Harmonie oder Indifferenz? Immer wieder wurde im Verlauf der Geschichte die Forderung nach „Gleichheit“ und „Freiheit“ erhoben, und beide Rechte sind heute auch ein fester Bestandteil westlicher Demokratien. Das Verhältnis, in dem diese Postulate zueinander stehen, wurde und wird aber nach wie vor ganz unterschiedlich beurteilt. Häufig findet sich die Ansicht, dass zwischen Gleichheit und Freiheit ein Spannungsverhältnis bestehe3: Ohne jede ____________________
1 S auch Somek, Rationalität 30, der treffend feststellt, dass Diskriminierungsverbote mit Flexibilität rechnen. 2 S dazu bereits oben D.I.7.b.cc., D.II.2.a. sowie sogleich unten F.II.2. 3 S zB Ermacora, Handbuch 40; K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 202 f; Leibholz, Strukturprobleme 88 f; Walter, Spannungsverhältnis 585; Kloepfer, Gleichheit 45; Leis-
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Gleichheit und Freiheit
Schranke in Anspruch genommen, führe die Freiheit nämlich dazu, dass der Stärkere immer stärker, der Schwächere immer schwächer und letztlich die Gleichheit zwischen den Menschen preisgegeben würde. Umgekehrt müsse die vollständige Verwirklichung des Gleichheitsprinzips stets auf Kosten der Individualität und Selbstverwirklichung des Einzelnen gehen und seine Freiheit so schlussendlich zerstören4. In der Literatur wurde aber auch die Ansicht vertreten, dass Gleichheit und Freiheit zueinander in einer harmonischen Beziehung stünden, weil das eine Prinzip ohne das andere seinen Wert verliere und erst beide miteinander dem Einzelnen Selbstverwirklichung und ein Leben in Würde ermöglichten: So, wenn in der gleichen Freiheit aller das Fundament einer vernünftigen Rechtsordnung gesehen wird5, wenn gesagt wird, es gebe „keine ethische Freiheit ohne Gleichheit, keine ethisch verstandene Gleichheit ohne Freiheit“6, wenn die Gleichheit als Beginn und Voraussetzung der Freiheit bezeichnet wird, weil sie dem Einzelnen das Recht vermittle, anders zu sein7, wenn im Gleichbehandlungsgebot eine Freiheitssicherung gesehen wird, weil ohne die Gewährleistung staatlicher Gleichbehandlung eine individuelle Selbstentfaltung nicht möglich sei8, oder wenn es heißt, „[d]ie Mög____________________
ner, Gleichheitsstaat 33; Herzog, Gleichheit Sp 1184; Stoll, ÖStZ 1989, 198; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 120 ff. Bezeichnend in diesem Sinn auch bereits der Titel des von Reinisch herausgegebenen Bandes „Freiheit & Gleichheit oder die Quadratur des Kreises: über den Grundwiderspruch von Mensch und Gesellschaft referieren“, ebenso Greiffenhagen, Freiheit gegen Gleichheit?; s auch Brückner, Freiheit, Gleichheit, Sicherheit. Als Antithesen wurden Gleichheit und Freiheit bereits bei Montesquieu aufgefasst, s dazu zB G. Dietze, Menschenrechte 36; dass Gleichheit zu einem Verlust von persönlicher Freiheit und Autonomie führt, war auch die Überzeugung der konservativen Gegenreaktion gegen moderne Gleichheitsbestrebungen nach 1790, so insb Tocquevilles, und überhaupt des deutschen Bürgertums im Vormärz, s dazu mwN Dann, Gleichheit 1026 ff, 1029 ff; s auch Bluntschli, Rechtsgleichheit 503, der die Befürchtung äußert, dass eine mangelnde Unterscheidung der „wahre[n] Gleichheit von der falschen [...] voll Gefahr für die Freiheit und für die Kultur“ sei. Zur Behandlung dieser Problematik bei Kant s Luf, Freiheit, sowie Dann, Gleichheit 1021 f. 4 S zB K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 202 f; Kloepfer, Gleichheit 46; Erichsen, DVBl 1983, 295; Stoll, ÖStZ 1989, 198; Zippelius, Staatslehre 271 f; s auch Schmithals, Freiheit und Gleichheit 271: „Wo alle gleich sind, ist nur einer frei, nämlich der Diktator, der sie alle gleichmacht“; s auch schon Ahrens, Menschenrechte 607, nach dem „im Rechte das Princip der Gleichheit durch das Princip der Individualität, als Quelle der persönlichen Freiheit, seine Beschränkung erhalten muß, und eine einseitige Durchführung nur mit Aufopferung der Freiheit und auch nur unter Nivellierung der wirklichen Lebensverhältnisse denkbar wäre“. 5 S schon von Rotteck, Freiheit 182 f. 6 K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 203; ähnlich Kriele, Staatslehre 177 ff; Berka, Art 7 B-VG Rz 14, nach dem „die Freiheit nur unter der Voraussetzung der Gleichheit bestehen kann und umgekehrt.“ 7 A. Arndt, FS Leibholz 185. 8 Oldiges, VVDStRL 47 (1989) 109.
Das Verhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit
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lichkeit rechtlich freien Verhaltens [sei] um so größer, je mehr der Zustand der Gesellschaft entsprechend der egalisierenden Funktion des Gleichheitssatzes geordnet ist“9. Bisweilen stößt man schließlich auch auf die Meinung, Freiheit und Gleichheit würden ineinander gleichsam aufgehen: So wurde etwa festgestellt, alle Menschen wären frei, wenn sie nur gleich wären, weil diesfalls keiner der Willkür eines anderen unterworfen sei10, aber es wurde auch umgekehrt angenommen, dass in der Forderung nach Freiheit die Gleichheit stets mitenthalten sei: Wären nämlich alle frei, so wären auch alle gleich, weshalb „das große Losungswort der Jakobiner und Anarchisten, Freiheit und Gleichheit, [...] ein ganz unnötiger oder vielmehr ein bloß zu ihren geheimen Faktionsabsichten nötiger Pleonasmus [sei]; denn mit dem Worte Freiheit ist schon alles gesagt“11. In eine ähnliche Richtung geht die (vor anderem Hintergrund geäußerte) Feststellung, die Forderungen nach Freiheit und Gleichheit seien nicht gegensätzliche, sondern identische Forderungen, insofern nämlich, als der Anspruch auf Freiheit einerseits jedermann gleich zustehe und die Gleichheit andererseits Freiheit für alle bedeute und nicht nur für einige12. Wenn die Beziehung zwischen Gleichheit und Freiheit derart unterschiedlich beurteilt wird, so ist dies zum Teil darauf zurückzuführen, dass das Verhältnis zwischen diesen beiden Prinzipen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und beurteilt werden kann13. Hinzu kommt, dass sowohl der Begriff der Gleichheit als auch jener der Freiheit mehrdeutig ist und dementsprechend immer wieder mit unterschiedlichem Inhalt verwendet wird14. ____________________
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Podlech, Gehalt 186 mwN. S zB K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 202, und zuvor schon Gumplowicz, Staatsrecht 263: „Denn wo vollkommene Gleichheit herrschen würde, da wäre ja eo ipso vollkommene Freiheit vorhanden. Denn bei vollkommener Gleichheit kann ja einer den anderen weder unterdrücken noch ausbeuten, dann ist die Freiheit ohnehin sichergestellt“. 11 Wieland, zit bei Dann, Gleichberechtigung 146. 12 S Kriele, Befreiung 59 f; dens, Staatslehre 177 ff; sowie Robbers, DÖV 1988, 753, nach dem Gleichheit und Freiheit „in innerer Gleichordnung [stehen]. Gleiche Freiheit für alle […] ist eigener Sinn des Gleichheitssatzes im Gebot der Behandlung nach der Eigenart des Einzelnen und führt die Tradition der Aufklärung fort“; s auch G. Dietze, Menschenrechte 37, unter Berufung auf die Feststellung Rousseaus: „wenn der reiche Bürger den armen kaufen kann und der arme sich kaufen lassen muß, um leben zu können, dann gibt es keine Gleichheit mehr und mit ihr ist auch die Freiheit verschwunden“. 13 Dazu auch Leisner, Gleichheitsstaat 34; s auch Podlech, Gehalt 185 ff; Nagel, Equality and Freedom 603 ff; Hellbling, Stb 1978, F 1, 3. 14 S schon Leibholz, Gleichheit 20 f; dass Freiheit und Gleichheit keine einheitlichen Begriffe sind, sondern „Familien von funktional verschiedenartigen Postulaten“, stellt auch Weinberger, Moral 290, fest; zum Begriff der Freiheit allgemein Alexy, Grundrechte 194 ff. 10
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Gleichheit und Freiheit
b. Freiheit als Privileg Der „komplexe[…], schillernde[…] Begriff“ der Freiheit15 kann, wie dies im Mittelalter der Fall war, für eine bestimmte Berechtigung innerhalb einer gegebenen rechtlichen Gemeinschaft stehen16, für ein Privileg, das zwar Gleichheit innerhalb der Privilegierten herstellt, davon abgesehen aber von der Ungleichheit jener Personengruppen getragen ist, denen gegenüber diese Berechtigung besteht17. Die Beseitigung der Bürde, die den Nichtprivilegierten solcherart auferlegt ist, kann begreiflicherweise als Befreiung empfunden werden; sie schafft Freiheit nun allerdings in einem anderen Sinn, nämlich Freiheit nicht „zu“, sondern „von etwas“18. In beiden Fällen beschreibt der Begriff der Freiheit das Verhältnis der Rechtsunterworfenen zueinander: Das Privileg lebt von der Subordination einer Gruppe unter die andere, ist also mit der Forderung nach Gleichheit ganz unvereinbar. Jene Freiheit, die durch die Beseitigung dieses Privilegs entsteht, beruht auf der Aufhebung dieser Unterordnung, hat also die Gleichheit zur notwendigen Voraussetzung oder wird gar zu deren Paraphrase: Denn alle Menschen sind in diesem Sinne frei, wenn sie nur gleich sind19, und ebenso sind alle gleich, sobald sie frei sind20. ____________________
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Ziekow, Freizügigkeit 19. S mwN Scheuner, FS Thoma 205. 17 Dementsprechend ist der Begriff der Gleichheit im Mittelalter immer auf einen bestimmten Stand oder eine Gruppe bezogen; er ist ein gruppeninterner Identifizierungsbegriff, dient also auch und gerade der Abgrenzung von den Ungleichen, s dazu mwN Dann, Gleichheit 1002 ff. 18 S zu dieser Unterscheidung schon K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 203; s auch Schmithals, Freiheit und Gleichheit 265, der zwischen Freiheit von Leibeigenschaft, von Fronarbeit, von Lehnsabhängigkeit einerseits und Freiheit zur persönlichen Lebensgestaltung als Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Gewerbefreiheit, Koalitionsfreiheit, Freiheit des Eigentums usw andererseits unterscheidet. Der noch heute geläufige Ausspruch „Stadtluft macht frei“ meint eine Freiheit im erstgenannten Sinn, nämlich die Freiheit der Städter vom Feudalsystem, in der (ungeachtet aller sonstigen sozialen und politischen Unterschiede) auch ihre Gleichheit bestand, s dazu mwN Dann, Gleichheit 1006 f; s auch G. Dietze, Menschenrechte 37, der in der Gleichheit die „Freiheit vor Ungerechtigkeit, vor Willkür“ sieht; weiters Kriele, Befreiung 57, der die Befreiung im aufklärerischen Sinn umschreibt als die „Überwindung von ungerechtfertigten Ungleichheiten mit dem Ziel der Freiheit für jedermann“. 19 Diese Parallelität von Gleichheit und Freiheit postuliert bereits Rousseau, der die Freiheit nicht mehr als freies Willkürhandeln versteht, das im Eigentumsbesitz manifest wird, sondern als Unabhängigkeit von der Willkür anderer, s dazu mwN Dann, Gleichberechtigung 136; dens, Gleichheit 1016; vgl auch Gumplowicz, Staatsrecht 263 (FN 10); Kelsen, Demokratie 3; K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 202; G. Dietze, Menschenrechte 37: „Gleichheit ist eben Freiheit vor Ungerechtigkeit, vor Willkür, ist das Verbot der Willkür […]. Freiheit wiederum ist das Bewußtsein, etwas tun zu dürfen, was auf Grund der Gesetze jeder andere tun darf, ohne eine andere Bewertung des eigenen Tuns erwarten zu müssen, als sie fremdes Tun erfährt“ – dass eine derartige Begriffsbildung, die die Freiheit in die Gleichheit und die Gleichheit in die Freiheit legt, notwendig zu dem Befund führt: „Freiheit und Gleichheit sind gegenseitig voneinander abhängig (interdependent)“, kann nicht 16
Das Verhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit
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c. Freiheit als Handlungsspielraum So einfach liegen die Dinge freilich nicht, wenn die Forderung nach Gleichheit und Freiheit sich einmal gegen den Staat richtet und diesen zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen zwingt. Für eine Freiheit in diesem Sinn reicht es nicht aus, dass jemand von der Willkür eines Rechtsgenossen unabhängig ist; ihm muss vielmehr von Staats wegen eine Handlungsalternative21 bzw ein Handlungsspielraum22 belassen werden, also die Möglichkeit, eine bestimmte Handlung zu setzen oder dies nicht zu tun, ohne dabei durch das Kollektiv, das allgemeine Gesetz beschränkt zu werden. Dass die so verstandene Freiheit nicht mehr in der Gleichheit aufgehen kann, zeigt sich schon daran, dass ein Staat seine Bürger zwar im Verhältnis zueinander rechtlich gleich ordnen und auch sonst gleich behandeln, sie aber ungeachtet dessen alle gleichermaßen unterdrücken und ihnen die Einräumung eines Handlungsspielraumes verwehren kann23. Umgekehrt stellt auch die Garantie der Freiheit rechtliche Gleichheit nur in____________________
weiter verwundern. Wie nahe Gleichheit und Freiheit bei einer entsprechenden Begriffsbildung beieinander liegen, zeigt auch die in Art 7 StGG angeordnete Aufhebung der Untertänigkeits- und Hörigkeitsverbände: Diese Bestimmung ordnet die Bürger untereinander gleich bzw verbietet eine privatrechtlich begründete Ungleichordnung krassen Ausmaßes, gewährleistet auf diese Weise aber zugleich, dass kein Bürger der Willkür eines anderen unterworfen, dass er insofern also frei ist. Gleichheit schafft in diesem Sinn Freiheit, freilich nur Freiheit von privater Pression, nicht auch Freiheit, etwas Bestimmtes zu tun. Beschränkt man Freiheitsrechte auf die Gewährung einer Freiheit zu etwas, dann ist Art 7 StGG nur als ein Gleichheitsrecht anzusehen. Versteht man diesen Begriff aber in einem weiteren Sinn schon als die Befreiung von etwas, so gewährt Art 7 StGG (auch) ein Freiheitsrecht. Auf dieses unterschiedliche Begriffsverständnis ist es wohl zurückzuführen, dass Art 7 StGG in der Lehre zum Teil als Gleichheits-, zum Teil aber auch als Freiheitsrecht angesehen wird, s dazu mwN Zellenberg, Art 7 StGG Rz 8. 20 Wieland (FN 11). 21 Alexy, Grundrechte 198. 22 Weinberger, Moral 290; ders, Gleichheit und Freiheit 646; s auch Walter, Spannungsverhältnis 585: Freiheit ist „die Möglichkeit des Menschen […], so zu handeln, wie er will.“ 23 Dass die Garantie der Gleichheit auch ohne die gleichzeitige Einräumung von materiellen Freiheitsrechten durchaus denkbar ist, hat die österreichische Geschichte in der Zeit zwischen 1851 und 1862 gezeigt: Das Sylvesterpatent vom 31. Dezember 1851, RGBl 1852/2, setzte die Märzverfassung 1849 und das Grundrechtspatent und damit auch die darin gewährten Freiheitsrechte (mit Ausnahme gewisser konfessioneller Grundrechte) außer Kraft und hielt nur die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Unzulässigkeit und die Abstellung jedes bäuerlichen Untertänigkeits- oder Hörigkeitsverbandes und der damit verbundenen Leistungen aufrecht. Die Garantie der Gleichheit war hier nur ein Mittel, um die innerhalb der Gesellschaft bestehende Macht auf den Staat zu überführen (s schon oben B.IV.). Durch das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl 1862/87, und das Gesetz zum Schutze des Hausrechts, RGBl 1862/88, wurden die Rechtsunterworfenen sodann vor willkürlicher Verhaftung, Anhaltung, Ausweisung und Hausdurchsuchung geschützt. Darüber hinausgehende Freiheitsrechte gewährte erst wieder das StGG.
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Gleichheit und Freiheit
soweit her, als die Freiheit allen Grundrechtsträgern gewährleistet ist24; diesen Effekt hat aber jede generelle Norm für den Kreis jener Personen, die ihr subsumierbar sind. Die Garantie der Freiheit unterscheidet sich in dieser Hinsicht erstens nicht von jeder anderen generellen Vorschrift. Zweitens bleibt die dadurch angeordnete Gleichbehandlung auch nur auf den sachlichen Schutzbereich des jeweiligen Freiheitsrechts beschränkt; eine von diesem Schutzbereich unabhängige, also allgemeine Gleichheit wird durch die Freiheit also gerade nicht verbürgt25, insbesondere steht sie freiheitsunabhängigen Privilegierungen und Diskriminierungen nicht entgegen26. Gleichheit und Freiheit gehen so gesehen weder ineinander auf noch sind sie gar identische Forderungen. d. Freiheit und Gleichheit im faktischen und im rechtlichen Sinn Im Einzelnen ist für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Freiheit und Gleichheit weiter zu unterscheiden: Besteht eine Handlungsalternative in der rechtlichen Erlaubnis, also in der Absenz sowohl eines Handlungsverbotes als auch eines Handlungsgebotes, so kann von rechtlicher Freiheit gesprochen werden. Besteht darüber hinaus auch die reale Möglichkeit, eine Handlung zu setzen oder sie zu unterlassen, so wird im Folgenden von faktischer oder tatsächlicher Freiheit die Rede sein. Dass diese beiden Facetten der Freiheit im Einzelfall auseinanderfallen können, liegt auf der Hand, kann doch die Inanspruchnahme eines Freiheitsrechts nicht nur an rechtlichen Ge- und Verboten, sondern auch am Fehlen faktischer Voraussetzungen scheitern. Zu denken ist, um nur ein Beispiel zu nennen, an die Ausreise aus einem Staatsgebiet, die ein Staat seinen Bürgern zwar rechtlich frei stellen kann, die aber ungeachtet dessen unterbleiben muss, wenn jemand nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um ein Land zu verlassen. Eine analoge Unterscheidung muss auch für die Gleichheit getroffen werden: Unter rechtlicher Gleichheit kann die gleiche Geltung des Rechts für alle und die in einer Rechtsnorm vorgenommene Gleichbehandlung ____________________
24 S auch Rossano, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (1969) 212 f; Kloepfer, Gleichheit 49. 25 S schon Rossano, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (1969) 212 f, der betont, dass der Gegenstand der Gleichheit im juristischen Sinn nicht notwendig ein Freiheitsbereich ist. 26 Zu denken ist dabei nicht so sehr an staatliche Zuwendungen, die manchen gewährt, anderen hingegen vorenthalten werden. Denn was dem Privilegierten gegeben wird, muss zuvor einem anderen genommen worden sein; die ihm erteilte Zuwendung setzt also die Beschränkung der Freiheit anderer voraus. Freiheitsunabhängige Privilegierungen und Diskriminierungen lägen aber etwa vor, wenn ein Staat bestimmte Personengruppen vom Zugang zu öffentlichen Ämtern ausschließt oder für sie je eigene Gerichtsstände vorsieht.
Das Verhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit
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als gleich bewerteter und die Ungleichbehandlung ungleicher Fälle verstanden werden, unter faktischer bzw tatsächlicher Gleichheit hingegen der Befund, dass zwei oder mehrere Fälle in bestimmter Hinsicht real übereinstimmende Eigenschaften aufweisen27. Auch hier ist evident, dass die rechtliche Gleichbehandlung keineswegs notwendig zu faktischer Gleichheit führt28; dies lässt sich an zahlreichen Beispielen belegen, etwa an dem Umstand, dass der Zugang zu Bildungseinrichtungen grundsätzlich jedem offen steht, dass sog „bildungsferne“ Schichten von diesem Angebot aber aufgrund sekundärer, also nicht rechtlicher Hemmnisse in signifikant geringerem Ausmaß Gebrauch machen als Personen, die in einem „gebildeten“ Umfeld aufgewachsen sind29. Dass es jedem Menschen rechtlich möglich ist, einen bestimmten Bildungsweg zu beschreiten, heißt noch lange nicht, dass auch alle Menschen gleich gebildet sind. Je nachdem, welchen der genannten Begriffe von Freiheit und Gleichheit man zugrunde legt, den rechtlichen oder den faktischen, differiert auch das Verhältnis, in dem diese beiden Postulate zueinander stehen. e. Wirkung der Freiheit auf die Gleichheit Bezieht man die Gleichheit auf die Ebene des Seins, also auf die tatsächlichen Eigenschaften der Menschen, so muss sie zwangsläufig in ein Spannungsverhältnis zur rechtlichen und faktischen Freiheit geraten. Denn die unterschiedlichen Eigenschaften der Menschen werden durch die Inanspruchnahme der Freiheit vertieft und vermehrt, weil zu den schon bestehenden Verschiedenheiten noch weitere Unterschiede, etwa hinsichtlich Besitz, Bildung und Ansehen treten. Die ursprünglich vorhandenen und die durch die Inanspruchnahme der Freiheit erzeugten tatsächlichen Ungleichheiten können sogar noch potenziert werden, wenn sie den Freiheitsgebrauch erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen. Freiheit führt daher notwendig zu faktischer Ungleichheit30, und zwar unabhängig da____________________
27 Übereinstimmung in allen Eigenschaften ist kein Merkmal der Gleichheit, sondern bezeichnet Identität: Weinberger, ZÖR 1974, 25; K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 172 ff; Podlech, Gehalt 33 ff; Rohloff, Zusammenwirken 13 f. 28 Faktische und rechtliche Gleichheit werden nicht immer zureichend deutlich voneinander getrennt; von Rotteck, Gleichheit 43, war gar der Ansicht, dass kein Wort „so arg misverstanden, so schwankend oder falsch, so abgeschmackt oder arglistig gedeutet worden wäre als jenes der Gleichheit“ (Hervorhebung im Original); s neuerlich Bluntschli, Rechtsgleichheit 503 (FN 3). 29 Zu diesen faktischen Bildungsschranken s zB Karpen, RdS 1985, 36; Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung, Bildungszugang. 30 S bereits von Rotteck, Gleichheit 43 f; dann auch zB E.-W. Böckenförde, FS Arndt 67; Rossano, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (1969) 212; Berka, Art 7 B-VG Rz 15; Starck, Art 3 GG Rz 4.
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Gleichheit und Freiheit
von, ob sie schrankenlos gewährt ist oder ob ihr von Rechts wegen Grenzen gezogen sind. Die rechtliche Gleichheit, also die gesetzlich angeordnete Gleichbehandlung gleicher und die Ungleichbehandlung ungleicher Fälle und auch die Beachtung aus dem Gleichheitssatz resultierender Prima-facie-Rechte wird hingegen selbst durch eine unbegrenzt garantierte Freiheit nicht notwendig beseitigt: Dies nicht so sehr, weil eine Rechtsordnung, die jedem Menschen oder Staatsbürger die Inanspruchnahme der Freiheit garantiert, zumindest in dieser Hinsicht auch rechtliche Gleichheit verbürgt; wie bereits dargetan, ist diese Gleichheit ja bloß eine Folge der Generalität der Freiheitsnorm. Stärker ins Gewicht fällt, dass selbst die unbegrenzt garantierte Freiheit nicht daran hindert, außerhalb ihres Schutzbereiches Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln31. Dass die Freiheit diesfalls – aufgrund der tatsächlichen Unterschiede zwischen den Menschen – nur für manche effektiv, für andere aber praktisch wertlos wäre, ändert an der rechtlichen Gleichheit nichts. Es zeigt aber, dass eine schrankenlos gewährte rechtliche Freiheit die Möglichkeit, diese Freiheit real in Anspruch zu nehmen, gravierend beeinträchtigen kann32. Unbeschränkte Freiheit würde daher zwar die im Tatsächlichen ohnedies bestehenden Ungleichheiten zwischen den Menschen weiter verstärken, die rechtliche Gleichheit würde durch sie aber weder notwendig noch vollständig beseitigt. f. Wirkung der Gleichheit auf die Freiheit Zwischen rechtlicher und faktischer Gleichheit muss auch im umgekehrten Fall unterschieden werden, wenn nämlich gesagt wird, die umfassende Verwirklichung der Gleichheit sei nur um den Preis der Freiheit möglich: Für die rechtliche Gleichheit trifft dieser Befund jedenfalls nicht zu: Denn das Gebot, gleiche Fälle gleich, ungleiche Fälle ungleich zu behandeln und die aus dem Gleichheitssatz resultierenden Prima-facie-Rechte zu beachten, setzt keineswegs eine Beschränkung oder gar Vernichtung der Freiheit voraus33. Häufig wird ein Spannungsverhältnis zwischen Frei____________________
31 Ebenso wie umgekehrt die Freiheit auch freiheitsunabhängigen Privilegierungen und Diskriminierungen nicht im Wege steht, s schon bei FN 26. 32 Dass totale Freiheit in Unfreiheit umschlagen kann, betont auch Leibholz, Gleichheit 18, 22; der Sache nach ebenso Rossano, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (1969) 213; Kloepfer, Gleichheit 46; Kriele, Befreiung 59; ebenso ders, Freiheit 133; ders, Staatslehre 177 f; Leisner, Gleichheitsstaat 33: „Die Freiheit ist ein selbstzerstörerischer, ein letztlich in sich widersprüchlicher, unmöglicher Gedanke; denkbar, realisierbar wird er nur in der Gleichheit.“ 33 Nichts anderes gilt, wenn man unter rechtlicher Gleichheit die Gleichbehandlung eines jeden in jeder Hinsicht versteht. Die vollkommene Herstellung einer Gleichheit in diesem Sinne ist, solange es eine Rechtsordnung gibt, nicht einmal theoretisch möglich.
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heit und Gleichheit aber mit der Tatsache begründet, dass die Verwirklichung der gleichen Freiheit für alle Grundrechtsträger nur möglich sei, wenn der Freiheitsgebrauch des einen dort seine Grenze findet, wo die Freiheit des anderen beginnt; rechtliche Gleichheit setze daher Freiheitsbeschränkungen voraus34. Das Erfordernis derartiger Freiheitsbeschränkungen folgt jedoch bereits aus der Freiheit selbst: Schon ihre generelle Geltung für alle Grundrechtsträger zwingt zur Annahme, dass jeder Grundrechtsträger die ihm gewährte Freiheit in Anspruch nehmen kann35. Die in persönlicher Hinsicht unbeschränkte Freiheit setzt also Schranken in sachlicher Hinsicht notwendig voraus36. Anderes gilt allerdings, wenn eine ____________________
Denn so wie Normen in bestimmtem Umfang stets zu einer Gleichbehandlung führen, nehmen sie auch immer Differenzierungen vor. Auch wenn eine Vorschrift für jedermann Geltung beansprucht, muss sie sich doch stets auf bestimmte Sachverhalte beziehen, also Personen, die sich in dieser Situation befinden, anders behandeln als alle anderen Menschen. Die Realisierung einer absoluten Gleichbehandlung scheitert dann also nicht an der Freiheit, sondern daran, dass das Recht zwangsläufig auf Differenzierung beruht. S auch K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 208 („selbst die abstrakt-logische Gleichheit [kann] nicht gedacht werden […] ohne ein gewisses Maß von Ungleichheit), 209 („Eine absolute Gleichheit ist logisch undenkbar“), 210 („Innerhalb des konstanten Ganzen vermag das Recht deshalb nur die Akzente zu verschieben […]; es handelt sich nie um ein entweder-oder, sondern immer um ein mehr oder weniger […] an Gleichheit und Ungleichheit.“ (Hervorhebung im Original). 34 S zB Rossano, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (1969) 213; P. Kirchhof, FS Geiger 101; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 137, nach dem die Gleichheit ein „durchaus die Freiheit begrenzende[s] Moment“ ist, „weil geradezu logischerweise jeder seine Freiheit nur in dem Maße gebrauchen kann, soweit die gleiche Freiheit der anderen reicht“ (Hervorhebung im Original); Berka, Art 7 B-VG Rz 14: „Die Ratio des Grundrechtsstaates liegt [...] gerade darin, die Freiheit des Einen so zu gestalten, dass sie mit der gleichen Freiheit der Mitbürger verträglich ist, weil die Freiheit nur unter der Voraussetzung der Gleichheit bestehen kann und umgekehrt“; s aber auch Kriele, Befreiung 59, 64, der – ausgehend von der Prämisse, dass die Forderungen nach Gleichheit und Freiheit nicht gegenläufig, sondern identisch seien – in der Tatsache, dass die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen zusammen bestehen können muss, gerade keine Spannung, sondern den „inneren Zusammenhang“ von Gleichheit und Freiheit sieht. 35 S auch Huster, Rechte 100. 36 Dass eine bestimmte Freiheit jedermann garantiert ist, führt freilich für sich genommen noch nicht zu einer Schmälerung gerade dieser konkreten Freiheit für jeden Einzelnen (aA wohl Rossano, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart [1969] 214). Faktisch nimmt zwar das Handlungsspektrum des Einzelnen mit einer Ausweitung der Grundrechtsträger dort ab, wo es um die Verteilung knapper Güter geht; so wird etwa die Freiheit des Eigentums, wenn sie nur wenigen gewährt ist, bei diesen zu einer Ansammlung höherer Vermögenswerte führen als eine allgemein garantierte Unverletzlichkeit des Eigentums. Die rechtliche Erlaubnis, Eigentum zu erwerben und darüber zu verfügen, wird aber durch ihre generelle Erteilung nicht beeinträchtigt. Noch mehr gilt dies für Freiheitsrechte, die sich auf ein Gut beziehen, das von vornherein nicht knapp ist: Das Recht, nach eigenem Belieben aus einem Ort abzuziehen, wird für den Einzelnen weder rechtlich noch faktisch beschränkt, wenn es nicht nur einigen wenigen, sondern allen Menschen eingeräumt ist (aA anscheinend Rossano, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart [1969] 214). Wenn aber die Freizügigkeit des einen an dem Eigentumsrecht des anderen
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Freiheit nicht im Interesse der Freiheit eines anderen, sondern im Interesse des Gemeinwohles beschränkt wird: Eine derart begründete Freiheitsbeschränkung kann nur durch die Beförderung des gleichen Wohles aller legitimiert werden37. Insofern wird die Freiheit also tatsächlich „durch den Gleichheitsgedanken her austariert und auf ein Maß beschränkt, das ihre Ausübung sozial erträglich macht.“38 Bei weitem stärker ist das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit jedoch, sobald das Ziel verfolgt wird, zwischen den Rechtsunterworfenen in gewissem Umfang faktische Gleichheit herzustellen – eine Forderung, die ursprünglich unter dem Schlagwort der „Brüderlichkeit“ ihren Platz neben Freiheit und Gleichheit fand, alsbald aber in die Gleichheit hineingelegt wurde. Die Trias „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ wurde so durch die Forderung nach „Freiheit und Gleichheit“ abgelöst39, der Begriff der Gleichheit aber auch mit der eingangs beschriebenen Mehrdeutigkeit belastet. Eine vollkommene Verwirklichung faktischer Gleichheit ist zwar wegen der vielfältigen Unterschiede zwischen den Menschen von vornherein utopisch40; denkbar wäre aber, faktische Gleichheit so weit wie möglich, also überall dort zu realisieren, wo vorhandene Unterschiede zwischen den Menschen durch rechtliche Maßnahmen eingeebnet werden können. Tatsächlich müssten für ein derartiges Vorhaben zahlreiche Freiheiten geopfert werden41, allen voran die Freiheit des Eigentums, weil je____________________
ihre Grenze findet, etwa, weil es ihm verwehrt ist, fremden Grund zu betreten, so beruht diese Beschränkung der Freizügigkeit gerade nicht auf Gleichheitserwägungen, sondern auf dem Ziel, die Eigentumsfreiheit des Grundbesitzers zu schützen. 37 Zur Identifikation von allgemeinem Gesetz, Gemeinwohl und Gleichheit s schon oben C.I. sowie schon viel früher Art 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden“ sowie Art 6: „Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Formung mitzuwirken. Es soll für alle gleich sein, mag es beschützen, mag es bestrafen.“ 38 Öhlinger, EuGRZ 1982, 238; s auch P. Kirchhof, FS Geiger 101. 39 S auch Schmithals, Freiheit und Gleichheit 269. 40 Tatsächlich wurde sie auch nie ernsthaft verlangt; die frühsozialistischen Forderungen nach Egalität waren – in Ansehung der sozialen Verhältnisse des 18. Jahrhunderts durchaus naheliegend – vor allem auf die materiellen Lebensbedingungen konzentriert, s auch Schmithals, Freiheit und Gleichheit 270. 41 S schon die Nachweise in FN 4, sowie mit Beispielen Herzog, DVBl 1970, 715; allgemein ferner Winkler, Expertenkollegium 242, nach dem „aus einer Übertreibung der Egalität echte Gefährdungslagen für eine freie Entwicklung einer Gesellschaft erwachsen“ könne; s auch Berka, Art 7 B-VG Rz 15, nach dem Egalisierung Freiheit beschränken kann. Vielfach ist, wenn von einer Gefährdung der Freiheit durch die Gleichheit die Rede ist, gerade die „materiale“ Gleichheit gemeint, also die „Gleichheit der Rechte“, nicht
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der Mensch gleich viel besitzen bzw weil eine (etwa durch Behinderung, Krankheit oder Alter bedingte) schlechtere Ausgangslage durch positive Leistungen ausgeglichen werden müsste, die Freiheit der Religion, weil es keine oder nur mehr eine Religion geben könnte, die Freiheit der Meinung, weil allen die Äußerung der gleichen Ansichten verordnet würde, die Freiheit der Presse, weil alle das Gleiche lesen müssten, die Freiheit der Bildung, weil alle das Gleiche lernen müssten und manche Absurdität mehr. Diese Liste ließe sich nicht nur um etliche Freiheiten vermehren, daneben müsste auch eine drastische Reduktion der rechtlichen Gleichheit verzeichnet werden. Denn ein derart freiheitsfeindliches System könnte nur mit rigoroser politischer Macht verwirklicht werden, die, wie die Praxis kommunistischer Staaten gezeigt hat, keineswegs auf einer klassenlosen Gesellschaft aufbaut, sondern zu einem Zweiklassensystem führt, in dem eine weitgehend rechtlose Bevölkerung einer mächtigen Parteielite gegenübersteht42. Die Verwirklichung faktischer Gleichheit hätte demnach zwar keine vollständige Preisgabe, aber doch gravierende Opfer sowohl der rechtlichen Freiheit als auch der rechtlichen Gleichheit zur Folge. Die noch verbleibende Freiheit könnte dann allerdings auch faktisch von allen gleichermaßen in Anspruch genommen werden, sodass die rechtlichen Frei____________________
aber die „Gleichheit des Rechts“, s einerseits Tocqueville, der in der Gleichheit der sozialen Lebensbedingungen einen Verlust von persönlicher Freiheit sah (mwN Dann, Gleichheit 1028); andererseits von Rotteck, Freiheit 182 f, der unter dem Titel der Rechtsgleichheit nicht eine Aufhebung der zwischen den Menschen bestehenden Vermögensunterschiede fordert, sondern Rechtfertigung von Rechtsungleichheiten durch vernünftige Gründe, die die Zustimmung aller findet oder finden kann (von Rotteck, Gleichheit 44) und dementsprechend zwischen Gleichheit und Freiheit keinen Widerspruch sieht, sondern beide Prinzipen zusammen als das notwendige Fundament einer vernünftigen Rechtsordnung bezeichnet; ebenso meinte Wedekind, dass die Gleichheit die Vorrechte und Privilegien des Adels beseitigen müsse und allen vernünftigen Menschen gleichen Anteil an der Gesetzgebung zu verschaffen habe; er betont aber zugleich, dass die Gleichheit nicht für alle Menschen ein gleiches Vermögen fordere (vgl Dann, Gleichheit 1020 f ); auch Kant und ein Teil seiner Schüler verlangten nur die „formale“ Rechtsgleichheit, worunter auch die Aufhebung der ständisch begründeten Rechtsungleichheiten verstanden wurde, nicht hingegen materiale Gleichheit (dazu mwN Dann, Gleichheit 1022 f ); vor dieser Prämisse wurde zwischen Gleichheit und Freiheit auch kein Widerspruch gesehen. Bisweilen hielt man aber auch die politische Gleichheit, also ein allgemein gewährtes Wahlrecht, für eine Gefährdung der Freiheit, so etwa das liberal-konservative Bürgertum im Vormärz (mwN Dann, Gleichheit 1030). Manche hielten sogar die rechtliche Gleichheit für freiheitsgefährdend, so verteidigte etwa Wieland nicht nur die Ungleichheit „des Vermögens, der Kräfte, der Vorteile, die man von der bürgerlichen Gesellschaft zieht“, sondern auch die Ungleichheit der Stände als etwas „nicht nur […] Unvermeidliches, sondern auch zur Wohlfahrt des Ganzen Unentbehrliches“; die Forderung nach Gleichheit und Freiheit sei ein unnötiger Pleonasmus, weil die Gleichheit in der Freiheit schon enthalten sei (zit nach Dann, Gleichheit 1019 f ). 42 Auf den letztlich gleichheitszerstörenden Effekt der Herstellung faktischer Gleichheit weist auch Kriele, Freiheit 134, hin; s auch dens, Befreiung 59; dens, Staatslehre 178; Schmithals, Freiheit und Gleichheit 271; Starck, Art 3 GG Rz 4.
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heitseinbußen der einen Gruppe für die andere zu einem Gewinn an faktischer Freiheit führen würde43. g. Antinomie, Harmonie und Indifferenz Das in der Literatur immer wieder konstatierte Spannungsverhältnis besteht daher zwischen Freiheit und rechtlicher Gleichheit, mehr noch aber zwischen Freiheit und faktischer Gleichheit. Auch dort, wo ein derartiges Spannungsverhältnis besteht, geht eine unbeschränkte Verwirklichung des einen Prinzips jedoch nicht nur auf Kosten des jeweils anderen: Ein schrankenloser Freiheitsgebrauch führt zwar zu tatsächlicher Ungleichheit, ist aber letztlich auch der tatsächlichen Freiheit selbst abträglich. Ebenso setzt eine umfassende Herstellung faktischer Gleichheit nicht nur schwerwiegende Freiheitsopfer, sondern auch eine Beschränkung der rechtlichen Gleichheit voraus. Umgekehrt kann die Verwirklichung des einen Prinzips in bestimmtem Umfang auch dem anderen förderlich sein, wenn man bedenkt, dass die im Gemeinwohl gelegene Freiheitsbeschränkung ebenso wie die Herstellung faktischer Gleichheit den realen Gebrauch der verbleibenden Freiheit für alle sichert44. Ungeachtet dieser Interdependenzen kann keines der beiden Prinzipen das jeweils andere substituieren: Weder ist die Gleichheit die eigentliche oder gar die bessere Freiheit45, noch stellt sich mit der Freiheit automatisch Gleichheit ein.
2. Gleichheit und Freiheit als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte Schon als abstrakte Prinzipien sind Gleichheit und Freiheit miteinander weder völlig unvereinbar noch gegeneinander austauschbar; umso mehr gilt dies für die verfassungsrechtlich positivierten Gleichheits- und Freiheitsgarantien. Dass die Verfassung sowohl Gleichheits- als auch Freiheitsrechte gewährt, verbietet es, diese beiden Garantien gegeneinander auszuspielen, ____________________
43 Dass der juristische Ausgleich soziologisch unterschiedlich starker Positionen auch der Freiheit des Menschen dient, betont etwa Weinberger, ZÖR 1974, 35; s auch Kloepfer, Gleichheit 47, der darauf hinweist, dass „die Erstellung sozialer Gleichheit Freiheitsrechte erst ausübbar machen [kann].“ Dass die egalisierende Funktion des Gleichheitssatzes die Möglichkeit rechtlich freien Verhaltens in einer Gesellschaft direkt proportional erhöhen kann, betont auch Podlech, Gehalt 186; s weiters Kriele, Befreiung 66 f, sowie Berka, Grundrechte Rz 889; dens, Art 7 B-VG Rz 14, nach dem Gleichheit der Freiheit förderlich sein kann, weil sie „den Einzelnen in die Position versetzt, von seiner Freiheit einen vernünftigen Gebrauch zu machen“. 44 Blickt man nur auf diesen letzten Gesichtspunkt, also auf die Bedeutung der tatsächlichen Gleichheit für den realen Freiheitsgebrauch, so gelangt man unschwer zu dem Ergebnis, dass Gleichheit eine Voraussetzung, nicht der Gegenspieler der Freiheit ist. 45 S dazu Leisner, Gleichheitsstaat 36 ff.
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weil keine Vorschrift der Verfassung so ausgelegt werden kann, dass eine andere dadurch ihren Sinn verliert46. Wie bereits gezeigt wurde, treffen sich beide Garantien insofern, als die Gleichheit vor dem Gesetz in ihrem Kern den Rechtsunterworfenen als Person anerkennt, ihn davor schützt, bloß als Teil eines Kollektivs behandelt zu werden und ihm ein Recht vermittelt, anders zu sein47, gerade so wie die Freiheitsrechte abzielen auf den „Schutz dessen, was jeder Mensch als einmalig Einzelner besitzt“48. Allenfalls bestehende Spannungen zwischen Gleichheit und Freiheit werden durch die Verfassung selbst abgebaut: Einerseits garantiert sie, wie die historische Entwicklung gezeigt hat, nur die rechtliche Gleichheit, also gerade nicht eine rigorose Herstellung faktischer Gleichheit49. Andererseits ist die Freiheit im Regelfall nicht schrankenlos gewährt; ihre Gemeinverträglichkeit wird vielmehr durch Gesetzesvorbehalte sichergestellt, die vielfach auf den Schutz der (gleichen) Rechte anderer, aber auch auf das Allgemeininteresse ausdrücklich Bedacht nehmen. Der vermeintliche Konflikt zwischen Gleichheit und Freiheit ist daher zutreffend als ein Prinzipienstreit bezeichnet worden, der in seiner „breiten Grundsätzlichkeit kaum noch Einzelfallrelevanz“ hat50. ____________________
46 S schon G. Dietze, Menschenrechte 36; ferner Öhlinger, EuGRZ 1982, 238, der betont, dass Freiheit und Gleichheit im System der Grundrechte stets zusammenzudenken sind; Berka, Art 7 B-VG Rz 14, nach dem „die Freiheit nur unter der Voraussetzung der Gleichheit bestehen kann und umgekehrt“; vgl auch Häberle, Diskussionsbeitrag 83, und ihm folgend Schoch, DVBl 1988, 872, die betonen, dass „nach keiner Seite übertrieben werden“ dürfe. 47 S dazu bereits oben E.IV.1. 48 Klecatsky, Expertenkollegium 243; s auch schon P. Kirchhof, FS Geiger 105, nach dem die Gleichheit der Menschen voraussetzt, „daß jeder Gleichheitsberechtigte in seiner Individualität verschieden ist und aufgrund seiner Freiheit diese Verschiedenheit mehren oder mindern darf“; ebenso Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 135, der in der Gleichheit die Basis und „Bedingung der freien Entfaltung menschlicher Anders- und Einzigartigkeit“ (im Original mit Hervorhebung) sieht: „Eine Verfassung […], die auf der Basis der Gleichheit, also allgemein, Verschiedenheiten gestattet, die sich aus dem verschiedenen Gebrauch menschlicher Freiheit ergeben, entscheidet sich klar gegen eine unterschiedslose Egalisierung jederzeit in jeder Beziehung, gegen Kollektivierung, Nivellierung, Schematisierung aller Personen und Lebensbereiche“. Nach wie vor gültig ist in dieser Hinsicht auch die Feststellung Bluntschlis, Staatsrecht: „Alle Menschen sind als Menschen sich gleich“ (691), und: „Alle Menschen sind hinwieder als Individuen ungleich“ (693; Hervorhebungen im Original). Das ist kein Widerspruch. 49 S dazu bereits oben C.II. sowie Groiss/Schantl/Welan, ÖJZ 1975, 374, wonach es eine „egalitäre“ Gleichheit in Österreich nie gegeben hat: „Die Durchsetzung einer egalitären Gleichheit in ökonomischer und sozialer Beziehung stößt im Rahmen einer Demokratie westlicher Prägung auf institutionelle Widersprüche. Konnex- und Komplementinstitute des Gleichheitsrechtes, insb das Privateigentum, erzeugen Widerstände gegen eine Expansion der Gleichheit.“ 50 Kloepfer, Gleichheit 48, der sich aaO 46, gegen eine „[übertreibende] Gegenüberstellung von Freiheit und Gleichheit“ ausspricht; ebenso Schoch, DVBl 1988, 871; s weiters Pieroth/Schlink, Grundrechte Rz 430, denen zufolge zwar die politischen For-
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Da die Verfassung sowohl Gleichheits- als auch Freiheitsrechte garantiert und keines dieser Rechte absolut setzt, verbietet sich auch die Annahme, dass im Fall eines Konflikts zwischen beiden Rechten einem von ihnen stets der Vorrang einzuräumen wäre51. Insbesondere kann eine Präponderanz der Gleichheit nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass das StGG dieses Recht an die Spitze des Grundrechtskataloges gesetzt hat und im B-VG nur die Gleichheit vor dem Gesetz, aber kein Freiheitsrecht garantiert worden ist52. Eine solche Argumentation bliebe von vornherein ____________________
derungen nach größtmöglicher Freiheit einerseits und größtmöglicher Gleichheit andererseits miteinander in Konflikt stehen, nicht hingegen die grundrechtlichen Verbürgungen von Gleichheit und Freiheit, weil sie es weitgehend dem Gesetzgeber überlassen, wie er die gegenläufigen politischen Forderungen befriedigen will, sofern er dabei gewisse Grenzen nicht verletzt. S schließlich auch den Befund Rohloffs, Zusammenwirken 1, dass das vielfach konstatierte Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit in der Judikatur des BVerfG bisher keine praktische Relevanz erfahren hat; Gleiches gilt, wie noch zu zeigen sein wird, für die Judikatur des VfGH. 51 AA offenbar Ermacora, Handbuch 36, der einerseits konstatiert, dass in der westlichen Rechtswissenschaft das Prinzip der Gleichheit als „ein die anderen Grundrechte beherrschendes Grundrecht“ angesehen werde (demgegenüber sieht Schoch, DVBl 1988, 871, die Präponderanz der Freiheit als die herrschende Ansicht an), andererseits aber aaO 39 f, meint, der allgemeine Gleichheitssatz sei zwar absolut für die Behandlung der Würde des Menschen und garantiere im Übrigen die gleiche Gewährleistung anderer Rechte; er sei jedoch nur subsidiärer Natur und gewährleiste seiner Funktion nach den gleichen Genuss aller Grundrechte. Die Gleichheit begründe insofern ein akzessorisches Recht bzw sei, wie es Jellinek ausgedrückt habe, „rein negativer Natur, sie ist objektives Recht, und ihre Wirkung auf individuelle Rechtssphären ist reine Reflexwirkung“; ihm offenbar folgend Stoll, ÖStZ 1989, 198, der unter Hinweis auf Ermacora annimmt, dass Gleichheit die Grundwerte der Freiheit zur Voraussetzung und diesen zu dienen hat. 52 S aber H. Stadler, RdS 1983, 116, nach der das StGG von zwei Grundprinzipien ausgehe; das in seiner Wertigkeit über allen Grund- und Freiheitsrechten stehende „Programmrecht“ sei die in Art 2 StGG geregelte Gleichheit, als deren Spezifikation besonders die in Art 3 bis 7 und 19 Abs 1 StGG garantierten Rechte anzusehen seien. Das zweite Grundprinzip, das aber nur in Unterordnung unter dem Gesichtswinkel der Gleichheit gesehen werden könne, seien die in Art 8 StGG garantierte Freiheit und ihre Spezifikationen in den Art 9 ff StGG. Dem ist nicht zuzustimmen; die Art 3 StGG und 7 StGG stehen zwar in engem Zusammenhang zum Gleichheitssatz, die Art 4 StGG bis 6 StGG „konkretisieren“ den Gleichheitssatz aber nur insofern, als sie eben für jedermann oder doch immerhin für jeden Staatsbürger gelten. Gerade das ist aber nur eine Folge der Generalität dieser Grundrechte. Wollte man darin schon eine Konkretisierung des Art 2 StGG sehen, dann müsste Gleiches auch für jede andere generelle Norm gelten, weil ja auch sie alle Personen, die ihrem Tatbestand unterfallen, gleich behandelt (s dazu schon F.I.1.c.). Insbesondere wäre dann nicht mehr zu sehen, warum gerade für die in Art 8 StGG garantierte persönliche Freiheit und die Rechte der Art 9 StGG bis 18 StGG anderes gelten sollte. Dass sich manche dieser Rechte ihrer historischen Zielrichtung nach auch gegen Privilegierungen und Diskriminierungen gerichtet haben (s dazu noch unten F.II.1.a.), ändert nichts daran, dass die Freiheitsrechte – wenn auch allen Grundrechtsträgern gleichermaßen – eine näher determinierte Freiheit zuerkennen, dem Grundrechtsträger also bestimmte Handlungsspielräume verschaffen, was vom Gleichheitssatz so nicht gesagt werden kann. Wie noch zu zeigen ist, kann der Gleichheitssatz sogar als ein relatives Beschränkungsgebot wirken und solcherart Freiheitseinbußen zur Folge haben: F.II.4.
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ganz an der Oberfläche und müsste konsequent zu Ende gedacht zu einer nicht nachvollziehbaren Hierarchie der Grundrechte führen, in der, um nur ein Beispiel zu nennen, der gleichen Zugänglichkeit zu den öffentlichen Ämtern mehr Gewicht zukäme als der Unverletzlichkeit des Eigentums, weil die zuerst genannte Garantie schon in Art 3 StGG ausgesprochen ist, das Recht auf Eigentum aber erst in Art 5 StGG53. Dass die Gleichheit im StGG vor allen anderen Rechten garantiert wurde, ist primär auf die Vorbildwirkung des Kremsierer Grundrechtsentwurfes zurückzuführen. Wie im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, schrieb der Reichstag von Kremsier der Gleichheit tatsächlich eine Bedeutung zu, die sie aus der Masse der anderen Grundrechte heraushob54. Im Laufe der Beratungen stieg der Stellenwert der Gleichheit immer weiter an, bis sie schließlich zum Leitgedanken der neu zu errichtenden Staatsform stilisiert und dementsprechend an die Spitze der Konstitution gesetzt wurde. Nirgendwo in den Beratungen ist aber erkennbar, dass der Reichstag der Gleichheit im Fall eines Konflikts mit einem Freiheitsrecht stets den Vorzug geben wollte. Auf die Gleichheit wurde zwar die Forderung gestützt, dass Beschränkungen der Freiheit gleichmäßig vorzunehmen sind; doch diese Forderung stellt die Gleichheit gerade in den Dienst der Freiheit, führt sie doch dazu, dass diese allen im gleichen Maß gewährt und nicht manchen schlechthin vorenthalten wird55. Im „klassischen“ Konflikt zwischen Gleichheit und Freiheit, nämlich der Frage, inwieweit die Gleichheit auch eine – nur auf Kosten des Privateigentums realisierbare – Angleichung der tatsächlichen Lebensverhältnisse verlange, entschied sich der Kremsierer Reichstag hingegen klar für die Freiheit. Er rückte dementsprechend, wie bereits mehrfach erwähnt, sogar den Passus „Vor dem Gesetze“ vorsorglich an die Spitze des Gleichheitssatzes, um klarzustellen, dass dieser eben nur rechtliche Gleichheit gebiete, nicht aber auch die Herstellung faktischer Gleich____________________
53 Gegen eine Werthierarchie der Grundrechte allgemein auch Berka, Medienfreiheit 23; Morscher, EuGRZ 1990, 470; Holoubek/Neisser, Freiheit der Kunst 211 f; zur gegenteiligen Ansicht Schlags, ÖJZ 1992, 50 ff, s Holoubek, Gewährleistungspflichten 131 ff. Dass auch der Verfassungsgesetzgeber selbst eine solche Rangordnung nicht annimmt, ergibt sich deutlich aus den Materialien zu Art 17a StGG, nach denen man „allen Grund- und Freiheitsrechten das gleiche Gewicht beimessen muß, und die Ausübung der gewährleisteten Freiheit durch den einen sich mit dem Freiheitsraum des anderen in Übereinstimmung befinden muß“: AB 978 BlgNR 15. GP 2. 54 S oben B.II.2.a. 55 Die Gleichheit war also ein Nebenprodukt der Freiheit, die allen garantiert sein sollte; insofern gingen Gleichheit und Freiheit miteinander Hand in Hand: Verlangt wurde Freiheit und stets im selben Atemzug: Freiheit für alle; s dazu schon oben B.II.2.c. sowie Grimm, Recht und Staat 12, nach dem die Gleichheit im „revolutionären“ Grundrechtsverständnis „nicht im Gegensatz zur Freiheit [stand], sondern modal auf diese bezogen [blieb]. Gleichheit bedeutete Gleichheit in der Freiheit“.
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heit56. Die so verstandene Verbürgung der Gleichheit richtete sich nicht nur, aber doch in erster Linie gegen die überkommenen Vorrechte des Adels und gegen bestimmte religiös motivierte Benachteiligungen. Die Beseitigung dieser Privilegierungen und Diskriminierungen stand zur Freiheit von vornherein nicht in einem Spannungsverhältnis, sondern war ihr eher förderlich: Zum einen baute sie die Vormachtstellung des Adels und damit auch dessen Machtanspruch der nichtadeligen Bevölkerung gegenüber ab, zum Zweiten führte sie dazu, dass das Bekenntnis eines Menschen nicht mehr zu seinem Nachteil ausschlagen konnte, für ihn also frei wählbar war. Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, dass die systematische Stellung des Gleichheitssatzes im StGG die grundsätzliche Präponderanz der Gleichheit vor der Freiheit zum Ausdruck bringen sollte. Ebenso verfehlt wäre es, aus der Tatsache, dass das B-VG nur die Garantie der Gleichheit übernommen hat, auf eine Vorrangstellung dieses Grundrechts zu schließen. Denn dass sich die politischen Kräfte im Jahr 1920 in Ansehung ihrer klaren Entscheidung für die Demokratie zwar auf eine Formulierung des allgemeinen Gleichheitssatzes verständigen, über die genaue Ausgestaltung der sonstigen Grundrechte aber keine Einigkeit erzielen konnten, sagt nichts über ihr Verständnis vom Verhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit aus. Die geschlossene Übernahme des StGG weist viel eher darauf hin, dass der Verfassungsgesetzgeber dieses Verhältnis – zumindest vorläufig – weiterhin so wie bisher beurteilt haben wollte. Die nachfolgende Entwicklung der österreichischen Verfassung, insbesondere die punktuellen Garantien einer faktischen Gleichheit57, verbieten allerdings auch die umgekehrte Annahme, dass nämlich die Verfassung stets der Freiheit den Vorzug geben will58. Wann die Verfassung der Gleichheit und wann sie der Freiheit den Vorrang einräumt, ist daher nicht einmal prima facie entschieden, sondern in jedem Einzelfall gesondert zu klären. ____________________
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S oben B.II.1.a., B.II.1.b. S noch vor Erlassung des B-VG Art 67 StV St Germain und im B-VG selbst den 1997 eingefügten Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG, in dem sich die Republik dazu bekennt, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten, sowie den 1998 erlassenen Art 7 Abs 2 B-VG, wonach sich Bund, Länder und Gemeinden zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau bekennen. Die zwei zuletzt genannten Bestimmungen vermitteln dem Einzelnen zwar kein subjektives Recht, geben den Gebietskörperschaften aber doch ein Staatsziel vor, dessen Realisierung durchaus mit Freiheitseinbußen verbunden sein kann; s zu Art 7 Abs 2 B-VG schon oben E.I.4.e., zu Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG noch unten G.II.1. und G.II.5. 58 AA für Art 3 Abs 1 GG Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 135, der von einer Präponderanz der Freiheit ausgeht; s zu dieser Annahme mwN auch Schoch, DVBl 1988, 871 FN 127. Für eine prinzipielle Gleichrangigkeit von Freiheit und Gleichheit demgegenüber wohl Starck, Art 3 GG Rz 3; ebenso Ermacora, Handbuch 40; s aber auch dens aaO 36, 39 sowie oben FN 51. 57
Das Auslegungspotential der Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz
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II. Das Auslegungspotential der Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz Wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde, muss eine Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes ihren Ausgang bei den speziellen Gleichheitssätzen nehmen; das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz wird durch diese Spezialnormen näher präzisiert, konturiert und damit auch differenziert. Nichts anderes gilt für die Freiheitsrechte. Auch sie beinhalten Wertungen, die für die Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes nutzbar gemacht werden können: Freiheitsrechte entlasten den Gleichheitssatz, soweit sie den Gesetzgeber zur Vornahme bestimmter Differenzierungen ermächtigen, die dann gleichheitsrechtlich weder geboten noch verboten sein können. Sie beinhalten weiters Differenzierungsverbote und -gebote, die durch den allgemeinen Gleichheitssatz nicht aufgehoben werden können, sondern diesem vorgehen. Schließlich determinieren die Freiheitsrechte den allgemeinen Gleichheitssatz auch insofern, als sie festlegen, dass zwischen bestimmten Sachverhalten und Personen schon von Verfassung wegen wesentliche Gemeinsamkeiten und zwischen anderen wesentliche Unterschiede bestehen59.
1. Freiheitsrechte als Differenzierungsverbote, -erlaubnisse und -gebote a. Freiheitsrechte als prima facie geltende Differenzierungsverbote Zunächst greift die Verfassung, wenn sie ein Freiheitsrecht garantiert, aus der unendlichen Zahl denkbarer Handlungen und Sachverhalte eine Gruppe heraus und erklärt sie für grundsätzlich frei. Darin kommt zum Ausdruck, dass diese Handlungen im Verhältnis zueinander prima facie gleichwertig sind: Wenn Art 17a StGG das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst und deren Lehren für frei erklärt, so gibt es vor der Verfassung und damit auch vor dem Gesetz grundsätzlich keine gute oder ____________________
59 S zur Bedeutung der Freiheitsrechte für die Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes schon Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 599, die zutreffend betonen, dass in den Grundrechten „ein substantielles Stück Gleichheit“ steckt; s aus der deutschen Literatur weiters Rohloff, Zusammenwirken 63 ff; Osterloh, Art 3 GG Rz 17 f; Starck, Art 3 GG Rz 19 ff; s auch Stettner, BayVBl 1988, 551, nach dem der Operationalisierungsmaßstab des Gleichheitssatzes durch die Wertentscheidungen der Verfassung, so auch durch die Freiheitsrechte ausgefüllt wird; ebenso Osterloh, EuGRZ 2002, 311, nach der das gesamte GG den für die Interpretation des Gleichheitssatzes entscheidenden Kontext liefert, „insbesondere aber die Freiheitsgrundrechte und deren gemeinsamer Maßstab, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit. Die Freiheitsgrundrechte bieten überzeugende Bewertungsmaßstäbe dafür, ob Gründe von hinreichendem Gewicht zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung vorliegen.“
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schlechte und schon gar keine „entartete“ Kunst, ebenso wie es wegen Art 17 StGG keine prima facie erwünschte oder unerwünschte Wissenschaft, wegen Art 13 StGG keine falsche oder richtige Meinung, wegen Art 14 StGG kein gutes und kein schlechtes Bekenntnis, wegen Art 6 StGG keinen anständigen oder unanständigen Erwerb, wegen Art 8 EMRK keine naturgewollte oder fehlgeleitete Lebensführung gibt – alles, was man als Kunst, Wissenschaft, als Meinung, Bekenntnis, Erwerbstätigkeit, individuellen Lebensstil oder sonst als frei gestellt ansprechen kann, ist nach der Verfassung prima facie ohne Unterschied gleich schützenswert60. Die Besonderheiten, die in dieser Hinsicht zwischen den Menschen bestehen oder durch die Inanspruchnahme der Freiheit gerade entstehen können, werden damit von Verfassung wegen anerkannt und respektiert, sodass auch die Andersartigkeit einer Minderheit „im Grundsatz ertragen“ werden muss61. Die Einebnung der solcherart erzeugten Vielfalt und Individualität widerspräche der Zielsetzung der Freiheitsrechte62 und ließe sich gewiss nicht mit dem Anliegen rechtfertigen, dass zwischen den Menschen faktische Gleichheit hergestellt werden soll. Noch weniger kann ein solches Anliegen dem Gleichheitssatz unterschoben werden: Denn der allgemeine Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen, wie gezeigt, selbst ein Recht, anders zu sein, das in den Freiheitsgarantien nur seine Fortsetzung findet: Sie stellen dem aus dem Gleichheitssatz resultierenden Recht, nicht wegen indisponibler Eigenschaften diskriminiert zu werden, das Recht an die Seite, nicht aufgrund einer Disposition benachteiligt zu werden, die die Verfassung dem Einzelnen ausdrücklich freistellt. Gleichheit und Freiheit stehen in dieser Hinsicht also nicht in einem Spannungsverhältnis, sie ergänzen einander vielmehr und gehen zum Teil sogar ineinander über, so, wenn die Verfassung durch Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG und Art 14 EMRK Differenzierungen nach dem Bekenntnis verpönt, das zu wählen dem Einzelnen zugleich durch Art 14 StGG und Art 9 EMRK freigestellt ist. Die verfassungsgesetzlich garantierten Freiheitsrechte kommen zudem jedermann oder doch immerhin jedem Staatsbürger zu. Daher sind auch alle Grundrechtsträger hinsichtlich der Möglichkeit, eine für frei erklärte ____________________
60 So auch Kloepfer, Gleichheit 50 f, der von internen Differenzierungsverboten bzw -erschwernissen spricht, aber auch hinzufügt, dass sich diese Erschwernisse auf den grundrechtlichen Schutz als solchen beziehen, nicht aber auf eine differenzierende Ausgestaltung durch den Gesetzgeber und noch weniger auf eine undifferenzierte Inanspruchnahme; s weiters Stettner, BayVBl 1988, 551. 61 S für die Bekenntnisfreiheit Grimm, Multikulturalität 142. 62 S schon K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 203; Erichsen, DVBl 1983, 295; Robbers, DÖV 1988, 757; Zacher, Soziales Staatsziel Rz 40; Huster, Rechte 413 f; ebenso Thienel, Berufungsverfahren 40.
Das Auslegungspotential der Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz
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Handlung zu setzen, als wesentlich gleich anzusehen63. Manche Freiheitsrechte richten sich ihrer historischen Zielsetzung nach sogar in erster Linie gegen Privilegierungen oder Diskriminierungen bestimmter Personengruppen: So wurden durch die Liegenschaftsfreiheit des Art 6 Abs 1 StGG Beschränkungen aufgehoben, die vormals zugunsten bestimmter bevorrechteter Klassen bestanden haben. Die Möglichkeit, eine Liegenschaft zu erwerben, sollte nun nicht mehr auf einen bestimmten Stand beschränkt sein, und ebenso wenig sollten Personen vom Liegenschaftserwerb ausgeschlossen werden können, nur weil sie einer bestimmten Konfession angehören64. Auch die Erwerbsfreiheit richtet sich nach dem Willen des historischen Gesetzgebers gegen Vorschriften, die die Ausübung eines Gewerbes nur Personen erlauben, die einer bestimmten Zunft angehören65. Dass mit den Freiheitsrechten neben dem speziellen Schutz eines bestimmten Lebensbereiches (zB des Eigentums oder der Meinung) ein Moment der Nichtdiskriminierung einzelner Personengruppen verbunden ist, wurde auch anlässlich der parlamentarischen Genehmigung der RDK festgestellt66. All das lässt aber nicht den Schluss zu, dass sich die Freiheitsrechte in Diskriminierungsverboten erschöpfen, wie dies der VfGH in seiner älteren Judikatur etwa für die Liegenschaftsfreiheit angenommen hat67: Art 6 StGG wendet sich zwar auch, aber keineswegs nur gegen Vorschriften, die den Erwerb einer Liegenschaft bloß einer bevorrechteten Klasse gestatten; er wäre ebenso verletzt, würde der Liegenschaftserwerb ohne eine derartige Klassifizierung, also ganz generell für alle Staatsbürger ausgeschlossen oder grundlos beschränkt. Auch am Gemeinschaftsrecht lässt sich beobachten, dass der Beschränkungsschutz, den ein Freiheitsrecht gewährt, durch seine gleichheitsrechtliche Zielsetzung zunächst überlagert werden kann. So wurde in den Freizügigkeitsrechten des EGV anfänglich nur das Verbot gesehen, Personen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit zu diskrimi____________________
63 In der Literatur wird dieser Aspekt der Freiheitsrechte mitunter auf den Gleichheitssatz zurückgeführt, etwa bei Kloepfer, Gleichheit 49: „Soweit aus dem Verfassungstext nichts anderes erkennbar ist, wird der Grundrechtstatbestand nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 GG, d. h. prinzipiell gleich gewährt.“ ME ist diese Querverbindung überflüssig, denn die gleiche Geltung der gewährten Freiheit für jedermann oder für jeden Staatsbürger folgt schon aus dem persönlichen Anwendungsbereich des Freiheitsrechtes selbst (dazu schon F.I.1.c.). Zutreffend stellt daher Starck, Art 3 GG Rz 20, fest, dass die in den Freiheitsrechten gebrauchten Ausdrücke „jedermann“, „niemand“ Differenzierungsverbote beinhalten. 64 S mwN auch aus der Judikatur Morscher, Niederlassungsfreiheit 516, 522; s auch Herrnritt, Verfassungsrecht 88, nach dem die in Art 6 StGG gewährte Liegenschafts- und Erwerbsfreiheit eine „fernere Wirkung der Gleichheit vor dem Gesetze“ ist. 65 Vgl mwN zB Grabenwarter, Erwerbsbetätigung 559. 66 RV 35 BlgNR 13. GP 24. 67 S dazu mwN Morscher, Niederlassungsfreiheit 522; Berka, Grundrechte Rz 764, 768 f.
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nieren, Unionsbürgern also durch eine Schlechterstellung im Verhältnis zu Inländern die Ausübung ihrer Freizügigkeit zu erschweren. Zu Recht wurde dieses Verbot bald auch auf mittelbare Diskriminierungen bezogen; von ihm erfasst waren daher auch Unterscheidungen, die zwar nicht unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpften, Unionsbürger aber doch signifikant häufiger benachteiligten als Inländer und so ihre Mobilität beeinträchtigten. Erst in der jüngeren Vergangenheit werden die Freizügigkeitsrechte zunehmend auch als „echte“ Freiheiten verstanden, die eine Beschränkung der frei gestellten Handlungen ganz allgemein erschweren oder verbieten, also auch dann, wenn diese Beschränkung nicht auf einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit beruht68. Freiheitsrechte statuieren insofern Differenzierungsverbote in zweifacher Hinsicht69: Sie verbieten dem einfachen Gesetzgeber prima facie, innerhalb der Handlungsgattung, die zum Gegenstand eines Freiheitsrechts erhoben worden ist, Unterscheidungen zu treffen, die die Vornahme bestimmter Handlungen behindern. Außerdem untersagen Freiheitsrechte dem Gesetzgeber prinzipiell, einzelne Grundrechtsträger bei der Inanspruchnahme einer Freiheit schlechter zu behandeln als andere oder sie davon sogar ganz auszuschließen. Die aus den Freiheitsrechten resultierenden „Gleichheitsrechte“ sind allerdings nicht komparativ: Das Recht, von einer Belastung frei zu bleiben, resultiert nicht daraus, dass auch ein anderer nicht belastet worden ist; es besteht unabhängig davon, wie der Gesetzgeber andere Personen behandelt. Freiheitsrechte verbürgen nicht, dass jeder gleiche Freiheit, sondern, dass jeder Freiheit haben soll. Die Gleichheit ist also ein Nebenprodukt der generellen Geltung, nicht aber primärer Gegenstand des Rechts70. Dementsprechend könnte die Verletzung eines Freiheitsrechts gerade nicht korrigiert werden, indem einem anderen eine gleichartige Belastung auferlegt wird. Sie kann nur auf einem Weg, nämlich durch die Beseitigung der Belastung selbst aufgehoben werden71. ____________________
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Näher Lackhoff, Niederlassungsfreiheit 249 ff, 358 ff. S auch Kloepfer, Gleichheit 49 f. 70 Freiheitsrechte entsprechen also nicht einer Forderung nach dem Muster: „Jeder soll gleich satt werden“, sondern dem Postulat: „Jeder soll satt werden“. Die zuerst genannte Forderung wäre auch erfüllt, wenn niemand satt wird. Die zweite Forderung verlangt, dass jeder satt wird; dass ein anderer hungrig bleibt, beseitigt diesen Anspruch nicht, s schon oben Abschnitt D FN 314 und 315. 71 Damit soll nicht gesagt werden, dass die relative Belastungssituation des Grundrechtsträgers auf der Rechtfertigungsebene ganz irrelevant ist. So mag die Abwägung zwischen Eingriffsziel und Freiheitsinteresse unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob ein Eingriff im geltenden Recht ganz singulär ist oder ob mit ihm vergleichbare Eingriffe gang und gäbe sind. Dass anderen Personen in vergleichbarer Lage ein ähnlicher Eingriff zugemutet wird, kann die Annahme, der geprüfte Eingriff sei nicht unverhältnismäßig, also stützen. 69
Das Auslegungspotential der Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz
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b. Freiheitsrechte als Differenzierungsermächtigungen Entgegen ihrem ersten Anschein sind die Freiheitsrechte jedoch nicht differenzierungsfeindlich72; denn die genannten Ungleichbehandlungsverbote gelten im Regelfall nicht absolut, sondern sind nur prima facie statuiert. Die dem einfachen Gesetzgeber erteilte Ermächtigung, einer Freiheit verhältnismäßige Schranken zu ziehen, beinhaltet gleichheitsrechtlich gesehen eine Differenzierungserlaubnis73: Sie gestattet, an eine Freiheitsausübung, die dem Gemeinwohl abträglich ist, andere Rechtsfolgen zu knüpfen als an eine gemeinwohlverträgliche Freiheitsausübung, erklärt die zwischen diesen Handlungen bestehenden Unterschiede also für wesentlich und erhebt damit die Auswirkung einer Handlung für die Allgemeinheit zu einem zulässigen Differenzierungsgrund. c. Freiheitsrechte als relative Differenzierungsgebote Die den Gesetzesvorbehalten immanente Ermächtigung, aus öffentlichen Interessen in ein Freiheitsrecht einzugreifen, ist allerdings nicht schrankenlos: Sie bindet den Gesetzgeber an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, beinhaltet also nicht nur eine Differenzierungserlaubnis, sondern auch ein relatives Differenzierungsgebot: Dem Gesetzgeber steht es zwar grundsätzlich74 frei, einen Eingriff vorzunehmen oder ihn zu unterlassen, im zweiten Fall also alle Grundrechtsträger in der Ausübung ihrer Freiheit gleichermaßen nicht zu beschränken. Wenn er in diese Freiheit aber eingreift, so muss er differenzieren zwischen Grundrechtsträgern, die ein Eingriff unverhältnismäßig schwer belastet und solchen, für die ein Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu einem öffentlichen Interesse steht. d. Freiheitsrechte als absolute Differenzierungsgebote Behindert die Ausübung eines Freiheitsrechts die Inanspruchnahme eines anderen Freiheitsrechts, so ist der einfache Gesetzgeber nicht nur ermächtigt, den sozial unverträglichen Freiheitsgebrauch zu beschränken, er kann dazu – qua Schutzpflicht75 – auch verpflichtet sein. Das zu beschränkende Freiheitsrecht beinhaltet dann zwar weiterhin nur eine Differenzie____________________
Beweisen kann er diese Annahme allerdings nicht; sonst müsste der Gesetzgeber einen unverhältnismäßig schwer wiegenden Eingriff nur oft genug an anderen Personen wiederholen, um ihm letztlich doch eine Rechtfertigung zu verschaffen. 72 Starck, Art 3 GG Rz 20; s auch Götz, Diskussionsbeitrag 94. 73 Starck, Art 3 GG Rz 20. 74 Anderes gilt für Gewährleistungspflichten, s gleich unten F.II.1.d. 75 S allgemein Holoubek, Gewährleistungspflichten 243 ff.
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rungserlaubnis; sie verdichtet sich aber durch das zu schützende gegenläufige Recht zu einem absoluten Differenzierungsgebot. e. Vorrang der freiheitsrechtlichen Differenzierungsregeln Soweit sich die Zulässigkeit einer Gleich- oder Ungleichbehandlung bereits aus einer dieser freiheitsrechtlichen Differenzierungsregeln ergibt, gehen sie dem allgemeinen Gleichheitssatz grundsätzlich vor76. Das gilt zunächst für die aus einer Schutzpflicht resultierenden absoluten Differenzierungsgebote: Gebietet ein Freiheitsrecht die Privilegierung eines bestimmten Freiheitsgebrauches, so kann diese Differenzierung gleichheitsrechtlich nicht verboten sein. Ist eine solche Privilegierung hingegen durch das Freiheitsrecht in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt, so kann sie auch durch den Gleichheitssatz nicht geboten sein. Erst wenn der Gesetzgeber eine derartige Privilegierung aus eigenen Stücken vornimmt, also ohne verfassungsrechtlich dazu verpflichtet zu sein, entfaltet der allgemeine Gleichheitssatz eigenständige Bedeutung77. Vorrang vor dem Gleichheitssatz haben aber auch die aus den Freiheitsrechten resultierenden relativen Differenzierungsgebote. Kein Gleichheits-, sondern ein Freiheitsproblem besteht daher, wenn zu prüfen ist, ob ein Eingriff in ein Freiheitsrecht zu weit reicht, weil er für einen Teil der betroffenen Personen unverhältnismäßig schwer wiegt: Diesfalls lässt sich zwar sagen, diese Personengruppe unterscheide sich wesentlich von den anderen Personen, deren Freiheit beschränkt worden ist, sie sei daher ungleich zu behandeln78. Die wesentlichen, zu einer Differenzierung verpflichtenden Unterschiede zwischen diesen beiden Vergleichsgruppen bestehen dann aber stets in jenen Umständen, die den Eingriff für die eine Gruppe verhältnismäßig, für die andere hingegen unverhältnismäßig machen. Bezogen auf diese Differenzierung kann die Gleichheitsprüfung nie zu einem anderen Ergebnis führen als die Freiheitsprüfung, weil das Verhältnismäßigkeitsgebot des jeweils beschränkten Freiheitsrechtes im Rahmen der Gleichheitsprüfung als relatives Differenzierungsgebot wirkt, eben als Gebot, bei der Vornahme eines Eingriffes zwischen verhältnismäßig und unverhältnismäßig schwer wiegenden Belastungen zu unterscheiden79. ____________________
76 Zu Fällen, in denen dem Gleichheitssatz neben den Freiheitsrechten eigenständige Bedeutung zukommt, s unten F.II.3. 77 S dazu unten F.II.7. 78 Dass Freiheitsprobleme in Gleichheitsprobleme umgedeutet werden können, stellt auch Grimm, Multikulturalität 138 f, fest; s dazu auch schon oben D.II.2.a. 79 Beispielhaft dafür ist etwa das Erkenntnis VfSlg 12.378/1990, in dem es der Gerichtshof als gleichheitskonform ansah, dass die Durchführung des Hypothekenbankgeschäftes nur Aktienbanken gestattet ist, weil diese Geschäfte besondere organisatorische Vorkehrungen erfordern. Er erachtete diese Bestimmung auch als vereinbar mit der Erwerbs-
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Da sich das für die Gleichheitsprüfung relevante tertium comparationis (die Intensität der Freiheitsbeeinträchtigung) aus dem Freiheitsrecht ergibt, ist in einem solchen Fall zweckmäßigerweise mit der Prüfung am Freiheitsrecht zu beginnen80. Erst wenn der Eingriff in die Freiheit für alle Normadressaten mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, kann der allgemeine Gleichheitssatz eine eigenständige Bedeutung entfalten81. Der VfGH verfährt nicht selten umgekehrt und prüft eine Freiheitsbeschränkung zuerst oder sogar ausschließlich am Gleichheitssatz82. Die Ten____________________
ausübungsfreiheit, weil an die sich im Realkredit und Emissionsgeschäft betätigenden Unternehmen besondere Anforderungen zu stellen seien und es in diesem Sektor keine spekulativen Geschäfte geben dürfe. Jene Gründe, die diese Regelung gleichheitskonform erscheinen ließen, erwiesen sie also auch als vereinbar mit der Erwerbsfreiheit; s auch das Erkenntnis VfSlg 12.383/1990, in dem die Prüfung am Gleichheitssatz und an der Erwerbsfreiheit ineinander aufgehen, wenn der Gerichtshof feststellt, dass sich der Vorrang der staatlichen Arbeitsvermittlung und der unentgeltlichen Arbeitsvermittlung durch karitative Organisationen, Interessenvertretungen und sonstige Einrichtungen gegenüber einer auf Gewinn gerichteten Arbeitsvermittlung im Hinblick auf die Besonderheit des Gegenstands der Tätigkeit sachlich rechtfertigen lässt und dass darin keine übermäßige Beeinträchtigung der Erwerbsausübungsfreiheit Dritter zu erblicken sei, sofern der Bedarf durch die Einrichtungen der unentgeltlichen Arbeitsvermittlung vollständig und ausreichend gedeckt ist: Fehlte es an einer solchen Deckung, dann wäre der Vorrang der staatlichen und unentgeltlichen Arbeitsvermittlung auch vor dem Gleichheitssatz sachlich nicht mehr zu rechtfertigen; sie unterscheidet sich zwar von der auf Gewinn gerichteten Arbeitsvermittlung – aber doch nicht so sehr, dass sie dieser jedenfalls vorgezogen werden kann; s weiters VfSlg 13.575/ 1993, wonach der Gesetzgeber die ihm durch den Gleichheitssatz und durch Art 6 StGG gezogenen Grenzen nicht überschreitet, wenn er anordnet, dass ein Rechtsanwaltsanwärter von den insgesamt geforderten fünf Jahren der praktischen Verwendung mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen hat; VfSlg 16.688/2002, wonach ein Verbot unerbetener Werbeanrufe zunächst als vereinbar mit Art 6 StGG qualifiziert und der sub titulo Gleichheitssatz erhobene Vorwurf, das Verbot reiche zu weit (sei also zu wenig differenziert), als unbegründet verworfen wurde. 80 S auch Huster, Art 3 GG Rz 98; Starck, Art 3 GG Rz 300. Auch das BVerfG stellt in ständiger Rechtsprechung fest, dass eine Regelung, die mit der in Art 12 Abs 1 GG garantierten Berufsfreiheit vereinbar ist, einer Überprüfung am Maßstab des Art 3 Abs 1 GG standhalte, s dazu die Nachweise bei Rohloff, Zusammenwirken 75; eine teilweise Spezialität des Art 12 Abs 1 GG gegenüber Art 3 Abs 1 GG bejaht in der deutschen Lehre auch Starck, Art 3 GG Rz 300, nach dem aus der Verhältnismäßigkeit einer Regelung unter dem Gesichtspunkt eines Freiheitsrechts die Legitimität der entsprechenden Gattungsbildung unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes folgt; s auch Rohloff, Zusammenwirken 76. 81 S dazu sogleich unten F.II.3.-F.II.7. 82 S zB das Erkenntnis VfSlg 12.227/1989, in dem die Mineralölunternehmen auferlegte Pflicht, Notstandsreserven zu halten, zwar als gleichheitskonform, die zugleich statuierte Pflicht, solche Reserven im Lager eines Konkurrenzunternehmens zu halten, aber als unsachlich qualifiziert wurde. Für dieses Ergebnis hätte nicht auf den Gleichheitssatz rekurriert werden müssen: Die Pflicht, bestimmte Reserven zu halten, beschränkt die Mineralölunternehmen in ihrer Eigentumsfreiheit; sie ist durch ein schwerwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt. Keinem derart legitimen Ziel dient hingegen die Pflicht, die genannten Reserven bei Konkurrenzunternehmen zu halten, daher verletzt sie das Eigentum (s dann aber auch das Erkenntnis VfSlg 15.771/2000, in dem die Pflicht zur Haltung
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denz, Freiheitsbeschränkungen als Gleichheitsproblem aufzufassen, ist in ____________________
von Notstandsreserven im Inland an Art 5 StGG und am Gleichheitssatz geprüft und für unbedenklich befunden wurde); s auch VfSlg 13.011/1992, wonach die Verlängerung der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt als Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte von fünf auf sechs bzw sieben Jahre gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, weil es für diese Verschärfung der Berufsvoraussetzung keine sachliche Rechtfertigung gebe; zu demselben Ergebnis wäre man gelangt, wenn die inkriminierte Verwendungsdauer als Eingriff in die – primär betroffene – Erwerbsfreiheit auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft worden wäre (anders dann aber VfSlg 13.575/1993, wo für die Verwendungsdauer sowohl auf den Gleichheitssatz als auch auf Art 6 StGG rekurriert wird); s auch das Erkenntnis VfSlg 13.363/1993, in dem der VfGH ein Prostitutionsverbot am allgemeinen Gleichheitssatz überprüft und im Hinblick auf die festgestellte Eignung und Adäquanz der Regelung zur Zielerreichung dahin stehen lässt, ob die Prostitution überhaupt ein von Art 6 StGG geschützter Erwerbszweig ist. In VfSlg 13.577/1993 wurde eine Regelung, die den Zugang zu Untersuchungsausschüssen Medienvertretern vorbehielt, zuerst am Gleichheitssatz geprüft und als überschießend befunden, weil diese Zugangsbeschränkung unabhängig davon galt, ob sie durch die räumlichen Gegebenheiten erforderlich war; im Anschluss daran wurde diese Regelung mit im Wesentlichen gleichen Argumenten auch als Verletzung des Art 10 EMRK qualifiziert; s weiters VfSlg 15.201/ 1998, wonach es dem Gleichheitssatz widerspricht, für die überwiegend Gasversorgungszwecken dienenden Anlagen nach § 4 EnWG dem zuständigen BM ein mindestens zeitlich, weitgehend aber auch von den Voraussetzungen her betrachtet unbegrenztes Lenkungsinstrument in Gestalt eines Untersagungsrechtes zur Verfügung zu stellen, die volkswirtschaftlich wohl mindestens gleich bedeutsamen Gasfernleitungen aber einem nach Voraussetzungen und Verfahren gesetzlich begrenzten, sozusagen herkömmlich-gewerberechtlichen Bewilligungssystem zu unterwerfen. Wie sich aus den übrigen Erwägungen des genannten Erkenntnisses ergibt, sah der VfGH die Gleichheitswidrigkeit in Wahrheit nicht in dieser Ungleichbehandlung, sondern in der unbeschränkten Untersagungsbefugnis des BM als solcher; der Gesetzgeber hätte die beanstandete Gleichheitswidrigkeit daher nicht korrigieren können, indem er für Gasfernleitungen ein gleichartiges System einführt, das Niveau also insgesamt senkt. Die konstatierte Gleichheitswidrigkeit konnte nur durch die Beseitigung des unbeschränkten Untersagungsrechts als einer nicht erforderlichen und ieS unverhältnismäßigen Eingriffsbefugnis der Behörde in die Erwerbsfreiheit saniert werden; die für die Gleichheitsprüfung maßgebliche Wertung resultierte gerade aus diesem Recht, was freilich verdeckt bleibt, wenn der VfGH feststellt, im Hinblick auf die dargestellten Überlegungen zum Gleichheitssatz erübrige sich ein Eingehen auf die im Prüfungsbeschluss nach Art 6 StGG erhobenen Bedenken. Weitere Beispiele für eine ausschließlich am Gleichheitssatz vorgenommene Prüfung eines Eingriffs in die Erwerbsfreiheit finden sich zB in VfSlg 9204/1981: Befähigungsnachweis für die gewerbsmäßige Vorführung von Filmen, VfSlg 9329/1982: Abweisung eines Antrages auf Verlängerung der Konzession zur gewerbsmäßigen Ausübung der Schifffahrt; als Beispiel für einen ausschließlich am Gleichheitssatz geprüften Eigentumseingriff s etwa VfSlg 16.534/2002: Unverhältnismäßigkeit und daher Unsachlichkeit des ausnahmslosen Anschlusszwangs an den öffentlichen Kanal auch dann, wenn der Eigentümer bereits über eine Abwasserreinigungsanlage verfügt, die dem Stand der Technik entspricht und der kommunalen Anlage gleichwertig oder überlegen ist; allgemein zur – in der älteren Judikatur noch weit stärkeren – Tendenz des VfGH, Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche nicht direkt am betroffenen Grundrecht selbst, sondern am Gleichheitssatz zu messen: Pernthaler, Raumordnung II 259; Öhlinger, EuGRZ 1982, 225; ders, FS Klecatsky 709 ff; Korinek, FS Melichar 42; Spielbüchler, FS Floretta 304; dass der Gleichheitssatz in der Judikatur des VfGH vielfach in den Dienst der Freiheitssicherung gestellt wurde, konstatiert zB auch Berka, ZÖR 1999, 43. Verantwortlich für diese Judikatur war auch das formale Freiheitsverständnis des VfGH, zu diesem Berka, FS Schambeck 342.
Das Auslegungspotential der Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz
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der Judikatur früh erkennbar83. Schon in seiner älteren Rechtsprechung hat der VfGH den unantastbaren „Wesensgehalt“ der Freiheitsrechte stets in enge Verbindung zum Gleichheitssatz gebracht und angenommen, der Gesetzgeber sei „dem Wesensgehalt des Grundrechts entsprechend an die in der Natur der zu regelnden Materie [...] liegenden Grenzen, also an die sachlichen Grenzen der Materie gebunden“84. Er schien den Wesensgehalt also über den allgemeinen Gleichheitssatz zu definieren, sodass eine sachlich gerechtfertigte Regelung von vornherein nicht einer Wesensgehaltsverletzung verdächtig war85. In manchen Entscheidungen nannte der Gerichtshof die Wesensgehaltsverletzung allerdings auch umgekehrt als Beispiel für einen Gleichheitsverstoß, so, wenn er meinte, eine abgabenrechtliche Differenzierung wäre zB dann als gleichheitswidriger Exzess anzusehen, „wenn durch die differenzierende Vorschrift ein anderes Grundrecht, etwa die Freiheit der Erwerbsausübung, im Wesen geschmälert würde“86. Diese Judikatur erweckt den Eindruck, als wären Gleichheits- und Freiheitsprüfung in bestimmtem Umfang austauschbar, wenn nicht gar zirkulär: Einerseits soll eine Regelung, die dem Gleichheitssatz entspricht, auch mit dem Freiheitsrecht nicht in Widerspruch geraten können; andererseits soll erst die Verletzung des Freiheitsrechts zu einer Gleichheitswidrigkeit führen. Ist die Gleichheitswidrigkeit also die Voraussetzung oder erst die Folge einer Verletzung des Freiheitsrechts? Und vor allem: Wo soll die Grundrechtsprüfung ansetzen, welches Recht genießt Priorität? Der Gerichtshof war in dieser Frage nur scheinbar unentschlossen. Tatsächlich hat er den Gleichheitssatz lange als das vorrangige Recht behandelt und Freiheitsbeschränkungen von vornherein nicht am direkt betroffenen Freiheitsrecht gemessen, sondern nur am allgemeinen Gleichheitssatz87. Dement____________________
83 S bereits VfSlg 216/1923 und 775/1927, wonach die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Rechtes nicht hindert, „daß aus wichtigen Gründen des Gemeinwohles einzelne Klassen der Bevölkerung [...] ausnahmsweise ungleich behandelt werden“. 84 S zB VfSlg 4011/1961, 4163/1962, 7304/1974, 8813/1980, 9233/1981 und 9911/ 1983 (Hervorhebung nicht im Original); s auch Korinek, FS Merkl 178; Öhlinger, EuGRZ 1982, 225; Spielbüchler, FS Floretta 304. 85 Öhlinger, EuGRZ 1982, 225, 228 f; s auch Korinek, FS Merkl 178; dens, FS Melichar 42; Schäffer, Verfassungsinterpretation 162 f; Pernthaler, Raumordnung II 260 f, 345 ff; dens, Bundesstaatsrecht 702; Öhlinger, FS Klecatsky 710 ff. 86 VfSlg 6533/1971 (Hervorhebung nicht im Original), ebenso VfSlg 9583/1982 bezogen auf die Unverletzlichkeit des Eigentums; s auch Morscher, 8. ÖJT I/1 B (1982) 85 FN 10. 87 S schon Korinek, Gesetzesprüfungsrecht 111, nach dem der Gleichheitsgrundsatz gegenüber der inhaltlich weitgehend zurückhaltenden Grundrechtsjudikatur des VfGH gleichsam eine gewisse „Surrogat-Funktion“ übernommen hatte; s weiters dens, FS Melichar 42; dens, FS Wenger 245, sowie den Befund Öhlingers, EuGRZ 1982, 225, dass der Gleichheitsgrundsatz in der Judikatur des VfGH nicht nur alle anderen Grundrechte quantitativ überragt, sondern geradezu verdrängt; s auch Berka, ZÖR 1986, 78; dens, ZÖR 1999, 43; Stelzer, FS 75 Jahre Bundesverfassung 589.
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sprechend sah er es etwa in VfSlg 9204/1981 als sachlich gerechtfertigt an, wenn die gewerbsmäßige Vorführung von Filmen wegen der Gefahren, die eine größere Ansammlung von Menschen in sich birgt, an eine behördliche Genehmigung gebunden und von einem Befähigungsnachweis abhängig gemacht wird. Allerdings erfordere – nicht etwa die Erwerbsfreiheit, sondern – das Gleichheitsgebot, dass der Nachweis der Befähigung auf eine dem angestrebten Ziel adäquate Weise erleichtert wird, wenn die Filmvorführung ausschließlich mit sehr leicht bedienbaren und besonders sicheren Apparaten erfolgen soll. Im Prüfungsbeschluss zum Erkenntnis VfSlg 10.179/1984 stützte der VfGH seine Bedenken gegen eine Bedarfsprüfung dann aber bereits auf den allgemeinen Gleichheitssatz und auf die Erwerbsfreiheit. Im Gesetzesprüfungserkenntnis selbst löste er beide Rechte voneinander und qualifizierte die inkriminierte Bedarfsprüfung nur mehr als Verletzung der Erwerbsfreiheit, die sich damit formal vom Gleichheitssatz emanzipiert hatte. Sie trägt freilich, wie Novak treffend bemerkt hat, „die Eierschalen des Gleichheitssatzes noch auf dem Kopf“88, wenn der VfGH in heute ständiger Rechtsprechung verlangt, dass ein Eingriff in die Erwerbsfreiheit durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, dieser adäquat „und auch sonst sachlich zu rechtfertigen“ ist89. In grundsätzlich gleicher Weise nimmt der Gerichtshof an, dass Eigentumsbeschränkungen nur angeordnet werden dürfen, „wenn sie sachlich gerechtfertigt sind, also dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen“90 bzw wenn sie im öffentlichen Interesse liegen und „nicht unverhältnismäßig und unsachlich“ sind91. Aus der Gleichheitswidrigkeit eines Eigentumseingriffs soll dann aber nicht notwendig auch eine Verletzung des Art 5 StGG folgen: Erlegt der Gesetzgeber dem Rechtsunterworfenen ein Sonderopfer auf, so ist er nach Ansicht des VfGH nicht durch Art 5 StGG, sondern nur durch den Gleichheitssatz dazu verpflichtet, dem Betroffenen für eine Enteignung eine angemessenen Entschädigung zu ge____________________
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Novak, FS Winkler (1989) 58. ZB VfSlg 10.179/1984, 12.383/1990, 12.677/1991, 13.739/1994, 13.955/1994, 15.700/1999, 16.688/2002, 17.312/2004; VfGH 5.10.2006, G 39/06, V 26/06; in manchen Entscheidungen endet die Grundrechtsformel auch mit der Wendung, der Eingriff müsse „auch sachlich zu rechtfertigen“ sein (zB VfSlg 10.932/1986 und 11.276/1987): Das Sachlichkeitsgebot scheint dann nicht die Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgebotes, sondern eine weitere Eingriffsvoraussetzung neben der Verhältnismäßigkeit zu sein; freilich kann auch diese Voraussetzung nur aus Art 6 StGG resultieren. 90 VfSlg 11.689/1988; s auch VfSlg 12.227/1989 und 16.937/2003, sowie Rack/Wimmer, EuGRZ 1983, 602, nach denen der Gleichheitssatz „in ein enges Naheverhältnis – bis hin zur wechselseitigen Austauschbarkeit – [...] auch zum Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums getreten [ist]“ (Hervorhebungen im Original); s weiters Groiss/Schantl/ Welan, ÖJZ 1975, 367. 91 S zB VfSlg 14.503/1996, 15.771/2000, 16.636/2002. 89
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währen92. Eine ähnliche Priorität räumt der Gerichtshof dem Gleichheitssatz auch im Verhältnis zu der in Art 4 Abs 1 StGG statuierten Freizügigkeit ein, die nach ständiger Rechtsprechung nur „im Rahmen der Rechtsordnung“ gewährt ist, während vor unsachlichen Beschränkungen nur der Gleichheitssatz schützen soll93. Diese Grundrechtsformeln suggerieren, dass nicht das Freiheitsrecht, sondern erst der Gleichheitssatz vor übermäßigen Freiheitsbeschränkungen schütze. Richtigerweise kann aber nur das jeweils betroffene Freiheitsrecht selbst beantworten, ob eine Maßnahme seinen „Wesensgehalt“ verletzt: Nimmt man – wie dies die ältere Judikatur wohl tat – an, dass Freiheitsrechte einen absolut geschützten Wesenskern haben, so kann diese unantastbare Substanz nur aus der historischen Entwicklung und aus der spezifischen Zielsetzung des jeweiligen Freiheitsrechts ermittelt werden; ____________________
92 S VfSlg 6884/1972, 7234/1973, 7759/1976, 13.006/1992, 16.455/2002, 16.636/ 2002. Demgegenüber leitet die Lehre die Entschädigungspflicht für Enteignungen zu Recht aus Art 5 StGG selbst ab, s dazu mwN Korinek, Art 5 StGG Rz 43 und Novak, FS Pernthaler 268 ff. Gleichheitsrechtlich begründen lässt sich die Entschädigungspflicht für Enteignungen mE nur mit der Tatsache, dass die Verfassung die Unverletzlichkeit des Eigentums jedermann garantiert und damit eine zur Erreichung des Enteignungszwecks nicht erforderliche, weil durch eine Entschädigung linderbare Benachteiligung einiger weniger Rechtsunterworfener untersagt. Dieses Differenzierungsverbot resultiert aber aus der – insofern spezielleren – Eigentumsgarantie; ein Rekurs auf den allgemeinen Gleichheitssatz ist dafür nicht erforderlich. ME gelten dieselben Überlegungen, wenn in das Eigentum nicht durch eine Enteignung, sondern nur durch eine Eigentumsbeschränkung eingegriffen wird: Auch in diesen Fällen resultiert die Entschädigungspflicht aus dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Eigentumsbeschränkung, ebenso Holoubek, Gewährleistungspflichten 182 f; ähnlich Korinek, Art 5 StGG Rz 50, der allerdings annimmt, dieses Erfordernis müsse nicht aus Art 5 StGG abgeleitet, sondern könne – wie in der Judikatur – auch im Gleichheitsgebot verankert werden: „Wenn eine Eigentumseinschränkung dem Eigentümer ein besonders gravierendes Opfer zugunsten der Allgemeinheit abverlangt, ihn also in sachlich nicht rechtfertigbarer und unverhältnismäßiger Weise stärker belastet, als im Allgemeinen Personen zugunsten des öffentlichen Wohls belastet sind, kann dies vor dem Gleichheitsgrundsatz nur Bestand haben, wenn diese Sonderbelastung ausgeglichen wird. Denn der Gleichheitsgrundsatz verlangt nicht nur, dass eine Regelung, die eine rechtliche Ungleichbehandlung bewirkt, auf einem vernünftigen Grund beruhen muss, sondern auch, dass sie sonst sachlich gerechtfertigt, dh verhältnismäßig zu sein hat.“ Die Plausibilität dieser Argumentation ist nicht von der Hand zu weisen; letztlich baut aber auch sie auf der Schonungsbedürftigkeit des Eigentums auf, die sich mE nicht aus Art 7 B-VG, sondern aus dem insofern spezielleren Art 5 StGG ergibt: Kann die Eigentumsbeschränkung ohne Schaden für das Ziel durch eine Entschädigung gelindert werden, so ist eine entschädigungslose Beschränkung zur Zielerreichung nicht erforderlich, also mit dem Grundrecht auf Eigentum unvereinbar. Ein Rekurs auf den allgemeinen Gleichheitssatz ist diesfalls nicht nötig und kann in manchen Fällen sogar dazu führen, dass das eigentliche Problem der entschädigungslosen Eigentumsbeschränkung verlegt wird, nämlich dann, wenn wie in VfSlg 16.316/2001 ein Entschädigungsanspruch bloß aus der Tatsache abgeleitet wird, dass der Gesetzgeber in anderen vergleichbaren Fällen für eine Eigentumsbeschränkung eine Entschädigung gewährt hat, s zu dieser Entscheidung noch FN 108. 93 S mwN Pöschl, Art 4 StGG Rz 43.
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Gleichheit und Freiheit
dem Gleichheitssatz ist dazu keine Aussage zu entnehmen94. Nichts anderes gilt, wenn man den Wesensgehalt – wie wohl die neuere Judikatur – als eine relative Größe auffasst, also als jenen Bereich der Freiheit, der nach einer Güterabwägung im Einzelfall als unbeschränkbar verbleibt95: Auch dann ist es nicht der Gleichheitssatz, der Auskunft darüber gibt, ob ein Freiheitseingriff unverhältnismäßig schwer wiegt; Ausgangspunkt dieser Frage ist und muss vielmehr der Befund bleiben, dass die Verfassung einen bestimmten Lebensbereich für prima facie frei erklärt. Erst daraus ergibt sich, dass diese Freiheit schonend zu behandeln ist und nur aus Gründen beschränkt werden darf, die zu ihr nicht außer Verhältnis stehen. Ein Rekurs auf den Gleichheitssatz ist in dieser Hinsicht überflüssig. In der jüngeren Judikatur haben sich zwar viele Freiheitsrechte grundsätzlich vom allgemeinen Gleichheitssatz emanzipiert. Nach wie vor misst der VfGH aber Freiheitsbeschränkungen nicht nur am jeweils betroffenen Freiheitsrecht, sondern darüber hinaus auch am Gleichheitssatz96. Das ist ____________________
94 Dass die Verstaatlichung der gesamten Unternehmungen mit großem Kapitalbedarf und der gesamten Grundstoffindustrie dem Gesetzgeber verwehrt ist, folgt, wie der VfGH in VfSlg 3118/1956 zutreffend festgestellt hat, aus der in Art 6 StGG garantierten Erwerbsfreiheit, und wohl auch aus der Eigentumsgarantie des Art 5 StGG, nicht hingegen aus dem Gleichheitssatz. Auch dass Konkurrenzschutz ein grundsätzlich illegitimes Ziel ist, kann nur durch Art 6 StGG begründet werden, weil dieser gerade auf den freien Wettbewerb zwischen Unternehmern abzielt. Dass der Aufenthalt in Österreich für Staatsbürger nicht von einer Bewilligung abhängig gemacht werden darf, folgt nicht aus dem Gleichheitssatz, sondern aus Art 6 StGG, weil die dort statuierte Niederlassungsfreiheit durch ein Bewilligungssystem in ihr Gegenteil verkehrt würde. Dementsprechend wäre auch der Wesensgehalt der Pressefreiheit verletzt, wenn die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften nur mit behördlicher Bewilligung möglich wäre, was Art 13 StGG durch das Verbot von Konzessionssystemen auch ausdrücklich untersagt. Ebenso würde die Vereinsfreiheit in ihrem Kern verletzt, wenn dem Rechtsunterworfenen die Freiheit genommen wäre, den Zweck einer Vereinigung zu wählen (s auch Korinek, FS Merkl 181). Nichts anderes gilt für alle anderen Freiheitsrechte: Die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers, bestimmte Lebenssachverhalte grundsätzlich für frei zu erklären, schließt aus, dass die Gesamtheit dieser Lebenssachverhalte dann durch einfaches Gesetz grundsätzlich verboten und nur ausnahmsweise erlaubt wird; dadurch würde das Wesen der Freiheit verletzt, nicht hingegen der allgemeine Gleichheitssatz, der in dieser Hinsicht indifferent ist. 95 S zu diesem Judikaturwandel Stelzer, Wesensgehaltsargument passim. 96 S auch den treffenden Befund Berkas, ZÖR 1999, 42, wonach ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz, auch nachdem die übrigen Grundrechte in der neueren Judikatur an Bedeutung gewonnen haben, immer noch den häufigsten Grund für die Aufhebung von Gesetzen durch den VfGH darstellt. S neben den in FN 82 genannten Entscheidungen auch das Erkenntnis VfSlg 14.263/1995, in dem die Pflicht des Liegenschaftseigentümers, auf seinem Grundstück zurückgelassene Sonderabfälle zu beseitigen, zunächst am Gleichheitssatz und dann an Art 1 1. ZPEMRK geprüft und für unbedenklich befunden wurde; s weiters das Erkenntnis VfSlg 15.700/1999, in dem die durch ein öffentliches Interesse nicht gedeckten Voraussetzungen für die Erteilung einer Schischulbewilligung nicht nur als Verletzung der Erwerbsfreiheit, sondern auch des Sachlichkeitsgebotes qualifiziert wurden; dann das Erkenntnis VfSlg 15.577/1999, wonach das ausnahmslose Verbot, während befristeter Bausperren eine Baubewilligung zu erteilen, mit dem Gleichheitssatz und mit der Unverletzlichkeit des Eigentums unvereinbar ist.
Das Auslegungspotential der Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz
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nicht zu beanstanden, wenn die Argumente, die gegen die Vereinbarkeit einer Un/gleichbehandlung mit dem Freiheitsrecht sprechen, auch gegen ihre Gleichheitskonformität ins Treffen geführt werden. Denn diesfalls werden die im Freiheitsrecht verankerten Differenzierungsgebote und -verbote im Rahmen der Gleichheitsprüfung nur „wiederverwertet“. Die Feststellung der Gleichheitswidrigkeit ist dann eine zwar überflüssige, aber unschädliche Wiederholung der bereits konstatierten Verletzung des Freiheitsrechts in gleichheitsrechtlichem Gewand97. Nicht ohne weiteres verständlich ist aber bereits, wenn der Gerichtshof zunächst annimmt, die einem Bescheid zugrunde liegende Gesetzesauslegung sei mit einem Freiheitsrecht unvereinbar, den bekämpften Bescheid dann aber nur als gleichheitswidrig aufhebt98, oder wenn er Verfahrensfehler, die zur Verletzung ____________________
97 Oft werden freilich Gleichheits- und Freiheitsprüfung nicht formal voneinander getrennt, sondern gemeinsam durchgeführt, s zB VfSlg 15.700/1999: Konkurrenzschutz für Schischulen – Verletzung der Erwerbsfreiheit und des Sachlichkeitsgebotes. 98 S zB das Erkenntnis VfSlg 14.848/1997, in dem der bescheiderlassenden Behörde angelastet wurde, dem Gesetz einen mit Art 2 1. ZPEMRK unvereinbaren Inhalt zu unterstellen; der Bescheid wurde sodann aber als willkürlich qualifiziert, weil die Behörde ausgehend von ihrer verfehlten Gesetzesauslegung ein fehlerhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt und den Bescheid mangelhaft begründet hatte (s demgegenüber zB das Erkenntnis VfSlg 11.567/1987, in dem die Verhängung einer Verwaltungsstrafe als Verletzung des Art 17a StGG gewertet wurde, weil die Behörde dem Gesetz einen mit der Kunstfreiheit nicht vereinbaren Inhalt unterlegt und ihren Bescheid dementsprechend mangelhaft, nämlich ohne die Vornahme der gebotenen Interessenabwägung begründet hatte); in VfSlg 16.160/2001 sah es der VfGH als gleichheitswidrig an, dass der UBAS bei vertraglicher Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages iSd § 5 AsylG 1997 eine negative Prozessvoraussetzung annahm, die eine Sachentscheidung über den Asylantrag verbietet und auch keine Möglichkeit gewährt, einer behaupteten Verletzung des Non-Refoulement-Gebotes nachzugehen. Eine derartige Auslegung hatte der VfGH kurz vorher, in VfSlg 16.122/2001 noch im Hinblick auf die Art 3, 8 und 13 EMRK als verfassungswidrig angesehen. Dennoch qualifizierte er einen Bescheid, dem eine solche Auslegung zugrunde lag, dann als gleichheitswidrig iSd BVG-RD; dies durchaus in Abweichung von seiner sonstigen Judikatur, nach der ein Bescheid den Gleichheitssatz nur dann verletzt, wenn er dem Gesetz einen gleichheitswidrigen, nicht hingegen, wenn er ihm einen sonst verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, s zur „Gleichheitsformel“ näher unten H.II.3.; s auch das Erkenntnis VfSlg 16.287/2001, in dem der VfGH § 6 der Lkw-Tafel-Verordnung dahin versteht, dass einem Güterverkehrsunternehmen bis zur Fertigstellung der erforderlichen individualisierten Lkw-Tafel die Benützung des Fahrzeuges mit einer provisorischen, nicht den strengen Anforderungen des § 6 Abs 1 GüterbeförderungsG entsprechenden Tafel gestattet ist; diese Regelung war nach Ansicht des VfGH nicht nur unbedenklich, sondern im Lichte der durch Art 6 StGG gewährten Erwerbsfreiheit auch geboten. Eine Vorschrift, die die bestimmungsgemäße Benützung eines Lkw-Zuges im Rahmen eines Güterbeförderungsunternehmens deswegen verbiete, weil die lediglich zur leichteren Kontrolle vorgesehene individualisierte Tafel nicht fertiggestellt ist, würde nämlich die Erwerbsausübungsfreiheit in einer Weise beschränken, die im Hinblick auf den angestrebten Normzweck keineswegs adäquat wäre. Habe die Behörde innerhalb der ihr in der Verordnung gesetzten Frist von 8 Wochen eine solche Tafel nicht hergestellt, so könne ein Güterbeförderungsunternehmen, das seinen Lkw-Zug gleichwohl weiter benützt, nicht bestraft werden, weil diesfalls ein Verhalten unter Strafe gestellt würde, „das – im Hinblick auf das dem Unternehmer zugute kommende Grundrecht auf Erwerbsausübungsfreiheit – in den Verantwor-
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Gleichheit und Freiheit
eines Freiheitsrechts führen, bloß unter dem Titel des Gleichheitssatzes erörtert99. Man mag einwenden, dass die Grundrechtsverletzung in diesen Fällen zwar unter falschem Titel, aber im Ergebnis doch richtig konstatiert wird und dass es allein darauf ankomme. Tatsächlich hat die Zurückdrängung der Freiheitsrechte aber Weiterungen: Sie lädt geradezu ein, noch einen Schritt weiter zu gehen und zuerst die Gleichheitswidrigkeit einer Norm festzustellen und daraus auf eine Verletzung des – primär betroffenen – Freiheitsrechts zu schließen100 oder in Ansehung der bereits festgestellten Gleichheitswidrigkeit eine Prüfung am eigentlich betroffenen Freiheitsrecht gar nicht mehr vorzunehmen101. Die Quelle, aus der ____________________
tungsbereich der Behörde fällt.“ Die Behörde, die in einem solchen Fall gleichwohl eine Strafe verhängt hatte, verkannte nach Ansicht des VfGH die Rechtslage grundlegend. Sie verletzte den Beschwerdeführer damit aber, wie der VfGH weiter annahm, nicht etwa in der Erwerbsausübungsfreiheit, sondern im Recht auf Gleichheit. Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet zwar eine Bestrafung für Umstände, die nicht der Täter bzw die ein anderer zu verantworten hat (s bereits oben E.IV.4.c.); diese Voraussetzungen lagen hier aber nicht vor: Dass der Beschwerdeführer noch keine Lkw-Tafel hatte, lag zwar in der Verantwortung der Behörde. Die Entscheidung, den Lkw ohne die vorgeschriebene LkwTafel zu benützen, hatte er aber aus eigenem getroffen. S auch das Erkenntnis VfSlg 16.702/2002, in dem die Annahme der Behörde, sie habe bei der Entscheidung über eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach § 15 AsylG nicht auf Art 8 EMRK Bedacht zu nehmen, als willkürlich angesehen wird; weiters das Erkenntnis VfSlg 17.164/2004, in dem der VfGH die Annahme der Behörde, juristische Personen seien zum Betrieb eines Tierspitals nicht berechtigt, „speziell im Lichte der Erwerbsausübungsfreiheit als grobe Verkennung der Rechtslage und daher als ein[en] in die Verfassungssphäre reichende[n] Fehler“ qualifiziert, den Bescheid dann aber als willkürlich aufhebt. 99 S zB VfSlg 16.117/2001 betreffend das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, s demgegenüber noch VfSlg 13.241/1992, 13.673/1994, 13.723/1994, 14.121/ 1995, 15.812/2000, wo Verfahrens- und Subsumtionsfehler im Schutzbereich des Art 8 EMRK als Verletzung dieser Bestimmung qualifiziert wurden. 100 S zB das Erkenntnis VfSlg 17.171/2004: Dass gewerblichen Buchhaltern die Geschäftsbuchhaltung nur für Betriebe bis zu einer bestimmten Umsatzgrenze erlaubt ist, verletzt den Gleichheitssatz, weil die für die Geschäftsbuchhaltung erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse diesseits und jenseits dieser Umsatzgrenze die gleichen sind. Angesichts der Unsachlichkeit dieser Regelung ist auch auszuschließen, dass die durch sie bewirkte Ausübungsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt, sie verletzt daher Art 6 StGG; s auch VfSlg 17.503/2005 betreffend Vorschriften, die die Entschädigung für land- und fortwirtschaftliche Ablösegrundstücke allein nach dem Wert der Nutzungen bemaßen, also außer Acht ließen, dass der Verkehrswert einer solchen Liegenschaft den Wert der Nutzungen übersteigen kann. Der VfGH sah darin einen Verstoß „gegen den Gleichheitssatz (und infolgedessen auch gegen das Eigentumsrecht)“. 101 Vgl zB VfSlg 11.868/1988, wonach es unsachlich ist, für nicht gleichwertige Tätigkeiten (im konkreten Fall für das Betreiben einer Schischule einerseits und die Tätigkeit eines Bergguides andererseits) dieselben fachlichen Voraussetzungen vorzuschreiben. Richtigerweise wäre hier eine Verletzung der Erwerbsfreiheit, gegebenenfalls iVm Art 18 StGG zu konstatieren gewesen, weil für eine der beiden Tätigkeiten eine nicht erforderliche Qualifikation verlangt worden ist. Eine Gleichheitswidrigkeit läge in diesem Fall nur vor, wenn der Gleichheitssatz ein Gebot enthielte, gewerbliche Tätigkeiten bloß nach Maßgabe einer jeweils erforderlichen Befähigung des Gewerbetreibenden zuzulassen, also ein Gebot, bei der Zulassung nach dem Kriterium der Befähigung zu differenzieren. Ein solches Gebot
Das Auslegungspotential der Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz
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die relevanten Argumente für den Grundrechtsverstoß bezogen werden, gerät so zunächst in den Hintergrund und dann ganz aus dem Blick, bis schließlich der Gleichheitssatz als das Recht erscheint, aus dem die maßgeblichen Argumente für und gegen die Grundrechtskonformität einer Norm zu gewinnen sind. Ausgehend von dieser – unrichtigen – Prämisse ist es dann ohne weiteres möglich, aus der Gleichheitskonformität einer Norm auf ihre Vereinbarkeit auch mit dem Freiheitsrecht zu schließen102 oder, noch gravierender: in Ansehung der konstatierten Gleichheits____________________
kann aus dem Gleichheitssatz aber nicht abgeleitet werden. Denn einen Befähigungsnachweis für den Gewerbeantritt zu verlangen, dient idR „nur“ öffentlichen Interessen, die zu schützen nicht Ziel des Gleichheitssatzes ist. Wenn überhaupt, dann ließe sich ein verfassungsrechtliches Gebot, von Gewerbetreibenden Befähigungsnachweise zu fordern, nur qua Gewährleistungspflicht aus einem Freiheitsrecht ableiten (etwa aus Art 8 EMRK, wenn es um den Schutz der Gesundheit der Konsumenten geht): Auch dann wäre der Gleichheitssatz also nicht einschlägig. S weiters das Erkenntnis VfSlg 14.449/1996, das den Widerruf einer Schifffahrtskonzession nur als gleichheitswidrig qualifiziert, weil die Behörde die Rechtslage gröblich verkannt hat; dass durch diesen Widerruf wohl primär in die Erwerbsfreiheit eingegriffen worden ist, wird dabei nicht erwähnt; s auch das Erkenntnis VfSlg 15.580/1999 zu § 18 Abs 2 Z 3 KapitalverkehrsteuerG, der eine Börsenumsatzsteuer auch für bedingte Anschaffungsgeschäfte einschließlich bewilligungsbedürftiger Anschaffungsgeschäfte vorschrieb, ohne eine Rückerstattung dieser Steuer vorzusehen, wenn die Bewilligung schlussendlich nicht erteilt wird. Im Prüfungsbeschluss sah der VfGH darin zum einen eine sachlich nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung ungleicher Fälle (Rechtsgeschäfte, die wegen Nichterteilung der Bewilligung letztlich nicht voll wirksam werden einerseits und andererseits Rechtsgeschäfte, die entweder von vornherein voll wirksam sind oder wegen Erteilung der Bewilligung nachträglich voll wirksam werden). Überdies sah der VfGH in dieser Steuerpflicht vorläufig eine Verletzung des Eigentums, weil es unverhältnismäßig sei, eine erhebliche Abgabenbelastung selbst dann vorzusehen, wenn ein Rechtsgeschäft mangels Bewilligung nicht voll wirksam wird. Im Gesetzesprüfungserkenntnis selbst ging der VfGH nur mehr auf das gleichheitsrechtliche Bedenken ein; s weiters das Erkenntnis VfSlg 16.117/2001, in dem die Verweigerung einer Niederlassungsbewilligung ua deshalb als gleichheitswidrig qualifiziert wurde, weil die Behörde die starke soziale Integration der Beschwerdeführerin nicht zureichend gewürdigt hatte; die darin liegende Verletzung des durch Art 8 EMRK gewährleisteten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens wurde nicht eigens thematisiert; s auch die Erkenntnisse VfSlg 17.891/2006 und VfGH 27.2.2007, B 223/06, in denen Schubhaftprüfungen durch den UVS als willkürlich qualifiziert werden, weil der maßgebliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt bzw die Erforderlichkeit der Schubhaft nicht zureichend begründet worden ist; dass dadurch zumindest auch das Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist, kommt nicht zur Sprache. 102 ZB das Erkenntnis VfSlg 16.292/2001, in dem der VfGH die Beseitigung des atypisch frühen Anfalles von Politikerpensionen als gleichheitskonform qualifizierte, um dann festzustellen, die dafür maßgeblichen Gründe rechtfertigten auch den darin allenfalls liegenden Eingriff in Art 1 1. ZPEMRK; gleichsinnig VfSlg 16.923/2003 betreffend die Anhebung des Pensionsantrittsalters; s auch VfSlg 16.582/2002, wonach das als Reaktion auf die BSE-Krise angeordnete Erlöschen der Bestellung eines Amtstierarztes zum Fleischuntersuchungsorgan sachlich gerechtfertigt ist; aus den Erwägungen zur gleichheitsrechtlichen Unbedenklichkeit der Regelung ergebe sich auch ihre Vereinbarkeit mit der Erwerbsfreiheit. S aber auch die Entscheidung VfSlg 15.753/2000, in der der VfGH bestimmte im SparkassenG vorgesehene Aufgriffs- und Vorkaufsrechte von Sektorenmitgliedern als sachlich, weil im Allgemeininteresse gelegen qualifiziert; im Anschluss daran stellt er auch die Zulässigkeit dieser Rechte nach Art 5 StGG fest, dies mit der – im Rahmen der Gleich-
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konformität dahin stehen zu lassen, ob überhaupt ein Eingriff in ein Freiheitsrecht vorliegt103. Diese Vorgangsweise ist nicht nur prüfungstechnisch zu kritisieren104. Sie funktioniert den Gleichheitssatz unmerklich, aber eben doch in ein Freiheitsrecht um und verwischt damit den Unterschied zwischen Freiheitsund Gleichheitsrechten. Tatsächlich kann die Grenze zwischen diesen beiden Rechten auch leicht verschwimmen: Erstens sind nämlich auch dem Gleichheitssatz Prima-facie-Rechte zu entnehmen, deren Beschränkungen ebenso wie Eingriffe in ein Freiheitsrecht am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen sind105. Zweitens lassen sich Eingriffe in ein Freiheitsrecht, wie gezeigt, im Regelfall ohne weiteres in ein Gleichheitsproblem umformulieren. Zwischen diesen Gleichheitsrechten und den Freiheitsrechten besteht dann allerdings ein entscheidender Unterschied: Freiheitsrechte sind, auch wenn sie jedermann oder doch allen Staatsbürgern gewährt sind, nicht komparativ. Das Freiheitsrecht steht dem Grundrechtsträger nicht deshalb zu, weil es auch anderen Personen gewährt ist, sondern weil die Verfassung die zuerkannte Freiheit an sich für schützenswert hält. Ob das Freiheitsrecht einer Person verletzt ist, hängt daher nicht davon ab, wie stark der Gesetzgeber die Freiheit anderer Personen beschränkt. Folglich lässt sich die Verletzung eines Freiheitsrechts auch nicht korrigieren, indem anderen Personen gleichartige Beschränkungen auferlegt werden. Sie kann nur auf einem Weg, nämlich durch die Beseitigung der inkriminierten Maßnahme selbst behoben werden. Wird die Unzulässigkeit einer solchen Freiheitsbeschränkung auf den allgemeinen Gleichheitssatz gestützt, dann müsste dieser Befund – soll der Gleichheitssatz die Freiheitsrechte nicht substituieren – gerade darauf beruhen, dass der Gesetzgeber anderen Personen in vergleichbarer Situation ____________________
heitsprüfung noch nicht thematisierten – Ergänzung, dass die Regelung auch nicht unverhältnismäßig sei. 103 S das bereits erwähnte Erkenntnis VfSlg 13.363/1993, das ein Prostitutionsverbot am allgemeinen Gleichheitssatz überprüft und im Hinblick auf die festgestellte Eignung und Adäquanz der Regelung dahin stehen lässt, ob die Prostitution ein von Art 6 StGG geschützter Erwerbszweig ist. 104 AA wohl Barfuss, ÖJZ 1989, 677, der es für eine eher theoretische, sekundäre Frage hält, ob man das zulässige Maß einer Freiheitsbeschränkung aus einer mehr materiellen Auffassung vom Gesetzesvorbehalt ableitet oder aber aus einer dem Gleichheitsgrundsatz entnommenen Sachlichkeitsprüfung; so für die Frage der Entschädigungspflicht von Eigentumsbeschränkungen wohl auch Korinek, Art 5 StGG Rz 50 (FN 92). 105 So etwa das Recht des Einzelnen, nicht aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen benachteiligt zu werden, die sich seinem (zumutbaren) Einfluss entziehen; das Recht, nicht für ein unverschuldetes Verhalten oder für das Verhalten eines anderen zur Verantwortung gezogen und nicht mit unerfüllbaren Pflichten belastet zu werden (s oben E.IV.3.a.-E.IV.3.c., E.IV.4.c.-E.IV.4.e.); das Recht, nicht schlechter behandelt zu werden als Personen, von denen man sich nicht wesentlichen unterscheidet, also das Recht, nicht aus bloß externen Gründen benachteiligt zu werden (s oben D.I.7.b.aa. und D.I.8.).
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eine derartige Belastung nicht auferlegt hat. Dann freilich müsste es dem Gesetzgeber freistehen, ob er diese Regelung korrigiert, indem er die Belastung aufhebt oder indem er sie auf die bisher begünstigte Gruppe erstreckt106. Der Befund der Gleichheitswidrigkeit ist also schwächer als jener der Freiheitsverletzung: Denn er stellt nicht sicher, dass die unzulässige Freiheitsbeschränkung endgültig beseitigt wird. Wenn der VfGH Freiheitsbeschränkungen unter dem Titel des Gleichheitssatzes prüft und ihre Unzulässigkeit konstatiert, wirft er dem Gesetzgeber in der Regel aber nicht ____________________
106 Der Gleichheitssatz vermittelt also in dieser Hinsicht einerseits keinen absoluten Anspruch auf eine Verbesserung der eigenen Position, und seine Geltendmachung kann andererseits zu einer Verschlechterung der rechtlichen Situation anderer Grundrechtsträger führen – zwei Wirkungen, die den Freiheitsrechten fremd sind. S dazu auch Sachs, DÖV 1984, 415; dens, Leistungsrechte 749; dens, Diskriminierungsverbot 29 f; Lübbe-Wolff, Grundrechte 244 ff; Rohloff, Zusammenwirken 140, 231; Starck, Art 3 GG Rz 229; aA Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 36, 107, 110, 171 ff, 353, der dem allgemeinen Gleichheitssatz eine Tendenz „nach oben“ entnimmt. Exemplarisch für die „Ergebnisoffenheit“ des Gleichheitssatzes ist etwa das Erkenntnis VfSlg 11.368/1987, wonach es dem Gesetzgeber freisteht, eine steuerrechtliche Begünstigung für außergewöhnliche Belastungen zu gewähren oder sie abzuschaffen; wenn er eine solche Begünstigung gewährt, dann bedarf ein Abweichen von einem solchen System – wie beim Heiratsgut oder der Ausstattung – aber einer sachlichen Rechtfertigung. In gleicher Weise betonte der Gerichtshof in VfSlg 15.396/1998, dass es dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überlassen ist, ob er für die Prüfungstätigkeit von Universitätslehrern eine eigene Entschädigung vorsieht; wenn er eine solche Entschädigung aber gewährt, dann darf er nicht gleichwertige Prüfungstätigkeiten ungleich entschädigen. Dass der Befund der Gleichheitswidrigkeit keineswegs immer eine Verbesserung der Position des Beschwerdeführers zur Folge haben muss, zeigt auch das Erkenntnis VfSlg 14.805/1997: Im Anlassfall rügte ein Rechtsanwalt, dass er zur Leistung der Kommunalsteuer verpflichtet, die ÖBB von dieser Steuerpflicht aber ausgenommen waren. Der Gerichtshof sah Grundtatbestand und Ausnahme als eine – so gesehen präjudizielle – Einheit an und unterzog sie einer Prüfung am Gleichheitssatz. Da sachliche Gründe für die Ausnahme der ÖBB nach Ansicht des VfGH nicht erkennbar waren, hob er diese Ausnahme als gleichheitswidrig auf; die so hergestellte Rechtslage war unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes nicht mehr zu beanstanden. Der beschwerdeführende Rechtsanwalt war nach ihr weiterhin zur Entrichtung der Kommunalsteuer verpflichtet, weshalb seine Beschwerde in VfSlg 14.870/1997 abgewiesen wurde; die ÖBB wurden aber durch das aus Anlass seiner Beschwerde eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren um einen Vorteil gebracht (kritisch zu dieser Entscheidung Ruppe, Steuerrecht 133 f ). S auch das Erkenntnis VfSlg 11.630/1988, in dem der Gerichtshof feststellte, dass es gleichheitskonform sei, wenn der Ausbildungsbeitrag eines Rechtspraktikanten, der (auch) in einem Dienstverhältnis zum Bund steht, gekürzt wird; gleichheitswidrig sei es hingegen, dass diese Kürzung auf derartige Fälle beschränkt ist, also nicht auch Rechtspraktikanten trifft, die in einem Dienstverhältnis zu einem anderen Dienstgeber als dem Bund stehen. Dem Gesetzgeber stehen zwei Wege offen, um die gerügte Gleichheitswidrigkeit zu sanieren: Er kann die Kürzung entweder ganz beseitigen oder sie ausdehnen; im zweiten Fall hätte die erfolgreiche Beschwerde des Rechtspraktikanten nicht zu einer Verbesserung seiner Rechtslage, sondern nur zu einer Verschlechterung der Rechtslage anderer Rechtspraktikanten geführt. Wird er anderen Rechtspraktikanten gegenüber nicht mehr benachteiligt, ist dem Gleichheitssatz Genüge getan. Freilich sollte man den Wert auch einer solchen „Niveausenkung“ nicht zu gering veranschlagen. Einen Rechtsnachteil zu haben, ist zweifellos unerfreulich. Noch unerfreulicher ist es aber, wenn man der Einzige ist, den dieser Nachteil trifft, weil dann zu diesem Nachteil noch eine Herabsetzung tritt.
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vor, Personen in gleicher Lage weniger belastet zu haben als jene Personen, deren Freiheit beschränkt worden ist; regelmäßig stellt der VfGH vielmehr fest, dass die inkriminierte Vorschrift für sich genommen „unsachlich“ ist107. Aber auch wenn der Gerichtshof einen Vergleich zieht, geht aus seinen Erkenntnissen oft hervor, dass die Verfassungswidrigkeit der jeweiligen Norm nicht durch eine Ausweitung der inkriminierten Freiheitsbeschränkung behoben werden könnte108. Das zeigt aber nur, dass in ____________________
107 Das „allgemeine Sachlichkeitsgebot“, auf das sich der VfGH in diesen Fällen beruft, ist also nichts anderes als ein Freiheitsrecht, das im Kostüm des Gleichheitssatzes auftritt; in diese Richtung auch Somek, Rationalität 207. Nicht von ungefähr stellt daher auch Korinek, FS Wenger 251, fest, dass der Maßstab der Gesetzesprüfung zwar verkürzt werde, wenn die Prüfung eines Gesetzes auf seine Übereinstimung mit dem Wesensgehalt eines Grundrechts durch eine Prüfung am Gleichheitssatz ersetzt wird; diese Verkürzung wiege aber umso geringer, je mehr sich die Gleichheitsprüfung zu einer allgemeinen Sachlichkeitsprüfung entwickle. 108 Beispielhaft dafür ist etwa das Erkenntnis VfSlg 16.316/2001, in dem es der VfGH als gleichheitswidrig ansah, dass das Wiener NationalparkG für gleichartige Eigentumsbeschränkungen in einem Fall eine Entschädigung vorgesehen, sie im anderen Fall aber ausgeschlossen hat. Läge die Gleichheitswidrigkeit tatsächlich in dieser Ungleichbehandlung, dann müsste es dem Gesetzgeber freistehen, die Entschädigung auszudehnen oder sie aufzuheben. Tatsächlich verortete der VfGH den Sitz der Gleichheitswidrigkeit in dem genannten Erkenntnis jedoch in der Kombination aus Eigentumsbeschränkung und Ausschluss von der Entschädigungsregelung und bemerkte ergänzend, die Verfassungswidrigkeit könne „dadurch beseitigt werden [...], dass die aufgehobene Bestimmung unter gleichzeitiger Erlassung einer Entschädigung wieder eingeführt wird.“ Das Recht auf Entschädigung war also offensichtlich nicht derivativ, somit aus der Tatsache abgeleitet, dass der Gesetzgeber in einem vergleichbaren Fall eine Entschädigung gewährt hatte; es ergab sich vielmehr aus dem Umstand, dass die Eigentumsbeschränkung als solche nicht entschädigungslos verfügt werden darf (s dazu schon FN 92). Dementsprechend konnte an der Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Regelung nichts ändern, dass auch andere Landesgesetze entschädigungslose Eigentumsbeschränkungen vorsahen; konsequenterweise wäre diesem Einwand der Wiener Landesregierung allerdings entgegenzuhalten gewesen, dass eine Verletzung des Eigentums nicht durch eine gleichartige Eigentumsverletzung in einem anderen Fall gerechtfertigt werden kann. Das freilich hätte vorausgesetzt, dass der VfGH die von der Lehre seit langem bekämpfte Annahme revidiert, wonach eine Entschädigungspflicht nur aus dem Gleichheitssatz, nicht hingegen aus dem Grundrecht auf Eigentum resultiert (s auch dazu schon FN 92). Eine derartige Korrektur seiner Rechtsprechung hat der VfGH in VfSlg 16.316/2001 allerdings nicht vorgenommen; er entgegnete dem Argument der Wiener Landesregierung nur, dass die Vornahme entschädigungsloser Eigentumsbeschränkungen in anderen Landesgesetzen „die unsachliche Differenzierung der Entschädigungsregelung im Wr NatParkG nicht zu rechtfertigen (vermag)“. Nicht bloß ein Gleichheits-, sondern in erster Linie ein Freiheitsproblem liegt auch vor, wenn die Einziehung des Partizipationskapitals börsennotierter Scheine angeordnet und die dafür zu gewährende Abfindung am Börsenkurs der letzten 20 Tage bemessen wird, sodass die Abfindung deutlich unter jenem Wert liegen kann, der auf der Basis einer Unternehmensbewertung als angemessen anzusehen wäre. Der VfGH nahm in VfSlg 16.636/2002 an, dass der Inhaber eines börsennotierten Scheines das Recht haben müsse, die Angemessenheit der Abfindung kontrollieren zu lassen, wenn die realistische Möglichkeit besteht, dass der durchschnittliche Börsenkurs der letzten 20 Tage zu einer unangemessen niedrigen Abfindung führt. Er stützte sich dabei aber auf den Umstand, dass das Fehlen eines solchen Kontrollrechts zu einer unsachlichen Schlechterstellung der Inhaber börsennotierter Scheine im Verhältnis zu den
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Wahrheit kein Gleichheits-, sondern ein Freiheitsproblem vorliegt109: Lässt sich die Unzulässigkeit einer Freiheitsbeschränkung nur auf einem Weg, nämlich durch die Beseitigung der inkriminierten Maßnahme beheben, dann ist regelmäßig110 nicht primär der Gleichheitssatz, sondern in erster Linie das jeweils betroffene Freiheitsrecht verletzt. Das kann anders auch gar nicht sein: Läge nämlich in jeder Verletzung eines Freiheitsrechts auch – und mit gleicher Wirkung für die dem Gesetzgeber sodann offen stehende Korrektur – eine Verletzung des Gleichheitssatzes, dann müssten die Freiheitsrechte letztlich überflüssig sein – ein Ergebnis, das offenkundig unvertretbar ist. Die vorrangige oder gar ausschließliche Prüfung von Freiheitsbeschränkungen am Gleichheitssatz wertet aber nicht nur die verfassungsgesetzlich garantierten Freiheitsrechte in ihrer Eigenständigkeit ab; sie unterwandert auch die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers, nur bestimmte Lebenssachverhalte unter den besonderen Schutz der Verfassung zu stellen. Dass die Verfassung an die Zulässigkeit von Freiheitsbeschränkungen differenzierte Anforderungen stellt, je nachdem, ob eine Freiheit speziell garantiert ist oder nicht, kann dann nicht mehr zureichend berücksichtigt werden, weil der Prüfungsmaßstab durch das allgemeine Sachlichkeitsgebot auf ein Niveau eingeebnet wird, das in manchen Fällen zu hoch111, in anderen hingegen zu niedrig ist: Solange nicht explizit gemacht wird, dass eine staatliche Maßnahme eine speziell geschützte Freiheit beschränkt, kann sich der durch diese Freiheit gebotene Schutz in den uferlosen Weiten des Gleichheitssatzes leicht verlieren112. Greift eine Norm in ein Frei____________________
Inhabern nicht börsennotierten Scheine führe, die die Angemessenheit der angebotenen Abfindung gerichtlich überprüfen lassen können. Nimmt man diese auf den Gleichheitssatz gestützte Argumentation ernst, dann müsste sich die konstatierte Verfassungswidrigkeit auch korrigieren lassen, indem den Inhabern nicht börsennotierter Scheine die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle genommen wird. Tatsächlich scheint dies aber gerade nicht der Standpunkt des Gerichtshofs gewesen zu sein, ganz zu Recht, würde doch durch eine solche Niveausenkung die unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Eigentums der Inhaber börsennotierter Scheine nicht beseitigt, sondern nur auf die Inhaber nicht börsennotierter Scheine erstreckt. 109 Für diese Fälle trifft daher zu, was in der Lehre mitunter gegen die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Gleichheitssatzes eingewendet wird, dass auf diese Weise nämlich die „Differenz zwischen dem Gleichheitssatz und den Freiheitsgrundrechten in zweifelhafter Weise vermischt“ wird, so zB Öhlinger, Sozialrecht 163 FN 47; s auch Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 98 FN 372, nach dem der Gleichheitssatz nicht die Funktion haben kann, „die verfassungsrechtlichen Garantien dort gleichsam zu ‚verdoppeln‘, wo auch ein anderes Grundrecht thematisch einschlägig ist“; darauf laufe es aber der Sache nach hinaus, wenn „unter dem Gleichheitssatz jene elaborierte Verhältnismäßigkeitsprüfung abgeführt wird, die im Bereich der Freiheitsrechte ihren dogmatischen Platz hat“. 110 Zu den Ausnahmen s noch unten F.II.3. 111 S dazu noch unten F.II.2. 112 Besonders deutlich wird dies bei der noch zu erörternden Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, dem Einzelnen in einem Verfahren Parteirechte zu
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gewähren: Solange diese Frage ausschließlich als ein Gleichheitsproblem behandelt wird, bleibt unbeachtet, dass dem Interesse an einem Verfahren mitzuwirken, ein unterschiedlich hohes Gewicht zukommt, je nachdem, ob dieses Interesse durch die Verfassung besonders geschützt oder ob es bloß durch eine einfachgesetzliche Vorschrift anerkannt worden ist; s dazu noch näher unten H.VI.2.c.cc. Auch wenn sich eine Ungleichbehandlung nicht auf Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen, sondern nur auf externe Zwecke stützt, muss geprüft werden, ob ein Eingriff in ein Freiheitsrecht vorliegt. Die Vereinbarkeit einer solchen Ungleichbehandlung mit dem Gleichheitssatz kann, wie gezeigt, nur durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung festgestellt werden (C.IV.4.b., C.V.3., D.I.7.b.aa.). Führt diese Ungleichbehandlung für die benachteiligte Personengruppe überdies zu einem Eingriff in ein Freiheitsrecht, so hängt ihre Vereinbarkeit mit diesem Recht ebenfalls von ihrer Verhältnismäßigkeit ab. Dem Regelungsziel, das die Norm allenfalls legitimiert, werden dabei aber verschiedene Interessen gegenübergestellt: Im Fall der Gleichheitsprüfung das prima facie Interesse des Einzelnen, nicht anders behandelt zu werden als eine Person, von der er sich nicht wesentlich unterscheidet; im Fall der Freiheitsprüfung das Interesse, in seiner Freiheit nicht beschränkt zu werden. Vergibt der Gesetzgeber etwa gewerbliche Bewilligungen im Rahmen knapper Kontingente nach dem Prioritätsgrundsatz (s auch Raschauer, Verwaltungsrecht Rz 662 ff), so behandelt er Bewilligungswerber ungleich, obwohl zwischen ihnen kein wesentlicher Unterschied besteht, zugleich wird für die Inanspruchnahme ihrer Erwerbsfreiheit aber auch eine Antrittsschranke errichtet, die sie aus eigener Kraft nicht überwinden können. Die Zulässigkeit dieser Ungleichbehandlung hängt ebenso wie die Beschränkung der Erwerbsfreiheit von ihrer Verhältnismäßigkeit ab: Zu prüfen ist im ersten Fall, ob nicht andere Kriterien zur Verfügung stehen, die (wie etwa die berufsspezifische Verlässlichkeit und die anstandslose Berufsausübung [s Raschauer, Verwaltungsrecht Rz 662]) mit den Eigenschaften der Bewilligungswerber in Zusammenhang stehen, ob das gleiche Ziel also nicht auch mit einer Ungleichbehandlung erreicht werden könnte, die auf wesentlichen Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen beruht. Im zweiten Fall ist zu fragen, ob das Regelungsziel nicht durch ein gelinderes Mittel verwirklicht werden kann, so etwa durch eine Zugangsschranke, die der Bewilligungswerber aus eigener Kraft überwinden kann, die also in seine Erwerbsfreiheit weniger intensiv eingreift und damit jedem Bewerber eine faire Chance gibt, die Bewilligung zu erlangen. Es spricht nichts dagegen, beide Fragen miteinander zu verbinden, nur muss dann bei der Abwägung der divergierenden Interessen veranschlagt werden, dass dem Interesse des Bewilligungswerbers, nicht aus externen Gründen benachteiligt zu werden, durch die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsfreiheit ein besonderes Gewicht zukommt. Fehlt es an einer solchen freiheitsrechtlichen Implikation oder wird diese nicht berücksichtigt, so sinkt automatisch auch der Prüfungsmaßstab, weil das dem Regelungsziel entgegenstehende Grundrechtsinteresse weniger Gewicht hat und daher auch leichter überspielt werden kann. Beispielhaft zu nennen ist hier einerseits das Erkenntnis VfSlg 14.191/1995, in dem der VfGH das Quotensystem des FrG 1991 nur am Gleichheitssatz geprüft und für zulässig befunden hat, sofern derjenige, dem die Niederlassung allein wegen erschöpfter Quote verwehrt worden ist, im nächsten Jahr neuerlich um eine Aufenthaltsgenehmigung ansuchen kann und dann auch bevorzugt behandelt wird; andererseits das Erkenntnis VfSlg 17.013/2003, in dem der VfGH das im FrG 1997 festgelegte Quotensystem für den Familiennachzug ua an Art 8 EMRK geprüft und als unzulässig qualifiziert hat, weil es einen offenen Quotenplatz zur zwingenden Voraussetzung einer Niederlassungsbewilligung machte, also auch dann, wenn der Antragsteller nach Art 8 EMRK einen Rechtsanspruch hatte, zu seiner Familie nachzuziehen. Für das in der Folge novellierte FrG nahm der VfGH im Erkenntnis VfSlg 17.492/ 2005 an, die Behörde habe – wenn die beantragten Plätze die kraft Quote zur Verfügung stehenden Plätze übersteigen – eine Auswahlentscheidung im Sinne des Gesetzes und unter Beachtung des Gleichheitssatzes zu treffen, und zwar so, dass ausgehend von der Reihenfolge des Einlangens der Bewilligungsanträge über diese nach Maßgabe und auf Grund sachlicher Kriterien wie etwa der Entwicklung des Arbeitsmarktes, der Möglichkeiten im Schul- und Gesundheitswesen sowie auf dem Wohnungsmarkt entschieden wird. Strenge
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heitsrecht ein, dann stellt nur eine Prüfung am direkt betroffenen Freiheitsrecht sicher, dass das eigenständige Gewicht des jeweils geschützten Freiheitsinteresses zureichend berücksichtigt wird. Ob eine Maßnahme in ein Freiheitsrecht eingreift, kann daher nicht „dahin stehen“, sondern ist vorab zu prüfen. Denn es ist gerade nicht gleichgültig, ob der von ihr erfasste Lebenssachverhalt unter den besonderen Schutz der Verfassung gestellt ist oder nicht.
2. Gleichheitssatz als allgemeine Handlungsfreiheit? Das bisher Gesagte führt direkt zur nächsten, in der Lehre kontrovers diskutierten Frage, ob der Gleichheitssatz dem Einzelnen eine „allgemeine Handlungsfreiheit“ vermittelt, also ein Prima-facie-Recht, auch jenseits der ausdrücklich garantierten speziellen Freiheitsrechte zu tun und zu lassen, was er will und ganz allgemein von Beschränkungen welcher Art immer frei zu bleiben. Der VfGH tendiert, wie gezeigt, bisweilen dazu, den Gleichheitssatz in diesem Sinn verstehen113. Die Lehre hat diese Judikatur zum Teil zur Kenntnis genommen und festgestellt, die – etwa in Deutschland ausdrücklich in Art 2 GG garantierte – allgemeine Handlungsfreiheit folge in Österreich jedenfalls nach der Judikatur aus dem allgemeinen Gleichheitssatz. Als „Sitz“ dieser Freiheit wird dabei nicht von ungefähr das allgemeine Sachlichkeitsgebot angesehen, vermittelt doch nur dieses nichtkomparative Rechte wie es auch die Freiheitsrechte sind114. ____________________
Maßstäbe hat der Gerichtshof schon zuvor auch in VfSlg 14.503/1996 an eine Vorschrift angelegt, nach der Arbeitsbewilligungen an Fremde nur im Rahmen eines Kontingents zu vergeben waren; dies wohl, weil dabei auch das durch eine solche Kontingentierung berührte Grundrechte auf Eigentum in die Prüfung miteinbezogen wurde, s dazu schon oben D.I.7.b.bb. Die genannten Beispiele zeigen, dass die Prüfung einer Un/gleichbehandlung auch in der Judikatur durchaus strenger ausfällt, wenn veranschlagt wird, dass diese Un/gleichbehandlung ein Freiheitsrecht beschränkt. Selbst in jenen Fällen, in denen Gleichheits- und Freiheitsprüfung dieselbe Form annehmen, ist die Frage, ob eine Norm ein Freiheitsrecht berührt, daher nicht überflüssig. 113 S dazu schon oben D.I.7.b.cc., D.II.2.a. 114 S zB Novak, JBl 1992, 483, der das Sachlichkeitsgebot in dieser Hinsicht als „Ersatz für die in der österr Grundrechtsordnung fehlende allgemeine Handlungsfreiheit“ bezeichnet; Potacs, ZfV 1994, 555, der feststellt, dass die allgemeine Handlungsfreiheit in Österreich zwar verfassungsgesetzlich nicht ausdrücklich verbürgt ist, dass der Gleichheitssatz und das mit diesem verbundene Sachlichkeitsgebot im Verständnis der Rechtsprechung aber einen vergleichbaren Schutz vermittle; s auch Holoubek, Gesetzesvorbehalte 22 ff; Kneihs, Privater Befehl 51 f, sowie Berka, FS Schambeck 346, der sich allerdings in erster Linie auf die Vollziehung bezieht. Ihr ist, wie Berka zutreffend feststellt, durch den Gleichheitssatz ein gesetzloses und daher willkürliches Handeln auch dann verwehrt, wenn kein spezielles Freiheitsrecht einschlägig ist. Insofern schützt der Gleichheitssatz zwar tatsächlich die allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen, dies aber nur im Sinne einer Freiheit von gesetzlosem Zwang. Zentral ist also die auch rechtsstaatlich gebotene Bindung der Behörde an das Gesetz, nicht die größtmögliche Freiheit des Einzelnen.
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Gegen die Ableitung einer allgemeinen Handlungsfreiheit aus dem Sachlichkeitsgebot wurden in der Literatur allerdings auch Einwände erhoben: So meint etwa Merli, das Sachlichkeitsgebot vermittle selbst keine Rechte, es schütze nur vor unsachlichen Eingriffen in ein – bereits bestehendes – Recht und könne dem Einzelnen daher auch keine allgemeine Handlungsfreiheit verschaffen; diese sei vielmehr ein von der Verfassung vorausgesetztes Recht115. Dieser strikten Trennung von allgemeiner Handlungsfreiheit und Sachlichkeitsgebot hat Holoubek entgegengehalten, der Inhalt des allgemeinen Sachlichkeitsgebots bestehe darin, „Beschränkungen von Rechtspositionen an einen guten Grund und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu binden.“116 Es sei zwar zweckmäßig, diese unbenannten Rechtspositionen unter der Bezeichnung „allgemeine Handlungsfreiheit“ zusammenzufassen. Doch bestehe kein Grund, den verfassungsrechtlichen Schutz dieser unbenannten Rechtspositionen vom allgemeinen Sachlichkeitsgebot zu trennen „und einer vorausgesetzten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Handlungsfreiheit zu überantworten“; eine Anknüpfung am Gleichheitsgrundsatz liege hiefür „auch aufgrund des durch die österreichische Rechtsprechungstradition begründeten Kontexts“ näher117. Die jeweils unbenannte Rechtsposition selbst weise allerdings kein eigenständiges Gewicht auf. Daher werde in der Judikatur auch für einen Eingriff (anders als bei den ausdrücklich garantierten Freiheitsrechten) kein öffentliches Interesse verlangt, sondern nur ein „vernünftiger Grund“. Ein weiter Gestaltungsspielraum komme dem Gesetzgeber dann auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu: Der Gesetzgeber könne die Ziele, die er bei der Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit verfolgt, eigenständig rechtspolitisch bewerten; er unterliege insoweit bloß einer Willkürkontrolle bzw einem Exzessverbot118. Lässt man für die Frage, ob der Gleichheitssatz eine allgemeine Handlungsfreiheit garantiert, die Judikatur einmal beiseite und orientiert man sich allein am Wortlaut, der historischen Entwicklung, an systematischen und teleologischen Erwägungen, dann liegt es jedenfalls nicht nahe, den Gleichheitssatz als eine allgemeine Handlungsfreiheit zu verstehen. Entstehungsgeschichtlich hatte der Gleichheitssatz zwar für die Freiheit des Einzelnen eine wichtige Funktion, wie schon die Diskussion im Reichstag von Kremsier zeigt, in der „Freiheit!“ und stets im selben Atemzug „Freiheit für Alle!“ verlangt wurde119. Damit war allerdings nicht „die Freiheit“ ____________________
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Merli, JBl 1994, 316 f. Holoubek, Gewährleistungspflichten 366. Holoubek, Gewährleistungspflichten 366. Holoubek, Gewährleistungspflichten 367. B.II.1.c., B.II.2.c., C.IV.3.a.
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schlechthin gemeint, sondern nur die Summe der sodann im Anschluss an den Gleichheitssatz ausdrücklich garantierten Freiheitsrechte: Sie sollten jedermann oder doch jedem Staatsbürger zukommen, also nicht mehr bloße Privilegien sein, die einigen wenigen auf Kosten aller anderen zuerkannt werden. Wenn der Reichstag von Kremsier und auch die nunmehr geltende Verfassung eine Reihe von Freiheitsrechten speziell benennt, heben sie aus der unendlichen Masse denkbarer Handlungsgattungen bestimmte Lebensbereiche hervor und stufen sie im Unterschied zu anderen Handlungen als besonders schutzwürdig ein. Diese Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers würde unterlaufen, nähme man an, dass alle gerade nicht ausdrücklich für frei erklärten Handlungen dann doch über den Gleichheitssatz als prima facie frei garantiert werden. Dass diese Rechtsposition von vornherein „kein besonderes eigenständiges Gewicht“ hat120, trägt diesem Einwand nur mittelbar Rechnung, insofern nämlich, als damit der zuvor angenommene verfassungsrechtliche Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit in Wahrheit wieder aufgegeben wird: Denn eine Verhältnismäßigkeitsprüfung setzt ein Recht voraus, dem zumindest ein gewisses Schwellengewicht zukommt. Hat ein Recht von vornherein kein Gewicht, so hat es einem Eingriff auch nichts entgegenzusetzen; es wird dann jedem Eingriffsinteresse unterliegen, ist also in Wahrheit doch nicht geschützt. Selbst wenn man einer solchen Rechtsposition aber ein geringes Gewicht zuschreiben wollte, müsste erst begründet werden, warum dieses Recht überhaupt aus dem Gleichheitssatz folgt. Historische und systematische Erwägungen sprechen jedenfalls nicht für diese Annahme. Zu prüfen bleibt, ob das Fehlen einer allgemeinen Handlungsfreiheit im Rang eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts aus der Sicht des Einzelnen inakzeptable Konsequenzen hat, die zu billigen dem Verfassungsgesetzgeber nicht „zugesonnen“ werden kann. Sucht man nach Fällen, in denen „nur“ die allgemeine Handlungsfreiheit betroffen ist, so wird man erst nach einer Weile überhaupt fündig. Naheliegend ist dabei ein Blick auf die in Art 2 GG ausdrücklich garantierte Handlungsfreiheit und auf die Fälle, die dieser Freiheit subsumiert werden: Genannt wird hier zB das Recht am nichtöffentlich gesprochenen Wort, an eigenen Aufzeichnungen und am eigenen Bild, an der Integrität von Kranken- oder Ehescheidungsakten121, das Recht auf eine freie Arztwahl122, auf die Integrität persönlicher Daten123 oder den Konsum von Drogen124, ebenso das Recht von ____________________
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Vgl Holoubek, Gewährleistungspflichten 367. Vgl dazu zB Starck, Art 2 GG Rz 92 ff. Starck, Art 2 GG Rz 123. Starck, Art 2 GG Rz 114 f. Starck, Art 2 GG Rz 124 ff.
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Gefangenen, Briefkontakt mit Vertrauenspersonen zu unterhalten125, das Recht des Soldaten, seine Haartracht zu wählen126 oder das Recht des Beamten, dass sein Personalakt nicht an Dritte weitergegeben wird127: Alle diese Rechte bestehen in Österreich natürlich auch, sie sind hier allerdings speziell garantiert, so durch das Brief- und das Fernmeldegeheimnis, durch Art 8 EMRK und durch das DSG. Auch die Ausreisefreiheit, die in Deutschland aus Art 2 GG hergeleitet werden muss128, ist in Österreich explizit, sogar doppelt und auf hohem Schutzniveau gewährt129. Gleiches gilt für die Art 2 GG zugeordnete Vorschreibung von Abgaben130, die Anordnung einer Versicherungspflicht131, den Anschluss- und Benützungszwang132 und auch die Privatautonomie als solche133: Sie unterfallen allesamt der in Österreich sehr weit verstandenen Unverletzlichkeit des Eigentums (Art 5 StGG)134. Die als Anwendungsfall des Art 2 GG weiters angeführte Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden135 lässt sich in Österreich als Eingriff in die Assoziationsfreiheit verstehen, das Recht auf ein faires Strafverfahren136 und das Recht, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen137 gewährt hier Art 6 EMRK, selbst das Recht, akademische Grade zu führen138 ist in Österreich zumindest mittelbar durch Art 7 Abs 3 B-VG garantiert. Auch andere Positionen, für die – unabhängig von Art 2 GG – ein Schutzbedürfnis angemeldet wird, sind mE nur scheinbar schutzlos, richtigerweise aber der in Art 4 StGG garantierten Freizügigkeit zu subsumieren, die in Lehre und Judikatur nur in ____________________
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Starck, Art 2 GG Rz 106. Starck, Art 2 GG Rz 156 f. 127 Starck, Art 2 GG Rz 155. 128 Starck, Art 2 GG Rz 121. 129 Vgl Art 4 Abs 3 StGG, nach dem die Auswanderungsfreiheit „von Staats wegen nur durch die Wehrpflicht beschränkt“ ist; diese Garantie schließt auch die kurzfristige Ausreise aus dem Staatsgebiet ein und deckt sich insoweit ihrem sachlichen Schutzbereich nach mit Art 2 Abs 2 4. ZPEMRK. Ein Eingriff in die Ausreisefreiheit des Art 4 Abs 3 StGG ist allerdings nur unter qualifizierten Voraussetzungen zulässig, insofern ist diese Garantie für den Rechtsunterworfenen günstiger als Art 2 Abs 2 und Abs 3 4. ZPEMRK; s dazu näher Pöschl, Art 4 StGG, Rz 53, 66 f. 130 Starck, Art 2 GG Rz 161. 131 Starck, Art 2 GG Rz 137 ff. 132 Starck, Art 2 GG Rz 141 f. 133 Starck, Art 2 GG Rz 145 ff. 134 Der Privatautonomie ließe sich wohl sogar die ebenfalls dem Art 2 GG zugeordnete Freiheit subsumieren, öffentliche Sammlungen durchzuführen (Starck, Art 2 GG Rz 122), weil eine Sammlung ja nur das privatautonome Ersuchen des Sammelnden ist, mit ihm einen Schenkungsvertrag abzuschließen. 135 Starck, Art 2 GG Rz 133. 136 Starck, Art 2 GG Rz 128. 137 Starck, Art 2 GG Rz 104. 138 Starck, Art 2 GG Rz 160. 126
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Vergessenheit geraten ist: Das gilt etwa für das Verbot, in einem See zu baden, die Wegweisung von einem Ort139 oder die gewaltsame Entfernung einer Person aus einem Lokal, an dem sie kein Nutzungsrecht hat140. Was dann noch bleibt und nicht ohnedies aus dem allgemeinen Gleichheitssatz hergeleitet werden kann, ist ziemlich wenig: Das berühmte „Reiten im Walde“, das Moutainbiken auf Forststraßen141, das Autofahren ohne Gurt142, das Motorradfahren ohne Helm und das Füttern von Tauben143. Es mag noch weitere Handlungen geben, aber selbst wenn sie und die hier genannten Handlungen verboten werden und der Rechtsunterworfene, der dieses Verbot übertritt, bestraft wird, bleibt er nicht ohne Schutz: Erstens greift die Strafe neuerlich in sein Eigentum und gegebenenfalls sogar in seine persönliche Freiheit ein. Zweitens verlangt der Gleichheitssatz, dass der Straftatbestand verglichen mit anderen Straftatbeständen keine offensichtlichen Wertungswidersprüche aufwirft144; drittens verbietet er die Auferlegung nichterfüllbarer Pflichten145. Zu denken wäre schließlich noch an Inpflichtnahmen, also an Regelungen, die Einzelnen im Dienst der Allgemeinheit bestimmte Handlungspflichten auferlegen. Doch auch hier entsteht kein Schutzdefizit, denn derartige Pflichten sind über den Gleichheitssatz problemlos kontrollierbar, greift doch der Staat durch sie aus der Masse der Rechtsunterworfenen einzelne heraus und verpflichtet sie dazu, der Allgemeinheit einen Dienst zu erweisen: Das ist ein Sonderopfer, das aus der Sicht des Gleichheitssatzes durchaus einer Rechtfertigung bedarf; kann diese Pflicht nicht schon durch wesentliche Unterschiede zwischen dem Verpflichteten und allen anderen Rechtsunterworfenen begründet werden, so greift sie in sein Recht auf Gleichbehandlung in gleicher Lage ein und ist nur zulässig, wenn sie zur Erreichung eines öffentlichen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist146. ____________________
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Merli, JBl 1994, 240 FN 46. Merli, JBl 1994, 241. 141 Beides ist nicht mehr durch die Freizügigkeit geschützt, weil diese nur ein Recht gewährt, sich von einem Ort zum anderen zu begeben, aber gerade kein Recht, dafür ein ganz bestimmtes Verkehrsmittel zu verwenden (Pöschl, Art 4 StGG Rz 27 f ); s zum Reiten im Walde BVerfGE 80, 137, zum Mountainbiken auf Forststraßen VfSlg 12.998/1992. 142 VfSlg 11.917/1988. 143 Dieses Beispiel nennt Merli, JBl 1994, 234. 144 E.IV.4.c. 145 E.IV.4.e. 146 Die Judikatur geht wohl auch in diese Richtung: Als gleichheitswidrig angesehen hat es der VfGH etwa, dass der Vertreter eines Liegenschaftseigentümers der Behörde Auskünfte über den Liegenschaftsbestand und seine Veränderungen erteilen und damit für die Steuererhebung maßgebende Tatsachen ermitteln musste (VfSlg 10.403/1985), ebenso dass Private ohne weitere Einschränkung und unter Strafdrohung mit Kontrollaufgaben belastet werden, die in erster Linie den Behörden obliegen (VfSlg 16.662/2002). Mitwirkungspflichten Dritter für die Abgabeneinhebung sieht der VfGH aber als zulässig an, „wenn 140
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Dass der Gleichheitssatz eine allgemeine Handlungsfreiheit garantiert, ist nach alldem nicht nur historisch nicht nachweisbar und systematisch bedenklich; auch die „Lücke“, die das Fehlen einer solchen Freiheit im Grundrechtssystem lässt, ist mE nicht derart schmerzlich, dass teleologische Gründe dazu zwingen, dem Gleichheitssatz ein solche Freiheit zu entnehmen147.
3. Freiheitsbeschränkung und verpönte Differenzierung Der oben beschriebene Vorrang (explizit) freiheitsrechtlicher Differenzierungsverbote, -erlaubnisse und -gebote vor dem Gleichheitssatz gilt mit einer Ausnahme: Beschränkt der Gesetzgeber ein Freiheitsrecht für eine Personengruppe, deren Benachteiligung durch einen speziellen oder durch den allgemeinen Gleichheitssatz verpönt, also prima facie verboten ist, so kommt zu der Freiheitsbeschränkung noch eine potentielle Gleichheitswidrigkeit hinzu, die nicht in der allenfalls konstatierten Freiheitsverletzung aufgeht. Eine derartige Differenzierung greift vielmehr zum einen in die Freiheit der Betroffenen ein, benachteiligt diese Personen aber zum Zweiten auch aufgrund einer persönlichen Eigenschaft, über die sie nicht ____________________
zwischen dem Steuerschuldner und dem Entrichtungspflichtigen eine qualifizierte Beziehung rechtlicher oder wirtschaftlicher Art besteht, die es ihrem Inhalt nach rechtfertigt, gerade diesem Entrichtungspflichtigen die Verpflichtung zum Abzug und zur Abfuhr der Steuer aufzuerlegen, sei es, daß die zum Steuerschuldner bestehende rechtliche oder wirtschaftliche Beziehung gleichzeitig das steuerschuldbegründende Ereignis ist, sei es, daß die dem Steuertatbestand entsprechenden Bemessungsgrundlagen über ihn laufen oder er zu ihnen zumindest leicht Zugang hat, und es daher legitim erscheint, ihn bei der Weiterleitung oder auch beim Empfang dieser Mittel mit Abzugs- und Abfuhrpflichten zu belasten, sei es schließlich, daß sonstige Umstände vorliegen, die eine Inpflichtnahme gerade dieser Person sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen.“ Darüber hinaus müssen die Mitwirkungspflichten Dritter in einem angemessenen Verhältnis zu der Art und dem Umfang der zum Primärschuldner bestehenden Beziehungen stehen (VfSlg 15.773/2000). Nicht beanstandet hat der VfGH im Besonderen die Pflicht des Arbeitgebers, die Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen (VfSlg 6425/1971), die Pflicht des Unterkunftgebers, die Kurtaxe einzuheben (VfSlg 10.213/1984), die Pflicht der Kreditinstitute, die für ihre Kunden anfallende Kapitalertragssteuer abzuführen (VfSlg 17.426/2004) und die Pflicht der Krankenversicherungsträger, die Dienstgeberabgabe einzuheben, dies zumal ein Viertel dieses Abgabenertrages dem Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger zu überweisen ist, sodass die Abgabeneinhebung auch in deren Interesse liegt (VfSlg 17.414/2004). Den Betreibern von Telekommunikationsdiensten kann schließlich zugemutet werden, dass sie alle Einrichtungen zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach den Bestimmungen der StPO vorhalten; nicht zu rechtfertigen ist es hingegen, ihnen auch die Kosten dafür aufzubürden (VfSlg 16.808/2003). Auch einem Amtsverteidiger kann nicht zugemutet werden, eine umfangreiche und arbeitsintensive Strafverteidigung zu übernehmen, das Risiko der Uneinbringlichkeit der im Zuge der Verteidigung entstehenden Kosten aber selbst zu tragen (VfSlg 14.703/1996). 147 Ob die allgemeine Handlungsfreiheit durch die Rechtsordnung vorausgesetzt ist, kann hier offen bleiben; s dazu Merli, JBl 1994, 233 ff, 309 ff.
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oder nicht zumutbar disponieren können. Eine solche Maßnahme beeinträchtigt also zwei unterschiedliche Rechtsgüter und kann daher auf ihre Vereinbarkeit sowohl am Freiheitsrecht als auch am Gleichheitssatz überprüft werden. Zweckmäßigerweise ist in solchen Fällen mit der Gleichheitsprüfung zu beginnen, weil diese an die Zulässigkeit der jeweiligen Differenzierung strengere Anforderungen stellt als das Freiheitsrecht, also besonders triftige Gründe und eine hohe Treffsicherheit der jeweiligen Differenzierung zur Zielerreichung verlangt148. Wenn der Gesetzgeber etwa für Frauen ein Nachtarbeitsverbot statuiert, greift er zwar in deren Erwerbsfreiheit ein, zugleich beeinträchtigt er aber auch ihr Interesse, nicht bloß aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt zu werden. Wie bereits gezeigt wurde, ist ein derartiges Verbot weder geeignet noch erforderlich, um sein Ziel zu erreichen, Frauen nämlich vom Druck vor Nachtarbeit zu befreien149. Es verletzt daher sowohl Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG als auch Art 6 StGG. Dass ein solches Verbot aber auf dem Stereotyp der Schutzbedürftigkeit doppelt belasteter Frauen aufbaut und zudem jene Frauen, die dieses paternalistischen Schutzes nicht bedürfen, kollektiviert, ihnen also zumutet, sich allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit so behandeln zu lassen, als wären sie schutzbedürftig, kommt bei einer Prüfung nur an Art 6 StGG nicht zum Ausdruck: Das wird erst deutlich, wenn überdies eine Kontrolle am Maßstab des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG vorgenommen wird150. Gleiches gilt auch für jede andere Ungleichbehandlung nach einem verpönten Differenzierungsmerkmal. Wenn sich ein Gesetzgeber etwa einfallen ließe, alle Angehörigen einer bestimmten Rasse entschädigungslos zu enteignen, dann läge darin wohl eine Verletzung ihres Eigentums151; schwerer wiegt aber, dass diese Eigentumsverletzung diskriminierend ist. Dieser gravierende Gleichheitsverstoß darf nicht unausgesprochen bleiben, und zwar nicht nur, weil dies dem Betroffenen zumindest nachträglich Genugtuung verschafft, sondern auch, weil anders eine Fortsetzung seiner Diskriminierung nicht abgewendet werden kann: Die Eigentumsverletzung allein ließe sich nämlich schon durch die Zuerkennung einer angemessenen Entschädigung beseitigen, die die Diskriminierung aufgrund der Rasse aber gerade nicht aufhebt. Auch wenn sich Freiheits- und Gleichheitsrechte also zwar in manchen Belangen überschneiden und Ein____________________
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S dazu oben E.I.4.c. S dazu schon oben E.I.4.c. 150 Der VfGH hat, wie oben E.I.2.h. gezeigt, das Nachtarbeitsverbot nur am allgemeinen Gleichheitssatz geprüft und dabei einen auffallend milden Prüfungsmaßstab angelegt, sodass weder der diskriminierende Charakter dieser Norm noch ihre Unvereinbarkeit mit Art 6 StGG festgestellt wurde. 151 So die überwiegende Lehre; anders der VfGH, der in entschädigungslosen Enteignungen nur ein gleichheitswidriges Sonderopfer sieht, s dazu bereits oben FN 92. 149
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griffe in ein Freiheitsrecht auch als Gleichheitsproblem formuliert werden können, verfolgen beide Rechte doch einen je eigenständigen Schutzzweck, der es ausschließt, die Gleichheit auf die Freiheit oder die Freiheit auf die Gleichheit zu reduzieren.
4. Verhältnismäßige Eingriffe in ein Freiheitsrecht Eine Maßnahme, die in ein Freiheitsrecht eingreift, mit diesem aber vereinbar ist, kann gegen den Gleichheitssatz nicht nur dann verstoßen, wenn sie diskriminierend ist; sie kann auch aus anderen Gründen gleichheitsrechtlich bedenklich sein. Dass aus der Freiheitskonformität einer Regelung noch nicht auf deren Gleichheitskonformität geschlossen werden kann, wird besonders deutlich, wenn der Gesetzgeber einem sozial unverträglichen Freiheitsgebrauch nur in bestimmten Fällen verhältnismäßige Schranken zieht, wenn er also die ihm erteilte Differenzierungserlaubnis in Anspruch nimmt, sie aber nicht voll ausschöpft, sodass vergleichbare Formen des Freiheitsgebrauches unbeschränkt bleiben oder doch weniger schwer beeinträchtigt werden152. Zur Verdeutlichung nehme man an, wissenschaftliche Untersuchungen würden belegen, dass Ärzte, die nur in einem Fach tätig sind, ihre Patienten ceteris paribus besser betreuen und signifikant höhere Heilungserfolge erzielen als Ärzte, die mehr als ein Fach vertreten. Nähme man weiters an, der Gesetzgeber sähe sich durch eine solche Untersuchung dazu veranlasst, Maßnahmen im Interesse der Volksgesundheit zu ergreifen, indem er Allgemeinmedizinern – und nur ihnen – verbietet, ein zweites Fach auszuüben, so wäre dies aus der Sicht der Erwerbsfreiheit nicht zu beanstanden: Dass dieses Verbot nur Allgemeinmediziner trifft, könnte gegen seine Tauglichkeit zur Zielerreichung nicht eingewendet werden, weil die Zahl der „schlechter“ betreuten Patienten durch diese Maßnahme zwar nicht auf Null gesenkt, aber doch immerhin reduziert würde. Um diese Reduktion zu erreichen, wäre die Maßnahme auch erforderlich, weil ein gelinderes Mittel dafür nicht ersichtlich ist. Auch die Verhältnismäßigkeit ieS einer solchen Norm könnte nicht bestrit____________________
152 S auch Holoubek, ÖZW 1991, 80 FN 106, nach dem es unter dem Gesichtspunkt eines Freiheitsrechts zulässig sein kann, zwei verschiedene Gruppen je verschieden stark zu beschränken, solange beide Beschränkungen durch den Gesetzesvorbehalt gedeckt sind. Erst der Gleichheitssatz ermögliche es, diese beiden Beschränkungen in Beziehung zueinander zu setzen; dabei könne sich erweisen, dass die intensivere der beiden – freiheitsrechtlich zulässigen – Beschränkungen „einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit ‚horizontalen Maßstäben‘ nicht standhält.“ Da die Gleichheitsprüfung nur die Ungleichbehandlung der beiden Personengruppen kontrolliert, ist die Aufhebung oder Abschwächung der intensiveren Beschränkung zwar eine Möglichkeit, die allenfalls konstatierte Gleichheitswidrigkeit zu beheben; grundsätzlich, dh wenn keine anderen Argumente dagegen sprechen, stünde dem Gesetzgeber als Korrekturmöglichkeit diesfalls aber auch die Verschärfung der milderen Beschränkung offen.
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ten werden, denn dass das Erwerbsstreben des Arztes nicht über die Gesundheit seiner Patienten gestellt werden kann, ist schon in der Zielsetzung des Arztberufes begründet. Dass der Gesetzgeber nicht auch die Erwerbsfreiheit aller anderen Ärzte beschränkt, mindert die gewichtige Bedeutung der Volksgesundheit nicht und verletzt auch sonst nicht die Erwerbsfreiheit, weil der Gesetzgeber eben nur ermächtigt, nicht aber auch verpflichtet ist, diese Freiheit im öffentlichen Interesse zu beschränken. Was dem Gesetzgeber in einem solchen Fall gleichwohl vorgeworfen werden müsste, wäre seine Inkonsequenz153: Dass er Allgemeinmediziner anders behandelt als andere Ärzte, obwohl eine Mehrfachtätigkeit beider Arztgruppen für die Gesundung der Patienten gleichermaßen abträglich ist, verletzt zwar nicht die Erwerbsfreiheit, wohl aber den allgemeinen Gleichheitssatz. Dieser zwingt den Gesetzgeber dazu, den Eingriff entweder ganz zu beseitigen oder ihn auch auf andere Ärzte auszudehnen. Wählt der Gesetzgeber die erste Variante, dann hat der Gleichheitssatz mehr Schutz für die Freiheit bewirkt als das Freiheitsrecht selbst es gekonnt hätte. Wählt der Gesetzgeber hingegen die zweite Variante, dann hat der allgemeine Gleichheitssatz eine weitere Beschränkung der Freiheit bewirkt154; ihre Zulässigkeit findet aber auch eine Grenze an dem jeweils betroffenen Freiheitsrecht selbst: Würde ein Verbot der Mehrfachtätigkeit die Erwerbsfreiheit der anderen Ärzte (aus welchen Gründen immer) unverhältnismäßig schwer beschränken, dann könnte es gleichheitsrechtlich nicht mehr geboten sein, sie in den Eingriff einzubeziehen155. In Fallkonstellationen wie diesen können Gleichheit und Freiheit also in ein Spannungsverhältnis geraten, das durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgebaut wird: Eine Ausdehnung der Freiheitsbeschränkung ____________________
153 S auch VfSlg 14.167/1995, 14.503/1996, sowie allgemein zur eigenständigen Bedeutung des Gleichheitssatzes neben den Freiheitsrechten in Fällen wie diesen Huster, Art 3 GG Rz 98. 154 Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren, vgl etwa VfSlg 15.040/1997: Gleichheitswidrigkeit des generellen Ausschlusses der steuerlichen Anerkennung von Rückstellungen für Dienstjubiläumsgelder; dem Gesetzgeber steht es frei, im Steuerrecht für noch ungewisse Verbindlichkeiten eine Passivierungspflicht und ein Passivierungsrecht vorzusehen. Gewährt er aber die Möglichkeit der Passivierung nach einem bestimmten (dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden) System, dann bedarf ein Abweichen von diesem System abermals einer sachlichen Rechtfertigung; VfSlg 17.310/2004, 17.312/2004: keine Verletzung der Erwerbsfreiheit durch das Verbot der sog „Sternsozietät“: Es steht dem Gesetzgeber frei, Anwälten die Zugehörigkeit zu mehreren beruflichen Zusammenschlüssen zu verbieten; ein solches Verbot muss dann aber auch für grenzüberschreitende Zusammenschlüsse gelten; s aus der Rechtsprechung des BVerfG zB BVerfGE 75, 166 (179 ff ), wonach ein Selbstbedienungsverbot für freiverkäufliche Arzneimittel mit Art 12 Abs 1 GG vereinbar ist; gleichheitswidrig ist es aber, dieses Verbot nur für Apotheken und nicht auch für den übrigen Einzelhandel auszusprechen. 155 S auch Kloepfer, Gleichheit 52, nach dem die Freiheitsrechte als Grenze des Gleichheitssatzes fungieren.
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kann durch den Gleichheitssatz (als Alternative zur Beseitigung der Freiheitsbeschränkung) geboten sein, allerdings nur insoweit, als diese das Freiheitsrecht selbst nicht verletzt. Derjenige, der eine gleichheitswidrige Freiheitsbeschränkung bekämpft, geht für sich selbst kein Risiko ein; er nützt nur die Chance, dass der Gesetzgeber auf die als gleichheitswidrig aufgehobene Freiheitsbeschränkung in der Folge ganz verzichtet. Riskant ist eine solche Anfechtung allerdings für diejenigen, die die bekämpfte Freiheitsbeschränkung noch nicht trifft: Ihnen droht die Gefahr, dass der Gesetzgeber sie, um einen gleichheitskonformen Zustand herzustellen, auch in die Beschränkung einbezieht. In dieser klassisch komparativen Funktion wirkt der Gleichheitssatz wie ein „Recht auf Neid“. Auch der Neidige kann zwei Gesichter haben, ins Positive gewendet verlangt er das, was andere haben, auch für sich; ins Negative gewendet will er, dass das, was er selbst nicht haben kann, auch dem anderen genommen wird.
5. Versagen der Verhältnismäßigkeitsprüfung a. Steuern und Gebühren Besondere Bedeutung kommt der Verbindung zwischen Freiheitsrechten und Gleichheitssatz weiters dann zu, wenn eine staatliche Maßnahme zwar in ein Grundrecht eingreift, durch sein Verhältnismäßigkeitsgebot aber nicht effektiv begrenzt werden kann. Dies ist etwa bei Steuervorschriften der Fall, die keine ausschließlich lenkenden, sondern nur oder auch fiskalische Zwecke verfolgen: Nach herrschender Ansicht in Österreich greifen sie zwar in das Grundrecht auf Eigentum ein156. Da der Fiskalzweck letztlich unersättlich ist und die einzelnen Steuereinnahmen von bestimmten Ausgaben entkoppelt sind157, verletzt die Vorschreibung von Steuern das Grundrecht auf Eigentum aber nur in Ausnahmefällen158. ____________________
156 S mwN Korinek, Art 5 StGG Rz 18, 40; in der Vorschreibung von Abgaben wird dabei überwiegend ein „Eingriff sui generis“ gesehen, dazu grundlegend Morscher, 8. ÖJT I/1 B (1982) 114 f, zustimmend Raschauer, Allgemeiner Teil Rz 194; ebenso Doralt/Ruppe, Steuerrecht II Rz 395. Die ältere Judikatur verneinte den Eingriffscharakter noch mit der Begründung, Geldleistungen an die öffentliche Hand unterfielen dem historisch auszulegenden Enteignungsbegriff nicht, s zB VfSlg 4086/1961, 4149/1962, 5051/ 1965, 5369/1966, 5858/1968; gegen diese Ansicht bereits Stolzlechner, ÖZW 1975, 33 ff. Zur Diskussion in Deutschland s zB P. Kirchhof und von Arnim, VVDStRL 39 (1981) 213 ff und 286 ff; Wieland, Art 14 GG Rz 53 ff; Depenheuer, Art 14 GG Rz 160 ff; F. Kirchhof, Abgaben 44 ff. 157 S schon Heun, DÖV 1989, 1058 mwN; dens, Art 3 GG Rz 74. S zur Maßlosigkeit des Fiskalzweckes auch Vogel, VVDStRL 47 (1989) 66. 158 S etwa Berka, Grundrechte Rz 741, nach dem eine Verletzung des Art 5 StGG allenfalls angenommen werden kann, wenn eine Steuer einen „konfiskatorischen Effekt“ hat, wenn sie also den Abgabepflichtigen exzessiv belastet und dadurch seine Vermögens-
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Fraglich ist im Regelfall vielmehr, ob die Steuerlast auf die Rechtsunterworfenen gleichmäßig verteilt worden ist oder ob einzelne Personengruppen schwerer als andere belastet oder umgekehrt anderen gegenüber privilegiert worden sind159. Denn der Fiskalzweck selbst rechtfertigt zwar die ____________________
verhältnisse grundlegend beeinträchtigt; zustimmend Korinek, Art 5 StGG Rz 41, der konstatiert, dass die Verhältnismäßigkeit des Eingriffes im Steuerrecht bislang keine Rolle gespielt hat; s für Deutschland zB Huster, Art 3 GG Rz 134. Vgl aus der Judikatur zB VfSlg 7770/1976, 7996/1977, 9750/1983 sowie VfSlg 9583/1982: Eine Pflicht, der Kaufkraftminderung der Währung bei der Bewertung des Betriebsvermögens Rechnung zu tragen, könnte den einfachen Gesetzgeber nur treffen, wenn die bestehenden Vorschriften zu einem exzessiven steuerlichen Ergebnis führten, wenn also zB durch ihre Anwendung das „– hier in Betracht zu ziehende – Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums in seinem Wesensgehalt [geschmälert] würde“; VfSlg 10.365/1985: Der Gesetzgeber darf auch Abgabenerhöhungen vornehmen, sofern nur die Regelung nicht jeder sachlichen Rechtfertigung entbehrt oder „zu einer Aushö[h]lung des Grundrechts auf Unversehrtheit des Eigentums führt“. In VfSlg 14.644/1996 stellt der VfGH anknüpfend an seine bisherige Rechtsprechung zwar einerseits fest, dass Steuern nicht unter den historisch auszulegenden Enteignungsbegriff fallen; andererseits attestiert er der konkreten Steuer aber, im öffentlichen Interesse zu liegen. In VfSlg 17.414/2004 meint der VfGH, die Dienstgeberabgabe stelle „beim derzeitgen Inhalt des DAG“ keine Erdrosselungssteuer dar. Neben der konfiskatorischen Steuer kommen für eine Eigentumsverletzung auch Abgaben in Betracht, die den Rechtsunterworfenen zu einem bestimmten Gebrauch eines Eigentumsgegenstandes drängen, s dazu mwN von Arnim, VVDStRL 39 (1981) 331 FN 181; denkbar sind auch Abgaben, die den Grundrechtsträger von einem bestimmten Gebrauch seines Eigentums abhalten, s etwa das Erkenntnis VfSlg 17.605/2005, in dem der Gerichtshof einer Sicherheitsabgabe in der Höhe von € 7,964 (je abgabenpflichtigem Flug pro Person) attestiert, keine derart prohibitive Wirkung zu haben. 159 S auch den Befund Korineks, Art 5 StGG Rz 41, wonach Abgabengesetze bislang noch nie als unvereinbar mit der Eigentumsgarantie aufgehoben, sondern stets unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes erörtert worden sind. Die Feststellung Heuns, Art 3 GG Rz 74, der Gleichheitssatz habe im Steuer- und Abgabenrecht herausragende Bedeutung, weil er – von Kompetenznormen abgesehen – praktisch die wichtigste, „wenn nicht die einzige“ Grundrechtsschranke für den Gesetzgeber bilde, trifft in dieser Allgemeinheit allerdings nicht zu. Abgaben können auch an anderen Grundrechten als dem Eigentum eine Schranke finden, zu denken ist etwa an die Erwerbsfreiheit (bei Ertragssteuern im Berufsrecht: s VfSlg 6533/1971, bei der Vergnügungssteuer: s VfSlg 9750/1983, bei der Dienstgeberabgabe, die keine „Erdrosselungssteuer“ sein darf und derzeit auch nicht ist: VfSlg 17.414/2004), an die Vereinigungsfreiheit (bei Körperschaftssteuern), an die Meinungsfreiheit (bei Werbeabgaben, anders das Erkenntnis VfSlg 16.635/2002, das einen Eingriff verneint, weil die Besteuerung nicht auf die Einschränkung der Meinungsfreiheit abziele; zur Fragwürdigkeit der Intentionalität als Eingriffsvoraussetzung s Pöschl/Kahl, ÖJZ 2001, 45 ff ), an die Freizügigkeit der Person und des Vermögens bzw die Auswanderungsfreiheit (bei sog „Abfahrtsgeldern“, die nach Art 4 Abs 4 StGG nur unter der Voraussetzung der Reziprozität gestattet und nach Art 2 4. ZPEMRK wohl überhaupt unzulässig sind; dazu näher Pöschl, Art 4 StGG Rz 58; dies, Art 2 4. ZPEMRK Rz 76; mE sind auch Aufenthaltsabgaben wie Kur- und Ortstaxen als Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit anzusehen, anders VfSlg 3221/1957, 9609/1983, s dazu näher Pöschl, Art 6/1 1. Tb StGG Rz 25 und 28). Dass das Steuerrecht den Einzelnen durch ökonomischen Druck zu einem bestimmten Verhalten veranlassen und dadurch in seine Freiheit eingreifen kann, hat allgemein bereits von Arnim, VVDStRL 39 (1981) 330 f, herausgestellt; zur Schutzwirkung von Freiheitsrechten (jenseits der Eigentumsgarantie) im Abgabenrecht s nun auch F. Kirchhof, Abgaben 48 ff.
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Erhebung und Erhöhung von Steuern, nicht aber die unsachliche Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen in gleicher Lage160. Sowohl aus historischen als auch aus systematischen Gründen muss die Gleichheitsprüfung von der prima facie gebotenen Lasten- und Pflichtengleichheit der Rechtsunterworfenen als leitendem Gedanken ausgehen161: Einerseits soll prinzipiell jeder, der leistungsfähig ist, zur Finanzierung des Staatshaushaltes beitragen162, andererseits ist aber auch jedem Rechtsunterworfenen die Unverletzlichkeit seines Eigentums verfassungsrechtlich garantiert. Das macht die Auferlegung von Sonderopfern unzulässig163, steht einer Doppelbesteuerung entgegen164, erweist also auch den in der Judikatur angenommenen Grundsatz der Einmalbesteuerung165 als gleichheitsrechtlich geboten, lässt eine Steuerbegünstigung oder -verschärfung für bestimmte Personengruppen nur zu, wenn diese zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist166, be____________________
160 S schon von Arnim, VVDStRL 39 (1981) 332; Tipke, FS Stoll 238; Ruppe, Steuerrecht 127. 161 Dass die Lasten- und Pflichtengleichheit von jeher ein zentrales Anliegen des Gleichheitssatzes war, wurde oben C.IV.3.a.aa. bereits erwähnt; s auch Rohloff, Zusammenwirken 120, nach dem der Gleichheitssatz als „gruppeninternes Gebot der Lastengleichheit“ wirkt; s weiters Tipke, FS Stoll 229, nach dem der Gleichheitssatz erstens die steuerliche Erfassung aller leistungsfähigen Bürger verlangt, zweitens auch ihre gleichmäßige Belastung. Von Arnim, VVDStRL 39 (1981) 318, verortet den Grundsatz der steuerlichen Lastengleichheit in der Eigentumsgarantie des Art 14 GG, die insofern Art 3 GG als speziellere Norm verdränge. Dass dieser Befund sinngemäß auch für Österreich gelten kann, ist zweifelhaft, wurde doch die gleiche Steuerpflicht im Laufe der Geschichte mehrfach im Zusammenhang mit der Gleichheits- und gerade nicht mit der Eigentumsgarantie gewährt bzw diskutiert, s dazu mwN oben C.IV.3.a.aa. 162 S auch Tipke, FS Stoll 229. 163 S schon VfSlg 6884/1972, 7234/1973, 7759/1976, 10.001/1984, 13.006/1992, 16.455/2002; hier liegt tatsächlich (anders als bei der entschädigungslosen Enteignung) ein Gleichheits- und kein Problem des Eigentums vor, sofern das Sonderopfer nicht für sich genommen so exzessiv ist, dass eine Eigentumsverletzung konstatiert werden muss – bei Steuern ist dies aber aus den genannten Gründen in der Regel nicht der Fall; zur „Sonderopfertheorie“ allgemein Korinek, Art 5 StGG Rz 44, sowie oben in FN 92. 164 Die Zinsertragssteuer, die zusätzlich zur Einkommensteuer auf Kapitalerträge erhoben wurde, qualifizierte der VfGH daher in VfSlg 10.827/1986 als sachlich nicht gerechtfertigte Doppelbelastung; gleichartige Bedenken äußert Ruppe, Steuerrecht 125, auch gegen die (frühere) Aufsichtsratsabgabe, die die Einkünfte von Aufsichtsräten – ohne erkennbaren Grund – im Ergebnis einer höheren Einkommensteuer unterwirft als die Einkünfte anderer Berufsgruppen. 165 VfSlg 8383/1978, 10.101/1984, 10.612/1985 sowie oben und D.III.3.a.; s auch VfSlg 14.779/1997, 16.678/2002; VfGH 7.12.2006, B 242/06, sowie Beiser, Steuern 24 f. 166 S etwa von Arnim, VVDStRL 39 (1981) 325 ff, der zutreffend auf den Unterschied zur bloßen Willkürkontrolle hinweist: Diese begnügt sich damit, dass für die Steuerbegünstigung ein legitimer Lenkungszweck vorliegt. Das Gewicht dieses Zweckes und sein Verhältnis zur prima facie gebotenen Lastengleichheit steht erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Debatte.
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deutet aber nicht, dass deshalb alle Rechtsunterworfenen schematisch gleich behandelt werden müssen. Die Auswahl des Besteuerungsobjekts bedarf allerdings einer sachlichen Begründung167: Sie kann vor allem in der besonderen Leistungsfähigkeit der belasteten Gruppe gefunden werden, weiters darin, dass ein bestimmtes Verhalten der Rechtsunterworfenen für die Allgemeinheit Kosten verursacht oder den Betroffenen einen besonderen Nutzen bringt168, schließlich in nichtfiskalischen Zielen, die durch die Abgabenerhebung verfolgt werden, so die Förderung eines erwünschten oder die Belastung eines unerwünschten Verhaltens; denkbar ist auch eine Kombination dieser Anknüpfungspunkte169. Durch die Wahl eines solchen Anknüpfungspunktes legt der Gesetzgeber selbst fest, was wesentlich ist: Wesentlich ist, was die besondere Leistungsfähigkeit indiziert, der Allgemeinheit Kosten verursacht, dem Rechtsunterworfenen besonderen Nutzen bringt, das nichtfiskalische Lenkungsziel befördert oder gefährdet; unwesentlich ist, was mit dem jeweils gewählten Anknüpfungspunkt nichts zu tun hat. Wesentlich Gleiches muss dementsprechend gleich, wesentlich Ungleiches ungleich besteuert werden. Der Gleichheitssatz gebietet damit zum einen, dass jeder Steuertatbestand für sich nachvollziehbar abgegrenzt wird, dann aber auch, dass die Grenze zwischen steuerbarem und steuerfreiem Verhalten widerspruchsfrei gezogen wird. In diesem zweiten Punkt muss dem Gesetzgeber freilich ein beträchtlicher Gestaltungsspielraum zugestanden werden, schon deshalb, weil die Summe der besteuerten Sachverhalte endlich, die der steuerfreien Sachverhalte hingegen unendlich ist170. Dementsprechend groß ist die Versuchung, jeden Steuertatbestand mit allen möglichen nicht besteuerten Sachverhalten zu vergleichen und daraus eine Gleichheitswidrigkeit zu konstruieren. So könnte die Erhebung einer Getränkeabgabe etwa die Frage aufwerfen, warum die Einkommensverwendung für Speisen unbesteuert bleibt; die Zulässigkeit der Hunde____________________
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S zB VfSlg 6755/1972, 10.001/1984, 17.807/2006. S etwa VfSlg 14.868/1997 mwN, wonach sich die Höhe von Abgaben der Parteien für die Verleihung von Berechtigungen und sonstige auch in ihrem Privatinteresse liegende Amtshandlungen herkömmlicherweise einerseits nach dem Aufwand der Behörde, andererseits nach dem Wert der Amtshandlung für den Interessenten richtet; s weiters VfSlg 17.605/2005: keine Bedenken dagegen, dass die Sicherheitsabgabe an das Antreten eines Fluges anknüpft, der von einem inländischen Zivilflugplatz ausgeht und nicht bloß stichprobenweisen Sicherheitskontrollen unterliegt. Die damit verbundene (Vor-)Belastung der Luftbeförderungsunternehmen, die Schuldner der Sicherheitsabgabe sind, ist sachlich begründet, weil der aus den Sicherheitskontrollen resultierende Nutzen primär im Interesse der Luftbeförderungsunternehmen bzw der Passagiere liegt; s auch VfSlg 12.419/1990 und 16.641/2002: keine Bedenken gegen eine Sonderbelastung für Personen, die durch eine kostenverursachende Tätigkeit auch Erträge erwirtschaften wollen. 169 S Ruppe, Steuerrecht 126; ders, FS Krejci 2085 f. 170 In dieser Hinsicht weisen Steuerrecht und Strafrecht durchaus Parallelen auf, s zu letzterem oben E.IV.4.c. 168
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steuer ließe sich mit dem Argument bezweifeln, dass das Halten anderer Tiere keiner Abgabe unterliegt; die Besteuerung von Mineralöl, Strom und Erdgas könnte mit dem Argument bekämpft werden, dass der Energieträger Kohle keiner Steuer unterliegt171. Gegen derart end- und uferlose Vergleiche hilft nur eine Besinnung auf den Schutzzweck des Gleichheitssatzes: Bedenken gegen eine Ungleichbehandlung sind erst indiziert, wenn die Auswahl der steuerpflichtigen Sachverhalte sich in Wahrheit gegen bestimmte Personen richtet oder wenn sie im Verhältnis zu steuerfreien Sachverhalten nicht erklärbar erscheint. Die Anknüpfung an persönliche Merkmale bedarf daher, da sie den Kernbereich der Gleichheit berührt, einer besonderen Rechtfertigung172, ebenso die Besteuerung eines Verhaltens, das sich der zumutbaren Disposition des Einzelnen entzieht. Knüpft eine Abgabe hingegen an ein Verhalten an, das der Einzelne setzen kann, aber nicht setzen muss, ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers größer, und zwar umso mehr, je leichter der Rechtsunterworfene der Abgabe ausweichen kann und je loser der Zusammenhang zwischen dem besteuerten Verhalten und der Inanspruchnahme eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Freiheitsrechts ist173. Weit ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers daher in aller Regel bei Objektsteuern174, weil diese zwar das Vermögen, nicht aber die „Person“ des Steuerpflichtigen treffen; freilich ist auch hier nicht von vornherein auszuschließen, dass sich eine Objektsteuer versteckt doch gegen bestimmte Personengruppen richtet oder dass die Auswahl des besteuerten Objekts im Verhältnis zu anderen überhaupt nicht erklärbar ist175. ____________________
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Beispiele nach Ruppe, Steuerrecht 127 f; dems, FS Krejci 2086 f. Zu denken ist etwa an die (frühere) Aufsichtsratsabgabe, deren Zulässigkeit in der Literatur zu Recht bezweifelt wurde, etwa von Ruppe, Steuerrecht 125; problematisch war auch die Sonderabgabe für Kreditunternehmen, die der VfGH jedoch in VfSlg 10.001/ 1984 als gleichheitskonform qualifiziert hat, kritisch dazu Ruppe, Steuerrecht 125; ders, FS Krejci 2085; Achatz, ÖStZ 2002, 535. 173 Der Getränkesteuer kann daher nicht entgegengehalten werden, dass die Einkommensverwendung für Speisen steuerfrei bleibt. Jeder Mensch konsumiert sowohl Getränke als auch Speisen. Es besteht überhaupt kein Grund zur Annahme, der demokratische Gesetzgeber wolle mit einer solchen Abgabe gezielt bestimmte Personen treffen. Ob der Konsum von Getränken oder jener von Speisen oder der Konsum beider Produkte besteuert wird, macht für die persönliche Entfaltung des Einzelnen keinen Unterschied, sondern wirkt sich letztlich nur auf die Höhe der Abgabe aus, bei deren Festsetzung dem Gesetzgeber aber ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. 174 Die Zulässigkeit der Hundesteuer kann daher nicht mit dem Argument in Zweifel gezogen werden, dass der Gesetzgeber das Halten von Pferden nicht besteuert; sie ist überdies begründbar durch die Aufwendungen, die der Allgemeinheit durch die Hundehaltung im städtischen Bereich entstehen. 175 Ähnlich Ruppe, Steuerrecht 128; ders, FS Krejci 2087 f, der bei Personensteuern und sonstigen direkten Steuern aus gleichheitsrechtlicher Sicht eine größere Sensibilität für angezeigt hält als bei Objektsteuern, und hier vor allem den indirekten Steuern auf die 172
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Auch innerhalb der Ertragssteuer ist der Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz nicht zu einer schematischen Gleichbehandlung verpflichtet, im Gegenteil: Erstens bedeutet nämlich der Satz, dass alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind, wie gezeigt, gerade nicht, dass alle Staatsbürger formal gleich zu behandeln sind176. Zweitens stellt der für die Unverletzlichkeit des Eigentums geltende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stets darauf ab, welches Gewicht ein Grundrechtseingriff für den Einzelnen hat; dieses Gewicht differiert naturgemäß je nach Ausgangslage, kann daher bei formal gleichen Maßnahmen für den einen zu gravierend und für den anderen noch erträglich sein. Hinzu kommt drittens, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG Vorrechte auf Grund der Klasse untersagt. Mittelbare Diskriminierungen nach diesen Merkmalen sind zwar von Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG nicht erfasst; wohl aber ist dem Schutzzweck dieser Vorschrift im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes Rechnung zu tragen177: Normen, die zwar neutral formuliert sind, im Ergebnis aber eine bestimmte Klasse benachteiligen, verletzen daher den allgemeinen Gleichheitssatz. Ein solcher Vorwurf träfe etwa eine Kopfsteuer, weil sie verschiedene Einkommensschichten im Ergebnis völlig ungleich und am schwersten die schwächsten Einkommensschichten trifft178. Das berechtigt zur Annahme, dass der Gesetzgeber bei der Besteuerung des Einkommens auch im Lichte des Gleichheitssatzes grundsätzlich nach der individuellen Leistungsfähigkeit des Rechtsunterworfenen differenzieren muss179. Welches Surrogatmerkmal er wählt, um die Leis____________________
Einkommensverwendung; dies weil (und wenn) bei letzteren idR ein zumutbares Ausweichverhalten möglich und die persönliche Betroffenheit deutlich herabgesetzt ist. Zweifelnd allerdings Achatz, ÖZW 2002, 538, weil die unklaren Belastungswirkungen von Objektsteuern gleichheitsrechtlich bedenklicher sein können als der Eingriff durch eine Subjektsteuer. 176 S dazu oben C.III. und C.IV. 177 S dazu schon oben E.I.4.d., E.III.3.c. 178 S auch Werndl, FS Schäffer 949, der das finanzwissenschaftliche Modell der Kopfsteuer als „extrem asozial“ bezeichnet. 179 Dies ist auch der Standpunkt der jüngeren Judikatur, s das Erkenntnis VfSlg 14.071/ 1995, in dem der VfGH konstatiert, dass die von der Behörde vorgenommene Besteuerung dem die Einkommensteuer bestimmenden Grundsatz der Maßgeblichkeit der persönlichen Leistungsfähigkeit widerspricht, um sodann festzustellen: „Ein Gesetz, das diesen Inhalt hätte, wäre unsachlich und daher gleichheitswidrig“; weiters VfSlg 14.723/1997 sowie VfSlg 17.342/2004, wonach es gleichheitswidrig ist, wenn ein Anleger aufgrund einer gesetzlich vorgesehenen Schätzung Gefahr läuft, „unter Verstoß gegen das für die Einkommensteuer tragende Leistungsfähigkeitsprinzip unwiderlegbare Einkünfte versteuern zu müssen, die er nicht erzielt hat“; s ferner VfGH 7.12.2006, B 242/06, wonach es nicht zu rechtfertigen ist, eine Rente, die zur Abdeckung des aus einer Behinderung resultierenden Mehrbedarfs bezogen wird, zu besteuern, weil eine solche Rente nur den erhöhten Existenzbedarf des Rentenbeziehers ausgleicht, seine Leistungsfähigkeit aber nicht erhöht; s mwN auch Ruppe, Steuerrecht 136 f; Beiser, 14. ÖJT III/2 (2001) 11 f; ders, Steuern 19; aA Werndl, FS Schäffer 957 ff, sowie Gassner/Lang, 14. ÖJT III/1 (2000) 38 ff, die aaO,
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tungsfähigkeit normativ zu erfassen, ist durch den Gleichheitssatz nicht zwingend vorgegeben180. Die Anknüpfung an das am Markt erzielte Einkommen als Indikator für die Leistungsfähigkeit ist aber aus gleichheitsrechtlicher Sicht gewiss nicht zu beanstanden181. Dem Gesetzgeber steht auch ein Spielraum in der Frage zu, welche Ausgaben er für abzugsfähig erklärt182; wenn und insoweit er eine solche Abzugsfähigkeit statuiert, muss er aber wesentlich gleiche Aufwendungen auch gleich behandeln183. Weicht der Gesetzgeber von der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ab, so bedarf dies einer sachlichen Rechtfertigung, die durch legitime Lenkungs- und Gestaltungsziele und – da im Abgabenrecht Massenverfahren abzuwickeln sind184 – grundsätzlich auch durch verwaltungs____________________
58 ff, zutreffend darauf hinweisen, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommensteuerrecht keineswegs lupenrein verwirklicht ist, sondern vielfache Durchbrechungen kennt. Dass eine Abweichung von diesem – nicht durchgängig umgesetzten – Prinzip einer besonderen Rechtfertigung bedarf, ist wenig plausibel, solange dieses Prinzip bloß einfachgesetzlich begründet wird: Das Erfordernis einer solchen Rechtfertigung begegnet dann allen Einwänden, die bereits oben D.III.2.b. gegen die besondere Bindung des Gesetzgebers an eine einfachgesetzliche Systementscheidung erhoben wurden. Wird die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit hingegen – wie hier – als durch den Gleichheitssatz prima facie geboten angesehen, dann hängt die Rechtfertigungspflicht für eine abweichende Besteuerung nicht mehr davon ab, wie konsequent der einfache Gesetzgeber das Leistungsfähigkeitsprinzip tatsächlich verwirklicht. Dass er von diesem Prinzip in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen abweicht, kann dann gerade nicht gegen die Existenz dieses Prinzips eingewendet werden; fraglich ist vielmehr in jedem dieser Fälle, ob die Abweichung von der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gerechtfertigt ist; s in diesem Sinn auch Beiser, 14. ÖJT III/2 (2001) 11 f; Birk, 14. ÖJT III/2 (2001) 63, 65. 180 Ebenso zB Tipke, FS Stoll 239; zu den vielfältigen Möglichkeiten, die Leistungsfähigkeit zu messen, s mwN Sturn, WiPolBl 1992, 629 f; Birk, 14. ÖJT III/2 (2001) 56 f; Achatz, ÖStZ 2002, 536; Werndl, FS Schäffer 952 f. 181 S jeweils mwN Ruppe, ESt Rz 1, 17, und Beiser, 14. ÖJT III/2 (2001) 10 f, 17; ders, Steuern 19, der zutreffend darauf hinweist, dass eine Besteuerung des abstrakt disponiblen Nutzenpotenzials praktisch nicht möglich wäre. Darüber hinaus wäre eine solche Besteuerung aber auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich, weil sie den Steuerpflichtigen, der sein Potential nicht voll ausschöpft (der also etwa intelligent ist, aber faul), im Ergebnis durch eine höhere Steuer bestraft. Der Rechtsunterworfene wäre dann nicht mehr frei, jenen Beruf zu erlernen und auszuüben, der ihm gefällt, für den er geeignet ist und der mit seinen individuellen Vorstellungen von einem zufriedenstellenden Privat- und Familienleben vereinbar ist; er würde vielmehr indirekt zur Ausübung eines Berufes gedrängt, der ihm ein möglichst hohes Einkommen verschafft. Dies wäre mit Art 18 StGG, Art 6 StGG und Art 8 EMRK unvereinbar. 182 Zur Frage der Abzugsfähigkeit von Unterhaltslasten s noch unten bei FN 271. 183 Werden Warenrückvergütungen an Genossenschaftsmitglieder für abzugsfähig erklärt, dann dürfen davon Genossenschaften, die dem Anwendungsbereich der GewO unterliegen, nicht grundlos ausgenommen werden: VfSlg 17.145/2004; sind Aufwendungen sowohl für Ausbildungs- als auch für Fortbildungsmaßnahmen abzugsfähig, die mit der vom Steuerpflichtigen ausgeübten oder einer damit verwandten Tätigkeit zusammenhängen, dann dürfen davon Aufwendungen für ordentliche Studien nicht generell ausgenommen werden: VfSlg 17.218/2004. 184 S oben D.I.8.d. sowie Tipke, FS Stoll 240 f.
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ökonomische Erwägungen geliefert werden kann. Das Gewicht des Interesses, nur nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert zu werden, ist dabei allerdings hoch zu veranschlagen185: Als gleichheitswidrig hat es der VfGH dementsprechend angesehen, wenn im Ausland ansässigen Arbeitnehmern ein Lohnsteuerausgleich ausnahmslos verwehrt wird. Eine derartige Regelung erspart der Verwaltung zwar, wie der VfGH zugestand, aufwendige Ermittlungen, welche Einkünfte der Arbeitnehmer im Ausland allenfalls erzielt hat. Diese Ersparnis rechtfertigt es aber nicht, den Arbeitnehmer mit einer weit überhöhten Lohnsteuer zu belasten186. Wird die Mindestkörperschaftssteuer vom gesetzlich geforderten Mindestgrund- bzw -stammkapital berechnet, so begegnet dies grundsätzlich noch keinen Bedenken, solange der Schwellenwert, bis zu dem die Abgabe zu einer überproportionalen Belastung führt, nicht zu hoch angesetzt ist, die absolute (Höher-)Belastung nicht übermäßig ist und zudem eine zeitlich unbefristete Vortragsfähigkeit auf Gewinne in künftigen Jahren besteht187. Verwehrt ist dem Gesetzgeber aber die Festsetzung einer Mindestertragssteuer, die eine große Anzahl von Unternehmen mit einer Ertragssteuer überproportional belastet: Auch die an sich legitime Zielsetzung, Missbräuchen gesellschaftsrechtlicher Gestaltung gegenzusteuern, kann dann nicht rechtfertigen, dass durch die pauschale Einführung einer Mindestkörperschaftssteuer Kapitalgesellschaften mit geringeren Erträgen relativ höher und solche mit höheren Erträgen relativ geringer besteuert werden188. Nicht zu rechtfertigen war etwa auch, dass die Schenkungssteuer nur dann erstattet wird, wenn eine Schenkung aus den im ABGB genannten Gründen widerrufen wird, nicht hingegen in anderen Fällen, in denen der Beschenkte das Geschenk wider seinen Willen herausgeben muss189. Auch dass bei der Rückabwicklung eines Grunderwerbs die Steuer nur entfällt, wenn die Vertragspartner alle Meldungs- und Offenlegungspflichten erfüllt haben, ____________________
185 Zulässig ist es hingegen nach Ansicht des VfGH, wenn der Gesetzgeber im Interesse einer einfach handhabbaren Regelung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unfallrentenbeziehers allein nach der Rentenhöhe bestimmt und davon absieht, Versehrtenrenten einkommensteuerfrei zu stellen, die im Einzelfall oder bei einer Gruppe Betroffener in höherem Maße an die Stelle einer steuerbegünstigten Schadenersatzleistung treten als in anderen Fällen: VfSlg 16.754/2002. 186 VfSlg 10.155/1984. 187 VfSlg 15.115/1998. 188 VfSlg 14.723/1997; s auch VfSlg 8233/1978: Steuerliche Belastungen müssen mit den gegebenen Unterschieden in den tatsächlichen Verhältnissen allein oder in Verbindung mit der rechtlichen Verfassung der Gesellschaft und dem angestrebten Regelungszweck in sachlichem Zusammenhang stehen. Die Sachlichkeit einer Abweichung vom Proportionaltarif darf nicht losgelöst von den für die Gründung der Kapitalgesellschaften bestehenden Bedingungen beurteilt werden. 189 VfSlg 17.465/2005.
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billigte der VfGH nicht: Denn diese Regelung konnte dazu führen, dass dem Vertragspartner eines Vertragsbrüchigen zusätzlich zu der Enttäuschung über den nicht eingehaltenen Vertrag auch noch eine Steuer auferlegt wird, dies selbst dann, wenn er die Meldungs- und Offenlegungspflichten nicht schuldhaft verletzt hat190. Im Ergebnis ist dieser Entscheidung zuzustimmen; mE hätte sich ihre Begründung aber besser auf den Umstand stützen lassen, dass die Grunderwerbssteuer ihrem Zweck nach zwangsläufig entfallen muss, wenn ein Grunderwerb tatsächlich nicht stattfindet. Ob die Vertragspartner – schuldhaft oder nicht – dabei ihre Meldungs- und Offenlegungspflichten erfüllt haben, ist eine davon zu trennende Frage. Die Verletzung dieser Pflichten kann wohl mit Sanktionen belegt werden; für sie eine Abgabe zu erheben, wäre aber ein Widerspruch in sich. Denn die Verletzung einer Pflicht ist ja gerade kein rechtmäßiger Vorgang, an dem der Staat durch Abgaben partizipiert. Führt der Gesetzgeber schließlich neue Sonderabgaben ein, die an die Leistungsfähigkeit anknüpfen, so ist stets darauf zu achten, ob diese neue Abgabe eine steuerlich bereits erfasste Leistungsfähigkeit ergänzt oder sie einer weiteren Belastung unterzieht; im zweiten Fall läge eine Doppelbesteuerung vor, die einer besonderen Rechtfertigung bedürfte191. Die Bemessung von Gebühren folgt anderen Grundsätzen. Sie ergeben sich aus der Funktion der Gebühr, die Kosten für die Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung abzudecken192. Gebühren finden ihre Begründung also im Grundsatz der Äquivalenz; nach ihm richtet sich daher auch, ob die konkrete Ausgestaltung einer Gebühr gleichheitskonform ist. Die Leistungen, für die eine Gebühr eingehoben wird, muss der Staat zunächst zu angemessenen Konditionen zur Verfügung stellen, was umgekehrt bedeutet: Er muss bei der Festsetzung der Gebühren von jenen Kosten ausgehen, die bei einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Führung der Einrichtung tatsächlich erwachsen193. Dann dürfen die Gesamterträge der Gebühr die Aufwendungen für die Erbringung der Leistung nicht übersteigen194. Und schließlich muss auch die Festlegung der für die einzelnen Leistungen zu entrichtenden Gebühren nach sachlichen Kri____________________
190
VfSlg 10.926/1986. S mit Beispielen schon Achatz, ÖStZ 2002, 537. 192 Keine Gebühr, sondern eine Abgabe iSd BAO ist zB der Sicherheitsbeitrag nach dem BG über den Schutz von Straftaten gegen die Sicherheit von Zivilluftfahrzeugen: VfSlg 14.868/1997. 193 VfSlg 8847/1980, 14.474/1996, 16.048/2000 mwN. 194 ZB VfSlg 8943/1980, 14.474/1996 mwN, s auch VfSlg 16.048/2000, wonach die durch das Kostendeckungsprinzip geforderte Gesamtäquivalenz jedenfalls nicht verletzt ist, wenn durch eine Gebühr bisher tatsächlich bloß ein Kostendeckungsgrad von 85% erreicht wurde. 191
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terien erfolgen195. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein gewisser Gestaltungsspielraum zu: Er darf nicht nur auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung196, sondern auch auf die verursachten Kosten und den erzielten Nutzen abstellen197. Dass die Gebühr für jede einzelne Leistung oder Leistungstype genau die Kosten eben dieser Leistung oder Leistungstype abdeckt, ist nicht erforderlich198, dies zumal die Höhe der Gesamterträge einer Gebühr einerseits und der Kosten andererseits im Zeitpunkt der Festsetzung der Gebühr nur im Schätzungsweg ermittelt werden kann199. Bei Benützungsgebühren kommt hinzu, dass die Kosten nicht nur für die tatsächliche Leistung entstehen, sondern auch für die Bereithaltung einer Einrichtung oder Anlage als solcher200; jedenfalls muss aber die Gebühr so festgesetzt sein, dass sie in einer sachgerechten Beziehung zum Ausmaß der Benützung steht201. Der Gesetzgeber darf bei der Bemessung der Gebühr wie auch sonst von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen, sich also am typischen Aufwand und der Nutzenäquivalenz orientieren202, sofern er dabei nicht auf Annahmen aufbaut, die der allgemeinen bzw der wirtschaftlichen Erfahrung widersprechen203. Er darf auch im Interesse einer Verwaltungsvereinfachung an leicht feststellbare äußere Merkmale anknüpfen204, freilich muss er auch hier vergleichbare Fälle gleich behandeln205. ____________________
195 VfSlg 14.474/1996, 16.048/2000; für kommunale Gebühren s zB VfSlg 5028/1965, 10.947/1986, 11.172/1986. 196 VfSlg 3550/1959, 16.319/2001. 197 VfSlg 13.310/1992, 14.474/1996, 16.319/2001. 198 VfSlg 11.751/1988, 14.474/1996, 16.048/2000. 199 VfSlg 8943/1980. 200 ZB VfSlg 13.310/1992, 16.744/2002. 201 ZB VfSlg 13.310/1992, 16.744/2002. 202 S zB VfSlg 13.310/1992, 14.474/1996, s auch schon VfSlg 8998/1980: Die Abstufung der Wasserverbrauchsgebühr nach der Größe des Wohn- bzw Betriebsgebäudes ist nicht unsachlich, da für eine größere Wohnung bzw ein größeres Betriebsgebäude durchschnittlich ein höherer Wasserverbrauch anzunehmen ist; VfSlg 16.048/2000: Unbedenklichkeit einer Mindestgebühr von 500.000 S für kapitalmarktpolitisch bedeutsame Transaktionen, die einer Prüfung und Kontrolle durch die Übernahmskommission bedürfen, zumal für Fälle, die einen geringeren Aufwand verursachen, eine Ermäßigung um bis zu 50% vorgesehen ist. 203 VfSlg 16.048/2000. 204 S zB VfSlg 11.751/1988: Die Anknüpfung des GerichtsgebührenG an die Höhe des Kaufpreises oder das Ausmaß einer Kapitalerhöhung ist sachgerecht. 205 S zB VfSlg 17.874/2006 betreffend § 22 GebührenG aF, der bei Vereinbarungen über unbestimmte Leistungen danach differenzierte, ob in der Vereinbarung ein Höchstbetrag angegeben war oder nicht: Im zweiten Fall wurde die Gebühr nach Maßgabe der (geschätzten) wahrscheinlichen Leistung bemessen, im ersten Fall war stets der Höchstbetrag maßgebend, ohne dass der Gegenbeweis, dass und wie weit die tatsächliche Leistung unter dem Höchstausmaß liegt, zugelassen wurde. Diese Differenzierung konnte mit der Vereinfachung der Beitragsbemessung nicht gerechtfertigt werden.
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Für kommunale Benützungsgebühren hat der VfGH angenommen, dass der mutmaßliche Jahresertrag der Gebühren das Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Gemeindeeinrichtung oder -anlage sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten206 unter Berücksichtigung einer der Art der Einrichtung oder Anlage entsprechenden Lebensdauer nicht übersteigen dürfen207, dies freilich nur, wenn die Ermächtigung des FAG nicht ausdrücklich weiter reicht. Wie der VfGH in einer jüngeren Entscheidung klargestellt hat, ist dieses sog Äquivalenzprinzip nämlich nicht verfassungsrechtlich geboten. Der Finanzausgleichsgesetzgeber darf die Gemeinden vielmehr auch ermächtigen, Benützungsgebühren nicht nur bis zum einfachen, sondern bis zum doppelten Jahreserfordernis auszuschreiben. Diese Ermächtigung kann dann allerdings nicht so verstanden werden, dass den Benützern von Gemeindeeinrichtungen neben der Anlastung der vollen Kosten der Gemeindeeinrichtung zusätzlich noch eine Steuer in (maximal) gleicher Höhe auferlegt werden darf. Denn es wäre sachlich nicht zu rechtfertigen, gerade die Benützer der jeweiligen Gemeindeeinrichtung zur Deckung der Kosten allgemeiner Gemeindeerfordernisse heranzuziehen. Schöpft die Gemeinde daher die ihr erteilte Ermächtigung aus, so muss sie dies aus Gründen tun, die mit der betreffenden Gemeindeeinrichtung in einem inneren Zusammenhang stehen, so, um Folgekosten dieser Einrichtung zu finanzieren, Rücklagen für ihre Erweiterung zu bilden, es ist ihr aber auch gestattet, Lenkungsziele im Zusammenhang mit dieser Einrichtung zu verfolgen208. b. Öffentlich-rechtliche Ansprüche auf finanzielle Leistungen Gesteuert wird die Gleichheitsprüfung durch ein Freiheitsrecht nicht nur dann, wenn der Staat im Wege der Abgaben- und Gebührenvorschreibung direkt auf das Vermögen des Rechtsunterworfenen greift. Auch die ungleiche Gewährung öffentlich-rechtlicher Leistungsrechte, die das Grundrecht auf Eigentum schützt, sind im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes einer strengen Prüfung zu unterziehen209. Zu denken ist va an die Zuerkennung finanzieller Leistungen, die der Rechtsunterworfene – wie etwa Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und andere Sozialversicherungsleistungen – durch eigene Beiträge erworben hat. Sobald der Gesetzgeber sich ____________________
206 Gegebenenfalls auch noch vor Errichtung der Anlage, also bereits im Stadium der Planung, sofern der Bemessung der Gebühren sachlich fundierte Berechnungen zugrunde liegen und das Vorhaben in der geplanten oder in einer geänderten Form in angemessener Zeit auch tatsächlich verwirklich wird: VfSlg 11.197/1986; s auch VfSlg 10.738/1985. 207 VfSlg 10.947/1986, 11.294/1987, ähnlich VfSlg 3550/1959, 10.738/1985. 208 VfSlg 16.319/2001. 209 S zB VfSlg 15.129/1998 und 15.506/1999.
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zum Ziel setzt, den Staatshaushalt zu sanieren, indem er derartige Leistungen manchen Personengruppen vorenthält, versagt die Verhältnismäßigkeitsprüfung des Eigentumsrechts ebenso wie zumeist bei der Abgabenerhebung: Denn die Leistungsverweigerung ist zur Budgetsanierung ohne weiteres geeignet und erforderlich und auch die Unverhältnismäßigkeit ieS wird sich für eine solche Maßnahme ebenso schwer begründen lassen wie für eine hohe Abgabenbelastung. Problematisierbar ist eine solche Maßnahme erst, wenn man die von ihr betroffene Personengruppe mit anderen Personen vergleicht, und zwar unter dem – verfassungsrechtlich vorgegebenen – Gesichtspunkt der Unverletzlichkeit ihres Eigentums: Alle Rechtsunterworfenen, die die (teils zuerkannte und teils verwehrte) Leistung durch eigene Beiträge in gleicher Höhe mitfinanziert haben, sind unter diesem Gesichtspunkt prima facie wesentlich gleich; diese Gemeinsamkeit muss durch einen noch wesentlicheren Unterschied oder durch ein externes Ziel aufgewogen werden, um eine Ungleichbehandlung der Vergleichsgruppen zu rechtfertigen. Die Ineffizienz der vertikalen Verhältnismäßigkeitsprüfung wird damit im Rahmen des Gleichheitssatzes durch eine horizontale Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgefangen: Der Rechtsunterworfene hat ein Prima-facie-Recht darauf, bei der Gewährung der genannten Leistungen nicht schlechter behandelt zu werden als andere Rechtsunterworfene, die Beiträge in gleicher Höhe erbracht haben wie er210. Das Ziel der Sanierung des Staatshaushaltes rechtfertigt einen Eingriff in dieses Recht nicht; denn zur Erreichung dieses Zieles ist eine Ungleichbehandlung der Beitragszahler gerade nicht erforderlich211. c. Strafen Ein ähnliche Situation wie in den geschilderten Fällen liegt auch vor, wenn der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten unter Strafe stellt und damit in das Eigentum bzw in die persönliche Freiheit des Rechtsunterworfenen eingreift212: Nach ständiger Rechtsprechung muss eine solche ____________________
210 Ungleich hohe Beiträge müssen sich hingegen nicht notwendig in unterschiedlichen Leistungen niederschlagen. Denn in der Sozialversicherung besteht keine Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung – eben wegen dieses Systemgrundsatzes der Sozialversicherung entfaltet auch der Gleichheitsgrundsatz hier besondere Wirkung: Er verhindert die Umverteilung, die mit der Sozialversicherung in gewissem Umfang zwangsläufig einhergeht, nicht, sorgt aber dafür, dass grundsätzlich gleiche Beiträge auch zu gleichen Leistungen führen; s zu Gleichheitssatz und Sozialversicherung noch unten G.III.3.b.bb. 211 Dass bestimmten Fremden Notstandshilfe nur zeitlich beschränkt, anderen Fremden und Staatsbürgern hingegen unbefristet gewährt wurde, verletzte daher nicht nur Art 14 iVm Art 1 1. ZPEMRK (EGMR 16.9.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, 1129 = ÖJZ 1996, 955; VfSlg 15.129/1998 und 15.506/1999), sondern war auch mit Art I BVG-RD unvereinbar. 212 S auch Raschauer, Allgemeiner Teil Rz 194, der nicht nur in Abgabenvorschreibungen, sondern auch in Geldstrafen Eigentumseingriffe eigener Art sieht; einen Eigentums-
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Strafe zwar in einem angemessenen Verhältnis zur Schuld des Täters und zum Unwert seiner Tat stehen213. Eine echte Verhältnismäßigkeitsprüfung findet dabei jedoch nicht statt; denn weder ist die Strafe ein Mittel, um die Schuld zu erreichen, noch repräsentieren Strafe und Schuld divergierende Interessen, die gegeneinander abgewogen werden könnten214. Gewiss dient der durch die Strafe erzeugte Eingriff in das Eigentum bzw in die persönliche Freiheit dem Ziel, bestimmte Rechtsgüter zu schützen. Dementsprechend rechtfertigt eine schwere Rechtsgutbeeinträchtigung auch eine höhere Strafe als eine Tat, die das jeweils geschützte Rechtsgut nur in geringerem Maß beeinträchtigt. Den Wert des jeweiligen Rechtsgutes festzusetzen, liegt aber grundsätzlich im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers215. Die entscheidende Grenze wird Strafvorschriften daher nicht durch die Unverletzlichkeit des Eigentums und das Recht auf persönliche Freiheit, sondern durch den Gleichheitssatz gezogen: Er verpflichtet den Gesetzgeber dazu, den Straftatbestand vorurteilsfrei, unparteilich und ohne unerklärbare Wertungswidersprüche festzulegen; die Strafe nach den individuellen Voraussetzungen des Täters, also nach seiner Schuld und nach der Schwere der von ihm verursachten Rechtsgutbeeinträchtigung festzusetzen und eine präzise Feststellung und Berücksichtigung dieser Umstände durch die Behörde zu ermöglichen. In die dieser Pflicht korrespondierenden (bereichsspezifischen) Gleichheitsrechte des Einzelnen greift der Gesetzgeber ein, wenn er eine Strafe nicht nach den individuellen Voraussetzungen des Täters festlegt, sondern nach Zwecken oder Kriterien, die extern sind, also mit dem Täter selbst nichts zu tun haben; so insbesondere wenn er typisiert, sich von generalpräventiven Erwägungen leiten lässt oder der Behörde aus verwaltungsökonomischen Erwägungen eine Berücksichtigung der Schuld oder der durch die Tat verursachten Rechtsgutbeeinträchtigung erlässt216. Die Zulässigkeit solcher Eingriffe ist dann tatsächlich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen; das Interesse, das dem Eingriffsziel dabei gegenübersteht, ist aber durch den Gleichheitssatz, nicht durch das Eigentum oder die persönliche Freiheit geschützt. Was alle Täter ungeachtet der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede jedenfalls verbindet, ist die Tatsache, dass sie alle gleichermaßen in ih____________________
eingriff bejahen auch zB Öhlinger, ÖJZ 1991, 221; und Lewisch, Strafrecht 202 ff, 218 f, allerdings mit unterschiedlichen Konsequenzen, s dazu sogleich. 213 S dazu schon oben E.IV.4.c. 214 S Huster, Rechte 142, 144, 163, 174, sowie oben E.IV.4.c. 215 S dazu schon oben E.IV.4.c.; im Ergebnis ähnlich Lewisch, Strafrecht 205, nach dem Art 1 1. ZPEMRK aus sich heraus keine Aussage darüber erlaubt, ob eine Strafe verhältnismäßig ist; anders Öhlinger, ÖJZ 1991, 221, der das Grundrecht auf Eigentum als die „geeignetere dogmatische Basis“ für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Geldstrafe ansieht. 216 S dazu bereits oben E.IV.4.c.
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rem Eigentum und in ihrer persönlichen Freiheit schützenswert sind. Diese prima facie bestehende Gemeinsamkeit ermöglicht einen Vergleich und verlangt für Ungleichbehandlungen, die nicht nach der Schuld oder dem Unwertgehalt der Tat vorgenommen werden, eine besondere sachliche Rechtfertigung217. d. Wirkung des Gleichheitssatzes In den beschriebenen Fallkonstellationen „kooperiert“ der allgemeine Gleichheitssatz mit den Freiheitsrechten: Er findet durch sie Orientierung und kompensiert die Insuffizienz ihrer Verhältnismäßigkeitsprüfung, indem er Prima-facie-Rechte auf Gleich- oder Ungleichbehandlung vermittelt, in die nur aus triftigen Gründen eingegriffen werden darf. Der Gleichheitssatz kann in diesen Fällen aber auch als ein relatives Beschränkungsverbot wirken, weil er für eine gleichmäßige Verteilung der Lasten sorgt: Das kann manchen zu einer Besserstellung verhelfen, für andere hingegen auch zu einer Verschlechterung ihrer bisherigen Lage führen.
6. Beschränkungen unterhalb der Eingriffsschwelle Der allgemeine Gleichheitssatz nimmt, wie bereits ausgeführt218, grundsätzlich in Kauf, dass sich eine Norm auf die Rechtsunterworfenen wegen der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede verschieden auswirkt, manche also schwerer trifft und andere weniger gravierend. Diese ungleichen Auswirkungen können nur aus besonderen Gründen zum Gegenstand einer Gleichheitsprüfung gemacht werden; etwa deshalb, weil die Verfassung in einem bestimmten Bereich grundsätzlich gleiche Ergebnisse ____________________
217 Sie fehlt etwa, wenn die Höhe einer Disziplinarstrafe je nach der Dienststellung oder dem Dienstgrad eines Militärangehörigen differiert: Wie der VfGH in VfSlg 9728/1983 festgestellt hat, ist die jeweilige dienstliche Position der vom Disziplinarrecht erfassten Militärpersonen zwar an sich ein objektives Element, das bei Schaffung und Ausgestaltung eines Kataloges von Disziplinarstrafen nach Lage der Verhältnisse als sachliches Unterscheidungskriterium durchaus geeignet sein kann: „Doch gilt diese Aussage nur grundsätzlich, keinesfalls jedoch für den konkreten Regelungsfall spezifisch freiheitsentziehender und deshalb graduell besonders einschneidender (Disziplinar)Strafen [...] Denn solche Maßregeln lassen sich, als Sanktion für gleiches Fehlverhalten gedacht, schon wegen der besonderen Bedeutung des Rechtsgutes der persönlichen Freiheit für jedermann und der Schwere der Strafdrohung nicht mit sachlichem Grund auf jenen Teil der Heeresangehörigen (Chargen, Wehrmänner) beschränken, der regelmäßig geringere Verantwortung trägt als die Gruppe der diesen gesteigerten schweren Strafdrohungen nicht unterliegenden Offiziere und Unteroffiziere.“ (Hervorhebungen nicht im Original). S auch VfSlg 11.561/1987, wonach es gleichheitswidrig ist, Disziplinarhaft nur für Grundwehrdiener vorzusehen, weil diesfalls gleiches Fehlverhalten ungleichen Sanktionen – und zwar nichtfreiheitsentziehender und freiheitsentziehender Art – unterliegt, je nachdem, ob der Verantwortliche bereits Sprossen der militärischen Stufenleiter erklommen hat oder nicht. 218 S dazu C.IV.2.d.
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wünscht. Wenn die Verfassung bestimmte Lebensbereiche für prima facie frei erklärt, dann, um dem Einzelnen eine freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, Eigenständigkeit und Individualität zu ermöglichen und damit zwangsläufig auch die Abgrenzung und Unterscheidbarkeit von anderen. Freiheitsrechte zielen also gerade nicht auf gleiche, sondern im Gegenteil auf verschiedene Ergebnisse ab219. Die Möglichkeit, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen, soll aber jedem gleichermaßen offen stehen. Soweit eine Norm daher für die Inanspruchnahme der Freiheit nachteilige Wirkungen zeitigt, die unter der Eingriffsschwelle bleiben, kann ihre Freiheitsnähe noch immer im Rahmen der Gleichheitsprüfung berücksichtigt werden220. Denn Maßnahmen, die sich auf die Möglichkeit, eine verfassungsrechtlich frei gestellte Handlung zu setzen, nachteilig auswirken, ohne in das betroffene Freiheitsrecht einzugreifen, behandeln aus der Sicht des Gleichheitssatzes prima facie gleiche Sachverhalte ungleich, sofern sie nur einen Teil der Grundrechtsträger treffen221. Derartige Ungleichbehandlungen sind, da das Freiheitsrecht sie erlaubt, auch durch den Gleichheitssatz nicht von vornherein verboten; sie bedürfen aber einer Rechtfertigung, die schwerer wiegt als die durch das Freiheitsrecht begründeten Gemeinsamkeiten. Einige Beispiele mögen dies veranschaulichen. a. Beispiel: Erwerbsfreiheit Eine Maßnahme, die einzelnen Unternehmern besondere Lasten auferlegt und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert, greift zwar regelmäßig nicht in deren Erwerbsfreiheit ein, ist aber aus gleichheitsrechtlicher Sicht einer strengen Prüfung zu unterziehen222. Gleiches gilt, wenn ____________________
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S schon oben F.II.1.a. S auch Rohloff, Zusammenwirken 82. 221 Vgl aus der deutschen Rechtsprechung etwa die Entscheidung BVerfGE 62, 256, in der das BVerfG über eine gesetzliche Regelung zu befinden hatte, nach der die Beschäftigungsdauer für die Verlängerung der Kündigungsfristen bei Arbeitern und Angestellten unterschiedlich zu berechnen war; nach Ansicht des BVerfG waren dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum in diesem Fall engere Schranken gezogen, weil sich die Kündigungsfrist für Arbeiter und Angestellte gleichermaßen auf ihr berufliches Fortkommen auswirke; s auch BVerfGE 33, 303 (331 f ): „[W]o der Staat – wie im Bereich des Hochschulwesens – ein faktisches, nicht beliebig aufgebbares Monopol für sich in Anspruch genommen hat und wo – wie im Bereich der Ausbildung zu akademischen Berufen – die Beteiligung an staatlichen Leistungen zugleich notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung von Grundrechten ist“, steht, wenn der Staat in diesen Bereichen Leistungen anbietet, jedem hochschulreifen Staatsbürger ein Recht zu, „an der damit gebotenen Lebenschance prinzipiell gleichberechtigt beteiligt zu werden“; s zu dieser Entscheidung auch Rohloff, Zusammenwirken 126 f, 218 ff. 222 Allgemein zur Bedeutung des Gleichheitssatzes bei wettbewerbswirksamen Maßnahmen Rohloff, Zusammenwirken 101; Raschauer, Rahmenbedingungen 30 ff. AA wohl Schoch, DVBl 1988, 867, der die Fremdbegünstigung in Konkurrenzsituationen als Freiheitsproblem 220
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der Staat bestimmten Unternehmen besondere Begünstigungen einräumt und ihnen so einen Wettbewerbsvorteil den Mitbewerbern gegenüber verschafft223. In Verbindung mit der Erwerbsfreiheit wirkt der Gleichheitssatz also als ein Gebot der Chancengleichheit, das vor allem in Konkurrenzsituationen zum Tragen kommt224. Dieses Gebot schränkt den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ein und verlangt für Ungleichbehandlungen, die den Wettbewerb verzerren, Gründe, die schwerer wiegen als der Nachteil, den die belasteten bzw nicht begünstigten Personen ihren Mitbewerbern gegenüber erleiden. So lässt sich auch der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität, den der VfGH im Umsatzsteuerrecht als Ausfluss des Gleichheitssatzes ansieht225, begründen. Die Erwerbsfreiheit untersagt grundsätzlich eine staatliche Einmischung in den Wettbewerb zwischen den Rechtsunterworfenen, wendet sich also gegen Maßnahmen, die bloß dem Schutz bestimmter Unternehmer vor der Konkurrenz ihrer Mitbewerber dienen. Nimmt man das ernst, dann muss der Staat auch die Abgabenerhebung prima facie in einer Weise vornehmen, die den freien Wettbewerb der Marktteilnehmer nicht beeinflusst. Eine Abgabe, der diese Neutralität fehlt, greift zwar nicht im technischen Sinn in die Erwerbsfreiheit ein; der Schutzzweck dieses Grundrechts muss aber bei der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes Beachtung finden: Er ermöglicht ____________________
ansieht; s auch Erichsen, DVBl 1983, 296, der die Abwehr von Fremdbegünstigungen ganz allgemein den Freiheitsrechten zuordnet; dazu auch ders, VwArch 71 (1980) 296. 223 Zu denken ist hier vor allem an ausgegliederte Unternehmen; so wurden etwa die ÖBB von der Kommunalsteuer befreit, was der VfGH zu Recht für sachlich nicht gerechtfertigt hielt: Die ÖBB seien im Sektor der Personen- und Güterbeförderung ein selbständiges kommerzielles Unternehmen; die von ihnen erbrachten gemeinwirtschaftlichen Leistungen gelte der Bund vertraglich ab. Dass ihre übrigen Verkehrsleistungen im öffentlichen Interesse liegen, unterscheide die ÖBB nicht von ihren Mitbewerbern, die der Kommunalsteuerpflicht unterliegen (VfSlg 14.805/1997). Gleich beurteilt wurde die umfassende Befreiung der ÖBB von Gebühren (VfSlg 15.271/1998) und von der unbeschränkten Körperschaftssteuerpflicht (VfSlg 16.223/2001), anders hingegen die den ÖBB gewährte Möglichkeit, die Finanzprokuratur für Beratungs- und Vertretungsleistungen in Anspruch zu nehmen, weil diese Inanspruchnahme nur gegen Entgelt erfolgt und sich daraus für die ÖBB auch sonst kein Wettbewerbsvorteil ergibt (VfSlg 16.809/2003). So wenig die ÖBB ihren Konkurrenten gegenüber begünstigt, so wenig dürfen sie ihnen gegenüber auch benachteiligt werden; nicht zu rechtfertigen wäre es daher auch umgekehrt, die ÖBB von einer Steuerbegünstigung für wirtschaftliche Unternehmen auszuschließen (VfSlg 17.377/2004); s weiters VfSlg 5854/1968: gleichheitswidrige Sonderrechte der Creditanstalt-Bankverein bei der Forderungsexekution gegenüber anderen Gläubigern; VfSlg 12.227/1989: sachlich nicht gerechtfertigter Kontrahierungszwang privater erdölimportierender Gesellschaften mit einer Gesellschaft der öffentlichen Hand; VfSlg 17.718/2005: gleichheitswidrige Privilegierung inländischer Leasingunternehmen gegenüber anderen Unternehmen hinsichtlich der Einhebung bzw Erstattung der Normverbrauchsabgabe. 224 Rohloff, Zusammenwirken 120; s auch Leisner, Chancengleichheit 643 ff, allerdings mit kritischer Tendenz gegen die Forderung nach Chancengleichheit, in der er bereits den Beginn der Nivellierung sieht. 225 VfSlg 10.043/1984 sowie oben D.III.3.b.
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es, in die Prüfung der Gleichheitskonformität einer Norm auch deren Auswirkungen einzubeziehen226. Zeitigt eine Abgabenvorschrift daher für manche Unternehmer einen Wettbewerbsnachteil, so bedarf dies – wie auch der Gerichtshof im Ergebnis annimmt – einer besonderen Rechtfertigung. Umgekehrt sind Ungleichbehandlungen, die einer Wettbewerbsverzerrung gerade entgegenwirken, gleichheitsrechtlich nicht bedenklich, sondern im Gegenteil durch ein legitimes Ziel gedeckt227. Eine Differenzierung zwischen Unternehmen, die nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen, ist demgegenüber nicht schon prima facie bedenklich228, weil gerade das Fehlen der Konkurrenz nahe legt, dass zwischen den Unternehmern wesentliche Unterschiede bestehen bzw wesentliche Gemeinsamkeiten fehlen229. Die strengen Anforderungen, die der Gleich____________________
226 Wie bereits oben C.IV.2.d. gezeigt, nimmt der allgemeine Gleichheitssatz in gewissem Umfang in Kauf, dass sich eine Norm auf die Rechtsunterworfenen wegen der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede ungleich auswirkt; nur wenn besondere Gründe vorliegen, können diese ungleichen Auswirkungen zum Gegenstand einer Gleichheitsprüfung gemacht werden. Der Schutzzweck der Erwerbsfreiheit ist ein solcher Grund. 227 S zB VfSlg 17.414/2004: Unbedenklichkeit einer pauschalierten Dienstgeberabgabe für geringfügig Beschäftigte, die von der Vollversicherung ausgenommen sind. Der vermehrte Einsatz dieser geringfügig Beschäftigten durch größere Unternehmen in bestimmten Branchen führt nicht nur zu einer Wettbewerbsverzerrung; die Wettbewerbsvorteile werden auch um den Preis erzielt, dass immer größere Teile der Erwerbsbevölkerung der Krankenund Pensionsversicherung entraten oder sich freiwillig versichern und die dafür anfallende Beitragslast aus eigenem tragen müssen. Wenn der Gesetzgeber dieser Entwicklung durch die Einhebung einer Dienstgeberabgabe nach dem Verursacherprinzip in wettbewerbs- und sozialpolitisch adäquater Weise gegensteuert, ist dies nicht zu beanstanden. 228 S etwa VfSlg 9286/1981: Eine steuerliche Begünstigung für einige freiberufliche Tätigkeiten ist nicht gleichheitswidrig, weil gemessen am Gleichheitssatz freiberufliche und gewerbliche (somit andere) Tätigkeiten dem Berufstyp nach nicht Gleiches darstellen (VfSlg 8162/1977) und vergleichbare Tätigkeiten unter dem Gesichtspunkt des Berufsbildes verschieden behandelt werden können (VfSlg 8162/1977); VfSlg 14.325/1995: Weinhändler und Weinproduzenten befinden sich in einer unterschiedlichen Wettbewerbssituation, ihre steuerliche Ungleichbehandlung (Begünstigung der Weinproduzenten) ist daher gerechtfertigt; eine gravierende Wettbewerbsverzerrung ist nicht erkennbar. In keinem Wettbewerbsverhältnis zu privaten Konkurrenten stehen auch die ÖBB im Bereich der Eisenbahninfrastruktur und bei der Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen, s dazu VfSlg 14.805/1997 sowie Baumgartner, Ausgliederung 243. 229 S zB VfSlg 13.567/1993: Hinsichtlich der Ladenöffnungszeiten ist der Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz nicht zu einer Gleichbehandlung von Groß- und Kleinhandel verpflichtet; der Großhandel dient nicht unmittelbar der Befriedigung dringender Lebensbedürfnisse, sondern der Versorgung von Wiederverkäufern und gewerblichen Verbrauchern – diese decken ihren Bedarf aber nach anderen Gesichtspunkten als das allgemeine Publikum. Anders als im Bereich des dem ÖffnungszeitenG unterworfenen Kleinhandels ist bei der andersartigen Nachfragestruktur im Großhandel nicht erkennbar, dass besondere Einkaufsbedürfnisse der beim Großhandel einkaufenden Wiederverkäufer bestehen, denen die Großhändler durch entsprechende Dispositionen ihrer Öffnungszeiten gerade am Samstagnachmittag entsprechen können müssen. Auch Abgaben, die einen bestimmten Wirtschaftszweig belasten, sind im Hinblick auf die Wettbewerbsverzerrung wohl un-
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heitssatz iVm Art 6 StGG an die Zulässigkeit wettbewerbsverzerrender Maßnahmen stellt, werden durch das EG-Recht allerdings großteils überlagert, weil staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, durch Art 87 Abs 1 EGV grundsätzlich verboten und nur unter den Voraussetzungen des Art 87 Abs 2 EGV ausnahmsweise erlaubt sind230. b. Beispiel: Achtung des Privat- und Familienlebens Wenn Art 8 EMRK dem Rechtsunterworfenen freistellt, jene Form des Familien- und Privatlebens zu wählen, die seinen individuellen Bedürfnissen entspricht, achtet er die Ehe grundsätzlich als ebenso wertvoll wie den Ledigenstand und jede andere Art des Zusammenlebens. Aus dieser verfassungsrechtlich festgeschriebenen, prima facie bestehenden Gleichwertigkeit alleinstehender, verheirateter oder in Lebensgemeinschaft zusammenlebender Personen231 folgt für den allgemeinen Gleichheitssatz, dass eine Regelung, die (ohne in Art 8 EMRK einzugreifen) eine dieser Personengruppen im Verhältnis zu den anderen begünstigt oder benachteiligt, einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Denn in Verbindung mit Art 8 EMRK vermittelt der Gleichheitssatz dem Einzelnen ein Prima-facieRecht, nicht aufgrund der von ihm gewählten Form des Zusammenlebens benachteiligt zu werden. Ein Eingriff in dieses Recht ist nur zulässig, wenn zwischen den nach Art 8 EMRK prinzipiell gleichwertig nebeneinander stehenden Personengruppen entgegen dem ersten Anschein ein Unterschied besteht, der die vorgenommene Ungleichbehandlung rechtfertigt232 oder wenn die externen Zwecke, denen eine solche Differenzierung dient, schwerer wiegen als die Interessen der jeweils benachteiligten Personengruppe. So reicht die Familienangehörigkeit nach ständiger Rechtsprechung allein nicht aus, um eine steuerrechtliche oder sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung zu begründen233. Nicht gebilligt hat der VfGH daher ____________________
bedenklich; fraglich ist aber, ob sie den betroffenen Unternehmen ein Sonderopfer auferlegen, das sachlich nicht gerechtfertigt werden kann; im Fall der Sonderabgabe für Kreditunternehmen wurde dies in VfSlg 10.001/1984 verneint. 230 Dazu mwN zB Rebhahn, Grundlagen 1 ff; Sutter, Art 87 EGV Rz 77 ff. 231 S auch EGMR 13.6.1979, Marckx, Serie A 31, Z 31 = EuGRZ 1979, 454 (455), wonach Art 8 EMRK zwischen einer ehelichen und einer unehelichen Familie keinen Unterschied macht. 232 S auch Rohloff, Zusammenwirken 43, der aus Art 6 GG ableitet, dass Verheiratete bzw Familienmitglieder gegenüber Ledigen bzw Nichtverwandten nicht bloß aufgrund ihrer Ehe bzw Verwandtschaft benachteiligt werden dürfen. 233 VfSlg 3863/1960, 4571/1963, 4824/1964, 5252/1966, 5319/1966, 5750/1968, 5984/1969, 6345/1970, 6773/1972, 7280/1974, 8709/1979, 10.157/1984, 11.368/1987,
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Gleichheit und Freiheit
etwa eine Regelung, die im Familienverband lebende gegenüber allein stehenden Arbeitslosen benachteiligte234, und auch eine abrupte Kürzung der Sozialhilfe ab dem dritten Haushaltsangehörigen235. Die Gründung einer Familie durch positive Maßnahmen zu fördern, ist dem Gesetzgeber hingegen nicht verwehrt. Das ergibt sich schon aus Art 10 Abs 1 Z 17 B-VG, der den Bundesgesetzgeber zu Maßnahmen der Bevölkerungspolitik ermächtigt, „soweit sie die Gewährung von Kinderbeihilfen und die Schaffung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familien zum Gegenstand hat“236. Der VfGH meint weiter, Lebensgemeinschaften würden sich von Ehen so wesentlich unterscheiden, dass der Gesetzgeber keineswegs genötigt sei, sie in jeder Hinsicht gleichzustellen237. Dem ist zuzustimmen, schließlich hebt Art 12 EMRK ebenso wie Art 5 7. ZPEMRK die Ehe als eine besondere Form der Lebensgemeinschaft hervor. Es kann dann auch durch den allgemeinen Gleichheitssatz nicht schon grundsätzlich verboten sein, zwischen ihr und anderen Formen des Zusammenlebens zu differenzieren. Das bedeutet jedoch wegen Art 8 EMRK gerade nicht, dass jede beliebige Differenzierung nach diesem Kriterium erlaubt wäre, insbesondere kann eine derartige Differenzierung nicht allein auf den Umstand gestützt werden, dass die eheliche Gemeinschaft auf einer rechtlichen Institution beruht, die ein wesentliches Element der rechtlichen Ordnung menschlicher Beziehungen bildet238, während für nichteheliche Lebensgemeinschaften eine vergleichbare rechtliche Ordnung des Gemeinschaftsverhältnisses nicht bestehe239. Diese in der älteren Judikatur anzutreffende Argumentation ist zirkulär; sie begründet den wesentlichen, zu einer Differenzierung berechtigenden Unterschied zwischen Ehe und Lebensgemeinschaft letztlich damit, dass der Gesetzgeber diese beiden Lebensformen schon bisher ungleich behandelt hat, stützt sich also in Wahrheit auf die Tradition, die für sich eine Ungleichbehandlung noch nicht zureichend begründen kann240 und insbesondere im Hinblick auf die Wertung des Art 8 EMRK im Einzelfall zu hinterfragen ist241. Die neuere Judikatur räumt denn auch ____________________
12.474/1990; s zum Differenzierungskriterium der Familienangehörigkeit auch schon oben E.IV.3.e.aa. 234 VfSlg 12.420/1990. 235 VfSlg 11.662/1988. 236 S schon oben E.IV.5.b. 237 VfSlg 10.064/1984. 238 So aber wohl implizit VfSlg 4678/1964, wonach die Familie „als Rechtsinstitution ein wesentliches Element der rechtlichen Ordnung menschlicher Beziehungen“ sei, familienrechtliche Bande zwischen einem außerehelichen Kind und seinem Vater aber fehlten. 239 VfSlg 10.064/1984, 14.008/1995. 240 S schon oben Abschnitt E FN 254. 241 Wenn der Gesetzgeber daher etwa Familienbetrieben im Interesse der Nahversorgung ausnahmsweise längere Öffnungszeiten gestattet und zu den Familienangehörigen des Ge-
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ein, dass in Teilbereichen der Rechtsordnung eine Differenzierung zwischen der Ehe und nichtehelichen Partnerschaften sachlich nicht (mehr) zu rechtfertigen sein könnte; dies hänge von Art und Inhalt der Regelung und vom jeweiligen Sachzusammenhang ab242. Um den Abschluss einer Ehe zu fördern, ist es dem Gesetzgeber freilich erlaubt, daran besondere, die Ehegatten begünstigende Rechtsfolgen zu knüpfen, etwa im Erbrecht und auch hinsichtlich der Erbschaftssteuer243. Nicht gebilligt hat der VfGH umgekehrt Vorschriften, die Ehegatten benachteiligen, so etwa eine steuerrechtliche Besserstellung geschiedener Ehegatten im Verhältnis zu getrennt lebenden Verheirateten244, die Ausnahme verheirateter Personen von einer Pflichtversicherung nach dem GSPVG ohne Rücksicht darauf, ob sie bereits anderweit ausreichend versorgt sind245, und einen Erlass, demzufolge die Eintragung einer Geschlechtsänderung in das Geburtenbuch nur ____________________
werbetreibenden seinen Ehegatten ebenso rechnet wie seine Wahl- und Pflegeeltern, seine Wahl- und Pflegekinder sowie jene Personen, die mit ihm in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder mit ihm in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind, nicht hingegen den Lebensgefährten des Gewerbetreibenden, der am Betrieb genauso wie die genannten Personen mitarbeitet, dann bedarf diese Differenzierung aus gleichheitsrechtlicher Sicht gerade wegen Art 8 EMRK einer Rechtfertigung, die jedenfalls nicht durch den Hinweis geliefert werden kann, dass der Gesetzgeber zwischen Ehe und Lebensgemeinschaften auch sonst unterscheidet – so allerdings das Erkenntnis VfSlg 15.316/1998, das diese Differenzierung als zulässig qualifiziert. 242 VfGH 12.10.2006, B 771/06. 243 Einen ziemlich lockeren Maßstab legte der VfGH allerdings an § 7 ErbStG an, der Ehegatten in die (niedrigste) Steuerklasse I, die Partner einer Lebensgemeinschaft hingegen in die (höchste) Steuerklasse V einordnet: Dies sei gleichheitsrechtlich unbedenklich, weil die Steuerklassen des § 7 ErbStG zum einen weitgehend die Grundsätze der zivilrechtlichen Erbfolge widerspiegelten, was nicht zu beanstanden sei. Die Anknüpfung an formale familienrechtliche Kategorien bei gleichzeitiger Außerachtlassung der im Einzelfall gegebenen persönlichen Beziehungen vermeide zudem andernfalls gegebene Missbrauchsmöglichkeiten und Schwierigkeiten der Sachverhaltsfeststellung (VfGH 12.10.2006, B 771/06). Dass die Gefahr eines Missbrauchs eine Benachteiligung rechtfertigen kann, hat der VfGH allerdings im umgekehrten Fall, nämlich bei einer Schlechterstellung allein wegen der Familienangehörigkeit, stets verneint (E.IV.3.e.aa.). Eine solche Gefahr drängt sich im vorliegenden Fall wohl auch nicht auf; denn dass jemand einen Nichtverwandten zum Erben einsetzt, ist idR schon für sich ein Indiz für eine sehr enge Bindung. Hinzu kommt, dass sich das Bestehen einer Lebensgemeinschaft für gewöhnlich schon durch einen gemeinsamen Wohnsitz nachweisen lässt. So schwierig wäre die Sachverhaltsfeststellung also wohl nicht; sie wird dementsprechend auch in anderen Bereichen der Rechtsordnung (etwa bei der bereits erwähnten Mitversicherung in der Krankenversicherung: E.IV.3.b.bb.) durchaus praktiziert. Damit soll nicht gesagt sein, dass Ehegatten erbschaftssteuerrechtlich nicht besser behandelt werden dürfen als Lebensgemeinschaften; die Bevorzugung der Ehe an sich verfolgt ein legitimes Ziel: Sie soll einen Anreiz setzen, Ehen abzuschließen, weil sich der Gesetzgeber hievon Vorteile für die Gesellschaft verspricht. Ob es zur Erreichung dieses Zieles aber erforderlich ist, Lebensgemeinschaften in einem solchen Ausmaß schlechter zu behandeln, hätte mE einer genaueren Prüfung bedurft. Die Gründe, die hiefür angeführt wurden, überzeugen nämlich bei näherem Hinsehen nicht. 244 VfSlg 9374/1982. 245 VfSlg 7394/1974.
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bei unverheirateten Personen möglich ist246. Werden die Einkünfte der in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Personen steuerrechtlich zusammengerechnet, weil das Zusammenleben die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Teilhaber erhöht247, dann darf diese Zusammenrechnung nicht auf Eheleute beschränkt werden: Sie muss auch für wirtschaftlich gleichartige Lebensgemeinschaften gelten, und sie darf bei Ehegemeinschaften dann nicht vorgenommen werden, wenn die Eheleute (aus welchen Gründen immer) getrennt voneinander leben248. Da es Ehegatten von Verfassung wegen freisteht, sich wieder zu trennen, ist aber auch eine Benachteiligung geschiedener Personen gleichheitsrechtlich unzulässig: Dass geschiedenen Ehegatten zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen eine kürzere Frist eingeräumt wurde als allen anderen Unterhaltsberechtigten, hat der VfGH daher zutreffend als gleichheitswidrig qualifiziert249. Zu Recht hält die jüngere Judikatur auch eine Benachteiligung unehelicher Kinder nur aus sehr gewichtigen Gründen für zulässig250. Ob der Gesetzgeber die Ehe verschiedengeschlechtlichen Personen vorbehält oder sie auch für homosexuelle Paare öffnet, liegt grundsätzlich in seinem Entscheidungsspielraum, weil auch Art 12 EMRK ein Recht auf Eheschließung nur Männern und Frauen, also nur Personen verschiedenen Geschlechts einräumt251. Hält der Gesetzgeber an der traditionellen Ehe fest und knüpft er an sie – um diese Lebensform zu fördern – bestimmte Rechtsvorteile, dann wiegt die umgekehrt eintretende Benachteiligung gerade für Homosexuelle allerdings schwer, weil es ihnen unmöglich ist, diesen Nachteilen durch die Eheschließung auszuweichen. Ob eine solche Benachteiligung gerechtfertigt ist, muss dann in jedem Fall gesondert geprüft werden252. ____________________
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VfSlg 17.849/2006. S zB VfSlg 5318/1966. 248 VfSlg 3334/1958. 249 VfSlg 17.135/2004. 250 VfSlg 12.735/1991; s auch schon oben E.IV.3.b.aa. 251 VfSlg 17.098/2003, 17.337/2004. AA Räther, Schutz 259, der meint, der Wortlaut des Art 12 EMRK sei auch für gleichgeschlechtliche Ehen offen, weil er das Recht auf Eheschließung Männern und Frauen einräumt: Das schließe nicht aus, dass Männer Männer und Frauen Frauen heiraten. Wäre Art 12 EMRK wirklich derart offen, dann hätte es aber wohl genügt, als Grundrechtsträger – wie fast überall sonst in der EMRK – schlechthin alle Menschen anzusprechen. Dass die EMRK abweichend von ihrem sonstigen Sprachgebrauch gerade in Art 12 von Männern und Frauen spricht, kann wohl nur bedeuten, dass sie (zumal im Zeitpunkt ihrer Entstehung) die traditionelle Ehe vor Augen hatte. 252 S dazu etwa VfSlg 17.337/2004: Beschränkung des Nachzugsrechts ausländischer Angehöriger auf Ehegatten und Kinder gleichheitskonform; VfSlg 17.659/2005: Ausschluss homosexueller Lebenspartner von Ansprüchen aus der Krankenversicherung gleichheitswidrig, sowie oben E.IV.3.b.bb., E.IV.3.c. bei FN 590. 247
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c. Beispiel: Freizügigkeit Gewährt eine Gemeinde Personen, die im Gemeindegebiet dauerhaft ansässig sind, bestimmte Vergünstigungen, so greift sie in niemandes Freizügigkeit oder Niederlassungsfreiheit ein. Sie hindert den Einheimischen nicht daran, aus der Gemeinde fort zu gehen und legt auch dem, der in die Gemeinde zuziehen will, kein Hindernis in den Weg. Doch sie knüpft rechtliche Unterschiede an die Dauer des Aufenthalts, also an ein Merkmal, dem nach der Verfassung ein besonderer Wert zukommt, erklärt diese doch die Freizügigkeit der Person an sich, das heißt jede Bewegung von einem Ort an einen anderen253 grundsätzlich für ebenso frei wie die Niederlassung an jedem Ort254: Sie legt also die Gleichwertigkeit jeder Freizügigkeitsbewegung und auch der Niederlassung an jedem Aufenthaltsort fest und beinhaltet damit den Leitgedanken, dass eine Differenzierung zwischen Einheimischen und Zuziehenden grundsätzlich verboten ist255. Eine Ungleichbehandlung ist daher nur erlaubt, wenn sie sich auf wesentliche Unterschiede stützen kann256. Der Nachweis derartiger Unterschiede wird nicht ohne weiteres zu erbringen sein; unzureichend wäre es jedenfalls, nur darauf zu verweisen, dass die Gemeinde Einheimische begünstigen will. Denn dass ein Normsetzungsorgan das Ziel verfolgt, zwischen Personen zu unterscheiden, die die Verfassung als wesentlich gleich bewertet, begründet zwischen diesen Personen noch keinen wesentlichen Unterschied, kann doch eine verfassungsrechtliche Wertung durch eine gegenläufige Zielsetzung nicht einfach aufgehoben werden. Die Gemeinde müsste in diesem Fall vielmehr ein über die Begünstigung hinausweisendes Interesse geltend machen können. Das gilt umso mehr, wenn eine Gebietskörperschaft von Zuziehenden höhere Abgaben forderte als von Einhei____________________
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Zum sachlichen Schutzbereich der Freizügigkeit näher Pöschl, Art 4 StGG Rz 20 ff. Zum sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit näher Pöschl, Art 6/1 1. Tb StGG Rz 14 ff. 255 S auch Merten, Freizügigkeitsrecht 38, 66 ff. Das Verbot der Unterscheidung zwischen Einheimischen und Zugereisten steht in keinem Spannungsverhältnis zu den mit dem bundesstaatlichen Prinzip notwendig einhergehenden länderweisen Unterschieden. Dass von Bundesland zu Bundesland jeweils unterschiedliche Regelungen gelten dürfen, heißt ja noch nicht, dass ein und derselbe Landesgesetzgeber zwischen Einheimischen und Zugereisten differenzieren muss. 256 Das gilt – wegen der verfassungsgesetzlich garantierten Ausreisefreiheit – auch dann, wenn der Gesetzgeber Staatsbürger unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob sie ihren Wohnsitz im Inland oder im Ausland haben; milder wohl VfSlg 8968/1980, wonach eine unterschiedliche Behandlung österreichischer Staatsbürger nach diesem Kriterium vor dem Gleichheitsgebot bestehen kann, sofern seine Heranziehung nicht sachfremd ist (s auch VfSlg 7525/1975); s auch VfSlg 14.694/1996, wonach es nicht zu beanstanden ist, wenn eine Fremde, die mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet ist, für ihr Kind nur deshalb keine Familienbeihilfe erhält, weil ihr Ehemann seinen Lebensmittelpunkt nicht im Bundesgebiet hat; unbedenklich sei auch der Ausschluss von der Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten: VfSlg 16.380/2001, 16.542/2002.
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mischen257. Solange die Höhe der eingehobenen Abgabe kein ernstliches Niederlassungshindernis begründet, würde eine derartige Schlechterstellung zwar noch nicht in die Niederlassungsfreiheit eingreifen; die zwischen Einheimischen und Zugereisten bestehende Gleichwertigkeit müsste aber durch gravierendere Unterschiede aufgewogen werden als im erwähnten Fall der „bloßen“ Privilegierung Einheimischer. Denn zu der aus der Freizügigkeit ableitbaren Gleichwertigkeit tritt bei einer steuerlichen Differenzierung noch hinzu, dass die ungleich behandelten Personengruppen auch hinsichtlich ihres Eigentums gleichermaßen schützenswert sind. Um ihre Ungleichbehandlung dennoch rechtfertigen zu können, müssten schon triftige externe Zwecke geltend gemacht werden, die die verfassungsrechtlich bestehenden Gemeinsamkeiten überspielen. Der allgemeine Gleichheitssatz wirkt in Verbindung mit Art 4 und 6 StGG sowie Art 2 4. ZPEMRK also ähnlich, wenn auch nicht so strikt wie die Freizügigkeitsrechte des Gemeinschaftsrechts für grenzüberschreitende Sachverhalte: So wie die Art 39, 43 und 49 EGV eine Benachteiligung von Unionsbürgern nämlich grundsätzlich untersagen258, ist auch eine Schlechterstellung Nichteinheimischer prima facie verboten und nur aus triftigen Gründen erlaubt. Das Gleiche muss dann aber auch für Benachteiligungen in die umgekehrte Richtung gelten: So wie es grundsätzlich suspekt ist, den Zugezogenen zu benachteiligen, so ist es auch – und dies ist in letzter Zeit wohl sogar aktueller – prima facie unzulässig, demjenigen Nachteile aufzuerlegen, der immer an derselben Stelle bleibt. Die oben besprochene Inlandsmarkt- bzw (mittelbare) Inländerdiskriminierung ließe sich also auch unter diesem Gesichtspunkt problematisieren: Denn tatsächlich benachteiligt eine solche Diskriminierung ja nicht den Inländer, sondern (unabhängig von der Staatsbürgerschaft) denjenigen, der keinen gemeinschaftsrechtlich relevanten Sachverhalt verwirklicht, vereinfacht gesagt also den, der die Grenze nicht überschreitet. Das zu tun, stellen die Art 4 StGG und Art 2 Abs 2 4. ZPEMRK dem Rechtsunterworfenen nun aber völlig frei. Wenn ihm die Rechtsordnung dafür einen Nachteil auferlegt, so greift sie zwar noch nicht in seine Ausreisefreiheit oder in die Freiheit ein, sein Vermögen außer Landes zu bringen oder es hier zu lassen. Aus gleichheitsrechtlicher ____________________
257 S auch Hailbronner, Freizügigkeit Rz 36. Anderes gilt, wenn von Personen eine Abgabe erhoben wird, die sich an einem Ort nur zeitweilig oder während des Urlaubes aufhalten: Eine Ferienwohnungsabgabe wurde daher in VfSlg 9624/1983 als unbedenklich angesehen, weil es einen sachlich bedeutsamen Unterschied darstellt, ob eine Person in einer Unterkunft ihren ständigen Wohnbedarf deckt oder sich dort nur kurzfristig aufhält. Im zweiten Fall nützt der Betreffende die Infrastruktur des jeweiligen Ortes, ohne zu dessen Finanzierung durch allgemeine Abgaben beizutragen; die ihm auferlegte Sonderabgabe schafft dafür einen Ausgleich. 258 S mwN H. Schneider/Wunderlich, Art 39 EGV Rz 35; Schlag, Art 43 EGV Rz 33 ff; Holoubek, Art 49 EGV Rz 63 ff.
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Sicht bedarf eine solche Benachteiligung aber einer besonderen Rechtfertigung259. Die (innerstaatlichen) Freizügigkeitsgarantien wirken iVm dem Gleichheitssatz also anders als die Freizügigkeitsgarantien des Gemeinschaftsrechts nicht nur in eine Richtung: Sie schützen nicht nur den, der reist, sondern auch den, der zuhause bleibt: Ob er dies oder jenes tut, steht ihm von Verfassung wegen ausdrücklich frei, und dieser Freiheit verschafft der allgemeine Gleichheitssatz Flankenschutz. d. Wirkung des Gleichheitssatzes Auch in Fallkonstellationen wie den beschriebenen stehen Gleichheit und Freiheit nicht in einem Spannungsverhältnis; der allgemeine Gleichheitssatz verliert vielmehr im Vorfeld des Freiheitsrechts seine Richtungslosigkeit, findet durch das Freiheitsrecht Orientierung und verschafft dem Einzelnen unterhalb der Eingriffsschwelle „flankierenden Freiheitsschutz“260: In Verbindung mit den Freiheitsrechten vermittelt der Gleichheitssatz das Prima-facie-Recht, nicht aufgrund einer Disposition benachteiligt zu werden, die zu setzen die Verfassung dem Rechtsunterworfenen ausdrücklich ebenso freistellt wie die Nichtvornahme dieser Disposition.
7. Begünstigungen im Schutzbereich des Freiheitsrechts a. Pflicht zur Privilegierung freigestellter Handlungen? Indem die Freiheitsrechte nur bestimmte Handlungsgattungen unter den besonderen Schutz der Verfassung stellen, nehmen sie eine Unterscheidung vor zwischen diesen und anderen Handlungen und verbieten dem einfachen Gesetzgeber jedenfalls, die geschützte Handlungsgattung im Verhältnis zu anderen Handlungen zu diskriminieren261. Eine Privilegierung des frei gestellten Verhaltens ist dem einfachen Gesetzgeber durch das Freiheitsrecht hingegen nicht untersagt262; denn Freiheitsrechte haben anders als viele Gleichheitsrechte eine „Richtung“: Sie wenden sich nicht gegen Ungleichbehandlungen schlechthin, sondern nur gegen die Beeinträchtigung der jeweils frei gestellten Handlungen263. Ob die Freiheitsrechte den einfachen Gesetzgeber zu einer Begünstigung dieser Handlun____________________
259 AA allerdings ohne Bezugnahme auf die innerstaatliche Freizügigkeit Pauger, Marktwirtschaft 45. 260 Osterloh, EuGRZ 2002, 311. 261 S schon Kloepfer, Gleichheit 49; Stettner, BayVBl 1988, 551. 262 S auch Kloepfer, Gleichheit 49. 263 Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG dar, der nur eine Benachteiligung, nicht aber eine Bevorzugung aufgrund der Behinderung untersagt, s dazu noch G.II.3.
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gen auch verpflichten, kann nicht pauschal beantwortet werden264. Der allgemeine Gleichheitssatz spricht jedenfalls nicht gegen die Annahme einer solchen Privilegierungspflicht265. Vielmehr ist in die entgegengesetzte Richtung zu argumentieren: Dass die Verfassung bestimmte Sachverhalte für schutzwürdig erklärt, sie also von anderen Sachverhalten unterscheidet, wirft erst die Frage auf, ob dieser Schutz auch gebietet, die besonders hervorgehobenen Handlungsgattungen besser zu behandeln als andere266. Eine Antwort auf diese Frage ist nur durch eine Auslegung des jeweiligen Freiheitsrechtes zu gewinnen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist dabei wegen seiner „Richtungslosigkeit“ nicht hilfreich; er wird vielmehr im Gegenteil durch den Inhalt des Freiheitsrechtes erst näher bestimmt: Ist dem Freiheitsrecht ein Privilegierungsgebot nämlich zu entnehmen, so kann diese Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers gerade nicht unter Berufung auf den Gleichheitssatz unterlaufen werden. Dementsprechend kann etwa die Informationsfreiheit – bzw ihre Wertentscheidung für die Funktionsfähigkeit der Massenmedien als öffentliche Informationsquellen267 – eine rechtliche Privilegierung der Arbeit der Massenmedien (etwa durch ____________________
264 Der VfGH hat dies in seiner älteren Rechtsprechung zur Kunstfreiheit verneint und angenommen, die Verfassung habe durch Art 17a StGG die Kunst nur vor staatlichen Übergriffen schützen, den Künstler deshalb aber nicht privilegieren wollen; daher könne die Kunstfreiheit durch ein „allgemeines Gesetz“ nicht verletzt werden, also durch eine Norm, die weder in persönlicher Hinsicht an den Künstler noch in sachlicher Hinsicht an die Kunst anknüpft, sondern schlechthin für jedermann in einer bestimmten Situation gilt: VfSlg 10.401/1985; s zu dieser Judikatur mwN Holoubek/Neisser, Freiheit der Kunst 213; Pöschl/Kahl, ÖJZ 2001, 50 ff. Die jüngere Judikatur ist zu Recht differenzierter, s noch FN 266. 265 Anders Potacs, Devisenbewirtschaftung 357, nach dem „dem Grundrechtsgesetzgeber durchaus zusinnbar [ist], daß er die Erwerbsbetätigung vor staatlichen Eingriffen zwar schützen, sie gegenüber anderen privaten Tätigkeiten aber nicht privilegieren wollte.“ Für diese Auslegung spreche „aus systematisch-teleologischer Sicht auch der Umstand, daß der Grundrechtskatalog aus 1867 vor allem auch im Zeichen des Gleichheitsgrundsatzes stand. Gerade diesem Grundsatz trägt die Bindung der Erwerbstätigkeit an die ‚allgemeinen Gesetze‘ Rechnung.“ Diese „allgemeinen Gesetze“ sollten allerdings nur sicherstellen, dass eine Beschränkung der Erwerbsfreiheit aus verallgemeinerbaren Gründen vorgenommen wird; eine Pflicht, der Erwerbsfreiheit unterfallende Sachverhalte zu privilegieren, ist dadurch mE nicht ausgeschlossen. 266 Zu Recht nimmt daher B. Davy, EuGRZ 1985, 517, an, dass etwa die Kunstfreiheit gebieten kann, bestimmte Erscheinungsformen von Kunst in den allgemeinen Grenzen „in gewissen Belangen zu bevorzugen“ (so VfSlg 9224/1981 zur Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers beim Minderheitenschutz). Ob der VfGH dies, wie B. Davy annimmt, in VfSlg 10.401/1985 verneinte, kann man unterschiedlich sehen, s etwa Spielbüchler, FS Rosenzweig 541 f, der diese Deutung für ein Missverständnis hält. Die jüngere Rechtsprechung nimmt jedenfalls ausdrücklich an, dass auch ein allgemeines Gesetz aufgrund seiner Auswirkungen in die Kunstfreiheit eingreifen kann: s zB VfSlg 11.567/1987, 11.737/ 1988, 14.923/1997, s auch VfSlg 15.680/1999. Daraus kann sich die Notwendigkeit ergeben, einen durch die Kunstfreiheit geschützten Sachverhalt besser zu stellen als andere Sachverhalte. 267 S zB Berka, EuGRZ 1982, 417 ff.
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das Redaktionsgeheimnis) in bestimmtem Umfang gebieten; eine derartige Privilegierung kann dann gerade nicht gleichheitswidrig sein268, und sie muss auch umgekehrt nicht aus dem Gleichheitssatz begründet werden. Lässt sich dem Freiheitsrecht ein derartiges Privilegierungsgebot aber nicht entnehmen, dann kann es auch aus dem Gleichheitssatz nicht hergeleitet werden. Soweit der Gesetzgeber daher durch Art 8 EMRK nicht dazu verpflichtet ist, positive Maßnahmen zu setzen, um die Wahl einer bestimmten Lebensform (etwa der Familie) faktisch zu erleichtern269, ist ihm die Ergreifung derartiger Maßnahmen auch durch den allgemeinen Gleichheitssatz freigestellt. Wenn Art 8 EMRK den Staat nicht dazu verhält, im Rahmen der Sozialhilfe Einrichtungen zur Pflege in solcher Menge und Qualität bereitzustellen, dass der gemeinsame Aufenthalt oder die gemeinsame Pflege von Ehepartnern unter allen Umständen jederzeit sichergestellt werden kann, dann folgt eine solche Pflicht auch nicht aus dem allgemeinen Gleichheitssatz270. Auch dass die Unterhaltsverpflichtung gegenüber Kindern ganz allgemein nur zum Teil als Folge privater Lebensgestaltung qualifiziert und daher zumindest zur Hälfte steuerfrei bleiben muss, ergibt sich mE aus dem Gleichheitssatz nicht271. In der Lehre ist diese Frage bekanntlich umstritten. Ein Teil plädiert für die Steuerfreiheit dessen, was der Steuerpflichtige notwendigerweise für seine oder seiner Familie Existenz aufwenden muss272. Andere Autoren sehen keinen Grund, Unterhaltslasten anders zu behandeln als andere Ausgaben des Steuerpflichtigen273. ME ist dieser zweiten Ansicht mit einer Einschränkung zuzustimmen: Wenn der Staat seinen Bürgern in Art 8 EMRK freistellt, sich für eine Familie zu entscheiden oder allein zu bleiben, bewertet er den Kinderlosen und denjenigen, der Kinder hat, als prima facie gleich. Die Ungleichbehandlung dieser beiden Personengruppen bedürfte einer Recht____________________
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S Pernthaler, JBl 1994, 745. S etwa EKMR 4.3.1986, Andersson und Kullman, Appl 11.776/85, DR 46, 251 (253), wonach Art 8 EMRK kein Recht auf staatliche Unterstützung in Form finanzieller Zuwendungen oder der Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen vermittelt; nach EGMR 27.3.1998, Petrovic, RJD 1998-II = ÖJZ 1998, 516, verpflichtet Art 8 EMRK den Staat auch nicht dazu, Eltern Karenzurlaubsgeld zu zahlen; tut er dies, so bringt er aber seine Achtung vor dem Familienleben zum Ausdruck. In grundsätzlich gleicher Weise ist der Staat durch Art 8 EMRK auch nicht dazu verpflichtet, Wohnbeihilfen auszubezahlen; s auch Wiederin, Art 8 EMRK Rz 118. Stärkere Bindungen als Art 8 EMRK löst wohl Art 6 GG aus, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, s zur Bedeutung des Art 6 GG für den Gleichheitssatz Rohloff, Zusammenwirken 33 ff mwN. 270 S VfSlg 14.841/1997, wonach es „keinen Verfassungsgrundsatz“ gibt, dem eine solche Pflicht des Staates zu entnehmen ist. 271 So aber VfSlg 14.992/1997, s auch VfSlg 15.023/1997, 16.026/2000. 272 MwN Tipke, Steuergerechtigkeit 96 f; Beiser, 14. ÖJT III/2 (2001) 14 f, 33 f; ders, Steuern 23 f; Hanslik, Familienbesteuerung 122 ff. 273 ZB Bareis, StuW 1991, 38 ff, 42; wohl auch Somek, Rationalität 222 ff.
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fertigung, die in dem Ziel, Familien zu unterstützen, gewiss gefunden werden kann. Zur Verfolgung dieses Zieles ist der Gesetzgeber deshalb aber nicht verpflichtet. Die durch Art 8 EMRK gebotene Achtung des Privatund Familienlebens hindert ihn nur daran, dem Einzelnen die Gründung einer Familie durch das Steuerrecht zu verunmöglichen oder wesentlich zu erschweren. Deshalb ist eine Berücksichtigung der Unterhaltslasten in den unteren Einkommensklassen geboten; ob dies durch Transferleistungen oder durch Steuerfreiheit geschieht, ist dem Gesetzgeber überlassen274. Wer diese Ansicht ablehnt, muss konsequenterweise für eine Absetzbarkeit der gesamten Unterhaltslasten eintreten. Nicht plausibel ist hingegen die vom VfGH – offenbar als Kompromiss – vertretene Ansicht, dass die Unterhaltslasten zumindest zur Hälfte steuerfrei bleiben müssen. Dass der Steuerpflichtige, wie der VfGH begründend meint, von Rechts wegen dazu verpflichtet ist, für den Unterhalt seiner Familie zu sorgen, erklärt weder, warum gerade diese Pflicht zu einer Steuerfreiheit führen sollte, noch, warum diese Steuerfreiheit nur für die Hälfte der Unterhaltsbeträge gelten soll. Dass die Erfüllung der Unterhaltspflicht auch den Interessen der Allgemeinheit dient275 und dass erst „durch die Leistung der folgenden Generation [...] der weitere Fortbestand der Volkswirtschaft gesichert und die Versorgung im Alter ermöglicht [wird]“276, mag richtig sein und rechtfertigt eine Absetzbarkeit der Unterhaltsleistungen auch gewiss. Diese Allgemeininteressen sind aber nicht das Schutzgut eines Individualrechts; ihre Verfolgung kann dem Gesetzgeber daher durch den Gleichheitssatz auch nicht aufgetragen sein277. Der Gleichheitssatz untersagt iVm Art 8 EMRK nur eine Deklassierung der Familie; „eine steuerrechtliche Familiengerechtigkeit zwischen Einkommensmillionären“278 herzustellen fordert er nicht. b. Förderung der Freiheitsausübung als legitimer Differenzierungsgrund Dass die Freiheitsrechte allen Staatsbürgern oder überhaupt jedermann gewährt sind, schafft also einen legitimen Grund, Ungleichbehandlungen vorzunehmen, die die Inanspruchnahme einer Freiheit auch tatsächlich ____________________
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Im Ergebnis wie hier wohl auch Huster, Art 3 GG Rz 138. VfSlg 14.992/1997. 276 VfSlg 14.992/1997. 277 S VfSlg 14.694/1996, wonach der Gesetzgeber bei der Verfolgung familienpolitischer Ziele frei ist. S auch Somek, Rationalität 228 ff, der zutreffend darauf hinweist, dass unterhaltspflichtige Eltern in Österreich keine Minderheit bilden; sie laufen nicht Gefahr, im demokratischen Prozess übergangen zu werden. Unter diesen Bedingungen kann die Entscheidung über die steuerrechtliche Behandlung der Unterhaltslasten ohne weiteres dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber überlassen werden; s auch schon oben B.VIII., C.IV.3.c. 278 Huster, Art 3 GG Rz 138. 275
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für alle ermöglichen; denn die Unterschiede, die zwischen den Grundrechtsträgern hinsichtlich der faktischen Möglichkeit des Freiheitsgebrauchs bestehen, sind von Verfassung wegen als wesentlich einzustufen. Sie sind zwar im Regelfall nicht derart gravierend, dass der Gesetzgeber gleichheitsrechtlich zu einem Ausgleich verpflichtet ist279, weil sonst der Gestaltungsspielraum, den die Freiheitsrechte dem Gesetzgeber bewusst belassen, über den allgemeinen Gleichheitssatz wieder zunichte gemacht und der Gleichheitssatz solcherart seinem Sinn zuwider zu einem Egalisierungsgebot umfunktioniert würde280. Diesen Unterschieden kommt aber doch ein Gewicht zu, das der Freiheitsausübung förderliche Ungleichbehandlungen ermöglicht281. Eine Grenze ist dem Gesetzgeber in dieser Hinsicht nur insoweit gezogen, als derart ausgleichende Maßnahmen ihrerseits nicht unverhältnismäßig in andere Freiheitsrechte eingreifen dürfen. Dementsprechend hat es der VfGH etwa als gleichheitsrechtlich unbedenklich angesehen, dass die Gewährung von Zugaben ausschließlich periodischen Druckwerken verboten wurde; denn dieses Verbot sollte die Existenz kleinerer Medienunternehmen sichern, unterstützte also die Medienvielfalt und damit Ziele, denen durch Art 13 StGG und Art 10 EMRK ein hohes Gewicht zukommt282. Die besondere Sensibilität der Medien und ihre Bedeutung für die Meinungsvielfalt erlaubt es auch, zwischen Medienunternehmen und anderen Gewerbetreibenden, somit auch zwischen Medien und anderen Waren zu differenzieren283; dies kann einerseits eine besondere Pflichtbindung von Medienunternehmen rechtfertigen, andererseits aber auch punktuelle Privilegierungen284. Akzeptiert wurde auch, dass der ORF im Unterschied zu Privatsendern in seinen Möglichkeiten, aus Werbung Einnahmen zu lukrieren, beschränkt wurde: Diese Begünstigung privater Fernsehbetreiber eröffnet ihnen Marktchancen; überdies setzen die genannten Beschränkungen des ORF auch die Werbepräsenz marktmächtiger Printmedien herab und wirken sich damit günstig auf finanzschwächere Printmedien aus, die selbst nicht in der Lage sind, eigene Werbung im Fernsehen zu finanzieren285. Diese Förderung der Medienvielfalt findet in Art 10 EMRK einen legitimen Grund. ____________________
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Andernfalls resultiert das Ausgleichsgebot bereits aus dem Freiheitsrecht. Dass der allgemeine Gleichheitssatz grundsätzlich nicht zur Herstellung gleicher faktischer Verhältnisse verpflichtet, wurde bereits dargelegt, s dazu oben C.II. und C.IV.2.d. 281 S auch Rüpke, FS Ermacora 483, 488, nach dem der Gleichheitssatz im Leistungsbereich den flexiblen normativen Anknüpfungspunkt bietet, um die unterschiedlichen Lebenssituationen bei der Freiheitsverwirklichung zu berücksichtigen. 282 VfSlg 13.725/1994. 283 VfSlg 13.725/1994. 284 S dazu mit Beispielen Berka, Medien 16 f. 285 VfSlg 16.911/2003. 280
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Gleichheit und Freiheit
Als zulässig qualifiziert hat der VfGH auch die in § 17 Abs 3 MeldeG vorgesehene Beweismittelbeschränkung für das Reklamationsverfahren; dass der Gesetzgeber für dieses Verfahren auf die Ausschöpfung aller denkbaren Ermittlungsschritte verzichtet und allfällige Unschärfen (und damit Ungleichbehandlungen) in Kauf genommen hat, war, wie der Gerichtshof feststellte „auch mit Blick auf das durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ nicht unsachlich, wären doch ohne eine derartige Beweismittelbeschränkung behördliche Eingriffe in das Privatleben der Meldepflichtigen sehr nahe gelegen286. c. Derivative Förderungsansprüche Entschließt sich der Gesetzgeber aus freien Stücken zu derart freiheitsfördernden Maßnahmen, so ist diese Begünstigung aus der Sicht des Gleichheitssatzes nicht suspekt, sondern im Gegenteil prima facie erlaubt. Der Gleichheitssatz sorgt diesfalls nur dafür, dass die eingesetzten Mittel auch eine gleichmäßige Verteilung finden287. Daher kann der Gesetzgeber gleichheitsrechtlich auch gezwungen sein, die einmal gewährte Förderung auf gleich gelagerte Fälle auszudehnen. Gerade in solchen Konstellationen kommt die eigenständige Bedeutung des Gleichheitssatzes deutlich zum Tragen: Er vermittelt dem Grundrechtsträger keinen originären Anspruch auf staatliche Leistungen, verhindert aber, dass manche Grundrechtsträger als zweitklassig behandelt werden. Die Verweigerung einer Leistung als solche deklassiert den Rechtsunterworfenen noch nicht; was ihn herabsetzt, ist, dass diese Leistung einem anderen anstandslos gewährt wird. Ob der Staat derartige Leistungen überhaupt erbringt, bleibt aber seinem Ermessen überlassen, das insofern gerade nicht durch den Gleichheitssatz beschränkt werden kann. Die Auswahl der jeweils begünstigten Personen ist unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes einer strengen Prüfung zu unterziehen288. Denn dem Freiheitsrecht, dessen Inanspruchnahme jeweils gefördert wird, ist die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller von ihm geschützten Personen zu entnehmen289. Sie sind daher prima facie auch wesentlich gleich iSd ____________________
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VfSlg 16.285/2001. S Rohloff, Zusammenwirken 225, sowie Schoch, DVBl 1988, 873: „Wenn sich ein Hoheitsträger zum Handeln entschließt – sei es wegen eines korrespondierenden subjektiven Rechts, sei es wegen eines objektiven Verfassungsgebots, sei es ‚freiwillig‘ –, ist der Gleichheitssatz als Verteilungsregel zu beachten.“ 288 S auch Rohloff, Zusammenwirken 218 ff. 289 S auch VfSlg 11.297/1987 und 13.577/1993, wonach die aus Art 10 EMRK erfließenden Rechte grundsätzlich jedermann zustehen, sich allerdings im Hinblick auf den höheren Informationsbedarf der Presse im Besonderen im Medienbereich auswirken. Eine die Medien besonders schützende bzw begünstigende Regelung ist zwar nicht von vorneherein
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allgemeinen Gleichheitssatzes, was den Druck erzeugt, sie auch im gleichen Ausmaß zu begünstigen290, solange eine Rechtfertigung für die bloß teilweise Bevorzugung nicht beigebracht werden kann. Dass der Gesetzgeber dem Rechtsunterworfenen in einer bestimmten, vom Anwendungsbereich eines Freiheitsrechts erfassten Situation Schutz gewährt, verpflichtet ihn hingegen nicht dazu, eine derartige Begünstigung auch für alle anderen Sachverhalte einzuräumen, die dem sachlichen Schutzbereich des Freiheitsrechts unterfallen. Denn die punktuelle Gewährung eines verfassungsrechtlich nicht gebotenen Schutzes kann keine Kettenreaktion auslösen, die das Freiheitsrecht qua Gleichheitssatz in ein generelles Gewährleistungsgebot umkehrt. Entschließt sich der Gesetzgeber daher etwa dazu, unerbetene Werbeanrufe im Interesse der durch Art 8 EMRK garantierten Privatsphäre zu verbieten, dann entsteht dadurch allein noch keine Pflicht, auch die Bewerbung mittels Briefes zu untersagen291. Schafft der Gesetzgeber besondere Beschwerdemöglichkeiten für Verletzungen des ORF-G in Fernsehprogrammen, dann muss er eine solche Beschwerdemöglichkeit nicht zwingend auch für den Bereich des Radios vorsehen292. d. Wirkung des Gleichheitssatzes Auch in den besprochenen Fallkonstellationen treten Gleichheit und Freiheit nicht als Gegenspieler auf; die Freiheitsrechte liefern vielmehr ei____________________
unzulässig, darf aber nicht so gestaltet sein, dass sie den anderen Normunterworfenen die durch Art 10 EMRK garantierten Rechte schlechterdings vorenthält. 290 Nicht zu beanstanden ist es daher, wenn der Gesetzgeber im Interesse der durch Art 8 EMRK geschützten Privatsphäre unerbetene Anrufe zu Werbezwecken verbietet und dabei annimmt, dass jeder Telekommunikationsteilnehmer Schutz vor unerbetenen Anrufen schlechthin benötigt und einem möglicherweise geringeren Schutzbedürfnis juristischer Personen im Vergleich zu natürlichen Personen, von Unternehmern im Vergleich zu Verbrauchern ebenso wie einem differenzierten Schutzbedürfnis nach dem Umfang, dem Zeitpunkt oder dem Gegenstand und Inhalt des Anrufes Rechnung trägt, indem er es der privaten Disposition des Telekommunikationsteilnehmers überlässt, ob er auf den gesetzlichen Schutz vor Werbung durch Telekommunikation verzichten will: VfSlg 16.688/2002. Eine Pflicht zur Differenzierung könnte sich diesfalls nur aus Art 10 EMRK ergeben, dann nämlich, wenn bestimmte Personengruppen einen Schutz vor Werbung nicht benötigen, sodass das ihnen gegenüber bestehende Werbeverbot eine nicht erforderliche Beschränkung der Meinungsfreiheit des Werbenden darstellt. 291 S schon VfSlg 16.688/2002. 292 VfSlg 16.911/2003. Im Einzelnen wäre diese Entscheidung allerdings eine nähere Analyse wert; denn es bleibt ein Unbehagen, wenn der Gesetzgeber dem Rechtsunterworfenen vor rassistischen und seine Persönlichkeit sonst verletzenden Aussagen im Fernsehen einen besonderen Schutz verschafft, den er ihm bei ganz gleichartigen Aussagen im Radio verwehrt. Dieses Unbehagen dürfte aber letztlich auf der Annahme beruhen, dass der Gesetzgeber – qua Schutzpflicht aus Art 8 EMRK, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG und Art I Abs 1 Satz 2 BVG-RD – an sich dazu verhalten ist, dem Einzelnen bei Übergriffen auf seine Persönlichkeit ausreichenden Schutz zu gewähren. Diese Schutzpflicht besteht dann bei persönlichkeitsverletzenden Äußerungen im Fernsehen ebenso wie bei gleichartigen Übergriffen im Radio.
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Gleichheit und Freiheit
nen legitimen Grund, der Freiheitsausübung förderliche Ungleichbehandlungen vorzunehmen. Macht der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch, so sorgt der Gleichheitssatz dafür, dass die Begünstigung gleichmäßig gewährt wird. Verletzt der Gesetzgeber diese Pflicht, so gilt, was oben schon zu den verhältnismäßigen, aber gleichheitswidrigen Eingriffen in ein Freiheitsrecht gesagt worden ist: Der Rechtsunterworfene, der von einer solchen Begünstigung ausgeschlossen ist, geht für sich kein Risiko ein, wenn er dies bekämpft; ob der Gesetzgeber freilich die sodann konstatierte Gleichheitswidrigkeit durch eine (erwünschte) Ausdehnung oder durch die gänzliche Beseitigung der Begünstigung korrigiert, ist eine offene Frage: Insofern setzt die Anfechtung einer begünstigenden Norm die bisher Begünstigten immer der Gefahr eines Rechtsverlusts aus.
III. Art 14 EMRK 1. Vorbemerkung Der allgemeine Gleichheitssatz kommt auf Differenzierungen und Gleichbehandlungen, wie gezeigt, neben den Freiheitsrechten dann in voller Konkurrenz zur Anwendung, wenn der Gesetzgeber im Schutzbereich eines Freiheitsrechts an ein verpöntes Differenzierungsmerkmal anknüpft293. Für derartige Fallkonstellationen ist allerdings auch in Art 14 EMRK ein spezielles Diskriminierungsverbot vorgesehen; dieser Bestimmung zufolge ist der Genuss der in der EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten „ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist.“ Fraglich ist zum einen, welche Bedeutung dieser Vorschrift zukommt, zum anderen, in welchem Verhältnis sie zum allgemeinen Gleichheitssatz steht.
2. Judikatur a. Konventionsorgane aa. Schutzbereich Nach der älteren Judikatur der Straßburger Organe setzte eine Verletzung des Art 14 EMRK stets auch die Verletzung eines in der EMRK ge____________________
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F.II.3.
Art 14 EMRK
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währten Grund- oder Freiheitsrechtes voraus, sie war also gleichsam der „Erschwerungsgrund“ einer Grundrechtsverletzung, die bereits unabhängig von Art 14 EMRK vorliegen musste294. Im Fall Grandrath stellte die EKMR jedoch erstmals fest, dass Art 14 EMRK gerade dann bedeutsam wird, wenn ein Grundrechtseingriff für sich genommen zulässig ist295. Dieser Ansicht schloss sich der EGMR im Belgischen Sprachenfall an296. Seither wird in ständiger Rechtsprechung der Standpunkt vertreten, dass Art 14 EMRK zwar nur in Verbindung mit den übrigen Konventionsrechten297 zur Anwendung kommen kann298, deshalb aber nicht die Verletzung eines dieser Rechte voraussetzt. Auch eine Maßnahme, die mit einem Konventionsrecht für sich genommen vereinbar ist, kann daher nach der Judikatur gegen dieses Recht iVm Art 14 EMRK verstoßen, vorausgesetzt, diese Maßnahme bezieht sich auf die Gewährleistung des Genusses eines Konventionsrechtes, fällt also in den Regelungsbereich eines solchen Rechts299, bildet eine der Modalitäten der Wahrnehmung dieses Rechts300, ist mit der Ausübung dieses Rechts verknüpft301, steht mit ihr ____________________
294 S mwN Sachs, ZÖR 1984, 335; Matscher, FS Klecatsky 630 ff; Partsch, Discrimination 577; Heringa/van Hoof, Discrimination 1028. 295 EKMR 23.4.1965, Grandrath, Appl 2299/64 = Yb 10, 1967, 626 ff, 680. 296 EGMR 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, 33, Z 9 = EuGRZ 1975, 298. 297 Damit sind nicht nur die in der EMRK, sondern auch die in den ZP garantierten Rechte gemeint; s Art 5 1. ZPEMRK, Art 6 4. ZPEMRK, Art 6 6. ZPEMRK, Art 6 7. ZPEMRK sowie Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art 14 EMRK Rz 1; Uerpmann-Wittzack, Höchstpersönliche Rechte Rz 65. 298 Zutreffend meint Uerpmann-Wittzack, Höchstpersönliche Rechte Rz 65, dass diese Akzessorietät des Art 14 EMRK heute anachronistisch anmutet. Art 1 des am 4.11.2000 beschlossenen 12. ZPEMRK statuiert unter Verzicht auf eine derartige Akzessorietät, aber anknüpfend an die in Art 14 EMRK verpönten Differenzierungsmerkmale ein allgemeines Diskriminierungsverbot (s dazu Grabenwarter, EMRK § 26 Rz 22 f; Jacobs/Ovey/ White, European Convention 429 ff ). Dieses ZPEMRK ist, nachdem es von zehn Mitgliedstaaten am 1. April 2005 ratifiziert wurde, völkerrechtlich bereits in Kraft getreten (Art 5 12. ZPEMRK). Österreich hat es zwar unterzeichnet, bislang aber noch nicht ratifiziert; s aber die diesbezüglich im NR eingebrachten Entschließungsanträge 566/A(E) 22. GP und 91/A(E) 23. GP. Zu den vorangehenden Bemühungen, ein allgemeines Gleichheitsgebot in die Konvention aufzunehmen, s Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art 14 EMRK Rz 1; König/Peters, Diskriminierungsverbot Rz 5 f. 299 S zB EGMR 28.5.1985, Abdulaziz ua, Serie A 94, Z 71 = EuGRZ 1985, 567; 28.10. 1987, Inze, Serie A 126, Z 36 = ÖJZ 1988, 177; 18.7.1994, Schmidt, Serie A 291-B, Z 22 = EuGRZ 1995, 392; 27.3.1998, Petrovic, RJD 1998-II, Z 22 = ÖJZ 1998, 516; 16.9.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, Z 36 = ÖJZ 1996, 995; 21.2.1997, van Raalte, RJD 1997-I, Z 33 = ÖJZ 1998, 117; 12.7.2001, Prinz Hans-Adam II von und zu Liechtenstein, Appl 42527/98, Z 91 = EuGRZ 2001, 466; 6.12.2001, Petersen, Appl 31178/96 = EuGRZ 2002, 32 (36); 26.2.2002, Fretté, RJD 2002-I, Z 27, 31. 300 EGMR 27.10.1975, Nationale belgische Polizeigewerkschaft, Serie A 19, Z 45 = EuGRZ 1975, 562. 301 EGMR 6.2.1976, Schmidt und Dahlström, Serie A 21, Z 39 = EuGRZ 1976, 68.
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Gleichheit und Freiheit
in Zusammenhang302, oder wirkt sich auf die Art und Weise der Ausübung eines Konventionsrechts aus303. Bejaht wird die Anwendbarkeit des Art 14 EMRK in diesem Sinn zunächst, wenn ein Eingriff in ein Freiheitsrecht vorliegt. Widerspricht dieser Eingriff allerdings schon dem Freiheitsrecht selbst, dann sieht der EGMR ein Eingehen auf Art 14 EMRK oft nicht mehr als erforderlich an304. Es kann aber auch umgekehrt vorkommen, dass zuerst eine Verletzung des Art 14 iVm einem anderen Konventionsrecht konstatiert und dann eine Prüfung, ob das Konventionsrecht auch für sich genommen verletzt ist, als entbehrlich abgelehnt wird305. Jeweils eigens geprüft wurde Art 14 EMRK und das betroffene Konventionsrecht etwa im Fall Marckx, als eine belgi____________________
302 EGMR, 6.2.1976, Schwedischer Lokomotivführerverband, Serie A 20, Z 45 = EuGRZ 1976, 62. 303 EGMR 8.6.1976, Engel, Serie A 22, Z 72 = EuGRZ 1976, 221. 304 S zB das Urteil EGMR 22.10.1981, Dudgeon, Serie A 45, Z 64 ff = EuGRZ 1983, 488, in dem der EGMR die Strafbarkeit männlicher Homosexualität zwar als unvereinbar mit Art 8 EMRK qualifizierte, es aber für überflüssig hielt zu prüfen, ob diese Regelung diskriminierend ist, weil in anderen Teilen Großbritanniens mildere Regelungen gelten bzw weil weibliche Homosexualität und Heterosexualität straflos sind (s allerdings die abweichenden Meinungen der Richter Evrigenis, García de Enterría, Matscher). Keine Prüfung an Art 14 EMRK nahm der EGMR auch bei einem Scheidungsverbot vor, das er im Lichte des Art 8 EMRK als konventionswidrig befunden hatte (EGMR 18.12.1986, Johnston, Serie A 112, Z 70 ff = EuGRZ 1987, 313); ebenso wenig bei einer Regelung, die einem behinderten 16-jährigen Mädchen in Widerspruch zu Art 8 EMRK nicht zugestand, selbst oder vertreten durch seinen Vater wirksame Strafanzeige wegen eines Sexualdeliktes zu erstatten (EGMR 26.3.1985, X und Y, Serie A 91, Z 31 = EuGRZ 1985, 297); weiters bei einem Ausreiseverbot, das Frauen an der Vornahme eines Schwangerschaftsabbruches hindern sollte (EGMR 29.10.1992, Open Door and Dublin Well Woman, Serie A 246-A, Z 83 = EuGRZ 1992, 484); bei einer Regelung, nach der eine verheiratete Frau ihr Kind nur dann für unehelich erklären konnte, wenn sie den (biologischen) Vater des Kindes heiratet, während eine gleichartige Bedingung für den Ehemann nicht galt. Der EGMR sah darin eine Verletzung des Art 8 EMRK, weil dem biologischen Vater die Feststellung der Vaterschaft verwehrt bleibt, solange er die Kindesmutter nicht heiratet; er sah aber keinen Anlass, darüber hinaus zu prüfen, ob die verheiratete Frau durch das Heiratserfordernis im Verhältnis zum Ehemann diskriminiert wurde (EGMR 27.10.1994, Kroon ua, Serie A 297-C, Z 41 f = HRLJ 1995, 42; kritisch Wittinger, EuGRZ 2001, 274). Nicht geprüft wurde Art 14 EMRK auch, als die Verletzung eines Homosexuellen in seinen durch Art 8 EMRK garantierten Rechten festgestellt worden war (EGMR 27.9.1999, Lustig-Prean und Beckett, Appl 31417/96 und 32377/96, Z 106 ff ) und als eine Verletzung des durch Art 3 1. ZPEMRK statuierten Rechts auf freie Wahlen konstatiert wurde, weil das Vereinigte Königreich die Bewohner Gibraltars vom Wahlrecht für das Europäische Parlament ausgeschlossen hatte (EGMR 18.2.1999, Matthews, RJD 1999-I, Z 68 = EuGRZ 1999, 200); s weiters EGMR 27.9. 1999, Smith und Grady, RJD 1999-VI, Z 115 f = NJW 2000, 2089; 28.10.1999, Wille, RJD 1999-VII, Z 81 = EuGRZ 2001, 475. Kritisch Heringa/van Hoof, Discrimination 1032 ff; Wittinger, EuGRZ 2001, 274 f; s auch Jacobs/Ovey/White, European Convention 420 ff. 305 S zB EGMR 22.2.1994, Burghartz, Serie A 280-B, Z 30 = RUDH 1994, 27 = ÖJZ 1994, 64; 16.9.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, Z 57 = ÖJZ 1996, 995; s auch Grabenwarter, EMRK § 26 Rz 18.
Art 14 EMRK
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sche Regelung für die Zuerkennung eines Verwandtschaftsverhältnisses zwischen der Mutter und ihrem unehelichen Kind die Anerkennung durch die Mutter oder eine gerichtliche Feststellung der Mutterschaft verlangte. Diese Bestimmung war nach Ansicht des EGMR unvereinbar mit Art 8 EMRK, zugleich verletzte die Differenzierung nach dem Kriterium der ehelichen Geburt aber auch Art 8 iVm Art 14 EMRK306. Anwendbar ist Art 14 EMRK nach der Judikatur ferner, wenn eine Maßnahme in ein Konventionsrecht zwar eingreift, dieses aber nicht verletzt. Diese Maßnahme kann dann zwar auch mit Art 14 EMRK vereinbar sein307; die Prüfung am Freiheitsrecht und an Art 14 EMRK kann aber auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen: Dass das Kärntner AnerbenG für die gesetzliche Erbfolge eine richterliche Festsetzung des Erben unter Bevorzugung der ehelichen vor den unehelichen Kindern vorsah, war zwar vereinbar mit Art 1 1. ZPEMRK, verletzte aber diese Bestimmung iVm Art 14 EMRK308. Ebenso sah der EGMR in der Beschränkung des testamentarischen Verfügungsrechts der Mutter zugunsten ihres unehelichen Kindes bloß eine Verletzung der Rechte der Mutter nach Art 1 1. ZPEMRK iVm Art 14 EMRK sowie der Rechte des Kindes nach Art 8 EMRK iVm Art 14 EMRK309; eine Verletzung des Art 1 1. ZPEMRK bzw des Art 8 EMRK für sich genommen konstatierte der Gerichtshof nicht310. Anwendbar ist Art 14 EMRK auch, wenn der Personenkreis, den ein – an sich zulässiger – Eingriff trifft, diskriminierend abgegrenzt ist oder sein könnte, so etwa, wenn je nach Dienstrang verschiedene Haftmodalitäten vorgesehen werden311, wenn eine Regelung nur bestimmte Personengruppen zur Verrichtung von Arbeiten iSd Art 4 Abs 3 EMRK verpflichtet312 oder von einer mit Art 1 1. ZPEMRK vereinbaren Beitrags____________________
306 EGMR 13.6.1979, Marckx, Serie A 31, Z 38 ff = EuGRZ 1979, 454 (456 f ). Weitere Bsp bei Grabenwarter, EMRK § 26 Rz 18. 307 So etwa, als ein als pornographisch gewertetes Schulbuch beschlagnahmt wurde (EGMR 7.12.1976, Handyside, Serie A 24, Z 65 ff = EuGRZ 1977, 38), und auch, als die Veröffentlichung eines Zeitungsartikels mit der Begründung verboten wurde, er beeinflusse ein schwebendes Gerichtsverfahren (EGMR 26.4.1979, Sunday Times, Serie A 30, Z 69 ff = EuGRZ 1979, 386 = JuS 1980, 523). Beide Maßnahmen stellten nach Ansicht des EGMR einen unbedenklichen Eingriff in die durch Art 10 EMRK garantierte Meinungsfreiheit dar, konnten aber gerade wegen dieser Eingriffsqualität auch auf ihre Vereinbarkeit mit Art 14 EMRK geprüft werden, die dann allerdings in beiden Fällen bejaht wurde. 308 EGMR 28.10.1987, Inze, Serie A 126, Z 36 ff = ÖJZ 1988, 177. 309 EGMR 13.6.1979, Marckx, Serie A 31, Z 36 f, 43 = EuGRZ 1979, 454. 310 S auch Villiger, Handbuch Rz 660; Grabenwarter, EMRK § 26 Rz 3. 311 EGMR 8.6.1976, Engel, Serie A 22, Z 70 ff = EuGRZ 1976, 221. 312 EKMR 22.3.1972 und 14.7.1972, Gusenbauer, Appl 4897/71 und 5219/71 = Yb 15, 1972, 448, 558; s auch das Urteil des EGMR 18.7.1994, Schmidt, Serie A 291-B, Z 24 ff = EuGRZ 1995, 392 (mit Anm Bleckmann), betreffend eine Regelung, die nur Männer,
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Gleichheit und Freiheit
pflicht zu einem Kinderversorgungsfonds befreit313, oder wenn nur einer bestimmten Religionsgemeinschaft verboten würde, die Kirchenglocken zu läuten314. Auch in Fällen, in denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung des Art 1 1. ZPEMRK wenig effizient ist315, kommt Art 14 EMRK zum Tragen, etwa dann, wenn einer Personengruppe aus budgetären Erwägungen der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung verwehrt wird316. Art 14 EMRK kann aber auch zur Anwendung kommen, wenn ein Eingriff in ein anderes Konventionsrecht nicht vorliegt317, sondern bloß eine mittelbare Beeinträchtigung dieses Rechts, die unterhalb der Eingriffsschwelle liegt. So wurde ein Widerspruch zu Art 8 und Art 2 1. ZPEMRK iVm Art 14 EMRK darin gesehen, dass das belgische Recht in Zonen mit flämischsprechender Mehrheit die flämische Sprache an Schulen bevorzugte und die Anerkennung von Zeugnissen, die an französischsprachigen Schulen erworben worden sind, erschwerte318. Der EGMR stellte fest, dass das in Art 2 1. ZPEMRK garantierte Recht auf Bildung zwar nicht vorgebe, in welcher Sprache eine Schulausbildung zu erfolgen hat; dieses Recht sei aber bedeutungslos, wenn es nicht auch den Anspruch auf Unterricht in der Landessprache oder in einer der Landessprachen beinhalte. Auch Art 8 EMRK gewähre zwar weder dem Kind ein Recht auf Bildung noch den Eltern ein Recht auf Ausbildung ihrer Kinder; dennoch könn____________________
nicht auch Frauen zum Dienst bei der Feuerwehr bzw abschlagshalber zur Zahlung einer Feuerwehrabgabe verpflichtete. Der EGMR rückte diese Abgabe in die Nähe der „normalen Bürgerpflichten“, die nach Art 4 Abs 3 lit d EMRK nicht als „Zwangs- und Pflichtarbeit“ iSd Art 4 Abs 2 EMRK gelten, folgerte daraus allerdings nicht, dass die Pflicht, eine Feuerwehrabgabe zu entrichten, vom Regelungsbereich der Konvention ausgenommen sei. Er nahm vielmehr an, der Ausnahmekatalog des Art 4 Abs 3 EMRK schränke das in Art 4 Abs 2 EMRK statuierte Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit nicht ein, sondern lege mit ihm gemeinsam fest, was als Zwangs- und Pflichtarbeit gelte. Art 14 EMRK sei daher anwendbar. Etwas unprätentiöser hätte sich die Anwendung des Art 14 EMRK wohl begründen lassen, wenn man in der Feuerwehrabgabe einen Eingriff in Art 1 1. ZPEMRK gesehen hätte. Dass Art 1 Abs 1 1. ZPEMRK in keiner Weise das Recht der Konventionsstaaten beeinträchtigt, diejenigen Gesetze anzuwenden, die sie zur Sicherung der Zahlung der Steuern und sonstiger Abgaben für erforderlich halten, ändert nichts daran, dass auch Abgaben dem Schutzbereich des Art 1 1. ZPEMRK unterfallen, s mwN Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art 1 1. ZPEMRK Rz 102 ff. 313 EGMR 21.2.1997, van Raalte, RJD 1997-I, Z 33 ff = ÖJZ 1998, 117; s auch EGMR 4.6.2002, Wessels-Bergervoet, Appl 34462/97, Z 43 (Pensionsberechtigung); 11.6.2002, Willis, Appl 36042/97, Z 39 ff (Witwenbeihilfe). 314 S schon Berka, Grundrechte Rz 1009. 315 F.II.5. 316 EGMR 16.9.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, Z 41 = ÖJZ 1996, 995; s zur missglückten Sanierung der beanstandeten Regelung Muzak, ZAS 1998, 38 ff, sowie VfSlg 15.129/ 1998 und 15.506/1999. 317 EGMR 27.6.2000, Cha’are Shalom Ve Tsedek, RJD 2000-VII, Z 86 f = RUDH 2000, 247 = ÖJZ 2001, 774. 318 EGMR 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, Z 9 = EuGRZ 1975, 298.
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ten Maßnahmen im Bereich des Bildungswesens das in Art 8 EMRK garantierte Recht beeinträchtigen, nämlich dann, wenn sie auf eine Störung des Privat- und Familienlebens gerichtet seien. Hier wie dort genügten dem EGMR diese, allenfalls mittelbaren Beeinträchtigungen des Art 2 1. ZPEMRK und Art 8 EMRK, um Art 14 EMRK zur Anwendung zu bringen und dessen Verletzung iVm den genannten Rechten zu konstatieren. Auch dort, wo der Gesetzgeber, ohne hiezu durch die Konvention verpflichtet zu sein, Leistungen gewährt, die den Schutzbereich eines Grundrechts berühren, liegen nicht etwa „freiwillige Zuwendungen“ vor, die keine konventionsrechtlich geschützte Rechtsposition verleihen319; vielmehr kann auch in solchen Fällen Art 14 EMRK zur Anwendung kommen. So begründet etwa das Recht auf Bildung (Art 2 1. ZPEMRK) keinen Anspruch auf die Einrichtung bestimmter Lehranstalten; ebenso wenig verpflichtet Art 6 EMRK die Vertragsstaaten zur Eröffnung eines mehrstufigen Instanzenzuges. Wenn sich ein Staat aber dazu entschließt, derartige Lehranstalten bzw Instanzen einzurichten, dann muss er dies ohne Diskriminierung tun320. Gleiches gilt auch, wenn ein Staat eine Einreiseerlaubnis erteilt oder Karenzurlaubsgeld gewährt: Er ist durch Art 8 EMRK zwar nicht verpflichtet, das zu tun; entschließt er sich aber zur Einräumung solcher Begünstigungen, dann kommt Art 14 EMRK zur Anwendung, wenn diese Begünstigung bestimmten Personengruppen gewährt, anderen hingegen vorenthalten wird321. Eine für Art 14 EMRK ausreichende Grundrechtsberührung liegt nach der Judikatur weiters vor, wenn geregelt wird, unter welchen Voraussetzungen ein unter Ausgestaltungsvorbehalt stehendes Grundrecht in Anspruch genommen werden kann. So garantiert etwa Art 11 EMRK nach der Ju____________________
319 So die Verantwortung der belgischen Regierung in EGMR 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, Z 9 = EuGRZ 1975, 298. 320 EGMR 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, Z 9 = EuGRZ 1975, 298. 321 EGMR 28.5.1985, Abdulaziz ua, Serie A 94, Z 82 = EuGRZ 1985, 567: Anwendbarkeit des Art 14 EMRK, wenn verheirateten Ausländerinnen, deren Ehepartner bereits im Inland leben, eine Einreiseerlaubnis erteilt wird, während verheirateten Ausländern in gleicher Situation eine Einreiseberechtigung verwehrt bleibt. Dass aus Art 8 EMRK kein Recht auf Einreise abgeleitet werden kann, steht der Anwendung des Art 14 EMRK nicht entgegen; s weiters EGMR 27.3.1998, Petrovic, RJD 1998-II, Z 26 f = ÖJZ 1998, 516: Die Gewährung von Karenzurlaubsgeld ist durch Art 8 EMRK nicht geboten; wird diese Leistung aber bloß Frauen zugebilligt, so kommt Art 14 EMRK zur Anwendung; s demgegenüber EGMR 12.7.2001, Prinz Hans-Adam II von und zu Liechtenstein, Appl 42527/ 98, Z 93 = EuGRZ 2001, 466: Unanwendbarkeit des Art 14 EMRK, wenn ein Staat Reparationsleistungen für Schäden erbringt, deren Eintritt die Konvention nicht verletzt; EGMR 6.12.2001, Petersen, Appl 31178/96 = EuGRZ 2002, 36: Unanwendbarkeit des Art 14 EMRK, wenn ein nichtehelicher Vater an der Namensänderung seines, ursprünglich den Namen der Mutter tragenden Kindes nicht beteiligt wird. Denn diese Namensänderung berühre das Familienleben zwischen dem Vater und seinem Kind nicht.
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dikatur ua das Recht der Gewerkschaften, die beruflichen Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen und durch kollektive Maßnahmen zu schützen. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, diese Maßnahmen durchzuführen und zu entwickeln. Sie genießen bei der Wahl der zweckentsprechenden Mittel zwar einen Gestaltungsspielraum; seine Inanspruchnahme muss dann aber im Rahmen des Art 14 EMRK erfolgen322. Nicht nur bei Grundrechten unter Gesetzesvorbehalt, auch bei vorbehaltlos gewährleisteten Rechten lässt sich ein zureichender Zusammenhang für die Anwendung des Art 14 EMRK finden, hier allerdings, da ein „Eingriff“ im technischen Sinn nicht möglich ist, auf der Ebene des Tatbestandes. In diesem Sinn hat die Judikatur auch das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art 3 EMRK) in Verbindung mit Art 14 EMRK gebracht, weil eine bestimmte Behandlung gerade durch ihren diskriminierenden Charakter unmenschlich oder erniedrigend iSd Art 3 EMRK werden könne323. Art 14 EMRK kann nach der Judikatur also sowohl bei vorbehaltlosen als auch bei Grundrechten angewendet werden, die unter Eingriffsoder Ausgestaltungsvorbehalt stehen. Die Verletzung eines solchen Rechts ist nicht erforderlich, Art 14 EMRK kann vielmehr auch auf verhältnismäßige Eingriffe angewendet werden, ebenso dann, wenn die Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Freiheitsrechts ineffizient bleibt, wenn eine Beeinträchtigung unterhalb der Eingriffsschwelle liegt, ein Konventionsrecht nur ausgestaltet wird oder wenn im Regelungsbereich eines Konventionsrechts staatliche Leistungen erbracht werden, die durch die Konvention zwar nicht geboten, aber ungleichmäßig verteilt worden sind. Art 14 EMRK findet mithin in allen Konstellationen Anwendung, in denen, wie ____________________
322 EGMR 27.10.1975, Nationale belgische Polizeigewerkschaft, Serie A 19, Z 44 = EuGRZ 1975, 562; 6.2.1976, Schwedischer Lokomotivführerverband, Serie A 20, Z 45 ff = EuGRZ 1976, 62; 6.2.1976, Schmidt und Dahlström, Serie A 21, Z 39 ff = EuGRZ 1976, 68. 323 EGMR 28.5.1985, Abdulaziz ua, Serie A 94, Z 90 = EuGRZ 1985, 567; s auch EGMR 25.4.1978, Tyrer, Serie A 26, Z 41 f = EuGRZ 1979, 162; EKMR 14.12.1973, Ostafrikanische Asiaten, DR 78, 5, Z 208 = EuGRZ 1994, 391; 6.7.1977, Kalderas Zigeuner, DR 11, 221, Z 58; 15.5.1980, Mc Feeley ua, DR 20, 44, Z 128. In grundsätzlich gleicher Weise versteht der EGMR auch das in Art 4 EMRK aufgestellte Verbot der Pflichtund Zwangsarbeit, das nach Art 4 Abs 3 lit d EMRK „normale“ Bürgerpflichten nicht erfasst: Diskriminierende Arbeiten seien nicht „normal“ iSd Bestimmung und daher als verbotene Pflicht- und Zwangsarbeit anzusehen. Nicht diskriminierend ist es aber, wenn ein Rechtsanwaltsanwärter kostenlos als Verfahrenshilfeanwalt zur Verfügung stehen muss, diese Pflicht ist daher vereinbar mit Art 4 EMRK: EGMR 23.11.1983, van der Mussele, Serie A 70, Z 43 = EuGRZ 1985, 477; s demgegenüber die Entscheidung EGMR 18.7.1994, Schmidt, Serie A 291-B, Z 28 = EuGRZ 1995, 392 (mit Anm Bleckmann), in der die nur Männern auferlegte Pflicht, Feuerwehrdienste zu leisten oder eine Abschlagszahlung zu erbringen, als Verletzung des Art 4 Abs 3 lit c iVm Art 14 EMRK angesehen wurde.
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gezeigt324, auch dem allgemeinen Gleichheitssatz selbständige Bedeutung neben den Freiheitsrechten zukommt. bb. Differenzierungskriterien Anders als der allgemeine Gleichheitssatz wendet sich Art 14 EMRK allerdings nur gegen Benachteiligungen, die „insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist.“ Durch das Kriterium des „sonstigen Status“ („other status“, „autre situation“) öffnet sich Art 14 EMRK auch für Unterscheidungen nach personenbezogenen Eigenschaften wie der sexuellen Ausrichtung325, dem Alter326, dem Wohnsitz327, dem Beruf bzw der Beschäftigung328, dem Dienstgrad329 oder den Eigentumsverhältnissen330. Kein Anwendungsfall des Art 14 EMRK lag nach Ansicht des EGMR hingegen vor, als eine dänische Regelung Schulkinder zwar zur Teilnahme am Sexualkundeunterricht verpflichtete, nicht aber zum Besuch des Religionsunterrichtes. Diese Ungleichbehandlung richtete sich, wie der EGMR feststellte, nicht gegen einen bestimmten Personenkreis und war daher von Art 14 EMRK nicht erfasst331. ____________________
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F.II.3.-F.II.7. ZB EGMR 26.2.2002, Fretté, RJD 2002-I, Z 32. 326 EKMR 13.10.1986, Nelson, Appl 11077/84: Differenzierung zwischen jugendlichen und erwachsenen Straftätern. 327 ZB EGMR 23.10.1990, Darby, Serie A 187, Z 32 = EuGRZ 1990, 504: steuerrechtliche Differenzierung zwischen Staatsbürgern, je nachdem, ob sie im Inland oder im Ausland leben. 328 EKMR Appl 6163/73, DR 1, 60: Ungleichbehandlung zwischen Selbständigen und Unselbständigen im Einkommensteuerrecht; EKMR Appl 7995/77, DR 15, 198: Ungleichbehandlung zwischen Selbständigen und Unselbständigen bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge. 329 EGMR 8.6.1976, Engel, Serie A 22, Z 39, 73 und 92 = EuGRZ 1976, 221: Differenzierung zwischen Soldaten und Offizieren hinsichtlich der Gerichtsbarkeit; s auch EKMR 12.5.1986, C., Appl 10427/83: Auslieferung eines Deserteurs. 330 EGMR 8.7.1986, Lithgow, Serie A 102, Z 189 = EuGRZ 1988, 350: Differenzierung zwischen Eigentümern, die durch eine individuelle Maßnahme enteignet werden und Unternehmern oder Anteilseignern, die eine Nationalisierungsmaßnahme trifft; EKMR 3.10. 1979, Appl 8003/77, X, DR 17, 80: Differenzierung zwischen Wohnungseigentümern und untervermietenden Mietern hinsichtlich der Bindung an Mietpreisregelungen. 331 EGMR 7.12.1976, Kjeldsen ua, Serie A 23, Z 56 = EuGRZ 1976, 478. In gleicher Weise verneinte die EKMR die Anwendbarkeit des Art 14 EMRK auch bei einer steuerlichen Differenzierung von Grundbesitz je nach Lage der Liegenschaft (EKMR 11.7.1988, P., Appl 13473/87) und bei einer Ungleichbehandlung von Wohnungseigentum je nach der Nutzungsdauer pro Jahr (EKMR 9.5.1989, A.K., Appl 13943/88). 325
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cc. Vergleichbarkeit Eine Verletzung des Art 14 EMRK setzt nach der Judikatur zunächst voraus, dass sich die ungleich behandelten Personen überhaupt in einer „vergleichbaren“ Situation befinden; den Nachweis dafür hat nach Ansicht des EGMR der Beschwerdeführer zu erbringen332. In der Praxis wird die Vergleichbarkeit regelmäßig bejaht, wenn eine Vorschrift nach einem in Art 14 EMRK ausdrücklich genannten Differenzierungsmerkmal unterscheidet333, nur ausnahmsweise fehlt es diesfalls an der Vergleichbarkeit, etwa dann, wenn ein Staat Fremde und eigene Staatsangehörige in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht ungleich behandelt: Die Zulässigkeit einer solchen Differenzierung ergibt sich bereits aus Art 3 4. ZPEMRK, der Staatsangehörigen – und nur ihnen – ein Recht auf Aufenthalt in ihrem Heimatstaat einräumt und sie vorbehaltlos vor einer Ausweisung aus diesem Staat schützt. In Ansehung dieser Spezialgarantie ist ein ausländischer Straftäter im Fall seiner Ausweisung nicht vergleichbar mit einem Straftäter, der die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates besitzt334. Differenziert ein Staat nicht nach einem in Art 14 EMRK ausdrücklich genannten Kriterium, so beurteilt die Judikatur die Vergleichbarkeit von Fall zu Fall verschieden335. Wird sie verneint, dann liegt darin der Sache nach der ____________________
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EGMR 18.2.1991, Fredin, Serie A 192, Z 61 = ÖJZ 1991, 514. ZB EGMR 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, Z 9 = EuGRZ 1975, 298 (Sprache); EKMR 5.7.1983, Appl 8877/79, Z 70; EGMR 28.11.1984, Rasmussen, Serie A 87, Z 37 = EuGRZ 1985, 511; 28.5.1985, Abdulaziz ua, Serie A 94, Z 70 = EuGRZ 1985, 567 (Geschlecht); EKMR 1.12.1986, Appl 11595/85, DR 51, 160 (sonstige Anschauung); s auch die Beispiele bei Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art 14 EMRK Rz 20. 334 EGMR 4.10.2001, Adam, Appl 43359/98 = EuGRZ 2001, 582 (584); s schon zuvor EGMR 18.2. 1991, Moustaquim, Serie A 193, Z 49 = EuGRZ 1993, 552. 335 Bejaht hat der EGMR etwa die Vergleichbarkeit, als im Inland lebende Staatsangehörige steuerrechtlich anders behandelt wurden als Staatsangehörige, die im Inland steuerbares Einkommen erzielen, aber im Ausland leben: EGMR 23.10.1990, Darby, Serie A 187, Z 32 = EuGRZ 1990, 504. Verneint wurde die Vergleichbarkeit hingegen bei einer irischen Regelung, die im Inland ansässigen Ehepaaren die Möglichkeit der Scheidung verwehrte, aber die im Ausland ausgesprochene Scheidung eines im Ausland lebenden Ehepaares akzeptierte: EGMR 18.12.1986, Johnston, Serie A 112, Z 70 ff = EuGRZ 1987, 313. In beiden Fällen wurde auch nach dem Wohnsitz der Betroffenen differenziert, freilich in unterschiedlichen Materien und auf ganz verschiedene Weise, was auch der Grund für die jeweils andere Beurteilung der Vergleichbarkeit gewesen sein dürfte. Verneint wurde auch die Vergleichbarkeit zwischen Rechtsanwälten einerseits und anderen freien Berufen sowie Justizbeamten andererseits hinsichtlich der Pflicht, kostenlos die Vertretung in einer Verfahrenshilfeangelegenheit zu übernehmen: EGMR 23.11.1983, van der Mussele, Serie A 70, Z 46 = EuGRZ 1985, 477; ebenso zwischen der Presse, der die Berichterstattung über einen anhängigen Schadenersatzprozess verboten wurde und dem Parlament, dem eine Debatte über einen solchen Prozess erlaubt war und dessen Beratungsprotokolle dann veröffentlicht werden durften: EGMR 26.4.1979, Sunday Times, Serie A 30, Z 72 = EuGRZ 1979, 386 = JuS 1980, 523; nicht vergleichbar waren auch die steuerlichen Vorteile der 333
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Befund, dass die inkriminierte Ungleichbehandlung nicht zu beanstanden ist, weil zwischen den Vergleichsgruppen relevante Gemeinsamkeiten fehlen oder offensichtlich wesentliche Unterschiede bestehen. Besonders deutlich wird dies in dem erwähnten Fall der Ungleichbehandlung ausländischer und inländischer Straftäter: Da Art 3 4. ZPEMRK Staatsangehörige in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht besser stellt als Fremde, begründet er zwischen ihnen einen wesentlichen Unterschied, der es den Vertragsstaaten erlaubt, nur ausländische Straftäter auszuweisen. dd. Rechtfertigung Fehlt es nicht an wesentlichen Gemeinsamkeiten zwischen den Vergleichsgruppen und lässt sich eine Differenzierung auch nicht – gleichsam im kurzen Weg – durch offenkundige Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen rechtfertigen, so wird näher geprüft, ob der Tatbestand der Diskriminierung verwirklicht ist. Der dabei anzulegende Prüfungsmaßstab hat sich im Verlauf der Judikatur gewandelt. Im Belgischen Sprachenfall stellte der EGMR explizit fest, dass Art 14 EMRK Differenzierungen nach den dort genannten Merkmalen nicht absolut verbiete. Ein solches Verbot würde zu absurden Ergebnissen führen; zudem verbiete der englische Wortlaut des Art 14 EMRK auch gar nicht die Ungleichbehandlung, sondern nur eine „discrimination“ aufgrund dieser Merkmale. Schließlich werde auch der allgemeine Gleichheitssatz in vielen demokratischen Staaten nicht als ein absolutes Ungleichbehandlungsverbot verstanden. Eine Verletzung des Art 14 EMRK liege daher nur vor, wenn eine Unterscheidung keinen objektiven und angemessenen Rechtfertigungsgrund hat oder wenn die eingesetzten Mittel offensichtlich in einem Missverhältnis zum angestrebten Ziel stehen336. Der EGMR schien in Art 14 EMRK also – nicht anders als viele nationale Gerichte im allgemeinen Gleichheitssatz – ein Willkürverbot zu sehen337. Eine erste, wenngleich nicht offen gelegte338 Änderung dieses Prüfungsmaßstabes nahm der EGMR sodann im Fall Marckx vor: Er qualifizierte in diesem Urteil eine Differenzierung nach dem Kriterium der ehelichen Geburt schlechthin als unzulässig, ohne zu prüfen, ob zwischen ehelichen und unehelichen Kindern im konkreten Fall wesentliche Unterschiede bestehen, und auch, ohne festzustellen, ob die Benachteiligung unehelicher ____________________
katholischen Kirche gegenüber anderen Kirchen aufgrund eines Konkordates mit dem Heiligen Stuhl: EKMR, Appl 17522/90, DR 72, 256; weitere Beispiele bei Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art 14 EMRK Rz 21; s auch Reid, A Practitioner’s Guide, 260 f. 336 EGMR 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6 = EuGRZ 1975, 298. 337 S auch Sachs, ZÖR 1984, 336 ff. 338 Kritisch dazu Sachs, ZÖR 1984, 356 ff.
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Kinder in einem offensichtlichen Missverhältnis steht zu dem – vom EGMR selbst gebilligten – Regelungsziel, die überkommene eheliche Familie zu fördern339. Der strenge Prüfungsmaßstab, den der EGMR in diesem Urteil anlegte, führte zwar zunächst nicht zu einer geänderten Erläuterung des Art 14 EMRK, insbesondere hat der EGMR nie angenommen, dass diese Vorschrift Unterscheidungen nach bestimmten Merkmalen ausnahmslos ausschließe. Die jüngere Judikatur bejaht aber eine Diskriminierung – im Ton etwas strenger – schon dann, wenn es für eine Ungleichbehandlung keine objektive und angemessene Rechtfertigung gibt, dh, wenn mit ihr kein legitimes Ziel verfolgt wird340 oder wenn die eingesetzten Mittel zum angestrebten Ziel nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen341. Bei der Beurteilung der Frage, ob und inwieweit Unterschiede in ansonsten ähnlichen Situationen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, kommt den Vertragsstaaten ein Ermessensspielraum zu342. Maßgeblich ist für die Frage der Rechtfertigung auch, ob sich für eine Differenzierung ein einheitlicher europäischer Standard feststellen lässt: Eine Abweichung von diesem Standard kann die Anforderungen an die Rechtfertigung erhöhen, sein Fehlen erweitert umgekehrt den Gestaltungsspielraum der Vertragsstaaten343. ____________________
339 EGMR 13.6.1979, Marckx, Serie A 31, Z 33, 38 ff = EuGRZ 1979, 454 (456 f ); s die Analyse dieser Entscheidung bei Sachs, ZÖR 1984, 356 ff. 340 Das Vorliegen eines legitimen Zieles verneinte der EGMR etwa, als Zypern dem Mieter eines im Staatseigentum befindlichen Einfamilienhauses ohne weitere Begründung einen Räumungsbefehl erteilte und ihm damit jenen Mieterschutz verwehrte, der anderen Mietern gesetzlich gewährt war. Da die Regierung keinerlei überzeugende Begründung dafür liefern konnte, wie dem Gemeinwohl durch die Entfernung des Beschwerdeführers gedient werden sollte, verletzte die inkriminierte Maßnahme Art 8 iVm Art 14 EMRK: EGMR 18.2.1999, Larkos, Appl 29515/95, Z 31 f = EuGRZ 1999, 216. Keinem legitimen Ziel diente auch der Ausschluss ausländischer Arbeitnehmer vom Anspruch auf Notstandshilfe: EGMR 16.9.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, Z 46 ff = ÖJZ 1996, 955; weitere Beispiele bei Grabenwarter, EMRK § 26 Rz 11. 341 S zB EGMR 28.11.1984, Rasmussen, Serie A 87, Z 38 ff = EuGRZ 1985, 511; 28.5. 1985, Abdulaziz ua, Serie A 94, Z 72 = EuGRZ 1985, 567; 18.7.1994, Schmidt, Serie A 291-B, Z 24 = EuGRZ 1995, 392; 21.2.1997, van Raalte, RJD 1997-I, Z 39 = ÖJZ 1998, 117; 27.3.1998, Petrovic, RJD 1998-II, Z 30 = ÖJZ 1998, 516; 26.2.2002, Fretté, RJD 2002-I, Z 34; 8.7.2003, Sahin, Appl 30943/96, Z 93 = EuGRZ 2004, 707; 8.7.2003, Sommerfeld, Appl 31871/96, Z 92 = EuGRZ 2004, 711; s auch die Nachweise bei Grabenwarter, EMRK § 26 Rz 12. 342 S zB EGMR 27.3.1998, Petrovic, RJD 1998-II, Z 38 = ÖJZ 1998, 516; 3.10.2000, Camp und Bourimi, Appl 28369/95, Z 37 = ECHR 2000-X; 8.7.2003, Sahin, Appl 30943/ 96, Z 93 = EuGRZ 2004, 707; 8.7.2003, Sommerfeld, Appl 31871/96, Z 92 = EuGRZ 2004, 711. 343 S für das Fehlen eines einheitlichen Standards einerseits EGMR 27.3.1998, Petrovic, RJD 1998-II, Z 38 ff = ÖJZ 1998, 516 (Karenzurlaubsgeld nur für Frauen), sowie EGMR 26.2.2002, Fretté, RJD 2002-I, Z 40 ff (keine Adoption durch homosexuelle Paare), andererseits das Urteil EGMR 13.6.1979, Marckx, Serie A 31 = EuGRZ 1979, 454 betreffend
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Für manche der in Art 14 EMRK genannten Differenzierungsmerkmale verlangt die Judikatur überdies besonders triftige Gründe; Unterscheidungen nach diesen Merkmalen scheinen grundsätzlich suspekt, also mit dem Verdacht der Unzulässigkeit belastet zu sein, sodass der Rechtsunterworfene ein Prima-facie-Recht hat, nicht aufgrund eines solchen Merkmales benachteiligt zu werden: In diesem Sinn nimmt der EGMR etwa an, dass eine Ungleichbehandlung nach dem Kriterium der ehelichen Geburt mit Art 14 EMRK nur dann vereinbar ist, wenn für sie sehr schwerwiegende Gründe vorgetragen werden344. Unzulässig ist eine Differenzierung nach diesem Merkmal daher, wenn sie zur Erreichung des Regelungszieles nicht erforderlich ist345, dann aber auch, wenn sie nur auf Verallgemeinerungen und Durchschnittsbetrachtungen beruht346: Die Benachteiligung unehelicher Kinder im Anerbenrecht konnte daher nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, dass uneheliche Kinder üblicherweise nicht am Hof aufwachsen und dass regelmäßig der überlebende Ehegatte berechtigt ist, am Hof zu bleiben; denn dieses Argument beruht, wie der EGMR feststellte, auf allgemeinen und abstrakten Überlegungen, die die wirkliche Situation manchmal (wie auch im konkreten Beschwerdefall) nicht richtig wiedergeben347. Auch die Annahme, dass Väter nichtehelicher Kinder oftmals kein Interesse an Kontakten mit ihren Kindern hätten und eine nichteheliche Lebensgemeinschaft jederzeit verlassen können, war nach Ansicht des EGMR kein ausreichender Grund, nichtehelichen Vätern anders als geschiedenen Vätern die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass der Umgang mit ihrem Kind dem Wohl des Kindes entspricht348, zumal gerade die konkreten Beschwerdeführer – anders als angeblich die ____________________
eine Regelung, nach der ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen Mutter und unehelichem Kind erst entstand, wenn die Mutter das Kind anerkannte oder die Mutterschaft gerichtlich festgestellt wurde: Dies entsprach nicht mehr dem europäischen Standard für Differenzierungen nach der ehelichen Geburt und verletzte daher Art 14 EMRK. 344 S zB EGMR 3.10.2000, Camp und Bourimi, Appl 28369/95, Z 38 = ECHR 2000X; 8.7.2003, Sahin, Appl 30943/96, Z 94 = EuGRZ 2004, 710; 8.7.2003, Sommerfeld, Appl 31871/96, Z 93 = EuGRZ 2004, 711. 345 S EGMR 28.10.1987, Inze, Serie A 126, Z 44 = ÖJZ 1988, 177; s auch Stolzlechner, JBl 1982, 277; s weiters EGMR 11.10.2001, Sahin, Appl 30943/96, Z 60 = EuGRZ 2002, 25, wonach das Ziel der in Frage stehenden Regelung, nämlich der Schutz der Interessen von Kindern und ihren Eltern auch ohne eine Unterscheidung aufgrund der Geburt hätte erreicht werden können; ebenso EGMR 11.10.2001, Hoffmann, Appl 34045/ 96, Z 59 f. 346 Zur Unzulässigkeit von Durchschnittsbetrachtungen und verwaltungsökonomischen Erwägungen bei suspekten, regelmäßig auf Stereotypen und Vorurteilen beruhenden Differenzierungen s schon oben E.I.4.c. 347 S EGMR 28.10.1987, Inze, Serie A 126, Z 43 = ÖJZ 1988, 177. 348 Nach § 1634 BGB erhielt der geschiedene Elternteil ein Umgangsrecht, wenn dies dem Kindeswohl nicht schadet, der uneheliche Vater nach § 1711 BGB hingegen nur, wenn dies dem Wohl des Kindes dient.
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Mehrheit unehelicher Väter – aus aufrichtigen Motiven Interesse am Kontakt mit ihrem Kind gezeigt hatten349. Triftige Gründe verlangt der EGMR auch für Differenzierungen nach dem Geschlecht 350. Während die Straßburger Organe in der älteren Judikatur an Unterscheidungen nach diesem Merkmal zum Teil durchaus milde Maßstäbe anlegten351, stellte der EGMR im Fall Abdulaziz ua erstmals fest, dass eine ausschließlich auf das Geschlecht abstellende Unterscheidung auf sehr schwerwiegenden oder gewichtigen Gründen beruhen müsse, um zulässig zu sein. Folgerichtig akzeptierte er nicht, dass ein ausländischer Ehemann zu seiner im Vereinigten Königreich ansässigen Ehefrau nur nachziehen durfte, wenn diese die britische Staatsangehörigkeit besaß und die Ehe nicht zum Schein geschlossen worden war, während ausländischen Ehefrauen der Nachzug zu ihrem Ehemann ohne das Vorliegen derartiger Bedingungen gestattet wurde. Die Regierung des Vereinigten Königreiches berief sich zur Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung auf statistische Daten, denen zufolge einwandernde Männer eher Arbeit suchten und damit Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung stärker gefährdeten als Frauen. Diese, wiederum bloß auf einer Durchschnittsbetrachtung beruhenden arbeitsmarktpolitischen Interessen begründeten ____________________
349 S EGMR 11.10.2001, Sahin, Appl 30943/96, Z 58 f = EuGRZ 2002, 25 (bestätigt durch EGMR 8.7.2003, Sahin, Appl 30943/96, Z 94 = EuGRZ 2004, 707); 11.10.2001, Sommerfeld, Appl 31871/96, Z 55 = EuGRZ 2002, 588 (bestätigt durch EGMR 8.7.2003, Sommerfeld, Appl 31871/96, Z 93 = EuGRZ 2004, 711); anders noch die Entscheidung EGMR 24.2.1995, McMichael, Serie A 307-B, Z 98 = ÖJZ 1995, 704, die es nicht als diskriminierend ansah, wenn der Vater eines unehelichen Kindes Elternrechte erst erhält, nachdem (zum Schutz des Kindes und der Mutter) die „Verdienstlichkeit“ des Vaters geprüft wird; s allerdings auch das Urteil EGMR, 13.7.2000, Elsholz, RJD 2000-VIII, Z 59 = EuGRZ 2001, 595, in dem die Anwendung des § 1711 BGB mit dem Argument gebilligt wird, sie hätte anscheinend nicht zu einer anderen Betrachtungsweise geführt als bei einem geschiedenen Paar; Unterschiede zwischen dem Fall Elsholz einerseits und den Fällen Sahin und Sommerfeld andererseits bezweifelnd die Richter Vaji³ und Pellonpää in abweichenden Stellungnahmen zu den beiden zuletzt genannten Fällen; kritisch zu diesen Entscheidungen auch Benda, EuGRZ 2002, 1. 350 S auch den Judikaturüberblick bei Wittinger, EuGRZ 2001, 272 ff; dies, Familien und Frauen 167 ff; König/Peters, Diskriminierungsverbot Rz 103 ff. 351 S etwa das Urteil EGMR 28.11.1984, Rasmussen, Serie A 87, Z 38 ff = EuGRZ 1985, 511, das nicht beanstandet, dass der Ehemann die Ehelichkeit eines Kindes unter schwereren Bedingungen anfechten kann als die Ehefrau. Begründend meinte der EGMR, eine Anfechtung der Ehelichkeit drohe regelmäßig nur von Seiten des Ehemannes; zwischen Mutter und Kind bestehe hingegen Interessenkohärenz. Die Befristung der Anfechtung für den Ehemann diene damit der Rechtssicherheit des Kindes. Diese Argumentation begründet die inkriminierte Regelung mit dem – zweifellos legitimen – Ziel, die Interessen des Kindes zu schützen. Ob es zur Erreichung dieses Zieles erforderlich war, für den Ehemann und die Ehefrau jeweils unterschiedliche Anfechtungsfristen festzusetzen, wurde allerdings nicht geprüft, ebenso wenig wurde thematisiert, dass die Annahme der nur vom Vater drohenden Anfechtungsgefahr sowie der Interessenkohärenz zwischen Mutter und Kind auf einer Durchschnittsbetrachtung beruht, die auch ein Stereotyp sein könnte.
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die geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung nach Ansicht des EGMR nicht zureichend; sie wogen offensichtlich weniger schwer als das Interesse, in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht nicht aufgrund seines Geschlechts benachteiligt zu werden352. Nicht gebilligt wurde auch, dass Frauen im Fall der Eheschließung gestattet, Männern aber verwehrt wurde, ihren Namen dem gemeinsamen Familiennamen nachzustellen: Das Argument, die Einheit der Familie müsse durch einen gemeinsamen Namen nach außen dokumentiert werden, konnte für diese Ungleichbehandlung schon deshalb nicht ins Treffen geführt werden, weil diese Form der Dokumentation durch die Doppelnamenslösung für Frauen ohnedies bereits durchbrochen worden war353; in Ansehung dieser scheinrationalen Rechtfertigung musste nicht mehr geprüft werden, ob das externe Ziel, der Allgemeinheit einen einheitlichen Familiennamen zu präsentieren, schwerer wiegt als das individuelle Interesse, den für seine Identität bedeutsamen Namen nicht bloß aufgrund seines Geschlechts aufgeben zu müssen. Keine Verhältnismäßigkeitsprüfung war auch erforderlich, als ein nationales Gericht einer Frau die Fortzahlung der Invalidenrente mit dem Argument verweigerte, sie hätte ihre Arbeit auch ohne gesundheitliche Probleme beendet; Frauen gäben nämlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung ihren Beruf nach der Geburt des ersten Kindes auf und nähmen ihn erst später wieder auf, sodass die Beschwerdeführerin nach überwiegender Wahrscheinlichkeit auch bei voller Gesundheit nur noch als Hausfrau und Mutter tätig gewesen wäre354. Geht man davon aus, dass Vorurteile eine Begründung nicht ersetzen können, dann wurde die Benachteiligung der Beschwerdeführerin schlicht grundlos vorgenommen; umso weniger waren schwerwiegende Gründe ersichtlich, die mit den individuellen Interessen der Betroffenen abzuwägen gewesen wären. Als diskriminierend wurde weiters qualifiziert, dass nur Männer mit einer Feuerwehrdienstpflicht ____________________
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EGMR 28.5.1985, Abdulaziz ua, Serie A 94, Z 79 = EuGRZ 1985, 567. EGMR 22.2.1994, Burghartz, Serie A 280-B, Z 28 = RUDH 1994, 27 = ÖJZ 1994, 64 (kritisch Hausheer, EuGRZ 1995, 579; zu diesem wiederum kritisch Villiger, Handbuch Rz 667 FN 43); s demgegenüber noch die Entscheidung der EKMR 3.5.1983, DR 32, 175 ff, nach der eine verheiratete Frau nicht erzwingen kann, dass sie in das Wählerverzeichnis allein unter ihrem ledigen Namen eingetragen wird; Wählerlisten hätten nämlich zum einen vorrangig administrative Funktion, zum Zweiten nehme die Mehrzahl der Frauen in den Niederlanden den Familiennamen ihres Mannes an. Zur mangelnden Überzeugungskraft dieser Argumentation, die stark an die des zweiten Namensrechtserkenntnisses VfSlg 13.661/1993 erinnert, s bereits oben E.I.4.c.; Gleiches gilt auch für die Entscheidung EKMR 15.12.1977, Hagmann-Hülser, DR 12, 202, die den Zwang, den Namen des Mannes als gemeinsamen Familiennamen zu führen, rechtfertigt mit dem (externen) Ziel, Dritten eine leichtere Identifikation der Familienmitglieder zu ermöglichen. Eine solche Begründung misst dem Interesse, nicht allein wegen seines Geschlechts zur Aufgabe seines Namens gezwungen zu werden, offensichtlich kein eigenständiges Gewicht bei. 354 EGMR 24.6.1993, Schuler-Zgraggen, Serie A 263 = EuGRZ 1996, 604. 353
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belastet wurden, die praktisch immer mit einer Abschlagszahlung erfüllt wurde355. Mit Art 14 EMRK unvereinbar war auch, dass sich ledige, kinderlose Frauen ab dem 45. Lebensjahr von der Pflicht befreien lassen konnten, Beiträge zu einem Fürsorgesystem für Kinder zu leisten, während ledige, kinderlose Männer ausnahmslos zur Kasse gebeten wurden. Die vom Vertragsstaat vorgebrachte Rechtfertigung, er habe die Gefühle kinderloser Frauen nicht kränken wollen, akzeptierte der EGMR zu Recht nicht356. Mildere Maßstäbe legte der EGMR hingegen im Fall Petrovic an; er tolerierte unter Hinweis auf die Rechtsordnungen der anderen Vertragsstaaten, dass Österreich Männern zwar ab 1989 ein Recht auf unbezahlten Erziehungsurlaub einräumte, ihnen aber erst seit 1990 auch ein Karenzurlaubsgeld gewährte, das Frauen schon seit langem zugebilligt wurde: Dass Männer anders als in vielen anderen Vertragsstaaten überhaupt einen Erziehungsurlaub nehmen konnten, sollte offensichtlich nicht allein deshalb zum Nachteil Österreichs ausschlagen, weil das korrespondierende Karenzurlaubsgeld erst mit einer gewissen Verzögerung eingeführt wurde357. Besonders schwerwiegende und überzeugende Gründe verlangt der EGMR in seiner jüngeren Judikatur auch für Differenzierungen nach der sexuellen Ausrichtung, jedenfalls soweit sich für derartige Differenzierun____________________
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EGMR 18.7.1994, Schmidt, Serie A 291-B, Z 27 f = EuGRZ 1995, 392. EGMR 21.2.1997, van Raalte, Serie A, Z 43 f = RJD 1997-I = ÖJZ 1998, 117. Selbst wenn der EGMR dieses Ziel als alleinige Rechtfertigung in Erwägung gezogen hätte, wäre in einer solchen Fallkonstellation kein Raum für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ieS. Denn das genannte Ziel besteht nur darin, (angeblichen) Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen Rechnung zu tragen. Zwar lässt sich diesfalls fragen, ob die Befreiung von der Beitragspflicht geeignet und erforderlich ist, um die Gefühle kinderloser Frauen zu schonen; ist das aber der Fall, dann fehlt es an einem prima facie Interesse, das mit dem Regelungsziel abgewogen werden könnte: Bestehen die behaupteten Unterschiede zwischen Frauen und Männern nämlich tatsächlich, dann ist der Verdacht widerlegt, dass die Differenzierung nach dem Geschlecht nur auf einem Vorurteil beruht. Nur ist eben dieser Verdacht, wie bereits bei Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gezeigt, kaum je widerlegbar: Die Annahme, dass die Gefühle einer kinderlosen 45-jährigen Frau gekränkt werden, wenn ihr – zusätzlich zu ihrer Kinderlosigkeit – die „emotionale Bürde von Beiträgen zu einem Fürsorgesystem für Kinder“ auferlegt wird, beruht offensichtlich auf einem Stereotyp, nämlich auf der Meinung, dass jede Frau, gleichsam einer natürlichen Bestimmung folgend, einen Kinderwunsch hat und daher unglücklich und schonungsbedürftig ist, wenn dieser Wunsch nicht erfüllt wird. Männern wird ein gleichartiger Wunsch und die aus seiner Nichterfüllung resultierende Schonungsbedürftigkeit abgesprochen. Es liegt auf der Hand, dass dies nur ein Klischee ist, besonders deutlich formuliert etwa bei Gschnitzer, 1. ÖJT II/1 (oJ) 23: „Die Frau soll empfangen, austragen, gebären; ihr obliegt die erste körperliche Pflege und Erziehung der Kinder. All das zusammen macht die zentrale Aufgabe ihres Lebens aus; es erfüllt ihr Leben.“ 357 EGMR 27.3.1998, Petrovic, RJD 1998-II, Z 41 = ÖJZ 1998, 516: „Österreich kann [...] schwerlich kritisiert werden, wenn es schrittweise entsprechend der Evolution des gesellschaftlichen Bewußtseins in diesem Bereich eine gesetzliche Regelung eingeführt hat, welche bei einer Gesamtbetrachtung als sehr fortschrittlich in Europa angesehen werden muß“; s auch Wittinger, EuGRZ 2001, 277. 356
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gen bereits ein europäischer Standard durchgesetzt hat: Diskriminierend ist es daher, einvernehmliche homosexuelle Handlungen für strafbar zu erklären bzw für sie ein höheres Schutzalter festzulegen als für heterosexuelle Handlungen358. Zulässig ist es hingegen, homosexuellen Paaren die Adoption von Kindern zu verwehren359: Zwar sei nicht erwiesen, dass es dem Kindeswohl abträglich sei, wenn ein Kind von einem homosexuellen Paar adoptiert wird; das Risiko einer Belastung des Kindes durch eine solche Situation sei aber auch nicht auszuschließen. Dem Schutz des Kindeswohls vor allfälligen Beeinträchtigungen wurde also höheres Gewicht beigemessen als dem Interesse des Homosexuellen, nicht allein aufgrund seiner sexuellen Ausrichtung von einer Adoption ausgeschlossen zu werden. Besonders schwerwiegende Gründe verlangt der EGMR schließlich auch für Ungleichbehandlungen nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit: Eine aufenthaltsrechtliche Schlechterstellung ausländischer Bürger kann zwar mittelbar durch Art 3 4. ZPEMRK begründet werden360; davon abgesehen kann sich ein Staat aber nicht auf die besondere Verantwortlichkeit seinen eigenen Bürgern gegenüber berufen, um ausländischen Arbeitnehmern sozialversicherungsrechtliche Ansprüche vorzuenthalten, die diese – nicht anders als inländische Arbeitnehmer – durch eigene Beiträge mitfinanziert und erworben haben361. In jedem dieser Fälle brachte die Prüfung am Maßstab des Art 14 EMRK einen „Mehrwert“ im Verhältnis zu einer ausschließlichen Prüfung am jeweils betroffenen Freiheitsrecht, sei es, weil ein Eingriff in dieses Recht nicht vorlag362, sei es, weil dieses Recht im Fall eines Eingriffes nicht verletzt war363, sei es auch, weil die Benachteiligung aufgrund eines ____________________
358 EGMR 22.10.1981, Dudgeon, Serie A 45, Z 52 = EuGRZ 1983, 488; 27.9.1999, Smith und Grady, RJD 1999-VI = NJW 2000, 2089; 27.9.1999, Lustig-Prean und Beckett, Appl 31417/96 und 32377/96, Z 82; 9.1.2003, S.L., Appl 45330/99, Z 35 ff; 9.1.2003, G.L. und A.V., Appl 39392/98, 39829/98, Z 46 ff. 359 EGMR 26.2.2002, Fretté, RJD 2002-I, Z 40 ff. 360 EGMR 4.10.2001, Adam, Appl 43359/98 = EuGRZ 2001, 582 (584). 361 EGMR 16.9.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, Z 42, 45, 50 = ÖJZ 1996, 955; noch weiter geht die Entscheidung EGMR 30.9.2003, Poirrez, RJD 2003-X, Z 46 = ÖJZ 2005, 587, die auch einen Anspruch auf Behindertenunterstützung, der nicht auf Beitragsleistungen des Unterstützungsempfängers beruht, als vermögenswertes Recht iSd Art 1 1. ZPEMRK qualifiziert und es folglich als diskriminierend wertet, wenn ein Staat eine solche Leistung Staatsbürgern gewährt, Fremden aber vorenthält. 362 So im Fall Abdulaziz ua (FN 352), weil aus Art 8 EMRK keine Pflicht resultiert, Fremden die Einreise zu gestatten; ebenso im Fall Petrovic (FN 357), weil der Staat durch Art 8 EMRK zur Gewährung eines Karenzurlaubsgeldes nicht verpflichtet ist. 363 So im Fall Inze (FN 308 und 347); möglicherweise auch im Fall Burghartz (FN 353) (ob das Interesse an einem einheitlichen Familiennamen weniger schwer wiegt als das durch Art 8 EMRK geschützte Interesse, seinen Namen fortzuführen, ließ der EGMR offen); ebenso im Fall Schmidt (FN 355) (für sich genommen ist die Feuerwehrabgabe mit Art 1 1. ZPEMRK wohl vereinbar); im Fall van Raalte (FN 356) (die sozialversicherungsrecht-
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der genannten Kriterien einen eigenständigen Charakter hat, der von der Verletzung des Freiheitsrechts verschieden ist: Es ist nicht dasselbe, ob einer Frau eine Invalidenpension mit der unzutreffenden Begründung aberkannt wird, sie sei nicht invalid, oder ob ihr zu verstehen gegeben wird, dass ihre Invalidität keine Rolle spielt, weil sie eine Frau ist364. Es macht auch einen Unterschied, ob ein uneheliches Kind bei der Erbfolge benachteiligt wird, weil der Erblasser es nicht so bedacht hat wie ein eheliches, oder ob dieses Kind ex lege mit der Begründung benachteiligt wird, jeder Erblasser ziehe sein eheliches Kind dem nichtehelichen vor365. Es ist auch für einen nichtehelichen Vater nicht gleichgültig, ob ihm der Umgang mit seinem Kind mit der unrichtigen Begründung untersagt wird, dieser Kontakt sei dem Wohl des Kindes im konkreten Fall abträglich oder ob ein Staat von vornherein unterstellt, es sei einem Kind nicht zuträglich, wenn es Kontakt zu seinem unehelichen Vater hat366. Es ist schließlich auch nicht dasselbe, ob (einvernehmliche) sexuelle Handlungen mit Jugendlichen unnotwendigerweise bis zu deren 18. Lebensjahr verboten werden, oder ob sich ein solches Verbot nur an Homosexuelle richtet, um zu verhindern, dass diese einen Jugendlichen zu einer „fehlgeleiteten“ Sexualität verführen. In jedem dieser Fälle tritt zu der Freiheitsbeschränkung eine Deklassierung hinzu, die die Betroffenen als Person herabsetzt, ihnen vermittelt, nicht ernst genommen zu werden oder minderwertig zu sein. Diese Absage an die gleiche Achtung als Mensch kommt durch die Feststellung einer Freiheitsverletzung allein nicht zum Ausdruck; sie verlangt die ausdrückliche Identifikation der jeweiligen Maßnahme als diskriminierend. Dass der EGMR explizit nur für Differenzierungen nach der ehelichen Geburt, dem Geschlecht, der sexuellen Ausrichtung und der Staatsangehörigkeit besonders triftige Gründe verlangt, lässt wohl nicht den Schluss zu, er wolle an Unterscheidungen nach den anderen in Art 14 EMRK genannten oder mit ihnen vergleichbaren Kriterien mildere Maßstäbe anlegen; jedenfalls wäre kaum begründbar, warum geschlechtsspezifische Differenzierungen nur aus triftigen Gründen zulässig, Unterscheidungen nach der Rasse hingegen schon dann erlaubt sein sollten, wenn sich für sie nur irgendein objektiver Grund ins Treffen führen lässt, warum also die Willkürlichkeit einer solchen Differenzierung erst zu beweisen und nicht von vornherein zu vermuten wäre. Wenn der EGMR für Ungleichbehandlun____________________
liche Beitragspflicht allein ist mit Art 1 1. ZPEMRK vereinbar); und auch im Fall Smith und Grady (FN 358) (ein Schutzalter von 18 Jahren für Homo- und Heterosexualität verletzt für sich genommen Art 8 EMRK wohl noch nicht). 364 So letztlich die Botschaft des nationalen Gerichts im Fall Schuler-Zgraggen (FN 354). 365 EGMR 28.10.1987, Inze, Serie A 126 = ÖJZ 1988, 177. 366 EGMR 8.7.2003, Sahin, Appl 30943/96 = EuGRZ 2004, 707; 8.7.2003, Sommerfeld, Appl 31871/96 = EuGRZ 2004, 711.
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gen nach diesen anderen Kriterien einen strengen Prüfungsmaßstab noch nicht explizit postuliert hat, so dürfte dies eher daran liegen, dass diese Kriterien in der Praxis nicht mehr als Unterscheidungsmerkmale verwendet werden. Es fehlt also wohl bloß an Anlässen, für ihre Zulässigkeit triftige Gründe zu verlangen. In diese Richtung weist auch die Feststellung des EGMR, das Vorurteil einer heterosexuellen Mehrheit gegenüber einer homosexuellen Minderheit könne eine Ungleichbehandlung ebenso wenig rechtfertigen wie entsprechende Vorurteile gegen eine bestimmte Rasse, Herkunft oder Hautfarbe367. Die erwähnten Entscheidungen zu den – nach wie vor üblichen – Differenzierungen nach ehelicher Geburt, Geschlecht, sexueller Ausrichtung und Staatsangehörigkeit könnten damit Vorboten für den bereits im Belgischen Sprachenfall einsetzenden Judikaturwandel sein; sie zeigen, dass der EGMR sich bei suspekten Differenzierungen nicht mehr mit einer oberflächlichen Willkürkontrolle zufrieden gibt. Er nimmt vielmehr eine strenge Prüfung vor, die tatsächlich besonders häufig aufdeckt, dass die jeweils vorgenommene Differenzierung bloß auf groben Verallgemeinerungen, Vorurteilen und Stereotypen beruht. b. VfGH Während der EGMR Freiheitsbeschränkungen vorrangig am jeweils betroffenen Freiheitsrecht prüft und auf Art 14 EMRK nur zurückgreift, wenn eine Freiheitsbeschränkung mit einer Deklassierung verbunden ist oder wenn eine Un/gleichbehandlung unterhalb der Eingriffsschwelle bleibt, tendiert der VfGH, wie gezeigt, dazu, Eingriffe in ein Freiheitsrecht in eine Un/gleichbehandlung umzuformulieren und ihre Zulässigkeit sodann am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes zu kontrollieren368. Wie im vorigen Kapitel dargelegt wurde, neigt der VfGH zugleich dazu, spezielle Gleichheitssätze in ihrer Eigenständigkeit abzuwerten und Differenzierungen, für die ein besonderes Gleichheitsgebot einschlägig wäre, dem allgemeinen Gleichheitssatz zu subsumieren369. Vor diesem Hintergrund kann es kaum verwundern, dass das Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK in der Judikatur des VfGH bisher keine besondere Bedeutung erlangt hat. Ausländern gegenüber betonte der Gerichtshof stets, dass Art 14 EMRK sich nur auf den Genuss der Konventionsrechte beziehe, den Kreis der Personen, denen in Österreich das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz zusteht, aber nicht erweitert habe370. Nicht selten haben sich Ausländer ____________________
367 EGMR 9. 1. 2003, S.L., Appl 45330/99, Z 44; 9. 1. 2003, L. und V., Appl 39392/ 98 und 39829/98, Z 52. 368 S oben F.II.1.e. 369 S oben E.I.2.e. und E.II.2.b. 370 S bereits VfSlg 4706/1964, 4952/1965, 7138/1973, 7307/1974, 7581/1975, 8784/ 1980, 13.314/1992, s auch VfSlg 9024/1981, 10.324/1985, 13.314/1992, 15.109/1999,
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zwar deshalb vergeblich auf Art 14 EMRK berufen, weil sie kein Konventionsrecht geltend machen konnten, das durch die diskriminierende Behandlung beeinträchtigt worden wäre371. Auch wenn eine Maßnahme aber den Regelungsbereich eines solchen Rechts berührt, beantwortet der VfGH die Rüge einer Diskriminierung iSd Art 14 EMRK immer wieder mit dem Hinweis, Art 14 EMRK gewährleiste zwar allen Menschen den Genuss der in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten, darunter befinde sich jedoch nicht ein Recht auf Gleichheit aller vor dem Gesetz372 – eine Feststellung, die die entscheidende Frage gerade offen lässt, ob nämlich im Regelungsbereich eines Konventionsrechts eine Diskriminierung stattgefunden hat. Bisweilen verneint der VfGH die Berührung eines Konventionsrechts wohl auch zu voreilig, so, wenn er annimmt, die für Ausländer geltenden Beschränkungen im Bereich des Grundverkehrs seien an Art 14 EMRK nicht zu prüfen, weil die EMRK ein Recht auf freien Liegenschaftsverkehr nicht garantiere373; bedenkt man, dass der VfGH selbst die Liegenschaftsfreiheit des Art 6 StGG als eine Spezialnorm zur Eigentumsgarantie des Art 5 StGG ansieht374, dann ließe sich wohl fragen, ob Grundverkehrsbeschränkungen nicht immerhin der – insofern weiteren – Eigentumsgarantie des Art 1 1. ZPEMRK subsumiert werden können375. In VfSlg 10.915/1986 schien der Gerichtshof sogar anzunehmen, dass die Anwendung des Art 14 EMRK einen Eingriff oder gar die Verletzung eines Konventionsrechts voraussetze: Er bemerkte zur Beschwerde einer Religionsgemeinschaft, der die gesetzliche Anerkennung verweigert worden war, zunächst, die in Art 9 EMRK gewährte Freiheit, seine Religion in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat auszuüben, hänge nicht ____________________
wonach Art 14 EMRK zwar allen Menschen den Genuß der in der EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten gewährleistet; unter diesen befinde sich aber nicht ein Recht auf Gleichheit aller vor dem Gesetz. 371 ZB VfSlg 13.314/1992: Abweisung von Asyl ohne Verletzung des Refoulementverbotes (Art 3 EMRK); VfGH 21.6.2007, B 978/06: Verweigerung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter. 372 ZB VfSlg 8512/1979, 9551/1982, 15.109/1999; kritisch auch Freudenschuss, EuGRZ 1983, 627. 373 VfSlg 12.704/1991, zuvor schon VfSlg 7138/1973, 7408/1974, 7581/1975; s auch VfSlg 7909/1976: keine Anwendung des Art 14 EMRK, wenn einem Strafhäftling der Ankauf von Postwertzeichen aus seiner Rücklage untersagt wird – ein Eingriff in Art 1 1. ZPEMRK wäre hier wohl in Erwägung zu ziehen gewesen. 374 S VfSlg 14.704/1996 sowie Morscher, Niederlassungsfreiheit 513. 375 In VfSlg 13.245/1992 scheint der Gerichtshof diese Frage zu bejahen; entscheidungsgegenständlich war eine grundverkehrsrechtliche Vorschrift, nach der juristische Personen und Personengesellschaften des Handelsrechts mit Sitz im Inland als Ausländer gelten und folglich den Grunderwerbsbeschränkungen unterworfen sind, wenn an ihnen ausschließlich oder überwiegend Ausländer beteiligt sind. Gegen diese Bestimmung wurde der Vorwurf erhoben, sie verletze Art 1 1. ZPEMRK iVm Art 14 EMRK. Der VfGH teilte diesen Vorwurf zwar im Ergebnis nicht, er ließ sich auf ihn aber inhaltlich ein.
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davon ab, ob diese Gemeinschaft die Stellung einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft genießt. Da die Verweigerung dieser Anerkennung Art 9 EMRK nicht verletzen könne, scheide auch eine Verletzung des Art 14 EMRK aus376. Der Judikatur der Straßburger Organe entspricht diese Schlussfolgerung jedenfalls nicht, hat doch der EGMR eine Anwendung des Art 14 EMRK auch dann bejaht, wenn ein Staat im Regelungsbereich eines Konventionsrechts Leistungen erbringt, zu deren Gewährung er durch das Konventionsrecht gerade nicht verpflichtet ist377. Im Fall der ungleichen Gewährung von Notstandshilfe behauptete ein Fremder die Verletzung des Art 14 EMRK allerdings mit Erfolg378; die Entscheidung des VfGH war hier freilich durch das Urteil des EGMR im gleich gelagerten Fall Gaygusuz vorherbestimmt379. Soweit sich Staatsbürger auf Art 14 EMRK berufen haben, beantwortet der VfGH ihre Behauptung, diskriminiert worden zu sein, der Sache nach bisweilen mit Erwägungen zum allgemeinen Gleichheitssatz, aus denen dann auf die Vereinbarkeit der beanstandeten Maßnahme mit Art 14 EMRK geschlossen wird380. In manchen Fällen stützte der VfGH seine gleichheitsrechtlichen Erwägungen sogar gleichzeitig auf Art 2 StGG, Art 7 B-VG und Art 14 EMRK, so als wäre diesen Vorschriften für den jeweils relevanten Zusammenhang der gleiche Prüfungsmaßstab zu entnehmen381. Diese Annahme liegt implizit auch dem bereits erörterten Erkenntnis VfSlg 16.374/2001 zugrunde, in dem der VfGH einen auf Art 14 EMRK gestützten Gesetzesprüfungsantrag ua mit der Begründung zurückwies, die bekämpfte Bestimmung (§ 209 StGB aF) sei bereits in einem früheren Erkenntnis als gleichheitskonform beurteilt worden; dies, obwohl das Vorerkenntnis nur auf Art 7 Abs 1 B-VG rekurrierte, nicht hingegen auf Art 14 EMRK382. Eigenständige Bedeutung hat Art 14 EMRK bisher nur in Fällen erlangt, in denen bereits eine einschlägige Judikatur des EGMR bestand oder in denen dem VfGH ein Rückgriff auf Art 7 B-VG nicht ohne weiteres möglich erschien, so, als zu prüfen war, ob Drittstaatsangehö____________________
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VfSlg 10.915/1986. Dazu oben F.III.2.a.aa.; überdenkenswert daher mE auch VfSlg 16.998/2003 betreffend die Eintragung bloß bestimmter Religionsbekenntnisse in staatliche Personenstandsbücher. 378 VfSlg 15.129/1998; s dann auch VfSlg 15.506/1999. Unbedenklich ist hingegen, dass Arbeitslosengeld nur von Personen bezogen werden kann, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, nicht also von Fremden, die mangels Aufenthaltsberechtigung keine Arbeit aufnehmen dürfen: VfSlg 17.648/2005. 379 EGMR 16.9.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV = ÖJZ 1996, 955, s dazu schon FN 211, 316, 361. 380 VfSlg 6755/1972, ähnlich für Art 5 7. ZPEMRK auch VfSlg 14.301/1995. 381 ZB VfSlg 7973/1976, 17.692/2005. 382 S dazu bereits oben E.IV.3.b.bb. 377
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rige eines Österreichers in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht schlechter behandelt werden dürfen als Drittstaatsangehörige eines anderen EWR-Bürgers383. Obwohl der VfGH in ständiger Judikatur die Ansicht vertritt, dass die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung nur die Rechte des jeweils betroffenen Fremden, nicht hingegen die seiner Familienangehörigen berührt, prüfte er die inkriminierte Regelung in diesem Fall nicht etwa an Art I Abs 1 BVG-RD; er konstatierte vielmehr eine Ungleichbehandlung zwischen österreichischen Staatsbürgern und anderen EWR-Bürgern384. Für die Schlechterstellung der zuerst genannten Gruppe ließ sich, wie der VfGH feststellte, keinerlei sachliche Rechtfertigung finden, „[v]or allem wäre eine derart unterschiedliche Behandlung diskriminatorisch im Sinne des Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK, da eine ‚objektive und vernünftige Rechtfertigung‘ dafür nicht ersichtlich ist, weil sie offenkundig kein legitimes Ziel verfolgt“. Ob der Gerichtshof die Aufzählung der Differenzierungsmerkmale in Art 14 EMRK für abschließend hält, ist bei all dem unklar: Manche Entscheidungen erwecken den Eindruck, dass dem Art 14 EMRK Unterscheidungen nach jedem beliebigen Merkmal zu subsumieren sind385; in anderen Erkenntnissen scheint der VfGH als Diskriminierung iSd Art 14 ____________________
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VfSlg 14.863/1997. Das ist einigermaßen überraschend, hat allerdings nicht zu einer neuen Beurteilung der Frage geführt, ob die Aufenthaltsbeendigung eines Fremden auch in das durch Art 8 EMRK garantierte Recht seiner Angehörigen eingreift (s zB VfSlg 15.744/2000, wonach die Ehefrau nicht beschwerdelegitimiert ist, wenn ihrem Ehemann eine Niederlassungsbewilligung verwehrt wird). Dass der VfGH abweichend von seiner sonst strengen Linie in diesem Fall eine Ungleichbehandlung zwischen Staatsbürgern und anderen EWR-Bürgern gesehen hat, steht wohl im Einklang mit der Straßburger Judikatur: Selbst wenn man nämlich in der Versagung der Aufenthaltsbewilligung für einen Fremden keinen Eingriff in das durch Art 8 EMRK gewährleistete Recht seines Angehörigen sieht, wirkt sich diese Maßnahme doch in einer Weise auf dessen Familienleben aus, die mit der im Fall Petrovic (FN 357) entscheidungsgegenständlichen Zahlung von Karenzurlaubsgeld vergleichbar ist. Ob der VfGH in der genannten Entscheidung wirklich an diese Judikatur angeknüpft hat, ist freilich zweifelhaft; wahrscheinlicher ist, dass er sich von der viel großzügigeren Sicht des Gemeinschaftsrechts leiten ließ, das, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer effektiv zu gewährleisten, auch seinen engen Familienangehörigen das Recht einräumt, im Aufnahmestaat zu wohnen, zu arbeiten und Zugang zu Bildung und Unterricht zu erhalten (s mwN zB Windisch-Graetz, Art 39 EGV Rz 24 ff ). In VfSlg 16.214/2001 nimmt der VfGH seine ursprüngliche Linie wieder auf und sieht in der beschäftigungsrechtlichen Ungleichbehandlung zwischen Drittstaatsangehörigen von Österreichern und Drittstaatsangehörigen von anderen EWR-Bürgern nur mehr eine Benachteiligung der Fremden, nicht auch ihrer österreichischen Angehörigen: Sie wurde am Maßstab des BVG-RD geprüft und verworfen; eine Kontrolle an Art 14 EMRK wäre in diesem Fall denkbar gewesen, greift doch die Pflicht, vor Antritt einer Beschäftigung eine Bewilligung einzuholen, in die durch Art 1 1. ZPEMRK garantierte Privatautonomie ein, nach der neueren Judikatur des EGMR ist das Recht, einen Arbeitsvertrag abzuschließen, zudem ein civil right iSd Art 6 EMRK, s EGMR 27.7.2006, Mehrerau, Appl 62539/00; 27.7.2006, CoorplanJenni GmbH und Hascic, Appl 10523/02. 385 S etwa VfSlg 8068/1977, 17.692/2005. 384
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EMRK nur Differenzierungen in Betracht zu ziehen, die auf einem in dieser Bestimmung ausdrücklich verpönten Merkmal beruhen386. Auf die Goldwaage wird man freilich keine dieser Äußerungen legen dürfen; denn sie wurden eher beiläufig getroffen und scheinen nicht auf einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit Art 14 EMRK oder der hiezu ergangenen Judikatur der Straßburger Organe zu beruhen.
3. Literatur Die österreichische Literatur hat sich mit Art 14 EMRK bisher nicht allzu eingehend auseinandergesetzt387, und im Besonderen das Verhältnis dieses Diskriminierungsverbotes zum allgemeinen Gleichheitssatz noch kaum untersucht388. Überwiegend wird in der Lehre ebenso wie in der Judikatur die Ansicht vertreten, dass der Kriterienkatalog des Art 14 EMRK nicht abschließend ist, sondern demonstrativ389, und dass Differenzierungen nach den in Art 14 EMRK genannten Kriterien nicht absolut verboten sind390. Die ältere (auch internationale) Literatur schloss sich fast einhellig der frühen Straßburger Judikatur an, die Art 14 EMRK – ebenso wie viele nationale Gerichte den allgemeinen Gleichheitssatz – im Sinne eines Willkürverbotes deutete391. Bisweilen wird auch heute noch eine Parallele zwischen Art 14 EMRK und dem allgemeinen Gleichheitssatz gezogen, so, wenn festgestellt wird, Art 14 EMRK wende sich gegen sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen und werde „im Prinzip in der gleichen Weise wie der allgemeine Gleichheitssatz des Art 7 B-VG ausgelegt“392. Teilweise abweichend von dieser älteren Judikatur der Straßburger Organe meinten manche, nach Art 14 EMRK sei nicht die Legitimität des ____________________
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VfSlg 6874/1972. S aber die Judikaturdarstellungen und -analysen bei Söllner, Art 14 MRK 553 ff; Freudenschuss, EuGRZ 1983, 623 ff; Matscher, FS Klecatsky 629 ff; Bernegger, Gleichheitsgrundsatz 771 ff; Berka, Grundrechte Rz 1008; Grabenwarter, EMRK § 26 Rz 1 ff. 388 S aber Bernegger, Gleichheitsgrundsatz 790 f. 389 S etwa Söllner, Art 14 MRK 570; Partsch, Discrimination 572, 575; Hillgruber/Jestaedt, Minderheiten 33, 38; Knobl, FS Rill 330; Frowein/Peukert, EMRKKommentar, Art 14 EMRK Rz 25, 51; Muzak, ZAS 1998, 40; Villiger, Handbuch Rz 659; Berka, Grundrechte Rz 1012; Grabenwarter, EMRK § 26 Rz 1. 390 S etwa Partsch, Discrimination 584; Heringa/van Hoof, Discrimination 1041 ff, 1050; Villiger, Handbuch Rz 662; König/Peters, Diskriminierungsverbot Rz 24; wohl auch Söllner, Art 14 MRK 568 ff, der auf die Schwierigkeiten hinweist, die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zu beurteilen. 391 S zB Castberg, European Convention 161 ff; Nedjati, Human Rights 228 ff; Freudenschuss, EuGRZ 1983, 625; s auch die weiteren Nachweise bei Sachs, ZÖR 1984, 359 f FN 126 f. 392 Berka, Grundrechte Rz 1011; ders, Art 14 MRK Rz 5. 387
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Differenzierungszieles, sondern die Differenzierung selbst auf ihre Rechtfertigung durch Unterschiede im Tatsächlichen zu prüfen393. Dieser Prüfungsmaßstab unterscheidet sich von jenem der Judikatur, soweit sich Differenzierungen nicht auf wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen, sondern nur auf externe Zwecke stützen: Derartige Ungleichbehandlungen müssten nach der genannten Lehrmeinung ausnahmslos verboten sein. Beruht eine Differenzierung hingegen auf Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen, so ergibt sich die Wesentlichkeit dieser Unterschiede oft gerade aus dem Ziel der jeweiligen Regelung394. Ist dieses Ziel illegitim, dann fehlt es auch an Unterschieden, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Ob eine Differenzierung durch wesentliche Unterschiede im Tatsächlichen gerechtfertigt ist, lässt sich also vielfach ohne Bedachtnahme auf das Regelungsziel gar nicht feststellen, und umgekehrt wird mit der Prüfung der Legitimität des Zieles zumeist ohnedies eruiert, ob gerade die vorgenommene Differenzierung durch tatsächliche Verschiedenheiten begründet werden kann395. Auf einen strengen Prüfungsmaßstab zielte hingegen der Vorschlag ab, für die Zulässigkeit einer Differenzierung ihre Notwendigkeit zur Zielerreichung zu verlangen396, sofern damit gemeint ist, dass eine Differenzierung unvermeidlich sein muss, um mit Art 14 EMRK vereinbar zu sein. Soweit damit aber nur gesagt sein soll, dass eine Ungleichbehandlung zur Erreichung eines beliebigen Zieles erforderlich sein muss, würde der Kontrollmaßstab des Art 14 EMRK selbst im Vergleich zu jenem der älteren Judikatur deutlich herabgesetzt: Denn die Wahl der Ziele wäre dann ganz in das Ermessen der Konventionsstaaten gestellt397. Tatsächlich verschärft wird der Prüfungsmaßstab hingegen bei jenen Autoren, die in Art 14 EMRK ein Prima-facie-Verbot sehen, also annehmen, dass eine Unterscheidung im Anwendungsbereich des Art 14 EMRK mit der widerleglichen Vermutung belastet ist, diskriminierend zu sein398. ____________________
393 394
ZB Khol, ZaöRV 1970, 289 ff; Jacobs, European Convention 192 f. S beispielhaft EGMR 26.2.2002, Fretté, RJD 2002-I, Z 38: Der Ausschluss homosexueller Personen von der Möglichkeit, ein Kind zu adoptieren, verfolgt das – zweifellos legitime – Ziel, die Gesundheit und die Rechte des Kindes zu schützen. Im Lichte dieses Zieles schienen dem Vertragsstaat wesentliche Unterschiede zwischen homosexuellen und heterosexuellen Personen zu bestehen: Letzteren wurde eher zugetraut, die Interessen des Kindes bestmöglich zu befördern. 395 S auch Sachs, ZÖR 1984, 360, der in der dargestellten Lehrmeinung nur eine Abwandlung der Judikatur sieht, die den ursprünglichen Ansatz des Gerichtshofes zur Willkürprüfung korrigiere, im Grundsatz aber nicht über die Rechtsprechungsinhalte hinausführe. 396 Vgl Sundberg-Weitman, Nordisk Tidsskrift for International Ret 49 (1980) 53; wohl auch Jacobs, European Convention 147. 397 In diesem Sinn schon Sachs, ZÖR 1984, 360. 398 ZB Partsch, Rechte und Freiheiten 93; Bossuyt, Discrimination 64; eher ablehnend Matscher, FS Klecatsky 628 FN 5 am Ende, 631 FN 18.
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Die dem Staat solcherart auferlegte Argumentationslast geht nicht in der ohnedies bestehenden Aufgabe des Staates auf, für eine Ungleichbehandlung rechtfertigende Gründe beizubringen399. Das prinzipielle Recht, nicht aufgrund eines bestimmten Merkmales benachteiligt zu werden, wendet sich nämlich nicht nur gegen oberflächliche, auf Stereotypen aufbauende und scheinrationale Argumente, sondern verbietet die Differenzierung auch in Zweifelsfällen, also bei einer Patt-Stellung der für und wider die Regelung sprechenden Argumente. Zudem kommt diesem Recht ein eigenes Schwellengewicht zu, das durch ein allenfalls gegenläufiges Interesse erst überwogen werden muss. Wie gezeigt, entnimmt auch die jüngere Judikatur des EGMR dem Art 14 EMRK der Sache nach derartige Prima-facieRechte, so, wenn sie für Differenzierungen nach dem Kriterium der ehelichen Geburt, des Geschlechts, der sexuellen Ausrichtung oder der Staatsangehörigkeit besonders schwerwiegende Gründe verlangt400. Dass jede Unterscheidung (nach welchem Kriterium immer) im Regelungsbereich eines Konventionsrechts mit dem Verdacht der Diskriminierung belastet wäre, ist aber offensichtlich nicht der Standpunkt der Judikatur. Eine besonders scharfe Gegenposition zur Rechtsprechung der Konventionsorgane hat schließlich Sachs eingenommen, der dem Katalog verpönter Merkmale ein enges Verständnis beilegt401 und darauf aufbauend annimmt, dass Differenzierungen nach diesen Merkmalen absolut verboten sind402. Um abstruse Ergebnisse zu vermeiden, nimmt Sachs an, dass Unterscheidungen nach einem verpönten Differenzierungsmerkmal zulässig sind, wenn nicht dieses Merkmal selbst, sondern ein mit ihm stets einhergehendes Begleitmerkmal die Ungleichbehandlung sachlich begründen kann. Ist dies der Fall, dann soll bereits die Vergleichbarkeit der ungleich behandelten Personengruppen verneint und die Zulässigkeit der Differenzierung bejaht werden403. Der Sache nach lässt also auch Sachs Unterscheidungen nach den ausdrücklich verpönten Merkmalen zu, dies aber nur, wenn sie durch Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen gerechtfertigt sind. ____________________
399 Anderes mag für eine bloß prozessuale Beweislast gelten, s Frowein/Peukert, EMRKKommentar, Art 14 EMRK Rz 25. 400 S dazu oben F.III.2.a.dd. 401 Sachs, ZÖR 1984, 364 ff. 402 Sachs, ZÖR 1984, 381 ff. 403 Sachs, ZÖR 1984, 383 ff; ähnlich Hillgruber/Jestaedt, Minderheiten 39 f, nach denen Art 14 EMRK einen Katalog schlechthin unzulässiger Unterscheidungsmerkmale enthält; anders als Sachs beschränken sie aber Art 14 EMRK nicht auf Unterscheidungen nach den ausdrücklich genannten Differenzierungsmerkmalen und „anderen persönlichen Merkmalen, die in der Vergangenheit oder Gegenwart Anlaß zur Versagung des gleichen Menschenrechtsanspruchs waren oder sind“; durch das Kriterium des „other status“ erfasse Art 14 EMRK vielmehr alle denkbaren persönlichen Differenzierungsmerkmale. Für Unterscheidungen nach diesen Merkmalen statuiere Art 14 EMRK nur ein Willkürverbot.
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4. Würdigung Die vorstehende Betrachtung der Judikatur und Lehre zeigt, dass es praktisch keine Auslegung gibt, die Art 14 EMRK noch nicht erfahren hat. Von der Annahme, diese Bestimmung untersage Unterscheidungen nur, wenn sie willkürlich sind, bis hin zur Ansicht, Art 14 EMRK verbiete Differenzierungen nach den genannten Merkmalen absolut, wurden alle denkbaren Deutungen dieses Diskriminierungsverbotes in Lehre und Rechtsprechung schon vertreten. Der entscheidende Parameter für den Prüfungsmaßstab des Art 14 EMRK ist dabei die Frage, welchen Kriterien sich Art 14 EMRK durch den Ausdruck „insbesondere“ bzw das Merkmal des „sonstigen Status“ öffnet. Denn je allgemeiner ein Unterscheidungsverbot ist, desto mehr Spielraum muss es für zulässige Differenzierungen lassen, je spezieller es ist, desto eher kann seine strikte Geltung angenommen werden404. Ließe sich dem Merkmal des „sonstigen Status“ daher jedes beliebige Differenzierungskriterium subsumieren, so wäre eine Deutung des Art 14 EMRK als absolutes Differenzierungsverbot jedenfalls ausgeschlossen. Die bislang gründlichste Auseinandersetzung mit dem Kriterienkatalog des Art 14 EMRK stammt nach wie vor von Sachs405; er hat gezeigt, dass die Entstehungsgeschichte des Art 14 EMRK selbst zwar keinen Aufschluss über den Begriff des „sonstigen Status“ gibt406, dass für die Auslegung dieses Merkmals aber Anhaltspunkte aus Art 2 Abs 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) zu gewinnen sind. Die Genese dieser für Art 14 EMRK vorbildhaften Bestimmung erweist, dass das Merkmal des „sonstigen Status“ nicht auf einer Ebene mit allen anderen Differenzierungskriterien liegt; es sollte bloß eine Restgröße neben dem durch Vermögen oder Geburt bestimmten Status bilden407. Die Merkmalstrias „im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status“ umschreibt demnach Differenzierungskriterien, die in nationalen Verfassungen, namentlich auch in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG, üblicherweise als „Stand“ oder „Klasse“ bezeichnet werden, öffnet sich aber auch Statusbildungen, die auf anderen Determinanten als Vermögen und Geburt beruhen. Welche Kriterien dem „sonstigen Status“ unterfallen, kann und muss mE nicht abschließend beantwortet werden408. Jedenfalls wird man diesem Begriff persönliche Merk____________________
404
S schon Sachs, ZÖR 1984, 363. Sachs, ZÖR 1984, 364 ff. 406 Sachs, ZÖR 1984, 368 f. 407 Sachs, ZÖR 1984, 369 ff. 408 AA Sachs, ZÖR 1984, 376 ff, der für eine Begrenzung des Kriterienkataloges plädiert, dies freilich in der Absicht, Art 14 EMRK dann als striktes Unterscheidungsverbot deuten zu können (zu den Bedenken gegen diese Auslegung s sogleich im Text). Sachs meint, all den Verschiedenheiten der in Art 14 EMRK ausdrücklich genannten Merkmale 405
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male subsumieren können, die den übrigen, in Art 14 EMRK ausdrücklich genannten Kriterien gleichzuhalten sind, die also wie diese für den Einzelnen nicht409 oder doch nicht zumutbar410 beeinflussbar sind und die seine Identität maßgeblich prägen. Gegen diese Annahme kann nicht eingewendet werden411, dass es auch indisponible Eigenschaften gibt, deren Legitimität als Differenzierungsgrund unbestritten ist412. Denn auch Differenzierungen nach den in Art 14 EMRK ausdrücklich genannten Merkmalen können sinnvollerweise nicht ausnahmslos verboten sein413. Zugegebenermaßen ist der Wortlaut des Art 14 EMRK hiefür ein schwaches Argument: Denn mit derselben Berechtigung, mit der sich die ältere Judikatur auf die englische Fassung des Art 14 EMRK („discrimination“) berief, um eine Deutung des Art 14 EMRK als absolutes Unterscheidungsverbot auszuschließen, könnte man sich auch auf den französischen Text („distinction“) stützen, um ein striktes Unterscheidungsverbot gerade anzunehmen. Da beide Fassungen gleichermaßen authentisch sind, kann ein Vorrang einer dieser Fassungen nicht begründet werden. ME wirft die Annahme, Art 14 EMRK statuierte ein absolutes Unterscheidungsverbot aber beträchtliche Probleme auf. Wie schon im Zusammenhang mit Art 7 ____________________
stünde als offenkundige Gemeinsamkeit gegenüber, dass sie in einem Katalog verbotener Unterscheidungsmerkmale für den Bereich des Menschenrechtsgenusses zusammengefasst seien. Dieser Bezugspunkt gebe dem Diskriminierungsverbot eine besondere Ausrichtung auf die gleiche Würde des Menschen, die in Art 1 der AEMR und auch in der Einleitung ihrer Präambel ausgesprochen sei. Daraus werde das vorrangige Ziel der für die EMRK vorbildhaften AEMR deutlich, „den grundsätzlichen Menschenrechtsanspruch für keinen Menschen ausschließen zu lassen, seine Menschenqualität jenseits aller Unterschiede allen Anfechtungen zu entziehen“ (Sachs, ZÖR 1984, 376). Nicht eine Eigenschaft an sich, sondern ihr Verständnis als dem gleichen Menschenrechtsanspruch entgegenstehend stelle sie den aufgezählten Merkmalen des Kataloges gleich. Art 14 EMRK sei daher „zu begrenzen auf Unterscheidungen nach den aufgezählten und solchen anderen persönlichen Merkmalen, die in der Vergangenheit oder Gegenwart Anlaß zur Versagung des gleichen Menschenrechtsanspruches waren oder sind“ (Sachs, ZÖR 1984, 379). ME ermöglicht auch diese Umschreibung keine klare Abgrenzung; denn sie erfasst genau genommen jede persönliche Eigenschaft, die einen Vertragsstaat zu einer Grundrechtsbeschränkung veranlasst. Jede Beschränkung dieser Art versagt schließlich, bezogen auf das betroffene Grundrecht, dem Träger des herangezogenen Differenzierungsmerkmals einen gleichen Menschenrechtsanspruch. Um diese Deutung zu vermeiden, müsste angegeben werden, unter welchen Voraussetzungen eine Differenzierung dem gleichen Menschenrechtsanspruch entgegensteht. Diese Voraussetzungen nennt Sachs aber nicht. Gegen die von Sachs vorgenommene Einschränkung auch Hillgruber/Jestaedt, Minderheiten 40 FN 120. 409 Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache (verstanden als Muttersprache), nationale und soziale Herkunft, Geburt. 410 Religion, politische und sonstige Anschauungen, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, durch Vermögen bestimmter Status. 411 AA Sachs, ZÖR 1984, 375. 412 Zu denken ist etwa an Geistes-, Alkohol- und Rauschgiftkrankheit, die schon nach Art 5 Abs 1 lit e EMRK eine Sonderbehandlung erlauben; ebenso an das Alter, von dem zufolge Art 12 EMRK das Recht abhängt, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. 413 AA Sachs, ZÖR 1984, 349, 381 ff.
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Abs 1 Satz 2 B-VG dargetan wurde414, zwingt eine derartige Auslegung zunächst dazu, als grundsätzlich legitim empfundene Unterscheidungen nach einem an sich verpönten Merkmal bereits auf der Tatbestandsebene aus dem Diskriminierungsverbot auszuscheiden, dies mit der Begründung, die ungleich behandelten Personengruppen seien miteinander nicht vergleichbar. Derartige Ungleichbehandlungen werden dann aber zum einen überhaupt unkontrollierbar, also auch dann, wenn sie über das legitimierende Differenzierungsziel hinausschießen. Zum anderen werden auf diese Weise harte Grenzen zwischen Fällen gezogen, die sich voneinander nur unwesentlich unterscheiden: Wird etwa sprachunkundigen Schülern der Besuch einer öffentlichen Schule versagt, so liegt nach dem Modell des absoluten Unterscheidungsverbotes keine Differenzierung nach der Sprache vor, weil sich der Ausschluss vom Unterricht notwendig auf alle Fälle des Fehlens der erforderlichen Kommunikationsfähigkeit beziehe; dieser Mangel sei für die Unterscheidung maßgeblich, gleich ob er auf Sprachunkenntnis oder auf Behinderung geistiger oder körperlicher Art beruht415. Was aber hätte zu gelten, wenn ein Staat behinderte Kinder zu öffentlichen Schulen zulässt, von sprachunkundigen aber zuvor den Erwerb der Staatssprache verlangt? Wäre eine solche Regelung von der zuerst genannten tatsächlich so verschieden, dass die eine nicht einmal an Art 14 EMRK gemessen, die andere hingegen absolut verboten sein kann, und noch mehr: Erscheint nicht die zweite Regelung eher legitimierbar zu sein als die erste, weil sie den Zugang zur Schule nur bei einem Mangel (der Sprachunkenntnis) ausschließt, den das Kind aus eigener Kraft beheben kann? Die Deutung des Art 14 EMRK als absolutes Unterscheidungsverbot führt aber nicht nur zu schwer einsehbaren Ergebnissen. Als Anknüpfungsverbot verstanden wäre Art 14 EMRK auch nicht in der Lage, mittelbare Diskriminierungen abzuwehren; er könnte daher durch legistische Kunstgriffe problemlos umgangen werden, was der Zielsetzung des Art 14 EMRK gewiss nicht entspricht. Schließlich ist gegen diese Deutung auch einzuwenden, dass sie eine Differenzierung nach einem verpönten Merkmal nur dann ermöglicht, wenn diese auf Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen zurückgeführt werden kann; Ungleichbehandlungen, die sich nur auf externe Zwecke stützen, wären dann ausnahmslos ausgeschlossen – ein Ergebnis, das, wie schon im Zusammenhang mit Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG gezeigt wurde, wohl zu kategorisch ist416. ____________________
414
S oben E.I.4.c. Sachs, ZÖR 1984, 386. 416 S den oben E.I.2.h. und E.I.4.c. erörterten Fall des Namenserkenntnisses VfSlg 15.031/ 1997, in dem – unter der Voraussetzung, dass andere Kriterien nicht zur Verfügung stehen – gebilligt werden muss, dass ein Kind den Namen des Vaters erhält, wenn sich die Eltern nicht auf einen gemeinsamen Familiennamen für das Kind einigen können; für eine nicht 415
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Soll dem Schutzzweck des Art 14 EMRK Rechnung getragen und das Kind nicht mit dem Bad ausgeschüttet werden, dann ist anzunehmen, dass eine Ungleichbehandlung nach einem der ausdrücklich verpönten Merkmale – basierend auf jenen historischen Erfahrungen, die zur Statuierung des Art 14 EMRK geführt haben – suspekt, also mit dem Verdacht belastet sind, diskriminierend zu sein417. Dieser Verdacht kann im Einzelfall widerlegt werden, wenn ein Staat dartut, dass die jeweils vorgenommene Unterscheidung entgegen der Vermutung des Art 14 EMRK auf einem objektiven Grund beruht, also entweder auf einem externen Ziel oder auf Unterschieden, die zwischen den Vergleichsgruppen tatsächlich bestehen und die sich – wenn überhaupt – zumeist aus dem Ziel der Regelung ergeben werden. Soweit sich das Ziel der Regelung nicht darin erschöpft, diesen Unterschieden Rechnung zu tragen (sie etwa auszugleichen), sodass Ziel und Mittel praktisch ineinander aufgehen, muss das externe oder das die Unterschiede erst bestimmende Ziel von besonderer Wichtigkeit sein, also schwerer wiegen als das Interesse, nicht aufgrund des jeweiligen Merkmals benachteiligt zu werden; dieses Interesse wiegt seinerseits umso schwerer, je stärker die Grundrechtsposition des Betroffenen beschnitten worden ist418. Zur Zielerreichung untaugliche oder nicht erforderliche Ungleichbehandlungen sind grundlos vorgenommenen Differenzierungen gleichzuhalten, weil sie wie diese durch ein legitimes Ziel nicht gerechtfertigt werden können. Wie die Beispiele aus der Straßburger Judikatur gezeigt haben, ____________________
zu rechtfertigende Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht aus externen Zwecken s hingegen den Fall Hagmann-Hülser (FN 353). 417 S auch die Nachweise in FN 398. 418 Dass der EGMR für die Zulässigkeit einer Differenzierung ihre Verhältnismäßigkeit verlangt, lässt sich also zweifach begründen, zum einen damit, dass Art 14 EMRK dem Einzelnen ein Recht vermittelt, nicht aufgrund eines ausdrücklich verpönten Merkmals benachteiligt zu werden – diesem Recht kommt ein eigenständiges Schwellengewicht zu, das mit dem Regelungsziel abgewogen werden kann; da Art 14 EMRK nur im Regelungsbereich eines Konventionsrechts zur Anwendung kommt, ist in diese Abwägung überdies die beeinträchtigte Grundrechtsposition einzustellen, also das Interesse, in dem jeweiligen Konventionsrecht nicht beschränkt zu werden. S beispielhaft schon EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, Z 7 = EuGRZ 1975, 298, wonach eine unterschiedliche Behandlung zulässig ist, wenn sie „ein echtes Gleichgewicht zwischen der Wahrung der Interessen der Gemeinschaft und der Achtung der in der Konvention garantierten Rechte und Freiheiten herstellt“; s auch den Fall EGMR 26.2.2002, Fretté, RJD 2002-I, Z 42, in dem der EGMR akzeptierte, dass Homosexuelle von der Möglichkeit, ein Kind zu adoptieren, ausgeschlossen werden: Diese Regelung verfolgte das legitime Ziel, die Rechte und die Gesundheit des Kindes bestmöglich zu schützen; da in der Wissenschaft ganz unterschiedlich beurteilt wird, welche Konsequenzen es für ein Kind hat, wenn es von einem homosexuellen Elternteil adoptiert wird, sah es der EGMR als zulässig an, das wissenschaftlich noch nicht widerlegte „Risiko“ eines Nachteils für das Kindeswohl auszuschalten und Homosexuelle zur Adoption nicht zuzulassen. Abgewogen wurde dabei das gewichtige Regelungsziel, das Kindeswohl zu schützen, gegen das Interesse, nicht allein aufgrund seiner sexuellen Ausrichtung von der Möglichkeit einer Adoption ausgeschlossen zu werden.
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stützen sich Unterscheidungen, die der EGMR als diskriminierend verworfen hat, besonders häufig gerade nicht auf tatsächliche Unterschiede, sondern bloß auf grobe Verallgemeinerungen, stereotype Vorstellungen und Klischees – nicht anders als jene scheinrationalen Diskriminierungen der Vergangenheit, denen Art 14 EMRK für die Zukunft ein Ende bereiten wollte. Die Vermutung, dass eine Differenzierung nach den in Art 14 EMRK ausdrücklich aufgezählten Merkmalen diskriminierend ist, beruht auf historischen Erfahrungen. Wenn sich Art 14 EMRK über die bloß beispielhaft („insbesondere“) genannten Merkmale hinaus für Unterscheidungen nach „sonstigen“ Statusmerkmalen öffnet, dann einerseits, um geschichtlich belastete Differenzierungskriterien aufzufangen, die bloß übersehen worden sind. Andererseits aber wohl auch, um neu auftretende Diskriminierungen abzuwehren und schließlich, um dem Wissen Rechnung zu tragen, dass Unterscheidungen, die im Zeitpunkt der Schaffung der EMRK in westlichen Demokratien noch allseits akzeptiert sind, zu einem späteren Zeitpunkt als diskriminierend empfunden werden können. Das Verdikt der Diskriminierung kann sich in diesen beiden zuletzt genannten Fällen gerade nicht auf eine historisch begründete Vermutung stützen; vielmehr ist diesfalls erst zu begründen, dass eine Unterscheidung ebenso diskriminierend ist wie die in Art 14 EMRK ausdrücklich verpönten Differenzierungen. Die gleiche Behandlung wie diese Merkmale verdienen persönliche Eigenschaften, die sich wie die in Art 14 EMRK genannten dem (zumutbaren) Einfluss des Einzelnen entziehen, die für die Identität eines Menschen bedeutsam und zudem häufig mit stereotypen Eigenschaftszuschreibungen verbunden sind: Auch Differenzierungen nach solchen Kriterien sind als suspekt anzusehen und daher einer strengen Prüfung zu unterziehen. Zu Recht verlangt daher der EGMR in seiner jüngeren Judikatur für die Zulässigkeit einer Unterscheidung nach der sexuellen Ausrichtung besonders schwerwiegende Gründe. Differenzierungen nach Eigenschaften, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind hingegen nicht von vornherein dem Verdacht ausgesetzt, diskriminierend zu sein. An ihre Zulässigkeit sind daher mildere Maßstäbe anzulegen: Sie sind erlaubt, solange nicht der Nachweis erbracht ist, dass wesentliche Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen fehlen und auch kein externer Zweck die Differenzierung rechtfertigen kann; dass die Unterscheidung einem Ziel von besonderem Gewicht dient, ist diesfalls nicht erforderlich.
5. Verhältnis des Art 14 EMRK zum allgemeinen Gleichheitssatz Über das Verhältnis des Art 14 EMRK zum allgemeinen Gleichheitssatz bemerken die Materialien anlässlich der parlamentarischen Genehmi-
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gung der EMRK: „Diese Bestimmung der Konvention sieht vor, daß sämtliche Grund- und Freiheitsrechte allen Menschen in gleicher Weise zustehen sollen. Für Österreich ist dieses Recht bereits durch den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsgrundsatz des Artikels 7 Bundes-Verfassungsgesetz garantiert.“419 Diese Einschätzung traf im damaligen Zeitpunkt jedenfalls nicht zu. Zunächst waren nicht alle in der EMRK garantierten Rechte schon innerstaatlich als Menschenrechte ausgestaltet: Ein Teil der Konventionsrechte (etwa die Achtung des Privat- und Familienlebens) fand sich in der österreichischen Verfassung vor Inkrafttreten der EMRK überhaupt nicht, ein Teil (etwa die Vereins- und die Versammlungsfreiheit) war durch das StGG nur Staatsbürgern gewährt. Selbst wenn man angenommen hätte, dass Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG ein Menschenrecht garantiert, dass also Differenzierungen aufgrund der Geburt, des Geschlechts, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses auch Fremden gegenüber grundsätzlich verboten sind420, fielen Unterscheidungen nach den anderen in Art 14 EMRK genannten Kriterien (Rasse, Hautfarbe, Sprache, politische und sonstige Anschauungen, nationale Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit) im Zeitpunkt des Inkrafttretens der EMRK „nur“ unter den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG, auf den sich Fremde gerade nicht berufen können. Das zwischenzeitig erlassene BVG-RD schützt allerdings auch Fremde ausdrücklich vor Diskriminierungen aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft. Andere Unterscheidungen iSd Art 14 EMRK fallen entweder unter Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG oder zählen doch zum Kernbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes. Da dieser durch das BVG-RD auf Fremde erstreckt worden ist, sind Staatsbürger und Fremde vor derartigen Differenzierungen gleichermaßen und unabhängig von Art 14 EMRK geschützt. Soweit eine Ungleichbehandlung an das Kriterium der Staatsangehörigkeit anknüpft, ist zu unterscheiden421: Staatsbürger können sich gegen eine Diskriminierung gegenüber Fremden schon nach Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG zur Wehr setzen. EWR-Bürgern steht die Berufung auf Art 4 EWRA bzw Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG offen, wenn sie im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zu österreichischen Staatsbürgern benachteiligt werden; eine Benachteiligung gegenüber anderen Fremden ist nach Art I Abs 1 BVG-RD bekämpfbar. Drittstaatsangehörige können sich gegen eine Schlechterstellung anderen Fremden gegenüber nach Art I Abs 1 BVG-RD zur Wehr setzen; werden sie im Verhältnis zu Staatsbür____________________
419 420 421
RV 459 BlgNR 8. GP 35. S dazu näher oben E.I.4.g. S dazu schon oben E.III.
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gern diskriminiert, steht ihnen eine Berufung auf Art I Abs 1 BVG-RD nur offen, wenn die den Staatsbürgern gewährte Privilegierung aus europarechtlichen Gründen auch auf EWR-Bürger (sei es ausdrücklich, sei es kraft Anwendungsvorranges) erstreckt worden ist. Bleibt diese Privilegierung hingegen auf Staatsbürger beschränkt, so kann sich ein Drittstaatsangehöriger weder auf Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG noch auf Art I Abs 1 BVGRD berufen. Berührt seine Benachteiligung aber ein Konventionsrecht, so steht ihm die Geltendmachung des Art 14 EMRK offen, der die nationalen Gleichheitssätze ergänzt. Der Prüfungsmaßstab des Art 7 Abs 1 B-VG bzw Art I Abs 1 BVG-RD deckt sich insofern mit jenem des Art 14 EMRK, als eine Ungleichbehandlung nach einem der genannten Kriterien prima facie unzulässig ist und nur durch besonders triftige Gründe gerechtfertigt werden kann422. Nach Art 14 EMRK sind dabei allerdings auch jene Wertungen maßgeblich, die in den Rechtsordnungen der anderen Vertragsstaaten zum Ausdruck kommen423. Die Bedachtnahme auf diesen europäischen Standard kann die Rechtfertigung einer suspekten Differenzierung erleichtern oder erschweren, je nachdem, ob sich in den übrigen Vertragsstaaten gleichartige Differenzierungen finden oder nicht. Derartige Erwägungen sind bei einer Prüfung nach Art 7 Abs 1 B-VG bzw Art I Abs 1 BVG-RD nicht erforderlich. Dass Österreich Männern 1989 nur einen unentgeltlichen Karenzurlaub gewährte, während Frauen für die Dauer einer Karenz Urlaubsgeld beziehen konnten, wertete der EGMR dementsprechend im Fall Petrovic nicht als diskriminierend iSd Art 14 EMRK, weil es im Jahr 1989 im europäischen Vergleich schon fortschrittlich war, dass Männer überhaupt Karenzurlaub nehmen konnten424. Lässt man diesen europäischen Standard aber beiseite, dann ist kein Grund mehr ersichtlich, der diese Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen rechtfertigen kann: Sie stand daher in Widerspruch zu dem – insofern strengeren – Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG425. Dass der Anwendungsbereich des Art 14 EMRK auf die Gewährleistung der Konventionsrechte beschränkt und daher enger ist als jener des Art 7 Abs 1 B-VG bzw des BVG-RD, macht ihn zwar zur spezielleren Norm, führt aber nicht zu einer Verdrängung der nationalen Gleichheitssätze; denn strengere Maßstäbe des nationalen Verfassungsrechts bleiben schon nach dem Günstigkeitsgebot des Art 53 EMRK wei____________________
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E.I.4.c., E.II.4.a.cc. S auch Bernegger, Gleichheitsgrundsatz 791. 424 EGMR 27.3.1998, Petrovic, RJD 1998-II, Z 40 ff = ÖJZ 1998, 516; die EKMR teilte diese Ansicht ebenso wenig wie die Richter Bernhardt und Spielmann in einer abweichenden Stellungnahme. 425 AA war der VfGH, der die Behandlung einer diesbezüglichen Beschwerde ablehnte, s EGMR 27.3.1998, Petrovic, RJD 1998-II = ÖJZ 1998, 516. 423
Zusammenfassung
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terhin beachtlich. Da je nach den Umständen des Einzelfalles entweder Art 7 Abs 1 B-VG bzw Art I Abs 1 BVG-RD oder Art 14 EMRK an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung strengere Anforderungen stellen können, sind alle drei Gleichheitssätze nebeneinander anwendbar. Art 14 EMRK schränkt den Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes daher nicht ein, ergänzt ihn aber, soweit Differenzierungen aufgrund der Staatsbürgerschaft getroffen werden.
IV. Zusammenfassung Wie die speziellen Gleichheitssätze können auch die Freiheitsrechte für die Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes fruchtbar gemacht werden. Der angebliche Konflikt zwischen Gleichheit und Freiheit besteht dabei in weit geringerem Maß als dies die Literatur vielfach behauptet, namentlich nur dort, wo Menschen um den Preis rechtlicher Freiheit faktisch gleich gemacht werden oder wo umgekehrt eine grenzenlos gewährte Freiheit die Unterschiede zwischen Menschen so verstärkt, dass sich am Ende einige alles und alle anderen nichts erlauben können. Weder dieser extreme Liberalismus noch jene „Gleichmacherei“ waren in Österreich aber durch die Grundrechte je geboten: Der Gleichheitssatz zielte nie darauf ab, alle Unterschiede zwischen den Menschen einzuebnen; er hat diese Unterschiede im Gegenteil stets vorausgesetzt. Ebenso wenig waren auch die Freiheitsrechte je grenzenlos gewährt; ihre Sozialverträglichkeit wurde vielmehr von Anfang an durch Gesetzesvorbehalte sichergestellt. Vor diesem Hintergrund ist der Konflikt zwischen Gleichheit und Freiheit eher ein Prinzipienstreit, im praktischen Einzelfall bedeutsam ist er nicht426. In der geltenden Verfassung besteht zwischen Gleichheitssatz und Freiheitsrechten weniger Spannung als vielmehr guter Zusammenklang. Das beginnt bei der Demokratie, die die Gleichheit der Bürger in den Dienst ihrer Freiheit stellt: Ausgehend von der Annahme, dass alle Bürger gleich sind, wirkt der Einzelne an der Erzeugung jener Normen mit, denen er dann unterworfen ist. Praktisch verhindert dies, dass die Mehrheit von einer Minderheit oder gar von einem Einzelnen beherrscht wird. Vor einer Beherrschung durch die Mehrheit schützt die Demokratie den Rechtsunterworfenen hingegen nicht. Diese offene Flanke schließt, wie im vorigen Kapitel gezeigt, der Gleichheitssatz, indem er dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber gebietet, jeden Menschen vorurteilsfrei zu beurteilen und unparteiisch zu behandeln, ihn insbesondere nicht in eine ausweglose Lage zu bringen, etwa indem er Personen aufgrund von Eigenschaften ____________________
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F.I.
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benachteiligt, die sie nicht oder nicht zumutbar ändern können; ihnen ein Verhalten vorwirft, das zu setzen sie nicht vermeiden konnten; ihnen Pflichten auferlegt, die sie nicht erfüllen können; sie für Umstände haften lässt, auf die sie keinen Einfluss und an denen sie kein Interesse haben427. Mit diesem Recht des Einzelnen, als Person in seinem „So-Sein“ geachtet, nach seinen individuellen Voraussetzungen vorurteilsfrei beurteilt und unparteiisch behandelt zu werden, verschafft der Gleichheitssatz dem Rechtsunterworfenen eine Freiheit von etwas, zum einen nämlich Freiheit von der Willkür anderer, zum Zweiten die Freiheit, sich unabhängig von gesellschaftlichen Stereotypen, Klischees und Rollenzuschreibungen zu entfalten428. Eine Freiheit, sich in bestimmter oder gar in jeder Hinsicht so zu verhalten, wie man will, ist damit noch nicht verbunden. Handlungsspielräume dieser Art räumen im System der österreichischen Grundrechtsordnung primär die Freiheitsrechte ein. Sollen diese Rechte ihren Sinn nicht verlieren, kann der Gleichheitssatz sie weder verdoppeln, noch kann er Freiheiten supplieren, die die Verfassung gerade nicht gewährt. Schon deshalb lässt sich dem Gleichheitssatz keine Garantie einer allgemeinen Handlungsfreiheit entnehmen. Eine solche Umdeutung des Gleichheitssatzes in ein Freiheitsrecht begegnet neben systematischen Bedenken auch historischen Einwänden, und sie ist selbst durch teleologische Erwägungen nicht indiziert. Denn die weit überwiegende Zahl der Fälle, die man etwa in Deutschland der in Art 2 GG explizit garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit subsumiert, sind im österreichischen Grundrechtssystem ohnedies durch spezielle Freiheitsrechte erfasst; und selbst jenseits dieser Spezialgarantien ist der Einzelne vor Freiheitsbeschränkungen durch den Gleichheitssatz noch teilweise geschützt, insoweit nämlich, als er weder unerfüllbare oder unzumutbare Handlungspflichten noch ungerechtfertigte Sonderopfer dulden muss429. Soweit die Verfassung Freiheitsrechte ausdrücklich garantiert, statuiert sie spezielle Differenzierungsverbote, -erlaubnisse und -gebote, die auch näheren Aufschluss über den allgemeinen Gleichheitssatz geben: Durch die Freiheitsrechte greift der Verfassungsgesetzgeber zunächst aus der unendlichen Masse denkbarer Handlungen und Sachverhalte einige heraus und erklärt sie alle gleichermaßen für frei; ebenso ist hinsichtlich der Inanspruchnahme der jeweils gewährten Freiheit jedermann oder doch jeder Staatsbürger gleich schützenswert430. Aus diesen wesentlichen Gemeinsamkeiten folgt zwar ein Gebot zur Gleichbehandlung, für gewöhnlich ____________________
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E.IV. E.I.4.c. F.II.2. F.II.1.a.
Zusammenfassung
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besteht es aber nur prima facie: Verhältnismäßige Differenzierungen sind erlaubt431 und können qua Schutzpflicht sogar geboten sein432. Dass sich Freiheitsrechte solcherart als Differenzierungsregeln formulieren lassen, darf freilich nicht den Blick darauf verstellen, dass diese Rechte nichtkomparativ sind: Das Recht, in seiner Freiheit nur in den verfassungsrechtlich vorgesehenen Grenzen beschränkt und vor Störungen angemessen geschützt zu werden, hat der Einzelne nicht deshalb, weil dieses Recht auch einem anderen zugestanden wird, sondern weil die Freiheit an sich schützenswert ist. Dementsprechend können Freiheitsverletzungen auch nicht korrigiert werden, indem einem anderen eine gleichartige Belastung auferlegt oder ein gebotener Schutz ebenso versagt wird; die Freiheit kann nur auf einem Weg, nämlich durch die Beseitigung der Belastung oder die Gewährung des Schutzes selbst (wieder)hergestellt werden. Soweit sich die Zulässigkeit einer Gleich- oder Ungleichbehandlung definitiv aus einer solchen freiheitsrechtlichen Differenzierungsregel ergibt, geht diese Regel dem Gleichheitssatz im Allgemeinen vor433. Eigenständige Bedeutung neben diesen speziellen Differenzierungsregeln hat der Gleichheitssatz dann nur, wenn die jeweilige Norm den Betroffenen zusätzlich zur Freiheitsbeschränkung diskriminiert: Dann kommt zur Freiheitsbeschränkung noch eine Gleichheitswidrigkeit hinzu, die nicht in der allenfalls konstatierten Freiheitsverletzung aufgeht. In solchen Fällen ist zweckmäßigerweise mit der Gleichheitsprüfung zu beginnen, weil Art 7 Abs 1 B-VG und Art I Abs 1 BVG-RD an die Zulässigkeit verpönter Differenzierungen strengere Anforderungen stellen als die Freiheitsrechte434. Daneben kommt auch Art 14 EMRK zur Anwendung, dessen Prüfungsmaßstab je nach Lage des Falles strenger oder milder sein kann als jener des Art 7 Abs 1 B-VG bzw Art I Abs 1 BVG-RD435. Fehlt es an Anhaltspunkten für eine Diskriminierung, verläuft die Grundrechtsprüfung umgekehrt: Zu fragen ist zuerst, ob die Beschränkung der Freiheit mit dem jeweils einschlägigen Freiheitsrecht vereinbar ist; kann dies bejaht werden, ist weiter zu prüfen, ob die Maßnahme auch dem Gleichheitssatz entspricht. Dieser hat als komparatives Recht neben den Freiheitsrechten zunächst dann eigenständige Bedeutung, wenn der Gesetzgeber die ihm erteilte Ermächtigung, in ein Freiheitsrecht einzugreifen, verhältnismäßig in Anspruch nimmt, sie aber nicht voll ausschöpft, wenn er also zur Verwirklichung öffentlicher Interessen nur bestimmte ____________________
431 432 433 434 435
F.II.1.b., F.II.1.c. F.II.1.d. F.II.1.e. F.II.3. F.III.5.
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Gleichheit und Freiheit
Rechtsunterworfene heranzieht, andere, die zu diesem Ziel ebenso beitragen könnten, hingegen nicht. Eine solche Ungleichbehandlung greift – da die Grundrechtsträger in ihrem Anspruch auf Freiheit wesentlich gleich sind – in den Gleichheitssatz ein, bedarf also einer sachlichen Rechtfertigung durch wesentliche Unterschiede oder externe Zwecke. Kann eine solche Rechtfertigung nicht beigebracht werden, so muss zur Herstellung eines gleichheitskonformen Zustandes der (für sich genommen verhältnismäßige) Eingriff in das Freiheitsrecht entweder auf andere Personen ausgedehnt oder ganz beseitigt werden. Als komparatives Recht entfaltet der Gleichheitssatz für die Freiheit also zwiespältige Wirkungen: Er kann zu einem Verlust, aber auch zu einem Gewinn an Freiheit führen436; denn er zielt nicht auf die Maximierung der Freiheit, sondern darauf, die Gleichmäßigkeit der Freiheit sicherzustellen. Dieselbe Funktion erfüllt der Gleichheitssatz, wenn der Gesetzgeber freiwillig, also ohne durch Schutzpflichten dazu verhalten zu sein, Maßnahmen ergreift, um den Grundrechtsträgern die Inanspruchnahme eines Freiheitsrechts auch faktisch unter gleichen Bedingungen zu ermöglichen. Das Interesse, die faktische Freiheit aller zu fördern, ist ein legitimer Grund, der Differenzierungen im Lichte des Gleichheitssatzes erlaubt437. Eine Pflicht, derart positive Maßnahmen zu ergreifen, resultiert aus dem allgemeinen Gleichheitssatz hingegen in aller Regel nicht, würde sonst doch der Spielraum, den die Freiheitsrechte dem Gesetzgeber bei der Vornahme derartiger Maßnahmen bewusst belassen, durch den Gleichheitssatz unterlaufen438. Entschließt sich der Gesetzgeber aber aus eigenem zu einer Begünstigung im Schutzbereich eines Freiheitsrechts, dann sorgt der Gleichheitssatz dafür, dass die eingesetzten Mittel gleichmäßig verteilt werden. Ebenso wie die ungleichmäßige Beschränkung kann auch die ungleichmäßige Förderung der Freiheit korrigiert werden, indem sie ganz zurückgenommen oder indem sie ausgedehnt wird. Auch hier wirkt der Gleichheitssatz also ambivalent: Er kann Freiheit verkürzen, sie aber auch über das durch das Freiheitsrecht gebotene Maß hinaus stärken439. Eine besondere Verbindung geht der Gleichheitssatz mit den Freiheitsrechten bei Maßnahmen ein, die zwar in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts eingreifen, durch dessen Verhältnismäßigkeitsgebot aber nicht effektiv begrenzt werden können. Das ist bei fiskalisch oder budgetär motivierten Eingriffen in das Eigentum, insbesondere bei Abgaben, Gebühren440 oder ____________________
436 437 438 439 440
F.II.4. F.II.7.b. F.II.7.a., F.II.7.c. F.II.7.c., F.II.7.d. F.II.5.a.
Zusammenfassung
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der Kürzung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche441 der Fall, dann aber auch bei Geld- und Freiheitsstrafen442. Diese Freiheitseingriffe sind praktisch immer geeignet und erforderlich, um ein öffentliches Interesse zu befördern, und sie stehen zu ihm auch kaum je außer Verhältnis, weil dieses Interesse entweder (wie der Fiskalzweck) unersättlich ist oder weil (wie beim Strafzweck) sein Gewicht festzulegen weitgehend im Wertungsspielraum des Gesetzgebers liegt. Da die Verhältnismäßigkeitsprüfung hier letztlich versagt, bleibt das Freiheitsrecht gegen solche Eingriffe wehrlos – eine offene Flanke, die erst der Gleichheitssatz schließt: Er gibt zwar nicht die Höhe einer Abgabe, Gebühr, eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches oder einer Strafe vor; doch er grenzt die Kriterien ein, nach denen Steuern oder Gebühren erhoben, Ansprüche gekürzt oder Strafen verhängt werden dürfen. Der Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen damit ein nichtkomparatives Recht, diesen Maßstäben entsprechend behandelt zu werden. Sie zu durchbrechen ist als Eingriff in den Gleichheitssatz nur erlaubt, wenn und soweit dies dem – nun effektiv wirksamen – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht443. Flankierenden Freiheitsschutz verschafft der Gleichheitssatz schließlich auch gegen staatliche Maßnahmen, die sich zwar im Schutzbereich eines Freiheitsrechts nachteilig auswirken, die aber unterhalb der Eingriffsschwelle bleiben. Auf solche Fälle kommt nur der allgemeine Gleichheitssatz zur Anwendung; die Wertentscheidung, die der Verfassungsgesetzgeber durch das Freiheitsrecht getroffen hat, ermöglicht es aber, die ungleichen Auswirkungen im Schutzbereich des Freiheitsrechts zum Gegenstand der Gleichheitsprüfung zu machen. In Verbindung mit den Freiheitsrechten vermittelt der Gleichheitssatz dem Einzelnen nämlich zahlreiche Primafacie-Rechte, so etwa (wegen Art 6 StGG) das Recht, im wirtschaftlichen Wettbewerb nicht hinter seine Konkurrenten zurückgesetzt, zB mit einer Sonderabgabe belastet zu werden, die den Konkurrenten nicht trifft oder eine Beihilfe erfolglos zu verlangen, die dem Konkurrenten gewährt worden ist444; (wegen Art 8 EMRK) ein Recht, nicht aufgrund seiner Ehe, Lebensgemeinschaft oder seines Ledigenstandes benachteiligt zu werden445; (wegen Art 4 StGG) das Recht, nicht bloß deshalb schlechter behandelt zu werden, weil man an einen Ort erst zugezogen, dort also nicht einheimisch ist oder weil man umgekehrt nie gereist, sondern stets vor Ort geblieben ist446. Derartige Benachteiligungen behandeln wesentlich Gleiches ____________________
441 442 443 444 445 446
F.II.5.b. F.II.5.c. F.II.5. F.II.6.a. F.II.6.b. F.II.6.c.
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Gleichheit und Freiheit
(wirtschaftliche Konkurrenten; Eheleute, Lebensgefährten und Ledige; Einheimische und Zugezogene) ungleich, greifen also in den Gleichheitssatz ein. Dieser Eingriff ist gerechtfertigt, wenn sich nachweisen lässt, dass zwischen den wesentlich gleichen Personengruppen im Lichte eines legitimen Regelungszieles auch wesentliche Unterschiede bestehen oder wenn die Ungleichbehandlung zur Erreichung eines legitimen externen Zweckes geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig ist. Die Judikatur entspricht diesen Grundsätzen teilweise. Ihre wesentliche Schwäche ist die – in jüngerer Zeit allerdings deutlich abnehmende – Tendenz, die Zulässigkeit von Freiheitseingriffen nicht am primär betroffenen Freiheitsrecht zu kontrollieren, sondern am allgemeinen Gleichheitssatz447. Regelmäßig beanstandet der VfGH in diesen Fällen nicht, dass die inkriminierte Vorschrift Personen in gleicher Lage ungleich belastet oder begünstigt, sondern, dass sie „an sich“ unsachlich ist. Moniert wird also die Verletzung eines nichtkomparativen Rechts; bei Licht besehen kann dieses Recht aber nur die speziell garantierte Freiheit sein, also ein Recht, das dem Gleichheitssatz gerade nicht – auch nicht durch das Sachlichkeitsgebot – „immanent“ ist. Die vorrangige oder gar ausschließliche Prüfung von Freiheitsbeschränkungen am Gleichheitssatz ist nicht nur prüfungstechnisch zu beanstanden. Sie wertet die verfassungsgesetzlich garantierten Freiheitsrechte in ihrer Eigenständigkeit ab und unterwandert die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers, nur bestimmte Lebenssachverhalte unter den besonderen Schutz der Verfassung zu stellen. Dieser differenzierte Schutz wird durch die Heranziehung des „allgemeinen“ Sachlichkeitsgebotes entweder auf ein Niveau eingeebnet oder das Sachlichkeitsgebot wird – ohne die Gründe transparent zu machen – einmal strenger und dann wieder milder gehandhabt. Beide Wege führen an der Verfassung vorbei, und sie nähren auch das verbreitete Vorurteil, der Gleichheitssatz entziehe sich gleichsam „naturnotwendig“ einer vorhersehbaren und rational nachprüfbaren Handhabung. Es ist daher zu begrüßen, dass der VfGH die Freiheitsrechte in jüngerer Vergangenheit wesentlich stärker heranzieht. Für die Zukunft bleibt zu wünschen, dass dies den Gleichheitssatz auch von Funktionen entlastet, die ihm nicht zukommen. Er könnte dann, wie teilweise schon bisher, nun aber klarer exponiert, seine hier einschlägige Funktion erfüllen, für Gleichheit in der Freiheit zu sorgen448 und der Freiheit flankierenden Schutz zu leisten449.
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447 448 449
F.II.1.e. F.II.4., F.II.7.c. F.II.5., F.II.6.
G. Gleichheit und Solidarität I. Problemstellung Im vorigen Kapitel wurde festgestellt, dass das Spannungsverhältnis zwischen allgemeinem Gleichheitssatz und Freiheitsrechten weit weniger gravierend ist, als dies die Literatur immer wieder konstatiert. Wirklich prekär wird das Verhältnis zwischen diesen beiden Rechten erst, wenn um den Preis der rechtlichen Freiheit faktische Gleichheit zwischen den Bürgern hergestellt werden soll. Die Forderung nach faktischer Gleichstellung wurde im Verlauf der Geschichte begreiflicherweise immer von jenen erhoben, die unterlegen waren, die sich also (vor allem aufgrund ihrer ökonomischen Situation) in einer zu schlechten Ausgangslage befanden, um von den Segnungen der rechtlichen Freiheit überhaupt oder doch in einem nennenswerten Maß Gebrauch machen zu können1. Dass die gleiche Geltung des Rechts für jedermann und das Verbot von Diskriminierung und Privilegierung allein nicht genügen kann, um die Freiheit für jeden Bürger real werden zu lassen2, war denn auch den französischen Revolutionären bewusst, die wohlweislich nicht nur Freiheit und Gleichheit verlangten, sondern auch jene „Brüderlichkeit“, die die Brücke zwischen diesen beiden Werten schlägt3. Als eigenständiges Postulat ist die Brüderlichkeit ____________________
1 Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang der Satz von France, Die rote Lilie 116, die „majestätische[…] Gleichheit des Gesetzes […] [verbietet] Reichen wie Armen […], unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“ 2 S etwa Zacher, AöR 93 (1968) 350: „Mehr und mehr zeigt sich also, daß die Vorstellung, Gleichheit durch Vernichtung ungleicher Regelungen herzustellen, zu einfach war“; Martens, VVDStRL 30 (1972) 10 f: „Rechtliche Freiheit und Rechtsgleichheit haben [...] an der Lösung der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts keinen positiven Anteil gehabt“; s schließlich E.-W. Böckenförde, FS Arndt 67, nach dem die Trias von Rechtsgleichheit, bürgerlicher (Erwerbs-)Freiheit und Garantie des erworbenen Eigentums den klassenmäßigen Antagonismus der Gesellschaft und damit die neue, soziale Unfreiheit überhaupt erst herbeigeführt haben. 3 In die Verfassungen der Französischen Revolution hat die Trias von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit allerdings erstaunlicherweise keinen Eingang gefunden, sie kommt erst in der Verfassung der Zweiten Republik vor, fehlt in der Verfassung der Dritten Republik und findet sich dann wieder in den Verfassungen der Vierten und Fünften Republik, s dazu mwN Krüger, FS Maunz 251. S zur „Brüderlichkeit“ als einem Postulat zwischen Freiheit und Gleichheit näher Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 156 ff. Zu dem in der französischen Verfassung 1793 dann auch gewährten Recht auf Existenz und Unterhalt etwa Machacek, FS Schnorr 528; zur Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 in Frankreich grundlegend Wiederin, VVDStRL 64 (2005) 57 ff; zur geschichtlichen Entwicklung der sozialen Grundrechte auch Lang, FS Floretta 188; Floretta, FS Rosenzweig 134 ff; Thienel, FS Schäffer 859 ff.
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Gleichheit und Solidarität
zwar in weiterer Folge mehr und mehr verschwunden4; der Sache nach wurde sie aber unter dem Titel der Gleichheit weiterhin verlangt. In der Zwischenzeit segelt die Forderung nach Solidarität und staatlicher Unterstützung gar unter drei verschiedenen Flaggen: Sie wird von manchen der Freiheit zugerechnet5, von anderen weiterhin der Gleichheit6, wieder andere meinen, dass derartige Forderungen nur durch soziale Grundrechte begründet werden können7 und als staatliches Programm allenfalls einem Sozialstaatsprinzip zu entnehmen seien8. In der österreichischen Literatur wurde viel und eingehend über „soziale Grundrechte“ und auch über ein – in der Verfassung bekanntlich nicht ausdrücklich festgeschriebenes – Sozialstaatsprinzip diskutiert9. Kontrovers beurteilt wurde dabei zunächst, ob sich in der österreichischen Verfassung überhaupt Anhaltspunkte für ein Sozialstaatsprinzip finden lassen: Ein Teil der Literatur glaubt solche zu erkennen10, der andere Teil weist ____________________
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S schon oben F.I.1.f., sowie Krüger, FS Maunz 249 ff. S etwa K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 185, nach dem die Forderung nach Gleichsetzung im Sinne einer Teilhabe an den sozialen Gütern auch auf das „Freiheitsprinzip“ zurückgeführt werden kann; s auch die bei Pernthaler, JBl 1965, 60, vorgenommene Unterscheidung zwischen Freiheit in einem extrem individualistischen und Freiheit in einem personalistischen Sinn, die in der Gegenüberstellung von „liberalem“ und „sozialem“ Rechtsstaat mündet; nur letzterer verbürge Freiheit und Teilhabe; weiters Öhlinger, FS Floretta 281, der es als die Aufgabe des Staates ansieht, „allen Bürgern ein gewisses Maß an ökonomischer und sozialer Sicherheit als Voraussetzung effektiver Inanspruchnahme auch liberaler Freiheiten zu garantieren“, ohne freilich aus den Freiheitsrechten direkt Leistungsansprüche abzuleiten; Alexy, Grundrechte 458 ff, 466, stützt hingegen gewisse Minimalrechte (Existenzminimum, einfache Wohnung, Schulbildung, Berufsausbildung, ärztliche Versorgung) ua auf das Argument faktischer, wirklicher, realer Freiheit, also auf die Möglichkeit, zwischen dem durch die rechtliche Freiheit Erlaubten zu wählen; s auch Rüpke, FS Ermacora 488, sowie Hammer, Rechte und Pflichten 303 ff; allgemein zum Verhältnis von Freiheit und Brüderlichkeit Krüger, FS Maunz 259 ff. 6 Einen sozialen Gehalt des Gleichheitssatzes bejahen zB Pernthaler JBl 1965, 71; ders, Bundesstaatsrecht 491 f; K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 180 ff, 213 ff; ders, Diskussionsbeitrag 78; Zacher, AöR 93 (1968) 359 ff, 383; ders, Soziales Staatsziel Rz 37; Ipsen, Gleichheit 173 ff; Scholler, Chancengleichheit 14 ff; Gygi, Wirtschaftsverfassung 141 ff; J. P. Müller, Soziale Grundrechte 226 ff; Häberle, Diskussionsbeitrag 84, 105; Alexy, Grundrechte 380 ff; Lipphardt, EuGRZ 1986, 162; H.-P. Schneider, Diskussionsbeitrag 87; ders, VVDStRL 47 (1989) 106 f; Rüpke, FS Ermacora 480; Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 14 ff; wohl auch Stein/Frank, Staatsrecht 410 f; Huster, Rechte 416, 424; allgemein zum Verhältnis von Gleichheit und Brüderlichkeit Krüger, FS Maunz 263 ff. 7 Exemplarisch Martens, VVDStRL 30 (1972) 29 ff. 8 S zB Starck, Art 3 GG Rz 6; zur Vielfalt der dogmatischen Begründungsansätze s auch Merli, Armut 20. 9 Für eine Übersicht über die hiezu vertretenen Ansichten s zB Machacek, FS Schnorr 531 ff; s auch Öhlinger, FS Floretta 271 ff mwN in FN 2; s mwN auch Thienel, FS Schäffer 860, 865, 870 f, 885. 10 ZB Pernthaler, JBl 1965, 59 ff; ders, Raumordnung 35; wohl auch noch ders, Bundesstaatsrecht 559; Fröhler/Oberndorfer, Wirtschaftsrecht 11; Binder, Wirtschafts5
Problemstellung
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diese Annahme entschieden zurück11. Strittig ist in der Lehre überdies, ob soziale Grundrechte sich wirklich qualitativ von den klassisch-liberalen Grundrechten unterscheiden oder ob die Übergänge zwischen beiden Grundrechtskategorien letztlich fließend sind12. In einem Punkt scheint in der österreichischen Lehre allerdings Einigkeit zu bestehen: in der Annahme nämlich, dass der allgemeine Gleichheitssatz jene Garantie in der geltenden Grundrechtsordnung ist, die den Staat am ehesten zur Ergreifung „sozialer“ Maßnahmen zwingt13. Der Gleichheitssatz markiere, wie ____________________
recht 2 Rz 0131, jeweils vor allem gestützt auf die kompetenzrechtlichen Grundlagen des Sozialstaates und die material zu verstehenden Grundrechtsgarantien; vorsichtig bejahend auch Öhlinger, Determinanten 9 ff, der annimmt, dass die österreichische Verfassung einen sozialstaatlichen Auftrag zwar nicht explizit erteilt, aber doch voraussetzt; ähnlich Oberndorfer, Soziale Verantwortung 306, nach dem die Demokratie aus innerer Notwendigkeit den Sozialstaat entstehen lasse; Berka, ZÖR 1986, 94 f, nimmt an, dass dem Konzept einer „demokratischen Gesellschaft“, auf das die EMRK verweist, das Leitbild einer sozialen Demokratie zugrunde liegt, das auch für Österreich gilt. 11 Vgl etwa Walter, Bundesverfassungsrecht 104 FN 14, nach dem sämtliche Versuche, das Sozialstaatsprinzip als Grundprinzip der österreichischen Verfassung zu erweisen, gescheitert sind; auch Schambeck, Staatszwecke 275, und Korinek, Sozial- und Wirtschaftsordnung 253, sehen im Sozialstaatsgedanken keinen Verfassungsrechtssatz, sondern bloß eine „adjektivistische Wertung des österreichischen Rechtsstaates“, dem lediglich politische Bedeutung zukomme; eine Sozialstaatsklausel für Österreich verneinen auch Koja, Verfassungsrecht 83; Thienel, Berufungsverfahren 40; Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht I Rz 10.025 f, 14.015; Oppitz, in Hofmann ua 161; Wiederin, VVDStRL 64 (2005) 70 („Wo nichts steht, kann auch nichts geboten sein“). Auch der VfGH hat im Erkenntnis VfSlg 4753/1964 festgestellt, dass der österreichischen Verfassung kein Sozialstaatsprinzip zu entnehmen ist. 12 Unterschiede zwischen liberalen und sozialen Grundrechten heben etwa Korinek, FS Merkl 175 f; Thienel, FS Schäffer 870 f, hervor. Gegen eine absolute Entgegensetzung dieser Grundrechte bereits Öhlinger, FS Floretta 273 ff; ihm folgend zB Martinek, FS Floretta 251 f; Thienel, FS Schäffer 870; zuvor bereits Pernthaler, FS Klecatsky 748 ff; s auch Klecatsky, FS Ermacora 316, nach dem sich „im Schutz gegen gesetzgeberische Eingriffe auch das subjektive soziale Grundrecht zum ‚klassisch-liberalen‘ [wandelt]“; Floretta, FS Rosenzweig 150, betont, dass das klassische Verfassungsmodell des 19. Jahrhunderts nicht ausschließlich aus Abwehrrechten (im Sinne eines status negativus) besteht; Berka, Grundrechte Rz 1042, wendet sich zu Recht gegen eine Überspitzung des Gegensatzes zwischen „klassischen“ und sozialen Grundrechten, weil beide Grundrechtstypen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – erstens auf staatliche Konkretisierung angewiesen sind und zweitens Leistungsansprüche gegen den Staat vermitteln können (zu denken ist bei den Freiheitsrechten vor allem an staatliche Schutzpflichten und Teilhaberechte), deren gerichtliche Durchsetzung im Einzelfall schwierig bis unmöglich sein kann, weil auch der VfGH gegen ein gesetzgeberisches Totalunterlassen keine Handhabe hat; in diese Richtung auch Oberndorfer, Soziale Verantwortung 300; einen absoluten Gegensatz zwischen liberalen und sozialen Grundrechten verneint auch Weber, Recht auf Gesundheit 205; auf vielfältige Übereinstimmungen weist auch Holoubek, FS Öhlinger 526 f, hin. Dass soziale Grundrechte Grundrechte sind wie andere auch, hat zuletzt besonders überzeugend Wiederin, Soziale Grundrechte 154 ff, gezeigt. 13 Vgl etwa Pernthaler JBl 1965, 63, nach dem soziale Ansprüche in gewissem Rahmen „mittelbar“ verfassungsrechtlich, nämlich aus dem Gleichheitssatz abgeleitet werden können; Ernst, FS Floretta 163, nach dem dem Gleichheitssatz mangels einer Verankerung sozialer Grundrechte in der Verfassung eine besondere Bedeutung zukommt; s wei-
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Gleichheit und Solidarität
in der Literatur festgestellt wurde, „am deutlichsten den Weg zur sozialen Gerechtigkeit“14, stehe in einer „unübersehbaren inneren Beziehung“ zu sozialen Grundrechten15 oder beinhalte mittelbar „sozialstaatliche Garantiefunktionen“16. Auch für das GG, in dem ein Sozialstaatsprinzip ausdrücklich verankert ist17, wird angenommen, dass „mit der Preisgabe eines allgemeinen, aktuellen Gleichheitssatzes die wirksamste Möglichkeit dahinfällt, dem Sozialstaatsprinzip Leben zu geben“18. Die solcherart konstatierte Nähe des Gleichheitssatzes zu sozialen Garantien erklärt sich zunächst schlicht aus der Vielfältigkeit der Ansprüche, die dieses Grundrecht verbürgen kann19: Denn der Gleichheitssatz ist jedenfalls insoweit kein Abwehrrecht im klassischen Sinn20, als er dem Einzelnen keinen staatsfrei____________________
ters Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 12. Öhlinger, FS Floretta 275, sieht im Gleichheitssatz jedenfalls in seiner Anwendung durch die Judikatur „Ansätze einer einklagbaren Verpflichtung des Staates zu Leistungen bzw zu einem positiven Tun“; in diese Richtung auch Wiederin, VVDStRL 64 (2005) 71, nach dem die Judikatur zum Vertrauensschutz „vom Ansatz her wie eine Garantie einmal eingeräumter sozialrechtlicher Ansprüche“ wirkt. 14 Oberndorfer, Soziale Verantwortung 308, der allerdings auch hinzufügt, dass der Gleichheitssatz für sich allein kein Gebot sozialen Ausgleichs und kein Gebot zu einer ökonomischen Egalisierung enthalte; weitergehend Pernthaler, JBl 1965, 63, nach dem soziale Ansprüche in gewissem Rahmen „mittelbar“ verfassungsrechtlich, nämlich aus dem Gleichheitssatz abgeleitet werden können. 15 Tomandl, Einbau sozialer Grundrechte 7; s auch Freudenschuss, EuGRZ 1983, 626, nach dem „ein als subjektives Recht konstruierter Gleichheitssatz heute eindeutig über den status negativus hinausreicht und ‚die Brücke zu den sozialen Grundrechten schlägt‘ “. 16 Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht I Rz 10.026. 17 Art 20 Abs 1 GG: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ 18 Zacher, AöR 93 (1968) 383; s auch Rüpke, FS Ermacora 480, der die rechtliche Gleichheit als „(mit-)tragendes Prinzip sozialer Grundrechte“ bezeichnet. 19 Diese Vielfältigkeit ist wohl auch für die Schwierigkeiten verantwortlich, die die dogmatische Bewältigung des Gleichheitssatzes bereitet. Die Probleme beginnen in der Regel schon, wenn der Gleichheitssatz in das System der Grundrechte eingeordnet werden soll; s zu den Zuordnungsversuchen der Lehre, die den Gleichheitssatz den Freiheitsrechten einmal gegenüberstellt, dann unterordnet, oft auch die Andersartigkeit von Freiheits- und Gleichheitsrechten ohne weitere Begründung voraussetzt und den Gleichheitssatz zum Teil überhaupt aus den Grundrechten ausgliedert mwN Sachs, Einteilung 424 ff. 20 Jellinek, System 135, wird zuweilen (etwa von Schwabe, Grundrechtsdogmatik 278) nachgesagt, er habe die Gleichheit dem status negativus zugeordnet; wie Sachs, DÖV 1984, 413, gezeigt hat, dürfte diese Ansicht eher auf einer Verwechslung der „negative(n) Natur ... der Rechtsgleichheit“ mit dem negativen Status beruhen. Da Jellinek, System 135, im Gleichheitssatz bloß objektives Recht sah, das für den Einzelnen reine Reflexwirkungen habe, niemals aber Inhalt eines individuellen Anspruches werden könne, ist gerade von ihm eine Zuordnung der Gleichheit zum status negativus oder zum status positivus gar nicht zu erwarten. Nach Sachs, DÖV 1984, 414, vermitteln Gleichheitsrechte „Ansprüche auf das Unterlassen ‚in ungleicher Weise‘ vorgenommener Staatstätigkeit“ und insofern „modale“ (also nur das „Wie“, nicht das „Ob“ staatlichen Handelns betreffende) Abwehrrechte; in Abwehrrechte 652, erwägt ders aber auch, die Gleichheitsrechte als Anwendungsfälle des Persönlichkeitsrechts zu verstehen und ihnen so – über den bloß modalen Charakter als Abwehrrechte hinaus – eine selbständige materielle Grundlage zu geben; s
Problemstellung
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en Raum verschafft, sondern im Gegenteil gerade den Raum beherrscht, in dem der Staat tätig wird21 und – je nach Lage des Falles – entweder eine Ausdehnung oder eine Einschränkung dieser staatlichen Tätigkeit verlangt: Er kann also einen Anspruch auf staatliches Unterlassen ebenso vermitteln22 wie ein Recht auf ein positives Tun, das wiederum in einer staatlichen Leistung ebenso wie in der Einräumung einer Kompetenz bestehen kann, nämlich dann, wenn eine bereits gewährte Leistung oder eine schon eingeräumte Kompetenz zu wenig weit reicht, insbesondere wenn von ihr ohne sachlichen Grund bestimmte Personengruppen ausgeschlossen bleiben. Selbst wenn man also den klassisch-liberalen Grundrechten bloß einen Anspruch auf staatliches Unterlassen und umgekehrt Ansprüche auf staatliche Leistungen nur den sozialen Grundrechten entnehmen wollte, stünde der allgemeine Gleichheitssatz gewissermaßen zwischen diesen beiden Grundrechtstypen, weil er den Staat sowohl zu einem Unterlassen als auch zu einem positiven Tun zwingen kann. Damit ist freilich noch nicht beantwortet, ob und bejahendenfalls inwieweit dem Gleichheitssatz ein Gebot zu entnehmen ist, im Tatsächlichen bestehende Unterschiede auszugleichen, und zwar allenfalls auch um den Preis einer mittelbaren oder unmittelbaren Beeinträchtigung der Rechtssphäre anderer. Als Anknüpfungspunkte derartiger Ungleichbehandlungen kommen in erster Linie Eigenschaften in Betracht, die (anders als Hautfarbe, Rasse, Bekenntnis etc) nicht oder nicht nur gesellschaftlich negativ bewertet werden, sondern dem Einzelnen das Leben auch unabhängig von dieser Bewertung real schwerer machen: Zu denken ist etwa an Behinderung, Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit oder Armut. Gebietet der allgemeine Gleichheitssatz dem Gesetzgeber, derartige Nachteile auszugleichen, also soziale Gleichheit herzustellen?23 Hat der Gleichheitssatz auch eine ____________________
auch Osterloh, Art 3 GG Rz 42, nach der der allgemeine Gleichheitssatz „im Zusammenspiel mit anderen Verfassungsnormen, insb. mit anderen Grundrechten, substantiell inhaltliche, wenn auch variable Anforderungen an staatliche Einwirkungen [begründet].“ 21 S auch Oberndorfer, Soziale Verantwortung 308; s weiters Spielbüchler, FS Floretta 297, nach dem der allgemeine Gleichheitssatz „trotz gewisser struktureller Gemeinsamkeiten mit den Vorbehaltsgrundrechten von vornherein nicht auf die bloße Notwendigkeit einer gesetzlichen Deckung behördlichen Verhaltens beschränkt werden [kann]. Das Verbot der Differenzierung aus unsachlichen Gründen ist eine Anforderung, die sich lediglich an den Inhalt des Gesetzgebungsaktes stellen läßt: aus der schlichten Tatsache einer gesetzlichen Regelung einer Angelegenheit ist für deren Sachlichkeit nichts abzuleiten“ (Hervorhebung im Original); ähnlich auch Luhmann, Grundrechte 163, nach dem das Regelungsinteresse und die Formulierung des Gesollten im Fall der Freiheitsrechte beim Recht des Bürgers, im Fall des Gleichheitssatzes bei der Pflicht des Staates einsetzt. 22 Nämlich dann, wenn eine Belastung grundlos auferlegt wird oder wenn sie zu weit reicht. 23 Es handelt sich hier um die „austeilende“ bzw proportionale Gleichheit im aristotelischen Sinn, s zu dieser K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 197. Zur Unterscheidung zwischen faktischer und rechtlicher Gleichheit s schon oben F.I.1.d.
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fürsorgliche Komponente, zielt er gar auf „soziale Gerechtigkeit“ ab? Oder verhält er sich zu diesen und anderen Eigenschaften ebenso neutral wie zu den Persönlichkeitsmerkmalen der Hautfarbe, der Rasse oder des Bekenntnisses? Diese Frage betrifft nicht nur das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft, sondern die Funktion der Gesellschaft und des Staates überhaupt. Ihre Beantwortung wird im politischen und gesellschaftlichen Diskurs in hohem Maße durch Weltanschauungen und Ideologien beeinflusst. Aber auch für die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung wurde konstatiert, dass die Interpretation des Gleichheitssatzes in dieser Hinsicht davon abhänge, welche Rechts- und Staatsphilosophie man hat24. ME muss für die Frage, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG die Herstellung sozialer Gleichheit gebietet, keine grundlegende Debatte über rechts-, staats- und erkenntnistheoretische Probleme begonnen werden25. Denn die Entstehungsgeschichte des allgemeinen Gleichheitssatzes und die geltende Verfassung vermögen hierauf zureichende Antworten zu geben.
1. Faktische Gleichheit als primäres Ziel des Gleichheitssatzes? Eine am positiven Recht orientierte Auslegung des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG kann im vorliegenden Zusammenhang jedenfalls eine Extremposition von vornherein ausschließen: Der allgemeine Gleichheitssatz beinhaltet kein Gebot zur umfassenden Egalisierung26. Sieht man einmal davon ab, dass eine Nivellierung aller Unterschiede, die zwischen den Menschen im Tatsächlichen bestehen, realistisch gar nicht möglich ist, würde eine radikal egalitäre Auslegung selbst als Utopie dem Inhalt des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG aus vielen Gründen nicht gerecht27. Wie im historischen Teil ____________________
24 Alexy, Grundrechte 381 f, in Anknüpfung an R. Dreier, Recht 114, der diese Feststellung allgemein für die Wahl von Auslegungstheorien trifft; s auch Scholler, Chancengleichheit 13, nach dem die „Konkretisierung des Gleichheitssatzes [...] abhängig von Staatsbegriff und Staatsbild“ ist. 25 S auch Alexy, Grundrechte 382, der eine derartige Diskussion für entbehrlich hält, weil der Weg einer normtheoretisch fundierten dogmatischen Analyse mit weniger Aufwand größere Aussicht auf Erfolg hat. 26 Ein solcher egalitärer Ansatz liegt etwa dem Marxismus zugrunde, vgl dazu zB K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 182 ff. 27 S schon Schäffer, Verfassungsinterpretation 166; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 11; auch für Art 3 Abs 1 GG wird eine solche Auslegung ganz herrschend abgelehnt, s zB Erichsen, DVBl 1983, 295; Rüpke, FS Ermacora 475 f; Schoch, DVBl 1988, 866 ff; Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 16 ff; Huster, Rechte 423; ders, Art 3 GG Rz 104; Osterloh, Art 3 GG Rz 44; Starck, Art 3 GG Rz 4 ff. Auch für Alexy, Grundrechte 380, kann kein Zweifel daran bestehen, dass das „Prinzip der rechtlichen Gleichheit nicht zugunsten des Prinzips der faktischen Gleichheit aufgegeben werden kann.“
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dieser Arbeit gezeigt wurde, stellte schon der Reichstag von Kremsier die Wortfolge „Vor dem Gesetze“ bewusst an die Spitze der Gleichheitsgarantie, um deutlich zu machen, dass eine „kommunistische“ Gleichheit durch dieses Grundrecht nicht verbürgt werden soll28. Die in Kremsier gewählte Satzstellung wurde auch für den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 2 StGG beibehalten29. Der Bundes-Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 rückte die Wendung „vor dem Gesetz“ in Art 7 Abs 1 zwar in die Satzmitte. Mit dieser Umstellung sollte aber gewiss nicht die Ablehnung eines umfassenden Egalitätsgebotes abgeschwächt oder aufgeweicht werden; viel eher sollte wohl – dem bundesstaatlichen Aufbau der neuen Staatsordnung entsprechend – das Augenmerk auf den Bundesbürger gelenkt und mit diesem der Gleichheitssatz begonnen werden30. Dass der allgemeine Gleichheitssatz nicht zur umfassenden Herstellung faktischer Gleichheit verpflichtet, folgt aber auch aus systematischen Erwägungen: Enthielte nämlich schon Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG ein allgemeines Egalisierungsgebot, dann hätte der Verfassungsgesetzgeber Bund, Länder und Gemeinden nicht durch Art 7 Abs 2 B-VG auf das Ziel der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau festlegen müssen31. Art 7 Abs 2 B-VG kann auch nicht als eine bloße Konkretisierung des Gleichheitssatzes angesehen werden; denn dass der Verfassungsgesetzgeber in dieser Bestimmung nur ein Staatsziel statuiert hat, zeigt, dass er die Herstellung faktischer Gleichheit dem Staat selbst in diesem Bereich nur zur Pflicht machen, ein subjektives Recht auf die Einhaltung dieser Pflicht aber gerade nicht gewähren wollte. Ein radikal egalitärer Gleichheitssatz wäre aber auch mit den Freiheitsrechten der österreichischen Verfassung nicht vereinbar, weil die Inanspruchnahme dieser Freiheiten notwendig zu faktischen Ungleichheiten führt32, die, wie bereits im vorigen Kapitel dargelegt wurde, nicht etwa der „Preis“ der Freiheit sind, sondern das Ergebnis der von der Verfassung gewünschten Selbstentfaltung des Menschen33. Sie wieder einzuebnen käme einer Aufhebung der Freiheit gleich34 und stünde auch in Widerspruch zum demokratischen Prinzip: Denn die aus den Unterschieden zwischen den Menschen resultierenden Interessengegensätze sind die Bedingung für die Funktionsfähigkeit von Parlamentarismus und Gewaltenteilung35. Dass aber auch der allgemeine Gleichheitssatz selbst die Unterschiede zwischen ____________________
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B.II.1.a., B.II.1.b., B.II.2.a. Zur Vorbildwirkung der Kremsierer Gleichheitsgarantie für das StGG s oben B.V.1. S oben B.VII.2.a. Zu dieser Bestimmung schon oben E.I.4.e. Dazu schon oben F.I.1.e. S oben F.II.1.a. S oben F.II.1.a. Rüpke, FS Ermacora 484; s auch Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 11.
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den Menschen nicht beseitigen will, sondern im Gegenteil gerade die Akzeptanz dieser Unterschiede gebietet, wurde in den vorigen Kapiteln gezeigt36. Wenn Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG und viele andere spezielle Gleichheitsgebote eine rechtliche Ungleichbehandlung auf Grund des Geschlechtes, der Standes, der Klasse etc verbieten, dann gerade nicht, um die mit diesen Merkmalen einhergehenden Verschiedenheiten zu beseitigen, sondern im Gegenteil, um diese Verschiedenheiten weiter und ohne Nachteil für den Einzelnen zu ermöglichen37. Das Recht auf Gleichheit ist so besehen ein Recht darauf, anders zu sein38.
2. Herstellung faktischer Gleichheit als Eingriff in den Gleichheitssatz? Das starke Votum der Verfassung für die Vielfalt der Menschen hat manche Autoren dazu veranlasst, eine radikal-egalitäre Auslegung des Gleichheitssatzes nicht nur abzulehnen, sondern den diametral entgegengesetzten Standpunkt einzunehmen, dass nämlich Maßnahmen zur Herstellung faktischer Gleichheit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar seien39 oder zu ihm doch in einem Spannungsverhältnis stünden40. Faktische Gleichheit könne nämlich in vielen Fällen nur um den Preis einer Ungleichbehandlung hergestellt werden41. Das Gebot der faktischen ____________________
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S oben E.I.4.b., E.IV.1. Dass rechtliche Gleichheit wegen der faktischen Verschiedenheiten der Menschen einige faktische Ungleichheiten stets bestehen lässt und diese oft verstärkt, betont etwa K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 180; in gewissem Umfang führt die rechtliche Gleichbehandlung freilich auch zu faktischer Gleichheit, s Alexy, Grundrechte 378 f FN 65. 38 Auch dazu schon oben E.IV.1. und F.I.2. 39 Besonders schroff zB von Hayek, Verfassung 107: „Aus der Tatsache, daß die Menschen sehr verschieden sind, folgt, daß gleiche Behandlung zu einer Ungleichheit in ihren tatsächlichen Positionen führen muß und daß der einzige Weg, sie in gleiche Positionen zu bringen, wäre, sie ungleich zu behandeln. Gleichheit vor dem Gesetz und materielle Gleichheit sind daher nicht nur zwei verschiedene Dinge, sondern sie schließen einander aus; und wir können nur entweder die eine oder die andere erreichen, aber nicht beide zugleich“; s auch die Nachweise bei Huster, Rechte 423. 40 ZB Thienel, Berufungsverfahren 38 f: „[W]ürde man dem Gleichheitssatz [...] eine Pflicht entnehmen, zur Herstellung der Gleichheit den Gleichbehandlungsgrundsatz einzuschränken, wäre der Gleichheitssatz nicht gestärkt, sondern würde abgeschwächt“; Gusy, JuS 1982, 35 f: „Das Sozialstaatspostulat als Rechtstitel zur Herstellung eines sozialen Ausgleichs kollidiert häufig mit dem Gleichheitssatz, der eine formal gleiche Behandlung aller sozialen Schichten fordert.“ (im Original mit Hervorhebungen); Gusy, NJW 1988, 2509: „Herstellung von Gleichheit durch ungleiches Recht ist nicht Ziel, sondern Grenze des Gleichberechtigungsgebots“ (im Original mit Hervorhebungen); G. Müller, VVDStRL 47 (1989) 55: „Das Gebot zur Herstellung tatsächlicher Gleichheit wird sodann begrenzt durch die Rechtsgleichheit und andere Grundrechte, die durch eine zu weit getriebene Egalisierung übermäßig beeinträchtigt werden können“ (im Original mit Hervorhebung). 41 S etwa Alexy, Grundrechte 378: „Wer faktische Gleichheit herstellen will, muß rechtliche Ungleichheit in Kauf nehmen“; H.-P. Schneider, VVDStRL 47 (1989) 106:
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Gleichheit geriete, stünde es gleichwertig neben dem Gebot der rechtlichen Gleichheit, mit diesem in eine permanente und grundlegende Kollision. In einen Obersatz zusammengefasst enthielte der allgemeine Gleichheitssatz so ein „Paradox der Gleichheit“42. Dieser Ansicht ist – jedenfalls für Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG – nicht zuzustimmen. Wie bereits gezeigt wurde, gebietet der allgemeine Gleichheitssatz zwar tatsächlich in manchen Bereichen prima facie die formelle Gleichbehandlung und belastet Ungleichbehandlungen nach bestimmten Kriterien mit dem Verdacht der Gleichheitswidrigkeit43. Daraus folgt aber gerade nicht, dass der Gleichheitssatz die schematische Gleichbehandlung ganz allgemein präferiert und jede formelle Ungleichbehandlung für suspekt erklärt: Denn die schematische Gleichbehandlung ist kein „Wert an sich“44; wäre sie es, dann müsste die gesamte Rechtsordnung „gleichheitsparadox“ und mit dem Verdacht der Unzulässigkeit belastet sein, weil jede Norm schon an sich auf Differenzierung angewiesen ist, ja, gar nicht anders kann als zu differenzieren45. Die formale Ungleichbehandlung steht daher für sich genommen keineswegs in einem Spannungsverhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz, solange kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Verfassung im konkreten Fall prima facie eine formale Gleichbehandlung wünscht46. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dieser Befund nicht auch für sozialgestaltende Maßnahmen gelten sollte, die der Herstellung faktischer Gleichheit dienen. Derartige Maßnahmen können allerdings in ein Spannungsverhältnis zu den Freiheitsrechten geraten47, so, wenn sie ____________________
„Es gehört ja zu den eigentümlichen Paradoxien des Gleichheitssatzes, daß angesichts der sozialen Differenziertheit, der sozialen Unterschiede in der Realität, formal gleiches Recht immer ungleich wirkt, was bedeutet, daß wir eigentlich formal ungleiches Recht brauchen, wenn wir Gleichheit herstellen wollen“; s auch Podlech, Gehalt 201; Starck, Art 3 GG Rz 4; noch schärfer Sturn, WiPolBl 1992, 636: „Strebt man nach [materialer Gleichheit], dann zerstört man die prozedurale Gleichheit“. 42 Alexy, Grundrechte 379; s auch Starck, Art 3 GG Rz 5, der es für logisch ausgeschlossen hält, dass der allgemeine Gleichheitssatz zugleich der Idee der rechtlichen und dem Ideal der faktischen Gleichheit verpflichtet ist. 43 Näher oben E.I.4.c., E.II.4.a.cc., E.IV.3. 44 Dazu schon oben C.III.3.-C.III.4. 45 S auch Huster, Rechte 419; dens, Art 3 GG Rz 71, 104. 46 Zu all dem bereits oben C.III. und C.IV. Im Ergebnis ähnlich wie hier auch Huster, Rechte 416, nach dem sozialgestaltende Maßnahmen (in concreto: ein progressiver Steuertarif ) „in keinem denkbaren Sinn im Gegensatz zu dem [steht], was der Gleichheitssatz ‚eigentlich‘ verlangt“; allgemein auch ders, Art 3 GG Rz 104; die Asymmetrisierung von Gleich- und Ungleichbehandlungsgebot ablehnend auch Rüpke, FS Ermacora 489, der zutreffend bemerkt, dass sich der Gesetzgeber einem solchen Prüfungsraster auch weitgehend entziehen könnte, weil er es durch entsprechend (formale) Gestaltung zumeist in der Hand hat, ob er „gleich“ oder „ungleich“ behandelt. 47 Nicht hingegen zur Freiheit an sich, weil hier nicht mehr von einem Prinzip der faktischen Gleichheit die Rede ist, sondern von einzelnen Maßnahmen, die diese Gleichheit herstellen. Derartige Maßnahmen nehmen im Regelfall ohnedies die Freiheit als Prämisse
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Rechtsunterworfene an der Inanspruchnahme dieser Rechte hindern oder wenn das Ergebnis dieser Inanspruchnahme mit rechtlichen Nachteilen verknüpft wird. Ob solche Maßnahmen zulässig sind, ist dann keine primär gleichheitsrechtliche Frage, sondern bestimmt sich nach dem jeweils betroffenen Freiheitsrecht. Von vornherein unzulässig sind derartige Maßnahmen aber im Regelfall nicht, denn die ganz überwiegende Zahl der Freiheitsrechte ist von Verfassung wegen nicht unbeschränkt, sondern unter einem Gesetzesvorbehalt gewährt, der es gerade ermöglichen soll, die Inanspruchnahme der Freiheit auf ein sozialverträgliches Maß zu beschränken48. Schließlich ist zu bedenken, dass faktische Gleichheit zum einen auch durch Maßnahmen hergestellt werden kann, die in ein Freiheitsrecht überhaupt nicht eingreifen49 und dass sozialgestaltende Maßnahmen die jeweils Begünstigten zum anderen oft erst in die Lage versetzen, von den – auch ihnen gewährleisteten – Freiheitsrechten tatsächlich Gebrauch zu machen50. Die Herstellung faktischer Gleichheit dient diesfalls der Freiheit und bezieht aus ihr eine besondere Legitimation51. Weder der ____________________
ihrer Überlegungen an, so etwa die progressive Besteuerung, die von der durch den Markt regulierten Primärverteilung der Güter ausgeht, also gerade an das Ergebnis der Erwerbstätigkeit der Rechtsunterworfenen anknüpft (s schon Huster, Rechte 414). Dass das Bedürfnis nach Egalisierung im Einzelfall mit den Grundrechtspositionen, die zum Zweck der Angleichung der tatsächlichen Verhältnisse beschränkt werden müssen, abzuwägen ist, betont auch G. Müller, VVDStRL 47 (1989) 55. 48 Insofern war der österreichische Grundrechtskatalog, wie Pernthaler, JBl 1965, 63, zutreffend betont, nie „extrem liberalistisch“ gefasst. Aus diesem Grund läge auch weder in der Statuierung einer Sozialstaatsklausel noch in der Aufnahme sozialer Grundrechte in den Grundrechtskatalog eine Gesamtänderung der Verfassung, wie etwa Koja, Verfassungsrecht 84, und auch noch Adamovich/Funk, Verfassungsrecht 104, annahmen; wie hier Berka, Grundrechte Rz 1043 FN 11; s auch Öhlinger, Verfassungsrecht 3 58; Oppitz, in Hofmann ua 161 f. S auch BVerfGE 5, 85 (206), wonach das Sozialstaatsprinzip „schädliche Auswirkungen schrankenloser Freiheit verhindern und die Gleichheit fortschreitend bis zu dem vernünftigerweise zu fordernden Maße verwirklichen“ soll; weiters Osterloh, Art 3 GG Rz 44, nach der die Unterscheidung zwischen rechtlicher und faktischer Gleichheit „unterschiedliche Fragen verfassungsgerechter gegenseitiger Zuordnung von Gleichheit und Freiheit [betrifft,] die sich einer abstrakt begrifflichen einheitlichen Antwort entziehen“; dazu auch Zippelius, VVDStRL 47 (1989) 16 ff. 49 So etwa, wenn behinderten oder kranken Menschen für die Erfüllung der Meldepflicht ein längerer Zeitraum gewährt wird als anderen Personen. Zu denken ist auch an die medizinische Betreuung behinderter Menschen oder an ihre sonderpädagogische Förderung; sie berührt die Freiheit anderer Personen bloß mittelbar, weil die Finanzierung derartiger Maßnahmen erst durch Steuermittel möglich wird. 50 Um beim Beispiel der vorigen FN zu bleiben: Für ein behindertes Kind kann das Recht auf Bildung wertlos bleiben, wenn es eine Schule unter den gleichen Bedingungen besuchen muss wie nichtbehinderte Kinder. Wird ihm aber sonderpädagogische Förderung gewährt, so kann es sein Recht auf Bildung in Anspruch nehmen. Dabei wird nicht verkannt, dass die Teilhabe an staatlicher Förderung und Unterstützung ihrerseits wieder Unselbständigkeit und Abhängigkeit des Leistungsempfängers erzeugt, s dazu etwa Erichsen, DVBl 1983, 290. 51 S schon die Nachweise in FN 5 sowie F.II.7.b.
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allgemeine Gleichheitssatz noch die Freiheitsrechte noch auch das durch sie konstituierte liberale Prinzip zwingen also zu jenem extremen Lieberalismus, „der über die soziale Situation allein den Marktprozeß entscheiden lässt“52.
3. Faktische Gleichheit als subsidiäres Ziel des Gleichheitssatzes? Aus dem angeblichen Spannungsverhältnis, in dem die Herstellung faktischer Gleichheit zum allgemeinen Gleichheitssatz stehen soll, folgert ein Teil der Lehre, dass der Gleichheitssatz zur Herstellung faktischer Gleichheit nicht verpflichten könne. Zum Teil wird in der Literatur aber auch angenommen, dass das „Prinzip“ der rechtlichen Gleichheit zwar nicht zugunsten des Prinzips der faktischen Gleichheit aufgegeben werden könne, dass deshalb aber auf ein solches auch nicht verzichtet werden müsse, dann nämlich, wenn man es allen anderen Prinzipen unterordne: Das Prinzip der faktischen Gleichheit sei dann „ein zureichender Grund für ein definitives subjektives Recht auf eine rechtliche Ungleichbehandlung, die der Herstellung faktischer Gleichheit dient, wenn es alle in Frage kommenden gegenläufigen Prinzipen überspielt“53. Dabei komme ein ganzes Bündel gegenläufiger Prinzipen in Betracht, so jenes der rechtlichen Gleichheit54, weiters Prinzipien, die die Kompetenzverteilung zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber zum Gegenstand haben, dann aber auch jene Prinzipien, die auf negative Freiheiten abstellen. Mit dieser Begründung kann aus Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG jedenfalls kein Gebot zur Herstellung faktischer Gleichheit abgeleitet werden. Geht man einmal davon aus, dass der allgemeine Gleichheitssatz prima facie die formelle Gleichbehandlung gebiete, dann lässt sich nicht nur ein Ungleichbehandlungsgebot, sondern auch ein Gebot zur Herstellung faktischer Gleichheit nicht mehr plausibel, sondern nur mit dem Argument begründen, dass auf ein solches Gebot nicht verzichtet werden muss55. Dieses Argument überzeugt aber selbst dann nicht, wenn man seine Prämissen nicht teilt, wenn man also – wie die vorliegende Arbeit – nicht davon ausgeht, dass der allgemeine Gleichheitssatz prinzipiell zu formeller Gleichbehandlung verpflichtet. Denn dass auf ein Gebot der Herstel____________________
52 So für Art 3 Abs 1 GG Huster, Rechte 424, im Anschluss an Benda, Rechtsstaat 529; s weiters Rüpke, FS Ermacora 476. 53 Alexy, Grundrechte 383 f; Sympathien für dieses Konzept hat auch Rüpke, FS Ermacora 479 f, 482, 487, der sich allerdings aaO 489 von der Annahme distanziert, der Gleichheitssatz beinhalte eine Argumentationslast für formale Ungleichbehandlungen; s auch K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 220 f; Ipsen, Gleichheit 173 f. 54 Womit ein Prima-facie-Recht auf formale Gleichbehandlung gemeint ist. 55 S dazu bereits oben C.IV.2.e.
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lung faktischer Gleichheit nicht verzichtet werden muss, bedeutet ja nur, dass der allgemeine Gleichheitssatz ein solches Gebot nicht ausschließt, nicht aber, dass er es auch enthält. Vor allem aber kommt dieses Argument nicht darüber hinweg, dass der Verfassungsgesetzgeber in Art 7 Abs 2 B-VG die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau nur zu einem Staatsziel erklärt, dem Einzelnen also ganz bewusst kein subjektives Recht auf diese faktische Gleichstellung eingeräumt hat56. Aus diesem Grund kann im vorliegenden Zusammenhang auch dahinstehen, ob der österreichischen Verfassung unausgesprochen ein Sozialstaatsprinzip zugrunde liegt; selbst wenn man dies nämlich bejahte, hätte sich die Verfassung eben gerade nicht dafür entschieden, dem Einzelnen in dieser Hinsicht subjektive Rechte einzuräumen, ebenso wie bisher alle Versuche, in die Verfassung soziale Grundrechte aufzunehmen, gescheitert sind57. Man kann diese Zurückhaltung des Verfassungsgesetzgebers rechtspolitisch kritisieren58, aber nicht durch eine Umdeutung des Gleichheitssatzes wegdiskutieren. ____________________
56 Anders wohl Berka, Grundrechte 892; ders, Art 7 B-VG Rz 18, nach dem die Bekenntnisse zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen (Art 7 Abs 2 B-VG) und von behinderten Menschen (Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG) exemplarisch zum Ausdruck bringen, dass das Gebot der Rechtsgleichheit auch in einen Auftrag zur Förderung realer Gleichheit der Lebenschancen münden kann. 57 Die diesbezüglichen ideologischen Differenzen zwischen Sozialdemokratie und bürgerlichem Lager waren mitverantwortlich dafür, dass 1920 kein eigener Grundrechtskatalog in das B-VG aufgenommen wurde (dazu Floretta, FS Rosenzweig 139 f ). Weder die Europäische Sozialcharta noch der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte haben Verfassungsrang oder sind unmittelbar anwendbar; sie wurden nur unter Erfüllungsvorbehalt (Art 50 Abs 2 B-VG) genehmigt (dazu zB Öhlinger, FS Floretta 272; Machacek, FS Schnorr 530). Auch ein Recht auf soziale Sicherheit, das im „Expertenkollegium für die Neuordnung der Grund- und Freiheitsrechte“ diskutiert worden ist, hat bislang nicht Aufnahme in die Verfassung gefunden (s Klecatsky, FS Ermacora 311 ff; Loebenstein, Expertenkollegium 426 ff ). Die 1985 eingesetzte „politische Grundrechtskommission“ (zu dieser Rack, Grundrechtsreform) legte zwar 1987 den Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes über das Recht auf Sozialversicherung und auf Sozialhilfe und 1990 den Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes über wirtschaftliche und soziale Rechte vor. Beide Entwürfe sind aber nicht Gesetz geworden (näher Holzinger, Grundrechtsreform 487 ff; Weber, Recht auf Gesundheit 204, s zur Grundrechtsreform allgemein auch Adamovich, Diskussionsbeitrag 21 ff ). Die in den Landesverfassungen zum Teil gewährten sozialen Grundrechte binden jedenfalls nicht den Bundesgesetzgeber (dazu Kienberger, Landesverfassungen 42 ff; Weber, Recht auf Gesundheit 204). Den vorläufigen Schlusspunkt der Diskussion bilden die im Österreich-Konvent vorgeschlagenen und nun politisch weiter diskutierten sozialen Grundrechte (s zum Konvent im Allgemeinen Österreichische Juristenkommission [Hrsg], Österreich-Konvent, und zu den Grundrechten im Besonderen Goldeband, Zwischenbilanz 35). 58 Auch dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Statuierung einer Sozialstaatsgarantie oder sozialer Grundrechte für sich genommen noch nicht zu einem höheren sozialen Standard führt, wie sich auch im internationalen Vergleich zeigt: Österreich hat zwar (anders als zB Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Portugal, die Schweiz, Spanien, die Tschechische Republik und Ungarn) keine verfassungsrechtlich festgeschriebenen Min-
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4. Derivative Leistungsrechte Dass die Herstellung faktischer Gleichheit in keinem Spannungsverhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz steht, lässt zwar noch nicht den Schluss zu, dass derartige Maßnahmen durch den allgemeinen Gleichheitssatz auch geboten sind. Ein Teil der deutschen und die überwiegende österreichische Lehre nimmt eine Pflicht zur Gleichstellung aber an, sobald der Gesetzgeber einmal eine Unterstützung gewährt: Diesfalls käme allen Personen, die den bereits Begünstigten im Tatsächlichen gleich sind, ein derivatives Leistungsrecht zu. Der Rechtsunterworfene werde so durch den allgemeinen Gleichheitssatz in die Lage versetzt, sich gegen ein gesetzgeberisches Teilunterlassen zur Wehr zu setzen59. Ob der Gesetzgeber, um derartigen Ansprüchen zu entgehen, die einmal gewährte Unterstützung ganz (also auch für die bisher Begünstigten) wieder abschaffen kann, wird unterschiedlich beurteilt. Ein Teil der Lehre nimmt in dieser Hinsicht völlige Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers an60, die nach manchen Autoren sogar das Bestehen derivativer Leistungsrechte ausschließt: Da der Gesetzgeber die einmal eingeführte Unterstützung, um einen gleichheitskonformen Zustand herzustellen, sowohl ausdehnen als auch ganz beseitigen könne, da der Gleichheitssatz in dieser Frage also völlig offen sei, vermittle er dem Einzelnen gerade kein Recht, in den Kreis der Begünstigten einbezogen zu werden61. Andere Autoren nehmen an, die Gesamtrichtung des allgemeinen Gleichheitssatzes gehe „nach oben“, sei also zum Besseren hin dynamisiert und lasse daher nicht zu, dass ein einmal eingeführter Standard ohne weiteres „heruntergepegelt“ werde62. Wieder andere konstatieren zwar die Freiheit des Gesetzgebers, eine zu eng gefasste Begünstigung auszudehnen oder abzuschaffen, nehmen aber zugleich an, dass der allgemeine Gleichheitssatz derivative Leistungsrechte verbürge63. Beide Aussagen sind auch ohne weiteres miteinander vereinbar: Denn der derivative Leistungsanspruch leitet sich ja aus einer tatsächlich gewährten ____________________
deststandards in sozialer Hinsicht, Gleiches gilt mit gewissen Einschränkungen auch für Schweden; dennoch ist gerade das Sozialsystem in Österreich und in Schweden auf einfachgesetzlicher Ebene auffallend stark ausgeprägt und im Bewusstsein der Bevölkerung beider Länder auch als identitätsstiftend fest verankert: s Merli, Armut 20. 59 S zB Oberndorfer, Soziale Verantwortung 308; Öhlinger, FS Floretta 275; Oppitz, in Hofmann ua 164; s auch Martens, VVDStRL 30 (1972) 21 ff; Osterloh, Art 3 GG Rz 88. 60 ZB Osterloh, Art 3 GG Rz 54. 61 S etwa Sachs, DÖV 1984, 414; Schoch, DVBl 1988, 868, der derivative Teilhaberechte im Bereich der Rechtssetzung vorsichtig verneint, im Bereich der Rechtsanwendung aber bejaht; s auch Martens, VVDStRL 30 (1972) 23 f. Grundsätzlich zur Ergebnisoffenheit des Gleichheitssatzes Lübbe-Wolff, Grundrechte 244 ff. 62 S Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 36 107, 110, 171 ff, 353. 63 Etwa Oppitz, in Hofmann ua 164.
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Begünstigung her – erst wenn diese beseitigt wird, verliert das derivative Leistungsrecht seine Grundlage. Solange die Begünstigung aber besteht, ist ein Anspruch auf Einbeziehung gleichheitsrechtlich durchaus begründbar64 und müsste selbst für jene Autoren unproblematisch sein, nach denen die formale Ungleichbehandlung in ein Spannungsverhältnis zur Garantie der Gleichheit gerät. Denn faktische Gleichheit wird hier gerade durch eine formale Gleichbehandlung (mit den bereits Begünstigten) hergestellt, sodass sich die Frage, inwieweit der Gleichheitssatz zur faktischen Gleichstellung verpflichtet, in Wahrheit gar nicht stellt65. Die dem Gebot der Gleichbehandlung gleicher Fälle regelmäßig hinzugefügte Ergänzung, Ungleiches sei ungleich zu behandeln, ist – für die genannten Fälle – nichts anderes als eine Paraphrase des ersten Satzes mit doppelter Negation66. Eine eigenständige Bedeutung gewinnt dieser zweite Satz erst dann, wenn er dem Grundrechtsträger einen Anspruch verschafft, nicht bloß derivativ (nämlich so wie schon andere vor ihm), sondern originär ungleich behandelt zu werden, also unabhängig davon, ob es schon eine ungleich behandelte Gruppe gibt, der man gleichgestellt werden könnte. Auf diese Frage muss sich die Debatte um das Bestehen einer sozialen ____________________
64 Ob es zu einer Anhebung oder Senkung des Niveaus kommt, hängt zumindest dann, wenn der VfGH eine zu eng gefasste Begünstigung in Prüfung nimmt, oft bloß von legistischen Zufällen, also davon ab, wo der Sitz der Gleichheitswidrigkeit ist, s dazu noch unten FN 332. 65 Greift der Gesetzgeber aus der Masse der Rechtsunterworfenen eine Gruppe heraus und behandelt sie besser oder schlechter, jedenfalls anders als alle anderen, so kann er durch den Gleichheitssatz dazu gezwungen werden, diese Maßnahme ganz oder für einen Teil der Betroffenen zurückzunehmen, er kann aber auch genötigt sein, diese Maßnahme auf andere Personen auszudehnen. Hier wie dort kann man in dem jeweils gebotenen Verhalten entweder nur eine Gleichbehandlung oder sowohl eine Gleich- als auch eine Ungleichbehandlung sehen; es kommt nur darauf an, mit wem man den Adressatenkreis der Norm vergleicht: Reicht der Anwendungsbereich der Norm zu weit, dann muss die überschießend erfasste Gruppe anders behandelt werden als die zulässigerweise von der Norm betroffene Gruppe, und das heißt umgekehrt: Sie muss gleich behandelt werden wie jene Personen, die der Norm von vornherein nicht unterstellt waren. Ist der Anwendungsbereich einer Norm zu eng gefasst, so muss die Gruppe, auf die die Norm zu erstrecken ist, anders behandelt werden als der von der Norm ausgeschlossene Personenkreis, dh wiederum gleich wie die von der Norm betroffene Gruppe. Ist eine Norm aus gleichheitsrechtlichen Gründen gänzlich zu beseitigen, so besteht das gebotene Verhalten in einer formalen Gleichbehandlung aller Rechtsunterworfenen, die logisch nicht als eine Ungleichbehandlung gedeutet werden kann. Alle diese Fälle lassen sich letztlich dem Satz subsumieren, dass wesentlich Gleiches rechtlich gleich zu behandeln ist. Auch an dieser Manipulierbarkeit zeigt sich, dass die Annahme, der Gleichheitssatz gebiete prima facie die formale Gleichbehandlung, letztlich unbrauchbar ist; denn sie führt – je nachdem, wie man eine Norm formuliert – dazu, dass ein und dieselbe Norm durch den Gleichheitssatz geboten erscheint, zugleich aber auch mit ihm in ein Spannungsverhältnis gerät, s dazu schon oben Abschnitt C. bei FN 95. 66 S zu diesem ersten Unterfall des Ungleichbehandlungsgebotes schon oben C.IV.2.a., C.IV.2.d.
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Komponente des Gleichheitssatzes zuspitzen, und nur an ihr können sich die Geister ernsthaft scheiden: Kann das Gleichheitsgebot dem Einzelnen tatsächlich ein Recht auf eine Ungleichbehandlung verschaffen, die nicht zugleich eine formelle Gleichbehandlung ist? Ist dem Gleichheitssatz also ein „echtes“ Ungleichbehandlungsgebot im beschriebenen Sinn zu entnehmen?
5. Soziale Gleichgültigkeit des Gleichheitssatzes? Die Befürworter derart originärer Ungleichbehandlungsrechte sehen im Gleichheitssatz selbst ein Prinzip sozialer Gleichordnung und stützen diese Ansicht zum Teil auf Erwägungen der Gerechtigkeit67 oder der Menschenwürde68, also auf Wertvorstellungen, die jedenfalls in der österreichischen Verfassung nicht allgemein positiviert sind69. Das bedeutet indes nicht, dass der allgemeine Gleichheitssatz in sozialer Hinsicht gleichgültig ist. Sieht man in ihm nämlich das Recht des Einzelnen, nicht aufgrund von Umständen benachteiligt zu werden, die sich seinem zumutbaren Einfluss entziehen70, dann kann der Staat Menschen, die sich etwa aufgrund einer Behinderung, einer Krankheit, wegen ihres Alters oder aufgrund ihrer Armut in einer schlechteren Ausgangslage befinden, nicht mehr indifferent gegenüberstehen. Das bedeutet nicht nur, dass es dem Gesetzgeber prima facie verwehrt ist, an derartige Merkmale unmittelbar nachteilige Rechtsfolgen zu knüpfen. Es kann auch bedeuten, dass er die ____________________
67 K. Hesse, AöR 77 (1951/52) 180 ff; Pernthaler JBl 1965, 71; Zacher, AöR 93 (1968) 345, 359; Häberle, Diskussionsbeitrag 84; Rüpke, FS Ermacora 480. 68 Vgl etwa Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 69, der dem „harten“ iSv egalitären Bereich des Gleichheitssatzes ein Recht auf menschenwürdiges Existenzminimum entnimmt, das nicht angetastet werden darf, wo es vorhanden und das zu schaffen ist, wo es fehlt. Bei diesem Recht gehe es nicht bloß um die physische Existenz, sondern auch um gewisse sozialkulturelle Vitalbedürfnisse (Rz 72); dennoch handle es sich bloß um die Daseins-Fristung soziologischer Randgruppen (Rz 73). Über dieses Existenzminimum hinaus gehe die Daseinsvorsorge (Rz 74); ein subjektives Recht auf die Schaffung ganz bestimmter Einrichtungen in bestimmter Reihenfolge bestehe nicht, weil Prioritäten von technischen und finanziellen Mitteln abhängen (Rz 79); eine einmal vorhandene öffentliche Einrichtung sei aber allgemein zugänglich zu machen (Rz 80); ähnlich, wenngleich nicht so konkret wohl auch Burger, Menschenwürde 127 ff, der in Art 7 Abs 1 B-VG eine Garantie der Menschenwürde und einen „Schutzauftrag an den Staat, grundlegende materielle Gerechtigkeit zu achten und zu wahren“ sieht. 69 Das in Art 1 Abs 4 PersFrG normierte Gebot, festgenommene oder angehaltene Personen „unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person“ zu behandeln, ist für den vorliegenden Zusammenhang nicht aussagekräftig, weil es eben bloß auf Festnahme und Anhaltung bezogen ist. Auch Burger, Menschenwürde 55 ff, der der österreichischen Verfassung ein „Prinzip der Menschenwürde“ entnehmen will, kann sich – abgesehen von Art 1 Abs 4 PersFrG – nur auf „ungeschriebene Verfassungsprinzipen“, „Wertungsgrundsätze“ und „implizite Gewährleistungen“ der Menschenwürde stützen. 70 S dazu bereits oben E.IV.1., E.IV.2.
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Träger dieser Merkmale begünstigen muss, um für sie die nachteiligen Folgen einer neutral formulierten Vorschrift abzuwenden. Für eines dieser Merkmale – die Behinderung – hat der Verfassungsgesetzgeber in Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG ein spezielles Benachteiligungsverbot statuiert, das näheren Aufschluss über die soziale Komponente des allgemeinen Gleichheitssatzes gibt.
II. Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG 1. Entstehungsgeschichte Den Auftakt zur Schaffung des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG gab ein Initiativantrag, den Vertreter der SPÖ 1996 in den Nationalrat einbrachten; ihm zufolge sollte dem Art 7 Abs 1 B-VG der Satz angefügt werden: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“71. Begründend führt dieser Antrag zunächst aus, es sei – wie Alltagserfahrungen zeigen – noch immer keine Selbstverständlichkeit, Menschen mit Behinderung nicht zu diskriminieren. Überdies werde Behinderten „auch durch im Ergebnis diskriminierende Rechtsvorschriften“ eine Teilnahme am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gemeinschaft nicht in gleicher Weise ermöglicht wie Nichtbehinderten. Das vorgeschlagene Diskriminierungsverbot solle ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht schaffen, das über den allgemeinen Gleichheitssatz hinausgehend für jeden Menschen gelte. Es untersage der Hoheitsverwaltung eine Diskriminierung Behinderter, biete weiters einen Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit genereller Rechtsnormen, „insbesondere auch dahin, daß Rechtsvorschriften, die die Benachteiligung durch Behinderungen ausgleichen sollen, zulässig und erforderlich sind.“ Schließlich solle das beantragte Diskriminierungsverbot auch im Verhältnis zwischen Privatrechtsträgern gelten und – wie das Grundrecht auf Datenschutz – vor den ordentlichen Gerichten durchsetzbar sein. Flankierend zu diesem Verbot schlugen die Vertreter der SPÖ ein Bundesverfassungsgesetz über wirtschaftliche und soziale Rechte vor72, das Gesetzgebung und Vollziehung ua beauftragen sollte, durch besondere Maßnahmen dafür zu sorgen, „daß allen behinderten Menschen die volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit durch Ausbildung, Arbeit und Teilnahme am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gemeinschaft ermöglicht wird.“ Zudem sollten Gesetzgebung und Vollzie____________________
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IA 342/A 20. GP = AB 785 BlgNR 20. GP 3. IA 344/A 20. GP betreffend ein Bundesverfassungsgesetz über wirtschaftliche und soziale Rechte. 72
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hung nach diesem Vorschlag für „jeden behinderten Menschen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält [...] für die wirksame Gewährleistung des Rechts auf 1. notwendige Behandlung und Betreuung sowie 2. Förderung der beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung in einer der Art und dem Ausmaß der Behinderung entsprechenden Weise [...] sorgen.“ Wenige Tage nach der ersten Lesung dieser beiden Anträge im Nationalrat73 brachten auch Vertreter der ÖVP einen eigenen Initiativantrag ein, demzufolge in Art 7 B-VG ein zweiter Absatz mit folgendem Wortlaut eingefügt werden sollte74: „(2) Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“
Dieser Antrag beruft sich in seiner Begründung auf das „analog“ ausgestaltete Diskriminierungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG (der wörtlich dem ersten Satz des Vorschlages entspricht). Er weist ebenso wie der sozialdemokratische Initiativantrag darauf hin, dass eine diskriminierungsfreie Behandlung behinderter Menschen im alltäglichen Leben noch immer keine Selbstverständlichkeit sei. Daher solle dem Art 7 Abs 2 B-VG nicht nur ein Diskriminierungsverbot angefügt, sondern in das B-VG auch ein Bekenntnis der Republik aufgenommen werden, auf die Gleichbehandlung von behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens hinzuwirken. Diese Staatszielbestimmung erlege allen Gebietskörperschaften auch die Verpflichtung auf, sich vermehrt um die Förderung und Unterstützung von behinderten Menschen zu kümmern. Durch das explizite Verbot der Diskriminierung Behinderter solle freilich, wie der Initiativantrag weiter ausführt, der „innere Gehalt“ des allgemeinen Gleichheitssatzes – der nach der Judikatur nur sachlich begründbare Differenzierungen erlaube – „nicht verändert, sondern zusätzlich bekräftigt werden, daß auch bei einer auftretenden Ungleichbehandlung von behinderten Menschen der Verfassungsgerichtshof diese immer auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen hat. Die vorliegende Nichtdiskriminierungsklausel verbietet demgegenüber aber nicht eine Bevorzugung Behinderter, sondern erlaubt und fordert sie in einem dem gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum überlassenen Umfang.“ Nachdem beide Anträge im Verfassungsausschuss in Verhandlung genommen worden waren, brachten Vertreter aller Parlamentsparteien einen Abänderungsantrag ein; ihm zufolge sollte der im Initiativantrag der ÖVP vorgeschlagene Text zwar beibehalten, aber dem Art 7 Abs 1 B-VG un____________________
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StenProtNR 20. GP 57. Sitzung 167. IA 389/A 20. GP = AB 785 BlgNR 20. GP 4.
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mittelbar angefügt werden75. Diese Regelung sei, wie auch dieser Antrag meint, „analog“ dem Art 3 Abs 3 Satz 2 GG gestaltet. Auch sonst deckt sich die Begründung des Abänderungsantrages mit jener des Initiativantrages der Vertreter der ÖVP. Ergänzend wurde jedoch hinzugefügt, dass diese Bestimmung keine Drittwirkung begründe. In dieser Fassung wurde der Antrag sodann im Verfassungsausschuss beschlossen und auch im Plenum des Nationalrates angenommen. Im BGBl I 1997/87 wurde schließlich kundgemacht, dass der dritte und vierte Satz des Art 7 Abs 1 B-VG lauten: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“
Die letzten beiden Sätze des Art 7 Abs 1 B-VG haben nach all dem offensichtlich verschiedene Qualität: Während Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG behinderten Menschen ein subjektives Recht vermittelt, ist der anschließende vierte Satz nur eine Staatszielbestimmung, die die Gebietskörperschaften zwar auf das Ziel der Gleichbehandlung in allen Lebensbereichen festlegt, den Betroffenen aber gerade kein subjektives Recht verschafft76.
2. Behinderung Im Einzelnen wirft Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG eine Reihe von Auslegungsproblemen auf. Fraglich ist zunächst, was überhaupt eine „Behinderung“ iS dieser Bestimmung ist. a. Art 3 Abs 3 Satz 2 GG Das BVerfG versteht unter einer Behinderung iSd – für Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG vorbildhaften – Art 3 Abs 3 Satz 2 GG die „Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen, körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht“; dies in der Annahme, der Verfassungsgesetzgeber habe an das Begriffsverständnis angeknüpft, das im Zeitpunkt der Einfügung des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG gebräuchlich war und das vor allem in § 3 Abs 1 Satz 1 SchwerbehindertenG Ausdruck gefunden hat. Dasselbe Verständnis liege überdies dem Behindertenbegriff des Dritten Berichts der Bundesregierung über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation zugrunde, der seinerseits mit den international üblichen Begriffsbe____________________
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AB 785 BlgNR 20. GP 4. So auch Berka, Grundrechte Rz 963 f; ders, Art 7 B-VG Rz 93 f; U. Davy, FS Funk 73 f; Krispl, Diskriminierungsschutz 241 f; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 102. 76
Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG
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grenzungen übereinstimme77. Ob die Behinderung mit dieser Definition abschließend bestimmt ist, ließ das BVerfG bislang ausdrücklich offen; es nimmt insbesondere nicht an, dass Art 3 GG nur schwere, einen Grad von 50% erreichende Behinderungen iSd SchwerbehindertenG erfasst78. Die wohl überwiegende Lehre in Deutschland teilt das Verständnis des BVerfG79. Manche Autoren fassten den Begriff der Behinderung anfänglich zwar noch enger und nahmen an, Art 3 Abs 3 Satz 2 GG beziehe sich bloß auf Schwerbehinderungen iSd SchwerbehindertenG, also nur auf Funktionsbeeinträchtigungen, die einen Grad von über 50% erreichen80. Die ganz überwiegende Lehre hat sich dieser restriktiven Auslegung jedoch unter Berufung auf Wortlaut, Ziel und Entstehungsgeschichte des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG nicht angeschlossen81. Teilweise abweichend von diesem in Rechtsprechung und Lehre üblichen Verständnis definieren manche Autoren den Begriff der Behinderung nicht als „Defekt“ eines Einzelnen, sondern als Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten des Individuums und jenen Fähigkeiten, die ihm die Gesellschaft abverlangt82. Diese Begriffsbildung soll zum Ausdruck bringen, dass eine Behinderung nicht bloß ein Problem des Betroffenen ist, sondern eine Tatsache, die die ganze Gesellschaft angeht: Die Behinderung ist demnach nicht einfach ein „Mangel“, der überwunden werden muss; vielmehr werden die Hürden, auf die behinderte Menschen stoßen, auch von der Gesellschaft errichtet83. Abgesehen von dieser Schwerpunktverschiebung ____________________
77 BVerfGE 96, 288 (301) = EuGRZ 1997, 586 = NJW 1998, 131 = DVBl 1997, 1432 = FamRZ 1998, 21 = RdJB 1997, 431 = JuS 1998, 553; BVerfGE 99, 341 (356 f) = NJW 1999, 1853. 78 Demgegenüber scheint der deutsche Verfassungsgesetzgeber, wie U. Davy, FS Funk 65, gezeigt hat, tatsächlich in erster Linie an schwerbehinderte Menschen gedacht zu haben. 79 G. Jürgens, NVwZ 1995, 452; Heun, Art 3 GG Rz 135; Osterloh, Art 3 GG Rz 309; Starck, Art 3 GG Rz 418; wohl auch Caspar, EuGRZ 2000, 136; Beaucamp, DVBl 2002, 998; Strassmair, Gleichheitssatz 170 ff. 80 ZB Sannwald, NJW 1994, 3314; Kannengiesser, Art 3 GG 9 Rz 42a. 81 S insb Spranger, DVBl 1998, 1058 ff; Caspar, EuGRZ 2000, 136; Gubelt, Art 3 GG Rz 104c; s auch A. Jürgens, DVBl 1997, 411; Osterloh, Art 3 GG Rz 310; Beaucamp, DVBl 2002, 998; Neumann, NVwZ 2003, 899 f; Strassmair, Gleichheitssatz 172; s nun auch Jarass, Art 3 GG Rz 143, sowie Kannengiesser, Art 3 GG 10 Rz 59, die eine gewisse Schwere der Behinderung im Gegensatz zur Vorauflage nicht mehr fordern. 82 S die Nachweise bei Caspar, EuGRZ 2000, 136; Neumann, NVwZ 2003, 899 f; Strassmair, Gleichheitssatz 169 f. 83 S mwN U. Davy, FS Funk 67 f; s auch Somek, Rationalität 27, der zutreffend festhält, dass (vielfach menschlich errichtete) Barrieren und nicht der Zustand der betroffenen Person an sich ausschlaggebend dafür sind, was es bedeutet, „behindert“ zu sein. Zu denken ist etwa an nicht behindertengerechte Gebäude oder Verkehrsmittel: Dass sie für behinderte Menschen nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten zugänglich sind, ist kein unabänderliches Fatum, sondern liegt einfach daran, dass entsprechende Vorkehrun-
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dürfte sich diese Definition aber von dem Begriffsverständnis der Judikatur und der überwiegenden Lehre nicht maßgeblich unterscheiden: Was diese als „regelwidrigen“ Zustand ansehen, wird nach der genannten Definition wohl stets eine von den gesellschaftlichen Erwartungen abweichende Fähigkeit sein84. Unterdurchschnittliche Beeinträchtigungen wie Kurzsichtigkeit, ein Hörschaden oder eine Rechenschwäche werden überwiegend nicht als Behinderung iSd Art 3 Abs 3 Satz 2 GG gewertet85, ebenso wenig bloß vorübergehende Funktionsbeeinträchtigungen86. Keine Behinderungen sind nach einem Teil der Lehre auch Beeinträchtigungen, die mit der menschlichen Existenz naturgemäß verbunden sind, insbesondere Einschränkungen, die regelmäßig mit dem Alterungsprozess einhergehen87. Ebenso wenig werden diesem Begriff gruppenspezifische persönliche Eigenschaften wie Herkunft, Religionszugehörigkeit, Geschlecht etc subsumiert – zwar können auch sie den Einzelnen in seinem Fortkommen behindern, dies aber nicht wegen einer Funktionsbeeinträchtigung, sondern als Folge bestimmter sozialer Anschauungen88. Chronische Krankheiten89 oder genetische Krankheitsanlagen90 werden hingegen zum Teil als Behinderung angesehen. Einigkeit dürfte schließlich darin bestehen, dass auch selbstverschuldete Funktionsbeeinträchtigungen unter den Begriff der „Behinderung“ iSd Art 3 Abs 3 Satz 2 GG fallen91. b. Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG ME ist auch der Begriff der Behinderung in Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG weit zu verstehen92. Dafür spricht zunächst schon der Wortlaut des Art 7 ____________________
gen, die einen Zugang für alle ermöglichen, nicht getroffen worden sind. Niemand käme ja auch auf die Idee, einem Menschen einen Mangel zuzuschreiben, weil er meterhohe Stufen nicht überwinden kann. Der Mangel liegt dann natürlich an der Stufe, weil sie dem Menschen nicht gerecht wird, gewiss aber nicht an dem Menschen, der der Stufe nicht entspricht. 84 S überdies zu den Schwierigkeiten, den Begriff der Behinderung so zu fassen, dass nicht sie zum Problem erklärt, sondern die gesellschaftliche Verantwortung deutlich gemacht wird: U. Davy, FS Funk 68. 85 S zB Caspar, EuGRZ 2000, 136; Strassmair, Gleichheitssatz 172. 86 Scholz, Art 3 Abs 3 GG Rz 176; Beaucamp, DVBl 2002, 998; Neumann, NVwZ 2003, 898; Strassmair, Gleichheitssatz 172. 87 Caspar, EuGRZ 2000, 136; Beaucamp, DVBl 2002, 998; aA Neumann, NVwZ 2003, 898; zweifelnd Osterloh, Art 3 GG Rz 310. 88 Caspar, EuGRZ 2000, 136. 89 Bejahend bei dauerhaften Funktionsbeeinträchtigungen Scholz, Art 3 Abs 3 GG Rz 176; Caspar, EuGRZ 2000, 137; Strassmair, Gleichheitssatz 173. 90 Vorsichtig bejahend Caspar, EuGRZ 2000, 137. 91 S zB Caspar, EuGRZ 2000, 137; Strassmair, Gleichheitssatz 171. 92 S auch U. Davy, FS Funk 69, die sich als erste tiefgehend mit Art 7 Abs 1 Satz 3 und 4 B-VG auseinandergesetzt hat. Davon abgesehen haben diese beiden Bestimmun-
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Abs 1 Satz 3 B-VG, der ohne Einschränkung schlechthin von „Behinderung“ spricht. Zudem war den Gesetzesredaktoren des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG an einem umfassenden Schutz behinderter Menschen gelegen: Während man in Deutschland befürchtete, dass sich aus Art 3 Abs 3 Satz 2 GG Weiterungen für andere Personengruppen ergeben könnten93, beruht Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG auf einem Initiativantrag der Vertreter der ÖVP, der den zuvor eingebrachten sozialdemokratischen Vorschlag noch „[ausbauen] und [konkretisieren]“ wollte94. Ein weites Verständnis des Begriffs der Behinderung lag weiters der einfachgesetzlichen Rechtslage im Zeitpunkt der Schaffung des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG zugrunde: § 3 des BEinstG verstand in der damals geltenden Fassung unter einer Behinderung die „Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand beruht“95, lehnt sich ihrerseits eng an einen Definitionsvorschlag der WHO aus dem Jahr 1980 an96 und entspricht auch je____________________
gen in der österreichischen Lehre bisher noch wenig Resonanz gefunden. Soweit die einschlägige Literatur sie überhaupt erwähnt, wird der Begriff der Behinderung nicht erläutert, sondern vorausgesetzt (Berka, Grundrechte Rz 963 f; ders, Art 7 B-VG Rz 93 f; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 102; s auch Krispl, Diskriminierungsschutz 240, der [allerdings ohne nähere Erläuterung] von einem weiten Behinderungsbegriff ausgeht). S allgemein zu den Behindertenrechten in Österreich Wimmer, JBl 1975, 190 ff; Ernst, FS Floretta 145 ff; Fenzl, Behindertenrechte 523 ff, sowie die Beiträge in Hofer, Behinderung. 93 S etwa Scholz, der bei der ersten Lesung im Bundestag, BT-PlProt 12/209, 18129, meinte: „Ich nenne nur die Stichwörter: Kranke, Alte und Obdachlose.“ S zur Entstehung des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG näher A. Jürgens, DVBl 1997, 410 f. 94 Auf die dementsprechende Wortmeldung des Abgeordneten Feuerstein (StenProtNR 20. GP 57. Sitzung 169) weist schon U. Davy, FS Funk 66, 71, hin. 95 Bundesgesetz vom 11. Dezember 1969 über die Einstellung und Beschäftigung Behinderter (Behinderteneinstellungsgesetz – BEinstG), BGBl 1970/22 idF BGBl 1988/721, s dazu Ernst/Haller, Behinderteneinstellungsgesetz 220 ff; s weiters § 300 Abs 2 ASVG, BGBl 1955/189 idF BGBl 1976/704, wonach Versicherte als behindert gelten, wenn sie „infolge eines Leidens oder Gebrechens ohne Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation die besonderen Voraussetzungen für eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit [...] wahrscheinlich erfüllen oder in absehbarer Zeit erfüllen werden“. Ist die individuelle Arbeitsfähigkeit infolge des „körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken“ (Hervorhebungen nicht im Original), liegt nach § 273 Abs 1 ASVG eine Berufsunfähigkeit vor. Eine „bewusst […] weite“ Definition der Behinderung gibt nun auch das Bundes-BehindertengleichstellungsG (BGStG), BGBl I 2005/82 (Erl zur RV 836 BlgNR 22. GP 6): § 3 leg cit umschreibt sie als die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden (dh voraussichtlich länger als sechs Monate dauernden), körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. 96 S U. Davy, FS Funk 66 f; vor einigen Jahren wurde dieser Behindertenbegriff der WHO modifiziert, allerdings nicht in einer Weise, die für einen Rechtsbegriff tauglich ist, s dazu Neumann, NVwZ 2003, 897 ff.
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nem Verständnis, das das BVerfG und die überwiegende Lehre in Deutschland dem Art 3 Abs 3 Satz 2 GG zugrunde legen. Dass eine Funktionsbeeinträchtigung im beschriebenen Sinn von besonderer Schwere sein muss, um als Behinderung iSd Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG gelten zu können, ist nach all dem nicht anzunehmen97. Korrigierte oder korrigierbare Beeinträchtigungen98 können schon aus teleologischen Erwägungen aus dem Begriff der Behinderung nicht von vornherein ausgeschlossen werden; denn dass eine Beeinträchtigung ausgeglichen werden kann, bewahrt den Einzelnen noch nicht davor, dass er wegen dieser Beeinträchtigung diskriminiert wird99. Schwieriger zu beantworten ist, ob die Dauer der Beeinträchtigung für eine Behinderung ausschlaggebend ist: Situationsbezogen ist zugegebenermaßen nicht ganz plausibel, warum es diskriminierend sein soll, einem Rollstuhlfahrer den Zugang zu einem Kino zu verwehren, nicht hingegen, einen Gipsträger aus dem Kino zu verweisen100. Aus der Sicht des Betroffenen dürfte das Zugangsverbot im ersten Fall aber schwerer wiegen, und zwar gerade, weil er aus einem Grund benachteiligt wird, der für ihn unabänderlich ist101. Gerade diese Unentrinnbarkeit löst wohl jene besondere Kränkung aus, die dann als diskriminierend empfunden wird, und die auch den in anderen speziellen Gleichheitssätzen verpönten Differenzierungsmerkmalen eignet: Es ist das Wissen, für sein „So-Sein und gar nicht anders sein Können“ benachteiligt zu werden, das den Einzelnen im Kern seiner Person trifft und sein ____________________
97 Ebenso U. Davy, FS Funk 69. Die in Deutschland diskutierte Frage, ob nur die im SchwerbehindertenG erfassten Behinderungen über 50% als Behinderung iSd Art 3 Abs 3 Satz 2 GG anzusehen sind, stellt sich daher in Österreich nicht, und zwar zum einen, weil nichts in der Entstehungsgeschichte auf eine derartige Beschränkung hinweist, zum anderen, weil auch der einfachgesetzliche Behindertenbegriff des BEinstG für das Vorliegen einer Behinderung keine besondere Schwere voraussetzt; erst für die Einschätzung des Grades der Behinderung sah das BEinstG im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG in § 3 Abs 2 vor, dass eine Gesundheitsschädigung mit einem Ausmaß von weniger als 20% außer Betracht zu bleiben hat, sofern sie „im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht“. 98 Etwa die Sehschwäche, die durch eine Brille, oder die Schwerhörigkeit, die durch ein Hörgerät behoben wird. 99 S etwa den bei U. Davy, FS Funk 70 FN 38, genannten Fall einer Frau, der zunächst die Einstellung als Pilotin verweigert wurde, weil ihre unkorrigierte Sehkraft zu schwach sei, dann aber eine Berufung auf das Diskriminierungsverbot verwehrt wurde, weil ihre Sehschwäche ja korrigierbar, sie also nicht behindert sei. 100 So U. Davy, FS Funk 70. 101 Der Unterschied zwischen diesen beiden Personengruppen ist in etwa vergleichbar mit einem Menschen, dem ein Recht aufgrund seiner Hautfarbe verweigert wird, und einem Jugendlichen, dem ein Recht nur vorläufig vorenthalten wird: Der Jugendliche kann sich immerhin damit trösten, dass er nach einer gewissen Zeit in den Genuss dieses Rechts kommen wird; für den auf Grund seiner Hautfarbe Benachteiligten ist die Rechtsverweigerung hingegen endgültig.
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Fundament angreift. Sieht man das Diskriminierungspotential gerade in der Unentrinnbarkeit einer Benachteiligung, dann spricht viel dafür, aus dem Begriff der Behinderung in Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG (so wie die deutsche Lehre und Judikatur für Art 3 Abs 3 Satz 2 GG) vorübergehende Funktionsbeeinträchtigungen auszuschließen. In diesem Sinn definierte auch § 3 Abs 1 BEinStG im Zeitpunkt der Schaffung des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG die Behinderung als eine „nicht nur vorübergehende“ Funktionsbeeinträchtigung; dies war (und ist auch nach geltendem Recht) bei einem „Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten“ der Fall. Chronische Krankheiten, Krankheitsanlagen, aber auch vergangene Beeinträchtigungen wären dem Behindertenbegriff dann allerdings zu unterstellen102. Soweit eine Krankheitsanlage noch nicht ausgebrochen oder eine Krankheit überwunden ist, mag sie sich nur selten zum Nachteil des Betroffenen auswirken; ausgeschlossen ist eine Benachteiligung deshalb aber nicht103. Beeinträchtigungen, die mit dem Alterungsprozess regelmäßig einhergehen, unterfallen dem Begriff der Behinderung hingegen mE nicht; sie sind zwar von Dauer und im Regelfall wohl auch unabänderlich, treffen aber jeden Menschen im Laufe seines Lebens oder können ihn immerhin treffen und weisen ihn insofern nicht als Minderheit aus.
3. Benachteiligung a. Unmittelbare und mittelbare Benachteiligung Das Verbot, Behinderte zu benachteiligen, wurde zwar dem ersten Absatz des Art 7 B-VG unmittelbar angefügt. Von dem vorangehenden Vorrechte-Verbot des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG unterscheidet es sich dennoch in zwei Punkten beträchtlich: Die Behinderung ähnelt den in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmalen gewiss insofern, als auch sie das Individuum in seinem „So-Sein“ maßgeblich und unbeeinflussbar prägt104. Anders als Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse und Bekenntnis ist die Behinderung aber erstens keine „universell-menschliche“ Eigenschaft105, son____________________
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S schon U. Davy, FS Funk 70. So, wenn Personen mit einer bestimmten Krankheitsdisposition oder Menschen, die früher an einer Krankheit litten, von bestimmten Berufen ausgeschlossen werden. Zu denken ist aber auch an Personen, bei denen eine noch nicht virulente Multiple Sklerose oder HIV diagnostiziert wird, noch bevor die Symptome dieser Krankheit aufgetreten sind – diese beiden Fälle nennen auch die Erl zur RV 836 BlgNR 22. GP 7 zum BGStG als Beispiele für eine Behinderung: „Maßgeblich für das Vorliegen einer Behinderung ist nicht deren Grad, sondern nur der Umstand, dass sich daran eine Diskriminierung knüpfen kann“. 104 Zu dieser Gemeinsamkeit aller Merkmale, die in Diskriminierungsverboten genannt werden s schon oben E.IV.1. 105 Jeder Mensch ist so oder anders geboren, gehört diesem oder jenem Geschlecht, einem Stand, einer Klasse, einem Bekenntnis (oder gerade keinem Bekenntnis) an. 103
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dern eine Disposition, in der sich nicht jede Person, sondern nur eine Minderheit der Menschen befindet. Zweitens bestehen zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen nicht nur Unterschiede, die primär auf gesellschaftlichen Anschauungen, Vorurteilen und Ressentiments beruhen106, sondern zu einem guten Teil auch auf jener seelischen, geistigen oder körperlichen Funktionsbeeinträchtigung, die dem Betroffenen das Leben – verglichen mit der Mehrheit – tatsächlich schwerer macht107. Folgerichtig verbietet Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG auch nicht die Ungleichbehandlung schlechthin, sondern explizit nur die Benachteiligung Behinderter; ihre Begünstigung ist also erlaubt und, wie aus den Materialien hervorgeht, in bestimmtem Umfang sogar geboten108. Das B-VG verhält sich zum Merkmal der Behinderung damit – anders als zu den Kriterien der Geburt, des Geschlechts, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses – nicht neutral und liberal, sondern fürsorglich und ausgleichend 109. Es stellt gerade nicht die Vermutung auf, dass zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen kein, sondern dass zwischen ihnen in bestimmten Belangen sehr wohl ein wesentlicher Unterschied besteht, dem durch entsprechend unterschiedliche Regelungen Rechnung getragen werden muss. Eine „Benachteiligung“ iSd Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG kann durch eine rechtliche Differenzierung ebenso wie durch eine Gleichbehandlung hervorgerufen werden110. Sie liegt nicht nur vor, wenn an das Merkmal der ____________________
106 Wenngleich auch die aus diesen Wertungen resultierenden Belastungen hoch zu veranschlagen sind und wie Zacher, AöR 93 (1968) 343, zutreffend festgestellt hat, durch staatliche Maßnahmen nicht ausgeglichen werden können. Nicht zuzustimmen ist hingegen der apodiktischen Feststellung E. Schneiders, MDR 1998, 279: „Davon abgesehen, liegt es auf der Hand, daß Behinderte schon einfach wegen ihrer körperlichen Verfassung vielfach benachteiligt sind, etwa in der Arbeitswelt, bei der Wohnungssuche, bei der Familiengründung usw. Daran läßt sich durch kein Gesetz etwas ändern.“ Durch gesetzliche Maßnahmen lassen sich diese Nachteile nicht wettmachen, gelindert werden können sie aber durch eine entsprechende Unterstützung sehr wohl. 107 Deshalb ist es auch irreführend, wenn die Behinderung in Diskriminierungsverboten undifferenziert neben Rasse, Hautfarbe, Geschlecht etc als ein verpöntes Differenzierungsmerkmal genannt wird, wie dies zB in der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG und in Art 21 der Grundrechte-Charta geschieht. Demgegenüber hat der Bundesgesetzgeber der besonderen Situation behinderter Menschen bei der Umsetzung der erwähnten Richtlinie Rechnung zu tragen versucht, indem er für sie eigene, in das BEinstG aufgenommene Vorschriften erlassen hat, s auch die Erl zur RV 836 BlgNR 22. GP 4. 108 AB 785 BlgNR 20. GP 5. 109 S für Art 3 Abs 3 Satz 2 GG auch Caspar, EuGRZ 2000, 137. Dementsprechend wird Art 3 Abs 3 Satz 2 GG in Deutschland auch als eine Konkretisierung und Verstärkung des Förderungs- und Integrationsauftrages des Sozialstaatsprinzips gesehen, s etwa Heun, Art 3 GG Rz 134; Starck, Art 3 GG Rz 417. 110 S schon U. Davy, FS Funk 82 f; s nun auch VfSlg 17.807/2006, wonach Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG (der dann allerdings – offenbar versehentlich – durch das im vierten Satz des Art 7 Abs 1 B-VG aufgestellte „Bekenntnis“ der Republik zur Gewährleistung
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Behinderung unmittelbar nachteilige Rechtsfolgen geknüpft werden, sondern auch dann, wenn eine scheinbar neutral formulierte Regelung im Effekt zu einer Benachteiligung behinderter Menschen führt111. Darauf weist nicht nur der Wortlaut, sondern auch die Entstehungsgeschichte des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG hin: So sollte sich bereits das von den Vertretern der SPÖ vorgeschlagene Benachteiligungsverbot auch gegen Vorschriften richten, die nur „im Ergebnis“ diskriminierend sind112. Dieses Benachteiligungsverbot findet sich sodann wortgleich im Initiativantrag der Vertreter der ÖVP und im Abänderungsantrag aller Parlamentsparteien, der schließlich die Zustimmung des Plenums gefunden hat. Nichts weist darauf hin, dass das Benachteiligungsverbot diesbezüglich anders als im sozialdemokratischen Initiativantrag verstanden wurde, im Gegenteil: Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG sollte nach übereinstimmender Meinung einen möglichst umfassenden Schutz gewähren113. In dieselbe Richtung weist auch die Bezugnahme auf den für Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG vorbildhaften Art 3 Abs 3 Satz 2 GG, der sich nach überwiegender Ansicht sowohl gegen unmittelbare als auch gegen mittelbare Benachteiligungen wendet114. „Benachteiligungen“ in diesem Sinn sind nach all dem jedenfalls Maßnahmen, die behinderte Personen von Rechten oder Leistungen ausschließen, die jedermann zustehen115. Das kann durch eine unmittelbare Anknüpfung an das Merkmal der Behinderung geschehen, etwa, wenn einem Blinden die Aufnahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst oder einer Gehörlosen die Aufnahme in eine Pädagogische Akademie verwehrt ____________________
der Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens wiedergegeben wird) dem Gesetzgeber „ohne Zweifel […] auch [verbietet], behinderte und nicht behinderte Menschen in allen Fällen gleich zu behandeln, in denen eine Differenzierung sachlich geboten ist.“ 111 So auch U. Davy, FS Funk 86 f; s auch §§ 4 f BGStG, die sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierungen behinderter Menschen verbieten. Die in Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG verbotene „Benachteiligung“ ist insofern weiter als das Verbot des „Vorrechts“ in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG. Während der neutrale Begriff der Benachteiligung auch faktische Nachteile erfasst, sind tatsächliche Nachteile dem Begriff der „Vorrechte“ nicht subsumierbar; sie fallen allerdings unter den allgemeinen Gleichheitssatz und sind dort – wegen der Wertung des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG – einer strengeren Prüfung zu unterziehen, s oben E.I.4.d. 112 IA 342/A 20. GP = AB 785 BlgNR 20. GP 3; s auch oben G.II.1. 113 Beiden Initiativanträgen und auch dem sodann angenommenen Abänderungsantrag ist zu entnehmen, dass auch einer Diskriminierung Behinderter im alltäglichen Leben gegengesteuert werden soll. In Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG findet diese Absicht dann auch unmittelbar Ausdruck. 114 S zB G. Jürgens, NVwZ 1995, 453; Heun, Art 3 GG Rz 137; A. Jürgens, DVBl 1997, 411; Castendiek, GedS Jeand’Heur 341; Osterloh, Art 3 GG Rz 84, 311; Beaucamp, DVBl 2002, 999, 1001; Strassmair, Gleichheitssatz 180 ff; Jarass, Art 3 GG Rz 144; s auch BVerfGE 96, 288 (303); 99, 341 (356 f ). 115 So für Art 3 Abs 3 Satz 2 GG auch BVerfGE 96, 288 (303); s auch L. Dietze, JZ 1996, 1074 f.
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wird116. Es kann aber auch mittelbar geschehen, wenn eine begünstigende Regelung an ein Merkmal anknüpft, das behinderten Menschen regelmäßig fehlt, etwa wenn die Sondernotstandshilfe nur bei Arbeitsfähigkeit gewährt wird, also von einer Eigenschaft abhängt, die bei behinderten Menschen häufig gerade nicht vorliegt117; ebenso wenn knappe Mittel zur Arbeitsförderung nach Maßgabe der Chancen zur Wiedereingliederung vergeben werden: Unter diesen Voraussetzungen ist eine Förderung für behinderte Menschen praktisch unerreichbar118. Eine Benachteiligung behinderter Menschen liegt auch vor, wenn der Gesetzgeber Rechtsunterworfenen eine Pflicht auferlegt, deren Erfüllung behinderten Menschen schwerer fällt als anderen Personen, so, wenn allen Studierenden pauschal eine vierstündige Klausurarbeit abverlangt, auf die besonderen Zeitbedürfnisse behinderter Studenten also nicht Bedacht genommen wird119. Benachteiligt werden behinderte Menschen mE auch, wenn der Gesetzgeber den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen mit Barrieren versieht, wenn er die Ausstattung öffentlicher Verkehrsmittel etwa in einer Weise regelt, die diese Verkehrsmittel für Behinderte nicht oder nur unter Schwierigkeiten benützbar macht120. Gleiches gilt, wenn Eisenbahnkreuzungen nur mit Andreaskreuzen oder Lichtzeichenanlagen gesichert werden, also mit Signalen, die von sehbehinderten Menschen nicht wahrgenommen werden können121. In den beiden zuletzt genannten Fällen und ganz allgemein dann, wenn die Beseitigung einer Benachteiligung von positiven Maßnahmen des Gesetzgebers abhängig ist, kann die Durchsetzung des Benachteiligungsverbotes prozessual auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, weil ein gänzliches Untätigkeitbleiben des Gesetzgebers vor dem VfGH grundsätzlich nicht bekämpfbar ist. Die „Barrierefreiheit“ von öffentlichen Plätzen, Verkehrsmitteln, baulichen Anlagen oder Aufzügen lässt sich daher nicht erzwingen, solange keine Norm existiert, die zum ____________________
116 Beispiele nach U. Davy, FS Funk 83; Krispl, Diskriminierungsschutz 241; s allgemein zu Barrieren, auf die Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben oft stoßen Krispl, in Teaching Human Rights Nr 16, 1 ff. 117 Der VfGH hat in diesem Fall zutreffend eine Benachteiligung behinderter Menschen iSd Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG konstatiert: VfSlg 16.350/2001. 118 Beispiel nach U. Davy, FS Funk 84; Krispl, Diskriminierungsschutz 242. 119 Beispiel nach U. Davy, FS Funk 83 f. 120 S zur einfachgesetzlichen Rechtslage U. Davy, FS Funk 78 f; s nun aber auch § 87 BVergG 2006, BGBl I 2006/17, wonach sich der Bund zu größtmöglicher Barrierefreiheit neu errichteter und generalsanierter Bundesgebäude verpflichtet, ferner § 8 Abs 2 BGStG, wonach sich der Bund verpflichtet, die geeigneten und konkret erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zu seinen Leistungen und Angeboten zu ermöglichen. 121 Beispiel nach U. Davy, FS Funk 84.
Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG
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Gegenstand einer Anfechtung vor dem VfGH gemacht werden kann122. Das ändert mE aber nichts daran, dass die Errichtung derartiger Barrieren zu einer Benachteiligung behinderter Menschen iSd Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG führt123. b. Objektive und subjektive Benachteiligung In manchen Fällen kann der benachteiligende Charakter einer Maßnahme allerdings, wie U. Davy gezeigt hat, schon an sich zweifelhaft sein124: Regelungen, die Behinderte für vermindert geschäftsfähig oder für „schulunfähig“125 erklären, die für die Wirksamkeit ihrer Rechtsgeschäfte einen Notariatsakt verlangen, können gut gemeint sein, von den Betroffenen aber dennoch als diskriminierend empfunden werden, wie überhaupt Vor____________________
122 S zum Problem der Bekämpfbarkeit mit Beispielen U. Davy, FS Funk 73 ff; s überhaupt zum Problem der Justiziabilität sozialer Grundrechte Loebenstein, FS Floretta 209 ff; Thienel, FS Schäffer 894 ff. 123 Anders U. Davy, FS Funk 73 ff, die entlang der Effektuierung des Rechtsschutzes auch die Grenze zwischen Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG und der Staatszielbestimmung des Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG zieht: Satz 3 ziele „auf Benachteiligungen wegen einer Behinderung, soweit sie mit dem zur Verfügung stehenden Rechtsschutzinstrumentarium bekämpft werden können.“ Satz 4 verpflichte den Gesetzgeber dazu, „Benachteiligungen jenseits des Bekämpfbaren abzubauen, insbesondere Barrierefreiheit in Bezug auf Verkehrsmittel, Wohnungen, Güter und Dienstleistungen, Bildung [und] den Arbeitsmarkt herzustellen.“ Diese Grenzziehung hat freilich zur Konsequenz, dass der Inhalt eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts von der Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Rechtslage abhängt: Sind nämlich einmal gesetzliche Vorkehrungen dafür getroffen, dass (wenn auch nur in bestimmten Bereichen) Barrierefreiheit besteht, dann ist die Beseitigung dieser Vorkehrungen durchaus bekämpfbar, die Barrierefreiheit also einklagbar und damit Gegenstand des subjektiven Rechts. ME ist die Grenze zwischen Art 7 Abs 1 Satz 3 und Satz 4 B-VG danach zu ziehen, ob eine Benachteiligung durch den Staat oder durch Private hervorgerufen wird; ersteres ist etwa der Fall, wenn der Zugang zu Plätzen, Einrichtungen etc so geregelt wird, dass Behinderte davon gerade ausgeschlossen bleiben oder wenn der Staat ein Bildungsangebot zur Verfügung stellt, das den spezifischen Bedürfnissen Behinderter nicht Rechnung trägt, sie also ausgrenzt. Anderes gilt aber etwa dann, wenn Behinderte am Arbeitsmarkt, also im Verhältnis zwischen Privaten, benachteiligt werden. Dem abzuhelfen ist den Gebietskörperschaften erst durch die Staatszielbestimmung des Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG aufgetragen, s auch noch unten G.II.7. S nun auch §§ 9 f BGStG, wonach eine Verletzung des in § 4 leg cit statuierten Diskriminierungsverbotes durch die Hoheitsverwaltung im Wege eines Amtshaftungsanspruches geltend gemacht werden kann; eine solche Diskriminierung begründen nach §§ 5 f leg cit auch Barrieren, sofern diese mit verhältnismäßigem Aufwand beseitigt werden können. 124 U. Davy, FS Funk 85 f. 125 „Schulunfähigkeit“ bestand nach § 15 Abs 1 SchulpflichtG 1985, BGBl 1985/76 idF vor BGBl I 2006/20, wenn medizinische Gründe einen Schulbesuch ausschließen, nach einem angemessenen Beobachtungszeitraum mit besonderer Förderung kein Entwicklungsfortschritt feststellbar ist oder der Schulbesuch eine unzumutbare Belastung für das Kind darstellen würde. Mit BGBl I 2006/20 wurde der Terminus der „Schulunfähigkeit“ aus dem Gesetz entfernt, weil er „(heute) als diskriminierend zu werten“ ist (RV 1166 BlgNR 20. GP 11).
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schriften, die zum Schutz behinderter Personen erlassen werden, sich als zweischneidiges Schwert erweisen können: Ein besonderer Kündigungsschutz mag zwar dem Behinderten, der bereits in einem Dienstverhältnis steht, zugute kommen, kann für ihn aber die Begründung eines neuen Dienstverhältnisses erheblich erschweren126. Fraglich ist auch, ob eine Benachteiligung bei gleichwertiger Differenzierung vorliegt, so, wenn der Staat Behinderte von bestimmten Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten ausschließt, dafür aber – gleichsam als Kompensation – auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahmen ergreift127. Das ist etwa der Fall, wenn behinderte Kinder zur Regelschule nicht zugelassen, dafür aber in Sonderschulen unterrichtet werden128. In Konstellationen wie diesen kann durchaus unterschiedlich beurteilt werden, ob überhaupt eine Benachteiligung vorliegt. Fraglich ist dann vor allem, wessen Meinung letztlich ausschlaggebend sein soll: Die des Gesetzgebers bzw der Gesellschaft, die er repräsentiert, oder die des behinderten Menschen selbst? Nimmt man den Schutzzweck des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG ernst, also die Absicht, Behinderte vor Benachteiligungen zu schützen, dann wird man in zweifelhaften Fällen die Betroffenen selbst entscheiden lassen müssen, was sie als benachteiligend empfinden129. Das setzt voraus, dass die Interessenvertretungen behinderter Menschen in den Gesetzgebungsprozess, aber auch in ein allfälliges Normprüfungsverfahren vor dem VfGH eingebunden werden, dass sie also Gelegenheit erhalten, zu einem Gesetz, das ihre Interessen betrifft, Stellung zu nehmen. Ihre Position muss sich dann zwar mit den Ansichten jedes einzelnen behinderten Menschen nicht notwendig decken. Dass sie die Wünsche und Bedürfnisse Behinderter ceteris paribus besser kennen als die restliche Gesellschaft, ist gleichwohl anzunehmen. Beurteilen die Betroffenen dann etwa die Regelungen des Schulpflichtgesetzes über die „Schulunfähigkeit“ behinderter Menschen als „skandalös“130 und die Notariatsaktspflicht für ihre Rechtsgeschäfte als „Schikane“131, sprechen sie sich dagegen aus, dass Schulpflichtige, für die ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird, stets nach dem ____________________
126 S zu all dem mwN U. Davy, FS Funk 86; kritisch zur deutschen Rechtslage etwa Adomeit, NJW 2003, 1162. 127 Die Benachteiligung iSd Art 3 Abs 3 Satz 2 GG bei „hinlänglich[er]“ Kompensation verneinend BVerfGE 96, 288 (303). 128 S auch U. Davy, FS Funk 97. 129 In diesem Sinn für Art 3 Abs 3 Satz 2 GG auch Sachs, RdJB 1996, 168; Castendiek, GedS Jeand’Heur 345 f; Beaucamp, DVBl 2002, 998; Strassmair, Gleichheitssatz 176 f; wohl auch Jarass, Art 3 GG Rz 146. Gegen eine Verknüpfung des Benachteiligungsbegriffs mit der subjektiven Einschätzung des Behinderten Engelken, DVBl 1997, 762; U. Davy, FS Funk 85 f. 130 S die Nachweise bei U. Davy, FS Funk 86 FN 112. 131 S die Nachweise bei U. Davy, FS Funk 86 FN 114.
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Lehrplan für Sonderschulen unterrichtet werden132, empfindet eine Schülerin die Überstellung an eine Sonderschule als Degradierung133, dann kann mE nicht mehr angenommen werden, dass eine solche Maßnahme die Betroffenen – entgegen ihrem eigenen Empfinden – doch nicht iSd Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG „benachteiligt“134. In aller Regel wird sich die Einschätzung der Betroffenen freilich mit jener „Faustregel“ decken, die U. Davy vorgeschlagen hat: Eine Benachteiligung liegt vor, wenn jemand von Rechten ausgeschlossen oder wenn ihm besondere Pflichten auferlegt werden, eine Begünstigung hingegen, wenn jemandem besondere Rechte eingeräumt oder wenn er von Pflichten befreit wird135. Soweit diese Faustregel aber im Einzelfall quer zu dem Selbstverständnis der Betroffenen liegt, sollte diesem Selbstverständnis mE der Vorrang eingeräumt werden. Nicht von vornherein verneint werden kann eine Benachteiligung aus denselben Erwägungen auch dann, wenn der Gesetzgeber behinderte und nicht behinderte Menschen „gleichwertig“ ungleich behandelt, behinderte Kinder also etwa von der Regelschule ausschließt, für sie aber Sonderschulen einrichtet136. Denn derart separierte Einrichtungen bzw die Überweisung an eine Sonderschule wird wohl regelmäßig als Ausgrenzung empfunden; der Besuch einer Sonderschule ist zudem oft mit zeitintensiven Schulwegen verbunden und kann sogar die Unterbringung in einem Internat erforderlich machen137; überdies wird der Abschluss einer Sonderschule in der Praxis nach wie vor nicht als gleichwertig mit dem Abschluss einer Regelschule anerkannt138. ____________________
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S die Nachweise bei U. Davy, FS Funk 86 FN 113. S den der Entscheidung BVerfGE 96, 288 (294 ff, 298) zugrunde liegenden Fall. Anders für Art 3 Abs 3 Satz 2 GG BVerfGE 96, 288 (305 ff ), wonach die Überweisung an eine Sonderschule gegen den Willen des behinderten Schülers für sich noch keine Benachteiligung darstelle; eine Benachteiligung liege erst vor, wenn die „Gesamtbetrachtung ergibt, daß seine Erziehung und Unterrichtung an der Regelschule mit sonderpädagogischer Förderung möglich sind, der dafür benötigte personelle und sächliche Aufwand mit vorhandenen Personal- und Sachmitteln bestritten werden kann und auch organisatorische Schwierigkeiten sowie schutzwürdige Belange Dritter, insbesondere anderer Schüler, der integrativen Beschulung nicht entgegenstehen.“ Das BVerfG definiert den Begriff der Benachteiligung also über die Zulässigkeit der Schlechterbehandlung; der Wortlaut des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG legt diese Vorgangsweise nahe, weil er Benachteiligungen ohne weiteren Vorbehalt ausschließt. Um der Klarheit der Argumentation willen sollte mE dennoch beides getrennt beurteilt, zuerst also geprüft werden, ob eine Schlechterstellung vorliegt und dann, ob sie gerechtfertigt werden kann. S dazu noch unten G.II.3. 135 U. Davy, FS Funk 86 f; s auch Kneihs, Privater Befehl 315. 136 Gegen eine saldierende Betrachtung, die in die Beurteilung des Nachteils auch allfällige Kompensationen einbezieht auch G. Jürgens, NVwZ 1995, 453; A. Jürgens, DVBl 1997, 411; Castendiek, GedS Jeand’Heur 345; Beaucamp, DVBl 2002, 998; Strassmair, Gleichheitssatz 176. 137 S dazu §§ 8a f SchulpflichtG, BGBl 1985/76 idF BGBl I 2006/113. 138 S schon A. Jürgens, DVBl 1997, 411; aA Engelken, DVBl 1997, 762; zu diesem wieder A. Jürgens, DVBl 1997, 764.
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4. Rechtfertigung Seinem Wortlaut nach schließt Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG die Benachteiligung Behinderter kategorisch aus: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Indes muss klar sein, dass nicht jede Norm, die an eine Behinderung unmittelbar nachteilige Rechtsfolgen knüpft oder die die Situation Behinderter im Ergebnis verschlechtert, Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG zwingend widerspricht139. Dass blinde Menschen keinen Führerschein erwerben können oder dass geistig behinderte Personen nur eingeschränkt geschäftsfähig sind, muss weiterhin zulässig sein140. Wohl in diesem Sinn stellen auch die Materialien fest, dass Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG den „innere[n] Gehalt“ des allgemeinen Gleichheitssatzes „nicht verändert“. Diese Bestimmung solle nur „zusätzlich bekräftig[en]“, dass der VfGH auch eine Ungleichbehandlung behinderter Menschen immer auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen hat141. Der zitierte „innere Gehalt des Gleichheitssatzes“ wird in den Materialien folgendermaßen umschrieben: „Gemäß der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Gleichheitssatz verbietet dieser es dem Gesetzgeber, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zu schaffen. Nur dann, wenn gesetzliche Differenzierungen aus entsprechenden Unterschieden tatsächlich ableitbar sind, entspricht das Gesetz dem […] Gleichheitssatz. Es wird daher regelmäßig geprüft, ob eine rechtliche Differenzierung mit tatsächlichen Unterschieden in einer Weise korrespondiert, die sachlich gerechtfertigt werden kann.“142
Diese Passage gibt die Judikatur des VfGH etwas verkürzt wieder. Sie lässt außer Acht, dass Ungleichbehandlungen auch nach der Judikatur nicht immer auf Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen beruhen müssen, sondern ihre Rechtfertigung ebenso aus externen Zielen beziehen können143. Dies gilt insbesondere für mittelbare Ungleichbehandlungen nach verpönten Merkmalen, die sich von vornherein nicht auf Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen stützen, sondern als Nebenwirkung eintreten: Auch sie können zulässig sein, wenn ihr Regelungsziel in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht der Benachteiligung steht144. Dass diese Judikatur in den Materialien nicht ausdrücklich erwähnt wird, lässt nicht den Schluss zu, sie gelte für den Anwendungsbe____________________
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S für Art 3 Abs 3 Satz 2 GG auch Caspar, EuGRZ 2000, 139. S auch (freilich lange vor Inkrafttreten des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG) VfSlg 9997/ 1984: Wenn Personen, denen ein Auge fehlt oder die auf einem Auge praktisch blind sind, das Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe E (wegen des dafür erforderlichen Tiefenschätzvermögens) generell untersagt wird, so ist dies gleichheitsrechtlich unbedenklich. 141 AB 785 BlgNR 20. GP 5. 142 AB 785 BlgNR 20. GP 5. 143 S oben C.IV.4.b., C.V.3., D.I.3.c., D.I.7.b.aa., D.I.8. 144 S dazu E.IV.3.c. 140
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reich des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG nicht. Wie sich aus den Materialien ergibt, wendet sich Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG nämlich einerseits auch gegen derart mittelbare Benachteiligungen behinderter Menschen. Andererseits muss aus dem Hinweis auf den auch hier maßgeblichen „inneren Gehalt“ des allgemeinen Gleichheitssatzes geschlossen werden, dass Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG mittelbare Benachteiligungen behinderter Menschen nicht ausnahmslos untersagt. Davon abgesehen ist mit dem Hinweis der Materialien auf die Judikatur zum allgemeinen Gleichheitssatz für sich noch nicht allzu viel gesagt. Denn der Prüfungsmaßstab, den der VfGH bei Gleichheitsproblemen anlegt, divergiert, wie gezeigt, beträchtlich – manchmal ist er sehr streng, in anderen Fällen aber auch ganz nachgiebig145. Dass für Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG ein strenger Maßstab gilt, liegt allerdings aus drei Gründen nahe: Erstens hätte es sonst der besonderen Hervorhebung gerade der Benachteiligung behinderter Personen im B-VG nicht bedurft. Zweitens ist der Wortlaut des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG denkbar kategorisch. Drittens wird auch dem für Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG vorbildhaften146 Art 3 Abs 3 Satz 2 GG ein strenger Prüfungsmaßstab entnommen: Dieses Benachteiligungsverbot sichert nach der Judikatur des BVerfG behinderten Menschen einen besonderen Schutz zu, schränkt die gesetzgeberische Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit in diesem Bereich also ein. Art 3 Abs 3 Satz 2 GG entspreche insofern dem speziellen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 3 Satz 1 GG, der (ähnlich wie Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG) Benachteiligungen und Bevorzugungen wegen des Geschlechts, der Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, des Glaubens sowie der religiösen oder politischen Anschauung untersagt. Anders als die dort genannten Merkmale bezeichne die Behinderung aber nicht nur ein Anderssein, das sich für den Betroffenen häufig erst im Zusammenwirken mit gesellschaftlichen Einstellungen und Vorurteilen nachteilig auswirkt. Die Behinderung sei vielmehr eine Eigenschaft, die den Betroffenen ihre Lebensführung unabhängig von gesellschaftlichen Auffassungen grundsätzlich erschwert. Diese besondere Situation solle, wie das BVerfG weiter annimmt, nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers weder zu gesellschaftlichen noch zu rechtlichen Ausgrenzungen behinderter Menschen führen. Art 3 Abs 3 Satz 2 GG erlege dem Staat daher eine gesteigerte Argumentations- und Beweislast für die Benachteiligung behinderter Menschen auf 147, eine Schlechterstellung behinderter Menschen sei nur zulässig, wenn zwingende Gründe dafür vorliegen148. Auch die Literatur sieht ____________________
145 146 147 148
D.IV. AB 785 BlgNR 20. GP 4. BVerfGE 96, 288 (302, 310). BVerfGE 99, 341 (357).
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in Art 3 Abs 3 Satz 2 GG übereinstimmend einen besonderen Gleichheitssatz149. Sie nimmt überwiegend an, dass Benachteiligungen aufgrund der Behinderung durch Art 3 Abs 3 Satz 2 GG grundsätzlich verboten und nur aus triftigen Gründen erlaubt sind150. Ihre Legitimation könne eine Benachteiligung aus kollidierendem Verfassungsrecht151, aber auch aus anderen Gründen von erheblichem Gewicht beziehen152. Soll dem kategorischen Wortlaut des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG, seinem Ziel und auch dem Inhalt des für ihn vorbildhaften Art 3 Abs 3 Satz 2 GG Rechung getragen werden, dann ist anzunehmen, dass diese Bestimmung eine Benachteiligung behinderter Menschen nicht schon dann zulässt, wenn sie mit den – ja regelmäßig vorliegenden – Unterschieden im Tatsächlichen korrespondiert. Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG verbietet solche Benachteiligungen vielmehr prima facie und lässt sie nur aus triftigen Gründen zu153. Wann eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung mit Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG vereinbar ist, hängt im Einzelnen von verschiedenen Faktoren ab: Knüpft der Gesetzgeber an das Kriterium der Behinderung unmittelbar nachteilige Rechtsfolgen, macht er etwa den Abschluss eines Rechtsgeschäftes bei Behinderten von einem Notariatsakt abhängig oder lässt er sie nicht als Zeugen bei letztwilligen Verfügungen zu, schließt er behinderte Kinder vom Besuch einer Regelschule, Blinde vom Richteramt oder Gehörlose vom Zugang zu einer Pädagogischen Akademie aus154, dann ist zu prüfen, ob diese Benachteiligungen zwingend notwendig sind, ob sie also einem legitimen und gewichtigen Ziel dienen und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig sind. ____________________
149 S zB G. Jürgens, NVwZ 1995, 453; Heun, Art 3 GG Rz 134, 141; Scholz, Art 3 Abs 3 GG Rz 174; Beaucamp, DVBl 2002, 998; Strassmair, Gleichheitssatz passim. 150 G. Jürgens, NVwZ 1995, 452 f; Heun, Art 3 GG Rz 137; A. Jürgens, DVBl 1997, 412; Osterloh, Art 3 GG Rz 314. Caspar, EuGRZ 2000, 139, verlangt „Gründe mit hinreichendem Gewicht“, insbesondere die Rechte Dritter oder andere Rechtsgüter mit Verfassungsrang; s auch Beaucamp, DVBl 2002, 999, sowie Strassmair, Gleichheitssatz 234 ff; Jarass, Art 3 GG Rz 149. AA Engelken, DVBl 1997, 762, der diesen Maßstab für zu streng hält; zu ihm A. Jürgens, DVBl 1997, 764. 151 Schutz von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer (Art 2 Abs 1 Satz 1 GG) rechtfertige etwa die Versagung einer Fahrerlaubnis; das Eignungserfordernis, das Art 33 Abs 2 GG für die Vergabe öffentlicher Ämter aufstellt, könne den Ausschluss eines Behinderten von bestimmten Ämtern legitimieren, s Beaucamp, DVBl 2002, 999; s auch Sachs, RdJB 1996, 172; Castendiek, GedS Jeand’Heur 342 ff; Caspar, EuGRZ 2000, 139; Osterloh, Art 3 GG Rz 254. 152 So etwa, wenn körperbehinderte Schüler aus Sicherheitsgründen vom normalen Sportunterricht ausgeschlossen werden, s Beaucamp, DVBl 2002, 999; s auch Osterloh, Art 3 GG Rz 254. 153 S auch Krispl, Diskriminierungsschutz 240, nach dem eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderung „aus wichtigen Gründen sachlich rechtfertigbar“ sein muss. 154 S U. Davy, FS Funk 81 f.
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Das Ziel, die ordnungsgemäße Ausübung des Richter- oder Lehramtes sicherzustellen, die Lern- und Entfaltungsmöglichkeit von Schülern nicht zu blockieren, die Kosten einer Integration behinderter Kinder in die Regelschule zu vermeiden oder Behinderte vor übereilten Rechtsgeschäften zu schützen, ist an sich nicht zu beanstanden. Zu prüfen ist aber zunächst, ob die Gefahren, die der Gesetzgeber abwenden will, wirklich bestehen. Stellt sich etwa nach zwanzigjähriger pädagogischer Begleitforschung heraus, dass die befürchtete Leistungshemmung gesunder Kinder durch die schulische Integration behinderter Kinder nicht eintritt155, dann kann ein genereller Ausschluss behinderter Kinder aus der Regelschule mit den Interessen ihrer Mitschüler nicht mehr gerechtfertigt werden; der Ausschluss muss dann auf jene Kinder beschränkt werden, die sich aufgrund ihrer Behinderung nicht verträglich in die Klasse einfügen können oder die einen geordneten Unterricht durch Störungen unmöglich machen156. Erweist sich ein Regelungsziel als an sich begründet, so ist weiter zu fragen, ob es nicht mit gelinderen Mitteln erreicht werden kann, etwa indem Rahmenbedingungen geschaffen werden, die auch einem Blinden oder Gehörlosen die Ausübung des von ihm angestrebten Berufes ermöglichen. Dabei ist zu veranschlagen, dass die rechtliche Benachteiligung behinderter Menschen nicht nur und nicht einmal in erster Linie auf gesellschaftlichen Vorurteilen beruht, sondern darauf, dass sich die Gesellschaft und damit auch die Rechtsordnung auf den nicht behinderten „Durchschnittsmenschen“ eingestellt und alle Rahmenbedingungen für ihn – und nur für ihn – maßgeschneidert hat. Soll der Behinderte, der diesem Durchschnitt nicht entspricht, aus der Gesellschaft nicht ausgegrenzt werden – und das ist das Ziel des Art 7 Abs 1 Satz 3 und 4 B-VG – dann sind die Rahmenbedingungen dieser Gesellschaft zu ändern, sofern sich dadurch eine Benachteiligung behinderter Menschen vermeiden oder lindern lässt. Das kann durchaus mit Kosten verbunden sein, die die Allgemeinheit zu tragen hat, setzt also Solidarität voraus. Was dem Einzelnen und der Gesellschaft als ganzer in dieser Hinsicht abverlangt werden kann, ist eine Wertungsfrage, die der Wortlaut des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG nicht definitiv beantwortet; er gibt nur die Richtung der Argumentation vor: Solidarität ist zur Vermeidung von Benachteiligungen prima facie geboten, ihre Verweigerung bedarf einer Rechtfertigung, die erst dann erbracht ist, wenn die Kosten des Nachteilsausgleiches schwerer wiegen als der Nachteil selbst. Dass der Staat ausgleichende Leistungen „nur im Rahmen seiner finanziellen und organisatorischen ____________________
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S A. Jürgens, DVBl 1997, 764, sowie mwN Beaucamp, DVBl 2002, 1003. S auch A. Jürgens, DVBl 1997, 412.
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Möglichkeiten“157 erbringen kann, liegt dabei auf Hand. Welchen Weg der Gesetzgeber wählt, um eine Benachteiligung zu verhindern oder zu reduzieren, ist – wie auch die Materialien feststellen – seinem Entscheidungsspielraum überlassen158. Das entbindet ihn aber nicht von der Pflicht, eine Benachteiligung behinderter Menschen nach Möglichkeit abzuwenden. Erst wenn die Kosten der Vermeidung oder Linderung einer Benachteiligung außer Verhältnis stehen zu dem Nachteil, der dem Behinderten droht, ist eine Benachteiligung gerechtfertigt. Die Interessen des Behinderten sind dabei umso höher zu veranschlagen, je stärker eine Benachteiligung seine sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte betrifft: Der Ausschluss vom Richteramt wiegt daher schwer, weil er die gleiche Zugänglichkeit öffentlicher Ämter (Art 3 StGG) ebenso wie die Erwerbsfreiheit beschränkt (Art 6 StGG). Die Notariatsaktspflicht für Rechtsgeschäfte Behinderter greift in deren Privatautonomie ein, wiegt aber weniger schwer, weil sie für den Abschluss von Rechtsgeschäften keine unüberwindbare Schranke errichtet. Die zwangsweise Überweisung eines behinderten Kindes in eine Sonderschule greift wohl nicht in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte des Kindes ein, weil ihm auf diese Weise das Recht auf Bildung (Art 2 1. ZPEMRK) nicht verwehrt wird. Eine Benachteiligung iSd Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG liegt darin gleichwohl. Gleiches gilt, wenn ein Kind zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch an eine Sonderschule verwiesen wird, weil in der Regelschule keine sonderpädagogische Förderung angeboten wird. Auch dies bedarf einer Rechtfertigung; ihr Vorliegen ist keineswegs sichergestellt, wenn es gesetzlich ganz dem Belieben der Regelschulen überlassen bleibt, ob sie einen sonderpädagogischen Förderbedarf anbieten oder nicht159. Auch wenn sich eine neutral formulierte Norm für behinderte Menschen nur im Ergebnis nachteilig auswirkt, muss untersucht werden, ob diese Nachteile durch eine differenzierende Regelung hätten abgewendet werden können. Die Gleichheitsprüfung reduziert sich dann auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit ieS: Wenn der Gesetzgeber nämlich die besondere Ausgangslage behinderter Menschen außer Acht lässt, sie also gleich behandelt wie nicht Behinderte, verfolgt er damit im Regelfall kein besonderes Ziel; er geht schlicht vom Durchschnittsmenschen aus und vernachlässigt denjenigen, der diesem Durchschnitt nicht entspricht. Es ist dann also Gedankenlosigkeit oder Gleichgültigkeit, noch häufiger wer____________________
157 So für Art 3 Abs 3 Satz 2 BVerfGE 96, 288 (305). Dass staatliche Leistungen immer nur unter dem „Vorbehalt des Möglichen“ verlangt werden können, gilt ganz allgemein für soziale Grundrechte, s etwa Berka, Grundrechte Rz 1043. 158 AB 785 BlgNR 20. GP 5. 159 Dazu näher U. Davy, FS Funk 98 ff.
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den es aber Zweckmäßigkeitserwägungen und damit letztlich budgetäre Gründe sein, die für die mittelbare Benachteiligung behinderter Menschen verantwortlich sind. Die Gleichbehandlung ist zur Erreichung dieses sekundären Zieles gewiss geeignet und erforderlich, fraglich ist aber wiederum, ob die damit in Kauf genommene Benachteiligung behinderter Menschen nicht unverhältnismäßig schwer wiegt. Je leichter sich diese Benachteiligung abwenden lässt, desto eher ist Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG verletzt. Behinderten Studenten kann etwa ohne weiteres für Prüfungen ein Zeitrahmen gewährt werden, der ihren spezifischen Bedürfnissen Rechnung trägt; eine undifferenzierte Regelung der Prüfungsdauer wäre daher mit Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG unvereinbar160. Finanzielle Aufwendungen, die jemandem aufgrund seiner Behinderung entstehen, mindern seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und müssen daher steuerrechtlich geltend gemacht werden können161. In manchen Fällen kann ein Nachteilsausgleich auch positive Maßnahmen erfordern: Werden Verkehrsmittel oder öffentliche Gebäude „behindertengerecht“ ausgestattet162, so verursacht dies Kosten, die von der Allgemeinheit zu tragen sind. Auch hier gilt aber: Dass die Vermeidung einer Benachteiligung mit Kosten verbunden ist, rechtfertigt diese Benachteiligung noch nicht. Die Kosten des Nachteilsausgleiches müssen vielmehr schwerer wiegen als der Nachteil selbst. Das Gewicht dieses Nachteils ist auch hier umso höher, je stärker andere Grundrechte des Behinderten betroffen sind. Bleiben Verkehrsmittel und öffentliche Gebäude für Behinderte etwa unzugänglich, so wiegt diese Benachteiligung schwer, weil sie die Betroffenen in ihrer verfassungsgesetzlich gewährleisteten Bewegungsfreiheit beschränkt: Sowohl Art 4 Abs 1 StGG als auch Art 2 4. ZPEMRK schützen zwar nur die Bewegung an sich, nicht hingegen eine bestimmte Art der Fortbewegung und auch nicht die Hilfsmittel für die Bewegung; errichtet der Staat aber Barrieren, durch die der Zugang zu einem öffentlichen Ort für Behinderte völlig ver____________________
160 Dementsprechend haben Studierende nach § 59 Z 12 UniversitätsG, BGBl I 2002/ 120 idF BGBl I 2006/74, ein Recht auf eine abweichende Prüfungsmethode, wenn sie eine länger andauernde Behinderung nachweisen, die ihnen die Ablegung einer Prüfung in der vorgeschriebenen Methode unmöglich macht, und wenn der Inhalt und die Anforderungen der Prüfung durch eine abweichende Methode nicht beeinträchtigt werden. 161 S etwa VfSlg 9596/1982, wonach der Einbau eines infolge einer Körperbehinderung erforderlichen Aufzuges keine bloße Vermögensumschichtung bewirkt; die Wahrscheinlichkeit, dass ein potentieller Käufer in ähnlicher Weise wie der Beschwerdeführer körperbehindert ist und daher einen Aufzug dringend benötigt, ist derart gering, dass dieser Fall vernachlässigt werden kann. Die für den Einbau getroffenen Aufwendungen müssen daher als außergewöhnliche Belastungen steuerrechtlich geltend gemacht werden können. Gleiches gilt nach VfSlg 16.839/2003 für die Kosten der behindertengerechten Einrichtung eines Badezimmers. 162 S allgemein zu Mobilität und Behinderung Riha, Mobilität 121 ff, sowie Krispl, Diskriminierungsschutz 245 ff.
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schlossen bleibt, dann wird ihre Freizügigkeit sehr wohl beschränkt163. Eine solche Benachteiligung muss durch triftige Gründe gerechtfertigt werden können, so etwa durch den Umstand, dass der behindertengerechte Umbau eines historischen Gebäudes technisch nicht möglich oder mit einem unvertretbaren finanziellen Aufwand verbunden ist164. Ob eine Benachteiligung mit Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG vereinbar ist, hängt also einerseits vom Gewicht dieser Benachteiligung ab und andererseits von den Kosten, die eine Vermeidung oder Linderung dieser Benachteiligung verursachen würde. Diese „Kosten“ können in der Beeinträchtigung der Rechte anderer bestehen165, sie können aber auch schlicht finanzieller Natur sein. Wiegen sie weniger schwer als die Benachteiligung, die dem Behinderten durch eine Regelung unmittelbar oder mittelbar zugefügt wird, dann verletzt diese Benachteiligung Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG. Diese Bestimmung kann den Betroffenen daher auch relative Rechte auf staatliche Leistungen vermitteln166: Lässt sich das Regelungsziel einer Norm, die zu einer Benachteiligung führt, auch mit gelinderen Mitteln oder ganz ohne Benachteiligung erreichen, muss der Gesetzgeber diese anderen Mittel entweder ergreifen oder er muss von der Benachteiligung und damit auch von der Erreichung des Regelungszieles Abstand nehmen. Wie diese Leistungen im Einzelnen auszugestalten sind, ist dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überlassen167. Ein Recht auf konkrete Leistungen folgt aus Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG daher nicht168. ____________________
163 164
S allgemein auch Pöschl, Art 4 StGG Rz 27 f, 49. S auch Beaucamp, DVBl 2002, 1003 f. Von diesen Voraussetzungen geht nun auch § 6 BGStG aus; danach liegt eine mittelbare Diskriminierung (nur) dann nicht vor, wenn die Beseitigung von Bedingungen, die eine Benachteiligung begründen, rechtswidrig (etwa mit denkmalschutzrechtlichen Vorschriften unvereinbar) oder wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar ist. 165 Beispielhaft Wassermann, NJW 1998, 730 f. 166 So auch für Art 3 Abs 3 Satz 2 GG Castendiek, GedS Jeand’Heur 347; Beaucamp, DVBl 2002, 1001 f; s ferner BVerfGE 96, 288 (303), wonach eine durch Art 3 Abs 3 Satz 2 GG verbotene Benachteiligung vorliegen könne, wenn behinderte Menschen von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden, ohne dass dieser Ausschluss durch spezifische Förderungsmaßnahmen hinlänglich kompensiert wird. Nach Caspar, EuGRZ 2000, 140, besteht nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Nachteilsausgleich. 167 AB 785 BlgNR 20. GP 5: „Die vorliegende Nichtdiskriminierungsklausel verbietet demgegenüber aber nicht eine Bevorzugung Behinderter, sondern erlaubt und fordert sie in einem dem gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum überlassenen Umfang.“ Dieser Entscheidungsspielraum kann bei Bevorzugungen, die Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG fordert, sinnvollerweise nicht hinsichtlich des „Ob“, sondern nur hinsichtlich des „Wie“ bestehen. Ob die Bevorzugung vorgenommen wird, kann der Gesetzgeber gerade nicht mehr frei entscheiden, wenn diese Bevorzugung durch Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG geboten ist. 168 Auch in Deutschland wird überwiegend angenommen, dass Art 3 Abs 3 Satz 2 GG den Gesetzgeber nicht zur Erbringung konkreter Leistungen und Begünstigungen verpflichtet, sondern die Umsetzung dieses Gebotes seinem Ermessen überantwortet, vgl BVerfGE
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5. Bevorzugung Den Materialien zufolge ist die Ungleichbehandlung behinderter Menschen zwar immer auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen. Die „Nichtdiskriminierungsklausel“ des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG verbiete „aber nicht eine Bevorzugung Behinderter, sondern erlaubt und fordert sie in einem dem gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum überlassenen Umfang.“169 Indem Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG nur die Benachteiligung Behinderter verbietet, ermächtigt er also den einfachen Gesetzgeber, Behinderte zu bevorzugen170. Diese Ermächtigung bezieht sich nicht nur auf jene Begünstigungen, die erforderlich sind, um unzulässige Benachteiligungen abzuwenden. Sie erfasst auch die Einräumung von Vorteilen, die durch Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG gerade nicht geboten ist. Dem Gesetzgeber kommt bei der Gewährung derartiger Bevorzugungen nach den Materialien Gestaltungsspielraum zu. Anders als die Benachteiligung bedarf die Bevorzugung Behinderter daher keiner besonderen „Rechtfertigung“171; sie ist vielmehr schon durch die faktisch schlechtere Ausgangslage behinderter Menschen begründbar und erfährt durch die Staatszielbestimmung des Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG noch zusätzliche Legitimation172. ____________________
96, 288 (306); s schon zuvor zur Zulässigkeit einer Einstellungspflicht für Schwerbehinderte BVerfG 57, 139 (159), sowie allgemein zur Frage, ob und inwieweit aus Freiheitsrechten Fördermaßnahmen ableitbar sind: BVerfGE 33, 303 (330 ff ); 90, 107 (116 f ); vgl aus der Literatur zB Sannwald, NJW 1994, 3314; Heun, Art 3 GG Rz 137; A. Jürgens, DVBl 1997, 412; Scholz, Art 3 Abs 3 GG Rz 174 f; Caspar, EuGRZ 2000, 137; Gubelt, Art 3 GG Rz 104b; Osterloh, Art 3 GG Rz 305; Starck, Art 3 GG Rz 419. Zum Teil wird in Deutschland auch die Ansicht vertreten, behinderte Menschen hätten, wenn schon keinen Leistungsanspruch, so doch wenigstens ein subjektives Recht auf Begründung, wenn der Staat Maßnahmen zur Beseitigung von Nachteilen ablehne. Seien Gründe für eine solche Ablehnung objektiv nicht vorhanden, dann könne sich der Anspruch auf angemessene Berücksichtigung zu einem konkreten Leistungsanspruch verdichten: Caspar, EuGRZ 2000, 140; Castendieck, GedS Jeand’Heur 347; Beaucamp, DVBl 2002, 1000 ff. 169 AB 785 BlgNR 20. GP 5. 170 Auch Art 3 Abs 3 Satz 2 GG wird unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes als Differenzierungserlaubnis angesehen, s etwa Strassmair, Gleichheitssatz 178 f; Starck, Art 3 GG Rz 417. 171 So für Art 3 GG wohl auch Osterloh, Art 3 GG Rz 312, nach der Begünstigungen „nicht erst im Rahmen relativierender Interpretation eines weitergehenden Differenzierungsverbots gerechtfertigt werden müssen.“ Die Bevorzugung Behinderter ist daher unter leichteren Bedingungen möglich als etwa die Bevorzugung von Frauen zum Zweck der faktischen Gleichstellung der Geschlechter: Diese kann zwar durch das Staatsziel des Art 7 Abs 2 B-VG legitimiert werden, muss sich zugleich aber auch an Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG messen lassen (s dazu oben E.I.4.e.). Diese unterschiedlich strengen Maßstäbe sind auch rechtspolitisch nicht zu beanstanden, weil Frauen eben „nur“ mit gesellschaftlichen Vorurteilen zu kämpfen haben, während Behinderte sich darüber hinaus in einer Ausgangslage befinden, die ihnen das Leben tatsächlich schwerer macht. 172 S auch VfSlg 16.746/2002, wonach eine Regelung, die die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen bezweckt, im öffentlichen Interesse erwünscht ist.
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Das bedeutet aber weder, dass die Einräumung solcher Vorteile überhaupt nicht mehr am allgemeinen Gleichheitssatz gemessen werden könnte173, noch dass der Gesetzgeber dabei von der Beachtung der übrigen Verfassung entbunden wäre. Ergreift er Maßnahmen, die den Ausgleich bestimmter sozialer oder realer Nachteile Behinderter bezwecken174, gewährt er Behinderten etwa Geld-, Sach- oder Dienstleistungen nach sozialversicherungs-, versorgungs- oder sozialhilferechtlichen Vorschriften175, räumt er ihnen steuerrechtliche Begünstigungen ein176, so ist dies grund____________________
173 So aber für die deutsche Rechtslage anscheinend G. Jürgens, NVwZ 1995, 453, nach dem Art 3 Abs 3 Satz 2 GG in seinem Anwendungsbereich einen Rückgriff auf den allgemeinen Gleichheitssatz ausschließe, sodass eine Bevorzugung Behinderter nicht als Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gewertet werden könne (aA zB Strassmair, Gleichheitssatz 179). Für Art 7 Abs 1 B-VG gilt das jedenfalls nicht: Wenn diese Bestimmung in ihrem dritten Satz nur Benachteiligungen untersagt, so erlaubt dies zwar – wie auch die Materialien bestätigen – den Schluss, dass die Bevorzugung Behinderter nicht verboten, sondern grundsätzlich erlaubt ist. Eine solche Bevorzugung ist dann aber nicht an Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG zu messen, weil dieser ja nur ein Benachteiligungsverbot statuiert; ihre Zulässigkeit richtet sich vielmehr nach dem allgemeinen Gleichheitssatz, dessen Prüfungsmaßstab in dieser Hinsicht durch Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG gelockert ist. 174 S für Art 3 GG auch A. Jürgens, DVBl 1997, 412; Scholz, Art 3 Abs 3 GG Rz 174. 175 S auch U. Davy, FS Funk 85. 176 Vgl etwa § 35 EStG; s auch Ernst, FS Floretta 151, 164 f, sowie VfSlg 13.115/ 1992; s ferner das Erkenntnis VfSlg 17.807/2006, in dem der VfGH Vorschriften der Fernmeldegebührenordnung zu prüfen hatte, denen zufolge (ua) Gehörlose und schwer hörbehinderte Personen von der Rundfunkgebühr zu befreien sind, sofern ihr HaushaltsNettoeinkommen einen gewissen Richtsatz nicht übersteigt. Der VfGH hatte zunächst das Bedenken, dass diese Bestimmung das Sachlichkeitsgebot verletze: Gehörlose und schwer hörbehinderte Personen seien aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage, die gebührenpflichtige öffentliche Leistung des Fernsehempfanges in vollem Ausmaß zu konsumieren; es sei nicht einzusehen, warum sie dann von der Gebühr nur befreit werden, wenn ihr Einkommen sehr niedrig ist. Im Gesetzesprüfungserkenntnis selbst stellte der VfGH dann aber fest, dass die Rundfunkgebühr eine Abgabe auf den Betrieb oder die Betriebsbereitschaft einer Rundfunkempfangseinrichtung sei, die unabhängig davon anfällt, ob das Fernsehgerät tatsächlich benützt wird. Für die Entstehung der Gebühr sei daher nicht maßgeblich, ob und inwieweit jemand Rundfunkprogramme wahrnehmen kann. Der VfGH meint dann weiter, Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG verbiete dem Gesetzgeber eine Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen, sofern eine Differenzierung sachlich geboten ist. Der Gesetzgeber sei diesem Gebot nachgekommen, indem er die Gebührenbefreiung auf Gehörlose und schwer Hörbehinderte erstreckt habe; ihm könne aber nicht entgegengetreten werden, wenn er diese Begünstigung auf Fälle sozialer Bedürftigkeit beschränkt, zumal es sich bei der Rundfunkgebühr um eine relativ geringfügige finanzielle Belastung handelt. Im Ergebnis ist der Entscheidung zuzustimmen; ihre Begründung vermag aber nicht recht zu überzeugen. Wenn, wovon der VfGH ausgeht, die Rundfunkgebühr eine nutzungsunabhängige Abgabe ist, dann ist der Gesetzgeber auch nicht verpflichtet, Personen, die das Rundfunkprogramm nicht oder nur eingeschränkt nutzen können, von dieser Gebühr zu befreien. Tut er das doch, so erfüllt er kein gleichheitsrechtliches Gebot, er nützt vielmehr die in Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG implizit enthaltene Ermächtigung, behinderten Personen gewisse Begünstigungen zu gewähren. Dabei kommt ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu; eine solche Begünstigung nur sozial bedürftigen Be-
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sätzlich unbedenklich177. Keinen Bedenken begegnet auch die Zuerkennung einer Prämie, wenn jemand einen Auftrag an ein Unternehmen vergibt, das behinderte Menschen beschäftigt. Denn eine derartige Prämie hat keine wettbewerbsverzerrende Wirkung178; sie stellt bloß einen Ausgleich dafür dar, dass ein Unternehmen durch die Beschäftigung behinderter Menschen höhere Gestehungskosten für die Erbringung seiner Leistungen in Kauf nimmt179. Rechtfertigungsbedürftig, aber auch rechtfertigbar ist es, behinderte Menschen beim Zugang zu gewissen Berufen zu bevorzugen180, mag sich dies auch – unterhalb der Eingriffsschwelle – auf die Erwerbsfreiheit ihrer nicht behinderten Mitbewerber auswirken. Werden die Mitbewerber aber unmittelbar in ihrer Erwerbsfreiheit beschränkt, so muss dies den Anforderungen des Art 6 StGG entsprechen181. Auch wenn Betrieben ab einer bestimmten Größe die Pflicht auferlegt wird, behinderte Personen einzustellen oder wenn dem Arbeitgeber die Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers erschwert wird182, bedarf dies wegen der damit verbundenen Beschränkung der Privatautonomie einer Rechtfertigung im Lichte des Art 5 StGG. Ein originäres Recht auf die Einräumung derartiger Vergünstigungen vermittelt weder Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG noch der allgemeine Gleichheitssatz183. Denn erstens ist die Gleichbehandlung behinderter und nicht behinderter Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens dem Bund, den Ländern und Gemeinden durch Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG nur in ____________________
hinderten zu gewähren, ist völlig unbedenklich, schließlich ist der Entlastungseffekt einer Gebührenbefreiung gerade bei sozialer Bedürftigkeit am höchsten. 177 S auch VfSlg 16.754/2002, wonach dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum in der Frage zukommt, „ob bzw. in welchem Ausmaß Bezüge aus einer gesetzlichen Unfallversorgung – unter Bedachtnahme auf ihre vielfältigen (auch sozialpolitischen) Funktionen – von der Einkommensteuerpflicht ausgenommen werden“. Eine vom Bund gewährte Begünstigung darf dann auch der Landesgesetzgeber nicht unterlaufen: Sieht dieser im SozialhilfeG vor, dass pflegebedürftige Personen einen Kostenbeitrag zur Heimunterbringung zu leisten haben, so muss bei der Bemessung dieses Beitrages das nach dem BundespflegegeldG ausbezahlte Taschengeld außer Betracht bleiben; denn seine Einbeziehung in das Einkommen würde die Intention des Bundesgesetzgebers durchkreuzen, behinderten Menschen wegen ihres Mehraufwandes Erleichterungen zu verschaffen: VfSlg 15.281/1998. 178 S zur gleichheitsrechtlichen Bedenklichkeit wettbewerbsverzerrender Vorschriften schon oben F.II.6.a. 179 VfSlg 16.746/2002. 180 Zu denken ist etwa an die bevorzugte Berücksichtigung Behinderter bei der Bewerbung um eine Tabaktrafik nach § 29 TabakmonopolG 1996, BGBl 1995/830. 181 Nicht gebilligt hat der VfGH etwa die Festlegung eines gesetzlichen Höchstpreises für den Verkauf von Tabakwaren in Gastgewerbebetrieben; sie schien ihm zur Existenzsicherung von Tabaktrafiken nicht erforderlich: VfSlg 15.509/1999. 182 S zur einfachgesetzlichen Rechtslage im Einzelnen U. Davy, FS Funk 102 ff. 183 So auch U. Davy, FS Funk 85; s für Deutschland auch die Nachweise in FN 168, sowie Strassmair, Gleichheitssatz 238.
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Gestalt einer Staatszielbestimmung aufgetragen. Zweitens geht auch aus den Materialien hervor, dass es im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers liegt, ob er solche Bevorzugungen einräumt oder nicht184. Wenn sich der Gesetzgeber aber einmal zu einer Bevorzugung behinderter Menschen entschlossen hat, kann der allgemeine Gleichheitssatz derivative Leistungsrechte vermitteln185. Wird bestimmten Behinderten ein Vorteil gewährt, kann daraus folglich für andere behinderte Menschen ein subjektives Recht auf eine gleichartige Begünstigung in vergleichbaren Situationen resultieren186. Auch wenn der Gesetzgeber behinderte Menschen bevorzugt, ist er also nicht von der Pflicht befreit, den Kreis der begünstigten Personen nach sachlichen Kriterien abzugrenzen. Zulässig kann es aber etwa sein, innerhalb der Gruppe der Behinderten nach dem Grad der Behinderung zu differenzieren187 oder nach der Ursache der Behinderung zu unterscheiden, etwa um Personen, deren Behinderung durch ihren Einsatz für die Allgemeinheit hervorgerufen wurde, stärker zu unterstützen als Personen, deren Behinderung auf einem angeborenen Gebrechen oder auf einem Freizeitunfall beruht188: Diesfalls liegt gerade keine ____________________
184 AB 785 BlgNR 20. GP 5: „Die vorliegende Nichtdiskriminierungsklausel verbietet demgegenüber aber nicht eine Bevorzugung Behinderter, sondern erlaubt und fordert sie in einem dem gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum überlassenen Umfang.“ Gefordert sind Bevorzugungen durch Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG zur Abwendung von Benachteiligungen; davon abgesehen sind sie erlaubt: Im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers liegt dann, ob überhaupt, mit welchen Mitteln und in welchem Umfang er behinderte Menschen bevorzugt (s auch FN 167). 185 S für Deutschland auch Osterloh, Art 3 GG Rz 306. 186 So etwa, wenn jemand aufgrund seiner Behinderung verlangt, ebenso wie blinde Menschen von der Umsatzsteuer befreit zu werden: Der VfGH hat diese Differenzierung in VfSlg 9524/1982 gebilligt, weil Blinde verhältnismäßig häufig in Kleinbetrieben selbständig erwerbstätig seien und dabei in der Regel eine Hilfskraft für Tätigkeiten anstellen und entlohnen müssen, die ein nicht behinderter Unternehmer selbst besorgen kann. In derselben Lage befänden sich andere schwer körperbehinderte Unternehmer zwar in vielen Fällen auch, aber nicht typischerweise so wie blinde Gewerbetreibende. 187 Freilich kommt es auch hier auf den Kontext der Regelung, insbesondere auf die mit ihr verfolgte Absicht an. Nicht akzeptiert hat der VfGH etwa in VfSlg 13.115/1992, dass Steuerfreiheit von Unfallrenten ab einer 20%igen Behinderung im Ausmaß der Behinderung gewährt wurde (bei 30%iger Behinderung waren also 30% der Rente, bei 60%iger Behinderung 60% steuerfrei etc). Renten, die aufgrund einer niedrigen Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt werden, blieben dadurch einkommensteuerpflichtig, obwohl sie – da die Erwerbstätigkeit in solchen Fällen regelmäßig fortgesetzt wird – kein Ersatz für einen Einkommensentgang sind, sondern primär den Zweck haben, Erschwernisse, künftige Berufsunsicherheiten und den Verschleiß an körperlicher Substanz auszugleichen. Die bezogene Rente abgestuft nach dem Grad der Behinderung mit einer Mindestgrenze von 20% für steuerfrei zu erklären, war daher unsachlich, weil ungeeignet, um steuerpflichtige Einkommensersätze von einem steuerfreien Ausgleich für andere Nachteile abzugrenzen. 188 Zum Teil sind derartige Ungleichbehandlungen schon aus kompetenzrechtlichen Gründen gar nicht vermeidbar, so etwa, wenn die bundesgesetzlich geregelte Blindenzulage für Kriegsopfer bedeutend höher ist als die landesgesetzlich gewährte Blindenbeihilfe
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Benachteiligung wegen der Behinderung vor; daher gelten auch nicht die strengen Maßstäbe des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG189, sondern nur die des allgemeinen Gleichheitssatzes190. Davon abgesehen wird man auch nicht verlangen können, dass der Gesetzgeber, der einmal eine Zuwendung erbringt, sofort allen behinderten Menschen in jeder Hinsicht das Gleiche gewährt. Denn ein derart streng verstandenes Gleichbehandlungsgebot würde die Initiative zur Begünstigung letztlich lähmen, was dem in Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG festgeschriebenen Ziel der faktischen Gleichstellung behinderter Menschen gewiss nicht entspricht191. Sinnvoll verstanden kann der allgemeine Gleichheitssatz den Staat nicht daran hindern, mit einer Verbesserung „gezielt irgendwann, irgendwo, irgendeiner Bevölkerungsschicht gegenüber anzufangen, also (zunächst) bewusst Ungleichheiten zu schaffen“. Andernfalls wäre der Gleichheitssatz, wie Dürig treffend festgestellt hat, „nur ein miserables Vehikel, daß entweder überhaupt nichts passiert, oder nichts Wirksames passiert“192.
6. Persönlicher Schutzbereich Fraglich ist, ob der persönliche Schutzbereich des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG über den des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG hinausgeht: Der Wortlaut („Niemand“) spricht für diese Annahme; in der Begründung des sozialdemokratischen Initiativantrages hieß es sogar noch explizit, dass das vorgeschlagene Diskriminierungsverbot „[a]nders als der allgemeine Gleichheits____________________
für Personen, die nicht kriegsbedingt, sondern aus anderen Gründen erblindet sind, s dazu Ernst, FS Floretta 164 f. 189 S für Art 3 Abs 3 Satz 2 GG auch Scholz, Art 3 Abs 3 GG Rz 174 FN 1. 190 Die aus dem allgemeinen Gleichheitssatz resultierenden Grundsätze sind freilich voll beachtlich: Es war daher gleichheitswidrig, bestimmten Körperbehinderten im Einkommensteuerrecht einen Pauschalbetrag zur Abgeltung etwaiger außergewöhnlicher Belastungen zu gewähren und dabei den Kreis der Begünstigten nach der Entstehung des Leidens abzugrenzen: Für die Erwerbsfähigkeit und die steuerliche Leistungsfähigkeit ist die Entstehungsursache einer Körperbehinderung nämlich gleichgültig, wenn eine andere Entstehungsursache die gleichen Folgen nach sich zieht: VfSlg 4681/1964. 191 Dabei geht es nicht darum, „die Befriedigung des [...] unstillbaren Produktionsdranges des ‚einfachen Gesetzgebers‘ als höchstes Staatsziel [zu erklären]“ und ihm auch gleichheitsrechtliche Anforderungen unterzuordnen (s die Kritik Klecatskys, FS Ermacora 321 FN 38, an dem von Grof/Ramsauer, ÖJZ 1987, 706, vertretenen Standpunkt, die allgemeine Anerkennung wohlerworbener Rechte würde zu einer „kaum durchzuhaltenden Entdynamisierung des staatlichen Gesetzgebungsprozesses führen“); es geht vielmehr darum zu verhindern, dass die dem menschlichen Sicherheitsbedürfnis dienende Gesetzesproduktion gar nicht erst anläuft, weil sie eine Kettenreaktion von Ansprüchen auslösen würde, die in ihrer Gesamtheit nicht erfüllbar wären. 192 Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 174 (Hervorhebungen im Original). Auch der VfGH tendiert dazu, dem Gesetzgeber bei der Ausweitung einmal begonnener Begünstigungen einen Gestaltungsspielraum einzuräumen, s dazu unten G.III.3.a., G.III.3.c.
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satz, der nur für Staatsbürger gilt, [...] für jeden Menschen gelten soll“193. Die Erläuterungen zu dem sodann von allen Parlamentsparteien eingebrachten Abänderungsantrag erwähnen den persönlichen Geltungsbereich des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG nicht mehr gesondert; sie übernehmen fast wörtlich die Begründung des Initiativantrages, der von den Vertretern der ÖVP eingebracht wurde194. Der Wortlaut des Benachteiligungsverbotes selbst ist in diesem Antrag aber gleich formuliert wie im sozialdemokratischen Entwurf: Niemand darf aufgrund seiner Behinderung beachteiligt werden. Hätte der Verfassungsgesetzgeber Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG ungeachtet dessen auf Staatsbürger beschränken wollen, dann hätte er dem wohl zumindest in den Materialien Ausdruck verliehen; da ein solcher Hinweis fehlt, ist anzunehmen, dass diese Bestimmung Benachteiligungen wegen der Behinderung sowohl für Österreicher als auch für Fremde verbietet195.
7. Drittwirkung? Nach dem Initiativantrag der Vertreter der SPÖ sollte das Verbot der Benachteiligung Behinderter auch im Verhältnis zwischen Privatrechtsträgern gelten und vor den ordentlichen Gerichten einklagbar sein196. Auch der Initiativantrag der Vertreter der ÖVP weist zwar darauf hin, dass eine diskriminierungsfreie Behandlung behinderter Menschen im alltäglichen Leben noch immer nicht selbstverständlich sei. Darauf sollte nun aber – anders als im sozialdemokratischen Vorschlag – nur mit einer Staatszielbestimmung reagiert werden: „Daher“ – nämlich wegen der nach wie vor bestehenden Diskriminierungen im alltäglichen Leben – „soll […] nicht nur eine Nichtdiskriminierungsklausel […], sondern auch ein Bekenntnis der Republik aufgenommen werden, auf die Gleichbehandlung von behinderten Menschen in allen Bereichen hinzuwirken.“197 Dieser Vorschlag fand im Verfassungsausschuss offensichtlich die Zustimmung aller Parlamentsparteien. So stellt ihr gemeinsamer Abänderungsantrag, der den ____________________
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IA 342/A 20. GP = AB 785 BlgNR 20. GP 3. AB 785 BlgNR 20. GP 4 f. 195 Einen unbeschränkten persönlichen Schutzbereich bejaht auch Feik, ZÖR 1999, 21 FN 7; dass Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG ein Jedermannsrecht gewährt, nehmen auch die Materialien zum BGStG an (Erl zur RV 836 BlgNR 22. GP 3); anders anscheinend Krispl, Diskriminierungsschutz 239, der Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG als eine Ergänzung des allgemeinen Gleichheitssatzes versteht und offenbar daraus schließt: „Das Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderungen ist dementsprechend ein Grundrecht jedes Staatsbürgers, also ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes subjektives Recht, das in einem behördlichen Verfahren durchgesetzt werden kann.“ 196 IA 342/A 20. GP = AB 785 BlgNR 20. GP 3. 197 IA 389/A 20. GP = AB 785 BlgNR 20. GP 4. 194
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von den Vertretern der ÖVP vorgeschlagenen Text übernimmt, nach der Erläuterung des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG ausdrücklich fest: „Eine Drittwirkung wird mit dieser Bestimmung nicht begründet.“198 Dass in der ersten und zweiten Lesung dieses Gesetzesvorschlages im Plenum Diskriminierungen zwischen Privaten durchaus thematisiert und von manchen Abgeordneten durch Beispiele aus ihrer persönlichen Erfahrung veranschaulicht wurden199, ändert daran mE nichts200. Denn dass dem Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG – abweichend von dem Konsens, der im Verfassungsausschuss bereits erzielt worden war – nun doch unmittelbare Drittwirkung zukommen sollte, geht aus der Plenardiskussion im Zuge der zweiten Lesung nicht hervor201. Ob und inwieweit Privaten im Verhältnis zueinander eine Diskriminierung Behinderter untersagt sein soll, hat damit nach Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG grundsätzlich der einfache Gesetzgeber zu entscheiden. Die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000202 verpflichtet ihn allerdings dazu, nicht nur für öffentliche, sondern auch für private Beschäftigungsverhältnisse Vorkehrungen zu treffen, um eine Diskriminierung behinderter Menschen beim Zugang zur Erwerbstätigkeit und beim beruflichen Aufstieg, hinsichtlich der Beschäftigungs-, Ar____________________
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AB 785 BlgNR 20. GP 5. S die Nachweise bei U. Davy, FS Funk 66, 89. 200 Anders U. Davy, FS Funk 89. 201 ME lässt auch die Feststellung der Abgeordneten Rauch-Kallat, es sei wichtig, dass „Antidiskriminierung nun ein Recht, ein verfassungsmäßig verankertes Recht ist und nicht ein Almosen oder ein Good will verschiedener Bevölkerungsgruppen beziehungsweise Gesellschaftsschichten“ noch nicht den Schluss zu, dass dieses Recht auch jedem Privaten gegenüber bestehen soll; das zugleich mit Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG ausgesprochene „Bekenntnis“ der Republik kann freilich durch die Zuerkennung solcher Rechte eingelöst werden; das ist nun teilweise auch im BGStG geschehen, das nicht nur der Vollziehung, sondern auch dem Privaten eine Diskriminierung behinderter Menschen verbietet und diesen im Fall der Verletzung dieses Verbots einen Schadenersatzanspruch einräumt. 202 Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl 2000 L 303/16. S zu den Vorgaben dieser Richtlinie und dem dadurch entstehenden Umsetzungsbedarf näher U. Davy, FS Funk 106 ff; s auch Stalder, JRP 2002, 227 ff; Schindler, DRdA 2003, 530 f; Dill, ZRP 2003, 318 ff; Gottfried Winkler, ZAS 2004, 52 ff, sowie mwN Krejci, DRdA 2005, 385 FN 10; besonders kritisch zu dieser Richtlinie Adomeit, NJW 2003, 1162, der meint, wer wirtschaftlich bestehen wolle, müsse nach dem harten Prinzip der Rationalität handeln und könne sich keine Sentimentalitäten leisten. Die Rechtsordnung könne dem Unternehmer nicht auferlegen, „sehenden Auges einen nur vermindert geeigneten Bewerber einzustellen, sofern ein geeigneter Bewerber zur Mitarbeit bereit steht und begierig ist, zupacken zu dürfen.“ Tatsächlich erlegt die Rechtsordnung dem Unternehmer eine solche Pflicht auch nicht auf, wie schon aus der 17. Erwägung der genannte Richtlinie hervorgeht: „Mit dieser Richtlinie wird [...] nicht die Einstellung, der berufliche Aufstieg, die Weiterbeschäftigung oder die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen einer Person vorgeschrieben, wenn diese Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes oder zur Absolvierung einer bestimmten Ausbildung nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist.“ 199
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beits- und Entlassungsbedingungen sowie des Arbeitsentgelts abzuwehren. In Umsetzung dieser Richtlinie wurden bereits bestehende Schutzvorschriften für Behinderte novelliert und unter einem ein Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz erlassen, das behinderte Menschen auch in sonstigen Lebensbereichen vor Diskriminierungen schützen soll203.
III. Schlussfolgerungen für den allgemeinen Gleichheitssatz 1. Gesellschaftliche und reale Nachteile Nach dem bisher Gesagten erläutert Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG den allgemeinen Gleichheitssatz insofern, als er für Benachteiligungen wegen der Behinderung eine besondere Rechtfertigung verlangt; zugleich reduziert Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG den sachlichen Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes um die besonders hervorgehobenen Fälle der Benachteiligung204. Begünstigungen Behinderter, die nicht schon zur Abwendung einer rechtlichen Benachteiligung geboten sind, unterfallen dagegen weiterhin dem allgemeinen Gleichheitssatz, unterliegen dort aber einem milden Prüfungsmaßstab: Sie sind nicht prima facie verboten, sondern grundsätzlich erlaubt. Generell besehen bestätigt Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG zunächst die bereits aus Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG abgeleitete These, dass dem allgemeinen Gleichheitssatz kein einheitlicher, sondern ein differenzierter Prüfungsmaßstab zugrunde liegt, der umso strenger ist, je eher ein Unterscheidungsmerkmal den Kernbereich der Persönlichkeit betrifft und je weniger es vom Rechtsunterworfenen beeinflusst werden kann. In Verbindung mit Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG folgt aus Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG aber noch ein weiteres: Wenn die Verfassung im ersten Fall jede Ungleichbehandlung grundsätzlich untersagt, im zweiten Fall aber nur Benachteiligungen verbietet, Begünstigungen hingegen erlaubt und in bestimmtem Umfang sogar gebietet, dann unterscheidet sie zwischen Merkmalen, die für den Einzelnen „nur“ gesellschaftlich von Nachteil sind und Eigenschaften, die Menschen auch unabhängig von gesellschaftlichen Wertungen real in eine schlechtere Ausgangsposition versetzen. Im ersten Fall verlangt die Verfas____________________
203 S die Novellen zum Behinderteneinstellungsgesetz, Bundesbehindertengesetz und zum Bundessozialamtsgesetz, BGBl I 2005/82, sowie das BGStG, und dazu Hofer, Behindertengleichstellungsrecht; Brodil, Behinderungen 64 ff. 204 Demgegenüber hat der VfGH in dem bereits zitierten Erkenntnis VfSlg 16.350/ 2001 zwar konstatiert, dass der bekämpfte Bescheid dem Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG widerspricht; die Aufhebung des Bescheides wurde dann aber auf den „vertrauten“ allgemeinen Gleichheitssatz gestützt.
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sung grundsätzlich Neutralität205, im zweiten Fall aber Schutz und Rücksichtnahme. Diese verfassungsrechtlich vorgegebene Unterscheidung beinhaltet ein Differenzierungsgebot, das ganz allgemein bei der Anwendung des Gleichheitssatzes zu berücksichtigen ist: Eigenschaften, die den Einzelnen – wie die Behinderung – aufgrund seiner körperlichen Disposition real benachteiligen, die also dazu führen, dass er seinen Alltag unter erschwerten Bedingungen bewältigen muss, sofern er ihn überhaupt allein bewältigen kann, begründen wesentliche Unterschiede im Tatsächlichen, die der einfache Gesetzgeber bei der Normsetzung nicht außer Acht lassen darf. Dies gilt insbesondere für kranke und/oder alte Menschen, es gilt aber wohl auch für Kinder und für die mit einer Schwangerschaft einhergehende Einschränkung körperlicher Disponibilität206. Gegen die Annahme, dass diese Merkmale zwischen den Menschen gleichheitsrechtlich relevante Unterschiede begründen, kann nicht eingewendet werden, die Verfassung schütze die genannten Personengruppen nicht in einem eigenen Gleichheitssatz; denn Krankheit, Alter, Kindheit, Schwangerschaft sind in gewisser Weise universell-menschliche Eigenschaften und Risken, sie beschreiben Zustände, in denen sich jeder Mensch (jede Frau) irgendwann im Laufe seines (ihres) Lebens befindet oder doch befinden kann. Diese Eigenschaften und die aus ihnen resultierende Schutzbedürftigkeit sind der Gesellschaft daher erstens bewusst und dem Gesetzgeber präsent und laufen schon deshalb nicht Gefahr, „vergessen“ und vernachlässigt zu werden. Zweitens sind die genannten Personengruppen – gerade weil jeder Mensch irgendwann auch zu ihnen gehören kann – gesellschaftlich einem geringeren Diskriminierungsrisiko ausgesetzt als Menschen, die einer Minderheit angehören und von vornherein an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Dass Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG behinderte Menschen ausdrücklich vor Benachteiligungen schützt, die besonderen Bedürfnisse des Menschen während Kindheit, Schwangerschaft, Krankheit und Alter jedoch nicht eigens in Erinnerung ruft, lässt daher keineswegs den Schluss zu, die Verfassung würde diese Schutzbedürftigkeit verneinen, im Gegen____________________
205 Eine Ausnahme begründet insofern die in Art 7 Abs 2 B-VG angeordnete faktische Gleichstellung von Frauen und Männern sowie Art 67 Satz 1 StV St Germain in Bezug auf bestimmte Minderheiten. 206 Dass der Verfassungsgesetzgeber den gemeinsamen Nenner der genannten Eigenschaften in der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Personen sieht, zeigt auch Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG, der für „Volkspflegestätten, Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge; Heilund Pflegeanstalten“ einen eigenen Kompetenztatbestand geschaffen hat. S nun auch die EU-Charta der Grundrechte, die unter dem Titel der Gleichheit Diskriminierungen ua aufgrund des Alters verbietet (Art 21) und in Art 24 Abs 1 bestimmt, dass Kinder Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge haben, die für ihr Wohlergehen notwendig sind; nach Art 25 anerkennt und achtet die Union den Anspruch älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.
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teil. Es legt in Verbindung mit Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG viel eher nahe, dass diese Schutzbedürftigkeit als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Insofern sah der Verfassungsgesetzgeber wohl gar keinen Anlass, diese Personengruppen eigens zu erwähnen, steht ihnen die Berufung auf den allgemeinen Gleichheitssatz doch ohnedies offen. Auch in diesem Sinn trifft es daher zu, wenn der Verfassungsausschuss feststellt, dass Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG den „innere[n] Gehalt“ des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht verändert207. Anlass für eine gesonderte Erwähnung hatte der Verfassungsgesetzgeber hingegen im Jahr 1920 im Fall der Armut, wurden doch Besitzlose in der Monarchie in verschiedenster Weise benachteiligt, insbesondere aber noch wenige Jahre vor Erlassung des B-VG vom Wahlrecht ausgeschlossen: Vor dem Hintergrund dieses gerade erst überwundenen Klassenwahlrechts erschien es auch angezeigt, in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG Vorrechte aufgrund der „Klasse“ auszuschließen und damit auch Besitzlose ausdrücklich vor Diskriminierungen zu schützen208.
2. Benachteiligung sozial schwacher Gruppen a. Allgemeines Krankheit, Schwangerschaft, Armut sind nach alldem Gegebenheiten, an die der Gesetzgeber grundsätzlich keine nachteiligen Rechtsfolgen knüpfen darf 209. In gleicher Weise untersagt – und praktisch wohl relevanter – sind Normen, die die Träger dieser Merkmale mittelbar diskriminieren, sei es, weil eine Norm an eine Eigenschaft anknüpft, die regelmäßig mit einem der genannten Merkmale einhergeht, sei es, weil eine neutral formulierte Vorschrift sich auf die Träger dieser Merkmale signifikant häufiger nachteilig auswirkt als auf andere Personen. Eine derartige Benachteiligung kann zwar ebenso wenig wie die Benachteiligung behinderter Menschen absolut verboten sein; sie bedarf aber einer Rechtfertigung, die schwerer wiegt als der Nachteil, der den betroffenen Personengruppen zugefügt wird. Kann eine unzulässige Benachteiligung nur durch eine korrespondierende und nicht übermäßig kostenintensive Begünstigung abgewendet werden, so muss der Gesetzgeber diese Begünstigung entweder gewähren oder auf die Regelung verzichten210. ____________________
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AB 785 BlgNR 20. GP 5. S schon oben E.I.4.b. Bei Differenzierungen nach dem Alter ist zu unterscheiden zwischen Vorschriften, die Rechte ab einem bestimmten Alter aberkennen und solchen, die Rechte erst ab einem bestimmten Alter gewähren; ersteres kann diskriminierend, zweiteres kann gleichheitsrechtlich geboten sein, s dazu noch unten G.III.2.c. 210 Beispielhaft hierfür ist das bereits erwähnte Erkenntnis VfSlg 13.781/1994, in dem es der VfGH als gleichheitswidrig ansah, dass die Meldepflicht nur durch das persönliche
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b. Beispiel: Armut Von Armut betroffen ist nicht nur der Obdachlose, der von freiwilligen Zuwendungen seiner Mitbürger lebt, sondern auch ein Mensch, der gerade genug hat, um sein Dasein zu fristen. Was zum Überleben genügt, hängt von den Lebenshaltungskosten ab, die von Bundesland zu Bundesland, aber auch zwischen Stadt und Land differieren können. Entgegen der traditionellen Zuweisung des Fürsorgewesens in die lokale Zuständigkeit ordnet Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG das Armenwesen allerdings in der Grundsatzgesetzgebung dem Bund und nur in der Ausführungsgesetzgebung den Ländern zu. Dadurch soll wohl ein bestimmtes Mindestniveau der Versorgung für das gesamte Bundesgebiet sichergestellt werden211. Davon abgesehen ist freilich von Wertungen und letztlich auch von der budgetären Situation abhängig, wie viel ein Staat seinen Bürgern als „Existenzminimum“ zugesteht212. Eine feste Grenze ist dem Gleichheitssatz in dieser Hinsicht nicht zu entnehmen. Legt sich der Gesetzgeber aber einmal auf bestimmte Richtsätze fest, so ist er an diese Wertung auch in anderen Zusammenhängen gebunden213. Dass eine Norm an das Kriterium der Armut unmittelbar nachteilige Rechtsfolgen knüpft, ist selten, aber etwa dann der Fall, wenn Fremde, die den Besitz ihrer Unterhaltsmittel nicht nachweisen können, ausgewiesen oder wenn über sie ein Aufenthaltsverbot verhängt wird214. Die Mittello____________________
Erscheinen des Meldepflichtigen oder eines Boten erfüllt werden konnte, nicht hingegen durch postalische Übermittlung des Meldescheins. Mit ein Grund für die Gleichheitswidrigkeit dieser Bestimmung war nach Ansicht des VfGH, dass ihre Befolgung für ältere und kranke Menschen besonders beschwerlich ist. Die von der Bundesregierung für diese Regelung ins Treffen geführten verwaltungsökonomischen Gründe ließ der VfGH nicht als Rechtfertigung gelten, weil die Benachteiligung dieser Personen nicht schon durch geringfügige Ersparnisse im Verwaltungsablauf überspielt werden kann. Eine differenzierende Regelung, die die postalische Meldung nur Personen gestattet, denen eine andere Form der Meldung nicht zumutbar ist, würde ihrerseits einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand produzieren; das wäre zwar nicht gleichheitswidrig (D.I.8.c. und D.II.2.c.), aber höchst unpraktisch und scheidet daher als realistische Alternative zur generellen Beseitigung des Verbots der postalischen Meldung aus. 211 Insofern könnte Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG eine ähnliche Funktion erfüllen wie Art 4 B-VG, nämlich ein zu starkes Auseinanderklaffen des Versorgungsniveaus im Bundesgebiet zu verhindern. 212 Zu diesbezüglichen Unterschieden im internationalen Vergleich s Merli, Armut 24. 213 S beispielhaft die Erkenntnisse VfSlg 7330/1974 und 7844/1976, in denen der VfGH konstatiert, dass der Gesetzgeber den für die Ausgleichszulage zu Pensionen geltenden Richtsatz von 1. Jänner 1958 bis 31. März 1972 schrittweise von 750 S auf 2279 S erhöht hat. Dieser Richtsatz stelle nach Meinung des Gesetzgebers die unterste Grenze des Gesamteinkommens dar, das der Pensionsberechtigte für die Bestreitung seines Lebensunterhaltes benötigt. Dann sei es aber sachlich nicht zu rechtfertigen, die ausreichende anderweitige Versorgung, die eine Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSPVG begründet, weiterhin mit einem Betrag von 750 S festzusetzen. 214 Vgl für die Ausweisung § 53 Abs 2 Z 4 FPG; für das Aufenthaltsverbot § 60 Abs 2 Z 7 FPG. Nach einem fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich darf ein
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sigkeit ist in diesen Fällen allerdings nur ein Surrogatmerkmal: Sie verweist auf die Gefahr, dass sich ein Fremder, der seinen Unterhalt nicht nachweist, diesen Unterhalt – weil er ja von irgendetwas leben muss – auf sozial unerwünschten Wegen, etwa durch Schwarzarbeit, Kriminalität oder Bettelei verschafft. In Wahrheit knüpft die Aufenthaltsbeendigung also nicht an die Mittellosigkeit, sondern an die mit ihr verbundenen Gefahren an; dass der Gesetzgeber diese Gefahren abwehren will, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er einen Aufenthalt nur zulässt, wenn dieser zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führt215, verfolgt der Gesetzgeber – verfassungsrechtlich ebenfalls unbedenkliche – budgetäre Ziele. Die Aufenthaltsbeendigung ist ein hartes, zur Erreichung dieses Zieles aber geeignetes und auch erforderliches Mittel; seine Verhältnismäßigkeit ieS stellt § 66 Abs 2 FPG sicher, der eine Bedachtnahme auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie anordnet. Budgetäre Ziele verfolgt der Gesetzgeber ferner, wenn er eine Einbürgerung davon abhängig macht, dass der Einbürgerungswerber in den letzten drei Jahren ein bestimmtes Mindesteinkommen erzielt hat (§ 10 Abs 1 Z 7 und § 10 Abs 5 StbG). Das StbG schließt Mittellose damit zwar vom Erwerb der Staatsbürgerschaft aus; das Ziel dieser Regelung begegnet aber keinen verfassungsrechtlichen Bedenken216. Die Einbürgerung von einem Einkommensnachweis abhängig zu machen, ist auch kein völlig untaugliches Mittel zur Erreichung dieses Zieles; an einer Mittellosigkeit, die so weit zurückliegt, dass sie für die Zukunft keine Aussagekraft mehr hat, darf eine Einbürgerung dann allerdings nicht scheitern. Noch strenger war möglicherweise der VfGH in einer Entscheidung zum StbG aF, allerdings nur mit komparativer Begründung, nämlich gestützt auf eine Vorschrift des StbG aF, nach der der Lauf der für die Einbürgerung erforderlichen Wohnsitzfrist unterbrochen wird, wenn sich ein Aufenthaltsverbot in der Folge als unbegründet erweist: Diese Unterbrechung müsse, wie der VfGH in gleichheitskonformer Interpretation annahm, auch dann gelten, wenn ein Aufenthaltsverbot bloß wegen Mittellosigkeit ____________________
Fremder zufolge § 55 FPG nicht mehr wegen Mittellosigkeit ausgewiesen werden, wenn und solange erkennbar ist, dass er bestrebt ist, die Mittel zu seinem Unterhalt durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern und dies nicht aussichtslos erscheint. Grund für die Ausweisung ist ab dann also nicht mehr die Mittellosigkeit an sich, sondern das fehlende Bemühen oder die Unmöglichkeit, Mittel zum eigenen Unterhalt zu erwerben. Der erste Ausweisungsgrund liegt zweifellos im Einflussbereich des Fremden, der zweite offensichtlich nicht. 215 Vgl § 54 Abs 1 FPG iVm § 11 Abs 2 Z 4 und § 11 Abs 5 NAG. 216 Demokratiepolitische Bedenken wirft es aber sehr wohl auf, wenn die Staatsbürgerschaft unteren Einkommensschichten vorenthalten wird: Denn das – von der Staatsbürgerschaft abhängige – Wahlrecht wird so für Menschen mit Migrationshintergrund zu einem Klassenwahlrecht, von dem sich Österreich sonst längst verabschiedet hat; s dazu Pöschl, FS Schäffer 633 ff.
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verhängt worden ist, der Staatsbürgerschaftswerber nun aber über ein rechtmäßiges Einkommen verfügt217. Häufiger als unmittelbare Benachteiligungen wegen Armut sind mittelbare Diskriminierungen, also Vorschriften, die zwar neutral formuliert sind, sich aber gerade deshalb für sozial Bedürftige signifikant nachteiliger auswirken als für andere Personen. Zu einer solchen Benachteiligung kann es kommen, wenn der Gesetzgeber den Rechtsunterworfenen Pflichten auferlegt, deren Erfüllung auch mit einem finanziellen Aufwand verbunden ist, oder wenn Rechte und staatliche Leistungen von einer finanziellen Gegenleistung des Bürgers abhängig gemacht werden218. Fehlt es in einem solchen Fall an entsprechenden Vergünstigungen für Mittellose, dann wird der reale Nachteil der Armut in eine rechtliche Benachteiligung umgemünzt: Dem sozial Bedürftigen wird dann eine Pflicht auferlegt, die er nicht oder nicht zumutbar erfüllen kann219 oder er bleibt allein wegen seiner Armut von Rechten und staatlichen Leistungen ausgeschlossen. Wenn der Gesetzgeber daher Zuwanderer zum Besuch eines „DeutschIntegrationskurses“ verpflichtet und die Nichterfüllung dieser Pflicht zuerst mit Verwaltungsstrafen und dann mit einer Ausweisung bedroht, so muss er die Kosten für den Besuch eines solchen Kurses jenen Personen abnehmen, die diesen Aufwand ohne Gefährdung ihres notwendigen Unterhaltes nicht tragen können220. Behandelt er in dieser Hinsicht alle Zuwanderer gleich, so erlegt er im Ergebnis einem Teil von ihnen eine Pflicht auf, die nur unter Gefährdung des notwendigen Unterhaltes und damit nicht oder nicht zumutbar erfüllbar ist. Wie groß die Gruppe der sozial Bedürftigen in einem solchen Fall ist, spielt keine Rolle: Niemandem – auch dem, der nicht dem Durchschnitt entspricht – dürfen Pflichten auferlegt werden, die er nicht erfüllen kann221. Eine gleichheitswidrige Benach____________________
217 VfSlg 14.393/1995. Diese gleichheitskonforme Interpretation hat die Grenzen des methodisch Zulässigen wohl überschritten. Die Alternative einer Gesetzesaufhebung wäre allerdings nur unter größten Schwierigkeiten möglich gewesen. Das StbG hätte sich nämlich nur durch die Beseitigung des – dem Grunde nach unbedenklichen – Erfordernisses einer Wohnsitzfrist so bereinigen lassen, dass es die Einbürgerung eines Fremden zulässt, über den in der Vergangenheit ein Aufenthaltsverbot wegen Mittellosigkeit verhängt worden ist. Im Verhältnis zu einer derart weit reichenden Aufhebung schien die gleichheitskonforme Interpretation wohl als der leichter gangbare Weg. Dass die verfassungskonforme Interpretation bloß aus pragmatischen Gründen überanstrengt wird, ist in der Judikatur keine Seltenheit, s zB VfSlg 13.796/1994 und dazu Khakzadeh, ZÖR 2006, 220 f, sowie grundlegend zum Problem der verfassungskonformen Auslegung Jabloner, ZÖR 2005, 163 ff. 218 Ob der Staat diese Leistungen von Verfassung wegen erbringen muss oder ob er sie freiwillig erbringt, spielt dabei keine Rolle, s auch Merli, Armut 16. 219 Zur Gleichheitswidrigkeit solcher Vorschriften schon oben E.IV.4.e. 220 S dazu näher und mwN Pöschl, Integrationsvereinbarung 224 ff; dies, migralex 2006, 44 f, 51 f, 54. 221 Auch hier zeigt sich, dass die Demokratie und die Bedachtnahme auf die Mehrheit allein die Gleichheitskonformität einer Regelung nicht sicherstellen kann, denn die De-
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teiligung läge auch dann vor, wenn der Staat den Zugang zu Einrichtungen der Daseinsvorsorge von der Entrichtung einer Gebühr abhängig machte, die für sozial Bedürftige nicht leistbar ist oder wenn er sich aus dem Bereich der Daseinsvorsorge zurückzieht, ohne Vorkehrungen dafür zu treffen, dass diese Leistungen auch für Mittellose weiterhin zugänglich bleiben222. ____________________
mokratie ist, wie bereits oben C.IV.3.c. mit Zacher, AöR 93 (1968) 358 f, festgestellt wurde „ein System der politischen Gleichheit vieler, nicht aber aller. Sie ist allenfalls das System der kleinsten auf Dauer vernachlässigten Minderheit“. Das gilt in ganz besonderer Weise dann, wenn diese Minderheit – wie im oben genannten Beispiel – nicht einmal wahlberechtigt ist, also gar nicht die Möglichkeit hat, ihre Missbilligung einer bestimmten Politik zum Ausdruck zu bringen. Es versteht sich von selbst und ist auch oft genug zu beobachten, dass gerade diese Personen einem erhöhten Diskriminierungsrisiko ausgesetzt sind. Der Schutz solcher, auch in einer Demokratie vernachlässigten Minderheiten ist die Aufgabe aller Grundrechte, im Besonderen aber die des Gleichheitssatzes; s auch Schwimmer, Sozialpolitik 342. 222 Inwieweit der Staat verpflichtet ist, derartige Leistungen selbst zu erbringen, steht auf einem anderen Blatt, s dazu mwN Öhlinger, Determinanten 9 ff, und Wimmer/ Kahl, Unternehmen 7, 40. Im vorliegenden Zusammenhang ist etwa an das Schulwesen zu denken, das in einem bestimmten Mindestumfang zur Staatsaufgabe gemacht wird, wenn Art 14 Abs 6 B-VG unter „Öffentliche[n] Schulen“ jene Schulen versteht, „die vom gesetzlichen Schulerhalter errichtet und erhalten werden“. Daraus folgt, dass der Staat die Bildung nicht einfach seinen Bürgern überlassen darf, sondern Bildungsmöglichkeiten in einem „ausreichenden“ oder doch in einem Mindestmaß zur Verfügung stellen muss (s bereits Ringhofer, Bundesverfassung 58; Hengstschläger, Bildungswesen 617; Mayer, RdS 1985, 2, 6; Spielbüchler, Grundrecht auf Bildung 159). Dass diese öffentlichen Schulen dann allgemein zugänglich sein müssen, bestimmt ausdrücklich Art 14 Abs 6 vorletzter und letzter Satz B-VG: „Öffentliche Schulen sind allgemein ohne Unterschied der Geburt, des Geschlechtes, der Rasse, des Standes, der Klasse, der Sprache und des Bekenntnisses, im Übrigen im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen zugänglich. Das Gleiche gilt sinngemäß für Kindergärten, Horte und Schülerheime.“ Nach Art 14a Abs 7 B-VG gilt diese allgemeine Zugänglichkeit auch für die Angelegenheiten des Art 14a Abs 1 B-VG, also für das land- und forstwirtschaftliche Schulwesen. Die rechtliche Tragweite dieser beiden Bestimmungen ist unklar. Die Judikatur hat sich zu ihr, soweit ersichtlich, noch nicht geäußert; in der Lehre wird überwiegend angenommen, Art 14 Abs 6 B-VG erweitere zwar den allgemeinen Gleichheitssatz auf Nichtstaatsbürger, räume dem Einzelnen aber kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht iSd Art 144 B-VG ein (s Walter, Bundesverfassungsrecht 228 FN 17; Hengstschläger, Bildungswesen 618; wohl auch Spielbüchler, EuGRZ 1981, 676, der als besonders bedeutsame Normen im Bildungsbereich die Art 17 und 18 StGG, Art 67 f StV St Germain, Art 7 StV Wien sowie Art 9 EMRK und Art 2 1. ZPEMRK nennt und feststellt, dass andere innerstaatliche Normen als Quelle von Grundrechten nicht in Betracht kommen; den gleichen Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen sichert nach Spielbüchler, aaO 678, der Gleichheitssatz in Art 7 B-VG und Art 2 StGG und die Freiheit der Berufsausbildung in Art 18 StGG. AA möglicherweise Juranek, Schulverfassung 128, der in Art 14 Abs 6 %-VG eine „besondere Ausformung des Gleichheitssatzes“ sieht, zur Frage, ob diese Bestimmung auch ein subjektives Recht vermittelt, aber nicht ausdrücklich Stellung nimmt; offen lässt dies auch Wersounig, Stb 1968, F 19, 1 f ). Die Annahme, Art 14 Abs 6 vorletzter und letzter Satz B-VG sei bloß eine Norm des objektiven Rechts ist allerdings keineswegs zwingend: Erstens lehnt sich Art 14 Abs 6 B-VG in seinem Wortlaut und auch in der Auswahl der dort verpönten Differenzierungskriterien erkennbar an jene speziellen Gleichheitssätze an, die im Zeitpunkt seiner Erlassung in Österreich in Kraft gestanden sind und die dem Einzelnen unbestritten subjektive Rechte vermitteln (die Differenzierungskriterien der Geburt, des Ge-
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In Fällen wie diesen kann eine Benachteiligung wegen Armut nur durch korrespondierende Begünstigungen vermieden werden, also durch den Verzicht auf Gebühren oder durch Zuwendungen, die letztlich die Allgemeinheit in Solidarität zu tragen hat. Auch bei Sparmaßnahmen muss auf die Einkommensunterschiede zwischen den Rechtsunterworfenen Bedacht genommen werden: Der Gleichheitssatz gibt zwar nicht vor, in welchem Ausmaß der Staat aus budgetären Gründen Leistungen zurücknehmen und höhere Belastungen auferlegen darf 223. Er fordert aber, dass diese Maßnahmen nicht ungleichmäßig vorgenommen werden. Eine budget- oder arbeitsmarktpolitisch motivierte Kürzung kann daher, wie der VfGH festgestellt hat, nach sozialen Gesichtspunkten differenzieren und darf nicht tendenziell wirtschaftlich Schwächere stärker treffen. Sie darf auch nicht punktuell gezielt eine relativ kleine Gruppe belasten, sondern muss entsprechend breit gestreut werden224. Bislang war diese Forderung allerdings mehr Ornament als Maßstab: Mit dem Argument der Unausgewogenheit allein wurde eine Kürzung noch nie als gleichheitswidrig qualifiziert. Der VfGH zieht in solchen Fällen vielmehr regelmäßig auch seine Vertrauensschutzjudikatur heran, um sozial Schwache zu schützen, so etwa bei der „überfallsartigen“ Einführung der Unfallrentenbesteuerung225 und auch bei der Aufhebung der vierteljährlichen Sonderzahlungen an Rechtspraktikanten ohne jede Über____________________
schlechts, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses finden sich bereits in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG; Rasse und Sprache werden als Unterscheidungsmerkmale in Art 66 StV St. Germain verpönt. Das BVG-RD, das auch Diskriminierungen nach „der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft“ untersagt, war im Zeitpunkt der Erlassung des Art 14 Abs 6 B-VG noch nicht in Kraft, das Benachteiligungsverbot des Art 14 EMRK wurde zu diesem Zeitpunkt noch als einfachgesetzlich angesehen; dass die in dieser Bestimmung genannten Merkmale der politischen und sozialen Anschauung, der sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit und des sonstigen [also nicht durch Vermögen oder Geburt begründeten] Status als Differenzierungskriterien im Verfassungsrang verpönt sind, wurde erst durch Art II Z 7 B-VGNov 1964, BGBl 1964/59, klargestellt). Zweitens besteht an der gleichen Zugänglichkeit öffentlicher Schulen, Kindergärten und Horte für den Einzelnen auch ein eminentes und hinreichend konkretisiertes Interesse. Dass Art 14 Abs 6 B-VG sich im Rahmen der objektiv-rechtlichen Kompetenzbestimmungen findet, kann gegen die Einräumung eines subjektiven Rechts schon deshalb nicht eingewendet werden, weil der unmittelbar darauffolgende Art 14 Abs 7 B-VG ein derartiges Recht unstreitig vermittelt. Auch sonst hätte ein solches systematisches Argument bloß begrenzte Überzeugungskraft; denn gerade die im B-VG statuierten Grundrechte (Art 7, 26, 60, 83 Abs 2, 85, 95, 117 B-VG) finden sich durchwegs inmitten von Vorschriften, deren objektiv-rechtliche Natur ganz außer Zweifel steht. Da weder der Wortlaut noch die Materialien noch systematische Argumente dagegen sprechen, ist mE in Ansehung der klaren Interessenlage anzunehmen, dass Art 14 Abs 6 B-VG sowohl dem Staatsbürger als auch dem Fremden ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht iSd Art 144 B-VG einräumt. 223 S schon Öhlinger, Sozialrecht 156 ff. 224 VfSlg 11.665/1988, 13.492/1993, 14.846/1997, 14.960/1997, 15.936/2000. 225 VfSlg 16.754/2002.
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gangsregelung226. ME lag in beiden Fällen – bei aller Sympathie für das Ergebnis – kein Problem des Vertrauensschutzes vor227. Fraglich war tatsächlich nur, ob der Gesetzgeber hier nicht „von unten nach oben“228 gespart, also mit den Unfallrentnern und Rechtspraktikanten besonders einkommensschwache Gruppen in Anspruch genommen hatte. Die Beantwortung dieser Frage kann, wenn eine Kürzung nicht singulär, sondern im Zuge eines größeren „Sparpakets“ vorgenommen wurde, eine Prüfung des gesamten Paketes voraussetzen229. Deshalb allein betritt der VfGH mE aber noch nicht „das Feld der Politik“230. Denn der Befund, dass die beiden genannten Gruppen sich einerseits am unteren Ende der Einkommensskala befinden und dass andererseits Personengruppen mit höherem Einkommen vergleichbare Kürzungen nicht zugemutet wurden, würde dem Gesetzgeber nur eine Schranke ziehen, ihm aber gerade nicht vorgeben, bei welchen Gruppen er Einsparungen vornehmen muss231. Wenn man aber zu dem Ergebnis kommt, dass eine wirtschaftlich schwache Gruppe ohne sachliche Rechtfertigung erheblich stärker belastet worden ist als andere Gruppen, dann kann diese Ungleichbehandlung nicht durch Übergangsregelungen beseitigt werden: Denn dass die Betroffenen sich auf die Kürzung ihres Einkommens „einstellen“ können, ändert an der Unausgewogenheit und Einseitigkeit der Sparmaßnahmen nichts. Korrigiert werden könnte diese Einseitigkeit nur, wenn auf die Kürzung ganz verzichtet oder wenn sie gelindert wird, indem auch andere Gruppen einer solchen Belastung unterzogen werden. Solange diese Kürzungen bloß ____________________
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VfSlg 15.936/2000. Dazu noch unten H.VIII.2.b. S Merli, Armut 16. S auch Öhlinger, Sozialrecht 159. So Öhlinger, Sozialrecht 159. Bei Sparmaßnahmen im Sozialversicherungsrecht könnte eine solche Prüfung allerdings mit der Ansicht des VfGH kollidieren, dass verschiedene Versicherungssysteme miteinander nicht in Vergleich zu bringen sind (s dazu schon oben D.III.1.). Gerade hier zeigt sich allerdings, dass diese Judikatur bestreitbar ist. Wenn der Gesetzgeber nämlich ohne ersichtlichen Grund nur bei der sozialen Sicherheit einer Risikogemeinschaft spart oder wenn er gerade eine solche Risikogemeinschaft von Sparmaßnahmen verschont, liegt ja offen zu Tage, dass er diese Gemeinschaften und damit auch die Menschen, die ihnen jeweils angehören, nicht als gleichwertig behandelt. 231 S zum ähnlichen Problem der gerichtlichen Durchsetzbarkeit sozialer Ansprüche auch Merli, Armut 23, der einräumt, dass soziale Grundrechte und Sozialstaatsgarantien aufgrund ihrer Unbestimmtheit erst der Konkretisierung durch den Gesetzgeber bedürfen, die ihm ein Verfassungsgericht aus Gründen der Gewaltenteilung schon deshalb nicht vorgeben kann, weil für diese Konkretisierung eine breite Palette von Möglichkeiten zur Verfügung steht. In abwehrrechtlichen Konstellationen ist die Situation aber anders: „Hier hat die Gesetzgebung die unbestimmten Verfassungsgewährleistungen ja bereits konkretisiert. Erklärt nun ein Verfassungsgericht die Abschaffung oder Verkürzung einer bestimmten Konkretisierung für verfassungswidrig, muß es dafür keine generelle Aussage über die richtige Form der Umsetzung sozialstaatlicher Verfassungsgehalte treffen; als Begründung genügt, daß die neue Rechtslage die Mindestanforderungen nicht erfüllt.“
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als ein Problem des Vertrauensschutzes behandelt werden, bleibt der Schutz sozial Schwacher auf halbem Wege stehen: Denn es ist dem Gesetzgeber dann eben doch erlaubt, auf ihr Einkommen zu greifen, sofern er dies nur rechtzeitig ankündigt232. c. Beispiel: Alter Schon geklärt ist, dass das Alter kein Merkmal ist, nach dem zu unterscheiden grundsätzlich verpönt wäre, im Gegenteil233: Als Indiz für Einsichtsfähigkeit, Leistungsfähigkeit und sonstige Fertigkeiten eines Menschen darf das Alter überall dort zum Anlass für Differenzierungen genommen werden, wo es auf diese Fähigkeiten ankommt. Zum Teil ist es sogar geboten, altersbedingten Unterschieden durch differenzierende Regelungen Rechnung zu tragen. Das gilt vor allem für Kinder, deren besondere Schutzbedürftigkeit vielfältige Sonderregelungen erfordert, so etwa die Festlegung ihrer Strafunmündigkeit, weil Kinder in Ermangelung ihrer Einsichtsfähigkeit andernfalls in ihrem Recht verletzt würden, nicht für ein Verhalten getadelt zu werden, an dem sie kein Verschulden trifft234. Gleichheitsrechtlich geboten ist es ferner, die Geschäftsfähigkeit von Kindern auf das ihrem Alter entsprechende Maß zu beschränken, weil sie aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung einem Geschäftspartner im rechtsgeschäftlichen Verkehr nicht als Gleiche gegenübertreten können235. Ähnliches gilt für das Wahlrecht, das schon von Verfassung wegen ein bestimmtes Alter voraussetzt236: An der Rechtssetzung und damit auch an der Herrschaft über andere mitzuwirken, erfordert eine gewisse Reife, wie sie Kindern noch fehlt. Dass Kinder nicht nur dem Gesetz, sondern zugleich der speziellen Anordnungsgewalt ihrer Erziehungsberechtigten unterstellt sind, greift zwar in ihr aus dem Gleichheitssatz erfließendes Recht ein, niemandes Herrschaftsmacht unterworfen zu werden237; dieser Eingriff ist aber durch ihre Schutzbedürftigkeit gerechtfertigt und dementsprechend zum ____________________
232 Politisch kann freilich auch die Begründungslinie des VfGH sozial Schwachen Schutz verschaffen: Die Aufhebung einer solchen Maßnahme zwingt den Gesetzgeber nämlich immerhin dazu, über ihre Wiedereinführung nachzudenken; dass den Betroffenen dabei Gelegenheit gegeben werden müsste, sich auf eine solche Kürzung „einzustellen“, macht die Kürzung unattraktiv, wenn die durch sie erzielten Einnahmen rasch benötigt werden. Überdies können diese Einnahmen den Gesetzgeber demokratiepolitisch teuer zu stehen kommen, wenn die jeweilige Sparmaßnahme von Anfang an im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik gestanden ist. Aus derartigen Erwägungen wurde wohl auch von der Wiedereinführung der Unfallrentenbesteuerung Abstand genommen. 233 E.IV.3.e.bb. 234 E.IV.4.c. 235 E.IV.4.b. 236 Art 26 Abs 1 und 4, Art 60 Abs 3 B-VG. 237 E.IV.4.b.
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einen mit korrelierenden Obsorgepflichten der Erziehungsberechtigten verbunden, zum anderen auch durch Mitspracherechte des Kindes selbst gemildert238. Dass jemandem Rechte erst ab einem gewissen Alter zukommen, ist – sofern die Altersgrenze nicht auf offensichtlich fehlerhaften Eigenschaftszuschreibungen beruht239 – für die Betroffenen in der Regel zu verschmerzen und auch gleichheitsrechtlich nicht bedenklich, zumal früher oder später ja doch jeder in den Genuss dieser Rechte kommt. Deshalb ist es etwa unproblematisch, wenn Arbeitnehmern mit steigendem Dienstalter aufgrund ihrer Berufserfahrung ein höherer Gehalt bezahlt wird; soweit, wie etwa bei Routinearbeiten, die Erfahrung nicht zu einer spürbaren Verbesserung der Leistungen führt, kann ein mit dem Dienstalter steigender Gehalt auch durch das Motiv gerechtfertigt werden, den Arbeitnehmer für seine Treue zu belohnen240. Nicht zu beanstanden ist es ferner, wenn älteren Arbeitnehmern aufgrund ihres steigenden Rekreationsbedürfnisses mehr Erholungsurlaub gewährt wird241. Heikler als Vorteile, die erst ab einem bestimmten Alter eintreten, sind Vorschriften, die Personen jenseits einer bestimmten Altersgrenze Rechte aberkennen oder sie mit besonderen Pflichten belasten. Da der Alterungsprozess leider nur in eine Richtung verläuft, sind diese nachteiligen Rechtsfolgen nicht nur unumkehrbar; sie sind für die Betroffenen auch schwerer kompensierbar, weil Einfluss, Leistungsfähigkeit und Flexibilität erfahrungsgemäß mit steigendem Lebensalter abnehmen. Insofern sind ältere Menschen besonders schutzbedürftig; ein Rechtsverlust wiegt für sie offensichtlich schwerer als es einen jungen Menschen trifft, wenn ihm ein Recht vorläufig vorenthalten, zu einem späteren Zeitpunkt aber eben doch zuerkannt wird. Wie die Judikatur zeigt, kommt es auch tatsächlich immer wieder vor, dass ältere Menschen ohne sachliche Rechtfertigung benachteiligt werden. Besonders hoch ist ihr Diskriminierungsrisiko dabei, wenn sie am wirtschaftlichen Leben teilnehmen wollen242. Soweit Personen aufgrund ihres höheren Al____________________
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Vgl §§ 144 ff ABGB. E.IV.3.e.bb. 240 S auch Runggaldier, ZAS 2007, 160. Der VfGH hat eine Beschwerde, die sich gegen die Gehaltsvorrückung im öffentlichen Dienst wandte, unter Hinweis auf den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrecht sogar abgelehnt: VfGH 27.9.2005, B 736/04. Der VwGH hat die an ihn sodann abgetretene Beschwerde mit der Begründung abgewiesen, dass die Vorrückung auch keine Alterdiskriminierung iSd Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG sei: VwGH 14.12.2006, 2005/12/0235. 241 S auch dazu VfGH 27.9.2005, B 736/04 und VwGH 14.12.2006, 2005/12/0235. 242 Deshalb ist es befremdlich, dass im Österreich-Konvent erwogen wurde, zunächst zwar „jede Form von Diskriminierung“ bzw „jede Form von Diskriminierung, insbesondere wegen […] Alter […]“ zu verbieten (vgl den Ausschussentwurf vom 13.9.2004, 239
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ters bestimmte (etwa besonders anstrengende körperliche) Tätigkeiten nicht mehr verrichten können, ist es aber nicht unsachlich, wenn der Arbeitgeber darauf mit einer Anpassung der Verwendung und auch des Gehaltes reagieren darf; freilich müssen dann auch Leistungsverbesserungen berücksichtigt werden, die der ältere Arbeitnehmer aufgrund seiner Berufserfahrung erzielt243. Nicht zu beanstanden ist es ferner, wenn die Ausübung eines Berufes, der eine besondere körperliche Leistungsfähigkeit erfordert, nur bis zu einem bestimmten Alter erlaubt wird244; oder wenn eine Funktion, etwa die Mitgliedschaft in einer Schiedskommission, nur mit Personen besetzt wird, die (noch) im Berufsleben stehen und ihre Verbundenheit mit der Praxis im Hauptberuf nicht verloren haben245. Die abnehmende Leistungsfähigkeit, mehr aber noch arbeitsmarktpolitische Interessen können es auch rechtfertigen, Arbeitnehmer mit Erreichen eines angemessenen Pensionsanspruches246 oder öffentlich Bedienstete nach Errei____________________
1ENDB-K, Teil 4A 11), älteren Menschen aber schon wenige Bestimmungen später nur die „Teilnahme am [politischen, ]sozialen und kulturellen Leben“ bzw „am sozialen und kulturellen Leben“ zuzusichern (vgl die Varianten 1 und 3 der Rechte älterer Menschen im Ausschussentwurf vom 13.9.2004, 1ENDB-K, Teil 4A 21); vor den tatsächlich drohenden Diskriminierungen bei der Teilnahme am wirtschaftlichen Leben werden ältere Menschen so nicht geschützt, der Gesetzgeber wird im Gegenteil geradezu ermächtigt, solche Diskriminierungen vorzunehmen (anders die Variante 2 im Ausschussentwurf vom 13.9.2004, 1ENDB-K, Teil 4A 21, die älteren Menschen auch ein Recht auf Teilnahme am Arbeitsleben zusichert). 243 S dazu Risak, ZAS 2007, 10 ff. 244 Zu denken wäre etwa an Piloten uä. 245 VfSlg 11.912/1988. 246 S für das vergleichbare Verbot der Altersdiskriminierung nach der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG OGH 18.10.2006, 9 Ob A 131/05p, der eine zwangsweise Versetzung in den Ruhestand als unbedenklich ansah, ua weil sie dem legitimen Zweck diene, jungen Menschen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen; der OGH verlangte allerdings auch, dass die konkret ausgesprochene Versetzung zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich ist. Dem ist zuzustimmen: Die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand ist – soweit sie der Entlastung des Arbeitsmarktes dient – ein bloß externen Zwecken dienender Eingriff in das (durch Art 7 Abs 1 B-VG ebenso wie durch die Antidiskriminierungsrichtlinie gewährte) Recht, nicht aufgrund seines Alters benachteiligt zu werden; ein solcher Eingriff ist nur zu rechtfertigen, wenn er verhältnismäßig ist. Die Einbußen, die dem Arbeitnehmer dabei zugemutet werden können, werden umso geringer sein, je weniger angespannt der Arbeitsmarkt in einem Sektor ist. Wohl in diesem Sinn betonte dann auch der EuGH 16.10.2007, Rs C-411/05, Félix Palacios de la Villa/ Cortefiel Servicios SA, zwar den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Entscheidung, die Lebensarbeitszeit der Arbeitnehmer zu verlängern oder deren früheren Eintritt in den Ruhestand vorzusehen; er meinte aber weiter, die nationalen Stellen könnten sich hiezu „aufgrund politischer, wirtschaftlicher, sozialer, demografischer und/oder haushaltsbezogener Erwägungen in Anbetracht der konkreten Arbeitsmarktlage in einem bestimmten Mitgliedstaat veranlasst sehen“ (Hervorhebungen nicht im Original). Die inkriminierte (spanische) Regelung sah der EuGH sodann als zulässig an, weil sie den Bezug einer Altersrente voraussetzte und so flexibel war, dass die speziellen Merkmale des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses gebührend berücksichtigt werden können. Diese Individualisierung
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chen einer Altersgrenze in den Ruhestand zu versetzen; letzteres ist punktuell sogar bereits verfassungsrechtlich vorgesehen247. Nicht gebilligt hat es der VfGH aber, dass eine Pension ganz oder teilweise ruhend gestellt wird, wenn jemand einer Erwerbstätigkeit nachgeht: Denn diese Ruhensbestimmungen waren nicht geeignet, die von ihnen angepeilte Entlastung des Arbeitsmarktes zu bewirken. Pensionisten üben nämlich, wie der VfGH in einer auffallend strengen Prüfung feststellte, nach dem Aufgeben ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit häufig Beschäftigungen aus, die von anderen Arbeitskräften nicht ohne weiteres übernommen werden können; sofern sie eine selbständige Tätigkeit ausüben, nehmen sie erst recht niemandem einen Arbeitsplatz weg, sondern schaffen im Gegenteil häufig sogar zusätzliche Arbeitsplätze248. Als gleichheitswidrig hat es der VfGH zu Recht auch qualifiziert, Pensionsbezieher in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen, ihnen Leistungen aus dem Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit aber vorzuenthalten. Leistungen und Gegenleistungen müssen zwar in der Sozialversicherung nicht äquivalent, insbesondere muss die Risikoverwirklichung nicht bei allen Versicherten gleich wahrscheinlich sein249. Eine Personengruppe gegen ein Risiko zu versichern, das sich bei ihr besonders häufig realisiert, gerade sie dann aber von jeglichem Leistungsbezug schlechthin auszuschließen, ist keinesfalls zu rechtfertigen250. Unsachlich war es auch, nur den Angehörigen aktiver Beamter einen Beitrag für den Todesfall, die Bestattung und für Pflegekosten des jeweiligen Beamten zu gewähren; denn diese Leistungen dienen ja der Deckung faktischer Bedürfnisse, die bei den Hinterbliebenen unabhängig davon bestehen, ob ihr Verwandter noch im Dienststand oder bereits im Ruhestand war251. Ein heikles Feld hat der Gesetzgeber schließlich betreten, als er Landarbeiter auch nach ihrer Pensionierung in die Landarbeiterkammer einbezog und sie dementsprechend zur Entrichtung von Umlagen verpflichtete, das Wahlrecht zu den Organen der Landarbeiterkammer aber nur Kammerangehörigen zuerkannte, die in den letzten zwei Jahren eine Mindestbeschäftigungsdauer von 52 Wochen vorweisen können, was Pensionisten ____________________
lindert, dogmatisch gesprochen, den Eingriff, der dann nicht mehr nur auf externen Gründen beruht; s zu dieser Entscheidung auch Reiner, ecolex 2007, 270; Marhold-Weinmeier, ASoK 2007, 482, insb 485. 247 Vgl Art 88 Abs 1, Art 134 Abs 6, Art 147 Abs 6 B-VG; s auch VfSlg 5799/1968, 7040/1973, 7423/1974, 7705/1975, 9292/1981, 13.743/1994, wonach es grundsätzlich keinen Bedenken begegnet, wenn eine Regelung zwischen Beamten des Dienststandes und solchen des Ruhestandes differenziert. 248 VfSlg 11.665/1988, 12.592/1990, 12.740/1991, 12.741/1991, 13.078/1992, s schon oben Abschnitt D. FN 109. 249 S noch näher unten G.III.3.b.bb. 250 VfSlg 16.203/2001. 251 VfSlg 17.306/2004.
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regelmäßig nicht gelang252. Zur Verteidigung dieser Vorschrift führte die Landesregierung an, es solle verhindert werden, dass Personen aus wahlpolitischen Gründen kurzfristig ein die Kammerzugehörigkeit begründendes Dienstverhältnis aufnehmen – ein Argument, das nicht durchschlägt, denn das Wahlrecht ist ja die gleichheitsrechtlich gebotene Kompensation dafür, dass das Kammermitglied der Herrschaftsmacht des Kammerorgans unterstellt wird253. Eine solche Subordination ist schon mit der Umlagepflicht verbunden; dementsprechend hat der VfGH immer und so auch hier verlangt, dass sich der Kreis der Umlagepflichtigen mit dem der Wahlberechtigten deckt254. So gesehen war der Ausschluss des Wahlrechts nicht nur eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des Alters, er war zur Zielerreichung auch gar nicht erforderlich. Um zu verhindern, dass jemand bloß aus wahltaktischen Gründen kurzfristig ein die Kammerzugehörigkeit begründendes Dienstverhältnis aufnimmt, hätte es genügt, die Kammerzugehörigkeit erst ab einer bestimmten Dauer des Dienstverhältnisses zu begründen. Diese Grundsätze gelten natürlich auch jenseits der Kammerstruktur für das Wahlrecht zu den allgemeinen Vertretungskörpern; sie erledigen jede Diskussion, alten Menschen das Wahlrecht abzuerkennen: Solange diese Menschen dem Recht unterworfen bleiben, haben sie auch einen Anspruch darauf, an der Erzeugung dieses Rechts mitzuwirken. Ihnen diesen Anspruch abzuerkennen, sie also zu „ent-rechten“ und der Herrschaft anderer zu unterwerfen, wäre eine flagrante Verletzung des Gleichheitssatzes, wie sie erst gesucht werden müsste.
3. Begünstigung sozial schwacher Gruppen a. Gestaltungsfreiheit Milde Maßstäbe sind aus gleichheitsrechtlicher Sicht anzulegen, wenn der Gesetzgeber eine Begünstigung sozial schwacher Gruppen nicht vornimmt, um eine rechtliche Benachteiligung zu vermeiden, sondern gleichsam freiwillig Maßnahmen im Interesse eines sozialen Ausgleichs trifft. Wie bereits gezeigt, kommt dem Gesetzgeber diesfalls ein weiter Gestaltungsspielraum sogar dann zu, wenn er Menschen mit Behinderung begünstigt, also Personen, die in Art 7 Abs 1 Satz 3 und 4 B-VG ausdrücklich hervorgehoben sind. Umso schwächer sind die Bindungen an den Gleichheitssatz, wenn der Staat sozialrechtliche Maßnahmen trifft, ohne dazu auch bloß durch eine verfassungsrechtliche Zielvorgabe verpflichtet ____________________
252 253 254
VfSlg 4825/1964. E.IV.4.b. VfSlg 2835/1955, 3673/1960, 3978/1961, 4825/1964.
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zu sein255. Zutreffend nimmt der VfGH daher an, dass die Gewährung von Sozialleistungen prinzipiell in das rechtspolitische Ermessen des Gesetzgebers gestellt ist256. Wenn der Staat derartige Maßnahmen setzt, muss er sich dafür aus gleichheitsrechtlicher Sicht nicht rechtfertigen257; ob ____________________
255 Leistungsrechte können sich aber aus anderen Verfassungsvorschriften ergeben: Sozialversicherungsleistungen, die auf entsprechenden Beiträgen des Versicherten beruhen, unterstehen etwa dem Schutz des Art 1 1. ZPEMRK; zu denken ist aber auch an Art 9a Abs 4 (vormals Abs 3) B-VG, der den Staat nach zutreffender Ansicht des VfGH dazu verpflichtet, den zur Wehrdienst- oder Wehrersatzdienstleistung verpflichteten Staatsbürgern für die Dauer des Dienstes eine Versorgung zu gewährleisten. Es steht dem einfachen Gesetzgeber zwar grundsätzlich frei, das Ausmaß und die Form dieser Versorgung zu regeln, und die unterschiedliche Höhe der Grundvergütung im Zivildienst und im Grundwehrdienst muss auch nur „bei einer gesamthaften Betrachtung der Belastungen der beiden Dienste abgewogen und nicht abgemessen werden“ (VfSlg 15.758/2000). Eine Grenze für die Ungleichbehandlung zwischen Wehr- und Zivildienern ist dem Gesetzgeber aber durch das Recht auf Zivildienst selbst gezogen: Die verfassungsrechtlich verankerte Möglichkeit, bei Vorliegen näher umschriebener Gewissensgründe einen Wehrersatzdienst zu leisten, darf nämlich durch eine deutliche Benachteiligung der Zivildiener im Vergleich zu Wehrdienern nicht faktisch vereitelt oder (erheblich) erschwert werden (VfSlg 16.389/ 2001). Die Höhe des Verpflegungsentgeltes für Zivildiener muss sich daher an jenem Betrag, der Wehrdienern zuerkannt wird, orientieren: Erhalten letztere einen Aufwandersatz von 13,6 € täglich, müssen sich erstere nicht mit einem Betrag von 6 € begnügen (VfSlg 17.685/2005). Die Verpflichtung zur Versorgung der Zivildienstleistenden bleibt auch dann eine solche des Staates, wenn sie durch die Rechtsträger der Zivildienstleistungen unmittelbar erfüllt werden soll. Überbindet der Staat die Einlösung dieser Verpflichtung einem Dritten, so hat er mit geeigneten Mitteln für ihre ordnungsgemäße Erfüllung zu sorgen; erfüllt der Dritte die ihm übertragene Aufgabe nicht, so ist der Staat zur unmittelbaren Einlösung seiner Verpflegungsverpflichtung dem Zivildienstleistenden gegenüber verhalten (VfSlg 16.588/2002). Die Gewährung einer Aushilfe iSd § 28a Abs 2 ZDG ist dabei nicht nur von Amts wegen wahrzunehmen; vielmehr hat der Zivildienstleistende jederzeit das Recht, um Gewährung der Aushilfe mit der Begründung anzusuchen, dass der Rechtsträger seinen Verpflichtungen nach § 28 Abs 1 ZDG nicht nachkommt. Setzt sich die Behörde mit einem solchen Antrag nicht auseinander, so verletzt sie den Zivildienstleistenden in seinem „aus Art. 9a B-VG i.V.m. § 2 Abs. 1 ZDG erfließenden Recht auf Versorgung bei Zivildienstleistung“ (VfSlg 16.985/2003). 256 VfSlg 8605/1979, 14.694/1996, s auch VfSlg 16.485/2002, wonach dem Gesetzgeber in der Frage, in welchem Umfang er die unterschiedlichen Erscheinungsformen kriegsund verfolgungsbedingter Haft und Anhaltung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg als entschädigungswürdig erachtet, „ein weiter – letztlich wohl auch von politischen Bewertungen geprägter – Beurteilungsspielraum“ zukommt. Dementsprechend herabgesetzt war hier auch der Prüfungsmaßstab; dem VfGH genügte, dass der Gesetzgeber die historischen Gegebenheiten nicht „grob verkannt“ hatte, dass die Abgrenzung des Kreises der Entschädigungsberechtigten nicht „von vornherein unsachlich“ war, und er gestand dem Gesetzgeber auch zu, eine solche Entschädigung nicht für alle Betroffenen auf einmal, sondern stufenweise einzuführen; s weiters VfSlg 17.617/2005, wonach es nicht unsachlich wäre, lediglich Besuchern eines Schaubergwerkes einen Beitrag zum Rettungswesen vorzuschreiben, nicht hingegen Kranken, die einen Heilstollen aufsuchen: Der Gesetzgeber darf ohne Weiteres zwischen Personen unterscheiden, die sich (in der Regel mehrfach) aus gesundheitlichen Gründen in einen Heilstollen begeben und solchen, die einen Grubenbau aus Schaulust besuchen. 257 S auch Martens, VVDStRL 30 (1972) 22, nach dem bei der Vergabe von Leistungen zureichende Gründe für eine Differenzierung in erheblich weiterem Umfang zu Ge-
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und inwieweit er – etwa durch eine progressive Besteuerung – eine Umverteilung vornimmt258, ist ihm überlassen: Durch den Gleichheitssatz ist er dazu ebenso wenig verhalten wie er verpflichtet ist, Sozialhilfe, Wohnbeihilfe und ähnliche Zuwendungen überhaupt oder in bestimmter Höhe zu gewähren259. Gleiches gilt auch für steuerrechtliche Begünstigungen, die der Gesetzgeber für gemeinnützige Vorgänge einräumt260 und ganz allgemein für Subventionen, die der Gesetzgeber für ein sozial-, wirtschaftsoder gesellschaftspolitisch erwünschtes Verhalten vergibt: Ob überhaupt und bejahendenfalls welche Lenkungs- und Gestaltungsziele er verfolgt, steht ihm ja grundsätzlich völlig frei261. Der Gleichheitssatz kann seine Wirkung daher erst entfalten, wenn sich der Staat aus eigenen Stücken zu einer Unterstützung der „Schwächsten der Gesellschaft“262 entschließt263. b. Grenzen der Begünstigung, verbotene und gebotene Differenzierungen aa. Allgemeine Grenzen Auch Maßnahmen, die im Interesse eines sozialen Ausgleichs getroffen werden, sind freilich nicht unbeschränkt, sondern nur innerhalb der ____________________
bote stehen als bei hoheitlichen Eingriffen. Dementsprechend meint auch der VfGH in VfSlg 14.960/1997, dass die Unterscheidung zwischen Witwern, die nicht erwerbsfähig und bedürftig sind, einerseits und solchen, auf die diese beiden Merkmale zutreffen andererseits, eine – sozialpolitisch motivierte – Differenzierung ist, die aus der Sicht des Gleichheitssatzes von vornherein zu keinen Bedenken Anlass gibt. Einen lockeren Prüfungsmaßstab legt der VfGH auch an die oft bekämpfte Steuerfreiheit des 13. und 14. Monatsbezuges Unselbständiger an: Sie ist nach VfSlg 16.196/2001 summarisch betrachtet ein zulässiger (wenn auch nicht gebotener) Ausgleich der für andere Einkunftsarten geltenden begünstigenden Regelungen und Dispositionsmöglichkeiten; s auch VfSlg 9519/1982. 258 Anderes gilt für die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit: Sie ist bereits durch den Gleichheitssatz geboten (F.II.5.a.) und führt in gewissem Umfang auch zu einer Umverteilung, s Sturn, WiPolBl 1992, 628; Merli, Armut 14. Die Steuerprogression ist demgegenüber kein Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips, sondern von diesem verschieden: s bereits von Arnim, VVDStRL 39 (1981) 319; Tipke, Steuergerechtigkeit 97 f; diesem folgend Beiser, 14. ÖJT III/2 (2001) 17 f; ders, Steuern 27. 259 S zB VfSlg 14.841/1997: Kein Verfassungsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber dazu, im Rahmen der Sozialhilfe Einrichtungen zur Pflege in solcher Menge und Qualität bereitzustellen, dass entweder der gemeinsame Aufenthalt oder gar die gemeinsame Pflege von Ehepartnern unter allen Umständen jederzeit sichergestellt werden kann; s auch VfSlg 17.466/2005: Es steht im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ob er Studienbeihilfe für ein Doktoratsstudium gewähren will; räumt er die Möglichkeit eines solchen Stipendiums aber grundsätzlich ein, dann hat er die Voraussetzungen hiefür sachlich zu gestalten und objektiv nicht begründbare Differenzierungen zu unterlassen. 260 ZB VfSlg 10.188/1984. 261 Zum weiten rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers bei der Zielwahl s schon oben D.I.4.; zur Gestaltungsfreiheit bei der Vergabe von Subventionen s auch Huster, Art 3 GG Rz 100. 262 Öhlinger, Sozialrecht 162. 263 S auch Merli, Armut 17; Oppitz, in Hofmann ua 164; gegen die Ableitung originärer Leistungsansprüche aus dem Gleichheitssatz auch Oberndorfer, Soziale Verantwortung 308.
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Grenzen der restlichen Verfassung zulässig; je stärker eine Begünstigung in die Rechtssphäre anderer eingreift, desto vorsichtiger ist sie zu gewähren: Bei unmittelbaren Grundrechtseingriffen ergibt sich die Zulässigkeit der Begünstigung zunächst aus dem beeinträchtigten Grundrecht264, diesem ist allerdings nicht in jedem Fall der Vorzug zu geben, weil eine soziale Besserstellung den Begünstigten vielfach erst in die Lage versetzt, von seinen Freiheitsrechten effektiv Gebrauch zu machen265: Das kann einen Grundrechtseingriff durchaus legitimieren. Beeinträchtigt eine sozialgestaltende Maßnahme Freiheitsrechte unterhalb der Eingriffsschwelle, wird jemandem also etwa durch eine Begünstigung ein Wettbewerbsvorteil verschafft, dann sind die Interessen des Begünstigten und die seiner Konkurrenten im Rahmen der Gleichheitsprüfung gegeneinander abzuwägen266. In seiner älteren Judikatur akzeptierte der VfGH, dass der Staat bei der Gewährung von Sozialleistungen nach suspekten Kriterien differenziert, so nach dem Geschlecht267, dem Familienstand268 oder der Ehelichkeit eines Kindes269. Dem ist nicht zuzustimmen; dass dem Staat im Bereich des Sozialrechts grundsätzlich ein weiterer Gestaltungsspielraum zukommt als in anderen Rechtsmaterien, entbindet ihn keineswegs von den Kernforderungen des Gleichheitssatzes. Zu Recht hat der VfGH daher später eine Gleichheitswidrigkeit konstatiert, als Familienbeihilfe nur für unverheiratete Kinder gewährt270, die Zuerkennung einer Haushaltszulage271 ____________________
264 Zu denken ist etwa an Bestimmungen, die die Arbeitszeit beschränken, die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen regeln, Mutterschutz schaffen, vor ungerechtfertigter Kündigung schützen etc; sie alle greifen in die Erwerbs- und Eigentumsfreiheit ein und bedürfen von dort aus gesehen auch einer Rechtfertigung. Die negative Schutzfunktion der Freiheitsrechte, die dem Staat das Maß setzen, wie weit er in seinen Leistungen gehen darf, betont auch Pernthaler, JBl 1965, 64, 71; s weiters Zacher, DÖV 1970, 8 ff; G. Müller, VVDStRL 47 (1989) 55. 265 Zu denken ist etwa an Arbeitszeitbeschränkungen, die es dem Arbeitnehmer ermöglichen, seinem Privat- und Familienleben nachzugehen, s zB VfSlg 15.308/1998 und 16.484/ 2002: Angesichts der besonderen Bedeutung des Wochenendes für Freizeit, Erholung und soziale Integration ist eine gesetzlich angeordnete Wochenendruhe am Samstag Nachmittag und Sonntag im Lichte des Art 6 StGG unbedenklich. 266 S schon oben F.II.6.a. 267 Vgl zB VfSlg 5589/1967 und 6219/1970: nach Geschlecht verschiedener Bezug einer Haushaltszulage. 268 Vgl die Erkenntnisse VfSlg 5972/1969 und 6071/1969, in denen der VfGH den Ausschluss verheirateter Kinder von der Familienbeihilfe als zulässig qualifizierte; das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, Frühehen zu verhindern, sei nicht zu beanstanden. 269 ZB VfSlg 4678/1964: Dass uneheliche Kinder keinen Anspruch auf Waisenpension nach ihrem verstorbenen Vater haben, hielt der VfGH ebenso wenig für unsachlich wie den Umstand, dass die außereheliche Mutter keine Witwenpension erhält. 270 VfSlg 8793/1980: Ob ein Kind verheiratet oder nicht verheiratet ist, entzieht sich einerseits dem Einfluss seiner Eltern (und muss sich – wie zu ergänzen wäre – diesem Einfluss wegen Art 12 EMRK auch entziehen), andererseits entfällt mit der Verehelichung des Kindes nicht notwendig die Unterhaltspflicht seiner Eltern.
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und die Gewährung von Notstandshilfe272 vom Geschlecht abhängig gemacht wurde, als Alleinstehende beim Bezug der Notstandshilfe im Ergebnis gegenüber Ehegatten oder Lebensgefährten begünstigt wurden273, und auch, als einem im Inland tätigen und wohnhaften Arbeitnehmer die Sicherung vor den Folgen der Insolvenz seines ausländischen Arbeitgebers nur deshalb versagt wurde, weil dieser Arbeitgeber in Österreich keine Niederlassung oder Betriebsstätte und kein Vermögen hat274. Jenseits derartiger Diskriminierungen ist auch innerhalb des Sozialrechts weiter zu differenzieren: Soweit die Leistungen, die dem Einzelnen gewährt werden, auch auf seinen eigenen Beiträgen beruhen, ist – schon weil sein Grundrecht auf Eigentum berührt ist – ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Zuwendungen, die allein die Allgemeinheit erbringt275. bb. Beispiel: Sozialversicherung Auch im Sozialversicherungsrecht kommt dem Gesetzgeber nach der Judikatur grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu276. Er ist nicht verpflichtet, eine solche Versicherung überhaupt einzurichten277. Wenn er sich dazu entschließt, bedarf dies mE sogar einer Rechtfertigung, weil die Sozialversicherung auf einer Zwangsmitgliedschaft und auf Pflichtbeiträgen der Versicherten beruht, also Eingriffe in deren Eigentum voraussetzt. Gerechtfertigt ist die Sozialversicherung nur dann, wenn sie mehr bzw anderes hervorbringt als eine private Versicherung. Richtet der Gesetzgeber eine solche Versicherung ein, so ist er an ihre (teils auch kompetenzrechtlich vorgegebenen) Systemgrundsätze gebunden: Wie der VfGH in ständiger Rechtsprechung betont, ist die Sozialversicherungsgemeinschaft eine Riskengemeinschaft. Sie besteht aus den Angehörigen eines Berufsstandes, die durch ein gemeinsames Risiko miteinander verbunden sind. Wer diesem Berufsstand angehört, gehört auch der Risikogemeinschaft an278. Die Sozialversicherung ist weiters eine Pflichtversicherung. Ob der Einzelne sie im konkreten Fall für notwendig hält, ____________________
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VfSlg 8147/1977. VfSlg 11.928/1988. VfSlg 12.420/1990, s schon oben F.II.6.b. VfSlg 12.230/1989. Vergröberungen, die im Studienförderungsrecht noch angehen, müssen daher nicht auch im Arbeitslosenversicherungsrecht toleriert werden: VfSlg 15.117/1998. 276 ZB VfSlg 14.802/1997; kritisch Tomandl/Aigner, ZAS 1997, 7; allgemein zur Judikatur Günther, Sozialversicherung 71 ff; Holoubek, ZAS 1994, 6 ff. 277 S auch Merli, Armut 15, sowie VfSlg 9809/1983. 278 VfSlg 3721/1960, 3723/1960, 4714/1964, 4801/1964, 5241/1966, 6015/1969, 6947/1972, 7047/1973, 7313/1974, 10.451/1985, 12.739/1991, 14.842/1997, 17.260/ 2004. Ein alle Sozialversicherten umfassendes Solidaritätsprinzip besteht hingegen nicht: VfSlg 10.451/1985.
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ist daher gleichgültig279. Sie ist schließlich eine Sozialversicherung, folgt also nicht nur dem Versicherungs-, sondern auch dem Versorgungsgedanken280. Den Beiträgen, die der Versicherte zu erbringen hat, muss daher zwar im Prinzip ein Anspruch auf Leistung im Versicherungsfall gegenüberstehen281. Diese Leistung muss mit dem Beitrag aber nicht unmittelbar zusammenhängen und ihm insbesondere nicht äquivalent sein; daher ist auch in Kauf zu nehmen, dass es in manchen Fällen trotz Leistung von Pflichtbeiträgen zu keiner Versicherungsleistung kommt282. Die Beiträge, die der Versicherte zu erbringen hat, bemessen sich – dem Versorgungsgedanken entsprechend – nicht danach, ob er ein gutes oder ein schlechtes Risiko ist283, sie bemessen sich vielmehr grundsätzlich nach seiner Leistungsfähigkeit284; die Anknüpfung an ein Surrogatmerkmal, das ____________________
279 S VfSlg 3670/1960, 4714/1964: „Es ist für die Pflichtversicherung ohne Belang, ob der Einzelne der Sozialversicherung bedarf. Über den individuellen Sonderinteressen stehen die gemeinsamen Interessen der in der Pflichtversicherung zusammengeschlossenen Personen. Die Riskengemeinschaft ist eine Solidargemeinschaft. Dieser Gemeinschaftsgedanke ist für die Sozialversicherung typisch und wesentlich“; s auch VfSlg 16.007/2000; VwGH 19.3.2003, 2000/08/0206, sowie Ladislav, 1. ÖJT I/4 (1961) 9. 280 VfSlg 3670/1960, 4714/1964, 5241/1966, 6015/1969, 7047/1973, 7313/1974, 14.802/1997, 14.842/1997, 15.859/2000, 16.007/2000; s auch Ladislav, 1. ÖJT I/4 (1961) 8 ff; Gottfried Winkler, Entwicklung 13 f. 281 VfSlg 2841/1955, 3670/1960, 10.451/1985, 12.739/1991, 16.007/2000. 282 VfSlg 3723/1960, 4580/1963, 4714/1964, 5241/1966, 6015/1969, 6947/1972, 7047/1973, 7313/1974, 10.451/1985, 12.739/1991, 14.802/1997, 14.842/1997, 15.859/ 2000, 16.492/2002, 17.254/2004. Dass eine Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung dem Sozialversicherungsrecht fremd ist, bedeutet, wie der VfGH in VfSlg 16.203/2001 festgestellt hat, nicht, dass die Wahrscheinlichkeit der Risikoverwirklichung bei allen Versicherten annähernd gleich sein muss. Das ermächtigt den Gesetzgeber aber nicht dazu, eine Personengruppe gegen ein Risiko zu versichern, mit dessen Eintritt bei dieser Gruppe besonders häufig gerechnet werden muss, gerade für diese Gruppe dann aber jeglichen Leistungsbezug schlechthin auszuschließen: Es war daher verfassungswidrig, Pensionsbezieher in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen, ihnen aber zugleich Leistungen aus dem Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit vorzuenthalten. 283 S VfSlg 3670/1960: Der soziale Schutzgedanke der Sozialversicherung hat den Gesetzgeber dazu gezwungen, „in die Sozialversicherung sogenannte schlechte Risken aufzunehmen, wobei bei diesen Gruppen die Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie aus der Sozialversicherung Leistungen beziehen, die durch die von ihnen geleisteten Beiträge nicht gedeckt werden“; s auch VfSlg 15.859/2000, 17.172/2004: Es ist dem Gesetzgeber in der gesetzlichen Sozialversicherung grundsätzlich verwehrt, innerhalb derselben Riskengemeinschaft zwischen „guten“ und „schlechten“ Risiken wie in der privatrechtlichen Versicherung zu unterscheiden. Es ist vielmehr ein Charakteristikum der gesetzlichen Sozialversicherung, dass in ihr alle Risiken zu einer Riskengemeinschaft zusammengefasst und einem einheitlichen Beitragsrecht unterstellt werden; VfSlg 14.842/1997: Der Gesetzgeber ist daher nicht verpflichtet, von einer Versicherung Personen auszunehmen, bei denen das versicherte Risiko nicht oder nur in ganz seltenen Fällen zum Tragen kommt (hier: das Risiko der Arbeitslosigkeit bei definitiv gestellten, sohin unkündbaren Dienstnehmern). 284 VfSlg 3721/1960, s auch VfSlg 15.859/2000: Eine unterschiedliche Gestaltung des Beitragsrechts innerhalb derselben Versicherungsgemeinschaft bei gleich hohen Einkünften und gleichem Leistungsrecht bedarf einer sachlichen Rechtfertigung (in diesem Sinn
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keine verlässlichen Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit zulässt, ist daher bedenklich285. Bei der Beurteilung, inwieweit das dem Versicherten zufließende Einkommen in die Beitragsgrundlage einzubeziehen ist, kommt dem Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum zu286. Dem Versicherungsgedanken entsprechend sind die Beiträge aber auch nach oben hin zu begrenzen: In der Sozialversicherung muss es daher eine Höchstbeitragsgrundlage geben287. Eine Abweichung von diesen Systemgrundsätzen ist nicht ausgeschlossen, sie bedarf aber einer Rechtfertigung, die etwa vorliegt, wenn Sozialhilfeempfängern eine Selbstversicherung trotz ihrer schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse nur nach dem Höchstsatz ermöglicht wird; dies ist nicht zu beanstanden, denn es verhindert, dass die auf den Sozialhilfeträgern liegende Versorgungslast im Krankheitsfall auf die Riskengemeinschaft der Versicherten überwälzt wird288. Die höhere Beitragsbelastung ____________________
auch VfSlg 9365/1982, 10.451/1985, 16.492/2002); s weiters VfSlg 17.172/2004: Werden systembedingte Nachteile im Wege einer trägerübergreifenden Solidargemeinschaft ausgeglichen, so muss sich die Beitragsleistung der einzelnen Versicherungsträger zu diesem Ausgleich „auch in diesem Bereich einer sozialen Riskengemeinschaft entsprechend“ am Verhältnis ihrer Leistungsfähigkeit orientieren. Anders deutet die Judikatur Wiederin, Umverteilung 90 FN 41, nach dem es keiner besonderen Rechtfertigung bedarf, wenn die Beiträge zur Sozialversicherung nach anderen Kriterien als der Leistungsfähigkeit bemessen werden; s dazu Pöschl, Mehrfachversicherung 112 f. 285 S VfSlg 16.188/2001, 16.368/2001, 16.768/2001: Kassenvertragsärzten darf nicht eine im Vergleich zu freiberuflich tätigen Ärzten ohne Kassenvertrag schlechthin höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zugemessen und darauf aufbauend eine höhere Kammerumlage vorgeschrieben werden. Es widerspricht, wie der VfGH in diesen Entscheidungen festgestellt hat, dem Gleichheitssatz, innerhalb der Gruppe der freiberuflich tätigen Ärzte eine Teilgruppe – nämlich jene der Kassenvertragsärzte – herauszugreifen und sie in einem unverhältnismäßig höheren Maß als andere Gruppen von Umlagepflichtigen mit Kammerumlage zu belasten. Der Befund der Unverhältnismäßigkeit ist in diesem Zusammenhang zweideutig: Zwar wurde unverhältnismäßig schwer in das Prima-facie-Recht der Kassenvertragsärzte eingegriffen, zur Entrichtung einer Umlage nur nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verpflichtet zu werden. Die Höhe der ihnen vorgeschriebenen Umlage wäre aber wohl nicht beanstandet worden, wenn die Umlage für alle anderen Ärzte auf dasselbe Niveau angehoben worden wäre, wenn der Verordnungsgeber die Kassenvertragsärzte also im Verhältnis zu den übrigen Ärzten gleich behandelt hätte. Diesfalls hätte er die Umlage nämlich für beide Gruppen nach ihrer Leistungsfähigkeit bemessen und nur den Richtsatz für die Umlage insgesamt erhöht. 286 S zB VfSlg 16.585/2002: Auslagenersätze, Schmutzzulagen, Fehlgeldentschädigungen, Abfertigungen, Jubiläumsgelder, freiwillige soziale Zuwendungen etc müssen nicht als beitragspflichtiges Einkommen qualifiziert werden. 287 VfSlg 3670/1960, s auch Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 86. 288 S VfSlg 9809/1983, wonach die Leistungsfähigkeit des Versicherten nicht durchgängig und ohne Rücksicht auf die sonstige Sach- und Rechtslage zur Grundlage der Beitragsbemessung gemacht werden muss: „Die Bedachtnahme auf die Leistungsfähigkeit des Versicherten endet […] dort, wo die öffentliche Hand eingreifen muß, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse so schlecht sind, daß der Lebensbedarf nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln beschafft werden kann.“
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einer Gruppe kann auch durch ein unterschiedliches Leistungsrecht gerechtfertigt werden289, nicht aber damit, dass diese Gruppe aus der Einbeziehung in die Pflichtversicherung Vorteile zieht290, insbesondere dürfen die sozial Schwächsten nicht wegen der relativ größeren Vorteile, die ihnen aus der Einbeziehung in die gesetzliche Sozialversicherung entstehen, stärker belastet werden als andere Versicherte291. Denn sonst würden „immer gerade jene Gruppen, die die sozial Schwächsten waren und daher durch die Einbeziehung in die Versicherung den größten Vorteil erlangt haben, zu den größten Beitragsleistungen heranzuziehen sein, was dem Gedanken einer sozialen Versicherung widerspricht und daher sachlich nicht gerechtfertigt sein kann“292. Da es dem Gesetzgeber grundsätzlich verwehrt ist, in der Sozialversicherung zwischen „guten“ und „schlechten“ Risken wie in einer privatrechtlichen Versicherung zu unterscheiden293, müssen innerhalb einer Versicherungsgemeinschaft auch „schlechte Risken“ in Kauf genommen werden. Zulässig ist es aber, darauf Bedacht zu nehmen, dass die Versicherungsgemeinschaft nicht durch schlechte Risken übermäßig belastet wird294, und es wäre mE auch unbedenklich, zwischen Risken zu unterscheiden, die der Rechtsunterworfene nicht beeinflussen kann und solchen, die er durch seine Lebensführung bewusst erhöht. Die Durchführung einer solchen Differenzierung kann allerdings beträchtliche Schwierigkeiten und auch verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen: So wäre grundsätzlich zwar nichts dagegen einzuwenden, Rauchern höhere Beiträge zur Krankenversicherung aufzuerlegen als Nichtrauchern295; doch müssten dann aus gleichheitsrechtlicher Sicht auch an____________________
289 VfSlg 9365/1982, 16.492/2002; s auch VfSlg 3670/1960: „zwischen der Höhe der Beiträge und der Höhe der Versicherungsleistungen [besteht] durchgängig ein Zusammenhang. [...] Dieser funktionelle Zusammenhag zwischen Renten- und Beitragshöhe ist ein Grundgedanke der österreichischen Sozialversicherungsgesetzgebung.“ 290 VfSlg 3721/1960. 291 VfSlg 16.492/2002, 17.172/2004; s auch schon VfSlg 3721/1960, 15.859/2000. 292 VfSlg 3721/1960; ebenso VfSlg 15.859/2000. 293 VfSlg 3670/1960, 12.739/1991, 15.859/2000, 17.172/2004. 294 S schon VfSlg 9809/1983 (FN 288); s auch VfSlg 6004/1969, wonach es sachlichen Erwägungen entspricht, bei der Abgrenzung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit einer Krankenkasse dafür zu sorgen, dass die Leistungsfähigkeit der betroffenen Kasse nicht leidet. Die Leistungsfähigkeit einer Kasse sei aber ua auch abhängig vom Ausmaß des Kreises der Versicherungspflichtigen. Aus diesen Gründen billigte der VfGH, dass die Zuständigkeit der Wiener Selbständigenkrankenkasse über das Gebiet des Bundeslandes hinaus auch bestimmte, an das Gebiet des Bundeslandes Wien angrenzende niederösterreichische Bezirke einschloss. Nicht gerechtfertigt ist es hingegen nach VfSlg 5319/1966, wenn der Gesetzgeber nahe Angehörige eines Dienstgebers von der Pflichtversicherung ausnimmt, um die Versicherungsgemeinschaft nicht der Gefahr einer Riskenauslese durch die Betroffenen auszusetzen (s zur Benachteiligung aufgrund der Familienangehörigkeit schon oben E.IV.3.e.aa.). 295 S schon Wiederin, Umverteilung 90 f.
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dere „selbstverschuldete“ Risken, etwa ungesunde oder übermäßige Ernährung, Konsum von Alkohol, mangelnde Bewegung etc miteinbezogen werden296. Die Erfassung all dieser Risken wäre aber zum einen nur mit gravierenden Eingriffen in das Privatleben möglich, ja sie würde geradezu dessen vollständige Überwachung erfordern. Zum anderen wäre zu erwarten, dass sich bei den allermeisten Menschen irgendein „selbstverschuldetes“ Gesundheitsrisiko findet, sodass die Berücksichtigung dieser Risken bei der Beitragsbemessung am Ende kaum zu anderen Ergebnissen führen würde als deren Nichtberücksichtigung; für einen so geringen Erfolg können derart tief greifende Eingriffe in das Privatleben aber gewiss nicht hingenommen werden. So tut die Sozialversicherung letztlich doch gut daran, die Selbstverschuldung eines Risikos erst gar nicht zu erfassen. Unproblematisch ist demgegenüber ein finanzieller Ausgleich zwischen verschiedenen Sozialversicherungsträgern, sofern er nicht einzelne Versicherungsträger benachteiligt und andere privilegiert297. Wie der Gesetzgeber mit Versicherten verfährt, die mehrere Beschäftigungen zugleich ausüben, steht ihm nach der Judikatur frei: Er kann den Betroffenen nur in eine Versicherungsgemeinschaft einbeziehen und alle anderen Versicherungssysteme für subsidiär erklären, er kann aber auch eine Mehrfachversicherung anordnen, die ihrerseits sogar dazu führen darf, dass die Gesamtbeitragsbelastung des Versicherten die Höchstbeitragsgrundlage überschreitet298. Dem ist nicht zuzustimmen. Gemessen an den ____________________
296 Genau genommen müsste dann auch noch geklärt werden, ob und inwieweit überhaupt das Rauchen und anderes Suchtverhalten „selbstverschuldet“ sind, ob es hiezu also nicht – wie verschiedentlich gesagt wird – eine genetische Disposition gibt; auf eine solche Disposition würde dann wahrscheinlich auch derjenige verweisen wollen, der sich nur ungern bewegt, und wenn nicht darauf, dann vielleicht auf seine Arbeit oder seine Familie, die ihn so fordert, dass er für Bewegung keine Zeit mehr findet etc. 297 VfSlg 14.598/1996, 11.013/1986. Wie der VfGH in seinen Entscheidungen VfSlg 17.172/2004 und 17.677/2005 festgestellt hat, ist es gleichheitswidrig, Beitragseinnahmen einer Versichertengemeinschaft an eine andere Versichertengemeinschaft zu übertragen, sofern zwischen diesen beiden Versichertengemeinschaften kein persönlicher und sachlicher Zusammenhang besteht. Zulässig ist es hingegen, systembedingte Nachteile im Wege einer transferübergreifenden Solidargemeinschaft auszugleichen und zu diesem Zweck auch Beitragseinnahmen zu anderen Versicherungsgemeinschaften umzuleiten; derart systembedingte Nachteile treten zB in der Pensionsversicherung als „Wanderversicherungsverluste“ in Erscheinung, aber auch in der Krankenversicherung zB auf Grund der – den Grundsatz der Mehrfachversicherung einschränkenden – gemeinsamen Höchstbeitragsgrundlage in Verbindung mit den in einzelnen Gesetzen geregelten Verpflichtungen zur „Differenzvorschreibung“, jedenfalls aber zur Beitragserstattung. 298 S VfSlg 3733/1960, 4331/1962, 4376/1963, 5204/1966, 7330/1974, 14.842/1997, 17.260/2004: Unbedenklichkeit der Ausnahme von der Versicherungspflicht, wenn eine Person bereits anderweitig versicherungspflichtig ist oder eine Versorgung durch ein anderes System der sozialen Sicherheit dienstrechtlicher oder sozialrechtlicher Art genießt; VfSlg 4714/1964, 4801/1964, 6181/1970, 9753/1983, 9758/1983, 12.739/1991, 13.804/1994, 14.802/1997, 14.842/1997, 16.007/2000, 16.814/2003, 17.260/2004; VwGH 24.3.1992,
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eingangs genannten Systementscheidungen der Sozialversicherung ist eine Mehrfachversicherung mE nicht nur erlaubt, sondern auch geboten. Die Beiträge, die dem Mehrfachbeschäftigten dabei insgesamt auferlegt werden, dürfen dabei aber nicht über der Höchstbeitragsgrundlage liegen299. Auch dass, wie der VfGH grundsätzlich meint, verschiedene Sozialversicherungssysteme nicht miteinander verglichen werden können300, geht mE zu weit301: Die Sozialversicherung hat zwar Fürsorgecharakter und baut auf dem Gedanken der Solidarität auf, gleichwohl beruht sie auf Pflichtbeiträgen der Versicherten. Schon dass das Eigentum jedes Rechtsunterworfenen unter dem Schutz der Verfassung steht, muss grundsätzlich einen Vergleich ermöglichen. Soweit ein Sozialversicherungssystem an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe anknüpft, differenziert es zudem nach dem „Stand“ der Versicherten, also nach einem in Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG genannten Merkmal. Das kann dem Grunde nach durch verschiedene Lebensrisken der jeweiligen Berufsgruppen durchaus gerechtfertigt sein; auch dann noch muss der Gesetzgeber die verschiedenen Risikogruppen aber als gleichwertig behandeln. Ob er diese Pflicht erfüllt, kann nur durch einen Vergleich der jeweiligen Regelungssysteme festgestellt werden. Die Komplexität der verschiedenen Versicherungssysteme schließt es freilich aus, dass einzelne Vorschriften aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert scheinbar ähnlichen Vorschriften in anderen Versicherungssystemen gegenübergestellt werden. Oft wird auch der für die Systembegründung maßgebliche Unterschied zwischen den jeweiligen Versicherungsgruppen rechtliche Unterscheidungen im Detail begründen können. Zwingend ist dies aber nicht; denn jene Unterschiede, die die Entscheidung für ein eigenes System historisch begründet ha____________________
91/08/0155; 20.9.2000, 97/08/0617; 22.1.2003, 2000/08/0069; 19.3.2003, 2000/08/ 0206: die Zugehörigkeit einer Person zu mehreren Berufen darf zu einer Mehrfachversicherung führen; VfSlg 4801/1964, 6181/1970, 9753/1983, 17.260/2004: im Fall einer Mehrfachversicherung darf der Beitragsberechnung jedes Erwerbseinkommen gesondert bis zur Höchstbeitragsgrundlage zugrunde gelegt werden; VfSlg 14.802/1997, 16.007/2000, 17.260/ 2004: jene Beiträge, die aus einer Überschreitung der Höchstbeitragsgrundlage resultieren, müssen von Verfassung wegen nicht rückerstattet werden. Es ist aber zulässig, eine Rückerstattung von Beiträgen anzuordnen, die nicht zu einem Leistungsanspruch führen können. 299 S dazu näher Pöschl, Mehrfachversicherung 100 ff. 300 VfSlg 3721/1960, 15.859/2000: Differenzierungen müssen nur innerhalb einer einheitlichen Risikogemeinschaft sachlich gerechtfertigt sein; VfSlg 10.030/1984: grundlegende Verschiedenheit der sachlichen Voraussetzungen bei selbständigen und unselbständigen Tätigkeiten und den verschiedenen Berufszweigen; s auch VfSlg 11.665/1988, 12.732/1991, 13.634/1993, 13.829/1994. S allerdings nun das Erkenntnis VfSlg 16.492/ 2002 und dazu gleich unten FN 303. 301 Kritisch auch schon Rebhahn, DRdA 1981, 115.
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ben, können im Verlauf der folgenden Entwicklung auch schwinden302. In seiner jüngeren Judikatur hat dies der VfGH bei der versicherungsrechtlichen Ungleichbehandlung zwischen Ärzten und Apothekern zu Recht auch in Erwägung gezogen303. Die Unterstützung für Arbeitslose beruht nach österreichischem Recht zwar – wie alle Leistungen aus der Sozialversicherung – auf eigenen Beiträgen des Versicherten; sie wird aber auch durch die Beiträge der restlichen Versicherungsmitglieder und der Allgemeinheit finanziert. Schon um deren Eigentum zu schonen, darf kein Anreiz gesetzt werden, bestehende Beschäftigungsverhältnisse zu beenden und Arbeitslosengeld zu beziehen. Daher muss, wie der VfGH festgestellt hat, „nicht nur verhindert werden, daß das Jahresnettoeinkommen des Arbeitslosen jenes bei Fortsetzung der Beschäftigung übersteigt, sondern es ist vielmehr anzustreben, daß das Jahresnettoeinkommen des Arbeitslosen merklich unter dem des Beschäftigten bleibt“304. Aus denselben Gründen darf die Wiederaufnahme einer Beschäftigung für den Arbeitslosen auch nicht zur Falle werden: Übersteigen seine Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit die Geringfügigkeitsgrenze, ohne dass dies für ihn während des Bezuges der Unterstüt____________________
302 S auch Günther, Sozialversicherung 108 ff, für die Differenzierung zwischen Beamten und Arbeitnehmern. 303 S das Erkenntnis VfSlg 16.492/2002, das zwar die unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung der Ärzte und Apotheker in § 8 FSVG im Verhältnis zu den nach GSVG Versicherten für sachlich gerechtfertigt hält, im Prüfungsbeschluss aber die Bereitschaft zu erkennen gibt, auch verschiedene versicherungsrechtliche Systeme (hier FSVG und GSVG aufgrund der weitgehenden Ähnlichkeit der Versicherten) miteinander zu vergleichen: „Die legistische Konstruktion des FSVG, wie sie sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt darstellt, scheint sich im formalen zu erschöpfen, dh. darin, einen Teil des (eigentlichen) Geltungsbereichs des GSVG samt einigen wenigen Sonderbestimmungen aus dem GSVG auszulagern, ohne aber tatsächlich dessen Regelungsbereich zu verlassen. Der Verfassungsgerichtshof vermag vorerst jedenfalls nicht zu erkennen, daß es eine substantielle Änderung der Rechtslage bedeuten würde, wenn die wenigen noch in Geltung stehenden Bestimmungen des FSVG in das GSVG einbezogen würden, sieht man davon ab, daß die Verschiedenbehandlung der nach dem GSVG versicherten Gruppen deutlicher zutage träte. Es dürften daher aus dem Bestehen des FSVG keine Schlussfolgerungen auf eine verfassungsrechtlich relevante Verschiedenheit der vom FSVG erfassten Berufsgruppen im Verhältnis zu den im Geltungsbereich des GSVG genannten gezogen werden können [...]. Insgesamt scheint es sich daher bei den nach GSVG und nach FSVG Versicherten der Sache nach mittlerweile um eine einheitliche Risikogemeinschaft zu handeln“, innerhalb der Differenzierungen, wie schon in VfSlg 3721/1960 und 15.859/2000 festgestellt wurde, sachlich gerechtfertigt sein müssen; s zuvor auch VfSlg 9365/1982, wonach die beitragsrechtliche Ungleichbehandlung zwischen den nach GSVG und den nach FSVG Versicherten mit wesentlichen Unterschieden im Leistungsrecht gerechtfertigt ist. Im Ablehnungsbeschluss VfGH 27.11.1995, B 171/95, B 1460/95, nahm der VfGH wiederum den Standpunkt ein, dass „die im FSVG und GSVG vorgesehenen Beitragssätze wegen der Unterschiedlichkeit der in den Anwendungsbereich dieser Gesetze fallenden Berufsgruppen unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes gar nicht verglichen werden können“. 304 VfSlg 12.411/1990.
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zung erkennbar ist, so darf zwar jener Betrag zurückgefordert werden, der die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, nicht aber das gesamte Arbeitslosengeld, das er bezogen hat305. Das Arbeitslosengeld ist dabei grundsätzlich nach der aktuellen Einkommenssituation des Arbeitslosen zu bemessen; bei Selbständigen darf aus verwaltungsökonomischen Gründen zwar auch an den zuletzt ergangenen Steuerbescheid angeknüpft werden, doch muss der Betroffene eine gegebenenfalls abweichende aktuelle Einkommenssituation nachweisen können. Dass ihm zunächst ein niedrigerer Betrag und nach Vorliegen des späteren Steuerbescheides eine Nachzahlung geleistet wird, genügt nicht, weil das Arbeitslosengeld ja Hilfe in einer Notlage bieten soll306. Unbedenklich ist es hingegen, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht, solange dem Dienstnehmer nach Auflösung des Dienstverhältnisses eine Abfertigung gewährt wird307. cc. Beispiel: Fürsorge- und Förderungsleistungen Staatliche Zuwendungen, die allein aus Steuermitteln, somit durch vorhergehende Eingriffe in das Eigentum der Allgemeinheit finanziert werden, müssen maßhaltend bleiben308. Dieses Maß zu finden, ist weitgehend in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt; das Eigentumsrecht selbst setzt ihm dabei nur äußerste Grenzen, weil die Steuereinnahmen nicht an bestimmte Ausgaben gekoppelt sind309. Dieses Kontrolldefizit kann aber durch den allgemeinen Gleichheitssatz ausgeglichen werden: Geboten ist bei Sozialleistungen jedenfalls eine Differenzierung nach der individuellen Bedürftigkeit des Betroffenen und nach seinen Möglichkeiten, sich selbst zu versorgen310. Individualität und Subsidiarität sind dementsprechend ____________________
305 VfSlg 14.095/1995, 14.114/1995; s auch Öhlinger, Sozialrecht 156, der hier eine „versteckte Diskriminierung von Personen“ konstatiert, „die während des Bezuges von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe eine selbständige Erwerbstätigkeit mit geringem Ertrag ausüben“. 306 VfSlg 15.117/1998. 307 VfSlg 7313/1974. 308 S auch Martens, VVDStRL 30 (1972) 13, 15 f. 309 S zur mangelnden Effektivität der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Abgabengesetzen bereits oben F.II.5.a.; zur „Wehrlosigkeit“ der Freiheitsrechte gegenüber dem „indirekten, oft sehr komplexen Angriff sozialer Umverteilung“ s auch Zacher, DÖV 1970, 10. 310 S schon Tipke, Steuergerechtigkeit 99; ihm folgend Beiser, Steuern 27. Dieses Maßhalten dient nach manchen nicht nur der Schonung der Steuergemeinschaft, sondern letztlich auch dem Leistungsempfänger selbst, s etwa von Arnim, VVDStRL 39 (1981) 343, nach dem eine ökonomische Mindestausstattung zwar gewiss zur „Würde“ des Menschen gehört; diese Würde sei vollinhaltlich aber erst dann hergestellt, wenn der Einzelne in der Lage ist, sich seine ökonomische Grundlage selbst zu schaffen. Hilfe zur Selbsthilfe entspreche der Würde des Menschen daher weit mehr als eine Politik, die den Einzelnen zu einem Almosenempfänger der Allgemeinheit macht.
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auch die leitenden Gesichtspunkte aller Sozialhilfegesetze311; sie gewähren einen Anspruch auf staatliche Unterstützung nur, „wenn dem Bedürftigen der Einsatz der eigenen Kräfte und Mittel nicht möglich oder nicht zumutbar ist und er auch keine zureichenden Leistungen von Dritten erhält“312. Ob man in diesen Grundsätzen „lokale Gerechtigkeitskriterien“ sehen will313 oder nicht, ist unerheblich; entscheidend ist, dass eine Durchbrechung dieser gebotenen Differenzierungen aus der Sicht des Gleichheitssatzes einer Rechtfertigung bedarf, die schwerer wiegt als das Primafacie-Recht, diesen Grundsätzen gemäß behandelt zu werden. Eine derartige Rechtfertigung kann nicht gefunden werden, wenn der Anspruch auf Sozialhilfe vom Einkommen der Haushaltsgemeinschaft des Antragstellers abhängig gemacht wird und dabei die gesamten Einkünfte der unterhaltsberechtigten Angehörigen in das Haushaltseinkommen unabhängig davon einbezogen werden, ob die Angehörigen dem Antragsteller gegenüber unterhaltspflichtig sind oder nicht314. Nicht akzeptiert hat der VfGH auch, dass bei der Beurteilung der Notlage eines Arbeitslosen das Einkommen der Stiefeltern berücksichtigt wird, die diesem gegenüber nicht unterhaltspflichtig sind und daher jeden Beitrag zu seinem Unterhalt verweigern können315. In beiden Fällen wurde die Zuwendung im Ergebnis nicht nur nach der individuellen Bedürftigkeit des Antragstellers gewährt, sondern nach den Einkommensverhältnissen anderer Personen, die den Betroffenen unterstützen können, aber nicht müssen: Tun sie es nicht, bleibt dem Antragsteller Sozialhilfe verwehrt, obwohl er das für diese Unterstützung entscheidende Kriterium der Bedürftigkeit erfüllt. Eine Rechtfertigung dafür ist nicht ersichtlich316. Gleiches gilt auch, wenn ein Sozialhil____________________
311 312 313 314
S Oppitz, in Hofmann ua 177; Grillberger, Sozialrecht 126. Grillberger, Sozialrecht 126. S etwa Somek, Rationalität 115 f; Huster, Rechte 225 ff. Der VfGH qualifizierte diese Regelung als gleichheitswidrig, weil sie dazu führen könne, dass „der Vater oder die Mutter auf Kosten der ihren Kindern von dritter Seite gewährten Alimente lebt“: VfSlg 11.662/1988; zustimmend in der Sache, aber kritisch zur Begründung Öhlinger, Sozialrecht 157, der meint, die vom VfGH angesprochenen Härtefälle wären auf der Ebene des Vollzuges durch gleichheitskonforme Interpretation zu vermeiden gewesen; s zu einer ähnlichen Regelung des Tiroler SozialhilfeG VfSlg 11.993/ 1989. 315 VfSlg 12.665/1991. 316 Eine Gleichheitswidrigkeit wäre dann allerdings auch zu konstatieren gewesen, wenn einem Studierenden die Studienbeihilfe im Hinblick auf die Vermögensverhältnisse seiner Eltern unabhängig davon versagt wird, ob gegen diese ein Unterhaltsanspruch besteht. Der VfGH sah dies jedoch als unbedenklich an; bei einer Durchschnittsbetrachtung könne nämlich angenommen werden, dass die Eltern das Studium ihrer Kinder finanzieren, auch wenn sie dazu nicht verpflichtet sind: VfSlg 12.641/1991. Umgekehrt dürfe der Gesetzgeber aber, wie der VfGH wiederum in VfSlg 12.665/1991 meinte, nicht davon ausgehen, dass Stiefeltern ohne Rücksicht auf eine allfällige Haushaltsgemeinschaft auch nur faktisch zum Unterhalt großjähriger Stiefkinder beitragen.
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fegesetz ab dem dritten Haushaltsangehörigen nahezu oder überhaupt keine Hilfe zum Lebensunterhalt mehr vorsieht317: Jeder Antragsteller, der mit mehr als zwei Personen in einem Haushalt lebt, würde dann ohne ersichtlichen Grund nicht nach seiner individuellen Bedürftigkeit unterstützt, sondern nach der Bedürftigkeit einer vom Gesetzgeber unterstellten (und nicht einmal realistischen) „Durchschnittsfamilie“; dies obwohl es dem Rechtsunterworfenen nach Art 8 EMRK gerade freisteht, sich für eine Klein- oder für eine Großfamilie oder überhaupt gegen die Gründung einer Familie zu entscheiden318. Keine Rechtfertigung kann auch gefunden werden, wenn bei der Gewährung von Wohnbeihilfe danach differenziert wird, ob die unterhaltsberechtigten Kinder, die mit dem Beihilfenbezieher in gemeinsamem Haushalt leben, unter oder über 18 Jahre alt sind: Das Alter der Kinder steht mit der Bedürftigkeit des Antragstellers nicht in Zusammenhang; maßgeblich kann nur sein, ob diese Kinder unterhaltsberechtigt, also nicht selbsterhaltungsfähig und daher zur Leistung eines Beitrages zu den Wohnungskosten nicht in der Lage sind319. Nicht zu rechtfertigen war weiters, dass nur Lehrlingen in einem gesetzlich anerkannten Ausbildungsverhältnis eine Lehrlingsfreifahrt gewährt wurde, nicht hingegen – trotz vergleichbar niedriger Einkommensverhältnisse – Lehrlingen in einem kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnis320. Gleichheitswidrig war ebenso die Annahme, behinderte Menschen verlören ihren Anspruch auf Taschengeld, wenn ihnen in der Einrichtung, in der sie untergebracht sind, eine Beschäftigungstherapie gewährt wird321; gleichfalls die Annahme, ein Selbsterhalterstipendium sei Studierenden nicht zu gewähren, die zu einem früheren Zeitpunkt Studienbeihilfe bezogen haben, mögen sie diese Beihilfe auch im Ergebnis wieder vollständig zurückbezahlt haben: Im Hinblick auf den Zweck der Regelung, die erhöhten Lebenshaltungskosten von Selbsterhaltern zu berücksichtigen, besteht zwischen Studierenden, die noch nie eine Studienbeihilfe bezogen haben und solchen, die sie zwar bezogen, aber wieder zurückbezahlt haben, kein Unterschied322. Gleichheitswidrig war es auch, einen erneuten Studien- oder Familienbeihilfenbezug nicht bloß von der Bedürftigkeit und Zielstrebigkeit des Studierenden abhängig zu machen, sondern darüber hinaus auch von der – durch studienrechtliche Erwägungen bestimmten – Gliederung eines Studiums323; ebenso, ein Stipendium für ein Doktoratsstudium nur ____________________
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VfSlg 11.662/1988. S schon oben F.II.6.b. VfSlg 16.964/2003. VfSlg 16.820/2003. VfSlg 17.293/2004. VfSlg 17.199/2004. VfSlg 17.142/2004.
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deshalb zu verwehren, weil der Antragsteller zwischen dem Abschluss des Diplom- und dem Beginn des Doktoratsstudiums noch ein Zweitstudium fortgeführt bzw abgeschlossen hat324. Auch dass ein Todesfallbeitrag, ein Bestattungskostenbeitrag und ein Pflegekostenbeitrag nur Angehörigen von Beamten des Dienststandes zuerkannt wurde, akzeptierte der VfGH nicht: Denn die „faktischen Bedürfnisse von Hinterbliebenen, die die hier in Rede stehenden Leistungen rechtfertigen, knüpfen […] nicht zwingend an die Differenzierung zwischen dem Dienststand und dem Ruhestand an“325. c. Ausbau von Sozialleistungen Beim Ausbau von Sozialleistungen ist dem Gesetzgeber ein angemessener Zeitraum zuzugestehen; es darf nicht die erste Verbesserung, die zwangsläufig irgendwo beginnen muss, durch die Sorge vor einer Flut von derivativen Leistungsansprüchen gelähmt werden. Die Gleichheitswidrigkeit zu eng gefasster Begünstigungen ist daher erst zu konstatieren, wenn sich gezeigt hat, dass diese Begünstigung nicht der Beginn einer Verbesserung war, sondern schlicht eine Privilegierung326. Auch der VfGH nimmt an, dass einmal gewährte Sozialleistungen nur schrittweise ausgebaut werden müssen327. Wird der von einer Begünstigung zu Unrecht ausgeschlossene Personenkreis legistisch nicht explizit vom Grundtatbestand ausgenommen, sondern dem Grundtatbestand von vornherein nicht unterstellt328, so entstehen ernste Probleme, wenn der VfGH eine solche Begünstigung als gleichheitswidrig erkennt. Da eine materiell bestehende, sprachlich jedoch nicht isolierbare Ausnahme nicht aufgehoben werden kann, bleibt dem Gerichtshof diesfalls nach Art 139 und 140 B-VG nur die Beseitigung der gesamten Begünstigung329. Die vom BVerfG in solchen Fällen praktizierte Feststellung der Verfassungswidrigkeit bei gleich____________________
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VfSlg 17.466/2005. VfSlg 17.306/2004; VfGH 24.9.2007, G 25/07. 326 S auch Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 174 ff. 327 VfSlg 2957/1956, 8419/1978, s auch VfSlg 16.485/2002, wonach der Gesetzgeber eine Entschädigung für Kriegsgefangene auch stufenweise einführen kann. 328 Also nicht: „Alle, mit Ausnahme der Gruppe A“, sondern etwa: „alle Nicht-A“ oder – noch schlechter –: „alle B“. 329 S bereits Ermacora/Klecatsky/Ringhofer/Weiler, ÖJZ 1960, 229, und Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 73 f. Für die bislang Begünstigten ist dies zugegebenermaßen wenig erfreulich, zumal nach der Aufhebung auch völlig offen ist, ob der Gesetzgeber die Begünstigung wieder und dann mit erweitertem Adressatenkreis einführt. Vom Standpunkt des Gleichheitssatzes ist aber, wie Oberndorfer, Soziale Verantwortung 310, festgestellt hat, die vollständige Beseitigung der Begünstigung erträglicher als die sachlich ungerechtfertigte partielle Begünstigung; s auch schon oben F.II.4., F.II.7.d. 325
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zeitiger Aufrechterhaltung der Begünstigung330 kommt dem VfGH nach dem klaren Wortlaut der Verfassung nicht zu331. Tatsächlich war der VfGH in der Vergangenheit nur selten in der Lage, eine zu eng gefasste Begünstigung ganz aufheben zu müssen332; in der Mehrzahl der Fälle konnte ein gleichheitsgemäßes Ergebnis entweder durch die Aufhebung einer Ausnahme oder aber durch eine verfassungskonforme Auslegung erreicht wer____________________
330 Vgl dazu mwN Zacher, AöR 93 (1968) 346 f; Heun, Art 3 GG Rz 54; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 368 ff. 331 Feststellende Erkenntnisse sind nur für Normen vorgesehen, die im Zeitpunkt der Prüfung bereits außer Kraft getreten sind (Art 140 Abs 4 B-VG). Auf die Möglichkeit, den VfGH im Fall gesetzgeberischer Säumigkeit zur Feststellung einer Verfassungswidrigkeit zu ermächtigen, weist auch Machacek, FS Schnorr 551, hin. Gutknecht, JBl 1982, 184, hält fest, dass Erkenntnisse, die eine Rechtswidrigkeit der Verwaltung im Grundrechtsbereich bloß feststellen, der österreichischen Rechtstradition nicht fremd sind und erinnert an die Feststellungskompetenzen des Reichsgerichtes. Zu bedenken ist freilich, dass im Bescheidbeschwerdeverfahren gerade der Übergang von der deklaratorischen zur kassatorischen Kompetenz ein ganz wesentlicher Fortschritt war. In Ausnahmefällen kann die bloße Deklaration aber auch in diesem Verfahren für den Beschwerdeführer günstiger sein als die Kassation, etwa, wenn er unter Berufung auf Art 6 EMRK eine überlange Verfahrensdauer rügt. Ist dieser Vorwurf begründet, profitiert der Beschwerdeführer nicht, wenn der VfGH den angefochtenen Bescheid aufhebt, weil die konstatierte Rechtsverletzung dadurch nicht beseitigt, sondern im Gegenteil noch insoweit verschärft würde, als sich das Ende des Verfahrens weiter verzögerte. Der VfGH stellt daher in solchen Fällen bloß fest, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist nach Art 6 Abs 1 EMRK verletzt worden ist, weist den Antrag auf Bescheidaufhebung aber ab (zB VfSlg 17.644/2005) – eine Möglichkeit, die dem VfGH durch das VerfGG eher zufällig eröffnet worden ist, dazu näher Novak, JBl 2006, 268, der treffend konstatiert, dass das Gesetz manchmal klüger ist als der Gesetzgeber. Dass der Gesetzgeber den Beschwerdeführer sodann mit dem KundmachungsreformG ausdrücklich dazu verhalten hat, die Aufhebung des von ihm bekämpften Bescheides zu beantragen, also auch dann, wenn der Beschwerdeführer die Aufhebung gar nicht anstrebt und der VfGH einem solchen Begehren aufgrund der dargelegten Rechtsprechung auch nicht Folge geben könnte, sah der VfGH als mit Art 144 B-VG und Art 6 iVm Art 13 EMRK nicht vereinbar an: VfGH 30.11.2006, G 197/06. Auf das Normenkontrollverfahren ist diese Feststellungskompetenz jedenfalls nicht übertragbar, dort bleibt die beschriebene Rechtsschutzlücke. 332 S zB VfSlg 3822/1960, 3823/1960. Erforderlich wäre dies wohl auch in VfSlg 3160/ 1957 gewesen. Das inkriminierte KOVG hatte den Kreis der anspruchsberechtigten Kriegsopfer taxativ umschrieben und damit implizit eine bestimmte Personengruppe ausgeschlossen. Der VfGH sah darin zwar eine unsachliche Differenzierung, meinte aber, dass der Gleichheitssatz den Gesetzgeber nicht zu einem positiven Tun (nämlich zur Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten) verpflichten könne. Richtigerweise hätte sich die inkriminierte Ungleichbehandlung freilich durch die Aufhebung des Grundtatbestandes beseitigen lassen; zu Recht kritisch zu dieser Entscheidung daher Ermacora/Klecatsky/Ringhofer/Weiler, ÖJZ 1960, 229, und Marschall, 1. ÖJT I/4 (1961) 73 f. Ausnahmsweise ist der VfGH auch umgekehrt verfahren und hat den begünstigenden Grundtatbestand aufgehoben, obwohl die unsachliche Ausnahme einer bestimmten Personengruppe sprachlich isolierbar war, so im Erkenntnis VfSlg 17.659/2005, als Gesetz und Verordnung gleichgeschlechtliche Haushaltsgenossen von der Möglichkeit der Mitversicherung in der Krankenversicherung ausschlossen, s dazu bereits oben E.IV.3.b.bb. aE.
Schlussfolgerungen für den allgemeinen Gleichheitssatz
731
den333. Wo diese Möglichkeit nicht besteht, wäre rechtspolitisch die Schaffung einer Feststellungskompetenz zu erwägen; solange sie dem VfGH nicht zukommt, kann die Wiedereinführung der Begünstigung nur durch politischen Druck erzwungen werden334. Überschätzt werden sollte eine solche Feststellungskompetenz allerdings nicht; denn es steht dem Gesetzgeber ja grundsätzlich frei, eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Begünstigung wieder zurückzunehmen – er könnte dies natürlich auch, wenn der VfGH die Gleichheitswidrigkeit des Kreises der Begünstigten nur feststellt; politisch mag es ihm freilich schwerer fallen, eine Begünstigung selbst zurückzunehmen als eine Begünstigung, die der VfGH als gleichheitswidrig (weil zu eng) aufgehoben hat, einfach nicht wiedereinzuführen. d. Rücknahme von Sozialleistungen Hat der Staat einmal positive Leistungen gewährt, so darf er den dadurch geschaffenen Standard nicht ohne weiteres zurücknehmen335; denn durch eine solche – vom VfGH kontrollierbare – Maßnahme würden schutzbedürftige Menschen im Ergebnis gleich behandelt wie Personen, die diesen besonderen Schutz nicht benötigen. Aus dem Gleichheitssatz sind zwar originäre Leistungsrechte nicht ableitbar, in einem entwickelten Sozialstaat wie Österreich ist dies aber durch den Umstand entschärft, dass selbst eine teilweise Beseitigung der vielfältigen Sozialleistungen, die der Staat tatsächlich gewährt, am Maßstab des Gleichheitssatzes kontrollierbar ist. Der Abbau eines einmal eingeführten Niveaus ist dem Staat freilich nicht von vornherein verwehrt, weil die erbrachten Leistungen durch Abgaben und damit letztlich durch das, was die Rechtsgemeinschaft erwirtschaftet hat, finanziert werden. Eine Anpassung der Sozialgesetzgebung an „volkswirtschaftliche Rückschläge“ verhindert der Gleichheitssatz daher nicht336. Dementsprechend kann budgetäre Knappheit die Rücknahme von Sozialleistungen begründen; Einsparungen müssen jedoch, wie bereits festgestellt, ausgewogen sein und dürfen insbesondere nicht nur den Bedürftigen treffen. Ihn von Kürzungen ganz zu verschonen, gebietet der Gleichheitssatz aber nicht, weil Sozialleistungen definitionsgemäß gerade für den Bedürftigen bestimmt sind337. Der Abbau von Zu____________________
333
S schon VfSlg 6773/1972, 6961/1972, 7947/1976, 8871/1980. S auch Zacher, AöR 93 (1968) 346; Öhlinger, EuGRZ 1982, 225. 335 Zur besonderen Bedeutung eines solchen Rückschrittsverbotes im Bereich der sozialen Sicherheit Klecatsky, FS Ermacora 318, 322. 336 Selbst in Staaten, in denen ein verfassungsrechtliches Verschlechterungsverbot besteht, wird dieses regelmäßig nicht starr ausgelegt; eben weil ein solches Verbot, wie Merli, Armut 19, treffend bemerkt hat, „auf einem wirtschaftlichen Optimismus [beruht], der auch Lügen gestraft werden kann.“ 337 S auch Merli, Armut 17. 334
732
Gleichheit und Solidarität
wendungen, die zur Abwendung einer sozialen Notlage gewährt worden sind, unterliegt aber strengeren Anforderungen als die Rücknahme von Leistungen zur Förderung eines bestimmten Verhaltens, das dem Staat aus wirtschafts- oder gesellschaftspolitischen Gründen erwünscht erscheint338.
IV. Zusammenfassung Solidarität ist ein Wert, der in der österreichischen Grundrechtsordnung nur schwer eine Heimat zu finden scheint. Ursprünglich als „Brüderlichkeit“ die Brücke zwischen Freiheit und Gleichheit, ist die Solidarität später als eigenständiges Postulat zunehmend verschwunden; der Sache nach wurde sie aber unter dem Titel der Gleichheit weiterhin verlangt. Bis heute ordnen manche die Solidarität dem Gleichheitssatz zu und entnehmen diesem ein Gebot des sozialen Ausgleichs339. Nach anderen soll ein solcher Ausgleich gerade im Gegenteil zum Gleichheitssatz in einem Spannungsverhältnis stehen, setzten soziale Maßnahmen doch in aller Regel rechtliche Ungleichbehandlungen voraus340. Eine am positiven Recht orientierte Auslegung des Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG kann in dieser Hinsicht jedenfalls eine Extremposition von vornherein ausschließen341: Der Gleichheitssatz statuiert kein umfassendes Egalisierungsgebot. Das ergibt sich schon aus seiner Entstehungsgeschichte und aus seinem Wortlaut, der die Staatsbürger nur „vor dem Gesetz“ für gleich erklärt. Gegen ein Egalisierungsgebot sprechen schließlich auch systematischen Erwägungen, ua Art 7 Abs 2 B-VG, der die faktische Gleichstellung von Mann und Frau nur als Staatsziel vorgibt – eine Zurückhaltung, die nicht erklärbar wäre, enthielte der Gleichheitssatz ohnedies schon ein Gebot, zwischen den Menschen ganz allgemein faktische Gleichheit herzustellen. Dass dem Gleichheitssatz ein solches Gebot nicht zu entnehmen ist, lässt aber auch nicht den Gegenschluss zu, er verbiete sozial gestaltende Maßnahmen prima facie, weil und soweit diese mit rechtlichen Ungleichbehandlungen einhergehen342. Richtig wäre diese Position nur, wenn der Gleichheitssatz dem Einzelnen ein Prima-facie-Recht vermittelte, in jeder Hinsicht (formal) gleich wie jeder andere behandelt zu werden. Dass der Gleichheitssatz so nicht verstanden werden kann, wurde bereits dar____________________
338 339 340 341 342
S auch Martens, VVDStRL 30 (1972) 22, sowie Huster, Art 3 GG Rz 100. G.I. G.I.2. G.I.1. G.I.2.
Zusammenfassung
733
gelegt343: Die (formale) Ungleichbehandlung steht für sich genommen keineswegs in einem Spannungsverhältnis zum Gleichheitssatz, solange kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Verfassung im konkreten Fall prima facie eine formale Gleichbehandlung wünscht. Es ist kein Grund ersichtlich, warum das nicht auch für sozial gestaltende Maßnahmen gelten sollte. Für die Frage, ob es dem einfachen Gesetzgeber schlicht freisteht, solche Maßnahmen zu ergreifen oder ob bzw inwieweit er verpflichtet ist, auf sozial Schwache Rücksicht zu nehmen oder sie gar zu unterstützen, kann Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG fruchtbar gemacht werden – ein spezieller Gleichheitssatz, der 1997 in das B-VG eingefügt wurde und ausweislich der Materialien den „innere[n] Gehalt“ des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht verändert hat, über ihn also auch Auskunft geben kann. Nach Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Der Begriff der „Behinderung“ ist dabei weit zu verstehen: Er umfasst jede nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht344. Wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden Menschen, wenn ihnen aufgrund ihrer Behinderung unmittelbar oder mittelbar besondere Pflichten auferlegt oder bestimmte Rechte aberkannt werden345; in zweifelhaften Fällen ist der benachteiligende Charakter einer Maßnahme nach dem Selbstverständnis der Betroffenen zu beurteilen346. Benachteiligungen in diesem Sinn sind durch Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG zwar nicht absolut, wohl aber dann verboten, wenn sie nicht zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig sind. Nicht erforderlich ist eine Benachteiligung dabei ua, wenn sie durch positive Maßnahmen vermieden oder gelindert werden kann, sofern die dafür erforderlichen Kosten weniger schwer wiegen als die Benachteiligung des behinderten Menschen. Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG vermittelt diesen Personen insoweit nicht nur Abwehr-, sondern auch (vom einfachen Gesetzgeber näher auszugestaltende) Leistungsansprüche347. Indem Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG nur Benachteiligungen aufgrund der Behinderung verbietet, ermächtigt er den einfachen Gesetzgeber, Behinderte zu bevorzugen, sofern eine solche Bevorzugung nicht ohnedies schon zur Vermeidung von Benachteiligungen geboten ist. Die Bevorzugung Behinderter bedarf also anders als ihre Benachteiligung keiner besonderen ____________________
343 344 345 346 347
C.III. G.II.2. G.II.3.a. G.II.3.a. G.II.4.
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Gleichheit und Solidarität
„Rechtfertigung“; sie ist vielmehr schon durch die schlechtere Ausgangslage behinderter Menschen begründbar und erfährt durch die Staatszielbestimmung des Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG noch zusätzliche Legitimation. Dass die Einräumung solcher Vorteile in ihrer konkreten Ausgestaltung überhaupt nicht am allgemeinen Gleichheitssatz gemessen werden könnte, folgt daraus allerdings nicht348. Auch solche Begünstigungen dürfen – gemessen am Regelungsziel – nicht irrational sein. Art 7 Abs 1 B-VG schützt behinderte Menschen also vor Benachteiligungen, erlaubt aber und gebietet in gewissem Umfang sogar die Begünstigung dieser Menschen. Er statuiert damit ein Differenzierungsgebot, das verallgemeinerungsfähig ist349: Eigenschaften, die für den Einzelnen – wie die Behinderung (und anders als klassische Diskriminierungsmerkmale wie Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Bekenntnis etc) – nicht „nur“ gesellschaftlich von Nachteil sind, sondern ihn auch unabhängig von gesellschaftlichen Vorurteilen in eine schlechtere Ausgangslage versetzen, begründen wesentliche Unterschiede im Tatsächlichen, die der einfache Gesetzgeber nicht außer Acht lassen darf. Das gilt nicht nur für Behinderte, sondern zB auch für Kranke, alte Menschen, Kinder oder Frauen während der Schwangerschaft: Auch sie benötigen Schutz und Rücksichtnahme; anders als behinderte Menschen trifft sie allerdings nur ein „Wechselfall“ des Lebens: Krankheit, Alter, Kindheit und Schwangerschaft sind Phasen, in die jede/r irgendwann im Laufe des Lebens kommt oder doch mit so hoher Wahrscheinlichkeit kommen kann, dass er in einer Demokratie kaum Gefahr läuft, vergessen und vernachlässigt zu werden. Indes kann ein Demokratieversagen auch hier nicht ausgeschlossen werden, zu denken ist nur an Kinder, denen es an einem Wahlrecht gerade fehlt, ebenso an alte Menschen, deren Schutzbedürftigkeit endgültig ist und mit fortschreitender Zeit sogar zunimmt. Der (noch) fehlende oder (laufend) abnehmende Einfluss dieser Personen schwächt ihre Chancen, im politischen Prozess Gehör zu finden. Getreu seiner Funktion, offene Flanken der Demokratie zu schließen350, muss der Gleichheitssatz sein Augenmerk umso mehr auf die besondere Interessenlage dieser Menschen richten. Dass der Verfassungsgesetzgeber sie (anders als Behinderte) bisher nicht durch einen speziellen Gleichheitssatz besonders hervorgehoben hat, ändert daran nichts, sondern weist eher darauf hin, dass der Gleichheitssatz seine demokratische Funktion hier bisher zufrieden stellend erfüllt hat. Angezeigt schien es dem Verfassungsgesetzgeber hingegen im Jahr 1920 vor dem Hintergrund des damals gerade überwundenen Klassenwahlrechts, in Art 7 ____________________
348 349 350
G.II.5. G.III.1. E.I.4.b., E.V.
Zusammenfassung
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Abs 1 Satz 2 B-VG Vorrechte aufgrund der „Klasse“ auszuschließen und damit auch Menschen in Armut ausdrücklich vor Benachteiligungen zu schützen. Dass auch kranke, arme, alte Menschen, Schwangere und Kinder vor dem Gesetz gleich sind, kann nicht wirklich überraschen. Wohl aber sind die Konsequenzen zu bedenken: Diese Personen sind nicht nur vor direkten Benachteiligungen geschützt, sondern auch – und praktisch relevanter – vor Normen, die sie mittelbar diskriminieren, sie also nur im Ergebnis signifikant häufiger nachteilig treffen als andere Personen351. Solche Benachteiligungen sind zwar wie die Benachteiligung behinderter Menschen nicht absolut verboten; sie bedürfen aber einer Rechtfertigung, die schwerer wiegt als der Nachteil, der den betroffenen Personen zugefügt wird. Kann eine Benachteiligung mit verhältnismäßigem Aufwand abgewendet oder gelindert werden, so muss der Gesetzgeber diese Maßnahme entweder ergreifen oder auf die Regelung, die die Benachteiligung hervorruft, ganz verzichten. Der allgemeine Gleichheitssatz vermittelt diesen Personen folglich nicht nur einen Anspruch auf Gleichbehandlung; er kann ihnen auch ein Recht vermitteln, zur Vermeidung der ungleichen Ergebnisse einer Norm (formal) ungleich behandelt zu werden352. Davon abgesehen kommt das Ungleichbehandlungsgebot hier auch verstärkt in seiner ersten und dritten Variante zum Tragen, also als Recht, bestimmten Maßstäben entsprechend behandelt zu werden353: Der Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber zwar nicht Systeme einzurichten, die dem Einzelnen im Fall der Krankheit, des Unfalls, des Alters und der Arbeitslosigkeit soziale Sicherheit gewähren. Soweit solche Systeme durch Beiträge der Versicherten finanziert werden, bedürfen sie als Eigentumseingriffe sogar einer Rechtfertigung: Sie müssen mehr bzw anderes hervorbringen als eine private Versicherung. Entschließt sich der Gesetzgeber zur Einrichtung einer solchen Sozialversicherung, ist er folglich an bestimmte (teils auch kompetenzrechtlich vorgegebene) Systemgrundsätze gebunden, die der Gleichheitsprüfung einen ersten Fixpunkt geben: Zu fragen ist zunächst, ob der Versicherte diesen Grundsätzen gemäß behandelt wird; ist das nicht der Fall, liegt ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in den Gleichheitssatz vor. Erweist sich eine Vorschrift als systemkonform oder doch als zu rechtfertigende Abweichung vom System, kann noch eine komparative Prüfung angestellt, also ein Vergleich der verschiedenen Versicherungssysteme miteinander gezogen werden. Der Gleichheitssatz verwehrt dem Gesetzgeber zwar keineswegs, Personen mit gleich____________________
351 352 353
G.III.2. G.III.2. G.III.3.b.bb.
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Gleichheit und Solidarität
artigen Lebensrisiken zusammenzufassen und sie ihrem Risiko entsprechend anders als andere Risikogemeinschaften zu behandeln; bei einer Gesamtbetrachtung müssen aber alle diese Gemeinschaften als gleichwertig behandelt werden. Daher muss eine komparative Prüfung stets das systematische Umfeld der jeweils verglichenen Vorschriften mit berücksichtigen und bedenken, dass die punktuelle Schlechterstellung eines Versicherten durch seine Besserstellung in einem anderen Bereich desselben Systems wieder ausgeglichen werden kann. Fehlt es an einem solchen systemimmanenten Ausgleich und wird eine Gruppe gesamthaft betrachtet hinter die anderen zurückgesetzt oder über alle anderen erhoben, bleibt dem Gesetzgeber zur Korrektur – wie immer bei der Verletzung komparativer Gleichheitsrechte – die Wahl, ob er das ungleichmäßige Niveau insgesamt nach unten oder nach oben anpassen will. Auch soziale Unterstützung, die nicht auf eigenen, sondern allein auf Leistungen der Allgemeinheit beruht, ist durch den Gleichheitssatz nicht schon an sich geboten; wenn sie gewährt wird, muss dies aber nach sachlichen Kriterien geschehen. Das Eigentumsrecht selbst setzt dem Gesetzgeber dabei nur äußerste Grenzen, weil die Steuereinnahmen nicht an bestimmte Ausgaben gekoppelt sind. Dieses Kontrolldefizit kompensiert erst der Gleichheitssatz, indem er bei Sozialleistungen eine Differenzierung nach der individuellen Bedürftigkeit der Betroffenen gebietet und auch nach ihren Möglichkeiten, sich selbst zu versorgen. Eine Durchbrechung dieser Verteilungsmaßstäbe greift in den Gleichheitssatz ein und bedarf daher einer Rechtfertigung, die schwerer wiegt als das Prima-facie-Recht, diesen Grundsätzen gemäß behandelt zu werden354. Dem Gesetzgeber steht es nicht nur frei, ob er Sozialleistungen überhaupt gewährt, es liegt auch weitgehend an ihm zu entscheiden, ob und inwieweit er Sozialleistungen ausbauen oder wieder zurücknehmen will. Bei der Einführung und beim Ausbau von Sozialleistungen kommt ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu; beides muss irgendwo beginnen und darf dann schrittweise geschehen355. Budgetär bedingte Einsparungen sind breit zu streuen, sie dürfen insbesondere nicht nur den Bedürftigen treffen; ihn von Kürzungen ganz zu verschonen, gebietet der Gleichheitssatz aber nicht, weil Sozialleistungen definitionsgemäß gerade für Bedürftige bestimmt sind356. Die Judikatur des VfGH entspricht diesen Grundsätzen über weite Strecken. Sie betrachtet sozial gestaltende Maßnahmen zu Recht weder als prima facie unzulässig noch als grundsätzlich geboten, sondern belässt ____________________
354 355 356
G.III.3.b.cc. G.III.3.c. G.III.3.d.
Zusammenfassung
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dem Gesetzgeber im Großen und Ganzen den ihm zustehenden rechtspolitischen Spielraum. Sowohl im Sozialversicherungs- als auch im Sozialhilferecht wird unter dem Titel des Gleichheitssatzes sehr häufig keine komparative Prüfung durchgeführt, sondern (wenn auch nicht immer so deutlich exponiert) gefragt, ob eine Regelung den jeweiligen Systemgrundsätzen entspricht bzw ob eine Durchbrechung dieser Grundsätze auf einem „vernünftigen“ Grund beruht und verhältnismäßig ist357. Zu rigide ist die Judikatur allerdings, soweit sie einen Vergleich verschiedener Versicherungssysteme von vornherein ablehnt358; dies ist zwar pragmatisch gesehen verständlich, weil ein solcher Vergleich leicht uferlos zu werden droht. Die Gefahr heilloser Verwirrung ist aber gebannt, wenn man in einem ersten Schritt prüft, ob eine Vorschrift den – jeweils für sich gleichheitskonformen – Systemgrundsätzen entspricht und erst dann fragt, ob der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum, der ihm bei der Konkretisierung dieser Grundsätze verbleibt, ungleichmäßig genützt, also eine Risikogemeinschaft deutlich schlechter oder besser behandelt hat als andere, ohne dass dies durch die spezifischen Lebensrisiken dieser Gruppe gerechtfertigt ist. Zu Recht tolerant ist der VfGH beim Ausbau von Sozialmaßnahmen, der schrittweise erfolgen darf 359; etwas strenger beim Abbau von Sozialmaßnahmen, der nach der zutreffenden Judikatur nicht tendenziell wirtschaftlich Schwächere stärker treffen darf 360. Dass der Gesetzgeber „von unten nach oben“ spart, hat der VfGH indes noch nie konstatiert; regelmäßig zieht er in solchen Fällen nur seine Vertrauensschutzjudikatur heran und hebt sozial unausgewogene Maßnahmen wegen ihrer übereilten Einführung auf. Dem Gesetzgeber wird damit im Ergebnis eine Nachdenkpause auferlegt, die ihn durchaus dazu veranlassen kann, von der Wiedereinführung der Belastung abzusehen. In letzter Konsequenz bleibt der Schutz sozial Schwacher so aber doch auf halbem Wege stehen: Denn bei rechtzeitiger Vorankündigung wäre es dem Gesetzgeber dann eben doch erlaubt, Einsparungen gerade auf Kosten der Schwächsten vorzunehmen361.
____________________
357 358 359 360 361
G.III.3.b. G.III.3.b.bb. G.III.3.c. G.III.3.c. G.III.3.c.
H. Gleichheit und Rechtsstaat I. Vorbemerkung Der allgemeine Gleichheitssatz steht von jeher in enger Verbindung zum rechtsstaatlichen Prinzip1. Schon die historisch erste Gleichheitsgarantie bestimmte, dass die „Wirksamkeit des Gesetzes [...] gleich [ist] für alle Staatsbürger“2: Jeder sollte unter dem Gesetz, niemand sollte über und keiner außer ihm stehen3. Dieser Forderung ist nicht schon Genüge getan, wenn das Gesetz für niemanden – also für alle gleichermaßen nicht – verbindlich ist, sondern erst, wenn das Gesetz verbindlich ist, und zwar für jeden. Ganz in diesem Sinn erläuterte auch Pillersdorff diesen Gleichheitssatz in einem Schreiben für sämtliche Länderchefs: Die Gleichstellung aller Staatsbürger vor dem Gesetze schließe, wie es dort heißt, „die gewissenhafte und unparteiische Anwendung [der Gesetze] ohne Rücksicht auf Personen und zufällige Verhältnisse in sich. Ausnahmen vom Gesetze sind deßhalb schlechterdings unzulässig, indem jede Ausnahme das Gesetz schwächt, und zur Willkür führt, Abänderungen aber nur auf dem verfassungsmäßigen Wege zu Stande gebracht werden dürfen.“4 Mit der gleichmäßigen Nichtbefolgung des Gesetzes ist es für den Gleichheitssatz also keineswegs getan: Er gebietet die Befolgung des Gesetzes und stellt damit eine nichtkomparative Forderung rechtsstaatlichen Inhalts auf. Die ____________________
1 S bereits die Wortmeldung Heins im Reichstag von Kremsier, wonach der Rechtsstaat „seine Grundlage in der gleichen, ursprünglichen Berechtigung aller Einzelnen [findet]. Im Rechtsstaate, der jeden Einzelnen als Person gleichachtet, muß auch die Gleichheit Aller vor dem Gesetze ausgesprochen werden“ (StenProtRT 68. Sitzung am 9. Jänner 1849, 315), sowie Klaudis, der meinte: „so lange wir die Gleichheit nicht nur anerkennen, sondern so lange wir sie nicht praktisch durchführen, so lange sind wir nicht im Rechtsstaate, so lange haben wir die Revolution nicht beendet“ (StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 414); s auch Merli, Rechtsstaatlichkeit 102. Zu Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffes E.-W. Böckenförde, FS Arndt 53. 2 § 25 der Pillersdorffschen Verfassung, zu dieser schon oben B.I.3. 3 S schon VwSlg 6035 A/1963: „Indem der Gerichtshof das Gesetz und nur das Gesetz vollzieht, vollstreckt er – wie auch die übrigen Gerichte und Verwaltungsbehörden – den im Gesetz geäußerten Willen des Staatsvolkes. Der Gerichtshof hatte es nicht in der Hand, die Vollstreckung dieses im Gesetz geäußerten Volkswillens zu unterlassen. Solange das Staatsvolk seinen im geltenden Gesetz geäußerten Willen nicht rechtsverbindlich geändert hat, vermag sich niemand auf eine solche Willensänderung rechtmäßigerweise zu berufen. Es steht im Rechtsstaat kein Mensch über dem Recht und keiner außerhalb des Rechts“. 4 Wiedergegeben bei Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 266 ff FN 1 (hier: 267).
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Gleichheit und Rechtsstaat
Gleichheit der Bürger entsteht als Effekt der Allgemeingültigkeit des Gesetzes; sie ist Bedingung und notwendige Folge des Rechtsstaates zugleich5. Zu diesem subjektiven Recht des Einzelnen, nicht von der Wirksamkeit des Gesetzes ausgeschlossen zu werden, tritt mit Art 18 B-VG das objektiv-rechtliche Legalitätsprinzip, das – gleichsam von der anderen Seite her – die Behörden dazu verpflichtet, niemanden aus dem Gesetz auszunehmen. Dass die „gesamte staatliche Verwaltung […] nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden [darf ]“, zwingt jedes staatliche Organ dazu, das Gesetz „ohne Ansehen der Person“ auf jeden Bürger anzuwenden, der ihm unterfällt, es schützt ihn also vor behördlicher Willkür und steht auch damit im Dienste der „Gleichheit vor dem Gesetz“6. Die Bindung der Vollziehung an das Gesetz macht das behördliche Verhalten für den Rechtsunterworfenen überdies vorhersehbar: Sie gibt ihm die Möglichkeit, sein Verhalten am Gesetz auszurichten und verhindert damit, dass er aus Gründen belangt wird, die er nicht beeinflussen kann. Auch in dieser Hinsicht trifft der Rechtsstaat auf ein Grundanliegen des allgemeinen Gleichheitssatzes, der den Einzelnen, wie gezeigt, davor schützt, aufgrund von Umständen benachteiligt zu werden, die sich seiner Disposition entziehen7. Dass der Einzelne der Staatsgewalt in einem Rechtsstaat als Subjekt und nicht bloß als Objekt gegenübersteht8, korrespondiert schließlich ____________________
5 Ähnlich P. Kirchhof, FS Geiger 82 f. In einer Demokratie stellt der Vorrang des Gesetzes auch sicher, dass der Rechtsunterworfene zumindest mittelbar Einfluss auf den Inhalt staatlicher Eingriffe erhält. Insofern dient das Legalitätsprinzip auch dem demokratischen Prinzip, das wiederum auf der politischen Gleichheit der Staatsbürger beruht. Auch deshalb wurde das Gesetz historisch als Garant der Gleichheit angesehen: Erstens – dies ist der rechtsstaatliche Aspekt – wegen seiner Allgemeinheit und Allgemeingültigkeit, zweitens – dies ist der demokratische Aspekt – weil man die Hoffnung hegte, dass das Gesetz auch inhaltlich den Willen der Allgemeinheit zum Ausdruck bringen werde. In welchem Verhältnis Rechtsstaat und Demokratie allgemein stehen, ist Gegenstand zahlreicher Diskurse, in die hier nicht eingetreten werden soll, verwiesen sei nur exemplarisch auf Klecatsky, Rechtsstaat 14, der anknüpfend an Marcic meint, dass „Demokratie und Rechtsstaat in ihrer ideenmäßigen Wurzel eins sind und [...] eins sind in ihrer positiven verfassungsrechtlichen Ausprägung“; auf E.-W. Böckenförde, FS Arndt 58, nach dem Rechtsstaat und Demokratie nicht zwingend miteinander Hand in Hand gehen, weil der Rechtsstaatsbegriff eine freiheitliche, nicht unbedingt eine demokratische Tendenz habe: Seine polemischen Gegenbegriffe seien nicht Monarchie oder Aristokratie, sondern Theokratie und Despotie; schließlich auf Pernthaler, FS Adamovich (2002) 654, nach dem Rechtsstaat und Demokratie nicht eins sind, sondern „– einander bedingend und begrenzend – im Verfassungsstaat je und je ‚eins werden‘ müssen“. 6 S zur Gleichheit durch Gesetzmäßigkeit etwa Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 319 FN 9; Kneucker/Welan, ÖZP 1975, 7; für Deutschland Schaumann, JZ 1966, 721 ff; Isensee, Die typisierende Verwaltung 133 f; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 17 f; dass die Rechtsanwendungsgleichheit eine Grundforderung des Rechtsstaates ist, betont auch K. Hesse, AöR 109 (1984) 185. 7 S oben E.IV.3.a.-E.IV.3.c., E.IV.4.c.-E.IV.4.e. 8 S mwN Rill/Schäffer, Art 44 B-VG Rz 29; Wielinger, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 10.
Gleichheit vor dem Gesetz und Bindung der Vollziehung an das Gesetz
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mit der Anerkennung des Rechtsunterworfenen als Person, die dem allgemeinen Gleichheitssatz als zentraler Gedanke zugrunde liegt9. Gleichheit vor dem Gesetz und Rechtsstaat verfolgen also ähnliche Ziele. Das rechtsstaatliche Prinzip gibt dem allgemeinen Gleichheitssatz aber auch nähere Kontur und zieht seiner Anwendung Grenzen.
II. Gleichheit vor dem Gesetz und Bindung der Vollziehung an das Gesetz Wörtlich genommen bedeutet „Gleichheit vor dem Gesetz“, dass das Gesetz ohne Ansehen der Person auf jeden Fall angewendet wird, der seinem Tatbestand unterfällt, und auf keinen Fall, der nicht unter seinen Tatbestand fällt10. Wörtlich genommen bedeutet Gleichheit vor dem Gesetz also, dass Rechtsnormen zu befolgen sind – das allerdings ergibt sich bereits aus der Rechtsnorm selbst: „Das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit fordert insofern nur, was ohnehin gilt, wenn Rechtsnormen gelten.“11 Dass sich der allgemeine Gleichheitssatz in dieser rechtsstaatlichen Selbstverständlichkeit nicht erschöpfen kann, wurde bereits festgestellt12. Dieser Befund zwingt nicht nur zur Annahme, dass der Gleichheitssatz auch den Gesetzgeber bindet13. Er verbietet auch die Annahme, dass jede Gesetzwidrigkeit sogleich mit dem allgemeinen Gleichheitssatz in Widerspruch steht. Einer solchen Auslegung stünde schon entgegen, dass die Bindung der Vollziehung an das Gesetz in Art 18 Abs 1 B-VG nur durch eine Norm des objektiven Verfassungsrechts angeordnet wird, die dem Einzelnen gerade kein subjektives Recht auf Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verschafft14. Auch die Annahme, der Gleichheitssatz wende sich nur (aber immerhin) gegen jede Verletzung einfachgesetzlich gewährleisteter subjektiver Rechte, verbietet sich aber aus systematischen Gründen: Denn über solche Rechtsverletzungen zu entscheiden, obliegt nach Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG dem VwGH. Von seiner Zuständigkeit sind nach Art 133 Z 1 B-VG zugleich alle Angelegenheiten ausgenommen, die in die Zuständigkeit des VfGH gehören, folglich auch die in Art 144 ____________________
9 10
S dazu näher oben E.IV.1. Alexy, Grundrechte 358; Stoll, ÖStZ 1989, 189; s auch K. Hesse, AöR 109 (1984)
185. 11 Alexy, Grundrechte 358, bezugnehmend auf Kelsen, Rechtslehre 146; s auch Schaumann, JZ 1966, 721; Perelman, Gerechtigkeit 55. 12 S bereits oben C.I. 13 S bereits oben C.I. 14 S nur VfSlg 1324/1930, 5800/1968, 7802/1976, 9238/1981, 10.062/1984, 10.349/ 1985, 10.372/1985, 16.177/2001 sowie zB Schäffer, Verfassungsinterpretation 155; Mayer, B-VG Art 18 Abs 1 B-VG II.6.; Rill, Art 18 B-VG Rz 72.
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Gleichheit und Rechtsstaat
B-VG normierte Zuständigkeit, über die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte zu entscheiden. Soll die dem VwGH in Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG überwiesene Zuständigkeit nicht leerlaufen, so kann die Verletzung eines einfachgesetzlich gewährleisteten Rechts nicht automatisch eine Gleichheitswidrigkeit begründen15. Die Anforderungen, die der Gleichheitssatz an die Vollziehung stellt, müssen sich von der Bindung der Vollziehung an das Gesetz demnach zum einen unterscheiden. Zum anderen muss eine Gleichheitswidrigkeit aber auch jenseits der Gesetzesbindung vorliegen können, dann nämlich, wenn die Behörde – zwar pflichtgemäß, aber eben doch – ein gleichheitswidriges Gesetz anwendet, sodass die im Gesetz generell abstrakt angelegte Gleichheitswidrigkeit für den Einzelnen unmittelbar konkret wird. Nichts anderes kann schließlich gelten, wenn die Behörde ein Gesetz fälschlich so auslegt, als wäre es gleichheitswidrig und es dann in dieser Auslegung zur Anwendung bringt. In diesem Sinn nimmt auch der VfGH in ständiger Rechtsprechung an, der Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletze den allgemeinen Gleichheitssatz, „wenn er auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.“16
1. Willkür Willkür lag nach der älteren Judikatur vor, wenn eine Behörde dem Einzelnen absichtlich Unrecht zufügt, sei es, dass sie gesetzlos vorgeht17 (und damit auch ein Gebot des Rechtsstaates verletzt), sei es, dass sie den Rechtsunterworfenen aus subjektiven, in seiner Person gelegenen Gründen benachteiligt18 (ihn also diskriminiert). Exzesse der erwähnten Art, sind ____________________
15 Darauf hat schon Spielbüchler, FS Floretta 293, hingewiesen; dass die Kompetenz des VwGH ganz allgemein „geradezu in Frage gestellt“ würde, wenn die Verletzung eines jeden Rechts zugleich auch als (wenn auch nur indirekte) Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts geltend gemacht werden könnte, betonten bereits Kelsen/ Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 279; auf die Zuständigkeit des VwGH ausdrücklich rekurrierend auch VfSlg 9169/1981. 16 ZB VfSlg 11.682/1988, 12.840/1991, 14.442/1996, 14.849/1997, 15.867/2000, 16.720/2002, 16.746/2002, 16.826/2003, 16.962/2003, 17.282/2004, VfGH 25.9.2006, B 1276/05. S allgemein zur Gleichheitsformel Spielbüchler, FS Floretta 290 ff, 295. 17 Gesetzlosigkeit liegt auch vor, wenn die Behörde eine Verordnung anwendet, die nicht kundgemacht, also rechtlich nicht existent ist: VfSlg 16.875/2003. 18 S zB VfSlg 1875/1949, 2124/1951, 2311/1952, 2400/1952, 2445/1952, 2456/1952, 2586/1953, 10.041/1984, 10.212/1984; s auch VfSlg 10.337/1985, 10.340/1985, 11.436/ 1987, 16.651/2002, 17.164/2004, wonach der Behörde ein willkürliches Verhalten ua dann vorgeworfen werden kann, wenn sie „den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat“; s auch den VfGH 13.10.2006, B 329/06, zugrundliegenden Fall als Beispiel für eine Benachteiligung, die wohl auf Vorurteilen gegenüber dem Islam beruhte.
Gleichheit vor dem Gesetz und Bindung der Vollziehung an das Gesetz
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allerdings, wie der VfGH bald feststellte, „relativ selten“19. Solle der Gleichheitssatz kein bedeutungsloses Recht sein, so müsse ein willkürliches Handeln auch dann bejaht werden, wenn die Behörde „ihre Entscheidung z.B. leichtfertig fällt, so etwa, wenn sie sich in Gegensatz zu allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen oder allgemein bekannten Erfahrungstatsachen stellt, oder auch, wenn sie von einer bisher allgemein geübten und als rechtmäßig anzusehenden Praxis abweicht, ohne hiefür Gründe anzugeben oder wenn die angegebenen Gründe offenkundig unzureichend sind. Allen diesen Beispielen ist gemeinsam, daß die behördliche Tätigkeit erkennen läßt, daß sich die Behörde in Wirklichkeit über das Gesetz hinwegsetzt, anstatt ihm zu dienen.“20
Diese sog objektive Willkür, die nun der subjektiven Willkür an die Seite gestellt wurde, benennt im Wesentlichen drei Fehlerkategorien: die grobe Verkennung der Sachlage, die grob unrichtige Beurteilung der Rechtslage und schließlich eine Ungleichmäßigkeit im zeitlichen Verlauf – die Unverlässlichkeit der Behörde, die ihre Praxis ohne taugliche Begründung wechselt. Was diese drei Fälle miteinander verbindet, ist eine Haltung der Behörde, die den Rechtsstaat schlechthin missachtet. Der Behörde unterläuft nicht bloß ein Fehler bei der Anwendung des konkreten Gesetzes, sie setzt sich vielmehr über das Gesetz an sich hinweg und stellt damit die Grundaussage des Gleichheitssatzes in Frage, dass nämlich jeder unter dem Gesetz, niemand über ihm und keiner außer ihm stehen kann – die Behörde übt Willkür im wörtlichen Sinn: Ihr Wille, nicht der Wille des Gesetzgebers soll den Ausschlag geben. Diese drei, im zitierten Erkenntnis genannten Fälle behördlicher Willkür wurden in der folgenden Judikatur noch weiter präzisiert und auch ergänzt: Willkür liegt, wie der VfGH seither in ständiger Rechtsprechung feststellt, auch vor, wenn die Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit im entscheidenden Punkt oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren überhaupt unterlässt21, und noch mehr, wenn sie zudem das Parteienvorbringen ignoriert und leichtfertig vom Akteninhalt abgeht oder den konkreten Sachverhalt überhaupt außer Acht lässt22. Willkür besteht weiters, wenn die Behörde die Rechtslage gehäuft bzw grundlegend verkennt23, ____________________
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VfSlg 4480/1963. VfSlg 4480/1963 (Hervorhebungen nicht im Original); s auch VfSlg 5013/1965, 5848/1968, 13.430/1993. 21 S zB VfSlg 10.338/1985, 16.746/2002, 17.257/2004, 17.482/2005. Dies gilt auch dann, wenn die Ursache für die Nichtermittlung des Sachverhaltes in einer unrichtigen Rechtsauffassung liegt: VfSlg 6629/1971, 7775/1976, 9488/1982, 11.941/1988. 22 ZB VfSlg 5512/1967, 6468/1971, 7328/1974, 7732/1975, 8222/1977, 8309/1978, 8682/1979, 8808/1980, 9187/1981, 9311/1982, 9600/1983, 9847/1983, 9882/1983, 10.047/1984, 10.122/1984, 10.131/1984, 10.338/1985, 10.520/1985, 10.745/1986, 10.747/1986, 10.764/1986, 11.213/1987, 16.238/2001, 16.607/2002, 16.882/2003, 17.212/2004, 17.506/2005. 23 VfSlg 10.337/1985, 12.001/1989, 13.466/1993, 13.804/1994, 14.840/1997, 16.592/ 2002, 16.746/2002, 17.426/2004; VfGH 25.9.2006, B 751/06.
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wobei eine denkunmögliche Gesetzesanwendung Willkür immerhin indizieren kann24. Besonderen Wert legt die Judikatur nun überdies darauf, dass die Behörde ihre Entscheidung ausreichend begründet. Eine dem klaren Gesetzeswortlaut entgegenlaufende Vorgangsweise ohne den leisesten Versuch einer Begründung ist dabei jedenfalls Willkür25. Aber auch sonst wiegt die Erlassung eines Bescheides ohne jede rechtliche Begründung nicht weniger schwer als die Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit26. Gleiches gilt, wenn eine Behörde ihren Bescheid mit Ausführungen begründet, denen kein Begründungswert zukommt27 oder wenn sie einen Strafbescheid erlässt, ohne den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens an einer gesetzlichen Bestimmung festzumachen28. Dabei reicht für eine Begründung nach Ansicht des VfGH in der Regel nicht aus, dass die Behörde nur die für die Abweisung eines Anspruches maßgeblichen Gründe aufzählt, es jedoch unterlässt, sich mit den Gründen auseinanderzusetzen, die für die Bejahung der Anspruchsberechtigung zu sprechen scheinen, sodass sie gar nicht in die Lage kommen könnte, Gründe und Gegengründe einander gegenüberzustellen und dem größeren Gewicht der Argumente den Ausschlag geben zu lassen29. Ganz ähnlich leitet auch der VwGH aus dem Gleichheitssatz ab, dass einer Ermessensentscheidung eine Interessenabwägung vorangehen muss, die die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles berücksichtigt30. Es liegt auf der Hand, dass der Begründungsaufwand der Behörde bei dieser Judikatur stetig steigt, je mehr der Gesetzgeber dazu übergeht, der Behörde die Abwägung divergierender Interessen im Ein____________________
24 VfSlg 8758/1980, 13.804/1994, 17.426/2004; VfGH 25.9.2006, B 1276/05. Nach VfSlg 4634/1964 ist eine denkunmögliche Gesetzesanwendung der Gesetzlosigkeit sogar gleichzuhalten. 25 VfSlg 11.293/1987, 12.477/1990, 15.409/1999, 15.696/1999, 16.962/2003, 17.245/ 2004. 26 VfSlg 10.997/1986, 17.257/2004; s auch VfSlg 17.482/2005. 27 VfSlg 9293/1981, 10.057/1984, 10.758/1986, 10.997/1986, 11.851/1988, 12.101/ 1989, 12.141/1989, 12.905/1991, 13.007/1992, 13.302/1992, 13.650/1993, 14.115/ 1995, 14.506/1996, 14.661/1996, 14.980/1997, 16.607/2002, 17.230/2004. 28 S die Erkenntnisse VfSlg 16.353/2001 und 16.610/2001, in denen der VfGH „mit Rücksicht auf die Bedeutung des Art. 7 EMRK“ ein willkürliches Verhalten der Behörde konstatiert. 29 VfSlg 4722/1964, 8526/1979, 8674/1979, 9127/1981, 9665/1983, 9847/1983, 12.102/1989, 12.477/1990, 15.114/1998, 15.826/2000, 16.607/2002, 17.282/2004. Diese Judikaturlinie zeigt, dass das Abwägen der für und wider eine Entscheidung sprechenden Gründe (und damit notwendig auch ein Abwägen der hinter diesen Gründen stehenden Interessen) eine Grundforderung der Sachlichkeit (iSd Unparteilichkeit) ist, die der VfGH dem allgemeinen Gleichheitssatz entnommen hat, noch lange bevor das auch an den Gesetzgeber gerichtete Gebot der Interessenabwägung in der Judikatur in dieser Weise expliziert wurde. 30 ZB VwSlg 14.157 A/1994.
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zelfall aufzutragen31. Fehlt es einem Bescheid an einer ausreichenden Begründung, so kann dieser Mangel nicht mehr durch eine nachgeschobene Begründung in der Gegenschrift beseitigt werden32. Auch dass ein Bescheid dem Rechtsunterworfenen gegenüber anlässlich der Ausfolgung „sinngemäß begründet“ wurde, rettet ihn vor dem Verdikt der Gleichheitswidrigkeit nicht33. Noch weniger sieht es der VfGH als seine Aufgabe an, eine im Bescheid fehlende Begründung im Bescheidbeschwerdeverfahren für die Behörde nachzureichen34. Mag der Begriff der Willkür nun auch in einem objektiven Sinn verwendet werden, so beinhaltet er doch nach wie vor einen Vorwurf an die Behörde35 und die Annahme, dass sie das Gesetz in qualifizierter Weise verletzt. Daher konnte der Behörde ein willkürliches Verhalten nach der älteren Judikatur zwar vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch stand36, nicht aber, „wenn die Behörde – ungeachtet des Erfolges ihrer Bestrebungen – bemüht war, das Gesetz richtig anzuwenden“37, wenn sie also „bestrebt war, dem Gesetz zu dienen“38. Mag sie dabei auch geirrt haben39, so kann ____________________
31 S mit zahlreichen Beispielen für verwaltungsrechtliche Abwägungsentscheidungen Stolzlechner, ZfV 2000, 215 ff. 32 S zB VfSlg 10.758/1986, 12.141/1989, 13.166/1992, 16.906/2003; s auch das Erkenntnis VfSlg 10.997/1986, in dem der VfGH die nachgeschobene Begründung zudem als „unzulänglich“ qualifiziert. Anders noch VfSlg 3515/1959. 33 VfSlg 10.758/1986. 34 Vgl VfGH 25.9.2006, B 751/06, betreffend einen Bescheid, der sich auf ein Gesetz stützte, das im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits seit sechs Jahren außer Kraft getreten war. Ob der Bescheid durch die neue Rechtslage gedeckt ist, hielt der VfGH dabei zu Recht für unerheblich: „Es ist nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, eine Begründung, die auf einem nicht mehr geltenden Geset[z] beruht und daher in Wahrheit völlig fehlt, für die belangte Behörde nachzureichen.“ 35 Walter, ÖJZ 1979, 227, spricht von einer „schuldhaften Einstellung“ der Behörde. Diese Konnotation der Willkür blieb in der Judikatur dem Grunde nach stets bestehen, so etwa, wenn der VfGH noch in VfSlg 13.430/1993 feststellt, den Behörden müsse „mit Recht der Vorwurf gemacht werden [...], sich über das Gesetz (hier im materiellen, den Flächenwidmungsplan als Verordnung umfassenden Sinn verstanden) hinweggesetzt zu haben, statt ihm zu dienen“; s auch VfSlg 15.813/2000. 36 S VfSlg 8783/1980, 9024/1981, 9293/1981, 9726/1983, 10.080/1984, 10.214/ 1984, 10.455/1985, 10.789/1986, 10.825/1986, 10.991/1986. 37 VfSlg 7527/1975 (Hervorhebung nicht im Original), s auch VfSlg 3515/1959, 4634/1964, 6471/1971, 6680/1972, 7107/1973, 7153/1973, 7206/1973, 7860/1976, 7953/1976, 7962/1976, 8783/1980, 9123/1981, 9847/1983, 10.065/1984, 10.104/1984, 11.017/1986, 11.693/1988; s noch VfSlg 10.240/1984: „Umstände, die darauf schließen ließen, daß die Behörde aus unsachlichen Gründen zu einem allenfalls verfehlten Ergebnis gekommen wäre, sind nicht hervorgekommen. Das Verwaltungsgeschehen spricht vielmehr dafür, daß die Behörde bemüht war, eine richtige Entscheidung zu treffen.“ 38 VfSlg 8266/1978, 8772/1980.
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der Behörde in einem solchen Fall doch gerade nicht angelastet werden, sie stelle sich über das Gesetz oder sie beabsichtige, einem bestimmten Rechtsunterworfenen gezielt Unrecht zuzufügen. Zu Recht hütet sich der VfGH denn auch im Allgemeinen davor, der Behörde eine solche Leichtfertigkeit vorschnell anzulasten. Er betont bis heute, dass es für die Frage der Willkür auf das „Gesamtbild des Verhaltens der Behörde im einzelnen Fall“ ankomme40. Von dieser Grundlinie abweichend hat der VfGH Behörden allerdings vereinzelt auch schon Willkür vorgeworfen, obwohl ihre Rechtsauslegung der Judikatur des VwGH entsprach41. Ein solcher Befund überspannt nicht nur den Begriff der Willkür42; er sollte auch vermieden werden, um die ohnedies fließenden Grenzen zwischen einer in die Verfassungssphäre reichenden und einer bloß einfachgesetzlichen Rechtswidrigkeit nicht weiter aufzuweichen. Gleiches gilt mE, wenn ein Bescheid seine rechtliche Deckung nachträglich verliert, weil die Rechtslage rückwirkend geändert wurde. Der VfGH hält eine solcherart herbeigeführte Rechtswidrigkeit objektiver Willkür gleich43. Tatsächlich besteht zu ihr aber ein ganz wesentlicher Unterschied: Verliert ein Bescheid nachträglich seine Deckung, so hat sich die Behörde gerade nicht über das Gesetz hinweggesetzt, vielmehr hat der Gesetzgeber umgekehrt der behördlichen Entscheidung rückwirkend die Grundlage entzogen. Das ist dem Gesetzgeber nicht grundsätzlich verwehrt, doch kann in einem solchen Fall gewiss nicht der Be____________________
39
VfSlg 3066/1956, 3468/1958, 4188/1962, 4374/1963, 4916/1965, 5469/1967. VfSlg 5491/1967, 6128/1970, 6404/1971, 6471/1971, 7962/1976, 8383/1978, 8808/1980, 10.520/1985, 10.747/1986, 14.573/1996, 16.882/2003, 17.707/2005. 41 S etwa das Erkenntnis VfSlg 13.544/1993, in dem ein Bescheid, den der VwGH in einer Parallelbeschwerde bestätigt hatte, als willkürlich bezeichnet wird; s auch VfSlg 14.443/ 1996, 16.314/2001, wo ein Bescheid als willkürlich aufgehoben wurde, obwohl sich die Behörde der Rechtsansicht des VwGH angeschlossen hatte. In seiner älteren Judikatur war der VfGH in dieser Hinsicht wesentlich zurückhaltender. Ursprünglich fühlte sich der VfGH sogar an ein Erkenntnis des VwGH gebunden, mit dem die Beschwerde gegen einen (auch beim VfGH bekämpften) Bescheid abgewiesen wurde. Der VfGH glaubte diesfalls, sich über die dem abweisenden Erkenntnis zugrunde liegende Ansicht des VwGH nicht hinwegsetzen zu können (s zB VfSlg 4400/1963, 4965/1965, 4987/1965, 5545/1967, 5881/1969, 6127/1970); zu Recht kritisch dazu Ringhofer, FS Melichar 167, mit Hinweisen auf die folgende Judikatur, in der sich der VfGH (beginnend mit VfSlg 7261/ 1974) von dieser Auffassung ausdrücklich abwendete. 42 S auch P. Kirchhof, FS Geiger 82, nach dem „willkürlich“ nicht schon die Fehlanwendung eines Gesetzes ist, sondern erst die Abwendung der Staatsgewalt vom allgemein geltenden Recht; besonders scharf ders, aaO 109: „Der Willkürvorwurf ist von einer Grobheit, in der die Empörung des Gerechten, die Hilflosigkeit des Gewaltunterworfenen und eine Besorgnis um die Geltungs- und Gestaltungskraft der Staatsverfassung mitklingt [...]; die sprachliche Gewöhnung an eine ‚Willkür‘ könnte die Sensibilität für die Unterscheidung zwischen Rechtsanwendungsfehler und Rechtsbruch schwächen“. 43 VfSlg 10.549/1985, 15.574/1999, 15.993/2000, 17.066/2003, 17.563/2005. 40
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hörde vorgeworfen werden, sie hätte ihren Willen über den des Gesetzgebers gestellt.
2. Anwendung einer gleichheitswidrigen Norm Kein qualifizierter Vorwurf trifft die Behörde in dem zweiten Fall, in dem der VfGH einen Bescheid als gleichheitswidrig ansieht: Wendet die Behörde ein gleichheitswidriges Gesetz an, so handelt sie gesetzmäßig; dennoch verletzt ihr Bescheid den Gleichheitssatz, weil die im Gesetz wurzelnde Gleichheitswidrigkeit für den Rechtsunterworfenen nun konkret und greifbar wird und folglich auch von ihm angegriffen werden können muss. Nur ausnahmsweise darf, ja muss die Behörde die Anwendung eines solchen Gesetzes verweigern: Die UVS, der UBAS und das Bundesvergabeamt sind nach Art 89 Abs 2 B-VG dazu verpflichtet, eine Norm, die ihnen gleichheitsrechtlich bedenklich erscheint, beim VfGH anzufechten44. Unterlässt eine solche Behörde diese Anfechtung pflichtwidrig, so wäre ihr Willkür freilich nur vorzuwerfen, wenn sich gleichheitsrechtliche Bedenken gegen die Norm geradezu aufdrängen. Regelmäßig wird in einem solchen Fall allerdings der Bescheidadressat ohnedies eine Beschwerde an den VfGH erheben und die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens anregen. Wird die Norm sodann als gleichheitswidrig aufgehoben, so wirkt dies auf den Anlassfall zurück45: Der Bescheid verliert – nachträglich – seine Grundlage und wird zumeist auch aufgehoben; ob der Behörde die pflichtwidrige Unterlassung einer Normanfechtung vorgeworfen werden kann, ist eine Frage, die sich dann regelmäßig nicht mehr stellt.
3. Unterstellung eines gleichheitswidrigen Norminhalts Der Anwendung einer gleichheitswidrigen Norm gleichzuhalten ist es nach der zutreffenden Judikatur, wenn eine Behörde einer Norm fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt46. Da es für den Rechtsunterworfenen im wahrsten Sinn des Wortes gleichgültig ist, ob das Ge____________________
44 Vgl Art 129a Abs 3 und Art 129c Abs 6 B-VG sowie § 291 Abs 3 BVergG 2006, denen zufolge Art 89 B-VG sinngemäß für die UVS, den UBAS und das Bundesvergabeamt gilt. 45 Art 139 Abs 6, Art 139a letzter Satz, Art 140 Abs 7 B-VG. 46 Dass ein Bescheid, der dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, seinerseits gleichheitswidrig ist, wurde erstmals in VfSlg 5411/1966 konstatiert; s ab dann zB VfSlg 5442/1966, 5931/1969, 7933/1976, 7974/1977, 8352/1978, 8551/1979, 9417/ 1982, 9979/1984, 10.464/1985, 12.107/1989, 12.319/1990, 13.220/1992, 14.071/1995, 14.442/1996, 14.784/1997, 15.809/2000, 17.293/2004.
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setz, das auf ihn angewendet wird, tatsächlich47 oder nur in der Auslegung der Behörde gleichheitswidrig ist, kann es in solchen Fällen nicht darauf ankommen, ob der Behörde subjektiv vorwerfbar ist, das Gesetz in gleichheitswidriger Weise interpretiert zu haben48. Entscheidend ist allein, ob der Inhalt, den die Behörde dem Gesetz zuschreibt, mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist oder nicht. Je strenger die Maßstäbe sind, die der VfGH an die Gleichheitskonformität eines Gesetzes anlegt, desto höher werden auch die Anforderungen, die aus dem Gleichheitssatz für die Behörde resultieren. Gleichheitswidrig ist ein Bescheid nicht nur dann, wenn die Behörde bewusst an einer vom VfGH als gleichheitswidrig erkannten Auffassung festhält49, wenn sie eine Auslegung vertritt, die der VfGH in einem ähnlich gelagerten Fall als gleichheitswidrig verworfen hat50, wenn das Gesetz bei dem von der Behörde angenommen Inhalt „grob unsachlich“ wäre51, oder wenn die Behörde zu Unrecht einen Analogieschluss zieht52. Gleichheitswidrig kann ein Bescheid auch sein, wenn die Behörde ein Gesetz nicht analog anwendet53, die ausdehnende Auslegung einer Sondervorschrift54 oder umgekehrt eine teleologische Reduktion verabsäumt55, ____________________
47 Zur Gleichheitswidrigkeit eines Bescheides, der auf einer gleichheitswidrigen Rechtsgrundlage beruht, zB VfSlg 4634/1964, 5224/1966, 5931/1969, 8024/1977, 8537/1979, 8781/1980, 10.088/1984, 15.115/1998. 48 S in diesem Sinn schon VfSlg 5411/1966: „Andernfalls ergäbe sich die Folge, daß ein Bescheid, mit dem ein an sich gleichheitssatzgemäßes Gesetz mit Unterstellung eines gleichheitssatzwidrigen Inhalts vollzogen wird, selbst nicht gleichheitssatzwidrig wäre, wenn die Behörde bei seiner Erlassung nicht Willkür geübt hat, sondern bemüht war, dem Gesetz die von ihr als richtig unterstellte – gleichheitssatzwidrige – Geltung zu verschaffen“; s auch VfSlg 5442/1966: „wenn die Behörde zu Unrecht dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt zumißt und der von ihr erlassene Bescheid einen solchen Inhalt verwirklicht […], so ist es ohne Bedeutung, daß die Behörde bemüht war, eine richtige Entscheidung zu treffen.“ S auch Koja, Stb 1978, F 6, 1 f, F 7, 2. 49 VfSlg 10.809/1986. 50 ZB VfSlg 10.858/1986, 13.131/1992. 51 VfSlg 11.293/1987. 52 VfSlg 12.302/1990; s auch VfSlg 14.409/1996: Verstoß gegen das im Strafrecht allgemein geltende Analogieverbot. 53 VfSlg 10.612/1985: Analogie, um dem aus dem Gleichheitsgebot erfließenden Grundsatz der „Einmalbesteuerung“ Rechnung zu tragen; s zB auch VfSlg 13.486/1993, 15.197/ 1998, 16.068/2001; zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Analogie außerhalb des Verwaltungsstrafrechts s zB VfSlg 6874/1972, 7915/1976, 14.631/1996 sowie VwSlg 10.163 A/1980. 54 VfSlg 10.714/1985: Ausdehnung des § 33 Abs 5 TP 3 GebührenG, wonach ua unbefristete Bestandsverträge nur mit dem Dreifachen des Jahreswertes zu bewerten sind, auf Bürgschaften zu Bestandsverträgen; VfSlg 14.393/1995: Ausdehnung des § 15 Abs 2 StbG aF, wonach ein unrechtmäßig erlassenes Aufenthaltsverbot die für eine Einbürgerung erforderliche Wohnsitzfrist nicht unterbricht, auf Aufenthaltsverbote wegen Mittellosigkeit, wenn diese zwischenzeitig nicht mehr besteht; s weiters VfSlg 17.199/2004: Die Voraussetzung der erstmaligen Zuerkennung einer Studienbeihilfe iSd § 27 StudFG liegt auch vor, wenn vor Jahren schon einmal eine Studienbeihilfe gewährt, diese aber in der Folge zur Gänze wegen mangelnden Studienerfolges zurückgezahlt worden ist.
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oder wenn sie aus anderen Gründen nicht zu einer Auslegung findet, die dem VfGH gleichheitsrechtlich geboten erscheint, mag diese Auslegung im Einzelfall auch nicht auf der Hand liegen und mit einem nicht unerheblichen Begründungsaufwand verbunden sein56. Dass die Auslegung, die einem Bescheid zugrunde liegt, auch vom VwGH vertreten wird, sollte die Behörde daher zwar vor dem Vorwurf der Willkür schützen. Die Aufhebung des Bescheides als gleichheitswidrig hindert dies aber nicht, wenn die von der Behörde gewählte Auslegung gleichheitswidrig ist: Weist ein Gesetz etwa eine Lücke auf, die nach Ansicht des VfGH – anders als der VwGH meint – nicht zu einem Umkehrschluss berechtigt, sondern durch Analogie zu schließen ist, so zögert der VfGH nicht anzunehmen, die Behörde habe dem Gesetz fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt57. In derartigen Fällen von Willkür zu sprechen, „sträubt sich“ freilich, wie Spielbüchler bemerkt hat, „das Sprachgefühl“58, zu Recht: ____________________
55 VfSlg 13.645/1993: teleologische Reduktion des § 41 Abs 1 Z 1 EStG 1988, um die Hinzurechnung einer deutschen Witwenpension zu anderen in Österreich erzielten Einkünften und die Saldierung dieses Gesamteinkommens mit dem in Österreich entstandenen Verlust zu ermöglichen. 56 S etwa VfSlg 14.987/1997 (§ 108 WAO, der den Abgabepflichtigen im Fall einer Abgabenverkürzung zur Selbstanzeige verpflichtet, ist verfassungskonform so zu verstehen ist, dass die pflichtgemäß erstattete Selbstanzeige für den Abgabepflichtigen strafbefreiende Wirkung hat), sowie die Einschätzung dieser Interpretation bei Grabenwarter, Selbstanzeige 106 f; s auch das Erkenntnis VfSlg 13.210/1992, wonach die Annahme gleichheitswidrig war, eine vom Gesetz (hier der oö Bauordnung) verpönte schwerwiegende Beeinträchtigung der Nachbarn eines Bauwerks sei ausschließlich dann zu unterbinden, wenn die Quelle der Emissionen geschaffen werden soll, nicht hingegen in dem bloß durch die zeitliche Abfolge verschiedenen Fall, dass diese Quelle bereits besteht und erst durch die Errichtung von Wohnhäusern ihre beeinträchtigende Wirkung entfalten kann (heranrückende Wohnbebauung). Nicht nur die gleichheitskonforme, die verfassungskonforme Auslegung insgesamt läuft in der Praxis bisweilen Gefahr, in eine berichtigende Interpretation überzugehen. Die berichtigende Interpretation gerät ihrerseits offenkundig in ein Spannungsverhältnis zu Art 18 B-VG. Auch der VfGH ist ja an diese Verfassungsvorschrift gebunden und durch Art 140 B-VG nur dazu ermächtigt, verfassungswidrige Gesetze aufzuheben oder ihre Verfassungswidrigkeit festzustellen, nicht aber dazu, sie auf andere Weise zu korrigieren. Dazu kommt, dass die Verwaltungsbehörden eine berichtigende Interpretation des VfGH nicht allgemein übernehmen können, weil sie an die Rechtsansicht des VfGH ja nur im konkreten Einzelfall gebunden sind (§ 87 Abs 2 VerfGG). Schließlich führt die berichtigende Interpretation auch zu einer „Entstufung des Rechts“ und – konkret im Verfahren vor dem VfGH – auch dazu, dass die Funktionen des Verfahrens nach Art 144 B-VG einerseits und jenes nach Art 140 B-VG andererseits nicht mehr klar voneinander trennbar sind; s zu diesem Problemkreis eingehend Jabloner, ZÖR 2005, 163 ff, sowie zuvor Handstanger, ÖJZ 1998, 169 ff. 57 S zB VfSlg 10.720/1985; s aber auch das Erkenntnis VfSlg 14.443/1996, in dem eine – der Judikatur des VwGH entsprechende, nach Ansicht des VfGH aber gleichheitswidrige – Auslegung des § 49 Abs 3 Z 20 ASVG als denkunmögliche und willkürliche Gesetzesanwendung qualifiziert wurde. 58 Spielbüchler, FS Floretta 300 FN 35. Diesen qualitativen Unterschied zwischen Willkür und Unterstellung eines gleichheitswidrigen Inhaltes expliziert auch der VfGH in VfSlg 5411/1966 (FN 48).
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Gleichheit und Rechtsstaat
Gleichheitskonforme Auslegungen können mit einem hohen Begründungsaufwand verbunden und oft auch sehr verschlungen sein. Dass die Behörde zu einer solchen Begründung nicht gefunden hat, erweist im Regelfall keineswegs, dass sie sich über das Gesetz hinweggesetzt hat. Bisweilen ließe sich sogar geradezu im Gegenteil trefflich darüber streiten, ob der Inhalt, der einem Gesetz in gleichheitskonformer Auslegung beigelegt wird, tatsächlich noch dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Nach der zutreffenden Judikatur verletzt ein Bescheid – vom bereits besprochenen Fall der Willkür abgesehen – den Gleichheitssatz nur dann, wenn die angewendete Norm gleichheitswidrig ist oder doch so ausgelegt wird. Dass eine Norm aus anderen Gründen verfassungswidrig ist oder so interpretiert wird, belastet einen darauf gestützten Bescheid noch nicht mit Gleichheitswidrigkeit. Sonst müsste der Gleichheitssatz ja zu einem Recht auf verfassungskonforme Rechtslage werden59: Es würden dann nicht nur objektivrechtliche Verfassungsnormen gegen die Intention des Verfassungsgesetzgebers subjektiv einklagbar. Der Gleichheitssatz erhielte auch den Status eines „Super-Grundrechts“, das jedes andere verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht in sich aufnimmt und das stets zugleich mit diesem verletzt ist. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Deutung nicht richtig sein kann. Anderes gilt nach der Judikatur für die Freiheitsrechte: Sie werden nicht nur verletzt, wenn ein Bescheid auf einer Rechtsgrundlage beruht, die dem Freiheitsrecht widerspricht oder der ein mit dem Freiheitsrecht unvereinbarer Inhalt unterstellt wird, sondern auch dann, wenn eine Norm sonst verfassungswidrig ist oder doch so ausgelegt wird, als wäre sie dies60. Zwingende zusätzliche Voraussetzung der Rechtsverletzung ist in einem solchen Fall allerdings, dass der Bescheid auch in den Schutzbereich des jeweiligen Freiheitsrechts eingreift. Dieses Erfordernis stellt den hinreichenden Bezug zum Freiheitsrecht her und gewährleistet so, dass das Freiheitsrecht nicht seinerseits zu einem Recht auf eine verfassungskonforme Rechtslage mutiert. Die Fokussierung auf den spezifischen Grundrechtsgehalt geschieht beim Gleichheitssatz und bei den Freiheitsrechten also an jeweils verschiedener Stelle: Im ersten Fall durch die Einschränkung auf die Anwendung eines gleichheitswidrigen oder fälschlich als gleichheitswidrig interpretierten Gesetzes, im zweiten Fall schon eine Stufe früher: durch das Erfordernis eines Eingriffes in den Schutzbereich des Freiheitsrechts. Eine offene Flanke dieser Abgrenzung bildet allerdings die Figur der „denkunmöglichen“ Rechtsanwendung, die bei Freiheitsrechten dieselbe ____________________
59 S auch Spielbüchler, FS Floretta 303: „[N]icht jede Verfassungswidrigkeit macht das behördliche Vorgehen schon zu einem Gleichheitsverstoß.“ 60 S mwN Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 726.
Gleichheit vor dem Gesetz und Bindung der Vollziehung an das Gesetz
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Funktion erfüllt wie der Begriff der Willkür beim Gleichheitssatz: Sie markiert die Grenze zwischen einer einfachgesetzlichen und einer qualifizierten, der Gesetzlosigkeit gleich kommenden Rechtswidrigkeit61: Für Rechtsverletzungen der ersten Art ist der VwGH zuständig, Gesetzesverstöße der zweiten Art ahndet der VfGH. Ihrer Funktion entsprechend haben sich Willkür und Denkunmöglichkeit in der Judikatur stark angenähert62: Ein willkürliches Vorgehen der Behörde kann sich in einer denkunmöglichen Gesetzesauslegung artikulieren, umgekehrt „indiziert“ eine denkunmögliche Rechtsanwendung nach Ansicht des VfGH Willkür63. Der Begriff der Denkunmöglichkeit kann aber seinerseits in eine andere Argumentationsfigur übergehen: Er wird bisweilen auch verwendet, wenn die Behörde einem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Freiheitsrecht widersprechenden Inhalt unterstellt. Wird aus einer Denkunmöglichkeit in diesem Sinn dann weiter auf das Vorliegen von Willkür geschlossen64, dann ist jene Grenze aufgehoben, die die ersten beiden Teile der Gleichheitsformel (Anwendung einer gleichheitswidrigen Norm, Unterstellung eines gleichheitswidrigen Inhalts) ziehen sollten: Der Gleichheitssatz wird diesfalls auch dann verletzt, wenn die Behörde dem Gesetz einen Inhalt unterstellt, der zwar nicht mit dem Gleichheitssatz, wohl aber mit einer anderen Norm des Verfassungsrechts, insbesondere mit einem Freiheitsrecht unvereinbar ist65. Die bereits mehrfach kritisierte Vermengung zwischen Gleichheits- und Freiheitsrechten setzt sich so auf der Ebene der Vollziehung fort.
4. Anwendungsvorrang Fraglich ist, ob ein Bescheid auch gleichheitswidrig ist, wenn er sich auf ein Gesetz stützt, das aufgrund des Anwendungsvorranges des Ge____________________
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S Spielbüchler, FS Floretta 294. Spielbüchler, FS Floretta 295. S zB VfSlg 8006/1977, 13.372/1993. S zB VfSlg 16.160/2001, in dem es der VfGH als gleichheitswidrig ansah, dass der UBAS bei vertraglicher Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages iSd § 5 AsylG 1997 eine negative Prozessvoraussetzung annahm, die eine Sachentscheidung über den Asylantrag verbietet und auch keine Möglichkeit gewährt, einer behaupteten Verletzung des Non-Refoulement-Gebotes nachzugehen. Eine derartige Auslegung hatte der VfGH bereits in VfSlg 16.122/2001 im Hinblick auf die Art 3, 8 und 13 EMRK als verfassungswidrig angesehen; dennoch qualifizierte er einen Bescheid, dem eine solche Auslegung zugrunde lag, nun als gleichheitswidrig iSd BVG-RD; s auch VfSlg 16.117/2001 betreffend das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens; demgegenüber VfSlg 13.241/1992, 13.673/1994, 13.723/1994, 14.121/1995, 15.812/2000, wo Verfahrensund Subsumtionsfehler im Schutzbereich des Art 8 EMRK noch als Verletzung dieser Bestimmung qualifiziert wurden. 65 S zB auch die bereits oben in Abschnitt F FN 98 erwähnten Erkenntnisse VfSlg 14.848/1997, 16.287/2001, 17.164/2004.
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Gleichheit und Rechtsstaat
meinschaftsrechts unanwendbar ist. Zweifellos ist ein solcher Bescheid in einem weiten Verständnis „gesetzlos“, dies allerdings nicht notwendig in dem Sinn, dass die Behörde sich über das Gesetz hinweggesetzt hat. Ob eine Norm dem Gemeinschaftsrecht widerspricht, kann nämlich schwierige Auslegungsfragen aufwerfen. Bestehen Zweifel über den Inhalt oder die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts, so kann ein Gericht iSd Art 234 EGV eine Vorabentscheidung des EuGH einholen. Entscheidet ein solches Gericht funktional in letzter Instanz, so ist es zur Einholung einer solchen Vorabentscheidung auch verpflichtet66. Entscheidet in letzter Instanz allerdings eine Verwaltungsbehörde, die zur Vorlage an den EuGH nicht berechtigt ist, muss mE weiter unterschieden werden: Liegt der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts klar auf der Hand, dann setzt sich die Behörde durch die Anwendung der innerstaatlichen Norm tatsächlich in qualifizierter Weise über das Gesetz (hier: über das Gemeinschaftsrecht) hinweg und handelt damit willkürlich im herkömmlichen (und richtigen) Sinn67. Bestehen über den Inhalt des Gemeinschaftsrechts aber im Zeitpunkt der Entscheidung Zweifel, die die Behörde nicht durch eine Vorlage an den EuGH beheben kann und ist eine Vorabentscheidung auch nicht von anderer Seite beantragt worden, dann kann der Behörde kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie die fragliche Vorschrift im konkreten Fall zur Anwendung bringt68. Dass sich diese Vorschrift im Nachhinein durch eine Entscheidung des EuGH als unanwendbar erweist, ändert daran nichts. Der Bescheid könnte dann nur gleichheitswidrig sein, wenn die (fälschlich, aber eben nicht vorwerfbar) angewendete Norm ihrerseits dem Gleichheitssatz widerspricht69 oder wenn die Behörde dieser Norm einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat. Der VfGH geht in Fällen wie diesen anders vor: Er hebt Bescheide, die auf einem wegen Anwendungsvorranges unanwendbaren Gesetz beruhen, ____________________
66 Unterlässt das Gericht diese Vorlage pflichtwidrig, so verletzt es nach der Judikatur die Zuständigkeit des EuGH, über die Auslegung des innerstaatlich anzuwendenden Gemeinschaftsrechts zu entscheiden und verletzt damit den Bescheidadressaten in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG): s zB VfSlg 14.390/1995, 16.988/2003. 67 In diesem Sinn auch VfSlg 14.886/1997, s ferner VfSlg 15.427/1999: „Unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes hat der Gerichtshof aber nur zu prüfen, ob ein der Willkür gleichzuhaltender offenkundiger Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht vorliegt, der den Vorwurf völliger Gesetzlosigkeit verdient.“ 68 S auch VfSlg 16.627/2002. Das Gleiche gilt freilich auch für den umgekehrten Fall: Lässt die Behörde das Gesetz unter Anführung plausibler Gründe unangewendet, ist ihr dies ebenfalls nicht vorwerfbar. 69 Dies könnte der VfGH allerdings nicht mehr prüfen; steht die Unanwendbarkeit einer Vorschrift nämlich einmal fest, dann fehlt es auch an der für die Durchführung eines Normprüfungsverfahrens erforderlichen Voraussetzung der Präjudizialität, s in diesem Sinn zB VfSlg 15.368/1998.
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stets als gleichheitswidrig auf, dies mit der Begründung, Willkür liege auch vor, wenn die Behörde so fehlerhaft vorgegangen ist, dass die Fehlerhaftigkeit mit Gesetzlosigkeit auf einer Stufe steht70. Der Begriff der Gesetzlosigkeit wird dabei freilich in einem weiteren Sinn verwendet als in der restlichen Willkürjudikatur. Stellt sich die Unanwendbarkeit des Gesetzes erst nach der Bescheiderlassung heraus, so räumt der VfGH auch regelmäßig ein, dass der Behörde nicht subjektiv vorwerfbar sei, die Unanwendbarkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht erkannt zu haben71. Darin liegt aber bereits das Zugeständnis, dass es an einem willkürlichen Verhalten gerade fehlt. Tatsächlich ist es in solchen Fällen auch nicht die Willkür der Behörde, die den VfGH zur Aufhebung des Bescheides veranlasst, sondern sein Bemühen, dem Beschwerdeführer einen effizienten und raschen Rechtsschutz zu verschaffen72. Ob dies aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen geboten ist oder ob es genügt, dass der Beschwerdeführer beim VwGH bzw in einem weiteren Verwaltungsverfahren Recht bekommt, ist strittig73. Wenn man aber annimmt, dass der VfGH zur Be____________________
70 VfSlg 16.401/2001; s auch VfSlg 17.614/2005, wonach ein offenkundiger Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten ist, und zwar auch dann, wenn sich die Offenkundigkeit erst während des Verfahrens vor dem VfGH zeigt. 71 VfSlg 15.910/2000, 16.401/2001; s auch VfSlg 15.815/2000 betreffend eine Verletzung des Eigentumsrechts. 72 S etwa VfSlg 16.401/2001, gleichsinnig VfSlg 15.448/1999 betreffend eine Verletzung des Eigentumsrechts, VfSlg 16.737/2002 zum Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. 73 S mwN Sperlich, ZfV 2001, 732 ff, nach der dem gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht Rechnung getragen werden kann, wenn die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts einen Bescheid auf seine Übereinstimmung mit der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Rechtslage kontrollieren: Ein erst nach Bescheiderlassung offenkundig gewordener Anwendungsvorrang könne dann nämlich von beiden Gerichtshöfen nicht aufgegriffen werden. Gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt sei das österreichische Rechtsschutzsystem daher so zu verstehen, dass die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ihrer Entscheidung auch Gemeinschaftsrecht zugrundezulegen haben, das nach Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides wirksam geworden ist. Selbst wenn man dem folgt, könnte der Behörde aber mE nicht vorgeworfen werden, dass sie eine nicht offenkundig unanwendbare Norm angewendet hat; der VfGH könnte ihren Bescheid daher jedenfalls nicht als willkürlich aufheben. Dass der VfGH diesen Willkürbegriff bisweilen überdehnt und ihm auch nicht vorwerfbare Rechtswidrigkeiten unterstellt, trifft zwar zu, erlaubt aber mE nicht den Schluss, dass er in dieser Weise auch bei Bescheiden vorzugehen hat, deren Gemeinschaftswidrigkeit sich erst im Nachhinein herausstellt (so aber wohl Thienel, ZfV 2001, 353, s auch die ebd 343 FN 7 zitierte Literatur). Denn diese Zuständigkeit des VfGH würde dann ja aus dem Umstand abgeleitet, dass der VfGH seine Zuständigkeit auch in anderen Fällen überschreitet. Darin liegt aber das Zugeständnis, dass er in Wahrheit eben nicht zuständig ist. Zu Recht nehmen daher mE Korinek, FS Tomandl 473 f; Potacs, 14. ÖJT I/1 (2000) 96 f; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht 181, an, dass der VfGH bei Grundrechten mit Eingriffsvorbehalt und beim Gleichheitssatz nur qualifizierte und damit offenkundige Verletzungen einfacher Gesetze aufgreifen kann und dass dies auch für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht gelte. Nicht beanstandet wird dort allerdings die Annahme des VfGH, dass eine denkunmögliche Rechtsanwendung auch dann vorliegt,
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scheidaufhebung durch das gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsgebot verpflichtet ist, wäre diese Aufhebung auch direkt auf Gemeinschaftsrecht zu stützen. Die Berufung auf Art 7 B-VG ist dann nicht nur nicht erforderlich; sie wird auch mit einer Ausdehnung des Willkürbegriffs bezahlt, die die ohnedies unscharfen Grenzen zwischen der qualifizierten und der „einfachgesetzlichen“ Rechtswidrigkeit eines Bescheides und damit auch die Kompetenzabgrenzung zwischen VfGH und VwGH noch weiter verschwimmen lässt.
5. Keine „Gleichheit im Unrecht“ Aus der in Art 18 Abs 1 B-VG angeordneten Bindung der Vollziehung an das Gesetz folgt, dass der allgemeine Gleichheitssatz dem Rechtsunterworfenen keinen Anspruch darauf verschaffen kann, ebenso wie ein anderer nicht gesetzeskonform behandelt zu werden74. Das mag im Einzelfall zu Härten führen und vom Rechtsunterworfenen auch als ungerecht empfunden werden. Doch die Konsequenz eines Anspruches auf gesetzwidrige Gleichbehandlung wäre, dass die Behörde eine Norm durch ihre einmalige Nichtanwendung im Ergebnis außer Kraft setzen könnte. Sie würde auf diese Weise an die Stelle des Gesetzgebers treten75, also neue Regeln schaffen, an deren Einhaltung sie dann durch den Gleichheitssatz gebunden wäre. Das kann in einem demokratischen Rechtsstaat nicht hingenommen werden76. Die Alternative ist daher, wie Starck treffend festgestellt hat, „genau genommen nicht Gleichmäßigkeit oder Gesetzmäßig____________________
wenn ein Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht erst nach Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides erkennbar geworden ist. 74 S auch Raschauer, Verwaltungsrecht Rz 613. 75 Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 437. 76 S schon Huster, Art 3 GG Rz 115 f; Starck, Art 3 GG Rz 274; s auch schon Erichsen, VwArch 71 (1980) 297. AA Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 653, nach denen sich der Gleichheitssatz nicht auf qualifizierte Abweichungen verwaltungsbehördlicher Tätigkeit vom Gesetz beschränke, sondern die Verwaltungsbehörde in kontrollierbarer Weise auch bei der Entscheidung über das „Ob“ ihrer Tätigkeit binde. Die Behörde verletze den Gleichheitssatz daher immer dann, wenn sie in der Frage des „Ob“ der Gesetzesanwendung nicht gleichmäßig vorgehe, mag der Inhalt des verwaltungsbehördlichen Handelns auch mit dem Gesetz übereinstimmen. Es sei daher durchaus mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, ja im Sinn des grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzips der Gleichheit zu fordern, dass auch bei der Verpflichtung der Behörde zu Gesetzesanwendung lieber eine ausnahmslos – dh gleiche – Nichtanwendung des Gesetzes in Kauf genommen wird als eine vom eigenen Willen der Behörde getragene teilweise oder gar punktuelle Anwendung des Gesetzes. Die von Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 653, vertretene Position ist gewiss geeignet, dem „Gerechtigkeitsempfinden“ des Rechtsunterworfenen im Einzelfall Rechnung zu tragen; aber ihre Konsequenzen sind unannehmbar, weil sie das in Art 18 B-VG statuierte Gesetzgebungsmonopol in die Hände der Behörde legt.
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keit, sondern Gleichmäßigkeit nach Maß des Gesetzes oder Gleichmäßigkeit nach dem Geschmack der Verwaltung“77. Zu Recht nimmt der VfGH daher an, dass aus dem Fehlverhalten der Behörde in anderen Fällen kein Recht auf ein gleiches Fehlverhalten abgeleitet werden kann78. Die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme kann also nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass die Behörde in anderen Fällen eine Gesetzesübertretung nicht geahndet hat; daraus erwächst niemandem ein Recht, dass sein Fehlverhalten nicht geahndet werde, denn das „Ergebnis wäre ein Anspruch auf die Nichtanwendung des Gesetzes trotz gegebener Tatbestandsmäßigkeit, was ein innerer Widerspruch wäre“79.
III. Gleichheit vor dem Gesetz und Rechtssetzung durch die Vollziehung 1. Gleichheit und Entscheidungsspielraum Der Gleichheitssatz geht über die in Art 18 B-VG angeordnete Gesetzesbindung nicht nur hinaus, wenn die Behörde ein gleichheitswidriges Gesetz anwendet80, sondern auch und vor allem, wenn der Behörde – durch unbestimmte Rechtsbegriffe, durch die Einräumung von Ermessen oder wie teils in der Privatwirtschaftsverwaltung durch das Fehlen gesetzlicher Vorgaben – ein Spielraum eröffnet ist, der ihr verschiedene Arten des Vollzugs ermöglicht, die alle mit dem Gesetz in Einklang stehen81. ____________________
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Starck, Art 3 GG Rz 274. VfSlg 11.435/1987. VfSlg 6072/1969, 6992/1973, 7306/1974, 7656/1975, 7963/1976, 8790/1980, 9169/1981, 9683/1983, 10.797/1986, 11.512/1987, 11.883/1988, 12.417/1990, 12.796/ 1991, 15.903/2000, 16.209/2001; s auch VwGH 7.11.1989, 88/14/0220; 21.3.1990, 88/01/0226; 13.12.1991, 91/18/0231; 18.2.1994, 93/12/0102; 19.4.1994, 94/11/0057; 9.9. 1998, 98/14/0145. 80 Dies zwar nicht in dem Sinn, dass die Behörde ein gleichheitswidriges Gesetz nicht anzuwenden hätte, wohl aber in dem Sinn, dass der auf dieses Gesetz gestützte Bescheid (für die nach Art 139 oder 140 B-VG nicht anfechtungsberechtigte Behörde unvermeidbar) gleichheitswidrig ist. 81 Zur Fiskalgeltung des Gleichheitssatzes mwN Korinek/Holoubek, Privatwirtschaftsverwaltung 146 ff, 151 ff; Berka, Art 7 B-VG Rz 113 ff; Rüffler, JBl 2005, 411 ff. Dass zwischen der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Einräumung von Ermessen rechtstheoretisch kein Unterschied besteht, weil die Behörde in beiden Fällen an das Gesetz gebunden ist und ihr in beiden Fällen auch innerhalb des Gesetzes ein Entscheidungsspielraum zur Verfügung stehen kann, ist heute aufbauend auf Merkl, JBl 1918, 425 ff (insb 427), 444 ff, 463 ff (insb 464) (= in Mayer-Maly/Schambeck/Grussmann 227 ff); dens, Verwaltungsrecht 142, hA; s zB Korinek, FS Hellbling 333 f; Thienel, GedS Ringhofer 168; Antoniolli/Koja, Verwaltungsrecht 264 f; Grabenwarter, Verfahrensgarantien 318, 324. Dass der Gesetzgeber auch bei der Einräumung von Ermes-
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Die Behörde hat diesfalls zwar von mehreren in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten jedenfalls die gleichheitskonforme zu wählen82. Verbleibt ihr aber auch dann noch ein Entscheidungsspielraum, so stellt sich die Frage, ob und inwieweit sie durch den allgemeinen Gleichheitssatz dazu verpflichtet ist, gleichgelagerte Fälle gleich zu behandeln, obwohl eine ungleiche Behandlung dieser Fälle für sich genommen jeweils mit dem Gesetz vereinbar wäre. Zu einer Ungleichbehandlung gleich gelagerter Fälle kann es diesfalls in drei Konstellationen kommen: Erstens dann, wenn die Behörde von ihrem Ermessen in gleichgelagerten Fällen unterschiedlichen (aber jeweils gesetzeskonformen) Gebrauch macht (a.), zweitens – in zeitlicher Hinsicht – dann, wenn die Behörde ihre Entscheidungspraxis ändert, sodass gleichgelagerte Fälle vor und nach einem bestimmten Zeitpunkt ungleich behandelt werden (b.), und schließlich drittens dann, wenn verschiedene Behörden in gleichgelagerten Fällen von ihrem Ermessen unterschiedlichen Gebrauch machen (c.). a. Praxisabweichung Soweit ein Gesetz der Verwaltung Spielräume belässt und ihr im Einzelfall mehrere Arten des Vollzugs ermöglicht, steht es der Behörde grundsätzlich frei, für welchen Weg sie sich entscheidet, sofern sie von ihrem Spielraum „im Sinne des Gesetzes“ Gebrauch macht. Der Gleichheitssatz ist bei der Ermittlung dieses Sinnes mit zu berücksichtigen83. Darüber hinaus verpflichtet er die Behörde aber auch dazu, die fehlenden Vorga____________________
sen an Art 18 B-VG gebunden ist, nimmt auch der VfGH an, s etwa VfSlg 5240/1966. Zur Entwicklung dieser Ansicht sowie zu der in der Monarchie und auch danach noch bestehenden Meinung, Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe seien als grundsätzlich verschieden anzusehen, s mwN Grabenwarter, Verfahrensgarantien 311 ff. Unterschieden wird allerdings weiterhin zwischen dem Ermessen iSd Art 130 Abs 2 B-VG als dem Freiraum, den der Gesetzgeber der Vollziehung gezielt einräumt, und jener Freiheit, die der Behörde bei der Rechtsanwendung stets verbleibt, s auch dazu mwN Grabenwarter, Verfahrensgarantien 323. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es auf diesen Unterschied nicht an, sondern nur darauf, ob die Behörde mehrere Arten des Vollzugs offenstehen, die alle mit dem Gesetz vereinbar sind; ob dieser Spielraum durch Ermessen oder durch einen unbestimmten Rechtsbegriff geschaffen wird, ist dabei bedeutungslos. 82 S schon VfSlg 8395/1978, 10.296/1984, 11.499/1987, 11.859/1988, 14.631/1996, 16.204/2001, 16.911/2003, wonach bei der Ermittlung des Inhalts einer gesetzlichen Vorschrift alle zur Verfügung stehenden Interpretationsmethoden anzuwenden sind, also auch die verfassungs- bzw gleichheitskonforme Interpretation; für Ermessensbestimmungen gilt in dieser Hinsicht nichts anderes: VfSlg 11.635/1988, 11.766/1988; s weiters VwSlg 9224 A/1977, wonach zur Berücksichtigung des Gesetzessinnes, in dem nach Art 130 Abs 2 B-VG von dem Ermessen Gebrauch gemacht werden muss, auch die Beachtung des Gleichheitssatzes gehört; s auch Grabenwarter, Verfahrensgarantien 331; Stoll, Ermessen 119 f. 83 Dem Gesetz kann also im Auslegungsweg nicht ein Sinn zugrunde gelegt werden, der dem Gleichheitssatz zuwiderliefe, s zB VwSlg 5994 A/1963, VwGH 19.5.1994, 93/07/ 0162 = ZfVB 1995/1538 sowie die Nachweise in FN 82.
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ben des allgemeinen Gesetzes durch Entscheidungsgründe auszufüllen, die ihrerseits verallgemeinerbar84, und das heißt: mit dem Gleichheitssatz vereinbar sind. Diesen – förmlich85 oder auch bloß gedanklich festgelegten – Richtlinien hat die Behörde dann zu folgen86. Der Gleichheitssatz bindet die Behörde damit an das Schema, nach dem sie ihre Beurteilungsspielräume ausfüllt und verschafft dem Einzelnen einen Anspruch darauf, diesem Schema entsprechend behandelt zu werden. Diese sog „Selbstbindung“87 der Verwaltung geht über die Bindung an das Gesetz hinaus; denn sie greift gerade bei Entscheidungen, die isoliert betrachtet im Gesetz Deckung finden oder für die es, wie bisweilen in der Privatwirtschaftsverwaltung, an gesetzlichen Vorgaben überhaupt fehlt, die aber – verglichen mit anderen Entscheidungen in gleichgelagerten Fällen oder schon an sich – einer sachlichen Rechtfertigung entbehren88. Unzulässig sind solche Entscheidungen nur deshalb, weil die ihnen zugrunde liegende behördliche Regel gleichheitswidrig ist oder weil die Behörde zwar eine gleichheitskonforme Regel aufgestellt hat, von ihr aber ohne sachlichen Grund abgewichen ist89. ____________________
S schon Stifter, ÖJZ 1959, 283; Raschauer, Verwaltungsrecht 2 Rz 612. Etwa durch Pläne bzw Ermessensrichtlinien, s Raschauer, FS Winkler (1997) 890; dens, Verwaltungsrecht Rz 612. 86 S zB Hofer-Zeni, Ermessen 162. 87 S zB Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 650; Oberndorfer, Verwaltungsgerichtsbarkeit 169; Adamovich/Funk, Verwaltungsrecht 124; Grabenwarter, Verfahrensgarantien 331; Raschauer, FS Winkler (1997) 890; dens, Verwaltungsrecht Rz 613; dens, Verwaltungsrecht 2 Rz 660; allgemein Mertens, Selbstbindung. Der Ausdruck „Selbstbindung“ ist nicht ganz präzise, denn es ist nicht die Verwaltung, die sich selbst bindet, sondern es ist der allgemeine Gleichheitssatz, der diese Bindung bewirkt, s schon Neisser/Schantl/ Welan, ÖJZ 1969, 649; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 431; Heun, Art 3 GG Rz 57. 88 Anders liegen die Dinge, wenn einer Behörde von vornherein kein Entscheidungsspielraum zukommt. Entscheidet sie dann in gleichgelagerten Fällen verschieden, so kann nur die eine Entscheidung gesetzmäßig, die andere aber gesetzwidrig, und bei schweren Fehlern überdies willkürlich sein. Auch Entscheidungsdivergenzen beim VwGH begründen mE keine Gleichheitswidrigkeit. Denn der VwGH soll die Verwaltung nur auf ihre Rechtmäßigkeit kontrollieren, er soll aber nicht selbst verwalten und insbesondere nicht selbst Ermessen üben. Werden gleichgelagerte Fälle im einen Senat so und im anderen Senat anders oder, wie Wielinger, FS Adamovich 831 ff, an einem Beispiel anschaulich vorgeführt hat, bisweilen sogar in ein und demselben Senat verschieden entschieden, so kann sich nur die Frage stellen, welche dieser Entscheidungen dem Gesetz entspricht und welche nicht. Einer derart uneinheitlichen Entscheidungspraxis könnte wohl abgeholfen werden, wenn man den obersten Verwaltungsorganen des Bundes oder der Länder, wie Wielinger erwägt, eine Beschwerde gegen Entscheidungen des VwGH an den VfGH eröffnete; diese Beschwerde könnte dann aber mE nicht eine solche „zur Wahrung des Gleichheitsgebotes“ sein. Der VfGH hätte vielmehr zu entscheiden, welche der divergenten Entscheidungen des VwGH dem Gesetz entspricht. Er würde damit zu einem Gericht, das den VwGH bei der Kontrolle der einfachgesetzlichen Rechtmäßigkeit der Verwaltung neuerlich kontrolliert. 89 S schon Dicke, VwArch 59 (1968) 299; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 426 ff. Der Gleichheitssatz beschränkt den Spielraum der Behörde damit in zweifacher Hinsicht: zum 84 85
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Tatsächlich lässt der VfGH auch in machen Entscheidungen eine gewisse Bereitschaft erkennen, bei der Prüfung eines Bescheides am Gleichheitssatz über den konkreten Fall hinaus auch darauf zu blicken, wie die Behörde in anderen vergleichbaren Fällen entschieden hat90; so wenn er feststellt, nichts deute darauf hin, dass die Behörde in vergleichbaren Fällen anders entschieden hätte91 oder wenn er annimmt, dass dem Beschwerdeführer eine bestimmte Vergünstigung nicht aufgrund willkürlicher Ermessensausübung versagt worden sei, und zwar auch nicht insoweit, als einem anderen die begehrte Vergünstigung gewährt worden ist; dieser habe die Vergünstigung nämlich zur Erreichung eines bestimmten Zieles erhalten, das der Beschwerdeführer gerade nicht verfolge92. In VfSlg 9024/1981 meinte der VfGH, der Gleichheitssatz sei nur verletzt, wenn subjektive, in der Person des Betroffenen gelegene Momente für die Entscheidung im Einzelfall bestimmend waren und die Behörde auf diese Art zu einer anderen Entscheidung gelangte als in sonstigen Fällen mit gleichem rechtlichen Tatbestand. Nach VfSlg 9241/1981 ist die Versagung einer Konzession zwar noch nicht willkürlich, weil die Behörde Jahre vor der Erlassung des ____________________
einen, weil er bei der Ermittlung des Gesetzessinnes mit zu berücksichtigen ist, zum Zweiten, weil er den auch dann noch verbleibenden Spielraum begrenzt; wie hier Neisser/ Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 650; wohl auch Stifter, ÖJZ 1959, 281 ff; s auch Stoll, 4. ÖJT I/2 (1970) 55 ff, der im Gleichheitssatz eine zusätzliche Ermessensrichtlinie sieht, und Oberndorfer, Verwaltungsgerichtsbarkeit 169, der die Selbstbindung der Verwaltung auf den Gleichheitssatz zurückführt. Anders wohl Walter, ÖJZ 1979, 227, nach dem jede Willkür auch eine Gesetzwidrigkeit ist; und wohl auch Grabenwarter, Verfahrensgarantien 331; Stoll, Ermessen 119 f, nach denen die Beachtung des Gleichheitssatzes zur Berücksichtigung des Gesetzessinnes gehört; ebenso VwSlg 9224 A/1977: „Zum Sinn des Gesetzes [...] gehört auch dessen vom Gleichheitssatz ableitbare gleichmäßige Anwendung auf gleichgelagerte und zum gleichen Zeitpunkt vor derselben Behörde anhängigen Rechtsfälle“. Raschauer, Verwaltungsrecht Rz 613, sieht in der Selbstbindung eine „– vor allem die Konsistenz des Verwaltungshandelns und insb die Richtigkeit der Begründung von Entscheidungen betreffende – sekundäre Bindung“, die im Allgemeinen kein subjektives Recht auf eine positive Sachentscheidung vermittelt und nicht einmal eine Amtspflicht zu einer positiven Sachentscheidung begründet. Das begründungslose Abgehen von einer ständigen Praxis sei aber ein Indiz für Willkür: Raschauer, Verwaltungsrecht 2 Rz 660, 1334 f. 90 Der VfGH ist damit wieder zu seiner Judikatur zurückgekehrt, nach der die Einräumung von Ermessen keine Schranke für die Gleichheitsprüfung bildet, s zB VfSlg 216/ 1923, 914/1927, 943/1928. Zwischenzeitig hatte er sich von dieser Ansicht entfernt und angenommen, Willkür sei ausgeschlossen, wenn der Behörde Ermessen eingeräumt ist, s zB VfSlg 1434/1932, 1575/1947. 91 VfSlg 1803/1949, 2311/1952, 2361/1952; s auch das Erkenntnis VfSlg 16.658/ 2002, in dem der VfGH dem Vorwurf, die Behörde habe gleichartige Sachverhalte rechtlich unterschiedlich gewürdigt, entgegenhielt, dass es hiefür nach den dem VfGH vorliegenden Akten keinen Anhaltspunkt gebe, was nicht verwundern kann; dass gleichartige Sachverhalte ungleich behandelt worden sind, wird sich aus einem Verwaltungsakt idR nicht ergeben, sondern erst dann, wenn auch in den Verwaltungsakt des Vergleichsfalles Einsicht genommen wird. 92 VfSlg 6722/1972.
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angefochtenen Bescheides anderen Personen Konzessionen verliehen hat: „Nur bei gleichem Sachverhalt“ (bei ihm aber immerhin) „könnte die Verleihung der Konzession an andere Personen, während sie einem bestimmten Bewerber verweigert wird, allenfalls ein Indiz für Willkür sein“93. Dass sich die Behörde Richtlinien zurechtlegt, nach denen sie die positiv zu erledigenden Ansuchen bestimmt, sei grundsätzlich unbedenklich94. Solange kein Grund zur Annahme besteht, dass die Behörde ihre eigenen Richtlinien zum Nachteil des Beschwerdeführers missachtet hat, liege eine Gleichheitswidrigkeit nicht vor95, was wohl umgekehrt bedeutet, dass ein unbegründetes Abweichen von diesen Richtlinien den Gleichheitssatz verletzt. Wirklich praktisch sind diese Andeutungen in der Judikatur bisher aber nicht geworden. Regelmäßig schneidet der VfGH einen Vergleich mit anderen Fällen nämlich – mE zu vorschnell – ab, so, wenn er feststellt, es komme für die Gleichheitskonformität eines Bescheides nicht darauf an, „wie die Behörde in anderen gleich gelagerten Fällen vorgegangen ist“. Maßgeblich sei vielmehr das Verhalten der Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides96. Solange nichts darauf hindeute, dass sich die Behörde von unsachlichen, vornehmlich in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Erwägungen habe bestimmen lassen, liege eine Gleichheitsverletzung selbst dann nicht vor, wenn die Entscheidung der Behörde infolge fehlerhafter Außerachtlassung einer Vergleichsperson gesetzwidrig gewesen wäre97. Dass die belangte Behörde in einem dem Beschwerdefall vergleichbaren Fall gegenteilig entschieden habe, weise ein willkürliches Vorgehen nicht nach98. Sei im Verhalten der Behörde gegenüber der beschwerdeführenden Partei für sich betrachtet eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nicht zu sehen, so könne, selbst wenn es vergleichbare Fälle gäbe und die Behörde dabei nicht gesetzmäßig vorgegangen wäre, für die beschwerdeführende Partei nichts gewonnen werden99. Da es für die Frage, welche Strafe zu verhängen ist, allein auf das Ermessen der Behörde im Einzelfall ankomme, sei der Versuch eines Nachweises einer tendenziell strengeren Bestrafung von beruflichem gegenüber außerberuflichem Fehlverhalten nicht geeignet, der Behörde Willkür nachzuweisen100. Für den Beschwerdeführer sei daraus, dass die Behörde in anderen ____________________
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S auch schon VfSlg 3521/1959, 3581/1959, 3814/1960. VfSlg 7767/1976, 8378/1978, 9552/1982, 10.040/1984. 95 VfSlg 10.040/1984. 96 VfSlg 8375/1978; s überdies den bei Stifter, ÖJZ 1959, 282, referierten Fall VfGH 22.11.1958, B 72/57 mit Vorgeschichte; s auch etwa VfSlg 13.404/1993, 17.707/2005. 97 VfSlg 8275/1978. 98 VfSlg 12.597/1991. 99 VfSlg 13.511/1993. 100 VfSlg 15.847/2000. 94
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Fällen, die mit dem Beschwerdefall (vorgeblich) übereinstimmen, anders (nämlich zugunsten des jeweils Betroffenen) entschieden habe, nichts gewonnen; entscheidend könne bloß sein, wie die Behörde in jenem Verfahren vorgegangen ist, in dem der bekämpfte Bescheid erlassen wurde101. Soweit den genannten Entscheidungen die Ansicht zugrunde liegt, dass aus dem Fehlverhalten der Behörde in einem anderen Fall kein Recht auf ein gleichartiges Fehlverhalten abgeleitet werden könne, ist dem VfGH aus den bereits dargelegten Gründen102 vorbehaltlos zuzustimmen. Dieser Befund erlaubt aber mE nicht den Schluss, dass ein Vergleich mit der Entscheidungspraxis der Behörde in anderen Fällen schlechthin ausgeschlossen ist, also auch dann, wenn die Entscheidung der Behörde im Vergleichsfall mit dem Gesetz durchaus vereinbar ist. Gerade bei Ermessensentscheidungen wird dies nicht selten der Fall sein: Die Behörde kann sich etwa im Rahmen des Gesetzes dazu entschlossen haben, bei bestimmten Verhaltensweisen der Rechtsunterworfenen (noch) Toleranz zu üben und bestimmte andere Handlungen mit besonderer Schärfe zu ahnden, ohne dass diese Toleranz oder Schärfe durch das Gesetz zwingend vorgegeben wäre. Wenn die Behörde dann bei einem Rechtsunterworfenen jene Toleranz nicht übt, die sie allen anderen immer gewährt hat, oder wenn sie bei ihm Milde walten lässt, wo sie anderen mit Schärfe begegnet103, dann mag ihre Entscheidung isoliert betrachtet mit dem Gesetz zwar noch vereinbar sein. Dennoch legt sie zweierlei Maß an, das den Betroffenen „vor dem Gesetz“ nicht gleich sein lässt. Dass die Behörde diesfalls von unsachlichen Gründen geleitet war, wird sich kaum nachweisen lassen. Aus dieser Beweisnot kann sich der Einzelne nur befreien, wenn ihm ein Vergleich mit gleich gelagerten, aber von der Behörde anders beurteilten Fällen gestattet wird: Dann hat nämlich die Behörde zu beantworten, warum sie gerade in diesem Fall abweichend von ihren sonst geltenden Richtlinien entschieden hat104. Kann sie dafür keine sachliche Rechtfertigung beibringen, verletzt ihre Entscheidung den Betroffenen mE im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz. ____________________
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VfSlg 16.463/2002. S bereits oben H.II.5.; s auch Raschauer, Verwaltungsrecht Rz 613. In diese Richtung zielte etwa der Vorwurf des Beschwerdeführers in dem VfSlg 16.658/2002 zugrunde liegenden Verfahren: Er machte geltend, dass einem berühmten Schauspieler eine grundverkehrsbehördliche Bewilligung erteilt worden sei, die dem Beschwerdeführer unter gleichen Voraussetzungen verwehrt worden ist. Der VfGH hielt diesen Vorwurf für nicht substantiiert; die ihm vorliegenden Verwaltungsakten enthielten nämlich keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Behörde einen gleichartigen Sachverhalt in einem anderen Fall anders gewürdigt hatte. 104 Ähnlich nimmt der OGH für die Privatwirtschaftsverwaltung an, dass der übergangene Subventionswerber die Begünstigung einer mit ihm in gleicher Lage befindlichen Mehrheit und der Subventionsgeber einen sachlichen Differenzierungsgrund nachzuweisen hat: OGH ÖZW 1996, 51 (mit Anm Kalss); 9.5.2001, 9 Ob 95/01p; s auch Rüffler, JBl 2005, 413, 415.
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b. Praxisänderung Die Bindung der Verwaltung an ihre eigene Entscheidungspraxis kann freilich nicht Selbstzweck sein; sie sorgt dafür, dass die Bürger in gleicher Lage gleich und in ungleicher Lage entsprechend ungleich behandelt werden, verpflichtet die Behörde aber sinnvoll verstanden nicht dazu, einen einmal eingeschlagenen Weg in alle Ewigkeit fortzusetzen. Eine geänderte Sach- und Rechtslage muss der Behörde daher ein Abgehen von ihrer bisherigen Praxis ebenso ermöglichen wie die Einsicht, dass die Fortsetzung dieser Praxis zu Fehlentwicklungen führen würde105. Der allgemeine Gleichheitssatz statuiert keine Pflicht zur Sturheit, hindert die Behörde also nicht daran, „klüger“ zu werden, auf Änderungen zu reagieren, Fehlentscheidungen einzusehen und entsprechende Kurskorrekturen vorzunehmen. Die Praxisänderung darf aber nicht unmotiviert und ohne Begründung vorgenommen werden, und die neu eingeschlagene Praxis muss dann wiederum für alle Rechtsunterworfenen gelten106. Eine Änderung der Entscheidungspraxis bedarf daher (ähnlich wie die Systemabweichung durch den Gesetzgeber107) nicht schon an sich einer besonderen Rechtfertigung, aber sie muss begründbar sein und zwar umso eingehender, je schwerer die Belastung ist, die für den Rechtsunterworfenen damit verbunden ist. Kurskorrekturen zugunsten der Bürger sind daher idR leichter zu begründen108; freilich ist auch hier zu bedenken, dass die – nun milder ausgelegte – Norm auch öffentliche Interessen wahren wird, die sich ihrerseits wiederum aus der Summe vieler Einzelbetroffenheiten bilden können. Zu Recht hat der VfGH dementsprechend stets die Ansicht vertreten, dass die Änderung der Behördenpraxis für sich allein niemals den Gleichheitssatz verletzt109. Es komme vielmehr auf den Inhalt der neuen Gesetzesauslegung an und auf die Ursachen, die ihr zugrunde liegen, also auf die Gründe, die zur Änderung der Praxis geführt haben. Willkür sei dann nicht anzunehmen, wenn die Behörde aus sachlichen Erwägungen von einer früher als richtig angesehenen Praxis abgeht110. Dass die Vorarlber____________________
105 S schon Raschauer, Verwaltungsrecht Rz 613; Stoll, Ermessen 120, sowie Lanz, NJW 1960, 1797; Dicke, VwArch 59 (1968) 307. 106 S auch Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 407, nach dem der allgemeine Gleichheitssatz für die geläuterte Rechtsauffassung ihrerseits wieder eine Festigkeit gegenüber erneutem überraschenden Wandel fordert, also ein „Springen“ der Rechtsprechung, einen Zick-ZackKurs der Rechtsprechungskorrektur verhindert. 107 S dazu oben D.III.2. 108 S auch Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 406, der überdies „Warnurteile“ verlangt, was mE übertrieben ist: Wenn die Änderung sachlich begründet werden kann, dann muss sie auch ohne Vorwarnung Platz greifen können; gegen derartige Warnurteile für den Bereich der Rechtsprechung auch Fasching, Zivilgerichtliches Verfahren 364. 109 VfSlg 7988/1977, 8375/1978, 8925/1980, 9604/1983, 9693/1983, 10.643/1985, 13.404/1993, 17.707/2005; ebenso VwGH 22.11.2000, 99/12/0115. 110 VfSlg 5457/1967, 8375/1978, 8725/1980, 9604/1983.
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ger Gewerbebehörden den Begriff „auf der Straße“ zu verschiedenen Zeiten verschieden beurteilt haben, begründet daher noch keine Willkür, sofern die Behörde im konkreten Fall nicht leichtfertig von der bisherigen Praxis ihrer Unterbehörden abgewichen ist111. Auch wenn eine Naturschutzbehörde bei der Beurteilung eines Bauvorhabens strengere Maßstäbe anlegt als 16 Jahre zuvor bei vergleichbaren Bauvorhaben, geht sie noch nicht willkürlich vor112. Dass ein Finanzamt zunächst eine bestimmte Rechtsansicht vertritt, kann nicht ausschließen, dass später eine andere als richtig erkannte Ansicht zur Anwendung kommt. Die Behörde muss ihren nunmehrigen Rechtsstandpunkt aber eingehend begründen, um zu zeigen, dass sie von ihrer früheren Rechtsauffassung keineswegs ohne triftigen Grund in einer Weise abgewichen wäre, die gegen „Treu und Glauben“ verstößt113. Vertritt die Behörde eine für den Steuerpflichtigen ungünstigere Rechtsauffassung als früher, dann kann nach der Judikatur auch eine Wiederaufnahme früherer Verfahren erforderlich werden, besteht doch das Ziel der Wiederaufnahme darin, dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen114: Stellt die Tatsache, dass eine Vorfrage nachträglich von einer anderen Behörde anders entschieden wird, einen Wiederaufnahmegrund dar, muss Gleiches auch gelten, wenn sich eine Entscheidung derselben Behörde für einen früheren Steuerzeitraum direkt auf einen (einen späteren Steuerzeitraum betreffenden) Bescheid auswirkt115. c. Unterschiedliche Praxis verschiedener Behörden An eine einmal gewählte Verwaltungspraxis ist nicht nur jeder weisungsabhängige Organwalter für sich gebunden, sondern die nach außen in Erscheinung tretende Behörde als solche116. Es geht daher nicht an, dass verschiedene (weisungsgebundene) Organwalter von dem der Behörde eingeräumten Ermessen unterschiedlichen Gebrauch machen. Innerhalb der Be____________________
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VfSlg 8783/1980. VfSlg 8266/1978. VfSlg 6258/1970, 8725/1980. Wenn eine Finanzbehörde ein bestimmtes geschäftliches Verhalten durch Jahre hindurch in Übereinstimmung mit dem Steuerpflichtigen in vertretbarer Weise beurteilt hat und nachfolgend ein und denselben Vorgang, wenn auch in vertretbarer Weise, anders behandelt, so darf dieser Wechsel nach der Judikatur nicht zu einer Doppelbesteuerung führen, da hiedurch „Treu und Glauben“ verletzt werden (VfSlg 6258/1970, 8725/1980, 12.186/1989, 12.566/1990). ME liegt die Gleichheitswidrigkeit in einem solchen Fall nicht darin, dass die Behörde das Vertrauen des Rechtsunterworfenen enttäuscht, sondern allein darin, dass dieser durch den Wechsel der Behördenpraxis im Effekt doppelt besteuert wird. Dies ist mit dem gleichheitsrechtlichen Grundsatz der Einmalbesteuerung unvereinbar (s oben F.II.5.a.), und zwar unabhängig davon, ob der Rechtsunterworfene auch darauf vertraut, bloß einmal besteuert zu werden. 114 VfSlg 11.635/1988. 115 VfSlg 12.186/1989, 12.566/1990. 116 S schon Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 440.
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hörde muss daher – allenfalls durch entsprechende Richtlinien – für eine einheitliche Ermessensübung gesorgt werden. Gleiches gilt jedenfalls auch für verschiedene Behörden derselben Instanz, soweit ihnen eine weisungsberechtigte Behörde übergeordnet ist117. Dass eine Behörde von der in einem Erlass festgeschriebenen Rechtsmeinung einer anderen Behörde abweicht, spricht daher zwar für sich allein weder für ein gleichheitswidriges Vorgehen der einen noch für ein solches der anderen Behörde118. Wie der VwGH zutreffend annimmt, gehört aber zum „Sinn des Gesetzes“ iSd Art 130 Abs 2 B-VG auch dessen (aus dem Gleichheitssatz ableitbare) Bindung für gleich gelagerte und zum gleichen Zeitpunkt vor denselben Behörden anhängige Rechtsfälle, mögen diese Behörden auch innerhalb der Verwaltungsorganisation verschiedenen Rechtsstufen zugehören119. Auf institutionelle Grenzen stößt der Gleichheitssatz allerdings, sobald in einer Instanz mehrere weisungsunabhängige Behörden entscheiden und auch dann, wenn die Mitglieder ein und derselben Behörde an keine Weisungen gebunden sind. Überträgt der Verfassungsgesetzgeber also eine bestimmte Angelegenheit in der Gesetzgebung dem Bund, in der Vollziehung aber den Ländern (Art 11 Abs 1 B-VG), dann nimmt er in Kauf, dass in letzter Instanz nicht eine, sondern neun verschiedene Behörden entscheiden und damit auch von ihrem Ermessen in unterschiedlicher Weise Gebrauch machen werden. Soweit jede dieser Behörden für sich das ihr eingeräumte Ermessen „im Sinne des Gesetzes“ übt, ist Art 130 Abs 2 B-VG Genüge getan. Gegen die damit notwendig einhergehenden Praxisunterschiede zwischen den Ländern bietet der allgemeine Gleichheitssatz keine Handhabe. Ebenso wenig kann unter dem Titel des Gleichheitssatzes von einem UVS oder vom UBAS eine einheitliche Praxis verlangt werden, weil die Mitglieder dieser Behörde nach Art 129b Abs 2 B-VG bzw Art 129c Abs 3 B-VG an keine Weisungen gebunden sind. Deren Unabhängigkeit schließt zentrale Weisungen zu einheitlicher Rechtsanwendung aus. Nichts anderes gilt auch für Gerichte: Wenn die Verfassung sie in Ausübung ihres richterlichen Amtes für unabhängig erklärt (Art 87 Abs 1 B-VG), nimmt sie einander widersprechende Entscheidungen in Kauf. Erst der Rechtszug an ein zentrales Gericht stellt dann Rechtseinheit und damit auch die gleiche Rechtsanwendung her120. Dass gleich gelagerte Fälle nach ____________________
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S auch Dicke, VwArch 59 (1968) 308. VfSlg 10.079/1984. 119 VwGH 10.5.1978, Z 331/77; s auch Lanz, NJW 1960, 1797 f; kritisch Stoll, Ermessen 120, der dies bei Verwaltungen, die in territorialer und funktionaler Hinsicht organisatorisch so ausgedehnt sind wie die Abgabenverwaltung des Bundes, nicht für durchführbar hält. 120 Fasching, Zivilgerichtliches Verfahren 362; kritisch zum Ergebnis Biussi, DRdA 1965, 88 ff. 118
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demselben Gesetz ungleich behandelt werden, ist schließlich auch in Selbstverwaltungsangelegenheiten unvermeidlich; auch hier verzichtet die Verfassung zugunsten der Vielfalt auf eine großräumige Rechtsanwendungsgleichheit. Nur innerhalb der Selbstverwaltung muss wiederum für eine einheitliche Praxis gesorgt sein121. Keine Rechtsgleichheit kann selbstverständlich auch für den Vollzug verschiedener Landesgesetze gefordert werden: Die Behauptung, in anderen Bundesländern würden ähnliche Delikte mit Geld- und nicht mit Arreststrafe geahndet, kann daher unter dem Titel des Gleichheitssatzes nicht zum Erfolg führen, weil, wie der VfGH zutreffend annimmt, „die Vollziehung des Gesetzes des einen Landes keinen Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Vollziehung eines anderen Gesetzes eines anderen Landes bildet“122.
2. Erlassung von Verordnungen Soweit eine Norm der Vollziehung bei der Erlassung individueller Entscheidungen Spielräume belässt, muss sich die Behörde, wie gezeigt, Richtlinien, also Regeln zurechtlegen, nach denen sie das ihr eingeräumte Ermessen übt. Diese Regeln mögen explizit formuliert sein oder nicht, für den Rechtsunterworfenen sichtbar werden sie nur und erst durch die Entscheidungspraxis, die die Behörde sodann einschlägt: An ihr „zeigt“ sich die generelle Norm, mit der die Behörde ihren Entscheidungsspielraum füllt. Viel offensichtlicher rechtssetzend wird eine Behörde, wenn sie Verordnungen erlässt. Als Verwaltungsakt ist die Verordnung gleichheitswidrig, wenn sie eine im Gesetz angelegte (oder diesem unterstellte) Gleichheitswidrigkeit näher konkretisiert oder wenn die Behörde willkürlich vorgeht, so etwa, wenn sie den für die Verordnung maßgeblichen Sachverhalt nicht ordnungsgemäß ermittelt oder die Ergebnisse einer solchen Ermittlung leichtfertig außer Acht lässt123. Als generelle Norm ist die Verordnung wie das Gesetz gleichheitswidrig, wenn sie selbst eine unsachliche Ungleichbehandlung vornimmt, wenn sie etwa bestimmte Liegenschaftseigentümer in einem Flächenwidmungsplan privilegiert oder diskriminiert124, aber auch, wenn sie umgekehrt notwendige Differenzierungen unterlässt, und schließlich, wenn sie gegen das allgemeine Sachlichkeitsgebot verstößt125, eine Umwidmung also etwa nur vornimmt, um ein rechtswidriges Gebäu____________________
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S auch Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 444 f. VfSlg 8079/1977. S der Sache nach VfSlg 14.601/1996, 17.362/2004. Anders als bei der Erlassung eines Bescheides trifft die Behörde hingegen bei der Verordnung keine Begründungspflicht. 124 VfSlg 14.378/1995, 14.629/1996. 125 VfSlg 13.663/1993, s auch VfSlg 13.282/1992 betreffend eine Umwidmung von Bauland in Grünland, die der Verfassungsgerichtshof wegen völlig fehlender Bedachtnahme auf die Interessen des betroffenen Grundstückseigentümers als gleichheitswidrig qualifizierte.
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de nachträglich zu legitimieren126. Nach der Judikatur soll eine Verordnung hingegen nicht gleichheitswidrig sein, wenn die Behörde sich „bemüht“ hat, etwa ein Kontingent nach objektiven und sachgerechten Kriterien zu verteilen127. Dass der VfGH hier auf das „Bemühen“ abstellt, also auf ein subjektives Moment, zeigt wohl, dass er die Maßstäbe der Willkür zugrunde legt, die mit der Vorwerfbarkeit behördlichen Verhaltens konnotiert ist128. Richtigerweise müsste für die Verordnung als einer generellen Norm freilich gelten, was auch für den Gesetzgeber seit langem gilt: dass das bloße Bemühen noch nicht vom Vorwurf einer Gleichheitswidrigkeit befreit129.
IV. Gleichheit vor dem Gesetz und Bestimmtheit des Gesetzes 1. Gleichheit als Gebot ausreichender Determinierung? Art 18 Abs 1 B-VG bindet nicht nur die Vollziehung an das Gesetz; nach hA verpflichtet das Legalitätsprinzip auch den Gesetzgeber dazu, die Tätigkeit der Vollziehung ausreichend zu determinieren130. Wie bestimmt ein Gesetz sein muss, sagt Art 18 Abs 1 B-VG für sich genommen nicht131. Feststeht aber, dass dabei nicht an jede Regelung derselbe Maßstab anzulegen ist. Der Grad der gebotenen Determinierung hängt vielmehr vom Gegenstand einer Vorschrift ab132. Er ist mit Rücksicht auf die Funktion des Art 18 B-VG, die Verwaltung demokratisch zu legitimieren und dem Einzelnen Rechtssicherheit zu verschaffen, und auch mit Blick auf das Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen von Fall zu Fall zu ermitteln133. ____________________
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S zB VfSlg 12.171/1989; s auch noch H.VII. VfSlg 12.281/1990. 128 H.II.1. 129 S schon oben D.I.3.a. 130 VfSlg 176/1923, 2740/1954, 4139/1962, 13.449/1993, 14.936/1997; Adamovich/ Funk/Holzinger, Staatsrecht II Rz 27.031; Mayer, B-VG Art 18 Abs 1 B-VG II.1.; Rill, Art 18 B-VG Rz 5 ff; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 583; Walter/Mayer/KucskoStadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 569; aA Raschauer, FS Rill 516, nach dem Art 18 B-VG der Behörde nur verwehrt, ohne gesetzliche Grundlage tätig zu werden. 131 Rill, Art 18 B-VG Rz 52. 132 ZB VfSlg 13.785/1994, wonach „Art 18 B-VG einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad verlangt“; s zu diesem sog „differenzierten Legalitätsprinzip“ Winkler, Wirtschaftsrecht 58 ff, 78 ff; Wimmer, Materiales Verfassungsverständnis 118; Novak, FS Adamovich 491 ff; Antoniolli/Koja, Verwaltungsrecht 234 f; ablehnend zB Klecatsky, ÖJZ 1967, 113 ff; kritisch auch Pernthaler, Raumordnung II 51 ff; s zu den verschiedenen Determinierungsanforderungen in einzelnen Rechtsbereichen Rill, Art 18 B-VG Rz 65 ff. 133 S mwN auch Rill, Art 18 B-VG Rz 52 ff. 127
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Nach der – mE zutreffenden, wenngleich nicht völlig konsequenten – Judikatur des VfGH ist der Grad der erforderlichen Bestimmtheit etwa hoch, wenn der Gesetzgeber in ein Grundrecht eingreift, das seinerseits unter einem Gesetzesvorbehalt steht134. Denn der Gesetzesvorbehalt ist ja nichts anderes als ein punktuelles Legalitätsprinzip: Er ist nicht nur Vorläufer des nun allgemein geltenden Art 18 Abs 1 B-VG135. Er bringt auch zum Ausdruck, dass die Verfassung gerade bei Grundrechtseingriffen eine besonders genaue Determinierung verlangt. Insofern konkretisieren Gesetzesvorbehalte Art 18 Abs 1 B-VG, geben also für bestimmte Normen nähere Auskunft über den jeweils gebotenen Determinierungsgrad. Nur auf den ersten Blick gelten diese Grundsätze für den Gleichheitssatz nicht. Gesteht man diesem aber einen Schutzbereich zu, dann ist auch hier anzunehmen, dass eine Norm umso stärker determiniert sein muss, je näher sie an den Kernbereich des Gleichheitssatzes heranrückt: Ungleichbehandlungen nach verpönten Differenzierungsmerkmalen bedürfen daher einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung. Das gilt zunächst für Verordnungen, die nach solchen Merkmalen nicht unterscheiden dürfen, wenn das Gesetz dies nicht explizit erlaubt136. Es gilt aber auch für das übrige Handeln der Vollziehung: Sie darf ein Gesetz – wenn dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist – nicht so auslegen, dass es die Träger verpönter Differenzierungsmerkmale unmittelbar oder mittelbar benachteiligt. Soweit der Gleichheitssatz eine besondere Beachtung der Umstände des Einzelfalles fordert, wie dies etwa bei Strafzumessungen der Fall ist137, entstehen nur scheinbar Friktionen mit dem Gebot der ausreichenden Determination. Denn der Gleichheitssatz verlangt dann zwar, dass der Behörde Spielräume belassen werden; die Grenze der gebotenen „Einzelfallgerechtigkeit“ zieht aber auch hier das Legalitätsprinzip. Die wesentlichen Determinanten, an denen sich die Behörde bei ihrer Entscheidung zu orientieren hat, müssen dem Gesetz also zu entnehmen sein. Andernfalls können Einzelfallgerechtigkeit und Billigkeit unversehens in eine „Ge____________________
134 S zB VfSlg 10.737/1985, 11.455/1987, 11.857/1988, s auch VfSlg 13.785/1994, 14.850/1997; allgemein Berka, FS Walter 37 ff; Holoubek, Gesetzesvorbehalte 13 f. 135 S auch Korinek, FS Wenger 247; Holoubek, Gesetzesvorbehalte 13 f. 136 Die (als Verordnung zu qualifizierende) Satzung des Wohlfahrtsfonds einer Ärztekammer darf dementsprechend bei der Altersversorgung nicht zwischen männlichen und weiblichen Kammerangehörigen differenzieren, wenn das Gesetz sie hiezu nicht ermächtigt: VfSlg 14.684/1996, 16.804/2003; s auch schon das erste Erkenntnis des VfGH zum Gleichheitssatz überhaupt, nach dem Art 2 StGG verletzt wird, wenn „ein Staatsbürger wegen irgendwelcher persönlicher Eigenschaften, die nach dem Gesetz von maßgebender Bedeutung nicht sein dürfen, zum Beispiel wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Religionsbekenntnisse, zu einer Nationalität oder zu einem sozialen Stande“ von Rechten ausgeschlossen wird (VfSlg 5/1919). S für Art 14 EMRK auch Pöschl, ZÖR 2005, 217. 137 S oben E.IV.4.c.
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fälligkeitsverwaltung“ umschlagen138, die ihrerseits dem Gleichheitssatz widerspricht139. Es wurde bereits festgestellt, dass der Sinn des Legalitätsprinzips sich mit dem Schutzzweck des allgemeinen Gleichheitssatzes teilweise deckt, insofern nämlich, als die Bindung der Vollziehung an das Gesetz das behördliche Verhalten für den Einzelnen vorhersehbar macht und ihn vor demokratisch nicht legitimierter Willkür der Vollziehung schützt. Daraus kann allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass jede Vorschrift, die nicht ausreichend determiniert iSd Art 18 B-VG ist, auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt. Sonst müsste – da der allgemeine Gleichheitssatz für die gesamte Rechtsordnung gilt – das in Art 18 B-VG statuierte Bestimmtheitsgebot ganz überflüssig sein. Nichts zwingt dazu, dem Verfassungsgesetzgeber zu unterstellen, er habe mit Art 18 B-VG eine entbehrliche Vorschrift geschaffen; viel näher liegt die Annahme, dass die Frage der Bestimmtheit einer Vorschrift in Ansehung des Art 18 B-VG gerade kein Problem des allgemeinen Gleichheitssatzes ist. In seiner älteren Judikatur hat dies der VfGH wohl ebenso gesehen und auf den Vorwurf, ein Gesetz sei gleichheitswidrig, weil es dem Beschwerdeführer infolge seiner unpräzisen Bestimmungen nicht ermögliche, in die Gebarung der Fremdenverkehrskommission Einsicht zu nehmen, sodass er nicht überprüfen könne, ob seine Einschätzung nach dem Gesetz mit der behördlichen Einschätzung gleichartiger Betriebe übereinstimme, entgegengehalten: „Diese Bemängelungen mögen, sofern sie überhaupt zutreffen, sich als legistische Unebenheiten darstellen. Vom verfassungsrechtlichen Standpunkt sind sie aber derart abwegig, daß der Verfassungsgerichtshof es als nicht notwendig erachtet, zu diesem Vorbringen im einzelnen Stellung zu nehmen.“140 In VfSlg 13.492/1993 wurde die Frage, ob eine Vorschrift ausreichend determiniert ist, aber bereits in einen untrennbaren Zusammenhang mit ihrer Gleichheitskonformität gebracht: Dem VfGH lag ein auf Art 140 B-VG gestützter Antrag vor, in dem der OGH die Aufhebung des § 7 ÖIAG-FinanzierungsG141 begehrte. Diese Vorschrift schloss die Anwendung von Wertanpassungsklauseln in (betrieblichen oder einzelvertraglichen) Vereinbarungen über Zusatzpensionen bei bestimmten Gesellschaften des ÖIAG-Konzerns aus. Der OGH sah darin einen gleichheitswidrigen Eingriff in wohlerworbene Rechte, überdies hielt er diese Vorschrift für unvereinbar mit dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Ei____________________
138 S schon Öhlinger, ZfV 1999, 682; zu den Vor- und Nachteilen hoch determinierter und der Verwaltung weitere Spielräume belassender Normen s auch Herzog, NJW 1999, 25 ff. 139 Zum Vorrang des Gesetzes auch Starck, Art 3 GG Rz 8. 140 VfSlg 2641/1954. 141 IdF BGBl 1987/298.
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gentums. Der VfGH teilte zwar diese Bedenken nicht, er hielt die angefochtene Vorschrift aber für mangelhaft determiniert iSd Art 18 B-VG. Dieses Bedenken zu erörtern war ihm freilich verwehrt, da er in einem Verfahren nach Art 140 B-VG nach ständiger Rechtsprechung auf die im Prüfungsantrag geltend gemachten Bedenken beschränkt ist142. Es war wohl diese prozessuale Not143, die den VfGH dazu veranlasste festzustellen, dass eine Gesetzesvorschrift, die „wegen ihrer weitgehenden inhaltlichen Unbestimmtheit gar nicht auf ihre Gleichheitskonformität beurteilt werden [kann], [...] schon aus diesem Grund (jedenfalls auch) gegen das Gleichheitsgebot [verstößt]: Das Gleichheitsgebot als Auftrag zu gleicher rechtlicher Beurteilung im wesentlichen gleicher Sachverhalte der behördlichen Tätigkeit läßt sich überhaupt nur dann verwirklichen, wenn die verschiedenen einschreitenden behördlichen Organe im allgemeinen und regelmäßig in der Lage sind, in gleichgelagerten Fällen zur gleichen rechtlichen Beurteilung zu gelangen; dies trifft gewiß dann zu, wenn von vornherein zumutbare Überlegungen nur eine einzige, bestimmte Lösung als das Resultat verfassungskonformer Gesetzeshandhabung erbringen, nicht aber dann, wenn zur Auswahl unter zwei oder mehreren Lösungen subtile Erwägungen über die Zulässigkeit verschieden gewichteter Eingriffe durch den Gesetzgeber unter Bedachtnahme auf eine sehr differenzierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes anzustellen sind. [...] Art I § 7 Abs 1 des ÖIAG-Finanzierungsgesetzes 1987 ist daher – wie der OGH dieser Vorschrift im Ergebnis zu Recht anlastet – mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot unvereinbar und sohin als verfassungswidrig aufzuheben.“
Der VfGH hat mit dieser Begründung zweifellos sein Ziel erreicht; wirklich überzeugend ist sie nicht. Lässt man einmal außer Betracht, dass der VfGH selbst von der Behörde nicht selten eine überaus subtile Auslegung des Gesetzes erwartet, und zwar auch dann, wenn ihr für ein Rechtsproblem keine, geschweige denn eine sehr differenzierte Judikatur als Orientierung zur Verfügung steht144, so muss zunächst bezweifelt werden, dass die Behörde durch ein unzureichend determiniertes Gesetz wirklich daran gehindert ist, in gleich gelagerten Sachverhalten zur gleichen rechtlichen Beurteilung zu gelangen. ME ist das nicht der Fall. Denn es wäre der Behörde doch ohne weiteres möglich, sich – da entsprechende Vorgaben im Gesetz fehlen – selbst dem Gleichheitssatz entsprechende Entscheidungsrichtlinien zurechtzulegen und diese dann konsequent zu befolgen. Es wäre auch denkbar, ja durch den Gleichheitssatz wohl sogar geboten, dass die oberste Behörde des jeweiligen Vollzugsbereiches derartige Richtlinien erlässt, um sicherzustellen, dass alle mit der fraglichen Norm ____________________
142 ZB VfSlg 5636/1967, 9911/1983, 12.691/1991, 13.704/1994, 14.050/1995, 14.466/ 1996, 14.802/1997, 16.103/2001, 16.754/2002, 16.911/2003; VfGH 4.10.2006, G 96/05. 143 So auch die Einschätzung von Öhlinger, Sozialrecht 158 FN 28. 144 S dazu bereits oben bei FN 56; in diese Richtung auch Kneihs, ÖZW 2001, 116. Handstanger, ZfV 1994, 20, meint, dem zitierten Erkenntnis sei implizit die Aussage zu entnehmen, dass „eine ‚sehr differenzierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofs‘ mit dem Gebot zur verfassungskonformen Interpretation in ein Spannungsverhältnis geraten kann.“
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befassten Behörden in gleicher Weise vorgehen. So könnte der Schaden, den die fehlende Bestimmtheit des Gesetzes bewirkt, immerhin begrenzt werden. Gerade das offenbart aber das eigentliche Problem: Ein unterdeterminiertes Gesetz ist nicht deshalb bedenklich, weil es eine gleichheitskonforme Behandlung der Rechtsunterworfenen vereitelt. Bedenklich ist ein solches Gesetz vielmehr, weil nicht der Gesetzgeber, sondern die Behörde bestimmt, was gleich und was ungleich zu behandeln ist145. Nicht zu überzeugen vermag daher auch die weitere Annahme des VfGH, eine Norm sei auch dann gleichheitswidrig, wenn sie wegen ihrer Unbestimmtheit auf ihre Gleichheitskonformität nicht überprüft werden kann. Dies ist erstens ein Widerspruch in sich: Ob eine Norm, die nicht ausreichend bestimmt ist, dem allgemeinen Gleichheitssatz entspricht, ist ja definitionsgemäß unklar. Diese Frage kann also weder bejaht noch verneint werden146. Träfe die These des VfGH zu, dann wäre zweitens nicht einzusehen, warum sie nicht auch für die übrige Verfassung gelten sollte: Eine Norm, die so unbestimmt ist, dass sie auf ihre Vereinbarkeit mit einem Freiheitsrecht nicht überprüft werden kann, verletzte dann auch das jeweilige Freiheitsrecht. Konsequent zu Ende gedacht müsste eine Norm, die unzureichend determiniert ist, dann gerade deshalb auch die gesamte übrige Verfassung verletzen. Dass dies nicht richtig sein kann, bedarf wohl keines weiteren Beweises. In VfSlg 15.785/2000 lag dem VfGH ein Normprüfungsantrag nach Art 140 B-VG vor, mit dem der VwGH und mehrere UVS § 39 Abs 1 lit a AWG als gleichheitswidrig bekämpften, weil dieser bestimmte Übertretungen des AWG mit einer Mindeststrafe in der Höhe von 50.000 S bedrohte, was den Antragstellern überschießend erschien147. Die Bundesregierung hielt diesen Bedenken entgegen, § 39 Abs 1 lit a AWG beziehe sich ausschließlich auf Unternehmer bzw gewerblich tätige Personen; Umweltverstößen durch diesen Personenkreis könne aber wirksam nur durch Sanktionen mit einer gewissen Schärfe begegnet werden, die ein strafbares Verhalten wirtschaftlich unrentabel erscheinen lassen. Der VfGH hielt diesen ____________________
145 S auch Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 767, der die Annahme ablehnt, eine Norm verletze den Gleichheitssatz, wenn sie so unbestimmt ist, dass sie auf ihre Gleichheitskonformität nicht überprüft werden kann: „Mit dem Gleichheitsgrundsatz hat das nichts mehr zu tun; es handelt sich vielmehr um ein Problem des Legalitätsprinzips“. 146 Dieser Ansicht war im Erkenntnis VfSlg 16.294/2001 auch der VfGH selbst; er erhob gegen eine Norm Bedenken im Hinblick auf Art 18 B-VG, Art 7 B-VG und Art 5 StGG, gelangte dann zur Ansicht, dass die in Prüfung gezogene Norm zu unbestimmt sei und stellte daran anschließend fest: „Bei diesem Ergebnis konnte auf die weiteren Bedenken, daß die Vorschriften dann dem dem Gleichheitssatz innewohnenden Sachlichkeitsgebot der Verfassung widersprächen, wenn sie den von der Behörde angenommenen, die Beförderungsunternehmungen sehr weitgehend in Pflicht nehmenden Inhalt hätten, nicht eingegangen werden.“ 147 S zu dieser Entscheidung auch die Besprechung von Kneihs, ÖZW 2001, 114 ff.
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Einwand zwar für grundsätzlich beachtlich, war jedoch der Ansicht, dass § 39 Abs 1 lit a AWG die von der Bundesregierung behauptete Einschränkung nicht zulasse: Da das AWG unklar umschreibe, wem die verpönten Verhaltensweisen bei Strafe verboten sind, ergebe sich aus dem Gesetz nicht mit ausreichender Deutlichkeit, dass die Strafbestimmung auf Unternehmer beschränkt sei, die gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätig sind. Wenn der VfGH hier eine gleichheitskonforme Reduktion des Wortlautes ablehnte, dann offensichtlich in der Annahme, dass an die Bestimmtheit strafrechtlicher Vorschriften hohe Anforderungen zu stellen sind. Der Gesetzgeber muss nach der zutreffenden Judikatur des VfGH klar und unmissverständlich angeben, wen er unter welchen Voraussetzungen strafen will148. Der Rechtsunterworfene kann in dieser Hinsicht nicht auf eine verfassungskonforme Auslegung und die damit verbundenen Unwägbarkeiten verwiesen werden; er muss vielmehr eindeutig erkennen können, welches Verhalten ihm der Gesetzgeber unter Androhung von Strafen untersagt. Erfüllt eine Strafnorm schon diese Voraussetzungen nicht, dann erübrigt sich die Frage nach ihrer Gleichheitskonformität, sie ist im Verhältnis zur Frage der Bestimmtheit der Strafnorm nachrangig. In der unangenehmen Lage, die – nur als gleichheitswidrig bekämpfte – Vorschrift des § 39 Abs 1 lit a AWG nicht wegen ihrer Unbestimmtheit aufheben zu können, berief sich der VfGH auf seine zwischenzeitig gefällte Entscheidung VfSlg 13.492/1993, derzufolge eine Gesetzesvorschrift (jedenfalls auch) gegen das Gleichheitsgebot verstößt, wenn sie wegen ihrer weitgehenden inhaltlichen Unbestimmtheit gar nicht auf ihre Gleichheitskonformität beurteilt werden kann. Gerade diese Prämisse wird aber letztlich wieder aufgegeben, wenn der VfGH weiter feststellt: „Die oben aufgezeigte Unklarheit und Unbestimmtheit der Verwaltungsstraftatbestände des § 39 Abs 1 lit a Z 1 und 2 AWG 1990 lassen jedoch sowohl im Hinblick auf die verpönten Verhaltensweisen als auch auf ihren persönlichen Anwendungsbereich eine ausreichende Klarheit vermissen und ermöglichen es insbesondere nicht, die Verbote als ausschließlich an gewerbsmäßig tätige Abfallsammler oder Abfallbehandler gerichtet zu verstehen. Die angefochtene Mindestgeldstrafe ist daher jedenfalls überschießend und insofern sachlich nicht zu rechtfertigen, sodaß sie mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot unvereinbar ist.“149
Auch diese Begründung kann nicht überzeugen: Wenn die genannten Verwaltungsstraftatbestände in der beschriebenen Weise unklar und unbestimmt sind, dann kann weder angenommen werden, dass sie sich nur an gewerbsmäßig tätige Abfallsammler oder Abfallbehandler richten, noch kann angenommen werden, dass sie auch andere Personen adressieren: Es ist ganz einfach unklar, ob dem Gesetz dieser oder jener Sinn zukommt ____________________
148 149
S mwN Rill, Art 18 B-VG Rz 65. Hervorhebungen nicht im Original.
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und durch diese Unklarheit verletzt die Strafvorschrift Art 18 B-VG. Ob die Norm darüber hinaus auch überschießend und daher gleichheitswidrig ist, entzieht sich in Ansehung ihrer Unklarheit einer Beurteilung. Die genannten Entscheidungen sollten in ihrer Tragweite nicht überbewertet werden; sie sind wohl eher durch die prozessuale Zwangslage zu erklären, in der sich der VfGH jeweils befand und stellen den Versuch dar, die gegen die Norm eigentlich bestehenden Bedenken unter dem einzig zur Verfügung stehenden Titel des Gleichheitssatzes aufzugreifen, dies zum Teil wohl auch in der Absicht, neuerliche Gesetzesprüfungsverfahren zu vermeiden150. Der pragmatische Zugang des VfGH, sich selbst und dem Antragsteller einen zweiten Anlauf zu ersparen, ist in Ansehung der Arbeitsbelastung des VfGH verständlich, und er dient auch der Rechtsbereinigungsfunktion des VfGH: Denn im Fall einer Zurückweisung des Antrages ist zwar zu erwarten, dass das Gericht bzw der UVS einen neuerlichen Prüfungsantrag einbringt; von vorneherein garantiert ist dies aber nicht. Unterbleibt eine solche Prüfungsinitiative und gelangt die Sache (wie stets bei gerichtlichen Verfahren) auch nicht durch eine Bescheidbeschwerde an den VfGH, dann bleibt die jeweilige Norm im Rechtsbestand, obwohl gegen sie verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Und doch ist der Weg, den der VfGH hier gegangen ist, rechtsdogmatisch problematisch. Dies nicht nur, weil dem Gleichheitssatz auf diese Weise ein Inhalt zugeschrieben wird, den er nicht hat, sondern auch, weil sich derartige Ad-hoc-Konstruktionen leicht verselbständigen und zu einer eigenständigen Judikaturlinie entwickeln können, die dann auch zur Anwendung kommt, wenn eine prozessuale Not gar nicht mehr besteht151. Letztlich würde der Gleichheitssatz aber in dieser Deutung – wenn man mit den Prämissen der genannten Entscheidungen wirklich ernst machte – auch die Arbeitsbelastung des VfGH im Ergebnis erhöhen. Je stärker der Gleichheitssatz nämlich mit Inhalten aufgeladen wird, desto aufwendiger wird es, über einen Prüfungsantrag zu entscheiden, der sich auf den Gleichheitssatz stützt. Der VfGH geht zwar in ständiger Rechtsprechung davon aus, ____________________
150 Gerade in den beiden letzten Fällen (VfSlg 13.492/1993 und 15.785/2000) hätte die Abweisung der Prüfungsanträge mit der Begründung, die bekämpfte Vorschrift sei zu unbestimmt, um auf ihre Gleichheitskonformität überprüft zu werden, ja erwarten lassen, dass diese Vorschrift neuerlich, nun aber nach Art 18 B-VG angefochten und sodann auch aufgehoben worden wäre. 151 So geschehen in VfSlg 16.091/2001, in dem § 39 Abs 1 lit a AWG idF BGBl I 1998/151 aus den in VfSlg 15.785/2000 genannten Gründen als gleichheitswidrig bekämpft und aufgehoben wurde; dass der antragstellende UVS seine Bedenken auf den Gleichheitssatz stützte, ist verständlich, ebenso das stattgebende Erk des VfGH. Beides war durch die Judikatur ja vorgezeichnet, ändert aber nichts daran, dass § 39 Abs 1 lit a AWG in der alten wie in der neuen Fassung zu unbestimmt war, während seine Gleichheitskonformität nicht beurteilt werden konnte. S schließlich das Erk VfSlg 17.782/2006, in dessen Prüfungsbeschluss sich der VfGH selbst auf VfSlg 13.492/1993 und 15.785/2000 beruft.
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dass die gegen eine Vorschrift bestehenden Bedenken in einem Normprüfungsantrag genau umschrieben sein müssen; er weist dementsprechend auch immer wieder Prüfungsanträge zurück, die die Verfassungswidrigkeit einer Norm bloß pauschal behaupten, aber nicht näher konkretisieren152. Dieser Weg wird allerdings verlassen, wenn sich der VfGH – wie in VfSlg 13.492/1993 und 15.785/2000 – einmal darauf einlässt, unter dem Titel des Gleichheitssatzes auch Bedenken aufzugreifen, die in einem Prüfungsantrag gar nicht vorgebracht worden sind.
2. Gleichheit als Determinierungsersatz? Die Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes und jene des Determinierungsgebotes sind nach dem bisher Gesagten voneinander verschieden; sie sind nicht als gleich, sondern viel eher als einander ergänzend anzusehen: Je stärker eine Vorschrift nämlich determiniert ist, desto exakter ist die Frage, was gleich und was ungleich behandelt werden muss, vom Gesetzgeber vorentschieden. Je weniger bestimmt eine Norm ist (und sein darf ), desto eher kommt bei ihrer Auslegung der allgemeine Gleichheitssatz zum Tragen153. Dies zeigt sich besonders deutlich im Raumplanungsrecht, in dem sich Art 18 B-VG mit einer „verdünnten Legalität“ begnügt. Die weiten Spielräume, die das Gesetz der Behörde in diesen Fällen zulässigerweise einräumt154, sind dann im Einzelfall auch durch den allgemeinen Gleichheitssatz zu konkretisieren155. Regelmäßig ist die Behörde dabei mit divergierenden Interessen konfrontiert; der Gleichheitssatz verlangt diesfalls eine umfassende Abwägung aller beteiligten Interessen156, weil nur auf diese Weise sichergestellt werden kann, dass nicht die Bedürfnisse einzelner Personengruppen einseitig höher bewertet werden als ____________________
152 S zB VfSlg 8863/1980, 8889/1980, 9506/1982, 12.449/1990, 13.571/1993, 13.652/ 1993. 153 S auch Starck, Gleichheitssatz 54. 154 S zur „finalen Determinierung“ im Raumplanungsrecht allgemein Raschauer, ZfV 1980, 96 ff; Berka, JBl 1996, 69 ff; Stolzlechner, ZfV 2000, 215. 155 S zB VfSlg 8701/1979, wonach der Gesetzgeber befugt ist, die Umschreibung verschiedenster Widmungsarten nach seinen rechtspolitischen Vorstellungen zu gestalten, sodass es der planenden Gemeinde obliegt, die richtige Widmung aus einer großen Zahl von Möglichkeiten auszuwählen. In ihrer Summe müssen aber die zulässigen Widmungsarten zu Ergebnissen führen können, die vor dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz Bestand haben. 156 S zB VfSlg 10.277/1984; s auch VfSlg 13.282/1992, wonach die Behörde dann, wenn sich eine Rückwidmung von Bauland in Grünland als erforderlich erweist, nicht gerade jene Flächen rückwidmen darf, die für eine Bebauung am ehesten geeignet sind, denn die Eigentümer derartiger Flächen werden durch die Rückwidmung – verglichen mit anderen Eigentümern – schwerer getroffen, wofür eine sachliche Rechtfertigung fehlt; s weiters VfSlg 12.687/1991, 12.926/1991, 14.041/1995, 14.179/1995, 14.303/1995.
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die Interessen einer anderen Personengruppe157. Insofern stellt der Gleichheitssatz, wie in der Literatur treffend bemerkt worden ist, tatsächlich ein „Surrogat für eine fehlende materiell-rechtliche Determinierung durch das Gesetz“158 dar, dies freilich nur und bloß soweit, als das Gesetz an sich mit Art 18 B-VG vereinbar ist. Bei der Wahrnehmung jener Spielräume, die der Gesetzgeber der Behörde im Einklang mit Art 18 B-VG belässt, ist der Gleichheitssatz mit zu berücksichtigen, nicht anders als alle anderen Verfassungsbestimmungen auch. So wenig ein Determinationsmangel ein Gesetz mit Gleichheitswidrigkeit belastet, so wenig kann der Gleichheitssatz umgekehrt eine durch Art 18 B-VG gebotene Determination ersetzen. In der älteren Judikatur des VfGH klingt ein solches Verständnis manchmal an, so etwa im Erkenntnis VfSlg 5581/1967, nach dem die Änderung eines Regulierungsplanes – da ihre Voraussetzungen in der nö BauO nicht geregelt waren – „nur“ dem Gleichheitssatz entsprechen müsse: Im konkreten Fall hatte die Gemeinde einem Bauwerber die Unterschreitung des Seitenabstandes von ursprünglich 3 m auf nunmehr 2 m genehmigt. Der VfGH stellte das Interesse des Bauwerbers an der Unterschreitung des Seitenabstandes dem Interesse des Nachbarn an der Einhaltung dieses Abstandes gegenüber, konstatierte eine Gleichwertigkeit der Interessen und qualifizierte die Änderung des Regulierungsplanes im Hinblick darauf als zulässig159. An dieser Vorgangsweise ist mE nicht zu beanstanden, dass der VfGH eine Abwägung der kollidierenden Interessen vorgenommen und auf ihrer Grundlage über die Frage der Gleichheitskonformität entschieden hat160. Denn es ist, wie bereits mehrfach erwähnt, eine Grundforderung der durch den Gleichheitssatz gebotenen Unparteilichkeit, dass der Gesetzgeber und (soweit das Gesetz Spielräume eröffnet) auch die Behörde kollidierende Interessen in einen ausgewogenen Ausgleich zueinander bringen161. Zu kritisieren ist an dieser Entscheidung vielmehr, dass die eigentlich maßgebliche Frage der ausreichenden Determination des Gesetzes durch den Re____________________
157 Zur gleichheitsrechtlichen Grundforderung der Unparteilichkeit s schon oben D.I.3.a. 158 Jann/Oberndorfer, Raumplanung 140; s auch Raschauer, Verwaltungsrecht2 Rz 661. Noch mehr gilt das in der Privatwirtschaftsverwaltung, s Rüffler, JBl 2005, 416. 159 Unter Berufung auf diese Entscheidung hat der VfGH auch in der jüngeren Vergangenheit angenommen, dass für die Verordnung, mit der ein Plan geändert wird, nichts anderes gelte als für eine Verordnung, mit der ein Plan erlassen wird: „Dem Gleichheitssatz, der für die gesamte Rechtsordnung gelte, habe auch die Abänderung eines Plans zu entsprechen“: VfSlg 16.991/2003. 160 Kritisch dazu aber Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 649, die meinen, der Gleichheitssatz fordere nicht einen Ausgleich widerstreitender Interessen, sondern stelle die gleiche rechtliche Behandlung gleichgerichteter Interessen sicher. 161 S schon oben D.I.3.a., H.II.1.
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kurs auf den Gleichheitssatz übergangen worden ist. Der Gleichheitssatz muss damit als „Lückenbüßer“162 dafür dienen, dass der Gesetzgeber verabsäumt hat zu bestimmen, wann und unter welchen Voraussetzungen die Behörde überhaupt zu einer Änderung des Regulierungsplanes ermächtigt ist: Ob die Behörde tätig wird, entscheidet dann sie selbst, nicht aber der Gesetzgeber; dass sie bei dieser Entscheidung den Gleichheitssatz beachtet, ändert an diesem rechtsstaatlichen Defizit nichts163.
3. Rechtsfolgen, deren Eintritt von Zufällen und manipulativen Umständen abhängt Ein Grenzfall zwischen mangelnder Determinierung und Gleichheitswidrigkeit liegt vor, wenn der Eintritt einer Rechtsfolge von Zufälligkeiten oder von manipulativen Umständen abhängt. Dass der Zufall im Allgemeinen kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung ist, liegt auf der Hand164. Anderes gilt nur in Non-liquet-Situationen, also dann, wenn eine Entscheidung getroffen, insbesondere ein knappes Gut verteilt werden muss, aber kein sachliches Kriterium ersichtlich ist, nach dem diese Zuteilung erfolgen könnte. In solchen Fällen das Los, also den Zufall bzw das Schicksal entscheiden zu lassen, ist nicht zu beanstanden, weil so immerhin jeder die gleiche Chance auf die Zuteilung erhält165. Mehr kann hier nicht geleistet werden. Denn dass jeder am Ende das Gleiche erhält, ist in dieser Situation definitionsgemäß ausgeschlossen. Steht ein sachliches Kriterium für eine Entscheidung über Rechte und Pflichten der Bürger aber zur Verfügung, dann muss es auch eingesetzt werden166. Dass der ____________________
162 Neisser/Schantl/Welan, ÖJZ 1969, 649 FN 46; kritisch auch Jann/Oberndorfer, Raumplanung 140 f, nach denen das „Ob“ der Änderung des Regulierungsplanes damit bei der Behörde gelegen sei, weshalb richtigerweise die Norm auf ihre Vereinbarkeit mit Art 18 B-VG zu prüfen gewesen wäre. 163 S schon oben H.IV.1. sowie das Erkenntnis VfSlg 12.184/1989, in dem das Determinierungsdefizit eines Gesetzes gerade nicht im Wege einer gleichheitskonformen Auslegung behoben werden konnte. 164 S auch in dieser Hinsicht das Schreiben, das Pillersdorff nach der Kundmachung der Aprilverfassung an sämtliche Landeschefs schickte, um ua darzulegen, was bei der Handhabung des Gleichheitssatzes zu beachten sei (wiedergegeben bei Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 [1919] 266 ff FN 1, hier: 267): „Die Gleichstellung aller Staatsbürger vor dem Gesetze schließt die gewissenhafte und unparteiische Anwendung derselben ohne Rücksicht auf Personen und zufällige Verhältnisse in sich.“ 165 Insbesondere ist in einer solchen Situation der Losentscheidung der Vorzug vor dem Prioritätsgrundsatz zu geben, s dazu auch Scholler, Chancengleichheit 79 ff. 166 S auch Raschauer, Verwaltungsrecht Rz 662, nach dem die Entscheidung durch Los nur eine „Verzweiflungslösung in Ermangelung jedes besseren Kriteriums“ ist; ähnlich P. Kirchhof, FS Geiger 99: „Wenn die Vergabepraxis heute auch ein ‚Losverfahren‘ zur Verteilung von Studienplätzen verwendet, so ist die Gleichheit gescheitert: An die Stelle der
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Gesetzgeber dennoch den Zufall entscheiden lässt, kann in verschiedenen Fallkonstellationen geschehen: Das zufällige Ereignis kann in der Vergangenheit liegen, so etwa, wenn eine einkommensteuerrechtliche Absetzmöglichkeit auch für das vergangene Kalenderjahr neu eingeführt, ihre Inanspruchnahme aber nur Personen gestattet wird, deren Veranlagungsverfahren für dieses Jahr noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Ob jemand in den Genuss der Neuregelung kommt, hängt dann, wie der VfGH feststellte, allein „von zufälligen Umständen [ab], nämlich vom Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung, von der Raschheit des behördlichen Verfahrens sowie [von] kanzleitechnische[n] Vorgänge[n] (Ausfertigung und Zustellung der Bescheide)“167. Personen, „die ihre Anträge pünktlich gestellt haben und die an expeditive Behörden (oder nicht überlastete) geraten sind“, bleiben in einem solchen Fall allein aufgrund von „manipulativen Umständen“ von der günstigeren Neuregelung ausgeschlossen168. Dies widerspricht dem Gleichheitssatz169. Denkbar und tatsächlich vorgekommen ist aber auch, dass der Eintritt einer Rechtsfolge von zufälligen oder manipulativen Umständen abhängt, die sich erst nach Inkrafttreten des Gesetzes ereignen, etwa, wenn eine Behörde ermächtigt wird, die dienst- und besoldungsrechtliche Stellung eines Rechtsunterworfenen neu festzusetzen, dies aber nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ob die beantragte Neufestsetzung erfolgen kann, hängt bei einer solchen Regelung, wie der VfGH aus gleichheitsrechtlicher Sicht kritisierte, „von den verschiedensten Zufälligkeiten ab[…], vor allem aber auch von manipulativen Umständen“170. Nicht von ungefähr betont der VfGH hier den Zufall weniger als die Manipulativität, die nun einen neu____________________
verständlichen und nachvollziehbaren Begründung tritt der organisierte Zufall, die Willkür schlechthin“; Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 231, spricht überhaupt von einer „Bankrotterklärung des Rechts“. 167 VfSlg 5411/1966 (Hervorhebung nicht im Original). 168 VfSlg 5442/1966 (Hervorhebung nicht im Original). 169 In den beiden genannten Erkenntnissen VfSlg 5411/1966 und 5442/1966 war nicht das Gesetz selbst mit dieser Gleichheitswidrigkeit belastet, sondern nur die Deutung, die die Behörde ihm gab. In VfSlg 12.673/1991 lag die Gleichheitswidrigkeit hingegen direkt im Gesetz: Es bezog Verpackungsteile in die Getränkesteuer ein, und zwar mit rückwirkender Kraft auch für vergangene Perioden, dies aber nur für Verfahren, die noch anhängig waren. Die Steuerpflicht des Rechtsunterworfenen hing damit davon ab, ob die Behörde das Abgabenverfahren in der Vergangenheit rasch vorangetrieben und daher im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm schon abgeschlossen hatte oder nicht; nur im zweiten Fall traf den Betroffenen die höhere Steuerlast. 170 VfSlg 7708/1975 (Hervorhebungen nicht im Original), ebenso VfSlg 7813/1976; s weiters VfSlg 16.490/2002: Gleichheitswidrigkeit des § 241 WAO, der eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf den Zeitraum eines Jahres, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, beschränkte; eine positive Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag war demnach selbst dann ausgeschlossen, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt, die Entscheidung aber aus welchen Gründen immer unterblieben ist; VfSlg 17.344/2004.
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en Beiklang bekommt. Ob die Neufestsetzung erfolgt oder nicht, ist für die Behörde nämlich auch manipulierbar: Lässt sie den Antrag bis zum letztmöglichen Entscheidungszeitpunkt unbehandelt, dann ist er abzuweisen; zieht sie ihn vor, so kann er positiv beschieden werden. Wer in den Genuss der Neufestsetzung kommt, entscheidet dann aber letztlich nicht der Gesetzgeber, sondern die Behörde. Dass sie diese Möglichkeit überhaupt erhält, ließe sich auch als eine fehlende Determinierung des Gesetzes, also als Verstoß gegen Art 18 B-VG verstehen. Die pflichtgemäß handelnde Behörde wird dieses Manipulationspotential freilich nicht ausschöpfen, sondern die Anträge nach der Reihenfolge ihres Einlangens behandeln. Welche Anträge sie dann positiv erledigen kann und welche sie abweisen muss, hängt nur mehr von ihrer Arbeitskapazität ab, das heißt von ihrer personalen Ausstattung und von dem Aktenanfall, den sie zu bewältigen hat. Diese externen Umstände können eine unterschiedliche Behandlung der Rechtsunterworfenen gewiss nicht rechtfertigen. Einen vergleichbaren Effekt hatte eine Regelung, nach der sich ein für ein Grundstück neu festgesetzter Einheitswert nicht sofort auf die Höhe der für dieses Grundstück zu entrichtenden Steuer auswirkte, sondern erst ab der Zustellung des Bescheides, der den neuen Einheitswert festsetzt. Zwischen dem Zeitpunkt, ab dem der neue Einheitswert dem Bescheid zufolge wirksam werden sollte und der Zustellung dieses Bescheides konnten in der Praxis lange Zeiträume, zum Teil sogar mehrere Jahre liegen. Auch diese Ungleichbehandlung gleicher Fälle aufgrund manipulativer Umstände qualifizierte der VfGH als gleichheitswidrig171, er tolerierte sie allerdings bei der Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge für Landwirte, weil dort jede andere Lösung einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verursacht hätte172. Manipulierbar kann der Eintritt einer Rechtsfolge aber nicht nur für die Behörde, sondern ebenso sehr für den Rechtsunterworfenen sein. Das ist etwa der Fall, wenn ein Anspruch auf Alterspension ua davon abhängig gemacht wird, dass der Betroffene an einem bestimmten Stichtag keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgeht173 oder wenn die Pflicht, ein Abfallwirtschaftskonzept zu erstellen, nur Unternehmern auferlegt wird, die an einem ganz bestimmten Tag mehr als hundert Arbeitnehmer beschäftigen174. Der Rechtsunterworfene könnte sich dann durch gezielte Manipulationen gerade für diesen einen Tag den jeweiligen Anspruches ver____________________
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VfSlg 10.620/1985. VfSlg 11.201/1986: Da den Beiträgen des Versicherten auch Leistungen gegenüberstehen, wären nach der Zustellung des Einheitswertbescheides nicht nur die Beiträge, sondern auch die bezogenen Leistungen für die Vergangenheit zu korrigieren, es wäre also das ganze Versicherungsverhältnis rückwirkend neu aufzurollen gewesen. 173 VfSlg 12.831/1991. 174 VfSlg 13.822/1994. 172
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schaffen oder sich der gesetzlich vorgesehenen Pflicht entwinden; und selbst wenn er es nicht täte, hinge weitgehend vom Zufall ab, ob er den Anspruch erwirbt und ob er der Pflicht entgeht. Auch solche Regelungen hat der VfGH mE zu Recht als gleichheitswidrig angesehen175. Dass eine Vorschrift von der Behörde gesetzwidrig oder missbräuchlich vollzogen oder vom Rechtsunterworfenen missbräuchlich umgangen werden kann, begründet nach Ansicht des VfGH hingegen für sich noch keine Gleichheitswidrigkeit176. Dem Grunde nach ist dem gewiss zuzustimmen; doch die Grenzen zu Rechtsfolgen, deren Eintritt von Zufällen und manipulativen Umständen abhängig ist, sind fließend. Welches Manipulationspotential hier noch hingenommen werden kann und wann die Grenze des Akzeptablen überschritten ist, lässt sich wohl nur mit jenen Kriterien entscheiden, die für die Zulässigkeit von Durchschnittsbetrachtungen und verwaltungsökonomisch motivierten Vergröberungen gelten177: Sind Zufälle und Manipulationen als Entscheidungsfaktoren nicht bloß in atypischen Fallkonstellationen zu befürchten, sondern im System geradezu als Regelfall angelegt, dann verletzt dies den Gleichheitssatz; die Zahl der Fälle, in denen ein Einfluss derart externer Faktoren hingenommen werden kann, ist dabei umso geringer, je schwerer der Rechtsnachteil für den Betroffenen wiegt. In manchen Fällen hat der VfGH das Bedenken, eine Rechtsfolge hänge von Zufälligkeiten oder manipulativen Umständen ab, auch nur vorläufig erhoben, im Gesetzesprüfungserkenntnis dann aber nicht mehr weiter verfolgt, unter anderem, weil eigentlich bedenklich nicht der zufällige Übergang von einem Regelungsregime in ein anderes war, sondern eines der beiden Regimes selbst178. Diese Fälle zeigen, dass gewisse Zufälle unvermeidlich sind und dass sich nicht schlechthin alles steuern und bestimmen lässt. Überdeutlich wird dies bei Änderungen der Rechtslage: Dass dann für völlig gleiche Fälle teils die alte und teils die neue Rechtslage gilt, ist unvermeidbar, in den Worten des VwGH: „Das Inkrafttreten von Bundesgesetzen nach Maßgabe des Art. 140 Abs. 6 B-VG hat Zufallseffekte in den dadurch ausgelösten Rechtsfolgen für die Normunterworfenen ____________________
175 Im Erkenntnis VfSlg 13.822/1994 wurde der Fehler des Gesetzes durch gleichheitskonforme Interpretation behoben. 176 VfSlg 9006/1981, 9121/1981, 11.727/1988, 11.912/1988, 12.922/1991; s auch Arming/Knörzer, taxlex 2005, 372 ff. 177 S schon oben D.I.8. 178 VfSlg 10.291/1984: kein Rechtsschutz gegen die Beschlagnahme im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren, wohl aber im gerichtlichen Finanzstrafverfahren; dass von Zufällen abhängt, ob eine Sache noch im Verwaltungsverfahren oder bereits im gerichtlichen Verfahren vorgenommen wird, wie der VfGH hier zunächst kritisierte, ist gewiss richtig, aber kaum vermeidbar. Das eigentliche und dann auch tatsächlich aufgegriffene Problem dieser Rechtslage war, dass gegen die Beschlagnahme im Verwaltungsverfahren überhaupt kein Rechtsschutz bestand; s auch VfSlg 15.117/1998.
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ebenso zur Folge wie die Absprüche des Verfassungsgerichtshofes nach Art. 140 Abs. 6 B-VG“179. Unausweichlich ist auch, dass Verfahren, die bereits vor Inkrafttreten der neuen Vorschrift eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen wurden, entweder nach der neuen oder nach der alten Rechtslage entschieden werden. Welches Regime immer der Gesetzgeber hier für anwendbar erklärt: Die Rechte und Pflichten der Partei hängen dann auch davon ab, ob die jeweilige Behörde bis zum Inkrafttreten der neuen Rechtslage überlastet war oder nicht und ob sie expeditiv ist oder zögerlich. Das gilt unbedingt für amtswegig eingeleitete Verfahren. In antragsbedürftigen Verfahren kann dem Rechtsunterworfenen immerhin eine Steuerungsmöglichkeit bleiben: Sofern die neue Rechtslage für ihn günstiger ist, kann er selbst einen Regimewechsel durch einen neuen Antrag herbeiführen.
V. Gleicher Zugang zum Recht 1. Egalitärer Zugang zu Rechtsquellen In einem Rechtsstaat gilt das Recht für jedermann, niemand steht über dem Gesetz und keiner kann von ihm ausgenommen sein. Auch in diesem Sinn bestimmt Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG, dass „vor dem Gesetz“ alle Staatsbürger gleich sind. Nichts anderes gilt nach Art I Abs 1 BVG-RD für Fremde. Wer dem Recht unterworfen ist, muss auch in der Lage sein, sich von ihm Kenntnis zu verschaffen; anders könnte das Recht seine Funktion, das Verhalten der Bürger zu steuern, gar nicht erfüllen180. Ein Geheimrecht kann es daher in einem Rechtsstaat nicht geben181. Der Zugang zum Recht muss hier vielmehr streng egalitär sein. Die Verfassung ordnet dementsprechend in Art 49 B-VG und Art 97 B-VG die Kundmachung von Gesetzen und Staatsverträgen im Bundes- bzw Landesgesetzblatt an182. Verordnungen sind, soweit ihre Kundmachung nicht eigens geregelt ist, ortsüblich kundzumachen183. Diese Publizität rechtlicher Nor____________________
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VwGH 25.3.1999, 98/07/0148. S schon Thienel, Art 48, 49 B-VG Rz 1. 181 S schon Rill/Schäffer, Art 44 B-VG Rz 31. 182 S Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht I Rz 14.014; Aichlreiter, Verordnungsrecht I 758; allgemein zur rechtsstaatlichen Funktion der Kundmachung von Rechtsvorschriften Holzinger, Kundmachung 313 ff; Lienbacher, Kundmachung 47 ff; s weiters Thienel, Art 48, 49 B-VG Rz 5; Muzak, Art 97/1 B-VG Rz 14 ff. Zu den Problemen, die sich aus der Umstellung der Kundmachung durch das BG über das Bundesgesetzblatt 2004 ergeben, s Laurer, ÖJZ 2004, 33; Wiederin, Forum Parlament 2004/2, 43; dens, Rechtsinformationssystem 321. 183 ZB VfSlg 10.952/1986, 15.300/1998. Fehlen spezielle Vorschriften, so entnimmt der VfGH dem Rechtsstaatsprinzip das Erfordernis ausreichender Kundmachung: VfSlg 180
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men sorgt gemeinsam mit dem Determinierungsgebot dafür, dass jeder Bürger erkennen kann, was ihm erlaubt, geboten und verboten ist, sodass er sein Verhalten am Recht orientieren kann184. Da der Zugang zum Recht in einem Rechtsstaat egalitär und differenzierungsfeindlich ist, darf der Eintritt einer Rechtsfolge auch nicht davon abhängen, ob der Bürger schon vor der Kundmachung dieser Norm von ihrem Inhalt durch Spezialinformationen Kenntnis hatte. Zu Recht hat der VfGH daher eine Norm als gleichheitswidrig angesehen, deren Inhalt und Inkrafttreten so formuliert waren, dass nur jene Personen in den Genuss der durch sie eingeräumten Rechtsvorteile gelangen konnten, die den Inhalt der Norm bereits vor der Kundmachung kannten185. Bedenklich sind auch Normen, die zwar nicht den Zugang zum Recht selbst, aber doch zu Quellen, die das Recht erläutern und verbindlich konkretisieren, nur für bestimmte Personengruppen öffnen. Nicht zu rechtfertigen war daher etwa § 15 Abs 2 OGHG aF, der die Einsicht in die (nicht amtlich publizierten) Entscheidungen des OGH nur Professoren gestattete, die an einer inländischen Hochschule ein Rechtsfach lehren186.
2. Rechtsnormen, die nur mit Spezialkenntnissen verständlich sind Darüber hinaus hat der VfGH auch angenommen, dass eine Norm, die „nur mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust am Lösen von Denksport-Aufgaben [...] überhaupt verstanden werden kann“, mit dem Rechtsstaatsprinzip in Widerspruch steht187. Die dogmatische Begründung dieser These ist allerdings ____________________
4546/1963, 4865/1964, 5722/1968, 6422/1971, 7086/1973, 10.911/1986, 12.281/1990, 12.382/1990, 16.875/2003. 184 Thienel, Art 48, 49 B-VG Rz 5. 185 VfSlg 13.329/1993. Überdies sah der VfGH in dieser Vorschrift einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. 186 Der VfGH stützte die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift in VfSlg 12.409/1990 allerdings auf das rechtsstaatliche Prinzip: Da der Rechtsprechung eine wesentliche Rolle in der Rechtskonkretisierung zukomme, sei die Möglichkeit ihrer Kenntnisnahme unabdingbar für einen effizienten Rechtsschutz, wäre doch ohne sie das Prozessrisiko nicht verlässlich abschätzbar. Zudem werde auch positivrechtlich, in den Regelungen über die Revision, an die oberstgerichtliche Spruchpraxis angeknüpft. Ihre Zugänglichkeit sei daher durch das Rechtsstaatsgebot geboten. ME behinderte die inkriminierte Vorschrift nicht nur die faktische Effizienz des Rechtsschutzes, weil die Judikatur des OGH ja nicht nur und nicht erst dann bedeutsam wird, wenn jemand Rechtsschutz in Anspruch nimmt, sondern genau genommen schon im Vorfeld, nämlich dann, wenn jemand gar nicht erst in die Lage kommen will, ein Rechtsschutzverfahren zu führen, wenn er sein Verhalten also an der durch die Judikatur konkretisierten Rechtsordnung ausrichten will. 187 VfSlg 12.420/1990, 13.740/1994.
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offen geblieben188. Erkennt man an, dass die Verletzung eines Baugesetzes ohne gleichzeitige Verletzung einfachen Bundesverfassungsrechts nicht möglich ist189, dann lässt sich die Unzulässigkeit schwerverständlicher Gesetze aus dem Rechtsstaatsprinzip allein nicht ableiten. Sie folgt aber auch nicht aus den Kundmachungsvorschriften des B-VG; denn diesen ist Genüge getan, wenn eine Norm ordnungsgemäß kundgemacht und nicht mit unzulässigen dynamischen Verweisungen belastet ist190. Auch mit Art 18 B-VG gerät eine schwer verständliche Norm nicht in Widerspruch: Das Legalitätsprinzip bezweckt zwar auch die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit des behördlichen Verhaltens191; und es ist auch zuzugestehen, dass es aus der Sicht des Rechtsunterworfenen letztlich auf das Gleiche hinauskommt, ob er einen leicht verständlichen Gesetzestext nur schwer findet oder einen leicht zugänglichen Text schwer versteht192. Das ändert aber nichts daran, dass Art 18 B-VG erst greift, wenn anstelle des demokratisch legitimierten Gesetzgebers die Behörde nach ihrem Gutdünken entscheidet, welche Rechtsfolgen an einen Sachverhalt geknüpft werden. Gerade das ist aber nicht der Fall, wenn der Wille des Gesetzgebers unter Einsatz aller denkbaren Interpretationsmethoden ermittelt werden kann, mag diese Ermittlung im Einzelfall auch mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein. ME wirft eine Norm, deren Inhalt nur mit unzumutbarem Aufwand erkennbar ist, allerdings gleichheitsrechtliche Probleme auf 193. Derartige Normen schaffen nämlich letztlich ein elitäres Recht, das nicht jedem, sondern nur dem zugänglich ist, der über den nötigen Sachverstand, die richtigen Beziehungen oder Informationsquellen und damit über die erforderlichen ökonomischen Voraussetzungen verfügt194. Wann die Grenze ____________________
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S dazu Jabloner, FS Adamovich 189 ff. S schon Schäffer, ZfV 1988, 371, sowie Jabloner, FS Adamovich 193; aA Gründler, ASoK 1997, 176, der nicht sieht, „warum es unzulässig sein soll, verfassungsrechtliche Grundprinzipien zur Prüfung einfacher Gesetze heranzuziehen. Es findet sich in der Verfassung kein Satz, der dies zum Ausdruck bringt. Wenn sie Maßstab für die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Verfassungsgesetzen sein können (müssen), dann können sie auch als Maßstab für die Prüfung einfacher Gesetze herangezogen werden.“ Diese Ansicht übersieht, dass ein verfassungsrechtliches Grundprinzip nur durch positiv normierte Teilprinzipien konstituiert sein, über sie also auch nicht hinausgehen kann. Zudem würde wohl auch Gründler die Konsequenz seiner Ansicht kaum ziehen, dass nämlich das schwerverständliche Gesetz einer Volksabstimmung unterzogen werden müsste, um zulässig zu sein. 190 S Jabloner, FS Adamovich 192. 191 So zB Gründler, ASoK 1997, 176. 192 Tomandl, ZAS 1990, 183. 193 So im Ergebnis auch Gründler, ASoK 1997, 178, der in schwerverständlichen Normen zwar eine Verletzung des Art 18 B-VG sieht, aber annimmt, dass die Unverständlichkeit von Gesetzen auch unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes überprüft werden kann. 194 Im Steuerrecht ist die Unverständlichkeit von Rechtsnormen ein besonders häufig auftretendes Problem, s etwa Ruppe, Steuerrecht 226, der berichtet, dass zahlreiche steu-
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des Zumutbaren überschritten ist, hängt mE von zwei Gesichtspunkten ab: Zum einen davon, ob eine Vorschrift dem Bürger Verhaltenspflichten auferlegt und an deren Übertretung Sanktionen knüpft. Greift diese Vorschrift – was wohl regelmäßig der Fall sein wird – in Freiheitsrechte ein, muss nicht nur an ihre Bestimmtheit, sondern auch an ihre Verständlichkeit ein strengerer Maßstab angelegt werden195. Zum anderen richtet sich die Zumutbarkeit der Rechtserkenntnis aber auch danach, welche Schwierigkeiten eine leicht verständliche Formulierung der Norm legistisch bereitet. Realistischerweise wird man nicht den Anspruch erheben können, dass sich der Inhalt jeder Norm für den Rechtsunterworfenen sogleich auf den ersten Blick erschließt; gerade in komplexen Rechtsmaterien wäre ein solcher Anspruch unerfüllbar. Je schwerer es dem Gesetzgeber aus objektiven Gründen fällt, Normen leicht verständlich zu fassen, desto eher kann dem Rechtsunterworfenen auch zugemutet werden, dass er sich vom Inhalt dieser Normen, allenfalls auch nach entsprechender fachlicher Beratung, Kenntnis verschafft und sein Verhalten danach ausrichtet. Eine solche Beratung muss dann allerdings jedem, also auch dem Unbemittelten offen stehen; denn auch die unvermeidbare Schwerverständlichkeit eines Gesetzes darf nicht zur Folge haben, dass gerade einer „Klasse“ der Bevölkerung die Beachtung des Gesetzes unmöglich ist oder schwerer fällt als jenen Rechtsunterworfenen, die aufgrund ihrer Ausbildung über Spezialkenntnisse verfügen oder die sich diese Kenntnisse doch aufgrund ihrer ökonomischen Situation ohne weiteres verschaffen können. Nicht anders zu bewerten sind im Ergebnis auch Normen, die zwar an sich verständlich sind, die dem Einzelnen aber Rechtspflichten unter Voraussetzungen auferlegen, deren Vorliegen für ihn nicht ohne weiteres erkennbar ist: An einem solchen Gebrechen litt etwa § 4 Abs 7 ASVG idF BGBl 1996/600: Er machte den Eintritt einer Versicherungspflicht für freie Dienstnehmer und dienstnehmerähnliche Beschäftigte ua davon abhängig, ob ihr Dienstgeber konzernmäßig mit anderen Unternehmen verflochten ist bzw ob er mit ihnen bestimmte Absprachen getroffen hatte. Diese Vorschrift wurde beim VfGH unter Berufung auf das „Denksport____________________
errechtliche Bestimmungen „nur unter Zuhilfenahme der Privatmeinungen von Ministerialbeamten auslegbar sind, die vielleicht gar nicht einmal irgendwo veröffentlich sind, sondern die nur in Vorträgen wiedergegeben werden. Das wird dann mündlich weitergegeben: Dieser oder jener habe das gesagt, so sei das zu verstehen usw. Das ist also die neue Rechtsquelle.“ Diese Rechtsquelle ist dann aber gerade nicht allgemein, sondern nur für den zugänglich, der über Spezialinformationen verfügt. In diesem Sinn meint auch Herzog, NJW 1999, 26: „Wenn es nur noch fachkundig Beratenen gelingt, günstige steuerrechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, dann stellt sich die Gerechtigkeitsfrage gerade andersherum, nämlich als Frage der Gleichbehandlung mit den Steuerpflichtigen, die sich teuren Expertenrat gar nicht leisten können.“ 195 Zur Bedeutung der Freiheitsrechte für den Gleichheitssatz näher F.II.
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erkenntnis“ als mit Art 18 B-VG unvereinbar bekämpft196. Der VfGH teilte die Bedenken der Antragsteller zwar im Ergebnis. Er behandelte sie aber – prozessual zwar angreifbar197, in der Sache aber mE zutreffend – als ein gleichheitsrechtliches Problem198: Der Dienstnehmer bzw Auftragnehmer könne „in einer keineswegs vernachlässigbaren Zahl von Konstellationen“ gar nicht beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs 7 ASVG vorliegen. Das Ziel dieser Regelung, Missbräuche hintan zu halten, sei zwar an sich legitim, das hiefür eingesetzte Mittel aber unverhältnismäßig, weil es das „Risiko des Nichtwissens um eine allfällige konzernmäßige Verflechtung des Vertragspartners oder um auf Unternehmerseite existierende Absprachen dem Dienstnehmer bzw. Auftragnehmer überbindet.“199
VI. Gleicher Zugang zum Richter 1. Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter Dass in einem Rechtsstaat jeder dem Recht unterworfen ist und niemand über dem Gesetz steht, ist eine leere Phrase, solange der Staat zunächst zwar durch das Gesetz gleiche Rechtspositionen gewährt, ihre Durchsetzung dann aber punktuell verweigert, solange und soweit er also den Zugang zu Richter und Behörde nur manchen möglich macht und anderen wesentlich erschwert oder ganz verwehrt. In einem Rechtsstaat muss daher das Recht auf einen generell-abstrakt bestimmten Richter streng egalitär und eine Manipulation der Rechtsdurchsetzung durch Ad-hoc-Gerichte ausgeschlossen sein200. ____________________
196 VfSlg 14.802/1997, 387; s auch Gründler, ASoK 1997, 170; Aigner, ZAS 1997, 132 f. 197 Schließlich ist der VfGH nach ständiger Rechtsprechung an die in einem Prüfungsantrag geltend gemachten Bedenken gebunden, s schon oben bei FN 142. 198 VfSlg 14.802/1997. 199 S auch die in diesem Erkenntnis angestellten Erwägungen zu § 109a EStG, der nach Ansicht des VfGH mehrere Auslegungsvarianten zuließ und daher zu unbestimmt war (kritisch zu dieser Annahme Gründler, ASoK 1997, 175); eine der denkbaren Auslegungsvarianten hätte dem Rechtsunterworfenen aber eine ganze Reihe komplizierter Prüfungsschritte abverlangt, um die Anwendbarkeit des § 109a EStG festzustellen: „Solches zu verlangen, um die Frage lösen zu können, ob eine bestimmte Person zunächst der Abzugssteuer unterliegt [...] wäre sachlich nicht mehr zu rechtfertigen.“ Nach Aigner, ZAS 1997, 132, muss der Gesetzgeber Versicherungstatbestände so ausgestalten, dass die Normunterworfenen „im Durchschnitt“ der Fälle ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen können; mE genügt das nicht: Wenn der Gesetzgeber dem Rechtsunterworfenen Pflichten auferlegt, dann darf die Erfüllung dieser Pflicht niemandem unmöglich sein; auch der atypische Fall würde sonst für Umstände belangt, die außerhalb seiner Verantwortung liegen, was gleichheitswidrig ist, s dazu schon oben E.IV.4.c., E.IV.4.e. 200 S für Art 3 GG schon Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 48.
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Dies stellt das B-VG auch ausdrücklich klar, wenn es zunächst in Art 83 Abs 2 bestimmt, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf und im Anschluss daran in Art 84 die Militärgerichtsbarkeit (außer für Kriegszeiten) als aufgehoben erklärt. Art 84 B-VG beseitigt ebenso wie Art 7 Abs 4 B-VG die „Sonderstellung der Militärpersonen“201; dass diese beiden Bestimmungen im Dienst der Gleichheit vor dem Gesetz stehen, ist offensichtlich202. Dass aber auch das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter der Gleichbehandlung aller Rechtsunterworfenen dient, ist zwar in der deutschen Literatur Allgemeingut203, in Österreich hingegen zunehmend in Vergessenheit geraten204. Anders als die Lehre bisweilen annimmt, hat dieses Recht nicht der Reichstag von Kremsier erstmals diskutiert205. Es wurde schon zuvor in § 25 der Aprilverfassung 1848 garantiert und dort bereits in unmittelbaren Zusammenhang zum Gleichheitssatz gestellt: „Die Wirksamkeit des Gesetzes ist gleich für alle Staatsbürger, sie genießen einen gleichen persönlichen Gerichtsstand, unterliegen der gleichen Wehr- und Steuerverpflichtung, und keiner kann gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden.“206 Der Kremsierer Reichstag rückte das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann zwar in engen Zusammenhang zur persönlichen Freiheit, wohl, weil sie durch die Kabinetts- und Ministerialjustiz besonders bedroht war. Die Verbindung zum Gleichheitssatz wurde dabei aber beibehalten. So bestimmt § 2 unmittelbar nach den Gleichheitsgarantien ____________________
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S schon Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 179. S schon Walter, Gerichtsbarkeit 189; deutlich weist auf diesen Zusammenhang auch Handstanger, Art 84 B-VG Rz 6, hin, dies mwN auch aus den Gesetzesmaterialien zu der schon vor Inkrafttreten des B-VG 1920 vorgenommenen Einengung bzw Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit auf einfachgesetzlicher Ebene. 203 S zB Dohna, Ausnahmegerichte 111, 113, 116; Starck, Art 3 GG Rz 302: Das Verbot von Ausnahmegerichten und die Garantie des gesetzlichen Richters sind spezielle Gleichheitsgarantien in Gestalt von Differenzierungsverboten; s auch Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 48. 204 S aber noch Hauke, Verfassungsrecht 22, der der Rechtsgleichheit noch ganz deutlich die „Gleichheit vor dem Gerichte“ zuordnet, die zunächst jedermann das Betreten des Rechtsweges ermögliche und „sodann den Satz [umfaßt], daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.“ Ganz in diesem Sinn sieht auch Fasching, Zivilgerichtliches Verfahren 345 f, im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und in der festen Geschäftsverteilung eine „Konkretisierung“ der Gleichheit vor dem Gesetz; s zuvor auch Ermacora/Klecatsky/Ringhofer, ÖJZ 1957, 621, nach denen das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter „seinem Ursprung nach ein Sonderfall des Gleichheitsgrundsatzes und ‚nur‘ eine sogenannte ‚institutionelle Garantie‘ “ ist; dann aber Holzinger, Art 83/2 B-VG Rz 1, der meint, dieses Verständnis greife „wohl zu kurz“. 205 So etwa Berchtold, Gesetzlicher Richter 712 FN 1; Holzinger, Art 83/2 B-VG Rz 1; anders nun Schopf, Verfahren 19 f. 206 In einem Vorentwurf zu dieser Verfassung hieß es sogar noch deutlicher: „Allen Staatsbürgern gebührt Gleichheit vor dem Gesetze und Niemand kann seinem gesetzlichen Richter entzogen werden“, s dazu oben bei Abschnitt B FN 19.
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des § 1: „Die Freiheit der Person ist gewährleistet. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden; privilegirte und Ausnahmsgerichte dürfen nicht bestehen.“207 Die sodann oktroyierte Märzverfassung 1849 garantierte in § 27 nur, dass „[a]lle österreichischen Reichsbürger vor dem Gesetze gleich [sind], und [...] einem gleichen persönlichen Gerichtsstand [unterstehen]“. Das Recht, seinem gesetzlichen Richter nicht entzogen zu werden, fand sich erst wieder in § 1 PersFrG 1862, und zwar neuerlich im Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit. Die Judikatur bezog dieses Recht auch „ausschließend […] auf den Schutz gegen willkürliche oder mit der Umgehung des gesetzlichen Richters vorgehende Verhaftungen“; auf andere Fälle war es „gänzlich unanwendbar“208. Als gesetzlichen Richter sah das Reichsgericht allerdings jede Staatsbehörde an, die durch Gesetz oder Verordnung „mit der Entscheidung einer Angelegenheit betraut ist, es mag dies eine Gerichts- oder eine Verwaltungsbehörde sein“209. Gelöst wurde die Verbindung zwischen gesetzlichem Richter und persönlicher Freiheit erst wieder im B-VG. Wie schon zuvor die Aprilverfassung und der Kremsierer Entwurf stellt Art 83 Abs 2 B-VG allgemein und ohne weitere Einschränkung fest, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf 210. Der VfGH hat dieses Recht dann auch auf jede Angelegenheit, nicht nur auf die Persönliche Freiheit bezogen und anknüpfend an die Judikatur des Reichsgerichts als „gesetzlichen Richter“ auch jede staatliche Behörde angesehen211. Art 83 Abs 2 B-VG vermittelt ____________________
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StenProtRT 74. Sitzung am 19. Jänner 1849, 476 ff, insb 492 f. Hye 13/1871. 209 Hye 1842/1911. Die Beschränkung auf widerrechtliche Eingriffe in die persönliche Freiheit blieb dabei bestehen. 210 In der Stammfassung war noch vom „ordentlichen“ Richter die Rede; die B-VGNovelle 1929 ersetzte diesen Ausdruck durch den Begriff „gesetzlichen“. 211 S dazu mwN Holzinger, Art 83/2 B-VG Rz 29 ff. Ob der VfGH Art 83 Abs 2 B-VG, wie in der Literatur (etwa bei Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1408) manchmal bemängelt wird, tatsächlich über dessen historischen Sinn hinaus ausgelegt hat, ist fraglich. Dieser Befund trifft wohl zu, wenn man Art 83 Abs 2 B-VG in jenen engen Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit rückt, den zuvor das PersFrG 1862 hergestellt hatte. Geht man aber hinter das PersFrG 1862 zu jener Verfassung zurück, die das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erstmals garantierte, dann wird doch immerhin deutlich, dass Manipulationen der behördlichen Zuständigkeit der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz grundsätzlich im Wege stehen. Warum dieses Recht nur für Eingriffe in die persönliche Freiheit gelten sollte, ist von daher nicht recht einzusehen, mag die persönliche Freiheit richterlichen Manipulationen historisch auch massiv ausgesetzt gewesen sein. Zu bedenken ist schließlich, dass Art 83 Abs 2 B-VG zwar noch vom gesetzlichen „Richter“ spricht, dies aber zum einen nicht mehr nur im Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit und zum anderen auch vor dem Hintergrund der Judikatur des Reichsgerichtes, das § 1 PersFrG 1862 ausdrücklich nicht nur auf das Gericht, sondern auch auf die Verwaltungsbehörde bezogen hat. Gerade um diesem Verständnis und der ihm folgen208
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dem Einzelnen demnach ein Recht „auf den Schutz und die Wahrung der gesetzlichen Behördenzuständigkeit“212. Es wird verletzt, wenn eine Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder ihre Zuständigkeit in gesetzwidriger Weise ablehnt213; dass sie das Gesetz dabei qualifiziert übertritt, ist nicht erforderlich214. Der Gesetzgeber ist durch Art 83 Abs 2 B-VG verpflichtet, die sachliche Zuständigkeit einer Behörde eindeutig festzulegen215. Art 83 Abs 2 B-VG macht so zum einen die in Art 18 B-VG statuierte Bindung der Vollziehung an das Gesetz und zum anderen die Determinierungspflicht des Gesetzgebers punktuell, nämlich im Bereich der behördlichen Zuständigkeit für den Einzelnen einklagbar. Indem er nicht nur die qualifiziert rechtswidrige, sondern jede gesetzwidrige Rechtsschutzverweigerung oder Kompetenzanmaßung untersagt, ist Art 83 Abs 2 B-VG zudem strenger als Art 7 Abs 1 B-VG216.
2. Parteirechte Indessen folgt nach ständiger und wohl auch zutreffender Judikatur des VfGH aus Art 83 Abs 2 B-VG nicht, dass der Gesetzgeber überhaupt verpflichtet ist, jemandem einen Rechtsweg einzuräumen, ihm also in einer bestimmten Rechtssache Parteistellung zu gewähren, weil eben die gesetzlich bestimmte Behörde gegenüber den durch das Gesetz mit Partei____________________
den Judikatur des VfGH Rechnung zu tragen, wurde dann auch im Jahr 1929 der in der Stammfassung des B-VG verwendete Ausdruck des „ordentlichen“ durch den des „gesetzlichen“ Richters ersetzt; s BGBl 1929/392 sowie AB 405 BlgNR 3. GP 5. 212 VfSlg 2536/1953. 213 ZB VfSlg 9696/1983, 10.374/1985, 11.405/1987, 12.889/1991, 13.280/1992, 14.590/1996, 15.365/1998, 15.372/1998, 16.697/2002; zur Judikatur im Einzelnen s die Nachweise bei Holzinger, Art 83/2 B-VG Rz 29 ff; Schopf, Verfahren 110 ff. 214 Anders allerdings die ältere Judikatur, die krasse Rechtsverletzungen verlangte, s dazu Klemenz, Gleichheitssatz 54. Nach dem heute geltenden, zutreffend weiteren Verständnis des Art 83 Abs 2 B-VG genügt jede Rechtswidrigkeit, sodass die Anwendung des Art 83 Abs 2 B-VG häufig bloß einfachgesetzliche Fragen aufwirft. Zur Entlastung des VfGH gerade von diesen Fällen wurde der Gerichtshof durch die B-VG-Novelle 1984 in Art 144 Abs 2 B-VG dazu ermächtigt, die Behandlung einer Beschwerde (ua) dann abzulehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist. In der Praxis wird dieser Ablehnungstatbestand bei Art 83 Abs 2 B-VG häufig in Anspruch genommen, s dazu Holzinger, Art 83/2 B-VG Rz 15. 215 VfSlg 10.311/1984: „Art. 18 [verpflichtet] iVm. Art. 83 Abs. 2 B-VG den Gesetzgeber zu einer – strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden – präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit“; s auch VfSlg 6675/1972, 9937/1984, 12.281/1990, 13.816/1994, 13.886/1994, 15.106/1998. 216 Verdrängt wird der allgemeine Gleichheitssatz durch Art 83 Abs 2 B-VG allerdings nicht; verweigert die Behörde eine Sachentscheidung daher in grober Verkennung der Rechtslage bzw willkürlich, so verletzt sie auch den Gleichheitssatz, s zB VfSlg 16.238/ 2001.
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rechten ausgestatteten Personen der „gesetzliche Richter“ ist217. Ob, inwieweit und auf Grund welcher Normen der Gesetzgeber dem Einzelnen Parteistellung einräumen muss, wird in Lehre und Rechtsprechung unterschiedlich – und zum Teil auch unter Bezugnahme auf den allgemeinen Gleichheitssatz – beantwortet. a. Judikatur Der VfGH vertritt bekanntlich seit langem und zum Teil auch noch in der jüngeren Vergangenheit den Standpunkt, dass sich – mit Ausnahme von Einzelfällen wie Art 119a Abs 9 B-VG – in der Verfassung keine Norm finden lasse, die Parteirechte in einem bestimmten Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantieren würde218. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter scheide als Maßstab für den Gesetzgeber aus219, und auch das rechtsstaatliche Prinzip gebiete keine bestimmte Ausgestaltung der Parteirechte220. Die Zuerkennung derartiger Rechte sei deshalb aber nicht in das Belieben des Gesetzgebers gestellt. Das die Parteistellung regelnde Gesetz unterliege nämlich dem Gleichheitssatz bzw dem ihm immanenten Sachlichkeitsgebot und könne überdies wegen mangelnder Determinierung nach Art 18 Abs 1 B-VG verfassungswidrig sein221. aa. Komparativer Begründungsansatz Der allgemeine Gleichheitssatz hat für die Frage der Parteistellung in der Judikatur zunächst in seiner komparativen Form Bedeutung erlangt, und zwar sowohl, was den Kreis der Parteien, als auch was die Reichweite ihrer Rechte betrifft: Räumt der Gesetzgeber einer bestimmten Personengruppe Parteirechte ein, dann muss er auch andere Personen in gleicher Lage in den Kreis der Parteien einbeziehen222. Gewährt er jemandem Par____________________
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VfSlg 3085/1956, 6808/1972, 8279/1978, 9451/1982, 10.605/1985. ZB VfSlg 6664/1972, 6808/1972, 8279/1978, 8328/1978, 8397/1978, 10.605/ 1985, 10.844/1986, 11.934/1988, 12.240/1989, 15.123/1998, 15.274/1998, 15.545/ 1999, 15.581/1999, 16.103/2001, 16.982/2003, 17.593/2005. 219 VfSlg 3085/1956, 6808/1972, 8279/1978, 9451/1982, 10.605/1985. 220 VfSlg 8279/1978, 15.123/1998, 15.581/1999. 221 ZB VfSlg 6664/1972, 6808/1972, 8279/1978, 8328/1978, 8397/1978, 10.605/ 1985, 10.844/1986, 11.934/1988, 12.240/1989, 15.123/1998, 15.274/1998, 15.545/ 1999, 15.581/1999, 16.103/2001, 16.982/2003, 17.593/2005. 222 Beispielhaft dafür ist das Erkenntnis VfSlg 8328/1978: Entscheidungsgegenständlich war § 182 Abs 2 bis 4 GewO aF, der Seilbahnunternehmer vor unzumutbarer Konkurrenz schützen wollte, indem er ihnen ein Mitsprache- und Berufungsrecht im Konzessionsverfahren für Schleppliftbetriebe einräumte; dies jedoch nur, wenn der zu errichtende Schlepplift dasselbe Gebiet erschließt wie die bereits bestehende Seilbahn und wenn dieses Gebiet bisher ausschließlich durch Haupt- und Kleinseilbahnen erschlossen war. 218
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teistellung zur Durchsetzung bestimmter Interessen, so darf er ihm die Durchsetzung anderer gleichartiger Interessen nicht verwehren223. Auf eine allgemeine Formel gebracht muss also die „Differenzierung der Parteirechte einerseits in Bezug auf die Regelung wesentlich und andererseits im Hinblick auf die im jeweiligen Verwaltungsverfahren zu berücksichtigenden Interessen durch Unterschiede im Tatsächlichen begründet“ sein224. Dem Gesetzgeber ist es dabei nach der Judikatur hier wie auch sonst erlaubt, den Kreis der Parteien ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung festzulegen. Er darf daher etwa im Bauverfahren die Parteistellung auf jene Nachbarn beschränken, deren Interessen durch die typischerweise vom Bauwerk selbst ausgehenden Gefahren berührt werden225. Von baulich bedingten Immissionen betroffen sind dabei nicht nur jene Personen, deren Grundstück unmittelbar an das zu bebauende Grundstück angrenzt oder bloß durch eine Verkehrsfläche von diesem getrennt ist226, und auch nicht bloß Personen, deren Grund von dem Baugrundstück maximal 5 m entfernt liegt227; eine Beschränkung auf Nachbarn, deren Liegenschaft bis zu 15 m vom Baugrund entfernt ist, hat der VfGH hingegen ____________________
Diese Ungleichbehandlung von Seilbahnunternehmern ließ sich, wie der VfGH feststellte, aus Unterschieden im Tatsachenbereich nicht ableiten. Werde ein Seilbahnunternehmen bereits durch andere Verkehrsträger konkurrenziert, dann sei seine wirtschaftliche Gefährdung durch den Betrieb eines (weiteren) Schleppliftes in der Regel größer als wenn eine derartige Konkurrenz bisher nicht bestanden hat. Ein qualifizierter Schutz vor Konkurrenz sei folglich im ersten Fall zumindest ebenso dringend geboten wie im zweiten Fall. „[O]b es verfassungsrechtlich zulässig ist, allenfalls konkurrenzierten Unternehmen überhaupt keine Parteistellung oder eine solche bloß in sehr eingeschränktem Ausmaß zuzuerkennen“, konnte, wie der VfGH feststellte, „unerörtert bleiben“. Maßgeblich sei hier allein, dass der Kreis der Parteien nicht nach sachlichen Kriterien abgegrenzt war; s hingegen das Erkenntnis VfSlg 6664/1972 und 6665/1972: Es ist gleichheitsrechtlich unbedenklich, die Parteistellung im Verfahren über bevorzugte Wasserbauten restriktiver zu gestalten als im Verfahren über nicht bevorzugte Wasserbauten. 223 S zB VfSlg 9821/1983: Dem Rechtsunterworfenen steht nicht nur bei der Vorschreibung einer Grundumlage oder Einverleibungsgebühr ein Anspruch auf Bescheiderlassung zu; auch bei der Vorschreibung von Gebühren für Sonderleistungen iSd § 57c HandelskammerG darf nicht jeglicher Rechtsschutz fehlen. Selbst wenn Art und durchschnittliche Höhe dieser Umlagen ein unterschiedliches Rechtsschutzbedürfnis der Betroffenen auslösen, darf der Rechtsschutz bloß in seiner Intensität unterschiedlich ausgestaltet werden. In einem Teilbereich eine perfekte Administrativkontrolle der Umlagenvorschreibung zu gewährleisten, im anderen Teilbereich den Gebührenschuldner hingegen geradezu rechtlos zu stellen, verletzt den Gleichheitssatz; s auch VfSlg 15.581/1999: Es ist gleichheitswidrig, die Parteistellung der Nachbarn im Bauverfahren auf die Einhaltung von Abstandsvorschriften zu beschränken, ihnen die Durchsetzung anderer, ihre Interessen nicht minder berührender Vorschriften (betreffend Bauweise, Gebäudehöhe, Beschaffenheit des Bauplatzes, Brandschutz) aber zu verwehren. 224 VfSlg 15.123/1998, 15.581/1999, 16.981/2003, 17.143/2004. 225 VfSlg 10.844/1986, 16.981/2003, 17.593/2005. S zur diesbezüglichen Judikatur des VfGH näher Pabel, RFG 2005, 185 ff; Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 107 ff. 226 VfSlg 16.981/2003, 17.143/2004, 17.593/2005. 227 VfSlg 16.040/2000.
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gebilligt228. Auch der Inhaber eines gewerblichen Betriebes darf aus dem Kreis der Nachbarn im Baurecht nicht ausgeschlossen werden, wenn er im Falle der Errichtung eines Wohngebäudes mit – die Emissionen seines Betriebes beschränkenden – Auflagen durch die Gewerbebehörde rechnen muss229. Als unbedenklich hat es der VfGH aber angesehen, die Parteistellung im Bauverfahren bloß auf dinglich Berechtigte zu beschränken230. In einem Verfahren zur Errichtung oder Erweiterung eines Militärflugplatzes durfte die Parteistellung sogar auf Personen beschränkt werden, die im Regelfall durch einen solchen Flugplatz besonderen Nachteilen (einschließlich Immissionen) ausgesetzt sind231. Die Nachbarn im gewerblichen Betriebsanlagenverfahren nur an der Genehmigung gefahrengeneigter Anlagen zu beteiligen, hielt der VfGH hingegen für „sachlich keinesfalls begründbar“232. Wie weit der Kreis der Parteien zu ziehen ist, dürfte nach der Judikatur also nicht nur davon abhängen, wer durch ein Verwaltungsverfahren in seinen Interessen berührt wird, sondern auch von externen Faktoren, zum einen nämlich von der Bedeutung des Projektes für die Allgemeinheit, zum Zweiten von der Zahl der Personen, die dieses Projekt nachteilig betrifft. Bei der Errichtung eines Militärflugplatzes, an dem ein hohes öffentliches Interesse besteht und der viele Personen als Nachbarn berührt, liegt die Schwelle für die Parteistellung offenbar höher als in einem Bau- oder Betriebsanlagenverfahren, das (neben dem Bewilligungswerber) einer kleineren Öffentlichkeit nützt und bei dem auch die Zahl der Nachbarn in der Regel eher überschaubar ist. Geht man davon aus, dass das wesentliche Kriterium für die Zuerkennung der Parteistellung das Interesse einer ____________________
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VfSlg 10.844/1986, s auch VfSlg 17.143/2004. VfSlg 12.468/1990, 13.210/1992, 14.943/1997, 15.188/1998, 15.792/2000, 17.143/ 2004. 230 VfSlg 16.981/2003, s auch VfSlg 8397/1978: Die Parteistellung in einem Baubewilligungsverfahren darf auf den Antragsteller, den derzeitigen Grundeigentümer und den im Verfahren bereits ausgewiesenen Anwärter auf das Eigentum beschränkt werden: „Denn es ist offenkundig, daß dieser Personenkreis durch eine Unverträglichkeit der geplanten Benützungsänderung mit dem Verfahrensziel ungleich stärker betroffen werden kann als andere – entferntere Beteiligte des Zusammenlegungsverfahrens“; ähnlich VfSlg 9094/ 1981: es ist zulässig, die Parteistellung in einem straßenrechtlichen Enteignungsverfahren auf Eigentümer und dinglich Berechtigte zu beschränken, die Interessen des Bestandnehmers aber im Verfahren gegen den Eigentümer zu berücksichtigen, der durch den Bestandsvertrag zur Wahrung der Interessen des Bestandnehmers verhalten ist. 231 VfSlg 12.465/1990. 232 VfSlg 16.103/2001. Sind die Interessen des Nachbarn einmal berührt, dann darf ihre Geltendmachung auch weder vom Belieben des Projektwerbers abhängig sein (VfSlg 11.766/1988 – bevorzugter Wasserbau; s auch VfSlg 10.605/1985), noch davon, ob sich die Schutzwürdigkeit dieser Interessen aus einer Verordnung oder aus einem Bescheid ergibt: Die Bebauungsdichte muss daher unabhängig davon geltend gemacht werden können, ob sie durch Verordnung oder durch Bescheid festgelegt ist: VfSlg 15.123/1998. 229
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Person am Ausgang des Verwaltungsverfahrens ist, dann liegt in solchen Fällen ein Eingriff in den Gleichheitssatz vor: Wesentlich gleiche Personen (Nachbarn mit gleich starken Interessen) werden aus Gründen ungleich behandelt, die mit ihren Interessen nichts zu tun haben. bb. Prima facie gebotene Parteistellung Häufig kann es der VfGH bei derart komparativen Beurteilungen bewenden lassen, sich also darauf beschränken zu prüfen, ob der Gesetzgeber den Kreis der Parteien sachlich abgegrenzt hat. Solange freilich die Parteistellung für den einen nur aus der Parteistellung abgeleitet wird, die einem anderen bereits zuerkannt worden ist, steht die Position beider auf wackeligen Beinen: Hat der Gesetzgeber den Kreis der Parteien nämlich zu eng gezogen, dann – diesen Eindruck erweckt die komparative Begründung zumindest – kann er die darin liegende Gleichheitswidrigkeit nicht nur durch eine Ausdehnung, sondern auch durch eine vollständige Beseitigung der Parteistellung beheben. Eine wirklich gesicherte Position hat der Rechtsunterworfene daher erst, wenn seine Parteistellung nichtkomparativ begründet, also als an sich geboten angesehen wird. Tatsächlich hat es der VfGH auch als gleichheitswidrig qualifiziert, wenn die Rechtswirkungen einer behördlichen Entscheidung auf dritte, am Verfahren nicht beteiligte Personen ausgeweitet werden. Eine derartige „Behinderung der Rechtsverfolgungsmöglichkeit“ sei sachlich nicht zu rechtfertigen233 – was voraussetzt, dass dem Einzelnen die Möglichkeit, seine Rechte zu verfolgen, durch den Gleichheitssatz zumindest prima facie garantiert ist. Wenig später meinte der VfGH ganz allgemein, der Gleichheitssatz könne auch dann verletzt sein, wenn der Gesetzgeber Parteirechte unterschiedslos nicht einräumt234. Auch das setzt voraus, dass der Gesetzgeber in manchen Konstellationen jedenfalls Parteirechte zuerkennen muss. Eine solche Pflicht, Parteirechte einzuräumen, nahm der VfGH in der Folge vor allem dann an, wenn ein Bescheid einem Rechtsunterworfenen Leistungspflichten auferlegt235 oder derartige Pflichten zumindest zur Folge hat236, und auch, ____________________
233 VfSlg 7182/1973; anders noch VfSlg 6490/1971, wonach es keine Bestimmung der Verfassung verbiete, an einen Bescheid Rechtswirkungen auch für Personen zu knüpfen, die in dem Verfahren keine Parteistellung hatten. 234 VfSlg 8279/1978, s auch VfSlg 15.123/1998. 235 S zB VfSlg 13.646/1993: Dass der zur Leistung einer Abgabe Herangezogene im Abgabenverfahren Parteistellung haben muss, ist offenkundig; s auch schon – freilich mit komparativer Begründung – VfSlg 9821/1983 betreffend die Vorschreibung von Gebühren für Sonderleistungen nach dem HandelskammerG (FN 223). 236 S zB VfSlg 12.240/1989: Entscheidungsgegenständlich war eine Vorschrift des MarktordnungsG 1985, nach der bestimmte Pflichtverletzungen zur Entziehung der Almbegünstigung führten, die wiederum eine gravierende Abgabenerhöhung zur Folge hatte. Wortlaut und Materialien dieser Vorschrift legten zwar nahe, dass ein solcher Entziehungs-
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wenn ein Bescheid Rechte zuerkennt oder verweigert237 oder wenn er Rechte zumindest indirekt gestaltet238; nicht immer hingegen, wenn ein Bescheid einem Rechtsunterworfenen Duldungspflichten auferlegt239 und noch weniger, wenn er für ihn gar keine Rechtswirkungen erzeugt240. Diese Judikaturlinie korrespondiert zum Teil mit der – allerdings auf das Rechtsstaatsprinzip gestützten – Annahme des VfGH, dass Verwaltungsakte, die erhebliche Rechtswirkungen haben bzw die in die Rechtssphäre des Einzelnen eingreifen, als Bescheid ausgestaltet sein und letztlich beim VwGH oder VfGH bekämpfbar sein müssen241; denn mit der Bescheid____________________
bescheid nur an den formell abgabepflichtigen Inhaber des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebes ergehen müsse. Da dieser die entrichteten Abgaben aber vom Milcherzeuger einfordern konnte, musste nach Ansicht des VfGH auch dem Milcherzeuger in einem solchen Entziehungsverfahren Parteistellung zuerkannt werden. Ausschlaggebend für seine Parteistellung war also nicht, dass er gleich behandelt werden müsse wie der Inhaber des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebs; entscheidend war, dass die Entziehung der Almbegünstigung Auswirkungen auf seine dem Inhaber des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebs gegenüber bestehenden Leistungspflichten hatte. 237 S zB VfSlg 11.931/1988: Ein gesetzlich eingeräumter Anspruch, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen als Religionsgesellschaft anerkannt zu werden, muss nach Art 18 B-VG auch rechtlich durchsetzbar sein; bestätigt und zusätzlich auf Art 13 EMRK gestützt in VfSlg 13.134/1992; s auch VfSlg 14.295/1995, 14.555/1996. Vgl ferner VfSlg 17.584/2005: Auch Kleinaktionären muss eine gerichtliche Überprüfung der ihnen von der Gesellschaft angebotenen Barabfindung bzw eines Spaltungsbeschlusses ermöglicht werden; ein Ausschluss dieses Rechtsschutzes widerspricht dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot und dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht. 238 S zB VfSlg 14.094/1995: Gleichheitswidrigkeit der Festsetzung von Pflegegebührenersätzen im Verhältnis zwischen Krankenanstaltenbehörde und Sozialversicherungsträgern, wenn den materiell betroffenen Sonderklassepatienten kein Rechtsschutz gegen eine solche Festsetzung zukommt. 239 S zB das Erkenntnis VfSlg 15.545/1999, wonach es gleichheitsrechtlich unbedenklich ist, dass die Behörde nach § 5 StarkstromwegeG die Inanspruchnahme fremden Gutes für Vorarbeiten zu einer elektrischen Leitungsanlage zu bewilligen hat, ohne dass der durch diese Bewilligung zur Duldung der Arbeiten verpflichtete Grundeigentümer als Partei beigezogen wird; Adressat des Bescheides sei nur der zu den Vorarbeiten Berechtigte. Dem zur Duldung verpflichteten Grundeigentümer gegenüber wirke diese Bewilligung als Verordnung, die er mit einem Antrag nach Art 139 B-VG direkt beim VfGH bekämpfen könne. 240 VfSlg 14.783/1997: Der Eigentümer eines Grundstücks wird in seinem Eigentum nicht beschränkt, wenn einem anderen die Bewilligung erteilt wird, auf diesem Grund zu bauen. Diese Bewilligung bedeutet nur, dass der Bau vom Standpunkt des öffentlich-rechtlichen Bau- und Raumordnungsrechts zulässig ist; er hindert den Eigentümer aber in keiner Weise daran, den Bau mit den Mitteln des Privatrechts zu verhindern. 241 Der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips „gipfelt“ nach ständiger Rechtsprechung darin, „daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetze und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, daß nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden“ (VfSlg 2929/1955, s auch VfSlg 2455/1952, 8279/1978, 11.196/1986, 12.409/1990, 13.834/1994). Es gehört demnach zum „rechtsstaatlichen Mindeststandard“, dass eine im Ergebnis negative Entscheidung – in durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts
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qualität geht die Parteistellung des Bescheidadressaten zwangsläufig einher242. In diesem Sinn nimmt auch der VwGH in ständiger Rechtsprechung an, dass einer Person Parteistellung zukommt, wenn ein Bescheid in ihre Rechtssphäre bestimmend eingreift243. Und selbst wenn ein Verwaltungsakt einen Rechtsverlust erst in einem späteren Verfahren zur Folge hat, streitet nach Ansicht des VwGH „im demokratischen Rechtsstaat eine Vermutung“ dafür, dass der Betroffene bereits in diesem vorgelagerten Verfahren Parteistellung hat244. Ausgehend von diesen Entscheidungen wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass auch der Arbeitgeber Partei in einem Verfahren sein müsste, in dem die Zugehörigkeit seines Arbeitnehmers zum Kreis der „begünstigten Invaliden“ festgestellt wird. Denn diese Feststellung bewirkte (nach der entscheidungsgegenständlichen Rechtslage), dass die sonst bestehende Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers durch ein Zustimmungsrecht des Invalidenausschusses beschränkt wird. Sie verpflichtete den Arbeitgeber weiters dazu, auf den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Und schließlich wurden nur begünstigte Invalide auf die Pflichtzahl der kraft Gesetzes zu beschäftigenden Arbeitnehmer angerechnet. Alle diese Rechtswirkungen gestand der VfGH auch zu; dass dem Arbeitgeber von Verfassung wegen Parteistellung einzuräumen sei, verneinte er dennoch. Gestützt auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot nahm der VfGH nun nämlich an, dass zwar „die Zuerkennung subjektiver Rechte [in aller Regel] auch die Zuerkennung von Parteirechten erfordern [wird]“. Einschränkend fügte er jedoch hinzu: Je nach dem Zweck des Verfahrens und der Eigenart und Bedeutung der berührten Rechtsposition könne auch die Versagung einer Parteistellung sachgerecht sein, wenn das Verfahren in der Hauptsache die Interessen eines anderen wahren soll245. ____________________
überprüfbarer Weise – in Bescheidform ergeht (VfSlg 13.952/1994, s auch VfSlg 13.027/ 1992, 13.223/1992, 13.699/1994, 14.702/1996; vgl dazu auch Novak, FS Winkler [1997] 697 ff ). 242 S schon Merli, JBl 1994, 238; Thienel, ZfV 1996, 5; s auch Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 96; anderes gilt allerdings im dienstrechtlichen Ernennungsverfahren, was Kucsko-Stadlmayer, FS Walter 392, zu Recht kritisiert. 243 VwSlg 2903 A/1953, 9751 A/1979; VwGH 13.1.1988, 87/03/0251; VwSlg 14.037 A/1994; VwGH 12.12.2002, 2002/07/0109; 26.2.2003, 2000/03/0328; s aber auch VwSlg 6659 A/1965, wonach ein Interesse an einer Verwaltungsentscheidung iSd § 8 AVG die Rechtssphäre des Interessierten unmittelbar berühren müsse; fehle es an einer solchen Berührung, liege nur ein wirtschaftliches Interesse vor. 244 VwSlg 13.092 A/1989. 245 VfSlg 11.934/1988, s auch VfSlg 12.240/1989, 13.646/1993. Dass dem Arbeitgeber im konkreten Fall keine Parteistellung eingeräumt werden musste, begründete der VfGH im Erkenntnis VfSlg 11.934/1988 auf zwei Wegen, die voneinander wesentlich verschieden sind: Zunächst stellte er fest, dass die beschriebenen Rechtswirkungen nicht nur dann eintreten, wenn die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Kreis der begünstigten Invali-
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Maßgebend für die Frage der Parteistellung ist demnach, welchen Interessen ein Verfahren dient246. Soweit es nur öffentliche Interessen berührt, ist die Zuerkennung einer Parteistellung gleichheitsrechtlich nicht geboten247. Soweit es hingegen den Interessen bestimmter Rechtsunterworfener ____________________
den behördlich festgestellt wird, sondern auch dann, wenn diese Zugehörigkeit auf andere Weise bereits festgestellt worden ist, etwa durch den Bescheid eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung, das Urteil eines Sozialgerichtes oder durch einen förmlichen Invalidenausweis. Dass in diesen Verfahren eine Parteistellung des Arbeitgebers nicht in Erwägung zu ziehen ist, bedurfte, wie der VfGH festhielt, „keines besonderen Nachweises“. Dann sei es aber folgerichtig, wenn dem Arbeitgeber auch in dem erwähnten Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukomme. Der VfGH argumentierte insofern vergleichend: Der Arbeitgeber werde ja gleich behandelt wie Arbeitgeber, deren Arbeitnehmer bereits zum Kreis der begünstigten Invaliden gerechnet werden. Darüber hinaus stellte der VfGH aber auch fest, dass das Interesse des Arbeitgebers an der Einräumung einer Parteistellung hier nicht schwer wiege: Die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei ihrer Funktion nach eine Statusentscheidung, die nicht nur im Verhältnis zum gegenwärtigen Arbeitgeber bedeutsam sei. Diese Einschätzung erfordere zudem die Befassung mit höchstpersönlichen Umständen des Arbeitnehmers, wofür ein Vielparteienverfahren ungeeignet sei. Den Rechtsfolgen, die diese Feststellung für den Arbeitgeber habe, komme weiters ein geringes Gewicht zu im Verhältnis zu den geradezu lebenswichtigen Anliegen des Behinderten. Zwar sei die Kündigung eines Invaliden nur mehr mit Zustimmung des Invalidenausschusses, nach Anhörung des Betriebsrates und der einschlägigen Landesbehörde zulässig; bei der Entscheidung, ob der Arbeitgeber kündigen darf oder nicht, seien aber seine Interessen gegen jene des Arbeitnehmers in einem Verfahren abzuwägen, an dem der Arbeitgeber ohnedies als Partei mitwirken könne. Der VfGH wog also das Interesse des Arbeitgebers an einer Parteistellung gegen die Interessen seines Arbeitnehmers ab; mag diese Abwägung im konkreten Fall auch zulasten der Parteistellung ausgefallen sein, so setzt sie doch voraus, dass dem Interesse an der Parteistellung ein gewisses Schwellengewicht zukommt, dass der Gleichheitssatz dem Arbeitgeber also ein Prima-facie-Recht vermittelt, dem Verfahren als Partei beigezogen zu werden. Anders beurteilte der VfGH im Erkenntnis VfSlg 2423/1952 noch die Position eines behinderten Arbeitnehmers: Stimme der Invalidenausschuss der Kündigung dieses Arbeitnehmers mit Bescheid zu, so müsse der Arbeitnehmer dagegen kein Berufungsrecht haben; das Zustimmungsrecht des Invalidenausschusses beschränke nämlich nur die Rechte des Arbeitgebers, nicht jene des Arbeitnehmers. 246 S etwa den Prüfungsbeschluss zu VfSlg 15.581/1999, wonach „der Gesetzgeber dann, wenn er den besonderen Interessenlagen der Nachbarn dienende raumordnungsrechtliche oder baurechtliche Regelungen erläßt, diese Interessenlagen auch bei der Einräumung des Mitspracherechts der Nachbarn im Bauverfahren entsprechend berücksichtigen muß. Oder anders ausgedrückt: Beschränkt der Gesetzgeber das Mitspracherecht im Baubewilligungsverfahren auf die Möglichkeit, nur bestimmte Interessenlagen geltend zu machen, so muß ein sachlicher Grund dafür gegeben sein, daß der Nachbar nur diese bestimmten Interessenlagen im Bauverfahren rechtswirksam durchsetzen kann“; den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betonend hingegen noch VfSlg 10.844/1986. 247 Dem Nachbarn einer gewerblichen Betriebsanlage musste daher nach VfSlg 13.013/ 1992 bei der Genehmigung eines Versuchsbetriebes keine Parteistellung zuerkannt werden, weil diese Genehmigung bloß einer möglichst rationellen Verfahrensgestaltung zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes für das spätere Genehmigungsverfahren dient, in dem den Nachbarn dann ohnedies Parteistellung zukommt. Unbedenklich war nach VfSlg 15.545/1999 auch, dass der Grundeigentümer im Vorprüfungsverfahren zur Bewilligung von Starkstromleitungen keine Parteistellung hatte, weil in diesem Verfahren nur festgestellt werde, ob und unter welchen Bedingungen das geplante Vorhaben mit den berührten öffentlichen Interessen vereinbar ist.
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dient, müssen diese grundsätzlich am Verfahren als Partei beteiligt werden. Ihr Ausschluss kann allerdings im Einzelfall durch den Zweck des Verfahrens oder das höhere Gewicht der Rechtsposition anderer Beteiligter gerechtfertigt sein. Ob und inwieweit der Gesetzgeber den Interessen eines Rechtsunterworfenen überhaupt rechtlichen Schutz gewährt, liegt dabei nach der Judikatur weitgehend in seinem Gestaltungsspielraum248. Auch diese zweite Judikaturlinie kennt ein Pendant in der Rechtsprechung des VwGH. Ihr zufolge steht dem Einzelnen kein Rechtsanspruch auf die Beachtung bloß öffentlicher Interessen zu249. Habe eine Person aber ein Interesse an der Einhaltung einer Norm, das für die Erlassung dieser Norm maßgebend war, so streite „im demokratischen Rechtsstaat die Vermutung für ihre Befugnis zur Rechtsverfolgung“250. Parteistellung habe der Einzelne somit, wenn eine Norm „nicht allein dem öffentlichen Interesse, sondern (zumindest auch) dem Interesse Einzelner zu dienen bestimmt ist“251. cc. Beschränkung der prima facie gebotenen Parteistellung In der Judikatur finden sich somit im Wesentlichen drei verschiedene Ansätze zur Begründung von Parteirechten: Der VfGH leitet Parteirechte erstens derivativ aus Rechten her, die der Gesetzgeber bestimmten Rechtsunterworfenen bereits eingeräumt hat. Als wesentlich gleich sieht der VfGH dabei Personen mit gleichartigen Interessen an; ihre Ungleichbehandlung kann aber durch kollektive Interessen – wie die Bedeutung des Verfahrens für die Allgemeinheit und Erwägungen der Verwaltungsökonomie bei drohenden Massenverfahren – sachlich gerechtfertigt werden. Nicht komparativ, also unabhängig von der Parteistellung, die anderen bereits zukommt, nimmt der VfGH eine Parteistellung zweitens für Personen an, deren Rechte und Pflichten durch einen Bescheid gestaltet werden. Mit fließenden Übergängen zu dieser Fallgruppe leitet der VfGH aus dem Gleichheitssatz drittens ein Prima-facie-Recht auf Parteistellung für Personen ab, denen der Gesetzgeber subjektive Rechte zuerkennt, indem er eine Norm zum Schutz ihrer Interessen erlässt. Auch in dieser dritten Fallgruppe kann es aber sachlich gerechtfertigt sein, jemandem keine Parteistellung zuzuerkennen, dann nämlich, wenn das Verfahren in der Haupt____________________
248 Diese Freiheit sei verfassungsrechtlich lediglich dadurch begrenzt, dass das die Parteirechte bestimmende Gesetz dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot unterliegt: VfSlg 14.512/ 1996 unter Hinweis auf VfSlg 8279/1978, 11.934/1988, 12.240/1989. 249 VwGH 30.9.1992, 89/03/0224; s auch schon VwSlg 15.582 A/1929; VwGH 3.3. 1965, Zl 31/61; 13.12.1983, 83/07/0266; 12.12.2002, 2002/07/0109. 250 VwSlg 9151 A/1976, 13.411 A/1991, 14.826 A/1998; VwGH 23.5.2002, 2001/ 07/0133; ähnlich, aber ohne Bezugnahme auf die rechtsstaatliche Zweifelsregel VwSlg 10.129 A/1980; VwGH 13.1.1988, 87/03/0251. 251 VwGH 26.2.2003, 2000/03/0328; s auch VwSlg 6684 A/1965, 9151 A/1976, 13.411 A/1991, 14.826 A/1998; VwGH 23.5.2002, 2001/07/0133.
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sache anderen, schwerer wiegenden Interessen dient. Daraus folgt wohl, dass die Parteistellung Personen nicht aberkannt werden darf, die von einem Bescheid primär betroffen sind, etwa, weil sie um eine Bewilligung oder die Feststellung eines Rechts angesucht haben oder weil ihnen die Behörde von Amts wegen bestimmte Pflichten auferlegt, sie zB bestraft oder ihnen Abgaben vorschreibt252. Denkbar und tatsächlich auch praktisch relevant ist der Ausschluss oder die Einschränkung von Parteirechten hingegen bei Drittbetroffenen, so bei dem bereits erwähnten Arbeitgeber in einem Verfahren, in dem die Invalidität seines Arbeitnehmers festgestellt wird253, dann aber auch bei den Nachbarn im Anlagenverfahren: Sie werden in der jüngeren Vergangenheit als Parteien sehr oft mit der Begründung ausgeschlossen, das Anlagenverfahren müsse beschleunigt werden, es würden also öffentliche Interessen und die Interessen des Anlagenbetreibers den Ausschluss des Nachbarn rechtfertigen. Der VfGH sieht derart verfahrensökonomische Erwägungen zwar nicht als schlechthin unzulässig an, letztlich billigt er sie aber nur in Grenzen: Das schlichte Argument, die Nachbarn würden das Verfahren häufig durch unnötige Einwendungen, Berufungen und Beschwerden verzögern, rechtfertigt ihren Ausschluss jedenfalls noch nicht. Denn dies würde, wie der VfGH bemerkte, „überspitzt formuliert – in die unhaltbare Aussage münden, daß der Rechtsschutz […] dort eingeschränkt werden müsse, wo die Gefahr einer erhöhten Inanspruchnahme dieses Rechtsschutzes durch Beschwerden bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts besteht“254. Auch dass die Behörde ohnedies verpflichtet sei, die zum Schutz der Nachbarn erlassenen Vorschriften von Amts wegen zu beachten, ist nach der Ju____________________
252 S auch schon die oben in FN 235, 237, 239 und 240 zitierten Erkenntnisse des VfGH: VfSlg 13.646/1993 (Parteistellung des Abgabepflichtigen im Abgabeverfahren); VfSlg 11.931/1988 (ein gesetzlich eingeräumter Anspruch auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft muss durchsetzbar sein); teilweise anders und mE problematisch VfSlg 15.545/1999 (die Zuerkennung des Rechts, auf fremdem Grund Vorarbeiten zu einer elektrischen Leitungsanlage durchzuführen, ist nur für den Bewilligungswerber als Bescheid, für den duldungspflichtigen Grundeigentümer hingegen als Verordnung zu qualifizieren), s ferner und mE zutreffend VfSlg 14.783/1997 (keine Parteistellung des Grundeigentümers, wenn einem anderen die Bewilligung erteilt wird, auf diesem Grund zu bauen, weil diese Bewilligung den Grundeigentümer nicht dazu verpflichtet, den Bau auf seinem Grund zu dulden). 253 VfSlg 11.934/1988. 254 S VfSlg 15.581/1999; im konkreten Fall war die Parteistellung der Nachbarn im Bauverfahren auf die Einhaltung von Abstandsvorschriften beschränkt, die Durchsetzung anderer, ihre Interessen nicht minder berührender Vorschriften (betreffend Bauweise, Gebäudehöhe, Beschaffenheit des Bauplatzes, Brandschutz) aber ausgeschlossen worden. Die Tiroler Landesregierung verteidigte diese Beschränkung mit dem Argument, in der Praxis würde eine Vielzahl von Einwendungen erhoben, denen die Behörde nachgehen muss; zudem werde der Rechtsweg vielfach ohne Rücksicht auf die Erfolgsaussichten bis hin zur Vorstellungsbehörde und zu den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts beschritten.
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dikatur noch kein ausreichender Grund für einen Ausschluss der Nachbarn aus dem Verfahren, und zwar auch dann nicht, wenn diese Schutzvorschriften klar und eindeutig formuliert sind255. Die Parteistellung des Nachbarn wird auch nicht dadurch entbehrlich, dass seine Interessen durch technische Vorschriften geschützt sind, deren Anwendbarkeit unter Beiziehung von Sachverständigen geprüft wird, ebenso wenig dadurch, dass eine Bauaufsicht und die Möglichkeit besteht, nachträgliche Auflagen vorzuschreiben256. Auch dass Unternehmer bei der Errichtung einer gewerblichen Betriebsanlage einem wirtschaftlichen Druck ausgesetzt sind, sah der VfGH nicht als einen ausreichenden Grund an, um den Nachbarn dieser Unternehmer im Betriebsanlagenbewilligungsverfahren die Geltendmachung von Immissionsvorschriften zu verwehren257. Die Beschleunigung großer, im besonderen Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegener Bauvorhaben, bei denen erfahrungsgemäß eine beträchtliche Anzahl von Parteien auftritt, rechtfertigte nach Ansicht des VfGH hingegen, die Parteirechte im Verfahren über den bevorzugten Wasserbau einzuschränken258. Im gewerblichen Betriebsanlagenverfahren hat der VfGH den Ausschluss der Parteistellung im Interesse der Verfahrensbeschleunigung nur bei sog „Bagatellanlagen“ akzeptiert, die die Schutzinteressen der Nachbarn kaum berühren und die im Regelfall ohnedies genehmigungsfähig sind259. Dass die Behörde, wie der VfGH hinzufügte, auch die Genehmigungsfähigkeit solcher Anlagen zu beurteilen und die zum Schutz der Nachbarinteressen erforderlichen Aufträge zu erteilen hat, war wohl nur ein unterstützendes, kein tragendes Argument. Für sich allein hat es nämlich in anderem Zusammenhang nicht genügt260, und es genügte auch nicht, als der Gesetzgeber die Bagatellanlage neu und erheblich weiter umschrieb, nämlich als jede Anlage, die nach raumordnungsrechtlichen Kriterien zulässig ist. Diese Abgrenzung konnte selbst in Verbindung mit anderen Maßnahmen nicht sicherstellen, dass das ver____________________
255
VfSlg 15.581/1999. VfSlg 15.581/1999; s auch VfSlg 16.982/2003, 16.983/2003. 257 VfSlg 15.360/1998: Der VfGH verglich dabei die Nachbarn einer Anlage, die keiner gewerbebehördlichen Bewilligung bedarf (die also den genannten Immissionsschutz geltend machen konnten), mit den Nachbarn einer gewerblichen Betriebsanlage (die von der Geltendmachung dieses Immissionsschutzes ausgeschlossen waren). Ausschlaggebend für die Gleichheitswidrigkeit war aber letztlich nicht, dass der Gesetzgeber diese beiden Vergleichsgruppen ungleich behandelt, sondern dass er den Nachbarn einer gewerblichen Betriebsanlage die Parteistellung vorenthalten hatte. S auch VfSlg 15.417/1999. 258 VfSlg 10.605/1985. 259 VfSlg 14.512/1996. 260 S VfSlg 15.581/1999 (FN 256), wonach die Interessen der Nachbarn durch die Bauaufsicht und die Möglichkeit der Behörde, nachträgliche Auflagen vorzuschreiben, noch nicht ausreichend gesichert sind. 256
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einfachte Verfahren auf Anlagen beschränkt bleibt, die typischerweise genehmigungsfähig sind. Dass die Nachbarn in diesem Verfahren gleichwohl als Parteien ausgeschlossen waren, verletzte daher den Gleichheitssatz261. Nicht durch Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung zu rechtfertigen war es auch, dass der Gesetzgeber im vereinfachten Verfahren die bloße Feststellung abstrakter Messgrößen als Genehmigung „gelten“ ließ, ohne dass die Behörde Gefährdungen und Immissionen im Einzelfall überhaupt überprüft haben musste262. Und selbst in jenen Fällen, in denen ein „vereinfachtes“, also unter Ausschluss der Nachbarn geführtes Verfahren gleichheitsrechtlich unbedenklich ist, muss dem Nachbarn nach Ansicht des VfGH Parteistellung hinsichtlich der Frage zukommen, ob die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Verfahren überhaupt vorliegen263. Im Prüfungsbeschluss stützte er sich dabei noch auf das rechtsstaatliche Prinzip264; im Gesetzesprüfungserkenntnis selbst formulierte er seine Ansicht aber wieder gleichheitsrechtlich: Sie wende sich „letztlich gegen eine unsachliche Ungleichbehandlung gleicher Fälle [...] (nämlich jener Nachbarn, die im Rahmen eines ordentlichen Genehmigungsverfahrens Parteistellung besitzen, einerseits und jener, die diese Parteistellung nur deswegen nicht besitzen, weil die Behörde zu Unrecht die Voraussetzungen eines vereinfachten Verfahrens angenommen oder behauptet hat, andererseits)“. Diese Erläuterung versucht, die Frage der Parteistellung in die vertraute Formel einzufangen, dass wesentlich Gleiches gleich behandelt werden muss. Das ist suggestiv, verschleiert jedoch das eigentliche Problem: Bestünde dieses nämlich tatsächlich in der Ungleichbehandlung gleicher Fälle, dann müsste der Ausschluss der Parteistellung unbedenklich sein, wenn die Behörde die Voraussetzungen eines vereinfachten Verfahrens nicht nur in manchen, sondern in allen Fällen zu Unrecht bejaht. Dass diesfalls alle Nachbarn gleich behandelt würden, beseitigt die Bedenken jedoch keineswegs; im Gegenteil, es schließt nur eine größere Zahl von Personen als Parteien aus dem Verfahren aus. Problematisch ist also der Ausschluss der Parteistellung, nicht die Tatsache, dass er möglicherweise ungleichmäßig erfolgt, und das bedeutet umgekehrt und ohnedies im Einklang mit der sonstigen Judikatur: Die Parteistellung ____________________
261 VfSlg 16.103/2001. Auch die novellierte Fassung des § 359b Abs 4 Z 2 GewO war nicht geeignet, die Bedenken des VfGH zu zerstreuen: VfSlg 16.259/2001. 262 VfSlg 17.165/2004. 263 VfSlg 16.103/2001. Zustimmend im Ergebnis, aber kritisch zur Begründung Thienel, ZfV 2001, 721 f. Auch hier zeigt sich eine Parallele zur Judikatur des VwGH, nach der der Rechtsunterworfene jedenfalls Partei bei der Klärung der Frage ist, ob überhaupt Parteistellung besteht, s zB VwSlg 9458 A/1977; VwGH 16.10.1989, 88/12/0054; 14.12. 1993, 93/07/0091; s auch – aber vorsichtiger – VfSlg 16.982/2003, 16.983/2003. 264 VfGH 30.6.2000, B 2071/99.
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des Nachbarn ist zumindest prima facie geboten. Erwägungen der Verfahrensökonomie rechtfertigten den Ausschluss der Nachbarn hier nicht, weil die Voraussetzungen für das vereinfachte Verfahren in der Regel ohne aufwendige Ermittlungen zu beurteilen seien; zudem würden den Nachbarn bei rechtswidriger Durchführung eines vereinfachten Verfahrens die Parteirechte vollkommen entzogen265. b. Literatur Die dargestellte Judikatur findet in der Lehre keineswegs ungeteilte Zustimmung. Nicht nur die Ausgangsthese des VfGH, die Verfassung enthalte (von Ausnahmen wie Art 119a Abs 9 B-VG abgesehen) keine Norm, die Parteirechte in einem bestimmten Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantiere, wurde literarisch schon oft kritisiert266. Auch dass der VfGH die Frage, ob und inwieweit die Einräumung von Parteirechten geboten ist, als ein Problem des Gleichheitssatzes behandelt, stößt in der Lehre zum Teil auf Ablehnung. Dieser Rückzug auf den Gleichheitssatz sei eine „Flucht aus der dogmatischen Verantwortung“267, er verdunkle, dass wesentliche Vorgaben für die Parteistellung dem rechtsstaatlichen Prinzip zu entnehmen seien268 und ermögliche, die – strengeren – Konsequenzen dieser rechtsstaatlichen Anforderungen zugunsten größerer Flexibilität zu vermeiden269: Ausgehend von einem Kern____________________
265 Bringt ein Nachbar daher in einer Berufung vor, die erstinstanzliche Behörde habe die Voraussetzungen eines vereinfachten Verfahrens zu Unrecht angenommen, so hat sich die Behörde mit diesem Vorbringen auseinander zu setzen; verweigert sie dem Berufungswerber durch die Zurückweisung seines Rechtsmittels eine Sachentscheidung, so verletzt sie ihn in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter: VfSlg 16.253/2001. 266 S Pernthaler, Raumordnung II 369; W. Pesendorfer, ZfV 1979, 10; Gutknecht, ÖZW 1982, 59; B. Davy, ZfV 1985, 141 f; Griller, ÖZW 1985, 76; Herbst, JAP 1990/91, 165 f; Potacs, Devisenbewirtschaftung 236 f; Öhlinger, 11. ÖJT I/2 (1992) 145; Stelzer, ZfV 1996, 20; Thienel, ZfV 1996, 4; Holoubek, Gewährleistungspflichten 38; Feik, Nachbarrechte 210; Thienel, ZfV 2001, 727; Morscher, FS Adamovich 493; Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 79 („Diese Aussagen beschreiben die Verfassungsrechtslage nur begrenzt“). 267 Raschauer, ZfV 1999, 512; zustimmend Thienel, ZfV 2001, 727; s auch dens, ZfV 1996, 4, nach dem die Annahme des VfGH, nur der Gleichheitssatz bilde eine Schranke für die (Nicht-)Zuerkennung der Parteistellung vernachlässige, dass die Existenz durchsetzbarer Rechte ein Wesensmerkmal der rechtsstaatlichen Verfassungsordnung ist. 268 S etwa den Befund Novaks, JBl 1994, 304, die Handhabung des Parteibegriffes durch die Judikatur erwecke einen unabgestimmten und konsolidierungsbedürftigen Eindruck; der Rechtsstaatsgedanke bleibe unterbelichtet und werde durch den Gleichheitsaspekt eher verdunkelt; der jüngeren Judikatur hat ders, JBl 2000, 774, nun allerdings attestiert, in Bewegung zu geraten; auf die tiefe rechtsstaatliche Verwurzelung der Teilhabe des Einzelnen am Erzeugungsverfahren eines Verwaltungsaktes weist etwa Wielinger, ZfV 1992, 263, hin. 269 Raschauer, ZfV 1999, 512 f; zustimmend Thienel, ZfV 2001, 727; s auch Raschauer, Allgemeiner Teil Rz 153 FN 414.
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gedanken des rechtsstaatlichen Prinzips, dass der Einzelne dem Staat nicht als Objekt gegenüberstehen, sondern als Rechtssubjekt in der Lage sein soll, seine Interessen dem Staat gegenüber effektiv durchzusetzen, sei anzunehmen, dass der Gesetzgeber, wenn er die Behörde zum Schutz individualisierbarer Interessen verpflichte, zugleich ein materielles subjektives Recht des Einzelnen begründe, das auch verfahrensmäßig durchsetzbar sein muss270. Dies wird zum Teil nicht nur allgemein aus dem rechtsstaatlichen Prinzip, sondern auch konkret aus Art 18 B-VG271 oder aus den in Art 129 ff B-VG grundgelegten Rechtsschutzeinrichtungen gefolgert272. Ein Teil der Lehre ordnet diese Annahme aber wie der VfGH – zumindest auch – dem Gleichheitssatz bzw dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot zu273. Und auch jene Autoren, die der Judikatur des VfGH kritisch gegenüberstehen, lehnen wohl vor allem den ausschließlichen Rekurs auf den Gleichheitssatz ab, ohne deshalb schon anzunehmen, dass dieses Grundrecht für die Frage der Parteistellung völlig belanglos sei274. Manche Autoren halten ____________________
270 Holzinger, FS Walter 277; Stolzlechner, FS Walter 671 f; Thienel, GedS Ringhofer 179; ders, ZfV 1996, 4 f; ders, ZfV 2001, 728; Raschauer, ZfV 1999, 514; Feik, Nachbarrechte 211; Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 95 ff. 271 Thienel, ZfV 1996, 5 f; Rill, Art 18 B-VG Rz 72; s auch Korinek/Holoubek, Privatwirtschaftsverwaltung 64. 272 Thienel, ZfV 1996, 4 FN 19, 5 f; Raschauer, ZfV 1999, 511 ff. 273 S etwa Funk, Gutachten 27, nach dem der Gesetzgeber gegen das im Gleichheitssatz eingeschlossene Übermaßverbot verstoße, wenn er „ohne Schaden für öffentliche Interessen [...] ein rechtliches Verfahren zur angemessenen Berücksichtigung von entgegenstehenden und beeinträchtigten privaten Interessen [...] einrichten kann, dies jedoch unterläßt“; Stolzlechner, FS Walter 674 f, der dem Gleichheitssatz iVm dem BVG Umweltschutz für die Auslegung eine Zweifelsregel zu Gunsten der Parteistellung entnimmt; Öhlinger, Verfassungsrecht 7 Rz 775, der die Judikatur in dieser Hinsicht ohne Kritik referiert; s auch Berka, Grundrechte Rz 954, der die Judikatur zwar als äußerst restriktiv kritisiert, den Gleichheitssatz aber als einen geeigneten Maßstab ansieht, um die Sachlichkeit der Entscheidungen des Gesetzgebers über die Parteistellung an Hand der Wertungen des Verfassungsrechts zu überprüfen; zustimmend weist Berka auf die jüngere Judikatur hin, die aus dem Sachlichkeitsgebot ableitet, dass demjenigen, dem durch die Rechtsordnung subjektive Rechte eingeräumt sind, in der Regel auch Parteirechte zukommen. 274 S etwa Raschauer, RdU 1996, 191, der die Frage der Gleichwertigkeit des zivilrechtlichen Immissionsschutzes unter dem Titel des Gleichheitssatzes erörtert; explizit auch ders, ZfV 1999, 511, 513, nach dem sich im Hinblick auf die Parteirechte auch Fragen des Gleichheitssatzes stellen können; gleichheitsrechtlich begründete Parteirechte seien allerdings derivativ, also abgeleitet aus dem Umstand, dass anderen Personen in vergleichbarer Lage Parteirechte gewährt worden sind. Ob jemand überhaupt Parteistellung haben muss, beantworte der Gleichheitssatz aber nicht. S auch Rill, Art 18 B-VG Rz 72, der meint, dass sich Vorgaben für die Frage, wann Interessen der Rechtsunterworfenen durch subjektive Rechte zu schützen seien, „aus Grundrechten, und zwar nicht bloß aus dem Gleichheitsgrundsatz“ ergeben; s auch Thienel, ZfV 2001, 731, der bezugnehmend auf die – gleichheitsrechtliche – Judikatur zum Rechtsschutz im Vergaberecht auch für den Schutz der Nachbarrechte keinen gänzlichen Ausschluss der Parteirechte aus Gründen der Verfahrensvereinfachung, sondern ein „abgestuftes“ System fordert, in dem das Verfahren zwar vereinfacht, das Mitspracherecht der Nachbarn aber gewahrt wird.
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es aber ganz allgemein für „fragwürdig“, Parteirechte aus dem Gleichheitssatz und dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten275. Eine Pflicht des Gesetzgebers zur Gewährung von Parteirechten entnimmt die Literatur häufig auch den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Freiheits- und Verfahrensrechten: Soweit ein einfaches Gesetz Freiheitsrechte einschränke, müssten dem Einzelnen Rechtsansprüche und Parteistellung im Verwaltungsverfahren zuerkannt werden. Nur so habe der Rechtsunterworfene die Möglichkeit, eine allfällige Verletzung seiner Grundrechte geltend zu machen276. Darüber hinaus sei der Gesetzgeber aber durch die Freiheitsrechte auch dazu verpflichtet, den Einzelnen in seiner Grundrechtssphäre vor Einwirkungen durch Dritte zu schützen277. Ermächtige er Dritte zu einer Beeinträchtigung dieser grundrechtlichen Position, so habe er dem Rechtsunterworfenen auch dagegen einen effizienten Rechtsschutz zu gewähren278. Dies folge für die Konventionsrechte bereits aus Art 13 EMRK279, Parteirechte resultierten weiters aus Art 6 EMRK280, und schließlich setze auch das StGG das Erfordernis adäquaten Rechtsschutzes gegenüber Grundrechtsverletzungen voraus281. Manche leiten eine Pflicht zur Gewährung von Parteirechten auch aus Art 83 Abs 2 B-VG ab: Dem Gesetzgeber stehe es zwar prinzipiell frei, den Kreis der Parteien sowie deren Rechte zu bestimmen; verfassungswidrig sei aber eine Regelung, die das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ____________________
275 Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1518, zur Judikatur des VfGH, s zu deren Position noch unten bei FN 282. 276 S bereits B. Davy, ZfV 1982, 149; dens, ZfV 1985, 141 f; Rill, FS Wenger 62; dens, FS 100 Jahre Wirtschaftsuniversität 241; dens, Art 18 B-VG Rz 72; s auch Feik, Nachbarrechte 209; B. Müller, WBl 1998, 333; dens, Betriebsanlagenrecht 153 ff; Raschauer, ZfV 1999, 516; Wieshaider, Interessent 42 ff; Stelzer, ZfV 2001 20 f; Thienel, ZfV 2001, 728; Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 74, 83 ff. 277 Zu grundrechtlichen Gewährleistungspflichten allgemein und grundlegend Holoubek, Gewährleistungspflichten; zur Grundrechtsgewährleistung durch Organisation und Verfahren im Besonderen ders, aaO 299 f, 328 ff. Ob das Unterlassen derartiger Schutzmaßnahmen einen „Eingriff“ in das jeweilige Grundrecht darstellt, ist strittig; bejahend zB Holoubek, Gewährleistungspflichten 254 ff; B. Müller, Betriebsanlagenrecht 154, 156; verneinend Raschauer, ZfV 1999, 508. 278 S mwN Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 76, 84 ff. 279 B. Davy, Anlagenrecht 233 ff; Thienel, ZfV 1996, 6; ders, ZfV 2001, 729; Feik, Nachbarrechte 205 ff; B. Müller, Betriebsanlagenrecht 145 ff; Berka, Grundrechte Rz 111; Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 74. 280 S Wieshaider, Interessent 45 ff; Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 94 f. 281 ZB Raschauer, ZfV 1999, 508; ders, Allgemeiner Teil Rz 146; Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 74 f; für die Ableitung einer Pflicht zur Verfahrensbeteiligung aus den Grundrechten auch Stelzer, ZfV 1996, 21, der allerdings einschränkend hinzufügt, dass die Abgrenzung der Parteirechte im Detail „einer Abwägung mit Rechtspositionen Drittbetroffener und der rechtsstaatlichen Forderung nach einer angemessenen (kurzen) Verfahrensdauer vorbehalten ist.“
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letztlich leer laufen lasse, weil sie die Parteistellung der von der Vollziehung betroffenen Personen ausschließe282. Bisweilen wird auch ganz allgemein aus dem liberalen Prinzip in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitet, dass jeder Akt, der eine Person zu einem Tun oder Unterlassen verpflichtet, ihr gegenüber Normativität besitze, weil er ihre rechtlich geschützte Freiheitssphäre berührt; dem Betroffenen müsse daher „Rechtsschutz gewährt werden, das heißt, die Verhaltensverpflichtung muß idR durch Bescheid erfolgen, wobei dem Betroffenen Parteistellung zukommen muß.“283 c. Würdigung Betrachtet man einerseits die Judikatur und andererseits die Auffassung der Lehre zur Frage der Parteistellung, so scheinen die jeweils entwickelten Positionen im Großen und Ganzen weniger gravierend von einander abzuweichen als dies die Kritik an der Judikatur vermuten lassen würde. Ungeachtet aller Unterschiede in der dogmatischen Begründung sehen sowohl der VfGH als auch die Lehre Parteirechte in zwei Fallkonstellationen als zumindest prima facie geboten an: Zum einen, wenn ein Bescheid Rechte und Pflichten des Einzelnen gestaltet oder feststellt, zum Zweiten, wenn eine einfachgesetzliche Norm die Interessen des Einzelnen bzw einzelner Personen schützt. Diese beiden Bereiche werden zwar nicht immer klar voneinander getrennt; sie auseinanderzuhalten ist mE aber erforderlich, weil zwar derjenige, dessen Rechte und Pflichten in einem Bescheid gestaltet werden, immer auch in seinen Interessen betroffen ist, nicht aber umgekehrt: Man kann an einer Sache auch interessiert sein, obwohl der das Verfahren abschließende Bescheid nicht die eigenen, sondern nur die Rechte und Pflichten eines anderen gestaltet, und die Rechtsordnung kann dieses Interesse auch schützen; zu denken wäre nur an den Inhaber einer Seilbahnkonzession, der im Konzessionsverfahren eines Konkurrenten Parteistellung hat284: Er ist am Ausgang dieses Verfahrens wirtschaftlich ____________________
282 Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1518; s auch Rill, FS Wenger 62, nach dem die Festlegung einer Behördenzuständigkeit ein subjektives Recht der potentiellen Adressaten der Akte dieser Behörde einschließe, dass die Behörde nur innerhalb ihrer Zuständigkeit tätig wird. 283 ZB Thienel, ZfV 1996, 6. Eine Schranke für den Ausschluss von Parteirechten liegt schließlich auch in Art 11 Abs 2 B-VG: Soweit der Gesetzgeber dem Rechtsunterworfenen abweichend von § 8 AVG keine Parteistellung zuerkennt, muss dies zur Regelung des Gegenstandes erforderlich bzw iSd Rechtsprechung des VfGH „unerlässlich“ sein (Thienel, ZfV 1996, 6 f; ders, ZfV 2001, 729; s auch schon Kucsko-Stadlmayer, FS Walter 395 ff). Diese Schranke kann hier außer Betracht bleiben, weil sie Parteirechte nur derivativ, nämlich aus § 8 AVG ableitet und Abweichungen davon einer besonderen Begründungspflicht unterwirft. Bestünde § 8 AVG nicht, fehlte es – bei diesem Begründungsansatz – auch an einer Pflicht des Gesetzgebers, Parteistellung zu gewähren. 284 S oben FN 222.
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interessiert; seine Rechte und Pflichten werden durch den Konzessionsbescheid hingegen nicht berührt. Gleiches gilt zB auch für den Nachbarn im Baurecht: Ob der Bauherr die Abstandsvorschriften zu seinem Grundstück einhält oder nicht, berührt ihn nur faktisch; Pflichten oder der Verlust von Rechten sind für den Nachbarn damit nicht verbunden. Klärungsbedürftig ist außerdem der vielschichtige und mit Kontroversen schwer beladene Begriff des „subjektiven Rechts“285. Soweit eine Norm des objektiven Rechts eine Verhaltenspflicht statuiert, kann von einem „subjektiven Recht“ mE sinnvoll nur gesprochen werden, wenn jemandem die Rechtsmacht eingeräumt ist, die Nichteinhaltung dieser objektiv-rechtlichen Norm geltend zu machen. Fehlt es an dieser Rechtsmacht, dann fehlt es auch an einem subjektiven Recht. Jemandem explizit ein subjektives Recht auf ein bestimmtes Verhalten eines anderen einzuräumen, ihm aber zugleich die Geltendmachung dieses Rechts ausdrücklich zu verwehren, wäre ein Widerspruch in sich; denn die Zuerkennung dieses „subjektiven Rechts“ wäre dann folgen- und bedeutungslos: Es gäbe – außer dieser Bezeichnung – nichts, was diese Norm von rein objektivem Recht unterschiede286. Soweit zu sehen, kommen derartige Fehlbezeichnungen auf der Stufe des einfachen Gesetzes auch nie vor. Der einfache Gesetzgeber räumt (was durch Auslegung zu klären ist) einer Person entweder ein subjektives Recht ein – dann hat sie nach § 8 AVG automatisch auch Parteistellung; oder er erklärt sie zur Partei – dann hat sie auch ein subjektives Recht287. Denkbar und durchaus auch praktisch ist allerdings, dass der Verfassungsgesetzgeber dem Rechtsunterworfenen ein subjektives Recht gewährt, der einfache Gesetzgeber ihm aber die Parteistellung zur Geltendmachung dieses Rechts verwehrt. Dies ist keine Fehlbezeichnung mehr, sondern ein Eingriff in ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht und möglicherweise auch eine Verletzung desselben. aa. Parteistellung als Folge der Rechtswirkungen, die ein Bescheid erzeugt Lehre und Judikatur gehen nun übereinstimmend davon aus, dass dem Rechtsunterworfenen von Verfassung wegen Parteistellung in einem Ver____________________
285
Vgl mwN Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 10 ff; Pöschl, 16. ÖJT I/2 (2008)
9 ff. 286 S Kelsen, Rechtslehre 132 f. Dabei wird nicht verkannt, dass es auch subjektive Rechte gibt, die nicht auf ein fremdes Verhalten gerichtet sind; diese Rechte werden allerdings regelmäßig mit Rechten auf ein fremdes Verhalten verknüpft, s dazu mwN Pöschl, 16. ÖJT I/2 (2008) 11 f, insb FN 26. 287 ME gilt dies nicht nur für den Rechtsunterworfenen, sondern selbst für die Amtspartei; überzeugende Gründe für diese Annahme hat in der jüngeren Vergangenheit Domej, Amtspartei 151 ff beigebracht; s auch Pöschl, 16. ÖJT I/2 (2008) 33, 37. Die Frage kann hier aber beiseite gelassen werden.
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fahren zukommen muss, in dem über seine Rechte und Pflichten abgesprochen wird. In der Lehre wird dies überwiegend auf das rechtsstaatliche Prinzip, auf Freiheits- und auf Verfahrensrechte gestützt, in der Judikatur hingegen vorwiegend auf den Gleichheitssatz. Der Begründungsansatz der Lehre imponiert, soweit er sich auf das rechtsstaatliche Prinzip beruft, durch die suggestive Kraft der Formel, dass der Einzelne in einem Rechtsstaat nicht Objekt, sondern Subjekt des Verfahrens sein soll. Ob dem Rechtsunterworfenen damit im Ernstfall wirklich geholfen ist, scheint aber fraglich. Man stelle sich eine Norm vor, die eine Behörde dazu ermächtigt, dem Rechtsunterworfenen unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht aufzuerlegen oder ihm ein Recht einzuräumen, die aber zugleich bestimmt, dass der davon Betroffene in diesem Verfahren kein subjektives Recht und keine Parteistellung hat. Um eine solche Norm zu bekämpfen, müsste der Betroffene nach Art 140 bzw 144 B-VG die Verletzung eines subjektiven Rechts geltend machen können. Auf einfachgesetzlicher Ebene fehlt es in dieser Fallkonstellation aber voraussetzungsgemäß an einem solchen Recht, und ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht ist nicht wirklich in Sicht, solange man den Betroffenen nur auf das rechtsstaatliche Prinzip verweist. Denn das rechtsstaatliche Prinzip selbst ist jedenfalls kein subjektives Recht. Gleiches gilt für die hier relevanten Normen des einfachen Verfassungsrechts, die das rechtsstaatliche Prinzip konstituieren: Art 18 B-VG ist nach hA bloß eine Norm des objektiven Rechts288. Und auch das durch die Art 129 ff B-VG eingerichtete Rechtsschutzsystem setzt zwar voraus, dass es materielle subjektive Rechte gibt, doch es gewährt diese Rechte nicht selbst289. Greift ein Bescheid durch die Gestaltung oder Feststellung von Rechten und Pflichten in ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Freiheitsrecht ein, so lösen sich diese Probleme von selbst: Der von diesem Eingriff Betroffene kann seine Parteistellung dann aus dem jeweiligen Freiheitsrecht selbst ableiten290; ein Rekurs auf das rechtsstaatliche Prinzip ist insoweit überflüssig. Der Rechtsunterworfene muss daher in einem Verfahren, in dem ihm eine Gewerbeberechtigung zu- oder aberkannt wird, schon we____________________
288
S schon oben FN 14. Unproblematisch sind demgegenüber Regelungen, die in verschiedene Richtung deutbar, also auch verfassungskonform interpretierbar sind; zu denken wäre neben Regelungen, die eine verfassungsrechtlich gebotene Parteistellung nicht ausdrücklich ausschließen, auch an Vorschriften, die offen lassen, ob ein Verwaltungsakt mit Eingriffswirkung ein Bescheid ist: im Zweifel ist dies zu bejahen, s etwa Mayer, ZAS 1992, 40. 290 Ein subjektives Recht muss dem Betroffenen dann auch nicht erst durch einfaches Gesetz „eingeräumt“ werden (so aber wohl Thienel, ZfV 1996, 6), es besteht bereits von Verfassung wegen; die Parteistellung des Betroffenen folgt dann – wenn einfachgesetzlich nichts anderes bestimmt wird – direkt aus § 8 AVG. 289
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gen Art 6 StGG Partei sein291, ebenso wie er sich wegen Art 5 StGG gegen die Vorschreibung einer Abgabe292 oder die Verhängung einer Geldstrafe zur Wehr setzen können muss. Beantragt er eine Baubewilligung oder die Bewilligung einer gewerblichen Betriebsanlage, so muss er in dem sodann geführten Verfahren nach Art 5 StGG, Art 6 EMRK und gegebenenfalls auch nach Art 6 StGG Parteistellung haben293. Hat die Erteilung der begehrten Bewilligung zur Folge, dass sein Nachbar einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch verliert, den § 364 Abs 2 ABGB dem Eigentümer einer Liegenschaft zum Schutz vor Immissionen sonst gewährt, so ist auch dieser Nachbar nach Art 5 StGG und Art 6 EMRK dem Bewilligungsverfahren als Partei beizuziehen. Wer die Anerkennung als Religionsgemeinschaft beantragt, muss in dem sodann geführten Anerkennungsverfahren wegen Art 15 StGG Parteistellung haben294 etc. Dass sich in der Verfassung, wie die Judikatur annimmt, von Ausnahmen abgesehen keine Norm finden lässt, die Parteirechte in einem bestimmten Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantieren würde, trifft daher nicht zu. Eher ist das Gegenteil der Fall: Die Grundrechtsordnung enthält derartige Garantien Sonderzahl. Anders liegen die Dinge, wenn ein Bescheid Rechte oder Pflichten einer Person gestaltet oder feststellt, ohne in deren Freiheitsrechte einzugreifen. Das ist nicht allzu häufig, aber etwa dann der Fall, wenn jemand um Sozialhilfe, um die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft oder um die Aufnahme in die Bundesbetreuung ansucht. Dass das Rechtsstaatsprinzip in einem solchen Fall die Zuerkennung der Parteistellung gebieten kann, mag richtig sein, hilft dem Betroffenen aber nicht, weil das rechtsstaatliche Prinzip kein subjektives Recht ist, auf das er sich berufen könnte. Für die Position des VfGH, Parteirechte nicht nur aus dem rechtsstaatlichen Prinzip, sondern auch aus dem Gleichheitssatz abzuleiten, spricht zwar, dass die Parteirechte so im Ernstfall kein leeres Versprechen der Verfassung bleiben, sondern für den Einzelnen durchsetzbar sind. Doch hat der VfGH bisher nie begründet, warum gerade der Gleichheitssatz die Zuerkennung ____________________
291 S schon Rill, FS Wenger 62, unter Hinweis auf VfSlg 5240/1966; s weiters Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 74 mwN in FN 344. 292 S auch Raschauer, ZfV 1999, 513, sowie VfSlg 13.646/1993, wonach offenkundig ist, dass der zur Leistung einer Abgabe Herangezogene im Abgabenverfahren Parteistellung haben muss; anders das Erkenntnis VfSlg 13.326/1993, in dem die unrechtmäßige Verweigerung des Parteiengehörs in einem grundverkehrsbehördlichen Verfahren (ungeachtet des ausdrücklich auf die Unversehrtheit des Eigentums gestützten Beschwerdevorbringens) als Gleichheitsproblem behandelt wurde; problematisch mE auch VfSlg 15.545/1999 (FN 252). 293 S auch Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 74. 294 Im Ergebnis ebenso, wenn auch gestützt auf Art 18 B-VG VfSlg 11.931/1988, sowie zusätzlich unter Berufung auf Art 13 EMRK VfSlg 13.134/1992.
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von Parteirechten gebieten sollte295. Angesichts der Entwicklungsgeschichte dieses Grundrechts hat die Position des VfGH aber gute Gründe für sich. Bereits die Pillersdorffsche Verfassung, die den Gleichheitssatz historisch erstmals gewährte, stellt dieses Grundrecht offensichtlich in den Dienst des Rechtsstaates: Sie bestimmt, dass die „Wirksamkeit des Gesetzes“ gleich sein soll für jeden Staatsbürger und dass niemand gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden kann296. Dieser Garantie wäre nicht entsprochen, wenn die Wirksamkeit des Gesetzes für niemanden sichergestellt ist. Denn ihr Ziel ist in Wahrheit nicht die gleiche Wirksamkeit, sondern die Wirksamkeit des Gesetzes an sich297. Im Reichstag von Kremsier wurde der Gleichheitssatz zwar anders und im Wesentlichen so formuliert, wie er bis heute gilt. Unter den Abgeordneten bestand aber Einigkeit, dass die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz ein unverzichtbarer Bestandteil des Rechtsstaates ist: Die „gleiche[…], ursprüngliche […] Berechtigung aller Einzelnen“ sei, wie Hein betonte, die Grundlage des Rechtsstaates298. Und Klaudi fügte an: „So lange wir die Gleichheit nicht nur anerkennen, sondern so lange wir sie nicht practisch durchführen, so lange sind wir nicht im Rechtsstaate, so lange haben wir die Revolution nicht beendet“299. Der Gleichheitssatz sei, wie Hein schließlich nachsetzte, zu garantieren, „[weil] wir den Rechtsstaat wollen, folglich alle Consequenzen desselben wollen müssen“300. Das B-VG ist nun zweifellos im Rechtsstaat angelangt, wenn es die gesamte staatliche Verwaltung in Art 18 B-VG ausdrücklich an das Gesetz bindet und zur Kontrolle der Verwaltung in den Art 129 ff B-VG die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts beruft. Das Scharnier zwischen der Gesetzesbindung der Verwaltung und ihrer Kontrolle bildet dabei das subjektive Recht. Art 83 Abs 2 B-VG verschafft dem Einzelnen nun zwar ein Recht darauf, dass die Be____________________
295 Dass der Gleichheitssatz verletzt ist, wenn der Gesetzgeber Parteirechte unterschiedslos nicht einräumt, hüllt die Behauptung prima facie gebotener Parteirechte zunächst nur in ein gleichheitsrechtliches Gewand, lässt aber offen, warum diese Behauptung aus dem Gleichheitssatz folgt. 296 S näher oben B.I.3. 297 Dass der Gleichheitssatz aus der Sicht der Regierung zumindest auch die Funktion hatte, die Autorität des Gesetzes zu bewahren, bestätigt ein Schreiben, das Pillersdorff kurz nach Inkrafttreten der Verfassung an sämtliche Landeschefs schickte: Er ermahnte die Behörden darin ua, die Gleichstellung aller Staatsbürger vor dem Gesetz zu beachten und keine Ausnahme vom Gesetz zu machen, weil „jede Ausnahme das Gesetz schwächt“, wiedergegeben bei Hugelmann, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1918 und 1919 (1919) 266 ff FN 1 (hier: 267) (Hervorhebung nicht im Original). 298 StenProtRT 68. Sitzung am 9. Jänner 1849, 315. 299 StenProtRT 72. Sitzung am 16. Jänner 1849, 414 (Hervorhebung nicht im Original). 300 StenProtRT 73. Sitzung am 17. Jänner 1849, 464 (Hervorhebung nicht im Original).
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hörde eine ihr gesetzlich zugewiesene Zuständigkeit weder überschreitet noch ihre Wahrnehmung verweigert. Dass der Gesetzgeber eine solche Zuständigkeit überhaupt begründet, garantiert Art 83 Abs 2 B-VG aber nicht. Soll das Rechtsschutzsystem des B-VG dort, wo keine Freiheitsrechte betroffen sind, nicht leerlaufen, dann muss es eine solche Garantie geben, und diese Garantie muss für den Einzelnen auch durchsetzbar sein. Dass das „missing link“ in diesem Rechtsschutzsystem der Gleichheitssatz bildet, liegt angesichts seiner historisch belegbaren Funktion, den Rechtsstaat für den Einzelnen effektiv zu machen, durchaus nahe. Und tatsächlich wurde der Gleichheitssatz in einem Punkt auch ganz herrschend immer als eine rechtsstaatliche Garantie verstanden: Er verschafft dem Einzelnen nach ständiger Judikatur – gegen die die Lehre in Österreich, soweit zu ersehen, nie einen Einwand erhoben hat – Schutz vor behördlicher Willkür, also Schutz davor, dass sich die Behörde über das Gesetz schlechthin hinwegsetzt301. Wer das anerkennt, muss auch anerkennen, dass der Rechtsunterworfene, der um die Zuerkennung eines ihm nach dem Gesetz zustehenden Rechts ansucht oder dem die Behörde eine Pflicht auferlegt, sich gegen eine willkürliche Verweigerung dieses Rechts oder gegen die Auferlegung einer Pflicht, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, zur Wehr setzen können muss, dass ihm also in einem solchen Verfahren Parteistellung zugestanden werden muss. Die gesetzliche Zuerkennung von Rechten und die gesetzliche Auferlegung von Pflichten ist zwar keineswegs zwangsläufig ein Eingriff in den Gleichheitssatz: Wenn der Gesetzgeber dabei Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt, ist der Gleichheitssatz gar nicht berührt. Ein Eingriff in den Gleichheitssatz liegt aber vor, wenn der Gesetzgeber Ungleiches gleich und Gleiches ungleich behandelt. Ob dieser Eingriff nun schon durch das Gesetz oder erst durch die Behörde vorgenommen wird, die vom Gesetz abweicht, ist aus der Sicht des Rechtsunterworfenen aber ganz gleichgültig. Das Ergebnis ist ja hier wie dort dasselbe; unterschiedlich sind nur die Voraussetzungen, unter denen ein gesetzlicher und ein behördlicher Eingriff den Gleichheitssatz verletzen: Der Gesetzgeber verletzt ihn, wenn die Ungleichbehandlung des Gleichen oder die Gleichbehandlung des Ungleichen unverhältnismäßig ist; die Behörde verletzt den Gleichheitssatz, wenn sie willkürlich handelt. Dass die Behörde vom Gesetz abweicht und damit in den Gleichheitssatz eingreift, kann nun aber immer sein; deshalb muss derjenige, dessen Rechte und Pflichten sie gestaltet, auch immer Parteistellung haben. Im Ansatz hat der VfGH das Gebot, dem Rechtsunterworfenen Parteistellung zu gewähren, in einer Entscheidung auch so begründet: Ohne Par____________________
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S dazu oben H.II.1.
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teistellung bestehe die Gefahr, dass gleiche Fälle unsachlich ungleich behandelt werden, dass dem einen nämlich ein Anspruch zuerkannt wird, dem anderen hingegen nur deshalb nicht, weil die Behörde die Anspruchsvoraussetzungen zu Unrecht verneint302. Ganz ähnlich argumentierte auch der OGH, als der Gesetzgeber zwar die Aufnahme bestimmter Asylwerber in die Bundesbetreuung vorsah, den Betroffenen aber ausdrücklich keinen Rechtsanspruch auf diese Aufnahme zuerkannte: Der Ausschluss solcher Rechtsansprüche sei bloß ein „Feigenblatt“, das die kompetenzrechtliche Blöße des Selbstbindungsgesetzes verdecken solle; es ändere aber nichts daran, dass das Gleichbehandlungsgebot und das Diskriminierungsverbot dafür sorgen, dass „einem bestimmten Leistungswerber – bei im Kern gleichen Voraussetzungen – nicht etwas verweigert werden darf, was anderen gewährt wird“303. Diese Argumentation trifft fast den Punkt, aber doch nicht ganz, denn sie hängt noch zu sehr an einem rein komparativen Verständnis des Gleichheitssatzes, das seine Wirkung hier aber konsequent zu Ende gedacht sabotiert: Verweigerte die Behörde nämlich die Zuerkennung der genannten Rechte nicht selektiv, sondern ganz gleichmäßig, also jedem gegenüber, dann müsste dies gleichheitsrechtlich plötzlich unbedenklich sein. Für die Privatwirtschaftsverwaltung mag dies vielleicht noch zutreffen, für die Hoheitsverwaltung jedenfalls nicht304. Dort läge bei gleichmäßiger Rechtsverweigerung eine Gleichbehandlung ungleicher Fälle vor, nämlich jener Personen, denen ein Anspruch nach dem Gesetz zuzuerkennen ist einerseits, und jener, denen ein solcher Anspruch nach dem Gesetz nicht zukommt andererseits. Der Gleichheitssatz erlegt der Behörde also ein Gleich- und ein Ungleichbehandlungsgebot auf: Sie muss Fälle, für die der Gesetzgeber gleiche Rechtsfolgen anordnet, gleich und Fälle, für die er ungleiche Rechtsfolgen anordnet, ungleich behandeln. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass die Behörde das Gesetz zu befolgen ____________________
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VfSlg 16.103/2001. OGH 24.2.2003, 1 Ob 272/02k. Dass der OGH mit dieser Entscheidung, wie etwa Wilhelm, migralex 2003, 76, beanstandet hat, den im Gesetz ausdrücklich ausgeschlossenen Rechtsanspruch über den Umweg des Gleichheitssatzes doch wieder einführt, trifft zu, ist hier aber nicht bedeutsam; seine Entscheidung zeigt jedenfalls deutlich, dass der Ausschluss eines Rechtsanspruches ein gleichheitsrechtliches Problem aufwirft. 304 So meint denn auch der OGH in der genannten Entscheidung: „Somit bestünde für den staatlichen Rechtsträger nur noch die Alternative, gerade dasjenige, was Gegenstand der angeordneten Selbstbindung ist, unter Berufung auf den mangelnden Rechtsanspruch auf Leistung niemandem zu gewähren“, um dann freilich gleich fortzusetzen: „Sobald jedoch einmal eine der Selbstbindung entsprechende Leistung zuerkannt wurde, vermittelt das unter gleichen Bedingungen anderen Leistungswerbern einen klagbaren Anspruch.“ Der Leistungsanspruch leitet sich dann freilich nicht aus dem Gesetz her, sondern aus der Tatsache, dass die Behörde einmal einen solchen Anspruch gewährt hat; für den Bereich der Hoheitsverwaltung ist ein solches Ergebnis nur im Rahmen von Ermessensentscheidungen denkbar, s dazu schon oben H.III.1. 303
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hat: Befolgt sie es nicht, greift sie in den Gleichheitssatz ein, setzt sie sich über das Gesetz hinweg, so verletzt sie den Gleichheitssatz. Dagegen muss sich der Rechtsunterworfene als Partei zur Wehr setzen können305. Für die Parteistellung relevante Rechtswirkungen hat ein Bescheid dabei zweifellos, soweit er jemandem eine Berechtigung einräumt oder verwehrt, soweit er ihm Pflichten auferlegt oder bislang strittige Rechte und Pflichten feststellt306. Was Gegenstand der jeweiligen Berechtigung oder Pflicht ist, spielt dabei keine Rolle307. Unmaßgeblich ist mE auch, ob diese Rechte und Pflichten bereits durch den Bescheid selbst festgelegt werden oder ob sie erst die Rechtsfolge sind, die eine gesetzliche Vorschrift an die Erlassung des Bescheides knüpft308. Führt die behördliche Bewilligung einer Anlage für den Nachbarn zu einem Verlust seiner Unterlassungsklage nach § 364 Abs 2 ABGB, so muss er am Bewilligungsverfahren als Partei mitwirken können. Verliert er durch den Bewilligungsbescheid derartige Abwehransprüche nicht und erlegt ihm der Bescheid auch sonst keine Pflichten auf, so ist auch die Parteistellung des Nachbarn in diesem ____________________
305 Nur nebenher sei erwähnt, dass in der Mitwirkung des Einzelnen an einem solchen Verfahren auch eine (wenn schon nicht gebotene, so doch) besonders konsequente Umsetzung des demokratischen Prinzips gesehen werden kann, als dessen Ausdruck wiederum der Verfassungsunterausschuss Art 7 Abs 1 B-VG verstand (s oben B.VII.2.a.). Denn die Parteistellung gewährleistet, wie Ringhofer deutlich exponiert hat, „daß die Behörde über niemandes Rechte und Pflichten absprechen soll, ohne dem Betroffenen Gelegenheit zum Mitsprechen geboten zu haben. Ganz genauso wie dem Staatsvolk durch das Wahlrecht eine, wenngleich mittelbare Teilnahme am Gesetzgebungsverfahren, d. i. an dem Verfahren, in dem über seine Rechte und Pflichten generell und in abstracto abgesprochen wird, gewährleistet ist, praestiert § 8 AVG. dem einzelnen eine Teilnahme am Verwaltungsverfahren, in dem über seine Rechte und Pflichten individuell und in concreto abgesprochen wird. Was diese Bestimmung garantiert, ist um nichts weniger als das Wahlrecht ein politisches Recht.“ (Ringhofer, Strukturprobleme 63 [im Original mit Hervorhebungen], bezugnehmend auf Kelsen, Staatslehre 152 f ). Die Tragweite der Parteistellung in einer Demokratie wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass die Anwendung der zuvor im demokratischen Weg erzeugten generellen Norm auf den konkreten Einzelfall wie jede Konkretisierung der Rechtsordnung nicht nur dann, wenn der Behörde Ermessen eingeräumt ist, sondern ganz allgemein neben vollziehenden auch Elemente der Rechtserzeugung enthält (s schon Merkl, JBl 1918, 425 ff [insb 427], 444 ff, 463 ff [insb 464] = in Mayer-Maly/Schambeck/Grussmann 227 ff). In der Judikatur kommt diese demokratische Dimension der Parteistellung denn auch zum Ausdruck: Wie der VwGH in ständiger Rechtsprechung annimmt, spricht in einem „demokratischen Rechtsstaat“ die Vermutung für die Parteistellung, wenn ein Bescheid in die Rechtslage des Einzelnen bestimmend eingreift (s die Nachweise in FN 243). 306 S auch schon die in den FN 233 bis 238 zitierte Judikatur des VfGH. 307 Bedenklich daher mE das in FN 239 und FN 252 zitierte Erkenntnis VfSlg 15.545/ 1999. 308 S in diesem Sinn auch die Judikatur des VwGH (FN 244) sowie die Erkenntnisse des VfGH: VfSlg 12.240/1989 (FN 236), 14.094/1995 (FN 238), ebenso VfSlg 11.934/ 1988 (FN 245), mag hier auch am Ende die Interessenabwägung zu Lasten der prima facie gebotenen Parteistellung ausgefallen sein.
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Verfahren gleichheitsrechtlich nicht prima facie geboten309. Vergleichbares gilt auch für den Grundeigentümer im Bauverfahren: Dass einem anderen die Bewilligung erteilt wird, auf seinem Grund zu bauen, bedeutet nur, dass das Bauvorhaben vom Standpunkt des Bau- und Raumordnungsrechts her zulässig ist; es hindert den Eigentümer aber nicht daran, diese – öffentlich-rechtlich zulässige – Bauführung auf seinem Grund mit den Mitteln des Privatrechts zu verhindern. Da sein Eigentum durch die Erteilung der Baubewilligung an einen anderen also nicht beschränkt wird, muss ihm aus der Sicht des Gleichheitssatzes im Bauverfahren auch keine Parteistellung eingeräumt werden310. Die Frage nach der Parteistellung erübrigt sich natürlich, wenn der Gesetzgeber in ein Grundrecht unmittelbar eingreift, ohne dass diese Norm noch durch ein Verwaltungsverfahren für den Einzelfall konkretisiert werden müsste; so etwa, wenn er eine Enteignung verfügt oder wenn er Gemeingebrauch an Wasser oder Wald begründet311. Es gibt dann keine verwaltungsbehördliche individuelle Norm, an deren Erzeugung der Betroffene als Partei mitwirken könnte. Das ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber, wenn er die Behörde dazu ermächtigt, dem Einzelnen Rechte zuzuerkennen oder ihm Pflichten aufzuerlegen, dem davon Betroffenen auch Parteistellung gewähren muss: Denn nur so kann sich der Rechtsunterworfene gegen gesetzwidrige Eingriffe in seine Freiheitsrechte, gegen die willkürliche Verweigerung eines Rechts oder gegen die Auferlegung von Pflichten zur Wehr setzen, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehren. Schließt der Gesetzgeber den Betroffenen von einem solchen Verfahren als Partei aus, so greift er in das jeweils betroffene Freiheitsrecht und in den Gleichheitssatz ein. Das bedarf einer Rechtfertigung, die jedenfalls nicht dadurch beigebracht werden kann, dass der Gesetzgeber die Behörde auch nicht zu Eingriffen in die Rechtssphäre des Betroffenen ermächtigen könnte312. bb. Parteistellung zur Durchsetzung von Schutznormen Die zweite Fallkonstellation, für die Lehre und Judikatur – zwar mit unterschiedlicher Begründung, im Ergebnis aber doch übereinstimmend – Parteirechte als grundsätzlich geboten ansehen, liegt vor, wenn der Gesetzgeber ____________________
309 Wohl aber kann eine Parteistellung dann komparativ begründet werden: Gewährt der Gesetzgeber einem Teil der Nachbarn Parteistellung, dann muss er in diesen Kreis auch alle anderen Nachbarn in gleicher Interessenlage einbeziehen; s schon oben H.VI.2.a.aa. 310 VfSlg 14.783/1997. 311 S dazu Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 85. 312 AA wohl Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 85, der aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber auch direkt in Grundrechte eingreifen kann, folgert, dass auch die Aberkennung der Parteistellung in einem Verwaltungsverfahren in bestimmtem Umfang zulässig sein muss.
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Normen zum Schutz des Einzelnen erlässt: Dann müsse er, so die überwiegende Auffassung, demjenigen, der durch die Norm geschützt wird, grundsätzlich auch die Durchsetzung dieser Normen als Partei ermöglichen313. Dem ist zuzustimmen, soweit der Gesetzgeber durch diese Schutznorm eine aus einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht resultierende Gewährleistungspflicht erfüllt: Dass der Träger dieses Rechts die zu seinem Schutz erlassene Norm auch als Partei durchsetzen können muss, ergibt sich dann schon aus dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht selbst; ein Rekurs auf das rechtsstaatliche Prinzip oder den Gleichheitssatz ist dafür nicht erforderlich. Erlaubt der Gesetzgeber also etwa die Errichtung baulicher oder den Betrieb gewerblicher Anlagen, dann muss er nach Art 8 EMRK auch Vorkehrungen dafür treffen, dass die Nachbarn einer solchen Anlage nicht übermäßig durch Immissionen in ihrer Gesundheit beeinträchtigt und in ihrem Privatleben gestört werden314. Ob die Vorschriften, die der Gesetzgeber zum Schutz der Nachbarn erlässt, auch befolgt werden, kann dann nicht im unkontrollierbaren Belieben der Behörde liegen; vielmehr muss der Nachbar in die Lage versetzt werden, seine verfassungsgesetzlich geschützten und durch das einfache Gesetz konkretisierten Interessen durchzusetzen315. Das muss nicht unbedingt in jenem Verwal____________________
313 Fälle, in denen die Behörde Rechte des von der jeweiligen Norm geschützten Personenkreises gestaltet oder feststellt oder in denen sie diesen Personen Pflichten auferlegt, bleiben hier außer Betracht. Für sie gilt das unter H.VI.2.c.aa. Gesagte. 314 S schon Ritter, Umweltverträglichkeitsprüfung 38 f, bezugnehmend auch auf Art 13 EMRK; Holoubek, Gewährleistungspflichten 299; Feik, Nachbarrechte 212 ff; s auch Thienel, ZfV 2001, 728; s zur Judikatur der Straßburger Organe, die eine Belastung der Gesundheit und der Lebensqualität von Bürgern durch starke Umweltverschmutzung oder durch Fluglärm als Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben ansehen, mwN Wiederin, Art 8 EMRK Rz 54, 118; Grabenwarter, EMRK § 22 Rz 15, 56; anders VfSlg 7226/ 1973, wonach die Pflicht zur Duldung von Überflügen nicht in das Privatleben eingreift; s auch VwSlg 8498 A/1973, wonach eine (im LFG nicht vorgesehene) Parteistellung im Bewilligungsverfahren für eine Flughafenerweiterung aus Art 8 EMRK nicht abgeleitet werden kann. 315 S auch Holoubek, Gewährleistungspflichten 299 f und FN 548, nach dem in Fällen klassischen Nachbarschutzes, in denen vor allem die konkreten Auswirkungen einer Anlage auf einen abgrenzbaren Bereich von konkret Betroffenen zu beurteilen sind, in aller Regel auch eine entsprechende subjektiv-rechtliche Berechtigung dieser Nachbarn grundrechtlich geboten sei, sodass nur ganz besonders schwerwiegende Gründe einen Ausschluss der subjektiven Rechtsstellung der Nachbarn zu rechtfertigen vermögen; zustimmend Feik, Nachbarrechte 224; besondere Bedeutung misst der Parteistellung des Nachbarn auch B. Davy, ZfV 1985, 136 ff, zu; seiner Grundannahme, effektiver Grundrechtsschutz setze jedenfalls die Parteistellung im einschlägigen Genehmigungsverfahren voraus, weil nur so die Möglichkeit der Beschwerde an den VfGH offen stehe, hat Holoubek, Gewährleistungspflichten 299 FN 548, entgegengehalten, dass die grundrechtlich gebotene Interessenberücksichtigung und -durchsetzung primär auf einfachgesetzlicher Ebene und in den entsprechenden gerichtlichen bzw verwaltungsbehördlichen Rechtsdurchsetzungsverfahren zu erfolgen hat. Effektiver Grundrechtsschutz bedeute nicht, dass die jeweilige inhaltliche Entscheidung auch im Wege der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit an den VfGH heran-
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tungsverfahren geschehen, in dem die Anlagenbewilligung erteilt wird; es kann grundsätzlich auch in einem anderen Verfahren geschehen, entscheidend ist nur, dass dieses dem Nachbarn eine effiziente Realisierung seiner Interessen ermöglicht. Dass der Nachbar erst nachträglich eine Linderung der Immissionen durch Auflagen erwirken kann, erfüllt diese Voraussetzungen noch nicht316; denn zum einen kann durch Auflagen nicht die vollständige Unterlassung der Immissionen erreicht werden, zum Zweiten ist der Schaden dann ja schon eingetreten: Gerade dies sollte der Gesetzgeber aufgrund seiner Gewährleistungspflicht aber verhindern. Nicht genügend ist aus denselben Gründen auch ein bloßer Schadenersatzanspruch317. Ob schließlich eine Unterlassungsklage nach § 364 Abs 2 ABGB als ein ausreichend effizienter Rechtsschutz angesehen werden kann, ist strittig. ME ist das nicht der Fall, weil der Zivilrechtsweg zu lange dauert und mit einem zu hohen Kostenrisiko verbunden ist318. Anders liegen die Dinge, wenn der Gesetzgeber eine Schutznorm gleichsam freiwillig erlässt, also ohne dazu durch ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verpflichtet zu sein. Dann steht es ihm mE auch frei zu entscheiden, ob er die Einhaltung dieser Schutznorm der Behörde bloß zur objektiv-rechtlichen Pflicht machen oder ob er dem Einzelnen überdies zur Durchsetzung dieser Norm Parteistellung einräumen will. Denn es ist nicht zu sehen, aus welcher verfassungsrechtlichen Vorschrift der Einzelne ein Recht ableiten könnte, ein Interesse durchzusetzen, dessen Schutz verfassungsrechtlich gerade nicht geboten ist. Die Annahme eines solchen Automatismus würde die Position des Einzelnen auch eher schwächen als ihr nützen: Löst der einfachgesetzliche Schutz eines Individualinteresses nämlich prima facie die Pflicht aus, auch Parteirechte zur Durchsetzung dieses Interesses zu gewähren, dann könnte der Gesetzgeber versucht sein, zur Vermeidung einer unerwünschten Parteistellung auf eine Schutznorm überhaupt zu verzichten319, was für den Einzelnen jedenfalls schlechter wä____________________
getragen werden können muss. Letzterem ist zuzustimmen, allerdings muss der Einzelne seine Interessen dann auf andere Weise effektiv durchsetzen können; dass etwa ein – nach Erteilung der Bewilligung anzustrengendes – streitiges Zivilverfahren einen derart effektiven Rechtsschutz ermöglicht, erscheint zweifelhaft, s dazu mwN Pöschl, 16. ÖJT I/2 (2008) 37 ff. 316 S auch Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 92, 100. 317 S auch Wieshaider, Interessent 61; Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 105. 318 S dazu mwN Pöschl, 16. ÖJT I/2 (2008) 38 ff; für unzureichend hält den Zivilrechtsschutz hier auch Thienel, ZfV 1996, 8 FN 45; bei „gefährdenderen“ (im Gegensatz zu „harmloseren“) Konstellationen hält auch Wieshaider, Interessent 63, den Zivilrechtsschutz nicht für ausreichend. 319 S in diesem Sinn etwa Thienel, ZfV 1996, 9, nach dem ein Weg zur Vermeidung von Massenverfahren darin besteht, „daß der Gesetzgeber auf den Schutz bestimmter individualisierbarer Interessen verzichtet, und damit das Entstehen subjektiver Rechte und der Parteistellung vermeidet.“
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re als eine Schutznorm, die nur, aber doch immerhin eine objektiv-rechtliche Pflicht der Behörde statuiert. Auch der Gleichheitssatz gebietet in einem solchen Fall die Zuerkennung der Parteistellung nicht schon an sich; als komparatives Recht verpflichtet er den Gesetzgeber aber immerhin dazu, eine allenfalls gewährte Parteistellung sachlich abzugrenzen: Erkennt der Gesetzgeber bestimmten Personengruppen Parteirechte zu, dann darf er diese Rechte anderen Personen in wesentlich gleicher Lage nicht verwehren. Hat er den Kreis der Parteien zu eng gezogen, dann bleibt ihm freilich die Wahl, die Parteistellung auszudehnen oder sie ganz zu beseitigen. cc. Beschränkung der prima facie gebotenen Parteistellung Nach dem bisher Gesagten ist der Einzelne durch den Gleichheitssatz berechtigt, an der Erzeugung individueller behördlicher Entscheidungen als Partei mitzuwirken, die ihm Rechte einräumen oder verwehren, ihm Pflichten auferlegen oder seine Rechte und Pflichten feststellen. Greift eine solche Entscheidung zudem in verfassungsgesetzlich gewährleistete Freiheitsrechte ein, so kann der Betroffene seine Parteistellung neben dem Gleichheitssatz auch auf diese Freiheitsrechte stützen. Erlässt der einfache Gesetzgeber schließlich in Erfüllung grundrechtlicher Gewährleistungspflichten eine Schutznorm, so muss auch der solcherart Geschützte die Einhaltung dieser Norm als Partei durchsetzen können. In jedem dieser Fälle besteht das Recht auf Mitwirkung an einem Verfahren allerdings nur prima facie. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Parteistellung kann durch triftige Gründe gerechtfertigt sein. Dass sich derartige Gründe für den von einem Verfahren Hauptbetroffenen finden lassen, ist schwer vorstellbar und wurde, soweit ersichtlich, in Judikatur und Lehre auch noch nicht behauptet. In mehrpoligen Verfahren wird der Ausschluss Drittbetroffener, insbesondere der Nachbarn aus dem Anlagenverfahren viel eher bejaht; dies regelmäßig mit dem Argument, das jeweilige Verfahren müsse beschleunigt werden, überdies diene die Anlage den wirtschaftlichen Interessen des Anlagenbetreibers und gegebenenfalls auch jenen der Allgemeinheit, etwa der Sicherung des Wirtschaftsstandortes und der Investitionssicherheit320. ME überzeugen diese Argumente in aller Regel nicht321, und zwar unabhängig davon, ob der Nachbar durch die Bewilligung einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch verliert und damit sein Recht auf Parteistellung (wegen des Anspruchsverlusts) auf den Gleichheitssatz und (wegen des Verlusts ziviler Rechte) auf Art 5 StGG und Art 6 EMRK stützen kann oder ob seine Parteistellung (wegen der möglichen Beeinträchtigung ____________________
320 321
S zB Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 (2006) 88. S näher Pöschl, 16. ÖJT I/2 (2008) 40 ff.
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des Privatlebens) bloß durch Art 8 EMRK geboten ist. Das Kernargument, das hinter dem Ausschluss des Nachbarn immer steht, hat der VfGH denn auch in einem Fall explizit zurückgewiesen: Dass die Parteistellung des Nachbarn einen Verfahrensaufwand erzeugt, weil sich die Behörde mit seinen Einwendungen und allenfalls erhobenen Rechtsmitteln auseinandersetzen muss. Dass dieser Aufwand entsteht, trifft gewiss zu; doch dieser Aufwand ist die zwangsläufige Begleiterscheinung und auch Sinn und Zweck der Parteistellung überhaupt322; er trägt zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes bei323 und stellt überdies sicher, dass die Behörde ihre Entscheidung unparteilich und nicht nach sachfremden Kriterien trifft324. Dies gilt keineswegs nur, aber in besonderer Weise auch für das Mehrparteienverfahren, in dem divergierende Interessen verschiedener Personen aufeinanderprallen: Soll die Behörde zwischen diesen Interessen einen ausgewogenen Ausgleich finden und nicht einem Teil einseitig den Vorzug geben, wird sie alle Seiten hören müssen. Mit dem Verfahrensaufwand, den die Beiziehung des Nachbarn als Partei verursacht, allein den Ausschluss der Parteistellung zu rechtfertigen, würde konsequent gedacht auch zu unmöglichen Ergebnissen führen. Denn dieses Argument könnte dann ja stets gegen die Parteistellung vorgebracht werden. Hinzu kommt, und dies ist in der Tat ein genuin gleichheitsrechtliches Problem, dass die Annahme, der Nachbar verzögere das Verfahren mutwillig, offenbar bloß ein Vorurteil ist. Einer Studie der Wirtschaftsuniversität Wien zufolge sind die eigentlichen Bremsfaktoren in gewerblichen Betriebsanlagenverfahren nämlich nicht – wie oft angenommen wird – die Nachbarn, sondern unsorgfältig vorbereitete Antragsunterlagen, behördeninterne Organisations____________________
322 S nur VfSlg 13.646/1993: „Die Einräumung der Parteistellung soll es dem am Verfahren Beteiligten ermöglichen, seine Einschätzung der Sach- und Rechtslage darzutun und der Behörde alle zweckdienlichen Beweismittel und sonstigen Erkenntnisquellen an die Hand geben, gegebenenfalls auch Rechtsmittel zu ergreifen und dies alles mit dem Ziel, eine ihm günstige Entscheidung zu erwirken. Soweit die Parteistellung aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, muß sie dem Betroffenen daher diese – vom rechtsstaatlichen Prinzip geforderte – Möglichkeit eröffnen. Nur aus besonderen Gründen darf die Behörde an die Ergebnisse von Verfahren gebunden werden, an denen sich der Betroffene nicht beteiligen konnte.“ 323 S auch Holzinger, FS Walter 278, sowie Raschauer, RdU 1996, 189, der die besondere Bedeutung der Parteien für die vollständige Ermittlung des Sachverhaltes betont; s auch Kerschner/Raschauer, RdU 1997, 1, die sich gegen einen Parteiausschluss aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung wenden, ua mit dem Argument, dass Sachfragen und Gefährdungspotentiale immer schwieriger und komplexer werden, sodass „tendenziell längere Verfahren auch sachlich nötig und gerechtfertigt [sind]“. 324 S auch Stolzlechner, FS Walter 665 f, nach dem erfahrungsgemäß „nur der Bürger selbst um seine (rechtlich abgesicherten) Interessen kämpft, während die Verwaltung – sofern nicht vom Bürger gedrängt – in der für sie typischen Konfliktscheu allzuleicht bereit ist, die Interessenverfolgung vorzeitig abzubrechen“; s auch Holzinger, FS Walter 278 f, und zur gebotenen Waffengleichheit zwischen den Parteien zB VfSlg 8551/1979, 8687/1979.
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defizite und Kommunikationsfehler zwischen dem Antragsteller und der Behörde325. Zur Behebung dieser Fehler trägt der Ausschluss des Nachbarn jedenfalls nichts bei326. Wohl aber kollektiviert diese Ausgrenzung den Nachbarn in gleichheitsrechtlich bedenklicher Weise: Sie schreibt ihm pauschal querulatorische Eigenschaften zu und nimmt ihm im Schein der Verfahrensrationalität, tatsächlich aber gestützt auf ein Stereotyp die Möglichkeit, seine verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte durchzusetzen. Daraus folgt keineswegs, dass der Ausschluss der Parteistellung immer und absolut verboten ist. Es mag Gründe für einen solchen Ausschluss geben, die auch bei näherem Hinsehen nicht bloß auf Vorurteilen beruhen, sondern tatsächlich für einen Ausschluss sprechen. Dieser muss dann allerdings geeignet und erforderlich zur Erreichung eines legitimen Zieles sein, und er darf zu diesem Ziel nicht außer Verhältnis stehen. Für den letzten Schritt dieser Prüfung ist entscheidend, welches Gewicht dem durch die Parteistellung zu verteidigenden Interesse zukommt. Interessen, die die Verfassung durch Freiheitsgarantien speziell schützt, wiegen dabei schwerer als Interessen, für die ein solcher Schutz nicht besteht, für die also das Prima-facie-Recht auf Parteistellung „nur“ aus dem Gleichheitssatz folgt. Auch hier gilt also, was oben schon allgemein festgestellt worden ist: Zunächst ist zu prüfen, ob die Verweigerung einer Parteistellung in ein Freiheitsrecht eingreift; erst wenn diese Frage verneint werden kann, kommt dem Gleichheitssatz eigenständige Bedeutung zu. Den Ausschluss der Parteistellung von vornherein nur, wozu die Judikatur auch hier tendiert, am Gleichheitssatz zu prüfen, hat zur Folge, dass der Schutz auf ein Niveau eingeebnet, verfassungsrechtlich speziell geschützten Interessen also nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Insoweit ist der Kritik der Lehre an der Judikatur beizupflichten.
3. Rechtsschutzerschwernisse Akzeptiert man, dass der Gesetzgeber in den genannten Fällen sehr oft durch die Freiheitsrechte bzw zum (geringeren) Teil auch durch den Gleich____________________
325 Grün/Michl/Haller/Eder, Genehmigungsverfahren 30; die häufig als Verzögerungsfaktoren genannten Einwendungen der Nachbarn hemmen das Verfahren nach dieser Studie „nicht nennenswert“; s mwN auch Feik, Nachbarrechte 226. 326 Kritisch zum Ausschluss des Nachbarn im sog „vereinfachten“ Betriebsanlagenverfahren auch schon Feik, Nachbarrechte 221 ff; s auch Wieshaider, Interessent 63; mE muss man hier die Eignung und die Erforderlichkeit des Mittels, also des Ausschlusses des Nachbarn, zur Zielerreichung sehr wohl prüfen, mag sich dies aus der Judikatur in dieser Deutlichkeit ergeben oder nicht (aA Grabenwarter, 16. ÖJT I/1 [2006] 90 FN 409). Es kann ja nicht der Wille des Gesetzgebers für sein Werk stehen. Wenn der Ausschluss des Nachbarn aus dem Betriebsanlagenverfahren die dafür ins Treffen geführten Ziele nicht erreicht, dann können diese Ziele den Ausschluss eben auch nicht rechtfertigen.
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heitssatz verpflichtet ist, dem Rechtsunterworfenen in einem Verfahren Parteistellung einzuräumen, dann ist klar, dass es nicht genügen kann, jemanden zwar zur Partei zu erklären, ihm dann aber alle möglichen Hindernisse in den Weg zu legen, sodass er am Ende doch nicht oder nur unter großer Mühsal in die Lage kommt, seine Rechte durchzusetzen. Diesen Standpunkt vertritt auch der VfGH, der – folgerichtig nicht mit komparativer Begründung, sondern gestützt auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot – annimmt, dass dem Rechtschutzsuchenden die Anrufung der Behörde nicht unnötig erschwert werden darf. Ihn „mit weit reichenden, durch die Rechtssache nicht gebotenen Vorkehrungen als Voraussetzung für das Herantreten an die Behörde“ zu belasten, ist daher ebenso unzulässig wie eine Vielzahl von Erschwernissen, „die zwar einzeln betrachtet durchaus dem Zweck des späteren Verfahrens dienen (oder sogar dazu führen, dieses zu vermeiden), aber in ihrem Zusammenwirken den Weg zur alsbaldigen behördlichen Entscheidung mühsam machen und unnötig verlängern.“327 Keine unnötige Erschwernis in diesem Sinn liegt freilich vor, wenn der Gesetzgeber den Parteien im Interesse der Rechtssicherheit und einer ökonomischen Verfahrensführung eine gewisse Disziplin abverlangt. So darf der Zugang zu Gericht und Behörde an die Einhaltung von Fristen gebunden werden, diese Fristen müssen aber der jeweils zu setzenden Verfahrenshandlung angemessen sein328. Der Gesetzgeber kann auch für bestimmte Verfahren einen Anwaltszwang festlegen, weil durch die Beiziehung eines Rechtsbeistandes das Verfahren im Regelfall beschleunigt, ____________________
327
VfSlg 14.039/1995. S auch Starck, Art 3 GG Rz 221. Als ausreichend wurde eine – die Zeit des Postenlaufes ausschließende – Frist für Entschädigungsansprüche nach dem Umsiedler- und VertriebenenentschädigungsG qualifiziert, weil sie schon in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes weit gestreckt und dann durch eine Novelle noch um ein Jahr verlängert worden ist, sodass die Antragsteller die Möglichkeit hatten, für ein rechtzeitiges Einlangen ihrer Anträge bei der zuständigen Behörde zu sorgen (VfSlg 5094/1965). Ausreichend war – ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung – auch die dreimonatige Antragsfrist für die Geltendmachung einer Entschädigung im Falle einer Enteignung (VfSlg 9314/1982); ebenso eine Frist von 6 Monaten für die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem VerteilungsG DDR, bemessen ab der Veröffentlichung des Aufrufes im Amtsblatt zur Wiener Zeitung (VfSlg 15.661/1999). Zu kurz bemessen war hingegen eine Frist von einer Woche für die Anfechtung der Ergebnisse eines Volksbegehrens (VfSlg 9234/1981). Unsachlich war auch eine Regelung, nach der die Klage zur Feststellung der Vaterschaft binnen Jahresfrist nach dem Tod des Vaters erhoben werden musste: Die gesetzte Frist war für eine beachtliche Zahl von Fällen von vornherein zu kurz und bei dieser Kürze für eine andere Fallgruppe zu starr, weil die Frist nicht gehemmt wurde, solange des Kind rechtlich oder faktisch an einer Klage gehindert ist (VfSlg 12.645/1991); s auch VfSlg 15.218/ 1998, 15.369/1998 und 15.529/1999: eine bloß zweitägige Berufungsfrist im Asylverfahren verstößt gegen rechtsstaatliche Grundsätze und gegen Art 11 Abs 2 B-VG, für eine solche Berufung muss mindestens eine Woche Zeit gewährt werden; VfSlg 15.786/2000: eine vierwöchige Frist zur Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde verletzt Art 6 EMRK, wenn sie selbst in Extremfällen nicht verlängerbar ist. 328
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die Rechtsposition der Partei eher durchgesetzt und ein faires Verfahren sichergestellt werden kann329. Flankierend dazu muss aber Unbemittelten Verfahrenshilfe gewährt werden, weil sonst, wenn auch nur im Effekt, eine „Klasse“ vom Zugang zu Gericht und Behörde ausgeschlossen wäre330. Gleiches gilt auch, wenn der Gesetzgeber durch Eingangsgebühren Kostenbarrieren aufstellt, um unnötiges oder leichtfertiges Prozessieren zu verhindern: Im Interesse einer funktionsfähigen Vollziehung ist dies grundsätzlich zu rechtfertigen, es darf aber nicht dazu führen, dass nur oder doch in erster Linie Unbemittelte „herausgefiltert“ werden331. Zur Entlastung der Behörden dürfen Rechtsmittel auch direkt ausgeschlossen werden, wenn es an einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg fehlt. Der Gesetzgeber kann auch an die Bedeutung der jeweiligen Rechtssache anknüpfen und unterhalb bestimmter Wertgrenzen das Verfahren vereinfachen und beschleunigen332. Er darf die Erlangung einer Entscheidung in derart „minderwichtigen Angelegenheiten“ aber nicht erschweren, das Interesse des Rechtsschutzsuchenden an einer raschen Entscheidung geringer veranschlagen333 oder ihm einen Rechtsschutz völlig verwehren334. Der Rechtsschutz ____________________
329 S auch Fasching, Zivilgerichtliches Verfahren 355 f (allerdings mit Kritik an der Anordnung einer Anwaltspflicht ab einem bestimmten Streitwert [damals 30.000 S], unabhängig von der Gerichtszuständigkeit, sodass ein Anwaltszwang nicht mehr nur im Gerichtshofverfahren, sondern auch im bezirksgerichtlichen Verfahren – dort aber erst jenseits der Streitwertgrenze – besteht); Starck, Art 3 GG Rz 224. 330 Dass auf diese Weise das Prozesskostenrisiko auf die andere Partei verlagert, das Gleichgewicht zwischen den Parteien also gestört werden kann, ist der unvermeidliche Preis, der für den gleichen Zugang zu Gericht und Behörde bezahlt werden muss, s auch Fasching, Zivilgerichtliches Verfahren 356 f. 331 S auch Dürig, Art 3 Abs 1 GG Rz 385, 387; Osterloh, Art 3 GG Rz 206 ff, sowie VfSlg 17.775/2006 ua: Dem Gesetzgeber kann nicht entgegengetreten werden, wenn er mit der Einführung einer Gebührenpflicht auch die Schaffung einer Verfahrensbarriere für vollkommen aussichtslose Rechtsschutzanträge bezweckt; dies kann jedoch nicht soweit führen, dass ganz allgemein gerade kleinere Unternehmen ein beachtliches Gebührenrisiko zu tragen haben. Gleichheitswidrig war es daher, für ein Vergabekontrollverfahren im Oberschwellenbereich eine Pauschalgebühr festzusetzen. Denn dies hatte zur Folge, dass für ein Kontrollverfahren betreffend einen Auftrag, der – würde er allein vergeben – im Unterschwellenbereich läge, nur deshalb eine doppelt so hohe Gebühr anfällt, weil dieser Auftrag im Rahmen eines Gesamtauftrages vergeben wird, der im Oberschwellenbereich liegt; s auch VfSlg 17.783/2006; VfGH 4.10.2006, G 35/06 ua; 11.10.2006, V 63/06 ua; 11.10.2006, G 109/06 ua. 332 ZB indem er Einzelrichter einsetzt oder Rechtszüge beschränkt. Eine Öffnung bei Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung ist dabei unbedenklich: VfSlg 13.989/1994. 333 S für das Vergaberecht zB VfSlg 16.027/2000. 334 S für den Bereich des Vergaberechts VfSlg 15.106/1998, 15.204/1998, 15.321/1998, 16.027/2000, 16.073/2001, 16.315/2001, 16.947/2003, 16.948/2003, allerdings mit einer Tendenz zu komparativer Begründung: Es sei gleichheitswidrig, im Unterschwellenbereich einen – über der Wertgrenze als notwendig eingestuften – Rechtsschutz ganz zu verwehren. Dass der Gesetzgeber an eine im Gemeinschaftsrecht vorgegebene Unterscheidung anknüpft, wenn er vom Rechtsschutz nur jene Auftragsvergaben ausnimmt, für die auch gemeinschaftsrechtlich keine Vorgaben bestehen, ändert an der Unzulässigkeit einer solchen
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kann in solchen Angelegenheiten also zwar beschränkt, er darf aber nicht aus Gründen der Verwaltungsökonomie völlig ausgeschlossen werden335. Eine Rechtsschutzverweigerung, die sich ausschließlich auf die Arbeitsbelastung der Behörde stützt, wäre jedenfalls unzulässig336, und es würde auch, wie der VfGH festgestellt hat, jeder sachlichen Rechtfertigung entbehren, wenn ein Verhalten nur deswegen besteuert wird, weil dafür eine behördliche Bewilligung erforderlich ist337. Soweit sich der Gesetzgeber dazu entschließt, zusätzlich zu den verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzmöglichkeiten besondere Rechtsschutzeinrichtungen zu schaffen, sind die Anforderungen des Gleichheitssatzes weniger streng: Sie beschränken sich dann auf das Gebot, wesentlich Gleiches nicht ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln. Gleichheitsrechtlich suspekt sind hier etwa Vorschriften, die nach persönlichen Merkmalen differenzieren, einzelnen Personen oder bestimmten Gruppen also den Zugang zum Richter verwehren oder im Verhältnis zu anderen erschweren338, mag diese Differenzierung auch formal nach dem Verfah____________________
Differenzierung nichts. Schließlich bleibt der Gesetzgeber neben seiner Bindung an das Gemeinschaftsrecht auch an die Verfassung gebunden. S auch VfSlg 17.584/2005: Auch Kleinaktionären muss die Möglichkeit offen stehen, die ihnen im Fall einer Gesellschaftsübernahme angebotene Barabfindung bzw einen Spaltungsbeschluss gerichtlich überprüfen zu lassen. Dass der mögliche Erfolg für den Minderheitsgesellschafter im Verhältnis zum Verfahrensaufwand, der der Gesellschaft entstehen könnte, gering ist, rechtfertigt einen Ausschluss des Rechtsschutzes nicht. Denn dass Rechtsschutz zu gewähren ist, hängt nicht von der Höhe des Betrages ab, der erstritten werden soll. Möglichen Missbräuchen des Kontrollrechts wirken zudem die Kostenersatzregelungen entgegen; sollten sich diese als unzureichend erweisen, wäre ihre Änderung jedenfalls der geringere Eingriff als die Beseitigung des Rechtsschutzes. 335 S auch VfSlg 16.073/2001. 336 S schon Starck, Art 3 GG Rz 221. Dass einzelne Sektoren und Aufträge unterhalb eines bestimmten Schwellenwertes von einem vergabespezifischen Rechtsschutz ausgeschlossen wurden, konnte daher nicht mit der Überlastung der vergabespezifischen Rechtsschutzeinrichtungen (BVKK, BVA) gerechtfertigt werden: VfSlg 16.027/2000, s auch den Prüfungsbeschluss zu VfSlg 16.751/2002, wonach es grundsätzlich nicht möglich sei, Beeinträchtigungen des Rechtsschutzes mit mangelhafter personeller Ausstattung zu rechtfertigen; s für Art 6 EMRK auch VfSlg 16.385/2001 mwN. 337 VfSlg 11.296/1987: Verwaltungsabgaben für Ausnahmebewilligungen nach der StVO. 338 S schon VfSlg 2901/1955: Gleichheitswidrigkeit des § 13 Abs 4 BeamtenentschädigungsG, nach dem Bedienstete der Selbstverwaltungskörper – anders als andere Bedienstete des Bundes und der Länder – Entschädigungsansprüche nur befristet geltend machen konnten; s weiters VfSlg 7786/1976: Gleichheitswidrigkeit einer Vorschrift, nach der sich nur der ORF über Entscheidungen der Rundfunkkommission beim VwGH beschweren konnte, nicht hingegen der Rechtsunterworfene, der die Rundfunkkommission angerufen hat; s auch allgemein VfSlg 10.000/1984: § 154 Abs 3 B-KUVG kann keinesfalls dahin ausgelegt werden, dass er den Bund in die Lage versetzt, die BVA an der Einbringung einer Klage nach Art 137 B-VG oder eines Antrages nach Art 140 B-VG beim VfGH zu hindern, also eines Rechtsmittels, das jedermann zusteht; VfSlg 10.841/1986: Auch eine von der öffentlichen Hand gehaltene Gesellschaft kann sich der jedermann zustehenden Rechtsbehelfe bedienen, sie kann klagen, behördliche Maßnahmen bekämpfen und die Gerichts-
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rensgegenstand getroffen worden sein339. Unbedenklich ist es aber etwa, wenn für die Zulässigkeit einer „Popularbeschwerde“ nach dem RundfunkG die Unterstützung von 500 Inhabern einer Rundfunkbewilligung in Form einer Unterschriftenliste verlangt wird. Diese starre Untergrenze kann zwar dazu führen, dass die Erhebung einer Popularbeschwerde einmal leichter und das andere Mal schwerer möglich ist, je nachdem, ob eine Sendung von ihrer Themenstellung her eine größere oder eine kleinere Personengruppe berührt. Eine mittelbare Diskriminierung aufgrund eines verpönten Differenzierungsmerkmals liegt darin aber nicht; davon abgesehen ist – da die Einrichtung einer Popularbeschwerde dem Gesetzgeber ja völlig freisteht – kein Grund ersichtlich, die ungleichen Auswirkungen dieser Norm zum Gegenstand einer Gleichheitsprüfung zu machen340.
VII. Gleichheit, Gnade und Amnestie In einem Rechtsstaat, der die Vollziehung an das Gesetz bindet, der also bestimmt, dass die Behörde nur, aber auch immer dann tätig werden soll, wenn das Gesetz sie dazu beruft, besteht ein – verfassungsrechtlich vorgegebener – Unterschied zwischen einem rechtswidrigen und einem rechtmäßigen Vorgehen der Behörde ebenso wie zwischen einem gesetzmäßigen und einem gesetzwidrigen Verhalten der Rechtsunterworfenen selbst. Das bedeutet noch nicht, dass jede Rechtswidrigkeit sogleich Konsequenzen haben muss. Wenn der Gesetzgeber aber an ein rechtswidriges ____________________
höfe des öffentlichen Rechts anrufen und dabei alle für juristische Personen des Privatrechts in Betracht kommenden Rechte geltend machen, insbesondere auch die Anwendung gleichheitswidriger Gesetze rügen. 339 Wenn die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens nur Richtern verwehrt, allen anderen Beamten hingegen gewährt wird, dann bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung; dass diese Ungleichbehandlung formal durch zwei verschiedene Disziplinargesetze bewerkstelligt wird, ändert daran nichts. Der VfGH hat in diesem Fall die Beweislast umgekehrt und schon für die Zulässigkeit eines Vergleichs zwischen diesen beiden Bestimmungen eine besondere Begründung verlangt: VfSlg 10.084/1984; dies aufbauend auf der an sich zutreffenden Annahme, dass es gleichheitsrechtlich keineswegs bedenklich ist, wenn der Gesetzgeber für verschiedene Rechtsmaterien verschiedene Verfahrensordnungen vorsieht. Wenn der Gesetzgeber bei einer solchen Differenzierung aber nicht an den Gegenstand des Verfahrens anknüpft, sondern an persönliche Eigenschaften der Partei (hier genau genommen: an ihren Stand), dann gilt dieser Grundsatz gerade nicht. 340 S auch das Erkenntnis VfSlg 15.212/1998, in dem die Gleichheitskonformität dieser fixen Untergrenze bejaht, darüber hinaus aber auch angenommen wurde, dass es dem Gesetzgeber freistünde, eine nach dem Adressatenkreis der Sendung bzw ihrer Reichweite differenzierende Regelung zu schaffen. S weiters VfSlg 16.911/2003, wonach der Gesetzgeber, der für Verletzungen des ORF-G durch Fernsehsendungen eine besondere Beschwerdemöglichkeit schafft, nicht auch verpflichtet ist, eine gleichartige Beschwerdemöglichkeit für den Bereich des Radios vorzusehen; s zu dieser Entscheidung schon oben F.II.7.c.
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Verhalten Sanktionen knüpft, müssen diese Sanktionen auch jeden treffen, der sich rechtswidrig verhält. Das schließt Gnade, Nachsicht und Amnestien nicht schlechthin aus341. Doch es handelt sich dabei um Irregularitäten, die einer besonderen Rechtfertigung bedürfen342. In den gravierendsten Fällen behält das B-VG die Erteilung einer solchen Nachsicht sogar bestimmten Organen vor: Amnestien wegen gerichtlich strafbarer Handlungen dürfen nur durch ein Bundesgesetz erteilt werden (Art 93 B-VG), das die Begünstigten generellabstrakt umschreibt343. Für Einzelfälle steht die Begnadigung gerichtlich Verurteilter, die Milderung und Umwandlung gerichtlich ausgesprochener Strafen, die gnadenweise Nachsicht von Rechtsfolgen und Tilgung von Verurteilungen sowie die Niederschlagung amtswegig zu verfolgender Straftaten ausschließlich dem Bundespräsidenten zu (Art 65 Abs 2 lit c B-VG). Sowohl der Gesetzgeber, der eine Amnestie nach Art 93 B-VG erlässt, als auch der Bundespräsident, der Gnade übt, sind an den Gleichheitssatz gebunden344. Die Gründe, aus denen Amnestien erlassen werden, sind vielfältig345 und oft externer Natur, so etwa die Befriedung und Versöhnung in Krisenzeiten, der gewiss ein ausreichend hohes Gewicht zukommt; dann aber auch die Entlastung der Strafrechtspflege oder des Strafvollzuges, die als Grund für eine Amnestie mE nicht ohne weiteres überzeugt, weil sich dieser Eingriff in den Gleichheitssatz ja durch entsprechende Personalaufstockungen vermeiden ließe. Die Amnestie muss sich dann wohl auf Straffälle beschränken, deren Unwertgehalt nicht allzu hoch ist und der womöglich zwischenzeitig auch niedriger eingeschätzt wird als im Zeitpunkt der Begehung der Straftat: Dann hätte die Ungleichbehandlung dieser im Verhältnis zu anderen Straffällen zumindest auch eine Grundlage in wesentlichen Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen, wie sie ganz allgemein auch Amnestien haben, die auf humani____________________
341 S demgegenüber die harten Worte Kants, Metaphysik 455, der keine Gnade kennt: „Hat er aber gemordet, so muß er sterben. Es gibt hier kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit [...] Selbst, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z.B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinander zu gehen, und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat; weil er als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“ (Hervorhebung im Original). 342 S auch Raschauer, Art 65 B-VG Rz 62, nach dem das Begnadigungsrecht des Bundespräsidenten in einem potentiellen Konflikt zum Willkürverbot steht, und Burgstaller, Art 93 B-VG Rz 7, der feststellt, dass Amnestien in einem Spannungsverhältnis zum Gleichheitssatz stehen. 343 Burgstaller, Art 93 B-VG Rz 25. 344 Burgstaller, Art 93 B-VG Rz 26; Raschauer, Art 65 B-VG Rz 64. 345 S Burgstaller, Art 93 B-VG Rz 6.
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tären Erwägungen beruhen: In diesem Fall ist die Amnestie in Wahrheit eine Korrektur des Rechts, das sich im Nachhinein als zu hart erweist und womöglich schon deshalb mit dem Gleichheitssatz gar nicht vereinbar war. Das Gnadenrecht des Bundespräsidenten ist durch Art 65 B-VG zunächst nur insoweit beschränkt, als es bloß „in Einzelfällen“ geübt werden darf. Das lässt wohl den Schluss zu, dass der Bundespräsident die Begnadigung nicht einsetzen darf, um eine Grundentscheidung des Strafgesetzgebers zu unterlaufen, sondern nur, um vereinzelt auftretende Härten zu mildern346. Davon abgesehen kann der Bundespräsident objektive Willkür im Sinne der Judikatur streng genommen gar nicht üben, weil es kein Gesetz gibt, das die Ausübung seines Gnadenrechts inhaltlich begrenzt, also auch kein Gesetz, dem er dienen oder über das er sich hinwegsetzen kann. Was bleibt, ist eine diskriminierende Handhabung des Gnadenrechts, das etwa nur Angehörigen eines bestimmten Bekenntnisses gewährt, oder Menschen einer bestimmten Hautfarbe immer verwehrt wird. Offensichtlich vertraut das B-VG aber darauf, dass der Bundespräsident von seinem Gnadenrecht nicht in dieser Weise Gebrauch macht; denn auf Gnade besteht kein Recht, und weder die Zurückweisung noch die Nichterledigung eines Gnadengesuchs ist daher bekämpfbar347. Aus Art 65 B-VG und Art 93 B-VG kann nicht geschlossen werden, dass Gnadenerweise jenseits des gerichtlichen Strafrechts absolut ausgeschlossen wären. Sie bedürfen aus gleichheitsrechtlicher Sicht aber einer besonderen Rechtfertigung, die in der Praxis nicht leicht zu erbringen ist. Denn dass derjenige, der sich rechtswidrig verhält, so behandelt wird als hätte er das Gesetz beachtet, ist in einem Rechtsstaat nur schwer einzusehen. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes konstatierte der VfGH dementsprechend, als eine Behörde die eigenmächtige Abweichung eines Bauwerbers von der ihm erteilten Baubewilligung im Bescheidweg sanierte348. Gleiches galt für Umwidmungen, die nur vorgenommen wurden, um rechtswidrig errichtete Gebäude nachträglich zu legitimieren349, und für landesgesetzliche Vorschriften, die flächenwidmungsplanwidrige Bauführungen im Nachhinein schlechthin als konsensfähig erklärten: Diese Amnestie für Schwarzbauten entbehrte einer sachlichen Rechtfertigung350; nicht anders als § 211 MinroG, der für Personen, die in Bergbau____________________
346 In diesem Sinn wohl auch Raschauer, Art 65 B-VG Rz 62: „der BPräs [ist] nicht zu kriminalpolitischer Rechtspolitik berufen“. 347 S mwN Raschauer, Art 65 B-VG Rz 64. 348 VfSlg 9896/1983. 349 VfSlg 12.171/1989, 15.104/1998, 16.004/2000, 17.014/2003, 17.211/2004, 17.402/ 2004. 350 VfSlg 14.681/1996, 14.763/1997, 15.441/1999, 15.457/1999, s dazu auch Walzel von Wiesentreu, bbl 1998, 55 ff; zu den rechtsstaatlichen Aspekten einer solchen Amnestie insbesondere Oberndorfer, FS Winkler (1997) 718 ff.
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gebieten konsenslos Bauten errichtet hatten, eine Bewilligung fingierte351. Ebenso bedenklich wie Vorschriften, die ein rechtswidriges Verhalten im Nachhinein sanieren, sind aber auch Vorschriften, die den rechtstreuen Bürger sogar noch schlechter behandeln als denjenigen, der sich über das Gesetz hinwegsetzt. Erklärt der Gesetzgeber daher die Verpackung von Getränken rückwirkend für steuerpflichtig, so darf diese Steuerpflicht nicht auf Sachverhalte beschränkt werden, die noch Gegenstand eines anhängigen Abgabenverfahrens sind, weil sonst Sachverhalte, die (bereits nach altem Recht) steuerpflichtig gewesen wären, für die jedoch eine Abgabenerklärung nicht eingereicht wurde, privilegiert würden. Eine derart bevorzugende Behandlung hinterzogener Abgaben wäre, wie der VfGH zutreffend festgestellt hat, sachlich nicht zu rechtfertigen352.
VIII. Gleichheit und Vertrauensschutz 1. Vorbemerkung Ein zentrales Anliegen des Rechtsstaates besteht, wie bereits mehrfach festgestellt, darin, staatliches Handeln für den Einzelnen vorhersehbar und berechenbar zu machen, ihm also die Möglichkeit zu geben, sein Verhalten an der Rechtsordnung auszurichten. Durch ausreichend determinierte und gehörig kundgemachte Gesetze, an die die Vollziehung gebunden ist, gibt der Rechtsstaat dem Bürger ein bestimmtes Maß an Orientierungssicherheit353, oder noch schärfer: „Rechtsstaat und Rechtssicherheit [bilden] eine Einheit“354. Darüber hinaus wird in der Lehre und zum Teil auch in der Judikatur angenommen, der Rechtsstaat müsse dem Einzelnen nicht nur ermöglichen, sein Verhalten an der Rechtsordnung auszurichten, sondern in bestimmtem Umfang auch das Vertrauen seiner Bürger auf die bestehende Rechtslage schützen355. Der Unterschied zwischen diesen beiden Forderungen ist zwar fließend, aber doch nicht unerheblich: Denn die Annahme, das Vertrauen in die bestehende Rechtslage sei in einem Rechts____________________
351
VfSlg 16.901/2003. VfSlg 12.673/1991; s auch VfSlg 10.827/1986, wonach es sachlich nicht vertretbar ist, dem rechtstreuen Abgabepflichtigen, der der Finanzbehörde seine Kapitalerträge trotz des Bankgeheimnisses bekannt gibt, eine Anrechnung der von ihm entrichteten Zinsertragssteuer auf die Einkommensteuer zu verweigern, seine Erträge also doppelt zu besteuern. 353 Rill/Schäffer, Art 44 B-VG Rz 31. 354 Loebenstein, Rechtsstaat 268. 355 S etwa Berka, Art 7 Rz 95; Klecatsky/Walzel von Wiesentreu, FS Adamovich (2002) 273; s die zuletzt genannte Arbeit auch zur Komplexität des Vertrauensbegriffes. 352
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staat schützenswert, steht ja unübersehbar in einem Spannungsverhältnis zu der grundsätzlichen, aus dem demokratischen Prinzip erfließenden Freiheit des Gesetzgebers, die Rechtslage jederzeit und zwar auch zum Nachteil des Rechtsunterworfenen zu verändern356. Wie auch immer man die Grenze zwischen schützenswertem Vertrauen und jenem Risiko einer Rechtsänderung ziehen will, das der Einzelne alleine tragen muss, klar und auch Standpunkt der überwiegenden Lehre in Österreich ist, dass das rechtsstaatliche Prinzip als solches dem Gesetzgeber in dieser Hinsicht keine unmittelbaren Grenzen ziehen kann. Denn dieses Prinzip könnte nur dann verletzt sein, wenn gegen eines seiner positiv-rechtlich normierten Teilprinzipien verstoßen würde, weil die Verletzung eines Baugesetzes ohne Verletzung „einfachen Bundesverfassungsrechts“ nicht möglich ist357. Weder das Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG noch die Kundmachungsanordnung des Art 49 B-VG untersagen dem Gesetzgeber aber die Erlassung von Vorschriften, die ein – wie immer definiertes – „Vertrauen“ des Rechtsunterworfenen enttäuschen könnten. Dem Art 49 B-VG ist zwar als bescheidene Zweifelsregel zu entnehmen, dass Gesetze nach Ablauf des Tages ihrer Kundmachung in Kraft treten, „wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist“. Dies lässt wohl erkennen, dass der Verfassungsgesetzgeber das rückwirkende Inkrafttreten eines Gesetzes als die Ausnahme betrachtet358; ausgeschlossen wird die Rückwirkung damit aber nicht. Das allein rechtfertigt allerdings noch nicht die Annahme (oder gar den Gegenschluss), dass dem Gesetzgeber in dieser Hinsicht durch die Verfassung überhaupt keine Schranken auferlegt wären: Die Judikatur und mit ihr ein nicht unerheblicher Teil der Lehre gehen davon aus, dass der allgemeine Gleichheitssatz auch für den Vertrauensschutz dienstbar gemacht werden kann; daneben wird in der Lehre auch anderen Grundrechten die Funktion zugeschrieben, das Vertrauen des Rechtsunterworfenen in die Rechtslage zu schützen359. ____________________
356 S bereits Holoubek, Vertrauensschutz 839; s auch Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 3. 357 S allgemein Antoniolli, FS Merkl 40 f; Pernthaler, JBl 1986, 481; Schäffer, ZfV 1988, 371; Jabloner, FS Adamovich 193; Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 68 f; für den vorliegenden Zusammenhang Thienel, Vertrauensschutz 56; Koja, JRP 1999, 45; Somek, Rationalität 515; s auch Holoubek, Vertrauensschutz 839; aA Lang, RdW 1989, 403; Tomandl, FS 75 Jahre Bundesverfassung 622; Gassner/Lang, FS Walter 168, die den Vertrauensschutz direkt auf das Rechtsstaatsprinzip gründen. 358 Dementsprechend ist eine Rückwirkung von Verordnungen auch nur zulässig, wenn das Gesetz dazu ausdrücklich ermächtigt: VfSlg 7139/1973, 12.843/1991, 15.675/1999, 16.897/2003. 359 S etwa Thienel, Vertrauensschutz passim; zustimmend Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 5.
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2. Schutz wohlerworbener Rechte a. Eingriffe in Pensionsansprüche und -anwartschaften aa. Der Begründungsansatz Die Judikatur des VfGH zum Schutz „wohlerworbener Rechte“360 nimmt ihren Anfang bekanntlich im Jahr 1987 mit drei Erkenntnissen, in denen der VfGH über die Verfassungskonformität einer Regelung zu befinden hatte, die ohne Übergangsbestimmung die Kürzung des Ruhebezuges von Politikern für den Fall anordnete, dass dieser mit einem Ruhebezug aus einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft zusammentraf 361. Während der VfGH zwei Jahre zuvor einer Beschwerde über die Verringerung der Dienstalterszulage noch kategorisch entgegengehalten hatte, dass „der österreichischen Verfassungsordnung ein ‚Grundrecht [...] wohlerworbener Rechte“ fremd sei362, meinte er nun, dass Eingriffe in wohlerworbene Rechte mit dem Gleichheitssatz in Widerspruch geraten könnten. Tatsächlich entsprach diese Annahme auch der ständigen Judikatur363, die bis dahin allerdings nicht effektiv geworden war: Denn eine Gleichheitswidrigkeit hatte der Gerichtshof in dieser Hinsicht noch nie konstatiert; ebenso wenig hatte er näher ausgeführt, inwiefern ein Eingriff in wohlerworbene Rechte überhaupt ein Gleichheitsproblem aufwirft und welche Anforderungen der Gleichheitssatz an derartige Eingriffe stellt364. In den drei genannten Erkenntnissen meinte der Gerichtshof nun aber, die Aussicht auf einen Ruhebezug bilde ein mitbestimmendes Moment für den Willensentschluss des Amtsträgers, sich für eine öffentliche Funktion zur Verfügung zu stellen und sie länger während auszuüben. Zudem komme dem Ruhebezug die Funktion zu, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen. Aus diesen beiden Prämissen folgerte der Gerichtshof in seiner Leitentscheidung VfSlg 11.309/1987 sodann weiter, es sei „sachlich nicht begründbar, denjenigen Amtsträger, der sein öffentliches Amt langjährig im Vertrauen darauf ausübt, daß er die Anwartschaft auf einen an seinem Amtseinkommen orientierten Ruhebezug erwirbt und diesbezüglich insbesondere nicht durch die zu gewärtigende Berufspension (zB eine Beamtenpension oder eine Pension aus der gesetzli____________________
360 S für einen Überblick über die Judikatur mwN etwa Holoubek, Interpretation 77 ff; dens, Vertrauensschutz 799 ff; Walzel von Wiesentreu, JAP 1999/2000, 6 f; dens, ÖJZ 2000, 6 ff; Berka, Art 7 B-VG Rz 97 ff; Gruber, JRP 2003, 210 ff; Kucsko-Stadlmayer, Anwartschaften 100 ff; zur älteren Judikatur Novak, FS Wenger 164 ff; Koja, JRP 1999, 42 ff. 361 VfSlg 11.308/1987, 11.309/1987, 11.310/1987. 362 VfSlg 10.588/1985. 363 S zB VfSlg 3665/1959, 3768/1960, 3836/1960, 7423/1974. 364 Wohl aber hatte der VfGH in Einzelfällen sonst vertrauensverletzende Maßnahmen als gleichheitswidrig qualifiziert, s zu dieser älteren Judikatur Novak, FS Wenger 164 ff.
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chen Sozialversicherung) eine Schmälerung erfährt, plötzlich einem strengen, im wirtschaftlichen Effekt auf die Berufspension greifenden Kürzungssystem zu unterwerfen. Er würde dadurch nämlich einem solchen Amtsträger völlig gleichgestellt, der entweder überhaupt schon im vorhinein oder zumindest während eines nicht unbeträchtlichen Zeitraums seiner Amtsausübung (wenn auch nicht mit allen erst künftig in Erscheinung tretenden Details, aber doch in den wesentlichen Umrissen) Kenntnis davon hat, daß sein späterer Ruhebezug einem rigorosen Kürzungssystem unterliegen wird. Der eben gezogene Vergleich erweist, daß der Unterschied im Tatsachenbereich derart schwer wiegt, daß er einer – im Gesetz allerdings vorgesehenen – schematischen Gleichbehandlung der Betroffenen entgegensteht.“365
Der VfGH begründet den Schutz wohlerworbener Rechte also mit der geläufigen Judikaturformel, nach der wesentlich Ungleiches nicht gleich behandelt werden dürfe, Unterschieden im Tatsächlichen vielmehr entsprechend Rechnung zu tragen sei. Was „wesentlich“ ist – das Vertrauen in die bestehende Rechtslage –, ergibt sich in der genannten Entscheidung allerdings nicht aus dem Regelungsziel, also aus der einfachgesetzlichen Regelung selbst, sondern wird als Wertung „von außen“ an die Norm herangetragen. Aus welcher Quelle diese Wertung bezogen wird, hat der Gerichtshof nie offen gelegt366. Der von ihm gewählte Begründungsansatz wirft aber auch sonst eine Reihe von Problemen auf, die in der folgenden Judikatur nur mehr mit größten Schwierigkeiten und nicht ohne Verwerfungen bereinigt werden konnten367: Erstens stützt der Gerichtshof seine These, dass Ruhegenussansprüche keiner plötzlichen Kürzung unterzogen werden dürfen, nicht auf die – an sich nahe liegende – Tatsache, dass der Rechtsunterworfene diese Ansprüche in der Tat „wohl“, nämlich durch eigene Beiträge erworben hat, sondern darauf, dass der Einzelne auf den unveränderten Fortbestand dieser Ansprüche „vertraut“ hat, auf einen Umstand also, der für die Begründung dieser Rechte gar nicht ausschlaggebend war: Selbst wenn der Rechtsunterworfene auf diese Ansprüche nicht vertraut hätte, wäre er nämlich aufgrund seiner zwangsweisen Einbeziehung in ein Versicherungssystem gesetzlich dazu verpflichtet gewesen, für sie entsprechende Beiträge zu entrichten. Konsequent zu Ende gedacht läuft die Argumentation des VfGH zweitens auf das schwer einsehbare Ergebnis hinaus, dass wohlerworbene Rechte letztlich doch beliebig gekürzt werden können, wenn der Gesetzgeber dies dem Normunterworfenen nur rechtzeitig mitteilt, sodass ein Vertrauen gar nicht entstehen kann. Solange der Gesetzgeber eine solche Voran____________________
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Hervorhebungen nicht im Original. Besonders scharf Koller, Theorie 30, nach dem sich in der Rechtsprechung „nicht die Spur einer Begründung“ für die Ableitung des Vertrauensschutzes finde. 367 Die Widersprüchlichkeit und Unvorhersehbarkeit dieser Judikatur wurde schon oft konstatiert, s etwa Thienel, Vertrauensschutz 40; Tomandl, FS 75 Jahre Bundesverfassung 628; Griller, Betriebspensionen 139 ff FN 61 (hier: 142); Novak, ZAS 1988, 114; Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 10.
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kündigung unterlässt, müsste ihm umgekehrt eine Kürzung wohlerworbener Rechte absolut verwehrt sein368. Gerade dies scheint aber nicht die Position des Gerichtshofes zu sein, heißt es in der erwähnten Entscheidung doch ausdrücklich, ein unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes ins Gewicht fallendes Motiv könne nur nicht „die Minderung wohlerworbener Rechte jedweder Art in jedweder Intensität sachlich [...] begründen“369; gewisse Kürzungen müssen durch ein solches Motiv dann aber, wie im Gegenschluss zu folgern ist, doch gerechtfertigt sein. Noch aus einem dritten Grund ist der in dieser Entscheidung eingeschlagene Begründungsweg aber problematisch: Die Annahme, dem Gesetzgeber sei eine Rechtsänderung allein deshalb verwehrt, weil der Einzelne in die bestehende Rechtslage vertraut hat, scheint einen Anspruch auf eine gleichbleibende Rechtslage zu konstruieren370. Es müsste dann jedweder Neuregelung entgegengehalten werden können, dass der Rechtsunterworfene auf die ursprüngliche Vorschrift vertraut hat und daher eine Übergangsfrist benötige, um sich auf deren Änderung einzustellen – ein Ergebnis, das mit dem demokratischen Prinzip und der daraus erfließenden Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers offensichtlich nicht vereinbar ist371. ____________________
368 In die zweite Richtung zielt die Kritik von Öhlinger, Sozialrecht 157, das Vergleichssubjekt, das der VfGH heranzieht, sei ein fiktives, sodass – nimmt man den Vergleich ernst – überhaupt keine Reduktion zulässig sei; s auch Griller, Betriebspensionen 139 ff FN 61 (hier: 141 f), sowie Kucsko-Stadlmayer, ÖJZ 1990, 655, die zutreffend bemerkt, dass die Judikatur zur Zulässigkeit von Eingriffen in wohlerworbene Rechte obsolet wird, wenn der VfGH annimmt, die jeweils unterschiedliche Erwartungshaltung der Rechtsunterworfenen gebiete deren unterschiedliche Behandlung: Mit einem Eingriff in wohlerworbene Rechte ist nämlich stets die Enttäuschung einer Erwartungshaltung verbunden. 369 VfSlg 11.309/1987. 370 S auch Somek, Rationalität 513 f, sowie das Erkenntnis VfSlg 15.201/1998, in dessen Prüfungsbeschluss sogar von einem „aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Prinzip des Vertrauensschutzes“ die Rede ist (Hervorhebung nicht im Original). 371 Aus demselben Grund kann der Vertrauensschutz auch nicht damit begründet werden, dass jede Änderung der Rechtslage zu einer Ungleichbehandlung zwischen den vor und nach der Rechtsänderung verwirklichten Sachverhalten führe: Diese Ungleichbehandlung ist der Normsetzung und -änderung ja ebenso wesensimmanent wie die Ungleichbehandlung zwischen den einer Norm unterfallenden und allen anderen Sachverhalten. Ungleichbehandlungen, die mit der Normsetzung notwendig einhergehen, können gleichheitsrechtlich weder verboten noch suspekt sein, weil nicht angenommen werden kann, dass die Verfassung den Gesetzgeber zur Normsetzung ermächtigt, ihm aber zu misstrauen beginnt, sobald er von dieser Ermächtigung Gebrauch macht. Dem aus dem Gleichheitssatz ableitbaren Gebot, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, unterfallen derartige Ungleichbehandlungen daher von vornherein nicht, sodass dieses Gebot gerade nicht „per se eine gewisse Bestandsgarantie von Gesetzen [impliziert]“; in diesem Sinn aber Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 4 f (s auch ders, JAP 1999/2000, 6), der die Ableitung eines „allgemeine[n]“ Vertrauensschutzes aus dem Gleichheitssatz mit dieser Begründung als plausibel ansieht, „aus Gründen der Sachangemessenheit und Logik“ aber eine „strikte Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes“ verneint, weil diese zur Folge hätte, dass der Gesetzgeber nur mehr gänzlich neu auftretende Tatsachen bzw Problembereiche regeln dürfte.
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Dass der Gerichtshof dem Gleichheitssatz tatsächlich einen Anspruch auf eine gleichbleibende Rechtslage entnehmen wollte, darf bezweifelt werden. Wohl um dies deutlich zu machen, stellte er bei nächster Gelegenheit – diesmal im Zusammenhang mit der Einführung einer Ruhensbestimmung für pensionierte Beamte, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen – klar372, er habe „in ständiger Rechtsprechung dargetan, daß keine Verfassungsvorschrift den Schutz wohlerworbener Rechte gewährleistet (vgl. etwa VfSlg. 3665/1959, 3768/1960, 3836/1960; zuletzt VfSlg. 11.309/1987), sodaß es im Prinzip in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers fällt, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern. In dieser Rechtsprechung kommt aber auch zum Ausdruck, daß die Aufhebung oder Abänderung von Rechten, die der Gesetzgeber zunächst eingeräumt hat, sachlich begründbar sein muß; ohne eine solche Rechtfertigung würde der Eingriff dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz widersprechen.“373
Zumindest an der sprachlichen Oberfläche stehen diese, seither zum Standardrepertoire der Judikatur zählenden Ausführungen374 noch immer in einem Spannungsverhältnis zueinander: Wenn es dem Gesetzgeber „im Prinzip“ wirklich erlaubt wäre, in wohlerworbene Rechte einzugreifen, warum sollte dafür dann eine Rechtfertigung erforderlich sein? Wäre die Freiheit des Gesetzgebers, wohlerworbene Rechte auch zu Lasten der Betroffenen zu verändern, der Grundsatz, dann bedürfte nicht die Inanspruchnahme dieser Freiheit einer Rechtfertigung, vielmehr müssten umgekehrt besondere Gründe dafür beigebracht werden, dass diese Freiheit einmal nicht bestehen sollte375. Die dieser Entscheidung tatsächlich zugrunde liegende Position scheint eher in der Annahme zu bestehen, dass dem Gesetz____________________
Der VfGH hat den Vertrauensschutz zu Recht nie so begründet. Er hat ihn zu Recht auch nie auf das von Grof/Ramsauer, ÖJZ 1987, 708, vorgebrachte Argument gestützt, eine einmal eingeschlagene gesetzgeberische Praxis (etwa die Praxis, Ruhebezüge nicht einzuschränken, sondern sie höchstens zu erweitern) begründe „eine Art Selbstbindung des einfachen Gesetzgebers“, wie sie auch für die Verwaltung bei Ermessensentscheidungen besteht (im Original zum Teil mit Hervorhebungen). Denn diese Selbstbindung der Verwaltung entsteht ja nur insoweit, als die Verwaltung Spielräume, die ihr der Gesetzgeber bewusst belässt, durch Ermessensrichtlinien ausfüllt, sie entsteht also nur dort, wo gesetzliche Vorgaben fehlen. Dass der Gesetzgeber an Vorgaben, die er der Verwaltung einmal oder auch über einen längeren Zeitraum hindurch gemacht hat, auch für die Zukunft gebunden bleibt, folgt daraus gerade nicht. 372 VfSlg 11.665/1988; zu dieser Entscheidung näher Kucsko-Stadlmayer, ÖJZ 1990, 649 ff. 373 Hervorhebungen nicht im Original. 374 S etwa VfSlg 14.864/1997, 15.269/1998, 16.292/2001, 16.381/2001, 16.582/2002, 16.764/2002, 16.923/2003, 17.254/2004; VfGH 29.11.2006, B 525/06. 375 S auch Stelzer, DRdA 2001, 512, der zutreffend darauf hinweist, dass ausgehend von dem Grundsatz, das Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage genieße als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz, nicht angenommen werden kann, der Vertrauensschutz stelle eine verfassungsrechtliche Kategorie dar, die nach dem Muster von Freiheitsrechten eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gegenüber Eingriffen erfordere (so aber Thienel, Vertrauensschutz 41 ff ).
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geber ein Eingriff in wohlerworbene Rechte nicht absolut verwehrt ist, ganz ähnlich wie es ihm auch nicht von vornherein verboten ist, Freiheitsrechte zu beschränken376. Wenn der Gesetzgeber einen solchen Eingriff aber vornimmt, dann bedarf dies einer Rechtfertigung. Die Freiheit von Eingriffen scheint also in Wahrheit das Prinzip, der Eingriff die begründungsbedürftige Ausnahme zu sein. Anders wäre auch kaum zu erklären, warum der Gesetzgeber bei einem solchen Eingriff nach der Judikatur schonend vorzugehen und sich auf Maßnahmen zu beschränken hat, die zur Erreichung des Regelungsziels in einem angemessenen Verhältnis stehen377. Ganz in diesem Sinn meint der VfGH in der erwähnten Entscheidung VfSlg 11.665/1988 dann auch weiter: „Der Gerichtshof stimmt der Bundesregierung darin zu, daß das Ziel der Entlastung des Bundeshaushaltes oder der Schaffung von Arbeitsplätzen an sich geeignet sein kann, Eingriffe in bestehende Rechtspositionen sachlich zu rechtfertigen. Zielsetzungen dieser Art können aber nicht die Minderung wohlerworbener Rechte jedweder Art in jedweder Intensität sachlich begründen (s. VfSlg. 11.309/1987).“378
Warum das so postulierte Recht, keinen unverhältnismäßigen Eingriff in Pensionsansprüche dulden zu müssen, gerade durch den Gleichheitssatz vermittelt werden soll, bleibt dabei freilich offen. Der VfGH stützt seinen Standpunkt auch nicht mehr auf das Gebot, Ungleiches ungleich zu behandeln379; er stellt den Bezug zum Gleichheitssatz nun vielmehr mit folgender Begründung her: ____________________
376 S auch Stelzer, DRdA 2001, 516, nach dem die Annahme, ein Eingriff in wohlerworbene Rechte sei nur dann zulässig, wenn er im öffentlichen Interesse gelegen und verhältnismäßig ist, eine Bestandsgarantie für wohlerworbene Rechte nach dem Muster eines Freiheitsrechts suggeriert, dessen Eingriffsdogmatik immer eine Vermutung zugunsten der Freiheit voraussetzt. 377 So wird die Judikatur auch von der ganz überwiegenden Lehre gedeutet, s etwa Griller, Betriebspensionen 139 ff; Lang, RdW 1989, 403; Schäffer, Hauptströmungen 20; Kucsko-Stadlmayer, ÖJZ 1990, 655; Thienel, Vertrauensschutz 19; Holoubek, Vertrauensschutz 804; Berka, Grundrechte Rz 974; Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 8; ebenso Kucsko-Stadlmayer, Anwartschaften 97, allerdings mit der zutreffenden Einschränkung, dass der VfGH im Regelfall nicht prüft, ob eine Maßnahme zur Zielerreichung geeignet und erforderlich ist, wenn er eine Maßnahme einmal als durch ein Ziel „an sich“ gerechtfertigt ansieht. 378 Hervorhebungen im Original. Auch diese Aussage hat der VfGH in der Folge mehrfach wiederholt, s zB VfSlg 14.864/1997, 15.269/1998, 16.292/2001, 16.923/2003, 17.254/2004; sehr deutlich formuliert wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung zB in VfSlg 16.764/2002: „Es ist aber selbst ein Eingriff in bestehende Leistungen […] nicht schlechthin unzulässig, wenngleich – wieder je nach Intensität – ein entsprechendes Gewicht des öffentlichen Interesses erforderlich ist, um ihn sachlich rechtfertigen zu können. Daher ist auch bei einem Eingriff in die vorhin dargestellten Vertrauenspositionen […] im Zuge der vorzunehmenden Güterabwägung der Intensität des Eingriffs ua. das Gewicht der den Eingriff tragenden öffentlichen Interessen (zB der Grad der Unvermeidbarkeit des Eingriffes zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems) gegenüberzustellen.“ 379 Diese Begründung taucht auch in der folgenden Judikatur kaum mehr auf, wohl aber etwa in VfSlg 11.838/1988, später auch im Erkenntnis VfSlg 15.570/1999, in dem die
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„Erfordern Maßnahmen zur Entlastung des Bundeshaushaltes oder solche der Arbeitsmarktpolitik Kürzungen, so verlangt das Gebot der Sachlichkeit, daß ein im Interesse der Gesamtheit oder aus Gründen der Solidarität gegenüber Arbeitssuchenden zu erbringendes Opfer nicht punktuell gezielt eine relativ kleine Gruppe treffen darf, sondern entsprechend breit gestreut werden muß. Eine solche Kürzung kann nach sozialen Gesichtspunkten differenzieren und darf nicht tendenziell wirtschaftlich Schwächere stärker treffen.“
Diese Position leuchtet ein, sie hätte aber erstens nicht der Berufung auf das „Gebot der Sachlichkeit“ bedurft, sondern ergibt sich schon aus der Lastengleichheit als einer – komparativen – Kernforderung des Gleichheitssatzes380. Zweitens erklärt dieser Gedanke nicht, warum der Gesetzgeber gerade bei Eingriffen in Pensionsansprüche an das Verhältnismäßigkeitsgebot gebunden sein sollte: Kürzte er nämlich das Vermögen aller Rechtsunterworfenen gleichermaßen, aber überschießend, dann wäre die Lastengleichheit jedenfalls gewahrt. Dass dabei gerade der Pensionsanspruch einen besonderen Schutz verdient, bedarf daher einer eigenen Begründung, die der VfGH in weiterer Folge auch zu geben versucht: „Bei der Kürzung von Pensionen (entweder in Form der direkten Reduzierung ihrer Höhe oder in Form von Ruhensbestimmungen) fällt besonders ins Gewicht, daß die in Betracht kommenden Personen schon während ihrer aktiven Berufstätigkeit den Standard ihrer Lebensführung auf den Bezug einer später anfallenden Pension (eines Ruhegenusses) einrichten, wobei zu den Lebensumständen, nach denen sie sich für die Pensionszeit einrichten, auch die Möglichkeit einer Aufbesserung der Pension durch Einkünfte aus einer Nebentätigkeit zählt. Häufig haben Pensionisten jahrzehntelang Beiträge in der Erwartung entrichtet, daß durch die Pensionierung kein erhebliches Absinken des während der Aktivzeit erzielten Standards der Lebensführung eintritt; mit einer bestimmten Pensionsregelung sind daher auch Erwartungen der Betroffenen verbunden. Sie vertrauen darauf, daß diese Erwartungen nicht durch plötzliche, ihre Lebensführung direkt treffende Maßnahmen des Gesetzgebers beeinträchtigt werden. Eine Mißachtung dieses Vertrauens wiegt bei Pensionisten besonders schwer, weil sie sich nachträglich meist nicht mehr auf geänderte Umstände einstellen können, wenn ihre Erwartungen infolge einer Änderung der Gesetzeslage nicht erfüllt werden.“381
Der Gerichtshof führt in dieser Begründung zwar an, dass der Rechtsunterworfene seine Pension durch Beiträge, also durch vermögenswerte Leistungen erworben hat. Der tragende Gedanke seiner Argumentation ist aber weiterhin das Vertrauen, das der Einzelne in den Bezug einer bestimmten Pension und in die Möglichkeit hat, im Ruhestand einer Beschäftigung nachzugehen, ohne dafür eine Kürzung seiner Pension in Kauf nehmen zu müssen. Dieses Vertrauen scheint nun an sich schützenswert zu ____________________
Nachfolgebestimmung zu der in VfSlg 11.309/1987 aufgehobenen Vorschrift geprüft und als mit der alten Regelung gleichwertig verworfen wurde. Die nach dieser Entscheidung in Geltung gesetzte Vorschrift war wiederum mit der Vorgängerbestimmung inhaltlich vergleichbar; sie wurde im Erkenntnis VfSlg 16.476/2002 aufgehoben, das die Ausführungen der Entscheidung VfSlg 15.570/1999 und damit auch jene des Erkenntnisses VfSlg 11.309/ 1987 wiederholt. 380 S dazu schon oben F.II.5.a. 381 VfSlg 11.665/1988 (Hervorhebungen nicht im Original).
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sein, ohne dass es eines Vergleichs mit anderen Personen bedürfte, denen ein solches Vertrauen fehlt. Die zentrale Frage, warum gerade der Gleichheitssatz dieses Vertrauen und welches Vertrauen er außerdem schützt, bleibt damit aber offen und wird auch nicht beantwortet, wenn der VfGH abschließend (und nur scheinbar aus dem bisher Gesagten folgernd) wieder zum Gedanken der Lastengleichheit zurückkehrt und meint: „Ein punktuell von Pensionisten geforderter Akt der Solidarität gegenüber Arbeitssuchenden wird daher in der Regel unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes nicht zu rechtfertigen sein.“382
Tatsächlich hätte es zur Lösung dieses Falles einer Bezugnahme auf das „Vertrauen“ der Pensionisten gar nicht bedurft. Denn die von der Ruhensbestimmung betroffenen Beamten wurden nicht so behandelt, als hätten sie in der Vergangenheit anders disponiert: Welche Dispositionen hätten sie in Kenntnis dieser Ruhensbestimmungen denn auch treffen sollen? Es war nicht ihr Vertrauen in das weitere Bestehen der Rechtslage, das enttäuscht wurde, sondern ihre Erwerbsfreiheit, deren Ausübung durch die Pensionskürzung möglicherweise zu weitgehend beschränkt383, und ihre Solidarität zur arbeitsuchenden Bevölkerung, die vielleicht überstrapaziert wurde. Daher war zum einen zu fragen, ob dieser Eingriff in die Erwerbsfähigkeit geeignet, erforderlich und ieS verhältnismäßig war, um den Arbeitsmarkt zu entlasten; zum Zweiten war aus gleichheitsrechtlicher Sicht zu prüfen, ob es zulässig ist, nur von Pensionisten einen Akt der Solidarität gegenüber Arbeitsuchenden zu verlangen. Beide Fragen wurden dann auch vom VfGH der Sache nach gestellt und verneint. Die Bezugnahme auf ein – gar nicht verletztes – Vertrauen wäre dafür nicht erforderlich gewesen. Zu keinem anderen Ergebnis wäre man auch gelangt, wenn man den Ruhebezug, den der Rechtsunterworfene durch gesetzlich angeordnete Pensionsbeiträge erworben hat, dem Schutzbereich des verfassungsgesetz____________________
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Hervorhebung nicht im Original. Die Eingriffsqualität ergibt sich im vorliegenden Fall schon aus der Tatsache, dass die Ruhensbestimmung an die Ausübung einer Erwerbstätigkeit eine nachteilige Rechtsfolge – den Pensionsverlust – knüpft. Diese Rechtsfolge kann den Pensionisten in seiner Entscheidung durchaus beeinflussen, eine Arbeit aufzunehmen oder dies nicht zu tun. Ein solcher Einfluss ist vom Gesetzgeber sogar beabsichtigt, denn Ruhensbestimmungen verfolgen gerade das Ziel, Pensionisten vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Selbst wenn man für einen Eingriff also die Intentionalität einer Maßnahme verlangen wollte, läge diese vor. Anders zu beurteilen ist es, wenn die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit den Verlust der Sozialhilfe zur Folge hat. In einem solchen Fall liegt ein Eingriff in die Erwerbsfreiheit nicht vor. Erstens ist nämlich der Verlust der Sozialhilfe nur vordergründig eine nachteilige Rechtsfolge, tatsächlich entlässt sie den Einzelnen wieder in die Selbständigkeit. Zweitens hat der Verlust der Sozialhilfe wohl – von Ausnahmefällen des sozialen Missbrauches abgesehen – auch gar nicht den Effekt, den Rechtsunterworfenen von einer Erwerbstätigkeit abzuhalten. Wer die Intentionalität als Eingriffsvoraussetzung befürwortet, kann einen Eingriff noch leichter verneinen, weil der Verlust der Sozialhilfe offensichtlich nicht von der Intention getragen ist, den Arbeitslosen in der Arbeitslosigkeit festzuhalten.
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lich gewährten Eigentums unterstellt hätte384. Eine nachträgliche Entwertung der solcherart erworbenen Anwartschaften bedarf dann selbstverständlich einer Rechtfertigung, dies aber nicht, weil der Einzelne mit dieser Entwertung möglicherweise nicht gerechnet hat, sondern, weil er vom Gesetzgeber zwangsweise in eine Versicherungsgemeinschaft einbezogen und zur Beitragsleistung verpflichtet worden ist385. Die Kürzung dieser Anwartschaft lässt sich aber auch als Gleichheitsproblem begreifen, dies freilich neuerlich ohne einen Rekurs auf ein Vertrauen; denn dieser Rekurs verdeckt die eigentlich entscheidende Frage, wie es nämlich zu rechtfertigen ist, dass eine Generation zwar hohe Beiträge leisten muss, um bestehende Pensionen zu finanzieren, dass ihr aber, wenn sie selbst auf derartige Leistungen angewiesen ist, eine entsprechende Pension verwehrt bleibt. Die Finanzierung fremder Pensionen und die Inanspruchnahme der eigenen Pension fällt zwar zeitlich auseinander, doch dies ändert nichts daran, dass hier einem Teil der Bevölkerung zunächst eine besondere Belastung auferlegt, dann aber ein entsprechender Ausgleich zu einem späteren Zeitpunkt verwehrt wird386. Diese besondere Belastung bedarf einer Rechtfertigung, die durch die bloße Ankündigung der Belastung selbst nicht geliefert wer____________________
384 Wie dies ein Teil der Lehre tut, s etwa Griller, Betriebspensionen 139 ff mwN; Tomandl, ZAS 1987, 178; Öhlinger, Sozialrecht 163; Stelzer, DRdA 2001, 510 f; s auch Holoubek, Interpretation 79 FN 180, nach dem Art 1 1. ZPEMRK „einen – dogmatisch mindestens ebenso gut begründbaren – Ansatzpunkt“ für den Schutz wohlerworbener Rechte liefert wie der allgemeine Gleichheitssatz; s ebenso Kucsko-Stadlmayer, Anwartschaften 95 FN 3, die es im Lichte der neueren Judikatur zu Art 1 1. ZPEMRK als durchaus fraglich ansieht, ob nicht viele nach der Judikatur durch den Gleichheitssatz geschützte Vertrauenspositionen als Gegenstand der Eigentumsgarantie zu betrachten wären; anders Novak, ZAS 1988, 113 f, der – freilich in Ansehung der (heute: älteren) Judikatur zum Grundrecht auf Eigentum – den Gleichheitssatz in dieser Hinsicht für leistungsfähiger hält. Subsumiert man Pensionsansprüche dem Schutzbereich des Grundrechts auf Eigentum, dann fragt sich allerdings, ob dies auch für Beamtenpensionen gelten kann, wird in diesen doch überwiegend ein Entgelt für die Dienste, die der Beamte in seiner Aktivzeit erbracht hat, gesehen, nicht hingegen eine Leistung, die er durch eigene Pensionsbeiträge erworben hat (s dazu mwN Holoubek, ZAS 1994, 7 ff, 12, der aus diesem Grund die Anwendung des Grundrechts auf Eigentum verneint). Feststeht aber doch, dass auch die Beamtenpension ein Entgelt, also eine Gegenleistung für einmal erbrachte Leistungen des Beamten ist. Dass diese Leistungen – wie der auch von Beamten zu entrichtende Pensionsbeitrag – nur teilweise vermögenswerter Natur sind, davon abgesehen aber in den Diensten bestehen, die der Beamte während seiner Aktivzeit erbracht hat, rechtfertigt mE nicht, den damit erworbenen Pensionsanspruch vom Schutz des Eigentums auszuschließen; denn auch die Dienstleistung hat doch wirtschaftlich betrachtet einen Vermögenswert, was sich gerade darin zeigt, dass der Beamte während seiner Aktivzeit für sie ein Entgelt erhält. Ob er seinen Pensionsanspruch daher direkt und ausschließlich durch Pensionsbeiträge erwirbt oder auch durch seine Dienstleistung, ist daher mE für seine Schutzwürdigkeit im Lichte des Art 1 1. ZPEMRK bedeutungslos. 385 S zu den verschiedenen Möglichkeiten, den Schutz wohlerworbener Rechte zu begründen, aus internationaler Sicht Tomandl, ZAS 2000, 129 ff; Holoubek, Rechtsvergleichende Überlegungen 18 ff; Tiley, Confidence 45 ff; Calmes, Vertrauensschutz 61 ff. 386 S auch Peine, Systemgerechtigkeit 264.
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den kann387. Sonst müsste ja ganz allgemein jedes „Sonderopfer“ schon zulässig sein, wenn der Gesetzgeber nur rechtzeitig anmeldet, dass er zu einem späteren Zeitpunkt auf das Vermögen eines Rechtsunterworfenen greifen will. Gleichgültig, ob man in der Kürzung von Ruhebezügen nun einen Eingriff in das Eigentum oder ein gleichheitsrechtlich bedenkliches Sonderopfer sieht: Hier wie dort stellt sich, wenn auch aus verschiedener Perspektive, dieselbe Frage, ob nämlich der Eingriff in diese Rechtsposition aus einem triftigen Grund gerechtfertigt ist. Ein solcher Grund kann etwa die Entlastung des Staatshaushaltes sein388, durch demographische Änderungen notwendig gewordene Kürzungen zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Versicherungssystems389; die Verminderung des Defizits in einem Versicherungszweig390 oder das Bestreben, das tatsächliche Pensionsalter an das gesetzliche heranzuführen391; denkbar ist auch, dass der Gesetzgeber bislang bestandene Privilegien beseitigen will392. Die Kürzung muss jedenfalls zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich sein und sie darf zu ihnen nicht außer Verhältnis stehen: Je dringender ein Eingriffsziel verwirklicht werden muss, desto kürzere Übergangsfristen wird der Einzelne hinnehmen müssen; für ein Ziel, das ohne Schaden auch zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden kann, ist hingegen ein plötzlicher Eingriff nicht erforderlich. Dass der VfGH am Beginn seiner „Vertrauensschutz-Judikatur“ noch nicht in Erwägung gezogen hat, den Schutz wohlerworbener vermögenswerter Rechte auf die verfassungsgesetzlich gewährleistete Eigentumsgarantie zu stützen, ist verständlich, weil der VfGH zum damaligen Zeit____________________
387 Zutreffend meint zwar Tomandl, FS 75 Jahre Bundesverfassung 624: „Jeder Schilling, der zur Finanzierung der Pensionen verwendet wird, muß vorher den Beitrags- und Abgabepflichtigen abgenommen werden. Die Entscheidung darüber, welche Mittel im Rahmen der hier vorzunehmenden Umverteilung von den Erwerbstätigen aufzubringen sind, um sie Sozialleistungsbeziehern zuwenden zu können, muß dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben“ (zustimmend Öhlinger, Sozialrecht 159). Das kann allerdings nicht bedeuten, dass es dem Gesetzgeber auch ohne Weiteres freisteht, eine Generation mit hohen Beiträgen zu belasten, ihr aber später eine entsprechende Unterstützung zu verwehren: Ob und in welchem Ausmaß der Gesetzgeber eine Generation zu Solidarität mit einer anderen Generation verpflichtet, ist tatsächlich eine politische Frage; ob und inwieweit er der Generation, die er bereits zur Solidarität verpflichtet hat, ihrerseits eine entsprechende Unterstützung verwehren darf, ist ein gleichheitsrechtliches Problem. 388 S zB VfSlg 15.269/1998, 16.923/2003. 389 S VfSlg 11.288/1987, 15.269/1998, 16.764/2002, 16.923/2003 (Lösung der „langfristigen Finanzierungsprobleme des österreichischen Alterssicherungssystems“), 17.254/ 2004. 390 S etwa VfSlg 16.381/2001: Verminderung des Defizits in der Krankenversicherung. 391 S zB VfSlg 15.269/1998: Kürzung der Bemessungsgrundlage für den Ruhegenuss im Fall der Frühpensionierung. 392 S etwa VfSlg 16.292/2001: Anhebung des – atypisch frühen – Pensionsanfallsalters für Politiker.
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punkt noch der Ansicht war, dass dieses Grundrecht nur im Privatrecht wurzelnde, nicht aber auch öffentlich-rechtliche Vermögensrechte schützt393. Diesen, in der Literatur394 seit langem kritisierten Standpunkt hat der VfGH aber nunmehr im Erkenntnis VfSlg 15.129/1998 für Art 1 1. ZPEMRK zu Recht aufgegeben. Zu einer entsprechenden Revision der Judikatur zu wohlerworbenen Rechten ist es in der Folge aber nicht gekommen: In VfSlg 15.193/1998 ließ der VfGH vielmehr „auf sich beruhen“, ob sozialversicherungsrechtliche Pensionsansprüche und -anwartschaften durch Art 1 1. ZPEMRK geschützt sind395. In VfSlg 16.292/ 2001 prüfte er eine Bestimmung des BezügeG, die zum Zweck des Privilegienabbaus in Ruhebezüge eingriff, nur im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes und stellte zwar ergänzend fest, dass eine Anwartschaft und ein Anspruch auf Ruhebezug auch dem Art 1 1. ZPEMRK unterfallen könnten; die Vereinbarkeit dieses Eingriffes mit dem Grundrecht auf Eigentum sei diesfalls aber bereits durch die Gleichheitskonformität der betreffenden Regelung erwiesen396. In dieser Argumentation spiegelt sich die bereits mehrfach festgestellte Tendenz des VfGH, speziell geregelte Verfassungsfragen nicht am Maßstab der einschlägigen Verfassungsnorm zu prüfen, sondern nur am allgemeinen Gleichheitssatz397. Unter der Hand – und auch dies ist ein Kennzeichen der Judikatur – entfaltet das jeweils betroffene Grundrecht bei der Gleichheitsprüfung dann aber doch regelmäßig seine Wirkung: Dementsprechend hat der VfGH auch im vorliegenden Zusammenhang stets betont, dass dem Vertrauensschutz „gerade im Pensionsrecht besondere Bedeutung zukommt“398. Die überwiegende Zahl der vom Gerichtshof konstatierten Vertrauensverletzungen betraf denn auch diesen Bereich, wenngleich die anfänglich hochgesteckten Maßstäbe im Laufe der Zeit merklich zurückgeschraubt worden sind399. ____________________
393
S zB VfSlg 9329/1982, 10.588/1985, sowie mwN Korinek, Art 5 StGG Rz 20. S mwN Korinek, Art 5 StGG Rz 20; dens, Art 1 1. ZPEMRK Rz 6. 395 S zuvor schon die Erkenntnisse VfSlg 14.871/1997 und 14.872/1997, in denen für Ruhebezüge aus politischen Funktionen, und das Erkenntnis VfSlg 15.052/1997, in dem für einen Beamtenbezug „dahingestellt“ blieb, ob sie als dem öffentlichen Recht zugehörig überhaupt dem sachlichen Schutzbereich des Eigentums unterfallen. 396 Gleichsinnig auch VfSlg 16.923/2003 betreffend die Anhebung des Pensionsantrittsalters, sowie VfGH 29.11.2006, B 525/06 betreffend die Anhebung des Pensionsbeitrages für bereits im Ruhestand befindliche Beamte. 397 S dazu näher oben F.II.1.e.; zu derselben Tendenz im Verhältnis zu speziellen Gleichheitssätzen s auch oben E.I.2.e. 398 S zB VfSlg 16.764/2002; zuvor schon VfSlg 11.665/1988, 12.568/1990, 14.090/ 1995, 14.846/1997, 15.269/1998, 16.292/2001, 16.370/2001, 16.689/2002, 16.923/ 2003, 17.254/2004; VfGH 29.11.2006, B 525/06. 399 Dies konstatieren auch Öhlinger, DRdA 2003, 250, und Gruber, JRP 2003, 218. 394
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bb. Kürzung von Pensionsansprüchen So qualifizierte der VfGH bereits im Erkenntnis VfSlg 14.846/1997 eine rund 10%ige Kürzung des Ruhegenusses für ehemalige Mandatare der Gemeinde Innsbruck als unbedenklich: Er billigte das Motiv des Gesetzgebers, Politikerbezüge nachvollziehbar und transparent zu regeln und für Tiroler Politiker ein unter dem Bundesdurchschnitt liegendes Gehaltsniveau festzulegen. An der Legitimität dieses Eingriffszieles bestehe wegen der besonderen demokratiepolitischen Bedeutung der Höhe von Politikerbezügen kein Zweifel; sein Gewicht lasse eine 10%ige Kürzung der Ruhebezüge verhältnismäßig erscheinen. Der VfGH wies in diesem Zusammenhang zwar ausdrücklich darauf hin, dass diese Kürzung deutlich unter der im Erkenntnis VfSlg 11.309/ 1987 beanstandeten Bezugskürzung bis zu 38% lag. Wenig später erachtete er es jedoch auch als zulässig, dass eine „Ministerpension“ vollkommen ruhend gestellt, also auf Null reduziert wird, wenn sie mit Ruhegenussansprüchen zusammentrifft, die insgesamt den Aktivgenuss eines Ministers erreichen400. Begründend hielt der VfGH zunächst fest, dass die inkriminierte Kürzungsregelung im Wesentlichen bereits seit 1962 bestand, sodass ein Vertrauen durch sie nicht verletzt worden sein konnte. Ungeachtet dessen ging der Gerichtshof in der Folge aber bezugnehmend auf das Erkenntnis VfSlg 11.309/1987 davon aus, dass der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber nicht erlaube, Ruhebezüge jedweder Art in jedweder Intensität zu kürzen. Das für die Kürzung des Ruhebezuges maßgebliche Höchstausmaß sei, wie der VfGH sodann meinte, mit dem Aktivbezug eines Bundesministers sehr hoch angesetzt: Der Anspruch auf einen Ruhegenuss in dieser Höhe gleiche aus, dass der Ruhegenussberechtigte während seiner Aktivzeit Pensionsbeiträge bezahlt hat, am Ende aber – ohne Anspruch auf Rückerstattung der einbezahlten Pensionsbeiträge – keinen Ruhegenuss erhält. Die vorgenommene Kürzung erreiche daher nicht jene Intensität, die zu einer Gleichheitswidrigkeit führt. In der Sache hat der VfGH damit erstens anerkannt, dass ein Ruhebezug auch dann schutzwürdig ist, wenn seine Kürzung den Betroffenen nicht überraschend trifft. Zweitens wird das Problem einer solchen Kürzung nun zutreffend darin gesehen, dass der Rechtsunterworfene für den Ruhegenuss Pensionsbeiträge entrichtet hat. Die nahe liegende Konsequenz, die Schutzwürdigkeit der erworbenen Anwartschaft auf die Garantie des Eigentums zu stützen, hat der Gerichtshof in dieser Entscheidung allerdings nicht gezogen. Einen im Vergleich zu den Anfängen der Judikatur deutlich gelockerten Maßstab legte der VfGH auch in einer wenig später gefällten Entscheidung an, als der Gesetzgeber die Hinterbliebenenversorgung reformiert hatte ____________________
400
VfSlg 14.872/1997.
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und zwar so, dass der Bezug eines Hinterbliebenen an seinem bisherigen Lebensstandard ausgerichtet ist401. Diese Änderung wurde auch für Personen wirksam, die bereits einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung erworben hatten; für einen Teil dieses Personenkreises führte die neue Rechtslage zu einer Kürzung ihres Bezuges. Der VfGH gestand zu, dass diese Personen möglicherweise damit gerechnet haben, weiterhin eine Pension im bisher gewährten Ausmaß zu beziehen, und dass sie durch die Neuregelung in dieser Erwartung enttäuscht wurden. Überraschenderweise meint der VfGH dann allerdings weiter: „Eine solche Enttäuschung kann aber jede Änderung der Rechtslage bewirken. Das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der geltenden Rechtslage genießt als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, die Rechtslage für die Zukunft anders und auch ungünstiger zu gestalten. Nur unter besonderen Umständen muß zur Vermeidung unsachlicher Ergebnisse Gelegenheit gegeben werden, sich rechtzeitig auf die neue Rechtslage einzustellen.“
Während der VfGH in seiner bisherigen Judikatur, wenn auch mit zwiespältiger Formulierung, der Sache nach aber doch angenommen hat, dass ein Eingriff in pensionsrechtliche Ansprüche und Anwartschaften nicht prinzipiell erlaubt, sondern rechtfertigungsbedürftig und an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden ist, so scheint sich dieses Verhältnis nun umzukehren: Die Freiheit des Gesetzgebers, die Rechtslage auch zum Nachteil des Rechtsunterworfenen zu ändern402, wird auch im Zusammenhang mit einem Pensionsanspruch als Grundsatz hervorgehoben; nur unter besonderen Umständen bedarf eine solche Änderung der Rechtfertigung. Im Anschluss an die zitierte Entscheidungspassage wiederholt der VfGH dann freilich seine Ausführungen im Erkenntnis VfSlg 11.665/1988 (betreffend die Ruhensbestimmung für pensionierte Beamte), meint aber abschließend, dass „ein derartiger gleichheitsrechtlich unzulässiger Eingriff in bestehende Rechtspositionen“ hier nicht vorliege. Das mit der Reform der Hinterbliebenenversorgung verfolgte Ziel sei nämlich erstens geeignet, einen Eingriff in bestehende Rechtspositionen zu rechtfertigen. Zweitens könne keine Rede davon sein, dass die in Betracht kommenden Personen schon während ihrer aktiven Berufstätigkeit den Standard ihrer Lebensführung auf den Bezug einer später anfallenden Witwerpension eingerichtet haben. Drittens hätten diese Personen im Hinblick auf die gerügte Regelung auch kein erhebliches Absinken des während der Aktivzeit erzielten Standards der Lebensführung zu gewärtigen. Nimmt man das zweite Argument vor dem Hintergrund der bisherigen Judikatur ernst, dann hätte es des ersten und dritten gar nicht bedurft. Wenn Hin____________________
401
VfSlg 14.960/1997. Diese Freiheit wird in der Judikatur auch sonst immer wieder betont, s zB VfSlg 13.657/1993, 15.373/1998, 17.169/2004. 402
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terbliebene nämlich auf den Bezug einer bestimmten Vorsorge nach ihrem Ehegatten nicht vertrauen und ihre Lebensführung dementsprechend auch nicht im Hinblick auf dieses Vertrauen eingerichtet haben konnten, dann fehlte ja der in der Judikatur bisher postulierte Grund, ihren Anspruch auf einen unverminderten Hinterbliebenenbezug als schutzwürdig anzusehen. Dass der VfGH die Kürzung dieses Anspruches dennoch auf seine Zulässigkeit geprüft hat, hätte sich – wie in allen anderen einschlägigen Entscheidungen auch – nur mehr auf die Tatsache stützen lassen, dass dieser Anspruch durch Beiträge des Ehegatten des Hinterbliebenen erworben und daher durch das Grundrecht auf Eigentum geschützt ist. Auch eine Prüfung am Maßstab dieses Grundrechts hätte die inkriminierte Regelung freilich bestanden. Denn der Zweck der Hinterbliebenenpension besteht ja gerade darin, das Niveau der bisherigen Lebensführung aufrechtzuerhalten; dass der Gesetzgeber zu einer Berechnungsart übergeht, die diesen Zweck besser erreicht, muss daher ohne weiteres zulässig sein, ja, es verschafft den durch die Beitragspflicht begründeten Eigentumseingriffen sogar eine erhöhte Legitimität, wenn ihr Zweck treffsicherer verwirklicht wird. „Systemimmanent“, also durch die Funktionsbedingungen der Altersversorgung war auch eine Regelung zu rechtfertigen, die die Bemessungsgrundlage für den Ruhegenuss im Fall der Frühpensionierung eines Beamten kürzte: Diese Kürzung verfolgte das – zweifellos legitime – Ziel, den Bundeshaushalt zu entlasten und das „tatsächliche“ (durchschnittliche) Pensionsalter an das gesetzliche heranzuführen. Im Durchschnitt betrug die dadurch bewirkte Pensionskürzung bloß etwa 10%; sie wurde aber umso höher, je früher ein Beamter den Ruhestand antrat und je niedriger folglich auch die von ihm geleisteten Pensionsbeiträge waren. Zu Recht hat der VfGH die Kürzung gestützt auf diese Erwägungen als zulässig qualifiziert403; wenn der Gerichthof das Ausmaß der Kürzung in seiner Begründung mit der niedrigeren Beitragshöhe rechtfertigt, zeigt sich freilich neuerlich, dass das Vertrauen in den unveränderten Fortbestand eines Pensionsanspruches als Grundlage der Schutzwürdigkeit dieses Anspruches an Überzeugungskraft verloren hat. Kein Problem des Vertrauensschutzes lag schließlich auch vor, als der Gesetzgeber nach dem BSVG erworbene Anwartschaften auf eine Pensionsleistung rückwirkend beseitigte, sodass die bereits eingebrachten Anträge auf bescheidmäßige Zuerkennung dieser Leistungen abgewiesen werden mussten404. Zweifelhaft war die Zulässigkeit dieser Vorgangsweise ____________________
403 VfSlg 15.269/1998; s auch VfSlg 16.923/2003, wonach Pensionsabschläge bei vorzeitigem Pensionsantritt und Pensionserhöhungen bei späterem Pensionsantritt zulässig sind. 404 VfSlg 16.689/2002.
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nicht, weil sie das Vertrauen der Antragsteller in die Zuerkennung einer Pensionsleistung enttäuschte405, sondern weil ein bereits erworbener (und bloß noch nicht bescheidmäßig zuerkannter) Anspruch beseitigt worden war: Selbst wenn die Antragsteller auf die Zuerkennung einer Pension nicht vertraut hätten, hätte die Beseitigung ihrer Rechtsposition schon an sich nur durch triftige Gründe legitimiert werden können406. Überdies hätte auch einer besonderen Rechtfertigung bedurft, dass die Zuerkennung der Pensionsleistung im Ergebnis von bloßen Zufälligkeiten abhing, nämlich davon, ob die Behörde den Antrag auf Gewährung dieser Leistung schon vor oder erst nach dem Inkrafttreten der rückwirkenden Bestimmung erledigt hatte: Diese Ungleichbehandlung von Antragstellern in gleicher Lage hätte von vornherein nur durch einen externen Zweck gerechtfertigt werden können, dem wegen der Grundrechtsbetroffenheit zudem besonderes Gewicht zukommen müsste407. Weder für diese Ungleichbehandlung noch für die Beseitigung der erworbenen Rechtsposition an sich konnte aber eine zureichende Rechtfertigung beigebracht werden. Das „Vertrauen“ des Rechtsunterworfenen spielte bei all dem in Wahrheit keine Rolle. Als gleichheitswidrig qualifizierte der VfGH in einer jüngeren Entscheidung allerdings eine Pensionskürzung von kurz vor dem Ruhestand stehenden Notaren um etwa 20 bis 26%408. Dieser Eingriff sei zweifellos intensiv, und er werde auch nicht maßgeblich dadurch abgemildert, dass die Kürzung sich bei einem Pensionsaufschub um 5 Jahre auf 11 bis 19,5% vermindere. Zum Ausgangspunkt seiner Erwägungen macht der VfGH nun die Feststellung, dass die für die Altersversorgung Dritter auferlegte Beitragslast nur insofern sachlich zu rechtfertigen sei, „als die zunächst bei____________________
405
In diese Richtung argumentierte allerdings der die Aufhebung beantragende OGH. Zutreffend hielt der VfGH daher in der genannten Entscheidung der Bundesregierung entgegen, dass es für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Beseitigung nicht darauf ankomme, dass das Vertrauen der Normunterworfenen, gegen Erwerbsunfähigkeit versichert zu sein, im Hinblick auf die gleichzeitige Novellierung des § 124 Abs 2 BSVG ohnehin nicht enttäuscht worden sei: „Die durch die bereits gestellten Anträge effektuierten Ansprüche konnten nämlich nicht in gleicher Weise (und mit unverändertem Ergebnis) auf § 124 Abs. 2 BSVG gestützt werden, der (abgesehen von einer Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen) einerseits das frühestzulässige Anfallsalter um zwei Jahre hinausschob und andererseits nicht in gleicher Weise rückwirkend in Geltung gesetzt worden [...] ist.“ Im Anschluss an diese Feststellung beruft sich der VfGH dann allerdings wieder auf seine Vertrauensschutzjudikatur: Der aus dem Gleichheitssatz erfließende Vertrauensschutz bedürfe nach der Rechtsprechung schon dann der besonderen Beachtung, wenn Personen bereits während ihrer aktiven Berufstätigkeit ihre Lebensführung auf den Bezug einer später anfallenden Pension eingerichtet haben. Dem Vertrauensschutz komme nämlich gerade im Pensionsrecht besondere Bedeutung zu. 407 S zum Zufall als Differenzierungskriterium schon oben H.IV.3. 408 VfSlg 17.254/2004. 406
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tragspflichtigen Erwerbstätigen künftig selbst Leistungen aus diesem System beziehen werden, die nicht außer Verhältnis zu ihrem beitragspflichtigen Erwerbseinkommen stehen.“ Es sind dann aber endgültig die erbrachten Beiträge, nicht das Vertrauen auf eine Gegenleistung zu einem späteren Zeitpunkt, die das Schutzbedürfnis des Pensionsversicherten begründen. In der nachfolgenden Güterabwägung akzeptiert der VfGH die Sicherung der Finanzierung des Systems auch für künftige Pensionsbezieher zwar als ein gewichtiges öffentliches Interesse; dieses Interesse hätte aber durch eine ausgewogenere Verteilung der Lasten innerhalb der Solidargemeinschaft, etwa durch (mildere) Kürzungen im Leistungsrecht in Verbindung mit anderen – insbesondere auch beitragsseitigen – Maßnahmen erreicht werden müssen. Das zweite von der Bundesregierung angeführte Ziel dieser Kürzungen – die Angleichung des tatsächlichen Pensionsantrittsalters an das Regelpensionsalter – akzeptierte der VfGH von vornherein nicht; das vom Gesetzgeber für Notare angestrebte „Regelpensionsalter“ lag nämlich bei Vollendung des 70. Lebensjahres, also 5 Jahre über dem Regelpensionsalter in der sozialen Pensionsversicherung und im Pensionsrecht des öffentlichen Dienstes. Warum gerade die Berufsgruppe der Notare mit empfindlichen Abschlägen von einer Pension bedacht werden sollte, die mit Erreichung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen werden kann, sei nicht zu sehen. Beide Argumente zeigen, dass es auch hier eigentlich nicht um den Schutz eines Vertrauens ging, sondern zum einen um eine gleichmäßige Lastenverteilung innerhalb einer Solidaritätsgemeinschaft und zum Zweiten darum, dass der Gesetzgeber zwar verschiedene Solidaritätsgemeinschaften schaffen darf, dass er diese Solidaritätsgemeinschaften dann aber als gleichwertig behandeln muss409. cc. Anhebung des Pensionsanfallsalters Nicht nur die Kürzung von Pensionsansprüchen, auch die Anhebung des Pensionsanfallsalters schränkt nach der Judikatur das Vertrauen in die geltende Rechtslage ein. Sie bedarf daher unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes einer sachlichen Rechtfertigung, die am Beginn der Judikatur nicht ohne weiteres beizubringen war. So qualifizierte der VfGH im Erkenntnis VfSlg 12.568/1990 das ungleiche Pensionsalter für Männer und Frauen zwar als gleichheitswidrig, meinte jedoch zugleich, dass dem Gesetzgeber eine sofortige schematische Gleichsetzung des Pensionsalters verwehrt wäre, weil er damit den Schutz des Vertrauens in eine im Wesentlichen über Jahrzehnte geltende gesetzliche Differenzierung verletzen würde. Auch im Erkenntnis VfSlg 14.090/1995 hielt der Gerichtshof ____________________
409
S zu Beidem schon oben G.III.3.b.bb.
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fest, dass „der in der Hinaufsetzung des Pensionsanfallsalters gelegene Eingriff in eine Rechtsposition [...] eine Einschränkung [des] Vertrauens auf die geltende Rechtslage“ bedeute. In VfSlg 16.292/2001 wurde diese Aussage wiederholt, die Anhebung des Pensionsanfallsalters für National- und Bundesratsabgeordnete von 55 auf 59 Jahre aber als zulässig qualifiziert: Mit dieser Maßnahme habe der Gesetzgeber nämlich das Pensionsrecht der obersten Organe iS des Abbaus besonders begünstigender Vorschriften neu ordnen wollen. Im öffentlichen Interesse liegende Zielsetzungen dieser Art seien wegen der besonderen demokratiepolitischen Bedeutung der Höhe von Politikerpensionen grundsätzlich geeignet, einen Eingriff in bestehende Rechtspositionen sachlich zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall gehe es überdies nicht um den Entzug oder die Kürzung von Pensionsansprüchen, sondern lediglich um die Beseitigung ihres atypisch frühen Anfallsalters. Dieser Eingriff werde weiters durch eine einmalige Entschädigungsleistung gemildert, die dem Abgeordneten nach seinem Ausscheiden aus dem Nationalrat zustehe und die ihm die Möglichkeit eröffnet, sich eine anderweitige Beschäftigung zu suchen. Zuletzt stellte der VfGH in seine Güterabwägung auch ein, dass die Funktion eines Abgeordneten früher als intendiert beendet werden könne, weil er sich in periodischen Zeitabständen einer Wahl zu stellen habe. Ob seine Mandatsausübung überhaupt bis zum Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters währt, sei daher in besonderem Maß ungewiss. Dieses Argument hatte in dem eingangs erläuterten Erkenntnis VfSlg 11.309/1987 auch die Steiermärkische Landesregierung ins Treffen geführt, um die Unbedenklichkeit der Kürzung von Politikerpensionen darzutun; sie war damit aber gescheitert: Der VfGH hielt ihr entgegen, dass „eine Durchschnittsbetrachtung [...] im allgemeinen eine längerwährende, die zeitlichen Anspruchsvoraussetzungen [gemeint: für den Bezug eines Ruhegenusses] verwirklichende Amtsausübung zeigt“. Dies ändert freilich nichts daran, dass der einzelne Abgeordnete keine Gewissheit hat, einen Ruhebezug zu erhalten. Nimmt man diesen, vom VfGH nun selbst als erheblich betrachteten Gedanken ernst, dann wäre ein Vertrauen in die Erlangung eines Ruhebezuges bei Politikern überhaupt nicht berechtigt. Damit wäre freilich auch jenem Umstand, auf den der VfGH die Schutzwürdigkeit von Pensionsanwartschaften stets aufgebaut hat, der Boden entzogen. Diese Schutzwürdigkeit ließe sich dann nur mehr mit der Tatsache begründen, dass der Betroffene eine Anwartschaft – nicht durch sein Vertrauen, sondern – durch ihm gesetzlich vorgeschriebene Beiträge erworben hat. Wenig später war der VfGH neuerlich mit einer Anhebung des Pensionsalters konfrontiert, die der Beseitigung eines Privilegs diente, nämlich
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der Begünstigung von Frauen, denen eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bereits mit 55 Jahren zustand, während Männer eine solche Pension erst mit Vollendung des 57. Lebensjahres antreten konnten. Nachdem der EuGH diese Ungleichbehandlung im Fall Buchner als diskriminierend qualifiziert hatte410, entschloss sich der Gesetzgeber dazu, das Institut der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit überhaupt zu beseitigen. Der VfGH sah dies als zulässig an und hielt in seinem Erkenntnis VfSlg 16.764/2002411, bezugnehmend auf seine bisherige Judikatur zunächst fest: „Im System der gesetzlichen Pensionsversicherung werden mit den Beiträgen jeweils die laufenden Pensionen der Leistungsbezieher (dh. eines von den Beitragszahlern grundsätzlich verschiedenen Personenkreises) finanziert, nicht aber Ansprüche der Beitragszahler ‚angespart‘. Es gelten daher im allgemeinen auch nicht versicherungs-mathematische Grundsätze, sondern es herrscht das Prinzip des sozialen Ausgleichs. Die Verpflichtung zur Beitragszahlung (welche an sich einen Eingriff in das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentumsrecht[s] darstellt) ist im Rahmen dieses sog. ‚Generationenvertrages‘ unter dem Gesichtspunkt sachlich zu rechtfertigen, daß ein der Versicherungsgemeinschaft angehörender Beitragszahler im Versicherungsfall auch selbst durch dieses System jedenfalls so weit geschützt wird, daß er in Abhängigkeit vom Ausmaß seiner Beitragszahlungen grundsätzlich eine nicht außer Verhältnis zu seinem früheren Erwerbseinkommen stehende Versorgung für eben dieselben Versicherungsfälle erwarten kann (also für den Fall des Alters, der Invalidität und für Angehörige im Falle des Todes).“412
Der VfGH begründet mit diesen Erwägungen die Schutzwürdigkeit von Pensionsansprüchen neu und auch ganz plausibel, nämlich mit dem Umstand, dass die dem Rechtsunterworfenen vorgeschriebenen Beitragsleistungen einen Eingriff in sein Eigentum darstellen, der nur dann gerechtfertigt werden kann, wenn der Rechtsunterworfene im Versicherungsfall auch eine Gegenleistung bekommt, die nicht „außer Verhältnis“ zu seinem früheren Erwerbseinkommen steht, die also nicht gravierend unter diesem liegt. Wird ihm eine solche Leistung verwehrt, dann müsste auf der Grundlage dieser Prämissen freilich der durch die Beitragspflicht bewirkte Eigentumseingriff seine Rechtfertigung verlieren, es müsste dann also das Grundrecht auf Eigentum verletzt sein. Diese Konsequenz hat der VfGH jedoch auch in der genannten Entscheidung nicht oder jedenfalls nicht explizit gezogen; er behandelte die inkriminierte Regelung weiterhin als Vertrauensschutzproblem, sah sie aber als zulässig an. Aufgrund des Vorranges des Gemeinschaftsrechts stand zwar unmittelbar nach dem Urteil des EuGH im Fall Buchner die vorzeitige Alterspension auch Männern ____________________
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EuGH 23.5.2000, Rs C-104/98, Bucher, Slg 2000, I-03625. S zu dieser Entscheidung auch Öhlinger, DRdA 2003, 245 ff; Gruber, JRP 2003, 215 ff. 412 Hervorhebungen nicht im Original. 411
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ab dem 55. Lebensjahr zu. Wie der VfGH zutreffend annahm, konnten männliche Versicherte aber keineswegs darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber es bei dieser Rechtslage belassen würde, steht es diesem doch frei, ob er die inkriminierte Ungleichbehandlung nach oben oder nach unten korrigiert. „Enttäuscht“ wurden hingegen jene weiblichen Versicherten, die mit der Möglichkeit einer Pension bei Vollendung des 55. Lebensjahres rechneten. Auch diese Enttäuschung verletzte aber, wie der VfGH annahm, den Gleichheitssatz nicht: Erstens wiege nämlich das Vertrauen in den Bezug einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht schwer, weil der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht vorhersehbar ist. Zweitens fielen das aus dem Gemeinschaftsrecht resultierende Erfordernis einer unverzüglichen Gleichstellung der Geschlechter und die budgetären Konsequenzen alternativer Lösungen entscheidend ins Gewicht. Dem ist zuzustimmen. Akzeptiert man, dass eine geschlechtsspezifische Begünstigung beim Pensionsantritt diskriminierend ist413, dann muss auch die unverzügliche Beseitigung dieser Diskriminierung zulässig sein, ist die Diskriminierung doch eine besonders schwerwiegende Verletzung des Gleichheitssatzes. Auf dieser Linie lag letztlich auch die zuvor gefällte Entscheidung VfSlg 16.292/2001, in der der VfGH den Abbau ungerechtfertigter Politikerprivilegien als einen zulässigen Grund für die Anhebung eines atypisch frühen Pensionsalters ansah. Gebilligt hat der VfGH aber auch einen Aufschub des Pensionsantrittes, der nicht dem Abbau einer Privilegierung diente, sondern „nur“ der Budgetsanierung bzw der Lösung der langfristigen Finanzierungsprobleme des österreichischen Alterssicherungssystems. Diese Ziele rechtfertigten, dass sich Rechtsunterworfene innerhalb von fünf bzw sieben Wochen auf einen zweimonatigen Aufschub des Pensionsantrittes einstellen mussten und auch, dass ein in zwei Jahren erwarteter Pensionsantritt nun um weitere 1,5 Jahre hinausgeschoben wurde414. Auf den Vorwurf, der zuletzt genannte Aufschub greife erheblich in die Rechtsposition des Betroffenen ein, weil dieser unter Umständen mit seinem Arbeitgeber entsprechende Vereinbarungen getroffen habe bzw damit rechnen müsse, dass der Arbeitgeber mit der Umstrukturierung seines Arbeitsplatzes auf eine jüngere Arbeitskraft nicht eineinhalb Jahre zuwarten werde, antwortete der VfGH nun mit der Formel, dass das bloße Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der Rechtslage als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genieße. Soweit der Rechtsunterworfene mit seinem Arbeitgeber privatrechtliche Vereinbarungen getroffen habe, für die das gesetzliche Pensionsanfallsalter einen Teil der rechtlichen Rahmenbedingungen bildet, sei es ____________________
413 414
S dazu schon oben E.I.2.h., E.I.4.c. VfSlg 16.923/2003.
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Sache der Zivilgerichte zu beurteilen, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus einer Erhöhung des Pensionsanfallsalters ergeben; für die Verfassungswidrigkeit der Anhebung des Pensionsantrittsalters ergebe sich daraus nichts. Sind die beschriebenen Dispositionen des Pensionisten freilich verfassungsrechtlich nicht von Belang, dann verliert der Schutz wohlerworbener Rechte ein weiteres Mal jene Grundlage, die ihr der VfGH bis dahin gegeben hat. Es scheint nun, nach einer Reihe von Entscheidungen, das eigentliche Problem der inkriminierten Vorschriften immer deutlicher zu werden: Geschützt ist nicht das Vertrauen, dass die Rechtslage unverändert fortbesteht, auch nicht das „Vertrauen“, dass man eine Pension unter denselben Bedingungen erhält wie frühere Generationen. Wenn der Rechtsunterworfene zwangsweise in eine Solidaritätsgemeinschaft einbezogen und dazu verpflichtet wird, über Jahrzehnte Leistungen für die Versorgung der Mitglieder dieser Gemeinschaft zu erbringen, dann muss auch er – im Ausgleich – eine solche Versorgung erhalten. Ob man in der Verweigerung oder Kürzung einer solchen Versorgung ein gleichheitswidriges Sonderopfer sieht, oder ob man annimmt, dass damit der durch die Beitragspflichten begründete Eingriff in das Eigentum seine Rechtfertigung verliert, ist wohl einerlei oder sogar bloß eine jeweils verschiedene Formulierung für ein und dasselbe Problem. Feststeht aber einerseits, dass dieser Ausgleichsanspruch besteht, andererseits, dass er keine absolute Geltung haben kann: Triftige Gründe können es rechtfertigen, diesen Anspruch im Einzelnen ungünstiger zu gestalten als für die Generationen zuvor, also den Antritt der Pension erst zu einem späteren Zeitpunkt zu ermöglichen oder Pensionskürzungen vorzunehmen. Wer immer von einem solchen Eingriff betroffen ist, wird sich fragen, warum gerade er nicht mehr in den Genuss jener Leistungen kommt, die anderen kurz zuvor noch anstandslos gewährt worden sind. Irgendwann freilich muss die Änderung einsetzen; man kann ihre Härte nur durch fließende Übergänge lindern – das ist mE der Grund, warum schwerwiegende Kürzungen nicht plötzlich vorgenommen werden dürfen. Und diese Kürzungen haben, selbst wenn sie schrittweise vorgenommen werden, eine Grenze: Der Rechtsunterworfene muss, wie nun auch der VfGH im Ergebnis annimmt, eine Versorgung erhalten, die nicht außer Verhältnis zu seinem früheren Erwerbseinkommen steht. Stützt man diesen Schutz demgegenüber bloß auf das Vertrauen des Rechtsunterworfenen, dass er so behandelt wird wie frühere Generationen auch, dann negiert man in Wahrheit das hier eigentlich bestehende Recht; denn es müsste dem Gesetzgeber dann auch zustehen, dem Rechtsunterworfenen einen Ausgleichsanspruch vollkommen zu verwehren, sofern er dies nur früh genug ankündigt.
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b. Kürzung von Gehaltsansprüchen Wird die Schutzwürdigkeit pensionsrechtlicher Anwartschaften und Ansprüche nicht damit begründet, dass der Rechtsunterworfene für sie Versicherungsbeiträge entrichtet hat415, sondern mit dem „Vertrauen“ des Rechtsunterworfenen in den unveränderten Fortbestand seiner Rechte, so öffnet sich unversehens die Büchse der Pandora. Denn in den solcherart als prima facie schützenswert konstruierten „Vertrauenstatbestand“ greift jede beliebige Rechtsänderung ein, für die dann konsequenterweise auch stets eine Rechtfertigung beigebracht werden müsste – ein Ergebnis, das der VfGH nicht tragen wollte und im Einklang mit dem demokratischen Prinzip auch nicht hätte tragen können. Das zu voreilig und auch zu allgemein aus dem Gleichheitssatz abgeleitete „Prinzip des Vertrauensschutzes“416 musste daher schrittweise wieder relativiert werden: Zunächst durch eine Entscheidung, nach der sich die Frage des Schutzes wohlerworbener Rechte gar nicht stelle, wenn der Mehrleistungsanteil der Verwendungszulage eines Richters gekürzt und als Folge davon das Gehalt um 1,5% herabgesetzt wird417. Ob damit die Erheblichkeit der Kürzung zu einer zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzung des Vertrauensschutzes erhoben wurde418, oder ob der VfGH nur eine überschießende Formulierung gewählt hatte, die als Ergebnis einer implizit durchgeführten Interessenabwägung zu verstehen ist419, blieb dabei zwangsläufig unklar, weil der VfGH nur die Konsequenzen seiner Judikatur abzufangen versuchte, ohne den von ihm gewählten Begründungsansatz selbst zu korrigieren. Gerade bei Gehaltsansprüchen einen Vertrauensschutz zu akzeptieren, wäre wohl zudem mit einer anderen Judikaturlinie unvereinbar gewesen, die zeigt, dass es bei Gehaltskürzungen in Wahrheit um ein ganz anderes Problem geht als um den Schutz eines „Vertrauens“: Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH ist der Gesetzgeber nämlich durch den Gleichheitssatz bzw das ihm immanente Sachlichkeitsgebot nur – aber auch immerhin – dazu verpflichtet, das System des Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrechtes derart ____________________
415 Oder (wie im Fall VfSlg 11.665/1988) mit der verfassungsgesetzlich garantierten Erwerbsfreiheit, die beeinträchtigt wird, wenn die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zur Kürzung eines Ruhebezuges führt. 416 Diese Formulierung verwendet der VfGH noch im Prüfungsbeschluss zu VfSlg 15.201/1998 (Hervorhebung nicht im Original); auch in der Lehre wird immer wieder von einem „Vertrauensschutzprinzip“ gesprochen, s etwa Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 4. 417 VfSlg 14.888/1997, s auch die Entscheidung VfSlg 14.867/1997, in der eine Neuregelung der Dienstzulage für Richter, die eine Bezugskürzung und damit mittelbar auch eine Kürzung des Ruhebezuges bewirkte, als unbedenklich qualifiziert wurde. 418 In diese Richtung wohl Stelzer, DRdA 2001, 513. 419 In diesem Sinn Rohregger, RdW 1997, 546; Holoubek, Vertrauensschutz 804, und wohl auch Gruber, JRP 2003, 213 f.
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zu gestalten, dass es im Großen und Ganzen in einem angemessenen Verhältnis zu den den Beamten obliegenden Dienstpflichten steht420. Diese Position ist auch richtig: Unter Gleichen kann erwartet werden, dass die Leistungen, die sie austauschen, in etwa gleichwertig sind – eine Maxime, die sich bei zivilrechtlichen Verträgen im Regelfall von selbst realisiert, weil die Vertragspartner hier ja allen Pflichten, denen sie dann unterworfen sind, zustimmen421. Im öffentlichen Dienstrecht ist das nur bei der Aufnahme des Dienstverhältnisses der Fall; spätere einseitige Änderungen durch den Dienstgeber sind gerade nicht ausgeschlossen und daher durch den Gleichheitssatz begrenzt: Die Besoldung, die der Staat dem Beamten gewährt, muss – im Großen und Ganzen – in einem angemessenen Verhältnis zu den Diensten des Beamten stehen. Diesen Schutz in ein Vertrauensproblem umzudeuten, schafft einerseits einen überzogenen Maßstab, weil jede Kürzung, selbst eine Kürzung überhöhter Leistungen einer Rechtfertigung bedürfte, was nicht einzusehen ist. Andererseits sabotiert die Vertrauensargumentation (nicht anders als in den oben besprochenen Fällen des Pensionsrechts) das eigentlich bestehende Recht in seinen Grundlagen: Denn es müsste dem Gesetzgeber dann freistehen, Beamtenbezüge auch auf ein Maß zu kürzen, das außer Verhältnis zu den erbrachten Dienstleistungen der Beamten steht, sofern er dies nur früh genug bekannt gibt. Der Beamte könnte sich aus dieser Herabsetzung wohl befreien, indem er aus dem öffentlichen Dienst austritt; sieht man davon ab, dass dies unzumutbar wäre, soweit der Beamte eine Ausbildung hat, die gerade auf die Bedürfnisse des Staatsdienstes maßgeschneidert ist, so würde die Möglichkeit eines Dienstaustrittes auch nichts daran ändern, dass der Staat durch derart aggressive Kürzungen den Beamtenstand anderen „Ständen“ gegenüber herabsetzt, sie also nicht als gleichwertig behandelt und damit den Gleichheitssatz verletzt. Wie immer man also die eingangs erwähnte Entscheidung deuten will: Es war richtig, dass sich der VfGH hier nicht auf die „Vertrauensfrage“ eingelassen hat. Einen zweiten Versuch, den zu weit gefassten Vertrauenstatbestand einzuschränken, unternahm der VfGH möglicherweise im Erkenntnis VfSlg 15.173/1998, in dem er feststellte, „[e]in verfassungsrechtlicher Schutz vor dem Übergang in ein neues Regelungsregime, durch das eine Schlechterstellung bewirkt wird, ist danach nur im Zusammenhang mit sog ‚wohlerworbenen Rechtspositionen‘, die der Rechtsunterworfene im berechtigten Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage durch lang____________________
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VfSlg 11.998/1989, 16.721/2002, 17.451/2005, 17.706/2005. S zum Zusammenhang zwischen Gleichheitssatz und fairem Austausch zwischen Vertragspartnern auch schon Stelzer, Anwartschaften 124 ff, der diesen Gedanken auch für gesetzliche Eingriffe in Anwartschaften, die auf privatrechtlicher Grundlage entstanden sind, einsetzt.
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fristige Disposition ‚erworben‘ hat, gegeben“422. Gerade diese Einschränkung auf die Langfristigkeit der Disposition wurde aber wieder aufgegeben, als der VfGH die Beseitigung der vierteljährlichen Sonderzahlung an Rechtspraktikanten als ein Problem des Vertrauensschutzes behandelte423, das wie in vielen anderen Entscheidungen, die unter dem Titel der „wohlerworbenen Rechte“ firmieren, in Wahrheit nicht besteht: Denn realistischerweise kann nicht angenommen werden, dass ein Beamter – hätte er nur früher von der Kürzung seines Gehalts um 1,5% gewusst – diesen Beruf nicht gewählt oder sonst anders disponiert hätte424. Ebenso wenig ist zu vermuten, dass ein Rechtspraktikant sein Gerichtspraktikum nicht begonnen hätte, wenn ihm nur rechtzeitig bekannt gewesen wäre, dass er keine Sonderzahlungen bekommen wird. Was den Rechtsunterworfenen hier trifft, ist nicht die Enttäuschung seines Vertrauens, sondern die Tatsache, dass ihm von seinem Einkommen etwas genommen wird. Übergangsbestimmungen und Einschleifregelungen lösen dieses Problem für den Betroffenen nur an der Oberfläche; auch wenn – um ein weiteres Beispiel zu nennen425 – der Unfallrentner weiß, dass eine Besteuerung seiner Rente und die damit verbundene Schmälerung seines niedrigen Einkommens erst zu einem späteren Zeitpunkt auf ihn zukommt, ändert dies nichts an der Tatsache, dass er durch diese Kürzung, wenn sie denn eintritt, besonders schwer getroffen wird. Hierin, nicht in der Enttäuschung seines Vertrauens, liegt das entscheidende Problem. Sonst müsste man ganz allgemein bei jeder Einführung oder Erhöhung von Steuern oder Gebühren, überhaupt immer, wenn auf den Rechtsunterworfenen neue, staatlich veranlasste finanzielle Belastungen zukommen, sofort die Vertrauensfrage stellen, ob nämlich der Rechtsunterworfene, wenn er nur früher von der Neuregelung gewusst hätte, seinen Gürtel in der Vergangenheit enger geschnallt hätte. Gerade im Fall der Unfallrentenbesteuerung und wohl auch bei der Kürzung der Sonderzahlung für Rechtspraktikanten lag das eigentlich entscheidende und zum Teil auch vom VfGH selbst, allerdings nur am Rande angesprochene gleichheitsrechtliche Problem mE darin, dass budgetpolitisch notwendige Maßnahmen nicht tendenziell wirtschaftlich Schwächere stärker treffen sollen426. Diese soziale Frage bleibt aber verdeckt oder wird verschoben, wenn derartige Maßnahmen primär als ein Problem des Vertrauensschutzes behandelt werden; denn es sieht dann so aus, als könnte der Gesetzgeber die zur Budgetsanierung erforderlichen ____________________
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Hervorhebung nicht im Original. VfSlg 15.936/2000. 424 Ein Problem des Vertrauensschutzes bejahend hingegen Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 10. 425 VfSlg 16.754/2002. 426 S dazu bereits oben G.III.2.b., G.III.3.d. 423
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Belastungen mit entsprechenden Übergangsbestimmungen auch den wirtschaftlich Schwächsten auferlegen427. Der Versuchung, auf ein Vertrauensproblem auszuweichen, ist der VfGH im Erkenntnis VfSlg 16.389/2001 dann auch zu Recht nicht mehr erlegen. Entscheidungsgegenständlich war die ZivildienstG-Novelle 2000, die zwar die Grundvergütung der Zivildiener erhöhte, zugleich aber deren Anspruch auf unentgeltliche Verpflegung entfallen ließ. Im Prüfungsbeschluss rekurrierte der VfGH in dieser Hinsicht noch auf seine „bisherige Judikatur zum Vertrauensschutz“, nach der eine Regelung dann verfassungswidrig sei, wenn sie einen schwerwiegenden und plötzlich eintretenden Eingriff in erworbene Rechtspositionen vornimmt, auf deren Bestand der Rechtsunterworfene berechtigterweise vertrauen durfte. Dabei sei auch zu prüfen, ob besondere – im öffentlichen Interesse gelegene – Umstände vorliegen, die einen solchen Eingriff rechtfertigen könnten. Vorläufig qualifizierte der VfGH die durch das ZDG bewirkte Schmälerung des Versorgungsniveaus zum einen als einen „massiven Eingriff“, für den ihm keine besonderen, im öffentlichen Interesse gelegenen Umstände erkennbar waren. Flankierend fügte der Gerichtshof noch hinzu, er habe den Eindruck, dass die möglicherweise unerlässlichen Einsparungen (auch) im Bereich des Zivildienstes nahezu ausnahmslos zu Lasten der Zivildienstleistenden gingen und dass die Sachlichkeit eines derart massiven Eingriffs in bestehende Rechtspositionen einer ohnehin wirtschaftlich schwachen Personengruppe vorerst nicht zu erkennen sei. Weder dieses, auf dem Gedanken der Lastengleichheit beruhende Argument noch das zuvor genannte und ganz anders gelagerte Bedenken betreffend den Vertrauensschutz wurde in der schließlich gefällten Entscheidung allerdings tragend: Zu Recht hatte der VfGH nämlich aus Art 9a Abs 3 B-VG abgeleitet, dass der Staat verpflichtet sei, die Versorgung der zur Dienstleistung verpflichteten Staatsbürger für die Dauer des Dienstes zu gewährleisten. Dem Gesetzgeber stehe es zwar grundsätzlich frei, das Ausmaß und die Form der Versorgung der Zivildienstleistenden zu regeln; die verfassungsrechtlich verankerte Möglichkeit, bei Vorliegen näher umschriebener Gewissensgründe einen solchen Ersatzdienst zu leisten, dürfe dabei aber weder faktisch vereitelt noch (erheblich) erschwert werden. Gerade dies war aber durch die radikale Senkung des Versorgungsniveaus geschehen. Einer Be____________________
427 Tatsächlich wird dieser Eindruck erweckt, wenn der VfGH in VfSlg 15.936/2000 zuerst feststellt, dass es unsachlich ist, die kleinere und wirtschaftlich schwächere Gruppe von Rechtspraktikanten erheblich stärker zu belasten, dann aber hinzufügt: „Besonders fällt aber ins Gewicht, daß die Maßnahme völlig überraschend und ohne jede Übergangsregelung – ja sogar mit einer rd. einmonatigen Rückwirkung – ergriffen wurde, weshalb sich die Rechtsunterworfenen überhaupt nicht auf die neue Einkommenssituation einstellen konnten.“ Die Kürzung wäre also wohl zulässig gewesen, wenn der Gesetzgeber eine Übergangsregelung erlassen hätte.
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zugnahme auf das Vertrauen der Zivildiener, weiterhin so wie ihre Vorgänger versorgt zu werden, bedurfte es vor diesem Hintergrund klarerweise nicht. Sie hätte die Position der Betroffenen auch nur geschwächt. Stützte man ihren Anspruch nämlich nur auf ihr Vertrauen, dann stünde es dem Gesetzgeber ja frei, das Versorgungsniveau nach einer entsprechenden Ankündigung doch zu niedrig anzusetzen. c. Entziehung oder Verweigerung behördlich eingeräumter Berechtigungen Als Problem des Vertrauensschutzes hat der VfGH bisweilen auch die Frage behandelt, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Rechtsunterworfenen eine behördlich eingeräumte Berechtigung verweigert oder wieder entzogen werden darf. Beispielhaft hiefür ist etwa das Erkenntnis VfSlg 16.582/2002, in dem es als zulässig angesehen wurde, dass der Gesetzgeber, um das Vertrauen der Konsumenten nach der BSE-Krise wiederherzustellen, Amtstierärzten die Berechtigung, als Fleischuntersuchungsorgane tätig zu sein, binnen Jahresfrist entzog: Der VfGH sah diese Frist als ausreichend an und führte begründend ins Treffen, dass Kündigungsfristen für nicht öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse durchaus kürzer sind, sodass sich die Betroffenen schneller auf die geänderte Situation einstellen müssen. Gerade dieser Vergleich hätte deutlich machen können, dass das gleichheitsrechtliche Problem in einer solchen Situation in Wahrheit darin besteht, die Interessen des Arbeitgebers und jene des Arbeitnehmers zu einem ausgewogenen Ausgleich zu bringen, die Bedürfnisse der einen Personengruppe also nicht leichtfertig über die der anderen zu stellen. Auch hiefür ist ein Rekurs auf das Vertrauen also gar nicht erforderlich; denn in Wahrheit steht nicht das Vertrauen des Tierarztes, dass er seine Stellung als Fleischuntersuchungsorgan weiter behalten wird, auf dem Spiel, sondern sein Interesse, diese Stellung weiterhin zu behalten. Dieses Interesse ist aber bereits durch die Erwerbsfreiheit geschützt, auf die der VfGH zwar am Ende seiner Entscheidung auch zu sprechen kommt; für die Zulässigkeit des Eingriffes in dieses Grundrecht verweist er dann aber – wie so oft – auf die bereits dargelegten Erwägungen zum Gleichheitssatz. Entschlossener als in diesem Fall war der VfGH, als sich eine Gesellschaft darüber beschwerte, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Genehmigung zum Schotterabbau auch mit Wirkung für bereits anhängige Genehmigungsverfahren geändert hatte. Als Folge dieser Rechtsänderung wurde der betroffenen Gesellschaft die beantragte Genehmigung verweigert. Dass sie darin eine „qualifizierte Verletzung des Vertrauensschutzes“ sah, verwundert in Ansehung der Judikatur nicht, hatte die Gesellschaft doch im Zeitpunkt der Antragstellung angenommen – also auch
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darauf vertraut –, dass ihrem Antrag stattgegeben werde. Die Behauptung, dieses Vertrauen sei durch den Gleichheitssatz geschützt, verkennt jedoch, wie der VfGH nun mit aller Deutlichkeit meinte, die „grundsätzliche [...] Zulässigkeit, ‚die Rechtslage für die Zukunft anders und auch ungünstiger zu gestalten‘“. Diese Zulässigkeit sei nur bei Vorliegen besonderer Umstände nicht gegeben, die hier allerdings nicht vorlägen428. d. Zusammenfassung Die Judikatur des VfGH zu wohlerworbenen Rechten leidet an der Unklarheit und Widersprüchlichkeit ihrer Prämissen. Sie begann zu einer Zeit, in der der VfGH pensionsrechtliche Ansprüche zwar schon als schutzwürdig empfunden, aber noch nicht akzeptiert hatte, dass diese Ansprüche dem Grundrecht auf Eigentum unterfallen. Statt die Schutzwürdigkeit pensionsrechtlicher Ansprüche und Anwartschaften auf den Umstand zu stützen, dass der Versicherte für sie Leistungen erbracht hat, die ihn zu einer entsprechenden Gegenleistung berechtigen, stützte er die Schutzwürdigkeit auf das Vertrauen des Rechtsunterworfenen, dass er eine solche Gegenleistung erhalten werde. Diese Begründung greift einerseits zu kurz, weil sie dem Gesetzgeber konsequent zu Ende gedacht erlaubt, dem Rechtsunterworfenen die ihm gebührende Leistung nach einer entsprechenden Vorankündigung doch zu verweigern. Sie geht andererseits aber auch zu weit, weil sie ein Prima-facie-Recht auf den unveränderten Fortbestand der Rechtslage konstruiert, das in ein unauflösliches Spannungsverhältnis zum demokratischen Prinzip gerät und in der folgenden Judikatur auch schrittweise wieder relativiert werden musste. Der sinnfällige Ausdruck des daraus entstehenden Dilemmas sind die beiden unversöhnlichen Grundthesen der Judikatur, dass der Gesetzgeber einerseits frei sei, die Rechtslage auch zum Nachteil des Rechtsunterworfenen zu verändern, dass eine solche Rechtsänderung aber andererseits einer sachlichen Rechtfertigung bedürfe. Ob und wann dem Gesetzgeber eine Änderung der Rechtslage grundsätzlich erlaubt ist und wann er dafür eine Rechtfertigung beibringen muss, wurde dabei latent offen gehalten. Immerhin hat der VfGH aber stets festgehalten, dass dem Vertrauensschutz im Pensionsrecht besondere Bedeutung zukommt. Wie die vorstehende Judikaturanalyse zeigt, hat das „Vertrauen“ des Rechtsunterworfenen als schutzbegründender Umstand dabei in der Sache auch für den VfGH an Überzeugungskraft verloren: In manchen Entscheidungen prüft der Gerichtshof Anspruchskürzungen auf ihre Zulässigkeit, obwohl er implizit ein berechtigtes Vertrauen des Rechtsunterworfenen in den unveränderten Bestand dieses Anspruches verneint. In anderen Erkenntnissen ____________________
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VfSlg 16.125/2001.
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wird die Zulässigkeit einer Anspruchskürzung auch davon abhängig gemacht, in welchem Umfang der Rechtsunterworfene Beiträge für diesen Anspruch entrichtet hat. Der überwiegenden Zahl jener Erkenntnisse, in denen ein Eingriff in pensionsrechtliche Ansprüche und Anwartschaften untersucht wurde, ist zwar nicht im Begründungsansatz, wohl aber im Ergebnis zuzustimmen. Der Prüfungsmaßstab wurde dabei im Laufe der Jahre merklich gesenkt; dies mag auch mit der zunehmend angespannten budgetären Situation und den demographischen Veränderungen zusammenhängen, die derartige Eingriffe schon zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Versicherungssystems notwendig machen. Dass der VfGH Eingriffe in Pensionsansprüche und -anwartschaften nicht dem Grundrecht auf Eigentum unterstellt, sondern unter dem Titel des Gleichheitssatzes einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand konstruiert hat, belastet die Judikatur jedoch beträchtlich, dies nicht nur, weil der Tatbestand, in den der Gesetzgeber nur mit verhältnismäßigen Mitteln eingreifen darf, nicht plausibel begründet ist und weil offen bleibt, warum dieser Tatbestand durch den Gleichheitssatz geschützt sein soll, sondern auch, weil er von vornherein zu weit geraten ist. Seine Uferlosigkeit wurde zwar in manchen Erkenntnissen durch zusätzliche Tatbestandsmerkmale einzugrenzen versucht, etwa durch die „Langfristigkeit“ der im Vertrauen auf die Rechtslage getroffenen Disposition oder durch die „Erheblichkeit“ der vorgenommenen Rechtsänderung. Diese Abgrenzungsversuche wurden jedoch durch andere Entscheidungen wieder unterlaufen oder sie waren von vorneherein zum Scheitern verurteilt, weil sie (wie die Erheblichkeit einer Rechtsänderung) in Wahrheit auf der Rechtfertigungsebene angesiedelt sind. Diese Weichenstellung der Judikatur hatte zur Folge, dass Gehalts- und Zuwendungskürzungen, in einem Fall sogar die Einführung einer Steuer als Probleme des Vertrauensschutzes behandelt worden sind. Damit wird allerdings, nur dies sollte mit den genannten Beispielen gezeigt werden, sehr häufig das eigentliche Problem der inkriminierten Vorschriften verlegt. Das führt teils dazu, dass eine Rechtfertigung für gesetzliche Änderungen verlangt wird, die überhaupt nicht rechtfertigungsbedürftig sind, teils aber auch dazu, dass prima facie bestehende Ansprüche in ihren Grundlagen sabotiert werden.
3. Dispositionsschutz a. Rückwirkung aa. Der Begründungsansatz In engem Zusammenhang mit der vorstehend erörterten Judikatur steht jene Rechtsprechung des VfGH, die rückwirkende Gesetze als ein
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Gleichheitsproblem behandelt429. Der VfGH vertritt bekanntlich in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass es dem Gesetzgeber – abgesehen von dem in Art 7 EMRK statuierten Verbot rückwirkender Strafvorschriften – nicht schon an sich verboten ist, rückwirkende Gesetze zu erlassen, sofern die Rückwirkung mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist430. Lange Zeit ließ der VfGH dabei offen, worin das spezifisch gleichheitsrechtliche Problem rückwirkender Gesetze überhaupt besteht. Ebenso wenig explizierte er die Grenzen, die dem Gesetzgeber bei der Erlassung derartiger Vorschriften durch den Gleichheitssatz gezogen sind. Zu einer spürbaren Waffe gegen rückwirkende Normen wurde der Gleichheitssatz erst im Erkenntnis VfSlg 12.186/1989431, in dem der VfGH seinen bisherigen Standpunkt zunächst durch folgende Feststellungen näher konkretisierte: „Rechtsnormen zielen auf die Steuerung menschlichen Verhaltens. Diese Funktion können Rechtsvorschriften freilich nur erfüllen, wenn sich die Normunterworfenen bei ihren Dispositionen grundsätzlich an der geltenden Rechtslage orientieren können. Daher können gesetzliche Vorschriften mit dem Gleichheitsgrundsatz in Konflikt geraten, weil und insoweit sie die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage handelnden Normunterworfenen nachträglich belasten.“432
Der VfGH nimmt in dieser Passage also wie bisher an, dass rückwirkende Gesetze den Gleichheitssatz verletzen können; er begründet diese Annahme nun aber mit der Steuerungsfunktion des Rechts. Dies will nicht recht überzeugen433. Zunächst hängt nämlich die Funktionsfähigkeit einer Norm nicht zwingend davon ab, ob sich der Rechtsunterworfene an dieser Norm auch orientieren kann. Dies gilt gerade für das Abgabenrecht, das Gegenstand der genannten Entscheidung war: Sein Fiskalzweck wird schlicht durch die Vorschreibung von Abgaben erreicht, mag der Rechtsunterworfene darauf nun eingestellt sein oder nicht. Selbst wenn man aber annimmt, dass Normen434 zumindest typischerweise die Steuerung menschlichen Verhaltens bezwecken und dass es dem Rechtsunterworfenen deshalb in der Regel möglich sein muss, sich an der Rechtslage zu orientieren, ____________________
429 S für einen Überblick mwN etwa Holoubek, Interpretation 77 ff; dens, Vertrauensschutz 805 ff; s auch die Judikaturübersicht bei Ruppe, FS Adamovich 567 ff; dems, Vertrauensschutz 203; Walzel von Wiesentreu, JAP 1999/2000, 7; dems, ÖJZ 2000, 8 ff; Berka, Art 7 B-VG Rz 97 ff; zur älteren Judikatur Novak, FS Wenger 164 ff. 430 VfSlg 2009/1950, 3336/1958, 3665/1959, 6182/1970, 7705/1975, 8195/1977, 8421/1978, 8589/1979, 8994/1980, 9483/1982. 431 S zu dieser literarisch intensiv erörterten Entscheidung mwN Ruppe, FS Adamovich 568 ff. 432 Hervorhebung nicht im Original. 433 Dieses Argument kehrt in der folgenden Judikatur auch nur mehr vereinzelt wieder, etwa im Erkenntnis VfSlg 15.373/1998, das die Vertrauensschutzjudikatur zusammenfassend rekapituliert. 434 Und damit auch solche des Steuerrechts, das nicht ausschließlich fiskalische Zwecke verfolgt: s Ruppe, 8. ÖJT I/1 A (1982) 47 ff.
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wäre damit nur gesagt, dass die Gewährung einer solchen Orientierungsmöglichkeit im Interesse einer funktionsfähigen Rechtsordnung zweckmäßig, nicht jedoch, dass sie auch durch den Gleichheitssatz geboten ist. Bedenkt man dies, dann kann ein Verbot rückwirkender Gesetze oder umgekehrt formuliert: ein Gebot des Vertrauensschutzes gleichheitsrechtlich von vornherein nur vom Rechtsunterworfenen her begründet werden, also nur durch die gebotene Abwehr jenes Schadens, den der Einzelne durch eine Enttäuschung seines Vertrauens erleidet. In der Tat richtet der VfGH in weiterer Folge seinen Fokus auch auf die Position des Rechtsunterworfenen und fährt in VfSlg 12.186/1989 nach der oben wiedergegeben Passage fort: „Das kann bei schwerwiegenden und plötzlich eintretenden Eingriffen in erworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand der Normunterworfene mit guten Gründen vertrauen konnte, zur Gleichheitswidrigkeit des belastenden Eingriffes führen [...]. Es ist evident [...], daß auch rückwirkende gesetzliche Vorschriften aus den genannten Gründen mit dem Gleichheitsgrundsatz in Konflikt geraten können und daß dies im Bereich des Steuerrechts besondere Bedeutung erlangen kann: cc) Abgabengesetze fordern nämlich vom Staatsbürger Geldleistungen, die zu entrichten sind, wenn bestimmte Tatbestände verwirklicht werden. Deshalb orientieren sich Steuerpflichtige bei ihren Dispositionen (auch) an den jeweils geltenden Steuergesetzen. Soweit nun Steuertatbestände an Handlungen steuerliche Belastungen knüpfen, an die im Zeitpunkt der Handlung selbst entsprechende Rechtsfolgen nicht geknüpft waren, werden jene Steuerpflichtigen, die im Vertrauen auf die seinerzeitige (rückwirkend geänderte) Rechtslage disponiert haben, in diesem Vertrauen enttäuscht. Aus den Grundgedanken der oben skizzierten Judikatur [...] ergibt sich, daß gesetzliche Vorschriften, die (nachträglich) an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen knüpfen und dadurch die Rechtsposition des Steuerpflichtigen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führen [...], wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen (etwa indem sie sich als notwendig erweisen, um andere Gleichheitswidrigkeiten zu vermeiden).“435
Ausgehend von seiner Judikatur zu wohlerworbenen Rechten betrachtet der VfGH den von einer Rückwirkung Betroffenen also als schutzwürdig, wenn die Dispositionen, die dieser im Vertrauen auf die Rechtslage getroffen hat, aufgrund der rückwirkenden Änderung der Rechtslage im Nachhinein zu seinem Nachteil ausschlagen. Dieser Begründungsansatz ist offensichtlich nichtkomparativ: Er stellt – ohne einen Vergleich mit der Behandlung anderer Rechtsunterworfener zu ziehen – den Grundsatz auf, dass derjenige, der im Vertrauen auf die Rechtslage disponiert, schutzwürdig ist436. Ein Eingriff in diesen Grundsatz liegt vor, wenn der Gesetzge____________________
435 Dies ist seither ständige Rechtsprechung: s etwa VfSlg 12.241/1989, 12.322/1990, 12.479/1990, 12.688/1991, 13.020/1992, 14.149/1995, 17.892/2006. 436 Wenn man will, kann man diesen Grundsatz auch in eine Vergleichsform bringen, nämlich in ein Gebot, denjenigen, der nach der geänderten Rechtslage disponieren kann nicht gleich zu behandeln wie denjenigen, dem diese Dispositionsmöglichkeit fehlt, Un-
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ber die Rechtsposition des vertrauensvoll Disponierenden mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtert. Dies verletzt den Gleichheitssatz unter drei zusätzlichen Voraussetzungen: Der Normunterworfene muss durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht (1) in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht werden (2), und es muss an besonderen Umständen fehlen, die eine solche Rückwirkung verlangen (3). Nimmt man dies beim Wort, dann ist eine Gleichheitswidrigkeit von vornherein ausgeschlossen, wenn einem Eingriff kein erhebliches Gewicht zukommt. Freilich leuchtet nicht recht ein, weshalb für einen erheblichen Eingriff eine besondere, für einen mittelschweren Eingriff aber gar keine Rechtfertigung erforderlich sein sollte. Schlüssiger wäre die Annahme, dass ein rückwirkend belastendes Gesetz – beweglich – umso schwerer zu rechtfertigen ist, je schwerer es den Rechtsunterworfenen trifft und umso leichter, je geringer die dem Einzelnen zugefügte Belastung wiegt. Für ein solches Verständnis immerhin offen ist eine Formulierung, die der VfGH in seiner folgenden Judikatur nach der oben wiedergegeben Passage mehrfach verwendet hat: „Ob und inwieweit im Ergebnis ein sachlich nicht gerechtfertigter und damit gleichheitswidriger Eingriff vorliegt, hängt vom Ausmaß des Eingriffes und vom Gewicht der für die Rückwirkung sprechenden Gründe ab.“437
In anderen Entscheidungen streicht der VfGH die Erheblichkeit des Eingriffes aber auch wieder besonders hervor, um sich abzugrenzen von der Annahme, dem Gesetzgeber seien Eingriffe in die Rechtspositionen der Normunterworfenen überhaupt verwehrt: „Dies würde [...] auf eine weitgehende Beseitigung des von der Verfassung dem Gesetzgeber zugewiesenen rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes hinauslaufen. Eine solche, mit der Verfassung nicht vereinbare Auffassung liegt aber keineswegs der bisherigen Rechtsprechung des VfGH zugrunde; vielmehr stellt diese ausdrücklich ua. auf den Schutz des Vertrauens gegen Eingriffe von erheblichem Gewicht durch rückwirkende Gesetzesänderungen ab.“438 ____________________
gleiches also ungleich zu behandeln (s zB Ruppe, FS Adamovich 579; dens, Steuerrecht 129 f ). Es handelt sich hier um den dritten Unterfall des Ungleichbehandlungsgebots: Das Gebot, einem bestimmten Maßstab – bzw wie oben im Text formuliert: einem Grundsatz – entsprechend behandelt zu werden, s dazu schon oben C.IV.2.b.bb., C.IV.2.d. 437 S zB VfSlg VfSlg 12.688/1991, 13.020/1992, 14.861/1997, 16.022/2000, 17.311/ 2004; s auch VfSlg 14.149/1995, 15.231/1998: „Der Gerichtshof bleibt bei seiner Ansicht, daß für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Gesetzesänderungen die Gravität des Eingriffs sowie das Gewicht der für diesen Eingriff sprechenden Gründe maßgeblich ist.“ In Ansehung dieser Judikatur ist in VfSlg 14.779/1997 wohl überschießend von „dem aus dem Gleichheitssatz erfließenden Rückwirkungsverbot“ die Rede. Dieses Verbot besteht jedenfalls nicht absolut, sondern nur prima facie. Das Recht, keiner Rückwirkung unterzogen zu werden, hat aber ein beträchtliches Schwellengewicht; Erfordernisse der Rechtssicherheit oder der Verwaltungsvereinfachung ließ der VfGH etwa in VfSlg 14.861/ 1997 nicht gelten. 438 VfSlg 13.461/1993.
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Ob die Erheblichkeit des Eingriffes nach der Judikatur nun ein Tatbestandsmerkmal ist, das den gleichheitsrechtlichen Schutz überhaupt erst aktiviert, oder nicht, kann vorläufig offen bleiben439. Feststeht, dass der VfGH die Zulässigkeit einer – tatbestandsmäßigen – Rückwirkung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit misst, also von einem prinzipiellen Recht des Einzelnen ausgeht, keiner tatbestandsmäßigen Rückwirkung unterzogen zu werden, das freilich im Einzelfall aus gewichtigen Gründen überspielt werden kann, nicht grundsätzlich anders als dies auch bei Eingriffen in ein Freiheitsrecht der Fall ist440. Worin das spezifisch gleichheitsrechtliche Problem rückwirkender Gesetze liegt, wird in dieser Judikatur nicht expliziert, ist mE aber durchaus begründbar: Wie bereits gezeigt wurde, verbietet der allgemeine Gleichheitssatz teils absolut, teils prima facie, den Einzelnen in eine ausweglose Lage zu bringen, sei es, dass er für Eigenschaften benachteiligt wird, die sich seiner Disposition entziehen, sei es, dass er für ein Verhalten getadelt wird, an dem ihn kein Verschulden trifft, sei es, dass er für das Verhalten eines anderen einstehen muss, mit dem ihn nichts verbindet441. Nichts grundsätzlich anderes geschieht aber im Ergebnis, wenn ein Verhalten, das der Rechtsunterworfene in der Vergangenheit gesetzt hat, im Nachhinein einer geänderten rechtlichen Bewertung unterzogen wird. Rückwirkende Vorschriften knüpfen Rechtsfolgen an Sachverhalte, die der Einzelne in Kenntnis der (späteren) Rechtslage möglicherweise nicht verwirklicht hätte, die er nun aber nicht mehr revidieren kann. Sie knüpfen also Rechtsfolgen an ein Verhalten, das sich der Disposition des Einzelnen schlechthin entzieht: Es ist zu einem Datum geworden, das der Person unabänderlich anhaftet – in dieser Unausweichlichkeit liegt mE das gleichheitsrechtliche Problem der Rückwirkung. bb. Der Tatbestand aaa. Berechtigtes Vertrauen Akzeptiert man diese Prämissen, dann ist klar, dass die Schutzfunktion des Gleichheitssatzes nicht aktiviert werden kann, wenn der Rechtsunter____________________
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S dazu noch näher sogleich unter H.VIII.3.a.bb.ccc. S auch Holoubek, Vertrauensschutz 808 FN 43, der „in diesen Anwendungskonstellationen des Gleichheitsgrundsatzes auch zwischen Schutzbereich (gleichheitsrechtlich geschützte Vertrauensposition) und der Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs (‚sachliche Rechtfertigung‘) in diesen Schutzbereich“ unterscheidet; s weiters Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 9 f, nach dem der VfGH rückwirkende Gesetze am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prüft. Gegen die Judikatur Somek, Rationalität 444 f, der eine Interessenabwägung im Rahmen der Gleichheitsprüfung ganz allgemein ablehnt; s dazu schon oben E.I.4.c. 441 S oben E.IV.4.c., E.IV.4.d. 440
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worfene auf die bestehende Rechtslage gar nicht vertrauen, seine Dispositionen folglich auch nicht an ihr ausrichten konnte. Wie der VfGH annimmt, begegnet es keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken, wenn eine unklare Regelung nachträglich mit rückwirkender Kraft in jenem Sinne klargestellt wird, den ihr die Verwaltungspraxis in vertretbarer Auslegung immer beigemessen hat: Ein Vertrauen auf die andere, praktisch nie gehandhabte Auslegungsmöglichkeit der Regelung könne diesfalls beim Rechtsunterworfenen nicht entstanden sein442. Dem Gesetzgeber müsse es aber auch freistehen, eine Vorschrift, die unterschiedlich deutbar ist und die durch die Anwendungspraxis und die Rechtsprechung noch keine (vorläufige) Klärung erfahren hat, durch eine rückwirkende Änderung des Wortlautes in seinem Sinne klarzustellen. Dass sich ohne diese Revision in der Praxis vielleicht ein anderes Ergebnis durchgesetzt hätte, schade dabei nicht443. Der VfGH akzeptiert eine rückwirkende Klarstellung sogar dann, wenn sich eine eindeutige Rechtsprechung bereits gebildet hat, der die Verwaltungspraxis aber nicht folgt: Auch in einem solchen Fall könne ein berechtigtes Vertrauen in die Rechtslage nicht entstehen; es stehe dem Gesetzgeber daher frei, die fragliche Norm rückwirkend im Sinne der Verwaltungspraxis klarzustellen444. Schließlich sei es dem Gesetzgeber auch erlaubt, nach einer Änderung der Judikatur die frühere Rechtsprechung im Gesetz rückwirkend festzuschreiben. Selbst die Rechtsprechung eines Höchstgerichts könne nämlich, da sie stets nur Einzelfälle betrifft, nicht sofort Vertrauensschutz in jenem Maß beanspruchen wie eine Maßnahme des Gesetzgebers. Die Wahrung des Vertrauensschutzes in die frühere Rechtsprechung liefere in einem solchen Fall vielmehr eine sachliche Rechtfertigung für rückwirkende Maßnahmen des Gesetzgebers. Dem Gesetzgeber komme dabei ein umso größerer rechtspolitischer Spielraum zu, je näher eine solche Maßnahme zeitlich an die Rechtsprechung anschließt445. Dies gilt selbst dann, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechung korrigiert, ohne eine frühere Rechtsprechung festzuschreiben446. Tut ____________________
442 S etwa VfSlg 12.241/1989, 12.322/1990, 12.479/1990, 12.673/1991, 12.734/1991, 13.197/1992, 14.149/1995. 443 VfSlg 12.890/1991. In manchen Entscheidungen wird die Frage, ob ein berechtigtes Vertrauen entstanden ist, allerdings auch mit der davon zu unterscheidenden Frage vermischt, welches Gewicht die rückwirkende Regelung für den Normadressaten hat: So meint der VfGH etwa in VfSlg 12.322/1990, ob und inwieweit eine Verwaltungspraxis eine Rolle für den Vertrauensschutz spielt, hänge (letztlich) von der Vertretbarkeit der von der Behörde bezogenen Rechtsmeinung ab. Dabei sei nicht nur zu berücksichtigen, ob eine und welche einschlägige Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bestand, sondern auch, welches Gewicht die rückwirkende Regelung für die Normadressaten hat. 444 VfSlg 12.322/1990. 445 VfSlg 15.319/1998, 15.231/1998, 17.311/2004, s auch VfSlg 17.340/2004. 446 VfSlg 17.311/2004.
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er dies entsprechend rasch, so verletzt er damit in der Regel den Gleichheitssatz nicht. ME sind Fälle wie diese differenziert zu beurteilen: Auszugehen ist dabei davon, dass Auslegungsdivergenzen in Verwaltungspraxis und Rechtsprechung dann entstehen werden, wenn eine Norm mehrere Deutungen zulässt. Kann diese Mehrdeutigkeit auch unter Heranziehung aller Auslegungsmethoden nicht beseitigt werden, dann bleibt unklar, welchen Inhalt diese Norm hat. An einer solchen Norm kann sich der Rechtsunterworfene nicht orientieren447: Er kann nicht wissen, welche rechtlichen Konsequenzen sein Verhalten hat, muss also mit jeder Konsequenz rechnen, die die Norm umfassen könnte 448. Stellt der Gesetzgeber den Sinn dieser mit Art 18 B-VG unvereinbaren Norm rückwirkend klar, dann wird aus den bis dahin denkbaren Rechtsfolgen eine ausgewählt, das Vertrauen des Normunterworfenen also nicht enttäuscht. Die Alternative zu einer solchen Klarstellung ist, dass nicht der Gesetzgeber, sondern die Vollziehung (zwar innerhalb des vom Gesetz gesteckten Rahmens, letztlich aber ohne Bindung an das Gesetz) entscheidet, welche Konsequenzen das Verhalten der Normunterworfenen haben soll. In einem demokratischen Rechtsstaat ist die erste Variante vorzuziehen; auch deshalb kann sie gleichheitsrechtlich nicht bedenklich sein. Anders liegen die Dinge, wenn sich der Inhalt einer zunächst mehrdeutigen Norm bei Anwendung aller Auslegungsmethoden letztlich doch eindeutig ermitteln lässt. In einem solchen Fall muss der Normunterworfene sein Verhalten an diesem Inhalt ausrichten können. Entsteht über den Sinn der Norm gleichwohl eine Meinungsdivergenz zwischen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung, die der Gesetzgeber sodann durch eine rückwirkende „Klarstellung“ in die eine oder andere Richtung entscheidet, so ist weiter zu differenzieren, ob sich der Gesetzgeber für die Ansicht der Verwaltungspraxis oder für die der Rechtsprechung entschieden hat. Im zweiten Fall liegt mE eine Vertrauensverletzung nicht vor; denn die Fra____________________
447 S auch Ruppe, FS Adamovich 583, nach dem „eine unklare, mehrdeutige Rechtslage keine Basis für eine gefestigte Erwartung bzw Rechtsposition abgibt“. 448 Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 5, nimmt (unter Berufung auf Thienel, Vertrauensschutz 31 ff) an, dass bei mehreren Auslegungsvarianten auf jede dieser Varianten vertraut werden kann, weil es der Gesetzgeber andernfalls in der Hand hätte, den Vertrauensschutz durch die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe leer laufen zu lassen. Dieses Argument setzt erstens voraus, was erst zu begründen wäre, dass nämlich ein schützenswertes Vertrauen besteht. Zweitens lässt es außer Acht, dass der Normunterworfene, der im Vertrauen auf eine von mehreren denkbaren Deutungen handelt, ja auch hinnehmen muss, wenn diese Deutung dann von den Behörden und in weiterer Konsequenz von der Rechtsprechung nicht geteilt wird. Sein Vertrauen in eine von mehreren Deutungen ist daher schon vor der Vollziehung nicht geschützt; dann ist aber auch nicht einzusehen, warum dieses Vertrauen vor dem Gesetzgeber geschützt sein sollte.
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ge, wie ein Gesetz auszulegen ist, hat nach dem Rechtsschutzsystem des B-VG letztlich das Höchstgericht zu entscheiden, das durch Art 129 B-VG ja dazu berufen ist, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu kontrollieren. Die Richtigkeit einer solchen höchstgerichtlichen Entscheidung stellt das B-VG nicht mehr zur Diskussion. Selbst wenn diese Entscheidung unrichtig ist, muss der Rechtsunterworfene sie hinnehmen. Dann freilich muss er sich an der Rechtsprechung des Höchstgerichts auch orientieren können449. Ist der Gesetzgeber mit dieser Judikatur nicht einverstanden, so kann er sein Gesetz so formulieren, dass die vom Höchstgericht gewählte Deutung für die Zukunft eindeutig ausgeschlossen ist. Will er das Gesetz in dieser neuen Deutung aber auch auf abgeschlossene Sachverhalte angewendet wissen, so bedarf dies einer Rechtfertigung, weil der Normunterworfene sein Verhalten in der Vergangenheit zu Recht an der Deutung des Höchstgerichtes ausrichten konnte. Auch dass dem Gesetzgeber bei der Erlassung einer Norm ein – mehr oder weniger offensichtliches – Versehen unterlaufen ist, kann das Vertrauen in die Rechtslage nicht erschüttern. Der Einzelne muss diese Rechtslage, solange sie besteht, als gegeben hinnehmen und sich daran orientieren450. Die gegenteilige, von der Bundesregierung in VfSlg 14.149/1995 vertretene und vom VfGH zu Recht zurückgewiesene Ansicht, auf offensichtlich systemwidrige Regelungen könne nicht vertraut werden, läuft darauf hinaus, dass der Rechtsunterworfene jede Vorschrift implizit auf ihre Verfassungs- und Systemkonformität prüfen müsste und sich im Fall eines (wie immer zu definierenden) „offenkundigen“ Verfassungs- oder Systemverstoßes an dieser Norm nicht mehr orientieren dürfte. Das heißt dann aber auch, dass er an diese Norm nicht gebunden, ihr also gerade nicht mehr unterworfen wäre – ein Ergebnis, das in einem Rechtsstaat unmöglich hingenommen werden kann und das auch mit dem Normprüfungsmonopol des VfGH offensichtlich unvereinbar ist. Solange eine Norm dem Rechtsbestand angehört, darf sich der Rechtsunterworfene auf ihre Verbindlichkeit verlassen; umgekehrt ist eine neue Norm für ihn erst dann maßgeblich, wenn sie kundgemacht ist – vor diesem Zeitpunkt abgeführte politische oder literarische Diskussionen über eine mögliche Rechtsänderung können das Vertrauen in die bestehende Rechtslage ebenso wenig erschüttern wie sie ein Vertrauen in die diskutierte Rechtsänderung begründen können451. Zurückgewiesen hat der VfGH zu Recht auch ____________________
449 450 451
S auch Ruppe, FS Adamovich 572. Wie hier Ruppe, FS Adamovich 584. S dazu VfSlg 13.655/1993, wonach für die Frage des Vertrauensschutzes nicht relevant sei, ob eine Gesetzesänderung bereits seit einiger Zeit vorhersehbar war. In diesem Sinn auch Thienel, Vertrauensschutz 24 ff; Lang, ÖStZ 1996, 274; Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 5.
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die Annahme der Bundesregierung, auf eine Rechtslage dürfe umso weniger vertraut werden, je länger sie Bestand hatte: „Verfassungsrechtlich entscheidend können immer nur die durch diese Rechtslage begründete Vertrauensposition einerseits und die für den Eingriff in diese Vertrauensposition sprechenden Gründe andererseits sein.“452 bbb. Irreversible Disposition Eine Rückwirkung kann mit dem Gleichheitssatz mE nur dann in Konflikt geraten, wenn der Rechtsunterworfene auf die bestehende Rechtslage vertraut und im Vertrauen auf diese Rechtslage disponiert hat. Auch der VfGH scheint von dieser Annahme auszugehen, so, wenn er bei der Beseitigung steuerlicher Begünstigungen darauf beharrt, dass die Aussicht auf eine solche Erleichterung ein mitbestimmendes Moment unternehmerischer Dispositionen ist453. In grundsätzlich gleicher Weise verlangte der VfGH für die rückwirkende Beschränkung eines steuerrechtlichen Erstattungsanspruches eine Rechtfertigung, weil doch denkbar sei, dass der Steuerpflichtige einen Rechtsstreit über eine Erstattung unterlassen (und die damit zusammenhängende, vielleicht beträchtliche Kostenbelastung vermieden) hätte, wenn schon seinerzeit bekannt gewesen wäre, dass die Erstattung rechtswidrig erhobener Beträge beschränkt werden würde.454 Der VfGH verlangt in diesen Entscheidungen zwar nicht, dass der Rechtsunterworfene im Vertrauen auf die Rechtslage disponiert hat, wohl aber, dass eine solche Disposition zumindest denkbar ist. Überdies muss diese Disposition irreversibel sein, denn nur dann befindet sich der Rechtsunterworfene in jener unausweichlichen Situation, die seine Schutzwürdigkeit erst begründet. Keine Gleichheitswidrigkeit liegt daher vor, wenn der Gesetzgeber eine Norm zwar rückwirkend in Kraft setzt, dem Rechtsunterworfenen aber Gelegenheit gibt, seine bereits vorgenommenen Dispositionen zu korrigieren: Das war etwa der Fall, als bestimmten Beamten zunächst das Recht eingeräumt wurde, vor Erreichung ihres 60. Lebensjahres die Versetzung in den Ruhestand zu beantragen, später aber der Anfall des Ruhegenusses auf den der Erreichung des 60. Lebensjahres folgenden Monatsersten hinausgeschoben wurde. Flankierend erhielten allerdings jene Beamten, denen die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand bewilligt worden war, die das 60. Lebensjahr aber noch nicht erreicht hatten, einen Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme in den ____________________
452 453 454
VfSlg 15.739/2000. S etwa VfSlg 13.020/1992. VfSlg 16.022/2000.
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Dienststand455. Diese Änderung der Rechtslage war für die Betroffenen unerfreulich, gleichheitswidrig war sie aber nicht. ccc. Erheblichkeit des Eingriffes? Abweichend von den geschilderten Erkenntnissen scheint der VfGH allerdings in manchen Entscheidungen schon das bloße Vertrauen in die Rechtslage als schutzwürdig, darauf gestützte Dispositionen also als entbehrlich anzusehen: Dies war etwa der Fall, als der Gesetzgeber die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Entschädigung nach dem HeeresversorgungsG rückwirkend dahin änderte, dass ein Ersatz für grob fahrlässig herbeigeführte Schäden nicht mehr geleistet wird. Diese Rückwirkung war zeitlich weitreichend, sie betraf Fälle, die mehr als 20 Jahre zurücklagen, und sie war auch inhaltlich gravierend, weil der Verlust eines Entschädigungsanspruches zweifellos schwer wiegt456. Noch zuvor wäre mE aber zu fragen gewesen, ob der Rechtsunterworfene in Kenntnis der nachträglichen Rechtsänderung wirklich anders disponiert hätte bzw ob er überhaupt anders disponieren hätte können: Denn dass der Betroffene – hätte er von der späteren Änderung der Anspruchsvoraussetzungen gewusst – den Unfall vermieden bzw nicht grob fahrlässig verursacht hätte, kann wohl kaum angenommen werden. Dem VfGH schien dies für die Schutzwürdigkeit auch nicht bedeutsam zu sein. Er begnügte sich offenbar mit der Tatsache, dass der grob fahrlässig Verunfallte einen Versorgungsanspruch erwartet hat, in dieser Erwartung nun aber enttäuscht wurde457. Wird eine solche Erwartung freilich schon an sich für schutzwürdig erklärt, stellt sich neuerlich die – bereits in der Judikatur zu wohlerworbenen Rechten virulent gewordene – Frage, wie diese Schutzwürdigkeit einer Erwartungshaltung sich mit der grundsätzlichen Freiheit des Gesetzgebers verträgt, die Rechtslage auch zum Nachteil des Einzelnen zu ändern. Um diesen latenten Widerspruch aufzuheben, verwendet der VfGH ein quantitatives Regulativ, das bereits in der Leitentscheidung VfSlg 12.186/1989 eingeführt wurde: Der „Eingriff“, der den Schutz auslöst, muss von erheblichem Gewicht sein. Ein derartiges Gewicht wurde in der angesprochenen Entscheidung VfSlg 12.688/1991 bei der Kürzung von Versorgungsansprüchen nach dem HeeresversorgungsG bejaht, nicht hingegen bei der ____________________
455 S das Erkenntnis VfSlg 14.090/1995, in dem der VfGH annahm, dass die Behörde – obwohl ihr in dieser Hinsicht vom Gesetz Ermessen eingeräumt war – die Wiederaufnahme in den Dienststand jedenfalls bewilligen müsse; jede andere Entscheidung als die Wiederaufnahme in den Dienststand belaste den Bescheid mit Gleichheitswidrigkeit. 456 VfSlg 12.688/1991; triftige Gründe für diese Rückwirkung fehlten. 457 Auch in der Leitentscheidung VfSlg 12.186/1989 prüfte der VfGH nicht, welche Dispositionen die Steuerpflichtigen im Zeitraum der Rückwirkung getätigt haben könnten, s bereits Ruppe, FS Adamovich 578.
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rückwirkenden Einbeziehung ausländischer Kapitalerträge in die Körperschaftssteuer. Begründend meinte der VfGH, die Transaktionskosten einer solchen Veranlagung seien im Verhältnis zu den Kapitalerträgen, die dabei erzielt werden, „im Regelfall nicht derart erheblich […], daß der Gesetzgeber darauf aus Gründen der Sachlichkeit der Regelung Rücksicht nehmen müsste.“ Außerdem sei der Steuerpflichtige durch die Rückwirkung nur so gestellt, als hätte er sein Kapitalvermögen in vergleichbarer Weise im Inland veranlagt. Seine Erwartung, die Kapitalerträge, die ihm aus der Veranlagung im Ausland zufließen, würden ihm ohne steuerliche Belastung und somit unbeschränkt zur Verfügung stehen, sei überdies nicht besonders verfassungsrechtlich geschützt. Warum gerade diese Erwartung nicht schützenswert ist, führt der VfGH allerdings nicht aus458. Dennoch ist sein Standpunkt mE im Ergebnis richtig. Denn die Erwartung, dass die Rechtslage unverändert fortbesteht, genießt als solche überhaupt keinen verfassungsrechtlichen Schutz. Geschützt ist der Einzelne nur davor, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die Rechtslage getroffene Dispositionen im Nachhinein grundlos entwertet. Zu prüfen wäre daher im vorliegenden Fall gewesen, ob der Steuerpflichtige in Kenntnis der späteren Rechtsänderung anders disponiert hätte. Der VfGH scheint derartige Dispositionen letztlich wohl zu verneinen, wenn er – freilich wiederum unter dem Titel der Erheblichkeit des Eingriffes – am Ende feststellt, dass die inkriminierte Regelung „nicht etwa auf den Zeitpunkt der seinerzeitigen Veranlagung von Kapitalvermögen im Ausland zurückwirkt, sondern ausschließlich die im Jahr 1993 zugeflossenen Erträge aus einer solchen Veranlagung betrifft. Auch unter diesem Aspekt handelt es sich aber im vorliegenden Fall nicht um einen Eingriff von erheblichem Gewicht, durch den die Steuerpflichtigen in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht würden.“ Soweit die Erheblichkeit des Eingriffes in der Judikatur nicht tatbestandsbegründend ist (weil im Hinblick auf die Rechtslage getroffene Dispositionen zumindest denkbar sind), spielt das Gewicht des Eingriffes erst auf der Rechtfertigungsebene eine Rolle, also für die Frage, ob der Nachteil der Rückwirkung für den Einzelnen außer Verhältnis zu dem Ziel steht, das der Gesetzgeber mit der Rückwirkung verfolgt. Der Eingriff ist damit nach der Judikatur doppelfunktional, er kann – durch sein Gewicht – einerseits die Schutzwürdigkeit des Betroffenen an sich begründen und ist dann ein Tatbestandsmerkmal; andererseits ist er auf der Rechtfertigungsebene Teil eines beweglichen Systems, in dem Gründe und ____________________
458 VfSlg 14.515/1996, s dann auch die Kritik an dieser Entscheidung bei Lang, SWK 1996, A 527.
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Gegengründe miteinander abgewogen werden459. Die dadurch vorprogrammierte Vermengung verschiedener Argumentationsebenen wird in manchen Entscheidungen noch potenziert, so, wenn der VfGH einen Eingriff von erheblichem Gewicht mit der Begründung bejaht, es sei nicht auszuschließen, dass der Rechtsunterworfene im Vertrauen auf die rückwirkend geänderte Rechtslage disponiert hat460: Diese Argumentation reduziert die zwei alternativen Tatbestandsmerkmale der Disposition und der Erheblichkeit doch wieder aufeinander, was nicht nur dogmatisch, sondern auch in der Sache nicht schlüssig ist. Denn aus der Tatsache, dass jemand bestimmte Dispositionen getroffen hat, folgt keineswegs, dass ihn eine nachträgliche Entwertung dieser Dispositionen jedenfalls erheblich trifft. Mitunter werden Disposition und Erheblichkeit aber auch kumulativ bejaht, etwa im Erkenntnis VfSlg 13.020/1992, das einer rückwirkenden Vorschrift attestiert, dem Steuerpflichtigen „in einer ins Gewicht fallenden Weise [...] die Möglichkeit [genommen zu haben], sich in voller Kenntnis der steuerlichen Folgen seines Verhaltens“ zwischen zwei möglichen Dispositionen zu entscheiden. ME kommt es für die Schutzwürdigkeit des Rechtsunterworfenen nur darauf an, ob er in Kenntnis der späteren Rechtsänderung möglicherweise anders disponiert hätte; wie schwer der Nachteil wiegt, den er durch die Rückwirkung erlitten hat, wird erst auf der Rechtfertigungsebene bedeutsam. cc. Sachliche Rechtfertigung Greift eine rückwirkende Vorschrift in den Gleichheitssatz ein, weil sie in der Vergangenheit getroffene und irreversible Dispositionen nachträglich entwertet oder – wie die Judikatur überdies annimmt –, weil sie eine Erwartung des Rechtsunterworfenen mit erheblichen Folgen enttäuscht, so bedarf dies einer sachlichen Rechtfertigung, die schwerer wiegen muss als die Belastung, die dem Einzelnen dadurch entsteht461. Das Spektrum der hiefür in Betracht kommenden Eingriffsgründe ist an sich ____________________
459 S zB das Erkenntnis VfSlg 12.416/1990, in dem eine rückwirkende Regelung als geringfügiger Eingriff, zugleich aber als rechtfertigungsbedürftig betrachtet wird: Das Gewicht des Eingriffes ist in diesem Fall also nicht Tatbestandsvoraussetzung, sondern erst auf der Rechtfertigungsebene relevant. 460 VfSlg 16.022/2000. 461 Einen zu schwer wiegenden Eingriff nahm der VfGH im Erkenntnis VfSlg 15.887/ 2000 an, als die Gemeinden rückwirkend dazu ermächtigt wurden, Abgaben für Rundfunkwerbung nach dem Studioprinzip festzusetzen und zu erheben: „Eine Regelung [...], mit der – rückwirkend über einen Zeitraum von mehr als elf Jahren – in Rechtspositionen der Gebietskörperschaften, aber auch der Steuerpflichtigen eingegriffen wird und generelle Rechtsakte abgeändert werden, verstößt offenkundig [...] gegen das rechtsstaatliche Prinzip und das Gleichheitsgebot [...]“. Aufgehoben wurde diese Rückwirkung allerdings nicht, weil sie im Verfassungsrang erlassen und nicht baugesetzwidrig war.
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unbegrenzt. Besonders häufig nennt der VfGH als taugliche Rechtfertigung das Motiv, eine andere Gleichheitswidrigkeit zu vermeiden 462, zu Recht, treten diesfalls doch – nach Art einer internen Grundrechtskollision – zwei verfassungsrechtlich geschützte Interessen gegeneinander an: Sowohl das Interesse, keiner tatbestandsmäßigen Rückwirkung unterzogen zu werden, als auch das Interesse, keiner unsachlichen Ungleichbehandlung ausgesetzt zu sein, ist durch den Gleichheitssatz geschützt. Welchem dieser beiden Interessen der Gesetzgeber den Vorzug gibt, liegt in seinem Gestaltungsspielraum, solange die Vorteile der Rechtsbereinigung nicht außer Verhältnis stehen zu den Nachteilen, die die Rückwirkung mit sich bringt. In einem gewissen Spannungsverhältnis zu der Annahme, die Vermeidung einer Gleichheitswidrigkeit könne Rückwirkungen legitimieren, steht allerdings die weitere These des VfGH, der Gleichheitssatz lasse es nicht zu, einen Fehler im Bereich der Gesetzgebung ausschließlich zu Lasten der betroffenen Gruppe von Steuerpflichtigen zu beheben463. Gestützt auf diese Annahme verwarf der VfGH eine Regelung, die das Ausmaß des der Investitionsrücklage entsprechenden steuerfreien Betrages rückwirkend für das bereits abgelaufene Kalenderjahr verminderte464. Dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift einen Fehler (die versehentliche Nichteinbeziehung der Einnahmen-Ausgaben-Rechner in die Gesamtregelung) korrigieren wollte, rechtfertigte die Rückwirkung nach Ansicht des VfGH nicht. Dem Steuerpflichtigen sei nämlich in einer ins Gewicht fallenden Weise die Möglichkeit genommen worden, sich in voller Kenntnis der steuerlichen Folgen zwischen einer steuerbegünstigten Investition während des Kalenderjahres oder einer dem gleichen Zweck dienenden Rücklage zu entscheiden. Außerdem gebiete es der Gleichheitssatz weder, noch rechtfertige er es, einen dem Gesetzgeber unterlaufenen Fehler ausschließlich zu Lasten der betroffenen Gruppe von Steuerpflichtigen zu beheben. Die Rückwirkung sei aber auch nicht erforderlich gewesen, um eine andere Gleichheitswidrigkeit – nämlich die Bevorzugung der Einnahmen-Ausgaben-Rechner gegenüber Bilanzierenden – zu vermeiden: Zwischen diesen beiden Personengruppen bestünden nämlich wirtschaftliche Unterschiede, die deren ____________________
462 S zB VfSlg 12.322/1990: Dass der Gesetzgeber bei einer rückwirkenden Klarstellung des Inhaltes einer (hier die Bemessungsgrundlage der Getränkesteuer regelnden) Norm auch bereits rechtskräftig abgeschlossene Fälle in die Steuerpflicht einbezieht, wurde als zulässig qualifiziert; ganz abgesehen davon, dass die Rechtslage zuvor unklar war, sodass ein berechtigtes Vertrauen in sie nicht entstehen konnte. In VfSlg 12.639/1991 beanstandete der VfGH eine rückwirkende Kürzung der Studienbeihilfe nicht, weil diese nur eine Privilegierung bestimmter Beihilfeempfänger beseitigt hatte; s auch VfSlg 12.186/1989, 12.688/ 1991, 14.149/1995. 463 VfSlg 13.020/1992, 14.149/1995. 464 VfSlg 13.020/1992.
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„versehentlich herbeigeführte, befristete unterschiedliche Behandlung“ begründen könnten. Für die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung ist allerdings bedeutungslos, ob sie ganz bewusst oder – wie wohl in vielen Fällen – versehentlich vorgenommen worden ist465. Und es ist auch nicht zu sehen, warum eine Ungleichbehandlung eher gerechtfertigt sein sollte, nur weil sie kurzfristig besteht, zumal die Ungleichbehandlung zwischen Einnahmen-Ausgaben-Rechnern und Bilanzierenden im vorliegenden Fall gar nicht befristet vorgenommen, sondern erst nachträglich, wenn auch in kurzer Frist „entdeckt“ und dann revidiert worden ist. Fraglich wäre daher nur gewesen, ob die Bevorzugung der Einnahmen-Ausgaben-Rechner gegenüber den Bilanzierern zu rechtfertigen ist oder nicht. Fehlte es an einer solchen Rechtfertigung, dann könnte die Arglosigkeit des Gesetzgebers daran ebenso wenig ändern wie die Tatsache, dass dieser seinen Fehler nach kurzer Zeit eingesehen hat. Ob das Ansinnen des Gesetzgebers, diese unsachliche Ungleichbehandlung möglichst vollständig zu beheben, eine Rückwirkung rechtfertigen kann, ließe sich dann nur durch eine Abwägung der beteiligten gegenläufigen Interessen entscheiden. Das Motiv, einen legislativen Fehler zu korrigieren, muss also zwar nicht, kann aber mit dem Motiv zusammenfallen, eine Gleichheitswidrigkeit zu verhindern und sollte daher als Rechtfertigung für eine Rückwirkung nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Ein zulässiger Grund für eine Rückwirkung kann weiters das Bestreben des Gesetzgebers sein, ein durch die (bekannt gewordene) gesetzgeberische Absicht geradezu ausgelöstes, dieser Absicht aber zuwiderlaufendes Verhalten durch eine Rückwirkung zu vermeiden. Dementsprechend hat der VfGH etwa gebilligt, dass der Gesetzgeber die Absetzbarkeit von Aufwendungen zur Anschaffung von Genussscheinen und jungen Aktien rückwirkend einschränkte, um zu verhindern, dass sein unbedenkliches fiskalisches Ziel durch „Vorziehkäufe“ unterwandert wird466. Die Rückwirkung beschränkte sich dabei auf das zur Zielerreichung unbedingt Nötige und löste auch – da die Absetzbarkeit nur eingeschränkt, aber nicht ganz beseitigt wurde – einen frustrierten Aufwand in geringer Höhe aus. Unter Berufung auf diese Entscheidung lehnte der VfGH auch die Behandlung einer Beschwerde gegen die Anwendung einer Bestimmung ab, mit der der Gesetzgeber Umwandlungsverlusten rückwirkend die steuerrechtliche Relevanz abgesprochen hatte467; anders als in VfSlg 12.416/ 1990 hielten sich die durch die Rückwirkung frustrierten Aufwendungen ____________________
465 466 467
S dazu schon oben D.I.3.a. VfSlg 12.416/1990. VfGH 1.10.1991, B 1382/90.
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in diesem Fall allerdings nicht in engen Grenzen; ihre Zulässigkeit hätte daher einer eingehenderen Begründung bedurft468. Als unbedenklich qualifiziert wurde weiters eine Vorschrift, die der Rechtsprechung eines Höchstgerichts rückwirkend entgegentrat, die allerdings ihrerseits in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung ergangen ist, sodass noch kein schutzwürdiges Vertrauen entstanden war: Gerade vor dem Hintergrund einer Änderung höchstgerichtlicher Rechtsprechung könne, wie der VfGH meinte, eine den bisherigen Rechtszustand wieder herstellende, je nach Sachlage auch rückwirkende Reaktion des Gesetzgebers sogar durch die Wahrung des Vertrauensschutzes sachlich gerechtfertigt sein469. Schließlich hat der VfGH schon mehrfach ausgesprochen, dass das Ziel, den Staatshaushalt zu entlasten, an sich bestimmte Kürzungen rechtfertigen kann470. Gestützt auf das Vertrauen der Gemeinden in die Gemeinschaftsrechtskonformität der Getränkesteuer und die Verfügungsmöglichkeit über die daraus erzielten Abgabenerträge akzeptierte der VfGH dann auch in VfSlg 16.022/2000, dass der Gesetzgeber, nachdem sich die Gemeinschaftswidrigkeit der Getränkesteuer herausgestellt hatte, eine Rückerstattungspflicht der Gemeinden an den Steuerpflichtigen unter bestimmten Voraussetzungen ausschloss. Diese Reduktion des Rückzahlungsanspruches galt auch für Steuerschuldverhältnisse, die bereits vor der Kundmachung des Gesetzes entstanden sind. Sie hatte zur Folge, dass die als gemeinschaftswidrig erkannte Getränkesteuer von den Abgabepflichtigen nicht (wie diese erwartet hatten) in vollem Umfang, sondern nur teilweise zurückverlangt werden konnte. Kein zulässiger Grund für das rückwirkende Inkraftsetzen einer Regelung liegt nach VfSlg 10.091/1984 aber vor, wenn diese in der erweislichen oder doch vom Ergebnis her erschließbaren Absicht erfolgt, ein Gesetzesprüfungsverfahren zu vereiteln. Unzulässig ist eine Rückwirkung nach VfSlg 10.402/1985 auch, wenn sie ausschließlich bewirken soll, dass bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts anhängige Verfahren an Hand der geänderten Rechtslage beurteilt werden, sie also gezielt auf solche Verfahren beschränkt wird und damit einen verfassungswidrigen Eingriff in die Rechtsprechung dieser Gerichtshöfe darstellt. Nicht akzeptiert wurde in VfSlg 14.861/1997 als Grund für eine Rückwirkung auch das Erfordernis der Rechtssicherheit und das Streben nach Verwaltungsvereinfachung 471. ____________________
468 469 470 471
Kritisch zu dieser Entscheidung daher Ruppe, FS Adamovich 576. VfSlg 15.231/1998. S zB VfSlg 14.867/1997, 14.888/1997, 15.269/1998, 15.739/2000. Beide Motive konnten nicht rechtfertigen, dass Personen, die vor dem 1. Jänner 1992 keinen Grund gehabt hatten nachzuweisen, dass ihr Grundstück nicht land(forst)wirt-
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b. Vergleichbare Durchkreuzung getroffener Dispositionen Sieht man das entscheidende gleichheitsrechtliche Problem des rückwirkenden Gesetzes in der Tatsache, dass der Rechtsunterworfene in Kenntnis der später erlassenen Norm anders disponiert hätte, dann werden die Grenzen zwischen einer Norm, die an ein bereits verwirklichtes Verhalten im Nachhinein belastende Rechtsfolgen knüpft und einer Norm, die den Rechtsunterworfenen zunächst zu einer bestimmten Disposition gezielt ermutigt, ihm dann aber den dafür in Aussicht gestellten Vorteil verwehrt, fließend: Hier wie dort wird eine Disposition, die der Rechtsunterworfene im Hinblick auf die Rechtslage getroffen hat, durch eine Änderung der Rechtslage in ihrer Wirkung durchkreuzt, und zwar so, dass der Rechtsunterworfene – hätte er von dieser Änderung gewusst – anders gehandelt hätte472. aa. Zwingende Kausalität zwischen Vorteil und Disposition Im einzelnen sind auch hier verschiedene Abstufungen des Vertrauenstatbestandes denkbar: Der einfachste Fall liegt zweifellos vor, wenn der versprochene, dann aber vorenthaltene Vorteil conditio sine qua non für eine Disposition der Rechtsunterworfenen ist: Behielte sich der Gesetzgeber von allem Anfang an vor, den versprochenen Vorteil später doch nicht zu gewähren, dann würde realistischerweise niemand jene Anstrengungen unternehmen, die der Gesetzgeber zur Bedingung des Vorteils macht473. Wird dem Bürger dieser Vorteil dann ohne sachliche Rechtfertigung verwehrt, so verletzt dies den Gleichheitssatz. Ein derart eindeutiger Fall lag vor, als mehrere Unternehmer veranlasst durch ein Nachtfahrverbot für schwere Lkws ihren Fuhrpark auf – von diesem Verbot ausdrücklich ausgenommene – lärmarme Lkws umgestellt hatten. Dass dann auf einer wichtigen Durchzugsstraße ein Fahrverbot auch für lärmarme Lkws erlassen wurde, die durch die frühere Verordnung veranlassten Investitionen also frustriert worden sind, verletzte, wie der VfGH in VfSlg 12.944/1991 zu Recht feststellte, den allgemeinen Gleichheitssatz. Eine Gleichheitswidrigkeit konstatierte der VfGH auch, als der Gesetzgeber zunächst einen Anreiz schaffte, Rücklagen für energiewirtschaftlich erwünschte Investitionen zu bilden, deren Steuerfreiheit dann aber zurücknahm, bevor die Rücklagen hätten realisiert werden sollen474. Ausgehend von der Annahme, dass ____________________
schaftlich genutzt wird, nach diesem Zeitpunkt plötzlich einen Rechtsnachteil erleiden sollten, wenn sie diesen Nachweis nicht erbracht haben, sei es, dass ihnen für die vor diesem Datum liegenden Zeiten die Beweislast auferlegt wurde, sei es, dass ihnen die Möglichkeit, den Beweis zu erbringen, schlechthin genommen wurde. 472 S schon Ruppe, FS Adamovich 578; s auch Somek, Rationalität 522. 473 S schon Peine, Systemgerechtigkeit 279. 474 VfSlg 13.655/1993.
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die in Aussicht gestellte Begünstigung der einzige Grund für die Bildung der genannten Rücklage war, qualifizierte der VfGH die Plötzlichkeit, mit der die ursprünglich vorgesehene Verwendungsmöglichkeit beseitigt wurde, als gleichheitswidrig. Der Gesetzgeber hätte dem Rechtsunterworfenen zumindest Zeit geben müssen, seine Investitionsentscheidungen zu korrigieren. bb. Mögliche Kausalität zwischen Vorteil und Disposition Schwieriger zu beurteilen sind Fälle, in denen ein in Aussicht gestellter Vorteil für den Rechtsunterworfenen kein zwingender, sondern nur einer von mehreren möglichen Gründen ist, um ein bestimmtes Verhalten zu setzen. Mit einem derart mittelbaren Kausalzusammenhang begnügte sich der VfGH, als eine Firmenwertabschreibung im Fall des vorbereitenden Anteilserwerbs abrupt und vollständig beseitigt wurde475. Der Gesetzgeber wollte mit der Gewährung dieses Abschreibpostens eine steuerlich attraktive Alternative zum direkten Betriebserwerb eröffnen. Dass dieser Vorteil – wie rechtliche Rahmenbedingungen überhaupt – nur einer von mehreren Bestimmungsfaktoren für unternehmerisches Handeln sei, gestand der VfGH dabei zu; ihm genügte aber für die Begründung einer geschützten Position, dass die Steuerpflichtigen, wäre ihnen die vorzeitige Beseitigung der Firmenwertabschreibung bekannt gewesen, möglicherweise einen anderen Weg des Betriebserwerbes eingeschlagen hätten476. Auch den Wegfall der begünstigten Abschreibung eines Assanierungsaufwandes aufgrund des StadterneuerungsG wertete der VfGH als einen Eingriff in den Vertrauenstatbestand, weil „Assanierungen in erheblichem Ausmaß anstelle einer wirtschaftlich günstigeren Investition ausschließlich im Hinblick auf die im öffentlichen Interesse gewährte Steuerbegünstigung in Angriff genommen worden [sind]“477. Gleich beurteilt wurde auch eine Regelung, die die Übertragung stiller Reserven auf die Anschaffungskosten von Finanzanlagen für das bereits abgelaufene Kalenderjahr ausschloss. Angesichts der Bedeutung der damit zurückgenommenen Steuerstundung war, wie der VfGH annahm, jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Steuerpflichtigen bei Geltung (und Kenntnis) dieser Einschränkung entweder ____________________
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VfSlg 15.739/2000. Dass die Absetzmöglichkeit, die seinerzeit gezielt auf die Fälle des vorbereitenden Anteilserwerbes ausgedehnt worden war, in der Folge, nachdem die Steuerpflichtigen von dem neu eröffneten Weg Gebrauch gemacht hatten, für „Altfälle“ schlagartig und vollständig beseitigt worden ist, konnte dann allein durch budgetäre Erwägungen nicht mehr gerechtfertigt werden. 477 VfSlg 15.373/1998. Aufgehoben wurde die inkriminierte Regelung dann allerdings nicht, weil sie im Verfassungsrang erlassen worden ist, ohne eine Gesamtänderung der Bundesverfassung herbeizuführen. 476
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die Veräußerung unterlassen oder an Stelle der Anschaffung von Finanzanlagen andere, zulässige Wege der Neutralisierung eingeschlagen hätten. Die fragliche legistische Maßnahme wurde daher als Erschütterung eines berechtigten Vertrauens angesehen478. Unter derart besonderen Umständen muss dem Rechtsunterworfenen, wie der VfGH ganz allgemein annimmt, „zur Vermeidung unsachlicher Ergebnisse Gelegenheit gegeben werden, sich rechtzeitig auf die neue Rechtslage einzustellen“479, seine bisher getroffenen Dispositionen also zu korrigieren. Denn der Gesetzgeber sei zwar prinzipiell frei, die gegebene Rechtslage zum Nachteil des Normunterworfenen zu ändern, diese Freiheit darf allerdings „nicht dazu mißbraucht werden, demjenigen, der sich im gewünschten Sinn verhalten und einen beträchtlichen Aufwand gesetzt hat, die verheißenen Vorteile schlechthin zu versagen.“480 Dass sich der Normunterworfene „im gewünschten Sinn“ verhalten hat, bildet wohl den entscheidenden Unterschied zu jenen Erkenntnissen, in denen ein möglicher Kausalzusammenhang zwischen Vorteil und Disposition nicht genügte, um eine schutzwürdige Position zu begründen. In VfSlg 13.657/1993 beanstandete der VfGH nicht, dass die Möglichkeit, in Wertpapiere angelegte Investitionsrücklagen steuerfrei aufzulösen, beseitigt worden war. Der Gesetzgeber hatte Angehörigen der freien Berufe durch diese Steuerfreiheit die Möglichkeit bieten wollen, Mittel für eine angemessene Alters- und Berufsunfähigkeitsversorgung steuerbegünstigt anzusparen, weil für diese Versorgung keine Mittel des Bundeshaushaltes in Anspruch genommen werden. Durch die Beseitigung dieser Steuerfreiheit wurde jedoch, wie der VfGH meinte, nicht an ein früher gesetztes Verhalten (die Bildung von Investitionsrücklagen) nachträglich eine belastende Rechtsfolge geknüpft, sondern nur die Hoffnung enttäuscht, dass sich künftig ein Rechtsvorteil einstellen werde. Dass die Rechtsunterworfenen in Kenntnis dieser Änderung anders disponiert hätten, sei nicht bedeutsam; der Rechtsunterworfene müsse stets im Hinblick auf die gel____________________
478
VfSlg 16.850/2003. ZB VfSlg 14.868/1997. 480 VfSlg 15.739/2000 unter Hinweis auf die Vorjudikatur. Dies gilt nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die Vollziehung: Dementsprechend widerspricht es, wie der VfGH zutreffend festgestellt hat, dem auch von den Verwaltungsbehörden auf Grund des Gleichheitssatzes zu beachtenden Prinzip von „Treu und Glauben“, wenn die Behörde eine Eingabe als (grob) mangelhaft erachtet, obgleich sich der Einschreiter eines von ihr selbst aufgelegten und von ihm ordnungsgemäß ausgefüllten Formulares bedient: VfSlg 13.496/1993. Räumt eine Behörde aber jemandem gesetzwidrig eine Frist zur Verbesserung eines nicht behebbaren Mangels ein, dann kann die Annahme dieser Verbesserung unter Berufung auf den Gleichheitssatz nicht erzwungen werden: VfSlg 16.735/2002. S allgemein und grundsätzlich zur vertrauensschützenden Funktion des Verwaltungsverfahrens mwN Berka, FS Adamovich 22 ff; Walzel von Wiesentreu, JAP 1999/2000, 9 f; Schuch, Treu und Glauben 317 ff. 479
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tende Rechtslage disponieren und sei immer wieder damit konfrontiert, dass sich die Rechtslage auch zu seinem Nachteil ändert. Keine tatbestandsmäßige Vertrauensverletzung nahm der VfGH auch an, als die Möglichkeit, bestimmte Rentenzahlungen als Sonderausgaben von der Einkommensteuer abzuziehen, beseitigt wurde. Die ursprüngliche Rechtslage hatte zwar, wie der VfGH bemerkte, zur Folge, dass die Steuerpflichtigen bei Abschluss bestimmter Rentenverträge von bestimmten steuerlichen Konsequenzen ausgehen konnten; dass der Steuergesetzgeber bestimmte Verhaltensweisen geradezu angeregt und gefördert hat, sei aber keineswegs der Fall. Unter diesen Umständen liege es aber im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers, die Rechtslage für die Zukunft anders und auch ungünstiger zu gestalten481. Die Unterscheidung zwischen Dispositionen, die schützenswert und solchen, die das nicht sind, richtet sich damit letztlich nach der Intention des Gesetzgebers: Setzt dieser gezielt einen Anreiz, um den Normunterworfenen zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, dann ist derjenige, der auf dieses „Angebot“ reagiert, schützenswert. Regelmäßig wird der Gesetzgeber dabei ein öffentliches Interesse realisieren, etwa (wie in den geschilderten Fällen) die Bevölkerung vor der Lärmbelästigung durch Lkws schützen, die Assanierung beschleunigen, energiewirtschaftlich wünschenswerte Maßnahmen finanzieren oder aus volkswirtschaftlichen Gründen den Erwerb neuer Betriebe fördern wollen. Erklärt sich der Einzelne bereit, zur Erreichung eines solchen im Allgemeinwohl gelegenen Zieles beizutragen, dann darf ihm der dafür in Aussicht gestellte Vorteil nicht ohne triftigen Grund verwehrt werden482. Anderes gilt, wenn der Gesetzgeber ein Verhalten, das (wie etwa die Investition in eine Altersvorsorge) für den Rechtsunterworfenen selbst günstig ist, mit einem zusätzlichen Vorteil verbindet: Die Beseitigung dieses Vorteils bedarf dann keiner Rechtfertigung, denn sie nimmt nur eine Erleichterung weg, macht die Dispositionen des Rechtsunterworfenen aber nicht wertlos und legt ihm insbesondere kein „hinterlistiges“ Sonderopfer im Interesse der Allgemeinheit auf. cc. Einführung neuer Belastungen Der VfGH hat, wie gezeigt, unter dem Titel der wohlerworbenen Rechte eine Vertrauensverletzung in Einzelfällen auch dann angenommen, wenn auf den Rechtsunterworfenen durch die Einführung oder Erhöhung einer Abgabe neue finanzielle Belastungen zukommen483. Diese Entscheidungen überzeugen aus den bereits dargelegten Gründen nicht, und sind ____________________
481 482 483
VfSlg 17.169/2004. So wohl auch Lienbacher, Investitionsentscheidungen 145. VfSlg 16.754/2002 (Unfallrentenbesteuerung).
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auch nicht vereinbar mit dem Standpunkt des VfGH, dass das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der gegebenen Rechtslage keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genieße und der Gesetzgeber frei sei, die Rechtslage für die Zukunft anders und auch ungünstiger zu gestalten484. Dass der Gesetzgeber in das Eigentum des Rechtsunterworfenen eingreift, verletzt nicht schon deshalb den Gleichheitssatz, weil der Rechtsunterworfene mit einem solchen Eingriff nicht gerechnet hat: Fraglich ist in einem solchen Fall nur, ob die Belastung für sich genommen verhältnismäßig (und daher mit dem Grundrecht auf Eigentum vereinbar) und ob sie gemessen an den Belastungen, die anderen Personen auferlegt werden, gleichheitskonform ist. Ob der Rechtsunterworfene mit dieser Belastung gerechnet hat oder nicht, ist hier wie dort irrelevant. Dass eine bestimmte Gruppe von Dienstnehmern in der Vergangenheit nicht in die Arbeitslosenversicherung einbezogen worden ist, verschafft ihr daher aus der Sicht des Gleichheitssatzes kein Recht darauf, auch in Zukunft versicherungsfrei zu bleiben485. Die Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung darf gewiss nicht willkürlich vorgenommen werden, sie muss also begründbar sein, dies aber nicht, weil der Dienstnehmer in der Vergangenheit versicherungsfrei war, sondern weil die Einbeziehung in eine Versicherungsgemeinschaft mit Beitragspflichten und damit auch mit Eingriffen in das Eigentum verbunden ist486. Zu dem Risiko, das mit Blick auf unbekannte zukünftige Entwicklungen der Rechtsordnung hinzunehmen ist, rechnete der VfGH zu Recht auch die Verlängerung der Spekulationsfrist nach dem EStG von fünf auf zehn Jahre. Daran änderte nichts, dass dies Rechtsunterworfene, die ein Grundstück in der Absicht erworben hatten, es nach mehr als fünf, aber weniger als zehn Jahren wie____________________
484
S zB VfSlg 13.461/1993, 13.657/1993, 14.779/1997, 14.868/1997, 16.687/2002. S das Erkenntnis VfSlg 14.842/1997, in dem der VfGH zutreffend feststellt: „Enttäuscht worden ist die Hoffnung, daß die aufgrund der gegebenen Rechtslage bestehende Versicherungsfreiheit weiterhin aufrecht bleibt. Eine solche Enttäuschung kann aber jede Änderung der Rechtslage bewirken.“, dann aber mE missverständlich fortsetzt: „Stets werden Dispositionen unter Bedachtnahme auf die geltende Rechtslage getroffen und durch deren Verschlechterung in ihren Auswirkungen nachteilig beeinflußt“ – die bisher von der Arbeitslosenversicherung ausgenommenen Dienstnehmer hatten im Hinblick auf ihre Versicherungsfreiheit wohl gerade keine Dispositionen getroffen. Ein Problem des Vertrauensschutzes bejahend hingegen Walzel von Wiesentreu, ÖJZ 2000, 10; kritisch zu dieser Entscheidung auch Tomandl, ZAS 2000, 135; die Entscheidung VfSlg 14.842/ 1997 bestätigend VfSlg 15.366/1998. 486 Unter diesem Aspekt war im Erkenntnis VfSlg 14.842/1997 zu prüfen, ob es zulässig ist, Dienstnehmer, die unkündbar sind, in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen, sie also gegen ein Risiko zu versichern, das sich bei ihnen – so die Behauptung der Beschwerdeführer – nicht verwirklichen kann. Der VfGH bejahte die Zulässigkeit unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung, nach der im Sozialversicherungsrecht der Grundsatz der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung nicht gelte; zudem seien die in die Versicherung einbezogenen Arbeitnehmer vor dem Risiko der Arbeitslosigkeit nicht gänzlich gefeit. 485
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der zu verkaufen, in ihrer Erwartung enttäuschte, dieser Verkauf werde nicht als Spekulationsgeschäft bewertet und daher steuerfrei bleiben487. Kein Problem des Dispositionsschutzes lag mE auch vor, als der Gesetzgeber Versicherten für die Ansprüche ihrer Angehörigen einen Zusatzbeitrag in der Krankenversicherung auferlegte488. Der VfGH gab hier seine bisherige Judikatur zum Schutz wohlerworbener Rechte wieder, freilich ohne klarzulegen, welche Rechte hier wohlerworben wurden: Dass der Versicherte tatsächlich einen verfassungsgesetzlich geschützten Anspruch darauf hat, seine Angehörigen auf alle Ewigkeit beitragsfrei mitzuversichern, kann doch nicht ernsthaft angenommen werden. Durch welche Leistungen hätte er einen solchen Anspruch denn erwerben sollen? Und warum sollte er darauf vertrauen dürfen, dass die Allgemeinheit (soweit der Staat einen Zuschuss zur Krankenversicherung leistet) bzw die Versicherungsgemeinschaft (soweit deren Versicherungsbeiträge verwendet werden) weiterhin die Kosten für die Versicherung seiner Angehörigen trägt? Gewiss darf der Gesetzgeber die Tragung dieser Kosten aus familienpolitischen Gründen in der genannten Weise streuen; ob er dies tut oder nicht, ist aber eine rechtspolitische Frage. Es muss ihm daher ebenso erlaubt sein, diese Kosten nicht mehr der Gemeinschaft, sondern demjenigen aufzulasten, der dem mitversicherten Angehörigen am nächsten steht – einer Rechtfertigung bedarf eine solche Entscheidung des Gesetzgebers also gerade nicht. Auch der VfGH sah die Umwandlung der beitragsfreien in eine beitragspflichtige Mitversicherung zwar im Ergebnis als zulässig an; er meinte sogar zunächst, dass einer solchen Umwandlung „kein prinzipielles verfassungsrechtliches Hindernis“489 entgegenstehe, führte dann aber doch als Rechtfertigung für diesen „Eingriff […] in bestehende Rechtspositionen“ an, dass der Gesetzgeber das Defizit der Krankenversicherung habe vermindern wollen und dass die zu diesem Zweck angeordnete zusätzliche Beitragsbelastung von 3,4% der Beitragsgrundlage nicht schwerwiegend sei. Zutreffend aus der anderen Richtung argumentierte der VfGH hingegen in einer strukturell ähnlich gelagerten Situation, als sich der Gesetzgeber nämlich dazu entschloss, das System der Entgeltfortzahlung umzustellen: Er beseitigte den bis dahin bestehenden Erstattungsanspruch des Arbeitgebers gegenüber den Trägern der Krankenversicherung und übertrug die Belastung der Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung damit künftig dem einzelnen Arbeitgeber490: Zu Recht betonte der VfGH in ____________________
487 488 489 490
VfSlg 13.461/1993. VfSlg 16.381/2001. Hervorhebungen nicht im Original. VfSlg 16.546/2002.
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diesem Zusammenhang, dass es im Ermessen des einfachen Gesetzgebers liege, ob er die Belastung der Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung dem einzelnen Arbeitgeber auferlegt oder ob er diese Arbeitgeberpflicht durch eine versicherungsähnliche Konstruktion solidarisch auf die Arbeitgeber insgesamt verteilt; es sei auch unbedenklich, wenn der Gesetzgeber von einem System zum anderen übergeht. Abschließend meint der VfGH dann aber doch wieder, er hege gegen die Systemumstellung auch unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes keine Bedenken, weil der Gesetzgeber eine dreimonatige Übergangsfrist eingeräumt habe, die es den Betroffenen ermögliche, sich auf die geänderte Situation einzustellen. Sieht man davon ab, dass diese Dreimonatsfrist wie ein Feigenblatt wirkt, so fragt sich auch hier, worauf sich dieses, als schützenswert postulierte Vertrauen eigentlich gründet: Denn dass die Arbeitgeber durch die bis dahin geltende solidarische Tragung der Entgeltfortzahlung ein Recht „wohlerworben“ haben, das unter dem Schutz der Verfassung steht, kann doch kaum behauptet werden. Und es ist zwar denkbar, dass der Arbeitgeber sich auf die Systemumstellung und die dadurch möglicherweise anfallenden Mehrkosten einrichten können will. Nur wird er dieses Bedürfnis – wie jeder andere Rechtsunterworfene auch – ganz allgemein immer dann haben, wenn ihm eine zusätzliche Vermögenslast auferlegt wird, also auch dann, wenn Steuern oder Gebühren erhöht oder neu geschaffen werden: Dass Abgaben und Gebühren ganz allgemein nur unter Setzung einer Übergangsfrist eingeführt oder erhöht werden dürfen, hat aber auch der VfGH zu Recht nie angenommen491. Anders lagen die Dinge aber, als der Gesetzgeber die Vermögensbesteuerung von Kapitalgesellschaften kurzerhand verzehnfachte. Diese Steuererhöhung wirkte zwar nur für die Zukunft; doch sie „entwertete“, wie Novak treffend festgestellt hat, die Existenz von Kapitalgesellschaften „im ganzen“ und war daher gleichheitswidrig492. Das leuchtet ein; wer eine solche Kapitalgesellschaft gegründet hat, kommt durch eine derart radikale Steuererhöhung in der Tat in eine ausweglose Situation; ihm müsste zumindest die Zeit gegeben werden, diese Kapitalgesellschaft ohne Schaden wieder aufzugeben. ____________________
491 S etwa VfSlg 14.779/1997, wo die Einführung eines neuen Abgabentatbestandes als unbedenklich qualifiziert wird: „[...] [es ist] aus der Sicht des Gleichheitssatzes nicht zu beanstanden, wenn in Fällen, in denen – aus welchen Gründen immer – bisher noch kein Aufschließungsbeitrag entrichtet wurde, die Abgabe gestützt auf den neuen Abgabentatbestand in vollem Umfang zur Entrichtung vorgeschrieben wird“; s auch VfSlg 14.868/ 1997, wonach die Erhöhung der Sicherheitsabgabe zwar für denjenigen, der sie tragen muss, eine Verschlechterung der Rechtslage darstellt; das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der gegebenen Rechtslage genieße jedoch als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. 492 Vgl Novak, FS Wenger 172, sowie VfSlg 8233/1978.
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c. Zusammenfassung Der allgemeine Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen ein Recht, nicht für Umstände benachteiligt zu werden, die sich seiner Disposition entziehen und damit auch ein Recht, dass Dispositionen, die er im Vertrauen auf die Rechtslage getroffen hat, nicht nachträglich frustriert werden. Dieses Recht ist nicht komparativ: Die Benachteiligung für indisponible Umstände ist nicht deshalb bedenklich, weil sie diesen trifft und jenen nicht, sie ist an sich bedenklich. Zutreffend begründet daher auch der VfGH den gleichheitsrechtlichen Vertrauensschutz im Regelfall nicht komparativ; er nimmt der Sache nach vielmehr an, dass die Frustration bereits getroffener Dispositionen prima facie bedenklich ist, also einer Rechtfertigung bedarf, die zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet und erforderlich ist und auch nicht außer Verhältnis steht zu dem Nachteil, den die Frustration für den Rechtsunterworfenen bewirkt. Unklarheit herrscht in der Judikatur allerdings darüber, was den gleichheitsrechtlichen Schutz eigentlich auslöst und in weiterer Folge auch, wann eine Maßnahme in den Gleichheitssatz „eingreift“, welche Merkmale also den Tatbestand des Vertrauensschutzes konstituieren. In manchen Entscheidungen nimmt der VfGH zutreffend an, dass der Rechtsunterworfene nur dann schutzwürdig ist, wenn er im Vertrauen auf die Rechtslage Dispositionen getroffen hat oder bei einer Durchschnittsbetrachtung hätte treffen können. In anderen Entscheidungen scheint sich der Gerichtshof damit zu begnügen, dass der Rechtsunterworfene einen bestimmten Rechtsvorteil nur „erwartet“ hat, ohne dass es darauf ankäme, ob er im Hinblick auf diese Erwartung auch disponiert hat. Regelmäßig verlangt der VfGH dann überdies, dass die Enttäuschung dieser Erwartung von erheblichem Gewicht ist. Er versucht also, den qualitativ zu weit gefassten Vertrauenstatbestand durch ein quantitatives Kriterium wieder einzugrenzen, was dogmatisch nicht überzeugt: Erwartungen und Vorstellungen des Rechtsunterworfenen allein sind noch nicht schutzwürdig und werden es auch nicht dann, wenn die Enttäuschung darüber, dass sich eine Erwartung nicht realisiert hat, erheblich ist. Schutzwürdig ist der Rechtsunterworfene vielmehr nur dann, wenn er ein Verhalten in der Annahme gesetzt hat, dass die gesetzlich daran geknüpfte Rechtsfolge eintritt. Bewertet der Gesetzgeber dieses Verhalten im Nachhinein und zum Nachteil des Betroffenen neu, ohne dass dieser die Möglichkeit hat oder von Gesetzes wegen erhält, seine Dispositionen zu korrigieren, so bedarf dies einer Rechtfertigung. Das kann zum einen bei rückwirkenden Gesetzen der Fall sein, dann aber auch, wenn der Gesetzgeber den Rechtsunterworfenen zu einem bestimmten Verhalten gezielt ermutigt, indem er ihm dafür pro futuro einen Vorteil verspricht, ihm
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diesen Vorteil dann aber vorenthält. Die Abgrenzung zwischen geschützten und nicht schützenswerten Dispositionen kann dabei im Einzelfall schwierig sein. Jedenfalls schutzwürdig sind Dispositionen, die ohne den versprochenen Vorteil nicht gesetzt worden wären. Schutzwürdig sind aber auch Dispositionen, für die der verheißene Vorteil ein mitausschlaggebendes Moment war und die der Gesetzgeber gezielt veranlasst hat, weil sie einem öffentlichen Interesse dienen.
IX. Zusammenfassung Der allgemeine Gleichheitssatz steht in enger Verbindung zum rechtsstaatlichen Prinzip. Er wiederholt leitende Gedanken dieses Baugesetzes und bewehrt sie mit einem subjektiven Recht; die das rechtsstaatliche Prinzip konstituierenden Verfassungsbestimmungen ziehen dem Gleichheitssatz aber auch Grenzen. Aus dem objektiv-rechtlichen Charakter des Art 18 B-VG folgt zunächst in Verbindung mit Art 131 B-VG, dass die Vollziehung den Gleichheitssatz nicht durch jede, sondern nur durch eine qualifiziert gesetzwidrige Rechtsanwendung verletzt. Ein solcher Fehler liegt, wie der VfGH in seiner älteren Judikatur treffend festgestellt hat, vor, wenn sich die Behörde „über das Gesetz hinwegsetzt, anstatt ihm zu dienen“. Die Behörde wendet also nicht bloß das konkrete Gesetz unrichtig an; sie ignoriert vielmehr das Gesetz an sich und damit auch die Grundaussage des Gleichheitssatzes, dass jeder unter dem Gesetz, niemand über ihm und keiner außer ihm stehen kann – die Behörde übt Willkür im wörtlichen Sinn: Ihr Wille, nicht der Wille des Gesetzgebers soll den Ausschlag geben493. Keine Willkür liegt daher – anders als die jüngere Judikatur annimmt – vor, wenn ein Bescheid seine Grundlage nachträglich verliert, weil der Gesetzgeber die Rechtslage rückwirkend ändert, ebenso wenig, wenn die Rechtsauslegung einer Behörde der Judikatur des VwGH entspricht494, und schließlich auch nicht, wenn sich ein Bescheid auf ein Gesetz stützt, das sich, ohne dass dies für die Behörde erkennbar war, nachträglich aufgrund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts als unanwendbar erweist495: In keinem dieser Fälle kann der Behörde ernstlich vorgeworfen werden, sie habe ihren Willen über den des Gesetzes gestellt. Anerkennt man, dass die Achtung des Gesetzes gerade die zentrale Forderung des Gleichheitssatzes ist, kann es im Unrecht keine Gleichheit geben: Der ____________________
493 494 495
H.II.1. H.II.1. H.II.4.
Zusammenfassung
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Gleichheitssatz vermittelt daher, wie auch der VfGH annimmt, niemandem einen Anspruch darauf, ebenso wie ein anderer gesetzeswidrig behandelt zu werden496. Wendet die Behörde ein gleichheitswidriges Gesetz an, so handelt sie zwar gesetzmäßig; dennoch verletzt ihr Bescheid den Gleichheitssatz, weil er die im Gesetz wurzelnde Gleichheitswidrigkeit für den Rechtsunterworfenen nur konkretisiert497. Dem gleichzuhalten ist es nach der zutreffenden Judikatur, wenn eine Behörde einer Norm fälschlich – ob vorwerfbar oder nicht – einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt; nicht hingegen – was die Judikatur nicht immer zureichend beachtet –, wenn die Behörde einer Norm einen Inhalt unterstellt, der aus anderen Gründen verfassungswidrig ist498. Über Art 18 B-VG hinausgehende Anforderungen stellt der Gleichheitssatz an die Vollziehung, wenn ein Gesetz der Behörde erkennbar einen Entscheidungsspielraum eröffnet. Diesfalls muss die Behörde die fehlenden Vorgaben des Gesetzes durch verallgemeinerbare Entscheidungsgründe ausfüllen und diesen – förmlich oder auch bloß gedanklich festgelegten – Richtlinien folgen. Weicht sie punktuell von ihrer Entscheidungspraxis ab, so bedarf dies einer sachlichen Rechtfertigung, andernfalls verletzt die Behörde den Gleichheitssatz. Der VfGH anerkennt dies nur in Ansätzen und auch nur theoretisch; regelmäßig schneidet er einen Vergleich mit anderen Fällen durch die Feststellung ab, es komme für die Gleichheitskonformität eines Bescheides nicht darauf an, „wie die Behörde in anderen gleich gelagerten Fällen vorgegangen ist“499. Zu Recht meint der VfGH allerdings, dass eine Änderung der Behördenpraxis für sich allein niemals den Gleichheitssatz verletzt500: Eine Praxis insgesamt aus sachlichen Gründen zu ändern, etwa weil sich eine Kurskorrektur als notwendig erweist, ist der Behörde durch den Gleichheitssatz nicht verwehrt. An eine einmal gewählte Verwaltungspraxis ist nicht nur jeder weisungsabhängige Organwalter für sich prima facie gebunden, sondern die nach außen in Erscheinung tretende Behörde als solche. Auf institutionelle Grenzen stößt der Gleichheitssatz allerdings, wenn die Mitglieder ein und derselben Behörde an keine Weisungen gebunden sind oder wenn in einer Instanz mehrere weisungsunabhängige Behörden entscheiden501. Viel offensichtlicher rechtssetzend als bei Ermessenrichtlinien wird eine Behörde, wenn sie Verordnungen erlässt. Als generelle Norm ist die Verordnung un____________________
496 497 498 499 500 501
H.II.5. H.II.2. H.II.3. H.III.1.a. H.III.1.b. H.III.1.c.
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ter den selben Voraussetzungen gleichheitswidrig wie ein Gesetz; als Verwaltungsakt verletzt sie den Gleichheitssatz, wenn sie sich über das Gesetz hinwegsetzt oder eine im Gesetz angelegte (oder diesem unterstellte) Gleichheitswidrigkeit näher konkretisiert502. Zusammengefasst vermittelt der Gleichheitssatz dem Einzelnen ein Recht darauf, dass sich die Vollziehung ihm gegenüber nicht über das Gesetz schlechterdings hinwegsetzt; dass sie dem Gesetz keinen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt; dass sie das Gesetz, soweit es ihr Spielräume belässt, nur durch Entscheidungsrichtlinien und Verordnungen ausfüllt, die Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln, und dass sie von ihrer Entscheidungspraxis nicht ohne sachlichen Grund abweicht oder sie ändert. Der Gleichheitssatz vermittelt hingegen kein Recht darauf, dass ein geltendes und anwendbares Gesetz unangewendet bleibt, und zwar auch dann nicht, wenn dieses Gesetz bereits anderen Rechtsunterworfenen gegenüber außer Acht gelassen worden ist. Selbst ein gleichheitswidriges Gesetz muss die Behörde anwenden; der davon Betroffene hat dann allerdings das Recht, diesen Vollziehungsakt als gleichheitswidrig zu bekämpfen und gegebenenfalls einen neuen Vollziehungsakt zu erwirken, der auf einer gleichheitskonformen Norm beruht. Für den Gesetzgeber ist dem allgemeinen Gleichheitssatz schon aus systematischen Erwägungen kein Determinierungsgebot zu entnehmen. Nicht ausreichend bestimmte Vorschriften verletzten daher, anders als der VfGH bisweilen annimmt, nur Art 18 B-VG. Soweit der Inhalt einer Norm unklar ist, kann die Frage nach ihrer Gleichheitskonformität sinnvoll weder gestellt noch beantwortet werden503. So wenig der Gleichheitssatz das Determinierungsgebot des Art 18 B-VG verdoppelt, so wenig ersetzt er auch eine durch Art 18 B-VG gebotene Determination. Er kann nur zur Konkretisierung jener Spielräume herangezogen werden, die das Gesetz der Behörde im Einklang mit Art 18 B-VG belässt. Die gleichheitsrechtlich gebotene Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles findet ihrerseits eine Grenze an Art 18 B-VG; keinesfalls zwingt sie den Gesetzgeber dazu, der Behörde im Interesse einer „Einzelfallgerechtigkeit“ völlig freie Hand zu lassen504. Ein Grenzfall zwischen mangelnder Determinierung und Gleichheitswidrigkeit liegt vor, wenn der Eintritt einer Rechtsfolge von Zufällen oder manipulativen Umständen abhängt, also von rein externen Faktoren, die zudem nicht durch das Gesetz vorherbestimmt sind. Zutreffend qualifiziert der VfGH solche Normen als gleichheitswidrig. Die Grenze zu jenen – unbedenklichen – Fällen, in denen ein ____________________
502 503 504
H.III.2. H.IV.1. H.IV.2.
Zusammenfassung
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Gesetz nur missbräuchlich vollzogen und manipuliert werden kann, bleibt dabei allerdings unklar; sie wäre nach denselben Kriterien zu ziehen, die für die Zulässigkeit von Durchschnittsbetrachtungen und verwaltungsökonomisch motivierten Vergröberungen gelten: Manipulationsmöglichkeiten müssen hingenommen werden, wenn sie legistisch unvermeidbar sind, auf atypische Fallkonstellationen beschränkt bleiben und nicht unverhältnismäßig schwer in das Recht des Einzelnen eingreifen, dem der Norm eigentlich zugrunde liegenden Differenzierungsschema entsprechend behandelt zu werden505. Aus der Tatsache, dass das Gesetz in einem Rechtsstaat für jedermann gilt, folgt in Verbindung mit den Kundmachungsvorschriften des B-VG ferner, dass der Zugang zum Recht streng egalitär und differenzierungsfeindlich ist. Der Gleichheitssatz leistet dem rechtsstaatlichen Prinzip hier Flankenschutz506: Er verbietet es zB, den Zugang zu Quellen, die das Recht erläutern und verbindlich konkretisieren, auf bestimmte Personengruppen zu beschränken, oder den Eintritt einer Rechtsfolge davon abhängig zu machen, ob der Bürger den Inhalt einer Norm schon vor ihrer Kundmachung durch Spezialinformationen kannte. Gleichheitsprobleme werfen auch schwer verständliche Vorschriften auf, weil sie elitäres Recht schaffen, das nicht jedem, sondern nur einem Teil der Bürger zugänglich ist507. Ebenso bedenklich ist es, Verhaltenspflichten unter Voraussetzungen zu statuieren, deren Vorliegen für einen Teil der Normadressaten nicht erkennbar ist. In einem Rechtsstaat muss auch der Zugang zu einem generell-abstrakt bestimmten Richter streng egalitär und eine Manipulation der Rechtsdurchsetzung durch Ad-hoc-Gerichte ausgeschlossen sein. Dies garantiert in Österreich Art 83 Abs 2 B-VG, der sich als Spezialgarantie in den Dienst der Gleichheit vor dem Gesetz stellt und jede gesetzwidrige Rechtsschutzverweigerung oder Kompetenzanmaßung untersagt508. Dass dem Bürger überhaupt ein Rechtsweg offen steht und dass er an einer bestimmten Rechtssache als Partei mitwirken kann, garantiert Art 83 Abs 2 B-VG hingegen nicht, wohl aber stellt die übrige Grundrechtsordnung Parteirechte in vielfältiger Weise sicher: Greift ein Bescheid durch die Gestaltung oder Feststellung von Rechten und Pflichten in ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Freiheitsrecht ein, so kann der hievon Betroffene seine Parteistellung schon aus dem jeweils beschränkten Freiheitsrecht selbst ableiten; der in der Judikatur übliche Rekurs auf den Gleichheitssatz ist ____________________
505 506 507 508
H.IV.3. H.V.1. H.V.2. H.VI.1.
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Gleichheit und Rechtsstaat
dafür nicht erforderlich, ebenso wenig der in der Literatur oft eingemahnte Rückgriff auf das rechtsstaatliche Prinzip. Nicht hilfreich ist das rechtsstaatliche Prinzip auch, wenn ein Bescheid Rechte oder Pflichten einer Person gestaltet oder feststellt, ohne in deren Freiheitsrechte einzugreifen. Ein subjektives Recht, das dem Einzelnen in diesen Fällen Parteirechte sichert, vermittelt nur der Gleichheitssatz: Er verschafft dem Rechtsunterworfenen, wie schon früher gezeigt509, ein Prima-facie-Recht, dem einer generellen Norm zugrunde liegenden Differenzierungsschema entsprechend behandelt zu werden. Ein Eingriff in dieses Recht liegt nicht nur vor, wenn der Gesetzgeber dieses Schema aus externen (zB legistischen oder verwaltungsökonomischen) Gründen durchbricht, sondern ebenso, wenn die Behörde den Rechtsunterworfenen anders behandelt als das Gesetz es vorsieht; setzt sich die Behörde dabei über das Gesetz schlechterdings hinweg, so verletzt sie den Gleichheitssatz – gegen einen solchen Akt der Willkür muss sich der Rechtsunterworfene als Partei zur Wehr setzen können510. Jenseits der Gestaltung und Feststellung von Rechten und Pflichten ist eine Parteistellung nur dann geboten, wenn der Gesetzgeber durch eine Schutznorm eine aus einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht resultierende Gewährleistungspflicht erfüllt: Die Parteistellung des solcherart Geschützten ergibt sich dann aus dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht selbst; ein Rekurs auf das rechtsstaatliche Prinzip oder den Gleichheitssatz ist auch hier entbehrlich. Erlässt der Gesetzgeber eine Schutznorm hingegen freiwillig, also ohne dazu durch ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verpflichtet zu sein, steht es ihm konsequenterweise auch frei, die Einhaltung dieser Schutznorm der Behörde bloß objektiv-rechtlich zur Pflicht zu machen oder dem Einzelnen überdies Parteistellung einzuräumen: Das rechtsstaatlichen Prinzip schränkt den Gesetzgeber insoweit nicht ein; der Gleichheitssatz verpflichtet ihn nur als komparatives Recht, von seiner Gestaltungsfreiheit gleichmäßig und nicht irrational Gebrauch zu machen511. Auch soweit Parteirechte von Verfassung wegen geboten sind, bestehen sie jedoch nur prima facie. Die Parteistellung darf ausgeschlossen oder beschränkt werden, wenn dies zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet und erforderlich ist und wenn es den Betroffenen nicht unverhältnismäßig schwer belastet. Dafür ist auch entscheidend, welches Gewicht dem durch die Parteistellung zu verteidigenden Interesse zukommt. Interessen, die die Verfassung durch Freiheitsgarantien speziell schützt, wiegen dabei ____________________
509 510 511
C.IV.4.b., D.I.8., E.IV.2. H.VI.2.c.aa. H.VI.2.c.bb.
Zusammenfassung
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schwerer als Interessen, für die das Prima-facie-Recht auf Parteistellung „nur“ aus dem Gleichheitssatz folgt. Daher ist zuerst zu prüfen, ob die Verweigerung einer Parteistellung ein Freiheitsrecht verletzt; nur wenn dies nicht der Fall ist, kommt dem Gleichheitssatz eigenständige Bedeutung zu. Die Judikatur tendiert demgegenüber dazu, den Ausschluss der Parteistellung von vornherein nur am Gleichheitssatz zu prüfen; das hat zur Folge, dass verfassungsrechtlich speziell geschützten Interessen nicht ausreichend Rechnung getragen wird, sei es, weil eine an sich gebotene Parteistellung dann nur komparativ, also in Abhängigkeit von anderen einfachgesetzlich gewährten Parteirechten anerkannt wird, sei es, weil der von Verfassung wegen differenziert ausgestaltete Interessenschutz durch das „allgemeine“ Sachlichkeitsgebot auf ein Niveau eingeebnet wird512. Die bereits im materiellen Recht konstatierte513 Vermengung von Freiheitsund Gleichheitsrechten setzt sich so im Prozessrecht fort. Soweit dem Rechtsunterworfenen von Verfassung wegen Parteistellung zu gewähren ist, genügt es nicht, ihn zwar zur Partei zu erklären, ihm zugleich aber alle möglichen Hindernisse in den Weg zu legen, sodass er am Ende doch nicht oder nur unter großer Mühsal in die Lage kommt, seine Rechte durchzusetzen. Diesen Standpunkt vertritt auch der VfGH, der – folgerichtig nicht mit komparativer Begründung, sondern gestützt auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot – annimmt, dass dem Rechtschutzsuchenden die Anrufung der Behörde nicht unnötig erschwert werden darf 514. In einem Rechtsstaat besteht ein verfassungsrechtlich vorgegebener Unterschied zwischen einem rechtswidrigen und einem rechtmäßigen Vorgehen der Behörde ebenso wie zwischen einem gesetzmäßigen und einem gesetzwidrigen Verhalten der Rechtsunterworfenen selbst. Das bedeutet nicht, dass jede Rechtswidrigkeit sogleich Konsequenzen haben muss. Wenn der Gesetzgeber ein rechtswidriges Verhalten sanktioniert, müssen diese Sanktionen aber auch jeden treffen, der sich rechtswidrig verhält. Das schließt Gnade, Nachsicht und Amnestien nicht schlechthin aus. Doch es handelt sich dabei um Irregularitäten, die einer besonderen Rechtfertigung bedürfen515. Der Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen keinen, auch keinen prima facie bestehenden Anspruch auf eine gleich bleibende Rechtslage. Dass der einfache Gesetzgeber Rechte, die er einmal gewährt, zu einem späteren Zeitpunkt kürzt oder beseitigt, begründet daher für sich noch kein Gleichheitsproblem. Ein solches Problem entsteht erst, wenn die jeweili____________________
512 513 514 515
H.VI.2.c.cc. F.II.1.e. H.VI.3. H.VII.
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Gleichheit und Rechtsstaat
ge Kürzung ungleichmäßig erfolgt, wenn der Gesetzgeber also zB Einsparungen nur punktuell bei einer relativ kleinen Gruppe vornimmt516, aber auch, wenn er Rechtsunterworfene zunächst in eine Solidaritätsgemeinschaft einbezieht und sie dazu verpflichtet, die Mitglieder dieser Gemeinschaft über Jahrzehnte durch Leistungen zu versorgen, ihnen dann aber später eine gleichartige Versorgung im Bedarfsfall verwehrt517. Ein solches Sonderopfer darf der Gesetzgeber den Rechtsunterworfenen nur auferlegen, wenn dies dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Im Ergebnis nimmt dies auch die Judikatur an, doch stützt sie den Schutz des Rechtsunterworfenen in solchen Fällen idR bloß auf sein Vertrauen in die bestehende Rechtslage. Dieser Begründungsansatz hat teils zur Folge, dass eine Rechtfertigung für gesetzliche Änderungen verlangt wird, die nicht rechtfertigungsbedürftig sind518, teils aber auch, dass prima facie bestehende Ansprüche in Wahrheit negiert werden: Genügte nämlich schon, dass der Gesetzgeber niemandes Vertrauen enttäuscht, dann müsste es ihm – bei entsprechend langer Vorankündigung – ja ohne weiteres erlaubt sein, einem Teil der Rechtsunterworfenen jedes beliebige Sonderopfer aufzuerlegen519. Wie schon in früheren Kapiteln gezeigt, vermittelt der Gleichheitssatz dem Einzelnen ein Recht, nicht für Umstände benachteiligt zu werden, die sich seiner Disposition entziehen520. Dieses Recht schließt das – nichtkomparative – Recht des Einzelnen ein, dass Dispositionen, die er im Vertrauen auf die Rechtslage getroffen hat, nicht nachträglich frustriert werden. Die Benachteiligung für indisponible Umstände, also auch für in der Vergangenheit liegende Sachverhalte ist nicht deshalb bedenklich, weil sie diesen trifft und jenen nicht, sie ist an sich bedenklich. Zutreffend nimmt daher auch der VfGH an, dass die Frustration bereits getroffener Dispositionen einer Rechtfertigung bedarf, die zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet und erforderlich ist und die auch nicht außer Verhältnis steht zu dem Nachteil, den die Frustration für den Rechtsunterworfenen bewirkt521. Unklarheit herrscht in der Judikatur allerdings darüber, was den gleichheitsrechtlichen Schutz eigentlich auslöst und in weiterer Folge auch, wann eine Maßnahme in den Gleichheitssatz „eingreift“. Richtigerweise ist der Rechtsunterworfene schutzwürdig, sobald er ein Verhalten in der Annahme setzt, dass die gesetzlich daran geknüpfte ____________________
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G.III.3.d., H.VIII.2.a.aa. H.VIII.2.a.cc. H.VIII.2.b., H.VIII.2.c. G.III.3.d., H.VIII.2.a.cc. E.I.4.b., E.II.4.a.bb., E.IV.3. H.VIII.3.
Zusammenfassung
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Rechtsfolge eintritt. Bewertet der Gesetzgeber dieses Verhalten im Nachhinein und zum Nachteil des Betroffenen neu, ohne dass dieser die Möglichkeit hat oder von Gesetzes wegen erhält, seine Dispositionen zu korrigieren, so bedarf dies einer Rechtfertigung. Das kann bei rückwirkenden Gesetzen der Fall sein522, dann aber auch, wenn der Gesetzgeber den Rechtsunterworfenen zunächst zu einem bestimmten Verhalten gezielt ermutigt, ihm dann aber den dafür in Aussicht gestellten Vorteil vorenthält523. Zusammengefasst vermittelt der Gleichheitssatz dem Einzelnen also ein Prima-facie-Recht, dass Rechtsvorschriften für ihn zugänglich und verständlich sind und dass er erkennen kann, ob er die Tatbestandsmerkmale einer Pflicht oder eines Rechts verwirklicht; ferner ein Recht, nicht aufgrund von Zufällen und manipulativen Umständen einer bestimmten rechtlichen Behandlung ausgesetzt zu sein; ein Recht, als Partei an einem Verfahren mitwirken zu können, in dem über seine Rechte und Pflichten abgesprochen wird und in dieser Position keine unnötigen Rechtsschutzerschwernisse in den Weg gelegt zu bekommen; schließlich ein Recht darauf, keiner nachteiligen Rückwirkung unterzogen und nicht gezielt zu einem Verhalten verleitet, dann aber um den dafür in Aussicht gestellten Vorteil gebracht zu werden.
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H.VIII.3.a.bb. H.VIII.3.b.aa., H.VIII.3.b.bb.
I. Résumé I. Der Schutzbereich des Gleichheitssatzes 1. Komparative und nichtkomparative Rechte Einer gängigen Umschreibung zufolge vermittelt der Gleichheitssatz dem Einzelnen ein Recht, in gleicher Lage gleich und in ungleicher Lage ungleich behandelt zu werden. Diese Formel ist offen für nahezu jeden Inhalt; dennoch sollte sie nicht gering geschätzt werden. Sie gibt zwar keine Auskunft darüber, was der Gleichheitssatz in einem konkreten Fall inhaltlich gebietet, doch sie sagt Wesentliches über seine Form. Zunächst bringt diese Umschreibung zum Ausdruck, dass der Gleichheitssatz zwei verschiedene Arten von Rechten vermittelt: komparative Rechte, dh Rechte, so wie ein anderer behandelt zu werden, und nichtkomparative Rechte, also Rechte, ungleich, dh einem bestimmten Maßstab entsprechend behandelt zu werden, der an sich und damit unabhängig davon besteht, wie andere Personen behandelt werden1.
2. Kein Prima-facie-Recht auf Gleichbehandlung Der Satz, Gleiches solle gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden, besagt ferner, dass nicht prima facie jeder in jeder Hinsicht gleich behandelt werden muss. Geboten ist nur die Gleichbehandlung des Gleichen2, genauer: die Gleichbehandlung von Personen, die sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden3. Bestehen zwischen Personen neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede, so steht es dem Gesetzgeber frei, ob er sie gleich oder ungleich behandeln will4. Denn für sich genommen ist die Gleichbehandlung kein Wert, jedenfalls kein Wert, den der Gleichheitssatz protegiert5. Den Gleichheitssatz anders, nämlich als ein Primafacie-Recht auf Gleichbehandlung zu verstehen, führt in unlösbare Schwierigkeiten6. Sie beginnen damit, dass bei dieser Prämisse jede Ungleichbehandlung als ein Eingriff in den Gleichheitssatz angesehen werden muss. ____________________
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C.IV.2., D.II. C.IV.1. C.IV.1.c. C.IV.1.c. C.III.4. C.III.4.
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Résumé
Warum die prima facie verbotene Ungleichbehandlung in manchen Fällen gleichheitsrechtlich plötzlich geboten sein soll, ist dann nicht mehr erklärbar. Konsequenterweise müsste das Ungleichbehandlungsgebot daher aus dem Gleichheitssatz verbannt werden, was zu Recht kaum je geschieht; denn dass der Gleichheitssatz ein solches Gebot enthält, ist sogar entstehungsgeschichtlich nachweisbar. Häufiger wird das Ungleichbehandlungsgebot auf Umwegen wieder in den Gleichheitssatz eingeschleust, nun freilich zum Schaden für sein Konzept: Hinter der schlichten Formel, die Gleichbehandlung sei prima facie geboten, bleibt dann immer unklar, was eine Gleichbehandlung eigentlich ist. Der Begriff wird schillernd und nimmt, wann immer eine Kontrolle erwünscht erscheint, auch die Ungleichbehandlung in sich auf. Unter der Hand wird das Prima-facie-Recht auf Gleichbehandlung damit aber aufgegeben.
3. Ermittlung komparativer und nichtkomparativer Rechte Will man diesen Umweg nicht gehen, muss man von vornherein einbekennen, dass sich der Gleichheitssatz nicht auf eine glatte und einfache Formel bringen lässt: Er vermittelt neben dem Recht, in wesentlich gleicher Lage gleich behandelt zu werden, auch das Recht, in wesentlich ungleicher Lage ungleich behandelt zu werden. Dieses Recht auf Ungleichbehandlung zielt entweder darauf ab, im Ergebnis gleich wie andere behandelt zu werden oder darauf, (unabhängig von anderen) einem bestimmten Maßstab entsprechend behandelt zu werden. Damit ist erst die Form des Gleichheitssatzes geklärt; sein Inhalt ist noch offen, näherhin die Frage, wann Personen wesentlich gleich und daher (gegebenenfalls auch im Ergebnis) gleich zu behandeln sind und wie die Maßstäbe lauten, nach denen Rechtsunterworfene (ungleich) zu behandeln sind. Die Antwort auf diese Frage ist, wie in der Literatur schon vielfach und richtig festgestellt wurde, von Wertungen abhängig. Die weitere Annahme der Lehre, der Gleichheitssatz enthalte diese Wertungen nicht selbst, stimmt aber nur teilweise. Noch weniger zu folgen ist der darauf gründenden Annahme, der Gleichheitssatz verweise auf ein außerrechtliches Wertsystem bzw auf die „Gerechtigkeit“; unrichtig ist schließlich auch die daraus bisweilen gezogene Folgerung, was gleichheitsrechtlich geboten sei, lasse sich rational nicht erkennen7. Wie jede andere Norm hat auch der Gleichheitssatz einen Wortlaut, eine Entstehungsgeschichte, ein systematisches Umfeld und einen Schutzzweck. Mit Hilfe dieser Auslegungsquellen lässt sich ein gutes Stück weit ermitteln, was der Gleichheitssatz als gleich bewertet und nach welchen Maßstäben er Rechtsunterworfene (ungleich) behandelt wissen ____________________
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C.IV.3.d.
Der Schutzbereich des Gleichheitssatzes
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will8. Soweit dem Gleichheitssatz auf diesem Weg keine Wertungen entnommen werden können, liegen die Konsequenzen auf der Hand: In Ermangelung verfassungsrechtlicher Vorgaben besteht Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Er kann bestimmen, ob und inwieweit er im Tatsächlichen bestehende Unterschiede ausgleichen und welche Ziele er sonst verfolgen will. Durch die Wahl dieser Ziele legt er selbst fest, was wesentlich und was unwesentlich ist: Wesentlich ist, was zur Zielerreichung beiträgt und was sie verhindert; unwesentlich, was das angepeilte Ziel nicht berührt. Was in diesem Sinn wesentlich gleich ist, muss der Gesetzgeber dann gleich, was wesentlich ungleich ist, muss er ungleich behandeln. Der Einzelne hat folglich einen Anspruch darauf, gemessen am Regelungsziel rational, also einem Maßstab entsprechend (gleich oder ungleich) behandelt zu werden, den der einfache Gesetzgeber selbst aufgestellt hat9. Was gleich und was ungleich ist, hängt nach alldem zwar von Wertungen ab; diese Wertungen sind aber nicht einem außerrechtlichen System zu entnehmen, sondern teils unmittelbar durch den Gleichheitssatz vorgegeben und im Übrigen durch den einfachen Gesetzgeber festzulegen.
4. Die personale, individualistische und demokratische Bedeutungsschicht Welche komparativen und nichtkomparativen Rechte dem Gesetzgeber unmittelbar vorgegeben sind, kann nur durch eine Auslegung des Gleichheitssatzes ermittelt werden. Die historische Entwicklung dieses Grundrechts zeigt dabei, dass der Satz, alle Staatsbürger seien vor dem Gesetz gleich, ebenso Ikone der Revolution wie Instrument der Reaktion sein kann10. Das bedeutet keineswegs, dass dieser Satz inhaltsleer ist; es beweist vielmehr, dass sich der Inhalt des Gleichheitssatzes vollständig nur aus seiner Entwicklung und aus seinem verfassungssystematischen Umfeld erschließt. Ein wirklich gehaltvolles Recht ist der Gleichheitssatz erst, wenn er – wie offensichtlich Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG – von rechtsstaatlichen Garantien, von demokratischer Mitbestimmung und von Freiheitsrechten begleitet ist. Dann allerdings ist die Bedeutung des Gleichheitssatzes in der Tat auch vielschichtig. Aus der Entstehungsgeschichte und noch mehr aus den Spezialgeboten, die zur Konkretisierung des Gleichheitssatzes erlassen worden sind, ergibt sich zunächst, dass der Schutzzweck dieses Grundrechts personal ____________________
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C.IV.3.e. C.IV.3.e., D.I.4.-6., E.IV.5. B.II., B.IV., B.VIII.
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Résumé
und individualistisch ist11: Jeder Mensch ist – so die zentrale Aussage des Gleichheitssatzes – im Kern seiner teils schicksalhaft, teils frei bestimmten Persönlichkeit gleichwertig. Deshalb dürfen Abstammung, Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Stand, Klasse, Bekenntnis und vergleichbar prägende Faktoren eines Menschen nicht zum Anlass für eine Benachteiligung genommen werden. Mit dieser Achtung des Einzelnen als Person erteilt der Gleichheitssatz auch jeder Art der Sippen- oder Gruppenhaftung eine Absage: Für die rechtliche Behandlung eines Menschen darf nicht maßgeblich sein, welcher Gruppe er gesellschaftlich zugehört und welche Eigenschaften die Gesellschaft ihm zuschreibt. Entscheidend soll allein sein, welche Eigenschaften er jenseits dieser Zugehörigkeiten und Zuschreibungen – als Individuum – tatsächlich hat. Der Gleichheitssatz vermittelt damit jedem Menschen ein Recht, nach seinen individuellen Voraussetzungen vorurteilsfrei beurteilt und unparteiisch behandelt, insbesondere weder unmittelbar noch mittelbar aufgrund eines indisponiblen Persönlichkeitsmerkmales benachteiligt und damit einer Rechtsfolge unterworfen zu werden, der er weder zustimmen konnte noch je wird ausweichen können. Eine solche Fremdbestimmung kann die Demokratie allein – mag sie auch die Gleichheit der Bürger zur Prämisse haben – nicht vollständig verhindern; vor ihr zu schützen, ist eine zentrale Aufgabe des Gleichheitssatzes12. Dieser Schutz findet seine Grenze erst im persönlichen Anwendungsbereich des Gleichheitssatzes: Nach Art 7 Abs 1 B-VG sind nur alle Staatsbürger, nach Art I Abs 1 BVG-RD nur alle Fremden gleich. Letztere sind zwar in einer Demokratie, die das Wahlrecht Staatsbürgern vorbehält, einem erhöhten Benachteiligungsrisiko ausgesetzt; solche Benachteiligungen sind aber weder durch Art 7 Abs 1 B-VG noch durch Art I Abs 1 BVG-RD verboten13. Umgekehrt schützt Art 7 Abs 1 B-VG Staatsbürger durchaus davor, hinter Fremden zurückgesetzt zu werden. Dass es zu solchen Benachteiligungen kommt, ist in einer Demokratie nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht völlig ausgeschlossen14. Die Mitgliedschaft Österreichs in der EU hat die Gefahr von Inländerdiskriminierungen erhöht, zugleich hat sie das Risiko der Ausländerdiskriminierung ein Stück weit relativiert: So haben EWR-Bürger nach Art 4 EWRA ein Recht, im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts nicht schlechter behandelt zu werden als Staatsbürger15. Drittstaatsangehörige wiederum haben nach Art I Abs 1 BVG-RD ein Recht, nicht grundlos schlechter behandelt zu werden als ____________________
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E.I.4.b., E.II.4.a.bb., E.IV.1.-2. E.I.4.b.-c. E.III.1. E.III.2. E.III.4.
Der Schutzbereich des Gleichheitssatzes
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EWR-Bürger. Behandelt der Gesetzgeber Fremde daher schlechter als Staatsbürger und stellt er EWR-Bürger den Staatsbürgern in Befolgung des Art 4 EWRA oder des Gemeinschaftsrechts gleich, dann kann die dadurch entstehende Differenzierung zwischen Fremden nach Art I BVG-RD durchaus angegriffen werden; mittelbar kann so auch die Ausgangsdifferenzierung zwischen Staatsbürgern und Fremden unter Druck geraten16. Ausgehend vom personalen und individualistischen Schutzzweck des Gleichheitssatzes und von seiner Funktion, offene Flanken der Demokratie zu schließen, lässt sich der Gleichheitssatz durch nichtkomparative Rechte bereichsspezifisch noch weiter konkretisieren: Er vermittelt dem Einzelnen ein Recht, nicht ohne seine Einwilligung der Befehls- oder Zwangsmacht eines anderen Privaten unterstellt zu werden17; ein Recht, nach demokratischen Grundsätzen an der Kreation eines Selbstverwaltungsorgans mitzuwirken, das über ihn Hoheitsmacht ausübt und gegebenenfalls nach außen mit dem Anspruch auftritt, seine Interessen zu vertreten18; ein Recht, nur für sein eigenes und nur für schuldhaft gesetztes Verhalten bestraft zu werden19; ferner ein Recht des Einzelnen, dass das Ausmaß seiner Schuld und des durch ihn verursachten Schadens im konkreten Fall exakt ermittelt und seine Strafe (nur) danach bemessen wird20; weiters ein Recht, nicht für fremde Schulden einstehen zu müssen, auf die man keinen Einfluss und an denen man kein Interesse hat21, und nicht zuletzt ein Recht, keiner Pflicht unterworfen zu werden, die nicht oder nicht zumutbar erfüllt werden kann22.
5. Flankierender Freiheitsschutz Vereinfacht gesagt schützt der Gleichheitssatz den Einzelnen in jedem dieser Fälle davor, einer Behandlung ausgesetzt zu werden, der er nicht zugestimmt hat und der er auch nicht ausweichen kann. Der Gleichheitssatz kompensiert damit Schutzdefizite der Demokratie und verschafft dem Bürger ein Stück Freiheit: zum einen Freiheit vor der Willkür anderer, zum Zweiten Freiheit, sich unabhängig von gesellschaftlichen Stereotypen, Klischees und Rollenzuschreibungen zu entfalten. Wie eng Gleichheit und Freiheit miteinander verbunden sind, zeigen auch die Diskriminierungsverbote, die einerseits den Gleichheitssatz näher konkretisieren, anderer____________________
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E.III.3. E.IV.4.b. E.IV.4.b. E.IV.4.c. E.IV.4.c. E.IV.4.d. E.IV.4.e.
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Résumé
seits aber auch die Differenzierung nach Merkmalen verpönen, die – wie etwa Religion oder Weltanschauung – Ausdruck der Inanspruchnahme eines Freiheitsrechtes sind23. Der Gleichheitssatz hat ungeachtet seiner engen Beziehung zu den Freiheitsrechten nicht die Funktion, diese Rechte zu verdoppeln, ebenso wenig suppliert er Freiheitsrechte, die die Verfassung nicht gewährt. Dem Gleichheitssatz ist daher eine allgemeine Handlungsfreiheit nicht zu entnehmen24; den ausdrücklich garantierten Freiheitsrechten verschafft er aber flankierenden Schutz: Er vermittelt jedem Träger eines solchen Freiheitsrechts einen (komparativen) Anspruch, bei der Inanspruchnahme seiner Freiheit gleich wie andere behandelt zu werden, schützt also vor Maßnahmen, die – ohne in ein Freiheitsrecht einzugreifen – bestimmte Formen des Freiheitsgebrauchs diskriminieren25; ferner vor Eingriffen in ein Freiheitsrecht, die zur (verhältnismäßigen) Verwirklichung öffentlicher Interessen nur bestimmte Rechtsunterworfene heranziehen, andere, die zu diesem Ziel ebenso beitragen könnten, hingegen nicht26; schließlich vor Begünstigungen im Schutzbereich eines Freiheitsrechtes, die nur selektiv und nicht nach verallgemeinerungsfähigen Kriterien gewährt werden27. Neben diesem komparativen Recht auf Gleichheit in der Freiheit verschafft der Gleichheitssatz auch Schutz gegen Maßnahmen, die zwar in ein Freiheitsrecht eingreifen, durch dessen Verhältnismäßigkeitsgebot aber nicht effektiv begrenzt werden können28. Das ist etwa bei Abgaben, Gebühren, sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflichten und Leistungskürzungen, Kammerumlagen oder Strafen der Fall, gegen die das Eigentumsrecht weitgehend wehrlos ist. Auch der Gleichheitssatz begrenzt die Höhe dieser Eingriffe nicht, doch er legt fest, nach welchen Kriterien sie vorzunehmen sind und vermittelt dem Einzelnen damit nichtkomparative Rechte, (nur) diesen Kriterien entsprechend bestraft oder besteuert, mit Gebühren, Umlagen oder Beitragspflichten belastet zu werden.
6. Relative Solidaritätsrechte Die bisher genannten komparativen und nichtkomparativen Rechte sind (wie das Wahlrecht zu Selbstverwaltungsorganen) zum geringeren Teil Mitwirkungsrechte, überwiegend aber Abwehrrechte. Seltener, aber ____________________
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E.I.4.b., F.II.1.a. F.II.2. F.II.6. F.II.4. F.II.7. F.II.5.
Der Schutzbereich des Gleichheitssatzes
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doch gewährt der Gleichheitssatz dem Einzelnen auch Leistungsrechte. Er gebietet zwar nicht eine allgemeine Einebnung der zwischen den Menschen bestehenden Unterschiede: Die Staatsbürger sind, wie Art 7 Abs 1 Satz 1 B-VG deutlich sagt, nicht tatsächlich, sondern nur „vor dem Gesetz“ gleich; dass sie durch das Gesetz gleichgemacht werden, fordert der Gleichheitssatz also nicht29. Er verschafft aber Menschen, die nicht primär durch gesellschaftliche Ressentiments, sondern vor allem aufgrund ihrer schlechteren Ausgangslage – etwa einer Behinderung, einer Krankheit, ihres Alters oder ihrer Armut – tatsächlich benachteiligt sind, einen Anspruch darauf, durch rechtliche Vorschriften nicht noch weiter benachteiligt zu werden30. Sie sind damit nicht nur vor direkten Benachteiligungen geschützt, sondern auch – und praktisch relevanter – vor Normen, die sie mittelbar diskriminieren, sie also nur im Ergebnis signifikant häufiger nachteilig treffen als andere Personen. Kann eine solche Benachteiligung mit verhältnismäßigem Aufwand abgewendet oder gelindert werden, so muss der Gesetzgeber diese Ausgleichsmaßnahme entweder ergreifen oder auf die Regelung verzichten, die die Benachteiligung hervorruft. Beides kann mit Kosten verbunden sein, die die Allgemeinheit zu tragen hat, setzt also Solidarität voraus. Ebenso relativ (dh abhängig von einmal getroffenen gesetzgeberischen Entscheidungen) wie diese Leistungsrechte ist das aus dem Gleichheitssatz erfließende Recht, für Unterstützungsleistungen, zu denen man anderen gegenüber (etwa durch eine Zwangsversicherung) verpflichtet wird, selbst im Bedarfsfall eine angemessene Gegenleistung zu erhalten31; ferner das Recht, soziale Unterstützung nach seiner Bedürftigkeit zu erhalten, sofern eine solche Unterstützung überhaupt gewährt wird32.
7. Die rechtsstaatliche Bedeutungsschicht Eminente Bedeutung hat der Gleichheitssatz schließlich für den Rechtsstaat; genau genommen ist das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz selbst eine rechtsstaatliche Garantie: Es verbürgt – anders als es auf den ersten Blick erscheint – nicht (nur), dass das Gesetz gleichmäßig angewendet, sondern dass es an sich geachtet wird, dass also jeder unter dem Gesetz und niemand außer ihm steht33. In dieser rechtsstaatlichen Bedeutungsschicht vermittelt der Gleichheitssatz dem Einzelnen zunächst ____________________
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C.II., G.I.1. G.II.3.-4., G.III.2. G.III.3.b.bb., H.VIII.2. G.III.3.b.cc. H.II.1.
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Résumé
ein Recht, dass generelle Vorschriften für ihn zugänglich und mit zumutbarem Aufwand verständlich sind34; ferner ein Recht, dem einer Norm zugrunde liegenden Differenzierungsschema entsprechend behandelt zu werden35; ein Recht, nicht aufgrund von externen Zwecken, die mit seinen Eigenschaften nichts zu tun haben, und schon gar nicht aufgrund von Zufällen und manipulativen Umständen einem rechtlichen Nachteil ausgesetzt zu werden36; ein Recht, als Partei an einem Verfahren mitwirken zu können, in dem über seine Rechte und Pflichten abgesprochen wird37 und in dieser Position keine unnötigen Rechtsschutzerschwernisse in den Weg gelegt zu bekommen38; schließlich ein Recht darauf, keiner nachteiligen Rückwirkung unterzogen39 und nicht gezielt zu einem Verhalten veranlasst, dann aber um den dafür in Aussicht gestellten Vorteil gebracht zu werden40. Der Vollziehung gegenüber vermittelt der Gleichheitssatz dem Einzelnen ein Recht darauf, dass sich die Behörde ihm gegenüber nicht über das Gesetz schlechterdings hinwegsetzt41; dass sie dem Gesetz keinen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt42; dass sie das Gesetz, soweit es ihr Spielräume belässt, nur durch gleichheitskonforme Entscheidungsrichtlinien und Verordnungen ausfüllt43 und dass sie von ihrer Entscheidungspraxis nicht ohne sachlichen Grund abweicht44 oder sie ändert45. Der Gleichheitssatz vermittelt hingegen kein Recht darauf, dass ein geltendes und anwendbares Gesetz unangewendet bleibt, und zwar auch dann nicht, wenn dieses Gesetz bereits anderen Rechtsunterworfenen gegenüber außer Acht gelassen worden ist46. Selbst ein gleichheitswidriges Gesetz muss die Behörde anwenden; der davon Betroffene hat dann allerdings das Recht, diesen Vollziehungsakt als gleichheitswidrig zu bekämpfen und gegebenenfalls einen neuen Vollziehungsakt zu erwirken, der auf einer gleichheitskonformen Norm beruht47. ____________________
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H.V. C.IV.4.b., D.I.8., H.VI.2.c.aa. D.I.7.b.bb., H.IV.3. H.VI.2.c.aa. H.VI.3. H.VIII.3.a. H.VIII.3.b. H.II.1. H.II.3. H.III. H.III.1.a. H.III.1.b. H.II.5. H.II.2.
Der Gesetzesvorbehalt des Gleichheitssatzes
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8. Vielfalt der Rechte Die vorstehend genannten komparativen und nicht komparativen Rechte beschreiben den Schutzbereich des Gleichheitssatzes nicht erschöpfend. Sie konkretisieren dieses Grundrecht aber exemplarisch in seiner zentralen Stoßrichtung, den Einzelnen als Person und Individuum zu schützen und offene Flanken der Demokratie, der Freiheitsrechte und des Rechtsstaates zu schließen. So breit der Schutzanspruch des Gleichheitssatzes ist, so breit ist auch das Spektrum seiner Rechte: Es sind dies Abwehrrechte ebenso wie Mitwirkungs-, Verfahrens- und Leistungsrechte. Zum Teil haben sie – wie das Recht, nicht aufgrund eines indisponiblen Persönlichkeitsmerkmals benachteiligt oder einer unerfüllbaren Pflicht unterworfen zu werden – für jede Rechtsmaterie Bedeutung, zum Teil sind sie – wie das Recht, nur nach seiner Schuld bestraft, nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert, nach seiner Bedürftigkeit unterstützt zu werden – bloß bereichsspezifische Konkretisierungen des Gleichheitssatzes. Zu diesen Rechten tritt schließlich die breite Masse an komparativen und nichtkomparativen Rechten, die der einfache Gesetzgeber in Ermangelung verfassungsrechtlicher Vorgaben selbst gestaltet. Die Gesamtheit dieser Rechte bildet den Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes.
II. Der Gesetzesvorbehalt des Gleichheitssatzes Die solcherart aus dem Gleichheitssatz und aus einfachgesetzlichen Normen durch Auslegung zu ermittelnden Gleichheitsrechte bestehen allerdings nicht absolut: Ausnahmsweise darf auch Gleiches ungleich und Ungleiches gleich behandelt, mithin in ein komparatives oder nichtkomparatives Recht eingegriffen werden48. Zulässig ist ein solcher Eingriff allerdings nur, wenn er zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet und erforderlich ist und zu diesem Ziel nicht außer Verhältnis steht. Eingriffe in Rechte, die durch den Gleichheitssatz unmittelbar vorgegeben sind, wiegen dabei in der Regel schwerer als Eingriffe in Rechte, die der Gesetzgeber selbst gestaltet hat und die er ebenso gut auch anders hätte gestalten können49. Im ersten Fall muss das Eingriffsziel den Eingriff deutlich überwiegen; kann das nicht erwiesen werden, ist von der Gleichheitswidrigkeit auszugehen. Im zweiten Fall genügt, dass der Eingriff nicht deutlich schwerer wiegt als das Eingriffsziel: Zu beweisen ist mithin, dass der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat; gelingt das nicht, ist seine Norm als gleichheitskonform anzusehen. ____________________
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C.IV.4.b., C.V., D.I.3., D.I.8. D.IV.2., E.IV.5.
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Résumé
Nicht der einzige, wohl aber der praktisch wichtigste Fall eines Eingriffes in ein Gleichheitsrecht liegt vor, wenn der Gesetzgeber von einer Durchschnittsbetrachtung ausgeht oder aus verwaltungsökonomischen Gründen typisiert50: Der atypische Fall wird dann abweichend von dem der Norm eigentlich zugrunde liegenden Differenzierungsschema behandelt – nicht, weil er anders ist, sondern weil dies aus legistischen Gründen notwendig oder einer sparsamen Verwaltungsführung dienlich, also zweckmäßig und kostengünstig ist. Das kann durchaus zulässig sein, allerdings nur, wenn der Nachteil, der dem Rechtsunterworfenen daraus erwächst, nicht außer Verhältnis zu diesen Nützlichkeitserwägungen steht. Neben diesem Standardfall sind noch viele andere Eingriffe in ein Prima-facieRecht des Gleichheitssatzes denkbar, so etwa, wenn der Gesetzgeber aus generalpräventiven Gründen eine Mindeststrafe festsetzt51, Milderungsgründe oder eine Strafnachsicht ausschließt52; Personen der Hoheitsmacht eines Verbandsorgans unterstellt, ohne sie an der Kreation dieses Organs mitwirken zu lassen53; ferner, wenn er jemandem fremde Schulden in unabsehbarer Höhe aufbürdet54; ihm ein Verhalten gebietet, das ihm durch eine andere Norm verboten ist55; wenn er Personen besondere Belastungen auferlegt, weil sie an einem Ort nicht einheimisch oder weil sie umgekehrt von diesem Ort nie fortgezogen sind56; wenn jemandem eine Leistung abverlangt wird, die ihn im wirtschaftlichen Wettbewerb seinen Konkurrenten gegenüber benachteiligt57; wenn eine Ertragssteuer nach anderen Kriterien als der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen bemessen wird58; wenn der Gesetzgeber eine Anwaltspflicht aufstellt, ohne flankierend Unbemittelten Verfahrenshilfe zu gewähren59; wenn er Normen erlässt, die der Rechtsunterworfene nur mit (teurer) fachlicher Hilfe verstehen kann60; wenn von Zufällen abhängt, ob jemand in den Genuss eines Rechts kommt oder ob ihn eine Pflicht trifft61; wenn ein Bescheid für jemanden Rechtswirkungen entfaltet, der an diesem Verfahren nicht als Partei mitwirken konnte62; wenn an Dispositionen, die in der Vergangenheit getroffen wur____________________
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D.I.8. E.IV.4.c. E.IV.4.c. E.IV.4.b. E.IV.4.d. E.IV.4.e. F.II.6.c. F.II.6.a. F.II.5.a. G.III.2.b., H.VI.3. H.V.2. H.IV.3. H.VI.2.c.cc.
Ablauf der Gleichheitsprüfung
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den, im Nachhinein nachteilige Rechtsfolgen geknüpft werden uam63. In jedem dieser Fälle liegt ein Eingriff in den Gleichheitssatz vor, der nur zulässig ist, wenn er dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Der Gleichheitssatz ist damit, anders als in der Lehre oft angenommen wird, keineswegs ein vorbehaltlos gewährtes Recht, er steht im Gegenteil sogar unter einem doppelten Gesetzesvorbehalt: Soweit es an unmittelbaren Vorgaben durch den Gleichheitssatz fehlt, ist es zum einen dem einfachen Gesetzgeber vorbehalten, Gleichheitsrechte auszugestalten. Zum Zweiten ist es ihm erlaubt, in Gleichheitsrechte einzugreifen, sofern dies in verhältnismäßiger Weise geschieht.
III. Ablauf der Gleichheitsprüfung Anerkennt man erstens, dass der Gleichheitssatz einen Schutzbereich hat, dass dieser Schutzbereich zweitens sowohl aus komparativen als auch aus nichtkomparativen Rechten besteht, die teils durch den Gleichheitssatz unmittelbar vorgegeben, teils durch den einfachen Gesetzgeber auszugestalten sind, und dass diese Rechte schließlich drittens in der Regel nur prima facie bestehen, also durchbrochen werden können, wenn dies dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, dann ist klar, dass die Gleichheitsprüfung in der Praxis nicht so ablaufen kann wie sie in den Lehrbüchern beschrieben wird: Der Vergleich von Sachverhalten und Rechtsfolgen, mit dem die Gleichheitsprüfung demnach beginnen soll, mag zwar gezogen werden und es mag auch die weitere Frage gestellt werden, ob die ungleichen Rechtsfolgen durch wesentliche Unterschiede im Tatsächlichen gerechtfertigt sind. Eine systematische Gleichheitsprüfung kann sich in diesen beiden Prüfungsschritten aber nicht erschöpfen. Zweckmäßigerweise sollte eine Gleichheitsprüfung mit der Frage beginnen, ob die zu untersuchende Norm ein komparatives Recht durchbricht, das dem einfachen Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz unmittelbar vorgegeben ist, ob sie also unmittelbar oder mittelbar nach (insbesondere in der Person gelegenen) Merkmalen unterscheidet, die zwischen Menschen prima facie keinen wesentlichen Unterschied begründen64. Ist das der Fall, so ist weiter zu fragen, ob sich die gleichheitsrechtliche Vermutung der Unwesentlichkeit des verwendeten Differenzierungsmerkmals im konkreten Fall bei vorurteilsloser und unparteilicher Beurteilung widerlegen lässt, ob das Merkmal hier also ausnahmsweise auf einen Umstand verweist, der im Lichte eines legitimen Regelungszieles einen wesentlichen ____________________
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H.VIII.3.a. E.I.4.a., E.II.4.a., E.IV.3., F.II.3., F.II.6., F.III.
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Résumé
Unterschied begründet65. Muss diese Frage verneint werden, liegt ein schwerwiegender Eingriff in den Gleichheitssatz vor, der streng auf seine Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist. Ein Eingriff in den Gleichheitssatz liegt weiters vor, wenn eine Norm ein nichtkomparatives Recht durchbricht, das unmittelbar aus dem Gleichheitssatz resultiert. Dabei ist zu beachten, dass diese nichtkomparativen Rechte teils (wie das Recht, keiner unerfüllbaren Pflicht oder nachteiligen Rückwirkung unterworfen, nicht von gebotenen Parteirechten ausgeschlossen zu werden uam) bereichsunspezifisch und teils bereichsspezifisch sind (so etwa das Recht, nur nach seiner Schuld bestraft, nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert zu werden uam). Zu fragen ist daher zum einen, ob es für den Rechtsbereich, den die zu untersuchende Norm regelt, eine bereichsspezifische Konkretisierung des Gleichheitssatzes gibt, von der die Norm abweicht; zum Zweiten, ob die Norm ein bereichsunspezifisches Gleichheitsrecht durchbricht. Bejahendenfalls liegt ein Eingriff in den Gleichheitssatz vor, dessen Zulässigkeit am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu untersuchen ist. Greift die Norm in kein Gleichheitsrecht ein, das dem einfachen Gesetzgeber vorgegeben ist oder ist ein solcher Eingriff gerechtfertigt, dann muss weiter gefragt werden, ob der Gesetzgeber mit der zu prüfenden Norm einen Maßstab durchbricht, den er – nicht in Durchführung, sondern in Ermangelung gleichheitsrechtlicher Vorgaben – selbst aufgestellt hat: Begründet die Norm also eine Ausnahme von einer bereits bestehenden Regel oder weicht sie von einer Systementscheidung ab?66 Bejahendenfalls ist weiter zu fragen, ob diese Ungleichbehandlung auf Unterschieden beruht, die zwischen den Vergleichspersonen im Lichte eines legitimen Regelungszieles bestehen: Diesfalls hat der Gesetzgeber – zulässigerweise – neu festgelegt, was wesentlich gleich und ungleich ist67. Lässt sich die Abweichung von einem bestehenden einfachgesetzlichen Maßstab hingegen nicht durch Unterschiede zwischen den Vergleichspersonen begründen, so behandelt der Gesetzgeber Gleiches ungleich, greift also in den Gleichheitssatz ein. Zu fragen ist dann, ob dieser Eingriff dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Dabei sind milde Maßstäbe anzulegen, weil der Gesetzgeber das Recht, das er hier durchbricht, ja selbst gestaltet hat und ebenso gut anders gestalten hätte können68. Durchbricht der Gesetzgeber keinen solchen Maßstab oder ist diese Durchbrechung gerechtfertigt, bleibt zu prüfen, ob seine Norm im Lich____________________
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E.I.4.a., E.II.4.a., E.IV.3. D.III.2., D.IV.2. D.IV.2. D.IV.2., E.IV.5.
Judikatur und Lehre
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te eines legitimen Zieles Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt. Als illegitim kann ein Ziel dabei nur eingestuft werden, wenn es verfassungsrechtlich vorgegebenen Wertungen widerspricht69. Das weitere Verdikt, Gleiches ungleich und Ungleiches gleich zu behandeln, trifft die Norm, wenn sie zur Zielerreichung ungeeignet ist oder über das Ziel hinausschießt, also nicht erforderlich ist70. Eine solche – rational nicht mehr begründbare – Norm greift in das Recht des Einzelnen ein, nach seinen individuellen, für das Regelungsziel relevanten Voraussetzungen beurteilt und unparteilich behandelt zu werden71. Der Verdacht der Irrationalität ist freilich auch hier widerleglich: Bei näherem Hinsehen kann sich herausstellen, dass sich die Ungleichbehandlung wesentlich gleicher und die Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Personen doch rechtfertigen lässt. Der häufigste Fall einer solchen Rechtfertigung sind legistische Schwierigkeiten, die den Gesetzgeber zu einer Durchschnittsbetrachtung zwingen, aber auch verwaltungsökonomische Erwägungen, die den Behörden die Vollziehung des Gesetzes erleichtern sollen. Beides kann und muss hingenommen werden, sofern es – neuerlich – rational, also geeignet und erforderlich ist, soweit also eine andere rechtstechnische Möglichkeit nicht zur Verfügung gestanden ist oder die Vergröberung für die Vollziehung wirklich Erleichterungen bringt. Da diese Vergröberung in den Gleichheitssatz eingreift, muss sie überdies ieS verhältnismäßig sein: Die nachteiligen Rechtsfolgen für den Einzelnen dürfen also nicht außer Verhältnis zu den Vorteilen der Vergröberung stehen. Das Gewicht dieser Rechtsfolgen ist dabei allerdings nicht hoch zu veranschlagen, weil der Gesetzgeber ja auch hier nur von einem einfachgesetzlich begründeten Differenzierungsschema abweicht72.
IV. Judikatur und Lehre Die Vielfalt an Rechten, die der Gleichheitssatz gewährt, macht ihn zu einem überaus schillernden, aber auch zu einem widerspenstigen Recht, das dogmatisch nicht ohne Weiteres in den Griff zu bekommen ist. So kann nicht verwundern, dass sich die Standardumschreibung des Gleichheitssatzes – Gleiches sei gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln – auf den Inhalt dieses Grundrechts gar nicht einlässt, sondern nur versucht, seine Form zu bestimmen. Um den Zusatz ergänzt, dass es nur prima facie geboten ist, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, ____________________
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D.I.4. D.I.5.-6. E.IV.5. E.IV.5.
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ist diese Umschreibung auch richtig. Doch sie birgt die Gefahr, dass der Gleichheitssatz entweder als ein inhaltsleeres Recht missverstanden wird oder dass ihm umgekehrt Inhalte zugeschrieben werden, die er tatsächlich nicht enthält. Die erste Gefahr hat sich zum Teil in der Lehre verwirklicht, die zweite zum Teil in der Judikatur.
1. Das Gleichheitskonzept der Judikatur In ihrer Gesamtheit gesehen ist die Judikatur aber besser als ihr Ruf. In seiner bald achtzig Jahre dauernden Rechtsprechung hat der VfGH ein breites Repertoire an Gleichheitsformeln entwickelt, die in seinen Entscheidungen viel gebräuchlicher und die auch aussagekräftiger sind als der Satz, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist73. Diese Formeln zeigen schon an der sprachlichen Oberfläche, dass der VfGH den Gleichheitssatz als ein vielschichtiges Recht versteht: Er entnimmt ihm zum Teil, dass Normen „sachgerecht“ sein müssten – eine Formulierung, die auf bereichsspezifische Konkretisierungen des Gleichheitssatzes und damit auf Rechte hinweist, die dem einfachen Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz vorgegeben sind74. Häufiger findet sich in der Judikatur aber die Wendung, Regelungen müssten „sachlich begründbar“ bzw sie dürften „nicht unsachlich“ sein: Hier klingt der Spielraum an, der dem einfachen Gesetzgeber zukommt, wenn er selbst komparative und nichtkomparative Rechte gestaltet75. Nicht selten verlangt der VfGH schließlich, dass Vorschriften „sachlich gerechtfertigt“ sind – eine Formulierung, die zeigt, dass Regelungen im Lichte des Gleichheitssatzes rechtfertigungsbedürftig, aber auch rechtfertigbar sein können: Das setzt voraus, dass es Prima-facie-Rechte des Gleichheitssatzes gibt, in die nur unter bestimmten Voraussetzungen eingegriffen werden darf 76. Einen solchen Eingriff hat der VfGH der Sache nach schon früh bei normativen Vergröberungen konstatiert, die auf Durchschnittsbetrachtungen oder verwaltungsökonomischen Erwägungen beruhen: Der VfGH qualifiziert solche Vergröberungen nicht als absolut unzulässig77; er nimmt aber an, dass das Ausmaß der Härtefälle, die bei einer Durchschnittsbetrachtung hinzunehmen sind, „vom Gewicht der angeordneten Rechtsfolgen“ abhängt78. Ebenso müssen die verwaltungsökonomischen Erleichte____________________
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D.I.2.-3. D.I.3.b. D.I.3.d. D.I.3.c. D.I.8. D.I.8.e.
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rungen in einem „angemessenen Verhältnis“ zu der dafür in Kauf genommenen differenzierenden Behandlung der Rechtsunterworfenen stehen79. Besonders deutlich wird die Eingriffsqualität schließlich, wenn der VfGH meint, der Gleichheitssatz lasse es zwar zu, auf die Praktikabilität eines Gesetzes Bedacht zu nehmen; diese Erlaubnis sei jedoch „nicht schrankenlos; sie findet ihre Grenze dort, wo anderen Überlegungen […] größeres Gewicht beizumessen ist“ 80. Der VfGH entnimmt dem Gleichheitssatz damit zutreffend ein Primafacie-Recht, dem einer Norm zugrunde liegenden Differenzierungsschema entsprechend behandelt zu werden; daneben leitet er aus dem Gleichheitssatz aber noch eine Vielzahl anderer Rechte ab, in die der Gesetzgeber nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingreifen darf. Diesen Schutzbereich des Gleichheitssatzes bestimmt der VfGH zum Teil unter Berufung auf das Sachlichkeitsgebot81, dem er konkrete nichtkomparative Rechte entnimmt. Sind diese Rechte bereits einfachgesetzlich gewährleistet, prüft der VfGH punktuelle Durchbrechungen streng auf ihre Zulässigkeit. Auf den ersten Blick sieht es dann so aus, als beanstande er nur, dass Gleiches ungleich behandelt wird: Einmal gewährt der Gesetzgeber das Recht, das andere Mal nicht. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber oft, dass der VfGH hier in Wahrheit nicht eine Ungleichbehandlung rügt, sondern die Durchbrechung eines Grundsatzes, den er für gleichheitsrechtlich geboten hält. Eine allfällige Gleichheitswidrigkeit lässt sich dann nicht korrigieren, indem der Grundsatz aufgehoben, sondern nur, indem er vollständig realisiert wird82. Das Gleichheitskonzept der Judikatur folgt nach all dem und zutreffend einem Schutzbereichsmodell: Der Gleichheitssatz vermittelt dem Einzelnen konkrete Rechte, die teils direkt durch den Gleichheitssatz vorgegeben, teils durch den einfachen Gesetzgeber auszugestalten sind. Diese Rechte sind dem Einzelnen im Regelfall nicht absolut, sondern nur prima facie gewährt. Dem Gesetzgeber bleibt es also vorbehalten, in sie einzugreifen, sofern er sich dabei an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hält. Bezeichnet man Eingriffe in den Gleichheitssatz (dh in eines seiner komparativen und nichtkomparativen Rechte) als „Ungleichbehandlungen“, dann wird auch eine Gleichheitsformel der jüngeren Judikatur verständlich, ja sie fasst das Gleichheitskonzept des VfGH sogar treffend in einem Satz zusammen: Eine Ungleichbehandlung – nicht im formellen, sondern im Sinne eines Eingriffes – ist danach „nur dann und insoweit ____________________
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D.I.8.e. D.I.8.f. D.II. D.III.3., E.IV.4.c., F.II.5., F.II.6.a.
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zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist“83.
2. Stärken und Schwächen der Judikatur Welche komparativen und nichtkomparativen Rechte dem einfachen Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz vorgegeben sind, sagt der VfGH in manchen Fällen direkt, in anderen Fällen zumindest mittelbar, indem er eine Durchbrechung dieser Rechte entweder streng auf ihre Zulässigkeit prüft oder einer Vorschrift ohne weiteres attestiert, „an sich“ oder „in sich“ unsachlich zu sein. Dogmatisch stellt sich in diesen Fällen die Frage, wie das – implizit als verletzt behauptete – Recht konkret lautet und ob es sich wirklich aus dem Gleichheitssatz ergibt. Die vorliegende Arbeit hat in der Judikatur ausdrücklich benannte und aus ihr implizit erschließbare Prima-facie-Rechte exemplarisch auf ihre Begründbarkeit untersucht – in vielen Fällen mit positivem, teils aber auch mit negativem Ergebnis: Anders als die Judikatur im Ergebnis annimmt, statuiert der Gleichheitssatz kein allgemeines Effizienzgebot84, keine Bestandsgarantie für Gemeinden85, kein Abwehrrecht gegen Ausgliederungen oder Beleihungen86, keine allgemeine Handlungsfreiheit87, keine Garantie einer speziellen, durch die Verfassung bereits anderswo ausdrücklich gewährten Freiheit88, ebenso wenig ersetzt oder verdoppelt der Gleichheitssatz das Determinierungsgebot des Art 18 B-VG89. Diese Überanstrengung des Gleichheitssatzes mit Geboten, die die Verfassung teils nicht und teils anderswo statuiert, ist schon oft kritisiert worden; sie zeigt indes ein allgemeines Problem: Unter den vielfältigen und immer noch detailreicheren Problemen, mit denen der VfGH sub titulo Gleichheitssatz befasst wird, droht der personale Schutzzweck dieses Grundrechts verschüttet zu werden. Dass jeder Mensch im Kern seiner teils schicksalhaft, teils frei bestimmten Persönlichkeit gleichwertig ist, ist heute zwar allgemein anerkannt. Dennoch kann es dazu kommen, dass der Gesetzgeber Menschen aufgrund von indisponiblen Persönlichkeitsmerkmalen benachteiligt. An solche Benachteiligungen legt der VfGH manchmal zu milde Maßstäbe an, insbesondere hinterfragt er nicht immer ____________________
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D.I.7., D.IV.1.c. D.I.8.c., D.II.2.c. D.II.2.c. D.II.2.c. F.II.2. F.II.1.e. H.IV.1.-2.
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genau genug, ob der Gesetzgeber die benachteiligten Personen wirklich vorurteilsfrei beurteilt und unparteilich behandelt hat90. Diese Erinnerung soll indes nicht den Blick darauf verstellen, dass der VfGH in der breiten Masse der Fälle bemerkenswert oft richtig liegt. Viele Rechte, die die Judikatur dem Gleichheitssatz entnimmt, lassen sich tatsächlich aus ihm begründen; umgekehrt sind auch viele Rechte, die aus dem Gleichheitssatz folgen, ein fixer Bestandteil der Judikatur. Diese komparativen und nichtkomparativen Rechte ebenso wie ihre Begründung explizit zu machen, ist allerdings aus mehreren Gründen notwendig. Zunächst lässt sich nur so rational feststellen, ob ein behauptetes Recht wirklich aus dem Gleichheitssatz folgt; ist dies der Fall, kann die Zulässigkeit allfälliger Eingriffe in dieses Recht nur dann nachvollziehbar kontrolliert werden, wenn klar ist, um welches Recht es eigentlich geht. Nicht zuletzt würde die Judikatur durch die Benennung und Begründung dieser Rechte leichter vorhersehbar.
3. Der Beitrag der Lehre Man geht wohl nicht fehl in der Behauptung, dass die hochfrequente Anwendung des Gleichheitssatzes in der Judikatur in einem Missverhältnis zu seiner theoretischen Durchdringung steht. Die österreichische Lehre hat sich, wie es scheint, überwiegend darauf verständigt, dass der Gleichheitssatz wissenschaftlich ein hoffnungsloses Feld ist – freilich, ohne dieses Feld zuvor mit juristischen Methoden ausgemessen zu haben. Großteils begnügt sich die Lehre damit, die Gleichheitsjudikatur mit Distanz zu beobachten und in regelmäßigen Abständen festzustellen, dass der Gleichheitssatz ein besonders wertungsoffenes Grundrecht und die Gleichheitsjudikatur „nicht nachvollziehbar“, „beliebig“ oder zumindest „unvorhersehbar“ sei91. Die besondere Skepsis der Lehre gilt dabei dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot92, das, wie oft gesagt wird, über den Gleichheitssatz hinausgehe und gleichsam den Höhepunkt der Beliebigkeit markiere; denn der VfGH qualifiziere unter Berufung auf dieses Gebot Normen als unsachlich, ohne einen Vergleich mit anderen Normen zu ziehen. Die Gleichheitskonformität einer Norm lasse sich aber, wenn überhaupt, dann nur durch eine vergleichende Prüfung nachvollziehbar beurteilen. Auch bei großen Skeptikern ist dann aber ebenso zu lesen, dass der für ein Gleichheitsurteil erforderliche Vergleich auch mit der gesamten Rechtsordnung, ja selbst mit einer Nicht-Regelung gezogen werden könne. Dass ____________________
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E.I.2.h., E.I.4.c., E.IV.3.b.bb. C.IV.3.d. D.II.2.
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dieser Normvergleich, wie jeder weiß, bei der Sachlichkeitsprüfung tatsächlich nie vorgenommen wird, schadet dabei offenbar nicht. Es scheint zu genügen, dass man irgendeinen Vergleich ziehen könnte, wenn man ihn denn ziehen wollte. Diese Beruhigungsformel zeigt, dass auch die Lehre das Sachlichkeitsgebot nicht völlig verwerfen will. Die mahnenden Worte, der VfGH erweitere mit diesem Gebot seinen Wertungsspielraum, artikulieren aber auch ein Unbehagen. Dieses Unbehagen ist berechtigt, soweit der VfGH dem Sachlichkeitsgebot nichtkomparative Rechte entnimmt, die der Gleichheitssatz gar nicht statuiert. Soweit sich solche Rechte aber aus dem Gleichheitssatz ableiten lassen, sind die Bedenken der Lehre unbegründet, jedenfalls dann, wenn man – wie die ganz überwiegende Lehre – akzeptiert, dass der Gleichheitssatz nicht nur ein Gleich-, sondern auch ein Ungleichbehandlungsgebot enthält. Dieses Gebot läuft nahezu immer auf ein Recht hinaus, einem bestimmten Maßstab entsprechend behandelt zu werden93. Hier nach einem Vergleich zu suchen, lenkt nur von dem eigentlichen Problem ab, ob nämlich der Einzelne dem jeweiligen Maßstab entsprechend behandelt worden ist und wenn nein, ob dieser Eingriff in sein Recht verhältnismäßig ist. Diese Prüfung ist nicht weniger rational als die Prüfung, ob ein komparatives Recht verletzt ist. In beiden Fällen ist zunächst durch Auslegung des Gleichheitssatzes oder der einfachgesetzlichen Norm zu klären, welches Recht der Einzelne jeweils hat, weiters, ob ein Eingriff in dieses Recht vorliegt und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff verhältnismäßig ist. Erst auf der letzten Stufe dieser Prüfung, bei der Abwägung zwischen Eingriff und Eingriffsziel muss eine Wertentscheidung getroffen werden – bei der vergleichenden ebenso wie bei der nichtkomparativen Prüfung. Hier wie dort kann auch die oben beschriebene Zweifelsregel helfen94: Folgt das beeinträchtigte Recht unmittelbar aus dem Gleichheitssatz, müssen die Eingriffsgründe zumindest überwiegen; wurde das Recht hingegen nur durch den einfachen Gesetzgeber ausgestaltet, genügt, dass der Eingriff nicht deutlich schwerer wiegt als das Eingriffsziel. Die Wertungsprobleme sind also bei der vergleichenden und bei der nichtkomparativen Prüfung gleich, und sie lassen sich in beiden Fällen lösen. Akzeptiert man das, so erübrigen sich uferlose Vergleiche, ebenso wie man darauf verzichten kann, mit Gewalt Vergleiche herbeizureden, die ja doch nicht stattfinden. Man könnte sich stattdessen der eigentlich entscheidenden Frage zuwenden: welche Rechte der Gleichheitssatz dem Einzelnen vermittelt und welche nicht. ____________________
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C.IV.2.b.bb.-e., D.II.2.d., E.IV.4., F.II.5., G.III.3.b.bb.-cc., H.VI.2.c., H.VIII.3. I.II.
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Schlagwortverzeichnis A Abgaben –, allgemein –,–, Abgabenobjekt, Auswahl des 595 f –,–, Doppelbesteuerung 493, 594, 600, 762, 820 –,–, Eigentum, s dort –,–, Einmalbesteuerung 297 f, 594, 748, 762 –,–, Freiheitseingriff 593 –,–, Lastengleichheit, s dort –,–, Systemgrundsätze, s dort –,–, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 592, 594 f –, besondere –,–, Abfahrtsgeld 52, 593 –,–, Aufenthaltsabgabe 246, 252 –,–, Aufsichtsratsabgabe 594, 596 –,–, Börsenumsatzsteuer 577 –,–, Dienstgeberabgabe 593, 608 –,–, Einkommensteuer, s dort –,–, Erbschaftssteuer 205, 243, 611 –,–, Ertragssteuer 593 f, 597, 599 –,–, Ferienwohnungsabgabe 614 –,–, Feuerwehrabgabe 626, 637 –,–, Fremdenverkehrsabgabe 237 f, 247 –,–, Getränkesteuer 595 f, 775, 820, 861 –,–, Gewerbesteuer 289, 295 –,–, Grunderwerbsteuer 248, 599 f –,–, Hauspersonalabgabe 324 f, 488 f –,–, Hundesteuer 596 –,–, Kommunalsteuer 516, 579, 607 –,–, Kopfsteuer, s Einkommensteuer –,–, Körperschaftssteuer 593, 607, 857 –,–, Kurtaxe 246, 593 –,–, Ledigensteuer 326 –,–, Lustbarkeitsabgabe 250 –,–, Mindestkörperschaftsteuer 599 –,–, Mineralölsteuer 596 –,–, Objektsteuer 295, 596 –,–, Ortstaxe 593 –,–, Personensteuer, s –, Subjektsteuer –,–, Schenkungssteuer 205, 599
–,–, Selbstbemessungsabgabe 257, 262, 270 –,–, Sicherheitsabgabe 593, 595, 869 –,–, Sicherheitsbeitrag 600 –,–, Spielautomaten, Besteuerung 144, 158, 246 –,–, Subjektsteuer 596 f –,–, Umsatzsteuer 205, 255, 299, 607 –,–, Unfallrentenbesteuerung 255, 599, 698, 709, 711, 844 –,–, Vergnügungssteuer 246, 516, 593 –,–, Werbeabgabe 593 Absicht –, gute, s Bemühen –, schlechte, s Diskriminierungsabsicht; Willlkür, subjektive Abstammung, s Differenzierungskriterien Abwehrrechte, s Gleichheitsrechte, Typologie Adel 16, 28 f, 36 f, 40 ff, 54 ff, 62 f, 79, 87, 91, 95 ff, 152, 162, 164, 214, s auch Differenzierungskriterien/Abstammung; Differenzierungskriterien/ Geburt –, AdelsaufhebungsG 107, 109 ff, 114 –, Adelstitel, s Titel affirmative actions, s Förderungsmaßnahmen Agrargemeinschaft 354, 384 Aktienbanken 260, 568 Aktivismus, richterlicher 181 Alleinerzieher 228, 255 f, 380, 402, 405 Alter, s Differenzierungskriterien Amnestie 817 ff Ämterzugänglichkeit 102, 125 f, 506 –, Ausländer 35, 39, 64, 85, 125 f –, Befähigung 63, 65, 84, 90, 125, 146, 164, 175, 470 Anknüpfungsverbot, s Diskriminierungsverbot Antidiskriminierungsrichtlinien 382, 458, 495, 682, 701, 712 f
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Anwendungsvorrang 652, 751 ff, 870 Äquivalenzgrundsatz, s Gebühren; Sozialversicherung Arbeitsbewilligung 232, 272, 583, s auch Quote Arbeitskraft, abnehmende 347, 377, 496, 712 f –, haushaltszugehörige 494, 502 Arbeitslosenversicherung 714, 725 f, 866, s auch Notstandshilfe Arbeitslosigkeit 242, 258, 663, 714, 725, 828 Arbeitsmarktentlastung 210 f, 226 f, 232 f, 349, 351, 354, 359, 384, 387, 634, 713 f, 827 f Arbeitsrecht 281, 284, 294, 531 f –, Arbeitsverhältnisse, menschenwürdige 329 –, Arbeitszeit 181, 284, 329, 333, 337, 340 –, Kollektivvertrag 231, 252, 337, 728 Arbeitsvermittlung 569 Argumentationslast 171 –, bei Benachteiligung aufgrund verpönter Differenzierungsmerkmale 319, 328 f, 331, 333 f, 362 f, 376 ff, 415, 428 ff, 441 ff, 447 ff, 464, 467 ff, 537, 645, 689 ff, s auch Prüfungsmaßstab/sehr streng –, bei Eingriffen in den Gleichheitssatz 219, 297 ff, 311 f, 429, 433, 464 ff, 470 ff, 500 f, 528 ff, 537 ff, 596 ff, 608, 613 ff, 620 f, 707 ff, 777, 780 f, 811 ff, 817 ff, 829 f, 858 ff, 887, s auch Prüfungsmaßstab/mittelstreng; Prüfungsmaßstab/streng –, bei Gleichbehandlungen 156 f, 165 ff, 189, 219 –, bei Ungleichbehandlungen 142 ff, 160, 165 ff, 219, 427 f, 464, 667 –, keine besondere 218, 535, s auch Prüfungsmaßstab/mild –, Patt-Stellung der Argumentation 189, 388 f, 402, 406, 645 Armut, s Differenzierungskriterien Assoziationsfreiheit 49 ff, 586 Asylrecht 417, 575, 751, 806, 814 Aufenthaltsrecht 574, 593, 613 ff, 630 f –, Ausländer, s dort
Ausbildung, s Bildung Ausgliederung 277 f, 307 –, Rechtsträger, ausgegliederte, Ungleichbehandlung 278, 607 Auslandsösterreicher 228, 260, 442 Ausländer 228, 407 ff, 419, 431 ff –, Ämterzugänglichkeit, s dort –, Aufenthaltsrecht 192, 258, 260 f, 417 f, 421 f, 490, 576 f, 582, 627, 630 f, 641 f, 705 ff –, Beschäftigung 232 f, 271 f, 413, 515, 517, 642 –, Diskriminierung 434 ff, 444 ff –, Drittstaatsangehörige 244, 430, 444 ff, 488, 642, 651, s auch Schutzbereich des Gleichheitssatzes, persönlicher –, EWR-Bürger 415, 447 ff, 455, 490, 566, 614, 642, 651, s auch Schutzbereich des Gleichheitssatzes, persönlicher –, Grundverkehr 419, 422, 433 f, 640 –, Nachzugsrecht 244, 482, 612, 634 Ausreisefreiheit 586, 593, 613 Ausrichtung, sexuelle, s Differenzierungskriterien; Homosexualität B Beamte, s auch Ämterzugänglichkeit –, Besoldung 338, 353 f, 528, 729, 841 f –, Dienstrecht 281, 294, 336, 529, 531, 817 –, Diskriminierung 245, 842 –, Disziplinarrecht 281, 285 f, 294, 336, 514, 529, 531, 605, 817 –, Privilegierung 123 –, Pension 209 ff, 227, 280 f, 284 f, 495, 822 ff, 855 f –, Stand 368 Befähigung, s Differenzierungskriterien Behinderung 222, 250, 408, 557, 562, 615, 624, 663, 668, 674 ff, 715, 792 –, Alltagsdiskriminierung 674 f, 697 –, Barrierefreiheit 684 f, 693 –, Begriff 676 ff –, Blinde 246, 683, 688, 690 f, 698 –, Gehörlose 683, 690 –, Schule 161, 167, 668, 686 f, 690 ff
Schlagwortverzeichnis –, Staatszielbestimmung 675 f, 685, 695, 700, 734 Bekenntnis, s Differenzierungskriterien Bekenntnisfreiheit 45, 49, 51, 68, 71, 93, 103, 460, 557, 564, 640 Beleihung 276 ff, 307 Bemühen –, der Behörde 333, 339, 745, 765 –, des Gesetzgebers 215, 225, 334, 339 f, 463 Berufe und Beschäftigungen, s auch Stand –, Amtstierarzt 577, 845 –, Angestellter 147, 369, 532, 535, 606 –, Apotheker 283, 356, 368, 487, 533, 725 –, Arbeiter 147, 369, 532, 535, 606 –, Arzt 147, 229, 231, 260, 283, 368, 533, 590 f, 721, 725 –, Beamter, s Beamte –, Bergguide 576 –, Buchhalter 576 –, Bundestheaterbediensteter 336 –, Forstwirt 368 –, Gewerbetreibender, s –, Selbstständiger –, Heeresangehöriger 106, 285, 294, 368, 514, 531 f, 605, 629 –, Heilmasseur 244 –, Lehrer 368 f, 531 –, Metallarbeiter 368 –, Notar 199, 245, 283, 368, 370, 836 –, Rechtsanwalt 147, 199, 245, 283, 335, 341, 446, 570, 591, 630 –, Rechtsanwaltsanwärter 505, 569, 628 –, Rechtspraktikant 208, 256, 579, 709, 843 f –, Richter 285, 294, 495, 528 f, 531, 842 –, Schischulbetreiber 574, 576 –, Selbstständiger 158, 161, 205, 217, 242, 244, 258, 281, 286, 533, 725 –, Universitätsassistent 317, 355 –, Vertragsassistent 317, 355 f, 360, 487 –, Weinhändler 608 –, Weinproduzent 608 –, Wirtschaftstreuhänder 199, 283, 446, 502, 505 –, Zimmermann 368
941
Berufsausbildungsfreiheit 101, 141, 372, 576, 598, 708 Berücksichtigungsgebot 207, 276 Bescheid, gleichheitswidriger 742 ff Bewertung, s auch Inflation –, Liegenschaften 243, 245, 251, 576, 629, 776 –, Renten 243, 250, 298 –, Unternehmen 580 f, 593 Bildung 162, 344, 347, 359, 370 f, 496, 528, 553, 557, 606, 626, 660, 668, 685, 692, 708, 781 Billigkeit 135, 247, 766 f Brüderlichkeit 556, 659 f Bundesrecht, partikuläres 207 Bundesstaat 135, 206 f, 613, s auch Berücksichtigungsgebot BVG Altersgrenzen 348 f BVG Rassendiskriminierung 138, 229, 411 ff, 434 ff, 444 ff, 453 ff, 462, 467, 488, 491, 575, 603, 621, 642, 651, 653, 709 C Chancengleichheit 174, 403 f, 582, 606 f, 774 D Demokratie 2 ff, 23 ff, 27, 36 f, 49, 60 f, 66, 77, 105 ff, 125 ff, 176 ff –, Auslegungshilfe für den Gleichheitssatz 120 f, 130, 150 f, 176 f, 180, 182 ff, 188, 253, 366 f, 373, 408 f, 441, 481, 499 ff, 512 f, 529, 536 f, 595 f, 618, 665, 698 f, 703, 707 f, 734, 807, 821, 824, 841, 846, 882 f, 887 Denksportaufgabe, s Recht/elitäres Deutsch-Integrationskurs 243, 707 Dienstrang, s Differenzierungskriterien Differenzierungskriterien –, Abstammung 57, 242, 367, 424, 427, 457 ff, 536, 651, 881 –, Adel, s dort –, Alter 355, 405, 494 ff, 629, 663, 673, 703 f, 711 ff, 728, 734 f –, Armut 52, 371, 663, 673, 704 ff, 734 f, s auch –, Klasse
942
Schlagwortverzeichnis
–, Ausrichtung, sexuelle 470, 473 ff, 495, 543, 545, 629, 636, 645, 649, s auch Homosexualität –, Befähigung 177, 317, 397 f, 528 f, 683 f, 688 ff, 711 ff, s auch Ämterzugänglichkeit –, Behinderung, s dort –, Bekenntnis 13 f, 17 f, 21, 45 f, 48, 68, 72 f, 82, 98 f, 102, 108, 110, 112 f, 116 ff, 122, 126, 129, 133, 135, 149, 153, 157, 173, 178, 214, 316, 317 f, 321, 330, 342, 365 f, 370, 379, 407, 410, 457, 487 f, 495, 498, 562, 622, 631, 708, 819 –, Besitz 23 f, 46, 54 f, 79, 87, 91, 98, 100, 149 f, 324, s auch –, Klasse –, Dienstrang 514, 516, 605, 625, 629 –, Ehe 327, 337, 346, 482, 491 ff, 539, 609 ff, 719 –, Ehelichkeit 254, 342, 355, 470, 472 f, 545, 612, 624 f, 631 ff, 645, 718 –, Ethnie 382, 390, 394, 424 ff, 427 ff, 457, 459, 469, 511, 536, 651, 708 f –, Familienangehörigkeit 491 ff, 539, 609 ff –, Familienstand 326, 368, 609 ff, s auch –, Ehe –, Geburt 367 f, 470, s auch –, Abstammung; Adel –, genetische Merkmale 469, s auch –, Abstammung; –, Geburt –, Geschlecht 317, 324 f, 327, 333 f, 338, 342 ff, 359 f, 365 f, 368, 370 ff, 379 ff, 389 f, 543; s auch Förderungsmaßnahmen/Frauen; Frauen; Staatsziel/Art 7 Abs 2 B-VG –, Hautfarbe 424, 427, 431, 457 f, 460, 481, 499, 511, 629, 639, 647, 651, 664, 680, 682, 709, 734 –, Herkunft, nationale 415, 425 f, 429 f, 436, 439 f, 467 f, 488, 505 f –, Herkunft, soziale 321, 461, 467, 647, s auch –, Geburt; –, Klasse –, in der Person gelegene 215, 323 ff, 337 f, 340 ff, 358, 370 ff, 457 ff, 463, 467 ff, 497 ff, 629 f, 881 f –, Klasse 365, 368 f, 370 f, 375, 377 f, 458 f, 469, 487, 498, 537, 597, 646,
651, 681, 704 ff, 734 f, 781, 815, 882, s auch –, Armut –, Leistungsfähigkeit, s dort –, objektive 324 ff, 497 ff –, Parteizugehörigkeit 483 ff –, Rasse 174, 380, 408, 424, 427, 457 ff, 469, 481, 495, 511, 536, 589 f, 629, 638 f, 651, 682, 708 f, 881 f –, Sprache 174, 408, 458, 467 f, 486, 542, 626 f, 629 f, 647 f –, Staatsangehörigkeit 425 ff, 429 f, 436, 444 f, 453 ff, 505 f –, Staatsbürgerschaft 66, 116, 178 f, 228, 408 ff, 412 ff, 419 f, 425 f, 433 ff, 446, 453 ff, 491, 505 f, 603, 637, 653, 706 f, 882 f –, Stand, s dort –, subjektive, s –, in der Person gelegene –, suspekte, s –, verpönte –, Unehelichkeit, s –, Ehelichkeit –, unverdächtige 528 ff, 531 ff, 539 f –, Verdienst 126 f, 163 f –, verfassungsrechtlich vorgegebene 531 ff, 539 f –, verpönte 173, 367 ff, 424 ff, 467 ff, 629 ff, 676 ff, 704 ff, 881 f –, Wohnsitz 324, 420, 445, 448 f, 630 Differenzierungsgebot, s Ungleichbehandlungsgebot Differenzierungsschema 237 ff, 466, 540, 873, 885 ff, 891, s auch Idealnorm Diskriminierung –, mittelbare 234, 317, 355 ff, 360, 389 f, 405, 428, 448 ff, 453, 485 ff, 538, 566, 597, 612, 648, 681 f, 684, 688, 692, 704, 707 f, 735, 766, 817, 882, 885 –, positive, s Förderungsmaßnahmen –, unmittelbare 317, 405, 448 ff, 453, 681 f, 690 ff, 705 f, 766, 882 Diskriminierungsabsicht 215, 318, 322, 329 f, 332 ff, 336, 339 f, 358, 376, 415, 460, 463, 742, 746 Diskriminierungsverbot, s auch Gleichheitssatz, spezieller –, als Anknüpfungsverbot 316 f, 323 ff, 357 f, 362, 374 ff, 647 f –, als Folgenverbot 318
Schlagwortverzeichnis –, als Motivationsverbot 318, 321, 334, 376 –, als Prima-facie-Recht auf Nichtbenachteiligung 319, 322 f, 357, 359 f, 467 ff, 485 ff –,–, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG 376 ff, 389 f, 485 ff –,–, Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG 688 ff –,–, Art I Abs 1 BVG-RD 428 ff –,–, Art 14 EMRK 631, 643 ff, 647 ff –, Analogiefähigkeit 468 f, 471, 703 f, 734 –, Gleichheitssatz, als bloßes Diskriminierungsverbot 151, 163, 179, 190, 497 ff Disziplinarrecht –, Beamte, s dort –, freie Berufe 341, 368, 505 Drittstaatsangehörige, s Ausländer; Schutzbereich des Gleichheitssatzes, persönlicher Drittwirkung, s Schutzrichtung des Gleichheitssatzes Durchschnittsbetrachtung 237 ff, 465 f –, als Eingriff in den Gleichheitssatz 192, 258 ff, 379 ff, 465 f, 538, 543, 887 ff –, bei verpönten Differenzierungskriterien 344 ff, 359, 379 ff, 400 f, 466 f, 468, 490, 538, 543, 633 f, 691 f, 889 f –, Prüfungsmaßstab, s dort E Effizienzgebot 241, 248 f, 275 f, s auch Sachlichkeitsgebot/als Zweckmäßigkeitsprinzip; Sachlichkeitsgebot/entpersonalisiertes Egalitarismus 74, 139, 149, 653, 664 ff Ehe, s Differenzierungskriterien Ehelichkeit, s Differenzierungskriterien Eigentum 72, 139 f, 188, 357, 413 f, 419, 421, 550, 555 f, 559, 561, 569 f, 572 ff, 576 f, 583, 586 f, 589, 593 f, 597, 602 f, 614, 640, 656, 719, 724, 726, 768, 790, 808, 829 f, 833 f, 838 f, 846 f, 866 f –, Abgaben 592 ff
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–, Enteignung 244, 246, 338, 572, 580, 589, 592 ff, 788, 808, 814 –, Geldstrafe 604 –, Sozialversicherungsbeiträge und -leistungen 602, 719, 724, 823 –, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 592 ff, 602 ff, 656 f Eignung 167, 222, 225 ff, 243, 298, 347, 349, 360, 378, 382, 488, 649, 813 Eingriff in den Gleichheitssatz –, Abweichung von einem Maßstab 273 ff, 297 ff, 308 f, 311 f, 464, 504 f, 507 ff, 527 f, 530 f, 540 ff, 594 f, 597 f, 603 ff, 721 ff, 775 ff, 780 f, 811 ff, 817 ff, 851 ff, 887 ff; s auch Durchschnittsbetrachtung; Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten Maßstab; Verwaltungsökonomie –, Gleichbehandlung 166 ff, s auch Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse –, Ungleichbehandlung 308 f, 377 ff, 428 ff, 464, 471 ff, 500 f, 509 ff, 527 f, 530 f, 537 ff, 594 ff, 604 f, 608 f, 613 ff, 620 f, 707 ff, 718, 721 ff, 775 ff, 780 f, 811 ff, 817 ff, 829 f, 851 ff, 887 ff, s auch Gleichheitsrecht/auf Gleichbehandlung Eingriffsmodell des Gleichheitssatzes 5, 191, 193 ff, 305 ff, 879 ff, 892 ff Einheitswert, s Bewertung/Liegenschaften Einkommensteuer 597 ff –, Behinderung, Aufwendung aufgrund 693 –, Betriebsausgaben, gewinnmindernde 290, 292, 295 –, Haushaltsbesteuerung 337, 492, 525, 612 –, Heiratsgut 185, 290 f, 295, 579 –, Jubiläumsgeld 290, 295, 591, 721 –, Klassenbildung 144, 208, 240, 597, 618 –, Kopfsteuer 140 f, 144, 597 –, Leistungsfähigkeit 140, 164, 208, 324 ff, 337, 489, 525, 597 ff
944 –, –, –, –, –,
Schlagwortverzeichnis
Progression 337, 717 Rückstellung 295, 333, 591 Treuegeld 291, 295 Umverteilung, s dort Unterhaltspflichten, Abzugsfähigkeit 208, 420, 618 Einzelfallgerechtigkeit 466, 766, 873 Enteignung, s Eigentum Entpersonalisierung des Gleichheitssatzes, s Gleichheitssatz, allgemeiner; Sachlichkeitsgebot/entpersonalisiertes Entsprechungsprüfung 195, 272, 274, 527 Erbrecht 97, 100, 374, 472, 534, 611, 625, 633, 638 Erfahrungen des täglichen Lebens, mit –, Arbeitslosigkeit 242 –, Blinden 246 –, Ehegatten 246 –, Eltern 246, 250 –, Ferienwohnungen, Nutzung 242 –, Finanzkraft –,–, AG bzw GmbH 245 –,–, Lenkerberechtigte 244 –,–, selbständig Erwerbstätige 244 –, Fristen 242, 246 –, Kindern –,–, Beistandsbedürftigkeit 244 –,–, Berufsausbildung 242 –, Liegenschaften, Verkehrs- und Nutzungswert 245 –, Rauchverhalten der Geschlechter 328 –, Witwer/n, Sorgepflicht 241 Erforderlichkeit 227 ff, 259, 349, 353, 383 f, 417 f, 603, 644, 649, 695 Ergebnisgleichheit, s Gleichheit/im Ergebnis; Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse Ergebnisoffenheit des Gleichheitssatzes, s Gleichheitssatz, allgemeiner Ermessen 240, 332 f, 744, 755 f, 758, 760, 763 Ermessensrichtlinien 757 Erwerbsfreiheit 99, 199, 372, 564 f, 569 f, 572, 574 ff, 582, 589, 591, 593, 606 ff, 616, 692, 697, 828 Ethnie, s Differenzierungskriterien
EWR-Bürger, s Ausländer; Schutzbereich des Gleichheitssatzes, persönlicher Existenzminimum 660, 673, 705, s auch Differenzierungskriterien/Armut Exzess 181, 222, 225, 257, 262, 337 f, 340, 358, 433, 571, 593, 742 Exzessverbot 181, 340, 584 F Familie –, Achtung der 617 f, 718 f –, Benachteiligung der 617 f, 718 f –, durchschnittliche 482, 728 –, Förderung der 617 f Familienangehörigkeit, s Differenzierungskriterien Familienbeihilfe 154, 420, 422, 613, 718 Familienbetrieb 610 Familienname 346, 635, 637 –, des Kindes 449 f, 452, 648 –, Doppelname 449 f, 452 –, Vorrang des Mannesnamens 449 f, 648 Familienstand, s Differenzierungskriterien Faulheit 174, 180, 598 Finanzausgleich 3, 231 f, 329 Fiskalgeltung des Gleichheitssatzes, s Schutzrichtung des Gleichheitssatzes Folgenverbot, s Diskriminierungsverbot Förderungsmaßnahmen –, behinderte Menschen 695 ff –, Frauen 390 ff –, Minderheiten, ethnische, rassische 390, 427 –, sozial schwache Gruppen 715 ff Frankfurter Verfassung 21, 29 f, 41, 46, 62, 81, 83, 95, 153, 499 Französische Revolution 9, 30, 659 Frauen, s auch Differenzierungskriterien/ Geschlecht –, Doppelbelastung 226 ff, 238, 317, 347 ff, 359, 380, 382 f, 589 –, Förderung von 353, 376, 390 f, 399, 401, 407
Schlagwortverzeichnis –, kinderlose 227, 238, 636 –, Mutterrolle 490, 635 f, s auch Mutterschutz –, Rollenverteilung 226, 317, 344 ff, 380, 382, 384, 389 f, 404 –, Stereotypen 377, 381 ff, 404, 636 –, Wahlrecht, s dort/Männerwahlrecht Freiheit –, Begriff 550 ff –, Gleichheit, Verhältnis zur 547 ff Freiheitsrechte –, als Differenzierungsregeln 563 ff, 654 f –, Auslegungshilfe für den Gleichheitssatz 130, 563 f, 568 ff, 684 ff –, Verhältnis zum Gleichheitssatz –,–, Austauschbarkeit 233 f, 549, 558 f, 571, 578, 750 f, 875 –,–, Gemeinsamkeiten 233 f, 461, 465, 549 f, 559, 564 f, 568 f, 578, 883 –,–, Spannungsverhältnis 547 f, 553 ff, 591 f, 653 –,–, Unterschiede 551 f, 554, 558, 566, 615, 638, 654, 663 –,–, Vorrang der Freiheitsrechte 560 ff, 568 ff, 655 f, 658, 813 –,–, Vorrang des Gleichheitssatzes 560 ff, 588 ff, 655 –,–, Zusammenwirken 592 ff, 605 ff, 615 ff, 653, 884 Freizügigkeit –, EGV 455, 565, 614 –, StGG 52, 70, 83 ff, 141, 455, 556, 573, 586 f, 593, 613 ff, 642, 694 Fristen 192 f, 240, 242, 251, 262 f, 281, 775, 814 –, Asylverfahren, Berufung 814 –, Ehelichkeit, Anfechtung 634 –, Entschädigungsanspruch 244, 246, 336, 814, 816 –, Kündigung 528, 606, 846 –, Nichtigkeitsbeschwerde 814 –, Unterhaltsanspruch 612 –, Vaterschaftsfeststellung 814 –, Volksbegehren, Anfechtung 262, 814 –, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 775
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G Gebühren –, Äquivalenzgrundsatz 600 f –, Benützungsgebühr 601 f –, Gerichtsgebühr 206, 601, 815 –, Kabelrundfunkbeitrag 244 –, Kanalgebühr 324 –, Kommunalgebühr 601 f –, Kostendeckung 600, 602 –, Mautgebühr 324 –, Rundfunkgebühr 696 –, Wasserverbrauchsgebühr 601 Geburt, s Differenzierungskriterien Gemeindezusammenlegung 275 Genetische Merkmale, s Differenzierungskriterien Gerechtigkeit 1, 3, 135, 181, 185 f, 319, 327, 329, 484, 662, 664, 673 –, Gleichheitssatz als Gebot der 69, 194 ff –, Kriterien der 195 ff, 294, 727 Gericht –, Ausnahmegericht 44 f, 48, 66 f, 93, 126, 130, 178, 784 –, Militärgericht 67, 98, 100, 178, 783 –, privilegiertes 44 f, 48, 66 f, 126, 130 Gesamtänderung 4, 348, 363, 391, 668 Geschäftsverteilung, feste 178, 783 Geschlecht, s Differenzierungskriterien; Frauen Gesetz –, Allgemeinheit des 167, 241, 466, 616 –, Bindung an den Gleichheitssatz, s Schutzrichtung des Gleichheitssatzes Gesetzesvorbehalt des Gleichheitssatzes –, Ausgestaltungsvorbehalt 188 f, 201 f, 307, 506 f, 541, 543, 719 ff, 726 ff, 733, 887 ff –, Eingriffsvorbehalt 191 ff, 200 f, 258 ff, 305 ff, 360 f, 374 ff, 465 f, 507 f, 766, 887 ff, s auch Gleichheitsrechte, Geltung/prima facie Gesetzlicher Richter, Recht auf 13 f, 16, 19, 21, 66, 68, 93, 124 f, 126, 130, 177 f, 752, 782 ff, 874 Gestaltungsauftrag des Gleichheitssatzes, s Gleichheitssatz, allgemeiner
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Schlagwortverzeichnis
Gestaltungsspielraum, s Prüfungsmaßstab Gleichbehandlung –, als Prinzip 140 ff, 304 f, 427, 464, 667, 732 f, 879 f –, Begriff 31 ff, 143 ff –, des Gleichen 152 ff, 335 ff –, Recht auf, s Gleichheitsrecht/auf Gleichbehandlung Gleichheit –, bürgerliche 55, 174, 188 –, faktische 552 ff –, im Ergebnis 146, 166 ff, 334, 389 f, 403, 428 f, 485 ff, 605 ff, 684 f, 692, 707 ff, 781, 815, s auch Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse –, im Tatsächlichen 154 f, 211 f –, im Unrecht 754 ff –, kommunistische 32 ff, 41, 74, 82, 139 f, 665 –, politische 9 f, 14, 23 ff, 31, 34, 98, 100, 105 f, 108, 176, s auch Gleichheitsrechte, Typologie/Mitbestimmungsrechte; Wahlrecht –, rechtliche 31, 552 ff –, richterliche 31, 34, s auch Gericht –, wesentliche, s Wesentlichkeit von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Beurteilung aufgrund Gleichheitsformel –, Gesetzgebung 211 ff, 219 ff, 225 f, 229 f, 240 ff, 248 f, 253 ff, 255 f, 258 f, 280, 288 f –, Vollziehung 742 ff Gleichheitspräsumtion 140 ff, s auch Gleichbehandlung/als Prinzip Gleichheitsprüfung 205 ff, 260 ff, 578 ff, 588 ff, 813, 875, 889 ff, s auch Prüfungsmaßstab Gleichheitsrecht, s auch Schutzbereich des Gleichheitssatzes, sachlicher –, als gleichwertig behandelt zu werden 161 ff, 170, 372, 376 f, 378 f, 381, 385, 428, 461 f, 489 f, 502 f, 530, 536 f, 609, 613 f, 620, 686 ff, 710, 724 f, 736, 836, 842, 881 f –, auf Gleichbehandlung 140 ff, 152 ff, 232, 271, 462, 464, 879 ff
–,–, konkrete Rechte 374 ff, 428 ff, 467 ff, 504 f, 516, 519, 521, 535, 544, 578 ff, 590 ff, 606 ff, 609 ff, 613 ff, 655 ff, 706, 735 f, 786 ff, 808, 811, 815, 840, 874, 879 ff –, auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten Maßstab 157 ff, 163 ff, 264, 271 f, 274, 279, 307 f, 311, 462, 464, 879 ff, 896 –,–, konkrete Rechte 418 f, 445 f, 462, 464, 505, 509, 527, 535 f, 541 ff, 566, 578 ff, 583, 655 ff, 737, 739 f, 789 ff, 806 f, 814, 849 ff, 869, 875 f, 879 ff –, auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse 166 ff –,–, konkrete Rechte 692 ff, 707 ff, 781, 815 –, auf vorurteilsfreie und unparteiliche Behandlung nach seinen individuellen Voraussetzungen 464 f, 537, 653, 882 –, einfachgesetzlich ausgestaltetes 201 f, 507 f, 511 f, 540, 880 f, s auch Gesetzesvorbehalt des Gleichheitssatzes/ Ausgestaltungsvorbehalt –, komparatives, s Gleichheitsrecht/auf Gleichbehandlung; Gleichheitsrecht/ auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse –, nichtkomparatives, s Gleichheitsrecht/ auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten Maßstab –, verfassungsrechtlich vorgegebenes 200 f, 880 ff Gleichheitsrechte, Geltung –, absolut 140 f, 176, 200 f, 271, 305, 308, 316 ff, 358, 361 f, 374, 381, 428 f, 450, 527 f, 542, 567, 645, 647 ff, 707 –, prima facie 140 f, 191 ff, 200 ff, 271, 274, 305 ff, 318 f, 362 ff, 376 ff, 426, 450 ff, 454, 519, 535 ff, 560, 567, 631, 643 ff, 647 ff, 688 ff, 704 ff, 733, 735, 813, 824 ff, 840, 850 f,
Schlagwortverzeichnis 858, 862 ff, 887 ff, s auch Diskriminierungsverbot/als Prima-facie-Recht auf Nichtbenachteiligung; Gesetzesvorbehalt des Gleichheitssatzes/Eingriffsvorbehalt Gleichheitsrechte, Typologie –, Abwehrrechte 456 ff, 508 ff, 521 ff, 527 f, 594 ff, 603 ff, 606 ff, 609 ff, 613 ff, 662 f, 774 ff, 779 ff, 840, 851 ff, 862 ff –, Leistungsrechte 602 f, 615 ff, 620 f, 662 ff, 671 ff, 691 ff, 697 f, 707 ff, 717, 719 ff, 726 ff, 733, 735 –, Mitbestimmungsrechte 499 ff, s auch Wahlrecht –, Verfahrensrechte 800 ff, 813 ff, s auch Parteirechte Gleichheitssatz, allgemeiner –, Eingriff, s dort –, Entpersonalisierung 340, 463, s auch Sachlichkeitsgebot/entpersonalisiertes –, Ergebnisoffenheit 300, 446 f, 520 f, 579 ff, 591 f, 605, 620, 622, 656, 671 f, 736, 789, 811, 839 –, Freiheitsrechte, Verhältnis zu, s Freiheitsrechte/Verhältnis zum Gleichheitssatz –, Gesetzesvorbehalt, s dort –, Gestaltungsauftrag 139 f, 348, 351, 364, 664 ff –, Interpretation, s dort –, Schutzbereich, s dort –, Schutzpflicht, s dort –, Schutzrichtung, s dort –, Schutzzweck, s dort –, Substanzlosigkeit 1 f, 180, 190 ff, s auch Schutzbereich des Gleichheitssatzes, sachlicher –, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 2, 193 ff, 202 f, 230, 232, 308 f, 312 f, 433, 464 f, 485 ff, 538 ff, 598 ff, 604 f, 656 f, 887 ff, s auch Eignung; Erforderlichkeit; Gleichheitsrechte, Geltung/prima facie; Eingriff in den Gleichheitssatz; Interessenabwägung Gleichheitssatz, spezieller, s auch Diskriminierungsverbot –, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG 316 ff –, Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG 674 ff
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–, Art 7 Abs 4 B-VG 137, 177, 367, 783 –, Art 14 Abs 6 B-VG 82, 178, 408, 458, 708 f –, Art I Abs 1 Satz 2 BVG-RD 411 ff, 486, 488 –, Art 14 EMRK 439 f, 445, 455, 467, 475 ff, 486, 488, 503, 534, 622 ff –, Auslegungshilfe für den allgemeinen Gleichheitssatz 130, 136, 157, 187, 315 f, 320, 462 ff, 650 ff, 664, 673 f –, Geltungsverlust 330 ff, 341 ff, 358 f, 416, 639 Gleichmacherei 34, 139, 653, s auch Egalitarismus Gleichstellung 34, 139 f, 376, 664 ff –, von Mann und Frau 393, 665, 670 Gnade 817 ff Grundrechte –, Rahmenordnung 141 –, soziale 660 f, 670, s auch Gleichheitsrechte, Typologie/Leistungsrechte –, Werthierarchie 560 –, Wertordnung 141 Grundrechtsreform 670, 712 Gruppenrechte 394, 401, 429 H Haftanrechnung 256, 282, 300, 519 Haftung für fremde Schulden 262, 268, 494, 521 ff, 541 f, 544 Handlungsfreiheit, allgemeine 234, 268 f, 547, 583 ff, 654 Härtefall 240 ff, 253 ff, 305, 312, 347, 407, 490, 819 Härteklausel 247, 407 Hautfarbe, s Differenzierungskriterien Heiratsgut, s Einkommensteuer Herkunft, s Differenzierungskriterien Hochschülerschaft 335, 485, 504 Homosexualität –, Adoption 632, 637, 644, 649 –, Ehe 482, 612 –, Prägungstheorie 475, 478, 480 f –, Schutzalter 243, 477 f, 480, 637 f –, Sozialversicherung, Mitversicherung 482, 487, 612, 730 –, Strafbarkeit 376, 473 f, 624, 637
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Schlagwortverzeichnis
–, Vorurteile 376 f, 473 f, 480 f, 513, 545, 638 f Hörigkeit 84 f, 92, 128, 176, 551 Hypothekenbankgeschäft 237, 260, 568
Interpretation, gleichheitskonforme 423, 706 f, 730, 747 ff, 756, 770, 774, 777, 872, 886 Islam 370, 377, 742
I Idealnorm 237 ff, 247, s auch Differenzierungsschema Identität 139, 372, 460 f, 467, 473, 647, 650, s auch So-Sein Individualität 139, 372 f, 379 f, 460 ff, 466, 559, 564, 665, s auch So-Sein Inflation 227, 298, 593 Informationsfreiheit 616 f Inlandsmarktdiskriminierung 442 ff, 614 f Inländerdiskriminierung 228, 441 ff, 457, 490, 614 f Interessenabwägung –, Interessen mit Schwellengewicht 232 ff, 352, 355, 383, 645, 813, s auch Gleichheitsrechte, Geltung/prima facie; Gleichheitssatz, allgemeiner/Verhältnismäßigkeitsgrundsatz –, Interessen ohne Schwellengewicht 230 ff, 350 f, 585 Interessenvertretung 232, 503 ff, 508, 540 Interpretation des Gleichheitssatzes 4 ff, 187 ff, 202 –, historische 129 ff, 133 ff, 139 f, 149, 152 ff, 162 ff, 174 ff, 200 f, 366 f, 372 f, 409 f, 499, 561 f, 565, 584 f, 664 f, 739, 782 ff, 804 f –, systematische 136, 150, 187 f, 276 ff, 531, 665, 741 f, s auch Demokratie/ Auslegungshilfe für den Gleichheitssatz; Freiheitsrechte/Auslegungshilfe für den Gleichheitssatz; Gleichheitssatz, spezieller/Auslegungshilfe für den allgemeinen Gleichheitssatz; Rechtsstaatliche Gebote/Auslegungshilfe für den Gleichheitssatz –, teleologische, s Schutzzweck des Gleichheitssatzes –, Wortlaut 129, 133, 136, 138 ff, 148, 156 f, 162, 166, 183, 315, 374, 390, 408, 465, 561, 665, 732, 741
J Jagdprüfung 228, 441 f Jedem das Seine 159, 165 Jubiläumsgeld, s Einkommensteuer Juden, Emanzipation der 13 f, 17, 42, 45 f, 73, 82, 103, 468 Judicial activism, s Aktivismus, richterlicher Judicial self restraint, s Zurückhaltung, richterliche Justiziabilität 685, 710 K Kammer 155, 336, 430, 446, 485, 501 ff, 532 f, 714 f Kapitalgesellschaft 159, 246, 289 f, 493, 599 Karenzurlaubsgeld 343, 617, 627, 632, 636 f, 642, 652 Kinder –, behinderte 161, 163, 167, 222, 250, 668, 686 f, 690 ff, 703 –, Beistandbedürftigkeit 244, 496 –, Berufsausbildung 242, 496 –, eheliche, s Differenzierungskriterien/ Ehelichkeit –, gesellschaftliche Bedeutung 618 –, Mutter und Vater, Beziehung zu 244, 490, 492 –, Name, s Familienname/des Kindes –, Reife 495 ff, 711 f –, Reisepass, Miteintragung 254, 473, 488 –, Schulpflicht 343 ff, 458, 709 –, Schutzalter 243, 474 ff, 496, 637 f –, Staatsbürgerschaft 472 f –, uneheliche, s Differenzierungskriterien/Ehelichkeit –, Unterhaltslast 617 f –, Vater, unehelicher, Beziehung zu 472, 492, 633 f –, Waisenpension, s Pension –, Wohl des Kindes 633, 637 f, 649
Schlagwortverzeichnis Klasse, s Differenzierungskriterien Klassenwahlrecht, s Wahlrecht Kollektivvertrag, s Arbeitsrecht Komparative Rechte, s Gleichheitsrecht/auf Gleichbehandlung; Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse Konkurrenzschutz 224, 569, 574 f, 607, 786 Konsequenzgebot, s System/-gerechtigkeit Kontextabhängigkeit von Gleichheitsurteilen, s Wesentlichkeit von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Beurteilung aufgrund/Kontext Kontingent, s Quote Kontrahierungszwang 500, 607 Konzentrationslager 147 Kopfsteuer, s Einkommensteuer Krankheit 371, 531, 557, 647, 663, 673, 678, 681, 703 f, 734 f, 885 Kriegsopfer 363, 484, 534, 698 f, 730, s auch Opferfürsorge Kuchenbeispiel 146, 154 Kündigung, s Fristen/Kündigung Kunstfreiheit 533, 561, 563, 575, 616 L Ladenöffnungszeiten 608 Landesrecht, s Vergleich/Vorschriften verschiedener Bundesländer Lastengleichheit 16 f, 21, 87, 93, 99, 149, 175, 200, 594 f, 827 f, 844, s auch Sonderopfer Lebenserfahrung, s Erfahrungen des täglichen Lebens Leerheit des Gleichheitssatzes, s Gleichheitssatz, allgemeiner/Substanzlosigkeit; Schutzbereich des Gleichheitssatzes, sachlicher Legalitätsprinzip 740 f, 754 ff, 765 ff –, Gleichheitssatz als Substitut des Bestimmtheitsgebotes 767 ff –, Gleichheitssatz und Gesetzmäßigkeitsgebot 741 ff –, Gleichheitswidrigkeit jenseits des Gesetzesbindung 755 ff Lehrlingsfreifahrt 252, 728 Leibeigenschaft 84, 176, 550
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Leistungsfähigkeit, s auch Arbeitskraft –, Haushaltsbesteuerung 612 –, Indikatoren 298, 597 f, 720 f –, Sozialversicherung 720 f –, Steuerrecht 595 ff, s auch Einkommensteuer Liegenschaft, s Bewertung/Liegenschaften Liegenschaftsfreiheit 15, 17, 85, 90, 99, 468, 565, 640 Losentscheidung 352, 355, 388, 401, 774 f, s auch Zufall als Entscheidungskriterium M Medienfreiheit 570, 619 ff, 625 Meinungsfreiheit 15, 51, 460, 593, 619 ff, 625 Meldepflicht 217, 234 f, 257, 261, 668, 704 f Menschenrecht –, Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG 407 ff –, Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG 82, 408, 699 f –, Art 7 Abs 3 B-VG 82, 408 –, Art 14 Abs 6 B-VG 82, 408, 708 f –, Art I Abs 1 Satz 2 BVG Rassendiskriminierung 430 f –, Art 14 EMRK 629, 640 f, 651 f –, Gleichheitssatz, allgemeiner, s Schutzbereich des Gleichheitssatzes, persönlicher Menschenwürde 242, 372 f, 673, 726 Mietrecht –, Haupt- und Untermiete 286, 629 –, Kündigungsschutz 286 –, Räumungsschutz 155 f, 286, 632 Minderheitenschutzfunktion –, der Grundrechte 564, 616 –, des Gleichheitssatzes 130, 167 f, 182 ff, 188, 232, 240, 373, 394, 441, 465 f, 481, 508, 528, 618, 653, 681 f, 691, 703 f, 708 Mitbestimmungsrechte, s Gleichheitsrechte, Typologie Motivationsverbot, s Diskriminierungsverbot Mutterschutz 375, 703, 718, 734 f, s auch Schwangerschaft
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Schlagwortverzeichnis
N Nachtarbeitsverbot 329, 349 ff, 353, 359, 380, 382 f, 589 Nachzugsrecht, s Ausländer Nationalitäten 18 f, 47, 52, 68, 75, 178 Nationalsozialismus 147, 176, 242, 333, 339, 468 f, 484, 501, 511 Naturrecht 186, 329 Nichtkomparative Rechte, s Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten Maßstab Niederlassungsfreiheit 574, 593, 613 ff, s auch Aufenthaltsrecht; Freizügigkeit Notstandshilfe 343, 445, 602 f, 632, 641, 719, 726 O ÖBB 278, 490, 579, 607 f Öffnungsklausel, s Quote Opferfürsorge 467 f, s auch Kriegsopfer Ordnungssystem, s auch System; Systemgrundsätze –, Begriff 282 f, 287, 293 ff –, Berufsrecht 446, 502 f –, Öffentlicher Dienst –,–, Dienstrecht 206, 280 f, 294 f, 531 –,–, Pensionsvorsorge 210, 280 f, 284 f, 531 –, Sozialversicherung 206, 210, 280 ff, 285, 287, 294, 531, 533, 724 f –, Strafrecht 300 ff, 518 ff, 544 –, Verfahrensordnungen 262 f, 281 f, 294, 519 –, Vergleich, verschiedener Ordnungssysteme 211, 263, 280 ff, 296, 304, 306, 309 f, 506 f, 519 f, 529, 531, 724 f, 737, 817 –, Wahlrecht, Selbstverwaltungsorgane 272, 506 f P Parteiengehör 743, 803 Parteiproporz 470 f Parteirechte 785 ff, s auch Recht, subjektives –, Beschränkung 793 ff, 811 ff –, komparative 786 ff
–, nichtkomparative 789 ff, 801 ff Parteizugehörigkeit, s Differenzierungskriterien Pauschalierung, s Typisierung Pension –, Antrittsalter 226 ff, 238 f, 347 ff, 359, 380, 382, 496, 577, 831, 834, 836 ff –, Beamte, s dort –, Kürzung 832 ff –, Ruhensbestimmung 209 ff, 227, 236, 285, 714, 825 ff, 833 –, Waisenpension 472, 718 –, Witwen/rpension 207, 256, 337, 345 f, 380 f, 385, 400, 718, 749, 833 Prägungstheorie, s Homosexualität Praxisnorm 237 ff, 247, s auch Differenzierungsschema Pressefreiheit 42, 51, 570, 574, 619 ff, 625 Prima-facie-Recht, s Gleichheitsrechte, Geltung/prima facie Prinzip –, Freiheitsrechte 141 f –, Gleichheitssatz 142 ff Prioritätsgrundsatz 417, 582, 774 Privat- und Familienleben, Achtung des 352, 372, 474 f, 478 ff, 480, 490 f, 564, 576 f, 582, 586, 598, 609 ff, 617 f, 620 f, 624 ff, 637 f, 642, 723, 728, 809, 812 Privatwirtschaftsverwaltung, s Schutzrichtung des Gleichheitssatzes/Fiskalgeltung Prostitutionsverbot 570, 578 Prozesskosten, s Verfahrenskosten Prüfungsmaßstab der Gleichheitsprüfung –, differenzierter 202, 499 –, Durchschnittsbetrachtung und Verwaltungsökonomie 259, 312 f, 465 ff –, mild –,–, einfachgesetzliche Ausgestaltung von Gleichheitsrechten ohne verfassungsrechtliche Vorgaben 183, 188 f, 201 f, 310, 422, 511, 695 ff, 715 –,–, nach Interessenausgleich durch Interessenvertretungen 231 f, 508
Schlagwortverzeichnis –,–, Patt-Stellung der Argumentation 189, 388 f, 502 –,–, unverdächtige Differenzierungen 511 ff, 528 ff, 531 ff, 539 f, 595 f –,–, wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede 156, 212, 225 –,–, Zielwahl 223 f –, mittelstreng –,–, einfachgesetzliche Ausgestaltung von Gleichheitsrechten nach verfassungsrechtlichen Vorgaben 507 f, 543 –,–, Eingriff in einfachgesetzlich ausgestaltete Gleichheitsrechte 311 ff, 620 ff –, streng –,–, Eingriff in verfassungsrechtlich vorgegebene Gleichheitsrechte 297 ff, 306, 313, 499 ff, 508 ff, 521 ff, 592 ff, 605 ff –,–, Gefahr eines Demokratiedefizits 183, 508 –, sehr streng –,–, Benachteiligung aufgrund eines verpönten Differenzierungsmerkmals 376 ff, 428 ff, 466 ff, 537 ff, 649 ff, 689 ff –, Systemdurchbrechungen 297 ff, 306, 311 f –, wechselnder 243, 255 ff, 312 f, 320, 343, 359 f Q Quote –, Arbeitsbewilligung 232 f, 422, 583 –, Aufenthaltsbewilligung 192, 260 f, 417, 422, 582 f –, Frauen 353, 363, 390 ff, 403 ff –, gewerbliche Bewilligung 582 –, Minderheiten, ethnische, rassische 390 –, Öffnungsklausel 397 f, 402 ff R Radfahrverbot 267, 512, 587 Rasse, s Differenzierungskriterien Rauchen 268 f, 722 f, s auch Zigaretten-Erkenntnis
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Raumordnungsrecht 772 ff Recht –, absolutes, s Gleichheitsrechte, Geltung/absolut –, auf Gleichbehandlung, s Gleichheitsrecht/auf Gleichbehandlung –, auf Ungleichbehandlung, s Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten Maßstab; Gleichheitsrecht/ auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse –, elitäres 779 ff –, komparatives, s, Gleichheitsrecht/auf Gleichbehandlung; Gleichheitsrecht/ auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse –, nichtkomparatives, s Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten Maßstab –, Prima-facie-Rechte, s Gleichheitsrechte, Geltung/prima facie –, subjektives 801, s auch Parteirechte –, wohlerworbenes, s Vertrauensschutz –, Zugang zum 778 ff Rechtsanwendungsgleichheit 133, 741 ff Rechtsfähigkeit, gleiche 61, 174 Rechtsgleichheit –, persönliche 315, 462 ff, 497 ff, 539 –, sachliche 497 ff, 539 Rechtsinstitut –, Begriff 282, 287, 293 ff –, Vergleich verschiedener Rechtsinstitute 280 ff, 284 ff Rechtsschutz, effizienter 271, 753 f, 779, 799, 810, 813 ff, s auch Parteirechte Rechtsstaatliche Gebote –, Legalitätsprinzip, s dort –, Auslegungshilfe für den Gleichheitssatz 741 f, 754 f, 763 f, 767 ff, 772 f, 778 ff, 804 f, 821 Refoulement-Verbot 575, 640, 751 Regelfall 240 ff, s auch Härtefall Religionsfreiheit, s Bekenntnisfreiheit Religionsgesellschaften –, gesetzlich anerkannte 534, 640 f
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Schlagwortverzeichnis
–, Gleichheit der 45 f, 67 f, 71 ff, 126, 162, 361, 379, 534, 626, 640 f, 790, 794, 803 Richter, s auch Berufe und Beschäftigungen –, gesetzlicher, s Gesetzlicher Richter, Recht auf –, Zugang zum 785 ff Rollen, gesellschaftliche, Anpassung 344 f, 347 f, 350 ff, 355, 373, 379 f, 382 ff, 386 f, 389 f, 409, 461, 464, 538, 547, 636, 654, 883 Rückstellung, s Einkommensteuer Rückwirkung 847 ff Ruhensbestimmung, s Pension S Sachgerechtigkeit 189 f, 216 f, 306, 892 Sachlichkeit 213 ff –, Begründung 218 f, 232, 307, 464, 892 –, Rechtfertigung 217 ff, 232, 307 f, 464, 892 –, Unparteilichkeit, s dort Sachlichkeitsgebot –, als Gebot, einem bestimmten Maßstab zu entsprechen, 269 ff, 279, 307, 893, 896, s auch Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten Maßstab –, als Staatsorganisationsprinzip 275 ff, 279, 307, 894 –, als Substitut für Freiheitsrechte 267 ff, 279, 307, 568 ff, 658, 894, s auch Freiheitsrechte/Verhältnis zum Gleichheitssatz –, als Zweckmäßigkeitsprinzip 276 f, 463, 894 –, entpersonalisiertes 275 ff, 463 –, vergleichsfreies 260 ff, 264 ff, 273 f, 279, 462, 895 f Scheinrationalisierung 215, 460, 471, 473, 491, 813, s auch Vorurteil Schuldprinzip 195 f, 198 f, 217, 509 ff, 604 Schule –, Schulpflicht 207, 343 ff, 353, 497, 686
–, Zugänglichkeit, gleiche 408, 458, 708 f Schutzbereich des Gleichheitssatzes, persönlicher 433 ff, 651 f, 882 f –, Drittstaatsangehörige 411 ff, 430 ff, 434 ff, 444 ff, 456 –, EWR-Bürger 411 ff, 430 ff, 447 ff, 453 ff, 642 –, Menschen 116, 407 ff, 412 ff, 430 f, 457, 650 ff, 699 f, 708 f, s auch Menschenrecht –, Staatsbürger 116, 412 ff, 441 ff, 456 Schutzbereich des Gleichheitssatzes, sachlicher 191 ff, 200 ff, 305 ff, 461 f, 535 f, 879 ff, s auch Gleichheitsrecht Schutzpflicht –, Freiheitsrechte 510 f, 567 f, 621, 655, 661 –, Gleichheitssatz 382, 390 ff, 427, 511, 621, 664 ff, 691 ff, 707 ff, 711 f, 715 ff Schutzrichtung des Gleichheitssatzes –, Drittwirkung 382, 500, 700 ff –, Fiskalgeltung 134, 755 ff, 760, 773, 806 –, Gesetzgebung 133 ff, 139 –, Vollziehung 133, 741 ff Schutzzweck des Gleichheitssatzes –, demokratischer 130, 182 ff, 373 f, 512 f, 529, 536 f, 595 f, 618, 703, 881 ff –, individualistischer 373, 457 ff, 462 ff, 881 ff –, Freiheitsrechte, Flankierung der 588 ff, 592 ff, 605 ff, 615 ff, 883 f –, personaler 457 ff, 462 ff, 468 ff, 881 ff –, rechtsstaatlicher 125, 127, 129 f, 177 f, 739 ff, 754 f, 774 ff, 779 ff, 803 ff, 817 ff, 885 f –, sozialer 702 ff, 734 f, 884 Schwangerschaft 375, 404 f, 703 f, 718, 734 f, s auch Mutterschutz Schwangerschaftsabbruch 624 Schwarzarbeit 515, 706 Selbstbindung der Verwaltung 755 ff Selbstverwaltung –, Einrichtung 501 ff
Schlagwortverzeichnis –, Wahlrecht 503 ff Separate but equal 364, 378 f, 428, 502, 686 f, 710, 724, 736, 836, 842, s auch Gleichheitsrecht/als gleichwertig behandelt zu werden Sippenhaftung 373, 526, 537, 539, 882 Solidarität 659 ff, 884 f –, bei Sparmaßnahmen 709 ff, 731 f, 736, 830 –, gegenüber Arbeitssuchenden 210 f, 349, 713 f, 827 f –, gegenüber Armen 709 –, gegenüber behinderten Menschen 691 –, gegenüber doppelt belasteten Frauen 349 –, in der Sozialversicherung 603, 626, 719, 724, 732, 830, 836, 840, 876 Sonderopfer 572 f, 587, 589, 594, 609, 654, 830, 840, 865, 876, s auch Lastengleichheit So-Sein 372, 459, 461, 464, 473, 498, 536, 654, 680 f, s auch Identität; Individualität Sozialhilfe 245, 258, 378, 610, 617, 696 f, 717, 721, 727, 737, 803, 828 Sozialstaat 660 ff, 668, 670 f, 682, 710, 731 Sozialversicherung –, Äquivalenzgrundsatz 603, 714, 720, 866 –, Beitragsbemessung 720 ff –, Höchstbeitragsgrundlage 156, 721, 723 f –, Mehrfachversicherung 282, 723 f –, Mitversicherung 482 f, 487, 611 f, 730 –, Risken –,–, gute und schlechte 722 –,–, selbstverschuldete 722 f –, Standesdifferenzierungen 375, 378, 537, 724 –, Systemgrundsätze 719 ff –, Vergleichbarkeit verschiedener Versicherungssysteme, s Ordnungssystem/ Sozialversicherung –, Versicherungsträger, Ausgleich zwischen 723
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Sparmaßnahmen 227, 602 f, 626, 657, 693, 706, 709 ff, 731 f, 736, 826 f, 830, 834, 861 Sprache, s Differenzierungskriterien Staatsangehörigkeit, s Differenzierungskriterien Staatsbürger, s Schutzbereich des Gleichheitssatzes, persönlicher Staatsbürgerschaft, s Differenzierungskriterien Staatsbürgerschaftsrecht 408 f, 412 f, 418, 423, 436, 472 f, 706 f Staatsorganisation, s Sachlichkeitsgebot/ als Staatsorganisationsprinzip Staatsziel –, Art 7 Abs 1 Satz 4 B-VG 562, 675 f, 685, 695, 698, 700, 734 –, Art 7 Abs 2 B-VG 392 f, 401, 403, 406, 408, 562, 665, 670, 695, 732 –, Grundrechte von Kremsier 27 Stand, s auch Berufe und Beschäftigungen –, Begriff 368 –, Standesdifferenzierungen –,–, öffentliches Dienstrecht 842 –,–, Selbstverwaltung 502 f, 537 –,–, Sozialversicherungsrecht 375, 537, 724 Stereotypen 214, 238, 344, 352, 382, 386 ff, 404, 406, 460 f, 464, 529, 589, 633 f, 636, 639, 645, 650, 654, 813, 883, s auch Typisierung Sternsozietät 591 Sternzeichen 469 Stichtag 192 f, 226, 240, 247, 776 ff, s auch Übergangsregelung Strafrecht 195 f, 268 f, 508 ff, 541, 543 f, 603 ff Studienbeihilfe 222, 717, 727 f, 748, 859 Substanzlosigkeit des Gleichheitssatzes, s Gleichheitssatz, allgemeiner Surrogatmerkmal 238 f, 246 ff, 253, 256, 452, 491 ff, 533, 597 f, 706, 720 f, s auch Durchschnittsbetrachtung; Verwaltungsökonomie System –, Begriff, s Ordnungssystem/Begriff
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Schlagwortverzeichnis
–, Durchbrechung 288 ff, 291 ff, 306, 308, 311 f, s auch Prüfungsmaßstab/ Systemdurchbrechung –, -gerechtigkeit 292 ff, 311 f –, verfassungsrechtlich vorgegebenes 297 ff, 306, 308, 311, 313 Systemgrundsätze –, Abgabenrecht 297 ff, 592 ff –, Gebührenrecht 600 ff –, Sozialrecht 726 ff –, Sozialversicherungsrecht 719 ff –, Strafrecht 300 ff, 508 ff, 603 ff T Tadel 282, 509 ff, 541, 711, 851 Taschengeld 697, 728 Teilzeitbeschäftigung 355 ff, 390, 487 Tertium comparationis 155, 172 ff, 569 Titel –, Adelstitel 37, 41 ff, 54 ff, 62 f, 82, 86, 96, 110 f, 117, 178 –, akademischer 110, 112, 336, 408, 586 Tradition 347, 349, 351, 354, 362, 383 ff, 610, 612 Treuegeld, s Einkommensteuer Typisierung 239 ff, 380 f, 387, 471, 511, 515 f, 543, 604, 887, s auch Stereotypen U Übergangsregelung 244, 247, 256 f, 348, 417, 422, 710, 777, 822, 824, 830, 840, 843 f, 868, s auch Stichtag Überinklusivität, s Erforderlichkeit Umstände, manipulative 774 ff, s auch Zufall als Entscheidungskriterium Umverteilung 139 f, 146, 382, 664 ff, 716 f, 726, 830 –, Einkommensteuer 717 –, Sozialversicherung 603 Unehelichkeit, s Differenzierungskriterien/Ehelichkeit Ungleichbehandlung –, Begriff 143 ff –, des Ungleichen, s Gleichheitsrecht/ auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten
Maßstab; Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse –, gleichwertige, s Separate but equal –, mittelbare, s Diskriminierung/mittelbare –, nach einem Maßstab, s Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten Maßstab –, unmittelbare, s Diskriminierung/unmittelbare –, zur Erreichung gleicher Ergebnisse, s Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse Ungleichbehandlungsgebot –, Argumentationslast 165 ff –, Asymmetrie 169 ff –, Gebot, einem Maßstab zu entsprechen, s Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung bzw Behandlung nach einem bestimmten Maßstab –, Gebot, Ergebnisgleichheit herzustellen, s Gleichheit/im Ergebnis; Gleichheitsrecht/auf Ungleichbehandlung zur Erreichung gleicher Ergebnisse UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau 138, 364, 391, 394, 397 Unparteilichkeit 214 ff, 221, 230 f, 373, 385, 403, 464, 508, 537, 604, 744, 773, 812, 889, 891, 894, s auch Gleichheitsrecht/auf vorurteilsfreie und unparteiliche Behandlung nach seinen individuellen Voraussetzungen Unterinklusivität, s Erforderlichkeit Unterschiede –, im Tatsächlichen 211 f –, wesentliche, s Wesentlichkeit von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Beurteilung aufgrund Untertänigkeit 10, 24, 84 f, 90 ff, 128, 176, 333, 501, 551 Unwerturteil 488, 490, 513, 539, s auch So-Sein; Tadel Unzumutbarkeit 163, 251 f, 261, 371, 386 f, 407, 457, 464, 487, 527 f,
Schlagwortverzeichnis 536 f, 542, 544 f, 587 f, 596, 647, 650, 654, 673, 685, 694, 705, 707, 727, 780 f, 786, 842, 883 V Vater, unehelicher 254, 472 f, 610, 624, 627, 633 f, 638 Vaterschaftsfeststellung, s Fristen Verantwortung –, für fremdes Verhalten 515, 521 ff –, individuelle 509 f, 515 –, strafrechtliche 508 ff, 515, 711 Verbandsverantwortlichkeit 510 Verbotsgesetz 483 ff, 511 Verdienst, s Differenzierungskriterien Vereinsfreiheit 15, 574 Verfahrenshilfe 815, 888 Verfahrenskosten 192, 449, 815 Verfahrensordnungen, s Ordnungssystem/Verfahrensordnungen Verfahrensrechte, s Gleichheitsrechte, Typologie Vergleich –, als konstitutives Element der Gleichheitsprüfung 220, 265 f, 269 f, 895 –, mit der allgemeinen Handlungsfreiheit 268 f, 512 –, mit der restlichen Rechtsordnung 265 –, Ordnungssystem, s dort –, Verwaltungspraxis in verschiedenen Bundesländern 764 –, Vorschriften verschiedener Bundesländer 206 f, 443 f Vergleichbarkeit 205 ff, 304, 309, 630 f Vergleichsfreie Gleichheitsprüfung, s Sachlichkeitsgebot/vergleichsfreies Vergleichsobjekt –, Auswahl 205 ff, 309 f –, Steuerrecht 595 f –, Strafrecht 512 f Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, s Eigentum; Eignung; Erforderlichkeit; Gleichheitssatz, allgemeiner; Interessenabwägung Vermutung der Gleichheitskonformität oder -widrigkeit, s Argumentationslast Verordnung, gleichheitswidrige 764 ff
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Verstaatlichung 574 Vertrauensschutz –, Dispositionsschutz 862 ff –, Rechte, wohlerworbene 235 ff, 822 ff –, Rückwirkung, s dort Vertretbarkeitskontrolle, s auch Prüfungsmaßstab –, bei der Mittelwahl 222 f, 225 f, 218 f, 307, 892 –, bei der Zielwahl 222 ff, 613, 717 Verwaltungsökonomie 237 ff, 248 ff, 465 f –, als Eingriff in den Gleichheitssatz 192, 258 ff, 379 ff, 465 f, 538, 543, 887 f, 889 ff –, bei verpönten Differenzierungskriterien 344 ff, 359, 379 ff, 466 f, 482, 490, 538, 543, 633 f, 691 f, 889 f –, Prüfungsmaßstab, s Prüfungsmaßstab/ Durchschnittsbetrachtung und Verwaltungsökonomie Verwaltungspraxis, s Selbstbindung der Verwaltung Vollzeitbeschäftigung 355 ff, 390, 487 Vollziehung, Bindung an den Gleichheitssatz, s Schutzrichtung des Gleichheitssatzes Vorrechte iSd Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG 374 ff Vorurteil 214 ff, 373, 376 ff, 399 ff, 404 ff, 460, 462, 464, 471, 479, 481, 530, 536 ff, 635 f, 639, 682, 689, 691, 695, 734, 742, 812 f, s auch Gleichheitsrecht/auf vorurteilsfreie und unparteiliche Behandlung nach seinen individuellen Voraussetzungen; Scheinrationalisierung W Wahlrecht –, allgemeines 106, 128 f, 176 f, 366 f, 374, 410, 715 –, Arbeiterkammer 336, 430, 446, 485, 503 ff, 714 f –, Bildungswahlrecht 25 –, Hochschülerschaft 335 f, 485, 504 –, Klassenwahlrecht 25, 87, 98, 100, 129, 140, 176 f, 369, 374, 704, 706, 734
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Schlagwortverzeichnis
–, Männerwahlrecht 25, 104, 106, 125, 129, 152 f, 177, 374, 460 –, Selbstverwaltungskörper 503 ff, 541, 543 Wehrgleichheit 126, 175, s auch Lastengleichheit Weimarer Reichsverfassung 108 ff, 360 Weinskandal 267 Wertungen –, außerrechtliche 2, 310, 880, 896 –, einfachgesetzliche 224, 310 ff, 880 f, 896, s auch Gesetzesvorbehalt des Gleichheitssatzes/Ausgestaltungsvorbehalt –, unvermeidbare 179 f, 259, 312 f, 896 –, verfassungsrechtlich vorgegebene 310 ff, 880 ff –, vermeidbare 309 f Wertungsproblem des Gleichheitssatzes 2, 309 –, Kapitulation vor dem 184 ff –, Leugnung des 179 f –, Lösung des 172 ff, 186 ff, 310 f, 313 f, 880 f, 896, s auch Argumentationslast; Prüfungsmaßstab Wesensgehalt 573 f Wesentlichkeit von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Beurteilung aufgrund –, Gerechtigkeit 184 f, 194 ff, 880 –, Kontext 155, 179, 189 f, 216 f, 283, 448, 530 f, 535, 540, 698 –, Rechtsordnung 172 ff, 186 ff, 189 f, 310, 448, 880 ff –, Regelungsziel 189, 221 f, 224 f, 307, 530 f, 540, 644, 698, 881 Wettbewerbsneutralität 299 f, 607 f Wettbewerbsverzerrung 278, 607 ff, 697, 718 Wiederaufnahme des Verfahrens 282, 285 f, 302 f, 520 f, 529, 762, 817 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 281 f, 775 Willkür 421, 742 ff
–, Anwendungsvorrang 751 ff –, Denkunmöglichkeit 744, 750 f –, einfache Gesetzwidrigkeit, Abgrenzung 743, 745 ff –, objektive 743 ff –, subjektive 742 f –, Vorwerfbarkeit 745 ff, 753 Windhundverfahren, s Prioritätsgrundsatz Witwen/rpension, s Pension Wohnbeihilfe 617, 717, 728 Wohnsitz, s Differenzierungskriterien; Freizügigkeit Z Zensur 51 f, s auch Meinungsfreiheit; Pressefreiheit Zentralisierung 78 f, 85 ff, 92 f, 127 f, 130 Ziele, s Zwecke Zigaretten-Erkenntnis 327 ff Zufall als Entscheidungskriterium 16, 282, 402, 417, 739, 774 ff, 835, 872, 877, 886, 888, s auch Losentscheidung; Umstände, manipulative Zumutbarkeit 246, 256 f, 339, 355, 510, 515, 529, 539, 541, 547, 578, 588 f, 597, 768, 885, s auch Unzumutbarkeit Zurückhaltung, richterliche 4, 180 ff, 186, 189, 226, 481 f, 542 f, 894 Zwecke –, externe 195 ff, 202, 213, 221, 232, 261, 319, 343, 354, 380, 383 f, 387, 400, 405, 417, 430, 444, 451 ff, 471 f, 508, 511, 514, 518, 537 ff, 578, 582, 603, 609, 614, 635, 644, 648 ff, 656, 658, 688, 713 f, 776 f, 788, 818, 835, 872, 874, 886 –, interne 195 ff, 294 –, primäre 240, 249, 259, 387 –, sekundäre 249, 259, 540, 693 Zweifelsregel, s Argumentationslast; Prüfungsmaßstab
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Forschungen aus Staat und Recht Bis Band 133 herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler, nunmehr herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. Bernhard Raschauer, Universität Wien, im Zusammenwirken mit Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler und Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Walter Antoniolli. 1: Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer. Von Univ.-Prof. DDr. Friedrich Koja. XIV, 389 Seiten. 1967. Vergriffen 2: Die Weisung. Eine verfassungs- und verwaltungsrechtliche Studie. Von Univ.-Prof. DDr. Walter Barfuss. VIII, 117 Seiten. 1967. Vergriffen 3: Die Problematik der Reinen Rechtslehre. Von Dr. Karl Leiminger. VIII, 102 Seiten. 1967. Vergriffen 4: Die Entscheidungsbefugnis in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine rechtsvergleichende Studie zum österreichischen und deutschen Recht. Von Univ.-Prof. DDr. Georg Ress. XII, 282 Seiten. 1968. Geheftet € 31,– 5: Die Fehlerhaftigkeit von Gesetzen und Verordnungen. Zugleich ein Beitrag zur Gesetzes- und Verordnungskontrolle durch den Verfassungsgerichtshof. Von Univ.-Prof. Dr. Richard Novak. VIII, 218 Seiten. 1967. Geheftet € 23,– 6: Norm, Recht und Staat. Überlegungen zu Hans Kelsens Theorie der Reinen Rechtslehre. Von DDr. Raimund Hauser. 7 Abbildungen. VIII, 168 Seiten. 1968. Geheftet € 19,– 7: Ressortzuständigkeit und Vollzugsklausel. Eine verfassungs- und verwaltungsrechtliche Untersuchung zur Zuständigkeit der Bundesminister. Von Univ.-Prof. DDr. Walter Barfuss. VIII, 130 Seiten. 1968. Geheftet € 15,– 8: Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen gegenüber Drittstaaten. Von Univ.-Prof. Dr. Konrad Ginther. VII, 202 Seiten. 1969. Geheftet € 23,– 9: Der Bundespräsident. Eine Untersuchung zur Verfassungstheorie und zum österreichischen Verfassungsrecht. Von Univ.-Doz. Dr. Klaus Berchtold. XIV, 354 Seiten. 1969. Geheftet € 38,– 10: Die öffentliche Unternehmung. Ein Beitrag zur Lehre von der Wirtschaftsverwaltung und zur Theorie des Wirtschaftsverwaltungsrechts. Von Univ.-Prof. DDr. Karl Wenger. XVII, 673 Seiten. 1969. Vergriffen 11: Die Identität der Tat. Der Umfang von Prozeßgegenstand und Sperrwirkung im Strafverfahren. Von Univ.-Prof. Dr. Christian Bertel. X, 208 Seiten. 1970. Geheftet € 24,– 12: Wertbetrachtung im Recht und ihre Grenzen. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. VIII, 59 Seiten. 1969. Vergriffen 13: Rechtslogik. Versuch einer Anwendung moderner Logik auf das juristische Denken. Von Univ.-Prof. DDr. Ota Weinberger. 21 Abbildungen. XVIII, 396 Seiten. 1970. Vergriffen __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 14: Umfassende Landesverteidigung. Eine verfassungsdogmatische und verfassungspolitische Grundlagenuntersuchung für den Bundesstaat Österreich. Von Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler. VIII, 172 Seiten. 1970. Vergriffen 15: Materiales Verfassungsverständnis. Ein Beitrag zur Theorie der Verfassungsinterpretation. Von Univ.-Prof. Dr. Norbert Wimmer. VIII, 141 Seiten. 1971. Geheftet € 20,– 16: Versicherungsaufsichtsrecht. Eine Studie zum deutschen und zum österreichischen Recht. Von Dipl.-Ing. Dr. Heinz Kraus. XVIII, 329 Seiten. 1971. Vergriffen 17: Gliedstaatsverträge. Eine Untersuchung nach österreichischem und deutschem Recht. Von Univ.-Prof. Dr. Heinz Peter Rill. XIX, 711 Seiten. 1972. Geheftet € 79,– 18: Verfassungsinterpretation in Österreich. Eine kritische Bestandsaufnahme. Von Univ.Prof. Dr. Heinz Schäffer. XI, 228 Seiten. 1971. Geheftet € 30,– 19: Gemeindeaufsicht. Von Univ.-Doz. Dr. Klaus Berchtold. X, 223 Seiten. 1972. Geheftet € 25,– 20: Vereine als öffentliche Unternehmen. Voraussetzungen und Folgen organisatorischer Beherrschung öffentlicher Unternehmen durch den Staat; dargestellt am Beispiel der Landesversicherungsanstalten. Von Univ.-Prof. Dr. Gerhardt Plöchl. XXIII, 387 Seiten. 1972. Geheftet € 47,– 21: Parlamentarische Kontrolle im politischen System. Die Verwaltungsfunktionen des Nationalrates in Recht und Wirklichkeit. Von Univ.-Prof. Dr. Peter Gerlich. XV, 354 Seiten. 1973. Geheftet € 46,– 22: Handbuch des Gemeinderechts. Organisation und Aufgaben der Gemeinden Österreichs. Von Univ.-Prof. Dr. Hans Neuhofer. XVIII, 449 Seiten. 1972. Vergriffen 23: Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht. Eine theoretische, dogmatische und vergleichende Untersuchung am Beispiel Österreichs. Von Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger. XV, 397 Seiten. 1973. Geheftet € 53,– 24: Förderungsverwaltung. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. DDr. Karl Wenger. XVII, 434 Seiten. 1973. Geheftet € 68,– 25: Ordinale Deontik. Zusammenhänge zwischen Präferenztheorie, Normlogik und Rechtstheorie. Von Univ.-Prof. Dr. Thomas Cornides. 41 Abbildungen. X, 210 Seiten. 1974. Geheftet € 45,– 26: Die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden im Vollstreckungsverfahren. Von Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer. XII, 120 Seiten. 1974. Geheftet € 20,– 27: Die internationale Konzession. Theorie und Praxis der Rechtsinstitute in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Von Univ.-Prof. Dr. Peter Fischer. 2 Abbildungen. XXI, 594 Seiten. 1974. Geheftet € 94,– 28: Der verfahrensfreie Verwaltungsakt. Die „faktische Amtshandlung“ in Praxis und Lehre. Eine Integration von Ordnungsvorstellungen auf dem Gebiete des Verwaltungsaktes. Von Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk. XV, 247 Seiten. 1975. Geheftet € 45,– __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 29: Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein Beitrag zur modernen Staatsformenlehre. Von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mantl. X, 391 Seiten. 1975. Geheftet € 71,– 30: Die Gehorsamspflicht der Verwaltungsorgane. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung zum Dienstrecht. Gleichzeitig ein Beitrag zur Lehre vom Verwaltungsakt. Von DDr. Karl Lengheimer. X, 124 Seiten. 1975. Geheftet € 23,– 31: Neutralität und Neutralitätspolitik. Die österreichische Neutralität zwischen Schweizer Muster und sowjetischer Koexistenzdoktrin. Von Univ.-Prof. Dr. Konrad Ginther. X, 168 Seiten. 1975. Geheftet € 35,– 32: Rechtstheorie und Rechtsinformatik. Voraussetzungen und Möglichkeiten formaler Erkenntnis des Rechts. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. 39 Abbildungen. XVI, 248 Seiten. 1975. Geheftet € 36,– 33: Die Völkerrechtssubjektivität der Unionsrepubliken der UdSSR. Von Univ.-Prof. Dr. Henn-Jüri Uibopuu. XV, 341 Seiten. 1975. Geheftet € 65,– 34: Staatsmonopole. Von Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer. XVI, 424 Seiten. 1976. Geheftet € 48,– 35: Logische Verfahren der juristischen Begründung. Eine Einführung. Von Univ.-Prof. Mag. Dr. Ilmar Tammelo und Dr. Gabriël Moens. VIII, 111 Seiten. 1976. Vergriffen 36: Rechtsphilosophie und Gesetzgebung. Überlegungen zu den Grundlagen der modernen Gesetzgebung und Gesetzesanwendung. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. DDDr. Johann Mokre und Univ.-Prof. DDr. Ota Weinberger. 4 Abbildungen. VII, 199 Seiten. 1976. Geheftet € 46,– 37: Internationale Konflikte – verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung. Versuche einer transdisziplinären Betrachtung der Grundsätze des Gewalt- und Interventionsverbots sowie der friedlichen Streitbeilegung im Lichte der UN-Prinzipiendeklaration 1970 und der modernen Sozialwissenschaften. Von Univ.-Prof. Dr. Hanspeter Neuhold. XX, 598 Seiten. 1977. Geheftet € 67,– 38: Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung. Von Univ.-Prof. DDr. Werner Krawietz. XXI, 316 Seiten. 1978. Geheftet € 70,– 39: Grundfragen der Philosophie des Rechts. Von Univ.-Prof. Dr. Vladimír Kubeš. VIII, 87 Seiten. 1977. Geheftet € 19,– 40: Dauernde Neutralität und europäische Integration. Von Univ.-Prof. Dr. Michael Schweitzer. XVI, 347 Seiten. 1977. Geheftet € 66,– 41: Politische Planung im parlamentarischen Regierungssystem. Dargestellt am Beispiel der mittelfristigen Finanzplanung. Von Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner. XVI, 395 Seiten. 1978. Geheftet € 76,– 42: Freiheit und Gleichheit. Die Aktualität im politischen Denken Kants. Von Univ.Prof. Dr. Gerhard Luf. VII, 197 Seiten. 1978. Geheftet € 41,– __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 43: Strukturierungen und Entscheidungen im Rechtsdenken. Notation, Terminologie und Datenverarbeitung in der Rechtslogik. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. Dr. Ilmar Tammelo und Dr. Helmut Schreiner. 6 Abbildungen. VIII, 316 Seiten. 1978. Geheftet € 31,– 44: Die Staatslehre des Han Fei. Ein Beitrag zur chinesischen Idee der Staatsräson. Von Univ.-Prof. Dr. Geng Wu. X, 108 Seiten. 1978. Geheftet € 26,– 45: Namensrecht. Eine systematische Darstellung des geltenden österreichischen und des geltenden deutschen Rechts. Von Univ.-Prof. Dr. Bernhard Raschauer. XIX, 356 Seiten. 1978. Geheftet € 76,– 46: Orientierungen im öffentlichen Recht. Ausgewählte Abhandlungen. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. 2 Abbildungen. VII, 300 Seiten. 1979. Geheftet € 35,– 47: Die Prüfung von Gesetzen. Ein Beitrag zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle. Von Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller. X, 300 Seiten. 1979. Geheftet € 54,– 48: Denkweisen der Rechtswissenschaft. Einführung in die Theorie der rechtswissenschaftlichen Forschung. Von Univ.-Prof. Dr. Aulis Aarnio. XVI, 246 Seiten. 1979. Geheftet € 46,– 49: Grundrechtsverständnis und Normenkontrolle. Eine Vergleichung der Rechtslage in Österreich und in Deutschland. Kolloquium zum 70. Geburtstag von H. Spanner. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. Dr. Klaus Vogel. 1 Porträt. XX, 106 Seiten. 1979. Geheftet € 26,– 50: Gesetzgebung. Kritische Überlegungen zur Gesetzgebungslehre und zur Gesetzgebungstechnik. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler und Univ.-Prof. Dr. Bernd Schilcher. IX, 285 Seiten. 1981. Geheftet € 51,– 51: Der Staat als Träger von Privatrechten. Von Univ.-Prof. Dr. Bruno Binder. XIX, 400 Seiten. 1980. Geheftet € 54,– 52: Verfassungswirklichkeit in Osteuropa. Dargestellt am Beispiel der Präsidia der obersten Vertretungsorgane. Von Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Heinrich. 2 Abbildungen. XII, 389 Seiten. 1980. Geheftet € 60,– 53: Perspektiven zur Strafrechtsdogmatik. Ausgewählte Abhandlungen. Von Univ.-Prof. Dr. Friedrich Nowakowski. VII, 327 Seiten. 1981. Geheftet € 49,– 54: Die Vertretung der Gebietskörperschaften im Privatrecht. Von Univ.-Prof. Dr. Georg Wilhelm. XVI, 295 Seiten. 1981. Geheftet € 55,– 55: Rundfunkfreiheit. Öffentlichrechtliche Grundlagen des Rundfunks in Österreich. Von Univ.-Prof. Dr. Heinz Wittmann. XVI, 246 Seiten. 1981. Geheftet € 61,– 56: Das Ermessen im Spannungsfeld von Rechtsanwendung und Kontrolle. Von Univ.Prof. Dr. Herbert Hofer-Zeni. VIII, 179 Seiten. 1981. Geheftet € 39,– 57: Methodik der Gesetzgebung. Legistische Richtlinien in Theorie und Praxis. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger. 1 Abbildung. XIV, 260 Seiten. 1982. Geheftet € 39,– __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 58: Die Rechtspflicht. Von Univ.-Prof. Dr. Vladimír Kubeš. VIII, 140 Seiten. 1981. Geheftet € 31,– 59: Mehrdeutigkeit und juristische Auslegung. Von Univ.-Prof. Dr. Michael Thaler. VII, 187 Seiten. 1982. Geheftet € 44,– 60: Öffentliche Fonds. Eine Untersuchung ihrer verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Hauptprobleme. Von Univ.-Prof. Dr. Harald Stolzlechner. XVII, 389 Seiten. 1982. Geheftet € 63,– 61: Der internationale Regionalismus. Integration und Desintegration von Staatenbeziehungen in weltweiter Verflechtung. Von Univ.-Doz. Dr. Winfried Lang. XIII, 217 Seiten. 1982. Geheftet € 54,– 62: Rechtsstaat und Planung. Gesamtredaktion: Dr. Josef Azizi und Univ.-Prof. Dr. Stefan Griller. XII, 124 Seiten. 1982. Geheftet € 27,– 63: Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz. Die Freiheit der Medien und ihre Verantwortung im System der Grundrechte. Von Univ.-Prof. Dr. Walter Berka. XIII, 375 Seiten. 1982. Geheftet € 75,– 64: Grundlagen der juristischen Argumentation. Von Univ.-Prof. Dr. Aleksander Peczenik. 5 Abbildungen. XIII, 266 Seiten. 1983. Geheftet € 67,– 65: Evolution des Rechts. Eine Vorstudie zu den Evolutionsprinzipien des Rechts auf anthropologischer Grundlage. Von Univ.-Prof. Dr. Herbert Zemen, M. C. L. (Columbia). XIII, 135 Seiten. 1983. Geheftet € 31,– 66: Bereicherung im öffentlichen Recht. Von Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kerschner. XVI, 158 Seiten. 1983. Geheftet € 38,– 67: Das Disziplinarrecht der Beamten. Von Univ.-Prof. Dr. Garbiele Kucsko-Stadlmayer. XVII, 622 Seiten. 1985. Vergriffen 68: Freiheit und Gleichgewicht im Denken Montesquieus und Burkes. Ein analytischer Beitrag zur Geschichte der Lehre vom Staat im 18. Jahrhundert. Von Hon.Prof. DDr. Thomas Chaimowicz. XI, 202 Seiten. 1985. Vergriffen 69: Rohstoffgewinnung in der Antarktis. Völkerrechtliche Grundlagen der Nutzung Nichtlebender Ressourcen. Von Dr. Ulrich J. Nussbaum. 1 Abbildung. XIII, 236 Seiten. 1985. Geheftet € 54,– 70: Theorie der Direktiven und der Normen. Von Univ.-Prof. Dr. Kazimierz Opałek. VII, 178 Seiten. 1986. Geheftet € 47,– 71: Die seerechtliche Verteilung von Nutzungsrechten. Rechte der Binnenstaaten in der ausschließlichen Wirtschaftszone. Von Univ.-Prof. Dr. Gerhard Hafner. XV, 533 Seiten. 1987. Geheftet € 95,– 72: Der Landeshauptmann. Historische Entwicklung, Wesen und verfassungsrechtliche Gestalt einer Institution. Von Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Pesendorfer. 1 Abbildung. XIV, 243 Seiten. 1986. Geheftet € 58,– 73: Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. Dr. Franz Bydlinski, Univ.-Prof. Dr. Heinz Krejci, Univ.-Prof. Dr. Bernd Schilcher und Univ.-Prof. Dr. Viktor Steininger. X, 327 Seiten. 1986. Geheftet € 62,– __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 74: Rechtsregeln und Spielregeln. Eine Abhandlung zur analytischen Rechtstheorie. Von Univ.-Prof. Dr. Gregorio Robles. Aus dem Spanischen übersetzt von Dr. Ulrike Steinhäusl und Hedwig Ciupka. IX, 230 Seiten. 1987. Geheftet € 53,– 75: Rechtslogik und Rechtswirklichkeit. Eine empirisch-realistische Studie. Von Sen.Präs. tit. a. o. Univ.-Prof. Hofrat Dr. Friedrich Tezner. Unveränderter Nachdruck der ersten Auflage 1925. Mit einem Geleitwort von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. XI, 194 Seiten. 1986. Geheftet € 45,– 76: Theorie der Gesetzgebung. Materiale und formale Bestimmungsgründe der Gesetzgebung in Geschichte und Gegenwart. Von Univ.-Prof. Dr. Vladimír Kubeš. XII, 299 Seiten. 1987. Geheftet € 71,– 77: Die Sicherheitspolizei und ihre Handlungsformen. Von Dr. Wolfgang Blum. XII, 181 Seiten. 1987. Geheftet € 45,– 78/ Politische Grundrechte. Von Univ.-Prof. Dr. Manfred Nowak. XXIV, 585 Seiten. 79: 1988. Geheftet € 110,– 80: Die Rechtspersönlichkeit der Universitäten. Rechtshistorische, rechtsdogmatische und rechtstheoretische Untersuchungen zur wissenschaftlichen Selbstverwaltung. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. XVI, 451 Seiten. 1988. Geheftet € 66,– 81: Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker. Gesamtredaktion: Univ.Prof. DDr. Ota Weinberger und Univ.-Prof. DDr. Werner Krawietz. VII, 393 Seiten. 1988. Geheftet € 95,– 82: Organgewinnung zu Zwecken der Transplantation. Eine systematische Analyse des geltenden Rechts. Von Univ.-Prof. DDr. Christian Kopetzki. XIV, 294 Seiten. 1988. Geheftet € 46,– 83: Rechtsphilosophie zwischen Ost und West. Eine vergleichende Analyse der frühen rechtsphilosophischen Gedanken von John C. H. Wu. Von Dr. Matthias Christian. VIII, 220 Seiten. 1988. Geheftet € 55,– 84: Islam und Friedensvölkerrechtsordnung. Die dogmatischen Grundlagen der Teilnahme eines islamischen Staates am modernen Völkerrechtssystem am Beispiel Ägyptens. Von Dr. Dietrich F. R. Pohl. XXI, 174 Seiten. 1988. Geheftet € 41,– 85: Theorie und Methode in der Rechtswissenschaft. Ausgewählte Abhandlungen. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. XII, 282 Seiten. 1989. Geheftet € 38,– 86: Die einstweilige Verfügung im schiedsgerichtlichen Verfahren. Von Univ.-Doz. Dr. Christian Hausmaninger. XII, 182 Seiten. 1989. Geheftet € 30,– 87: Reine Rechtslehre und Strafrechtsdoktrin. Zur Theorienstruktur in der Rechtswissenschaft am Beispiel der Allgemeinen Strafrechtslehre. Von Dr. Rainer Lippold. XII, 458 Seiten. 1989. Geheftet € 64,– 88: Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen. Eine Untersuchung zu Art 9 Abs 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes. Von Univ.-Prof. Dr. Stefan Griller. XXVIII, 558 Seiten. 1989. Geheftet € 74,– __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 89: Entwicklungstendenzen im Verwaltungsverfahrensrecht und in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Rechtsvergleichende Analysen zum österreichischen und deutschen Recht. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. DDr. Georg Ress. V, 333 Seiten. 1990. Geheftet € 58,– 90: Rechtstheorie und Erkenntnislehre. Kritische Anmerkungen zum Dilemma von Sein und Sollen in der Reinen Rechtslehre aus geistesgeschichtlicher und erkenntnistheoretischer Sicht. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. XXI, 249 Seiten. 1990. Geheftet € 38,– 91: Gefahrenabwehr im Anlagenrecht. Von Univ.-Prof. Dr. Benjamin Davy. XXV, 865 Seiten. 1990. Geheftet € 99,– 92: Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft. Juristisches Denken und Sozialdynamik des Rechts. Von RA Dr. Karl Georg Wurzel. XI, 223 Seiten. 1991. Geheftet € 38,– 93: Devisenbewirtschaftung. Eine verfassungs- und verwaltungsrechtliche Untersuchung unter Berücksichtigung des Völker- und Europarechts. Von Univ.-Doz. DDr. Michael Potacs. XVIII, 566 Seiten. 1991. Geheftet € 64,– 94: Das Wesensgehaltsargument und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Von Univ.-Prof. Dr. Manfred Stelzer. VIII, 333 Seiten. 1991. Geheftet € 45,– 95: Studien zum Verfassungsrecht. Das institutionelle Rechtsdenken in Rechtstheorie und Rechtsdogmatik. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. XVIII, 455 Seiten. 1991. Geheftet € 60,– 96: Jagdrecht. Von Dr. Helmut Binder. XV, 145 Seiten. 1992.
Vergriffen
97: Ladenschlußrecht. Von Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter. XV, 236 Seiten. 1992. Geheftet € 39,– 98: Rechtssystem und Republik. Über die politische Funktion des systematischen Rechtsdenkens. Von Univ.-Prof. Dr. Alexander Somek. XIV, 622 Seiten. 1992. Geheftet € 59,– 99: Der Rechtsträger im Verfassungsrecht. Das Zurechnungssubjekt von Handlungen und Rechtsfolgen in der Amtshaftung und in der Rechnungskontrolle. Von Dr. Wilhelm Klagian. XII, 133 Seiten. 1992. Geheftet € 25,– 100: Zeit und Recht. Kritische Anmerkungen zur Zeitgebundenheit des Rechts und des Rechtsdenkens. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. XVI, 610 Seiten. 1995. Vergriffen 101: Der Umweltschutz als Staatsaufgabe. Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Umweltschutzes. Von Dr. Doris Hattenberger. XVI, 213 Seiten. 1993. Geheftet € 35,– 102: Juristisches Verstehen und Entscheiden. Vom Lebenssachverhalt zur Rechtsentscheidung. Ein Beitrag zur Argumentation im Recht. Von Univ.-Prof. Dr. Marijan Pavœnik. XI, 182 Seiten. 1993. Geheftet € 33,– 103: Das Vorsorgeprinzip als vorverlagerte Gefahrenabwehr. Eine rechtsvergleichende Studie zur Reinhaltung der Luft. Von Dr. Matthias Germann. XIV, 263 Seiten. 1993. Geheftet € 42,– __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 104: Rechtserfahrung und Reine Rechtslehre. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. Dr. Agostino Carrino und Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. VII, 181 Seiten. 1995. Geheftet € 22,– 105: Rechtswissenschaft und Rechtserfahrung. Methoden- und erkenntniskritische Gedanken über Hans Kelsens Lehre und das Verwaltungsrecht. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. IX, 147 Seiten. 1994. Geheftet € 30,– 106: Berufliche Selbstverwaltung und autonomes Satzungsrecht. Von Dr. Georg Stillfried. X, 223 Seiten. 1994. Geheftet € 33,– 107: Öffentliche Nutzungsrechte und Gemeingebrauch. Von Univ.-Prof. Dr. Franz Merli. XIII, 483 Seiten. 1995. Geheftet € 54,– 108: Unterbringungsrecht. Erster Band: Historische Entwicklung und verfassungsrechtliche Grundlagen. Von Univ.-Prof. DDr. Christian Kopetzki. XXXIV, 429 Seiten. 1995. 109: Unterbringungsrecht. Zweiter Band: Materielles Recht. Verfahren und Vollzug. Von Univ.-Prof. DDr. Christian Kopetzki. XV, 663 Seiten. 1995. Band 108 und 109 gemeinsam: Geheftet € 71,– 110: Rechtswissenschaft und Politik. Die Freiheit des Menschen in der Ordnung des Rechts. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. XX, 466 Seiten. 1998. Geheftet € 59,90 111: Bundesrecht und Landesrecht. Zugleich ein Beitrag zu Strukturproblemen der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung in Österreich und in Deutschland. Von Univ.Prof. Dr. Ewald Wiederin. XXII, 455 Seiten. 1995. Geheftet € 47,– 112: Wirtschaftslenkung und Verfassung. Gesetzgebungskompetenz und grundrechtliche Schranken direkter Wirtschaftslenkung. Von Dr. Eva Schulev-Steindl. XVII, 223 Seiten. 1996. Geheftet € 38,– 113: Über den Begriff der juristischen Person. Kritische Studien über den Begriff der juristischen Person und über die juristische Persönlichkeit der Behörden insbesondere. Von o. Prof. Dr. Edmund Bernatzik. XV, 116 Seiten. 1996. Geheftet € 27,– 114: Grundrechtliche Gewährleistungspflichten. Ein Beitrag zu einer allgemeinen Grundrechtsdogmatik. Von Univ.-Prof. Dr. Michael Holoubek. X, 416 Seiten. 1997. Vergriffen 115: Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine Studie zu Artikel 6 EMRK auf der Grundlage einer rechtsvergleichenden Untersuchung der Verwaltungsgerichtsbarkeit Frankreichs, Deutschlands und Österreichs. Von Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter. XXV, 758 Seiten. 1997. Vergriffen 116: Über die juristische Methode. Kritische Studien zur Wissenschaft vom öffentlichen Recht und zur soziologischen Rechtslehre. Von o. Prof. Dr. Felix Stoerk. XXX, 197 Seiten. 1996. Geheftet € 38,– 117: Der Staatssekretär. Eine Untersuchung zum Organtypus des politischen Ministergehilfen. Von Univ.-Prof. DDr. Bernd Wieser. XVIII, 407 Seiten. 1997. Geheftet € 49,90 __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 118: Theorie und Methode im Staatsrecht. Studien zu einem soziologisch fundierten Staatsrechtsdenken. Von Univ.-Prof. Dr. Gustav Seidler. XXVII, 129 Seiten. 1997. Geheftet € 29,90 119: Der autoritäre Staat. Ein Versuch über das österreichische Staatsproblem. Von Univ.Prof. Dr. Erich Voegelin. XXXV, 292 Seiten. 1997. Geheftet € 44,90 120: Raum und Recht. Dogmatische und theoretische Perspektiven eines empirisch-rationalen Rechtsdenkens. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. X, 314 Seiten. 1999. Geheftet € 39,90 121: Die Normenordnung. Staat und Recht in der Lehre Kelsens. Von Univ.-Prof. Dr. Agostino Carrino. XI, 174 Seiten. 1998. Geheftet € 32,– 122: Vereinsfreiheit. Eine rechtsdogmatische Untersuchung der Grundfragen des Vereinsrechts. Von Univ.-Ass. Dr. Johannes Bric. XI, 363 Seiten. 1998. Geheftet € 49,90 123: Die sozialwissenschaftliche Erkenntnis. Ein Beitrag zur Methodik der Gesellschaftslehre. Von Kabinettschef i.R. tit. o. Universitätsprofessor Dr. Ernst Seidler. LI, 283 Seiten. 1999. Geheftet € 49,90 124: Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation. Automatische Textanalyse im Völkerrecht und Europarecht. Von Univ.-Prof. Mag. DDr. Erich Schweighofer. XX, 440 Seiten. 1999. Geheftet € 65,– 125: Das Elektrizitätsrecht. Die Gesetzgebung als Instrument der staatlichen Wirtschaftspolitik. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler. XXVII, 214 Seiten. 1999. Geheftet € 44,90 126: Verfassungsfragen einer Mitgliedschaft zur Europäischen Union. Ausgewählte Abhandlungen. Von Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger. XVI, 238 Seiten. 1999. Geheftet € 39,90 127: Kapitalmarktrecht. Eine Untersuchung des österreichischen Rechts und des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Von Univ.-Doz. Dr. Stefan Weber. XIX, 485 Seiten. 1999. Geheftet € 69,90 128: Methodenlehre der Sozialwissenschaften. Von Priv.-Doz. Dr. Felix Kaufmann. LXX, 325 Seiten. 1999. Geheftet € 55,– 129: Das Intertemporale Privatrecht. Übergangsfragen bei Gesetzes- und Rechtsprechungsänderungen im Privatrecht. Von Univ.-Ass. Dr. Andreas Vonkilch. XXI, 407 Seiten. 1999. Geheftet € 55,– 130: Die Rechtswissenschaft als empirische Sozialwissenschaft. Biographische und methodologische Anmerkungen zur Staatsrechtslehre. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler. XLIV, 240 Seiten. 1999. Geheftet € 39,90 131: Ruhe, Ordnung, Sicherheit. Eine Studie zu den Aufgaben der Polizei in Österreich. Von Univ.-Prof. Dr. Andreas Hauer. XX, 493 Seiten. 2000. Geheftet € 68,– 132: Rechtsetzung und Entscheidung im Völkerrecht. English Summary: Law-Making and Decision-Making in International Law. Von Dr. Georg Potyka. X, 133 Seiten. 2000. Geheftet € 28,– __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 133: Rechtsaufsicht über Versicherungsunternehmen. Eingriffsmöglichkeiten der österreichischen Versicherungsbehörde. Von Univ.-Ass. Dr. Stephan Korinek. XXI, 271 Seiten. 2000. Geheftet € 55,– 134: Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit. Von Univ.-Prof. Dr. Karl Korinek. X, 348 Seiten. 2000. Geheftet € 65,– 135: Verfassungsrecht in Liechtenstein. Demokratie, Parlamentarismus, Rechtsstaat, Gewaltenteilung und politische Freiheit in Liechtenstein aus verfassungsrechtlichen, verfassungsrechtsvergleichenden, verfassungsrechtspolitischen und europarechtlichen Perspektiven. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler. X, 226 Seiten. 2001. Geheftet € 35,20 137: Das Islamgesetz. An den Schnittstellen zwischen österreichischer Rechtsgeschichte und österreichischem Staatsrecht. Von Univ.-Ass. Dr. Johann Bair. XV, 176 Seiten. 2002. Geheftet € 39,90 138: Regulierung der Kommunikationsmärkte unter Konvergenzbedingungen. Von Univ.-Ass. Dr. Dragana Damjanovic. XVI, 219 Seiten. 2002. Geheftet € 39,90 140: Zweisprachige Ortstafeln und Volksgruppenrechte. Kritische Anmerkungen zur Entscheidungspraxis des Verfassungsgerichtshofs bei Gesetzesprüfungen von Amts wegen aus den Perspektiven seines Ortstafelerkenntnisses. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler. XI, 104 Seiten. 2002. Geheftet € 19,90 141: Integrationsverfassungsrecht. Das österreichische Verfassungsrecht und das Recht der Europäischen Union – Koordination, Kooperation, Konflikt. Von Univ.-Ass. Dr. Roland Winkler. XVI, 213 Seiten. 2003. Geheftet € 34,90 142: Natura 2000. Auswirkung und Umsetzung im innerstaatlichen Recht. Von Dr. Erich Pürgy. XIV, 398 Seiten. 2005. Geheftet € 78,– 143: Privater Befehl und Zwang. Verfassungsrechtliche Bedingungen privater Eingriffsgewalt. Von ao. Univ.-Prof. Dr. Benjamin Kneihs. XIX, 531 Seiten. 2004. Geheftet € 85,– 144: Der öffentliche Personennahverkehr auf dem Weg zum Wettbewerb. Zugleich ein Beitrag zur Liberalisierung kommunaler Daseinsvorsorgeleistungen. Von ao. Univ.Prof. Dr. Arno Kahl. XXVIII, 555 Seiten. 2005. Geheftet € 85,– 145: Die Verfassungsreform in Liechtenstein. Verfassungsrechtliche Studien mit verfassungsrechtsvergleichenden und europarechtlichen Perspektiven. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler. XXIII, 523 Seiten. 2003. Geheftet € 78,– 146: Der verwaltungsrechtliche Vertrag. Ein Beitrag zur Handlungsformenlehre. Von Univ.-Ass. Dr. Harald Eberhard. XVII, 493 Seiten. 2005. Geheftet € 85,– 147: Gleichheit vor dem Gesetz. Von Univ.-Prof. Dr. Magdalena Pöschl. XXIV, 956 Seiten. 2008. Geheftet € 139,95 148: Öffentliche Verwaltungskommunikation. Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung, Empfehlung, Warnung. Von ao. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Feik. XIX, 478 Seiten. 2007. Geheftet € 99,95 __________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________ 149: Ausgliederung und öffentlicher Dienst. Von ao. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Baumgartner. XXIII, 578 Seiten. 2006. Geheftet € 118,– 150: Der Europarat und die Verfassungsautonomie seiner Mitgliedstaaten. Eine europarechtliche Studie mit Dokumenten und Kommentaren, veranschaulicht durch die Aktionen des Europarates gegen die Verfassungsreform von Liechtenstein. Von Univ.Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler. XV, 592 Seiten. 2005. Geheftet € 98,– 151: Kommunale Daseinsvorsorge. Strukturen kommunaler Versorgungsleistungen im Rechtsvergleich. Von MMag. Dr. Patrick Segalla. XXVII, 378 Seiten. 2006. Geheftet € 68,– 152: Die Grundrechte der Europäischen Union. System und allgemeine Grundrechtslehren. Von ao. Univ.-Prof. Dr. Roland Winkler. XXVI, 596 Seiten. 2006. Geheftet € 105,– 153: Handbuch Energierecht. Von Univ.-Prof. Dr. Bernhard Raschauer. XI, 254 Seiten. 2006. Geheftet € 59,– 154: Eckpunkte der Parteistellung. Wegweiser für Gesetzgebung und Vollziehung. Von Priv.-Doz. Dr. Wolfgang Wessely. XVII, 265 Seiten. 2008. Geheftet € 64,95 155: Begnadigung und Gegenzeichnung. Eine praxisorientierte verfassungsrechtliche und staatstheoretische Studie über Staatsakte des Fürsten von Liechtenstein. Von Univ.Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler. IX, 105 Seiten. 2005. Geheftet € 24,90 156: Lebendiges Verfassungsrecht. Von Univ.-Prof. Dr. Richard Novak. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. DDr. Bernd Wieser und Ass.-Prof. Dr. Armin Stolz. VII, 331 Seiten. 2008. Geheftet € 69,95 157: Die abgekürzten Verfahren im Verwaltungsstrafrecht. Von Wiss.Mit. Dr. Johanna Fischerlehner. XIX, 202 Seiten. 2008. Geheftet € 54,95 160: Die Prüfung von Verordnungen und Gesetzen durch den Verfassungsgerichtshof von Amts wegen. Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs im Spannungsfeld von Recht und Politik. Dokumentation und Kommentar. Von Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler. XVII, 310 Seiten. 2006. Geheftet € 58,–
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