DER ANTIKE ROMAN
BAND 19
VERÖFFENTLICHUNGEN des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie de...
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DER ANTIKE ROMAN
BAND 19
VERÖFFENTLICHUNGEN des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR HERAUSGEGEBEN VON
JOACHIM HERRMANN
DER ANTIKE ROMAN Untersuchungen zur literarischen Kommunikation und Gattungsgeschichte Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von HEINRICH KUCH
Mit 38 Abbildungen, davon 6 mehrfarbigen, auf 36 Kunstdrucktafeln und I Karte
AKADEMIE-VERLAG BERLIN 1989
Autorenkollektiv:
HEINRICH KucH
(Leitung),
RENATE ]oHNE, IsoLOB STARK, INNA
STREL'NIKov A, KuRT TREU
Powered by LATiNSCAN
ISBN ;-oj-ooon8-5 ISSN oz;8-;914
Redaktion : Dankwart Rahnenführer
Erschienen im Akademic-Vcriag Bcrlin, Leipziger Str. ;-4, Berlin, DDR- zo86 5 Akademie-Verlag Berlin 1989 Lizenznummcr: 202 · zoo/57/88 Printcd in the German Dcmocratic Republic GcsaQltherstellung: VEB Druckhaus "Maxim Gorki", Altenburg, DDR- 7400 Lektor : Wolf-Dieter Erfmt LSV 8o5; Bestellnummer: 754 8;5 6 (215;/ r9) c2Soo
P.
Inhalt
Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung. Theoretische Positionen, historische Voraussetzungen und literarische Prozesse. Von Heinrich Kuch
11
1. Zur poetologischen Sicht (u) 2. Antike und byzantinische Versuche zur Bestimmung des Romans (I3) 3· Gattungstheorie und Romanverständnis (I8) 4· Historische Voraussetzungen und Gattungsgeschichte (28) 5· Literarische Inspirationen aus anderen Gattungen (39)
Funktionswandlungen des antiken Romans. Von Heinrich Kuch 1. Der utopische Reiseroman (sz) 2. Der Abenteuer- und Liebesroman (63) 3· Weitere Romanausprägungen (72) 4· Gegenbild und Happy-End (?5)
Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans. Von Isolde Stark
82
1. Motive (82) 2. Das Raum-Zeit-Gefüge (87) 3· Handlungsführung (91) 4· Epische Mittel (94) 5. Die Erzählperspektive (97)
Der Realitätsgehalt des antiken Romans. Von Kurt Treu
107
1. Die Zeit der Romane (1o7) 2. Traditionslinien (109) 3· Grenzen des Realitätsbegriffs (1 10) 4. Elemente der Lebensnähe (u4) 5· Realität im Liebesroman (u6) 6. Roman und Wirklichkeit (u8) 7· Psychologische Wirklichkeitsnähe (123) 8. Zusammenfassung (124)
Petrens satirischer Roman. Von Inna P. Strel'nikova . Religiöse Elemente im antiken Roman. Von Isolde Stark . I. Geistige Voraussetzungen (135) z. Die Rolle des Schicksals (I40) 3· Charakter und Funktion ungewisser Vorausdeutungen (I41) 4· Die Bedeutung der Götter (144) 5. Religiöser Ursprung des antiken Romans? (I45)
Zur Figurencharakteristik im antiken Roman. Von Renate }ohne I. Personnage (I so) 2. Ein Vergleich mit den Figuren Menanders (I 53) 3· Zur Rolle der Frau in der Gesellschaft und im Roman (Iss) 4· Liebe als Zentralthema (I 59) 5· Zum Menschenbild im antiken Roman (I6I) 6. Zusammenfassung (In)
126
6
INHALT
Der antike Roman und sein Publikum. Von Kurt Treu I. Die Quellenlage (178) 2.. Der Autor und sein Publikum (x8o) 3· Das Bildungsniveau des Publikums (183) 4· Romaninhalte und Publikum (x86) 5· Romanpapyri und ihre Leser (189) 6. Anspruchsloseres Publikum? (192.) 7· Unterhaltung für gehobene Schichten (194) 8. Zusammenfassung (196)
Übersicht über die antiken Romanautoren bzw. -werke mit Datierung und weiterführender Bibliographie. Von Renate ]ohne
198
Abkürzungsverzeichnis
2
Literaturverzeichnis
2 33
Abbildungsnachweis (Zusammenstellung des Bildmaterials von Renate ]ohne)
236
Register
2 37
31
Vorwort
Der moderne Roman - er ist im vorliegenden Werk ein aktueller Bezugspunkt - kann auf jahrhundertelange Traditionen zurückblicken. Sie reichen, wenn die Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität beachtet wird, bis in die Antike hinein. In dieser Weise besteht zwischen dem antiken und dem modernen Roman ein historischer Zusammenhang, der indessen bedeutsame Vermittlungen aufweist, darunter vor allem die byzantinische Zeit und die europäische Romanliteratur des 16. und 17. Jh. In einem Prozeß vielfältiger und tiefgreifender Wandlungen hat sich der Roman ,,zur dominierenden Kunstform unserer Epoche" entwickelt, ja zur "repräsentativen Kunstform", wie es in einem Essay Thomas Manns aus dem Jahre 1939 mit dem Titel "Die Kunst des Romans" heißt. 1 Eine ähnliche Prägung begegnet bereits bei Georg Lukacs, der 25 Jahre vorher - in seinem 1914/15 "im Prozeß des Übergangs von Kant zu Hegel" geschriebenen Werk "Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik" 2 - den Roman als die "repräsentative Form des Zeitalters" bezeichnet hatte. 3 Inzwischen haben sich der Bericht und der Essay als Gattungen entfaltet, und es läßt sich ein Vordringen der Kurzgeschichte beobachten,4 ganz abgesehen von den elektronischen Medien. Es besteht jedoch kein Zweifel, daß dem Roman auch in unserer Zeit wesentliche Bedeutung zukommt, wenn er etwa als "Epos der modernen Literatur" verstanden wird. 5 Hier soll und kann nicht über den Roman des 20. Jh. reflektiert werden. In der Bewertung unterscheidet sich der moderne 1 2
3 4
5
Th. Mann, Gesammelte Werke, Bd. II: Altes und Neues. Kleine Prosa aus fünf Jahrzehnten, Berlin -Weimar 196s, 4S7-471; Zitate 467. G. Lukacs, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik, 3· Auf!. Darmstadt 196s; Zitat aus dem Vorwort ebenda 6. Ebenda 93· Vgl. D. Schlenstedt, Wirkungsästhetische Analysen. Poetologie und Prosa in der neueren DDRLiteratur, Berlin 1979, 2n. Der Roman, das Epos der modernen Literatur. Diskussion in der Zeitschrift "Woprossy literatury",' in: Kunst und Literatur 27, 1979, 602-619. Vgl. auch I. Seehase u. D. Endler (Hrsg.), Roman im Gespräch. Beiträge aus sechs sozialistischen Ländern, Halle-Leipzig 1980, wo u. a. untersucht wird, "welchen Beitrag der Roman zur Selbsterkenntnis der sozialistischen Gesellschaft leisten kann" (ebenda 7). N. Anastasjew u. A. Bucys, Ein Gespräch über den Roman, in: ·Kunst und Literatur 29, 1981, 839-846 ( Literaturnaja gazeta vom 10. 12. 1980). N. Anastasjew formuliert hier: "Der Roman ist eine sehr dehnbare und offene Form. Aber offen sein muß sie vor allem für die Wirklichkeit insgesamt, für das Leben in seiner gesellschaftlichen und menschlichen Einheit" (843). Vgl. auch R. Opitz, Krise des Romans? Drei Essays, Halle-Leipzig 1984.
8
VORWORT
Roman jedenfalls grundsätzlich vom antiken Roman, der in seinem Zeitalter eine vergleichbare Geltung innerhalb der Literaturgattungen nicht erreichen konnte, ganz davon zu schweigen, daß er in irgendeiner Epoche der Antike je dominiert hatte. Ohne repräsentativ für die antike Welt sein zu können, repräsentieren der griechische und der römische Roman wichtige Erscheinungen der antiken Klassengesellschaft und erweisen sich als ein integraler, fruchtbar weiterwirkender Bestandteil des Literaturprozesses. Mit seinen form-inhaltlichen Besonderheiten war der antike Roman ein literarisches Novum. Für die Bedeutung, die ihm in der internationalen Forschung in letzter Zeit verstärkt zugemessen wird, zeugen vor allem einige Gesamtdarstellungen. 6 Das vorliegende Buch untersucht den antiken Roman im besonderen unter den Gesichtspunkten der literarischen Kommunikation und Gattungsgeschichte. Dabei werden zunächst - nach der Behandlung theoretischer Fragen - die historischen Voraussetzungen und literarischen Prozesse analysiert, unter denen sich der antike Roman als Literaturgattung herausbilden konnte. Die Aufmerksamkeit gilt ferner seinen Funktionen, nicht zuletzt den Funktionswandlungen, sowie seinen Strukturen, Motiven, Formen. Wie sich die antike gesellschaftliche Wirklichkeit in der neuen Literaturgattung spiegelt, ist ein besonderes Thema. Die Eigenart des römischen Romans und seine realistischen Leistungen werden am Beispiel Petrons ausgewiesen. Ein weiterer Beitrag setzt sich mit religiösen Elementen des antiken Romans auseinander, die eine anhaltende lebhafte Diskussion hervorgerufen haben. Ausgehend von den Begriffen "reine" und "individualisierte" Typen, werden sodann an den Romanfiguren Möglichkeiten und Grenzen betrachtet, die der antike Roman für die Selbstbehauptung des Menschen erkennen läßt. Das bedeutsame Phänomen der Rezeption literarischer Werke hat auch in diesem Buch seinen Niederschlag gefunden, vor allem in dem Kapitel über das Publikum des antiken Romans. DeO: Abschluß bildet eine Übersicht über die antiken Romanautoren bzw. -werke, in der sich neben chronologischen und anderen informativen Angaben eine weiterführende Bibliographie findet. Aus der Vielschichtigkeit des Themas erklärt es sich, wenn in den Beiträgen der vorliegenden Untersuchung bei aller Übereinstimmung im Prinzipiellen mitunter zu Einzelfragen teilweise unterschiedliche Auffassungen vorgetragen werden. Griechische Wörter sind transkribiert, ihre Betonung gibt ein Akzent an. Die hier unternommene Behandlung des antiken Romans hat integrierenden Charakter. Sie konzentriert sich dabei indessen auf relevante Probleme, die für den Untersuchungsgegenstand in besonderem Grade aussagekräftig sind und die in der internationalen Diskussion eine Rolle spielen. Die Fragestellungen, die die Romanliteratur u Anticnyj roman, Verantwortlicher Redaktor: M. E. Grabar'-Passek, Moskva I969; E. Cizek, Evolu~ia romanului antic, Bucure~ti I970; C. Garcia Gual, Los origenes de Ia novela, 1. Auf!. Madrid I988; T. Hägg, Eros und Tyche. Der Roman in der antiken Welt, übersetzt von K. Brodersen, Mainz am Rhein I987 (Kulturgeschichte der antiken Welt ~6) (englische Ausgabe: Oxford I98J, schwedische Ausgabe: Uppsala I98o); G. Anderson, Ancient Fiction. Tbe Novel in the Graeco-Roman World, London-Sydney-Totowa!New Jersey I984; N. Holzberg, Der antike Roman. Eine Einführung, München-Zürich I986 (Artemis Einführungen .25). - Im Entstehen be-
griffen ist jetzt auch ein Lexikon zum griechischen Roman: F. Conca, E. De Carli u. G. Zanetto, Lessico dei Romanzieri Greci, Bd. I (A-r), Milano I98~; vgl. darüber F. Conca, Lessico dei Romanzieri Greci e frammenti papiracei, in: Atti del XVII Congresso Internazionale di Papirologia, Bd. I, Napoli I984, I5J-I54·
VORWORT
9
der Antike aufwirft, berühren sich nicht selten mit Problematiken des modernen Romans. So können die Ergebnisse des vorliegenden Buches auch für die Disziplinen der neueren Literaturen von heuristischem Nutzen sein. Für produktive Anregungen und Hinweise ist Prof. Dr. sc. Wolfgang Kirsch, Prof. Dr. habil. Ernst Günther Schmidt und Prof. Dr. habil. Jürgen Werner zu danken. Unser Dank gebührt ferner Prof. Dr. habil. Joachim Ebert, Prof. Dr. habil. Wolfgang Hering t und Prof. Dr. sc. Liselot Huchthausen. Im besonderen sind wir Prof. Dr. sc. Reimar Müller für fruchtbare Kritik und Förderung verbunden. Zu danken bleibt nicht zuletzt den Mitarbeitern des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR, die auf verschiedenen Ebenen an den förderlichen und sehr intensiven Diskussionen des Werkes beteiligt waren. An der Herstellung des Registers arbeiteten die Studenten Claudia Rieck und Martin Stiebert mit. Berlin, im Oktober 1986
Heinrich Kuch
Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung T heoretiscbe Positionen, historische Vorausset-zungen und literarische Pro-zesse Von HEINRICH KUCH
1.
Zur poetologischen Sicht
Die literaturwissenschaftliche Analyse des antiken Romans sieht sich nicht nur im Interesse eines reflektierten Selbstverständnisses, sondern auch aus Gründen des methodologischen Nachw:eises zunächst der Verpflichtung gegenüber, die eigene poetologische Position bei der theoretischen Durchdringung des Untersuchungsgegenstandes zu bestimmen. Auf der Grundlage der Erkenntnisse,: die die moderne Literaturtheorie erzielt hat, ergibt sich die Aufgabe, die literarischen Produktions- und Rezeptionsverhältnisse unter den jeweiligen konkreten historischen Bedingungen zu erschließen, die für die Entstehung und Entwicklung des antiken Romans relevant sind. In den Blick kommen damit die Dimensionen des Autors und des Lesers. Zu berücksichtigen bleiben aber zugleich die komplexen Zusammenhänge, die mit der gesellschaftlichen Umwelt des Autors und des Lesers gegeben sind. Es wärei verfehlt, etwa die Sphäre der literarischen Produktion zu verabsolutieren, wie es in der Literaturtheorie bei werkorientierter Sehweise nicht selten geschah. Ebenso verfehlt wäre es, die Sphäre der Rezeption einseitig hervorzuheben, was der Literaturwissenschaft in letzter Zeit des öfteren unterlaufen ist. Beachtet werden muß dagegen das Phänomen der "historisch-ästhetischen Ko"elation von Entstehung und Wirkung". 1 In der "Einheit von Entstehungs- und Wirkungsgeschichte" läßt sich der Prozeß erkennen, "in dem sich das ,Wesen' eines Werkes entfaltet". 2 Diese Sicht erfordert eine dialektische Synthese von Produktion und Rezeption unter Einbeziehung der Zirkulationssphäre. Das literaturtheoretische Modell, wie es Manfred Naumann, gestützt auf ein Kollektiv von Literaturwissenschaftlern der Akademie der Wissenschaften der DDR, für die modernen Literaturen überzeugend entworfen hat, 3 kann auch für die antiken Literaturen im allgemeinen, hier im beson1
2
:J
R. Weimann, Gegenwart und Vergangenheit in der Literaturgeschichte. Ein ideologiegeschichtlicher und methodologischer Versuch, in: Weimarer Beiträge 16, I 970, Heft 5, 3 1-57, Zitat 44; wiederabgedruckt und etwas erweitert in: Methoden der deutschen Literaturwissenschaft. Eine Dokumentation, hrsg. von V. Zmegac, Frankfurt a. M. I97I, 340-372. M. Naumann, Zum Problem der "Wirkungsästhetik" in der Literaturtheorie, in: M. Naumann, Blickpunkt Leser. Literaturtheoretische Aufsätze, Leipzig I984 (Rcclams Universal-Bibliothek I05o), I49-170, Zitate 164 (zuerst veröffentlicht Berlin I975 [Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Jg. I974. n]). Ebenda 156-168. Vgl. schon M. Naumann (Leitung und Gesamtredaktion), D. Schlenstedt, K. Barck, D. Kliche u. R. Lcnzer, Gesellschaft - Literatur - Lesen. Literaturrezeption in theoretischer Sicht, 3· Auf!. Berlin-Weimar I976 (I. Auf!. I973). Eine fruchtbare Weiterentwicklung des Widerspiegelungsgedankens auf dem Weg zu einer problemorientierten Theoriegeschichte
12
HEINRICH KUCH
deren für den antiken Roman, produktiv gemacht werden, soweit es die unterschiedliche Quellenlage zuläßt. Den Ausgangspunkt dieser literaturtheoretischen Konzeption bilden die dialektischen Beziehungen, die Karl Marx in der Einleitung zu den "Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie" zwischen Produktion und Konsumtion aufgedeckt hatte.~ Es wird vorausgesetzt, daß das literarische Werk "von der Weise seiner Produktion her eine bestimmte form-inhaltliche Qualität als Produkt" hat. 5 "Das Werk als Produkt ist jedoch keinesfalls in der Lage, seine ästhetische Potenz und seine in ihm gespeicherte Wirkungsintention von sich aus zu realisieren". 6 Nachdem es. vom Autor losgelöst ist, befindet sich das produzierte Werk, wie alle Produkte menschlicher Tätigkeit, in einem Zustand, den Marx "versachlichte Thätigkeit" nennt. 7 Es ist in diesem Stadium nur ein Produktouv6.(J.::L - so formuliert Marx -, also ein Produkt der Möglichkeit nach. Ein Produkt "der Wirklichkeit nach" wird es erst in der Konsumtion, "als Gegenstand für das thätige Subjekt", das das Werk auf diese Weise vollendet. 8 Erst in der Rezeption wird das Wesen des Werkes komplett. Das Wesen des literarischen Werkes entfaltet sich demnach in einem Prozeß, der die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte zu einer Einheit verbindet. Jene unlängst erzielten Ergebnisse haben die marxistische Literaturtheorie wesentlich bereichert. Der Neuansatz liegt in einer "kommunikationsästhetischen Sicht"9 , die auf das Beziehungsgefüge "Wirklichkeit - Autor - Werk - Rezipient - Wirklichkeit" gerichtet ist. 10 Die erreichten theoretischen Positionen lassen sich auch für die Untersuchung des antiken Romans fruchtbar machen, womit für die Interpretation ein dialektisches Literaturverständnis gewonnen ist. Es erscheint indessen nicht ganz leicht, Erkenntnisse, die auf der Basis der modernen Literaturen erzielt wurden, auf die antike Literatur anzuwenden, wenn die theoretischen Prämissen durch inhaltliche Aussagen über die spezifischen griechischen und römischen Untersuchungsgegenstände fundiert werden sollen. Die relativ bescheidene Quellenlage setzt da bestimmte Grenzen, so daß allzu zuversichtliche Erwartungen unbegründet sind, denn es fehlen die reichen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, die den modernen Literaturwissenbietet die folgende Kollektivarbeit: Literarische Widerspiegelung. Geschichtliche und theoretische Dimensionen eines Problems, Autoren: D. Schlenstedt (Leitung und Gesamtredaktion), K. Barck, B. Burmeister, M. Fontius, W. Klein, D. Kliche, H.-J. Lehnert, R. Lenzer, I. Münz-Koenen, K. Städtke, Berlin-Weimar 1981. Vgl. dazu .W. Reise, W. 1'\'Iüller, D. Posdzech, I. Szerdahelyi, H.-G. Werner u. D. Wittich, Literarische Widerspiegelung. Dokumentation eines Gesprächs, in: Weimarer Beiträge 30, 1984, 111-140. - Zur allgemeinen Herausbildung der Romangattung vgl. auch V. Kozinov, Proischozdenie romana. Teoretiko-istoriceskij ocerk, Moskva 1963. 4 K. Marx, Ökonomische Manuskripte I8j7/58. Text, Teil I,; in: K. Marx/F. Engels, Gesamtausgabe (MEGA), 2.. Abt., Bd. I, Berlin 1976; 17-45, bes. 2.7-3 I. Zur Entstehung und Überlieferung dieser Einleitung vgl. den Apparat, ebenda, Berlin 1981, 764-772.. 5 M. Naumann, Zum Problem der "Wirkungsästhetik" in der Literaturtheorie (vgl. Anm. 2), 163. 6 Ebenda. 7 MEGA, 2. Abt., Bd. 1 (vgl. Anm. 4), 28. 8 Ebenda. 9 R. Schober, Abbild - Sinnbild - Wertung. Aufsätze zur Theorie und Praxis literarischer Kommunikation, Berlin-Weimar 1982., 7· 10 Ebenda 8; vgl. auch ebenda 184. Vgl. M. Naumann, Abbild - Sinnbild - Wertung. Rita Schober zum 65. Geburtstag, in: Weimarer Beiträge 2.9, 1983, I86I-1869.
DIE HERAUSBILDUNG DES ANTIKEN ROMANS ALS LITERATURGATTUNG
I3
schaften zur Verfügung stehen. 11 Die Zirkulationssphäre der antiken Literatur etwa wird nur in groben Umrissen deutlich, da diesbezügliche Nachrichten spärlich gesät sind. Erhebliche Erkenntnisschwierigkeiten bereitet auch der gerade für den Roman so bedeutsame Bereich der Rezeption, und selbst für die Romanproduktion müssen angesichts der Quellensituation manche Fragen offenbleiben. Aber alle jene diffizilen Bedingungen können eine kommunikationsästhetische Interpretation des antiken Romans nicht verhindern.
z. Antike und byzantinische V ersuche zur Bestimmung des Romans Wer den Ursprüngen des antiken Romans nachgehen will, steht zunächst vor der Aufgabe, den Romanbegriff zu klären. Dabei ist wenig Förderung von den antiken Versuchen zur Bestimmung des Romans zu erwarten. Der antiken Asthetik gelang es nicht und sie hat sich offenbar auch nicht darum bemüht -, geschlossene Romantheorien zu entwickeln, von ersten theoretischen Ansätzen abgesehen, mit denen indessen oft erstaunliche Wege eingeschlagen wurden. Manche antiken Überlegungen zum Roman führten jedoch mit der Feststellung einzelner Romanelemente zu richtigen und beachtenswerten Teilergebnissen, die den modernen Erkenntnissen vorgearbeitet haben. Da es für die griechische und römische Welt nach dem Urteil der antiken Asthetik kein Romangenus gab, fehlte auch ein allgemein verbindlicher Terminus zur Bezeichnung der Romanwerke. Die Autoren sahen sich daher veranlaßt, jeweils eigene Prägungen zu erfinden, von denen indessen keine den Rang der Allgemeingültigkeit erreichen konnte, was im Hinblick auf den interpretierend umschreibenden Charakter der Formulierungen begreiflich wird. Diese Bemühungen, die Werke inhaltlich zu bestimmen, sind ein Ausdruck für die Selbstverständigung der Romanciers und zugleich für die Orientierung der Leser, deren Erwartungshorizont es zu berücksichtigen galt. Das lassen die folgenden Variationen erkennen. Chariton I, I, I : pdthos erotik6n ("Liebeserlebnis", "Liebesgeschichte"); Achilleus Tatios I, 2, 3: m[Jthoi erotikoi ("Liebeserzählungen"); Longos, Praefatio I: historia erotos ("Geschichte einer Liebe") und dazu ebenda 3; Antonios Diagenes bd Photios, Bibliotheke I 66, S. I I I a: komodia palairi ("alte Komödie"); Heliodor IO, 4I, 4: s[Jntagma ("Zusammenstellung"); Apuleius, Metamorphosen I, I, I: variae fabulae ("bunte Erzählungen") im sermo Milesitts ("milesischer Stil"). Dabei werden verschiedene Tendenzen deutlich. Die Artikulierungsversuche stützen sich einmal auf bekannte Begriffe, die in der Literatur in diesem oder jenem Zusammenhang bereits eine Rolle gespielt haben: pdthos, m[Jthos, s[Jntagma und natürlich die Liebe. Zum anderen knüpfen sie terminologisch an bereits existierende Gattungen an: historia, komodia, fabula. Die gewählten Formulierungen weisen auf den Inhalt der Erzählwerke. Aber das s[Jntagma Heliodors, seine "Zusammenstellung", seine literarische Anordnung, scheint auch auf den künstlerisch strukturellen Bau des Buches zu deuten, 11
Vgl. Funktion und Wirkung. Soziologische Untersuchungen zur Literatur und Kunst, hrsg. von D. Sommer, D. Löffler, A. Walter u. E. M. Scherf, Berlin-Weimar I978. Vgl. auch die empirisch-soziologischen und psychologischen Erhebungen bei B. Köpcczi, Idee, Geschichte, Literatur, Berlin-\x:'eimar I979, I90-2o8. Über die, Ergebnisse einer weiteren Leserumfrage vgl. J. Dawydow, Buch- Leser- Autor, in: Kunst und Literatur 31. r983, 602-621.
HEINRICH KUCH
der in der Tat in einem solchen Raffinement angelegt ist, daß das Werk im Kompositionellen alle anderen bekannten antiken Romane übertrifft. 12 Die Bemühungen der Autoren, den Roman einer Gattung anzunähern oder gar zuzuweisen, gingen in der Antike über den Kreis der Romanschriftsteller hinaus und setzten sich in Byzanz fort. Dabei werden gattungstheoretisch kühne Vorstellungen entwickelt. L'm 400 u. Z., also in der Spätzeit der antiken Romanliteratur, unternimmt der traditionalistisch eingestellte römische Philologe und Beamte Macrobius in seinen "Commentarii" ("Kommentare") zu Ciceros "Somnium Scipionis" ("Traum des Scipio") einen Versuch, den Roman theoretisch zu bestimmen (I, 2, 7 f.). Er ordnet den Roman zusammen mit der Komödie Menanders und seiner Nachahmer, wie es heißt, den fabulae ("Erdichtungen") zu, die erfreuen, ergötzen, schmeicheln ( mulcent). So konstruiert er ein eigenes Genus der "Erdichtungen": hoc ... fabularum genus (I, 2, 8), das streng von den fabulae ("Fabeln") Asops bzw. der narratio fabulosa (dem "fabulosen Erzählen") der Dichtung und Philosophie geschieden wird (I, 2, 9). Die Funktion jenes Genus, in dem sich Neue Komödie und Roman zusammengebracht finden, besteht für Macrobius ausschließlich in der Herstellung von Vergnügen (voluptas; vgl. I, 2, 7). Weil die so geschaffene Gattung allein Genuß verheißt (I, 2, 8: solas . .. delicias), lehnt sie der dem neuplatonischen Denken verpflichtete Macrobius ab. Als Beispiele für die Romanliteratur begegnen hier nur Petron und Apuleius. Übergangen wird die gesamte griechische Romantradition, obwohl sie, von der Zeit des spätantiken Kunstrichters an gerechnet, etwa 700 Jahre zurückreicht. Das Unbehagen, das Macrobius gegenüber dem besagten Genus von fabulae empfand, schloß indessen einige Bewunderung für Apuleius nicht aus (I, 2, 8: argumenta ... , quibus ... Apuleium non numquam lusisse miramur) ("Erzählungen ... , in denen ... Apuleius, wie wir bewundernd zugeben, manchmal seinen Scherz getrieben hat"). Die Bedeutung des Passus über den Roman liegt jedoch in einer Verallgemeinerung, mit der Macrobius in prägnanter Form wesentliche Komponenten der Romandichtung erfaßt hat, wenn er die Romangattung - in modernem Sinne verstanden - wie folgt umschreibt: argumenta fictis casibus amatorum referta ("Erzählungen, angefüllt mit fiktionalen Wechselfällen von Verliebten" I, 2, 8). 13 Mit dieser Aussage gelang es ihm, 12 Es überrascht, daß V. Hefti, Zur Erzählungstechnik in Heliodors Aethiopica, Wien 1950 (Diss. Basel 1940), 131, den Ausdruck s(jntagma für "nichtssagend" hält, obwohl er die "sehr bewußte formale Komposition der Aethiopica" herausstellt (114); vgl. ebenda 125: "Kunst der Kom-
13
position". Zu den antiken Romanbezeichnungen vgl. auch M. Gutu, ObservaW despre raportarea romanului grec Ia retorica anticl, in: Studii clasice 14, 1972, 129-140. Eine partielle Ahnlichkeit mit dieser Definition weist die Formulierung auf, die P.-D. Huet 1670 für den Roman fand: "des fictions d'aventures amoureuses, ecrites en prose avec art, pour le plaisir et l'instruction des lecteurs"; vgl. P. D. Huet, Traite de l'origine des romans. Faksimiledrucke nach der Erstausgabe von 1670 und der Rappelsehen Übersetzung von 1682. Mit· einem Nachwort von H. Hinterhäuser, Stuttgart 1966, 4 f. In die kritische Huet-Ausgabe von F. Gegou, Paris 1971, 46 f., ist diese Romanbestimmung in späterer, nicht unerheblich veränderter Fassung aufgenommen worden: "des histoires feintes d'aventures amoureuses ...", zitiert nach: R. Geißler, Romantheorie in der Aufklärung. Thesen und Texte zum Roman des 18. Jahrhunderts in Frankreich, Berlin 1984, 286 Anm. 1 5· Der veränderte Wortlaut hebt sich von Macrobius stärker ab in dem Bemühen, dem Roman durch "histoires" eine höhere Wertigkeit zu verleihen. In diametralem Gegensatz dazu steht das Vorgehen Julians, der den Roman nachdrücklich von der
DIE HERAUSBILDUNG DES ANTIKEN ROMANS ALS LITERATURGATTUNG
15
gattungsspezifisch Entscheidendes festzuhalten. Wenn argumentum hier als "Erzählung" verstanden werden kann, hätte der Autor einen richtigen Ansatzpunkt gewonnen. Mit Sicherheit ist in die knappe Formulierung die inhaltliche Fülle des Romans integriert (referta), und mit den "fiktionalen Wechselfällen" (fictis casibus) sind - wieder in komprimierter Form - die Fiktion und das abenteuerlich Wechselvolle als Grundelemente des Romans erkannt. Die Erwähnung der "Verliebten" (amatorum) wird einem Hauptthema des Romans gerecht. Anzumerken bleibt jedoch, daß der römische Roman, soweit sich sehen läßt, ein Liebespaar nicht in der Weise in den Mittelpunkt stellt wie der griechische Abenteuer- und Liebesroman, an den der traditionalistisch eingestellte Macrobius offenbar doch mehr dachte, als seine der römischen Romanliteratur entnommenen Beispiele vermuten lassen. Wenn es Macrobius wagte, Roman und Neue Komödie in eine11 Gattungssynthese zusammenzuschließen, so wies Kaiser Julian "der Abtrünnige" (361-363 u. Z.) der Romanliteratur eine gesonderte, ja eine diskriminierende Stellung zu. Er unternahm es, im Jahr 363 u. Z., den Roman von der Geschichtsschreibung zu scheiden (Briefe 89 b, S. 301 b). Die Romane seien "Fiktionen" (plasmata), diel für echte Geschichte ausgegeben worden seien. Mit der Bezeichnung erotikai hypotheseis ("Liebeserzählungen") führte er die Umschreibungen des Romaninhalts fort. Der konservativ gesinnte römische Herrscher, der die alten Götterkulte und gesellschaftlichen Normen neu zu beleben versuchte und dabei auf den ideologischen Positionen des Neuplatonismus stand, machte aus seiner Antipathie gegenüber der Romanliteratur kein Hehl. Diese Haltung verbindet Julian mit dem Traditionalisten Macrobius, der gleichfalls ein Anhänger des Neuplatonismus war. Macrobius verwirft die Romandichtung, wie sich zeigte, wegen ihrer Produktion von Genuß und ihrer Orientierung auf den Genuß, Julian sieht die historia sonderte (vgl. S. I s f.). Für die Gattungsgeschichte erscheint es bedeutsam, daß Huets Romanformel "über ein Jahrhundert lang als verbindliche Definition akzeptiert wurde", wie R. Geißler, ebenda I8 feststellt. Vgl. ferner ergänzend in diesem Zusammenhang G. N. Sandy, Classical Forerunners of the Theory and Practice of Prose Romance in France. Studies in tbe Narrative Form of Minor French Romances of .the Sixteenth and Seventeenth centuries, in: Antike und Abendland 18, 1981, 169-19I; ebenda 174-19I übel! französische Adaptionen des griechischen Romans. In der Wirkungsgeschichte der griechischen Romanliteratur ist beispielsweise zu verzeichnen, daß J. Herembert, "Les aventureuses et' fortunees amours de Pandien et d' Yonice" (I 599) und M. Roussel, "Hisi:oire de Cleophas et Sephora" (I6oi) "almost completely" von Achilleus Tatios abgeleitet sind (ebenda In) - Titel übrigens, die auch mit den gattungstheoretischen Reflexionen Huets im Einklang stehen. Wie der Roman Heliodors zum "gattungslegitimierenden Modell" (I8j) wird,,zeigt G. Berger, Legitimation und Modell: Die "Aithiopika" als Prototyp des französischen heroisch-galanten Romans, in: Antike und Abendland 30, I984, I77-I89. Über die in seiner Zeit herausragenden philologischen Leistungen des Heliodor-Übersetzers J. Amyot vgl. G. N. Sandy, Jacques Amyot and the Manuscript Tradition of Heliodorus' Aethiopica, in: Revue d'histoire des textes I4-Ij, I984-I985, I-11. Eine terminologische Parallele zu Macrohins I, 1, 8 (hoc ... fabularum genus, quod solas aurium delicias profitetur) ("dieses • • . Genus der Erdichtungen, das allein Genuß der Ohren verheißt") findet sich in der Romanbezeichnung des gleichfalls um 400 u. Z. anzusetzenden Theodorus Priscianus, Euporista 1, 34, der von amatoriae fabulae ("erdichteten Liebesgeschichten") spricht, diese Lektüre aber, die ad delicias ("zum Genuß") (ebenda) führe, au~ medizinischen Gründen ausdrücklich empfiehlt. Dabei wird mit Zuversicht (vgl. ebenda certe) auf den Romanautor Jamblich verwiesen.
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HEINRICH KUCH
Gefahr in den Begierden (epithymiai), die durch jene Lektüre kontinuierlich geweckt würden (ebenda S. ;o1 c). In beiden Fällen wird nach neuplatonischen Wertvorstellungen geurteilt, die bei allen unterschiedlichen Ausformungen des philosophischen Denkens von Platin (ca. 2.05-2.70) bis Proklos (410-485) die sinnliche Welt der Erscheinungen tief unter das Ideelle und Transzendente stellen. 14 Bei der Kritik der Neuplatoniker am Roman bleibt ein weiterer grundsätzlicher Aspekt zu berücksichtigen, der sich aus der Funktion der Kunst ergibt. Im Gegensatz zu Platon, der die mimetischen Künste verworfen hatte (vgl. Staat 595 a-6o6 d)/5 räumte ihnen Platin in seiner Schrift "Über die intelligibele Schönheit" 1 (Enneaden 5, 8) die Möglichkeit ein, bei der Gestaltung auf die dem Sinnlichen zugrunde liegenden Ideen zurückzugehen sowie die sichtbare Welt zu verbessern. Zu einer Verbesserung tendierte auch der Roman mit seinem Happy-End. Aber das. Theorem Plotins wurde für eine Aufwertung der Romandichtung nicht genutzt, auch wenn sich das gute und bessere Ende der Erzählliteratur auf das Schicksal des in jener sichtbaren Sphäre bedrohten Individuums bezog. Welche Chancen ein Genus, dem das Spenden von Genuß und die Erregung von Begierden vorgeworfen wurden, für eine Gestaltung der Ideen im Sinne Plotins hatte, soll hier beiseite bleiben. Bei der Beurteilung des Romans durch Julian und Macrobius scheint jedoch im Grunde eine andere Kunsttheorie wirksam geworden zu sein: die Konzeption Platons, von der aus der Roman in seiner fiktionsbildenden Funktion zurückgewiesen werden mußte. Nach der Auffassung Platons bildet die Kunst nicht die wahrhaft seienden Ideen, die Urbilder, ab, sondern deren Abbilder in der materiellen Welt, d. h., die Kunst produziert, drei Stufen von der Wahrheit entfernt (vgl. Staat 597 e), Abbilder von Abbildern, 16 also einen Schein des Scheins, wobei der Schein auf der letzten Stufe im Fall des Romans noch der Fiktion unterliegt. Vor diesem theoretischen Hintergrund erscheint die Ablehnung der pldsmata (Julian) und ficta (Macrobius) nur folgerichtig. Der Plasma-Begriff ist indessen nicht direkt von Platon herzuleiten. Er wurde der Literaturkritik durch die rhetorische Systembildung ver·mitteltY Auch wenn sie sich gegen die Scheinwelt der Romandichtung stellen, haben die neuplatonischen Kritiker in der Fiktion ein entscheidendes Element des antiken Romans erkannt. Einen noch weiteren Gattungsbegriff als Macrobius, der Roman und Neue Komödie Vgl. R. Müller, in: Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im Altertum. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von F. Jürß, Berlin 1982 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und,Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR 13), p6-p.8. Vgl. die Materialzusammenstellung bei E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Bd. 3, 2, 5· Aufl. Leipzig 1923, 468-890. 15 W. K. C. Guthrie, A History of Greek Philosophy, Bd. 4: Plato. The Man and His Dialogues: Earlier Period, Cambridge-London-New York-Melbourne 1975, 545-5H· Vgl. auch A. Cameron, Plato's Affair with Tragedy. Lectures in .Memory of Louise Taft Semple, Delivered April 8 and 9, 1975, The University of Cincinnati 1978. 16 V gl. L. Richter, Antike ästhetische Theorien zur gesellschaftlichen Funktion der griechischen Tragödie, in: Die griechische Tragödie in ihrer gesellschaftlichen Funktion, hrsg. von H. Kuch, Berlin I 98 3 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR u), 173-192, bes. 181. 17 Zu plasma. vgl. jetzt G. Puglisi, :rlM.afLcx: num ~e:ü8oc; an &mx'")?, in: Philologus 129, 1985,
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verbunden hatte, kreierte im 9· Jh. in Byzanz der Gelehrte und Patriarch Photios, ein ausgesprochener Romankenner. Er macht in seiner "Bibliotheke" das S!]ntagma Heliodors (vgl. oben S. IJ f.) zu einem s{jntagma dramatik6n (einer "dramatischen Zusammenstellung") (73), und auch die Romane de& Achilleus Tatios, Jamblich und Antonios Diagenes fallen bei ihm unter die Klassifizierung dramatik6n ("dramatisches Werk") (ebenda 87; 94; I66). Was ·Photios darunter versteht, ergibt sich aus seiner Erklärung zum Romanwerk des Jamblich: dramatik6n, erotas hypokrin6mepon (Bibliotheke 94), d. h. nein dramatisches werk, das Liebesabenteuer zur Aufführung bringt" .1M Dementsprechend hat der byzantinische Interpret keine Bedenken, die Romanhelden als "Personen des Dramas" (ebenda: dramatos pr6sopa) zu begreifen. Photios ordnet so in einer Zeit, in der mit dem Verlust der spezifischen Funktion des klassischen Dramas auch das Verständnis für das genuine Drama verlorengegangen war, in einem eigenwilligen Gattungsverständnis den Roman dem Drama zu. 19 Diese Sicht konnte sich indessen auf Beziehungen gründen, die die griechische Erzählliteratur selber zur dramatischen Kunst entwickelt hatte: Achilleus Tatios bezeichnete in seinem Romanwerk I, 9, I mit drdmaw ("Drama") die- ersten, und zwar schmerzvollen- Erlebnisse seines Helden Kleitophon, und wenigstens zwei Jahrhunderte vorher hatte es Chariton darauf angelegt, mit erzählerischer Vergegenwärtigung die Darstellungsweise der Dramatik zu übertreffen. "Welcher Dichter hat eine so außergewöhnliche Geschichte auf die Bühne gebracht?" fragt der Autorerzähler (~. 8, 2) bei der Schilderung, wie Kallirhoe den totgeglaubten Chaireas unerwartet wiedersieht. Zugleich baut Chariton an derselben Stelle den Bezug zur Bühne aus, indem er den Schauplatz des Wiedersehens, eine Gerichtsversammlung, mit einem emotionsreichen Theater vergleicht. Dabei fallen Schlüsselbegriffe der dramatischen Dichtung wie pdthos ("Empfindung", ,,Affekt") und eleos ("Rührung"), und an das Drama erinnert nicht zuletzt die Verwendung eines in Tragödie und Komödie beliebten Strukturelements, des Anagnorismos (vgl. unten S. 69). In diesem seinem Theater läßt der Romanschriftsteller die Auseinandersetzung sich abspielen, wobei Chaireas und Dionysios, die beide die schöne Kallirhoe beanspruchen, in einer Art von dramatischer Stichomythie gegeneinander kämpfen (vgl. ,, 8, 5 f.),21 Wie Photios griff' auch die Suda, das große byzantinische, antike Quellen mit integrierende Sprach- und Reallexikon (um IOOO u. Z.), bei ihren Bezeichnungen auf Prä18
Vgl. Photios, Bibliotheke 87 zu Achilleus Tatios: dramatik6n, erotds tina.t. at6pus epeisdgon ("ein dramatisches. Werk, das dazu manche befremdlichen Liebesabenteuer auf die Bühne bringt"). 19 In diesem Zusammenhang ist - unter grundlegend gewandelten Kommunikationsverhältnissen auf die Reflexionen in der französischen Literaturtheorie des I 8. Jh. zu verweisen, die sich auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Roman und Drama richteten; vgl. R. Geißler, Romantheorie in der Aufklärung (vgl. oben Anm. IJ), Io8-119 ("Roman und Theater"). Seit Diderot blieb das Theater im I8. Jh. in Frankreich "der dauernde Bezugspunkt", wenn es um die Legitimierung des Romans als literarisches Genus ging. :ID Die Belege für drdma im Roman des Achilleus Tatios vgl. bei J. N. O'Sullivan, A Lexicon to Achilles Tatius, Berlin (West)-New York I980 (Untersuchungen zur antiken .Literatur und Geschichte I 8), 99· 21 B. P. Reardon, Theme, Structure and Narrative in Chariton, in: Yale Classical Studies 2.7, 1982, 1-2.7, hält für die zentrale Struktur bei Chariton "a series of agones" (ebenda 8), aber "tbe only real agon istbat of Chaereas versus Dionysius" (ebenda 9).
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gungen zurück, die bereits bei den Romanautoren selber Verwendung gefunden hatten. Allerdings geht es dabei in der Suda nicht so gattungstheoretisch waghalsig zu, sondern eher nüchtern. Das Werk des Achilleus Tatios erhält schlicht den Vermerk erotikd ("Liebesgeschichten", unter dem Stichwort Achilleus Statios [sie]), wobei sich der Ausdruck nicht auf den Roman in seiner Einheit bezieht, sondern auf die Liebesepisoden, aus denen sich das Ganze zusammensetzt. 22 Ohne eine erkennbare Aufteilung kommt für Xenophon von Ephesos in der Suda, unter dem Stichwort des Autors, gleichfalls erotikd zur Anwendung: erotikd biblit? ("Liebesbücher"). Der universelle byzantinische Gelehrte, Politiker und Philosoph Konstantin Psellos (xox8-xo78) schrieb eine Synkrisis der Romane des Heliodor und des Achilleus Tatios, in der er ihre Werke erotikd syngrdmmata ("Liebesschriften") nannte.~ Mit der Hervorhebung der Liebe konzentrierte sich das Romanverständnis in Byzanz auf eine Hauptseite des antiken Romans, berücksichtigte dabei jedoch nicht die weiteren gattungsbestimmenden Erscheinungen, wie sie, wenigstens partiell, noch Macrobius etwa 700 Jahre vorher, von Psellos aus zurückgerechnet, festgehalten hatte. Aber es sollten von der Zeit des Psellos keine 700 Jahre vergehen, bis bei Pierre-Daniel Huet (1670) die, moderne Reflexion über den Roman begann, dessen Anfänge in der Antike lagen.
3· Gattungstheorie und Romanverständnis
Die antiken und byzantinischen gattungstheoretischen Versuche, den Roman zu bestimmen, lassen deutliche Grenzen erkennen,25 obwohl sie in manchem Punkt zu ausbaufähigen Teilresultaten geführt haben. Weitere Einsichten vermitteln die in letzter Zeit verschiedentlich zu findenden Ansätze, das umfängliche Feld der antiken Romanliteratur abzustecken sowie das Romangenus zu gliedern. R. Helm26 beispielsweise unterteilt wie folgt: historische Romane - mythologische Romane - Reiseromane und Utopien Liebesromane - christliche Romane - Biographien - Romanparodie - komisch-satirische Romane. In ähnlicher Weise gehen das sowjetische! Kollektivwerk "Anticnyj roman"27
22 Vgl. den Kommentar von E. Viiborg zu Achilleus Tatios, Stockholm-Göteborg-Uppsala 1962.
(Studia Graeca et Latina Gothoburgensia I s), 8. G. L. Schmeling, Xenophon of Ephesus, Boston 1980 (Twayne's World Authors Series 613), 16 nimmt "The Ephesian Love Story of Habrocomes, and Anthia" als wahrscheinlichen Titel für Xenophons Roman an. Das genannte Buch ist für den gesamten griechischen Roman relevant ; vgl. die Rezension von A. M. Scarcella, in: American Journal of Philology xoz, 1981, 4!0-453, bes. 4SO. ~ V gl. den Teilabdruck in der Ausgabe des Achilleus Tatios von E. Vilborg, Stockholm-Göteborg 19!5 (Studia Graeca et Latina Gothoburgensia x), x6s-167; Zitat x6s. 25 Die Antike hat "im Grunde kaum ansatzweise Positionen entwickelt", die sich mit moderner Gattungstheorie vergleichen ließen - so faßt W. Rösler in seiner Rezension, Gnomon ss, 1983, 193-197, Zitat 194, Ergebnisse von D. A. Russe!, Criticism in Antiquity, London 1981, zusammen. Vgl. W. J. Verdenius, Thc Principles of Greek Literary Criticism, in: Mnemosyne, Serie 4, 23
36, 1983,. I4-S9· 211 R. Helm, Der antike Roman, z.. Aufl. Göttingen 19s6, s. 27 Anticnyj roman, Verantwortlicher Redaktor: M. E. Grabar'-Passek, Moskva 1969.
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und M.-P. Loicq-Berger28 vor. Die drei Konzeptionen29 stimmen in wesentlichen Punkten weitgehend überein, weiseDt aber zugleich beträchtliche Unterschiede im einzelnen auf. Ihre Bemühungen um eine Bestandsaufnahme und Kategorisierung dienen der Eingrenzung des Romanschrifttums und der schärferen Durchdringung seiner inhaltlichen Vielfalt. Sie gingen indessen von einem intuitiven Gattungsverständnis aus. Zu erwähnen bleiben in diesem Zusammenhang ferner die diesbezüglichen Vorschläge von B. E. PerrySO und M. Bachtin31, die jedoch gegenüber den vergleichsweise differenzierten Aufgliederungen der vorher Genannten einfachere Lösungsversuche bieten. Mit dem Zusammenstellen der antiken Romanliteratur und einer Gliederung jenes Schrifttums in Gruppen kann aber eine gattungstheoretische Bestimmung des Romans nicht gelingen. B. E. Perry, der eine simple Zweiteilung vorschlägt - er unterscheidet "the serious or ideal" und; "the comic or unideal" Romantyp -,frJ unternimmt es zugleich, den Roman zu definieren. Seine Formulierung lautet: "an extended narrative published apart by itself which ~elates - primarily or wholly for the sake of entertainment or spiritual edification, and for its own sake as a story, rather than for the purpose of instruction in history, science, or philosophical theory - the adventures or experiences of one or more individuals in their private capacities and from the viewpoint of their interests and emotions". 33 Der Autor wagte diese Verallgemeinerung, obwohl er zuvor im Sinne von Benedetto Croce die Individualität des Einzelwerkes hervorhob, durch die es sich, als Werk sui generis, der gattungsmäßigen Einordnung im Grunde entziehe.M B. E. Perry unterstreicht ferner die Schwierigkeit, mit einer allgemeinen Bestimmung des Romans den Besonderheiten der einzelnen und dazu heterogenen Romangruppen gerecht zu werden - eine Auffassung, der zugestimmt werden kann. Ungeachtet seiner Vorbehalte sind von ihm wichtige Bausteine der Gattung des antiken Romans zusammengetragen worden, wie der Umfang, das Narrative, eine bedeutsame Funktion des Romans, Inhaltliches, die Rolle des Individuums. Daß die vorgelegte Definition gleich auch den modernen Roman integrieren soll,35 erscheint indessen allzu kühn. Mit Recht weist B. E. Perry jedoch in der weiteren Erläuterung seiner Definition auf den Einfluß der Gesellschaft. Was die spezifische Natur des Romans determiniere, sei "the nature of the society for which it is produced and whose taste, temper, and experience it reflects".36 Obgleich B. E. Perry den Roman als "Narrative" bestimmt hatte,37 ist es ihm unterlaufen, den griechischen Roman für "fundamentally drama in substance"31! auszugeben. 28 M.-P. Loicq-Berger, Pour une lecture des romans grecs, in: Les etudes classiques 48, 1980, 2.3-42., bes. z6. 29 30
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Vgl. hierzu und für das Folgende H. Kuch, Gattungstheoretische Überlegungen zum antiken Roman, in: Philologus 129, 198~, 3-19. B. E. Perry, The Ancient Romances. A Literary-Historical Account of Their Origins, Berkeley-Los Angeles 1967 (Sather Classical Lectures 37), 87. M. Bachtin, Zeit und Raum im Roman, in: Kunst und Literatur zz, 1974, u6I-II9I, bes. u6z,
I 176 U. II87. 32 B. E. Perry, The Ancient Romances (vgl. Anm. 30), 87, vgl. ferner ebenda I u. Ißi .. 33 Ebenda 44 f. M Vgl. ebenda 44. u. I8.
Ebenda 4 ~. Ebenda. 37 Vgl. oben. 38 Ebenda I40. 35
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Ja, der Roman Charitons, vielmehr sein "plot" habe "the structural economy, the inner motivation, and the overall unity of a drama in five acts". 39 Diese Einschätzung hat die Kritik C. W. Müllers hervorgerufen. Durch; eine Gleichsetzung mit dem Drama wird in der Tat die Eigengesetzlichkeit der Erzählstruktur des Romans verkannt.-.u Auch C. W. Müller unternahm eine Gattungsbestimmung.41 Wenn er dabei für die "Einheit" des Genus eintritt,42 so richtet sich diese Konzeption ausschließlich auf den griechischen Abenteuer- und Liebesroman, für den allgemeine Konstanten in Inhalt und Form aufgewiesen werden. Die griechische Romangattung wird somit auf eine Ausprägung eingegrenzt, die im Rahmen des Genus zwar eine beträchtliche Bedeutung hat, aber nicht allein die Gattung des griechischen Romans repräsentiert. Der Asop-Roman und der Alexander-Roman bleiben wie der Briefroman des Chion von Herakleia außerhalb des eingeschränkten Gattungsbegriffs.~3 C. W. Müller schließt aus dem Romangenus kurzerhand auch die utopischen Reiseromane aus, wie etwa den des Jambulos,~ ohne hierfür Gründe anzugeben. Dagegen soll der christliche Kiemeos-Roman dazugehören,45 ungeachtet aller Unterschiede in der Funktion und in den Kommuoikationsverhältoissen, die den christlichen vom antiken Roman trennen. Mit den Aspekten der Kommunikation und der Funkllion kommen bedeutsame, ja ausschlaggebende Gesichtspunkte für die Gattungsbestimmung in das Blickfeld. Über die Entwicklung der modernen gattungstheoretischen Reflexion seit der Jahrhundertwende bietet K. W. Heropfer einen informativen und zugleich inspirativen Überblick,'6 ohne dabei jedoch "absolute Vollständigkeit und absolute Gleichgewichtung anzustreben".47 Die Auffassungen gehen auf diesem vieldiskutierten Problemfeld weit auseinander. Für die Geschichte einer literarischen Gattung sind zweifellos "Kontinuität und Wandel zugleich" 48 vorauszusetzen, was gerade auch auf d~e antike Romangattung zuEbenda I4I. Vgl. C. W. Müller, Chariton von Aphrodisias und die Theorie des Romans' in der Antike, in: Antike und Abendland z.z., I976, II5-I36, bes. II9-IZ.z.. 41 C. W. Müller, Der griechische Roman, in: Griechische Literatur, von E. Vogt in Verbindung mit 0. Gigon, H. Hommel, A. Lesky, A. Momigliano, C. W. Müller, H.-J. Newiger, G. A. Seeck u. M. L. West, Wiesbaden I98I (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft z.), 377-412., bes. 387-392.; vgl. auch 383-386. 42 Ebenda 387-392.. 43 Ebenda 392.. 44 Ebenda 4Io Anm. I. Dagegen hält R. Bichler, Zur historischen Beurteilung der griechischen Staatsutopie, in: Grazer Beiträge rr, I984, I79-z.o6, das Werk des Jambulos für einen Roman, mit dem Hinweis auf Lukian, Wahre Geschichte I, 3 (vgl. ebenda 204 u. z.o5). 45 C. W. Müller, Der griechische Roman (vgl. Anm. 4I), 388 u. 389. Mit guten Gründen trennt N. Holzberg, Der antike Roman. Eine Einführung, München-Zürich I986 (Artemis Einführungen 2.5), z.8-3z., den Klemens-Roman vom Genus des antiken Romans. In seinem Gattungsverständnis wird jedoch der Typ des Abenteuer- und Liebesromans verabsolutiert (vgl. I3-H). Zugleich werden in den utopischen Romanen die Partien, die nicht unmittelbar die Utopie betreffen, etwa bei Jambulos, unterschätzt (z.o). Die "wichtigsten übereinstimmenden Gattungselemente" (p) ebenda H. 46 K. W. Hempfer, Gattungstheorie. Information und Synthese, München I973 (Information und Synthese I). 47 Ebenda IO. 48 W. Hinck, Vorwort, in: Textsortenlehre - Gattungsgeschichte. Mit Beiträgen von A. v. Bormann,
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trifft. Gegenüber einem ontologisch-anthropologischen oder lediglich literaturimmanenten Gattungsbegriff bleibt indessen mit W. Voßkamp die Notwendigkeit sozial- und funktionsgeschichtlicher Fragestellungen zu unterstreichen.49 Empfohlen wird dabei mit Recht "ein ,historischer' (nicht ,systematischer') Gattungsbegriff, der die Geschichtlichkeit literarischer Gattungen ernstnimmt und sie als historisch bedingte Kommunikationsund Vermittlungsformen, d. i. als soziokulturelle Phänomene interpretiert und beschreibt".50 Damit ist ein wichtiger Ansatz für die Gattungsbestimmung nichtl zuletzt des antiken Romans gewonnen. Wer die Entwicklung des Romangenus verfolgen will, steht zunächst vor der Aufgabe, die gesellschaftlichen und kulturellen Entstehungsbedingungen der Romanliteratur zu analysieren, was im nächsten Abschnitt (S. 28-39) in Angriff genommen wird. Nur soviel soll bereits hier gesagt werden, daß der griechische Roman um 300 v. u. Z. unter grundlegend neuen historischen, vor allem auch neuartigen politischen Verhältnissen entstand, wie sie sich seit der makedonischen Vorherrschaft und den Eroberungen Alexanders herausgebildet hatten. Der Roman ist eine relativ späte Erscheinung in der griechischen und dann in der römischen Literatur. Daraus geht mit Notwendigkeit hervor, daß das neue literarische Genus neben seinen historischen auch bestimmte literarische Voraussetzungen hatte, womit sich ein weites Spektrum möglicher und tatsächlicher Einflüsse öffnet, die gleichfalls in einem späteren Abschnitt behandelt werden (S. 39-, 1). Hinzuweisen ist schon jetzt auf die epische, dramatische und lyrische Dichtung sowie auf verschiedene Prosaformen. Die Herausbildung der Romangattung hat Prozeßcharakter, wobei die Intentionen der Autoren und die Bedürfnisse der Leser ineinandergreifen, jeweils auf dem Boden der konkreten gesellschaftlichen Bedingungen. Die unmittelbar entstehungsauslösenden und entwicklungsbestimmenden Wirkungen scheinen von der Dialektik der literarischen Produktions- und Rezeptionsverhältnisse ausgegangen zu sein, man kann auch sagen: von den literarischen Kommunikationsverhältnissen, die sich auf der konkreten historischen Basis entwickelten. Bevor jene historischen und literarischen Prozesse verfolgt werden, muß spätestens jetzt aber das diese!." Untersuchung zugrunde liegende Romanverständnis weiter erläutert werden, nachdem im Vorhergehenden bereits einige Aspekte davon zur Sprache gekommen waren. Schon die bisher angeschnittenen Probleme lassen die Schwierigkeit erkennen, die Gattung des antiken Romans zu bestimmen. Es ist sicherlich nicht möglich, eine "statische Definition der Gattung zu geben", die alle ihre Erscheinungen einschließen würde.51 Im Bewußtsein der Wandlungsfähigkeit und Vielfalt der antiken Romanliteratur erscheint es indessen legitim, wesentliche gemeinsame Merkmale herU. Fülleborn, K. W. Hempfer, J. Hermand, W." Hinck, H. Koopmann u. W. Voßkamp, hrsg. von W. Hinck, Heidelberg 1977, IX-XIII; Zitat IX. ~9 W. Voßkamp, Gattungen als literarisch-soziale Institutionen. Zu Problemen soziali und funktionsgeschichtlich orientierter Gattungstheorie und -historie, in: Textsortenlehre - Gattungsgeschichte (vgl. Anm. 48), 27-42, bes. 27. 50 Ebenda 27. Vgl. in diesem Zusammenhang auch E.-R. Schwinge, Griechische Poesie und die Lehre von der Gattungstrinität in der Moderne. Zur gattungstheoretischen Problematik antiker Literatur, in: Antike und Abendland 27, 1981, 130-162, der für die "umfassende Historisierung der Gattungen als Formen" plädiert (157; vgl. auch IS8). 51 J. Tynjanow, Poetik. Ausgewählte Essays, Leipzig-Weimar 1982 (Gustav Kiepenheuer Bücherei 3J), 7-30 ("Das literarische Faktum"; zuerst 1924); Zitat 9·
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auszuarbeiten, die sich in den verschiedenartigen Romanen finden und durch die jene Werke mit größerer Sicherheit der Romangattung zugeordnet werden können. Unter diesen Voraussetzungen läßt sich das Genus wie folgt beschreiben: Als antike Romane werden griechische und römische Literaturwerke begriffen,52 die bei aller Heterogenität relevante form-inhaltliche Gemeinsamkeiten haben. Dazu gehört in erster Linie das fiktionale Erzählen vorwiegend in Prosa und in größerem Umfang. Der Roman ist zum (Vor-)Lesen bestimmt. Sein Inhalt ist im allgemeinen in eine ansprechend leserfreundliche Form gebracht, die kunstvolle Strukturen aufweist. 53 Ungeachtet mancher Beziehungen zum Mythos hat das. Sujet fast immer einen nichtmythischen Charakter. Der Romanhandlung liegt jeweils eine bestimmte gesellschaftliche Wirklichkeit als Ausgangsbasis zugrunde. Soweit erweist sich der Roman als affirmativ. Die besagte zugrunde gelegte gesellschaftliche Wirklichkeit wird indessen im freien Spiel der Phantasie so großzügig verändert, wie es die erzählerische Fiktion erfordert.~ Es bleibt eine ge· wisse, mehr oder weniger lockere Bindung an die objektive Realität erhalten, so daß der Eindruck einer historischen Erzählung nicht ganz verlorengeht, aber mit der Produktion von ficta und plasmata, d. h. von Fiktionalem, außerhalb des Mythos dominiert die Fiktionalität. Im Unterschied zur Geschichtsschreibung hat der Roman als fiktionales Literaturwerk ein freies Verhältnis zum "Faktischen", ohne daß er damit den Anspruch auf wesentliche Zusammenhänge aufgeben würde. Die Fiktionen lassen eine andere Welt entstehen, die partiell mit der Wirklichkeit übereinstimmt, die jedoch Möglichkeiten bietet, wie sie in der zeitgenössischen Realität in dieser Weise und in diesem Maße nicht vorkommen. Das Ergebnis ist eine fingierte Realität, oft mit einem illusionistischen Charakter, der konsequenterweise ebenso oft eine realistische Sicht ausschließt. Hierbei läßt jedoch der römische Roman, auch in der ihm eigenen ironisieren-
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Das vorliegende Buch beschränkt sich thematisch auf den griechischen und römischen Roman. In die Zeit der griechisch-römischen Antike gehörende Romanwerke aus anderen Kulturen und Literaturen bleiben außerhalb der Betrachtung. Auch der christliche Roman geht über das Thema des vorliegenden Buches hinaus; zu den apokryphen Apostelakten vgl. E. Plümacher, in: Paulys Realencyclopädie der classisehen Altertumswissenschaft, Supplementbd. I s, 1978, u-70. Vgl. T. Hägg, Narrative Technique in Ancient Greek Romances. Studies of Chariton, Xenophon Ephesius, and Achilles Tatius, Stockholm 1971; A~ M. Scarcella, La struttura del romanzo di Senofonte Efesio, in: La struttura della fabulazione antica, Genua 1979 (Pubblicazioni dell' Istituto di Filologia Classica e Medievale dell' Universita di Genova s4), 89-II5; B. P. Reardon, Theme, Structure and Narrative in Chariton (vgl. Anm. 2.1), 1-2.7; M. Pulquerio Futre, Essai litteraire e stylistique d' Hc:liodore, Les Ethiopiques V, 14, in: Euphrosyne N. S. u, 1982., 1oz-no; T. Hägg, Eros und Tyche. Der Roman in der antiken Welt, Mainz am Rhein 1987, im besonderen etwa 55- !7 ; 6 s-7 4; 90-96. Vgl. auch die Wertungen der antiken Romanliteratur bei G. Anderson, Ancient Fiction. The Novel in the Graeco-Roman World, London-Sydney-Totowa/ New Jersey 1984, V: "the werk of assured and responsible artists rather than sentimental simpletons", "the variety and individuality of single novelists". Vgl. ferner ebenda 53 u. zzo; über die stilistische Verschiedenartigkeit der Romanciers ebenda n-ss. A. M. Scarcella, Metastasi narratologica del dato storico nel romanzo erotico greco, in: Atti del Convegno Internazionale "Letterature dassiehe e narratologia", Selva di Fasano (Brindisi) 6-8 ottobre 1980, Perugla 1981 (Materiali e contributi per la storia della narrativa greco-latina J), J41-567, bes. 545; JSZ; 558; 561; 363; 36S f.
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den Darstellungsweise und in seinen Parodien,65 die tatsächlichen Bedingungen schäder erkennen. Werden in der Romanliteratur wesentliche oder gesetzmäßige Erscheinungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit erfaßt, ist es berechtigt, von realistischer Gestaltung zu sprechen, die indessen auch mit den Mitteln der Phantastik realisiert werden kann. Die Ausnahmen und Vorbehalte, auf die es hinzuweisen galt, unterstreichen die Vielschichtigkeit der antiken Romanliteratur und ihren Mangel an einer geschlossenen Homogenität. Außerdem sind nicht in jedem Werk alle Charakteristika der Gattung vorhanden oder in gleicher Intensität ausgeprägt. Die Schwierigkeiten für eine Verallgemeinerung liegen auf der Hand, aber die aufgeführten Gemeinsamkeiten in Inhalt und Form treffen in stärkerem oder schwächerem Grade auf alle antiken Romane zu, so heterogen sie sich auch erweisen. Sie gelten, für die utopischen Reiseromane eines Hekataios von Abdera, eines Euhemeros von Messene, eines Jambulos wie für den griechischen Abenteuer- und Liebesroman in seinen individuellen Ausprägungen von Chariton über Xenophon von Ephesos bis Heliodor, sie gelten für die weiteren Romane und auch für den römischen Roman. Ohne daß die Unterschiede zwischen den einzelnen Werken harmonisiert werden dürfen, besteht infolge der gemeinsamen Merkmale doch eine relative oder - im Hinblick auf die Widersprüchlichkeiten - eine dialektische Einheit dieser Romane, die die Anwendung des Gattungsbegriffs erlaubt. Die moderne literaturwissenschaftliche Betrachtung befindet sich hier im Gegensatz zur antiken Ästhetik, die in ihrem Literaturverständnis weder den Roman noch ein Romangenus akzeptierte. In diesem Zusammenhang ist wertend zu bemerken: Auch wenn der antike Roman gewisse triviale und schematisierte, ja automatisierte Züge hat - einschließlich seiner sentimentalen sowie mancher makabrer Elemente -, gehört er auf Grund seiner form-inhaltlichen Qualitäten keinesfalls zur Trivialliteratur im modernen Sinne. Der antike Roman stellt in der griechischen und römischen Literaturgeschichte eine innovatorische Leistung dar. Zu präzisieren bleibt noch ein Gattungscharakteristikum von besonderer Bedeutung. Mit der Herstellung jener anderen Wirklichkeit im Roman, die sich von der realen Welt des Autors und des Rezipienten grundlegend unterscheidet, ergeben sich Gegenbilder zur Realität. Dieses künstlerischen Mittels bedienten sich auch andere Gattungen der antiken Literatur, wie die Komödie56 oder die BukolilC'7, und insofern setzt die Romandichtung, wie in manchen weiteren Fällen, Traditionen der in ihrer Zeit anerkannten Poesie fort. 58 Entsprechend der Vielgestaltigkeit des Romans fallen auch seine 55 56
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Über die "humorous eflects" (VIII) im antiken Roman vgl. G. Anderson, Eros Sophistes. Ancient Novelists at Play, Chico/California 1982 (American Classical Studies 9). Vgl. E.-R. Schwinge, Zur Ästhetik der Aristophanischen Komödie am Beispiel der Ritter, in: Maia N. S. 27, I97J. 177-199· Vgl. B. Elle, Die Genese einer literarischen Gattung: die Bukolik, Konstanz 1977 (Konstanzer Universitätsreden 9 5), 7 f. ; 24 f. Daß die Romanautoren dem späten Hellenismus .,eine fiktionale Heilswelt entgegenhielten", betont N. Holzberg, Der antike Roman (vgl. Anm. 45), 51. Der Roman erschließe, so heißt es ebenda 40, den "Zugang zu einer literarischen Wunschwelt", die er den hellenistischen Verhältnissen entgegensetze (43); vgl. ebenda 100. Ebenda 38: "Traumwelt mit besseren Lebensbedingungen". In der Tradition der literarischen Gegenbilder scheint auch der byzantinische Roman zu stehen. H. Hunger, Antiker und byzantinischer Roman, Heidelberg 1980 (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosoph.- hist. Kl., Jg. 1980, 3), u, hebt für den byzantinischen Roman den Aufbau einer "Scheinwelt" hervor, in die der Leser
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Gegenvorstellungen zur konkreten Wirklichkeit sehr unterschiedlich aus. Die Art des Kontrastbildes hängt davon ab, ob es mit den Mitteln der Utopie, der Idylle oder selbst der Satire geschaffen wird oder auch durch die Gestaltung_ einer verheißungsvoll flimmernden Abenteuerwelt, einer illusionistischen Gegenwelt, die nach einer Kette von erstaunlich leicht und schnell überwundenen Schwierigkeiten und Gefahren stets ein glückliches Ende garantiert, wie es in der harten objektiven Realität der antiken Klassengesellschaft wohl kaum vorkommt. Daß sich die antike Romanliteratur nicht in einem geradlinigen, widerspruchsfreien Prozeß entwickelt hat, bleibt gerade im Hinblick auf ihre verschiedenen Gegenvorstellungen zur gesellschaftlichen Realität zu betonen. Bei den Romanciers ist hier, wo sie sich zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in Beziehung setzen oder sich von diesen Zuständen mit den Mitteln der Romankunst eher distanzieren, indem sie ein anziehenderes Pendant zeichnen, weder ein gleicher Grad der Intentionalität noch ein gleiches künstlerisches Selbstbewußtsein vorauszusetzen. Die schärfsten Kontraste zur bestehenden Gesellschaft kommen zweifellos in den Romanutopien zum Ausdruck. Auch die Natur wird übrigens mitunter in die fiktionsorientierte Umgestaltung mit einbezogen. Dabei begegnen bei Jambulos Vorstellungen vom Goldenen Zeitalter und von phäakischen Bedingungen reicher, das ganze Jahr anhaltender Fruchtbarkeit (Diodor 2, 56, 7); andererseits erfolgt im Werk des Longos eine auf Annehmlichkeiten gerichtete Stilisierung (vgl. I, I; I, 9; 4, 2). In der antiken Romanliteratur gibt es nach alleßll keine Wirklichkeitsromane, sondern eher Romanwirklichkeiten, die mehr oder weniger die Funktion haben, mit Hilfe der. Fiktion aus der Misere der Gegenwart herauszuführen und auf der literarischen Ebene gegen die Erfahrungen des Tages glückliche Zustände für den einzelnen durchzusetzen, wozu nicht zuletzt - gattungsimmanent - ein guter Abschluß der erzählten Ereignisse geh~rt. Es darf nicht überraschen, wenn dieses gute Ende im sog. historischen Roman fehlt, denn es galt Rücksicht zu nehmen auf den allgemein bekannten Ausgang der dort behandelten Geschehnisse. Der Leser wußte, wie die Alexander-Geschichte endete oder der weithin für geschichtlich angesehene Trojanische Krieg einschließlich der Folgeereignisse. Die vollständig und fragmentarisch erhaltenen Texte sowie die Nachrichten über Verlorengegangenes beweisen, daß die antike Romandichtung mit ihren Fiktionen eine weite Popularität genoß, obwohl sie von den Bewunderern des hohen Stils vernachlässigt und unterschätzt wurde- ein Schicksal, das der Roman mit der Novelle teilte. Die Romanliteratur erfüllte offenbar ein gesellschaftliches Bedürfnis, das sich vom Hellenismus bis in die Spätantike nachweisen läßt. Aber spätestens mit dem Einsetzen des Romans beginnt die Aufspaltung der Literatur in zwei mitunter hartnäckig auseinandergehaltene Bereiche: Der eine wurde von der herrschenden Meinung favorisiert und der andere von der gleichen Meinung nicht anerkannt. Die vorgelegte Gattungsbeschreibung ist dem Prozessualen des Romangenus wesentlich verpflichtet. Sie wird - damit erhält sie selbst Prozeßcharakter - im folgenden, "aus seiner unbefriedigenden und stets gefährdeten realen Umwelt" versetzt werde. Zum byzantinischen Roman vgl. ferner H.-G. Beck, Marginalien zum byzantinischen Roman, in: Kyklos. Griechisches und Byzantinisches. Rudolf Keydell zum: neunzigsten Geburtstag, hrsg. von H. G. Beck, A. Kambylis, P. Moraux, Berlin (West)-New York 1978, n6-u8.
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in diesem Beitrag wie überhaupt in diesem Buch, durch weitere inhaltliche und formale Elemente ausgebaut werden. Für die Geschichte literarischer Gattungen prägte H. R. Jauss das glückliche Dictum von einem "zeitlichen Prozeß fortgesetzter Horizontstiftung und Horiiontveränderung".59 Diese Erkenntnis kann mit vollem Recht auf die Entwicklung des antiken Romans bezogen werden, einer "notorisch offenen Literaturform", wie H. Gärtner formulierte. 60 Der antike Roman trat zunächst in der Form des utopischen Reiseromans in Erscheinung, um sich dann zum Abenteuer- und Liebesroman zu erweitern. Doch schon bei Longos veränderte sich wieder der Gattungshorizont. Durch die Einbeziehung der bukolischen Tradition der griechischen Literatur erfolgt hier eine Gattungssynthese von Liebesroman und Bukolik,61 wenn nicht eher von einer Gattungsmischung zu spechen ist. Wieder andere Perspektiven ergeben sich mit dem sog. historischen Roman, der. kein echter historischer Roman nach modernem Verständnis war, oder mit dem Briefroman eines Chion von Herakleia, von der Problematik des biographischen Romans oder, besser, der romanhaften; Biographie ganz abgesehen, und zwischen dem relativ naiv anmutenden Ninos-Roman, einem Roman über die Liebe des Ninos und· der Semiramis (?) aus dem 2. oder x. Jh. v. u. Z., geschrieben in einer vergleichsweise einfachen künstlerischen Handschrift, und den Raffinessen von Petrons satirisch realistischem "Satyricon" tut sich eine erhebliche Kluft auf. J. Mukaiovsk:y hat bereits 1929 auf die Veränderungen aufmerksam gemacht, die sich bei der Entwicklung einer Gattung ergeben, wenn sich Gestaltungsmittel automatisieren, dadurch ihre ästhetische Wirksamkeit einbüßen und nach Erneuerung verlangen.w Bei einer solchen Erneuerung werde ein Teil der Gestaltungsmittel, die das Genus bildeten, ausgewechselt, während ein Teil fortdauere. 63 Die neuen Elemente führen zu einer "Auffrischung der Gattung", wobei es vorkommen kann, "daß Merkmale der Gattung, die bisher als wesentlich empfunden wurden, verschwinden und Merkmale erhalten bleiben, die bisher nebensächlich waren".66 Durch kontinuierliche Erneuerungen werde die Gattung in einer Weise verändert, "daß zwei Glieder ihrer Entwicklungsreihe, die zeitlich voneinander entfernt liegen, einander ganz unähnlich sein: können". 65 J. Mukarovsky verweist in diesem Zusammenhang auf den Ritterroman und den "heutigen" Roman. 66 Als Beispiele für die Unähnlichkeit innerhalb der Gattung lassen sich mit gleichem Recht etwa auch die Romanutopie des Buherneros aus der Frühzeit des Genus um 300 v. u. Z. und der in die Zeit zwischen dem 4./5. Jh. und dem Ende des 6. oder 59
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H. R. Jauss, Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters, in: Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters, hrsg. von H. R. Jauss und E. Köhler, Bd. I, Heidelberg 1972., 107-138; Zitat 12.4. H. Gärtner, Vorwort, in: Beiträge zum griechischen Liebesroman, hrsg. von H. Gärtner, Hildesheim-Zürich-New York 1984 (Olms Studien zo), VII-IX; Zitat VIII. B. Effe, Longos. Zur Punktionsgeschichte der Bukolik in der römischen Kaiserzeit, in: Hermes no, 1982., 65-84, bes. 66-69. J. Mukaiovsky, Studien zur strukturalistischen Ästhetik und Poetik. Mit einem Nachwort: Die strukturalistische Ästhetik und Poetik Jan Mukaiovskys, München 1974, 84-99 ("Über die gegenwärtige Poetik"; zuerst 1929), bes. 97· Ebenda 97· · Ebenda 97 f. Ebenda 98. Ebcnda.
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dem Anfang des 7· Jh. u. Z. datierte lateinische Text von Dares' Troja-Roman~;' anführen, um nur diese Gegensätze in der Gattung des antiken Romans zu nennen. Bei der Entwicklung einer literarischen Gattung erscheint ein Moment bedeutsam, das schon W. Krauss hervorgehoben hat und das auch für den Entwicklungsprozeß des antiken Romans nicht übersehen werden darf: die relative Autonomie des Genus. 68 Gattungen können also ein gewisses Eigenleben führen, wie es angesichts des jahrhundertelang tradierten, verhältnismäßig konstanten Arsenals von Motiven und Strukturen (vgl. unten S. 71) in hohem Grade für die Romangattung gilt. Aber "trotz einer relativen Autonomie der Formen ist doch die gesellschaftlich-politische Wirklichkeit im Fundament aller literarischen Erscheinungen".69 Es ist die gesellschaftliche Entwicklung, die "das Tempo und die Richtung der literarischen" bestimmt. 70 Die Einheit der antiken Romanliteratur hatte bereits F. Wehrli mit dem durchschlagenden Argument der gemeinsamen Motive verfochten,71 denen die weiteren gemeinsamen Elemente an die Seite zu stellen sind. Unter diesem Gesichtspunkt besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem griechischen und dem römischen Roman. Das sog. Ideale und das "Realistische" durchdringen einander im Romangenus, ja "die Spannweite der Gesamtgattung" gewähre "Raum für das Fernste und Alltäglichste, für Phantastik und Rationalität, Pathetik und Burleske".n Dennoch läßt sich nicht leugnen, daß die gesellschaftliche Wirklichkeit im römischen Roman weitaus schärfere Konturen aufweist. Angesichts: der deutlichen Gegensätze und Diskrepanzen, die sich im Bereich der Romangattung finden, erscheint es jedoch begründet, von einer, wie gesagt, relativen, einer dialektischen Einheit auszugehen. Wie "überaus fließend und relativ" die Grenzen zwischen den Formen des griechischen Romangenus sind, hat T. I. Kuznecova betont_13. Dieser Befund stützt einerseits den Gedanken jener Einheit der antiken Romanliteratur, andererseits werden damit zugleich die Schwierigkeiten deutlich, die einzelnen Werke überzeugend nach Gruppen zu gliedern. Es erscheint indessen durchaus legitim, aus dem Romangenus Subgattungen herauszudifferenzieren. Der sog. historische Roman z. B. ließe sich als eine solche Subgattung verstehen. Er behandelt geschichtliche Ereignisse nach der fiktionsfreudigen Art eines Abenteuer- und Liebesromans. Das betrifft vor allem den Alexander-Roman, in dessen Mittelpunkt eine tatsächliche historische Gestalt steht. Als vergleichbare Fälle erscheinen die Troja-Romane des Diktys und des Dares, 7~ deren mythischer Stoff, zumal in der Spätzeit, für historisch 67
W. Eisenhut, Spätantike Troja-Erzählungen - mit einem Ausblick auf die mittelalterliche Troja-Literatur, in: Mittellateinisches Jahrbuch x8, 1983, x-18, bes. 16-18. 68 W. Krauss, Die literarischen Gattungen, in: W. Krauss, Essays zur französischen Literatur, 69 Ebenda 13. Berlin-Weimar 1968, ~-45. bes. 8 f. iO W. Kirsch, Probleme der Gattungsentwicklung am Beispiel des Epos, in: Philologus u6, 1981, 16 ~-188, Zitat 186. 7l F. Wehrli, Einheit und Vorgeschichte der griechisch-römischen Romanliteratur, in: Museum Helveticum 11, 196h 133-1~4. 72 Ebenda 1J1. 73 T. I. Kuznecova, Skazoenyj roman. "lstorija Apollonija, carja Tirskogo", in:· Anticnyj roman (vgl. Anm. 17). 131-I n; Zitat 1J1. 7~ Nach W. Eisenhut, Spätantike Troja-Erzählungen (vgl. Anm~ 67), 18, gehört das verlorene griechische Original des Diktys in die letzten Jahre der Regierung Kaiser Neros, die erhaltene lateinische Übersetzung frühestens' in das 4., vielleicht erst in das ~. Jh. u. Z. Vgl. die DictysAusgabel von_ '\1'L Eisenhut, ..7.- AufL Leipzig. I 97 3. Zur Datkrung _des. Dares vgl. S. 1 ~ f. und
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galt. Es soll jedoch nicht vergessen werden, daß jeder antike Roman mehr oder weniger auf geschichtliche Bedingungen und Ereignisse zurückgreift, sosehr auch die Fiktion die Gestaltung souverän beherrscht.75 Als Subgattungen können auch deJ; utopische Reiseroman, vertreten etwa durch Jambulos, und der Abenteuer- und Liebesroman - ein typisches Beispiel ist Chariton - angesehen werden. Infolge gleicher Grundelemente gehören jedoch beide Romanausprägungen zur gleichen Gattung. Ihre Gemeinsamkeiten bestehen vor allem im fiktiven Erzählen in Prosa, jedenfalls weit überwiegend in Prosa, im nichtmythischen Stoff sowie im Aufbau von Gegenwelten, die sich von der objektiven Wirklichkeit des Autors und der Rezipienten grundlegend unterscheiden. Sowohl der utopische Reiseroman/ti wie auch der Abenteuer- und Liebesroman sind entscheidend geprägt von der Exotik der Ferne, die sie als verheißungsvolle Gegenvorstellung zur zeitgenössischen Realität gestalten. Jene ferne Phantasiewelt befindet sich entweder in schwer zugänglichen geographischen Räumen - von den gar nicht zugänglichen Bereichen, d. h. den frei erfundenen Inseln, ganz abgesehen - oder in einer chronologisch weit zurückliegenden, nicht mehr erreichbaren Vergangenheit. Als weitere bedeutsame gemeinsame Züge der Romanutopie und des Abenteuer- und Liebesromans sind die Reihe der Abenteuer, die ausnahmslos überstanden werden, zu nennen und das obligatorisch gute Ende. Von Chariton bis Heliodor erweist sich das Happy-End als ein ebenso augenfälliges wie integrierendes Strukturelement des Romans. 77 Der gute Abschluß des Ganzen bildet jedoch schon in der Romanutopie eine erzählerische Grundbedingung. Das Exzerpt aus Jambulos, das Diodor bietet, schließt mit der glücklichen Heimkehr nach gefährlicher Reise, ja wörtlich geradezu mit einem "Gerettetwerden" (Diodor 2, 6o, 3: diasotbenai). Auch Hekataios von Abdera und Buherneros kehren von ihren Fahrten, auf die sie sich begeben haben wollen, wohlbehalten zurück. Unterschiede zwischen dem Romantyp des Jambulos und dem des Chariton finden sich jedoch, soweit sich nach dem nicht sehr umfangreichen Diodor-Au&zug urteilen läßt, in der Struktur. Bei Jambulos sind die "Abenteuer", wie Gefangennahme, V ersklavung, Seefahrt, Schiffbruch, vor und nach dem präsumtiven Hauptteil angeordnet (vgl. Diodor 2, ss, .a-s6, I;' 6o, I f.), in dem die utopische Inselwelt geschildert wird (ebenda 2, s6, 2 - 59, 9). Dagegen verteilen sich
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Anm. 67. Die Romane des Diktys und des Dares waren "die Grundlage aller mittelalterlichen Troja-Berichte": W. Eisenhut, Spätantike Troja-Erzählungen (vgl. Anm. 67), z. Die "Historia Apollonii regis Tyri" ("Die Geschichte des Apollonius, des Königs von Tyrus") aus dem s. oder 6. Jh. u. Z., ein TextJ dessen Original wohl in: das 3· Jh. u. Z. gehört, hat sich so weit von historischen Gegebenheiten gelöst, daß T. Hägg, Eros und Tyche (vgl. Anm. n), 183, die erhaltene Fassung als "zur Gänze fiktiv" bezeichnete. Vgl. Historia Apollonii Regis Tyri, hrsg. von D. Tsitsikly, Königstein/Ts. 1981 (Beiträge zur klassischen Philologie 134). G. L. Schmeling bereitet für die Bibliotheca Teubneriana, Leipzig eine neue Edition dieses Romans vor. Zum Problem des historischen Romans jetzt T." Hägg, Callirhoe and Parthenope: The Beginnings of the Historical Novel, in: Classical Antiquity6, 1987, 184-204. R. Müller, Sozialutopisches Denken iq der griechischen Antike, Berlin 1983 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Gesellschaftswissenschaften, Jg. 1982, Nr. 3/G), 23 u. ZJ. hebt hervor, daß das Utopischq und das Exotische des Reiseromans sich zu einer organischen Einheit verbinden. Zu den Romanschlüssen vgl. in diesem Band S. 75-80, H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans.
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die abenteuerlichen Ereignisse imt Roman des Chariton über das gesamte Erzählwerk. Daß Jambulos' Erzählung über das utopische Wunderland zentrale Bedeutung erhält, wird mit einem Handlungsdefizit in jenem Hauptteil erkauft. In den utopischen Reiseromanen fehlt jedoch die Liebe, jedenfalls nach den Texten der erhaltenen Exzerpte zu schließen,78 während der Abenteuer- und Liebesroman, von Longos abgesehen, immer auch ein "Reise"roman ist. Und wie sieht es andererseits mit der Utopie im Abenteuerund Liebesroman aus? T. Szepessy kommt zu dem Ergebnis, daß Heliodor mit einem ,,idealisierten Äthiopien" "wenigstens in Umrissen eine politische Utopie aufgebaut" habe.79 Die in der Person des idealen Königs Hydaspes waltendf! Gerechtigkeit im Äthiopien Heliodors80 und die Gerechtigkeitsbestrebungen bei den utopischen Romanciers (vgl. unten S. 52-62) bilden eine weitere, gewissermaßen eine humane Klammer, die den Abenteuer- und Liebesroman und die Romanutopie verbindet. Auch das beiden Romanausprägungen gemeinsame gute Ende läßt sich bei allen Illusionen, die es vermittelt, in gewissem Sinne als ein Ausdruck der Humanisierung verstehen.
4· Historische V orausset:zungen und Gattungsgeschichte
Mit der Entstehung eines literarischen Genus sind erfahrungsgemäß beträchtliche Probleme verbunden, wie das Beispie~ des Epos und das der Tragödie sowie Komödie zeigen. Der antike Roman, eine relativ späte literarische Erscheinung, hat, wie gesagt, vielfältige historische und literarische Voraussetzungen. Bei der Bestimmung des Romanbegriffs sind bereits, wenigstens schemenhaft, einige Aspekte der Entstehungsbedingungen zum Vorschein gekommen. Wenn Hekataios von Abdera, Buherneros und Jambulos mit einbezogen werden, ist die Entstehung der Romandichtung in die Zeit um 300 v. u. Z. zu setzen. In der Frage, wie der Roman entstanden ist, gehen die Ansichten weit auseinander. Der Forschungsstand ist verschiedentlich zusammengefaßt.81 Die auf78
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0. Weinreich, Der griechische Liebesroman, Zürich 1962., n, setzt die in Diodors Auszug fehlende erotische Komponente für das unverkürzte Werk des Jambulos voraus, .,da nicht vorstellbar ist, daß sie in einem über zehn .Jahre umfassenden Erlebnisbericht völlig gefehlt hfbe". Zugleich wird darauf verwiesen, daß Diodor auch in seinen Exzerpten aus den .,Assyriaka" des Ktesias die dort nachweisbaren Liebesgeschichten von Ninos und Semiramis (?) sowie von anderen Liebespaaren weggelassen hat. T. Szepessy, Heliodoros und der griechische Liebesroman - das Autorreferat seiner Dissertation B -, in: Homonoia 3, 1981, .z.o3-2.07; Zitate ebenda z.os u. 2.04. Vgl. schon T. Szepessy, Die Aithiopika des Heliodoros und der griechische sophistische Liebesromani in: Acta antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae h 19n, Z.4I-Z.S9. bes. 2.44-Z.SI. Der Autor stellt ebenda zsx einen Zusammenhang zwischen Heliodor und den Romanutopien des Jambulos sowie des Buherneros her mit dem Hinweis auf die Bedeutung, ,die der Helios-Kult bei allen hatte. Für Buherneros wird Plinius, Naturalis historia 10, 4 herangezogen. Ebenda 248-zp. Vgl. E. A. Berkova und I. P. Strel'nikova, Vvedenie. Kratkij ocerk izu~enija anticnogo romana v zarubc:Znom, russkom i sovetskom literaturovedenii, in: Anticnyj roman (vgl. Anm. 2.7), 7-31; T. I. Kuznecova, Sostojanie izucenija greceskogo romana v sovremennom zarubemom literaturovedenii, ebenda, 36s-4oz.; G. N. Sandy, Recent Schalarship on; the Prose Fiction of Classical Antiquity, in: The Classical World 67, 1974, 32.1-3S9, bes. 331 f.; G. L. Schmeling, Xenophon von Ephesus (vgl. Anm. 23), 96-1o1. C. Garcla Gual, La invencion de Ia novela y
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kommende neue Erzählkunst konnte auf große, jahrhundertealte Traditionen der griechischen Literatur zurückblicken. Immerhin liegen zwischen der "Ilias" Homers und dem ersten Roman rund 4,0 Jahre. Die philologische Forschung hat versucht, dieses und jenes vorausgegangene literarische Genus als Quelle des Romans zu verstehen, was zu kunstvollen Konstruktionen und erstaunlichen Einseitigkeiten geführt hat. Bei der Suche nach möglichen literarischen Einflüssen wäre es zweckmäßiger, die gesamte vorausliegende Entwicklung der griechischen Literatur zu berücksichtigen. Die Formierung des Romans jedoch als mechanische Addition einzelner Elemente verschiedener Gattungen zu begreifen, erscheint verfehlt. Vom Prozeßcharakter bei der Genese des Romans war bereits die Rede (vgl. oben: S. 22-26). Es bleibt jedenfalls nachdrücklich zu betonen, daß die Interpretationen, die die bereits vorliegende Literatur als Quellgebiet der neuen Gattung verabsolutieren, wichtige historische Grundlagen übersehen. Daß .das Epos, das Drama und die Liebeselegie, die Geschichtsschreibung, die Novelle, die paradoxagraphische Literatur sowie weiteres Schrifttum bestimmte Einflüsse auf das sich entwickelnde Romangenus ausüben konnten, wird sich nicht bestreiten lassen. Wer hier nach Bezügen und Verbindungen sucht, sieht sich einem weiten Feld von Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber (vgl. im einzelnen S. 39-p). Aber ungeachtet aller literarischen Beziehungen und Berührungen ist hervorzuheben, daß die Einflüsse, die die vorhergehende und dann die gleichzeitige Literatur auf den sich formierenden Roman ausüben konnten und ausübten, inspirativen, keinen genetischen Charakter hatten, sie waren nicht in der Lage, die neue Gattung zu begründen, obwohl bestimmte Elemente der schon traditionellen Genera in die neue und relativ späte Kunst des Fabulierens Eingang fanden.82 Die Annahme, daß ein Genus oder mehrere ein anderes Genus hervorgebracht hätten, erscheint literaturtheoretisch nicht akzeptabel. Es wäre geradezu abwegig, etwa die attische Tragödie literaturimmanent und additiv als Produkt der vorangegangenen Gattungen, d. h. des Epos und der Lyrik, zu verstehen und dabei die ausschlaggebenden historischen Voraussetzungen im Attika des 6. und , . Jh. außer acht zu lassen. Für die Entstehung des griechischen Romahs sind gleichfalls die geschichtlichen Verhältnisse in Rechnung zu stellen, ja sie bilden genetisch relevante Bedingungen: Sie sind die Basis für die Produktion wie die Rezeption der Romanliteratur. Es hat in der Forschung nicht an Versuchen gefehlt, hier auf die gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen zurückzugreifen, auch wenn darüber sehr unterschiedliche Auffassungen und Einsichten bestehen. B. E. Perry ordnet in seinem viel beachteten Buch "The Ancient Romances" den Ia funcion social de los generos literarios en Grecia, in: Estudios de forma y contenido sobre los generos literarios griegos, hrsg. von J. A. Femandez Delgado, Caceres 1982., 8S-97· - Für eine kontinuierlich aktuelle Information über die Forschungen zum antiken Roman vgl. die bibliographischen Angaben in: The Petronian Society Newsletter, Editor: G. Schmeling; Vol. 16, 1-z, February 1986, u. a. mit einer Übersicht von B. P. Reardon über letzte Veröffentlichungen zum Thema .,The Greek Novel" (ebenda 11-14). Vgl. auch den Rückblick auf die Forschung, den H. Gärtner.gibt, in: Beiträge zum griechischen Liebesroman (vgl. Anm. 6o), VII-IX. 82 So auch C. W. Müller, Der griechische Roman (vgl. Anm. 41), 577-387. Vgl. schon B. E. Perry, The Ancient Romances (vgl. Anm. 30), xo, der den Beitrag einer alten literarischen Form zur Entstehung einer neuen allerdings nicht in einer .,inspiration" sieht, sondern nur in .,a loose structural pattern and building materials of one kind or another".
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frisch geborenen Roman dem "spirit and taste of the new individualistic age" zu, und die Gesellschaft, die ihn hervorbrachte, ist "an open one". 83 Da bald nach diesen nicht gleich durchschaubaren Begriffen eine Zeitangabe folgt, kann die Orientierung nicht verlorengehen. Der Roman entstand ca. 100 v. u. Z., und er endete um 300 u. Z., gemeinsam mit der offenen Gesellschaft, die ihn produziert hatte.M Neue literarische Gattungen werden ins Leben gerufen, so heißt es weiter, als die "willful creations of: men", die darauf ausgehen, "to satisfy the new spiritual or intellectual needs and tastes" eines großen Teils der Gesellschaft in einer gegebenen Periode der Kulturgeschichte.~:; Daß B. E. Perry die letzten 200 Jahre der Neuzeit mit der Entwicklung des modernen Romans - unter Bezug auf "the nature of its expanding social and intellectual outlook" für " ,contemporary' " in der; Hauptsache mit der Ara des griechischen Romans hält, geht wohl mehr auf das Konto der Spenglersehen Philosophie, die hier expressis verbis zur Anwendung kommt. 86 Aber in eigene Verantwortung fällt, was der amerikanische Gelehrte zum Geist der römischen Kaiserzeit äußert, die für ihn mit dem Zeitalter des griechischen Romans zusammenfällt. Dieser "spirit ... was essentially backward-looking, negative, and moribund in worldly affairs and prospects", womit über eine jahrhundertelange Kulturperiode recht undifferenziert geurteilt wird. Ein fruchtbarer Ansatz ist indessen mit den Hoffnungen der "common men" gewonnen. Sie richten sich jedoch, so heißt es, auf eine Form von göttlicher Offenbarung oder Autorität, die in der Tat, auf internationaler Basis, das kulturelle Gleichgewicht, die Solidarität und die Einheit des alten Stadtstaates wiederherstellen würde, "as the Christian church finally did". Es soll hier nicht unternommen werden, die verschiedenen historischen Ebenen alte griechische Polis, Kaiserzeit, Christentum-, die auf diese Weise ineinandergeschoben wurden, wieder zu sondern und unter ideologiekritischen Gesichtspunkten die notwendigen Unterscheidungen vorzunehmen. Festzuhalten sind vielmehr die Aspekte, die sich für die Voraussetzung des griechischen Romans als aussagekräftig erweisen, und zwar so aussagekräftig, daß es sich lohnt, sie schärfer herauszuarbeiten: die Hoffnungen der mittleren Schichten auf Rettung aus der Krise - Hoffnungen, die sich oft, aber nicht immer an göttliche Mächte knüpften - sowie die Sehnsucht nach der Polis, die den Interessen der Bürger entsprach und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung bereithielt. Noch schärfer formuliert: Die Erinnerung ging offenbar, wie der Roman des Chariton (vermutlich 1. Jh. v. u. Z.) 87 erkennen läßt, in die großen Zeiten der Polisdemokratie zurück. In der verklärenden Sicht des späteren Bewußtseins wurde das 5. Jh. v. u. Z. idealisiert, wobei die herrschenden gesellschaftlichen Widersprüche und die harten B. E. Perry, The Ancient Romances (vgl. Anm. 30), j. Ebenda 6. 85 Ebenda 9 f. Vgl. ferner I7l f. Bti Ebenda 6 ; hier auch die folgenden Zitate. 87 Vgl. C. W. Müller, Chariton von Aphrodisias und die Theorie des Romans in der Antike (vgl. Anm. 40), II8, wo neben dem 1. Jh. v. u. Z. auch das Ende des 2.. Jh. v. u. Z. noch für möglich gehalten wird. A. D. Papanikolaou, Chariton-Studien. Untersuchungen zur Sprache und Chronologie der griechischen Romane, Göttingen 1973 (Hypomnemata n), 162.; vgl. auch 13 u. 161. Daß Xenophon vonl Ephesos den Roman des Chariton gekannt und für sein eigenes Schaffen herangezogen hat, bewies A. Papanikolaou, Chariton und Xenophon von Ephesos. Zur Frage der Abhängigkeit, in: Beiträge zum griechischen Liebesroman, herausgegeben von H. Gärtner (vgl. Anm. 6o), 2.79-294 (= XIXpLt; K. I. Boupßep1l, Athen 1964, 30j-32o). H3
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Klassenauseinandersetzungen jener Glanzperiode88 verblaßten. Klassizistisch, um die Einstellung Charitons ·so zu nennen, gingen indessen mehr oder weniger auch andere griechische Romanautoren vor, wie etwa besonders der Verfasser des Metiochos-Parthenope-Romans89, in dem uns der Titelheld als Sohn des Miltiades, des Siegers von Marathon, entgegentritt, während Parthenope die Tochter des Tyrannen Polykrates von Samos ist. Daß die griechische Poliswelt in der Romanliteratur nicht nur im 5., sondern auch im 6. oder 4· Jh. angesiedelt wird, spielt vom Standpunkt der Spätzeit aus keine erhebliche Rolle. Um jedoch wieder auf B. E. Perry zurückzukommen: Seine Auffassung, nach der eine göttliche Autorität den alten Stadtstaat wiederherstellen sollte - diese Auffassung läßt sich weder im Wunschdenken der Unterdrückten noch in den Fiktionen des Romans nachweisen. Weiterführt dagegen der Gedanke, wie belastend sich der Untertanenstatus im römischen Imperium auf die Ambitionen der Bürger einer hellenistischen Stadt auswirkte. 90 Damit sind aber die gesellschaftlichen Grundlagen schon abgehandelt, die B. E. Perry bei der Entstehung des griechischen Romans sieht. B. E. Perrys sehr allgemein gehaltene Ausführungen zu den historischen Gegebenheiten haben B. P. Reardon in einer gleichfalls mit Recht geschätzten Studieu1 nicht gehindert, als Perrys großes Thema die Bedeutung des kulturellen Faktors bei der Genesis des Romans anzusehen, um anschließend festzustellen: "One should surely Iook to the broad conditions of society for the essential explanation of any artistic product ..."92 Damit ist eine grundlegende Aufgabe bezeichnet. Der Roman verkörpere die Erfahrung von der Isolation des Individuums in der Welt,93 eine Feststellung, der gleichfalls zugestimmt werden kann. So begrüßenswert die Absicht einer gesellschaftsbezogenen Interpretation auch erscheint - allein die so betonten sozialen Bedingungen, die für den griechischen Roman relevant sind, bleiben in den Darlegungen des Aufsatzes verhältnismäßig unbestimmt. Es heißt da "the society of the times", "in this age" und "the imperial age" 94 , was einen Zeitraum von etlichen Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit um-
88
Hierzu vgl. etwa H. Kuch, Gesellschaftliche Voraussetzungen und Sujet der griechischen Tragödie, in: Die griechische Tragödie in ibrerl gesellschaftlichen Funktion (vgl. Anm. 16), 11-~9. bes.
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Vgl. A. Dible, Zur Datierung des Metiochos-Romans, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft N. F. 4, 1978, 47-~ ~· Zur Rekonstruktion des Metiochos-PartbenopeRomans vgl. jetzt T. Hägg, Tbe Parthenope Romance Decapitated?, in: Symbolae Osloenses ~9. 1984, 61-92, der die bisher bekannten Text- und Bildzeugnisse mit der koptischen, fragmentarisch erhaltenen Märtyrergeschichte der Partbenope zu verbinden wußte. Auf Grund der arabischen und persischen Rezeption des Metiochos-Parthenope-Romans im Mittelalter sind weitere Erkenntnisse zu erwarten; vgl. ebenda 8~ f. Vgl. ferner T. Hägg, Metiochus at Polycrates' Court, in: Eranos 8~, 1985. 92-102. Über die "innocent manipulations" (9~), mit denen der Romanautor in seiner Geschichte Polykrates und Miltiades zusammenbrachte, vgl. ebenda
17-2~.
92-95·
B. E. Perry, The Ancient Romances (vgl. Anm. 30), 6 f: Vgl. auch den Gedankengang ebenda 17~ f., wo es aber mehr um die Weltanschauung "of society" als um die Gesellschaft selbst geht - wieder global gedacht: "the Alexandrian age", "the age of Pericles". 91 B. P. Reardon, The Greek Novel, in: Phoenix 23, 1969, 291-309. 92 Ebenda 291. 93 Ebenda 293. Vgl. auch ebenda 307. 94 Ebenda 304; 307; 309. 90
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faßt, ohne daß spezifische Aussagen zur Sozialstruktur oder zu bestimmten gesellschaftlichen Schichten gewagt würden. Und wenn "a closed society, the citystate"u5 begegnet, so befindet sich die Deutung theoretisch auf dem Wege, den B. E. Perry beschritten hatte.96 Unter Berufung auf diese Arbeiten stellt H. Gärtner fest: "In neuester Zeit gewinnt die einleuchtende Ansicht an Boden, daß erst die gesellschaftlichen Verhältnisse und weltanschaulichen Strömungen des späten Hellenismus und der frühen Kaiserzeit die Voraussetzungen für die Ausbildung und beachtliche Verbreitung dieser Prosaform geschaffen haben dürften." 97 B. E. Perry und B. P. Reardon haben zweifellos vor vielen anderen Erklärungen den Vorzu~ und das Verdienst, für den antiken Roman auf die Bedeutung der gesellschaftlichen Bedingungen en bloc verwiesen zu haben. Ungeachtet der von ihn~ erzielten Ergebnisse sieht es aber schon H. Gärtner in seinem anregenden Beitrag "Der antike Roman - Bestand und Möglichkeiten" u. a. als Aufgabe weiterer Forschung an, "die Abhängigkeit der Gattung und der Autoren von bestimmten historisch-politischen und sozialen Voraussetzungen" zu untersuchen. 98 Es erscheinen hier in der Tat - so kann dieser produktive Ansatz aufgenommen werden - eine schärfere Durchdringung der betreffenden gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse wie eine gesellschaftsbezogene Differenzierung erforderlich, und es gilt, die wesentlichen Triebkräfte in der historischen und literarischen Entwicklung freizulegen sowie die Wechselbeziehungen zwischen der jeweiligen Gesellschaft und der Romanproduktion herauszuarbeiten. An diese Aufgabe gingen von den Positionen des historischen Materialismus aus die Autoren des sowjetischen Kollektivwerkes "Anticnyj roman" (vgl. Anm. 27) heran, eine Arbeit, die übrigens in der internationalen Forschung bisher nicht die Beachtung gefunden hat, die sie auf Grund ihrer Erkenntnisse verdient. Konstruktive Gedanken zur Romanentstehung trägt C. W. Müller!l9 vor. Dabei ergibt sich ein relativ anschauliches Bild von der Zeit, in der seiner Meinung nach der Roman aufkam. In die Betrachtung einbezogen werden der Zerfall und Untergang der griechischen Staatenwelt, Kriege und Bürgerkriege, das römische Regime in Griechenland, die damit verbundene Bedeutungslosigkeit der alten Stadtstaaten und anderes mehr. Aber C. W. Müller sieht - hier wieder auf den Spuren von B. E. Perry - den griechischen Roman erst im ausgehenden 2. oder im Verlauf des 1. Jh. v. u. Z. aufkommen. 1uo Der griechische Roman entstand jedoch, wie schon gesagt, um 300 v. u. Z., unter den von Grund auf neuen historischen, im besonderen neuen politischen Verhältnissen,101 die sich seit der makedonischen Hegemonie und den Eroberungen Alexanders des Großen entwickelten, Eroberungen, die sich im Orient bis an die Grenze Indiens erstreck95
Ebenda 304. Vgl. jedoch mit weiteren Ausführungen B. P. Reardon, Courants litteraires grecs des IIe et IIIe siedes apres J.-C., Paris 1971 (Annales litteraires de I' Universite de Nantes 3), 309-405. 97 H. Gärtner, Roman, in: Der Kleine Pauly, Bd. 4, München 1971, 1451-1454; Zitat 1451. 98 H. Gärtner, Der antike Roman - Bestand und Möglichkeiten, in: Dialog Schule-Wissenschaften. Klassische Sprachen und Literaturen 13, 1980, 14-56; Zitat ebenda 38. 99 C. W. Müller, Der griechische Roman (vgl. Anm. 41), 381-383. too Ebenda 383. 101 H. Kuch, Zu den Entstehungsbedingungen des antiken Romans, in: Concilium Eirene XVI. Proceedings of the x6th International Eirene Conference, Prague 3 I. 8.-4. 9· 1981, hrsg. von P. Oliva und A. Frolikova, Bd. I, Prague 1983, 310-315. 96
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ten. Der geschichtliche Prozeß um die Wende vom 4· zum 3· Jh. v. u. Z. wird durch neu~ artige Staatsbildungen und die wechselvollen Machtkämpfe der Diadochen geprägt. Es ist keine Frage, d~ bei allen politischen Veränderungen die antike Produktionsweise mit den ihr immanenten gesellschaftlichen Widersprüchen, vor allem zwischen Privateigentum und Sklaverei, in Griechenland fortbestand, und eine ähnliche Konstanz bewahrte in den Gebieten des ehemaligen Perserreiches offenbar die asiatische Produk~ tionsweise, die sich hauptsächlich durch den Gegensatz von Obereigentum der Herrscher und abhängigen Produzenten gekennzeichnet findet. 102 Was jedoch fortlaufender Veränderung unterlag, waren die politischen Konstellationen im Spannungsfeld der neu entstandenen Mächte. Der ständige Wechsel der Verhältnisse gleicht einer Kette sich überstürzender Ereignisse; wie sie beinahe nur in einem griechischen Roman vorkommen. Festen Bestand wie die antike Produktionsweise hatte im griechischen Siedlungs~ gebiet die Institution der Polis 103, und unvermindert weiter ging der Betrieb im Theater, im Stadion, im Gymnasien wie in den besten Zeiten des Stadtstaates. Aber die politische Stellung der einstigen zentralen gesellschaftlichen Organisationsform hatte sich grundlegend geändert, womit sich die Poliskrise104, die bereits im letzten Drittel des 5. Jh. in Erscheinung getreten war und sich im 4· Jh. voll auswirkte, weiter vertiefte. Nach dem Verlust der Freiheit und Autonomie der klassischen Zeit sahen sich die Stadtstaaten im allgemeinen mehr oder weniger in monarchisch regierte Komplexe einbezogen, so daß sich ihre Aktivitäten auf die Probleme der Kommunalebene beschränken mußten. Das politische Leben der hellenistischen Polis, eines relevanten Inhalts beraubt, kam einem gespenstischen Leerlauf gleich. Es waren; auch die beträchtlichen Möglichkeiten politischer und kultureller Entfaltung verloren, wie sie dem Individuum einer freien Polis des 5· Jh., wenn auch nach der jeweiligen sozialen Stellung sehr differen~ ziert, zur Verfügung gestanden hatten. Zurückgedrängt scheinen in besonderem Maße die gesellschaftlichen Schichten gewesen zu sein, die in der großen Vergangenheit an weitreichenden Entscheidungen und Verfügungen mitbeteiligt waren: die Mittelschichten der Polisbürger. Ihr politischer Wirkungsgrad war durch die Integration der Polis in einen autoritär geleiteten Flächenstaat erheblich herabgesetzt. Im 5. Jh. weitgehend Sub~ jekt im historischen Prozeß, sahen sich diese gesellschaftlichen Kräfte jetzt zunehmend zum Objekt in der Geschichte deklassiert. Da die Leitung des Gemeinwesens im Hellenismus immer mehr auf die einheimische Oberschicht überging und die Polis darüber hinaus in wachsendem Maße zum Spielball übergreifender äußerer Mächte wurde selbst das einst so mächtige Athen konnte dieses, Los nicht von sich abwenden1U!i - ,
11n H. Kreißig, Geschichte des Hellenismus, iO"J
2.. Auf!. Berlin 1984. Über die hellenistische Polis vgl. C. Preaux, Le monde hellenistique. La Grece et l'Orient de Ia mort d'Alexandre a Ia conquete romaine de la Grece (32.3-146 av. J.-C.), Bd. 2., Paris 1978, 401-,41; F. Quass, Zur Verfassung der griechischen Städte im Hellenismus, in: Chiron 9, 1979, 37-,1. - Vgl. auch G. A. Koschelenko, Greceskij polis na ellinisticeskom vostoke, Moskva
1979104 105
3
Zu Problemen in der Zeit der Poliskrise vgl. Hellenische Poleis. Krise - Wandlung - Wirkung, hrsg. von E. Ch. Welskopf, Bd. 1-4, Berlin 1974. Vgl. Cl. Masse, Athens in Decline 404-86 B. C., Landon-Boston 1973; Chr. Habicht, Untersuchungen zur politischen Geschichte Athens im 3· Jahrhundert v. Chr., München 1979. Nach
Kuc:b
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breitete sich weithin Desinteresse am' öffentlichen Leben aus. Damit verband sich die Tendenz zum Individuellen, Häuslichen, Privaten. Es setzte auf breiter Basis eine Entfremdung von der Polis ein - eine Erscheinung, die im Gegensatz etwa zur Mitte des 5· Jh. v. u. Z. steht-, und dem Individualismus waren Tor und Tür geöffnet. Die Fragen des Individuums, die unter diesen Verhältnissen gestellt wurden, suchten die Philosophie, die Kunst und die Literatur zu beantworten. Das versuchte auch der Roman, der sich in jener historischen Situation herauszubilden begann. Er trat zuerst in der Form des utopischen Reiseromans auf, und es liegt nahe, ihn als eine Reaktion auf die gesellschaftliche Enge und Beschränktheit zu verstehen. In das Fabelland der Phantasie wurden sozialutopische Ideen zur Gestaltung einer gerechteren Gesellschaft projiziert, die unter den zeitgenössischen Gegebenheiten nicht zu verwirklichen waren. Diese literarischen Initiativen erstrecken sich VOll! Hekataios von Abdera über Euhemeros und Jambulos bis zu Dionysios Skytobrachion. Besondere Bedeutung kommt dem utopischen Denken des Jambulos zu. 100 Der antike Autor wagte in der Auseinandersetzung mit den bestehenden Verhältnissen einen progressiven gesellschaftstheoretischen Vorstoß, der von einem entschiedenen Gleichheitsprinzip und vom Gemeineigentum an den Produktionsmitteln ausgeht. Auf diese Weise wurde im Reiseroman des Jambulos eine gesellschaftskritische Alternative zur zeitgenössischen Wirklichkeit entwickelt. Wichtige Voraussetzungen der Utopie sind hier einmal eine überaus fruchtbare Natur sowie ein einfaches Leben, also Gegebenheiten des mythischen Goldenen Zeitalters. Hinzu kommt bei Jambulos jedoch die Einrichtung der Arbeit. Der hier vorgesehene Wechsel' der Tätigkeiten trägt den Gedanken einer gewissen Allseitigkeit in sich. Neben den desolaten Beschränkungen der Polis bildete die epochale Erweiterung des griechischen Geschichtsfeldes einen günstigen Nährboden für die Romangattung. An den Anfängen des Romans hatte sich eine Wunderwelt aufgetan: der Orient. Orientalische Einflüsse spielten für die griechische Kultur wenigstens von der archaischen Zeit an, und dann natürlich in klassischer Zeit, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Jetzt jedoch, nach dem Alexanderzug, hatte si~ der Orient den Griechen bis Indien geöffnet, und es sind seine Reize, die die Phantasie beschäftigen - gerade auch der Romanautoren und offenbar gleichfalls ihrer Rezipienten.
106
dem Chremonideischen Krieg (167-161 v. u. Z.) war die Aktivität der athenischen Volksversammlung "sehr bescheiden", stellt Chr. Habicht, Studien zur Geschichte Athens in hellenistischer Zeit, Göttingen 19Bz (Hypomnemata n). 10, fest. Sie hat "aus eigener Initiative in diesen Jahren schwerlich andere als Routineangelegenheiten behandelt" (ebenda u). Ungeachtet der .Änderung dieses Zustandes nach der Mitte der soer Jahre des 3· Jh. v. u. Z. blieb Athen "politisch weiterhin an König Antigonos gebunden" (ebenda). Vgl. ferner ebenda 118. Vgl. R. Müller, Zur sozialen Utopie im Hellenismus, in: R. Müller, Menschenbild und Humanismus der Antike. Studien zur Geschichte der Literatur und Philosophie, Leipzig 1980 (Reclams Universal-Bibliothek 841), 189-101, vor allem 191-101 (= Die Rolle der Volksmassen in der Geschichte der vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen. Zum XIV. Internationalen Historiker-Kongreß in San Francisco 197s, hrsg. von J. Herrmann und I. Sellnow, Berlin 197S [Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR 7], 27J-186). Über die ideologischen Hintergründe der Utopie des Jambulos, die sich in Anbetracht der Rolle, die hier der Sonnenkult und das Ideal der Gleichheit spielen, bis in den Orient verfolgen lassen, vgl. R. Müller, Sozialutopisches Denken in der griechischen Antike (vgl. Anm. 76), 24 f.
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Das bezeugen eindeutig der Alexander-Roman und der Ninos-Roman, der die Liebesgeschichte des assyrischen Königs Ninos mit Semiramis (?) zum Inhalt hat. Noch io späterer Zeit legen es die Romanautoren darauf an, bereits mit den Titeln ihrer Werke Vorstellungen von der verlockenden Sphäre des Orients hervorzurufen und die dahin gehenden Leserinteressen anzusprechen. Erinnert sei nur an die "Babyloniaka" des Jamblichos, die erst unlängst entdeckten "Phoinikika" des Lollianos und die "Aithiopika" des Heliodor, und im Mittelpunkt des Sesonchosis-Romans steht ein ägyptischer Herrscher. 107 Von den Zaubern ferner Horizonte profitierten indessen schon die utopischen Reiseromane. Nachdem die Verfasser der Romanutopien von etwa 300 bis in das 2. Jh. v. u. Z. hinein ihre Auseinandersetzungen mit den zeitgenössischen Verhältnissen ohne sichtbare Erfolge geführt hatten - ein Ergebnis, das nicht überraschen kann -, verband sich mit der Exotik ein neues Element, das aus der Gattungsgeschichte des antiken Romans von da an nicht mehr wegzudenken ist:· die Liebe, zuerst faßbar im Ninos-Roman (Ende des 2. Jh. oder 1. Jh. v. u. Z.). Mit der neuen Komponente verlagerte sich das poetische Interesse des Romans aus dem Gesellschaftlichen ins Individuelle, und es ist keine Frage, daß hier der Individualismus der Zeit mitwirkte und seinen Niederschlag gefunden hat wie beispielsweise schon in der Neuen Komödie. Auch wenn sich von Jambulos etwa bis beispielsweise Chariton ein Entwicklungssprung abzeichnet, besteht zwischen dem utopischen Reiseroman und dem Liebesroman keinesfalls eine unüberbrückbare Kluft. Beide Romanformen weisen mehr oder weniger gleiche Grundelemente auf, wie sie bereits im Vorhergehenden vorgeführt wurden (vgl. oben S. 27 f.). Im Zentrum des Abenteuer- und Liebesromans, zu dem sich der Roman, wenn nicht schon im 2., so doch im 1. Jh. v. u. Z. erweiterte und - unter gesamtgesellschaftlichem Aspekt - verengte, steht meist ein Liebespaar, d. h. zwei einzelne Menschen, die sich gegenüber einer feindlichen Welt zu behaupten haben. Die Liebenden, im allgemeinen auf sich allein gestellt, bewältigen bzw. überstehen eine Fülle von schwierigen und gefährlichen Situationen, wie Trennung, Seesturm, Überfall durch Räuber oder Piraten, Sklaverei, Scheintod. Dieser Motivkatalog wird in der literarischen Entwicklung von Chariton bis Heliodor mannigfach variiert, ausgestaltet und ergänzt, abelj am Schluß steht ausnahmslos ein gutes Ende. Im Reich der Phantasie erschloß das neuf! Genus Erlebnisbereiche und Erfahrungsmöglichkeiten, die die Wirklichkeit dem frustrierten Individuum der Mittelschichten in dieser Fülle und Abwechslung kaum bieten konnte. Das harte reale Dasein vermochte dem einzelnen oder Vereinzelten jedenfalls nicht zu garantieren, was im Roman zu einem fast obligatorischen Gattungsspezifikum wurde: ständige Rettung aus immer neuen Notlagen und stets einen glücklichen Schluß. Solche verheißungsvollen Aussichten und glücklichen Wendungen mußten einem krisenbedingten Suchen nach Auswegen ebenso erstrebenswert wie lesenswert erscheinen. Offenbar kam das neue literarische Genus von Anfang an mit seinen Romanwirklichkeiten den Bedürfnissen und Wunschvorstellungen weiter Kreise entgegen. In dieser Weise scheint der Roman für ein beträchtliches Publikum attraktiver als die traditionelle Literatur gewesen zu sein, die den betreffenden Anforderungen seit dem 3· Jh. nicht mehr voll gerecht werden konnte, nachdem sie sich vor allem im ~· Jh. mit den aktuellen liYT
Vgl.
J. N. O'Sullivan, The Sesoncbosis Romance,
~6, 1984, ~9-44· 3*
in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik
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Problemen der Gesellschaft bewunderungswürdig engagiert auseinandergesetzt hatte. Das mangelnde Vermögen der konventionellen Gattungen, auf die neuen Erfordernisse zu reagieren, hat die Entstehung des Romans vermutlich mit gefördert. Dabei stellten sich in einer historisch von Grund auf veränderten griechischen Welt neue literarische Kommunikationsbeziehungen her: zwischen Autoren, die mit den romaneigenen Mitteln der illusionistischen Fiktion verlockende Bilder entwarfen, und individuellen Lesern oder, besser, lesenden Individuen, die ihre Hoffnungen und Erwartungen auf der literarischen Ebene erfüllt sehen wollten, womit ein bestimmter Erwartungshorizont entstand. Diese Kommunikationsbeziehungen - sie gründeten sich in den äußeren Formen auf ein entwickeltes Buchwesen - unterschieden sich im Prinzip von den Kommunikationsverhältnissen des Epos der archaischen und des Dramas der sog. klassischen Zeit, die zwischen Rhapsoden (ursprünglich Sängern) und Hörern bzw. zwischen Bühnendichtern und Zuschauern, d. h. zwischen dramatischen Aufführungen und Theaterpublikum, bestanden. Aber als weitaus größer als in den äußeren Formen erweisen sich die Unterschiede zu den traditionellen Gattungen im Inhaltlichen. Daß die literarische Produktion und die Rezeption der Literaturwerke in dialektischen Beziehungen stehen, kam im Vorhergehenden verschiedentlich zum Ausdruck. Ohne jene Wechselbeziehungen außer acht zu lassen, soll jetzt im Zusammenhang mit den Entstehungs- und1 Entwicklungsbedingungen des Romans auf die Rezipienten der Romanliteratur etwas näher eingegangen werden. 108 Die Frage nach dem Lesepublikum109 - sie wird nach allem, was bisher ausgeführt! wurde, nicht den Verdacht eines rezeptionsimmanenten ästhetischen Denkens erwecken - ist nicht leicht zu beantworten. Wer also las in der Antike einen Roman? Zweifellos kannte Macrobius (um 400 u. Z.) Romane, die er aber in seinen "Commentarii" zu Ciceros "Somnium Scipionis" (x, 2, 8), wie sich zeigte (vgl. oben S. 14 f.), abschätzig beurteilte, und ein Romankenner war in byzantinischer Zeit, im 9· Jh. in Konstantinopel, Photios, was seine "Bibliotheke" be109
100
Die folgenden kurzen Bemerkungen tragen einen eher einführenden Charakter. In diesem Band ist dem Lesepublikum ein eigenes Kapitel vorbehalten : vgl. K. Treu, Der antike Roman und sein Publikum, S. 178-197; hier wird zugleich au~ die Problematik der Zirkulation behandelt (S. 189-191). In der griechisch-römischen Literaturwissenschaft beginnt die Frage des Adressatenbezugs eine wachsende Rolle' zu spielen. Vgl. W. Rösler, Dichter und Gruppe. Eine Untersuchung zu den Bedingungen und zur historischen Funktion früher griechischer Lyrik am Beispiel Alkaios, München 1980 (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste jO); M. v. Albrecht, Dichter und Leser - am Beispiel Ovids, in: Gymnasium 88, 1981, 222-135; ders.,, Ovide et ses lecteurs, in: Revue des etudes latines 59,1981 (1982), 2.07-21j; ders., Vergil und Homer, in: Concilium Eirene XVI. Proceedings of the 16th International Eirene Conference, Prague 31. 8.-4. 9· 1982, hrsg. von P. Oliva und A. Frolikovä, Bd. 3· Prague 1983, 7-12.; W. Nicolai, Rezeptionssteuerung in der Ilias, in: Philologus 12.7, 1983, 1-12.; ders., Zu den politischen Wirkungsahsichten des Odyssee-Dichters, in: Grazer Beiträge 11, 1984, 1-10; W. Rösler, Der Anfang der ,Katharmoi' des Empedokles, in: Hermes I 11, 198 3, 170-179 ; ders., Über Deixis und einige Aspekte mündlichen und schriftlichen Stils in antiker Lyrik, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft N. F. 9, 1983, 7-28; J. Latacz, Realität und Imagination. Eine neue Lyrik-Theorie und Sapphos cpcxtveTcx( !J.OL x'ijvoc;-Lied, in: Museum Helveticum 42, 198s, 67-94; H. Kuch, Wirkungsästhetische Aspekte der griechischen Literatur, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der ·Wilhelm-Pieck:-Universität Rostock, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 27, 1978, 507-510.
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weist (vgl. oben S. I6 f.). Griechische Romanlektüre ist schließlich für die römischen Romanautoren vorauszusetzen, ganz sicher für Apuleius und offenbar auch für Petron. Mit den bisherigen Beispielen sind nur Einzelpersonen oder eher Persönlichkeiten erfaßt, die für die Leserschaft der antiken Romane wenig repräsentativ und kaum typisch erscheinen. Oder war ein typischer Romanleser jener römische Offizier, in dessen Gepäck nach der Schlacht bei Carrhae (53 v. u. Z.) die "Milesischen Geschichten" des Aristeides in Sisennas Übersetzung gefunden wurden? Der Vorfall (vgl. Plutarch, Crassus p) scheint von den parthiseben Siegern vorschnell verallgemeinert worden zu sein, indem die pikante Lektüre als charakteristisch für "die Römer" (ebenda 32, 4) gewertet wurde. Nach der propagandistischen Ausschlachtung durch die Parther zu urteilen, wird der delikate Fund indessen kein Einzelfall im römischen Offizierskorps gewesen sein. Übrigens war der lateinische Übersetzer der "Milesiaka" selbst immerhin Legat des Pompeins im Seeräuberkrieg, also ein Mann höheren militärischen Ranges. Interessant ist ferner die Nachricht, daß der Romanschriftsteller Antonios Diogenes sein Werk seiner Schwester Isidora gewidmet habe (Photios, Bibliotheke I66, S. I I I ab). Weichen Anteil die Frauen an der Lektüre von Romanen hatten, kann aus diesem Zeugnis nicht erschlossen werden. Nähere Aufschlüsse in jener Frage lassen sich eher aus einer Untersuchung über die Stellung der Frau im Roman gewinnen, womit methodologisch die Richtung für die Analyse gewiesen ist. Da entsprechende, hinreichend aussagekräftige Quellen nicht zur Verfügung stehen, wird es generell notwendig, das Lesepublikum aus den literarischen Werken selbst zu erschließen, unter strikter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten historischen Bedingungen.110 Daneben können allgemeine Schlüsse aus besonderen, parallel verlaufenden, aber aufeinander bezogenen Phasen der Geschichts- und Romanentwicklung gewonnen werden. Dieser Ansatz empfiehlt sich für die Anfänge des Genus von der Zeit um 300 bis in das 2. Jh. v. u. Z. hinein, als in der sich verschärfenden Poliskrise die politisch dem Stadtstaat entfremdeten Mittelschichten nach Auswegen suchten (vgl. oben S. Hf.; 35). Es erscheint im Hinblick auf die diesem Suchen korrespondierende Gegenbildfunktion des Romans (vgl. S. 2 3 f.; p-8 I) nicht unbegründet, besonders in den genannten Schichten potentielle Romanrezipienten zu sehen. Der gleiche Gedanke läßt sich produktiv machen für eine weitere besondere Phase, eine relativ späte Zeit in der EntwickluQg der Romanliteratur: das 2. Jh. u. Z., als die sog. zweite Sophistik ihre Blütezeit erreichte. Wer das spezifische Publikum suchte, für das Romane geschrieben wurden und das Romane forderte, findet in diesem Zeitraum günstige Gegebenheiten vor. Hier ist eine lebhafte Romanlektüre anzunehmen, wie Papyrusfunde mit Romantexten und eine uo Diese Aufgabe stellte sich auch V. N. Iljuseckin, Idejnaja bor'ba v rimskom obscestve 1-111 vv., Autorreferat der Diss. A, Moskva 1981 (Akademija Nauk-SSSR. In~titut Vseobscej lstorii), der zuversichtlich von einer großen Popularität der Romanliteratur "in den untersten und mittleren Schichten nicht nur der griechischsprachigen Städte der östlichen Provinzen des Imperiums, sondern auch in Italien" spricht (ebenda 2). Modifizierend wird dann ebenda 13 f. festgestellt, daß die griechischen Romane im Grunde auf das "mittlere und untere Publikum" (14) orientiert gewesen seien. Dieser Feststellung kann zugestimmt werden, soweit sie die Mittelschichten betrifft. Die Angehörigen der unteren Schichten verfügten im allgemeinen kaum über die Voraussetzungen zu einer Romanlektüre, wie vor allem eine gewisse Vorbildung, die zum Verständnis der Romane unerläßlich ist. V gl. hierzu in diesem Band K. Treu, Der antike Roman und sein Publikum, S. 180-186.
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beträchtliche Zahl von neuen Romanproduktionen nahelegen. Ob jedoch das romanintensive z. Jh. u. Z. mit seiner zunächst noch relativen Stabilität im Inneren wie an den Grenzen des Römischen Reiches, das unter der Herrschaft des Kaisers Trajan (98-117) immerhin seine größte territoriale Ausdehnung erreichte und auch in der Zeit Hadrians (1 17-1 38) anscheinend keine ernsteren Gefahren zu fürchten hatte - ob also jene in den ersten Jahrzehnten des 2. Jh. u. Z. noch verhältnismäßig stabilen und saturierten Verhältnisse die entscheidenden Bedingungen für dit:~ Abfassung und die Lektüre von Romanen abgaben, sei dahingestellt. Es bleibt vielmehr zu fragen, ob es nicht eher die unterschwelligen und im Laufe des 2. Jh. u. Z. offen hervortretenden Krisenerscheinungen111 waren, aus denen der erstaunliche Auftrieb in der Romanproduktion und -rezeption zu erklären ist. Zu jenen krisenhaften Entwicklungen zählen vor allem die Verschärfung der inneren Widersprüche der Sklavereigesellschaft, darunter etwa die soziale Differenzierung in honestiores ("Ehrwürdige") und humiliores ("Niedere"), sowie die verschiedenen Bedrohungen des Reiches durch äußere Feinde, besonders seit der Jahrhundertmitte. 112 Zu den Krisensymptomen gehört auch der Niedergang der Städte, während in der fiktionsorientierten Romanliteratur die Polis konstant blieb. In der zunehmenden Misere des Imperium Romanum scheinen gerade die dem römischen Staat entfremdeten Mittelschichten, die keine Chancen einer politischen Selbstverwirklichung hatten, gleichfalls als mögliche Romanrezipienten in Betracht zu kommen - wie die Mittelschichten aus der Entstehungszeit des Romans, als die Poliskrise weiter voranschritt. Die Krise der Polis im hellenistischen Griechenland des 3· und 2. Jh. v. u. Z. kann keineswegs mit der Krise des Imperium Romanum gleichgesetzt werden, die im Verlauf des 2. Jh. u. Z. in Erscheinung trat. Was sich jedoch zueinander in Beziehung setzen läßt, sind allgemeine historische Faktoren, die sich im Hellenismus wie in jener Epoche der römischen Kaiserzeit finden: eine autoritäre Zentralgewalt auf der einen Seite und auf der anderen Seite weite Schichten, die von der Teilnahme an der politischen Machtausübung mehr oder weniger getrennt waren. Vergleichbar erscheinen in diesem Rahmen auch die Bedingungen zur Rezeption des antiken Romans, der es immer aufs neue verstand, für sein Lesepublikum verführerische Bilder zu entwerfen, die um so vieles anziehender und erfreulicher waren als die - für viele - graue Gegenwart. Es wäre indessen verfehlt, im historischen Prozeß der Antike etwa permanente Krisen anzunehmen, wie es gleichfalls nicht angeht, die Romanproduktion generell an Krisen zu binden. 113 In der Geschichte der antiken Romanliteratur gab es zweifellos auch relativ 111 Vgl. hierzu W. Seyfarth, Römische Geschichte. Kaiserzeit, Bd. I, 3· Auf!. Berlin I98o, I77-I79· H. Dieter, R. Günther, Römische Geschichte bis 476, 2.. Aufl. Bcrlin 1981, 2.69 f. u. 2.74 f.
112
113
Über wirtsd!aftliche, soziale und politische Veränderungen in der römischen Gesellschaft seit der zweiten Hälfte des 2.. Jh. u. Z. vgl. auch R. Günther, Vom Untergang Westroms zum Reich der Merowinger. Zur Entstehung des Feudalismus in Europa, Berlin 1984, I 1 f. Über Reflexe der sozialen Differenzierung in der kaiserzeitlichen Literatur vgl. H. Grass!, Sozialökonomische Vorstellungen in der kaiserzeitlichen griechischen Literatur (1.-3. Jh. n. Chr.), Wiesbaden I982. (Historia, Einzelschriften 41), I7S-I98; I7S f. sogleich mit einem Beispiel aus dem Roman: Apuleius, Metamorphosen 9, 3 s-38. Die Formel "Roman und Dekadenz", die F. Altheim, Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum, Bd. I, Halle 1948, I3-47, fand, kann keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben.
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stabile Zeiten, so etwa das 1. Jh. u. Z. und gerade das frühe 2. Jh. u. Z. Darüber hinaus neigten offensichtlich nicht zuletzt saturierte Schichten und Gruppen zu literarischen und ungefährlichen Ausflügen ins Reich der Fiktion, wie überhaupt die Lust zum Abenteuerlichen wohl auch damals weit verbreitet war, und es wäre unzulässig, dieses Erlebnisverlangen kurzerhand auf bestimmte gesellschaftliche Schichten zu beschränken. Daß die Romangattung überdies ein relatives Eigenleben führte, ist auch in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Wer die Voraussetzungen für die Entstehung des griechischet:W Romans klären will, darf jedoch, wie sich erwies, die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen seit der makedonischen Hegemonie und den Eroberungen Alexanders nicht übersehen. Zu beachten sind dabei auch die Einwirkungen und Anregungen der Phänomene des geistigen Überbaus, so der hellenistischen Philosophie, Kunst und Religion. Daß die Einflüsse der Religion, besonders der Mysterien, auf den Roman beträchtlich sind, soll hier wenigstens erwähnt werden, doch die religiösen Wirkungen bei der Entstehung des Romans zu verabsolutieren, wie es geschehen ist, begrenzt das Gesichtsfeld, da der ästhetische Bereich des Romans weit über jene - gewiß starke - Religionskomponente hinausgeht. Romanwerke lassen sich nicht als verschlüsselte Mysterientexte verstehen. 114 Weitaus wesentlicher für die Herausbildung des Romans als die Kultsphäre erscheinen da die literarischen Voraussetzungen des griechischen Romans, auch wenn sie, wie gesagt, allenfalls inspirativ wirken konnten; ohne in der Lage zu sein, von sich aus die Romangattung ins Leben zu rufen. 115
5· Literarische Inspirationen aus anderen Gattungen
Wenn nach möglichen Einflüssen einzelner literarischer Genera auf den Roman gefragt wird, muß an erster Stelle das Epos genannt werden. Die Homerische "Ilias" - um 7 ~o v. u. Z. - enthält ja gewissermaßen kleine Romane, wie die Geschichte von Melel1i
ll:i
Zur Auseinandersetzung mit Auffassungen, wie sie vor allem R. Merkelbach, Roman und Mysterium in der Antike, München-Berlin (West) I962., vertreten hat - er wollte nachweisen, "daß die Romane wirklich Mysterientexte sind" (VII) -, vgl. I. Stark, Religiöse Elemente im antiken Roman, in diesem Band S. I3f-I49· Vgl. auch T. Hägg, Eros und Tych~ (vgl. Anm. 53), u8 bis I F. - über die Präsenz des Dionysos im griechischen Roman A. M. Scarcella, Morfologia e 1ideologia dionisiaca, nel romanzo greco d'amore, in: Filosofia della natura e pensiero religioso, Perugia I986 (Quaderni dell'lstituto di Filosofia 3), 11-2.3. .Das 1876 erschienene Buch von E. Rohde "Der griechische Roman und seine Vorläufer" (vgl. jetzt die 4· Aufl. Berlin I96o) ist nicht nur wissenschaftsgeschichtlich interessant, sondern bietet, obgleich sich seine These von der Entstehung des griechischen Liebesromans in der Zeit der sog. Zweiten Sophistik nicht halten läßt, für die Interpretation der Vorläufer des Romans auch heute noch Anregungen. Das gleiche gilt mutatis mutandis für die I896 gehaltenen Vorträge von E. Schwartz: Fünf Vorträge übeJ:I den griechischen Roman. Das Romanhafte in der erzählenden Literatur der Griechen. Mit einer Einführung von A. Rehm, 2.. Aufl. Berlin I943· Aufschlußreiches Material für Ursprungsfragen ferner bei B. E. Perry, The Ancient Romances (vgl. Anm. 30), 3-IBo. In der Verwendung dieses Materials gehen die Auffassungen jedoch weit auseinander. Über Entstehungshypothesen vgl. die oben in Anm. BI u. IOI genannte Literatur. Vgl. auch die von H. Gärtner unlängst zusammengestellten "Beiträge zum griechischen Liebesroman" (vgl. Anm. 6o).
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agros im 9· Buch (527-599), die Phoinix "erzählt" (vgl. 5z8: ereo), um den Groll des Achilleus zu besänftigen und ihn zur Wiederaufnahme des Kampfes gegen die Trojaner zu bewegen. Die Geschichte trägt ganz und gar heroisches Gepräge (vgl. JZ4 f.: klea andron I heroon), wa8 nicht überraschen kann, jedoch im besonderen auf den grollenden Heros zugeschnitten ist, der gerade eben noch selbst die "Ruhmestaten der Männer" (9, 189: ktea andron) besang. Schon durch das sehr unterschiedliche Weltbild des Heldenepos - von den Unterschieden in der Struktur und Funktion ganz abgesehen - ist die Phoinix-Erzählung von griechischen Romanen entschieden getrennt. Aber die Geschid.tte von Meleagros enthält doch auch "Abenteuer", so die gefährliche Jagd auf den Kalydonischen Eber, der das Land verwüstet hatte, den Streit um die Beute, als das Tier erlegt war, den Kampf der Kureten und Aitoler, die Belagerung der Stadt Kalydon, und die epische Erzählung integriert gleichfalls die Liebe. Die "schöngegürtete Gattin" (590) stellt dem - wie Achilleus - grollend vom Kampf sich fernhaltenden Meleagros die Gefahren vor Augen, die einer eroberten Stadt drohen: Tötung der Männer, Niederbrennen der Stadt, Versklavung der Frauen und Kinder (593 f.), worauf Meleagros im letzten Moment rettend eingreift, so daß noch ein relativ guter Ausgang erreicht wird. Es wäre unsinnig, hier einen Roman erkennen zu wollen, und daher soll auch nicht versucht werden, den Vergleich etwa durch die Erwähnung der Einlage auszubauen, die sich in jener Erzählung findet: die Geschichte vom Raub der Marpessa (s 57 bis s64). Aber bei allen Unterschieden der Weltsicht und der Gattung lassen sich in der Meleagros-Geschichte romanhafte Elemente nicht übersehen. Weitaus stärkere Inspirationen für den Roman konnten von den abenteuerlichen Irrfahrten der "Odyssee" (um 700 v. u. Z.) ausgehen. Reisen, meistens ganz unfreiwillige, und Abenteuer, möglichst gefährliche und verwickelte, wurden für zahlreiche Romane geradezu handlungsorganisierend, wie etwa die Werke eines Chariton, Antonios Diagenes und Heliodor zeigen. Eine solche erzwungene Reise läßt Apuleius - wie das griechische Vorbild - seinen Helden in Eselsgestalt antreten, und wenn Odysseus durch Poseidans Zorn umhergetrieben wird, so ist in Pettons "Satyricon" auslösendes Moment unsteten Herumziehens der Zorn des Priapus. Unter den potentiellen Inspirationsquellen des Romans ist ferner die Lyrik zu nennen, vor allem die Liebeselegie. Indirekte Einflüsse der Gedichte an Nanno eines Mimnermos von Kolophon (um 6oo v. u. Z.) etwa lassen sich vielleicht nicht aussd.tließen. Aber weitaus näher liegt die hellenistische Liebeselegie erzählerischen Inhalts, wie sie etwa Hermesianax von Kolophon und andere Dichter verfaßten. Ein berühmtes Beispiel ist Kallimachos' Liebesgeschichte von Akontios und Kydippe. 116 Schon im 4· Jh. v. u. Z. schrieb Antimachos von Kolophon im elegischen Versmaß ein nach seiner verstorbenen Geliebten Lyde benanntes längeres Werk;, in dem sich Liebesschicksale aneinanderreihten. Wesentliche Züge des Romans erinnern auffällig an das Drama, an die Tragödie ebenso wie an die Komödie. Es fällt sogleich ins Auge, welche Bedeutung im Roman den Reden zukommt, den Dialogen, den Monologen, den Redeberichten, und da sind ferner die überraschenden Peripetien anzuführen, das Motiv des Anagnorismos und das nahezu genusverbindliche Happy-End des Romans, wie es sich bei Euripides, dann auch einmal bei Sophokles; im "Philoktet", und vor allem bei Menander vorgebildet findet, 116 Vgl. die Kallimachos-Ausgabe von R. Pfeiffer, Bd. 1, Oxford 1949, Fr. 67-75.
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wobei auch Aristophanes nicht übersehen werden kann. Das gelegentliche EskapismusDenken beim jüngsten der drei großen attischen Tragiker117 hätte seine Entsprechung in den Fluchtideen des Romans. Nicht zu vergessen sind die Botenberichte, die in sich geschlossene Episoden zum Gegenstand haben und, da ihr Geschehen nicht auf die Bühne verlagert werden kann, als Erzählung vorgetragen werden. Schließlich bleibt zu berücksichtigen, welche Rolle die Liebe in der Neuen Komödie und schon oder gerade bei Euripides 118 spielte. In späterer Zeit, so bei Petron, kommen die drastischen Einflüsse des Mimus hinzu. 119 Mit der Neuenl Komödie ist der Roman in besonderer Weise durch das Sujet und durch .Ähnlichkeiten im Menschenbild verbunden. Macrobius hat es sich in seinen "Commentarii" zu Ciceros "Somnium Scipionis" (1, 2, 8) herausgenommen, Menander mit Petron und Apuleius in ein Genus einzuordnen, wie oben ausgeführt (vgl. S. 14 f.). Wenn sich jedoch der Roman mit der Gestaltung einer nichtmythischen Welt und nichtmythischer Personen eine neue Fiktionsstufe schuf, so geschah das offenbar im Anschluß an die Neue Komödie. Unter diesem Gesichtspunkt ist diei Zusammenstellung der beiden unterschiedlichen Gattungen relativ berechtigt. Der nichtmythischen Welt der Neuen Komödie ist indessen verschiedentlich vorgearbeitet worden. Euripides hatte in der "Elektra" mit dem Auturgos, einem Bauern, der sein Feld selbst bestellt, eine bemerkenswerte Dramengestalt geschaffen. Der Auturgos wurde als Scheingemahl der Elektra in die mythische Umgebung der Tragödie integriert, obwohl jene namenlose Neuschöpfung keine Beziehung zum tradierten Mythos hatte. Wesentlich weiter ging Agathon im "Antheus" oder "Anthos" 120, in dem er keine aus der Mythologie bekannten Personen verwendete. Frei erfunden waren indessen nicht nur die Personen, sondern auch die Handlung, wie Aristoteles in der "Poetik" bezeugt (1451 b 19-22). Damit scheint Agathon zu einer neuen Fiktionssphäre außerhalb des traditionellen Mythenbereichs vorgestoßen zu sein. 121 Für die Gattung der Tragödie blieb diese Neuerung ohne ernsthafte Folgen. Dagegen beschritt die Alte attische Komödie in besonderem Maße den Weg der nichtmythischen Gestaltung, nachdem zuvor Epicharm um 500 v. u. Z. auf Sizilien die Mythosgebundenheit weitgehend aufgegeben hatte. Die nichtmythische Ebene bedeutet nach der jahrhundertelangen Dominanz des MyVgl. Euripides, Hippolytos 732-751; Bakeben 403-41s. Ober einzelne Euripideische Reflexe bei Heliodor vgl. E. Feuillatre, E.tudes sur les Ethiopiques d' Heliodore. Contribution ä la connaissance du roman grec, Paris 1966, n6-121. Vgl. A. M. Scarcella, Gli amori di Fedra .,fra tragedia e romanzo, in: Atti: delle giornate di studio su Fedra, Torino 7-8-9 maggio 1984, a cura diR. Uglione, Torino 198s, 213-239. 119 Vgl. T. Hägg, Eros und Tyche (vgl. Anm. H). 212. 120 Es ist fraglich, ob Agathons Stück "Antheus" oder "Anthos", "Blume", heißt; vgl. A. Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen, 3· Auf!. Göttingen 1972, S24. 121 A. Lesky, ebenda Ph bezweifelt, daß Agathon den allgemeinen mythischen Bereich verlassen hätte, und meint: "Eine solche ganz singuläre Aufsprengung des traditionellen Rahmens ist ganz unwahrscheinlich." Damit wird die Tendenz der griechischen Tragödie zum Experiment unterschätzt, wie sie sich von Aischylos bis in den Hellenismus nachweisen läßt. Wie Euripides etwa den traditionellen Rahmen aufgesprengt bat, zeigt schon sein Auturgos in der "Eiektra" (vgl. oben S. 41); über diese Gestalt vgl. ferner H~ Kuch, Euripides, Leipzig 1984 (Reclams Universal-Bibliothek 1067), 12.9-131. Für die Behandlung eines nichtmythischen Stoffs in Agathons "Antheus" oder "Anthos" G. A. Seeck, Geschichte der griechischen Tragödie, in: Das griechische Drama, hrsg. von G. A. Seeck, Darmstadt 1979, 182. 117 118
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thos in der Literatur eine kühne Neuerung. Die Romanautoren haben es, auch hier wieder auf den Spuren der für maßgeblich gehaltenen Literatur, verstanden, sich die nichtmythische Wdt als Sujet anzueignen, auch wenn sie, nicht anders als die Autoren jener akzeptierten Gattungen, :lum Mythos Kontakte bewahrten. Ohne Aphrodite und Eros etwa wäre der Liebesroman nicht denkbar, und auch andere Gestalten des traditionellen wie aktualisierten Götterapparats finden in der Romandichtung eine Heimstatt, sei es Artemis (Xenophon von Ephesos) oder Isis {Apuleius), Pan (Longos) oder Priapus (Petron), Pronoia (Chariton) oder besonders Tyche. Aber die Menschen des Romans - und damit kommen Berührungspunkte zum Menschenbild der Neuen Komödie ins Blickfeld - stammen nicht aus dem mythischen Heroenzeitalter. Es sind vielmehr sehr menschliche Geschöpfe, die den Rezipienten nahegebracht werden, den Gestalten Menanders vergleichbar in ihrer im Grunde unheroischen Anlage und ihrem Mangel an geschichtsbildenden Potenzen, wie sie besonders die Zeit der Polisdemokratie gekannt hatte. Ungeachtet der oft eher passiven Verhaltensweisen, der Sentimentalitäten und Selbstmordbekundungen entwickeln manche Romanhelden beachtliche Aktivitäten, so z. B. Charitons Chaireas, der in den Krieg aufbricht, um den Perserkönig zur Verantwortung zu ziehen {7, I, u), oder die Sinonis Jamblichs - energisch, rachsüchtig, leidenschaftlich122 - oder Heliodors Charikleia, deren ausgesprochen kämpferische Haltung den Anfang des Erzählwerkes bestimmt {vgl. I, 2, 2; I, 2, 5 f.). Die Menschen des Romans sehen sich den Unberechenbarkeiten der launischen Tyche ausgesetzt, aber dieses Bewußtsein kann indessen das Handeln der Menschen nicht verhindern - ein Zug des Menschenbildes, wie er sich auch in der Neuen Komödie findet. 123 Daß der Mensch im griechischen Roman "vollkommen passiv" bleibe, wie M. Bachtin glaubt, ist nach allem eine unzulässige Überspi~ung, und mit seiner Annahme einer "absoluten" Unveränderlichkeit scheint er gleichfalls über das Ziel hinauszuschießen. 1:M Bei Longos läßt sich eine kontinuierliche Entwicklung des Liebespaares beobachten, "from innocence to experience", wie es bei M. Philippides heißt. 125 Dieser Prozeß geht über den physischen Bereich hinaus und bezieht auch die geistige Erkenntnis mit ein {vgl. 4, 40, 3: emathen). Veränderungen der Romanhelden werden schon bei Chariton deutlich, obwohl sich die An:leichen für eine Entwicklung nicht scharf ausgeprägt finden. Unter dem Eindruck der erlebten Leiden {vgl. 8, 8, I6: pepontha) richtet Kallirhoe ein Geb~t an Aphrodite, sie nicht wieder von Chaireas zu trennen. Dieser innige Wunsch erwächst aus den Erfahrungen der überstandenen Gefahren. In der Frage der Entwicklung der Gestalten darf das antike Romangenus nicht überfordert werden, was unweigerlich geschieht, wenn der moderne Roman mit seiner Kunst 122 Vgl. die Ausgabe von F. Habrich, Leipzig I96o, S. 49, .13: thy111Us.
K. Treu, Die Menschen Menanders. Kontinuität und Neuerung im hellenistischen Menschenbild, in: Der Menscli als Maß der Dinge. Studien zum griechischen Menschenbild in der Zeit der Blüte und Krise der Polis, hrsg. von R. Müller, Berlin I976 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR 8), 399-4.1I, bes. 404 f. u. 4.10. - Über weitere Beziehungen zwischen der Neuen Komödie und dem griechischen Roman ferner G. L. Schmeling, Xenophon of Ephesus (vgl. Anm . .13), IOI-I04. t:V. M. Bachtin, Zeit und Raum im Roman (vgl. Anm. 3 I), I 17.1; vgl. auch I 165. 125 M. Philippides, The "Digressive" Aitia in Longus, in: The Classical World 74, I98o-I981, I93-199; Zitat 194; vgl. auch die ebenda in Anm . .16 genannte Literatur. i2:l
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der Verinnerlichung den Ausgangspunkt der Analyse bildet. Adäquater erscheint es, den antiken Roman hier am Maßstab der ihm vorangegangenen traditionellen Literatur zu messen. Im griechischen Drama etwa gibt es nicht viele Fälle, in denen innerliche Wandlungen einer Gestalt prozessual dargestellt werden. Ein herausragendes, in seiner Ausführung seltenes Beispiel einer echten Entwicklung ist der innere Wandel der Klytaimestra im "Agamemnon" des Aischylos (1372-1576). 126 Aber im allgemeinen werden in der dramatischen Poesie die inneren Veränderungen der Gestalten nicht als Prozesse gezeichnet. Die Wandlungen zeigen sich in ihren Ergebnissen, ohne daß der Verlauf in den einzelnen Phasen geschildert wird. Es macht schon einige Mühe zu erklären, wie es zustande kommt, daß lphigenie, nach inständigem Flehen um ihr. Leben, den Entschluß faßt, sich für Griechenland zu opfern (Euripides, lphigenie in Aulis I 368 bis 1401). In diesem Wandel treten nur der Anfangs- und der Endpunkt klar hervor, während die Zwischenphase bestenfalls ausdeutbar bleibt. 127 Daß indessen überhaupt eine Entwicklung der Gestalt erfolgt, fand die Kritik des Aristoteles. Er stellte für die Anlage von Figuren die theoretische Forderung nach dem "Gleichbleibenden" (homal6n) auf (Poetik 1454 a z6), wobei er sich weitgehend gerade auf die Praxis der attischen Tragödie berufen konnte. Dieser Aspekt hat offenbar neben den Usancen des Dramas, Entwicklungen oft nicht prozessual vorzuführen, auch in der Schreibart der Romanliteratur weithin seinen Niederschlag gefunden. Die Idee des "Gleichbleibenden" realisierte sich jedenfalls in einem bedeutsamen Element des Menschenbildes im griechischen Roman, das M. Bachtin richtig erkannte: der "Identität mit sich selbst"/28 die auf die ethische Haltung der Hauptfiguren zu beziehen ist. Die Liebenden halten einander untet) allen Bedingungen die Treue. Im Ethos der Beständigkeit berührt sich der Roman nicht nur mit der Neuen Komödie, sondern gerade auch mit der Tragödie, besonders der des Sophokles. Aias z. B., Antigone und Elektra - allesamt ungebrochen heroische Gestalten - bleiben ihrem Wesen und ihren Idealen treu. Jener Grundzug der Identität mit sich selbst scheint auf das alte aristokratische Ideal der Konstanz der Physis129 zurückzugehen, das für die Wirkungsabsichten der Romanliteratur umfunktioniert wurde. Im Bestreben, in der Unruhe der Zeit sichere Bastionen zu begründen, greift der Roman in einem wichtigen Phänomen seines Menschenbildes auf große Traditionen zurück, sogar auf heroische, auch wenn sich die Romangestalten nur zuweilen als Heroen erweisen. Durch die - so gut wie immer; - ungebrochene moralische Haltung der Hauptfiguren kann es im griechischen Roman nicht zu einer Entmachtung des Individuums kommen, wie sie nicht selten in der späteren Entwicklung des Romans, in der bürgerlichen Romanliteratur, auftritt. 130 126
Vgl. A. Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen (vgl. Anm. uo), IJS. Vgl. eberida 484. l28 M. Bachtin, Zeit und Raum im Roman (vgl. Anm. p), 1173. 129 Dieses Ideal findet sich deutlich bei Sophokles ausgeprägt; vgl. Aias 470-472; 479 f.; 549; Philoktet 874f.; 902. f.; 1310-1313. Vgl. auch Euripides, Herakliden 62.5-627. Vgl. A. Lesky, Psychologie bei Euripides, in: Euripide. Sept Exposes et: discussions par J. C. Kamerbeek, A. Rivier, H. Diller, A. Lesky, R. P. Winnington-Ingram, G. Zuntz, V. Martin, VandoeuvresGeneve 1958 (Entretiens sur l'antiquite classique 6), 123-150, mit der Diskussion xp-168, bes. 146 f. u. 1 n. wo im Hinblick auf Aias von der ,.unverrückbaren Konstanz seines Wesens" gesprochen wird. 130 Vgl. M. Naumann, Prosa in Frankreich. Studien zum Roman im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin
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Ganz im Gegenteil - das Ethos der "Helden", das sich in Aktivitäten umsetzt, ist bei allen Widrigkeiten und "Schicksals"schlägen und ungeachtet der herrschenden metaphysischen Gewalten das Mittel für die Selbstbehauptung des Individuums.m Nach der epischen, lyrischen und dramatischen Poesie sind als mögliche weitere Impulsspender des Romans verschiedene Prosagattungen zu erwähnen. In erster Linie kommt da die Geschichtsschreibung in den Blick mit dem pater historiae ("Vater der Geschichtsschreibung") - so bezeichnet ihn Cicero, Über die Gesetze! I, I, 5 - an der Spitze: Herodot von Halikarnassos (ca. 484-425 v. u. Z.). Was der Historiker der Perseekriege an weltgeschichtlicher Betrachtung geleistet hat, kann im Zusammenhang mit der Herausbildung des Romans nicht so sehr interessieren. Von erheblicher Bedeutung ist hingegen hier ein strukturelles, in sich geschlossenes Element, das Herodot in seinem Geschichtswerk mit sicherer Hand beherrscht, die Novelle. Sie darf als eine Kleinform des Romans verstanden werden. In Herodots Novellen werden interessante und denkwürdige Begebenheiten erzählt, wie etwa die Geschichte des Gyges oder die des Kroisos. Daß die Novelle lange vor Herodot in mündlicher Form bestanden hat, läßt sich annehmen. Keinem Zweifel unterliegt es, daß sie sich nach ihrer Einbeziehung in den historiographischen Kontext in der Literatur wieder verselbständigt hat. Aristeides aus Milet (um IOO v. u. Z.) schuf ein(! Novellensammlung frivol erotischen Inhalts. Seine "Milesischen Geschichten" ("Milesiaka") übersetzte kein Geringerer als der römische Historiker und Politiker Ludus Cornelius Sisenna (um 118-67 v. u. Z.), ein Mann aus hoch angesehener Familie, in die lateinische Sprache. Die aus einzelnen Novellen zusammengesetzten "Milesiaka" bildeten keinen geschlossenen Roman, da eine Summe von "Kleinromanen" eben keinen einheitlichen Roman ergibt. Es ist nun interessant zu sehen, wie die emanzipierte Novelle dann wieder in einen festen literarischen Zusammenhang integriert wurde. Sinnigerweise fand sie Aufnahme im Roman, den sie einmal wie einst das Geschichtswerk Herodots - durch ihren erzählerischen Reiz bereichert. Zum anderen empfahl sich die Novelle der Romanliteratur wenigstens seit Aristeides durch ihren "milesischen" Charakter, soweit sie ihn besaß. Die Geschichte der Witwe von Ephesos, ein echtes Beispiel jener Schreibart, nutzte Petron für sein "Satyricon" (n f.), und Apuleius, der auf Novellen vielfach zurückgriff, ordnete seine "Metamorphosen" sogleich im ersten Satz in die Traditionslinie der "Milesiaka" ein, wenn er dem schon im dritten Wort angesprochenen Leser Geschichten in "jenem milesischen Stil" (sermone isto Milesio) in Aussicht stellt (I, I, I). Die Untersuchung ist durch das noch auf Boccaccio wirkende Schrifttum beinahe von der ernsthaften Betrachtung Herodots abgekommen, dessen Geschichtswerk neben der Novelle noch eine andere strukturelle, gleichfalls in sich geschlossene Einheit aufweist, die den Roman inspirieren konnte und sich auf Grund ihrer relativen Selbständigkeit übernehmen ließ. Gemeint ist der kulturgeschichtliche l6gos, ein geographisch-ethnogra· phischer Exkurs. Herodot pflegte ihn in seine Geschichtsdarstellung einzuschalten, sobald im Zusammenhang mit der persischen Expansion ein fernes Volk in den Blick kommt. So finden sich in seinem Werk zum Teillängere kulturhistorische Exkurse über Agypten, Mesopotamien, Skythien und andere Länder. Auf dieses Darstellungsmittel, das Hero1978, wo die Antworten einiger repräsentativer Romane auf die Frage untersucht werden, welche Chancen das Individuum für seine Selbstbehauptung bat; vgl. ebenda 7 f. u. 2.6~. 13t Vgl. in diesem Band R. Johne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, S. I~O-I77·
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dot wohl von den ionischen Logographen, "Geschichtenschreibern", übernommen hatte, griff jedenfalls noch Heliodor~ zurück, wenn er geographisch-ethnologische Episoden in seinen Roman einbaute. Da gibt es etwa eine Beschreibung des unweit der ägyptischen Mittelmeerküste gelegenen See- und Sumpfgebietes, in dem die Bukelen hausen (1, 5 f.), oder Ausführungen über den Nil, seine Quellen sowie seine Überschwemmungen (2, 28), womit sich Heliodor auf den Spuren des Herodoteischen Agypten-Logos befindet. Erzählungen über Agypten sind eben, wie bei Heliodor festgestellt wird (2, 27, 3), für Griechen höchst reizvoll (ebenda: epagog6taton). Aber schon die ersten griechischen Romane, die Romanutopien seit 300 v. u. Z., sind voll von Berichten über ferne Länder und Völker. In den utopischen Erzählwerken scheint die geographisch-ethnologische Schilderung den Charakter des Exkurses verloren zu haben und zum Hauptbestandteil des Romans geworden zu sein. Die Autoren der Utopien wollen den Schauplatz ihrer Konstruktionen übrigens selbst besucht haben, wie Herodot die von ihm beschriebenen Völkerschaften weitgehend besucht hat. Sogar die Romangestalten bei Heliodor legen Wert auf das bewährte Mittel der Autopsie (vgl. 2, 29, x), die den Ausführungen größeres Gewicht verleiht und den Leser jedenfalls beeindrucken kann. Daß sich der Roman gerade mit der Geschichtsschreibung eng berührt, ist schon im Hinblick auf das Prinzip des Erzählens odet~ Berichtens in Prosa offensichtlich, auch wenn sich die Darstellungsweisen - und die Methoden - des verantwortungsbewußt kritischen Historikers und des fiktionalistischen Gestalters so grundsätzlich unterscheiden, daß Roman und Geschichtswerk scharfe Gegensätze bilden. Solche Gegensätzlichkeiten schwächen sich ab im Fall der hellenistischen Historiographie mit ihrer phantasiefreudig pathetischen Schreibart, von der Einflüsse auf den Roman keineswegs ausgeschlossen werden können. Neben der Geschichtsschreibung ist weiteres Prosaschrifttum zu erwähnen, auf das sich der Roman beziehen konnte. Dazu gehört die Biographie. 133 Nachdem Isokrates 132
Zur Problematik der Datierung von Heliodors "Aithiopika" vgl. T. Szepessy, Helioderos und der griechische Liebesroman (vgl. Anm. 79), ~03-207, bes. ~o6 f. Der Verfasser entscheidet sich für die erste Hälfte des' 3· Jh. u. Z., ohne die Möglichkeit eines späteren Ansatzes ganz auszuschließen (ebenda 207), so daß auch das 4· Jh. u. Z. noch in Frage kommen kann, für das A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, 3· Aufl. Bern-München 1971, 967, gestützt auf die ebenda Anm. ~ aufgeführte Literatur, plädiert hatte. So auch G. N. Sandy, Heliodorus, Boston 1981 (Twayne's World Authors Series 647), 4 f. Vgl. E. Crespo Güemes in der Einleitung zu seiner spanischen Heliodor-Übersetzung, Madrid 1979, 11-21, bes. 20 f., wo die Zeit von 360 bis 37l vorgeschlagen wird. Die von E. Feuillatre, Etudes sur !es Ethiopiques d' Heliodore (vgl. Anm. u8), 148, vertretene Datierung: erste Hälfte des 1. Jh. u. Z., erscheint zu früh. Für die Schreibweise Heliodors vgl. G. N. Sandy, Characterization and Philosophical Decor in Heliodorus' Aethiopica, in: Transactions of the American Philological Association II1, 1981, 141-167.
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Gattungsprobleme der Biographie werden von T. Kriseher angeschnitten, Die Stellung der Biographie in der griechischen Literatur, in:' Hermes uo, 1981, j 1-64. Mit Recht hielt es der Verfasser für "nicht zweckmäßig ... , die griechische Biographie losgelöst von der übrigen griechischen Literatur zu betrachten" (63). Den Überlegungen T. Krischers scheint indessen ein zu enger Gattungsbegriff zugrunde zu liegen, wenn die "Konkurrenz" der Autoren (vgl. ebenda jz' u. 64) als Kriterium für die Zugehörigkeit der betreffenden Werke zu einer Gattung verstanden wird. Über Dichtung und Wahrheit in der antiken Biographie vgl. J. Fairweather, Traditional Narrative, Inference and Truth in the Lives of Greek, Poets, in: Papers of the
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mit dem "Euagoras" (kurz nach 374/73 v. u. Z.) eine Lebensbeschreibung in Form einer enkomiastischen Rede vorgelegt und Xenophon von Athen seinen "Agesilaos", gleichfalls ein Enkomion, verfaßt hatten, blühte im Hellenismus mit den Biographien von Staatsmännern, Dichtern und Philosophen ein reiches Schrifttum auf, in dem nicht selten aus der subjektiven Interpretation der Persönlichkeit sowie ihrer Taten und Werke auf biographische Fakten geschlossen wurde. So entstanden manche kühnen Konstruktionen. Wie sich dabei Glaubhaftes und Phantastisches mischten, läßt die aus mehreren Schichten bestehende Euripides-Vita erkennen, in der unter dem Titel "Herkunft und Leben des Euripides" ebenso unbekümmert wie in der von Satyros (zweite Hälfte des 3·• vielleicht noch Anfang des 2. Jh. v. u. Z.) in Dialogform abgefaßten Euripides-Biographie der Versuch unternommen wurde, Licht in ein persönliches Leben zu bringen, dessen Einzelheiten hinter dem dichterischen Werk in Vergessenheit geraten waren.1M Die Entstehung des Romans kann nicht isoliert von der gleichfalls im 3· Jh. v. u. Z. entstehenden paradoxagraphischen Literatur135 betrachtet werden. Zwischen beiden Gattungen gibt es Ähnlichkeiten und Berührungspunkte, 136 aber im grundsätzlichen lassen sich die tiefgreifenden Unterschiede zwischen dem absonderlichen Allerlei der Paradoxagraphen und der gesellschaftlichen Konstruktivität der Utopisten nicht beiseiteschieben. Für Einwirkungen auf den Roman kommen ferner die Fabel 137, das Märchen und die Anekdote in Frage, auch der Reisebericht und der utopische Entwurf, die Rhetorik sowie der Brief, besonders der unechte, d. h. der erfundene, nicht nur im Hinblick auf den Briefroman eines Chion von Herakleia138 (zweite Hälfte des 1. Jh. u. Z.), und in späterer Zeit die sog. Buntschriftstellerei. Die in Prosa geschriebenen "Erotika pathemata" ("Liebesleiden") des Parthenios (1. Jh. v. u. Z.) weisen thematische Berührungen mit dem Sujet des Romans auf. Manche Impulse wird die Romanliteratur, wenn nicht direkt, so doch vermittelt auch von mündlichem Erzählgut erhalten haben,~~~ wozu nicht nur die schon zur Sprache gebrachte Novelle zählt. Liverpool Latin Seminar 4, 1983, 315-369. A. Dihle, Die Entstehung der historischen Biographie, Beideiberg 1987. 1M Vgl. H. Kuch, Euripides (vgl. Anm. I1I), 5-34. 135 Vgl. H. Flashar in seiner Einleitung zu den pseudo-aristotelischen .,Mil'abilia", in: Aristoteles, Mirabilia, übersetzt von H. Flashar; De audibilibus, übersetzt vo~ U. Klein, 2. Auf!. Berlin 1981 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung 18, 11-III), 5 I. 136 Vgl. die paradoxen Beispiele bei Jambulos, die Diodor 2, 56, 5 f. und 58, 2-5 referiert. 137 Vgl. jetzt~ La fable. Huit exposes suivis de discussions par R. S. Falkowitz, G. U. Thite, F. Lasserre, M. L. West, F. R. Adrados, J. Vaio, M. Nßjgaard, F. P. Knapp, Geneve 1984 (Entretiens sur 1' antiquite classique 30); M. L. Gasparov, Antienaja literatumaja basnja (Fedr i Babrij), Moskva 1971. 138 Vgl. I. Düring, Chion of Heraclea. A Novel in Letters, Göteborg I9P· Die Sammlung sog. Euripides-Briefe gehö~ wahrscheinlich in das 2. Jh. u. Z., so H.-U. Gößwein, Die Briefe des Euripides, Meisenheim am Glan I 97 5 (Beiträge zur klassischen Philologie 55), 29: vgl. hierzu die Rezension von H. Kuch, in: Deutsche Literaturzeitung 98, 1977, 240-243. Die Bezeichnung Briefroman für diese Sammlung wäre nach dem Urteil von H.-U. Gößwein .,zweifellos Hochstapelei" (20), aber es gibt .,eine Art roten Faden, der sie zusaDlme~indet" (ebenda). Zu vergleichen bleibt L. Versini, Le roman epistolaire, Paris I979· 139 Antike Erzähler von Herodot bis Longos, hrsg. von F. Stoessl, Zürich 1947, X. Vgl. A. Scobie, Storytellers, Storytelling, and the Novel in Graeco-Roman Antiquity, in: Rheinisches Museum für Philologie N. F. 112, 1979, 229-259.
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In diesem Zusammenhang sind schließlich die literarischen Einwirkungen des Alten Orients auf den antiken Roman zu erwähnen. G. Anderson geht bei seiner Suche njlch der ,,first fiction" bis in das 3· Jt. v. u. Z. zurück. 140 Er setzt den Roman des Longos zu sumerischen Texten in Beziehung, besonders zu "Dumuzis Traum", in dem auch ein Liebespaar, wenn auch ein Geschwisterpaar, vorkommt. "Dumuzis Traum" enthalte "much of the essential action" des griechischen: Werkes, aber zu berücksichtigen bleibt "its different viewpoint and ending",141 von dem relativ geringen Umfang ganz abgesehen. In den herangezogenen sumerischen und auch ägyptischen Texten 1~2 begegnen überraschende Parallelen, wie das Motiv der Gefangennahme durch Piraten sowie bukolische und erotische Züge. G. Anderson geht jedoch zu weit, wenn er im Ergebnis den Roman des Longos auf "a retelling of one of the oldest known stories'~ reduziert. 143 Auch für andere griechische Romane gebe es orientalische Muster, ja im sumerischen Mythos von "Enlil und Ninlil", einem kosmischen Mythos, sei "the love-and-adventure plot" des griechischen Romans begründet.1"" Die Konsequenzen dieser Sicht führen zu einer in der Tat umstürzenden Aussage über das Romangenus: "It is not a product of the Hellenistic World." 145 Dieser Hypothese kann nicht gefolgt werden. Daß einzelne romanhafte Elemente bereits in altorientalischen und ägyptischen Texten begegnen, läßt sich nicht bestreiten, aber diese "plot elements" 146, die G. Anderson verdienstvollerweise aufgespürt hat, berechtigen noch nicht, hier von der Herausbildung der Gattung des Romans zu sprechen. Für die Ausformung des griechischen Romans sind im besonderen bestimmte, mehr oder weniger geschlossene Textpartien in romanhafter Gestaltung bedeutsam, die sich in Werken anderer antiker Gattungen finden. Das betrifft vor allem die AtlantisErzählung bei Platon im "Timaios" (23e-25d) und im unvollendet gebliebenen "Kritias" (Io8e-uic),147 die Geschichte von Pantheia und Abradatas in Xenophons "Kyrupädie" (vgl. bes. j, I, 2- I8; 6, I, p-" p; 6, 4, 2- n; 7, I, 29- p; g, 3, 2- I6) und weitere Liebesgeschichten aus anderem historischem Schrifttum (vgl. unten S. 49 f.), und es betrifft nicht zuletzt den Bericht über das Wunderland Meropis in den "Philippika" des Theopomp (F Gr Hist 11 s F 75) 148, der mit seiner "Griechischen Geschichte" ("Hellenika") immerhin das Werk des Thukydides fortsetzte. Was hier nach Art des noch nicht konstituierten Romans gestaltet wurde - darunter begegnet bereits die Idee des Gegenbildes -, nahm nur einen begrenzten Teil der betreffenden philosophischen 110 G. Anderson, Ancient Fiction (vgl. Anm. 53), I-24, ein Kapitel, das die Überschrift "The
first fiction: Oriental origins" trägt. Ebenda 6. 142 Ebenda 6- I 3. 143 Ebenda I3. 1"" Ebenda I 5. 145 Ebenda I9. Daß der Autor offenbar selbst nicht frei von Bedenken gegenüber seinen Aufstellungen ist, zeigt das Bekenntnis auf S. 24 Anm. 95: "The last ward has clearly. not been said" - eine Reaktion auf die Kritik von Donald Russell. 146 Ebenda 38. Zu G. Andersans Thesen vgl. auch die Rezension von N. Holzberg, in: Gnomon 59, I986, 389-394, bes. 393 f. 147 S. Dusanic, Plato's Atlantis, in: L' antiquite classique p, I982, 25-52 ist hier um Bezüge zur Zeit Platons bemüht. 148 F. Jacoby., Die Fragmente der griechischen Historiker (= F Ge Hist), Teil 2 B, Berlin I929. 141
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oder historischen Schriften in Anspruch, es war keineswegs deren zentrales Thema und blieb episodisch, abgesehen vom Torso des "Kritias", soweit sich hier urteilen läßt. Alle jene Gestaltungen sind zwar romanhaft, aber noch keine gattungsgeprägte Romandichtung. Das Romanhafte außerhalb des Romangenus kann als sekundäre Schreibweise verstanden werden. Wie der Roman Elemente der vorangegangenen Literatur aufnahm, so hat die ihm vorangehende Literatur zur Fiktion herausfordernde Elemente des späteren Romans antizipiert. Damit begann im Grunde schon die "Ilias" Homers, wenn sie Geschichten wie die von Meleagros erzählte (vgl. oben S. 39 f.). Platons Schilderung der überaus großen Insel Atlantis im Westen, deren Hybris (TimaioS\ 24e; vgl. Kritias I2Ib) in Gegensatz gebracht wird zu einem idealen Urathen, scheint den hellenistischen Utopien ebenso vorgearbeitet zu haben wie Theopomps Bericht über die beiden entgegengesetzten Städte Eusebes und Machimos im wundersamen Meropis, von denen sich die eine durch Frieden, Reichtum und Gerechtigkeit auszeichnet, die andere durch Krieg und Eroberung. Da treten mit den ohne Arbeit gewonnenen Früchten des Landes, mit der Ordnung der Gesellschaft sowie staunenswerten Eigenschaften der Menschen bereits Züge auf/~9 die die späteren Romanutopien mit eigenen Vorstellungen ausgestalten sollten, wobei die gesellschaftlichen Belange am entschiedensten von den bereits entwickelten Konzeptionen abweichen. 150 Bedeutsam erscheint ferner der ausdrückliche Hinweis auf den Abstand der geschilderten Verhältnisse zu den Bedingungen "bei uns", wie Theopomp schreibt (F 75. S. HI, 22), bzw. "in unserer Oikumene", wie es im Diodor-Bericht über die Utopie des. Jambulos heißt (2, s6, 2). Allerdings wurde der Dualismus, den die Antizipatoren jeweils durch den Gedanken zweier entgegenstehender Zentren hergestellt hatten, in der Fiktion der hellenistischen Utopien aufgegeben. Während bei Platon und Theopomp ein doppeltes Gegenbild zur zeitgenössischen Realität entstand, ein eindeutig positives und ein eher negatives, findet sich die von den hellenistischen Romanautoren intendierte Gegensätzlichkeit auf den Kontrast zwischen den glücklichen Verhältnissen eines fernen Menschenparadieses und den Härten der Gegenwart eingeschränkt. Bis auf das unglückliche Ende stimmt Xenophons Geschichte von Pantheia und Abradatas zu den Absichten des griechischen Liebesromans. Erzählt wird in mehreren Passagen von der Liebe und Treue der schönen Pantheia, die sich an der Leiche ihres Mannes, der tapfer kämpfend gefallen war, den Tod gibt (vgl. 7, 3, 2 - I4). Die Geschichte ist im ganzen romanhaft gestaltet. Zugleich finden sich ausgeprägte romanhafte Einzelzüge: so z. B. die überragende Schönheit der Frau (4, 6, 11; vgl. 5. I, 7; 6, I, 3I), ihre unwandelbare Treue (6, I, 32 und passim), daS/ Einander-Wiederfinden der Lie:benden nach der Trennung (6, I, 47), das Gespräch des Kyros mit Araspas über die Schöne (s, I, 4- I7). Auch die für den griechischen Roman charakteristischen sentimentalen Mittel fehlen nicht: Als sich Abradatas im bereits geschlossenen Streitwagen befindet und Pantheia keine Gelegenheit sieht, sich von ihm anders zu verabschieden, da küßt sie den Streitwagen (6, 4, IO). Außerdem begegnet schon der bis an die Grenzen des Erträglichen gehende makabre Verismus des Romans, wenn beschrieben wird, wie 1~9
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Vgl. ebendaS. jp, 19-31. Vgl. auch Platon, Timaios 2.3e-2.5d und Kritiu Io8e-uic. Vgl. in diesem Band H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans, S. 52.-62. mit den angeführten Belegen.
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Kyros die Hand des Toten ergreift, ohne zu wissen, daß sie abgehauen ist, und Fantheia dem König die Hand des Abradatas dann abnimmt, um sie, so gut es geht, wieder anzufügen (7, 3, 9). Die Geschichte von Abradatas und Fantheia ist jedenfalls so romanhaft, daß der Romancier Xenophon von Ephesos im z.. Jh. u. Z. sein Liebespaar Abrokomes und Anthia nennt,151 was bei aller Variation als Anspielung auf das Paar in Xenophons "Kyrupädie" aufgefaßt werden kann. Es entsteht der Eindruck, als wollte Xenophon von Ephesos erzählerisch an die Tradition des berühmten Xenophon von Athen anknüpfen. Möglicherweise war für den ephesischen Romanschreiber der Name "Xenophon" nur ein Pseudonym, und in diesem Fall wäre die Intention der Anknüpfung an den bekannten Autor ebenso offensichtlich wie die Reverenz vor ihm. 152 Eine Liebesgeschichte ist auch die Erzählung von Zariadres und Odatis bei Chares von Mytilene, einem Teilnehmer am Alexanderzug, in seinen "Geschichten um Alexander" (F Gr Hist 12.5 F 5) 153, und diese hat ein glückliches Ende wie ein griechischer Roman, dem gleichfalls die Betonung der Schönheit der Liebenden (ebenda S. 66o, 30 f.) entspricht: Odatis war die schönste Frau in Asien, und Zariadres, so heißt es unmittelbar anschließend, war schön. Daß die Geschichte, wie am Ende mitgeteilt wird, dann als Sujet in der Malerei diente (ebenda S. 66I, 20 - p), erinnert an Longos' Roman "Daphnis und Chloe", wo sich ebenfalls eine Beziehung zur Malerei findet, auch wenn die Reihenfolge der künstlerischen Gestaltungsweisen umgekehrt ist. Der Romanautor bekennt in der Vorrede (I-3), von einem Gemälde inspiriert worden zu sein, und er wollte zu jenem Werk der Malerei literarisch in Wettstreit treten. Ein Bild, mit der Darstellung des Raubes der Europa, spielt übrigens auch bei Achilleus Tatios eine Rolle (vgl. I, I, z.). Es dient hier gleichfalls zur Gestaltung der Eingangssituation. Aus der historischen bzw. quasihistorischen Literatur ist schließlich die Liebesgeschichte von Stryangaios und Zarinaia ZU erwähnen, die sich in der "Persischen Geschichte" des Ktesias von Knidos (F Gr Hist 688 F 8 a und b; vgl. auch F 7) 1M (um 400 v. u. Z.) sowie im Geschichtswerk des Nikolaos von Damaskos (F Gr Hist 90 F 5) 155 (um die Wende vom I. Jh. v. u. Z. zum I. Jh. u. Z.) findet. Hier erscheint im besonderen das für den Roman so geläufige Motiv der Selbstmordabsicht. Was alle jene 151 Vgl. die Ausgabe von• A. D. Papanikolaou, Leipzig 19n. J. N. O'Sullivan, Notes on Xenophon of Ephesus Book II, in: Rheinisches Museum für Philologie N. F. 12.7, 1984, 266-271. !52 Vgl. G. L. Schmeling, Xenophon of Ephesus (vgl. Anm. 23), 16. 153 F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker, Teil 2 B, Berlin 1929. Daß die Ge-
schichte im Orient lebte, kann! nicht bezweifelt werden; vgl. den Kommentar von F. Jacoby, ebenda Teil 2 D, Berlin 1930, S. 434· Über mögliche orientalisdte Einflüsse auf den griechischen Roman vgl. G. Anderson, Ancient Fiction (vgl. Anm. 53), aus dessen weitgespannten Kombinationen jedoch der rationale Kern gewonnen werden muß (vgl. oben S. 47). Was Agypten betrifft, vgl. schon J. W. B. Barns, Egypt and the Greek Romance, in: Akten des 8. Internationalen Kongresses für Papyrologie, Wien 19,6 (Mitteilungen aus der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek N. S. ,), 2.9-36. Kritische Erwägungen gegen die These, "that the origins of the Greek romance are to bcl sought beside the Nile" (n), bei St. West, P. Mich. 3378: A Voice from the Grave?, in: Zeit~chrift für Papyrologie und Epigraphik p, 1983, H-,8. - Zur Rezeption des griechischen Abenteuer- und Liebesromans in orientalischen Literaturen vgl. T. Hägg, The Oriental Reception of Greek Novels. A Survey with Same Preliminary Considerations, in: Symbolae Osloenses 61, 1986, 99-131. 1M F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker, Teil 3 C, Leiden 19,8. 155 Ebenda, Teil 2. A, Berlin 192.6. 4
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Liebesgeschichten verbindet, ist die romanhafte Formung, wodurch sie den griechischen Roman vorbereiten. Andererseits ist die Frage zu stellen, wie der Roman auf späte Produkte der pseudohistorischen Literatur gewirkt hat. Aber auch die "Kyrupädie" als Ganzes ist in Romannähe zu rücken, insofern sie geschichtliche Tatsachen nicht nur mit unzulässigen Harmonisierungen, sondern auch mit freien Erfindungen verbindet. Bei allen Fiktionen, die sich Xenophon in der "Kyrupädie" erlaubt, steht jedoch im Zentrum des Werkes eine historische Person, deren zahlreiche reale Beziehungen die "Kyrupädie" von einem genuinen Roman trennen. Kriterium für die Zuordnung zur Gattung des Romans ist nach dem zugrunde liegenden Romanverständnis (vgl. S. 22-.2.4) neben den anderen aufgeführten Faktoren insbesondere der Grad der Fiktionalität. Die "Kyrupädie" hat zweifellos keinen An'spruch auf eine der Wahrheit in allem verpflichtete geschichtliche Darstellung, aber sie ist, wenn auch nicht mehr ein echt historisches Werk, so doch infolge ihrer festen Bindung an die Welt der objektiven Realität noch kein Roman. Es erscheint berechtigt, Xenophons "Kyrupädie" als einen Vorläufer der Romanliteratur anzusehen/56 vor allem des "historischen" Romans. Als sog. historische Romane- eine Subgattung des Romangenus (vgl. oben S. .2.6 f.) - können der Ninos-Roman und der Alexander-Roman begriffen werden, die ungeachtet ihrer Bezugnahme auf die Geschichte den Anforderungen der Romangattung - von anderen Kriterien abgesehen - insbesondere deshalb gerecht werden, weil in ihren! Darstellungen die Fiktion dominiert - im Gegensatz zur "Kyrupädie", aber vergleichbar mit den anderen antiken Romanen, die mehr oder weniger zunächst von der Wirklichkeit ausgehen. Ein differenziertes Bild in ihrem Verhältnis zum Roman ergibt sich auch bei den Lebensbeschreibungen. Ungeachtet ihrer Erfindung angeblicher Fakten gehört etwa die Euripides-Vita157 nach dem oben erläuterten Romanbegriff (S. 22-.2.4) nicht zum Genus des Romans. Es besteht zudem kein Grund, sie aus der Gattung der Biographie herauszulösen. Eine Biographie ist auch Philostrats II. "Leben des Apollonios von Tyana" (nach 217 u. Z. veröffentlicht). Die mystizierende Lebensbeschreibung des Wundermannes Apollonios kommt durch die Schilderung seiner Reisen und Erlebnisse dem Roman immerhin nahe. 158 Dagegen läßt sich die Asop-Vita bereits als Asop-Roman verstehen.159 • Wie die dem Roman vorhergehende Literatur auf die Herausbildung der Romangattung eingewirkt hat, so muß auch die spätere, d. h. die mit dem Roman gleichzeitige Literatur für Einflüsse auf das Romangenus in Betracht gezogen werden. Beispiele für diesen Vorgang kamen im Verlauf der Untersuchung bereits zur Sprache. Was ferner das Romanhafte betrifft, so ist eine weitere wesentliche Erscheinung deutlich geworden: 156 Für E. Cizek, Evolutia romanului antic, Bucure11ti 1970, 10, ist die ,.Kyrupädie" ein ,.preroman". 151 158
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Vgl. oben S. 46. 0. Weinreich, Der griechische Liebesroman {vgl. Anm. 78), n. hält das Werk über Apollonios von Tyana für .,romanhaft". Von einem .,aretalogischen" Werk, einer .,heidnischen" .,Vita" (i;itie) spricht M. E. Grabar'-Passek, Filosofskij roman. Filostrat, .,Zizn' Apollonija Tianskogo", in: Anticnyj roman {vgl. Anm. 1.7), 1.30-1.H; Zitat 1.30, vgl. auch 155. Für M.-P. Loicq-Berger, Pour une lecture des romans grecs {vgl. Anm. :8), :6, ist das .,Leben des Apollonios von Tyana" eine .,biographie romanesque". F. R. Adrados, The .,Life of Acsop" :and the Origins of Novel in Antiquity, in: Quaderni Urbinati di cultura classica N. S. 11 (30), 1979, 93-111., zählt die Asop-Vita zu einem .,genre
DIE HERAUSBILDUNG DES ANTIKEN ROMANS ALS LITERATURGATTUNG
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In der fabulierfreudigen griechischen Literatur beschränkte sich das Romanhafte keineswegs auf den Roman. Es bestand in Ansätzen, schon bevor die Romangattung ins Leben gerufen wurde, und es existierte auch neben dem Roman in anderen Gattungen weiter. Der römische Roman konnte auf, griechische Vorbilder und Quellen zurückgreifen. Infolge gleicher Motive gibt es zwischen dem römischen und dem griechischen Roman, wie oben erwähnt (S. 26), keinen prinzipiellen Unterschied.160 Aber der römische Roman weist dennoch, ungeachtet seines griechischen Hintergrundes, sehr bemerkenswerte eigene Züge auf, 161 die im besonderen durch einen eigenständigen! Realismus, eine zum Teil scharfe kritische Einstellung sowie durch eine relativ umfassende Einbeziehung der gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt sind. Der römische Roman entwickelte sich unter historischen Gegebenheiten, die vom I. Jh. u. Z. an im wesentlichen die Entwicklungsbedingungen des zeitgleichen griechischen Romans waren. Doch im Unterschied zu den griechischen Romanwerken gab es in der römischen Romanliteratur keine Kontinuität. Die Herausbildung des antiken Romans läßt sich nach allem aus der Einheit von Geschichtsprozeß und Literaturentwicklung erklären, wie es auch generell für die Herausbildung literarischer Gattungen gilt.
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within the · ancient Novel", das "the Novelesque Lives of the satirical and realistic type" umschließt (93), und vergleicht' sie mit' dem Eselsroman sowie mit dem "Satyricon" (96). Nach F. R. Adrados gehört die Äsop-Vita in das I. Jh. u, Z. (93); die Äsop-Legende soll im s. Jh. v. u. Z. geformt gewesen sein (98). F. Wehrli, Einheit und Vorgeschichte der griechisch-römischen Romanliteratur (vgl. Anm. 71), 133-1 54· Vgl. die instruktiven Beispiele bei F. Miliar, The World of the Golden Ass, in: The Journal of Roman Sturlies 71, 1981, 63-75. I~ P. Strel'nikova, Petrons satirischer Roman, in diesem Band S. 126-134·
Funktionswandlungen des antiken Romans Von HEINRICH KUCH
I. Der utopische Reiseroman Die Ursachen, die zur Herausbildung des griechischen Romans als eines neuen literarischen Genus führten, prägten zugleich seine ursprüngliche und, wie sich im Laufe der literaturgeschichtlichen Entwicklung erweisen sollte, eine maßgebliche Funktion: dichterische Gegenbilder zur historischen Wirklichkeit zu entwerfen, die den Erwartungen des in seinen Möglichkeiten eingeengten, aber erfahrungsdurstigen Individuums entgegenkamen. Diese Funktion des Romans wurde zunächst im wesentlichen bestimmt durch den Zustand der geschichtlichen Verhältnisse in Griechenland um 300 v. u. Z. sowie inspiriert durch die zur gleichen Zeit sich weit aufschließende Wunderwelt des Orients mit ihren zauberhaften Verlockungen. 1 Dichtung ist kaum je monofunktional, und das gilt in besonderem Maße für den antiken Roman, der verschiedene Wirkungsabsichten in sich vereinte. Das poetische Denken, das mit den Mitteln fiktionaler Prosa seine Romanwirklichkeiten produzierte, trat gleich zu Anfang in der scharfen Ausprägung utopischer Konzeptionen auf. Es besteht kein Zweifel, daß der utopische Reiseroman in der griechischen Literatur ein Novum war. Dennoch verbanden ihn mit der bereits" vorliegenden Literatur besondere inhaltliche Elemente - von den allgemeinen literarischen und vor allem den historischen Voraussetzungen det~ Romangattung (vgl. oben S. 18-p) hier abgesehen. Da ist zunächst der Gedanke der Sozialutopie, der vorwiegend in Übergangs- und Krisenzeiten lebendig wurde und in der griechischen Literatur verschiedenen Ausdruck fand. 2 Dieser Gedanke läßt sich schon in der Phäakenerzählung der "Odyssee" erfassen.3 Er fand seinen Niederschlag ferner im Mythos vom Goldenen Zeitalter sowie in der Idealisierung von "Naturvölkern". Besonderen Auftrieb erhielt die sozialutopische Idee in der Zeit der Poliskrise. Es ist interessant zu sehen, wie in Platons Atlantis-Utopie und im Bericht über das utopische Meropis bei Theopomp romanhafte Züge auftreten, die die Romanutopisten weiterentwickelten (vgl. oben s. 47 f.). In ihrer Eigenschaft als Reiseromane konnten die Romanutopien ferner an die TraVgl. dazu in diesem Band H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als gattung. Theoretische Positionen, historische Voraussetzungen und literarische Prozesse, 2 Vgl. R. Müller, Sozialutopisches Denken in der griechischen Antike, Berlin 198~ berichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Gesellschaftswissenschaften, Nr. 3/G), 5-25. 3 Vgl. in der ,.Odyssee" die Bücher 6-9 und IJ, im besonderen 6, ~-12.. 191-197· 1
262-172. 297-~09; 7• 84-1~2; 8, 57-7~· 24I-2H.
LiteraturS. II- 51. (SitzungsJg. 1982, 201-210.
FUNKTIONSWANDLUNGEN DES ANTIKEN ROMANS
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ditionen der geographisch-ethnologischen Literatur anknüpfen, darunter besonders an die diesbezüglichen Exkurse bei Herodot (vgl. oben S. 44 f.).4 Aber diese Traditionen reichen noch weiter zurück. Zu ihnen gehört beispielsweise die "Umfahrt" ("Pedplus"), die Skylax von Karyanda schrieb, der gegen Ende des 6. Jh. v. u. Z. im Auftrag des Perserkönigs Dareios I. vom Indus aus um Arabien herumfuhr und bis in die Gegend des heutigen Suez vorstieß. Er unternahm jedoch auch weitere ethnologisch ergiebige Fahrten an anderen Küsten entlang. Nicht zu vergessen sind dann die Seeabenteuer des homerischen Epos, vor allem der "Odyssee" (uni 700 v. u. Z.). Aufsehen erregte es in klassischer Zeit, als der jüngere Kyros eine Truppe von 10 ooo griechischen Söldnern gegen seinen Bruder, den Perserkönig Artaxerxes II., führte. Das Unternehmen des Prätendenten schlug fehl, und Xenophon will maßgeblichen Anteil daran haben, daß es gelang, das Heer durch Feindesland bis zum Schwarzen Meer zu leiten und es damit vor dem Untergang zu bewahren. Er beschrieb die Expedition (401-399 v. u. Z.) in seiner "Anabasis", die reiches ethnographisches Material bietet. Was Xenophon miterlebt hatte, wurde jedoch in den Schatten gestellt vom Alexanderzug, auf den sich schon bald die Ambitionen der Geschichtsschreibung unterschiedlicher Ausprägung richteten. Einer der führenden Männer in der Umgebung Alexanders, der spätere Ptolemaios I., schrieb unter militärischem Aspekt ein sachlich seriöses Werk. Dagegen gingen andere, vorher und nachher, in verschiedener Weise panegyrisch fabulierend vor, Kallisthenes etwa und Onesikritos, auch sie Kenner der Geschehnisse durch ihre Teilnahme am Zug des großen Alexander. In einem rhetorisierenden Schreibs.til sorgte Kleitarch gleichfalls für Unterhaltung. Über Indien hingegen, dessen Grenzen die makedonischen Eroberer erreicht hatten, informierte im besonderen u. a. Megasthenes in seiner "Indischen Geschichte". Zu erwähnen ist schließlich ein Unternehmen, das etwa in die Zeit des Alexanderzuges gehört und das sensationell erschien: die Erkundungsfahrt des Pytheas von MassaHa in den hohen Norden bis "Thule" (Shetland- und Orkney-lnseln?, Norwegen?, Island?). Er hielt seine Beobachtungen in einem Werk "Über den Ozean" fest. Geographisch-ethnologische Informationen, die auf Reisen, Fahrten oder Kriegszügen gewonnen wurden, hatten die Literatur jedenfalls jahrhundertelang in verschiedener Weise gespeist, so daß damit ein literarisches Terrain bereitet war, von dem die utopischen Romane beim Entwurf ihrer Gesellschaftsmodelle ausgehen konnten. Jene Berichte über fremde Länder und Völker stehen mit den ersten Romanausprägungen in einem um so engeren Zusammenhang, als sich in ihnen auch manche utopischen Elemente mitgeteilt finden, wie bei Onesikritos in der Schilderung des Staates des Musikanos (F Gr Hist 1 34 F 24).5 Die Verfasser der Romanutopien stießen indessen weiter vor und entdeckten literarisches Neuland. Sie gingen zur Gestaltung alternativer Wirklichkeiten über, da die eigene Wirklichkeit für ihre kühnen Vorstellungen, die die zeitgenössischen Gegebenheiten weit hinter sich ließen, nicht poetisierbar war. Utopie, geographisch-ethnologische Beschreibung und erzählerische Poesie verbanden sich so im utopischen Reiseroman zu einer reizvollen Einheit. Während Hekataios von Abdera um 300 v. u. Z. in seinem Werk mit dem möglichen Titel "Über die Ägypter" offenbar bereits den Gedanken der Gerechtigkeit betonte 4
Vgl. jetzt auch A. I. Dovatur, D. P. Kallistov, I. A. Sisova, Narody nasej strany v "Istorii" Gerodota. Teksty, perevod, kommentarij, Moskva 1982. 5 F. jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker (= F Gr Hist), Teil 2 B, Berlin 1929.
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(vgl. F Gr Hist 264 F r),6 entwarf er mit seiner Schrift "Ober die Hyperboreer" ein utopisches Wunderland, dessen glückliche Beschaffenheit besonders in der Fruchtbarkeit des "alles tragenden" Bodens, der überdies zweimal im Jahr Früchte hervorbringt, in einem - trotz hoher nördlicher Lage - milden Klima und in verbreiteter musischer Betätigung besteht, d. h. im Gesang und Kitharaspiel zu Ehren Apollons (F 7). Selbst die spärlichen Fragmente, die sich von diesem Werk erhalten haben, lassen Abstand und Gegensatz des als idealisch Geschilderten zu den zeitgenössischen Wirren der Diadochenkämpfe erkennen. Deutlichere Konturen der Utopie7, wie sie der frühe Roman der Griechen gestaltete, treten in der "Heiligen Aufzeichnung" de~ Buherneros von Messene (um 300 v. u. Z.) hervor. Er war ein Freund des makedonischen Herrschers Kassaoder (p71I6-298/97 v. u. Z.) und hatte in dessen Auftrag nicht näher bestimmte "königliche" Missionen auszuführen sowie große Reisen zu unternehmen, wie von Diodor 6, r bei Eusebios, Praeparatio evangelica 2, 2, 5s, überliefert wird. 8 Buherneros wird sich jedenfalls in seiner Welt ausgekannt haben. Es erscheint um so bemerkenswerter, wenn ein Mann der Praxis zur Theoriebildung übergeht, und was der Erfahrene auf Grund seiner Einsichten zur Veränderung der bestehenden Verhältnisse verallgemeinert, ist für das Zeitverständnis in besonderem Maße aussagekräftig. In einem Reiseroman, der für den Weitgereisten der adäquate literarische Rahmen war, legte er eine utopische Konzeption vor. Buherneros berichtet hier von einer Inselgruppe, die er nach mehrtägiger Ozeanfahrt in Richtung Süden erreicht haben will. Schon das Hyperboreerland des Hekataios war eine Insel, in der Größe etwa Sizilien vergleichbar (F Gr Hist 264 F 7), und auch Hekataios gab sich offenbar den Anschein, als habe er die Wunderinsel selbst besucht. Die angeblich eigene Erfahrung der Romanautoren soll die Authentizität des Berichteten verbürgen. Die Romanciers standen so in der Glaubwürdigkeit hinter den Alexanderhistorikern nicht zurück, die selbst mit "dabei" waren. Noch in später Zeit nahmen der in· lateinischer Fassung erhaltene Troja-Roman des Diktys und der des Dares das bereits im frühen Roman augewandte Mittel der Autopsie wieder auf, wenn sich ihre Autoren als Kriegsteilnehmer ausgaben, 6 7
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F. Jacoby, F Gr Hist, Teil 3 A,"Leiden I940. Vgl. R. Müller, Zur sozialen Utopie im Hellenismus, in: R. Müller, Menschenbild und Humanismus der Antike. Studien zur Geschichte der Literatur und Philosophie, Leipzig 1980 (Reclams Universal-Bibliothek 841), I89-2.01 (= Die .Rolle der Volksmassen in der Geschichte der vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen. Zum XIV. Internationalen Historiker-Kongreß in San Francisco I97S hrsg. von J. Herrmann u. I. Sellnow, Berlin 1975 [Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR 7], 2.77-2.86); B. Kytzler, Utopisches Denken und Handeln in der klassischen Antike, in: R. Villgradter u. F. Krey, Der utopische Roman, Darmstadt 1973, 45-68; L. Giangrande, Les utopies grecques, in: Revue des etudes anciennes 78/79, I976-I977, uo-12.8. Material für die Entwicklung des utopischen Denkens bis in die Moderne be~ R. Trousson, Voyages aux pays de nulle part. Histoire litteraire de la pensee utopique, 2.. Aufl. Bruxelles I 979· Zur theoretischen: Fundierung W. Heise, Realistik und Utopie. Aufsätze zur deutschen Literatur zwischen Leasing und Heine, Berlin I982. F. Jacoby, F Gr Hist, Teil I A, Neudruck Leiden I9H· 63 T I. Den folgenden Interpretationen liegt die Ausgabe der Buherneros-Fragmente in den F Gr Hist von F. Jacoby zugrunde. Für T I und F 2. vgl. jetzt ,Eusebius, Werke, Bd. 8, I, hrsg. von K. Mras, 2.. Aufl. von E. des Places, Berlin I982.
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die die Kämpfe um Troja miterlebt hätten. Gattungsgeschichtlich bedeutsamer erscheint es jedoch, daß die Ich-Erzählung des späteren Romans, wie sie bei Achilleus Tatios und Apuleius auftritt, ja schon bei Petron, sich bereits in den Berichten vorgebildet findet, die die utopischen Romanciers in der Anfangsphase des Romans in eigener Person gaben. Euhemeros also will vom Glücklichen Arabien aus zu jener Inselgruppe im Süden gelangt sein, und was er gefunden haben wollte, entsprach einem begreiflichen Wunschdenken. Die Polis Panara auf der Insel Panchaia zeichnet sich nach seinem Bericht durch einen "glücklichen Zustand" aus (Diodor 5, 42,6: eudaimonia), was sim von den wenigsten Städten um 300 v. u. Z. behaupten läßt. Es tut sich in ihrer Umgebung eine reiche und vielfältig fruchtbare Landschaft von Gärten und Wiesen mit lieblicher Flora und mannigfaltiger Fauna auf (ebenda 5, 43; 5, 45, x). Auch Bodenschätze, Edelmetalle einbegriffen, sind reichlich vorhanden ( 5, 46, 4). Die Gesellschaft zeigt sich auf Panchaia streng hierarchisch gegliedert. Es bestehen - in Anlehnung, aber mehr noch in Abwandlung von Platon - drei Klassen: erstens die Priester, an deren Seite die technitai, d. h. die Künstler und Handwerker, gestellt werden; zweitens die Bauern; drittens die Krieger, zu denen die Hirten gehören (5, 45, 3). Haus und Garten ausgenommen, existiert kein Privateigentum (5, 45, 5). Dementsprechend werden die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die "Früchte", von den Bauern für das Gemeinwesen abgeliefert (vgl. 5, 45, 4: koin6n), und auch die Hirten führen das Schlachtvieh an die Gemeinschaft ab (vgl. 5, 45, p dem6sion). Die Verteilung der Produkte, d. h. wieder der "Früchte", wird nach einer Art Leistungsprinzip geregelt, wobei die Auszeichnung der zehn Besten die anderen stimulieren soll (5, 45, 4). Für eine gerechte Verteilung aller Produkte und Einkünfte sorgen die Priester; aber ihnen allein fällt das Doppelte zu (5, 45. 5). Als hegem6nes ("Leitende") bilden sie das Führungsgremium, sie verfügen über die juristische Gewalt und entscheiden auch in anderen öffentlichen Angelegenheiten (5, 45. 4) . . In die gesellschaftliche Ordnung auf Panchaia fügen sich, wenn auch nicht ganz fugenlos, die drei Archonten ein, die nach dem Bericht Diodors jährlich auf, Panchaia gewählt werden (5, 42, 6). Sie seien nicht zuständig für Kapitalverbrechen, aber sie würden in allen anderen Fällen Recht sprechen. Wie Diadar jedoch 5, 45,4 mitteilt, lag die Gerichtsbarkeit in den Händen der Priester. So bleibt nur die Annahme zweier richterlicher Instanzen auf Panchaia, wobei die Priester als die Leitenden wohl die höhere Ebene vertraten, denn die größten Fälle würden von den Archonten an die Priester übergeben (5o 42, 6). Zu jener Inselgruppe, die Euhemeros für seine Utopie entdeckt hat, gehört die Heilige Insel (5, 41, 4). Sie is~ jedoch von Panchaia zu unterscheiden.9 Dafür spricht zunächst die Gliederung des Diodor-Berichtes, der P~nchaia und die Heilige Insel deutlich auseinanderhält. Aus der Gruppe mehrerer. Inseln werden drei der "historischen" Aufzeichnung für würdig erachtet, von denen die eine die Heilige Insel ist, wäh9
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Ferguson, Utopias of the Classical World, London 1975. 104, setzte indessen die Heilige Insel mit Panchaia gleich, ohne die Unterschiede zu beachten, die sich bei Diodor finden. Eine solChe Gleichsetzung versuchte mit subjektiver Umstellung des Diodor-Textes H. Braunert, Die heilige Insel des Euhemeros in der Diodor-Überlieferung, in: H. Braunert, Politik, Recht und Gesellschaft in der griechisch-römischen Antike. Gesammelte Aufsätze und Reden, hrsg. von K. Telschow u. M. Zahrnt, Stuttgart 1980 (Kieler Historische Studien 16), I 53-164.
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rend eine andere, sieben Stadien, d. h. etwa 1400 m, entfernt liegende Insel der Totenbestattung dient, die auf der Heiligen Insel nicht erlaubt werde (5. 41, 4). Der Bericht geht dann zunächst auf die Heilige Insel ein, nachdem die in unmittelbarer Nähe befindliche Begräbnisinsel mit der Erklärung ihrer Funktion schon abgehandelt ist. Als dritte Insel kommt endlich Panchaia selbst in den Blick (,, 42, ,), und die Betrachtung der dort angesiedelten Utopie - der Bericht erstreckt sich bis , , 46, 8 - bildet das zentrale Anliegen des Autors. Was vorherging, erscheint demgegenüber akzidentiell. Im Zusammenhang mit der utopischen Konstruktion erfolgt gewissermaßen als Höhepunkt eine ideologiekritische Interpretation der Mythologie, nach der die Götter in Wirklichkeit bedeutend~ Menschen gewesen wären, die in ferner Vergangenheit gelebt und sich verdient gemacht hätten {vgl. ,, 44, 6; ,, 46, 2 f. u. 6- 8). 10 Was Diodor aus der "Heiligen Aufzeichnung" des Euhemeros entnommen hat, läßt jedenfalls eine Gliederung erkennen, die Panchaia von der Heiligen Insel trennt, wobei die thematische Steigerung der Erzählung den Unterschied zwischen ihnen noch hervorhebt. Daß Panchaia und die Heilige Insel nicht identisch sind, unterstützt der Sprachgebrauch der Bezeichnung Panchaia und ihrer Derivate im Diodor-Bericht, auch wenn sich das semantische Beziehungsfeld unterschiedlich ausdehnen kann.U Gegen die Gleichsetzung der Heiligen Insel mit Panchaia lassen sich schließlich inhaltliche Gesichtspunkte einwenden, so die unterschiedlichen Naturgegebenheiten12 und vor allem die versd:tiedenen wirtschaftlich-sozialen Voraussetzungen. 13 Im Gegensatz zu den sozialökonomischen Bedingungen auf Panchaia, wie sie in der Interpretation vorgeführt wurden, regier11 auf der Heiligen lnsel ein König. Das Land ist auf die Bewohner aufgeteilt, d. h., es bestehen hier Privateigentumsverhältnisse, und der König besitzt das beste Vgl. auch Diodor 6, I, ~-9· Die Aussage bei Diodor ~. 42, 3, daß die Heilige Insel "die sog. Panchaier" bewohnen, könnte zur Gleichsetzung von Panchaia und Heiliger Insel Anlaß geben. Aber die Panchaier von ~. 42, 3 sind "sog. Panchaier". ~. 42, ~ ist dann von Panchaia "selbst" (kat' .auten) die Rede, offenbar im Gegensatz zur Heiligen Insel. Die Insel Panchaia wird von einer autochthonen Bevölkerung bewohnt, von den Panchaiern, wie sie genannt werden (~. 42, ~). Der Beleg ~. 42, 6 läßt indessen vermuten, daß das "Panchaia-Land" (ch6ra) sich auf das gesamte Siedlungsgebiet der Panchaier bezieht, jedenfalls über die Insel hinausgeht, denn von diesem ·"Panchaia-Land" hebt sich die Insel Panchaia durch wesentliche Unterschiede ab. Von den Bewohnern des Pancllaia-Landes sind "allein", die Bewohner der Insel Panchaia "autonom und ohne Königsherrschaft" (~. 42, 6). Autonomie und Nichtexistenz der Monarchie bilden in •der Tat die Voraussetzungen für den Aufbau der Utopie auf der Insel Panchaia. ~. 4~. I dagegen beschränkt sich die Pancbaitis ch6ra auf die Insel (vgl. 5, 45, 2). ~. 44, 6 erscheinen die Panchaier aufi der Insel Panchaia als Teil einer ethnischen Gruppe, zu der auch die Okeaniten und die Doer gehören. Panchaia h 46, 3 endlich bezieht sich gleichfalls auf die Insel. Bei Diodor 6, I, 4 in einem von Eusebios überlieferten 'Fragment (vgl. Praeparatio evangelica 2, 2, ~ ~) - wird aus der Inselgruppe des Euhemeros eine Insel namentlich genannt: Panchaia, deren Bewohner, die Panchaier, sich durch Frömmigkeit auszeichnen und die Götter ehren. Wenn es dann heißt, die Insel sei den Göttern heilig (6, I, ~: ten neson hieran tbe6n), so bedeutet das keineswegs, daß diese "heilige Insel" mit der Heiligen Insel von 5, 4 I, 4 identisch wäre. 12 Vgl. im einzelnen ~. 4I, 4-8 mit ~. 43, I-3· Dabei kontrastieren insbesondere das Fehlen von Früchten auf der Heiligen Insel - gewonnen werden\ hier aber Weihrauch, Myrrhe und die Frucht des stacheligen Wegedorns- und die Fruchtbarkeit Panchaias. 13 Vgl. hierzu R. Müller, Zur sozialen Utopie im Hellenismus (vgl. Anm. 7), I98 Anm. 6. 10 11
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Land. Er erhält überdies von den auf der Insel produzierten Erzeugnissen den zehnten Teil (5, 42., x), offenbar als Tribut, womit ein Abhängigkeitsverhältnis gegeben ist. Dagegen wird für Panchaia ausdrücklich das Fehlen der Monarchie betont (5, 42., 6). Der Freund König Kassanders konnte innerhalb seiner Inselgruppe nicht ganz ohne die Königsherrschaft auskommen, doch sie erschien ihm offensichtlich nicht als tragfähige Basis für die Sozialutopie auf Panchaia. Die neue Gesellschaftsform des Euhemeros gründet sich vielmehr auf das Polisideal der Autonomie (vgl. 5, 42., 6), und an die Polisorganisation erinnern zugleich die Archonten (ebenda) ebenso wie die öffentlichen Angelegenheiten (vgl. 5, 45, 4). Aber Euhemeros ging weit über die Grenzen des Polisverständnisses, ja sogar der progressivsten Polisform, der Polisdemokratie, die Polis (5, 42., 6) und die Politeia ("Bürgerschaft") (5. 45, 3) in hinaus, auch wenn seine Utopie integrierte. Bei ihm werden die prätentiösen Leitideen der Polisordnung gegenstandslos, wenn Antagonismen wie Bürger - Nichtbürger und Freie - Sklaven nicht existieren. Vom Ausgeschlossensein aus der Bürgerschaft oder von Sklaverei ist nirgends die Rede. Bürgerrecht und Freiheit scheinen die allgemeinen Gegebenheiten für alle Bewohner des utopischen Staates zu sein. Diese heiß umkämpften Werte der Poliswelt sind jetzt offenbar so selbstverständlich, daß ihre Erwähnung unterbleibt. Da überdies kein Privateigentum - mit Ausnahme von Haus und Garten - besteht und offenbar auch die Produktionsmittel vergesellschaftet sind, ist der auf privater Aneignung und Sklavenausbeutung beruhenden antiken Produktionsweise die Basis entzogen. Bei der Entwicklung seiner progressiven Theorie verwendete Euhemeros Gesellschaftsbilder der Vergangenheit. Er griff dabei bis in die Zeiten der Gentilordnung zurück, wie seine Konzeptionen zum Eigentum deutlich machen. Daß wie im homerischen Epos auf Streitwagen gekämpft wird, wertet der Text als "archaisch" (5, 45, 3), und das "Ehrengeschenk" (geras) für besondere Leistungen (5, 45, 4) trägt gleichfalls homerisches Kolorit. 14 Euhemeros hat es darauf angelegt, seine Gesellschaftskonzeption in relativ günstige Naturbedingungen einzubetten, die jedoch bei aller Fruchtbarkeit die menschliche Arbeit zur Reproduktion des Gemeinwesens keineswegs überflüssig machen - ein wesentliche1 Gedanke, den später Jambulos in seiner Utopie ausgebaut hat (vgl. unten S. 61). Die materielle produktive Arbeit wurde in der zeitgenössischen herrschenden Ideologie verachtet. Auf Panchaia spielt sie dagegen eine erhebliche Rolle, wie die Aufgaben de1 Bauern und Hirten zeigen, und welche Achtung den Künstlern und Handwerkern zukommt, beweist deren Zugehörigkeit zur ersten Klasse, in der sich auch die alles leitenden Priester befinden. Mit der Herausarbeitung eines profilierten Gegenbildes zur gesellschaftlichen Realität hat der Autor einen kühnen geistigen Vorstoß unternommen, und seine damit in Verbindung stehende rationalistische Interpretation der Mythologie, später Euhemerismus genannt, begründet mit gleichem menschlichem Engagement Gegenvorstellungen zur traditionellen Götterwelt. Es ist bemerkenswert, wie in der Utopie des Euhemeros, die vom Geist konstruktiver Phantasie lebt, falsches Bewußtsein zerstört wird. Über den1 denkerischen Leistungen des Autors soll indessen sein poetisches Denken
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Vgl. beispielsweise Ilia51 1, u8. II9. UJ. Die Homerrezeption bei Jambulos und dann vor allem bei Chariton (vgl. unten S. 6o) steht im Zeichen der Poetisierung des Romantextes, was wenigstens in bescheidenem Maße auch auf die Darstellung des Euhemeros zutrifft.
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nicht vergessen werden. Die "Heilige Aufzeichnung" erschöpft sich keinesfalls etwa in Darlegungen sozialökonomischer Verhältnisse, denen im Vorhergehenden deshalb die besondere Aufmerksamkeit galt, um zur Funktionsbestimmung des Werkes die Kontraposition zu den Zeitbedingungen herauszuarbeiten. Geschildert wird von Euhemeros mit bunter Palette ein Reich südlicher Exotik. Die in abenteuerlicher Ferne liegende Inselgruppe mit ihren von den herkömmlichen Normen abweichenden Besonderheiten macht die Lektüre für den erfahrungsdurstigen Leser reizvoll und abwechslungsreich. Er sieht die üppige Landschaft des Südens, wo sich beispielsweise eine Ebene erstreckt, "dicht besetzt mit Bäumen aller Art, nicht nur fruchttragenden, sondern auch anderen, die das Auge erfreuen (terpein) können" (~, 43, 1), er hört von einer fremden Tierwelt, etwa. von der Fülle der dort nistenden Vögel, wieder "aller Art", die mit ihren Melodien "großes Ergötzen" (megtilen ... terpsin) bereiten (~. 43, 2), womit erneut der Aspekt des Erfreuens auftritt. Und der Leser erfährt schließlich von den Sitten und Errungenschaften der Menschen sowie von den erstaunlichen Begebenheiten der Götter, die einstmals Menschen waren und dort lebten (~. 44, 6; ~. 46, 2 f. u. 6-8). Das Werk des Euhemero!l ist bei aller theoretischen Arbeit ein Reiseroman, der von einer unbekannten Ferne erzählt und so den Erfahrungshorizont des Lesepublikums erweitert. Indem der Gesichtspunkt des "Erfreuens" oder "Ergötzens"i der Erzählung immanent ist bzw. ausdrücklich, wie sich zeigte, in die Erzählung mit einbezogen wird, realisiert sich die Gegenbildfunktion bei Buherneros auch mit Mitteln der Unterhaltung. Diese Mittel verbinden den frühen Roman mit dem späteren Abenteuer- und Liebesroman. So konträr auch die utopischen Verhältnisse auf Panchaia dellj realen Bedingungen entgegenstehen - die entschiedenste Alternative zur zeitgenössischen Wirklichkeit innerhalb der Gattung des antiken Romans schuf Jambulos15, anzusetzen wahrscheinlich im 3· Jh. v. u. Z. Seine Utopie16 findet sich auf sieben Inseln im Süden angesiedelt (Diodor 2, ~ ~, 1 ; ~ 8, 7) / 7 in weitaus größerer Entfernung von der Oikumene, als es bei Hekataios und Buherneros der Fall war, denn zu überwinden ist ein "großes Meer", auf dem Stürme toben. Und die Fahrt in das Natur- und Gesellschaftsparadies dauert von Athiopien aus vier Monate (ebenda 2, ~ ~. 6), so daß sich einer etwaigen Nachprüfung noch schwierigere Hindernisse entgegenstellen. 18 Die Entdeckung einer Utopie ist im allgemeinen ein einmaliger Akt und nicht wieder-
n. 1-60, 3 in der Ausgab~ mit englischer Übersetzung von C. H. Oldfather, Bd. 2, Nachdruck London-Cambridge/Mass. 1967 (Erstdruck 1931). Vgl. R. Müller, Zur sozialen Utopie im Hellenismus (vgl. Anm. 7), 192-201. Zunächst ist von einer Insel die Rede (Diodor 2, 11. 1), und noch 2, 18, 7 wird von der Insel gesprochen, bis es kurz darauf, an. der gleichen Stelle 2, 18, 7, im Zusammenhang mit dem streng durchgeführten Gleichheitsprinzip sieben Inseln werden. Zur Lokalisierung der Inseln des Jambulos vgl. F. F. Schwarz, The ltinerary of lambulus Utopianism and History, in: G.-D. Sontheimer u. P. K. Aithal (Hrsg.); lndology and Law. Studies in Honour of Professor J. Duncan M. Derrett, Wiesbaden 1982 (1983) (Beiträge zur Südasien-Forschung, Südasien-Institut, Universität Heidelberg 77), r8-n, bes. 42-53. F. F. Schwarz schlägt Sri Lanka vor (41). Dieser Lokalisierung stimmt zu W.-W. Ehlers, Mit dem Südwestmonsun nach Ceylon. Eine Interpretation der lambul-Exzerpte Diodors, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft N. F. II, 1981, 73-84, bes. 78, wobei Jambulos jedoch ein "ernsthafter Geograph" sein soll (84).
15 Vgl. Diodor 2, 16
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holbar, so daß sich in der Regel eine Neuentdeckung oder ein Nachvollzug der Fahrt ausschließen. Allerdings wird im Roman des Jambulos von einem Ritus berichtet, nach dem zu jener glücklichen Insel im Süden alle 6oo Jahre zwei Fremde entsandt werden müßten, im Interesse eines friedlichen und in jeder Hinsicht glücklichen Lebens des eigenen Landes (2, 55, 3 f.). Daß die Utopie jeweils auf einer Insel oder Inselgruppe angelegt ist, wird zum Topos, den in der Renaissance noch Thomas Morus19 übernahm, ohne daß damit die Tradition der Insellage ein Ende gefunden hätte. Im Rahmen des antiken Abenteuer- und Liebesromans griff Longos auf die Insel zurück, als er einen günstig abgeschiedenen Platz für seine bukolische Idylle suchte - mehr als 400 Jahre nach Jambulos. Um wieder zu diesem und seiner angeblichen Fahrt zurückzukehren: Als Ziel wurde Jambulos und seinem Gefährten eine "glückliche" (eudaimon) Insel verheißen mit "annehmbaren" Menschen, bei denen' man "glückselig" (makariös) leben könne (2, 55, 4). Die Gegensätzlichkeit gegenüber der Mittelmeerwelt wird scharf hervorgehoben: Die Inselbewohner "unterscheiden sich durch ihre physischen Besonderheiten und ihre Lebensweise weit von den Menschen in unserer Oikumene" (2, s6, 2). Bei Jambulos erreicht die Utopie: des antiken Romans ihren Höhepunkt durch eine qualitativ neue Ausgestaltung der menschlichen Konstitution, der Naturbedingungen und der gesellschaftlichen Verhältnisse. In der Zeichnung des utopischen Reiches kann auf den Gegebenheiten des Südens aufgebaut werden. Die Menschen werden bereits in körperlicher Hinsicht idealisiert. Sie sind groß (2, s6, 2), "überaus zart, aber viel kräftiger als die bei uns" (2, s6, 3), ausnehmend schön und gut proportioniert (2, s6, 4). Sie haben einen so festen Griff, daß ihnen keiner entwinden kann, was ihre Hände umschlossen halten (ebenda 2, s6, 3). Es ließen sich weitere denkwürdige physische Eigenschaften der Inselbewohner aus dem Diodor-Text aufführen. Darunter befindet sich phantastisch Absonderliches, wie etwa ihre Doppelzunge (2, s6, 5 f.), mit der sie nicht nur jede menschlich artikulierte Sprache nachahmen können, sondern auch das vielstimmige Gezwitscher der Vögel und überhaupt jeden eigentümlichen Laut. ber Gipfel des Wunderlich-Wunderbaren, des Paradoxen (2, s6, 6: paradox6taton) ist erreicht, wenn sie durch ihre Doppelzunge in die Lage versetzt werden, gleichzeitig mit zwei Gesprächspartnern zu sprechen, und zwar vollendet. Dabei geht es nicht allein um den Gebrauch der Sprache (ebenda: lalein, "sprechen'") in zwei Richtunge~, sondern um die Führung eines doppelten Dialogs (ebenda: dialegesthai, "sich unterhalten"). Wie sich hier der junge Roman mit der im 3· Jh. v. u. Z. aufkommenden paradoxagraphischen Literatur berührt, liegtl auf der Hand. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß Diodor mit Bezug auf das Werk des Jambulos von "wunderbaren Geschichten", spricht (2, 55, 1: paradoxologumena). Wie schon die utopischen, aber potentiell realisierbaren und konstruktiven Ideen des Jambulos zur Gesellschaftsstruktur zeigen, läßt sichj sein Werk gattungsgeschichtlich nicht der auf das wundersam Abwegige orientierten Paradoxa-Literatur zuordnen. Jambulos' Roman erscheint so bunt wie das südliche Panorama, in das er seine Utopie hineinstellt. Daß das Paradoxe wie das Fabulose in den Roman freizügig integriert sind, macht einen besonderen Wesenszug der frühen Erzählkunst aus, die sich hierbei auf das 1!1
Tb. Morus, Utopia, hrsg. von
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J).
J. Teller, 6. AuE!. Leipzig
1982
(Reclams Universal-Bibliothek
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dichterische Beispiel der Erzählungen des Haupthelden in der "Odyssee" berufen konnte. Die erzählerische Vielfalt war geeignet, den Reiz des interessanten Sujets noch zu erhöhen. Sie wird ihre Wirkungen auf die Rezeption des Romans nicht verfehlt haben. Noch reicher als in den vorangegangenen utopisch orientierten Romanen, ja geradezu überquellend erscheint die Fruchtbarkeit der Natur (2., 56, 7). Es herrscht ein überaus wohltemperiertes Klima, ungeachtet der Lage am Aquator. Die Früchte reifen das ganze Jahr über. Zur Veranschaulichung werden zwei Verse aus der "Odyssee" (7, I2.0 f.) zitiert, in denen das ständige Reifen der Birnen, Apfel, Trauben und Feigen bei den Phäaken im Garten des Alkinoos zum Ausdruck kommt. Damit greift die hellenistische Sozialutopie auf eine frühe Form gesellschaftlicher Utopie zurück. Wie im Phäakenland gibt es in der Utopia des Jambulos nicht nur eine überwältigende Fruchtfülle - es vollzieht sich hier wie da ein kontinuierlicher Reifeprozeß, so daß sich der Überfluß pausenlos automatisch herstellt. Die "von allein entstandenen Subsistenzmittel" (2., 59, I: choregiai autophyeis) 20 bilden bei Jambulos die materiellen Voraussetzungen für seine utopische Gesellschaft. Ungeachtet des natürlichen Reichtums besteht jedoch als ein Grundzug der Wunderwelt die Einrichtung der Arbeit. Wie sie organisiert ist, wird gleich zur Sprache kommen (vgl. S. 6I). Aussagekräftig für die Form des Romans erscheint das genannte Zitat aus dem Epos, das nicht erst Diodor hinzugesetzt haben wird, da er seine Aufgabe in einem Kurzbericht sah (vgl. 2., n, I). Die "Odyssee"-Verse zeigen die Integration von Poesie schon in den frühen Roman. Von der homerischen Dichtung machte später Chariton einen so regen Gebrauch in seinem Romanwerk, daß eine moderne Interpretation sich dafür einsetzte, ihn gewissermaßen als "einen Homeriden der Prosa" zu verstehen. 21 Besonders relevant sind die sozialutopischen Ideen des Jambulos. Die Gesellschaft wird in Gemeinschaften (systemata) gegliedert, die auf gentiler Basis beruhen und die nicht mehr als 400 Mitglieder haben (z, 57, I). "Sie leben auf den Wiesen", heißt es im Zusammenhang mit der Automatik des Überflusses (ebenda). Es gibt dort also keine Polis, was in griechischen Augen auch in hellenistischer Zeit merkwürdig, wenn nicht befremdlich erscheint. Euhemeros konnte in seiner Utopie auf die Institution der Polis nicht verzichten, auch Hekataios berücksichtigte diese gesellschaftliche Organisations20 21
Vgl. schon Diodor 2, 57, I, wo es heißt, daß "Nahrungsmittel mehr als genug von selbst entstehen". C. W. Müller, Chariton von Aphrodisias und die Theorie des Romans in der Antike, in: Antike und Abendland 22, I976, IIj-I36, bes. 127-I32; Zitat I3I, vgl. I32. Diese Sicht kann man mit B. P. Reardon, Theme,! Structure and Narrative in Chariton, in: Yale Classical Studies 27, 1982, I-27 für "exaggerated" (I j Anm. 24) halten, Dessenungeachtet unternimmt es B. Elfe, Der griechische Liebesroman und die Homoerotik. Ursprung und Entwicklung einer epischen Gattungskonvention, in: Philologus 131, I987, 9j-I08, verabsolutierend ein Bewußtsein der Romanschriftsteller von einer epischen Gattungskontinuität zu behaupten, womit andere Kontinuitäten - die jedenfalls den Autoren bewußt waren - v.erdrängt werden, so die Traditionen der Geschichtsschreibung und des Dramas (vgl. in diesem Band S. I7; 40-45; 68 f.). Daß die zentrale Stellung der heteroerotischen Liebe im griechischen Liebesroman auf das Homerische Epos zurückgeführt werden kann, ist partiell richtig gesehen ; aber hinzuzufügen als mögliche Inspirationsquellen sind auch andere Gattungen: die Tragödie etwa und die Neue Komödie vor allem aber weitgehend auch die Wirklichkeit des Lesepublikums.
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form, 22 und selbst die gerade zitierten Phäaken in der "Odyssee" hatten eine; Polis. 23 Aber das Fehlen einer Polis entspricht folgerichtig der Struktun der Gesellschaft bei Jambulos, die eine Gentilgesellschaft war. Unter gentilizischem Vorzeichen steht auch das patriarchalische Leitungssystem. Jede Gemeinschaft (Stjstema), d. h. jede Struktureinheit, wird ständig von dem jeweilig Altesten geleitet, gleich als wäre er eine Art König (z, 58, 6). Den Antagonismen und Differenzen der antiken Klassengesellschaft stellll Jambulos sein Gleichheitsprinzip entgegen. Das beginnt schon bei der äußeren Gestalt der Inselbewohner, die darin alle einander nun nicht völlig, aber doch beinahe gleichen (z, 55, z). Dieser Ähnlichkeitsgrad gilt auch für die sieben Inseln (z, 58, 7), aber alle haben dieselben Sitten und Gesetze (ebenda). Während bei Buherneros ein System von drei Klassen bestand mit einer Elite der Priester an der Spitze, herrscht in der utopischen Gesellschaft des Jambulos ein überraschendes Prinzip der Gleichheit. In den gentilen Struktureinheiten (systemata), aus denen sich die Gesellschaft auf den sieben Inseln zusammensetzt, und zwischen diesen Einheiten gibt es keine khissenmäßigen Unterschiede. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Stellung ist aus der Gruppe ausschließlich der leitende Alteste herausgehoben (z, 58, 6), ohne daß die einzelnen Altesten etwa ein Führungsgremium wie die Priester des Buherneros gebildet hätten. In der Organisation der Arbeit kommt eine Arbeitsteilung in Form von turnusmäßig alternierenden Tätigkeiten zur Anwendung, die auf dieser Ebene zu einer bestimmten Allseitigkeit führen. Da begegnet zunächst - ohne nähere Erklärung - "bedienen", dann .fischen, Handwerksarbeiten verrichten, an anderen nützlichen Aufgaben tätig sein und schließlich "Dienste leisten", wieder ohne genauere Bezeichnung. Die Artikulierung der Arbeit wagt sich an weithin Ungewohntes, denn die Sklaven, auf die man in der zeitgenössischen Realität zurückgreifen konnte, existieren hier ja nicht. Von den Diensten ausgenommen sind die Greise (z, 59, 6). Bei aller sozialen Gleichheit, die der Humanität dient, wird im Fall der Alten eine rücksichtsvolle Ausnahme gemacht, wieder aus humaner Erwägung. Der relativ hohe technische Stand, den die Produktivkräfte im Hellenismus erreicht hatten, wurde für die Sozialutopie indessen nicht fruchtbar gemacht. Offenbar erschien er dem Autor im Hinblick auf die einfachen Bedürfnisse des neuen Gemeinwesens entbehrlich. Der Überfluß der Mittel für den· Lebensunterhalt schafft die Möglichkeit der Muße und Bildung (z, 57, I u. 3). Die Inselbewohner sind an allen Bildungsdisziplinen interessiert, am meisten an der Astrologie (z, 57, 3). Von Unterschieden in der Konsumtion ist nicht die Rede, doch es zeugt von einem hohen Ethos, wenn die Inselbewohner, ungeachtet der reichen Fülle der Naturprodukte, sich im Genießen Mäßigung auferlegen und nur entsprechend ihren Bedürfnissen konsumieren (z, 59, x). Die Nichtexistenz des Privateigentums bedarf keiner ausdrücklichen Feststellung, wozu sich noch Buhemeras veranlaßt sah, und in gleicher Selbstverständlichkeit sind die Produktionsmittel Gemeineigentum, wie bei Euhemeros. Daß eine Frauen- und Kindergemeinschaft besteht, wird jedoch ausgesprochen (z, 58, r). Der Gedanke, die Frauen "gemeinsam zu haben" (ebenda: koinds echein), läßt erkennen, wie die Frau als Objekt, nicht als gleichberechtigtes Subjekt, verstanden wird, 22 F Gr Hist 264, F 7, S. 16, 2. Vgl. Odyssee 7, 2. 14. 18.
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womit die unterprivilegierte Stellung der Frau aus der griechischen Polisordnung in die Utopie der Gleichheit hineinwirkt. Dazu stimmt, daß die Frau bei Jambulos auch sonst keine Rolle spielt, soweit sich sehen läßt. Die Frauen- und Kindergemeinschaft hat indessen in der neuep. Gesellschaftskonzeption eine stabilisierende Funktion. Sie sichere, da Eifersucht nicht aufkomme, ein Leben ohne Unruhen und in Eintracht, worauf die Inselbewohner den größten Wert legen (ebenda). Für das Problem des Todes sieht Jambulos die Lösung in einem schmerzlosen Freitod nach einem Leben von 150 Jahren. Diese Praxis entspricht einer gesetzlichen Regelung (2, 57, 4 f.; vgl. 2, 58, 6). Die allgemeine hohe Lebenserwartung von 150 Jahren ist schon phantastisch, aber bei der Schilderung der Tiere und ihrer Besonderheiten (2, 58, 2-5) weiß der Autor seine Phantasie noch weiter zu entfalten, in einer Weise, wie es sich bei Euhemeros nicht findet, und es kommt zu so erstaunlichen Erfindungen, daß Diadar "wegen des Paradoxen" Zweifel erhebt (2, 94, 4). Sind auch die Berührungen mit dem paradoxagraphischen Schrifttum unverkennbar, so gehören doch die sprudelnde Phantasie und ihr Produzieren selbst von Unwahrscheinlichkeiten zu den Möglichkeiten des Romans, von der Antike bis heute. Da ist von Tieren die Rede, die vier Augen und ebensoviele Mäuler besitzen und deren Blut die Kraft hat, etwa eine abgehauene Hand sofort wieder anzuleimen, wie es heißt (2, 58, 4). Berichtet wird auch von einem großen Vogel, den jede Gemeinschaft hält und der die Aufgabe hat, die Kleinkinder bei einem Flug auf ihre Tauglichkeit zu prüfen (2, 58, 5). Wer unterhalb der Normen bleibt, die das Gleichheitsdenken setzt, hat auf den gleichen Inseln keinen Platz. Daher werden die Kinder, die physisch und psychisch beim Testflug versagen, ohne Bedenken ausgesetzt (ebenda), und die gleiche Konsequenz trifft die Verkrüppelten oder körperlich Gebrechlichen in Gestalt eines harten Gesetzes, das diese zwingt, aus dem Leben zu scheiden (2, 57, 5). Gesellschaftliche Humanität und brutale Härte im Interesse der Gleichheitsidee finden sich in der Utopie des Jambulos so eng beieinander wie das Engagierte und das Phantastische. Während bei Euhemeros Handelsbeziehungen zu den Arabern bestehen (Diodor 5, 42,3) und Soldaten das Land schützen müssen (5, 46, 1), scheint das Leben auf den fernen Inseln des Jambulos von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, und offensichtlich droht seinem Gesellschaftssystem keine Gefahr von außen, so daß ein dauernder Frieden herrschen kann. Die Utopie des Jambulos erfüllt von allen in der antiken Romangattung vorliegenden utopischen Konzeptionen am weitesten die Forderung, die an eine in vielem zukunftsträchtige und potentiell realisierbare Utopie zu stellen ist: Sie erscheint funktionsfähig, aber ihre im Roman reibungslose Funktionsfähigkeit, bei der sich die individuellen Bedürfnisse und die gesellschaftlichen Belange im allgemeinen harmonisch verbinden, hebt sich um so krasser von den widersprüchlichen Zuständen des 3· Jh. v. u. Z. ab. Der progressive gesellschaftstheoretische Vorstoß des Jambulos ist ·als ein Ergebnis der Auseinandersetzung mit den realen Verhältnissen seiner Zeit zu verstehen, denen der Autor ein Leben ohne Unterdrückung, ohne Ausbeutung, ohne Krieg entgegenstellte. Seine Konzeption hat - ungeachtet ihrer gentilen Basis - antizipierenden Charakter wie die "Utopia" des Thomas Moros und Campanellas "Sonnenstaat", Gesellschaftstheorien, die dem antiken Autor wichtige Impulse entnehmen konnten.
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6;
z. Der Abenteuer- und Liebesroman Die Tendenz des antiken Romans, andere, fiktionale Wirklichkeiten zu schaffen, realisierte sich jedoch nicht allein in der Vorwegnahme künftiger menschlicher und gesellschaftlicher Möglichkeiten - wie es von modernen Gesichtspunkten aus gewertet werden kann -, sondern zeigt sich gleichfalls darin, in vergangene Zeiten zurückzugehen und bewährte alte Zustände wieder heraufzurufen. Wieder heraufgeholt wird teilweise das Goldene Zeitalter des Mythos, wofür schon Jambulos mit seinem automatisch entstehenden Überfluß anzuführen ist, und im Grunde ging gerade die antizipierende Utopie bewußt in die Vergangenheit zurück, wenn sie ihr Gesellschaftsmodell auf gentilen Verhältnissen aufbaute. Aber aus der Tiefe der Vergangenheit heraufgeholt werden nicht nur quasi urgesellschaftliehe Gegebenheiten, sondern vor allem auch die großen Zeiten des s. Jh. v. u. Z., deren Glanz in den Roman hineinstrahlte, ohne daß die klassischen Widersprüche bewußt gemacht worden wären. Diese Entwicklung setzte ein, als die progressive Utopie-Welle des Romans im 2. Jh. v. u. Z. zu verebben begannein Ausläufer ist noch der in Alexandreia arbeitende Dionysios Skytobrachion (F Gr Hist ~2 F 7 u. sM, 2. Jh. v. u. Z.). Der sozialutopische Höhenflug im Roman mußte unter den bestehenden Verhältnissen ohne positive Ergebnisse in der gesellschaftlichen Wirklichkeit bleiben. Auch in einer Epoche kühner Staatenbildungen hatten sich keine grundlegend neuen Horizonte bei der Gestaltungj der Gesellschaft abzeichnen können. Eine unterschiedliche Entwicklungslinie setzte mit dem Abenteuer- und Liebesroman ein, der unter dem Einfluß des Individualismus (vgl. oben S. B f.) Vorstellungen entwickelte, um den zentrifugalen Wünschen und illusionären Hoffnungen des Individuums zu entsprechen, das sich mit der objektiven Realität nicht abfinden konnte. Die Autoren dieses Romantyps orientierten idealisierend auf die fast noch greifbare, aber unwiederbringlich entschwundene Welt des autonomen Stadtstaates. Ein Ausdruck für den Rückgriff in die verklärte Vergangenheit ist die Poliswelt bei Chariton von Aphrodisias (vermutlich I. Jh. v. u. Z.). Gleich zu Beginn des Romans tritt das Instrumentarium der Polis in Erscheinung: die Ekklesia ("Volksversammlung"), der im Theater tagende Demos, det Rat, die Archonten (I, I, n f.). Auch wenn die Funktion der Volksversammlung dabei ganz im Zeichen des Eros steht- Eros ist demagogos ("Demagoge", I, I, 12) - und einen eher spielerischen Charakter hat, bildet den Ausgangspunkt des Romans das s. Jh. mit der an Thukydides25 erinnernden, historisierenden Eingangsformel des Werkes26 und mit der sich daran anschließenden Vorstellung F. Jacoby, F Gr Hist, Teil I A, Neudruck Leiden I957· Vgl. jetzt J. S. Rusten, Dionysius Scytobrachion, Opladen I98z (Papyrologica Coloniensia Io), mit drei neuen Papyrustexten (I9-64). Disparates Material ist bei F. Jacoby, F Gr Hist 5I-6z (Teil I A) unter der Überschrift "Monographien. Romane. Schwindelliteratur" zusammengestellt. Vgl. hierzu den Kommentar in F Gr Hist, Teil I a, Neudruck Leiden I957, S. soi-H4: 549-s6z. 25 Vgl. Thukydides I, I, I: ,.Thukydides aus Athen hat den Krieg beschrieben, den die Peloponnesier und die Athener miteinander geführt haben" (Übersetzung von Th. Braun, 5· Aufl. Leipzig I964). :v; Vgl. die Interpretation von C. W. Müller, Chariton von Aphrodisias und die Theorie des Romans in der Antike (vgl. Anm. u), uz-u4.
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des Hermokrates, eines Feldherrn der Syrakusaner beim Abwehrkampf gegen die athenische Invasion des Jahre 4q v. u. Z. Schon bald wird Alkibiades erwähnt (I, I, 3), und am Ende fällt wenigstens der Name des Brasidas (8, 2, 12). Der Schluß des Romans korrespondiert insofern mit dem demokratie-intensiven Anfang, als sich der Leser wieder in der Ekklesia, im Theater, beim Demos findet (8, 7, I f.), vor dem Chaireas einen Bericht über seine Erlebnisse gibt, was im Roman zum "Erzählen" adaptiert wird (vgl. 8, 7, 3 u. 9). Aber die Polissphäre beschränkt sich nicht auf den Beginn und das Ende. Sie wird während der Erzählung ständig bewußt gehalten durch die Persönlichkeit des Hermokrates, die selbst oder als idealisiertes Phänomen in allen Büchern des Romans auftaucht, im ganzen 44mal. Dabei erhält Hermokrates die Aufgabe, psychologisch zu ermutigen, er vertritt die idealisierte Gesellschaftsordnung und fungiert als ethisches Modell.27 Die Poliswelt. des Romans ist indessen, ungeachtet aller eingesetzten Wirklichkeitselemente, eine Romanwelt der Polis und dient in dieser Weise den fiktionalen Absichten des Romanciers. 28 Die Funktion des frühen Romans wandelte sich spätestens bei Chariton. Daß hier ein Entwicklungssprung vorliegt, ist unverkennbar, aber ebenso deutlich lassen sich wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen der Romanutopie und dem Romantyp des Chariton nachweisen (vgl. oben S. 27 f.). Es ging nicht mehr um utopische Entwürfe für die Gesellschaft, sondern um die Gestaltung einer abenteuerlich illusionären Welt für den einzelnen, in der die Realität zwar aufgenommen, aber phantasievoll verändert wird, indem die Unglücksfälle, die dem Individuum fortwährend drohen, relativ leicht und sogar schnell überwunden werden und das turbulente, an Notlagen reiche Geschehen in jedem Fall so glücklich endet wie in der Wirklichkeit wohl schwerlich. Was 27
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V gl. A. M. Scarcella, Metastasi narratologica del dato storico nel romanzo erotico greco, in: Atti del Convegno lnternazionale "Letterature dassiehe e narratologia", Selva di Fasano (Brindisi) 6-8 ottobre 1980, Perugia 1981 (Materiali e contributi per Ia storia della narrativa greco-latina 3), 341-367, bes. 344 f. F. Zimmermann, Chariton und die Geschichte, in: Sozialökonomische Verhältnisse im Alten Orient und im klassischen Altertum. Tagung der Sektion Alte Geschichte der Deutschen Historikergesellschaft vom 12.-17. X. 19,9 i!l Altenburg, hrsg. von H.-J. Diesner, R. Günther u. G. Schrot, Berlin 1961, 3~9-345, meint zum Werk des Chariton, "daß der Grundgehalt der Konzeption historisch ist" (345). Dabei werden die Intentionen der Romangattung im allgemeinen und hier im besonderen des Romanschriftstellers Chariton verkannt, der die historischen Fakten ebenso geschickt wie großzügig adaptierte. Zu unterstreichen ist jedoch F. Zimmermanns Feststellung: "Die zahlreichen Anklänge und Anspielungen an historische Vorlagen ... setzen ein intensives Studium historischer Texte voraus" (ebenda). M. Laplace, Les legendes troyennes dans le "roman" de Chariton, Chaireas et Callirhoe, in: Revue des etudes grecques 93, 1980, 83-125, wendet sich mit Recht gegen die Verbindung der Romanheidin Kallirhoe mit einer historischen Gestalt, der geschichtlichen Tochter des Hermokrates. Problematisch erscheint iodessen die Verabsolutierung, daß sich Chariton in seinem Werk auf die Troja-Legenden beziehen soll, d. h. auf die mythische Vergangenheit der Griechen, den Trojanischen Krieg, und auf die der Römer, das Schicksal des Äneas. Das Ziel der Studie wird wie folgt umrissen: "Nous montrerons que !es deux legendes definissent le schema dramatique de Ia fiction de Chariton, et que le sens de leur combination se deduit des roles respectifs que l'auteur prete a Ia Fortune et a Aphrodite" (8 3). Daß Chariton "une histoire symbolique" (124) geschaffen haben soll, kann nicht überzeugen. Eine instruktive literarkritische Interpretation stammt aus der Feder von B. P. Reardon, Theme, Structure and Narrative in Chariton (vgl. oben Anm. 21), 1-2.7.
FUNKTIONSWANDLUNGEN DES ANTIKEN ROMANS
sich im sog. Abenteuer- und Liebesroman ästhetisch herstellt, ist, wenn auch in anderer Form, wieder ein Kontrastbild, ein illusionistisches Gegenbild zur objektiven Realität, deren Bedingungen vom Hellenismus bis in die späte römische Kaiserzeit in der Romanliteratur immer wieder zu gegensätzlichen Vorstellungen herausgefordert haben. Das stetige Entkommen und das Happy-End für das Individuum -nicht etwa. für die Gesellschaft - werden handlungskonstituierend. Das Individuum ist jedoch auch hier "das gesellschaftliche Wesen". 29 Für die Gesellschaft als Ganzes bestanden unter den gegebenen sozialen Bedingungen keine Chancen für ein glückliches Ende, selbst nicht mehr im Roman, der sich soziale Phantasien jetzt versagte, die er in seiner Frühzeit gewagt hatte. Der Abenteuer- und Liebesroman kann nicht den Anspruch erheben, ein Organ sozialer Selbstverständigung zu sein, wie es das Drama im 5. Jh. v. u. Z. war und was in Ansätzen noch dem utopischen Reiseroman zugebilligt werden könnte. Wenn die Volksversammlung bei Chariton tagt, so geht es, aus der Perspektive der sog. klassischen Zeit gesehen, um eine Bagatelle. Aber die historische hellenistische Polis war oft genug auf Bagatellen angewiesen. Insofern erscheint die Tagesordnung der Ekklesia Charitons nicht abwegig. Für den Abenteuer- und Liebesroman jedoch als neue Form der Romandichtung hatte der Verhandlungspunkt, die Liebesaffäre, zentrale Bedeutung, und dem Individuum galt alle Aufmerksamkeit. Der utopische Roman hat im Hinblick auf die Auseinandersetzung, die er mit dem Bestehenden führt, keine affirmative Funktion. Das gleiche läßt sich vom Abenteuerund Liebesroman sagen angesichts der von ihm hervorgerufenen Kontrastvorstellungen. Soweit jedoch an bestehende Gegebenheiten angeknüpft wird, ohne die Konventionen der geltenden Ordnung und die Traditionen der Poliswelt! in Frage zu stellen, kann von einer affirmativen Funktion gesprochen werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Abenteuer- und Liebesroman zu bestimmten Teilen affirmativ, und hier zeigt sich, wie viele Wirklichkeitselemente er mit sich führt. Mit der Ausrichtung auf das Individuum30 kommt jetzt eine Funktion voll zur Geltung, die in beträchtlichem Maße bereits den Romanutopien immanent war: die Unterhaltung. Daß der Roman mit dieser Funktion unter den literarischen Gattungen nicht allein steht, soll nur beiläufig erwähnt werden. Bereits das Epos verstand sich u. a. auf die Kunst zu "erfreuen", wie die - intendierten - Wirkungen der Sänger Demodokos und Phemios in der "Odyssee" nahelegen (8, 43-46. 90 f. 367-369; 22, 330 u. I, 3n). Der Romancier Chariton31 verspricht jedenfalls auch für das letzte Buch großes Vergnügen (vgl. 8, I, 4: bediston genesesthai, "... daß es überaus vergnüglich werden :.o K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: K. Marx/F. Engels, Gesamtausgabe
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5
(MEGA), x. Abt., Bd. z, Text, Berlin 1982., 167; vgl. 591. Zur Darbietung des Textes ·vgl. den Apparat, ebenda 68s u. 740. Vgl. R. Johne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diese!llBand S. IS0-177. Vgl. auch C. Garcia Gual, La. invencion de la novela y la funcion social de los generas literarios en Grecia, in: Estudios de forma y contenido sobre los generas literarios griegos, hrsg. von J. A. Femandez Delgado, Cäceres 1981, 8S-97· Vgl. die Ausgabe von W. E. Blake, Oxford 1958, die durch die Edition von G. Molinie, Paris 1979, nicht ersetz~ ist; vgl. T. Hägg, in: Gnomon n. 1981, 698-7oo; B. P. Reardon, Une nouvelle edition de Chariton, in: Revue des etudes grecques 9S. 1981, IS7-173. Chr.) Locke, Zum Charitontext auf Papyrus, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik ss, 198s, ·2.1-H. Kucb
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wird"), was impliziert, daß gleichfalls die vorangegangenen Bücher auf das Vergnügen bei der Lektüre abzielten, ungeachtet der darin erzählten traurigen Ereignisse wie Raub, Sklaverei, Prozeß, Kampf, Selbstmordabsichten, Krieg, Gefangennahme. 32 Die Unterhaltung ist in der Romangattung ein Phänomen, das sich durch das Erzählen und die jeweils gewählte Erzählweise realisiert und für Leser bestimmt ist. Chariton sagt im Einleitungssatz seines Werkes programmatisch: "Ich werde erzählen" (I, I, I: diegesomai), und es sind explizit Leser, an die er sich richtet (vgl. 8, I, 4: tois anagign6skusin, "für die Leser"). Verbunden mit der Verlagerung des poetischen Interesses auf das Individuum, bestimmt die Funktion der vergnüglichen Unterhaltung den griechischen Roman bis Heliodor und läßt sich gleichfalls für den römischen Roman feststellen. So spricht Longos33 gleich zu Anfang im Hinblick auf sein ausgearbeitetes Romanwerk von einem "erfreulichen Besitz" (Praefatio 3: ktema .•• terpn6n) "für alle Menschen". Wie eben bei Chariton bemerkt, ist in das "Erfreuliche" auch bei Longos ausgesprochen Unerfreuliches, ja Gefahr- und Unglückbringendes mit einbezogen, wie Überfall von Räubern und Angriff von Feinden (Praef. 2). Diese Geschehnisse fand er in seinem Modell, dem Gemälde mit einer Liebesgeschichte, dargestellt, das noch "erfreulicher" (Praef. I : terpnotera) war als die schöne, natürliche Umgebung des Bildes und zu dem der Autor mit seinem Roman - sozusagen konkurrierend - ein Gegenstück liefern wollte (Praef 3). Mit seinem "erfreulichen Besitz", seinem ktema terpn6n, hat Longos das ktema es aiei des Thukydides (I, 22, 4), den Schatz, der je und je gültig und wieder aktuell ist, auf die Erfordernisse der Romangattung umfunktioniert. Das hatte sich vor ihm in ähnlicher Weise, aber ebenfalls unter Berücksichtigung der neuen Gattung, Chariton mit dem Thukydideischen Einleitungssatz erlaubt. Auf das Erfreuliche sah es auch Apuleius ab, wenn er mit seinen "Metamorphosen" "schmeicheln", "ergötzen" will, wie er gleich im ersten Satz sagt (vgl. I, I, I: permulceam). Aussagekräftig sind ferner die Formulierungen vor einer berühmten Passage der ,.Metamorphosen". Als die Alte dem gefangenen Mädchen das Märchen von Amor und Psyche erzählt, will sie die Geraubte "zerstreuen" (vgl. 4, 27, 5: avocabo) "mit netten Erzählungen und Geschichten, wie sie alten Mütterchen eignen" (ebenda: narrationibus lepidis anilibusque fabulis). Nach jenen Zeugnissen erscheint die Verallgemeinerung verständlich, die Macrobius um 400 u. Z. in seinen "Commentarii" ("Kommentaren") zu Ciceros "Somnium Scipionis" ("Traum des Scipio") findet: Die Romane gehören zu den fabulae, den Erdichtungen, die "schmeicheln", "ergötzen", "erfreuen" (I, 2, 8: mulcent) - für die Romaninterpretation eine zentrale- Stelle, die bereits in ihrer gattungsgeschichdichen Aussage herangezogen wurde (vgl. oben S. I4 f.), die jedoch gleichermaßen Bedeutung hat für die Funktionsbestimmung des Romans. Die Funktion jener fabulae, unter die der Roman, wie sich zeigte, zusammen mit der Komödie Menanders und dessen Nachahmer subsumiert wird, beschränkt sich nach Macrobius auf das Vergnügen (voluptas), sie verheißen nur Genuß (I, 2, 7 f. deliciae). Aus diesem Grunde distan32
Vgl. C. W. Müller, Chariton von Aphrodisias und die Theorie des Romans in der Antike (vgl. Anm. 2.1), 154. Vgl. in diesem Zusammenhang auch A. Rijksbaron, Chariton 8, I, 4 und Aristot. Poet. 1449 b 2.8, in: Philologus 12.8, 1984, 306 f., und schon B. P. Rcardon, Theme, Structure and Narrative in Chariton (vgl. Anm. 2.1), 2.1 f. 33 Vgl. die Ausgabe von M. D. Reeve, 2.. Aufl. Leipzig 1986. Longos, Hirtengeschichten von Daphnis und Chloe, griechisch und deutsch von 0. Schönberger, 4· Aufl. Berlin 1988 (Schriften und Quellen der Alten Welt 6).
FUNKTIONSWANDLUNGEN DES ANTIKEN ROMANS
ziert sich Macrobius von der Romandichtung wie von der Neuen Komödie, indem er sich auf seine philosophischen Positionen zurückzieht. Der Abenteuer- und Liebesroman scheint in seiner Funktion im ganzen auf eine einfache Unterhaltung zu zielen. Dennoch steht sein Beispiel keineswegs im Widerspruch zu der Erfahrung, daß sich ein literarisches Werk nicht ausschließlich in Unterhaltungsabsichten erschöpfen kann. Longos etwa bezieht zugleich ausdrücklich eine gewisse Belehrung mit ein, wenn er sagt, daß das Werk denjenigen, der die Liebe noch nicht kennengelernt hat, "vorher unterrichten wird" (Praef. 3: propaideusei). In der Entwicklung der Romangattung bis zu Heliodor begegnet in der. Tat neben dem Ergötzlichen zugleich mancherlei Belehrendes, auch wenn es episodisch bleibt. Aber im Grunde genommen trägt selbst das sog. Belehrende zur Unterhaltung bei, ja es ist mit dem Unterhaltenden zu einer Einheit verbunden. Zugleich wurde bereits im antiken Roman eine Erzähltechnik angewendet, die später für den Abenteuerroman eines Sir John Retcliffe konstitutiv werden sollte, nämlich "vermittels ,seriöser' Informationsblöcke Authentizität zu suggerieren",34 während doch die Fakten den Anforderungen der Fiktion unterlagen. Objektiv führen der griechische wie der römische Roman jedenfalls zur Erweiterung des Erlebnis- und! Erfahrungsbereiches ihrer Leser. Ein solches Ziel streben mit quasihistorischem Engagement die sog. Geschichtsromane, wie der Alexander-Roman und die Troja-Romane, an, wobei die Troja-Romane mit ihren Augenzeugenberichten eine genauere Darstellung vom Trojanischen Krieg in Aussicht stellen als das Homerische Epos. Die Wirkung des erzählerischen Inhalts, ob er primär unterhalten oder daneben ebenfalls belehren wollte, wird in beträchtlichem Maße durch die Erzählweise unterstützt, auf die hier unter dem Aspekt der Funktion ein Blick geworfen werden soll. Auch beim antiken Roman ist zwischen dem point of view des Erzählermediums und dem Erzählerstandpunkt des Autorerzählers35 zu unterscheiden. In den Romanutopien, 34
3:;
5*
R.-P. Märtin, Wunschpotentiale. Geschichte und Gesellschaft in Abenteuerromanen von Retcliffe, Armand, May, Königstein!I's. 1983, 190. Vgl. die theoretischen Grundlagen bei R. Weimann, Erzählsituation und Romantypus. Zu Theorie und Genesis realistischer Erzählformen, in: Der deutsche Roman im; 20. Jahrhundert. Analysen und Materialien zur Theorie und Soziologie des Romans, hrsg. von M. Brauneck, Bd. I, Bamberg 1976, 62-81 (= Sinn und Form 18, 1966, I, I09-133). Weitere theoretische Überlegungen zur Erzählweise bei U. Heukenkamp, Elemente des Figurenaufbaus und der Konßiktgestaltung, in: E. Arndt, W. Herden, U. Heukenkamp, F. Hörnigk u. E. Kaufmann, Probleme der Literaturinterpretation. Zur Dialektik der Inhalt-Form-Beziehungen bei der Analyse und Interpretation literarischer Werke, Leipzig 1981, 70-88, bes. 79-81. Vgl. auch die Ergebnisse von S. Sniader Lanser, The Narrative Act. Point of View in Prose Fiction, Princeton/ New Jersey 1981; C. Segre, Punto' di vista e plurivocita nell'analisi narratologica, in: Atti del Convegno Internazionale "Letterature dassiehe e narratologia" (vgl. oben Anm. 27), 51-65. Forschungen zum Problemkreis der Erzählweise wurden in den letzten Jahren zunehmend auch in der griechischen und römischen Literatur .unternommen. Vgl. beispielsweise B. Effe, Entstehung und Funktion ,personaler' Erzählweisen in' der Erzählliteratur der Antike, in: Poetica 7, 1975, IH-157; 0. Tsagarakis, Why is 10dysseus' Tale Narrated in the First Person?, in: Platon p, 1980, 341-346; R. Th. van der Paardt, The Unmasked ,I'. Apuleius Met. XI 27, in: Mnemosyne, Serie 4, 34, 1981, 96-106. Vgl. ferner die einzelnen Beiträge in dem schon genannten Sammelband Atti del Convegno lnternazionale "Letterature dassiehe e narratologia" (vgl. oben Anm. 27); hierzu vgl. auch Klio 69, 1987, 6u-614.
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etwa des Buherneros und des Jambulos, fallen beide Kategorien zusammen, denn mit dem Erzähler innerhalb des Romans ist der Romander identisch, der das betreffende ferne Eiland selbst besucht haben will und davon in eigener Person als angeblich authentischer Berichterstatter erzählt. Noch bei Chariton besteht die Identität von Autorerzähler und Erzählermedium, was wieder die Zusammengehörigkeit von Utopie und Abenteuer- und Liebesroman zeigt (vgl. oben S. 27 f.). Der Romanautor Chariton stellt sich am Anfang seines Werkes förmlich vor mit Name, Herkunftsort, Arbeitsverhältnis, wobei außer seiner eigenen Tätigkeit diejenige des Mannes, bei dem er arbeitete, sowie dessen Name genannt werden. Das recht Prosaische der Vorstellung, das jedoch der Reputation des Verfassers dienen soll, wird dann abgelöst durch die doch verlockende Intention des Autors, eine Liebesgeschichte .zu erzählen. Mit pdthos erotikon ("Liebeserlebnis", "Liebesgeschichte") - immer noch im gleichen Satz - wird ein gattungsgeschichtlicher Einordnungsversuch unternommen, der nicht glücken konnte, weil es in der Antike keinen verbindlichen Terminus für die Romangattung gab (vgl. oben S. 13 f.). Wichtiger erscheint indessen, daß die Ankündigung des Liebesthemas und die Betonung, im folgenden mit der Erzählung zu beginnen, Erwartungen hervorrufen. Mehr noch: An dem sich jetzt eröffnenden Erzählvorgang nimmt der Leser teiV16 Nicht vergessen wird im ersten Satz schließlich die Lokalisierung der Liebesgeschichte, die indessen im Verlauf des Erzählens, wie sich schon bald erweist, weit über den angegebenen Ort hinausgeht, so daß der Leser mehr erleben konnte, als zu erwarten stand. Jener erste Satz in Charitons Werk lautet: "Ich, Chariton aus Aphrodisias, Sekretär des Anwalts Athenagoras, will eine Liebesgeschichte aus Syrakus erzählen"37 (I, I, I). Der Vorstellung des Verfassers am Anfang des Werkes entspricht eine kurze Bemerkung am Romanschluß, wo sich der Autor Chariton, der die Funktion des Erzählermediums keinen Moment abgegeben hat, mit einem kurzen Satz vom Lesepublikum verabschiedet (8, 8, I6): "Soweit mein Buch, das ich über Kallirhoe geschrieben habe." Zwischendurch blendet sich der Verfasser wiederholt in seine Erzählung ein. Er bringt sich damit nicht nur als Erzähler wieder in Erinnerung, sondern greift ein, um den Erzählstoff vor den Augen der Rezipienten in Teile zu zerlegen und zu ordnen. Das könnte pedantisch anmuten, ist es aber nicht. Mit der Aufgliederung des Materials befindet sich der Romanschriftsteller in der Tradition des Historikers Thukydides, der den Peloponnesischen Krieg in drei Phasen aufteilt, die er in chronologischer Folge behandelt (vgl. seine Reflexionen 5, z.6). Aber Chariton durchbricht diese Tradition zugleich durch einen Rückgriff hinter das bereits Erzählte. Außerdem versteht er es in diesem sogleich zur Sprache kommenden Fall wie auch an anderer Stelle (8, I, 5), durch Vorverweise Spannung zu erzeugen. Nach der Darstellung der Begebenheiten um Kallirhoe, die von Räubern weggeschleppt und nach Milet verkauft wurde, unterbricht Chariton 3, z., I7 die Erzählung mit der Herstellung eines Spannungsmomentes: Wie der angekündigte böse Geist seinen Groll entlädt, "werde ich ein wenig später berichten", heißt es im Text (ebenda). Darauf folgt die Erklärung, jetzt "zuerst" die! Ereignisse zu berichten, die sich zur gleichen Zeit in Syrakus abspielten. Wie die Räuber. die schöne :x;
37
C. W. Müller, Chariton von Aphrodisias und die Theorie des Romans ~ der Antike (vgl. Anm. u), 124. Vgl. die Chariton-Übersetzung von Chr. Lucke und K.-H. Schäfer, Nachwort von H. Kuch, Leipzig 198~ (Reclams Universal-Bibliothek IIOI).
FUNKTIONSWANDLUNGEN DES ANTIKEN ROMANS
Kallirhoe nach Kleinasien gebracht hatten - der Leser war ja, in den Erzählvorgang integriert, sozusagen mitgereist -, so nimmt der Autor den Leser jetzt aus diesen Vorstellungen heraus und führt ihn in der Erzählung nach Syrakus zurück, um nachzutragen, was dort seit dem Raub der Kallirhoe geschehen war. Zu Beginn des 5. Buches schaltet sich Chariton erneut persönlich in den Verlauf der Ereignisse ein (5, I, I-2.), indem er ein Resümee der bisherigen HandluntB gibt und darauf die Fortsetzung in Aussicht stellt:1 "Das Folgende will ich jetzt erzählen" (5, I, z). Neben der Wahl des 5· Buches für die Umschau und neben der schon erwähnter Aufgliederung der Geschehnisse erinnert auch dieses Verfahren an Thukydides, dessen sog. zweites Proömium (5, 2.6) auf den bereits behandelten Zeitraum zurückblickt und am Ende explizit zum Folgenden überleitet (vgl. im besonderen die Formulierung 5, z6, 6). Eine zweite Zusammenfassung - d. h. ein Resümee des vorangegangenen 7· Buches - und; damit ein erneutes persönliches Auftauchen im epischen Raum erlaubt sich der Autor schließlich am Anfang des 8. Buches (8, I, I f. u. 4 f.). Chariton nimm~ dabei die Gelegenheit wahr, besonders gefährliche Situationen und Unglückslagen, die die Romanhelden zu überstehen hatten, aufzuführen: Raub, Sklaverei, Gerichtsprozeß, Kampf, Selbstmordversuch, Krieg, Gefangennahme (8, I, 4). Der Verfasser weist jedoch nicht so sehr zurück, sondern deutet eher voraus, da jenes Unheil im letzten Buch, wie es heißt, nicht mehr vorkommen soll, was übrigens nicht ganz stimmt, denn schon in den nächsten Zeilen trifft der Leser auf die Sklavin Kallirhoe, die aus dem Leben scheiden will (8, I, 5-8). Mit der Vorausdeutung verbindet sich, schon fast gegen Ende des Romans, eine Empfehlung für die überaus ergötzliche Lektüre dieses Romans (8, I, 4). Wenn als Themen des letzten Buches gerechte Liebe und legitime Ehe genannt werden (ebenda), so ist der vom Rezipienten erwartete gute Ausgang des Romanwerkes im Programm, das der Autor hier entwickelt, vorweggenommen. Gemäß der schon geübten Praxis deutet er schließlich unmittelbar auf das Folgende hin, wobei mit der Ankündigung des Berichtes, wie sich die Liebenden wiedererkennen (8, I, 5), gespannte Erwartung hervorgerufen wird. Die Gestaltung eines Anagnorismos, einer Wiedererkennungsszene, gehörte in der Tragödie wie in der Komödie zu den großen Gelegenheiten des Dichters, seine poetische Kunst zu bewähren. Wie die Wiedererkennung ästhetisch vollzogen wird, konnte in Anbetracht der Vielzahl bekannter Beispiele, zu denen berühmte Lösungen gehören, auf die gespannte Aufmerksamkeit der antiken Literaturrezipienten rechnen. In einen Zustand der Spannung fand sich jedenfalls Chaireas versetzt (8, I, 7: meteoros egeneto), als er auf der Agora, dem Marktplatz, eine junge, zum Sterben bereite Frau, eine Sklavin, verhüllt liegen sah, ja er war verwirrt angesichts ihres Atmens und ihrer Gestalt. Wie sich herausstellen sollte, war jene Frau keine andere als Kallirhoe. Difl Wiedererkennung, die Chariton mit Charme und erzählerischem Raffinement gestaltet, hat starke Anklänge an den Anagnorismos in der Euripideischen "Alkestis", wobei es gerade auch an tragischer Ironie nicht fehlt (vgl. 8, I, 6 u. 8). Am Schluß des Romans erfolgt eine Rekapitulation des Ganzen, die jedoch, da sie in die Volksversammlung verlegt wird, den Romangestalten selbs~ überlassen werden muß. So beginnt also Hermokrates, der erste Mann in Syrakus, mit der Zusammen38
Über Berührungen mit Xenophons "Anabasis" vgl. F. Zimmermann, Chariton und die Geschichte (vgl. Anm. zs), no.
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fassung der Ereignisse, soweit sie ihm bekannt sein konnten (8, 7, 5-8). Daran anschließend setzt Chaireas, Mitakteur im Strudel der Begebenheiten, in einem weitaus längeren Bericht, einem Erlebnisbericht, den Rückblick auf die Geschehnisse fort: von seiner Fahrt über das Meer bis zur Rückkehr, nicht ohne einen optimistischen Vorausblick in die Zukunft zu wagen, für die die Ankunft seines in Milet zurückgelassenen Sohnes in Aussicht gestellt wird, ja, wie es im Text heißt, des Enkels des Hermokrates (8, 7, 9 - 8, 8, I I). Die Rekapitulation des Romangeschehens in der Ekklesia ist damit durch die Persönlichkeit und den Namen des führenden Politikers von Syrakus zusammengehalten, was der vom Autor geschaffenen Polisatmosphäre entspricht. Die Zeugnisse, die in Charitons Roman die Identität von Autorerzähler und Erzählermedium sowie damit die Übereinstimmung von point of view und Erzählerstandpunkt beweisen, sind, wie sich zeigte, verschiedentlich mit narrativen Finessen verbunden. Aus den betreffenden Textstellen geht hervor, daß das persönliche Erscheinen des Autors in seinem eigenen Werk weder störend noch aufdringlich wirkt, da es die fiktionale Welt keineswegs zerstört. Sein Auftreten, fast vergleichbar mit dem eines Conferenciers, der die folgenden Attraktionen ansagt, dient der Orientierung des Lesers, der in diesem Stadium der Romanentwicklung, wahrscheinlich im 1. Jh. v. u. Z., in Anbetracht der verwickelten Handlung offenbar noch der Führung durch den Verfasser in Gestalt des allwissenden oder olympischen Erzählers bedurfte, und eine solche Führung oder Einführung wirkt ebenso unterhaltend wie der Roman selbst. Die unterhaltende Funktion des Abenteuer- und Liebesromans wird auf diese Weise durch das persönliche Arrangement des Romanautors innerhalb des Werkes gefördert. Selbst in der Endzeit des griechischen Romans tritt der Autor immer wieder in seinem Werk in Ersdleinung, wie das Beispiel Heliodors zeigt. Das geschieht indessen weitaus zurückhaltender als bei Chariton. Schon der Beginn der "Aithiopika" geht - ohne direktes Sichtbarwerden des Verfassers - sogleich medias in res, kompositorisch gekonnt, indem der Roman nicht am Anfang der Ereignisse, sondern mitten im Geschehen einsetzt. Aber die persönliche Vorstellung, mit der Chariton seine Erzählung eröffnete, findet sidl bei Heliodor am Schluß (vgl. xo, 4I, 4) - eine deutliche Variation des bekannten Verfahrens. In der Geschichte des antiken Romans hat sich jedoch' auch der mediale Erzähler herausgebildet, der sich als epische Person vom Autorerzähler unterscheidet. Damit ist zugleich die Chance eines Auseinanderfallens von point of view und Erzählerstandpunkt gegeben, wodurch das diale~tische Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Ebenen für die Erzählung genutzt werden kann. Bei Achilleus Tatios (2. Jh. u. Z.) wird dem Haupthelden Kleitopbon - nach einer Einleitung des Autors in der 1. Person (x, I, I - I, 2, 3) -formell die Erzählfunktion abgetreten (vgl. I, 3, I ff.). Auf diese Weise konstituiert sich eine Ich-Erzählung, die bis zum Schluß des Romans durchgehalten wird, ohne daß es sich' der Autor jedoch versagt hätte, die Erzählung von seiner Person aus mitzuformen. 39 In den "Metamorphosen" des Apuleius ist die Idl-Erzählform von Anfang an bewahrt. Zwischen dem Ich-Erzähler des epischen Bezirks, dem Griechen Lukios, und dem Romanautor Apuleius bestehen indessen ins Vexatorische übergehende Beziehungen.40 Gleichfalls nur hingewiesen werden kann hier 39
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Zur Erzählweise vgl. im einzelnen in diesem Band I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, S. 8z-1o6, bes. S. 100 f. Vgl. R. Th. van der Paardt, The Unmasked ,1' (vgl. Anm. 3s) 96-106, bes. 104-106.
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auf die erheblichen Unterschiede, die sich im "Satyricon" Pettons zwischen dem Erzählermedium Encolpius, einem jungen, gebildeten Freigelassenen, und dem aristokratischen Romanautor, dem elegantiae arbiter (Tacitus, Annales 16, 18, 2), also der Autorität in Fragen des Geschmacks, schon äußerlich auftun. Im Werk des Chariton haben sich die Romanmotive zu einem Katalog formiert, der sich in der weiteren Entwicklung der Gattung stabilisierte: Liebe, Trennung, Scheintod, Überfall durch Räuber oder Piraten; gefährliche Reisen, Seesturm, Abenteuer, Wiederfinden und Happy-End.41 Ein solcher Grundbestand bildete sozusagen den poetischen Makrokosmos der Romandichtung mit Abenteuer- und Liebesthematik. Er unterlag - abgesehen von der Variation bei der Zusammenstellung der Einzelteile - im ganzen keiner relevanten Veränderung.' Aber in der Gestaltung der einzelnen Elemente, in den Mikrokosmen des Romans, tat sich ein weites Feld auf für Experimente, Veränderungen und Überraschungen. E51 besteht kein Zweifel, daß der relativ konstante Makrokosmos zum Gattungserfordernis wurde und dem Erwartungshorizont der Leser entsprach. Was die Leser bei aller ästhetischen Determiniertheit des Genus jedoch gleichzeitig vom Roman erwarteten, war die individuelle Gestaltung der veränderbaren Mikrokosmen, auf der Spannung und Reiz einer Gattung beruhten, die über viele Jahrhunderte lebendig blieb. Wie sich bereits erwies, kommt Macrobius das Verdienst zu, bei seiner theoretischen Betrachtung des Romans eine Verallgemeinerung gefunden zu haben, die in prägnanter Form wesentliche Komponenten der Romandichtung erfaßt (vgl. oben S. 14 f.). Seine Formulierung: argumenta fictis casibus amatorum referta (Commentarii zu Cicero, Somnium Scipionis 1, 2, 8), hat gattungsspezifisch Entscheidendes festgehalten. Aber i~ Hinblick auf den Inhalt kann die undifferenzierte Wertung der Fülle (vgl. referta) den unterschiedlichen Bedingungen der inhaltlichen Gestaltung nicht gerecht werden. Obwohl die Motive individuell variiert, ausgestaltet sowie durch weitere bereichert wurden, wie etwa durch das Auftreten von Zauberern oder eine Fahrt zum Mond, scheint der Roman im romanproduktions- und rezeptionsintensiven 2. Jh. u. Z. zur Schablone zu erstarren. So läßt sich vermuten, daß bei der Aufnahme der Romane, die, bei allen Unterschieden im einzelnen, im ganzen einem gleichen Schema folgten, im Lesepublikum ein Prozeß konsumtiver Automatisierung einsetzte, wobei die Unterhaltung zur Zerstreuung und zur Ablenkung werden konnte - von den realen Gegebenheiten des römischen Imperiums, denen die für den einzelnen vorgeschlagenen Lösungen, so gut wie nutzlos und weitgehend unrealistisch, entgegengehalten wurden. Durch seine Bestrebungen zu "unterhalten" wollte der Roman im Prinzip gerade spannend sein - wie der moderne Kriminalroman - und suchte Monotonie zu vermeiden, die sich indessen infolge stereotyper Formen nicht immer vermeiden ließ. Unter diesen Bedingungen liegt die Annahme nahe, daß für die Masse der (meistens nicht erhaltenet~.) Durchschnittsromane eine Diskrepanz zwischen angestrebtem und erreichtem Ziel bestand. Hiervon auszunehmen sind aber die individuell geprägten Romanwerke, d. h. die Romane des Petton und des Apuleius, Longos und Heliodor, unbedingt Achilleus Tatios, auch Chariton nicht zu vergessen, also eine ganze Reihe von Werken, die sich "1
Als eine morphologische Parallele in der modernen Literatur bietet sich der kriminalistische Abenteuerroman an, der gleichfalls meist aus einer Kette aktionsgeladener Szenen besteht; vgl. P. Nusser, Der Kriminalroman, Stuttgart 1980, 3·
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durch eine bestimmte Individualität auszeichnen.42 Dessenungeachtet scheint im Widerspruch von Spannung und Monotonie ein Grundproblem der antiken Romanliteratur zu liegen.
3· Weitere Romanausprägungen
Als eine Form der Alternative erweisti sich in einer relativ fortgeschrittenen Entwicklungsphase des Romans die Idylle in der Zurückgezogenheit des Hirtenlebens, die Longos um 200 u. Z. entwarf - ein idealisiertes bukolisches Bild voller Liebe und Naturverbundenheit und fern, auch wenn die harte Realität mitunter bedrohlich eindringt, aller ökonomischen Not. Longos befindet sich auf den Spuren des Dion von Prusa, der in seinem "Euboikos" ein Jägeridyll konzipiert hatte. Bei allen Unterschieden berühren sich die Utopie des frühen Romans und die einige Jahrhunderte spätere Idylle in der Wertschätzung einfacher Lebensformen. · Durch die Einbeziehung der bukolischen Tradition in der griechischen Literatur unternahm Longos eine Gattungssynthese von Liebesroman und Bukolik43 oder eher eine Gattungsmischung. Dabei werden konventionelle Motive des Romans bukolisiert.44 B. Effe sieht "der als defizient empfundenen städtischen Realität ... als positives Gegenbild eine ländliche Welt naiver Unschuld und friedlich-gottgeschützter Harmonie gegenübergestellt".45 Neben dieser maßgeblichen Intention des Autors bestehe im Text indessen eine gegenläufige Orientierung auf die Stadt, so daß das Bukolische in der Rezeption tatsächlich der "temporären, genußbestimmten Evasion" aus der Stadtsphäre diene und der Roman dem Leser das "Amusement einer literarischen Landpartie"46 biete. Wie stark jedoch die bukolische Grundtendenz des Autors angelegt ist, zeigt in besonderem Maße der Ausgang des Romans: Daphnis und Chloe, die das Leben in der Stadt nicht ertragen konnten (4, n. I), setzten das Hirtenleben (4, 39· I: bion47 poimenik6n) fort, solange sie lebten (4, 39, I - 2). Indessen hatte sich ihr sozialer Status entscheidend geändert. Aus Sklaven waren Herren geworden, "Besitzer" (vgl. 4, 39, I: ktestimenoi) sehr großer Herden. Daphnis, der Ziegenhirt, war jetzt "Herr" (4, 2 5, 3 : desp6tes; vgl. 4, 2 5, 2) des Landgutes, des Schauplatzes des bukolischen Daseins. Die Gegenvorstellungen, die Longos evoziert, gehen über eine einfache Antithese Stadt-Land hinaus. Die Stadt kann nicht verabsolutiert werden, sie ist! als Ausdruck für die zeitgenössische Realität zu begreifen, d. h. für die Realität im Imperium Romanum, der die Hirtenidylle mit poetischer Subtilität - nicht ohne Raffinesse - entgegen42
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Vgl. hierzu das ausgewogene Urteil von T. Hägg, Eros und Tyche. Der Roman in' der antiken Welt, Maioz am Rhein 1987, 2.55. Vgl. ferner G. Aoderson, Ancient Fiction. The Novel in the Graeco-Roman World, London-Sydoey-Totowa/New Jersey 1984, V u. 33· B. Elfe, Longos. Zur Funktionsgeschichte der Bukolik in der römischen Kaiserzeit, in: Hermes IIO, 1982., 65-84. Ebenda 66-69. Der Obstreichtum bei Longos 3, B· 3 wird von B. Elfe, ebenda 68· Aom. ~2., als bukolische Anspielung angeführt. Die Fülle der Früchte ist jedoch auch ein Romanelement; vgl. Jambulos bei Diadar 2., 56, 7· Ebenda 78. Bbenda 79 und 83 f. Konjektur von M. D. Reeve (vgl. Anm. 33).
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gesetzt wird.48 Wenn auch nicht frei von den Konventionen und Zwängen der Klassengesellschaft, hat das ländliche Dasein auf der Insel Lesbos doch einen bemerkenswerten Zug, der sich in gewisser Weise bereits in der utopischen Inselwelt des Jambulos findet. Auf beiden Schauplätzen wird ein einfaches Leben in der freien und dazu überaus fruchtbaren49 Natur geführt, bei Jambulos "auf den Wiesen" 50, bei Longos "auf den Fluren"51• Weitaus wichtiger als dieser Berührungspunkt ist in der Gattungsgeschichte die eigene Leistung des Longos: Er hat das Schema, das sich im Abenteuer- und Liebesroman herausgebildet hatte, bukolisch ausgestaltet, und auf diesem "Ereignis"52 beruht, so läßt sich vermuten, die weltliterarische Bedeutung seines Romans. Durch die Verbindung mit der Bukolik erhielt der obligatorische Makrokosmos der Romandichtung eine neue Qualität. Eine exzeptionelle Stellung auch hinsichtlich der Funktion seines Romans nimmt Petron53 ein, was von den besonderen Kommunikationsverhältnissen abhängt, die hier bestehen. Der Autor des "Satyricon", 66 u. Z. von Kaiser Nero zum Selbstmord getrieben, scheint, wenn auch nicht ausschließlich, so doch primär für eine konservative Oberschicht zu schreiben, die Senatsaristokratie, die dem gesellschaftlichen Vordringen der reichen Freigelassenen in Neronischer Zeit kritisch, verächtlich, aber auch etwas besorgt gegenübersteht. Es kann jedoch keine Rede davon sein, daß für Petron die Auseinandersetzung mit Emporkömmlingen vom Schlage Trimalebias der wesentliche Inhalt seines Werkes gewesen wäre. Schon nach den erhaltenen Textpartien zu urteilen, reicht Petrons Erzählspektrum mit der Erfassung eines ganzen Gesellschaftspanoramas weit über die Cena Trimalchionis hinaus, in der allerdings der Gastgeber Trimalebio im Mittelpunkt steht. Den sozialen Ansprüchen der halbgebildeten Parvenüs setzt der C. Garcia Gual, L'c:lement historique dans les romans grecs de l'antiquite, in: Evolution of the Novel, hrsg. von Z. Konstantinovic, E. Kushner u. B. Köpeczi, Innsbruck I982, I9-23, spricht von "une atmosphere idyllique, atemporelle" (ebenda 22). über Longos vgl. ferner C. Garcia Gual, Los origines de Ia novela, 2. Auf!., Madrid I988, 249-260. - Zur Musik im griechischen Liebesroman P. L. Furiani, La musica nel romanzo "erotico" greco tra natura e cultura, in: Natura e cultura, Rimini I984 (Universita degli Studi di Perugia. Quaderni dell'Istituto di Filesofia I), 49 Vgl. Anm. 44· 27-43; über Longos ebenda .z8-33. 50 Vgl. Diodor 2, 57, r. 51 Vgl. beispielsweise Longos 4, 25, 3; I, 2, r. Vgl. ferner I, 9, I, wo übrigens auch die "Wiesen" liegen. 52 Vgl. M. Naumann, Das literarische Ereignis in der Literaturgeschichte, in: M. Naumann, Blickpunkt Leser. Literaturtheoretische Aufsätze, Leipzig I984 (Reclams Universal-Bibliothek 48
I050), 22I-23I. 53
Petronius, Satyrica. Schelmengeschichten, lateinisch-deutsch von K. Müller u. W. Ehlers, 3· Aufl. München I983. Zum römischen Roman im· allgemeinen vgl. P. G. Walsh, The Roman Novel: The "Satyricon" of Petronius and the "Metamorphoses" of Apuleius, Cambridge I970. Auch für die historischen Bedingungen des antiken Romans aussagekräftig K.-P. }ohne, J. Köhn, V. Weber, Die Kolonen in Italien und den westlichen Provinzen des Römischen Reiches. Eine Untersuchung der literarischen, juristischen und epigraphischen Quellen vom .z. Jahrhundert v. u. Z. bis zu den Severern, Berlin I983 (Schriften zur Geschichte und Kultur der Antike 2I); speziell über Petron ebenda 99-I03.' Zur Rezeption Petrens vgl. schon E. Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, 5· Auf!. Berlin-München I97I (Sammlung Dalp 90), 28-52, bes. 50; I. P. Strel'nikova; Petrens satirischer Roman, in diesem BandS. xz6-134.
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elegantiae arbiter als erstrebenswertes Ideal einen humanitas-Begriff entgegen, der sich an den Traditionen der römischen Republik orientiert. Der Autor ist ein brillanter Stilist, der die Höhen- wie die Tiefenlagen des Ausdrucks meisterhaft beherrscht. Indem sich Petron mit den zeitgenössischen gesellschaftlichen Entwicklungen kritisch auseinandersetzt, gelingt ihm in seinem Roman bei aller satirischen Überzeichnung und komischen Verzerrung eine im wesentlichen realistische Darstellung.M Die Unterhaltungsfunktion des antiken Romans ist bei Petron entscheidend von geistreicher Ironie, überlegenem Witz und scharfer, ja ätzender Satire geprägt, wodurch wesentliche Erscheinungen der gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit beleuchtet werden. Das gleiche gilt im Grunde ebenfalls für die andere herausragende Leistung der römischen Romanliteratur, die "Metamorphosen" oder den "Goldenen Esel" des Apuleius aus dem 2. Jh. u. Z. Auch Apuleius bezieht maßgebliche gesellschaftliche Charakteristika seiner Zeit mit ein.55 Dadurch fällt die Darstellung weitgehend realistisch aus. Die Verwandlung des Haupthelden in einen Esel, kein realer Akt, ist jedoch, in den Roman eingebunden, als Mittel einer ästhetischen Aneignungsweise zu verstehen, die in phantastischer Schreibart Realität aufdeckt und insofern realistisch ist, womit ein enger Realismusbegriff überwunden wird. Mit diesem fabulosen Kunstgriff, der sich indessen bereits in der Vorlage, dem griechischen Eselsroman, findet, sind die Vorteile der außermenschlichen Erzählperspektivew gewonnen. Dem Helden in Eselsgestalt eröffnen sich so Einblicke, die ihm als Menschen in dieser Weise kaum zugänglich oder gestattet gewesen wären. Der durch die Lande getriebene und geprügelte Esel lernt jedenfalls als geschundene Kreatur das Leben im römischen Imperium am eigenen Leibe kennen. Geschrieben ist der Roman in einem bewunderungswürdig souveränen Stit57 Der "Goldene Esel" ist zweifellos ein "Glanzstück der Welt-Romanliteratur", wie Thomas Mann in seinem Essay "Die Kunst des Romans" urteilte.58 Die Verwendung der Ich-Erzählung teilt der Romancier aus der römischen Kolonie Madaura (im heutigen Algerien) mit Achilleus Tatios und Petron. Das ego ist schon das zweite Wort, und von vornherein orientiert Apuleius auf die: Unterhaltung (vgl. oben S. 44 und 66). Wenn Chariton im ersten Satz den Rezipienten mit in den Erzählvorgang einbezieht (vgl. oben S. 68), so geschieht das bei Apuleius mit der unmittelbaren Wendung an den Leser weitaus direkter: At ego tibi .. ., "aber ich (will) Dir ... "; r>'o Die wissenschaftliche Literatur zu diesem Autor wurde zusammengestellt von G. L. Schmeling u. J. H. Stuckey, A Bibliography of Pctronius, Leiden 1977, wobei ferner The Petronian Society Newsletter zu vergleichen ist, zuletzt Vol. x8,x-z., March· 1988. Zur genannten PetronBibliographie vgl. die Rezension von W. 0. Schmitt, in: Deutsche Literaturzeitung 103, 1982, 944-947· 55 V gl. Apuleius, Metamorphosen oder Der Goldene Esel, lateinisch und deutsch von R. Helm, 7· Aufl. Berlin 1978 (Schriften und Quellen der Alten Welt x). 1iG V gl. V. Link, Die Tradition der außermenschlichen Erzählperspektive in der englischen 'md amerikanischen Literatur, Heidelberg 1980 (Anglistische Forschungen 147). 57 Zur situativen Differenzierung im Einsatz der sprachlichen Mittel vgl. Chr. Harrauer, Lector, intende, laetaberis, in: Wiener Studien N. F. 17 (96), 1983, n6-1 36. Zum Stil des Apuleius vgl. ferner Chr. Harrauer und F. Römer, Beobachtungen zum Metamorphosen-Prolog des Apuleius, in: Mnemosyne, Serie4, 38, 198s, 3H-nz.. 58 Th. Mann, Gesammelte Werke, Bd. 1 I: Altes und Neues .. Kleine Prosa aus fünf Jahrzehnten, Berlin-Weimar 196s, 4S9·
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so beginnt der Roman, um auf den Rezipienten im gleichen Satz noch dreimal einzugehen: auresque tuas benivolas ("deine wohlwollenden Ohren"); modo si papyrum Aegyptiam . . . non spreveris inspicere ("wenn du es nur nicht verschmähst, in den ägyptischen Papyrus Einblick, zu nehmen"); ut mireris ("daß du staunst"), wobei erst der akustische, dann der optische Sinn angesprochen wird, bis der Romanschriftsteller schließlich die Wirkung des Staunens antizipiert. Aber der Rezipient wird vom Autor noch keineswegs entlassen. Da heißt es schon nach drei Wörtern: paucis accipe, "ich fasse mich kurz, hörel"; dann nicht zu vergessen das brachylogische en ecce, "siehe da!", und zu guter Letzt, am Ende des ersten Kapitels, nimmt der unablässig Angesprochene gewissermaßen Gestalt an, wenn erneut appelliert und erneut die Wirkung vorausgesagt wird: Lector, intende, laetaberis. "Leser, paß auf, Du wirst Deine Freude, Deinen Spaß, Dein Vergnügen haben." Wie praefamur ("wir schicken voraus") sind augenscheinlich auch accessimus ("wir sind herangegangen") und incipimus ("wir beginnen") der Form nach als Pluralis maiestatis zu verstehen. Aber es fragt sich doch, ob beim "Herangegangensein", und beim "Beginnen" nicht schon auch der Rezipient mit einbegriffen ist, um den sich der Verfasser in der Einleitung seines Romans so intensiv bemüht. Der Leser wäre dann mit dem Autor grammatikalisch verbunden, mit in den Erzählprozeß gewissermaßen hineingezogen, noch konsequenter ·als bei Chariton. Offensichtlich bestehen zwischen den "Metamorphosen" des Apuleius und der griechischen Romanliteratur zahlreiche Verbindungslinien, die sich indessen nicht auf seine Vorlage, den griechischen Eselsroman, eingrenzen lassen.59 Aber auch wenn Apuleius der griechischen Tradition motivisch, ja überhaupt inhaltlich wie im Kompositionellen in vielem verpflichtet ist, kann seine eigenständige Leistung als Romanschriftsteller nicht in Frage gestellt werden. Er verstand es mit poetisch sicherem Zugriff, Zeitprägendes realistisch zum Ausdruck zu bringen, was sich von den griechischen Romanautoren im allgemeinen nicht feststellen läßt. Diesem Anspruch konnten auch der in lateinischer Fassung vorliegende Troja-Roman des Diktys und der des Dares nicht gerecht werden. Vom Sonderfall des Petron abgesehen (vgl. oben S. 73 f.), hat der antike Roman, der griechische wie der römische, in der römischen Kaiserzeit Kommunikationsbedingungen, die denen des Hellenismus auf Grund vergleichbarer historischer Konstellationen im Prinzip entsprachen (vgl. oben S. 37 f.).
4· Gegenbild und Happy-End Im sog. Makrokosmos des Romans findet sich bei allen Variationsmöglichkeiten der Grundbestandteile ein beinahe unverzichtbares Strukturelement, das gemäß den Gattungsobligationen den Abschluß des Werkes determiniert und das für die Funktion des Romans von beträchtlicher Bedeutunlli ist: das glückliche Ende. Mit Ausnahme des sog. historischen Romans, der bei aller Phantastik doch an den allgemein bekannten Ausgang der dargestellten geschichtlichen oder für geschichtlich gehaltenen Ereignisse gebunden war, zielt der antike Roman immer auf ein Happy-End, so realisierungsfern 59
Vgl. hierzu beispielsweise die Parallelen bei C. P. Jones, Apuleius' Metamorphose& and Lollianus' Phoinikika, in: Phoenix 34, 1980, 143-154.
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und nahezu ausgeschlossen es auch' meistens angesichts der Gefahren und Bedrohungen im Roman erscheint. Nicht nur die Romanautoren - von der Subgattung des sog. historischen Romans abgesehen - haben jene literarische Conditio sine qua non bei aller Lockerheit der Gattung streng beachtet, auch die Rezipienten verlangten offenbar einen glücklichen Ausgang des epischen Geschehens als Kontrast zur vorangehenden Misere der ständigen Gefährdungen wie zur Misere der eigenen Zeit. Die Gegenbildfunktion, d. h. die Kunst, verheißungsvolle Gegenvorstellungen zur bestehenden gesellschaftlichen Wirklichkeit zu entwerfen, Bilder, die glücklichere Aussichten boten als die Welt der objektiven und harten Tatsachen - diese Funktion realisiert sich im Abenteuer- und Liebesroman - illusionistisch - einmal in der ständigen, verhältnismäßig schnellen und leichten Überwindung aller Gefahrenmomente und Bedrohungen, in einem fortwährenden Entkommen, das im wirklichen Leben, nach realistischer Einschätzung, in dieser Weise schlecht möglich gewesen wäre. Jene Funktion erreicht ihren Höhepunkt im Finale, das sich - ebenso illusionistisch - zu einem HappyEnd gestaltet. Es schließt nicht nur gefährliche Teilabschnitte ab, sondern sichert dem Gesamtgeschehen des Romans ein gutes Ende, ohne daß wieder neue Schwierigkeiten entstehen könnten. Im utopischen Reiseroman werden Gegenvorstellungen zu den zeitgenössischen Verhältnissen indessen vor allem bei der Schilderung der Utopie hervorgerufen, die ja das zentrale Anliegen dieses Genres darstellt. Aber nach jenem utopischen Hauptteil folgt dann das gute Ende des Romans in Form einer glücklichen Rückkehr aus der Ferne in das Heimatland. Das Happy-End war jedenfalls gattungsverbindlich schon für die Reiseromane aus der Anfangsphase des Romangenus. Von weiter und gefährlicher Fahrt, auf die sich die Autoren begeben haben wollten, kehrten sie alle ohne Ausnahme wohlbehalten zurück, um ihre angeblichen Erlebnisse aufzuzeichnen. Jambulos hat eine risikoreiche Rückfahrt zu überstehen. Er und sein Gefährte waren nach sieben Jahren gezwungen, das Wunderland zu verlassen (Diodor .z, 6o, I). Das geschah nicht nur gegen ihren Willen (ebenda), sondern kam zugleich ganz überraschend: Sie wären "Übeltäter" und seien mit "schlechten Sitten aufgewachsen" (ebenda), was offenbar am Maßstab der auf den sieben Inseln geltenden Normen gemessen war und wohl die moralischen Gegensätze zwischen der utopischen Inselwelt und der hellenistischen Realität betonen soll, denn daß sich die Inselbewohner "durch ihre Lebensweise weit von den Menschen in unserer Oikumene unterscheiden", ist gleich zu Anfang ausgesprochen worden (.z, 56, .z). Während die Hinfahrt seinerzeit vier Monate in Anspruch genommen hatte (.z, 55, 6), ging die Rückfahrt über diesen Zeitraum hinaus und endete keineswegs so glücklich wie damals vor sieben Jahren (.z, 6o, I f.), als Jambulos und sein Gefährte in der Wunderwelt gelandet waren. Die Rückkehrer strandeten auf einer Sandbank im Morast vor der indischen Küste. In der Brandung kam der Gefährte des Jambulos ums Leben. Jambulos selbst konnte sich zwar retten und ein Dorf erreichen, aber von dort wurde er von den Einheimischen in einem vieltägigen Marsch in; die Stadt Palibothra zum König "gebracht", was euphemistisch ausgedrückt ist und besagt, daß er wieder in fremde Hände gefallen war. So stellt sich - wie schon gleich zu Anfang des Werkes - erneut die Atmosphäre des späteren sog. Abenteuer- und Liebesromans her. Ein gutes Ende liegt zunächst noch unerreichba~; fern, und die Kette der Erlebnisse aus dem vorutopischen Teil des Romans setzt sich nach der Berichterstattung über Utopia fort, so daß die Handlung als Ablauf der Geschehnisse, die während der Beschreibung der Inselwdt stagnierte, wieder zu
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ihrem Recht kommt. Mehr noch als diese Züge verbindet das geradezu gattungsimmanente Happy-End den utopischen Reiseroman mit dem Abenteuer- und Liebesroman. Der gute Abschluß wird durch den indischen Herrscher garantiert, der sich als Griechenfreund erweist und der Bildung aufgeschlossen ist (2, 6o, 3), wie übrigens Jambulos selbst (vgl. 2, 55, 2). "Am Ende" (2, 6o, 3: to de teleutaion) gelangt Jambulos sicher von Indien nach Persien und kommt von dort glücklich nach Griechenland (vgl. ebenda: eis ten Helltida diasothenai) - zweifellos eine ungewöhnliche Rettung, wie sie eben einem Roman eignet. Immerhin fand sich Jambulos etwa so weit von Griechenland entfernt wie der große Alexander, der bis nach Indien vorgestoßen war, und er kehrte allein zurück, ohne Gefährten, womit sich eine Assoziation an die Heimkehr des Odysseus ergibt. Nach allen Erlebnissen und Gefahren geht der Roman auf diese Weise für das im Mittelpunkt stehende Individuum gut aus, auch wenn der Hauptheld seinen Begleiter verliert. Daß aber Nebenpersonen nicht immer den Gefahren entrinnen und mitunter auch, ganz realistisch, den Tod finden können, da sie du~ch die. Gunst der Gattung weitaus weniger behütet werden als die für das Happy-End ausersehenen Hauptfiguren - setzt sich in der weiteren Entwicklung des Romangenus fort. Was nach der Ausweisung des Jambulos aus der utopischen Inselwelt geschieht, wird bei Diodor nur in wenigen Sätzen skizziert. Die Kürze des Abschlusses erklärt sich jedoch eindeutig aus dem Exzerptcharakter des Überlieferten, denn Diodor bekennt ausdrücklich, daß Jambulos "nicht wenig" über die Gegebenheiten in Indien geschrieben habe (2, 6o, 3), und zwar Dinge, die sonst nicht bekannt gewesen wären (ebenda). Der Roman des Jambulos hatte also einen weitaus Substantielleren Schluß, als die uns überlieferte Partie erkennen läßt. Die Idee der Rettung und Sicherheit bestimmt auch den Schluß des Abenteuer- und Liebesromans. Als ein bezeichnendes Beispiel soll die Lösung interpretiert werden, die Chariton in seinem ·ebenso narrativ charmanten wie illusionsreichen Gegenentwurf zu den Bedingungen der Realität gefunden hat. Es erscheint bedeutsam, daß die Gegenbildfunktion in der Schlußphase des Romans eskaliert. Der Rückkehr des wiedervereinten Paares wird fast das ganze Buch gewidmet. Chariton selbst hatte es bei seiner Vorschau als "letztes Buch" angekündigt: (8, I, 4). Mit retardierender Erzählkunst versteht es der Autor, in diesem Schlußstück das Ende nicht gar zu bald eintreten zu lassen. Aber er arbeitet, unter Ausdehnung der Endphase des Romans, auf ein Finale hin, in dem er das Glück der lange Getrennten sichert, nachdem er schon vorher versucht hatte, auch den am Geschehen Beteiligten verschiedentlich einen versöhnlichen Schluß zu schaffen. Wer die unruhige Welt seines Romans nicht nur zu ordnen, sondern auch zu beschwichtigen bemüht ist, braucht dazu eben fast ein ganzes Buch. Nach den optimistisch auf das Ende orientierenden Bemerkungen, mit denen sich der Erzähler persönlich einschaltet (8, I, I - 5), folgt zunächst der Anagnorismos (vgl. oben S. 69) der Liebenden als die erste Voraussetzung für eine neue Gemeinsamkeit. Die empfindungsreiche Wiedererkennungsszene zieht sich, nicht nur infolge eines gemeinsamen Ohnmachtsanfalls, hin (8, I, 5 - xo), und sodann wird die Erzählkunst zunächst dazu genutzt, um die Vereinigung der Liebenden mehr hinauszuzögern als herzustellen. "Wer könnte jene Nacht beschreiben?"110 fragt, sich wieder einblendend, der •;o So mit richtiger Interpunktion G. Molinie in seiner Chariton-Ausgabe (vgl. Anm. 31), während in der Edition von W. E. Blake (vgl. Anm. 3 x) ein solcher Einschnitt nicht vorgenommen wird
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Erzähler (8, I, I4). Er jedenfalls beschreibt sie auf eigene Weise. Indem beim Erzählen hauptsächlich den Begleitumständen und der wieder heraufgeholten Vergangenheit Beachtung geschenkt wird, schiebt der Autor das Liebeserlebnis, auch wenn er den Sinn des Lesers nachdrücklich darauf lenkt, möglichst weit hinaus. "Ohne die Nacht abzuwarten" (8, I, I3) - so heißt es -, ging Chaireas, nachdem er als Befehlshaber des Heeres seinem Freund Polycharmos "alles" übergeben hatte, in das königliche Schlafzimmer. Relativ genaugeschildert wird diel Pracht des dort befindlichen Bettes (8, I, I4). Und dann kommt Chariton zum Inhaltlichen jenes Zeitabschnitts, der mit Erzählungen, Tränen, Küssen ausgefüllt ist (8, I, I4).' nach der Schilderung im Roman vor allem mit Erzählungen (diegemata). "Als es aber genug war der Tränen und Erzählungen" (8, I, 17), umarmten sie sich, was mit zwei Worten gesagt ist, denen ein Zitat aus der "Odyssee" (23, 296) folgt mit der poetischen Darstellung, wie Odysseus und Penelope das Lager aufsuchenJ Daß die Freuden der Liebe den Vorrang vor den Erzählungen der überstandenen Gefahren erhalten- so die Reihenfolge im Epos (vgl. Odyssee 23, 300343) -, hat der Verfasser des Liebesromans im Interesse seiner Verzögerungstaktik nicht mitgemacht, aber er schafft mit dem die Szene überhöhenden und ausdeutenden "Odyssee"-Zitat Assoziationen an ein Thema, das er selbst nachallseinen erzählerischen Vorbereitungen eben nur anzudeuten braucht. Der Bezug auf Odysseus und Penelope entspricht zugleich dem. von Chariton für das 8. Buch entworfenen Programm von gerechter Liebe und legitimer Hochzeit (8, I, 4). Die Zusammenführung der Getrennten ist jedoch erst der Auftakt des Happy-End Noch befanden sie sich mitten in Feindesland (vgl. 8, I, 9). Von dort aus glückte ihnen indessen, wie zu erwarten, die Rückkehr nach Syrakus (8, 6, I), was gemäß der retardierenden Strategie des Erzählens nicht sogleich vor sich gehen konnte. Es galt erst einmal, der Bedrohung des herannahenden Perserheeres (8, 2, 3) auszuweichen, doch galt es ferner, sich von der persischen Seite humanitär und mehr oder weniger generös zu verabschieden. Dazu wu.rde außerhalb des eigenen Machtbereiches aus Sicherheitsgründen der Weg der Korrespondenz gewählt. Der Perserkönig erhält Stateira, seine Frau, zurück, die beim Sieg des Chaireas in Gefangenschaft geraten war und natürlich nicht versklavt wird, so daß ein neues Sich-Wiederfinden in Szene gesetzt werden kann, bei dem der persische Herrscher Freudentränen vergießt (8, 5, 5 f.). Auch. hierbei geht es nicht ohne Erzählungen ab (8, 5, 7 u. 9). Dem Dionysios, mit dem Kallirhoe unter dem Zwang der Umstände eine im Prinzip formelle Ehe geschlossen hatte, vertraut sie brieflich ihr Kind an (8, 4, 5 f.), das sie in seinem Hause geboren hatte, dessen Vater jedoch Chaireas war. Damit droht das Sentimentale ins Komische umzuschlagen. Ganz ernsthaft wird in jenem Brief indessen ein weiterer guter Ausgang vorbereitet, wenn Kallirhoe empfiehlt, ihren bei Dionysios zurückgelassenen Sohn später mit dessen Tochter zu verheiraten. Schon im Brief des Chaireas an den persischen Großkönig wurde eine auf Verständigung und Ausgleich gerichtete Regelung vorgeschlagen mit der Bitte, Artaxerxes möge sich zum Dank für die Rückgabe der gefangenen Königin mit den Agyptern versöhnen (8, 4, 3), an deren Spitze Chaireas gegen den Perserkönig gekämpft hatte. Die Harmonisierungen des Romans setzen sich nach der glücklichen Landung in Syrakus großzügig fort. Sie erstrecken sich hier auch auf politische und soziale Belange wie Bürgerrecht und Landzuteilung. Chaireas' tapfere Truppe von 300 Griechen wird auf Antrag des Kommandeurs und auf Beschluß des Demos in die Bürgerschaft integriert (8, 8, 13 f.), "und sofort nahmen jene Platz und waren ein Teil der Volksversamm-
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lung". Im Handumdrehen kommen sie so in den Genuß eines Privilegs, das in der Poliswelt im allgemeinen schwer zu erkämpfen war. Dazu schenkt Chaireas jede1:11 noch ein Talent, immerhin eine sehr hohe Summe, für die seinerzeit Kallirhoe vom Seeräuber Theron verkauft worden war (I, I4, 5). Die ägyptischen Soldaten des Chaireas erhalten von Hermokrates, mit deutliche[\ Differenzierung gegenüber den zu Bürgern gemachten Griechen, Land zugeteilt (8, 8, I4). Vorher wird indessen dertreueFreund Polycharmos belohnt, der unter Zustimmung deli\ Demos die Schwester des Chaireas zur Frau bekommt, einen Teil der Beute eingeschlossen (8, 8, 12 f.), womit ein weiteres Glück geschaffen wird. Nicht zu vergessen ist eine Errungenschaft auf höchster Ebene, die Freundschaft des Perserkönigs, die Chaireas für Syrakus gesichert zu haben sich rühmt (8, 8, Io). Alle jene Harmonisierungen, mit denen die Romanwelt illusionierend in Ordnung gebracht wird, haben die Funktion, den glücklichen Ausgang der Geschichte vollkommen zu machen. Aus der allgemeinen Euphorie heben sich eine Reihe von Höhepunkten heraus. Da ist zunächst die Verbindung des Schönsten in Krieg und Frieden: Siegesfeiet' und Hochzeitsfest (8, I, 12). Einen weiteren Gipfelpunkt bilden die Schätze des Großkönigs, die Chaireas erbeutet hatte. Es war "sensationell" (vgl. 8, 6, 12: to kain6taton), daß die Stadt sich füllte, nicht wie vorher nach dem sizilischen Krieg, d. h. nach der Niederlage der athenischen Invasoren von 4I3 v. u. Z., mit attischer Kärglichkeit, sondern mitten im Frieden mit persischer Beute. Zu einem besonders effektvollen Bild wird die Landung der Totgeglaubten im Hafen von Syrakus. Sie befanden sich an Deck des ersten Schiffes in einem' mit Vorhängen geschlossenen Zelt, in dem von den neugierig Herbeiströmenden kostbare Fracht vermutet wurde. Als man die Vorhänge zurückzog, bot sich folgendes Bild (8, 6, 7) : Kallirhoe, auf einem aus Gold gearbeiteten Bett liegend, in einem tyrischen Purpurkleid - diese Attribute erinnern an das Bett der Wiedersehensfeier (vgl. 8, I, I4), und es ist auch sogleich Aphrodite, mit der sie verglichen wird (8, 6, I I), sinnigerweise mit der aus dem Meer hervorkommenden-, neben Kallirhoe aber Chaireas in der Montur eines Strategen. Das Ideal der Liebe, verklärt, und die Verklärung eines Polisideals finden sich somit in Charitons Heldenpaar verbunden. Zutreffend - und hier ganz realistisch - spricht Hermokrates von einem glänzend ausgefallenen Ende (8, 7, 4: to ... telos lampr6n gen6menon). Das große Finale des Romans wird in das Theater, den Tagungsort der Volksversammlung, verlegt. Bei allen Glättungen der rauben Wirklichkeit kann es nicht allzu sehr überraschen, daß an der Ekklesia auch die Frauen teilnehmen (vgl. 8, 7, I). Hier nun, vor der maßgeblichen politischen Instanz, werden die Zurückgekehrten gemeinsam gepriesen (8, 7, 2). Nachdem die hart errungene Gemeinsamkeit des Liebespaares in der Volksversammlung somit endgültig besiegelt ist, ordnet der Romanautor seine Gestalten wieder den jeweilig spezifischen Sphären zu. Der Stratege Chaireas wird in der Volksversammlung aktiv, vor allem mit Berichten und Anträgen (8, 7, 3 - 8, 8, I4), während Kallirhoe, bevor sie ins "Haus" (oikia) geht, eine andere Stätte aufsucht, die für die umhergetriebene Hebestreue Heidin des Romans61 eine größere Bedeutung hat als der sonst für die griechische 61
Vgl. hier auch das individuelle Urteil, das A. Heiserman, The Novel before the Novel. Essays and Discussions about the Beginnings of Prose Fiction in the West, Chicago-London 1980, 87, über Kallirhoe abgibt: "an admirable, even flawless, woman whose sufferings are morally noble
So
HEINRICH KUCH
Frau verbindliche Wirkungskreis des Hauses: den Tempel der Aphrodite (8, 8, 15 f.). Hier wird der verschiedentlich vorbereitete Wunsch (8, I, 9; 8, 3, I4) ausgesprochen, wie sich ihr künftiges Leben gestalten soll. Keine Trennung mehr von Chaireas - .so heißt es zunächst. Wichtig erscheint dabei jedoch die folgende Konkretisierung. Kallirhoe bittet nicht nur darum, gemeinsam mit ihrem Mann ein glückliches Leben führen zu können, sondern auch einen gemeinsamen Tod zu finden (8, 8, I6). Während Chaireas in der Volksversammlung die vergangeneo Erlebnisse berichtend bewältigt, ohne daß er beim Erzählen und beim Regeln der anderen Fälle das künftige Leben mit Kallirhoe in die Betrachtung einbezieht, fällt Kallirhoe die Rolle zu, die Wunschzukunft des Liebespaares zu artikulieren. Damit setzt die Heidin des Romans, die, Euripideischen Frauengestalten vergleichbar, ihre rationalen Kräfte im turbulenten Geschehen verschiedentlich bewährt hat, den Schlußstein in den weit sich hinspannenden Bogen der Gegenbildfunktion des Erzählwerkes. Die antike Romanliteratur weist verschiedene künstlerische Handschriften bei der für die Funktion bedeutsamen Gestaltung des Gegenbildes auf. Ungeachtet aller Unterschiede im einzelnen haben sie indessen - mit Ausnahme des "historischen" Romans den guten, mehr oder weniger illusionierenden Ausgang gemeinsam, so individuell der Schluß auch jeweils angelegt ist. Rettung und Harmonisierung geben gleichfalls dem Ende bei Xenophon von Ephesos das Gepräge. Und künftighin gestalteten die Wiedervereinten ihr Leben miteinander zu einem "Fest" (5, q, 3). Achilleus Tatios (8, I9, 2 f.) und Heliodor (Io, 4I, 3) beschließen ihre Romane mit der Hochzeit des Liebespaares. Zum Höhepunkt seiner erotisch-bukolischen Romandichtung macht Longos nicht nur die Hochzeit, sondern zugleich die Hochzeitsnacht (4, 37, I - 38, 4; 4, 40, I - 3). "Solange sie lebten", setzten Daphnis und Chloe die meiste Zeit ihr Hirtenleben62 fort (4, 39, I ; vgl. 4, 39, 2) - vom Tod ist, im Unterschied zu Chariton, in der bukolischen Idylle wie auch in anderen Romanen nicht die Rede. Nach dem "netten Geplauder" oder "anmutigen Säuseln" (I, I, I: lepido susurro), mit dem Apuleius in seinen "Metamorphosen" erfreuen will, kommen im II. und letzten Buch das rettende lsis-Finale und die ernsthafte Einweihung in den Isis- sowie dann in den Osiris-Kult nicht wenig überraschend. Jedenfalls scheint das II. Buch vom Autor nicht "in every detail from the very beginning" geplant worden zu sein.63 Wie Pettons "Satyricon" ausging, ist nicht bekannt. Einen einschneidenden Funktionswandel führte der christliche Roman durch seine entschiedene Jenseitsorientierung herbei mit dem Ergebnis, daß sich das in der Realität chancenlose jenseitsgerichtete Individuum in den Erzählungen der christlichen Romanliteratur verwirklicht sehen konnte. Aber das diesseitsgerichtete unterdrückte Individuum mußte sich nicht nur in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, sondern jetzt auch im Roman frustriert sehen. Eine fruchtbare Weiterentwicklung des Romangenus und seiner Funktionen setzte
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and whose triumph over them all is made inevitable by her virtuous denials of the potentially wanton consequences of her fated ,treacherous beauty"'. Vgl. Anm. 47· R. Heine, Picar~sque Novel versus Allegory, in: Aspects of Apuleius' Golden Ass. A Collection of Original Papers, hrsg. von B.. L. Hijmans Jr. u. R. Th. van der Paardt, Groningen 1978, 25-31; Zitat 37·
FUNKTIONSWANDLUNGEN DES ANTIKEN ROMANS
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mit einer "Renaissance"64 des griechischen Romans im x6. und 17· Jh. u. Z. ein. Neben Editionen und Übersetzungen gab es hier Bestrebungen besonders in der französischen, aber auch in der englischen und spanischen Literatur, mit dem antiken Roman zu konkurrieren. Nichtj zuletzt in der Auswirkung dieses Wettstreits, der die Möglichkeiten wie die Grenzen des antiken Romans hatte erkennen lassen, erfolgte offenbar der Übergang von der aus der Antike ererbten festgelegten Darstellungsweise zu modernen realistischen Romanformen. 64 Vgl. bei T. Hägg, Eros und Tyche (vgl. Anm. 42), das Kapitel "Die Renaissance des griechischen Romans", 232-255· The Greek Novel AD 1-1985, hrsg, von R. Beaton, London-New YorkSydney 1988.
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Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans Von !SOLDE STARK
Wenn im folgenden die Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans untersucht werden, dann können im Prinzip nur die fünf vollständig erhaltenen Werke zugrunde gelegt werden, da lediglich durch sie wesentliche Aussagen sowohl über Qualität und Quantität der einzelnen Elemente als auch über ihren funktionalen Zusammenhang innerhalb des jeweiligen Werkes gewonnen werden können. An fragmentarisch überlieferten Romanen ist z. B. bei ich-erzählten Passagen meist nicht zu entscheiden, ob der gesamte Roman in der Ich-Form dargeboten wurde oder ob es sich um die direkte Rede einer Figur innerhalb eines überschauend bzw. figurengebundenen, d. h. er-erzählten Romans handelt; der Charakter der Erzählperspektive wäre somit nicht sicher zu bestimmen.\ Auch die konkrete Handlungsführung kann an Hand von Auszügen und Fragmenten nur bedingt rekonstruiert werden. Dagegen können Motive durchaus in die Untersuchung einbezogen werden, da durch sie nicht nur die Erkenntnisse über die Motive in den vollständig erhaltenen Romanen gestützt werden, sondern diese auch eine analoge Bestimmung der qualitativen Handlungsgestaltung - beispielsweise als additiv - zulassen und sie dadurch generelle Aussagen über die Handlung im griechischen Abenteuer- und Liebesroman fundieren. Das Vorhandensein bestimmter Motive ist im übrigen häufig ein Indiz gewesen, das betreffende Prosa-Fragment einem Roman zuzuordnen. Die folgenden Analysen gehen von den Motiven als den zentralen strukturbildenden Elementen aus, untersuchen dann das Raum-Zeit-Gefüge und die Handlungsführung, suchen die wesentlichsten epischen Mittel festzustellen und prüfen die Möglichkeiten und Grenzen der Erzählperspektive.
1.
Motive
Bei allen Unterschieden weisen die uns erhaltenen griechischen Abenteuer- und Liebesromane1 - Longos' "Daphnis und Chloe" zunächst einmal ausgenommen - doch ein gemeinsames Handlungsschema auf: Ein junges Liebespaar von außerordentlicher Schönheit wird von einem widrigen Schicksal in vielfältige Abenteuer und Gefahren gestürzt, bis es zum Schluß - meist nach längerer Trennung - in unverändert treuer 1
Hier werden nur die vollständig erhaltenen griechischen Romane behandelt, da sich aus den Fragmenten nur schwer auf Strukturelemente schließen läßt.
STRUKTUREN DES GRIECHISCHEN ABENTEUER- UND LIEBESROMANS
Liebe zu einem nunmehr unwandelbar glücklichen Leben vereint wird. Dieses Schema variieren die einzelnen Romanautoren folgendermaßen : Chariton und Xenophon von Ephesos lassen das Liebespaar bereits jungvermählt sein, als es getrennt wird. Bei ersterem ist die junge Frau schwanger, so daß sie sich gezwungen sieht, die Ehe mit einem reichen Bewerber einzugehen - dem sie als Sklavin verkauft wurde -, um ihr noch ungeborenes Kind am Leben erhalten und standesgemäß aufziehen zu können. Achilleus Tatios schildert einen jungen Mann, der, da er seine Geliebte für tot halten muß, mit einer anderen Frau die Ehe eingeht, diese aber sexuell (bis auf eine Ausnahme) nicht vollzieht. Heliodors Liebespaar wird im Prinzip nicht getrennt, so daß beide Partner wechselseitig Zeugen ihrer Bedrängnis werden. Trotz der Unterschiede wird deutlich, daß diese Romane ein allen gemeinsames zentrales Strukturelement haben müssen, wenn sich in der Verallgemeinerung der einzelnen Handlungen ein solches Handlungsschema nachweisen läßt. 2 Dieses zentrale, gesamtstrukturbildende Element ist das Motiv der unwandelbaren, ewigen Liebe und Treue. Wenn sich aber Liebe und Treue als unwandelbar bewähren sollen, dann müssen sie notwendigerweise der Prüfung unterzogen werden. Ein ständiger Wechsel von Prüfungssituationen ist die Folge. Unter solchen verstehen die Autoren des griechischen Abenteuer- und Liebesromans die äußere Gefährdung ihrer Helden - oft gepaart mit existentieller Bedrohung -, nicht etwa die innere Gefährdung des Gefühls durch eine charakterlich-psychische, intellektuelle oder emotionale Veränderung im Wesen der Helden als Reaktion auf äußeres Geschehen. Die Prüfungssituationen sind also Abenteuer, mit denen sich ein dauernder Wechsel von' Schauplatz, Zeit und Personen verknüpft. Sie haben ihrerseits als handlungsauslösende und die Handlung episodisch strukturierende Elemente bestimmte, immer wieder aufgegriffene und partiell variierte Motive als Voraussetzung. Während der bukolische Stoff bei Longos die Handlung insoweit modifiziert, daß hier mit dem Heranwachsen der Hirtenkinder auch das Heranreifen der Liebe zwischen den beiden verbunden is~ und somit erheblichen Raum in der Erzählung einnimmt, wird das zentrale Motiv in den Romanen des Chariton, des Achilleus Tatios, des Xenophon von Ephesos und des Heliodor mit dem Motiv der Liebe auf den ersten Blick eingeleitet, die nicht nur urplötzlich, sondern auch so urgewaltig über das Mädchen und den Jüngling hereinbricht, daß jeder Widerstand aussichtslos ist, selbst wenn vorher beide (Heliodor) oder einer (Xenophon) geschworene Gegner des Eros waren. Von da an leiden beide unsäglich unter Liebesqualen. In diesem Zusammenhang findet sich bei allen Autoren, auch bei Longos, der stereotype, zum Topos gewordene, schon aus der Philosophie bekannte Vergleich der Liebe mit einer Krankheit bzw. Verwundung. Heilmittel kann hier nur die Liebesvereinigung sein, doch diese wiederum nur in geordneten Verhältnissen, in der Ehe. 4 Sofern nun das Liebespaar nicht gleich am 2 W. Kayser, Das sprachliche Kunstwerk, 2. Aufl. Berlin 1951, ~62 hat die Fabel des griechischen
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Abenteuer- und Liebesromans sogar auf die Kurzformel: erste Begegnung- Trennung - Wiedervereinigung gebracht. Zur Rolle des Bukolischen bei Longos s. B. Elle, Longos. Zur Funktionsgeschichte 8er Bukolik in der römischen Kaiserzeit, in: Hermes 110, 1982, 65-84. Auch im Ninos-Roman strebt das sich leidenschaftlich liebende Paar die Ehe an, die dann auch vollzogen wird. Eifersucht und die entsprechenden Treueschwüre sind hier ebenfalls zu finden. Das Liebespaar der "Babyloniaka" des Jamblich ist schon anfangs miteinander verheiratet. Im
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Anfang miteinander ehelich verbunden wird, bleibt der Liebesakt bis zur Eheschließung am Ende des Romans aufgespart, selbst wenn ihn bei Longos nur ein Zufall - die genüßlich beschriebene sexuelle Naivität der Liebenden - vorher verhindert. Das wechselseitige starke sexuelle Begehren ist zwar eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die in der Zeit der Abenteuer gewahrte Treue zum Partner und die im Prinzip erforderliche Keuschheit, doch spielt es weniger eine erotische als eine ethische Rolle. 5 Nun kämen die Liebenden des jeweiligen Romans gar nicht in die Lage, ihre Treue unter Beweis zu stellen, wenn es keine anderen Bewerber gäbe. Doch solche sind allgegenwärtig, weil beide von einer zwar ..IJ.icht konkret beschriebenen und individuell nicht faßbaren, ab~r trotzdem unerhörten, ja göttergleichen Schönheit sind, deren bloßer Anblick die heftigste Liebe auslöst. Daraus erwüchse noch keine Bedrängnis, wäre nicht der Liebhaber bzw. die Liebhaberin zugleich in einer grundsätzlich überlegenen Position, die im Prinzip das Recht über Leben und Tod der bzw. des Geliebten einschließt. So wird Kallirhoe (Chariton) als Sklavin an Dionysios, den ersten Mann von Milet, verkauft, der ihr auf den ersten Blick in Liebe verfällt. Danach erregt sie das V erlangen der beiden persischen Satrapen Mithridates und Pharnakes, bis schließlich der persische Großkönigf' selbst von der unerfüllten Liebe zu ihr gepeinigt wird. Ihr Mann Chaireas bleibt trotz seiner großen Schönheit von ähnlichen Nachstellungen verschont. Leukippe (Achilleus Tatios) wird zunächst vom Kommandanten der ägyptischen Truppen begehrt, der zwar juristisch keine, doch faktisch ausreichende Gewalt über das. von den Bukoien befreite Liebespaar hat. Dann versucht Gorgias, ein ägyptischer Soldat, sich ihrer mit Hilfe eines Liebestrankes zu bemächtigen, der jedoch, weil er Leukippe unverdünnt verabreicht wurde, statt Liebe Raserei bewirkt. Sein Diener hat zwar das Gegenmi~el parat, doch das - wie sich herausstellt - auch nur aus Liebe zu ihr. Mit Hilfe von Räubern entführt er Leukippe. Schließlich. gelangt sie als Sklavin auf das Landgut der Melite, deren Mann ihr später mit seinen Werbungen arg zusetzt. Ihr Geliebter Kleitopbon hat sich hingegen nur einmal mit dem Verlangen einer anderen Frau auseinanderzusetzen, dem er ohne äußeren Zwang auch nachgibt. 7 Xenophons Heidin Anthia erregt die Liebe eines Piraten, dann des Mannes ihrer Herrin, später ihres Retters aus Räuberhand und schließlich eines indischen Fürsten, dem sie als Sklavin verkauft wurde. Als sie erneut unter Räuber fällt, verlieben sich nacheinander ihre beiden Wächter in sie und dann ihr Befreier, der Satrap von Agypten. Der absolute Höhepunkt besteht darin, daß sie an einen Bordellwirt als Dirne verkauft wird. 8 Metiochos-Parthenope-Roman wollen die Liebenden die Ehe, und auch in der "Historia Apollonii regis Tyri" beiratet sich das Liebespaar kurz nach dem Kennenlemen. 5 Darauf bat B. Effe, Entstehung und Funktion ,personaler' Erzählweise11; in der Literatur der Antike, in: Poetica 7, I975, I37 hingewiesen. Zur Differenzierung dieses Problems s. R. )ohne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band s. I n-r6r. 6 Auch die Protagonistin der "Babyloniaka" wird von einem babylonischen König massiv umworben, und er zwingt damit sie und ihren Mann zu einer schier endlosen, abenteuerlichen Flucht. 7 B.! Effe (vgl. Anm. 5), I49· vermutet u. a. auch wegen dieses Verstoßes gegen die Gattungskonvention eine ironische Erzählweise des Achilleus Tatios. Das erscheint bedenkenswert und würde durchaus mit gewissen selbstironischen Momenten im Bericht des Kleitopbon korrespondieren. 8 Auch Tbarsia, die Tochter des Apollonius von Tyrus, wird an einen Bordellwirt verkauft. Darüper hinaus gibt es noch mehr Parallelen im Leben von T~arsia und von Xenophons Antbia.
STRUKTUREN DES GRIECHISCHEN ABENTEUER- UND LIEBESROMANS
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Nachdem auch diese Gefahr überstanden ist, erregt sie sogar die Begierde des erklärten Homoeroten Hippothoos. Vergleichsweise gering sind dagegen die entsprechenden Gefahren für ihren Mann Abrokomes: Zuerst versetzt sein Anblick einen Piraten, dann die Tochter seines Herrn in Liebesglut und schließlich - erneut zum Sklaven geworden - die Frau seines Herrn. Auch Longos macht von dem Motiv, daß die Schönheit die Liebesleidenschaft anderer weckt, Gebrauch: Chloe entgeht mit knapper Not den Nachstellungen des Dorkon und des Lampis; Daphnis wird zwar von Lykainion verführt, weil sie seine sexuelle Naivität ausnutzt, aber das bewirkt letztlich, daß Chloe ihre Keuschheit bis zur Ehe bewahren kann. Noch kurz vor dem glücklichen Ende glaubt Daphnis als vermeintlicher Sklavensohn, sich vor den Nachstellungen des Gnathon nur durch Selbstmord retten zu können. Heliodors Protagonistin Charikleia wird auf ihrer abenteuerlichen Reise von einem phönikischen Kaufmann, dem Piratenchef Trachinos und dann vom Räuberhauptmann Thyamis begehrt; ihr Geliebter Theagenes muß sich gegen die wilde Leidenschaft d~ persischen Prinzessin Arsake behaupten. Wegen der, erwähnten Macht des Liebhabers bzw. der Liebhaberin kommt es auch in allen Romanen - bis auf den des Longos - zu dem stereotypen Hinweis auf die potentielle Rache des enttäuschten Liebhabers bzw. der J..i!'!l?.l].aberin. 9 Bei! Xenophon, Achilleüs Tatras ünC:fHeliodorwi"rd diese in Form-von-Mißhandi:;;;ngen, Kerker, Folterung und (mißglückter) Hinrichtung auch Realität. Es findet sich auch der Liebhaber edler Herkunft, der mit vornehmer Zurückhaltung, aber trotzdem nachdrücklich um die Liebe der sich in seiner Gewalt befindenden Frau wirbt. Bei Xenophon verzichtet auch zweimal ein sozial Niedrigstehender aus Mitleid, seine ihm zustehenden Rechte bei der Frau durchzusetzen. }.{it .dem_ Motiv der Bedrängnis, nicht der Versuchung, die doch partiell zumindest den eigenen Partner in Frage stellt und den Fremden wenigstens in einem inneren oder äußeren Merkmal attraktiver und das eigene bisherige Gefühl bei gleichzeitiger Entscheidungsfreiheit instabil erscheinen läßt, verbindet sich häufig - wie aus den Ausführungen hervorgeht - das der GefangensChaft. Letzteres tritt aber auch in allen fünf Romanen gesondert auf: In Charitons Roman wird Kallirhoe aus dem Grabe geraubt und Chaireas dem Satrapen Mithridates als Sklave10 verkauft. Bei Xenophon erregt Anthia in ihrem ersten Sklavendasein noch keine Begierde, auch während ihrer ersten Gefangennahme durch die Räuberbande des Hippothoos nicht; dasselbe trifft auf ihre Grabräuber und den ~ordellwirt zu. Auch Abrokomes ruft unter den Bukolen, in deren Gefangenschaft er gerät, keinerlei Liebesleidenschaft hervor. Bei Achilleus Tatios fallen beide Liebenden in die Hände der Bukolen, später - worauf schon hingewiesen wurde - wird Leukippe allein geraubt. Für Theagenes in Heliodors Roman gestaltet sich die Gefangenschaft bei: den Bukolen sogar als Kampfbündnis und Freundschaft mit dem Anführer Thyamis. Selbst bei Longos wird Daphnis von tyrischen Seeräubern verschleppt, und ihm droht die Sklaverei; dasselbe Verhängnis schwebt über Chloe durch die Methymnäer. In allen fünf Romanen wird das jeweilige Liebespaar in Kriegsereignisse_y~_rwickelt, die stets bedrohliche Konsequenzen fÜr seine weitere Existenz haben. 11 Chaireas (Chari9 10 11
Dieser Hinweis kommt häufig von der kupplerischen! Dienerio (Chariton, Heliodor) bzw. dem Diener (Chariton, Achilleus Tatios). Parthenope (Metiochos-Parthenope-Roman) ist offensichtlich auch in die Sklaverei geraten. Auch im Ninos-Roman wird das Paar durch Kriegsereignisse getrennt.
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ton), kämpft als Befehlshaber auf seiten des ägyptischen Usurpators gegen den persischen Großkönig, ständig im tollkühnen Kampf den Tod suchend. Bei Xenophon und Achilleus Tatios wird eine reguläre Truppe gegen die Räuber aufgestellt, und beide Male verliebt sich der militärische Oberbefehlshaber in die befreite Anthia bzw. Leukippe. Chloe (Longos) gerät in die Wirren des Krieges zwischen Methymna und Mytilene. Theagenes und Charikleia (Heliodor) sind als Kriegsgefangene des äthiopischen Königs sogar als Opfer für die Dank- und Siegesfeier auserkoren. Typisch für die Romane (mit Ausnahme des Longos) ist auch das Motiv des I der totgeglaubten Geliebten. Hier setzt dann auch mit schöner Regelmäßigkdt der Selbst~ mordversuch des vermeintlichen Hinterbliebenen ein, 12 der meist mit letztem Einsatz eines treuen Freundes - Polycharmos bei Charito:n, Menelaos, Satyros bzw. Kleinias bei Achilleus Tatios, Knemon bei Heliodor - nur Absicht bleibt oder durch einen Zufall bzw. den Vorsatz, erst den verschwundenen Leichnam finden zu wollen (Chariton, Xenophon), verhindert wird. Häufiger - nämlich bei Xenophon, Achilleus Tatios und Heliodor - taucht das Motiv der Opferung auf, die natürlich im letzten Moment vereitelt wird. Achilleus Tatios bezieht aus diesem Motiv insoferrd)es-onoere Spannung;-als--er die Opferung der Heidin aus der Sicht des Helden schildern läßt, der zu jenem Zeitpunkt noch nicht wissen kann, daß diese jedesmal nur fingiert ist. Er muß also überzeugt sein - und mit ihm der Leser -, Augenzeuge der Tötung seiner Geliebten zu sein. Beliebt ist auch das Motiv der fehlgeschlagenen Hinrichtung (Chariton, Xenophon, Heliodor, bedingt auch bei- Achilleus Tatios). 13 }Iier haben zuweilen die Götter Gelegenheit einzugreifen. - - 14 Ebenfalls häufig benutzt wird das Motiv des Schiffbruchs (die Ausnahme sind Chariton urid Heliodor), meist mit vorailsgehendem Seesttirm, 15 der die Helden gemein-sam oder einzeln in entlegene Gegenden verschlägt, 16 wo gewöhnlich schon die Räuber lauern. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Motiven, die nicht zum festen Motivkatalog der zur Debatte stehenden fünf Romane gehören. Da es sich bei ihnen aber überwiegend auch um solche handelt, die Abenteuer oder zumindest aktionsreiche Handlungen auslösen, haben sie dieselbe Funktion\ wie die bisher vorgestellten. Dadurch kommt es zwar zu Modifikationen und einer Erweiterung der Gesamthandlung, aber nicht zu deren qualitativen Veränderung. Das heißt, die prinzipielle Äußerlichkeit des Zentralmotivs wird dadurch nicht in Frage gestellt. So taucht zweimal (Chariton, Xenophon) das Motiv des Scheintodes 17 mit der. dazugehörigen Bestattung auf, was dann wiederum obligatorisch -die Grab~äuber nach sich zieht, die mit den kostbaren Grabbeigaben und der inzwischen wieder zum Leben er12
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So auch bei Jamblich. Der Held der "Babyloniaka" wird zweimal ans Kreuz geschlagen. Schiffbrüchig ist auch Ninos, ebenso Apollonius von Tyrus. Bei Heliodor entgeht das jeweilige Schiff, auf dem sich das Liebespaar befindet, mit knapper Not dem Untergang; bei Chariton befindet sich Kallirhoe während des Seesturmes schon nicht mehr an Bord des Schifies; bei Longos kentert das Piratenschilt wegen des plötzlichen, einseitigen Schwungs durch die herunterspringenden Rinder. Daphnis (Longos) gelangt an die heimische Uferregion zurück. Ebenfalls bei Antonios Diogenes, Jamblich und in der .,Historia Apollonii regis Tyri".
STRUKTUREN DES GRIECHISCHEN ABENTEUER- UND LIEBESROMANS
wachten Scheintoten über das Meer entschwinden. Der Scheintod selbst wird aber unterschiedlich verursacht: Bei Chariton führt der jähzornige Fußtritt des eifersüchtigen18 Chaireas in den Bauch der Kallirhoe zu einer vorübergehenden Atemlähmung; bei Xenophon will Anthia wegen einer erzwungenen Heirat und im Glauben, ihr Abrokomes sei tot, ihrem Leben mit Gift ein Ende bereiten - das Gift ist allerdings nur ein Schlafmittel. Zweimal kommt das Motiv der Flucht vor, weil sich die Eltern gegen eine Verbindung der Liebenden stelle~ (Achilleus Tatios, Heliodor). Einmal (Chariton) findet sich das Motiv der verfeindeten Eltern. Auch der "Räuber aus verlorener Ehre" fehlt nicht (Xenophon, Heliodor). Die JS:indesaussetzung mit Wiedererkennung finden wir bei Longos und Heliodor. Bei Heliodor ist dadurch die Reiseroute der Liebenden bestimmt, während sonst das Paar (ausgenommen Longos) ziellos durch die Mittelmeerwelt getrieben wird. Einzig bei Heliodor findet sich das Hippolytos-Motiv und das der feindlichen Brüder; teilweise als Leitgedanke wird dagegen in diesem Roman auch die "Odyssee" mit der Symbolgestalt des Odysseus verwendet. 19 Ein großer Teil der erwähnten Motive entstammt der literarischen Tradition, aus der die Romanautoren schöpfen konnten, besonders der klassischen Tragödie - speziell von Euripides - und der Neuen Komödie. Als konventionalisierte literarische Strukturelemente werden sie auf eine äußerliche Funktion reduziert und als Versatzstücke benutzt. Daraus resultiert eine Ursache für die potentielle Austauschbarkeit der Motive innerhalb des jeweiligen Romans und unter den einzelnen Romanen sowie die potentielle quantitative Veränderung der Motivketten. 20 Wenn sich bei Chariton die einzelnen Prüfungssituationen der Kallirhoe zwar geographisch, aber nicht zeitlich potentiell auswechseln lassen, weil hier eine Steigerung des sozialen Ranges der Bewerber wichtig ist, bei Longos die Abenteuer zwar zeitlich, aber nicht geographisch austauschbar sind, so ist das die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Gerade auch in der ständigen Variation realisierte sich das poetische Können der Autoren.
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Das Raum-Zeit-Gefüge
Wenn sich also die Motive und die sich aus ihnen ergebenden Handlungsteile austauschen lassen, muß das Raum-Zeit-Gefüge, in das die Romanfiguren gestellt sind, besondere Merkmale haben. Alle fünf vollständig erhaltenen griechischen Romane assoziieren als Handlungszeit ungefähr die Periode der autonomen Polis, alsoi das ausgehende 6. bis 4· Jahrhundert 18 19
Vor Eifersucht rast Sinonis in den .,Babyloniaka". Schlüssige Argumentation gegen eine enge Nachahmung der .,Odyssee" in Form eines KalasirisRomans bei V. Hefti, Zur Erzähltechnik in Heliodors Aethiopica, Diss. Basel 1940, Wien I9SO, 98-10~.
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Von daher erinnern die griechischen Liebes- und Abenteuerromane an Abenteuer- und Kriminalfernseh- oder Romanserien, bei denen sich die Abenteuer oder Kriminalfälle sowohl reduzieren als auch quasi unbegrenzt erweitern lassen, ohne das gesamtstrukturierende Zentralmotiv vom wie auch immer konkret· gefaßten - unbesiegbaren' Superman zu beeinflussen. In diesem Sinne sind, um durch ein Beispiel zu illustrieren, die Abenteuer des Sherlock Holmes mit denen des Hereule Poirot zwar nicht tatsächlich, aber potentiell austauschbar.
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ISOLDE STARK
v. u. Z. 21 Relativ vage geschieht das durch die Erwähnung von Polisinstitutionen. Die Aktivitäten der Polisbürger beschränken sich jedoch auf das Feiern von Festen für die Polisgötter und auf die innigste Anteilnahme am Geschick des Liebespaares. So wird bei Chariton gar eine Volksversammlung einberufen, deren einziger Antrag und Beschluß darin besteht, daß die Syrakusaner von Hermokrates die Ehe seiner Tochter mit Chaireas fordern, damit dieser vor Liebeskummer nicht zugrunde geht. Zwar wird hier ständig auf die historische Gestalt des Hermokrates und auf das historische Faktum der Niederlage der Athener durch diet Syrakusaner hingewiesen, doch stimmt dafür so gut wie nichts an den vermeintlich historischen Details, wenn z. B. Milet unter persischer Oberhoheit steht oder sich Ägypten als persische Satrapie gegen den Großkönig erhebt. Solche Anachronismen lassen sich in jedem der fünf Romane z. T. vielfach nachweisen. Der bei Chariton als Romanfigur gestaltete persische Großkönig Artaxerxes hat beispielsweise nur wenig mit seinen historischen Namensvettern zu tun.:a Seine Funktion besteht darin zu zeigen, daß selbst der mächtigste Mann der Welt der unwiderstehlichen Schönheit Kallirhoes verfällt. Tatsächlich hat die suggerierte historische Zeit der Romanhandlungen kaum Einfluß auf die epische Zeit und auf das, was in dieser geschieht, d. h., der Historie kommt nicht das Merkmal des literarischen Stoffes zu. 23 Gleiches gilt auch für den· epischen Raum. Ob Milet, Ephesos, Methymna, Deiphi oder Syrakus, letztlich sind die griechischen Poleis quasi austauschbar und genausowenig konkret faßbar wie das exotische Babyion oder Ägypten.:M Das. trifft auch für die "Aithiopika" des Heliodor zu; deren Handlung häufig von ethnographisch-geographischen Exkursen25 unterbrochen wird, wobei für Figuren und Handlung gleichermaßen unwichtig ist, ob diese den zeitgenössischen Wissensstand des Autors oder einen früheren reflektieren oder toposhaften Charakter haben. Als Beispiele seien genannt: die Beschreibung des Sumpfgebietes der ägyptischen Bukoien (1, 5, 2- 1, 6, 2), der Bauweise ihrer Kähne (1, 31, 2), ihres Äußeren (2, 20, 5); der Bericht über den Nil und die Ursachen der Nilschwelle (2, 18, 2-5) und über die volkstümlichen Vorstellungen vom Nil (9, 9, 2,- 9, 10, 1); die Beschreibung der Troglodyten (8, 16, 4), der persischen schweren Reiterei (9, 15, 1-6), der Zimtländer (9, 19, 3-4), des Einsatzes von Dolmet21 22
S. dazu in diesem Bande H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans, S. 63, und K. Treu, Der Realitätsgehalt des antiken Romans, S. I 18. V gl. A. M. Scarcella, Metastasi narratologica del dato storico nel romanzo erotico greco, in: Atti del Convegno Internazianale "Letterature dassiehe e narratologia", Perugia 1981, H7 f.
u. 3 j i f. In der Begriffsbestimmung W. Herdeos: "Wir verstehen demnach unter dem Begriff Stoff einen vorgegebenen, gesellschaftlich bestimmten Lebenszusammenhang, der in der Wirklichkeit oder in der Überlieferung existiert, im Werk aufgenommen wird und seine spezifische, durch den konkret-historischen Standort, die Wirklichkeitssicht und das Talent des Autors bedingte! Gestaltung erfährt." Vgl. Probleme der Literaturinterpretation. Zur Dialektik der Inhalt-FormBeziehungen bei der Analyse und Interpretation literarischer Werke, von E. Amdt - W. HerdenU. Henkenkamp - F. Hömigk - E. Kaufmann (Einführung in die Literaturwissenschaft im Einzeldarstellungen, hrsg. von A. Löffler), Leipzig 1978, 58 f. 24 Vgl. A. M. Scarcella, La struttura del romanzo di Senofonte Efcsio, in: La struttura della fabulazione antica, Genua 1979 (Universita di Genova, Facolta di Lettere, lstituto di Filologia Classica e Medievale), 92. 25 Exkurse über unterschiedliche Gegenstände finden sich bei Antonios Diegenes und Jamblich.
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STRUKTUREN DES GRIECHISCHEN ABENTEUER- UND LIEBESROMANS
schern bei Spähtrupps (8, 17, 2) und von Elefanten im Krieg (9, 18, 8); die Schilderung lokaler Besonderheiten von Syene (9, 22, 3-4), der Lage und des Anblicks von Meroe (Io, 4, 6-10, 5, 2), der Rolle von Gold und Eisen (10, I, 5) und der kultischen Bräuche in Meroe (10, 6, 5). Die Funktion solcher Realitäts- bzw. Pseudorealitätsanteile besteht für den Rezipienten darin, wie J. Landwehr26 nachgewiesen hat, auch die Teile der erzählten Welt, die als unreal bewußt sind, leichter als wirklich umzudeuten. 27 Dabei ist zu beachten, daß die griechischen Romanautoren auch in allen erzählten extremen Situationen generell mögliche Sachverhalte - selbst bei uns heute als unmöglich erkannte, wie z. B. die Totenbeschwörung - fiktiv als real setzen. Das Spannungsverhältnis zwischen Realitäts- und Fiktionsebene ist somit relativ gering, da zwar nicht alles, was möglich, auch real ist, wohl aber alles, was real, auch möglich ist. Daneben kam solchen Einschüben von Sach26
27
J. Landwehr, Text und Fiktion. Zu einigen literaturwissenschaftliehen und kommunikationstheoretischen Grundbegriffen, München I97S· Ebenda I8z. Zum besseren Verständnis seien die zugrunde liegenden Gedanken J. Landwehrs {ebenda I Sz f.) ausführlich zitiert: "Den Gegenständen und Sachverhalten, die als wirklich bewußt sind und die zugleich Komponenten der Welt eines fiktionalen Textes bilden, kommt eine quasi doppelte Existenz zu. Einerseits bleiben sie auch bei der Rezeption eines fiktionalen Textes als wirklich bewußt, andererseits sind sie durch die Einbeziehung in einen fiktionalen Text funktional verändert: sie sind integraler Bestandteil der fiktionalen Welt. In dieser doppelten Zuordnung bzw. in der Möglichkeit, sie zwei ,Welten' zuzuordnen, kommt diesen Realitätsteilen die Funktion zu, in intentionalelkointentionale Um d e u t u n g zul erleichtern auch für die Teile der dargestellten Welt, die als nicht-wirklich bewußt sind: die nicht-wirkliche Rolle eines Erzählers wird ja erst dann zu einer fiktiven, wenn sie für eine bestimmte Zeitspanne intentional als wirklich gesetzt wird. Diese intentionale Umdeutung ,irreal' zu ,real' wird aber dadurch erleichtert, daß dem vom Erzähler Dargestellten der Seinsmodus des Realen zugesprochen werden kann. Wenn diese Behauptung zutrifft, dann bewirken die realitätskonformen Teile der fiktionalen Welt gerade das Gegenteil von ,Glaubwürdigkeit' etc.: insofern diese Teile den intentionalen Umdeutungsprozeß fördern, konstituieren sie allererst die Fiktivität einer Kommunikationskonstituente, hier der Produzentenrolle, und damit die Fiktionalität des Textes bzw. der Äußerung. Erfolgt nämlich eine Beeinflussung des Rezipienten im Sinne der Glaubwürdigkeit und des unveränderten Realitätscharakters des Dargestellten, würde die - vom Produzenten intentional umgedeutete - Rolle gerade nicht als umgedeutete erkannt oder aber als Täuschungsabsicht interpretiert. Dadurch würde dann der Text nicht zu einem fiktionalen Text, sondern zur Lüge." Zur Illustration sollen folgende Beispiele genannt werden: Während Antonios Diagenes in seinem Roman über die "Wunder jenseits von Thule" (um ISO u. Z.) innerhalb eines Authentizität vorspiegelnden Rahmens höchst Phantastisches erzählen kann, ohne als Lügner zu erscheinen, da sich die für den Roman intendierte Kommunikation zwischen Produzent und Rezipient realisiert, mithin der Romantext als fiktionaler Text erkannt wurde, so mißglückte bei dem hellenistischen Historiker Diodor (I. Jh. v. u. Z.) die Kommunikation, wenn er den abenteuerlich-utopischen Reiseroman des Euhemeros (3. Jh. v. u. Z.) als wahr ansah und ihn auszugsweise als ethno- und geographischen Bericht in seine Weltgeschicht~ aufnahm. Ein Pytheas (ausgehendes 4· Jh. v. u. Z.) hätte wahrscheinlich seinen Expeditionsbericht "Über den Ozean" mit seinen inzwischen als wahr erwiesenen Beschreibungen des äußersten Norden (Thule) als Roman durchaus schreiben können, doch als Tatsachenbericht widersprach er der damals herrschenden Klimatheorie der Geographie und wurde deshalb als' Lüge verworfen. Cervantes' Held Don Quijote ist der literarisch gewordene Romanleser, der die Fiktionalität des Textes nicht erkennt und deshalb das Dargestellte als Tatsachen nimmt und nun sein eigenes Leben in unsinniger Weise darauf ausrichtet.
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texten offensichtlich- ein eminenter Unterhaltungswert - in diesem Falle durch Belehrung - zu, wofür der Exkurs des Kalasiris (Heliodor 3, 1, 2) über die Rolle von Exkursen spricht. Damit dürfte gleichzeitig aber auch der Einfluß der historiographischen, der geo- und ethnographischen Literatur auf die Entstehung und Entwicklung des griechischen Romans sichtbar werden. Die Frage ist nun, welche Bedeutung epische Zeit und epischer Raum für die Romanfiguren haben, da sie für die Handlung, wie oben erläutert, doch einen solchen Grad von relativer Abstraktheit besitzen, daß die einzelnen Abenteuer potentiell austauschbar sind. Zur Beantwortung dieser Frage seien die ersten zehn Tage der Handlung der "Aithiopika" referiert: Am ersten Tag hat das Liebespaar folgende Schicksalsschläge z_u überstehen: Theagenes ist schwer verletzt vom Kampf mit den Piraten, Charikleia muß sein augenblickliches Ableben befürchten und ist bereit, ihn nicht zu überleben. Da werden die beiden bei Sonnenaufgang von Räubern gefangengenommen, die ihrerseits von einer anderen Räuberschar verjagt werden. Diese bringt nun die beiden von der Küste ins sumpfige Hinterland, das ihnen als Unterschlupf dient. Dort treffen sie abends ein. Theagenes hat sich trotz seiner schweren Verletzung offensichtlich noch gut auf dem Pferd halten können. Am nächsten Tag wirbt der Räuberhauptmann Thyamis in ziemlich ultimativer Form um Charikleia. Doch plötzlich wird das Räubernest überfallen, Charikleia auf Thyamis' Befehl in einer Höhle verborgen, während der durch Heilkräuter völlig genesene Theagenes an der Seite der Räubet wacker mitkämpft. Als die Sache der Räuber verloren scheint, tötet Thyamis in det dunklen Höhle eine griechisch sprechende Frau in der Annahme, sie sei Charikleia. Er selbst wird von den Angreifern gefangengenommen. Theagenes nun gerät zweimal in helle Verzweiflung über den vermeintlichen Tod seiner Geliebten: Einmal glaubt er sie in den Flammen umgekommen, dann hält auch er in der Dunkelheit die Tote für Charikleia. Die Nacht verbringt das Paar zusammen mit einem gefangenen Griechen (Knemon) und einem ägyptischen Räuber in der Höhle. Am Morgen des dritten Tages machen sich Theagenes und Charikleia getrennt von den beiden anderen auf den Weg in das Dorf Chemnis. Aber nur Knemon gelangt direkt dorthin. Theagenes und Charikleia fallen den Angreifern vom Vortage in die Hände und geraten damit erneut in Gefangenschaft. Hier werden sie getrennt: Charikleia wird dem Kaufmann Nausikles als angebliche, ihm geraubte Thisbe zurückgegeben, Theagenes soll als kostbarer Sklave über den Satrapen Ägyptens an den Großkönig geschickt werden. So kommt Charikleia noch am Abend des dritten Tages in das Haus des Nausikles, wo sich per Zufall Knemon und ihr Pflegevater und Lenker ihres Schicksals, Kalasiris, befinden. Dort bleibt sie sechs Tage. Dann begibt sie sich mit Kalasiris auf die Suche nach Theagenes, der inzwischen von Thyamis und seiner Räuberschar den Persern wieder abgejagt wurde. Mit diesen zieht er nach Memphis, wo Thyamis die ihm als ältestem Sohn des Kalasiris zustehende Prophetenwürde zurückerlangen will. Am zehnten Tag werden Charikleia und Theagenes in Memphis wieder vereint, der Bruderkampf wird von Kalasiris beendet, der noch in derselben Nacht stirbt. 28 Noch turbulenter geht es innerhalb einer konkret nicht mehr faßbaren Zeit bei 213
Ausführlich hat' T. Hägg im I. Kapitel seines Buches "Narrative Technique in Ancient Greek Romances", Stockholm I 97 I, Handlungsablauf, Phasenbildung der erzählten Zeit und das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit untersucht.
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Xenophon zu. Aber auch Chariton und Achilleus Tatios stehen dem nicht nach, wobei letzterer sogar mit exakten Zeitangaben aufwartet. Doch diese sind irrelevant. Wichtig ist der Moment, die Stunde, der Tag, die Nacht des Abenteuers. Im Prinzip nehmen die Hauptfiguren die Geschehnisse unreflektiert hin, d. h.,' das eben abgeschlossene Abenteuer wird weder intellektuell noch emotional von den beiden Liebenden verarbeitef9 und beeinflußt ihren Charakter im wesentlichen nicht. Die häufigen, im Wortschatz sich fatal ähnelnden Klagemonologe über die ständigen Schicksalsschläge können kaum als Reflexionen bezeichnet werden. Die Zeit des jeweiligen Abenteuers bleibt letztlich isoliert, genauso wie der mehr oder meist weniger geschilderte Raum, in dem es sich abspielt. Neben der Automatisierung der Motive dürfte diese Isolierung von Zeit und Raum der Ereignisse eine weitere Ursache für die potentielle Austauschbarkeit der Abenteuer sein. Zeit und Raum haben weitgehend keine Wirkung auf das Liebespaar, auf seine Entwicklung in körperlicher und geistiger Hinsicht,30 sind biographisch nahezu folgenlos. Die Protagonisten altern nicht, selbst nach schlimmsten körperlichen Drangsalierengen ist die Schönheit auch am Ende der Irrfahrten unvergleichlich. Ein Zentralmotiv, das kaum eine Entwicklung zuläßt, auf die äußere. Handlung reduzierte Prüfungssituationen, die von leer gewordenen Motiven ausgelöst werden, ein biographisch irrelevantes Raum-Zeit-Gefüge31 und im Prinzip statuarische Figuren bilden im griechischen Liebesroman im großen und ganzen eine feste Einheit.
3· Handlungsführung
In allen fünf Romanen - mutatis mutandis auch in Longos' "Daphnis und Chloe" vollzieht sich die Haupthandlung mithin nur als eine Addition von Prüfungssituationen. Mit der Summierung von Abenteuern ist jedoch die Gefahr der Monotonie und der Langeweile gegeben, wenn diese chronologisch erzählt werden - die Lektüre von Xenophons "Ephesiaka" dürfte ein hinreichendes Beispiel dafür sein, zumal hier wenig in den epischen Mitteln variiert wird, was allerdings auch aus dem Charakter des Buches zu erklären ist. 3~ Abwechslung erreichen die verschiedenen Autoren auf differenzierte Weise. Bei Chariton ist ansatzweise eine PsyclwJogisierung zu beobachten, die spannungsfördernd wirkt (s. u. S. 95). Achilleus Tatios gewinnt Spannung aus dem formalen Aufbau' des Romans als rückblickender Ich-Erzählung des Helden, der wirkungsvoll seinen unterschiedlichen Wissensstand zum Erzählten einbringt (s. u. S. IOI). Heliodor ist nun der einzige der vollständig erhaltenen antiken Romanautoren, 29
Ansätze dazu s. R. Johne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band S. 170. Die Ausnahme ist Longos, bei dem im Verlaufe von einem Jahr das körperliche Reifen von Daphnis und Chloe geschildert wird; geistig verblieben sie im wesentlichen auf demselben Niveau. Die Rückkehr aufs Land ist keine wirklich kritisch reflektierte Entscheidung gegen das Stadtleben, sondern erscheint eher als eine sentimental-idyllische Attitüde. 31 Dieses Phänomen hat M. Bachtin, Zeit und Raum im Roman, in: Kunst und Literatur :u, 1974, u6I-ll9I, für den antiken Roman untersucht und ist zu aufschlußreichen Ergebnissen gelangt. 32 Wahrscheinlich handelt es sich bei den "Ephesiaka" des Xenophon um die Epitome eines umfangreicheren Romans - s. dazu A. Scarcella (vgl. Anm. 2.4), 89; B. Elfe (vgl. Anm. ,), 146 A. 40. 30
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der nicht der Chronologie folgt und eine echte Umstellung des chronologischen Handlungsverlaufes vornimmt.33 Damit verfügt sein Roman im Vergleich zu den anderen in formaler Hinsicht über den kunstvollsten Handlungsaufbau, weshalb er hier paradigmatisch erläutert werden soll. Die "Aithiopika" beginnen also nicht nach einer kurzen Einleitung mit dem handlungsauslösenden Motiv der Liebe auf den ersten Blick, sondern setzen zu einem Zeitpunkt ein, da das Liebespaar schon einen Teil seiner Irrfahrten und seiner Bewährungsproben hinter sich hat. Der Leser wird so mit Beginn der Handlung in eine Lage versetzt, die der der Räuber entspricht, nämlich in absolute Unkenntnis, was es mit der dargestellten Situation auf sich hat. Das erhöht die Spannung auf den Fortgang der Handlung, in der sich die~ Dinge ja klären müssen. Diese Spannung wird gesteigert, wenn durch die monologischen oder dialogischen Klagen der beiden Liebenden vage ihre Beziehungen zueinander und ihre Vergangenheit angedeutet werden (I, 2, 4; I, 3, I; r, 7, 2-4). Doch als die erste Zäsur mit dem Anbruch des Abends einsetzt, die Handlung eine Ruhepause erfährt, hofft der Leser vergebens, Aufschluß über die Hintergründe des Geschehens zu erhalten. Denn jetzt kommt Knemon zum Zuge, um seine Vorgeschichte zu erzählen. Der Umfang seiner Rolle rechtfertigt es, daß seiner Vorgeschichte so viel Raum gegeben wird {I, 9, I-I, I7, 6; 2, 7, 4-2, IO, 4), um sich zu einer echten Nebenhandlung und nicht nur zu einer Episode zu konstituieren. Damit ergibt sich die Frage nach ihrem Verhältnis zur Haupthandlung. Auch Knemon wird von der Macht des Eros umhergetrieben, aber nicht, weil er selbst liebt, sondern weil ihn seine Stiefmutter Demainete liebte. Ihre unerfüllte Liebe schlägt in Haß um, der Knemon vernichten soll. Ihr Ziel erreichte Demainete zwar nicht, doch Knemon wurde aus Athen verbannt. Beide sind sich im übrigen bei ihrer Beziehung des Hippolytos-Motivs34 durchaus bewußt. Obwohl Demainete ihre unerlaubte Liebe mit dem Selbstmord büßte, war es Knemon nicht vergönnt, in seine Heimatstadt zurückzukehren. Ein widriges Geschick ließ es nicht zu. Das verbindende Moment der Knemon-Vorzeithandlung mit der Haupt- und Gegenwartshandlung ist also das Ausgeliefertsein an ein unberechenbares, sich meist in bösen Zufällen artikulierendes, verhängnisvolles Schicksal. Aus diesem Grunde bestanden ja auch Theagenes und Charikleia auf Knemons Bericht, weil sie von Gleichem hören wollten (I, 9, I ; ähnlich die Situation bei Achilleus Tatios 7, 2, 2). Die Kncmon-Vorzeithandlung ist somit in ihrem Verhältnis zur Haupthandlung als korrelativ zu kennzeichnen, da die thematische Verknüpfung eine entsprechend vertiefte Erwartungshaltung beim Leser hervorruft.:l:i Dasselbe läßt sich auch für die Nebenhandlung bei Achilleus Tatios, die sich mit der Figur des Kleinias {I, 7-I4) bzw. des Menelaos (2, 33 f.) verknüpft, und bei Xenophon für die Hippothoos-Vorgeschichte (3, 1, 4-3, 2, 14) feststellen. In diesen drei Fällen gründet sich die Handlung ebenfalls auf das Zentralmotiv, allerdings jeweils in der homosexuellen Variante und mit tragischem Ausgang, dem Tod des Geliebten. Die gleiche korrelative Funktion haben bei Heliodoi' auch die Lebensläufe von Kalasiris und Charikles bis zu dem Augenblick, da sich deren Leben mit dem der Haupt33 Vgl. V. Hefti (vgl. Anm. 19), 5· 34
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Ob hier eine direkte Bezugnahme auf die Euripideische Tragödie vorliegt, läßt sich bei der generellen Bekanntheit des Phaidra-Stoffes nicht unbedingt annehmen. V gl. E. Lämmert, Bauformen des Erzählens, Stuttgart 1 9 5j, 5z f.
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figuren verbindet (2, 24, 5-2,28, 5; 4, 12, 1-4, 13, I und 2, 19,2-2, 33, 2). Erzähltechnisch ist der Bericht Knemons als in die Gegenwartshandlung eingeschobener Rückschritt;OO zu bestimmen, der - in Form eines rückblickenden Ich-Berichts - zum Träger einer Nebenhandlung wird. Der Rückschritt als retardierendes Erzählelement ist besonders geeignet, sowohl die Spannung der Gegenwartshandlung zu unterbrechen als auch diese Unterbrechung wiederum wirkungsvoll zu überbrücken. 37 Denn die Spannungsunterbrechung der Gegenwartshandlung in vorliegendem Fall dient ja gleichzeitig der Spannungserhöhung für das gegenwärtige Geschehen und seine erwartete Aufklärung. Außerlieh ähnlich - nämlich als rückblickender Ich-Bericht -, aber funktional anders determiniert sind die Rückwendungen, in denen die Vorzeithandlung erzählt wird. Sie umfassen die Zeit von der Liebe auf den ersten Blick bis zum Beginn des Romans und bestehen - neben der breit ausgeschmückten Erzählung von der Liebe auf den ersten Blick, die Theagenes und Charikleia nahezu an den Rand des körperlichen und geistigen Zusammenbruchs bringt, und der Schilderung der Flucht aus Deiphi - aus ebensolchen Abenteuern, wie sie die Gegenwartshandlung bisher dargestellt hat. Die Schauplätze, die Zeit, die Personen wechseln - die Erzählgegenstände bleiben dieselben, die Form der Handlungsverknüpfung ist dementsprechend additiv.38 Hier trifft geradezu klassisch die Charakteristik von E. Lämmert zu: "Das Eintreten von Wartezeiten im Handlungsverlauf und die Versammlung von geeigneten Zuhörern ist ein überaus beliebtes Mittel zur Einfügung additiver Handlungsstränge." 39 Das kennzeichnet z. B. auch den Bericht von Leukippe bei Achilleus Tatios 8, x6, in: dem nachgetragen wird, was ihr seit ihrem Raub widerfahren ist. Kalasiris nun, dem die Erzählerrolle für die Vorzeithandlung zukommt, ist zusammen mit Knemon zum Warten verurteilt (2, 21, 6 f.). Damit steht genügend Zeit zum Erzählen des Vergangeneo zur Verfügung (der Abend und die halbe Nacht des dritten Romantages). Den Schluß der Vorzeithandlung und ihren Anschluß an die Gegenwartshandlung liefert Kalasiris im geselligen Rahmen einer Opferfeier (5, 17, 1-5, 33, 3). Die gesamte Erzählung des Kalasiris hat eine doppelte Funktion: Einerseits entspricht sie einer nachgeholten Exposition, andererseits erklärt sie die Hintergründe der Gegenwartshandlung.40 Danach wird die Handlungsführung von der Chronologie bestimmt; die Phasenbildung folgt nicht mehr dem Wechsel von Aktions- und Ruhezeit mit dem immanenten Wechsel von Gegenwarts- und Vorzeithandlung. Eine echte Handlungsumstellung ergibt sich daher nicht mehr. Lediglich die Erläuterung des Verhältnisses z-Wischen Arsake und Thyamis (7, 2, 1-5) ist in eine Rückwendung eingebaut, die als Rückgriff in dem Sinne zu bestimmen wäre, in dem ein isoliertes Stück Vergangenheit - hier von der Nebenfigur Thyamis - zum besseren Verständnis der Gegenwartshandlung beigefügt wird.41 Auch verläuft die Handlung jetzt im allgemeinen einsträngig. Ansätze zu Parallelhandlungen lassen sich nur noch in zwei Fällen beobachten: einmal bei der Reise des Achaimenes zu Oroondates~ die funktional direkt mit der Haupthandlung zusammenhängt, ein andermal bei 36 37 38
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Ebenda II2. f. Ebenda II 8. Eben da 4 5 f. Ebenda 46. Ebenda 104 f.; Ebenda 12.3 f.
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f.;
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f.
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dem Krieg zwischen Athiopien und Ägypten, dessen ausführliche Beschreibung sich zu verselbständigen droht (9, I, 1-9, 27, 3). Am Beispiel Heliodors wird auch deutlich, daß die Trennung des Liebespaares und damit die Aufspaltung der Haupthandlung in zwei Handlungslinien für den Aufbau des Spannungsbogens nicht obligatorisch sind. Als wichtig für die Variation der automatisierten Romanform des griechischen Abenteuer- und Liebesromanes erweisen sich neben der Handlungsführung die spezifische Verwendung der epischen Mittel und die besondere Handhabung der Erzählerperspektive.
4· Epische Mittel Für die erzählerische Gestaltung ihrer Romane gebrauchen die fünf Romanautoren ein sehr differenziertes Instrumentarium epischer Mittel: Berichte, Schilderungen, szenische Darstellungen mit Monologen und Dialogen in direkter und indirekter Rede, eingeschobene Briefe, Sprüche und Lieder, Beschreibungen, Bilder, Reflexionen, Sentenzen und Sachtexte. Im Prinzip sind bereits viele erzähltechnische Möglichkeiten, wie sie auch in der modernen Erzählkunst zu finden sind, ausgebildet. Einige, wie die erlebte Rede, die erlebte Reflexion, der stream of consciousness und die Montage, die wohl tatsächlich den epischen Formen des ausgehenden 19. und des frühen 20. Jh. vorbehalten blieben, fehlen. Die erlebte Rede und die erlebte Reflexion kann man zwar sporadisch in Übersetzungen entdecken,42 sie sind aber im Text selbst nicht enthalten und stellen somit Interpretationen der Übersetzer dar. Unterschiedlich in quantitativer wie in funktionaler Hinsicht schöpfen nun die einzelnen Autoren aus dem ihnen zur Verfügung stehenden Reservoir der epischen Mittel. Bei Xenophon dominiert der sachliche, meist stark zeitraffende Bericht. Eingeschaltete Schilderungen und Beschreibungen, häufig nur als stereotype Klagemonologe vorkommende direkte Reden sowie ebenfalls sehr zeitraffend angelegte indirekte Reden und Redeberichte nehmen oftj nur wenig Raum, d. h. Erzählzeit, ein, so daß sie ihre Wirkungspotenznur in geringem Umfang entfalten können. Das Tempo der erzählten Zeit ist demzufolge zwar rasant, verbreitet jedoch Monotonie. Daran kann auch der ständige Wechsel im Bericht der parallelen Haupthandlungslinien nichts ändern. Wenn Anthia viermal, Abrokomes zweimal in die Sklaverei verkauft wird, sie zweimal unter Räuber fällt und von ihnen befreit wird, ihr Befreier sich jedesmal in sie verliebt und sie auch zweimal von der verderbenbringenden Eifersucht einer anderen Frau verfolgt wird, dann wirkt das durch die geschilderte Darstellungsweise eher ermüdend . Hinzu kommt noch eine gewisse stilistische Einförmigkeit, z. B. der überwiegende, im Griechischen distanzierend wirkende Gebrauch des Imperfekts. 43 42
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So z. B. in der Übersetzung des Chariton von K. Plepelits, Stuttgart 1976, 12.9 = Chariton 6, 9. j, in der Übersetzung des Heliodor von H. Gasse, Leipzig 1966, 8 = Heliodor I, 2., 7 oder in der Übersetzung des Xenophon von Ephesos von B. Kytzler, Frankfurt a. M. - Berlin (West) 1968, So= Xenophon 4, j, 6. A. M. Scarcella {vgl. Anm. 2.4), 93 f. Auch wenn Scarcella in dieser Arbeit sämtliche Kompositions- und Stilebenen aufzeigt, verändert dieser Nachweis doch nichts an dem Eindruck, daß es sich bei Xenophons Werk um den langweiligsten der antiken Romane handelt, wofür mir eben die Dominanz des enorm zeitraffenden, sachlichen Berichts verantwortlich scheint.
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Dagegen setzt Chariton den stark zeitraffenden Bericht überwiegend ein, um die Zeit zwischen den Handlungshöhepunkten zu überbrücken. Diese werden dann häufig durch detaillierte Beschreibungen und Schilderungen, in denen der Blickwinkel auf das Geschehen besonders nahe und, auf bildhafte Assoziationen beim Leser gerichtet ist,44 erzählt, die sim ihrerseits meist szenischen Darstellungen unterordnen. Während bei Xenophon und partiell auch bei Heliodor sich die Dialoge in direkter Rede mehr wie monologische Erklärungen ausnehmen, gehen die Dialogpartner bei Chariton im großen und ganzen aufeinander ein. Die Dialoge wie die Monologe, in direkter oder indirekter Rede, sind nahezu stets in reflektierende, wertende, die inneren Vorgänge beschreibende Kommentare eingebunden. Wenn man also beim griechischen Liebesund Abenteuerroman überhaupt von einer Psychologisierung der Figuren sprechen kann, dann wäre Chariton ·sicher als der "psychologischste" unter den fünf Romanautoren zu bezeichnen.45 Es sei hier als pars pro toto an die Szene erinnert, wie Kallirhoe sich unter dem Druck ihrer Schwangerschaft zur Ehe mit Dionysios bereitfindet, an die Gerichtsverhandlung am Hofe des Großkönigs mit ihrem dazugehörigen Umfeld oder an die Auseinandersetzungen zwischen Kallirhoe und dem für Artaxerxes werbenden Eunuchen. Während entsprechend der literarischen Tradition in den anderen Romanen Monologe, die inhaltlich innere Monologe sind, laut gesprochen werden und daher bei Verben des Sagens stehen, findet sich bei Chariton vereinzelt schon der stille Monolog in Verbindung mit Verben des Denkens und Übeeiegens (so z. B. 2, 9, I; 3, 2, 7). per Dialog ist bei diesem Autor überwiegend zugleich vorwärtseilende Handlung, während bei Achilleus Tatios ein großer Teil der im rückblickenden Ich-Bericht des Helden wiedergegebenen Dialoge retardierenden Charakter hat. Den Inhalt dieser Gespräche bilden häufig Exkurse über Mythen mit dem Thema Liebe oder auch die Erörterung des Problems homo- und heterosexueller Liebe. Sie stehen mithin korrelativ zum Zentralmotiv; dasselbe ist auch für die meisten mythischen Exkurse bei Longos festzustellen. Auch die zahlreichen Sentenzen bei Achilleus Tatios dienen demselben Zweck. Dagegen fallen bei Heliodor die vielen Exkurse (s. o. S. 88 f.) sowie die zahlreichen Sentenzen oftmals aus der Handlung heraus und sind dementsprechend vor allem als Autorreflexionen zu werten, für die das epische Geschehen eigentlich nur noch den äußerlichen Anlaß bietet. Trotzdem ist Heliodor der Autor, der die von ihm verwendeten epischen Mittel am vielschichtigsten einsetzt. Wie bei Achilleus Tatios oder bei Xenophon so erzälht auch bei ihm die Nebenfigur - Knemon - ihre eigene Vorgeschichte, die damit in eine dialogische Szene eingebettet ist. Doch dieser Bericht gestaltet sich bei ersterem zu einem mehr oder weniger langen Monolog. Bei Knemons Bericht wird der szenische Erzählrahmen durch Zwischenbemerkungen der Gesprächspartner dem Leser wieder ins Gedächtnis gerufen, und bei szenischen Darstellungen' mit einem hohen Anteil an direkter Rede nähern sich erzählte Zeit und Erzählzeit, worin die augenscheinliche Wirklichkeitsnähe begründet liegt.46 Auch gibt Knemon den Bericht im Bericht (Charias an Knemon) und den Bericht im Bericht des Berichtes (Thisbe an Charias) dialogisch in direkter Rede wieder, sich dabei auf seinen Informanten berufend. Sicher ist es nicht E. Lämmert (vgl. Anm. 3 j), 88. S. dazu R. Johne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band S. 46 E. Lämmert (vgl. Anm. 35), 87; 92; zoo; W. Kayser (vgl. Anm. z), 182.
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möglich, daß Knemon die ihm nur berichteten Reden wörtlich wiederholen kann. Doch sei darauf verwiesen, daß seit Thukydides auch in der Historiographie Ansprachen von historischen Persönlichkeiten in direkter Rede vorkommen, die jene so zwar nicht gehalten haben, wohl aber so hätten halten können (vgl.' Thukydides 1, 2.2. u. ö.), und die Geschichtsschreibung hatte, wie erwähnt, einen bedeutenden Einfluß auf Entstehung und Entwicklung des Romans. Nach dem vorgestellten Muster verfährt Heliodor fast jedesmal, wenn er Vorzeithandlung in die Gegenwartshandlung einfügt. Der Bericht des Kalasiris, der ungefähr ein Drittel des ganzen Romans ausmacht, wird also ebenfalls als rückblickende Ich-Erzählung in direkter Rede im Rahmen einer szenischen Darstellung gegeben, in der nun Knemon der Zuhörer ist. Dieser erreicht mit seinen kommentierenden und, fragenden Einwürfen, daß die Gesprächssituation im Bewußtsein des Lesers ständig präsent bleibt. Demselben Ziel dienen die häufigen namentlichen Hinwendungen des Kalasiris an seinen Zuhörer. Auch hier gibt es den szenisch gestalteten Bericht im Bericht: Charikles erzählt dem Kalasiris von seiner Vergangenheit, und bei deren Höhepunkt - der Schilderung, wie Charikleia zu ihm gelangte - bediente er sich ebenfalls der Dialogform in direkter Rede. Dadurch, daß nahezu die gesamte Vorzeithandlung in direkter Rede wiedergegeben wird, ist der dramatische Effekt groß, und die Distanz zum Erzählten verringerte sich in erstaunlichem Maße. Der Autor-Erzähler als vermittelnde und berichtende Instanz fällt durcli die Selbstdarstellung der Figuren weg. Wenn auch nicht in dieser, kaum unterbrochenen Extensität, so wird doch die Schilderung der Gegenwartshandlung nach dem Abschluß der Vorzeithandlung ebenfalls ständig von szenischen Darstellungen mit indirekten, meist aber direkten Reden unterbrochen oder besser, die Berichte und Schilderungen sind "notwendiger Behelf, um die Kausalzusammenhänge zwischen den einzelnen Höhepunkten herzustellen" .47 Eine Ausnahme bildet der Bericht vom Krieg zwischen Agypten bzw. Persien und Äthiopien, der sich über das gesamte 9· Buch erstreckt. Hier kommen kaum direkte oder indirekte Reden vor. Dafür wird wieder reger Gebrauch von der bildhaften Beschreibung mit ihrer illusionierenden Wirkung gemacht. Daher bleibt der Leser weiterhin gewissermaßen im Netz der Illusionen, auch wenn das 9· Buch retardierend zur Haupthandlung steht und kaum zu ihrem Fortgang beiträgt. Das xo. und ·letzte Buch mit seiner Erkennungsszene ist dann nahezu ein einziger Dialog in direkter Rede, der sich stark an die Gerichtsrhetorik anlehnt. Eine Gerichtsszene mit Anklage- und Verteidigungsrede kommt übrigens in allen fünf Romanen vor. Damit treibt Heliodor die Spannung noch einmal auf einen letzten Höhepunkt, bei dem sich der Leser wiederum als unmittelbaren Zuhörer und Zuschauer empfinden kann. Longos erzielt ähnlich illusionierende Wirkungen hingegen überwiegend mit den epischen Mitteln' der Beschreibung, der anschaulichen Schilderung und des Bildes, bei denen die Zeit gleichsam stillsteht.48 Es sei an die Beschreibung des Landgutes, an das Baden in der Quelle der Nymphengrotte, an die Beschreibung der Jahreszeiten und der verliebten Spiele von Daphnis und Chloe erinnert. Aber auch in diesem Roman nimmt die szenische Darstellung' einen so bedeutenden Platz ein, daß man wohl verallgemeinern kann, sie bei allen fünf Autoren - bedingt auch bei Xenophon das am häufigsten benutzte Mittel des Erzählens.'9 47 48
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E. Lämmert (vgl. Anm. 3~), 91. Ebenda 34; 88 f.; 93· Das hervorstechende Merkmal des Rhetorischen war es ja vor allem, das E. Rohde, Der
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5· Die Erzählperspektive Bei der Lektüre der griechischen Liebesromane ist die Dominanz des gleichen Inhalts so stark, daß dadurch die unterschiedliche Handhabung der Erzählperspektive bei den einzelnen Autoren - mit der ja die Darbietung des konventionalisierten Inhalts variiert werden soll - kaum ins Bewußtsein dringt. Die Erzählperspektive erfährt erst in den neueren Untersuchungen zum antiken Roman entsprechende Beachtung. 50 Zwar bedienen sich bis auf Achilleus Tatios alle Autoren generell der überschauen• den Erzählperspektiv~i, von der aus sie das jeweilige Gesamtwerk darbieten, jedoch ergeben sich daraus differenziertere Möglichkeiten des Erzählens, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Es ist also die Frage zu; stellen, ob der Autor jeweils hintet "objektiv" gegebenen Berichten, Handlungsschilderungen, Dialogen und Monologen verschwindee52 oder ob er sich "subjektiv" durch Selbstdarstellung, verbal ausgedrückte partielle oder generelle Allwissenheit über den Handlungsfortgang, Reflexionen, Einblicke ins Innere der Figuren oder Wertungen und Kommentare zur Geltung bringt.53 Am Anfang seines Romans stellt sich Chariton nun mit Namen, geographischer Herkunft und Beruf als Autor vor und erklärt seine Absicht, eine Liebesgeschichte zu ergriechische Roman, I. Aufl. I876, photomech. Nachdruck von der 3· Aufl. I9I4 Berlin I96o, zu der Annahme brachte, der griechische Roman sei ein Produkt der zweiten Sophistik. Vgl. auch H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als Üteraturgattung, in diesem Band S. 39-P· r,o So bei A. M. Scarcella (vgl. Anm. 2.4), bei T. Hägg (vgl. Anm . .zs) und bei B. Elfe (vgl. Anm. s); zu dieser Problematik s. auch I. Stark, Zur Erzählperspektive im griechischen Liebesroman, in : Philologus u8, I984, 2s6-z7o. 51 Unter Erzählperspektive, dem "point of view" (P. Lubbock, The Craft of Fiction, London I92.I), wird der Blickwinkel verstanden, von dem aus das Erzählte dargeboten wird. Dem entsprechen die Begriffe "Erzählwinkel" (R. Weimann, Erzählerstandpunkt und point of view. Zur Geschichte und Asthetik der Perspektive im englischen Roman, in: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik Io, I962) und ,.Erzählaspekt" (I. Diersen, Darbietungsformen des Erzählens, in: Weiniarer Beiträge I 3, 1967). Die Erzählperspektive läßt sich auf zwei Grundformen zurückführen, auf die überschauende (,.external point of view") und die figurengebundene ("internal point of view"), die in der erzählenden Literatur meist vielfach ineinander verwoben sind - dazu I. Diersen, 643. 52 So generalisiert unzulässig für den antiken Roman R. Weimann, Strukturen des Renaissancerealismus: Grundzüge seiner Theorie, in: R. Weimann (Hrsg.), Realismu~ in der Renaissance. Aneignung der Welt in der erzählenden Prosa, Berlin-Weimar I 977, 90-94 ; dagegen I. Stark (vgl. Anm. jO), 267-270. 53 Die zuerst genannte Art des Erzählens entspricht der ,.neutral omniscience" (N. Friedman, Point of View in Fiction: The Development of a Critical Concept, in: Publications of the Modern Language Association of America 70, 195 j, u69-II74), der ,.aspektfreien Darbietung" (I. Diersen [vgl. Anm. p],' 643 f.) bzw. der ,.gestaltlosen Erzählinstanz" (U. Heukenkamp, Elemente des Figurenaufbaus und der Konfliktgestaltung, in: Probleme der Literaturinterpretation [vgl. Anm. 23], 79). Die zuletzt genannte Art des Erzählens entspricht der "auktorialen Erzählsituation" (F. K. Stanze), Die typischen Erzählsituationen im Roman, Wien-Stuttgart 1955, 38-59), dem ,.Erzähler-Medium" (R. Weimann [vgl. Anm. 5x]. 378; ders., Erzählsituation und Romantypus. Zur Theorie und Genesis realistischer Erzählformen, in: Sinn und Form I8, 1966, I, 1 q), dem "medialen Erzähler" (I. Diersen [vgl. Anm. 51], 633 u. 643) bzw. dem "medialen Erzählen" (U. Heukenkamp, So). 7
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zählen. In der 1. Person Singular mischt er sich immer wieder ins Erzählte ein, so z. B., wenn er den mit Kallirhoe verknüpften Handlungsstrang mit einet düsteren Prophezeiung verläßt, um die parallelen Geschehnisse um Chaireas nachzutragen (3, 2., I7). Zu Beginn des 5. und des 8. Buches resümiert er dann das bisher Erzählte und leitet die Fortsetzung seines Berichtes erneut in der I. Person Singular ein (5, I, I bzw. 8, I, 4). Er reflektiert auch direkt in der 1. Person die inneren Vorgänge einer Figur (6, 9, 4; 5, 8, 3), und seinen Roman beendet er mit den Worten: "So viel habe ich über Kallirhoe verfaßt" (8, 8, I6). Auf eines sollte abe11 an dieser Stelle hingewiesen werden: Zwar steht hinter dem erzählenden Ich der Autor selbst, und er tritt seine Erzählfunktion nicht scheinbar an einen medialen Erzähler ab, doch wäre es wenig sinnvoll, ihn voll mit dem realen Ich des Autors54 identifizieren zu wollen. "Denn Entscheidungen darüber, ob die dargestellte und in der Darstellung sich konstituierende Rolle eines narrativen Erzählers .. · . mit dem Textproduzenten übereinstimmt oder aber von ihm abweicht, sind auf Grund von Textmerkmalen allein nicht zu treffen. Als gestaltete, dargestellte Charaktere sind die Figuren, die in literarischen Texten als ,Ich' auftreten, anderen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten unterworfen als das reale Ich des Textproduzenten ... Jedes literarische Ich ist im eigentlichen Sinne ,Produkt', ist Objektivation auf Grund eines Arbeitsprozesses, in das die Bedingungen der< Produktion eingehen."55 Daher ist es angebracht, auch das erzählende Ich als Rolle, als fiktive Kommunikationskonstituente zu begreifen, Aber nicht nur der Autor als Erzähler wird in diesem Roman direkt faßbar, sondern auch der potentielle Leser als Kommunikationspartner, wenn Chariton von seinen Wirkungsintentionen spricht (8, I, 4) oder wenn in rhetorischen Fragen und Wendungen (I,I,u; 4,I,I; 5,4,4; 5,4,6; 5,8,2.; S,x,I) die kommunikative Komponente seines Erzählens deutlich wird. Auch bringt er seine durch die überschauende Erzählperspektive bedingte Allwissenheit in einer ganzen Reihe zukunftsgewisser V orausdeutungen56 ins Spiel. So wird das liebende Paar in einer glanzvollen Hochzeit glücklich vereint, doch der Erzähler wirft ein, daß - wie Eris bei der Hochzeit der Thetis als unselige Verursacherio des Schönheitswettbewerbs der drei Göttinnen, der später zum Trojanischen Krieg führte - auch hier ein verleumderischer, übelwollender Dämon zugegen war (I, I, I6). Der Leser assoziiert das und sieht also dem Schlimmsten entgegen, was ja auch nicht lange auf sich warten läßt Auch bei Kallirhoes zweiter Hochzeit ist jener Dämon wieder dabei (3, 2., I7). 57 Es würde Seiten füllen, alle Stellen aufzuzählen, in denen sich die subjektive Einmischung 54
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E. Rohde (vgl. Anm. 49J. 520, hatte ja noch Name un4 Herkunft des Autors als allegorisches Pseudonym angesehen. Aber auch 1der inzwischen erbrachte Nachweis der Historizität von Namen und Stadt bringt bei der Gängigkeit der beiden Namen im griechischen Sprachgebiet noch nicht sehr vie' - s. dazu K. Plepelits (vgl. Anm. 42), 2 f. "Zwar können Auswahl, Darstellung und sprachliche Gestaltung indirekt und vermittelt ala psycholosdsche Indizes des realen Produzenten-Ich gewertet werden, eine direkte Identifizierung des Autors mit einer seiner produzierten Figuren erscheint absurd .••" J. Landwehr (vgl. Anm. 26), !116. Mit Hilfe solcher Anzeiclum versucht K. Plepelits, 3-9, das Dunkel um die Person des Autors zu erhellen. J. Landwehr (vgl. Anm. 26),' z66. Auch das autobiographische Ich beispielsweise. wird ja für den Rezipienten zur Kunstfigur. Über den Zusammenhang von überschauender .Erzählperspektive und zukunftsgewissen Vorausdeutungen s. E. Lämmert (vgl. Anm. H), 70f.; 142:175. Weitere zukunftsgewisse Vorausdeutungen Iinden sich 1. 14, I; 2, 8, 3; 3, I, 8; 3, 3· 8; 3, 4, 7;
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des Erzählers in Form von Reflexionen, Kommentaren, Wertungen und Darstellungen innerer Vorgänge nachweisen läßt. Eben diese mediale Erzählsituation macht gerade das Spezifische von Charitons Erzählweise aus.58 Ein besonders auffallendes Moment sei hier nur noch erwähnt: die ständigen Homerzitate, mit denen die Handlungsschilderungen wie Berichte gleichermaßen kommentierend und reflektierend unterbrochen. werden. 59 Augenscheinlich sollen sie einen Abglanz heroischer Größe auf die eigentlich so unheroische, dafür aber um so pathetischer erzählte Welt werfen. Die Neigung zu Sentenzen60 teilt Chariton hingegen mit Achilleus Tatios und Heliodor. Unter den fünf zur Debatte stehenden griechischen Romanautoren ist er, wie gesagt, derjenige, der die Möglichkeiten des medialen Erzählens am stärksten nutzt. 61 Daneben gibt es m. E. durchaus kleinere Partien, die figurengebunden erzählt werden, aber dem überschauend gebotenen Rahmen untergeordnet sind.62 Als Beispiel dafür seien folgende Szenen genannt: wie Kallirhoe im Grab erwacht, aber im Gegensatz zum Leser noch nicht ahnt, wo sie sich befindet (I, 8, 2 f.) ; wie der eine Grabräuber Kallirhoe für einen Geist hält (I, 9, 4 f.); wie Dionysios bei der ersten Begegnung Kallirhoe als Aphrodite selbst ansieht (2, 3, 5 f.); wie Dionysios eine Intrige wittert, während der Leser die wahren Hintergründe kennt (3, 9, 4- 9). Ihre Unterordnung unter den überschauend erzählten Gesamtzusammenhang läßt von diesen Teilen zwar keine Spannung ausgehen, da der Leser stets besser informiert ist als die jeweilige Figur, aber sie dienen der'Veranschaulichung und Vertiefung des Erzählten. Im Gegensatz zu Chariton tendiert Xenophon stark zur "objektiv" überschauenden Erzählperspektive.63 Allerdings gibt es auch bei ihm Passagen,64 in denen implizite allgemeine zukunftsgewisse Vorausdeutungen faßbar werden~ wenn z. B. zu lesen ist: "Und das waren die ersten Bemühungen von Eros' Kunst" (I, 2, 9) oder wenn auf das drohende Verhängnis hingewiesen wird (I, IO, 2; I, I2, 3). Auch einige partielle zukunftsgewisse Vorausdeutungen sind im Text zu finden (so z. B. 1, 12, 4; 2, I3, 5; 3, 10, I; 4, Ii 6; 4, s.. 3; 6, 8, 1; 6, 9, '3; 7, 3, I; 7, 6, 5; 8, 6, 8 als partielle und 7 und 8, I, :1 f. als generelle. 58 Eine Auswahl wird bei I. Stark (vgl. Anm. 50), 259 f., vorgestellt. öl! I, I, I4; I, 4, 6; I, 7, 6; 2, 9, 6; J• 3• 4; h 6, 3; 4, j, 9; 4o 7, j; 5. j, 9; s. 7, IO; 7, I, I; 7, 4, 3; 7, 4, 6; 8, I, I7; 8, s. Ij. Der gleiche Gebrauch von Homerzitaten ist übrigens schon bei stoischen Philosophen zu finden. 60 So z. B. in I, 3, 7; I, 4, :1; 3· 3, I6; 3, 9, 3; 6, j, I. 61 So schon T. Hägg (vgl. Anm. 28), IH: Chariton der typische Vertreter der "editorial omniscience"; vgl. auch B. Effe (vgl. Anm. s), I45: Chariton als typischer Vertreter des "auktorial"allwissenden Modus. 62 Anders dagegen T. Hägg (vgl. Anm. 28), II s f., und B. Effe (vgl. :Anm. s), I46, die allerdings davon ausgehen, daß im Verständnis ihres Begriffs vom "personalen" Erzählen das Erzählte durch die Wahrnehmung und Reflexion der betreffenden Figuren gegangen sein muß, während ich mit I. Diersen auch solche Passagen als figurengebunden kennzeichnen möchte, in denen "nur das erzählt wird, was in den Gesichtskreis und ins Erlebnisfeld einer Figur fällt, ohne daß der Erlebnisbereich durch die sinnlichq Wahrnehmung 'der Figur, ihr Denken und Fühlen gefiltert wird" (vgl. Anm. sz), 643. Offensichtlich kann bei T. ·Hägg und B. Effe die "personale" Erzählweise der überschauenden nur gleich-, nicht aber untergeordnet sein. 63 S. auch T. Hägg (vgl. Anm. :18), 137, und B. Effe (vgl. Anm. s), I46. IK Als Einmischungen des Autors von seiner extradiegetischen Ebene bezeichnet sie A. M. Scarcella (vgl. Anm. 14), 98 f.
4,
I,
j, j,
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4; 5, 7, 4). Sicherlich ist die Anzahl von Kommentaren, Wertungen und Reflexionen des Autors sowie von Schilderungen innerer Vorgänge bedeutend geringer als bei allen anderen Autoren,65 aber wiederum häufiger, als es den Anschein hat. Es sei nur an folgende Stellen erinnert: wie Eros der Kampf gegen den die Liebe verachtenden Abrokomes schwierig erscheint (I, 2, I); wie die Treueschwüre des Liebespaares gewertet werden (I, I I, 6) ; wie innere Vorgänge bei Abrokomes und Anthia erzählt werden; als sich Eltern und Kinder beim Abschied immer wieder beim Namen nennen, um ihn fest im Gedächtnis zu behalten (I, IO, 9); als die Liebenden ihren von Erinnerung an die Eltern, Heimweh, Furcht vor dem Orakel und vor der Fremde erfüllten Gedanken nachhängen (I, u, I) und als Anthia nach der Ermordung ihres zudringlichen Wächters überlegt, was zu tun sei (4, ,, 6), oder als vom Piratenakt (I, I4, 2) und von der Folterung des Abrokomes (2, 6, 3) mit ethischer Anteilnahme berichtet wird. Demgegenüber ist jedoch die Kommentarlosigkeit verblüffend, wenn z. B. Hippothoos seinem neuen Freund Abrokomes in dürren Worten berichtet, daß er beinahe seine Frau Anthia getötet hätte, und zwar als Menschenopfer bei einem grausigen Ritual (3, 3, 4 f.), oder wenn Hippotboas Anthia kauft und ihre Identität erfährt C,, 9, I3), aber keineswegs darüber reflektiert, daß sie zweimal auf sein Geheiß getötet werden sollte. Auch untergeordnete figurengebundene Erzählpartien sind mit Ausnahme der rückblickenden Ich-Erzählungen des Hippothoos und des Aigialeus kaum zu finden. Eine dritte Variante des Erzählens bietet der Roman des Achilleus Tatios. Er beginnt zunächst als rückblickender Bericht eines Erzähler-Ichs (I, I f.), der seinerseits von der retrospektiven Ich-Erzählung des jungen Kleitopbon abgelöst wird (I, 3, x), bei der es sich um den eigentlichen Roman handelt. Das Erzähler-Ich gibt also vor, die Erlebnisse eines anderen zu schildern. Diese Prämisse gleicht der bekannten Her· ausgeber-Fiktion des neuzeitlichen Romans.66 Der rückblickende Ich-Erzähler nimmt eine gewisse Sonderstellung ein, insofern er sich durch Allwissenheit über das Geschehene und nun zu Erzählende auszeichnet und ihm damit eine dem medialen Er· zähler vergleichbare Position zukommt. Aber andererseits ist er - im Gegensatz zum medialen Erzähler - Teil des Figurenensembles und kann mithin nur von ihm selbst Erlebtes und Gehörtes berichten.67 Achilleus Tatios läßt zunächst die Handlung aus streng figurengebundener Perspektive darbieten, d. h., Kleitopbon erzählt aus der Sicht m; Von einem völligen Fehlen - so B. Elfe (vgl. Anm. 5), 146 - würde ich allerdings nicht sprechen. 00 Antonios Diagenes benutzt in seinen "Wundern jenseits von Thule" ebenfalls einen Handlungsrahmen, durch den suggeriert wird, daß das Erzählte wahrl in realgeschichtlichem Sinne sei: Der Autor schreibt seiner Schwester, daß es sich um eine authentische Geschichte handle, die eine der agierenden Personen auf Holztafeln aufschreiben ließ, welche dann in ihr Grab gelegt und erst zur Zeit Alexanders des Großen aufgefunden worden seien. Die von Jamblich seinen "Babyloniaka" eingefügten sog. autobiographischen Notizen haben im Grunde nur die Funktion, dem Leser mitzuteilen, daß er eine authentische Geschichte berichte, die ihm sein babylonischer Erzieher erzählt habe. Die "Historia Apollonii regis Tyri" gibt sich als autobiographischen Bericht aus. Die unter den Namen Dares und Diktys überlieferten Verfasser von Troja-Romanen· gaben sich als Teilnehmer und damit als Augenzeugen des Trojanischen Krieges aus. 67 Siehe I. Diersen (vgl. Anm. p), 6~5; R. Weimann (vgt Anm. 53), II4; E. Lämmert (vgl. Anm. ~5), 70 u. 7'-·
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des erlebenden Ichs, dem noch jede Kenntnis vom weiteren Gang der Dinge fehlt. Damit befindet sich auch der Leser auf diesem Informationsstand. Doch schon mit de1 Kleisthenes-Geschichte (2, 3, I) gibt Kleitopbon diese eingeschränkte Erzählperspektive zugunsten seines überschauenden Standpunktes auf, da er ja das künftige Geschehen kennt, und läßt beispielsweise düstere Voraussagen anklingen (2, 32, I). Gezielt, nämlich um Spannung zu erzeugen, kehrt er zum Blickwinkel des erlebenden Ichs zurück, wenn er als Augenzeuge die Opferung (3, q, I - 6) und die Enthauptung Leukippes (5, 7, 4) beschreibt. Im Gegensatz zu den anderen Romanen, wo der Leser es besser weiß, muß er hier vom Tode der Leukippe jedesmal genauso wie Kleitopbon überzeugt sein. Allerdings unterläuft diesem beim ersten Beispiel ein Lapsus. Wenn er schildert; daß die Bukoien nach der Opferung der Leukippe den Altar umstoßen, weil ihnen das der wahrsagende Priester empfahl (3, q, 6), dann setzt dies das spätere Wissen voraus. Auch. in der Begegnung mit der vermeintlichen Thessalierin Lakaina ( = Leukippe) bedient sich Kleitopbon der eingeschränkten Sicht deS! erlebenden Ichs (5, I7, 3- 10). Es gibt aber andererseits sogar Momente, wo Kleitopbon die überschauende Perspektive des rückblickend erzählenden Ichs verläßt und über die des Autor-Erzählers verfügt, d. h., er erzählt Sachverhalte, die er gar nicht - auch später nicht - wissen kann. 68 Die anfängliche Erzählsituation wird jedoch bis zum Schluß nicht wieder aufgenommen. Eine formale Ähnlichkeit mit dem Romanbeginn bei Achilleus Tatios weist der Anfang von Longos' Roman auf. Auch hier steht eingangs eine Bildbetrachtung als IchErzählung, doch das zu Erzählende wird nicht an eine Erzählerfigur abgetreten, sondern der Autor behält es sich selbst vor als sprachliches Pendant zum eben beschriebenen Bild und um die Leser zu erfreuen (Proömium 2 f.). Danach wird nur einmal an die exponierte kommunikative Situation mit dem Leser erinnert (I, I, 2), und der Erzähler tritt auch nur einmal in der 1. Person Singular hervor (I, 32, 3). Trotzdem dominiert nicht die "objektiv" überschauende Erzählweise, denn auch hier sind wieder eine ganze Reihe zukunftsgewisser Vorausdeutungen (I, II, I; 2,2,6; I, II, 3; I, 15,4; 2, I9, I; ;, I7, I; 4, 6, 3) festzustellen. Auch zahlreiche Kommentare, Wertungen, Reflexionen und Topoi lassen sich feststellen. 69 Die Anwesenheit des Erzählers drückt sich in diesem Werk aber vor allem in der Diskrepanz zwischen Erzählinhalt und im großen und ganzen maniriert-bukolischem Erzählstil aus. Darunter ist folgendes zu verstehen: Einerseits machte sich Longos mit dem Aufgreifen eines bukolischen Stoffes ganz offensichtlich die Wertschätzung des einfachen ländlichen Lebens zunutze. 70 Diese drückt sich z. B. auch in der moralischen Verurteilung der jungen Leute von Methymna aus, die sich - gewissermaßen als antike Playboys - mit ihrer luxuriösen Landpartie eine Abwechslung zu ihrem städti68 Siehe den detaillierten Nachweis bei T. Hägg (vgl. Anm. 28), I 3I f.; vgl. B. Effe (vgl. Anm. s). 150. Derartige Inkonsequenzen kommen durchaus auch - oft·,aJs Qualitätsgewinn - in modernen Romanen vor, beispielsweise in der Figur des Serenus Zeitbiom in Th. Manns "Dokto~ Faustus" -
s. dazu I. Diersen, Thomas Mann. Episches Werk - Weltanschauung - Leben, Berlin-Weimar I975. 32j-p8.
So beispielsweise in I, 12, d I, u •. I; I, 30, 6; 35, 2; 3• 5, 4; 3, 6, 5; 3, IJ, 3;4, 15,4;4, 32, I. 7° B. Effe (vgl. Anm. 3), 72 f. 69
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p, 3; 2, 25, 4; 2, 29, I; 2, 32, 3;
2.,
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sehen Leben verschaffen wollen,71 ebenso in einigen anderen Episoden. 7~ Andererseits ist Longos' Darst.c:llungsg~genstand die Liebe. Die breit geschilderte erotische Naivität sowie die sexuelle Unkenntnis und Unerfahrenheit der Hirtenkinder aber werden durch den gewollt einfachen, vordergründig bukolischen Stil zum voyeuristischen Vergnügen eines durchaus städtischen Lesers gestaltet. 73 Heliodor bringt mit seinem Romanbeginn erzählperspektivisch etwas grundsätzlich Neues: Er erzählt streng figurengebunden nur das, was die ägyptischen Räuber sehen und reflektieren. Der Leser wird also suggestiv in die Lage der Räuber versetzt, er sieht mit ihren Augen. Diese figurengebundene Passage ist zwar nicht sehr lang (bis I, 3, I), aber dem danach überschauend Dargebotenen nicht unter-, sondern gleichgeordnet.7" Die beabsichtigte Spannungserzeugung ist evident. Danach dominieren jedoch der "objektive" Geschehnisbericht und die Art szenischer Darstellung, in der sich die Figuren gleichsam selbst bzw. einander vorführen (s.o. S. 95 f.), so daß der Autor als Erzähler hinter ihnen nahezu verschwindet. Heliodor nennt sich als Verfasser zwar nicht wie Chariton am Anfang, sondern erst am Schluß, doch bringt er sich häufiger ins Spiel, als das eben Gesagte vermuten läßt. So findet sich einige Male ein meist parenthetisches "ich glaube" (I,8,I; 2,22,I; 6,5,I; 8,8,2; 9,9,5; Io,6,5).75 Auch fehlen zukunftsgewisse Vorausdeutungen (I, 2, 6; 2, 2, 2; 7, 12, I), Sentenzen (I, 2, 9; 2, 6, 4; 5, 7, 3; 8, 6, I; 8, 9, 4; 9, I6, I) und Erörterungen (zu den Exkursen s.o. S. 88-90) nicht. Gleichfalls kann der Leser Blicke in die Gefühlswelt der Protagonisten werfen (so z. B. in I, 9, I; I, I8 ,I; I, 2I, 3; I, 29, 3 f.), und Handlungen werden gewertet und kommentiert (so z. B. in I, 7. 2; I, I9, I; 5. 8, 3; IO, 6, 5). Trotz dieser vielen Elemente, in denen sich eine mediale Erzählsituation nachweisen läßt, überwiegt doch der Eindruck der "objektiven" Szene, deren Wirkung auf Illusionierung realer Vorgänge zielt_?fl Aus dem Überblick über die wichtigsten Strukturelemente der griechischen Liebesromane ergeben sich folgende Schlüsse: Der an die antike Literatur in bestimmten 7!
Dazu ebenda 75.
72 Dazu ebenda 76-78. 73 Dazu ebenda 79 f. E. Rohde (vgl. Anm. 49), S49• bezeichnete diese Darstellung als "ein ab-
scheuliches muckerhaftes Raffinement, welches uns auf das Unangenehmste spüren läßt, daß alle Naivität dieses ldyllikers nur eine künstlich präparierte" ist. 74 Zur Bedeutung dieses Phänomens s. B. Efie (vgl. Anm. s), qG. Aber entgegen seiner Behauptung, der Leser müsse annehmen, Charikleia sei von Thyamis ermordet worden (In), sehe ich in der Formulierung, daß Thyamis e i n e griechisch sprechende Frau antwortet, den deutlichen Hinweis des Erzählers, daß es sich nicht um Charikleia handelt (I, 30, 7). 75 In Übersetzungen - so bei R. Reymer ~ Heliodor, Die Abenteuer der schönen Charikleia, mit einem Essay von 0. Weinreich, Reinbeck/b. Harnburg I962, und H. Gasse, Heliodor. Die äthiopischen Abenteuer von Theagenes un~ Charikleia, 2.. Auf!. Leipzig I966 - wird es gewöhnlich weggelassen oder nur mit "wohl", "vermeintlich" oder "offensichtlich" übersetzt. 76 E. Lämmert (vgl. Anm. 3 s), 87. E. Feuillatre, Etudes sur les Ethiopiques d'Heliodore, Paris 1966, I s. hat für die Aithiopika 4I% Autorerzählung, 12.,7% Figurenerzählung, 34% Dialoge, 4,7% Beschreibungen, 3% Reden, I,4Q/ri Briefe, 2.% Klagen und 0,4% Verse ermittelt. Da die Figurenerzählung bei Heliodor in direkter Rede ebenso wie die Reden, d. h. Ansprachen, die Briefe und wie die Klagen gegeben wird, kommt auf die direkte Rede 53,1% als Haupt· _bestandteil szenischer Gestaltung.
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Zeiträumen gestellten Anforderung nach primärer Unterhaltung und Kompensation77 wurde der vom Inhalt der Liebe und des Abenteuers bestimmte Roman offensichtlich in besonderem Maße gerecht, und zwar über Jahrhunderte hinweg. Dieser Inhalt wird von dem allen Romanen gemeinsamen Zentralmotiv der ewigen Liebe und Treue mit dem daraus resultierenden, nahezu feststehenden Motivkatalog strukturiert. Ahnlichkeiten bis zur potentiellen Austauschbarkeit der Handlung, der Figuren und des RaumZeit-Gefüges sind die Folge. Dem stehen ein sehr differenziert angewendetes Instrumentarium epische1.1 Mittel - trotz der Dominanz der szenischen Darstellung in allen fünf Romanen - und eine ebenfalls differenzierte Benutzung erzählperspektivischer Möglichkeiten gegenüber, auch wenn die Potenzen der figurengebundenen Erzählperspektive in der 3· Person Singular erst ansatzweise zur Geltung kommen. Doch trotz dieser teilweise souveränen Beherrschung von Erzähltechniken weisen die Romane eine deutliche Tendenz zum Trivialen78 auf. Denn sei es das Spiel mit der objektiven Authentiziät durch die Erzählperspektive, wenn sich der reflektierende Erzähler gleichsam als Geschichtsschreiber darstellt (Chariton), wenn er bescheiden nur Gehörtes wiedergibt (Achilleus Tatios), wenn er sich eines raffinierten Stils bedient, um den Leset zum Voyeur zu machen (Longos), wenn er zahlreiche Sachtexte ins fiktive Geschehen aufnimmt, um die Umdeutung der nichtwirklichen Welt als wirkliche zu erleichtern (Heliodor), oder sei es der gezielte Einsatz epischer Mittel, denen eine besondere, die Realität illusionierende Wirkung zukommt, letztlich. dient das alles eben jener Umdeutung: Der Rezipient, dem die Welt des literarischen Modells durchaus als fiktiv bewußt ist, soll sie gleichzeitig vorübergehend als real annehmen. 79 Damit wird aber ein erstarrtes Modell mit seiner automatisierten Struktur als mögliche Welt zur bestehenden Welt in Korrelation gebracht. Die Wirkungen, die es entfaltet, sind denen gesellschaftskritischer literarischer Modelle entgegengesetzt: Statt einer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, wird ihr ausgewichen, was zur Anpassung führt bzw. sie reproduziert, statt zu einer Korrekturwelt kommt es zu einer Ersatz- und Scheinwelt.80 Im wesentlichen unveränderte ästhetische Kommunikationsbeziehungen auf der Basis Vgl. H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans, in diesem BandS. 52-81. Der Begriff des Trivialen kann hier natürlich nicht im Sinne der Trivialliteratur als Subsystem der Massenkommunikation benutzt werden (s. G. Fetzer, Wertungsprobleme in der Trivialliteraturforschung, München 1980, 13 u. 17), ebensowenig im Sinne der neuzeitlichen Dichotomie der Literatur in "hohe" und "niedere" mit dem dazugehörigen soziologischen Pendantpaar "Elite" und "Masse" (ebenda 90). Sondern er wird in dem Begriffsverständnis verwandt, daß triviale Literatur als Bewußtseinsform die zeitgenössische Wirklichkeit verfehlt (ebenda 52) .unabhängig davon, ob sie sich eines aktuellen oder eines historischen Stoffes bedient - und daß deren Strukturen ihre gesellschaftliche Funktion, "die bestehenden Zustände zu rechtfertigen und sie beständig zu perpetuieren" (ebenda 71; vgl. auch 124), und die - zwar nicht einzige, aber wesentliche - subjektive Funktion der Kompensation (ebenda 124 f.) bedienen. 79 J. Landwehr (vgl. Anm. 26), I89. 80 In diesem Sinne G. Klaus über Wert und Gefahren des Spiels, in: Kybernetik und Erkenntnistheorie, Berlin I966, 99-I07; ders., Über Wert und Gefahren von Fiktionen, in: Die Macht des Wortes, Ein erkenntnistheoretisch-pragmatisches Traktat, Berlin I 964, I 6 I f. ; vgl. dazu ]. Landwehr (vgl. Anm. 26), I92 f. Für diese Wirkungspotenz des griechischen Abenteuer- und Liebesromans gebraucht H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung, in diesem Band S. 24, den Begriff der illusionistischen Gegenwelt.
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weitgehend stabiler sozialer Relationen trugen keine grundsätzlich neuen Funktionsanforderungen an den Roman heran, so daß der Typ des griechischen Abenteuer- und Liebesromans kaum Wandlungen unterworfen war. Wenn die erhaltenen Romane trotzdem auf eine eventuelle Entwicklung hin überprüft werden sollen, dann ließe sich mit aller Vorsicht - etwa folgendes konstatieren: Während am Anfang (bei Chariton) eine ausgeprägte mediale Erzählweise dominiert, wird diese möglicherweise mehr und mehr zurückgedrängt und damit auch die Reflexionen, Kommentare und Wertungen des Erzählers mit ihrer Tendenz der psychologischen Fundierung der Figuren und ihrer Handlungen. Denn die anderen Romane werden von einer stärkeren Konzentration auf die äußere Handlung - modern gesprochen: auf "action" - als den Spannungsträger bestimmt. Dem wäre ein mediales Erzählen tatsächlich hinderlich. Die Epitomierung der "Ephesiaka" wäre dann ein entsprechendes Indiz. Heliodor verfährt noch konsequenter, indem er das Geschehen szenenartig aufbaut und unter starker Einschränkung von Erzählerkommentaren und -reflexionen überwiegend dialogisiert. Die anfängliche Restriktion des Erzählten auf die Erzählperspektive von Figuren wird benutzt, um die äußeren Abläufe spannender zu gestalten. Gleichzeitig suggeriert Heliodors Roman nicht mehr durch bestimmte Handlungseinkleidungen, daß die Fiktion Realität sei. 81 Die "Ephesiaka" haben diese zwar auch nicht, doch ist nicht auszuschließen, daß sie ursprünglich in der ausführlichen Form noch vorhanden waren. Diese Varianten oder auch Entwicklungen im Strukturellen sind jedoch nicht formaler Ausdruck einer Funktionsänderung. Ähnlich wie bei: dem barocken Roman, der die Aufgabe hatte, "neben die reale Welt als Dekor eine idealisierte Ritter-, Schäfer- und Abenteurerwelt zu setzen, von der er sich bestenfalls durch Umkehrung in die Parodie befreien konnte",82 finden wir auch beim griechischen Abenteuer- und Liebesroman sein parodistisches Pendant. Der Held der im Corpus de11 Schriften Lukians83 überlieferten Geschichte "Lukios 81
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Eine ähnliche Entwicklung kennt der neuzeitliche Roman, allerdings unter völlig anderen sozialen Voraussetzungen und mit einer ganz anderen gesellschaftlichen Funktion: "Der Verlust der Aufklärungsmission, die das Vorhandensein einer vorgegebenen Wahrheit voraussetzte, über die aufzuklären war, konnte in diesem Fall zum Gewinn einer neuen Art von Erkenntnisfunktion führen: Der Autor nimmt sich das Recht, in seiner Romanwelt den Sinn zu produzieren, der außerhalb von ihr noch nirgends vorhanden war. i• •• Im Formalen äußert sich dieser Anspruch darin, daß die dargestellte Romanwelt nicht mehr durch die Fiktion, im realgeschichtlichen Sinne wahr zu sein, legitimiert wird.IB Die traditionellen Techniken der Handlungseinkleidung, die die Funktion hatten, das imaginäre Geschehen als reales auszugeben, fallen weg. Stendal deklariert Rot, und Schwar~ weder als Memoiren (wie Defoe im Robinson oder Lesage in Gil Blas), die dem Autor zufällig in die Hände geraten seien, noch als aufgefundene persönliche Aufzeichnungen (wie Constant in Adolphe), noch als vertrauliche Zeugenaussage (wie Prevost in Manon Lescaut), noch als Rechtfertigungs- oder Verteidigungsschrift (wie Diderot in Die Nonne oder Richardson in Moll Flanders [Irrtum des Autors: der Verfasser ist nicht Richardson, sondern Defoe, I. St.]), noch als Briefwechsel (wie Rousseau in der Neuen Heloise, Goethe im Werther oder Laclos in Les Liaisons dangereuses - Gefährliche Liebschaften). Der Roman hat das Privileg bekommen, schon in sich selbst, als Roman, der nicht vorgibt, in Wahrheit gar keiner zu sein, reale Geschichte zu enthalten und die Wahrheit über sie ans Licht zu bringen." M. Naumann, Prosa in Frankreich. Studien zum Roman im 19. und 10. Jahrhundert, Berlin 1978, 74 f. (Hervorhebungen vom Autor). Ebenda 74. Lukian parodiert in seiner "Wahren Geschichte" den Roman des Antonios Diogenes.
STRUKTUREN DES GRIECHISCHEN ABENTEUER- UND LIEBESROMANS
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oder der Esel" - ebenfalls nur ein Auszug aus einem größeren Werk - ist ein junger Mann mit Namen Lukios. Im Gegensatz zu den Heldenpaaren der Abenteuer- und Liebesromane ist er auf der Suche nach Abenteuern, d. h., er will durch Zauberei Unglaubliches erleben.M Das gelingt ihm auch. Doch leider wird er nicht in einen Vogel, sondern in einen Esel verwandelt. Als Esel muß er aber keine exotischen Abenteuer bestehen, sondern· erlebt nur den tristen Alltag. Das hat eine derbe Realistik der Schilderungen als Konsequenz und damit auch eine andere Qualität des Raum~ Zeit-Gefüges, dessen einzelne Bestandteile nicht mehr austauschbar sind.85 Das Motiv der Gefangenschaft wird nun vor allem variiert: Lukios wird nacheinander das Eigentum von Räubern, einem Pferdehirten,! von Bettelpriestern der Kybele, einem Müller und schließlich einem Bäcker. Die Handlung baut sich somit episodisch auf. Die Abenteuer sind Plackereien, Prügel, Drangsalierungen und Todesangst, die Lukios unheldisch mit viel Geschrei durchsteht. Sein größtes Bestreben ist stets, diesen Abenteuern zu entgehen, was ihn regelmäßig nur vom Regen in die Traufe bringt, denn ein Esel bleibt ein Esel. Erst als das Menschliche in ihm erkannt und er als das gelehrige Wundertier vorgeführt wird, das menschliche Kost zu sich nimmt, tanzt, Fragen richtig mit Nicken oder Schütteln deSI Kopfes beantwortet und selbst als vorzüglicher Liebhaber zu gebrauchen ist, hören das tierische Leben und damit die unsäglich qualvollen Abenteuer auf und beginnt im Grunde das menschliche Dasein eines gutsituierten Müßiggängers. Die Rückverwandlung in den Menschen Lukios coram publico droht dem Helden jedoch übel auszuschlagen~ da er nun für einen strafwürdigen Zauberer gehalten wird. Aber die Gunst des römischen Provinzstatthalters - die Handlung spielt also in der Gegenwart - läßt ihn wohlbehalten in seine Heimatstadt zurückkehren, wo er das Leben eines jungen Mannes aus gebildeten und sozial gehobeneren Kreisen führt. Das Ganze ist ein rückblickender Ich-Bericht, der trotz weitgehender Konzentration auf die Handlung noch deutlich einen ausgeprägt selbstironischen Stil erkennen läßt. Erinnert sei an die Begebenheit, da sich Lukios seiner Geliebten nun in menschlicher Gestalt nahen will, von ihr aber schnöde zurückgewiesen wird, weil seine körperliche Normalität so gar nichts Reizvolles mehr für sie hat. An das geschilderte Handlungsgerüst - einschließlich der Ausgangssituation - lehnt sich Apuleius mit seinen "Metamorphosen" eng an, schmückt es in adäquater Weise aus und erweitert es, so daß per episodische Aufbau, der parodistische Charakter und der selbstironische Bericht erhalten bleiben. Lediglich das I I. Buch, das die RückM. Nehrlich, Kritik der Abenteuer-Ideologie. Beitrag zur Erforschung der bürgerlichen Bewußtseinsbildung uoo-17~0, Berlin 1977, T. I, 23 schreibt: "Die antiken Abenteuer-Romane mit ihren (im modernen Sinn: Nicht-Abenteurer-)Protagonisten verdanken ihr Entstehen ganz bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen, die in dieser Form weder im Mittelalter noch in der Renaissance gegeben waren. In dieser Zeit entstand aber eine neue Konzeption von Abenteuer und von Abenteurer, die sich von der antiken grundlegend unterscheidet. Ihr: wesentliches, ,im Verhältnis zur Antike distinktives Merkmal ist die Freiwilligkeit des Eingehens von Abenteuern, die Suche nach Abenteuern (die quete de l'aventure) und die Verherrlichung dieser Suche und damit des Abenteurers selbst." Das trifft hinsichtlich der Freiwilligkeit ·weder auf den PseudoLukianschen Lukios noch _auf Apuleius' Ludus zu, selbst wenn die Neugierde des letzteren am Ende des Romans expressis verbis negativ gewertet wird. Auch Deinias aus den "Wundern jenseits von Thule" begibt sich aus Wißbegierde auf Reisen. 85 Darauf hat M. Bachtin (vgl. Anm. 31), 1181 -allerdings auf Apuleius bezogen- hingewiesen. Si
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!SOLDE STARK
verwandlung des Lucius in einen Menschen mit Hilfe der Isis und die Einweihung des Helden in ihre und des Osiris Mysterien sowie seine Aufnahme unter die OsirisPriesterschaft zum Inhalt hat, ist neu und stellt einen gewissen Bruch dar.86 Auch Petron parodiert mit seinem "Satyricon" den griechischen Abenteuer- und Liebesroman. Das unbemittelte Liebespaar - hier ein homosexuelles, das sich keineswegs zur Treue verpflichtet fühlt - erlebt die Abenteuer des Alltags, und das sind die ganz unheroischen Niederungen des Daseins: Kampf um die Existenz, urkomisch gestaltete Selbstmordversuche aus Eifersucht wegen einer Dreieckskonstellation, der Flitter emporgekommener Freigelassener, zur Schau gestellte Bildung usw. 87 Auch in diesem Roman dominiert eine derbe Realistik, mit ausgesuchter Ironie gepaart. Raum und Zeit haben hier ebenfalls echte biographische Konsequenzen, was trotz der fragmentarischen Überlieferung zu erkennen ist. Beide römischen Romane werden mit Recht als Vorläufer des neuzeitlichen europäischen Schelmenromans angesehen. Ihre Helden sind wie ihre literarischen Nachfahren im Alltag nicht fest verankert, sondern werden umhergetrieben, gewinnen dadurch aber selbst bzw. vermitteln dem Leser dadurch wesentliche Einsichten in Lebenszusammenhänge ihrer Zeit.88 Sie beherrschen jedoch! nur selten die Situation, sondern sind meist die Opfer. 89 Daß sie trotzdem souverän wirken, ist eine Folge des ironisch rückblickenden Ich-Berichts, womit sie nicht nur sich selbst in Distanz bringen, sondern auch die Verhältnisse, in denen sie sich befinden und die damit gerade in ihrer Banalität und Trivialität über- und durchschaubar werden. Auf diese Weise erreichen Pseudo-Lukian, Apuleius und Petron eine ästhetische Aneignung der Realität, 90 die ihr parodierter Gegenstand geflissentlich vermieden hat. Die Konsequenz daraus ist noch immer umstritten. Nimmt man das I I. ;Buch als eine Art Propaganda und Bekenntnis des Autors zum Isis-Kult, dann werden im allgemeinen die vorangegangenen zehn Bücher diesem Aspekt untergeordnet und damit' Komik und Parodie zumindest abgewertet, wenn nicht gänzlich ignoriert (so z. B. K. Kerenyi, Die griechisch-orientalische Romanliteratur in religionsgeschichtlicher Beleuchtung, Tübingen I929, 183 u. ö.; ders., Der antike Roman. Einführung und Textauswabl, Darmstadt I97I, behandelt 5I-66 zwar die .,Metamorphosen" unter der Kapitelüberschrift .,Eselsroman, Romanparodie und Schelmenroman - Apuleius und Petronius", doch er arbeitet nicht di~ parodistischen und schelmenhaften Elemente bei Apuleius heraus, sondern nur die religiösen. Andererseits gibt es im I I. Buch durchaus Ansatzpunkte, daß auch hier die Parodie fortgesetzt wird (I I, 28, 5; I I, 30, I-5), wenn der Held unter dem Schutz der Göttin trotz vordergründig zur Schau gestellter Armut schließlich zu Rang, Ansehen und Wohlergehen gelangt (so betrachtet beispielsweise A. Heiserman, The Novel before the Novel, Chicago-London I98o, 145, das gesamte Werk als Komödie). 87 Zum Roman Petrons s. I. P. Strel'nikova, Petrons satirischer Roman, in diesem BandS. uG-134· ~B M. Bachtin (vgl. Anm. 3 r), r 184. 89 K. Hermsdorf, Thomas Manns Schelme, Berlin 1968, 7-Io, hatte für die Schelmenkollision eine vorübergehende Überlegenheit des Schelms als Replikant gegenüber dem Provokateur konstatiert, wobei der Konflikt dadurch nicht gelöst wird und die generelle Überlegenheit des Provokateurs erhalten bleibt. 90 .,Künstlerische Aneignung vielmehr ist über Kunst vermittelte soziale Selbsterkenntnis und -darstellung ... " - W. Heise, Zehn Paraphrasen zu .,Wandrers Nachtlied", in ]. Kuczynski W. Heise, Bild und Begriff. Studien über die Beziehungen zwischen Kunst und Wissenschaft, Berlin-Weimar 1975, 280.
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Der Realitätsgehalt des antiken Romans Von KURT TREU
1.
Die Zeit der Romane
Jede literarische Gattung und jedes einzelne Literaturwerk entspringt aus gesellschaftlicher Realität, ist Produkt einer gesellschaftlichen Umwelt, bringt deren Situation, Anschauungen und Bedürfnisse zum Ausdruck. Die gesellschaftliche Realität schlägt sich in der Literatur nieder, jedoch in den einzelnen Gattungen wie in den einzelnen Werken in unterschiedlicher Weise und in einem unterschiedlichen Maß von Direktheit und Intensität. So ist etwa das altgriechische Epos, für uns vertreten durch die "Ilias", ein Produkt der frühen Adelsgesellschaft, das zugleich die Situation und die Normen einer zur Zeit seiner Fixierung bereits überholten Entwicklungsstufe widerspiegelt. Das griechische Drama des 5· Jh. v. u. Z. ist eng verbunden mit der entwickelten Polisdemokratie und benutzt Themen und Stoffe des traditionellen Mythos, um Probleme der Gegenwart zu behandeln. 1 Mit fortschreitender Entwicklung wird die Lage der Literatur komplizierter. Sie reagiert zwar weiterhin auf die jeweilige Gegenwart, orientiert sich aber zugleich mehr und mehr an den als normativ empfundenen großen Leistungen der Vergangenheit. Dabei geht es seltener um einfache Imitation als um Variation und Kombination vorgegebener Muster und Motive. Entsprechend kompliziert ist die Frage nach dem Realitätsgehalt späterer Literatur. Zu den literarischen Erzeugnissen einer späteren Entwicklungsstufe der antiken Kultur gehört in besonderer Weise der Roman. Während in den Jahrhunderten des "Hellenismus" weiterhin epische und lyrische Dichtungen entstanden, die sich in gewisset Weise an den entsprechenden Werken der früheren Zeit messen lassen, und während auch das Drama modifiziert fortlebte (wovon wir nur wenige und unvollständige Nachrichten haben), ist die Gattung des Romans eine Neuschöpfung jener Periode. Zwar kann man mit guten Gründen Vor- und Frühformen romanhaften Erzählens in älteren Literaturgattungen finden, aber das ändert nichts daran, daß die uns erhaltenen großen Romane etwas qualitativ Neues sind. Wann aber entstand dieses Neue? Um Literatur in ihre Zeit einzuordnen, müssen wir sie datieren können. Für die "Ilias" ist man sich' wenigstens über das Jahrhundert einig. Die attischen Dramen sind weithin bis auf das Jahr genau datierbar. Für den Roman hingegen sind so gut wie alle Fragen kontrovers, was die zeitliche Einordnung sowohl der ganzen Gattung als auch der meisten einzelnen Werke betrifft. Nur die 1
Vgl. die Beiträge in dem Sammelband "Die Griechische Tragödie in ihrer gesellschaftlichen Funktion", hrsg. von H. Kuch, Berlin 198~ (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR 11).
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wenigen erhaltenen lateinischen Romane sind dadurch zeitlich fixierbar, daß ihre Autoren, ein Petronius und ein Apuleius, als Gestalten der Zeitgeschichte wie der Literaturgeschichte bekannt und profiliert sind. Sie setzen aber ihrerseits den griechischen Roman bereits voraus, und dessen Autoren sind für uns meist nur bloße Namen. Auch wenn sie im Vorspruch oder der Nachbemerkung ihres Werkes ihren Heimatort oder ihren Beruf angeben, so bleiben das isolierte Bemerkungen, die sich nicht zu einem geschichtlichen Bild zusammenfügen. Da die antike Literaturwissenschaft, der wir für die traditionsreichen Literaturgattungen umfangreiche Informationen verdanken, uns für den Roman keine vergleichbaren Nachrichten hinterlassen hat, war die neuzeitliche Philologie darauf angewiesen, aus den Texten selbst, ihrem Inhalt und ihrer Sprache, Indizien für eine zeitliche und gesellschaftliche Einordnung zu erheben. Objektive Datierungshilfen haben erst Papyrusfunde geliefert. Ist ein Roman in Papyrushandschriften des 2. und 3· Jh. u. Z. bezeugt, so sind damit alle Vermutungen, die ein späteres Entstehungsdatum annahmen, hinfällig. Doch ist die Erscheinung zu beachten, daß man diesen objektiven Zeugnissen nur zögernd und notgedrungen gefolgt ist. 2 So haben sukzessive Funde bewirkt, daß bei manchen Texten die Datierung schrittweise immer höher gerückt werden mußte. Dabei ist klar, daß eine Handschrift immer nur beweist, daß der Text selbst älter ist als die Entstehungszeit der betreffenden Kopie. Aus verschiedenen Gründen ist das 2. Jh. u. Z. der absolute Höhepunkt der literarischen Papyri. Die Häufigkeit von Textfunden früherer Zeit ist deutlich geringer. Wenn mithin ein Roman in einem Papyrus des 2., nicht aber des 1. Jh. u. Z. bezeugt ist, so ist damit keineswegs gesagt, daß das Werk selbst nicht im 1. Jh. u. Z. oder auch früher entstanden sein kann. Bei der insgesamt geringen Zahl von Romanpapyri ist es unzulässig, aus fehlender Bezeugung auf Nichtexistenz zu schließen. Das Fehlen zwingender Datierungen führt dazu, daß man den Roman nicht ohne weiteres mit einer bestimmten Phase der gesellschaftlichen Entwicklung in Verbindung bringen kann. So herrscht noch keine volle Einhelligkeit darüber, daß er, wie wir annehmen, in die Periode des Hellenismus gehört - wobei die Phase der römischen Expansion im griechischen Osten zur Zeit der späten Republik dafür sorgt, daß etwaige Bezugnahmen auf römische Dinge in den griechischen Liebesromanen ambivalent bleiben. Daß eine solche Unklarheit schwer zu beseitigen ist, liegt vor allem an der inneren Unklarheit der Romane selbst. Die griechischen Romane sind im· wesentlichen "historische Romane", aber eben nur in Anführungszeichen. Sie spielen in einer Welt, in der Polisdemokratie und altorientalische Königreiche koexistieren. Für den Romanautor und sein Publikum ist das sichtlich Vergangenheit, aber erzählt wird möglichst überzeitlich. Der Autor versetzt sich und den Leser in das Geschehen, als wäre es Gegenwart. Erscheinungen, die wir Anachronismen nennen würden, etwa Kombinierung von Personen und Ereignissen' des 5. und des 4· Jh. v. u. Z., werden nicht als Problem empfunden.3 E. Rohde, Der griechische Roman und seine Vorläufer, 3· Auf!. Leipzig 1914, mit dem aktualisierenden Anhang von W. Schmid (6oz-6z5), im Vergleich mit der 1. Auf!. von 1876. Die Papyri haben schließlich Rohdes Chronologie geradezu umgekehrt. 3 Am Beispiel Chariton ausführlich dargestellt von A. M. Scarcella, Metastasi narratologica del dato storico nel romanzo erotico greco, in: Atti del :Convegno internazianale "Letterature classice e narratologia", Perugia 1981, 341-367, hier: 344-352. Vgl. T. Hägg, Eros und Tyche. Der Roman in der antiken Welt, Mainz 1987, im Register unter "Anachronismen". 2
DER REALITÄTSGEHALT DES aNTIKEN ROMANS
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Bezüge auf die eigene Zeit kann kein Autor vermeiden, aber was davon vorkommt, ist so vage und vieldeutig, daß es für genauere zeitliche Fixierungen nicht ausreicht. So kann die Frage nach der Beziehung zwischen Zeitumständen und Romanwirklichkeit leicht zu Zirkelschlüssen führen. Ergiebiger ist es, die fiktionale Realität der Romane selbst näher zu betrachten.
z. Traditionslinien
Der antike Roman als Erbe einer bereits langen literarischen Tradition ist in bezug auf seinen Realitätsgehalt ambivalent. Er ist einerseits deutlich Fiktion. In diesem Sinne steht er in der Tradition der antiken Dichtung, der poiesis, die zunächst den Mythos und dann auch andere Themen mit anerkannter "poetischer Freiheit" darstellte. Nun zeigte sich diese Dichtung aber stets in gebundener Rede, in Versform, während der Roman sich der Prosa bedient. Der Unterschied ist gravierender, als es uns erscheinen mag, wenn man bedenkt, daß die Griechen ursprünglich keinen Oberbegriff "Literatur" hatten, sondern nur die beiden Begriffe poietai und syngrapheis, .,Dichter und Schriftsteller" benutzten. "Schriftsteller" waren aber in erster Linie die Historiker, in dem weiten antiken Sinne, der Länder- und Völkerkunde etwa in der Art eines Herodot einschloß. Ihr Ziel und Anspruch war es, Reales wahrheitsgetreu darzustellen. Auch an diese Linie schließt der Roman an, wenn er die Prosaform wählt und seine - fingierte - Handlung in einen historischen Rahmen stellt. Der Widerspruch wird infolge einer gesellschaftlich-literarischen Konvention akzeptiert und akzeptabel, war es doch schon durch die Historiographie eingebürgert, daß der Historiker von dem Wißbaren abwich, wenn er den handelnden Personen Reden in den Mund legte, die er nach ihrem Charakter und der gegebenen Situation selbst formulierte, also fingierte. Zu dieser von Thukydides geübten und theoretisch begründeten Praxis trat bei seinen Nachfolgern das Bestreben, durch möglichst anschauliche, gefühlsbetonte Schilderungen starke Effekte zu erzielen: Die Historiographie bereitete dem Roman den Weg. Wichtiger als die dramatisierende Richtung der Geschichtsschreibung bleibt ::tber für den Roman das erklärte Prinzip, daß man von wirklichen Dingen und Ereignissen reden will. Der Roman spielt im Prinzip in einer der Gegenwart kommensurablen Welt, bei aller Vorliebe für exotische Schauplätze, Figuren und Aktionen. Er handelt von Menschen und Geschehnissen, die es gibt oder geben könnte - natürlich immer nach den Begriffen der Zeit. Damit sind, wieder im Prinzip, offenkundige Unmöglichkeiten ausgeschlossen, so sehr sich die Autoren auch ·darin gefallen, die Grenzen des Möglichen und Vorstellbaren weit zu ziehen. Der Roman berührt sich hier mit einer Tradition, die als "Paradoxographie" zu einem eigenen Terminus gekommen ist: Die Gattung schildert mit Vorliebe merkwürdige, ja unglaubhaft erscheinende Tatsachen und Zustände, die aber eben nur unwahrscheinlich sind, nicht unmöglich, sondern sich im Gegenteil als Realität erweisen und damit die Grenzen des Realitätsbegriffs ausweiten.
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3· Gre~en des Realitätsbegriffs
Der Begriff der Realität ist in der Antike von vornherein anders zu fassen, als es modernem Denken einleuchtet. Er umschließt vieles, was uns nicht oder nur bedingt als real erscheint. Eine große Rolle spielen im Roman - wie in der Literatur seit Homer - Träume. Das 20. Jh. weiß mehr vom Realitätsgehalt des Traumes und seiner Bedeutung als etwa das I 8. Trotzdem ist der Traum als Vorausdeutung auf künftige Ereignisse für den heutigen Menschen gemeinhin irreal, während der antiken Welt diese Vorstellung ganz geläufig und "natürlich" war. Man muß nur an die umfangreiche Traumbuch-Literatur denken, die im Rahmen ihrer Voraussetzungen durchaus folgerichtig und "rational" arbeitete und auch von .Arzten gemacht und anerkannt wurde." Wenn der Romanautor seine Helden die Zukunft träumen läßt, so bleibt er damit auf dem Boden dessen, was ihm und seiner Zeit als Realität erschien. Dem heutigen Leser erscheint dies zwar nicht so, dafür aber gewinnt er Einblicke in die damalige Vofstellungswelt, in Vorstellungen, die das Handeln von Menschen bestimmten und dadurch Realität schaffen konnten. Zu den Träumen, die uns noch am ehesten vorstellbar sind, treten andere, uns noch ferner liegende Erscheinungen, wie das weite Gebiet der Zauberei. Wie viele Menschen in der Antike daran glaubten, daß ein Mensch in einen Esel verwandelt werden kann, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich war ihre Zahl in den einzelnen Epochen und Gesellschaftsschichten unterschiedlich. Vielleicht ist die umgekehrte Formulierung besser: Wie viele würden mit wissenschaftlich begründeter Überzeugung versichert haben, daß eine solche Verwandlung nie und nimmer vorkommen kann? Wie dem auch sei, die Vorstellung von allen möglichen Umwandlungen im Naturreich - Mensch, Tier, Pflanze, Stein - und zwischen Natur und Übernatur Mensch, Heros, Gottheit - war alt, verbreitet und literarisch sanktioniert. Selbst dem aufgeklärten Leser, für den die Verwandlung der Verehrer derKirkein Schweine nicht mehr war als eine Allegorie für die niederen Triebe des Menschen, war der Gedanke, daß die Metamorphose eine höhere Realität verbarg, nicht abwegig. Typischer als solche handfesten Verwandlungen sind für den Roman die gewissermaßen alltäglichen Zauberpraktiken. Wir kennen die grausige Realistik des Liebeszaubers aus der Dichtung eines Theokrit, wir kennen aber vor allem eine große Anzahl antiker Zaubertexte, von Handbüchern und Rezepten bis zu den praktischen Anwendungen auf Bleitäfelchen und Papyri. So können wir mit Gewißheit sagen, daß die Magie ein fester Bestandteil des Denkens und Handeins weiter Kreise war, und zwar durchaus nicht nur der untersten Schichten der Gesellschaft. Wenn die Romane mit Zauberei operieren, so entspricht das also antiker Realität. Daß die Antike schließlich ganz überwiegend an die Existenz und Einwirkung göttlicher Mächte als eine Realität glaubte, braucht kaum betont zu werden. Die Omnipräsenz von Religiösem und Kultischem im Roman hat zu der Meinung geführt, daß sie der eigentliche Sinn' und tiefere Grund der Gattung sind. So übersteigert das ist, man versteht, wie es zu der Meinung kommen konnte. Auch hier sind Traditionen und Konventionen in Rechnung zu stellen. Aphrodite kann die Personifikation des Liebes~ Vgl. D. Dei Corno, Dreams and Their Interpretation in Ancient Greece, in: University of London, Institute of Classical Studies, Bulletin 29, 1982, 11-62.
DER REALITÄTSGEHALT DES ANTIKEN ROMANS
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verlangens sein, die Tyche Verkörperung des unberechenbaren Schicksals - beides längst literarisch sanktioniert -, aber sie verkörpern eben durchaus reale, erfahrbare Mächte. Von solchen im Sinne der Zeit realen Möglichkeiten zu unterscheiden sind literarische Erscheinungen, die bewußt mit dem Unmöglichen arbeiten. Dazu gehören die Lügengeschichten, wie sie Antonios Diogenes bietet und noch in recht später Zeit Lukian unter dem ironischen Titel der "Wahren Geschichte" parodiert. Der literarische Witz solcher Münchhausiaden, die an alte volkstümliche Erzähltraditionen anknüpfen, ist eine realistische Erzählmanier, die durch anschauliche, detailfrohe Schilderung den Eindruck einet Quasi-Realität zu erwecken versteht. Der Leser soll über der genauen Beschreibung einer Reise zum Mond vergessen, daß so etwas gar nicht möglich ist beiläufig sehen wir, wie einmal heutige Realität antike Utopie überholt hat. Solche Lügengeschichten sind purer Spaß, sie können aber auch eine ernsthaftere Absicht verfolgen, wenn sie durch bewußte Übersteigerung unglaubwürdige fiktionale Realitätsdarstellungen ad absurdum führen. Deutlich ist die ernsthafte Absicht bei den eigentlichen Utopien. Utopische Darstellungen sind nicht an bestimmte Literaturgattungen gebunden. Wir finden sie in sehr ernsthafter Form innerhalb philosophischer Erörterungen über Staats- und Gesellschaftsideale, aber auch in komisch-satirischer Gestalt etwa in den Schlaraffenland-Schilderungen der Komödie, die sich mit den obenerwähnten Lügengeschichten berühren. Das Urteil darüber, inwieweit Utopien in Romanform mehr Gemeinsamkeiten5 oder mehr Unterschiede zu den üblichen Liebesromanen aufweisen, wird durch die Tatsache erschwert, daß keines dieser Werke im vollen Text erhalten ist. In den utopischen Erzählungen verbinden sich Reales und Irreales zu einem eigentümlichen Gewebe. Auf der Linie des sonstigen Romanstils liegt es, wenn die Handlung in eine entfernte Gegend verlegt wird, aber ein Unterschied ist, daß die Handlung weniger wichtig ist als die Schilderung der Zustände, die dem Erzähler vor Augen treten. Neben physischen Unmöglichkeiten wie der gespaltenen Zunge bei Jambulos (Diodor 2, 56, 6 f.), mit der zwei Gespräche zugleich geführt werden können, steht Denkbares wie eine Gesellschaft mit gerechter Verteilung von Arbeit und Gütern und etwas, was uns selbstverständlich, antikem Denken revolutionär anmutet: eine Welt ohne Sklaverei.' Gerade ein solcher Alternativentwurf kann manches lehren über die gesellschaftliche Realität, vor deren Hintergrund er entstanden ist. Wünsche belehre!\ über das, was in Wirklichkeit mangelt. Festzuhalten aber ist, daß das Element Utopie im Rahmen des Romans ein Nebenzug bleibt. Der utopische Roman als solcher ist nach unserer Kenntnis auf die Frühphase beschränkt. Daß die Romane als ganzes so oft den Eindruck des Unglaubhaften hervorrufen, liegt nicht an unglaubwürdigen, utopischen Einzelzügen, sondern an etwas anderem: der extremen Steigerung und Verdichtung von Einzelheiten, die jeweils für sich durchaus real und möglich sind. Diese Konzentration entspricht dem konventionellen Wesen der Gattung und wurde daher hingenommen, ja erwartet. Der Liebhaber, die Heidin sind jeweils von höchster, göttlicher Schönheit, stammen aus vornehmster Familie, aus den glänzendsten Verhältnissen, zeichnen sich durch größten Edelmut und makellose 5
Die Gemeinsamkeiten arbeitet heraus H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung. Theoretische Positionen, historische Voraussetzungen und literarische Prozesse, in diesem Band S. 27 f.; vgl. ferner S. 76 f.
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Tugend aus. Die Liebe trifft sie wie Blitz und Donnerschlag, und nun sind sie ständig entweder himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Sie werden von den gräßlichsten Gefahren, den schlimmsten Bedrängungen serienweise heimgesucht, von den finstersten Schurken bedroht, den raffiniertesten Verführern und Verführerinnen verlockt, und sie bestehen alles mit Bravour- oder fast alles. Wenn der jugendliche Liebhaber einmal einer gar zu stürmischen Verehrerin zu Gefallen ist, so wirkt das wie ein fast peinlicher Lapsus aus dem hohen Stil auf die Ebene einer alltäglicheren Realität. Die Gefahr der ständigen Extreme, der extremen Gefühle wie der extremen Ereignisse, ist nicht so sehr die Unglaubwürdigkeit als die Monotonie. Die geschickteren Romanciers setzten denn auch alles daran, durch literarische Mittel, durch Tempowechsel und Rückblenden, dieser Eintönigkeit zu begegnen. Bei einfallsloseren Autoren kann die monotone Reihung von Extremepisoden eine abstumpfende Wirkung hervorbringen, der dann wieder nur durch noch weitere Steigerung der Mittel begegnet werden kann. Es ist verständlich, daß gerade die Länge der Romane für den Eindruck der Eintönigkeit verantwortlich ist. Umgekehrt bewirkt eine geraffte Nacherzählung des Inhalts, wie sie für einige verlorene Romane vorliegt und wie sie auch in modernen Darstellungen fast unvermeidlich ist, daß der Eindruck der sich überstürzenden Komplikationen übersteigert wird, während Atempausen, wie sie die mehr deskriptiven Partien bedeuten, dabei nicht zur Geltung kommen. Ein Gegenmittel gegen die Monotonie ist die Gliederung durch Einschaltung von kürzeren Nebenhandlungen in den Gesamtablauf des Geschehens. Solche "Novellen im Roman" können durch Konzentration bedeutende Wirkungen erzielen, zugleich aber auch den Rahmen sprengen, so daß etwa "Das Gastmahl des Trimalchio" bei Petronius und "Amor und Psyche" bei Apuleius zu selbständigen Stücken werden. Wie die extremen Gefährdungen im Verlaufe der Handlung nur im Rahmen der literarischen Konvention al9 real hinzunehmen sind, so auch der unvermeidliche Abschluß der Abenteuer durch das glückliche Ende. Diese unvermeidliche positive Lösung, die in der literarischen Tradition etwa durch das Vorbild der attischen Neuen Komödie eines Menander sanktioniert war, ist in den Erfahrungen der meisten Menschen selten genug Realität, um so mehr aber ein erstrebtes Wunschbild. Für die extremen Gefahren, die das Heldenpaar zu bestehen hat, ist das höchste Glück, das ihm am Ende winkt, die unvermeidliche Kompensation. Das Vorauswissen um die glückliche Lösung ermöglicht es dem Leser, den extremen Peripetien zu folgen, ohne selbst gar zu extrem affiziert zu werden. Nehmen die Helden Gift, so ahnt man schon, daß es vorher gegen einen Schlaftrunk vertauscht worden ist. Selbst wenn die Heidin nicht nur zu Tode gebracht ist, sondern ihr Leichnam auch noch vor den Augen des Publikums zerstückelt wird, kann man sicher sein, daß sie in Wirklichkeit doch irgendwie überlebt hat: Die Hauptpersonen können einfach nicht umkommen. So unwirklich Konflikte und Lösungen erscheinen - hat man sich einmal auf den Boden der literarischen Gattung gestellt, so erscheint der Ablauf der: Ereignisse und ihre Motivation hinlänglich real, möglicherweise selbst für einen heutigen Leser, der überlebt hat: Die Hauptpersonen können einfach nicht umkommen. Zur Milderung des Kontrastes zwischen Alltagserfahrung und Romanwirklichkeit dient die Projektion der Romanhandlung in entfernte Länder und Zelten, wo Dinge als möglich und wahrscheinlich vorgeführt werden können, die der Leser aus seiner eigenen Umgebung so nicht kennt. Aber im Unterschied zu Utopien, die in einer durch-
DER REALIT.ATSGEHALT DES ANTIKEN ROMANS
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aus anderen Welt, jenseits vo01 Thule, spielen, sind es gewissermaßen kontrollierbare Entfernungen in Zeit und Raum. Selbst wenn es bis Persien, Indien, Äthiopien geht, so sind das doch Länder, aus denen durch Kriegs-, Erkundungs- und Handelszüge Nachrichten bekannt werden. Auch das recht nahe Ägypten, das doch nicht jedem zugänglich war, bleibt Wunderland. Man wußte, daß es dort merkwürdige Tiere, Pflanzen, Naturerscheinungen gab, fremdartige Menschen und Sitten. Mancher Romancier gibt sich geradezu als Forschungsreisender und legt eine genaue Beschreibung exotischer Tiere, und sei es auch nur des Nilkrokodils, in den Fluß der Handlung ein. Man wußte, daß es Krokodile gab, so merkwürdig es auch war, und das machte auch die merkwürdigen Ereignisse, von denen im gleichen Atemzuge berichtet wurde, glaubhafter. Die Anschaulichkeit und Detailfülle derartiger Beschreibungen verlockt dazu, eigene Kenntnisse und Erfahrungen der Autoren anzunehmen, insbesondere, wenn sie es selbst behaupten. Das mag in Einzelfällen zutreffen, aber wo wir nachprüfen können, stellen sich meist literarische Quellen und Anregungen heraus. Vor allem Herodot war ein gern benutzter Gewährsmann. Ebenso erhöht die zeitliche Rückverlegung der Handhing die Bereitschaft, ungewöhnliche Ereignisse hinzunehmen, ja sie als Wirklichkeit zu betrachten. Schon bald nachdem die Blütezeit der griechischen Polisdemokratie vorüber war, setzte die Tendenz ein, diese Periode als die klassische Epoche der eigenen Geschichte zu betrachten. Kenntnisse über die Zeit der Kriege gegen die Perser wie die des großen innergriechischen Konfliktes zwischen Athen und Sparta mit ihren Verbündeten gehörten zur allgemeinen Bildung. Das Klischeehafte mancher Vocstellungen machte es um so leichter, die Ereignisse mehr oder weniger auf eine Ebene zu projizieren, unbekümmert um Anachronismen, die als solche erst vom modernen Betrachter empfunden werden. Ein wirkungsvolles Mittel zur Erzielung scheinbarer Realität war es, die Handlung an bekannte historische Gestalten anzuknüpfen. Konnte man das bei zu bekannten Figuren nicht tun, weil deren Lebenslauf keine Lücke für erfundene Ereignisse bot, so gab es immer noch den bequemen Ausweg, einer historischen Figur einen jüngeren Bruder oder Kinder zu geben, die dann zu quasi-historischen Akteuren vor historischer Kulisse werden konnten. Konsequent gehandhabt war das bei dem Metiochos-Parthenope-Roman, der uns verloren ist, nach dem Zeugnis der Papyri, Mosaikdarstellungen und verschiedenen Bezugnahmen aber offenbar sehr beliebt war. Metiochos ist der Sohn des athenischen Feldherrn Miltiades, des Siegers von Marathon, Parthenope die Tochter des Herrschers von Samos, Polykrates. Was Herodot von Metiochos berichtet (6, 40-41), bietet sich als Anknüpfungspunkt für einen abenteuerlichen Roman an. Ahnliehest erzählt er von der Tochter des Polykrates (;, 124). Ihren Namen gibt er nicht, aber den lieferte die mythische Vorgeschichte von Samos. Weiter erschien im Roman Hegesipyle, von der Herodot 6, 39 berichtet, Tochter des Thrakerfürsten Oloros, zweite Frau des Miltiades, also Stiefmutter des Metiochos. An anderer Stelle kam der Tyrann Anaxilas von Rhegion vor, auch er bei Herodot erwähnt (6, 23, 2). Bei dem Mahl im Palast des Polykrates, an dem das junge Paar teilnimmt, führt der Philosoph Anaximenes von Milet das Wort. Wir haben also hier ein konsequentes Bemühen um zeitgeschichtliche Einbindung, das im Roman vielleicht noch weiter ging. Anachronismen störten den Romancier dabei nicht. 6 6 8
Vgl. H. Maehler, Der Metiochos-Parthenope-Roman, in: Zeitschrift fü~ Papyrologie und EpiKuch
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Von solchen quasi-historischen Gestalten zu unterscheiden sind die romanhaft ausgeschmückten Darstellungen der Geschichte einer wirklich historischen Gestalt wie Alexander von Makedonien. Man pflegt zwar vom "Alexanderroman" zu sprechen, und die Berichte über die Taten und Erlebnisse des romantischen königlichen Jünglings sind eher noch phantastischer als eine übliche Romanhandlung. Aber der Kern der Ereignisse ist historisch, ebenso wie die frühen Phasen oder Schichten ihrer Darstellung, und zumindest nach! Intention und Anspruch bleibt es bei der Gattung Historie. Bei aller ausufernden Weiterwirkung der Alexandergeschichte in Okzident und Orient ist wohl stets im Blick geblieben, daß Alexander eine historische Gestalt war. Mit der Alexandergeschichte wäre am ehesten noch eine freilich ihrerseits recht eigenständige Gattung zu vergleichen: die romanhaft ausgeschmückten christlichen Heiligen- und Märtyrergeschichten. Auch bei ihnen sind Kern und Anspruch historisch, und eine bestimmte Kategorie älterer Märtyrerakten kann man durchaus neben die antike Historiographie stellen. Ja, die protokollhafte Nüchternheit einiger Berichte erreicht einen Grad von direkter Realität, für die es in der Antike Parallelen weniger in der Literatur als in urkundlichen Aufzeichnungen gibt. Wo das Wunder ins Spiel kommt, entfernt sich diese Literatur ebenso von der erfahrbaren Wirklichkeit wie von der fiktionalen Realität des Romans. Für den gläubigen Leser bleibt sie trotzdem authentischer historischer Bericht, und auch die Autoren dürften weithin bona fide ihnen überkommenes Material verarbeitet haben. Einmal, so hören wir, hat ein Geistlicher aus frommem Eifer eine Darstellung aus eigener Erfindung romanhaft ausgeschmückt. Die Kirche lohnte es ihm nicht mit Dank, sondern mit Verurteilung.7 Fiktionalität war hier kirchenamtlich verdächtig. Vom antiken Roman ist eine solche Einstellung weit entfernt.
4· Elemente der Lebensnähe
Der oben beschriebene Eindruck der Unwirklichkeit ergibt sich vor allem aus den auf uns gekommenen Beispielen des griechischen Liebesromanes. Von ihm unterscheiden sich deutlich durch den Eindruck größerer Lebensnähe die beiden erhaltenen lateinischen Romane des Petronius und des Apuleius. In beiden Fällen ist das erhaltene Material relativ gering, so daß Verallgemeinerungen problematisch sind. Man kann also nur mit aller Vorsicht vermuten, daß dieser größere Realitätsgehalt mit einem stärkeren römischen Realitätssinn zusammenhängt. Damit muß nicht gesagt sein, daß "die Römer"
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graphik 2.3, 1976, x-zo; A. Dihle, Zur Datierung des Metiochos-Romans, in: Würzburger Jahrb. NF 4, 1978, 47-55. Zum Anachronismus Maehler 14; zu weiteren möglichen Romanfiguren 18 (Anakreon = Herodot 3. 12.1, I; Amasis = Herodot 3, 40). Die sog. Acta Pauli, s. Tertullian, Von der Taufe 17· Anstoß erregt hat nicht so sehr die literarische Erfindung als solche wie ihre theologischen lmplikationen. Verfechter einer freieren Stellung der Frau in der Kirche hatten mit dem Vorbild der Thekla aus dieser Geschichte argumentiert. Verarbeitung des Metiochos-Parthenope-Romans im koptisch und arabisch erhaltenen Martyrium der heiligen Parthenope (Bartanuba) vermutet T. Hägg, The Parthenope Romance Deeapitated?, in: Symbolae Osloenses 59, 1984, 61-92.. Bei aller Ähnlichkeit von Motiven bleibt die Gegensätzlichkeit der Gattungen deutlich.
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an sich realistischer waren. Auch der römische Roman geht ja auf griechische Anregungen zurück. Aber es ist denkbar, daß es innerhalb der griechischen Produktion verschiedene Tendenzen gab und daß die römischen Autoren sich vorzugsweise solchen Mustern zuwandten, die ihnen kongenial erschienen.8 Es ist freilich eine vielfach bedingte Realistik, die sich in den lateinischen Romanen äußert, und man kann sie überbewerten, wenn man vom kritisch-realistischen Roman des 19. Jh. her urteilt. Im Vergleich zur allgemeinen Dezenz des griechischen Liebesromanes, in dem die Schamhaftigkeit der Heldin so unterstrichen wird, daß es uns gelegentlich fast komisch anmutet, fällt sowohl bei Petronius als auch bei Apuleius eine derbe Direktheit ins Auge, die Obszönitäten nicht scheut, ja sich geradezu in ihnen gefällt. Das gilt gleichermaßen für die Handlung, die Darstellung und die Sprache. Doch muß man sich hüten, derlei automatisch für Realistik zu halten, etwa im Sinne einer unvermittelten Widerspiegelung wirklichen Lebens. Zu betonen ist vielmehr, daß auch diese Romane vielfältig bedingti sind und in Traditionen stehen, so daß es hier wie auch sonst der Vorsicht bedarf, will man von der Literatur auf das Leben zurückschließen. Es ist zunächst daran zu erinnern, daß die beiden lateinischen Romane unter sich verschieden und in sich nicht einheitlich sind. Bei Petronius steht im Mittelpunkt der erhaltenen Partien das brillante Gastmahl des neureichen Freigelassenen Trimalchio, der in seiner lebensvollen Widerlichkeit so realistisch wirkt, daß man leicht vergißt, daß er eine satirisch-parodistische Schöpfung Petrons. ist, wie sehr auch immer der Autor aus seiner Lebenserfahrung geschöpft haben mag. Andere Partien enthalten aber auch andersartige Inhalte, etwa lange kunsttheoretische Erörterungen. Und vor allem ist das, was erhalten geblieben ist, ein vermutlich so geringer Teil des Ganzen, daß wir von den Hauptlinien des ursprünglichen Werkes keine Vorstellung haben, also auch den Stellenwert einer Episode wie der Trimalchio-Geschichte im Rahmen des Ganzen nicht beurteilen können. Aufschlußreich ist ein Vergleich mit Apuleius. Wäre das letzte Buch des "Goldenen Esels" nicht erhalten oder auch nur separat überliefert, man käme nie und nimmer auf den Gedanken, daß es den Abschluß der übermütigen Schelmengeschichte bildet. So viel über diesen unerwarteten Umschlag in Ernsthaftigkeit und Religiosität diskutiert worden ist, es bleibt ein Unbehagen, daß ein gemeinsamer Nenner für die disparaten Teile nicht zu finden ist. Wenn man das, was man von der Person des Autors und von seinem sonstigen Oeuvre weiß, in Betracht zieht, wie es billig ist, so bleibt das Gefühl, daß auch die realistischsten Abenteuer des Eselsmenschen kein einfaches Konterfei gelebten Lebens sind, auch abgesehen von dem ständigen Paradoxon, daß der Held Mensch und Esel zugleich ist und bleibt. Was die Realistik der Sprache angeht, so hat man insbesondere bei Petronius nach Elementen volkstümlicher Idiomatik gesucht. Sie sollen nicht geleugnet werden, aber wichtig ist, daß auch niedere Stilisierung Stilisierung bleibt. Die antike Theorie kannte sehr gut die verschiedenen Stilebenen und wußte das dem jeweiligen Sujet angemessene Niveau zu wählen, und so arbeiteten die Autoren mit bewußter Entscheidung die sprachliche Gestaltung aus. Daß der Autor vulgäre Figuren vulgär reden läßt, hat nichts Auf8
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.Aus einem komischen Roman mit Mischung von Vers und Prosa, wie er Petron als Muster gedient haben mag, stammt wohl ein Papyrustext des r. Jh., publiziert von P. J. Parsons, in: The Oxyrhynchus Papyri 42, 1974, Nr. 3010.
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fälliges. Dem modernen Betrachter fällt eher die insgesamt dann doch ziemlich hohe und anspruchsvolle Stilisierung des Sprachniveaus auf. 9 In diesem Punkt sind die griechischen und die römischen Romane nicht gar so unterschiedlich. In beiden Fällen hat das die Nebenwirkung, daß der Übersetzer bei der Wiedergabe der Texte in modernen Sprachen fast zwangsläufig herabstilisiert. Dadurch lesen sich Übersetzungen in der Regel glatter, einfacher, prosaischer als die Originale und entstellen damit die Richtung auf scheinbar größere Wirklichkeitsnähe. Dies ist ein Problem, das sich auch bei anderen Gattungen antiker Literatur stellt. So kontrastiert etwa die Derbheit und Niedrigkeit des Inhalts der Mimiamben des Herandas deutlich mit der gesuchten sprachlichen Gestaltung der Verse, die kaum adäquat in Übersetzung zur Geltung zu bringen ist. Derbheit und Direktheit können zwar Ausdruck naiver Unmittelbarkeit sein, ebenso aber auch konstrastierende Reaktion auf zu hoch stilisierte Kunstprodukte, damit nicht unmittelbarer Niederschlag von Wirklichkeit. Wenn der hocharistokratische Petronius, der kaiserliche arbiter elegantiae, einen höchst uneleganten Trimalebio literarisch porträtiert, so geschieht das zwangsläufig mit ironischer Distanz, die parodistische Überzeichnung bedingt. Übersteigerungen gibt es im römischen Roman ebenso wie im griechischen, wovon die Rede war. Hier wie dort wird durch sie eine unmittelbare Glaubwürdigkeit beeinträchtigt. Behält man die notwendigen Einschränkungen im Auge, so gilt aber schließlich doch, daß der Quellenwert der lateinischen Romane für die Realia des Lebens wesentlich höher ist als der der griechischen Werke.10 Er wird noch gesteigert durch ihre .relativ genauezeitliche und räumliche Ansiedlung.
5. Realität im Liebesroman Im Vergleich zu dem Eindruck praller Lebensfülle der lateinischen Romane wirkt der griechische Liebesroman, die verbreiteste Form des antiken Romanes, blaß und stereotyp. Doch enthält auch er Realität. Dabei sind einerseits die literarischen Konventionen der Gattung in Rechnung zu stellen, andererseits die gesellschaftlichen Konventionen der Zeit, die sich im Werk spiegeln. Diese beiden Aspekte können sich ergänzen. 11 K. Müller- W. Ehlers, Petronius Satyrica. Schelmenszenen, München 1983, 3· Auf!. mit einem neuen Exkurs zum Prosa-Rhythmus 449-470, wo die Sorgfalt der Gestaltung unterstrichen wird. Aus dem Roman des Jamblichos hat das byzantinische Suda-Lexikon eine größere Anzahl von Worten und Wendungen festgehalten al9 Belege für sprachliche und stilistische Eigentümlichkeiten. Zum gesuchten Stil des Apuleius vgl. J. Tatum, Apuleius and the Golden Ass, IthakaLondon 1979, Kapitel ..The Language of a Sophist's Novel". 1 Cristina Rindi, Lo scenario urbano del Satyricon, in: Maia p., 1980, II5-134, stellt das sorgfältig gezeichnete Bild des städtischen Lebens bei Petron den kurzen Ekphrasen der Stadt in den griechischen Romanen gegenüber. 11 Daß Privatdinge der Romanhelden Gegenstand des offiziellen Interesses des Staates sein können, erscheint uns unreal. Aber dann leben wir z. B. in einem Dekret Augusteischer Zeit, daß ein prominenter Bürger geehrt wird, weil er bei der Hochzeit seiner Tochter das Volk bewirtet und seinem Sohn eine literarische Bildung gegeben habe. Text bei R. Merkelbach, Ehrenbeschluß der Kymäer für den Prytanis Kleanax, in: Epigraphica Anatolica I, 1983, 33-37. 9
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Oben war schon von der steten Tugendhaftigkeit der Romanheldinnen die Rede. Die hohe Wertschätzung der weiblichen Keuschheit vor und in der Ehe ist eine gesellschaftliche Tatsache in der Antike und zugleich Basis für die Führung der Handlung und die Erzeugung immer neuer Spannungsmomente im Roman. Erst dadurch, daß die Heidin ihre Unberührtheit unter allen Umständen bewahren muß, gewinnen die Bedrohungen und Versuchungen, denen sie immer wieder ausgesetzt wird, ihre ganze Schärfe. 12 Für die Autoren ergibt sich aus dieser Notwendigkeit freilich ein Dilemma. Nicht nur müssen sie die Gesamthandlung zu dem unvermeidlichen guten Abschluß führen, sie müssen auch auf den einzelnen Etappen die Normen im Auge behalten, können also im wesentlichen nur bei Art, Grad und Form der Bedrohung, nicht beim Ergebnis variieren. Daß damit Eintönigkeit und Spannungsverlust droht, wird ihnen nicht entgangen sein. Ist es das Streben nach größerer literarischer Variationsbreite oder aber nach größerer Lebensnähe, wenn einmal eine Heidin auf ewige Treue verzichtet? Charitons Kallirhoe glaubt ihren Gatten tot. Das Kind, das sie von ihm erwartet, braucht einen Vater. Es ist hohe Zeit, den drängenden Verehrer zum Gatten zu nehmen, soll er noch glauben, daß es sein Kind ist. Die Amme rät zu. So etwas ist im Roman selten, und es hört sich lebensnah an. Aber der Betrachter fühlt sich zugleich an literarische Traditionen erinnert, an Euripides oder Menander. Ein Mittel; den Normen der eigenen Gesellschaft auszuweichen, ist die Ansiedlung der Geschichte in einem fernen Kulturbereich. Mit ihrer fernen Herkunft motivierte Euripides die Heftigkeit seiner Medea. Ähnlich aktiv ist Sinonis bei Jamblichos, schnell dabei, das Schwert gegen eine vermeintliche Rivalin zu zücken oder auch gegen sich selbst. Während in der Forderung nach weiblicher Keuschheit Roman und gesellschaftliche Norm übereinstimmen, überhöht in der analogen Betonung der Enthaltsamkeit auch des männlichen Helden der Roman die Wirklichkeit, in der stets eine doppelte Moral vorherrschte. Immerhin kann man auf Ansätze zu einer gleichen Beurteilung der Geschlechter hinweisen, von der Selbsterkenntnis des jungen Ehemannes im Menandreischen "Schiedsspruch" bis hin zu Plutarchs philosophisch fundiertem Urteil. Beim Roman ist die analoge Selbstbeherrschung auch des männlichen Partners jedenfalls für die Symmetrie der Konfliktgestaltung ergiebig. Und seine Bewährung ist dann um so höher zu bewerten, als sie durch die gesellschaftliche Norm nicht mit der gleichen Dringlichkeit gefordert war. Umgekehrt kann es sich ein Autor vereinzelt leisten, seinen Helden einen Lapsus begehen zu lassen, ohne die Konventionen des Genres gar zu eklatant zu verletzen. Die Bewältigung gehäufter Bedrohungen und Anfechtungen jeder Art unter oft exotischen Umständen wirkt insgesamt romantisch-idealisiert. Sie wird aber im wesentlichen von dem Heldenpaar geleistet und ist dessen Charakter kongruent. Zur Gesamtwirkung des Romans tragen aber auch die Nebenfiguren und Nebenhandlungen bei, für die weniger erhabene Anforderungen gelten. Für das Verhältnis zwischen Haupt- und Nebenfiguren kann man auf die Parallele einer neuzeitlichen stilisierten Kunstgattung verweisen, die Oper mit ihrer Ergänzung der Protagonisten durch Bufforollen. Tamino 12
Vgl. J. Hani, Le personnage de Charikleia dans !es Ethiopiques. Incarnation de !'ideal moral et religieux d'une epoque, in: Bulletin Assodation G. Bude 1978, 2.68-173.
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ist der perfekte Romanheld, Papageno bringt Leben in die Geschichte. So verdankt es auch der griechische Roman dem, was sich um die Hauptgestalten herum abspielt, daß auch die Züge nüchtern-alltäglicher Realität in ihm nicht fehlen. 13
6. Roman und Wirklichkeit Besondere Aufmerksamkeit findet verständlicherweise die Frage, welche politischen Verhältnisse die Autoren der Handlung zugrunde legen bzw. was sich direkt oder indirekt über die politischen Verhältnisse zur Zeit der Autoren aus den Werken ergibt. Hier ist der Unterschied zwischen den griechischen und lateinischen Romanen sehr deutlich. Bei Petronius wie bei Apuleius herrschen klar die Bedingungen und Umstände der römischen Kaiserzeit, und auch wenn wir die Lebenszeit der Autoren nicht wüßten, könnten wir doch mit einiger Sicherheit schließen, daß der eine in das r., der andere in das 2.. Jh. der Kaiserzeit gehört. Der griechische Roman hingegen spielt nicht in der Gegenwart der Autoren, wann auch immer sie anzusetzen sind, sondern, sofern er überhaupt näher plaziert ist, in einem als intakt vorausgesetzten Polissystem, das in Wirklichkeit nach dem 4· Jh. v. u. Z. in dieser Art nicht mehr bestand. Wenn die Handlung nach dem Osten ausgreift, ist dort das noch florierende Perserreich oder eine noch frühere Zeit angenommen,14 die Romane nehmen also die Eroberungszüge Alexanders des Großen nicht zur Kenntnis, die Gegenstand des obenerwähnten "Alexanderromans" sind. Ebenso kommt das römische Weltreich mit seiner Expansion, die doch die ganze griechische Welt mit erfaßte, nicht vor. Könnte man sicher sein, daß die Autoren unter dem Kaiserreich lebten, so müßte man sagen, daß sie es geradezu geflissentlich ignorierten. Aber selbst bei einer sehr frühen Ansetzung der Entstehung den ersten Romane kommen wir auf jeden Fall in eine Zeit, wo der Aufstieg der römischen Weltmacht und ihr Ausgreifen nach dem griechischen Osten schon unübersehbar war. Doch nichts davon schlägt sich direkt im griechischen Roman nieder. Darin zeigt sich eine der Möglichkeiten, wie die Griechen auf die römische Herrschaft reagierten. Realpolitiker von dem Historiker Polybios im 2. Jh. v. u. Z. bis zu den MoralistenDion von Prusa und Plutarch im 1.-2. Jh. u. Z. riefen ihre Landsleute dazu auf, sich mit den bestehenden Machtverhältnissen abzufinden. Der in solchen Aufrufen implizierte Weg des aktiven Protestes war illusorisch, ebenso wie die freudige Begrüßung der neuen Macht und ihrer Freiheitsparolen eine kurze Illusion des Anfangs gewesen war. So blieb die stumme Form des Protestes, wenn man den Begriff verwenden darf, der in der Ignorierung der Fakten bestand. Bleibt es unsicher, was aus Schweigen zu schließen ist, so ist die betonte Hinwendung zur eigenen großen Vergangenheit jedenfalls ein Ausdruck des Versuchs, die Verluste zu kompensieren. 1:!
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Die Lebensfülle einer Nebenfigur gegenüber den blassen Protagonisten unterstreicht L. R. Cresci, La figura di Melite in Achille Tazio, in: Atene e Roma Zh 1978, 74-82.. Kenntnisse der sozialen Wirklichkeit hebt hervor J. Poui!loux, Les Ethiopiques d'Heliodore et Ia realite delphique, Vortrag vor der Societe des Etudes Grecques Paris 1984, erscheint in: Melanges Lerat, hrsg. von P. Leveque, Besan~on, vgl. Resume in: Petronian Society Newsletter 1 jh, Juni 1984, 4· So im Sesonchosis-Roman. Dazu W. Luppe, Das neue Bruchstück aus dem Sesonchosis-Roman, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 41, 1981, 63-66; J. N. O'Sullivan, The SesonchosisRomance, in: ebenda s6, 1984, 39-44, mit versuchsweiser·Rekonstruktion der Handlung.
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Eine besondere Stellung scheint der Roman des Jamblichos eingenommen zu haben, der uns nur durch den allerdings ziemlich ausführlichen Bericht des Photios näher bekannt ist. Danach ist der Autor der ,,Babyloniaka" mitten im Werk auf sich selbst und seine Zeit zu sprechen gekommen. Beim Bericht über die Magie der Babyionier habe er eingefügt, er sei selbst Babyionier und habe die Magie ebenso studiert wie die griechische Bildung. Er habe zur Zeit des Achaimeniden und Arsakiden Soaimos gelebt, des Königs aus dem altem Königsgeschlecht, der auch römischer Senator und Konsul wurde und dann wieder König von Groß-Armenien, und das zur Zeit des römischen Kaisers Antoninus. Er, Jamblichos, habe, als Antoninus seinen Bruder Verus zum Kampf gegen den Parther Vologaises ausschickte, den Krieg und sein Ergebnis vorausgesagt. Vologaises sei dann über Euphrat und Tigris geflohen, das Partherland Rom untertan geworden. Hier haben wir also einmal eine ganz präzise historische Situation: den Kaiser Antoninus nennen wir Mark Aurel. Vologaises III., König 148-19~. der 161 im römischen Armeoien einfiel, wurde im Partherkrieg 164-166 unter dem Oberbefehl des Ludus Verus geschlagen, Mesopotamien wurde römisch. Sohaemus, König von Großarmeoien aus dem Arsakidengeschlecht, wurde 164! von Verus eingesetzt, 172 vertrieben, später erneut eingesetzt. Die Rolle, die Jamblichos in dieser Situation gespielt hat oder gespielt haben will, ist natürlich nicht nachprüfbar. Deutlich aber ist, daß der Autor das Interesse, das die Zeitergebnisse erweckten, für sein Werk nutzbar zu machen verstand. Sein Roman hat mit diesen Ereignissen nichts zu tun, bemüht sich aber um Lokalkolorit. Eine Randnotiz bei Photios, die wohl ebenfalls auf Jamblichos selbst zurückgeht, ergänzt: Der Autor, Sohn syrischer Eltern, sei von einem Babylonier, der bei der Eroberung des Landes durch Trajan, also im Jahre n6, gefangen und als Sklave nach Syrien verkauft worden sei, in babylonischer Sprache und Kultur unterwiesen worden. Sein Lehrer, ehemals königlicher Sekretär, habe ihm babylonische Geschichten vermittelt, darunter die, die er hier berichte. Noch einmal also wird ein historisches Ereignis benutzt, diesmal zur Beglaubigung der erzählten Geschichte. Beglaubigt wird genau genommen nur, daß sie Jamblichos so zugekommen ist, zugleich wird aber Authentizität suggeriert. Die historischen Kriege, auf die hier Bezug genommen wird, sind nicht in die Romanhandlung einbezogen, sondern stehen gewissermaßen in einer autobiographischen Fußnote des Autors. In den Romanen selbst gibt es zwar häufig Krieg und Kriegsgeschrei, aber für bestimmte Kriege ist daraus nichts zu gewinnen. Sichtlich geht es den Autoren nur um die Spannung, die sich aus der Extremsituation ergibt. Vor allem bekommt so der Held die Gelegenheit, sich militärisch zu bewähren, natürlich möglichst als General. Der Held und vor allem die Heidin können in Gefangenschaft geraten. Krieg oder Kriegsgefahr bieten einen Anlaß, die Personen aus ihrer heimatlichen Umgebung zu entfernen. Das römische Weltreich führte zwar auch häufig Kriege, doch zumeist an der Peripherie, außerhalb des Erfahrungsbereiches der Mehrzahl seiner Bewohner. Da trug es zur Glaubwürdigkeit der Romane bei, wenn man sie in Epochen spielen ließ, wo Kriege jedermann betrafen, in der Zeit der selbständigen griechischen Staaten und der orientalischen Reiche, wo es, wie man wußte, ständig Konflikte gegeben hatte. Die Sorglosigkeit der Autoren gegenüber Anachronismen äußert sich aufj diesem Gebiet etwa darin, daß militärische Details benutzt werden, die es in der fingierten Zeit nicht gab.
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Da es den Autoren aber um Effekte, nicht um historischen Bericht ging, bleiben Rückschlüsse auf ihre eigene Zeit unsicher. 15 Vielseitiger noch als Kriege sind im Roman Räuber und Piraten verwendbar, die man ohne nähere Begründung jederzeit auftreten lassen konnte. Wohl am eindrucksvollsten benutzt Heliodor das Motiv, wenn er seinen Roman gleich mit einem Tableau eröffnet, in dem eine Räuberbande auf der Szene eines gerade erst beendeten Gemetzels erscheint und sich das Geschehen genausowenig zu deuten weiß wie der unvorbereitete Leser. Gegenübel! den bei allen Ausschreitungen doch immer noch nach gewissen Regeln geführten Kriegen bot das Räuberwesen eine vielfältige Buntheit. Mehr als ein Feldherr konnte ein Räuberhauptmann alles mögliche sein, vom finsteren Schurken bis zum verkannten Edelmann, den nur unglückliche Umstände zu seinem Handwerk gezwungen haben: Schillers Räuber haben eine lange Vorgeschichte. Wie stand es mit der Realität? Schiller weicht in die böhmischen Wälder aus, seine Räuber sind schon anachronistisch und haben gegen das Militär keine Chance. Die antike Staatsmacht hatte es schwerer. Organisierte Piraterie in großem Maßstab zu zerschlagen, mochte einem römischen Feldherrn wie Pompeius gelingen, mit nicht unerheblichem Aufwand. Aber selbst in den besseren Zeiten des römischen Imperiums hielten sich Unruheherde oder entstanden neu. Erst recht blühten in unruhigen und kriegerischen Zeiten die Geschäfte derer, die ihre privaten Kriege führten. Die Romanautoren brauchten also nicht umständlich zu begründen, daß sie nach Bedarf Räuber einsetzten - man nahm es als Element des wirklichen Lebens. Konkrete, historische Plazierung hat es in diesem Punkt naturgemäß noch schwerer als bei Kriegen. 16 In Ägypten gab es die Räuber, die man buk6loi, Rinderhirten, nannte. 17 Im Roman soll der Name Lokalkolorit vermitteln. Nach mehr soll man nicht fragen, ebensowenig wie bei jenen anderen Rinderhirten, den Cowboys der Wildwestfilme. Der Roman setzt voraus, daß es Krieg und Räuberwesen gab, und er malt allgemeine Bilder, die konkret aussehen. Gesellschaftliche Strukturen diskutiert er nicht als solche, benutzt sie aber im Sinne seiner Zielstellungen. Sie sind mithin vielfältig und extrem differenziert, und zwar im; griechischen ebenso wie im lateinischen Roman. Lehrreich ist etwa ein Vergleich mit der attischen Neuen Komödie, der der Liebesroman sonst manches verdankt. Dort spiegelt sich noch der Nachklang einer relativ homogenen Polisgesellschaft. Der freie Bürger ist wohlsituiert, protzenhafter Reichtum zeugt von Außenseitertum, Bettelarmut ist eher Kuriosum. Sklaven sind brav und ordentlich, und wenn nicht, kennen sie doch ihren Platz. Die Gesellschaft des Romans oder, besser gesagt, sein Personal, reicht vom hochadligen Helden aus reichster Familie bis zum Lumpenproletariat, von Königen und orientalischen Satrapen bis zu Räubern und Bettlern, vom königlichen Hofeunuchen zum Henker, vom Oberpriester zu Zauberern und Hexen. Damit erreicht der Roman die Zuspitzungen, die er liebt. Doch reflektiert er zugleich die tatsächlich gewachsenen Differenzierungen. Der reiche Freigelassene Trimalebio bei Petronius ist nicht nur ein markant gezeichnetes Individuum, er repräsentiert Vgl. T. Szepessy, Le siege de Nisibe et la chronologie d'Heliodore, in: Acta Antiqua ~4. 1976, z76. Vor zu schnellen Schlüssen auf reale Grundlagen sollte hier wie auch sonst die lange literarische Tradition warnen. Euripides' "Helena" etwa mit ihren romanhaften Elementen verwendet bereits das Seeräubermotiv. 17 Dazu ausführlich mit Belegen A. M. Scarcella (vgl. Anm. ~). ~sz-~67.
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auch eine gesellschaftliche Schicht, die man im römischen Leben des I. Jh. u. Z. kennt, ebenso wie die Gründe ihres Emporkommens. Daß Sklaven überall in vielfältigen Stellungen und Funktionen in Erscheinung treten, entspricht der Realität. Typisch für den Roman hingegen ist es, wie schnell der Freie, Held wie Heldin, in die Sklaverei geraten kann, wenn es der Autor so braucht. Krieg und Raub sind die stets paraten Mittel. Ahnliebes hat es zwar auch im Leben gegeben und ist selbst einem Platon zugestoßen, aber der Roman macht den besonderen Fall zum gewöhnlichen. Doch implizieren solche Peripetien nicht etwa soziale Mobilität. Auch wenn sie äußerlich versklavt ist, bleibt die Heldin innerlich frei und edel, und natürlich gewinnt sie zuletzt auch die äußere Freiheit wieder. Die Mobilität ist eine äußerliche. Wie Räume und Zeiten durchschritten werden, so auch Höhen und Tiefen der Gesellschaft. Aber die Grundstruktur bleibt stabil. Bekommt das Gänseliesel den Prinzen, so muß sie sich spätestens in diesem Augenblick als entführtes Königskind erweisen. Sicherer freilich geht der Autor, der auch schon vorher immer wieder einmal andeutet, was sowieso zu erwarten ist. Charikleia bei Heliodor ist erst zum Schluß die äthiopische Königstochter, aber daß sie etwas Besonderes war, spürte man schon längst bei allen Höhen und Tiefen ihres Weges. Umgekehrt ist der Sklave seinem Wesen nach Sklave, und wenn ihn das Schicksal einmal emporträgt, ändert das nichts daran. Menanders Sklaven, die sich intellektuell wie moralisch mit ihren Herren messen können, passen nicht in die konventionelle Welt der Romane. Bereits erreichte humane Züge des Menschenbildes halten sich nicht. Vielleicht waren sie der Wirklichkeit zu weit vorausgeeilt. Eine literarische Stilisierung ist der Typ des edlen Räuberhauptmanns. An ihm zeigt sich, wie das ergiebige Motiv des Räuberwesens trotz aller realen Hintergründe die Züge des Konventionellen trägt. Eine der Vorlagen mag der Söldneroffizier der Neuen Komödie sein, der sich in seinen besseren Vertretern von seinem Gewerbe löst, womit die Figur allerdings leicht unglaubhaft edelmütig werden kann - eine Gefahr, die noch Lessings Tellheim droht. Wie bei der zeitweise in Sklaverei geratenen Heidin beschädigt das äußere Schicksal nicht den Wesenskern. Der gute Räuber bleibt unangesteckt von den Bosheiten seiner Kumpane und Gefolgsleute - höchst unglaubhaft, aber wirkungsvoll. Wirkungsträchtige Motive bot dem Roman die Religion. Zugleich waren Religion und Kultu& wirkungskräftige Elemente der gesellschaftlichen Realität. Auch die aufgeklärte Nüchternheit, die zu bestimmten Zeiten relativ breitere Kreise vornehmlich der Oberschicht kennzeichnete, arrangierte sich meist mit der vorhandenen Volks- und Staatsreligion und ihren kultischen Außerungen, die das Gesellschaftsleben akzentuierten. Religionskritik mochte sich der Romanform bedienen wie in der "Heiligen Aufzeichnung" eines Ruherneros - für die Gattung typisch wurde das nicht. Nur undeutlich ahnt man hinter den Werken unterschiedliche persönliche Haltungen der Autoren. Einem Heliodor scheint eine unblutige, moralisch gereinigte Religionsausübung nicht nur Romanmotiv, sondern auch Herzenssache zu sein, so stark betont er das Thema. Bei Jamblichos spielte der so beliebte Romanfaktor der Tyche, des das Geschehen nach Willkür lenkenden Schicksals, keine Rolle, wie es scheint: Wollte er sich damit von Konkurrenten distanzieren? Am deutlichsten spricht Apuleius im letzten Buch seines Eselsromans in eigenem Namen als überzeugter Anhänger der Isisreligion. Das paßt zu seinem Charakterbild, wie wir es aus seinen übrigen Werken kennen, doch
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weniger zu den ersten 10 Büchern. Hier wird etwas deutlich, was sich dann auch' bei der christlichen, romanhaft erscheinenden Literatur zeigt: ausgesprochene, direkte Absicht der Mission oder Propaganda sprengt den Rahmen des Genres. Die Kombination von Unterhaltung und Agitation beeinträchtigte den einen oder anderen Effekt oder auch alle beide. Deutlich ist, daß die antiken Religionen und Kulte in ihrer Vielfalt den Romanen Material in ihrem Bestreben nach Buntheit lieferten. Der ägyptische Tierkult, wie man ihn seit Herodot mit einer Mischung von Staunen und Befremdung betrachtete, bot reichen Stoff. Gottheiten des östlichen Pantheons wie Bel werden ins Spiel gebracht, eventuell mit den vertrauten Gestalten der Olympier in Beziehung gesetzt. Faszinierend wirkten vor allem Geheimkulte - wie alles Geheimnisvolle. Der Begriff des Mysteriums erscheint immer wieder, wird aber eben damit auch so verallgemeinert, daß sich ein etwaiger tieferer Sinn verflüchtigt. Wenn sich eine Räuberbande zum Zusammenhalten durch Dick und Dünn verpflichtet, so heißt es, daß sie Mysten werden. Macht jemand seine erste erotische Erfahrung, so wird er in das Mysterium der Liebe "eingeweiht". Immerhin, die Romane spiegeln eine Zeit, in der es wirkliche geheime Kultgemeinschaften mit Erlösungsvorstellungen gab, in der es zugleich aber auch modisch war, sich in althergebrachte, prestigeträchtige "Mysterien", z. B. die von Eleusis, aufnehmen zu lassen wie in einen exklusiven Klub. Aber die Vorstellung, als sei der ganze Liebesroman ein verschlüsselter Ausdruck von Mysterienfrömmigkeit, ist abwegig. 18 Wo die romanhafte Erzählung wirklich im Dienste der Religion steht, in den christlichen Apostel- und Heiligenlegenden. gibt es nichts Verschlüsseltes. Die Apostel predigen den neuen Glauben, die Märtyrer bezeugen ihn. 19 Werke wie die "Wiedererkennungen", die unter dem beglaubigenden Namen des Bischofs Clemens von Rom überliefert wurden, nutzen die tradierten Motive und Manieren des Romans, Irrfahrten und endliche Begegnung zu erbaulichen Zwecken. 20 Daß diese neue Literaturgattung ihrerseits wirklichkeitshaltig ist, steht auf einem anderen Blatt. Arbeit ist im Roman kein tragendes Thema - dafür ist sie zu alltäglich. Am meisten arbeiten muß der Eselsmensch bei Apuleius, und dabei kommen auch arbeitende Menschen in den Blick. Positiv erscheint vor allem die ländliche Arbeit bei Longos. Bei 18 Dazu A. Geyer, Roman und Mysterienritual. Zum Problem eines Bezugs zum dionysischen
Mysterienritual im Roman des Longos, in: Würzburger Jahrb. NF 3, 1977, 179-196. Besonnen abwägend C. P. Jones, Apuleius' Metamorphosesand Lollianus' Phoinik.ik.a, in: Phoenix H· 1980, 2.43-2.5419 20
Vgl. E. A. Clark, The Life of Melania the Younger: Biography as Propaganda Literature, in: Eight Annual Byzantine Studies Conference, Abstracts of Papers, October x5-17, Chicago 1982., 40. Hier wie oft hat das Christentum jüdische Anregungen. Vgl. T. Szepessy, L'histoire de Joseph et d'Aseneth et le roman antique, in: Acta. Classica Debrec. xo/x1, 1974/75, xzx-131; S. West, ]oseph and Asenath: A Neglected Greek Romance, in: Classical Quarterly 2.4, 1974, 70-81. Wenn T. Hägg (vgl. Anm. 3) auf dem Vorsatz seines Buches eine Karte mit den Irrwegen der Helden des Xenophon von Ephesos gibt und dabe. auf die Analogie zu den Karten mit den Reiserouten des Apostels Paulus in Schulbibeln hinweist, so verwischt er den wesentlichen Unterschied. Die Ansiedlung der Romanhandlung an real existierenden Orten soll die Illusion von Authentizität hervorrufen. Paulus aus der Hafenstadt Tarsus, die auch Romanstation ist, hat wirklich existiert und ist wirklich gereist, so daß es historisch legitim ist, sich über die Details der Chronologie und der Routen zu streiten.
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aller bukolischen Stilisierung wird doch die generelle Hochschätzung dieser produktiven Tätigkeit deutlich. Bewährung durch Arbeit, wie sie bei aller Komik in Menanders "Menschenfeind" immerhin angedeutet ist, hat im Leben der Helden des idealisierenden Liebesromans keinen Raum. Eine der Antike geläufige, zugleich zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Milieus unterschiedlich bewertete gesellschaftliche Erscheinung war die Päderastie. In einem Teil der Romane spielt die gleichgeschlechtliche Liebe keine Rolle, in anderen wird sie mehr oder weniger breit vorgeführt, so vor allem bei Petronius, aber auch bei den Griechen. Zumindest in den idealischen Liebesromanen ist die Bewertung eindeutig negativ, aber das Motiv ist dankbar, bietet es doch zahlreiche Möglichkeiten, den männlichen Helden zusätzlichen Versuchungen und Bedrohungen auszusetzen. Daß er ihnen nicht erliegt, versteht sich, anders als bei Petrons Anti-Helden. Schlüsse auf die Realität in der Umwelt der Autoren sind in einem solchen Fall besonders problematisch, wo die literarischen wie die gesellschaftlichen Traditionen so prägend waren. Wenn der Romanautor wollte, konnte' er sich auf die alte Lyrik wie auf Platon berufen. Umging er das Thema, wirkt es wie eine bewußte Entscheidung, der empfundenen Peinlichkeit auszuweichen. Das könnte etwa von Jamblichos im späteren 2. Jh. u. Z. gelten, der bei aller Vielfalt der von ihm genutzten Konfliktmöglichkeiten von Päderastie und Hetärenliebe keinen Gebrauch macht. 7· Psychologische Wirklichkeitsnähe
Unter den griechischen Romanen enthält der des Longos spezielle Elemente einer Realität, die sonst keine solche Rolle spielt. Ich meine nicht so sehr die des friedlichen Landlebens,21 dessen Schilderung in der Tradition der Bukolik steht, als die der physischen und psychischen Entwicklung von Jugendlichen. Die Paare der Romane sonst sind zwar jung, aber schon reif, und die Liebe kommt schlagartig, während Longos ihr Erwachen mit bewußter und raffinierter Langsamkeit schildert. Man kann zweifeln, inwiefern diese Lebensnähe als eine Realität in der hier vornehmlich betrachteten Art gelten darf, und sie sei deshalb hier auch nur anhangsweise genannt. Zum unkonventionellen, lebendigen Gesamteindruck, den der Hirtenroman macht, den Goethe so bewunderte, trägt sie jedenfalls Wesentliches bei. Es ist eine reife und eine städtische Kultur, die sich am Gegenbild der jungen Liebe und ländlicher Naivität ergötzt.22 So ist es folgerichtig, daß der Schluß mit der städtischen Realität versöhnt. Die Sklavenkinder werden als Erben reicher städtischer Familien erkannt - auch hier geht es nicht ohne das so abgenutzte Thema der Kindesaussetzung - und formgerecht verheiratet. Kindheit und Jugend bleiben wie ein schöner Traum zurück, wie "Hirtenspiele", dem Begriff, mit dem der Roman beziehungsreich endet. Zur eigenen Note des Werkes gehört es, daß Longos die Naivität nicht übersteigert: Daphnis lernt die Liebe von 21 Vgl. W. M. Calder 111, Longus 1, 1: The She-Goat Nurse, in: Classical Philology 78, 1983, so-p,
zu einem realen Detail. Sehr positiv über den Bezug zum realen topographischen Hintergrund P. Green, Longus, Antiphon, and the Topography of Lesbos, in: Journal of Hellenie Studies 101, 1981, 110-114; mit Karte. Die literarischen Aspekte des Werkes stellt heraus R. L. Hunter, A Study of the Daphnis and Chloe, Cambridge 1983. 22 Dazu 0. Longo, Paesaggio di Longo Sofista, in: Quaderni di Storia (Bari) 4, 1978, 99-110.
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einer erfahrenen Frau, ehe er sie - nach der Hochzeit - seiner Chloe beibringt. Das ist dezent erzählt und läßt doch ahnen, daß es im wirklichen Leben meistens so ähnlich gewesen sein dürfte. Zumindest sollte es so sein, und das sagt etwas aus über gesellschaftliche Normen.
8. Zusammenfassung Fassen wir unsere Erwägungen zusammen, so ergibt sich, daß der antike Roman - bei Abstufungen im Einzelfall - für die direkte Erforschung der gesellschaftlichen Realität der Zeit von geringerer Aussagekraft ist als andere literarische Genres. Als ein relativer Spätling in der Literaturgeschichte ist er durch vielfältige Traditionen und Konventionen vorgeprägt. Die Versuchung, ihn als direkte Quelle zu benutzen, liegt gerade in der scheinbaren Lebensnähe der Gattung, die man zu entdecken meint, wobei man bewußt oder unbewußt von dem modernen Genre ausgeht, das den antiken Werken einen Gattungsnamen geliehen hat, den sie von Haus aus nicht besaßen. Mit gutem Grund meidet ein Kenner wie Perry im Titel seines Werkes "The Ancient Romances" den modernen Begriff "novel", den andere ungescheut verwenden. Das Deutsche hat keine analoge terminologische Differenzierung, da "Romanze" anderweitig festgelegt ist. Immerhin spüren wir im Adjektiv "romanhaft" das Element des Fiktiven deutlicher als im Substantiv "Roman", das nur in speziellen Verbindungen so klingt: "Sie erlebte einen Roman", sagt man von einer unalltäglichen Liebeserfahrung. Wenn zum modernen Roman definitorisch das Bemühen um Erfassun§ von Wirklichkeit gehört, mag diese Erfassung auch noch so vermittelt und künstlerisch verarbeitet sein, so kann die analoge Übertragung' einer solchen Erwartung auf den antiken "Roman" dessen Verständnis eher behindern als fördern. Doch nicht ein negativer Gedanke stehe am Schluß. Trotz aller Einschränkungen und Warnungen: Auch eine literarische Gattung, die Lebensnähe nicht anstrebt, aber immerhin fingiert, bietet Elemente des Lebens. Der Roman ist nicht, wie die Antike das von der Komödie Menanders gesagt hat, Spiegel des Lebens, aber er ist doch auch kein blinder Spiegel, der gar nichts zeigt, oder ein Zerrspiegel, der nur verkehrte Bilder bietet. Das Gesamtbild ist nicht real. Die Facetten können Reales in unterschiedlicher Deutlichkeit abbilden. Das Problem ist, daß der Roman keine hinreichenden Kriterien in sich selbst birgt, aus denen sich der jeweilige Realitätsgehalt ergäbe. Nur aus dem Vergleich mit Informationen, die wir aus anderen, objektiveren Quellen haben, können wir im jeweiligen Fall auf den etwaigen realen Hintergrund fiktionaler Aussagen schließen. 23 Weithin allerdings mangelt es an eben solchen Informationen. 23
Was an Kenntnissen .über Zeitverhältnisse im Bereich von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe aus Romanen herauszuholen ist, wird exemplarisch vorgeführt von A. Scarcella, Les structures socio-economiques du roman de Xenophon d':ephese, in: Revue des etudes grecques 90, 1977, 2.49-2.62.. Vergleichbares leistet für den Roman des Apuleius F. Miliar, The World of the Golden Ass, in: Journal of Roman Studies 77, 1981, 63-75. Daß die Ansprüche,i.die bei ihm Lucius für die Bedeutung seiner Familie erhebt, zu dem passen, was für die \Vertung der eigenen Familie in den Anschauungen detl griechischen Oberschicht der Zeit bezeugt ist, belegt H. J. Mason, The Distinction of Ludus in Apuleius' Metamorphoses, in: Phoenix 37, 1983, 135-143. Zu Petron vgl. I. P. Strel'nikova, Petrons satirischer Roman, in diesem Band S. 12.6-1 34· Zu Helio-
DER REALITÄTSGEHALT DES ANTIKEN ROMANS
Die wichtigste Realität bleibt die Existenz der Gattung se.\bst, der quasi-realistischen, in sich stimmigen, umfangreichen Darstellung fiktiven Ge;lchehens. Daß eine solche Gattung in einer bestimmten Phase der gesellschaftlichen Entwicklung entstand, daß sie über längere Zeit ihr Publikum fand und dessen Bedürfnisse befriedigte, läßt Schlüsse auf eben diese Gesellschaft, ihre Bedürfnisse und ihre Vorstellungen zu. Darüber wird in dem Kapitel über das Publikum des Romans mehr zu sagen sein. dor - mit wichtigen allgemeinen Erwägungen - J. R. Morgan, History, Romance, and Realism in the Aithiopika of Heliodores, in: Classical Antiquity 1, 1982., 2.2.1-2.65.
Petrons satirischer Roman* Von INNA P. STREL'NIKOVA
In der Reihe der Werke, die in der späteren Antike entstanden sind und in neuerer Zeit die Gattungsbezeichnung "antiker Roman" erhalten haben, nimmt das "Satyricon" eine Sonderstellung ein. 1 Petron greift mit seinem Roman, was Stoff, Motive und .Erzähltechnik anlangt, auf den griechischen Abenteuer- und Liebesroman zurück und parodiert ihn; zum andern verraten die in den Prosatext eingestreuten Verse eine Verwandtschaft des "Satyricon" mit der Menippeischen Satire. Neben diesen beiden Gattungen, die im wesentlichen die inhaltlichen und formalen Besonderheiten des "Satyricon" bestimmen, lassen sich jedoch auch Beziehungen zu anderen Genres der hellenistischen Literatur feststellen: zum Mimos, zum Symposion, zur Diatribe, zur kynischen Literatur, zur griechischen Novellistik. Diese Genres haben (neben anderen) die Entstehung des antiken Romans vorbereitet. Wesentlich für diese Art von Literatur sind ihre Lebensnähe und die Kombination von Ernst und Komik, d. h. das Prinzip des spudogeloion. Der sowjetische Literaturtheoretiker M. M. Bachtin hat die neuen Elemente beschrieben, durch die sich jene Gattungen, welche die Entstehung des Romans mit vorbereiteten, vom traditionellen Epos, von Tragödie und Komödie unterscheiden: den bewußten Verzicht auf epische bzw. tragische Distanz, den Gegenwartsbezug, einen besonderen, fast schon romanhaften Dialogtyp, ein' den Romanhelden antizipierendes Menschenbild, die Ablösung der epischen Überlieferung durch die individuelle Erfahrung oder Erfindung. 2 Bedeutsam für die Herausbildung der neuen Literatur war die Ästhetik des spudogeloion: Die Zerstörung der epischen Distanz wurde durch das Lachen bewerkstelligt; es spielte insofern eine entscheidende Rolle, als es den neuen Gattungen ermöglichte, sich hautnah mit dem Menschen zu befassen. Ein Prozeß der Entheroisierung, der Entlarvung setzte ein, bzw. es entstand eine neue Art prosaischer Heroisierung. Die Ebene der komischen Darstellung, wie wir sie in der Satire vorfinden, vermittelt - in der Terminologie Bachtins - einen in, höchstem Maße familiären Kontakt mit de~ Dargestellten. Hier herrscht die Logik der Anatomie: Der dargestellte Gegenstand
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Aus dem Russischen übertragen von Gottfried Janke. Der vorliegende Aufsatz stützt sich auf das entsprechende Kapitel in der Monographie Anticnyj roman, verantwortlicher Redaktor: M. E. Grabar'-Passek, Moskva 1969, 2.73-BI. 2 M. M. Bachtin, Voprosy literatury i estetiki, Moskva I97S· 478 f. 1
PETRONS SATIRISCHER ROMAN
wird ohne Ehrfurcht zergliedert, schonungslos sein Wesen bloßgelegt, die Diskrepah.Z zwischen äußerer Überlegenheit und innerer Armseligkeit enthüllt. Das Gesagte trifft voll und ganz auf das "Satyricon" zu, in dem Gattungsmerkmale des Romans und der Satire verschmolzen sind. Diese beiden in der antiken 'Literatur neuen Phänomene - der griechische Roman, der die Flucht vor der drohenden, schwieriger gewordenen Wirklichkeit in eine Traumwelt nahelegt, und die römische Satire, die im realen Leben wurzelt und seine abstoßenden Seiten hervorhebt - haben ein Stück ihres Entwicklungsweges gemeinsam zurückgelegt und dabei konträre Seiten der sozialen Wirklichkeit in die Gestaltung integriert, die, jede in ihrer Weise, vom Verfall der antiken Gesellschaft zeugen. Petton hat den Stoff des'_griechischen Abenteuer- und Liebesromans parodistisch umgedeutet und mit seinem "Satyricon" ein unvergleichliches Bild von der römischen Wirklichkeit in der frühen Kaiserzt;it entworfen. Literaturhistoriker wie E. Rohde, A. Collignon und M. Rosenblüht haben jeden Zusammenhang zwischen dem "Satyricon" und dem griechischen Abenteuer- und Liebesroman bestritten. Bevor die späteren Papyrusfunde bekannt wurden, konnten sie für diesen Standpunkt auch gute Argumente bel.bringen: Das "Satyricon" galt damals als ein früher Vertreter der antiken Romangattung. Die Anhänger dieser Auffassung gestanden zwar ein, daß es formale Ähnlichkeiten zwischen dem "Satyricon" und dem griechischen Roman gebe, größeres Gewicht maßen sie aber dem unterschiedlichen Ton in den fraglichen Werken bei un4 verneinten deshalb jede Abhängigkeit des "Satyricon" vom griechischen Liebesroman. Diese Sicht der Dinge scheint mir in der Überzeugung von der Überlegenheit. des griechischen Genius zu wurzeln, einer Überzeugung, die es nicht wahrhaben mag, daß der scharfsinnige, bissige Römer Petron das griechische Vorbild nicht sklavisch kopiert, sondern sich darüber - unter Ausbeutung seiner Stoffe, Motive und Techniken - lustig gemacht haben könnte. Wenn man schon die Möglichkeit einräumte, daß Petron ein solches Vorbild gehabt hat, nahm man doch bezeichnenderweise an, daß dies nur ein burlesker Roman von der gleichen Art wie das "Satyricon" gewesen sein könne. Selbst Philologen wie R. Heinze, E. Thomas oder W. Kroll, die das "Satyricon" für eine bewußte Parodie auf den idealischen griechischen Roman hielten, haben die Vermutung geäußert, daß die Idee zu dieser Parodie bei den Griechen entstanden sei und daß Petron sein "Satyricon" nach dem Modell eines griechischen burlesken Romans geschrieben habe. Die Suche nach so einem griechischen Prototyp dauert ungeachtet eines interessanten Papyrusfundes - bis heute an; 3 ihr eigentlicher Beweggrund ist, daß man die Potenzen der römischen Literatur immer noch unterschätzt und ihr keine eigenständigen Leistungen zutraut. Dabei war eine Parodie auf den griechischen Liebesroman gar nicht Pettons Ziel jedenfalls nicht sein HauptzieL Das Romangenre lieferte dem Autor des "Satyricon" lediglich den Handlungsrahmen. Gattungsgrenzen konnten seinem Talent, seiner Phantasie, seinen literarischen Assoziationen keine Schranken setzen. Dem kam die von ihm gewählte Form der Menippeischen Satire entgegen, ermöglichte sie ihm doch den Rückgriff auf die Parodie, die zum traditionellen Repertoire dieses Genres gehörte. Ferner erlaubte diese Form einen ständigen 3 Vgl. etwa L. V. Pavlenko, Drevnegreceskij roman, in: Vestnik drevnej istorii 1985, z, !84-!97-
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Wechsel von Dichtung und Prosa, die Vermischung unterschiedlicher Stoffe, Stile usw. Der römische Roman, den Petton in die antike Literatur einführte, kam im bunten Gewand der Menippea daher. Freilich hätte Petron die genannten literarischen Techniken nicht mechanisch aus Varros Menippeae übernehmen können, wäre nicht sein Gegenstand der gleiche wie in Varros Satiren gewesen: die negativen Erscheinungen der zeitgenössischen Gesellschaft. Das analoge Material und seine übereinstimmende Bewertung ließen auch diß Verwendung derselben künstlerischen Mittel zu: Parodie, Nachahmung, Reminiszenzen dienen beiden Autoren vornehmlich zu satirischen Zwecken. Diese satirische Tendenz, die Petron und Varro verbindet, ist vielleicht der hervorstechendste und typischste Charakterzug der römischen Literaturgeschichte. Die hybride Form seiner Literatur hinderte den Autor des "Satyricon" nicht daran, ein realistisches Bild von der römischen Wirklichkeit zu entwerfen. Alles deutet darauf hin, daß der Roman in der zweiten Hälfte des r. Jh. u. Z. spielt. Schon F. Bücheler hat im Vorwort zu seiner Petton-Ausgabe (r86z) mit Entschiedenheit die Ansicht vertreten, daß sowohl die dargestellten Menschen und ihre Lebensumstände als auch Sprache und Verstechnik des Werks keine andere Entstehungszeit als die Regierungsjahre Neros zulassen. Petron, der arbiter elegantiae, bietet in seinem Roman in der Tat ein Panorama der römischen Gesellschaft des r. Jh. u. Z. Dies war die Zeit der pax Romana, der äußeren Blüte und inneren Krise des Weltreichs, und ihre Erscheinungen haben im "Satyricon" ihren Niederschlag gefunden: die zunehmende wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Provinzen, der Niedergang der Aristokratie und der Aufstieg der Freigelassenen, die damals zu einer Stütze de&~ Kaisertums wurden - besonders Nero bediente sich ihrer im Kampf gegen den Senat. Auch die für die Mitte des I. Jh. u. Z. typischen kulturellen Mißstände werden im "Satyricon" aufs Korn genommen: der Bildungsstand in den Rhetorenschulen, wo man statt praktischer Fertigkeiten nur hohle Phrasen lernte, der um sich greifende Dilettantismus in der Dichtkunst usw. Nicht nur einzelne Szenen, sondern der ganze Kontext des Romans lassen die Atmosphäre erkennen, die zur Zeit Neros im Römischen Reich herrschte, die Neigungen und Vorurteile des Kaisers, über die wir durch Tacitus und Suetons Nerobiographie unterrichtet sind. Hier wird der Realitätsbezug des Romans greifbar. Die im "Satyricon" geschilderte Welt ist gleichzeitig wirklichkeitsnah und künstlerisch überhöht - wie übrigens jede Darstellung der Wirklichkeit, die den Anspruch erheben kann, Kunst zu sein. 4 Was vom "Satyricon" auf uns gekommen ist (nämlich, wie die Handschrift aus Trau verrät, Fragmente aus dem 15. und 16. Buch), sind einige nur locker miteinander verknüpfte Episoden. Ihren Inhalt bilden die Abenteuer einer Gruppe junger Leute von zweifelhaftem Ruf. Die Romanhelden sind zwar gebildet, haben aber weder Geld noch moralische Prinzipien. Sie vagabundieren von Ort zu Ort und sehen zu, wo es etwas zu schmarotzen ·gibt. Encolpios hat sich nach seinen eigenen Worten dem Arm der Gerechtigkeit entzogen, in der Arena durch Täuschung sein Leben gerettet, Schandtaten und 4
Über die Bezüge des antiken Romans und der von ihm entworfenen Gegenwelten zur realen Wirklichkeit vgl. H. Kuch, Gattungstheoretische Überlegungen zum antiken Roman, in : Philologus 12.9, 1985, 3-19.
PETRONS SATIRISCHER ROMAN
Verrat geübt und einen Tempel geschändet. Sein Kumpan Ascyltos hat sich "durch Wollust jeder Art besudelt" und ist "nach eigenem Bekenntnis der Verbannung wert". Zwischen beiden steht der Lustknabe Giton, Gegenstand ihrer Leidenschaft und Eifersucht. Das Vagabundenleben der drei Tagediebe mit Streit und Versöhnung, Trennung und Wiederbegegnung zieht sich als roter Faden durch den Roman, in dem der Alltag gerade auch der römischen Unterschichten mit all seinen Schattenseiten vorgeführt wird. In der Darstellung des Menschen war die antike Literatur stets von einem Idealbild ausgegangen, wie es sich zu bestimmten Zeiten im gesellschaftlichen Bewußtsein herausgebildet hatte. Das republikanische Rom hatte das Ideal des vir bonus geschaffen, des tapferen Kriegers, rechtschaffenen und staat~treuen Bürgers, dem das Wohl des Vaterlands über alles ging. Dieses Leitbild fand vor allem in Rhetorik und Geschichtsschreibung (Cato d. Ä., Sallust, Tacitus) seine Ausprägung und wurde in Ciceros Schriften theoretisch untermauert. Das kaiserzeitliche Rom hatte dem nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Auf der Suche nach einem Ideal wandten sich viele Schriftsteller der Vergangenheit zu und huldigten der summa virtus des republikanischen Helden. Ursprünglich war das Leitbild des römischen Bürgers (und seine Widerspiegelung in der Literatur) vom Übergewicht des Gesellschaftlichen geprägt worden, das Individuum stand im Hintergrund. Im Laufe der Zeit kehrte sich dieses Verhältnis um, das Individuelle überflügelte das Gesellschaftliche. In einer Zeit, in der die Krise des Sklavereisystems um sich griff, hielt der "kleine Mann", der sich vor einer kompliziert und undurchschaubar gewordenen Wirklichkeit in eine Welt privater Interessen und intimer Gefühle flüchtete, Einzug in die Literatur. Diese gewann an Lebensnähe, an Vertrautheit mit den Gefühlen und den Erlebnissen der kleinen Leute. Die ganze Entwicklung lief auf eine Entheroisierung hinaus. In künstlerischer Hinsicht erlebte die Literatur eine Blüte: Ihre Repräsentanten eigneten sich die Fähigkeit zu prägnanter individueller Charakterisierung, zur psychologischen Analyse an. Doch auf Grund des tiefen gesellschaftlichen, geistigen und moralischen Verfalls fanden sie keine Orientierung. In dieser Zeit des beginnenden Niedergangs erreichte die Satire ihren Höhepunkt. Die wohl markantesten Gestalten der römischen Literatur in der zweiten Hälfte des 1. und zu Beginn des 2. Jh. u. Z. sind die Satiriker Petron, Martial und Juvenal. Pettons Helden sind das genaue Gegenteil jenes Ideals, auf das die römische Literatur in der Zeit der Republik ausgerichtet war. Statt zur Vaterlandsliebe bekennen sie sich offen zum Kosmopolitismus, statt zur Religion der Väter zum Unglauben, statt zur Freundestreue zum Verrat; Essen, Trinken und Liebesabenteuer sind ihnen wichtiger als Ruhmestaten auf dem Felde der Ehre. In Pettons "Satyricon" gibt es weit und breit keinen positiven Helden. Der Autor sieht die Welt mit den Augen des gebildeten Aristokraten und Ästheten, dessen Ideale in der Vergangenheit liegen und der nicht an die Zukunft zu glauben vermag. Mit seiner Satire, die vom Pathos der Ablehnung durchdrungen ist, steht er Tacitus nahe, der den gleichen verlorenen Idealen nachtrauert. . Die erhaltenen Partien des Romans lassen sich in drei Teile gliedern, von denen jeder eine Reihe von Episoden enthält. Der erste Teil umfaßt die Geschehnisse, die dem Gastmahl des Trimalebio vorausgehen, der zweite Teil das Gastmahl selbst, der 9 Koch
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dritte die Begebenheiten danach - im wesentlichen die Begegnung mit Eumolpos, die Abenteuer auf See und die Erlebnisse der Helden in Kroton. Die ,,romanhaften" Episoden finden sich hauptsächlich im dritten Teil, doch auch im ersten Abschnitt des "Satyricon" gibt es eine Szene, die ganz offensichtlich den Konflikt im klassischen Liebesroman parodiert: den Eifersuchtsstreit zwischen Encolpios und Ascyltos um ihren Geliebten Giton. In diesem Teil wird auch der Kultfrevel an Priapus angesprochen, den Encolpios und Ascyltos begangen haben und der anscheinend die Ursache allen Mißgeschicks ist, denen sich die Romanhelden ausgesetzt sehen. Schon E. Klebs vermutete, daß der Zorn des Priapus das Band sei, das die einzelnen Episoden des "Satyricon" zusammenhält. Petton habe dem Epos das Motiv des Götterzorns entlehnt und es dem Charakter seines Romans entsprechend parodistisch verwendet.5 R. Heinze griff diesen Gedanken auf und modifizierte ihn: Das Motiv des Götterzorns habe Petton nicht aus der "Odyssee", sondern aus dem griechischen Roman ubernommen.6 Tatsächlich hängt bei Chariton der Streit der Liebenden in einem gewissen Grade von Aphrodite ab, und im Roman des Xenophon von Ephesos finden wir den Zorn des Eros, doch bei beiden Autoren tritt der Götterzorn nur schwach in Erscheinung und wirkt sich nicht entscheidend auf den Gang der Handlung aus. Dagegen zieht sich im "Satyricon" das Priapusthema als roter Faden durch den ganzen Roman. Das Motiv des Götterzorns, mag es nun direkt aus der "Odyssee" oder durch V ermittlung des griechischen Romans ins "Satyricon" gelangt sein, läßt einmal mehr di~ Kontinuität innerhalb der antiken Literatur sichtbar werden. So neu der Roman auch für die antike Literatur gewesen sein mag, verrät er doch überall, im Großen wie im Kleinen, wo seine Wurzeln zu suchen sind. .. Die meisten Episoden Pettons sind als Hyperbel, Groteske, Burleske u. ä. zu charakterisieren. Bisweilen stößt man jedoch inmitten phantastischer, ganz und gar unglaublicher Szenen auf ein bescheidenes Genrebild, das durch seine realistische Zeichnung, seine Lebensnähe und psychologische Genauigkeit überrascht. Erinnert sei z. B. an die Szene, in der Encolpios und Ascyltos den Mantel, der ihnen in die Hände gefallen ist, auf dem Markt zu verkaufen und wieder in den Besitz ihrer schäbigen Tunika mit den eingenähten Goldstücken zu kommen versuchen. Das Verhalten der beiden Helden, der Umstehenden, des Bauern, der die Tunika gefunden, und der Frau, die den Mantel verloren hat, ist psychologisch überzeugend gestaltet. Jede größere Episode im "Satyricon" zeigt in der Regel kompositorische Harmonie und Geschlossenheit, so etwa die Teile des Romans, die auf hoher See spielen, und· die Darstellung der Ereignisse in Kroton. In all diesen Episoden treibt die Handlung auf einen Höhepunkt zu, um dann der Lösung zugeführt zu werden (die uns bei den in Kroton spielenden Szenen nicht erhalten ist). Auch die eingefügten Erzählungen (z. B. die Novellen vom willfährigen Knaben und von der Witwe von Ephesos) sind harmonisch aufgebaut und stilistisch glänzend gestaltet. Das "Gastmahl des Trimalchio" ist von eigenständigem künstlerischem Wert. Dieser Teil des Romans führt uns in die Welt der Freigelassenen und Plebejer: Petton schildert ihre Verhaltensweisen und Interessen, gibt ihre lebendige, bildhafte, geschwätzige,
5 E. Klebs, Zur Composition von Petronius' Satire, in: Philologus N. F. 1 (47), 1889, 6z9-635 •. R. Heinze, Petron und der griechische Roman, in: Hermes 37, 1899, 507 f.
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PETRONS SATIRISCHER ROMAN
von Sprichwörtern und Metaphern durchsetzte Sprache wieder - ein auf seine Weise einzigartiges Beispiel des Vulgärlateins. Hinter der Person des Erzählers Eneolpios wird mitunter auch der Autor selbst sichtbar, der gebildete Aristokrat mit dem erlesenen Geschmack, der den Einfällen des Emporkömmlings Trimalebio bald mit offenem Spott, bald mit herablassender Ironie begegnet. Die Beschreibung ·des Gastmahls zeigt einen kunstvollen Aufbau. Petton benutzt dafür den Rahmen und die kompositorischen Elemente, die für die literarische Gattung des Symposions, einer speziellen Variante des Dialogs, typisch sind : Das Gastmahl wird nicht vom Autor, sondern von einer der beteiligten Personen geschildert. Sie beginnt mit einem Bericht über den Weg zum Hause des Gastgebers und der Beschreibung des Hauses selbst. Einige naiv-vulgärphilosophische Dialoge zwischen den Gästen sowie Trimalchios Versuch, ein literarisches Gespräch anzuknüpfen, sind als Parodie auf die philosophische und literarische Thematik des klassischen Symposions aufzufassen. Auch die Ankunft ungeladener Gäste - im "Satyrieon" die des Habinnas und der Scintilla - gehört zu den Gestaltungsmitteln des Symposions (das Motiv des dkletos). Die Hauptfigur in diesem Teil des Romans ist der Hausherr, der reich gewordene Freigelassene Trimalchio. Durch die Gespräche bei Tisch wird das ganze Leben des Gastgebers transparent, der als Knabe auf dem Sklavenmarkt gekauft worden war und nun zu Reichtum und Macht gelangt ist. Von den Gerichten~ die den Gästen serviert werden, ist eins ausgefallener als das andere. Jeder Gang wird mit den passenden Requisiten aufgetragen, von Späßen der Dienerschaft und Kommentaren des Hausherrn begleitet. Die kleinen Szenen, die die einzelnen Gänge begleiten, führen jeweils ein originelles Schaustück vor und gehen als Ingredienz in jene grandiose Party ein, mit der wir es im "Gastmahl des Trimalchio" zu tun haben. Die Gespräche, die unsere Helden in den Pausen zwischen den einzelnen Vorstellungen mit ihren Tischnachbarn führen, verschaffen uns Einblick in die Psychologie der Freigelassenen. In der Darstellung, die uns Petron von ihnen bietet, kommt ein gewisser Dünkel zum Ausdruck, wie er für die Antike im allgemeinen und die römische Aristokratie im besonderen Tradition ist. Doch Petton bringt einen neuen Zug hinein: Zwar macht er sich über das Benehmen und die niederen Instinkte der Freigelassenen lustig, zugleich erkennt er aber ihre Kraft und ihre Lebenstüchtigkeit an, das Geschick und die Hartnäckigkeit, denen die meisten von ihnen ihren Aufstieg verdanken. In dem halb verächtlichen, halb gönnerhaften Verhalten, das die Neureichen gebildeten, aber unbemittelten Leuten wie dem Rhetor Agamemnon gegenüber an den Tag legen, spiegelt sich die erbärmliche Lage der Intellektuellen in der Zeit Petrons. Trimalebio und die anderen Freigelassenen schämen sich nicht wegen ihrer unfreien Herkunft, sie sind im Gegenteil stolz, es aus eigener Kraft geschafft zu haben. Einer • von ihnen sagt zu Aseyltos: "Als freier Mann geboren zu werden, ist genau so leicht, als wenn man sagt: Komm her!" (p). In die Gespräche der Gäste sind auch Anekdoten und Märchen eingestreut, so die von Trimalebio zum besten gegebene Geschichte vom Glasgefäß, das nicht zerbrach (5 I), seine Erzählung von der Hexe (63) und die des Nieeros vom Werwolf (61 f.). Bevor Nieeros seine Erzählung beginnt, schaut er sich vorsichtig um, ob die Gebildeten unter 9*
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den Gästen nicht über ihn lachen. Doch sie nehmen seine Geschichte für bare Münze und schlottern genauso vor Angst wie Trimalchio. Die Macht des Aberglaubens, der den Glauben an die Götter abgelöst hatte, beherrschte gleichermaßen Gebildete wie Ungebildete. Auf den letzten Seiten des "Gastmahls" artet das Gelage in eine regelrechte Orgie aus. Diese Kapitel enthalten auch Trimalchios Lebensgeschichte (75-77). Das Ganze wird von der imaginären Totenfeier für Trimalebio gekrönt (78). Unter dem Dröhnen der Totenhörner suchen Encolpios, Ascyltos und Giton das Weite. Im dritten und letzten Teil des Romans jagt ein Ereignis das andere. In diesen Kapiteln sind die romanhaften Elemente des "Satyricon" am deutlichsten ausgeprägt: Die erotischen Motive, die gefährlichen Situationen, in die die Helden geraten, sind gattungsspezifisch. Der Handlungsverlauf in den einzelnen Episoden, ihr griechisches Kolorit, die Erzähltechnik und die angewandten Gestaltungsmittel erinnern an den griechischen Abenteuer- und Liebesroman, dessen Vorbild Petton hier bewußt folgt und den er in der ihm eigenen Weise parodiert. Die grellen Farben und der satirische Ton, die im "Gastmahl des Trimalchio" vorgeherrscht hatten, machen der Ironie Platz, die sich in den letzten, in Kroton spielenden Episoden zum Sarkasmus steigert. Den in diesem Teil besonders zahlreichen "romanhaften" Erlebnissen des Encolpios verleiht die Ironie eine tragikomische Note. Die Feststellung, daß im letzten Teil des "Satyricon" die Bezüge zum griechischen Liebesroman evident sind, erhellt jedoch nur eine Seite seines Charakters. Hier zeigt sich deutlicher noch als in den anderen Teilen seine Affinität zur Menippeischen Satire. Die poetischen Einschübe (die allerdings im antiken Roman üblich sind) häufen sich und haben bisweilen eine beträchtliche Länge: Das Gedicht über den Bürgerkrieg zählt 295, das über den Untergang Trojas 65 Verse. In den Szenen auf dem Schiff und beim Aufenthalt in Kroton gibt es eine ganze Reihe von Zusammenstößen, die an die Neue Komödie und an den Mirnos erinnern. Eine interessante Episode im letzten Teil des "Satyricon" ist die Szene in der Gemäldegalerie. Sie wird gewöhnlich mit dem Anfang des Romans "Leukippe und Kleitophon" des Achilleus Tatios verglichen. Die Beschreibung von Werken der bildenden Kunst war eine Gattung der sophistischen Prosa, sie begegnet auch nicht selten im griechischen Roman. Doch Petton reproduziert die imitierten oder parodierten Situationen nie exakt; daher bietet er keine eingehende Beschreibung der Bilder; diese sind vielmehr nur der Anlaß für die gewohnten Wehklagen des Encolpios, der sich ·durch den Anblick der Liebesszenen an sein eigenes Mißgeschick erinnert fühlt. In der Gemäldegalerie begegnet Encolpios dem alten, heruntergekommenen Dichter Eumolpos, mit dem er für den Rest des Romans zusammenbleibt. Eumolpos vereint in seiner Person die Eigenschaften eines untalentierten Poeten und eines ständigen Rezitators, wie wir ihn aus Martials Epigrammen und Juvenals Satiren kennen. Petton führt hier eine Figur vor, die offenbar typisch für seine Zeit war, in der der Dilettantismus in der Dichtkunst grassierte. Eumolpos hält eine hochtrabende Rede, in der er den Verfall der Künste beklagt (88). Dies ist eine der Stellen im "Satyricon", wo Petton, wie man vermuten darf, seine eigenen Ansichten über Literatur und Kunst äußert. Weitere Stellen finden wir bei der Diskussion über die Redekunst (1-5), die ein im Geiste des Lucilius geschriebenes Gedicht einschließt;· in einigen Passagen der Kapitel 83-84 - dort beklagt sich Eumol-
PETRONS SATIRISCHER ROMAN
pos über die jämmerliche Lage der Dichter - und bei den Erörterungen des Eumolpos über die Dichtkunst, die dem Gedicht über den Bürgerkrieg vorausgehen (u8). Aber viele Bemerkungen aus dem Munde verschiedener Personen über die Kunst sind ironisch gemeint (so die Gespräche über Literatur an der Tafel des Trimalchio, 55). Wie die Äußerungen über die alten Dichter. und Rhetoren (1-3; u8) beweisen, liebte Petron vornehmlich die klassische Literatur und Kunst; der Autor stimmt in das traditionelle Loblied auf die alten Zeiten und in die Klagen über den Sittenverfall der Gegenwart ein, in dem er eine der Ursachen für den Niedergang der Künste erblickt (88). Immerhin hat sich Petron den literarischen Strömungen seiner Zeit nicht verschl05sen: In seinem Roman verwendet er den "neuen" Stil und läßt seine Personen in der Umgangssprache reden. Auch die beiden längeren Gedichte über den Untergang Trojas und über den Bürgerkrieg lassen gewisse Rückschlüsse auf Petrons literarischen Standort zu. Wie A. Collignon seinerzeit scharfsinnig bemerkte,7 versucht Petron im Trojagedicht eine "Modernisierung" Vergils: Statt der Hexameter der "Aneis" verwendet er Senare; der Stoff ist in der Manier von Senecas Tragödien behandelt. Petron habe Vergil "lukanisiert", so, wie er einige Kapitel später, im Gedicht über den Bürgerkrieg, Lukan "vergilisiert" habe. Jedenfalls beweist das Trojagedicht im "Satyricon", daß sein Autor literarisch auf der Höhe seiner Zeit stand. (Nach der antiken Überlieferung hat auch Nero ein Gedicht über Troja geschrieben, s. Juvenal 8, 220; Sueton, Nero 38,2.) Die moderne Behandlung eines alten Stoffes und der überzogene epische Stil könnten zugleich einen Ver· such darstellen, die Anhänger sowohl des alten wie des neuen Stils zu ironisieren und beide Richtungen miteinander zu versöhnen. Es würde durchaus Petrons Art entspre· chen, unterschiedliche Gestaltungsweisen - und sei es auch nur um der komischen Wirkung willen - miteinander zu vermischen. Die Wahl des Trojathemas ist gewiß kein Zufall. Vermutlich war es damals gerade in Mode. Das heißt natürlich nicht, daß man Petrons Trojagedicht unbedingt als Parodie auf ein analoges Gedicht Neros aufzufassen ·hat. Doch allein schon die Stoffwahl läßt sich als ironische Anspielung auf die Person des Kaisers begreifen. Der erhaltene Text des "Satyricon" endet mit dem Testament des Eumolpos, in ·dem die Leute von Kroton ein letztes Mal verhöhnt werden: Darin ist festgelegt, daß nur der erben solle, der bereit sei, den Leichnam des Verstorbenen öffentlich zu verzehren. Diese Episode lehnt sich ohne Zweifel an die Satire des Horaz über die Erbschleicher an. Dort (Sat. 2, s) wird dem Erben zur Bedingung gemacht, daß er die Leiche auf seinen nackten Schultern zum Friedhof trage. Neben den Übereinstimmungen im Text (die bei gleichen Themen: für die römische Satire charakteristisch sind) haben wir es bei beiden Dichtern mit einer im gleichen Maße subtilen wie beißenden Ironie zu tun. Da die einzelnen Teile des "Satyricon" nur locker miteinander verknüpft sind und kein streng logischer Handlungsverlauf zu erkennen ist, läßt sich kaum erraten, was mit den Romanhelden fernerhin geschehen sein mag. Nur soviel ist klar, daß Encolpios alle Mißgeschicke unversehrt überstanden haben muß, da er ja derjenige ist, der darüber berichtet. Immerhin scheint das Ende der Erzählung nahe zu sein. Was uns an den erhaltenen Textfragmenten immer wieder in Erstaunen setzt, sind 7 A. Collignon, Etudes sur Petrone, Paris 1892, 135
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die unerschöpfliche Erfindungsgabe, die umfassende Bildung und das schriftstellerische Talent des Autors. Der römische Aristokrat Petron hat uns ein sehr volkstümliches Werk hinterlassen, das von der einschlägig bekannten Literatur der griechisch-römischen Antike vorbereitet wurde. Ungeachtet seiner Bindungen an griechische Traditionen ist das "Satyricon" ein durch und durch römischer Roman, in der römischen Wirklichkeit wurzelnd und mit römischem Salz gewürzt.
Religiöse Elemente im antiken Roman Von !SOLDE STARK
r. Geistige Voraussetzungen Die erhaltenen fünf griechischen Liebesromane suggerieren zwar alle die Zeit der autonomen Polis als Handlungszeit,i doch kommen den mehr oder weniger häufig erwähnten, oft anachronistischen geschichtlichen Fakten nicht die Merkmale des historischen Stoffes2 zu. Damit ist zu vermuten, daß sich die Romanfiguren in ihrem Weltund Selbstverständnis von dem der Zeitgenossen des 5· Jh. v. u. Z. erheblich unterscheiden. Und so sind Haupt- wie Nebenfiguren weit von einem Bewußtsein entfernt, wie es Perikles z. B. in seiner Grabrede auf die gefallenen Athener bei Thukydides ausspricht (2, 40, I - 3): "... Unsere Liebe gilt dem Schönen, ohne daß wir verschwenden, und wir lieben die Weisheit ohne Verweichlichung mit Worten. Reichtum ist für uns mehr eine Gelegenheit zur Tat als zum Großtun. Arm zu sein und das einzugestehen, gilt uns nicht als Schande; beschämender erscheint es, sich nicht anzustrengen, um der Armut zu entgehen. Bei uns richtet ein und derselbe Mann seine Sorge auf seine eigenen Angelegenheiten und auf das Leben der Polis. Er bemüht sich, denkend und in zulänglicher Weise zu erfassen, was alle angeht, wenn sich auch der eine zu dieser, der andere zu jener speziellen Tätigkeit wenden mag. Wir sind die einzigen, die denjenigen, der nicht an den Angelegenheiten der Polis Anteil nimmt, nicht für einen ruhigen Bürger, sondern für einen unnützen Bürger halten. Es ist auch unsere Art, die Angelegenheiten der Polis recht zu entscheiden oder wenigstens recht zu bedenken; wir glauben nicht, daß die Aussprache darüber für das Handeln Schaden bringt - schädlich scheint uns vielmehr, wenn man an die Ausführung des Notwendigen geht, ohne sich vorher durch vernünftige Erörterung unterrichtet zu haben. In ein und derselber Person das Äußerste zu wagen und zugleich gründlich zu durchdenken, was wir unternehmen wollen, darin verhalten wir uns ganz anders als die anderen. In dieser Beziehung entspringt bei den anderen Kühnheit aus Unkenntnis, aus vernünftiger Erwägung aber furchtsames Zaudern. Für die stärksten Herzen aber dürfen mit Recht diejenigen gehalten werden, die sowohl die Gefahr als auch das angenehme Leben ganz deutlich erkennen, deshalb aber der Gefahr doch nicht ausweichen. "3 1
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S. in diesem Band H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans, S. 63 f.; I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, S. 87 f.; K. Treu, Der Realitätsgehalt des antiken Romans, S. I I 8. Vgl. I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, in diesem Band S. 88 Anm. 23. Leicht veränderte Übersetzung von E. Ch. Welskopf in deren Buch: Probleme der Muße im Alten Hellas, Berlin 1962, r6s f.
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Thukydides, der für den objektiven Aspekt des seiner Auffassung nach immanenten Zusammenhängen unterliegenden Geschichtsprozesses anthropologische Prämissen annimmt,4 dehnt dessen subjektivetJJ Aspekt auf das politische Handeln aller Mitglieder des Staates, der Polis, aus. 5 Daß auch die demokratische Polis ein höchst exklusives Gemeinwesen war, welch~s sich die formale politische Gleichheit seiner Bürger und deren politische Aktivitäten nur auf Kosten der Sklaven und Metöken sowie im Falle von Athen auch auf Kosten der zu Untertanen herabgedrückten Bundesgenossen leisten konnte, ist dabei zu assoziieren. Selbst wenn wir auf Grund der bestehenden Quellenlage annehmen, daß ein solches Selbstbewußtsein im 5. Jh. v. u. Z. möglicherweise nur auf die Athener beschränkt blieb, daß es darüber hinaus selbst in Athen wohl in höherem Grade Ausdruck der offiziell propagierten Ideologie als eines allgemein verbreiteten Bewußtseins war, und selbst wenn wir annehmen, daß sich viele der anderen griechischen Poleis eher als Objekt der Geschichte in der Machtkonfrontation zwischen Athen und Sparta fühlen mußten, so tritt doch erstmals in der Historiographie die Überzeugung auf, daß dei' einzelne (des Politenkollektivs) unabhängig von seinem sozialen Status nicht nur Einsichten in den Geschichtsverlauf gewinnen, sondern daß er auch mit seinem Handeln in die gesellschaftlichen Vorgänge eingreifen, sie mitbestimmen kann; also Subjekt der Geschichte ist. Diese Qualität des Welt- und des Selbstbewußtseins spiegelt aueh die dominierende künstlerische Literatur im Athen des 5. Jh., die Tragödie~ und die Alte Komödie7, wider. Auch die Gedanken über die Erziehung und Bildung, wie sie uns bei den frühen Sophisten entgegentreten, sind davon getragen.8 Mit der Krise der Polis setzt jedoch die Entwicklung vom polites zum idi6tes, vom Staatsbürger zum Privatmann, die Entwicklung zum Individualismus ein, was schon in der Neuen Komödie des 4· Jh. v. u. Z. seinen sinnfälligen Niederschlag in der Hinwendung zu privaten Stoffen und Konflikten findet. Mit der Etablierung der hellenistischen Großreiche wird deutlich, daß die den weltgeschichtlichen Ablauf bestimmende Zeit der griechischen Poleis abgelaufen ist, woran auch formelle Autonomie und Fortbestehen als kommunale Einheit mit allen Polisinstitutionen9 nichts ändern. Auch die Rolle des Züngleins an der Waage, die die Polisbünde zeitweilig bei den Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden hellenistischen Staaten und dem erstarkenden Rom spielten, kann darüber nicht hinwegtäuschen. Damit findet offensichtlich auch ein allgemeineres Bewußtsein, Subjekt der Geschichte zu sein, sein Ende. Obwohl Polybios in seinem historiographischen Werk seiner eigenen, letzten Endes fatalistischen Ge4 D. Nickel, Geschichtsschreibung im Rahmen der griechischen Polis, in: Klio 66, 1984, 473· 5
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D. Nickel, Das gesellschaftliche Leitbild in der Gefallenenrede des Perikles bei Thukydides, in: Der Mensch als Maß der Dinge. Studien zum griechischen Menschenbild in· der Zeit der Blüte und Krise der Polis, hrsg. von R. Müller, Berlin 1976, r67-187. S. dazu H.; Kuch, Gesellschaftliche Voraussetzungen und Sujet der griechischen Tragödie, in: Die griechische Tragödie in ihrer gesellschaftlichen Funktion, hrsg. von H. Kuch, Berlin 1983, 30 f.; 38 f.; ders., Individuum und Gesellschaft in der tragischen Dichtung der Griechen, ebenda 63f.; 73; Sr. V gl. dazu I. Stark, Die Aristophanische Komödienfigur als Subjekt der Geschichte, in: ;Klio. 64, I91l.Z, 67-74.
E. Ch. Welskopf, Sophisten, in: Hellenische Poleis. Krise - Wandlung - Wirkung, ·Bd. 4, Berlin 1974, I94S; I9S.Z f.; R. Müller, Das Menschenbild der sophistischen Aufklärung, in: Der Mensch als Maß der Dinge (vgl. Anm. s), .z6o f.
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schichtskonzeption selbst mit Erkenntnisoptimismus begegnet, aus dem er sein Herrschaftswissen und dessen Vermittlung gewinnt, verengt sich bei ihm deutlich der subjektive Aspekt des Geschichtsprozesses zum politisch relevanten Handeln einer quantitativ nur noch geringen sozialen und politischen Oberschicht und tritt bei ihm die Rolle der Einzelpersönlichkeit in das Zentrum der Betrachtung.10 Er gibt Rezepte, um die Volksmassen zu disziplinieren und zu manipulieren, und er verfolgt deren selbständige Bewegung mit Argwohn, Unverständnis und Haß. Die philosophischen Richtungen des Hellenismus finden-trotzaller Unterschiede ihrer Systeme - in der Orientierung auf die Natur des Menschen eine gemeinsame Basis für ihr Denken, aus der die zentrale Stellung der Individualethik resultiert. 11 Der nun a priori gesetzten Unerfreulichkeit des menschlichen Daseins versuchen sie auf unterschiedliche Weise zu entgehen, um zur apdtheia und zur ataraxia zu gelangen - sei es durch die Anpassung an das Bestehende in Gesellschaft und Natur einerseits und durch das Ausweichen vor öffentlichen Aktivitäten und individuellen Extremsituationen andererseits (wie im Epikureismus 12) oder durch die ungerührte Hinnahme aller schlimmen Wechselfälle des Lebens, denen man sich bewußt, gleichsam zur Abhärtung, aussetzt (wie in der Stoa13); oder sei es durch die subjektive Gleichgültigkeit gegenüber den erkenntnistheoretisch objektiv gleichwertigen Dingen (wie im Pyrrhonischen Skeptizismus). 14 Die andere Möglichkeit, Trost über den unberechenbaren Zugriff des launischen Schicksals in dem undurchschaubar gewordenen Leben ZU' finden, bestand für den aus der Sicherheit der Polis entlassenen, im Sinne des Wortes ohnmächtigen einzelnen in der Hinwendung zu Glaube und Aberglaube15• Im Gegensatz zu den mit der Poliskrise sinnentleerten Polisgöttem16 boten die schon seit alters bestehenden Mysterien9
Vgl. H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung, in diesem BandS. 33· S. dazu H. Labuske, Zur geschichtsphilosophischen Konzeption des Polybios, in: Klio 59, 1977, 403-413; ders., Geschichtsschreibung im Hellenismus: Polybias und seine Konkurrenten, in: Klio 66, 1984, 480. 11 Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im Altertum, Autorenkollektiv unter Leitung von F. Jürß, Berlin 1982, 391. 12 Ebenda 389. 13 Ebenda 392. 14 Ebenda 400. 15 Eine ähnliche Entwicklung ist für Rom bzw. Italien in der Kaiserzeit zu beobachten, da Aberglaube, Zauberei, Wahrsagerei etc. sich nicht nur in den sozial unteren Schichten, sondern .auch in den gebildeten, sozial höheren Schichten zunehmend verbreiteten und auch verschiedene Kaiser solchen Vorstellungen huldigten. - Siehe K. Latte, Römische Religionsgeschichte, München r96o, 325-33 r; vgl. M. P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion, Bd. z: Die hellenistische und die römische Zeit, 3· Auf!. München 1974, 520. 16 Dazu kommt im Hellenismus eine Tendenz, die traditionellen Götter zu hervorragenden Menschen der Vorzeit" zu erklären, die wegen ihrer Taten vergöttlicht wurden, während der Begriff des Göttlichen nur den ewigen, unveränderlichen Naturerscheinungen wie Sonne, Mond und Sterne belassen wird. Höchst anschaulich schildert das Buherneros in seinem utopischen Reise. roman: .,Danach sagt er" (Euhemeros), .,sei Uranos als erster König gewesen, ein tüchtiger und wohltätiger Mann und der Sternenbewegung kundig. Er habe als erster die himmlischen -Götter durch Opfer geehrt, weshalb er auch Uranes genannt worden sei. Von seiner Frau Hestia seien ihm Söhne geboren worden, und zwar Titan und Kronos, als Töchter aber Rhea und Demeter. Kronos habe nach Uranos als König geherrscht, und er habe Zeus, Hera und Poseiden gezeugt, 10
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kulte17 traditioneller Götter, wie Demeter und Dionysos, mehr noch aber die aus Kleinasien und Agypten eindringenden Kulte und Mysterien18, wie die der Kybeld9, der Isis20 oder des Sarapis21, eine neue Sicherheit durch die individuelle Bindung des Gläubigen an die Gottheit, und sie versprachen Erlösung.22 Waren gewiß soziale Polarisierung und existentielle Unsicherheit im Übergang zum nachdem er Rhea geheiratet habe. Zeus aber sei der Nachfolger in der Königsherrschaft gewesen und habe sowohl Heraals auch Demeter und Themis zum Weibe genommen. Von diesen seien Kinder hervorgegangen, und zwar die Kureten von der ersten, Persephone von der zweiten und Athene von der dritten. Er :;ei nach Babyion gekommen und habe bei Bel gastliche Aufnahme gefunden. Danach sei er zu der im Ozean liegenden Insel Panchaia gelangt und habe einen Altar für Uranes, seinen eigenen Ahnherrn, erbaut. Von dott sei er durch Syrien zu dem. damaligen Herrscher Kassios gekommen, von dem der Berg Kassien abgeleitet ist. Auch sei er nach Kilikien gekommen und habe im Krieg den Landesfürsten Kilix besiegt. Zu den meisten anderen Völkern sei er auch gelangt, sei bei allen verehrt und zu einem Gott erklärt worden." - Vgl. den Text bei F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker, Bd. I, Berlin I913, 63 F 1; s. M. P. Nilsson (vgl. Anm. I5). 183 u. 188, bes. aber 509: "Als die alten Götter für den lebendigen Glauben des Volkes abgewirtschaftet hatten und die Philosophie die Lehre vortrug, daßj ,.die Gestirne die wahren Götter seien, verschob sich die Lage zugunsten desjenigen Himmelskörpers, der die größte und fühlbarste Bedeutung hatte. Der Euhemerismus erkannte die Göttlichkeit der Gestirne an, das Volk auf Panchaia verehrte die Sonne, den Mond und die Gestirne. Hervorragend ist die Rolle der Sonne in den Gesellschaftsutopien ..• Die Utopie des Iambulos waren die Sonneninseln, wo ein Sonnenstaat bestand und die Sonne mehr als alle Götter verehrt wurde." 17 W. Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart-Berlin (West)Köln-Mainz I977• 4I6, weist darauf hin, daß die Mysterien - älter als die entwickelte Polis gleichzeitig über jene hinausführen: "Die Fähigkeit zur individuellen Entscheidung und die Suche nach privater Lebenserfüllung findet ihren Ausdruck auch in der Religion: neben die Beteiligung an den kaiendarisch festgelegten Polisfesten tritt d:;ls Interesse für Selbstgewähltes, Besonderes, und damit für zusätzliche Weihen und Mysterien. Mehr als zuvor wird dem einzelnen der Tod zum Problem, der in der Gemeinschaft noch fraglos eingeplant ist; so finden Verheißungen, über den eigenen Tod hinwegzuhelfen, aufmerksames Gehör. Das statische System der Religion gerät in dynamische Bewegung: seit etwa 6oo nehmen Mysterien verschiedener Art einen deutlichen Aufschwung." 18 Interessant ist eine parallele Entwicklung in Rom, da nach dem Ende der Republik in der frühen Kaiserzeit (I. Jh. u. Z.) die orientalischen Kulte eine große Ausbreitung erfahren - s. K. Latte (vgl. Anm. I 5), 341. Diese gelangen überwiegend in mehr oder weniger hellenisierter Form nach Italien und in die westlichen Reichsteile - vgl. ebenda 345· L. Vidman, Isis und Sarapis bei den Griechen und Römern, Berlin (West) I970, 46 f., weist nach, daß jedoch der Einfluß der ägyptischen Religion auf die griechische stärker war als umgekehrt. 19 Kybele, deren Kult von wandernden Bettelpriestern verbreitet wurde, ist wahrscheinlich schon im 7· Jh. v. u. Z. von den Griechen Kleinasiens übernommen worden; ihr Kult hatte allerdings privaten Charakter, s. W. Burkert (vgl. Anm. 17), 176; M. P. Nilsson (vgl. Anm. Ij), u6. 20 Isis und Osiris waren im 5· Jh. v. u. Z. den Griechen durchaus bekannt, wie schon aus Herod<>t hervorgeht, W. Burkert (vgl. Anm. 17), 178. Ihr Kult war bereits in vorhellenistischer Zeit griechischen Vorstellungen nicht völlig wesensfremd, s. L. Vidman (vgl. Anm. I8), 11. So 1gab es im Piräus des 4· Jh. v. u. Z. beispielsweise einen ägyptischen Tempel der noch nicht hellenisierten Isis (ebenda 35). 21 Der Sarapiskult - in Athen erst im ausgehenden 3· Jh. v. u. Z. als Privatkult nachweisbar wird nach 100 v. u. Z. staatlich anerkannt, L. Vidman (vgl. Anm. I8), 37· 22 W. Burkert (vgl. Anm. I7), 4I s: "Daß für den Mysten der Tod seinen Schrecken verliert, daß
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Hellenismus entscheidende Faktoren für den Aufschwung des Irrationalen, so darf andererseits nicht übersehen werden, daß die Krise der Polis im wesentlichen eine Krise der politischen und sozialen Form, nicht aber der antiken Produktionsweise generell darstellt. 23 Für diese war die Organisationsform der Polis inadäquat, d. h. zu eng geworden. Ökonomisch gesehen ergaben sich für die antike Produktionsweise in den traditionell griechischen Gebieten neue Entwicklungsmöglichkeiten. Die ökonomische Basis des griechischen Mittelmeer- und Schwarzmeerraumes blieb auch unter römischer Herrschaft bis ins 3· Jh. u. Z. weitgehend unverändert. Daher vereinen sich für nahezu fünf Jahrhunderte auf den ersten Blick sich ausschließende Erscheinungen: statische Momente auf der einen, der ökonomischen Seite, und formal dynamische, sich zeitweilig zum Chaotischen steigernde, auf der andern, der politischen Seite, die aber zur Ebene der für den einzelnen unbeeinflußbaren und kaum durchschaubaren Haupt- und Staatsaktionen geworden war.~ Es ist somit anzunehmen, daß über eine ziemlich lange Zeit hinweg a~f der Basis relativ stabiler sozialer Beziehungen sich wenig verändernde literar-ästhetische Kommunikationsverhältnisse existierten, die immer wieder eine Leserschicht;25 reproduzierten, deren Leben - Privat- und Polisleben - in ausgetretenen, banalen Pfaden verlief, 26 für die die Abenteuer der Romane augenscheinlich eine kompensatorische Funktion hatten und die sich in keinerlei Hinsicht mehr als Subjekt der Geschichte fühlen konnte. So dürften denn die Figuren im griechischen Abenteuer- und Liebesroman, der jeden Bezug oder gar die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität seiner Gegenwart geradezu geflissentlich vermeidet, in ihrem Welt- und Selbstverständnis doch typische Zeitgenossen der Entstehungszeit sein. er die Garantie für ein seliges Leben im Jenseits gewinnt, wird nicht bei allen Mysterien ausdrücklich erwähnt, steht aber bei vielen im Vordergrund." S. auch L. Vidman (vgl. Anm. 18), 17. 23 Vgl. H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung, in diesem BandS. H· ~ Mit der Ablösung des Bürgerheeres durch das Söldnerheer war der Polisbürger im Prinzip auch seiner militärischen Pflicht enthoben. Außerdem spielten sich die zahlreichen Kriege in diesem langen Zeitraum zum großen Teil an der Peripherie ab. - Vgl..H. Kreißig, Versuch einer Konzeption de~ hellenistischen Epoche, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1982., T. 1, IS7 f. Gelangte ein vornehmer Grieche am römischen Kaiserhofe beispielsweise zu Amt und Würden, dann engagierte er sich durchaus weiterhin in seiner Heimatpolis. Doch bestand dieses Engagement im wesentlichen entweder im Errichten öffentlicher Prachtbauten, dem Ausrichten von öffentlichen Spielen oder in der Übernahme des städtischen bzw. provinzialen Priesteramtes des Kaiserkultes. S. dazu F. Quass, Zur politischen Tätigkeit der munizipalen Aristokratie des griechischen Ostens in der Kaiserzeit, in: Historia p, 1982., 188 f.; 2.08 f.; 2.12. f. 25 Vgl. H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans, in diesem BandS. 67. 26 Vgl. K. Treu, Der antike Roman und sein Publikum, in diesem Band S. 187. Ein ähnliches Lebensgefühl konstatiert K. ,·Larte (vgl. Anm. 1 s), 343 f., auch für die römische Kaiserzeit. "Das Gefühl, in festgefügten Bahnen zu laufen, erzeugt einen Determinismus, der die Befreiung nur noch von einem Wunder erwarten kann. Dieses Gefühl ist so stark, daß selbst ein Astrologe für seine deterministische Lehre mit der Versicherung wirbt, sie allein wäre imstande, den Menschen Befreiung von Hoffnung, und Zufall zu bringen und ihnen damit die Seelenruhe zu geben, deren sie bedürfen ... Der leidenschaftliche Versuch, dem Schicksal zu entrinnen, erzeugt so abseitige Erscheinungen wie den Glauben, daß man durch das Opfer des eigenen Lebens einj anderes Leben verlängern kann."
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z. Die Rolle des Schicksals Das Leben der Romanfiguren erscheint im großen und ganzen als Kette von mehr oder weniger erfreulichen, vor allem aber schlimmen Zufällen, denen sie ausgeliefert sind. Die deifizierte Tycht? wird zum launischen, übelwollenden und unberechenbaren Schicksals, zum aut6mato,;.a, zum absoluten Zufall, wenn z. B. Chaireas (Chariton) wegen der angeblichen Untreue Kallirhoes über sein unglückliches Los klagt (r, 3, 5) oder wenn Kallirhoe in ihren Klagemonologen die mißgünstige Tyche als Urheberin ihrer Leiden schil~9 , die in Scheintod, Versklavung, Raub, Nachstellungen usw. bestehen.30 Dem im Prinzip gleichen Schicksal sind auch die Hauptfiguren in- den anderen Romanen unentrinnbar ausgeliefert. 31 So empfiehlt der Pirat Euxeinos dem Abrokomes (Xenophon), nicht mit seinem Schicksal - nämlich aus einem Freien zum Sklaven geworden zu sein - zu hadern und sich lieber zu arrangieren (r, r6, 3). Aus schlimmen Ereignissen besteht auch das Leben des Hippothoos, der dasselbe automatisch auch für das des Abrokomes annimmt (3, 2, I 5). Damit hat er natürlich recht, und so ist später auch! der Statthalter von Ägypten voller Mitleid über die Tyche des Abrokomes (4, 4, r). 32 Für Anthia bedeutet Tyche in ihrem Klagemonolog (4, 6, 6 f.) das Unglück schlechthin.33 Die Frage: "Welches Geschick führt dich hierher?" (5, 12, 5), macht deutlich, daß nicht eigene Entschlüsse das Leben bestimmen, sondern das Schicksal, die Tyche. Bei Achilleus Tatios sind die Schicksalsgöttinnen, die Mairen - zunächst noch ohne Aussage, ob im Guten oder im Bösen -, mächtiger als der Mensch (I, 3, 2), wenn sie für die Hauptfigur Kleitopbon eine andere Frau bestimmt haben. Doch da beginnt schon kurz darauf (I, 3, 3) Tyche selbst das Drama seines Lebens, das aus gefährlichen und unvorhersehbaren Abenteuern besteht, zu inszenieren.34 Auch Leukippe und einige Nebenfiguren. werden wieder arg vom Schicksal gebeutelt. Dagegen spielt bei Longos die Tyche kaum eine Rolle, da Eros selbst die Fäden des Geschehens in der Hand hält. Nur zweimal erscheint Tyche in deifizierter Form: einmal als glücklicher Zufall (3, 14, I), der einen besonders schönen Apfel bis zum Schluß 27
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Im ausgehenden 1· Jh. v. u. Z. gibt es bei Euripides schon Überlegungen, ob Tyche nicht stärker als alle anderen Götter sei (Ion I512.-IP4; Hekabe 488-49I; Kyklops 6o6 f.), s. W. Burkert (vgl. Anm. I7), 287. Über die Anfänge des Tyche-Kultes und seine enorme Verbreitung im Hellenismus und in der Kaiserzeit s. M. P. Nilsson (vgl. Anm. I5), 206-2Io; s. auch W. Schubart, Die religiöse Haltung des frühen Hellenismus (Der Alte Orient 35, 2), Leipzig I9H· I2. Der Begriff des atttomaton drückt noch stärker den unberechenbaren, unbeeinflußbaren, grundlosen und von selbst geschehenden Charakter des Geschickes aus. S. dazu M. P. Nilsson (vgl. Anm. I5), 203 f. u. 30I. I, I4, 7-9; 2, 8, 6; 4, I, 12.; 5, I, 4; 5, 5, .2; 2, 8,"3; 3> 2, 3; 4, 4, 2; 4, 5, 3ö 4, 7, 3; 6, 8, I; 8, I, 2; 8, 3, 5. Wenn Tyche ~als glücklicher Zufall erscheint (so I, Io, 2; I, I3, 4 für die Grabräuber) .bzw. als "Guter Geist" des Großkönigs (5, 6, 8), dann hat das jeweils wieder üble Folgen für Kallirhoe. I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, in diesem Band S. 84-87. Ausnahmen s. R. }ohne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem BandS. I69-"-I7I. Der Statthalter ist auch wieder voller Mitleid für das Schicksal der Anthia (s, 4, 7). Vgl. auch den Klagemonolog des Abrokomes (s, 8, 3 f.). Vgl. die Klagemonologe des Kleitopbon (3, Io, 1-6; 3, I6, 3-5; 4, 9, 4-7; 7, 5, 1-4).
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der Ernte am Baum hängen läßt, und ein andermal als Verhängnis (4, 2.I, I), das Daphnis' Vater am selben Tag seine beiden ältesten Kinder durch dieselbe Krankheit raubt. Trotzdem stehen auch hier die Liebenden den bösen Zufällen, die in ihre Idylle einbrechen, meist hilflos gegenüber.35 Bei Heliodor wird Knemon von dem Klagemonolog Charikleias (I, 8, 2.- 4), in dem sie ihre bisherigen Leiden aufzählt, zu der Vermutung veranlaßt, daß er, sie und Theagenes dasselbe Schicksal, d. h. Unglück, haben (I, 8, 6). Knemon beklagt auch den wechselvollen Charakter des menschlichen Schicksals generell, das voller Eifer ihn wie auch viele andere in wahre Unglücksstrudel stürzte. 36 Neben Tyche werden auch ein oder mehrere Dämonen37 für das schlimme Geschick verantwortlich gemacht (6, 8, ;-~).36 Tyche aber erscheint als das Unglück überhaupt.39 Genauso tritt uns im wesendichen das Schicksal als Fortuna bei Apuleius entgegen;40 es ist blind, grimmig, ungerecht (~. 9, 2.; 7, 2.,.4), auch wenn es einmal aus größter Not einen Ausweg weist (7, 2.0, I). 3· Charakter und Funktion ungewisser Vorausdeutungen
Dadurch, daß das Schicksal unvorhersehbar und schlimm ist, stehen die Romanfiguren ihrer Zukunft im großen und ganzen passiv gegenüber, wie vor allem aus den zahlreichen, nahezu stereotypen Klagemonologen in den einzelnen Romanen hervorgeht, und ihr Handeln reduziert sich meistens auf Reaktionen gegenüber den stets plötzlich niederprasselnden Schicksalsschlägen.11 Selbst wenn Einblicke in das künftige Geschehen möglich sind - sei es durch Prophetentum, wie bei Kalasiris (Heliodor 2., 2.4, 6 f.), sei es durch vom Schicksalsdämon gesandte Träume (Achilleus Tatios I, ;, 2.) 42 -, dem widrigen Geschick kann niemand entrinnen; ein Vorherwissen läßt es aber besser ertragen, weil man sitli darauf einstellen kann, während unerwartetes Unglück kaum auszuhalten ist. Demzufolge sind die ungewissen Vorausdeutungen in Form passiver Zukunftseinsichten durch Träume, Weissagungen, Vorahnungen, Zauberei, Orakel, 35 Vgl. dazu die Klagemonologe, wie z. B. I, I, I4 und I, I, I8 (Chloe und Daphnis erleiden die Liebe) oder 2, 2.2, I-4 (Klage des Daphnis über die geraubte Chloe) bzw. 4, 27, I f. (Klage der
Chloe über den untreuen Daphnis). Worin das Unglück besteht, führt Knemon 6, 7, 4-6 aus; es entspricht wieder dem bekannten Motivkatalog. Vgl. I.\Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, in diesem Band S. 84-87. 37 Der Begriff des daimon bzw. der daimones wird in den Romanen im pejorativen und weitgehend im synonymen Sinne mit Tyche gebraucht. Über die Bedeutungsunterschiede zwischen Daimon und Tyche s. M. P. Nilsson (vgl. Anm. q), 2I0-2I~. 38 S. auch 6, u, I; 7, 6, 4; 7, 14, ~ f.; vgl. Chariton u. a. I, I, I6; 2, 2, I7. Auch Pronoia, die Vorsehung, findet sich relativ häufig. 39 Vgl. dazu u. a. 7, u, 2; 7, I4, 4; 8, ~. 7· 40 So I, 7, I; I, 7, 6; 4, 12, I; 4, ~I, 2; ~. II, 3; 6, 28, 2; 7, I6, I; 7, I7, I; 7, 2~, 2; 8, 24, I; IO, 24, I; n, 12, 2; u, I~. I-3; u, 2J, 2.; als Ausnahme: 8, zo, I. 11 Das im einzelnen belegen zu wollen, bedeutete, die Romanhandlungen nachzuerzählen. Über die Handlungsmöglichkeiten der Figuren s. R. Johne, Zu~ Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band. 42 Vgi. E. Vilborg, Achilleus Tatius' Leucippe and Clitophon. A Commentary, in: Acta Universitatis Gothoburgensis. Studia Graeca et Latina Gothoburgensia I5, I962, 2I. 36
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Epiphanie usw.43 in den Romanen relativ zahlreich. Dabei haben gerade die übersinnlichen Vorausdeutungen nicht nur innerhalb der erzählten Welt auf die Romanfiguren eine erstaunliche Wirkung, sondern auch auf den Leser: Sie erreichen einen Grad von Verbindlichkeit, der sie den gewissen Vorausdeutungen eines medialen Erzählers qualitativ gleichsetzt."" Eben weil sie göttlichen Ursprungs sind, steht ihre Richtigkeit außer Zweifel. Zweifelhaft sind nur die Auslegungen, die ihnen die Menschen geben. So verzichtet der sonst recht rationale Chariton keineswegs auf die Zukunftseinsicht durch Träume: Kallirhoe findet sich zur Ehe mit Dionysios letztlich nur bereit, weil ihr im Traum Chaireas seinen ungeborenen Sohn anvertraut hat (2, 9, 6). Ein jedoch fehlgedeuteter Traum (4, I, I) bekräftigt sie in der Annahme, daß Chaireas- tot sei. Ein guter Traum (5. 5, 5) versetzt nicht nur sie in frohe Stimmung, sondern auch den Leser, der nun mit! Sicherheit einen glücklichen Schluß des Ganzen erwarten kann, obwohl der Roman noch lange nicht zu Ende ist. Bei Achilleus Tatios wird die geplante Hochzeit zwischen Kleitopbon und seiner Halbschwester Kalligone zunächst beschleunigt, dann verschoben, weil Kleitophans Vater düstere Träume plagen und ein Adler das Opfertier vom Altar reißt (2, 11, I 12, 2). Eine byzantinische Gesandtschaft wird auf Grund eines Orakels nach Tyros geschickt (2, I4, I f.), und mit ihr Kallisthenes, der Leukippe rauben will. Als Kleitaphon gerade dabei ist, Leukippe zu verführen, wird er von deren Mutter gestört, die ein entsprechender allegorischer Traum hochgeschreckt hat (z, 23, 4 f.). Träume bewirken auch, daß sich Leukippe und Kleitopbon zur Keuschheit bekehren (4, I, 3- 8). Übersinnliches ist bei der Keuschheitsprobe im Spiel, der sich Leukippe und Melite unterziehen müssen (8, 11, 2) und von der das weitere Schicksal der beiden abhängt. In Xenophons Roman geht das jungvermählte Paar auf Reisen, weil es das Orakel des Apollon so befahl (I, 6, 2). Schon nach wenigen Tagen der Seefahrt hat Abrokome~ einen schlimmen Traum, in dem das Schiff in Flammen aufgeht (I, 12, 4) - die Katastrophe läßt dann auch nicht lange auf sich warten. Dann träumt er, daß er ein umherirrendes Pferd sei, das eine Stute verfolgt, und daß er wieder zum Mensch würde, als er sie erreicht (2, 8, 2); der Hinweis auf ein glückliches Ende ist also in dieser dunklen ~ 3 E. Lämmert, Bauformen des Erzählens, Stuttgart 19~ h dem ich hier folge, geht davon aus, daß
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den dichterischen Figuren (wie den realen Menschen) - im Gegensatz zum medialen Erzähler jede Kenntnis ihrer Zukunft fehlen muß (17~ f.). Trotzdem existieren Möglichkeiten, daß sich die Figuren (bzw. die Menschen)_ ihrer Zukunft versichern wollen, sei es auf dem Wege der aktiven Zukunftsgestaltung oder auf dem der passiven Zukunftseinsicht (q6). Zur ersteren zählen Pläne, Entschlüsse, Verabredungen usw. (177), die jedoch bei den Figuren der antiken Romane entweder durch das unberechenbare Schicksal sehr schnell vereitelt werden oder aber überwiegend Reaktioneil auf die verschiedenen Schicksalsschläge sind. Bei letzteren, die erzähltechnisch ebenso wie die zukunftsgewissen Vorausdeutungen der Spannungserhöhung dienen, ist der Glaube an ein vorherbestimmtes Leben notwendige Voraussetzung (176). Die konkreten Formen sind dann Träume, Ahnungen, Weissagungen, Zauberei usw. (176 f.), wobei in den antiken - den vollständig wie den auszugsweise oder fragmentarisch erhaltenen - Romanen den übersinnlichen Vorausdeutungen ein hoher Stellenwert zukommt. Im folgenden werden jedoch nur Belege aus den vollständig überlieferten Romanen verwandt. Über Bedeutung und Ausbreitung von Aberund Wunderglauben, Zauberei, Epiphanie, Orakel und Träume im Hellenismus s. M. P. Nilsson (vgl. Anm. q), 2.18-2.30. E. Lämmert (vgl. Anm. 43), 178 f.
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Prophezeiung durchaus vorhanden. Von einem Traum wird nun Anthia in die Irre geführt, denn er läßt sie glauben, Abrokomes habe sich einer anderen zugewandt; das ist Grund genug für sie, um mit dem Selbstmord zu liebäugeln (s, 8, s - 9). Auch greift ein Gott, nämlich Helios, in· das Geschehen ein und rettet Abrokomes zweimal auf wunderbare Weise (4, 2, 4- 9). Eine Fülle von Prophezeiungen ist bei Longos in Orakel und Träume eingebaut. Lamon und Dryas haben beispielsweise in ein- und derselben Nacht den gleichen Traum: Die Nymphen übergeben Daphnis und Chloe einem geflügelten Knaben, d. h. Eros, auf dessen Geheiß sie Ziegen und Schafe hüten sollen (r, 7, r- 3). Obwohl die beiden Vizeväter eigentlich von dem Traum abweichende Vorstellungen über die Zukunft ihrer Findelkinder haben, erfüllen sie doch umgehend die Gebote des Traumes (r, 8, r-2). Auch ansonsten sind be~ Longos die göttlichen Kundgebungen in den Träumen der Menschen von beachtenswerter, sonst unüblicher Eindeutigkeit. So verkünden die Nymphen dem Daphnis, daß die entführte Chloe schon am nächsten Tag wieder wohlbehalten eintreffen werde (2, 23, 2- s); auch Pan gibt dem Strategen von Methymna detaillierte Befehle (2, 27, r-3) - hier werden ebenfalls sofort die Anweisungen ausgeführt (2, 28, r-3); die Nymphen erscheinen Daphnis mit der Weissagung, wo er 3000 Drachmen finden würde, was sich schon am folgenden Tag bewahrheitet (3, 27, 2 bis 3, 28, 3); genauso konkret ist der Auftrag aß! Daphnis' Vater, dessen Ausführung die verheißene Auffindung von Chloes Eltern mit sich bringt (4, 24, 1-4, 36, 2). Dunkel ist nur ein Traum, daß nämlich Chloes Vater durch ein Schaf zum Vater würde. Da dieser Traum erst n a c h der Auflösung sämtlicher Rätsel erzählt wird, ist er von vornherein seines vieldeutigen Charakters entkleidet (4, 35, s). Auch in diesem Roman agiert ein Gott selbst, nämlich Pan, als er die Natur in Aufruhr versetzt, um Chloe. zu befreien (2, 2S, 3-2, 26, s). Zauberei kommt nun bei Heliodor ins Spiel, wenn eine alte Agypterin ihren gefallenen Sohn nächtlicherweise zu gespenstischem Leben erweckt und ihm Voraussagen abpreßt (6, 14, r-6, q, 4), die für Charikleia, Theagenes und Kalasiris Gutes beinhalten. Dann wird Charikleia durch die wunderbaren Kräfte des Ringes Fantarbe gerettet; den sie auf Geheiß eines Traumgesichtes mit auf den Scheiterhaufen nahm (8, II, r-9). Überhaupt sind in diesem Roman neben den Orakeln die Träume sehr zahlreich. Ziemlich zu Beginn der Handlung hat z. B. der Räuberhauptmann Thyamis einen gottgesandten Traum, der im Isistempel seiner Vaterstadt Memphis spielt. Dort wird ihm Charikleia von der Göttin selbst übergeben. Ihre mehrdeutigen Worte interpretiert Thyamis im Sinne seiner Leidenschaft zu dem Mädchen (r, r8, 2-s). Dank seiner konventionalisierten Erwartungshaltung weiß der Leser natürlich sofort, daß diese Auslegung falsch sein muß. Aber als Thyamis, der zu Unrecht aus Memphis vertriebene Isispriester, erkennt, daß seine Sinndeutung falsch war, gibt er dem Traum endlich - wie er meint - die richtige, indem er Thisbe als vermeintliche Charikleia tötet. Doch sein nochmaliger Irrtum schafft die Voraussetzung dafür,' daß sich die dunklen Worte der Isis erfüllen und somit verständlich werden. Hierin wird ein Charakteristikum für solche ungewissen Vorausdeutungen sichtbar. Sie sind in den meisten Fällen mehrdeutig und erst für die Figur wie für den Leser richtig zu verstehen, wenn sich die ihnen immanenten Prophezeiungen· erfüllt haben. Sie erwecken bestimmte Vermutungen, ohne daß der Inhalt des zukünftigen Lebensabschnitts preisgegeben wird. Auch der nächste Traum in diesem Roman wird zunächst falsch interpretiert: Charikleia träumt, ihr sei von einem
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Mann mit einem Schwert das rechte Auge ausgeschlagen worden. Sie setzt das ahnungsvoll mit Theagenes in Beziehung, wird aber von der Deutung Knemons wieder beruhigt (z, I6, I-7). Die weiteren Ereignisse erweisen, daß ihre Sinngebung richtig war, denn Theagenes wird gefangengenommen und von ihr getrennt. Durch diese beiden Prophezeiungen ist der Wahrheitsanspruch von Träumen und Orakeln usw. erhärtet worden. Wenn sich d"ie Richtigkeit der Voraussagen für Teilabschnitte herausgestellt hat, da,nn sind nun solche, die nahezu das gesamte Leben umfassen, über jeden Zweifel erhaben.45 Auch bei Apuleius gibt es Träume mit prophetischem Inhalt. Das von den Räubern entführte Mädchen macht im Traum noch einmal ihr Unglück durch, daß hier noch durch den Tod des Geliebten vergrößert wird (4, 27, I-4). Dem Ludus werden seine bevorstehende Errettung und die Weisung für sein weiteres Leben von Isis selbst in einem Traum angekündigt (u, 3, I-II, 7, I). Sein Entschluß, sich in die Mysterien der Isis einweihen zu lassen, wird durch verheißungsvolle Träume befördert (u, zo, I f.; 11, 22, z f.), und auch sein weiteres Leben ist von Träumen mit göttlichen Weisungen erfüllt (11, z6, 5 f.; II, 27, 3 f.; II, 29, 4-I I, 30, I; II, 30, 3-5). 4·-
Die Bedeutung der Götter
Allen Romanfiguren ist eigen, daß sie ihrem von unerwarteten, unbegreifbaren und unbeeinflußbaren Schicksalsschlägen bestimmten Leben einen Sinn zu geben suchen, und so kann das Schicksal nur einen Sinn haben, wenn es göttlichen Ursprung~ ist.46 ·Bei Chariton ist es Aphrodite, die aus Zorn über Chaireas' unmäßigd Eifersucht die Liebenden mit einem schweren Geschick prüft (7, 5, 2 f.; 8, I, 3). Die Moiren stehen bei Achilleus Tatios hinter allem (I, 3, 2). In Xenophons Roman is~ es Eros, der sich an dem hochmütigen, die Liebe verachtenden Abrokomes rächen will (I, z, I f.; I, 4, 5). Eros selbst erweist sich auch als der Lenker des Schicksals der Liebenden bei Longos (z, 5, 4; z, 6, 2; 3, 12, I), und er beabsichtigt, aus Chloes Leben eine Erzählung zu formen (z, 27, 2). Obwohl nicht so recht der Grund deutlich wird, so ist es doch Apollon, dessen Strafe bei Heliodor die schlimmen Wechselfälle im Leben des Liebespaares verursacht (x, 8, 2); die Götter allgemein haben das Leben in der Hand (I, z6, 4; 6, 8, 5) oder auch speziell die Moiren (6, I J, I; IO, zo, z). Bei Apuleius vermutet Ludus, daß sich hinter seinem Schicksal ein gekränkter Gott verbirgt (11, z, 7), und sein weiteres Leben hat ja Isis in der Hand (u, 6, 6). Konsequenterweise wird auch in der Parodie des Petton dieses für den Abenteuer- und Liebesroman spezifische Moment beibehalten, wenn der Zorn des Gottes Priapus die Ursache für das abenteuerliche Umherirren des Encolpios ist (I 39, 4). Nachdem die Romanhelden jedoch die Strafe der Gottheit bzw. die Prüfungssituationen erfolgreich bestanden haben, fügt sich alles zum glücklichen Ende. In den am Romanende gegebenen Ausblicken auf das weitere Leben der Figuren ist stets von 45 46
Vgl. ebenda 182 f. Auch für die römische Kaiserzeit gelangt K. Latte (vgl. Anm. 1~), ~44, zu ähnlichen Schlußfolgerungen : "Im Gegenschlag zum Determinismus erscheint da~ Schicksal durch den Willen der Götter beliebig auswechselbar; man preist sie als die über dem Schicksal Waltenden. Daraus ergibt sich eine völlig veränderte Auffassung des Lebens • es erscheint als ein Ergebnis göttlicher Führung. Je wunderbarer und verschlungener seine Pfade sind, desto gewisser erkennt der Gläubige darin die Hand seines Gottes, die alles zum guten Ende gelenkt hat."
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einem nunmehr unwandelbaren glücklichen Dasein die Rede, gleichsam als Lohn für die ertragenen Mühen und Qualen und an die Schlußformeln von Märchen erinnernd47 : Die Herrschaft der Tyche hat hier ihr Ende. 48 Kommt unter den Göttern Aphrodite bzw. Eros eine zentrale Rolle zu, die sich vor allem aus der Wahl des Liebessujets erklärt, so ist auffallend, daß traditionelle Polisgötter, wie z. B. Apollon und Artemis (Xenophon, Heliodor), ein recht schattenhaftes Dasein führen. An einem Fest ihnen zu Ehren begegnen sich zwar bei beiden genannten Romanautoren die jungen Leute das erste Mal (bei Chariton ist es ein Fest zu Ehren der Aphrodite), auch ist das Orakel des Apollon für eine generelle Prophezeiung wichtig, doch dann kommen Isis und Helios ins Spiel und erlangen für das Schicksal der Figuren große Bedeutung, indem sie direkt, d. h. selbst handelnd, oder indirekt, d. h. durch Träume, in das Geschehen eingreifen. Darin wird durchaus zeitgenössisches religiöses Empfinden sichtbar, insofern zwar einerseits die Kulte der Polisgötter weiter funktionieren, aber das individuelle religiöse Bedürfnis vor allem durch neue Götter und ihre Kulte befriedigt wird. Gerade mit den genannten Göttern, aber auch mit alten Gottheiten, wie z. B. Dionysos und Pan - ihm stiftet bei Longos das Liebe~paar sogar einen neuen Kult-, verbindet sich die Vorstellung vom Werden und Vergehen: Kerngedanke von Mysterien und Erlösungsreligionen, die ja seit dem Hellenismus wachsende Bedeutung gewannen.
5· Religiöser Ursprung des antiken Romans?
Das weitgehend von Passivität gekennzeichnete Selbst- und Weltverständnis der Romanfiguren und der große Einfluß ägyptisch-kleinasiatischer Götter sowie des Wunderglaubens auf ihr Handeln haben K. Kerenyi dazu veranlaßt, einen religiösen Ursprung des antiken Romans zu vermuten,49 zu dem dann natürlich die utopischen Reiseromane, der Alexander- und die Trojaromane nicht mehr zu zählen sind. Damit werden jedoch die Abhängigkeiten vertauscht: Die Religion hat dann diese eminente Bedeutung nicht mehr, weil sich mit ihr zeitgenössisches Bewußtsein in den Romanfiguren widerspiegelt, sondern weil die Romanfiguren literarisierte und säkularisierte religiöse Gestalten sind. Diese Vermutung dient Kerenyi als Voraussetzung dafür, die verschiedenen Romanelemente einer religionsgeschichtlichen Betrachtung und Deutung zu unterziehen. So sieht er in ägyptischen Mythen die eigentlichen Urbilder für die Reisen des griechischen Romanliebespaares,50 wird der Mythenkreis um Isis und um Tod und Auferstehung des Osiris ~um Ursprung des Ganzen, sind die Romane die Erzählungen von den Lei47
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S. zu den Vorausdeutungen des Endzustandes im Sinne des Märchenschlusses E. Lämmert (vgl. Anm. 43), I 58. Vgl. C. W. Müller, Der griechische Roman, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 2: Griechische Literatur, hrsg. von E. Vogt, Wiesbaden I98I, 386. Als Beispiel sei auf Apuleius u, 6, 5 verwiesen, wo Isis dem Ludus ein immerwährendes Glück unter ihrem Schutz verspricht, da bei denen, die ihr das Leben weihen, das böse Schicksal keine Zufluchtsstätte mehr hat (u, I s, 2 f.). Die griechisch-orientalische Romanliteratur in religionsgeschichtlicher Beleuchtung, Tübingen 192.7. Ebenda 6s f.
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den dieser Götter. 51 Auf diese Weise ist das Kreuz bei einer angedrohten bzw. bei einer vollzogenen Kreuzigung (Chariton, Xenophon, Jamblich, bedingt auch bei Longos) nur eine veränderte Form des ägyptischen Ded-Pfeilers,52 eines blätterlosen Baumes. Viele Motive haben demnach ägyptische Herkunft,53 womit logischerweise die griechische literarische Tradition nahezu bedeutungslos wird. Der Knemon-Geschichte (Heliodor), die in Athen spielt, liegt somit eine altägyptische Novelle zugrunde/( obwohl Knemons Stiefmutter expressis verbis auf das Hippolytos-Motiv anspielt; die KalasirisGeschichte (Heliodor) hat gleichfalls ein ägyptisches Vorbild, 55 obgleich das OdysseusMotiv nicht zu übersehen ist, was andere sogar veranlaßt hat, Heliodors Roman quasi als eine neue "Odyssee" in Prosa56 zu betrachten. Daß der Motivkatalog der Romane vielfach aus Motiven der literarischen Tradition besteht - erinnert sei nur an die Euripideische "Helena" -, wird dabei entweder außer acht gelassen oder als sekundäre stilistische Eigenart interpretiert.57 Keri:nyi gelangt letztlich zu folgenden Ergebnissen: Die "Metamorphosen" des Apuleius - selbst ein Myst~ - seien das großartigste Propagandawerk der Isisreligion ;59 Lucius, der Eselsmensch, entspräche dem von Isis und Horus verfolgten Osiris-Mörder Seth-Typhon.60 Ebenso diene Xenophons Roman dem Isiskult zu Propagandazwecken.61 Auch setzt Heliodor die Tradition der Isisromane fort. 62 Selbst das zuweilen etwas ironisch-parodistisch anmutende Werk des Achilleus Tatios hat bei Keri:nyi einen religiösen Hintergrund. 63 Entsprechend ordnen sich die Romanfragmente ein: Antonios Diogenes habe eine ägyptische Wundergeschichte aufgenommen,M der Ninos-Roman besitze mit dem Motiv von Tod und Auferstehung ebenfalls einen mythischen Kern,65 die "Historia Apollonii regis Tyri" hänge wiederum von Xenophon ab,66 und selbst der christliche Klemensroman gehe auf einen vermenschlichten ägyptischen Mythos zurück, in dem Isis von Seth, dem Bruder ihres Gatten, flieht.67 Die fehlende psychologische Entwicklung der Romanhelden sei in der Verwandlung der verfolgenden Göttin in die rettende begründet, da sich im Romanschema zwei Mythentypen mischten, nämlich der Mythos von der suchenden Gottheit und der von dem verfolgten göttlichen Wesen.68 Ebenda 95. Ebenda us; 123. 53 So verallgemeinernd ebenda 95· M Eben da 2 52. 55 Ebenda 254 f. 56 Zur Auseinandersetzung mit dieser These s. V. Hefti, Zur Erzähltechnik in Heliodors Aethiopica, Diss. Basel 1940, Wien 1950, 98-103. 57 K. Kerenyi (vgl. Anm. 49), u. 58 Ebenda x6x. 59 Ebenda 183. 60 Ebenda x86. 61 Ebenda 207. 82 Ebenda 259. 63 Ebenda 260 f. M Ebenda 240. 65 Ebenda 247. 68 Ebenda 214. fl1 Ebenda 88 f. 68 Ebenda 188 f.: "Insofern die Hauptpersonen des IRomans einander suchen, spielen sie das Drama 51
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Kerenyis religionsgeschichtliche Deutung hat R. Merkelbach aufgegriffen und zu untermauern versucht.69 Sein erklärtes Anliegen ist der Nachweis, daß die Romane wirklich Mysterientexte seien, wodurch erstere wiederum zu Hauptquellen für letztere werden. 70 Im Zentrum seiner Untersuchungen steht Apuleius mit der Erzählung von Amor und Psyche. Der religiöse Synkretismus71 bietet nun die Grundlage für die Identifikation der Psyche mit Isis, der leidenden Isis, und auch der Venus mit Isis, der herrschenden Isis; denn sie kann durchaus als Demeter, Hera, Aphrodite, Persephone, Artemis, Nemesis, Tyche usw. auftreten. 72 Isis ist somit schon vor dem umstrittenen 11. Buch73 allgegenwärtig. Auch bei Xenophon führt Isis das Regiment, allerdings unter der Götterkönigin auf der Suche nach ihrem Gatten oder Kind ; insofern sie von einer neidisch göttlichen Macht . . . verfolgt werden, treten sie in die Fußstapfen eines uralten Götterfeindes und Flüchtlings." 69 Roman und Mysterium in der Antike, München-Berlin (West) I962; zu weiteren Anhängern der Mysterienthese, die in literaturgeschichtlichen Darstellungen häufig sogar als communis opinio der Forschung erscheint (so z. B. Der kleine Pauly, Bd. I, Stuttgart I964, s. v. Apuleius 8, 47I f.), bzw. zu ihren Gegnern seit Merkelbachs Buch s. B. Elle, Longos. Zur Funktionsgeschichte der Bukolik in der römischen Kaiserzeit, in: Hermes· uo, I982, 70 Anm. 18. Gegen Merkelbachs Buch als "einer allzu vereinfachten Vorstellung" hat sich K. Kerenyi selbst, Der antike Roman. Einführung und Textauswahl, Darmstadt 197I, 9, ausgesprochen. Er relativiert nun stärker, wenn er die griechischen Romane als "eine Parallelerscheinung zur Verbreitung der Initiationen in fremde Mysterien im Römischen Reich" ansieht und das Verhältnis dieser zu jenen als Säkularisierung bezeichnet (ebenda I5). Die von Kerenyi nunmehr gegebene funktionelle Bestimmung der antiken Romane, nämlich Existenzerweiterung dem Leser zu bieten (ebenda 21; n; 2~ u. ö.), unterlegt mit dieser existenzphilosophischen Kategorie den antiken Romanen einen immanenten philosophischen Tiefgang. 70 R. Merkelbach (vgl. Anm. 69), Vorwort. 71 ,.In der modernen Religionswissenschaft bedeutet das Wort Vermischung von verschiedenen Religionen, besonders der antiken und der orientalischen, oder von verschiedenen Göttern, d. h. Theokrasie." M. P. Nilsson (vgl. Anm. I 5), 58 I; s. auch W. Schubart (vgl. Anm. 27), 5· 72 R. Merkelbai:h (vgl . .Anm. 69), 5· 73 Vgl. I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, in dieseht Band S. Io6 Anm. 86; F. Desbordes, De Ia Iitterature comme digression. Notes sur !es Metamorphose& d'Apulee, in: Etudes de Iitterature andenne, Bd. 2, Paris I982, 4~. Für Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen, ~· Auf!. Leipzig-Berlin I927, I92 u. 220-2~4. ist das 11. Buch ohne jeden Zweifel eine Bekehrungsgeschichte; so auch generell bei M.l Dibelius, Die Isisweihe bei Apoleins und verwandte Initiations-Riten, Heidelberg I9f7· M. P. Nilsson (vgl. Anm. I 5), 6~8 beobachtet - obwohl er die Ernsthaftigkeit des 11. Buches nicht in Frage stellt-: "Beim Lesen des Schlußberichts des Apuleius kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die ägyptischen Priester ,aus ihren Weihen ein Geschäft machen •••" Das Argument von H. J. Mason, The Distinction of Ludus in Apuleius' Metamorphose&, in: Phoenix 37, 198~i I40, Apuleius habe Ludus absichtlich in eine. sozial höhere und quasi historisch verifizierbare Stufe gehoben, um ihn mit Autorität ähnlich wie die Protagonisten der anderen Romane (z. B. Kallirhoe als angebliche Tochter des historischen Hermokrates) auszustatten, damit der Leser das so weni~ mit dem Vorangegangenen übereinstimmende Buch akzeptiert, ist m. E. nicht stichhaltig. Diese& Verfahren ist ein in der Tradition der griechischen Abenteuer- und Liebesromane seit langem beliebtes Spiel mit dem Authentischen und kann so oder ähnlich durchaus schon in der Großfassung des griechischen Eselsromans gestanden haben. Vgl. I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuerund Liebesromans, in diesem Band S. 88. 10*
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ihrem "Decknamen" Artemis. 74 Dann erscheint sie wieder als Tyche, und die obligatorischen Räuber werden zum Bestandteil des Mysterienrituals.'5 Fesseln, Folter und Todesandrohung sind gleichfalls Ritualelemente.71l Die Liebeswerbungen, denen das Heldenpaar zu widerstehen hat, werden folgendermaßen interpretiert: "Den modernen Leser langweilen die ewigen Versuchungen, welchen die Liebestreue der antiken Romanhelden ausgesetzt wird. Der antike Leser konnte nicht genug davon lesen; für ihn waren diese Episoden das Abbild aller Versuchungen und Gefahren, denen der Myste im Laufe seines Lebens ausgesetzt wird. Immer wieder gerät der Mensch in Situationen, die ihm nahelegen, die Gebote des Gottes zu übertreten oder die beschworene enge Gemeinschaft mit ihm zu lösen; all diese Versuchungen gilt es zu bestehen."77 Die Verschmelzung ägyptischer mit den griechischen bzw. römischen Göttern ist auch die Voraussetzung dafür, den Roman des Achilleus Tatios als Isisroman aufzufassen. 78 Der Beischlaf zwischen Kleitopbon und Melite, den Melites Überredungskünste herbeiführten, wird z. B. damit gar auf die religiöse Ebene der Totenhochzeit zwischen Isis und Osiris gehoben. 79 Ahnlieh ist der Ausgangspunkt für die Beweisführung, daß die "Historia Apollonii regis Tyri" auf einen griechischen Isisroman zurückgehe.~ Mysterientexte sollen auch die anderen Romane bzw. Romanfragmente sein: die "Babyloniaka" des Jamblich seien ein Mithrasroman,81 "Daphnis und Chloe" des Longos bezögen sich auf die Dionysosmysterien,82 die "Wunder jenseits von Thule" des Antonios Diogenes stünden im großen und ganzen mit der pythagoreischen Mysterienlehre in Verbindung,83 und bei Heliodors Roman handele es sich um den Heliosroman par excellence.84 R. Merketbach (vgl. Anm. 69), 92 f. K. Kerenyi (vgl. Anm. 69), 30, verbindet ebenfalls den Roman des Xenophon mit der Mysterienreligion der Isis ; die Großfassung ist für ihn ein Isis-' romim (ebenda 40). 75 R. Merkelbach (vgl. Anm. 69), 91· 7" Ebenda 99· 77 Ebenda -IOI. 7~ Ebenda I I4 f.: Isis = Astarte, Horos = Eros, Zeus = Sarapis. Anders dagegen K. Kerenyi (vgl. Anm. 69), 78: Achilleus Tatios "spricht aber von den Mysterien des Eros und der Aphrodite ohne doppelten Sinn, ohne daß man dabei an die Isismysterien denken soll". 79 R. Merketbach (vgl. Anm. 69), I44· 80 Ebenda I6I. 81 Ebenda I78. 82 Ebenda I92. S. jedoch K. Kerenyi (vgl. Anm. 69), 27: "Den Mythos verwandelt Longos in eine rein humane Geschichte, wie eine abenteuerliche Erzählung von einem nichtmythologischen Liebespaar sein mußte •••" BJ R. Merkelbach (vgl. Anm. 69), 225. 84 Ebenda 234. K. Kerenyi (vgl. Anm. 69), 49, bezeichnet die "Aithiopika" als einen "religiösen Prunkroman"; vgl. auch ebenda 87. Dagegen M. P. Nilsson (vgl. Anm. I s), s67: "Wenn der Verfasser der Aethiopica wirklich, wie er sich in der Subskription nennt, ein Emesaner war und wenn er, wie man sagt, schrieb, um Propaganda für den syrischen Sonnenkult zu machen, hat er seinen Zweck außerordentlich gut zu verbergen verstanden. Helios ist zwar der große Gott des Romans, er ist aber wie bei Plutarch und Macrobius mit dem delphischen Apollon identisch, und sein Lieblingsland ist Äthiopien, wohin sich die Götter bei Homer zum Opferschmaus begeben. Der semitische Orient wird nur ein paarmal und ganz beiläufig erwähnt, während die ägyptischen Weisen und die ägyptische Religion und Theosophie einen außerordentlich breiten Platz einnehmen, worin die Aethiopical mit der griechischen Literatur überhaupt übereinstimmen." Vgl. auch ebenda sI6 u. s66. 7'i
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Es wäre wenig ergiebig, Kerenyi oder Merkelbach im Detail widerlegen zu wollen, da die in sich logi~chen Beweisführungen - von einigen allzu rasch gezogenen Schlußfolgerungen abgesehen - sich weitgehend durchaus an exakt zu belegendes Quellenmaterial halten. Der Irrtum besteht also nicht im einzelnen Beweis, sondern in der oben genannten falschen Prämisse, für die m. E. zwei Ursachen deutlich werden. Die eine besteht darin, daß in stereotypen Erzählmustern und einem immer wiederkehrenden ZentralmotivBS nicht die relativ konstanten literarischen Kommunikationsverhältnisse des Abenteuer- und Liebesromans erkannt werden, sondern augenfällige Erscheinungsformen der religiösen Vorstellungen in hellenistisch-römischer Zeit als Grund angenommen werden. 86 Dahinter mag sich normatives literarästhetisches Denken verbergen, das Trivialliteratur beispielsweise in ahistorischer Betrachtung aus seinem Literaturbegriff verbannt. Denn diese Tendenz zum Trivialen - im Sinne seiner Funktion, aber nicht im modernen Sinne etwa von "Massenliteratur"87 - haben sowohl schon die alten als auch die neuzeitlichen Interpreten der antiken Abenteuer- und Liebesromane durchaus gespürt. Die zweite Ursache hängt mit der ersten zusammen, insofern ein idealisiertes Antikebild sich nicht mit Trivialem in der antiken Literatur verträgt, dem die primäre Funktion der Unterhaltung und der Kompensation zukommt. Demzufolge wird im Analogieschluß zu Epos, Lyrik, Tragödie und Komödie auch für den Roman ein Ursprung aus dem Mythos angenommen,88 der ihm zwar nicht unbedingt die höheren literarischen Wcihen,89 wohl aber den gewichtigeren religiösen Sinn einbringt. So auch Kerenyi (vgl. Anm. 49), VI-IX. Eher ist ein umgekehrter Prozeß wahrscheinlich. Insofern sich in hellenistisch-römischer Zeit das religiöse Bedürfnis nach individueller Bindung an eine Gottheit verstärkt, die Jenseits- und Erlösungsvorstellungen immer größere Bedeutung erlangen und gerade die Mysterienreligionen eine evidente Tendenz zur Universalität aufweisen, ist denkbar, daß auch an den Roman eine neue Funktionsanforderung neben die traditionellen gestellt wird, nämlich die der religiösen Erbauung. Von daher ließe sich eine Brücke zu den sog. christlichen .,Romanen" schlagen, in denen jener Funktionsaspekt dominiert, wobei sie sich weitgehend derselben Strukturen bedienen. 87 S. dazu I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, in diesem Band s. 77· 88 R. Merkelbach (vgl. Anm. 69), Vorwort. 89 Kritische Einwände zur literarischen Qualität: K.1 Kerenyi, (vgl. Anm. 49), 230 u. z61 f. 85
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Zur Figurencharakteristik im antiken Roman Von RENATE }OHNE
Die Personnage
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Im griechischen Abenteuer- und Liebesroman sind die Strukturen relativ starr und der Motivkatalog nur wenig variabeU Unter diesen Bedingungen haben die Figurea, die im vorgegebenem Rahmen agieren, nur begrenzte Möglichkeiten der Entfaltung, von den Chancen individueller Gestaltung hier abgesehen. Die Romanautoren konnten jedenfalls ihre Aufgabe beim Figurenaufbau vor allem in einer umfangreichen Variation und Nuancierung sehen. Sie schufen eine große Zahl und eine recht bunte Palette von Personen,, die sich nach geographischer Herkunft, sozialer Stellung und Alter unterscheiden. Mit dieser Vielfalt befinden sie sich in Übereinstimmung mit ihrer hellenistisch-römischen Umwelt, aus der die Anregungen für ihre Werke hervorgingen. Im folgenden soll ein Typenkatalog des antiken Romans aufgestellt werden. Dabei ist zwischen den reinen Typen - darunter fallen solche Inbegriffe von Lebensformen, die durch Geschlecht, Alter, Beruf und gewisse immer wiederkehrende Eigenschaften in allen Romanen determiniert sind 2 - und den wenigen individualisierten Typen zu unterscheiden, die durch Selbsterkenntnis und Einsicht über Möglichkeiten der Entfaltung in schwierigen Situationen und der Eigenverantwortlichkeit verfügen. Mit einer solchen Differenzierung läßt sich trotz der ähnlich angelegten Struktur mancher Paare; besonders der männlichen Rollen, durchaus aufzeigen, daß sich die Romangattung für ihre Typen, die zwar weitgehend festgelegt, aber keineswegs als bloße Marionetten3 anzusehen sind, doch eine gewisse Variationsbreite und damit eine Individualisierung offenläßt. Da dieser Sachverhalt besonders an den Frauengestalten ersichtlich wird,
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Vgl. I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, in diesem Band S. 82. ff. Anregend ist die Studie von J. Milbradt, Der Charakter. Zu dem Menschenbild der Zeit der Poliskrise und seiner Aufnahme durch die römische Komödie, in: Hellenische Poleis, hrsg. von E. Ch. Welskopf, Berlin 1974, Bd. 3o 1413-1449. Bei der Definition der Typen (142.0) schließe ich mich Milbradt voll an. - In der Terminologie der Literaturwissenschaft ist kein einheitlicher Gebrauch von "Figur", "Gestalt", "Person" und "Typ" festzustellen, sondern diese Ausdrücke werden synonym verwandt; vgL dazu: Grundbegriffe der Literaturanalyse, hrsg. von K. Kasper u. D. Wuckel, Leipzig 1982., 108-uo. G. Anderson, Ancient Fiction. The Novel in the Graeco-Roman World, London-Sydney-Totowa/ New Jersey 1984, 62.-74, vereinfacht m. E. den Sachverhalt zu sehr, wenn er behauptet (62.): "The main criticism of the heroes of the novel ls that they are puppets." Andererseits hebt aber gerade er die differenziertere Gestaltung verschiedener Figuren, besonders von Frauen, hervor, und spricht sich gleich zu Beginn seines Buches für die Individualität generell aus.
ZUR FIGURENCHARAKTERISTIK IM ANTIKEN ROMAN
erscheint hier eine ausführlichere Darlegung der weiblichen Romanfiguren gerechtfertigt. In dem Katalog der Typen werden zunächst heranwachsende Jugendliche (bei Longos u. a.); das schüchterne Mädchen (im Ninos-Roman); die junge Ehefrau (bei Chariton, Xenophon von Ephesos und Jamblich) sowie der junge Mann-treu oder verführbar(u. a. bei Heliodor, Achilleus Tatios und Longos) erfaßt. Bei dem idealen Heldenpaar mit der höchsten Schönheit, Tugend, Tapferkeit usw. kann man allerdings nur bedingt von einer Individualisierung sprechen, die aber doch in verschiedenen Abstufungen erkennbar ist. Vielfältigere Möglichkeiten bieten sich da bei den sog. Nebenpersonen an, die durchaus die Handlung aktivieren können, also nicht nur passive Staffage sind. Hier herrsch~ keine bloße Schwarz-Weiß-Malerei vor, sondern wie im Alltagsleben überwiegen "gemischte" Charaktere (Melite bei Ach. Tat.). Von besonderer Bedeutung sind dabei : das negativ gezeichnete Gegenpaar bzw. der oder die Nebenbuhler(in), z. B. Arsake bei Heliodor oder Garmos bei Jamblichos; Räuber und Piraten (in fast allen Romanen), der oft unverschuldet ins Unglück gestürzte Räuberhauptmann (u. a. bei Heliodor) und echte Schurken (in fast allen Romanen); Vertreter der humiliores und honestiores, d. h. der niedrigeren und der angeseheneren Schichten in den römischen Munizipalstädten bei Petron und Apuleius; Erzieher und ältere Leute wie Kalasiris bei Heliodor mit teils pessimistischen Tönen; die ehrbare Witwe und ihr berühmt gewordenes Gegenteil (bei Petron und besonders Apuleius); ruhmsüchtige Philosophen und Poeten (bei Petron) ; aufopferungsvolle Mütter (bei Apuleius) ; der bestechliche Arzt (bei Chariton, Xenophon, Jamblichos und Apuleius); die breite Schar der armen Freien, Handwerker, Fischer und Händler, Bauern und Kolonen (u. a. bei Heliodor, Petron und besonders Apuleius); Freigelassene (besonders bei Petron und Apuleius); treue oder unzuverlässige Sklaven beiderlei Geschlechts (in allen Romanen) ; Außenseiter der Gesellschaft wie Parasiten (bei Chariton, Longos, Petron). Von Bedeutung ist auch die Untersuchung der "Psychologie" der Helden, wie besonders bei Chariton, Longos und Heliodor deutlich wird. Auffällig sind dabei die wohl ganz in dramatischer und rhetorischer Tradition4 stehenden Gefühlsumschwünge und Gefühlsstürme, die breit angelegten Monologe und Dialoge, der Vergleich der Helden mit bestimmten Göttem,5 die Art der Gesprächsführung (das häufige "dachte ich bei mir") und die Darstellung der physischen Wirkung wie das Erröten, Erblassen und die Ohnmachtsanfälle. Das alles bekundet Einfühlungsvermögen und damit in gewissem Sinne eine Individualisierung. Das weite Spektrum von Figuren, das die Romangattung aufweist; soll im folgenden durch nähere Angaben zu einigen ausgewählten Typen aus Apuleius und Heliodor tabellarisch konkretisiert werden: 4
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Dazu I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, in diesem Band S. 82 ff. Wie im religiösen Schrifttum kommt hier der Parusie-Gedanke zum Ausdruck, d. h. in einem Menschen kann sich eine Gottheit "gegenwärtig" entfalten und ihre Macht demonstrieren.
RENATE ]OHNE
152 Name bzw. Berufsbezeichnung
Ort*
Zeit der Abfassung*
Romanautor
Charakteristikum
Gärtner
Dorfbei Karinth
um 16ou. Z.
Apuleius 9, p f. J9-42
Gutsbesitzer
Dorf bei Karinth
um 16ou. Z.
Apuleius 9· J5-J8
Diaphanes, Chaldäer
Karinth
um 16ou. Z.
Apuleius 2, 12-15
Tlepolemus, der Bräutigam und Ehemann der geraubten Charite, der das Märchen von "Amor und Psyche" in der Räuberhöhle von der Alten als Trost erzählt wird Stiefmutter
Waldgebiet um Karinth und in Korinth selbst
um 160 u. Z.
Apuleius 8, 1-14
arm, arbeitssam, gastfreundlich, tierlieb, schlägt einen Legionssoldaten6 nieder, entgeht aber dem Prozeß nicht durch die Neugier des Esels reich, habgierig, brutal gegen einen armen Nachbarn, den er von Haus und Hof vertreiben will, wird selbst grausam u':llgebracht betrügerisch, geldgierig, entlarvt sich selbst und seine Prophezeiungen und wird verlacht mutig, wagt sich in die Räuberhöhle, um seine Braut zu befreien, aber zu vertrauensselig dem falschen Freund Thrasyllus gegenüber, von dem er bei der Jagd hinterlistig getötet wird (Siegfriedmotiv)
Karinth
um x6ou. Z.
Apuleius 10, 2-12
Thelyphron
Korinth
um 160 u. Z.
Apuleius 1, 10-JI
Bagoas, der Eunuches des persischen Satrapen Oroondates von Ägypten Thisbe, junge, hübsche Sklavin
Persien
J./4. Jh.
Heliodor 7,6; 8,q; 8, 14 f.
Athen
J./4. Jh.
Heliodor I,II,IJU.Ö.; 1, 8
liebt ihren Stiefsohn, der sie verschmäht, haß- und rachsüchtig, bezichtigt ihn des Giftmordes, bringt ihn vor Gericht, aber die Aussage des Arztes rettet ihn, sie wird lebenslänglich verbannt (Phidramotiv) 7 leichtfertig, neugierig, gerät bei einer Totenwache in die Hände von Hexen und wird verstümmelt eifersüchtig, treu ergeben, hat Kenntnisse der griechisehen Sprache spielt gut Zither, macht zugunsten von Demainete falsche Aussage gegen Knemon, intrigant auch gegenüber ihrer Herrin, die sie in den Tod treibt, flüchtet mit dem griechischen Kaufmann
ZUR FIGURENCHARAKTERISTIK IM ANTIKEN ROMAN
Name bzw. Berufsbezeichnung
Tyrrhenos, Fischer
Ort*
Zakynthos
Zeit der Abfassung*
3·'4· Jh.
153
Romanautor
Heliodor
s. I8, z8
Thyamis, ältester Sohn des Kalasiris
Memphis, Nildelta
3./4. Jh.
Achaimenes, Sohn der Kybele, Mundschenk im Palast des persischen Statthalters
Persien
3./4. Jh.
Heliodor I, I8, 8 u.
Ö.
Heliodor 7. I4, 2.I u. ö.
Charakteristikum
Nausikles nach Ägypten, von Räubern irrtümlich anstelle von Charikleia erstochen9 (Stellvertretertod für die Hauptheldin) einfach, aber gastfreundlich gegenüber Kalasiris, Theagenes und Charikleia, Name deutet wohl auf tyrrheinische Herkunft von seinem jüngeren Bruder Petosiris widerrechtlich um die Priesterwürde gebracht, wird er daher Anführer der Räuberhirten, versucht aber, ein "edler Räuber" zu sein, schließlich Priester in Memphis Vertrauter der Arsake, der Schwester des persischen Großkönigs, intrigiert gegen Theagenes, fällt im Kampf gegen die Äthiopier, als er den Satrapen töten will
* Sofern eindeutig feststellbar. 6 Da in der Kaiserzeit in Griechenland keine Legion stationiert war, wohl aber in Apuleius' Heimat die berühmte Legio 111 Augusta, dürfte dies eine der Stellen sein, an denen nordafrikanische Verhältnisse in der Romanhandlung, die formal in Griechenland spielt, ihren Niederschlag gefunden haben. 7 Das gleiche Motiv ist bei Heliodor in der Knemon-Episode mit der Stiefmutter Demainete (I, 9, 9 ff.) zu finden. 8 Bagoas war in der Antike ein typischer Name für einen persischen Eunuchen. So hieß z. B. der Vertraute des Artaxerxes 111. (Diodor I6, 47, 3ö q, s. 6; Strabon 736; Curtius 6, 4, ro), ebenso der Lieblingseunuche Alexanders des Großen (Plutarch, Alexander 67, 4; Curtius 6, ,, IZ; IO, I,
z,). 9
Diese Thisbe Heliodors lebt als Titelfigur fort in der Tragödie "Pyrame et Thisbe" des Theophile de Viau von 16I7.
z. Ein V ergleich mit den Figuren Menanders In der Neuen Komödie Menanders hat sich eine Wandlung von der politischen Satire zum "bürgerlichen" Lustspiel mit privaten Konflikten und harmonischem Schluß vollzogen. Seine dramatischen Personen sind sehr menschliche Wesen mit unheroischem
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Charakter, dafür aber mit neuen, individuellen Zügen, die wegen ihrer allgemeinen Menschlichkeit die Nachwelt nachhaltig beeindruckten. Die Figuren Menanders haben viele Gemeinsamkeiten mit den Romangestalten, lassen aber auch Unterschiede erkennen. Auf der Bühne sind die Typen durch ihre konventionellen Masken festgelegt: Es gibt neben dem strengen den gutmütigen Alten, den schüchternen wie leichtsinnigen Liebhaber, den treuen wie den aufsässigen Sklaven, die Bürgertochter wie die Matrone, die junge Sklavin wie die alte Amme. Natürlich dürfen die Hetäre, der Soldat und vor allem der vielseitige Koch nicht fehlen. Diese Typen können wohl variantenreich sein, ingesamt aper ist ihre Zahl begrenzt. Diesem Umstand tragen auch die sprechenden Namen des antiken Lustspiels Rechnung. 10 In dem Typenkatalog des Romans sind durch den Horizont, der über die engen Möglichkeiten der Bühne hinausgeht, noch eine größere Anzahl von fiktionalen Personen enthalten. Bei Menander spielen Sklaven allerdings eine weit wichtigere Rolle als im Roman, und sie treiben die Handlung voran. Nur der satirische römische Roman zeigt hierin Anklänge an die Komödie. Im eigentlichen Liebesroman dagegen haben, wie am Beispiel des alten Erziehers des Abrokomes bei Xenophon von Ephesos zu sehen ist, die Sklaven stellvertretend! für den Haupthelden zu sterben (r, 14, :z). Ebenso ist es für Leukon und Rhode, die treuen Diener von Abrokomes und Anthia, selbstverständlich, daß sie ihr ererbtes Vermögen nach dem Wiederfinden ihrem geliebten Herrn über· geben (5, 11). Denn nur so scheint die alte Ordnung der Poliswelt nach den schweren Schicksalsschlägen wieder gewährleistet zu sein! Bei einer Personengruppe ergibt der Vergleich zwischen der Komödie und dem Roman einen deutlichen Unterschied: bei der Hauptheldin. Bei Menander spielen Männer nach wie vor, dem Genre entsprechend, auch die Frauenrollen. Und die Frauen selbst haben sich voll den althergebrachten Gesetzen und der Sitte, dem griechischen n6mos, unterzuordnen.' Der Vater als kyrios sucht selbstverständlich für die behütete Tochter der. Mittelschicht den Mann aus. Kontakte zwischen den jungen Men· sehen gibt es vor der Ehe nicht; nur in Ausnahmesituationen wie nächtlichen Götterfesten kommt es zu Begegnungen, die dann allerdings nachhaltige Folgen haben kön· nen und eben der Fabel einer Komödie zugrunde liegen. Die legitime Ehe zwischen Bürger und Bürgertochter ist das Endziel aller Verwicklungen. Delllj Manne werden voreheliche Beziehungen bzw. auch dauerhafte Verhältnisse zu Hetären und NichtBürgerinnen als Kavaliersdelikt verziehen, von der Frau aber wird unbedingte Treue verlangt. Nur die Höhe der Mitgift garantiert der Ehefrau eine gewisse Bewegungs· freiheit, wie die Rechtslage im "Schiedsgericht" bezeugt. An sich herrschen im Roman dieselben Verhältnisse für die jungen Frauen, aber diese versuchen -und zwar mit Erfolg! -gegen sie anzukämpfen. Sie akzeptieren nicht die Gattenwahl des Vaters - so z. B. Charikleia bei Heliodor. Im ganzen treten sie, und sie müssen so handeln, um überleben zu können, selbständig auf und entwickeln eigene Aktivitäten. Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Liebesromane~ die For10
Zum Anliegen Menanders vgl. das Nachwort von U. u. K. Treu, in: Menander, Stücke, Leipzig 197~ (Reclam 6z6), 293-312.. Für die Kommentierung wichtig A. W. Gomme u. F. H. Sandbach, Menander. A Commentary, London 1973.- K. Gaiser, Menander: Der Schild oder Die Erbtochter, Zürich-Stuttgart 1971; R. }ohne, Vergleich und Analogie bei den Frauengestalten in der Neuen Komödie und im antiken Roman (im Druck).
ZUR FIGURENCHARAKTERISTIK IM ANTIKEN ROMAN
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derung nach der unbedingten Treue beider Liebenden. Erst im Roman - noch nicht in der Komödie Menanders- ist die Frau als Hauptheidin die menschlich gleichwertige und voll anerkannte Partnerin des Mannes. 3· Zur Rolle der Frau in der Gesellschaft und im Roman
Mit jenem Rückzug auf das Private, auf das Haus, in dem die Frau seit alters schaltet und waltet, hängt es wohl auch zusammen, daß nun im Hellenismus, besonders im Roman, die Frau mehr in den Mittelpunkt rückte. Ihre Ansichten, ihre Sehnsüchte, ihre Gefühle wurden wichtig. Aber es tritt nur ein spezifischer Aspekt des Frauenlebens in den Vordergrund: nicht etwa die lange Zeit einer Ehe mit den Alltagspflichten und der Mutterschaft, sondern nur die kurze Periode der Hoffnungen, Verheißungen und der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten als Braut und junge Frau. So wird - wie im Märchen - der Anschein erweckt, als lägen alle Gefahren und Bedrohungen vor der Vereinigung des liebenden Paares und das Glück, das Idyll begänne erst damit. Allerdings ist eine deutliche Aufwertung gegenüber den Vorstellungen über die Rolle der athenischen Frau der klassischen Zeit festzustellen. 11 Der beiläufigen Erwähn~ng einer Gerichtsverhandlung von 342 v. u. Z. können wir entnehmen, welch beschränkter Rahmen der Ehefrau zugebilligt wurde: "Die Hetären haben wir zum Vergnügen; die Nebenfrauen zur täglichen Pflege des Körpers; die Ehefrauen aber, daß wir legitime Kinder bekommen und eine verläßliche Hüterin über das Haus haben." 12 Demgegenüber sind jetzt erste Emanzipationsbestrebungen greifbar. Die Romanheidin ist nicht mehr an das Heim. allein gefesselt, im Gegenteil - sie kommt weit herum in der Welt und hat ähnliche Abenteuer wie der Mann in einer oft fremden und zudem feindlichen Umwelt zu bestehen. In den meisten Fällen ist die Heldin (so beZum Thema "Die Frau in der Antike" ist noch immer mit Gewinn heranzuziehen: J. Leipoldt, Die Frau in der antiken Welt und im Urchristentum, 3· Auf!. mit einer Vorrede von S. Morenz, Leipzig 196s. Aus der Sicht der Archäologin: V. Zinser!ing, Die Frau in Hellas und Rom, 1. Auf!. Leipzig 1972. (seitdem mehrere Nachauflagen und· Übersetzungen). Aus der Fülle neuerer Arbei. ten seien erwähnt: E. Burck, Die Frau in der griechisch-römischen Antike, München 1969; S. B. Pomeroy, Goddesses, Whores, Wives and Slaves: Woman in Classical Antiquity, New York I97S; deutsche Ausgabe: Frauenleben im klassischen Altertum, Stuttgart 198s; E. Schuhmann, Idealvorstellung der Griechen und Römer über eine Ehefrau, in: Concilium Eirene XVI. Proceedings of the 16th International Conference, Prague 31· 8.-4. 9· 1981, Bd. I, hrsg. von P. Oliva u. A. Frolikova, Prague 1983> 199-303. - Für die Bibliographie ist heranzuziehen: S. B. Pomeroy, Selected Bibliography on Women in Antiquity, in: Arethusa 6, 1973, us-xn, und U. Frevcrt u. Ch. Demisch, Die Frau in der Alten Welt. Bibliographie. Frauen in der Geschichte, hrsg. von A. Kuhn u. G. Schneider,' Düsseldorf 1979, 177-2.94. - Bemerkenswert ist die weitgehend epigraphische Arbeit von B. von Hesberg-Tonn, Coniunx carissima. Untersuchungen zum Normcharakter im Erscheinungsbild der römischen Frau, Diss. Sturtgart 1983, in der aber m. E. "das offizielle Selbstverständnis" der römischen Frau zu sehr "von den starren Vorstellungen des mos maiorum bestimmt bleibt" (so u. a. 1SO). Denn "das offizielle Selbstverständnis" braucht das individuelle einiger prägender Frauengestalten des Imperium Romanum, die wir ja namentlich kennen, nicht auszuschließen. Dieser Aspekt scheint mir in der an sich recht verdienstvollen Arbeit zu wenig beachtet. 11 Der Wert der legitimen Ehe ist bei Demostheues s9, 12.2. in der Rede gegen Neaira beschrieben; ungenau wiederholt bei Athenaios 13. s 73 b.
11
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sonders Charikleia in Heliodors "Aithiopika", aber auch schon Kallirhoe und natürlid:J. Sinonis) sogar ihrem Geliebten an Mut, Wendigkeit und Klugheit überlegen. Die Hauptheidin im Roman ist nicht mehr nur Objekt - so noch in der Komödie -, sondern bemüht sich, ihr Schicksal aktiv zu meistern. Anscheinend beruhte die Wirkung speziell der Frauenfiguren auf Identifizierungsmöglichkeiten, die sie dem antiken Leser resp. der Leserio als eine Art Vorbild für die eigene Zeit boten. In dieser im Vergleich zur klassischen Zeit modifizierten Auffassung über die Frau spiegelt sich der Prozeß der veränderten sozialökonomischen Verhältnisse wider. Im Hellenismus erschlossen sich den Frauen bessere Bildungsmüglichkeiten, und mit der Erweiterung eines, wenn auch begrenzten, Verfügungsrechtes über das eigene Vermögen erlangten sie eine größere Selbständigkeit. Diesen neuen Tendenzen entsprachen auch bestimmte, progressive Ansichten einiger philosophischer Richtungen, vor allem der Stoa, die die Gleichberechtigung der Geschlechter "der Natur gemäß" verkündete,l3 ja propagierte, daß alle Menschen, selbst also die Sklaven, verwandt seien. Die Stoiker konnten sich mit ihren Vorstellungen auf ältere Vorbilder berufen: Platon hatte bereits für die oberen Schichten Mann und Frau gleichstellen wollen. 11 Diesen rigorosen Standpunkt Platons nahm sein größter Schüler und der eigenständigste Denker der Antike, Aristoteles, wieder zurück. Mit folgenden Worten umriß er die Aufgaben von Mann und Frau in der Ehe: "Die Menschen wohnen nicht nur wegen des Erzeugens von Kindern zusammen, sondern auch wegen der Dinge, die das Leben betreffen. Denn sogleich werden die Arbeiten verteilt; sie sind für Mann und Frau verschieden: sie helfen also einander und stellen die eigenen Fähigkeiten beiderseitig zur Verfügung." 15 Der Stoiker und römische Ritter C. Musonius Rufus 16 plädierte dann später für die gleiche Erziehung von Söhnen und Töchtern, da ja beide Geschlechter von den Göttern dieselbe geistige Fähigkeit, denselben l6gos, empfingen. Mit den erweiterten Möglichkeiten seit dem Hellenismus und besonders im Römischen Reich werden gebildete Frauen in verstärktem Maße namentlich genannt. In einigen Fällen haben Frauen aus königlichem Geschlecht selbst die hohe Politik maßgeblich beeinflussen können: im ptolemäischen Ägypten Arsinöe und Kleopatra,17 die Kaiserin Livia, die Gattin des Augustus, und die syrischen Kaiserinnen aus der Severerdynastie, Julia Domna, Julia Maesa und Julia Mammaea, die alle aus der Umwelt griechischer Kultur stammten und das Imperium mitregierten. Im 3· Jh. u. Z. war Zenobia, die kunstverständige und energische Fürstin von Palmyra, eine ernsthafte Gegenspielerio von Kaiser Aurelian. Aus Alexandria wird der Name der Mathematikerin und PhiloZur Problematik der Rolle der Frau vgl. bereits F. Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Im Anschluß an Lewis H. Morgans Forschungen, Kap. 2: Die Familie, in: MEW 21, Berlin 1962, 30-173 (= q. Auf!. Berlin 1984. in der Bücherei des MarxismusLeninismus, 38-99, bes. 75-81 über die Monogamie in der Antike). 14 Platon, Staat 4 5xd, nur; für Kriegszeiten sollten Ausnahmen bestehen. Von negativen Urteilen über die Frau, z. B. Timaios 42c u. 9oe, soll hier abgesehen werden. !5 Aristoteles, Nikomacbiscbe Ethik u62a. Ahnlieb 1242a 23 ff. "der Mensch ist ein Wesen, welches zu einer (dauernden) Gemeinschaft mit seinesgleichen geschaffen ist." 16 Musonius (Ausgabe von 0. Hense, Freiburg 1905) 8 ff.; 13 ff. 17 Dazu I. Becher, Das Bild der Kleopatra in der griechischen und lateinischen Literatur, Berlin 1966 (Schriften der Sektion' für Altertumswissenschaft 51). - Zu den neuen Heldinnen in den apokryphen Apostelgeschichten T. Hägg, Eros und Tycbe, Mainz 1987, 199 f. 13
ZUR FIGURENCHARAKTERISTIK IM ANTIKEN ROMAN
sophin Hypatia, überliefert, die 41, von christlichen Fanatikern ermordet wurde. Bedeutende Frauen, z. B. Perpetua, Felicitas, Paula, Eustochia und Monnica, weiß auch das Christentum zu nennen. Mit der Hinwendung zum mehr privaten Bereich des Lebens vollzogj sich auch in der Frömmigkeit und im Glauben der hellenistisch-römischen Welt ein Wandel. Selbst die Kunst bleibt von der stärkeren Dominanz der Frau und ihrer Welt, zu der Kinder gehören, nicht unberührt: Die Gestalt des Liebesgottes verjüngt sich - er wird ein kleines, verspieltes Kind und als solches akzeptiert (vgl. Abb. 3). Die Mysterienreligionen, in denen auch Priesterinnen amtierten, spielten schon immer eine besondere Rolle im Leben der Frauen. Sie scheinen ein ungezwungeneres Miteinander von jungen Männern und Mädchen ermöglicht zu haben, wie das Kennenlernen dt:r Eltern von Alexander dem Großen bei den samothrakischen Mysterien vermuten läßt. 18 Noch deutlicher wird die Veränderung in der Umfunktionierung bisheriger Frauengottheiten zur Allgöttin greifbar. Die ehemalige ägyptische Göttin Isis erfährt eine Verallgemeinerung ihres Wesens, sie wird mit Aphrodite bzw. Venus, mit Hera bzw. Juno und Tyche bzw. Fortuna identifiziert. Diese Allgöttin Isis ist zugleich Himmelsgöttin wie Schicksalsherrin und Liebesgottheit19 : Una, quae es omnia, dea Isis. Spätestens im z. und 3· Jh. u. Z. existierten in fast allen Orten der griechisch-römischen Antike reichgeschmückte kleine Heiligtümer der Isis aus Mitteln reicher Gönner. Von der Verbreitung dieses Kultes, in dem auch Frauen als Priesterinnen tätig sein konnten, legen die Fresken von Privathäusern in Pompeji und Herculaneum ein beredtes Zeugnis ab. Die beiden Gottheiten Isis und Aphrodite spielen nun gerade im antiken Roman eine wesentliche Rolle. Zudem begegnen sich meist bei einem großen religiösen Fest die Haupthelden in der Öffentlichkeit zum ersten Male - und diese erste Begegnung bestimmt den Fortgang der Handlung. Die Beziehungen des Hauptpaares werden, um Charikleia und Theagenes als Beispiel zu nennen, zwar sehr intensiv, aber auch behutsam und dezen~ im sprachlichen Ausdruck dargestellt. Erinnert sei nur an das Keuschheitsprinzip als echtes inneres Gebot und an den getrennten Schlaf der Liebenden (,, 18, 8). Bei Xenophon von Ephesos dagegen wird die verfolgte Heidin Anthia dier Frau eines armen Ziegenhirten, der .sie aber aus Mitleid unberührt läßt (z, 9 ff.) - ein Motiv, das Euripides neu in seiner "Eiektra" eingeführt hatte. 20 Die Anschauungen über die Jungfräulichkeitl 1 beruhen sicher auf alter religiöser Tradition bei vielen Völkern und sind auch in Märchen wie in dem vom Einhorn faßbar,
1~
19
20
~1
Plutarch, Alexander 2, 2. CIL X ; Soo. - Zur Ausbreitung und Bedeutung des Isiskultes: Roeder, s. v. Isis, in: RE 9, 2, 1916, 2084-1.1;2, und L. Vidman, Isis und Sarapis bei den Griechen und Römern. Epigraphische Studien zur Verbreitung und zu den Trägern dieses ägyptischen Kultes, Berlin (West) I970 (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 29), bes .. 48-50 (über Priesterinnen); I ;8 u. I 59 f. (über Fabia Aconia Paulina im 4· Jh.). Das Problem der nicht vollzogenen Ehe bei T. R6zewicz in seinem Drama "Weiße Ehe". E. Fehde, Die kultische Keuschheit im Altertum, Gießen I9IO; R. M. Rattenbury, Chastitiy and Chastitiy Ordeals in the Ancient Greek Romances, in: Proceedings of the Leeds Philosophical and Literary Society, Literature and History Section I, 1926, 59 u. 71; H.-1. Marrou, L'ideal de
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das nur durch eine reine Jungfrau von seiner Verzauberung erlöst werden kann. In Rom genossen die Vestalinnen besonders hohes Ansehen und bestimmte Vorrechte: Bei V ergehen gegen die Keuschheit wurden sie lebendig begraben. Hier existierten sogar gesetzliche Regelungen über junge, noch unreife Mädchen, die im Falle der Hinrichtung zuvor vom Henker geschändet werden mußten. 22 Im antiken Roman wird das Keuschheitsprinzip von den weiblichen Hauptgestalten strikt befolgt, im allgemeinen auch von den Romanhelden, wobei allerdings zwei Ausnahmen vorkommen, bei Achilleus Tatios (5, 27) - in der Melite-Episode - und bei Longos (3, 18-zo) in der Lykainion-Szene. Die Keuschheitsforderung galt in der gesamten Antike jedoch nur für die Frauen, sie war nicht typisch für die Männer. Vielleicht wollten die Romanautoren mit einer ent-. sprechenden Forderung auch für den Mann eine Neuerung23 einführen, um den üblichen Motivkatalog zu durchbrechen, oder man nahm Rücksicht auf ein teilweise weibliches Publikum. Denn bei der Charakterisierung des idealen Liebespaares haben wahrscheinlich auch die Wünsche und Vorstellungen der Frauen, die wohl einen nicht unbeträchtlichen Teil des hellenistischen Lesepublikums repräsentierten, eine Rolle gespielt. Für eine "belesene" Frau vgl. auch Abb. 19. Wir wissen von einer Romanleserio in der Antike, der "geschichtenliebenden Isidora", der Schwester des Romanautors Antonios Diogenes, der seinen Roman in Form eines Briefes an sie beginnt. 24 Das ist nicht so verwunderlich, wie man vielleicht meinen könnte; bieten doch die Romantexte vielfache Möglichkeiten der Identifikation mit handelnden weiblichen Personen. Gerade diese und zumal die Hauptheldinnen sind oft intelligenter, aktiver und insgesamt sympathischer dargestellt als die manchmal blutleer wirkenden Liebhaber. Allerdings braucht man nicht so weit wie T. Hägg25 zu gehen, daß sich nämlich unter den wenig aussagekräftigen Verfassernamen Pseudonyme für weibliche Autoren ("female writers") verbergen könnten. Das bleibt eine Hypothese. Bedenkenswert scheint in diesem Zusammenhang die neue Interpretation der jungen Frau mit Schreibgriffel als "a woman novelist in her hour of inspiration" (in diesem Band Abb. 18). Mit Antonios Diogenes und der Widmung seines Romans an seine Schwester befinden wir uns bereits in der römischen Kaiserzeit, und es ist bekannt, daß die Möglichkeiten für die römische Frau, am öffentlich-gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, weitaus günstiger waren als für die Griechinnen. Mit der Entstehung des Imperiums hatten sich die einst streng patriarchalischen Verhältnisse für die Matrona und die jungen Mädchen gelockert. Ihre Rechtsfähigkeit nahm trotz ihrer grundsätzlichen Rechtlosigkeit zu: Frauen konnten jetzt z. B. Grundstücke selbst verpachten26 oder eine Ehescheidung forcieren.
22 :II
:M 25
:a!
la virginite et la condition de la femme dans la civilisation antique: La Chastete, Paris 19 H, bes. 39-49· So geschehen bei Sejans kleiner Tochter: Sueton, Tiberius 61, 5; Tacitus, Annalen 5. 9· "Eine spektakuläre Innovation, ein einkalkuliertes Spiel mit den Gattungsschablonen" - für B. Elle, Longos: Zur Funktionsgeschichte der Bukolik in der römischen Kaiserzeit, in: Hermes 110, 198a, 68, Anm. 10. Dazu auch B. P. Reardon, The Greek Novel, in: Phoenix 23, 1969, 300. 5, 51. Überliefert bei Photios, Bibliothek, cod. 166, p. IIIa. T .. Hägg, The Novel in Antiquity, Oxford 1983, 96 f. Zustimmend N. Holzberg, Der antike Roman, München-Zürich 1986, 4a. In "Eros und Tyche" (uzll.) ist Hägg noch deutlicher.". Caesennia bei Cicero, Pro Caecina 6, 17. Vgl. im übrigen neben D. Balsdon, Die Frau in der römischen Antike, München 1979, W. Waldstein, Zur Stellung der Frau im Römischen Recht, in:
ZUR FIGURENCHARAKTERISTIK IM ANTIKEN ROMAN
Sallust demonstriert an einem Beispiel diesen Typ der in gewisser Hinsicht emanzipierten Frau, die ihm durchaus nicht sympathisch war, da sie nach seiner Meinung das Ende der Republik27 mit verschuldet habe, aber gerade deswegen ist sein Zeugnis interessant, weil er damit ungewollt die Umwertung der Rolle der Frau unterstreicht. In den Kreisen dieser Frauen dürften wohl auch Romanleserinnen vermutet werden. Es heißt von ihr bei SallusfS: "Diese Dame war nach Herkunft und Schönheit wie auch durch ihren Mann und ihre Kinder vom Schicksal reich gesegnet, sie war in griechischer und lateinischer Literatur wohl bewandert, konnte kunstgerechter musizieren und tanzen, als es für eine anständige Frau nötig ist ... Sie besaß eine ausgezeichnete geistige Veranlagung, verstand es, Verse zu machen, Scherz zu treiben, bald ein verhaltenes, bald ein empfindsames, bald ein keckes Gespräch zu führen - kurz, sie besaß viel Witz und viel Charme." Da der Abenteuer- und Liebesroman ein Produkt der hellenistischen bzw. dann der römischen Zeit ist, sind hierbei sicher auch römische Wertvorstellungen wie die von der univira, der nur mit einem Mann verheirateten Frau, wie auf Grabsteinen rühmend hervorgehoben wird, mit zum Tragen gekommen. 29 Dieses Motiv kehrt in anderer Form -mit Ausnahme der Sinonis bei Jamblich- bei jeder Hauptheidin im Roman wieder: Die Frau will sich für den einen, geliebten Mann bewahren und lieber den Tod auf sich nehmen als untreu sein. Jene Tendenz setzte sich auch in der frühchristlichen Literatur fort, z. B. im Klemensroman be~ Mattidia. Bei den frühen Christen finden wir übrigens unter den Märtyrern und Asketen viele Frauen; sie spielen eine große Rolle gleichfalls in den romanhaften Wundererzählungen, bevor das alte, in der Formulierung auf Paulus zurückgeführte Prinzip Mulier taceat in ecclesia ("Die Frau soll in der Kirche schweigen"),30 wieder voll zur Geltung kommt.
4· Liebe als Zentralthema Erotische Motive31 und Darstellung großer Liebe hatte es natürlich lange vor dem Roman gegeben, besonders seit Sappho in der Lyrik, in Elegien, in der Epik sowie in Dramen, aber einen so ausschließlichen Bezugspunkt auf die Liebf! allein, dem alles
27 28
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30 31
Festschrift für Robert Muth zum 6s. Geburtstag am I. Jan. I98I, Innsbruck 1983 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 2.1), 559-571. Cb. Meier hat seine Studie nicht zu Unrecht .,Res publica amissa" genannt (Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik, Wiesbaden 1966). Sallust, Catilina 15. Wahrscheinlich ist Sempronia gemeint, die Tochter des Reformpolitikers C. Gracchus, die Frau des ehemaligen Konsuls D. Junius Brutus und Mutter eines der Caesarmörder. S. dazu auch B. von Hesberg-Tonn, Coniunx carissima (vgl. Anm. n), 70. Zum Problem: G. Alföldy, Die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft des Römischen Kaiserreiches. Erwartungen und Wertmaßstäbe, Heidelberg I98o; für die Griechen: H. Straßburger, Der Einzelne und die Gemeinschaft im Denken der Griechen, in: Historische Zeitschrift I77, I9S4. 232 ff. (= F. Gschnitzer [Hrsg.], Zur griechischen Staatskunde, Darmstadt 1969, 97-111). Neues Testament, I. Korintherbrief 14, 34· A. Lesky macht in seinem Überblick Vom Eros der Hellenen, Göttingen I976 (Kleine Vandenhoeck-Reihe I421), auf den Unterschied zwischen der Frivolität in der Novelle (I35-138) und der Pathetik im griechischen Roman (I39-I4S) aufmerksam. - Unter .,Liebe" wird im Roman als Endziel weitgehend die eheliche Liebe verstanden.
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andere untergeordnet wurde, schuf erst der antike Liebesroman, der sozusagen die Probleme des "bürgerlichen" Paares aufgriff. Die Begrenzung der großen Empfindung einzig auf die Liebe bedeutet freilich andererseits eine Einschränkung des menschlichen Aktionsfeldes. Mit dem Happy-End, der immer wiederkehrenden glücklichen Vereinigung der Liebenden am Schluß, der sicheren Heimkehr des Reisenden nach vielen Abenteuern und Schrecken, kündigt sich gleichfalls eine gewisse Eingrenzung des Menschenbildes an. Ein neues und positives Element im Roman ist aber die hohe Wertschätzung der Frau als Partnerin des Mannes. Die veredelte Auffassung vom Wesen' des Eros, die sicherlich auch von der Philosophie beeinflußt war, ist bei Epikern, Dramatikern und Historikern noch relativ selten.32 In den sog. Frauentragödien des Euripides wird - noch im Rahmen des Mythos der Eros als verzehrende und verderbliche Leidenschaft dargestellt, bei Medea und Phaidra, aber auch als Bereitschaft zum Opfertod für den Mann, so in der ,,Alkestis". Dia "Helena" hat man sogar schon mit Recht, u. a. wegen der exotischen AbenteuerAtmosphäre und wegen der Anschläge auf ihre Keuschheit, als Vorstufe zum Liebesroman bezeichnet. Bei Euripides übertreffen die Frauenfiguren im allgemeinen - besonders deutlich die Alkestis, das "Idealbild der Gattin" - die Männer b~ weitem an menschlicher Größe, vielleicht ein Zeichen für die Unzufriedenheit des Tragikers mit der untergeordneten gesellschaftlichen Stellung der Frau.33 In der Neuen Komödie spielten die! Liebe und das Streben nach der legitimen Vereinigung des Liebespaares bereits die entscheidende Rolle. Der Zufall schafft und löst bei Menander31 wie im Roman die Probleme; der Lohn aber ist durch die Bewährung verdient. Charitons Chaireas bereut z. B. seinen Jähzorn. Gewisse Motive des antiken Romans finden sich also bereits in der Neuen Komödie. Die gewisse Ahnlichkeit35 zwischen Roman und Komödie ist aus der Verlagerung des poetischen Interesses vom gesellschaftlichen in den individuellen Bereich zu erklären. Mit der Gestalt der Dido, der Königin von Karthago, der gleichberechtigten, ja eigentlich überlegenen Partnerin des römischen Nationalheros Aeneas, liegt gewissermaßen ein Vorbild für eine psychologisch differenziertere Heidin, wie z. B. Heliodors Charikleia, vor.36 "Liebe als Schicksal" könnte man die Dido-Episode des 4· Buches in Vergils ,,Aeneis" bezeichnen. Sie nimmt einen wichtigen Platz ein und ist als eine äußerlich wie innerlich in sich abg~chlossene, höchst dramatische Erzählung anzusehen. Im Mittelpunkt steht die Frau, die von ihrem Geliebten verlassen wird, ihr Der neuzeitliche Romancier bürgerlich-humanistischer Prägung, Johannes Tralow, hat in seiner "Osmanischen/ Trilogie" (1942., 1947 u. 19p) gerade an seinen Frauengestalten - Malchatun, Roxane und Irene von Trapezunt - das Zeitkolorit nuanciert darzustellen gewußt. 33 Vgl. das Nachwort von H. Kuch zur Euripides-Übersetzung von D. Ebener: Alkestis, Medeia, Hippolytos, Hekabe, Die Hilfeflehenden, Leipzig 1976 (Reclams Universal-Bibliothek 67o), zn bis z6o; bes. 2.42.-2.48; Zitat z6o. :v. Vgl. dazu A. Körte, Die Menschen Menanders, Leipzig 1937 (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen AdW zu Leipzig, Phil.-hist. Kl. 89, 1937, 3), und bes. K. Treu, Menanders Menschen als Polisbürger, in: Philologus IZh 1981, zu-2.14. 35 G. L. Schmeling, Xenophon of Ephesos, Boston 1980 (Twayne's World Authors Series' 613), 101-104. 00 Näheres dazu bei R. ]ohne, Die Dido-Gestalt von Vergil bis Cnaustinus (im Druck).
32
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Kampf um ihn, ihre Verzweiflung, ihre Selbstanklagen, ihre Wahnsinnszustände, schließlich ihr selbstgewählter Liebestod. Dido ist keine Göttin oder Halbgöttin, sondern ein leidgeprüfter Mensch wie Aeneas selbst. Als Frau hat sie es unternommen, ein Männerwerk zu verrichten, nämlich mit ihren Getreuen eine neue Stadt als Heimat aufzubauen. Aber sie unterliegt iiD( Konflikt zwischen ihrer Pflicht und ihrer leidenschaftlichen Liebe zu dem Trojaner Aeneas. In diesem Epos kann es kein Happy-End geben: Die Übereinstimmung von privatem Glück und gesellschaftlicher Aktivität ist im antiken Roman nur in wenigen idealen Beispielen möglich, wir finden sie z. B. be~ Charikleia und Ludus in den "Metamorphosen" des Apuleius. Ein oft wiederkehrendes. Motiv in fast allen Romanen ist die Liebe auf den ersten Blick. Die Begegnung von Charikleia und Theagenes im Roman des Heliodor sei hierfür als Beispiel angeführt (3, 5): "Sich sehen. und; sich lieben war für die jungen Menschen eins, als hätten ihre Seelen bei der ersten Begegnung ihre Verwandtschaft erkannt und wären im Bewußtsein ihrer Bestimmung füreinander sich gegenseitig zugeflogen. Zuerst standen sie in innerer Erregung still. Zögernd reichte sie ihm die Fackel, zögernd nahm er sie. Lange ließen sie ihre Augen unverwandt aufeinander ruhen, als hätten sie sich schon früher gesehen, kannten sich irgendwie und suchten sich nun zu erinnern. Sie lächelteni beide, aber nur verstohlen, so daß es einen Augenblick heiter um ihre Wimpern zuckte. Dann wurden sie feuerrot, als schämten sie sich dessen, und, im Innersten berührt, wieder blaß, kurz; ihr Mienenspiel war in ständiger Bewegung, und der häufige Wechsel von Farbe und Augenausdruck verriet ihre seelische Erschütterung" (Übersetzung nach H. Gasse). Dieses Motiv der Liebe auf den ersten Blick ist seit Sappho häufig dargestellt worden, auch in den Gedichten Theokrits und in Kallimachos' "Akontios und Kydippe". ·unter "Liebe" wird im griechischen Roman der gesamte Komplex von körperlicher und seelischer Zuneigung verstanden, der den ganzen Menschen fordert und sein umfassendes persönliches Verhältnis zum anderen Geschlechtspartner ausdrückt. Sex allein kann also die Stelle der Liebe nicht einnehmen ; er ist an die Liebe gebunden, aber ohne sie bedeutungslos. Der Eros der Haupthelden im Liebesroman, der körperliche und seelische Liebe gleichermaßen umfaßt, stiftet eine unbedingte, alle Leiden und Gefahren überwindende Gemeinschaft für das Leben. Im römischen Roman werden die verschiedenen Formen der Erotik durchgespielt: die Zartheit der jungen Liebe, eheliche Treue, aber auch frivoler Ehebruch, Homosexualität sowie Bisexualität.
5· Zum Menschenbild im antiken Roman Im eigentlichen Abenteuer- und Liebesroman37 begegnen sich der junge Mann und das junge Mädchen zufällig - meist bei einem öffentlichen religiösen Fest. Beide sind nicht älter als 17 Jahre, manchmal sogar noch jünger. Sie werden von der Liebe auf den 37
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Zwd Formen des Menschenbildes im antiken Roman untersuchte M. Bachtin, Zeit und Raum im Roman, in: Kunst und Literatur 22, I974, II, II6I-II9I. Allerdings sind die Bachtinsehen Thesen zu modifizieren. Von dem "vollkommen passiven" Menschen (so II72) im griechischen Roman wie von der "absoluten" Unveränderlichkeit kann keine Rede sein. Kuch
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ersten Blick erfaßt.38 Vor der glücklichen Vereinigun~ (bzw. Wiedervereinigung nach langer Trennung) mit der Hochzeitsfeier am Schluß des Romans - der Sinn aller Liebesromane ist ja: omnia vincit amor ("alles besiegt die Liebe") - aber stehen Prüfungen und Leiden aller Art, wie Brautraub, dunkle Orakelsprüche und Träume, Flucht, Sturm auf hoher See, Schiffbruch, Piratenüberfall, ja sogar Gefangenschaft und Verkauf in die Sklaverei, Scheintod, Gerichtsprozesse und mancherlei Intrigen - der Motivkatalog variiert jeweils,, gehört aber zum festen Bestand des Romans. Es wird uns hier ein besonderes Menschenbild vor Augen geführt: Zwischen dem Beginn und dem Ende der Handlung, der anfänglichen Leidenschaft und der meist den Roman beschließenden Ehe, die für die Helden ja biographische Relevanz haben muß, ist kaum eine Veränderung bei manchen fest eingeführten Typen spürbar, bei anderen zeigen sich jedoch verschiedene Wandlungsmöglichkeiten. Bei Longos geht z. B. "from innocence to experience"39 die kontinuierliche Entwicklung des jungen Paares vor sich, die über den bloß physischen Bereich hinausgeht (vgl. 4, 40, 3). Die Liebenden sind aber im allgemeinen so jung und schön wie am Anfang, sozusagen ohne Alter. Desgleichen bleiben ihre Gefühle der Treue füreinander unverändert. Mit dem Zufall beginnt für den; Romanhelden die Einmischung irrationaler Kräfte, so daß nicht eigentlich er die Initiative (es gibt allerdings auch Gegenbeispielel) besitzt, sondern "es geschieht" etwas mit ihm, wie unter einem Zwang. Achilleus Tatios läßt das seinen Kleitopbon folgendermaßen ausdrücken: "Oft pflegt der Dämon den Menschen im Schlafe die Zukunft vorherzusagen, nicht, damit sie sich vor dem Unglück hüten sollen, denn das einmal bestimmte Verhängnis können sie nicht besiegen - sondern, um es leichter zu ertragen, wenn es ihnen begegnet" (z, 3, 3). Aber bereits aus diesen Worten wird deutlich, daß die Romanhelden sich nicht nur passiv verhalten und ihnen jegliche Initiative fehlt. So sind die Helden der Romane ja lebendige Menschen, die als "Spielball des Schicksals" das Spiel des Schicksals erdulden, überstehen und auch beeinflussen. Sie bewähren sich in allen Situationen und behalten ihre absolute Identität mit sich selbst. Selbst der ewige "Dulder" Odysseus wurde bereits mit den verschiedensten Gefahren konfrontiert - und mit ihnen auch fertig. Das zentrale Problem des antiken Romans ist und bleibt die Prüfung der Helden auf ihre Unwandelbarkeit, auf ihre Identität mit sich selbst. Sie werden auf ihre Keuschheit und gegenseitige Treue, auf Mut, Kraft und Furchtlosigkeit, ja auf Humanität und Verstand geprüft, und fast immer bestehen sie alle Prüfungen und Versuchungen glänzend und ehrenvoll. Sie machen keine Identitätskrisen durch wie die Romanhelden des modernen bürgerlichen Romans.40 Die Einheit des griechischen Menschenbildes im Roman bleibt erhalten. Es findet hier keine Selbstentfremdung statt - im Gegensatz zur Wirklichkeit; denn das Ethos des Helden, in Aktivitäten umgesetzt, ist bei: allen Schlägen der Tyche und trotz der herrschenden metaphysischen Gewalten das Fundament für die Selbstbehauptung des Individuums. Im wesentlichen reagieren jedoch der Die Hauptheidin bei Achilleus Tatios, Leukippe, muß vom männlichen Partner allmählich ,.erobert" werden. Hier gibt es keine Liebe auf den ersten Blick. 39 So M. Philippides, The ,.Digressive" Aitia in Longos, in: The Classical World 74, 1980-1981, 38
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Dazu M. Naumann, Prosa in 'Frankreich. Studien zum Roman im 19. und 2.0. Jahrhundert, Berlin 1978, bes. 7 f. u. 2.65.
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Held und die Heidin auf äußere Einflüsse, sind also keine geschichtsgestaltende Kraft im heutigen Sinne. Bei den Haupthelden wird ein ursprünglich aristokratisches Ideal, die Kalokagathia, stillschweigend vorausgesetzt. In diesem griechischen Terminus sind ästhetische und ethische Vorzüge, das Schöne (kal6n) und das Gute (agath6n), zu einer Einheit verschmolzen. Die Kalokagathia bedeutet die vollkommene Harmonie des Körpers und die harmonische geistig-sittliche Bildung gleichermaßen. Mit dem Ende der klassischen Zeit war der bildungsmäßige und damit der individualethische Aspekt in den Vordergrund getreten, der nun für die Haupthelden relevant werden sollte. Aber auchl das muß gesagt werden: Alle Erlebnisse und Handlungen des Romanhelden tragen einen privaten Charakter und haben keinerlei gesellschaftspolitische Bedeutung mehr. Der Eintritt des Individuums und seiner Privatsphäre in die Literatur des Hellenismus wurde ja weitgehend mit dem Verlust der Teilnahme am öffentlich-s02ialen Leben erkauft - entsprechend den Bedingungen der Realität, die das Bedürfnis nach Kompensation in einer Roman-Welt erst hervorrief. Eine andere Form des Menschenbildes begegnet uns im römischen Roman, hauptsächlich bei Petron und Apuleius, aber auch bei einem Teil der frühchristlichen Biographien. Typisch hierfür ist die enge Verbindung der Abenteuer mit dem bunten Alltagsleben; die Erlebnisse in der gesellschaftlichen Umwelt verleiheni dem Helden, z. B. dem Ludus bei Apuleius, mehr Reife. Eine ganz bestimmte Zäsur in der Biographie des Helden - bei Ludus die Verwandlung, die "Metamorphose" - verändert alles Bisherige. Drei Entwicklungsetappen des Ludus sind deutlich zu unterscheiden: Ludus vor der Verwandlung in einen Esel, Ludus als Esel,41 Ludus, auf mysteriöse Weise geläutert und neugeboren, als Priester und Rhetor. Dieses Schema übernimmt dann die frühchristliche Literatur: Auf ein sündiges Leben voller Versuchungen folgen die Krise und schließlich die geistige Wiedergeburt als Heiliger. Eine zufällige Ausnahmesituation des Menschen, die im Vergleich. zum gesamten Leben sehr kurz sein kann, bestimmt im römischen Roman den endgültigen Charakter des Helden. Hier geht die auslösende Initiative zum Geschehen direkt von diesem aus; denn er selbst ist an allem schuld; bei Ludus sind das seine Neugier und sein Leichtsinn. Aber diese Initiative ist nur bedingt positiv und schöpferisch, obwohl der aktive Faktor nicht unterschätzt werden darf. Denn in der menschlichen Verantwortung allein liegt es (oft durch Träume veranlaßt), daß die Schuld eingestanden werden kann. Jedoch bleibt auch hier der Held ein privater Mensch: Er wandelt sich und erlebt eine Metamorphose, aber seine Umwelt, sein Heimatland bleibt unverändert. Als Lastesel bekommt Ludus sehr konkret und ungeschminkt das Alltagsleben in den Provinzstädten sowie auf dem Lande zu spüren. Noch deutlicher findet sich die soziale Vielfalt mit recht markanten historischen Spuren der neronischen Epoche bei Petron in · der Figur des Trimalchio. Einen Sonderfall stellt der utopische Roman dar, der die enorme Erweiterung des Weltbildes seit der klassischen Zeit dokumentiert. Der idealisierte Athiopierstaat bei 41
Im Vergleich zwischen Apuleius und Lukios ist der Eselsmensch bei Apuleius literarisch anspruchs-
voller, gefühlvoller und mit größerem psychologischen Geschick dargestellt: so H. van Thiel, Der Eselsroman, Bd. 1: Untersuchungen, München 1971 (Zetemata 54, 1).
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Heliodor kann als politische Utopie gedeutet werden5' Damit werden Vorstellungen und Wünsche, die zu Beginn der Romanproduktion auftreten, am Ende in der Spätantike noch immer als relevant empfunden. Mit der Propagierung der Aufhebung des Privateigentums bei Jambulos ist die Forderung nach der Verwirklichung des Individuums eng verbunden, und in der verkleideten Form den Sozialkritik offenbart sich der Wunsch, daß jeder seinen Platz und sein Profil in der Welt zu beanspruchen hat. Wenn jedoch erkannt werden mußte, daß es in der Realität unmöglich war, eine für besser gehaltene alte Ordnung oder eine erträumte schöne neue Welt zu errichten, konnte die Utopie durchaus Aktionsersatz sein.43 Der Held des utopischen Romans nimmt eine Sonderstellung ein. Er verhält sich, soweit das aus den Fragmenten geschlossen werden kann, weitgehend passiv. Durch Zufall wird er in exotische Gefilde verschlagen, in denen sozusagen ideale Zustände existieren, all deren Entstehung er natürlich keinen Anteil hat und die auf heimische Bedingungen kaum zu übertragen wären. Eines aber bleibt dem Autor als Aufgabe, nämlich aus dem Unbehagen an der eigenen Zeit ein Kontrastbild zu den zeitgenössischen Verhältnissen zu entwerfen. Noch ein weiteres Moment kommt hinzu: Nicht Athen oder Rom stehen im Mittelpunkt der Romane, sondern mit den neuen Möglichkeiten im Osten die Provinzen, aus denen meist auch die Autoren stammen. In den künstlerisch wertvollen männlichen und weiblichen ägyptischen Mumienporträts aus der römischen Kaiserzeit wird ein Menschenbild der Provinzialen greifbar, das mit dem der Leser der antiken· Romane weitgehend identisch sein dürfte. Denn die Papyrusfunde der Romane und die Mumienporträts entstammen dem gleichen Gebiet: Agypten. An wenigen markanten Beispielen wird im folgenden versucht, besonders individualisierte Typen aus ausgewählten Romanen vorzustellen.
a) Der Ninos-Roman Das zentrale Paar, ein Liebes- oder Geschwisterpaar, steht hier an erster Stelle bei unserer Betrachtung. Noch ganz im alten Rollenverständnis ist das junge Mädchen im Ninos-Roman angelegt: schüchtern, voller Scham errötend und nur unter Tränen kann sie ihre Bitte der Mutter des Geliebten, die gleichzeitig ihre Tante ist, vortragen.44 "Sie bat um einen Augenblick Zeit und weinte, sie wollte etwas sagen, aber ehe sie beginnen konnte, verstummte sie. Bald zeigte sie von sich aus die Absicht zu sprechen, öffnete die Lippen und hob den Blick, als wollte sie etwas sagen, doch brachte sie am Ende 42 T. Szepsessy, Heliodorus und der griechische Liebesroman, in: Homonoia 3, 1981, .103-207. 4a Eine spezifische Art der Gegenvorstellung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit bilden die utopischen Romane, die nur in Fragmenten vorliegen. - Einen Gesamtüberblick über die antiken Utopien gibt B. Kytzler, Utopisches Denken und Handeln in der klassischen Antike, in: Der utopische Roman, hrsg. von R. Villgradter u. F. Krey, Darmstadt 1973, 45-68; über jambulos speziell: R. Müller, Zur sozialen Utopie im Hellenismus, in: ders., Menschenbild und Humanismus der Antike. Studien zur Geschichte der Literatur und Philosophie, Leipzig 1980, 189-ZOI. Zum Gesamtkomplex: R. Müller, Sozialutopisches Denken in der griechischen Antike, Berlin 1983 (Sitzungsberichte der AdW der DDR, Gesellschaftswissenschaften, 3 G!I98.a). 44 Ninos~Roinan, FragmentA 140-159.
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kein Wort heraus. Tränen rannen ihr herab, und ihre Wangen röteten sich, aus Scham zu sprechen; als sie sich aber plötzlich erneut zu einem Versuch zu reden aufraffte, da wurde sie blaß vor Ängstlichkeit. Sie befand sich zwischen Hoffnung und Sehnsucht auf der einen und Furcht und Scham auf der anderen Seite. Zwar machte ihre leidenschaftliche Liebe ihr Mut, doch fehlte es ihr an Entschlußkraft, und so verband sie heftige Erregung mit großer Niedergeschlagenheit"45 (Übersetzung nach C. W. Müller). Dagegen tritt der junge Prinz46 in seiner wohldurchdachten Werberede fordernd und sich seines Wertes voll bewußt auf.
b) D er R o m a n d e s C h a ri t o n Im Chariton-Roman, dem ältesten unter den vollständig erhaltenen Werken dieser Art, wird die Heidin Kallirhoe durch ihre fast überirdische Schönheit - sie erscheint als Inkarnation der Aphrodite wie einst Helena - zum begehrten Objekt vieler Männer. Da sind zunächst - außer Chaireas - die abgewiesenen Freier in Syrakus, später Dionysios, der erste Mann in Milet, ferner Mithridates und Pharnakes, zwei persische Satrapen, und schließlich selbst der persische Großkönig Artaxerxes. Damit ist die Reihe der Bewerber zu einer sozial ansteigenden Linie gestaltet, die mit dem Perserkönig ihre höchste Stufe erreicht. Aber Kallirhoe empfindet ihre Schönheit nicht als reines Glück, denn sie wird ihr zum Verhängnis, ja zur Gefährdung ihres Lebens. In einem verzweifelten Selbstgespräch fühlt sie sich "wie ein Hausgerät",47 das von Hand zu Hand gereicht wird, einmal an Griechen, dann wieder an .,Barbaren" und sogar an Räuber. Unschuldig gerät sie in den Verdacht der Untreue und steht am Ende doch als Siegerio da. In echten Gedankenmonologen (z. B. 2, 9, I oder 3, 2, 7) wird die Handlung vorweggenommen, z. B. als sie sich in Anbetracht ihres von Chaireas zu erwartenden Kindes aus Vernunftgründen zu einer zweiten Ehe mit Dionysios bereit finden muß. Daß der Romanautor Kallirhoes Persönlichkeit deutlich heraushebt, wird im Schlußsatz .,So· viel über Kallirhoe" (8, 8, r6) bestätigt: Die Hauptheidin bestimmt das Geschehen des Romans, deshalb wird sie allein genannt. Ein Problem und zugleich Zeichen eines defektiven Menschenbildes scheint Kallirhoe als junge Mutter zu sein, die ihr Kleinkind in Milet zurückläßt, um mit dem geliebten Chaireas, ihrem ersten Ehemann, in die Heimat zurückzukehren. Aber sie hatte ja Dionysios in Milet nur geheiratet, um das Kind ihrer wahren Liebe zu retten (2, 8, 3). Im genauen Abwägen des Pro und Contra hatte sie sich gegen den Freitod und für das Leben des noch ungeborenen Kindes entschieden, als sie ihren Chaireas tot glaubte. Jetzt würde sie es für grausam und herzlos halten, das Kind dem einsamen Dionysios nicht zurückzulassen. Die Zukunft des Kindes war zudem bestens gesichert. Diese und 45
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C. W. Müller, Der griechische Roman, Wiesbaden 1981 (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft a), 396. Von dem in der Legende berühmten orientalischen König Ninos ist nur der Name entlehnt. Der junge Prinz des Romans ist erst 17 Jahre alt, liebt und leidet und will voller Kampfesmut in den Krieg ziehen. Noch weniger paßt die verschüchterte, kindhafte Geliebte dieses Romanfragments zu der historischen Semiramis, der Gründerio von Babylon. Chariton 1, 14, 9 hos sketios. Vgl. dazu F. Zimmermann, Chariton und die Geschichte, in: Sozialökonomische Verhältnisse im Alten Orient und im klassischen Altertum, Berlin 1961, P9-HS·
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andere Argumente, die schlecht und recht entschuldigend vorgebracht werden können, lassen jedoch Kallirhoes Funktion im Liebesroman außer acht. Kallirhoe war mit Chaireas zu einem Liebespaar verbunden, das am Ende keinesfalls getrennt werden durfte. Die Bindung an den Geliebten war entsprechend den Gesetzen der literarischen Gattung stärker als die Bindung an das Kind. An Chaireas, dem Partner der Hauptheldin, ist eine Anderung des Charakters zum Positiven greifbar. Der hitzige, überaus eifersüchtige junge Ehemann verletzt sie so schwer, daß sie scheinbar den Tod findet. Als die wieder erwachte Kallirhoe aus dem Grab entführt wird, steigert er sich, da er inzwischen sein Unrecht eingesehen hat, höchst dramatisch in sein Unglück hinein: "Wer von den Göttern ist mein Nebenbuhler geworden ... ? Deswegen ist sie auch so plötzlich gestorben, damit sie nicht krank wurde. So nahm auch Dionysos dem Theseus die Ariadne weg, und Zeus die Semele. Vielleicht wußte ich nicht, daß ich eine Göttin zur Frau hatte, die mächtiger war als die Sterblichen ... Ich aber wurde in der Zeit der höchsten Liebe verlassen. Was leide ich, was soll aus mir Unglücklichen werden? ... Ich rechtfertige, Herrin, meine Seele vor dir. Du heißest mich leben; ich werde nach dir suchen über Land und Meer und selbst in die Luft hinauf möchte ich steigen können. Nur dies eine bitte ich dich, Frau, daß du nicht vor mir fliehst!" (3, 3, 1-7). Im militärischen Kampf gegen den Großkönig erringt Chaireas seine geliebte Frau zurück. 48 Chariton versteht es, in seinen Haupthelden die rein menschlichen Interessen herauszuarbeiten, so daß man von dem wohl "psychologischsten" Roman der griechischen Antike sprechen kann; denn der Autor differenziert auch geschickt zwischen den Freiern und macht selbst die Motivation der durch den Parasiten verführten Lieblingsdienerio der Kallirhoe deutlich: "Eine Frau ist ja leicht zu fangen, wenn sie sich geliebt glaubt" (1,4, z).
c) D e r R o m a n d e s X e n o p h o n v o n E p h e s o s Im "konventionellsten" griechischen Roman,49 bei Xenophon von Ephesos, ist die Paralle-lität der beiden Haupthelden, d. h. ihr gleiches und parallel verlaufendes Geschick, am konsequentesten gewahrt, was sich auch in der Handlungsführung zeigt. Dies veranschaulicht 'gleich zu Beginn das dunkle Orakel des Apollon, das den gesamten Verlauf und das gute Ende des Geschehens offenbart: "Wissen wollt ihr das Ende der Krankheit und ihren Anfang? Beide befiel die nämliche Krankheit, von da kommt auch Heilung. Schlimme Schmerzen seh' ich für sie und leidvolle Mühen: Beide fliehn über's Meer, verfolgt von wütender Liebe. Diese Szene muß m. E. nach der ganzen Anlage des Romans so gesehen werden, daß Chaireas nach dem Eingeständnis seiner Schuld selbst aktiv wird, um sich seine Frau zurückzuholen, und dies nicht ,.allein dem Mitleid der Göttin" (Aphrodite) verdankt wird (so C. W. Müller, Der griechische Roman [vgl. Anm. 4~]; 389). Der Chariton-Roman erscheint auch in dieser Hinsicht ,.psychologisch" durchdacht; vgl. schon T. Hägg, Narrative Technique in Ancient Greek Romances, Stockholm 1971, u8 f. Jetzt auch ders., Eros und Tyche, 2.2; 31. li9 So C. W. Müller, Der Griechische Roman (vgl. Anm. 4~). 399· 48
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Fesseln tragen sie auch bei meerdurchschiffenden Männern. Beiden ist Brautbett ein Grab und das allverzehrende Feuer. Und an den Fluten des Nilstroms der Göttin, der heiligen Isis, Die dich errettet, weihst endlich du viele glänzende Gaben. Doch einst nach all diesem Leid werden besseres Schicksal sie haben. " 50 Die Heidin Anthia muß Erniedrigungen schlimmster Art über sich ergehen lassen: Gefangenschaft, Sklaverei, leidenschaftliche, rücksichtlose Liebhaber, Verdächtigungen, Einsperrung mit wilden Hunden, ja Verkauf in ein Bordell, dem sie aber durch Listvorgetäuschte Epilepsie - entrinnen kann. Sie bleibt standhaft und treu, wie ihr Monolog vor der geplanten Hochzeit mit Perilaos, dem römischen Beamten, beispielhaft beweist (3, 5-10, 4). Voller Tränen und sich die Haare raufend, ruft sie: "Wie bin ich ganz und gar ungerecht und niederträchtig, daß ich es dem Abrokomes nicht gleich tue. Er erträgt Fesseln und Folter, um mein Mann zu bleiben, ja vielleicht ist er schon gestorben. Ich aber vergesse all dies und verheirate mich, ich Unselige. Man wird mir das, Hochzeitslied singen, und ich werde Perilaos' Bett teilen. Doch du, Liebster mir von allem, Seele des Abrokomes, du sollst dich meinetwegen nicht grämen; niemals will ich dir aus freiem Willen Unrecht zufügen, ich komme, und bis zum Tode werde ich deine Frau bleiben." Auch Abrokomes muß viel erdulden - er solL gekreuzigt und auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrannt werden -, aber er ahnt wie Anthia, daß sie endlich lsis, der Schutzgöttin der Liebenden, vertrauen können, und so trifft auf Abrokomes, den schönen, klugen, aber etwas eitlen jungen Mann, und Anthia, "die blühende Schönheit", wie auf fast alle Personen dieses Romans die Feststellung zu, daß sie nicht historischkonkret, sondern als beinahe "allzeitige Typen des Menschen" angelegt sind.51 d) D e r R o m a n d e s J a m b I i c h o s Abweichend von diesem Schema des konventionellen Liebesromans hat der hellenisierte Syrer Jamblichos52 seine Heidin Sinonis mit einem fremden Zauber von Schönheit, aber auch mit einer Wildheit des Gefühls ausgestattet, die selbst vor Grausamkeit und sinnloser Eifersucht nicht zurückschreckt. Für sie bedeutet auch die Liebe zu Rhoclanes nicht unbedingt Treue in jeder Situation. In diesem Roman herrscht ein orientalisches Kolorit vor, besonders bei Garmos, dem König von Babylon. Er wird als typischer Despot gezeichnet: grausam, zynisch, sinnlich, unberechenbar, hinterhältig. Rhoclanes - in der Namensform Wardan aus der parthiseben Geschichte bezeugt - entspricht der üblichen Norm des Romanhelden; er ist schön, tapfer und treu· und will sich das Leben nehmen, als er seine Sinonis tot :.o Übersetzung von B. Kytzler, -in: Xenophon von Ephesos, Abrokomes und Anthia, Nachwort von W. Kirsch, Leipzig I98I, IO. 51 Kirsch, ebenda So. Gute Beobachtungen zu den Personen auch bei R. W. Garson, The Faces of
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Love in the Ephesiaca of Anthia and Habrocomes by Xenophon of Ephesos, in : Museum Africum 7, I98I, 47-S S· Noch immer sehr anregend U. Schneider-Menzel, Jamblichos' Babylonische Geschichten, in: F. Altheim, Literatur und Gesellschaft' im ausgehenden Altertum, Bd. I, Teil I : Der Roman, Halle/S. I948, 48-92.
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glaubt. Insgesamt bleibt er als Persönlichkeit ziemlich "farblos" - ein Phänomen, das bei fast allen männlichen Haupthelden zu beobachten ist. 53 Voller Leben erscheint dagegen die schöne Sinonis: temperamentvoll, leidenschaftlich, aber auch über alle Maßen eifersüchtig. Aufgrund dieser Eifersucht steigert sie sicbi in einen solchen Haß gegen den Geliebten, daß sie sogar einen anderen heiratet: den jungen König von Syrien, der noch dazu ein Gegner des Garmos ist, in dessen Händen sich gerade Rhoclanes befindet. Hatte sich Kallirhoe bei Chariton gezwungen gesehen, eine zweite Ehe einzugehen, so handelt Sinonis aus maßlosem Haß. 54 Jamblichos hat den kämpferischen Akzent mancher Romanheidin überaus verschärft. Sinonis ist ja eine "Barbarin" und darf deshalb wohl keinen Anspruch auf eine Ideali· sierung beanspruchen. Sie tötet den reichen Wüstling Setapos entschlossen mit dem Schwert, s(,>, wie sich auch bereits Anthia gegen den Räuber Anchialos zur Wehr setzen mußte. Dabei geht die Heidin Jamblichos' kaltblütig vor: "Sie hielt den Mund des Ermordeten mit der Hand zu, damit er nicht mit der Seele einen Laut von sich gebe" (Fr. 68 Habrich). Nach dieser Tat will sie auch die hübsche Bauerntochter erschlagen, auf die sie wegen eines Kusses von Rhoclanes eifersüchtig ist. "Der erste Kampf ist durchgefochten, wir wollen uns auch an den zweiten wagen; denn gerade im rechten Augenblick haben wir uns geübt!" (Fr. 70 Habrich). In Soraichos begegnet uns ein wohlwollender Freund des bedrängten Heldenpaares, ein reicher Beamter. Eine wichtige Person im dramatischen Roman des Jamblichos bleibt ohne Namen: die Bauerntochter, die nur als k6re (Mädchen) bezeichnet wird. Als junge Witwe und Tochter eines Bauern (Photios, Bibliotheke 94) hilft sie selbstlos und beherzt den bedrängten Fremden. Möglicherweise wollte der Romanautor mit dieser Frau aus dem Volke das Vorbild für eine echte Heidin schaffen.
e) D e r R o m a n d e s L o n g o s Von der Besonderheit dieses bukolischen Romans war bereits die Rede.55 Er spielt auf einer Insel und' behält im Gegensatz zu den anderen Romanen seinen Schauplatz während der ganzen Handlung bei. In der strengen Anlage wie in einigen Motiven läßt der Autor den Einfluß der Neuen Komödie erkennen. Es wird das Lebenzweier sehr junger Leute geschildert, die ihre gegenseitige Zuneigung entdecken und im Wechsel der Jahreszeiten das Glück der Gemeinsamkeit finden. AußerC! Einflüsse wie ein Überfall von Piraten und eine mißglückte Entführung scheinen dagegen nebensächlich. Pikant und köstlich zugleich ist die beginnende Liebe der Chloe zu Daphnis dargestellt: eine stilistischi durchgefeilte Meisterleistung. Chloe weiß noch nichts von der Ebenda 78, Anm. 10. Ähnlich äußert sich aber bereits E. Rohde, Der griechische Roman, 3· 2\ufl. 1914 = photomechanischer Nachdruck, Berlin 1960, 3~6 (= 383). 54 Besonders typische Aussagen in den Fragmenten 70 und n der Ausgabe von F. Habrich, Leip:!:ig 1960. Allerdings ist bei der Interpretation Vorsicht geboten, da der fragmentarische Zustand des Romans vieles offenlassen muß. Vor der Szene, in der Sinonis den jungen Syrerkönig heiratet, fehlt ein beträchtliches Stück der Handlung. 55 Vgl. in diesem Band S. 2~; 72 f.; 123 f. Eine interessante Interpretation bietet B. Effe, Longos (vgl. Anm. 23), 6~-84. Für Hägg, Eros und Tyche, J3, ist Longos "der ausgeprägteste Individualist". 5iJ
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erwachten Neigung, fühlt sich aber verändert: "Gewiß bin ich jetzt krank, aber was es für eine Krankheit ist, weiß ich nicht: ich fühle Schmerz und habe doch keine Wunde an mir: traurig bin ich, und doch ist mir kein Schaf umgekommen; ich glühe und sitze doch in so kühlem Schatten. . . . Aber was mir jetzt das Herz zersticht, das tut weher als das alles. Schön ist Daphnis, aber die Blumen sind es ja auch; schön klingt seine Syrinx, schön aber auch die Stimme der Nachtigall: und doch achte ich nicht auf sie ..." (1, 14). Nach dem Wettstreit zwischen dem Rinderhirten Dorkon und Daphnis um Chloe, der natürlich mit dem Sieg des Daphnis endet, erwacht mit dem Kuß der Chloe auch d.ie Liebe bei ihm. Er "war plötzlich ganz traurig, wie wenn er nicht geküßt, sondern gebissen worden wäre, schauderte oft zusammen, preßte die Hand auf sein pochendes Herz und wollte immerfort Chloe ansehen; sah er sie aber, dann wurde er über und über rot" (1, 17, 2). Daphnis fühlt, daß es mit diesem Kuß eine besondere Bewandtnis hat: "Mein Atem fliegt, mein Herz will herausspringen, meine Seele zerschmilzt, und doch möchte ich wieder küssen. Ach, welch unseliger Sieg, welch seltsame Krankheit, von der ich nicht einmal den Namen weiß I" (x, 18, 2; Übersetzungen nach 0. Schönberger). Der Liebesschwur (2, 39) bindet die Liebenden für immer aneinander, aber die ländliche Idylle wird noch durch Zwischenfälle gestört, ehe beide ihre richtigen Eltern wiederfinden und Chloe als unberührte Frau die Ehe mit ihrem heißgeliebten, aber nicht mehr ganz unschuldigen Daphnis eingehen kann. Longos erweist sich mit der Thematik seines Romans als guter Menschenkenner. Dies wird auch an der Verführungsszene des jungen Daphnis durch eine liebeserfahrene Frau aus der Nachbarschaft deutlich (3, 18-20). Lykainion, die "Lehrmeisterin", die aus der Stadt aufs Land gezogen ist, zeigt sich sehr beflissen, will jedoch das Geheimnis bewahrt wissen. Der junge Liebhaber bezwingt sein Verlangen aus Liebe zu seiner Braut bis zur Hochzeit. Eine "Entwicklung" des Helden wird also im wesentlichen in der Liebe als inneres Erlebnis dargestellt, was aber im antiken Roman einmalig ist.
f) Der Roman des Heliodor Ganz anders verhält sich dagegen Heliodor bei der Charakterisierung seiner Helden, die als Höhepunkt der vielfältigen Variationen im griechischen Roman anzusehen ist. Mit seiner Heidin Charikleia gestaltet Heliodor einen echten "Frauencharakter".5G Seine Darstellung hat den europäischen Roman des Barock und noch die Figur der Leonore in Goethes "Tasso" beeinflußt; denn im Gegensatz zu den meisten früheren griechischen Romanheldinnen, die sich und ihre Keuschheit nur für den erwählten Mann bewahren wollten, um in ihrer Rolle als zärtliche, hingebungsvolle Ehefrau aufzugehen, weiß sie von Anfang, an genau, was sie will und was sie sich schuldig ist. Zum verwundeten Theagenes sagt sie gleich zu Beginn des Romans - es ist bezeichnenderweise ihre erste Rede -, und dabei weist sie auf das Schwert >in ihrer Hand: "Leben oder Tod hängt für mich von dir ab. Siehst du diese Waffe? Bis jetzt habe ich nicht danach gegriffen, weil dein Atem noch ging und meine Hand zurückhielt" (leicht geänderte Übersetzung nach H. Gasse, 1, 1-4). 66 So heißt es bei K. Kerenyi, Der antike Roman. Einführung und Textauswahl, Darmstadt 1971, 89.
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Charikleia ist natürlich eine Schönheit: Groß, mit goldblondem langem Haar und strahlenden Augen erscheint sie wie eine Göttin. Trotz ihrer Jugend handelt sie überlegen und klug und bewahrt ihre Geistesgegenwart gerade in schwierigen Situationen und Gefahren.57 Auch das wird einleuchtend begründet: Bei ihrem griechischen Pflegevater in Delphi, dem ApoBonpriester Charikles, von dem sie ihren Namen erhielt, hat sie eine gute Erziehung genossen, wie sie sonst wohl für ein Mädchen nicht immer üblich war. Sie zeigte eine schnelle Auffassungsgabe und beherrschte rasch die fremde Sprache (z, n). Da sie ohne Mutter aufgewachsen ist, also nicht in der Abgeschiedenheit des Frauenhauses, hat sie sich an den Umgang mit gelehrten Männern gewöhnt. Dennoch ist Artemis ihr Ideal: So wird Charikleia deren Priesterin und erlangt be! Jagd und Bogenschießens männliche Kühnheit (z, 33). Charikleia ist, was sie allerdings erst als Erwachsene erfährt, als äthiopische Königstochter geboren, doch von ihrer Mutter, der Königin Persinna, ausgesetzt worden (4, 8): Sie war nämlich weißhäutig auf die Welt gekommen; das wird sowohl rational als auch mystisch mit der besonderen Situation der Zeugung in der hellen Mittagssonne unter dem Bild der Andromeda erklärt. Von ihrer Veranlagung und Erziehung her verachtet sie Eros und Aphrodite als niedere Leidenschaften und möchte ihr Leben lang Jungfrau bleiben (z, 33). So wehrte sie sich verzweifelt gegen die Macht der Liebe auf den ersten Blick zu Theagenes. Ihr Seelenkampf nach dem großen Festumzug droht, ihre Gesundheit zu zerstören (3, 18 u. 19; 4, 5 u. 9). Erst dem klugen ägyptischen Priester Kalasiris, der von ihrer Herkunft weiß, gelingt es, sie dann zu überzeugen - Eros habe ja selbst die Götter in seiner Gewalt (4, ro) -, daß sie sich zu ihrer großen Liebe bekennen muß - mit der Konsequenz, ihre Wahlheimat für immer zu verlassen (4, I3 u. 17). Sie führt aus, was sie als richtig erkannt hat, selbst wenn es schwierig für sie selbst wird. Eine gewisse mädchenhafte Scheu und Reserviertheit bleibt ihr aber eigen, wenn sie sich nicht gleich richtig verstanden fühlt, so noch gegenüber ihren Eltern am Schluß des Romans (ro, 18. 2.9. 33). Als Zentralfigur des Romans beweist sie mutiges, kluges und überlegtes, ja anpassungsfähiges Handeln in jeder Situation. Ihren Grundsatz in Gefahren bekennt sie selbst: Sie ist bestrebt, auch Unglücksfälle nach Möglichkeit zum Guten zu wenden (7, 2.1). Charikleia greift selbst in den Kampf ein und trifft mit sicherer Hand die Feinde mit ihren Pfeilen (5, 32.). Ihren Mut beweist sie auch, als sie, was Kalasiris nicht wagt, bei Nacht allein auf den Kampfplatz zurückkehrt (5, 33). Manchmal spricht sie selbst ihrem heißblütigen, oft unüberlegt und zu schnell handelnden und gleichfalls schnell verbitterten (z. B. 5, 6, z), aber sehr tapferen und starken Theagenes, einem Nachkommen des Achilleus, Mut zu, wenn er schon aufgeben will (8, I I: thtirsei; ähnlich 5· 6). Ihre Intelligenz und Geistesgegenwart bezeugen verschiedene Szenen des Romans, in denen sie sogar sophistisch argumentiert: "Die Täuschung ist eine ehrenvolle Sache, wenn sie nützlich ist für das, was man macht, ohne dem zu schaden, was man ersttebt" (r, z6, 6). Um nicht von ihrem Geliebten getrennt zu werden, gibt sie ihn als ihren Bruder aus (r, 2.1, 7 ;' 17, 9, 2.5). Geschickt bereitet sie ihre Eltern auf ihre Rückkehr 57 "Ce sont qualites de chef." So F. Feuillatre, Etudes sur !es Ethiopiques d'Heliodore, Paris 1966, 19 f. Deshalb ist sie aber keineswegs unweiblich, auch wenn ihr manchmal die "Demut gegen
die Götter" fehlt und sie zuviel "violence" zeigt, wie der Verf. meint.
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als längst verloren geglaubte Tochter vor; ebenso versteht sie es, in ihnen allmählich Sympathie für ihren zukünftigen Gatten zu wecken (ro, ro ff.). Charikleia hat aber auch, da sie selbst kaum Schwächen zeigt (r, 8, ~; 5, 34, r), für die Schwächen anderer kaum Verständnis. So weist sie den Athener Knemon zurecht, als er von seinem Wunsch spricht, unbedingt in die Heimat zurückzukehren. Erst in auswegloser Situation sieht sie in ihrem Freitod die Rettung (r, 33: als Thea· genes schwer verwundet ist; 8, 7:' im Palast des Stattahlters von Memphis; ro, 9: bei ihren Eltern in Meroe, als zunächst sie beide, dann er allein geopfert! werden soll). Ihren profiliert kämpferischen Charakter lassen schließlich die Worte erkennen: "Der Tod ist eine süße Sache, wenn man das Glück hat, seine Feinde vor sich sterben zu sehen" (8, r 5, 9). Theagenes scheint Chariklea nicht immer ebenbürtig zu sein. In der Gefahr allerdings wächst er über sich hinaus, und besonders in der Schlußszene, als er Charikleia durch Mut und Kampfentschlossenheit erringt, ist er ein echter Partner. Heliodors Heldin58 gehört zu den starken Charakteren. Als Frau genießt sie •im Roman die gleiche Achtung wie ein Mann. Als Freie nimmt sie für sich das Recht auf eigene Partnerwahl in Anspruch: Sie lehnt den Vorschlag ihres Pflegevaters, seinen Neffen zu heiraten, ab, denn die Liebe auf den ersten Blick hat sie bewogen, sich ein für allemal für Theagenes zu entscheiden, dem sie trotz aller Drohungen und Versuchungen treu bleibt. Natürlich verlangt sie die gleiche Treue und Liebe auch von ihm. Ja, sie fordert ihn sogar auf, im Angesicht der Götter zu schwören (5, r8), sie erst bei der Hochzeit bzw. nur mit ihrer besonderen Zustimmung zu seiner Frau zu machen. Ihre Liebe ist zu einer veredelten Leidenschaft gestaltet, in der Seele und Körper eine völlige Harmonie bilden - was Heliodor auch den christlichen Lesern zur Lektüre empfehlen ließ. Ihre maßvolle Art steht in starkem Kontrast zu der Herrschsucht der Perserin Arsake,59 einer eher kalten Schönheit. Die Athiopierin mit griechischem Geist ist vom Autor bewußt als Folie zu der "Barbarin" angelegt. Ihre Intelligenz, ihr Mut und ihre starke Persönlichkeit lassen Charikleia einen gewissen Spielraum für ihre Willensfreiheit und ihre Selbstbehauptung al& Individuum. Daß der Romanautor diese Eigenschaften gerade an einer Frau demonstriert, ist beson· ders bemerkenswert. Am Schluß des Romans kann sich Charikleia als liebende Frau wie als Mitglied der Gesellschaft selbst verwirklichen: Sie wird, als Königstochter von den Eltern und vom Volk akzeptiert, die Frau des Theagenes undi erhält ein öffentliches Amt als Priesterin. Damit erfüllt sich der Orakelspruch von Delphi: "(Sie) kommen ins dunkele Land, welches die Sonne beherrscht. Dort erhalten sie herrlichen Preis für ihr treffliches Leben. Auf der schwärzlichen Stirn schimmert die Binde dann weiß." Charikleia hat ihr privates Glück mit den politisch-gesellschaftlichen Aufgaben in Einklang bringen können. Eine nuancierte Person ist der weise Priester Kalasiris, den Heliodor mit Humor und In gewisser Weise ist Charikleia das .,Idealbild einer Frau". So überschreibt R. L. Kowama in ihrer Wiener Dissertation' von I9J9 ein Kapitel ihrer Arbeit .,Das Weltbild Heliodors in den .Äthiopischen Geschichten" (~H-~38 u. ~44-~46). 59 Dazu Kowama, ebenda zr8-22r; R. }ohne, Griechische und "barbarische" Frauengestalten bei Heliodor (im Druck).
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feiner Ironie ausstattet. Über ihm steht jedoch der äthiopische Priester Sisimithres, der am Schluß des Romans mit seinem Plädoyer für die Abschaffung des Menschenopfers das Humanitätsprinzip vertritt: "Wir richten uns nicht nach dem Beifall anderer, sondern erstreben das Schöne und Gute um seiner selbst willen . . . Laßt uns auch für die Zukunft auf Menschenopfer verzichten und lieber Opfer darbringen, an denen keine Blutschuld haftet!" Sein König Hydaspes, der Vater der Charikleia, entspricht ihm in seinem Gerechtigkeitssinn und seiner maßvollen Weisheit (z. B. 9, 5o 4: Der Edle verhält sich dem besiegten Feind gegenüber menschenfreundlich). Er ist von Heliodor als Idealbild eines Herrschers konzipiert und steht somit in scharfem Gegensatz zu dem orientalischen Despoten Garmos bei Jamblichos (vgl. in diesem Band auch Abb. 5). An der Figur der Charikleia, aber ebenso an den differenziert gezeichneten Nebenfiguren wird deutlich, was Heliodor mit seinen Charakteren erreichen will. Das Schicksal und die göttliche Vorsehung beeinflussen die Handlungen der Menschen stark, aber die Menschen bleiben frei in ihrer Entscheidung. Charikleia will sich aus eigenem Willen rein erhalten: "Ihr "Gewissen" zwingt sie, ihren Weg zu gehen. Kalasiris, ein anerkannter Prophet und Priester in Memphis, hatte aber seinem Verlangen, seiner epithymia, nach der schönen thrakischen Hetäre Rhodopis kaum widerstehen können (2, 25, I): "Lange stellte ich den Augen des Körpers die der Seele entgegen", bekennt er, und er bestrafte sich selbst mit der Flucht au~ der Heimat. Kalasiris entscheidet also seinen weiteren Schicksalsweg in eigener Verantwortung und kann nun, gereift und erfahren, den jungen Liebenden mit Rat und Tat zur Seite stehen.
g) Zur Figur des Trimalebio bei Petron Eine besondere Rolle spielt im Roman des Petron die Figur des Trimalchio. Petron sieht seine Zeit, die römische Gesellschaft des I. Jh. u. Z., zwar mit den Augen eines Aristokraten, der er ist, aber doch kritisch. Wenn er auch keine Lösung der Probleme anbieten kann, so möchte er seinen Zeitgenossen. durch parodistisch-satirische Übertreibung die Augen öffnen und so vielleicht sogar zu Veränderungen ermutigen. Petton greift dabei zum bewährten Mittel des griechischen Romans, dessen Motivkatalog er für seine eigenen Zwecke modifiziert. So gibt er z. B. die Treueschwüre, einen unabdingbaren Bestandteil des griechischen Liebesromans, der Lächerlichkeit preis (Sat. 79) ,60 noch dazu in einem bedenklichen Dreiecksverhältnis zwischen jungen Männern. Hierher gehören auch die Parodien, die sich auf das/ Selbstmitleid, auf Klagen (Sat. 8I) und Jammern (Sat. 98) richten, sowie die Karikatur eines Selbstmordversuches (Sat. 94). Aber ein Grundanliegen Petrons entspricht, soweit man das aus den Fragmenten schließen darf, dem griechischen utopischen Roman sowie dem Abenteuer- und Liebesroman: die Propagierung humanistischer Ideale und ein hoffnungsvolles, optimistisches Ende. Natürlich hat dieser Ausgang bei Petron einen satirischen Charakter: Der Hauptheld, d. h. eigentlich der Anti-Held, Encolpius, wird von seinem Gebrechen, seiner 00 Zitiert nach der Kapiteleinteilung bei K. Müller, Petronii Arbitri Satyricon, München 1978. Zum
rÖmischen Roman und speziell zu Petron I. P. Strel'nikova, Petrons satirischer Roman, in diesem BandS. u6-134.
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Impotenz, die ihm schwer zu schaffen machte, geheilt und wieder voll als Mensch und Mann anerkannt.61 "Die ranghöheren Götter sind es, die meine Gesundheit wiederhergestellt haben" (Sat. 140; alle Übertragungen nach V. Ebersbach). Der Olympier Merkur erwies ihm, wie Encolpius in feierlicher Ironie betont, göttliche Huld, und er werde nicht mehr von Priapus, einem rangniederen Gott, verfolgt. Dank seiner Beharrlichkeit habe er, der Mensch Encolpius, schließlich gesiegt, und somit wird - vielleicht darf man in aller Vorsicht soweit schlußfolgern - auch für die römische Gesellschaft, die sich jetzt in einer kritischen und nach Petton so beklagenswerten Lage befindet, einmal eine bessere Zukunft anbrechen. Petton übertreibt bewußt bei der Charakterisierung seiner Figuren - besonders bei Trimalchio. In diesem Kabinettstück seiner Kunst verbindet er gekonnt die Realität mit seinem literarischen Vorbild, dem Platonischen "Symposion",62 und mit der Karikatur zeitgenössischer Vertreter der Oberschicht. Trimalebio dürfte die einzige Figur im antiken Roman sein, die historisch nachprüfbare, individuelle Vorbilder in der gesellschaftlichen Realität besitzt. In dieser Gestalt verspottet er die mit ihrem Reichtum prahlenden Freigelassenen, die zu seinen Lebzeiten am Hof des Kaisers Claudius zu mächtigen Ministern aufsteigen konnten. Die kaiserliChen Freigelassenen Pallas, Narcissus und, Callistus zählt der ältere Plinius63 zu den reichsten Männern der römischen Gesellschaft und stellt sie sogar über den bekannten M. Licinius Crassus Dives, der über 200 Millionen Sesterzen verfügte. Ein ironischer Hinweis bei Tacitus64 auf die altrömische Sparsamkeit bei M. Antonius Pallas, einem dieser Männer, der 300 Millionen Sesterzen besaß, läßt sich bestens mit der prahlerischen Lebensmaxime des Trimalebio vor seinen Gästen vergleichen: "Zu diesem Wohlstand habe ich es durch meinen haushälterischen Sinn gebracht ... Aber ich war eben tüchtig, und so bin ich hochgekommen" (Sat. 75). Als Sklave war Trimalebio aus Kleinasien in ein reiches Haus nach Italien gekommen, hatte sich, wie er genießerisch berichtet (Sat. 75 f.), bei seinem Herrn wie seiner Herrin gleichermaßen beliebt gemacht - und war zu einem Erben seines Herrn geworden. "Ich habe ein Senatorenvermögen eingestrichen" (Sat. 75, 1), gesteht er selbst stolz. Mit diesem ererbten Vermögen betrieb er geschickt Handelsgeschäfte, und trotz einiger anfänglicher Mißerfolge besaß er zum Schluß ein größeres Vermögen als zuvor. Risikoloser und als Geldanlage sicherer war jedoch der Besitz von großen Landgütern, von Latifundien. Petron übertreibt maßlos, wenn er Trimalchios Güter so ausdehnt, daß nur die Vögel sie überfliegen können (Sat. 37, 8), wenn alles auf seinem eigenen Grund und Boden wachse und nichts gekauft zu werden braucht (Sat. 38, 1) oder er, 61
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Anregend dazu V. Ebersbach in seiner Petron-Übertragung mit Anmerkungen und einem Essay "Petronius oder ein Streit über Geschmacksfragen", Leipzig 1984 (Reclams Universal-Bibliothek 1041), bes. 2.2.7. Der Einzug des Habinnas, Freund Trimalchios und geschäftstüchtiger Eigentümer einer Werkstatt für Grabmonumente, ist dem Auftritt des angetrunkenen Alkibiades im "Symposion" nachgestaltet (Sat. 6 5). Plinius, Naturalis historia H• 10 (47), 134 f. Tacitus, Annalen 12., n. 3: et fixum est aere publico senatus consultum, quo libertinus sestertii ter miliens possessor antiquae parsimoniae laudibus cumulabatur ("und festgehalten wurde auf einer Staatsinschrift der Senatsbeschluß, in dem der Freigelassene, der ein Besitzer von 300 Millionen Sesterzen war, mit Lobsprüchen altrömischer Sparsamkeit überhäuft wurde").
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Trimalchio, alle Güter als Eigentümer gar nicht kenne (Sat. 53, 6 f.) bzw. wenn er schließlich seinen Grundbesitz von Kampanien bis nach Apulien ausdehnen und sogar noch Sizilien besitzen möchte, um bis Afrika "ganz durch eigenes Gebiet segeln zu können" (Sat. 48, 2 f.). Diese Übertreibungen Petrons konnten nur dann von großer Wirkung sein, wenn sie auf tatsächlich in der Gesellschaft existierende Verhältnisse anspielten. Die historische Bedeutung dieses Romans besteht ja gerade in der realistischen Schilderung des Milieus und der sozialen Bezüge, einer Schilderung, mit der Petron ein parasitäres und geistloses Schmarotzertum schonungslos der Lächerlichkeit preisgibt.65 Einige charakteristische Züge, die Petron seinem Trimalchio verliehen hat, könnten eine groteske Anspielung auf bestimmte Marotten des Kaisers Claudius und seiner Hofgesellschaft sein, z. B. die Bildungsbeflissenheit bei Tisch, die Vorliebe für das Würfelspiel, die ständige Zitierung Homers oder die Auslassungen über Probleme der Verdauung (Sat. 47). Anderes spricht für Trimalebio als ,,zweiten Nero". Nur scheinbar ferner liegt ein Beispiel aus der überlieferten römischen Geschichte, das zur Abrundung der Figur des Trimalchio beiträgt. Petrons Zeitgenosse, der ältere Plinius, erwähnt das Testament eines reichen Großgrundbesitzers, ja eines Multimillionärs, dessen Name sonst unbekannt geblieben wäre. Es handelt sich um das Testament des Freigelassenen C. Caecilius Isidorus, das am 27. Januar 8 v. u. Z. verfaßt worden ist: C. Asinio Gallo C. Marcio Censorino coss. a. d. VI. Kal. Febr. C. Caecilius C. l. Isidorus testamento suo edixit, quamvis multa bello civili perdidisset, tamen relinquere servorum IIII C X VI, iuga boum Ill D C, reliqui pecoris C C L V 11, in numerato HS DC, funerari se iussit HS Xl. 00 Der Freigelassene Isidorus protzt also in seinem Testament mit seinem märchenhaften Reichtum; hinterläßt er doch trotz der großen Verluste in den Bürgerkriegen, d. h. wohl bei den Bodenkonfiskationen durch die Triumvirn in den Jahren 41/40 v. u. Z., einen enormen Besitz: 4116 Sklaven, 3600 Paar Ochsen, 2. 57 ooo Stück sonstiges Vieh und 6o Millionen Sesterzen an Bargeld. Diesem überlieferten Testament kann mit aller gebotenen Vorsicht die bei Petron (Sat. 71) vorgeführte Grabinschrift für Trimalchio zur Seite gestellt werden, in der ebenfalls der große Reichtum hervorgehoben wird: "Hier ruht C. Pompeius Trimalchio Maecenatianus. Er wurde in Abwesenheit zum Sevir ernannt. Er hätte in Rom in alle Dekurien eintreten können, wollte es aber nicht. Er war fromm, tapfer und zuverlässig. Klein hat er angefangen und sich hochgearbeitet. Er hat 30 Millionen Sesterzen67 hinterlassen und niemals einen Philosophen gehört. Lebe wohl! Danke gleichfalls!" Offensichtlich gab es also tatsächlich Testamente wohlhabender Freigelassener, die sich für parodistische Übertreibungen eigneten. R. Duncan-Jones, The Economy of the Roman Empire. Quantitative Studies, Cambridge 1974, 248: "It seems thav in generat actual circumstances were only reproduced in order that they might be parodied." Dazu auch P. Garnsey, Independent Freedman and the Economy of Roman Italy under the Principate, in: Klio 6,, I98I, 359-HI; bes. 360 u. nx. 66 Plinius, Naturalis historia n. xo (47), I 3 5· - Zur Interpretation und zur Bedeutung dieses Testaments für die römische Kolonenwirtschaft vgl. K.-P. ]ohne, in: K.-P. ]ohne, ]. Köhn, V. Weber, Die Kolonen in Italien und den westlichen Provinzen des Römischen Reiches, Berlin 1983 (Schriften zur Geschichte und Kultur der Antike zx), II3-117. 67 Die Angabe "30 Millionen" kommt bei Petron häufiger vor und steht wohl allgemein für ein großes Vermögen: R. Duncan-Jones (vgl. Anm. 65), 239-242.
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Aber erst in der frühen Kaiserzeit konnte ein einstiger Sklave zum Multimillionär und Herrn über einige Tausend Sklaven aufsteigen. Einige wenige aus der Oberschicht der Sklaven scheinen durch Erbschaft oder Schenkung die Möglichkeit gehabt zu haben, zum "großen Geld" zu kommen. Bereits Horaz hatte in seiner 4· Epode den neureichen Freigelassenen mit 1000 Morgen karikiert. Bei Seneca d. J. wird der vermögende Senator Cn. Lentulus Augur bedauert, den "seine Freigelassenen arm gemacht hätten" (De benefidis 2, 27, 1). Für C. Caedlius Isidorus scheint als Patron ein Angehöriger der reichen Senatorenfamilie der Caedlii Metelli in Betracht zu kommen, einer Familie, die vom 2. Jh. v. u. Z. bis in die frühe Kaiserzeit eine bedeutende Rolle in Politik und Wirtschaft spielte.68 Der Machtkonzentration auf dem Kaiserthron entsprach eine Konzentration an Reichtum und Bodeneigentum gerade auch bei neuen Familien, die ihr Vermögen direkt oder indirekt dem kaiserlichen Fiskus verdankten. Dazu gehörten die Freigelassenen und Minister des Claudius wie auch andere in die oberen Schichten Aufgestiegene, selbst Aristokraten wie Seneca d. J., der Minister Neros. Aus den wenigen Beispielen ist ersichtlich, daß der "Weg nach oben" des öfteren praktiziert worden sein muß; sonst wäre die literarische Verallgemeinerung, die Petron mit seinem Trimalebio so glänzend gelungen ist, unverständlich und damit wirkungslos geblieben. In dieser Figur sind Elemente der Karikatur und der gesellschaftlichen Realität zu einer Einheit ver·· schmolzen, so daß hier von einer Sonderform gesprochen werden kann.
h) Z u r F i g u r d e s L u ci u s b e i A p u 1 e i u s Eine Romangestalt mit individuellen Zügen ganz besonderer Art ist Ludus, der Hauptheld bei Apuleius.' Das ist einmal bedingt durch die realistische Prägung des Romans, zum anderen durch die ungewöhnliche Art des Ich-Erzählers. Dieser berichtet aus der Retrospektive und gelangt zum Schluß wieder zur Gegenwart. Er versucht dabei, sich völlig in das frühere Geschehen - nicht ohne Selbstironie und Humor69 - zurückzuversetzen. Er erzielt mit dieser Illusion, als ob er selbst alles erstmals erlebe, eine große Plastizität des Geschehens; denn die außermenschliche Erzählperspektive, die Apuleius als komisches, gattungsspezifisches Element der Satire benutzt, bedingt den Verzicht auf Vorausdeutungen und unterscheidet sich von der Position des allwissenden Erzählers. Im Leben des Helden ereignet sich, durch ihn selbst herbeigeführt, ein Wendepunkt: Ludus wird aus einem Menschen in einen Esel verwandelt und, später geläutert, wieder zu einem Menschen. Als Esel lernt er, ohne seine wahre Identität zu verlieren, die "lieben" Mitmenschen so kennen, wie sie wirklich sind; denn sie sehen in ihm ja nur das Tier, das er dem äußeren Anschein nach und ohne eine menschliche Stimme zu haben, zu sein vorgibt, und glauben sich in seiner Gegenwart unbeobachtet. So wird 68
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Dazu F. Münzer, s. v. Caecilius, in': RE 3, I, 1987, 1201-1230; K.-P. Johne (vgl. Anm. 66), bes. u6 f. So muß Ludus als Esel erleben, daß es keine Dankbarkeit gibt, denn sein eigenes! Reitpferd erkennt ihn nicht und neidet ihm das Futter, das er ihm noch als Mensch am Abend vorgeschüttet hatte (Metamorphosen 3, 16, 3-5).
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Ludus als Esel mit allen Gesellschaftsschichten der frühen römischen Kaiserzeit konfrontiert. Apuleius bietet auf diesei Weise das zeitgenössische Alltagsleben weitgehend ungeschminkt dar, wobei er sich durchaus an das griechische Original anlehnen konnte. 70 Der Held Ludus verschafft sich durch sein gepflegtes Aussehen, seine guten Manieren, ja eine gewisse, zur Schau getragene jugendliche Schüchternheit und seine Bildung schnell die Sympathien aller Menschen (r, 23 ;' 2, 2, 4 f.). Damit verdeckt er geschickt seine angeborene unangemessene Neugier, die mit sträflichem Leicht&inn und einem starken Schuß Lüsternheit gepaart ist. Gleich zu Beginn: der Erzählungen bekennt er: "Ich bin zwar nicht neugierig, aber ich möchte doch alles oder jedenfalls sehr viel wissen" (r, 2, 4; leicht geänderte Übersetzungen nach R. Helm). Und diese übertriebene Neugier71 auf unerhörte Abenteuer, auch erotischer Natur, stürzt ihn ins Verderben. Photis, die leichtfertige und attraktive Dienerio seines geizigen Gastfreundes Milo, mit der Ludus ausgedehnte Schäferstündchen verbringt, verwechselt die Zaubersalbe - wir sind ja in Thessalien! -, und so wird Ludus anstelle eines Vogels ein Esel. Natürlich ist das Gegenmittel gegen diese Verwandlung in Gestalt blühender Rosen nicht greifbar, und somit beginnt die Zeit der Leiden und Abenteuer für Ludus. Die Situation des Esels Ludus verbessert sich erst, als "das Menschliche" in ihm erkannt wird und er als gelehriges Wundertier vorgeführt werden und als außergewöhnlicher Liebhaber einer anspruchsvollen Dame fungieren kann. Da ist die Zeit der Prügel und Todesängste vorbei, die er als armer Packesel mit unheldischem Gejammer und Geschrei durchlebt hat. Diese Szenen sind sicher auch als Anspielung auf die Klage-Monologe des griechischen Liebesromans zu deuten. Etwas unvermittelt und überraschend kommt dann das gute Ende im rr. Buch. Von einer Entwicklung des Charakters im modernen Sinne kann man freilich nicht sprechen, aber wie für die Figur der Psyche im Märchen von Amor und Psyche, die von der gleichen Neugier wie der Hauptheld geplagt wird, gibt es auch für Lucius ein HappyEnd, das im antiken Roman gattungsspezifisches Merkmal und damit vorprogrammiert ist. Psyche, "die Seele", wird wie Ludus erlöst72 und erhält sogar die Unsterblichkeit. Nach seiner Rückverwandlung in einen Menschen wird Ludus von der Menge gepriesen73: "Der ist es, den die erhabene Macht! der allgewaltigen Göttin (d. h. Isis) heute wieder entzaubert hat, daß er zu den Menschen zurückkehrt. Glücklich, weiß Gott!, und dreimal selig er, der sich durch die Unschuld und Ehrenhaftigkeit seines früheren Lebens offenbar einen so herrlichen Schutz vom Himmel verdient hat, daß er, gewissermaßen wiedergeboren, sofort zum Dienst des Heiligtums (d. h. im Isiskult) verpflichtet wurde." Das blinde Schicksal, Fortuna, kann ihm, dem geläuterten und von 70
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Nach H. van Thiel, Der Eselsroman, Bd. I, München I97I (Zetemata S4. I), ist der Eselsmensch bei Apuleius mit größerem psychologischen Einfühlungsvermögen und literarisch anspruchsvoller als in der griechischen Vorlage gestaltet. Seine Neugier (3, I4, I; 9, 12.; z, I3, 4) spielt ihm schlimme Streiche (9, 42, z; IO, 29, 3; 9, q, 2), aber sie hilft ihm auch, seinen Hunger zu vergessen (9, 12., 2) und gar sein eigenes Leid (9, 13, 3). Die ParaHelfigur zu Ludus, der leichtsinnige und neugierige Thelyphron,1 erleidet das schlimme Schicksal, das dem Haupthelden erspart bleibt (vgl. auch oben S. Ip). Metamorphosen 6, 23, s: Psyche wird in einer ewigen Ehe mit Eros, dem Liebesgott, verbunden ganz wie es bei den Haupthelden im griechischen Liebesroman der Fall ist (vgl. in diesem Band auch Abb. I). Metamorphosen II, I6, 2 und folgende Stellen in der Übersetzung von R. Helm.
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Isis auserwählten Ludus, nichts mehr anhaben. Er wird den "Genuß der Freiheit" spüren können (n, lj,' 2 u. j). Seine Neugier und Ungeduld scheint gebannt (n, 22, 1) im Dienste des neuen Kultes. Hochgeachtet als Isis-Priester, gefragter Rhetor und Advokat mit lukrativen Einnahmen - der Segen der Göttin ruht ja auf ihm -, hat Ludus die Anerkennung der Gesellschaft, zunächst durch die Gunst des römischen Provinzstatthalters, und damit die Selbstbehauptung als Individuum erreicht. Hier schimmert deutlich Autobiographisches durch.74 Das pathetische Eingreifen der Göttin Isis im 11. Buch bedeutet keinen Bruch der Einheitlichkeit des Romans. Dieser Schluß ist die persönliche Prägung des Eselsromans durch Apuleius, der mit der Einbeziehung der zeitgenössischen Religiosität eine Existenzerweiterung des antiken Romans vornimmt, eine Erweiterung, die dem Realismus dieses Romans durchaus nicht abträglich ist.
6. Zusammenfassung Wie sich zeigt, ist es sehr schwierig, zwischen den reinen und den individualisierten Typen im antiken Roman zu unterscheiden. Die reinen Typen, also Figuren, die durch Lebensform, durch Geschlecht, Alter, Beruf und gewisse, immer wiederkehrende Eigenschaften festgelegt und historisch wie gesellschaftlich mit bedingt sind, können leichter fixiert werden und überwiegen entsprechend der Gattung. Eine Sonderform bildet die Trimalchio-Figur Petrons. Individualisierte Typen sind differenziert dargestellte Persönlichkeiten, die durch Selbsterkenntnis und Aktivität Eigenverantwortung zu übernehmen bereit und willens sind. Ihnen bleibt ein gewisser Spielraum zur Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung als Individuum, 75 so vor allem Kallirhoe bei Chariton, Charikleia bei Heliodor und Ludus bei Apuleius. 71
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Metamorphosen 11, 30, 4· Vgl. in diesem Band R. )ohne, Übersicht über die antiken Romanautoren bzw. -werke mit Datierung und weiterführender Bibliographie, S. 212-21 ~· Das 11. Buch wird von K. Kerenyi, Die griechisch-orientalische Romanliteratur in religionsgeschichtlicher Beleuchtung, Tübingen 1917, 183 u. ö., zu sehr als Propagandaschrift des Apuleius für den Isiskult angesehen; ähnlich ders., Der antike Roman, Darmstadt · 1971, p-66. Hier werden vordergründig die religiösen Elemente, weniger die parodistischen herausgearbeitet. Denn parodistische Ansätze fehlen durchaus nicht im 11. Buch, z. B. 11, 18, ~ oder II, 30, 1-~. so daß A. Heiserman, The Novel before the Novel, Chicago-London 1980, 145. das gesamte Werk des Apuleius als Komödie ansehen möchte. Von einer anderen Warte aus interpretiert J. Tatum, Apuleius and the Golden Ass, Ithaca-London 1979, die "Metamorphosen" als einq_ Einheit: Er betrachtet das Isis-Buch als glückliches und erfolgreiches Ende der langen Odyssee des Ludus zur Göttin und Königin Isis. Über die Problematik von Individuum und Gesellschaft in der Entstehungsphase des Romans in diesem Band H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung. Theoretische Positionen, historische Voraussetzungen und literarische Prozesse, S. 43 f., sowie auch H. Kuchs Nachwort zu Chariton, Kallirhoe, Leipzig 198~ (Reclam 1101), 163-179, bes. 166-168.
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Der antike Roman und sein Publikum Von KURT TREU
Die Quellenlage
1.
Die Leserschaft heutiger Literatur ist relativ leicht faßbar, und für diese Erfassung steht ein vielfältiges Instrumentarium zur Verfügung. Dazu gehören direkte Methoden und empirische Mittel. Man kann die Leser unmittelbar nach ihren Bedürfnissen, Wünschen, Gewohnheiten befragen. 1 Man kann Bibliotheks-, Verkaufs-, Lesestatistiken aufstellen und auswerten. Zunehmend ist schon der einzelne Autor an seinem Publikum interessiert und sucht, durch Lesungen mit ihm in direkten Kontakt zu kommen. Für die Literatur früherer Epochen entfällt die direkte Befragung des Lesers, doch stehen immer noch indirekte Quellen in unterschiedlichem Maße zur Verfügung. So sind wir über das Lesepublikum etwa des 19. und auch des 18. Jh. recht gut im Bilde. Autobiographische Aufzeichnungen informieren über die Lektüre des Verfassers - man denke nur an die genaue Buchführung Goethes, der als Leser und Bibliotheksbenutzer uns ebenso lebendig vor Augen steht wie als Dichter und Mensch. Je weiter wir aber in die Vergangenheit zurückblicken, desto spärlicher und schwerer auswertbar wird das einschlägige QuellenmateriaL Überschreiten wir die Schwelle unseres Jahrtausends nach rückwärts, so sind Gestalten wie der byzantinische Patriarch Photios, der über seine Lektüre ausführlich und kritisch Buch führte, ein seltener Glücksfall. Nicht zufällig ist dieser Name gerade im Zusammenhang mit dem antiken Roman J;u nennen, verdanken wir dem vielseitig gebildeten und interessierten Geistlichen doch auch Inhaltsangaben und Urteile über Stil und Moral zahlreicher Romane, die er las, darunter solcher, die uns nicht erhalten geblieben sind und für die er also unsere einzige Quelle ist. Innerhalb der griechischen und römischen Antike ist die Lage für die einzelnen Literaturgattungen höchst unterschiedlich. 2 Das Theaterpublikum ist recht gut bekannt, so gut, daß man darüber ganze Bücher schreiben kann. 3 Einmal wenden sich die Bühnenautoren direkt an ihre Zuschauer, so der Komödiendichter Aristophanes. Zum 1 Zum Ergebnis einer Umfrage in der UdSSR I98I-I982 vgl. J. Davydov, Mecta o blizkom celoveke, in: Litecaturnoe obozcenie I983, Nr. I u. 2; gekürzte deutsche Fassung: J. Dawydow, BuchLeser- Autor, in: Kunst und Literatue 31, I983, 6oi-62I. 2
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Für die Bedeutung, die auch in der Darstellung der Geschichte der a!Jtiken Literaturen unserem Thema zugemessen wird, diene als Beispiel The Cambcidge History\ of Classical Literature II. Latin Literature, Cambridge I982. Der chronologischen Behandlung der Literatue schickt der Herausgeber E. J. Kenney einen I. Teil voraus, der den äußeren Bedingungen der Literaturproduktion und -rezeption gilt, u. a. dem Thema "Author and Public" (10-1 5). H. Kindermann, Das Theaterpublikum der Antike, Salzburg 1979.
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anderen ist das Theater als gesellschaftliches Unternehmen durch eine Fülle von Nachrichten auch über die Stücke selbst hinaus bekannt. Zu den literarischen Zeugnissen treten Inschriften, die u. a. über den Erfolg von Stücken und Autoren berichten, und die Texte können durch Bildmaterial sowie durch die unmittelbare Anschauung der antiken Theaterbauten ergänzt werden, auf deren noch erhaltenen Zuschauersitzen der heutige Besucher Platz nehmen kann, um Lichtwirkung und Akustik zu erfahren und sich die Vergangenheit vorzustellen. In der "Odyssee" wird das Auftreten von Sängern und deren Wirkung auf das Publikum geschildert, und auch über den Vortrag der Epen durch Rhapsoden haben wir Vorstellungen. Die Lyrik rede11 ihre Hörer direkt an, ein Theognis wendet sich mit Lebensregeln an seinen jugendlichen Freund, aus denen die Moral und die Lebenswelt der altgriechischen Aristokratie lebendig wird. Reden vor der Bürgerversammlung oder dem Bürgergericht erstreben Einflußnahme auf Denken und Handeln des Publikums durch direkten Appell ebenso wie durch subtileres Eingehen auf Erwartungen und Wünsche. Die Philosophie artikuliert sich mit Vorliebe in der Form des Dialogs, in der der Autor ·sein Publikum in gewisser Weise in den Gesprächsgang einbezieht. Geschichtsdarstellungen mögen Objektivität und Distanz beanspruchen, aber auch der Historiker wendet sich wenigstens in Prologen und methodischen Besinnungen· unmittelbar an seinen Leser. 4 Hinzu kommt, daß Literaturwerke in vielfältiger Weise aufeinander Bezug nehmen. So verdanken wir viele Nachrichten über die Reaktion des Publikums auf die attische Tragödie den mehr oder weniger parodistischen oder ernsthaften Bezugnahmen in der Komödie. Autoren rühmen ihre Vorgänger, polemisieren gegen ihre Konkurrenten und lassen· dabei erkennen, welche Wirkung der andere erzielt hat, welche sie selbst erstreben. Und schließlich hat die antike Literaturwissenschaft bei ihren Erörterungen der Gattungen und Werke auch Nachrichten über ihre Wirkung und Verbreitung festgehalten. Der Roman5 ist im Vergleich zu allen genannten Genres in einer extrem ungünstigen Situation. Er ist von der Literaturwissenschaft der Antike überhaupt ignoriert worden, also fehlen auch Nachrichten über das Publikum. ·Die Romanautoren sind weithin als Persönlichkeiten nicht näher faßbar, oft auch nicht näher datierbar. Informationshaltige Anreden an das Publikum sind die Ausnahme. So ist der heutige Betrachter auf allgeAnregende Erwägungen bei A. Momigliano, The Historians of the Classical World and Their Audiences: Some Suggestions, in: Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa, Classe di Lettere e Filosofia, Ser. III, Bd. 8, I, 1978, 59-75, dort 74 über die fließende Grenze zwischen Roman und Geschichtswerk. 5 Dazu der Abschnitt "Der antike Romanleser" bei C. W.· Müller, Der griechische Roman, in: E. Vogt (Hrsg.), Die griechische Literatur, Wiesbaden 1981, 378:_412 (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Gesamtherausgeber K. v. See), sowie das 3· Kapitel "Der gesellschaftliche Hintergrund und die ersten Leser des Romans", 105-137, bes. II6-u8: Die ersten Leser, bei T. Hägg, Eros und Tyche. Der Roman in der antiken Welt, Mainz 1987 (bearbeitete Fassung von Den antika ;omanen, Uppsala 1980). Vgl. auch D. N. Levin, To Whom Did the Ancient Novelists Address Themselves?, in: Rivista di Studi Classici 23, 1977, 18-29. Nicht näher einzugehen ist hier auf Vorformen griechischer Romane wie den ägyptischen Sesostcis (= Sesongosis)Roman, den A. B. Lloyd, Nationalist Propaganda in Ptolemaic Egypt, in: Historia p, 1982., B-55, neben anderen Werken als Vehikel national-ägyptischer Selbstbehauptung interpretiert.
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meine Erwägungen und Analogien, vor allem aber auf Folgerunge111 aus den Texten selbst angewiesen, die notwendigerweise häufig unsicher und ungenau sein werden. An objektiven Hilfsmitteln steht ihm wenig zur Verfügung: eine im Verhältnis zu vielen anderen Literaturgattungen kleine, aber doch nicht zu übersehende Anzahl von antiken Papyrushandschriften, die Rückschlüsse auf ihre Benutzer erlauben, und einige wenige bildliehe Darstellungen, deren bloße Existenz von Bedeutung ist.
z. Der Autor und sein Publikum
Ein erster Schritt führt von der Person des Autors zu seinem Leserkreis. Die Annahme liegt nahe, daß in dieser Zeit ein Autor im wesentlichen für Angehörige seiner eigenen Gesellschaftschicht arbeitet, im Unterschied zu frühen Epochen, wo man sich etwa Sänger und Rhapsoden im Dienst hoher Herren denken kann. Als Beispiele können die beiden uns erhaltenen lateinischen Romanciers dienen. Petronius ist ein Vertreter der begüterten Führungsschicht der Hauptstadt Rom und ihres Weltreiches. Diese Senatsaristokratie ist von einer alten römischen Tradition geprägt und hat sie mit geprägt. Sie hat sich mit der Kaiserherrschaft einigermaßen abgefunden, wenn auch nicht mit jedem einzelnen Exponenten der Kaisermacht. Sie versucht, ihre alten Vorrechte zu wahren und gegen neu aufkommende Schichten zu verteidigen. Zu den ihr gefährlichsten Schichten gehören dabei die Freigelassenen, die im Dienste der Kaiser zu Reichtum und Einfluß gekommen sind und es nun dem alten Adel gleichtun möchten. Petton kann damit rechnen, daß seine Leser gleich ihm die ungebildeten, reichgewordenen Freigelassenen verachten, daß seine satirische Kritik Zustimmung findet. Diese Kritik an den Neureichen geschieht nicht vom Standpunkt des kleinen Mannes aus, sondern aus der Sicht der sich bedroht fühlenden alten Oberschicht. Diese Oberschicht war nicht nur reich, politisch einflußreich und ambitioniert, sondern auch gebildet, in römischer wie griechischer Kultur bewandert. Sie konnte daher die literarischen Diskussionen und Kontroversen würdigen, die Petton in seinen Roman auch einbringt, und sie hatte einen Sii:m für die griechische Welt, aus der die Akteure kamen. Nicht weniger als die ironischen Zwischentöne rechnete der anspruchsvolle Stil von Sprache und Darstellung auf ein gebildetes, belesenes Publikum. Allzu breit wird man es sich nicht vorstellen dürfen, und so wird es kein Zufall sein, daß nur ein Bruchstück des umfangreichen Opus die Zeiten überdauert hat.l1 Auch Apuleius ist Exponent einer wohlhabenden, griechisch und lateinisch gebildeten Schicht, aber es ist nicht die Führungsschicht der Metropole, sondern die Oberschicht der Provinzstädte, aus der nur hin und wieder einmal eine Familie in die Senatsaristokratie aufstieg. Petton ist reich und schreibt zum Vergnügen für sich und seinesgleichen, Apuleius muß für seinen Wohlstand sorgen. Ob sich sein Interesse dabei auch auf Honorar richtete - diese Frage soll wenigstens aufgeworfen werden. Er geht jedenfalls bewußt auE' Erfolg bei einem breiteren Publikum aus, an das er sich mit einer
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Daß Petronius nur für den engsten Freundeskreis schrieb, vermutet C. Corbato, Tacito, Ann. XVI I 9: Considerazioni sulla tradizione del Satyricon di Petronio, in: ci>LALCX<;; xciptv. Miscellanea ... in onore di E, Manni, Rom 1980, s6s-572..
DER ANTIKE ROMAN UND SEIN PUBLIKUM
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Vielzahl literarischer Produkte wendet, von denen der Roman nur eines ist. Das Publikum ist breiter, nicht breit. Bildung, Geschmack, Interesse, Kenntnisse werden vorausgesetzt. Kunstreden und Vorträge wenden sich an ein Hörpublikum, mit einem Erfolg, der den Neid der Rivalen weckt. Dagegen spricht der Roman expressis verbis ein Lesepublikum an: Leetor intende, laetaberis ("Merk auf, Leser! Du wirst deinen Spaß daran haben."). Das Stichwort Spaß, das am Ende des kurzen Vorwortes steht, mit dem der Autor-Held sich dem geneigte~ Leser vorstellt, war bereits im ersten Satz gefallen: aures tuas benivolas lepido susurro permulceam ("ich will deine wohlwollenden Ohren mit witzigem Geplauder ergötzen"). Diese ungescheute Betonung der Unterhaltung ist nicht selbstverständlich. Die antike Literatur wollte belehren und unterhalten, wobei das Belehren voranstand und die unterhaltsame Form vor allem darin ihre Rechtfertigung fand, daß die Belehrung so wirkungsvoller vermittelt werden konnte. Gerade volkstümliche Literatur schrieb Belehrung groß, die Fabel kulminierte in der Moral. Umfangreiche Literaturwerke, deren Lektüre Zeit und Muße, deren Beschaffung Mittel erforderte, zur bloßen Unterhaltung zu schreiben und dies auch noch offen auszusprechen, das bedeutet, daß der Verfasser mit einem Leserkreis rechnet, der Zeit, Muße, Mittel hat und in dem diei Lektüre zur bloßen Unterhaltung gesellschaftlich akzeptiert ist. Als Kontrast vergegenwärtige man sich, wie lange man im Bürgertum des 18. Jh. den sich verbreitenden Roman mit Skepsis betrachtete, in seiner Lektüre Zeitverschwendung sah, und wie nachdrücklich anderseits die Romanciers unterstrichen, daß auch ihre scheinbar nur unterhaltsamen Geschichten einen moralischen Zweck hatten. Die griechischen Romanciers der Antike sind im Unterschied zu ihren römischen Kollegen und z. T. auch zu ihren Nachfolgern in Byzanz kaum gesellschaftlich zu lokalisieren. Soweit die Indizien reichen, deuten sie - während Petron als Hocharistokrat singulär blei6t - auf Gestalten vom Typ des Apuleius: Vertreter gebildeter städtischer Schichten, beruflich mit Schreiben und Reden verbunden, teils mit weiteren Produkten neben den Romanen hervortretend.7 So beginnt der Autor der "Kallirhoe" mit einer Selbstvorstellung im Stil der frühesten griechischen Prosaschriftsteller: "Ich, Chariton aus Aphrodisias,1 Sekretär des Rechtsanwalts Athenagoras", um dann sofort zur Sache zu kommen. Aphrodisias, eine mittlere Stadt im Inneren Kleinasiens, trug ihren Namen nach dem berühmten Heiligtum der Liebesgöttin. Das ist so passend für einen Autor von Liebesromanen, daß man gemeint hat, die Heimatangabe sei eine Fiktion, zumal sich auch der Name Chariton, "der Charmante", als Nom de plume verstehen ließe. Aber warum sollte unser Autor ein Versteckspiel treiben, und warum dann die Berufsangabe, dit::~ für uns hier wichtiger ist? Der Sekretär eines Rechtsanwaltes mußte ein srhriftgewandter Mann sein, er mußte selbständig Verträge, Testamente und andere Schriftstücke aufsetzen und seinen oft wenig schreibkundigen Klienten erklären.8 Diese Alltagsarbeit, für die uns die Papyrusurkunden aus Ägypten reichlich Anschauungsmaterial liefern, war recht monoton, und man kann sirh gut vorstellen, daß ein Kanzlei-
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Die Romanautoren bezeichnet generell als Literaten bescheidener sozialer Herkunft R. D.i Virgilio, Dall'Epos al Romanzo. Introduzione alla Narrativa greca antica, Bari I978, uo f. Dazu kritisch A. M. Milazzo, in: Orpheus NS I, I98o, I74-176. Wie eine juristische Erörterung mutet die Abwägung der Gründe pro und contra 6, I, I-3 an.
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sekretär wie Chariton von seinen Fähigkeiten einen abwechslungsreicheren Gebrauch zu machen strebte.9 Heliodoros stellt sich im Schlußsatz als Sohn des Heliospriesters Theodosios aus Emesa vor. Auch hier erfahren wir keine Einzelheiten, aber auch hier ist die Herkunft aus einer bildungsbeflissenen, gehobenen Schicht festzustellen. Es ist zwar nur eine Analogie, aber doch eine anschauliche, wenn man auf die zahlreichen Schriftsteller des 18. Jh. verweist, die aus protestantischen Pfarrhäusern hervorgegangen sind. Longos führt sich im Prolog in der Ich-Form ein, sagt dann aber über sich selbst nichts Direktes, außer daß er sich auf der Jagd befand, als er die Inspiration zu seinem Roman erhielt. Damit ist gewiß nicht gemeint, daß er Jäger von Profession war. Wenn man nicht einfach eine literarische Fiktion annehmen will, die in Thema und Stimmung des Werkes einführt, wird man eher an einen Sonntagsjäger denken und sich dabei daran erinnern, daß das Jagen eine noble Passion war, die den unteren Schichten kaum anstand. Ist so Longos' Selbstaussage dürftig, so liefert er uns dafür eine Aussage über den Adressatenkreis und Zweck seiner Arbeit. Sie ist nicht gerade bescheiden: "Ich habe mit Anstrengung vier Bücher ausgearbeitet, als erfreulichen Besitz für alle Menschen, der den Kranken heilen, den Bekümmerten trösten soll, den, der geliebt hat, an seine Liebe erinnern, den, der noch nicht geliebt hat, auf sie vorbereiten soll." Hatte Thukydides sein Geschichtswerk als einen "Besitz für alle Zeit" vorgestellt, so variiert Longos bewußt mit der Betonung der Erfreulichkeit. Die Wendung "für alle Menschen", die etwas nach schulischer Pflichtlektüre klingt, wird durch die Aufgliederung, die folgt, konkretisiert. Es geht nicht um die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, sondern um verschiedene Lebenslagen. Getreu der alten Tradition wird zu dem Zweck der Unterhaltung auch der der Nützlichkeit hinzugefügt. Gar zu wörtlich kann man das nicht nehmen, denn Krankenheilung durch Lektüre- wie wäre die vorzustellen? Vielmehr fällt zum Schluß des Satzes Licht auf die vorhergehenden Wendungen. Es geht um Liebeskrankheit und Liebeskummer, in denen die Geschichte Heilung und Trost bringen möchte, und zwar eben durch ablenkende Unterhaltung. Interessant ist der Anspruch auf "pädagogische" Qualitäten: der Liebesroman als - wörtlich - Propädeutik. Man meint eine implizierte Entgegnung auf die Bedenklichkeiten zu spüren, daß erotische Lektüre jugendgefährdend sei (ein nicht erst neuzeitliches Bedenken). Aber in concreto dürfte Longos kaum _mit jugendlichen Lesern gerechnet haben. Die detaillierte Schilderung der erwachenden Liebe junger Menschen gewinnt ihren vollen Reiz erst für den erfahrenen Leser, "der geliebt hat" und sich in die junge Naivität zurückzuversetzen sucht. De11 Schluß der Vorrede greift das "für alle Menschen" noch einmal auf und erläutert: Noch nie ist jemand der Liebe entronnen, und das wird so bleiben. Mit diesem Blick in die Zukunft ist auch Thukydides' Anspruch "für alle Zeit" für den Liebesroman übernommen. Ja, der Anspruch ist noch höher: Das Geschichtswerk wendet sich an den historisch Interessierten, der Roman an alle Liebenden, damit an jedermann. Longos schließt mit einem Gebet an Eros, das wie ein Eingeständnis wirkt, daß Literatur Verführungskraft haben kann : Möge mir der Gott heilen Sinn bewahren, 9 T. Hägg, in: Symbolae Osloenses 59, 1984, 79, vermutet, daß der Kallirhoe-, Parthenope- und
eVt:l. auch noch der Chione-Raman vom gleichen Autor stammen. Dann hätten wir erstmals unter den Romanautoren einen Vielschreiber. Folgerungen über Produktivität und Rentabilität solcher Arbeit wären unvorsichtig.
DER ANTIKE ROMAN UND SEIN PUBLIKUM
während ich die Erfahrungen anderer aufzeichne. Der Autor befürchtet oder gibt vor zu befürchten, daß die Leidenschaft, die er beschreibt, ihn selbst anstecken könnte. Darin ist die Warnung an den Leser impliziert, die Lektüre könnte gefährlich sein oder ist die Warnung nicht vielmehr ein Versprechen? Medizinische Handbücher empfahlen erotische Lektüre als Stimulans. 10 Von den Autoren der uns verlorenen Romane hatte offenbar Jamblichos am meisten über sich selbst gesprochen, auch über die zeitgeschichtliche Einordnung in die Zeit der Partherkriege 164-166 u. Z. hinaus, wovon oben die Rede war (s. S. 119). Sein Selbstzeugnis schlägt sich nieder in einer längeren Randnotiz zum Referat des Photios: Der Autor sei von beiden Eltern her Syrer gewesen - und es wird betont: nicht in Syrien lebender Grieche, sondern ein Einheimischer, der in syrischer Sprache und Kultur aufwuchs. Er sei dann von einem kriegsgefangenen babylonischen Erzieher in die babylonische Sprache, Kultur und Literatur eingeführt worden. Später habe er dann auch Griechisch gelernt und es in dieser Sprache zur Geläufigkeit gebracht. Nicht zu diesem Bild paßt di~:~ Nachricht, die das byzantinische Suda-Lexikon als unverbürgt bezeichnet, daß Jamblichos aus dem Sklavenstand kam. Das kann sich allenfalls auf Vorfahren beziehen, wenn ihm seine Eltern einen gebildeten Erzieher halten konnten. Offenbleibt allerdings die Frage, ob nicht das Selbstporträt des Autors bereits Teil der Romanfiktion ist. Er hat zu begründen, woher ihm ~:lie Kenntnis seiner alten babylonischen Geschichte kommt, und da verleiht ein babylonischer Gewährsmann eben Glaubwürdigkeit. Seine Stellung im Schnittpunkt dreier Kulturen macht ihn interessant für den Leser. Die Betonung, daß er sich das Griechische erst angeeignet habe, weckt Achtung für seine Leistung und Nachsicht mit etwaigen Schwächen. Immerhin, unmöglich ist die Biographie nicht - man denke an die Laufbahn eines Lukian. Und sie sagt, sofern sie fiktiv ist, etwas über die Erwartung des Publikums aus, wie ein Romanautor sein soll: gebildet, sprachgewandt, mit exotischen Spezialkenntnissen versehen hierin dem Achilleus Tatios vergleichbar, aber in gewisser Weise auch dem Römer Petron. Ein Zeugnis für die Schätzung seiner Sprachkunst ist, daß die Suda Jamblichos als Stilisten, mit zahlreichen Zitaten zu Wort kommen läßt, insbesondere wo es um gewählten bis preziösen Ausdruck geht.
3· Das Bildungsniveau des Publikums
Mag der Autor optimistisch sich alle Menschen als Leser vorstellen, gemeint ist doch: alle, die wollen - und können. An den Romanen selbst weisen verschiedene Indizien darauf hin, daß sie sich an ein relativ gebildetes, geläufig lesendes Publikum wendeten, 10
Theodorus Priscianus, Euporista 2., H: "Ferner beschäftige sich der Patient mit dem Lesen von Schriften, die sein Gemüt zur Sinnlichkeit hinlenken, wie beispielsweise den Schriften des Philippus Amphipolita, oder des Herodianus, oder des Jamblichu~ von Syrien oder anderer Schriftsteller, welche Liebesgeschichten verfassen" (Übersetzung von Tb. Meyer, Theodorus Priscianus und die römische Medizin, Jena 1909, 192. f.). Die "Rhodischen Geschichten" des Philippos von Amphipolis ·galten als besonders schlüpfrig. Ober den Romancier Herodian ist sonst nichts bekannt. Näheres wissen wir nur über Jamblichos durch die Zusammenfassung des Photios.
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das über genügend Wohlstand und Muße verfügte. Nicht zuletzt mußte es in der Lage sein, sich die Bücher zu verschaffen, falls "Verleger" und Buchhändler fehlten. Das wichtigste äußere Charakteristikum, das die Romane eint und durch das sie sich von anderen Erzählformen am augenfälligsten unterscheiden, ist ihr beträchtlicher Umfang. Der Roman umfaßte regelmäßig mehrere "Bücher", ob nun vier wie bei: Longos, acht wie bei Chariton, elf wie bei Apuleius oder auch noch wesentlich mehr, wie die 39 Bücher des Jamblichos, die die Suda nennt. Bei der heutigen Drucktechnik fällt uns der Umfang nicht so sehr auf, weil wir auch dickere Romane in einem Band unterbringen können. Auch der Kodex der späteren Antike, mit dem die heute geläufige Buchform aufkommt, war schon relativ fassungsträchtig, so daß er mehrere "Bücher", Dramen, epische Gesänge usw. aufnehmen konnte. Aber die Papyrusrolle, die auch noch in der Entstehungszeit des Romans die gängige Buchform war, enthielt normalerweise jeweils ein "Buch" - daher denn auch diese Einteilung in nicht zu umfangreiche Teile. Auch wenn man durch kleine Schrift und große Rollenhöhe den Text komprimieren konnte, der Roman umfaßte in jedem Falle mehrere Rollen, nicht anders als die großen Werke der Epik und Historiographie. Entsprechend kostspielig war die Herstellung von Kopien, entsprechend zeitaufwendig die Lektüre. Ein verbreitetes Mittel, das immer umfangreicher werdende Erbe der Literaturtradition rezipierbar und handhabbar zu machen, war die Herstellung von Kurzfassungen. In der Regel geschah das durch spätere Bearbeiter, doch konnte auch ein Autor selbst schon eine verkürzte Bearbeitung herstellen, gewissermaßen eine Taschenbuchausgabe. Bei Werken, bei denen es vor allem auf den Inhalt ankam, etwa Geschichtswerken, konnte man den Inhalt auf das sachlich Wichtigste beschränken. Standen Sprache und Stil im Mittelpunkt, konzentrierte man sich auf die Glanzpartien. Je umfangreicher ein Werk war, desto näher lag die Verkürzung, wollte man es überhaupt weiter bewahren. Solche Bearbeitungen sind auch bei Romanen vorgenommen worden, ohne! daß die Einzelheiten immer klar sind. Dazu müßten schon Lang- und Kurzfassung gleichzeitig erhalten sein. So aber ist bei einem Roman wie dem des Xenophon von Ephesos nicht eindeutig zu erkennen, ob der knappe, gedrängte und stoffreiche Erzählstil Ergebnis einer Kürzung ist oder aber, ob der Autor von vornherein in so gerafftem Stil geschrieben hat. 11 Eine andere Möglichkeit der Straffung war die Beschränkung auf zentrale Teile, die dann allein von einem umfangreichen Opus erhalten geblieben sind, wie es bei Petron der Fall ist. Wie sich bei Jamblichos die 39 Bücher, die die Suda nennt, zu den 16 verhalten, die Photios vorlagen, ist schwer zu sagen. Am nächsten liegt auch hier die Annahme einer Kurzfassung. Für die Frage nach dem Publikum bedeutet diese Lage zweierlei. Wenn die Werke für die Leser zu gewichtig waren (zu lang bzw. zu hoch), so konnte sich das Niveau des Publikums gegenüber dem, das der Autor im Auge gehabt hatte, gesenkt haben. Es konnte aber auch ein breiterer Leserkreis als der zunächst intendierte sich angesprochen gefühlt haben, also eine nächstniedere Schicht, auf deren Bedürfnisse .t.md 11
So C. Ruiz Montero, Una interpretad6n del "estilo xcxtr' de Jenofonte de :efeso, in: Emerita JO, 1982., 30J-32.3. Dies ist auch die Auffassung von G. Anderson, Andent Fiction. The Novel in the Graeco-Roman World, London-Sydney-Totowa 1984, der Xenophons mangelhaftes Können herausstreicht.
DER ANTIKE ROMAN UND SEIN PUBLIKUM
Möglichkeiten dann die! Bearbeitung Rücksicht nahm. Vielleicht haben beide Komponenten ihren Anteil an der Entwicklung gehabt. So oder so weist die Erscheinung auf ein verhältnismäßig hohes Ausgangsniveau. Zum anspruchsvollen Umfang treten Ansprüche der Form. Beliebter als eine schlichte Aneinanderreihung der Ereignisse ist eine mehr oder weniger komplizierte Komposition der Handlung, z. T. ist sie von geradezu gesuchter Kompliziertheit, so in den "Athiopischen Geschichten" Heliodors. Hier wird in immer neuen Verschränkungen, Verschachtelungen und Rückblenden geradezu ein Labyrinth aufgebaut, in dem der Leser manchmal absichtlich in Sackgassen geführt wird. Charaktere und Handlungen erscheinen zunächst in einem ganz anderen Licht als dem, das sich zuletzt als das richtige erweist. Es bedarf schon eines beträchtlichen Maßes intellektueller Beweglichkeit, um den Verwicklungen folgen und die Raffiniertheiten auskosten zu können. Zugegeben, man kann auch die Episoden jeweils einzeln und für sich genießen, aber es ist doch wohl die Intention des Autors, daß der Leser auch den Gesamtaufbau versteht und würdigt. Nebenbei ergibt sich, was freilich auch nicht zweifelhaft sein kann, daß eine solche Darstellung mit Lesern, nicht Hörern rechnet. 12 Ein weiteres Indiz für ein Publikum von spürbar gehobener Bildung sind die Ansprüche, die Sprache und Stil der Romane in der Regel stellen. Sie folgen den Normen der antiken Kunstprosa, nach denen selbst scheinbare Schlichtheit und Kunstlosigkeit mit bewußter Kunst gemacht werden. Wo schlicht erzählt wird, steht der Anspruch dahinter, mit dem sachlichen Stil der Historiographie zu konkurrieren. Häufiger gilt das Bestreben, den extremen Ereignissen und Emotionen, die die Handlung prägen, entsprechend einen gehobenen, ja gesuchten Sprachduktus durchzuhalten. Die wachsende Kluft zwischen der Literatursprache und der Volkssprache, die im byzantinischen Griechisch schließlich zur Zweisprachigkeit führte und dort dann den Roman auf der Seite der Hochsprache sah, wurde schon seit der hellenistischen Zeit zunehmend spürbar. Zum gehobenen Sprachduktus der Romane gehört die Anknüpfung an literarische Traditionen. Wenn die anspruchsvolle Literaturwissenschaft den Roman ignoriert hat, so bedeutet das nicht, daß umgekehrt der Roman die vorausgehende Literatur ignoriert hätte. Das gilt nicht nur für die fast unausweichliche Weise, in der spätere Literaturwerke auf früheren aufbauen, sondern auch und vor allem von der bewußten Art, wie der Roman Bezug nimmt auf die Bildungsinhalte seiner Leserschaft. Das kann in einer relativ an der Oberfläche liegenden Art geschehen, so, wenn Chariton Homerische Formeln und Wendungen einflicht, die jedem Gebildeten von der Schullektüre her geläufig sein mußten. Es gibt aber auch subtilere Methoden, so wenn Xenophon von Ephesos seinen Romanfiguren Namen gibt, die redend sind und zugleich literarische Reminiszenzen wecken. Sein Held Abrokomes trägt einen persischen Namen, der den gebildeten Leser an seine Herodotlektüre erinnert, eine Erinnerung, die durch die Dialektformen im Herodoteischen Ionisch (-es statt -as) als beabsichtigt deutlich wird. Zugleich assoziiert der Name das griechische habrok6mes, "feines Haar tragend", ein
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Den kunstvollen bis künstlichen Aufbau bei Antonios Diogenes unterstreicht W. Fauth, Zur kompositorischen Anlage und zur Typik des Antonios Diogenes, in: Würzburger Jahrbücher NF 4, 1978, n-68.
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poetisches Adjektiv, das auf Lyrik .und Tragödie weist. 13 Die Anknüpfung an Herodot, den "Vater der Geschichtsschreibung",! unterstreicht den Anspruch des Romanciers, in die große Tradition der Geschichtsschreibung zu treten. Herodot ist mit seiner Fabulierfreude und dem orientalischen Kolorit vieler Geschichten überhaupt die Fundgrube für die Romanciers, etwa auch für Jamblichos. Die poetischen Anklänge bei Chariton weisen auf sein Bestreben; das Erbe der Poesie aufzunehmen. Auch wenn man nicht voraussetzen kann, daß jeCier einzelne Leser solche und ähnliche Bezugnahmen und Anspielungen voll auffassen und würdigen konnte, so ist doch, klar, daß der Autor mit Lesern rechnete, die dazu im allgemeinen befähigt waren, also über einen beträchtlichen Bildungsstand und eine Muße verfügten, wie sie in der Regel nur den wohlhabenderen Schichten zugänglich waren. 14 Nur ihnen erschlossen sich die Finessen der Romane zu vollem Genuß. 15
4· Romaninhalte und Publikum
Erlauben Umfang und Form der Roman~ e1mge Rückschlüsse auf ihr mutmaßliches Publikum, so kann man auch von ihren Inhalten her entsprechende Folgerungen zu ziehen versuchen. Dabei ergibt sich eine methodische Vorfrage: Will das Publikum im Roman seinesgleichen erleben, also Figuren und Schicksale, wie sie ihm aus der eigenen Erfahrungswelt geläufig sind, oder ehell etwas ganz anderes? Im ersten Falle könnte man aus den Romanen direkt auf ihr Publikum zurückschließen, im zweiten in Umkehrung. Anders gefragt, spiegeln die Abenteuer im Roman ein Publikum wider, das an ein unruhiges Leben gewöhnt ist, oder umgekehrt eines, das in der Lektüre Abwechslung vom als gar zu ruhig und eintönig empfundenen Alltag sucht? Mir scheint diese zweite Möglichkeit die wahrscheinlichere. 16 Eine nach dem Verlust der Entfaltungsmöglichkeiten, die die freie Polis geboten hatte, frustrierte und auf sich selbst zurückgeworfene Schicht des mittleren und gehobenen Bürgertums konnte in der Monotonie ihres Lebens nach aufregenden Alternativen! suchen. 17 Der Roman soll das ganz andere zeigen - das natürlich bis zu einem gewissen Grade an die Erfahrungsbereiche 13
Vgl. C. Ruiz Montero, Jenafante de ßfeso: 'Aßpox6(L7jt; o 'Aßpox6(L7jt;?, in: Faventia 3, 1981, 83-88.
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Den subtilen Appell an die Bildung des Lesers betont L. R. Gresci, Citazioni omeriche in Achille Tazio, in: Sileno z., 1976, ux-u6. Auch ein in ländlichem Milieu spielender Roman wendet sich an städtisches, gebildetes Publikum, vgl. B. Effe, Longos. Zur Funktionsgeschichte der Bukolik in der römischen Kaiserzeit, in: Hermes uo, 1982., 65-84. Daß man auch zu viele Finessen aus dem Roman herausinterpretieren kann, zeigt sich bei M. Laplace, Les legendes :troyennes dans le "roman" de Chariton, Chaireas et Callirhoe, in: Revue des etudes grecques 93, 1980, 83-us. Die Variationen, die die einzelnen Romanciers ihrem Thema abgewinnen, betont G. Anderson, Eros Sophistes. Ancient Novelists at Play, Chico 1982. (American Classical Studies 9) und erneut in Ancient Fiction (vgl. Anm. I x). ]. Werner verweist auf eine neuzeitliche Parallele: In Zolas "Häuslichem Herd" wiU Marie Pinchon "Bücher, in denen viele Liebschaften, Abenteuer, weite Reisen vorkommen". Balzacs Werke lehnt sie ab: "Sie gleichen zu sehr dem wirklichen Leben." Näheres bei H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung. Theoretische Positionen, historische Voraussetzungen und literarische Prozesse, in diesem Band S.. 33 f.
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des Lesers anknüpfen muß, um zugänglich zu bleiben. Daß die Utopie in Romanform sozusagen per definitionem eine ganz andere Welt darstellt, versteht sich. Aber auch der eigentliche Liebesroman wird geprägt durch Fremdartigkeit und Exotik. Schon seine Schauplätze liegen außerhalb des Lebenskreises der alltäglichen Erfahrung. Zwar waren die Griechen viel unterwegs, schon vor Herodot und erst recht nach Alexander. Aber es war zu allen Zeiten doch eine Minderheit, Händler, Soldaten, Kolonisten, Verbannte, wohl auch einmal Forschungsreisende, Touristen. Die Mehrzahl saß zu Hause. Für sie vertrat die Lektüre das eigene Erlebnis der Ferne. Man wußte genug von fremden Ländern, um neugierig zu sein und um eine gewisse allgemeine Vorstellung zu haben, wie es dort zuging. Die Einzelzüge lieferte die Literatur nach. Zur Fremdartigkeit der Schauplätze tritt das On-Alltägliche der Figuren. In den Helden aus den ältesten, vornehmsten und reichsten Familien, in den Prinzen, Königen und den Satrapen des persischen Reiches konnte der Leser gewiß nicht seinesgleichen wiedererkennen - schon weil es sie in seiner Umgebung gar nicht oder allenfalls als Ausnahme gab. Entsprechendes gilt für die Guerilleros, Banditen und Piraten am anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums. Man wußte, es gab sie, und man hörte wohl auch mal von Fällen, wo jemand ihnen begegnet war, aber zur alltäglichen Erfahrung eines breiteren Publikums gehörten sie nicht. Man hörte also von ihnen wie von etwas Fremdartigem, wenn auch immerhin verschiedentlich Vorkommendem. Erst recht ungewöhnlich und fremdartig sind die Abenteuer, die in einer exotischen Welt den ungewöhnlichen Gestalten begegnen. Mag dieser oder jener Leser auch selbst einmal diese oder jene ungewöhnliche Erfahrung gemacht haben: In ihrer Ballung und Häufung liegen die Ereignisse des Romans außerhalb dessen, was im Leben eines vorstellbaren Publikums erfahrbar war. Wen kann ein solches Kontrastprogramm angelockt haben? Doch wohl am ehesten einen Leserkreis, dem es im Alltag an starken Gefühlen, Aufregungen, Gefahren mangelte und der das Bedürfnis hatte, diesen Mangel der Erfahrung stellvertretend durch die Literatur zu beheben und auszugleichen. Es fällt uns nicht ganz leicht, uns eine Leserschicht vorzustellen, die ein relativ friedliches, gleichmäßiges, wohlsituiertes Leben mit Bedürfnis nach stellvertretender Aufregung verband. Zu sehr sind wir daran gewöhnt, die Antike als eine Abfolge von Peripetien, Konflikten und Krisen zu sehen. Sosehr das aber für die Rückschau von der hohen Warte des Historikers berechtigt sein mag, so müssen wir uns doch in die Lage der Untertanen der hellenistischen Großreiche oder des römischen Imperiums hineinzudenken versuchen. Die Konflikte, die einst den Polisbürger bewegten, betrafen nun die Obrigkeit. Die Probleme des Alltags waren geblieben oder auch gewachsen, aber sie waren mehr lästig als aufregend oder gefährlich, vieles lief routinemäßig ab und eher langweilig. Kriege gab es immer mal wieder, und wen es traf, der war schlecht daran, aber gewöhnlich brannte es doch "hinten, weit in der Türkei". Fand eine saturierte Leserschicht im Roman stellvertretende Aufregung, so fand sie in ihm anderseits die Befriedigung eines ergänzenden Bedürfnisses. Ihre Welt war frustrierend nicht nur wegen der Eintönigkeit, sondern auch wegen der Unübersichtlichkeit. Undurchsichtige Mächte, irdische wie außerirdische, fühlte man walten, ins persönliche Schicksal eingreifen, mit ungewissem Ausgang. Wie beruhigend dagegen der Ausgang der Romane, wo nach allen Beunruhigungen und Gefahren alles ins Lot kommt I Nicht nur das, sondern man weiß bei der Lektüre von Anfang an, denn man kennt ja die Spielregeln des Genres, daß alles gut! ausgehen wird, und so kann man
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sich desto beruhigter der Aufregung hingeben ein nur scheinbares Paradoxon. Pointiert gesagt: Ein Publikum genießt einen ungewissen Ablauf mit einem gewissen Ausgang, weil es selbst in einer Welt lebt, wo der Ablauf - mehr oder weniger - gewiß ist, aber der Ausgang ungewiß. Identifikation und Distanz gleichzeitig erlaubt und bietet der Roman mit seinem Hauptthema, der Liebe. Stellung und Geschick der Liebenden distanzieren sie voin Leser, aber mit ihrem starken Gefühl glaubt er mitfühlen zu können. Die Stärke der Gefühle ist ihm so glaubhaft und nachvollziehbar, daß er auch das Neue an dieser Literaturgattung akzeptiert: die Liebe als tragendes Motiv nicht länger nur einzelner relativ kürzerer Werke, von Novellen, Tragödien, Komödien, sondern von breit ausgeführten Darstellungen, an deren Lektüre man viel Zeit wenden muß. Zur Liebe im Roman gehört die liebende Frau. Sie steht im Titel neben, ja vor dem Mann, und ihr Schicksal, ihre Bewährung halten im Laufe der Handlung der des Mannes die Waage, in deutlichem Unterschied etwa noch zur attischen Neuen Komödie, die sich auch um die Liebe dreht und wo das Mädchen doch meist nichri mehr ist als der Drehpunkt. Das Publikum des Romans hat Frauen vor Augen, die aktiver, selbständiger, manchmal geradezu schockierend selbständig wie die Sinonis des Jamblichos, sind. Ist es deswegen ein weibliches Publikum? Es ist dies eine der Fragen, bei der man mangels Informationen gar zu gern auf Analogieschlüsse zurückgreift. In diesem Falle bietet der moderne Begriff des Frauenromans eine - scheinbare - Analogie. Fundierter ist der Vergleich mit dem lesenden Publikum seit dem 18. Jh., unter dem die Frauen (und Töchter) eine zunehmende Rolle spielten. In eben dieser Zeit treten dann auch weibliche Romanautoren auf, z. T. unter (männlichen) Pseudonymen. Zumindest in diesem Punkt können wir den Vergleich mit der Antike als unzulässig erkennen: Die uns bekannten Romanautoren sind durchweg männlichen Geschlechts. Gewiß, Frauen sind in der antiken Literatur:! zu allen Zeiten eine kleine Minderheit,18 aber es gab immerhin prominente Namen, angefangen mit der Lyrik einer Sappho, auf die sich eine etwaige Romanschreiberio hätte beziehen können.m Aber wir kennen keine. Nur vereinzelt hören wir von Romanleserinnen 20 oder erhalten allgemeine Erwägungen über die Vorliebe des weiblichen Geschlechts für Geschichten. 21 Daß eine An'18
Eine der seltenen Mögliclikeiten für statistische Auswertung bieten die Inschriften von Delphi. H. Bouvier, Hommes de lettres dans· !es inscriptions delphiques, in: Zeitschrift für Papyrolo.gie und Epigraphik ~8, I98~, 119-I~~. stellt aus ihnen 9~ Literaten zusammen. Unter ihnen ist eine einzige Frau, die Rednerin Auphria aus dem 2. Jh. u. Z. Entsprechend gering dürfte die statistische Wahrscheinlichkeit weiblicher Romanautoren sein. . 19 T. Hägg (vgl. Anm. ~) sieht das traditionell als Sappho bezeichnete Porträt einer jungen .Pi~e aus Pompeji mit Schreibtafel und Stift als denkbares Bild einer Romanautorio "im Moment iilrer Inspiration" (Farbtaf. I).- Die gleiche Abbildung schmückt den Schutzumschlag des Buch~s· ~nd macht damit das vorsichtige Fragezeichen im Text vergessen . .Ähnlich suggestiv' wirkt Abb. ~2. das Mumienporträt einer reichgeschmückten Dame, die als typische Romanleserio verst~den werden soll. Von Schmuck, wie ihn die Dame trägt, ist in Ehekontrakten und vergleichbaren Urkunden häufig die Rede, von Büchern nicht. 20 Vgl. dazu R. }ohne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band S. I ~o-17'7. 21 Achilleus Tatios 5, 5, r. .. : ·; · o 22 Ein Schlaglicht liefert die Vorbemerkung des Briefes eines Mannes an Mutter und Schwester:
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rede, wie "liebe Leserin" nicht vorkommt, besagt noch nicht viel, da auch die entsprechende Anrede "lieber Leser" selten ist und im Einzelfalle einen weiblichen Leser nicht auszuschließen braucht. Wir können nur auf die allgemeine Erwägung zurückgreifen, daß der Roman sich an einen gebildeten Leserkreis wendet und daran erinnern, daß die höhere Bildung durch die gesamte Antike in aller Regel eine Männersache war. 22 Das schließt nicht aus, daß manche Frauen aus gebildetem Milieu in der Lage waren, einem Roman zu folgen. 23 Im ganzen dürfte aber die Lage ähnlich gewesen sein wie in den Anfängen des neuzeitlichen Romans, als der Hausvater die Romanlektüre seiner weiblichen Familienmitglieder mindestens als Zeitverschwendung, wenn nicht als Sittengefährdung zu betrachten pflegte.:v. Aber wie viele Frauen auch immer in der Antike Romane lasen oder lesen konnten, es war gewiß nicht eine ausschlaggebende Zahl, auf Grund derer man von "Frauenromanen" würde sprechen können. Erst recht kann man nicht in dem Sinne unterscheiden, daß etwa die Frivolitäten eines Achilleus Tatios "nur für Männer" gedacht gewesen, dagegen die Dezenz eines Heliodor an weibliche Leser adressiert gewesen sei. Wenn sich hier verschiedene Geschmacksstufen abzeichnen sollten, so im wesentlichen innerhalb eines· männlichen Publikums. Wenn bei einem Autor wie Jamblichos Päderastie und Hetärenwesen nicht vorkommen, so ist das mit persönlichem und Zeitgeschmack schon hinreichend zu erklären und braucht nicht Rücksichtnahme auf weibliche Dezenzwünsche zu sein.
5· Romanpapyri und ihre Leser Wichtig für eine Vorstellung von dem antiken Leserkreis und der Wirkung von Literatur sind die Handschriften, die sich aus dem Altertum selbst erhalten haben. Während die meisten Kopien. auf denen unsere Überlieferung beruht, aus byzantinischer Zeit stammen und so für die Nachwirkung der Werke in einer späteren Epoche "Der du diesen Brief liest, wer du auch seist, gibt dir etwas Mühe und verdolmetsche den Frauen das in diesem Briefe Geschriebene." Die Herausgeber A. Bülow-Jacobsen und V. P. MacCarren, P. Haun. I4, P. Mich. 679, and P. Haun. I j - a Re-Edition, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 58, 1985, 7I-79, nehmen an, daß die Frauen .Ägypterinnen waren, die kein Griechisch verstanden. Aber sie führen ebenso wie der Schreiber gut griechische Namen. Sie konnten nicht lesen und mußten sich den Inhalt des Schreibens. vorlesen und erläutern ("verdolmetschen") lassen. 23 Frauen, denen Literaturwerke gewidmet wurden, hätten gewiß auch Romane lesen können. Klar ist das bei jener Isidora, de~; ihr Bruder Antonios Diagenes seinen Roman widmete (Photios, Bibliotheke I66, S. 1 I I ab). Aber was wir sonst an Widmungen kennen, betrifft nicht Unterhaltung, sondern Belehrung, so der Brief des Porphyrios an Marcella oder die Sammlung der "Sextus-SprÜche", deren lateinische Übersetzung von Rufinus an Avita, Gattin des Apronianus, dediziert wurde. V gl. dazu A. Carlini, II piu antico testimone greco di Sesto Pitagorico, in: Rivista di filologia e di istruzione classica 113, 198j, j-26. :M T. Hägg (vgl. Anm. 5) erwägt die Möglichkeit von Lesezirkeln zur Romanlektüre, bei denen unter den Hausgenossen auch Frauen in größerer Zahl anwesend gewesen sein konnten (In). Dann wäre mangelnde Lesegewandtheit kein Hindernis. Aber bedenkt man, wie eine männlich geprägte Gesellschaft auch im Hause auf Trennung bestand (wovon unser "Frauenzimmer" ein · Nachklang ist), so erscheint der Gedanke des Lesezirkels als eine Rückprojektion aus der Neuzeit.
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Zeugnis ablegen, haben sich aus der Antike, mehr oder weniger bruchstückhaft, Textzeugen erhalten, die man nach dem damals vorherrschenden Beschreibstoff pauschal Papyri zu nennen pflegt. Durch die besonderen klimatischen Umstände haben sich Papyri in größerer Zahl nur in Agypten erhalten. Sie stammen aus dem runden Jahrtausend von der griechischen Eroberung bis zur arabischen Besetzung, vom 3· Jh. v. u. Z. bis zum 7· Jh. u. Z., wobei sich ein deutlicher Höhepunkt der Produktion im 2. und auch noch im 3· Jh. u. Z. abzeichnet. Fundorte sind die Mittelstädte der ägyptischen Provinz, voran das am besten und systematischsten erforschte Oxyrhynchos am mittleren Nillauf. Dagegen haben sich aus dett kulturellen Metropole des Landes, Alexandria, keine Papyri erhalten, weil das feuchte Klima des Nildeltas die empfindliche Papyrusfaser verrotten ließ. Die antiken Handschriftenfunde beschränken sich also räumlich und zeitlich auf einen Abschnitt des Verbreitungsgebietes der antiken Kultur. Wir müssen sie also exempli gratia nehmen. Als Exempel aber sind sie von bedeutender Aussagekraft. Zunächst gilt allgemein von Büchern aus der Zeit vor Einführung des Druckes, daß sie für den unmittelbaren Bedarf geschrieben wurden. Wir können also voraussetzen, daß jedes Buch, das vorhanden war, auch seinen Besitzer und Leser fand. Ja, wir können darüber hinaus damit rechnen, daß viele Bücher durch mehrere Hände gingen, denn die Einzelkopie war teuer, so daß Bücher ausgeborgt wurden. Jedes Exemplar bedeutet also mindestens einen, wahrscheinlich mehrere Leser. Die Romanpapyri können sich an Zahl mit den klassischen Schulautoren nicht messen.25 Während Homer in Hunderten von Exemplaren erhalten ist, Euripides, Demosthenes, Platon in Größenordnungen, die an Hundert heranreichen, bedeuten bei Romanen fünf Papyri schon eine respektable Bezeugung. Die Romane waren also keine Lektüre breitester Schichten. 26 Immerhin stehen sie in der Papyrusbezeugung auf einer vergleichbaren Stufe mit einem großen Teil auch jener Literaturwerke, die als Bildungsgut offiziell akzeptiert waren. Zu betonen ist, daß die Papyri die Lektüre der Romane für die mittleren Städte bezeugen und damit - so muß man annehmen - in Kreisen einer mittleren Bildungshöhe. Daß sie daneben für die Großstadt Alexandria nicht bezeugt sind, beweist nichts, da es Folge der oben beschriebenen Überlieferungslage ist. Anzunehmen ist, daß, was die Mittelstädte lasen, in den Großstädten nicht weniger bekannt war. Bücher waren teuer, aber es gab Abstufungen. Wir kennen feinste ~uxusexemplare auf bestem Material mit sorgfältiger Schrift, gute Durchschnittsware und am anderen Ende der Skala sparsam hergestellte Abschriften mit gedrängter, eiliger Schrift, z. T. auf der Rückseite von ausrangierten Rollen, also auf Makulatur, was in Anbetracht der hohen Papyruspreise ein verbreitetes Verfahren war. Die Romanpapyri halten 25
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Vgl. die Zusammenstellung von R. A. Pack, The Greek and Latin Literary Texts from GrecoRoman Egypt, 1. durchgesehene und erweitene Auf!., Ann Arbor 196s, unter den Namen der einzelnen Autoren (Achilleus Tatios, Antonios Diogenes, Chariton, Dictys Cretcnsis) und vor allem unter dem Sammelstichwort Romance (Nr. 1616-1641). Das Verzeichnis bedarf hier wie sonst der Aktualisierung. Den' Konservativismus des Publikums, wie ihn die Papyri bezeugen, unterstreicht A. E. Samucl, From Athens to Alexandria: Hellenism and Social Goals in Ptolemaic Egypt, Louvain 1983 (Studia Hellenistica 16), 67-74 ("Greek Literature in Egypt"). T. Hägg (vgl. Anm. s) neigt dazu, die zahlenmäßige Bedeutung der Romanpapyri zu hoch zu bewenen (vgl. ru).
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sich, grob gesagt, im mittleren bis unteren Drittel der Skala auf. Man stellte sie also nicht für die Repräsentation her, sondern für die tatsächliche Lektüre~ Daß die Besteller wenig bemittelt waren, ist damit nicht gesagt. Wer sich einen billigeren Romanpapyrus beschaffte, hatte sicher vorher schon seinen Homer im Haus, möglicherweise von besserer Qualität. Wie die Zirkulation der Romane im einzelnen vor sich ging, darüber sagen unsere Quellen nichts. Man wird jedoch an "Verlags"-Verhältnisse denken dürfen, wie sie für die antike Literatur generell galten: daß es zwar einen Buchmarkt gab, daß aber daneben weitgehend Abschriften für persönlichen Bedarf hergestellt wurden. Sie konnten dann von Hand zu Hand weitergehen, zur Lektüre oder weiteren Abschrift. Die Papyri bezeugen zum einen, daß jene Romane, die uns die byzantinische Oberlieferung bewahrt hat, in der Antike gelesen wurden. Auch wo ein Roman nur in einer einzigen: byzantinischen Kopie auf uns gekommen ist, kann er im Altertum eine weitere Verbreitung gehabt haben. Zum anderen aber belegen die Papyri eine Anzahl von Romanen, die wir vorher nicht kannten, die also vor dem Ende der Antike außer Benutzung gekommen und damit nicht weiter tradiert worden sind. Durch den fragmentarischen Überlieferungszustand wissen wir nur in Glücksfällen - wenn sich Titel erhalten haben - den Autor und den Namen solCher untergegangenen und wiedergefundenen Werke. So ist der wichtigste Neufund der jüngeren Zeit der Roman "Phönizische Geschichten" des Lollianos.27 Der Titel fügt sich in die Reihe der Romane mit geographischen Namen, die den Hauptschauplatz angeben und eine exotische Stimmung heraufbeschwören, und auch der Inhalt fügt sich, soweit kenntlich, in das Romanschema. Häufiger haben wir nur Fragmente ohne Anfang und Ende. Dann muß dem Roman ein erfundener Titel gegeben werden, üblicherweise nach der im Text auftretenden Hauptperson. So haben wir den Ninos-Roman und den Sesonchosis-Roman. Nach dem liebenden Paar nennen wir den Metiochos-Parthenope-Roman. In einigen Fällen kann man nur hoffen, daß die Hauptperson des Fragments tatsächlich auch der Protagonist des ganzen Werkes ist und nicht nur in einer Episode eine Rolle spielt, wie wir das von den erhaltenen Romanen her kennen. Gravierender ist die Frage, ob es sich bei einem Papyrus tatsächlich um das Fragment eines Romans handelt. Wir finden in dem Text romanhafte Züge, die wir mit erhaltenen Romanen vergleichen, und setzen daher voraus, daß es sich auch im vorliegenden Falle um einen Roman handelt. 28 Aber romanhafte Züge finden sich eben auch in verschiedenen anderen Gattungen. Es kann sich z. B. um eine kurze novellistische Erzählung handeln, um Einlagen in einem historischen oder rhetorischen Werk oder auch einmal um etwas ganz anderes. So ist ein Text, der als Romanpapyrus galt und unter dem Stichwort "Ein durchtriebener Räuber" firmierte, als Stück einer christlichen Osterpredigt identifiziert worden. 29 Der Räuber, eine scheinbar so typische Romanfigur, erwies, sich dabei als der reumütige 27 Erstausgabe von A. Henrichs, Die Phoinikika des Lollianos, Köln 1972 (Papyrologische Texte und Abhandlungen 14). Dazu zuletzt G. M. Browne, Ad,Lolliani Phoenicica, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 46, 1982, 13~-143, Taf. ~-7. 28
Daher bei R. A. Pack Nummern mit Fragezeichen sowie Verweise auf weitere Nummern, die Romanen entstammen könnten. 29 R. A. Pack Nr. 2638. Identüikation von M. Gronewald, Kein durchtriebener Räuber, 10 : Ze:tschrift für Papyrologie und Epigraphik 34, 1979, 12.-2~, Taf. 4·
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Verbrecher, der mit Jesus gekreuzigt wurde und auf sein Reuebekenntnis hin die Zusage erhielt, er solle heute noch mit ihm ins Paradies kommen. Der christliche Prediger nimmt dies zum Anlaß, sich auszumalen, wie der Räuber nun tatsächlich ins Paradies kommt und dort von den Propheten des Alten Testaments befragt wird und ihnen Rede steht. Es ist ein lehrreiches Beispiel dafür, wie unzweifelhaft romanhafte Elemente in ganz andersartige Zusammenhänge eingefügt werden können. Aber bei allen Vorbehalten, die bei Papyri mit der Bezeichnung "Roman" oder ,,Roman?" nötig sind - die Gruppe als Ganzes zeigt, daß mehr Romane verbreitet waren, als direkt auf uns gekommen sind, daß aber anderseit&1 diese direkt erhaltenen doch repräsentativ für die ganze Gattung sind. Gern wüßte man, ob unter den Texten, die in der ägyptischen Provinz gelesen wurden, auch Kurzfassungen der längeren Romane waren, doch geben die Fragmente ihrem Wesen nach auf diese Frage keine Auskunft. Wir müssen immerhin damit rechnen, daß nicht jeder Papyrus gleich den kompletten Text des Werkes repräsentierte, aus dem er stammt. Nur Ausschnitte konnte natürlich eine Tonscherbe aufnehmen, auf der die Namen der Romanhelden Metiochos und Parthenope in romanhaftem Kontext kenntlich sind. 30 Ein solches Ostrakon ist zugleich eines der seltenen direkten Zeugnisse für Wirkungen des Romans auf soziale Unterschichten. Zu erinnern ist, daß das Publikum der Papyri nicht ohne weiteres das zeitgenössische ist, für das ein Autor ursprünglich schrieb, daß er aber - im Unterschied zu byzantinischen Lesern - ihm zeitlich und gesellschaftlich doch so nahe stand, daß es zur Geschichte der Wirkung, nicht der Nachwirkung gehört. Die Papyri erlauben uns, auf eine Schichtl von Lesern hinzuweisen, die man sich unter dem Publikum der Romane nicht gut vorstellen kann. Es ist die große Zahl derer, die mit einem Fachausdruck als "Langsamschreiber" bezeichnet werden.31 Man erkennt sie an dem ungelenken Duktus, wie sie mühsam Buchstabe für Buchstabe die wenigen Zeilen malen, die in einer Urkunde von ihnen gefordert werden, damit sie als eigenhändig vollzogen gelten kann. Sie stehen zwischen den Gebildeten und den kompletten Analphabeten, die sich bei' Beurkundungen vertreten lassen müssen und die als Lesepublikum von vornherein nicht in Betracht kommen. Wer langsam schreibt, liest langsam. Er wird nur das Nötigste lesen, wie es; der tägliche praktische Bedarf von ihm fordert. Zu einer Lektüre umfangreicher Texte bloß zum Vergnügen wird er weder willens noch imstande sein.
6. Anspruchsloseres Publikum? Auf ein relativ weniger anspruchsvolles Publikum könnte die Existenz von Bearbeitungen und Kurzfassungen von Romanen weisen, womit Leser zu erreichen gewesen 30 M. Gronewald, Ein neues Fragment aus dem Metiochos-Parthenope-Roman (Ostrakon Bodl. 2.175 31
= Pack2 2.782.), in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 24, 1977, 2.1-2.2.. Die Langsamschreiber gehörten keineswegs immer zu den unteren Schichten. So erscheint ein hoher Beamter, officialis, im Amt des Provinzstatthalters der Thebais, als "langsam unterschreibend" in: CPR IX 40, s. J. M. Diethart, Corpus Papyrorum Raineri IX, Wien 1984, S. H· Ein solcher Mann hatte aber natürlich seine Bediensteten und konnte sich, wenn, er wollte, auch Romane vorlesen lassen.
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wären, denen die Urform zu hoch war. Leider wissen wir wenig über Einzelheiten. Vielleicht hat umgekehrt die wachsende Anzahl von Romanen dazu geführt, daß Leser, die sie alle kennen wollten, Fassungen wünschten, in denen das Spezifische des einzelnen Werkes hervorgehoben war, während Stoff, der sich in der Gattung immer wiederholte, reduziert werden konnte. Die Endform wären dann Zusammenfassungen wie die des Photios, die sich auf ein bares Skelett der Handlung beschränken, zugleich aber eine große Anzahl von Romanen vorstellen und in ihrer Eigenart charakterisieren. Jedenfalls belegen Bearbeitungen, daß sich das Leserinteresse im Laufe der Zeit änderte und daß es andererseits Bearbeiter auf den Plan rief, die Adaptionen vornahmen. Eine relativ weniger vorgebildete Schicht des Publikums könnte aber auch von vornherein von den Autoren selbst ins Auge gefaßt worden sein. Dann hätten wir etwa von einem Roman wie dem des Xenophon von Ephesos nicht eine Kurzfassung, sondern der Autor hätte mit seinem schlichten, aufreihenden Stil und der gedrängten Darbietung des Stoffes einen anspruchsloseren Leser ansprechen wollen. Aber schlichte Darstellung braucht nicht von schlichtem Gemüt zu zeugen. Die antike literarische Theorie kannte verschiedene Stilhöhen und erwog eingehend, welche Stilform für welchen Inhalt die angemessene sei. Zugleich hatten die Autoren einen Ermessensspielraum, bei dem die Lesererwartung, aber auch eigener Geschmack eine Rolle spielten. Insbesondere konnte ein Autor sich so von Konkurrenten distanzieren durch konstatierenden Stil oder an prominente Vorbilder anknüpfen. Als ein Muster schlichter Direktheit galt der Stil des Historikers Xenophon von Athen. Wir müssen damit rechnen, daß ein Xenophon von Ephesos daran anknüpfte. Seine Einfachheit wäre dann nicht Unvermögen oder Rücksicht auf ein naives Publikum, sondern bewußte Stilisierung, deren Kunst ein versierter Leser erkennen und schätzen sollte. Eine verbreitete Meinung vertritt in recht nachdrücklicher Form die jüngste Monographie über Xenophon von Ephesos von G. Schmeling. 32 Der Autor, der an die Theorie einer Epitome nicht recht· glaubt, aber sie auch nicht ganz von! der Hand weist, hält Xenophon für einen gebildeten Mann, der für ein ziemlich anspruchsloses Publikum (unsophisticated) schreibe (S. 42), darunter probably young girls (S. 62), genauer: für 1) literatre teenagers, 2) students, 3) housewives (S. 78). Das für das Verständnis nötige Sprachniveau und die geistige Fähigkeit) sei niedrig (S. 8 5 f.). Diese verschiedentlich geäußerten Ansichten werden zusammengefaßt in einem eigenen Kapitel (5, S. 131-138) ~Audience ancl Readers of Xenophon". Er modifiziert seine 1974 in de!' Monographie über Chariton geäußerte These von einem Publikum der Mittelschicht dahin, Xenophon schreibe für eine sentimentalische (sentimental) Gruppe, die simple Ansichten vom Leben hätte (S. r 33). Schmel:ng entgeht nicht der von ihm wohl gesehenen Gefahr einer Rückprojizierung von der Situation heutiger Massenliteratur. So stellte er sich denn auch das Buch im Buchhandel in Ephesos und vielleicht auch in der dortigen Biblothek vor. Sollte Xenophon wirklich die beschriebenen Schichten im Auge gehabt haben, so hat er sie jedenfalls nicht erreicht. Wahrscheinlich: gab es sie eben nicht als Publikum~ Junge Mädchen und Hausfrauen lasen keine Romane, Schüler und Studenten ihre Schultexte. So sollte man die Erkenntnis unterstreichen: "Simple writings can appeal to sophisticated readers" (S. q8). 32
G. Schmeling, Xenophon of Ephesos, Boston 1980 (Twayne's World Authors Series 6r3). Vgl. das Register unter "Audience".
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7· Unterhaltung für gehobene Schichten
Einen deutlicheren Schluß auf die Art der Leserschaft erlaubt die Absicht, in der ein Werk geschrieben ist, ob diese Absicht nun erklärt wird oder sich entnehmen läßt. Die antike Theorie unterschied die beiden möglichen Hauptzwecke von Literatur: Belehrung und Unterhaltung, Nutzen und Vergnügen. In der Praxis war die Trennung nicht so reinlich, aber einig war man sich, daß die Belehrung das Wertvollere sei und daß es zur Erreichung dieses Zweckes förderlich wäre, sie möglichst vergnüglich darzubieten. Man bediente sich da gern des Vergleichs mit dem Arzt, der bittere Medizin mit Honig versüßt. Unterhaltung bestand am ehesten noch in der Poesie, obwohl die Vorstellung vom göttlich inspirierten Sänger, der tiefe Weisheit verkündet, auch in späteren Zeiten noch wirkte und das Lehrgedicht eine charakteristische antike Gattung war und blieb. Die Prosa, gegenüber der gebundenen Rede eine Spätform, stand von' Anfang an im Dienst sachlich-zweckgebundener Belehrung. Das ist deutlich bei der Historiographie und bei der Fachprosa, aber aucll dort, wo, wie in der politischen und Gerichtsrede, an Emotionen appelliert wird, geht es um den praktischen Effekt. Nun aber trat da eine Literaturform auf, die in der Prosaform Fiktives, also eigentlich Poetisches vortrug und kaum verhohlen auf Unterhaltung ausging. 33 Apuleius erklärt es seinem Leser direkt, er wolle ihn amüsieren. Zugleich muß der Autor aber mit der alten Rangordnung der Werte rechnen, und so nimmt er auch wieder für sich in Anspruch, daß er das Publikum belehren könne. Die Schilderungen von Irrungen und Wirrungen der Liebe, von moralisch Anstößigem lassen sich dann als Warnung und Appell an den Leser rechtfertigen, selbst klüger zu sein und es besser zu machen. Zur moralischen tritt die sachliche Belehrung: daher die ausführlichen Exkurse über Land und Leute, Flora und Fauna,· Sitten und Gebräuche vieler Länder, besonders in exotischer Ferne. Es sind Passagen, die die Handlung unterbrechen und oft nur lose mit ihr verbunden sind. Aber sie stehen in der Tradition der ernsthaften völkerkundlichen und historischen Literatur und verleihen dem Werk einen Eindruck von Seriosität. Aber der Eindruck täuscht, soll täuschen. Die Glaubhaftigkeit des Details soll das Ganze glaubhaft machen, eigentlich aber dienen die Exkurse genauso der Unterhaltung wie die erfundene Geschichte insgesamt. Vielleicht ist der empfundene Widerspruch der Theorie, daß es bloße Unterhaltungsliteratur eigentlich nicht gebe, zur Praxis der nun einmal vorhandenen Gattung einer der Gründe dafür, daß die antike Literaturkritik das Genre einfach ignoriert hat. Als die Gattung schließlich unübersehbar war, hat das Unbehagen über den eingestandenen Zweck der Unterhaltung dann dazu geführt, daß man ihr doch moralische Zwecke 33
C. W. Müller (vgl. Anm. s) verweist Anm. 3 auf "Buchlektüre zur Unterhaltung als poetisches Motiv" innerhalb des Romans. Die dafür angeführte Stelle aus Achilleus Tatios (mit Druckfehler, gemeint ist r, 6, 6) ergibt das nicht. Der Verliebte benutzt das Buch nur, um datüber hinweg nach dem Mädchen schielen zu können, also als Vorwand, wobei der Inhalt unerheblich bleibt. Hingegen sind typisch im Roman Briefe, vgl. A. Borgogno, Sul nuovo papiro di Antonio Diagene, in: Grazer Beiträge 8, 1979, 2.39-2.42. Näheres zur Funktion des Romans bei H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans, in diesem BandS. 52.-81.
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unterlegte, so etwa in der spätantiken religiösen Deutung der in den Roman eingelegten Erzählung von Amor und Psyche.34 Wird aber akzeptiert, daß del:l Roman in einem Ausmaß wie keine andere antike Literaturgattung im Dienste der Unterhaltung steht, so wirft das Licht auf seine Leserschaft. Aus Erfahrungen der neueren Zeit sind wir geneigt, Konsumenten von Unterhaltungslektüreüberwiegend in Schichten mit bescheidenerem Bildungsniveau zu suchen. Doch ist die Situation nicht zu vergleichen. In der Antike lasen die Weniggebildeten gar nicht oder nur Notwendiges .. Lektüre zur reinen Unterhaltung war Sache nicht so sehr einer breiten Leserschaft als einer wohlsituierten Schicht, die über Muße und Vorbildung verfügte. Wenn der Arzt Theodorus Priscianus (um 400 u. Z.) seinen Patienten Romanlektüre als erotisches Stimulans empfiehlt, so hat er dabei offensichtlich Angehörige der Oberschicht im Auge. Er setzt voraus, daß sie sich von hübschen Sklavinnen und Sklaven bedienen und anregen lassen können und gebildet genug sind, um als Römer griechische Literaturwerke zu genießen. 35 Für die Beliebtheit des Romans in der reichen Oberschicht sind ein schlagender Beleg die bildliehen Darstellungen auf Mosaiken. 36 Der Metiochos-Parthenope-Roman ist gleich zweimal vertreten. Aus Daphne, dem reichen Villenvorort von Antiochia am Orontes in Syrien, stammt ein reichgerahmtes Fußbodenmosaik aus der Zeit um zoo u. Z., das das Heldenpaar mit Namensbeischrift zeigt (vgl. Abb. 17). Ein weiteres Mosaik, wohl ebenfalls aus Antiochien, vom z./3. Jh. u. Z. ist fragmentiert, doch ist der Name Metiochos noch eindeutig zu ergänzen. Die lebendige, höchst bewegte Darstellung der Akteure zeugt von hoher Qualität der Arbeit. Bei allem Unterschied weist die Übereinstimmung in der Gestaltung des Helden mit wildem Haarschopf und Schultermäntelchen auf eine gemeinsame Tradition, die über den Einzelfall hinausreicht. Die sicher wohlhabenden Auftraggeber solcher Mosaiken bekannten sich damit in aller Offenheit zu ihrer Vorliebe für den Roman, waren die Bilder doch nicht für Privatkabinette gedacht, sondern für repräsentative Empfangs- und Speiseräume. Der Roman hat damit einen Grad von Anerkennung erreicht, wie ihn die etwa gleichzeitigen Mosaiken mit Komödienszenen aus einer Villa in Mytilene für die Stücke Menanders bezeugen. Während die Neue Komödie in ihrem klassischen Vertreter Vgl. D. Fehling, Amor und Psyche. Die Schöpfung des Apuleius und ihre Einwirkung auf das Märchen, in: Akademie der Wiss. u. d. Literatur Mainz, Abhandl. der Geistes- und sozialwiss. Kl., Jg. 1977, Nr. 9· 35 Theodorus Priscianus, Euporista z, 34 (vgl. Anm. 10). 36 Abgebildet bei H. Maehler, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik z3, 1976, Taf. I (farbig) und II, dann bei C. W. Müiler (vgl. Anm. 5), 38z u. 384 f. Eine Interpretation der Szene, wie sie Müller gibt, muß subjektiv bleiben, solange wir nicht den ganzen Romantext besitzen, Es muß sich jedenfaJls um eine charakteristische Situation handeln. Im Nachbarraum der gleichen' Villa in Daphne zeigt ein weiteres Mosaik Ninos, auf einem Ruhebett das Porträt seiner Geliebten betrachtend. Abbildung bei D. Levi, Proceedings of the American Philosophical Society 87, No. 5, 1944, 423; vgl. ders., Antioch Mosaic Pavements, Princeton 1947, Bd. I, S. II7-II9 u. Bd. z, Taf. zo a-b. Gemeint war wohl auch hier eine Szene des entsprechenden Romans, vgl. H. Maehler, S. 3· Ein vergleichbares Bildungsstreben belegt ein Mosaik in Trier, vgl. dazu D. Metzler, Ahiqar in Trier, in: Festschrift Jos. Fink, hrsg. von D. Ahrens, Köln-Wien 1984, 105m. Anm. 34· 34
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Menander hoch geschätzt war, so daß die Abbildungen nichts Ungewöhnliches sind, zwingt die analoge Präsentation des Romans zum Nachdenken. Das Schweigen der Fachkritik bedeutet nicht, daß damit das einhellige Urteil der Oberschicht zum Ausdruck gebracht würde. Drückt es nicht vielleicht eher die Borniertheit traditionsgebundenen Spezialistentums aus ?37 Man könnte erwägen, daß die Besteller der Mosaiken von Antiochien zwar unbestreitbar reich, aber vielleicht doch ungebildet waren, also einen vulgären Geschmack vertraten. Doch wer überhaupt literarische Sujets darstellen läßt, statt sich mit dem reichen Motivschatz zu begnügen, den die Mosaikkunst parat hatte, beweist schon damit, daß er auf Bildung Anspruch erhob. Die Identifizierung des Gegenstandes der genannten Mosaiken verdanken; wir der Tatsache, daß die Namen beigeschrieben und erhalten sind. Fehlten sie, wäre man eher geneigt gewesen, auf Dramenszenen zu schließen. Auch an Mythologisches oder an einfache Genredarstellungen könnte man denken. Umgekehrt ist vorstellbar, daß es weitere Romanbilder gibt, die wir nur nicht mehr als solche zu erkennen in der Lage sind. \'7ährend die erhaltenen Roman-Papyri, wie wir sahen, eher einem mittleren Bildungspublikum entsprechen, ergänzen die Mosaiken das Bild in Richtung auf die Oberschicht. Man kann erwarten, daß ein Hausherr, der sich Romanmosaiken legen ließ, die Texte auch selbst las, und zwar in qualitätvollen Handschriften. Möglicherweise waren sie illustriert, zumindest mit einem Frontispiz versehen, das die Titelhelden in cin;ör charakteristischen Szene zeigte. Dann hätten wir eine denkbare Verbindungslinie von einer Kunstgattung zur anderen.=18 Einen weiteren Gedanken legt die Darstellung in einem Gemeinschaftsraum nahe. Wir sind zu sehr fixiert auf die Alternative von öffentlichem Geschichtenerzählen und privater Lektüre. Dazwischen bleibt die Möglichkeit einer Rezitation in geselligem Kreise, zumindest von ausgewählten Partien. Der Mosaiksaal böte einen passenden Rahmen dafür. Doch einerlei, wie weit man mit Vermutungen gehen will, festzuhalten bleibt der Roman als geschätztes, zur Schau gestelltes Bildungsgut auch einer Oberschicht.
8. Zusammenfassung Alle betrachteten Indizien stimmen zusammen zu dem Ergebnis, daß der antike Roman trotz einiger dahin passender Aspekte nicht sinnvoll mit dem neueren Trivialroman auf 37
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Die verbreitete Auffassung bei R. Kassel, Dichtkunst und Versilikation bei den Griechen, in: Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 250, Opladen 1981, 7 vom Roman: ,.Er verdankt zwar der Bereitschaft eines großen Publikums Entstehung und Erfolg, wird aber von anspruchsvolleren Leuten nie ernst genommen." Mit diesen, den. ,.besten Köpfen", sind, wie der nächste Satz zeigt, die Philologen, Dichtungstheoretiker und Literaturhistoriker gemeint. Daß zu verschiedenen Zeiten die Literaten den antiken Roman höher schätzten als die Literaturhistoriker, betont M.-P. Loicq-Berger, Pour une lecture des romans grecs, in: Les etudes classiques 48, 1980, 23-42. Möglicherweise einen Roman enthielt die fragmentierte, urspriinglich reich illustrierte Papyrusrolle des 2. Jh. u. Z. in Paris, Bibliotheque Nationale, Suppl. gr. 1294 (Pack2 Nr. 1641), neuerdings abgebildet bei K. Weitzmann (Hrsg.), Age of Spirituality, New York 1979, Nr. 222, S. 245; T. Hägg (vgl. Anm. 5), Abb. 2.9.
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eine Ebene zu stellen ist, zumindest was sein Publikum angeht. Trotz der Begrenztheit des Genres und mancher Sehemacismen in Anlage und Durchführung der einzelnen Werke war der Roman insgesamt eine voraussetzungsreiche und anspruchsvolle Lektüre, die sich an entsprechend vorgebildete und interessierte Leser wandte. Dieser Leserkreis war relativ begrenzt, vergleicht man ihn mit der Gesamtheit der lesekundigen Bevölkerung und erst recht mit jener Masse, die sich zu allen Zeiten von volkstümlichen Erzählern unterhalten ließ. Mit dem Schwinden dieser Leserschicht am Ausgang der Antike schwand auch das Publikum des Romans. Nicht gestützt durch die Schullektüre, die einen Minimalkanon an Bildung bis ins byzantinische Mittelalter konservierte, blieb der antike Roman nur in Einzelfällen als Lektüre einiger Interessenten erhalten.39 Volkstümliche Fabulierfreude hingegen lebte weiter und blieb bereit, sich unter neuen Bedingungen erneut auch literarisch zu kristallisieren.40 3~
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Anregende Erwägungen bei H.-G. Beck, Marginalien zum byzantinischen Roman, in: Kyklos. R. Keydell zum neunzigsten Geburtstag, Berlin (West)-New York 1978, n6-12.8, mit dem Auftakt: "Die Geschichte des Fortlebens des antiken Romans ... ist die Rache eines philologischen Bastards an seinen Verächtern unter den Klassizisten." Zum volkstümlichen Untergrund des Romans A. Scobie, Storytellers, Storytelling, and the Novel in Graeco-Roman AntiquitY:, in: Rheinisches Museum N. F. 12.1, 1979, 2.19-2.59. Daß der Roman sich mehr an Hörer als an Leser wendet, betont für Apuleius J. Tatum, Apuleius and the "Golden Ass", Ithaca-London 1979, Schlußkapitel "The Reader as Listener".
Obersicht über die antiken Romanautoren bzw. -werke mit Datierung und weiterführender Bibliographie 1 Von RENATE JOHNE
Hekataios von Abdera (um 300 v. u. Z.); vgl. S. I99 Buherneros von Messene (etwa 340-260 v. u. Z.); vgl. S. I99 f. Jambulos (3. Jh. v. u. Z.); vgl. S. 200 f. Amometos (3. oder 2. Jh. v. u. Z.); vgl. S. zoi Dionysios Skytobrachion (3. oder 2. Jh. v. u. Z.); vgl. S. 201 f. Ninos-Roman (2. Jh. v. u. Z.); vgl. S. 202 f. Aristeides von Milet (um xoo v. u. Z.); vgl. S. 203 Chariton von Aphrodisias (I. Jh. v. u. Z.); vgl. S. 203-205 Chione-Roman (I. Jh. v. u. Z. [?]); vgl. S. 205 Metiochos-Parthenope-Roman (x. Jh. v. u. Z. [?]); vgl. S. 205 f. Ludus Cornelius Sisenna (gestorben 67 v. u. Z.); vgl. S. 206 Petron (Freitod 66 u. Z.); vgl. S. 206-2.09 Iolaos-Fragment (1. Jh. u. Z. [?]); vgl. S. 2.09 Troja-Roman (griechisches Original: 1. Jh. u. Z. [?]); vgl. S. 2.27 Aisopos-Roman (etwa x. Jh. u. Z.); vgl. S. 2.09 f. Chion-Roman (wohl 1. Jh. u. Z.); vgl. S. 230 Antonios Diagenes (x. Jh. oder 2.. Jh. u. Z.); vgl. S. 210 f. Lukianos von Samosata (um uo-nach IBO u. Z.); vgl. S. 2.11 f. Lukios von Patrai (wohl2. Jh. u. Z.); vgl. S. 2.12. Apuleius (um 12 s-nach I62 u. Z.); vgl. S. 2 u-u s Lollianos (um 140 u. Z.); vgl. S. 2.1 s J amblichos (zweite Hälfte des 2. Jh. u. Z.) ; vgl. 2. I s f. Aristophontes von Athen (2. Jh. u. Z. [?]); vgl. S. 2.16 Xenophon von Ephesos (2. Jh. u. Z.); vgl. S. 2.17 f. Achilleus Tatios (2. Jh. u. Z.); vgl. S. 218 f. Nikostratos von Makedonien (2.. Jh. u. Z.); vgl. S. 219 Sesonchosis-Roman (2. Jh. u. Z. [?]); vgl. S. 219 Longos (um 2.00 u. Z.); vgl. S. 22.0 f. Helioderos von Emesa (3. Jh. u. Z. oder 4· Jh. u. Z.); vgl. S. 221-2.2.4 Alexander-Roman (auf Quellen schon des 4· Jh. v. u. Z. und späterer Jhh. beruhend; verschiedene antike Fassungen; im wesentlichen zusammengestellt im 3· Jh. u. Z.); vgl. S. 224-226 1
Zu den abgekürzten Literaturangaben vgl. das Abkürzungsverzeichnis S. z~I f.
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Iulius Valerius (lateinische Fassung des Alexander-Romans; erste Hälfte des 4· Jh. u. Z.) ; vgl. S. 226 f. Tr~ja-Roman (lateinische Fassungen): Diktys von Kreta (4. oder S· jh. u. Z.); vgl. S. 227 f. Dares von Phrygien (4./s. jh.-Ende des 6. oder Anfang des 7· Jh. u. Z.); vgl. S. 228 f. Historia Apollonii regis Tyri (lateinischer Auszug aus dem s. oder 6. Jh. u. Z.) ; vgl. s. 229 f.
Hekataios von Abdera (oder T eos) Über das Leben des griechischen Philosophen, Romanschriftstellers und Kulturhistorikers um 300 v. u. Z. ist wenig bekannt. Er war wohl ein Schüler des Pyrrhon von Elis. Sicher ist nur, daß er unter Ptolemaios I. in Ägypten, in Theben war. In h a 1 t und C h a r a k t er ist i k : Die nur fragmentarisch erhaltene ethnische Utopie "Über die Hyperboreer" (nach Diodor 2, 47) schildert in der Form eines Reiseromans das Idealleben der glücklichen Hyperboreer. Die Apollonverehrer im Norden, auf der okeanischen Insel Helixoia gegenüber dem Land der Kelten, erfreuten sic4 eines milden Klimas und reicher Eroten. Die im Roman erwähnten griechischen Inschriften auf Weihgeschenken im dortigen Apollontempel sollen Beziehungen zum griechischen Kulturbereich bezeugen. Hekataios' utopischer Reiseroman beeinflußte später Euhemeros. Die "Ägyptische Geschichte" (Aigyptiaka), rekonstruierbar aus Diodors x.· Buch, ist dagegen weitgehend ein historischer, auf Quellen und teilweise eigenen Anschauungen beruhender Bericht über Ägypten. Land, Leute, Kultur, Religion und die konstitutionelle Monarchie als die bestmögliche Verfassung voller Gerechtigkeit werden in dieser proptolemäischen Tendenzschrift beschrieben, in der auch erstmals von einem Griechen die Juden behandelt werden. Fragmente: Vorsokratiker n; F Gr Hist 2.64 F 1-6, 7-14. Literatur: F. Jacoby, in: RE 7, 2., 1912., 2.750-2.769; W. E. Brown, in: Classical World 48, 1955. 57 ff.; W. Spoerri, Späthellenistische Berichte über Welt, Kultur und Götter, in: Schweizer Beiträge zur Altertumswissenschaft9, 1959; L. Herrmann, in: Latomus 2.5, 1966, 76f.; H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans, in diesem Band S. B f.
Euhemeros von Messene Der griechische Schriftsteller - etwa 340-260 v. u. Z. - stand 317-298 im Dienste des makedonischen Königs Kassandros. Wohl beeinflußt durch ältere Reiseberichte und utopische Staatstheorien, verfaßte er seine berühmt gewordene Schrift "Heilige Aufzeichnung" (Hiera anagraphe), die ursprünglich mindestens 3 Bücher umfaßt haben muß, jetzt aber nur noch in Exzerpten vorliegt (Diodor s, 41-46 u. 6, I sowie zahlreiche zustimmende bzw. mehr ablehnende Einzelerwähnungen). Durch die Übersetzung ins Lateinische durch Q. Ennius (gest. 169 v. u. Z.) wirkte Buherneros stark im römischen Bereich von Varro bis zu den Kirchenvätern, besonders Laktanz. I n h a 1 t : In einer Art von autobiographischem Bericht schildert Buherneros seine Fahrt
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in den Süden zu einer Inselgruppe mit der üppigen Hauptinsel Panchaia. Sicherlich angeregt von Hekataios und von Platons Atlantis, interessierte sich Euhemeros vor allem für die Verfassung und die Gesellschaftsstruktur. Die Inselbewohner waren in drei Klassen eingeteilt; es herrschte, unter dem Vorsitz von Priestern, Arbeitsteilung. Die Utopie kam ohne Sklaverei und fast ohne Privateigentum aus. Die Produkte wurden nach dem Leistungsprinzip verteilt. Von dieser Insel Panchaia (Diodor 5. 42, 5-5, 46, 8) ist die Heilige Insel mit einem König an der Spitze zu unterscheiden. Der Titel der Utopie geht auf eine Inschrift auf goldener Stele zurück, die sozusagen das Grundgesetz des Staates enthält, nämlich die vorbildhaften Taten der ersten Könige von Panchaia, von Uranos, Kronos und Zeus. Diese Herrscher waren nach Buherneros ursprünglich hervorragende Menschen gewesen und erst nach ihrem Tode auf Grund ihrer Verdienste und als Kulturbringer zu Göttern erhoben worden, während als echte Götter nur die Himmelskörper galten. Die rationale Mythenkritik auf sophistischer Grundlage (Prodikos, Kritias), der sog. Euhemerismus, war das eigentliche Anliegen des Werkes. Daneben sollte e~ in der Epoche nach Alexander d. Gr. zur Rechtfertigung des beginnenden Herrscherkultes dienen (so für Antiochos von Kommagene nachgewiesen). Fragmente: F Gr Hist 63 F r-30; G. Vallauri, Turin r9s6 (Text und Kommentar). Literatur: P. van Gils, Quaestiones Euhemereae, Diss. Amsterdam r961; H. F. van der Meer, Euhcmeros van Messene, Diss. Amsterdam I949; M. P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion, Bd. ;, 3· Auf!. München r974, bes. 138-so9; J. Ferguson, Utopias of the Classical World, London I97S. Kap. u u. I4; H. Dörrie, Der Königskult des Antiochos von Kommagene, Abh. der Akademie Göttingen 3, 6o, r964, 1r8-u4 (zur Rechtfertigung des beginnenden Herrscherkultes); H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans, in diesem Band S. ss f.
]ambulos
Der griechische Romanautor des 3· Jh. v. u. Z., wahrscheinlich syrischer (nach Altheim2 nabatäischer) Abstammung, war der Verfasser eines phantastisch-utopischen Reise- und Abenteuerberichtes, den Lukian (Wahre Geschichte x, 3) noch vollständig kannte, der aber heute nur noch in Auszügen bei Diodor (2, 55. x-6o, 3) vorliegt und dessen genauer Titel nicht überliefert ist. Nach der Erwähnung eines indischen Königs von Pali(m)bothra (Pätaliputra; heute Patna) 3 am Südufer des Ganges ergibt sich als Datierung ca. 280-200 v. u. Z. I n h a 1 t : Als Kaufmann wird Jambulos - so erzählt er selbst - auf einer Karawanenreise nach Südarabien von Räubern und dann von Athiopiern gefangen und mit einem Kameraden als Sühneopfer im Meer ausgesetzt. Sie gelangen zu einer im fernen Süden liegenden Inselgruppe und erleben dort für 7 Jahre paradiesisch-phantastische Zustände: günstiges Klima, Überfluß an Lebensmitteln und Bodenschätzen, Gleichheitsprinzip in der Gesellschaft, Gemeinschaften von je 400 Mitgliedern auf gentiler Basis, unter der Führung von Altesten, hohe Intelligenz der Insulaner und Sprachbegabung, Arbeits-· teilung, keine Sklaverei, Frauen- und Kindergemeinschaft - eine Welt ohne UnterF. Altheim, Weltgeschichte Asiens im griechischen Zeitalter, in: ders., Literatur und Gesellschaft, Bd. Z, Halle/S. I948, IS s-r62.. 3 A. Tamburello, Pataliputra, in: Enciclopedia: dell'arte antica classica e orientale s. r963, 986 f. 2
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drückung, ohne Diskriminierung und ohne Krieg. Wegen eines Vergehens wird aber Jambulos von den Inseln verstoßen und nach Indien verschlagen. C h a r a k t e r i s t i k u n d W i r k u n g : Die utopischen Züge4 dieses Romanberichtes wie das Gemeineigentum an Produktionsmitteln, das Fehlen der Sklaverei und das Gleichheitsprinzip weisen auf stoisches Gedankengut, aber auch Platon hat teilweise (Frauen- und Kindergemeinschaft, Altestenrat) Pate gestanden. Die Verehrung des Sonnengottes und die romantischen Abenteuermotive überhaupt, speziell die Kenntnisse über Indien, sind erst nach den Alexanderzügen denkbar. Die Utopie kann als gesellschaftskritische Alternative zur zeitgenössischen Wirklichkeit aufgefaßt werden. Die Vorstellungen dieser Utopie, basierend auti älteren Gesellschaftsbildern, haben als progressive gesellschaftstheoretische Antizipation auf Thomas Morus' "Utopia" und besonders auf Campanellas "Sonnenstaat" gewirkt. Fragmente: Bei Diodor 1, 55, 1-1, 6o, 3· Literatur: W. Kroll, s. v. Iambulos, in: RE 9 A x, 1914, 681 Ii.; W. W. Tarn, Alexander tbe Great and the Unity of Mankind, in: Proteedings of the British Academy 19, I9H· 113 ff.; Alexander d. Gr. Aus dem Engl. übers. von G. Spreen-Heraucourt u. W. Heraucourt, Darmstadt 1968, 766 ff.; M. Simon, Hellenistische Märchenutopien, in: WZ der Humboldt-Universität Berlin, ges.- und sprachw. R. 11, 1963, 137-143; M. Cary u. E. H. Warmington, Die Entdeckungen' der Antike, Zürich 1966 (Kindlers Kulturgeschichte), 388-390; B. Kytzler, Utopisches Denken und Handeln in der klassischen Antike, in: R. Villgradter u. F. Krey, Der utopische Roman, Darmstadt 1973, 45-68, bes. 61 f.; J. Ferguson, Utopias of the Classical World, London 1975, Kap. 11 u. 14; R. Müller, Zur sozialen Utopie im Hellenismus, in: ders., Menschenbild und Humanismus der Antike, Leipzig 1980, I89-101, bes. 191-196; R. Müller, Sozialutopisches Denken, 14 f.
Amometos
Der griechische Romanschriftsteller der Diadochenzeit von nicht sicher bekannter Lebenszeit, 3· oder 2. Jh. v. u. Z., beschreibt in seinem nur sehr fragmentarisch erhaltenen utopischen Reiseroman das glückliche Leben der Attakoren, jener Angehörigen des nördlich des Himalaja zu lokalisierenden Volkes der indischen Uttara-Kuru, einer Art indischer Hyperboreer (sö Plinius 6,, ,, der Amometos' Bericht mit Hekataios' Schrift über die Hyperboreer zusammenstellt). Diese Utopie steht ganz deutlich in der geistigen Nachwirkung der lange bewunderten Züge Alexanders d. Gr. Fragmente: F GrHist 396.
Dionysios Skytobrachion
Der Autor stammte aus Mytilene und lebte wohl im 3· oder 2. Jh. v. u. Z. in Alexandria.6 Als Verfasser mythegraphischer Romane, von denen nur wenige Fragmente bzw. teilweise nur die Titel überliefert sind, bearbeitete er unter Berufung auf fingierte Ge' Dazu nähere Ausführungen und Literatur bei H. Kuch, Funktionswandlungen des antiken Romans, in diesem BandS. 59-61. 5 Die Datierung schien bisher mit dem 1. Jh. v. u. Z. festzustehen. Für das 3· Jh. v. u. Z. jetzt
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währsmänner die Argonautensage (wohl in 6 Büchern) und versuchte, diese mit dem troischen Sagenkreis, daneben die Dionysosmythen und die Amazonomachie miteinander in Beziehung zu bringen. Das ging nicht immer ohne Verdrehungen und Verfälschungen, um als Kulturträger Dionysos, Athena und Herakles besonders herauszustellen. Aber in gewissen utopischen Vorstellungen über eine gerechtere Gesellschaft stand Dionysios in der Tradition der früheren Utopisten, besonders des Euhemeros. Fragmente: F Gr Hist 32; }. S. Rusten, Dionysius Scytobrachion, Opladen 1982 (Abh. der RheinischWestfälischen AdW. Sonderreihe: Papyrologica Coloniensia 10). Literatur: E. Schwartz, De Dionysio Skytobrachio, Diss. Bonn 188o; ders., in: Griechische Geschichtsschreiber, 2. Aufl. Leipzig I~H9. u6-230 (auch .,Skyteus" ist als Beiname überliefert); F. Wipprecht, Studien zur Entwicklung der realistischen Mythendeutung, Bd. r-2, Tübingen 1902 bis I908 (Programm Donaueschingen); G. Vallauri, Origine e diffusione dell Euemerismo nel pensiero classico, Torino I 960.
Ninos-Roman
Der bisher' älteste Liebesroman, wohl aus dem ausgehenden 2. Jh. v. u. Z., ist nur in 3 Papyrus-Fragmenten des I. Jh. u. Z. erhalten, 2 Berliner Papyri A und B (Pap. Berol. 6926 = Nr. I Zimmermann, Pap. Berol. 2116' u. PSI I30~) sowie einem Florentiner Fragment (= C). Der Roman ist nach dem Assyrerkönig Ninos benannt und erzählt von der Werbung des jungen Mannes um seine nicht namentlich genannte Gdiebte (seine Kusine Semiramis [?]) und von der Trennung des Paares wegen eines Kriegszuges. In h a I t : Fragment A: Die beiden Liebenden beschließen, jeweils die Mutter des anderen Partners als Fürsprecherio einer baldigen Hochzeit zu gewinnen. Dabei tritt Ninos in seiner Werberede fordernd und zielbewußt auf, während das junge Mädchen schüchtern ihre Bitte vorträgt. Fragment B: Eine Eifersuchtsszene zwischen dem Liebespaar endet mit der Versöhnung. Der junge Ninos muß zu einem Feldzug gegen die Armenier aufbrechen; mit seiner feurigen Rede vor der Schlacht bricht der Auszug ab. Fragment C: Nach einer militärischen Katastrophe irrt Ninos als Schiffbrüchiger verzweifelt am Strand von Kolchis umher. C h a r a k t e r i s t i k : In diesen Fragmenten eines Liebesromans sind bereits die wichtigsten Motive der Gattung vorhanden: die zentrale Rolle des Liebespaares, der Anspruch auf gegenseitige Treue, Trennung und Erleiden von Schicksalsschlägen, die Wunderwelt des Orients. Ninos wurde von den Griechen für eine historische Gestalt gehalten.6 Auffallend sind die Anachronismen bei den Kampfszenen miti griechischen Söldnern und Elefanten. S t i I : Sprache und Stil berühren sich mit der historiographischen Prosa.
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J. S. Rusten, Dionysius Scytobrachion, Opladen I982, I9-29, dessen These aber nicht in allen Punkten überzeugt. Für die griechische Überlieferung (Hauptquelle für Ninos und Semiramis Diodor 2, 1-20; dazu: E. Weidner, Ninos, in: RE I7, I, I936, 634 f.) war Ninos der sagenhafte Begründer des assyrischen Reiches und der Stadt Ninive. Die überlieferten Keilschrifttexte stützen diese Annahme nicht.
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Textausgaben: R. Jen!stova, Nejstarsi roman svetove literatury (Zlomhu reckeho romanu o Ninovi), in:. Listy filologicke N. S. 1, I9H· 30-s4; 2.10-2.2.8 u.' 319 (maßgebliche Ausgabe; Anordnung der Fragmente: B - A - C; Deutung der zwei Mosaiken aus Antiocheia am Orontes und aus Alexandreia); Eroticorum Graecorum Fragmenta, ed. B. Lavagnini, Leipzig 192.2., 1 ff.; F. Zimmermann, Griechische Romanpapyri, Heidelberg 1936, 13 ff.; ders., Das neue Bruchstück des Ninos-Roman (PSI 13os), in: WZ der Universität Rosteck 3, I9HIJ4, I7J-I8I; C. Wehrli, Un fragment du roman de Ninos, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 6, 1970, 39-41. ObersetV~ng: F. Zimmermann, Aus der Welt des griechischen Romans, in: Die Antike 11, 193S. 2.94-296. Literatur: D. Levi, The Novel of Ninus and Semiramis, in:' Proceedings of the American Philological Society 87, 1944, 42.0-42.8; ders., Antiach Mosaic Pavements, Princeton 1947, Bd. 1, 177 ff.; Bd... 2, Taf. XXa-c; T. I. Kuznecova, in: Antienyj roman, no-ns; R. Johne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band S. 164 f.
Aristeides von Milet Der um 100 v. u. Z. lebende Schriftsteller ist der Verfasser der "Milesischen Geschichten" (Milesiaka), einer Sammlung von lose miteinander verbundenen Novellen überwiegend erotischen Inhalts, die wohl nach dem Ort der Handlung benannt worden ist. Dieses berühmte Werk der erotischen Literatur aus alexandrinischer Zeit ist als Ganzes verloren,7 aber teilweise noch rekonstruierbar. Wahrscheinlich hat Aristeides den Novellenkranz nach Art des "Decamerone" durch eine Rahmenerzählung verbunden. Damit dürften die "Milesiaka" als eine Vorstufe des antiken Romans gelten. N a c h w i r k u n g : Die "Milesischen Geschichten" sind von L. Cornelius Sisenna ins Lateinische übersetzt worden und waren sehr beliebt.8 Milesia fabula bzw.historia wurde direkt zum Gattungsbegriff für die erotische Novelle. 9 Aus Aristeides stammen höchstwahrscheinlich einige novellistische Einlagen bei Petron ("Witwe von Ephesos" 10) und Apuleius. Literatur: S. Trenkner, The Greek Novella in the Classical Period, London I9J8, 172. ff.; Qu. Cataudella, La novella greca, Napoli 19J7, 131 ff.
Chariton von Aphrodisias Der griechische Romanautor aus Karien, der in acht Büchern die Liebesgeschichte von Chaireas und Kallirhoe beschrieb (Ta peri Chairean kai Kallirh6en erotika dihegemata; Titel aber möglicherweise nur .,Kallirh6e"), bezeichnet sich selbst als Sekretär eines '·Ein Fragment ist erhalten bei Barpakrates p. 88 Dindorf. Vgl. dazu L. Comelius Sisenna in diesem KapitelS. 2.06. 9 Apuleius, Metamorphosen 1, 1 u. ö. Milesius sermo. - Zu einem Spezialproblem: C. W. Müller, Die Witwe von Ephesus - Petrens Novelle und die ,Milesiaka' des Aristeides, in: Antike und Abendland z6, 1980, 103-121. 10 Zum Nachleben dieser Novelle bis zu Christopher Fry, A Phoenix too Frequent, vgl. E. Grisebach, Die Wandlung der Novelle von der treulosen Witwe durch die Weltliteratur, Berlin 1986, und in diesem Kapitel S. 2.08. 8
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gewissen Anwalts Athenagoras. Nach dem Stil des Werkes (noch keine Attizismen) ist jetzt eher der Beginn des 1. Jh. v. u. Z. (vielleicht sogar schon das Ende des 2.. Jh. v. u. Z.) als Abfassungszeit11 anzunehmen; damit wäre das der älteste von den vollständig erhaltenen antiken Romanen. 12 Diese Meinung vertreten Papanikolaou, Hägg und C. W. Müller gegen Merkelbach, Petri und Plepelits. Es existieren außer dem erhaltenen Text noch Papyrus-Fragmente des 2.. oder 3· Jh. u. Z. I n h a 1 t : In Syrakus findet die Eheschließung der beiden Titelhelden statt. Bald aber wird das Glück gestört durch Intrigen der abgewiesenen Freier der Braut Kallirhoe, der Tochter des Hermokrates, des berühmten Siegers über die Athencr. Es folgen die Leiden des getrennten Paares: Scheintod, Grabraub, Entführung der jungen Frau nach Milet, die dort, bereits schwanger, sich zur Ehe mit dem reichen Dionysios gezwungen sieht. Chaireas will seine Frau retten, gerät dabei aber selbst in Not. Bei der Gerichtsverhandlung vor dem Perserkönig Artaxerxes (vermutlich Artaxerxes II., 404-358 v. u. Z.) zur Klärung der Rechtslage bemüht sich der König selbst um die schöne Kallirhoe. Als ein Aufstand in Ägypten gegen den Großkönig ausbricht, kämpft Chaireas auf ägyptischer Seite. Nach dem Sieg gewinnt er Kallirhoe zurück, die sich unter der Beute befindet. Dem Dionysios wird das Kind anvertraut. Das Paar kehrt glücklich in die Heimat zurück. S t i 1 : Die schlichte, aber rhetorisch gekonnte Prosa mit vielen Zitaten und Anklängen aus Homer, der Komödie und der Historiographie (Herodot, Thukydides, Xenophon) unterstreichen den Anspruch Charitons als seriöser Berichterstatter. C h a r a k t e r i s t i k : Das historische Kolorit des 5. und 4· Jh. v. u. Z. liegt dem Roman zugrunde. Das demokratische Instrumentarium der Polis mit Ekklesia, Rat und Archonten und die Familie des Hermokrates, des Feldherrn der Syrakusaner im Kampf gegen die athenische Invasion vom Jahre 415 v. u. Z., spielen in diesem Roman eine erhebliche Rolle. Dadurch will Chariton unter Benutzung historiographischer Form- und Stilelemente, sozusagen authentisch berichtend, wie ein Historiker ernst genommen werden, wenn auch manches mehr spielerisch erscheint.13 Die geradlinige Handlung wird durch wechselndes Milieu (Räuberbande, Tod und Folter, Hof des Großkönigs), homerische Motive (Zorn der Aphrodite) und orientalische Sitten aufgelockert, spricht aber gerade für die relativ frühe Form des Romans. Dazu paßt auch das Auftreten des Erzählers im Gewande des Geschichtsschreibers. Denn er reflektiert, wertet und kommentiert wie ein solcher. Im Stil der dramatischen,r Literatur gestaltet der Autor die Gerichtsverhandlung. In den Roman einbezogen sind auch glänzend stilisierte Reden, Monologe und Briefe; ebenso fehlen Verse nicht. Textausgaben: W. E. Blake, Oxford 1938 (maßgebliche Ausgabe); G. Molinie, Paris 1979. Überset-zungen: K. Plepelits, Stuttgart 1976 (Bibliothek der griechischen Literatur 6) - Übersetzung C. W. Müller, Chariton und die Theorie des Romans, u8; Papanikolaou, Chariton-Studien, 161. Eine Eingrenzung um j.O v. u. Z. versucht A. Heiserman, The Novel before the Novel, ChicagoLondon 1980, 7l· 12 Die Roman-Forschung dieses Jahrhunderts ist damit zu einer völlig veränderten Auffassung über Chariton gekommen, als noch Altmeister Rohde, Griechischer Roman, 486 ff. (= ll7 ff.), angenommen hatte. 13 Zur poetischen Umsetzung der historischen Fakten vgl. Scarcel!a, Metastasi, der in Hermokrates den Garanten der Gesellschaft sieht, zugleich aber für die Fiktionalität des Romans plädiert.
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ÜBERSICHT ÜBER DIE ANTIKEN ROMANAUTOREN BZW. -WERKE und Kommentar; vgl. die Rezension von K. Treu, in: DLZ xoz, 1981, 173-175; W. E. Blake, London 1939; Chr. Lucke u. K.-H. Schäfer, mit einem Nachwort von H. Kuch, Leipzig 1985 (Reclam 1101). Literatur: F. Zinxmermann, Chariton und die Geschichte; R. Petri, Über den Roman des Chariton, Meisenheim 1963 (Beiträge zur klassischen Philologie u); A. D. Papanikolaou, Zur Sprache Charitons, Diss. Köln 1963; ders., Chariton-Studien; Hägg, Narrative Technique; ]. Helms, Character Portrayal in the Romance of Chariton, Den Haag-Paris 1966; Schmeling, Chariton; C. W. Müller, Chariton und die Theorie des Romans; E. A. Berkova, in: Anticnyj roman, 35- ~ i ; B. P. Reardon, Theme, Structure and Narrati~e in Chariton, in: Yale Classical Studies z8, 1982, 1-27; in diesem Band H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung, S. 28; ders., Punktionswandlungen des antiken Romans, S. 63 f.; 68 f.; K. Treu, Der Realitätsgehalt des antiken Romans, S. 107 ff.; ders., Der antike Roman und sein Publikum, S. 178 ff.; I. Stark, Strukturen des griechischen Abenteuer- und Liebesromans, S. 82 ff.; R. ]ohne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, S. 165 f.
Cbione-Roman
Die erhaltenen Fragmente, wohl aus dem r. Jh. v. u. Z., schildern die Geschichte der Prinzessin Chione, die wie Penelope von vielen Freiern bedrängt wird. Ein anderes Fragment behandelt einen Seesturm, also ein typisches Motiv der Liebesromane. Literatur: U. Wilcken, in: Archiv für Papyrusforschung 1, 1901, 255; F. Zinxmermann, Griechische Roman-Papyri und verwandte Texte, Heidelberg 1935 (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums und des Mittelalters, R. 3, H. 2); Chr. Lucke, Bemerkungen zu zwei Romanfragmenten (P. Berol. 10535 =Pack 22631 und P. Berol. 21234), in: Zs. für Papyrologie und Epigraphik 54, 1984, 41-47.- Vgl. in diesem Band Abb. 24.
Metiochos-Partbenope-Roman
In diesem fragmentarisch erhaltenen Roman, wohl aus dem I. Jh. v. u. Z. 1\ sind die Kinder prominenter, durch die Historiographie der klassischen Zeit überlieferter Persönlichkeiten zu Hauptfiguren geworden. Parthenope ist als Tochter des Polykrates von Samos bei Herodot bezeugt. 15 Metiochos wird als Sohn des Marathon-Siegers Miltiades vorgestellt. Damit wird auch in diesem Roman die historische Authentizität bewußt angestrebt. 16 Parthenope lehnt zunächst, wie aus den Zeugnissen hervorgeht, alle Freier ab, bis sie sich in Metiochos verliebt und die Hochzeit gefeiert wird. Die Entscheidung fällt bei einem Symposium mit dem Thema über das Wesen des Eros. Für die Beliebtheit dieses Romans sprechen Fußbodenmosaike des 2./3. Jh. u. Z. aus Antiochia17 (vgl. Abb. 17). f4
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Vgl. dazu A. Dihle, Zur Datierung des Metiochos-Romans, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaften N. F. 4, 1978, 47-5 5. Herodot 3, 124, z f.; 3. 39-60, 120-125. H. Maehler, 19, spricht direkt von einem .,historischen Roman". Vgl. dazu auch K. Treu, Roman und Geschichtsschreibung, in: Klio 66, 1984, 456-459. D. Levi, Antiach Mosaic Pavements, Princeton 1974, Bd. I, 117 ff.; Bd. 2, Taf. XX a-c. Neben dem Metiochos-Parthenope-Roman liegen auch vom Ninos-Roman malerische Szenen. vor, vgl. dazu die Interpretationsversuche von C. W. Müller, Der griechische Roman, 384 f. u. 390.
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Textausgabe: H. Maehler, Der Metiochos-Parthenope-Roman, in: Zs. für Papyrologie, und Epigraphik 23, 1976, I-2.0. Literatur: T. Hägg, The Parthenope Romance Decapitated?, in: Symbolae Osloenses ~9. 1984, 61-92.; dcrs., Metiochos at Polycrates' Court, in: Eranos 83, 198~, 92.-102..
Lucius Cornelius Sisenna
Der römische Politiker und Historiker wurde um I I 8 v. u. Z. geboren und machte seit dem Bundesgenossenkrieg schnell seine militärische und politische Karriere. Er galt als Anhänger Sullas und war mit Lucullus befreundet. Im Jahre 78 v. u. Z. hatte er die Prätur inne und setzte sich als Prokonsul von Sizilien 70 für Verres ein. Er starb im Jahre 67 in Kreta als Legat des Pompeius. Seine bedeutendste schriftstellerische Leistung war die auf eigenen Erfahrungen beruhende und von Sallust sowohl hochgeschätzte wie auch fortgesetzte Zeitgeschichte, "Historiae", in ursprünglich I2 oder 23 Büchern, die bis etwa So v. u. Z. reichte, aber nur in I40 Fragmenten vorliegt. Diese Fragmente lassen die romanhafte Tendenz Sisennas deutlich werden, 18 ebenso sind Einflüsse der hellenistischen Historiographie nachweisbar. Träume, Reden und Exkurse spielen eine große Rolle. Gewirkt hat L. Cornelius Sisen~a vor allem durch seine lateinische Übersetzung der pikant erotischen Novellen der "Milesiaka" des Aristeides von Milet. 19 Bemerkenswerterweise fand man im Gepäck eines bei Carrhae im Jahre 53 v. u. Z. im Kampf gegen die Parther beteiligten römischen Offiziers ein Exemplar dieser Übersetzung.w Textausgaben: Fragmente der "Historiae": HRR; Fragmente der "Milesiaka" in der PetroniusAusgabe von F. Buecheler u. W. Heraeus, 6. Auf!. Berlin 192.2.
Petron
Der Verfasser des Reise- und Abenteuerromans "Satyricon" oder "Satyrica"2\ der nur in, allerdings aufschlußreichen, Fragmenten erhalten ist, war ein Zeitgenosse Neros, Columellas und des jüngeren Seneca. T. (oder C.) Petronius wirkte als arbiter elegantiae, als "Schiedsrichter des feinen Geschmacks und der luxuriösen Lebensführung", am Kaiserhof in der unmittelbaren Umgebung Neros. Der gewandte Weltmann entstammte der senatorischen Gens Petronia, die im 1. Jh. u. Z. mit mehreren Konsuln hervorgetreten war. Er war auch im Staatsdienst tätig als Prokonsul der kleinasiatischen Provinz Pontus et Bithynia und als Suffektkonsul. K. F. C. Rose22 hat neuerdings wieder gute Gründe für eine Identifizierung des Nach dem Zeugnis Ciceros (De legibus I, 7) orientierte sich Sisenna an Kleitarchos' Alexandergeschichte, die dem antiken Roman sehr nahesteht. 19 Vgl. Ovid, Tristia 2, 443 f.; K. Treu, Der antike Roman und sein: Publikum, in diesem Band S. 178 ff.; R. ]ohne über Aristeides von Milet, in diesem Kapitel S. 203. 20 Plutarch, Crassus 32., bezeugt diese Tatsache. 21 Zur Frage des Titels wie für die Gesamtproblematik Petrons überhaupt vgl. H. van Thiel, Petron. Überlieferung und Rekonstruktion, Leiden 1971, sowie I. P. Strel'nikova, Petrons satirischer Roman, in diesem BandS. u6-I34· 22 K. F. C. Rose, The Date and Author of the Satyricon, Leiden 1971, 38-~9. Ebenso Hägg, Eros 18
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Romanautors mit dem Senator T. Petronius Niger beigebracht, der Suffektkonsul unter Nero am Anfang der 6oer Jahre gewesen ist. Wie Seneca und Lucan wurde auch Petron mit in den Strudel der Pisanischen Verschwörung[ hineingezogen. Im Jahre 66 u. Z. wurde er von dem einflußreichen, intriganten Prätorianerpräfekten Ofonius Tigellinus zum Selbstmord gezwungen (Tacitus, Annalen 16, 18, 1-16, 19, 3). In h a 1t : Das Gesamtwerk "Satyrica" von ursprünglich wohl 16 Büchern trägt Züge des Abenteuer- wie des Reiseromans, hat jedenfalls aber auch satirisch-parodistischen Charakter, da der Hauptheld Encolpius vom Zorn des Gottes Priapus so umhergetrieben wird wie! Odysseus vom Zorn des Poseidon, als dessen Karikatur- und Zerrbild Encolpius teilweise dargestellt wird. Von der Gesamtheit liegen nur das 15· und 16. Buch vor; aus diesen ist aber der Inhalt einigermaßen erschließbar: Encolpius - wohl ein römischer Bürger (civis Romanus) - berichtet seine Abenteuer vorwiegend erotischer Natur selbst. Er ist ein gebildeter junger Mann, für Kunst und Literatur interessiert, durch seine Verarmung und Mittellosigkeit aber etwas haltlos geworden und öfter mit den Gesetzen in Konflikt geraten, zum Schluß aber wahrscheinlich wieder in die Gesellschaft eingegliedert. Schauplätze sind u. a. Massalia, eine kampanische Stadt und Kroton in Unteritalien. Mit seinem Liebling Giton schlägt sich der Held durchs Leben. Sie treffen weitere Personen wie Ascyltus, meist wohl Freigelassene, werden in einen Prozeß verwickelt, streiten sich und sind auf die gleichen Knaben und leichten Mädchen eifersüchtig. Der Höhepunkt in jeder Beziehung ist aber die Cena Trimalchionis, das "Gastmahl des Trimalchio". Dieses Gastmahl ist ein fast vollständig erhaltenes, in der lateinischen Literatur singuläres Meisterwerk parodistischer Romankunst. Als Glanzszene im Gesamtwerk ist die Milieuschilderung einer süditalischen Kleinstadt aus neronischer Zeit realistisch und schonungslos. Der steinreiche Emporkömmling Trimalchio, ein ehemaliger Sklave aus Kleinasien, gibt eine Gesellschaft und protzt mit seinem Reichtum und seiner Pseudo-Bildung in immer neuen Varianten. Dagegen verblassen die Szenen mit dem eitlen Dichter Eumolpus und ein Schiffbruch auf der Reise nach Kroton. Den Schluß der Abenteuer-Serie bildet ein raffiniert angelegter Erbschleicher-Coup. S t i 1 : In Poesie und Prosa ist der Verfasser gleichermaßen souverän, in der Kunst der Charakterzeichnung, besonders in der Cena, unübertrefflich. Parodie und Satire, aber auch bittere Kritik an· der morbiden Gesellschaft seiner Zeit sind hier mit Literaturkritik vereint. Das Sprachniveau der verschiedenen Personen und die unterschiedlichsten literarischen Gattungs- und Stilformen beherrscht Petron völlig: das gebildete Umgangslatein, daneben die Vulgärsprache der unteren Schichten und Freigelassenen, Stilproben des epischen Vortrages, Zitate und literarische Anspielungen, Vers-Einlagen nach Art der Menippeischen Satire. Er ist bedingt eine Quelle für das Vulgärlatein wie für den Wunder- und Aberglauben seiner Zeit. C h a r a k t er i s t i k : Neben dem epischen Zorn-Motiv ist der Roman des Petron eine Parodie auf den Liebesroman: Anstelle der Geliebten steht hier der noch dazu ungetreue Liebling Giton. Exkurse wie die Diskussion um den Verfall der Rhetorik, der dem verund Tyche, 2.04. Dagegen setzte sich u. a. noch E. V. Marmoreale, La questione petroniana, Bari 1948, für eine Spätdatierung des Romans ein und sprach sich damit auch gegen die Identität mit dem berühmten Petron aus.- Zu Petron in Neronischer Zeit: E. Ratti, L'eta di Nerone e la storia di Roma nell' opera di Petronio, Bologna 1978; H. Schnur, The Age of Petronius Arbiter, Diss. New York 1957:
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bildeten Geschmack des Publikums zur Last gelegt wurde und wohl ernst gemeint sein dürfte, sind vorhanden. Damit werden Strukturelemente der Satire in die des Romans gekonnt eingegliedert. Berühmt geworden in der Weltliteratur ist die Novelle von der treulosen Witwe von Ephesos23 oder die Erzählung vom Werwolf. Zwei weitere rhetorische Kabinettstücke sind die Beschreibung eines Gemäldes über die "Eroberung Trojas" und die Deklamation eines Gedichtes über das "Bellum civile" in Hexametern (wohl eine Parodie auf Lucans Epos "Pharsalia").24 Ü b e r 1 i e f e r u n g u n d N a c h w i r k u n g : Die Handschrift der Fragmente stammt aus dem 9· Jh.; die Cena wurde erst um 1650 aufgefunden, und x664 erschien in Padua die Editio princeps (vgl. in diesem Band Abb. 38). Eine deutsche Nachgestaltung erfolgte 1773 von W. Heinse. An deutschen Fürstenhöfen wurde Cena dramatisch aufgeführt, 1702 beim Kurfürsten von Hannover, xjp am Hofe Friedrichs II. von Preußen. 25 Textausgaben: K. Müller u. W. Ehlers, 3· Aufl. München 1983 (mit deutscher Übersetzung). A. Ernout, 6. Auf!. Paris 1967 (mit französischer Übersetzung und Einführung). Oberset:umgen: W. Heinse, überarbeitet von E. G. Schmidt, Leipzig 196z (Reclam z616); W. Krenkel, Römische Satiren, 3· Aufl. Berlin-Weimar 1984, 229-318; F. Tech, 4· Aufl. Berlin-Weimar 1984 (bb); K. Müller u. W. Ehlers, Satyrica/ Schelmengeschichten (lateinisch-deutsch), 3· Auf!. München 1983; V. Ebersbach, Satyrgeschichten. Übertragung, Anmerkungen und Essay "Petronius oder ein Streit über Geschmacksfragen", Leipzig 1984 (Reclam 1041). Gesamt-Kommentare: P. Burman, Utrecht 1709 (noch nicht überholt); E. Paratore, z Bde., Florenz 1933; C. Pellegrino, Roma 19n; M. S. Smith, Oxford 197,. Kommentare ver Cena: L. Friedländer. Leipzig 1906, z. Aufl. I96o; A. Maiuri, Napoli I945; M. S. Smith, Oxford 1975. Bibliographie: G. Schmeling u. J. H. Stuckey, A Bibliography of Petronius, Leiden I977; M. S. Smith, A Bibliography of P. (I945-I98z), in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt, hrsg. von H. Temporini und W. Haase, Berlin (West)-New York 1985, Bd. z (p, 3), I6z4-1665; Petronian Society Newsletter, hrsg. von G. Schmeling, Department of Classics, University of Florida, Gainsville (Bibliographie, Besprechungen und Einzelbeiträge), seit 1981. Literatur :t.ur Person: Zur gens Petronia: Prosopographia Imperii Romani, I. Aufl. Berlin I897/98, P 197-I98; C. (aut T.) Petronius Arbiter: P zo1; W. Kroll, in: RE I9, I, I937, s. v. Petronius, IZOI f.; zum Werk ebenda uoz-12I4; G. Bagnani, Arbiter of Elegance, Toronto I9S4: 0. Raith, Petronius. Ein Epikureer, Nürnberg 1963 (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft I4); I. Achatz, Petrons Satire als Spiegel zeitgenössischer, literarischer und sozialer Ereignisse im I. Jh., Diss. Wien 196s; H. D. Rankin, On Tacitus' Biography of Petronius, in: Classica et Mediaevalia 26, I96h 233-z4'; V. Ebersbach, Petrons Stellung zu den sozialen Kräften der frühen Kaiserzeit, :Diss. Jena 1967; K. F. C. Rose, The Date and Author of the Satyricon, Leiden I971. Zum Stil: Lexicon Petronianum, comp. I. Segebade u. E. Lommatzsch, Leipzig I898; A. Marbach, Wortbildung, Wortwahl und Wortbedeutung als Mittel der Charakterzeichnung bei Petron, Diss. Gießen I931; H. Stubbe, E. Grisebach, Die Wandlung der Novelle von der treulosen Witwe durch die Weltliteratur, Berlin 1986; zuletzt dazu C. W. Müller, Die Witwe von Ephesos - Petrons Novelle und die ,Milesiaka' des Aristeides, in: Antike und Abendland z6, 1980, 103-12I. 24 Dazu P. A. George, Petronius and Lucan ,De Bello Civili', in: Classical Quarterly 68, I974, 119-IH; P. Grimal, La Guerra Civile dd Petrone dans ses rapports avec la Pharsale, Paris 1977. - Nach anderen Forschungen wie von R. Häußler könnte es sich hier auch um eine Kritik Petrons an den Lucan-Kritikem handeln. 25 Für das Nachleben Petrons in Frankreich vgl. G. Berger, Galanterie und Hofsatire: Petron und seine Übersetzer im Ancien Regime, in: Komparatistische Hefte, Universität Bayreuth 4, 1981, 23
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ÜBERSICHT ÜBER DIE ANTIKEN ROMANAUTOREN BZW. -WERKE Die Verseinlagen im Petron, Leipzig I9H; A. Stefenelli, Die Volkssprache im Werk des Petron im Hinblick auf die romanischen Sprachen, Wien-Stuttgart I 96.1; C. Stöcker, Humor bei Petron, Diss. Erlangen I969; A. Dell'Era, Problemi di lingua e stilein Petronio, Roma I970; H. D. Ranldn, Petronius the Artist. Essays on the Satyricon and Its Author, The Hague I971; H. Petersmann, Petrons urbane Prosa. Untersuchungen zu Sprache und Text, Sitzungsberichte der Oesterreich. AdW, Phil.hist. KI. 3.13, 1977; W. Kißel, Petrons Kritik der Rhetorik (Sat. I-J), in: Rheinisches Museum 1.11, I978, 3II-p.8. Zum Werk: R. Heinze, Petron und dec griechische Roman, in: Hermes 34, I899, 494-519 (= Vom Geist des Römertums, 4· Auf!. Darmstadt I972., 417-439); E. Courtney, Parody and Literary. Allusion in Menippean Satire, in: Philologus 106, 1962., 86-Ioo; B. E. Perry, Petronius and His Satyricon, in: ders., The Ancient Romances, 186-.1Io; J.-P. Sullivan, The Satyricon of Petran. A Literary Study, London 1968; I. P. Strel'nikova, in: Anticnyj romao, .173-331; dies., Petrens satirischer Roman, in diesem Band S. u6-134; A. Scobie, Aspccts of the Ancient Romance and lts Heritage. Essays on Apuleius, Petronius and the Greek Romances, Meisenheim am Glan I969 (Beiträge zur Klassischen Philologie 30); U. Knoche, Die römische Satire, Göttingen 1948, 3· Auf!. I971, 68-79; P. Parsons, A Greek Satyricon?, in: Bulletin of the Institute of Classical Studies I8, 1971, 53-68 (Eigenständigkeit Petrons betont); F. M. Fröhlke, Petron. Struktur und Wirklichkeit. Bausteine zu einer Poetik des antiken Romans, Frankfurt a. M.- Bem 1977 (Europäische Hochschulschriften XV 10); P. Garnsey, Independent Freedman and the Economy of Roman ltaly uoder the Principate, in: Klio 63, 1981, 359-371; R. Beck, The Satyricon: Satire, Narrator, and Antccedents, in: Museum Helveticum 39, 1982., .1o6-z14; R. Johnc, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem BandS. I72.-175.
Iolaos-Fragment Ein Papyrus-Fragment (Pap. Ox. ~010) aus dem I. (oder 2.) Jh. u. Z. scheint zu beweisen, daß Petrons "Satyrica" in gewisser Weise auf griechische Vorbilder zurückgreifen konnte, ohne daß seine Selbständigkeit und Originalität in Zweifel zu ziehen wären. Textausgabe: Tbc Oxyrhynchus Papyri z, London I974· Oberset-:r.ung: Kytzler, Bd. .1, 737· Literatur: P. Parsons, A Greek Satyricon?, in: Bulletin of the Institute of Classical Studies I8, 1971, H-68; dazu R. Merkelbach, in: Zs. für Papyrologie und Epigraphik II, 1973, 8I-IOo.
Aisopos-Roman Die griechische Biographie des berühmten Fabeldichters Aisopas (Asop) ist, mit zusätzlichen Legenden, Schwänken und Abenteuern erst später versehen, im 6. Jh. v. u. Z. entstanden. Die Endfassung ist wohl im I. Jh. u. Z. in Agypten erfolgt. Ursprünglich waren in diesem romanhaften Unterhaltungsbuch auch die Fabeln enthalten. Asop war nach diesem Roman als Thraker (oder Phryger) ein Sklave bei dem Philosophieprofessor Xanthos, dem er geistig überlegen war. Seine Ermordung durch die Delpher entspricht der üblichen Legende. 26 Beigefügt ist u. a. eine Episode von Asops Aufenthalt bei dem König von Babylon. Diese Episode geht auf den Achiqar-Roman27 26
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Die früheste Überlieferung der volkstümlichen Biographie des Aisopas ist bei Herodot (.1, I, 34) greifbar. Achiqar war der Kanzler des Assyrerkönigs Sanherib. Der Achiqar-Roman ist eine bunte Sammlung von Geschichten, Fabeln und Märchen, der in viele Sprachen übersetzt wurde. Kuch
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aus Babyion zurück. Besonders ausgearbeitet ist der Romananfang, in dem die Göttin Isis zusammen mit den Musen dem stummen Asop die Fähigkeit zum Sprechen verleiht. 28 Eine Eigentümlichkeit des Romans ist auch die ·Feindschaft Apollons gegen Asop. In zwei Sammlungen Aisopischer Fabeln, in der Collectio Augustana und der Collectio Vindobonensis, ist je eine Romanfassung erhalten. Textausgabe: B. E. Perry, Aesopica I, Illinois 1952, 3 s-77. Oberset'Q4ng: L. W. Daly, Aesop without Morals, New York-London 1961. Literatur: B. E. Perry, Studies in the Text, History of the Life and Fahles of Aisopos, Haverford 1 936 ; F. R. Adrados, The Life of Aesop and the Origins of the N ovel in Antiquity, in: Quaderni urbinati di cultura classica 30, 1979, H-II2.
Antonios Diogenes
Der griechische Romanautor, wohl vom Ende des I. Jh. u. Z. (aber auch das 2. Jh. u. Z. ist möglich), ist der Verfasser einer Sammlung phantastischer Erzählungen, der "Wunderdinge jenseits von Thule" in ursprünglich 24 Büchern (Ta hyper Thulen apista). Der Roman muß vor I Sou. Z. entstanden sein, als Lukian seine Parodie dazu schrieb. 29 Zugrunde zu liegen scheint für einige Episoden eine ägyptische Fabel, die mit Elementen aus dem griechischen Liebesroman und Mysterientexten kontaminiert wurde. Erhalten ist der Roman nur auszugsweise in der "Bibliothek" des Photios (cod. I66, p. 109 a-n2 a) und in der Pythagoras-Vita des Porphyrios (ro-14; 32-36; 44). 30 I n h a I t : Die Erlebnisse des Geschwisterpaares Derkyllis und Mantinias aus Tyros und des Arkaders Deinias, des Liebhabers der Derkyllis und des Erzählers des Ganzen, sind eine Mischung aus Reisebericht, Liebesgeschichte und Abenteuer. Die selbst aus den Fragmenten ersichtliche Erzählung von Tod und Hadesfahrt, von Liebe und Flucht, Reise bis zum Mond, Auferweckung der durch Magie in Todesschlaf versetzten Personen und endlicher Erlösung ist von Merkelbach als Symbolisierung der Schicksale der menschlichen Seele gedeutet worden, im Sinne der Wiederbelebung der pythagoreischen Lehre im I. Jh. u. Z. 31 Wegen oder trotz der Parodie des Romans in Lukians Schrif~ "Wahre Geschichte" war er beliebt bis zum 4· und 5. Jh. u. Z. C h a r a k t er i s t i k : Durch den komplizierten Aufbau des Romans über drei Stufen der Rahmenerzählung (Brief an eine leidenschaftliche Romanleserio über den Fund eines Kästchens mit Aufzeichnungen in einem Grab in Tyros - Fundgeschichte - Erle.bni"sbericht des Deinias und die nächtlichen Erzählungen der am Tage in einen Todeszauber gebannten Derkyllis) erhebt der Autor einen gewissen literarischen Anspruch, den später Boccaccio meisterhaft beherrschen sollte. Dieser drückt sich bereits im Proömium mit der Widmung an einen Faustinos aus, in dem der Autor zu seinem Werk, speziell zu Nach dem Pap. Berlin u628 ist diese Episode erst um zoo u. Z., eingefügt. Dieser Papyrus macht auch die ägyptisierende Tendenz des Romans deutlich. 29 So Reyhl in seiner Diss. von 1969 (vgl. die Literaturangaben). 30 H. Jäger, Die Quellen des Porphyrios in seiner Pythagorasbiographie, Diss. Zürich 1919, 36 ff. at Merkelbach, Roman und Mysterium, 22.5-233. 28
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den paradoxagraphischen Teilen, Stellung bezieht. Nicht nur in der Buchzahl (z4) soll an die Irrfahrten des Odysseus gedacht werden, sondern auch in der Erzähltechnik der Retrospektive, weil sich der Verfasser als Nachfolger des alten Epos verstehen will. Fragmente: Auszüge bei Photios: Bibliotheque, Bd. 2 (Codices 84-I8S), Text und Übersetzung von R. Henry, Paris 1960, 140-149. Oberlieferung: Kytzler, Bd. 2, 688-696 (zu Photios); H. Maehler, ebenda, 7J8 f. (zu Papyri). Literatur: K. Bürger, Studien zur Geschichte des griechischen Romans, Tei12: Die literaturgeschichtliche Stellung des Antonios Diagenes und der Historia Apollonü, Programm Blankenburg I903; F. Zimmermann, Die "ArnO"rcc des Antonios Diagenes im Lichte des neuen Fundes, in: Hermes.7I, I936, 312-319 (über PSI II77 = Nr. IO Zimmermann); K. Reyhl, Antonios Diogenes. Untersuchungen zu dem Roman und Fragmenten der "Wunder jenseits von ThuJe" und zu den "Wahren Geschichten" des Lukian, Diss. Tübingen I 969; W. Fauth, Zur kompositorischen Anlage und zur Typik der Apista des Antonios Diogenes, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft N. F. 4, I978, n-68; ders., Astraios und Zamolxis. Über Spuren pythagoreischer Aretalogie im ThuJeRoman des Antonios Diogenes, in: Hermes Io6, I978, 220-241. Zum Nachwirken: D. Weissert, Cervantes und Antonios Diogenes, in: Arcadia 2, 1967, I-Io; T. I. Kuznecova, in: Anticnyj roman, I 57-I70.
Lukianos von Samosata ( Kommagene) Der berühmte griechisch schreibende Schriftsteller und1 Satiriker war von Geburt ein Syrer. Um 120 u. Z. geboren, war er zunächst mit wenig Begeisterung Bildhauerlehrling, erlernte dann exzellent Griechisch und besuchte die Rhetorenschule. Als erfolgreicher Wanderredner bereiste er Griechenland, Italien und Gallien. Längere Zeit lebte er in Athen und interessierte sich hier für die verschiedenen philosophischen Richtungen. Seine Lobreden auf den Kaiser Ludus Verus in Antiochia und auf hohe römische Beamte brachten ihm am Ende seines Lebensl nur einen Verwaltungsposten als Kanzleichef beim Statthalter von Agypten ein. Nach 1 Sou. Z. ist er gestorben. W e r k : Lukian hat ein sehr reiches, weit nachwirkendes und vielseitiges Schrifttum hinterlassen; auch Unechtes ist ihm unterschoben worden. 32 In seiner .,Wahren Geschichte" (Alethes historia) in zwei Büchern parodiert er die zeitgenössischen, so beliebten Abenteuerromane mit den utopischen Vorstellungen und Wundererzählungen, besonders aber Antonios Diogenes. 33 Lukian schildert eine abenteuerliche Reise zum Mond und zu den Gestirnen. Er gelangt in den Bauch eines ungeheuren Fisches und rettet sich daraus wieder, schließlich wird er selbst auf die Insel der Seligen und den Ort der Verdammten verschlagen, zuletzt in das Land jenseits des Ozeans. Textausgaben: C. Jacobitz, Leipzig I836-I84I (Nachdruck Hildesheim I966); Alethes historia: C. S. Jerrom, 2. Auf!. Oxford I88o (Nachdruck 196·2); F. Ollier, Paris 1962. Oberset:(.ungen: Auswahl: J. Wemer, Berlin-Leipzig I963; Werke in 3 Bänden, Berlin-Weimar I974 (die klassische deutsche Übersetzung von Chr. M. Wieland 1788/89), Bd. 2, 30I..:.349; Kytzler, Bd. 2, 6u-66J. Literatur: Rohde, Griechischer Roman, 191-193; A. Peretti, Luciano. Un intellettuale Greco contro Roma, Firenze 1946; J. Bompaire, Luden ecrivain. Imitation et creation, Paris I9S8, bes. 6jS-6n; 32
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Über den griechischen Eselsroman vgl. in diesem KapitelS. 212 zu Lukios von Patrai. Vgl. in diesem Kap. S. 2IO f.
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I. Trencseoyi-Waldapfel, Die Umwelt Lukians, in: ders., Untersuchungen zur Religionsgeschichte, Budapest 1966, 384-402.; B. Baldwio, Studies in Lucian, Toronto 1973; G. Andersoo, Luciao. Theme and Variation in the Secood Sophistic, Leideo 1976.
Lukios von Patrai
Lukios heißt der Held, vielleicht auch der Verfasser eines verlorenen griechischen Roman51 .,Metamorph6seis" (Verwandlungen) mit den Abenteuern des jungen Lukios, der durch Zauber in einen Esel verwandelt wird. Der Roman,34 der im 2. Jh. u. Z. entstanden sein dürfte und nur in einer griechischen Kurzfassung erhalten ist, wird deshalb auch "Eselsroman" genannt. Diese Epitome "Lukios oder Der Esel" (Lukios e 6nos) ist unter den Werken des Lukian von Samosata überliefert (Pseudo-Lukian). Im Kern geht Apuleius' Werk auf diesen Stoff zurück. Erst durch den Römer aber wurde der Roman weltberühmt. I n h a 1 t : Der vermeintliche Esel wird geraubt, verkauft, soll geschlachtet werden, muß im Theater in einer Dressurszene auftreten und noch anderes erleiden, ehe er wieder erlöst und zum Menschen zurückverwandelt wird. Textausgaben und Oberset:r_ungen: Lukiao-Ausgabe von C. jacobitz, Bd. 2., Leipzig 1873; E. Brandt u. W. Ehlers, Apuleius, Der Goldene Esel, 3· Aufl. München 1980 (mit Übersetzung); Abenteuer eines Esels oder die Verwandlung des Lukios. Der griechische Eselsromao, rekonstruiert, übersetzt u. erläutert von H. vao Thiel, München 1972.; ders., Der Eselsroman, 2. Bde., München 1971 (Zetemata 54); ]. Wemer, Lukiao, Bd. z, 350-367; Kytzler, Bd. z, n9-619. Literatur: B. E. Perry, The Metamorphoses Ascribed to Lucius of Patrai, Diss. Prioceton Uoiversity 192.0; K. Bürger, Studien zur Geschichte des griechischen Romans, Teill: Der Lukiosroman und seine literaturgeschichtliche Bedeutung, Programm Blankenburg a. H. 1902.; G. Anderson, Studies in Luciao's Comic Fictioo, Leideo 1976 (Mnemosyne Suppl. 43); B. Elfe, Der mißglückte Selbstmord des Aristomenes (Apul. Met. 1, 14-17). Zur Romanparodie im griechischen Eselsroman, in: Hermes 104, 1976, 36Z-H5·
Apuleius
Der römische Schriftsteller Ludus(?) Apuleius Madaurensis Platonicus35 wurde in Madaura (Numidien) um 12 5 u. Z. geboren. Durch das Studium der Rhetorik in Karthago und• der Philosophie, besonders des mystischen Platonismus, in Athen war 34
Das verlorene griechische Original lag dem Patriarchen Photios im 9· jh. noch vor (Photios, Bibliotheke 129). Dazu auch: A. Lesky, Der Esels-Roman, in: Hermes 76, 1941, 43-74. Nach H. van Thiel, Der Eselsromao, Bd. 1-2., München 1971 (Zetemata 54, I u. z), ist Flavius Phoenix oder Flavius Phylax von Hypata der Autor. des Originalromaos, ein Konkurrent des Herades Atticus unter Kaiser Hadriao. Diese These ist nicht unwidersprochen geblieben. - Wie schon Perry, Ancieot Romances, ZII-ZI4, tritt auch neuerdings N. Holzberg, Apuleius und der Verfasser des griechischen Eselsromans, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft N. F. 10, 1984, · I6I-I77. wieder mit guten Gründen für Lukiao als Verfasser dieses griechischen Eselsromans ein; ebenso B. Kytzler, in: Im Reiche des Eros, Bd. z, München 1983, n7 f. ~ So nennt er sich selbst in der "Apologia" 9, 10.
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er vielseitig gebildet und beherrschte die lateinische, griechische und punische Sprache. Während seiner vielen Reisen ließ er sich in mehrere Mysterienkulte einweihen. Er war für einige Zeit in Rom als Anwalt und Rhetor tätig, kehrte aber nach Afrika zurück. Wegen seiner Heirat mit der reichen Witwe Aemilia Pudentilla mußte er sich, von deren Verwandten angeklagt, gegen den Vorwurf der Zauberei q8 u. Z. verteidigen. Er errang einen glänzenden Freispruch, wie er in seiner "Apologie" bezeugt. In Karthago versah er im Kaiserkult das Amt! eines Provinzialpriesters (sacerdos provinciae) und war damit einer der führenden Mitglieder des Provinziallandtages von Africa proconsularis.36 Sein Todesjahr ist unbekannt, liegt sicher aber nach I6:z u. Z. Werk : Apuleius hinterließ als hervorragender Vertreter der Zweiten Sophistik ein umfangreiches Werk. Neben den rhetorischen Schriften (u. a. "Apologie", "Florida") und philosophischen Abhandlungen (über Sokrates' Daimonion, über Platon und seine Philosophie) ist sein bedeutendstes Werk zweifellos der Roman in I I Büchern über den "Goldenen Esel" oder die "Metamorphoses" (Metamorphosen, Verwandlungen). Der Roman dürfte um I6o verfaßt sein. Apuleius benutzte dabei die griechische Vorlage "Lukios oder Der Esel", die dem Patriarchen Photios im 9· Jh. noch im Original vorgelegen haben soll. 37 Erhalten hat sich nur eine griechische Epitome, die unter den Schriften Lukians von Samosata überliefert ist (Pseudo-Lukian). I n h a 1 t : In der Form einer Ich-Erzählung werden die Erlebnisse und Leiden eines Ludus aus Korinth geschildert. Der neugierige und; liebestolle Held wird auf einer Geschäftsreise durch Thessalien verzaubert und in einen Esel verwandelt, behält aber sein menschliches Denken und Fühlen bei. Apuleius' bedient sich hier des Mittels der außermenschlichen Erzählperspektive, eines genrespezifischen Mittels der Satire überhaupt. Der Esel = Ludus wird geraubt, verkauft, mißhandelt, und er durchlebt viele Abenteuer und Leiden in fast allen Schichten der römischen Kaiserzeit. Damit wird in satirischer Verzerrung ein zeitgenössisches Sittengemälde voller Realistik gegeben. 38 Selbst der Humor fehlt nicht, wie die häufigen Selbstreflexionen des Esels durchblicken lassen. Das II. Buch hebt sich in Anlage, Stil und Inhalt vom übrigen Werk ab: Es bietet die Rückverwandlung des Helden, der sich zum Dank für die Erlösung in die IsisMysterien einweihen läßt. Damit scheint eine religionsgeschichtliche Deutung gegeben: Der Handlung, d. h. den Abenteuern des Esels, soll ein Hintersinn zugrunde liegen. Nach dieser Deutung wird der irrende, sozusagen vertierte Mensch erst nach Leiden und Prüfungen erlöst und in die Mysterien eingeführt.39 Da Apuleius dem mittleren Platonismus nahestand, ist dessen Einfluß im I I. Buch nicht ohne weiteres zu negieren, obwohl sich gerade hierüber die Forscher noch immer nicht einig sind.40 C h a r a k t e r i s t i k u n d N a c h w i r k u n g : In diesem Roman sind ganz heterogene Elemente voll unerschöpflicher Phantasie zu einer Einheit verschmolzen, die ihn mit Recht als Weltliteratur klassifiziert. Hexen-, Spuk-, Räuber- und Liebesgeschichten unter36 Vgl. Apuleius,1 Florida I6, 73, und dazu J. Deininger, Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit, München I96s (Vestigia 6), IH f. 37
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Zu Lulc:ios von Patrai in diesem KapitelS. :zu. Dazu K. Treu, Zum Realitätsgehalt des antiken Romans, in diesem Band S. I 14 f. Gegen Merkelbach, Roman und Mysterium, vgl. I. Stark, Religiöse und weltanschauliche Elemente im antiken Roman, in diesem Band S. I 3s fl. C. Moreschini, Apuleio eil platonismo, Firenze I978.
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schiedliebster Art41 deuten auf die Berührung mit der fabula Milesia. Doch daneben stehen religiöse Szenen und Autobiographisches - beides besonders im u. Buch. Neben Novellen und der Karikatur typischer Romanmotive findet sich hier das einzige Märchen der Antike, das von Amor und Psyche (4, 28-6, 24). Als ein glanzvolles Kabinettstück hat es auf die Kunst sehr nachhaltig gewirkt, u. a. auf Raffael, Tizian, Rubens, Canova und Thorwaldsen. Viele Nachdichtungen und Übersetzungen sowie musikalische Bearbeitungen sind darüber entstanden (vgl. in diesem Band Abb. 35 und 37). Insgesamt aber ist der Roman des Apuleius weder ein Mysterientext, wie Merkelbach meint, auch kein (persönlicher) Entwicklungsroman im modernen Sinne oder gar eine Bekehrungsschrift zum Isiskult, sondern es liegt hier eine gelungene Mischform vor: ein Unterhaltungsroman mit stark satirischer und erotischer Prägung, in den ein Novellenkranz eingeflochten ist. In Boccaccios "Decamerone" sind viele Novellen aus Apuleius eingeflossen. Der "Goldene Esel" diente auch als Vorbild für die sog. Schelmenromane des Renaissance-Humanismus und des Barock.42 Einflüsse auf die Volksbuchliteratur und auch auf europäische Erziehungsromane sind ebenfalls anzunehmen. Apuleius ist als Stilist ein Meister der wohlabgewogenen und lebendigen Sprache.43 Er ist insgesamt dem Asianismus verpflichtet, versteht es aber gekonnt, die Sprachweise je nach den handelnden Personen zu variieren. Textausgaben und Obersetzung (Metamorphosen): R. Helm, 7· Aufl. Berlin I978 (SQAW I); E. Brandt u. W. Ehlers, 3· Aufl. München I98o; Kytzler, Bd. z, 336-nl· . Kommentar: A. Scobie, Meisenheim am Glan I97l (Beiträge zur klassischen Philologie j4). Text, Kommentar und Oberset:zung (Amor und Psyche): R. Jachmann u. E. G. Schmidt, 3· Aufl. Leipzig I97Z (Reclam 486); P. Barie u. K. Eyslein, Freiburg I983 (Reihe Fructus). Literatur zu Person und Werk: Perry; The Ancient Romances, z36-z8z; A. Wlosok, Zur Einheit der Metamorphosen des Apuleius, in: Philologus I I 3, I 969, 68-84; H. Riefstahl, Der Roman des Apuleius. Ein Beitrag zur Romantheorie, Frankfurt a. M. I938 (Frankfurter Studien zur Religion und Kultur der Antike Ij); I. P. Strel'nikova, in: Antienyj roman, 332-364; P. G. Walsh, The Roman Novel. The "Satyricon" of Petronius and the "Metamorphoses" of Apuleius, Cambridge I970; R. Th. vaO: der Paardt, Aspects of Apuleius' Golden Ass, Groningen I978; ]. Tatum, Apuleius and the Golden Ass, lthaca-London I979; F. Miliar,' The World of the Golden Ass, in: The Journal of Roman Studies 7I, I98I, 63-7j; A. Scobie, Eselsmensch, in: Enzyklopädie des Märchens, Berlin (West) I983, Bd. 4, Lieferung z/3, hrsg. von K. Ranke, 44l-4jZ. Zum Stil: P. Junghanns, Die Erzählungstechnik von Apuleius' Metamorphosen und ihrer Vorlage, Leipzig I93Z; K. Dowda, Apuleius and the Art of Narration, in: Classical Quarterly p, I98z, 4I9-43i· Zum II. Buch: M. Dibelius, Di~ Isisweihe bei Apuleius und verwandte lnitiationsriten, Heidelberg 19I7; W. Wittmann, Das Isisbuch des Apuleius, Stuttgart 1938; L. Vidman, Isis und Sarapis bei den Griechen und Römern. Epigraphische Studien zur Verbreitung und zu den Trägern des ägyptischen Kultes, Berlin (West) I970 (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 29). R. E. Witt, Isis in the Graeco-Roman World, London-Southampton I971; Ch. Harrauer, Kommentar zum Isisbuch des Apuleius, Diss. 11
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Hexengeschichten (I, 6-I9, zx-3o); Räubergeschichten (4, 9-ZI); Ehebruchsnovellen (9, 14-z8) sowie verschiedene Novellen um den sich lächerlich machenden Galan. Vgl. dazu die Angaben zum Nachwirken und speziell zum spanischen Schelmenroman bei M. Walter, in: Realismus in der Renaissance. Aneignung der Welt in der erzählenden Prosa, hrsg. von R. Weimann, Berlin-Weimar 1977, jZz-6zi. Die Autorirr vermeidet es allerdings, auf die antike Komponente direkt einzugehen. Zu den Typen und zur Ludus-Gestalt selbst vgl. R. Johne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem BandS. I jZ f.; I7j-I77.
ÜBERSICHT ÜBER DIE ANTIKEN ROMANAUTOREN BZW. -WERKE Wien 1973· Zu Amor und Psyche: R. Reitzenstein, Das Märchen von Amor und Psyche bei Apuleius, Berlin 1911; W. Woeller, Der Märchentyp von Amor und Psyche und die Gestalt des Tierbräutigams, in: Das Altertum 9, 1963, 97-105; D. Fehling, Amor und Psyche: Die Schöpfung des Apuleius und ihre Einwirkung auf das Märchen, eine Kritik der romantischen Märchentheorie, Mainz 1977 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abh. der Geistes- und sozialwissenschaftliehen Kl. 1977, Nr. 9). Zum Nachwirken: H. Blümmer, Das Märchen von Amor und Psyche in der deutschen Dichtkunst, in: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum II, 1903. 648-673; E. H. Haight, Apuleius and His lnfluence, New York 1917; H. Rüdiger, Curiositas und Magie. Apuleius un~ 'Ludus als literarische Archetypen der Faustgestalt, in: Wort und Text. Festschrift F. Schalk, Frankfurt a. M. 1963; A. Scobie, Aspects of the Ancient Romance and Its Heritage. Essays on Apuleius, Petronius and the Greek Romance, Meisenheim am Glan 1969 (Beiträge zur klassischen Philologie 30); ders., More Essays on the Ancient Romance and Its Heritage, Meisenheim am Glan 1973 (Reifräge zur klassischen Philologie 46).
Lollianos
Seit der Veröffentlichung der Fragmente des Ninos-Romans von 189~ sind die wohl ursprünglich drei Bücher umfassenden "Phoinikika" (Phönikische Geschichten) des Lollianos das wichtigste neue Material zum antiken Roman."" Die Papyrus-Fragmente um 140 u. Z., auf jeden Fall aus dem 2.. Jh. u. Z., enthalten aus den übrigen antiken Romanen wohlbekannte Erzählungen über Räuberaufstände, über Opferriten bei ägyptischen Bukolen, über Scheinopfer, mystische Szenen sowie eine Defloration, die ein Erzähler namens Androtimos berichtet."5 Als Verfasser dieses Romans wollte man den Sophisten P. Hordeconius Lollianus namhaft machen, der "eine Generation vor Apuleius lebte"" 6 und im Stile von Herodot und Xenophon exotische Themen zu behandeln pflegte. TeJCr,ausgabe: A. Henrichs, Die Phoinikika des Lollianos, Bonn 1971 (Papyrologische Texte und Abhandlungen 14). Literatur: T. Szepessy, Zur Interpretation eines neu entdeckten griechischen Romans, in: Acta Antiqua 26, 1978, 19-36; G. N. Sandy, Notes on Lollianus' Phoenicica, in: American Journal of Philology 100, 1979, 367-376; J. Winkler, Lollianos and the Desperadoes, in: JHS 100, 1980, 155-181.
]amblichos
Der griechisch schreibende Romanautor des 2.. Jh. u. Z. war ein gebildeter Syrer, der Griechisch erlernt hatte und wohl in Armenien unter dem von Rom eingesetzten König "" A. Henrichs, Lollianos, Phoinikika. Fragmente eines neuen griechischen Romans, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 4, 1969, 205-21 s. vgl. dazu Hägg, Narrative Technique, 319 n. 8. Die maßgebliche Textausgabe gab Henrichs 1971 heraus. 15 Henrichs hatte zunächst angenommen, daß das Mädchen Persis defloriert wirdi korrigiert aber in der Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik s. 1970, zz, seine Meinung. Denn es ist der Erzähler Androtimos selbst, der "defloriert" wird. Damit entspricht diese Szene Longos 3, 18, 3· Ebenso sind Parallelen zu Apuleius (Metamorphosen 2., 16 f.; 10, 2.0-2.2. u. 4, 2.2) anzunehmen; vgl. Anm. 46 und Sandy in den Literaturangaben oben. " 6 C. P. Jones, Apuleius' Metamorphosen and Lollianos' Phoinikika, in: Phoenix 34, 1980, 2.43-2.54, Zitat 254; ebenso A. Henrichs, 24-2.7.
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Soaimos lebte. Etwa von 165 bis 180 u. Z., dem Tode Mark Aurels, schrieb er einen großen Liebesroman (dramatik6n) 47 in 35 oder 30 Büchern über das Schicksal von Sinonis und Rhoclanes: "Babyloniaka". Der Roman ist verloren, nur Fragmente und die Auszüge des Photios (hier nur 16 Bücher) erlauben es, Inhalt und Komposition zu rekonstruieren. I n h a I t : Das liebende Paar wird grausam getrennt, da der König Garmos der schönen Sinonis nachstellt. Das Paar muß viele Leiden erdulden: in Ketten vorgeführt, ans Kreuz geschlagen, geraubt, durch Verwechslungen! gedemütigt, Intrigen von Eunuchen ausgesetzt, am Partner selbst zweifelnd, magisch beeinflußt, ehe es gerettet wird. Zum glücklichen Schluß finden sich die rechtmäßigen Gatten wieder, und Rhoclanes selbst wird König von Babylon. Bezüge zu orientalischen Mystenien (Mithras?) haben auch hier zu einer religionsgeschichtlichen Deutung geführt (Scheintod und Erweckung, Mantik, Inkubationstraum).48 C h a r a k t e r i s t i k u n d S t i I : Trotz gegenteiliger Versicherung des Autors sind die Personen im orientalischen Milieu frei erfunden und die Handlung voller Anachronismen. Die abwechslungsreiche und verschlungene Darstellungsart der Haupt- und Nebenhandlungen, von Rückblenden und novellenartigen Exkursen unterbrochen, unterstreicht noch der stark rhetorische Stil. Textausgaben: Auszüge erstmals 1641 in Rom gedruckt; E. Habrich, Iamblichi Babyloniacorum reliquiae, Leipzig 1960 (BT). Oberse~ung: Kytzler, Bd. 2, 698;-714. Literatur: U. Schneider-Menzel, lamblichos' "Babylonische Geschichten", in: F. Altheim, Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum, Bd. I, Halle/S. I948, 48-91; L. di Gregorio, Sulla biografia di Giamblice e Ia fortuna del suo romanzo attraverso i secoli, in: Aevum 38, I964, I-I 3; I. Trencsenyi-Waldapfel, Das Rosenmotiv außerhalb des Eselsromans, in i Beiträge zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Festschrift für F. Altheim, Bd. I, Berlin 1969, 5IZ-SI7 (Mithrasglaube als Fundament des Romans) ; T. I. Kuznecova, in : Anti.Cnyj roman, I 70- I 8 5 ; K. Treu, Der Realitätsgehalt des antiken Romans, S. I07 ff.; R. }ohne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band S. I67 f.
• Aristophontes von Athen Diesem griechischen Erzähler, wahrscheinlich des 2. Jh. u. Z., scheint in seiner Sammlung "Dyserotika"49 bereits das Märchen von Amor und Psyche, das Apuleius als reizvolles Stück in seine "Metamorphosen" eingearbeitet hat,50 als Progymnasma sophistischer erotischer Muster vorgelegen zu haben. 47
So Photios, Bibliotheke 94· In byzantinischer Zeit lag demnach der Roman noch vollständig vor. I78-I9I, spricht direkt von einem "Mithras-Roman"; einschränkend jetzt ders., Die Babyloniaka des lamblichos, in: ders., Mithras, Meisenheim I984, 255-258. Dagegen I. Stark, Religiöse Elemente im antiken Roman, in diesem Band S. I3f li. Der Titel "Dyserotika"', also etwa Beispielsammlung übergroßer Liebe, scheint mit Rohde, Griechischer Roman, 346 u. Anm. 4, viel passender als der überlieferte Titel "Dysarestia" (Mißvergnügen). Dazu in diesem Kapitel unter Apuleius S. 214.
48 Merkelbach, Roman und Mysterium, 49
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Xenophon von Ephesos Der griechische Romanautor (wahrscheinlich 2. Jh. u. Z.) verfaßte einen Liebesroman "Epbesiakd" (Ephesische Geschichten) mit dem jungen Ehepaar Abrokomes und Anthia als Titelhelden. Der Roman liegt in fünf Büchern vor, während die Suda von zehn Büchern spricht. I n h a 1 t : Der jugendlich schöne Abrokomes aus Ephesos hält sich für schöner und klüger als Eros, der ihn deshalb mit seinem göttlichen Zorn verfolgt. Selbst die Liebe zu der jungen, wunderschönen Anthia und die glänzende Hochzeit mit ihr ändern nichts. Das junge Paar geht auf Reisen, um dem durch einen Orakelspruch verkündeten Unheil zu entgehen. Es wird nach einem Piratenüberfall getrennt und muß Gefahren und Leiden verschiedenster Art überstehen (Verkauf in die Sklaverei, gar in ein Bordell, Entführung, Folterungen und Mordversuche), bis es sich in einem Isistempel auf Rhodas wiederfinden kann. Das Paar kehrt in die Heimat zurück. In religionsgeschichtlicher Auslegung wurde die Reise der Romanhelden als Abenteuer des Lebensweges interpretiert.51 C h a r a k t e r i s t i k : Die knappe Art der Darstellung, die zuweilen unmotivierte Aneinanderreihung von Ereignissen und Abenteuern, der schnelle, fast hektische Szenenwechsel u. a. sprechen mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine Epitome, die vom ursprünglichen Roman nur erhalten ist. 52 Typische Romanmotive sind vertreten, z. B. der edle Räuber, der arme großherzige Hirt, das Potiphar-Thema. Das Eingreifen göttlicher Mächte ist sehr stark. Der Roman des Chariton scheint in sprachlichen und motivischen Details Vorbild zu sein,53 Xenophon erreicht aber nicht dessen Erzählkunst."" Textausgaben und Obersetozungen: Die Oberlieferung erfolgte zusammen mit dem Roman des Chariton. Editio princeps: London 1726; erste deutsche Übersetzung: Chr. G. Heyne, Leipzig 1753; G. Dalmeyda, Paris 1926, 2. Auf!. 1962 (mit französischer Übersetzung); A. D. Papanikolaou, Leipzig 1973 (BT); B. Kytzler, Frankfurt a. M.-Berlin (West) 1968, mit 13 Illustrationen von Giacomo Manzil; ders., Leipzig 1981, 2. Auf!. 1986 (Reclam II64), mit Anmerkungen von B. Kytzler, einem Nachwort von W. Kirsch und 8 Radierungen von Fritz Cremer. Literatur: E. Mann, Ober den Sprachgebrauch des Xenophon Ephesius, Programm Kaiserslautem 189SII896; 0. Schisse! v. Fleschenberg, Die Rahmenerzählung in den Ephesischen Geschichten des Xenophon von Ephesos, Innsbruck 1909; F. Zimmermann, Die 'Eq>eaLccx& des sog. Xenophon von Ephesos. Untersuchungen zur Technik und Komposition,' in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschafq, 1949/so, 2s2-286; C. G. Kozlova, Obr&Zenie epochi rannej rimskoj imperii v romane Ksenofonta Efesskogo ,Efesskie povesti', in: Vestnik Drevnej Istorii 6o, 1957, 2, 119-167;
51 Merke!bach, Roman und Mysterium, 91 ff., dagegen I) Stark, Religiöse Elemente im antiken
Roman, in diesem Band S. I 3s ff. So K. Bürger, in: Hermes 27, 1892, 36-67; dagegen mit nicht ganz überzeugenden Gründen T. Hägg, Die Ephesiaka des Xenophon Ephesios- Original oder Epitome?, in: Classica et Mediaevalia 27, 1966, II8-x6x; ders., Eros und Tyche, 39 f. - Zum Aufbau' des Romans I. Stark, Strukturen des griechischen Romans, in diesem Band S. 82 ff. 53 H. Gärtner, Xenophon von Ephesos, in: RE 9 A, 1967, 20H-2089. "" Zu den Romanfiguren vgl. R. }ohne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem BandS. x66 f. 52
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E. A. Berkova, in: Antienyj roman p -64 ; A. M. Scarcella,. La struttura del romanzo di Senofonte Efesio, in: La struttura della fabulazione antica, Genua 1979, 89-113; G. L. Schmeling, Xenophon of Ephesus, Boston 1980.
Achilleus T atios Der griechische Romanautor aus Alexandria, dessen Lebenszeit nach neueren Papyrusfunden spätestens in die zweite Hälfte des 2. Jh. u. Z. gesetzt wird, ist der Verfasser der Liebesgeschichte von Leukippe und Kleitopbon (Ta kata Leukippen kai Kleitoph6nta) in acht Büchern. Die Angabe der Suda, daß der Autor Christ oder gar Bischof gewesen sein soll,1 entspricht der Tendenz, beliebte Autoren auch für christliche Leser annehmbar zu machen. Inhalt : Der Roman ist als zweifach gestaffelte Ich-Erzählung aufgebaut. Bei ein~ Rundgang in der phönizischen Hafenstadt Sidon trifft der erstd Erzähler bei der Betrachtung eines öffentlich aufgestellten Bildes mit der Entführung der Europa den jungen Mann Kleitophon, der ihm seine eigene Geschichte von der Macht des Eros schildert: Er und seine Kusine Leukippe waren von Tyros gemeinsam geflohen, da sein Vater für ihn eine andere Ehefrau vorgesehen hatte. Sie flüchteten über das Meer, gerieten in einen Seesturm, erlitten Schiffbruch und wurden Gefangene von ägyptischen Räubern. Leukippe wurde von Kleitopbon getrennt, entführt und vermeintlich ermordet. Der junge Mann hatte sich zu einer Ehe mit einer reichen Witwe aus Ephesos überreden lassen. Und natürlich wurde Leukippe die Sklavin dieser Melite, deren totgesagter Mann wieder auftauchte. Es kam zu einem verwickelten Ehebruchsprozeß, aber Eros, Artemis und Tyche erwirkten schließlich nach der erfolgreichen Wahrheits- und Keuschheitsprobe der Leukippe die Rückkehr in die Heimat mit der glücklichen Verheiratung des Liebespaares. S t i l : Die gesuchte Einfachheit im attizistischen Stil einerseits und die gorgianische Manier andererseits zeigen den durch die Zweite Sophistik literarisch gebildeten Autor, der wohl auch auf Heliodor stark wirkte und in byzantinischer Zeit zur Lieblingslektüre des Publikums gehörte. C h a r a k t er ist i k : Ein literarisch hoher Anspruch wird durch sophistisch-rhetorische Einlagen wie Briefe, Reden, Monologe, Orakel und Mythen angestrebt, aber eigentlich nur in der plastischen Schilderung von Alexandria und in der gekonnten Darstellung der Verhältnisse der politisch-militärischen Führungsschicht der Städte des östlichen Imperiums erreicht. Die Imitation des Aristophanes, z. B. in der Artemis-Rede und der vordergründigen Realistik der Prügelszenen und der Schimpfwortkanonaden, wirkt dagegen fast parodistisch. Es hat auch bei diesem Roman nicht an religionsgeschichtlicher Deutungli5 gefehlt: Irrfahrten und Hindernisse der Liebenden als Symboldarstellungen des Isis-Osiris-Mythos und der Mysterienrituale (Taufe, gespielte Mumifizierung, Erlösung). 55 Gegen Merkelbach, Roman und Mysterium, vgl. I. Stark in diesem BandS. 147-149.
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Textausgaben: E. Vilborg, Bd. 1-z., Stockholm I9j j; ders., Kommentar, Göteborg 1962.; S. Gaselee, London 1917, z.. Auf!. 1947, 4· Auf!. 1969 (mit englischer Übersetzung und Kommentar). ObersetV~ngen (deutsch): F. Ast, Leipzig 18oz; K. Plepelits, Stuttgart 1980. Literatur: D. Sedelmeier (Stöckl), Studien zur Erzähltechnik des Achilleus Tatios, Diss. Wien 19j8; dies., Studien, zu Achilleus Tatios, in: Wiener Studien 72., 19l9· II3-143; M. Hikichi, Eros and Tyche in Achilleus Tatios, in: Journal of Classical Studies I3, I96j, JI6-u6 u. Z.OI f.; E. A. Berkova, in: Anticnyj roman, 64-74; T. Hägg, Narrative Technique; J. N. O'Sullivan, A Lexicon to Achilles Tatius, Berlin (West)-New York I980 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte I8); R. Johne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band S. I6z..
Nikostratos von Makedonien
Titus Aurelianus Nikostratos60 war ein bekannter und vielseitiger Autor des 2. Jh. u. Z. Seine Schriften sind nur aus der Suda bekannt, u. a. "Dramatische Erzählungen" (Mytboi dramatikoi), also wohl Romane,57 "Eikones" (Sammlung prosaischer Bildbeschreibungen), eine "Dekamytbia" (Fabelsammlung in 10 Büchern; hier waren auch AsopFabeln aufgenommen) sowie Lobreden, u. a. auf Antoninus Pius und Mark Aurel. Literatur :zur Person: Prosopographia Imperii Romani, Bd. I, z.. Auf!. Berlin I9H. 2.92. f. Nr. II89. Zum Werk: W. Stegemann, in: RE I7, I, I936, jji-jj3; Rohde, Griechischer Roman, 32.6; 3j2; j08;p8.
Sesoncbosis-Roman
Mit diesem Romanfragment liegt ebenfalls ein quasi-historischer Roman vor, der von der Thematik her dem Ninos-Roman nahesteht. Er ist als spätes ägyptisches Gegenstück d~ zu denken. Ebenso ist der Einfluß der Alexander-Figur im Alexander-Roman deutlich. Das Fragment auf einem Papyrus des 3./4. Jh. u. Z. schildert die Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn um die aus politischen Gründen zu schließende Ehe. Der Sohn Sesonchosis fügt sich nur widerwillig dem Wunsch seines Vaters zur Vergrößerung des Reiches. Wahrscheinlich ist mit Sesonchosis Scheschork gemeint, der Sohn Osorkons, der die Tochter des Psusennes, des letzten Pharaos aus der 21. Dynastie, heiratete, um seine Regierung und sein Reich zu legitimieren. Der Roman gehört wohl in das 2. Jh. u. Z. Textausgabe: St. West, in: The Oxyrhynchus Papyri, Bd. 47~ London I98o, S. II-I9 u. Taf. z. (P. Ox. XLVII3319 aus dem 3· Jh. u. Z. wie P. Ox. 2.466); J. N. O'Sullivan u. W. A. Beck, P. Oxy. HI9: The Sesonchosis Romance, in: ebenda 4l• I98z., 7I-83. Lite,atur: W. Luppe, Das neue Bruchstück aus dem Sesongosis-Roman, in: Zs. für Papyrologie und Epigraphik 4I, I98I, 63-66 (eine historische Schilderung). So der volle Name, wenn sich IG XII I, 83 (= CIG 2j2.9) auf ihn bezieht, was sehr wahrscheinlich ist. ;i7 ..Fragmente aus Reden über die richtige Wahl der Ehefrau und ihre zu fördernde gelehrte Bildung ··sipd erhalten - Themen, die der Tendenz vieler griechischer Liebesromane entsprechen, vgl. R. Johne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band S. 169-I7I, z. B. zur Gestalt der Charikleia. 511
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Longos
Der griechische Romanautor (um 200 u. Z.) stammt wahrscheinlich von der Insel Lesbos, nach der detaillierten und liebevollen Schilderung des Lokalkolorits zu schließen. Als Angehöriger einer angesehenen Familie schreibt er seinen Hirtenroman Poimenikri kata Driphnin kai Chl6en ("Daphnis und Chloe"), wohl vor allem für ein städtisches Publikum, das die romantisch-verklärte Naturwelt der Insel schätzt. In h a 1 t : Im Proömium wird - übrigens wie bei Achilleus Tatios - eine Bildbeschreibung in einem Nymphenhain in der Nähe der lesbischen Stadt Mytilene zum Anlaß der Erzählung genommen. Der Roman schildert die aufkeimende Liebe der beiden von den Eltern in frühester Kindheit ausgesetzten Findelkinder, die, wie sich zum Schluß nach dem Muster der attischen Neuen Komödie zeigt, vornehmer Abstammung sind. Ihre Eltern werden gefunden, und das junge Paar wird bei der ländlichen Hochzeit glücklich vereint. Mit großem psychologischen Geschick, aber auch in teilweise frivoler Beobachtung, wird der Weg von der naiv-kindlichen Befangenheit und Verwirrung der Gefühle zwischen Unschuld und Reinheit, Leidenschaft und Schau zum erfüllten Eros gezeigt. S t i 1 : Der lieblichen Szenerie und Handlung entspricht die poetische und höchst kunstvolle, zierliche Sprache. C h a r a k t er i s t i k : Im Unterschied zu den übrigen Romanen befolgt Longos unter dem Einfluß der Neuen Komödie eine strenge Anlage des Romangeschehens, das er mit den bukolischen Elementen zu einer gelungenen Einheit zu verschmelzen weiß. Beachtliche Leistungen gelingen ihm bei der idyllischen Landschafts- und Stimmungsmalerei. Ländliche Gottheiten wie Pan, die Nymphen und Dionysos sind stark vertreten, so daß auch hier eine religionsgeschichtliche DeutuntB versucht wurde. Die "Verinnerlichung der Handlung" kann als "Versuch einer Neuorientierung" der Romanform gesehen werden. 59 Damit entspreche die Beschränkung auf den Raum der Insel der Konzentration auf das Innere der Hauptpersonen. Die indirekte Kritik am Genre wird deutlich durch die Reduzierung der Exkurse, die im wesentlichen ortsgebundene Handlung und durch die Einführung von Neuerungen wie der Hirtenszenen, des Themas der sexuellen Unschuld, der Anlehnung an Theokrit und an Sappho. Nachwirkung : Seit der Renaissance war der Stoff des Longos beliebt: 1. bukolische Ekloge des Henricus Stephanus, Venedig I 55 5I 56; Tassos "Aminta" I 57 3 und später Bernardin de Saint-Pierres "Paul et Virginie" I787. Die französische Übersetzung von J. Amyot, Paris I 559 - noch vor der Editio princeps des unvollständigen griechischen Textes Florenz I 598 -, wurde zum Vorbild\ für die Schäferdichtung der Barockzeit, aber auch für die Kunst. P. L. Courier entdeckte I8Io eine weitere Longos-Handschrift, und der erweiterte Text mit der verbesserten Übersetzung Amyots erregte den Enthusiasmus Goethes (Gespräch mit Eckermann vom 20. 3· I831). Es hat aber auch nicht an Gegenstimmen gefehlt "wegen des Manierismus des Stils" und der "Naturschwärmerei 58 Merkelbach, Roman und Mysterium, 192.-22.4, spricht überinterpretierend von einem "Dionysos-
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Roman", in dem die Einweihung in die dionysischen Mysterien eine große Rolle spiele. Dagegen I. Stark, Religiöse Elemente im antiken Roman, in diesem BandS. 148 f. So charakterisiert C. W. Müller, Der griechische Roman, 404 f., diesen Roman als Sonderfall.
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der Salonmenschen"60• Romanhafte und dramatische sowie künstlerische Gestaltung erfuhr der Longos-Sto.ff .häufig bis zur Gegenwart (Lope de Vegal 1 s98 ; S. Gessner I7S4, 17s6 und 1772; als Opernlibretto bei Gluck 177S; Ballett von M. Ravel 1912; Holzschnitte von A. Maillol). TextaziSgaban: G. Dalmeyda, 1. Auf!. Paris 1960 (mit französischer Übersetzung); 0. Schönberger, 4. Aufl. Berlin 1988 (SQAW 6) - mit deutscher Übersetzung, Anmerkungen und Einführung; M. D. Reeve, 2.. Auf!. Leipzig 1986 (BT). Oberset~unge11: A. Mauersberger, Leipzig 1974 (mit Einführung und Anmerkungen); 0. Schönberger, Berlin 1960, 4· Auf!. 1988 (SQAW 6); Longos, Daphnis und Chloe. Mit Reproduktionen nach 48 Holzschnitten von A. Maillol. Aus dem Griechischen von A. Mauersberger, mit Nachworten von R. Müller u. V. Zinserling, S· Auf!. Leipzig 1986 (vgl. vorderen Vorsatz). Literatur: G. Rohde, Longus und die Bukolik, in: Rheinisches Museum 86, 1937, 2.3-49 (= Nachdr. in: Studien und Interpretationen, Berlin [West] 1963, 91-u6); R. Merkelbach, Daphnis und Chloe. Roman und Mysterium, in: Antaios I, 1960, 47-6o; ders., Roman und Mysterium, 192.-2.2.4; H. H. 0. Chalk, Eros and the Lesbian Pastorals of Longos, in: Journal of Hellenie Studies So, 1960, p-p; M. C. Mittelstadt, Longus and the Greek Love Romance, Diss. Stanford 1964; ders., Longus: Daphnis and Chloe and the Pastoral Tradition, in: Classica et Mediaevalia 2.7, 1966, x62.-177; ders., Daphnis and Chloe and Roman Narrative Poetry, in: Latomus z6, 1967, 752-761; M. Berti, Sulla interpretazione mistica del romanzo di Longo, in: Studi classici e orientali x6, 1967, 343-358 (gegen allegorische Deutung); E. A. Berkova, in: Anticnyj roman, 75-91; M. C. Mittelstadt, BucolicLyric Motifs and Dramatic Narrative in Longus' Daphnis and Chloe, in: Rheinisches Museum II3, 1970, zu-2.2.7; A. M. Scarcella, La tecnica dell'imitazione in Longo Sofisto, in: Giomale ltaliano di Filologia N. S. z, 1971, 34-59; M. Philippides, The ,Digressive' Aitia in Longus, in: Classical World 74, I980-198I, 193-199; L. R. Cresci, II romanzo di Longo sofista e Ia tradizione bucolica, in: Atene e Roma z6, 1981, x-zs; B. Effe, Longos. Zur Funktionsgeschichte der Bukolik in der römischen Kaiserzeit, in: Hermesi uo, 1982., 6s-84; H. Koch, Funktionswandlungen des antiken Romans, in diesem Band S. 66 f.; I. Stark, Strukturen des antiken Romans, in diesem Band S. Sz ff.; R. )ohne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in diesem Band S. I68 f. Zur Textüberlieferung: H. Dörrie, De Longi Achillis Tatii Heliodori memoria, Göttingen I93S; H. van Thiel, Über die Textüberlieferung des Longos, in: Rheinisches Museum I04, 196I, 356-362. Zum Stil: G. Valley, Über den Sprachgebrauch des Longos, Diss. Uppsala I92.6. Zum Nachwirken: A. Hulubei, Comptes Rendus de l'Academie des Inseriptions et Belles-Lettres I932, 67 (zu Stephanus); E. Grumach, Goethe und die Antike, Bd. I, Berlin I949. 3I6-3zo; W. E. McCulloh, Longus, New York I970 (Twayne's World Authors Series 96) - über die .Vorgänger des Longos und seine Nachwirkung.
Heliodoros von Emesa Der griechische Romanautor, der nach eigenem Zeugnis der Sohn des Heliospriesters Theodosios aus Emesa, dem heutigen Horns oder Hema, in Syrien gewesen, ist, war der Verfasser des letzten großen, vollständig erhaltenen Romans der Antike, der Liebesgeschichte zwischen der äthiopischen Königstochter Charikleia und dem Griechen Theagenes: "Syntagma ton peri Theagenen kai Charikleian Aithiopik6n", kurz auch "Aithiopika" genannt, in 10 Büchern ("Die äthiopischen Abenteuer von Theagenes und Charikleia"). Die Lebensdaten des Verfassers und die Abfassungszeit sind noch immer umstritten, 60
Nach U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Die griechische Literatur des Altertums, in: Die Kultur der Gegenwart, Bd. I, 8, 3· Auf!. Berlin-Leipzig I912., 2.59 f.; dagegen Hägg, Eros und Tyche, 254 f.
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da die Anspielungen auf historische und religiöse Ereignisse zu unbestimmt sind. Die Erwähnung der Kataphrakten, der persischen Panzerreiter, die erst seit dem PeJOs~tr krieg des Severus Alexander von 232/233 u. Z. im Imperium Romanum bekannt wurden, und die beherrschende Stellung des syrischen Sonnengottes Helios, des zum Reichsgott gewordenen Sol invictus, lassen die Entstehung des Romans frühestens im zweiten Viertel des 3· Jh. u. Z. als wahrscheinlich erscheinen. Diese Meinung vertreten Merketbach, Altheim, Weinreich, ebenso Szepessy und Hägg, doch ist das 4· Jh. u. Z.- so H~lm, Colonna, Scarcella und Sandy - auch nicht auszuschließen.u 1 Im 5· Jh. u. Z. ist der Roman bereits allgemein bekannt. In h a 1 t : Die schöne Charikleia, eine äthiopische Königstochter von weißer Hautfarbe, in frühester Kindheit ausgesetzt und nach Griechenland verschlagen, wächst bei einem Pflegevater in Deiphi auf. Hier findet sie der ägyptische Priester Kalasiris, den Charikleias Mutter auf die Suche nach ihrem einzigen Kind ausgesandt hatte. Er überredete sie und ihren Geliebten Theagenes, einen Thessalier, der ein Nachkomme des Achilleus ist, zur Flucht "nach dem Sonnenland", wie es ein dunkler Orakelspruch verheißt. Jetzt beginnt die Zeit der Abenteuer und Verwicklungen: Sie fallen in Ägypten Räubern in die Hände - damit setzt der Roman ein -, sie werden getrennt und geraten beide bei kriegerischen Auseinandersetzungen in Gefangenschaft und in höchste Lebensgefahr. Aber zum Schluß sind beide glücklich vereint, und mit der Hochzeitsfeier sowie einem gemeinsamen Priesteramt in der Heimat Äthiopien endet der Roman. Neben diesem Hauptstrang der Erzählung über das Heldenpaar existieren geschickt eingeflochtene Nebenhandlungen wie die Schicksale des; verbannten Atheners Knemon (Hippolytosmotiv) und des edlen Räuberhauptmanns Thyamis, der sich als Sohn äes Ägypters Kalasiris entpuppen wird. In der Arsake-Episode klingt! das Potipharmotiv an. Jede dieser Nebenhandlungen könnten Romankunstwerke im kleinen sein. S t i 1 : Unter Benutzung des üblichen Motivkatalogs und der Elemente des Romans (Raub und Entführung, Todesgefahr und Errettung, Traum und Orakel, exotische Szenerie) sowie des traditionellen Schemas Liebe - Trennung - Vereinigung hat Heliodor das vielbewunderte Meisterwerk dieses Genres geschaffen. Er erreichte dieses durch das Raffinement der stilistischen Technik und besonders durch eine kunstvolle, ··am Aufbau der "Odyssee" geschulte Komposition, z. B. durch die Inversion der Handlung, und durch lebendig geführte Dialoge.62 Zu einem relativ späten Zeitpunkt setzt die Romanhandlung ein und trägt in gekonnter Szenerie durch einander ergänzende, aber immer wieder unterbrochene Erzählungen die Vorgeschichte nach. Im Wechsel von Spannung und Rückblenden, von Verwicklung und Lösung, in der Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit, in der Buntheit des Geschehens und der Vielfalt der Nebenfiguren ist, zusammen mit den EXkursen und rhetorisch ausgeschmückten novellenartigen Einlagen (z. B. Festzug in Delphi, Belagerung, Schlacht, Mithras- und Isiskult, Nilschwelle), der in der Komposition literarisch anspruchvollste Roman der Antike entstanden. 61
62
Vgl. dazu die angegebene Literatur. Einen Versuch, Heliodor näher einzugrenzen, unternahm F. Altheim, Helios und Heliodoros von Emesa, in: ders., Literatur und Gesellschaft, B.d, r, 9J-I2.4, ohne daß das Problem schlüssig gelöst wäre. Dazu zuletzt T. Szepessy, Heliodoro~ .und der griechische Liebesroman, Autorreferat der Diss. B, in: Homonoia J, r98r, zoJ-2.07. Dazu vor allem Hefti, Erzähltechnik, und I. Stark, Strukturen des griechischen Romans, in ·diesem Band S. 82. fi.
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C h a r a k t er ist i k : In der Verwerfung blutiger Opfer, im unerschütterlichen Glauben an die göttliche Gerechtigkeit trotz aller Leiden und Gefahren und in der Darstellung der Verinnerlichung sowie der reinen Liebe und Keuschheit des Heldenpaares, das alle Prüfungen besteht, lassen sich Zeugnisse für neue, religiöse Strömungen monotheistischer Provenienz der späteren Kaiserzeit fassen. Sie zeigen unter der Instabilität der gesellschaftlichen Verhältnisse des römischen Imperiums, der sozialen Unruhen und ideologischen Spannungen, drohender Gefahren im Inneren und von außen die Möglichkeit eines alternativen Lebens an. Heliodor, der ja selbst aus der Priesterfamilie von Emesa, einem zeitgenössischen Zentrum des Helioskultes, stammte, hat mit seinem Werk (wahrscheinlich ~· Jh.) bewußt die offizielle Religionspolitik des Kaiserhauses propagieren können, ohne daß man vordergründig von einem Tendenzroman oder gar einem "Mysterienroman" sprechen kann. Die starke Rezeption Heliodors über Byzanz bis zum 18. Jh. beruhte auf den künstlerischen Qualitäten seines Romans, dessen Gestaltung den Erwartungen des Lesepublikums entsprach. Die Entführung, Gefahr und schließliehe Errettung des Liebespaares wurden in Verengung der ästhetischen Aussagen des Werkes symbolisch als Weg der menschlichen Seele gedeutet, die aus dem Jenseits stamme und sich durch irdische Leiden den Rückweg erkämpfen müsse. Dabei symbolisiere die Liebe des Paares jene platonische Liebe, die die Seele des Menschen nach oben führe - so in einseitiger Herausstellung einer Tendenz im Roman bei Philippos von Byzantion. aus dem 5· Jh., die für das Weiterwirken neben dem z. T. erbaulichen Charakter eine Rolle spielte. Durch die Beliebtheit des Romanstoffes in späterer Zeit wurde Heliodor zum Christen und sogar zum Bischof gemacht (z. B. Sokrates 5, 22).63 N a c h w i r k u n g : Zahlreiche Papyri, Kommentare, Übersetzungen - in fast alle europäischen Sprachen - und Theateradaptionen bis zur Barockzeit sprechen von der Hochschätzung des Heliodorischen Liebesromanes. Direkte Imitation findet sich in den byzantinischen Versromanen des xz. Jh., bei Theodoros Prodramas ("Rhodante und Dosikles") und bei Niketas Eugenianos ("Drosilla und Charikles").64 Motive dieses Romans sind in der Kunst (Gemälde von Amboise Dubois nach Heliodor in Fontainebleau) und der Literatur der Renaissance und des Barocks (Tasso "Gerusalemme liberata"; Cervantes, der in "Persiles y Sigismunda" einen "Heliodores christianus" schreiben wollte; Calderon; M. de Scudery; Manzoni u. a.) 65 bis zu Verdis Oper "Aida" nachweisbar. Texta11sgaben: Editio princeps: V. Opsopoeus, Basel 1S34; maßgebliche Textausgabe: R. M. Rattenbury u. T. W. Lumb, Bd. 1-3, Paris 193,; 1938, 1943, 2. Aufl. 1960 (dazu die französische Übersetzung von J. Maillon); A. Colonna, Roma 1938 (mit Testimonien 361 fi.); Kommentar des Philippos von Byzantion: R. Hercher, in: Hermes 3, 1869, 382-388. Oberset:,.ungen: Erstmals deutsch: Joh. Zschorn, Straßburg IS'4; französische Übersetzung: Jacques 63 H. Dörrie, in: Philologus 93, 1938, 273 fi. 64
Bei Hunger, Roman, näher ausgeführt. Neuerdings J. Irmscher, Der byzantinische Roman, in: Das Altertum 30, 1984, 247-251. 66 Vgl. auch G. Molinie, Du roman grec au roman baroque: un art majeur du genre narratif en France sous Louis XIII, Toulouse 1982; G. N. Sandy, Classical Forerunners of the Theory and Practice of Prose Romance in France. Studies in the Narrative Form of Minor French Romances of the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: Antike und Abendland 28, 1982, 169-191.
RENATE )OHNE Amyot, Paris I S47 (wurde maßgebend für alle anderen Übersetzungen in europäische Sprachen); R. Reymer, Aithiopika. Die Abenteuer der schönen Charikleia, Zürich I9SO (Bibliothek der Alten Welt); :l. Aufl. Harnburg I96:l, mit einem Nachwort von 0. Weinreich; Kytzler, Bd. I, :l.16-p:l; H. Gasse, Leipzig I9H· 3· Aufl. I976 (Sammlung Dieteeich I96); Stuttgart I971, Berlin-Weimar I977 (bb). Literatur: Rohde, Griechischer Roman, 453-498; Helm, Antiker Roman, 37-43; Kerenyi, Griechisch-orientalische Romanliteratur, 251 ff.; Altheim, Literatur und Gesellschaft, 93 ff.; A. Colonna, L'assedio di Nisibis del 3so d. C. e la cronologia di Eliodoro Emeseno, in: Athenaeum N. S. .18, I9SO, 79-87; Szepessy, Die Aithiopika; T. R. Goethals, The Aethiopica of Heliodorus. A Critical Study, Diss. New York I959; R. L. Kowarna, Das Weltbild Heliodors in den "Äthiopischen Geschichten", Diss. Wien I9S9; Merkelbach, Roman und Mysterium, 234-198; Feuillatre, Etudes; D. Kövendi, Heliodors Aithiopika. Eine literarische Würdigung, in: Die Araber in der alten Welt, hrsg. von F. Altheim u. R. Stiehl, Bd.! 3. Berlin I966, I36-I97; N. P. Zembatova, in: Anticnyj roman, 92-Io6; A. M. Scarcella, Testimonianze della crisi di un' eta nel romanzo di Eliodoro, in: Maia N. S. I, I972, 8-4I; G. N. Sandy, Heliodorus, Boston I982 (Twayne's World Authors Series 647), 4 f. (für das 4· Jh. als Datierung); I. Nolting-Hauff, Märchenromane mit leidenden Helden, in: Poetica 6, I 97 4, 4 I 7-4 ss ; R. J ohne, Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, S. I 69- I 7.1 ; I. Stark, Strukturen des griechischen Romans, in diesem Band, S. 8.1 ff. Zum Stil: Ph. Neimke, Quaestiones Heliodorae, Diss. Halle I889; J. W. R. Waiden, Stage Terms in Heliodorus' Aethiopica, in: Harvard Studies in Classical Philology y, I894, I-43; Hefti, Erzählungstechnik (mit reicher Lit.); 0. Mazal, Der Stil des Heliodor von Emesa, Diss. Wien I954, und in: Wiener Studien 71, 1918, u6-IJI; F. Barber, The Syntax of the Verb in the "Aethiopica" of Heliodorus, Diss. London I96.1; Hägg, Narrative Technique; W. Buhler, Das Element des Visuellen in der Eingangsszene von Heliodors Aithiopika, in: Wiener Studien xo, 1976, 177-I85. Zur Überlieferung: A. Colonna, in: Rendieanti della Classe di Scienze morali, storiche e filologiche dell'Accademia dei Lincei 7, 193I, 185 II.; H. Dörrie, De Longi Achillis Tatii Heliodori memoria, Diss. Görtingen 1935· Zum Nachwirken: H. Gärtner, Charikleia in Byzanz, in: Antike und Abendland 15, I969, 47-69; A. Tüchert, Racine und Heliodor (Programm Zweibrücken), München 1889; M. Oeftering, Heliodor und seine Bedeutung für die Literatur, Berlin I90I; W. Stechow, Heliodorus' Aethiopica in Art, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 16, I953. I44-15.1; Ch. Prosch, Heliodors Aithiopika als Quelle für das deutsche Drama des Barockzeitalters, Diss. Wien I9S6; 0. Weinreich, Der griechische Liebesroman, Zürich I962; G. Berger, Legitimation und Modell: Die ,Aithiopika' als Prototyp des französischen heroisch-galanten Romans, in: Antike und Abendland 30, 1984, 177-189.
Alexander-Roman Die romanhafte Darstellung vom Leben und den Taten des berühmten Makedonen Alexanders des Großen (Bios Alexandru tu Maked6nos) geht auf rech~ unterschiedliche Quellen zurück, zunächst einmal auf frühe Aufzeichnung wie Memoiren und Historien und dann auf die Tagebücher, die Ephemeriden, die noch zu Lebzeiten des Königs erschienen sind und die die historische Authentizität bezeugen wollen. Fingierte Briefe und Berichte Alexanders an seine Mutter Olympias und seinen Lehrer Aristoteles gehören dazu, ebenso seine Gespräche mit indischen Weisen, den Gymnosophisten, oder den Brahmanen. Erdichtet ist auch die Korrespondenz mit dem persischen Großkönig Dareios, mit dem indischen Fürsten Poros und der Königin Kandake (oder Kandakis). Politisch bedeutungsvoll ist ein "Tatsachenbericht" über! Alexanders letzte Tage, weil er ein Testament des Königs enthält, das Perdikkas begünstigt und sich gegen Antipatros richtet. Nach den Papyrusfunden muß die Entstehungszeit einiger Teile dieser "historischen"
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Dokumente und des Briefromans in das 2. Jh. bzw. I. Jh. v. u. Z. gesetzt werden. Aus all diesen Quellen, auch aus den Werken von Historikern wie Arrian und Curtius Rufus, hat ein nicht allzu geschickter Kompilator im 3· Jh. u. Z. in Ägypten einen "Alexander-Roman" zusammengestellt. Als Autor wurde der Name des Historikers und Hofhistoriographen Kallisthenes von Olynthos, der ein Großneffe des Aristoteles und ein glühender Anhänger des Wunderkönigs Alexander gewesen war, in Anspruch genommen. Als sog. Pseudo-Kallisthenes hat sich die Bezeichnung dieses AlexanderRomans in der Forschung seit dem 17. Jh. eingebürgert. In h a 1 t : Neben dem Leben und den tatsächlichen wie fiktiven Taten des Königs wird die gesamte Wunderwelt des Orients vorgeführt; die er ja durch seine Eroberungen den Griechen zugänglicher gemacht hatte. Der Held und König Alexander, von dem Mythos des Übermenschlichen, ja Göttlichen umgeben, reist bis zum Ende der Welt, wo ewige Nacht herrscht. Er fliegt zum Himmel und unternimmt eine Tauchfahrt zum Meeresgrund. Er lernt die Wunderländer des Reichtums und des Glücks, Persien und Indien, kennen, spricht mit den größten Gelehrten der Welt, begegnet den berüchtigten Amazonen. Beziehungsvolle Legenden - z. B. soll Gott Ammon der Vater Alexanders sein und märchenhafte Züge tragen zur bunten Unterhaltungslektüre bei. C h a r a k t er i s t i k : Der historische Quellenwert des "Alexander-Romans" ist durch die oft unhistarische und anachronistische Darstellung, durch die Fehler des Kompilators auf geographischem und chronologischem Gebiet stark gemindert; das berührt aber den literarischen Wert nicht. Schlichte Prosa steht neben dramatisch zugespitzten, rhetorisch aufgeputzten und juristisch trockenen Teilen. Vielleicht hat gerade der bunte Wechsel von Sprache und Stil, von Personen00 und Schauplätzen zur großen Beliebtheit des romanhaften Volksbuches beigetragen. In den Sagen vieler Völker sind Einflüsse nachweisbar, z. B. in der von Iskander. 0 b er liefe r u n g: In mindestens fünf frühbyzantinischen Rezensionen (4.-7. jh.) liegt der Roman vor, aber ein Archetypus ist nicht rekonstruierbar. Dazu kommen noch syrische, armenische und lateinische Übersetzungen sowie einige gesondert überlieferte Einzeltexte. 67 Die älteste erschließbare Fassung liegt möglicherweise in der griechischen Handschrift a vor, die zur Vorlage für Iulius Valerius' lateinische ÜbersetzungiiS und für die armenische aus dem 5· jh. wurde. Die Rezension 8 eine Bearbeitung von .x, wurde das Fundament für griechische und russische Fassungen, bei letzteren im Rahmen der Weltchroniken. Die Rezension* v des Pseudo-Kallisthenes wurde für den griechischen Osten wie für den lateinischen Westen gleichermaßen bedeutungsvoll. 69
Wie im Roman üblich, ist die Königin Kandakis eine starke Persönlichkeit (Kap. 109); zur "historischen" Tendenz dieses Romans K. Treu, in diesem Band S. x14. frl Das Itinerarium Alexandri, die Epitome Alexandri, die Epistula Alexandri und das Indienbuch des Palladios von Helenopolis. 68 V gl. in diesem Kapitel S. 2.26 f. 69 Vgl. dazu das Nachwort von W. Kirsch, bes. 19I-I98, in der Historie von Alexander dem Großen, hrsg. von W. Kirsch, 4· Auf!. Leipzig 1984 (Reclam 62~). Des weiteren: H. J. Gleixner, Das · Alexanderbild der Byzantiner, Diss. München 1961; F. Kampers, Alexander der Große und die Idee des Weltimperiums .i.ti Prophetie und Sage, Freiburg 1901; R. Hübner, Alexander in der deutschen Dichtung des Mittelaltecs, in: Die Antike 9, 1933, 32-48; D. J. A. Roos, Alexan.der Historiatus. A Guide to Medieval Illustrated Alexander Liter~ture, London 1963 (Warburg CG
15 Kuch
2.2.6
RENATE JOHNE
Nachwirkung : Da Alexander der Große als ein Typ des idealen Weltherrschers galt, hat der Alexander-Roman eine ungeheure Wirkung im Mittelalter bis zur frühen Neuzeit ausgeübt. In ~ 5 Sprachen wurde er übersetzt und etwa zoo Fassungen sind verbreitet. Mehrere Prosafassungen sind für Byzanz bezeugt, eine poetische liegt im sog. byzantinischen Alexander-Lied vor. Das "Buch der Könige" wurde von dem persischen Dichter Firdusi um 1000 geschrieben. Alexander-Epen sind von Franzosen, Deutschen und Italienern verfaßt worden. In die Sagenwelt ist Alexander ebenfalls eingegangen. In der Renaissance wurde Alexander vor allem zum Helden von Liebesabenteuern, während seit dem 19. Jh. der Mensch, Eroberer und Entdecker das Interesse weckte. Der Alexander-Roman wurde auch dramatisch bearbeitet, u. a. von Hans Sachs, Racine, Lope de Vega und Calderon, und regte selbst das Musiktheater an: G. F. Händel komponierte zwei Opern über Alexander den Großen, 172.6 "Alessandro" und 1731 "Poro". Textausgaben: Fragmente: Kallisthenes F Gr Hist u4; Pseudo-Kallisthenes: W. Kroll, Berlin I916, .z. Aufl. I9~6; A. Lolos, Ps.-Kallisthenes. Zwei mittelgriechische Prosa-Fassungen des Alexanderromans, Teil I, Meisenheim am Glan I983 (Beiträge zur klassischen Philologie I4I); V. L. Konstantinopulos, Ps.-Kallisthenes. Zwei mittelgriechische Prosa-Fassungen des Alexanderromans, Teil 1, München I983 (Beiträge zur klassischen Philologie I ~o). Oberset~ungen: A. Ausfeld, Der griechische Alexander-Roman, Leipzig I907 (Versuch einer deutschsprachigen Rekonstruktion der Urfassung); Historie von Alexander dem Großen, hrsg. von W. Kirsch, 4· Aufl. Leipzig I984 (Reclam 615). Literatur: R. Merkelbach u. H. van Thiel, Die Quellen des griechischen Alexanderromans, 1. Aufl. München I977 (Zetemata 9); F. PfistcrJ Alexander der Große. Die Geschichte seines Ruhmes im Lichte seiner Beinamen, in: Historia I3, I964, 37-79; ders., Kleine Schriften zum Alexanderroman, Meisenheim am Glan I976 {Beiträge zur klassischen Philologie 6I); mit Nachtrag der Literatur; ders., Der Alexanderroman mit einer Auswahl aus den verwandten Texten, Meisenheim am Glan I 978 (Beiträge zur klassischen Philologie 91) ; T. I. Kuznecova, in: Anticnyj roman, I 86-119; M. Bieber, Alexander the Great in Greek and Roman Art, Chicago I964; A. R. Bum, Alexander the Great and the Hellenistic Empire, London I947; E. Mederer, Die Alexanderlegenden bei den ältesten Alcxanderhistorikem, Stuttgart I936; H. van Thiel, Leben und Taten Alexanders aus Makedonien, Darmstadt I974; Alexander der Große in Kunst und Literatur, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I, München I978, 3 54-366.
I ulius V alerius
Iulius Valerius Alexander Polemius ist als römischer Schriftsteller des 4· Jh. u. Z. höchstwahrscheinlich mit dem Konsul Polemius des Jahres 338 zu identifizieren.70 Er übersetzte den griechischen Alexander-Roman, d. h. die Rezension IX,71 ins Lateinische. In drei Büchern behandelte er das Leben des Königs (ortus, actus, obitus - Geburt, Taten, Institute Surveys I), ergänzt in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 30, I967, 383-388.
Nach dem Namen, dem Rang als r~ir clarissimus und der Entstehungszeit des Werkes ist die Identifizierung sehr wahrscheinlich, so A. H. M. Jones, J. R. Martindale u. J. Morris, The Prosopography of the Later Roman Empire, Bd. I, Cambridge 1971, 709 f. 71 Vgl. dazu in diesem Kapitel die Ausführungen über den Alexander-Roman, S. 114-116. 70
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Tod) und hielt sich trotzeiniger Zusätze an die Vorlage, so daß diese Übertragung zur Rekonstruktion des sog. Pseudo-Kallisthenes benutzt werden konnte. Der Stil der Übersetzung wirkt, mit Verspartien, Archaismen und Neologismen angereichert, bewußt gekünstelt. Sie ist im "Itinerarium Alexandri" benutzt, einer nur fragmentarisch erhaltenen Reisebeschreibung und Darstellung des Perserkrieges Alexanders, mit einer Dedikation an Constantius II. Dieses "Itinerarium Alexandri" um 340 u. Z. hat wohl auch Iulius Valerius als Verfasser. Der vollständige Text der Übersetzung des Alexander-Romans beruht auf wenigen, z. T. nicht vollständigen Handschriften des 7· bis 13. Jh. Zusätzlich ist noch eine Epitome der Romanübersetzung erhalten, die im Mittelalter an der breiten Wirkung des beliebten Alexander-Romans ihren Anteil hat. Textausgaben: Editio princeps: A. Mai, Mi!ano r8I7; B. Kühler, Leipzig r888;' J. Zacher, Halle r867 (Epitome). Literatur: B. Axelson, Zum Alexander-Roman des Iulius Valerius, Leipzig 1936; R. Merkelbach u. H. van Thiel, Die Quellen des griechischen Alexanderromans, z. Auf!. München 1977; D. J. A. Ross, Alexander Historiatus, London 1963. Zum Stil: H. Stenge!, De lulii Valerii usu pronominum, Diss. Macburg 1909; C. Faßbender, De Iulii Valerii sermone quaestiones, Diss. Münster 1909.
Troja-Roman Das griechische Original des Troja-Romans stammt wohl . aus dem x. Jh. u. Z. Es ist aber verloren und nur in zwei lateinischen Fassungen aus der Spätantike greifbar.
Diktys von Kreta Der angebliche Teilnehmer am Trojanischen Krieg gibt sich als Verfasser eines Tagebuches über diesen berühmten Krieg aus (Ephemeris tu TroikU polemu). 72 Durch einen komplizierten "Prologus" am Anfang soll der historische Gehalt des Tagebuches unterstrieben werden: Es sei in punischer Sprache abgefaßt und erst im "13. Regierungsjahr Neros" durch ein Erdbeben aus dem Grab des Diktys von Hirten aufgefunden! worden. Auf Befehl des Kaisers sei es ins Griechische übersetzt worden. Dieses griechische Original73 war den Byzantinern Johannes Malalas und Johannes Antiochenos noch bekannt, während für den lateinischen Westen die etwas gekürzte, lateinische Fassung eines L. Septimius aus dem 4· oder vielleicht aus dem 5. Jh. u. Z. maßgeblich wurde. '1!1 Der Name Diktys kommt bezeiChnenderweise bei Homer gar nicht vor. "Daß man zu all dem Erdichteten gleich auch die Gewährsmänner hinzuerfand, liegt im Stile solcher Literatur", so A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, 3· Auf!. Bem-München 1971, 960. Der vorangestellte "Prologus" bemüht sich um bewußte Authentizität, damit der Roman wie ein Geschichtswerk seriös erscheinen kann, vgl. H. Kuch, Die Herausbildung des antiken Romans als Literaturgattung, S. 44 f. ; K. Treu, Der Realitätsgehalt des antiken Romans, S.' IZ4 in diesem Band. 73 Reste des griechischen Originals auf Papyrusfragmenten wurden im Jahre 1907 gefunden (Pack Nr. 240 aus dem 3· Jh. u. Z.). 15*
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I n h a 1 t : In einem vorangestellten Brief (Epistula) an einen gewissen Q. Aradius Rufinus7' berichtet Septimius über seine Übertragungsmethode, die sich ziemlich getreu an das Original hält. Das "Tagebuch über den Trojanischen Krieg" erzählt die "wahren" Begebenheiten ganz vom griechischen Standpunkt aus. Diktys hatte als angeblicher Kreter auf der Seite der Griechen gekämpft. Die Darstellung beginnt mit der Entführung der schönen Helena, es folgen die Kriegsereignisse, und geschlossen wird mit der Heimkehr der Griechen - bei' Septimius als 6. Buch - bis zum Tode des Odysseus. Sagenhafte Elemente fehlen fast völlig, was auch wieder für die angebliche Historizität spricht. N a c h w i r k u n g : Diktys und Dares wirkten stark in den mittelalterlichen Trojaerzählungen nach. Erst die wiedererkannte Bedeutung Homers hat das Interesse an den Troja-Romanen verdrängt. Noch Goethe hat aber 1799 beim Plan für seine "Achilleis" Oiktys wie Dares als Vorlage benutzt. Textausgaben: Lateinische Editio princeps: Köln 1470; Griechische Fassung: FGrHist49; B. P. Grenfell/A. S. Hunt/E. J. Goodspeed, The Tebtunis-Papyri, Bd. z, London 1907 (zum Papyrus Pack Nr. 240); Lateinische Fassung: W. Eisenhut, Leipzig 1958' (BT) ;> z. Aufl. 1973; Griechische und lateinische Fassung: Der griechische und lateinische Diktys, hrsg. von M. Thm, in: Hermes 44, 1909, 1-%%. Literatur: J. Forsdyke, Greece before Homer, London 1956; R. M. Frazer, The Trojan War. The Chronicles of Dictys of Crete and Dares the Phrygian, Bloomington-London 1966 (mit engl. Übersetzung) ; W. Eisenhut, Spätantike Troja-Erzählungen - mit einem Ausblick auf die mittelalterliche Troja-Literatur, in: Mittellateinisches Jahrbuch 18, 1983. 1-28. Zum Nachwirken: E. Patzig, Johannes Antiochenus und Johannes Malalas, Programm Leipzig 1892; H. Dunger, Die Sage vom Trojanischen Krieg in den Bearbeitungen des Mittelalters, Programm Dresden 1869; N. E. Griffin, Dares and Dictys, Baltimore 1907; S. Schnell, Mittelhochdeutsche Trojanerkriege, Diss. Freiburg 19!3·
Dares von Phrygien
Wie Diktys gibt sich Dares als Teilnehmer und Augenzeuge des Trojanischen· Krieges aus. Der Hephaistospriester Dares, dessen Söhne den Kampf gegen Diomedes beginnen,75 soll als: angeblicher Erzieher und Berater Rektors eine "Ilias" verfaßt haben/6 die aber nur in der lateinischen Bearbeitung "Historia de excidio Troiae" (Geschichte über den Untergang Trojas) vorliegt. In einem vorangestellten Brief (Epistula) des angeblichen Verfassers, des Cornelius Nepos, an Sallust wird berichtet, daß der Römer den Augenzeugenbericht des Dares selbst gefunden und ins Lateinische übersetzt habe. Wieder wird die bewußte Historisierung deutlich, noch dazu unter Berufung auf anerkannte Historiker! In Wirklichkeit stammt das Werk aus der Zeit zwischen dem 4./5. Jh. und dem Ende des 6. oder dem Anfang des 7· Jh. u. Z. I n h a 1 t : Das Werk behandelt ausführlich die Vorgeschichte des Trojanischen Krieges vom Argonautenzug an und schildert breit den Untergang der Stadt bis zur Flucht des Aeneas. Im Werk wird die Feindschaft gegenüber den Griechen betont, ebenso die 74 75
76
Eine Identifizierung mit bekannten Namensträgern ließ sich bisher nicht herstellen. Homer, Ilias s, 9 ff. Diese "phrygische Ilias" bezeugt Älian (Varia historia 11, z) im z. Jh. u. Z. Wahrscheinlich stammt das griechische Original aus dent 1. Jh. u. Z. Von ihm sind aber nur wenige Zitate erhalten.
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Distanz zu Homer. Patroklos fällt beispielsweise lange vor dem Zorn des Achilleus; Trojas Untergang wird durch den Verrat des Aeneas bedingt u. a. N a c h w i r k u n g : Die lateinische Fassung, in vielen Handschriften erhalten, übte eine nachhaltige Wirkung im Mittelalter auf die trojanischen Rittergeschichten; aus. Benoit de Sainte-Mores "Roman de Troie" von u6x wurde das Vorbild für spanische, italienische und deutsche Nachdichtungen, z. B. für Konrad von Würzborgs "Trojanerkrieg" um U.7J und Hans Mair von Nördlingens "Buch von Troja" von 1392. Textausgaben: Lateinische Fassung: F. Meister, Dresden 1873. J. Johnson, Index criticus verbarum Daretis Phrygii, Diss. Nashville 19~8 (Nachdr. Hitdesheim 1968). Literatur: Vgl. die Angaben zu Diktys in diesem Kapitel; 0. Schissei von Fleschenberg, DaresStudien, Halle a. S. 1908. Zum Nachwirken: vgl. die Angaben zu Diktys; A. Joly, Benoit de St. More et le roman de Troie, Paris 1870/71.
Historia Apollonii regis Tyri "Die Geschichte des Apollonius, des Königs von Tyrus" ist die lateinische Fassung aus dem 5. oder 6. Jh. u. Z. des verlorenen griechischen Originals eines Abenteuer- und Liebesromans, das wohl am Ende des z. oder. Anfang des 3· Jh. in Syrien entstanden ist.71 I n h a 1 t : Die Abenteuer und Leiden, die unverbrüchliche Liebe und Treue der Gatten, die Trennung und schließliehe Wiedervereinigung von König Apollonius und seiner Frau Archistratis werden geschildert. Für seine Klugheit - Lösung des Freierrätsels in Antiochia - und Tapferkeit erhält der König zum Schluß reiche Belohnung: Er wird Herrscher in Tyrus wie in Antiochia. Neuartig ist in diesem Roman die Einbeziehung der Leidensgeschichte der Tochter der beiden, Tarsia, so daß man vom neuen Gattungstyp des "Familienromans"78 sprechen könnte. C h a r a k t e r i s t i k u n d N a c h w i r k u n g : Der Roman ist im Laufe der Zeiten stark verändert und ergänzt worden. 79 Erste christliche Elemente werden greifbar, wohl von dem Bearbeiter des J. oder 6. Jh. u. Z. Dieser volkstümliche Unterhaltungsroman war in über 70 Handschriften verbreitet und im Mittelalter sehr beliebt. Mehrere lateinische Bearbeitungen liegen vor: Die "Gesta Apollonii" aus dem Io. Jh. in Hexametern, das "Pantheon" von Gottfried von Viterbo vom Ende des xz. Jh., die "Gesta Romanorum" aus dem I4. Jh., die die Grundlage für viele nationalsprachliche Fassungen waren. Altenglisc:he Fragmente existieren aus dem I I. Jh., desgleichen spanische, französische und italienische Übersetzungen aus dem I4. Jh., eine neugriechische Rückübertragung aus dem I6. Jh. Im deutschsprachigen Bereich sind die Über77 G. A. A. Kortekaas, Historia Apollonii Regis Tyri, Groningen 1984, 125-131. -
Vom lateinischen Original sind zwei verkürzte Bearbeitungen, Rezension RB und RA, erhalten, vgl. dazu die neue synoptische Ausgabe von Tsitsikli. 78 Diesen Terminus schlägt vor T. Szepessy, Heliodorus und der griechische Liebesroman (Autorreferat der Diss. B.), in: Homonoia 3, 1981, 104. Dazu rechnet er auch frühchristliche romanhafte Erzählungen wie die Pseudo-Klementinen. 79 Merkelbach, Roman und Mysterien, 171, sieht in diesem Apollonius-Roman "einen ursprünglichen Isis-Roman".
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setzung Heinrichs von Neustadt um 1471 zu verzeichnen.
1 ~oo
und die Prosafassung H. Steinhöwels von
Textausgaben: D. Tsitsikll, Meisenheim am Glan• 1981 (Beiträge zur klassischen Philologie 134); F. P. Waiblinger, München 1978 (zweisprachig: latein.-deutsch); G. L. Schmeling, Leipzig (in Vorbereitung). Oberself.Ung: R. Peters, 2..Aufl. Berlin I904; Kytzler, Bd. x, I67-2.2.3; I. und J. Schneider, Berlin I986 (nach dem Text der .,Gesta Romanorum" übers. und hrsg.). Literatur: E. Klebs, Die Erzählung von Apollonius aus Tyrus. Eine geschichtliche Untersuchung über ihre lateinische Urform und ihre späteren Bearbeitungen, Berlin I 899; Perry, Ancient Romances, 2.94-32.4; T. I. Kuznecova, in: Antienyj roman, I 32.-1 J J; R. Ziegler, Die Historia Apollonil Regis Tyri und der Kaiserkult in Tarsos, in: Chiron 14, 1984, 2.2.0-2.34 (Datierung in die erste Hälfte des 3· Jh. u. Z.); G. A. A. Kortekaas, Historia Apollonii Regis Tyri, Groningen 1984. Zum Nachwirken: C. B. Lewis, Die altfranzösische Prosa-Version des Apollonius-Romans, Leipzig I9I3; N. A. Nilsson, Die Apollonius-Erzählung in den slavischen Literaturen, Uppsala I949; J. Raith, Die alt- und mittelenglischen Apollonius-Bruchstücke, München I9J6 (Studien und Texte zur englischen Philologie 3).
Chion-Roman Ein Briefroman in 17 Briefen, der als angeblichen Verfasser Chion von Herakleia am Pontos, einen Politiker und Schüler der Akademie des 4· Jh. v. u. Z., nennt, schildert die Umstände der Ermordung des Tyrannen Klearchos von Herakleia 3,2 v. u. Z. Die Briefe sind höchstwahrscheinlich aus dem x. Jh. u. Z. Textausgabe: I. Düring, Chion of Heraclea. A Novel in Letters, Göteborg I9P (mit Kommentar und englischer übersetzung; Nachdruck New York 1979). Literatur: J. Görtz, De Chionis epistulis, Diss. Straßburg 1912..
Abkürzungsverzeichnis
Abh. AdW AdWderDDR Auf!. Bd., Bde. bes. BT bzw. DAW d.h.
d. i. DLZ f., ff. F Gr Hist
Ges.- und sprachw. R. Hrsg., hrsg.
HRR HZ )b., Jbb. Jg. Jh., Jhh. JHS
JWG MEW
Mus. Helv. Nacbdr. NF
Abhandlung Akademie der Wissenschaften Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik Auflage Band, Bände besonders Bibliotheca Teubneriana beziehungsweise Oeutsche Akademie der Wissenschaften das heißt das ist Deutsche Literaturzeitung folgend(e) Die Fragmente der griechischen Historiker, hrsg. von F. Jacoby, 3 Bde., Berlin-Leiden 1923-1958 (z. T. Neudruck, mit Kommentar) Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe Herausgeber, herausgegeben Historicorum Rarnanorum Reliquiae, hrsg. von H. Peter, Bd. 1-2, Leipzig 1883-19o6 Historische Zeitschrift Jahrbuch, Jahrbücher Jahrgang Jahrhundert(e) Journal of Hellenie Sturlies Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte Marx-Engels-Werke, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin, seit I 960 Museum Helveticum Nachdruck Neue Folge
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
NS RAC
RE Reclam Rhein. Mus. SB sog. SQAW u. a. übers. usw. u.Z. vgl. v.u.Z. VDI Vorsokratiker WdF
wz
ZIAGA z.B.
z. T. z.Z. Zs.
New Series Reallexikon für Antike und Christentum Realencyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, hrsg. von A. Pauly, G. Wissowa, W. Kroll, K. Mittelhaus, K. Ziegler und W. John, Stuttgart, ab 1972. München, 1893-1980 Reclams Universal-Bibliothek, Leipzig Rheinisches Museum Sitzungsbericht(e) sogenannt(e, er, es) Schriften und Quellen der Alten Welt und andere(s) übersetzt und so weiter unserer Zeitrechnung vergleiche vor unserer Zeitrechnung Vestnik Drevnej Istorii H. Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch, Bd. 1-3, 6. Aufl. von W. Kranz, Berlin 195 11I9p, 17. Aufl. 1974 Wege der Forschung Wissenschaftliche Zeitschrift Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie zum Beispiel zum Teil zur Zeit Zeitschrift
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LITERATURVERZEICHNIS T. Szepessy, Die Aithiopika des Heliodores und der griechische sophistische Liebesroman, in: Acta Antiqua 5, 1957, .141-.159 (Nachdruck in: Beiträge zum griechischen Liebesroman, hrsg. von H. Glrtner, Bildesheim 1984, 43.1-450) P. G. Walsh, The Roman Novel: The "Satyricon" of Petronius and the "Metamorphoses" of Apuleius, Cambridge I 970 F. Wehrli, Einheit und Vorgeschichte der griechisch-römischen Romanliteratur, in: Museum Helveticum .1.1, 1965, IH-154 0. Weinreich, Der griechische Liebesroman, Zürich, 196.1 F. Zimmermann, Griechische Roman-Papyri und verwandte Texte, Heidelberg 1935 (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums und des Mittelalters, R. 3, H. z) -, Chariton und die Geschichte, in: Sozialökonomische Verhältnisse im Alten Orient und im klassischen Altertum, Berlin 1961, 3.19-345
Abbildungsnachweis
L. Alscher, Griechische Plastik, Bd. 3-4, Berlin I9J6-I9H= q, I6, 2.3 R. Müller (Hrsg.), Kulturgeschichte der Antike, Bd. I, 3· Auf!. Berlin I98o: n; Bd. z, z. Auf!. Berlin I982.: 2., u, 30, 3I, 34, Umschlagbild M. Napoli, Pittura antica in ltalia, Bergamo I96o: I8, I9, zo, zz, 2.6, 2.7 Pro arte antiqua. Festschrift für Hedwig Kenner, Bd. I, Wien-Berlin (West) I98z: 3J Staatliche Kunstsammlungen, Dresden, Skulpturensammlung: I4, 29 Staatliche Museen zu Berlin/DDR, Antiken-Sammlung: I, 3, 4, s, 6, 7, 8, 9, IO, 12, I3a, 2J, 28, H Frühchristlich-byzantinische Sammlung: 3z Münzkabinett: I3b-d, 36 Papyrus-Sammlung: 24, hinterer Vorsatz Ch. Wotke, Berlin: Karte Zeitschri& für Papyrologie und Epigraphik 23, I976: I7 Repro-Fotos M. Hamann, Berlin (auch 37, 38, vorderer Vorsatz) Zusammenstellung des Bildmaterials R. J~hne, Berlin
Register
Abenteuer passim (s. auch Abenteuerlust) Abenteuerlust 39 Abrokomes und Anthia s. Xenophon von Ephesos Achilleus 40, I7o, 222, 229 Achilleus Tatios I3, q, I7, IS, 49, 55> 70, 7I, 74, So, S;, S4, Sj, S6, S7, 9I, 92, 93, 95, 97, 9S, 99, 100, IOI, I03, 132, I40, 141, I42, I44, 146, I4S, I 5I, I 5S, J62, IS3,. 194. 21S f., 220 Achiqar-Roman 209 f.
Adressatenbezug ;6 (s. auch Rezeption; Rezipient) Affirmatives 22, 65. 103 Afrika I 74, 213 Agathon 4I .A.gypten, ägyptisch 44, 4 5, 49, S4, S6, SS, 90. 94. 96, l i 3· 120, 164, I90, I99. 204, 209, 210, 211,1 2Ij, 2I9, 222, 22j Aias 43 Aischylos 43
Aisopos-Roman s. Asop-Roman Aithiopika s. Heliodor Aktivität 42, 44, 162, ISS Alexander d. Gr. 21, 24, 39, 49,
n. 67, 77, II4, Ij7, 1S7, 200,201, 2I9, 224, 226 (s. auch Alexander-Roman; Abb. 14) Alexander-Lied 226 Alexander-Roman 20, 24, 26, 35. 50, II4, IIS,I4S,219,224-226 Alexandria q6, 190, 201, 21S Alian 22.8 Alkescis 69, 160 Alkibiades 64, I 7 3
Amazonen 202 Ammon 225 Amometos 20I Amor und Psyche s. Apuleius (s. auch Abb. I) Amyot, J. 1 s. 220 Anagnorismos I7,_4o, 69, 77, S7 Analphabeten I92 Anaximenes von Milet I 1 3 Andromeda 170 .A.neas, Aeneas 160, I6I, 22S, 229 Anekdote 46, I 3I Anthia s. Xenophon von Ephesos Antigone 43 Antimachos von Kolophon 40 Antiochia I95, 205, 2II, 229 Antiochos von Kommagene 200 Antipatros 224 Antoninus Pius 1 I9, 219 Antonios Diogenes I3, 17, 37, 40, S9, IOO, III, I46, 148, IjS, 189, 210f.
Aphrodisias in Karien 203 Aphrodite 42, 79, So, 99, 130, 144, I45, I47, 157, 165, 170, 204 (s. auch Abb. 9, Io, 11, ;6a) Apollon 54, I42, I44, I45, 166, 170, 199, 210
Apollonius, König von Tyrus s. Historia Apollonii regis Tyri Apollonios von Tyana so Apronianus 1 S9 Apuleius 13, 14, 37, 40, 4I, 42, 44, 55> 66, 70, 71, 74f., So, 105, 1o6, 112, 114, 115> IIS, 12I, I22, I4I, 144, 146, 147·
REGISTER IP~. 151, x6x, 16~, 175, 177, x8o, 181, 184, I94, zo~, 111-ZJS, 116 (s. auch Abb. 35) Apulien I74 Arbeit 34, n. 6o, 6x, 111, I11 f. Ariadne x66 Aristeides von Milet 37, 44, 103, zo6 Aristophanes 4I, 178, 118 Aristophontes von Athen u6 Aristoteles 4I, 43, I56, 114, 115 Armeoien z xs Arrian 115 Arsake s. Heliodor Arsinoe xs6 Artaxerxes II. n. 88, I6s, 104 Artemis 41, I4S. 147, I48, zi8 (s. auch Abb. I6,z6) Ascyltos s. Petron Asop 14 (s. auch Asop-Roman) Asop (Aisopos)-Roman zo, so f., 109 f. Ästhetik, antike I;-x6, I8, 13, I79, I94, I9S, I96, I97 -,byzantinische x6-I8 Athen Hf., 88, 9I, 104,111, 111, zi6, 111 Athena, Athene I~8, 101 Athenagaras 68, 104 Athiopien, Athiopier, äthiopisch 18, 86, 94, 96, zoo, zzx, 111 (s. auch Abb. s) Atlantis-Erzählung 47, 48, sz, 200 Augustus xs6 Auphria ISS Aurelianus, L. Domitius I s6 Authentizität 45, 54 f., 67, I03, 114, 119, I94 Automatisierung 23, 25, 7I, 91, 94, 103 Autonomie, relative 26 Autopsie 45, 54 f., 67 Autor 11, 11, 2I, 23. passim Avita IS9
Babyion SS, 167, 209,.2I6 Babyloniaka s. Jamblich Balzac, H. de I S6 Bearbeitungen I S4, I92 f. Bedrängnis S4, Ss, 112 Begierden 84, S5
Bel I ;s Belehrung 67, ISx, 194 Bericht 7, 94, 9 5, 96 Bibliographie I9S-230 Bildung, Gebildete 37, IH, ISI, IS2, 18~ bis IS6, IS9, I92 f., I95, I96, I97 Biographie 25, 45 f., 50, 119, IS3 Boccaccio, G. 44, 103, 214 Botenbericht 41 Brasidas 64 Brief 46, I94 Briefroman 20, 25,46 Buchwesen 36, 1S4, I90, 191, 193, I94 Bukolik 23, 25, 59, 72 f., So, S3, IOI, I02, 123, I6S Buntschriftstellerei 46 Burleskes 26, 117, I ;o Caecilii Metelli I 7 5 Caesennia I 5S Calderön de la Barca, P. 223, 116 Callistus 173 Campanella, T. 62, 201 Canova, A. 214 Carrhae 37, 206 Cato maior (M. Porcius Cato Censorius) 129 Cena Trimalchionis s. Petron Cervantes, M. de 89, 2 I 1, 22; Chaireas und Kallirhoe s. Chariton Chares von Mytilene 49 Charikleia und Theagenes s. Heliodor Chariton I3, 17, 20, 23, 27, 2S, 30, p, ;s, 40, 42, 57, 6o, 63, 64, 65, 66, 6s, 69, 70, 71, 74, 75, 77, 7S, 79, so, 83, 85, 86, 87, 88, 91, 95, 97, 98, 99, 103, 104, II7, I 30, I40, 142, 144, 145, I46, I p, 160, I65, I66, x68, I77, I8I, 182, 184, I85, x86, 203-205, 2I7 Chion von Herakleia 20, 25, 46 Chion-Roman 130 Chione-Roman 205 Christentum ;o, 114, 112, 159, x6;, 171 christliche Osterpredigt I9I Cicero (M. Tullius Cicero) 14, ;6, 41, 44, 66, 71, 129
REGISTER
Claudius (Tib. Claudius Nero Germanicus) 173, 174, 17J Columella (L. lunius Moderatus) 206 Constantius II. (Flavius Claudius Constantius) 227 Crassus (M. Licinius Crassus) 173 Cremer, F. 217 Curtius Rufus, Qu. 22 s Dämon 98 Daphne bei Antiochia 195 Daphnis und Chloe s. Longos Dareios I. s3 Dareios 111. 224 Dares von Phrygien 26, 27, 54, 75, 100, 22S f. Datierung 107-109, 19S-230 Defoe, D. 104 Deinias s. Antonios Diogenes Deiphi SS, 93, 170, 171, 209, 222 Demainete s. Heliodor Demeter 137, 13S, 147 Demosthenes 190 Derkyllis und Mantinias s. Antonios Diogenes Diadochen 33, 54 Dialog 40,95 f., 126, 131, 179 Diatribe 126 Dichtung 14, I7, 109, 12S, I32, 133, IS6, I94 Diderot, D. 17, I04 Dido I6o, I6I Diktys von Kreta 26, 27, 54, 75, IOO, 227 f. Diodor 24, 27, 2S, 46, 4S, 54, 55. 56, ss, 59. 62, 72, 76, 11· S9, Ill, I99o 200 Diomedes 22S Dion von Prusa 72, I IS Dionysios s. Chariton Dionysios Skytobrachion 34, 63, 20I f. Dionysos 39, I3S, 145, I4S, 202, 220 (s. auch Abb. 36d) Don Quijote S9 Drama I7, I9 f., 29, 36, 40, 43, 107, 1S4, I96 Dubois, A. 223
Ehe 69, 7S, So, S3, S4, 117, 156 Eigengesetzlichkeit 20, 26, 39 einfaches Leben 34, 6I, 72 Elektra 4I, 43, 1S7 elektronische Medien 7, I 12 Eleusis 122 Emesa in Syrien IS2, 221, 223 Encolpius, Encolpios s. Petron Ennius, Qu. 199 Entkommen s. Rettung Ephesiaka s. Xenophon von Ephesos Ephesos SS, I30,2I7,21S Epicharm 4I epische Mittel 94-96, I03 Epos 7, 2S, 29, 36, 39 f., 7S, 107, 133, 179· IS4 Eris 9S Ernst 126, I79 Eros 42, 63, S3, 9I, 99, IOO, qo, 140, I43o I44o I4S, IJ7, 160, I70, I82, 2.17, 2IS, 220 (s. auch Abb. 3, 11, 27, 36a) Erotik 7S, S4, I32, 1S3, I9J Erwartungshorizont I 3, 36, 7I, 1S3, I93 Erzählperspektive 67-71, 73, 74, 97-Io2, Erzählen, Erzählung passim 104, I32 Erzählweise s. Erzählperspektive Eselsroman IOJ, 212 Eskapismus-Denken 41 Essay 7 Ethos 43, 44, 6I, I 11 f., 117, 129, 194 Eugenianos, Niketas 223 Euhemerismus 56, n, I37 f. EuhemerosvonMessene 23, 25, 27, 2S, 34, 54-5S, 62, 6S, 121,1 157, I99 f., 202 Eumolpos s. Petron Euripides 40, 4I, 43, 46, so, 69, So, S7, 117, 146, 1n. 16o, I 9o Eusebios 54 Eustochia 1S7 Exkurse 44 f., SS Exotik 27, 35, 58, 109, 113, 1S7, 194 Fabel 14, 46, ISI Felicitas I 57 Ferne 35, sS, Il2
REGISTER
Figuren 43, 77, 9I, I03, I04, I09, 112, 113, IIJ, 117 f., 120, 12S f., I35o I39o I40, I4I, I44o I4So IJO-I77, IS6, IS7, I9I (s. auch Typen) Fiktion I4 f., I6, 22, 24, 27,. p, 36, 3S, 4So JO, 64, 67, 89, I03 f., I09, II4, IS3, I94. I97 Fird usi .2.26 Folter, Mißhandlung Ss Fontainebleau 223 Formen 22, 26, 7I (s. auch Motive, Strukturen) Fortuna I4I, In. I76 (s. auch Tyche; Abb. I3a) Frauen 37, 6I f., So, II4, I24, I so-q9, ISS f. Freie n,6I, 12I, Ip, ISI Freigelassene 7I, 73, IIJ, I20, 12S, I30, Ip, Ip, I73-I7So ISO Freiheit Ho S7 Freundschaft 79 Frieden 4S, 59,62,79 Friedrich Il. von Preußen 2oS Funktionen 20, 37, 52-SI, 103, 104 Funktionswandlungen s2-81, 104
Gerechtigkeit 2S, 34, 4S, S3, 5S Gerichtspr~eß 17, 66, 69, 96, IJS, 2.04 Geschichte I4 f., 22, 24, 27, 2S-39, 64, SS, II 3, II4, 119 Geschichtsschreibung I s, 22, 29, 44 f., 47 f., 49 f., Ho I09o 114, 129, I36 f., I79, IS2, IS5o 1S6, I94 Geßner, S. 2.2I Gesta Apollonii 229 Gesta Romanerum 229 GilBlas I04 Giton s. Petron Gleichheitsprinzip 34, 61, 62 Gluck, Ch. W. 22 I Goethe, J. W. von I04, 123, I69, 17S, 220, 22S Der goldene Esel s. Apuleius Goldenes Zeitalter 24, 34, 52, 63 Götter 42, 56, n. I32, 144 f. GottEried von Viterbo 229 Grab ss, 99 Guerilleros 1S7 Gutes Endes. Happy-End Gyges 44
Hadrian (P. Aelius Hadrianus) 3S Händel, G. F. 226 Handlung 71, S2, 83,91-94,9S, 103,104, Ganges 200 132, xSs xos, Garmos s. Jamblich Handschriften 196 Gastmahl des Trimalebio s. Petton Happy-End 16, 24, 27, 35, 40 f., 71, 75 Gattungen s. Literaturgattungen bis Sx, x6o, 172, 176, IS7 Gattungsbeschreibung .2.2-2s, passim Heilige Insel n, s6 f. Gattungsgeschichte I I-s I Gattungstheorie I 3-2S (s. auch Literatur- Heinrich von Neustadt 230 theorien) Hekataios von Abdera 23, 2.7, 2S, 34, n. Gefahr 24, 35, S2, 132 54, sS, 6o, 199, 200 Gefangenschaft 27, 66, 69, Ss . Rektor 22S Gegenbild, Gegenwelt 22-24, 27, 34, 37, Helena I46, x6o, :i65, 22S 4S, J2, Ho n. ss. 6s, 72 f., 7S-8I, I II, Heliodor I3 f., 15, 17, IS, 23, 27, 2.S, 3J, 123, 164, IS6 f. 40, 4I, 42, 45. 66, 67, 70, 7I, so, S3o Ss, Gemeineigentum 34, 6 I S6, S7, ss, 90, 92, 93· 94. 95. 96, 99. 102, gemeinsamer Tod So 103, I04, I2I, I4I, I43o I44. I45. 146, I4S, 1p, 152, IH, 154, 156, x6o, 161, Gentilgesellschaft n. 6I, 63 Genuß s. Vergnügen 164, 169-172, 177, 1S2, I8J, 21S, 2.2I geographisch-ethnographische Literatur bis 224 Helios I43• I4S, IS2, 22.2., 2.2.3 44 f., 52 f., S9, I94
REGISTER
Hellenismus 24, 3I, 32, H• 34, 3S, 39, 46, IOJ, lOS, 126,137, I39, I45, 1,6, ISS, IS7 Hera I37, I47, IS7 Herakles 202 Herculaneum I s7 Hereule Poirot S7
Herembert, J. I s Hermesianax von Kolophon 40 Hermokrates 64, 69, 70, 79, SS, 204 Herodian IS3 Herodot von Halikarnassos 44, 45, 53, 113, 122, ISj, IS6, IS7, 204, 205, 2JS
Herondas n6 Herren 72 Hestia I37 Himalaja zoi Hinrichtung 86 Hippolytos S7, 92, I46, 222 Historia Apollonii regis Tyri 27, 100, I46, 14S, 229 f. historische Voraussetzungen 21, zS-39, 73 historischer Stoff 24, z6 f., so, S4 f., 63 f., SS, 114, 135
Hochzeit s. Ehe Homer 29, 39, 40, 4S,
sz, s 3, 57, 6o, 6I, 6s, 67, 77, 7S~ 99, Io7, I 30, I46, I6z, 174, I79, ISS, I90, 2II, 222, 22S f. Horaz (Qu. Horatins Flaccus) IH, I7S Hörer 36, I79, ISI, I96, I97 (s. auch Leser) Horus 146 Huet,P.-D. I4, Ij, IS Humanität zS, 6I, 6z, 74, 7S, 172 Hypatia IS7 Hyperboreer 54, I99, zoi
Idealität 26, 2S, 43, H "Identität mit sich selbst" 43, 162 Idylle 24, 59, 72 f., So Illusion, illusionistisch 22, 24, zS, 36, 6s, 76, 77.' 79, So
Illustrationen I96 Indien, indisch 34,
n.
76, 77, S4, zoo,
ZOI, 22j
Individualismus
34, 35, 63
Individuum
I6, 3I, 33, 34, 35, 43, 44, p,
6~. 6s, So, uo, 129, 162, 163, 177
Insel 54, SS. 59, 73 Iotaos-Fragment 209 Iphigenie 43 Ironie 22, 74, IOj, Io6, n6, I3J, I32, IH Isidora 37, I 5S, I S9 Isidorus, C. Caecilius I74• I75 Isis 42, So, I2I, I3S, I43, I44, I45, 146, I47. 14S, IS7, I67, I76, I77· 210, 2I3, 2I4, 2I7, ziS, 222 (s. auch Abb. 30) Isokrates 4 s Itinerarium Alexandri 227
lulius Valerius (Iulius Valerius Alexander Polemius) 225, 226 f. Jamblich(os) I5, I7, 34, 35, 42, IOO, 117, II9, I%1, 123, I46, I4S, I p, IS9. I67 f., I72, I83, IS4, IS6, ISS, zq f. Jambulos 20, 23, 24, 27, 2S, 35, 46, 48, 57, sS-62, 6&, 72, 73 , 76, 77 , III, I64, f. Jesus I92 Johannes Antiochenos 227 Julia Domna I s6 (s. auch Abb. I 3b) Julia Maesa I s6 Julia Mammaea I s6 200
Julian (Flavius Claudius lulianus)
14, 15,
I6
Juno I57 Juvenal (D. lunius' luvenalis)
129, I 32
Kaiserzeit, römische
30, 31, 37 f., 105, nS, 127, 129, I37, I3S, I39, IjS, I72 bis I75, ISo (s. auch Rom)
Kalasiris s. Heliodor Kallimachos 40, I 6 I Kallirhoe s. Chariton Kallisthenes n. 22j Kampanien I74 Kampf 66,69 Kandake, Kandakis 224 Karthago I6o, 213 Kassander, Kassandros 54, n. I99 Kassios I3S Keuschheit S4, ss, II7, I 57, ISS, I62, 2IS, 223
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Kilix 138 Kinder 6I, 6.2.; 63. 78, 117, 12.3, 1 p, 165 Kindesaussetzung 87, 12.3, .2..2..2. Kirke IIO Klassenauseinandersetzungen 30 f., 57 Klassengesellschaft~ antike S, 2.4, passim Klassizismus 3I Klearchos von Herakleia .2. 30 Kleitarch 53, 2.06 Kleitophon s. Achilleus Tatios Klemens(Clemens)-Roman .2.0, 12.2., I46, I 59 Kleopatra VII. I s6 (s. auch Abb. I 3d) Klytaimestra 43 Knemon s. Heliodor Kodex IS4 Kolchis .2.0.2. Komik, komisch 74, 7S, III, 115, 12.3, u6, I H (s. auch Komödie; Roman, römischer) Kommunikation .2.0, passim Kommunikationsästhetik I I - I 3 Kommunikationsverhältnisse I7, .2.0 f., 36, 73, 75• 103, I 39, I49 Komödie I4, Ih I6, I7, .2.3, .zS, 35, 40 f., 42., 4 3, I 12., 12.0, 12.4, I p, I 36, I 53 , I 54, IH, I6o, I6S, I79, ISS, 195 (s. auch Komik) Kompensation I03, II2, uS, I39, I63 Komposition s. Strukturen Konrad von Würzburg .2..2.9 Konsumtion 12. Kontrastbild s. Gegenbild Korinth q.z, 176 Krieg 3.2., 37, 4S, 6.2., 66, 69, 79, S5, S6, 113, 119, 12.0, IS7 Krisen 3;, 33, 35, 37 f., 53, uS, I.2.9, IS7 (s. auch Poliskrise) Kritias .2.00 Kroisos 44 Kronos I 37, 2.00 Kroton I 30, I p, I B· .2.07 Ktesias von Knidos zS, 49 Kunst I6, 34, 39, I3.2., I96 (s. auch Malerei) Kunsttheorie, antike s. Ästhetik, antike
Kureten I3S Kurzfassungen IS4, I9.2. f., .2.I7 Kurzgeschichte 7 Kybele qS kynische Literatur 12.6 Kyros 47, 4S, 49, H
Laclos, P. A. F. Ch. de I04 Laktanz (L. Caecilius Lactantius) I99 "Langsamschreiber" I 9.2. Lebenstüchtigkeit I 3I Lehrgedicht I94 Leonore I69 Lentulus, Cn. Lentulus Augur I75 Lesbos 73, .2..2.0 Lesen s. Leser Leser n, I 3, .2.I f., 36, 37, 66, 6S, 74 f., I0.2., I03, I39· ISS, I7I, I9.2., I93· 196, I 97 (s. auch Hörer; Publikul ; Rezeption; Rezipient) Lessing, G. E. 12. I Leukippe und Kleitophon s. Achilleus Tatios Liebe passim Liebeselegie .2.9, 40 Liebespaar 35, 43, 49, So, S.z, S3, S8, 94, 106, 12.3, Ip, IH, ISS, 171, 191 literarische Inspirationen .2. I, 2.9, 39-51, I I 3 (s. auch Traditionen) literarische Prozesse 39-5 I Literaturgattungen 7 f., I3-p, I07, III, 12.6, 178, 179, ISo, I9I, I95 (s. auch Romangattung) Literaturtheorien n-q, I7, I8-.zS (s. auch Gattungstheorie) Livia (Livia Drusilla) I 56 Lollianos 35, I9I, .2.15 Longos I 3, .2.4, .2.5. .2.8, 4.2., 47, 49, 66, 71, 72, so, s.z, s3, S4, 85, 86, S7, 9I, 95, 96, I01, I0.2., I03, 12..2., 12.3, I40, 143, 144, I4S, I46, I4S, Ip, 158, I6.2., 168 f., 1S.2., 184, 2.2.0 f. (s. auch den vorderen Vorsatz) Lope de Vega (Lope Felix de Vega Carpio) .2..2.I, .2..2.6
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Lucan (M. Annaeus Lucanus)
IH, 207,
208
Lucilius, C. I32 Ludus s. Apuleius (s. auch Abb. 37) Lucullus (L. Licinius Lucullus) 206 Lukäcs, G. 7 Lukian von Samosata I04, Io6, III, I83, 200, .ZIO, 211 f., 2 I 3 Lukios von Patrai 70, 104, 105, 2I2 Lykainion s. Longos Lyrik 29, 40, I07, I23, I79 Macrobius (Ambrosius Macrobius Theodosius) I4, I5, I6, 36, 4I, 66, 67, 7I Madaura 2I2 Maillol, A. 22 r (s. auch den vorderen Vorsatz) Mair von Nördlingen, H. 229 Makabres 23, 48 Malalas, Johannes 227 Malerei 49, 132 Mann, Th. 7, 74, roi Manon Lescaut I04 Manzoni, A. 22 3 Marcella I89 Märchen 46, I3I, I45, I76, I95, 2I4 Mark Aurel (M. Aurelius Antoninus) .2 I6, 2I9
Marpessa 40 Martial (M. Valerius Martialis) 129, 132 Märtyrerakten 114, I22 Marx,K. 12 Massalia 207 Materialismus, historischer 32 Medea II7, I6o Medizin I5, I83, 195 Megasthenes 53 Meleagros 39, 40 Melite s. Achilleus Tatios Memphis go, 143, I53, I7I, I72 Menander, Menandros I4, 40, 41, 42, 66, II2, 117, 12I, I23, 124, IJ3, 154, IJ5, I6o, I95, Ig6 Menippeische Satire 126, I27, 128, 207 Menschenbild 4I-44, I2I, 126, 129, I6o bis I77
Merkur I73 Meroe 89, I7I Mesopotamien 44 Metamorphosen s. Apuleius Metiochos-Parthenope-Roman 3I, II 3, I9I, I92, I95, 205 f. (s. auch Abb. I7) Milesiaka s. Aristeides von Milet; Sisenna, L. Cornelius Milet 84, 88, 203, 204 Miltiades 31, 113, 205 Mimnermos von Kolophon 40 Mim~s 4I, 126, 132 Mithras I48, 2 I6, 222 (s. auch Abb. 4) mittlere Gesellschaftsschichten 30,. 33, 35, 37; 38, I8o, I86, I90, I93. I96
Möglichkeit I2, 22 Moiren I40, I44 Monnica I57 Monolog 40 Moll Flanders I04 Moral s. Ethos Morus, Th. 59, 62, 20I Mosaikdarstellungen 113, I95, I96 (s. auch Abb. I7) Motive 26, 35, 47, 7I, 82-87, I03, I07, I I4, I46, I 50, I6o, 16r, r62, Ig6
Mozart, W. A. 118 Mündliches Erzählgut 46, Ig6, 197 Musik 73 Musonius (C. Musonius Rufus) I 56 Mysterien, Mysterientexte 39, 122, I 38, 145-I49, I 57,214 (s. auch Religion) Mythos, Mythologie 22, 41 f., 57, 107, rog, Ig6
Mytilene
195,220
Nanno 40 Narcissus I73 Natur 24, 34, 54, 55, 56, 57> 58, 6o, 6r, 72, 113> 194
Nemesis I47 Nepos, C. 228 Ner~ (Claudius Drusus Germanicus Caesar) 26, 73. 128, rn, 163, 175, 206, 207, 227
Neuplatonismus
14, q, I6
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Nichtmythisches 22, 27, 4I f. Nikolaos von Damaskos 49 Nikostratos von Makedonien 2 I 9 Nil 45, 88, 222 (s. auch Abb. 28) Ninive 202 Ninos-Roman 25. 3S· so, I46, I p, 164, 165, 191, 202 f., 219 Novelle 24, 29, 44. 112, u6, 130, J88, 203, 206
Nymphen
pax Romana u8 Penelope 78, 205 Perdikkas 124 Perikles I 3S Peripetie 40, IU, 187 Perpetua 1 S7 Persephone I 38, I47 Persien, persisch 33, n. 84, Bs, 86, 88, 90, 96, 171, 187, 225
143.220
Oberschicht 34, 73, 121, I73• I8o, I94-196 Odyssee s. Homer Odysseus s. Homer Oloros 113 Olympias 224 Onesikritos S3 Opferung 86 Orient 34, 35, 47, 49, xo8, 119, 179, 183, 186
Osiris So, 145, I46, I48, 2I8 Osorkon 219 Ostrakon 192 Oxyrhynchos 190 Pali(m)bothra (Pataliputra) 76i. 200 Pallas (M. Antonius Pallas) 173 Palmyra 1 s6 (s. auch Abb. 29) Pan 42, 143, 145. 220 (s. auch Abb. u) Panara ss Panchaia ss, s6, 57, sS, 138, 200 Papyri 37, xo8, 113, 127, r8o, 181, 184, I89-I92, 196
Paradoxes 59,62, I88 paradoxegraphische Literatur 29, 46, 59, 62, 109
Parodie 22, I04-I06, 115, 116, u6, 1%7, 128, 130, 131, 132, 133, 144, I46, 172 bis 177·; 179. 207, 210, 211, 212, %13 Parthenios 46
Parthenope s. Metiochos-Parthenope-Roman Passivität 42, I62 Pathetik 26, 4 s Patroklos 129 Paula xn Paulus 159
Petton (C. [oder T.] Petronius Arbiter) 14, 25. 37· 40, 41, 42, 44. 7I, 73 f., 7S. So, xo6, 112, 114, u s, 116, 118, uo, 123, 126-134, 144, Ip, 163, 172-175. I77, 180, I8I, 183, 184,203,206-209 (s. auch Abb. 38) Phaidra, Phaedra(motiv) r s 2, r6o Phantastik 23, 26, 45, 46, 62, 74, 75, JI4, I30, 197 Philippos von Amphipolis r83 Philippos von Byzantion 223 Philosophie 14, 34, 39, 47 f., 137, rs6, I79· 212 Philostrat II. so Phoinix 40 Photios 13, 17, 36, 37, 119, r68, 178, 183, 184, 189, 210, 213, 216 Piraten 35, 71, 79, 84, Ss, uo, xp, r6:z, 187 Pisonische Verschwörung 207 Platon, platonisch r6, 47, 48, 52, ss. 121, 123, xs6, 173, 190, 200, 213 Plebejer 130 Plinius d. A. (C. Plinius Secundus) 173, 174· 201 Plotin x6 Plutarch 37, 117, u8
Polemius s. lulius Valerius Polis 30, p, 32, ;3, 34, 37, 38, JS, 57, 6o, 6r, 62, 63 f., 6s, 70, 79, u8, uo, IH, 186, 187 Polisdemokratie 30 f., 42, n. I07, I08, Il3, 136
Poliskrise H• 37, 38, sz, q6, 137, 139 {s. auch Krisen) Polybias 118, 136 Polykrates von Samos p, r q, 205
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Pompeins (Cn. Pompeius Magnus)
37,
uo, 2o6
Pompeji IH Poros 224 Porphyrios I89, 2IO Poseidon 40, I37, 207 Potiphar(motiv) 2I7, 222 Prevost, M. 89 Priapus 40, 42, I3o, I44, I73, 207 Privateigentum ;;, H• 56, H• 6I Prodikos 200 Prodromos, Theodoros %%3 Produktion I I-I 3, 29, 32 Produktionsmittel 34. n' 6 I Produktionsverhältnisse, literarische I I bis q, 2I Produktionsweise, antike ;;, n, 139 -,asiatische ;; Proklos I6 Pronoia 42 Prosa 22, 27, I09, uS, I94 Prüfung 83, 9I, I62 Psellos, Konstantinos I 8 Pseudo-Kallisthenes s. Alexander-Roman Pseudo-Klementinen 229 Pseudo-Lukian s. Lukian; Lukios von Patrai Psusennes 2I9 Psyche I47, I76, 2I4 Psychologisches 9I, 9" I04, I66 Ptolemaios I. n. I99 Publikum 35, 36, 6S, Io8, I%5, 178-197 (s. auch Leser; Rezeption; Rezipient) Pudentilla, Aemilia 2 I 3 Pyrrhon von Elis 137, I99 Pythagoras I4S,210 Pytheas von Massalia 53 Rache 42, S5 Racine, J. 226 Raffael (Raffaello Santi) 214 Rationalität 26, n, So Räuber 35, 7I, 84, 8j, uo, I%1, Ip, IS7, 19I, I92
Raum-Zeit-Gefüge S7-9I, I03, I05, 106, 135
Ravel, M. 22 I Realismus, realistisch
zz, 26, 51, 74, 75, 77, SI, II4-II6, II7, I%6, US, I%9, I30, I77
Realität s. Wirklichkeit Redebericht 40 Reden 40,94.95,96 Reflexionen 94, 97-IOI, I04 Reisebericht 46 Religion 39, uo f., I%1 f .• 135-I49, I95 (s. auch Mysterien) Retcliffe, s. Sir John Retcliffe Rettung 24, 27, 35, 64, 76 f., So Rezeption I I-I 3, 29, 36-39 (s. auch Leser; Publikum; Rezipient) Rezeptionsverhältnisse, literarische u- I 3, 2I
Rezipient u, 23, 36-39, 74 f., passim (s. auch Leser; Publikum; Rezeption) Rezitation 196 Rhea I37 Rhetorik 46, 53, u9, 132, I;;, 179, I94 Rhodos %17 Robinson I04 Rom, römisch q6, q8, I 59, 163, 172, 174, 176, 206, 211, 21%, 223, 226 (s. auch Kaiserzeit, römische; Römische Republik; Römisches Reich) Roman -, Abenteuer- und Liebesroman I 5, 20,,.. 23, 2j, 26, 27 f., 3j, 63-72, 72 f., 77. S2 bis 106, u7, 139, I44, 149, q9, I61, 187,. 202, 203, 204, 20j, 210, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 22I, 229 -, Barockroman I5, SI, 104, I69, 223 -,biographischer Roman jO f., 209 -,byzantinischer Roman 23 f., 223 -, christlicher Roman 20, 22, So, I 59
-, Liebesroman s. Abenteuer- und Liebesroman -,moderner Roman 7 f., 19, 25, 42 f., 62, 67, 7I, SI, 94, I04, 162, IS6, IS9, 196
-,mythologischer Roman 201, %%7 -, Reiseroman 210, 211 (s. auch utopischer Reiseroman) -, Romanutopie s. utopischer Reiseroman
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Roman, römischer Roman q, 23, 26, -p, · 73-7S, I05, 106, I08, II4-II6, 126-I34, I 54, I63, I72-I77, 206 -,Schelmenroman Io6, II 5 -,sog. historischer Roman 25 f., 26 f., 50, 75. I08, 224 f., 226 f., 227-229 -,utopischer Reiseroman 20, 25, 27 f., 34. 45. 46, p-62, 76 f., I63, I64, I87, I99-20I Romanbeschreibung s. Gattungsbeschreibung Romanbezeichnungen I 3-IB Romangattung 13-5 I, 125, I92, I93, 195, 196, I97 (s. auch Literaturgattungen) Romantheorien 7 f., 13, I8-28 Römische Republik 74, xo8, 129 (s. auch Rom; Römisches Reich) Römisches Reich 30, 3I, 32, 37-39, 7I, 72, 74, II8, II9, 120, 128, 187 (s. auch Kaiserzeit, römische; Rom; Römische Republik) Rousseau, J.-J. I04 Roussel, M. I 5 R6zewicz, T. xn Rubens, P. P. 214 Rufinus I89 Rufinus, Q. Aradius 227 Sachs, H. 226 Saint-More, B. de 229 Saint-Pierre, B. de 220 Sallust (C. Sallustius Crispus) I29, I 59, 206, 228 Samosata 2 II Samothrake, samothrakisch I 57 Sappho 159, I6I, I88, 220 (s. auch Abb. I8) Sarapis I 38 Satire, satirisch 24, 74, 1II, I 15, 126-I 34, I72, I75, ISO, 207 Satyrica, Satyricon s. Petton Satyros 46 Scheintod 35, 7 I, 86, 87 Scheinwelt I6, 23 f., I03 (s. auch Gegenbild) Schesehark 2I9
Schicksal 44, 82, III, 12I, I37, I39, I4of., I44 f., I 56, I6o, I62, I72, I76 Schiffbruch 27, 86 Schiller, F. v. 120 Schönheit 17, 48, 49, 79, 8o,' 82, 84, 85, 88, 9I, III, I65, I67, I70 Scudery, M. de 223 Seefahrt 27 f. Seesturm 35, 7I, 86 sekundäre Schreibweise 48 Selbstbehauptung 44, I62, 17I, I77 Selbstmord 42, 49, 66, 69, 86 Selbstverwirklichung 30, 33, 38, I7I, 177 Semeie I66 Semiramis 2 5, 35, 202 Sempronia I 59 Seneca d. J. (L. Annaeus Seneca) I 33, I75,206,207 Sentenzen 94, 95, 99, I02 Sentimentalität 23, 42,' 48, 78, I93 Septimius, L. 227, 228 Serenus Zeitbiom IOI Sesonchosis-Roman 35, I 9 I, 2 I 9 Seth-Typhon I46 Severus Alexander (M. Aurelius Severus Alexander) 222 Sextus-Sprüche I 89 Sherlock Holmes 87 Sidon 2I8 SiegEriedmotiv I 52 Sinonis und Rhoclanes s. Jamblich Sir John Retcliffe 67 Sisenna, L. Cornelius 37, 44, 203, 2o6 Sizilien 54, I74, 206 Sklaven, Sklavinnen n. 61, 69, 72, 78, II9, 120, 12I, 123, I3I, J51, I54, 195. 2 I 8 (s. auch Sklaverei) Sklaverei 27 f., 33, 35, n. 66, 69, 78, 84, 85, III, 121, 129, I67, 20I (s. auch Sklaven) Skylax von Karyanda 53 Skythien 44 Soaimos (Sohaemus) II9, Sokrates, Kirchenhistoriker Sokrates, Philosoph 213 Sol invictus 222 Sonnenkult 28, 34, 20I
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Sophistik, sog. Zweite 37, 39, 2I8 Sophokles 40, 43 . sozialistische Gesellschaft 7 Sozialutopie s. Utopie Spannung 68, 71, 72, 9I, 92, 99, 101, 102, 104, II7, II9 Spätantike 14-16,24, I97 Spengler, 0. 30 spudogeloion 126 Steinhöwel,H. 230 Stendhal (eigend. H. Beyle) 104 Stephanus, H. 220 Strukturen 13 f., 17, 20, 22, z6, 27, 71, 82-106, 150 Subgattungen 26 f., so Suda 17, 18, 183, 184, 217, 218,' 219 Sueton (C. Suetonius Tranquillus) 128, 133 Sulla (L. Cornelius Sulla) 206 Syene .89 Symposion 126, 131, 173 Syrakus 88,165,204 Syrien, Syrer 167, 229 Tacitus (P. [?] Cornelius Tacitus) 71, 128, 129, 173. 207 Tarsia s. Historia Apollonii. regis Tyri Tasso, T. 169, 220, 223 Tellheim 121 Theater 17, 33, 36, 17S, 179 Theben in Ägypten 199 Themis I38 Theodorus Priscianus q, 183, I9S Theodosios von Emesa 1S2, 22I Theognis I 79 Theokrit 110, 161, 220 Theopomp 47, 48, 52 Theseus I66 Thessalien I 76, 2 I 3 Thetis 98 Thorwaldsen, B. 2I4 Thrakien, thrakisch I 72 Thukydides 47, 63, 66, 68, 69, 96, 109, 135, I36, 182,204 Thyamis s. Heliodor Tigellinus, Ofonius 207
247 Titan I37 Tizian (Tiziano Vecelli[o]) 2I4 Traditionen 7, I4, 23, 29, 3 5, 36, 40, 41 f., 43, 53, 6o, 68, 74, 87, 95. I09, IIO, II5, 116, I23, 134, I46, Ip, I8S," I9h 196 (s. auch literarische Inspirationen) Tragödie 17, 28, 29, 40 f., 43, I 33, I6o, I79o I88 Trajan (M. Ulpius Traianus) 38, I I9 Tralow, J. I6o Träume no, 14I-144 Trennung 35, 71, So, 82, 162 Treue 43,48,79, 83, II7 Trimalebio s. Petron (s. auch Abb. 38) triviale Züge 2 3 {s. auch Trivialliteratur) Trivialliteratur 23, I03, 106, I49, 196 Troja, troisch I32, 133, 202, 227 Trojanischer Krieg 24, 67, 98, 100, 227, 228 Troja-Romane 25 f., 26 f., 54, 67, 75, 100, I4S. 227-229 Tyche 42, 1 u, 121, 140, 14I, 145, 147, I48, I 57, I6z, 2I8 (s. auch Abb. I5, 36b) Typen ISO-I53, 154, I6z, I67 (s. auch Figuren) Tyros, Tyrus I42, 2IO, 218, 229 Umfang 22, 7I, I84 untere Gesellschaftsschichten 37, 38, 110, I29, I92, I93o I95 Unterhaltungs. Vergnügen Uranos 137,200 Utopie 24, 27 f., 34. 46, sz-62, I II, I64, 187 Valerius s. Iulius Valerius Varro {M. Terentius Varro) 128, 199 Venus 147, IS7 Verdi, G. 223 Vergil (P. Vergilius Maro) I33, I6o Vergnügen I4-I6, 58, 6s-67, 7I, 103, I So, I SI, I S2, I92, I94-I96 Verinnerlichung 42 f. Verres, C. 206 Versklavung s. Sklaverei Verus, L. Aurelius II9, 2II
REGISTER
Viau, Theophile de I J ~ Vologaises III. II9 Vorausdeutungen 9S, 99, 102, I10, 14I bis 144 Vulgärlatein Ip, 207
Witwe von Ephesos s. Apuleius; Petron wohlhabendere Gesellschaftsschichten 1S 3 bis IS6 "Wunder jenseits von Thule" s. Antonios Diogenes
"Wahre Geschichte" s. Lukian Werk u, passim Werther 104 Widersprüche, gesellschaftliche
Xenophon von Athen 46, 47, 4S, 49, 50, J3, 69, 193. 204, 215
Xenophon von Ephesos ~o
f., H•
3S, 61, 6~
Widmung 37 Wieland, Chr. M. 2II, 2I2 Wirklichkeit 7, 12, 22-24, 26, 34, 50, p, 74, 76, So, 106, 107-125, 127, uS, 129, I34, 139· 163, I64 Wirkung II f., q, 43, J2, So f., 103, 106, 1S9, 192
1S, 23, 42, 49, So, S3, S4, SJ, S6, 9I, 92, 94, 9h 96, 99, I30, I40, 142, I44, 145, 146, I47, Ip, 154, 157, I66, I67, 1S4, ISJ, 193, 2I7 f.
Zauberei uo, 176, 210 Zirkulation, literarische n, 13, 1S9-192 Zenobia, Septimia I J6 Zeus 137,166,200 Zola, E. 1S6