Nr. 348
Jenseits von Zeit und Raum Ein Spercoide im Bann der Magier von Oth von Marianne Sydow
Pthor, das Stück von A...
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Nr. 348
Jenseits von Zeit und Raum Ein Spercoide im Bann der Magier von Oth von Marianne Sydow
Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans Eingreifen wieder in die unbekannten Dimen sionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materia lisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wie der auf eine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll. Doch nicht für lange! Denn der überraschende Zusammenstoß im Nichts führte da zu, daß der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum halten konnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungen wurde. Und so geschieht es, daß Pthor auf dem Planeten der Brangeln niedergeht, nach dem der Kontinent eine Bahn der Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezo gen hat. Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann der Galaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die die Fremden ausschalten sollen. Dar auf widmet sich Atlan sofort dem Gegner. Um ihn näher kennenzulernen und seine Möglichkeiten auszuloten, begibt sich der Arkonide zu den Spercoiden. Während Atlan gegenwärtig zur Residenz des Tyrannen fliegt, blenden wir um nach Pthor – genauer gesagt: zu der Großen Barriere, hinter der die Magier von Oth leben. Dort kommt es zu einem Abenteuer JENSEITS VON ZEIT UND RAUM …
Jenseits von Zeit und Raum
3
Die Hautpersonen des Romans:
Koratzo - Ein Magier, der besorgt um Atlans Schicksal ist.
Opkul, Querllo, Rischa und Torla - Koratzos Freunde.
Wortz und Jarsynthia - Koratzos eingeschworene Gegner.
Copasallior - Der Weltenmagier nimmt Kontakt mit den Odinssöhnen auf.
Luscer - Ein Spercoide bei den Magiern von Oth.
Thalia - Odins Tochter unter einem Liebesbann.
1. »Wie sieht es draußen aus?« fragte Copa sallior. Der Weltenmagier befand sich in der Zel le der freien Gedanken. Er stand mit Koratzo in Verbindung. Mit »draußen« meinte er nicht nur Pthor, sondern auch den Planeten, auf dem sie gelandet waren. Seitdem Glyn diszorns Großer Knoten die Barriere von Oth umschloß, gab es nur zwei Möglichkei ten, Informationen über die Außenwelt zu erhalten. Entweder wendete man sich an den Knotenmagier persönlich oder man fragte die Rebellen aus der Tronx-Kette. Opkul, einer der Rebellen und gleichzeitig ein Freund des Stimmenmagiers Koratzo, beherrschte eine besondere Form der Magie – den »Blick in die Ferne«. Er konnte »sehen«, was sich an jedem beliebigen Ort in Pthor ereignete. Seitdem die FESTUNG gefallen war, reichte sein Blick selbst in die Anlagen unterhalb der Pyramiden. Copasallior war sehr darauf bedacht, auf dem laufenden zu bleiben. Fast täglich ließ er sich berichten, was Opkul herausgefunden hatte. Er wußte daher genau, was geschehen war, nachdem die Barriere von Oth isoliert worden war. Er hatte mitverfolgt, wie die Kinder Odins und die Fremden von einer unbekannten Welt die FESTUNG angriffen und erober ten, wie sich die uralten Prophezeiungen er füllten und der schlafende Fafnir erwachte, um die Herrschaft des Bösen zu zerschlagen. Er hatte gehört, daß Pthor die Schwarze Ga laxis ansteuerte und durch einen giganti schen Ball aus Wasser von seinem Kurs ab gedrängt worden war. Er wußte, daß mit die
sem Wasser ein Wesen nach Pthor gelangt war, das fähig war, den Dimensionsfahrstuhl zu steuern und daß einer der rätselhaften Fremden dieses Wesen dazu gebracht hatte, Pthor im letzten Augenblick vor einer grau enhaften Katastrophe zu bewahren. Er kann te aus Opkuls Schilderungen den Planeten, auf dem Pthor sich jetzt befand, und er wuß te, daß es jenseits des Wölbmantels fremde, intelligente Geschöpfe gab – nicht nur sol che, die sich in dieser Umgebung entwickelt hatten, sondern auch solche, die mit Raum schiffen von einer anderen Welt kamen. Er wußte sogar, daß Koratzo mit besonde rem Interesse verfolgte, was jene Fremden unternahmen – zwei Männer, die beim letz ten Aufenthalt Pthors durch den Wölbmantel gekommen waren, ohne die üblichen Schä den zu erleiden. Zweifellos waren diese Fremden interes sant. Der eine mochte von Pthor stammen, und der andere sah den Söhnen Odins ähn lich. Koratzo war nicht sehr mitteilsam, wenn Copasallior sich nach diesen Männern er kundigte. Trotzdem erfuhr der Weltenma gier genug, um sich ein deutliches Bild ma chen zu können. Im stillen gab er Koratzo recht, wenn dieser die Meinung vertrat, daß die Fremden von größter Bedeutung für das Schicksal Pthors waren. »Es hat sich nicht viel verändert«, sagte Koratzo. »Wir befinden uns immer noch auf diesem Planeten.« »Das weiß ich«, murmelte Copasallior mürrisch. »Schließlich steht immer noch diese hellrote Sonne am Himmel.« Koratzo schwieg. Copasallior starrte wü tend die Stimmenkristalle an und wartete darauf, daß sein Gesprächspartner weiter
4 sprach. »Die Raumfahrer haben Pthor angegrif fen«, sagte Koratzo schließlich. »Einer der Fremden, der, der den Söhnen Odins ähnlich sieht, flog durch den Wölbmantel. Die Raumfahrer nahmen ihn mit.« Copasallior brauchte ein paar Sekunden, um diese Neuigkeit zu verdauen. »Er ist also der Gefangene dieser Leute in den seltsamen Rüstungen?« erkundigte er sich. »Ich fürchte, ja.« »Nun, solange keine Gefahr für Pthor selbst besteht, ist das Schicksal einzelner Wesen wohl nicht so wichtig.« »Die Gefahr bestand«, erwiderte Koratzo bitter. »Die Leute in den Rüstungen haben großartige Waffen. Sie hätten es fast ge schafft, den Wölbmantel zu durchbrechen.« Copasallior erschrak. Er konnte sich keine Waffe vorstellen, die stark genug war, den Wölbmantel zu durchstoßen. »Sie stellten den Angriff ein, als der Fremde für sie sichtbar wurde«, fuhr Korat zo fort. »Es scheint, als hätte er Pthor vor dem Schlimmsten bewahrt. Sie nahmen ihn an Bord und zogen sich zurück.« »Wie ich dich kenne, möchtest du am lie bsten auf der Stelle losrennen, um diesen Mann zu befreien.« »Dazu müßte ich erstmal wissen, wohin man ihn gebracht hat.« »Also planst du wirklich, ihm zu helfen.« Koratzo lachte leise auf. »Ohne ihn, Weltenmagier, wäre die Schlacht um die FESTUNG vielleicht an ders ausgegangen.« »Jeder muß für sich selbst sorgen«, erwi derte Copasallior ärgerlich. »Wir sind für diesen Fremden nicht verantwortlich.« »Selbstverständlich nicht«, sagte Koratzo sanft. »Aber wir schulden ihm Dank.« »Der Große Knoten hätte uns auch vor den Leuten mit den Rüstungen beschützt. Mögen die anderen Völker Pthors ihm dan ken – falls er jemals zurückkehrt.« »Ich habe trotzdem die Absicht, ihm zu helfen.«
Marianne Sydow »Ach«, machte Copasallior spöttisch. »Reicht der Blick deines Freundes jetzt schon in ferne Welten?« »Ich werde mit Glyndiszorn reden«, er klärte Koratzo. »Wenn jemand einen Weg schaffen kann, dann ist er es.« »Ich wüßte etwas, das leichter durchzu führen ist«, sagte Copasallior nachdenklich. Er erwartete, daß Koratzo ihn fragte, was er mit dieser Bemerkung meinte, aber der Stimmenmagier hüllte sich wieder einmal in Schweigen. »Das Raumschiff der Fremden befindet sich in einem Gebilde«, sagte er schließlich, »das unserem Knoten sehr ähnlich ist. Je denfalls hörte ich Glyndiszorn sagen, daß man eine Brücke zu diesem Schiff schlagen könnte.« »Ich werde darüber nachdenken«, ver sprach Koratzo. »Du wirst mir also keine Hindernisse in den Weg legen?« »Warum sollte ich das tun? Es ist dein Ri siko, nicht meines. Ich fürchte allerdings, daß du trotzdem Schwierigkeiten bekommen wirst.« »Das weiß ich«, seufzte Koratzo. »Trotzdem muß ich es versuchen.« Copasallior nickte und stand auf. Die Ver bindung zur Tronx-Kette zerbrach. Die Stimmenkristalle wurden stumpf und glanz los. Auf seinem Weg durch die Wohnhöhlen kam Copasallior an dem häßlichen Gerät vorbei, das die Herren der FESTUNG vor langer Zeit hatten bringen lassen. Er be trachtete es voller Zweifel. Sollte er das Ding vernichten? Zögernd ging er weiter. Alles war in Be wegung geraten, und noch nie hatte die Zu kunft für Copasallior so unsicher ausgese hen. Sogar die Barriere selbst hatte sich ver ändert. Die Seelenlosen waren spurlos ver schwunden, und noch wußte niemand, wo her man einen Ersatz für diese stummen Diener bekommen sollte. Copasallior schritt über die Plattform vor dem Höhleneingang. Als er sich über die Brüstung beugte, konnte er einen großen
Jenseits von Zeit und Raum Teil der Straße übersehen, die in engen Ser pentinen am Osthang des Crallion entlang ins Tal führte. Überall gab es noch die Spu ren des verheerenden Unwetters, das vor nicht langer Zeit die Barriere erschüttert hat te. Ohne die Hilfe der Seelenlosen würde es lange dauern, bis alle Schäden beseitigt wa ren. Vergeblich hielt der Weltenmagier Aus schau nach einem weißen Yassel, das die Straße heraufgetrabt kam. Malvenia hatte seit dem Treffen im Tal der Schneeblume nichts mehr von sich hören lassen. Wenn er in der Zelle der freien Gedanken nach ihr rief, antwortete sie nicht, und wenn er mit seinem eisernen Yassel vor dem Eistal auf tauchte, verbarg sie sich hinter magischen Sperren. Es war eine schlimme Zeit voller Ärger und Unsicherheit. Auch draußen, im Lande Pthor, gab es so viele Änderungen, daß Co pasallior meinte, es würde nie wieder eine vernünftige Ordnung zu schaffen sein. Selbst die Kinder Odins waren zerstritten. Die drei Söhne wollten nicht begreifen, daß Thalia dieselben ererbten Rechte haben soll te. Damit fügten sie sich selbst den größten Schaden zu, denn mit der Schwester stießen sie auch ein Viertel der gemeinsamen Macht von sich. Copasallior schuf mit wenigen Bewegun gen seiner sechs Hände ein Flugfeld und ließ sich bis an die östliche Grenze seines Bezir kes treiben. Dort wartete er. Irgend etwas mußte geschehen, entweder drüben am Gnorden, wo das Luftschiff des Knotenma giers verankert war, oder auf den neutralen Wegen. Aber auch dieser Tag verging ereignislos, und als es dunkel wurde, kehrte Copasallior niedergeschlagen zu seiner Wohnung am Crallion zurück. Er beschloß, in den nächsten Tagen die mächtigsten Magier zu einer Beratung her beizurufen.
* Ungefähr zur selben Zeit rief Koratzo, der
5 Rebell, seine engsten Freunde zusammen. Er zwang sich, nicht an Wa oder Ssissnu zu denken, die bei Glyndiszorns Luftschiff ums Leben gekommen waren, als Koratzo dem Knotenmagier den Beschluß aller Bewohner der Barriere überbrachte. Es brachte nichts ein, jetzt traurigen Erinnerungen nachzuhän gen. Im Gegenteil: Sie mußten handeln, und das möglichst schnell. Trotzdem tat es ihm weh, die beiden lee ren Plätze zu sehen, und den anderen erging es nicht besser. Koratzo versuchte sich abzulenken, indem er sich auf seinen Plan konzentrierte. »Copasallior meint, der Knotenmagier könnte eine Verbindung zum Raumschiff der Fremden herstellen«, erklärte er. »Ich denke, das ist verschwunden«, sagte die Pflanzenmagierin Antharia verwundert. »Es scheint nur so«, versicherte Opkul. »Zwar kann ich es auch nicht mehr sehen, aber ich spüre es. Es wurde aus seiner Zeit spur gedrängt. Es dürfte für Glyndiszorn nicht allzu schwer sein, uns hinüberzubrin gen, Koratzo, aber wie willst du ihn dazu überreden, sich unseretwegen diese Mühe zu machen?« »Ich hoffe, daß er einsieht, wie wichtig die Fremden und das Schiff für uns alle sind«, erwiderte Koratzo. »Die Wesen in den Rüstungen sind wie die Verkörperung negativer Kräfte. Sie werden den hellhaari gen Fremden dazu bringen, ihnen alles zu erzählen, was er über Pthor weiß. Und dann werden sie zurückkehren und den Wölbman tel aufbrechen. Die Söhne Odins sind ihnen gegenüber völlig hilflos. Sie können nicht einmal dafür sorgen, daß Pthor diesen Plane ten verläßt, denn das seltsame Wesen, das den Steuermann ersetzt, reagiert nur auf die Gedanken des Mannes mit den hellen Haa ren.« »Die Prophezeiungen haben sich nicht er füllt«, murmelte der Lichtmagier Querllo be trübt. »Nach dem Tage Ragnarök sollten sich alle Probleme lösen. Statt dessen gibt es immer neue Schwierigkeiten.« »Das liegt nur an den Kindern Odins«, be
6 hauptete der Luftmagier Haswahu ärgerlich. »Sie sind sich nicht einig, und darum kön nen sie die für sie vorgesehenen Aufgaben nicht erfüllen. Warum sollen ausgerechnet wir Magier uns in Gefahr begeben? Es kann uns doch gleichgültig sein, was die Gewapp neten mit Pthor anstellen. In die Barriere kommen sie jedenfalls nicht!« »Jetzt nicht«, betonte Koratzo vorwurfs voll. »Aber eines Tages wird der Große Knoten sich lösen, und dann wirst du auch anders darüber denken, Haswahu! Abgese hen davon sind wir sehr wohl mitverant wortlich für alles, was mit Pthor geschieht.« »Hört auf, euch zu streiten«, empfahl An tharia spöttisch. »Das bringt uns nicht wei ter. Abgesehen davon finde ich, daß die La ge recht eindeutig ist. Ich kenne die Ge wappneten zwar bis jetzt nur aus Opkuls Be richten, aber wenn ich mir vorstelle, daß die se Kerle die FESTUNG besetzen, wird mir schlecht.« »Sie sind grausam und gefährlich«, stimmte Querllo zu. »Aber ich zweifle dar an, daß Glyndiszorn sich davon beein drucken läßt. Er hat die Herren der FE STUNG nicht gefürchtet, und er wird sich auch nicht wegen einer Horde fremder Raumfahrer aufregen.« »Wir könnten ihn zwingen, einen Weg zu öffnen«, meinte Antharia zögernd. »Erstens weißt du genau, was ich von sol chen Methoden halte«, sagte Koratzo, »und zweitens würde es gar nicht funktionieren. Glyndiszorn muß uns helfen, und er muß es freiwillig tun und bereit sein, alle seine Kräfte einzusetzen, denn sonst kann es pas sieren, daß wir genau wie das Raumschiff hilflos irgendwo hängenbleiben. Aber macht euch darüber keine Gedanken. Ich hoffe, daß es mit dem Knotenmagier keine Schwierig keiten gibt.« »Ich weiß nicht«, murmelte Haswahu. »Es könnte gefährlich werden, nicht wahr? Ich meine, wenn du, Koratzo, zu dem Schiff gehst, können auch die Gewappneten zu uns kommen, oder nicht? Dann haben wir sie auf dem Hals.«
Marianne Sydow »Du bist und bleibst ein Feigling«, knurr te Querllo wütend. »Meine Zustimmung ist dir sicher, Koratzo. Wer zittert sonst noch vor den eben erwähnten Möglichkeiten?« Es meldete sich niemand. »Trotzdem werden wir vorsichtig sein müssen«, sagte Koratzo. »Haswahu hat nicht ganz Unrecht. Ich werde mit Glyndiszorn darüber sprechen. Vielleicht kann er den Weg so gestalten, daß die Gewappneten ihn nicht benutzen können. Wenn das nicht geht, müssen wir eben aufpassen.« »Es reicht, wenn Haswahu sie schlafen schickt«, bemerkte der alte Howath, der an diesem Abend ausnahmsweise seine Grenz station verlassen hatte. Die anderen lachten, und der Luftmagier sah beschämt zu Boden. Er gab sich große Mühe, seine vielfältigen Ängste zu überwin den, aber es gelang ihm einfach nicht. »Schon gut«, murmelte er. »An mir soll es nicht liegen …« »Du wirst hoffentlich nicht alleine gehen wollen?« wandte sich Howath an Koratzo. »Darüber muß Glyndiszorn bestimmen«, antwortete der Stimmenmagier. »Willst du etwa mitkommen? Wer soll dann die Gren zen der Tronx-Kette bewachen?« »Das junge Gemüse kann auch mal was für die Allgemeinheit tun«, brummte Ho wath und vollführte eine Geste, die alle in diesem Raum versammelten Magier ein schloß. »Ein alter Mann hat auch das Recht, etwas zu erleben.« Es gab in dieser Gruppe zur Zeit keinen einzigen Sterblichen, und mancher Magier hatte Mühe, den gebührenden Ernst zu be wahren. Howath hatte manchmal einen selt samen Sinn für Humor. Wer es wagte, über ihn zu lachen, mußte damit rechnen, daß ihm buchstäblich die Schuhsohlen rauchten – denn Howath war Feuermagier. »Ich werde an dich denken«, versprach Koratzo ernsthaft. Als die anderen die Wohnhalle verließen, blieb Querllo an der Tür stehen. »Glaubst du wirklich, daß du dem Frem den helfen kannst?« fragte er, nachdem er
Jenseits von Zeit und Raum sich vergewissert hatte, daß niemand ihn hö ren konnte. Koratzo ließ sich in einen weichen Sessel fallen. »Ich weiß es nicht«, murmelte er er schöpft. »Opkul hat ihn längst aus den Au gen verloren. Du weißt, was das bedeutet. Ich hoffe nur, daß er noch lebt.« »Du gehst ein großes Risiko seinetwegen ein. Dabei weißt du nicht einmal, wie er heißt. Hoffentlich wirst du nicht enttäuscht.« »Darauf kommt es nicht an, Querllo. Nie mand weiß, wieviel Zeit der Steuermann braucht, um sich zu erholen. Das Wesen, das Pthor zu diesem Planeten gebracht hat, rea giert nur auf die Gedanken des Fremden. Wenn wir ihn nicht zurückholen können, sit zen wir vielleicht für eine halbe Ewigkeit hier fest. Die Söhne Odins jedenfalls sind noch weit davon entfernt, irgend etwas steu ern zu können. Es ist erschreckend, wie we nig sie wissen.« »Ich habe immer gesagt, daß man sich auf sie nicht verlassen kann. Das Ganze ist schlecht organisiert worden. Was hat Rag narök denn nun eingebracht? Die Herren der FESTUNG sind wir los, aber dafür gibt es niemanden mehr, der dieses verdammte Land steuern kann. Was ist eigentlich mit diesem Antimateriewesen?« »Es könnte vielleicht helfen«, nickte Ko ratzo. »Aber es scheint, als ob niemand es gefragt hat. Opkul hat es mit dem anderen Fremden gesehen. Die beiden wollen an scheinend in die Senke der verlorenen See len.« »Aber es gibt so viele Möglichkeiten, et was zu tun.« »Ich weiß, woran du denkst. Wortz, zum Beispiel, könnte sich mit dem Steuermann beschäftigen, Glyndiszorn unsere Position und einen neuen Kurs erkunden. Damit wä ren wir in der Lage, Pthor von diesem Plane ten zu entfernen. Wenn es nach mir ginge, wären wir schon morgen auf der Zentralwelt der Gewappneten, um diesen Burschen ihr schreckliches Handwerk zu legen. Aber so lange es keinen Weg nach draußen gibt, sind
7 uns die Hände gebunden. Außerdem werden die Söhne Odins sich hüten, uns zu viel frei en Spielraum zu gewähren, denn sie haben Angst um das bißchen Macht, das sie sich erobert haben.« »Um das Maß voll zu machen, wird Wortz sich eher mit den Gewappneten ver brüdern, als irgend etwas zum Wohle Pthors zu unternehmen«, sagte Querllo bedrückt. Sie sahen sich schweigend an. »Nimm mich mit«, murmelte der Licht magier schließlich. »Du wirst Hilfe brau chen können.« »Zuerst muß ich mit Glyndiszorn spre chen.« Querllo nickte und verschwand lautlos in der Dunkelheit jenseits der Tür. Koratzo blieb noch einen Augenblick sitzen, dann begab er sich in den Raum der freien Gedan ken. Er war sich nicht sicher, ob Glyndis zorn überhaupt antworten würde.
2. Am Hang der Töpferschnecke, etwa sieb zig Kilometer südlich von den Gipfeln der Tronx-Kette gelegen, strich der Lebensma gier Wortz nachdenklich mit der flachen Hand über eine Reihe von kristallenen Pris men. Er hatte alles gehört und gesehen, was in Koratzos Wohnhalle geschehen war. Ho wath hätte seine Grenzstation besser nicht verlassen sollen. Zum erstenmal seit langer Zeit war es dem Lebensmagier gelungen, die Spionverbindung zu aktivieren. Wortz dachte eine Weile nach und kam zu dem Schluß, daß es Zeit war, etwas gegen die Rebellen zu unternehmen. Die Gelegen heit war günstig. Von den dreißig Wohnun gen in der Tronx-Kette standen drei leer. Wortz mußte handeln, ehe Koratzo Verstär kung erhielt. Er versetzte sich in das Tal der Nebel un terhalb des Io-Parth, in dem Jarsynthias Luftschiff LORKI verankert war. Auf den ersten Blick merkte er, daß etwas nicht stimmte. Die Gondel der LORKI verstrahlte ein zorniges, rotes Licht, und schrille, wü
8 tende Laute fauchten über die Felsen hin weg. Wortz starrte nach oben und versuchte zu erkennen, worüber sich die Liebesmagierin so sehr aufregte. Wer ihn so sah und nichts über ihn wußte, kam bestimmt nicht auf die Idee, ihn in ir gendeiner Weise für mächtig zu halten. Wortz war uralt und nur etwas über einein halb Meter groß. Er verbarg seinen dürren Körper unter einem weißen, wallenden Ge wand, aber wer seine knochigen Greisenhän de und sein zerknittertes Gesicht sah, mußte unweigerlich annehmen, einen hinfälligen Zwerg vor sich zu haben. Und doch konnte dieser Mann Leben und Sterben aller Menschen und Tiere beeinflus sen. Es lag in seiner Macht, je nach Wunsch und Laune einem Todkranken den schnellen, leichten Tod zu gewähren oder einen gesun den, starken Menschen zum Siechtum zu verurteilen. Den Magiern in der Großen Barriere aller dings konnte er nichts anhaben. Sie waren durch starke Sperren geschützt. Trotzdem hoffte er, daß er gegen Koratzo eine Chance bekam, wenn dieser sich Glyn diszorns Fähigkeiten anvertraute. Er fand nicht heraus, warum Jarsynthia so schlechtgelaunt war. Ärgerlich schlug er mit der Faust gegen eine silberne Spirale, die zur Gondel der LORKI hinaufführte. Es dauerte eine Weile, ehe Jarsynthia ihn bemerkte. Wortz entdeckte einen Ball roten Feuers am Ende der Spirale und trat hastig zurück. Der Ball fauchte in irrsinnigem Tempo herunter, zerplatzte geräuschvoll und gab den Blick auf eine spärlich bekleidete junge Frau frei. »Was willst du?« fragte Jarsynthia wü tend. »Warum störst du mich? Habe ich nicht schon genug Ärger?« Wortz lächelte verlegen. Er wußte nicht, ob er die echte Jarsynthia sah, oder ob die Liebesmagierin nur eine Projektion ge schickt hatte. Verstohlen betrachtete er sie – sie hatte heute hüftlanges, feuerrotes Haar und einen mädchenhaft schlanken Körper. Ihre Haut war braun und glatt, und ihre Klei-
Marianne Sydow dung bestand aus einem Streifen silbriger Seide, den sie wie einen Schal um den Hals gewunden hatte. Die Enden fielen über Brust und Rücken fast bis auf den Boden herab und wurden nur um die Körpermitte von einem dünnen Band zusammengehalten. »Ich wollte dich nicht stören«, murmelte Wortz und starrte unsicher den Boden vor seinen Füßen an. »Ich habe etwas erfahren, das dich vielleicht interessiert.« Jarsynthia stieß einen verächtlichen Laut aus. »Dieser Glyndiszorn ist der schlimmste Narr, der mir je begegnet ist«, behauptete sie zornig. Mit einigen knappen Gesten ließ sie schemenhafte Wände rund um die Spirale entstehen. »Ich kann die Wand seines Kno tens nicht durchdringen!« Sie ließ sich in einen kaum sichtbaren Sessel fallen und winkte Wortz zu. Der Le bensmagier betastete mißtrauisch die Kante eines ebenso nebelhaften Möbels und setzte sich erst, als er sicher war, auf keinen dum men Scherz hereinzufallen. »Seit Tagen versuche ich, irgend jeman den von da draußen in den Griff zu bekom men«, fuhr sie fort und nahm zwei Becher, die wie aus dem Nichts vor ihr auftauchten. Wortz musterte Jarsynthia mißtrauisch, dann nahm er vorsichtig den ihm angebote nen Becher und vergewisserte sich, daß sich wirklich nur harmloser Beerenwein darin befand. »Es war von vornherein klar, daß es zwi schen uns und dem restlichen Pthor keine Verbindungen geben würde«, sagte er. »Es sei denn, der Knotenmagier öffnet einen Weg. Deshalb bin ich übrigens hier. Koratzo hat die Absicht, einen Ausflug zu unterneh men.« Jarsynthia richtete sich so hastig auf, daß sie fast ihren Wein verschüttete. »Er will nach draußen?« »Nicht direkt. Kurz nachdem Pthor auf dieser Welt zum Stillstand kam, tauchte ein fremdes Raumschiff auf.« »Ich weiß«, wehrte Jarsynthia ab. »Es verschwand in einer Zeitverwerfung. Glyn
Jenseits von Zeit und Raum diszorn hat es laut genug herausposaunt.« »Du warst bei ihm?« »In der Gestalt eines Bergraben. Ich glau be nicht, daß er Verdacht geschöpft hat. Was ist mit dem Schiff?« »Koratzo meint, daß Glyndiszorn eine Verbindung zu ihm schaffen könnte.« »Wozu soll denn das gut sein!« »Du kennst doch Koratzo. Sein Freund Opkul hat zwei Fremde entdeckt, die beim letzten Aufenthalt trotz der energetischen Barrieren und des Wölbmantels nach Pthor gelangten. Koratzo hatte schon immer etwas für Außenseiter übrig – er will diesen beiden unbedingt helfen. Aber einer von ihnen wur de von einem anderen Schiff entführt.« »Aha: Jetzt möchte Koratzo erfahren, wo hin man ihn gebracht hat.« Wortz nickte und beobachtete die Liebes magierin gespannt. Jarsynthia überlegte eine Weile, dann warf sie den Kopf zurück und lachte schallend. »Wir werden ihm den Spaß verderben«, versprach sie. »Weißt du, ob Glyndiszorn zugestimmt hat?« »Leider nein. Howath kehrte zu früh zu seiner Grenzstation zurück. Ich wollte ihn nicht mißtrauisch machen. Wenn er merkt, daß seine Sperren durchlöchert wurden, würde er neue errichten.« »Ich kümmere mich darum«, versicherte Jarsynthia. »Warte hier auf mich.« Wortz lehnte sich zurück und betrachtete nachdenklich den leeren Sessel ihm gegen über. Er wußte immer noch nicht, ob er die echte Jarsynthia gesehen hatte.
* Die Liebesmagierin ging kein Risiko ein. Die Maske des Bergraben fiel aus, denn Glyndiszorn konnte mißtrauisch werden, wenn sich ein bestimmtes Tier zu oft in der Nähe der ORSAPAYA herumtrieb. Ande rerseits hielt sie die Angelegenheit für zu wichtig, um sich auf eine Projektion zu ver lassen. Glyndiszorn beherrschte eine unge heuer starke Magie – in solchen Fällen kam
9 es ab und zu zu Übertragungsschwierigkei ten. Sie tastete behutsam das Hochtal ab, über dem die ORSAPAYA verankert war. Wo würde Glyndiszorn sich während seines Ge sprächs mit Koratzo aufhalten? Oben in der Gondel? Oder in den Höhlen rund um den schwarzen See? Sie fand den Knotenmagier nirgends und wollte sich bereits enttäuscht zurückziehen, da fiel ihr ein, daß Glyndiszorn es gar nicht nötig hatte, sich der Stimmenübertragung zu bedienen. Er pflegte seine Art, sich ohne Zeitverlust zu jedem beliebigen Ort inner halb der Barriere zu begeben, als »durch ei ne Falte treten« zu bezeichnen. Sicher war er bereits in der Tronx-Kette. Abermals streckte Jarsynthia ihre magi schen Fühler aus. Sie hatte Mühe, die Sper ren zu durchdringen, und auch als es ihr ge lungen war, spürte sie die hemmenden Kräf te, die an ihr zerrten. Lange durfte sie sich hier nicht aufhalten, sonst wurde es gefähr lich. Mit einiger Mühe spürte sie Koratzo auf. Sie hatte Glück. Sie fand ein Wesen, in dem sie sich manifestieren konnte und das dem Stimmenmagier nahe genug war, daß sie je des gesprochene Wort belauschen konnte. Das Wesen war eine halbintelligente Be stie aus der Ebene Kalmlech. Jarsynthia hat te gehört, daß Koratzo einige dieser Mon stren hielt, um an ihnen seine »Heilsprache« zu erproben. Als sie sich in dem mächtigen Körper eingerichtet hatte, staunte sie über die Wildheit der Bestie. Man mochte über Koratzo denken, was man wollte, aber einen gewissen Mut konnte man ihm sicher nicht absprechen. Jarsynthia war sich nicht sicher, ob sie es wagen würde, dieser Bestie entge genzutreten, noch dazu unbewaffnet, nur mit dem Wissen um eine Art der Magie ausge stattet, die Jarsynthia für nicht sehr wir kungsvoll hielt. Glyndiszorn und Koratzo standen am Rand der Fläche, auf der das Wesen von Kalmlech wohnte. Die Bestie hatte die Ma gier bemerkt und sich ihnen genähert, als
10 Jarsynthia den mächtigen Körper übernahm. Sie hielt sich im Hintergrund, denn vorerst verhielt sich das Monstrum genau nach Wunsch, und außerdem kannte Koratzo die se Wesen zweifellos sehr genau – die win zigste Abweichung in ihrem Verhalten konnte ihn warnen. Die Bestie hielt vor der unsichtbaren Um zäunung an und schwenkte unruhig den Kopf hin und her. Sie wußte, daß dort eine Grenze war, aber sie ließ sich offenbar im mer aufs Neue dadurch irritieren, daß es kein Hindernis sehen, wittern oder spüren konnte. Wütend hob sie den gepanzerten Schädel und stieß ein wildes Gebrüll aus. Hastig stieß Jarsynthia in das Bewußtsein der Be stie vor und brachte sie zum Schweigen. Sie fürchtete, Koratzo würde das Wesen sonst in seine Höhle zurückjagen. Aber der Stimmenmagier drehte sich nicht einmal um. Jarsynthia bediente sich der Ohren ihres Opfers, die zum Glück empfindlich genug waren. »Selbstverständlich kann ich einen Korri dor zwischen dem Großen Knoten und der Zeitverwerfung herstellen«, sagte Glyndis zorn gerade. »Aber ich sehe nicht ein, was das Ganze für einen Sinn haben soll.« »Ich muß mit einem von den Gewappne ten sprechen«, erklärte Koratzo geduldig. Jarsynthia war – wie bei jedem Zusam mentreffen – darüber erstaunt, daß Koratzo so selten Gebrauch von seiner Magie mach te. Sie kannte natürlich einige Tricks des Stimmenmagiers, und darum wußte sie, daß Koratzo Glyndiszorn mühelos hätte zwingen können, ihm jeden erdenklichen Gefallen zu tun. Statt dessen ließ er sich auf lange Dis kussionen ein. Jarsynthia dachte an eine Ge ste, die ihr mangelndes Verständnis für sol che Zurückhaltung ausdrücken sollte – und die Bestie setzte den Gedanken sofort in die Tat um. Erschrocken hielt Jarsynthia das Wesen zurück und musterte Koratzo, aber der hatte anscheinend immer noch nichts gemerkt.
Marianne Sydow »Opkul hat die fremden Raumfahrer ge nau beobachtet«, fuhr Koratzo fort. »Ihr Verhalten läßt den Schluß zu, daß sie sich einer strengen Ordnung unterwerfen. Wir nehmen an, daß sie von einer Zentralwelt, vielleicht sogar von einer einzelnen Person beherrscht werden.« »Nur wegen dieses Fremden?« fragte Glyndiszorn spöttisch. Das war genau der Punkt, den Jarsynthia ebenfalls nicht verstand. Koratzo winkte ungeduldig ab. »Ich habe es dir schon mehrmals erklärt. Was ist? Hilfst du mir?« Der Knotenmagier, ein fast kugelrunder Mann mit roter Haut, strähnigem, schwar zem Haar und einer unangenehm keifenden Stimme, strich nachdenklich mit der flachen Hand über die Oberfläche eines steinernen Bogens, der das Tor zum Gehege der Bestie kennzeichnete. Der Stein produzierte unter der Berührung der fremden Hände Kaskaden von hellblauen Funken. »Mein Leben lag in deiner Hand, und du hast es mir gelassen«, sagte er schließlich. »Ich schulde dir Dank.« »Darauf kommt es nicht an.« »Hör zu, Koratzo. Ich kenne deine Ziele und deine Träume, und du weißt, was ich davon halte. Versuche nicht, mich zu bekeh ren!« »Ich habe nichts dergleichen vor«, erklär te der Stimmenmagier trocken. »Ich kenne die Grenzen meiner Kraft.« Glyndiszorn nickte zustimmend und deu tete auf die Bestie jenseits der Absperrung. Jarsynthia erschrak, denn sie nahm zuerst an, daß der Knotenmagier ihre Anwesenheit bemerkt hatte. Ihr Erschrecken hatte zur Fol ge, daß das gewaltige Monstrum, dessen Kräfte ausreichten, um selbst meterdicke Mauern zu durchstoßen, erschrocken auf den Boden kauerte und den Kopf auf den Sand senkte. »Eben wollte ich dich noch bitten«, sagte Glyndiszorn verblüfft, »mir dieses Biest zu überlassen. Aber mir scheint, da hätte ich ei ne schlechte Wahl getroffen!«
Jenseits von Zeit und Raum Koratzo hatte sich umgedreht, und Jarsyn thia sah, wie seine Augen aufflammten. Sie handelte rein instinktiv, aktivierte die Mus kelpakete und zerriß die Sperren. Dann zog sie sich blitzschnell aus dem Bewußtsein des Monstrum zurück. Die Bestie warf sich vorwärts, und Jar synthia ließ ihr Opfer triumphierend brüllen, als eine Vorderpranke den Stimmenmagier erreichte. Im nächsten Augenblick verwandelte sich ihr Triumph in lähmendes Entsetzen. Koratzo traf keine Anstalten, zu fliehen. Er hätte auch gar keine Chance gehabt, denn die Bestie war auf jeden Fall schneller. Er hatte aber auch keine Angst. Vollkommen ruhig und gelöst stand er da, und plötzlich fing Jarsynthia über die Ohren des Mon strums ein leises Seufzen auf, das unheim lich nahe war. Zitternd brach die Bestie zu sammen, und die Pranke, die eben noch den Stimmenmagier fast berührt hatte, senkte sich kraftlos herab. Die Liebesmagierin spürte die Kraft, die auf sie einstürmte, und befreite sich aus dem Tier, ehe sein Leib zu einem tödlichen Ge fängnis wurde. Mit letzter Kraft erreichte sie das Tal der Nebel. In der Tronx-Kette wischte sich Glyndis zorn mit zitternden Fingern den Schweiß von der Stirn. »Was ist denn in den gefahren?« murmel te er verwirrt. »Erst fällt er vor Angst fast um und dann …« »Es hat uns jemand belauscht«, stellte Koratzo gelassen fest. »Ich kann mich irren, denn die Zeit war zu knapp, um genug Ein zelheiten aufzunehmen – aber ich fürchte, es war Jarsynthia, die dieses Wesen unter ihre Kontrolle gebracht hat.« Glyndiszorn blickte den Stimmenmagier mißtrauisch an. »Das klingt etwas unwahrscheinlich. Eure Sperren sind stark. Sogar ich habe sie ge spürt.« »Die Liebesmagierin kennt viele Wege«, murmelte Koratzo und sorgte dafür, daß die Bestie wieder hinter die Absperrung kam.
11 Das Monstrum war selbst viel zu verwirrt, um die günstige Gelegenheit nutzen zu kön nen. Außerdem war sie mittlerweile an den Stimmenmagier gewöhnt. »Was wolltest du mit diesem Wesen anfangen?« »Das ist meine Sache«, brummte Glyndis zorn abweisend. »Was ist nun? Ist das Biest wild, oder hatte es nur einen Anfall?« Koratzo sah die Bestie an, und das Wesen aus Kalmlech gab den Blick zurück. Es hatte nicht viel Verstand, und mehr als einmal hatte es den Stimmenmagier in arge Be drängnis gebracht. Koratzo war ihm deswe gen nicht böse. Man konnte dieses Geschöpf nicht für die Verbrechen verantwortlich ma chen, die die Herren der FESTUNG begin gen, als sie aus friedlichen Wesen reißende Bestien werden ließen. »Es ist wild«, sagte er schließlich. »Aber ich kann es dir nicht überlassen, ohne daß ich weiß, was mit ihm geschehen wird.« »Vergiß es«, knurrte Glyndiszorn. »Jarsynthia … Ich glaube, es wird mir großen Spaß machen, dich zu diesem Raum schiff zu bringen. Willst du alleine gehen?« »Zwei oder drei Leute würde ich gerne mitnehmen, aber die Entscheidung darüber liegt bei dir.« »Mein Tunnel wird notfalls alle Bewoh ner der sieben Gipfel aufnehmen«, behaup tete der Knotenmagier grimmig. »Es ist bes ser, wenn wir den Versuch bei mir am Gnor den unternehmen. Ich hole dich und deine Freunde morgen nach Sonnenaufgang ab. Sorge dafür, daß jemand die Sperren halten kann, während ich die Verbindung schaffe.« Glyndiszorn verschwand ebenso plötzlich, wie er vorher neben Koratzo aufgetaucht war. Der Stimmenmagier kehrte nachdenklich in seine Wohnhalle zurück. Er wußte, daß Glyndiszorn in erster Linie Jarsynthia krän ken wollte, indem er einen Weg zum Schiff der Gewappneten schuf. Aber er hoffte im mer noch, daß Glyndiszorn in nicht allzu ferner Zeit von selbst zu der Überzeugung kam, daß die Zusammenarbeit mit anderen Magiern kein Zeichen der Schwäche war,
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sondern im Gegenteil die Macht jedes ein zelnen vervielfachte. Er überlegte, wen er mitnehmen sollte, und benachrichtigte seine Freunde nachein ander.
* Wortz erschrak bei Jarsynthias plötzli chem Erscheinen. Verdutzt sah er die Lie besmagierin an. Sie hatte sich verändert. Ihr Gesicht wirkte grau und verfallen. Sie atme te keuchend. Instinktiv erfaßte Wortz, daß er die echte Jarsynthia vor sich hatte, und ebenso auto matisch half er ihr, denn sie waren Verbün dete seit undenkbaren Zeiten – die Macht der Liebe und die des Lebens und Sterbens ergaben eine Mischung, vor der selbst die abgebrühten Magier aus den Dunklen Tälern Respekt hatten. Unter dem Einfluß des Lebensmagiers er holte Jarsynthia sich schnell. Leise, fast be schämt, berichtete sie, was sich ereignet hat te. Wortz hörte schweigend zu. Er hütete sich, der Liebesmagierin einen Vorwurf zu machen, denn er wußte, wie heftig sie auf Kritik reagierte. Abgesehen davon mußte auch er anerkennen, daß es eine ungewöhn liche Leistung war, überhaupt gegen Korat zos Willen in dessen Nähe zu gelangen. »Er wird es tun«, sagte Jarsynthia zum Schluß, und jetzt war sie bereits kräftig ge nug, um einen Becher Wein herbeizuholen. Sie trank gierig und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Der Wein war stark und beseitigte die letzten Spuren des furcht baren Schocks, den sie erlitten hatte. »Glyndiszorn wird einen Weg öffnen – für diesen Narren aus der Tronx-Kette! Er wird es schon deshalb tun, weil er weiß, daß ich mich darüber ärgern werde.« Wortz wußte, daß sie recht hatte. Vor sehr langer Zeit, irgendwann nach dem Einzug der Magier in die Große Barrie re von Oth, war die Gleichheit aller Magier zerbrochen, und der Kampf um die Macht begann. Die Regeln waren einfach. Wer mit
seiner Magie einen anderen besiegen konnte, kletterte eine Stufe nach oben, wer seinen Sperren nicht genügend Kraft verlieh, fiel zurück. Jarsynthia hatte es weit gebracht. Wortz hatte im richtigen Augenblick die Gefahr er kannt und ein Bündnis mit ihr geschlossen. Breckonzorpf war aus irgendeinem Grund völlig immun gegen alles, was die Liebes magierin aufzubieten hatte – und das war nicht wenig, denn sie kannte zahllose Ge sänge und Formeln, und selbst Copasallior wäre ihr um ein Haar unterlegen. Koratzo hatte ihm geholfen. Gegen ihn und Glyndis zorn war Jarsynthia machtlos. Wenn Copa sallior dennoch Weltenmagier geworden war, so lag es daran, daß Koratzo es vorzog, den Rebellen zu spielen, und Glyndiszorn es nicht vermochte, gegen Copasalliors Willen in den Wohnhöhlen am Crallion zu erschei nen. Copasallior und den Knotenmagier konnte Jarsynthia zumindest akzeptieren, denn bei de taten das, was in ihren Augen vernünftig war. Den Rebellen Koratzo dagegen haßte sie mit kaum vorstellbarer Wildheit. Wortz war darum nicht überrascht, als sie sagte: »Er wird sich wundern. Ich bin sicher, daß sie es morgen versuchen, und sie wer den es nicht wagen, in der Tronx-Kette zu arbeiten. Sie müßten die Schirme wenigstens an einigen Stellen öffnen, und sie haben viel zuviel Angst, um das zu riskieren. Also wer den wir sie mit Sicherheit am Gnorden tref fen.« »Was willst du tun?« fragte der Lebens magier gespannt. Jarsynthia lachte höhnisch. »Glyndiszorn hat offenbar nicht die Macht, Koratzo und die anderen ohne Zeitverlust in das fremde Schiff zu schleudern. Er kann nur einen Weg öffnen, und den Rest müssen diese Narren selbst erledigen. Wenn sie unterwegs sind, außerhalb unserer Zeit und unseres Raumes – dann werde ich zuschlagen.« »Ich werde Karsjanor verständigen. Es ist kein weiter Weg von den Dunklen Tälern
Jenseits von Zeit und Raum bis zu den Hängen des Gnorden.« »Wir brauchen weder Karsjanor, noch sei ne Freunde.« »Wer weiß«, sagte Wortz ernst. »Es kann nie schaden, wenn man noch eine Reserve hat. Sie werden uns den Rücken freihalten. Copasallior scheint sich in letzter Zeit an ei nige Dinge aus der fernen Vergangenheit zu erinnern, und vom Gipfel des Crallion aus kann man die ORSAPAYA sehen. Es ist besser, wenn wir uns auf alles gefaßt ma chen.« »Der Weltenmagier wird es nicht wagen, uns zu stören«, widersprach Jarsynthia hef tig. »Das kann er sich nicht leisten. Er ist doch nicht so dumm …« »Vielleicht doch«, unterbrach Wortz die Liebesmagierin. »Wir treffen uns morgen am Fuß des Gnorden.« Bevor er an den Hang der Töpferschnecke zurückkehrte, unternahm Wortz noch einen Abstecher in die Dunklen Täler. Es hätte ihm keine Mühe bereitet, jede hier vorhan dene Sperre zu durchstoßen, aber er nahm Rücksicht auf Karsjanor, denn wenn er den Kristallmagier demütigte, würde dieser nicht bereit sein, Wortz zu unterstützen. Darum näherte er sich dem riesigen Wohnkristall auf einem neutralen Weg, und er wartete so gar, bis Karsjanor ihm den Weg freigab, ob wohl der andere sich unverschämt viel Zeit ließ. Es gab keine Schwierigkeiten. Wortz hat te es nicht anders erwartet. Natürlich ärgerte er sich über Karsjanor, der wie immer so tat, als wäre der Plan ohne seine Magie ohnehin undurchführbar. Aber er sagte nichts, weil er den Kristallmagier brauchte.
3. Es kam nicht oft vor, daß sich den Magi ern der Tronx-Kette dieses Schauspiel bot. Darum hatten sich auch fast alle vor Korat zos Wohnhalle versammelt. Nachdenklich betrachtete Koratzo seine kleine Truppe. Zu fünft wollten sie in das fremde Schiff eindringen, drei andere Ma
13 gier sollten gemeinsam mit Glyndiszorn da für sorgen, daß keine fremde Macht sie in Gefahr brachte. Howath konnte – nach dem Stimmenmagier selbst – die stärksten Sper ren errichten, und Antharia stand ihm darin kaum etwas nach. Haswahu sollte weniger die Sperren verstärken, als sich eventueller Angreifer anzunehmen. Der Atem des tiefen Schlafes war eine humane, aber wirksame Waffe, und Haswahu mochte sich zwar vor allem möglichen fürchten, aber wenn es galt, die Macht seiner Magie zu zeigen, konnte man sich getrost auf ihn verlassen. Zu denen, die zum Schiff vordringen wollten, gehörte selbstverständlich Koratzo selbst. Der Lichtmagier Querllo und Opkul mit der Fähigkeit, in die Ferne zu blicken, gehörten zu seinen erprobten Gefährten. Au ßerdem kam Rischa mit, die Feldermagierin, die mit Hilfe magischer Bänder Gegenstän de von der Stelle bewegen konnte, die viele Tonnen schwer waren. Sie mußten damit rechnen, daß sie auf Hindernisse stießen oder etwas aus dem fremden Schiff in die Barriere transportieren mußten. Niemand war für diese Aufgaben besser geeignet als Rischa. Und für den Fall, daß die Gewapp neten sich gegen die Eindringlinge wehrten, war Torla da, die Blickmagierin, die mit den Augen lähmende Blitze schleudern konnte. Koratzo und Querllo trugen zusätzlich kurze Schwerter, und Opkul hatte eine Waggu in den Gürtel gesteckt. Koratzo, der seine Freunde ständig sah, verschwendete keinen Gedanken daran, daß es äußerlich eine sehr bunte Truppe war. Der Stimmenmagier glich einem jungen Terraner, nicht älter als fünfundzwanzig Jah re, mit kurzgeschnittenem blondem Haar und blauen Augen. Opkul sah ihm ähnlich, aber die Iris seiner Augen war von einem schillernden Violett, das sich ständig zu ver ändern schien. Querllo war zwergenhaft klein und wirkte verkrüppelt, und seine Haut war rissig wie die Rinde eines alten Baumes. Rischa war von elfenhaft zarter Gestalt, hat te blaue Haut, hellrote Augen und langes, schneeweißes Haar, und Torla schließlich
14 war zwei Meter groß, hatte eine knabenhafte Figur und verträumte Augen, die stets ver schleiert wirkten. Howath glich einem alten Mann mit gichtigen Fingern. Er trug einen struppigen Bart, und seine Fingernägel wa ren lang und spitz wie die eines wilden Tie res. Haswahu war mittelgroß und schlank, und sein einziges auffallendes Merkmal wa ren zwei tropfenförmige grüne Flecken unter jedem Auge – sie ließen sein Gesicht stets blaß und traurig unter dem roten Haarschopf erscheinen. Antharia war dunkelhäutig und schlank, nur etwas über einen Meter groß und erinnerte in ihrem Verhalten und der Flinkheit ihrer Bewegungen an eine Katze. Sie hing in rührender Treue an Koratzo und bewachte ihn eifersüchtig, wenn zum Bei spiel Estrala versuchte, den Stimmenmagier als ihren Gefährten zu gewinnen. Sie alle trugen keine Masken. In der Tronx-Kette war es nicht üblich, sein Ge sicht zu verbergen – etwas, das allen ande ren Magiern als selbstverständlich erschien. Allerdings stellte es sich heraus, daß auch Glyndiszorn diesmal auf die Maskierung verzichtete. Er tauchte urplötzlich neben Ko ratzo auf, dann sah er sich düster um. »Wir sind bereit, Knotenmagier«, sagte Koratzo. Glyndiszorn nickte und beobachtete miß trauisch die Gesichter der Magier. Zum Glück blieben alle ernst. Glyndiszorn konnte es nicht ausstehen, wenn sich jemand über sein Aussehen lustig machte. »Gehen wir«, brummte er. »Ich weise euch den Weg. Haltet euch aneinander fest, damit niemand verlorengeht!« Er griff nach Koratzos Hand und deutete nach Westen. Für die anderen sah es aus, als ginge Ko ratzo mit seinen Freunden durch eine un sichtbare Tür. Man konnte genau verfolgen, wie sie verschwanden. Die Betroffenen dagegen hatten das Ge fühl, aus der vom Morgenlicht überstrahlten Tronx-Kette in einen von farblosen Nebeln erfüllten Raum zu steigen, in dem es nichts gab, was man als real hätte bezeichnen kön-
Marianne Sydow nen. Der Boden unter ihren Füßen war fest und hart, aber ihre Schritte erzeugten nicht das geringste Geräusch. Sie hörten ihren ei genen Atem nicht mehr. Als Koratzo nach mehreren Minuten den Knotenmagier fragen wollte, wie weit es noch sei, stellte er ent setzt fest, daß er zwar die Lippen bewegen, aber keinen Ton hervorbringen konnte. Da wußte er, daß etwas nicht in Ordnung war. Und jetzt merkte er auch, daß Glyndiszorns Sperren fast zusammengebrochen waren. Er gab seinen Freunden ein Zeichen, und ge meinsam wehrten sie die fremden Kräfte ab, die nach der kleinen Gruppe griffen. Wenige Augenblicke später riß der Nebel auf, und sie standen am Ufer des schwarzen Sees. Die Reste mächtiger Kristallpfeiler lagen um sie herum, und über ihnen schwebte die OR SAPAYA – diesmal war sie nicht von einer dunklen Wolke umgeben. Glyndiszorns Zei chen, ein in sich verschlungenes Band in den Farben des Regenbogens, leuchtete in der Morgensonne. Der Knotenmagier wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah sich ungläu big nach seinen Begleitern um. Er setzte zum Sprechen an, überlegte es sich dann je doch anders, wandte sich ab und stapfte durch tiefes, rostbraunes Moos zu einem gläsernen Gebäude, dessen seltsam schräge Wände das Licht in grellen Blitzen spiegel ten. Koratzo und die anderen folgten schwei gend. Sie stellten keine Fragen. Jeder wußte, daß sie soeben den ersten Angriff abgewehrt hatten. Glyndiszorns Magie war selbst für die mächtigsten Bewohner der Barriere von Oth sehr schwer verständlich. Der Knotenmagier konnte seine eigene Position in Zeit und Raum verändern, und er vermochte es, Ver bindungen zu anderen Zeiten und Räumen zu schaffen. Wie er das anstellte, blieb sein Geheimnis. Viele hatten versucht, diese Kunst zu erlernen, aber sie waren kläglich gescheitert, und so mancher junge Magier hatte bei diesen Versuchen Tore aufgesto ßen, die ihn hinterher nicht wieder freiga
Jenseits von Zeit und Raum ben. »Ihr drei bleibt draußen«, befahl Glyndis zorn Howath, Haswahu und Antharia. »Ihr wißt, worauf ihr zu achten habt. Die Liebes magierin wird sich wahrscheinlich der Ge stalt eines Tieres bedienen. Ich werde versu chen, einen Teil der Sperre mitzutragen, aber wenn es hart auf hart kommt, hängt das Leben der anderen nur von euch ab.« »Wie beruhigend«, murmelte Howath, und Antharia blickte Koratzo beinahe fle hend an. Ihr war es nicht recht, daß der Stimmenmagier ein solches Risiko einging. Aber Koratzo konnte nicht mehr zurück. Er hatte sich zu tief in diese Sache verbis sen. Nacheinander verschwanden die anderen in dem Gebäude, und obwohl es schien, als ob die Wände aus klarem Glas bestanden, wurden sie unsichtbar. Torla war die letzte. Ehe sie durch die geheimnisvolle Tür ging, sah sie sich noch einmal um. Sie entdeckte einen Raben, der am Himmel kreiste. »Sieh hinauf«, flüsterte sie Antharia zu. »Er ist echt«, erwiderte die Pflanzenma gierin beruhigend. Torla zuckte zweifelnd die Schultern.
* Glyndiszorn wies sie an, sich in die Mitte des Raumes zu stellen und alle Sperren fal len zu lassen. Die Magier gehorchten, aber sie fühlten sich nicht wohl dabei. »Nicht reden, nicht bewegen«, verlangte der Knotenmagier weiter. »Denkt an eure Freunde. Ihr könnt euch doch auf sie verlas sen, nicht wahr?« Alle hörten den leisen Spott in der keifen den Stimme, aber sie rissen sich zusammen und gingen nicht auf die Herausforderung ein. Sie waren auf die Magie dieses Mannes angewiesen. »Jetzt werden wir sehen, wo es steckt, das fremde Schiff«, murmelte Glyndiszorn und hantierte an Geräten herum, die nur für Ko ratzo und Querllo wenigstens äußerlich ein wenig vertraut waren. Querllo hatte eine
15 Zeitlang für den Knotenmagier gearbeitet und dabei viel von ihm gelernt, und Koratzo hatte nach Glyndiszorns Anweisungen jenen Großen Knoten beeinflußt, der dem Magier beinahe zum Schicksal geworden war. Die Luft über einem kristallenen Würfel begann zu flimmern. Koratzo beobachtete gespannt, wie Glyndiszorn den Würfel vor sichtig auf seiner Unterlage verschob und dabei ständig vor sich hinmurmelte. Plötz lich löste sich etwas wie eine nachtschwarze Schlange von den Händen des Knotenma giers. Es gab einen Knall, ein seltsamer Ge ruch breitete sich aus – und die fünf Freunde standen auf dem Grund eines grauen Tun nels. Koratzo blickte nach oben. Die gläsernen Wände waren verschwunden. Auch den Gnorden konnte er nicht mehr sehen. Die ORSAPAYA und der schwarze See, die Freunde draußen und das Moos, der Himmel und die rote Sonne – alles war weg, und über ihnen dehnte sich das eintönige Grau scheinbar bis in die Unendlichkeit. »Wohin?« fragte Opkul mißtrauisch. »Kannst du das Schiff nicht sehen?« frag te Koratzo überrascht zurück. »Es ist wie damals, bei der ORSAPA YA«, erwiderte Opkul bedrückt. »Meine Augen reichen sogar weiter als meine Ma gie. Wenn es nach der ginge, gäbe es um uns herum eine schwarze Wand.« Querllo trat vorsichtig ein paar Schritte vor – und plötzlich schwebte er über ihnen in der Luft. »Ein Transportfeld«, verkündete er. »Ziemlich ausgefallen, aber es hält.« Im selben Augenblick brach Opkul wie vom Blitz getroffen zusammen. »Zurück!« schrie Koratzo seinem Freund zu, und als Querllo nicht schnell genug rea gierte, sprang er hin und riß den Zwerg nach unten. Der Lichtmagier setzte zu einem wü tenden Protest an, dann sah er die dunklen Schatten, die weiter oben aus der Wand des merkwürdigen Tunnels quollen und rasch näher kamen. »Zusammenbleiben«, befahl Koratzo.
16 »Rischa – kannst du die Dinger zurückdrän gen?« »Sie sind nicht materiell«, flüsterte die Magierin entsetzt. Torla verlor die Beherrschung und schleu derte eine Serie ihrer unsichtbaren Blitze nach den Schatten. Die Luft knisterte, aber die dunkle Masse drängte ungerührt weiter heran. Längst hatten sie die Sperren wieder errichtet, die sie vor jedem Einfluß fremder Magie schützen sollten, aber es schien nicht, als sollte das gegen die Schatten helfen. Ge bannt starrten sie nach oben, und das schwarze Zeug kroch näher, wogte über ih ren Köpfen und offenbarte mit abnehmender Entfernung seltsame Wesen, die wie leichte Rußflocken durcheinanderwirbelten. Einige waren groß und hatten Pranken und Zähne, aber die meisten blieben winzig und wirkten dennoch unvorstellbar bösartig. Als sie meinten, dem Druck nicht länger standhalten zu können und die Schwärze sie fast erreich te, fielen sie mit einem übelkeiterregenden Schütteln in die normale Welt zurück. Sie taumelten, stürzten übereinander und blieben endlich still liegen, weil sie begrif fen hatten, daß sie ihren Körpern Zeit lassen mußten. Als der Boden sich unter ihnen scheinbar beruhigt hatte, richteten sie sich vorsichtig wieder auf. »Kein sehr angenehmer Weg«, kommen tierte Querllo bissig. Glyndiszorn lehnte neben der Tür. Sein breites, rotes Gesicht glänzte vor Schweiß, und seine Augen blickten verwirrt. Koratzo schüttelte die Benommenheit von sich ab. »War das Jarsynthias Werk?« erkundigte er sich heiser. Glyndiszorn schüttelte den Kopf. »Es kam von jenseits des Schiffes«, mur melte er unsicher, als könne er das, was ge schehen war, gar nicht glauben. »Eine böse Kraft verbirgt sich dort. Fragt die anderen …« Er drehte sich um und war schon auf dem Weg in die ORSAPAYA, als Koratzo end lich reagierte.
Marianne Sydow »Wie geht es weiter, Knotenmagier?« rief er. Glyndiszorn blieb stehen, sah sich um und machte schließlich eine ärgerliche Geste. »Du hast gesehen, daß es nicht geht«, ant wortete er. »Dieser verdammte Verräter!« knirschte Querllo, und eine tanzende Flamme erschi en, die dem Knotenmagier nacheilte. Korat zo riß den Lichtmagier zurück und löschte das seltsame Feuer aus. »Das hat keinen Sinn«, stellte er fest. »Gib ihm Zeit. Er hat mit dieser Niederlage selbst nicht gerechnet.« Hinter ihm kicherte jemand, ein kleines Tier sprang über geborstene Kristalle und war verschwunden, ehe einer der anderen es aufhalten konnte. »Es scheint, als brauchten wir gar nicht einzugreifen«, sagte Jarsynthia, als sie neben Wortz auf dem Hang gegenüber des Gnor den auftauchte. »Glyndiszorn hat sich ver schätzt. Seine Kräfte reichen nicht aus. Wenn er so weitermacht, wird sich die Rangfolge der Magier bald verändern!« Wortz schwieg. Hinter ihm standen einige Magier aus den Dunklen Tälern. Sie alle wa ren bereit, zuzuschlagen, sobald sich ein Er folg für die Gruppe aus der Tronx-Kette be merkbar machte. Ihr Anführer war Karsja nor, der Kristallmagier. Er saß auf einem Stein, wirbelte seine Schleuder lässig durch die Luft und starrte mit brennenden Augen nach drüben. Seit Was Tod war er von gren zenlosem Haß auf den Stimmenmagier er füllt, dem er die Schuld daran gab, daß die Höhlenmagierin umgekommen war. Er suchte schon lange nach einem Grund, ge gen Koratzo zu kämpfen. Als die Sonne hö her stieg, verließ er seinen Platz. »Wohin gehst du?« fragte Jarsynthia miß trauisch. »Ich bin gleich zurück«, murmelte Karsja nor ärgerlich.
* Ȇber dem Haus entstand eine dunkle
Jenseits von Zeit und Raum Wolke«, berichtete Haswahu. »Es war wie damals. Gestalten tauchten darin auf. Wir sahen riesige Ungeheuer. Ehrlich gesagt, ich dachte, es sei alles vorbei.« »Kein Wunder«, bemerkte Antharia spöt tisch. »Man konnte deine Zähne bis zum Gipfel des Skolion klappern hören.« Koratzo brachte sie mit einer ärgerlichen Geste zum Schweigen. »Vielleicht liegt es an dem Großen Kno ten«, sagte er. »Es scheint sich hier um die selben feindlichen Kräfte zu handeln, die Glyndiszorn damals zu schaffen machten.« »Aber der Knotenmagier war überzeugt davon, jederzeit einen Ausgang schaffen zu können«, widersprach Opkul heftig. »Einen Ausgang, der in die RaumZeit-Spur führt, in der Pthor gerade exi stiert«, nickte Koratzo. »Und von dort aus wahrscheinlich auch einen Weg in die Zeit nische, in der das Schiff der Gewappneten hängt.« »Das hieße, daß er uns erst nach draußen bringen muß«, überlegte Antharia. »Aber wie stellst du dir das vor? Dort sind Experi mente dieser Art völlig unvorstellbar!« Koratzo seufzte verzweifelt. Die Barriere von Oth und die Magier – beides gehörte seit so unvorstellbar langer Zeit zusammen, daß sie voneinander abhän gig geworden waren. Nur hier konnten sie ihre Fähigkeiten voll einsetzen, weil jeder Stein, jedes Lebewesen, ja selbst die tosen den Wassermassen der tiefen Flüsse von ma gischen Strömungen durchzogen waren. Na türlich konnten sie hinaus in das Land Pthor, und viele Werke bewiesen, daß man auch dort Magie betreiben konnte. Aber nach ei niger Zeit war es ratsam, in die Barriere zu rückzukehren und sich dort zu erholen. Abgesehen davon war es fraglich, ob Glyndiszorn den Großen Knoten überhaupt verlassen konnte. »Er braucht ihn ja nur aufzulösen«, sagte Rischa, als hätte sie die Gedanken des Stim menmagiers erraten. »Die Herren der FE STUNG sind gefallen – wir brauchen uns nicht mehr zu verstecken.«
17 »Ich kann dir auf der Stelle mindestens drei Dutzend Magier nennen«, antwortete Howath grimmig, »die darauf nur warten. Dann können sie nämlich in die FESTUNG rennen und den Odinssöhnen allerlei Mätz chen vorführen, um zu beweisen, wie unend lich mächtig sie sind. Und dann geht alles wieder von vorne los.« »Wir können überhaupt nichts tun«, stell te Querllo resignierend fest. »Hoffentlich überlegt es sich der Knotenmagier noch ein mal. Sicher wird er sich nicht unnütz bla mieren lassen!« Koratzo blickte nachdenklich zur ORSA PAYA hinauf. Er hoffte, daß Glyndiszorn sie belauschte. Dann nämlich war er ge zwungen, etwas zu unternehmen. Er sah sich nach Opkul um und wollte ihn gerade fragen, ob er das fremde Schiff im mer noch wahrnehmen konnte, da flitzte et was an seinem Gesicht vorbei, verfehlte ihn um Haaresbreite und schlug gegen einen Felsen, der in einem Regen glitzernder Trümmer verging. Koratzo warf sich zu Bo den und hörte rechts und links neben sich weitere Einschläge, und als ihm ein Trüm merbrocken vor das Gesicht rollte, wußte er, wer hinter diesem Überfall steckte. Die anderen hatten schon vorher begrif fen, denn Karsjanors Angriff galt einzig und allein dem Stimmenmagier. Und er hatte al les gut vorbereitet. Unbemerkt war er in das Hochtal gelangt. Wahrscheinlich hatte er den alten Kamin ge nommen. Opkul hatte ihn nicht kommen se hen, denn der Schock von vorhin machte ihm noch zu schaffen. Jetzt stand Karsjanor auf einem Felsen und schwang die Kristall schleuder, und bei jeder Bewegung rasten die glitzernden Pfeile davon. Rund um Ko ratzo entstand ein Streifen, in dem alles zu kristallinem Staub zerfiel. Die anderen versuchten, Karsjanor kampfunfähig zu machen, aber der Kristall magier ließ sich durch nichts erschüttern. Querllos Lichtwolken konnten ihm nichts anhaben, und Rischas magische Bänder glit ten wirkungslos an ihm ab. Howath brachte
18 ihn wenigstens für ein paar Sekunden aus der Fassung, indem er den Felsen in Flam men hüllte, aber nach dem ersten Schrecken stieß Karsjanor ein höhnisches Lachen aus und hob die Kristallschleuder zum nächsten Schlag. Die Flammen erreichten den Magier nicht. »Das ist Jarsynthias Werk«, schrie Querl lo wütend. »Haswahu! Komm endlich zu dir, du Narr! Koratzo, warum wehrst du dich nicht?« Aber der Stimmenmagier rührte sich nicht, und obwohl ihn offensichtlich keine Kristallnadel getroffen hatte, stieg in Querllo die Angst auf, daß Karsjanor sein Ziel er reicht haben könnte. Er sprang zu Haswahu hinüber und stellte fest, daß der Luftmagier beide Hände vor das Gesicht gepreßt hielt. Wütend stieß Querllo den anderen vorwärts, und Haswahu stöhnte auf und starrte Karsjanor an, dessen Bewegungen sofort schwerfälliger wurden. »Gib ihm mehr davon!« schrie Querllo den Luftmagier an. »Worauf wartest du noch?« Er hätte sehen müssen, daß Haswahu sich redliche Mühe gab, aber selbst seine Magie konnte Karsjanors Schirme nicht voll durch dringen. Torla stand aufrecht und unbeweg lich da, und ab und zu vernahm Querllo durch den allgemeinen Lärm das Knistern, von dem ihre unsichtbaren Blitze begleitet wurden. Torla holte Dutzende von Kristall pfeilen auf diese Weise aus der Luft und doch reichte es nicht. Und dann, von einem Augenblick zum anderen, schwankte Karsjanor auf seinem Felsen. Querllo sah eine rostrote Masse an den Beinen des Kristallmagiers aufsteigen und schrie begeistert auf. Im nächsten Mo ment ließ er sich fallen, denn Karsjanor schoß immer noch mit seinen teuflischen Pfeilen um sich, jetzt jedoch ungezielt, und die Dinger schlugen überall ein. Hastig kroch Querllo auf allen vieren, nur durch ei ne umgestürzte Säule vor den Blicken des Kristallmagiers geschützt, zu Koratzo hin über.
Marianne Sydow Als er den Stimmenmagier fast erreicht hatte und aufsprang, flogen ihm die Pfeile um die Ohren, aber wie durch ein Wunder blieb er verschont, und ihm gegenüber tauchte Rischa auf. Querllo stolperte in die trügerische Sicherheit hinter einem anderen Felsen, und Rischa ließ Koratzo vorsichtig zu Boden gleiten. Querllo richtete sich auf und spähte zu Karsjanor hinüber, bereit, es noch einmal mit einer Lichtfalle zu versu chen. Als er den Kristallmagier sah, blieb ihm vor Staunen der Mund offen. Rischa kletterte neben ihm auf den Felsen. »Copasallior«, flüsterte sie entgeistert. »Wie kommt der denn hierher?« Der Weltenmagier hatte mit einer seiner sechs Hände die Kristallschleuder an sich genommen, mit einer zweiten Hand hielt er Karsjanors Genick umspannt. Er schüttelte den Kristallmagier, wie manche Katzen es mit ihrer Beute zu tun pflegen. Dann stieg er gelassen von dem Felsen herunter. »Du kannst sagen, was du willst«, flüster te Rischa, »aber der Kerl ist mir unheim lich.« Querllo sah ihr nach, wie sie zwischen den zersprungenen Säulen davonhuschte. Dann drehte er sich zu Copasallior um. In gewissem Maße konnte er die Feldmagierin verstehen. Die übergroßen Basaltaugen des Weltenmagiers waren nicht gerade aus drucksvoll, und auch sein Gesicht wirkte wie versteinert. Die sechs Arme und das weite, düstere Gewand ließen Copasallior fast wie ein unheimliches Wesen aus einer fremden Welt erscheinen. Zum erstenmal wurde dem Lichtmagier bewußt, daß es keineswegs normal war, daß die Magier in der Großen Barriere von Oth so verschieden aussahen, sich aber trotzdem als Angehörige eines Volkes verstanden und auch untereinander fortpflanzungsfähig wa ren. »Was ist mit ihm?« fragte Copasallior, und Querllo schrak aus seinen Gedanken auf. »Er ist bewußtlos«, erwiderte der Bilder magier und blickte auf Koratzo hinab. »Er
Jenseits von Zeit und Raum wird bald wieder zu sich kommen. Es war nur der Schock, nichts Ernsthaftes – dank deiner Hilfe, Weltenmagier.« Copasallior musterte Querllo mit seinen seltsamen Augen. »Ich kam zufällig vorbei«, sagte er. Er blickte zur ORSAPAYA hinauf. »Ist der Knotenmagier dort oben?« Querllo nickte. Copasallior hob andeutungsweise eine Hand zum Gruß, dann verschwand er. »Komischer Kauz«, meinte Antharia, die wieselflink zurückgekehrt war. »Tut so, als ob gar nichts passiert wäre. Dabei hat er Ko ratzo das Leben gerettet. Ich ließ zwar das Moos wuchern, aber Karsjanor hätte auch das überstanden. Es waren nicht seine eige nen Sperren. Jarsynthia und Wortz haben ih re Hilfstruppen gut ausgestattet.« Querllo dachte an jenen Tag zurück, an dem die Seelenlosen versucht hatten, die ORSAPAYA zu stehlen. Damals hatte Ko ratzo dem Weltenmagier beigestanden, ob wohl er damit seine eigenen Prinzipien ver letzte. »Er hat nur eine Rechnung beglichen«, murmelte er und beugte sich zu Koratzo hin ab. »Jarsynthia und Wortz warten dort drü ben«, verkündete Opkul und deutete zur westlichen Grenze der Dunklen Täler hin über. »Es sind mindestens zwanzig Leute bei ihnen. Ich fürchte, sie werden uns noch eine Menge Ärger bereiten.« Rischa tanzte wie eine blauweiße Flamme über die Felsen. »Sie sollen es versuchen!« rief sie laut. »Sie werden nicht weit kommen!« Querllo legte schweigend seine rissigen Hände um den Kopf des Stimmenmagiers, und die anderen versammelten sich um ihn und sahen zu. Niemand, auch nicht Querllo selbst, wußte, woher die heilenden Kräfte kamen, die diese Hände durchströmten. Und diese Art von Magie wurde nur selten ge braucht. Fast alle Magier waren unsterblich, und da sie sich normalerweise in ihren ge gen alle Zufälle abgesicherten Bezirken auf
19 hielten, war die Verletzungsgefahr gering. Und doch hatte Querllo diese Macht, und er war froh darüber. Schon nach wenigen Se kunden spürte er die erste Veränderung, und wenig später schlug Koratzo die Augen auf. Schweigend sahen die anderen zu, wie er unsicher auf die Beine kam und sich umsah. »Wo ist er?« fragte er heiser. »Drüben, bei dem Felsen«, sagte Querllo leise. Niemand folgte dem Stimmenmagier, als er sich auf den Weg machte. Das Gesetz war alt, älter noch als alle Erinnerungen, die sie sich von der Zeit vor dem Einzug in die Bar riere bewahrt hatten. Sie mußten bestimmte Regeln aufstellen, oder sie hätten sich selbst vernichtet. Sie kämpften gegeneinander – aber sie tö teten den Gegner nicht. Jede – auch die scheinbar niedrigste – Magie konnte sich später als wichtig erweisen. Ein Magier, der versuchte, einen Artgenossen umzubringen, hatte sein Leben verwirkt. Koratzo hatte nicht nur das Recht, den Kristallmagier zu töten. Es war schon eher eine Pflicht. Karsjanor wußte das. Und er wachte ge nau im richtigen Augenblick auf. Er starrte den Stimmenmagier an, der vor ihm stand und die rechte Hand auf das Schwert an sei nem Gürtel gelegt hatte. Karsjanor sprach kein Wort, und nicht einmal seinen Augen gestattete er, um Gnade zu flehen. Aus druckslos sah er Koratzo an und verfolgte, wie dieser das Schwert zog und die Hand zum entscheidenden Stoß hob, und Koratzo fühlte, wie sein Gegner alle Sperren fallen ließ und sein Schicksal in völliger Gelassen heit aufnahm. Das Schwert erwachte in Koratzos Hän den zu einem seltsamen Leben. Es glühte von innen heraus und senkte sich ganz von selbst der Brust des Kristallmagiers entge gen – und im letzten Augenblick riß Koratzo es zur Seite, löschte das Feuer in diesem leicht beeinflußbaren Stahl und schleuderte das Schwert weit von sich. Es landete klir rend zwischen den geborstenen Säulen. Karsjanor blieb wie betäubt liegen, wäh rend Koratzo keuchend ausatmete und sich
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schwerfällig umdrehte. Dann erst begriff der Kristallmagier, was geschehen war. Er sprang auf. »Das darfst du nicht tun, Koratzo!« schrie er verzweifelt. »Wir sind Feinde – aber habe ich dir jemals einen Anlaß gegeben, mich so sehr zu verachten, daß du nicht einmal die Klinge eines Schwertes mit meinem Blut be schmutzen willst?« Koratzo blieb stehen. »Du bist ein Narr, Karsjanor«, sagte er, ohne sich umzusehen. »Geh mir aus den Au gen.« Karsjanor stand schwankend auf dem Fel sen, raffte sich dann mühsam auf und sch lich davon wie ein geprügelter Hund. »Er wird es dir niemals vergessen«, sagte Torla vorwurfsvoll. »Wenn er auch nur einen Funken Selbst achtung besitzt«, stimmte Haswahu mit ein, »wird er mit eigener Hand das erfüllen, was du ihm verweigert hast.« »Ach«, fuhr Opkul dazwischen, »sei nur still. Wer sind wir denn? Stammen wir auch aus den dunklen Tälern? Haben wir es nötig, uns mit diesen Kreaturen gleichzustellen? Und wer weiß – eines Tages hilft es viel leicht …« Koratzo war an ihnen vorbeigegangen und verschwand gerade in dem gläsernen Gebäude. Opkul bedachte die anderen mit einem wütenden Blick und eilte dem Stim menmagier nach. Querllo und Antharia folg ten ihm. Aber sie blieben vor der Tür stehen. Koratzo ging drinnen umher und betrachtete nachdenklich Glyndiszorns Geräte.
* Etwas später, als die Sonne schon im Ze nit stand, kamen Copasallior und Glyndis zorn die Transportröhre herabgeschwebt, die die Gondel der ORSAPAYA und den festen Boden miteinander verband. Wer sie in die sem Augenblick sah, konnte zu dem Schluß kommen, daß sie die besten Freunde waren. »Wir werden es noch einmal versuchen«, wandte sich Glyndiszorn an die Magier aus
der Tronx-Kette. »Ich denke, daß ich den Fehler jetzt erkannt habe. Oder habt ihr Ein wände?« Sie sahen sich nach dem gläsernen Ge bäude um, wo Koratzo gerade in der Türöff nung erschien. »Keine Einwände, Knotenmagier«, sagte Koratzo. »Dann kommt.« Weder Copasallior noch Glyndiszorn er wähnte den Kristallmagier. Von oben hatten sie sehen können, was geschah, und sie hät ten Koratzo einige unangenehme Fragen stellen können, weil er die Gesetze wieder einmal nicht beachtet hatte. Genau genommen herrschte in der Großen Barriere ein ständiger Kampf, denn die weniger mächtigen Magier waren stets darauf aus, ihre Position zu verbessern, und die mächtigeren hatten darauf zu achten, daß niemand sie von ihrer Position verdrängte. Nach außen hin bildeten die Magier eine Einheit, an der es nichts zu rütteln gab. Kein Fremder kam je dahinter, welche kompli zierten Intrigen sich unter den Gipfeln der Berge abspielten, selbst die Sterblichen, die manchmal im Auftrag eines Magiers für län gere Zeit in der Barriere lebten und arbeite ten, hatten keine Ahnung von diesen Din gen. Daher war es wichtig, daß das Gleichge wicht gewahrt wurde. Karsjanor war Korat zos direkter Gegenspieler. Solange der Kri stallmagier den »Rebellen« in Atem hielt, brauchten seine sonstigen Gegner sich die Finger nicht schmutzig zu machen. Koratzo wußte das alles. Er hätte Karsja nor schon seit langem für immer aus dem Verkehr ziehen können, denn wenn der Kri stallmagier nicht gerade unter dem Schutz so mächtiger Leute wie Jarsynthia oder Wortz stand, waren seine Sperren nicht besonders stark. Jeder andere Magier hätte diesen Vor teil auch längst ausgenutzt. Aber Koratzo schonte das Leben des an deren selbst dann noch, wenn er sich selbst damit in Gefahr begab. Gerade deshalb nannte man ihn einen
Jenseits von Zeit und Raum »Rebellen«. Copasallior ging neben dem Knotenma gier, und Koratzo dachte schon, der Welten magier würde sich dazu herablassen, die Gruppe zu unterstützen. Aber plötzlich, oh ne ein Wort, verschwand Copasallior. Korat zo sah nachdenklich zum Crallion hinüber. Er war sicher, daß Copasallior alles genau beobachtete. Warum war er gekommen? Nur um Koratzo zu helfen? Glyndiszorn sah die anderen nach Copa salliors formlosen Abschied herausfordernd an, aber niemand stellte eine Frage. Ärger lich stieß der Knotenmagier die Tür auf. »Kommt herein«, brummte er. »Ihr drei auch. Wir werden diesmal die Sperren von hier aus halten.« »Und wenn Jarsynthia oder Wortz sich dazu entschließen, zum Gnorden zu kom men und selbst einzugreifen?« fragte Querl lo mißtrauisch. »Wir werden sie sehen«, versicherte Glyndiszorn. »Aber ich glaube nicht, daß es soweit kommt. Ich gehöre nämlich nicht zu den Leuten, die einen Mörder ungeschoren davonkommen lassen.« Koratzo hatte sich offensichtlich vorge nommen, auf keine Herausforderung, und sei sie noch so schlimm, zu reagieren. Glyn diszorn wartete auf einen Protest und zuckte schließlich wütend mit den breiten Schul tern. »Fangen wir an«, knurrte er. »Ihr drei stellt euch an den Wänden auf – und paßt auf, daß ihr nicht mit euren ungeschickten Fingern an die Geräte kommt, sonst gibt es eine Katastrophe. Wißt ihr, was mir mal pas siert ist, als einer der Sterblichen seine Zu kunft sehen wollte? Ich schickte ihn auf die Reise durch die Zeit, und als ich ihn zurück holte, war der Kerl halbiert. Wie gefällt euch das?« »Wir sind nicht zum Lachen aufgelegt«, zischte Antharia wütend. »Nimm es nicht ernst«, empfahl Koratzo lächelnd. »Glyndiszorn weiß schließlich, daß wir keine Sterblichen sind.« Der Knotenmagier lachte laut auf und
21 schlug mit der Faust auf einen Sims. »Recht gesprochen«, sagte er vergnügt. »Fangen wir also an.« Wieder beschäftigte er sich mit seinen sonderbaren Geräten, und die anderen sahen ihm schweigend zu. Die stets mißtrauische Antharia dachte plötzlich daran, daß nie mand von ihnen kontrollieren konnte, was Glyndiszorn wirklich tat, und daß der Kno tenmagier durchaus die Möglichkeit hatte, Koratzo samt seinen Freunden in eine abso lut perfekte Falle zu locken. Aber da begann die Luft in der Mitte des Raumes zu flim mern, und Koratzo wurde unsichtbar. Die anderen folgten. Nur Howath, Antharia und Haswahu blieben zurück. Sie sahen nach oben, und die Luft über dem gläsernen Gebäude war völlig normal. »Den Rest müssen sie selbst erledigen«, murmelte Glyndiszorn nachdenklich. »Hoffentlich schaffen sie es.« Die anderen reichten sich schweigend die Hände und konzentrierten sich darauf, die sen Raum gegen alle fremden Kräfte abzu schirmen. Überrascht stellten sie fest, daß auch Glyndiszorn sich an dieser Arbeit be teiligte. Aber niemand stellte eine Frage. Und drüben, an der Grenze zu den Dunklen Tälern, ballte Jarsynthia zornig die Hände zu Fäusten, und Wortz starrte mit sei nen Greisenaugen ins Leere und versuchte, einen Angriffspunkt zu finden, wo sich ihm eine glatte, helle Wand entgegenstemmte. Wütend sah er sich nach den anderen um. Sie warteten auf Karsjanor, und wenn sie er fuhren, wie es dem Kristallmagier ergangen war, würden sie sich schleunigst in ihre Be zirke zurückziehen. Aber noch gab es die Chance, daß Karsja nor den Mund hielt. Jarsynthia und Wortz waren nicht stark genug, die Sperren ihrer Gegner zu zerbrechen – nicht, solange sie sich nicht näher an den Platz des Gesche hens heranwagen durften.
4. Wieder standen sie in einem Tunnel, des
22 sen Wände nebelhaft und unbestimmt wa ren, aber sie konnten in zwei Richtungen se hen, und genau hinter ihnen lag der Raum, von dem aus sie aufgebrochen waren. Sie sa hen die seltsamen glitzernden Geräte, das Sonnenlicht, das sich in kristallenen Kugeln brach, und Glyndiszorn, der wie eine wan delnde Kugel dazwischen umherstapfte. In der entgegengesetzten Richtung hing etwas im Nichts, das wie der abgetrennte Gipfel eines gleichmäßig geformten und von breiten Terrassen umzogenen Berges aussah. »Das Schiff«, flüsterte Opkul beinahe an dächtig. Er hatte es oft und lange genug gesehen, aber noch niemals aus unmittelbarer Nähe. »Ich wußte, daß Glyndiszorn es doch noch schaffen würde«, sagte Koratzo. »Wir sollten uns beeilen.« Sie kamen fast mühelos voran. Allein der Wunsch, sich dem Schiff zu nähern, reichte, um sie entlang des grauen Tunnels zu trei ben. Nirgends tauchten schwarze Schatten oder fremde Wesen auf. Dafür gab es dieses Raumschiff, und sie spürten das Böse, das darin hauste. »Allmählich bin ich gespannt darauf, wie diese Gewappneten aussehen«, murmelte Querllo, um sich selbst abzulenken. Rischa tanzte mit wehendem Haar vor ihm her. »Häßlich sind sie«, rief sie verächtlich. »Darauf kannst du dich verlassen! Häßlich und böse – es ist nur ein Glück, daß die FE STUNG gefallen ist. Die sogenannten Her ren und diese Fremden hätten gut zueinander gepaßt!« Je näher sie kamen, desto größer erschien ihnen das Schiff, und selbst Rischa, die wirklich nicht leicht zu beeindrucken war, staunte angesichts dieses fremden Körpers, der grau und drohend den Weg versperrte – dahinter wurden in der Unwirklichkeit die ses Raumes verschlungene Dinge sichtbar, die nicht zu dem Schiff passen wollten. »Das sind Blumen«, flüsterte Torla über rascht. »Die schönsten Blumen, die ich je gesehen habe. Und sie denken! Spürt ihr es
Marianne Sydow auch?« »Ja«, sagte Koratzo leise. »Irgendwie ge hört das alles zusammen, aber ich habe kei ne Ahnung, wie wir das Geheimnis lösen sollen. Diese Blumen denken – dabei sind sie gar nicht wirklich vorhanden.« »Du hast recht«, murmelte Opkul. »Es sind Schattenbilder. Seit wann können sol che Bilder denken?« Unwillkürlich hatten sie angehalten. »Schade, daß wir Antharia zurückgelas sen haben«, bemerkte Querllo. »Sie könnte noch am ehesten etwas damit anfangen.« Koratzo schlug sich mit der Hand vor die Stirn und deutete auf die Blumen. »Hören wir es uns an!« meinte er. Es gelang ihm, das hörbar zu machen, was von den Pflanzen zu ihnen herüber drang. Natürlich rechnete niemand im Ernst damit, vertraute Laute zu vernehmen, denn was immer diese Schattenblumen darstellen mochten – sie hatten mit Sicherheit noch keine Silbe Pthora gehört. Um so erstaunter waren sie, als sie merk ten, das ganz unmodulierte Impulse abgege ben wurden. Diese Blumen dachten nicht wirklich, sie gaben nur eine Art Echo von sich, und das bestand aus beruhigenden Lau ten und melodiösen Seufzern, aus Tönen, die sich anhörten, als kämen sie aus silbernen Flöten. »Hör auf«, sagte Torla nach kurzer Zeit leise. »Es ist gefährlich …« Koratzo schrak zusammen und brach die Verbindung ab. Erst dann wurde ihm be wußt, daß Torla recht gehabt hatte. Ohne es gemerkt zu haben, war er selbst dem Einfluß dieser Gewächse fast erlegen. Mit ihren Impulsen töteten sie das Mißtrauen, schläferten die Wachsamkeit ein und öffneten den Geist für neue Eindrücke. »Eine teuflische Angelegenheit«, flüsterte Koratzo entsetzt. »Man könnte beinahe mei nen, daß diese Blumen den Gegenpol zu dem Schiff bilden.« »Du vergißt, daß sie nicht wirklich exi stieren«, sagte Opkul. »Wer will das so genau wissen, hier, an
Jenseits von Zeit und Raum diesem merkwürdigen Ort. Wir sollten uns beeilen, damit wir es möglichst schnell hin ter uns bringen. Vielleicht können uns die Gewappneten erklären, was es mit den Blu men auf sich hat.« Sie ließen sich weitertreiben, und seltsa merweise wurden die Blumen undeutlicher, je näher sie ihnen kamen. Schließlich, als sie vor der grauen Hülle des Schiffes standen, war von den Pflanzen nichts mehr zu sehen. Um so deutlicher spürten sie diese unglaub lich starke Ausstrahlung des Bösen, das jen seits der grauen Wände auf sie lauerte. Nichts war an diesem Ort normal, und die Wände des Raumschiffs machten da keine Ausnahme. Als Koratzo die Hand ausstreck te und behutsam die Finger gegen die Wand legte, schrak er zurück, denn es war, als wä re er gegen eine Watteschicht gestoßen. Weich war die Wand und so warm, wie das lebendige Fleisch eines großen Tieres, aber man konnte sie durchschreiten, als wäre sie aus Luft. Drinnen war es nebelig. Die Trennwände der einzelnen Räume waren wie Streifen aus Rauch, die technischen Einrichtungen kaum sichtbar. Sie schwebten weiter, durch Wände und Decken hindurch, bis in den oberen Teil des Schiffes. Und dann fanden sie die Gewapp neten. Auch die Fremden waren reglos, aber man konnte sie anfassen. Sie hingen in der Luft, in den absonderlichsten Haltungen, und reagierten auf nichts. Koratzo versuchte mehrmals, sie anzusprechen, aber entweder hörten sie ihn nicht, oder sie hatten nicht die Absicht, sich mit dem Stimmenmagier zu unterhalten. Selbst die uralten Grundlaute der Stimmenmagie richteten nichts aus. »Wir nehmen einen von ihnen mit«, ent schied Koratzo schließlich. »Außerhalb die ser Zeitnische erwacht er vielleicht.« Querllo näherte sich mit kräftigen Schwimmbewegungen einem der Fremden und stieß ihn vorsichtig an. Der Gewappnete schwebte vor ihm her, als wäre er gewicht los.
23 »Wie mag er ohne die Rüstung ausse hen?« überlegte Torla. »Wir können ihm das Ding ja abnehmen«, schlug Querllo vor. »Nicht«, sagte Opkul hastig. »Sie können nur in den Rüstungen existieren. Ich habe es euch doch gesagt. Sie verglühen, wenn man die Schnallen öffnet!« Querllo drehte den Gewappneten herum und starrte neugierig durch die braune Sichtscheibe des Helmes. »Man kann nichts erkennen«, murmelte er enttäuscht. »Wie ist es mit dir, Opkul?« »Sie sind wie schwarze Flecken. Ich kann keine Einzelheiten erkennen.« »Sie sind böse«, murmelte Rischa voller Abscheu und zog sich ein Stück zurück. »Es ist gefährlich, so ein Wesen in die Barriere zu bringen.« »Wir müssen eben gut auf ihn aufpassen«, wehrte Koratzo ab. »Aber – welchen neh men wir? Wenn wir Pech haben, erwischen wir einen, der keine Ahnung hat, in welcher Richtung seine Heimatwelt zu suchen ist.« Die Gewappneten sahen alle gleich aus. Es gab nichts, woran man erkennen konnte, ob einer von ihnen einen höheren Rang be kleidete. Opkul hatte erzählt, daß ihre metal lenen, mit Unebenheiten übersäten Rüstun gen hellblau waren – aber an diesem Ort schien es keine andere Farbe als dieses nerv tötende Grau zu geben. »Wie ist es mit dem da?« fragte Querllo und deutete auf einen Gewappneten, der di rekt vor einer breiten Konsole hing, die et was mit dem Antrieb des Raumschiffs zu tun haben mochte. »Er sieht aus, als hätte er gerade den Kurs festlegen wollen.« Die anderen stimmten zu, und sie schoben den Gewappneten vor sich her. Sofort zeigte sich eine Schwierigkeit, mit der niemand mehr gerechnet hatte. Die Magier durchdrangen mühelos Wän de und Geräteblöcke, der Gewappnete je doch wurde zurückgehalten. So waren sie gezwungen, mühsam einen Weg für den Fremden zu suchen, und das kostete viel Zeit, denn die Tür- und Schleu
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senkontakte reagierten nicht auf die Berüh rungen der Magier. Anfangs versuchten sie, die Hände des Gewappneten hochzu drücken, aber das erwies sich als unmöglich. Die Wesen waren in eine Starre verfallen, gegen die es kein Mittel zu geben schien. So quälten sie sich mit ihrem Gefangenen von einer offenen Tür zur anderen, und meistens schwebten Opkul, Rischa und Torla voraus, um den einfachsten Weg zu erkunden, wäh rend Koratzo und Querllo sich mit dem Ge wappneten abmühten und ihn vor Verletzun gen zu schützen suchten. Es dauerte lange, bis sie endlich das letzte Hindernis überwunden hatten – und dann stellten sie fest, daß es erst richtig gefährlich wurde. Das andere Ende des Tunnels hatte sich geschlossen. Düster wallende Schleier ver bargen Glyndiszorn und die anderen, von dem sonnendurchfluteten Raum unter dem gläsernen Dach war nichts mehr zu sehen. Ab und zu zuckte etwas wie ein Blitz durch diese Dunkelheit. »Wir warten im Schiff«, entschied Korat zo nach kurzem Zögern. »Dort sind wir noch am sichersten aufgehoben.«
* Nach Karsjanors übereiltem Angriff glaubten Wortz und Jarsynthia bereits, jede Chance verloren zu haben. Die anderen Ma gier aus den Dunklen Tälern blieben zwar in der Nähe, aber sie waren stiller als vorher. Karsjanors Niederlage machte ihnen zu schaffen. Hinzu kam, daß Copasallior einge griffen hatte, der mächtigste aller Magier. Aber Copasallior blieb nicht lange, son dern kehrte zu seinen Höhlen am Crallion zurück, und Glyndiszorn unternahm einen zweiten Versuch, der einen vollen Erfolg verhieß. Damit waren die Voraussetzungen für einen neuen Angriff geschaffen. Jarsyn thia rief die Magier zusammen. Aber es stellte sich heraus, daß der Schock wohl doch recht kräftig ausgefallen war. Nur zwei Bewohner der Dunklen Täler
mochten ihre Kräfte zur Verfügung stellen, und ausgerechnet sie konnte die Liebesma gierin gar nicht gebrauchen. »Sie sollen uns abschirmen«, entschied Wortz. »Wir schaffen es alleine.« Jarsynthia war sehr skeptisch, aber dann erfaßte sie den hinterlistigen Plan des Le bensmagiers, und ihr silberhelles Lachen klang weit bis über die Ränder der Schlucht hinaus. Gemeinsam mit den anderen schirmte sie Wortz ab, und der Lebensmagier hob die dürren Arme. Drüben am Gnorden stöhnten die Magier auf, als sie den Ansturm einer fremden Kraft spürten. Dabei waren sie gar nicht das eigentliche Ziel dieser Kraftkon zentration. Viele Meter tiefer gab es im Geröll eine dicke Schicht von festen, ineinanderver schlungenen Pflanzensträngen. Antharia selbst hatte sie vor sehr langer Zeit wachsen lassen. Sie speicherten Feuchtigkeit und Wärme und waren eine Voraussetzung da für, daß es in dieser Höhe überhaupt noch ein halbwegs normales Pflanzenleben gab und sogar Fische in dem schwarzen See zu leben vermochten. Und genau dieses uralte Gewebe hatte Wortz angezapft. Wenn er es mit Menschen oder Tieren zu tun hatte, so beschränkte sich seine Magie darauf, deren Schicksal in eine von ihm be stimmte Richtung zu lenken. Nur in den sel tensten Fällen gelang es ihm, solchen Lebe wesen einfach jede Kraft zu stehlen. Bei Pflanzen war das etwas ganz anderes. Bin nen weniger Sekunden starben ein paar Qua dratmeter dieses Fasergeflechts ab. Das glä serne Gebäude sank etwas tiefer in den Bo den ein. Geräte klirrten und klingelten. Kri stalle prallten auf den Boden und zerspran gen. Und selbstverständlich riß die Verbin dung zum Schiff der Gewappneten ab. Antharia erkannte natürlich zuerst, was sich abspielte, und sie gab instinktiv alles andere auf, um das Gewebe unter dem Ge röll vor weiteren Zerstörungen zu bewahren. Dadurch wurde die Abschirmung weiter ge schwächt, und wahrscheinlich hätte das für
Jenseits von Zeit und Raum Koratzo und die anderen den endgültigen Untergang bedeutet, wären nicht die meisten Magier längst in ihre Dunklen Täler zurück gekehrt. So gab es nur ein verbissenes Ringen zwi schen Wortz und Antharia: Der Ausgang dieses Kampfes stand fest, und wenn es dem Lebensmagier gelang, das gesamte Wurzel werk zu vernichten, dann war eine Katastro phe unausbleiblich, denn Geröll und Schwerkraft würden den Gesetzen der Schwerkraft folgen, statt sich wie bisher von diesem Flechtwerk zurückdrängen zu lassen. Alle Gebäude in diesem Hochtal mußten zu gleiten beginnen und zerbrechen, und am Ende löste sich vielleicht sogar die ORSA PAYA aus ihren Verankerungen – Howath, Haswahu und Glyndiszorn starrten entsetzt nach oben und hofften, daß Wortz sich dar über klar war, welche Gefahr er heraufbe schwor, denn die Gondel des Luftschiffs war nach wie vor das Zentrum des Großen Kno tens, und nicht einmal Glyndiszorn selbst wußte, was geschah, wenn das Luftschiff jetzt davongetrieben wurde. Sie konnten nicht sehen, was drüben am Rand der Dunklen Täler geschah. Längst wußten alle hohen Magier, was gespielt wurde, und wenn auch die meisten der Meinung waren, daß es sinnlose Kraft verschwendung war, zum Schiff der Ge wappneten vorzudringen, so paßte es ihnen doch nicht, daß Jarsynthia und Wortz sich nicht scheuten, ganz offen gegen die Gruppe aus der Tronx-Kette vorzugehen. Das heißt: Sie hätten es ihnen noch verzeihen können, wenn dabei nicht auch Glyndiszorn ins Spiel gekommen wäre, der aus allerlei Gründen zur Zeit für den Bestand der Barriere wichti ger war als sogar Copasallior selbst. Und so sah sich die kleine Gruppe um Wortz plötzlich einer Serie von völlig uner warteten und sehr heftigen Angriffen ausge setzt. Als erstes pfiffen kalte Winde vom Karsi on herunter, und Eisnadeln, mit Schnee und dicken Regentropfen vermischt, prasselten herab. Der Wettermagier selbst lenkte den
25 Donnerwagen die nördlichen Hänge des Ei stals entlang auf einen Gipfel, von dem aus er die Magier um Wortz erkennen konnte, und dann zuckten die Blitze aus seinem Speer, daß man meinte, die Welt solle unter gehen. Und doch konnte Breckonzorpf die Ma gier nicht in so große Schwierigkeiten brin gen, daß Wortz sein Vorhaben aufgeben mußte. Auch Parlzassels Riesenvögel waren allein relativ harmlos. Aber zu ihnen und Breckonzorpfs Schlechtwetterfront gesellten sich die Trugbilder des Traummagiers Kol viss, und Copasallior griff aus der Ferne nach den magischen Sperren um Wortz und Jarsynthia und riß sie in einer gewaltigen Anstrengung nieder, und viele andere Ma gier nutzten die Gelegenheit, auch ihre eige ne Macht zu demonstrieren – nicht einmal Karsjanor konnte einer solchen Herausforde rung widerstehen. Er war ohnehin wütend auf Wortz und Jarsynthia, denn er war der Ansicht, daß sein Angriff erfolgreicher ver laufen wäre, wenn diese beiden ihn unter stützt hätten. Trugbilder hüllten die beiden Magier ein, Donner und Blitz machten sie fast taub und blind, Hitze und bittere Kälte wechselten sich so schnell ab, daß sie kaum Zeit fanden, das eine oder das andere zu empfinden, Stei ne verwandelten sich in kristallene Fallen, die Gebeine uralter Bestien lösten sich knir schend aus dem Boden und erwachten zu gespenstischem Leben, die Riesenvögel stie ßen herab und streiften die Magier mit ihren harten Schwingen und scharfen Krallen, die Luft war erfüllt von kreischenden und heu lenden Geräuschen. Die Magier, die sich auf diese Weise aus tobten, waren mit so viel Eifer bei der Sa che, daß sie gar nicht bemerkten, wie Wortz und Jarsynthia sich stillschweigend absetz ten. Die Leidtragenden waren die wenigen Leute aus den Dunklen Tälern, die immer noch an diesem Hang ausharrten und nun keine Möglichkeit hatten, so schnell zu ver schwinden, wie es Wortz und die Liebesma gierin zu tun vermochten.
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Andererseits bekamen auch Glyndiszorn und die Freunde des Stimmenmagiers etwas von dem zu spüren, was die anderen Magier für diesen Kampf einsetzten. Immerhin hiel ten ihre Sperren, und das Gebäude sank kei nen Millimeter tiefer ein, weil Antharia das von ihr geschaffene Wurzelgeflecht fest in den Griff bekam. Als es vorbei war, konnte Glyndiszorn sich endlich wieder auf seine magischen Ge räte konzentrieren. Er atmete erleichtert auf, als er die richtige Zeitspur wiederfand. Und noch erleichterter war er, als Koratzo mit seinen Begleitern wie aus dem Nichts mitten im Raum erschienen. Neben ihnen hing eine seltsame Gestalt in der Luft – etwas über eineinhalb Meter groß und von Kopf bis Fuß mit Metall oder einem ähnlichen Material bekleidet: Es war ein Gewappneter. Rischa, die während des ganzen Kampfes sich, den Gefangenen und die Gefährten im Innern des Raumschiffs hatte halten müssen, löste mit einem tiefen Seufzer die magischen Bänder, und Haswahu sprang hinzu und fing sie auf, ehe sie der Länge nach zu Boden fal len konnte. Der Gewappnete kippte dem Knotenmagier direkt in die Arme. »Komischer Kerl«, murmelte Glyndiszorn und starrte mißtrauisch auf die braune Sicht platte im Helm. Auch jetzt konnte niemand erkennen, wie das Wesen aussah, das in der Rüstung steck te. Erkennbar war nur, daß der Gewappnete langsam zu sich kam.
5. Gebannt beobachteten sie den Fremden, und jeder versuchte auf seine Art, etwas über das Wesen in der Rüstung herauszu bringen. Die einzige Erkenntnis, zu der sie alle ge langten, war, daß dieses Wesen böse war. Diese Ausstrahlung war ungeheuer stark. Alles andere wurde von der metallenen Rü stung abgeschirmt. Der Gewappnete löste sich schwerfällig von Glyndiszorn und trat einen Schritt zu-
rück. Dann drehte er sich im Kreis. Seine Bewegungen waren langsam und eckig. Nachdem er alle Magier begutachtet hatte, blieb der Gewappnete stehen, und es schien, als starre er Glyndiszorn abwartend an. Der Fremde wirkte keineswegs überrascht. Ei gentlich hätte es einen Schock für ihn be deuten müssen, in dieser völlig fremden Umgebung zu sich zu kommen. »Also gut«, murmelte Glyndiszorn und winkte abfällig. »Gehen wir nach draußen. Hier drin kann mir der Bursche zu viel Un heil anrichten. Koratzo, ich bin gespannt, wie du dieses Wesen zum Reden bringen willst!« Koratzo lächelte amüsiert. Der Knoten magier hatte nicht bemerkt, daß die Vorbe reitungen zu einer Kontaktaufnahme bereits im Gange waren. Koratzo war nicht auf den Gebrauch herkömmlicher Sprachen ange wiesen. Ein lebendes Wesen mochte sich noch so still verhalten, es gab trotzdem Laute von sich – sehr leise, aber wahrnehmbare. Rhythmus und Intensität von Atemzügen und Herzschlägen lieferten dem Stimmen magier viele Anhaltspunkte darüber, wie ein fremdes Wesen sich seinen Artgenossen ver ständlich machte. Die Magier hatten auf ih rer langen Reise durch Zeit und Raum viele intelligente Lebensformen kennengelernt. Es gab Wesen, die ihre eigenen Gedanken in das Gehirn ihres Gesprächspartners proji zierten, und andere, die sich der Zeichen sprache bedienten. Der Gewappnete kannte eine echte Laut sprache, dessen war Koratzo sehr schnell si cher. Er erkannte es aus der Art, in der der Atemrhythmus sich änderte, sobald neue, überraschende Dinge für den Fremden sicht bar wurden. Diente ein Atemorgan nämlich ausschließlich der Versorgung eines Körpers mit dem ihm zustehenden Gas, dann reagier te dieses Organ rein vegetativ. Der Atem be schleunigte sich bei stärkerer Belastung, ver langsamte sich, wenn der Körper zur Ruhe kam, blieb aber innerhalb dieser Grenzen re gelmäßig. Der Fremde dagegen setzte mehr
Jenseits von Zeit und Raum mals zum Sprechen an, wie sich den unre gelmäßigen Atemzügen entnehmen ließ. Weitere Beobachtungen lieferten dem Stimmenmagier Hinweise auf die Ursprache der Gewappneten. Sie wich von den frühe sten Formen des Pthora stark ab, ließ sich aber gerade noch verstehen. Als Ursprache bezeichnete Koratzo jene Laute, auf die jedes Individuum einer be stimmten Art in gleicher Weise reagierte, auch wenn die Angehörigen dieses Volkes sonst ganz verschiedene Dialekte benutzten. Sobald sie die Kuppel verlassen hatten, verschloß Glyndiszorn die einzige Tür in der gläsernen Wand und vollführte dabei ver stohlen ein paar seltsame Gesten – offen sichtlich fürchtete er, der Fremde könnte bei der erstbesten Gelegenheit versuchen, an diesen Ort zurückzukehren und den Rück weg zu öffnen. Howath faßte den Fremden am Arm und führte ihn zu einem flachen Felsen. Er drückte den Gewappneten an den Schultern nach unten. Der Fremde verstand und setzte sich. Howath trat hastig zurück und musterte mißtrauisch seine Handflächen. »Diese Rüstung fühlt sich merkwürdig an«, sagte er leise. »Irgendwie kalt und feucht – auf jeden Fall unangenehm.« »Laßt mich mit ihm allein«, bat Koratzo. »Sei vorsichtig«, murmelte Antharia be sorgt. Sie betrachtete den Gewappneten mit unverhohlenem Abscheu und zog sich nur zögernd zurück. Koratzo wartete, bis Glyndiszorn und die anderen hinter den Resten der Säulen ver schwunden waren, dann wagte er einen er sten Versuch. Er hoffte, daß der Laut, den er ermittelt hatte, den Fremden davon über zeugte, daß Koratzo in Frieden mit ihm spre chen wollte. Um so überraschter war der Stimmenma gier über die heftige Reaktion, die er erziel te. Der Gewappnete sprang fast einen halben Meter hoch in die Luft, drehte sich noch im Fall herum und raste mit unerwartet hohem Tempo in Richtung auf den Gipfelhang des Gnorden davon. Koratzo war völlig ver
27 blüfft, und wahrscheinlich hätte der Fremde sich an den steilen Felsen den Schädel ein gerannt, wenn nicht Rischa im letzten Mo ment aufmerksam geworden wäre. »Schwierigkeiten?« rief Glyndiszorn mit beißendem Spott. Koratzo biß die Zähne zusammen und gab Rischa einen Wink. Die Feldermagierin ging langsam zu Koratzo zurück. Den zappelnden Fremden zog sie an ihren unsichtbaren Bän dern hinter sich her. »Warte«, befahl Koratzo, als Rischa ne ben ihm stand. »Ich denke, daß sich das Pro blem schnell lösen wird.« »Das will ich hoffen«, murmelte die Fel dermagierin deprimiert. »Lange kann ich ihn nämlich nicht halten. Sogar die Herren der FESTUNG waren mir sympathischer als dieser Kerl dort.« Koratzo antwortete nicht, sondern widme te sich erneut seinem Schützling. Und dabei stellte er überrascht fest, daß dieses Wesen höchst zwiespältiger Natur war. Es hatte zwei Ursprachen, von denen die eine – und offenbar ältere – fast ganz ver drängt worden war. Zufällig hatte Koratzo gerade sie zuerst erfaßt. Vielleicht lag es daran, daß der Gewappnete nach seinem Er wachen kaum zu einem vernünftigen Gedan ken fähig gewesen war und sich völlig auf seine Instinkte verließ. Diese jedoch emp fand er jetzt, wo er halbwegs bei Bewußtsein war, selbst als eine Bedrohung. Diese In stinkte und Urlaute hatten seiner Meinung nach gar nicht mehr vorhanden zu sein, denn man hatte sie ausgelöscht und etwas anderes an ihre Stelle gesetzt, und der bloße Gedan ke an vergangenes Wissen war ein Verbre chen, das mit dem sofortigen Tod bestraft wurde. Koratzo war zutiefst empört, als er die Zusammenhänge erkannte. Jetzt wußte er, warum die Ausstrahlung dieses Fremden so unsagbar böse war. In der hellblauen Rü stung steckte ein Wesen, dem man alle posi tiven Regungen genommen hatte. Er erkannte aber auch die Chance, die sich ihm bot. Offenbar hatte der Transport
28 durch Glyndiszorns Tunnel etwas in dem Fremden verändert. Der Gewappnete fing an, sich zu erinnern. Etwas von seinem alten Wesen kehrte zurück. Sonst hätte er auf Ko ratzos Kontaktversuch gar nicht reagieren dürfen. Er besann sich darauf, daß Rischa ziem lich erschöpft war, und versuchte es mit ei nem Sirren. Der Fremde wurde sofort ruhig. Koratzo lächelte zufrieden. Der Gewappnete hatte mehrmals selbst zu diesem Ton ange setzt, wohl in dem Verlangen, sich in Si cherheit zu wiegen. Von jetzt an konnte es nicht mehr schwer sein, den Kontakt zu ver tiefen und eine echte Verständigung zu er möglichen. Rischa spürte die Veränderung und ließ die magischen Bänder fallen. Der Gewappnete starrte auf den Boden und bewegte mißtrauisch die Füße. Dann hob er den Kopf. Obwohl seine Augen hin ter der braunen Scheibe unsichtbar blieben, wußte Koratzo, daß der Fremde ihn ansah. Behutsam baute er den Kontakt aus, reihte Laute aneinander, die dem Fremden gefielen und erreichte endlich den Punkt, an dem er über das Raumschiff und die Zeitverwer fung, den Planeten und die blaßrote Sonne und nicht zuletzt über die Gewappneten selbst sprechen konnte. Bei Einbruch der Dunkelheit rief Koratzo den Knotenmagier. »Was gibt es?« fragte Glyndiszorn unwil lig. Koratzo, der neben dem Gewappneten auf dem Felsen saß, sah lächelnd zu dem Kno tenmagier auf. »Er wird uns beschreiben, wohin man den weißhaarigen Fremden gebracht hat«, ant wortete er triumphierend. »Ist er sicher, daß er sich nicht irrt?« »Er kennt den Weg genau. Jeder Spercoi de weiß, wo der Tyrann Sperco zu finden ist.« »Das hört sich irgendwie vertraut an«, murmelte Glyndiszorn grimmig. »Tyrann, sagtest du?« »Es ist die treffendste Übersetzung für
Marianne Sydow den Ausdruck, den unser Freund hier be nutzte. Und du hast recht. Dieses Wesen na mens Sperco scheint auf eine ähnliche Wei se über sein Sternenreich zu herrschen, wie es die Herren mit Pthor gemacht haben.« »Dann ist es erstaunlich, daß der Fremde uns verraten will, wie wir an Sperco heran kommen.« Trotz der Dunkelheit bemerkte Glyndis zorn, daß es in Koratzos Augen drohend auf blitzte, und er winkte hastig ab. »Es geht mich nichts an«, murmelte er und wandte sich zum Gehen. »Es betrifft deine Magie. Komm jetzt.« Koratzo bedeutete dem Gewappneten, hinter Glyndiszorn herzugehen und folgte ihm dann. Er achtete darauf, daß der Kon takt auch nicht für den Bruchteil einer Se kunde abriß. Der Spercoide log mit Sicherheit nicht. Koratzo hätte es auf jeden Fall bemerkt. Andererseits war es wirklich merkwürdig, daß dieses Wesen, das so absolut auf den Tyrannen Sperco fixiert war, dem ihm frem den Magier bereitwillig alle Geheimnisse anvertraute. Gewiß, Koratzo besaß viele Möglichkeiten, jemanden zum Reden zu bringen, aber er hatte den Spercoiden abso lut korrekt behandelt. Gewaltanwendung lag dem Stimmenmagier ohnehin nicht, und er hatte auch darauf verzichtet, den Gewappne ten in irgendeiner Weise zu täuschen. Nach allem, was Koratzo über die Sper coiden erfahren hatte, war das Verhalten des Fremden alles andere als typisch. Der Ge wappnete hätte sich sofort auf die Magier stürzen müssen, denn jeder Fremdling, der nicht vom Tyrannen Sperco gezeichnet war, galt als Feind. Und wenn sich herausstellte, daß ein solcher Feind überlegen war, durfte kein Spercoide es zulassen, daß man ihn zum Gefangenen machte und ihn zum Verrat zwang. Er hatte sich darum auf der Stelle kompromißlos umzubringen. Koratzo wußte, daß er jedes Wesen, zu dem er mit Hilfe seiner Magie eine Verbin dung herstellte, in seinem Sinne beeinflußte, auch wenn er es gar nicht wollte. Aber das
Jenseits von Zeit und Raum allein konnte nicht die Lösung sein. Koratzo kam zu dem Schluß, daß es an dem doppelschichtigen Bewußtsein des Ge wappneten liegen mußte. Die friedliche Komponente wurde durch die Stimmenma gie soweit gestärkt, daß sie vorübergehend das Verhalten des Fremden bestimmte. Aber diese Antwort warf nur neue Fragen auf, denn da man dem Bewußtsein des Sper coiden alle friedlichen und positiven Be standteile radikal entzogen hatte, durfte es die zweite Komponente nicht geben, und auch alle Erinnerungen dieser Art waren ei gentlich für immer verloren. Koratzo dachte an die Pflanzen, die er in der Zeitverwerfung gesehen hatte, und an die betörenden Impul se, die diese schattenhaften Gewächse abge geben hatten. Waren sie für das Verhalten des Spercoiden verantwortlich? Oder lag es daran, daß Glyndiszorns Tunnel direkt in den magischen Knoten führte, der die Bar riere umschloß? Wurden die Spercoiden un ter anderem durch eine Art magischer Im pulse gelenkt, von denen dieser eine Fremde jetzt nichts spüren konnte? Koratzo erkannte resignierend, daß er all diese Fragen nicht beantworten konnte. Er wußte zu wenig über diese Wesen, kannte nicht einmal das Aussehen des Fremden.
* Glyndiszorn führte sie zu einer Höhle in der Gipfelwand des Gnorden. Koratzos Freunde blieben im Tal unter der ORSAPA YA. Sie wußten, daß der Knotenmagier ihre Anwesenheit nicht geduldet hätte. Es war schon erstaunlich genug, daß Koratzo ihn begleiten durfte. Der Stimmenmagier hütete sich dement sprechend, Glyndiszorn durch allzu neugie rige Blicke oder gar Fragen zu verärgern. Sobald sie den Eingang zur Höhle hinter sich gelassen hatten, leuchteten Kristallku geln auf, und federnde Transportfelder scho ben sich unter ihre Füße und rasten mit ih nen davon, in einen langen, gewundenen Tunnel hinein, der bald nach oben führte
29 und wenig später steil abfiel, so daß Koratzo schon nach kurzer Zeit nicht mehr wußte, wo er sich befand. Der Spercoide gab sich gelassen. Weder die gespenstische Beleuchtung noch die Transportfelder schienen ihn zu beein drucken. Selbst als ihre Geschwindigkeit so hoch war, daß es bei jeder Kurve schien, als müßten sie unweigerlich an den Felswänden zerschmettert werden, hing der Gewappnete ruhig im Griff der tragenden Felder. Seine Gelassenheit wurde dem Stimmenmagier beinahe unheimlich. Zwar vertraute er Glyn diszorn, aber diese rasende Fahrt erschien ihm doch recht riskant. Er wußte sehr gut, daß der Knotenmagier nur darauf wartete, daß Koratzo gegen das haarsträubende Tem po protestierte. Koratzo tat ihm den Gefallen nicht. Aber der Spercoide kannte weder die Fähigkeiten des Knotenmagiers, noch hatte er Gründe, berechtigte Beschwerden hinun terzuschlucken, weil sein Stolz es ihm gebot. Koratzo atmete heimlich auf, als sie einen hellerleuchteten Hohlraum erreichten und die Transportfelder sich zusammenzogen, langsamer wurden und schließlich ver schwanden. Glyndiszorn und der Spercoide wurden sanft abgesetzt, Koratzo dagegen hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren, weil sein Feld erstens verschwand, bevor seine Füße den Boden berührten, und weil es sich bis zum Schluß weiterbewegt hatte. Glyndiszorn starrte Koratzo mit düsterer Miene an. Der Stimmenmagier tat, als sei nichts vorgefallen, ging gelassen zu dem Gewappneten und schob ihn vor sich her zu dem Gerät, das im Mittelpunkt der Höhle stand. »Fangen wir an«, sagte er – und sorgte dafür, daß diese Worte eine stimulierende Wirkung auf einige Drüsen im Körper des Knotenmagiers ausübten. Der Trick wirkte trotz der Sperren, die Glyndiszorn vorsichts halber errichtet hatte. Das ohnehin rote Gesicht des Knotenma giers färbte sich noch dunkler, dicke Schweißperlen erschienen auf der breiten Stirn, in den Augen flackerte es, und über
30 die strähnigen, schwarzen Haare tanzten winzige blaue Flämmchen. Für ein paar Se kunden bot Glyndiszorn einen höchst seltsa men Anblick. Starr und steif stand er da und versuchte, die Kontrolle über sich selbst zu rückzuerobern. Koratzo sah sich nicht ein mal um, und der Spercoide merkte gar nicht, daß sich etwas Ungewöhnliches tat. »Na warte«, murmelte Glyndiszorn kaum hörbar. Er eilte den beiden anderen nach, und als er das Gerät erreichte, sah er Koratzo miß trauisch von der Seite an. Aber der Rebell aus der Tronx-Kette wirkte völlig ernst und schien sich nur für den Spercoiden und das Gerät zu interessieren. Glyndiszorn räusper te sich wütend und machte sich dann an die Arbeit. Der Spercoide konnte noch so viele Na men von Sonnen und Planeten nennen; das nützte den Magiern nichts, denn da sie keine Sternkarten hatten, konnten sie keine Ver gleiche anstellen. Das Verhältnis der Magier zur Raumfahrt war ohnehin nicht unproble matisch. Sie wußten, daß es Raumschiffe gab, die mit den Mitteln der Magie herge stellt und bedient wurden. Aber diese magi schen Schiffe gehorchten dann auch schon wieder anderen Gesetzen als denen, die den Spercoiden bekannt waren. Das betraf die Art des Antriebs, aber auch die Art und Weise, in der die Raumfahrer ihre Position und deren Veränderung feststellten. Die Magier hatten mit dem Pthora das in diesem Land übliche Meßsystem übernom men, weil es – sozusagen für den Hausge brauch – praktisch und einfach anzuwenden war. Man konnte damit unmißverständlich festlegen, wie groß, wie schwer oder wie alt ein Gegenstand war. Zum Bestimmen inter stellarer Entfernungen taugte dieses System nicht. Für diesen Bereich mußten sie auf ei gene Methoden zurückgreifen, und die er wiesen sich als unbrauchbar, als es galt, die Angaben des Spercoiden umzurechnen. Das hatte einen ganz einfachen Grund. Die Sper coiden benutzten die Zeit als unveränderli che Basis für ihre Berechnungen. Die Ma-
Marianne Sydow gier dagegen waren daran gewöhnt, den Faktor »Zeit« so zu verwenden, wie es ihnen gerade in den Kram paßte. Glyndiszorn vergaß über der Arbeit sogar, daß er mit Koratzo noch eine kleine Rech nung zu begleichen hatte. Das Gerät in der Höhle leistete ihm dabei gute Dienste. Ko ratzo hätte nur zu gerne einen Blick in die Innereien dieses scheinbar allwissenden Ka stens geworfen. Das einzige Teil, das ihm vertraut war, hing in einem Netz aus silbernen Fäden di rekt vor der Sichtplatte des Spercoiden. Es war ein Band aus einem Material, das der Stimmenmagier nicht kannte. Es war zu ei ner Art Oval gebogen, aber dabei war es noch um seine eigene Längsachse gedreht. Wäre ein kleines Insekt auf die Idee gekom men, auf der Innenseite des Bandes entlang zuspazieren, so wäre es – ohne jemals die Richtung gewechselt zu haben – auf dessen Außenseite angekommen. Ein solches Band prangte auch in leuchtenden Farben auf der Hülle der ORSAPAYA. Da Koratzo von den Berechnungen so wieso nichts verstand, beschränkte er sich aufs Zusehen. Glyndiszorn behandelte den Kasten, als wäre er ein lebendes Wesen. Zweifellos hat te der Knotenmagier die Kraft etlicher Jahre seines Lebens in dieses Gerät gesteckt. Es antwortete auf die Fragen des Knoten magiers, aber die Antworten waren schwer zu verstehen. Verwundert stellte Koratzo fest, daß sie zum Teil in der »alten« Sprache gegeben wurden, die die Magier gekannt hatten, ehe sie das Pthora erlernten. Er hatte nicht gewußt, daß überhaupt noch jemand diese Sprache benutzte. »So«, murmelte Glyndiszorn endlich. »Jetzt kannst du den Kerl reden lassen. Wenn es etwas zu übersetzen gibt, werde ich dich fragen, aber ich denke, daß wir auch so zum Ziel kommen.« Koratzo war erstaunt, aber er stellte noch immer keine Fragen. »Beschreibe den Weg zum Tyrannen Sperco!« forderte er den Gewappneten auf.
Jenseits von Zeit und Raum Glyndiszorn hörte diesen Satz in Pthora, der Spercoide dagegen vernahm ihn als eine Reihe von Lauten, die er einwandfrei ver stand. Der Spercoide gehorchte, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Die Stimme des Fremden entsprach seiner Ausstrahlung, sie klang unangenehm und aggressiv. Fast wäre Koratzo der Versu chung erlegen, diese Laute zu mildern, wie er es vorher schon getan hatte, aber ein sol ches Manöver konnte den Erfolg der Aktion zunichte machen. In seiner von knarrenden Lauten wim melnden Sprache erklärte der Spercoide ge nau, welchen Kurs man einschlagen und welche Entfernung zurücklegen mußte, um von dem Planeten Loors zum Sitz des Ty rannen Sperco zu gelangen. Koratzo verstand jedes Wort, und er er kannte, daß die Spercoiden sich allen Wahr scheinlichkeiten zum Trotz zumindest in ei nigen Dingen nach den Gesetzen der Magie richteten. Er merkte auch, daß der Fremde nicht den geraden Kurs zur Zentrumswelt kannte. Er beschrieb, wie man zu dem Stütz punkt gelangte, in dem er stationiert war, und wie es von dort weiterging, über drei, vier andere Planeten, ehe man endlich den Tyrannen Sperco erreichte. Koratzo sah Glyndiszorn fragend an. Er konnte sich nicht vorstellen, daß dem Kno tenmagier diese Schilderung genügte. Aber Glyndiszorn konzentrierte sich völlig auf seinen seltsamen Apparat, und Koratzo stell te verblüfft fest, daß das Gerät auf jedes Wort des Spercoiden reagierte. Es gab eine flache Kristallscheibe, auf der winzige Lichtpunkte erschienen, die anfangs unruhig umhertanzten, dann langsamer wur den und schließlich feste Positionen einnah men. Zwischen ihnen entstanden dünne Li nien, und Koratzo begriff, was Glyndiszorn in diesem Kristall sichtbar machte. Als der Spercoide seinen Bericht beendete, fand auch der letzte Lichtpunkt einen festen Platz. »Das sieht übel aus!« bemerkte Glyndis
31 zorn. »Wie meinst du das?« fragte Koratzo be unruhigt. Aber Glyndiszorn antwortete nicht. Er legte eine Hand auf die Kristallplatte und berührte mit der anderen das Netz aus Silberfäden. Gebannt verfolgte Koratzo, wie das seltsam gewundene Band zu glühen be gann. Es strahlte so hell, daß der Stimmen magier kaum noch hinzusehen wagte, und plötzlich löste sich ein hellblauer Lichtpfeil aus dem Netz und schoß von dem Gerät weg. Der Spercoide war instinktiv zurückge wichen. Zwischen ihm und Koratzo hing ein Lichtbalken in der Luft, der das silberne Netz mit einem schwarzen Fleck verband, der scheinbar aus dem Nichts erschienen war. »Das dachte ich mir«, murmelte Glyndis zorn und ließ die Hände sinken. »Es ist zu weit, Koratzo. Mit dieser Reise würdest du deinem Leben ein Ende setzen.« »Ich werde schon auf mich aufpassen«, antwortete Koratzo spöttisch. »Ich bin nicht so wehrlos, wie ich vielleicht aussehe.« »Du hast nicht richtig hingehört«, wider sprach Glyndiszorn ernst. »Ich weiß, was du mit deiner Magie anrichten könntest, wenn du aufhören würdest, immer nur an Frieden zu denken. Aber das ist deine Sache. Man kann niemanden dazu zwingen, sich das Maß an Macht zu nehmen, das ihm eigent lich zusteht. Jetzt geht es darum, daß du auf der Zentrumswelt des Tyrannen Sperco dei ne Magie nicht verwenden könntest.« Koratzo begriff schlagartig, was das be deutete. »Dann gibt es keine Möglichkeit, dem Fremden zu helfen«, murmelte er depri miert. »Nicht für uns Magier«, korrigierte Glyn diszorn. »Wohl aber für andere.« »Leider gibt es eben nur Magier in der großen Barriere von Oth«, sagte Koratzo traurig. »Das ist dein Problem«, erwiderte Glyn diszorn, und plötzlich klang seine Stimme wieder so abweisend, wie Koratzo es von
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früher gewohnt war. Der Knotenmagier tipp te den Spercoiden an, wischte mit einer Hand die Lichtgebilde weg und gab Koratzo einen Wink. Im nächsten Augenblick standen sie im Tal unter der ORSAPAYA. Der Himmel über den Bergen färbte sich bereits heller, in wenigen Minuten mußte die Sonne aufge hen.
6. Koratzos Freunde hatten es sich im Schutz einiger hoher Felsen gemütlich ge macht. Sie entbehrten nichts, wenn sie ein mal im Freien schlafen mußten. Antharia fand immer genug Moos, das sie zu weichen Polstern anschwellen ließ, und solange Has wahu zur Gruppe gehörte, drangen Wind und Kälte nicht in die Nähe der Magier vor – es sei denn, Breckonzorpf ließ eines seiner Unwetter los. Glyndiszorn stapfte schweigend und schlechtgelaunt zu seiner Transportröhre. Koratzo konnte sich lebhaft vorstellen, wel che Gedanken den Knotenmagier bewegten. Er hatte sich umsonst abgemüht, den Weg zur Zentrumswelt zu erkunden. Koratzo sah den Spercoiden neben sich, und plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Luscer«, sagte er, »ich mache dir einen Vorschlag. Sicher möchtest du wieder nach Hause kommen.« »Ein Spercoide hat da zu sein, wo Sperco ihn haben will«, antwortete Luscer gleich gültig. »Solange du mit deinen Freunden in der Zeitverwerfung festsitzt, kannst du Sperco in keiner Weise dienen!« Luscer schwieg. »Ich werde Glyndiszorn bitten, dich zur Zentrumswelt zu schicken«, sagte Koratzo beschwörend. »Für dich besteht kein Risiko, denn du bist kein Magier. Der Sitz des Ty rannen ist zu weit von Loors entfernt, und wenn einer von uns dorthin gehen wollte, so würde er auf einen Schlag seine magischen Kräfte verlieren. Das bedeutet den sicheren
Tod. Dir kann gar nichts passieren. Wir wer den mit dir in Verbindung bleiben, und du wirst für uns nach dem weißhaarigen Frem den forschen. Du weißt, wen ich meine. Es ist der Mann, den ihr bei den Brangeln ge funden habt, du mußt ihn doch gesehen ha ben!« »Du hast von ihm gesprochen. Ich kenne ihn aber nicht.« »Du wirst ihn erkennen, wenn er vor dir steht. Er dürfte das einzige Wesen seiner Art sein, der auf eurer Zentrumswelt herumläuft. Man hat ihn gefangengenommen. Ich bin si cher, daß man ihn dorthin gebracht hat. Er ist ein sehr wichtiger Gefangener für den Tyrannen Sperco.« »Nichts ist wichtig für Sperco«, wider sprach Luscer. »Sperco ist die Macht, nichts kann seinem Willen widerstehen.« »Das ist doch jetzt nicht wichtig«, wehrte Koratzo ärgerlich ab. »Wirst du meine Bitte erfüllen?« »Nein.« »Warum nicht?« »Ich gehöre nicht auf die Zentrumswelt. Nur ein Befehl des Tyrannen könnte mir das Recht geben, mich dort aufzuhalten.« Koratzo sah den Spercoiden ratlos an. Die Sturheit des Fremden irritierte ihn. »Hier in der Barriere kannst du nicht blei ben«, sagte er schließlich. »Es würde dir auch kaum gefallen. Du wärest sehr einsam. Ich weiß auch nicht, ob es gelingen wird, dich zu deinen Freunden in der TREUE zu rückzubringen. Es war schwer genug, dich herüberzuholen. Abgesehen davon ent spricht es sicher nicht deinen Wünschen, hilflos in diesem Raumschiff einem unbe kannten Schicksal entgegenzusehen.« Der Spercoide schwieg, und Koratzo seufzte. »Die Versetzung zur Zentrumswelt ist deine Chance zum Überleben«, versuchte er es noch einmal. »Mein Leben gehört Sperco«, antwortete der Gewappnete, und Koratzo spürte eine winzige Unsicherheit, die dem Fremden zu schaffen machte. Er schöpfte neue Hoff
Jenseits von Zeit und Raum nung. »Darum solltest du alles tun, um dein Le ben zu erhalten.« »So will es das Gesetz«, stimmte Luscer zögernd zu. »Dann ist doch alles klar!« rief Koratzo erfreut. Der Spercoide stand regungslos da. Sein blaßblauer Panzer glänzte im Morgenlicht. Die braune Sichtscheibe blieb undurchdring lich. Keine Geste verriet, woran der Fremde dachte. »Heute abend fangen wir an«, fuhr Korat zo fort. »Ich weiß, daß Glyndiszorn es schaffen wird. Mach dir keine Sorgen, Luscer, du wirst von dem Transport kaum etwas merken.« Der Spercoide gab keine Antwort. »Dort drüben kannst du dich ausruhen«, seufzte Koratzo endlich und deutete auf den Platz, an dem die anderen Magier die Nacht verbracht hatten. Sie waren inzwischen auf gewacht und zum See gegangen, um sich zu waschen und das Frühstück vorzubereiten. »Du wirst müde sein, und du brauchst deine Kräfte.« Luscer drehte sich schweigend um und ging mit eckigen Bewegungen zu den Fel sen, setzte sich schwerfällig ins weiche Moos und schien in die Ferne zu blicken. »Soll ich dir etwas zu essen bringen?« fragte Koratzo, der sich plötzlich der Tatsa che bewußt wurde, daß er die körperlichen Bedürfnisse des Fremden völlig übersehen hatte. »Und Wasser? Oder möchtest du Wein?« »Ich brauche nichts«, antwortete der Sper coide ruhig. Koratzo zuckte mit den Schultern und ging zu seinen Freunden. Er fühlte sich nicht müde. Allerdings war er sich der Tatsache bewußt, daß er das Schlafbedürfnis seines Körpers zwar unter drücken, aber nicht abschaffen konnte. Luscer war ein vergleichsweise umgängli cher Spercoide. Der Gedanke, daß der Frem de sich in den Händen der absolut gefühls kalten Artgenossen des Gewappneten be
33 fand, bedrückte den Stimmenmagier. Er ver suchte, sich in den anderen hineinzuverset zen. Der Fremde hatte Pthor gerettet – das stand für Koratzo fest. Und nun befand er sich irgendwo da draußen, weit entfernt von Pthor, noch weiter von seiner Heimatwelt, von allem abgeschnitten, was ihm vertraut war. Koratzo erschauerte. Er war davon überzeugt, daß er ein solches Schicksal nicht ertragen könnte. Die Söhne Odins kümmerten sich offen sichtlich nicht um das Schicksal dieses Man nes. Koratzo hielt es schon deshalb für seine Pflicht, alles zu tun, was dem Fremden hel fen konnte. Als Koratzo den See erreichte, hatte der alte Howath das Frühstück fertig. Der Stim menmagier setzte sich zu den anderen und berichtete, was sich in der Nacht ereignet hatte. »Du hättest ihm einfach einen Befehl ge ben sollen«, sagte Haswahu mißmutig, als Koratzo die Schwierigkeiten erwähnte, die es mit Luscer gegeben hatte. »Daran sind diese Wesen gewöhnt.« »Immerhin hat er eingewilligt«, antworte te Koratzo nachsichtig. Haswahu war im Grunde genommen sehr friedfertig, und er verabscheute jede Art von Gewalt, aber manchmal handelte und sprach er unbedacht. »Wir bekommen Besuch«, sagte Opkul plötzlich. »Das heißt – dieser Aufmarsch gilt wohl mehr dem Knotenmagier.« »Wer ist es?« »Eine ganze Meute, die von unseren lie ben Freunden angeführt wird«, erklärte Op kul grimmig. »Wenn das nur keinen Ärger gibt!« »Sie dürften noch von gestern genug ha ben«, meinte Torla gelassen. »Sicher wollen sie sich nicht schon wieder blamieren.« Sie sah Koratzo an und wartete auf seine Entscheidung. »Wir bleiben«, sagte der Stimmenmagier entschlossen. »Es geht uns nichts an, was die anderen hier wollen. Verhaltet euch ru hig und gebt ihnen keinen Anlaß, uns anzu
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greifen. Vergeßt nicht, daß wir uns in einem fremden Bezirk aufhalten. Glyndiszorn hatte schon genug Ärger unseretwegen.« Die anderen nickten zustimmend. Sie blieben am Ufer des Sees und beobachteten die Magier, die nacheinander ins Tal kamen und sich um die Transportröhre zur ORSA PAYA versammelten. Es handelte sich fast ausschließlich um die Bewohner der Dunklen Täler, und natür lich waren Jarsynthia und Wortz erschienen. Nur diese beiden waren zu Fuß, alle anderen ritten auf Yassels, auch wenn sie sonst ande re Transportmöglichkeiten bevorzugten. Glyndiszorn erlaubte es nicht, daß andere Magier mit ihren zum Teil sehr merkwürdi gen Wagen und Reittieren den Gnorden her aufkamen. Und es kam noch besser. Als die Versammlung vollständig war, trat Jarsynthia in die Transportröhre, und keine magische Sperre hielt sie auf, als sie langsam nach oben schwebte. »Er will ihr eine Blamage ersparen«, sag te Koratzo plötzlich. »Ich fürchte, sie weiß das nicht zu schätzen.« Gespannt warteten sie.
* Glyndiszorn hatte längst bemerkt, was da auf ihn zukam. Er ärgerte sich über die Un verfrorenheit der Magier. Natürlich war das Ganze eine Provokation. Sie fühlten sich be nachteiligt, weil er für Koratzo einen Weg geöffnet hatte, nachdem er andere Magier abgewiesen hatte. Sie waren nicht sehr glücklich in dem Großen Knoten. Leute wie Karsjanor brauchten ein Publikum, um sich selbst zu bestätigen, und Jarsynthia und Wortz nutz ten diesen Umstand für ihre Zwecke aus. Sie wollten mehr Macht, und die Aktivitäten des Stimmenmagiers gefielen ihnen schon gar nicht, denn sie mußten befürchten, daß Ko ratzo sich eines Tages doch eines Besseren besann und sich das nahm, was ihm zustand. Natürlich hatte Glyndiszorn auch schon
darüber nachgedacht, ob es überhaupt not wendig war, die Barriere noch länger von der Außenwelt abzuschließen. Die Herren der FESTUNG waren tot. Ko ratzo hatte ihm berichtet, wie und durch wessen Hand sie gestorben waren, denn Op kul hatte diese Vorgänge natürlich mit be sonderem Interesse beobachtet. Dem Kno tenmagier war das Schicksal der Herren ziemlich gleichgültig, und mit Odins Söhnen erging es ihm nicht anders. Aber er wußte natürlich, daß die neuen Herrscher von Pthor den Magiern nichts anhaben konnten, ob mit oder ohne den Großen Knoten. Und wenn er diese seltsamen Sperren öffnete, würden ihn die anderen endlich in Ruhe lassen. Glyndiszorn haßte nichts mehr, als diese ständigen Störungen. Aber die Zukunft Pthors war immer noch dunkel, und die letzten Ereignisse bewiesen, wie verletzlich dieses Land geworden war. Niemand wußte, ob nicht diese Spercoiden bald zurückkehrten und das vollenden, was sie vorher aufgegeben hatten. Sie besaßen mächtige Waffen. Außerdem stand noch lan ge nicht fest, wann und wie Pthor seine Rei se fortsetzen würde. Glyndiszorn wußte, daß die Mehrzahl der mächtigen Magier ihm in dieser Angelegen heit zustimmten. Es wäre bodenloser Leicht sinn gewesen, den Großen Knoten jetzt schon niederzureißen. Aber leider gab es eben auch genug ver bohrte Narren, die das nicht einsehen woll ten, und Karsjanor war wohl der Schlimmste von allen. Er beschloß, jetzt eine Entscheidung her beizuführen. Es verging kein Tag mehr, oh ne daß irgendein Magier ihm mit der Bitte in den Ohren lag, ihm einen Weg zu öffnen. Und was für Begründungen diese Leute an führten! Glyndiszorn hatte es satt, sich das Gejammere anzuhören. Er ließ die äußeren Sperren fallen, und als er feststellte, daß Jarsynthia sich zur Wort führerin gemacht hatte, gestattete er der Lie besmagierin sogar, in die Gondel der ORS APAYA hinaufzukommen.
Jenseits von Zeit und Raum »Wir verlangen, daß du uns nach draußen bringst«, sagte die Liebesmagierin, sobald sie in der Gondel stand. »Warum?« fragte Glyndiszorn scheinbar ruhig. »Das geht dich nichts an. Wir sind freie Magier, genau wie du, und wir sind dir keine Rechenschaft schuldig.« »Das sehe ich ein«, versicherte Glyndis zorn außerordentlich freundlich. »Wunderbar! Dann schlage ich vor, daß du mit uns reitest und deine Aufgabe er füllst.« »Von welcher Aufgabe sprichst du, Jar synthia?« »Du verstehst mich sehr gut. Du hast die sen Knoten geschaffen, der uns daran hin dert, nach draußen zu gehen. Also bist du verpflichtet, uns zu helfen.« »Wem zu helfen, Jarsynthia? Dir? Oder Wortz? Oder etwa denen da unten?« »Ich weiß, daß du sie verachtest«, sagte die Liebesmagierin ärgerlich. »Aber du soll test nicht vergessen, daß sie alle einen Rang haben, sei er nun hoch oder gering. Koratzo und seine Rebellen dagegen stehen außer halb unserer Gemeinschaft.« »Aha, jetzt kommen wir auf den Kern der Sache«, nickte Glyndiszorn spöttisch. »Ich erinnere dich nur ungern daran, aber Korat zo gehört zu den wenigen Magiern, denen es gelungen ist, dir eine Niederlage nach der anderen zu bereiten. Über seinen Rang soll ten wir darum besser nicht sprechen.« Jarsynthia – oder die Projektion, die sie geschickt hatte – wurde bleich vor Zorn. »Das wirst du bereuen«, zischte sie. »Entscheide dich, Glyndiszorn, aber beeile dich, denn meine Geduld hat Grenzen. Du machst dir diese Leute zu deinen Feinden, indem du die Rebellen unterstützt und gleichzeitig anderen Magiern die Hilfe ver weigerst.« »Ich habe niemanden bevorzugt«, erklärte Glyndiszorn gelassen. »Koratzo ging nicht nach draußen, sondern in einen anderen Knoten, und wer es ihm gleichtun will, soll seinen Willen haben. Was schert es mich,
35 wenn jemand sein Leben aufs Spiel setzt, um das Schiff der Gewappneten zu besu chen.« »Es könnte sein, daß wir dich beim Wort nehmen«, warnte Jarsynthia. »Viel Spaß dabei, Liebesmagierin. Zufäl lig habe ich gespürt, welche Impulse auf den Stimmenmagier und seine Begleiter einhäm merten. Ich öffne den Weg für jeden, der ihn benutzen will. Vielleicht gibt es dann bald ein paar Narren weniger in der großen Bar riere von Oth. Mir soll es recht sein.« Jarsynthia starrte ihn an, und Glyndiszorn spürte amüsiert, wie sie ihn zu packen ver suchte mit den geisterhaften Fängen ihrer magischen Kräfte. Sie hatte keinen Erfolg damit, konnte gar keinen haben, und das hat te sie auch gewußt. Daß sie es trotzdem ver suchte, war ihm Beweis genug, daß ihr die Argumente ausgingen. »Wir werden sehen, wer am Ende ge winnt«, sagte sie schließlich. »Der Kampf ist noch nicht entschieden, Knotenmagier.« Sie wollte sich umdrehen und zu ihren Freunden zurückkehren, aber sie prallte ge gen eine unsichtbare Mauer. Blitzschnell wirbelte sie herum. Glyndiszorn war aufge standen, und seine schwarzen Augen glühten drohend. »Es wird keinen Kampf geben«, sagte er. »Es sei denn, du legst es darauf an, gemein sam mit diesen lächerlichen Wichtigtuern aus der Gemeinschaft der Magier verstoßen zu werden. Der Beschluß wurde im Tal der Schneeblume gefaßt, Jarsynthia, und du weißt, was das bedeutet. Nicht ich habe zu entscheiden, sondern der Weltenmagier, und wenn ich einen Weg nach draußen schaffe, so wird Copasallior das Recht haben, ihn als erster zu benutzen, nicht aber Karsjanor oder ein anderer aus den Dunklen Tälern. Du pochst auf die Rangfolge – dann richte dich auch selbst danach!« Sie sah ihn voller Haß an, und als er sie freiließ, verschwand sie sofort. Diesmal machte sie sich nicht die Mühe, die Trans portröhre zu benutzen, um jemanden darüber hinwegzutäuschen, daß sie es vorzog, in
36 brenzligen Situationen selbst in Sicherheit zu bleiben und ein Trugbild vorzuschieben. Glyndiszorn hörte, wie die anderen sie unten mit Fragen bestürmten, und er lächelte verächtlich. Als ihm die Diskussion zu lange dauerte, baute er in aller Gemütsruhe seine Sperren auf und lachte lauthals, als er die Magier schimpfen hörte – sie selbst hatten noch nichts zu spüren bekommen, aber die Yassels mit ihren feinen Sinnen ahnten die Gefahr und stoben in wilder Panik davon. Einige Magier schafften es, auf den Rücken der Tiere zu bleiben, aber auch das war kei ne reine Freude, denn die Yassels kümmer ten sich in ihrer Angst nicht im geringsten darum, wohin ihr Reiter gebracht werden wollte. Jarsynthia und Wortz nutzten das Durch einander, um sich unauffällig vom Ort ihrer Niederlage zu entfernen. Die anderen Ma gier hatten genug damit zu tun, die Tiere einzufangen, in deren Satteltaschen sie Waf fen und Proviant gelassen hatten. Als es gegen Mittag endlich ruhig am Gnorden wurde, hörte man aus der Ferne das dumpfe Trommeln stählerner Hufe auf ge wachsenem Fels. »Copasallior kommt«, sagte Opkul. »Diesmal scheint es ein offizieller Besuch zu sein, sonst käme er wohl nicht auf Saisja angeritten.« Sie sahen unwillkürlich zum Crallion hin über, aber der Weltenmagier und das eiserne Yassel waren noch nicht zu sehen. Da gab es hinter ihnen plötzlich ein helles Glühen, das alle Schatten verdoppelte und schnell wieder verschwand. Koratzo saß Sekunden lang wie gelähmt da, dann sprang er auf, und die an deren folgten ihm. Sie hätten sich nicht zu beeilen brauchen, denn was geschehen war, konnten selbst die stärksten Kräfte der Magie nicht rückgängig machen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Luscer alleine zu lassen. Dadurch hatte er Zeit zur Besinnung gefunden. Außerdem war mit dem Ende des Gesprächs auch jene unterschwellige Beeinflussung erloschen,
Marianne Sydow die den Spercoiden vorher stets eingehüllt hatte. Wie dem auch sei – er hatte die Kon sequenzen gezogen. Luscer würde niemandem mehr etwas über Sperco oder die Spercoiden verraten. Er hatte seine Rüstung geöffnet, wie es sich für ihn gehörte, nachdem er erkannt hatte, daß er sich in einer hoffnungslosen Lage be fand. Und dann war er verglüht. Die Magier standen vor der leeren Rüstung. Luscer würde nicht für Koratzo zur Zen tralwelt seines Tyrannen gehen, um dort ei nem weißhaarigen Fremden beizustehen. Copasallior kam in das Tal geritten und hielt an, als er die Rebellen aus der TronxKette erreichte. »Ich sah, daß es Ärger gegeben hat«, sag te er. Seine Basaltaugen wirkten unheimlich, und der leichte Wind blähte das dunkle Ge wand auf und ließ es wie einen Schleier über Saisjas eisernem Rücken wehen. »Es wird Zeit, die Fronten zu klären. Ich werde Glyn diszorn bitten, mir den Weg zu öffnen, und den Söhnen Odins einen Besuch abstatten.« Koratzo nickte Opkul zu, und der junge Magier lächelte. »Sie erwarten deinen Besuch bereits sehn süchtig, Weltenmagier«, erklärte er. »Das heißt – zur Zeit halten sich nur die drei Brü der in der FESTUNG auf.« »Was ist mit Thalia?« fragte Koratzo überrascht. Lange bevor Thalia gezwungen war, we gen der Vernichtung ihrer Körpermaske ihre wirkliche Identität ihren Brüdern zu offen baren, hatten die Magier gewußt, was sich unter der mächtigen Rüstung verbarg. Sie hatten das Geheimnis gewahrt. Es ging sie schließlich nichts an, wenn die junge Frau wünschte, wie ein Mann behandelt zu wer den. »Sie hat die FESTUNG verlassen«, sagte Opkul nachdenklich. »Es ist schon eine Weile her, und ich habe sie aus den Augen verloren. Es war noch vor der Entführung des Fremden durch die Spercoiden …« Seine Augen bekamen den ganz speziel len Ausdruck, an dem man erkennen konnte,
Jenseits von Zeit und Raum daß Opkul seine Blicke über ganz Pthor schweifen ließ – und über den Rand hinaus, wenn es notwendig war. Die Magier verhiel ten sich still und warteten geduldig. Copa sallior saß regungslos auf Saisjas Rücken. »Sie steht vor dem Großen Knoten«, er klärte Opkul schließlich überrascht. »Es scheint, als hätte sie schon mehrere Versu che gemacht, in die Barriere zu gelangen. Ja, jetzt sehe ich ihre Spuren. Sie ist das erste mal ein kurzes Stück westlich von Panyxan gelandet und ist dann immer weiter an der Grenze entlang gezogen. Jetzt ist sie nörd lich der Dunklen Täler angekommen. Wahr scheinlich nimmt sie an, daß es irgendwo ei ne Lücke in dieser Sperre geben müßte. Sie sieht mir ziemlich verzweifelt aus.« »Was will sie von uns?« fragte Copasalli or mißtrauisch. »Gedanken kann ich leider nicht lesen«, antwortete Opkul gelassen. »Aber ich denke mir, daß ihre Brüder sie beauftragt haben, um jeden Preis einen Kontakt zu uns herzu stellen.« »Ich werde ihr helfen«, verkündete Copa sallior großzügig. »Ich werde ihren Brüdern sagen, daß ich durch Thalia auf die Proble me der Odinskinder aufmerksam geworden bin.« Als niemand ihm antwortete, trieb er Sais ja ärgerlich an und ritt bis an die Transport röhre heran. »Thalia und der Fremde waren oft zusam men, nicht wahr?« fragte Koratzo nachdenk lich. »Ich habe diskret weggesehen, wie es sich gehört«, antwortete Opkul spöttisch. »Erwarte also nicht, daß ich mit Einzelhei ten aufwarte. Aber ich denke, zwischen den beiden gibt es mehr als die Freundschaft zwischen Kampfgefährten.« Koratzo nickte. »Die drei Söhne Odins kann man nicht gerade als Freunde des Fremden bezeich nen«, überlegte er. »In ganz Pthor gibt es wohl nur drei Wesen, die etwas für ihn ris kieren würden.« »Den ehemaligen Berserker«, bestätigte
37 Opkul, »das Antimateriewesen – und Tha lia!« »Ja«, murmelte Koratzo und sah zur OR SAPAYA hinauf. »Unser Spercoide hat uns im Stich gelassen, und wir selbst sind nicht imstande, dem Fremden zu helfen, aber die se drei würden auf der weiten Reise keinen Schaden erleiden. Nun, Thalia dürfte bei ih rem nächsten Versuch nördlich vom Gnor den ankommen, genau da, wo wahrschein lich Glyndiszorn einen Tunnel für den Wel tenmagier schaffen wird. Wo stecken die an deren beiden, Opkul?« »Sie sind zur Senke der verlorenen Seelen unterwegs«, antwortete der Magier sofort. »Ich frage mich nur, wie du Glyndiszorn da zu bewegen willst, in diesem Fall mitzuspie len. Wenn Jarsynthia etwas merkt, wird sie dem Knotenmagier die Hölle heiß machen.« »Das wird sie ohnehin tun«, wehrte Ko ratzo ab. »Augenblicklich ist die Liebesmagierin sehr beschäftigt«, sagte eine lautlose Stimme mitten in Koratzos Kopf. »Kolviss!« stieß der Stimmenmagier überrascht hervor. »Wo steckst du?« »In meinem Heim«, antwortete der Traummagier. »Denkt nicht, daß ihr unbeob achtet seid. Alle vernünftigen Magier ärgern sich über das, was sich am Gnorden abspielt. Besonders Breckonzorpf ist sehr wütend auf Jarsynthia. Er hat ihr einen heftigen Schnee sturm auf den Hals gehetzt. Sie kann sich drehen und wenden, wie sie will, sie bleibt im Zentrum.« Die Gedankenstimme des Traummagiers produzierte ein schadenfrohes Kichern. »Jarsynthia ist ein Punkt«, murmelte Ko ratzo. »Glyndiszorn ein anderer.« »Du bist doch nicht etwa ratlos, Stimmen magier?« fragte Kolviss neugierig. »Warum versuchst du nicht, Glyndiszorn zu überre den? Das kannst du doch wohl!« An der ärgerlichen Reaktion der anderen erkannte Koratzo, daß alle den Traummagier hörten. Er selbst blieb ruhig. Es brachte ab solut nichts ein, wenn er sich provozieren ließ. Außerdem schien es, als wäre Kolviss
38 auf der Seite der Rebellen – und wenn es auch nur war, um Jarsynthia zu ärgern. Die Liebesmagierin war in der Großen Barriere nicht sehr beliebt. »Ich will ihn nicht überreden«, sagte Ko ratzo langsam, »sondern überzeugen, und das ist ein großer Unterschied.« »Besonders wenn man bedenkt, welch ein Starrkopf Glyndiszorn sein kann«, kicherte Kolviss. »Viel Glück, Koratzo!« Als der Stimmenmagier sicher war, daß Kolviss sich aus ihren Gedanken zurückge zogen hatte, nickte er den anderen zu. »Ich gehe hinauf«, entschied er. »Seid wachsam – für alle Fälle.« Er trat an die Transportröhre und fand den Weg nach oben frei – Glyndiszorn war also wenigstens nicht von vornherein gegen sei nen Plan eingestellt. Koratzo war sicher, daß der Knotenmagier bereits informiert war. Hier, in seinem eigenen Bezirk, konnte ihm so gut wie nichts verborgen bleiben. Als er die Tür zur Gondel aufstieß, sahen Glyndiszorn und der Weltenmagier ihm ent gegen. »Ich weiß, was du vorhast«, sagte Glyn diszorn düster. »Und ich werde dir helfen – unter einer Bedingung: Du bist verantwort lich für alle Folgen. Ich habe keine Lust, einen ständigen Kleinkrieg gegen deine Konkurrenten zu führen.« »Howath wird die Grenzen sichern«, ver sprach Koratzo, nachdem er sich alles noch einmal überlegt hatte. Er hatte nicht mit ei nem so schnellen Sieg gerechnet. Anderer seits war es ein gewisses Risiko, das er über nahm, und er hätte viel lieber zuerst mit sei nen Freunden darüber gesprochen. Aber wenn er den Knotenmagier zu lange warten ließ, änderte der womöglich seine Meinung. Im Notfall mußte eben Koratzo selbst die unbequeme Aufgabe übernehmen, Glyndis zorns Bezirk abzuschirmen, auch wenn seine Arbeit darunter litt. »Gut«, murmelte Glyndiszorn und sah zu Copasallior hinüber. »Bringst du uns hin? Dann sparen wir viel Zeit.« Copasallior schob sich eine Maske über
Marianne Sydow das Gesicht, und Glyndiszorn folgte seinem Beispiel. Nur Koratzo verzichtete darauf, sein Gesicht zu verbergen. Copasallior brauchte ihnen keine beson deren Anweisungen zu geben, denn die bei den anderen kannten die Risiken, die mit dieser Art des Reisens verbunden waren. Im ersten Moment wunderte sich Koratzo dar über, daß Glyndiszorn sich überhaupt auf dieses Unternehmen einließ, dann – als der Knotenmagier sich völlig darauf konzen trierte, Copasallior in keiner Weise zu be hindern – entdeckte er den Grund, und er hätte beinahe laut gelacht. Glyndiszorns Selbstbewußtsein schien leicht angekratzt zu sein – er hoffte inbrün stig, daß Koratzo im letzten Moment zu rückschreckte und damit Glyndiszorns Mut bewies. Natürlich tat der Stimmenmagier, als hätte er nichts bemerkt, und Glyndiszorn schwieg erbittert. Koratzo war daran ge wöhnt, mit anderen Magiern eng zusammen zuarbeiten, daher machte es ihm nichts aus, sich den Kräften des Weltenmagiers förm lich auszuliefern. Glyndiszorn mußte dage gen mühsam gegen zahlreiche Hemmungen kämpfen. »Seid ihr endlich soweit?« fragte Copa sallior ungeduldig. Er umfaßte Koratzo und Glyndiszorn mit je zwei Armen, die beiden anderen streckte er hoch in die Luft, schloß für einen Moment die Augen und baute da bei ein magisches Feld um sie herum auf. Schlagartig wurde es finster, dann wieder hell, und diesmal ragte eine undurchdringli che Nebelwand vor ihnen auf. Sie hatten die Grenze zur Außenwelt er reicht.
7. Jarsynthia fluchte schauerlich, als sie end lich den Bann des Sturmes abgestreift hatte. Das Tal der Nebel versank fast im Schnee. An der LORKI hingen meterlange Eiszap fen. Jarsynthias Wahrzeichen, eine goldene Harfe auf der Hülle des Luftschiffs, war un ter einem Eispanzer verschwunden.
Jenseits von Zeit und Raum »Das wirst du mir büßen«, stieß sie end lich beinahe hilflos hervor und schüttelte die Fäuste gen Westen, wo Breckonzorpf am Hang des Karsion in seiner Schadenfreude schwelgte. Sie entschied sich, das Tal so zu lassen, wie es war. Der Schnee konnte sich nicht lange halten. Für den Abfluß des Schmelz wassers war gesorgt, und Jarsynthia konnte so gut wie nichts tun, um die natürlichen Prozesse zu beschleunigen. In dieser Situati on war sie heilfroh, daß es Wortz gab, auch wenn sie dessen düstere Höhlen am Hang der Töpferschnecke nicht gerade als einen gemütlichen Unterschlupf betrachtete. Diesmal verließ die wirkliche Jarsynthia das Tal, aber wer sie sah, erblickte immer noch ein Trugbild, mit dem sie ihren Körper umgab. Sie schwang sich auf eines ihrer Yassels und trieb das Tier wütend an. Es ra ste einen steilen, gewundenen Pfad hinunter, erreichte einen der neutralen Wege und flog beinahe mit donnernden Hufen nach We sten. Unterwegs streckte Jarsynthia vorsichtig ihre magischen Fühler aus. Sie spürte Widerstand von vielen Seiten. Unwillkürlich duckte sie sich tiefer über den geschwungenen Hals des Tieres. Wenn sie nicht bald einen durchschlagen den Erfolg gegen Koratzo erzielte, mußte sie sich auf ernstzunehmende Schwierigkeiten gefaßt machen. Selbst die Magier aus den Dunklen Tälern wagten es bereits, über Jar synthia zu spotten. Aber da entdeckte sie etwas Interessantes. Am Gnorden hatte sich etwas verändert. Die ORSAPAYA war verlassen. Und in der Gruppe der Rebellen vermißte sie die ver haßte Ausstrahlung des Stimmenmagiers. Jarsynthia zögerte nur einen Augenblick, dann zügelte sie das Yassel und sah sich mißtrauisch um. Niemand war in der Nähe. Zwischen dem Weg und dem Rand lagen die Reviere der kleinen, dunklen Männer, denen Jarsynthia schon längst klargemacht hatte, daß es nicht ratsam war, sich mit der Liebes magierin anzulegen. Sie würden es nicht wa
39 gen, aufzubegehren, auch wenn Jarsynthias Ansehen noch weiter sank. Außerdem waren diese Magier kaum fähig, sich über die Vor gänge außerhalb ihrer Bezirke zu informie ren. Auch von Norden drohte zur Zeit keine Gefahr. Zwischen diesem Teil des neutralen Weges und der Grenze zum Bereich der Tronx-Kette gab es nur schroffe, unbewohn bare Felsen und eine breite Geröllhalde, an dessen Fuß eine der tiefen Schluchten be gann, die früher von den Seelenlosen be wohnt wurden. Howath wachte nicht über seine Grenzen – Jarsynthia brauchte mit kei ner Störung zu rechnen. Vorsichtig lenkte sie das Yassel zwischen die Felsen, sah sich aufmerksam um und fand endlich ein Versteck, in dem niemand sie sehen konnte. Überhängende Felsen ver bargen sie sogar vor den Blicken der geflü gelten Diener Parlzassels. Natürlich gab es theoretisch immer noch die Möglichkeit, daß irgendein Magier sie durch einen dummen Zufall fand, aber dieses Risiko ließ sich nir gends in der ganzen Barriere vermeiden. Jarsynthia stieg ab. Das Yassel stand völ lig in ihrem Bann, sie brauchte sich nicht um das Tier zu kümmern. Die Magierin lehnte sich fest an die Felsen und ließ ihren Geist schweifen. Sie wagte es nicht, irgendeine Projektion einzusetzen, denn Koratzos Freunde waren vermutlich gerade jetzt au ßerordentlich wachsam. Aber sie fand ein Tier, ein großes Insekt, das sich unter einem Stein am Rande des Lagerplatzes verbarg. Die Sinnesorgane dieses Wesens reichten aus, um jedes Wort zu verstehen, das über ihm gesprochen wurde. Aber die Magier waren noch vorsichtiger, als Jarsynthia befürchtet hatte. Sie entdeck ten zwar weder das Tier noch den magi schen Fühler, aber sie saßen schweigend herum und machten nur selten nichtssagende Bemerkungen über unwichtige Dinge. Immerhin stimmte es – Koratzo war fort, wie Jarsynthia nun ganz deutlich spürte. Sie veranlaßte das Insekt, langsam unter dem Stein hervorzukriechen. Die Augen des
40 Tieres lieferten nur unvollkommene Bilder aus einer seltsamen Perspektive, aber als im mer noch niemand Verdacht schöpfte, ließ Jarsynthia ihren kleinen Spion auffliegen. Sie stellte fest, daß die Magier immer wieder nach oben sahen, zur ORSAPAYA, dann zog sie sich blitzschnell zurück, denn sie hatte deutlich einen verdächtigen Impuls empfangen. Wie aus weiter Ferne spürte sie den Nachhall von Howaths wütendem Schlag. Sie lachte schadenfroh und richtete sich unter den Felsen auf. Wo konnte Koratzo geblieben sein? Da auch Glyndiszorn verschwunden war, gab es nicht sehr viele Möglichkeiten. Hinzu kam, was der Knotenmagier über den Weg nach draußen gesagt hatte. Jarsynthia erin nerte sich, mit den Augen des Insekts ein metallisches Schimmern neben der Trans portröhre bemerkt zu haben. Sie konnte Saisja nicht direkt erfassen, aber sie kam zu dem Schluß, daß Copasallior keine Zeit ver loren hatte und vielleicht jetzt schon auf dem Weg nach draußen war. Wenn Glyndiszorn es wagen sollte, Ko ratzo gemeinsam mit dem Weltenmagier nach draußen zu bringen … Tatsächlich! Dort standen sie, alle drei, auf gerader Linie nördlich vom Gnorden, an der inneren Grenze des Großen Knotens. Eine ungeheure Wut stieg in Jarsynthia hoch, und erst im letzten Augenblick riß sie sich zusammen und verhinderte das sponta ne Entstehen einer Projektion. Noch waren Koratzo und Copasallior nicht hinter der Ne belwand verschwunden, und es schien, als würde es noch eine Weile dauern, bis Glyn diszorn einen Weg geschaffen hatte. In aller Eile suchte Jarsynthia nach einem Lebewesen, das sie als Spion einsetzen konnte, aber sie fand nichts. Die Tiere der Berge hatten sich noch immer nicht an die unheimliche Wand gewöhnt. So spürte sie zwar, daß sie eine vielversprechende Fährte gefunden hatte, konnte aber nichts Genaues über die Absichten der drei Magier erfahren. Kurz entschlossen zog sie sich zurück, schickte eine Projektion zum Hang der Töp-
Marianne Sydow ferschnecke und informierte Wortz. Danach schwang sie sich wieder auf das Yassel und jagte im wilden Galopp davon. Es war be reits Nacht, als sie die Grenze zum Bezirk des Lebensmagiers erreichte. Wortz erwarte te sie schon ungeduldig. Als Jarsynthia hör te, was an der Grenze geschah, lachte sie laut auf. »Diesmal werde ich siegen!« behauptete sie selbstsicher.
* Zum selben Zeitpunkt war Thalia wieder einmal bemüht, die rätselhafte Wand zu durchstoßen, hinter der die Berge von Oth verborgen lagen. Sie glaubte selbst kaum noch daran, daß sie jemals einen Weg finden würde, aber im merhin war ihr an diesem Nachmittag etwas Neues eingefallen. Als sie ratlos die Wand beobachtete, waren ihr zum erstenmal diese merkwürdigen Muster aufgefallen, und so fort hatte sie sich an das erinnert, was Atlan ihr über die ehemalige Eiszitadelle erzählt hatte. Wandernde, dunkle Felder – dort hatten sie etwas mit der Schwerkraft zu tun gehabt. Thalia konnte mit diesem Begriff nicht viel anfangen. Immerhin wußte sie aber, daß auch die Hindernisse rings um die Eiszita delle ein Werk der Magier waren. Warum sollte es also keine Zusammenhänge zu die ser Nebelwand geben? Zuerst hatte sie versucht, in eine dunkle Zone einzudringen und sich in ihr fortzube wegen. Das hatte nicht geklappt. Der umge kehrte Versuch brachte ebenfalls nichts ein. Da entsann sie sich, daß Atlan ausdrücklich betont hatte, nur des nachts sei es möglich gewesen, einen Weg durch die Fallen zu er kennen. Also wartete Thalia auf die Dunkelheit. Tatsächlich erkannte sie schon bald nach Sonnenuntergang hellere Zonen im Nebel, und obwohl sie am liebsten sofort losgerannt wäre, zwang sie sich zur Geduld. Atlans Warnungen klangen ihr noch zu deutlich in
Jenseits von Zeit und Raum den Ohren. Sie setzte sich auf den Rand ihres Zugors und beobachtete einen bestimmten Abschnitt der Wand. Leider konnte sie kein System in der Art und Weise erkennen, in der sich die leuchtenden Zonen bewegten. Schließlich gab sie es auf und schritt zögernd auf die Wand zu. Sie mußte es wohl wieder einmal aufs Geratewohl versuchen. Zum Glück war es anscheinend völlig un gefährlich, diese Wand zu berühren. Thalia streckte die Arme aus. Etwa einen halben Meter weit konnte sie in den Nebel hinein langen, dann stießen ihre Finger auf Wider stand. Es war keine harte oder glatte Fläche, die die eigentliche Grenze bildete, sondern eine watteähnliche Masse, von der man hätte meinen sollen, daß es leicht war, eine Lücke zu schaffen. Leider half auch rohe Gewalt nicht weiter, wie Thalia längst festgestellt hatte. Seitdem sie ihre Körpermaske verloren hatte, wirkte sie in ihrer Rüstung nicht gerade imponie rend, aber die verblüffenden Kräfte, die Tha lia ihrer Herkunft verdankte, hatten darunter nicht gelitten. Auch jetzt verlor sie bald die Geduld, weil das Leuchten doch stets außer Reichweite blieb, und schlug mit der Faust auf das Wattezeug ein. Als besonders demü tigend empfand sie es, daß die Wand diese Schläge weich abfing, ohne den geringsten Schaden zu nehmen. Wütend und vor Anstrengung keuchend trat sie zurück und sah nach oben. Die Wand schien sich bis in die Unendlichkeit zu er strecken und die fernen Sterne zu berühren. Thalia verstand dieses Phänomen nicht. Kein einziger Stern war durch den Nebel hindurch zu erkennen. Die Strahlen der fremden Sonne dagegen schienen die Wand ungehindert zu durchdringen. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zurück, in die FESTUNG und zu ihren Brü dern, aber auch zu Atlan, Razamon und Kol phyr. Sie hatte gemerkt, daß ein Angriff stattgefunden hatte, aber da nichts weiter ge schah, hatte sie sich nicht weiter darum ge kümmert und sich wieder ihrer Aufgabe ge
41 widmet. Wenn sie erfolglos zurückkehrte, so wür den ihre Brüder das nur als weiteren Beweis dafür ansehen, daß eine Frau in den Reihen der Kinder Odins eben doch nichts zu su chen hatte. Dabei würden die drei sich mit Sicherheit an diesem Problem ebenfalls die Zähne ausbeißen. Am äußersten Rand ihres Blickfeldes nahm sie ein fahles Glühen wahr, und das schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Sie drehte den Kopf – aber da war das Glühen schon wieder verschwunden. Langsam ging sie rückwärts und behielt die Wand im Au ge, bis sie gegen den Zugor stieß. Wieder blitzte es, und diesmal konnte sie die Rich tung deutlich erkennen. Sie stellte aber auch fest, daß sie noch ziemlich weit von der Quelle dieser Lichterscheinung entfernt war. Hastig sprang sie in die Flugschale, war mit einem Satz auf dem Instrumentenblock und schaltete das Triebwerk ein. Der Zugor erhob sich summend. Wachsam beobachtete sie die Wand, wäh rend die Flugschale nach Westen glitt. Tha lia wagte es nicht, das Tempo zu erhöhen, aus Angst, sie könnte den nächsten Blitz verpassen. Sie hoffte, daß das Licht auch wirklich etwas zu bedeuten hatte und nicht nur auf einen Zufall zurückzuführen war. Gleichzeitig rührte sich in ihr endlich wieder etwas von dem angestammten Glauben aller Odinskinder, daß keiner von ihnen auf die Dauer erfolglos bleiben konnte, wenn er sich nur genug Mühe gab, ein Problem zu bewäl tigen. Da kam der dritte Blitz, diesmal viel hel ler. Der Zugor schwebte gerade über einen Hügel, und Thalia sah ganz deutlich die Stelle im Nebel, die nach dem Lichtaus bruch noch lange nachglühte. Sie setzte den Zugor wenige Meter von diesem Punkt ent fernt auf sandigen Boden, sprang hinaus und rannte zur Wand. Erst als sie den Fleck fast berührte, kam ihr zu Bewußtsein, daß ihr Vorhaben möglicherweise nicht ganz unge fährlich sein mochte. Hastig wich sie ein Stück zurück und wartete ungeduldig darauf,
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daß irgend etwas geschah. Ihre Geduld wurde auf keine harte Probe gestellt. Es dauerte nicht einmal eine Minu te, da blitzte es wieder, aber Thalia war nicht fähig, auf diese Erscheinung irgendwie zu reagieren. Sie verlor nämlich auf der Stelle das Bewußtsein. Als sie wieder zu sich kam, sah sie über sich Sterne und eine neblige Wand, und im ersten Augenblick glaubte sie, daß sich gar nichts verändert hatte. Dann erscholl ein schrilles Kichern, bei dem Thalia sich ent setzt aufrichtete. Sie sah einen blaßgoldenen Lichtfleck, der über die Flanke eines sehr hohen Berges tanzte. Jemand fluchte verbis sen, und das Licht verschwand. Thalia blick te halb betäubt umher. Sie erkannte, daß sie offensichtlich in der Barriere von Oth gelan det war. Nur wußte sie nicht mehr so recht, was sie hier überhaupt suchte. Sie hörte Schritte und drehte sich um – und dann war ihr zumute, als hätte schon wieder ein Blitz sie getroffen.
* Die drei Söhne Odins saßen in einem Raum im unteren Teil der Hauptpyramide. Draußen war es längst dunkel geworden. Die Leuchtplatten an den Wänden verbreite ten ein ungemütliches, diffuses Licht. Die Einrichtung war nüchtern und zweckbe dingt, und das einzige, was an diesem Raum zu den drei Männern paßte, war die Größe – man hätte in dieser Halle mühelos ein Tur nier veranstalten können. Sie fühlten sich keineswegs wohl hier, aber es gab immer wieder offizielle Dinge zu lösen, und sie scheuten sich, Abgesandte der Stämme und Städte von Pthor außerhalb der FESTUNG zu empfangen. Man hätte das leicht als Schwäche auslegen können. Darum waren sie immer wieder gezwungen, die Pyramiden zu betreten. Mit der Zeit wür den sie diese Räume verändern und ihrem eigenen Geschmack anpassen. Bis jetzt war ihnen wenig Zeit geblieben, sich um private Dinge zu kümmern.
Am Tage zuvor hatte eine Gruppe von Händlern aus Orxeya die FESTUNG er reicht und den Söhnen Odins ihre Aufwar tung gemacht. Es waren nicht die ersten Or xeyaner, und die drei wußten längst, daß die Händler keine Schwierigkeiten machen wür den. Aber sie hatten die Orxeyaner trotzdem empfangen, und diese hatten ihnen ein Ge schenk überreicht, um die neuen Herrscher von Pthor freundlich zu stimmen: Ein großes Faß mit Kromyat, dem schweren Beeren wein, den man nur in Orxeya kaufen konnte. Der Inhalt dieses Fasses war verantwortlich dafür, daß die drei Söhne Odins an diesem Abend ausnehmend gut gelaunt waren. »Eigentlich fehlen nur noch die Magier«, sagte Sigurd zu vorgerückter Stunde und deutete auf die Landkarte, die vor ihm auf dem Tisch lag. »Alle anderen Gruppen wa ren schon bei uns. Ich fürchte, unsere Schwester hat versagt. Sonst wäre sie längst zurückgekehrt.« »Um alles muß man sich selbst küm mern«, murmelte Balduur düster. »Kopf hoch!« befahl Heimdall und schenkte Wein nach. »Wir schaffen das schon. Das Schlimmste haben wir hinter uns.« »Hoffentlich kehren die Spercoiden nicht zurück!« seufzte Balduur. »Unsinn«, rief Sigurd energisch. »Ich bin sicher, daß sie es nur auf diesen Atlan abge sehen haben. Er hat sie schließlich angegrif fen und eines ihrer Schiffe vernichtet …« »Das war der Berserker«, korrigierte Bal duur. »Woher sollen die Spercoiden das wis sen? Sie haben den Angriff eingestellt, nach dem Atlan den Wölbmantel durchstoßen hatte, und sie sind mit ihm davongeflogen.« »Meinetwegen«, murmelte Balduur. »Streitet euch nicht«, empfahl Heimdall. »Denkt lieber darüber nach, wie wir Odin zurückholen können. Hoffentlich schaffen wir es überhaupt ohne Thalia. Sie gehört trotz allem zu uns.« »Das Gefühl scheint Odin auch zu ha ben«, bemerkte Sigurd bissig. »Darum kehrt
Jenseits von Zeit und Raum er auch schleunigst um, sobald er sie in un serem Kreis entdeckt. Nein, wenn wir ihn je mals in seine alte Gestalt bringen, dann be stimmt nicht mit Thalias Hilfe. Dazu bedarf es stärkere Mittel. Ich denke da besonders an die Magier …« Balduur richtete sich plötzlich auf und blinzelte ungläubig. »Beim Geist der Stahlquelle«, stieß er hervor. »Große Macht haben deine Gedan ken! Oder liegt es am Wein?« Sigurd drehte sich schwerfällig um, und auch Heimdall war sekundenlang wie er starrt beim Anblick des Fremden, der wie aus dem Nichts erschienen war. Es war ein Mann, nicht besonders groß, sehr dünn, in ein wallendes, düsteres Ge wand gekleidet. Erschreckend waren die sechs Arme und das Gesicht, das von den übergroßen Augen beherrscht wurde. Diese Augen waren ausdruckslos, und sie sahen aus, als bestünden sie aus gebrochenem, dunklem Gestein. »Ein Magier«, stellte Sigurd endlich fest. Er raffte sich auf und trat dem Fremden entgegen. Der Magier rührte sich nicht von der Stelle. Man hätte ihn für eine Statue hal ten können. Aber als Sigurd ihm zögernd die Hand entgegenstreckte, griff der Magier blitzschnell zu. Sigurd spürte die unheimli che Kraft, und den entsetzten Schrei, der ihm in der Kehle saß, konnte er gerade noch unterdrücken. Als der Magier seine Hand freigab, wich der Pthorer hastig zurück. Er hielt sich nicht gerade, für einen Schwäch ling, aber diesem dünnen Fremden traute er in diesem Augenblick alles zu. »Ja«, sagte der Fremde und sah die drei Männer der Reihe nach mit seinen unheimli chen, starren Augen an. »Ich bin ein Magier. Mein Name ist Copasallior.« Die drei Männer erholten sich rasch von ihrem Schrecken. Seit dem Tod der früheren Herren hatten sie immer wieder versucht, einen Kontakt zu den Magiern herzustellen. Sie wußten, daß sie sich erst dann als die Herrscher von Pthor betrachten durften, wenn sie der Unterstützung der Magier si
43 cher waren. Dementsprechend viel lag ihnen daran, die Gelegenheit auszunutzen. Sie luden Copasallior ein, sich zu ihnen zu setzen und Wein mit ihnen zu trinken. Der Magier ließ sich nicht lange bitten. Da er einiges über die Söhne Odins wußte, tat er sogar so, als würde ihm der Kromyat schmecken. In Wirklichkeit trank er keinen einzigen Schluck von dem Zeug, denn er wußte, daß der Wein sich schlecht mit sei nen magischen Fähigkeiten vertrug. Copa sallior erinnerte sich mit Schaudern daran, wie er einmal an ein ähnliches Getränk gera ten war. Stundenlang war er auf einem frem den Planeten umhergeirrt, weil er sich im mer wieder an seinem Ziel vorbei transpor tierte. Als er endlich total erschöpft den Crallion erreichte, stieß er mit Glyndiszorn zusammen – und das war Glück im Un glück, denn der Knotenmagier schleppte ihn schweigend in die Höhlenwohnung, verjagte die diensteifrigen Seelenlosen und wachte über Copasallior, bis der Weltenmagier die Folgen seines Ausflugs überwunden hatte. Die Söhne Odins waren im übrigen bin nen kürzester Frist so tief in ihre eigenen Probleme verstrickt, daß sie auf Copasalliors Trinkgewohnheiten gar nicht mehr achteten. »Von Thalia erfuhr ich, daß ihr einen von uns Magiern sprechen wolltet«, begann Co pasallior. Er registrierte zufrieden, daß die drei Brüder wie unter einem Peitschenschlag zusammenzuckten, als der Name ihrer Schwester fiel. Um die Wirkung zu vertie fen, fuhr er fort: »Thalia wird übrigens vor erst in der Barriere von Oth bleiben. Sie hat sich bereiterklärt, uns bei der Lösung eines überaus schwierigen Problems zu lösen.« Die drei Männer sagten nichts. Sie muß ten diese Neuigkeit erstmal verdauen. »Ich bin gekommen, um eure Fragen an zuhören und – stellvertretend für alle Magier – zu beantworten, soweit das möglich ist.« Wieder war es Sigurd, der den Schock am schnellsten überwand. »Die Lage auf Pthor hat sich verändert«, sagte er gedehnt. »Die früheren Herren der FESTUNG …«
44 »… sind tot«, ergänzte Copasallior trocken. »Das ist uns seit langem bekannt. Wir haben den Kampf in allen Einzelheiten verfolgt. Wir wissen auch, was danach ge schah und wo wir uns jetzt befinden. Was uns – und wahrscheinlich auch euch – be schäftigt, ist die Frage, wie es um die Zu kunft dieses Landes bestellt ist.« »Wir werden über dieses Land herr schen«, sagte Sigurd angriffslustig. Er spür te, daß Copasallior weit mächtiger war, als er auf den ersten Augenblick geglaubt hätte, und das machte ihn wütend. Um so über raschter war er über die Reaktion des Ma giers. »Das ist gut«, sagte Copasallior nämlich. »Jeder hat schon die alten Prophezeiungen vernommen, und niemand in Pthor wird es wagen, sich gegen euch aufzulehnen.« Sigurd kniff mißtrauisch die Augen zu sammen. »Heißt das, daß auch die Magier uns un terstützen wollen?« fragte er. »Selbstverständlich«, versicherte Copa sallior. »Allerdings müßtet ihr uns garantie ren, daß wir auch weiterhin in Ruhe unseren Forschungen nachgehen dürfen.« Sigurd winkte ungeduldig ab. »Wir werden euch nicht stören. Aber ehe wir uns ausschließlich diesem Land widmen können, haben wir noch eine schwierige Aufgabe zu erfüllen. Weißt du, was ich mei ne?« Copasallior hätte Sigurd beinahe ausge lacht. Erstens gab es in Pthor praktisch nichts, was den Magiern hätte verborgen bleiben können. Zweitens waren diese drei Männer noch nicht einmal fähig, das Land in den nächsten Dimensionskorridor zu steu ern. Und doch benahmen sie sich, als wären sie schon jetzt die uneingeschränkten Herr scher in der FESTUNG. »Ihr wollt euren Vater in diese Welt zu rückholen.« »Es geht nicht darum, was wir wollen«, bemerkte Balduur tadelnd, »sondern was die Situation von uns verlangt.« »Nun, ich nehme an, daß ihr diese heikle
Marianne Sydow Angelegenheit selbst übernehmen werdet. Sicher wäre auch Odin nicht darüber erfreut, wenn Fremde an der Beschwörung teilnäh men.« Es gab eine unbehagliche Pause. Die drei Pthorer sahen sich betroffen an. »Du hast recht«, sagte Heimdall schließlich bitter. »Es ist weder für Odin noch für uns besonders angenehm – aber wir werden eure Hilfe brauchen. Unsere Kraft reicht nicht aus. Wir können Odins Bild heraufbeschwören und seinen Rat einholen, aber es ist uns noch im mer nicht gelungen, ihm in diese Welt hin überzuhelfen.« »Nur durch die gemeinsame Kraft seiner vier Kinder«, sagte Copasallior ernst, »wird Odin aus dem Reich der Schatten entkom men. Ihr werdet Thalia beteiligen müssen.« »Sie kann uns nicht helfen!« rief Sigurd verzweifelt. »Wenn es nach uns ginge … Wir wußten doch nicht, daß sie überlebte und der wirkliche Honir starb. Sie hat uns die ganze Zeit hindurch getäuscht. Aber das wäre nicht weiter schlimm. Notfalls könnten wir sie trotz allem akzeptieren. Das Problem liegt bei unserem Vater. Er mag sie nicht – und das war schon immer so. Wenn er ihre Anwesenheit spürt, zieht er sich zurück. Du siehst, daß es keine Rolle spielt, was wir von Thalia halten.« Copasallior wußte es besser, erkannte aber auch, daß er diesen drei Männern die Wahrheit niemals beibringen konnte. Die Vorurteile gegen Thalia steckten zu tief. Um sie zu beseitigen, hätte es der Kräfte einer Magie bedurft, die die innersten Gedanken eines Menschen sichtbar machte, so daß die Odinssöhne ihren Denkfehler selbst zu er kennen und zu beseitigen vermochten. Es gab einige Magier, die hätten helfen können. Aber erstens war Copasallior sich nicht sicher, ob sie sich zur Verfügung stel len und von Glyndiszorn aus der Barriere bringen lassen würden. Zweitens war anzu nehmen, daß die Söhne Odins gar nicht be griffen, warum sie Hilfe brauchten. Und drittens war Copasallior sich nicht im klaren darüber, ob es überhaupt ratsam war, Odin
Jenseits von Zeit und Raum in die Welt der Lebenden zu holen. Seine drei Söhne gaben relativ gutmütige Herrscher ab, auch wenn Copasallior schon jetzt die Ansätze einer Entwicklung erkann te, über die er nicht gerade begeistert war. Odin jedoch würde noch weit höhere An sprüche stellen. Er duldete niemanden neben sich, und so war es wahrscheinlich, daß er sich zum obersten Herrscher von Pthor auf schwang. Seinen drei Söhnen blieb dann keine andere Wahl, als das Land unter sich aufzuteilen und sich zu Lehnsherren ihres ei genen Vaters zu machen. Das bedeutete Un ruhe, vielleicht sogar Krieg, denn die Reich tümer dieses Landes waren sehr ungleich verteilt, und jeder der drei Brüder würde sich bemühen, den besten Landstrich für sich zu gewinnen. »Werden die Magier uns helfen, Odin zu rückzuholen?« fragte Sigurd drängend. Copasallior sah den Pthorer mit seinen merkwürdigen Augen lange an. Dann hob er eine Hand zu einer zustimmenden Geste. »Soweit es in unserer Macht liegt«, ver sprach er, »werden wir euch unterstützen.« Die anderen sahen nicht, wie zwei andere Hände des Weltenmagiers sich unter dem dunklen Gewand berührten. Copasallior ging kein Risiko ein. Er kann te seine Magier. Sie waren alles andere als hilfsbereit, und keiner würde sich an das Versprechen des Weltenmagiers gebunden fühlen. Für diesen Fall mußte er vorsorgen, denn sonst konnte die Rückwirkung dieser Notlüge äußerst unangenehme Folgen ha ben. »Wir haben nicht die Absicht«, begann Heimdall erleichtert, »die Bewohner von Pthor zu unterdrücken und auszubeuten, wie die früheren Herren es getan haben.« »Natürlich müssen wir verlangen, daß alle Völker und Städte uns in angemessener Weise Tribut zahlen«, fiel Sigurd hastig ein. »Aber ich denke, daß unter unserer Herr schaft Glück und Wohlstand wachsen wer den. Wir werden neue Gesetze erlassen, die unseren Untertanen mehr Spielraum für alle Unternehmungen lassen. Die Ebene Kalm
45 lech ist nicht länger den Horden der Nacht vorbehalten, dort können neue Städte entste hen, damit die Handelswege erweitert wer den. Du siehst, wir wollen wirklich nur das Beste für Pthor und seine Bewohner.« »Ja«, sagte Copasallior nüchtern. »Ich se he es ein. Aber was wird mit den Kampfdel los?« »Die meisten wurden während der Schlacht um die FESTUNG vernichtet«, ant wortete Sigurd zögernd. »Ein paar Dutzend gibt es noch«, grollte der Weltenmagier. »Ihr solltet nicht auf hal bem Wege stehenbleiben. Wenn ihr es wirk lich so gut mit den Bewohnern von Pthor meint, dann vernichtet die Dellos, ehe sie noch mehr Unheil anrichten können.« »Sie kämpfen nur auf Befehl«, sagte Heimdall ärgerlich. »Ihr werdet diesen Befehl geben«, be hauptete Copasallior grimmig. »Nicht jetzt, aber später.« Er wartete, aber die Söhne Odins gaben ihm keine Antwort. Der Weltenmagier seufzte. »Ihr werdet sie also behalten, obwohl sie eine Gefahr für den Frieden in diesem Land bedeuten. Nun gut. Wir Magier hätten zwar die Macht, die Vernichtung der Kampfdellos zu erzwingen, aber unsere Traditionen ver bieten es uns, uns in solche Dinge einzumi schen. Wird Pthor bald wieder auf die Reise gehen?« »Sobald wir genau wissen, wie das Land zu steuern ist, brechen wir auf«, versicherte Sigurd. »Und wohin?« »Es gibt Pläne für die Reise«, erklärte Balduur düster. »Nach ihnen werden wir uns richten. Wir können es uns nicht leisten, et was anderes zu unternehmen. Sicher steht Pthor unter Beobachtung, auch wenn wir nichts davon merken.« »Ihr wollt euch zu Handlangern der Schwarzen Galaxis machen?« fragte Copa sallior entsetzt. »Damit stellt ihr euch auf ei ne Stufe mit den früheren Herren der FE STUNG!«
46 »Das ist nicht wahr!« protestierte Sigurd. »Wir haben nicht die Absicht, fremde Wel ten zu verwüsten – wir könnten es gar nicht tun, weil uns die Horden der Nacht nicht zur Verfügung stehen. Wir dürfen es aber auch im Interesse aller Pthorer nicht riskieren, daß das Land zerstört wird, weil wir nur an uns gedacht haben. Sicher werden wir eines Tages herausfinden, wie wir uns jedem Ra cheakt aus der Schwarzen Galaxis entziehen können.« »Es gäbe schon jetzt eine gute Gelegen heit, dieses Land endlich einmal zu einem guten Zweck einzusetzen«, sagte Copasalli or. »Die Spercoiden haben uns angegriffen, und wir Magier kennen die Position der Zentralwelt der Gewappneten. Warum fliegt ihr nicht einfach dorthin? Ihr habt das Recht auf eurer Seite, denn die Spercoiden haben ohne jeden Grund die Feindseligkeiten er öffnet.« Die Odinssöhne antworteten nicht. Copa sallior erhob sich seufzend. Er war ent täuscht. Natürlich hatte er damit rechnen müssen, daß diese Männer lieber ihren kleinlichen Interessen nachgingen, als sich um die Wie dergutmachung uralten Unrechts zu küm mern. Trotzdem hatte er bis zuletzt gehofft, sie könnten sich zu einer verantwortungsvol leren Haltung durchringen. Nichts davon traf zu. Die Söhne Odins wollten herrschen, sonst nichts. Es war ihnen vielleicht gar nicht be wußt, welch ein Machtinstrument Pthor dar stellte, und wie großartig man das Land ge gen Wesen wie den Tyrannen Sperco ver wenden konnte. Sie würden nicht böswillig blühende Kulturen zerstören, sich aber auch nicht darum kümmern, welchen Schaden sie anrichteten. Copasallior hatte Koratzos Träume von einer ausschließlich positiven Magie und dem damit verbundenen hilfreichen Einsatz Pthors stets für irreal gehalten. Aber nach dem Fall der FESTUNG hatte er eine winzi ge Chance gesehen, daß diese Träume sich doch noch erfüllten. Copasallior hätte nie-
Marianne Sydow mals zugegeben, daß er in Gedanken weitge hend mit Koratzo übereinstimmte. An der starren Haltung der Odinssöhne zerschellte jede Hoffnung. »Ich muß mich verabschieden«, sagte er. »Wann werden die Magier die Sperre um die Barriere von Oth aufheben?« fragte Si gurd. »Ich weiß es nicht«, murmelte Copasalli or, der mit seinen Gedanken schon wieder weit weg von der FESTUNG war. »Darüber kann ich auch nicht entscheiden. Ich werde mich bald wieder melden. Wenn ihr einen von uns sprechen wollt, dann schickt einen Boten zum Fuß des Skolion – wir werden ihn rechtzeitig bemerken.« Copasallior hob zwei Arme. »Halt!« rief Sigurd und sprang auf. »So einfach lassen wir dich nicht gehen! Was ist mit der versprochenen Hilfe bei der Be schwörung Odins? Ich verlange eine Ant wort von dir!« Der Weltenmagier hörte ihn längst nicht mehr. Er materialisierte genau an der Stelle, an der er mit Glyndiszorns Hilfe den Großen Knoten verlassen hatte. Geduldig wartete er. Er wußte, daß Glyndiszorn seine Anwesen heit spürte und ihn in den Großen Knoten holen würde, sobald es ihm möglich war. Copasallior war sehr gespannt darauf, was Koratzo inzwischen erreicht hatte. Er wußte so gut wie nichts über den weiß haarigen Fremden, dem all die Mühe dienen sollte. Aber nach der enttäuschenden Unter haltung mit den Söhnen Odins wünschte sich auch Copasallior, daß jemand eingriff und für Veränderungen sorgte. Es war seltsam, daß kein Magier – nicht einmal Wortz oder Jarsynthia – auf die Idee kamen, selbst in die FESTUNG zu gehen und die Geschicke Pthors in die Hand zu nehmen. Sie hätten es gekonnt, jederzeit, und auch Balduur, Heimdall und Sigurd hät ten ihnen nichts anhaben können. Aber die uralten Gesetze waren den Magi ern längst in Fleisch und Blut übergegangen. Sie hatten ihr Leben den magischen Wis
Jenseits von Zeit und Raum senschaften gewidmet. Und dabei würde es auch bleiben, wenn nicht etwas ganz Außer gewöhnliches sie zwang, ihr Leben zu än dern.
8. Koratzo war so wütend auf Jarsynthia, daß er auf Thalia zunächst gar nicht achtete. Alles war so schnell gegangen, daß es kei ne Gegenwehr gab. Noch während Thalia in dem Tunnel steckte, den Glyndiszorn für sie und Copasallior geschaffen hatte, sandte Jar synthia ihre betäubenden Klänge aus, und Koratzo spürte genau, was die Liebesmagie rin damit anrichtete. Niemand konnte von da an noch etwas ändern. Selbst Koratzo mit seiner Stimmenmagie war in diesem Falle machtlos. Jarsynthia zog ihre Trugbildgestalt la chend zurück. Auch Glyndiszorn ver schwand durch eine seiner Falten. Koratzo war mit der Tochter Odins allein im verlassenen Landstrich am Rand des Großen Knotens. Ohne viel Hoffnung ging er zu Thalia hin über. Sie war gerade zu sich gekommen. Als sie zu ihm aufsah, wich Koratzo hastig zu rück. Thalia starrte ihn wie gebannt an, und ihre Augen leuchteten liebevoll. »Hör mir zu, Thalia!« sagte Koratzo be schwörend. »Wir haben dich in die Große Barriere von Oth geholt, weil nur du dem Fremden helfen kannst, den die Spercoiden verschleppt haben. Du kennst diesen Mann. Erinnerst du dich an ihn?« »Ja, ich glaube schon«, murmelte Thalia und strich sich über die Stirn, als könnte sie dadurch Ordnung in ihre Gedanken bringen. Für einen Augenblick verloren ihre Augen diesen verhängnisvollen Glanz. »Atlan – den meinst du doch, nicht wahr?« »Wenn das der Name des weißhaarigen Fremden ist, dann meine ich Atlan. Wie hei ßen seine beiden Freunde?« »Razamon«, antwortete Thalia wie im Traum. »Er gehörte zur Familie Knyr vom Taamberg. Der andere ist Kolphyr, ein For
47 scher vom Volk der Bera. Aber diese beiden sind im Auftrag meiner Brüder unterwegs zur Senke der verlorenen Seelen.« »Ich weiß. Thalia, die Spercoiden haben Pthor angegriffen. Atlan ist mit einem Zugor nach draußen geflogen. Der Angriff wurde daraufhin eingestellt, aber die Spercoiden haben Atlan an Bord genommen und sind mit ihm davongeflogen. Mit unseren magi schen Mitteln haben wir herausgefunden, wo der Tyrann Sperco sich aufhält. Ich bin si cher, daß man Atlan zu dem Tyrannen brin gen wird. Und wenn der alles von ihm erfah ren hat, was er über Pthor wissen will, wird man Atlan töten. Du weißt selbst, wie kalt und gefühllos die Spercoiden sind.« »Ja«, nickte Thalia nachdenklich. »Aber was hat das mit mir zu tun?« »Es wäre ein haarsträubendes Unrecht, wenn niemand den Versuch machte, Atlan zu helfen«, fuhr Koratzo fort. »Deine Brüder kümmern sich nicht um ihn. Ich würde selbst zu ihm gehen, aber aus bestimmten Gründen kann ich es nicht – es wäre mein Tod, und für Atlan könnte ich nichts tun. Kein einziger Magier kann zu dieser frem den Welt gehen. Der Weg ist zu weit. Wir sind an diese Berge gebunden. Aber dir wür de nichts geschehen, denn du brauchst die Kräfte nicht, die in diesen Felsen ruhen. Wirst du gehen? Wirst du Atlan helfen?« »Atlan?« Thalia runzelte die Stirn und legte den Kopf schief, als lausche sie einem weit entfernten Echo. »Ich kenne ihn kaum. Soll er doch für sich selbst sorgen! Wie kommst du überhaupt dazu, so etwas von mir zu verlangen? Wer bist du? Ich habe dich noch nie gesehen!« »Ich heiße Koratzo«, antwortete der Stim menmagier niedergeschlagen. »Und ich bitte dich darum, mir diesen einen Gefallen zu tun. Folge Atlan und bringe ihn zu uns zu rück.« »Ich kann nicht«, protestierte sie und trat einen Schritt auf Koratzo zu. »Verstehst du das denn nicht? Was verbindet mich schon mit diesem Atlan! Jetzt, da ich dich gefun den habe, ist mir alles andere egal. Bitte,
48 schick mich nicht weg. Wenn ich dich ver lassen muß, werde ich sterben.« »Das ist doch Unsinn! Thalia, du liebst Atlan, nicht mich. Alles, was du jetzt zu füh len glaubst, ist das Werk einer hinterhältigen Magierin. Du kannst dich aus dem Bann lö sen, wenn du es nur wirklich willst.« Thalia wollte nicht. Sie trat auf Koratzo zu und sah ihm in die Augen, und plötzlich breitete sie die Arme aus. Koratzo wandte sich zur Flucht. Er kannte sich in bergigem Land besser aus als Thalia, die sich kaum jemals von ih rem Abschnitt der Straße der Mächtigen ent fernt hatte. Geschmeidig glitt er über die Felsen und fand ein gutes Versteck, ehe Thalia auch nur die ersten zehn Meter über wunden hatte. Sie blieb ratlos stehen und sah sich um. »Warum läufst du weg?« schrie sie ver zweifelt, und Koratzo stellte erleichtert fest, daß sie keine Ahnung hatte, wo er sich ver steckt hielt. »Ich liebe dich doch! Komm herunter, Koratzo, ich bitte dich. Magst du mich denn überhaupt nicht?« Sie tat ihm leid. Ich hoffe, daß Jarsynthia mir bald einmal über den Weg läuft – in ihrer wahren Ge stalt, dachte Koratzo grimmig. Ich werde ihr einen Denkzettel verpassen, den sie so schnell nicht wieder vergißt! »Koratzo! Wo bist du? So antworte doch!« Sie würde es nicht verstehen. Sie konnte es gar nicht. Jarsynthia hatte Thalias Geist verwirrt. Die Tochter Odins hatte Atlan fast völlig vergessen. Und nun konzentrierten sich alle ihre Gefühle auf den Stimmenma gier – wie Jarsynthia es geplant hatte. Koratzo saß in einer Zwickmühle. Er würde das Gesicht verlieren, falls er sich von der Liebesmagierin übertölpeln ließ. Das war ein Punkt. Eine andere Frage betraf den Fremden namens Atlan. Koratzo wußte nicht genug über ihn, um beurteilen zu können, welche Vorstellungen er sich über so abstrakte Werte wie Liebe und
Marianne Sydow Treue machte. Der Stimmenmagier wollte sich um keinen Preis wegen einer so dum men Angelegenheit jede Möglichkeit zu zu künftiger Zusammenarbeit verbauen lassen. Andererseits war Koratzo nicht aus Stein. Er zweifelte daran, daß er der liebestollen Thalia lange standhalten konnte. Er spähte zwischen zwei Felsen hindurch und sah sie ein Stück weiter unten. Sie irrte immer noch umher und suchte nach dem Stimmenmagier. Sobald er sich zeigte, wür de sie jede Zurückhaltung vergessen. Koratzo seufzte abgrundtief. Mühsam konzentrierte er sich. Es gelang ihm, Thalia zu beruhigen und endlich sogar in tiefen Schlaf zu versetzen. Aufatmend kletterte er nach unten. Als er sich über Thalia beugte, hörte er Jarsynthias spöttisches Lachen. »Ich kriege dich noch, Koratzo! Denke ja nicht, daß du jetzt schon gewonnen hast. Der Kampf hat erst begonnen!« Koratzo ballte in hilfloser Wut die Hände. Er spürte den Wunsch, diese verdammten Laute zu formen und auf die Reise zu schicken, mit denen man Jarsynthia und ihr Luftschiff LORKI, das Tal der Nebel und al les, was die Liebesmagierin je geschaffen hatte, vernichten konnte. Er erschrak über sich selbst und riß sich mühsam zusammen. Mit einem solchen Racheschlag hätte er nichts gewonnen, im Gegenteil. Er setzte sich neben Thalia auf die Steine, starrte zum Himmel hinauf, dessen fremde Sterne hell funkelten, und wartete.
* Irgendwann im Lauf der Nacht erschien Glyndiszorn. Er ging schweigend an Korat zo vorbei, trat an die innere Wand des Großen Knotens heran und streckte die Ar me nach vorne. Von seinen Fingerspitzen lösten sich winzige gelbe Funken, die in den Nebel der Grenze sprühten und eine Bahn aus Licht bildeten. Copasallior erschien am Ende dieses Tunnels. Der Weltenmagier sah merkwürdig aus, als stünde er hinter einer
Jenseits von Zeit und Raum Kristallscheibe mit welliger Oberfläche. Aber jeder Schritt, den er tat, ließ ihn ver trauter wirken. Copasallior warf einen erstaunten Blick auf die schlafende Thalia, dann spürte er Jar synthias Bann. Er wandte sich ab und be richtete kurz von dem, was er in der FE STUNG erfahren hatte. Koratzo hörte schweigend zu. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, daß die Söh ne Odins einen neuen Kurs einschlagen wür den. Trotzdem war er enttäuscht. Am schlimmsten fand er es, daß sie tatsächlich Odin nach Pthor holen wollten. »Ich werde sie in diesem Punkt nicht un terstützen«, versicherte Copasallior. »Und ich werde auch keinem Magier empfehlen, diesen drei Narren zu helfen.« »Das brauchst du nicht«, bemerkte eine helle Stimme. Koratzo fuhr herum und starrte Jarsynthia haßerfüllt an. Die Liebesmagierin – oder vielmehr das Bild, das sie geschickt hatte – lachte laut. »Wir werden in die FESTUNG gehen«, erklärte sie. »Wortz, ich und noch ein paar Magier. Wir werden Odin zurückholen. In drei oder vier Tagen werden wir an diesem Ort auf dich warten, Glyndiszorn, und ich empfehle dir schon jetzt, einen Weg für uns vorzubereiten.« »Von mir aus kommt her«, gab der Kno tenmagier bissig zurück. »Aber rechnet nicht mit mir.« »Du weigerst dich also, uns nach draußen zu lassen?« »Wir werden diese Angelegenheit so re geln, wie es unseren Gesetzen entspricht«, mischte Copasallior sich ärgerlich ein. »Wir treffen uns in zwei Tagen am Crallion. Dann werden wir beraten, was geschehen soll.« »Das ist reine Zeitverschwendung«, fauchte Jarsynthia. »Du kannst die Meinun gen der führenden Magier auch anders er fahren. Ich habe keine Lust, wegen einer so einfachen Frage fast durch die ganze Barrie re zu reisen.« »Was macht es dir aus? Du kommst ohne
49 hin nicht persönlich. Meine Entscheidung ist gefallen.« Jarsynthia zog sich wütend zurück. Ob sie wollte oder nicht – sie mußte sich dem Wel tenmagier beugen. Copasallior konnte sich über diesen Sieg nicht freuen. Er wußte nur zu genau, daß Jarsynthia alles daransetzen würde, um ihr Ziel zu erreichen. Natürlich lag der Liebesmagierin überhaupt nichts an Odin oder dessen Söhnen. Ihr kam es einzig und allein darauf an, Copasalliors Position zu schwächen. »Unter den gegebenen Umständen wäre es besser, sie wieder nach draußen zu brin gen«, murmelte Glyndiszorn und deutete auf Thalia. »Dann bist du wenigstens vor ihr si cher.« »Sie hat die volle Dosis erwischt«, wider sprach Koratzo niedergeschlagen. »Wahrscheinlich würde sie sich nicht von der Stelle rühren und nur immer wieder ver suchen, die Wand zu durchdringen. Es wäre glatter Mord, sie in dieser Lage sich selbst zu überlassen.« Die beiden anderen Magier waren zwar nicht seiner Meinung, akzeptierten aber sei ne Entscheidung. Sie halfen ihm, Thalia zum Gnorden zu bringen und sorgten auch dafür, daß die Rebellen auf dem schnellsten Wege in die Tronx-Kette zurückkehren konnten. Dort, wo Howaths starke Sperren sie von al len Seiten umgaben, mochte es ihnen viel leicht gelingen, die Tochter Odins von dem unheilvollen Bann der Liebesmagierin zu befreien. Sie brachten Thalia in Koratzos Wohnhal le, obwohl Querllo allen Ernstes vorschlug, sie in einen der magischen Käfige zu sper ren, in denen Koratzo seine Versuchstiere zu halten pflegte – dort wäre sie ausbruchsicher untergebracht. Der Stimmenmagier konnte sich jedoch zu einer so brutalen Lösung nicht entschließen. Nachdem Copasallior und Glyndiszorn die Tronx-Kette verlassen hatten, kontrol lierte Howath die Sperren, und die anderen fanden sich auf dem Platz vor Koratzos Be hausung zu einer Beratung ein.
50 »Thalia fällt aus, bis wir sie geheilt ha ben«, stellte Antharia nüchtern fest. »Und ob uns das gelingt, ist zweifelhaft.« Für die Pflanzenmagierin war es gar nicht so einfach, sich mit der bloßen Anwesenheit der Odinstochter abzufinden. Sie witterte tausend Gefahren für Koratzo und übertrieb dabei maßlos. »Bleiben immer noch die anderen Frem den«, sagte Querllo beruhigend. »Die Frage ist nur, wie wir sie herbringen können.« »Auf jeden Fall müssen wir vorsorgen, damit es ihnen nicht wie Thalia ergeht«, nickte Haswahu. »Dieses Weib schreckt vor nichts zurück.« »Wenn Glyndiszorn mich nach draußen bringt«, überlegte Koratzo, »kann ich den beiden eine Nachricht zukommen lassen. Sie haben einen Zugor, dessen Sperrschaltung gelöscht ist, sind also nicht an die Flug schneisen der Technos gebunden. Sie kön nen auf geradem Wege von der Senke der verlorenen Seelen zur Barriere kommen. Ich werde draußen auf sie warten und sie von dort aus gegen den Einfluß der Liebesmagie rin abschirmen. Wenn ihr mir dann von in nen helft, kann kaum etwas schiefgehen.« »Wie sicher bist du, daß einer von den beiden das Risiko eingehen wird?« fragte Torla skeptisch. »Sie haben gemeinsam viele Abenteuer überstanden. Nie hat einer den anderen im Stich gelassen. Sicher wissen Razamon und Kolphyr noch gar nicht, was ihrem Freund zugestoßen ist. Sonst hätten sie sicher längst etwas unternommen.« »Trotzdem halte ich es für sehr wahr scheinlich, daß sie sich weigern, sich über eine so große Entfernung hinweg mitten in einen ganzen Haufen von potentiellen Fein den versetzen zu lassen«, sagte Haswahu. »Wir können ihnen nicht einmal mit gutem Gewissen sagen, daß das ganze Unterneh men überhaupt einen Sinn hat, denn wir wis sen nicht, ob Atlan noch lebt. Und was das Schlimmste ist – wir können ihnen nicht be weisen, daß wir sie zurückholen können. Sie müßten uns blind vertrauen. Ich fürchte, ihr
Marianne Sydow schätzt diese Fremden falsch ein. Du, Korat zo, hast die Abenteuer erwähnt, die sie mit einander erlebt haben. Wenn sie da heil hin durchgekommen sind, dann nicht nur, weil sie zusammengehalten haben. Eine gehörige Portion Mißtrauen allem Fremden gegen über gehört auch dazu.« »Das entspricht deiner Mentalität«, erwi derte Koratzo ohne jeden Spott. »Es gibt ge nug Hinweise darauf, daß Atlan und seine Freunde genau beurteilen können, wo Miß trauen nötig und wo es schädlich wäre.« »Streitet euch ruhig weiter«, bemerkte Opkul. »Aber findet euch damit ab, daß die beiden Fremden vorerst nicht zur Verfügung stehen werden. Es scheint, als hätten sie eine interessante Entdeckung gemacht. Sie haben ihr Ziel inzwischen erreicht. Vielleicht lösen sie sogar eines der wichtigsten Rätseln Pthors.« Die anderen sahen ihn überrascht an. »Die Schläfer!« flüsterte Antharia er schrocken. »Sie werden sie doch nicht etwa aufwecken?« Koratzo vergaß vorübergehend Thalia und die Liebesmagierin und sogar den Fremden namens Atlan. »Ich fürchte, sie werden genau das tun«, murmelte Opkul. »Wie stehen die Zeichen?« fragte Korat zo. »Schlecht«, sagte der andere Magier prompt. »Aber noch ist nichts entschieden. Ich werde sie weiter beobachten.« »Können wir nichts tun?« fragte Torla be klommen. »Leider nein«, murmelte Querllo. »Wir können nur warten.« »Und inzwischen landet Atlan vielleicht schon auf der Welt des Tyrannen Sperco«, sagte Koratzo niedergeschlagen. »Wenn ich doch nur besser aufgepaßt hätte!« Niemand antwortete ihm. Die Gipfel der Tronx-Kette leuchteten im Glanz der Morgensonne. Überall öffneten sich Blüten, und ganze Schwärme von bun ten Schmetterlingen erhoben sich in die Luft. Koratzo hatte für diese Schönheiten
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heute keinen Blick. Er dachte nur darüber nach, wie er Atlan allen Schwierigkeiten zum Trotz doch noch schnelle Hilfe zuteil werden lassen konnte. Er merkte nicht, daß Thalia hinter ihm aus der Wohnhalle kam. Mit leuchtenden Augen beobachtete sie den Stimmenmagier. Sie trug die Rüstung Honirs nicht mehr, sondern hatte sich in ein leichtes Gewand gehüllt, das sie in der Halle gefunden hatte. Sekun denlang stand sie ganz still, dann stieß sie einen Freudenschrei aus und rannte los. Ko ratzo drehte sich um und ergriff die Flucht. »Nun mach schon!« fauchte Antharia den Luftmagier Haswahu an. Der Atem des tiefen Schlafes tat seine Wirkung, und Thalia blieb betäubt auf dem
Weg zur Schlucht liegen. Mißtrauisch warte te Koratzo, bis die anderen die junge Frau weggeschafft hatten. »Wenn das so weitergeht, drehen wir noch alle durch«, murmelte Querllo. Den ganzen Tag über saß Opkul am Rand des Abgrunds und beobachtete, was Raza mon und Kolphyr in der Senke der verlore nen Seelen taten. Seine violetten Augen schimmerten geheimnisvoll. Was er zu se hen bekam, schien allerdings wenig erfreu lich zu sein.
E N D E
ENDE