Detlev Berning / Andreas Novak Erfolgsfaktoren der Kanzleinachfolge
Detlev Berning / Andreas Novak
Erfolgsfaktoren d...
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Detlev Berning / Andreas Novak Erfolgsfaktoren der Kanzleinachfolge
Detlev Berning / Andreas Novak
Erfolgsfaktoren der Kanzleinachfolge Jenseits von Recht und Steuern
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: RA Andreas Funk Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-8349-1406-4
Geleitwort Die Regelung der Unternehmernachfolge ist seit Menschengedenken ein aktuelles Thema. Es scheint jedoch in den letzten Jahren schwieriger geworden zu sein, eine menschlich verantwortungsbewusste und ökonomisch tragfähige Regelung zu organisieren. Woran liegt das? Die Antwort liegt vermutlich in zwei zentralen Punkten, die es zu bedenken und zu lösen gilt: zum Einen haben die „Verwirrungen“ von Vorgängerunternehmer und potenziellem Nachfolger zugenommen. Dies liegt sowohl in der zunehmenden Komplexität des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handeln als auch in der mitunter anzutreffenden fehlenden Klarheit klassischer Werte und Ziele eines Familienunternehmens begründet. Altunternehmer, die die Existenz des eigenen Unternehmens wegen einer verschleppten Nachfolgeregelung aufs Spiel setzen, sind ebenso wenig hilfreich wie Nachfolger, die vordergründig an die Macht und verdeckt ans Geld wollen. Zum Zweiten konzentrieren sich Berater im Umfeld des Unternehmens und der Nachfolge stark auf operationalisierbare Größen wie Unternehmenswert, steuerliche Vorteilhaftigkeit oder juristische „Wasserdichte“ eines Erbvertrags. Beide zentrale Punkte vernachlässigen jedoch das Menschliche im Kontext der Unternehmernachfolge: die Ängste des Seniors vor dem Loslassen, die Nöte des Juniors angesichts der langen Schatten des Vorgängers oder die weder bewusste noch ausgesprochene Freude Beider, neue Lebensabschnitte angehen zu wollen. Das Sparen von Steuern oder der Spaß an einem hohen Vermögen stehen dann erst am Ende des Nachfolgeprozesses, und zwar nach Abzug der Beraterkosten und der Erleichterung über deren Verschwinden. Diese psychologischen und emotionalen Komponenten in den Fokus zu rücken, erklären die Autoren dieses Buchs zu ihrer Aufgabe. Jenseits aller Kompliziertheit einfache und menschlich nachvollziehbare Lösungsansätze über Beispiele aufzuzeigen, hilft eine Lücke in der Literatur zu schließen, die erstaunlich lange offen blieb. Dieses Buch beendet nicht die Diskussion, sondern eröffnet sie vielmehr und dazu wünsche ich dem interessierten Leser, Unternehmer, Nachfolger, Berater eine inhaltliche Bereicherung und Zeit zur Reflektion.
Prof. Dr. Stefan Bieler Fachhochschule für die Wirtschaft Hannover
Hannover, im August 2009
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Vorwort der Autoren Seit einigen Jahren bewegt sich die Zahl der Unternehmensnachfolgen stabil auf hohem Niveau. Über 70.000 Unternehmen im Jahr werden in Deutschland entweder auf einen Nachfolger übertragen oder aber geschlossen. In dieser Statistik nicht enthalten sind die Unternehmen, die nicht umsatzsteuerpflichtig sind (insbesondere die Heilberufler) und andere Kleinstunternehmen. Die Anzahl der gesamten Unternehmensnachfolgen im Jahr liegt also deutlich über 70.000. Die Nachfolgethematik betrifft die Unternehmen des deutschen und natürlich auch des europäischen Mittelstandes. Der Mittelstand wird als das Rückgrat unserer Volkswirtschaft angesehen. Aus diesem Grund widmen Politik, Verbände und Wissenschaft dem Thema große Aufmerksamkeit. Dieses wäre nicht nötig, verliefen die Unternehmensnachfolgen reibungslos und volkswirtschaftlich akzeptabel. Wir, die Autoren, bringen unterschiedliche Erfahrungshintergründe mit. Der Eine verfügt über langjährige Erfahrung in der Betreuung und Begleitung von Unternehmensnachfolgen in der Expertenrolle als Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Schwierigkeiten, die bei der Durchführung geschlossener Verträge entstehen, kennt er aus Sicht des Anwaltes und Steuerberaters sowie als Mitglied diverser Schiedsgerichte, die sich mit post-vertraglichen Streitigkeiten auseinanderzusetzen hatten. Der andere Autor ist Sozialwissenschaftler (Ethnologe) mit besonderen Kenntnissen in der Funktionsweise von Unternehmen. Er arbeitet seit vielen Jahren im Training und in der Beratung von Fach- und Führungskräften. Beide beschäftigen sich als Team schon länger mit der Frage, was getan werden kann, um Stabilität in die Abwicklung geschlossener Nachfolgeverträge zu bringen. Die Praxis zeigt, dass die Problematik der Unternehmensnachfolgen keineswegs entschärft ist, wenn ein Nachfolger gefunden und vertraglich gebunden ist. Häufig schließen sich Dramen an, die bis zur Existenzvernichtung führen können. Es treten also Konflikte auf, die schnell derart eskalieren, dass eine Konfliktklärung so ohne weiteres nicht mehr möglich ist. Die Tendenz, solche Konflikte Anwälten zur Regelung zu übergeben, ist groß. Und die kämpfen um das Recht, um das es eigentlich gar nicht geht. Mit dem Erfahrungswissen der Praktiker konnten wir die Struktur dieser Konflikte analysieren und ein Prophylaxemodell entwickeln. Die Anzahl der Fälle, in denen zwar statistisch die Nachfolge geregelt wurde, diese jedoch später scheitert, ist unbekannt; dazu gibt es keine Erhebungen. Im Blick der Statistiker stehen die Nachfolgen, die von den Unternehmern zu spät angegangen werden und schließlich daran scheitern, dass es keinen Nachfolger gibt. Alleine diese Fallzahlen sind so bedeutend, dass in der Öffentlichkeit darüber nachgedacht wird, was getan werden kann. Einig sind sich alle, dass es an der Qualifikation und Qualität der Experten nicht liegt, die bereit stehen, solche Transaktionen zu begleiten. Es ist etwas anderes, doch was genau ist es? In der Literatur und den Praxisratgebern schimmert hier und da durch, dass Umstände, die in den handelnden – oder eben nicht handelnden – Personen liegen, eine, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle spielen. Selten wird deutlich gemacht, dass die üblichen Experten insoweit nicht kompetent sind, ja dort auch gar keine Kompetenz für sich in Anspruch nehmen. Wenn diese als Helfer ausfallen, wer könnte dann noch unterstützen? Auf diese Fragen haben wir Antworten gefunden. Wir beschreiben das Phänomen und analysieren, warum es so ist und was getan werden kann. Wir beginnen unsere Betrachtungen mit der Stunde Null, nämlich dem Zeitpunkt, in dem ein Unternehmer eigentlich aktiv werden müsste, seine Nachfolge zu regeln, aber untätig bleibt. Wir erwähnen weitere Fixpunkte bis zum Abschluss des Vertrages, sowohl aus der Sicht des Übergebers, als auch aus der des Übernehmers. Schließlich beleuchten wir noch die Durchführung der Transaktion. 7
Vorwort Anhand von Beispielen, die anonymisierten Fällen aus dem Praxisalltag der Autoren entstammen, versuchen wir den Leser in die jeweilige Situation hinein zu führen. Dabei geht es keineswegs nur um Beispiele freiberuflicher Unternehmen; die Betrachtungen, Analysen und Empfehlungen zur Vorgehensweise treffen in gleicher Weise auch auf gewerbliche Unternehmen des Mittelstandes zu. In einem umfangreichen Anhang werden schließlich Zahlen, Daten und Fakten zur Nachfolgeproblematik aus den unterschiedlichen Feldern zur Verfügung gestellt. Hannover/Berlin im August 2009
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Inhaltsübersicht Geleitwort Vorwort Literaturverzeichnis §1 Einleitung §2 Unser Anliegen A. Vermeintliche Handlungssicherheit B. Keine Blaupause – das ist das erste und einzige Mal C. Existentielle Fragen D. Beratungsresistenz E. Zusammenfassung: Eigene Souveränität sicherstellen §3 Aufbau und Lesehinweise §4 Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) A. Der Übergeber I. Ins Handeln kommen 1. Beispiel 2. Die guten Gründe 3. Exkurs zur Motivation auf Seiten des Übergebers 4. Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen 5. Bewertung dieser Wegweiser 6. Der (Aus-) Weg II. Die ersten Schritte 1. Beispiel 2. Die guten Gründe 3. Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen 4. Bewertung dieser Wegweiser 5. Der (Aus-) Weg III. Erste Interessenten kündigen sich an 1. Beispiel 2. Die guten Gründe 3. Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen 4. Bewertung dieser Wegweiser 5. Der (Aus-) Weg B. Der Übernehmer oder Nachfolger I. Ins Handeln kommen 1. Beispiel 2. Die guten Gründe 3. Exkurs zur Motivation des Übernehmers 4. Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen 5. Bewertung dieser Wegweiser 6. Der (Aus-) Weg II. Die ersten Schritte 1. Beispiel
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Inhaltsübersicht
§5
§6
§7
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2. Die guten Gründe 3. Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen 4. Bewertung dieser Wegweiser 5. Der (Aus-) Weg III. Erste Interessenten kündigen sich an 1. Beispiel 2. Die guten Gründe 3. Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen 4. Bewertung dieser Wegweiser 5. Der (Aus-) Weg C. Die Organisation I. Unternehmen sind auch soziale Systeme II. Was braucht das Unternehmen? Transparenz und Sicherheit Transaktionsphase: Die Protagonisten im Zusammenspiel A. Vertragsverhandlungen I. Kaufpreis und was dahinter steckt II. Übergeber wollen sich nicht wirklich vom Unternehmen trennen – und was dahinter steckt B. Die ersten Tage und Wochen I. Wer sitzt wo – und vor allem: Was wird damit dokumentiert? II. Die Sekretärin – oder: der Zugriff auf Ressourcen III. Die Strategie IV. Das Führungsverständnis V. Übernahme der Führung VI. Rollenklarheit VII. Wertvorstellungen – Unternehmenskultur VIII. Informationsfluss – Lobby des Übergebers IX. Eigenes Projekt X. Vertrauen XI. Zusammenfassung – Erwartungen, offene Kommunikation ... XII. ... und Konfliktprophylaxe XIII. Ein letzter Hinweis C. Der Alltag I. Konflikte im Alltag Das Familienunternehmen A. Unterschiede zwischen Familien und Unternehmen B. Gerechtigkeit in der Nachfolge C. Die familieninternen Dynamiken D. Empfehlung zum Vorgehen Anhang A. Differenzierungen/Markt I. Unternehmen II. Freie Berufe III. KMU – Überblick
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Inhaltsübersicht 1. KMU-Definition des IfM Bonn (seit 01.01.2002) 2. KMU-Definition EU IV. Freiberufliche Unternehmen/Praxen als KMU V. Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der KMU VI. Fazit B. Für die Nachfolge bedeutsame organisationale und persönliche Strukturen I. Familienunternehmen II. Begriffsbestimmung IfM III. Begriff lt. „Stiftung für Familienunternehmen in Deutschland und Europa“ IV. Eigenschaften von Familienunternehmen V. Corporate Branding VI. 10 Wittener Thesen zu Familienunternehmen VII. Nachfolgeunternehmer VIII. Eigentümerunternehmer IX. Unternehmen, in denen mehr als 1 Familienmitglied arbeitet X. Mitunternehmer/Anteilseigner als Abgeber XI. Unternehmensgründer XII. Unternehmenskäufer als Abgeber XIII. Rechtsform XIV. Unternehmensgrößen XV. Genderaspekt C. Zahlen, Daten und andere Fakten zu Praxis- und Unternehmensnachfolgen im Überblick I. Unternehmensnachfolgen II. Praxisnachfolgen III. Ergebnis D. Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen I. Freiberufliche Unternehmen (Praxen) 1. Anwälte a) Der Markt b) Größenklassen/Strukturen c) Regelungsempfehlungen d) Beispiel e) Fazit 2. Steuerberater a) Der Markt b) Größenklassen/Strukturen c) Regelungsempfehlungen 3. Wirtschaftsprüfer a) Der Markt b) Größenklassen/Strukturen c) Regelungsempfehlungen 4. Unternehmensberater a) Der Markt b) Größenklassen/Strukturen c) Regelungsempfehlungen
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Inhaltsübersicht 5. Ärzte und andere Heilberufe a) Der Markt b) Größenklassen/Strukturen c) Regelungsempfehlungen d) Beispiel e) weitere Berufsgruppen 6. Architekten und Ingenieure a) Der Markt b) Größenklassen/Strukturen c) Regelungsempfehlungen d) Beispiel 7. Andere naturwissenschaftliche Berufe a) Marktdaten 8. Freie Kulturschaffende a) Der Markt b) Größenklassen/Strukturen c) Regelungsempfehlungen d) Beispiel II. Übrige mittelständische Unternehmen 1. Landwirtschaft a) Der Markt b) Größenklassen/Strukturen c) Regelungsempfehlungen d) Beispiel 2. Gewerbliche Unternehmen a) Handwerk (Baugewerbe) aa) Der Markt/ Größenklassen/Strukturen bb) Regelungsempfehlungen cc) Beispiel b) Einzelhandel aa) Der Markt bb) Größenklassen/Strukturen cc) Regelungsempfehlungen dd) Beispiel c) Hotel und Gaststätten aa) Der Markt bb) Größenklassen/Strukturen cc) Regelungsempfehlungen dd) Beispiel E. Übernehmer I. Unternehmensnachfolge aus Käufersicht 1. Vor- und Nachteile einer Existenzgründung durch Unternehmensnachfolge a) Chancen und Vorteile der Unternehmensnachfolge II. Worauf beim Unternehmenskauf besonders zu achten ist 1. Inhabergeführte Unternehmen 2. Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens a) Zusammensetzung des Kundenstamms 12
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Inhaltsübersicht b) Weitere Aspekte III. Benannte Defizite übernehmender Existenzgründer IV. Familienmitglied als Übernehmer (Sohn/Tochter) V. Dynamik der freiberuflichen Unternehmen F. Übernehmeraspekte aus einzelnen Branchen I. Landwirtschaft II. Handwerker III. Kaufmann/Einzelhandel IV. Rechtsanwälte und andere Unternehmer rechtsberatender Berufe G. Einflussfaktoren außerhalb von Recht und Finanzen (kritische Größen) I. Übergabefähige Einheit II. Übertragungsursachen bzw. -anlässe Stichwortverzeichnis
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Literaturverzeichnis Aristoteles: Nikomachische Ethik. Rowohlt, Reinbek 2006, Aronoff, Craig E./Ward, John L.: Family Business Ownership: How to be an Effective Shareholder; Family Enterprise Publishers, 2002 Barbier/Krause-Brewer (Hrsg.): Die Person hinter dem Produkt, 40 Portraits erfolgreicher Unternehmer, 3. Aufl., Bonn-Bad Godesberg, 1988 Baus, Kirsten: Die Familienstrategie. Wie Familien ihr Unternehmen über Generationen sichern. 2. Aufl., Gabler, 2007 Berning, Detlev, Schwamberger, Gerald: Wirtschaftsmediation für Steuerberater. Mediation als neues Beratungsfeld. Gabler, Wiesbaden 2008 Berning, Detlev: Konflikte kosten Unternehmen Geld – aber wieviel? Monographie 2006 Berning, Detlev, Novak, Andreas: 2 mal 5 gleich 1 – Leitung übergeben, Führung übernehmen. In: Frischer Wind für Mediation, Hamburg 2007 Berning, Detlev: Mediations- bzw. Interessenklauseln in Verträgen? Spektrum der Mediation Nr. 23/ III-2006, Seite 35 ff Baus, Kirsten: Die Familienstrategie. Wiesbaden, 2003 Böllhoff, Christian/Krüger, Wolfgang/Berni, Marcello (Hrsg.): Spitzenleistungen in Familienunternehmen. Ein Managementhandbuch. Handelsblatt Bücher XIX, Schäffer-Poeschel, 2006 Breuer, Franz : Vorgänger und Nachfolger. Weitergabe in institutionellen und persönlichen Bezügen. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 2009 Csíkszentmihályi, Mihály: Flow. Klett-Cotta 2002 Carlock, Randel S./Ward, John L.: Startegic Planning fort he Family Business: Parallel Planning to Unite the Family and Business. Palgrave McMillan, 2001 Däniken, Erich von: Die Augen der Sphinx. Bertelsmann, 1989 Felden, Birgit/Pfannenschwarz, Armin: Unternehmensnachfolge, Perspektiven und Instrumente für Lehre und Praxis. Wissenschaftsverlag Gmbh, Oldenbourg 2008 Frasl, Erwin J./Rieger, Hannah: Family-Business-Handbuch. Zukunftssicherung von Familienunternehmen über Generationen. Linde/Wien, 2007 Freimuth, Joachim (Hg.): Die Angst der Manager. Göttingen 1999 Freud, Sigmund: Das Ich und das Es (1923), in: Studienausgabe, Bd. III: Psychologie des Unbewußten. Fischer, Frankfurt am Main 1975 Fuchs-Gamböck, Karin: Corporate Social Responsibility im Mittelstand. Wie Ihr Unternehmen durch gesellschaftliches Engagement gewinnt. Economica Verlag, Heidelberg 2006 Gersick, Kelin E./Davis, John A./McCollom Hampton, Marion/Landsberg, Ivan: Generation to Generation: Lifs Cycles of the Family Business. Harvard Business School Press, 1999
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Literaturverzeichnis Klein, Sabine B.: Familienunternehmen. Theoretische und empirische Grundlagen. Gabler Lehrbuch, Gabler, 2004 Klein, Sabine et. al. (Hrsg.): Handbook of Research on Family Business. Elgar Publishing Ltd., 2007 Knapp, Peter, Novak, Andreas: Effizientes Verhandeln – Konstruktive Verhandlungstechniken in der täglichen Praxis. Arbeitshefte Führungspsychologie, Band 55. Herausgegeben von Prof. Dr. Ekkehard Crisand. Heidelberg (Sauer) 2003; 2. überarb. Auflage 2006 (zur Zeit leider vergriffen, Neuauflage in Arbeit) Kormann, Hermut: Familienunternehmen: Grundfragen mit finanzwirtschaftlichem Bezug, Diskussionsbeiträge der Universität Leipzig, wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Nr. 39, Leipzig, 2003 Lange, Knut Werner/Schiereck, Dirk (Hrsg.): Nachfolgefragen bei Familienunternehmen. Heidelberg, 2003 Langenscheidt, Florian (Hrsg.): Deutsche Standards-Weltmarktführer. Köln, 2004 Luhmann, Niklas: Vertrauen. Stuttgart 2000 v. Marquardt, Ewald/Maurer, Friedemann: Freies Unternehmertum. Voraussetzung einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Druckzentrum Südwest, 1999 Mittelsten, Scheid: Gedanken zum Familienunternehmen. Stuttgart, 1985 Moldenhauer, Benjamin: Insider Ownership, Shareholder Structures and Corporate Governance. Entrepreneurial and Financial Studies Vol.9 XXIV Sternenfels (2007), Wissenschaft und Praxis Moos, André von: Familienunternehmen erfolgreich führen. Zürich, 2003 Nagel, Gerhard: Chefsache Unternehmensnachfolge. Ein Vater, ein Sohn und die fast gelungene Vernichtung eines Unternehmens. 20 klassische Führungsfehler und ihre Lösung in einem spannenden Business-Tagebuch. Hanser, München 2004 Nagl, Anna (Hrsg.): Wie regele ich meine Nachfolge? Leitfaden für Familienunternehmen. Gabler, 2005 Novak, Andreas: Die Zentrale. Ethnologische Aspekte einer Unternehmenskultur. Bonn, Holos 1994. Novak, Andreas: Unternehmensnachfolgen – ein Zukunftsmarkt für MediatorInnen!? In: Spektrum der Mediation Nr. 30/2. Quartal 2008 Obermaier, Otto W.: Kontrollierte Macht und wertorientierte Unternehmensführung – Corporate Governance in erfolgreichen Familienunternehmen. Studie von Spencer-Stuart, Frankfurt, 2004 O’Hara, William T.: Centuries of Success: Lessons from the World’s Most Enduring Family Businesses. Adams Media Corporation, 2004 Pfannenschwarz, Armin: Nachfolge und Nicht-Nachfolge in Familienunternehmen, Bd.1 Ambivalenzen und Lösungsstrategien beim familieninternen Generationswechsel/Bd.2 Fallstudien zum familieninternen Generationswechsel. Carl-Auer-Systeme, 2006 Prinz zu Hohenlohe, Carl-Ludwig: Die erfolgreiche Unternehmensnachfolge. Redline Wirtschaft. Heidelberg 2006. Rosenstiel, L. von Comelli, G.: Führung im Prozess des Wandels. Wirtschaftspsychologie aktuell 2004 Rossaro, Fabiana: Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen. Duncker & Humblot, Berlin 2007 16
Literaturverzeichnis Roth, Gerhard: Mehr Motivation – Wege aus der Sackgasse. Im SWR 2, 2006 Rüegg-Stürm, Johannes: Das neue St. Gallener Managementmodell. Grundkategorien einer integrierten Managementlehre. Der HSG-Ansatz. Haupt, Bern 2002 Sachs, Andreas: Internationales Wachstum von Familienunternehmen. Durch M&A auf den Weltmarkt. Frankfurt 2007 Scherer, Stephan/Blanc, Michael/Kormann, Hermut u.a.: Familienunternehmen. Erfolgsstrategien zur Unternehmenssicherung. Betriebs-Berater (BB) Handbuch XXV, Recht und Wirtschaft, 2005 Schlembach, Claudia/Schlembach, Hans-Günther: Wie Familienunternehmen die Zukunft meistern können. Stärken nutzen, Schwächen ausgleichen und Nachfolge sichern. Cornelsen, 2004 Schlippe, Arist von: Zwischen Ökonomie und Psychologie: Konflikte in Familienunternehmen. In: Zeitschrift für Konfliktmanagement. Nr. 1/2009, S. 17-21. Schlippe, Arist von/Nischak, Almute/El Hachimi, Mohammed (Hrsg.): Familienunternehmen verstehen. Gründer, Gesellschafter und Generationen. Vandenhoeck & Ruprecht, 2008 Schmeisser, Wilhelm, Lesener, Luise und Tscharntke, Christian: Unternehmensnachfolge durch Unternehmensverkauf. München 2007 Schwass, Joachim: Wachstumsstrategien für Familienunternehmen. FinanzBuch Verlag, München 2007 Schwass, Joachim: Wise Growth Strategies in Leading Family Businesses, Palgrave Macmillan, 2006 Sieger, Gert: Profitables Wachstum in Familienunternehmen, Heft 7 der Schriftenreihe des Kirsten Baus Instituts für Familienstrategie Sieger, Dr. Gert: Betriebswirtschaftliche Ansätze für die Lösung von Gesellschafterkonflikten. In „Der Betrieb“, Heft 51, 2004 Simon , Fritz B. (Hrsg.): Die Familie des Familienunternehmens, Ein System zwischen Gefühl und Geschäft. Heidelberg, 2. Auflage, 2005 Simon, Fritz B./Wimmer, Rudolf/Groth, Torsten: Mehr-Generationen-Familienunternehmen. Erfolgsgeheimnisse von C&A, Oetker und anderen langlebigen Unternehmen. Carl Auer Verlag, 2005 Sommerlatte/Mirow/Niedereichholz/von Windau (Hrsg): Handbuch der Mittelstandsberatung, Auswahl und Nutzen von Beratungsleistungen. Erich Schmidt Verlag, 2008 Sonnenfeld, Jeffrey: The hero’s farewell: What happens when Ceo’s retire? Oxford University Press, 1991 Spalke, Gudrun-Aimee: Motivation: Bedeutung von unbewussten Motiven. 2008 in Suite 101.de Spector, Barbara (Hrsg.): The Family Business Conflict Resolution Handbook – The guide for achieving consensus in your family and your company. Family Business Publishing Co., 2003 Spinnen, Burkhard: Der schwarze Grat, Die Geschichte des Unternehmers Walter Lindenmaier aus Laupheim. Frankfurt 2003 Strick, Sabine (Hrsg.): Die Psyche des Patriarchen. FAZ-Buch, Frankfurt/M 2008 Viehöver, Ulrich: Die EinflussReichen, Henkel, Otto und Co. – Wer in Deutschland Geld und Macht hat. Campus Verlag, 2006 17
Literaturverzeichnis Voigt: Familienunternehmen. Im Spannungsfeld zwischen Eigentum und Fremdmanagement. Wiesbaden, 1990 v. Wagner, Klaus-R. (Hrsg.): Mitarbeiterbeteiligung. Visionen für eine Gesellschaft von Teilhabern. Gabler, 2002 Wahrig, Deutsches Wörterbuch. Gütersloh 1994 Ward, John L.: Perpetuating the Family Business. 50 Lessons Learned from Long-Lasting, Successful Families in Business. Palgrave Macmillan, 2004. Siehe auch www.kellogg.northwestern.edu Wiechers, Ralph: Die Unternehmerfamilie: Ein Risiko des Familienunternehmens? – Zum Umgang mit familieninduzierten Risiken im Familienunternehmen; Books on Demand GmbH, Norderstedt, 2004 Wiechers, Ralph: Familienmanagement zwischen Unternehmen und Familie. Zur Handhabung typischer Eigenarten von Unternehmensfamilien und Familienunternehmen. Diss. Systemische Forschung im Carl-Auer Verlag, Carl-Auer-Systeme, 2006 Wiedemann, Andreas/ Kögel, Dr. Rainer: Beirat und Aufsichtsrat im Familienunternehmen. München, 2008 Wimmer, Rudolf/Domayer, Ernst/Oswald, Margit u.a.: Familienunternehmen, Auslaufmodell oder Erfolgstyp?, Gabler, 2005 Windau von/Schumacher: Strategien für Sieger, Erfolgsgeheimnisse mittelständischer Unternehmen. Frankfurt, New York, 1996 Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU): Explorative Studie „Marke Familienunternehmen“
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§ 1 Einleitung
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Ein Fall aus dem Leben Eigentlich war alles gut gelaufen. Steuerberater Gerhard Glaube hatte zusammen mit dem langjährigen Inhaber Theodor-Gustav Treugott die Steuerberatungskanzlei geleitet. Die zwanzig Mitarbeiter (Buchalter, Steuerfachgehilfinnen, die Sekretärin und einige Halbtagskräfte) schienen mit den zwei Chefs gut klar zu kommen. Alles hatten sie in trockene Tücher gebracht, sämtliche Verträge nach zähen Verhandlungen unterschrieben und auch die Jahre der gemeinsamen Arbeit einigermaßen konfliktfrei als Übergeber und Übernehmer zusammen gearbeitet. Davor hatte ihm am meisten gegraust. Aber alles war bis hierhin gutgegangen. Und nun das: Bitte um Auflösung der Verträge, die ihn über den langjährigen Anwalt von Treugott erreichte. Gerhard Glaube ließ die letzten Jahre Revue passieren: Die Kanzlei Treugott war eine Institution. Ein alter Familienbetrieb in dritter Generation. Man kannte sich mit Geld aus, vor allem dem Geld anderer. Ursprünglich weit vor dem zweiten Weltkrieg als privates Bankhaus gegründet, waren sie in den Wirren der Hyperinflation und später der Weltwirtschaftskrise untergegangen. Theodor-Gustav übernahm in den späten Sechzigern von seinem Vater die nach dem Krieg noch vom Großvater gegründete Kanzlei und baute sie systematisch zu ihrer heutigen Größe aus. In dem Stadtviertel in der Großstadt, in der die Kanzlei ihre Büroräume unterhielt, hatten sich über die Jahre hinweg schleichend die Besitz- und Wohnstrukturen verändert. In die großbürgerlichen Wohnungen zogen nicht nur solvente Besitzer ein sondern auch Freiberufler wie Ärzte und Architektur- und Ingenieurbüros. Theodor-Gustav hatte ein Händchen dafür, sie als Mandanten zu gewinnen. Es gab mehrere Interessenten damals, als klar wurde, dass sich Treugott langfristig zurückziehen wolle. Mit dem einzigen Kind, einem Sohn, habe er sich überworfen, hieß es damals. Auch sonst gab es keinen weiteren Interessenten in der weitverzweigten Familie, also musste eine externe Lösung her. Gerhard Glaube war irgendwie schon stolz, in die engere Wahl und schließlich sogar als einziger Übernehmer ausgewählt worden zu sein. Natürlich gab es andere Bewerber, denn die Kanzlei Theodor-Gustav Treugott galt - zu Recht - als eine Institution. Schon als Glaube anfing, im Finanzamt als Finanzbeamter zu arbeiten, geisterte der Name Treugott durch die grauen Flure und sprach aus den Akten, deren vergilbte Ecken sich nach oben bogen. Unser TGT nannte man ihn dort, fast zärtlich, jedoch auf jeden Fall ehrfurchtsvoll. Mehrere Faktoren schienen wohl für ihn zu sprechen. Aufgrund einer Erbschaft war er liquide, er war mit dem Finanzamt vertraut und trotz aller Paragraphenmystik ein extrovertierter fröhlicher Mensch geblieben. Und letztlich kam er klar mit der eigenartigen Mischung, die Theodor-Gustav Treugott verkörperte: Sein Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war deutlich rustikal und entsprach eher dem Gelsenkirchener Barock. Kunden gegenüber konnte er allerdings Manieren an den Tag legen, die fast an einen Bankier alter Schule erinnerten. Allerorten schätzte man seinen Sachverstand. Und er, Glaube, traf den Ton. Sie kamen klar miteinander. Irgendwie. Und er wusste, der Zeitpunkt würde kommen, an dem vertraglich festgelegt war, dass er die Kanzlei alleine weiterführen würde. Es fing vor etwa einem Jahr an...
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§ 2 Unser Anliegen 2
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Keine unternehmerische Entscheidung greift stärker in die Zukunft ein als die Regelung der Unternehmensnachfolge. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Zukunft, sondern um verschiedene. Es geht um die Zukünfte mehrerer direkter und indirekter Beteiligter: die des Übergebers und seiner Familie, die des Übernehmers, seiner Familie und seiner wirtschaftlichen Zukunft und schließlich – und gleich wichtig – die des Unternehmens, seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und doch wird unserer Erfahrung nach in diesem Feld am wenigsten professionell vorgegangen. Zumindest bei kleineren und mittelständischen Unternehmen, den sogenannten KMU’s. Nicht nur die bundesdeutsche Regierung hat das schon vor Jahren erkannt, auch die EU hat uns durch das Sekretariat des damaligen Industriekommissars Günter Verheugen mitteilen lassen, dass man der Nachfolgeproblematik gerade in diesem Unternehmensbereich große Aufmerksamkeit widmet. Initiativen gibt es auf nationaler Ebene einige: Die Nexxt – Börse ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, der KfW sowie Vertretern von Verbänden, Institutionen und Organisationen der Wirtschaft, des Kreditwesens und der Freien Berufe. Volks- und Raiffeisenbanken sowie Sparkassen, die KMU’s meist betreuen, haben entsprechende Beratungsangebote vorliegen, die Handwerkskammern kümmern sich, das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn forscht und publiziert, etc. Man sollte meinen, bei dieser geballten Beratungsmacht könne nicht mehr viel schief gehen. Denn schließlich stehen diesen Beratungsangeboten auch die klassischen Berater, der steuerliche und der rechtliche, zur Seite. Kaum ein Unternehmen oder Unternehmer, der solche Berater nicht seit vielen Jahren an seiner Seite weiß. Und durch manche schwierige Situation mit ihrer Hilfe geschleust wurde. Diese Berater tun in Übernahmefallen genau das, was sie können: Steuerlich und rechtlich beraten. So wie das auch in vielen Beratungen der Banken und Sparkassen geschieht. Dort sitzen die Spezialisten, die genau dies können. Und das in wohl den allermeisten Fällen auch nach allen Regeln ihrer Profession tun – also gut und von hoher Qualität. Und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – reicht das nicht aus. Dabei spielen bei der Übergabe und Übernahme von Unternehmen vier Problemfelder eine Rolle:
A.
A.
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Verträge können mündlich und per Handschlag geschlossen werden. Allerdings ist das heute weniger verbreitet und bei Unternehmensübernahmen eher exotisch. Schließlich geht es um die Übergabe hoher Werte, um Investitionen seitens des Übernehmers mit entsprechenden Erwartungen an die Rendite und letztlich um die Alterssicherung beim Übergeber. Daher werden bei Unternehmensübernahmen Verträge in schriftlicher Form geschlossen. Diese können durchaus hundert Seiten umfassen – gerade dann, wenn der beratende Jurist in diesem Geschäft der Unternehmensnachfolgen erfahren ist. Jeder Vertragsanwalt wird sein Bestes geben und versuchen, alle möglichen Entwicklungen vorherzusehen und vertraglich, im Sinne seines Mandanten, abzusichern. Dies gilt natürlich auch für die andere Seite, die ebenfalls einen Anwalt mit der Aufgabe beschäftigen wird und zusieht, dass ihre Belange ebenfalls berücksichtigt werden. 20
Vermeintliche Handlungssicherheit
B.
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Keine Blaupause – das ist das erste und einzige Mal
Geregelt wird vieles. So finden wirtschaftliche Erwartungen an den Deal insoweit Eingang, wie der Abgeber Zahlen, Daten und Fakten als korrekt angegeben erklärt und dafür in gewissem Umfang eine Garantie übernimmt. Es werden Überleitungszeiten definiert und Verhaltensweisen festgeschrieben. All das wird für den Konfliktfall mit Konsequenzen belegt, so dass von vornherein klar ist, was wann passiert. Ziel ist, möglichst alle „wenn – dann“ Varianten zu erfassen und mit den Folgen festzuschreiben – im besten, auch juristischen Sinne, werden hier Positionen definiert. Vertragsentwürfe werden zwischen den Beratern hin und hergeschickt. Ab und an werfen auch die Protagonisten einen Blick hinein und irgendwann wird das Vertragswerk fertig gestellt und unterschrieben sein. Und die Unternehmer kehren endlich wieder zu dem zurück, was sie am besten können: Unternehmerisch tätig sein und werden; nach langer Zeit, in der sie sich mit Themen beschäftigen mussten, die weder ihre Kernkompetenz abbilden noch auch der gewissen Euphorie, die sie ergriffen hat, Rechnung tragen. Immerhin steht für den Übergeber nicht weniger auf der Themenliste als sein neuer Lebensabschnitt und für den Übernehmer, neben anderem, gilt es, seiner großen finanziellen Verpflichtung zu genügen. Selbstverständlich werden diese neuen Zukünfte euphorisch begrüßt und das Ende der Vertragsverhandlungen erleichtert aufgenommen. Verträge geben Sicherheit, sie wiegen aber auch in – falscher – Sicherheit. Denn auch der beste Vertrag kann nicht alles regeln. Manches, und das wissen Juristen, lässt sich gar nicht regeln, weil es im Zweifels- oder Streitfall gar nicht juristisch eingefordert werden kann.
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> Hierzu ein kleines Beispiel aus der Praxis: Dr. Meyer verkauft seine Arztpraxis an Dr. Fuß. Eine überleitende Mitarbeit ist verabredet, weil der Übernehmer bislang in der Klinik tätig war und weder Praxisalltag noch die angestammten Patienten kennt. Am 01. Juli, dem Übergabetag, ist Fuß schon um 7.00 Uhr in der Praxis und richtet sich im „Chefzimmer“ ein. Die persönlichen Dinge seines Vorgängers verfüllt er in die Kiste, in der er seine eigenen persönlichen Gegenstände mitgebracht hatte. Zu Beginn der Sprechstunde ist der Raum nach den Vorstellungen des Übernehmers so einigermaßen neu gestaltet. Um 10.30 Uhr trifft Dr. Meyer ein – und ist entsetzt... . Die Beteiligten tun aber so, als ob alles geregelt wäre und stürzen sich geradezu enthusiastisch und voller Engagement in ihre unternehmerische Tätigkeit. Wenn sie aber, wie das bei vielen Übernahmen der Fall ist, eine gewisse Zeit zusammenarbeiten, werden Fragen und Probleme auftreten, für die die Verträge keine Antwort parat halten – wie das kleine Beispiel zeigt. Auch darum wird es uns in den folgenden Seiten gehen. Eine Unternehmensübernahme umfasst viel mehr als sich nur einig zu sein und Verträge, die vieles, aber eben nicht alles regeln, unterschrieben zu haben. Der Lackmustest findet in den nächsten Wochen, Monaten und vielleicht sogar Jahren nach der Übernahme statt.
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B.
Keine Blaupause – das ist das erste und einzige Mal
B.
Vieles im Leben eines Unternehmers wiederholt sich. Kunden reklamieren und man hat gelernt, darauf richtig zu reagieren. Mitarbeiter müssen ermahnt, abgemahnt und im schlimmsten Falle gekündigt werden. Auftragseinbrüche werden aufgefangen, genauso wie Zeiten des stürmischen Wachstums und Neueinstellungen systematisch abgearbeitet werden. Jeder Unternehmer sah sich im Laufe seines unternehmerischen Lebens mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die er gelöst hat. Und da sich viele dieser Herausforderungen wiederholen, besteht ein großer Fundus an Erfahrungen, auf die er zurückgreifen kann. Die Regelung der eigenen Nachfolge allerdings findet für die allermeisten Unternehmer lediglich ein Mal statt. Es gibt keine Blaupause, es gibt kein eigenes Erfahrungswissen, auf das man zurückgreifen
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§ 2 Unser Anliegen
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könnte. In manchen Fällen mag der Unternehmer einmal selbst Übernehmer gewesen sein, aber das liegt erstens meist sehr lange zurück und zweitens hat dieses Geschäft zu einer Zeit stattgefunden, in der die Bedingungen und das Klima (Führungsverständnis, Marktanforderungen, Mitarbeiterqualifikationen etc.) nicht mit der heutigen Zeit vergleichbar sind. Alleine die zeitliche Distanz, dreißig und mehr Jahre zurück, lässt viele damals vielleicht gemachten schwierigen Erfahrungen in einem freundlicheren Licht erscheinen und hilft für die Orientierung in der jetzigen Situation nicht weiter. Es ist also in aller Regel kein eigenes Erfahrungswissen vorhanden. Natürlich verfügen die eigenen Berater – steuerlicher und anwaltlicher Art – und auch die Hausbank über eine Menge an Erfahrungen aus anderen Übernahmen, aber diese helfen nur bedingt weiter. Denn viele Probleme bei der Übernahme treten, wie gesagt, später auf und hängen mit Personen und Persönlichkeiten zusammen. Manche dieser Probleme basieren allerdings auch darauf, wie die Planung der Nachfolge angegangen wird. Nicht selten geschieht sie sehr, wenn nicht gar zu spät, mit all dem Druck, der dann dahinter steht. Und in diesen Fragen sind die Berater keine Experten, ja wollen es gar nicht sein. Ihre Konflikterfahrungen aus anderen Übernahmefällen setzen sie um in Kodifizierungen, verkennend, dass Konflikte zutiefst menschlich sind und sich regelmäßig da auftun, wo sie keiner vermutet.
C.
C.
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Die Unternehmensübergabe findet ohne Blaupause statt; sie berührt darüber hinaus aber auch existentielle Fragen, sowohl für den Übergeber als auch den Übernehmer. Während der eine mit dem Fakt des, von Breuer so treffend genannten „abwärtsgerichteten Zukunftsszenarios“1 konfrontiert ist, muss der andere sich auf eine Zukunft einstellen, die für ihn viele Herausforderungen bedeuten: Neben den persönlichen Fragen danach, ob man als Unternehmer geeignet ist, spielen finanzielle Verpflichtungen, die man eingehen muss, genauso eine Rolle wie das zukünftige Familienleben. Die unternehmerische Unabhängigkeit gegenüber einem Angestelltendasein hat auch Folgen für die Familie und das Leben mit der Familie. Stichpunkte mögen hier genügen: Längere Arbeitszeiten, ungeregelteres Einkommen, höhere Verantwortung, komplexere Problemstellungen, generell ein eher unplanbares Leben etc. Für den Übergeber spielen andere Fragen eine Rolle: Die finanzielle Zukunft des eigenen Lebens mit all den Verpflichtungen will natürlich sichergestellt sein. Daneben muss der Übergeber sich aber auch mit weiteren existentiellen Fragen auseinandersetzen, bis hin dazu, sich mit der eigenen Endlichkeit zu konfrontieren. Solche Themen werden im Laufe des Buches noch weiter ausgeführt.
D.
D.
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Existentielle Fragen
Beratungsresistenz
Gerade Unternehmern von KMU’s, und hier besonders den kleinen Unternehmen und kleineren Mittelständlern wird eine gewisse Abwehr gegen Beratung vorgehalten. Zum Einen liegt das sicherlich an den beschränkteren finanziellen Mitteln (Tageshonorare der großen Beratungshäuser wie McKinsey u.a. von bis zu mehreren Tausend Euro am Tag sind für diese Unternehmen selten zu finanzieren) zum Anderen aber auch an den spezifischen Fragestellungen, die solche Unternehmen als Beratungsbedarf haben können. Konstatieren lässt sich sicherlich eine gewisse Beratungsabstinenz und daraus folgend wenig Übung damit, wie mit Beratern umzugehen ist. Vielleicht erschwert auch die meist akademische Ausbildung von Beratern den unbeschwerten Umgang mit diesem Personen1
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Breuer, S. 290
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D. Zusammenfassung: Eigene Souveränität sicherstellen kreis seitens der – eher pragmatisch orientierten – Unternehmensleitern von KMU’s. Da allerdings Fachhochschulen und Berufsakademien sich gezielt weiterhin dieser Klientel öffnen und auch angepasste Angebote (Online-Studium etc.) verfügbar machen, werden die Berührungsängste auf beiden Seiten in Zukunft wahrscheinlich geringer.
E.
Zusammenfassung: Eigene Souveränität sicherstellen
Im Grund genommen geht es in dem Übernahmeprozess sowohl für den Übergeber als auch für den Übernehmer um die Sicherstellung der eigenen Souveränität und Handlungssicherheit. Diese kann nicht an Berater abgegeben werden. Berater sind Experten auf ihren Gebieten und verfügen im besten Falle über ein besonderes Erfahrungswissen bezogen auf die Situation von Unternehmensnachfolgen. In aller Regel fehlt ihnen aber das Bewusstsein, dass sie ihren Auftraggebern als Sicherheitsgaranten dienen. Sie bekommen damit weit mehr Verantwortung übertragen, als sie zu übernehmen bereit und in der Lage sind – und was in aller Regel ihnen nicht bewusst ist. Solange alle Beteiligten, insbesondere die finanzierenden Banken, nicht Samen des Misstrauens säen, vermittelt diese Delegation an die Berater eine Scheinsicherheit. Und diese ist fatal. Denn wie unsicher und wenig souverän die Unternehmer in Übergabeprozessen tatsächlich sind, zeigt sich darin, wie sie die ersten Schritte einleiten, die für eine Nachfolgeregelung erforderlich sind. Aber nicht nur bei der ersten Suche nach einem Nachfolger, den ersten Verhandlungen bis zur Unterschrift, sondern auch in der Zeit der gemeinsamen Arbeit zwischen Übergeber und Übernehmer wird Souveränität gefordert und herausgefordert. Prinz von Hohenlohe plädiert in seinem sechs Schritte-Modell der Unternehmensübernahmen dem letzten, dem sechsten Schritt, für ein Coaching. Wenn die Unterschriften unter die Verträge geleistet wurden, und die internen Umstrukturierungen beginnen, soll ein Coaching diesen Prozess begleiten.2 Wir unterstützen diese Ansicht, meinen allerdings, dass das mehr umfasst als die drei Sätze, die er zu dem Thema sagt. Auch ist der Zeitpunkt für ein Coaching zu spät gewählt. Nicht selten kommen Übergaben viel zu spät oder gar nicht zustande, weil sich der Übergeber mit seiner persönlichen und zukünftigen Situation nicht auseinandersetzt oder auseinandersetzen kann. Wir gehen in der nach wie vor hauptsächlich männerdominierten (Unternehmens-) Welt von männlichen Protagonisten aus. Die existierenden Hinweise auf Hemmnisse, Handlungshindernisse und – nöte bei Unternehmensnachfolgen betreffen männliche Protagonisten. Nun verhalten sich Männer und Frauen definitiv anders. Im Anhang haben wir dazu unter § 7 B XV Material zusammen gestellt, das diese Hypothese stützt. In Ermangelung von Datenmaterial zum Verhalten von Unternehmerinnen sprechen wir von männlichen Protagonisten. Das bedeutet aber nicht, dass unsere Hinweise für weibliche Protagonisten nicht von Relevanz wären: Die Handlungsempfehlungen treffen auf alle UnternehmerInnen zu, auch wenn sich der „Aufhänger“ am männlichen Handeln oder Nichthandeln und Verhalten orientiert.
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von Hohenlohe, S. 33
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§ 3 Aufbau und Lesehinweise 1
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Wir führen den Leser durch die wichtigsten Phasen und Stationen des Handelns und Entscheidens, die für einen erfolgreichen Verlauf von Bedeutung sind. Und wir differenzieren dabei zwischen den Protagonisten. Das sind: ■ Der Übergeber, ohne den gar nichts passieren kann. ■ Der Übernehmer, der an entscheidender Stelle hinzu tritt und ohne den ein erfolgreicher Abschluss einer Übergabe ebenfalls nicht denkbar ist. ■ Die Organisation, also das Unternehmen, das eine neue Leitung bekommt. Sie ist zwar bei dem Deal „Objekt“, aber eines, das sich unter der Nachfolge verändern kann und wird. Weiterhin gilt es, zwischen den Phasen einer Nachfolge zu differenzieren. Grob betrachtet kann zwischen der Anbahnungs- und Vorbereitungs- sowie der Transaktionsphase unterschieden werden. Allgemein muss festgestellt werden, dass die einzelnen Phasen nicht streng chronologisch aufeinander folgen, sondern teilweise parallel verlaufen. Wir unterscheiden fünf Phasen: 1. Die Ingangsetzungsphase, also der Zeitpunkt oder Zeitraum, in dem die Protagonisten – hier insbesondere Übergeber und Übernehmer – ins Handeln kommen. Trifft der Abgeber nicht eine Entscheidung, seine Nachfolge gestaltend angehen zu wollen, fehlt es am „Startschuss“. Dass darin ein kritisches Moment liegt, belegen die Daten im Anhang. Danach scheitern anstehende Nachfolgeregelungen zu einem erklecklichen Teil daran, dass die Unternehmer schlichtweg untätig bleiben. 2. Der nächste kritische Zeitpunkt sind die ersten Schritte, die wir mit der Offerte des Abgebers erfasst haben. Darin signalisiert er den potentiellen Interessenten, wie er sich seine Nachfolge und seinen Nachfolger vorstellt. Es ist ersichtlich, dass sowohl im Wie als auch in der Person des gewünschten Nachfolgers ein nicht unwesentliches Moment für Erfolg und Misserfolg des Nachfolgevorhabens liegen kann. 3. Im Anschluss daran kündigen sich die ersten Interessenten an und es kommt zur ersten Begegnung zwischen Abgeber und Übernahmeinteressent um bzw. Bewerber für die Nachfolge. Dass bei dieser ersten Begegnung Entscheidendes für Erfolg oder Misserfolg geschieht, ist sicherlich unmittelbar einsichtig. Doch was sind die Erfolgsfaktoren? 4. Der nächste Zeitpunkt bzw. Zeitraum, den wir beleuchten, ist die Phase der Vertragsverhandlungen. Spätestens hier kommen Experten (wie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, die Anwälte natürlich, aber auch Unternehmensberater, Banker u.a.m.) hinzu, die ins Räderwerk eingreifen. Wo bleiben da die Protagonisten? Es existieren einige Zahlen, woran in dieser Phase Nachfolgeregelungen scheitern können.1 Wir konzentrieren uns hier auf zwei Faktoren, die jenseits von Recht und Finanzen liegen. 5. Die letzte Station ist dann die Durchführung der Nachfolge – eine Phase, in der es nach unserem Kenntnisstand und allen Äußerungen in der Literatur grundsätzlich zu Konflikten kommt. Warum ist das so und muss es so bleiben? Was kann getan werden? Wir beschäftigen uns hier mit dem häufig vorkommenden Fall einer gemeinsamen Zusammenarbeit zwischen Übergeber und Übernehmer für eine bestimmte Übergangszeit. Dabei beleuchten wir einige Herausforderungen der ersten Tage und Wochen sowie dem sich anschließenden Alltag.
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IfM 2008a
3 Die Protagonisten
Phasen 1 bis 3 Vorbereitung
Übergeber bzw. Übernehmer Ins Handeln kommen
Erste Interessenten kündigen sich an
Die ersten Schritte
Beispiel
Beispiel
Beispiel
Die guten Gründe
Die guten Gründe
Die guten Gründe
Von Beratern genannte Handlungsempfehlung
Von Beratern genannte Handlungsempfehlung
Von Beratern genannte Handlungsempfehlung
Bewertung dieser Wegweiser
Bewertung dieser Wegweiser
Bewertung dieser Wegweiser
Der (Aus-) weg
Der (Aus-) weg
Der (Aus-) weg
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Die Organisation Phasen 4 und 5 Transaktion
Die Protagonisten im Zusammenspiel
Vertragsverhandlungen
Die ersten Tage und Wochen
Der Alltag
Wir beschränken uns in dieser Differenzierung auf die externe Nachfolge (auch Buy-out genannt) und lassen die besondere Situation in Familienunternehmen an dieser Stelle außen vor. Diese betrachten wir anschließend gesondert (in § 6), weil wir uns in wesentlichen Punkten auf die Grundsätze beziehen können, die wir zur externen Nachfolge beschreiben. Wir schreiben von Übergeber und Übernehmer, weil wir den männlichen Unternehmer und Nachfolger vor Augen haben. Dass sich Frauen anders verhalten und unsere Ausführungen deshalb auf diese zum Teil nicht zutreffen, haben wir bereits erwähnt. Die Phasen 1 bis 3 sowie 4 und 5 unterscheiden sich also dadurch, dass der erste Block die Vorbereitung beinhaltet und die Phasen 4 und 5 die Transaktion.2 Der Aufbau der einzelnen Abschnitte im ersten Block (Phasen 1 bis 3) folgt ebenfalls einer einheitlichen Struktur, um dem Leser eine schnelle Orientierung zu ermöglichen. Wir führen in die Situationen mit Beispielen ein, anhand derer wir die jeweils bedeutsamen Kriterien heraus arbeiten. Anschließend analysieren wir im Abschnitt Die guten Gründe, warum so gehandelt wird, obwohl dieses Handeln meist nicht erfolgversprechend ist. Das geschieht beschreibend und damit – hoffentlich – leicht verständlich. Im darauf folgenden Abschnitt beschäftigen wir mit ausgewählten Handlungsempfehlungen von Beratern oder beratenden Institutionen. Entweder gehen die Expertensichten an den tatsächlichen Herausforderungen vorbei oder sie blenden sie größtenteils aus. Diese Auseinandersetzung geschieht im vierten Abschnitt, in dem wir diese Wegweiser bewerten, um dann im folgenden letzten Abschnitt unsere Auswege vorstellen. Das ist der Praxistipp. Der Leser, den schon die Darstellung im 2. Abschnitt überzeugt, kann auch gleich auf diesen Lösungsabschnitt zusteuern. 2
So auch Schmeisser u.a. in „Unternehmensnachfolge durch Unternehmensverkauf “ S. 67
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§ 3 Aufbau und Lesehinweise 7
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An verschiedenen Stellen haben wir Exkurse über Motivation und Motivationstheorien eingestreut, weil diese für Übergeber und auch für den Übernehmer Richtungen angeben, mit denen sie sich selbst und persönlich in der Nachfolgeproblematik beschäftigen sollten. Die Abschnitte über die Organisation und die Phasen vier und fünf in der Transaktion folgen im Aufbau einer anderen Logik. Bezogen auf die Organisation betrachten wir allgemein gültige Herausforderungen, die jeder Wechsel in der Führungsebene mit sich bringt. In der Transaktionsphase agieren die Protagonisten gemeinsam in der Vertragsgestaltung und schließlich in der gemeinsamen Zusammenarbeit.
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§ 4 Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) ! Tipp: Unternehmensnachfolgen müssen steuerlich und rechtlich begleitet werden. Die jeweiligen Fachberater stehen dafür als Experten zur Verfügung. Sie geraten jedoch auch an ihre Grenzen. Oder sie geraten in die Gefahr, in Dynamiken verstrickt zu werden, für deren Bearbeitung sie kaum ausgebildet sind. Manche Fragestellung wird daher eher abgetan, obwohl sie sich für die beteiligten Unternehmer dringend stellen. Diese finden keinen Ort, um sie vertrauensvoll besprechen zu können. Als problematisch erweist sich bei diesen Transaktionen die durch Tradition manifestierte Praxis der Berater, sich nur am Rande mit den Interessen und Bedürfnissen der Auftraggeber zu befassen. Wir sehen darin einen Mangel der Auftragsklärung. Was tun die Rechts- und Steuerexperten? Diese wissen besser, was getan werden muss als der Mandant. Aufgrund ihrer Beratererfahrung suggerieren sie, zu wissen, wo es bei der Vertragsabwicklung zu Konflikten kommen kann. Quell dieses Erfahrungswissen ist aber nicht etwa die intime Kenntnis der Menschen, die vielleicht mal im Konflikt stehen werden, sondern es sind die Konflikte anderer Menschen in anderen Situationen. Gerade erfahrene Anwälte, die als Forensiker auch mit sich anschließenden Rechtsstreitigkeiten zu tun haben, füllen ihre Vertragsmuster mit all diesen Geschichten, die mal vorgekommen sind – und sind selbst davon überzeugt, dass ihr Mustervertrag dadurch an Qualität gewonnen habe. Diese von manchen der Profession voll Stolz gelebte Souveränität überzeugt auch die Mandanten; soviel Selbstsicherheit muss doch seinen Grund haben. Und genau das stimmt nicht! Es werden „potemkinsche Dörfer“ an den Straßenrand gestellt. Wir gehen solchen Fragen in den folgenden Abschnitten nach – differenziert nach Übergeber, als einem der Protagonisten, und dem Übernehmer als dem zweiten. Die Organisation betrachten wir als dritten „Protagonisten“. Das mag auf den ersten Blick befremdlich anmuten, denn die Organisation ist bei dem Deal eigentlich das Objekt. Dieses „Objekt“ ist allerdings in aller Regel zu einem wesentlichen, ja entscheidenden Teil eine Gruppe von Menschen, die für das Objekt (mit) wertbestimmend sind. Dieses unberücksichtigt zu lassen bedeutet, die „Rechnung ohne den Wirt“ zu machen. Welche Herausforderungen haben sie sowohl jeder für sich – als auch in der gemeinsamen Arbeit zu meistern?
A.
Der Übergeber
4
2
A.
Der Übergeber ist die Schlüsselperson bei jeder Unternehmensnachfolge. Nur wenn er tätig wird, wenn er die Initiative ergreift, wird der Übergabeprozess in Gang gesetzt. Die Fälle, in denen durch Unglücksfälle wie Unfall oder plötzlicher Tod eine Nachfolge ansteht, lassen wir unberücksichtigt.
I.
1
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Ins Handeln kommen
Zeitlich gesehen fällt der „Startschuss“ dann, wenn der Unternehmer den Entschluss fasst, seine Nachfolge ernsthaft angehen zu wollen. Wir haben eingangs die Besonderheit beschrieben, die eine Nachfolgeregelung für den übergebenden Unternehmer hat. Kommt er ins Handeln, lässt er sich auf ein Geschäft ein, das er ohne jede Routine, ja ohne eigenes Knowhow (Erfahrung, Gestaltungswissen etc.) in Angriff nimmt. 27
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§4
1. 5
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Beispiel
Max Gründig, 70-jähriger erfolgreicher Unternehmer wird von einem engen Freund – und Unternehmerkollegen – gefragt: „Sag mal Max, wie hast Du eigentlich Deine Nachfolge geregelt?“ Darauf der Angesprochene: „ Ach weißt Du, ich bin ja noch jung – das hat noch Zeit. Ist ja auch nicht so einfach.“ Im Hintergrund hatte die Hausbank Herrn Gründig bereits mehrfach auf dieses Thema angesprochen – zunächst als freundliche Anregung, zunehmend aber deutlich drängender. Gründig hatte sich auch schon damit abgefunden, keine neuen Kredite in Anspruch nehmen zu wollen; die laufenden Kredite bediente er pünktlich. Auch seine Familie lenkt das Gespräch immer wieder mit zunehmender Frequenz auf dieses Thema. Gründig lässt sich auf dieses Thema jedoch nicht ein. Ein Fall aus dem Leben. Ob so wie im Beispiel wiedergegeben oder unter anderen Umständen bzw. andere Weise: Mittelständische Unternehmer tun sich schwer, der Nachfolgeregelung zur rechten Zeit die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Außenstehende wie Banker, Steuerberater aber auch die Familie sehen das Problem durchaus und sagen das auch – jedoch ohne den intendierten Erfolg.
2. 6
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Die guten Gründe
Was ist los mit Herrn Gründig? Warum erscheint er so hartnäckig ignorant gegenüber dem, wovon sein gesamtes Umfeld ganz sicher ist, dass es geschehen müsste bzw. im Alter von Siebzig längst hätte angebahnt werden müssen? Verständlich wird das, wenn wir seine guten Gründe dafür erfasst haben. Und da gibt es eine Menge.1 ■ Der erfahrene und routinierte Unternehmer steht vor einem Geschäft, von dem er keine Ahnung hat. Er kennt weder die Fallstricke – er ahnt vermutlich, dass es derer etliche gibt –, noch den Markt: Wie und wo finde ich denn den Menschen, der mich ersetzen soll? ■ Ist die Nachfolge mit einem Unternehmensverkauf verbunden, muss das Unternehmen als Objekt verkaufsbereit sein. Das bedeutet: ■ Eine tadellose und aktuelle Buchhaltung. ■ Ein Vorlauf an vorzeigbaren Jahresabschlüssen – in der Regel 3 bis 5 Jahre zurückgehend. ■ Eine Organisation, die im Sinne eines Qualitätsmanagements wie nach ISO 2000 ff zur Übergabe vorbereitet ist. ■ Eine Idee, was die inneren Werte (Firmenwert) sind und wie diese nachweisbar sind. ■ Gravierend ist die zur Entscheidung anstehende Frage, wie der Unternehmer aussteigen will: ■ Gleich ganz ■ oder erst nach einer Übergangszeit ■ oder auch nur bezogen auf bestimmte Bereiche (Wechsel in ein Aufsichtsgremium) ■ mit Verkauf des gesamten Unternehmensvermögens oder zunächst ganz ohne Vermögensanteile (Fremdgeschäftsführung). Oder mit Verpachtung der Immobilien etc. ■ Nachfolge nur in Bezug auf einen Unternehmensteil (z. B. die Steuerberaterkanzlei eines Betriebes mit verschiedenen Bereichen wie – neben der Steuerberatung – auch Rechts- und Unternehmensberatung) ■ Verkauf eines Teils der Geschäftsanteile mit Nachfolge in der Geschäftsführung 1
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Im Anhang finden sich weitere Hinweise auf Beweggründe, um die es hier geht.
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A. Der Übergeber Der Möglichkeiten gibt es so viele, dass allein diese Entscheidung schwindlig machen kann ■ Neben diesen formalen Fragen, die auch den Wert des Unternehmens und damit den Verkaufspreis beeinflussen, gibt es weitere gute Gründe, nicht zu handeln: ■ Den Übergabeprozess einzuleiten heißt auch, sich mit einem neuen Lebensabschnitt auseinandersetzen zu müssen: Was kommt nach dem ausgefüllten Unternehmerleben? ■ Dieser neue Lebensabschnitt ist vielleicht der letzte, aktive, der nun eingeleitet wird. Die Tatsache der eigenen Endlichkeit, der eigene Tod, der kommen wird, muss anerkannt werden. ■ Ist es der „richtige“ Zeitpunkt? Der Gründe sind gar viele, zu meinen, der Zeitpunkt sei gerade jetzt nicht richtig: Entweder wir befinden uns in einer generellen wirtschaftlichen Krise, dann wirkt sich das negativ auf den Verkaufspreis aus. Oder das Unternehmen befindet sich gerade in einer Krise, dann muss es erst einmal durch die erfahrene Hand des langjährigen Unternehmers dort herausgeführt werden. Aber auch das Gegenteil kann dazu führen, weiter inaktiv zu bleiben: Die Geschäfte laufen extrem gut. Dann müssen erst die notwendigen Umorganisationen stabilisiert werden, die Neueinstellungen richtig eingearbeitet sein, bevor das Unternehmen auf dem Markt angeboten werden kann. ■ Den Unternehmer treibt auch die Frage um, wie sein Lebenswerk gesichert werden kann? Dabei kann bei manchen Persönlichkeiten die Meinung vorherrschen, nur sie seien überhaupt in der Lage, das Unternehmen in die Zukunft zu führen. Dann finden Übergaben in der Regel gar nicht oder nur per Zwang statt. ■ Seitens der Übergeber werden als wichtigste Faktoren, die gesichert sein müssen, die eigenen finanziellen Zukunft und die Frage nach dem Erhalt der Arbeitsplätze genannt.2 Damit hängt eben auch die Wertschätzung für das eigene unternehmerische Leben zusammen. Spätestens in den Kaufpreisverhandlungen stellt sich vielleicht heraus, dass sich die Preisvorstellung auf dem Markt nicht realisieren lässt. Dies kann und wird einen herben Stich für die Wertschätzung der eigenen Arbeit bedeuten.3 ■ Weiterhin ist zu klären, an wen er das Unternehmen übertragen will: ■ an ein Familienmitglied, ■ an einen potentiellen Nachfolger aus dem Unternehmen, ■ an einen externen Nachfolger, ■ an einen Finanzinvestor. ■ Wir beschränken uns hier auf die ersten drei Varianten. Der Verkauf an einen Finanzinvestor erfolgt nach grundlegend anderen Regeln – insbesondere was die Übernehmerseite angeht. Es gibt eine Unzahl weiterer (guter) Gründe, die dem Betrachter verborgen bleiben, wenn er diese nicht aufdecken hilft. In einem Fall aus unserer Praxis kam heraus, dass der Unternehmer deshalb untätig geblieben war, weil er sein Testament noch nicht gemacht hatte. Er hatte in der Zeit des Unternehmensaufbaues von seiner Ehefrau Geld bekommen, das er nie zurückgezahlt hatte. Obwohl die Eheleute keine Kinder hatten und im gesetzlichen Güterstand lebten (die Ehefrau also ohnehin alles erben wird, sofern er zuerst verstirbt), war ihm dieses Testament als Zeichen der Wertschätzung an seine Frau wichtig. Und – das wurde durch unsere Begleitung für ihn erkennbar – war der entscheidende Grund, die Nachfolge nicht richtig und konsequent anzugehen. Er sprach häufig davon, dass er das nun endlich tun wolle – es passierte jedoch nichts!
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IfM 2008a, S. 46 Den angemessenen Verkaufspreis zu finden, stellt sich als größter Hinderungsgrund dar (IfM 2008a, S. 84).
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§4
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
All diese Hinderungsgründe sind den Protagonisten meist nicht bewusst. Situativ ist einmal der eine Aspekt fassbar, der jedoch in der alltäglichen Umtriebigkeit der Arbeit wegrutscht, und dafür tritt ein anderer Aspekt ins Rampenlicht.
3. 12
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Exkurs zur Motivation auf Seiten des Übergebers
Ihm, dem Übergeber in unserem Beispiel, Herrn Gründig, fehlt einfach der Wille, etwas zu unternehmen im Hinblick auf die Nachfolgeregelung. Wille bedeutet (u. a.) auch das im Leben von erwachsenen Menschen außerordentlich bedeutsame Anstreben von selbst festgelegten Zielen und damit das Umsetzen von persönlichen Entscheidungen in die Tat oder von gemeinsamen bzw. gemeinschaftlich getroffenen Beschlüssen und Festsetzungen oder Gesetzen in ein bewusstes und absichtsvolles oder gar geplantes Handeln. Planungswille ist aber nötig, um ins Handeln kommen zu können. Planung, auch der Prozess der Planung, ist die gedankliche Vorwegnahme von Handlungsschritten, die zur effektiven Erreichung eines Zieles notwendig scheinen. Dabei wird berücksichtigt, mit welchen Mitteln das Ziel erreicht werden kann, wie diese Mittel angewendet werden können, und wie man das Erreichte kontrollieren kann. Als Planungsergebnis erzeugen kurz-, mittel- oder langfristige Pläne Handlungssicherheit – davon sprachen wir eingangs, um die eigene Souveränität im Übergabeprozess zu bekommen und nicht auf die Berater zu delegieren. Hiervon ist der untätige Abgeber – ersichtlich – weit entfernt. Der Fachbegriff, der hier von Bedeutung ist, ist Volition. Als Volition wird in der Psychologie der Prozess der Willensbildung bezeichnet. Die Volitionspsychologie bzw. Volitionsforschung ist ein Teilgebiet der Motivationspsychologie und untersucht Fragestellungen zur Bildung, Aufrechterhaltung, zeitlichen Dynamik und Realisierung von Absichten. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie die Umsetzung einer Zielintention in die Handlung erfolgt. Motivation (von lat. motus, „Bewegung“) bezeichnet in den Humanwissenschaften sowie in der Ethologie einen Zustand des Organismus, der die Richtung und die Energetisierung des aktuellen Verhaltens beeinflusst. Mit der Richtung des Verhaltens ist insbesondere die Ausrichtung auf Ziele gemeint. Energetisierung bezeichnet psychische Kräfte, die das Verhalten antreiben. Ein Synonym von Motivation ist „Verhaltensbereitschaft“. Nach traditioneller Auffassung wird das Motiv einer Person durch thematisch entsprechende Anreize in der Umwelt „angeregt“. Das Leistungsmotiv wird etwa dann angeregt, wenn die Person die Aussicht hat, sich mit einem Gütemaßstab messen zu können. Dies führt zu einer Motivation, den Anreiz aufzusuchen oder zu meiden. Es gibt unterschiedliche Motivationsmodelle. Inhaltsmodelle können von Prozessmodellen unterschieden werden. Während Inhaltsmodelle menschliches Verhalten allein aufgrund bestimmter psychischer Inhalte erklären, führen Prozessmodelle das Verhalten auch auf bestimmte physische Vorgänge zurück. Wir verfolgen hier den Ansatz eines Prozessmodells. Ein einfaches eindimensionales Motivationsmodell bezeichnet eine Schwellenmotivation beim Überschreiten einer imaginären Grenze. Diese Rubikon-Motivationsstrategie erhielt ihren Namen vom Angriff Cäsars gegen Rom zu Zeiten des Bürgerkrieges. Als er mit seinem Heer den Fluss Rubikon überschritt (Alea iacta est!), gab es für sie kein Zurück mehr. Das war allen Soldaten klar und ging als „Motivationskonzept“ in die Psychologie ein. Das entsprechende Rubikon-Modell der Handlungsphasen von Heinz Heckhausen4 teilt den Handlungsstrom in folgende vier Phasen ein:
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Heckhausen.H.& Heckhausen, J.: Motivation und Handeln.
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A. Der Übergeber ■
Abwägen ■ Planen ■ Handeln und ■ Bewerten Besonderes Gewicht liegt auf der Unterscheidung der Phasen des Abwägens und des Planens, die durch die Intentionsbildung getrennt sind. Während vor der Intentionsbildung Informationen über Erwartung und Wert von Handlungsergebnissen und Handlungsfolgen unvoreingenommen berücksichtigt werden, ist die Informationsverarbeitung nach der Intentionsbildung parteiisch auf die Erhaltung und Realisierung der Intention ausgerichtet. Unser inaktiver Protagonist ist von Unlust geprägt, in ein erstes Handeln zu kommen. Der erste Schritt, den er tun müsste, ist in die Phase des Abwägens zu gelangen. Er ist also nicht unmotiviert! Vielmehr darf prinzipiell festgestellt werden, dass jeder Mensch eine ihm eigene Motivationslage bzw. ein Geflecht von Antrieben und Handlungsstrategien besitzt, das ihn bei seiner Wahl der jeweils als für ihn optimal empfundenen Handlungsweise zumeist unbewusst leitet. Es stellt sich also nie die Frage ob ein Mensch motiviert ist, sondern allein die Frage, wie er motiviert ist. Mit dieser Erkenntnis darf nicht verwechselt werden, dass sog. pro-aktiv motivierte Menschen, die über einen höheren Reflexionsgrad verfügen, was sie antreibt und wie sie diese Bedürfnisse gezielt einsetzen können, um sich selbst zu motivieren, zumindest im Arbeits- und Leistungsprozess höher angesehen werden als Menschen, denen ihre Motivationskonzepte nicht so bewusst sind und die daher als re-aktiv bezeichnet werden. Letztgenannte Menschen brauchen häufig ein externes Anreizkonzept, das sich ihrer persönlichen Präferenzen und Erfahrungen bedient, sind aber vom Prinzip her nicht weniger stark motiviert, z. B. Strafe zu vermeiden oder einen unangenehmen Kontext zu verlassen. Aristoteles hat sich zu Lust und Unlust wie folge geäußert5:
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„Als ein Zeichen des Habitus muss man die mit den Handlungen verbundene Lust oder Unlust betrachten. Wer sich sinnlicher Genüsse enthält und eben hieran Freude hat, ist mäßig, wer aber hierüber Unlust empfindet, ist zuchtlos. Und wer Gefahren besteht und sich dessen freut oder wenigstens keine Unlust darüber empfindet, ist mutig, wer aber darüber Unlust empfindet, ist feig. Denn die sittliche Tugend hat es mit der Lust und der Unlust zu tun. Der Lust wegen tun wir ja das sittlich Schlechte, und der Unlust wegen unterlassen wir das Gute. Darum muss man, wie Plato sagt, von der ersten Kindheit an einigermaßen dazu angeleitet worden sein, über dasjenige Lust und Unlust zu empfinden, worüber man soll. Denn das ist die rechte Erziehung. Die Tugenden bewegen sich ferner um das Tun und Leiden. Da aber mit allem, was man tut und leidet, Lust und Unlust verbunden ist, so wird die Tugend sich um Lust und Unlust bewegen.“
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Oder Kant dazu: „Die verschiedenen Empfindungen des Vergnügens oder des Verdrusses beruhen nicht so sehr auf der Beschaffenheit der äußeren Dinge, die sie erregen, als auf den jeden Menschen eigenen Gefühlen, dadurch mit Lust oder Unlust gerührt zu werden“6. Gefühle (der Lust und Unlust) gehören zu den „empirischen Erkenntnisquellen“. Sie sind „empirischen Ursprungs“7. Lust ist „die Vorstellung der Übereinstimmung des Gegenstandes oder der Handlung mit den subjektiven Bedingungen des Lebens“, d. h. mit dem Begehrungsvermögen.8 Das Gefühl der Lust und Unlust ist das „Mittelglied“ zwischen dem Erkenntnis- und Begehrungsvermögen.9 Das Gefühl ist dasjenige Subjektive an einer Vorstellung, „was gar kein Erkenntnisstück werden kann“. 5 6 7 8 9
Aristoteles in der Nikomachische Ethik Teil II. 2 Tugend Kant, Über das Schöne und Erhabene 1. Abs. (VIII 5) in „Kritik der Urteilskraft“ Kant. Kritik der reinen Vernunft Einl. VII (I 71—Rc 89). Kant, Kritik der praktischen Vernunft Vorr. 4. Anm. (II 11) Kant, Kritik der Urteilskraft Vorr. (II 2)
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§4 17
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Im Verstand läuft alles Denken und Handeln also nach dem Lust-Unlust-Gesetz ab. Das heißt, die Gedanken laufen immer so ab, dass die damit verbundene Lust ein Maximum und die Unlust ein Minimum erreicht. Unangenehmes wird nur gedacht und getan, wenn damit eine größere vorgestellte und erwartete Unlust vermieden werden kann. Diesen automatischen, mechanischen Vorgängen steht die Willenskraft oder Absicht gegenüber. In den meisten Menschen reicht diese aber nur selten oder nur vorübergehend aus, die automatischen Abläufe zu überwinden. Beispielweise wird der zu Neujahr gefasste Vorsatz, endlich abzunehmen, kaum ausreichen, den üblichen Griff zur Schokolade zu unterlassen. Das Problem besteht also darin, sich selbst – so wie Münchhausen – an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Ein Mensch ist exakt das, was er zu sein scheint – jedenfalls bei Joseph Murphy10, weshalb denn auch als Antithese das Buch „Murphys Gesetz“, oder der Grund warum alles schiefgeht, was schiefgehen kann“, erschien. Diese Antithese scheint von nicht unerheblicher Relevanz für unser Thema, nämlich die Bedrohung der Welt mit ihrem Untergang zu sein. „Murphys Gesetz“ sagt nämlich, dass die bloße Möglichkeit, einen Fehler zu machen, diesen Fehler schon bewirkt. Das bedeutet als Folge: ■ Nichts ist so leicht, wie es aussieht. ■ Alles dauert länger, als man glaubt. ■ Wenn bei mehreren Dingen die Gefahr besteht, dass sie schief gehen, wird genau das schief gehen, was den größtmöglichen Schaden anrichtet. Und in dieser Dimension ist ein erfahrener Unternehmer durchaus beheimatet. Wie aber kann er zum positiven Denken wechseln?
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Eine manchmal sehr wichtige Rolle spielen die äußeren Verhältnisse, wie z. B. Umgebung, freie Zeit, etc. „In einer gleichgesinnten Gruppe, d. h. günstige Umgebung gelingt dies leichter. Auch ein Mentor, echter Meister etc. zählt hierzu11“
Nun ist aber die gesamte Umgebung des Wesens ebenfalls eine Kreation des Wesens selbst. Allerdings eine oft zwanghaft geschaffene Kreation. (Wenn man z. B. durch Überwältigung mit den Postulaten anderer übereingestimmt hat und dadurch deren Umgebung für sich mit geschaffen hat). Wenn man sich eine schönere Zukunft vorstellen kann, so ergibt sich Lust und dadurch eine so starke Motivation, dass eine geringe Postulatskraft ausreicht. Wenn man aber glaubt zu erkennen, wie negativ diese Welt wirklich ist und sie deswegen vermeiden will, so ist der Antrieb das Vermeiden einer Unlust. Und das scheint weniger günstig zu sein, denn man hat den Focus seiner Aufmerksamkeit eher auf Negativem: „Was wird sein, wenn ich es nicht erreiche?“. Glücksgefühle motivieren – das Gegenteil davon bremst. Der Automatismus des Lust/Unlustgesetzes ist eine Spiegelung der Sequenz von Betrachtung ===> Wunsch ===> Forderung/Ziel (Absicht) ===> Begründung(Rechtfertigung). Interesse, Hoffnung, Erwartung von Angenehmen erzeugen Glücksgefühle und damit Lust. Dann können Dinge vollbracht werden, die vorher unmöglich waren. Wird aber die Hoffnung enttäuscht, so reicht die dadurch erzeugte Lust nicht mehr aus. Dann kann man nur noch mit Hilfe von Kraft, gegen die inneren Widerstände angehen.
10 Edward Aloysius Murphy Jr., US-amerikanischer Air-Force-Ingenieur: „Whatever can go wrong, will go wrong.“ 11 „Das Lust-Unlust-Gesetz“ in http://www.eagate.de/fr18__Das%20Lust-Unlust-Gesetz.html
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A. Der Übergeber
4.
Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen
Die zuvor beschriebenen Phänomene sind bekannt und werden auch so kommuniziert. Es wird empfohlen, ■ das Unternehmen vor- und aufzubereiten für eine Nachfolge (Anhang § 7 D I 5 für die Ärzte oder § 7 D II 2b für den Einzelhandel). ■ Seminare zu besuchen, in denen auf die Nachfolge vorbereitet wird (Anhang § 7 D I 6 für Architekten und Ingenieure). ■ Nachfolgerbörsen wie Nexxt zu nutzen oder Consultants in Anspruch zu nehmen, die Nachfolger finden (z. B. die Hess. Hofbörse § 7 D II 1 als berufsständische Einrichtung). ■ die Nachfolgeregelung „strategisch“ anzugehen (Anhang § 7 D I 6).
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Es werden die „Herausforderungen“ benannt wie: ■ „Lebenswerk“ loslassen ■ den geeigneten Nachfolger auswählen ■ Akzeptanz des Nachfolgers durch Kunden oder Mitarbeiter sicherstellen ■ die Neuerungen und Veränderungen des Nachfolgers akzeptieren ■ Kompetenzen klären und abgeben ■ Interessenkonflikte zwischen Abgeber und Nachfolger im Blick behalten ■ objektive Einschätzung des Unternehmens/-Bürowertes ■ Definieren der persönlichen und familiären Situation (Anhang § 7 D II 2c für Hotel- und Gastronomiebetriebe) wie ■ Festlegung der persönlichen Zielsetzungen aller Beteiligten ■ Prüfen der Bereitschaft des Übergebers sowie des Übernehmers ■ Überblick über bestehende Nachfolgemöglichkeiten ■ Prüfung, welche Möglichkeiten aus persönlichen Gesichtspunkten überhaupt in Frage kommen. Es gibt weitere Handlungsempfehlungen, die allerdings alle nicht speziell auf diese allererste Station des ins Handeln Kommens gerichtet sind. Am nächsten kommt da noch die Empfehlung, dass sich die Unternehmer Seminarveranstaltungen zum Thema gönnen sollen.
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5.
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Bewertung dieser Wegweiser
Führen wir uns die oben beschriebene „Not“ der inaktiven Übergeber vor Augen: Wie soll einer der gegebenen Ratschläge ihrer Inaktivität ein Ende bereiten und ihnen helfen, die längst fällige Übergabeplanung anzugehen? Herr Gründig ist ja noch nicht einmal in der Lage, mit seinen nächsten Angehörigen über das Thema Unternehmensnachfolge zu sprechen. Auf deutliche Hinweise der Hausbank reagiert er – soweit äußerlich erkennbar – auch nicht. Druck von Außen hilft also ebenso nicht. Mit ziemlicher Sicherheit ist davon auszugehen, dass er, der sein Leben lang in seinem Unternehmen tätig war, nicht weiß, was er dann tun soll. Der Betrieb hat sein Leben bisher entscheidend geprägt. Am Arbeitsplatz fühlt er sich sicher, ist er zu Hause. Das, was andere wollen, dass er es in Angriff nehmen soll, ist fremd, gänzlich unbekannt. Und das löst – verständlich – Verunsicherung aus. Warum, so fragt er sich unterbewusst, soll ich in die Verunsicherung gehen? Da lockt nichts, gar nichts 33
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§4
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ist positiv besetzt. Da hilft auch die Vernunft nicht entscheidend weiter, zu erkennen, dass es einer Nachfolgeregelung – irgendwann – bedarf. Herrn Gründig ist also so nicht zu helfen, weil keiner der Empfehlungen seine irritierende Gefühlslage verändert, ihm aus der Verunsicherung hilft und ihm die nötige Sicherheit verschafft. Selbst wenn Gründig in lichten Momenten diese Verunsicherung realisiert, kann er damit kaum adäquat umgehen, weil es ihm vielleicht peinlich ist, sich derartige Gefühle als gestandener Unternehmer einzugestehen. Er weiß eben nicht, dass es völlig normal ist, dass dieses im Unternehmerleben einmalige Geschäft des Ausstiegs bei allen Protagonisten in dieser Situation solche oder zumindest ähnliche Gefühle auslöst und ein ansonsten unbekanntes Bedürfnis nach Sicherheit aufkommen lässt.
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Der (Aus-) Weg
! Tipp: Der Weg aus diesem Dilemma muss also einer sein, der dem Übergeber Handlungssicherheit gibt. Pure Ratschläge zu erteilen, hat meist für den Betroffenen einen eher verunsichernden Effekt; denn da schwingt sich einer zum Experten auf, der die inneren Wahrheiten des Protagonisten besser zu kennen glaubt als dieser selbst. Sicherheit sucht sich der Mensch da, wo er sie finden kann. Wenn Berater Übergebern Ratschläge erteilen, tun sie das unter Hinweis auf ihr Erfahrungswissen; sie agieren als Experten. Unternehmer sind es gewohnt, sich unter Einschaltung von Experten Sicherheit zu verschaffen, indem sie z. B. die Regelung eines Konfliktes einem Rechtsanwalt übertragen. Vertraut der Unternehmer diesem Rechtsanwalt, fühlt er sich sicher. Diese Sicherheit schöpft er aus dem Vertrauen zu „seinem“ Anwalt. Das wiederum ist höchstpersönlich. Denn der Unternehmer vertraut. Was bedeutet das? Er ist sich sicher, dass aus der Vielzahl möglicher Verläufe, wie der Konflikt geregelt wird, genau diejenige Lösung eintrifft, die er sich vorstellt. Und woher nimmt er dieses Vertrauen und damit die aus dem Vertrauen abgeleitete Sicherheit? In aller Regel daraus, dass er mit dem Anwalt schon länger zusammen gearbeitet hat, also aus der Vergangenheit. Es gibt auch Vertrauen, das sich – ohne Erfahrungshintergrund – aus der Expertise des Experten ergibt. Dieser Anwalt ist genau der Spezialist für mein Problem – der beste in der ganzen Republik.12 Für den Übergeber, der als allerersten Schritt mit sich selbst im Reinen sein muss, dass er die eigene Nachfolgeregelung in Gang setzen will, gibt es keinen entsprechenden externen Experten. Jedenfalls ist keiner von den Beratern dazu geeignet, die üblicherweise in diesem Geschäft tätig sind – und dort auch sonst einen guten Ruf genießen. Wir haben oben die große Anzahl der guten Gründe angedeutet, aus welchen heraus dieser Mensch, Herr Gründig, nichts unternimmt. Der einzige Experte diese Gründe zu erkennen ist unser Protagonist selbst. Und der ist sich dieser Umstände in der Regel nicht bewusst. Ihm kann also nur das helfen, was ihn dabei unterstützt, die ihm wahrscheinlich nicht bewussten Gründe für seine Inaktivität herauszufinden. In diesem Sinne positiv wirken kann ein Experte, der Unterstützung bei diesem Prozess der Bewusstwerdung und Sortierung leisten kann. Liegen die Gründe erst einmal transparent auf dem Tisch, ist auch wieder Handlungssicherheit und Souveränität möglich. An sich kann nur der Mensch selbst, Herr Gründig, und nicht der Berater diese Arbeit leisten. Allein schafft er es aber nicht – sonst täte er es vermutlich.
12 Mehr zur Vertrauenstheorie später unter § 4 A II 4
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A. Der Übergeber Eine solche Unterstützungsarbeit leisten vorzugsweise Coaches. Diese sollten nach unserer Erfahrung ein ganz bestimmtes Verständnis von ihrer Arbeit mitbringen. Sie sollten sich verstehen als reine Unterstützer, die inneren Wahrheiten und Vorstellungen transparent werden zu lassen. Nach unserer Erfahrung ist Coaching der erfolgversprechende Weg, um dieses Bündel von Gründen transparent zu machen, das daran hindert, endlich aktiv zu werden. Unter dieser Art von Coaching verstehen wir die Unterstützung des Klienten, um herauszufinden, was ist und was sein soll. „Unterstützung“ im Sinne von Expertenratschlägen verbieten sich in dieser Phase. Unter der Vielzahl der Coaching – Tools haben sich insbesondere bewährt: ■ Lebens- und Karrierechart ■ Arbeit mit dem inneren Team Das Modul des Lebens- und Karrierechart intendiert, zu visualisieren, welche Erfolge der Klient/ Übergeber in der Vergangenheit hatte. Auch die Konflikte und Schwierigkeiten, die früher erfolgreich gelöst wurden, werden betrachtet. Daraus können häufig Lösungswege für das aktuelle Anliegen abgeleitet und gesehen werden, also den, auf den ersten Blick, unangenehmen Weg in das Ende seiner Unternehmertätigkeit. Das von dem Kommunikationspsychologen Schulz von Thun entwickelte Modell des inneren Teams beschreibt er selbst wie folgt:13 „Immer wichtiger wird das Modell vom „Inneren Team“, sowohl zur Selbst- und Rollenklärung, als auch für die ideale „Mannschaftsaufstellung“ bei schwierigen Herausforderungen. Mit dem Modell des Inneren Teams betrachten wir die „Innenseite“ der Kommunikation genauer. Denn ein Miteinander und Gegeneinander finden wir nicht nur zwischen den Menschen, sondern auch innerhalb des Menschen. Meistens haben wir mehrere Seelen in unserer Brust. Wenn wir in uns hineinhorchen, finden wir Lautgebungen dieser Seelen vor: In Form von inneren Stimmen, die sich zu einem bestimmten Vorfall oder Thema zu Wort melden, die sich miteinander selten einig sind und die alles daran setzten, auf unsere Kommunikation und unser Handeln Einfluss zu nehmen. Obwohl ein zerstrittener Haufen in mir überaus lästig und quälend sein und bis zur Verhaltenslähmung führen kann, handelt es sich dennoch nicht um eine seelische Störung, sondern um eine ganz normale menschliche und letztlich auch wünschenswerte „innere Pluralität“. Wenn es nämlich gelingt, aus dem zerstrittenen Haufen ein Inneres Team zu machen, dann können innere Synergieeffekte dazu führen, dass ich der Welt mit vereinten Kräften begegne und dass mein Verhalten angemessener ausfällt, als wenn nur eine Stimme ihre Weisheit beitragen und allein das Sagen gehabt hätte. Somit bekommen wir es in der Kommunikation nicht nur mit dem Team zu tun, dem wir angehören oder das wir zu leiten haben, sondern auch mit unserem „Inneren Team“. Für die Gesprächssituation bedeutet das, dass ich, wenn ich nach außen hin klar, authentisch und situationsgemäß reagieren will, innerlich „alle beisammen haben“ und eine Einigung all jener inneren Stimmen erreicht haben muss, die sich in mir zu Wort melden. Die entsprechende Herausforderung besteht darin, die Inneren Mitarbeiter zu einem gegebenen Problem zu identifizieren, zu benennen und sodann zu einem Reflecting Team (oder wie wir sagen, zu einer „Inneren Ratsversammlung“) zusammen zu führen.“
13 http://www.schulz-von-thun.de/mod-innteam.html
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§4 30
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Die positive Formulierung „innere Pluralität“ ersetzt den negativen Begriff „zerstrittener Haufen“. Und sie weist darauf hin, was es transparent zu machen gilt: vorhandenes Potential. Gelingt es, diese innere Pluralität auszurichten und auf ein Ziel hin zum Handeln zu motivieren, dann ist ein großer Schritt getan. Bliebt es allerdings beim unstrukturierten zerstrittenen Haufen, ist Handlungsstarre die Folge. Eingedenk der oben aufgezeigten Situation des Abgebers kann es bei dem Coaching allerdings nicht um das Thema Nachfolgeregelung direkt gehen. Jedenfalls nicht mit dem Ziel, welche Schritte als erste oder nächste zu tun sind. Ein solches Ziel wäre viel zu eng und setzte voraus, dass der Unternehmer zum aktuellen Zeitpunkt eine solche Regelung überhaupt angehen will. Er weiß ja eben nicht, was er will oder wann und wie er die Nachfolgeregelung angehen möchte. Der automatische, mechanische Vorgang in diesem Menschen, der Unlust auslöst und es ihm nicht ermöglicht, sich mit der Nachfolgefrage zu beschäftigen, steht dessen Willenskraft gegenüber. Und diese gilt es zu wecken. Da reicht in der Regel aus, dass der Mensch seine inneren Widerstände sichtbar macht und erkennt, was ist. Somit darf das Ziel des Coachings allein die Erkenntnis sein, was der Abgeber in Bezug auf die Nachfolgefrage in sich trägt. Es geht also darum, zu erkennen, wie seine Motivation in Bezug auf das Thema Nachfolge genau aussieht. Eine Motivation existiert immer, eben nur keine, die für die anstehende Regelung förderlich ist. Auf diesem Wege können Ängste und andere Vorbehalte allein dadurch abgebaut werden, dass sie überhaupt erst einmal geäußert werden können. Kein Coach ist für jedes Anliegen geeignet. Abhängig von den individuellen Erwartungen und Zielsetzungen des Kunden, den Möglichkeiten des Coaching-Settings und den Fähigkeiten und Kenntnissen des Coachs muss eine Passung herstellt werden. Es ist daher nicht möglich, ohne detaillierte Angaben des Kunden eine Empfehlung für einen Coach auszusprechen. Coaching kann keine Beratung „von der Stange“ sein, sondern ist stets ein individueller Prozess für Menschen mit anspruchsvollen Zielsetzungen. Es ist eine besondere Form der Beratung für Personen mit Managementaufgaben, die ihre berufliche Situation verändern und daher verbessern möchten. Ein Coaching dient daher der „guten“ Veränderung und dem langfristigen Leistungserhalt. In einer Kombination aus individueller, unterstützender Zielklärung und persönlicher Beratung und Begleitung soll der Coach als neutraler Feedbackgeber fungieren. Dem Übergeber darf er jedoch weder Arbeit noch Verantwortung abnehmen; es geht um eine Beratung – eher eine Begleitung – auf der Prozessebene. Das Ziel darf kein eindimensionales „Höher – Schneller – Weiter“, sondern sollte die Entwicklung einer Arbeits- und Lebensperspektive sein, die der Vielseitigkeit der Möglichkeiten Rechnung trägt, ohne das Wichtigste dabei zu vergessen: den Menschen. Das Ergebnis eines erfolgreichen Coachings ist die Sortierung dessen, was den Übergeber im Unterbewusstsein bewegt und damit verunsichert. Er kann seine innere Pluralität betrachten. Allein diese Sortierung, die einem aufgeräumten Schreibtisch ähnelt, gibt Kraft. Durch die Klarheit und Transparenz, die geschaffen wird, kommt in der Folge die Motivation auf, sich des schwierigen Themas Nachfolge anzunehmen. Der Arbeitsauftrag für dieses Coaching ist daher nicht explizit, die Nachfolgeregelung in Gang bringen zu wollen. Der Übergeber will ja gerade nicht handeln. Er will allenfalls, dass ihn dieses „komische Gefühl“ verlässt, das ihn immer dann beschleicht, wenn er auf das Nachfolgethema angesprochen wird oder ihm der Gedanke der Nachfolge in den Kopf kommt.
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A. Der Übergeber > Beispiel: Dr. Axel Schmidt ist Geschäftsführer und Alleingesellschafter eines elektrotechnischen Unternehmens. Das Unternehmen läuft gut. Mit Mitte 40 hatte er im Familien- und Freundeskreis angekündigt, sich spätestens im Alter von 50 Jahren zur Ruhe setzen zu wollen. Jetzt ist er 59 und die Hausbank hat bereits angefragt, wie es denn mit der Nachfolgeregelung aussieht. Seine Frau hänselt ihn schon und die Kinder verstehen gar nicht, warum der Vater – sonst ein Mann der Tat – untätig bleibt. Dr. Schmidt lässt sich coachen. Er hat eine Freundin, für die er auf Kosten der Firma eine Wohnung unterhält und der er ein Gehalt zahlt, obwohl sie nicht tätig ist. Dieses Geheimnis vertraut er dem Coach an und kommt schnell darauf, dass diese Verstrickung der Grund für seine Untätigkeit ist. Im Ergebnis entscheidet Schmidt, dass er seine weitere Lebenszeit mit der Ehefrau verleben will und damit gegen das Verhältnis. Das löst er umgehend, vermietet die Firmenwohnung an einen Mitarbeiter und ist bereit, sich der Nachfolgefrage zuzuwenden. !Tipp: Was bleibt ist die Frage, wie der Protagonist dazu bewegt werden kann, dieses Coaching in Anspruch zu nehmen. Das funktioniert nur, wenn er darin die Chance sieht, ein Bedürfnis zu befriedigen. Als Bedürfnis haben wir die Schaffung von Sicherheit früher schon ausgemacht. Der Zugang zu einem solchen Coaching wird relativ leicht, wenn sich der Unternehmer der in ihm wühlenden Irritation, des „zerstittenen Haufens“ bewusst ist, er also Zugang zum inneren Chaos findet. Dann ist er folgenden Argumenten zugänglich: ■ ■
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Coaching ist im Umfeld der Wirtschaft anerkannt (es ist also nicht „komisch“, ein Coaching in Anspruch zu nehmen) Die Ressourcenbindung ist gering: ■ 2 bis 4 Sitzungen von ca. 2,5 Stunden wird in der Regel ausreichen ■ Die Investition fällt mit ca. € 2.000 überschaubar aus (bei einem Stundenhonorar von € 250) Weil diese Klärung vom Nachfolgethema an sich losgelöst stattfindet, kann das Umfeld nicht erwarten müssen, dass es im Anschluss an das Coaching gleich los geht mit der Nachfolgeregelung Der Protagonist kann sich im Anschluss an diese Sortierung in aller Ruhe betrachten, was ihm sein inneres Team an widersprüchlichen Ratschlägen gibt und kann nach dieser Sortierung entscheiden, welchen Weg er gehen will.
!Tipp: Was ist aber mit dem Unternehmer, der sich gegen dieses drängende Thema derart konsequent schützt, dass er noch nicht einmal die innere Irritation wahrzunehmen in der Lage ist? In solchen Fällen dürfte allein das Thema Nachfolgeregelung eine derartige Abneigung auslösen, dass ein Lotsen selbst in ein – unverbindliches – Coaching aussichtslos erscheint. Allein dieses strikte Zurückweisen, sich mit dem Thema auch nur ansatzweise beschäftigen zu wollen, zeugt davon, dass es hoch emotional besetzt ist; die Unlust ist ganz besonders groß, was darauf schließen lässt, dass die innere Zerrissenheit ebenfalls groß ist. In diesen Fällen muss das interessierte Umfeld eine Taktik entwickeln, wie das Fünkchen Verstand, das Fünkchen Einsicht etwas unternehmen zu müssen – und sei es irgendwann – (das in jedem Fall auch vorhanden ist) genutzt werden kann, um diesen Unternehmer zur Klärung der für den Außenstehenden unverständlichen Abneigung zu bewegen. Wir haben oben zitiert: „Eine manchmal sehr wichtige Rolle spielen die äußeren Verhältnisse, wie z. B. Umgebung, freie Zeit, etc. (In einer gleichgesinnten Gruppe, d. h. günstige Umgebung gelingt dies leichter. Auch ein Mentor, echter Meister etc. zählt hierzu).“
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Es können also außenstehende Autoritäten sein, die mit dem Einfühlungsvermögen für die „Zwangslage“ dieses Menschen und damit unter Einsatz ihrer Empathie den Versuch unternehmen, die Investition in ein Coaching zu wagen. Das können z. B. der Wirtschaftsprüfer oder der Steuerberater sein; ein Unternehmerkollege kommt ebenfalls in Betracht. Auch insoweit gilt: Wer für diesen Menschen die passende Autorität ist, bestimmt allein er. Aus diesem Grund verweisen wir auf das
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§4
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
taktische Vorgehen.14 Dabei müssen nicht gleich ganze Heerscharen aufziehen, aber Menschen mit Macht, mit Einfluss und solche, die anerkannt werden, sollten schon versuchen, an einem Strang zu ziehen und den hartnäckig ignoranten Übergeber in spe zu bewegen. Manch einem mögen auch die Philosophen Kant und Aristoteles mit den oben zitierten Äußerungen überzeugen, den Verstand anders zu nutzen.
II. 4
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Steht der Entschluss des Abgebers fest, sich um seine Nachfolgeregelung zu kümmern, beginnt ein meist dornenreicher Weg. Es müssen vorbereitend Daten aufbereitet, Werte gefunden und ermittelt und andere Bedingungen erfüllt werden, die für einen Verkauf erforderlich sind. Dies alles kostet Zeit und verlangt vom Übergeber Geduld und Geld. Die Arbeit selbst gehört zu den typischen und unersetzbaren Leistungen der Experten, insbesondere der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Um an diese Experten Aufträge vergeben zu können, die uneingeschränkt auf das zielen, was der Abgeber wirklich will, braucht er weiterhin eine Orientierung, was er will. Immer wieder treten Zweifel auf, ob der eingeschlagene Weg richtig ist. Da wirken sowohl die Zeit, die zermürbend und damit demotivierend sein kann als auch der Einsatz finanzieller Art: Lohnt die Investition? Finde ich den Nachfolger so, wie ich es mir vorstelle? Um sich durchgehend auf einem guten und richtigen Weg zu sehen und daraus Sicherheit und Kraft ziehen zu können, bedarf es häufig einer Unterstützung. Auch hier bietet sich ein Coaching an, weil der Coach dann zur Stelle ist, wenn er gebraucht wird. Auch Unternehmensberatungen bieten insoweit Dienstleistungen an, werden aber in der Regel nur im Rahmen eines Gesamtauftrages tätig. Damit legt der Übergeber den Verlauf in die Hände Dritter und wird deutlich höhere Honorare investieren müssen. Die Offerte an einen potentiellen Übernehmer betrachten wir im folgenden Abschnitt. Sie manifestiert den Willen in Bezug auf die Abgabe des Unternehmens, der allerdings alleine nicht ausreichend ist, um Erfolg haben zu können.
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Die ersten Schritte
Beispiel
Rechtsanwalt Friedensreich Streit annonciert im Anwaltsblatt: „Alteingesessene Kanzlei in Hannover sucht Kollegen als freiberuflichen Mitarbeiter. Spätere Aufnahme in die Sozietät nicht ausgeschlossen.“ Rechtsanwalt Streit ist 65 Jahre alt. Die Überleitung der Praxis auf einen Nachfolger bewegt ihn schon seit langem. Vor 20 Jahren schied er aus einer größeren Sozietät aus, in der er Partner war, weil unüberbrückbare Differenzen die weitere Zusammenarbeit unmöglich gemacht hatten. So machte sich Streit selbständig in der Absicht, möglichst bald einen Juniorpartner aufzunehmen, der dann irgendwann seine Praxis fortführen sollte. Bereits mehrfach hatte er eine Annonce ähnlicher Art geschaltet. Diese waren erfolgreich, weil sich daraufhin eine Vielzahl von Interessenten meldeten. Bei den ersten Malen investierte er viel Zeit, die Bewerbungen zu sichten und die Kandidaten auf ihre Eignung im persönlichen Gespräch zu prüfen. In den vergangenen Jahren waren so nach und nach 15 Kollegen bei ihm beschäftigt. Einer von den fünfzehn war kurzzeitig Partner geworden; mit diesem schien die Nachfolgefrage gelöst zu sein. Tatsächlich orientierte sich dieser Kandidat dann jedoch anders und war von heute auf morgen weg.
14 Taktik im Sinne des Begriffes: griech. taktike „Kunst der Anordnung, Aufstellung eines Heeres“
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A. Der Übergeber Aus diesen Erfahrungen heraus hat ihm sein Steuerberater geraten, anders als bisher deutlicher zu vermitteln, dass er aus Altersgründen aus der Praxis ausscheiden möchte. Diesen Rat übernahm Streit jedoch nicht, weil er sich dachte, dass dann die wirklich interessanten Kandidaten unterstellten, sein Klientel sei zu alt und für sie nicht interessant. Außerdem wollte er noch einige Jahre in seiner Kanzlei arbeiten, besser gesagt, er musste es aus finanziellen Gründen, weil die Altersversorgung nicht ausreichte (ein Kind befand sich noch im Studium). Die ungeklärte Nachfolge angesichts seines Alters machte Streit sehr zu schaffen. Er hatte sogar einmal Kontakt aufgenommen mit einem Unternehmen, das Praxisverkäufe managet und Kaufinteressenten vermittelt. Die wollten jedoch alle möglichen Daten haben, über die er nicht verfügte. Daher hatte er diesen Weg nicht weiter verfolgt. Aber auch diese Annonce brachte nicht den gewünschten Erfolg. Weiterhin betreibt Streit seine Praxis, ohne dass ein Nachfolger in Sicht wäre.
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Die guten Gründe
Mit seinem Angebot gibt der Übergeber das Signal nach außen, das Personen aus der Zielgruppe bewegen soll, sich zu interessieren. Die Märkte sind ganz unterschiedlich: Während sich bei den niedergelassenen Ärzten ein Übernahmeinteressent auf einem für ihn günstigen Markt15 umsehen kann, was für den Abgeber bedeutet, dass es für ihn schwerer ist, einen Interessenten zu akquirieren, ist der Markt bei den Rechtsanwälten ausgeglichener16. Streit bewegt sich also an sich in einem Markt, der gute Chancen aufweist, die gesuchte Person zu finden. Und trotzdem gelingt ihm das nicht, was bei der von ihm gewählten Vorgehensweise nicht wirklich verwundert. Streit hatte ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie die Nachfolge ablaufen soll. Davon stand aber überhaupt nichts in der Annonce. Während Streit hofft, durch Zufall käme der Richtige, der genau das mitzutragen bereit ist, was er sich vorstellt, träumt ein Leser der Offerte seinen Traum von seiner beruflichen Zukunft. Dass sich beide Vorstellungen decken, ist eher unwahrscheinlich. Juristen nennen das einen Dissens. Der junge Kollege wird seine Bewerbung zurückziehen, sobald er realisiert, dass ihn nicht das erwartet, was er sich erträumt hat und anderweitig umsehen. Streit sitzt daher weiterhin ohne Nachfolgekandidaten da. Hätte er dem Markt präzise das angeboten, was er anbieten will, engt er damit die Möglichkeiten von Interessenten ein, sich das Angebot mit eigenen Vorstellungen zu „verschönern“. Was nützt es ihm, sein Alter und den Nachfolgeregelungsbedarf zu verschweigen; der Interessent bekommt es ja doch mit. Der Anbieter erreicht niemals solche Interessenten, die für ihn wertvoll sind, wenn er – aus Eitelkeit, Scham oder welchen Gründen auch immer – wichtige Eckdaten unterschlägt. Irgendwann werden diese ja doch offenbart werden müssen (oder offenbar, weil sie nicht zu übersehen sind) und dann hat der Unternehmer nicht nur sich selbst sondern auch den Interessenten umsonst beschäftigt, indem beide Zeit und Geld investiert haben, um zueinander zu kommen. Diese Partner passen definitiv nicht zueinander. Das Beispiel verrät, warum Streit so gehandelt hat. Er wünschte sich viele Bewerbungen. Denn diese dokumentieren, dass seine Praxis besonders begehrenswert erscheint. Andererseits traute er sich nicht, gleich alles transparent zu machen. Er fühlte sich verunsichert. Dazu trugen die Erfahrungen aus der Vergangenheit ebenso bei wie der Lösungsdruck, in dem er sich angesichts seines Alters ausgesetzt sah. Da schimmert schon Panik durch. Wie es um die Motivation dieses Mannes bestellt war ist leicht vorstellbar. Mit dem Herzen war er nicht bei der Sache; es
15 Es stehen deutlich mehr Praxen zum Verkauf an als übernahmeinteressierte Ärzte vorhanden sind 16 Wir verweisen hier auf die Statistiken im Anhang, die auch als Orientierung für Betroffene gedacht sind.
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
war der Verstand, über den er sich immer wieder davon überzeugen musste, es doch noch schaffen zu können – vielleicht. Es fehlt ihm jegliche Sicherheit, das wichtige Selbstvertrauen. Und so mangelt es ihm an der Souveränität, sich offen, realistisch und vertrauensvoll zu „vermarkten“.
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Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen
„Wenn der Verkauf an ein anderes Unternehmen als sinnvolle Option verfolgt wird, muss die Vorbereitung genauso erfolgen wie für ein Mergers-and-Akquisitions-Projekt. Der Erstellung des Verkaufsprospektes ist besondere Sorgfalt zu widmen und für eine spätere Due Diligence sind alle Verträge vorzubereiten und zu dokumentieren.“17 „Auch bei einem Verkauf an ein anderes Unternehmen ist dieses zunächst zu identifizieren und anschließend zu überzeugen. Hierfür gibt es zwar ebenfalls entsprechende Portale im Internet und professionelle M&A-Berater, aber es ist von Vorteil, wenn der Verkäufer eigene Überlegungen anstellt, für welche Art von Unternehmen der Erwerb der eigenen Gesellschaft von Vorteil sein könnte. Damit wird der eigentliche Suchprozess einfacher.“ „Solide Fakten werben am besten Im Rahmen eines Nachfolgeprospektes wird in nahezu allen Fällen ein Verkaufsprospekt erforderlich, zumindest wenn der Nachfolger nicht zur Familie gehört. Der Prospekt soll das Interesse wecken und dem Interessenten erste Informationen über das Unternehmen geben. Manchmal wird auch die Bezeichnung Business Plan als Alternative zum Verkaufsprospekt verwendet.“ ■ Für einen solchen Verkaufsprospekt wird folgender Aufbau und Inhalt empfohlen:18 ■ Vorbemerkungen ■ Zuständigkeiten und Ansprechpartner im Verkaufsprozess ■ Disclaimer ■ Inhalte ■ Executive Summary ■ Hauptgründe für ein Investment ■ Historische Entwicklung des Unternehmens ■ Organisation und Management ■ Produkte, Leistungen und Technologie ■ Marketing und Vertrieb ■ Forschung und Entwicklung ■ Produktionsprozess und -einrichtungen ■ Marktabgrenzung und -entwicklung ■ Positionierung des Unternehmens im Wettbewerb ■ Zukunftsperspektiven ■ Finanzdaten und Unternehmensbewertung ■ Anhang ■ Pressemitteilungen ■ Referenzkunden 17 Jürgen Kaack, STZ Consulting-Group In: www.mittelstandswiki.de/Unternehmensverkauf_anstatt_Nachfolgesuche. Daraus auch die folgenden Zitate. 18 http://www.mittelstandswiki.de/Verkaufsprospekt_f%C3%BCr_Unternehmensnachfolge
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A. Der Übergeber ■
Lebensläufe wichtiger Mitarbeiter ■ Bilanzen der letzten drei bis fünf Jahre Der Umfang des Prospektes kann ohne Anhang ca. 30–60 Seiten umfassen und hängt von Markt, Diversifikation, Alter des Unternehmens etc. ab. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Unternehmen selbst, auch in dem Fall, dass ein Berater die Aufbereitung übernimmt. Trotz positiver Darstellung sollte der Inhalt auf jeden Fall der Wahrheit entsprechen. Das Wirtschaftsmagazin „Markt und Mittelstand“ empfiehlt die Beachtung der folgenden zehn Punkte19: 1. Formulieren Sie eine konkrete Zieldefinition! Jeder Firmenverkauf beginnt mit der Frage: „Was will ich erreichen?“ Ein klares Ziel verhindert, dass Sie sich von Anfang an verzetteln. 2. Entwickeln Sie eine realistische Preisvorstellung! Holen Sie sich Rat bei einem Experten, der Ihr Unternehmen zukunftsorientiert bewertet. Ohne eine vernünftige Bewertung gefährden Sie die Transaktion. 3. Vermeiden Sie emotionale Verstrickungen! Ein neutrales Verhältnis zwischen den Verhandlungspartnern ist wichtig. Schalten Sie notfalls objektive Berater oder Mediatoren ein. 4. Planen Sie rechtzeitig! Fehlerfreies Projektmanagement ist wichtig, um in der Transaktionsphase nicht in einen gefährlichen Zeitverzug zu geraten. 5. Prüfen Sie viele Interessenten! Wenn Sie sich zu schnell auf einen Käufer fokussieren, drückt das den Kaufpreis. Sondieren Sie gründlich die Kontakte und streben Sie gegebenenfalls eine Auktion an. 6. Steuern Sie Ihre Informationen zielgerichtet! Legen Sie nicht zu früh alle Unternehmensinterna auf den Tisch.Falsch lancierte Informationen können den Kaufpreis drücken. 7. Bleiben Sie bei der Darstellung Ihrer Firma realistisch! Übertrieben euphorische Wachstumsprognosen machen Investoren eher skeptisch oder schrecken sie ganz ab. 8. Handeln Sie zügig! Ist ein Interessent ausgemacht, dann achten Sie auf das richtige Timing. Ewige Verzögerungen können den Deal sonst noch platzen lassen. 9. Vernachlässigen Sie Ihre übrigen Aufgaben nicht! Wenn Sie der Verkauf so sehr in Anspruch nimmt, dass Sie keine Zeit mehr für das Tagesgeschäft haben, sollten Sie unbedingt Aufgaben delegieren. 10. Binden Sie Ihre Führungskräfte mit ein! Mangelnde Information führt zu Verunsicherung und Misstrauen. Beziehen Sie Ihr Management rechtzeitig und umfassend in den Verkauf mit ein. Bezüglich des mit dem Beispiel und den sich anschließenden Betrachtungen aufgeworfenen Aspektes einer transparenten Kommunikation im Angebot des Übergebers haben wir explizit keine Handlungsempfehlungen gefunden.
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Bewertung dieser Wegweiser
Wie in der Anmerkung zum vorhergehenden Abschnitt bereits angesprochen, haben wir einen anderen Aspekt im Focus; die zitierten Empfehlungen ziehen im Schwerpunkt auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich den, dass ein Interessent auf ein Angebot hin Interesse gezeigt hat. Wenn Consulter wie M&A Unternehmen Angebote platzieren, gelten die gleichen Regeln in Bezug auf Kommunikation; die Erwartungshaltung des potentiellen Übernehmers ist jedoch eine andere. Bei den zitierten Empfehlungen ist erkennbar, dass in aller Regel eine größtmögliche Transparenz vorgeschlagen wird. Warum das richtig ist und in gleicher Weise, und dort vielleicht ganz besonders, für die Offerte gilt, die potentielle Interessenten zu Aktionen anregen soll, kann wie folgt begründet werden. 19 Fundstelle: http://www.mittelstanddirekt.de/c182/m187/um224/d3376/default.html?suchen=Berater&aktseite=2
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§4 52
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Mit der Auslobung eines Unternehmens sendet der Übergeber das vermutlich erste kommunikative Signal an den potentiellen Übernehmer. Und insoweit können wir allgemeine Grundsätze der Kommunikation heran ziehen, um „gute“ von „schlechten“ Informationen zu trennen. Wenn es um eine erste „Visitenkarte“ des Abgebers geht, muss sie den Zweck erfüllen, den Empfänger in die richtige Richtung zu lenken. Das bedeutet in erster Linie, dass die Offerte die Basis für Vertrauen schaffen können muss.
4 Wahrnehmung
Handlung
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Vorannahmen
Die Wahrnehmung und damit die Konstruktion von Wirklichkeit funktioniert über sogenannte rekursive Prozesse. Zwischen Wahrnehmung, Vorannahmen und den daraus entspringenden Handlungen bestehen Wechselwirkungen. Der Leser der Offerte bildet also seine Hypothesen in Form von Vorannahmen in bezug auf das Angebot und die darin steckende Wahrheit. Diese stellen die Basis für die erste persönliche Begegnung und ggf. eine spätere Zusammenarbeit her. Werden die Hypothesen, die gebildet wurden, später nicht verifiziert, stellt also der Übernehmer fest, dass die Offerte nicht der Wahrheit entspricht, dann kommt es zu Konflikten. Übrigens gilt das auch für die Informationen, die der potentielle Übernehmer im späteren Erstkontakt oder bei einem Bewerbungsschreiben aussendet. Das Vertrauen, das für die Anbahnung der Geschäfte notwendig ist, wird erschüttert. Der Soziologe Niklas Luhmann definiert Vertrauen folgendermaßen: „Wer Vertrauen erweist, nimmt die Zukunft vorweg.“ Und ein weiterer entscheidender Satz: „Vertrauenswürdig ist, wer bei dem bleibt, was er bewusst oder unbewusst über sich selbst mitgeteilt hat.“20
20 Aus Niklas Luhmann, „Vertrauen“ Seite 9 ff.
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A. Der Übergeber Bei dem Übernehmer soll die Offerte dazu führen, seine eigene Zukunft vorwegzunehmen. Also das Vertrauen auszulösen, dass alles so eintreffen werde, wie es sich die Protagonisten vorgestellt haben. Vertrauen besteht also immer in einem Zeitpunkt; es kann sich jederzeit ändern. Und es hat eine Orientierung in die Zukunft. Eine Offerte zur Übernahme eines Unternehmens löst – wie oben beschrieben – eine ganz bestimmte Vorstellung beim Leser, dem potentiellen Übernehmer, aus. Dieser vertraut darauf, dass er mit seiner Vorstellung richtig liegt und ergreift die Initiative, sich zu bewerben. Er meldet sich beim Abgeber und zeigt sein Interesse. Und er stellt sich vor, dass seine Bewerbung erfolgreich verläuft; denn sonst fehlte ihm jede Motivation zum Handeln. Diese Motivation löst der Abgeber mit seiner Annonce aus. Wie sich das dann auswirken kann, beschreiben wir im nächsten Abschnitt. Der Verlauf besteht also aus den Schritten:
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Die Botschaft wird ausgesendet, beispielsweise über eine Annonce. Diese führt zu Annahmen, die durch Hypothesen gebildet werden. Daraus bilden sich bestimmte Erwartungen, die sich als richtig herauszustellen haben. Wenn dies nicht geschieht, wird das Vertrauen erschüttert.
Allein unterschiedliche Vorstellungen, die sich – intransparent für das Gegenüber – gebildet haben, erschweren es, einen guten gemeinsamen Weg zu finden. Üblicherweise bildet sich Vertrauen aus der Vergangenheit. In privaten Beziehungen, beispielweise Partnerschaften, Eltern-Kind Beziehung u.ä., wächst das Vertrauen im Verlaufe der Zeit, die die Menschen miteinander verbringen. Einen solchen Vorlauf gibt es zwischen Übergeber und Übernehmer nicht; sie sind sich in der Regel noch nicht begegnet. Sie müssen auf ein Vertrauen bauen, das eben keinen solchen zeitlichen Ablauf wie in privaten Beziehungen darstellt. Typisches Beispiel für ein solch spontan entstehendes Vertrauen erfahren Experten, ganz besonders die, die über entsprechende Reputation verfügen. Die bildliche Darstellung sieht dann so aus:
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Vertrauen Vertrauen X Jetzt
Zukunft
Experte
So vertraut der Mandant dem Rechtsanwalt für Steuerrecht, den er gar nicht kennt, von dem er aber gehört hat, er sei ein Fachmann für Finanzgerichtsverfahren. Weiter verbreitet ist die Erfahrung mit Empfehlungen: Wird Frau RA`in Xantippe als Expertin für Ehescheidungen weiter gereicht, unter43
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§4
4 59
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
stellt der Empfehlungsempfänger, der Empfehler hätte die gleichen Erwartungen an die Anwältin gehabt wieder der Empfänger. Experten haben dann das „Problem“, dass sie den Vertrauensvorschuss rechtfertigen müssen. Das Vertrauen verändert sich ganz schnell, wenn dieser Mandant merkt, dass der Anwalt ganz anders agiert als er es sich vorgestellt hat. Für unser Thema spielt dieser „Expertenaspekt“ eine Rolle: Schreibt etwa KPMG eine Stelle für einen Wirtschaftsprüfer aus, unterstellt der interessierte Bewerber z. B., dass es sich bei dieser großen und bedeutenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gut arbeiten lässt: interessante Mandanten, vielseitige Arbeit, kompetente Kollegen, die dann in der Vorstellung dieses Kandidaten aufgrund seiner positiven Sichtweise auch noch alle nett und freundlich sind. Die Ernüchterung, sollte nicht alles so eintreten, wovon wahrscheinlich auszugehen ist, ist vorprogrammiert. Damit sollte klar sein, dass beim Interessenten immer eine Vorstellung davon entsteht, was ihn erwartet, wenn er sich anhand eines Angebotes mit seiner beruflichen/unternehmerischen Zukunft beschäftigt. Der Ausschreibungstext des Übergebers löst beim Leser diese – erste – Vorstellung aus, wie die Zukunft aussehen wird. Entscheidende Anteile werden insoweit natürlich aus dem Erfahrungsschatz des Lesers des Angebotes hinzu gesteuert. Existieren positiv besetzte Engramme, wird er sich die künftige Welt eher rosig und den Menschen positiv vorstellen. Hat sich der Interessent bereits mehrfach um einen Unternehmenskauf bemüht und nur Enttäuschungen erfahren, wird die Skepsis überwiegen. Immerhin musste bei fast zwei Drittel der erfolgreichen Unternehmensübernahmen mit mindestens einem zweiten Interessenten verhandelt werden.21 Um die Bandbreite dessen zu verdeutlichen, was alles im Kopf geschehen kann, zitieren wir hier aus einem deutschen Wörterbuch den Eintrag zu Misstrauen: Die Vorsilbe miss lässt sich auf das indogermanische meit(h), „tauschen, wechseln“ zurück führen und bezeichnet in dem Verständnis von „vertauscht, verschieden, verkehrt“ einen negativen Gegensatz wie in Missbehagen, „unangenehmes Gefühl“, Misserfolg „fehlender Erfolg“ oder eben Misstrauen „Argwohn, Mangel an Vertrauen“. Vertrauen ist eine elementare Grundlage menschlichen Zusammenlebens und –arbeitens, sowohl im Beruf wie im Privatleben. Vertrauen setzt positive Kräfte frei, gibt uns ein Gefühl der Sicherheit und des Geborgenseins und zeitige fruchtbare Ergebnisse. Wo solches Vertrauen fehlt und statt dessen Misstrauen herrscht, weichen sichere Gefühle und Erkenntnisse unsicheren Vermutungen.22
5. 60
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Der (Aus-) Weg
Zum eingangs angeführten Beispiel haben wir resümiert, dass sich Streit nicht traut. Das ist ein deutliches Zeichen von Unsicherheit. Wie Streit handeln viele Unternehmer des unteren Mittelstandes, ohne sich damit auseinander gesetzt zu haben, wie es ihnen eigentlich geht – also ohne Reflexion ihrer ganz persönlichen Lage. So konnte Streit den sicherlich objektiv richtigen Ratschlag seines Steuerberaters nicht annehmen. Diese Unternehmer rechtfertigen das vor sich damit, es brächte sowieso nichts, Empfehlungen ihrer Berater zu folgen und kostete auch noch Geld. Größere mittelständische Unternehmen nutzen einen Dienstleister, auf den sie sich dann verlassen, sie haben Vertrauen in den Experten. ! Tipp: Worum sollte es Streit, worum sollte es dem Übergeber gehen? Wobei sollte er sich sicher fühlen, und damit seiner Strategie vertrauen – im Sinne: die Zukunft wird erfolgreich verlaufen, weil mein Handeln dazu führen wird, das gewünschte Ziel zu erreichen? Ziel ist, dem interessierten Leser des Verkaufsangebotes (oder wie auch immer die Nachfolge eingeleitet werden soll) ein 21 IfM 2008a, S. 54 22 Aus WAHRIG, Deutsches Wörterbuch
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A. Der Übergeber möglichst realistisches Bild von dem zu vermitteln, was ihn im Erstkontakt erwartet. Dann ist die Chance am größten, dass der interessierte Leser und potentielle Übernehmer seine Hypothesen so bildet, wie sie den Vorstellungen des Abgebers entsprechen. Wenn die beiden dann im ersten Verhandlungsgespräch aufeinander treffen, passen einige Erwartungen zusammen. Im besten Falle hat der Abgeber etwas von einem „alten Bekannten“. Wird der Erstkontakt durch einen Dienstleister vorbereitet, beispielsweise einem M&A – Beratungsunternehmen, besteht deutlich mehr Spielraum, die erste Begegnung der Protagonisten erfolgreich auf den Weg zu bringen. Denn dieser Dritte kann beide Seiten darauf vorbereiten, was den jeweils anderen erwartet; ein Verkaufsprospekt leistet da sicherlich gute Dienste, auch wenn dieser über den Übergeber als Menschen eher wenig aussagt. Der persönliche Kontakt mit dem M&A Mitarbeiter ist nicht ausschlaggebend, denn schließlich geht es um die Beziehung der Protagonisten – diese müssen letztendlich miteinander klar kommen. Gute Leitlinie ist, mit der Selbstdarstellung erreichen zu wollen, dass der künftige Übernehmer bei der ersten Begegnung mit dem Abgeber das Gefühl hat, auf einen Bekannten zu treffen. Ein aufgehübschtes Foto oder auch ein altes in der Selbstdarstellung des Übergebers verfehlen also diesen Zweck. Dazu müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein: ■ Der Abgeber muss wissen, was er will. ■ Er muss sich vergewissert haben, dass seine Verkaufsunterlagen, die er als Vorbereitung auf den Erstkontakt gefertigt hat, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit beim Empfänger die „richtige“ Hypothesenbildung auslöst. Beides zusammen in einem Schritt und ohne Unterstützung zu erreichen, ist meist nicht möglich. Zur Klärung dessen, was er will, empfehlen wir wiederum ein Coaching. Die Argumente für diesen Weg entsprechen dem, was wir im Abschnitt oben ( I.A.5) ausgeführt haben. Ergebnis und damit das Coachingziel ist, dass sich der Übergeber sicher fühlt mit dem, was er den Interessenten von sich mitteilen möchte. In der ersten Phase, die wir oben geschildert haben, ging es darum, dass der Übergeber sich überhaupt erst einmal mit der Nachfolgefrage beschäftigt und sich diesen Überlegungen geöffnet hat. Dabei war die Frage, wie das am besten zu erfolgen hat, noch nicht Gegenstand. Das „Wie“ hat nun zu erfolgen. Der Umfang dessen, was in dieser zweiten Phase zu klären ist, erstreckt sich somit auch auf das Umfeld. Die Ausschreibung einer Nachfolge hat beim interessierten Übernehmer zur Folge, dass sich dieser Informationen beschafft, die über das hinausgehen, was der Übergeber in seiner Offerte preisgibt. Im nächsten Kapitel haben wir unter C 3 Handlungsempfehlungen dazu zitiert. Diese beschreiben diesen Umfang der Recherchequellen recht gut. Dabei ist nichts so spannend wie Informationen über den Übergeber als Menschen und dessen persönliches Umfeld. Dass sollte der Übergeber wissen und beim Verfassen seiner Offerte berücksichtigen. Entscheidend ist immer die persönliche Situation des Übergebers – d. h., es gibt kein „Rezept“. So ist beispielsweise in aller Regel eine Abstimmung der Perspektiven mit den engsten Angehörigen (Partner, Kinder etc.) nötig. Gerade solche Gespräche werden gern auf später verschoben. Auch dafür gibt es einen „guten Grund“. Der liegt darin, dass innere Stimmen vor diesem Schritt warnen. Diese gilt es erst einmal zu einem Chor zu stimmen. ! Tipp: In einem zweiten Schritt geht es darum, das so umrissene Konzept umzusetzen. Die Praxis der Verkaufsprofis, mit Verkaufsprospekten zu arbeiten, lässt sich leicht kopieren. Dieser muss etwa bei Freiberuflern nicht den Umfang haben, den das Wirtschaftsmagazin „Markt und Mittelstand“ empfiehlt23. Neben den üblichen wirtschaftlichen Eckdaten (die branchenbezogen differieren) geht es auch um die Darstellung des Menschen.
23 Die 10 Punkte – siehe oben
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§4 65
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Den Selbstdarstellungsversuch kann der Abgeber erst dann substantiiert unternehmen, wenn er weiß, was er will und wer er ist. Ob diese Darstellung tatsächlich das aussagt, was der Verfasser mitteilen möchte, kann nur ein Außenstehender beurteilen. Das können auch verschiedene Personen sein. So mag ein Familienmitglied bestätigen können, ob sich der Abgeber als Mensch so dargestellt hat, wie seine Familie ihn kennt. Nun verstehen Familienangehörige das Verfasste besser mit dem, was der Autor sagen möchte, weil sie ihn so gut kennen (sie leben in derselben „Kultur“). Ob die erwünschte Aussage die richtigen Bilder vermittelt, kann in letzer Instanz nur eine weiter außerhalb stehende Person sein. Das muss aber nach unserer Auffassung nicht unbedingt ein Dienstleister sein, der bezahlt werden muss. Ein guter Freund mit kritischem Blick, am besten selbst Unternehmer, kann hier helfen, weil er sich in die Situation hineinversetzen kann. ■
Die Investitionen (einige mehrstündige Coachingsitzungen und die Erstellung eines Verkaufsprospektes) sind für den Abgeber überschaubar. Ziel ist es, dass er sich sicher und gut gerüstet für die erste Begegnung mit den Interessenten fühlt und sich auch darauf freut.
> Dazu abschließend ein Beispiel: Eine Unternehmerin aus Norddeutschland war Alleingesellschafterin und –Geschäftsführerin einer GmbH, die eine technische Innovation entwickelt hatte und mit diesem Produkt auf dem Weltmarkt ziemlich allein stand. Sie war schon 60 Jahre alt, als sie einem Druck von außen nachgab und sich mit der Nachfolgefrage zu befassen begann. Ihre eingehende Beschäftigung mit der Frage: was will ich eigentlich? brachte das Ergebnis, dass sie zunächst ausschließlich die Geschäftsanteile verkaufen wollte. Der Job als Geschäftsleiterin machte ihr viel zuviel Freude als dass sie darauf hätte verzichten wollen. Sie sagte sich: Solange ich meinen Job gut mache, werden mich die neuen Anteilseigner mit Kusshand weiter in der Geschäftsleitung dulden. So bot sie ihren Ausstieg am Markt an und fand einen Käufer, der sie bis heute als Fremdgeschäftsführerin beschäftigt (die Dame ist inzwischen 80 Jahre alt (!) und hat einen zweiten Geschäftsführer an ihre Seite geholt). Mit klarer Strategie und damit gelassen souverän konnte sie ihren Weg verfolgen; die Verhandlungen waren zu keinem Zeitpunkt geeignet, sie „aus ihrem Konzept“ zu bringen.
III. 66
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Erste Interessenten kündigen sich an
Wir betrachten hier den Zeitraum ab Formulierung der Offerte bis zum Erstkontakt zwischen Übergeber und Übernehmerkandidat. Zeitlich ist diese Phase nicht lang – vielleicht einen Monat. Diese Zeit steht zur Verfügung, so dass sich der Übergeber auf den allersten persönlichen Kontakt mit den Bewerbern vorbereiten kann. Es gibt unterschiedliche Konstellationen: ■ Der Unternehmer agiert ohne externen Dienstleister (z. B. M&A – Unternehmen, Steuerberater oder anderer Unternehmensberater, die sich auf Unternehmenstransaktionen spezialisiert haben). ■ Der Übergeber schaltet einen solchen externen Dienstleister ein, der dann als solcher auch Kontaktstelle für die Interessenten ist. ■ Die Annonce ist anonym verfasst und Zuschriften gehen unter Chiffre ein. ■ Die Annonce ist nicht anonym. Ist der Autor identifizierbar, muss der Unternehmer damit rechnen, dass sich Interessenten melden, um ihre Informationsbedürfnisse vor einem persönlichen Erstkontakt zu befriedigen. Bei anonymer Offerte oder einem koordinierenden Dienstleister kann der Übergeber davon ausgehen, dass er nicht mit überraschenden Anrufern oder gar Besuchen konfrontiert wird. Zeigt er sich als Urheber der Offerte, muss er mit solchen kaum planbaren Erstkontakten rechnen. Im Zentrum dieses Abschnitts steht die Vorbereitung auf den (geplanten) Erstkontakt. In der Regel kommt es zu einem persönlichen Gespräch des Übergebers mit den in die engere Wahl gekommenen Übernehmerinteressenten. Dieser Erstkontakt soll darüber entscheiden, mit wem weitere Verhand46
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A. Der Übergeber lungen aufgenommen werden. Wir plädieren dafür, das Procedere zeitlich zu entzerren und in diesem Erstgespräch ganz allgemeine Bedingungen anzusprechen.
1.
Beispiel
Felix Hektisch ist ein positiv gestimmter Mensch. Er ist Alleingesellschafter und Geschäftsführer eines Ingenieurbüros in der Rechtsform einer GmbH mit über 40 Mitarbeitern. Mit seinem Steuerberater Dipl. Kfm. Jens Pfiffig arbeitet der 53-jährige Unternehmer eng zusammen. Aufgrund des Wachstums und dem damit einhergehenden Zuwachs im Personalbestand musste er sich nach neuen Räumen umsehen. Nachdem diese gefunden waren, stand fest, dass neben dem Umzug weitere Investitionen in die technische Ausstattung des Unternehmens realisiert werden sollten. Dafür fragte er bei seiner Hausbank wegen einer Finanzierung nach. Obwohl seine Bonität an sich untadelig ist, steckte der zuständige Kreditsachbearbeiter seinem Steuerberater, der bei den Kreditverhandlungen zugegen war, dass er für die letzte positive Entscheidung die Information bräuchte, wie denn die Unternehmensnachfolge geregelt sei. Hektisch hatte immer mal wieder seinen Blick über die qualifizierten leitende Mitarbeiter wandern lassen mit der Frage, ob einer von denen vielleicht als Nachfolger in Betracht käme. Mehrmals hatte er sich hiermit in der Vergangenheit beschäftigt und war immer wieder zu dem Ergebnis gekommen, dass er sich eine hausinterne Regelung nicht vorstellen könne. So kam es dazu, dass Hektisch mit Unterstützung des Steuerberaters sein Unternehmen am Markt anbot. Ausgeschrieben war die Positionen eines zweiten Geschäftsführers, der kurzfristig Geschäftsanteile an der GmbH übertragen erhalten sollte mit der Option, in einer noch zu definierenden Zeit das Unternehmen insgesamt zu übernehmen. Auf die Ausschreibung hin hatten sich fast vierzig Bewerber gemeldet. Die Sichtung der Bewerbungen überließ er seiner Sekretärin und dem Steuerberater. Übrig geblieben waren zehn Bewerber, die zu einem persönlichen Gespräch eingeladen wurden. Die Sekretärin hatte mit diesen Kandidaten Termine vereinbart und die entsprechenden Zeiten im Kalender von Hektisch reserviert. Am Tag, bevor die ersten Interessenten eintreffen sollten, stellt Hektisch überrascht fest, dass am darauf folgenden Tag diese Gespräche in seinem Beisein stattfinden sollten. Mit Steuerberater Pfiffig telefonierte er daraufhin, um diesen zu fragen, ob er die Termine nicht erst einmal allein wahrnehmen könne. Pfiffig machte ihm klar, dass das nicht ginge; denn schließlich ging es um das Unternehmen von Hektisch und daher müsse er schon persönlich anwesend sein. Er wolle doch mit dem Menschen, für den die Entscheidung positiv ausfällt, über längere Zeit zusammen arbeiten. Das konnte Hektisch verstehen. Am nächsten Morgen kommt er um 9.30 Uhr ins Büro. Der erste Kandidat sitzt bereits seit 8.55 Uhr im Zimmer der Sekretärin und trinkt einen Kaffee. Hektisch hatte an diesem Morgen bereits einen Termin wahrgenommen. Er warf seinen Aktenkoffer auf den Schreibtisch. Dann schließt er erst einmal die Tür zu seinem Büro, in dem Jens Pfiffig bereits auf ihn wartete. Nach
weiteren 15 Minuten, in denen Pfiffig den Unternehmer über das informierte, was er über den wartenden Kandidaten wusste, konnte dieser eintreten – 45 Minuten später als verabredet. Verschüchtert saß der Ingenieur vor dem Schreibtisch, hinter dem Hecktisch und Pfiffig hockten. Dieses erste Gespräch war dann zügig beendet; Hektisch merkte, dass dieser Bewerber so ganz und gar nicht seinen Vorstellungen entsprach und beendete die Runde. Pfiffig riet dann, das Setting für die nächsten Gespräche zu ändern und so fanden diese dann am runden Besprechungstisch im Chefbüro statt. Alle Bewerber mussten warten, weil der Verzug zu Beginn nie eingeholt werden konnte. Pfiffig instruierte Hektisch jeweils kurz vor Eintritt des nächsten Kandidaten über das, was er für wichtig erachtete, um den Chef einzustimmen. Zwischendurch klingelte immer mal das Telefon – so47
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§4
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
wohl am Schreibtisch als auch das Handy. Mal riefen Kunden an, die die Durchwahlnummer hatten, zweimal auch Mitglieder seiner Familie. Seine Frau erinnerte ihn an einen abendlichen Termin und die Tochter wollte eine Auskunft. Im Ergebnis entschied sich Hektisch gegen alle Bewerber.
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Die guten Gründe
Dem Betrachter des Geschehens und dem Leser des Lebenssachverhaltes erscheint das Verhalten von Hektisch eigenartig. Es springt förmlich ins Auge, dass dem Bewerbungsverfahren so kaum Erfolg beschieden sein kann. Wir können unterstellen, dass sich Hektisch nicht bewusst gewesen ist, was er eigentlich will, wo genau – als Chef und Übergeber – seine Interessen und Bedürfnisse liegen. Es kommen Zweifel auf, ob er – als Mensch– überhaupt die Nachfolgeregelung angehen wollte. Durch den Verstand gesteuert hat er sich darauf eingelassen, die Ausschreibung heraus zu geben. Persönlich hat er sich in der ganzen Zeit aber nicht eingebracht, sich von dem ganzen Prozedere geradezu distanziert. Das können wir aus verschiedenen Handlungen schließen: ■ Den Anstoß zum Handeln gibt – indirekt – der Banker; denn der signalisiert, dass eine zustimmende Entscheidung der Bank von der geregelten Nachfolgefrage abhängen könnte. ■ Es ist sachlogisch kein Grund vorhanden, warum er sich nicht auf die Suche begeben sollte. ■ Er hatte sich – eher intuitiv – bereits entschieden, dass ein Nachfolger aus dem eigenen Haus wohl nicht in Betracht kommt. ■ Der Steuerberater hat ihm ganz offensichtlich viel Arbeit abgenommen, indem er ihn bei der Gestaltung der Annonce unterstützte – sie vermutlich sogar im Wesentlichen allein gestaltet hat. ■ Er hält sich aus der Sichtung der Bewerbungen gänzlich heraus – ein deutlicheres Desinteresse ist kaum vorstellbar. ■ Er zeigt sich von den anstehenden Gesprächsterminen mit den interessantesten Bewerbern völlig überrascht, und hat die Termine wahrscheinlich einfach verdrängt. ■ Er kommt am Tag der Gespräche zu spät ins Büro, so dass nicht nur der erste Bewerber warten musste, sondern auch alle weiteren. ■ Er ist auf die Gespräche gänzlich unvorbereitet und muss von seinem Steuerberater auf jedes Gespräch erst einmal eingewiesen werden.. ■ Er entwickelt augenscheinlich überhaupt kein Gespür für die Situation der Lage der Bewerber: Das erste Gespräch führt er hinter seinem Schreibtisch sitzend, so als ob es zeigen wollte, wer hier jetzt (und in Zukunft) der Chef ist. Die ganze Ausschreibung war somit nutzlos und von vornherein zum Scheitern verurteilt. Hektisch hat in erheblichem Umfang Ressourcen verschwendet: ■ Seine Zeit und Aufmerksamkeit (und in der weiteren Folge die fortgesetzte Beschäftigung mit der ungelösten Nachfolgefrage, die ja mit der Zeit immer drängender und damit zu einem bedrängenden Problem wird). ■ Zeit der Sekretärin. ■ Zeit des Steuerberaters, die der sich natürlich bezahlen lässt. ■ Investition in die Annonce(n).
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A. Der Übergeber Und das alles nicht nur ohne Erfolg, sondern darüber hinaus auch mit einem ungelösten Thema. Die fortgesetzte Beschäftigung bindet Ressourcen weit über den Kreis der aufgezählten Personen hinaus (siehe unten unsere Ausführungen zur Organisation)
3.
Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen
Das Beispiel soll anregen, darüber nachzudenken, an welchen Stellen der Übergeber nicht darum herum kommt, sich persönlich einzubringen. Zeitlich starten wir in diesem Abschnitt mit der erfolgreich gestalteten Annonce. Nimmt der Unternehmer Dienstleister in Anspruch, erfolgen die Arbeiten arbeitsteilig. Eine umfassende Delegation auf einen Externen, oder auch mehrere, erscheint uns – wie das Beispiel zeigt – nicht sinnvoll. Wir haben nach Empfehlungen und sonstigen Hinweisen recherchiert: Die von uns betrachtete Differenzierung nach verschiedenen Handlungsschritten und –zeitpunkten haben wir nicht kommentiert gefunden.
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Die nexxt-Unternehmensbörse24 Als Hinweis allein an den Übergeber zitieren wir25: „Formulieren Sie für sich und zusammen mit Ihrer Familie die Ziele, die Sie mit der Übergabe des Unternehmens verfolgen. Denken Sie bei Ihren Entscheidungen auch an die Konsequenzen für Ihre Mitarbeiter und deren Familien. Entwickeln Sie gemeinsam mit dem Nachfolger eine Übergabestrategie. Kein Wechsel in der Unternehmergeneration verläuft ohne Reibungen. Die Interessen der Beteiligten sind häufig gegensätzlich. Diese Gegensätze sollten konstruktiv, d. h. im Dialog und im Interesse beider Parteien und im Interesse des Unternehmens, ausgeglichen werden. Zur Erleichterung bietet sich an, Unternehmens-, Steuer- und Rechtsberater für die Gespräche zwischen Unternehmer, Nachfolger, Familie, Führungskräften und Mitarbeitern als Moderatoren hinzuzuziehen. Dies hilft, Konflikte zu vermeiden bzw. rasch beizulegen.“
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Bezogen auf die Person des Nachfolgers26: Verlassen Sie sich bei Ihrer Suche nicht nur auf Ihren unternehmerischen Instinkt. Ganz gleich, ob Ihr potenzieller Nachfolger ein Familienmitglied, ein Mitarbeiter Ihrer Firma oder ein Fremder ist. Erstellen Sie ein Anforderungsprofil. Fragen Sie kaufmännische, fachliche und soziale Kompetenz ab. Beurteilen Sie die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und zu delegieren. Wie sieht es mit Konfliktfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und Gesprächsbereitschaft aus? Prüfen Sie mit Hilfe dieses Anforderungsprofils, ob Ihr Kandidat wirklich für diese Aufgabe geeignet ist. Denn: Nicht immer ist der Wunschnachfolger auch wirklich „der Richtige“.
78
24 Unternehmensnachfolge – die optimale Planung. Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Kommunikation und Internet (LP4) 10115 Berlin www.bmwa.bund.de 25 Seite 27ff 26 Seite 35 f
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§4
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) Versuchen Sie also bei der Wahl Ihres Nachfolgers so objektiv wie möglich zu sein, ganz besonders dann, wenn es sich um einen Angehörigen der Familie handelt. Lassen Sie den in Frage kommenden Übernehmer auch von einer Person Ihres Vertrauens beurteilen. Sollte der geeignete Nachfolger nicht Ihr Wunschkandidat sein, sollten Sie prüfen, ob Ihre Idealvorstellung noch Bestand haben kann. Ist der potenzielle Nachfolger tatsächlich nicht geeignet? Oder ist Ihre Entscheidung durch Ihre zu hohen Anforderungen bedingt? Arbeiten Sie ein Modell aus, das auf den richtigen Nachfolger zugeschnitten ist. Wenn ein Nachfolger geeignet erscheint, sollte ein Personalberater dessen Kompetenz und Fähigkeiten nochmals untersuchen.“
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Hinweise an Übergeber und Übernehmer27: „Eine Unternehmensübertragung ist ein Gemeinschaftsprojekt. Ob das Unternehmen erfolgreich weiter bestehen kann, hängt natürlich in erster Linie von den unternehmerischen Fähigkeiten des Nachfolgers ab. Aber der Senior-Unternehmer, dessen Familie, die Mitarbeiter und Geschäftspartner sind ebenfalls in einem erheblichen Maße verantwortlich dafür, dass die Nachfolge reibungslos vonstatten geht. Von allen Beteiligten, vor allem aber vom Nachfolger und Noch-Inhaber wird daher ein hohes Maß an Offenheit, Einfühlungsvermögen und Kommunikationsfähigkeit verlangt. Dies gilt auch für denjenigen, der ein Unternehmen „auf einen Schlag“ übernimmt, also keine gemeinsame Übergangsphase mit dem Senior-Unternehmer verbringt. Sowohl Unternehmer als auch Nachfolger sollten daher
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■
klären, wie sie den Übertragungsprozess gestalten wollen
■
das Unternehmen genau kennen lernen
■
sich auf den Wert des Unternehmens einigen
■
die Art der Übertragung klären
■
prüfen, welche Rolle die Rechtsform des Unternehmens bei der Übertragung spielt
■
sich über die steuerlichen Auswirkungen einer Übertragung informieren
■
die Zahlungsmodalitäten festlegen.“
Eine andere Empfehlung28: „Weicher Übergang“ für ruhiges Gewissen Wenn sich für die Unternehmensnachfolge kein Familienmitglied findet, ist es wichtig, dass die „Chemie“ zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Nachfolger „von außen“ stimmt, betont Michael H. Höppner von der Berliner Sparkasse: „Damit steht und fällt alles“. Karl-Heinz Lindner (65) und Mario Ahlberg (49), sein Nachfolger in der Firma „Banholzer Metallwaren“, verstanden sich auf Anhieb. Ruhigen Gewissens konnte der Altunternehmer den Betrieb, den er 25 Jahre lang geleitet hatte, an den gelernten Turbinenschlosser abgeben. Die zwei vereinbarten einen „weichen Übergang“, Lindner blieb noch ein Jahr als Berater. Der Gründerguide (wenn auch eher fokussiert auf Gespräche mit potentiellen Mitarbeitern/ Jobbewerbern) rät29: „Bereiten Sie das Gespräch gut vor! Die Planung Definieren Sie Anforderungen an den neuen Mitarbeiter, z. B. 27 Seite 25 28 Berliner Sparkasse in „Berliner Akzente“ http://www.berliner-akzente.de/geld_finanzen/artikel_75355.php 29 http://www.gruenderstadt.de/Infopark/bewerbungsgesprach.html
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A. Der Übergeber ■
Fachkenntnisse
■
Teamfähigkeit
■
Einfühlungsvermögen
■ Verantwortungsbewusstsein Beschreiben Sie diese Kriterien genau! Gewichten Sie die Kriterien! Formulieren Sie einen Interview-Leitfaden! Vorteil: Für alle Bewerber haben Sie nun eine einheitliche Bewertungsgrundlage.
Die Vorauswahl Problem: Als Reaktion auf Ihre Anzeige liegt ein Stapel Bewerbungsmappen vor Ihnen. Jedoch gilt: Bewerbungsunterlagen allein sind eine magere und risikoreiche Beurteilungsgrundlage. Treffen Sie deshalb eine Vorauswahl nach „objektiven“ Kriterien wie Alter, spezielle Fachkenntnisse, Berufserfahrung, Vollständigkeit der Unterlagen.
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Die Vorbereitung auf das Gespräch Kurz vorher in Ruhe nochmals die Bewerbungsunterlagen lesen.
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Das Gespräch Aufwärmphase: ■
Fragen nach Anreise, Hobbies, persönlichem Befinden
■
Hinweis über Ablauf, Dauer und inhaltliche Strukturierung des Gesprächs. Eröffnungsphase: ■
Vorstellung der Gesprächspartner
■
Dank für Bewerbung und Interesse an Tätigkeit im Unternehmen
■
Vertraulichkeit des Gesprächs zusichern
■
Bewerber sollte über Ausbildungs- und Berufsweg, Motiv für Bewerbung in Ihrem Unternehmen, berufliche Ziele, familiäre Situation, gesellschaftspolitisches Engagement etc. möglichst ungestört reden
■
Selbsteinschätzung und Motivation testen, z. B. mit Fragen nach persönlichen Stärken und Schwächen, Erwartungen an künftige Kollegen, Meinung über Teamarbeit, Bewältigung konkreter Problemsituationen
■ Fragen und Unklarheiten für später notieren. Motivationsphase: ■
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Präsentation des eigenen Unternehmens, z. B. Mitarbeiterzahl, Organisation, Aufgabenbereich, Arbeitsplatz etc.
■ Ziel: Bewerber für sich gewinnen. Abschlussphase: ■
Vertragsgestaltung (Einarbeitung, Probezeit, Gehalt, Sozialleistungen), Eintrittstermin, Weiterbildungsmöglichkeiten etc. besprechen
■
noch keine endgültige Entscheidung zu erkennen geben
■
Hinweis auf weiteres Vorgehen.
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Die Auswertung ■
direkt im Anschluss an das Gespräch
■
beurteilen Sie verbale Äußerungen, Verhalten und Erscheinungsbild.“ 51
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§4
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) Das Berufsförderungswerk München30 bietet an – auch wieder orientiert auf die Auswahl von Mitarbeitern für eine Organisation:
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„Gut vorbereitet ins Bewerbungsgespräch ■
Das wichtigste Instrument im Personalauswahlverfahren ist das Bewerbungsgespräch. Um den gewünschten Mitarbeiter für sein Unternehmen zu finden, sollte man sich dabei allerdings nicht nur auf seinen gesunden Menschenverstand verlassen.
■
Denn das eigene Gefühl ist zwar wichtig, reicht aber nicht aus, um die richtige Entscheidung zu treffen. Und Fehlentscheidungen sind nicht nur ärgerlich, sondern auch teuer, weiß Sabine Gläser, Wirtschaftspsychologin und seit vielen Jahren in der Personalberatung tätig, aus Erfahrung: „Anzeigenschaltung, Personalauswahlverfahren, Rücksendung der Unterlagen, Probezeit etc. fallen erneut an und in der Zwischenzeit bleibt die Arbeit über Monate liegen.“
■
Mit Systematik und Intuition zu einer guten Entscheidung!
■
Deshalb sollte man, so die Personalberaterin, möglichst strukturiert vorgehen und neben einem detaillierten Anforderungsprofil mit exakt festgelegten Einstellungskriterien einen Leitfaden für die Gesprächsführung benutzen. So stellt man sicher, dass die Fragen, die für die Personalentscheidung relevant sind, auch wirklich abgehandelt werden.
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Im Leitfaden führt Frau Gläser aus: „Bitte eröffnen Sie prinzipiell das Vorstellungsgespräch mit einer Kurzdarstellung Ihrer Gesellschaft und der vakanten Position. Das Wichtigste an einem Vorstellungsgespräch ist immer auch die Vorbereitung darauf – deshalb:
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■
seien Sie zur vereinbarten Zeit bereit
■
legen Sie sich Broschüren, Prospekte oder andere Informationsmaterialien, die Sie abgeben wollen, vor dem Gespräch bereit
■
benutzen Sie für das Gespräch einen ungestörten Ort
■
sorgen Sie für ein gutes Gesprächsklima: schalten Sie Lärm- und andere Störquellen aus, sorgen Sie für genügend frische Luft im Raum
■
sagen Sie Ihren Mitarbeitern, dass Sie während des Gespräches ungestört sein möchten
■
wenn Sie Kaffee oder Mineralwasser reichen, besorgen Sie diese, bevor Sie in „medias res“ gehen“
Und noch eine letzte Quelle – auch eher orientiert auf die Situation der Mitarbeitereinstellung31: „Bewerbungsgespräche richtig führen Wer neue Mitarbeiter einstellen will, muss Bewerbungsgespräche führen. Kommunikation ist gefragt, ein guter Umgang mit Bewerbern zahlt sich für Unternehmen aus. Stichwort: „employer branding“. Zehn Tipps für ein gelungenes Bewerbungsgespräch. Sorgen Sie für eine gute Atmosphäre Wie oft zerhackt das Telefon Gespräche im beruflichen Alltag. Da sollte ein Bewerbungsgespräch erst recht in einem Raum stattfinden, in dem kein Telefon klingelt. Eine angenehme Atmosphäre entsteht, wenn niemand das Gespräch von außen unterbrechen kann. Störungen verwischen auch einen authentischen Eindruck des Bewerbers: Ihm ist es so möglich, sich Antworten leichter zu Recht zu legen. 30 http://www.bfw-pp.de/muenchen/infopost11.php 31 Quelle: Förderland (Marktform GmbH) http://www.foerderland.de/2305.0.html
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A. Der Übergeber Bauen Sie hierarchische Barrieren ab Seien Sie sich Ihrer hierarchischen Position bewusst: Ein Bewerber sieht in Ihnen immer die Person, von der seine berufliche Zukunft abhängt. Dieses Machtgefälle kann sich negativ auf den Gesprächsverlauf auswirken, weil es einen ehrlichen Austausch verhindert. So wird es wahrscheinlicher, dass Sie den falschen Menschen einstellen – und große Kosten für Ihr Unternehmen entstehen. Bemühen Sie sich im Gespräch um Augenhöhe!
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Zeigen Sie sich von Ihrer besten Seite Es gibt ein paar Tugenden, die Sie in ein Bewerbungsgespräch mitbringen sollten: Versetzen Sie sich in die Rolle des Bewerbers, um seine Position besser zu verstehen. Üben Sie sich in Geduld und Selbstbeherrschung – nur so entsteht eine gute Gesprächsatmosphäre. Gehen Sie mit einer positiven Einstellung auf den Bewerber zu, zeigen Sie sich verbindlich – und beweisen Sie Ihre Fähigkeit, zu anderen Menschen Kontakt herstellen zu können. Hören Sie gut zu Manchmal entscheidet eine kleine Geste: Sie nicken kurz mit dem Kopf, Sie halten Blickkontakt – und schon schlagen Sie eine Brücke zu Ihrem Bewerber. Fühlt er sich verstanden, kann seine Maske fallen. Das gelingt auch, wenn Sie auf Wertungen völlig verzichten und den Bewerber in Ruhe aussprechen lassen. Haben Sie selbst größere Gesprächsanteile als der Bewerber, ist das ein falsches Signal: Ihr Interesse am Gegenüber war nicht groß genug.
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Wiederholen Sie ruhig Eine gute Gesprächstechnik ist es, wenn Sie bestimmte Passagen des Gesprächs in eigenen Worten zusammenfassen. Solche Wiederholungen sind nicht überflüssig, im Gegenteil: Auf diese Weise lassen sich Missverständnisse ausräumen, weil der Bewerber die Chance bekommt, einen Gedanken deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Helfen Sie dem Gedächtnis auf die Sprünge Niemand hat ein Elefanten-Gedächtnis: Wenn Sie nach dem Gespräch versuchen, mit einem Gedächtnis-Protokoll wesentliche Inhalte festzuhalten, gehen viele Informationen verloren. Scheuen Sie sich nicht, während des Gesprächs Notizen anzufertigen. Ein Leitfaden kann dabei helfen: So können Sie wesentliche Fragen abhaken – und ihren unmittelbaren Eindruck festhalten.
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Denken Sie an das „employer branding“ „Employer branding“ – das heißt für Sie: Mit jedem Bewerbungsgespräch werben Sie auch für Ihr Unternehmen. Ihr Gesprächspartner kann ein künftiger Mitarbeiter sein. Dann sollte er von Anfang an hinter Ihrem Unternehmen stehen. Oder Sie lehnen einen Bewerber ab, dann wird er seine Erfahrungen im Bekanntenkreis verbreiten. So oder so: Mit jedem Bewerbungsgespräch können Sie ihre Marke („brand“) stärken. Achten Sie auf Widersprüche Zum Erfassen einer Persönlichkeit gehören viele Dinge. Passen Sie besonders auf, ob der Bewerber Widersprüche erkennen lässt: Fehlen Zeugnisse, und die Gründe dafür erscheinen nicht plausibel? Wirken Antworten einstudiert? Fehlt dem Verhalten die Authentizität? Merkwürdig ist es auch, wenn der Bewerber seine gegenwärtige Tätigkeit so beschreibt, dass sie wie abgestimmt auf den neuen Job erscheint. Vorsicht ist geboten, sobald der Bewerber eine Verteidigungshaltung einnimmt – ohne dass ein Grund erkennbar ist.
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§4
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) Fassen Sie den ganzen Menschen ins Auge Auf den ganzen Menschen kommt es an: Sie wollen zu einer Einschätzung des Bewerbers kommen – und werden dazu nicht nur auf seine Worte achten. Seine Gesten zählen, seine Kleidung, sein Auftreten. Viele Details fließen mit ein, auf die Sie bewusst achten können: Ein Bewerber kann behaupten, ein offener und selbstbewusster Mensch zu sein. Hält er aber im Gespräch keinen Augenkontakt und ist nervös, könnte das Gegenteil der Fall sein.
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Stellen Sie keine unzulässigen Fragen Informieren Sie sich gut über unzulässige Fragen. Zum Beispiel dürfen Sie nur nach einer tatsächlichen Behinderung fragen, wenn sie den Bewerber bei der neuen Tätigkeit beeinträchtigen würde. In Ordnung ist dagegen die Frage, ob eine anerkannte Schwerbehinderung vorliegt, weil sich aus ihr bestimmt Schutz- und Fürsorgepflichten ergeben. Fragen nach einer Schwangerschaft sind unzulässig, genauso wie die Frage nach Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder Religionsgemeinschaft. Beantwortet der Bewerber eine solche Frage mit einer Unwahrheit, hat das keine rechtlichen Konsequenzen („Recht zur Lüge“).“
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Hätte Hektisch diese Tipps gelesen, was hätte er anders gemacht? Wir wagen die Hypothese, dass sich essentiell nichts geändert hätte. Vermutlich wäre er (etwas) pünktlicher zum ersten Termin erschienen und hätte sich im ersten Gespräch nicht hinter seinen Schreibtisch gesetzt. Den zitierten Hinweisen stimmen wir weitestgehend zu. So sollen Gespräche vorbereitet, so sollten sie geführt und so sollten sie auch nachbereitet werden. Nur: Welcher Mensch kann all das beherzigen? Angelesene Tipps dieser Art haben den Mangel, dass sie mit keinem Wort darauf eingehen, wie sich der Unternehmer als Mensch, als Persönlichkeit darauf vorbereitet, all das leisten zu können. Aus diesem Grund sollte man für sich die Ratschläge differenzieren nach formalen Fragen wie geeignetem Raum, vorab zu besorgende Dokumente, Ablaufplan etc. und Verhaltensweisen, die der Person abverlangt werden. Diese betreffen insbesondere Kommunikationstechniken und wie der Übergeber seine Persönlichkeit einbringen kann.. Es wird – zu Recht – geraten, dass sich der Übergeber dessen sicher sein soll, was er überhaupt will und was er kann. Dies ist das Entscheidende, denn ist sich der Übergeber sicher, was er will, motiviert ihn diese seine Sicherheit, mit den Bewerbern sowie der Bewerbungssituation respektvoll umzugehen. Dann, und erst dann, helfen ihm auch die Checklisten, die er mit Leben und den eigenen Interessen füllen kann.
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Bewertung dieser Wegweiser
Der (Aus-) Weg
!Tipp: Es geht in diesem Erstkontakt darum, dass der Übergeber, der einen Nachfolger sucht, das Gespräch so führen kann, dass sich die Investitionen lohnen, also keine Ressourcenverschwendung darstellt. Eine Verschwendung von Ressourcen tritt ein, wenn bei der Sortierung der Bewerbungen der „Richtige“ aussortiert wird. Natürlich sollte ein Kriterienkatalog für die Sichtung und Bewertung der Bewerberunterlagen entwickelt werden. Nur weiß jeder, dass die sog. „harten“ Kriterien nur einen kleinen Bestandteil für die letztendliche Entscheidungsfindung ausmachen. Wir möchten unser Augenmerk hier auch auf den häufig unterschätzten Aspekt des „Bauches“ richten. Dazu ein kleines Beispiel: 54
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A. Der Übergeber Eine gemeinnützige Einrichtung suchte den Nachfolger des Leiters, weil der Vorgänger aus Altersgründen ausschied. Zu diesem Zweck wurde ein Team gebildet, das dem Entscheider geeignete Kandidaten vorschlagen sollte. Nach der Ausschreibung trudelten die Bewerbungen ein – es waren mehr als fünfzig. Weil die Vorstellung von Kandidaten enorme Ressourcen band (das entscheidende Gremium setzt sich aus mehr als 15 Personen zusammen), musste im Vorfeld eine Reduzierung auf möglichst 3 Kandidaten erfolgen. Das Team einigte sich darauf, dass neben den Bedingungen eines Kriterienkataloges auch der „Bauch“ gehört werden soll. Deshalb wurde als Grundsatz festgelegt, dass Kandidaten nur dann ausscheiden, wenn sich das Team einstimmig dafür entscheidet. So erreichte ein Kandidat die Endausscheidung, der allein aufgrund des Bauchgefühls eines einzigen Teammitgliedes in die Runde der letzten drei gelangte. Aus dieser Runde ging er dann als derjenige hervor, der den Job auch tatsächlich bekam. Das stellte sich schließlich auch als die genau richtige Entscheidung heraus.
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Die Erstbegegnung selbst verläuft dann erfolgreich, wenn es den Protagonisten gelingt, sich mit ihren Persönlichkeiten zu zeigen, der jeweils andere diese Signale mit ihrem Inhalt richtig versteht und die beidseitigen Vorstellungen so kommuniziert werden, dass Deckungsgleichheit bei Sender und Empfänger zustande kommt. Uns ist klar, dass darin ein sehr hoher Anspruch liegt, der kaum erreicht wird. Eine Orientierung auf dieses Ziel ist jedoch richtig und wichtig. Eine Chance darauf, dass es klappen kann, besteht wiederum nur, wenn die Protagonisten entspannt aufeinander treffen. Das ist dann denkbar, wenn sie sich sicher sind, was sie wollen und sich gut vorbereitet fühlen. Es geht also in erster Linie um eine gute emotionale Verfassung. Diese wird dann vorherrschen, wenn der Übergeber, auf den wir uns hier konzentrieren, das Gefühl hat, alles in der Vorbereitung getan zu haben, was er tun konnte. Insbesondere sollte er sich mit seinen inneren Stimmen, dem inneren Team geeinigt haben. Aber auch die äußeren Einflussfaktoren (wie z. B. die Familie, ggf. der Betriebsrat u. a.) müssen eingebunden gewesen sein. Aus einem Umfeld heraus, in dem Transparenz geschaffen ist, lässt es sich aufmerksam, konzentriert, fair und offen kommunizieren. Wir können anschließen an unsere Ausführungen zur Wahrnehmung und zur Vertrauenstheorie oben unter I b 4. Partnerschaftlichkeit herzustellen bedeutet, die jeweiligen Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft zu zeichnen und in ihrer Unterschiedlichkeit zu erkennen. Es kann unmöglich sein, dass sich diese Vorstellungen beim Erstkontakt decken! Ein entspannter Übergeber wird offen und voller Neugierde versuchen, die Bilder im Kopf seines Gegenübers kennenlernen zu wollen. Natürlich ist es hilfreich, in Kommunikationstechniken geschult zu sein; als zwingend notwendig erachten wir das aber nicht. Denn die entspannte Neugierde lässt soviel Kreativität im Erfragen, im Zuhören und Beobachten zu, so dass der Übergeber später mit großer Sicherheit sagen kann, er habe vom Bewerber ein realistisches Bild.
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!Tipp: Es ist allemal hilfreich, bei diesem Erstkontakt des Übergebers einen Dritten, einen Vertrauten mit dabei zu haben. Mit diesem intimen Kommunikationspartner kann das Geschehen im Gespräch später reflektiert werden. Damit dieser Dritte im Sinne des Übergebers reflektieren helfen kann, sollte sie in die Vorstellungswelt (die Ideen und Wünsche, eben sämtliche äußere und innere Tatsachen) vor Beginn des Kontaktes eingeweiht sein. Die entscheidenden Fragen in der Reflexion sind nämlich: Passt der Bewerber
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zum Nachfolgekonzept, wie es sich der Übergeber vorstellt, zum Übergeber als Mensch, und schließlich zur Organisation?
Mit diesem Dritten kann der Übergeber schon einmal im Vorfeld üben, seine Vorstellungen zu verbalisieren. Wenn der Dritte dann auf die Frage, was er verstanden hat, das formulieren kann, was der Unternehmer hatte mitteilen wollen, ist die „Generalprobe“ gut gelaufen. 55
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Der Übergeber braucht somit an Ressourcen: ■ Ein ihm vertrautes Team, das ihm im Bewerbungsverfahren zur Seite steht ■ Ggf. ein weiteres Coaching.
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Der Bedarf nach neuerlicher Unterstützung durch einen Coach kommt nach unserer Erfahrung immer wieder auf, wenn sich in den Bewerbungsschreiben Hinweise auf Vorstellungen und Umstände finden, die beim Übergeber bislang unreflektierte Aspekte ansprechen. Berater neigen dazu, auf der Grundlage ihres Expertenwissens zu beraten. Doch darum geht es hier noch nicht. Wie oben unter A. I. 6 ausgeführt muss der Abgeber sich die in ihm schlummernden Potenziale ins Bewusstsein holen, aus dem „ungeordneten Haufen“ ein schlagkräftiges inneres Team bilden. Dann ist er sich seiner persönlichen Interessen und Bedürfnisse als Mensch und als – in Zukunft ehemaliger – Chef bewusst und kann sie angemessen in die Gestaltung der Zukunft einbringen. Nur so erlangt er die erforderliche Sicherheit und damit Gelassenheit und Souveränität.
B.
Der Übernehmer oder Nachfolger
Der Erfolg einer Unternehmensnachfolge hängt entscheidend auch davon ab, wie sich die andere Seite, nämlich der Übernehmer, in den Transfer einbringen kann. Im Visier der Berater steht dieser allerdings mit andern Themen. So führt die nexxt-Broschüre – immer bezogen auf den Nachfolger, den Übernehmer aus: ■ Welche Fähigkeiten muss ich als Unternehmer besitzen? Und was ist der Unterschied zwischen einer Neugründung und einer Unternehmensnachfolge? ■ Wo finde ich einen geeigneten Betrieb? ■ Welche Beratung sollte ich in Anspruch nehmen? ■ Wie kann ich das Vorhaben finanzieren? Und zu persönlichen Merkmalen wird gesagt: „Ihre Einstellung zum Thema berufliche Selbständigkeit ■ Sind Sie in der Lage, sich ein realistisches Bild über Ihren zukünftigen Unternehmer-Alltag zu machen? ■ Kennen Sie z. B. über Ihren Bekannten-/Freundeskreis Unternehmerinnen oder Unternehmer? Ihre persönlichen Voraussetzungen ■ Haben Sie mit Ihrer Familie darüber gesprochen, was sich für sie durch Ihre Selbständigkeit ändern wird? ■ Sind Sie bereit, vor allem in den ersten Jahren überdurchschnittlich viel zu arbeiten (evtl. auch abends und am Wochenende)? ■ Bewahren Sie einen kühlen Kopf, auch wenn es hektisch zugeht? ■ Packen Sie auch unangenehme Themen an und versuchen Sie sie zu lösen? ■ Kennen Sie Ihre persönlichen Grenzen und Ihre Leistungsfähigkeit? Ihre Einstellung zum Thema Geld ■ Können Sie ruhig schlafen, auch wenn Sie kein festes Einkommen haben? ■ Sind Sie bereit und in der Lage, sich in der ersten Zeit finanziell einzuschränken? ■ Können Sie diszipliniert mit Geld umgehen und Reserven anlegen, auch wenn Sie dabei auf Neuanschaffungen zunächst verzichten müssen? 56
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger Ihr fachliches Know-how ■ Passt Ihre bisherige berufliche Tätigkeit zu dem Vorhaben und der Branche, in der Sie sich selbständig machen wollen? ■ Verfügen Sie über nachweisbare Qualifikationen, um andere davon zu überzeugen, dass Sie ein „Meister Ihres Fachs“ sind? ■ Wissen Sie, was Sie können und vor allem was Sie nicht können? ■ Können Sie fachliche Defizite ausgleichen? (Schulungen, Partner, Mitarbeiter) ■ Ihr unternehmerisches Know-how ■ Verfügen Sie über kaufmännisches oder betriebswirtschaftliches Know-how? ■ Haben Sie Erfahrungen mit der Anleitung und Führung von Personal? ■ Haben Sie bereits Verkaufsverhandlungen geführt? ■ Können Sie unternehmerische Know-how Defizite ausgleichen?
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Je mehr Sie mit „Ja“ geantwortet haben, desto eher entsprechen Sie dem Profil, welches man bei einem Unternehmer oder einer Unternehmerin erwartet.“32
Zunächst sei der Kreis der Übernehmer benannt, mit dem wir uns im Weiteren beschäftigen: ■ Ein Mitglied der Familie – mit den an anderer Stelle beschriebenen Besonderheiten ■ Der Existenzgründer (MBI) ■ Der Nachfolger in dem Unternehmen, in der er bereits tätig ist (MBO) ■ Kauf nach Ortswechsel ■ Der „Aussteiger“ ■ Das Unternehmen resp. der handelnde Unternehmer, das ein zu übergebendes Unternehmen eingliedern möchte ■ Mitarbeiter beteiligen sich – ohne Übernahme des/Eintritt ins Management Die Situationen, aus denen heraus sich ein Übernehmer entschließt, in die Nachfolge zu investieren, sind vielfältig. ■ Familienmitglied: ■ Tradition (z. B. erstgeborener Sohn) ■ „Ersatz“ für eigentlich vorgesehenen Nachfolger ■ In der weiteren Familie steht eine Nachfolge an, weil sich aus den unmittelbaren Umfeld kein Nachfolger gefunden hat oder nicht existiert ■ Existenzgründer ■ Das Ziel Selbständigkeit stand schon immer fest (üblich bei Freiberuflern wie Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern etc., die den freien Beruf gewählt haben) ■ Die Verselbständigung als „Notlösung“, weil sonst Arbeits- und Erwerbslosigkeit droht ■ Übernehmer aus der Mitarbeiterposition (MBO) ■ Weil sonst kein Nachfolger in Sicht ■ Weil mit diesem Ziel der Übernahme im Unternehmen tätig geworden ■ Weil durch gewachsene Qualifikation das Interesse an einer Verselbständigung entstanden ist (häufig im Handwerk) 32 Unternehmensnachfolge – die optimale Planung. Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Kommunikation und Internet (LP4) 10115 Berlin www.bmwa.bund.de
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Kauf nach Ortswechsel ■ Und zuvor schon Unternehmer gewesen ■ Um am neuen Familienwohnsitz eine Einkommensquelle zu haben ■ Weil der Übernehmer noch einmal von vorn beginnen will ■ Aussteiger ■ Immer wieder gehen solche Beispiele durch die Presse: Der erfolgreiche Manager wird freischaffender Künstler oder Landwirt ■ Eingliederung ■ Um das eigene Unternehmen durch Zukauf von Umsatz zu stärken ■ Um das eigene Unternehmen zu stabilisieren ■ Um qualifiziertes Personal zu akquirieren ■ Um Knowhow dazu zu gewinnen und darüber zusätzliche Marktanteile ■ Mitarbeiterbeteiligung ■ In einer Notsituation (das Unternehmen benötigt Liquidität) ■ Als Beteiligungsmodell Diese Aufzählung ist beispielhaft zu lesen. Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum ein Übernehmer aktiv wird. In den meisten Situationen betritt auch der Übernehmer „Neuland“, weil er ein solches Geschäft noch nie getätigt hat. In etlichen Fällen sehen sich Interessenten aus gesicherter Position als Angestellte einfach mal nur um, ob es eine interessante Alternative zur aktuellen Beschäftigung in der Selbständigkeit gibt. Immer aber wartet auf den Übernehmer unbekanntes Terrain.
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Irgendwann fasst der Übernehmer den Entschluss, sich um eine Unternehmensnachfolge kümmern zu wollen. Die Motive sind so vielfältig wie das Leben – es gibt keine Regeln. Klar ist nur, dass er aktiv werden will. Das kann ein relativ schwaches Motiv sein, sich einfach nur mal orientieren zu wollen; es kann aber auch stark ausgeprägt sein, etwa bei dem Unternehmer, der sein Unternehmen verkauft hat und an einem anderen Ort – aus welchen Gründen auch immer – einen Betrieb kaufen möchte. Immer gibt es einen Grund und immer existiert ein „Traum“. Dieser Traum ist die Idee vom anderen, und damit verbunden: dem besseren als dem bisherigen Leben.
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Ins Handeln kommen
Beispiel
Ein Beispiel, auf das wir Bezug nehmen, findet sich im Anhang (§ 7 F I): „Ich habe eventuell die Möglichkeit, als Nachfolger den Hof meines (kinderlosen) Onkels zu übernehmen. jetzt stellen sich mir natürlich jede Menge Fragen. Ein paar Eckdaten: 1. ich bin mittlerweile auch schon 36 (aber gefühlte 23:-) 2. ich bin in der Medienbranche tätig (Online- und Printwerbung und so ...) habe also von der Landwirtschaft (noch) keine Ahnung 3. ich wohne in NRW“ Im Weiteren geht es um die Vorüberlegung des bisher nicht mit der Landwirtschaft befassten Mannes, der bis dato als angestellter Medienfachmann arbeitet, den landwirtschaftlichen Betrieb seines Onkels übernehmen zu wollen 58
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger > Ein anderes Beispiel: Dr. Kindermann ist Oberarzt in der Kinderklinik der Universität Köln. Der Klinikalltag stresst ihn seit Jahren und lässt ihm nach seinen Vorstellungen viel zu wenig Raum zum Forschen. Das war aber der eigentliche Grund gewesen, nach Beendigung der Ausbildung an die Hochschule zu gehen. Außerdem hat er inzwischen mit Frau und vier Kindern eine große Familie, mit der er für sein Gefühl viel zu wenig Zeit verbringen kann. Ein alter Freund seines Vaters – ebenfalls Mediziner – betreibt eine hausärztliche Praxis in Göttingen. Dieser hatte ihn schon früher angesprochen, ob er sich vorstellen könne, die gut laufende Praxis zu übernehmen. Dieses Angebot kam Kindermann in den Sinn, als er wieder einmal voller Unlust zur Frühschicht nach alleinigem Frühstück im Stehen am Samstag in die Klinik aufbrechen musste. Der Zustimmung seiner Frau war er sich sicher. Noch aus der Klinik telefoniert er mit dem Göttinger Kollegen.
2.
Die guten Gründe
Während es beim Übergeber als Motivation um die Verhinderung eines abwärtsgerichteten Zukunftsszenarios geht, ist beim Übernehmer ein aufwärtsgerichtetes Zukunftsszenario handlungsbestimmend. Die Lebenssituation soll sich verbessern durch die Übernahme eines Unternehmens. In den Beispielen des Oberarztes Kindermann oder im anderen Beispiel der Medienfachmann stellen sich die Fragen, welche Motive sie zum Handeln gebracht haben.
3.
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Exkurs zur Motivation des Übernehmers
Allgemein ausgedrückt sind Motive in der Psychologie richtunggebende, leitende und antreibende psychische Ursachen des Handelns. Motive befähigen ihren Besitzer, bestimmte Gegebenheiten wahrzunehmen und dadurch in bestimmter Weise zu handeln oder wenigstens den Impuls zur Handlung zu verspüren. Das Motiv lässt sich am besten herausarbeiten vor dem Hintergrund der Situation, in der sich der Protagonist befindet. In beiden Beispielen gibt es eine erkennbare „Verlockung“, weil im Beispiel der Landwirtschaft ein Übernahmeangebot innerhalb der Familie, der Onkel, im Raum stand und bei Dr. Kindermann eine frühere Anfrage eines Bekannten, dessen Praxis fortführen zu können. Diese „Gelegenheiten“ müssen jedoch erst auf fruchtbaren Boden fallen, bevor sie motivierende Kraft bekommen. Und ganz sicher gibt es weitere, uns – und vielleicht auch den Protagonisten – unbekannte Antreiber. Bei Dr. Kindermann ist ein Grund, dessen er sich selbst sicherlich auch bewusst ist, die Unzufriedenheit. Die Umstände seines Alltags in der Klinik stellen ihn nicht – mehr – zufrieden. Insgesamt geht es also um die Motive, die Aktivitäten mit einer Orientierung auf die Übernahme eines Unternehmens auslösen. Das Wort Motivation stammt, wie bereits erwähnt, aus dem Lateinischen „motus“ und bedeutet „Bewegung“. Motive sind Beweggründe des Willens und sind aus unseren Gefühlen generiert. Die Kraft, die unser Verhalten antreibt, ist unsere Motivation. Sie sorgt dafür, dass wir das, was wir wollen, auch tun.
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Die Triebfeder unseres Handelns hat mit unseren Bedürfnissen zu tun. Dazu ein Beispiel: Wenn wir Hunger verspüren, gehen wir in die Küche und schmieren uns ein Brot. Die Handlung „Brot schmieren“ resultiert aus dem Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme.
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Gesunde Menschen müssen sich das Essen nicht zum Ziel setzen. Der Körper sorgt automatisch dafür, dass wir nicht verhungern, indem er uns mit dem knurrenden Magen unser Essbedürfnis mitteilt. Die Psychologie geht davon aus, dass Motive, im Unterschied zu Trieben, wenigstens zum Teil erlernt werden. Motive können bewusst oder unbewusst sein. Sie möchten ein neues Auto kaufen und haben sich für ein bestimmtes Modell entschieden. Sie denken, dass Sie genau dieses Auto wollen, weil es bestimmte technische Vorzüge hat. Das Auto hat einen stolzen Preis, aber es ist sein Geld wert, denken Sie. Genau! Ihr Denken begründet nachträglich Ihre unbewusste Entscheidung.
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Könnte es sein, dass Dr. Kindermann auch deshalb an die Praxisübernahme denkt, weil ein in seinen Augen kompetenter Kollege in der Klinik vor Monaten auch so gehandelt hat? Hier hätte ihn der unbewusste Wunsch vielleicht nach Statusgewinn und Selbstdarstellung für die Veränderung seiner beruflichen Zukunft motiviert. Das Spiel mit unseren unbewussten Motiven wird perfekt z. B. von der Werbeindustrie gespielt. Es ist den meisten Menschen nicht klar, warum wir etwas kaufen. Was beim Essen und Trinken ohne Anstrengung funktioniert, ist bei selbstgesetzten Zielen und Aufgaben schwieriger. Es kommt vor, dass wir uns selbst blockieren und anderen die Schuld für unsere Passivität zuschreiben, aber meistens wollen wir unsere Ziele auch erreichen. Jeder kennt die guten Vorsätze, die man sich zu Jahresbeginn macht: Mehr Sport treiben, sich gesünder ernähren, weniger arbeiten... . Wie schaffen wir es, diese Vorsätze in die Tat umzusetzen? Wie motivieren wir uns selbst? Wer Erklärungen dafür sucht, warum er seine Vorsätze nicht in die Tat umsetzt, wird meist schnell fündig. Sie möchten mehr Sport treiben? Ja, sicher, doch leider haben Sie nie genug Zeit. Sie möchten mehr Zeit mit der Familie verbringen und weniger arbeiten? Gute Idee, bloß der Zeitpunkt ist schlecht. Aber wenn die Beförderung durch ist, dann ... und außerdem ... wenn der Chef nicht so ein Choleriker wäre, hätten Sie längst gefragt ... Ist es ihre Schuld, dass Sie so einen schwierigen Chef haben? Oder: wenn ich erst einmal selbständig arbeiten kann... . Sie werden es schwer haben mit der Umsetzung Ihrer Ziele, wenn Sie nicht selbst dahinter stehen. Unter Motivation versteht man also die Bereitschaft, in einer konkreten Situation eine bestimmte Handlung mit einer bestimmten Intensität bzw. Dauerhaftigkeit auszuführen. Wie groß die Motivation in dieser ersten Phase der Orientierung ist, können wir bezogen auf die Beispielsfälle nicht sagen. Sicher ist jedoch, dass die Übernahme eines Unternehmens ein hohes Maß an Motivation benötigt, die auch über einen langen Zeitraum aufrecht erhalten werden muss. Der Informatiker recherchiert erst einmal, wie er die Rahmenbedingungen einer möglichen Übernahme der Landwirtschaft aussehen; Kindermann tätigt einen ersten Anruf und macht damit seinen Veränderungswillen sich selbst und anderen deutlich. Ob diese Initialzündung jedoch ausreicht, um eine Unternehmensübernahme tatsächlich zu stemmen, ob die Motive wirklich tragend sind, kann nur der Übernehmer selbst herausfinden. Man unterscheidet zwei Formen von Motivation, wobei diese schon von Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik33 beschrieben wurden:
33 Aristoteles: Nikomachische Ethik.
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger ■
intrinsische Motivation: Die Ausführung der Handlung ist aus sich heraus Belohnung genug (z. B. Neugier, Spaß, Interesse) und ■ extrinsische Motivation: An die Ausführung der Handlung sind äußerliche Belohnungen geknüpft (z. B. Lob, gute Note, Schein und andere Formen der Anerkennung) bzw. an die NichtAusführung der Handlung sind Bestrafungen geknüpft (z. B. Tadel, schlechte Note, keine Scheinvergabe oder Fortsetzung einer ungeliebten Situation, nämlich die fehlende Zeit für die Familie). Die intrinsische Motivation setzt sich demnach zusammen aus dem Sachinteresse (Neugier), dem Anreiz (positive Emotion) und der Erfolgserwartung. Intrinsisches Verhalten ist also jenes Verhalten, das Zweck an sich selbst ist bzw. sich selbst zum Zweck hat, also „autotelisch“34 ist. Diesem Verhalten liegt ein „Gefühl der Wirksamkeit“ zu Grunde. Autotelisches Verhalten findet sich besonders bei Kleinkindern: Ein Kind, das Freude daran hat, mit Bausteinen einen Turm zu bauen und diesen wieder einstürzen zu lassen, verbindet damit noch keinen weitergehenden Zweck. Es geht völlig im staunenden Erleben und in der Funktionslust auf. Beim Erwachsenen sind solche Verhaltensweisen seltener zu finden, oft in Form kurzweiliger Aktivitäten, wie dem Spiel oder dem ästhetischen Erleben. Nach Csikszentmihalyi35 bedeutet intrinsisch die freie Hingabe an eine Sache, ein völliges Absorbiertwerden des Erlebens von der voranschreitenden Handlung, dem „Flow-Erlebnis“. Das Flow-Erleben benötigt bestimmte Bedingungen: So muss die Schwierigkeit der Aufgabe die eigene Tüchtigkeit voll herausfordern. Zu leichte Aufgaben führen zu Langeweile, zu anspruchsvolle rufen Angst hervor. Jedenfalls entspricht diese Bedingung dem Anspruchsniveau Erfolgsorientierter; sie maximiert die internale Ursachenlokation für erzielte Handlungsergebnisse. Flow-Erleben bringt den Unterschied zwischen Arbeit und Spiel zum Verschwinden. Nach Heckhausen ist eine Motivation intrinsisch, wenn Mittel (Handlung) und Zweck (Handlungsziel) thematisch übereinstimmen, also gleichthematisch sind.36 Leistungshandeln ist demnach dann intrinsisch, wenn es nur um des zu erzielenden Leistungsergebnisses willen unternommen wird, also bloß um den Zweck der Erprobung an einer bestimmten Aufgabe, um damit die eigene Tüchtigkeit einer Selbstbewertung zu unterziehen. Die extrinsische Motivation besteht somit lediglich aus der positiven Verstärkung, in Form einer Belohnung) oder der negativen Verstärkung durch Zwang. Anreize sind situative Anregungen, d. h. ihre Wirksamkeit ergibt sich aus ihrer natürlichen oder sozialen Werthaftigkeit. Objektive Sachverhalte sind Umweltanreize, während subjektive Sachverhalte die von einer Person wahrgenommenen Anreize sind. Nur letztere sind handlungswirksam. Anreize und Motive sind wechselseitig voneinander abhängig, denn ein Motiv kann nur in dem Ausmaß verhaltenswirksam werden, wie es durch situative Anreize angeregt wird. Andererseits kann auch ein Anreiz nur in dem Ausmaß verhaltenswirksam werden, wenn er auf die entsprechenden Wertungsdispositionen im Individuum trifft. Emotionen spielen bei Motiven regelmäßig eine wichtige Rolle, denn Lebewesen wiederholen Handlungen, bei denen sie Lust empfunden haben und vermeiden solche, bei denen Unlust auftritt (siehe auch oben unter A. I. 3) . Es wurden im Zentralnervensystem Strukturen nachgewiesen, deren Aktivierung Lust oder Unlust bewirken. Motive haben also ein nervöses Korrelat. Kognitionen spielen insofern eine Rolle, als sie über wahrgenommene Realisierungschancen ebenfalls das Verhalten beeinflussen. Lebewesen lassen sich also nicht ausschließlich von Motiven leiten, sondern rechnen fördernde und hemmende Umstände mit ein. 34 Autotelie (aus griech. autos = selbst und telos = Ziel) wird im Sinne von „Selbstzweck(haftigkeit)“ oder „Unabhängigkeit“ gebraucht 35 Mihály Csíkszentmihályi: Flow. 36 Heinz Heckhausen: Motivation und Handeln. Lehrbuch der Motivationspsychologie
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Die Erwartungs x Wert-Theorie behauptet, dass Verhalten aus einer meist multiplikativ angenommenen Interaktion von Wert und Erwartung erklärbar ist. Diese Größen müssen nicht bewusst sein. Die Intensität eines Motivs in einem konkreten Einzelfall setzt sich über eine Grundmotivation hinaus aus zwei weiteren Faktoren zusammen: Den Erfolgsaussichten und dem subjektiven Wert eines Ziels. So mag beispielsweise, gegeben sei eine erhebliche Ehrgeiz-Grundmotivation, der subjektive Wert einer erfolgreichen Unternehmensführung sehr hoch sein; dennoch ist die Motivation danach zu streben, gering, wenn der Übernehmer seine Erfolgsaussichten als verschwindend klein einstuft. Umgekehrt kann jemand die Erfolgsaussichten, die Seiten 45 bis 50 des Münchner Telefonbuchs komplett auswendig zu lernen, durchaus als hoch einstufen und ist dennoch kaum motiviert, das zu versuchen, weil der subjektive Wert einer solchen Tat nahezu bei Null liegt. Schließlich könnten sowohl die Erfolgsaussichten als auch der subjektive Wert des Ziels, eine Firmenabteilung mit über hundert Mitarbeitern zu leiten, hoch sein und dennoch die Motivation gering, es anzustreben, weil die Grundmotivation zur Machtausübung klein ist. Vor diesem motivationstheoretischen Hintergrund haben wir folgende passende Handlungsempfehlungen gefunden: Zur Aufdeckung der Triebkräfte „Wenn Sie ihre Motive und sich selbst besser kennen lernen möchten, sollten Sie innehalten und in sich hinein spüren. Beachten Sie bitte, dass die Vorschläge nicht für Menschen mit psychischen Störungen, Depressionen und Angstneurosen geeignet sind. Diese sollten sich einer Psychotherapie unterziehen. Folgende Techniken erleichtern Ihnen den Zugang zu ihrer inneren Gefühlswelt:
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Lauschen Sie bei anstehenden Entscheidungen in sich hinein und achten sie auf ihre Gefühle. Benennen Sie das Gefühl. Sticht es im Magen? Vielleicht drückt Ihnen etwas die Luft ab? Unser Körper lügt nicht. Unser Verstand allerdings setzt oft alle Hebel in Bewegung, um schmerzliche Erkenntnisse abzuwehren
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Halten Sie tagsüber immer wieder inne, und machen Sie sich bewusst wie Sie sich im Moment fühlen. Das hört sich leichter an als es ist. Oft wissen wir gar nicht genau wie uns ist. Schreiben Sie sich auf wie Sie sich fühlen: Sind Sie angeregt, ängstlich, traurig, gelangweilt, unruhig, glücklich, verzweifelt? Durch die Beschäftigung mit den eigenen Gefühlen kommen Sie ihrem Unbewussten näher
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Auch Träume verraten viel über unbewusste Wünsche und Ängste. Es bedarf einiger Übung sich an seine Träume zu erinnern. Am besten Sie schreiben sich Ihre Träume am Morgen auf und versuchen später die versteckten Trauminhalte mit Ihrer gelebten Realität in Zusammenhang zu bringen
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Meditieren Sie, denn: „Meditation ist das Entleeren des Bewusstseins von seinem Inhalt“ (Krishnamurti). Lassen Sie alle Gedanken und Gefühle kommen, die an die Oberfläche wollen. Bewerten Sie dabei nicht, nehmen Sie einfach nur wahr
Manchmal sind wir uns nicht genau im Klaren über unsere tatsächlichen Motive. Es kann sein, dass sich hinter dem vordergründigen Beweggrund ein ganz anderer Handlungsgrund verbirgt. Es lohnt sich auf jeden Fall darüber nachzudenken, warum Sie ausgerechnet dieses Ziel erreichen wollen.“37
37 Gudrun-Aimee Spalke: Motivation. Bedeutung von unbewussten Motiven
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger Ziele und der Umgang damit „Legen Sie ihr Ziel fest: Prüfen Sie, was Sie angesichts ihrer Vorlieben und Möglichkeiten tun können Angenommen sie wollen mehr Sport treiben. Überlegen Sie welche Sportart zu Ihnen passt. Machen Sie eine Liste der Dinge, die sie benötigen um Ihren Plan auszuführen (Kleidung, Schuhe). Planen Sie genau an welchem Tag sie mit dem Training beginnen. Bereiten Sie alles vor. Wenn sie beschließen in ein Fitness Zentrum zu gehen, melden Sie sich für einen Kurs an.
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Verfolgen Sie Ihr Ziel: Machen Sie sich die Vor- und Nachteile des neuen Verhaltens bewusst Stellen Sie sich bildlich vor wie gut sie sich fühlen werden, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Überlegen Sie auch welche Nachteile es für sie hat, wenn sie das gewählte Ziel nicht angehen. Beim Beispiel des Sports könnte das so aussehen: „Wenn ich keinen Sport treibe, werden meine Muskeln schlaff, ich werde immer dicker und kränker, ich fühle mich nicht mehr in meinem Körper wohl.“ Zielerreichung Wenn es soweit ist, tun Sie was sie sich vorgenommen haben! Erwägen Sie keine Alternativen. Bleiben Sie bei Ihrem Entschluss! Sie haben beschlossen Schwimmen zu gehen, also tun sie es. Nicht nachdenken! Das wird sie sicher ins Grübeln bringen und das ist der Tod für ihre Motivation.
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Ziel erreicht! Machen Sie eine Gewohnheit draus Was wir gewohnt sind, machen wir automatisch. Doch es dauert mindestens vier Wochen ehe ein neues Verhalten zur Gewohnheit wird. Wenn sie das neue Verhalten sinnvoll in Ihren Alltag integrieren, fällt der Übergang zur Gewohnheit leichter. Ein Beispiel: Machen Sie ihre 10 Liegestütze pro Tag immer abends nach dem Zähneputzen vor dem Schlafen. Oder wenn sie sich gesünder ernähren wollen: Essen sie täglich nach dem Mittagessen einen Apfel.“ Oder: „Persönliche Ziele im Leben erreichen: Übernehmen Sie Verantwortung für sich selbst „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, sagte Erich Kästner. Solange Sie nur das Gute denken, wird sich nichts verändern. Sie allein sind verantwortlich für Ihr Verhalten. Was auch immer sie sich vornehmen, sie haben die Wahl es zu tun oder zu lassen. Es ist ihre Entscheidung und ihr Leben. Denken Sie dran: sie haben nur das eine!
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Bedeutung unbewusster Motive: Wir verdrängen, was uns schmerzen könnte Es gibt Motive, die für den Menschen so unannehmbar sind, dass das Bewusstsein sie nicht offen ausdrücken kann. Das strenge Über-Ich, das sich in der Kindheit bildet, bewertet jedes Verhalten und jeden Wunsch als „richtig“ oder „falsch“. Falsche Motive werden ins Unbewusste verdrängt. Durch die Verdrängung muss der Mensch sich nicht mit dem Motiv und dem damit verbundenen unangenehmen Gefühlen (meistens Angst) auseinandersetzten (sic!). Ins Unbewusste verdrängte Motive bedeuten also für den Menschen eine Art Schmerzlinderung. Deshalb ist es auch so schwer an verdrängte Motive heran zu kommen. Ziele nützen nichts wenn Sie nicht wirklich wollen Es stimmt, dass sie ihren Chef nicht ändern können. Es stimmt auch, dass sie Geld verdienen – sprich – arbeiten müssen, aber was hat das damit zu tun wie viel Zeit sie mit ihrer Familie verbringen? Wenn sie etwas verändern wollen, dann tun sie es einfach! Übernehmen Sie Verantwortung für ihr Leben und werden sie aktiv.“ 63
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) „Die Angst vor Veränderung Das ist leichter gesagt als getan. Die vielen Entschuldigungen, die unsere Motivation bremsen und die allesamt aus unserem Denken stammen haben einen großen Vorteil: Sie befreien von Selbstverantwortung und erzeugen Passivität. Alles bleibt beim Alten, die Andern oder die Situation ist schuld und wir fein raus, weil wir uns nicht bemühen müssen.
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Veränderung ist schwierig So hängen wir in unserer „Gewohnheitskiste“. Alles ist vertraut und überschaubar, zugegeben wenig aufregend, aber immerhin sicher. Sicher? Nichts ist sicher auf dieser Welt, außer, dass wir heute leben und irgendwann sterben. Die Sicherheit der „Gewohnheitskiste“ ist eine Fata Morgana mit der wir uns selbst beruhigen.
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Die Angst vor Veränderung überwinden Die Angst vor Veränderung bremst uns aus. Wir befürchten das Schlimmste, malen uns aus was passieren könnte und verändern dann lieber nichts. Wir haben Angst vor Ablehnung und wollen alles richtig machen. Dabei übersehen wir, dass wir nur aus eigenen Erfahrungen lernen. Wer Neues wagt, riskiert es, Fehler zu machen, aber es gibt auch die Chance auf jede Menge Spaß und persönliche Entwicklung. Der Preis für die Vermeidung der Angst ist hoch: Wir schneiden uns ab von unseren Bedürfnissen und leben an uns selbst vorbei.“38
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Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen
Die Nexxt-Broschüre39 schließt an die Testfragen (oben eingangs des Abschnittes B zitiert) an: „Diese Vorteile kommen allerdings nur dann zum Tragen, wenn Sie als Nachfolger auch die besonderen persönlichen, unternehmerischen und fachlichen Anforderungen an eine Unternehmensnachfolge erfüllen. Jeder Nachfolge-Kandidat sollte sich für die Unternehmerlaufbahn aus freien Stücken entscheiden und davon überzeugt sein, dass er der Richtige ist, um diese Aufgabe zu meistern. Nur so kann ein „Unternehmer in spe“ die Belastungen, die auf ihnzukommen werden, optimal verkraften.
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Wer hilft weiter? Empfehlenswert sind spezielle Seminare und Schulungen für Existenzgründer u. a. von den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern sowie von Unternehmens und Personalberatern. Ergänzend dazu bietet sich die Teilnahme bzw. der Besuch von Gründermessen/Veranstaltungen an, die oft ein interessantes Seminarprogramm anbieten. Kein Nachfolger sollte diesen Weg allein aus Traditionsbewusstsein wählen oder weil die Familie es von ihm erwartet.“
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Das Existenzgründungsportal des BMWI40 legt Existenzgründern, zu denen Übernehmer häufig zählen, ans Herz: Es gibt viele gute Gründe dafür, sich beruflich selbständig zu machen: eigenverantwortlich entscheiden zu können, eigene Ideen umzusetzen, Erfolg zu haben oder auch seine Arbeitszeit frei einzuteilen.
38 Gudrun-Aimee Spalke – wie vor 39 Unternehmensnachfolge – die optimale Planung. Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Kommunikation und Internet (LP4) 10115 Berlin www.bmwa.bund.de 40 http://www.existenzgruender.de/selbstaendigkeit/erste_schritte/index.php?teaser
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger Es gibt aber auch viele gute Gründe dafür, zunächst einmal genau zu überlegen, ob man tatsächlich für die berufliche Selbständigkeit geeignet ist. Ein Unternehmen zu führen ist schließlich keine Kleinigkeit, selbst wenn es nur ein Ein-Personenunternehmen ist. Orientieren Sie sich an den Eigenschaften erfolgreicher Unternehmer. Sie verfügen beispielsweise über Selbstdisziplin, Zielstrebigkeit, Kommunikationsfähigkeiten, Kreativität und Risikobewusstsein. Sie kennen ihren Markt und wissen, wie sie mit ihren Kunden umgehen müssen. Hinzu kommen fachliches und kaufmännisches Know-how – die Grundvoraussetzungen für jedes erfolgreiche unternehmerische Handeln. Die berufliche Selbständigkeit verändert nicht nur Ihren Alltag, sondern auch den Ihrer Familie. Sie sind auf sich selbst gestellt und müssen tagtäglich im wahrsten Sinne des Worts etwas unternehmen, um am Markt zu bleiben und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Viele Gründerinnen und Gründer erfüllen sich mit ihrer Selbständigkeit einen Traum und sind mit ihrer Entscheidung zufrieden. Andere betrachten ihre Existenzgründung als Notlösung. Versuchen Sie, so genau wie möglich festzustellen, warum Sie sich selbständig machen möchten und ob Sie tatsächlich das „Zeug“ zur Unternehmerin oder zum Unternehmer haben. Nehmen Sie sich ausreichend Zeit und sprechen Sie zum Beispiel mit Beratern der Kammern, mit befreundeten Selbständigen und mit Familienangehörigen.“
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Zur persönlichen Qualifikation heißt es: „Die berufliche Selbständigkeit ist nicht für jeden das Richtige. Sie müssen zwar nicht zur Gründerin oder zum Gründer geboren sein. Aber Sie sollten doch eine Reihe von notwendigen persönlichen Voraussetzungen mitbringen oder erwerben. Sind Sie in der Lage, selbständig zu arbeiten, unabhängig Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen? Können Sie Mitarbeiter führen und kontrollieren? Wollen Sie (zumindest in den ersten Jahren) 60 oder mehr Stunden pro Woche arbeiten? Wird Ihre Familie Sie bei Ihrem Vorhaben unterstützen? – Nicht jede Existenzgründerin und nicht jeder Existenzgründer kann all diese Anforderungen erfüllen.
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Allgemeine oder auch ausführlichere Tests geben Ihnen erste Antworten auf die Frage, ob Sie ein Unternehmertyp sind. Lassen Sie sich außerdem gründlich beraten, bevor Sie den Schritt in die Selbständigkeit wagen.
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Wichtige Eigenschaften einer Gründerperson
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Ehrgeiz
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Einsatzbereitschaft
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Risikobereitschaft
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Belastbarkeit
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Berufliche Qualifikationen
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Kreativität
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Berufliche Erfahrung
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Verantwortungsbewusstsein
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Führungserfahrung
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Familiäre Unterstützung
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§4
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) Und die Reflexionsempfehlungen lauten: Sind Sie körperlich und seelisch belastbar? Beherrschen Sie Ihr „Fach“? Können Sie mitreden, wenn es um Rentabilitätsrechnung, Umsatzsteuervoranmeldung oder Rechnungsstellung geht? Ob Sie persönlich, fachlich und unternehmerisch für eine berufliche Selbständigkeit geeignet sind, können Sie zunächst einmal selbst feststellen. Es gibt jede Menge Tests und Quizfragen, die Ihnen erste Hinweise geben wie es um Ihre „Unternehmerqualitäten“ steht.“
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Es ist interessant, ja vielleicht bezeichnend, dass wir keinerlei Betrachtungen zu diesem Aspekt im Zusammenhang mit dieser Eingangssituation des Übernehmers bzw. Nachfolgers gefunden haben. Wir erklären uns das damit, dass die volkswirtschaftliche Bedeutung in der Fortführung der existierenden Unternehmen gesehen wird und damit der Initiative des Unternehmers, seine Nachfolge zu regeln. Dass der Übernehmer selbst irgendwann zu handeln beginnt, wird als Faktum angenommen. Der gute Rat beschränkt sich auf Warnhinweise. Allerdings sollte auch ein anderer Warnhinweis hier zitiert werden: „Es gibt Menschen, die leben so vorsichtig, dass sie wie neu sterben...“, sagte der Schriftsteller Erich von Däniken41. Die hierin liegende Aufforderung, etwas zu riskieren, sich dabei vielleicht auch ein paar Narben zuzuziehen, sich aber trotzdem in das Leben zu stürzen, was einfach vom Unternehmer in spe erwartet wird, ist sicherlich auch richtig; denn ohne diesen Mut passiert nichts. Ohne einen „passenden“ Übernehmer ist der Erfolg einer Nachfolge in Frage gestellt. Die Gründe dafür dürften schon nach den Ausführungen den Übergeber betreffend deutlich geworden sein. Täuscht sich der Übernehmer in dem, was er mit der Nachfolge für sich in Angriff nimmt, welche Motive ihn wirklich antreiben, welche Bedürfnisse er damit befriedigen möchte, wird er nach kurzer Zeit unzufrieden werden und gute Gründe finden, die bereits vollzogene Nachfolge wieder ungeschehen machen zu wollen. Das führt dann regelmäßig zu Konflikten und zum nachträglichen Scheitern der Nachfolge. Für jeden Übernehmer geht es um Veränderung. In der organisationstheoretischen Literatur stoßen wir schnell auf das Stichwort „Change Management“. Das befasst sich mit Veränderungsprozessen in Organisationen. Um eine Organisation im eigentlichen Sinne geht es hier zwar nicht, weil die Veränderung „allein“ den Übernehmer betrifft. Sieht man jedoch diesen Menschen in seiner Vielfalt von Interessen und Bedürfnissen, können die Grundsätze durchaus Pate stehen. Es geht um die psychologische Dimension des Wandels. „Nach Schätzungen erreichen ca. zwei Drittel der geplanten Veränderungsprozesse ihre Ziele nicht oder scheitern gänzlich. Die Gründe sind: ■ vielfältiges Zusammenspiel verschiedener Ursachen, u. a. ein falsches Menschen- und Organisationsbild. ■ Organisationen sind keine Maschinen und Menschen keine Rädchen im Getriebe, die nach „Anordnung der Änderung“ „umschalten“ werden. Es gilt den Menschen aktiv für Veränderung zu gewinnen!.“42 Es ist kein Grund erkennbar, warum diese Zahl nicht auch auf Veränderungsprozesse, die ein Mensch für sich allein durchzumachen hat, zutreffen sollte. Der Übernehmer ist eben auch keine Maschine.
41 In „Die Augen der Sphinx“ 42 Rosenstiel, L. von & Comelli, G. (2004). Führung im Prozess des Wandels. Wirtschaftspsychologie aktuell, 11 (1), 30-34.
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger
5.
Bewertung dieser Wegweiser
Zunächst ist fest zu stellen, dass diese allererste Situation, in der sich ein potentieller Übernehmer mit seiner Verselbständigung befasst, offenbar nicht explizit als kritische Situation im Zusammenhang mit einer Nachfolgeregelung gesehen wird. Diese Einschätzung teilen wir nicht. Die anhand der am Markt kursierenden Empfehlungen sehr sorgfältig zusammengestellte Broschüre des BMWA-Bund43 betrachtet den Übernehmer immerhin als handelnden Menschen. So kommen die „Tipps“ zustande, die wir im vorigen Abschnitt zitieren konnten. Mit der Überschrift „Ich übernehme ein Unternehmen“ startet der Ratgeber und macht dadurch die Bedeutung des Übernehmers für einen erfolgreichen Deal deutlich. Dieser wird darauf aufmerksam gemacht, dass er sich seiner Lebensziele bewusst sein soll, dass das Umfeld, insbesondere die Familie einen Einfluss hat und einbezogen sein soll etc. Weiterhin wird viel Wert auf Selbstreflexion gelegt mit dem Focus: Bin ich ein Unternehmertyp? Doch geht der Leitfaden nicht darauf ein, wie der Übernehmer eine solche Reflexionen bewerkstelligen soll. Insbesondere werden die Zeitpunkte, was wann relevant wird, nicht differenziert betrachtet. In aller Regel befindet sich der spätere Übernehmer in einer ihn eher verunsichernden Lage. Denn irgendetwas treibt ihn aus seiner bisherigen Beschäftigung, er strebt eine Veränderung an. Und ein solcher Start ist immer ein Gang ins Ungewisse. Nun ist die damit einhergehende Angst nicht unbedingt im Bewusstsein da. Ein Beispiel dazu aus einem anderen Bereich, der nachvollziehbar sein wird:
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Sie planen, sich beispielsweise ein Einfamilienhaus zu kaufen, also eine Investition mit hohen finanziellen Verbindlichkeiten zu tätigen. Von Vorfreude getrieben sehen Sie sich um und finden das Objekt der Begierde. Alles ist klar und Sie sitzen beim Notar hören ihn den Urkundstext verlesen. Sie realisieren, dass Sie sich jetzt, in diesem Moment Ihrer Unterschriftsleistung verpflichten, € 500.000 zu zahlen. Spätestens jetzt tritt so ein Kribbeln auf und die zweifelnde Frage bohrt: Ist das wirklich richtig so? Was tue ich mir damit an?
Häufig ist der Startschuss weitaus verbindlicher als die Protagonisten es sich eingestehen wollen oder können. Dabei wäre es von Beginn an gut, sie wüssten darum, was die guten Gründe sind, die sie zum Handeln bewegen. Gerade Menschen, die gut nach dem Motto leben „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ leben von der Freude des Handelns, leben gedanklich bereits in der vergoldeten Zukunft und verkennen dabei, dass der Alltag trotzdem Alltag bleibt. Dem „Wegweiser“, der im vorherigen Abschnitt zitiert wurde, haben wir bewusst die Ausführungen zur Motivationstheorie vorangestellt. Die Ansätze sind alle richtig, aber eben nicht speziell auf den potentiellen Übernehmer eines Unternehmens zugeschnitten. Dennoch bieten sie eine Orientierung und unterstützen denjenigen, der sich mit dem Gedanken trägt, ein Unternehmen zu übernehmen.
43 Unternehmensnachfolge – die optimale Planung. Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Kommunikation und Internet (LP4) 10115 Berlin www.bmwa.bund.de
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§4
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Der (Aus-) Weg
Aristoteles stellt zu Beginn seiner Nikomachischen Ethik44 fest: „Jede Kunst und jede Lehre, ebenso jede Handlung und jeder Entschluss scheint irgendein Gut zu erstreben. Darum hat man mit Recht das Gute als dasjenige bezeichnet, wonach alles strebt.“
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Ein Streben benötigt immer einen Gegenstand, ein Ziel (telos) des Strebens. Das Ziel oder der Zweck kann ein Werk oder ein Produkt sein, z. B. eine wissenschaftliche Arbeit. Das gehört zur Kunst oder Kunstfertigkeit (techné). Bei einer techné wie der Wissenschaft ist folglich das telos das ergon (Werk, Ergebnis, Produkt). Die Tätigkeit kann aber auch selber das Ziel sein, wie das z. B. beim „Leben als Wissenschaftler“ der Fall ist, welches Aristoteles als Selbsttätigkeit, Selbstbewegung bestimmt. Das telos ist also die energea (Tätigkeit, Aktivität) selbst. Somit geht Aristoteles von zwei verschiedene Arten von Zielen aus: entweder liegt das Ziel in der Tätigkeit selbst (intrinsich), oder eben außerhalb dieser Aktivität (extrinsisch). Und dazu Freuds Erkenntnisse im 20. Jahrhundert: „Der Mensch ist nicht Herr seiner selbst“45, und schockierte damit seine Zeitgenossen. Für Freud war das Unbewusste eine Ansammlung verdrängter Wahrheiten und Konflikte, die immer wieder an die Oberfläche des Bewusstseins drängen.
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!Tipp: Wir plädieren dafür, dass sich der Übernehmer in dieser ersten, für ihn noch ganz frühen Situation, wirklich sicher ist und die Dimension dessen für sich persönlich erfasst, was er anzustreben beabsichtigt. Insoweit differenzieren wir: ■ Ist er offen für etwas Neues und möchte – neugierig – einfach nur wissen, welche Wege in Betracht kommen und wie deren Realisierungschancen aussehen? Für ihn gilt: Anfangen und diese Wege ausloten. Auch das ist Unternehmertum. ■ Verfolgt der Protagonist jedoch ein bereits ziemlich klares Ziel, sollte er sich darüber im Klaren sein, was ihn dazu motiviert. Er muss sich seiner Beweggründe bewusst sein. Denn er ist bereits entschieden, den Schritt in die Selbständigkeit zu tun. Damit einher geht in aller Regel die zumindest innere Kündigung der Ausgangssituation!
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Unsere Eingangsbeispiele weisen beide Typen auf: der Informatiker erscheint offen für die Gelegenheit, die sich ihm mit der Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebes seines Onkels bietet. Dr. Kindermann dagegen fädelt mit der Kontaktaufnahme eine sehr konkrete Übernahme ein. Damit läuft er Gefahr, sich zu verstricken, wenn ihm erst später deutlich wird, dass sein gewichtigstes Motiv die persönliche Freiheit ist und die Praxistätigkeit ihn – was die Arbeitszeit und die ersten Jahre angeht – mindestens so stark bindet wie der Klinikjob. Die Investitionen sehen deshalb auch unterschiedlich aus: ■ In der ersten der beiden genannten Alternativen reicht die Investition in dieses Buch und etwas Zeit. ■ Im zweiten Fall empfehlen wir als kostengünstigen Einstieg ein Coaching ohne Experteneinfluss. Der Protagonist sollte sich seines Tuns sicher sein, das beinhaltet, den Wechsel zu wagen. Es geht in dieser Situation noch in keiner Weise um eine sachverständige Bewertung der Gründe, weshalb der Übernehmer meint, in eine Nachfolge investieren zu sollen. Es geht allein darum, das Motiv bzw. den Motivfächer für den Protagonisten erkennbar zu machen. Denn dann kann er sein Handeln selbst als zweckdienlich einordnen – und das reicht. Der Umfang dieses Coaching 44 Aristoteles: Nikomachische Ethik. 45 Mit dem sog. 3 Instanzen-Modell in „Das Ich und das Es“
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger ist schwer einzuschätzen, weil die unterbewussten Antriebe sehr schwer zutage gefördert werden können. Im Mittel dürften jedoch 4 Sitzungen von je 2,5 Stunden ausreichen. Das bedeutet eine Investition von rund € 2.000. Nun befinden sich die Protagonisten nicht entweder in der einen oder der anderen Lage; die Situationen sind vielfältig, bewegen sich aber irgendwo in diesem Rahmen. Je näher sie an einer inneren Entschiedenheit in Bezug auf die Veränderung stehen, desto mehr brauchen sie eine überzeugende und mit den eigenen Interessen und Bedürfnissen abgestimmte Vision ihrer Zukunft, um „richtig“ handeln zu können. Viele Menschen in unserer Gesellschaft fühlen sich der Dynamik und Komplexität kaum gewachsen und suchen nach Komplexitätsreduktion. Hier bieten Emotionen die Chance auf Orientierung und sind ein wertvoller stabilisierender Faktor. Das Gehirn stabilisiert sich über Emotion. Die unbewussten limbischen Entscheidungsprozesse bestimmen das Handeln oft stärker als die rationalen. Stabile Zustände sind nun einmal selbsterhaltend während Veränderungen bedeuten, sich in instabile Zustände hinein zu begeben.
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!Tipp: Aus diesem Grund machen sich viele Übernehmer in diesem frühen Stadium ihrer Verselbständigung etwas vor, wenn sie sich damit beruhigen, dass sie ja noch keine Entscheidung träfen. In Wahrheit haben sie sich jedoch bereits auf eine Schiene gesetzt, aus der sie nurmehr schwer wieder herauskommen.
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Die Einstimmung auf eine anstehende Veränderung sehen wir auch als Vorbereitung auf ein erfolgreiches Marketing – im Sinne eines erfolgreichen Bewerbens um das Unternehmen seiner Wahl. Nur wer Klarheit über sich selbst hat, kann anderen authentisch und überzeugend begegnen. Die regelmäßige Reflexion der eigenen Person sowie der Werte und Visionen ist daher ein wichtiger Bestandteil des persönlichen Erfolgs.
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II.
Die ersten Schritte
Hier geht es – wie auch im parallelen Fall des Übergebers – um den ersten konkreten Schritt, der stattfindet, um auf den potentiellen Verkäufer oder Übergeber eines Unternehmens zuzugehen. Im Beispielfall oben unter B. I. 1 ist es der Anruf von Dr. Kindermann beim Freund seines Vaters in Göttingen. Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob der Übernehmer ■ auf Angebote von Übergebern reagiert ■ oder seinerseits ein Angebot veröffentlicht, ohne den potentiellen Partner bereits zu kennen. Welches Vorgehen im Einzelfall richtig ist, entscheidet natürlich der Protagonist. Dieser wird sich ganz sicher daran orientieren, auf welchem Markt er sich bewegt. Denn dort kommen sich Anbieter und Nachfrager entgegen. Die Marktform hat Konsequenzen für die Möglichkeit zur Marktbearbeitung. Für Marketing betreibende Unternehmen auf Anbieterseite sind die drei Marktformen Monopol, Oligopol und Polypol von besonderer Relevanz und sollen kurz erläutert werden: ■ Ein Monopolist kann auf dem Markt frei agieren. Er definiert sein Verhalten über den Preis, den er für sein Produkt oder seine Leistung verlangt, wenn er seinen Gewinn maximieren möchte. Die Nachfrager haben keine andere Wahl als diesen Preis beim Kauf des Produkts zu akzeptieren. Die einzige Option ist, nicht zu kaufen.
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§4
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
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In einem Oligopol stehen wenige Anbieter einer Vielzahl von Nachfragern gegenüber. In diesem Fall hat jeder einzelne Anbieter eine relative Marktmacht und kann durch seine Preis- oder Mengenentscheidung den Markt beeinflussen. ■ In einem Polypol hat der einzelne Anbieter einen geringen Marktanteil und hat vor allem bei der Wahl seines Preises kaum Gestaltungsspielräume. Senkt ein Anbieter seine Preise, werden die Wettbewerber hierauf nicht zwingend reagieren. Sowohl Anbieter als auch Nachfrager sind damit Preisnehmer, die allein durch die angebotene bzw. die nachgefragte Menge gestaltend in den Markt eingreifen können. Sie sind mithin Mengenanpasser. Zwei weitere Unterscheidungsdimensionen sind die folgenden: 1. Einheitlichkeit der Güter ■ einheitlich ■ uneinheitlich 2. Anzahl der Anbieter und Nachfrager ■ einer ■ wenige ■ viele Bei der Übernahme eines Unternehmens geht es nicht um ein sog. homogenes Gut, wie beispielsweise das Waschmittel Persil, sondern um höchst individuelle Güter. Aus diesem Grund sind die Märkte objektiv unübersichtlich. Reagiert der Übernehmer auf eine Offerte eines Übergebers, kann er sich vorstellen, es werde ein „einheitliches Gut“ angeboten. Dieser wird dann schnell enttäuscht. Als „einheitliches Gut“ kann er sich nämlich nur das Unternehmen vorstellen, wie er es sich wünscht, ggf. angepasst an die Eckdaten, die sich aus der Offerte ergeben. Im Unterschied zum Übernehmer weiß der Übergeber um die Besonderheiten seines Unternehmens und wird diese keinesfalls unerwähnt lassen; aus diesem Grund tendieren die Abgeber auch eher dazu, mit einer Offerte in den Markt zu gehen. Zeigt der Übernehmer dagegen selbst sein Interesse an der Übernahme eines Unternehmens an, hat er es in der Hand, seine Vorstellungen in den Rahmen einer Offerte zu bringen. Wie sich Übernehmer verhalten, ob aktiv oder reaktiv, hängt allerdings nach unserer Beobachtung schon davon ab, welchen Anschein die Märkte erwecken: Angebotsüberhänge gibt es z. B. derzeit Arztpraxen. Und das aus zwei Gründen: Die Restriktionen der kassenärztlichen Vereinigungen spielen eine Rolle sowie die abnehmende Zahl an Absolventen medizinischer Ausbildung. Kleiner als die Nachfrage durch Übernehmer ist auch der Markt bei Handwerksbetrieben. Branchen mit Nachfrageüberschuss haben wir so nicht ausmachen können. Aus der Vielzahl von Gesuchen (also Angeboten von potentiellen Übernehmern) können wir allerdings in den rechtsberatenden Berufen darauf schließen, das insbesondere bei Partnerschaften die Nachfrage größer ist als das Angebot. Dieses trifft insbesondere auf den Anwaltsmarkt zu, bei dem sich ungebremst junge Juristen als Rechtsanwälte selbständig zu machen bemüht sind.
Im Anhang haben wir als Orientierung für Übergeber und Übernehmer – branchenbezogen – versucht, anhand statistischer Daten aufzuzeigen, wie die Märkte aussehen.
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger
1.
Beispiel
Ein – anonymisiertes – Angebot aus der nexxt-change Unternehmensbörse46, eingestellt am 05.01.2009, recherchiert am 25.05.2009: „Suche Einzel- oder Großhandel – Vertrieb von Markenartikeln Nach erfolgreichen Berufsjahren in leitenden Positionen habe ich beschlossen, meine Zukunft in der Selbständigkeit zu suchen und mich entschieden, diese im Wege der Übernahme (auch sukzessive) eines bereits bestehenden Unternehmens zu realisieren. Ich bin ein sehr guter Generalist und besonders guter Verkäufer und kann andere dazu bringen, letzteres auch zu sein. Ich spreche fließend englisch und französisch Nachstehend möchte ich mich Ihnen kurz vorstellen: BMW Erfahrung, wo ich sowohl im Vertrieb für den Hersteller als auch im Handel in führenden Aufgaben sehr erfolgreich tätig war. Aber auch die 10 Jahre im Mittelstand an der Seite meines Vaters bei der Sanierung der XXXXX Schuhfabriken in XXXXXX (Herstellung und Vertrieb hochwertiger Sicherheitsschuhe) haben meinen beruflichen Werdegang sehr geprägt. Ich denke insofern an ein im Markt eingeführtes mittelständisches Unternehmen, das als „Markenartikler“ eine „familienexterne“ Nachfolgeregelung sucht, ggf. auch nach einer Übergangsphase einer tätigen Beteiligung unter meiner aktiven Mitwirkung. Für mich stellt dieser Schritt zugleich eine Existenzgründung dar, für die ich bereit bin, die mir zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel einzubringen. Umsatzklasse über 2,5 Mio. Euro Personalklasse 11 – 20 Beschäftigte Preisvorstellung über 50 – 250 Tsd. Euro“
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Die guten Gründe
Über den Inseressenten wissen wir wenig. Er gibt Beweggründe bekannt, warum er sich selbständig machen möchte. Und er sagt einiges über seine Erfolge. Er zeigt sich recht flexibel, was die Modalitäten einer Übernahme angeht. Wir können insgesamt nur mutmaßen, dass er mit dieser Anzeige zunächst einmal Übergeber „anlocken“ will. Und wir wissen, dass er in den letzten 5 Monaten damit nicht den Erfolg hatte, um das Angebot aus der Börse wieder zu löschen. Wir kennen den Markt der einen Nachfolger suchenden Einzel- oder Großhandelsunternehmer nicht. Wir können aber unterstellen, dass der Inserent bei nexxt keine Unternehmen angeboten gesehen hat, die ihn so interessierten, dass er keine Anzeige mehr schalten musste. Warum sucht er ein Unternehmen, das mit Markenartikeln handelt? Von sich persönlich zeichnet er das Bild eines kompetenten, erfahrenen und erfolgreichen Mannes, der sein Alter nicht preis gibt und damit verhindert, sich diesen Menschen etwas besser vorstellen zu können. Das scheint er aber nicht zu wollen – egal ob bewusst oder unbewusst. Dafür hat er einen guten Grund. Ob ihm dieser bewusst ist?
46 https://www.nexxt-change.org/boerse/suche/profisuche/1,1,0.html
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§4
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Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen
Empfehlungen beziehen sich konkret auf die Orientierungsphase vor diesem ersten Schritt aber nach dem allersten „in Betracht-ziehen“, sich verselbständigen zu wollen. Der „Existenzgründer“ des BMWI führt aus: Es gibt viele Möglichkeiten der Begründung einer selbständigen Existenz47: ■ Neugründung ■ Unternehmensübernahme ■ Franchising ■ Teamgründung ■ E-Business ■ Management-Buy-Out (MBO) oder Management-Buy-In (MBI) ■ Ausgründung ■ Spin-off-Gründung ■ Beteiligung ■ Kooperation ■ Kleingründung ■ Nebenerwerbsgründung Welche Sie wählen, hängt hauptsächlich von drei Faktoren ab: ■ Wie viel Gestaltungsspielraum wollen Sie haben? ■ Wie kann das Risiko reduziert werden? ■ Gibt es eine günstige Gelegenheit zum Kauf oder zur Pacht eines Unternehmens? Mit allen diesen Möglichkeiten der Existenzgründung sind zahlreiche Fragen verbunden, die im Vorfeld zu klären sind. Nur die wenigsten Gründer können diesbezüglich auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, so dass in dieser wichtigen Phase unbedingt fachlich qualifizierte externe Berater hinzugezogen werden sollten.
Unternehmensnachfolge ■
■ ■
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Bei einer Unternehmensnachfolge übernehmen Sie ein bestehendes und funktionierendes Unternehmen und führen es weiter. Hintergrund ist meist, dass der Alt-Inhaber sich zur Ruhe setzen will und sein Unternehmen aufgibt. Keine Anlaufphase Bei einem bestehenden und erfolgreichen Unternehmen sind Geschäftsidee, Kunden und Lieferanten vorhanden, das Unternehmen ist am Markt etabliert, die Mitarbeiter sind eingearbeitet. Sie machen vom ersten Tag der Übernahme an Umsatz.
Auf fahrenden Zug ■
Wenn Sie ein Unternehmen übernehmen, springen Sie sozusagen „auf einen fahrenden Zug auf “. Von Anfang an müssen Sie Ihr Können auf allen Schauplätzen des laufenden Betriebes unter Beweis stellen: Sie haben Angebote, die Sie weiter entwickeln, Kunden, die Sie zufrieden stellen
47 Quelle: http://www.existenzgruender.de/selbstaendigkeit/erste_schritte/gruendungswege/index.php
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger müssen, Mitarbeiter, die geführt und deren Arbeitsplätze erhalten werden wollen usw. Darum müssen Sie über sehr gute fachliche und unternehmerische Fähigkeiten verfügen. Lassen Sie sich daher ausreichend beraten und viel Zeit, das Unternehmen kennen zu lernen.
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Beratung und Hilfe ■
Beratung benötigen Sie nicht nur dafür, den laufenden Betrieb zu meistern. Es geht oft auch um die Veränderung des Unternehmenskonzepts. So gut wie immer muss es neu bestimmt werden. Bedenken Sie: Mittelständische Unternehmen sind in der Regel durch ihre Besitzer geprägt. Wechselt dieser, ändert sich (fast) alles im und um den Betrieb. Weitere schwierige Fragen: Wie hoch ist der Wert des Unternehmens? Wie kann der Kaufpreis finanziert werden? Welche rechtlichen und steuerlichen Aspekte sind zu beachten? Wie sollte die Übergabephase gestaltet werden? Usw.
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Und die nexxt-Unternehmensbörse bietet an: Unternehmen gesucht: Die „nexxt“ Unternehmensbörse48 Ob Handwerksbetrieb, Arztpraxis, oder Einzelhandelsgeschäft, es gibt eine Vielzahl von Unternehmen, deren Eigentümer in die Jahre gekommen sind und sich zur Ruhe setzen möchten. Diese Unternehmen mit ihren Arbeitsplätzen zu erhalten, ist das Ziel der „nexxt“ Initiative Unternehmensnachfolge, die die Bundesregierung gemeinsam mit der KfW Bankengruppe und anderen Partnern ins Leben gerufen hat. Dabei bietet sie ganz praktische Hilfe, um Unternehmer und Nachfolger zusammenzubringen Sprecher: Einen voll eingerichteten Betrieb mit Mitarbeitern und Kunden zu übernehmen, kann für viele, die sich selbständig machen möchte, ein verlockender Gedanke sein. Nur: Wie findet man ein geeignetes Unternehmen? Die nexxt Initiative Unternehmensnachfolge bietet dafür eine Börse im Internet an. Dazu Burkhard Touché von der KfW-Bankengruppe, Partner von „nexxt“. Touché: Die Unternehmensbörse, die seit Ende 2003 im Netz ist, bietet Unternehmern, die einen Nachfolger suchen, eine gute Möglichkeit einen geeigneten qualifizierten Nachfolger zu finden. Auch Existenzgründer finden durch dieses kostenlose Internettool leicht ein geeignetes Unternehmen, dass sie übernehmen können. Sprecher: Dabei funktioniert das Ganze denkbar einfach. Existenzgründer, die ein Unternehmen suchen oder aber Unternehmer, die einen Nachfolger suchen, rufen die Unternehmensbörse unter www.nexxt.org auf. Dort wählen sie einen der dort gelisteten Regionalpartner aus. Das sind zum Beispiel Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken oder Wirtschaftsfördergesellschaften. An den schicken sie ihr Inserat, in dem sie ihr Angebot bzw. Gesuch beschreiben. Touché: In der Regel gibt der Unternehmer in der Maske alle relevanten Daten wie Adresse, Gründungsjahr, Branche, Produkt, Umsatz oder Mitarbeiterzahl an. Der Nachfolger sollte ebenfalls Angaben zum gesuchten Unternehmen machen. Wichtig für beide sind natürlich Angaben zum Zeitpunkt der Übernahme oder Preisvorstellungen. Sprecher: Dass die Angaben anonym sind, darauf achten die Regionalpartner, die die Inserate dann im Netz veröffentlichen. Und schon nach wenigen Wochen kann es sein, dass Unternehmer und Nachfolger mit Unterstützung des Regionalpartners gemeinsam an einem Tisch sitzen, um sich näher kennen zu lernen.
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Die IHK’en bieten „Gründungsnetzwerke“ an, in denen eine Reflexion sowohl unter potentiellen Nachfolgern als auch mit (ehemaligen) Unternehmern ermöglicht werden. Diese Netzwerke sollen die „Realisierung von Gründungsvorhaben“ unterstützen.
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48 http://www.existenzgruender.de/imperia/md/content/pdf/nexxt_textversion_.pdf
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Ansonsten fanden wir viele warnende Hinweise wie z. B.: „Viele Gründer gehen von einer „Gründung im gemachten Nest“ aus: 38% unterschätzen die Anforderungen an eine Unternehmensübernahme. 22% bringen nur teilweise ausreichende Qualifikationen für die anstehende Führungsaufgabe mit. Doch gerade bei langjährig bestehenden Kunden-, Zuliefer- und Mitarbeiterstrukturen braucht die neue Frau oder der neue Mann auf dem Chefsessel viel Fingerspitzengefühl, aber auch Durchsetzungsvermögen.“49
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Ein anderer Aspekt ist die schriftliche „Bewerbung“ des Übernehmers auf ein Angebot des Übergebers. Dieser Aspekt wird in diesem Zusammenhang wenig mit Ratschlägen versehen, steht nicht im Focus. Das mag damit zusammenhängen, dass es zum „richtigen Bewerben“ genug Material gibt, wenn auch orientiert auf Arbeitnehmer, die eine neue Stelle suchen. Seminare bieten folgende Inhalte an: ■ Wo liegen Ihre Talente ■ Erarbeiten Sie Ihre Chancenmatrix ■ Das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage ■ Die bessere Bewerbungsstrategie nutzen ■ Wie liest man eine Stellenanzeige richtig ■ Wie könnte die eigene Stellenanzeige aussehen ■ Andere für sich begeistern – Das etwas andere Bewerbungsanschreiben ■ Das Praktische Profil ■ Die Zielgruppen-Kurzbewerbung50 Besonderer Wert wird dabei auf den Lebenslauf gelegt – neben der äußeren Form. In den Tipps geht es immer darum, sich möglichst gut im Sinne der Erwartungen des darzustellen. Themen wie „Lücken in der perfekten Karriere schließen“ oder „sich geschickt verkaufen“ und „perfekte Bewerbungsunterlagen“ stehen an hervorgehobener Stelle.
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Bewertung dieser Wegweiser
Einleitend auch hier wieder zu Beginn eine Reflexion der Situation, in der wir den Übernehmer begleiten. Dieser hat sich entschieden, die Möglichkeit einer Existenzgründung im Wege der Unternehmensnachfolge anzugehen. Sein erstes nach außen gerichtetes Handeln ist das Sichten von Angeboten, die Übergeber auf der Suche nach einem Nachfolger veröffentlicht haben und die Anzeige, das an diesem Angebot Interesse besteht. Oder der Übernehmer hat sich selbst , wie oben in unserem Beispiel, mit einer Anzeige geoutet, dass er ein Unternehmen zur Übernahme sucht. Die Ratgeber sind hilfreich zur Orientierung, welche Möglichkeiten bestehen, um eine selbständige Existenz zu gründen. Sie stellen eine gute Checkliste dar und geben – insbesondere unter Einbezug der beschriebenen Vor- und Nachteile – dem Übernehmer die Möglichkeit, sich Fragen zu stellen und diese zu beantworten. Der Blick geht dabei weit voraus. Auf die Zitierung weiterer sachdienlicher Hinweise wie z. B. zur Finanzierung und anderen Expertenrat haben wir verzichtet. All das ist richtig und wichtig. Nach unserer Einschätzung fehlt aber auch hier wieder der Hinweis, dass es um Handlungssicherheit des Protagonisten geht. Und diese kann er nur in sich bzw. aus sich heraus finden. Checklisten verführen dazu, sie zur Verstärkung des eigenen Wunschdenkens zu benutzen. Hierzu zwei Beispiele: 49 Aus http://www.gruendermagazin.com/existenzgruendung-index-38--737--dihk_report_zur_unternehmensnachfolgemittelstand_sucht_loesungen_.htm 50 http://www.carsten-geis.de/cg/angebot/seminarangebot/strategie.html
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger Anton Heftig liest, dass die anstehende Führungsaufgabe eine besondere Herausforderung darstelle. Er reflektiert für sich und kommt zum Ergebnis, dass er bestens gerüstet sei. Er habe als angestellter Meister im Handwerksbetrieb seines Lehrherren 5 Mitarbeiter geführt. Und da hat immer bestens Einvernehmen geherrscht. Das Team hat sich gut verstanden; man hat sich ja auch privat häufig gesehen. Das sei doch alles ganz easy. Dass die Führung von Mitarbeitern in der Rolle und der Verantwortung des Chefs eines ganzen Unternehmens eine andere Dimension darstellt als sie der angestellte Meister, der ein kleines Team führt, bisher erlebt hat, mag er darüber verkennen. Oder: Der Inserent im Beispiel (oben unter B. II. 1) bietet sich auch an, übergangsweise gemeinsam mit dem Abgeber zusammen arbeiten zu wollen. Er mag sich sagen: Ich habe 10 Jahre wunderbar mit meinem Vater verantwortlich und erfolgreich gearbeitet: Das kann ich. Die Situation ist jedoch in der Regel eine gänzlich andere, wenn der Übergeber einen anderen an sein Lebenswerk heranlassen soll. Ist er sich dessen bewusst?
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Auch für diese Situation können wir wieder konstatieren, dass die Ratgeber Recht haben, diese Expertenhinweise jedoch dazu verführen, sich daran zu orientieren und die inneren Beweggründe sowie die Antriebe und damit entscheidend mitwirkende Motive unbeachtet zu lassen.
5.
Der (Aus-) Weg
! Tipp: Unsere Ausführungen in A. II. 5 sind im Grundsatz auch in diesem Stadium des Übernehmerhandelns zu beachten. Wer sich vor Beginn jeglicher nach außen gerichteter Aktivitäten mit sich beschäftigt hat und weiß, was seine Motive sind, sich durch eine Übernahme selbständig zu machen, dem ist gut geraten, sich diese Einsichten immer wieder vor Augen zu führen. Reaktives Handeln wird durch Attraktoren ausgelöst, die der Protagonist in der Ausschreibung des Übergebers findet. Diese sind dem Leser nicht unbedingt bewusst. Sie erzeugen jedoch (in der Regel auch unterbewusst) eine Vision beim Übergeber, die in sein ganz persönliches Wunschmuster passt. So kann z. B. „erstes Haus am Platze“ in einer Kleinstadt die Vorstellung begründen, der Übernehmer könne einen renommierten Platz in der lokalen Öffentlichkeit einnehmen (z. B. in der Politik). Ist sich der Übernehmer solcher persönlichen Antriebe nicht bewusst, kann die Verfolgung dieser Idee dazu führen, zu einer fixen Idee zu werden: Mit der Übernahme des Unternehmens läuft er in sein Verderben, weil es im Grunde nicht dem entspricht, was er leisten kann und wofür er steht. Der reaktiv agierenden Übernehmer befindet sich in der komfortablen Lage, dass er sich an einem Angebot orientiert. Da lohnt sich die Frage: warum ausgerechnet dieses Unternehmen? Dann sollten die – irrationalen – Gründe zutage treten. Welchen Film hat der Protagonist für sich gesehen? Was hat ihm daran gefallen? Welche Fragen möchte er im weiteren Verlauf für sich klären? Was möchte er auf keinen Fall? Hält er das fest, was er sich in diesem Moment vorstellt, verfügt er über eine gute Leitlinie, an der er die sich anschließenden Phasen bis zur Übernahme messen kann. Ein Beispiel soll diese Überlegungen transparent machen: Erich Mendelsohn stammt aus einer Unternehmerfamilie. Seine Eltern betrieben einen Möbelhandel, der in der Kleinstadt Lingen nebst Umland eine herausragende Bedeutung hat. Als zweitältester Sohn kam er für die Nachfolge nicht in Betracht; sein älterer Bruder führt das Geschäft und ist erfolgreich. Der Vater war eine angesehene Persönlichkeit und in jeder Hinsicht ein gefragter Mann. Erich musste Jura studieren – so wollte es der Vater. Tatsächlich wäre er jedoch viel lieber Kaufmann geworden. Das zweite Examen bestand er mit Mühe und 75
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§4
Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) versuchte sich in einer Kanzlei in Münster. Glücklich war er in dem Job nicht. So sah er sich nach einer Alternative um und studierte Annoncen, mit denen Handelsgeschäfte zum Kauf angeboten wurden (die finanziellen Mittel waren vorhanden, weil er gut geerbt hatte). Ihm stach das Angebot eines Textileinzelhändlers aus Rheine ins Auge, der ein alteingesessenes Geschäft abzugeben hatte. Da Rheine nur rund 35 km von Lingen entfernt liegt, hatte er gleich eine Vermutung, um welches Geschäft es sich handelt; bei seiner Interessensbekundung sah er von seinen inneren Augen schon das Bild, in diesem Geschäft mitten in der Stadt zu „residieren“. Tatsächlich kaufte er das Unternehmen. Er kaufte zu teuer und musste nach 6 Jahren Insolvenz anmelden. Der Grund war die Unkenntnis seiner wahren Motive. Diese Unkenntnis hielt ihn in seiner Fantasiewelt gefangen; er verfolgte das Ziel, exakt dieses Geschäft übernehmen zu wollen, ohne die Bedingungen kritisch zu sehen. Bedenken aus seinem Umfeld wischte er weg, wie im Nachhinein seine Geschwister beschrieben. Er fühlte sich stark und vermittelte nach Außen hin auch diesen Eindruck. Diese Energie verließ ihn jedoch bald, als er merkte, dass seine Vorstellungen von der Zukunft nicht eintrafen. Er war sich sicher, er könne das schaffen, was sein Vater geleistet hat und wäre deutlich erfolgreicher als der ältere Bruder – schließlich waren die beiden nur Handwerker.
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! Tipp: Einmal mehr: Die zugrundeliegenden Motive müssen sehr sorgfältig geklärt werden, sonst droht Ungemach, nicht nur für die Person, sondern auch für das Umfeld: Familie, Freunde, besonders auch das Unternehmen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wird der Übernehmer aktiv, indem er seinerseits ein Übernahmeangebot formuliert (wie in unserem Eingangsbeispiel), fühlt er sich in der Regel nicht unsicher. Er ist sich sicher, zu wissen, was er tut. Ob er sich allerdings über seine Motive im Klaren ist, steht damit nicht fest. Anders als beim Übergeber (s.o. unter I.B.5) gibt es äußerlich keine Handlungsnotwendigkeit, keinen, der Druck ausübt. Die Entscheidung, sich selbständig zu machen, ist nicht objektiv notwendig – anders beim Übergeber, der irgendwann sein Unternehmen ab- oder aufgeben muss.
III. 173
Erste Interessenten kündigen sich an
Diese Situation entspricht dem, was wir schon beim Übergeber ausführten: Es geht um den Zeitraum ab Formulierung der Offerte bis zum Erstkontakt zwischen Übernehmer und Übergeber. Diese nicht lange Zeit, etwa einen Monat, steht zur Verfügung, damit sich der Übernehmer auf den allersten persönlichen Kontakt mit dem Übergeber vorbereiten kann. Es gibt unterschiedliche Konstellationen: ■ Der Übernehmer agiert ohne externen Dienstleister (z. B. M&A – Unternehmen, Steuerberater oder anderer Unternehmensberater, die sich auf Unternehmenstransaktionen spezialisiert haben). ■ Der Übernehmer schaltet einen solchen externen Dienstleister ein, der dann als solcher auch Kontaktstelle für die Interessenten ist. ■ Die Annonce ist anonym verfasst und Zuschriften gehen unter Chiffre ein. ■ Die Annonce ist nicht anonym. Ist der Autor identifizierbar, muss gerade der Übergeber damit rechnen, dass sich Interessenten melden, um Informationsdefizite zu reduzieren.
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger ! Tipp: Ein Aspekt, den wir hier kurz anmerken, betrifft die Präsenz des Übernehmers im Internet. Er sollte sich kundig gemacht haben, welche Fakten und Daten der potentiell künftige Partner über das Web bekommen kann. Soweit es im Einflussbereich des Übernehmers liegt, beispielsweise die eigene Webseite, ist es sinnvoll, die darin liegende Außendarstellung in seinem Sinne zu gestalten. Es ist nicht günstig, wenn sich gravierende Differenzen zur Selbstdarstellung recherchieren lassen. Bei anonymer Offerte oder einem koordinierenden Dienstleister kann der Übernehmer davon ausgehen, dass er nicht mit überraschenden Anrufern oder gar Besuchen konfrontiert wird. Zeigt er sich als Handelnder, muss er mit solchen kaum planbaren Erstkontakten rechnen. Im Zentrum dieses Abschnitts steht der (geplante) Erstkontakt. In der Regel kommt es zu einem persönlichen Gespräch des Übergebers mit den in die engere Wahl gekommenen Interessenten für eine Übernahme. Dieser Erstkontakt soll darüber entscheiden, mit wem Verhandlungen aufgenommen werden. Wir unterstellen damit, dass das Procedere entzerrt wird, in diesem Erstgespräch also allenfalls ganz allgemeine Bedingungen angesprochen werden.
1.
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Beispiel
Wir schließen an das Beispiel unter A. III. 1 an: Felix Hektisch hat Günter Steif auf dessen Bewerbung hin zum Gespräch gebeten. Es geht um die Nachfolge der Hektisch & Co GmbH mit über 40 Mitarbeitern – genau das, was Steif gesucht hat. Über das Internet hat er recherchiert, was er dort an Informationen zum Unternehmen finden konnte. Das hat ihm sehr zugesagt. Auch die überleitende Mitarbeit begrüßt er, hält er doch eine behutsame Übergabe im Interesse der Mitarbeiter aber auch seiner Einarbeitung sowie der wirtschaftlichen Stabilität für sinnvoll. Gut gestimmt und voller Hoffnung fährt er nach Düsseldorf. Weil selbst in Köln lebend, sagt ihm auch die örtliche Ansiedlung des Unternehmens zu. Mit der Sekretärin hatte er mehrfach telefonisch Kontakt. Die machte einen ausgesprochen netten Eindruck. Von ihr wusste er, dass er der erste von mehreren Bewerbern sein würde, die zum Gespräch gebeten sind. So fühlte sich Steif sicher. In seiner „Bewerbung“ hatte er sich umfassend mit seinen Qualitäten vorgestellt und hielt sich auch angesichts dessen, was er von der Hektisch & Co GmbH wusste, für unbedingt qualifiziert. Pünktlich kurz vor 9.00 Uhr erscheint er im Unternehmen. Die Sekretärin ist informiert und bittet ihn, noch etwas zu warten; Herr Hektisch sei noch nicht da, müsse aber gleich kommen. Kurz nach ihm erscheint Herr Pfiffig und stellt sich als Steuerberater des Unternehmens vor. Der verschwindet aber dann gleich im Zimmer hinter dem Sekretariat, während Steif im Sekretariat bei einer Tasse Kaffee wartet. Um 9.30 Uhr rauscht der Chef ins Zimmer. Ohne ihn zu begrüßen wirft er seinen Aktenkoffer laut hörbar auf den Schreibtisch. Dann schließt er erst einmal die Tür zu seinem Büro, in dem Jens Pfiffig auf ihn wartete. Nach weiteren 15 Minuten wurde Steif endlich ins Chefzimmer gebeten. Dieser hatte etwas gänzlich anderes erwartet und war deutlich verunsichert. Dann wurde er auch noch vor den Schreibtisch des Chefs gebeten, hinter dem Hecktisch und Pfiffig hockten. Steif merkte, dass Hektisch wenig vorbereitet war. Einzelheiten aus seiner Bewerbung kannte nur der Steuerberater. Der war freundlich – das bekam Steif schon mit –, aber konzentrieren musste er sich auf Hektisch. Das fiel ihm schwer, insbesondere deshalb, weil der so ganz und gar nicht empathisch war. Steif versteifte sich immer mehr, antwortete einsilbig und vergaß all das, was er hatte sagen wol77
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
len. So endete das Gespräch schon nach kurzer Zeit. Steif hatte in keiner Weise das Gefühl, sich richtig eingebracht zu haben. So verwunderte es ihn auch nicht, schon am übernächsten Tag eine Absage zu bekommen.
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Arglos ist Steif in dieses Gespräch gegangen. Er hat angenommen, Hektisch suche einen „Partner“ und werde ihm partnerschaftlich, das heißt offen und neugierig, begegnen. Dass Hektisch Geld und Zeit nutzlos vergeudet hat, ist oben ausgeführt. Doch was ist mit Steif? Es ist nicht untypisch, dass sich Interessenten einer Unternehmensnachfolge vorkommen wie Bewerber auf eine ausgeschriebene Stelle als Arbeitnehmer. Steif wollte diese Nachfolgechance für sich realisieren, weil er davon träumte, es sei das für ihn ideale Geschäft. Dabei war ihm vielleicht nicht bewusst, dass sich auch Hektisch eigentlich in einer ähnlichen Bewerbersituation befand; denn der sucht schließlich in gleicher Weise den idealen Partner. In diesem Erstkontakt werden entscheidende Weichen gestellt. Es ist eine Art von „Eignungstest“. Weil in der Regel die beschreibbare Eignung durch die Bewerbung bestätigt ist, geht es – auch wenn das nicht unbedingt so erklärt wird – um das „Bauchgefühl“: Passen wir zusammen? Und vor diesem Hintergrund möchte Steif sicherlich gefallen, möchte einen guten Eindruck hinterlassen, um dadurch die Chancen zu wahren, in Verhandlungen eintreten zu können. Als sich Hektisch so ganz anders verhält als es sich Steif vorgestellt hatte, zieht er sich zurück, versucht, sich auf diese Situation einzustellen – was ihm dann nicht gelingt. Vermutlich hatte er das Scheitern gleich vor Augen. Das ist eine Angstreaktion und ist völlig normal. Steif erlebt eine Veränderung zu dem, was er sich vorgestellt hatte, wie das Gespräch verlaufen würde. Jede noch so geringe Veränderung wird von allen Menschen – und keineswegs bloß von ängstlichen – erst einmal auf ihre Bedrohlichkeit hin überprüft. Diesen Sicherungsmechanismus hat uns die Evolution eingebaut; ihn muss man kennen und mit ihm muss man umgehen können. Die sofortige Überprüfung der Bedrohlichkeit jeder stattfindenden Veränderung hat eine überlebenswichtige Funktion und deshalb für Mensch und Tier absolute Priorität. Erst wenn wir sicher sind, dass eine Veränderung nicht bedrohlich ist – und nur dann! –, wenden wir unsere Aufmerksamkeit anderen Aspekten zu – z. B. ihren Vorteilen und Chancen, ihrer Nutzbarkeit für unsere eigenen Interessen, ihrer Genießbarkeit, ihrem Unterhaltungswert oder was immer. Diese Reihenfolge scheint sich in der Evolution bewährt zu haben: Lebewesen, die zuerst die Vorteile und Chancen überprüft haben und dann die Bedrohlichkeit, sind offenbar im Laufe der Entwicklungsgeschichte zu häufig auf der Strecke geblieben.
3. 182
Die guten Gründe
Von Beratern genannte Handlungsempfehlungen
Soweit wir herausfinden konnten, wird diese Situation des Übernehmers im Erstkontakt mit dem Abgeber nicht problematisiert. Das mag damit zusammen hängen, dass der die Nachfolge einleitende Unternehmer im Focus steht und der potentielle Nachfolger in diesem Sinne nicht als „Erfolgsfaktor“ in Erscheinung tritt. Mit dem Beispiel wollen wir verdeutlichen, dass das falsch ist. Handlungsempfehlungen gibt es, losgelöst vom Thema Unternehmensnachfolge, zu folgenden hier relevanten Aspekten: ■ Bewerbungsgespräch ■ Begegnung mit der Unternehmenskultur 78
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger ■
Verfolgen von Zielen ■ Umgang mit Ängsten Wir haben diese Empfehlungen übernommen, auch wenn sie andere Kontexte im Blick haben. Die Verweise sollen die Tiefe verdeutlichen, die eines Blickes wert sind und um auf unseren Praxistipp hinzuleiten. 183
Bewerbungsgespräch „Die optimale Vorbereitung auf ein Bewerbungsgespräch wird in der Regel in folgende Teile gegliedert: 1. Kenntnisstand über das Unternehmen 2. Erarbeitung der Selbstdarstellung 3. Mit zu erwartenden Fragen beschäftigen 4. Erscheinungsbild 5. Bewerbungsutensilien
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Zu 1. Kenntnisstand über das Unternehmen: Informationen über das Unternehmen sind sehr wichtig. Folgende Quellen kann man benutzen: ■
Unternehmensbroschüren
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Werbung/Kataloge/Prospekte
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Betriebszeitung/Jubiläumsschriften
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Industrie- und Handelskammer
■
Gewerkschaften
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Handelsregister
■
Wirtschaftsteile der Zeitungen
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Internet
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Zu 2. Erarbeitung der Selbstdarstellung Es kommt darauf an, im Vorstellungsgespräch seine Qualifikationen sachlich, klar und überzeugend darzustellen. Dabei sollte man sämtliche Daten aus dem Lebenslauf im Kopf haben, denn die Gespräche beginnen oft mit Sätzen wie: „Erzählen Sie uns doch mal etwas über sich.“ Daher ist es sinnvoll die Selbstdarstellung in Form eines Kurzvortrages von 5 bis 8 Minuten Dauer vor einer Videokamera oder einer anderen Person zu üben.
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Zu 3. Mit zu erwartenden Fragen beschäftigen: Man muss sich auf viele Fragen gefasst machen. Die beste Vorbereitung darauf ist: Man stellt sich vor, dass man selbst der Personalleiter wäre. Für die neu zu besetzende Stelle liegt der Lebenslauf vor. Welche Fragen würdest du an den Bewerber richten?
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Zu 4. Erscheinungsbild: Die meisten Menschen beurteilen einen anderen zuerst nach seinem äußeren Erscheinungsbild. Oft ist es schwer, einen ersten schlechten Eindruck im Laufe der Zeit wiedergutzumachen. Oder: „Es gibt keine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu machen.“ Auch die alte Volksweisheit „Kleider machen Leute“ kommt hier zum Tragen. Mach dir also lieber ein paar zusätzliche Gedanken mehr zu deinen Kleidungsstücken und zu deinem Erscheinungsbild. Sei dezent gekleidet und achte darauf, dass du dich in deinem Outfit wohl fühlst. Deine Lieblingstücke werden so deine Selbstsicherheit verstärken. Zur Auswahl von Schmuck, Make-up und der Benutzung von Parfüm und Deo gilt: Weniger ist mehr. Schließlich sollten Haare,
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) Schuhe und Fingernägel noch einmal intensiv gepflegt werden.“ Das kommt gut an:
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■
Blickkontakt halten
■
deutlich sprechen
■
den Gesprächspartner ausreden lassen
■
freundlich lächeln
■
bequem hinsetzen
Das kommt nicht so gut an:
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■
den Kopf leicht nach unten neigen
■
Arme vor der Brust verschränken
■
ständig ernst schauen
■
immer absolut gerade Körperhaltung
■
die Gesprächspartner nie direkt ansehen
■
doppelte Portion Gel ins Haar
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auf der Stuhlkante sitzen
■
auffällige Kleidung
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leise sprechen
■
zuviel sprechen
■
Kaugummi kauen
Zu 5. Folgende Bewerbungsutensilien solltest du zum Vorstellungsgespräch mitnehmen:
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■
Tasche/Aktenkoffer
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Kopien deiner Bewerbungsunterlagen einschließlich der Anzeige
■
Notizplaner und Schreibzeug
■
Einladungsschreiben
■
deine Unterlagen, mit denen du dich vorbereitet hast.“ 51
Und zur persönlichen Vorbereitung sowie Einstimmung auf das Gespräch wird empfohlen: „1. Bereite dich bewusst auf die Bewerbungsgesprächssituation vor. Dazu gehört auch, dass du 24 Stunden vor dem Gespräch beginnst, nur noch Dinge zu tun, die dich entspannen. Gehst du gerne Schwimmen oder Radfahren? Dann tu es. Wenn du den ganzen Tag an diesen wichtigen Termin denkst, kannst du eine Angst entwickeln, die sich im Gespräch als Nervosität zeigt. Bewerber haben circa zehn Minuten Zeit, um diese in den Griff zu bekommen. 2. Zeig schon im Vorzimmer korrektes Verhalten, denn du wirst von der Sekretärin möglicherweise aufmerksam beobachtet. Manchem Chef ist das Urteil seiner Sekretärin sehr wichtig, und er befragt sie nach dem Gespräch über ihren Eindruck vom Bewerber. 3. Verzichte auf das Rauchen. Wenn man dir Alkohol anbietet, solltest du dankend ablehnen. Man testet dich hier.
51 http://www.eso.cidsnet.de/vorberei.htm. Diese Quelle verweist nicht etwa auf ein Esoterik-Network, sondern die Abkürzung eso steht für die Ernst-Schering Oberschule in Berlin. Wir hätten auch einen beliebigen anderen Ratgeber für die Bewerbungssituation zitieren können.
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger 4. Sprich deinen Gesprächspartner wiederholt mit seinem Namen an. Denn jeder hört seinen Namen gern. 5. Drücke dich klar und verständlich aus. Bewerber, die sich unbestimmt ausdrücken und nicht wissen, was sie wollen, wecken wenig Interesse. 6. Erzähle keine Romane. Deine Antworten sollten kurz, präzise und sachlich sein und sich auf die wesentlichen Angaben beschränken. 7. Sei eine halbe Stunde vor dem Termin am Ort. Du kannst dich mit den Gegebenheiten vertraut machen, und vielleicht fallen dir dabei auch noch ein paar Fragen ein. Lies in Ruhe noch einmal deine Bewerbungsunterlagen durch und ruf dir deine bisherigen Leistungen ins Bewusstsein. Du solltest selbstbewusst auftreten. Aber Vorsicht: Übertreibungen und Angabe wird man meistens schnell herausfinden. 8. Beantworte alle Fragen wahrheitsgemäß. Personalchefs stellen oft Fang- oder Kontrollfragen, um Unwahrheiten aufzudecken. Ertappt man dich bei einer Lüge, ist das Gespräch vorbei.
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9. Beantworte alle Fragen, auch wenn du die Antworten schon gegeben hast. Sag nie „Das habe ich doch schon gesagt“ oder „Das steht doch in meinen Unterlagen“. Hier möchte man deine Geduld und Ausdauer testen. 10. Äußere dich nie schlecht über deine Lehrer oder frühere Arbeitgeber. An deiner Einstellung gegenüber der Schule oder der alten Firma oder früheren Vorgesetzten wird man ablesen, wie du dich gegenüber der neuen Firma verhalten wirst. Sei absolut loyal.
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11. Werden dir taktlose oder unverschämte Fragen gestellt, könnte eine Antwort so aussehen „Wieso ist das eine Voraussetzung, diese Stelle zu bekommen?“ 12. Sage nie „Ich habe keine Fragen mehr“ oder „Ich habe jetzt so viel gehört und muss erst über den Inhalt nachdenken“. Damit dokumentierst du mangelndes Interesse sowie geringe Belastbarkeit. 13. Analysiere nach dem Gespräch folgende Fragen:
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■
Was habe ich gut gemacht?
■
Was kann ich nächstens besser, d. h. anders machen?
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■ Welchen Eindruck hatte ich von meinem Gegenüber? Falls du eine Absage erhältst, frage ruhig nach, woran es gelegen hat, dass man sich nicht für dich entschieden hat. Oft ergeben sich daraus Hinweise, was du beim nächsten Mal anders machen kannst, um schließlich die Stelle zu bekommen, die du dir wünschst.“52
Selbst zur Anreise gibt es Tipps: „Zum Vorstellungsgespräch müssen Sie selbstverständlich pünktlich erscheinen, weswegen Sie so früh wie möglich aufbrechen sollten: früher am Ort des Vorstellungsgesprächs zu sein, ist immer besser als zu spät. Informieren Sie sich vorher über den Anfahrtsweg und rechnen Sie Verzögerungen (Stau, Verspätung, Unfälle) in Ihre Planungen mit ein. Je weiter der Anreiseweg und je weniger Sie sich vor Ort auskennen, desto mehr Pufferzeit sollten Sie einberechnen. Wenn für Sie absehbar ist, dass Sie sich verspäten werden, dann rufen Sie den Gesprächspartner an, um Ihre Verspätung und den Grund dafür mitzuteilen. So machen Sie trotz aller widrigen Umstände dennoch eine halbwegs gute Figur. Falls Sie den Gesprächstermin komplett vergessen haben und sich erst danach wieder daran erinnern, dann sollten Sie das Unternehmen trotzdem um Entschuldigung bitten; auch wenn Sie mit Ihrer Vergesslichkeit alle Chancen auf eine Einstellung verspielt haben dürften.“53 52 Wie vor 53 http://www.bewerbung-forum.de/vorstellungsgespraech/vorbereitung.html
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
In dieser und ähnlicher Weise wird empfohlen, dass sich Bewerber auf das Bewerbungsgespräch vorbereiten sollen. 195
Erstbegegnung mit der Unternehmenskultur So wie der Unternehmer ist, wird vermutlich auch die Unternehmenskultur sein; schließlich ist er der Repräsentant und die prägende Kraft des Unternehmens. Wenn der sich Übernehmer häufig wie ein Bewerber vorkommt und dementsprechend defensiv in die Erstbegegnung geht, liegt das auch an dieser Unbekannten. Der Übernehmer wird es später mit der Organisation zu tun haben (siehe dazu weitere Betrachtungen später). Anders als ein Finanzinvestor, dessen Motive für alle Beteiligten transparent sind, ist das bei einem Menschen anders, der sich mit seiner ganzen Persönlichkeit einbringen muss – wenn die Übernahme klappt. Deshalb an dieser Stelle einiges zur Unternehmenskultur und den Umgang damit.
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„Unternehmenskultur/Organisationskultur ist der über die Zeit gewachsene Bestand von gemeinsamen grundlegenden Orientierungen, der das Verhalten der Organisationsmitglieder unsichtbar und zumeist unbewusst und unreflektiert steuert, und der in Werten und Normen sowie in Zeichen, Symbolen und Ritualen sichtbar und durch sie vermittelt wird. Ebenen der Organisationskultur sind ■
Basisannahmen (Interpretations-, Wert- und Denkmuster über die Umwelt, die Erfassung der Realität, die Natur des Menschen, Verhaltensorientierungen usw.) darauf aufbauende ■
Werte und Normen, Zeichen, Symbole und Rituale in denen sich die Basisannahmen ausdrücken und sie gleichzeitig vermitteln und stabilisieren. Die Organisationskultur als Ergebnis eines langen informellen Lernprozesses ist nicht durch rationale Entscheidung änderbar, sondern nur durch organisatorische Umlernprozesse.“54
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Unternehmenskultur ist ein im Wesentlichen kollektives Phänomen, d. h. es bezeichnet Ideen, Vorstellungen und Werte, die die Organisationsmitglieder gemeinsam verfolgen, ohne sich dieses für gewöhnlich bewusst zu machen. Damit wird deutlich, dass den Mitgliedern einer Organisation ihre „Kultur“ nicht bewusst sein muss. In der Regel ist das auch so. Und diese Regeln bestimmen auch Verhaltensweisen. So stößt der Übernehmer als Außenstehender in diese Landschaft. In bestimmten Branchen herrscht eine Branchenkultur vor, die dann auch in den Unternehmen anzutreffen ist. Ein leicht nachvollziehbares Beispiel ist die Baubranche. Kommt der Übernehmer aus einem solchen Umfeld, wird es ihm leicht fallen, sich in der für ihm fremden Kultur zurecht zu finden. Heutzutage dominieren aber die individuellen Verhältnisse mehr; es kann nicht prognostiziert werden, wie das Unternehmer und ihr Leiter/Unternehmer „ticken“. Damit muss sich ein Nachfolgebewerber auseinander setzen. Vielleicht hat das Unternehmen ein Leitbild veröffentlicht. Dann gibt dieses ein Stück weit Einblick in die Unternehmenskultur.
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Verfolgung von Zielen Jeder Mensch verfolgt bewusste, explizite Ziele, wird aber auch durch implizite, unbewusste Motive geleitet. Das explizite Ziel des an einer Übernahme interessierten sind klar: Er möchte den Zuschlag bekommen, in Übernahmeverhandlungen treten zu können. Die unbewussten Motive sind ihm je54 http://www.olev.de/uv/untkultur.htm
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger doch nicht klar und haben trotzdem Einfluss auf den „Erfolg“ eines Erstkontaktes. Wir nutzen die Parenthese beim Erfolg, weil die unbewusste Steuerung häufig zu richtigen Ergebnissen führt. Unter I.A.3 und II.A.3 haben wir zu Motivation bereits einiges ausgeführt, auf das wir Bezug nehmen. Ergänzend dazu: Motivation – sagen die Psychologen – ist das, was uns antreibt. Umgekehrt bedeutet dies: Ohne Motivation tun wir nichts; sie liefert die Gründe, warum wir etwas tun sollen. Diese Gründe können bewusst oder unbewusst sein. Motivation setzt sich aus Motiven zusammen, d. h. aus Einzelzielen, die von den Personen verfolgt werden. Es gibt einige wenige Ziele, die mehr oder weniger alle Menschen gemeinsam haben und die man Grundmotive nennen kann, und darüber hinaus so viele weitere unterschiedliche Ziele wie es verschiedene Menschen auf der Welt gibt. Die Grundmotive teilt man gemeinhin ein in „biogene“, sich aus unserer biologischen Natur ergebende Motive, und in „soziogene“, gesellschaftlich vermittelte Motive. Es gibt aber noch eine dritte Gruppe von Grundmotiven, die man „psychogene“ Motive nennen kann, weil sie unserer psychischen Natur entspringen. Zu den biogenen Motiven gehört die Befriedigung biologischer Bedürfnisse wie Schlafen und Wachen, Hunger, Durst, Sexualität, Wohlbefinden, Gesundheit bzw. Unversehrtheit; zu den soziogenen Motiven gehört das Streben nach Nähe zu anderen Menschen, nach Kommunikation, Besitz, Ruhm und Macht. Dabei ist zu bedenken, dass die biologischen Bedürfnisse immer auch einen sozialen Charakter haben, und andererseits sind die sozialen Bedürfnisse in unserer biologischen Natur verankert. Menschen sind von Natur aus eben soziale Wesen. Sich der persönlichen soziogenen Motive in seinen Grundzügen bewusst zu werden, ist sicherlich hilfreich, um im Erstkontakt mit dem Abgeber Übereinstimmung oder Trennendes festzustellen. Die psychogenen Motive sind komplizierter, denn sie ergeben sich aus dem schwierigen Prozess der Ausbildung unserer Psyche in den ersten Lebensjahren. Hierzu gehört das Bedürfnis nach Nähe zur primären Bezugsperson, also vor allem zur Mutter, nach Geborgenheit und Liebe, nach Anerkennung, aber auch das Bedürfnis nach Ich-Entwicklung und Ich-Stärke, Selbstverwirklichung und Selbstwirksamkeit. Diese psychogenen Bedürfnisse schwanken also deutlich zwischen den zwei Polen Eigenständigkeit und Aufgehen im Anderen. Die oben geschilderten Grundmotive sind als „Antriebsblöcke“ oder „Motivationsmodule“ im Gehirn verankert und bestimmen mehr oder weniger direkt unser Verhalten. Sie werden zugleich in bestimmten Situationen mit positiven und negativen Erlebniszuständen wie „Lust“ oder „Schmerz“ gekoppelt, die nicht direkt der Verhaltenssteuerung, sondern der Gedächtnisbildung dienen. Diese Erlebniszustände werden aus dem Gedächtnis aufgerufen, wenn sich dieselben oder ähnliche Situationen erneut ergeben. Somit existieren zwei Arten der Verhaltenssteuerung: Das unbewusst arbeitende Gehirn strebt nach Befriedigung der biogenen, psychogenen und soziogenen Grundbedürfnisse, weil sie für unsere biologische, psychische und soziale Fortexistenz notwendig sind. Unser bewusstes Gehirn, unser „Ich“, strebt nach Erfüllung von Lust und Vermeidung von Unlust und Schmerz. Auf diese Weise setzt das unbewusste Gehirn mithilfe des bewussten Ich die Befriedigung seiner Bedürfnisse durch. Die biogenen Grundmotive sind genetisch bestimmt. Sie verkoppeln sich mit den ebenfalls überwiegend genetisch bedingten Affekten oder Grundgefühlen, die unser Temperament ausmachen. Temperamente sind von Geburt an verschieden. Die einen Personen sind ruhig, zurückhaltend, langsam bis träge, die anderen aufgeweckt, lebhaft, unruhig bis zappelig; die einen sind freundlich und kontaktfreudig, die anderen mürrisch und verschlossen; die einen sind neugierig, die anderen ängstlich usw. Aber auch die psychogenen und soziogenen Grundmotive sind mehr oder weniger genetisch bedingt, zugleich hängt ihre konkrete Ausbildung stark von der individuellen Erfahrung ab, insbesondere von denen in der frühen Kindheit oder gar im Säuglingsalter. Hier vollzieht sich das, was man 83
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
emotionale Konditionierung nennt: Der Säugling und das Kind erleben oder tun etwas, und Zentren im limbischen System des Gehirns prüfen, ob die Konsequenzen hiervon positiv bzw. lustvoll oder negativ bzw. schmerzhaft waren, und speichern dies im emotionalen Erfahrungsgedächtnis ab. Dieser Prozess erfolgt in den ersten Wochen und Monaten überwiegend unbewusst und später auch nur teilweise bewusst. Hierdurch lernt das Gehirn, was aufzusuchen oder zu wiederholen und was zu meiden ist. Auf diese Weise bildet sich unsere Psyche und damit unsere Persönlichkeit aus. Diese Persönlichkeit legt fest, wie wir uns grundsätzlich zur Welt und zu uns selbst verhalten. Sie bestimmt auch, wie wir mit Belohnung und Strafe, Erfolg und Misserfolg umgehen.55 Die unterschiedlichen Aspekte der Grundmotive führen zu Verhaltens- und Reaktionsweisen, die dem Übernehmer insbesondere im Erstkontakt regelmäßig nicht unbekannt sind. Erfahrungswerte, wie ein Mensch auf andere wirkt, dürften im Alter der Protagonisten hinreichend vorhanden sein. Diese Erfahrungen in die Darstellung „richtig“ einzubauen, ist eine Kunst. Noch wichtiger ist es, Sicherheit zu erlangen in der persönlichkeitsbedingten Reaktion auf überraschende Situationen. Dabei geht es immer nur darum, dass sich der Bewerber sicher fühlt und nicht darum, sich als jemand darzustellen, der er nicht wirklich ist.
Umgang mit Ängsten Wir haben im Beispielfall die Reaktion als angstgesteuert gewertet. Das wird nicht jedem Leser sogleich einleuchten. Wie kommt es, dass man in der täglichen Arbeit, und selbst mitten in schwierigen Veränderungsprozessen, so wenig von Angst sieht? Die Antwort lautet, dass es so wenig gar nicht ist – nur dass die Angst in der Regel nicht offen, sondern in mehr oder weniger maskierter Form zum Ausdruck kommt. Die meisten Menschen haben insoweit das falsche Suchraster im Kopf: Wer bei „Angst“ an ein zitterndes kleines Mädchen denkt, das sich verschüchtert am Rockzipfel seiner Mutter festhält, wird Angst in Unternehmen sehr häufig nicht entdecken, weil sie dort typischerweise in völlig anderen Erscheinungsformen auftritt. Deshalb spricht man, wenn mit Mitarbeitern und erst recht mit Führungskräften über Ängste gesprochen werden soll, besser von „Sorgen“. Was den Umgang mit Ängsten kompliziert macht, ist, dass Angst in Wirtschaft und Verwaltung ein Tabuthema ist: Manager und andere Helden kennen keine Angst.56 Und in diesem System muss sich ein Bewerber bewähren. Die physiologische Verfassung stellt dem Menschen drei Handlungsstrategien zu Verfügung, wenn Angst aufkommt: ■ Soweit es noch möglich ist, drängt es uns, die Flucht zu ergreifen; ■ wenn wir nicht mehr ausweichen können, motiviert es uns, zum Kampf überzugehen; ■ wenn die Gefahr übermächtig scheint, lautet das Programm, uns tot zu stellen. Dieses Notsystem wurde im Laufe der Entwicklungsgeschichte fein und präzise abgestimmt: Flucht ist nicht unbedingt die ehrenhafteste Lösung, aber sie birgt das geringste Risiko einer Beschädigung – brillant in dem schwäbisch-pragmatischen Grundsatz zusammengefasst: „Lieber zehn Minuten lang feig als ein Leben lang tot.“ Falls eine Flucht nicht mehr möglich ist, ist Kämpfen die zweitbeste Strategie, um die Überlebenschancen zu sichern – außer, die Gefahr ist übermächtig, dann dient es dem Überleben besser, sich tot zu stellen, was sich auch körperlich in einem Gefühl völliger Handlungsunfähigkeit äußert: „Ich war wie gelähmt.“ Für den Umgang mit Ängsten ist es völlig irrelevant, ob sie „berechtigt“ sind oder nicht. Gleich was sie auslöst und wie realistisch oder unrealistisch sie sind, Ängste sind Realität. Und die subjektive Realität schafft objektive Realität: Ein Mensch, der Angst hat, nimmt anders wahr und handelt an55 Ansätze zum Thema von Gerhard Roth, Bremen am 13. August 2006 in SWR 2 56 Freimuth (Hg.): Die Angst der Manager, S. 13f.
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger ders als einer, der sich sicher fühlt. Es bringt daher überhaupt nichts, Ängste für „unbegründet“ oder „irrational“ zu erklären – das macht die Situation nur noch schlimmer, weil es die Ängste, statt sie zu aufzulösen, bloß für ungültig erklärt und sie damit natürlich nicht beseitigt, sondern nur in den Untergrund drängt. So entsteht eine Kluft des gegenseitigen Nicht-Verstehens, die die Kommunikation versiegen lässt. Ein Großteil der Ängste, die im Zuge von Veränderungsprozessen und anderen verunsichernden Situationen aufkommen, sind für einen einfühlsamen und aufmerksamen Beobachter vorhersagbar. Das Einzige, was im Umgang mit Ängsten hilft, ist, sie erstens wahr-, zweitens ernst zu nehmen und drittens gemeinsam mit der oder den betroffenen Person(en) eine Lösung zu suchen. Beim Umgang mit Ängsten ist es ein wichtiger Schritt nach vorne, wenn die Befürchtungen, gleich ob man sie so nennt oder nicht, erst einmal konkret benannt und ausgesprochen sind. Dann kann man sie gemeinsam betrachten und sich mit ihnen auseinandersetzen kann. Das gilt auch im Top Management – so etwa in einem Fall, wo ein Vorstandsgremium seine Berater bei ihren Präsentationen jedes Mal wieder in endlose Detail- und Grundsatzdiskussionen verstrickte, mit der Folge, dass weder die Befunde der Bestandsaufnahme vollständig präsentiert noch über mögliche Lösungen in ausreichendem Umfang diskutiert werden konnten. Genau dies war wohl auch der tiefere Zweck der wiederkehrenden Endlos-Diskussionen: Die Vorstandsmitglieder ahnten offenbar, welche Ergebnisse herauskommen würden und dass die Berater auf tiefe Einschnitte drängen würden. Doch so lange die Ergebnisse und Lösungsansätze nicht präsentiert waren, war es auch – noch – nicht notwendig zu handeln. Dadurch war es möglich, die Stunde, in der unangenehme Entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden mussten, noch ein bisschen hinauszuschieben. Dieses Beispiel übersetzt in unseren Beispielfall Hektisch und Steif macht deutlich, dass Hektisch von vornherein – unbewusst – alles daran gesetzt hat, dass es nicht zu einer Nachfolgeregelung kommt. Es erfordert Mut und ist – vor allem auf höheren Management-Ebenen – nicht ganz ohne Risiko, die tiefer liegenden Ursachen solcher Taktiken behutsam aufzudecken. Top Manager von Konzernen sollen im Schnitt eher mutige Menschen sein, die vor unangenehmen Einsichten nicht so leicht weglaufen; der Mittelständler ist da im Durchschnitt anders. Wichtig ist immer, dass dieses Aufdecken auf keinen Fall in einem vorwurfsvollen oder „entlarvenden“ Ton geschehen darf, sondern auf freundliche, nicht bedrohliche, wohlwollende Weise geschehen muss:
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„Mir fällt auf, dass wir in den letzten Sitzungen sehr wenig vorangekommen sind, weil wir immer wieder sehr detailreich fast die gleichen Diskussionen führen. Könnte es sein, dass die langen Diskussionen letztlich dazu dienen, die anstehenden unangenehmen Entscheidungen noch ein Stück hinauszuschieben?“
Wenn so etwas im falschen Ton gesagt wird, werden Sie fristlos enthauptet. Doch häufig ist die Reaktion nach anfänglichem Protest vorsichtig zustimmend: „Lassen Sie mal, Herr Kollege, so falsch ist die Aussage ja nicht.“ Und selbst wenn sich niemand zu einer Zustimmung durchringen mag, geht es danach oft zügiger voran – was ja der eigentliche Sinn der Übung war. Generell gilt: Das beste Gegenmittel gegen Ängste ist offene Kommunikation und das zügige Schaffen klarer Verhältnisse. In aller Regel ist selbst eine unangenehme Wahrheit leichter zu ertragen als das Gefühl, wochen- und monatelang in der Luft zu hängen. Doch nicht nur der Informationen wegen ist Kommunikation in unruhigen Zeiten wichtig: Sie ist auch notwendig, um die Beziehung zu stabilisieren und das Vertrauensverhältnis zu begründen bzw. zu bekräftigen. Die unausgesprochene Frage vieler Mitarbeiter an ihre Chefs ist: „Ich weiß, dass wir ein gutes und offenes Verhältnis hatten, solange die Zeiten gut waren. Aber stehen Sie auch jetzt zu mir, wo es eng wird?“ Die tragische
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Paradoxie ist, dass viele Führungskräfte eine solche Bestätigung für überflüssig halten, weil es für sie daran gar keinen Zweifel geben kann – während die Mitarbeiter sehnsüchtig und vergeblich auf genau diese Bestätigung warten. Die Reduzierung von Ängsten setzt als erstes und wichtigstes den Mut zu frühzeitiger Kommunikation voraus – auch dann, wenn man selbst noch unsicher ist, was kommen wird, und man noch längst nicht alle Fragen beantworten kann. Es ist tödlich zu warten, bis die Leute nach Informationen schreien. Dann ist längst Feuer auf dem Dach und im Keller. Dann haben sich Gerüchte und Spekulationen längst zu einem gefährlichen Gebräu verdichtet, und möglicherweise befindet sich auch der Betriebsrat schon in hellem Aufruhr. Wenn es erst einmal so weit gekommen ist, befindet man sich kommunikativ in der Defensive und ist hauptsächlich damit beschäftigt, zu dementieren, was das Unternehmen bzw. die handelnde Person alles nicht zu tun beabsichtigen. Doch je mehr man dementiert, desto mehr wachsen die Zweifel. In einer solchen Situation hat man kaum mehr die Chance, die tatsächlichen Pläne und Intentionen zu vermitteln. Vor allem aber rennt man dann gegen eine Front von Angst, Wut, Misstrauen und Feindseligkeit an. Es ist daher wichtig, Veränderungen dem Betroffenen so frühzeitig und offen zu kommunizieren, dass sie alles Wesentliche aus erster Hand erfahren, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo es noch nicht durchgesickert ist oder in der Zeitung gestanden hat. Wo immer möglich, sollte diese Kommunikation nicht schriftlich, sondern im direkten persönlichen Kontakt erfolgen. Sofern ein größerer Personenkreis betroffen ist, empfiehlt es sich, als ersten Schritt eine Informationsveranstaltung durchzuführen, die möglichst auch die Gelegenheit zum Dialog bietet. Da dort aber in aller Regel nicht alle Fragen ausgesprochen werden, die das Gegenüber bewegen, und da manche Fragen auch erst im Laufe des Verarbeitens entstehen, ist es sinnvoll, im Nachgang weitere Gesprächsmöglichkeiten im kleineren Kreis anzubieten. In manchen Unternehmen bewährt sich auch ein Diskussionsforum im Intranet, in dem Fragen gestellt und beantwortet werden können; in anderen ist das Bedürfnis nach Anonymität – sprich: die Angst, sich namentlich zu erkennen zu geben – zu groß. Sofern einzelne Personen von den Veränderungen besonders betroffen sind, sollten sie unbedingt vor einer offiziellen Information der Belegschaft im Einzelgespräch informiert werden. Es ist brüskierend für die Betroffenen und schafft auch für die anderen Teilnehmer eine sehr unangenehme, peinliche und beunruhigende Situation, wenn den Hauptbetroffenen deutlich anzumerken ist, dass sie erst auf der laufenden Veranstaltung von den sie betreffenden Änderungen erfahren. Vor der Kommunikation heikler Themen machen sich Top Manager oft eine Menge Gedanken, wie sie das Thema einleiten sollen, wie sie die richtigen Worte finden, ohne die Mitarbeiter zu sehr zu beunruhigen, und wie sie unangenehme Dinge möglichst diplomatisch formulieren können. Die Antwort ist verblüffend einfach. Sie lautet: Kommen Sie ohne lange Umschweife zur Sache und sagen dann einfach nach bestem Wissen und Gewissen klar und deutlich die Wahrheit – ohne Dramatisierung, aber auch ohne Verharmlosung und Schönfärberei.
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Bewertung dieser Wegweiser
Es stimmt, dass Angst in Unternehmen sehr häufig nicht zu entdecken ist, weil sie dort in der Regel in völlig anderen Erscheinungsformen auftritt. Sie kann sich zum Beispiel in ruppiger Zurückweisung äußern, in endlosen Diskussionen, die zu keinem greifbaren Ergebnis führen, in mehr oder weniger (meist weniger) kunstvoll gesponnenen Intrigen und Attacken aus dem Hinterhalt, in jovialen Belehrungen, offenen und verdeckten Drohungen, und manchem anderen mehr. Damit muss dann auch ein Bewerber rechnen, der sich um eine Unternehmensnachfolge „bewirbt“. Auch wenn er kein Bittsteller ist: Er wird schnell dazu gemacht. 86
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B. Der Übernehmer oder Nachfolger Um die oben genannten Empfehlungen besser nachvollziehen zu können, lohnt es, sich einfach in Gedanken in die Rollen zu versetzen und sich vorzustellen, Sie säßen als Betroffener unter Ihren Zuhörern. Dann wäre Ihnen die Eleganz der Wortwahl wohl ziemlich egal – Sie würden einfach wissen wollen, was Sache ist. Lange und wohlformulierte Vorreden erscheinen als nerviges Um-den-heißenBrei-Reden. Das löst ungeduldiges darauf Warten aus, wann denn nun endlich die Knackpunkte angesprochen werden. Auch diplomatische Formulierungen beeindrucken wenig; viel eher wirken sie als Schönfärberei. Takt ist nicht eine Frage der Formulierungskunst, sondern eine der inneren Einstellung. Wem die Sorgen und Nöte der Nächsten gleichgültig sind, wird das auch der beste Ghostwriter nur vorübergehend vertuschen können. Wer umgekehrt eine menschenfreundliche Grundeinstellung hat und die Sorgen und Ängste nachvollziehen kann – ohne sich deswegen jeden Schuh anzuziehen– , der braucht sich um die Wortwahl im Detail keine Gedanken machen: Die Haltung wird unweigerlich auch in den Worten spürbar werden. Diese Verhaltensanregungen könnten dahingehend missverstanden werden, sie sollten im Vorfeld einer ersten Begegnung von Übergeber und Übernehmer trainiert werden. So sind die Ausführungen nicht zu verstehen. Im Gegenteil: Solche Verhaltensweisen beobachten und erleben zu können, gibt wertvolle Informationen über den Menschen, mit dem es die Protagonisten zu tun bekommen, und sie lassen auch Einblicke in die Unternehmenskultur zu. Insofern ist eine Unterdrückung wenig sinnvoll. Weshalb es dennoch richtig ist, dieses hier anzuführen, ist der Umstand, dass – wie im Beispielsfall – die Gefahr droht, dass gar keine Kommunikation zustande kommt. Und dem gilt es vorzubeugen.
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Der (Aus-) Weg
Wir differenzieren noch einmal zwischen zwei Phasen beim ersten Kontaktgespräch: ■ der Vorbereitung darauf und ■ dem Gespräch selbst.
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! Tipp: In der Vorbereitung geht es darum, dass sich der Übernehmer optimal einstimmt auf die erste Begegnung mit dem Abgeber eines Unternehmens. Und da unterscheiden wir wiederum die Beschaffung von Informationen über das Unternehmen und den Gesprächspartner, also den Unternehmer. Daraus ergibt sich ein Datengerüst, aus dem Fragen evaluiert werden können. Diese Fragen belegen das originäre Interesse des Bewerbers, seine expliziten Ziele, so dass er im Erstkontakt nicht der „Dramaturgie“ des Abgebers ausgeliefert ist. Hinzu kommt aber entscheidend die Motivklärung: Warum möchte der Bewerber in genau dieses Unternehmen einsteigen? Was sind die impliziten Ziele, was die Erwartungen? Hier geht es um eine Zielimagination, indem man sich die künftige Situation hinein begibt und hinein fühlt, beobachtet, was und wie es dann ist. Beides braucht Zeit – und die Unterstützung durch einen Dritten. Entscheidend ist nicht die Profession dieses Dritten sondern in erster Linie die Entäußerung dessen, was der Protagonist denkt und fühlt, was er recherchiert hat und wie er die Daten bewertet. Ein Coaching ist auch hier sicherlich hilfreich und kann für ein konsequentes Arbeiten Sorge tragen. Und ein weiterer Tipp: Verschriftlichen Sie alles, um es dann im Verlaufe einiger Tage „sacken zu lassen“. Im Ergebnis weiß der Bewerber dann gut, was er will und ist so in der Lage, bei Bedarf auch die Regie im Gespräch mit dem Partner zu übernehmen.
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Das Gespräch selbst Auf den Verlauf der ersten Begegnung sollte der Bewerber schon im Vorfeld dadurch Einfluss nehmen, dass er ein moderiertes Gespräch vorschlägt. Wir empfehlen die Moderation wegen folgender Wirkungen: ■ Der Erstkontakt wird vom Moderator zusätzlich vorbereitet. Dadurch ist garantiert, dass Lokalität und Setting dem Anlass angemessen gewählt sind. ■ Der Moderator garantiert, dass sich beide Protagonisten der Bedeutung der Begegnung noch bewusster werden und entsprechend besser vorbereitet zum Termin erscheinen. ■ Der Moderator sorgt (in der Regel) für einen Quantensprung in der Kommunikationsqualität. Er klärt Gesagtes in seiner Bedeutung und öffnet durch seine Moderation Themen für ein dem Anlass angemessenes Kennenlernen. ■ Er verdeckt nichts sondern unterstützt beide Seiten darin, sich mit den jeweils als wichtig erachteten Themen und Aspekten einbringen zu können. ■ Bei Bedarf visualisiert er den Gesprächsverlauf und unterstützt damit die Dokumentation für eine spätere Reflexion. ■ Und er achtet auf Ressourcen wie Zeit, Themenbearbeitung, Fokussierung u. a. (was auch schon im Vorfeld abgesprochen werden kann). Besteht der Bewerber auf der Moderation, was ihm als potentieller Partner zusteht, muss er darauf gefasst sein, dass er diese auch bezahlen muss. Darauf sollte er keinesfalls verzichten, denn allein diese „Geste“ verschafft Selbstbewusstsein und gibt das Recht, den Moderator aussuchen zu dürfen. Bei einer geschätzten Dauer von einer Stunde ist die Investition übersichtlich und angesichts der damit geschaffenen Sicherheit gut investiertes Geld.
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Die Organisation
Die Organisation
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Die Organisation ist das Objekt des Deals bei einer Unternehmensnachfolge. Das stimmt nicht unmittelbar, weil zivilrechtlich entweder ein sog. Asset-57 oder ein Share-Deal58 vorliegt. Inhaltlich geht es aber um die Organisation in der Gesamtheit dessen, was diese ausmacht. Ohne weiteres einsichtig wird die Bedeutung des Unternehmens als Organisation, wenn man sich die darin tätigen Menschen vorstellt. Dazu ein Beispiel:
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Erich Stumpf ist ein einsamer Mensch. Er führt sein mittelständisches Unternehmen mit rund 1.000 Mitarbeitern patriarchalisch. Sein Sohn Dr. Erich Stumpf ist im Unternehmen seit Jahren tätig und wird intern als der Nachfolger gehandelt. Da geht bei der Sekretärin Maria Herzig ein Anruf eines M&A – Unternehmens ein. Diese Merger und Akquisitions – Spezialisten betreuen Unternehmensverkäufe, meistens vom größeren Mittelstand an aufwärts. Eine Mitarbeiterin verlangt den Chef zu sprechen. Auf die Frage der Sekretärin von Stumpf, worum es denn gehe, wird ihr geantwortet, es gehe um den Verkauf des Unternehmens. Maria Herzig ist irritiert, weil sie noch nichts von derartigen Absichten ihres Chefs gehört hatte und kann, obwohl sonst unbedingt verschwiegen, diese Information nicht für sich behalten. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit spricht sie in der Mittagspause ihre Freundin Helene Schmidt an. Diese ist gleichfalls irritiert und auch verunsichert. So macht diese Neuigkeit – immer unter dem Siegel der Verschwiegenheit – die Runde durch das Unternehmen. Der Betriebsrat bekommt Wind davon und so nehmen die Dinge ihren Verlauf... .
Sowohl der Übergeber als auch der Übernehmer haben mit der Organisation zu tun. Der Übergeber kann nur das verkaufen und übertragen, was die Organisation darstellt und der Übernehmer muss damit später klar kommen. Doch was ist die Organisation? Was macht sie aus? Dazu folgende Grafik:
57 Ein Asset Deal ist die Bezeichnung für einen Unternehmenskauf von einer Personengesellschaft, bei dem das vollständige Unternehmen inklusive sämtlicher Schulden gekauft wird. Die Wirtschaftsgüter wie Grundstücke oder Immobilien müssen einzeln auf den Käufer übertragen werden. Vermögensgegenstände, die von der Gesellschaft genutzt werden aber das Eigentum eines Gesellschafters sind, werden beim Verkauf des Unternehmens nicht mit eingeschlossen. 58 Ein Share Deal zeichnet sich dadurch aus, dass durch den Kauf von Geschäftsanteilen der Käufer z. B. Gesellschafter einer GmbH wird. Dem Umfang der erworbenen Geschäftsanteile entspricht die finanzielle Belastung des Käufers.
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) Gesellschaft Natur Technologie Wirtschaft
Konkurrenz
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O pt im
Managementprozesse Lieferanten
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Kunden
Geschäftsprozesse Unterstützungsprozesse
Staat
Ressourcen Normen und Werte Anliegen und Interessen
Mitarbeitende
Öffentlichkeit NGOs Aus: Rüegg-Stürm – HSG Modell
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Aus der Beobachtung heraus, wie ein Unternehmen mit der Umwelt, seinen Stakeholdern oder auch Interessengruppen außen (z. B. Lieferanten, Öffentlichkeit) und innen (z. B. Mitarbeitende) in Beziehung tritt, ist dieses Modell in der schweizerischen Management-Schmiede St. Gallen entstanden.59 Jeder Unternehmer und jedes Unternehmen hat mit all diesen in der Graphik vermerkten Umfeldern und Kräften zu tun. Natürlich in unterschiedlicher Intensität, je nachdem, um welches Unternehmen es sich handelt. Die Herausforderung für den Übernehmer, der als Nachfolger in ein bestehendes Unternehmen einsteigt, besteht darin, die über Jahre und vielleicht Jahrzehnte eingespielten Verfahrensweisen erst einmal zu verstehen. Dazu benötigt es Zeit, ein offenes Ohr und die Bereitschaft zu lernen. Erst wenn der Übernehmer ein grundsätzlicheres Verständnis davon erhalten hat, wie es im Unternehmen zugeht, wird er anfangen können, bestimmte von ihm gewünschte Änderungen einzuführen. Für jedes Unternehmen, egal wie groß, egal in welchem Markt es sich bewegt und ob es sich um die Steuerberatungskanzlei von Theodor-Gustav Treugott aus dem Eingangsbeispiel mit zwanzig Mitarbeitenden handelt, gelten die folgenden Eigenschaften: ■ Einmaligkeit, die in den Begriffen der Unternehmensidentität und Unternehmenskultur zum Ausdruck kommt; ■ Offenheit gegenüber der Umwelt, die eine ständige Anpassung an neue Bedingungen und Flexibilität erlaubt; ■ eine aktive Rolle im Umgang mit der Umwelt, wobei ein Unternehmen seine Umwelt verändert und mitgestaltet; ■ Verantwortung für das eigene Handeln, die aus der aktiven Rolle in der Interaktion mit der Umwelt resultiert; 59 Für die Feinheiten dieses Modells möchten wir auf die kleine Publikation verweisen (Rüegg-Stürm, 2002)
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Die Organisation
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Komplexität, die im Aufbau sowie in den verschiedenen Prozessen des Unternehmens zum Ausdruck kommt sowie ■ Intelligenz als Fähigkeit zum optimalen und erfolgreichen Handeln sowie zum Lernen und zur Veränderung.60 Diese Eigenschaften verweisen einerseits auf die Einmaligkeit des Unternehmens, andererseits aber auch auf die Steuerbarkeit, die Veränderungen möglich macht. Unternehmen, die bereits viele Jahre am Markt agieren, haben ihre Fähigkeit zur Veränderung unter Beweis gestellt. Veränderungen sind immer nötig. Sie müssen zwar nicht grundsätzlich von der Unternehmensleitung initiiert werden; manchmal geschieht dies auch durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Vertretungen (Betriebs- oder Personalrat) oder durch Berater. Wenn sie allerdings nicht von ihr unterstützt werden, dann sind sie zum Scheitern verurteilt. Der Übernehmer muss sich bewusst sein, dass er bei Veränderungsprozessen eine nicht zu ersetzende Rolle spielt.
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Unternehmen sind auch soziale Systeme
Organisationen und Unternehmen sind keine rohen Eier. Manchmal, besonders in kleineren und handwerklichen Unternehmen geht es mitunter recht robust zu. Und doch gilt für die Planung und Durchführung einer Unternehmensnachfolge, dass sie mit großem Fingerspitzengefühl und Samthandschuhen angegangen und durchgeführt werden muss. Die eine, die betriebswirtschaftliche Sichtweise auf Unternehmen sieht diese als Instrumente zur Erreichung von Zielen an: Bestenfalls befindet man sich in einer Art von Gleichgewicht, in dem Produkte hergestellt oder Dienstleistungen erbracht werden. Dabei werden die eingesetzten Mittel ökonomisch und rational verwendet. Jeder an seinem Platz weiß, wie er was wie und wann zu tun hat. Die Führung und Leitung entscheidet aufgrund sachlicher Überlegungen, was wie zu tun ist und setzt diese Entscheidungen aufgrund ihrer Machtposition im Unternehmen durch. Alles greift, wie in einem Räderwerk, ineinander und am Ende kommt ein Produkt oder eine Dienstleistung heraus, die zu marktgängigen Preisen hergestellt wird, so dass die Kunden bereit sind, dafür zu zahlen. Diese Beschreibung kann jeder schnell als idealtypisch entlarven, der auch nur einen kurzen Einblick in ein Unternehmen genommen hat: Unternehmen sind nämlich auch soziale Gebilde, in denen es menschelt, und das nicht zu knapp. Der Eine kann mit dem Anderen nicht, man rangelt um Macht und Einfluss, man gerät in Auseinandersetzungen über den besten Weg, die sich zu handfesten Konflikten ausweiten können. Letztlich sind die immer wieder notwendigen strategischen und operativen Entscheidungen nicht klar und eindeutig zu treffen: Für Weg A spricht manchmal genauso so viel wie für Weg B. Egal welchen Theorien und Alltagsbeobachtungen man über die Realität in Unternehmen folgen mag: Ein Wechsel in der Leitung des Unternehmens ist ein massiver Eingriff in das soziale System und erschüttert es. Ein neuer Chef kommt, und neue Besen sollen bekanntlich gut kehren. Wer wird rausgekehrt, wer wird in dem aufgewirbelten Staub husten, wer wird befördert? Was will der Neue? Welche Strategie verfolgt er? Was bleibt erhalten? Was wird neu geordnet und aufgestellt? Solche Fragen stellen sich für die Mitarbeitenden. Wenn in dem letzten Punkt der Auflistung von oben, den Eigenschaften eines Unternehmens, die Rede davon ist, dass Unternehmen die Fähigkeit zum Lernen und zu Veränderungen haben (müssen), dann geschieht das ja nicht irgendwie, sondern nur mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und diese müssen auf dem Weg der Unternehmensübernahme mitgenommen werden. 60 S. Franken in http://www.wi.fh-koeln.de/homepages/s-franken/docs/F%FChrung/09F-Unternehmenskultur.pdf (Zugriff im Juni 09).
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Diese Herausforderung stellt sich für Übergeber und Übernehmer gleichermaßen, wenn auch nicht unbedingt zeitgleich. Während dem Übergeber die Verantwortung obliegt, die Organisation bis zur Übergabe als Einheit zu erhalten, trifft diese Herausforderung danach auch den Übernehmer. Bei überleitender gemeinsamer Leitung von Übergeber und Übernehmer in einer Kohabitationsphase sind es beide; erfolgt die Übergabe gleich ganz, ist der Übernehmer allein gefordert. Wie fatal ein „Eingriff “ in die Organisation wirken kann, soll unser Eingangsbeispiel verdeutlichen. In dieser Weise, nämlich intransparent, sollten Veränderungen nicht angegangen werden. Und das Beispiel soll verdeutlichen, wo und wie bereits Veränderungen in Gang gesetzt werden. Die gewollten und geplanten Veränderungen stellen bewusste Eingriffe ins System dar. Es gibt jedoch – und das vielleicht gerade bei der Nachfolgeregelung – Aktionen, die so nicht erkannt in das System der Organisation eingreifen und damit Veränderungen nach sich ziehen. Und solche unbewussten Eingriffe führen häufig zu unkontrollierten und in der Ausgestaltung ungewollten Veränderungen – in der Regel mit Konflikten einhergehend.
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Die Protagonisten – Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)
Was braucht das Unternehmen? Transparenz und Sicherheit
! Tipp: Wir sprachen oben schon von Transparenz, die in dem Übernahmeprozess möglichst gelten sollte. Sie beugt dem Flurfunk vor, denn es wäre nichts schädlicher, als wenn alles im Geheimen abliefe und gerade dadurch die Gerüchteküche angeheizt würde. Dann wird mehr Arbeitszeit damit verbracht, den Flurfunk am Laufen zu halten, als sich um die Kunden, die Projekte, den Vertrieb und die Arbeit allgemein zu kümmern. Wenn sich die „Arbeit“ der Mitarbeiter darauf konzentriert, zu klären, was keiner genau weiß, werden Ressourcen gebunden, die dem Geschäft verloren gehen. Dieses Phänomen nennt man Konfliktkosten und diese können fatale wirtschaftliche Einbrüche nach sich ziehen.61 Bei allen Transparenzforderungen muss die Verunsicherung in der Mannschaft möglichst klein gehalten werden. Daher berichtete ein M&A – Berater, dass sie in der sogenannten Suchphase zu strikter Geheimhaltung verpflichtet sind. So werden beispielsweise Unternehmensbegehungen nicht im Outfit des Beraters (dunkler Anzug, weißes Hemd, geschmackvolle Krawatte und verbindliches Auftreten) unternommen, sondern man kleidet sich wie der Lagerarbeiter als Leiharbeiter in Jeans und Westernhemd.62 Und man trifft sich zu den Vorgesprächen mit der Unternehmensleitung nicht in den Räumen des Unternehmens sondern außerhalb, beispielsweise in einem Hotel. Termine werden nicht über das Sekretariat ausgemacht, sondern nur über die Mobiltelefone der Chefs. Diese Geheimhaltung hat ihre Berechtigung. Einmal für die Berater, die nur dann bezahlt werden, wenn der Deal in trockenen Tüchern ist. Ein anderes Moment ist die Unsicherheit im Unternehmen, die möglichst gering gehalten werden soll und man erst dann die Veränderungen ins Unternehmen hinein kommuniziert, wenn der Nachfolger bekannt ist. Schließlich braucht es meist mehrere Gespräche, ehe der richtige Nachfolger auch bekannt ist.63 Andererseits kann, wenn etwas schief geht, das Gegenteil erreicht werden. Wie das Leben so spielt, ruft die Ehegattin des Unternehmers im Büro an. Auf der Suche nach ihrem Ehegatten, denn Berater Dr. Übergabe sei nun hier bei ihnen im Privathaus angekommen und sie wisse gar nichts von dem Termin. Die Sekretärin des Chefs ist zwar eingeweiht, aber gerade nicht am Platze. Die junge Assistentin nimmt den Anruf entgegen. Sie weiß von nichts, hat aber natürlich Zugriff auf den elektronischen Kalender des Chefs. Dort prangt nur der vom Chef selbst eingegebene Termin: Aushäusig von 09.-11.00Uhr und rein gar nichts von einem Termin mit einem Dr. Übergabe. Nein, sie wisse leider auch nicht, wo der Chef gerade ist... Befreundet mit der immer bestens über alles informierten Assistentin aus dem Vertrieb wird dieses kurze Telefonat in der Mittagspause zum Thema: Keiner weiß genaues, aber alle machen sich ihre Gedanken. 61 Siehe dazu Detlev Berning: Konflikte kosten Unternehmen Geld – aber wieviel? 2006 62 Persönliche Kommunikation von AN mit einem M&A-Spezialisten im Januar 2007 in Mannheim 63 IfM 2008a, S.54
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Die Organisation
Allgemein gültige Regeln aufzustellen, fällt in dieser Frage schwer. Der Grad der Transparenz, die notwendig ist, um dem Flurfunk mit seinen negativen Erscheinungen möglichst vorzubeugen, hängt ab von der üblichen Kommunikation im Unternehmen, der spezifischen Kommunikationskultur. Hat diese Kommunikationskultur sich über die Jahre hin als weithin offen herausgebildet, bespricht der Chef mit seinen Mitarbeitern wichtige geschäftliche Vorfälle und bindet sie in Entscheidungsfindungen ein, dann sollte das auch bei der Planung der Unternehmensnachfolge geschehen. ! Tipp: In einer offenen Kommunikationskultur, die in aller Regel auf Vertrauen basiert, schadet es keinesfalls, im Unternehmen zu streuen, dass die Nachfolgefrage angegangen wird. Denn jeder weiß, nur vielleicht der Unternehmer selbst (noch) nicht, dass es in Zukunft eine Nachfolge geben muss. Dieses offensiv anzusprechen und auch aktiv anzugehen, steigert auf jeden Fall das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Gerade dieses Vertrauen wird aber unnötigerweise beschädigt, wenn die Mannschaft über jedes gescheiterte Vorgespräch in der Suchphase informiert würde. Denn einer der häufigsten Gründe, warum Übernahmen bereits in der ersten Verhandlungsrunde scheitern, ist die Finanzierung.64 Würde jedoch jedes gescheiterte Gespräch bekannt gemacht, mag sich das Gefühl breit machen: Uns will niemand. Der Motivation im Unternehmen ist das nicht zuträglich. Und noch weniger der Sicherheit, die die Mannschaft unbedingt benötigt, vor allem in solchen Phasen des Übergangs. Wenn jedoch die Verhandlungen kurz vor einem erfolgreichen Abschluss stehen, sollte das Gebot der Transparenz gelten und die gelösten Nachfolgefrage im Unternehmen publik gemacht werden. Dann beginnt die Phase der Kohabitation, und hier gilt weitestgehende Transparenz, wie in den entsprechenden Kapiteln ausgeführt. Herrscht jedoch eine Unternehmens- und Kommunikationskultur vor, in der ein allgütiger Chef, der Patriarch, alles mit sich ausmacht und Entscheidungen aus dem dunkel getäfelten Zimmer urplötzlich hervorbrechen und schon vorgestern umzusetzen waren, dann sind unsere Transparenzforderungen sinnlos und sogar schädlich. Wenn in solch einer, auch für das Unternehmen existentiellen Frage wie der Unternehmensnachfolge auf einmal seitens des Chefs eine radikal andere Kommunikationskultur gepflegt würde, verunsicherte dies die Mannschaft kolossal. Hier würden wir in der Suchund Verhandlungsphase weiterhin für geschlossene Türen und höchste Vertraulichkeit plädieren.
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! Tipp: Ist jedoch alles in trockenen Tüchern, dann gilt auch in diesem Fall die höchste Transparenzforderung. Alleine schon deswegen, weil der patriarchalische Kommunikationsstil von dem Nachfolger aller Wahrscheinlichkeit nach nicht weiter gepflegt werden wird. Der Patriarch alten Stils hat ausgedient und wird den Anforderungen an die moderne Arbeitswelt nicht mehr gerecht. Der dringend neue Wind muss von Anfang an wehen und mit dem Nachfolger ursächlich verbunden sein. Mit dem Hinzutritt des „Neuen“ – und das beginnt für die Organisation (also systemisch) bereits mit der Bekanntgabe und damit zeitlich früher als Verträge unterzeichnet sind – sollte die damit einher gehende Veränderung der Organisation bewusst gestaltet werden. Da sitzt der Übernehmer mit im Boot. Diese Veränderung gut anzugehen stellt eine besondere Herausforderung dar, wenn Übergeber und Nachfolger überleitend gemeinsam im Unternehmen agieren. Was die gewollte und geplante Veränderung angeht können wir auf das umfangreiche Material verweisen, das unter dem Stichwort Change Management65 zu finden ist. Die eigentliche Herausforderung und damit ein wesentlicher Baustein für eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge ist die notwendige Abstimmung zwischen Übergeber und Übernehmer. Gerade in freiberuflichen Unternehmen mangelt es am Bewusstsein, dass zu diesem Aspekt Koordination und Kommunikation unumgänglich ist. Dazu mehr nächsten Kapitel. 64 IfM 2008a, S. 84 65 Change Management ist ein bewusster Steuerungsprozess, der die Veränderungen in einer Organisation auf z. B. formaler Ebene bsplsw. durch Änderungen der Aufbauorganisation und auf der Prozessebene z. B. durch Workshops für Mitarbeiter initiiert und steuert.
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§ 5 Transaktionsphase: Die Protagonisten im Zusammenspiel 1
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Das Geheimnis des Erfolges ist, den Standpunkt des Anderen zu verstehen. (Henry Ford zugeschrieben.) Die ersten gemeinsamen Transaktionen finden in den Vertragsverhandlungen statt, die auf ein erfolgreiches Erstgespräch folgen. Wir gehen davon aus, dass viele Schwierigkeiten, die allgemein mit Unternehmensübergaben und –übernahmen verbunden werden, auf ungenügende Arbeit in den Phasen gründen, denen wir im vorderen Teil des Buches breiten Raum eingeräumt haben: Wenn die Arbeit an den eigenen Wünschen und an den daraus resultierenden Motiven nicht erfolgreich war und ist, dann kommt es entweder gar nicht zu den Verhandlungen, die jetzt anstehen, oder sie scheitern. Doch selbst bei sorgsamer Einstellung auf die Schritte bis zum Verhandlungsbeginn lauern in der Transaktionsphase neue Handicaps. Unser eingangs gegebenes Beispiel der Kanzlei Treugott und Glaube in spe weist auf ein – unseres Wissens empirisch nicht in Zahlen gefasstes – Phänomen hin, dass Unternehmensübernahmen auch nach Unterzeichnung der Verträge scheitern, ja in manchen Fällen sogar Jahre später scheitern können. Häufig sind das Fälle, in denen Übergeber und Übernehmer noch eine zeitlang zusammen arbeiten. Auch in dieser Kohabitationsphase, wie sie Breuer genannt hat, sind einige Stolpersteine zu beachten.1 Wir beschäftigen uns in diesem Kapitel mit diesen beiden Transaktionsphasen, den Vertragsverhandlungen und der gemeinsamen Zeit in der Leitung des Unternehmens.
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Ist die persönliche Motivation auf beiden Seiten, sowohl vom Übergeber als auch vom Übernehmer, hinreichend geklärt, geht jeder mit offenem Visier und gestärkt durch die Sicherheit zu wissen, was jeder der Protagonisten für sich will, in die Verhandlungen. Da wir es mit Unternehmern zu tun haben, sollte hier das Stichwort für erfolgreiche Verhandlungen reichen: Es geht darum, Win-win – Lösungen zu erreichen, gerade auch, weil man im Business agiert, weil man in aller Regel noch weiter zusammen arbeiten möchte und weil nur ehrliches Verhandeln auf der Grundlage der beiderseitigen Interessen zu einem geschäftlich nachhaltigen Erfolg führen kann. In unserem Fall der Kohabitation für eine bestimmte Übergangszeit eint schließlich auch beide die eine Tatsache: Sie wollen, dass sich das Unternehmen oder die Kanzlei weiter erfolgreich auf dem Markt behauptet. Damit sind die Grundlagen für einen Verhandlungsstil gelegt, den wir effizientes Verhandeln nennen, weil es nicht den meist faulen Kompromiss in den Fokus des Interesses nimmt, sondern die Befriedigung der Interessen beider, denen von Übergeber und Übernehmer. Verträge legen Positionen fest. Mit Positionen kommt man in aller Regel jedoch nicht weiter. Vor allem nicht bei geschäftlichen Entscheidungen. Wenn A meint, nur „Entscheidung A“ sei richtig und C meint, nur der „Weg C“ sei richtig, dann kommt man mit dem klassischen Kompromiss, der sich auf der Hälfte zwischen A und C bewegt, dem Punkt B, nicht weiter. Denn B enthält nur die eine Hälfte von A und die andere Hälfte von C, keiner hat etwas gewonnen, jeder hat jedoch die Hälfte abgegeben und keiner ist zufrieden.
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Vertragsverhandlungen
Breuer, besonders S. 252ff.
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A. Vertragsverhandlungen Stellt man jedoch nur die eigenen Interessen in den Vordergrund, folgt also einem harten Verhandlungsstil, dann werden die Interessen des Gegenübers nicht berücksichtigt. Ähnlich unfruchtbar, wenn man dem weichen Verhandlungsstil folgt und nur die fremden Interessen zu befriedigen sucht.
eigene Interessen
hart
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effizient
Kompromiss
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weich fremde Interessen Aus: Knapp / Novak, 2006
Den effizienten Verhandlungsstil im Hintergrund zeigen wir an den zwei größten Hindernissen für einen erfolgreichen Unternehmensverkauf, wie sie in einer Studie erhoben wurden, was an guten Gründen dahinter steckt und wie man sich damit auseinander setzen kann.
I.
Kaufpreis und was dahinter steckt
Die bereits mehrfach zitierte Studie des IfM stellt fest, dass der größte Hinderungsgrund für einen Erfolg in der Verhandlungsphase darin liegt, den angemessenen Verkaufspreis zu finden.2 Auch wenn wir diese Einschätzung nicht teilen, steht fest, dass dieser Punkt ein beachtenswertes Gewicht hat. Es gibt einigermaßen objektive Kriterien für die Unternehmensbewertung, die spezialisierte Steuerberater und Wirtschaftsprüfer anwenden können. Dennoch treten bei der Preisfindung immer Widerstreite auf: Der Eine möchte einen möglichst hohen Preis erzielen, während der Käufer natürlich daran interessiert ist, einen geringen Preis zu zahlen. Aber der Interessengegensatz ist nicht unüberbrückbar. Ein Faktum, das unserer Erfahrung nach eine Einigung sehr viel mehr erschwert, steckt hinter dem Handling der nackten Zahlen: Für den Übergeber hat das Unternehmen auch einen ideellen Wert. In diesen gehen zwei Dimensionen ein, die mit den Stichworten Lebenswerk und Wertschätzung für das Lebenswerk treffend beschrieben werden. Während der Übergeber die Frage danach, wie er sein Leben nach dem Abschluss dieses Lebenswerkes weiter gestalten will, selbst beantworten muss, ist der Übernehmer in der Frage der Wertschätzung gefordert: Wir meinen hier nicht das servile Um den Bart schmieren, sondern die ehrliche Wertschätzung für ein Lebenswerk, das man schließlich als Übernehmer auch gerne kaufen möchte. Und man kauft ja nichts, von dessen Qualitäten man nicht selbst überzeugt ist. 2
IfM 2008a, S.80 bzw. 84.
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§ 5 Transaktionsphase: Die Protagonisten im Zusammenspiel Hilfreich für die Wertschätzung des – fremden – Lebenswerkes kann schließlich auch ein Blick auf die Graphik aus St. Gallen sein, die zu Beginn des vorherigen Kapitels abgedruckt ist. Auch wenn wahrscheinlich kein Unternehmer, egal wie gut ausgebildet und erfahren, diese Graphik aus dem Kopf hätte malen können, noch sagen würde, er habe all diese Einflussfaktoren in seiner täglichen Arbeit bewusst berücksichtigt: Wenn ein Unternehmen jahre- oder sogar jahrzehntelang auf dem Markt erfolgreich war, dann sind alle diese Faktoren irgendwo in die tägliche Arbeit eingeflossen und hatten – mehr oder weniger bewusst – ihre Relevanz. 8
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! Tipp: Und was in der Literatur gar nicht erwähnt wird ist die Tatsache, dass es auch für den Übernehmer um mehr geht als den nackten Kaufpreis. Da stecken persönliche Dinge dahinter wie Motive nach Anerkennung und Selbstbestätigung. Es können auch Umstände sein wie drohende Arbeitslosigkeit, der Zustand familiärer Beziehungen u. a.. Mit dem Eintritt die Verhandlungsphase werden neue bzw. andere Motivatoren im Hintergrund relevant, die in den Vorphasen noch nicht diese Bedeutung hatten. Wird sich der Übernehmer dieser Aspekte analog der empfohlenen Vorgehensweisen (siehe oben unter § 4 B) bewusst, verändert sich seine Interessenlage in Bezug auf die Festlegung des Kaufpreises, weil auch er „weiche Faktoren“ in die Waagschale zu legen hat.
II. 9
10
Übergeber wollen sich nicht wirklich vom Unternehmen trennen – und was dahinter steckt
Unter diesem ersten Teil der Überschrift ermittelte das IfM den zweitwichtigsten Hinderungsgrund für erfolgreiche Übernahmen aus Sicht der Übernahmeinteressierten.3 Wenn sich der Übergeber nicht wirklich von seinem Unternehmen trennen will, dann geht es unserer Meinung nach hauptsächlich um die Frage von Macht und ihrer Übergabe. Macht wird nicht nur verliehen, sondern sie muss ganz ausdrücklich auch ausgeübt werden. Die rechtliche Position des Geschäftsführers ist die Position der Macht, im operativen und strategischen Sinne. Der Geschäftsführer ist für die Leitung, und damit das Wohlergehen des Unternehmens und seiner Mitarbeitenden verantwortlich. Dazu gehört nicht nur das Recht, sondern auch die ausgesprochene Pflicht, Machtmittel zu nutzen. Denn Macht ist nötig, um Dinge zu bewegen anstatt von den Dingen bewegt zu werden. Wer sich nicht verändert, wird verändert. Diese Machtmittel umfassen eine ganze Liste an Tätigkeiten wie Einstellungen, Abmahnungen, Kündigungen, Anweisungen, rechtsverbindliche Unterschriften, Erstellung von Verhaltensrichtlinien, etc.. Dass zur Ausübung dieser Macht auch Mut gehört, sei nebenbei erwähnt. Diesen Mut zu haben bzw. zu entwickeln ist ein Auftrag an den Übernehmer, der an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden soll. Wie wird der Übergang der Macht vom Übergeber auf den Übernehmer gestaltet? Gibt es einen Zeitplan? Denn zur Übergabe von Macht gehört nicht nur die Bereitschaft, Macht abzugeben, sondern auch der Wille auf der Seite des Übernehmers, Macht auszuüben. Wer tut sich schwerer damit: Der Übernehmer, oder der Übergeber? Und wie reagiert die Umgebung, die direkte, namentlich die Mitarbeitenden und die indirekte wie die Kunden, Mandanten, Patienten, etc? ! Tipp: All dies sind Fragen, die in den Verhandlungen angesprochen und geklärt werden müssen. Individuell musste das jeder der Beteiligten für sich selbst in den Vorphasen klären (siehe die ersten Abschnitte des Buches – in § 4). Während es dort jedoch um die Schaffung von Sicherheit und Souveränität für die jeweiligen kleinen Schritte ging und die aktuelle Befindlichkeit von Bedeutung war, weisen die Verhandlungen in die Zukunft: Es wird die Zukunft gestaltet. Und das ist – ohne dass es weiterer Erläuterungen
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Ebda. S. 79
B.
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Die ersten Tage und Wochen
bedarf – eine neue Dimension. Die Protagonisten sind gefordert, ihr Leben hypothetisch einzuschätzen und den Hypothesen einen möglichst hohen Sicherheitsgrad beizulegen. Dieser Sicherheitsgrad ist höchst persönlich und gibt nur dann die notwendige Sicherheit für faires Verhandeln, wenn er gut reflektiert zustande gekommen ist. 4 Hier geht es nun darum, darüber zu verhandeln und ein Ergebnis zu finden. Wenn die individuelle Klärung gut und ehrlich verlaufen ist, dann sind diese Verhandlungen zwar nicht einfach, aber sie sind zielführend möglich. Sicherlich werden sowohl beim Übergeber als auch beim Übernehmer – wie im vorherigen Absatz erklärt – jetzt noch weitere Fragen auftauchen, auch solche, die die eigenen Motive berühren. Es kann auch geschehen, dass die Verhandlungen an diesem Punkt noch scheitern, aber ein Scheitern hier ist besser als mit ungeklärten oder falschen Motivationen in die letzten Schritten der erfolgreichen Übernahme zu gehen. Um diese geht es in dem nächsten Abschnitt.
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Die ersten Tage und Wochen
Bekanntlich finden die wenigsten Übernahmen folgendermaßen statt: Der Übergeber verlässt am Abend sein Büro, sagt der langgedienten Sekretärin ein wehmutsvolles Alles Gute für die Zukunft, steigt die Treppen nach unten, lässt einen Blick durch die Lager- und Produktionsräume schweifen und verlässt sein Unternehmen, um nie wieder zurück zu kehren. Am nächsten Morgen erscheint der Übernehmer, wandert durch die Produktions- und Lagerräume, geht die Stockwerke nach oben, betritt das Vorzimmer, begrüßt die langgediente, jetzt seine neue Sekretärin und begibt sich in das Chefzimmer, das nun seines ist. Häufig arbeiten Übergeber und Übernehmer zusammen, für eine geraume Zeit, die in manchen Fällen durchaus Jahre betragen kann. Besonders in dienstleistungsorientierten Unternehmen ist eine längere gemeinsame Zusammenarbeit nicht nur wünschenswert sondern auch notwendig: Neben anderem gilt es besonders, das Vertrauen zu den Kunden zu erhalten und auf den Nachfolger zu übertragen.
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> Beispiel: In unserem Beispielfall vom Beginn des Buches, Theodor-Gustav Treugott und Gerhard Glaube von der Steuerberatungskanzlei Treugott, arbeiten für eine langen Zeitraum zusammen. Gerade in Steuerfragen gibt es ein hohes Maß an Vertrauen, das zwischen Berater und Mandanten aufgebaut und erhalten werden muss. Und für den Übernehmer in spe, Gerhard Glaube, steht natürlich der Mandantenstamm im Vordergrund. Eine Steuerberatungskanzlei aus dem Nichts aufzubauen, ist schwierig und kostet viel Mühe. Bei allen Unternehmensübernahmen stellt sich die Frage der Übertragung von Kundenbeziehungen. Diese können, wie im gewerblichen Bereich, die klassischen Kunden – Endverbraucher oder Industriekunden sein. Es kann sich aber auch um Patienten/Klienten handeln, wenn es sich um Praxisübernahmen handelt. Oder Mandanten bei Übernahmen im Beratungsbereich wie in Steuerberaterund Rechtsanwalts- oder Notariatskanzleien. In manchen Praxen hängt das Geschäft entscheidend auch von dem Kontakt zu Kollegen ab wie z. B. im Notariat; denn ohne die kollegiale Empfehlung bzw. Einbindung fällt ein Großteil des Geschäfts schlicht weg. In all diesen Fällen spielt Vertrauen eine große Rolle. Für die Kunden soll und muss mit der Übergabe auch der Übergang des Vertrauens von dem Übergeber auf den Übernehmer sichergestellt werden. 4
Die Verfasser haben ein vom Bundesverband Mediation mit dem ersten Innovationspreis ausgezeichnetes Produkt mit dem Namen Zwei mal Fünf gleich Eins – Leitung übergeben – Führung übernehmen zur Begleitung von Unternehmensübernahmen entwickelt. Dieses beschäftigt sich in der ersten Phase mit der Aufnahme der Wünsche und Motive. In den weiteren Phasen, insgesamt fünf, werden Konfliktpotentiale aufgespürt und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Siehe dazu auch: Berning/Novak: 2 mal 5 gleich 1 – Leitung übergeben, Führung übernehmen. Auch Novak, Andreas: Unternehmensnachfolgen – ein Zukunftsmarkt für MediatorInnen!? Weitere Informationen unter: www.2mal5gleich1.de
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§ 5 Transaktionsphase: Die Protagonisten im Zusammenspiel
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In aller Regel betreten nun also beide, Übergeber und Übernehmer, am ersten gemeinsamen Tag das Unternehmen. Sie erreichen das Büro der Geschäftsleitung. Es treten Fragen auf, von denen einige sicherlich in den Verhandlungen besprochen und dann auch vertraglich geregelt worden sind, andere sich allerdings erst im Laufe der gemeinsamen Arbeit ergeben. Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich damit. Um ein vielzitiertes und in dieser Situation passendes bonmot zu nutzen: Der Teufel liegt im Detail. Und Details gibt es mannigfaltige. Sie können durchaus als Details, also kleinteilige Fragen aufkommen, sich allerdings im Laufe der Zeit – und bei unprofessionellem Umgang damit – zu großen Problemen auftürmen. Denn diese „Details“ beinhalten in aller Regel ein Potential, um sich zu handfesten Konflikten zu verdichten. Und das tritt unweigerlich ein, wenn die Protagonisten nichts unternehmen. Die folgenden Abschnitte verfolgen das Ziel, die Sicht auf mögliche Probleme zu schärfen und auch einige Hinweise zu geben, wie die Übergabe von Leitung und die Übernahme von Führung gestaltet werden kann. Wir beschränken uns auf allgemeingültige Hinweise, da die spezifischen Herausforderungen für jede Übernahme unterschiedlich sind und für jeden Fall einzeln betrachtet werden müssen.
I.
Wer sitzt wo – und vor allem: Was wird damit dokumentiert?
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Schreibtisch hingestellt, Telefon [und Netzanschlüsse] gelegt, Stuhl drangeschoben und angefangen zu arbeiten. So äußerte sich einem der Autoren gegenüber ein leitender Mitarbeiter über die erste Zeit einer stürmischen Expansion in einem Handelsunternehmen.5 So einfach und unprätentiös soll es gegangen sein; so einfach geht es in der Regel bei Übernahmen allerdings nicht. Die Wahl des Arbeitsplatzes des Übernehmers, genauso wie ein eventueller Wechsel des Übergebers an einen anderen als seinem angestammten Platz, sagt etwas aus, dokumentiert etwas. Und das wird sichtbar für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen genauso wie für die Kunden. Kommt der Übergeber an den „Katzentisch“ im gleichen Büro, während der Übernehmer nach wie vor im Zentrum mit ausladendem Schreibtisch residiert? Kommt er in ein gleichwertiges Büro, das sich in gleicher Entfernung zum Chefsekretariat befindet? Oder befindet sich das eigene Büro weit ab vom Geschehen neben dem Kopierraum im dunkelsten Teil des Hauses? Im Beispielfall unserer Kanzlei in der Großstadt im großbürgerlichen Ambiente residierte Treugott im ansprechendsten Raum mit Flügeltüren, durch die er schritt, bzw. durch die Mandanten sein Arbeitszimmer und gleichzeitig Besprechungszimmer betraten.
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Es handelt sich dabei zwar um Fragen der Symbolik, die manchen hartgesottenen, sich auf Zahlen, Daten und Fakten beschränkenden Realisten unwichtig vorkommen mögen. Das sind sie allerdings nicht. Jeder kennt die Macht von Statussymbolen, und gerade diesen sogenannten Realisten kann man nicht absprechen, dass sie diese Statussymbole durchaus für sich zu nutzen wissen: Der Geschäftswagen mit großer Leistung, das repräsentative Büro, möglichst im Eckzimmer im oberen Stockwerk, die gediegene Einrichtung. All diese Symbole werden genutzt, um nicht nur Status, sondern vor allem auch Macht zu dokumentieren. Dies drückt sich auch und vordringlich in den räumlichen Gegebenheiten aus. Jede der oben geschilderten Alternativen für den Raum des Nachfolgers repräsentiert einen anderen Umgang mit Macht: Der „Katzentisch“ symbolisiert wer hier „Herr“ im Hause war, ist, und bleibt. 5 98
Novak, 1994 S. 132
B.
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Die ersten Tage und Wochen
Das gleichwertige Büro mit gleicher Entfernung zum Sekretariat steht von der Symbolik her für Machtteilung. Jeder hat seinen Herrschaftsbereich, der sich zumindest in den räumlichen Gegebenheiten manifestiert. Das Kämmerchen weitab vom Geschehen macht allen klar, mit dem Nachfolger muss erst einmal nicht weiter gerechnet werden. Und wenn die Situation anhält: Mit ihm muss gar nicht mehr gerechnet werden.
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> Dazu aus unserem Eingangsbeispiel: Gerhard Glaube musste lange darum kämpfen, aber schließlich gelang ihm der Wandel: Aus dem muffigen Büro neben dem Kopierer, das als letztes Zimmer vom langen dunklen Gang abging, zog er in ein frisch renoviertes Büro in zentralerer Lage um. Treugotts Reich wurde zum Besprechungszimmer umgebaut und Treugott selbst wechselte in einen anderen repräsentativen Raum auf derselben Etage. Flügeltüren bildeten nach wie vor den Zugang, durch die er und andere schritten.
II.
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Die Sekretärin – oder: der Zugriff auf Ressourcen
Vielleicht sind Abmachungen getroffen worden, wie die Aufgaben verteilt werden, vielleicht sind sie sogar in den Verträgen kodifiziert und doch wird in den ersten Tagen unweigerlich die Frage auftreten, wer welchen Zugriff auf die Ressourcen hat: Jedes gut geführte Unternehmen muss die Ressourcen, mit denen es arbeitet, knapp halten. Arbeitskräfte auf der Gehaltsliste zu führen, die in ihren Büros auf ihren Einsatz warten, der nur einige Male in der Woche für ein paar Stunden geschieht, ist in unserer wettbewerbsintensiven Zeit wirtschaftlich nicht vertretbar. Wenn der Übernehmer das erste Mal das Haus betritt, wird in aller Regel nicht gleich eine neue Sekretärin oder Assistentin eingestellt worden sein. Die Situation wird eintreten, dass beide, Übernehmer und Übergeber, dringend der Zuarbeit der gemeinsamen Kraft bedürfen: Das Angebot an Kunden X muss gleich geschrieben werden, die Bearbeitung der Reklamation von Kunden Y duldet nun, nachdem der Sachstand geklärt wurde, keinen längeren Aufschub. Wer hat welchen Zugriff auf die knappe Ressource Sekretariat? Auch hierin wird dokumentiert, wie Macht übergeben und übernommen wird. Wer tritt zurück und lässt dem anderen den Vortritt? Und kommt es, nach längerer Zusammenarbeit, zu der Aufführung des unwürdigen Schauspiels: Die letzten drei Mal habe ich jedes Mal zurückgesteckt, diesmal bin ich aber zuerst dran!? So unwürdig wie dieses Schauspiel sein mag, so sehr drückt sich darin die unklare Situation der Übergabe aus: Sie ist per se vorprogrammiert und lässt sich auch durch die besten Überlegungen im Vorfeld nicht ausschließen. In der gemeinsamen Arbeit in der Übergangssituation geht es darum, diese Konfliktfelder durch vertrauensvolle und offene Kommunikation zu erkennen, zu klären und zu lösen. Schließlich wird nicht nur um die knappe Ressource Sekretariat gerungen, hier wird es nur schnell augenfällig. Schließlich sind jetzt zwei Chefs da, und die sollten auch, wenn zwar nicht doppelte, aber doch zumindest deutlich mehr Arbeit produzieren. Daher wird es viele Mitarbeitende im Unternehmen betreffen. Um auch diesen die nötige Sicherheit zu geben, dass in der Geschäftsführung alles mit „rechten Dingen“ zugeht, ist die Klärung im potentiellen oder im tatsächlichen Konflikt zwischen den beiden Geschäftsführern eine notwendige Bedingung. Nichts würde die Mannschaft mehr verunsichern, als ein coram publico ausgetragener Wettstreit darum, wer hier welche Rechte auf welche Ressourcen hat.
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§ 5 Transaktionsphase: Die Protagonisten im Zusammenspiel > Auch hier wieder der Blick auf das Eingangsbeispiel: Gerhard Glaube akquirierte schnell neue Mandate. Die zusätzliche Arbeit konnte mit den vorhandenen Kräften nur mehr mühselig abgearbeitet werden. Neueinstellungen waren unumgänglich. Und die Räume wurden zu klein. Deshalb mietete man noch eine kleine Wohnung nebenan, nachdem die vorherige Mieterin verstorben war. Nach gründlicher Renovierung wurde sie der Kanzlei einverleibt; die neuen Kräfte hatten jetzt angemessene Arbeitsplätze.
III. 22
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Die Strategie
Der Übergeber hatte eine Strategie, wie das Unternehmen zu führen ist. Sie war erfolgreich, ansonsten wäre es gar nicht zu einer Übergabe gekommen, sondern das Unternehmen wäre insolvent und liquidiert worden. Jeder Übernehmer wird sich bereits im Vorfeld der Übernahmegespräche überlegt haben, wie er das Unternehmen weiter führen möchte: Welche Strategie sieht er als erfolgversprechend an, damit das Unternehmen weiter existieren und auch wachsen kann? In aller Regel kann man davon ausgehen, dass es keine Deckungsgleichheit zwischen der alten und der neuen Strategie gibt. Beispielsweise können sich Divergenzen in der Marketingstrategie zeigen: Wird diese auf altbekannte Art und Weise von der Geschäftsführung vorgenommen oder soll ein Marketingfachmann eingestellt werden, der das Marketing professionell gestaltet und direkt an die Führung berichtet? > Wieder unser Beispiel: Theodor-Gustav Treugotts Mandanten gehörten dem distinguierten Bürgertum an. Gerhard Glaube fischte in anderen Gewässern: Aufstrebende Architekten, beratende Ingenieure kamen mit dem jugendlich frischen Glaube bestens klar. Auch smarte, Golf spielende Berater ließen ihre Steuererklärungen vermehrt bei der früher in diesen Kreisen als verstaubt geltenden Kanzlei erledigen. An Gebühren kam da einiges zusammen, denn die Einkommen bewegten sich in der Regel im sechsstelligen Bereich. Glaube entdeckte über diese neue Klientel einen anderen lukrativen Markt: Türkische Unternehmer, die geschäftlich immer umtriebiger wurden: Reisebüros, Restaurants, eine Autovermietung mit Kleinlastwagen, einen etwas anrüchigen Club. Man wollte dort auch schon den einen oder anderen langjährigen Mandanten von Treugott gesichtet haben, wie er nachts um drei beschwingt durch das von Türstehern bewachte Tor herausgetreten war. Das ging Treugott definitiv zu weit. Der Konflikt war nicht lösbar.
IV. 24
Das Führungsverständnis
Wir wird Führung ausgeübt? Wie werden Mitarbeiter geführt? Bei der Übergabe eines Unternehmens sind diese Fragen eminent wichtig und gleichzeitig bergen sie ein großes Konfliktpotential. In aller Regel ist davon auszugehen, dass zwischen Übergeber und Übernehmer eine ganze Generation liegt.
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Führung hat auch mit gesellschaftlichen Konventionen zu tun. Was in den siebziger und achtziger Jahren akzeptabel war, ist es im neuen Jahrtausend nicht mehr. Andererseits liegt gerade in stark auf den Unternehmer und Besitzer orientierten Unternehmen ein mögliches Konfliktfeld: Was man dem „Alten“ nachsieht, weil er schon immer so war und damit auch authentisch „rüberkam“, wird bei dem Neuen nicht geduldet. Es treten Führungs- und hier besonders Konfliktsituationen auf, die der Übergeber mit seinem traditionellen Führungsstil lösen konnte und auch weiterhin lösen kann. Beispielsweise bestimmt er, wo es lang geht, wer was zu tun hat, gibt die entsprechenden Anweisungen und gut ist es. Die gleichen Betroffenen würden identisches Führungsverhalten des Nachfolgers jedoch nicht akzeptieren. Und das hauptsächlich deswegen, weil er aus einer anderen Generation stammt und man deshalb anderes von ihm erwartet. Während sich also der Eine wie ein Fisch im Wasser bewegt, wird der Andere, der Übernehmer, eher zu einem Fisch im Haifischbecken, wenn er seinen Vorgänger kopiert. Er kann schnell aufgefressen werden, was in diesem Zusammenhang bedeutet: Er verliert seine Autorität, hat Mühe, seinen eigenen Stil zu finden und damit von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern akzeptiert zu werden. Selbst die bestgeplante Unternehmensübergabe kann durch unvorsichtiges Verhalten des Übergebers dazu führen, dass der Übernehmer schnell seine Autorität verliert und in Zukunft einen schweren Stand hat.
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> Unser Beispiel: Gerhard hatte zu kämpfen, hart zu kämpfen. Herrn Treugotts Gelsenkirchener Barock in der täglichen Führungspraxis ging ihm schon heftig auf die Nerven. Auch der Unterschied zwischen der außerordentlich zuvorkommenden Behandlung der Mandanten und der barocken Behandlung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wollte für ihn überhaupt nicht zusammen passen. Darauf angesprochen, mehrmals, kam die Antwort: Die einen zahlen mich, ich zahle die anderen. Da war nichts zu machen.
V.
Übernahme der Führung
!Tipp: Bei jeder Nachfolge geht die Führung des Unternehmens auf den Nachfolger über. Wir sagen: der Übergeber hat die Leitung abzugeben und der Übernehmer respektive Nachfolger hat die Führung zu übernehmen6. Dass es sich dabei um ein Tun beider Protagonisten – sowohl von jedem für sich als auch gemeinsam – handelt, wird der Leser intuitiv erfasst haben – und dass das so sein muss, ebenfalls. Über diesen Aspekt wird allerdings bei Unternehmensnachfolgen unter Freiberuflern so gut wie gar nicht nachgedacht ebenso wenig wie bei Nachfolgen im gewerblichen Mittelstand. Die größeren mittelständischen Unternehmen und die Konzerne agieren hier allerdings bewusster. Wenn beide, Übergeber und Übernehmer, in der Kohabitationsphase für eine bestimmte Zeit zusammenarbeiten, dann stellt sich die Frage der Übernahme der Führung in besonderer Weise. Wohl aus der Politik entlehnt, spricht man auch bei Übergaben in Unternehmen von einem „100-Tage Konzept“.7 Nicht auf alle Fälle trifft diese einhundert-Tage–Regel zu. Es gibt Unternehmensübernahmen, die sich über einen sehr viel längeren Zeitraum abspielen – durchaus bis zu mehreren Jahren. Im Falle von Übernahmen innerhalb der Familie kommt es auch vor, dass der väterliche Übergeber im Unternehmen tätig ist, bis „er tot umfällt“ 8. Auch wenn beide für einen längeren Zeitraum ge6 7 8
Berning/Novak: 2 mal 5 gleich 1 – Leitung übergeben, Führung übernehmen. Nagel, S. 224f. Breuer, S. 327
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§ 5 Transaktionsphase: Die Protagonisten im Zusammenspiel meinsam im Unternehmen arbeiten, sollte ein Zeitplan erstellt und bekannt sein, aus dem hervorgeht, wann die Führung komplett übergeben und übernommen werden soll. Dies ist auch wichtig im Zusammenhang mit der im vorangegangenen Kapitel erwähnten Sicherheit, die das Unternehmen und seine Mitarbeitenden braucht. > Unser Beispielsfall: Gerhard Glaube war sich sicher, dass sich das Thema im Laufe der Jahre zum Guten hin entwickeln würde. Allmählich würde er immer mehr die Führung übernehmen, und Treugott würde sie abgeben. Die Jahre zogen sich dahin. Geschehen war wenig.
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VI. 28
Rollenklarheit
So wie die Übernahme der Führung und die Rückzugspläne zwischen Übergeber und Übernehmer klar und eindeutig ausgemacht sein müssen, so muss auch das Rollenverständnis zwischen beiden klar kommuniziert sein. Bei den Rollen gilt es zusätzlich noch zu beachten, dass sie selbst nicht nur aktiv eingenommen werden sondern dass es auch seitens der Umgebung eine bestimmte Rollenerwartung gibt. Die Umgebung, seien es die Mitarbeiter, seien es die Kunden oder Lieferanten, erwarten ein bestimmtes Verhalten. Eine Rolle einzunehmen, gelingt aber nur dann ohne Verunsicherung auf beiden Seiten, wenn die Erwartungen an den Rollenträger erfüllt werden. Mit der Funktion ist eine bestimmte Erwartung an beispielsweise die Kleidung, aber auch das Verhalten, verknüpft. Diese gilt es transparent werden zu lassen – und zwar Übergeber und Übernehmer jeder für sich und gemeinsam. > Wieder in unserem Beispiel: Der alte Kanzleibesitzer Theodor-Gustav Treugott war und ist bei Mandantenbesuchen immer wie aus dem Ei gepellt. Auch das dunkle Tuch, in das er gewandet ist, hinterlässt bei seinen Mandanten immer den Eindruck eines überaus seriösen Steuerberaters. Als nun Gerhard Glaube in die Kanzlei als „Übernehmer in spe“ eintrat, war dem alten Treugott das eher billig Daherkommende des Finanzbeamten – Grau und nur wenige Anzüge – ein Ärgernis. Glaube legte diesen Stil – nicht zuletzt auf das Einwirken von Treugott – ab. Zunächst wechselte er auf den konservativen Stil des Seniors. Doch dann erfand er sich und seinen Kleidungsstil neu: Sportlich leger aber mit Qualität und Markenware. Treugott traute seinen Augen nicht, aber Glaube schaffte neue Mandanten ran: die aufstrebende Architekten und smarte, Golf spielende, gut verdienende Berater.
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Über die Weise, wie Rollenerwartungen erfüllt werden, bedarf es ggf. einer Abstimmung zwischen den Protagonisten und im Einzelfall auch mit „betroffenen“ Dritten. Die Übergabesituation bringt es mit sich, dass sich dieses Verhalten sukzessive verändern wird, also beispielsweise bestimmte Entscheidungen, die früher von dem übergebenden Unternehmer getroffen wurden, nun von dem Übernehmer getroffen werden. Auch hier kommt es vordringlich auf die klare Kommunikation nach außen an: Nichts ist für die Betroffenen und Beteiligten verstörender, als wenn eine bestimmte Rollenerwartung, die sie hegen, ein bestimmtes Verhalten, das sie erwarten, nicht eingehalten werden.
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VII.
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Wertvorstellungen – Unternehmenskultur
In jedem Unternehmen entwickelt sich über die Jahre seiner Existenz eine spezifische Unternehmenskultur. Sie wird innerhalb der Unternehmens augenfällig in der Art wie man zusammenarbeitet, wie Führung ausgeübt wird, wie man miteinander umgeht und letztlich wie der Kontakt nach Außen gestaltet ist: Werden die Kunden des Unternehmens als Bittsteller gesehen und behandelt, denen man großzügig die eigenen Produkte und Dienstleistungen zukommen lässt oder sind Kunden wirkliche Kunden, um die man kämpfen und die man von der Qualität der eigenen Arbeit überzeugen muss? So wie sich Führungsverständnis und Führungsverhalten ändern, so ändern sich graduell auch die zugrundeliegenden Wertvorstellungen und die Unternehmenskultur. Dies ist nach unserer Erfahrung für den Übergeber ein größeres Problem als für den Übernehmer, der in der Regel der „Betreiber“ dieser Veränderungen ist. Doch auch diesem sollte sein Tun bewusst sein.
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> Dazu wieder unser Beispielsfall: Die räumlichen Veränderungen herbeizuführen, war Gerhard Glaube gelungen. Zwar war sein Büro nach wie vor kleiner als das von Treugott. Auch mangelte es an der beidseitig zu öffnenden Flügeltür. Sein Zimmereingang bestand aus einer weiß lackierten Holztür. Graduell veränderte sich auch der Ton, weil er Mandanten aus anderen Schichten herangeholt hatte. Und doch blieb vieles gleich oder änderte sich nur zäh und auch nur graduell.
VIII. Informationsfluss – Lobby des Übergebers Breuer weist zu Recht darauf hin, dass der Übergeber aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und Tätigkeit im Unternehmen über ein formelles und über ein informelles Netzwerk verfügt, das ihm jederzeitigen Informationsfluss sichert.9 Diese Tatsache ist an sich nicht problematisch. Allerdings heizt die Suche nach Informationen über die informellen Netzwerke die Gerüchteküche an. Schnell spricht sich herum, dass der „Alte“ sich nach dem und dem erkundigt hat, was gar nicht mehr zu seiner Arbeit gehört. Im besten Falle runzelt man die Stirn, im schlimmsten schadet man dem Nachfolger und seinem Standing. Informationen beschafft man sich über die formellen Wege, die einem als – ehemaliger – Chef zustehen. Alles andere kann schnell bedeuten, die erfolgreiche Nachfolge in Gefahr zu bringen.
IX.
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Eigenes Projekt
!Tipp: Für den Übergang der Führung auf den Nachfolger hat sich bewährt, den Übernehmer mit einem eigenen Projekt zu betrauen.10 Es geht dabei darum, in das Unternehmen hinein zu kommunizieren, dass der Übernehmer Verantwortung übernimmt. Gerade in sehr auf die alte Führungspersönlichkeit ausgerichteten Unternehmen kann sonst der Verdacht auftauchen, dass der „Neue“ gar nichts bewegt und tut. In diesem eigenen Projekt muss klar sein, dass es der Nachfolger eigenverantwortlich führt und dass ihm der Übergeber dort nicht hineinredet. Damit wird auch für die unmittelbaren Projektmitarbeiter der Stil, die Arbeitsweise und die Führung des Neuen erkennbar. 9 Breuer, S. 325 10 Nagel, S. 228f.
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§ 5 Transaktionsphase: Die Protagonisten im Zusammenspiel > Unser Beispiel: Gerhard Glaubes Projekte beschränkten sich zu Anfang darauf, einige (bereits existierende) Mandanten zu übernehmen und zu betreuen. Nachdem er sich neu erfunden und eingekleidet hatte, beschäftigte er sich mit der Akquise neuer Mandanten aus neuen Berufs- und Bevölkerungsgruppen. Golf spielende smarte Berater entsprachen zwar nicht der Kragenweite von Treugott, der sein feines dunkles Tuch nie abzulegen schien, aber die sechsstelligen Jahresgehälter waren ein gutes Argument. Mit der türkischen erfolgreichen Unternehmerschaft kam Glaube nun aber überhaupt nicht weiter.
X. 5
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Vertrauen
Nicht nur Macht muss übergeben und aktiv übernommen werden, es muss auch Vertrauen gegeben und erwiesen werden. Gerade bezogen auf den eben erwähnten Punkt des eigenen Projektes kann sich Vertrauen erweisen sowie bewähren, und Vertrauen kann ausprobiert werden. Für den Übergeber erfordert dies die rückhaltlose Unterstützung für das Projekt des Nachfolgers. Für den Nachfolger seinerseits heißt das einen Vertrauensvorschuss, den er sich verdienen muss. Vertrauen muss in diesem Zusammenhang aber auch bedeuten, dass sich der Nachfolger bei eventuell auftretenden Problemen vertrauensvoll an den „alten Herrn“ wenden kann. Und dieser dann seinerseits mit Ratschlägen zur Verfügung steht und seine Unterstützung so versteht, den Nachfolger darin zu unterstützten, seinen eigenen Weg zu gehen zu können. So kann verhindert werden, dass das Projekt vielleicht nicht den gewünschten Erfolg erzielt und den Nachfolger eher beschädigt. Der Nachfolger hat Entscheidungen zu treffen, die der Vorgänger vielleicht nicht so getroffen hätte. Und doch sind sie zu treffen. Inwieweit kann der Übergeber diese Entscheidungen mittragen und sich zu ihnen committen, wie es so schön in der Managementsprache heißt, sie also mithelfen durchzusetzen? Nach dem Motto: Disagree, but commit? Ich bin zwar nicht Deiner Meinung, aber ich trage Deine Entscheidung mit, und das mit allen Konsequenzen. Oder, im schlimmsten und damit den Übergabeprozess gefährdenden Fall: Inwieweit torpediert der Übergeber getroffene Entscheidungen, weil er sie im Innersten seiner Überzeugungen für falsch hält? Er verfügt über Machtmittel, die ihm noch zur Verfügung stehen: Seine langjährige überragende Stellung im Unternehmen, die ihn zum besten Lobbyisten in eigener Sache macht. Und er agiert immer aus der Überzeugung heraus: Mir liegt daran, alles in guten Händen zu wissen und die Zukunft zu sichern. > Unser Beispielsszenario: Dazu kam es bei Treugott und Glaube nicht mehr. Das Vertrauen hätte sich erweisen können an der türkischen Unternehmerschaft. Treugott waren die Geschäftszwecke dieser möglichen Klientel zu suspekt, so sagte er jedenfalls. Ihm insgeheime rassistische Motive zu unterstellen, dafür fand Glaube keine Anzeichen. Über andere Gründe ließ sich Treugott nicht aus. Überhaupt sprachen sie nicht so viel, und es wurde immer weniger. Jetzt sprechen sie gar nicht mehr miteinander. Die Verträge wurden rückabgewickelt, mit erheblichen finanziellen Einbußen auf beiden Seiten. Gerhard Glaube ist in eine andere Kanzlei eingestiegen. Treugotts Büro ist umgezogen. Es reicht ein kleines Büro, ohne Flügeltüren. Die Kanzlei beschäftigt noch zweieinhalb Fachkräfte. Einige der arbeitslos gewordenen früheren Mitarbeitenden sind bei Glaube in dessen neuer Kanzlei untergekommen.
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XI. ■ ■ ■ ■
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Zusammenfassung – Erwartungen, offene Kommunikation ...
Mit jeder Nachfolge sind ein Bündel von Erwartungen verbunden – offene und weniger offene, auf beiden Seiten. Diejenigen dieser Erwartungen, die die Zukunft des Unternehmens angehen, müssen offen kommuniziert werden. Es geht dabei auch um Aushandlungsprozesse – also klassische Verhandlungen, bei denen die Interessen in den Vordergrund rücken müssen. Häufig gibt es kein „richtig oder falsch“. Die meisten Fragen beziehen sich auf die Zukunft und wer weiß schon, wie die Zukunft sein wird? Das Problem hierbei ist der Übergeber, der „weiß“ wie es zu gehen hat, da er auf einen reichen Fundus von Erfahrungen zurückgreifen kann. Nur gilt es hierbei zu bedenken, dass das damals vielleicht die richtige Lösung war; aber wahrscheinlich gab es auch damals andere, die nur nicht versucht worden sind. Kommunikation braucht Zeit: Beide müssen sich darüber im Klaren sein, dass die gemeinsame Zeit im Unternehmen und in der Führung des Unternehmens in den ersten Tagen und Wochen viel Zeit zur Kommunikation benötigt. Sie muss, neben der täglichen Arbeit eingeräumt werden, am besten durch einen jour fixe. Dieser sollte nach hinten hin offen sein, so dass auch für kompliziertere Themen genügend Zeit zur ausreichenden Behandlung zur Verfügung steht. Kommunikationsratgeber gibt es zuhauf. Eine der einfachsten Regeln, die sich für kompliziertere Themen bewiesen haben, ist der sog. kontrollierte Dialog: Man erwidert erst dann etwas, wenn man die Aussage des Anderen wiedergegeben hat und dieser bestätigt hat, dass er richtig verstanden wurde.
XII.
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... und Konfliktprophylaxe
Zum Alltag gehören Konflikte – diese sind völlig normal. In einer neuen Situation, ja einem neuen Lebensabschnitt wie hier der Unternehmensübernahme, bekommen Konflikte ein besonders Gewicht, eine ganz besondere Bedeutung und eine Zuordnung, die das gesamte Nachfolgegeschäft infrage stellen können. In unserem Beispielfall, den wir in den letzten Abschnitten immer wieder bemühten, haben sich Übergeber und Übernehmer gefunden. Sie arbeiteten zusammen, aber sie sind den Konflikten, die sich natürlicherweise in der Zusammenarbeit ergeben, nicht gewachsen gewesen. Sie entzündeten sich an Einzelfragen, die alleine für sich genommen nicht dramatisch gewesen wären. Einige dieser Einzelfragen haben wir oben geschildert. Zum Einen hängt das sicherlich mit einer gewissen Konfliktscheu zusammen, die gerade in kleineren Unternehmen und in Kanzleien immer wieder zu beobachten ist. Zum Anderen hängt es aber auch mit den – unbeschriebenen – Erwartungen des Übernehmers und den Hoffnungen des Übergebers zusammen. Beide werden an bestimmten Stellen nicht erfüllt. Beide bereuen irgendwann (an schlechten Tagen – und sei es nur, weil das Wetter schlecht ist, der Partner schlecht gelaunt, das Konto überzogen ist etc.) das ganze Geschäft und wollen nur noch raus. Wenn es dann nicht mehr auszuhalten ist und weil eine Rückabwicklung so fein und sauber nicht ist, schaltet einer der beiden einen Anwalt ein, der mal machen soll. Hauptsache: Er schafft es, am Vertrag zu rütteln. Damit verlagert sich die Aufmerksamkeit weg vom Geschäft und der Konzentration auf die Geschäftsführung hin zur Frage: Wie kann ich den Deal ungeschehen machen? 105
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Leider gibt es bislang keine Evaluation, in welchem Umfang statistisch erfasste (und damit scheinbar erfolgreiche) Unternehmensnachfolgen später scheitern, weil die Übergabe letztlich doch nicht funktioniert. Immer handelt es sich dabei um aufkommende Konflikte, die zur nachträglichen Infragestellung der Übernahmeentscheidung geführt haben. Dem Geschäft ist eine solche „Irritation“ immer abträglich. Das allein reicht schon. Der Konflikt kann aber bis zur Zerstörung des Unternehmens führen – wie in unserem Beispiel. Da wäre es – volkswirtschaftlich – günstiger gewesen, der Verkauf hätte nie statt gefunden. Was können die Vertragspartner tun? Können sie überhaupt etwas tun? Wir denken ja, und möchten hier auf eine Konfliktprophylaxe und ein entsprechendes Verfahren hinweisen, das wir schon an anderer Stelle erwähnt haben. Um unsere Empfehlung nachvollziehen zu können, möchten wir den Leser in die Situation hinein bitten, in der sich ein Übernehmer befindet, wenn er den Schritt vollzieht, ein Unternehmen fortzuführen. Wie bei jeder selbst initiierten Veränderung träumt der Mensch davon, das Leben ginge deutlich positiver weiter, erfüllter, energetischer und zufriedener. Wir alle kennen diese Euphorie von Jobwechseln. Und alle haben die Ernüchterung erfahren, wenn sich zeigt, dass der Alltag im Grunde unverändert bleibt. Finden wir in Momenten erster Enttäuschung einen „Schuldigen“, machen wir unsere Enttäuschungen gern an ihm fest. Auf diesem Wege gleiten Enttäuschungen (also intrapersonale Ereignisse) in Konflikte über; denn ein Dritter wird einbezogen. Und genau das ist absehbar. Wie schon gesagt: Konflikte sind normal. Und weil über die höchst subjektiven Erwartungen an das Leben vor, bei oder nach einer Unternehmensübernahme niemand mit dem Übergeber spricht, weiß dieser davon auch nichts. Und doch ist er davon betroffen – wie der Beispielfall deutlich machen soll. ! Tipp: Dass die Protagonisten einer Unternehmensnachfolge sich mit all ihren Gefühlen, Erwartungen und Verstrickungen dem Vertragspartner gegenüber nicht öffnen und darüber sprechen, ist nur zu verständlich. Was aber möglich ist und im Sinne unserer Ausführungen in § 4 A und B für eine intrapersonale Stabilisierung von Übergeber und Übernehmer sorgen kann, ist die Äußerung ihrer Befindlichkeiten, Ideen, Vorstellungen und Sichtweisen gegenüber einer dritten Person, einem Berater, zu dem ein Vertrauensverhältnis bestehen muss. Für eine Prophylaxe ist es notwendig, dass dieser Dritte beide Vertragspartner begleitet. Wir, die Autoren, haben dazu ein Prophylaxemodell11 entwickelt, das wir „Zwei mal Fünf gleich Eins“ genannt haben. Der Produktname ist schnell erläutert: Zwei Parteien schaffen es in fünf strukturierten Schritten, die Grundlage für eine gemeinsame Zukunft zu schaffen. Das Gemeinsame in der Zukunft (Ziel) liegt erst einmal darin, dass derjenige, der seine Führungsposition verlässt, die Leitung übergibt und derjenige, der an dessen Stelle tritt, Führung und Leitung übernimmt12. Weil es bei der Unternehmensnachfolge nur übergangsweise um eine gemeinsame Arbeit in der Leitung des Unternehmens geht, verstehen wir unter „Eins“ – die gemeinsame Zukunft – den konfliktarmen Verlauf der Nachfolgeabwicklung. Für das Produkt 2-5-1 sind zwei Parameter wichtig: Es geht um Konflikte. ■ Es geht um Konflikte, die noch nicht eingetreten sind, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zukünftig eintreten werden, also sog. Konfliktpotentiale. ■
11 Siehe ausführlich in Berning, Novak: 2 mal 5 gleich 1 – Leitung übergeben, Führung übernehmen 12 Während die Begriffe Leitung und Führung in einem Zug als Übersetzung von Management in die deutsche Sprache gelten, wird im Deutschen auch nach Verhaltensaspekten differenziert: Unter Leitung wird die sachlich-materielle Sicht verstanden und unter Führung die personelle. (C. Steinle: Führung, Stuttgart 1978 S. 106/107)
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Wir verzichten darauf, das Produkt hier detaillierter zu beschreiben; das kann der interessierte Leser anhand der genannten Quellen für sich tun. Die Wirkweise sei jedoch skizziert: Die Informationen, die der Vertraute (möglichst mediativ vorgebildet) von den Partnern getrennt erhalten hat, weisen den Weg in absehbare Konflikte. So hätte im Beispielfall herausgefunden werden können, wie sich der Käufer, Gerhard Glaube, die zukünftige Strategie vorstellt. Wie sehr ihn die barocke Führungstechnik von Treugott in Zukunft daran hindern wird, die Kanzlei seinen Vorstellungen entsprechend für die Zukunft auszurichten – was seine Pflicht ist. Wie sehr es ihn bewegt, neue Mandanten hereinzubringen, auch wiederum, um die Zukunft der Kanzlei mit ihren zwanzig Arbeitsplätzen zu sichern. Wie sehr Treugott daran hängt, vieles möglichst beim Alten zu lassen, weil das sein Lebenswerk ist. Wie sehr ihn neue Mandantenschichten verunsichern. Das sind alles Fragen, bei denen ein Konflikt tatsächlich (noch) nicht existiert, diese Sachverhalte aber unmittelbar die Erwartungen und Interessen wiederspiegeln. Werden diese Sachverhalte erhoben, dann können beide darüber miteinander sprechen. Sie haben in dieser Sitzung den Auftrag, eine Lösung für den aufgedeckten denkbaren Konflikt zu finden, was dann unter kundiger Begleitung auch passiert. Durch dieses prophylaktische Konfliktgespräch geschieht zweierlei: 1. Insbesondere der Übernehmer realisiert, dass in der Zukunft durchaus auch schwierige Momente kommen werden, dass es Konflikte geben wird und manches anders kommt, als er es sich erträumt haben mag. 2. Beide Vertragspartner erleben, dass sie miteinander solche konflikthaften Situationen besprechen können und dass sie in der Lage sind, interessengerechte Lösungen zu finden – ohne zu meinen, Anwälte einschalten zu müssen.
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! Tipp: Wir schrieben oben von den ersten 100 Tagen. Genau hier werden die typischen Konfliktfelder angesprochen und genau hier können wir regelmäßig fündig werden auf der Suche nach absehbaren Konflikten. Insofern gilt dieser Praxistipp umfassend für die Zeit nach Vertragsschluss. Findet die Prophylaxearbeit frühzeitig, also vor Abschluss der Vertragsgestaltung statt, ergeben sich daraus regelmäßig auch wertvolle Hinweise für die Fassung der Verträge
XIII. Ein letzter Hinweis = Tipp !Tipp: Wir haben in unserer Praxis immer mal wieder mit gescheiterten oder nahezu gescheiterten Unternehmensübernahmen zu tun. Manchmal auch damit, in einer Mediation hocheskalierte Konflikte zu bearbeiten. Dazu muss es nicht kommen. Suchen Sie bei aufkommenden Schwierigkeiten zügig Unterstützung durch Moderatoren oder ein individuelles Coaching. Lassen Sie nichts anbrennen, denn die Gefahren für Sie und für das Ihnen anvertraute Unternehmen sind zu groß, als das man es aussitzen könnte. Sollten sich entstehende Konflikte dann immer noch nicht lösen lassen, hat sich eine Mediationsklausel13 bewährt, die in den Übernahmeverträgen festgeschrieben wird. Darin wird festgelegt, wie mit Konflikten umgegangen werden soll. Dabei wird auf eine juristische und damit gerichtliche Auseinandersetzung verzichtet, solange nicht eine Mediation versucht worden ist.
13 Detlev Berning: Mediations- bzw. Interessenklauseln in Verträgen?
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46
5
§ 5 Transaktionsphase: Die Protagonisten im Zusammenspiel C. 47
C.
Schon in den ersten 100 Tagen wird der Alltag eingekehrt sein, wobei eine Konzentration auf diese fixierte Zeit einiges von der Normalität des Alltags nimmt.
I. 48
5
49
Der Alltag
Konflikte im Alltag
> Dazu folgendes Beispiel: Oskar Muskel hat die „Muskel-Trainingsforschung GmbH“ aufgebaut. Dieses entwickelt und vertreibt Fitnessgeräte und erwirtschaftete exzellente Gewinne. Muskel hat über 20 Jahre intensiv und viel gearbeitet; mit 52 Jahren entschied er sich, sein Lebenswerk zu verkaufen, um sich anderen Dingen zuwenden zu können. Er fand die Fitness-Company Ltd. mit Sitz in Großbritannien als Käufer. Diese betrieb Fitnesseinrichtungen und handelte darüber hinaus mit allem, was der trainingsorientierte Mensch so braucht. Mit der Übernahme der „Muskel-Trainingsforschung GmbH“ wollte der Käufer auf dem deutschen Markt Fuß fassen. Die Parteien investierten über € 150.000 in die üblichen Dokumente: rechtliche und wirtschaftliche Due Diligence (die Jahresabschlüsse waren bereits von einem Wirtschaftsprüfer als Pflichtprüfung geprüft) und sonstige vertragsvorbereitende Dokumente. Der Kaufvertrag wies über 150 Seiten auf – in ihm waren alle denkbaren Konfliktpunkte angeführt mit den jeweils verabredeten Konsequenzen. Und natürlich enthielt der Vertrag auch die üblichen Umsatz- und Ertragsgarantien. Diese Abreden waren deshalb komplizierter als in anderen Fällen, weil Oskar Muskel mit Kaufvertrag sein Lebenswerk übergeben und gleich ganz aus dem Geschäft ausscheiden wollte. Das lag durchaus im Interesse des Käufers, denn für die Übernahme der Geschäftsführung stand Sigismund Herrlein zur Verfügung, über Jahre die rechte Hand Muskels. Der wusste, wie das Geschäft so erfolgreich geführt werden konnte und war auch bereit, diese neue Rolle zu übernehmen. Fitness-Company Ltd. akzeptierte einen Kaufpreis von € 30 Mio. auf den € 20 Mio. bei Abschluss des Kaufvertrages angezahlt wurden. Das restliche Drittel wurde in 2 Raten innerhalb der nächsten beiden Jahre fällig, weil dann die verabredeten Garantien abschließend auf ihre Wahrhaftigkeit hin überprüft sein konnten und mussten. Der neue Anteilseigner gewährte Herrlein als neuem Geschäftsführer nicht die Vergütung, die er sich vorgestellt hatte. Weiterhin erteilte die Ltd. dem Geschäftsführer Anweisung, welche Rendite zu erzielen sei. Nun lag das Geheimnis des Erfolgs von Muskel darin, dass er bereit war, in großen Magazinen wöchentlich ganzseitige Anzeigen zu schalten, die durchaus pro Ausgabe € 100.000 kosten konnten. In der Annahme, man könne den unternehmerischen Erfolg auch mit weniger Anzeigenwerbung erreichen, strich Herrlein einen Großteil dieser Ausgaben. In der Folge sank der Umsatz. Das wiederum löste hektische Aktivitäten sowohl bei Herrlein als auch beim Gesellschafter aus. Die erste Rate von € 5 Mio. wurde zum 01.07.2007 noch gezahlt – wenn auch zähneknirschend. Auf Veranlassung der Fitness-Company Ltd. hatte Herrlein bereits nach 10 Monaten einen Anwalt eingeschaltet mit dem Auftrag, zu prüfen, ob man nicht wieder aus dem Vertrag mit Muskel raus käme. Der Verkäufer hatte beobachtet, was in seinem ehemaligen Geschäft passierte und konnte auf ein erstes Anschreiben des Anwaltes retournieren, dass bei einer Änderung der Strategie die Erzielung ehemals erwirtschafteter Renditen nicht zu erwarten sei; insoweit ergäbe sich aus dem Umsatzrückgang kein Indiz für eine falsche Zusage im Kaufvertrag. Langer Rede, kurzer Sinn: Man kommunizierte nur noch über Anwälte, das Geschäft lief immer schlechter, Herrlein wurde entlassen, wegen Nichtzahlung der 2. Rate kam es zum Prozess, den die Fitness-Company Ltd. verlor. Heute sind sowohl die Muskel-Trainingsforschung GmbH als auch die Fitness-Company Ltd. insolvent. Muskel bekommt die letzte Rate des Kaufpreises nicht mehr; dafür ist sein Wettbewerbsverbot hinfällig und er baut aktuell ein neues Unternehmen auf.
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C.
5
Der Alltag
Mit diesem Fall beschreiben wir einen im Kern typischen Konfliktverlauf bei Unternehmensnachfolgen: Die – unbeschriebenen – Erwartungen des Übernehmers werden an irgendeiner Stelle nicht erfüllt. Dann reut ihn das ganze Geschäft und er will nur noch raus. Das kann aber durchaus auch einmal der Übergeber sein, wenn dessen Erwartungen enttäuscht werden.
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! Tipp: Wie in allen vorbeschriebenen Situationen die Transaktionsphase betreffend wird der ex-post-Betrachter sagen: Das hättet ihr doch früher erkennen können! Und genau darum geht es. Die Konflikte sind in den Personen und deren Situationen bereits bei Vertragsabschluss angelegt, also potentiell vorhanden. Damit sind sie aber auch erkennbar – die Strukturen müssen nur transparent gemacht werden. Und sie können „behandelt“ werden, wie wir im vorherigem Abschnitt verdeutlicht haben.
5
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6
§ 6 Das Familienunternehmen 1
6 2
Kaum jemandem fällt zu Familienunternehmen und Nachfolge nicht ein, dass das schwierig ist, dass Konflikte an der Tagesordnung sind und die Nachfolge ganz besonderen Beratungs- und Betreuungsbedarf erfordert. Wahrscheinlich sind Familienunternehmen die älteste Form der Unternehmung. Familien eignen sich auch für besondere Dramen. Sie stellen die grundlegende Form der menschlichen Vergemeinschaftung dar; jeder wird in eine Familie hineingeboren und daher ist jeder auch bekannt mit den Dramen, die sich dort abspielen können. Entsprechend finden Dramen, die sich in anderen Familien abspielen, eine hohe Aufmerksamkeit und werden begierig von der Umwelt aufgesogen. Ganze Leitartikel werden in Zeitungen und Wochenzeitschriften Familiendramen gewidmet, besonders wenn sie im Zusammenhang mit Unternehmen stehen.1 Auch die Literatur konnte sich zur Weltliteratur mausern, wenn sie Familienunternehmen in ihren Fokus nahmen, beispielsweise die Buddenbrooks. Nicht nur die Literatur, nicht nur die Tageszeitungen beschäftigen sich mit Familienunternehmen, sondern auch eine Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen. Auch Universitäten haben entsprechende Lehrstühle eingerichtet, Forschungsinstitute nehmen die Fragestellungen auf, Stiftungen finanzieren Forschung und Beratung.2 Familienunternehmen stellen eine weit verbreitete Art des Unternehmertums dar und auch die Nachfolgeregelungen in diesen Unternehmen bieten einen dankbaren Fokus für Literatur, Wissenschaft und Beratung. Wir werden uns hier auf einige abschließende Gesichtspunkte beschränken.
A.
A.
Unterschiede zwischen Familien und Unternehmen
3
Familien und Unternehmen unterscheiden sich in einigen wesentliche Dimensionen voneinander, wie die folgende Graphik zusammenfasst:3 Familie
Unternehmung
Beziehungen
Nicht kündbar, aufgrund biologischer Gegebenheiten und / oder Liebe konstant, Funktionen austauschbar, Loyalitätsverpflichtungen
Kündbar, Funktionen vertraglich geregelt, abhängig von fachlicher Qualifikation und Arbeitsleistung
Währung
Liebe
Geld
Gerechtigkeit
Gleichbehandlung, abgestimmt auf Stärken und Schwächen der Einzelnen
Vertraglich festgelegt, in der Regel Belohnung der Leistungsfähigsten
Überlebensbedingung
Emotionaler Zusammenhalt
Ökonomische Rentabilität
1 2 3
110
Aktuell waren im Sommer 2009 die Dramen der Familien Piech und Porsche Thema, der sich auch bürgerliche Tageszeitungen wie die FAZ nicht unkommentiert entziehen konnten. Beispielsweise die Equa-Stiftung Berning, Detlev, Wirtschaftsmediation S. 187
B.
6
Gerechtigkeit in der Nachfolge
Entscheidungsfindung
Nach dem Gerechtigkeitsprinzip der Gleichbehandlung, Status als Familienmitglied ist ausschlaggebend
Aufgabenorientiert, Funktionalität ist ausschlaggebend
Kommunikation
Personenorientiert, informell, mündlich, teilweise unverbindlich
Aufgabenorientiert, formaler Rahmen, schriftlich bzw. mündliche Abmachungen werden festgehalten
4
Arist von Schlippe erweitert diese Unterschiede noch um drei weitere Dimensionen:4 Familie
Unternehmung
Zugang
Geburt, Heirat, Adoption
Eintritt, Einstellung
Ausgang
Prinzipiell nicht möglich
Prinzipiell jederzeit, je nach Vertrag
Wichtig ist
Die einzelne Person (nicht austauschbar)
Funktion, Kompetenz (Person ist prinzipiell austauschbar)
6
Unternehmen werden also nach Kriterien geführt, die für die Organisation und den Zusammenhalt der Familie nicht praktikabel wären und sind. Familien sind personen- und beziehungsorientiert, während sich Unternehmen funktions- und aufgabenorientiert organisieren. Breuer weist allerdings darauf hin, dass diese Unterscheidungsmerkmale eher idealtypisch sind und für neuzeitliche Familien gelten; früher trug die Paarbildung und Familiengründung durchaus auch funktional-wirtschaftliche Aspekte.5 Den in aller Regel kleineren, inhabergeführten Betrieben, die noch kein sog. professionelles externes Management zur Führung des Unternehmens eingesetzt haben, sagt man ein besonderes familiäres Klima nach. Es geht eben nicht nur ausschließlich funktions- und aufgabenorientiert zu. Doch auch mancher Vorstandsvorsitzende eines Konzerns oder Geschäftsführer eines großen Unternehmens strebt danach, der Chef zum Anfassen zu sein. Diese Orientierung auf (mitarbeitende) Menschen stellt allerdings eine besondere Qualität dar, die Familienunternehmen in besonderer Weise zugeordnet wird.
5
B.
B.
Gerechtigkeit in der Nachfolge
Die unterschiedlichen Sachlogiken zwischen Familie und Unternehmen spielen insbesondere in der Frage der Gerechtigkeit eine Rolle, wenn es um die Unternehmensnachfolge geht. Unbestritten muss in der Familie nach Gerechtigkeitskriterien entschieden werden – es ist schlichtweg undenkbar, dass ein Kind mehr bekommt als das andere. Sollte dies aufgrund unachtsamer Tanten, Onkeln, Großväter und -mütter geschehen, wird dies von den Eltern schleunigst wieder ausgebügelt. Doch was ist gerecht, wenn es um die Unternehmensnachfolge geht?
4 5
von Schlippe, Arist (2009), S. 18. Die von ihm eingeführte weitere Dimension des „Systems Gesellschafter“ lassen wir hier unberücksichtigt. Breuer, S. 278
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6
6
§6
Das Familienunternehmen
In Unternehmen spielen Gerechtigkeitserwägungen keine, oder nur eine untergeordnete Rolle – Positionen sollten hier nach Eignung und Qualifikationen besetzt werden. Nicht selten werden aber in der Nachfolgefrage die Gerechtigkeit, die die Familienlogik erfordert, in den Betrieb übertragen. Dem für die Nachfolge geeigneten Abkömmling wird das Geschwisterpaar als Geschäftsführer beigestellt, obwohl er oder sie von der Qualifikation her – unbestritten – nicht geeignet ist. Von Schlippe erwähnt einen solchen Fall, in dem ein größeres Familienunternehmen in die Insolvenz getrieben wurde.6
C. 7
6
8
Die familieninternen Dynamiken
Nachfolgen innerhalb von Familien unterliegen besonderen dynamischen Prozessen. Wenn die Tochter oder der Sohn das Unternehmen übernehmen, spielt auch die eigene Sozialisationsgeschichte eine Rolle. Großwerden, durch die Pubertät gehen, sich von den Eltern abnabeln und eine eigene Identität entwickeln, das geht nicht ohne Brüche; darüber ist sich die Sozialisationsforschung einig. In dieser persönlichen Geschichte des Übernehmers, sei es die Tochter oder der Sohn, liegen Dynamiken vergraben, die in großem Umfang mit der Familiengeschichte zu tun haben. Sind sie einmal ans Licht gekommen, dann werden Handlungsweisen erklärbar, die einem außenstehenden Beobachter ansonsten unverständlich bleiben: Sei es ein rauer Ton, seien es besondere Unterwürfigkeitsgesten oder auch ungewohnt heftige Strategien der Auseinandersetzung. Die persönliche Sozialisationsgeschichte ist untrennbar mit der Familiengeschichte und diese wiederum mit der Unternehmensgeschichte verknüpft. So wie die Kinder in der Familie aufwachsen, so wachsen sie auch mit dem Unternehmen auf. In vielen Unternehmerfamilien ist die Entwicklung des Unternehmens, sind seine Triumphe und Niederlagen immer auch Thema am Abendbrotstisch. Es sitzt quasi immer mit dabei. ! Tipp: Man trägt als Eltern und man trägt als Kinder eine gemeinsame Vergangenheit. Weder lässt diese sich auslöschen, noch wäre das überhaupt wünschenswert. Und gerade in dieser gemeinsamen Vergangenheit liegt ein Schlüssel, um die Dynamiken zu verstehen. Denn alle in den vorhergehenden Abschnitten geschilderten Entwicklungen sind bei Übergaben innerhalb der Familie ebenfalls präsent. So muss sich der Vater seiner Motivation als Übergeber genauso bewusst werden und sein wie die Übernehmerin als Tochter oder der Übernehmer als Sohn. Besonders wichtig sind die beidseitigen Erfahrungen, die man in der gemeinsamen Familiengeschichte erlebt hat. In den Übergaben, die zwischen nicht verwandten Übergebern und Übernehmern geschehen, sind in aller Regel keine Narben geschlagen. Anders durch eine gemeinsame Familiengeschichte, die niemals ohne Verletzungen, Enttäuschungen und Unverständnis für die Reaktionsweise des Familienmitglieds erlebt worden ist.
D.
D.
9
Aber auch das ist Leben und Entwicklung. Narben verheilen und klärende Gespräche helfen dabei, auch wenn sie erst Jahre später geführt werden. Und wenn es gelingt, offen und vertrauensvoll miteinander zu kommunizieren und sich auch die gegenseitigen Erwartungen mitzuteilen, dann gibt es keinen Grund, warum nicht eine familieninterne Übergabe auch reibungslos vonstatten gehen kann. Diese Narben sind Folgen von Konflikten, die nicht oder nur teilweise bearbeitet werden konnten. Derartige Konfliktnarben sind vielfältig und in der Beziehung von Kindern zu ihren Eltern normal. Müssen Eltern und Kinder jetzt das – selbst unter einander fremden Personen – schwieriges 6
112
Empfehlung zum Vorgehen
von Schlippe (2009), S. 18
6
D. Empfehlung zum Vorgehen Geschäft der Unternehmensnachfolge angehen, potenzieren sich die „Schwierigkeiten“ jenseits von Recht und Finanzen, die wir in den §§ 4 und 5 ausführlich aufgezeigt und mit Lösungsansätzen beschrieben haben. ! Tipp: Die „Narben“ oder Konfliktgeschichten erfordern noch mehr Unterstützung der Protagonisten einer Nachfolge in einer Familie, damit sie die sinnvolle bis notwendige innere Sicherheit und Souveränität erlangen. Diese ist für eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge von der Eltern- auf die Kindergeneration unabdingbar, damit die Nachfolge kalkulierbar erfolgreich verlaufen kann. Der Handlungsspielraum eines Sohnes seinem Vater gegenüber ist von vornherein eingeschränkt durch das, was der Vater seinem Sohn noch nie hat durchgehen lassen. Ohne ein Ich-stärkendes Coaching wird dieser Sohn seine Interessen dem Vater gegenüber kaum vertreten können. Wir verweisen auf unsere vorstehenden Ausführungen mit dieser Betonung. Dass der Aspekt Gerechtigkeit bei der familieninternen Nachfolge eine ganz besondere Herausforderung darstellt, haben wir oben verdeutlicht. Was ist da im Sinne der Gleichbehandlung von Kindern gerecht? Nur ein Kind kann oder soll in die Fußstapfen des Seniors treten. Und wo bleibt da die Gerechtigkeit? Häufig passiert folgendes:
10
6
Breitkopf & Co. ist ein traditionelles mittelständisches Unternehmen, das seit 1856 erfolgreich ist und ununterbrochen in den Händen der Familie Breitkopf liegt. Irene und Jakob Breitkopf haben 5 Kinder, 3 Buben und 2 Mädchen. Der älteste, Jakob jun., ist qua Tradition der Nachfolger des Vaters in der Leitung des Unternehmens. Bei der letzten Nachfolgeregelung hat es keine rechtzeitige Regelung der Vermögensverhältnisse gegeben: Jakob Breitkopf sen. hatte 3 Geschwister und trat in die Geschäftsführung ein, ohne dass ihm auch die Geschäftsanteile übertragen worden wären. Dann starb der Vater plötzlich und die Geschäftsanteile (die Breitkopf & Co ist eine KG) gingen teilweise an die 3 Geschwister. Diese sitzen nun mit am Tisch, wenn die Dinge der Gesellschaft in Gesellschafterversammlungen geregelt werden. Jakob sen. hatte mehrfach versucht, den Geschwistern die Anteile abzukaufen – ohne Erfolg. Darüber haben sich die Familienzweige zerstritten. Jetzt möchte Jakob Breitkopf sen. auf seinen ältesten Sohn übertragen. Lange hat er gewartet, diesen Schritt anzugehen. Nach einem Schlaganfall, der zum Glück glimpflich verlief, drängt ihn seine Frau Irene, die Nachfolge endlich zu regeln. Jetzt soll es schnell gehen: Wie er sagt aus taktischen Gründen möge Jakob jun. erst einmal Mitgeschäftsführer (also Komplementär) werden; dem würden die übrigen Gesellschafter (Onkel von Jakob jun.) wohl zustimmen. Dann wolle er innerhalb von 6 Monaten sein Amt als Geschäftsführer nieder legen. Jakob jun. – schon lange auf diesen Zeitpunkt vorbereitet – ist beeindruckt vom Konzept, dass ihm Vater und Hausanwalt vorlegen.
Hier droht das nächste Chaos: Es wird zwar die Geschäftsführung durch Einräumung der Vollhafterstellung als Komplementär übertragen, nicht aber gleichzeitig Klarheit bei den Vermögensverhältnissen geschaffen. Dass diese Lösung weder im wahren Interesse des jun. noch im Interesse vom Unternehmen und der Familie überhaupt liegt, erkennt jeder Jurist schnell. Häufig kommt es zu halbherzigen Regelungen bei Familiennachfolgen, weil die Protagonisten sich schlicht nicht trauen, das „Fass der Familiengeschichte“ zu öffnen. Denn es sind nun einmal die unternehmerischen mit den familiären Themen eng verknüpft.
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6
§6
12 13
Das Familienunternehmen
! Tipp: Zur Entflechtung des familiären Aspektes empfehlen wir bei Unternehmensnachfolgen innerhalb einer Familie, eine Familienkonferenz7 durchzuführen. Im Rahmen einer Familienkonferenz kann und soll über Interessenkonflikte geredet werden, die sonst unweigerlich zu Streit, mieser Laune, Missverständnissen, Rachegefühlen und schlechtem Gewissen führen. Konflikte sind wegen der offenkundigen „Ungerechtigkeit“ bei der Nachfolgeregelung normal; sie müssen nur auf den Tisch. Auch wenn die hundertprozentige Demokratie in einer Familie wenig realistisch ist, passiert in solchen Konferenzen – wenn sie denn zustande kommen – Erstaunliches. Als Ziel bzw. Thema einer solchen Konferenz kann z. B. der Erbvertrag sein, der angesichts der Nachfolge im Unternehmen für alle Betroffenen und Beteiligten individuelle Gerechtigkeit verschaffen kann. Auf der Ebene der Tätigkeit im Unternehmen empfehlen wir auch hier, eine Konfliktprophylaxe durchzuführen. Auf unsere entsprechenden Ausführungen oben unter § 5 A. II verweisen wir.
6
7
114
Begründet von Thomas Gordon; Literatur: Familienkonferenz: Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind
7
§ 7 Anhang Im Hauptteil des Buches haben wir – weitgehend losgelöst von Branchen, Märkten und Besonderheiten dieser Branchen und Märkte – das Thema abgehandelt. Mit diesem Anhang geben wir sowohl den freiberuflichen Beratern als auch von einer Unternehmensnachfolge betroffenen Unternehmern (sowohl als Übergeber als auch als Übernehmer) sowie den berufspolitischen Einrichtungen wie Kammern und Verbänden einen Überblick darüber, wie sich bestimmte mittelständische Unternehmensgruppen darstellen, entwickelt haben und wo diese Betreuungsbedarf bei Nachfolgeregelungen sehen. Teilweise haben wir im Hauptteil ausdrücklich Bezug genommen auf Informationen, die im Anhang zu finden sind.
A.
Differenzierungen/Markt
A.
Der Buchtitel betont die freiberuflichen Unternehmen. Diese sollen aber nur exemplarisch gesehen werden für einen deutlich größeren Kreis von Unternehmen. Welche sind das? Und welche Daten und Fakten sind interessant? Wie bedeutsam sind diese Unternehmen für die deutsche Wirtschaft – wobei festzustellen ist, dass sich die Struktur in anderen europäischen Ländern ähnlich darstellt. Und es geht uns auch darum, anhand dieses Überblicks die gesamtwirtschaftliche Bedeutung guter Nachfolgeregelungen zu verdeutlichen.
I.
1
2
Unternehmen
Das Thema grenzt den Kreis der zu betrachtenden Unternehmen/Unternehmer, wenn man den Untertitel einschließt, nicht ein. „Praxis- und Unternehmensnachfolge“ umfasst eigentlich alle Sachverhalte mit besonderer Betonung der (freiberuflichen) Praxen. Eine wichtige Abgrenzung, die wir vornehmen, ist die Konzentration auf mittelständische Unternehmen. Die folgende Grafik belegt die Bedeutung dieser Unternehmen für die deutsche Wirtschaft:
115
3
7
7
§ 7 Anhang
7
4
Die Übersicht zeigt, dass an die 100% aller Unternehmen in Deutschland den KMU zuzurechnen sind. Um diese Unternehmen im Hinblick auf das Thema Unternehmensnachfolge einordnen zu können, bedarf es der Klarstellung, was ein KMU ist. Die Verteilung der Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen zeigt, dass der weit überwiegende Teil auf Kleinunternehmen mit weniger als 1 Mio. € Umsatz entfällt. Knapp 90 % aller Unternehmen weisen einen Jahresumsatz von weniger als 1 Mio. € aus, fast die Hälfte aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen erzielt Jahresumsätze, die 100.000 € nicht übersteigen.
116
7
A. Differenzierungen/Markt
7
Die Statistik erfasst wiederum nur die KMU’s, die vom IfM einbezogen sind. Hinzu kommen die freiberuflichen Unternehmensnachfolgen, die wir mit etwa 30.000 angenommen haben. Wir unterstellen, dass die Struktur der Nachfolgelösungen anders ausfällt als nachfolgend erkennbar.
117
5
7
§ 7 Anhang
7
6
Über 40% aller Nachfolgen werden somit innerhalb der Familie geregelt (Kinder, Partner, andere Verwandte), gut 25% gehen an Mitarbeiter oder externe Führungskräfte und gut 20% in den anderweitigen Verkauf. Diese Statistik macht keine Aussagen dazu, wie viele der Nachfolgen zu einem späteren Zeitpunkt scheitern. Dass es dabei zu zum Teil erheblichen Konflikten kommt, die in machen Fällen zum späteren Scheitern der Unternehmensnachfolgen führen, ist bekannt. Diese Statistik besagt auch nichts darüber, zu welchen Transferwert die Unternehmen auf die Nachfolger über gingen. Insoweit ist zu vermuten, dass viele Nachfolgen zu Preisen übertragen wurden, die deutlich vom Verkehrswert abweichen. Bei den freiberuflichen Praxen dürfte die Nachfolge innerhalb der Familie deutlich geringer sein, weil die Zugangsvoraussetzungen andere sind.
II. 7
Freie Berufe
Hinzu kommen die Freiberufler: diese werden in der amtlichen Statistik nur sehr unzureichend abgebildet. In der Umsatzsteuerstatistik sind die Freien Heilberufe, wenn sie ausschließlich steuerfreie Umsätze tätigen, nicht erfasst. Auch die Gründungsstatistik lässt keine Aussagen zu Freien Berufen zu, da diese laut Gewerbeordnung nicht meldepflichtig sind. Das IfM Bonn greift deshalb bei der Präsentation der Zahlen zu den Freien Berufen auf die Ergebnisse des Instituts für Freie Berufe (IFB) in Nürnberg zurück. Das IFB wertet die Daten von Berufsorganisationen aus und schätzt z.T. die Zahlen auf Grundlage des Mikrozensus. Das ergibt folgende Übersicht, die gleichzeitig auch verdeutlicht, welche Berufe zu den Freiberuflern gerechnet werden:
118
7
A. Differenzierungen/Markt
7
III.
KMU – Überblick
Es existieren unterschiedliche Vorstellungen, welche Unternehmen zu den KMU zählen. Die praktische Relevanz ist nicht bedeutend; dennoch sollen beide Definitionen kurz vorgestellt werden.
1.
8
KMU-Definition des IfM Bonn (seit 01.01.2002) Unternehmensgröße
Zahl der Beschäftigten
Umsatz € / Jahr
Klein
bis 9
bis unter 1 Million
Mittel
10 bis 499
1 bis unter 50 Millionen
Mittelstand (KMU) zusammen
bis 499
bis unter 50 Millionen
Groß
500 und mehr
50 Millionen und mehr
© IfM Bonn
2.
KMU-Definition EU
Abweichend von der IfM-Definition, die sich aus langjähriger Übung und Zweckmäßigkeit zur nationalen Definition in Deutschland entwickelt hat, wurde später von der Europäischen Kommission
119
9
7
§ 7 Anhang (EU) eine davon abweichende Definition geprägt. Gemäß einer Kommissions-Empfehlung vom 6. Mai 20031 wird in der EU ein Unternehmen als KMU betrachtet, wenn es ■ nicht mehr als 249 Beschäftigte und ■ entweder weniger als 50 Mill. € Jahresumsatz oder eine Bilanzsumme von ■ weniger als 43 Mill. € hat und ■ (weitgehend) unabhängig ist. Unternehmen, die zu Unternehmensgruppen gehören, zählen aufgrund des Unabhängigkeitskriteriums gemäß der EU-Definition nicht zu den KMU2.
IV. 10
7
Freiberufliche Unternehmen/Praxen als KMU
Die freiberuflichen Unternehmen zählen grundsätzlich zu den KMU’s, denn sie erfüllen in aller Regel die Bedingungen der vorstehenden Definitionen. Aufgrund der verschiedenen Besonderheiten sowie insbesondere wegen des Umstandes, dass zumindest die Heilberufe in den Unternehmensstatistiken nicht enthalten sind (weil diese auf den Datenbestand der Umsatzsteuerzahlungen zurück greifen), sollen sie gesondert betrachtet werden. Die Berufsgruppen innerhalb der freien Berufe gliedern sich wie folgt:
1 Empfehlung 2003/361/EG zur KMU-Definition mit Wirkung ab dem 01.01.2006 2 Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG).
120
A. Differenzierungen/Markt
7
Noch differenzierter sieht die Struktur wie folgt aus:
Zahlenmäßige Struktur der Selbstständigen in Freien Berufen (1. 1. 2008) Insgesamt: ca. 1.003.000
Bundesrepublik Deutschland Ärzte
127.132
Zahnärzte Tierärzte Apotheker
55.799 11.442
7
20.323
Andere freie Heilberufe
95.400
1)
106.000
Rechtsanwälte Patentanwälte Nur-Notare
2.644 1.593
Steuerberater/ Steuerbevollmächtigte Wirtschaftsprüfer/ vereidigte Buchprüfer Unternehmensberater
53.130 10.517 29.900 71.000
Andere wirtschafts-
beratende Freie Berufe 1) 2)
55.118
Architekten
46.000
Ingenieure 1) Beratende Ingenieure 3) Sachverständige Andere technische u. natur-wissenschaftl. Freie Berufe 1)
14.814 16.000 43.000 242.000
Freie Kulturberufe 4)
1) geschätzt auf Grundlage des Mikrozensus 2006 und 2007 2) Incl. Berufsbetreuer 3) Angaben der Bundesin-genieurkammer zu Pflichtmitgliedern 4) geschätzt auf Grundlage des Mikrozensus 2007 und der KSK-Statistik 2008 Quellen: Berufsorganisationen und amtliche Statistiken, eigene Erhebungen, z.T. geschätzt © IFB 2008
121
7
§ 7 Anhang
V. 11
12
7
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der KMU
Wenn man also zum Bestand der KMU aus erster Grafik die Heilberufler hinzu zählt (die in aller Regel nicht umsatzsteuerpflichtig sind), errechnet sich ein Gesamtbestand von KMU’s in der Größenordnung von fast 3,5 Mio. Der Bestand an Unternehmen, die vom Grundsatz in die Betrachtungen eingeschlossen ist, machen somit 99,7% der deutschen Wirtschaft aus. Schon diese Zahlen machen deutlich, weshalb die Politik dem Mittelstand eine so große Beachtung schenkt. Hinzu kommt, dass diese Unternehmen fast 41% aller steuerpflichtigen Umsätze tätigen, über 70% aller Arbeitsplätze stellen sowie fast 92% aller Lehrlinge ausbilden3. Gleichzeitig wird deutlich, welch große Bedeutung der Unternehmensnachfolge zukommen muss; ist es doch typisches Merkmal des Mittelstandes, dass diese Unternehmen in ihrem Bestand von den Unternehmern abhängen. Und wenn man sich ergänzend vor Augen hält, dass diese vielen Unternehmen, die den Löwenanteil an Ausbildung leisten, nur einen vergleichsweise geringen Anteil am Gesamtumsatz der deutschen Wirtschaft erwirtschaften, wird das Abhängigkeitsmerkmal noch deutlicher.
Der Anzahl nach ist die deutsche Wirtschaft von kleinen Unternehmen geprägt, auf die allerdings nur 9,5 % aller Umsätze entfallen. Die mittleren Unternehmen, die rund 10 % aller Unternehmen ausmachen, erwirtschaften 28,8 % aller Umsätze. Die wenigen Großunternehmen (0,3 %) hingegen vereinen 61,7 % aller Umsätze auf sich.
3
122
Quelle: IfM, Bonn
7
B. Für die Nachfolge bedeutsame organisationale und persönliche Strukturen
VI.
Fazit
Mit dieser Einführung sei das gesamtwirtschaftliche Umfeld der KMU – eingeschlossen die freien Berufe – hinreichend dargestellt. Eine Fortführung der mittelständischen Unternehmen liegt unabweisbar im Interesse der Gesellschaft.
B.
Für die Nachfolge bedeutsame organisationale und persönliche Strukturen
I.
Familienunternehmen
13
B.
7
Dieser Darstellung liegt das das Begriffsverständnis des IfM zugrunde (siehe nachfolgend) und zeigt, dass nahezu alle KMU’s zu den Familiengesellschaften zählen. Hinzu kommen dann wieder die in diesem Datenbestand nicht enthaltenen freiberuflichen Existenzen.
123
14
7
§ 7 Anhang
II. 15
7 16
Begriffsbestimmung IfM
Das IfM Bonn definiert Familienunternehmen als diejenigen Unternehmen, bei denen Eigentumsund Leitungsrechte in der Person des Unternehmers vereint sind. In Abgrenzung zu den vielfältigen Begriffsbestimmungen, die in Theorie und Praxis vorzufinden sind, wird diese Definition als Definition der Familienunternehmen im engeren Sinn bezeichnet. Die Größe des Unternehmens und die Rechtsform sind für die Charakterisierung als Familienunternehmen danach ohne Belang, wenngleich die Schnittmenge von Familienunternehmen und KMU naturgemäß sehr groß ist: Der überwiegende Teil der Familienunternehmen sind kleine und mittlere Unternehmen, allerdings gibt es auch Familienunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten bzw. über 50 Mio. € Jahresumsatz. Umgekehrt existieren auch kleine und mittlere Unternehmen, die eine Vielzahl von nicht-familienverbundenen Unternehmenseignern aufweisen und/oder von Fremdmanagern geführt werden. Familienunternehmen im engeren Sinn sind demnach eigentümergeführte Unternehmen. Die Eigentümerführung wird nach den Operationalisierungskriterien des IfM Bonn als gegeben angesehen, wenn: ■ bis zu zwei natürliche Personen oder ihre Familienangehörigen mindestens 50 % der Anteile eines Unternehmens4 halten und ■ diese natürlichen Personen der Geschäftsführung angehören. Nach den Berechnungen des IfM Bonn sind in dieser Abgrenzung 95,1 % aller Unternehmen als Familienunternehmen zu charakterisieren. Auf sie entfallen – wie die vorstehende Grafik zeigt – 41,5 % aller Umsätze und sie vereinen 57,3 % aller Beschäftigten auf sich. Ausgeschlossen sind demnach alle Unternehmen, die nur von Fremdmanagern geleitet werden. Ebenso nicht enthalten sind Unternehmen, bei denen die geschäftsführenden Eigentümer bzw. deren Familien keinen maßgeblichen Anteil am Kapital oder entsprechende Kontrollrechte halten. Mittelständische Unternehmen sind danach immer eigentümergeführte Familienunternehmen.
III. 17
Begriff lt. „Stiftung für Familienunternehmen in Deutschland und Europa“
Es gibt auch ein umfassenderes Begriffsverständnis von Familienunternehmen: danach zählen alle familienkontrollierten Unternehmen dazu. Das sind sowohl Unternehmen, die von Familienmitgliedern geführt werden als auch solche, deren Leitung familienfremden Managern anvertraut ist. Kontrolle bedeutet hierbei in der Regel das Eigentum an der Mehrheit des stimmberechtigten Kapitals, kann aber auch die Kontrolle auf der Grundlage von Kontrollverträgen einbeziehen. Für das Anliegen dieses Buches ist die engere Fassung treffender, weil es sich mit der Entscheidungsfähigkeit von Unternehmern befasst, ihr Unternehmen in die Nachfolge zu leiten. Letztlich ist die begriffliche Abgrenzung inhaltlich nicht entscheidend; sie ist hier nur angeführt, um das Datenvolumen transparent machen zu können; statistisch geht es um nur wenige %-Anteile, die zur Datenzusammenstellung des IfM hinzu kämen. Entscheidender sind die Nachfolgetypen, die später dargestellt werden.
4
124
Im Falle der Kommanditgesellschaft sind es die Komplementäre
7
B. Für die Nachfolge bedeutsame organisationale und persönliche Strukturen
IV.
Eigenschaften von Familienunternehmen
Der Begriff Familienunternehmen enthält keine Aussagen zur Betriebsgröße oder zur Rechtsform. Der Einfluss der Familie kann über verschiedene Kanäle wahrgenommen werden. Zum einen kann die Familie Einfluss durch Macht (Stimmrechte, Beteiligung an der Geschäftsleitung und/oder den Aufsichtsgremien) wahrnehmen. Zum anderen entsteht Einfluss über Generationen durch Erfahrung, und zudem kann Einfluss auch über eine familiengeprägte Unternehmenskultur wahrgenommen werden. Der Einfluss einer Familie auf ein Unternehmen ist nach herrschender Meinung nicht, wie früher von einigen Autoren angenommen wurde, dichotom, sondern vielmehr kontinuierlich. Eine validierte Skala zur Messung des Familieneinflusses stellen Klein, Astrachan und Smyrnios5 2005 vor . Familienunternehmen kommen in allen marktwirtschaftlich orientierten Ländern vor. In den meisten dieser Länder stellen sie große Mehrheit der Unternehmen (zahlenmäßig) und tragen oftmals zu mehr als der Hälfte des BIP und der Beschäftigung bei 6. Die meisten Familienunternehmen finden sich – wie zuvor bereits dargestellt – bei den Kleinstunternehmen. Bei diesen Betrieben wird in der Regel auch die Geschäftsführung durch einen oder mehrere (Mit-)Inhaber ausgeübt. Viele Familienunternehmen scheuen die öffentliche Bekanntgabe von Finanzkennzahlen und Unternehmensentwicklungen; dadurch besteht eine Intransparenz, die möglichen Kapitalgebern eine detaillierte (Risiko-) Bewertung des Unternehmens erschweren kann. Familienunternehmen unterscheiden sich in ihrer Corporate Governance7 zur typischen, z. B. an der Börse gelisteten Publikumsgesellschaft. Die Governance von Familienunternehmen wird Family Business Governance genannt. Die zentralen Gremien der Governance von Familienunternehmen sind das Aufsichtsgremium (Aufsichtsrat/Beirat) und die Familienrepräsentanz (Gesellschafterausschuss/Familienrat). Sie ist gekennzeichnet durch die Identität von Leitung und Eigentum, die Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt, die Nachfolge im Management durch die Familie oder Fremde, durch den möglicherweise existenzbedrohenden Ausstieg von Familieneigentümern, die Rolle eines Aufsichtsgremiums und die Organisation der Familie durch eine Familienrepräsentanz. Das Besondere an Familienunternehmen ist, dass die beteiligten Personen immer zugleich Mitglied in Familie und Unternehmen sind. Diese beiden Systeme überschneiden sich mit ihren unterschiedlichen emotionalen und rationalen Logiken und stellen ihre Entscheidungsträger manchmal vor unlösbare Situationen, die die Qualität von Paradoxien haben können. Diese Verbindung fordert Familie wie Unternehmen heraus und setzt sie zeitweise Zumutungen aus, die nicht immer leicht zu bewältigen sind. Es gibt ein Zusammenwirken von Familie, Gesellschafterkreis und Unternehmen. In diesem – engeren Sinn – wird künftig die Rede sein, wenn es um Familiengesellschaften geht. Die erfolgreiche Leitung großer Unternehmen setzt beim Unternehmer eine entsprechende Qualifikation (Ausbildung und andere, auch persönliche Fähigkeiten) voraus, die in die Gründergeneration mitbringt. In den folgenden Generationen entsteht früher oder später ein Spannungsverhältnis zwischen den Begabungen/Fähigkeiten der Erben, ihren Interessen und den Erfordernissen eines erfolgreichen Managements und des Marktes. Auch und insbesondere die Verteilung der Anteile auf mehrere Gesellschafter kann zu Problemen in der Geschäftstätigkeit führen, da gegensätzliche Interessen und Vorstellungen innerhalb der Gesellschaftergruppe vorliegen können. 5 6 7
Sabine B. Klein, Joseph H. Astrachan, Kosmas X. Smyrnios: The F-PEC scale of family influence. Construction, validation, and further implication for theory. 2005, S.321-338 Family businesses dominate. in: Family Business Review. Malden 16.2003, S.235-239 Corporate Governance (engl. Corporate: Körperschaft, gemeinschaftlich; Governance: regieren, führen, „gutes Benehmen für Unternehmen“ oder „der Knigge für Unternehmen“) beschäftigt sich mit dem Setzen und Einhalten von Verhaltensregeln, die für Mitarbeiter von Unternehmen oder das Unternehmen selbst gelten.
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§ 7 Anhang
V. 21
7
Corporate Branding
In der Öffentlichkeit werden Familienunternehmen verschiedene Eigenschaften zugeschrieben. Sie zeigen, hinsichtlich welcher Qualitäten Unternehmen in der Bevölkerung derzeit beobachtet werden. Zwei dieser Kategorien liegen dabei deutlich im positiven Bereich, eine stellt eine sowohl positive wie negative Kategorie dar, die letzten beiden sind eindeutig negativ: ■ Nachhaltigkeit: Ethik und soziale Verantwortung ■ Innovationskraft: Kreativität und professionelles Management ■ Rentabilität: Profit und internationale Wettbewerbsfähigkeit ■ Ausbeutung: Anonymität und egoistisches Handeln ■ Stagnation: Ignoranz und hierarchische Strukturen ■ Diese Kategorien haben sich aus einer Befragung heraus gebildet. Die Tatsache, dass etwa ein Drittel der Befragten in erster Linie Unternehmen auf Nachhaltigkeit, ethisches Verhalten und Wahrnehmung sozialer Verantwortung hin beobachten, spricht dabei eine deutliche Sprache: es wird sehr genau danach gefragt, wie sehr ein Unternehmen dem Allgemeinwohl verpflichtet ist.8
VI. 22
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10 Wittener Thesen zu Familienunternehmen9
In einer prägnanten Weise hat das WIFU Eigenheiten von Familienunternehmen in Thesen gefasst, die teilweise zuvor beschriebene Eigenschaften wiederholen, sie aber mit einem eigenen Focus versehen, die zum Teil für die spätere Betrachtung von Wichtigkeit sind: Familienunternehmen sind… 1. anders – Sie sind definiert über den bestimmenden Einfluss einer Familie auf die Entwicklung des Unternehmens. Aus diesem Einfluss (und nicht aus der Unternehmensgröße) erwachsen die Eigenarten dieses Unternehmenstyps. 2. erfolgreicher – Denn sie haben eine Familie an ihrer Seite! Vertrauen, Bindung und Loyalität bieten dem Familienunternehmen enorme Wettbewerbsvorteile. Es muss gelingen, die Familie als Ressource im Dienste des Unternehmens zu nutzen. Im Zweifelsfall gilt: „Das Unternehmen geht vor!“ 3. gefährdeter – Denn sie haben eine Familie an ihrer Seite! Familienstreitigkeiten, Vertrauensverlust, enttäuschte Bindungen und Gefühle verratener Loyalität können dramatisch auf das Unternehmen durchschlagen, das Unternehmen kann zum Opfer von Stammeskriegen werden. Die Gleichzeitigkeit der Mitgliedschaft in der Familie und im Unternehmen setzt die Beteiligten einem Spannungsfeld aus, das von Widersprüchen gekennzeichnet ist und sie so verletzlich macht. 4. (potentiell) intelligenter – Leichter als börsennotierte Konzerne können sie sich frei machen von einer unternehmerisch oft schädlichen Logik kurzfristiger Gewinnorientierung. Auch können sie sich breit diversifiziert positionieren – ein Umstand, für den börsennotierte Unternehmungen einen Kursabschlag erhalten, obgleich er die langfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erhöht.
8 9
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Aus: „Marke Familienunternehmen“ – Eine explorative Studie des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU) Datierend vom 15.01.2007
7
B. Für die Nachfolge bedeutsame organisationale und persönliche Strukturen 5. finanziell anders aufgestellt – Familienunternehmen sind vorsichtiger in der Inanspruchnahme von fremdem Eigenkapital und stärker an finanzieller Eigenständigkeit interessiert, weil sie vom Prinzip her nach unternehmerischer Autonomie streben. Die aktuellen Rahmenbedingungen im Bankensystem (Basel II) erschweren es zudem, die klassischen Möglichkeiten des Firmenkredits voll auszuschöpfen. 6. langfristiger orientiert – Sie halten (länger) fest an ihren Gründungsmythen, bewährten Geschäftsprinzipien, gewachsenen Kunden- und Lieferantenbeziehungen und vor allen an ihren Mitarbeitern, was sich positiv auf die Entwicklung von Kernkompetenzen und Vertrauensressourcen auswirkt. Dieses Festhalten kann es zugleich schwerer machen, flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren. 7. beratungsresistenter – Familien achten auf ihre Grenzen – und genauso wie sie sich im Privatbereich Fremden nicht bereitwillig öffnen, gehen sie auch in unternehmerischen Fragen davon aus, dass Probleme innerhalb der Familie gelöst werden sollten. Dies erklärt durchaus zum Großteil ihren Erfolg, doch hat auch diese Haltung ihre „Risiken und Nebenwirkungen“, nämlich dann, wenn durch externe Beratung neue Möglichkeiten eröffnet werden könnten. 8. familiärer – Sie übertragen familiäre Beziehungsmuster auf Führungskräfte und Mitarbeiter. So erfährt deren Tätigkeit eine höhere Sinnstiftung, auch die Identifikation mit dem Unternehmen wird gesteigert: Man gehört dazu! Von diesen „emotionalen Zusatzausschüttungen“ profitieren Unternehmen wie Mitarbeiter. 9. unternehmerischer – Ein besonderer Gestaltungswille, das Streben etwas Dauerhaftes zu schaffen, die Orientierung am Kunden und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, prägen das Familienunternehmen. Je kleiner das Familienunternehmen ist, desto eher hängt dessen Entwicklung von der Führungsstärke, Innovationskraft und unternehmerischen Weitsicht einer einzigen Person ab – mit allen Vorund Nachteilen: kurze Entscheidungswege, aber auch starke Umbrüche im Nachfolgeprozess oder beim plötzlichen Ausfall der prägenden Führungspersönlichkeit. 10. langlebiger – Familienunternehmen weisen eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und Langlebigkeit auf. Sie sind ein Erfolgsmodell, solange sie in der Lage sein, die Paradoxien zu managen, die sich aus der Kopplung von Familie und Unternehmen ergeben. Immer wieder gilt es, eine Balance zu finden, so dass nicht einseitig Familien- oder Unternehmensinteressen bedient werden. Gelingt die Balance zwischen beiden, kommen die einzigartigen Ressourcen dieser Unternehmensform voll zum Tragen.
VII.
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Nachfolgeunternehmer
Wer selbst in früherer Zeit das Unternehmen innerhalb der Familie übernommen hat befindet sich in einer Nachfolgetradition – je mehr vorweg gegangene Übertragungen desto stärker. Dieser Unternehmer sieht sich in aller Regel in der Verpflichtung, den ihm nachfolgenden Unternehmer auch in seinem familiären Umfeld zu finden. Schon die eheliche Beziehung ist durch diese Hypothek belastet, am besten auch noch einen männlichen Nachfolger groß zu ziehen. Als Beispiel sei hier die Fa. Bahlsen in Hannover genannt. Die Unternehmensnachfolge ist wichtigstes Projekt in der Schlussphase 127
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7
§ 7 Anhang der Unternehmer-Karriere – und in derartigen Familienunternehmen Bestandteil der Tradition. Es erscheint in dieser Fällen also von vornherein klarer geregelt, dass und wie die Nachfolge auszusehen hat. Doch was, wenn es in der Familie keinen (geeigneten) Nachfolger gibt? > Beispiel: „Wolfgang Wille zieht die Augenbrauen hoch. Nein, verkaufen wolle er das Unternehmen nicht, sagt der Chef des Kaffee- und Delikatessen-Imperiums Dallmayr. Und der grauhaarige 64-Jährige vermittelt mit seinem Lächeln den Eindruck, als sei alleine der Gedanke schon absurd. MÜNCHEN. Tradition steht im berühmten Stammhaus mit der weiß-gelben Stuckfassade in der Dienerstraße im Herzen Münchens, die jedes Kind aus der Fernsehwerbung kennt, hoch im Kurs. Unten verkaufen wie vor hundert Jahren Mitarbeiterinnen in blauen Blusen und weißen Schürzen Delikatessen und Kaffee, im ersten Stock ist ein Schlemmerrestaurant. Der gute Namen der Firma ist das größte Kapital. Und das setzt Dallmayr massiv im Marketing ein, das sich die Firma rund 20 Millionen Euro im Jahr kosten lässt. „Unsere Werbebotschaften bleiben konstant. Das ist glaubhaft und funktioniert“, lautet das Familienmotto. Auf eine über 300-jährige Geschichte kann die Firma Alois Dallmayr zurückblicken. Denn schon im Jahr 1700 wurde das erste Handelsgeschäft gegründet, 1870 übernahm dann der Kaufmann Alois Dallmayr die Geschäfte und gab der Firma ihren inzwischen in ganz Deutschland bekannten Namen. 1895 übernahm die Familie Randlkofer das Ruder, 1933 kam der Bremer Kaffeekaufmann Konrad Wille dazu. Noch heute befindet sich das Traditionshaus im Besitz der beiden Clans. Wolfgang Wille führt zusammen mit Georg Randlkofer die Firma. Die Nachfolge ist bereits geregelt. Willes Schwiegersohn Johannes Dengler, heute schon Vertriebsleiter und Prokurist, soll einmal die Kaffeegeschäfte führen. Auch die beiden Töchter Willes sind im Unternehmen aktiv, genau wie Randlkofers Sohn und dessen Frau. Nachfolgeprobleme, wie sie viele Familienunternehmen quälen, sind im Hause Dallmayr unbekannt. Dabei ist Dallmayr inzwischen zu einem kleinen Imperium mit 1 600 Mitarbeitern und über 450 Millionen Euro Umsatz geworden. Größte Sparte ist das Röstkaffeegeschäft, an dem der Nahrungsmulti Nestlé mit 25 Prozent beteiligt ist. Hinter Kraft Foods („Jakobs Krönung“), Tchibo, Melitta und Aldi sind die Münchener auf Platz fünf im deutschen Kaffeemarkt. Als Marktführer bezeichnet sich Dallmayr bei Kaffeedienstleistungen für Großkunden. 40 000 Kaffeeautomaten in acht Ländern spucken täglich Tausende Tassen frischen Kaffee aus. Am kleinsten ist das frühere Kerngeschäft mit Delikatessen und der Partyservice.“10
7
VIII. Eigentümerunternehmer 29
In qualitativer Hinsicht ist damit die schon früher beschriebene Einheit von Eigentum und Leitung angesprochen. Das mittelständische Unternehmen dieser Art ist der vorherrschende Unternehmenstyp in der deutschen Wirtschaft. Mit 94,8 % fällt der allein auf qualitativer Basis ermittelte Anteil etwas geringer aus als der rein nach quantitativen Kriterien berechnete Anteilswert. Der Unternehmer hat meist mehrere Rollen in Familienunternehmen: ■ Eigentümer, Besitzer, Inhaber, ■ Gesellschafter, Teilhaber, Aktionär, ■ Investor, Kapitalgeber ■ Verwaltungsratspräsident (VRP) ■ Geschäftsführer (CEO) ■ Finanzchef (CFO) 10 von Caspar Busse und Handelsblatt
128
7
B. Für die Nachfolge bedeutsame organisationale und persönliche Strukturen ■ ■ ■
Chefverkäufer, Chefeinkäufer, Cheftechniker Familienoberhaupt Vater (Senior) des Nachfolgers (Junior)
IX.
Unternehmen, in denen mehr als 1 Familienmitglied arbeitet
Gemeint sind Unternehmen, die quasi Gemeinschaftswerke einer Familie und damit ebenfalls typische Familienunternehmen sind. Arbeitet beispielsweise die Ehefrau im Unternehmen ihres Mannes mit und werden später auch die Kinder dort tätig, wird die Entscheidung über die Nachfolge in der Unternehmensleitung sowie im Vermögen deutlich stärker eine Angelegenheit des Familienrates sein als bei Unternehmen, in denen ein Familienmitglied tätig ist (auch wenn die ganze Familie vom Ertrag dieses Unternehmens lebt). > Beispiel Das Eiscafé von Emilio Enzo ist ein solches Beispiel: im Unternehmen sind ausschließlich Mitglieder des Familienclans tätig. Diese wechseln zum Teil auch von Saison zu Saison; denn ein Großteil der Familie lebt nicht in Deutschland sondern in der alten Heimat, in Italien. Äußerlich ist hier nicht erkennbar, wer der Unternehmer ist und irgendwann in der Pflicht steht, dieses Amt weiter zu geben. Es besteht aber kein Zweifel, dass das zur rechten Zeit passieren wird – und zwar in Abstimmung mit dem Clan. Dass diese Gruppe nicht unbedeutend ist, lässt sich aus folgender Grafik herleiten:
Nur 1% aller Erwerbstätigen sind demnach mithelfende Familienangehörige. In Zahl sind es aber immerhin fast 400.000 Menschen. In Relation zu den gut 3,1 Mill. Unternehmen und bei der Annahme, dass jeweils nur 1 Person je Unternehmen mithelfend tätig ist, sind das immerhin fast 13%. 129
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§ 7 Anhang
X. 31
Mitunternehmer/Anteilseigner als Abgeber
Eine separat zu betrachtende Gruppe von Unternehmen bildet die Konstellation, dass nicht eine Familie (dazu zählt auch der Einzelunternehmer) das Unternehmen trägt sondern mehrere Personen, die unterschiedlichen Familien angehören. Das mögen Partnerschaften sein, die sich auch in die Geschäftsführung teilen oder auch solche, die nur die Anteile an einem Unternehmen halten. > Beispiel: Die Höft & Wessel AG, Hannover, gegründet 1978 von den gleichnamigen Unternehmern, ist ein IT Hard- und Softwarespezialist für Handel und Logistik, Public Transport und Parking. Die seit 1998 börsennotierte Gesellschaft hat sich zum mittelständischen Unternehmen mit einem Umsatz von rund 100 Mio. Euro und 500 Mitarbeitern entwickelt. In dem für die technologische Ausrichtung wichtigen Bereich Forschung und Entwicklung, in dem rund ein Drittel der Beschäftigten arbeiten, werden jährlich ca. 8 Mio. Euro investiert.
XI.
7 32
Unternehmensgründer
Der Gründer eines Unternehmens ist seinem „Lebenswerk“ besonders verbunden, was eine Trennung erschwert. Sie müssen ihr Unternehmen „loslassen“. Für einen Unternehmer, der seinen Betrieb mit viel Mühe über viele Jahrzehnte aufgebaut hat, ist es sicherlich nicht leicht, sich aus dem aktiven Tagesgeschäft zurückzuziehen und zu sehen, dass nun ein Jüngerer die Geschicke seines Unternehmens lenkt. Häufig unterschätzen die Betroffenen, dass Emotionen bei der Unternehmensnachfolge – insbesondere im Rahmen einer Familiennachfolge – eine große Rolle spielen. Dabei sind sie im Unternehmen eine der häufigsten Ursachen für das Scheitern des Generationswechsels. Diese Gruppe ist aufgrund ihrer Verbundenheit mit ihrem Lebenswerk besonders gefährdet, den Übertragungsgegenstand „schön zu reden“ und schön zu rechnen. > Beispiel Rechtsanwalt und Notar i.R. Dr. Pfiffig (75) gründete 1960 seine Anwaltskanzlei in Hannover. Er spezialisierte sich früh auf Handels- und Gesellschaftsrecht und hatte bald einen guten Ruf in der Stadt. Die hannoversche Wirtschaft schenkte ihm Vertrauen. Er ist ein genialer Jurist und war auch als Notar erfolgreich. Er schaffte die anfallende Arbeit schon bald nicht mehr allein und stellte junge Rechtsanwälte bei sich an. Bis zu 10 angestellte Anwälte (und auch Anwaltsnotare) waren bei ihm über Jahre in Lohn und Brot. Die Gründer anderer bedeutender Kanzleien in Hannover haben bei ihm ihr Handwerk gelernt. Seit fest steht, dass er mit 70 sein Notariat zurückgeben muss, sucht er nach einem Partner, der später die gesamte Praxis zu übernehmen bereit ist. Bis heute Vergeblich!
33
Dieses Beispiel ist insofern nicht für alle Nachfolgefälle typisch, als branchenbedingt Anwälte ihre Nachfolger nicht unbedingt in ihrer eigenen Familie suchen und finden. Der gewerbliche Unternehmer, der sein Unternehmen mit Erfolg aufgebaut hat, wird dieser Idee sehr viel mehr zuneigen.
XII. 34
Unternehmenskäufer als Abgeber
Wer sein Unternehmen früher selbst gekauft hat, sich also mit der Nachfolgesituation aus der Sicht eines Investors befasst hatte, tut sich auch leichter, die eigene Nachfolge (rechtzeitig) anzugehen. Das hängt damit zusammen, dass dieser Unternehmer sehr viel mehr das im Unternehmen investierte
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7
B. Für die Nachfolge bedeutsame organisationale und persönliche Strukturen Vermögen im Auge hat, das er am Schluss seiner aktiven Zeit gern wieder realisiert sähe. Auch ist die emotionale Bindung an den Betrieb in aller Regel deutlich geringer als bei demjenigen, der das Unternehmen selbst aufgebaut hat oder in einer familiären Tradition steckt – er trennt sich leichter. > Beispiel: Rechtsanwältin Rosig hatte eine Praxis in Bad Aibling aufgebaut. Als attraktive Frau war sie bekannt in der Kleinstadt. Sie war verheiratet mit dem Bürgermeister, was dem Geschäft zuträglich war. Dann ging die Ehe in die Brüche. Mit großem Interesse verfolgte die Öffentlichkeit den Rosenkrieg, der sich anschloss. Als der Streit kein Ende nehmen wollte und die Umsätze in der Kanzlei zurück gingen, verkaufte Frau Rosig ihre Praxis um sich – ihren Lebensmittelpunktes nach München verlagernd – dort in eine Kanzlei einzukaufen.
XIII. Rechtsform Die am häufigsten vorkommende und traditionell bedeutsamste Rechtsform ist das Einzelunternehmen. Das trifft unverändert auch auf die Freiberufler zu (wenn auch sich verändernd). Ergänzend ist die i.W. für die Freiberufler geschaffene Partnerschaftsgesellschaft zu nennen. Weiterhin sind die Personenhandelsgesellschaften typische Rechtsform des gewerblichen Mittelstandes (OGH und KG); aufgrund der Publizitätsvorschriften sind immer mehr größere Mittelständler wieder dazu übergegangen, als Komplementär eine natürliche Person einzusetzen. Die GmbH ist die typische Rechtsform im Mittelstand, wenn es auf Haftungsbegrenzung ankommt. AG und eG sind eher untypische Rechtsformen im Mittelstand. Die Konsequenzen für das Thema: Rechtsform => Rechnungslegungsvorschriften => Werterfassung und –nachweis Rechtsform und Übertragbarkeit
35
7
XIV. Unternehmensgrößen Die Größe eines Unternehmens ist ein gewichtiger Indikator dafür, ob der Eigentümer die Nachfolge selbst regelt oder (professionelle) Unterstützung hinzu zieht. Die Befragung der Unternehmensberater gibt Aufschluss über die sog. Push- und Pull-Faktoren, die dazu führen, dass Eigentümer ihre Nachfolge selbst regeln. So haben schwerpunktmäßig mittlere Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 2,5 Millionen € und mehr das Beratungsangebot der befragten Berater in Anspruch genommen, um sich für die Regelung der eigenen Nachfolge den erforderlichen Sachverstand einzuholen (Pull-Faktor). Demgegenüber ist bei kleinen Unternehmen die Hemmschwelle für die Inanspruchnahme von Beratungsleistungen höher, was dazu führt, dass die Regelung der Nachfolge – zumindest – hinausgezögert wird. Dies hat wiederum zur Folge, dass die Unternehmen häufig erst in einer Not- bzw. Drucksituation die Regelung der Nachfolge in Angriff nehmen (Push-Faktor). Zu den gewählten Größenordnungen:
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§ 7 Anhang
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Mehr als 94 % der jährlichen Unternehmensübertragungen erfolgen in Unternehmen mit Jahresumsätzen von unter 2 Mio. €. Die Verteilung der Nachfolgefälle entspricht dabei weitgehend der sonstigen Größenverteilung aller Unternehmen in Deutschland. Es geht in dieser Gruppe also darum, auf die Vielzahl der Nachfolgefälle gesondert einzugehen, die – bei aller Unterschiedlichkeit – durch die definierte Umsatzgröße auch einheitliche Rahmenbedingungen aufweisen. Rund 5% der Nachfolgen entfallen auf Unternehmen des unteren Mittelstandes mit Umsätzen zwischen € 2 Mio. und €10 Mio. Diese verfügen in der Regel nur über Ansätze eines professionellen Managements, sind aber bereit und in der Lage, in professionelle Unterstützung zu investieren. Und sie wissen um die Sinnhaftigkeit bzw. Notwendigkeit, externe Unterstützung zu suchen. Es sind nur noch rund 1% der Unternehmen, die in die letzte Kategorie fallen. Um als Unternehmen nachhaltig erfolgreich sein zu können, ist die größere Finanzkraft, die diese Mittelständler aufweisen, notwendig. Sie ist erforderlich, um Organisation und Arbeit zu formen und so einen allgemein akzeptierten Standard für gute Arbeits- und Organisationsgestaltung zu setzen. Stichworte dazu sind: der Stand der Wissenschaft im Bereich der Arbeits- und Organisationsgestaltung, die Standards bestehender Managementsysteme und -instrumente (wie z. B. Total-Quality-Management, Qualitätsmanagement, Arbeitsschutz- und Gesundheitsmanagement). Diese Unternehmen erreichen also einen anderen Grad an Professionalität, der ein reflektierteres Angehen der Unternehmensnachfolge wahrscheinlicher sein lässt.
7
B. Für die Nachfolge bedeutsame organisationale und persönliche Strukturen
XV.
Genderaspekt
Männer und Frauen sind in ihrem Verhalten und damit ihrem Handeln nachweislich unterschiedlich. Plakativ seien angeführt:
39
Frauen „Es gibt heute in Deutschland 1.112.000 Unternehmerinnen. Das sind ca. 28 Prozent aller Selbstständigen. Vor allem in den neuen Bundesländern hatte nach der Wende ein wahrer Gründungsboom eingesetzt. Frauen stellen ein gleichermaßen wirtschaftliches wie kreatives Potenzial dar, auf das nicht mehr verzichtet werden kann. Dem gegenüber steht jedoch die Tatsache, dass Frauen als Nachfolgerinnen bisher kaum in Erscheinung treten. Es ist seit Jahrzehnten das Credo unseres Verbandes, sich für die Förderung von Akzeptanz und Gleichberechtigung unternehmerisch tätiger Frauen einzusetzen. Und ich kann nur sagen: Auch wenn sich vieles geändert hat gegenüber der Zeit meines Starts in die Selbstständigkeit. Unsere Lobbyarbeit ist nach wie vor wichtig, und ich sehe auch Aufklärungsbedarf bei Fragen, die die Nachfolge im Unternehmen betreffen. Es reicht deshalb nicht, auf das Thema der „Unternehmensnachfolge“ an sich stärker hinzuweisen, sondern wir Unternehmer und Unternehmerinnen müssen dafür sensibilisieren, das Potenzial an Gründerinnen und damit Nachfolgerinnen stärker zu nutzen.“11 Man sagt, Frauen …………. ■ hören besser zu. ■ betrachten Aggressionen als zeitweiligen Kontrollverlust, verursacht von überwältigendem Druck und gefolgt von Schuldgefühlen. (Männer dagegen sehen Aggressionen als Mittel, Kontrolle über andere Menschen auszuüben, wenn sie das Bedürfnis empfinden, Macht und Selbstwertgefühl zu erlangen12). ■ beteiligten Mitarbeiter stärker an der Entscheidungsfindung. ■ Sind pünktlicher, zuverlässiger und leiteten Informationen schneller weiter. ■ besitzen ein besseres Gespür für neue Trends. ■ können die Stärken und Schwächen ihrer Mitarbeiter besser einschätzen. ■ verteilen nicht nur Aufgaben, sondern bemühen sich auch um menschliche Führung. ■ motivieren besser. ■ behalten bei komplexen Problemen leichter den Überblick. ■ spielen Ihre Stärken voll aus. Dazu gehören vor allem soziale Kompetenz, ganzheitliches Denken und menschliches Einfühlungsvermögen. ■ versuchen, Ihre hierarchische Position nicht herunterzuspielen. Sie geben nicht zu viel von Ihren Gefühlen preis. (Dahinter steckt die Hypothese, dass Mitarbeiter gern nach menschlichen Schwächen ihrer Chefs suchen, um sie zu gegebener Zeit auszunutzen.) ■ Holen ruhig die Meinungen Ihrer Mitarbeiter ein, aber behalten Sie sich die letzte Entscheidung vor.
11 So Regina Seidel, Präsidentin Verband deutscher Unternehmerinnen e.V. (VdU) 12 britische Psychologin Anne Campbell
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7 41
7
§ 7 Anhang Männer 42
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7
dagegen zeichnen sich (über die zuvor kontradiktorisch erwähnten Aspekte hinaus) durch folgendes aus: ■ Da sie im Schnitt größer und kräftiger sind und mit tieferer Stimme sprechen, strahlen sie leichter über ihre Körpersprache Dominanz aus. ■ Sie ersparen sich zeitraubende Diskussionen, indem sie stärker ihre Rechte, die ihnen die Hierarchie einräumt, ausnutzen. Das ist ein Vorteil bei einfach strukturierten Aufgaben, die über 80 Prozent der betrieblichen Arbeit ausmachen. (Bei komplexen Aufgaben ist dagegen der weibliche Stil von Vorteil.) ■ Sie haben ein stärkeres Durchsetzungsvermögen, halten leichter Widerspruch aus, sind nicht „harmoniesüchtig“. ■ Sie treffen klarere Entscheidungen, sagen öfter „ich will“ statt „könnten wir nicht“. ■ Da sie nicht über Gefühle reden, bieten sie weniger Angriffsfläche. ■ Sie werden leichter mit Stress fertig und können Frust, wenn etwas nicht klappt, schneller verwinden. Um die Bedeutung von Unternehmerinnen in der mittelständischen freiberuflichen Wirtschaft erfassen zu können, ist die folgende Tabelle interessant:
134
B. Für die Nachfolge bedeutsame organisationale und persönliche Strukturen
7
Anteil der Frauen unter den Selbstständigen in Freien Berufen in Deutschland (in %) 1988*, 2001* und 2007* 2 1, 0 %
Ärztinnen
2 0 ,0 %
Zahnärztinnen
19 , 0 %
Tierärztinnen
3 3 ,2 % 3 5,3 % 3 4 ,0 % 3 6 , 1% 3 0 ,7% 3 8 , 1% 3 5,0 % 4 2 ,3 % 4 4 , 7 %1)
Apothekerinnen 11, 0 %
Rechtsanwältinnen 2) Patentanwältinnen
2 5,3 % 2 9 ,9 %
1, 0 %
18 , 5 % 19 , 6 %1) 17 , 0 %4)
Nur-Notarinnen Steuerberaterinnen/bevollmächtigte
2 6 ,3 % 2 9 ,0 %
Keine Angabe
Wirtschaftsprüferinnen Vereid. Buchprüferinnen
7,9 % 10 , 8 % 10 , 0 % 13 , 1% 15 , 9 %
Keine Angabe
Keine Angabe Keine Angabe
1988 2001 2007
16 , 4 % 2 0 ,4 %
Architektinnen Beratende Ingenieurinnen
7
5,0 % 8 ,3 % 10 , 7 %3)
9 , 0 %5) 3 3 ,0 % 4 2 ,7% 4 7,3 % 5 1, 0 % 4 8 ,7% 52 ,0 %
Bildende Künstlerinnen Darstellende Künstlerinnen Musikerinnen
9 ,0 %
3 3 ,5% 3 7 , 1% 3 6 ,0 %
Publizistinnen
4 5,8 % 4 9 ,7%
* Stand: jeweils 1.1. des Jahres 1) Stand: 01.01.2006 2) Zugrunde gelegt wurde der in der Großen Mitgliederstatistik der BRAK ausgewiesene Frauenanteil bei Rechtsanwälten. 3) Stand: 22.08.2005. 4) Stand: 31.12.1988. 5) Zugrunde gelegt wurde der Kammeranteil der weiblichen Kammermitglieder in 16 Ingenieurkammern, Stand 30.06.2003, resultierend aus einer Umfrage der Bundesingenieurkammer.
Quelle: Berufsorganisationen und amtlichen Statistiken, eigene Erhebungen, z.T. geschätzt
© IFB 2007
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7
§ 7 Anhang Folgende Reflexion, von betroffenen Unternehmerinnen verfasst, soll für sich sprechen: 44
Unternehmensnachfolge durch Frauen = eine Gleichung mit drei Unbekannten?13 „Frau Dr. Helga Breuninger – successio, Gesellschaft für integrative Nachfolgeberatung mbH, Stuttgart – sieht in der Entwicklung einer partizipativen Unternehmenskultur einen Ansatz, um den gegenwärtigen unternehmerischen Herausforderungen zu begegnen – mehr noch – eine Bereicherung bzw. Zukunftssicherung der Familienunternehmen. „Der Firmenchef ist wie - die Sonne im Universum – der Patriarch in seinem Unternehmen. Seine Tochter konkurriert nicht mit ihm und möchte ihn auch nicht verdrängen, sondern gleichberechtigt zusammenarbeiten. Sie kann wie – ein neuer Planet – dazukommen und das Unternehmen durch ihre spezielle Art der Kommunikation und durch ihr spezifisches Profil bereichern.“ Um aus einer patriarchalischen zu einer partizipativen Unternehmenskultur zu gelangen, ist ein Chefinnen-Profil zu erarbeiten und sind Techniken anzuwenden, die den ständigen Dialog zwischen Übergeber und Nachfolgerin aktiv gestalten.
45
Frau Maria Wirtz, TMS Unternehmensberatung AG, Köln, konzentrierte sich in ihrem Beitrag auf die zentralen Punkte im Nachfolgeprozess:
7
■
es gibt zu wenig positive Bespiele einer erfolgreichen Nachfolge bzw. diese Beispiele werden zu wenig öffentlich in Medien und Fernsehen gemacht;
■
die Informationen zur Vorgehensweise für Übernehmerinnen und Übernehmer werden zu spärlich verbreitet;
■
der Prozess der Unternehmensnachfolge ist komplex zu betrachten
■
es braucht einen langen Atem.
Das von ihr vorgestellte 4 – Phasen- Modell (Information und Sensibilisierung, Vorbereitung, Übergabekonzept und Übergabe, Maßnahmen nach der Übergabe) gewährleistet eine systematische und nachhaltige Begleitung über den gesamten Nachfolgeprozess. Neben diesen Phasen war es der Rednerin wichtig, auf die „drei Unbekannten“ – den Übergeber, die Übernehmerin und das Unternehmen selbst – einzugehen und heraus zu arbeiten, wie wichtig es z. B. ist, dass „der Übergeber das Positive transportiert, und nicht: ,Das musst Du Dir nicht antun!’ “
46
Frau Regina Seidel hat selbst ihr Unternehmen – die Flemming& Pehrsson GmbH, Berlin - vor 34 Jahren nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters übernommen und ist als Präsidentin im Verband deutscher Unternehmerinnen e.V. (VdU) aktiv und ehrenamtlich tätig. Aus ihrer eigenen Erfahrung ist das unvorbereitete Stolpern in eine Unternehmensnachfolge sogar eine Gleichung mit vielen Unbekannten, die mit Zielstrebigkeit, Beharrlichkeit und dem notwendigen Biss gelöst werden kann. Die eigentlichen Unbekannten für die Expertin sind die vielen Frauen, die bei der Nachfolgeregelung gar nicht zum Zuge kommen, die aber eine Sicherung von unzähligen Arbeitsplätzen in den bestehenden Betrieben garantieren können. Die Unternehmerin, die sich heute noch als Exotin sieht und ihr Unternehmen zum Marktführer im Bereich von Kennzeichnungssystemen für sämtliche Industriebereiche und Automatisierungslösungen geführt hat, beschreibt ihr Erfolgsrezept wie folgt: „Das Frau sein nicht aufgeben – Weiblichkeit erhalten, Zielstrebigkeit behalten, Überraschungsmoment ausnutzen und Macht ausüben.“ Folgende Möglichkeiten sieht Frau Seidel seitens des VdU, den Anteil von Frauen bei der Unternehmensnachfolge zu erhöhen: ■
Unterstützung des Nachfolgeprozesses durch das Mentoring-Projekt TWIN-Two Women Win der Käte Ahlmann Stiftung
■
Töchter von Unternehmerinnen sollen frühzeitig in die Verbandsaktivitäten des VdU integriert werden
13 Fundstelle: http://www.gruenderinnenagentur.de/bga/Unternehmensnachfolge/TaskForce/ExpertinnenExpertenWorkshop/ Ergebnisse/index.php?we_objectID=5000&oid=5000
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C. ■
7
Zahlen, Daten und andere Fakten zu Praxis- und Unternehmensnachfolgen im Überblick
Professionalisierung des Umgangs von Frauen mit Netzwerken (wie kann ich wen benutzen?)
Frau Astrid Stalzer – IHK Südwestsachsen, Chemnitz – betrachtete die Gleichung mit den drei Unbekannten von der menschlichen Seite und entwickelte folgendes Bild: X = das Unternehmen (Situation, Standort, Entwicklung…) Y = die übergebende Unternehmerin/der übergebende Unternehmer, (die Person ) Z = die Nachfolgerin/ der Nachfolger ( die Person, die/ der Interessierte). Auf dieser Grundlage vertrat Frau Stalzer die Ansicht, dass es selbstverständlich sein sollte, immer den am besten geeigneten Menschen für die Nachfolge zu gewinnen. Mit der Unternehmensnachfolgebörse Change/ Chance (www.change-online.de) – einer Initiative des DIHK, des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und der KfW-Mittelstandsbank fanden 2004 1.465 Übernahmeinteressierte einen Betrieb. Frau Gebhart-Hamann – seit 18 Jahren in der Handwerkskammer Bremen als betriebswirtschaftliche Nachfolgeberaterin tätig – ging in ihrem Beitrag der Frage nach, warum es so wenige Nachfolgerinnen im Handwerk gibt? Sie stellte heraus, dass sich das Leistungs- und Qualifikationspotenzial von Frauen nicht in den entsprechenden Positionen als Inhaberinnen widerspiegelt und dass Kinder bzw. auch Töchter kein Interesse an einer Nachfolge bzw. geringes Interesse für gewerbliche Berufe mitbringen. Hier sieht sie einen wichtigen Ansatz für die Motivierung von Nachfolgerinnen, denn durch den Einsatz von modernen Technologien gewinnen viele Bereiche im Handwerk an Attraktivität. Frau Gebhart-Hamann machte deutlich, dass gerade bei ungeplanter Nachfolge (bei Tod oder Krankheit des Inhabers) häufig folgende Probleme auftauchen: ■
keine Planung
■
keine Vorsorge
■
keine Qualifikation
■
fehlende Transparenz
■
schwierige Akzeptanz bei Banken
47
7 48
Neben notwendigen Verbesserungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ihr die Vorbildwirkung von Frauen im Handwerk sowie die Schaffung von Strukturen, in den Frauen erwünscht und gewollt sind, wichtig.“
C.
Zahlen, Daten und andere Fakten zu Praxis- und Unternehmensnachfolgen im Überblick
C.
Interessant ist natürlich, zu wissen, im welchem Umfang Änderungsbewegungen durch Unternehmensnachfolgen jährlich anfallen und auf welche Märkte sich diese Bewegungen genau erstrecken. Hier zunächst der Gesamtüberblick.
I.
49
Unternehmensnachfolgen
Das IfM Bonn erstellt seit den frühen 90-iger Jahren Hochrechnungen über Anzahl, Ursachen und Wege für die bevorstehenden Übertragungen. Die Berechnungen für den Zeitraum 2005 bis 2009 kommen zu folgendem Ergebnis:
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50
7
§ 7 Anhang
7
II. 51
In der vorhergehenden Grafik sind definitiv nicht die heilberuflichen Unternehmen erfasst. Das sind noch einmal ca. 230.000 Unternehmen. die Quote aus der IfM – Statistik zugrunde gelegt, bedeutet das, dass noch einmal rund 38.000 (1/6) Praxen hinzu kommen, die in 5 Jahren in die Nachfolge gehen, jährlich somit ca. 8.000.
III. 52
Praxisnachfolgen
Ergebnis
Unternehmen, für die unsere Analysen und Darstellungen Im 1. Teil des Buches relevant sind, sind somit: ca. 71.000 (gewerbliche) Unternehmen pro Jahr ein hier unbekannter Anteil an freiberuflichen Unternehmen aus dem Bestand von inzwischen rund 1.000.000. wir gehen mal von zusätzlich 10.000 Einheiten p.a. aus So dass sich das Volumen auf rund 80.000 Einheiten pro Jahre beläuft.
138
D.
D.
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
Hier wollen wir – differenziert nach Branchen – die Unternehmen mit ihren Strukturen darstellen, um daraus evtl. branchentypische Folgen für die Unternehmensnachfolgeregelungen ableiten zu können. Wir unterscheiden wieder zwischen den freiberuflichen Unternehmen (Praxen) und den sonstigen.
I.
7
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen D.
53
Freiberufliche Unternehmen (Praxen)
7
Diese Tabelle die rechtsberatenden freien Berufe betreffend gibt einen ersten Einblick in die Dynamik der Märkte. Eine erste Auswertung: ■ Die Anzahl der Rechtsanwälte hat sich im Betrachtungszeitraum um fast 300% erhöht, die der Steuerberater um 230% und die der Wirtschaftsprüfer um fast 240%. ■ Die prüfenden und steuerberatenden Berufe organisieren sich dynamisch in Kapitalgesellschaften (StB + 460% und WP + 260%) Beide Aspekte sind für die Nachfolgebetrachtung von Bedeutung. Der erste Aspekt sagt etwas über den Markt aus, auf dem sich Übergeber und Übernehmer bewegen. Der zweite Gesichtspunkt verdeutlicht, dass zunehmend mehr das Nachfolgethema dadurch entschärft wird, dass sich Freiberufler in Partnerschaften organisieren, in denen der Bestand ohnehin eher gewährleistet ist und dann zusätzlich auch noch in bestandssicheren Rechtsform einer Kapitalgesellschaft. Insbesondere in den Kapitalgesellschaften der Wirtschaftsprüfer existieren Regeln zum Ausscheiden von Partnern, die über die geregelte Nachfrage auch den Nachwuchs motovieren helfen soll. 139
54
7
§ 7 Anhang
1. 55
7
56
Eine freie Verkäuflichkeit ist – wie bei anderen Freiberuflern auch – nicht möglich, weil der Käufer die persönlichen Voraussetzungen mitbringen muss, um die Zulassung als Rechtsanwalt erhalten zu können. Dadurch beschränkt sich der Kreis der Übernehmer auf Rechtsanwälte. Das besondere im Geschäft der Rechtsanwälte liegt darin, dass die Juristen die Dienstleistung persönlich erbringen müssen, können diese Arbeit so gut wie gar nicht delegieren. Das hat zur Folge, dass Praxisverkäufe von Heute auf Morgen praktisch nicht vorkommen; die überleitende Mitarbeit ist normal, damit die Mandanten an den Übernehmer heran geführt werden. Wie das dann abgewickelt wird? Juristen als die präsumtiv klügsten im Lande kümmern sich selbst um ihre Angelegenheiten. Bei den Kammern und Verbänden taucht das Thema Nachfolge nicht auf; Plattformen, seine Praxis zum Verkauf anzubieten oder Annoncen für Interessenten an Praxen zu schalten, bieten sie alle. Rund 10 Jahre sind vergangen seitdem der BGH entschieden hat, das bei der Veräußerung einer Arzt-, Anwalts- oder Steuerberatungskanzlei für den Verkäufer die Verpflichtung besteht, das sogenannte informationelle Selbstbestimmungsrecht der Mandanten zu beachten14.Das bedeutet, dass ohne schriftliche Einwilligung der betroffenen Mandanten weder die EDV-gespeicherten Daten noch die Mandantenakten an den Übernehmer übergeben werden dürfen. Der BGH hat seine Rechtsauffassung mehrfach bestätigt, dass durch die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit eines solchen Vertrages (§ 134 BGB) die Mandanten vor einer unbefugten Weitergabe von „Geheimnissen“, die sie einem Angehörigen der genannten Berufsgruppe anvertraut haben, ohne Vorliegen einer entsprechenden Zustimmungserklärung geschützt werden sollen15. Auch in der Literatur wurde auf die Gefahren und Konsequenzen eines nichtigen Vertrages verwiesen16. Trotz bekannter Rechtsprechung wird in der Praxis immer wieder versucht, das Problem der Einholung von Zustimmungserklärungen zu umgehen und mit praktischen Schwierigkeiten begründet17.
a) 57
Anwälte
Der Markt
Am 01.01. 2008 gab es 143.442 Rechtsanwälte18. Von der Struktur her gab es 260 Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH, 5 in der Rechtsform der AG und 1.725 in der Rechtsform der Partnerschaftsgesellschaft. Die Anzahl der Anwaltskanzleien über die erhobenen Zusammenschlüsse hinaus ist nicht bekannt, weil andere Zusammenschlüsse (Sozietäten) nicht erfasst werden.
14 BGH v. 11.12.1991 – VIII ZR 4/91, Stbg 1992, 205. 15 2BGH v. 17.5.1995 – VIII ZR 94/94, WM 1995, 1357 unter 2 a aa; v. 11.10.1995 – VIII ZR 25/94, WM 1996, 22 unter 112 a; v. 22.5.1996 – VIII ZR 194/95, DStR 1996, 1576; siehe auch BGH v. 3.2.1999 – VIII ZR 14/98, WM 1999, 1034 unter 1111; OLG Koblenz v. 23.7.1999 – 8 U 2086/98 – Rev. BGH Az VIII ZR 201/99 durch Beschluss v. 3.5.2000 nicht angenommen. 16 Die Zielsetzung des Erfüllungsgeschäfts (gegen ein Verbotsgesetz) führt auch zur Nichtigkeit des zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäfts. Vgl. z. B. Kamps, Der Verkauf der Patientenkartei und die ärztliche Schweigepflicht, NJW 1992, 1545, Taupitz, Das ärztliche Berufsgeheimnis in der Praxis: Möglichkeiten einer Umsetzung der verschärften Anforderungen des BGH, Arztrecht 1992, 141 f; Hülsmann, Zur Verschwiegenheitspflicht des Steuerberaters bei Übertragung oder Einbringung seiner Kanzlei, INF 1998, 727; Wehmeier, Praxisverkauf: Nichtigkeit des Kaufvertrages, Stbg 1996, 345. 17 Häufig z. B. mit Zeitproblemen. Zum Teil wird aber auch lapidar ausgeführt, man wolle die Mandanten „nicht beunruhigen“ 18 Große Mitgliederstatistik der Bundesrechtsanwaltskammer
140
D.
b)
7
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
Größenklassen/Strukturen
Unübersehbar ist, dass Anwälte kaum noch in Einzelpraxen (Rechtsform des Einzelunternehmers) tätig sind. In Sozietäten (Partnerschaften) regelt sich die Nachfolge anders, wobei auch zu beachten ist, dass viele Gemeinschaften keine echten Sozietäten sondern Bürogemeinschaften u.ä sind. Weiterhin ist unübersehbar, dass sich die Namen an den Eingängen zu Anwaltskanzleien häufig ändern. Das bedeutet, dass Wechsel in andere Gemeinschaften deutlich häufiger vorkommen als in den meisten anderen Branchen. Diese Tatsache hat Einfluss auf den Umgang mit der Nachfolge bei endgültiger Berufsaufgabe. Zur Altersstruktur der Rechtsanwälte gibt es nur Daten aus 200219:
58 59
7
19 Bundesrechtsanwaltskammer Oktober 2002
141
7
§ 7 Anhang Von Bedeutung ist darüber hinaus die Anwaltsdichte in Deutschland (Quelle BRAK): Anwaltsdichte 1. Januar 2005
Schleswig-Holstein 870 Hamburg 234
Mecklenburg-Vorpommern 1.163
Bremen 417
Brandenburg 1.232
Niedersachsen 907
7
Berlin 332 Sachsen-Anhalt 1.431 Nordrhein-Westfalen 564 Thüringen 1.284
Sachsen 1.029
Hessen 387 Bundesdurchschnitt: 622
Rheinland-Pfalz 963
Ballungszentren
Saarland 852 Bayern 563 Baden-Württemberg 731 Einwohner pro Rechtsanwalt
Frankfurt Düsseldorf München Stuttgart Hamburg Hannover Berlin Nürnberg Bremen Leipzig Essen Dresden Köln Dortmund
97 117 124 233 234 287 332 385 343 411 413 446 472 541
unter 300 300 bis 500 500 bis 1.000 mehr als 1.000 Bundesrechtsanwaltskammer
c) 60
Regelungsempfehlungen
Regelungsempfehlungen von den Fürsorgeverpflichteten, den Anwaltskammern, gibt es nicht. Dieser Umstand stützt die Hypothese, dass Anwälte keinen Unterstützungsbedarf signalisieren. Das ist insofern interessant, als Veränderungen in Anwaltskanzleien an der Tagesordnung sind. Es gibt auch einen – überschaubaren – Markt von Praxisvermittlern, die Verkäufe (auch Teilverkäufe) managen. 142
D.
Die Betreuung dieser Dienstleister beschränkt sich nach unserer Kenntnis darauf, die Zahlen korrekt aufzubereiten; zu den Aspekten, die dieses Buch verfolgt, betreuen sie nicht. Es ist wohl richtig, dass sich Anwälte um die Nachfolge frühzeitig und aus eigenem Antrieb kümmern, indem sie „Juniorpartner“ aufnehmen. Das Dilemma beginnt hier erst später, denn Partnerschaften gehen so häufig auseinander wie in kaum einer anderen Berufsgruppe. So kommt es regelmäßig vor, dass Anwälte bis weit über das 70. Lebensjahr hinaus tätig sind und irgendwann einfach aufhören, ohne dass es zu einer Vermögensübertragung kommt. Unterstützung erfahren die Rechtsanwälte in Bezug auf die Bewertung ihrer Kanzleien.20 In dem zitierten Ausschussbericht werden auch allgemeine Zulässigkeitshinweise gegeben. Der pauschale Faktor zur Ermittlung des Wertes einer Praxis liegt demnach zwischen 30% und 100% eines Praxisumsatzes p.a.
d)
61
Beispiel
(Anzeige auf der Website der RAK Celle): In einer geräumigen und gemütlichen Kanzlei an der Lister Meile (Lister-Meilen-Passage; Nähe Lister Platz) ist Raum für zwei Kolleginnen/Kollegen im Rahmen einer fortzusetzenden Bürogemeinschaft, nach altersbedingtem Ausscheiden eines Kollegen. Es handelt sich um einen alteingesessenen Praxisstandort für Rechtsanwälte und Notare. Die Praxis wäre jedoch auch geeignet für einen Steuerberater/ Wirtschaftsprüfer. Zur weiteren Abwicklung bestehen verschiedene Alternativen. Die Übernahme der gesamten Praxis kommt in absehbarer Zeit in Betracht.
e)
7
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
62
Fazit
Diese Statistik zeigt, dass angesichts der Anwaltsdichte eine Existenzgründung durch Übernahme einer bestehenden Kanzlei bei Rechtsanwälten sinnvoller erscheinen kann als eine Neugründung.
2.
Steuerberater
Steuerberater sind sich des Wertes ihrer Unternehmen in aller Regel bewusst und tragen frühzeitig Sorge, dass sie noch zu Lebzeiten in den Genuss des Verwertungserlöses kommen. Als Bestandteil einer Altersversorgung spielt der Praxiswert eine bedeutsame Rolle. So kommt es häufig dazu, dass als Organisationsform die Kapitalgesellschaft gewählt wird, in die problemlos Partner und pot. Nachfolger aufgenommen werden können. Da in diesem Fall nur die Geschäftsanteile übertragen werden und Äußerlichkeiten wir die Firma unverändert bleiben (können), ist der Verkauf leicht abgewickelt. Es gibt keine Probleme mit der Verschwiegenheit und dem Wechsel der tätigen Gesellschafter (anders als bei Anwälten). Hinzu kommt, dass auch Steuerberater- und Wirtschaftsprüferpraxen von den Erben nicht einfach fortgeführt oder liquidiert werden können; das ist auch hier Berufsangehörigen21 vorbehalten.
20 BRAK-Ausschuss Bewertung von Anwaltskanzleien, z. B. BRAK-Mitt. 3/2007 Seite 112 ff. 21 Z. B. Praxisabwickler gem. § 70 StBerG
143
63
7
7
§ 7 Anhang
a) 64
Am 01.01.2008 (Zahlen per 01.01.2009) hatten die deutschen Steuerberaterkammern insgesamt 81.437 (83.740) Mitglieder22. Davon sind gut 53.000 (54.798) selbständig tätig (der Rest ist angestellt tätig). Die selbständig Tätigen sind in 34.845 (35.383) Einzelpraxen und 4.256 (4.223) Sozietäten sowie 7.563 (7.870) StB-Gesellschaften organisiert. Der Anteil der Frauen beträgt inzwischen gut 30% mit steigender Tendenz23.
b) 65
Der Markt
Größenklassen/Strukturen
Die Altersstruktur der Steuerberater stellt sich per 2006 wie folgt dar24:
7
Von Interesse ist weiterhin die Organisationsstruktur wie in der Tabelle unter § 4 A ersichtlich.
c) 66
67
Regelungsempfehlungen
Auch bei den Steuerberatern finden sich keine Gestaltungsempfehlungen – wie bei den Rechtsanwälten. Auch in diesem Markt gibt es Praxishändler – in ihrer Zahl überschaubar. Im Gegensatz zu den Anwälten wechseln die Steuerberater deutlich weniger ihre wirtschaftliche Zuordnung zu Kanzleien. Das mag auch daran liegen, dass der Anteil der Einzelpraxen mit fast 65% sehr hoch ist. Nach persönlicher Einschätzung der Autoren ist die Konflikthaftigkeit von Kooperationen allerdings deutlich geringer als bei Rechtsanwälten. Wirtschaftlich ist das Nachfolgethema für Steuerberater gravierender als für Rechtsanwälte. Angesichts der Tatsache, dass die Kaufpreise bei ca. 100% eines Jahresumsatzes liegen, nimmt der Veräußerungserlös schnell die Bedeutung eines Bausteins der Altersvorsorge ein. Das klappt aber wiederum nur, wenn der Steuerberater seine Praxis zur rechten Zeit abgibt. In Sozietäten wird die Nachfolge innerhalb der Partnerschaft geregelt; das klappt in aller Regel gut, weil der „Nachfolger“ ohnehin schon als Berater der Mandanten akzeptiert ist (auch wenn er nicht der persönliche Betreuer gewesen ist). Der Einzelunternehmer steht vor dem üblichen Problem, sich für die Nachfolge zu öffnen und darum kümmern zu müssen. Weil aber die Verkäuflichkeit von StB-Praxen an sich das geringere Problem ist, schafft diese Branche den Schritt häufiger mit Erfolg.
22 Mitgliederentwicklung lt. Mitteilung der Bundessteuerberaterkammer in Berlin 23 Statistische Daten zum Berufsstand der Steuerberater (Stand: 01.01.2006) 24 Quelle: Bundessteuerberaterkammer
144
D.
3.
Wirtschaftsprüfer
Bei den Wirtschaftsprüfern hat sich aus verschiedenen Gründen heraus gebildet, sich in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften zu organisieren. Dieser Umstand begünstigt eine ganz spezielle Kultur der Nachfolge, die als für diesen Berufsstand besonders angesehen werden kann.
a)
69
7
Größenklassen/Strukturen
Hinweise auf die Größenklassen gibt es nicht, wohl aber zur Altersstruktur. Danach sind 7.599 aller WP`s bis zu 50 Jahre alt und der Rest (somit fast 6.000) über 50 Jahre alt und damit in einem Alter, das zur Regelung der Nachfolgefrage Anlass gibt.
c)
68
Der Markt
Per 01.07.2008 hatte die Kammer 20.803 Mitglieder25. Diese teilen sich auf in 13.523 Wirtschaftsprüfer, 3.880 Buchprüfer und knapp 2.500 Prüfungsgesellschaften (hinzu kommen weitere kleine Gruppen, die hier unbeachtet bleiben können). Von den Wirtschaftsprüfern sind rund 4.000 in eigener Praxis tätig und somit von der Nachfolgefrage betroffen. Knappe 9.000 Wirtschaftsprüfer sind in Prüfungsgesellschaften tätig; ihnen ist die Nachfolgeproblematik in der Regel dadurch abgenommen, dass Käufer für abzugebende Geschäftsanteile bereit stehen.
b)
7
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
70
Regelungsempfehlungen
Solche gibt es von den berufsständischen Einrichtungen WPK und IDW ebenfalls (wie bei den RA und StB) nicht. Im Grundsatz gilt das, was zuvor auch zu den RA und StB gesagt ist. Allerdings bestehen bedeutsame Unterschiede: in der Struktur der Praxen fällt auf, dass nur knapp 20% der Wirtschaftsprüfer in Einzelpraxen tätig sind. Das wiederum bedeutet aber nicht, dass sie dort ohne Kollegen arbeiten. Die kollegiale Zusammenarbeit – zumindest mit weiteren Steuerberatern ergibt sich aus dem Arbeitsfeld der WP und kann als Standard angesehen werden. Das bedeutet, dass sich auch in den Einzelpraxen in aller Regel geeignete Nachfolger befinden. Was den wirtschaftlichen Aspekt der Nachfolge angeht, ist dieser noch bedeutsamer als bei Rechtsanwälten und Steuerberatern. Beim Verkauf einer Wirtschaftsprüferpraxis wird im Mittel 150% eines Jahresumsatzes als Kaufpreis gezahlt. Als Kaufinteressenten kommen allerdings nur Wirtschaftsprüfer in Betracht; das engt den Absatzrahmen deutlich ein, weil der Personenkreis – anders als bei Rechtsanwälten (rund 144.000) und Steuerberatern (ca. 84.000) die Zahl der Berufsangehörigen mit rund 20.000 deutlich geringer ist. Um den berufsrechtlich zulässigen Gestaltungsrahmen transparent zu machen (der ähnlich auch für Anwälte und Steuerberater gilt) seien diese für die Wirtschaftsprüfer zitiert: „Die Bestellung zum Wirtschaftsprüfer setzt den erfolgreichen Abschluss eines entsprechenden Examens voraus. Nach bestandener Prüfung wird der Bewerber auf Antrag durch Aushändigung einer von der Wirtschaftsprüferkammer ausgestellten Urkunde als Wirtschaftsprüfer bestellt. Bewerber haben vor Aushändigung der Urkunde den Berufseid vor der Wirtschaftsprüferkammer zu leisten.“26 Der Berufsstand geht also ganz augenscheinlich davon aus, dass aufgrund der Fachlichkeit des Wirt-
25 „Statistische Informationen zu unseren Mitgliedern“ der WPK per 01.07.2008 26 IDW zum Berufsbild des Wirtschaftsprüfers
145
71
72
7
§ 7 Anhang schaftsprüfers dieser seine Nachfolge eigenständig regeln kann. Eine wichtige Grenze der Möglichkeiten schreibt die Berufsordnung in § 44b27 allerdings vor: 73
„Gemeinsame Berufsausübung, Außen- und Scheinsozietät (1) 1Wirtschaftsprüfer dürfen ihren Beruf mit natürlichen und juristischen Personen sowie mit Personengesellschaften, die der Berufsaufsicht einer Berufskammer eines freien Berufes im Geltungsbereich dieses Gesetzes unterliegen und ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Strafprozessordnung haben, örtlich und überörtlich in Gesellschaften bürgerlichen Rechts (Sozietäten) gemeinsam ausüben. Mit Rechtsanwälten, die zugleich Notare sind, darf eine Sozietät nur bezogen auf die anwaltliche Berufsausübung eingegangen werden. Im Übrigen richtet sich die Verbindung mit Rechtsanwälten, die zugleich Notare sind, nach den Bestimmungen und Anforderungen des notariellen Berufsrechts.
74
(2) Eine gemeinsame Berufsausübung mit natürlichen und juristischen Personen sowie mit Personengesellschaften, die in einem ausländischen Staat als sachverständige Prüfer ermächtigt oder bestellt sind, ist zulässig, wenn die Voraussetzungen für ihre Ermächtigung oder Bestellung den Vorschriften dieses Gesetzes im Wesentlichen entsprechen und sie in dem ausländischen Staat ihren Beruf gemeinsam mit Wirtschaftsprüfern ausüben dürfen. Eine gemeinsame Berufsausübung ist weiter zulässig mit Rechtsanwälten, Patentanwälten und Steuerberatern anderer Staaten, wenn diese einen nach Ausbildung und Befugnissen der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung oder dem Steuerberatungsgesetz entsprechenden Beruf ausüben und mit Rechtsanwälten, Patentanwälten oder Steuerberatern im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Beruf in Sozietäten gemeinsam ausüben dürfen. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
7
(3) Die Wirtschaftsprüferkammer hat ein Einsichtsrecht in die Verträge über die gemeinsame Berufsausübung. Erforderliche Auskünfte sind auf Verlangen zu erteilen.
75
(4) Berufsangehörige dürfen ihren Beruf in Sozietäten mit Personen im Sinne von Absatz 1 Satz 1, die selbst nicht als Berufsangehörige oder als vereidigte Buchprüfer oder vereidigte Buchprüferin bestellt oder als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft oder Buchprüfungsgesellschaft anerkannt sind, nur dann ausüben, wenn sie der Wirtschaftsprüferkammer bei Aufnahme einer solchen Tätigkeit nachweisen, dass ihnen auch bei gesamtschuldnerischer Inanspruchnahme der nach § 54 vorgeschriebene Versicherungsschutz für jeden Versicherungsfall uneingeschränkt zur Verfügung steht. (5) Wirtschaftsprüfer haben die gemeinsame Berufsausübung unverzüglich zu beenden, wenn sie aufgrund des Verhaltens eines Mitglieds der Sozietät ihren beruflichen Pflichten nicht mehr uneingeschränkt nachkommen können. (6) Wird eine gemeinsame Berufsausübung im Sinne des Absatzes 1 kundgemacht, sind die Vorschriften der Absätze 4 und 5 entsprechend anzuwenden.
4. 76
Unternehmensberater
Klassisch unterteilt man die Unternehmensberatung in vier Beratungsfelder: Strategieberatung, Organisations-/Prozessberatung, IT-Beratung sowie Human Resources-Beratung. Die Bedeutung der einzelnen Bereiche lassen sich folgender Statistik28 entnehmen:
27 WPO in der Fassung von Ende 2008 28 Statistisches Bundesamt; Erzeugerpreisindizes für Dienstleistungen: Informationen zum Teilindex Unternehmensberatung (WZ 74.14)
146
D.
7
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
7
Ein gesetzlich fixiertes Berufsbild mit vorgeschriebenen Bildungswegen und förmlicher Berufszulassung existiert für die Unternehmensberatung nicht. Eine Reihe von Vorschriften aus unterschiedlichen Rechtsgebieten haben aber Einfluss auf die Berufspraxis der Branche. Insofern gibt es im BDU auch einen „Fachverband Gründung, Entwicklung und Nachfolge“.
a)
Der Markt
Nach Auskunft des BDU werden die Unternehmen auf 14.000 geschätzt mit rund 60.000 Beratern.
b)
78
Größenklassen/Strukturen
Das zuvor aufgezeigte Verhältnis von Beratern zu Unternehmen belegt, dass Unternehmensberater eher in Gesellschaften zusammen geschlossen arbeiten. In der Praxis dominiert auch hier die Rechtsform der Kapitalgesellschaft.
c)
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Regelungsempfehlungen
Auch Unternehmensberatern wird die Kompetenz zugeordnet, die Nachfolge selbst zu regeln; einen Beratermarkt gibt es nicht – wenn man einmal von den Fachkollegen absieht. Jedenfalls wirbt die Branche nicht damit, dass Unternehmensberater Kollegen bei der Nachfolge hilft. Anders als bei den im Zugang reglementierten Berufen wie Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer gibt es solches bei Unternehmensberatern nicht. Der Nachteil: der Käufermarkt ist ziemlich intransparent – jedenfalls von außen betrachtet. Für spezielle Segmente des Marktes gibt es sicherlich für die darin Tätigen besseren Durchblick. Jedenfalls ist festzustellen, dass es Unternehmenshändler wie bei den rechtsberatenden Berufen nicht gibt. 147
80
7
§ 7 Anhang Typisch für diese Gruppe ist die Zusammenarbeit entweder in Partnerschaften oder zumindest in Netzwerken. So gibt es in der Regel persönliche Kontakte zu potentiellen Nachfolgern. Die Ertragslage der Unternehmen ist extrem unterschiedlich; Indizes zur Bewertung von Unternehmensberatungsunternehmen (wie bei den rechtsberatenden Berufen) gibt es nicht.
5. 81
7
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83
Ärzte und andere Heilberufe
In Deutschland ist für die Ausübung eines ärztlichen Berufes eine Approbation oder eine Berufserlaubnis erforderlich. Eine solche Approbation ist auch eine von mehreren Voraussetzungen für die Eintragung in das Arztregister und damit für die vertragsärztliche Zulassung. Letztere ist von besonderer Bedeutung, da der Anteil der Privatpatienten, für die Leistungen ohne vertragsärztliche Zulassung abgerechnet werden dürfen, gering ist. Handelt es sich nicht um ein arztgruppenbezogen und räumlich überversorgtes Gebiet, besteht bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf eine vertragsärztliche Zulassung, sofern bei dem Antragsteller die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen vorliegen. In einem gesperrten Gebiet hingegen kann eine vertragsärztliche Zulassung nur durch die Übernahme einer bestehenden Praxis im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens erfolgen. Zwingender Teil dieses Nachbesetzungsverfahrens ist eine Ausschreibung des freiwerdenden Vertragsarztsitzes, innerhalb derer potenzielle Interessenten zu einer Bewerbung aufgefordert werden. Die Kassenärztliche Vereinigung nimmt die Bewerbungen interessierter Ärzte entgegen und fasst sie in einer Liste zusammen, die dem Zulassungsausschuss und dem abgabewilligen Vertragsarzt oder seinen Erben ausgehändigt wird. Der Bewerber erhält zeitgleich eine Information über den Eingang der Bewerbung. Bei mehreren Bewerbern entscheidet der Zulassungsausschuss nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei kommen als Auswahlkriterien insbesondere die berufliche Eignung, das Approbationsalter, die Dauer der ärztlichen Tätigkeit sowie der familiäre Bezug zum bisherigen Vertragsarzt zur Anwendung. Die Kassenärztlichen Vereinigungen führen für jeden Planungsbereich eine Warteliste. In die Warteliste werden auf Antrag die Ärzte, die sich um einen Vertragsarztsitz bewerben und in das Arztregister eingetragen sind, aufgenommen. Bei der Auswahl der Bewerber für die Übernahme einer Vertragsarztpraxis ist die Dauer der Eintragung in die Warteliste zu berücksichtigen. Bei Gemeinschaftspraxen können die übrigen beteiligten Ärzte einen Nachfolger auswählen, indem sie andere Bewerber ablehnen. Arztpraxen dürfen, wie die zuvor betrachteten Anwalts-, Steuerberater- und Wirtschaftsprüferpraxen, ebenfalls nur von Berufsangehörigen betrieben werden. Wirtschaftlich kommt die Besonderheit hinzu, dass viele Ärzte vertraglich an die Kassenärztliche Vereinigung gebunden sind, über die Kassenleistungen abgerechnet werden. Die Honorare liegen unter denen, die mit Privatpatienten verdient werden können, so dass der Praxisstruktur in dieser Hinsicht eine große Bedeutung zukommt. Dann sind gerade die Ärzte nicht in erster Linie Kaufleute, so dass ihnen der wirtschaftliche Aspekt der Praxisnachfolge weniger Nahe liegt als etwa den Steuerberatern.
148
D.
a)
7
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
Der Markt
„Der „Altersberg“ bei den Ärzten wird immer höher, weil der Nachwuchs ausbleibt“29. Diese Aussage spricht für einen attraktiven Nachfolgemarkt. Dahinter verbirgt sich allerdings ein signifikanter Rückgang der Attraktivität dieses Berufes, der insbesondere auch mit den wirtschaftlichen Chancen und Risiken zusammen steht. Eine Übersicht zur Struktur der ärztlichen Einsatzfelder stammt aus 2006:
84
7
Im Folgejahr hatten sich die Werte etwas verschoben und enthalten folgende Daten zur Dynamik: Ohne die 98.784 nicht ärztlich Tätigen waren im Jahre 2007 im Bundesgebiet 314.912 Ärztinnen und Ärzte ärztlich tätig, dies waren 3.682 mehr als im Vorjahr. Die Zuwachsrate betrug wie im Jahre 2006 1,2 %.30 Der Anteil der Ärztinnen an der Gesamtzahl der berufstätigen Ärzte ist im Jahre 2007 wiederum leicht angestiegen und beträgt jetzt 40,6 % der Gesamtzahl (2006: 40 %). Der Anteil der Ärztinnen an den berufstätigen Ärztinnen und Ärzte lag 1991 noch bei rund einem Drittel (33,6 %). Seitdem hat sich der Frauenanteil um 21 % erhöht. Die Altersstruktur der berufstätigen Ärzte hat sich kaum verändert. Der Anteil der unter 35-jährigen Ärzte ist um 0,1 Prozentpunkte auf jetzt 16 % angestiegen. Der Anteil der über 59-Jährigen ist auf 11,5 % angestiegen (Vorjahr: 11,4 %). Dier Zuordnung der Ärzte zu Fachgebieten sieht wie folgt aus:
29 Thomas Kopetsch, Bundesärztekammer-Statistik: Ärztemangel trotz Zuwachsraten in Dt. Ärzteblatt 2006 30 Statistik, veröffentlicht von der Bundesärztekammer per 31.12.2007
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§ 7 Anhang
7
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Bei den einzelnen Arztgruppen fallen die Zuwachsraten recht unterschiedlich aus. Sehr große Steigerungsraten sind bei den Gebieten Neurologie (+ 7,8 %), Strahlentherapie (+ 5,9 %) sowie Psychiatrie und Psychotherapie (+ 4,9 %) zu finden.
150
D.
b)
Größenklassen/Strukturen
Die Strukturen der Arztpraxen sehen eher traditionell aus: ■ Organisationsform sind der Einzelunternehmer oder die Partnerschaft. Kapitalgesellschaften gibt es u.E. nicht, sind ansonsten für dieses Thema auch nicht relevant. ■ Partnerschaftliche Zusammenschlüsse sind – sofern sie existieren – eher auf zwei bis 5 Ärzte begrenzt. ■ Bei den Zusammenschlüssen gibt es die Differenzierung zwischen Gemeinschaftspraxen (mit einheitlicher Kassenzulassung) und Praxisgemeinschaften (mit Kassenzulassungen der einzelnen Partner separat)
c)
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Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
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Regelungsempfehlungen
Zwischen Arzt und Patient entwickelt sich oftmals über Jahre ein Vertrauensverhältnis, das sich nicht einfach auf einen nachfolgenden Arzt übertragen lässt. Um die daraus resultierende Bindung von Patienten an die zu übergebende Praxis zu erhalten, ist bei der Übergabe einer Arztpraxis besonderer Wert auf ein behutsames Heranführen des nachfolgenden Arztes an die Patienten zu legen. Es gilt also eine Menge zu bedenken (über die üblichen steuerlichen und rechtlichen Fragen hinaus), so dass nachvollziehbar erscheint, dass sich der mit diesen Dingen wenig vertraute Mediziner der Nachfolgefrage schwer öffnet. Von einer Praxisnachfolge wird meist bei einem Übergang einer Praxis auf einen Nachfolger im Familienkreis gesprochen. Aufgrund der besonders hohen Qualifikationserfordernisse sind diese Nachfolgen eher die Ausnahmen. Besonderheit bei Nachfolgern aus dem Familienkreis ist zum einen, dass der Verwandtschaftsgrad im Nachbesetzungsverfahren31 berücksichtigt wird. Nach § 103 Abs. 4 SGB V sind allerdings nur der Ehegatte und die Kinder explizit als besonders zu berücksichtigende Personen genannt. Der Praxiswert wird – nach der Kammermethode – differenziert ermittelt: der Substanzwert)setzt sich aus dem Verkehrswert aller Wirtschaftsgüter zusammen) und dem Goodwill. Es wird aber gesagt, eine Praxis im Bereich der Heilberufe ließe sich nie anhand einfacher Zahlenspiele bewerten. Es käme darauf an, die in der Praxis liegenden Potenziale mit Rücksicht auf die Patienten, die Qualifikation der Ärzte, Therapeuten und Träger sowie deren spezifisches Leistungsangebot zu bewerten, wobei die folgenden Faktoren als von ganz erheblicher Bedeutung hervorgehoben werden: ■ Lage und Ausstattung ■ Stand der Technik ■ Personal ■ Leistungsangebot 31 In Gebieten mit Überversorgung (gesperrten Gebiete) werden frei werdende Vertragsarztsitze auf Antrag des ausscheidenden Arztes von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung in den amtlichen Blättern ausgeschrieben. Die Entscheidung, wer den Vertragsarztsitz erhält, trifft nicht der auf den Vertragsarztsitz verzichtende Arzt, sondern der Zulassungsausschuss. Dieser ist in seinem Ermessen allerdings an gesetzlich festgelegte Kriterien gebunden, auf die der verzichtende Arzt wiederum Einfluss hat. So wäre seitens des Zulassungsausschuss z. B. positiv zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Nachfolger um ein Kind des Veräußerer handelt. Auch die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Arztes müssen beachtet werden. Dies führt mittelbar dazu, dass es sich positiv auswirkt, wenn der ausscheidende Arzt darlegt, er habe mit einem bestimmten Kandidaten eine vorläufige Einigung erzielt. Im Ergebnis wird es dem Veräußerer einer Arztpraxis daher in den meisten Fällen möglich sein, einen (fachlich kompetenten) Nachfolger auszuwählen.
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§ 7 Anhang ■ ■ ■ ■ ■ ■
d) 92
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weitere Berufsgruppen
Zu dieser Gruppe zählen weiterhin (mit ähnlichen Strukturen) Tierärzte, Heilpraktiker, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Psychotherapeuten und Hebammen sowie Krankenschwestern, die allerdings in aller Regel nicht über Strukturen eines Unternehmens verfügen, so dass eine Nachfolgeregelung ausscheidet. Auf diese gehen wir nicht gesondert ein.
6. 94
Beispiel
Eigentlich hatte Dr. med. dent. Karl-Heinz Oebels, 64, alles richtig gemacht: Der Solinger Zahnarzt hat bereits mit 59 Jahren an die Nachfolgersuche gedacht. Er besuchte Praxisabgabe-Seminare seiner Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV). Er modernisierte die Praxiseinrichtung und brachte das medizintechnische Equipment auf den neuesten Stand. Auch hatte sich beizeiten einen jungen Kollegen ausgeguckt, der als Nachfolger geeignet schien. Er stellte den Wunschkandidaten sogar ein, damit sich dieser bereits frühzeitig mit Personal und Patienten vertraut machen konnte. Doch dann zerschlug sich der Plan: „Der junge Mann bekam aus dem Nachlass einer tödlich verunglückten Zahnärztin eine Praxis fast zum Nulltarif angeboten und griff zu – das konnte ich ihm nicht verübeln“, erinnert sich Oebels. Seine Zeitplanung war damit hinfällig – fest stand für ihn jedoch: Mit 64 oder spätestens 65 sollte Schluss sein. Ein anderer Interessent machte einen Rückzieher: „Der Vertrag war unterschriftsreif, da bekam der junge Kollege Angst vor der eigenen Courage“, erzählt Oebels.
e) 93
Vernetzung (Kliniken, Zuweisung etc.) Anteil Privatpatienten Fallzahlen / Scheine Punktwertung und Entwicklung Kosten und Aufwendungen Ruf und Name der Praxis
Architekten und Ingenieure
In Deutschland gibt es allein etwa 50 bis 60.000 Architekturbüros32. Für viele der vor allem in der Nachkriegszeit gegründeten Unternehmen steht in den kommenden Jahren ein Generationswechsel an. Viele Büroinhaber sind sich gar nicht bewusst über den tatsächlichen Wert ihres Büros, denn Renommee und Kontakte sind wichtige Eckpfeiler eines Unternehmens. Sie scheuen sich vor einer Büroübergabe, da sich die Mitarbeiter benachteiligt oder übergangen fühlen könnten? Sie fürchten, dass der Eindruck entsteht, Sie wollten sich „Davonstehlen“ oder seien nur auf Ihren finanziellen Vorteil bedacht? Einfach das Büro zuschließen ist keine Alternative. Auf der anderen Seite gilt für viele junge Architekten: Bei der herrschenden Marktsituation sind die Chancen als Angestellte und Perspektiven als Mitarbeiter in einem Architekturbüro äußerst schlecht. Bei der Suche nach ihrer Existenzsicherung kommt ihnen jedoch viel zu selten die Chance einer Büroübernahme in den Sinn. Doch wie das passende Unternehmen finden, in das man als Partner einsteigen möchte? Wie – als Mitarbeiter eines Büros – den bisherigen Inhaber auf sich als möglichen Nachfolger aufmerksam machen?
32 Jörg M. Proksch im Deutschen Architektenblatt 5/2005
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Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
Der Markt
Anzahl der Architektur- und Ingenieurbüros in Deutschland33
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Größenklassen/Strukturen
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Regelungsempfehlungen 96
Zitat: „Mancher Büroinhaber sucht seinen Nachfolger über die Datenbank für Ingenieur- und Planungsbüroübergaben, die der VBI mit Unterstützung des BDU-Fachverbandes „Gründung, Entwicklung und Nachfolge“ (sog. GEN) betreibt. Bedauerlicherweise werden aber auch immer wieder Büros geschlossen, weil eine frühzeitige Planung der Nachfolge versäumt wurde, was nicht nur für die betroffenen Mitarbeiter bitter ist. 33 Quelle: Statistisches Bundesamt, Umsatzsteuerstatistik, Berichtsjahr 2002
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§ 7 Anhang Seit Januar 2006 bieten wir auch wieder Seminare zur systematischen Planung der Übernahme oder Übergabe an. In diesem Zusammenhang werden auch die Wertermittlung eines Planungsbüros, steuerrechtliche und rechtliche Rahmenbedingungen in der gebotenen Intensität erläutert. Diese Veranstaltungen sind gefragt, weil sie preisgünstig einen Service bieten, den Sie sonst nirgendwo bekommen: Auf Planungsbüros zugeschnittene Vorträge, die Möglichkeit einen kompetenten Fachmann zu individuellen Anliegen zu befragen und gleichzeitig – quasi als Nebeneffekt der Veranstaltung – die Chance, jemanden aus der eigenen Fachdisziplin zu treffen, einen potenziellen Nachfolger oder Übergeber.
97
Anfang 2007 hat der Kooperationsverbund die 3. vollständig überarbeitete Auflage des Leitfadens „Nachfolge im Planungsbüro“ herausgegeben. Die Lektüre des Leitfadens lohnt sich für alle, die einen ersten Einblick in das Vorhaben „Übergabe“ bzw. „Übernahme“ benötigen. Aktuelle rechtliche, versicherungsrechtliche und steuerliche Gegebenheiten wurden in die Kapitel integriert. Neben der systematischen Planung der Übergabe/Übernahme wird ausführlich das essenzielle Thema „Wertermittlung eines Planungsbüros“ behandelt. Auch die Finanzierung der Unternehmensübergabe wird in der gebotenen Intensität dargestellt.“34 Die Datenbank für Ingenieur- und Planungsbüros soll geeignete Nachfolger unter Berücksichtigung der spezifischen Belange der Zielgruppe Beratende Ingenieure und Architekten suchen und finden.
7 98
Die Berater bieten einen speziell auf unabhängige Planer zugeschnittenen Service. Dieser reicht von der Kontaktvermittlung über moderierte Treffen und Konzepterstellung bis zur Übergabe. Unterstützt und begleitet vom BDU-Fachverband „GEN“ treffen sich nach erfolgreichem Datenbankmatching Planungsbüroinhaber, die einen Nachfolger suchen, sowie Ingenieure und Architekten, die ein Büro übernehmen, expandieren und / oder ihr Leistungsspektrum erweitern wollen. Zitat: „Für Sie als Übergeber heißt das: Loslassen und Ihr Büro, das Sie mit Ihren Ideen und Ihrer Person geprägt haben, in gute Hände übergeben. Je früher Sie damit beginnen, Ihre Nachfolge zu planen und zu gestalten, desto größer ist die Chance, dass Ihr Planungsbüro erfolgreich weitergeführt wird. Für eine gelungene externe Nachfolgeregelung sollten Sie im Idealfall etwa drei bis fünf Jahre einkalkulieren. Wenn Sie sich dann zur Ruhe setzen, werden Sie durch die finanziellen Vorteile einer erfolgreichen Übergabe gegenüber einer Büroschließung belohnt.“
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Als Vorteile einer strategischen Nachfolgeregelung werden aufgezählt: ■ Wahrung des Bestandes und des Renommees des Büros ■ Gründliche Einarbeitung des Nachfolgers ■ Der Nachfolger kann auf Erfahrungen des Abgebers aufbauen ■ Der Nachfolger kann seine Kenntnisse und Fähigkeiten beweisen ■ Festlegung von Aufgaben- und Verantwortungsbereichen mit eindeutigen Kompetenzen ■ schrittweise Übertragung von Kompetenzen nach Zeitplan ■ kein Kompetenzgerangel Als Herausforderungen bei der Übergabe an einen Nachfolger werden betont: ■ „Lebenswerk“ loslassen ■ den geeigneten Nachfolger auswählen ■ Akzeptanz des Nachfolgers durch Kunden oder Mitarbeiter ■ die Neuerungen und Veränderungen des Nachfolgers akzeptieren ■ Kompetenzen klären, abgeben ■ Interessenkonflikte zwischen Abgeber und Nachfolger 34 Angebot des VBI (Verband beratender Ingenieure) in Zusammenarbeit mit dem BDU http://www.vbi.de/service/ buerouebergaben.html
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Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
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■
objektive Einschätzung des Bürowertes Die Schritte beim Übergabeprozess sollen sein: ■ die Ausgangssituation analysieren ■ Profil des potentiellen externen / internen Nachfolgers festlegen ■ Kontakt herstellen ■ Konzept für die Übergabe erstellen ■ Wert des Büros ermitteln ■ Abschluss und Übergabe
d)
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Beispiel
„Star-Architekt Foster bereitet Nachfolge vor35 Der weltbekannte Architekt Norman Foster sucht Geldgeber oder Käufer für sein Unternehmen. Eine Investmentbank habe im Auftrag des 71- Jährigen Vorschläge unterbreitet, hieß es gestern aus Kreisen der Londoner Firma. Sie bewerte das führende Architektenbüro mit 300 bis 500 Mill. Pfund (450 bis 750 Mill. Euro). dih LONDON. Lord Foster habe gegenüber Mitarbeitern deutlich gemacht, dass er das Unternehmen auf absehbare Zeit weiter führen wolle. Er wolle aber den Eigentümerkreis erweitern, gute Mitarbeiter an die Firma binden und so rechtzeitig für seine Nachfolge sorgen. Die diskutierten Optionen reichten vom Einstieg einer Beteiligungsgesellschaft über den Börsengang bis zum kompletten Verkauf. Die Einnahmen will Foster für die Expansion unter anderem in China und Indien nutzen. Foster hat das Architektenbüro Foster + Partners vor vierzig Jahren gegründet. Auf der ganzen Welt hat er Aufsehen erregende Bauten entworfen, darunter den modernisierten Reichstag in Berlin, das neue Wembley-Stadion in London und die spektakuläre Brücke Millau Viadukt in Frankreich. Zu den bekanntesten Bürogebäuden zählt die „Gurke“ in der Londoner City. 1999 wurde er von der Queen zum Lord ernannt. Derzeit ist der Star-Architekt mit rund 80 Prozent Mehrheitseigner der Foster Group International, einer Holdinggesellschaft des Architektenbüros. Das Unternehmen hat im Geschäftsjahr zum 30. April 2005 den Angaben zufolge 44,5 Mill. Pfund umgesetzt und 2,5 Mill. Pfund Reingewinn erwirtschaftet. Das Geschäftsvolumen sei aber seither stark gestiegen, hieß es.“ Das Beispiel verdeutlicht einen bei Architekten besonders auffallender Aspekt: der Name, der Ruf des Büros! Bei vielen Architektur- und Ingenieurbüros ist es aufgrund über Jahre aufgebauter Kontakte wichtig, den Namen des Büros zumindest im Kern weiterzuführen. Im Falle einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) ist dies bei Ausscheiden des bisherigen Unternehmers problematisch: Es können Konflikte auftreten hinsichtlich Berufsordnung, Haftung und Nachhaftung, insbesondere auch die Problematik der Außenschein-Haftung. Häufig wird u. a. auch aus diesem Anlass über die Gründung einer Partnerschafts-Gesellschaft (GmbH oder in neuerer Zeit auch Aktiengesellschaft) nachzudenken sein.
35 Nachricht vom 23.01.2007
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§ 7 Anhang
7. 105
Dazu zählen: Vermessungsingenieure, Vereidigte Sachverständige, See- / Hafenlotsen, Chemiker, Biologen, Umweltgutachter, Informatiker. Die Relevanz dieser Unternehmen für das Thema Nachfolge ist unterschiedlich: einige sind gar nicht nachfolgefähig (weil es gar keine Infrastruktur gibt, die übergeben werden könnte und der Kundenstamm als Vermögenswert höchstpersönlich gebunden ist); für die übrigen Unternehmen gilt das, was zuvor auch zu den anderen Freiberuflern festgestellt werden konnte. Auch hier ist es so, dass die Nachfolgefrage weder durch die Verbände noch von Beratern thematisiert wird.
a) 106
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Der Markt
Daten zum Markt wie Anzahl der Unternehmen, Organisationsstrukturen haben wir nicht recherchiert. Für die weitere Betrachtung erscheinen diese aber auch nicht besonders bedeutsam für unser Thema und den Zweck dieses Anhangs.
b) 109
Freie Kulturschaffende
Dazu zählen Journalisten, Dolmetscher, Dozenten, Schauspieler; Regisseure, Musiker, Erzieher, Schriftsteller, Choreograph, Designer, Künstler, Restauratoren, Tanzlehrer u.ä. Wir nehmen aus dieser Vielzahl beispielhaft die Journalisten. Die Rechtsprechung beschreibt journalistische Tätigkeit wie folgt: „Die Sammlung und Verarbeitung von Informationen des Tagesgeschehens, die kritische Auseinandersetzung mit diesen Informationen und die Stellungnahme zu den Ereignissen des Zeitgeschehens, sei es auf politischem, gesellschaftlichem, wirtschaftlichem oder kulturellem Gebiet, machen das Berufsbild des Journalisten aus. Dabei ist es gleichgültig, ob der Journalist sich mündlich oder schriftlich äußert und welcher Medien (Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen) er sich bedient.“36
a) 108
Marktdaten
Die Märkte dieser Freiberufler sind vergleichsweise klein. In Bezug auf Verkaufsfähigkeit und Handeln in Bezug auf Nachfolgen können wir auf unsere Ausführungen zu den Architekten und Ingenieuren Bezug nehmen.
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Andere naturwissenschaftliche Berufe
Größenklassen/Strukturen
In den Medien gründet es sich anders. Statt GmbH und AG dominieren hier freiberufliche Einzelkämpfer, freie Mitarbeiter, Übersetzer, Redaktionsbüros und andere kleine Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR). Statt um ein konkretes Produkt dreht sich alles um eine Dienstleistung, die mit Worten und Bildern zu tun hat. Die Strukturen in dieser Branche sind (in der Regel) so angelegt, dass das Thema Unternehmensnachfolge keines ist. Es gibt dazu weder spezielle Literatur noch tummeln sich Berater mit einem solchen Angebot. Auch die Verbände nehmen sich dieses Themas nicht an. Das liegt daran, dass die
36 BFH vom 2.12.71, Bundessteuerblatt 1972 II Seite 315.
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D.
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
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Dienstleistung derart personengebunden ist, dass eine Nachfolge im Sinne des Verkaufes eines Kundenstammes nicht interessant ist. Unternehmer aus diesem Metier scheiden einfach aus und übergeben typischerweise nicht an Nachfolger.
c)
Regelungsempfehlungen
Keine. Dieses gilt – nachvollziehbar – aus gleichen Gründen auch für die meisten der übrigen Freiberufler dieser Kategorie: Dolmetscher, Dozenten, Schauspieler; Regisseure, Musiker, Erzieher, Schriftsteller, Choreograph, Designer, Künstler, Restauratoren, Tanzlehrer u.ä. Die Tanzlehrer stellen insoweit eine Ausnahme dar. Der größte Verband mit 800 Tanzschulen und 2.000 Tanzlehrern ist der ADTV37. Insgesamt ist der Markt jedoch so klein, dass wir auf Besonderheiten an dieser Stelle nicht eingehen. Allgemein auf Freiberufler bezogen gibt es ein noch junges Angebot, das sich herleitbar auf nicht verkammerte oder durch bedeutendere Verbände vertretene Berufsgruppen bezieht, zu denen auch die die freien Kulturschaffenden zählen:
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Für einen Freiberufler ist es nicht leicht, in dem Wirrwarr aus strategischen und unternehmerischen Notwendigkeiten den Überblick zu behalten. Das Portal http://www.Erfolg-als-Freiberufler.de will helfen, Freiberuflern auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit und auch später mit Tipps und Ratschlägen zur Seite zu stehen, damit ihre selbstständige Tätigkeit etwas einfacher wird. Auf dieser noch neuen Seite sollen Methoden und Mittel gezeigt und vorgestellt werden, mit Hilfe derer ein Freiberufler einen leichteren Start hat. Auf der Seite wird weiterhin über Berufsfelder von Freiberuflern informiert, es werden auch diverse Angebote für freiberuflich tätige Menschen gegeben.
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Allen Freiberuflern gilt der Rat, dass sie sich regelmäßig über kreative und unternehmerische Neuigkeiten informieren. Sie sollten Ausstellungen besuchen, auf Messen präsent sein und den Austausch mit Kollegen der eigenen Branche und verwandter Berufsrichtungen suchen und pflegen. Dabei den Überblick zu behalten, ist besonders in der Anfangszeit schwer, daher soll diese Website unterstützend unter die Arme greifen. Ein Freiberufler kann sich auf der Internetseite umfassend informieren. So erhält er Tipps zur Gestaltung von Verträgen, Ratschläge über Honorare und die verschiedenen Möglichkeiten, Honorare strategisch festzulegen. Verhandlungstaktiken werden vorgestellt, damit der Freiberufler nicht auf dem Markt der Billiganbieter untergeht. Sehr wichtig ist für einen Freiberufler das Feld der Werbung und des Marketings in eigener Sache. Wer aber nicht gerade in der Werbebranche tätig ist oder schon einmal Kenntnisse in einem entsprechenden Bereich sammeln konnte, wird sich in der Regel schwer damit tun, Werbung für sich selbst zu verbreiten. Das Portal will helfen, diese Wissenslücke zu schließen und es Freiberuflern ermöglichen, trotz mangelnder Vorkenntnisse erfolgreiche Marketingstrategien anzuwenden. Natürlich kommt niemand umhin, sich auch anderweitig weiterzubilden, doch diese Website ist eine Anlaufstelle, die erstens rund um die Uhr erreichbar ist und zweitens auch immer auf dem aktuellen Stand der Informationen gehalten wird. Veraltete Informationen findet ein Freiberufler auf vielen Internetseiten zur Genüge, jedoch kann er damit natürlich nichts anfangen. Zusätzlich werden Adressen der Berufsverbände genannt, Fördereinrichtungen und -möglichkeiten, sowie Stellen, die für Existenzgründer von Interesse sind, vorgestellt. Kurzum, die Infoseite Erfolg-alsFreiberufler.de ist eine hilfreiche Seite für jeden Freiberufler.
37 http://www.tanzen.de/VERBAND/verband.php
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§ 7 Anhang
d) 113
Aus der Verkaufsanzeige einer Ballettschule: „Aus gesundheitlichen Gründen suche ich einen/eine Nachfolger/in für meine Ballettschule. Die Schule liegt in Ostwestfalen- Lippe (PLZ: 3...) in ländlicher Umgebung. Sie ist 200 qm groß und liegt zentral in der Ortsmitte (Einwohner ca. 15 000, Einzugsgebiet ist größer). Der oder die Nachfolger/in sollte eine abgeschlossene Ausbildung im Bereich Tanz und/oder Tanzpädagogik aufweisen können. Die Schule habe ich gemietet, bis Jahresende suche ich nun einen Nachfolger. Pachtvertragübernahme. Ich biete faire Konditionen für die Einrichtung: Schwingboden, Tanzbelag, Spiegel, Ballettstangen, Musikanlage, Sitzecke etc..“
II. 114
7
Landwirtschaft
Landwirtschaftliche Unternehmen sind traditionell Familienbetriebe. In keiner anderen Branche fügt sich die Tendenz der Jugendlichen, sich nicht mehr in eine Unternehmensnachfolge verdingen zu lassen mit der branchenbedingten Strukturveränderung in der Weise zusammen, dass die Nachfolgefrage hier ganz besonders brennende Bedeutung erlangt hat.
a) 116
Übrige mittelständische Unternehmen
Die in diesem Überblick noch zu berücksichtigenden Branchen sind wesentlicher Bestandteil des Mittelstandes. Das gilt insbesondere für die Landwirtschaft, den Handel, aber auch für das Handwerk und die Gastronomie.
1. 115
Beispiel
Der Markt
Über 470 000 Bauernhöfe gibt es zurzeit in Deutschland. 150 000 weniger als 1990. Jedes Jahr geben zwei bis fünf Prozent aller Betriebe auf, meist weil kein Hofnachfolger in der Familie zu finden ist. In der Regel wird das Land an benachbarte Bauern verpachtet oder verkauft. Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude sind viel schwieriger zu veräußern und bleiben oft genug dem Verfall überlassen. Besserung ist nicht in Sicht. Das Statistische Bundesamt hat herausgefunden: Nur ein Drittel aller Landwirte über 45 Jahre hat einen Nachfolger. Bei zwei Dritteln ist die Hofnachfolge ungeklärt oder die Entscheidung zur Aufgabe bereits gefallen.38 Die Hessische Hofbörse39 hat zurzeit 80 Betriebe im Angebot, dem gegenüber stehen über 300 Suchende. Oft scheitert die Nachfolge daran, dass Hofbesitzer nicht flexibel genug denken. Sie wollen, dass ihr Hof genau so weitergeführt wird, wie sie ihn die letzten 40 Jahre bewirtschaftet haben. Auf dem umkämpften Agrarmarkt kann aber mit einem kleinen Hof nur überleben, wer clever wirtschaftet und Marktnischen erschließt.
38 Die Zeit Nr. 15 aus 2002 39 www.hessische-hofboerse.de
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D.
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Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
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Größenklassen/Strukturen
Betriebe:40 Landwirtschaftliche Betriebe 2 bis unter 20 ha 20 bis unter 50 ha 50 bis unter 100 ha 100 ha und mehr
c)
117 472.000 241.000 114.300 54.300 24.400
Regelungsempfehlungen 118
Die hessische Hofbörse wirbt wie folgt: „Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe ist in dramatischer Weise rückläufig. Gründe für Betriebsaufgaben finden sich hauptsächlich in der schlechten finanziellen Lage der Landwirtschaft, aber auch in der fehlenden Hofnachfolge.
7
Hier gilt es, frühzeitig zu reagieren, damit keine Vermögensverluste durch hohe Unterhaltskosten, z. B. von Wirtschaftsgebäuden entstehen. Gleichzeitig registrieren die Berater/innen des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen (LLH) eine verstärkte Nachfrage vor allem junger Menschen, die eine geeignete Hofstelle – je nach ihrer individuellen Schwerpunktsetzung – suchen. Aus dieser Situation heraus wurde schon 1997 beim Amt für den ländlichen Raum Eschwege von Burkhardt Heckmann bundesweit die erste Hofbörse gegründet. Seit 2005 wird diese vom LLH in Zusammenarbeit mit der Hessischen Landgesellschaft (HLG) weitergeführt.
119
Die Hessische Hofbörse : ■
erleichtert aufgabewilligen Landwirtsfamilien bei fehlender Hofnachfolge den Übergang vom Erwerbsleben zum Altenteil und
■
unterstützt dabei Existenzgründer/innen durch einen kostengünstigen Einstieg über die Erfassung von Hofstellen und die Beratung vor Ort.
Die Hessische Hofbörse richtet sich an alle Käufer und Pächter sowie Verkäufer und Verpächter landwirtschaftlicher Betriebe sowie Gartenbaubetriebe in Hessen. Die Hessische Hofbörse richtet sich an alle Käufer und Pächter sowie Verkäufer und Verpächter landwirtschaftlicher Betriebe sowie Gartenbaubetriebe in Hessen. Unser Dienstleistungsangebot für beide Seiten lautet: ■
Landwirtschaftliche und gärtnerische Fachberatung
■
Kompetente, aber kostenlose Erfassung landwirtschaftlicher und gartenbaulicher
■
Betriebe in Hessen (Flächen, Ställe, Wirtschafts- und Wohngebäude)
■
Dienstleistungsangebote des LLH Landwirtschaftliche und gärtnerische Fachberatung in den Bereichen:
■
Betriebswirtschaft
■
Produktionstechnik
■
Vermarktung
40 Statistisches Bundesamt für 2003
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§ 7 Anhang
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■
Arbeitswirtschaft
■
Sozioökonomie
Die begleitende Beratung wird hierbei individuell für Sie organisiert, je nachdem, ob Ihre Schwerpunkte im Bereich der Landwirtschaft, des Gartenbaus, der Direktvermarktung, des integrierten oder des alternativen Landbaues liegen. Dienstleistungsangebote der HLG
d) 7
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■
Zuschuss-, Orientierungs- und Finanzierungsberatung
■
Bauberatung im Auftrag des Landes Hessen
■
Abwicklung der gesamten Architektenleistung vom Antrag bis zur Abrechnung
■
Unterstützung bei der Bereitstellung von landwirtschaftlichen Flächen und Baugrundstücken“
Beispiel
Seitdem Hans-Jörg Winkler denken kann, denkt er an Schafe. Als Junge streifte er mit dem Dorfschäfer über die Enztalwiesen in seiner schwäbischen Heimat. Verstoßene Lämmer zog er im Dutzend mit der Flasche groß. Nach dem Abitur wollte er auf der Schwäbischen Alb eine Schäferlehre beginnen, doch der Zivildienst kam dazwischen, und die Lehrstelle war weg. Schließlich studierte er Agrarwissenschaften mit Schwerpunkt Tierproduktion. Das Ingenieursdiplom in der Tasche, stand für Winkler fest: „Ich will Schafe züchten, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.“ Ein kleiner Hof im Südschwarzwald oder auf der Schwäbischen Alb schwebte ihm vor, ökologisch bewirtschaftet, mit Hofladen für die Direktvermarktung von Schafskäse, Lammfleisch und Wolle. Mitte der neunziger Jahre wandte er sich an die zuständigen Landwirtschaftsämter in den Regionen und bat sie, ihn bei der Suche nach einem geeigneten Objekt zu unterstützen. Die Antwort war überall die gleiche: „Bei uns gehen so viele Höfe ein. Da sind wir froh, wenn einige sich vergrößern können und überleben.“ Einen weiteren Konkurskandidaten wolle man nicht ansiedeln. Mit Vollbart, Strickpulli und Halstuch stapft der 37-Jährige heute durch seinen geräumigen Stall. 100 Lämmer meckern ihn erwartungsfroh an. Ebenso viele Mutterschafe dösen im frischen Heu. Vier Pferde schauen aus ihren Boxen, zwei Hausschweine, die „Resteschlucker“ des Hofes, grunzen am Rand der Halle leise vor sich hin. Ein Bild wie aus einem Bioland-Prospekt. Seit vier Jahren führt der vermeintliche Konkurskandidat wirtschaftlich erfolgreich einen Hof samt Hofladen – nicht im Schwarzwald, sondern, landschaftlich ebenfalls reizvoll, am Fuße des Hohen Meißners im nördlichsten Zipfel Hessens. Vermittelt wurde ihm der Betrieb von Deutschlands erster Hofbörse, die das Land Hessen 1997 eingerichtet hat. Winkler registrierte sich dort per Fragebogen. Kurz zuvor hatte der Bauer Norbert Deegenhardt seinen Aussiedlerhof mit Ackerbau und Milchwirtschaft zum Verkauf gemeldet. Keines seiner drei Kinder wollte den Hof übernehmen. Die Hofbörse brachte Käufer und Verkäufer zusammen, sprach das Konzept für die Umstrukturierung des Hofes mit beiden Seiten durch, prüfte die Wirtschaftlichkeit und gab Orientierung im Dschungel der Agrarbürokratie. Zwei Monate kam Winkler zur Probe, dann war der Kauf für beide Seiten perfekt. Deegenhardt packt heute auf seinem alten Hof weiter mit an. Gegen ein kleines Zubrot zur Rente hat der Senior Futteranbau und Heu komplett übernommen. Für Burkhardt Heckmann ist die Übergabe von Winklers Hof ein Musterbeispiel wider das Hofsterben. Seit 1978 berät der studierte Agraringenieur im Dienst des Wiesbadener Landwirtschaftsministeriums Bauern, wie sie ihren Hof wirtschaftlicher führen können. Vor fünf Jahren hatte er die Idee mit der Hofbörse, die beim Landratsamt in Eschwege angesiedelt wurde. Seitdem rettet Heckmann mit halber Stelle und voller Kraft Betriebe vor dem generationsbedingten Aus. Die Vermittlung ist 160
D.
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
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kostenfrei. Im Unterschied zu Maklern, die in der Regel 3,5 Prozent Courtage kassieren, verfolgt die Börse damit keine Eigeninteressen. Unabhängigkeit schafft Vertrauen: „Mir geht es dabei nicht nur darum, jungen Leuten mit guten Ideen zu einem Hof zu verhelfen. Ich will älteren Landwirten auch bei einem finanzierbaren Weg in die Rente helfen“, sagt Heckmann. Und fügt an: „Beides gestaltet sich im Zuge der Konzentrationsprozesse in der Landwirtschaft nicht leicht.“
2.
Gewerbliche Unternehmen
Einen Überblick über die Anzahl, deren volkswirtschaftliche Bedeutung und die Dynamik gibt diese Statistik: 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 BGA (Groß- und Außenhandel) Umsatz (Mrd. Euro) 1.126 1.122 1.083 1.102 1.180 1.257 1.393 Beschäftigte (Tsd.) 1.329 1.293 1.248 1.201 1.157 1.148 1.156 Betriebe (Tsd.) 118 116 113 109 108 109 110 DEHOGA (Hotel- und Gaststättengewerbe) Umsatz (Mrd. Euro) 59 63 60 57 56 56 57 Beschäftigte (Tsd.) 1.037 1.035 998 966 976 981 985 Betriebe (Tsd.) 252 250 250 249 248 245 245 DRV Reisebüros Umsatz (Mrd. Euro) 38 39 38 35 36 36 38 Beschäftigte (Tsd.) 130 122 120 115 111 106 106 Betriebe 3.847 3.632 3.423 3.286 3.235 3.122 3.188 HDE (Einzelhandel) Umsatz (Mrd. Euro) 382 388 381 378 386 390 392 Beschäftigte (Tsd.) 2.833 2.840 2.808 2.751 2.718 2.722 2.698 Betriebe (Tsd.) 436 428 418 412 412 414 410 ZDH (Handwerk) Umsatz (Mrd. Euro) 521 509 485 469 462 456 472 Beschäftigte (Tsd.) 5.859 5.648 5.361 5.100 4.963 4.825 4.795 Betrieb (Tsd.) 857 854 844 847 887 925 947 ZGV (gewerbliche Verbundgruppen) Umsatz (Mrd. Euro) 87 90 92 94 104 111 123 Beschäftigte (Tsd.) 2.750 2.500 2.300 2.200 2.050 2.100 2.400 Betriebe*) 353 340 320 305 300 306 316 Nachfolgend gehen wir auf das Handwerk, den Einzelhandel und das Hotel- und Gaststättengewerbe nicht weiter ein.
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§ 7 Anhang
a) 125
Handwerk (Baugewerbe)
Im Handwerk suchen 25,3 Prozent der Betriebsinhaber ihr Unternehmen in den kommenden fünf Jahren einen Nachfolger. Noch einmal 15,8 Prozent planen in den nächsten zehn Jahren eine Betriebsübergabe. Damit muss in 41,2 Prozent der Handwerks-Betriebe die Nachfolge geplant und eingeleitet werden. Das ergab eine Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks unter 12.400 Betrieben in ganz Deutschland.41 aa)
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Der Markt/ Größenklassen/Strukturen 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 ZDH (Handwerk) Umsatz (Mrd. Euro) 521 509 485 469 462 456 472 Beschäftigte (Tsd.) 5.859 5.648 5.361 5.100 4.963 4.825 4.795 Betrieb (Tsd.) 857 854 844 847 887 925 947 Das Handwerk weist damit die mit Abstand größte Anzahl an Betrieben mit den meisten Beschäftigten auf. Dieses gilt jedoch nicht für die Leistung, den Umsatz. Volkswirtschaftlich ist dieser Bereich damit von besonderem Interesse. Dieses spiegelt sich auch in den Unterstützungsangeboten wieder, die die Unternehmer angeboten bekommen. bb) Regelungsempfehlungen Ein Mangel an geeigneten Interessenten, ungelöste Finanzierungsprobleme sowie die schwache Ertragskraft vieler Unternehmen erschweren die Nachfolge. Die traditionelle Nachfolgeregelung in der Familie funktioniert längst nicht mehr so wie früher; das elterliche Vorbild lädt die Kinder immer weniger ein, ihnen im Handwerk nachzufolgen. Externe Nachfolgen gestalten sich in fast allen Belangen schwieriger als familieninterne Nachfolgen. Es gibt deutlich weniger externe Nachfolgen, die problemlos verlaufen, und Übergeber wie Nachfolger kämpfen mit einer größeren Anzahl verschiedenster Probleme. Bei den Übergebern ist die Suche nach dem richtigen Nachfolger das dominierende Thema. Als problematisch wird in diesem Umfeld genannt: ■ Stichwort Nachfolgersuche. Statt zu suchen, wer am besten zum Betrieb passt, lassen sich die meisten Unternehmer gerade bei der familieninternen Übergabe von emotionalen Kriterien leiten. ■ Stichwort Kaufpreis. Die einen wollen ihr Lebenswerk verkaufen und setzen den Preis hoch an, die Übernehmer wollen möglichst wenig investieren. Der Kaufpreis sollte realistisch sein. Berater können dabei helfen, beispielsweise Ertragskraft und Substanz nicht zu überschätzen und so einen reellen Preis für das Unternehmen festlegen. ■ Stichwort Bestandsaufnahme. Der Übergeber sollte seinen Betrieb wie ein Außenstehender begutachten. Das kann dazu führen, dass er positive Urteile zurücknehmen muss, aber dafür vielleicht andere „Diamanten“ findet. ■ Stichwort Übergabefähigkeit. Der Chef sollte stets die Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit im Blick haben. Wackelt auch nur eines von beiden, ist eine Übergabe mangels guten Unternehmenspotenzials schnell fraglich.
41 So das Handwerksblatt in www.handwerksblatt.de
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D. ■
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
Stichwort Übergabezeitpunkt. Der Unternehmer muss loslassen können. Das funktioniert aber nur, wenn sich der Chef auf die Übergabe eingestellt und vorbereitet hat. Deshalb gehört ein genauer Fahrplan für die Übergabe dazu. Bewährt hat sich in der Praxis übrigens ein schrittweiser Übergang, bei dem Nachfolger nach und nach mehr Kompetenzen anvertraut werden.
cc) Beispiel Ein Angebot aus einer der Unternehmensbörsen42: „Bekannter und seit über 75 Jahren eingeführter Meisterbetrieb südlich von Stuttgart. Das Unternehmen bietet für die breite Angebotspalette den kompletten Service von der Beratung über Planung, Fertigung bis zur Montage. Kerngeschäft sind qualitativ hochwertige individuelle Einrichtungen, für gewerbliche Objekte wie Büro, Praxis, Ladengeschäfte und Banken, sowie Möbel für Privat. Für die Auftragsausführung steht ein moderner Maschinenpark zur Verfügung. Der Kundenstamm setzt sich zusammen aus privaten Bauherren und gewerblichen Auftraggebern. Es bestehen langjährige gute Geschäftsbeziehungen zu Stammkunden in der Region. Konstante Auftragslage und Umsätze garantieren seit Jahren profitable Erträge. Derzeit arbeitet der Inhaber mit 8 Fachkräften, die vom Käufer übernommen werden können. Die Geschäftsräume, ca. 1.400 qm, sind im Privatbesitz des Inhabers und werden an den Käufer vermietet. Bei Interesse kann in gesonderten Verhandlungen auch die komplette Gewerbeimmobilie erworben werden. Der Angebotspreis beinhaltet: Einrichtung und Geschäftsausstattung mit Maschinen und Werkzeugen, Fuhrpark, Material- und Warenlager sowie alle aufgebauten Geschäfts- und Kundenverbindungen. Der Verkauf erfolgt aus Altersgründen. Übernahme nach Vereinbarung.“
b)
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Einzelhandel 2000
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2002
2003
2004
2005
2006
HDE (Einzelhandel) Umsatz (Mrd. Euro) 382 388 381 378 386 390 392 Beschäftigte (Tsd.) 2.833 2.840 2.808 2.751 2.718 2.722 2.698 Betriebe (Tsd.) 436 428 418 412 412 414 410 Der Einzelhandel beschäftigt die zweitmeisten Beschäftigten lt. einführender Übersicht. Die Anzahl der Betriebe ist nur halb so groß und der Umsatz liegt bei 83% von dem des Handwerks. Die meisten Einzelhändler zählen zum Sonstigen Facheinzelhandel. Gemessen an der Zahl der Unternehmen wird der Einzelhandel in Deutschland durch den Sonstigen Facheinzelhandel geprägt: Über die Hälfte (58%) aller Einzelhandelsunternehmen waren 2003 in diesem Bereich tätig (siehe Schaubild 2). Zu dieser Wirtschaftsgruppe zählt u. a. auch der Einzelhandel mit Bekleidung, auf den allein 9% aller Unternehmen im Einzelhandel entfielen. Im Rahmen der gemeinsam mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Ende 2002 durchgeführten Umfrage „Bankenverhalten, Unternehmensfinanzierung, Unternehmensnachfolge“ wurden neue Daten zur Situation der Unternehmensnachfolge in Deutschland erhoben. Die Auswertung der Daten für den Einzelhandel macht es möglich, zu detaillierten Aussagen über die Dynamik der Unternehmensnachfolge im Einzelhandel und damit verbundenen Problemen zu kommen. Bemerkenswert ist der Befund, dass trotz des fortschreitenden Strukturwandels zu Lasten des mittelständischen, familiengeführten Facheinzelhandels und der konjunkturellen Probleme der Branche die Familiennachfolge dominiert, und zwar deutlich stärker als in anderen Wirtschaftszweigen. 42 www.biz-trade.de
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§ 7 Anhang aa) Der Markt Ende 2003 umfasste der Einzelhandel etwa 283 400 Unternehmen mit rund 378 000 örtlichen Einheiten43. Damit waren gut 12% aller aktiven Unternehmen der im Unternehmensregister geführten Wirtschaftsbereiche in Deutschland schwerpunktmäßig im Einzelhandel tätig. Insgesamt beschäftigten alle Unternehmen des Einzelhandels Ende September 2003 fast 2,6 Mill. Personen und damit etwa 10% aller in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. In Deutschland gab es 2003 dreimal so viele Einzelhändler wie Großhändler, wobei die rund 99 000 Großhändler mit gut 1,2 Mill. Personen etwa halb so viele Personen wie der Einzelhandel beschäftigten. bb) Größenklassen/Strukturen Der Einzelhandel ist geprägt von Kleinstunternehmen, also Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten. Rund drei von vier Unternehmen des Einzelhandels beschäftigten am 30. September 2003 sogar nur maximal 5 Personen; durchschnittlich waren in einem Unternehmen des Einzelhandels 9 Personen tätig. cc) Regelungsempfehlungen „In den nächsten fünf Jahren steht nach Informationen des HDE bei etwa 150.000 Einzelhandelsunternehmen die Nachfolge an. Insbesondere die im mittelständischen Einzelhandel noch heute übliche Familiennachfolge ist weitaus schwieriger als es zunächst den Anschein macht. Das zwingt dazu, sich als mittelständischer Einzelhändler frühzeitig mit dieser Frage zu beschäftigen.“ 44 Der HDE hat es sich – nach eigenen Angaben – zur Aufgabe gemacht, sowohl denjenigen Einzelhändlern zu Seite zu stehen, die für ihr Unternehmer einen Nachfolger suchen, als auch diejenigen zu unterstützen, die Interesse daran haben, sich auf dem Wege der Betriebsübernahme selbständig zu machen. Wir setzen bei unserer Arbeit innerhalb der Initiative nexxt vor allem zwei Schwerpunkte. 1. Zum einen stellt er ausführliche Informationen zu allen Fragen rund um das Thema in das Internet-Portal des Einzelhandels www.einzelhandel.de ein. Das Spektrum reicht von steuerlichen und Finanzierungsfragen bis hin zu Managementproblemen, die mit einer Unternehmensnachfolge verbunden sind. 2. Zum anderen bieten die Landes- und Regionalverbände des HDE sowie die Bildungszentren des Handels ein umfangreiches Beratungs- und Dienstleistungsangebot sowie regelmäßig Informationsveranstaltungen und Workshops in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und der Kreditwirtschaft zum Thema Unternehmensnachfolge/Existenzgründungen an. dd) Beispiel Etabliertes Naturkostfachgeschäft , 20 Jahre vor Ort aus privaten Gründen zu verkaufen. Gute Lage, fester Kundenstamm in ländlicher Umgebung , großes Einzugsgebiet. Ausreichend Parkplätze vorhanden. Einarbeitung kann gewährt werden, die Übernahme sollte so schnell wie möglich erfolgen. Der bestehende Lieferservice, bis jetzt einige Schulen und Privatpersonen ist ausbau-fähig. Gute Kontakte zu Händlern und Herstellern. Das Ladengeschäft hat ca 110 m2 ,+ Büro , Lager und Garage. Firmenwagen kann übernommen werden. Mercedes Vito , Bj.2003, Scheckheft gepflegt.45
43 Quelle: statistisches Bundesamt 44 So der Hauptverband des deutschen Einzelhandels (HDE) http://www.nexxt.org/partner/gewerbliche_wirtschaft/00177/ index.php 45 Online-Angebot bei BIZ-trade
164
D.
c)
Unternehmen und Praxen – Zahlen, Daten und Fakten – zu ausgewählten Branchen
7
Hotel und Gaststätten
Diese Gruppe lässt sich untergliedern (um die Vielfalt der Unternehmensarten zu verdeutlichen): ■ Beherbergungsgewerbe mit Hotel, Hotel garni, Gasthöfen, Pensionen, sonstige – mit der branchenüblichen Klassifizierung durch Sterne ■ Gaststättengewerbe mit Restaurants mit herkömmlicher Bedienung. ■ SB-Restaurants ■ Cafés, Eissalons ■ Imbiss ■ Schankwirtschaft ■ Bars und Vergnügungslokale ■ Diskotheken und Tanzlokale ■ Trinkhallen aa) Der Markt Es geht um rund 170.000 Betriebe46, die sich wie folgt aufteilen: Hotellerie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.300 19,6% Sonstiges Beherbergungsgewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.400 4,4% Beherbergungsgewerbe .gesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.700 24,0%
135
7 136
Speisengeprägte Gastronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87.600 51,6% Getränkegeprägte Gastronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.000 21,2% Gaststättengewerbe .gesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123.600 72,8% Kantinen und Caterer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.600 + 100 % 3,3% Gastgewerbe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .169.900 Typisch ist, dass in dieser Gruppe von Unternehmen Familienmitglieder mitarbeiten: ohne den Partner läuft da häufig nichts. Dann geht es um eine personalintensive Branche. bb) Größenklassen/Strukturen Die Umsatz- und Ertragssituation des Gastgewerbes hat sich im Winterhalbjahr 2007/08 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum insbesondere in der Gastronomie deutlich verschlechtert. 51,5 Prozent der Gastronomen mussten Umsatzeinbußen hinnehmen, so das Ergebnis des 20. Branchenberichtes des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA Bundesverband). Zwei Drittel der Gaststättenbetriebe beklagten Ertragsrückgänge – das schlechteste Umfrageergebnis seit dem Rezessionsjahr 2002. Ein Umsatzplus konnten 35,8 Prozent der Hoteliers verzeichnen (Vorjahr 44,1 Prozent). Nur noch 21,2 Prozent konnten ihre Erträge steigern (Vorjahr 27,2 Prozent). Als Gründe für die anhaltende Konsumflaute werden explodierende Energiekosten und der Preisschub bei den Lebensmitteln genannt.
46 Stand 2003; Quelle Statistisches Bundesamt
165
137
7
§ 7 Anhang cc)
138
Regelungsempfehlungen Definieren der familiären und persönlichen Situation: ■
Festlegung der persönlichen Zielsetzungen aller Beteiligten
■
Prüfen der Bereitschaft des Übergebers sowie des Übernehmers
■
Überblick über bestehende Nachfolgemöglichkeiten
■
Prüfung, welche Möglichkeiten aus persönlichen Gesichtspunkten überhaupt in Frage kommen.
Ist-Analyse des Betriebes: ■
139
Identifikation möglicher Gefahrenquellen der Nachfolgeplanung
Übergabeplanung
7
■
Schaffung der notwendigen betrieblichen Voraussetzungen durch Festlegung der Übergabeform, Optimierung der Betriebskonzeption
■
Bearbeitung identifizierter Problembereiche und die Vorbereitung auf nachhaltige Zukunftssicherung
■
Sicherung der erkannten festgelegten persönlichen Umstände des Übergebers und des Unternehmers
Übergang
140
141
142
■
In sehr vielen Übergabevarianten wird die Phase der doppelten Betriebsführung vorgesehen
■
So kann sich der Nachfolger schrittweise und zielgerichtet einarbeiten
Übergabe/ Übernahme ■
Die Übergabe bzw. Übernahme ist der abschließende Prozess der Nachfolgeregelung
■
Der Jungunternehmer übernimmt den Betrieb voll auf eigene Verantwortung
■
Daraus wird deutlich, wo die Schwierigkeiten einer Unternehmensnachfolge gesehen werden.
dd) Beispiel „Das alles sauber abzuwickeln ist mehr Arbeit als einen Betrieb zu eröffnen“, meint Hans-Peter Kiedaisch. Er spricht aus noch frischer Erfahrung. Denn am 30. April 2007 hat der Pächter der Brauereigaststätte Dinkelacker in Stuttgart zum letzten Mal seinen Betrieb in der Tübinger Straße als Chef verlassen. 37 Jahre lang hat er zusammen mit seiner Frau Luise das auch bei Prominenten aus Politik und Wirtschaft beliebte Lokal erfolgreich geführt und dabei nie einen Juristen gebraucht. Bei der Betriebsübergabe aber hat er juristische Hilfe von der DEHOGA-Geschäftsstelle Stuttgart in Anspruch genommen. Gute Vorbereitung ist sehr wichtig Seine Erfahrung im Nachhinein: „Das kann man allen nur raten. Es ist sehr wichtig, dass man das gut vorbereitet, um zu einem sauberen Ergebnis zu kommen.“ Knackpunkt bei seiner Übergabe: die Kiedaischs hatten zehn Mitarbeiter die bereits 20 oder mehr Jahre im Betrieb waren. Kündigungsfristen von bis zu neun Monaten waren deshalb zu beachten. Wer da nicht aufpasst, zahlt noch Lohn, lange nachdem er den Betrieb geschlossen hat, wenn die Mitarbeiter nicht von einem Nachfolger übernommen werden. 166
D.
Übernehmer
7
Die Mitarbeiter wurden erstmals über den bevorstehenden Schritt unterrichtet. Einige kooperative Gespräche mit der Brauereileitung später war für sie eine Lösung gefunden. Dinkelacker war sehr loyal und hätte die Mitarbeiter weiter beschäftigt, wäre nicht rechtzeitig ein Nachfolger gefunden worden. Der aber stand dann bereit und übernahm neben 120 Stammtischen auch die Mitarbeiter.
E.
Übernehmer
Die Unternehmensübernahme ist für den Nachfolger häufig eine Existenzgründung. Unter diesem Stichwort finden sich auch etliche Empfehlungen und Unterstützungsangebote am Markt. Anders als bei den Unternehmen, die wir zuvor mit Statistiken etc. recherchieren konnten, gibt es Vergleichbares zu Übernehmern nicht. Es gibt jedoch beobachtete Verhaltensweisen sowie Daten – branchenbezogen – zu Absolventen, die beispielsweise bei den Freiberuflern Prognosen zulassen, wie groß die Zahl übernahmeinteressierter Personen sein wird.
I.
Unternehmensnachfolge aus Käufersicht
7
Die Möglichkeiten der Unternehmensnachfolge sind zurzeit besonders günstig. Die Anzahl der mittelständischen Unternehmen, in denen sich die Nachfolgeregelung stellt, wird für Deutschland auf über 70.000 pro Jahr geschätzt wir kommen sogar auf fast 80.000 %. Unternehmensnachfolge bedeutet für den Käufer in vielen Fällen eine Existenzgründung. Dieser Artikel informiert darüber, wie eine Unternehmensnachfolge abläuft und was es zu beachten gilt.
1.
144
Vor- und Nachteile einer Existenzgründung durch Unternehmensnachfolge
Häufig ist die externe Unternehmensnachfolge durch Kauf eines bestehenden Unternehmens gleichzeitig mit der Existenzgründung des Übernehmers verbunden. Dieser hat im Vorfeld die Vor- und Nachteile einer Verselbständigung durch Unternehmenskauf abzuwägen gegen eine Existenzgründung ohne die Investition in einen Kaufpreis. Dazu gibt es Kriterienkataloge, die wir hier wieder geben.
a)
143
145
Chancen und Vorteile der Unternehmensnachfolge
Die Übernahme eines bestehenden Unternehmens bringt viele Vorteile mit sich: der Übernehmer erwirbt ein Unternehmen mit einem eingespielten Team an Mitarbeitern. Standort, Räume, Betriebsinventar sind vorhanden und brauchen nicht neu aufgebaut werden. Insbesondere profitiert er von einem bestehenden Vertriebssystem und einem bestehenden Kundenstamm. Kundenpflege spielt deshalb häufig eine wesentliche Rolle bei der Betriebsübernahme.
167
146
7 147
7
§ 7 Anhang
Risiken und Nachteile der Unternehmensnachfolge Bei Betriebsübernahme ist das Unternehmen insbesondere auf die folgenden möglichen Risiken und Nachteile hin zu prüfen: ■ Notwendige Investitionen ■ Qualifizierung der Mitarbeiter ■ Aktualität des Unternehmenskonzepts ■ Verhalten der bestehenden Kunden ■ Forderungs- und Warenbestand ■ Haftung für bestehende Schulden ■ und weitere im Detail zu untersuchende mögliche Risiken
II. 148
Wenn die Entscheidung für die Verselbständigung durch Unternehmenskauf im Grundsatz positiv ausgefallen ist, werden folgende Hinweise auf zu beachtende Besonderheiten publiziert.
1. 149
Inhabergeführte Unternehmen
Insbesondere Familienbetriebe sind stark geprägt vom Firmeninhaber selbst. Dessen Persönlichkeit und Firmenphilosophie übertragen sich auf die Mitarbeiter und Kunden. Hier gilt es zu untersuchen, ob der Interessent zum Unternehmen passt und inwieweit der spätere Käufer bei Mitarbeitern und Kunden eingeführt wird. Andersherum können negative Einflüsse des Firmeninhabers durch die Persönlichkeit des Käufers und zukünftigen Firmenchefs aufgehoben werden. Eine entsprechende Imagekampagne kann ein leistungsfähiges Unternehmen noch besser am Markt platzieren. Existenzgründer, die eine Firma übernehmen, möchten ggf. eigene Ideen verwirklichen und Akzente setzen. Hierbei ist zu untersuchen, inwieweit hierfür Akzeptanz bei den Mitarbeitern und am Markt besteht („Evolution statt Revolution”).
2. 150
Worauf beim Unternehmenskauf besonders zu achten ist
Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens
Das betrachtete Unternehmen sollte Planungen für die Zukunft bereitstellen. Nicht nur positive Ergebnisse in der Vergangenheit, sondern auch der Blick auf zukünftige Entwicklungen am Markt ist für den erfolgreichen Fortbestand des Unternehmens wesentlich. Die Einschätzung kann sich auf technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen beziehen. Ein heute am Markt erfolgreiches Unternehmen kann zum Beispiel durch technologische Entwicklungen von Mitbewerbern „überholt“ werden. Diese Veränderungen gilt es zu antizipieren und in die Überlegungen des Firmenkaufs mit einzubeziehen: Inwieweit ist das Unternehmen auf Veränderungen eingestellt? Wie setzt sich die Qualifikation der Mitarbeiter zusammen? Ist das Unternehmen gerüstet für die Zukunft? Gestaltet es diese Veränderungen aktiv mit?
168
D.
a)
Übernehmer
Zusammensetzung des Kundenstamms
Wichtig für die Nachfolge ist die Frage nach den Kunden des Unternehmens: Wie sieht die Kundenstruktur aus? Ist die Firma von einigen wenigen (Groß-) Kunden abhängig?
b) ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■
7 151
Weitere Aspekte Bekomme ich ausreichend Unterstützung von meinem familiären Umfeld? Was sind meine Beweggründe für eine Betriebsübernahme? Kann der Güterstand meiner Ehe das Unternehmen im Scheidungsfall gefährden? Wie will ich die Unternehmensnachfolge finanzieren? Welche Förderprogramme gibt es? Stimmt mein Qualifikationsprofil mit den Anforderungen für die Unternehmensführung überein? Wie kann ich mögliche Diskrepanzen ausgleichen (z. B. durch Seminare, Mentoring, Coaching, Weiterbildung)? Habe ich für den Notfall (z. B. Unfall) vorgesorgt?
III.
7
Benannte Defizite übernehmender Existenzgründer
Als Defizite bei Unternehmensgründern werden aufgezeigt47: ■ 63% haben kaufmännische Defizite ■ (Preiskalkulation, Kostenrechnung, betriebswirtschaftliche Planrechnungen) ■ 60 % … haben sich zu wenig Gedanken zum Alleinstellungsmerkmal ihrer Geschäftsidee gemacht ■ 54 % … haben die Finanzierung ihrer Gründung nicht gründlich durchdacht ■ 54% … schätzen die notwendigen Startinvestitionen/laufende Kosten zu niedrig ein ■ (z. B. Steuerzahlungen) ■ 48% … äußern unklare Vorstellungen zur Kundenzielgruppe ■ 41% … können ihre Produktidee nicht klar beschreiben ■ 38% … schätzen den zu erwartenden Umsatz unrealistisch hoch ein ■ 34% ... haben unzureichende Fach-/Branchenkenntnisse
IV.
152
153
Familienmitglied als Übernehmer (Sohn/Tochter)
Attraktivitätsverlust der Familiennachfolge ist ein großes Thema in Unternehmen, die traditionell innerhalb der Familie weitergeführt wurden. Es sind insbesondere die Junioren, die durch die Vielfalt der heutigen Ausbildungswege und Lebensoptionen die in früherer Zeit fest gesetzte Familiennachfolge unsicher erscheinen lassen. Aktuelle Studien des Institutes für Mittelstandsforschung haben ergeben, dass sich externe Nachfolgen in fast allen Belangen schwieriger als familieninterne Nachfolgen gestalten. Es gibt deutlich weniger externe Nachfolgen, die problemlos verlaufen, und 47 Lt. DIHK Gründerreport 2006
169
154
7
§ 7 Anhang Übergeber wie Nachfolger kämpfen mit einer größeren Anzahl verschiedenster Probleme. Bei den Übergebern ist die Suche nach dem richtigen Nachfolger das dominierende Thema. Bei externen Nachfolgern ist die Vorbereitung der Übernahme schwieriger, aber auch die Einarbeitung in die neue Aufgabe und die Zeit nach der Übernahme. Auch Nachfolgen mit Mitarbeitern sind problembehaftet. Familieninterne Nachfolger haben den Vorteil, dass die Nachfolger (in der Regel Kinder) langsam in die Verantwortung hineinwachsen können. In vielen Unternehmen gibt es eine Übergangszeit, in der die Führungsverantwortung gemeinsam getragen wird. Auch später steht der Senior als Ratgeber häufig noch zur Verfügung.
V. 155
Dynamik der freiberuflichen Unternehmen
Aus der Entwicklung in der vergangenen Jahren lässt sich herleiten, dass die Zahl der freiberuflichen Existenzen weiter zunehmen wird:
7
Für die Unternehmensnachfolgen besagt diese Statistik, dass Übergeber potentiell gute Chancen haben, einen Nachfolger zu finden.
F. 156
Übernehmeraspekte aus einzelnen Branchen
Wir haben zu einigen allerdings wenigen Gruppen Auffälligkeiten recherchiert, die für den Leser interessant sein können. Die Auswahl ist zufällig und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität. Wir sind darauf bei unseren Recherchen zum Thema nebenbei gestoßen.
170
D.
I.
Übernehmeraspekte aus einzelnen Branchen
7
Landwirtschaft
Hier ein Beispiel, was einen potentiellen Übernehmer bewegt: „Ich habe eventuell die Möglichkeit, als Nachfolger den Hof meines (kinderlosen) Onkels zu übernehmen. jetzt stellen sich mir natürlich jede Menge Fragen. Ein paar Eckdaten: 1 ich bin mittlerweile auch schon 36 (aber gefühlte 23:-) 2. ich bin in der Medienbranche tätig (Online- und Printwerbung und so ...) habe also von der Landwirtschaft (noch) keine Ahnung 3. ich wohne in NRW Fakt ist auch: 1. mein Onkel ist zu alt (und ein wenig krank) um den Hof noch lange selber zu bewirtschaften. 2. es sind (ich glaube „nur“) ca. 40 ha Acker- und Weideland (bisschen was davon ist verpachtet) 3. nie hat sich jemand aus der Verwandtschaft dafür interessiert, den Hof weiterzuführen. 4. in ein paar Jahren (spätestens) würde der Hof verwaisen (heißt doch so, oder?) 5. Vieh ist so gut wie nicht vorhanden (2 Rinder und ca. 40 Schweine) Ich kann mir sehr gut vorstellen, den Hof zu übernehmen. ich weiß auch, dass 40 ha (selbst, wenn alles Ackerland wäre) nicht ausreichen, um davon zu leben. Das sagte mir ein netter Herr von der Landwirtschaftskammer, dass Minimum 300 ha dazu nötig wären ... naja ... Einiges an fläche (ich kenne die genauen Zahlen noch nicht) ist als Acker oder Weideland verpachtet – einiges als Erbpacht-Baugrundstücke. davon lebt mein Onkel anscheinend. Jetzt stellt sich mir natürlich die Frage, ob man mit den Ländereien auch was anderes machen könnte. Sonderkulturen wäre eine Möglichkeit, sagte man mir, Erdbeeren oder Spargel. Auf einer von den Wiesen könnte man auch einen Pferdestall setzen und die Boxen vermieten (bringt ja bekanntlich pro Gaul min. 200 Euro mtl.) Ach ja, zumindest mittelfristig wollte ich den Hof schon im Vollerwerb machen. Die Hofstelle ist übrigens nur noch 9000 qm gross, da einige Wiesen zum Bauland wurden. Eine Aussiedlung wäre auch eine Alternative, ich meine, wer hat schon das Glück, Bauland zu besitzen. Hier gibt‘s immerhin 130 – 160 Euro pro qm. und schuldenfrei ist der Hof auch.“ Reaktion eines Kenners der Szene: „Solange der Betrieb nicht rund läuft, auf keinen Fall Haupterwerb! Die Lage in der Landwirtschaft ist zur Zeit nicht rosig. Die nahe Zukunft sieht eher düster aus. Zuckerrüben sind quasi schon tot, Getreide kaum kostendeckend, die Milchpreise werden in den nächsten 10 Jahren um 10 ct / Liter fallen, das will die EU zumindest mit der Ausdehnung der Milchkontingente erreichen, „Es sollen nur noch die Betriebe produzieren, die auch noch unter 22 ct / Liter Geld verdienen“. Erneuerbare Energien sind ein Licht am Ende des Tunnels, aber die Automobilindustrie geht eher in die Richtung Erdgas und Wasserstoff, und das heimische Rapsöl kriegt langsam Konkurrenz vom Palmöl. Die WTO will die EU mit Billigprodukten überschwemmen, und die EU lässt sie mehr oder weniger gewähren. Die gesamten Agrarsubventionen stehen ab 2013 auf der Kippe usw.
171
157
158
7
159
7
§ 7 Anhang
II. 160
Handwerker
Zur Nachfolge im Handwerk fanden wir folgende Informationen, die den Übernehmer betrifft48: Unter den Handwerksunternehmen geben fast zwei Drittel der Teilnehmer an der Unternehmensbefragung I an (65,0 %), dass der Nachfolger voraussichtlich aus der Familie stammen wird. Laut Unternehmensbefragung II, welche bereits vollzogene Unternehmensnachfolgen zum Gegenstand hat, kommt bei 60,6% der potenzielle Nachfolger auch tatsächlich aus dem Kreis der Familie. Während bei 22,7% der antwortenden Unternehmen das Unternehmen später in die Hände eines Mitarbeiters überging, wurde in 16,7% der Fälle das Unternehmen von einer zuvor unbekannten Person oder aber von einem fremden Unternehmen übernommen. Am häufigsten trat der Sohn des Altinhabers die Nachfolge an (52,4 %), während die Töchter in 35,7 % der Fälle die Geschäftsführung übernahmen.
Diese strukturellen Angaben dürften sich auf alle neuen Bundesländer übertragen lassen und in den alten nicht wesentlich anders aussehen.
7
III. 161
162
Kaufmann/Einzelhandel
Überraschend – und für eine weitere unternehmenssoziologische Untersuchung interessant – sind die Ergebnisse zur Form der Nachfolge im Einzelhandel. In einer Umfrage zur Unternehmensnachfolge von 1998 hatten nur 47 Prozent der Unternehmen angegeben, eine Nachfolge aus der Familie heraus zu regeln49. Für 21 Prozent der Unternehmen war die Situation ungewiss. Drei Prozent konnten auf eine sichere Fremdnachfolgeoption zurückgreifen. Besonders dramatisch an den damaligen Umfrageergebnissen war jedoch die Tatsache, dass fast 30 Prozent der Unternehmen weder über eine Familien- noch über eine Fremdnachfolgeoption verfügten. Seit 1998 waren fast 5 Jahre vergangen; die Resultate einer Umfrage aus 2003 sind überraschend: ■ Fast 82 Prozent der in diesem Zeitraum übergebenen Unternehmen haben einen neuen Eigentümer aus der Familie. ■ In nur 10 Prozent der Fälle wurde das Unternehmen im Zuge der Nachfolge an ein anderes bereits existierendes mittelständisches Einzelhandelsunternehmen verkauft. ■ Bei vier Prozent der Unternehmen nahm ein Mitarbeiter die unternehmerische Verantwortung auf sich. ■ Eine Nachfolge an Personen von außen, beispielsweise an Existenzgründer im Einzelhandel, hat so gut wie nicht stattgefunden. Einige Erklärungen für diese Entwicklung scheinen offensichtlich. Der Rückgang der Option „Verkauf “ ist zu einem großen Teil dem Strukturwandel und der konjunkturellen Entwicklung im Einzelhandel geschuldet. Gleiches gilt für den geringen Anteil der Nachfolge von außen, wenngleich hier außerdem hinzu kommt, dass viele Übernehmer oftmals nicht den Qualifikationserfordernissen des/der Übergebenden entsprechen. Die Dominanz der Familiennachfolge hat zur Konsequenz, dass die meisten Übernehmer keine großen Schwierigkeiten im Nachfolgeprozess zu lösen hatten. Einige Kopfschmerzen bereiteten naturgemäß die steuer- und gesellschaftsrechtlichen Fragen. Selbst die Unternehmer in Fremdnachfolge hatten kaum Probleme bei den Verhandlungen mit den Alteigentümern zu Unternehmenswert und Kaufpreis und auch Finanzierungsfragen ließen sich für die Mehrheit befriedigend lösen. 48 Aus Sachsen: http://www.cesifo-group.de/portal/page/portal/ifoContent/N/publ/Zeitschriften/zs-ifodr/ZS-IFODRcontainer/IFO_DRESDEN_BERICHTET_2007/ifodb_2007_2_14-24.pdf 49 Umfrage des Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) von 1998 zur Unternehmensnachfolge
172
D. Einflussfaktoren außerhalb von Recht und Finanzen (kritische Größen)
7
Bereits 50 Prozent der sich in „Planung“ befindlichen Unternehmen sind sich sicher, auf eine Familiennachfolge bauen zu können50. Ein Achtel der Unternehmen möchte den Betrieb an einen mittelständischen Wettbewerber verkaufen. Sorge bereitet das Viertel der Unternehmen, die heute noch nicht wissen, an wen das Unternehmen übergeben werden kann. Hier wird die Zeit für die Planung einer reibungslosen Übergabeprozedur langsam knapp.
IV.
Rechtsanwälte und andere Unternehmer rechtsberatender Berufe
Wir haben im Hauptteil erwähnt, dass der untere Mittelstand häufig aus wirtschaftlichen Gründen darauf verzichtet, sich professionelle Unterstützung zu gönnen und aus diesem Grund immer wieder versucht, transparent zu machen, was gute Begleitung an finanzielen Mitteln erfordert. Die hier angesprochene Berufsruppe, allen voran die Rechtsanwälte (und deshalb sind sie auch explizit genannt), nehmen Untertützung häufig aus Überzeugung nicht in Anspruch. Sie gehen davon aus, dass sie kraft Profession hinreichend in der Lage seien, eine Nachfolge selbst zu organisieren und zu regeln. Wer die häufigen Wechsel in der Beschilderung von Anwaltskanzleien im Blick hatr, weiß, dass die Juristen die Realität insoweit nicht zu erkennen in der Lage sind. Die Folgen sind immer wieder fatal und tragisch.
G.
7
Einflussfaktoren außerhalb von Recht und Finanzen (kritische Größen)
Wir stellen nachfolgend – nicht weiter sortiert und bewertet – einige wenige Aspekte zusammen, die zum Thema Unternehmensnachfolge publiziert wurden und in den Grenzbereich gehören zwischen den Einflussfaktoren jenseits von Recht und Finanzen und solchen, die Recht und Finanzen betreffen.
I.
163
164
Übergabefähige Einheit
Voraussetzung für das Finden eines Nachfolgers ist eine fortbestandswürdige/-fähige Substanz des Unternehmens. D. h., Familienunternehmen müssen für Familienmitglieder oder eine dritte Person attraktiv sein, damit diese bereit sind, das Unternehmen und die Geschäftsführung zu übernehmen. Familienunternehmen mit einem Jahresumsatz von weniger als 50.000 € verfügen aus Sicht des IfM Bonn über keine ausreichende Substanz, die auf eine dritte Person übertragen werden könnte. Dem schließen wir uns an, was bedeutet, dass sich nachfolgenden Betrachtungen auf die relevanten Unternehmensnachfolgen beschränken. Unabhängig davon kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass auch die Kleinstunternehmen ausnahmslos Familienunternehmen im Sinne vorstehender Definition sind.
50 Stand Mai 2003 lt. Hauptverband des dt. Einzelhandels
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7
§ 7 Anhang
II. 166
Übertragungsursachen bzw. -anlässe
Das IfM hat ermittelt, was die Gründe/Anlässe für Unternehmensnachfolgen in den letzten 5 Jahren gewesen sind:
7
Die Regelung der Nachfolge erfolgt demnach in der Mehrzahl der Fälle altersbedingt und planmäßig (65,6 %). Ein Viertel aller Unternehmensübertragungen tritt jedoch unvorhergesehen ein, z. B. infolge von Krankheit, Unfall oder Tod des Unternehmers. In 8 % der Fälle wird eine Regelung der Nachfolge erforderlich, weil der Eigentümer eine andere Tätigkeit aufnimmt bspw. aufgrund einer Scheidung, Streit in der Familie oder dem originären Wunsch eines Tätigkeitswechsels. 167
Nach Schätzungen von Handwerkskammern und dem Deutschen Industrie- und Handelstag stehen jedes Jahr sogar rund 100.000 kleine und mittlere Unternehmen vor der Frage, die Inhabernachfolge zu regeln. Wenn kein geeigneter Nachfolger gefunden wird, bleibt oftmals nur die Schließung eines Unternehmens als letzter Ausweg. Die Arbeitsplätze verschwinden und viel Kapital, das bisher in den Unternehmen für Innovationen, Arbeitsplätze und Gewinne sorgte, wird dabei vernichtet. Neben den persönlichen Tragödien, die oft mit einer Firmenschließung verbunden sind, ist auch ein erheblicher volkswirtschaftlicher Verlust zu beklagen.
174
Stichwortverzeichnis fette Zahlen = Paragraph andere Zahlen = Randnummer
A Angst 4 205
Anwaltsdichte 7 60 Architekten 7 94 Ärzte 7 81 Attraktivitätsverlust der Familiennachfolge 7 154 Auftragsklärung 4 1
B Baugewerbe 7 125
Bedürfnis 4 34 Bedrohlichkeit 4 181 Berater 4 26 bevorstehende Übertragungen 7 50 Bewerbersituation 4 179 Bewerbungsgespräch 4 80, 183 biogene Motive 4 200
C Change Management 4 137 Coaching 4 27 Corporate Branding 7 21
DDefizite bei Unternehmensgründern 7 153 Dissens 4 41
E Eigene Souveränität 2 11
Eigenschaften von Organisationen 4 224 Eigentümerunternehmer 7 29 einheitliches Gut 4 152 Einzelhandel 7 129 emotionale Verstrickungen 4 46 Erfahrungswissen 2 8 Erstbegegnung 4 96 erste Schritte 4 38 Erstkontakt 4 175 Existenzgründer 4 132, 157 Experten 4 1
F Fachberater 4 1
familieninterne Dynamiken 6 7 Familienkonferenz 6 12 Familienunternehmen 6 1 7 14 Flurfunk 4 230 Frauen 2 13; 7 39 Freie Kulturschaffende 7 107 Führungsverständnis 5 24
G Gaststätten 7 135
Geheimhaltung 4 230 Gemeinschaftsprojekt 4 79 Gender 2 13; 7 39 Gerechtigkeit in der Nachfolge 6 6 Grundmotive 4 200
HHandlungssicherheit 2 4; 4 12, 26, 168 Handwerk 7 125 Heilpraktiker 7 93 Herausforderungen 2 7 Hotel 7 135 Hotelbetriebe 7 135
I Informatiker 7 105
Informationsfluss 5 32 Ingenieure 7 94 inneres Team 4 28, 100 Ins Handeln kommen 4 4 Internet 4 174
K KMU 7 8
KMU-Anteil am Gesamtumsatz 7 12 Komplexitätsreduktion 4 146 Konfliktkosten 4 230 Konfliktprophylaxe 5 40
L Landwirtschaft 7 115
Lebens- und Karrierechart 4 28 Leseanweisung 3 1 Lust oder Unlust 4 15 Lust-Unlust-Gesetz 4 17 175
Stichwortverzeichnis
MMänner 2 13
Markt 4 150 mittelständische Unternehmen 7 3 Männer 7 42 Motivation 4 12, 200 Motivation des Übernehmers 4 112 Motivationsmodelle 4 13 Motive 4 112 Murphys Gesetz 4 18
NNachfolgelösungen in deutschen Familienunternehmen 7 6 Netzwerk 5 32
O offene Kommunikation 4 209 Offerte 4 51 Organisation 4 221
P Partnerschaftlichkeit 4 97
Physiotherapeuten 7 93 Planung 4 12 Praxisnachfolgen Anzahl p.a. 7 51 psychogene Motive 4 201 Psychotherapeuten 7 93
R Reaktives Handeln 4 170 Rechtsanwälte 7 55 Rechtsform 7 35 Ressourcen 4 74, 95 Rollenklarheit 5 28
S Seminare 4 165
soziale Systeme 4 226 soziogene Motive 4 200 Steuerberater 7 63 Strategie 5 22 Streben 4 142 Symbolik 5 17
176
T Thesen zu Familienunternehmen 7 22 Tierärzte 7 93 Transparenz 4 230 Traum 4 109
UÜbergeber 4 3
Übernehmer 4 101 Übertragungsursachen 7 166 Umweltgutachter 7 105 Unternehmensberater 7 76 Unternehmensgröße 7 36 Unternehmensgründer 7 32 Unternehmenskultur 4 195; 5 30 Unternehmensnachfolge durch Frauen 7 44 Unternehmertyp 4 135
V Vereidigte Sachverständige 7 105 verkaufsbereit 4 6 Verkaufsprospekt 4 44 Vermessungsingenieure 7 105 Veränderung 4 181 Verträge 2 4 Vertragsverhandlungen 5 3 Vertrauen 4 26, 54; 5 13, 34 Volition 4 13
WWahrnehmung 4 53
Wertvorstellungen 5 30 Wirtschaftsprüfer 7 68
Z Ziele 4 77, 199
Zugriff auf Ressourcen 5 19 Zukunft 2 1, 9; 4 59, 88 2 mal 5 gleich 1 5 43