Atlan - König von Atlantis Nr. 476 Das Ende der Neffen
Welt der Auserwählten von H. G. Ewers
Auf dem Planete...
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Atlan - König von Atlantis Nr. 476 Das Ende der Neffen
Welt der Auserwählten von H. G. Ewers
Auf dem Planeten der Lüge
In das Geschehen in der Schwarzen Galaxis ist Bewegung gekommen – und schwerwiegende Dinge vollziehen sich. Da ist vor allem Duuhl Larx, der verrückte Neffe, der für gebührende Aufregung sorgt. Mit Koratzo und Copasallior, den beiden Magiern von Oth, die er in seine Gewalt bekommen hat, rast er mit dem Organschiff HERGIEN durch die Schwarze Galaxis, immer auf der Suche nach weiteren »Kollegen«, die er ihrer Lebensenergie berauben kann. Der HERGIEN folgt die GOLʹDHOR, das magische Raumschiff, mit Koy, Kolphyr und vier Magiern an Bord. Die Pthorer sind Duuhl Larx auf der Spur, um ihm seine beiden Gefangenen abzujagen, und nähern sich dabei immer mehr dem Zentrum der Schwarzen Galaxis. Was Atlan und Razamon betrifft, so ist es den beiden Männern quasi in letzter Minute gelungen, sich von Dorkh, das dem Untergang geweiht ist, abzusetzen. Das Raumfahrzeug, das der Arkonide und der Berserker bestiegen haben, erlaubt es ihnen allerdings nicht, eine andere Welt anzusteuern. Und so müssen die beiden Männer im Grunde froh sein, daß ihr Fahrzeug aufgebracht wird und sie selbst in die Gewalt der Alven geraten. Diese bringen sie auf die WELT DER AUSERWÄHLTEN …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan und Razamon ‐ Der Arkonide und der Berserker auf der Welt der Auserwählten. Yndorm, Dathorym und Llacorm ‐ Gersa‐Predoggs, die die Auserwählten indoktrinieren sollen. Creah und Umlyr ‐ Zwei Auserwählte, die nicht glauben, was man ihnen sagt.
1. Auch Ulldorgh war, wie Bynarph, frei von der unerträglich bösen Ausstrahlung, wie ich sie bei den Gersa‐Predoggs gespürt hatte, die ich früher in den Revieren der Neffen kennengelernt hatte. Während Razamon und ich über die Rampe zur Schleuse des Raumboots gingen, verneigte sich der kaum anderthalb Meter große Roboter und sagte mit heller Stimme: »Willkommen an Bord der PHARYN‐HA, Atlan und Razamon! Bitte, tretet ein!« Seine Worte wurden von den Translatoren übersetzt, die man uns an Bord der PHARYN gegeben hatte und die als runde goldfarbene Scheiben – mit einem schwarzen Stern in der Mitte – auf den Brustteilen unserer grauen Overalls hingen. Razamon und ich wechselten einen Blick. Ich sah am Gesichtsausdruck des Berserkers, daß auch ihm die Freundlichkeit des Gersa‐Predoggs nicht geheuer vorkam. Schließlich waren wir noch immer Gefangene. Ich zuckte die Schultern und folgte der Einladung. Was blieb uns auch weiter übrig! Ulldorgh trippelte uns auf seinen kurzen Beinen voran, während sich hinter uns die Schleuse wieder schloß. Wir wurden in einen Raum von etwa fünf Metern Länge und drei Metern Breite geführt, in dem sich vier bequeme Kontursessel befanden, die sogar auf unsere Körpergröße zugeschnitten waren. Vorn und an den Seitenwänden gab es große Bildschirme. Doch sie waren dunkel.
Ein schwaches Zittern durchlief das Boot. Anscheinend war es gestartet. Ich musterte die Bildschirme, denn ich erwartete, daß sie nach dem Start aktiviert würden und unsere Umgebung zeigten. Aber sie blieben dunkel. Ulldorgh stellte sich hinter etwas, das einer kleinen hochmodernen Bar glich. »Was darf ich euch anbieten?« fragte er. »Ich verfüge über eine reichhaltige Auswahl an Speisen und Getränken.« »Das darf doch nicht wahr sein!« entfuhr es Razamon. »Es ist wahr, lieber Freund«, erwiderte der Roboter. Soviel Scheinheiligkeit war schon wieder lächerlich. Ich beschloß, das Spiel vorerst mitzuspielen, aber um so mehr auf der Hut zu sein. »Ich nehme ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk«, sagte ich. »Die Auswahl überlasse ich dir, Ulendorf.« Der Gersa‐Predogg breitete die Arme aus. »Ich heiße Ulldorgh, Atlan. Aber wenn es dir Spaß macht, darfst du mich ruhig anders nennen. Ich schlage einen Fruchtsaftcocktail vor.« Er tippte auf einige Sensoren. Aus dem Bartresen schob sich eine chromblitzende Apparatur mit einem Glas darunter. Zischend schoß eine in allen Farben schillernde, schwach schäumende Flüssigkeit ins Glas. Ich wollte es abholen, aber Ulldorgh kam mir zuvor. Er brachte mir das Glas. »Wohl bekommʹs, Atlan!« Ich war so verblüfft, daß ich beinahe das Glas hätte fallen lassen. Im letzten Moment griff ich zu, dann ließ ich mich erschüttert in den nächsten Kontursessel sinken. »Wäre es möglich, daß das noch ein Traum ist?« fragte Razamon und spielte damit auf die Träume an, in die die Alven uns versetzt hatten, um uns zu prüfen. Die letzten jener Träume waren uns so real erschienen, daß wir zumindest bei einem von ihnen an eine körperliche Versetzung auf eine wirkliche Welt geglaubt hatten.
»Es ist alles wirklich«, versicherte der Roboter. »Was darf ich dir anbieten, Razamon?« »Die Steuerung dieses Bootes«, erklärte der Berserker und musterte Ulldorgh mit stechendem Blick. »Ich bedaure, daß ich dir diesen Wunsch nicht erfüllen kann«, erwiderte Ulldorgh. »Das Boot wird ferngesteuert. Ich habe keinen Einfluß auf seine Manöver.« Ich nahm einen vorsichtigen Schluck aus meinem Glas. Das Getränk schmeckte angenehm süßsäuerlich und aromatisch. »Wie ist es mit den Bildschirmen, Ulendorf?« fragte ich. »Werden die auch ferngesteuert?« »Leider ja, Atlan«, antwortete der freundliche Roboter. »Wir sollen also nicht sehen, wohin das Schiffchen fliegt«, meinte Razamon ärgerlich. »Also, gib mir auch einen Saft!« Ulldorgh wiederholte die Prozedur mit dem Apparat, dann brachte er dem Berserker, der sich inzwischen ebenfalls gesetzt hatte, das Glas. »Falls ihr zu speisen wünscht, ich könnte bunte Platten mit verschiedenen marinierten Gemüsen und mit Muschelfleisch von Ickroith anrichten«, sagte er dabei. Das klang nicht schlecht, aber weder Razamon noch ich verspürten Appetit. Uns lag die Ahnung, daß man nichts Gutes mit uns vorhatte, schwer im Magen. Schweigend saßen wir in unseren Sesseln, tranken unsere Fruchtsaftcocktails und warteten darauf, daß unser Raumboot irgendwann irgendwo landete. So verging etwas mehr als ein halber Tag, dann durchlief abermals ein schwaches Zittern das Boot. Im nächsten Augenblick wurden die Bildschirme hell. Ich war auf einen schlimmen Anblick gefaßt gewesen, deshalb verblüffte mich unsere Umgebung. Das Boot stand auf einem kleinen kreisrunden, betonierten Platz. Ringsum dehnte sich eine wellige Landschaft mit sanften Tälern und niedrigen Hügeln, die
teils von Gras bedeckt, teils mit kleinen Wäldern bewachsen waren. Am blauen Himmel trieben weiße Wolken. Vom Landeplatz führte eine schmale, vielfach gewundene Straße zu einer Stadt am Horizont, die sich angenehm in die Landschaft einfügte. Aus schmalen Augen spähte ich zur Sonne empor, die gerade im Zenit stand. Es handelte sich um eine gelbweiße Sonne wie die, die wir nach dem Durchstoßen des Wölbmantels von Dorkh gesehen hatten. Das mußte nicht bedeuten, daß es dieselbe Sonne war, aber ich hielt es für wahrscheinlich. Die kleine PHARYN‐HA konnte in der relativ kurzen Zeit kaum interstellare Entfernungen überbrückt haben. Zwar befand sich auch in dieser Sonne ein großer schwarzer Kern; dennoch wirkte die Landschaft geradezu paradiesisch. Eine Ferienwelt hätte nicht besser aussehen können. Es war fast unglaublich, daß es so etwas in der Nähe des Zentrums der Schwarzen Galaxis gab. »Wir sind in Luckirph«, erklärte Ulldorgh und erinnerte uns daran, daß wir nicht allein waren. »Ihr könnt aussteigen.« »Ist Luckirph ein Planet?« fragte Razamon. »Luckirph ist der Name der Stadt, aber auch der Name dieses Landes«, antwortete der kleine Roboter. »Es ist außerdem die Heimstatt derer, auf die der Dunkle Oheim all seine Hoffnungen setzt. Hier leben ausschließlich Wesen, deren Denken und Handeln als positiv erkannt wurde.« Razamon und ich sahen uns verwirrt an. Die Aussage des Roboters blieb uns unverständlich. Schließlich wußten wir, daß der Dunkle Oheim die negative Zentralfigur der Schwarzen Galaxis war, so etwas wie die Verkörperung des Bösen. Wie konnte ein solches Wesen seine Hoffnungen auf positiv denkende und handelnde Wesen setzen? Das war doch ein Widerspruch, wie er größer nicht sein konnte. Der Gersa‐Predogg schien unsere Verwirrung nicht zu bemerken, denn er plapperte ungehemmt weiter.
»Alle Wesen hier bereiten sich unter dem besonderen Schutz des Dunklen Oheims darauf vor, eine wichtige Aufgabe zu übernehmen.« »Was für eine Aufgabe soll das sein?« fragte ich. »Geht zur Stadt«, erwiderte Ulldorgh. »Dort werdet ihr alles erfahren.« Er öffnete die Schleuse und ließ die Rampe ausfahren. »Ich wünsche euch, daß ihr draußen Glück und Frieden finden möget!« »Zum Teufel!« brauste Razamon auf. »Das ist ja blanker Hohn!« Er trat drohend auf den Roboter zu und ballte die Fäuste. »Ich sollte dich dafür auseinandernehmen!« »Zu Diensten«, sagte der Roboter. Es wirkte lächerlich, aber auch entwaffnend. Der Berserker zuckte die Schultern und trat auf die Rampe. Ich folgte ihm und sah mich dabei aufmerksam um. Doch ich vermochte nichts Verdächtiges zu sehen. Unbekannte kleine Insekten schwirrten durch die Luft, am Rand des Landefeldes lagen einige Tiere, die Eidechsen ähnelten, in der Sonne, und ein großer Laufvogel stelzte über die angrenzende Wiese. Als Razamon und ich die Rampe verlassen hatten, drehten wir uns um und blickten hinauf. Ulldorgh winkte von der Schleusenöffnung aus. »Glück und Frieden!« Die Rampe wurde eingezogen, dann schloß sich die Schleuse. Wir entfernten uns schnell. Sekunden später brüllten die Triebwerke auf. Das Beiboot hob ab und verschwand. »Verrückt!« sagte Razamon. Sei wachsam! teilte mir mein Logiksektor mit. Hier wird der größte und raffinierteste Betrug inszeniert, der jemals ersonnen wurde! Darauf war ich sogar ohne Hilfe des Logiksektors gekommen, denn es wäre unlogisch gewesen, daran zu glauben, der Dunkle Oheim wäre der Hort des Guten. Wir hatten überall in der Schwarzen Galaxis nur die Auswirkungen negativer Steuerungen
bemerken können, und schließlich waren auch die Dimensionsfahrstühle keine Werkzeuge des Guten, sondern hatten seit undenklichen Zeiten auf unzähligen Welten Vernichtung und Schrecken verbreitet. »Eine Verrücktheit mit System«, erwiderte ich. Wir setzten uns in Bewegung und betraten die Straße … * Gefahr! signalisierte mir mein Extrasinn. Unwillkürlich sprang ich zur Seite, duckte mich und sah mich aufmerksam um. Auch Razamon vollführte einen kleinen Luftsprung, da er meine Reaktion richtig deutete. Ich konnte jedoch nicht erkennen, woher uns Gefahr drohte – bis ich bemerkte, daß der blühende Strauch neben der Straße, an dem wir gerade vorbeigegangen waren, trotz Windstille seine Zweige bewegte. Es sah im ersten Moment bedrohlich aus, als die meisten der dünnen Zweige herumschwangen und die Blüten daran ihre Öffnungen auf uns richteten. Vorsichtshalber wichen Razamon und ich einige Meter zurück. Doch dann blieben wir stehen. Ich lächelte über meine übertriebene Vorsicht, denn die blühenden Zweige wirkten völlig harmlos. Er beeinflußt deine Gefühle! warnte mein Extrasinn. »Warte!« sagte ich zu Razamon, der langsam auf den Strauch zuging. Der Berserker drehte sich im Gehen nach mir um. »Wovor fürchtest du dich, Atlan?« fragte er spöttisch. »Der Strauch ist harmlos, und er mag uns.« »Vielleicht mag er uns so, wie wir Austern mögen«, erwiderte ich. »Jedenfalls beeinflußt er unsere Gefühle.«
Razamon blieb zögernd stehen. Doch er war schon zu weit gegangen. Plötzlich legten sich mehrere dicht mit Blüten besetzte Zweige um ihn. Das überzeugte ihn schließlich davon, daß der Strauch gefährlich war. Er versuchte, sich zu befreien. Ich eilte zu ihm, da ich annahm, daß er Hilfe brauchte. Doch die Zweige gaben ihn widerstandslos frei. Razamon blieb überrascht stehen, dann betastete er sich. »Nichts«, sagte er verwundert. »Ich bin nicht verletzt.« Abermals überschwemmte mich ein Gefühl von Sicherheit, Sorglosigkeit und Sympathie – Sympathie für einen Strauch! Plötzlich begriff ich, was diese Beeinflussung meiner Gefühle zu bedeuten hatte. »Er versucht, sich uns verständlich zu machen, indem er unsere Gefühle beeinflußt«, erklärte ich. Doch diesmal war Razamons Mißtrauen stärker als meines. »Er ist also auch ein positiv denkendes und handelndes Wesen, wie?« Seine Stimme troff von Sarkasmus. »Er gab dich frei, als du frei sein wolltest«, erklärte ich. Ich ging auf den Strauch zu, denn ich wollte erfahren, welche Gefühle mir ein direkter Kontakt mit ihm vermitteln würde. Als ob das wichtig wäre! teilte mir mein Logiksektor mit. Es gibt doch wirklich dringendere Probleme! Für mich ist es sehr wichtig, Kontakt mit einer fremdartigen Lebensform aufzunehmen! gab ich gedanklich zurück. Schließlich sind alle Lebewesen des Universums Brüder. Auch der Dunkle Oheim? Auch ein mißratener Bruder ist ein Bruder. Ich ging an Razamon vorbei und blieb stehen. Langsam streckte der Strauch seine Zweige nach mir aus. Behutsam legten sie sich um mich. Zahlreiche Blütenkelche hoben sich meinem Gesicht entgegen. Sie verströmten einen Duft, der die Wahrnehmungsfähigkeit meiner Sinne um ein Vielfaches verstärkte.
Mit einemmal war ich in der Lage, aus den Gefühlen, die das Strauchwesen mir übermittelte, klare Gedanken herauszulesen – beziehungsweise die übermittelten Gefühle zu deuten. Ich sah vor meinem geistigen Auge die Szenerie einer sehr fremdartigen Welt: tiefhängende grüngelbe Wolken über zerrissenem schwarzem Felsboden, der von sich schlängelnden rötlichen, andersartigen Linien durchzogen war, in großen Abständen einzelne große, blühende Sträucher, viel größer und üppiger blühend als der Strauch, dessen Zweige mich umarmten. Ein Organschiff landete. Scuddamoren stürmten aus seinen Schleusen und schwärmten aus. Wenig später kehrten sie zurück, gebündelte Sträucher hinter sich her schleifend. Nachdem sie durch die Schleusen verschwunden waren, startete das Schiff. Eine andere Welt tat sich vor meinem geistigen Auge auf. Trockensteppen und Wüsten wurden von hominiden Insektenabkömmlingen bewohnt, die Felder und Gärten anlegten und bewässerten und ein zufriedenes und friedliches Leben führten. Vor meinem geistigen Auge erschien das Innere eines Raumschiffs. Unbekannte Intelligenzen verarbeiteten die blühenden Sträucher zuerst zu einem Extrakt, der dann durch verschiedene Verfahren zu komprimiertem Gas wurde. Erneut erschien das Bild der Welt vor meinem geistigen Auge, auf der hominide Intelligenzen Trockensteppen und Wüsten fruchtbar machten. Organschiffe drangen in die Lufthülle dieser Welt ein und bliesen Gas ab. Im Zeitraffertempo sah ich, wie die hominiden Insektenabkömmlinge ihre Arbeiten vernachlässigten. Die Felder verwahrlosten, wurden nicht mehr bewässert, und die Nahrungspflanzen verdorrten. Die Gärten erstickten nach und nach im Sand der zurückkehrenden Wüsten. Die Intelligenzen irrten verzweifelt umher. Als Organschiffe landeten, eilten sie hoffnungsvoll zu ihnen. Nur zu willig ließen sie sich als Söldner für den Dunklen Oheim anheuern.
Gleichsam symbolisch wurde in dieses Bild das Abbild eines blühenden Strauches immer wieder eingeblendet. Anschließend sah ich vor meinem geistigen Auge zahlreiche verschiedene Welten, und auf allen wuchsen die Emotiosträucher. Zuerst begriff ich nicht, was »mein« Strauch mir damit sagen wollte, bis ich merkte, daß die schwarzen Kerne der Sonnen, die die gezeigten Welten beschienen, von Mal zu Mal größer waren. Plötzlich wußte ich, was mir mein Freund mitteilen wollte! Zuerst waren die Emotiosträucher in großen Mengen von ihrer Heimatwelt geraubt worden, weil die Diener des Dunklen Oheims einen bestimmten Bestandteil ihrer Substanz dazu mißbrauchen wollten, die Intelligenzen anderer Planeten sich gefügig zu machen. Doch die Emotiosträucher nahmen das nicht tatenlos hin. Offenbar sorgten sie dafür, daß jedesmal unbemerkt Samen oder Keimlinge oder andere Fortpflanzungszellen von den Räubern, die ihre Welt heimsuchten, mitgenommen wurden. Dadurch breiteten sie sich nicht nur auf den Welten aus, auf denen die Diener des Dunklen Oheims in negativer Weise wirkten, sondern auch auf den Basis‐ und Heimatwelten vieler Regionen der Schwarzen Galaxis. Der Einzelstrauch vermochte sich zwar nicht fortzubewegen, aber mit Hilfe seiner Samen konnte er in Form seiner Nachkommenschaft andere Welten aufsuchen. Offensichtlich war es die Absicht der Emotiosträucher gewesen, ins Zentrum der Schwarzen Galaxis vorzudringen und den Dunklen Oheim zur Strecke zu bringen. Irgendwann gelangten sie tatsächlich fast bis an ihr Ziel. Als ihre Offensive durchschaut wurde, konnten sie natürlich leicht gestoppt werden. Wahrscheinlich hatten die Söldner des Dunklen Oheims die Sträucher einfach verbrannt, wenn sie wieder einmal auf einer neuen Welt auftauchten. Aber diesen Emotiostrauch – oder noch mehr davon – hatten sie nach Luckirph gebracht. Allerdings hatten sie sich damit eine Laus in den Pelz gesetzt. Die einseitige Kommunikation wurde jäh unterbrochen, weil
Razamon mich aus dem »Griff« der blühenden Zweige zerrte. Anscheinend fürchtete er um mein Leben. Leicht benommen wehrte ich ihn ab. »Bist du nicht verletzt?« fragte er. »Du wirktest völlig geistesabwesend.« Ich lächelte. »Weil ich konzentriert ›zugehört‹ habe. Es ist phantastisch und wahr. Razamon, dieser Strauch ist unser Freund und Verbündeter.« »Du spinnst«, erwiderte der Berserker. »Entschuldige, aber das mußt du mir erklären.« Ich schüttelte den Kopf. »So gut wie er könnte ich es dir nicht erklären, Razamon.« Ich deutete auf den blühenden Strauch. Erst jetzt, nachdem ich seine Geschichte »gesehen« hatte, sah ich auch, daß er sich von normalen Sträuchern unterschied. Ich erkannte ihn mühelos als intelligentes Lebewesen einer fremdartigen Welt, auf der die Emotiosträucher infolge der erheblich besseren artspezifischen Lebensbedingungen viel üppiger gediehen als auf Luckirph. »Du meinst, ich soll …? Bist du auch wirklich in Ordnung?« »Ich schwöre es dir. Außerdem hast du ja schon selbst erfahren, daß der Strauch harmlos ist.« Razamon zögerte noch ein paar Sekunden, dann vertraute er sich den »Armen« unseres Freundes an. Es dauerte nur etwa zwanzig Minuten, bis die »Zweige« sich wieder von ihm lösten. Razamon massierte sich die Schläfen. »Es ist wahr, Atlan«, meinte er. »Die Emotiosträucher sind die Partisanen von Luckirph. Unsere gemeinsamen Feinde unterschätzen sie offenbar ganz gewaltig. Ich begreife nur nicht, warum die Häscher des Dunklen Oheims sie hierhergebracht haben.« »Begreifst du, warum sie uns hierhergebracht haben?« gab ich zurück.
Razamon sah mich erstaunt an, dann weiteten sich seine Augen. »Ich denke, ja, aber ich kann es nicht artikulieren.« »Wir werden schon noch dahinterkommen«, erwiderte ich. »Und unsere Brüder werden uns helfen.« Ich strich sanft über einen der Zweige, dann wandte ich mich zum Gehen. 2. Ungefähr zweihundert Meter vor dem Rand der Stadt blieben wir stehen. Die Sonne stand schon ziemlich tief. Wahrscheinlich würde es in gut einer Stunde dunkel werden. Die Häuser der Stadt warfen lange Schatten. Es waren unterschiedliche Bauwerke. Manche von ihnen hätten auch auf Terra stehen können, andere erinnerten an die Formen von Muscheln, Schneckenhäusern oder an gar nichts Bekanntes. Dennoch wirkte der Anblick nicht unheimlich, denn alle Gebäude waren sauber, soviel wir sehen konnten. Viele waren eingebettet in hübsche Gärten, andere von welligen oder ebenen Sandflächen umgeben. Wieder andere Häuser standen auf Sockeln inmitten kleiner Wasserflächen oder wurden von den Wasserschleiern aus zahlreichen Springbrunnen förmlich überweht. »Ganz bestimmten Haustypen sind ganz bestimmte Umgebungstypen zugeordnet«, meinte Razamon nachdenklich. »Offenbar wohnen in jedem Haustyp Angehörige gleicher Planetenvölker.« »Hier scheinen Vertreter sehr vieler verschiedener Völker zu leben«, überlegte ich laut. »Und es scheint ihnen gut zu gehen.« »Nur sieht man nichts von ihnen«, erwiderte Razamon. »Ist das nicht verdächtig?« »Pst!« flüsterte ich, denn ich hatte im Hintergrund der Straße, die wir einsahen, eine Bewegung bemerkt. Razamon erstarrte förmlich, und auch ich regte mich nicht mehr. Die Gestalt, die ich gesehen hatte, verbarg sich allerdings nicht. Sie war erst zur Hälfte aus einer Tür getreten. Als sie ganz ins Freie trat,
erkannte ich in ihr einen Gorben. Das Volk der Gorben war, wie ich wußte, seit undenklichen Zeiten heimatlos. Ob ihre Heimatwelt durch eine Naturkatastrophe oder durch eine Flotte des Dunklen Oheims vernichtet worden war oder ob sie freiwillig ausgewandert waren, wußte niemand mehr. Jedenfalls dienten Gorben vielen Neffen als fähige und skrupellose Kämpfer. Hinter dem ersten verließen drei weitere Gorben das Haus. Alle trugen die gleichen grauen Overalls wie Razamon und ich. »Verschwinden wir?« fragte Razamon. »Wozu?« fragte ich zurück. »Wir können ebensogut gleich Kontakt mit den Stadtbewohnern aufnehmen.« Hinter den vier Gorben kamen zwei hominide Wesen von mindestens drei Metern Größe und mit menschlichen Gesichtern, soviel sich aus unserer Entfernung feststellen ließ. Danach verließ ein einzelner Kärnsizer das Gebäude. Ich glaubte, seine knochentrockenen Gliedmaßen rascheln zu hören. Doch das war natürlich Einbildung. Ich kannte die Kärnsizer nur aus dem Bericht Algonkin‐Yattas über seine Abenteuer auf Depot‐Largan. Der Mathoner hatte mir ein Exemplar dieses Volkes so anschaulich beschrieben, daß ich ihn mir genau vorstellen konnte. Nach dem Kärnsizer folgten mehrere Vertreter dreier anderer, uns unbekannter Völker. Zuletzt verließ ein Gersa‐Predogg das Gebäude. Razamon blickte mich vorwurfsvoll an. Ich konnte es ihm nicht verdenken, denn nach einem Gersa‐Predogg stand auch mir nicht der Sinn. In seiner Gegenwart würden die fremden Lebewesen sicher nicht offen reden. Ich ärgerte mich, daß ich geraten hatte, sofort Kontakt aufzunehmen. Doch da bildeten die Lebewesen mitten auf der Straße einen Kreis um den Gersa‐Predogg, der ihnen offenbar etwas mitteilen wollte. Naturgemäß sah dabei niemand in unsere Richtung. Es bedurfte nicht einmal einer Blickverständigung. Razamon und ich wußten voneinander, wie wir entschieden. Gleichzeitig wandten wir uns nach links und gingen zwischen den beiden nächsten
Häusern hindurch. Nach einigen Minuten überquerten wir einen mit großen Plastikplatten befestigten Weg und stiegen eine schmale Treppe hinab. Am Fuß der Treppe befand sich ein zirka fünf Meter hohes Haus, das die Form einer terranischen Auster besaß. Es wurde von einem Wassergraben umgeben, der sich an einer Stelle zu einem Teich weitete. Wir wollten an dem Haus vorbeigehen, als es in dem Teich plötzlich platschte. Ein fußballgroßer Schlangenkopf mit zwei kurzen Hörnern tauchte auf. Die gelben Schlitzpupillenaugen richteten sich auf uns. Razamon und ich blieben stehen. »Hallo!« sagte ich. »Ich bin Atlan und das ist Razamon. Wir sind eben erst angekommen.« Das Wesen öffnete einen breiten Mund. Eine schlangenartige grellrote Zunge wälzte sich in der Mundhöhle umher. Zischelnde Laute erklangen. »Ich freue mich, euch zu sehen«, übersetzten unsere Translatoren. »Ich bin Creah. Würdet ihr so freundlich sein, euch abzuwenden, damit ich aus dem Wasser steigen und mich im Haus ankleiden kann?« »Selbstverständlich«, antwortete Razamon für uns beide. Wir drehten uns um. Hinter uns plätscherte es, dann ertönten schleifende Geräusche, die sich entfernten. Als wir ungefähr fünf Minuten gewartet hatten, ertönten hinter uns abermals die zischelnden Laute. »Ihr könnt euch wieder umdrehen«, übersetzten unsere Translatoren. Wir wandten uns um. Auf der anderen Seite des Wassergrabens stand ein graugekleidetes, etwa zwei Meter hohes reptilhaftes Wesen mit dem Kopf, den wir bereits vorher gesehen hatten. Zwei kurze Beine mit tellergroßen Schwimmfüßen befanden sich am unteren Rumpfende,
von dem aus sich ein relativ schmaler Schwanz noch einen Meter über den Boden erstreckte. Unterhalb des Kopfes ragten zwei dünne Arme hervor, die in gut ausgebildeten Händen ausliefen. Die Hände glichen denen von Menschen und hatten sieben Finger, von denen zwei zu Daumen ausgebildet waren. »Darf ich euch in mein Haus einladen?« fragte Creah. Die Einladung war uns hochwillkommen, denn sie bot uns die Möglichkeit, mit einem Bewohner von Luckirph zu reden, ohne daß wir von Gersa‐Predoggs gesehen wurden. »Wir fühlen uns geehrt«, erklärte ich. Das freundliche Reptilwesen schaltete an seinem Mehrzweckarmband. Aus der Wand des Hauses schob sich ein schmaler Steg und legte sich über den Wassergraben. »Kommt!« sagte Creah. * Creah führte uns in einen runden klimatisierten Raum, dessen Decke ein einziger Infrarotstrahler war. Die im Raum herrschende Temperatur war ausgesprochen tropisch heiß. »Wenn es euch zu warm ist, schalte ich einen Teil des Strahlers aus«, sagte Creah. »Das ist nicht nötig«, erwiderte ich, denn ich wollte, daß das Reptilwesen sich wohl fühlte und entsprechend aufgeschlossen für die Fragen war, die wir stellen würden. »Ich weiß eure Freundlichkeit zu schätzen«, sagte Creah und deutete auf eine niedrige, breite Sitzbank, die sich um die Hälfte der Wand zog und mit dunkelgrünem Schaumstoff gepolstert war. »Bitte, laßt euch nieder. Darf ich euch etwas anbieten? Allerdings produziert mein Versorgungsautomat nur artspezifische Nahrung, wie wir Ehlos sie auf Ehlo bevorzugen. Beispielsweise könnte ich euch Rotringelwürmer auf Sumpfblattsalat anbieten oder
Teichgrundschnecken mariniert mit geschabten Dickschilfstengeln.« »Wir sind dir für deine Gastfreundschaft dankbar«, erklärte ich. »Aber wir sind nicht sicher, ob wir deine Nahrung vertragen würden. Deshalb müssen wir leider verzichten.« »Schade! Aber ich bin froh, daß ihr mich besucht«, erwiderte das Reptilwesen. Razamon und ich nahmen auf der Bank Platz. Creah ringelte sich auf dem Boden vor uns zusammen, richtete den Oberkörper auf und blickte uns aufmerksam an. »Ich weiß, daß ihr viele Fragen habt«, sagte es. »Es geht allen Wesen so, wenn sie eben erst auf Luckirph angekommen sind. Ich werde mich glücklich schätzen, euren Wissensdurst stillen zu dürfen.« Razamon und ich wechselten einen Blick. Es war alles ganz anders, als wir erwartet hatten. Bisher gab es nicht die geringsten Anzeichen dafür, daß in Luckirph Böses ausgebrütet würde. Creahs Verhalten uns gegenüber war ausgesprochen positiv. Ich war sicher, daß das Reptilwesen sich nicht verstellte. »Luckirph ist kein Planet, nicht wahr?« fragte Razamon. »Das Land Luckirph ist ein Dimensionsfahrstuhl«, antwortete Creah. »Er wurde schon vor langer Zeit gereinigt, aber nicht wieder auf die Reise geschickt. Luckirph dient seitdem dazu, Intelligenzen aufzunehmen, die sich bei ihrem Kampf gegen den Dunklen Oheim als außergewöhnlich klug, listig und zäh erwiesen haben.« Sowohl Razamon als auch ich holten tief Luft, dann sagte ich: »Soll das heißen, daß alle Intelligenzen auf Luckirph Widerstandskämpfer gegen das verruchte System des Dunklen Oheims sind?« »Es soll heißen, daß nur solche Intelligenzen nach Luckirph gebracht wurden, die so erfolgreich gegen den Dunklen Oheim rebellierten, daß sie bis in die Nähe der Ringwelt vordrangen«, erklärte Creah. »Aber die Rebellionen richteten sich gegen den
Falschen. Der Dunkle Oheim kämpft gegen das Böse in der Schwarzen Galaxis, vermochte sich aber noch nicht durchzusetzen.« »Einen Augenblick!« unterbrach Razamon das Reptilwesen. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Alle schweren Verbrechen in der Schwarzen Galaxis sind doch im Auftrag des Dunklen Oheims begangen worden. Atlan und ich sind so weit herumgekommen, daß wir wissen, wovon wir sprechen. Der Dunkle Oheim ist die Inkarnation des Bösen.« »Auch ich dachte einmal so«, erwiderte Creah geduldig. »Inzwischen weiß ich, daß wir alle uns schrecklich geirrt haben. Der Dunkle Oheim wird von seinen Feinden verleumdet, obwohl er für keines der Verbrechen verantwortlich ist. Möglicherweise lebt der Dunkle Oheim schon lange nicht mehr und ist nicht identisch mit der Wesenheit, die sein Erbe angetreten und dabei seinen Namen übernommen hat.« »Das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen«, warf ich ein. »Warum läßt der Dunkle Oheim – beziehungsweise sein Erbe – die Neffen verbrecherisch schalten und walten, wenn er das Gute anstrebt? Warum löst er sie nicht einfach durch Leute ab, die sein Vertrauen besitzen?« »Das ist nicht so einfach, Atlan«, sagte Creah. »Der Dunkle Oheim ist so einsam, wie man sich das gar nicht vorstellen kann. Deshalb scheiterten seine bisherigen Versuche, sich gegen die Mißwirtschaft der Neffen durchzusetzen. Und deshalb ließ er die positiven Kräfte, die sich durch die Tat bewährt hatten, auf Luckirph sammeln. Hier wird die künftige Elite der Schwarzen Galaxis ausgebildet. Wir alle werden eines Tages die Macht der Neffen brechen und an ihrer Stelle die Verwaltung der Reviere übernehmen.« Ich war erschüttert. Zweifellos glaubte Creah das, was es uns gesagt hatte. Aber wir wußten, daß es nicht stimmte. Demnach diente Luckirph nur dem einen Zweck: ehemalige Rebellen gegen den Dunklen Oheim geistig
umzudrehen, so daß sie die Lüge glaubten. Aber warum wurde dieser Aufwand getrieben? Der Dunkle Oheim hätte die Widerstandskämpfer doch einfach umbringen lassen können. Oder stimmte es doch, was Creah gesagt hatte? Erschrocken merkte ich, wie schnell die eigene Überzeugung abbröckeln konnte. Brüsk erhob ich mich. »Das sind alles Lügen, Creah! Du solltest dich an das erinnern, was du bei deinem Kampf gegen den Dunklen Oheim erfahren hast. Das ist die Wahrheit und nicht das, was man dir auf Luckirph eingeredet hat!« Das Reptilwesen richtete sich höher auf und zischelte zornig. »Du verleumdest den Dunklen Oheim genauso wie die verbrecherischen Neffen, Atlan!« rief es. »Vielleicht bist du sogar von den Neffen nach Luckirph geschickt worden, um hier Unruhe zu stiften. Ich werde einen Gersa‐Predogg rufen, der das überprüfen soll. Wartet hier!« Creah verschwand durch eine Tür. »Da bist du aber ganz schön ʹreingetreten«, meinte Razamon besorgt. »Ich mußte versuchen, Creah von seinem Irrglauben abzubringen«, erwiderte ich. Es war mehr ein Versuch, dich selbst davon abzubringen, die Lügen zu glauben! raunte mir mein Logiksektor zu. Ich erkannte, daß das stimmte. »Los, verschwinden wir, bevor der Gersa‐Predogg kommt!« sagte Razamon. Ich schüttelte den Kopf. »Weglaufen hätte keinen Sinn. Es sei denn, wir wollten uns in der Wildnis verkriechen. Damit kämen wir aber nicht einen Schritt weiter. Ich denke, es ist das beste, auf den Gersa‐Predogg zu warten. Wir sind immerhin
eben erst angekommen. Da kann er nicht erwarten, daß wir unseren ›Starrsinn‹ schon abgelegt haben.« * Es dauerte keine Viertelstunde, da führte Creah einen Gersa‐ Predogg herein. Der Roboter war größer als Ulldorgh. Er strahlte ebenfalls keine bösartige Aura aus, aber das bewies natürlich nicht, daß er positive Absichten hegte. Seine Augenzellen starrten uns an; er fuhr Sensoren aus, mit denen er uns offenbar überprüfte. Da wir aus Erfahrung wußten, daß kein Gersa‐Predogg unsere Gedanken lesen konnte, beunruhigte das Razamon und mich allerdings nicht. »Ich heiße Yndorm«, sagte er nach einer Weile. »Ihr seid also Atlan und Razamon?« »Das ist richtig«, erklärte ich. »Er hat den Dunklen Oheim verleumdet!« schrie Creah aufgebracht. »Beruhige dich, Creah!« sagte der Roboter. »Als du nach Luckirph kamst, sähest du die Dinge ebenfalls völlig falsch. Atlan und Razamon wissen noch viel zu wenig, um die Wahrheit erkennen zu können. Es wäre ein Fehler, sie zu Lippenbekenntnissen zwingen zu wollen. Sie müssen die Wahrheit selbst herausfinden.« Er wandte sich wieder an uns. »Willkommen in Luckirph, Atlan und Razamon! Ich schlage vor, daß ich euch zuerst in eure Unterkunft bringe. Dort sollt ihr euch von den Strapazen der Reise erholen. Morgen könnt ihr euch ungehindert in Luckirph umsehen und mit anderen Einwohnern reden. Ich bitte euch nur, eure falschen Vorstellungen nicht zu kraß zu äußern. Diejenigen, die die Wahrheit bereits erkannt haben, könnten euch für Feinde halten und dementsprechend reagieren.« »Wie sollen wir die Wahrheit herausfinden?« erkundigte ich mich.
»Ihr hättet mir nur zu glauben brauchen!« rief das Reptilwesen. »Ein Ehlo lügt niemals.« »Das glaube ich dir«, erklärte ich. »Ich hatte lediglich gedacht, du hättest unwissentlich die Unwahrheit gesagt.« »Das ist verständlich«, meinte Yndorm. »Ihr sollt ja gar nichts unbesehen glauben, sondern euch durch Tatsachen überzeugen lassen.« »Dann hat Atlan mich nicht beleidigt?« wollte das Reptilwesen wissen. »Aber nein!« sagte Yndorm. »Du mußt Geduld mit unseren neuen Freunden haben, Creah.« Er wandte sich wieder an uns. »Ich werde euch morgen besuchen und euch mitteilen, wann eine Informationsstunde stattfindet, an der ihr teilnehmen könnt. Genießt inzwischen das Glück, in dieser Stadt des Friedens und der Auserwählten leben zu dürfen. Würdet ihr mir bitte folgen?« »Puh!« machte Razamon und drückte damit auch meine Gefühle aus. Der Gersa‐Predogg hatte so dick aufgetragen, daß er in unseren Augen vor Scheinheiligkeit triefte. »Wie, bitte?« fragte Yndorm, da sein Translator mit der unartikulierten Gefühlsäußerung des Berserkers selbstverständlich nichts anzufangen wußte. »Es ist heiß hier«, erklärte Razamon. »Ehlos lieben die Wärme«, sagte der Roboter. »Gehen wir!« »Ich wünsche euch baldige Erleuchtung!« rief Creah. Ich winkte dem Reptilwesen freundlich zu. »Danke, mein Freund!« Draußen wandte der Gersa‐Predogg sich nach links. Wir kamen zu der breiten Straße, die wir zuerst gesehen hatten. Sie war wieder leer, aber auf den Vorplätzen und Terrassen mehrerer Häuser waren unterschiedliche Lebewesen zu sehen. Sie winkten Yndorm fröhlich zu, und der Roboter winkte zurück. Nach zirka einer halben Stunde verließ der Roboter die Straße und
stieg eine breite Treppe hinauf. Wir folgten ihm zu einem Haus auf einem kleinen Hügel. Das Haus sah aus, als wäre es die Nachbildung eines Märchenschlosses – verkleinert auf die Größe eines terranischen Zweifamilienhauses. Vor dem Hauptportal blieb Yndorm stehen und fuhr mit einer Hand über ein Sensorauge neben der Tür. Zischend glitten die beiden Türhälften auseinander. In der Vorhalle dahinter flammte die Beleuchtung auf und enthüllte eine supermoderne Einrichtung, die überhaupt nicht an Schloß Neuschwanstein erinnerte. »Nach welcher Vorlage hat der Architekt sich beim Entwurf dieses Hauses gerichtet?« fragte ich. »Wesen, die euch ähnlich sahen, schlugen diesen Baustil vor«, antwortete der Gersa‐Predogg. »Sie kamen vom Dimensionsfahrstuhl Nuukh, der zuletzt die Weltenbarriere jenseits der Galaxis Nonander besuchte.« Es waren keine Terraner und auch keine Arkoniden! wisperte mein Logiksektor. Das hättest du dir denken können. »Ich lasse euch jetzt allein«, erklärte der Roboter. »Der Hausgeist wird euch alle notwendigen Informationen geben und eure Fragen beantworten.« Er stieg die Treppen hinab, während Razamon und ich noch überlegten, was er wohl mit »Hausgeist« gemeint haben könnte. 3. »Welche Leute mögen wohl vor uns hier gewohnt haben – und wohin mögen sie gegangen sein?« überlegte Razamon laut. »Die Bezeichnung ›Wesen, die uns ähnlich sahen‹ bedeutet nicht viel. Es gibt zahllose Völker humanoider oder hominider Gestalt, die in keiner Weise mit der galaktischen Menschheit verwandt sind.« »Mich interessiert als erstes dieser ominöse Hausgeist«, erwiderte ich und klatschte in die Hände. »Hausgeist, wo bist du? Melde
dich!« Razamon tippte sich vielsagend an die Stirn, aber ich wußte genau, was ich wollte. »Ich bin überall in diesem Haus zur Stelle!« übersetzte mein Translator. Jemand oder etwas hatte offenbar exakt gebündelt und gerichtet nur meinen Translator angesprochen oder angefunkt, so daß ich den Urtext nicht hören konnte. »Bist du ein Computer?« fragte ich weiter. »Und antworte bitte auch für Razamon!« »Ich bin ein unsichtbarer magischer Kreis, der um das Haus verläuft«, erklärte der »Hausgeist«. »Was kann ich für euch tun?« An Razamons Gesichtsausdruck erkannte ich, daß er diesmal die Antwort ebenfalls hörte. »Kannst du dich abschalten?« fragte ich weiter. »Das ist mir nicht möglich, denn ich bin nur ein Diener.« »Wirst du jemandem berichten müssen, worüber wir gesprochen haben und noch sprechen werden?« »Das weiß ich nicht. Aber wenn ihr mir verbietet, Außenstehenden etwas zu sagen, muß ich schweigen.« »Auch wenn wir den Dunklen Oheim verleugnen?« fragte Razamon. »Was ist der Dunkle Oheim?« »Der Herrscher der Schwarzen Galaxis«, antwortete der Berserker. »Außerhalb dieses Hauses?« »Ja«, erklärte Razamon. »Dann kann ich die Frage nicht beantworten, denn ich kenne nur das, was sich in mir befindet und damit in diesem Haus.« »Es ist gut«, sagte ich. »Razamon und ich finden uns allein zurecht. Höre nicht auf das, was wir sagen. Nur wenn ich in die Hände klatsche, meldest du dich!« Ich klatschte in die Hände. »So!« »Ich habe verstanden und gehorche«, bestätigte der »Hausgeist«. »Das ist total verrückt!« meinte Razamon. »Aber praktisch«, erwiderte ich. »Im Grunde genommen ist es gar
nichts Besonderes. Arkonidische und terranische Hauscomputer erfüllen die gleichen Funktionen.« Razamon ging auf eine Ecke der Vorhalle zu, in der mehrere Pflanzenkübel standen. Ich sah erst jetzt, daß eine der Pflanzen ein Emotiostrauch war, wenn auch nur ein hüfthoher. Seine Zweige reckten sich dem Berserker entgegen. Razamon ließ sich von den Zweigen umarmen und schloß die Augen. Wie bei dem ersten Emotiostrauch wurde er schnell völlig geistesabwesend. Nach zwanzig Minuten entließen ihn die Zweige wieder aus ihrer Umarmung. »Die Lage ist ernster, als wir dachten, Atlan«, erklärte Razamon. »Ich habe erfahren, daß vor ungefähr einem Jahr alle Bewohner von Luckirph spurlos verschwanden. Die beiden Wesen, die dieses Haus bewohnten, hielten regelmäßigen Kontakt mit dem Strauchwesen, was sie offenbar davor bewahrte, geistig völlig umgedreht zu werden. Einen Tag vor ihrem Verschwinden teilten sie dem Strauchwesen ihre Befürchtung mit, es würde etwas Schlimmes geschehen.« »Aber was wirklich geschehen ist, konntest du nicht erfahren?« erkundigte ich mich gespannt. »Nein, nur daß nach und nach neue Gefangene eintrafen. Das Strauchwesen fühlte es durch die emotionale Verbindung mit den anderen Emotiosträuchern auf Luckirph. Die letzten müssen erst wenige Tage vor uns eingetroffen sein.« Ich horchte auf. »Vor wenigen Tagen? Dann sind sie vielleicht noch nicht umgedreht, Razamon. Wir müssen herausfinden, um welche Personen es sich handelt. Wenn wir uns mit ihnen verbünden, können wir uns gegenseitig helfen, der geistigen Beeinflussung zu widerstehen – und wir können gemeinsam darüber nachdenken, wie wir die Wahrheit über Luckirph herausbekommen.« Razamon nickte. »Wir brechen sofort auf, Atlan!«
Wir verließen das Haus und gingen auf der angrenzenden Straße in Richtung Stadtzentrum. Außer uns war jedoch niemand zu sehen. Da die Fenster der Häuser – sofern sie überhaupt Fenster besaßen – hell erleuchtet waren, mußten wir annehmen, daß die Bewohner sich zu Hause aufhielten. Nachdem wir in einige Häuser eingedrungen waren, die in völlige Dunkelheit gehüllt waren, wußten wir, daß es in Luckirph noch zahlreiche unbewohnte Häuser gab. Irgendwann würden sie aber auch wieder mit Gefangenen belegt werden. Wir beschlossen, uns dann um diese Personen zu kümmern, bevor sie umgedreht werden konnten. Nach einer Stunde erreichten wir einen Park. Da seine Wege hell erleuchtet waren, beschlossen wir, ihn zu durchqueren. Wir waren noch nicht weit gekommen, als ich einen Warnimpuls meines Extrasinns empfing. »Nicht umdrehen!« flüsterte ich Razamon zu. »Jemand scheint hinter uns her zu schleichen. Dort, links vom Park, befindet sich ein unbeleuchtetes Grundstück. Schlendern wir ganz einfach hin!« »In Ordnung!« flüsterte Razamon zurück. Ich drehte mich ebenfalls nicht um. Wer immer hinter uns her schlich, stellte wahrscheinlich keine Bedrohung dar, sondern wollte uns nur beobachten. Als wir das dunkle Grundstück erreichten und das ebenfalls dunkle Haus sahen, das aus zahlreichen orgelpfeifenähnlich nebeneinandergestellten Säulen bestand und einen zirka neun mal elf Meter großen und etwa zwölf Meter hohen Block darstellte, verständigten wir uns durch Handzeichen dicht vor unseren Gesichtern. Dicht nebeneinander gingen wir zur Tür, die trotz aller Verschiedenartigkeit der Bauten ein Standardmodell war und wie alle anderen Türen funktionierte. Als sie sich öffnen wollte, huschte ich lautlos zur Seite, während Razamon vor dem hellen Viereck stehenblieb, nachdem sie sich
geöffnet hatte, und sich laut mit seinem scheinbar bereits in der Vorhalle befindlichen Begleiter unterhielt. Danach trat er ein, und die Tür schloß sich wieder. Inzwischen hatte ich das Haus zur Hälfte umrundet und zog mich an den schmalen Leisten empor, die die Säulen gleich Stahlbändern umringten und jeweils rund zwanzig Zentimeter voneinander entfernt waren. In etwa fünf Metern Höhe drückte ich mich fest gegen zwei benachbarte Säulen und verhielt mich still. Doch obwohl ich meine Sinne weit geöffnet hatte, sah und hörte ich nichts von einem Verfolger. Über Luckirph leuchteten zahllose Sterne und strahlende Gasnebel, ein weiterer Beweis dafür, daß wir uns nahe dem Zentrum der Schwarzen Galaxis befanden. Aus mehreren Richtungen hörte ich das Summen unbekannter Insekten. So verstrichen einige Minuten. Plötzlich hörte ich ein leises Zischen, dann schnelle Schritte und dann schrie Razamon: »Zeige dich, du hinterhältiger Bursche! Oder hattest du dir eingebildet, ich würde auf deine lächerlichen Projektionen hereinfallen? Zeige dich freiwillig, oder ich suche dich und mache Hackfleisch aus dir!« »Was ist das: Hackfleisch?« fragte eine raspelnde Stimme dicht neben mir. Mein Kopf fuhr herum, und leicht außer Fassung geraten sah ich, daß ein hominides Lebewesen an der Säule rechts von mir lehnte. »Ein Kärnsizer!« entfuhr es mir. Es war nicht nur die Raspelsprache gewesen, die mir verraten hatte, wer sich neben mir befand, sondern vor allem die Tatsache, daß sich das Wesen völlig unbemerkt hatte anschleichen können. Kärnsizer waren in der Schwarzen Galaxis Meister im Aufspüren anderer Lebewesen und im Anschleichen. Der Kärnsizer raschelte mit seinen knochentrockenen Gliedmaßen und sagte raspelnd:
»Genau, du Miststück. Beruhige bitte deinen Freund. Ich habe mit euch zu reden.« * Glücklicherweise wußte ich von Algonkin‐Yatta, daß die Anrede »Miststück« bei dem Volk der Kärnsizer ein großes Kompliment war und Hochachtung ausdrückte. Das lag daran, daß die Ödwelt Varponder, die Heimat der Kärnsizer, so arm war, daß ein Stück Mist wegen seiner Brauchbarkeit als Brennmaterial oder als Kulturpflanzendünger mehr wert war als sein Gewicht in Gold. So reagierte ich richtig, indem ich sagte: »Ich grüße dich, doppeltes Miststück! Warte!« Ich bildete mit den Händen einen Trichter vor meinem Mund und rief Razamon, der inzwischen in den Park gestürmt war, nach: »Komm her, Razamon! Jemand hat sich einen Scherz mit dir erlaubt. Er ist dennoch unser Freund.« Der Berserker wirbelte herum und fuchtelte erregt mit den Armen. »Wo ist das Aas?« brüllte er. »Es hat mich durch Ungeheuer im ganzen Haus herumjagen lassen, bevor ich merkte, daß es sich nur um Projektionen handelte. Ich werde es in der Luft zerreißen.« Meine Augen weiteten sich, als ich unter uns ein Lebewesen erblickte, das mindestens drei Meter hoch und zwei Meter breit war und einer Mischung von Säbelzahntiger, Saurier und Orang Utan glich. Es schritt wiegend auf Razamon zu und zertrampelte dabei mehrere Sträucher. »Eine materielle Projektion?« fragte ich den Kärnsizer. »Kann sie meinem Freund gefährlich werden?« »Nein, ich muß ihn nur ärgern, weil er so furchtbar unbeherrscht ist«, raspelte der Kärnsizer. Razamon hatte unterdessen den Giganten bemerkt. Er blieb stehen und starrte das Wesen an, das sich ihm unaufhaltsam näherte.
Drei Schritte vor dem Berserker blieb der Gigant stehen und schrie: »Hier ist das Aas. Bediene dich, Razamon! Aber hüte dich vor dem Echo!« Der Zorn Razamons verrauchte schnell. »Schade, du bist etwas zu fett für mich«, erklärte er. »Da ich kein fettes Fleisch mag, werde ich dich leben lassen.« Er hob die Stimme und schrie: »Du lächerliche Projektion!« Die Projektion verschwand. Ich hörte lautes Raspeln neben mir und sah, daß der Kärnsizer die hornigen Mundränder schnell aneinander rieb, wodurch die seltsamen Laute entstanden. Offenbar lachte er. Razamon kam auf uns zu, stemmte die Fäuste in die Seiten, blickte herauf und lachte, dann rief er: »Kommt herab! Ich verzeihe dir, Fremder. Aber daß du nur zusiehst, wie ich zum Narren gehalten werde, das vergesse ich dir nicht, Atlan.« »Mußtest du dich denn so berserkerhaft aufführen?« erwiderte ich, während ich zusah, wie der Kärnsizer mit der Geschmeidigkeit eines Panthers an seiner Säule herabglitt. Kein Laut war dabei zu hören. Ich folgte ihm. Unten angekommen, erklärte ich: »Das ist ein Kärnsizer. Das ist mein Freund Razamon. Ich heiße Atlan und bin ein Arkonide.« »Ich heiße Umlyr«, erwiderte der Kärnsizer. »Das ist mein Kurzname. Mein voller Name ist zu kompliziert und zu lang. Du bist ein richtiges Miststück, Razamon, daß du meine Materieprojektion sofort durchschautest.« »Ein was …?« fragte Razamon ungläubig und mit neu aufkeimendem Zorn. »Freue dich«, sagte ich. »Die Anrede ›Miststück‹ ist bei Kärnsizern ein Kompliment.« »Dann danke ich dafür«, erwiderte Razamon erleichtert. Er
musterte Umlyr prüfend, dann lächelte er leicht. »Ich wette, daß du erst vor wenigen Tagen nach Luckirph gebracht wurdest, Umlyr.« »Du doppeltes Miststück!« sagte ich betont und blickte Razamon auffordernd an. »Was?« fragte der Berserker. Ich nickte in Richtung Umlyrs und wiederholte: »Du doppeltes Miststück!« In Razamons Augen trat der Glanz eines Aha‐Erlebnisses. »Also schön, du bist ein doppeltes Miststück, Umlyr. Aber vielleicht können wir endlich mit den Komplimenten aufhören und zur Sache kommen.« »Gehen wir ins Yntaier‐Haus!« sagte der Kärnsizer. »In dieses Haus!« rief Razamon entsetzt und deutete auf den Orgelpfeifenbau. »Keine zehn Pferde bringen mich in dieses Spukhaus zurück!« »Es waren Projektionen – und dazu nur immaterielle«, wandte Umlyr ein. »Es wäre bei der ersten Projektion geblieben, denn sie sollte nur Kontakt mit dir aufnehmen. Aber dann zerstörtest du die Kyukyl, weil du sie auf die Projektion warfst. Das machte mich zornig.« »Die Kyukyl?« fragte Razamon ruhiger. »Diese kopfgroße Glaskugel, die mit einem violetten Gas gefüllt war. Ich hatte sie für eine Art Wahrsagerkugel gehalten – und die erste Projektion hatte mich erschreckt.« »Das, was wie violettes Gas aussah, war der Yntaier«, erklärte Umlyr. »Später sah ich ein, daß du das nicht ahnen konntest.« »Es tut mir leid«, sagte Razamon mit spröder Stimme. »Habe ich den Yntaier getötet?« »Du hast nur sein Außenskelett zerstört, Razamon«, antwortete der Kärnsizer. »Dadurch wurde der Yntaier sehr verletzbar. Aber ich habe ihn mit der materiellen Projektion eines Außenskeletts geschützt. In wenigen Tagen wird er ein neues Außenskelett materialisiert haben. Er hat dir verziehen, Razamon.«
Der Berserker seufzte, dann nickte er. »Also, gehen wir ins Yntaier‐Haus, mein Freund, äh, mein Miststück.« * Das Innere des Orgelpfeifenhauses war in zahllose miteinander verschachtelte Kammern, Röhren und mehrere nur kniehohe Räume eingeteilt. Nur die Vorhalle war ein Raum nach meinen Vorstellungen, wenn auch wabenförmig und mit Spiegelwänden. Die Beleuchtung war nicht mehr als ein trübrotes Dämmerlicht. »Hier wäre ich vielleicht auch durchgedreht, wenn plötzlich eine schreckerregende Gestalt aufgetaucht wäre«, gab ich zu. »Dann bin ich psychologisch falsch vorgegangen, als ich das Yntaier‐Haus als Ort unserer Zusammenkunft wählte«, sagte Umlyr. »Für mich herrscht hier eine anheimelnde Atmosphäre.« »Du hast gewußt, daß wir dir hier auflauern würden?« fragte Razamon. »Ich habe es so geplant«, erklärte der Kärnsizer raspelnd und raschelte mit den Gliedmaßen. Es hörte sich an, als riebe man zundertrockenes Laub zwischen den Händen. »Es gibt außer mir noch einige ›Auserwählte‹, die noch nicht lange genug hier sind, um schon völlig dem Irrglauben verfallen zu sein, den die Gersa‐ Predoggs allen ›Auserwählten‹ systematisch einreden.« »Genau diesen Kontakt suchten wir«, warf ich ein. »Wirst du uns zu deinen Freunden führen, Umlyr?« »Nicht heute nacht«, erwiderte der Kärnsizer. »Zuerst möchte ich mich mit euch absprechen, denn von euch darf ich mit Sicherheit annehmen, daß ihr dem verderblichen Einfluß der Roboter noch nicht ausgesetzt wart. Bei den meisten Mitgliedern unserer Widerstandsgruppe ist es leider so, daß sie bereits wankend geworden sind. Sie zweifeln noch an dem, was die Roboter ihnen einzureden versuchen, aber sie sind sich nicht mehr sicher, daß sie
es wirklich besser wissen.« »Dann können wir sie nicht gebrauchen«, meinte Razamon. »Zumindest müssen wir versuchen, sie zu retten«, sagte Umlyr. »Außerdem können sie uns mit nützlichem Wissen helfen. Sie wissen besser über die Verhältnisse in Luckirph Bescheid als ihr oder ich. Diese Verhältnisse sind nämlich schwer durchschaubar.« »Hast du schon einen Plan?« fragte Razamon. »Noch nicht«, antwortete der Kärnsizer. »Es scheint, als ob wir nichts weiter tun können, als weitere Neuankömmlinge zu warnen und vielleicht gemeinsame Geistestrainingstunden einzurichten, um uns und sie gegen die Beeinflussungsversuche zu immunisieren.« »Das ist sicher gut«, meinte der Berserker. »Aber es genügt noch nicht. Wir müssen uns Informationen beschaffen, die uns kein ›Auserwählter‹ geben kann. Nur die Gersa‐Predoggs verfügen über solche Informationen.« »Sie werden sie uns niemals geben«, wandte Umlyr ein. »Nicht freiwillig«, erklärte Razamon. »Ich schlage vor, wir überwältigen einen Roboter und manipulieren ihn so, daß er uns alle gewünschten Auskünfte gibt. Atlan und ich haben sehr lange Zeit gehabt, uns mit Robotkonstruktionen verschiedenster Art zu befassen.« »Runar kennt sich ebenfalls mit allen Robotertypen aus«, warf der Kärnsizer ein. »Runar?« fragte ich. »Ein Randhole und eine Kapazität auf dem Gebiet der Kybernetik«, antwortete Umlyr. »Ja, ich denke, daß Razamons Plan gut ist und sich verwirklichen läßt. Sprecht aber nicht in eurem Haus darüber. Die sogenannten Hausgeister sind magische Kreise, die nur ihrem Herrn dienen.« »Wer ist dieser Herr?« fragte ich. »Ich weiß es nicht«, sagte der Kärnsizer. »Er befindet sich offenbar nicht mehr auf Luckirph. Aber ihr dürft eurem Hausgeist nicht trauen. Er würde euch alles versprechen und jedes Wort, das ihr
sagt, sofort an die Gersa‐Predoggs wiedergeben.« »Dann waren wir leichtsinnig, Atlan«, meinte der Berserker. »In bezug auf das Strauchwesen schon«, erwiderte ich. »Ansonsten erwarten die Roboter, daß wir nicht gleich umfallen. Gibt es hier eigentlich keinen ›Hausgeist‹?« »Der Yntaier konnte ihn bannen«, sagte Umlyr. »Morgen wird euch ein Roboter zur sogenannten Instruktionsstunde abholen. Seht auch bitte vor. Die Gersa‐Predoggs auf Luckirph sind Meister der induktiven Dialektik. Wenn sie jemanden lange genug bearbeiten, können sie ihn veranlassen, alles zu glauben, was sie für wünschenswert halten.« Ich nickte. »Wir haben an Creah erlebt, wie jemand völlig umgedreht wurde.« Der Kärnsizer gab ein kicherndes Raspeln von sich. »Creah ist ein Ausnahmefall. Ehlos sind absolut unbeeinflußbar. Deshalb leitet er insgeheim den Widerstand. Aber eigentlich sollte ich das euch nicht verraten, denn Creah pflegt stets im Hintergrund zu bleiben. Ich bin seine einzige Kontaktperson zu den Mitgliedern der Widerstandsgruppe.« Razamon lachte leise. »Dann hat er großes schauspielerisches Talent, denn er spielte überzeugend den total Umgedrehten.« »Ihm blieb nichts anderes übrig, als euch zu verraten, denn sein Hausgeist hat jedes Wort, das in seinem Haus gesprochen wurde, an die Gersa‐Predoggs weitergeleitet. Hätte er euch nicht verraten, wäre seine Rolle durchschaut worden.« »Es ist sehr wertvoll für uns«, erwiderte ich. »Wann treffen wir uns wieder, Umlyr?« »Morgen abend im Navalynn«, antwortete der Kärnsizer. »Das ist ein leerstehendes Haus auf dem Grund des Großen Sees am Ostrand der Stadt. Dort gibt es keinen Hausgeist. Ich werde euch kurz nach Sonnenuntergang am Ufer erwarten und hinführen.«
»Werden die anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe auch kommen?« fragte Razamon. »Sie werden dort sein. Geht jetzt! Ich werde euch heimlich folgen, um festzustellen, ob ihr überwacht werdet.« 4. Es war später Vormittag, als der Gersa‐Predogg uns besuchte. Razamon und ich hatten auf bequemen Liegen recht gut geschlafen und am Morgen eine reichliche Mahlzeit vom Versorgungsautomaten serviert bekommen. Wir hatten uns gewundert, woher die Gersa‐Predoggs oder ihre Herren unsere Eßgewohnheiten kannten, denn das »große Frühstück«, das wir angefordert hatten, war fast wie in einem guten terranischen Hotel gewesen. Zwar hatte der »Kaffee« nur aus gefärbtem Wasser ohne Aroma bestanden, aber er hatte belebend gewirkt. Toast, Schinken, Ei, Schwarzbrot und Marmelade hatten beinahe echt geschmeckt, obwohl es sich um synthetische Surrogate handelte. Nachdem wir uns gewaschen und angekleidet hatten, führten wir ein Gespräch zur Täuschung unseres »Hausgeistes«, der dadurch mit falschen Informationen über unseren nächtlichen Ausflug versorgt wurde, so daß die Gersa‐Predoggs keinen Verdacht schöpften. Als der Gersa‐Predogg auftauchte, versuchte ich zu erkennen, ob es sich wieder um Yndorm handelte. Er sah genauso aus wie Yndorm, doch konnte ich natürlich nicht wissen, ob es bei den Gersa‐Predoggs von Luckirph überhaupt Unterscheidungsmerkmale gab. »Ich hoffe, es geht euch gut«, sagte der Roboter. »Falls ihr euch über etwas beschweren möchtet, dann sagt es mir. Ich würde dafür sorgen, daß Mängel abgestellt werden.«
»Es ist alles in Ordnung«, erwiderte ich. »Wir finden es nur langweilig in Luckirph, denn wir sind es gewohnt, abends etwas zu unternehmen. Gibt es eigentlich keine Restaurants und Bars in der Stadt? Gestern haben wir vergeblich danach gesucht.« »Ich verstehe nicht, wovon du sprichst, Atlan«, erwiderte der Gersa‐Predogg. »Vergnügungsstätten«, erklärte Razamon. »Räume, in denen viele Personen verkehren, Musik hören, alkoholische Getränke konsumieren und Kontakte knüpfen.« »Ich bedaure, aber ich habe noch nie von solchen Einrichtungen gehört«, sagte der Roboter. »Darf ich euch zur Informationsstunde abholen?« »Wir haben keine Lust«, erklärte ich, um zu erfahren, ob wir eventuell zur Teilnahme gezwungen werden sollten. »Das ist bedauerlich«, meinte der Gersa‐Predogg. »Ich dachte, ihr wäret an umfassenden Informationen über die Verhältnisse in den Revieren der Schwarzen Galaxis interessiert.« Er senkte die Stimme. »Wißt ihr, jenes Wesen, das euch dazu ausersehen hat, das schlimme Erbe seines Vorgängers zu bekämpfen, ist gar nicht der Dunkle Oheim. Der Dunkle Oheim ist schon lange tot. Er war wirklich schlecht, aber sein Nachfolger ist entschlossen, das Böse zu bekämpfen und das Gute zu fördern. Er kann nur noch nicht offen dafür eintreten, denn seine Macht ist noch zu gering. Deshalb hat er auch den Namen seines Vorgängers übernommen. Die Neffen sollen sich in Sicherheit wiegen, während er ihren Sturz vorbereitet. Positiv denkende und handelnde Wesen wie ihr werden dazu gebraucht, denn ihr habt bewiesen, daß ihr willens seid, eure ganze Kraft für das Gute einzusetzen und dafür sogar euer Leben zu wagen. Wollt ihr plötzlich eure Ideale verraten und aufgeben?« Das ist perfekte Überredungskunst! teilte mir mein Logiksektor mit. »Kannst du deine Behauptungen beweisen?« fragte ich. »Nicht hier«, erwiderte der Roboter. »Dazu sind die Informationsstunden da.«
»Hm!« machte ich. »Vielleicht sollten wir doch mitgehen. Was meinst du, Razamon?« »Ich bin ebenfalls neugierig geworden«, meinte der Berserker mit verstecktem Grinsen. »Wir kommen mit, Gersa‐Predogg.« Während wir hinter dem Roboter hergingen, analysierte ich sein Verhalten. Ich war überzeugt davon, daß er keine Gewalt angewendet hätte, wenn wir bei unserer Weigerung geblieben wären. Vielleicht wäre er letzten Endes sogar wieder gegangen. Aber er wäre zweifellos wiedergekommen, um seine Seelenmassage fortzusetzen. Diese Methodik mußte überzeugend wirken, nur hatten Razamon und ich so viele Erfahrungen in der Schwarzen Galaxis gesammelt, daß wir nicht bereit waren, den Robotern zu vertrauen. Es wäre aber möglich, daß sie die Wahrheit sagen! dachte ich. Laß dich nur von Tatsachen überzeugen, aber weder von Worten noch von sogenannten Beweisen! übermittelte mir der Logiksektor meines Extrasinns. Alle Beweise lassen sich fälschen. Das Wesen, das sich ›Dunkler Oheim‹ nennt, muß die Verhältnisse aus eigener Kraft ändern. Nur das wäre eine Tatsache, die überzeugen könnte. Du predigst Wasser und trinkst Wein! dachte ich zurück. Funktioniert neuerdings deine Logik nicht mehr, daß du nicht vom Dunklen Oheim sprichst, sondern von einem Wesen, das lediglich nach den Worten des Gersa‐Predoggs existiert? Halte dich gefälligst nur an Tatsachen! Natürlich hatte ich reichlich Ironie in meine Gedanken gelegt. Doch in Wirklichkeit triumphierte ich nicht im geringsten über den Versager meines Logiksektors. Bewies er doch, wie gefährlich die Wirkung der Argumente des Roboters war. Sie sickerten offenbar unmerklich ins Unterbewußtsein und zermürbten von dort aus ganz allmählich die Überzeugung des Bewußtseins. *
Außer Razamon und mir waren elf weitere Intelligenzen in dem saalartigen Informationsraum anwesend. Wir kannten nur eine Person: Creah. Ich fragte mich, ob einige der Anwesenden, die wir nicht kannten, der Widerstandsgruppe angehörten. Wahrscheinlich nicht, denn die Gersa‐Predoggs mußten logischerweise bemüht sein, die Zahl der Neulinge in einer Informationsgruppe klein zu halten. Der Gersa‐Predogg stellte sich auf ein Podest, während wir »Schüler« uns im Halbkreis auf bequeme Sessel setzten. Er fing jedoch nicht gleich mit dem Unterricht an. Wenige Minuten später erfuhren wir, warum. Zwei weitere Roboter betraten den Saal. Wenn es in Luckirph nur drei Roboter gab, dann konnte der, der uns abgeholt hatte, nur Yndorm sein, denn die beiden anderen Roboter sahen etwas anders aus als der, den wir als Yndorm kennengelernt hatten. Nebeneinander standen die drei Gersa‐Predoggs auf dem Podest, dann fing der, den ich für Yndorm hielt, an zu sprechen. »Liebe Freunde! Für die Neuen stelle ich uns noch einmal vor. Ich bin Yndorm, wie Atlan und Razamon vielleicht schon erraten haben. Meine Mitarbeiter heißen Dathorym und Llacorm.« Er deutete jeweils auf einen Roboter. »Wir wollen heute die Verhältnisse im Drohlantherer‐Revier kennenlernen und analysieren«, fuhr er fort. »Das Drohlantherer‐ Revier wird vom Neffen Rhyncom Twaal verwaltet.« Dathorym und Llacorm entfernten sich von ihm und stellten sich hinter zwei schmale Pulte links und rechts von Yndorm. Dathorym schaltete an seinem Pult. Im Hintergrund des Saales bildete sich die Tridi‐Projektion eines Raumsektors. Ich sah unzählige Sonnen und leuchtende Gasnebel, aber auch Dunkelwolken. Die nächststehende Sonne war als Scheibe mit schwarzem Kern zu sehen. Der Schwarze Kern war nicht sehr groß. Deshalb nahm ich an, daß dieser Raumsektor – das Drohlantherer‐Revier – weit vom Zentrum der Galaxis entfernt war. Llacorm schaltete ebenfalls an seinem Pult. In der ersten
Projektion tauchte die Projektion eines Planeten auf. Für uns sah es so aus, als ob wir auf diesen Planeten zustürzten, bis er die gesamte Rückwand des Saales ausfüllte. Und plötzlich schien es, als befänden wir uns auf der Oberfläche eines Planeten inmitten einer lebendigen Szenerie … »Die Stadt Chaltan, Hauptstadt des Planeten Irsom, dritter Planet der Sonne Tolk«, erklärte Yndorm. Wir schienen mitten in Chaltan zu stehen. Die leuchtenden Sphären, die an der Spitze von großen Gittermasten durchschnittlich hundert Meter über einer parkähnlichen paradiesischen Landschaft schwebten, durchmaßen etwa zwischen dreißig und siebzig Metern. Es handelte sich nicht um Ballons, denn ihre Hüllen waren starr. Außerdem gab es zahlreiche Öffnungen in ihnen, durch die unablässig zahllose elliptische Schwebefahrzeuge ein‐ und ausflogen. Ab und zu kamen Schweber so nahe an uns vorüber, daß wir durch die transparenten Oberseiten die Passagiere sehen konnten: Lebewesen von hominidem Körperbau, aber mit grüner Schuppenhaut und flossenartigen Kämmen auf den kahlen Köpfen. Sie waren fremdartig, aber eindeutig erkennbar kostspielig gekleidet. Es schien ihnen demnach gut zu gehen. »Die Tsalaven, die Eingeborenen von Irsom, waren bis vor einiger Zeit unbehelligt geblieben«, erläuterte Yndorm. »Sie entwickelten eine große Zivilisation und schickten sich schließlich an, eine Raumfahrt zu entwickeln, um die nächsten Planeten zu erforschen. Als das erste Schiff die Atmosphäre von Irsom verließ, wurde das von einem Kreisbahnsensor registriert und zum Regierungssitz des Neffen gemeldet. Einer unserer Agenten dort erfuhr davon und gab die Nachricht zum Zentrum weiter. Sofort wurde ein Schiff der Alven, die insgeheim unsere Verbündeten sind, mit dem Gersa‐Predogg Namdyr an Bord zum Tolk‐System geschickt. Namdyr sollte die Tsalaven warnen und ihnen erklären, wie sie sich bei der Ankunft einer Flotte des Neffen
verhalten sollten, um ihre Zivilisation zu retten. Leider kam Namdyr zu spät. Er hatte nicht mehr Zeit genug, die Tsalaven davon zu überzeugen, daß sie sich nach seinen Empfehlungen richten mußten. Die Eingeborenen reagierten deshalb falsch, als die Flotte des Neffen über Irsom eintraf und der Kommandeur die bedingungslose Unterwerfung verlangte. Sie lehnten das Ansinnen ab und schossen statt dessen einige Raketen mit Fusionssprengköpfen zur Flotte hinauf.« Das Bild unserer »Umgebung« veränderte sich schnell und kraß. Organschiffe stießen tief herab und nahmen die Stadt unter Strahlwaffenbeschuß. Sämtliche Wohnkugeln wurden getroffen, aber nicht vernichtend. Anscheinend wurden nur ihre Antigravprojektoren beschädigt, denn die meisten sanken so langsam, daß sie ohne schwere Schäden auf dem Boden landeten. Mehrere Wohnkugeln zerbarsten jedoch beim Aufprall, einige gingen in Flammen auf. Organschiffe landeten und schleusten Bewaffnete aus. Die verstörte Bevölkerung wurde zusammengetrieben. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt. Eine Gruppe von Tsalaven, wahrscheinlich hohe Regierungsmitglieder, wurde aussortiert, gefesselt und als Geiseln auf ein Organschiff transportiert. Ich atmete auf, als das unheimlich realistisch wirkende Trivideogeschehen ausgeblendet wurde. »Mit derartiger Brutalität herrscht der Neffe Rhyncom Twaal über das Drohlantherer‐Revier«, sagte Yndorm. »Dabei wurden die Reviere vor langer Zeit dazu geschaffen, um die Kommunikation zwischen den in ihr existierenden Zivilisationen zu intensivieren und auf freiwilliger Basis eine Gemeinschaft zu schaffen, die später wiederum mit den anderen Revier‐Gemeinschaften zur Galaktischen Gemeinschaft aller Zivilisationen entwickelt werden sollte. Schuld daran war das Wesen, das die Regierenden des Zentrums stürzte und sich als Dunkler Oheim seine Neffen schuf, Kreaturen,
die ihm seine Macht erhielten und sich gleichzeitig maßlos bereicherten. Zwischen dem Dunklen Oheim und seinen Neffen gab es ein unsichtbares Band, das sie gegenseitig abhängig voneinander machte. Dieses Band zerriß, als der Dunkle Oheim starb und sein Nachfolger versuchte, das schreckliche Erbe zu der Entwicklung zurückzuführen, die ursprünglich vorgesehen war. Die Neffen haben von dem Machtwechsel noch nichts bemerkt. Sie glauben weiterhin an ein unsichtbares Band, das sie gegenseitig und mit dem Dunklen Oheim abhängig voneinander machte. Aber das Verschwinden dieses Bandes hat sich bereits ausgewirkt. Mehrere Neffen bekämpfen sich gegenseitig. Einige wurden bereits dabei getötet.« Der Roboter legte eine Pause ein, dann zeigte er auf mich. »Versuche bitte, diese Lage zu analysieren und Schlüsse für uns daraus zu ziehen, Atlan!« Ich erhob mich. Im Grunde genommen war ich von dem Vortrag enttäuscht, denn er hatte mich keine Spur im Sinn der gewünschten Indoktrination beeinflussen können. Das war anscheinend den nächsten Vorträgen vorbehalten. Oder die Eindrücke, die du ausgenommen hast, sollen über das Unterbewußtsein eine Langzeitwirkung entfalten! warnte mich der Logiksektor. Rede so, wie Yndorm es erwartet, aber hüte dich davor, deine eigenen Worte zu glauben! * Ich nickte unmerklich. »Offenbar zeichnet sich ein Trend der neuen Entwicklung deutlich ab«, erklärte ich. »Der Trend zur gegenseitigen Auslöschung der Neffen.« Ich zögerte und entschloß mich dann, vorerst der Linie
Yndorms gegenüber zurückhaltend zu bleiben. »Da die Neffen sich in absehbarer Zeit alle gegenseitig umbringen werden, braucht der Dunkle Oheim nur das Ende dieser Entwicklung abzuwarten. Sobald die Zivilisationen der Reviere feststellen, daß niemand sie mehr brutal unterdrückt, werden sie sich miteinander in Verbindung setzen und neue, bessere Ordnungen erarbeiten.« Ich setzte mich wieder. »Wer möchte seine Meinung dazu sagen?« fragte Yndorm. Ein unbekanntes Echsenwesen erhob sich. »Ja, Duvar?« fragte der Roboter. »Es wäre falsch, die Zivilisationen der Reviere sich selbst zu überlassen«, erklärte Duvar. »Nichts als ein chaotisches Durcheinander würde dabei herauskommen. Die stärksten Zivilisationen würden sich darum bemühen, die Nachfolge des Neffen anzutreten. Machtkämpfe würden entbrennen. Nein, sobald die Neffen ausgeschaltet sind, müssen vom Zentrum aus Nachfolger ausgesandt werden, die mit allen Vollmachten ausgestattet sind und mit starker Hand für Ordnung sorgen.« Ich lachte bitter. Viel zu oft war in der Vergangenheit von viel zu vielen Herrschenden »mit starker Hand« für Ordnung gesorgt worden, grausame Exempel waren statuiert worden und unzählige Milliarden intelligenter Lebewesen hatten sich sinnlos gegenseitig umgebracht. Nicht, daß ich jemals für Machtlosigkeit oder Chaos gewesen wäre, aber wenn ich Macht eingesetzt hatte, dann war es keine selbstgegebene Macht gewesen, sondern eine von der Mehrheit des Volkes geliehene. Die Macht, von der Duvar sprach, war aber eine angemaßte – und die Ordnung, die er meinte, würde nicht von den Völkern ausgehen, für die sie bestimmt war, sondern sollte ihnen aufgezwungen werden. Ich würde so etwas niemals billigen. Selbstverständlich hatte meiner Meinung nach Duvar nur das nachgeplappert, was die Gersa‐Predoggs ihm in vielen Schulungen
eingeredet hatten. Deshalb war ich überrascht, als Yndorm sagte: »Das kann nicht das Ziel unseres Kampfes für die Freiheit sein, Duvar. Ihr, die wir aussenden werden, sobald alle Neffen ausgeschaltet sind, sollt keine neuen Diktaturen errichten. Ihr sollt als erstes die Flotten der Neffen unter eurem Kommando sammeln, damit ihre Kommandeure nicht dazu verleitet werden, die eben erst befreiten Völker erneut zu unterdrücken. Die nächste eurer Aufgaben wird sein, die planetarischen Zivilisationen der Reviere aufzufordern, in demokratischen Wahlen handlungsfähige Regierungen zu bilden, die anschließend Vertreter für einen gemeinsamen Rat aller Zivilisationen eines Reviers wählen und zu einem Ratsplaneten schicken.« Das klang so vernünftig, daß meine Überzeugung erschüttert wurde, man verfolge insgeheim verbrecherische Ziele. Da fing ich einen Blick Creahs auf. Trotz der Fremdartigkeit des Reptilwesens erkannte ich, daß es mich leicht ironisch musterte, um meine Reaktion auf Yndorms raffiniertes Manöver zu sehen. Ich blickte verlegen zu Boden, denn ich schämte mich, weil ich mich von dem Roboter hatte beeindrucken lassen. Nicht einmal mein Logiksektor hatte mich diesmal gewarnt. Doch das war etwas anderes. Dieser Teil meines Extrasinns dachte zu abstraktlogisch, als daß er eine umfassendere als die rein logische Wertung vornehmen konnte. Ich dagegen als komplexe Persönlichkeit hätte hinter der offenkundigen Logik Yndorms sofort die Psychofalle erkennen müssen. Razamon und ich würden schnell handeln müssen, denn es war anscheinend auch bei uns nur eine Frage der Zeit, bis wir nur zu bereit sein würden, alles zu glauben, was man uns an wohltönenden Belehrungen und Versprechungen vorsetzte. Ich versuchte nicht hinzuhören, als Yndorm einen weiteren Vortrag hielt. Es gelang mir schließlich, die Worte an mir vorbeiplätschern zu lassen, ohne ihren Zusammenhang und
Sinngehalt zu erfassen. Nach außen hin gab ich mir allerdings den Anschein konzentrierter Aufmerksamkeit. Schließlich beendete der Roboter die Informationsstunde und teilte uns mit, daß wir uns am nächsten Tag zur gleichen Zeit in der gleichen Halle einfinden sollten, um weitere Informationen zu erhalten. Ich atmete auf, als wir ins Freie kamen. Die frische Luft belebte und reinigte das Gehirn von allzu düsteren Gedanken und Vorstellungen. »Gehen wir nach Hause?« fragte Razamon. Ich schüttelte den Kopf. »Es wäre mir unmöglich, den Rest des Tages in der dumpfen Enge des Hauses zu verbringen. Ich möchte wenigstens einige Stunden in der freien Natur sein und mich irgendwo auf einer Wiese in die Sonne legen.« Der Berserker lächelte. »Ich komme mit, aber sobald du deine Wiese gefunden hast, gehe ich allein weiter und sehe mich um. Ich habe die Ahnung, daß es auf Luckirph etwas gibt, das sehr wichtig ist, das wir aber niemals kennenlernen, wenn wir nicht intensiv danach suchen.« 5. Ich hatte meine Wiese gefunden, und Razamon war weitergegangen, nachdem er mir angenehme Träume gewünscht hatte. Er irrte sich. Ich beabsichtigte keinesfalls, den Nachmittag zu verschlafen. Alles, was ich suchte, war eine möglichst tiefe Entspannung. Ich mußte mich geistig von dem lösen, was ich erlebt und gehört hatte, mußte Abstand gewinnen und dadurch, sozusagen von einer höheren Warte aus, die Situation überblicken und Schlüsse daraus
ziehen. Dazu brauchte ich absolute Ruhe. Das allein reichte aber nicht aus. Deshalb die Wiese, denn seit meiner Kindheit hatte ich immer wieder erfahren, wie wohltuend entspannend es wirkt, wenn ich – bei trockenem Wetter versteht sich – auf einer Sommerwiese liege, den Duft der Gräser und Kräuter einatme und nichts anderes ansehe als die Wolken am Himmel. Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis ich den Zustand gelassenen Wohlbefindens erreicht hatte. Der Anblick der Wolken bewirkte so etwas wie eine Hypnose. Ich fühlte mich nach Arkon zurückversetzt. Fartuloon befand sich mit mir auf der Flucht vor den Häschern Orbanaschols. Wir schlüpften für einen Tag beim Eremiten des Berges Torsameh unter, und ich lauschte aufmerksam dem Gespräch, das Fartuloon und der Eremit miteinander führten. Ich hatte nichts vergessen, und viele Worte des weisen Eremiten hatten mir später geholfen, wenn ich vor scheinbar unlösbaren Problemen stand. Der Schauplatz wechselte. Es war der Zeitpunkt, zu dem ich mich von Perry Rhodan verabschiedet hatte, um mit Razamon zu dem unheimlichen Eiland Atlantis aufzubrechen, das düster und drohend auf Terra materialisiert war. Perry Rhodan, die Erde, das Solsystem, die heimatliche Galaxis – wie weit lag das alles zurück! Hatte das, was ich in der Schwarzen Galaxis tat, überhaupt eine Auswirkung auf die Menschheit? Es schien mir, als wären beide Schauplätze durch eine unendlich tiefe Kluft aus Raum und Zeit voneinander getrennt. Und dennoch hatten sie miteinander zu tun, gab es so etwas wie eine Rückkopplung zwischen ihnen. Hier, in der Schwarzen Galaxis, entschied sich nicht nur das Schicksal der hiesigen Zivilisationen und des Dunklen Oheims, sondern auch das der Zivilisationen der Milchstraße. Wäre es nicht so, welchen Sinn hätten dann meine
Unternehmungen in der Schwarzen Galaxis gehabt! Ich sah mich wieder auf der Wiese liegen und wußte plötzlich genau, worauf es ankam, wonach ich mit aller Energie streben mußte. Es genügte nicht, denn auf Luckirph inszenierten Schwindel aufzudecken. Ich mußte die Initiative ergreifen und alles daransetzen, um Luckirph zu verlassen und im Kampf die Entscheidung suchen. Ziel war der Kreis des immerwährenden Lebens, was immer man sich darunter auch vorstellen konnte. Jedenfalls schien das der Ort zu sein, an dem die bösartige Wesenheit, die sich Dunkler Oheim nannte, existierte – in welcher Daseinsform auch immer. Alles andere mußte hinter diesem Ziel zurückstehen. Plötzlich sah ich nicht mehr auf mich herab, sondern von der Wiese aus in den Himmel hinauf. An ihm hatten sich inzwischen einige schwarze Wolken aufgetürmt. Ich stand auf und sah mich um. Niemand außer mir war zu sehen – außer einigen großen Laufvögeln und den Insekten, die es auf Luckirph gab. Schon wollte ich allein zur Stadt zurückgehen, da entdeckte ich etwa tausend Meter nördlich von mir eine Gestalt. Sie mußte soeben das Wäldchen verlassen haben, das dicht hinter ihr lag. Razamon? Ich wartete, und tatsächlich erkannte ich wenig später den Berserker, der in ausdauerndem Trab auf mich zulief. Als ich winkte, winkte er zurück. Wenige Minuten später stand er vor mir. Das Leuchten seiner Augen verriet, daß er tatsächlich eine wichtige Entdeckung gemacht hatte. »Was hast du gefunden?« fragte ich. Razamon zog eine etwa dreißig Zentimeter lange und fünf Zentimeter durchmessende Röhre aus gelbem Metallplastik unter seinem Overall hervor. Ein Ende war offen; am anderen Ende
befand sich eine faustgroße Halbkugel mit mehreren Sensorpunkten. »Ein selbstgebastelter Psychostrahler«, erklärte er. »Die Wirkung soll allerdings zu schwach sein, um jemanden unter den eigenen Willen zu zwingen. Wahrscheinlich verwirrt sie die Opfer nur ziemlich stark. Aber es ist immerhin etwas, mit dem wir uns wehren können.« »Wer hat dir gesagt, wo du die Waffe finden kannst?« fragte ich. »Ein Emotiostrauch. Bei ihm hatte ein früherer ›Auserwählter‹ die Information hinterlassen, wo er die selbstgebastelte Waffe versteckt hatte.« »Und du bist zielstrebig ausgerechnet zu diesem Emotiostrauch gegangen?« »Darüber habe ich mich selbst gewundert«, gab Razamon zu. »Ich kann es mir nur so erklären, daß der Emotiostrauch unseres Hauses das Gefühl übermittelte, das für die Auslösung meiner Ahnung verantwortlich war. Wahrscheinlich enthielt sie außerdem verschlüsselt die Information über den Ort, zu dem mich diese Ahnung führen sollte.« Er blickte mich fragend an. »Und du, bist du erleuchtet worden?« Demnach hatte er genau gewußt, warum ich mich auf eine Wiese gelegt hatte! Ich nickte. »Alles ist nebensächlich – außer dem Abschluß unserer Suche nach dem Dunklen Oheim. Wir müssen ein Schiff finden und Luckirph verlassen, um die letzte Entscheidung zu suchen.« »Das ist schön gesagt, Arkonide«, erwiderte Razamon. »Aber woher nehmen wir ein Schiff – und wo sollen wir die letzte Entscheidung suchen?« »Wir müssen versuchen, diese Informationen aus dem Gersa‐ Predogg herauszuholen, den wir heute abend kapern.« »Hoffentlich klappt es.«
»Notfalls müssen wir beide es allein machen«, erklärte ich. »Es ist völlig unwichtig, was die Widerstandsgruppe beschließt, es sei denn, es bringt uns dem Ziel näher, den Dunklen Oheim auszuschalten und damit auch für die Zivilisationen der Milchstraße die Gefahr zu bannen, daß irgendwann wieder Dimensionsfahrstühle dort auftauchen und den Untergang ganzer Planetenvölker verursachen.« Der Berserker sah mich prüfend an, dann nickte er. »Du hast die Zeit gut genutzt. Ich schlage vor, wir gehen noch einmal zu unserem Haus, bevor wir zum abendlichen Palaver aufbrechen.« * Als die Sonne versank, kamen Razamon und ich etwas außer Atem am Großen See an. Wir hatten unseren »Hausgeist« nicht nach der genauen Lage des Sees fragen wollen und deshalb den ganzen Ostrand der Stadt absuchen müssen, bis wir den See fanden. Eigentlich verdiente er den Namen »Großer See« nicht, denn seine beinahe exakt kreisrunde Oberfläche durchmaß höchstens fünfzig Meter. Aber schön war er. Sein Wasser war kristallklar. Ein blütenweißer Sandstrand von etwa fünf Metern Breite zog sich am Ufer entlang. Dahinter gab es einen zirka hundert Meter breiten Waldstreifen: einen lichten Hain, durch dessen Wipfeldach das letzte Sonnenlicht des Tages goldrot schimmerte und Kringel auf den Boden malte. Wir blieben zwischen den letzten Stämmen stehen und blickten über die Wasserfläche, die sich während des Sonnenuntergangs verdunkelte und wenig später im Sternenlicht silbrig schimmerte. Von Umlyr war nichts zu sehen. Als ungefähr zehn Meter vom Strand entfernt das Wasser aufwallte, dachten wir, der Kärnsizer würde dort auftauchen. Doch
dann ertönte seine raspelnde Stimme dicht neben uns. »Folgt mir zum Taucherbeehl!« sagte er leise. Ich sah mich um und entdeckte ihn wenige Meter links von mir, an einen Stamm gelehnt. Im nächsten Moment setzte er sich in Bewegung. Er ging unbeirrt auf den See zu. Ich schaute dorthin, wo das Wasser aufgewallt war und sah dort eine grünlich schimmernde Blase von etwa vier Metern Durchmesser und der Form einer Birne auf den Wellen schaukeln. Das mußte die Taucherbeehl sein, sicher eine Art Taucherglocke. Razamon und ich folgten dem Kärnsizer. Dabei sahen wir, daß er eine Art Gummianzug übergestreift hatte. In der Wandung der Taucherbeehl bildete sich ein Spalt, als Umlyr dicht davor war. Ohne zu zögern, packte der Kärnsizer zu, weitete den Spalt und kroch hindurch. Als ich ihm folgte, wäre ich beinahe zurückgeschreckt, denn das Innere der Taucherbeehl war mit grünlich leuchtendem Gas angefüllt – und es war heiß wie im Ringofen eines Ziegelwerks. Doch der Kärnsizer packte meine rechte Hand und zog mich hinein. Ich staunte über seine Kraft. Zuerst glaubte ich, in dem Gas ersticken zu müssen, doch dann fühlte ich mich seltsam leicht und unbeschwert. Sogar die Hitze machte mir nichts mehr aus. Auch Razamon mußte von Umlyr gewaltsam in die Taucherbeehl gezogen werden. Ich sah, wie sich hinter ihm der Spalt wieder schloß und seine Ränder pulsierend miteinander verschmolzen. Mit einemmal begriff ich, daß die Taucherbeehl kein Apparat, sondern ein Lebewesen war. Vom Tauchvorgang merkte ich nichts. Als sich der Spalt nach etwa zehn Minuten wieder öffnete und ich hinter dem Kärnsizer hinauskroch, sah ich aber, daß wir uns nicht mehr oben auf dem Wasser befanden, sondern in einer zylindrischen Kammer, deren Boden zentimeterhoch mit Wasser bedeckt war. Umlyr half Razamon aus der Taucherbeehl, dann sagte er:
»Beeilt euch! Die Taucherbeehl muß wieder ins Wasser zurück, wenn sie nicht austrocknen soll.« Er eilte zum hinteren Ende der Kammer, bewegte die Hand vor einem Teleauge – und die Wand teilte sich. Der Raum war offenbar eine Schleusenkammer. Wir rannten durch die Öffnung, die sich hinter uns wieder schloß. Ich sah, daß wir uns in einem saalartigen Raum befanden, von dem eine Wendeltreppe nach oben ging. Umlyr führte uns die Treppe hinauf und in einen zweiten Saal. Er befand sich im Oberteil des Navalynns. Durch die transparente Decke war das beleuchtete Wasser des Sees zu sehen. Durchsichtige Fische huschten umher. Sie interessierten mich jedoch nicht mehr, als ich sah, daß wir bereits von vier anderen Intelligenzen erwartet wurden. Eines der Wesen war ein Gorbe, wie ich an dem raubvogelartigen Kopf mit dem riesigen Krummschnabel und an den Krallenhänden erkannte. Er hieß Rudogg, wie ich gleich darauf von Umlyr erfuhr. Der Kärnsizer stellte uns auch den anderen Wesen vor. Zwei waren Magarer, breit gebaute Echsenabkömmlinge. Sie hießen Nelom und Irda. Irda war kleiner als Nelom und trug eine graubraune Schuppenhaut, während Neloms Schuppenhaut in allen Regenbogenfarben leuchtete. Folglich mußte Irda weiblichen Geschlechts sein und war sicher Neloms Gefährtin. Runar, der Randhole, erwies sich als ein zwergenhafter Hominide mit dunkelbrauner ledriger Haut, großem Schädel und intelligenten hellblauen Augen. Runar ergriff sofort nach der Vorstellung das Wort. »In der Stadt gibt es nur drei Gersa‐Predoggs. Ich habe sie lange genug beobachtet, um festzustellen, wie und wo wir einen von ihnen zu fassen bekommen. Sie begeben sich regelmäßig kurz nach Mitternacht ins Stadtzentrum. Dort steht ein kleines bunkerartiges Gebäude, das völlig mit schweren Metallplatten verkleidet ist. Die Roboter gehen zusammen hinein, kommen aber nach einer Stunde in Abständen von einigen Minuten wieder heraus.
Ich nehme an, daß sie dort ihre Instruktionen erhalten. Für uns ist aber nur der Umstand wichtig, daß sie danach nicht wieder zusammentreffen, sondern in ihre Quartiere gehen, die weit auseinander liegen. Wenn wir einen von ihnen überwältigen, haben wir also mindestens den ganzen Rest der Nacht Zeit, bevor die beiden anderen Roboter ihn vermissen und Verdacht schöpfen.« »Das klingt gut«, sagte ich. »Weißt du, wie man einen Gersa‐ Predogg schnell und wirksam überwältigt, Runar?« Der Randhole lächelte mit den Augen, ansonsten blieb sein Gesicht unbewegt. »Es gibt einige Tricks, die ich an Gersa‐Predoggs auf der Slarenwelt Yxod ausprobiert habe. Sie funktionieren bei allen diesen Robotern. Ich erkläre sie euch.« * Kurz vor Mitternacht postierten wir – Razamon und ich, Umlyr, Runar sowie Nelom und Irda – uns in mehreren Nischen eines leerstehenden Hauses im Stadtzentrum. Das nahezu würfelförmige, sich nach oben leicht verjüngende Haus aus schwarzem, basaltähnlichem Material mit den zahlreichen tiefen Nischen stand in einem Sandgarten. Der feine gelbe Sand war zu mehreren Dünen aufgetürmt und wurde mit tiefreichenden Plastikgittern gegen Winderosion geschützt. Irgendwann mußte das alles eigens für einen ehemaligen Wüstenbewohner hergerichtet worden sein. Ich fragte mich, warum diejenigen, die Luckirph zu einem Ort der »Umschulung« gemacht hatten, sich so große Mühe gaben, damit die Gefangenen sich heimisch fühlten. Doch das war eine Frage, die sich erst beantworten ließ, wenn wir erfuhren, warum diese »Umschulungen« überhaupt stattfanden.
Mitten durch die Dünen des Sandgartens führte ein schmaler, mit Glasfaserplatten befestigter Weg. Auf ihm kehrte stets einer der drei Roboter nach der Instruktionsstunde zurück, wie Runar erklärt hatte. Ihn wollten wir abfangen. Der Kärnsizer war auf das Flachdach des Wüstenhauses geklettert, um die drei Gersa‐Predoggs zu beobachten. Wenige Minuten nach Mitternacht kam er zu uns herab und berichtete, sie seien soeben in dem bunkerartigen Gebäude verschwunden. Wir würden uns also noch eine Stunde gedulden müssen. Kurz vor Ablauf der Zeit kletterte Umlyr abermals auf das Dach. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er wieder herunterkam. »Der erste Roboter hat das Gebäude verlassen und kommt genau auf uns zu«, berichtete er. »Es ist Yndorm.« »Gut«, erwiderte Runar. Der Randhole schien völlig ruhig zu sein. »Atlan und Razamon, ihr wißt, wie ihr ihn bewegungsunfähig machen könnt.« Er deutete auf den Weg, der sich etwa zwei Meter vor uns durch ein Dünental schlängelte. »Wenn er dort entlangkommt, greift ihr an!« »Ich werde wieder beobachten«, erklärte Umlyr und kletterte an der rissigen Wand empor. »Irda und ich könnten ihm einfach Arme und Beine abreißen«, sagte Nelom. Der Magarer zitterte vor Tatendurst. »Nein!« entschied Runar. Razamon und ich hielten uns bereit. Es dauerte keine Minute mehr, da tauchte vor uns der Gersa‐Predogg auf dem Weg auf. Es war Yndorm, wie der Kärnsizer berichtet hatte. Als er die Stelle erreichte, an der die Entfernung zu uns am geringsten war, schnellten der Berserker und ich aus unserer Nische. Razamon hatte die Aufgabe erhalten, die seine enorme Körperkraft berücksichtigte. Er riß den Roboter einfach zu Boden, und zwar so, daß er mit dem Rücken nach oben auf dem Weg lag. Ich kniete mich auf Yndorms Rücken, faßte seinen Schädel und bog ihn nach vorn. Dadurch wurde eine Lücke zwischen dem Kopf
und dem kurzen Tentakelhals freigelegt. Ich griff mit zwei Fingern hinein, ertastete einen Drehschalter und drehte ihn ganz nach rechts. Damit war der Hauptreizleiterstrang vom gesamten Körper zur Positronik im Schädel unterbrochen. Yndorm war sozusagen gefühllos geworden. Zwar funktionierte der Befehlsleiterstrang vom Gehirn zu den Gliedmaßen immer noch, aber ohne Funktionskontrolle würde der Roboter keine koordinierten Bewegungen mehr ausführen können. Das gab mir Zeit genug, um mit einem von Umlyr gefertigten Messer unter den haarfeinen Spalt einer Rückenplatte zu fahren, sie anzuheben und zu entfernen. Darunter lag das Schaltelement, mit dem der Befehlsleiterstrang ein‐ und ausgeschaltet werden konnte. Nachdem das erledigt war, vermochte Yndorm sich überhaupt nicht mehr zu bewegen. Er war uns hilflos ausgeliefert. »Wird er nicht über Funk Alarm schlagen?« fragte ich Runar, der sich über den Gersa‐Predogg beugte. »Nein«, erwiderte er. »Dieser Robotertyp erleidet durch die von dir durchgeführten Manipulationen einen Schock, der ihn für mindestens eine Viertelstunde paralysiert. Bis dahin müssen wir ihn allerdings fortgebracht haben. Nelom, Irda!« Die beiden klobigen Echsenabkömmlinge packten den Roboter an Armen und Beinen und schleppten ihn mühelos fort. Runar eilte voraus und führte uns zu einem etwa fünfhundert Meter entfernten, ebenfalls unbewohnten Haus. Das, was wir von dem Haus sahen, war eine rund zwei Meter hohe tiegelförmige Konstruktion aus bläulich schimmerndem Stahlplastik. Die Tür war anders als die Türen der meisten Häuser in Luckirph. Als Runar eine Sensorplatte berührte, schwang eine meterdicke runde Stahlplastikplatte zur Seite. Dahinter lag ein schmaler Korridor, der bis zur Mitte des Hauses führte und sich von dort aus spiralförmig in die Tiefe fortsetzte. Die Beleuchtung schaltete sich nach dem Öffnen der Tür automatisch ein. Es war eine
trübrote Helligkeit. Runar führte uns die Spirale hinab. In ungefähr dreißig Metern Tiefe kamen wir in einen würfelförmigen Raum mit bläulich schimmernden Stahlplastikwänden, in dem mehrere quader‐ und würfelförmige Klötze aus demselben Material standen. Ihre Funktion ließ sich nicht erraten. Der Boden bestand ebenfalls aus Stahlplastik, in das lückenlos flache schüsselförmige Vertiefungen eingelassen waren. Was mochte das für ein Lebewesen gewesen sein, für das dieses Haus erbaut worden war! »Legt ihn auf den Rücken!« befahl Runar. Die Magarer gehorchten wortlos. »Er steht noch unter Schock«, erklärte der Randhole und deutete auf die Augenzellen des Gersa‐Predoggs. Sie reflektierten das einfallende Licht, was sie sonst niemals taten. »Wir müssen abwarten.« Ich spürte, wie sich eine wachsende Erregung meiner bemächtigte. Bald würden wir – hoffentlich – erfahren, was der Dunkle Oheim wirklich mit uns vorhatte … 6. Die Augenzellen Yndorms glühten rötlich auf und reflektierten das Licht nicht mehr. Der Roboter hatte den Schock überwunden. »Runar!« sagte er. Wir alle verstanden es, weil wir hinter Runar standen und unsere Translatoren deshalb ansprachen. »Warum hast du das getan?« »Weil wir wissen, daß ihr Gersa‐Predoggs uns nicht die Wahrheit sagt«, antwortete der Randhole. »Ihr versucht, uns mit raffinierten Lügengeschichten geistig umzudrehen. Aber es gelingt euch nicht ganz, wie du siehst.« »Aber, Runar!« rief Yndorm vorwurfsvoll. »Du bist doch ein guter
Diener unserer gemeinsamen Aufgabe. Wer hat dich dazu angestiftet, diesen Unfug anzustellen? Vielleicht Atlan und Razamon? Ich weiß, daß sie Unruhestifter sind. Sie konspirieren sogar mit den Ughlors, die wir für befriedet hielten.« Damit meinte er sicher die Emotiosträucher. »Aber damit kommen sie niemals durch. Du weißt das, Runar.« »Niemand brauchte mich anzustiften«, entgegnete Runar gelassen. »Ich nahm lediglich Kontakt mit Atlan und Razamon auf, damit sie mir halfen. Wir alle wollen endlich die Wahrheit über Luckirph und den Dunklen Oheim wissen. Du wirst mir meine Fragen wahrheitsgemäß beantworten!« Der Gersa‐Predogg schwieg. Er starrte uns nur aus seinen Augenzellen an, als könnte er nicht begreifen, daß wir uns an ihm vergriffen hatten. »Halt!« rief Runar plötzlich. »Ich sehe es an dem Aufblitzen deiner Augenzellen, daß du dich entschlossen hast, Alarm zu geben. Wenn du das tust, werden wir dich total zerstören – und du hängst ja an deiner Existenz, nicht wahr.« »Ich verzichte darauf, Alarm zu geben«, erwiderte Yndorm. »Aber ich werde keine deiner Fragen beantworten.« »Warten wirʹs ab«, meinte der Randhole. »Nelom und Irda, ihr dreht ihm zuerst die Arme und Beine ab! Danach sage ich euch, was ihr noch demontieren sollt.« Ohne zu zögern, griffen die beiden Magarer zu. Irda hielt den kastenförmigen Rumpf des Roboters mit ihren kräftigen Armen umschlungen. Nelom packte einen Arm und drehte ihn solange, bis er knirschend aus der Schultergelenkpfanne freikam. Die Drähte, an denen er noch hing, riß der Magarer kurzerhand ab. »Was soll das!« rief Yndorm. »Habe ich euch nicht stets freundlich und zuvorkommend behandelt? Bekommt ihr in Luckirph nicht alles, was ihr zu einem glücklichen Leben braucht? Habe ich euch jemals zu etwas gezwungen?« »Wir sind nicht freiwillig hier«, erklärte ich. »Unser Status ist der
von Gefangenen.« »Ihr seid Gäste von Luckirph«, widersprach der Roboter. Krachend sprang der zweite Arm aus der Gelenkpfanne. »Was hat man mit uns wirklich vor?« fragte Runar. »Ihr seid Auserwählte«, sagte der Gersa‐Predogg. »Hier werden die positiven Kräfte der Schwarzen Galaxis gesammelt.« »Vor uns waren schon andere Wesen hier«, erklärte Razamon. »Sie verschwanden eines Tages. Wohin wurden sie gebracht?« Ein Bein riß ab und wurde von Nelom achtlos weggeworfen. »Ich werde nicht reden, solange ihr mich gewaltsam festhaltet«, erklärte Yndorm. »Laßt mich frei, dann werdet ihr über alles informiert werden, was ihr wissen müßt.« »Wir wollen selbst bestimmen, was wir wissen müssen«, erwiderte Runar. Das zweite Bein des Roboters flog davon. »Reißt ihm die Rumpfplatten ab!« sagte der Randhole. Nelom und Irda gingen ans Werk. Bald war das komplizierte »Innenleben« des Gersa‐Predoggs freigelegt. Der Randhole deutete auf ein kompaktes Schaltelement im »Brustkasten« des Roboters. »Der Zapfenergiewandler! Entfernt ihn!« »Halt, halt!« rief Yndorm. »Ohne den Wandler kann ich meine Energiespeicher nicht wieder aufladen. Dann würde meine Existenz in etwa zwanzig Stunden erlöschen.« »Das wird sie, wenn du nicht endlich redest«, versicherte ihm der Randhole. Als Nelom seine prankenartigen Hände nach dem Zapfenenergiewandler ausstreckte, rief Yndorm: »Ich werde reden, Runar! Nur sage den Rohlingen, sie sollen mich nicht mehr anrühren!« »Haltet ein!« sagte Runar. »Das gilt aber nur solange, wie du alle Fragen wahrheitsgemäß beantwortest. Du weißt, daß ich als versierter Kybernetiker erkenne, ob du die Wahrheit sagst oder
davon abweichst.« »Ich weiß«, gab Yndorm zu. »Welchem Zweck dient Luckirph?« fragte der Randhole. »Luckirph ist ein Reservat für die am stärksten ausgeprägten positiven Kräfte der Schwarzen Galaxis.« Runar beobachtete den Gersa‐Predogg scharf. Ich hätte gern gewußt, wie er feststellen konnte, ob der Roboter die Wahrheit sprach oder nicht. »Was hat der Dunkle Oheim mit diesen Kräften – im speziellen Fall mit den derzeit Anwesenden – vor?« »Sie sind sein Reservoir an dimensional übergeordneten positiven Kräften, auf das er im Fall erhöhten Bedarfs zurückgreifen kann.« »Erkläre das genauer!« »Der dimensional übergeordnete Energiegehalt der Lebensblase muß ständig über einem bestimmten Wert liegen, sonst wäre die Versorgung und das Leben der Neffen gefährdet. Sinkt er bis dicht an diesen Wert ab, greift der Dunkle Oheim auf sein Reservoir zurück und speist die erforderliche Energie in die Lebensblase ein.« »Warum benötigt er dazu ausgerechnet positive Kräfte, wenn er selbst doch eine negative Kraft ist?« »Darüber weiß ich selbst nichts. Ich weiß nur, daß in der Lebensblase ausschließlich positive Bewußtseinsanteile benötigt werden.« »Bewußtseinsanteile? Heißt das, der Dunkle Oheim ›entseelt‹ seine Opfer, also uns, um unsere Bewußtseine zur Aufrechterhaltung seiner Schreckensherrschaft zu mißbrauchen?« »Das klingt zu destruktiv, Runar. Die Bewußtseine werden auf eine höhere Daseinsebene gehoben und erleben eine glückhafte Erfüllung.« »Das war gelogen!« erklärte der Randhole. »Nelom, Irda!« »Nein!« schrie Yndorm. »Ich habe mich falsch ausgedrückt, aber ich werde mich korrigieren.« »Wartet noch!« befahl Runar den Magarern. »Aber bei der
nächsten Lüge hilft dir nichts mehr, Yndorm. Korrigiere dich!« »Ich habe keine Ahnung, ob die geraubten Bewußtseine eine Art Erfüllung erleben«, gab der Roboter zu. »Tatsache ist, daß der Dunkle Oheim sie für die Erhaltung des Bösen gebraucht. Möglicherweise erleben die Bewußtseine eine Art psychischer Hölle.« Razamon und ich sahen uns an. Unbewußt hatten wir geahnt, was uns erwartete, wenn es nach dem Willen des Dunklen Oheims ging, aber die Eröffnung entsetzte uns dennoch. »Eine Frage von mir«, warf ich ein, weil ich es für an der Zeit hielt, endlich mein Ziel anzusteuern. Runar sah mich mißbilligend an, trat aber doch zurück. Ich nahm den Platz des Randholen ein. »Yndorm, warum versucht ihr, uns geistig im Sinne des Dunklen Oheims umzudrehen, wenn wir sowieso gegen unseren Willen entseelt werden sollen?« »Die Übertragung der positiven Bewußtseinsinhalte in die Lebensblase erfordert große Mengen Energie. Die benötigte Menge würde in unerfüllbare Höhen steigen, wenn die ›Kandidaten‹ zuvor nicht so motiviert würden, daß sie ihr Lebensziel im bedingungslosen Einsatz für den Dunklen Oheim sähen.« Jetzt wußten wir endlich, warum die Gersa‐Predoggs auf Luckirph so sehr darum bemüht waren, uns mit ausgefeilten Argumentationen anstatt durch Druck umzustimmen. Der Dunkle Oheim brauchte unsere innerliche Bereitschaft, ihm zu helfen. Sonst konnte er unsere Bewußtseine nicht in die Lebensblase übertragen. Ich nickte. »Der Dunkle Oheim ist also keineswegs eine positive Kraft, sondern wie eh und je die Verkörperung des Bösen. Aber was für eine Wesenheit ist er im Sinne von Physiologie und Psychologie? Und wo hält er sich auf?« Ich sprang zurück, als aus dem freigelegten »Innenleben« des Roboters eine grelle Stichflamme schlug. Als sie in sich
zusammenfiel, verschmorte der Rest der »Innereien« in einem wilden Funkenregen. »Du wolltest zuviel wissen, Atlan«, meinte Runar nach einer Weile. »Deine letzten Fragen müssen eine Vernichtungsschaltung aktiviert haben. Es ist ja logisch, daß der Dunkle Oheim sich dagegen abgesichert hat, daß Gersa‐Predoggs das Geheimnis seiner Daseinsform und seines Aufenthaltsorts ausplaudern.« Ich zuckte die Schultern. »Auf diese Fragen durfte ich nicht verzichten, Runar. Das Ziel unseres Kampfes muß es schließlich sein, den Dunklen Oheim zu entmachten und für immer unschädlich zu machen.« »Ich bezweifle, daß der Gersa‐Predogg über die gewünschten Informationen verfügte«, warf der Kärnsizer raspelnd ein. »Das mag sein; vielleicht besaß er auch nur einen Teil dieses Wissens«, sagte Razamon. »Wichtiger ist es jetzt, Konsequenzen aus der Information zu ziehen, daß der Dunkle Oheim die Bewußtseinsinhalte der positiven Kräfte von Luckirph nur dann anzapfen kann, wenn sie von der inneren Bereitschaft erfüllt sind, ihm zu helfen.« »Wir müssen auch die beiden anderen Gersa‐Predoggs zerstören und danach die geistige Umkonditionierung rückgängig machen«, erklärte Runar. »Ich bezweifle, daß eine Rekonditionierung gelingt«, stellte Umlyr fest. »Außerdem kann ich mir nicht denken, daß es unbemerkt bliebe, wenn alle Gersa‐Predoggs von Luckirph plötzlich versagten. Man würde neue Gersa‐Predoggs schicken und sie besser schützen. Es gibt nur einen Weg, dem Dunklen Oheim die benötigten positiven Kräfte vorzuenthalten.« Alle Anwesenden sahen ihn fragend an. Ich konnte mir denken, was jetzt kam. »Wir müssen alle umgedrehten Bewohner der Stadt töten!« erklärte der Kärnsizer. »Dann wird die Versorgung der Neffen zusammenbrechen, und viele, vielleicht sogar alle, werden sterben.«
Das war absolut logisch gedacht. Gefährlich war die darin enthaltene Verheißung, daß auf diese Weise schon bald mit absoluter Sicherheit alle Neffen ausgeschaltet würden und die Herrschaft des Dunklen Oheims anschließend zusammenbrechen mußte. Für mich war dieser Weg allerdings ungangbar. Zwar regierte bei zahllosen Zivilisationen des Universums die Maxime, daß der Zweck die Mittel heilige, aber für mich war diese zutiefst unmoralische Maxime nur verabscheuenswert, obwohl ich in diesem speziellen Fall Verständnis für den Vorschlag des Kärnsizers hatte. Ich atmete auf, als Razamon den Kopf schüttelte, denn ich war mir plötzlich nicht mehr sicher gewesen, wie der Berserker reagieren würde. »Wir sind dafür«, sagte Nelom. »Warum?« fragte Runar. »In Luckirph leben nicht viel mehr als hundert ›Auserwählte‹«, erklärte der Magarer. »Ihr Leben ist ein geringer Preis für die Vernichtung der Schreckensherrschaft über die Schwarze Galaxis.« »Das ist absolut logisch«, meinte der Randhole. »Und absolut unmoralisch«, widersprach ich. »Es spielt keine Rolle, ob es in Luckirph hundert, zehntausend oder nur zehn ›Auserwählte‹ gibt. Wir haben kein Recht, auch nur einen von ihnen zu ermorden, um unser Ziel zu erreichen.« »Wir wären nicht besser als der Dunkle Oheim und seine Neffen, wenn wir es täten«, sagte Razamon. »Dann müßten wir auch unsere weiteren Entscheidungen nach der gleichen Maxime abwägen. Was dabei herauskäme, wäre wieder nur eine Schreckensherrschaft.« »Aber wir hätten die einmalige Gelegenheit, die dunklen Mächte zu besiegen«, warf Irda ein. »Sie ist nicht einmalig«, erwiderte ich. »Wir dürfen es uns nicht auf Kosten des Lebens anderer Intelligenzen leicht machen, sondern müssen unbeirrt weiterkämpfen. Irgendwann wird sich das
Schicksal des Dunklen Oheims und seiner Neffen erfüllen.« »Du bist ein Narr, Atlan«, sagte Runar. »Hättest du nicht widersprochen, Razamon und ich wären überstimmt worden. Ja, es stimmt, auch ich bin ein Narr. Aber auch ich kann nicht anders.« »Es besteht Stimmengleichheit«, erklärte Nelom. »Wir werden abwarten und die als nächste ankommenden ›Auserwählten‹ ebenfalls befragen. Irgendwann überstimmen wir euch, Runar.« »Du denkst doch nicht etwa, ich ließe es zu, daß verbrecherische Absichten mit einer Wahl legalisiert würden!« rief Razamon. »Atlan und ich würden in jedem Fall gegen die Durchführung eures Planes kämpfen.« »So ist es«, bestätigte ich. »Ich nehme meinen Vorschlag zurück«, erklärte Umlyr. »Die Gegenargumente haben mich überzeugt.« »Ihr seid wirklich Narren!« schimpfte Nelom, aber er schien sich damit abzufinden, daß es kein Verbrechen geben würde. * Wir hatten die Überreste Yndorms liegengelassen und uns auf den Weg zu unseren Quartieren begeben. Doch wir waren nicht weit gekommen. Der Kärnsizer konnte gerade noch einen Warnruf ausstoßen, dann wimmelte es in unserer Umgebung plötzlich von Bleichen Alven, die mit ihren Strahlwaffen auf uns schossen. Ich spürte das für einen Schockwaffentreffer typische Gefühl eisiger Kälte, die mich einhüllte und danach das Versteifen der Skelettmuskulatur. Wie ich umfiel, merkte ich schon nicht mehr. Ich sah mich nur plötzlich auf dem Boden liegen. Das nächste, was ich sah, waren zwei Bleiche Alven, die in meinem Blickfeld auftauchten und meine Arme ergriffen. Anschließend zerrten sie mich einfach über den Boden.
Nach kurzer Zeit luden sie mich in einem dunklen Raum irgendeines Gebäudes ab. An den Geräuschen, die ich danach aus meiner unmittelbaren Umgebung hörte, konnte ich schließen, daß auch meine Gefährten hier abgeladen wurden. Dann schloß sich eine Tür – und danach vergingen mehrere Stunden des Wartens. Das Schlimmste dabei war, daß ich mich nicht rühren konnte. Ich vermochte mir auszumalen, was uns allen bevorstand. Man würde uns mit dem Wissen, das wir aus Yndorm herausgepreßt hatten, nicht weiterleben lassen. Wir hätten ja die Konditionierung der übrigen »Auserwählten« stören oder rückgängig machen können. Und wir waren hilflos diesem Schicksal ausgeliefert. Als es hell wurde, hörte ich Schritte im Haus, dann öffnete sich die Tür. Mehrere Bleiche Alven drängten herein. Hinter ihnen kamen Dathorym und Llacorm, die beiden übrigen Gersa‐Predoggs. Gleichzeitig spürte ich, wie die Lähmung von mir abfiel. Auch bei meinen Gefährten ließ die Wirkung der Schockschüsse nach. Dummerweise wälzte sich Nelom herum, anstatt das Abklingen der Lähmung zu verbergen. Ich spannte vorsichtig die Muskeln, um mich hochschnellen zu können, bevor die Bleichen Alven uns wieder schockten. Noch hatten sie ihre Strahlwaffen nicht aus den Gürtelhalftern gezogen. Mit einem Seitenblick stellte ich fest, daß Razamon sich auch auf den Kampf vorbereitete. Als einer der Bleichen Alven die Hand hob, dachten wir, es wäre soweit, aber er sagte nur: »Entschuldigt, daß wir Gewalt gegen euch anwenden mußten, aber wir waren überrascht und etwas ratlos, weil ihr Yndorm schwer beschädigt hattet. Zuerst vermuteten wir, ihr wärt Saboteure eines Neffen, aber dann fragten wir bei den Organschiffen nach, auf denen ihr geprüft wurdet. Wir erfuhren, daß die Prüfungen einwandfrei positiv im Sinne des Dunklen Oheims ausgefallen waren.«
Ich konnte es kaum fassen! Anstatt uns anzuklagen und abzuurteilen, reagierten unsere Feinde nur mit mildem Vorwurf und Erstaunen. Dabei war ihre Lügengeschichte doch durch Yndorms Aussagen rettungslos geplatzt. Niemand von uns würde ihnen jemals wieder ihre Lügen glauben. »Gebt euch keine Mühe!« sagte Ruhar und stand auf. »Yndorm hat gestanden, daß der Dunkle Oheim noch immer die Verkörperung des Bösen ist und daß er unsere Bewußtseine braucht, um die Energieverluste der Lebensblase zu ersetzen, die allein die Neffen am Leben erhält.« »Das soll Yndorm gesagt haben?« fragte Dathorym und drängte sich nach vorn. »Warum sollte er euch so ungeheuerliche Lügen erzählen. Ich glaube dir nicht, Runar.« »Es stimmt aber«, sagte ich und stand ebenfalls auf. Razamon erhob sich ebenfalls. »Wir wissen, daß wir nur als Reservoir positiver Kräfte dienen und nur deshalb geistig umgedreht werden sollen, weil unsere Bewußtseine sich sonst nicht in die Lebensblase transferieren lassen.« »Das habt ihr euch selbst ausgedacht«, erklärte Llacorm. »Warum sollten sie sich das ausgedacht habe?« warf der Anführer der Bleichen Alven ein. »Da stimmt etwas nicht, Llacorm.« »Ich bin ratlos, Dillion«, erwiderte Llacorm. »Wir müssen das überprüfen!« entschied Dillion. »Chewitt und Trorgah, ihr holt die Überreste Yndorms hierher! Dungärn, du holst den Kybermag aus unserem Schiff!« Drei Bleiche Alven machten kehrt und verschwanden. Ich konnte mir denken, weshalb der Alve Dillion die Überreste Yndorms holen ließ. Der Kybermag war sicher ein Gerät, mit dem sich Informationen noch aus den Restimpulsen lange Zeit energieloser Robotgehirne herausholen ließen. Dillion wollte feststellen, ob unsere Aussage stimmte. Aber warum, wenn er doch weiß, daß sie der Wahrheit entspricht? meldete sich der Logiksektor.
Denke einmal um drei Ecken herum, dann weißt du es! gab ich zurück. Ich musterte die Gesichter der Magarer und des Kärnsizers. Ihre Augen verrieten mir, daß diese Wesen verwirrt waren. Nur Runar bewies durch ein verächtliches Lächeln, daß er das Spiel der Alven ebenso durchschaute wie Razamon und ich. Nach etwa einer halben Stunde trafen die beiden Alven mit den Überresten Yndorms ein. Sie hatten sie auf einer Tragbahre transportiert. Kurz nach ihnen kam Dungärn. Er trug einen Metallkoffer. Als er ihn aufklappte, kamen verschiedene Geräte zum Vorschein. Dillion beugte sich über den Koffer und schaltete etwas ein, das verblüffend dem computerisierten Steuergerät einer Hi‐Fi‐Anlage ähnelte. Danach nahm er etwas, das einem Kopfhörer glich, aber die beiden »Ohrmuscheln« waren stählerne Teller mit glitzernden Spulen an den Innenflächen. Der Bleiche Alve streifte den Kopfhörerbügel über den unversehrten Schädel Yndorms und preßte die Teller an die Seitenflächen. Anschließend schaltete er an einem anderen Gerät des Koffers. Es schien sich um eine Hochenergiequelle zu handeln. Lautes Summen drang aus den »Ohrmuscheln«, dann sank es zu einem kaum hörbaren Ton ab. Abermals schaltete Dillion an dem »Steuergerät«. Aus zwei kleinen Lautsprechern, die sich ebenfalls im Koffer befanden, ertönte vorübergehend ein lauter Pfeifton. Der Bleiche Alve schaltete weiter, dann zog er ein Mikrophon aus dem »Steuergerät«. Er sprach aber nicht gleich ins Mikrophon, sondern forderte uns alle auf, uns so zu stellen, daß unsere Translatoren von ihm und von den Lautsprechern im Koffer direkt angesprochen wurden. Als der Pfeifton verstummte, sagte Dillion laut und deutlich: »Yndorm, kannst du mich hören?« Ein Prasseln kam aus dem Lautsprecher, dann eine leise Stimme: »Ich höre dich. Wer bist du?« »Ich bin Dillion, Kommandant des Organschiffs SHYGUR, Träger
des Ghorym‐Dal. Als Träger des Ghorym‐Dal befehle ich dir, auf meine Fragen die Wahrheit zu sagen, nichts hinzuzufügen und nichts wegzulassen. Du erkennst mich als autorisiert an?« Eine ganze Weile blieb es still, dann antwortete Yndorm, diesmal etwas lauter: »Ja.« »Hast du unseren Gästen gesagt, daß der Dunkle Oheim die Verkörperung des Bösen sei und daß er ihre Bewußtseine braucht, um die Energieverluste der Lebensblase zu ersetzen, die die Neffen am Leben erhielte?« »Ja, das habe ich gesagt.« »Das ist ungeheuerlich!« rief Dathorym. »Schweige, bitte!« befahl ihm Dillion. »Yndorm, warum hast du unseren Gästen diese Lügen erzählt?« »Ich wollte sie dazu bringen, daß sie die Wahrheit nicht glaubten, die wir Gersa‐Predoggs ihnen offenbarten.« »Warum dieser Verrat?« »Ich wollte verhindern, daß die positive Kraft, die den früheren Dunklen Oheim abgelöst hatte, gestärkt wird, denn ich bin noch immer für die alte Ordnung, die von den Neffen aufrechterhalten wird. Sie dürfen nicht von den Auserwählten abgelöst werden.« »Das ist ein ungeheuerlicher Verrat!« empörte sich Llacorm. »Warum bist du noch immer für die alte Ordnung?« fragte Dillion. »Eine Geheimprogrammierung«, sagte Yndorm stockend. »Ein schwarzer Gersa‐Predogg, ein Abgesandter des alten Dunklen Oheims. Eine Geheimprogrammierung. Er gab sie mir ein. Sie überlagert alles.« »Ich bin bestürzt«, erklärte Dillion. »Wirken die alten negativen Kräfte sogar noch bis in unsere positive Organisation?« »Yndorm muß endgültig desaktiviert werden!« sagte Llacorm. »So sei es!« erklärte Dillion. »Nur noch eine Frage, Yndorm. Ist Llacorm und Dathorym ebenfalls diese oder eine andere Geheimprogrammierung eingegeben worden?«
»Das ist doch …!« rief Dathorym. »Nein«, sagte Yndorm. »Ich mußte diese Frage stellen«, erklärte der Bleiche Alve. »Das Programm zur Befreiung der Schwarzen Galaxis darf nicht noch einmal gefährdet werden.« Er beugte sich über den Koffer und schaltete erneut an dem »Steuergerät«. Aus den Stahltellern an Yndorms Schädel drang lautes Summen, dann glühten sie auf. Yndorms Schädel zuckte; krachend explodierten die beiden Lautsprecher. Dann war es still. Dillion schaltete das Steuergerät aus, richtete sich auf und sagte: »Die Angelegenheit ist damit geklärt.« Er blickte uns, die Gefangenen, an. »Eure Schuldlosigkeit wurde durch Yndorms Aussage erwiesen. Ich entschuldige mich dafür, daß ich die drei Gersa‐Predoggs von Luckirph nicht gründlich genug überprüfen ließ. Ihr seid frei.« In meinem Schädel summte es. Das alles konnte nur ein abgekartetes Spiel gewesen sein. Yndorms Positronik mußte präpariert worden sein, bevor die Alven seine Überreste zu uns gebracht hatten. Dennoch war ich meiner Sache plötzlich nicht völlig sicher. Immerhin mußte ich die Möglichkeit einräumen, daß es wirklich so war, wie Yndorm ausgesagt hatte. Kannst du nicht um drei Ecken herum denken? meldete sich mein Logiksektor spöttisch. Dathorym hob die Arme, um auf sich aufmerksam zu machen. »Llacorm und ich haben beraten«, erklärte er. »Wir müssen unseren Gästen dankbar dafür sein, daß sie mißtrauisch waren, denn nur durch ihr Mißtrauen konnte Yndorm als Verräter entlarvt werden.« »Ich bin noch immer mißtrauisch«, sagte Razamon ernst. Ich blickte den Berserker mit gelinder Überraschung an. Hatte bei ihm etwa ein Sinneswandel stattgefunden? Wäre er wirklich durch und durch mißtrauisch, müßte er sich doch davor hüten, es zu
verraten. Sein Geständnis kam fast einer Vertrauenserklärung gleich. »Das können wir verstehen«, erwiderte Llacorm. »Wir verübeln es niemandem, der sein Leben in der Schwarzen Galaxis oder auf einem Dimensionsfahrstuhl verbrachte und die Verbrechen sah, die die Neffen im Namen des Dunklen Oheims verübten, wenn er sein Mißtrauen nicht so schnell ablegen kann.« »Unsere Gäste werden schon noch einsehen, daß wir die Wahrheit sagen«, meinte Dathorym. »Das ist unvermeidlich, denn unsere Beweise und Informationen sprechen für sich.« »Ich glaube euch«, erklärte Nelom. »Ich auch«, fügte Irda hinzu. »Dürfen wir gehen?« fragte Runar. »Dillion sagte schon, daß ihr frei seid«, antwortete Dathorym. »Seht euch in Luckirph um oder geht in eure Häuser, ganz wie ihr wollt. Morgen findet die nächste Informationsstunde statt.« Wir verließen den Raum und das Haus. Draußen schien die Sonne hell auf die Gärten und Häuser. Alles wirkte friedlich. Nur der metallbeschlagene Bunker auf dem kleinen Platz vor dem Haus störte mich. Er war ein Fremdkörper, der nicht in diese Umgebung gehörte. In ihm könntest du die Wahrheit finden! wisperte mein Logiksektor. Aber auch den Tod. Ich nahm den Randholen beiseite. »Was glaubst du, Runar?« »Ich weiß es noch nicht«, erwiderte er leise. »Es wirkte alles völlig überzeugend.« »Was flüstert ihr da?« rief Nelom und kam drohend näher. »Wollt ihr etwa weiter Mißtrauen säen?« »Du mußt Geduld haben«, sagte Razamon. »Nimm dir ein Beispiel am Verhalten unserer Gersa‐Predoggs. Alles braucht seine Zeit.« »Schon!« meinte der Magarer brummig. »Aber ich will nicht, daß ihr versucht, andere Gäste zu beeinflussen.«
Er wandte sich ab und ging mit Irda davon. Aus den Augenwinkeln erspähte ich Umlyr. Der Kärnsizer schlich mit gesenktem Kopf in eine Nebenstraße. »Eins zu null für die Gersa‐Predoggs«, sagte ich. »Ich gehe in mein Quartier«, erklärte Runar. Ich sah dem Randholen nach, bis er um eine Ecke gebogen war, dann wandte ich mich an den Berserker. »Warum hast du gesagt, du wärst immer noch mißtrauisch? Es klang fast, als würdest du schon halb glauben, was man uns einzuflüstern versucht.« Razamon lächelte düster. »Es sollte so klingen, Atlan. Ich glaube den Brüdern kein Wort. Und du?« »Ich war nahe daran, an meiner Überzeugung zu zweifeln. Doch das ist vorbei. Sieh dir diesen Bunker an! Er beweist mir, daß hier in Luckirph der gemeinste Schwindel aller Zeiten abgezogen wird.« Razamon atmete auf. »Wir sind uns also einig. Aber alles ist viel schwerer geworden. Atlan, wir müssen uns etwas einfallen lassen!« Ich nickte. Aber vorläufig wußte ich mir keinen Rat. Es schien nach dem raffinierten Manöver der Alven und der beiden Gersa‐Predoggs unmöglich zu sein, die anderen Gefangenen aufzuklären, und es sah auch nicht so aus, als würde sich eine Gelegenheit ergeben, den Dimensionsfahrstuhl zu verlassen. Dennoch mußten wir eine Möglichkeit finden – und zwar schnell. 7. Als wir die Vorhalle unseres Hauses betraten, galt mein erster Blick dem Emotiostrauch. Ich erschrak.
Der Kübel mit dem Strauch war verschwunden. Razamon packte mich am Arm. Er hatte es also auch festgestellt. Sein Griff sollte mich sicher davor warnen, hier im Haus darüber zu sprechen. »Wir werden etwas essen müssen«, erklärte der Berserker. Er betonte das Wort »müssen«. Ich verstand, warum. Wir brauchten Nahrung, um unsere Kräfte zu erneuern. Wenn wir verhungerten, war niemandem geholfen. Aber es bestand die Möglichkeit, daß neuerdings allen Nahrungsmitteln eine Droge zugefügt war, die uns gefügig machen sollte. »Ich vertrage selbst die exotischsten Gerichte«, erwiderte ich. Er blinzelte mir zu. Demnach hatte er begriffen, was ich damit ausdrücken wollte. Mein Zellaktivator würde jede Beeinflussungsdroge kompensieren, so daß wenigstens ich die Kontrolle über mich nicht verlor. Ich würde merken, wenn Razamon beeinflußt wurde, und ich würde eine Möglichkeit finden, ihm zu helfen. Ich klatschte in die Hände. »Zu Diensten!« meldete sich der »Hausgeist«. »Wir möchten etwas essen und trinken«, erklärte ich. »Du kennst ja die Bedürfnisse unseres Metabolismus.« »Ich bin informiert und werde euch etwas zusammenstellen.« Wir mußten etwa fünf Minuten warten, dann öffneten sich zwei Löcher in der Oberseite des Versorgungsautomaten. Zwei Tablette schwebten heraus und wurden abgesetzt. Auf jedem Tablett standen ein Glas Fruchtsaft, ein Teller mit täuschend echtaussehendem Synthofleisch, Soße und Gemüsebrei und eine Schüssel mit gebackenen Knollen, die Kartoffeln ähnelten. Razamon und ich nahmen unsere Tablette und gingen zu einem Tisch. Dort setzten wir uns und probierten die Speisen. Sie schmeckten nicht schlecht, aber nicht ganz so, wie sie aussahen. Wir aßen dennoch, denn unser Organismus brauchte dringend Nahrung. Dabei überlegten wir, was wir als nächstes tun sollten. Ich
hielt es für wichtig, Kontakt mit Creah aufzunehmen. Von dem Ehlo wußten wir wenigstens genau, daß er sich nicht beeinflussen ließ. Vielleicht konnte er uns etwas über den gepanzerten Bunker im Stadtzentrum verraten. Als wir gegessen hatten, verließen wir das Haus und entfernten uns ein Stück von ihm. »Creah!« sagten wir gleichzeitig. Wir waren auf dieselbe Idee gekommen. »Gehen wir!« sagte Razamon. Als wir das Muschelhaus des Ehlos sahen, spürte ich einen Warnimpuls meines Extrasinns. Etwas schien nicht in Ordnung zu sein. »Vorsicht!« flüsterte ich Razamon zu. »Halte deine Waffe bereit!« Der Berserker wölbte die Brauen und griff unter seinen Overall. Da die Brücke nicht ausgefahren war, sprang ich nach kurzem Anlauf über den Wassergraben. Die Tür öffnete sich, als ich mit der Hand vor dem Teleauge daneben wedelte. Im nächsten Augenblick schnellte sich eine Gestalt auf mich: ein Gorbe! Ich reagierte automatenhaft nach alter Dagor‐Schule. Mein Unterarm krachte auf den Arm des Gorben. Das Lichtstrahlmesser mit der dünnen vergifteten Klinge, die das Wesen mir von unten in den Brustkorb stoßen wollte, fiel aus den kraftlos gewordenen Krallenfingern. Im nächsten Moment hieb ich ihm die Handkante von oben auf den Ansatz seines riesigen Krummschnabels. Lautlos sackte das Vogelwesen zusammen. Das alles hatte keine drei Sekunden gedauert. In dieser Zeit aber war Razamon aktiv geworden. Er lief an mir vorbei, stieß die Tür zu dem großen klimatisierten Innenraum des Ehlos auf, sprang mit einem Satz hinein – und rollte sich gerade ab, als ich ebenfalls ankam. Razamon reagierte phantastisch. In dem Raum befanden sich
außer Creah und Umlyr drei Gorben. Sie hielten ihre Lichtstrahlmesser wurfbereit in den Händen. Unter diesen Umständen wäre der Berserker nicht zum Schuß gekommen, es sei denn, er hätte ein Messer in Brust oder Hals riskiert. Deshalb warf er mir seinen Psychostrahler zu und rollte sich blitzschnell weiter über den Boden. Alle drei Gorben warfen ihre Messer und verfehlten das Ziel, wenn auch nur knapp. Bevor sie mich bemerkten, feuerte ich. Die Gorben taumelten. Dann blieben sie stehen und sahen sich völlig verwirrt um, die raubvogelartigen Köpfe mit den riesigen Krummschnäbeln ratlos vorgestreckt. »Auf den Boden legen!« befahl ich. »Arme und Beine spreizen!« Es war, wie Razamon mir schon gesagt hatte. Der selbstgebastelte Psychostrahler wirkte zu schwach, als daß ich die Gorben mit ihm unter meinen Willen zwingen konnte. Sie reagierten verschieden: einer ging in die Knie, der zweite schlug Löcher in die Luft und der dritte blieb einfach kopfschüttelnd stehen. Razamon schickte sie mit Faustschlägen ins Land der Träume, dann wandten wir uns Creah und dem Kärnsizer zu. »Wollten sie euch umbringen?« fragte ich. Das Reptilwesen öffnete den breiten Mund. »Sehr wahrscheinlich. Sie müssen Umlyr gefolgt sein. Er wollte mich um meinen Rat bitten, da er nicht mehr wußte, was er glauben sollte. Offenbar hatten die Gersa‐Predoggs inzwischen erfahren, daß Umlyr der Verbindungsmann zum heimlichen Anführer der Widerstandsgruppe war. Sie vermuteten richtig, daß er ihn besuchen würde und ließen ihn durch Gorben verfolgen.« »Ich bin froh, daß wir rechtzeitig gekommen sind«, sagte Razamon. Er blickte Umlyr prüfend an. »Ist dir klar geworden, was gespielt wird?« »Ich begriff es, als die Gorben kamen, um uns zu töten«, raspelte der Kärnsizer. »Ich werde sie beseitigen, damit sie nicht hier gefunden werden.«
»Bleibt hier!« sagte Creah, als Razamon und ich Umlyr folgen wollten. Mit gemischten Gefühlen sah ich zu, wie der Kärnsizer sich einen Gorben über die Schulter warf und verschwand, dann wandte ich mich wieder dem Reptilwesen zu. »Hat Umlyr dir alles berichtet?« »Ja«, antwortete Creah. »Wir werden nicht aufgeben«, erklärte ich. »Kannst du uns sagen, was es mit dem metallbeschlagenen Bunker im Stadtzentrum auf sich hat?« »Ich weiß nur, daß sich etwas Bösartiges darin befindet«, erwiderte Creah. »Meine Tyrrs verrieten es mir, wenn ich in die Nähe kam.« Er deutete auf die zwei kurzen Hörner, die auf seinem fußballgroßen Schlangenkopf saßen. »Sie spüren alles Böse. Ich weiß, daß jedes Lebewesen verloren ist, das ungebeten den Bunker betritt.« »Wir müssen es vernichten, was immer darin ist«, erklärte Razamon. »Ihr würdet dabei sterben«, wandte Creah ein. »Weißt du nicht, wo wir uns Energiewaffen beschaffen können?« fragte ich. »Nur bei den Alven, aber an sie kommt niemand heran«, sagte Creah. »Sonst gibt es keine Energiewaffen auf Luckirph. Noch einmal die Gersa‐Predoggs besitzen welche.« »Alles erledigt, Creah«, sagte der Kärnsizer. Er hatte die Lichtstrahlmesser der vier Gorben unter den Gürtel seines Overalls geschoben. »Bring auch die Messer weg!« befahl das Reptilwesen. »Oder willst du dich selbst verraten?« Murrend verschwand Umlyr wieder. »Wir könnten versuchen, in das Quartier eines Gersa‐Predoggs einzubrechen, wenn er nicht dort ist«, meinte Creah. »Vielleicht haben die Roboter Waffen in ihren Quartieren versteckt. Eine andere
Möglichkeit sehe ich nicht.« Ich blickte Razamon fragend an. »Einverstanden«, sagte der Berserker. »Kannst du uns die Lage des Quartiers eines Gersa‐Predoggs beschreiben, Creah? Dann würden wir die Sache nämlich heute noch erledigen.« »Ich führe euch hin«, erwiderte das Reptilwesen. * Creah führte uns nicht nach draußen, sondern durch eine Geheimtür in die Kanalisation unter Luckirph. Umlyr kannte sich offenbar hier gut aus. An der Decke des Mischwasserkanals, durch den wir gingen, hingen viertelmeterlange geflügelte Wesen, die grünlich leuchteten. Manche von ihnen flatterten heftig, als wir unter ihnen durchgingen. »Es sind Fluris«, erklärte Creah. »Fluriweibchen, genauer gesagt. Die Männchen sind mikroskopisch klein. Auf manchen Welten werden Fluriweibchen an Decken gekettet und als lebende Beleuchtungskörper benutzt.« »Grauenhaft!« sagte Razamon. »Unter der Herrschaft des Dunklen Oheims und seiner Neffen ist das Gute in der Schwarzen Galaxis fast ausgerottet, und das Böse hat sich gleich einer Krankheit überall ausgebreitet«, sagte das Reptilwesen. »Keine Herrschaft dauert ewig«, sprach ich eine altbekannte Weisheit aus. »Was auf Gewalt gegründet ist, wird durch Gewalt zugrunde gehen.« Wahrscheinlich wollte ich mich damit nur selbst optimistisch stimmen, denn die alten Weisheiten lieferten keine Garantie dafür, wann sie sich erfüllten. Nach etwa einer Stunde bog Umlyr in einen Seitenkanal ein, der hundert Meter weiter an einem senkrecht aufsteigenden Schacht
endete. »Wir sind unter Llacorms Haus«, erklärte er. »Warst du schon einmal oben?« fragte Razamon. »Ich hatte es vor, bin aber noch nicht dazu gekommen«, antwortete der Kärnsizer. Er raschelte mit seinen zundertrockenen Gliedmaßen. »Wartet hier, bis ich mich oben umgesehen habe!« Razamon hielt ihm den Psychostrahler hin, den ich ihm zurückgegeben hatte. Umlyr zeigte ihm ein Blasrohr und einen Pfeil. »Das wirkt schneller und gründlicher.« Er packte das untere Ende der Metalleiter, die aus dem Schacht hing und kletterte mit affenartiger Behendigkeit hinauf. Seine Gliedmaßen raschelten nicht dabei; er konnte diese Geräusche also durchaus vermeiden. Nur Minuten später kehrte er zurück. »Das Haus wurde nur von einem Hinagger bewacht. Ihr könnt mitkommen.« Wir stiegen den Schacht hinauf und kamen in einen Keller, in dem ein pferdegesichtiger Hinagger lag. Mehrere Seitengänge zweigten von diesem Kellerraum ab. Wir durchsuchten sie alle, fanden aber weder Energiewaffen noch sonst etwas Brauchbares. Anschließend stiegen wir höher. Das Haus war groß. Es hatte sechs »unterirdische« Stockwerke. Auch hier fanden wir nichts. Gerade wollten wir höher hinauf, als Umlyr meldete, daß er einen Geheimgang gefunden hätte. Der Gang führte in den Wänden des Gebäudes entlang und war so eng, daß wir uns nur seitwärts in ihm bewegen konnten. Eine Zeitlang irrten wir relativ ziellos auf und ab und verloren uns dabei aus den Augen. Plötzlich entdeckte ich eine Klappe in der Wand des Ganges, den ich gerade absuchte. Ich schob sie zur Seite – und blickte in einen kleinen Raum, in dem Funkgeräte standen. Und Llacorm stand vor einem der Geräte und sprach gerade mit
einem anderen, kleineren Gersa‐Predogg, der auf dem Bildschirm des Funkgeräts zu sehen war. Leider verstand ich nicht, was Llacorm sagte, da er mit dem Rücken zu mir stand. Aber mein Translator übersetzte die Worte, die aus den Lautsprechern des Funkgeräts kamen. Im ersten Moment fürchtete ich, Llacorm würde es hören. Doch er reagierte nicht. »… vorerst zwei Gefangene«, hörte ich den fremden Gersa‐ Predogg sagen. Llacorm erwiderte etwas, das ich nicht verstand, dann erklärte der andere Roboter: »Das wird am besten sein. Ich werde das Boot erst einmal auf dem Landefeld landen. Morgen komme ich dann mit einem Gleiter und warte darauf, daß du mir die Gefangenen bringst.« Wieder sagte Llacorm etwas, und der andere Roboter erwiderte: »Du kannst die Motivation verstärken, indem du ein Abschiedsfest zu Ehren der ›Auserwählten‹ organisierst. Auf jeden Fall erwartet der Dunkle Oheim ein perfektes Ergebnis.« Der Bildschirm wurde dunkel. Das Gespräch war beendet. Llacorm erhob sich und verließ den Funkraum. Ich schloß die Klappe und suchte meine Gefährten zusammen. Danach berichtete ich, was ich mitgehört hatte. »Das ist die Gelegenheit!« rief Razamon, freudig erregt. »Das Boot wird uns näher zum Dunklen Oheim bringen, vielleicht sogar zu ihm!« »Wie wollt ihr hineinkommen?« fragte Creah. Das Reptilwesen akzeptierte offenbar anstandslos unsere Absicht. »Ich denke, wir warten hier, bis der kleine Gersa‐Predogg mit dem Gleiter kommt. Dank Runar wissen wir, wie wir ihn überwältigen können. Falls Llacorm uns in die Quere kommt, zerstören wie ihn. Dann fliegen wir mit dem Gleiter zum Boot und starten.« »Deine Rechnung enthält einige Unbekannte«, meinte Creah. »Umlyr, wie wäre es, wenn du auf dem Landeplatz warten würdest,
bis der Gleiter zurückkehrt? Falls Atlan und Razamon sich als Gefangene an Bord befinden, kannst du eingreifen.« »Es würde mir Spaß machen«, erwiderte der Kärnsizer. »Aber ich möchte dich nicht allein lassen, Creah.« »Ich komme nicht mit«, entschied Creah. »Es ist den Gersa‐ Predoggs nicht gelungen, mich zu durchschauen – dank Atlan und Razamon. Deshalb kann ich in Luckirph bleiben und versuchen, aus den nächsten Neuankömmlingen wieder eine Widerstandsgruppe zu bilden.« »Du bist großartig, Creah!« sagte ich impulsiv. Die gelben Schlitzpupillenaugen des Reptilwesens leuchteten auf. »Du auch, Atlan – und Razamon auch. Ich freue mich, euch kennengelernt zu haben.« 8. Alle Häuser von Luckirph waren hell erleuchtet. Auf den Straßen erklangen die fremdartigsten Gesänge. Auf dem mit Stahlplatten belegten Platz vor dem Kuppelbau Llacorms hatten fünf Hinagger ein Podest errichtet und es mit Blumen bekränzt. Der Hinagger, den Umlyr betäubt hatte, war dabei. Er konnte sich an nichts erinnern, da der Kärnsizer ihm eine Amnesiedroge verabreicht hatte. Razamon und ich hatten uns in dem Stahlgewirr des Gestells verborgen, das auf dem abgeflachten Dach des Kuppelhauses stand und eine drei Meter durchmessende leuchtende Kugel trug, die sich unablässig drehte. Es war früher Morgen, und das Freudenfest war in vollem Gange. Llacorm und Dathorym hatten über die überall in Luckirph installierten Lautsprecher verkündet, daß ein Schiff gelandet sei, um zwei der Auserwählten aufzunehmen. Es handelte sich um zwei Uktabars, die sich am längsten hier befanden und deren »Ausbildung« deshalb am weitesten fortgeschritten war.
Als die feiernde Menge sich dem Platz näherte, verließen Llacorm und Dathorym das Haus. Zwischen ihnen gingen die beiden Uktabars, drei Meter große Insektenabkömmlinge, die mit ihren drei Facettenaugen und den großen Dreiecksmündern mehr als exotisch wirkten. Sie schienen freudig erregt zu sein. Der Dunkle Oheim würde keine Schwierigkeiten haben, ihre Bewußtseinsinhalte in die Lebensblase zu transferieren. Dabei hatten sie als seine erbitterten Feinde sehr erfolgreich gegen ihn gekämpft – oder sie wären niemals nach Luckirph gebracht worden. Ich nahm mir vor, alles zu tun, um ihnen das gräßliche Schicksal zu ersparen, das der Dunkle Oheim ihnen zugedacht hatte. Vorerst aber mußten Razamon und ich aber daran denken, wie wir an Bord des Bootes kamen, ohne daß Llacorm und Dathorym etwas merkten. Ich mußte immer an den stahlgepanzerten Bunker denken und an das Bösartige, das darin lauerte. Es verfügte wahrscheinlich über die Macht, einen Start des Bootes zu verhindern, wenn es rechtzeitig Verdacht schöpfte. Die beiden Roboter warteten, bis die Menge den Platz gefüllt hatte. Nelom und Irda standen in der vordersten Reihe und jubelten am lautesten. Dann stiegen die Roboter mit den beiden Uktabars aufs Podest. Die Menge brach in frenetisches Jubelgeschrei aus, bis die Gersa‐ Predoggs die Arme hoben. Als Stille herrschte, sagte Llacorm: »Auserwählte! Für zwei von euch ist der große Augenblick gekommen. Szygorn und Kuntrach haben ihre Ausbildung abgeschlossen und wurden vom Dunklen Oheim für würdig befunden, in ihre Ämter eingesetzt zu werden. Schon bald wird ein Schiff landen und sie an Bord nehmen. Szygorn und Kuntrach werden in zwei Reviere gebracht, um dort an Stelle der gestürzten beiden Neffen zu regieren. Ich bin sicher, daß sie sich des Vertrauens würdig erweisen, das der Dunkle Oheim in
sie setzt und in seinem Sinne für eine bessere Zukunft arbeiten.« Diesmal war der Jubel noch lauter. Die beiden Uktarbars wurden von zwei Hinaggern mit Girlanden behängt und bekamen Becher mit Nektar gereicht. Endlich schwieg die Menge. Sekunden später erkannten Razamon und ich den Grund dafür. Über uns senkte sich ein Gleiter zu Boden. Mindestens zehn große Scheinwerfer an seinen Seitenwänden waren voll aufgeblendet. Als das Fahrzeug wenige Meter von uns auf dem Kuppeldach landete, sah ich, daß es ähnlich wie ein Zugor gebaut war und eine transparente Abdeckung besaß. Auf dem Steuerpodest stand der Gersa‐Predogg, den ich bei seinem Gespräch mit Llacorm auf dem Bildschirm gesehen hatte. Die Menge starrte wie gebannt auf den Gleiter. Nach einer Weile bildete sich eine Öffnung in seiner Seitenwand. Der Gersa‐Predogg stieg aus und ging die schmale Treppe hinab, die sich rings um die Kuppel schlängelte. Als er auf das Podest zuging, wurde mir klar, daß wir sofort handeln mußten. Ich stieß Razamon an, der hinabstarrte. Er sah auf und nickte. Immer darauf bedacht, nicht von unten gesehen zu werden, krochen und kletterten wir durch die Stahlträger des Gestells. Unten legten wir uns hin und krochen zum Gleiter. Auf dem Platz jubelte die Menge erneut. Alle würden jetzt zum Podest schauen. Das war unsere Chance, denn sonst hätte man uns zweifellos entdeckt. Als wir im Innern des Gleiters waren, atmeten wir auf. Dennoch hatten wir noch längst nicht alle Schwierigkeiten hinter uns. Infolge der volltransparenten Abdeckung war von außen alles zu sehen, was im Fahrzeug vorging. Wie wir unter diesen Umständen den Gersa‐Predogg unbemerkt überwältigen sollten, war uns ein Rätsel. Razamon trat hinter eine große Kiste und klappte den Deckel auf. »Einsteigen!« flüsterte er. Ich kroch ebenfalls hinter die Kiste, denn nur dort konnte ich
aufstehen, ohne von unten gesehen zu werden. Vorsichtig hob ich den Kopf über den Kistenrand und blickte hinein. Sie war leer. Zusammengeknülltes Papier verriet, daß in ihr früher etwas Eingewickeltes verstaut gewesen war. Aber ob sie Platz genug für uns beide bot …? Razamon kroch über den Rand und glitt hinein. Ich folgte ihm. Einige Minuten lang waren wir damit beschäftigt, unsere Gliedmaßen so zu sortieren und zu plazieren, daß wir den Deckel schließen konnten. Kaum war das geschafft, hörten wir auch schon Stimmen. An zirpenden Lauten erkannte ich, daß die beiden Uktabars bei den Personen waren, die sich dem Gleiter näherten. Razamon und ich verhielten uns mucksmäuschenstill. Wir wagten kaum zu atmen. Der Gersa‐Predogg sagte etwas, aber unsere Translatoren sprachen nicht darauf an. Aufgeregtes Zirpen antwortete ihm – und mit einemmal krachte es dreimal. Ich mußte an die drei Stahlriegel denken, die ich außen am Kistendeckel gesehen hatte. Der Roboter hatte sie offenbar vorgeschoben. Damit waren wir gefangen. Weiß er, daß jemand in der Kiste ist? Wahrscheinlich haben die Insektenabkömmlinge euch gewittert! erwiderte mein Logiksektor. Ich dachte eine Verwünschung. Jetzt saßen wir in der Grube, die wir uns selbst gegraben hatten … * Razamon und ich hatten uns nur durch Berührungen verständigt, denn noch wollten wir die Hoffnung nicht aufgeben, daß der Kistendeckel vielleicht doch rein zufällig verriegelt worden war. Die Enge wurde allerdings fast unerträglich. Schon nach wenigen Minuten kam ich mir wie gerädert vor. Glücklicherweise gab es
einige Ritzen, durch die Luft hereinkam. Dennoch wurde es schnell stickig. Ich spürte, wie der Gleiter startete und nach wenigen Minuten wieder landete. Aus dem gedämpften Knall nach der Landung schloß ich, daß wir ins Schiff eingeschleust worden waren und daß sich hinter uns die Luftschleuse wieder geschlossen hatte. Laut miteinander redend, verließen der Gersa‐Predogg und die beiden Uktabars den Gleiter, dann wurde es still. Razamon lachte dumpf. »Der Herr Berserker haben Humor«, sagte ich sarkastisch und zwinkerte, weil mir der Schweiß von den Haaren in die Augen lief. Razamon schnaufte. »Ist es nicht zum Lachen, wenn wir uns nicht gegen den Deckel stemmen können, weil unsere Gliedmaßen so kunstvoll verschlungen sind, Euer Erhabenheit?« »Versuchen wir, die Knoten zu entflechten!« erklärte ich. Das, was nun folgte, erinnerte mich fatal an das Gekrabbel terranischer Maikäfer, die in einer Streichholzschachtel lagen. Immerhin, nach etwa fünfzehn Minuten hatten wir es geschafft. Unsere Nacken berühren nebeneinander den Kistendeckel. »Achtung!« keuchte Razamon. »Zu … gleich!« Mit aller Kraft stemmten wir uns hoch. Es knirschte und knackte, aber die Riegel hielten noch. Schweratmend entspannten wir uns, so schlecht es eben ging. »Also, noch einmal dasselbe Spiel!« sagte ich nach einer Weile. »Pst!« flüsterte Razamon. Im gleichen Moment hörte ich es auch. Der Roboter und die Uktabars kehrten zurück. Sie haben nur gewartet, bis sich ihr Verdacht bestätigte, als ihr euch gegen den Deckel stemmtet! übermittelte mir mein Logiksektor. Ich war selbst darauf gekommen. Ich spürte, wie die Kiste angehoben und gekippt wurde. Gleich darauf lagen wir mit den Köpfen nach unten in unserem Gefängnis.
Man wollte uns abtransportieren und nahm dabei keine Rücksicht darauf, ob wir überall blaue Flecke bekamen. Das allerdings störte mich am wenigsten. Mich beschäftigte die Frage, was der Roboter mit uns vorhatte. Als ich das leise Zischen hörte, mit dem das Schleusenschott sich öffnete, ahnte ich Schlimmes. Wenn man unsere Kiste einfach aus der Schleuse warf, mußten wir uns beim Aufprall aus zirka fünf Metern Höhe das Genick brechen, zumindest aber einige Knochen. Soweit durfte es nicht kommen. »Halt!« rief ich. »Warum nehmt ihr uns nicht mit? Wir haben unsere Ausbildung doch auch abgeschlossen.« Eine Weile war es still, dann sagte unmittelbar neben der Kiste die Stimme des Gersa‐Predoggs: »Ihr wolltet nur mitgenommen werden?« »Was denn sonst?« erwiderte ich. »Das ist etwas anderes«, meinte der Gersa‐Predogg, und ich atmete auf. »Mitnehmen kann ich euch natürlich nicht, aber ich werde die Strafe abmildern.« Krachend wurden die drei Riegel zurückgeschoben, aber wir kamen nicht zum Aussteigen, denn man kippte unsere Kiste einfach zur Schleuse hinaus. Allerdings war zuvor die Rampe ausgefahren worden, so daß wir uns nicht zu Tode stürzen konnten. Dennoch reichte es mir, als die Kiste polternd die Rampe hinabgerollt war. Als sie auf den Boden prallte, flog der Deckel auf. Razamon und ich wurden aus unserem Gefängnis katapultiert und küßten das betonierte Landefeld. So schnell wie möglich rappelte ich mich auf und blickte zur Schleuse. Der Roboter und die beiden Uktabars standen oben auf der Rampe und schauten zu uns herab. Wo steckte der Kärnsizer? Kaum hatte ich es gedacht, als die beiden Insektenabkömmlinge puppenhaft nach vorn kippten und – sich mehrmals überschlagend
– mit schlaffen Gliedmaßen die Rampe herabkullerten. Dicht vor Razamon und mir blieben sie liegen. Ich nahm mir nicht die Zeit, das etwa zwanzig Meter lange Boot, dessen Form der des Vollmantelgeschosses einer Gewehrpatrone ähnelte, genauer zu mustern. Umlyr war in Aktion getreten, aber ob er den Roboter, der vor Überraschung noch nicht reagierte, so fachkundig wie wir überwältigen konnte, war fraglich. Razamon und ich hatten den gleichen Gedanken gehabt. Gleichzeitig rasten wir die Rampe hinauf. Wie bei Yndorm warf der Berserker sich auf den Gersa‐Predogg und riß ihn um, während ich Hauptreizleiterstrang und Befehlsleiterstrang ausschaltete. Als ich mich aufrichtete, sah ich den Kärnsizer in der Schleusenkammer stehen. »Danke, Umlyr!« sagte ich. »Konntest du nicht früher eingreifen?« fragte Razamon und drückte die Daumenballen auf die hühnereigroße Schwellung, die sich auf seiner Stirn gebildet hatte. »Leider nein«, erwiderte Umlyr raspelnd. »Ich hängte mich an die Kufen des Gleiters, als er eingeschleust wurde. Als er drinnen aufsetzte, wollte ich mich unter ihm hervorrollen, blieb aber mit meinem Gürtel hängen. Ich wurde fast erdrückt, weil die Kufen so niedrig sind. Erst vorhin konnte ich mich befreien.« Er schwankte, und erst jetzt sah ich, daß sein Overall zerschrammt war und daß ihm dunkelbraunes Blut aus den Mundwinkeln und unter den Fingernägeln hervorlief. »Du hast innere Verletzungen!« stellte ich fest. »So kannst du den Flug nicht mitmachen. Wer weiß, welche Strapazen auf uns warten. Wir bringen dich mit dem Gleiter zur Stadt zurück.« »Ich bleibe hier!« sagte der Kärnsizer und brach im Zeitlupentempo zusammen. Razamon konnte ihn gerade noch auffangen. »Wir bringen ihn zu Creah«, erklärte ich. Der Berserker schüttelte den Kopf.
»Unterdessen würde der Gersa‐Predogg den Schock überwinden und Hilfe herbeirufen. Es sei denn, du bleibst hier, während ich Umlyr zu Creah bringe. Dann mußt du dem Roboter aber die Brustplatten entfernen, damit du ihm drohen kannst, seinen Zapfenenergiewandler zu entfernen, wenn er Alarm geben sollte.« »Nein!« sagte der Kärnsizer und befreite sich aus Razamons Griff. »Man würde es sehen, wenn du mich zu Creah bringst. Dathorym und Llacorm würden zumindest versuchen, Funkkontakt zu diesem Roboter aufzunehmen. Wenn er sich nicht meldet, schöpfen sie Verdacht. Dann geht euer Plan nicht auf, und Creah wäre entlarvt und könnte überhaupt nichts mehr tun.« »Sollen wir dich draußen liegen lassen?« wandte ich ein. »Du schaffst es doch niemals bis zur Stadt.« »Ich schaffe es«, widersprach Umlyr. »Wenn Razamon mich nur ins Gras jenseits des Landeplatzes legt, dann kann ich in Ruhe Kräfte sammeln.« Er kann es schaffen! teilte mir mein Logiksektor mit. Jede andere Lösung würde nicht nur eure, sondern auch seine und Creahs Erfolgsaussichten zerstören. »Einverstanden«, erwiderte ich. Razamon nickte. »Ich danke dir, Umlyr. Alles Gute, Miststück!« »Alles Gute, ihr doppelten Miststücke!« flüsterte der Kärnsizer. Razamon nahm ihn auf die Arme und trug ihn vom Landeplatz, dann bettete er ihn behutsam ins Gras, verabschiedete sich und legte auch die betäubten Uktabars außerhalb des Landeplatzes ab, damit sie beim Start des Bootes nicht gefährdet wurden. Sie ahnten noch nicht, welches Glück sie hatten und würden wahrscheinlich tieftraurig sein, wenn sie zu sich kamen. * Razamon mit seinen übermenschlichen Kräften hatte die
Brustplatten des kleinen Gersa‐Predoggs abgerissen, so daß der Zapfenenergiewandler freilag. Wir wußten nicht, welche Energien er anzapfte, aber wir wußten, daß der Roboter »starb«, sobald seine Energiespeicher geleert waren, wenn wir seinen Zapfenenergiewandler entfernten. Anschließend warteten wir, bis der Schock des Roboters abklang. Wir hatten uns darauf geeinigt, daß wir nichts auf dem kleinen Schiff anrühren wollten, bevor wir den Gersa‐Predogg verhört und erfahren hatten, ob das Boot von irgendwoher ferngesteuert werden würde. Endlich leuchteten die Augenzellen rötlich auf. »Ich warne dich!« sagte ich schnell. »Solltest du versuchen, Alarm zu geben, entfernen wir deinen Zapfenenergiewandler und zerstören ihn.« »Was wollt ihr von mir?« fragte der Roboter, nachdem er eine Zeitlang geschwiegen hatte. »Ich mache euch darauf aufmerksam, daß die Fracht der SEDHYRIT unersetzlich wertvoll ist.« »Meinst du die beiden Uktabars?« warf Razamon ein. »Auch sie«, antwortete der Roboter. Da wußte ich, daß wir ein weiteres Druckmittel gegen den Gersa‐ Predogg besaßen. Offenbar befanden sich bereits einige andere Auserwählte an Bord – eine wirklich wertvolle Fracht, wenn ich bedachte, wie sehr der Dunkle Oheim auf die Bewußtseinsinhalte positiv denkender Wesen angewiesen war. »Wie ist dein Name?« setzte ich das Verhör fort. »Zephyn.« »Du wirst alles tun, was dir wir befehlen, Zephyn«, erklärte ich. »Ich heiße Atlan – und das ist Razamon. Falls du dich gegen uns aufzulehnen versuchst, müssen wir die Fracht aus dem Boot werfen.« »Das dürft ihr nicht!« jammerte Zephyn. »Wie soll der Dunkle Oheim die freigewordenen Positionen von Neffen besetzen, wenn er nicht genug Nachschub an Auserwählten bekommt?«
Ich wechselte einen Blick mit Razamon. Wir einigten uns schweigend darauf, Zephyn im Glauben zu lassen, daß wir an die Märchen glaubten, die man uns in der Stadt aufgetischt hatte. Es wäre zu gefährlich gewesen, ihn schon in diesem Stadium über unsere Überzeugung und unsere wahren Absichten aufzuklären. Er hätte zu dem Schluß kommen können, daß er dem Dunklen Oheim mehr dienen könnte, wenn er sich und die Fracht opferte, anstatt uns zu gehorchen. »Wir tun es nur, wenn du uns dazu zwingst«, erklärte ich. »Aber warum?« »Wir wollen nicht länger warten. Razamon und ich sind voll ausgebildet und auf unsere Aufgaben vorbereitet. Wir wollen endlich entscheidend dazu beitragen, daß der Dunkle Oheim seinen Kampf gegen die Neffen gewinnt.« »Euer Vorgehen widerspricht den Regeln, Atlan. Ich schlage euch vor, wieder auszusteigen und in Luckirph darauf zu warten, bis ihr aufgerufen werdet. Ihr werdet nicht lange warten müssen.« »Wir wollen überhaupt nicht warten«, erwiderte ich. »Keine weitere Diskussion über dieses Thema!« Ich blickte den Berserker an. »Ich würde mich gern im Schiff umsehen, bevor wir starten. Paßt du solange auf ihn auf?« »Sieh dich genau und schnell um, Atlan«, sagte Razamon. »Zephyn wird keine Dummheiten machen.« Ich verließ die Schleusenkammer und wandte mich heckwärts. Doch sehr schnell stellte ich fest, daß sich von der Schleuse heckwärts nur die Triebwerksaggregate und Katalyseplasmatanks befanden. Also wandte ich mich der vorderen Hälfte des Bootes zu, das zirka zwanzig Meter lang war, am Heck etwa acht Meter durchmaß und sich nach vorn zu allmählich verjüngte. Zuerst stieß ich auf Kabinen, die sich links und rechts über und unter einem freischwebenden Metallband befanden und über geschwungene Rampen erreicht werden konnten. Da ich erwartete, in ihnen Auserwählte zu finden, öffnete ich eine
Kabine. Ich hatte wohl die falsche erwischt, denn sie war nicht nur unbewohnt, sondern schlicht und einfach unbewohnbar. Die offenliegende Elektronik und Mechanik des Versorgungsautomaten war ebenso halb demontiert und verrottet wie das Mobiliar, das kaum noch als solches erkennbar war. Trockene Hitze schlug mir entgegen; die Luft war dumpf und schmeckte nach Metall. Schnell schloß ich die Tür wieder und wandte mich der nächsten Kabine zu. Noch war ich nur verwundert, als ich hier den gleichen Anblick vorfand. Aber als ich erkannte, daß es auch in der nächsten und der übernächsten Kabine nicht anders aussah, begriff ich, daß diese Räume gar nicht zur Aufnahme der »Auserwählten« vorgesehen waren. Es mußte Jahrhunderte her sein, daß sie zuletzt bewohnt gewesen waren. Seitdem waren ihre Einrichtungen offenbar teilweise demontiert worden, weil man anderswo dringend Ersatzteile benötigt. Sogar die Luftumwälz‐ und Klimaaggregate hatte man entfernt. Aber wo wurden die »Auserwählten« dann untergebracht? Ich verließ den relativ kleinen Kabinentrakt und ging weiter in Richtung Bug. Diesmal blieb ich auf dem geradeaus verlaufenden Metallband. Nach wenigen Minuten öffnete sich vor mir ein Panzerschott. Und hinter der Öffnung lag die Steuerzentrale. Leuchtende Kontrollampen und aktivierte Bildschirme schienen darauf hinzudeuten, daß das Boot nicht ferngesteuert wurde, sondern von hier aus gelenkt werden mußte. Ich war erleichtert darüber, denn es machte Razamon und mich weniger hilflos. Allerdings würden wir einige Zeit brauchen, bis wir alle Kontrollen allein bedienen konnten. Mit Zephyns Hilfe ließ sich diese Zeit sicher abkürzen. Ich kehrte um und kontrollierte diesmal jeden Raum, der sich durch eine Tür verriet.
Und beim dritten Raum fand ich das, was ich gesucht hatte … 9. Obwohl ich auf etwas Derartiges hätte gefaßt sein müssen, erschütterte mich der Anblick der fünfzehn sargähnlichen Behälter, die in weitem Kreis um eine säulenförmige, leise summende Apparatur aufgereiht waren. Es bedurfte keiner Erklärung. Ich wußte sofort, daß das die »Unterkünfte« jener »Auserwählten« waren, die den Fehler begangen hatten, einer teuflisch raffinierten Überredungskunst zu glauben. Beklommen ging ich näher. Da die Behälter oben transparent waren, konnte ich sehen, daß fünf von ihnen Lebewesen enthielten. Die Wesen sahen unterschiedlich aus. Keines war hominid. Und sie alle schliefen offenbar fest. Sie alle hatten sich außerdem keineswegs freiwillig in die Behälter gegeben, denn sie waren gefesselt. Sie müssen freiwillig eingestiegen sein, denn der Dunkle Oheim braucht ihr Vertrauen und ihre Hingabe, wenn er ihre Bewußtseinsinhalte in die Lebensblase transferieren will! teilte mir mein Logiksektor mit. Das leuchtete mir ein. Wahrscheinlich hatte Zephyn sie dazu überredet, sich freiwillig fesseln zu lassen. Bei Lebewesen, die ihm und seinesgleichen bedingungslos vertrauten, konnte es nicht schwer gewesen zu sein, sie durch fingierte Gründe von der Notwendigkeit dieser Maßnahme zu überzeugen. Wie hinterhältig, skrupellos und gemein das doch alles ist! Bedenke, daß Lebewesen wie diese und auch wie du für den Dunklen Oheim nicht mehr bedeuten als Schlachtvieh für Intelligenzen auf ihrer und deiner Stufe! wandte mein Logiksektor ein. Beides dient der Lebenserhaltung des Nutznießers.
Ich schüttelte den Kopf. Dieser Vergleich hinkte ganz gewaltig; er stimmte nur oberflächlich. Während Schlachtvieh aus Tieren bestand, also aus Lebewesen auf einer festgefahrenen Entwicklungsstufe weit unterhalb bewußten Denkens, waren die Opfer des Dunklen Oheims bewußt denkende intelligente Wesen. Und er wußte das, denn sonst hätte er es nicht auf die Bewußtseinsinhalte seiner Opfer abgesehen. Es war meine Absicht, dich den Unterschied klar erkennen zu lassen, teilte mir der Logiksektor mit. Dein Unterbewußtsein versuchte nämlich, eine Entschuldigung für dieses Verbrechen des Dunklen Oheims zu finden. Ich verstand. Unter psychischem Druck versuchten tolerante Wesen stets auch beim schlimmsten Feind etwas zu entdecken, das sich tolerieren ließ. Und meine psychische Belastung war ungeheuer groß. Ich musterte die dicken Schläuche, die jeden Kasten mit der summenden Apparatur verbanden. Es handelte sich wahrscheinlich um umhüllte Kabelbündel. Welchem Zweck sie dienten und was die Apparatur bewirkte, ließ sich bestenfalls ahnen. Vielleicht bereiteten sie die Opfer physisch auf den Entzug der Bewußtseinsinhalte vor. Vielleicht aber bewirkten sie auch etwas ganz anderes. Ich zögerte lange, bis ich mich entschloß, einen der Behälter zu öffnen. Möglicherweise konnte ich das darin schlafende Wesen aufwecken. Ich hoffte natürlich, daß ich ihm dadurch nicht schadete, sagte mir aber auch, daß das nicht schlimmer sein konnte als das Schicksal, das ihm zugedacht war. Ich suchte nach irgendwelchen Schaltungen an den Behältern, vermochte aber außer einer zentimeterlangen schmalen Leiste, die jeweils unter dem Deckelrand herausragte, nichts zu entdecken. Vor dem Behälter, in dem ein zirka anderthalb Meter großes Wesen mit hellgrauem Bauchfell, einem spitz zulaufenden Schädel und einem gelbfleischfarbenen Rückenpanzer aus zahlreichen
hornigen Querbändern lag, blieb ich stehen. Das Wesen hatte zwei kurze Arme mit großen kräftigen Händen und vier ebenfalls kurze Beine, deren lange Fußzehen in starke Krallen ausliefen. Ein grauer Overall lag zusammengefaltet neben ihm. Ich gab mir einen innerlichen Ruck und drückte auf die Leiste. Mit scharfem Knacken sprang der transparente Deckel etwa einen Zentimeter hoch und fiel dann wieder zurück. Als ich seine Ränder anfaßte, ließ er sich mühelos abheben. Ich stellte ihn beiseite und beobachtete dann das Wesen. Es rührte sich einige Minuten lang nicht, dann atmete es tief und schnaufend ein. Arme und Beine zuckten; die winzigen roten Augen öffneten sich. Das Wesen sagte etwas, das wie »Mullum« klang. Ich griff nach seinem Overall, entfaltete ihn und entdeckte darin einen Translator der gleichen Art wie meinen. Schnell hängte ich ihn dem Wesen um und sagte: »Ich grüße dich und komme in Frieden. Mein Name ist Atlan.« »Bist du nicht der Dunkle Oheim?« fragte das Wesen. »Nein, ich befinde mich nur auf demselben Boot wie du. Wie heißt du?« »Lureen. Ich bin ein Amatyrker. Aber warum hast du mich geweckt, Atlan?« »Der Dunkle Oheim hat es sich anders überlegt«, antwortete ich, um Lureen nicht völlig unvorbereitet mit einer Wahrheit zu konfrontieren, die er mir kaum geglaubt hätte. »Ich werde deine Fesseln lösen.« Für mich war das nicht schwer, denn es handelte sich um gewickelte und geknotete Plastikschnüre. Innerhalb einer Minute hatte ich den Amatyrker von seinen Fesseln befreit. »Ich bin ein Auserwählter von Luckirph«, berichtete Lureen, nachdem seine Fesseln gefallen waren. »Bist du auch ein Auserwählter, Atlan?« »Ich bin nur ein Diener. Von Luckirph kommst du? Möchtest du
aufstehen?« »Wenn ich darf, ja.« Ich half dem Amatyrker aus seinem Behälter und führte ihn ein paarmal hin und her, damit sein Kreislauf in Schwung kam. Anschließend brachte ich ihn in die Steuerzentrale und deutete auf den großen Bildschirm, der Luckirph zeigte. »Kommst du von dort?« »Nein, das ist nicht Luckirph«, erwiderte Lureen. »Offenbar gibt es mehrere Städte, die Luckirph heißen«, überlegte ich laut. »Befindet sich dein Luckirph auch auf diesem Dimensionsfahrstuhl?« »Dimensionsfahrstuhl?« fragte Lureen, so daß ich erst vermutete, er wüßte nicht einmal, was ein Dimensionsfahrstuhl war. Doch dann setzte er hinzu: »Ich weiß nicht, ob meine Stadt auf einem Dimensionsfahrstuhl liegt, Atlan. Ich fand nie die Zeit, es zu erkunden. Auf keinen Fall aber ist es die Stadt dort auf dem Schirm.« »Gut, gehen wir!« Ich warf rein zufällig noch einen Blick auf das Abbild von Luckirph – und erschrak. Die Festbeleuchtung, die trotz des Tageslichts vorhin noch gut zu sehen gewesen war, gab es nicht mehr. Am uns zugewandten Stadtrand wimmelte es von Lebewesen. Und plötzlich lösten sich drei Zugors von der Stadt und nahmen Kurs auf den Landeplatz des Beiboots. Ich begriff. Mit der Erweckung Lureens hatte ich offenbar ein Signal ausgelöst, das die Gersa‐Predoggs von Luckirph alarmiert hatte. Sie schienen sicher zu sein, daß sich das Beiboot in Feindeshand befand. »Komm!« sagte ich zu Lureen. »Folge mir!« Ich mußte schnellstens Razamon informieren und Zephyn in die Steuerzentrale holen, damit er das Boot startete, bevor die Gersa‐ Predoggs Mittel und Wege fanden, den Start zu verhindern.
* »Wir müssen starten!« rief ich Razamon zu. Der Berserker sah meinem Gesicht an, was los war. Ohne zu zögern, beugte er sich zu Zephyn hinab und schaltete Hauptreizleiterstrang und Befehlsleiterstrang ein. Die Brustplatten ließ er liegen. »Steh auf!« befahl ich dem Gersa‐Predogg. »Der Dunkle Oheim wartet auf uns. Versuche keine Dummheiten! Unsere Ankündigung bleibt bestehen.« Schwerfällig richtete Zephyn sich auf. Plötzlich fiel sein Blick auf Lureen, der mir gefolgt war. Er erstarrte. »Was habt ihr getan?« kreischte er. »Welch ungeheurer Frevel!« Razamon versetzte ihm einen Stoß in den Rücken, hielt sich aber aus der Reichweite der Roboterarme, denn wir kannten die Kräfte der Gersa‐Predoggs. »Vorwärts!« »Nein!« rief Zephyn. »Ich mache nicht mehr mit!« Ich drehte mich um und tat so, als wollte ich die Schleusenkammer verlassen. »Dann werfe ich die vollen Behälter über Bord«, erklärte ich. »Nein, nein!« schrie der Roboter. »Was willst du?« fragte der Berserker ihn. »Uns gehorchen oder deine Fracht verlieren? Entscheide dich!« »Ich gehorche euch«, sagte Zephyn leise. »Was geht hier eigentlich vor?« erkundigte sich Lureen. »Wozu wollt ihr Zephyn zwingen?« Während Razamon den Roboter nach vorn dirigierte, antwortete ich: »Zephyn wurde von uns als Agent der Neffen entlarvt. Er hatte vor, euch zu entführen, anstatt euch zum Dunklen Oheim zu
bringen.« Unter dem Zeitdruck, unter dem wir standen, blieb mir nichts anderes übrig, als zu lügen. Wir durften uns den Amatyrker nicht zum Feind machen. Zweifellos konnte er uns gefährlich werden, denn wer nach Luckirph gebracht wurde, hatte sich als kampferprobter Rebell erwiesen. Glücklicherweise glaubte er mir, so wie die anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe die gleiche Lüge von Yndorm geglaubt hatten. Als wir die Steuerzentrale erreichten, landeten die drei Zugors gerade auf dem betonierten Platz. Sie waren mit Bleichen Alven besetzt, und die Zwerge trugen schwere Strahlwaffen. In einem Zugor befanden sich Llacorm und Dathorym. Die beiden Roboter und die Alven sprangen aus ihren Fahrzeugen und stürmten die Rampe hinauf. »Schleuse sperren!« rief Razamon. Zephyn legte einen Hebel um. Kaum eine Sekunde später dröhnte das Außenschott der Schleuse unter den Schlägen, die die Alven mit den Griffstücken ihrer Waffen führten. »Zephyn!« rief Dathorym. Wir hörten es, weil die Außenmikrophone eingeschaltet waren. »Öffne!« »Starte endlich!« rief ich dem Roboter zu. »Und fahre vor allem die Rampe ein!« Zephyn betätigte zahlreiche Hebel und Schalter. Das Beiboot erzitterte, als die Kraftwerke hochgeschaltet wurden. Auf einem Bildschirm sah ich, wie die Rampe in den Schiffsrumpf glitt. Schreiend stürzten die Alven und Dathorym, die sich darauf befunden hatten, aufs Landefeld. Zephyn legte einen weiteren Hebel um. Eine Sirene wimmerte. Fluchtartig zogen sich Alven und die beiden Roboter vom Boot zurück. Llacorm fuchtelte mit den Armen. Zwei Bleiche Alven hoben ihre Waffen und feuerten auf das Boot, dessen Triebwerke im gleichen Augenblick sonnenheiße Impulswellenbündel ausspien. Ein Zugor, der schräg hinter der SEDHYRIT stand, wurde von einem Impulswellenbündel gestreift. Aufflammend wirbelte er
davon. Die SEDHYRIT hob ab. Sie wurde noch von einigen Strahlschüssen getroffen, die jedoch keinen bedenklichen Schaden anrichteten, denn sonst hätten Warnlampen aufleuchten müssen. Sekunden später befand sich das Beiboot außerhalb der Reichweite der Strahlwaffen. Es legte sich leicht nach Steuerbord und zog im Steigflug eine Schleife über Luckirph. »Da!« rief Razamon und deutete auf einen Bildschirm. Ich sah hin und bemerkte, daß der Schirm das Stadtzentrum zeigte. Eine Seite des Bunkers hatte sich geöffnet, und ein riesiger Gersa‐Predogg stapfte ins Freie. Im nächsten Augenblick erreichte mich ein Panikimpuls meines Extrasinns. Ich brauchte nicht über die Ursache zu rätseln, denn auch ich spürte die ungeheure bösartige Ausstrahlung des riesigen Roboters. Mit aller Willenskraft kämpfte ich gegen die Panik an, die mich zu übermannen drohte. Ich zitterte, und mein Körper bedeckte sich mit kaltem Schweiß. Razamon ging es nicht besser. Ich sah es ihm an. Und Lureen war noch stärker betroffen. Er sank wimmernd in sich zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. Zephyn blickte sich um. Ich konnte mir vorstellen, daß der Roboter überlegte, ob er unsere Schwäche ausnutzen und versuchen sollte, uns zu überwältigen. Das gab mir die Kraft, den bösartigen Einfluß einzudämmen. »Versuche es nicht!« drohte ich. »Notfalls schalten wir die Triebwerke aus, dann stürzt das Schiff ab.« Da gab er auf. Immer höher stieg die SEDHYRIT, und jetzt konnten wir sehen, daß es sich bei Luckirph tatsächlich um ein Weltenfragment handelte, um einen Dimensionsfahrstuhl wie Pthor und Dorkh. Wenig später durchstieß unser Boot den Wölbmantel und befand sich damit im freien Raum. Obwohl ich weiter mit aller Willenskraft gegen den grauenhaften
bösen Einfluß des riesigen Gersa‐Predoggs ankämpfen mußte, wurde ich von etwas in mir gezwungen, den Bildschirm, auf dem die Stadt zu sehen war, auf Ausschnittvergrößerung zu schalten. Der große Roboter stand noch immer vor dem Bunker. Mir wurde klar, warum der Bunker lückenlos mit starken Metallplatten verkleidet war. Natürlich durften die »Auserwählten« in Luckirph keine bösartige Ausstrahlung spüren. Sie hätten sonst die Lügen, die ihnen aufgetischt wurden, niemals geglaubt, ganz abgesehen davon, daß sie gar nicht aufnahmefähig gewesen wären. Die Metallplatten bestanden demnach aus einer Legierung, die die bösartige Ausstrahlung nicht durchließ. »Atlan!« flüsterte Razamon. »Ja?« Ich blickte zu dem Berserker. Er stand leicht vorgebeugt da und starrte wie hypnotisiert auf einen Bildschirm. Der Bildschirm zeigte die Sonne dieses Systems – und er zeigte noch etwas anderes. Die Sonne schien sich zu verändern. Nein, sie veränderte sich wirklich! Etwas Schwarzes schob sich von ihrem unteren Rand langsam höher. Der Anblick war so unheimlich und drohend, daß ich mich nicht mehr rühren konnte. Auch ich starrte wie hypnotisiert auf die sich verändernde Sonne. Was mochte das sein, was eine Sonne verdunkeln konnte? Noch nie hatte ich so etwas oder so etwas Ähnliches gesehen. Es flößte mir Furcht ein. Mühsam riß ich mich von dem Anblick los. Um mich abzulenken, musterte ich wieder den Schirm, der vergrößert einen Ausschnitt der Stadt zeigte. Der riesige Gersa‐Predogg stand unverändert an seinem Platz. Aber die »Auserwählten«, die vorhin in seiner Nähe recht kopflos herumgeirrt waren, lagen auf dem Boden und rührten sich nicht. Hatte die furchtbare böse Ausstrahlung sie umgebracht? Ich konnte mir nicht denken, daß der riesige Gersa‐Predogg ihren Tod in Kauf genommen hatte. Er diente dem Dunklen Oheim, und
der Dunkle Oheim brauchte die »Auserwählten«. Folglich mußte er vorgesorgt haben, daß sie nicht durch Aktivitäten seines Dieners starben. Sicher waren sie nur bewußtlos. Ich wandte mich ab und setzte mich in einen der vier niedrigen Sessel, die in der Steuerzentrale am Boden befestigt waren. Noch immer spürte ich die böse Ausstrahlung des großen Gersa‐ Predoggs. Sie wirkte als fürchterlicher Druck auf mein Gehirn. Wenn sie nicht bald aufhörte, würde ich über kurz oder lang durchdrehen. Ich blickte nach Lureen. Der Amatyrker lag noch immer wimmernd auf dem Boden. Ich wollte ihm helfen, aber ich kam einfach nicht wieder hoch. Sobald ich es versuchte, drehte sich alles um mich, und mir wurde schwarz vor den Augen. Der einzige, der nichts von dem bösen Einfluß zu spüren schien, war Zephyn. Jedenfalls war ihm nichts anzumerken. Unbeeindruckt steuerte er das Boot weiter von Luckirph weg. Und wenige Minuten später merkte ich, wie die Wirkung der bösartigen Ausstrahlung nachließ. Wir flogen aus der Gefahrenzone hinaus. Der Erleichterung darüber folgte die Nachwirkung der ungeheuerlichen nervlichen Belastung. Ich zitterte am ganzen Körper, als hätte ich einen starken Fieberanfall, und mußte die Zähne zusammenpressen, damit sie nicht gegeneinanderschlugen. Dennoch empfand ich eine große Freude. Wir hatten die erste Hürde überwunden und waren nicht länger passiv Erduldende, sondern wieder Akteure in dem Kampf gegen die Herrschaft des Bösen über die Schwarze Galaxis. * Ein gellender Schrei ließ mich aus meinem Sessel hochfahren. Ich sah, daß Lureen sich aufgerappelt hatte. Er schien sich allerdings nicht erholt zu haben, denn er taumelte haltlos durch die
Steuerzentrale. Wieder stieß er einen fürchterlichen, gellenden Schrei aus. Ich eilte zu ihm und wollte ihm beruhigend den Arm um die Schultern legen. Doch er schlug wild um sich und traf dabei meine Nase. Sekundenlang flimmerte es mir vor den Augen. Warmes Blut rann mir aus der Nase. Ich zog ein Tuch aus meinem Overall und stoppte damit den Blutstrom. Razamon wollte den Psychostrahler ziehen, um damit die Leiden Lureens zu lindern. Aber seine Hand kam leer aus dem Overall zurück. Er mußte die Waffe verloren haben. Der Amatyrker rannte mit dem Kopf gegen die Oberkante eines Schaltpults. Ich zuckte bei dem dumpfen Knall unwillkürlich zusammen. Lureen taumelte zurück, aber er stürzte nicht, sondern schrie nur. Diesmal klang es wie das Schreien eines tödlich verletzten Pferdes. Vor meinem geistigen Auge tauchte das nebelhafte Bild einer erbarmungslosen Schlacht auf, die ich während meiner Verbannung auf der Erde aktiv miterlebt hatte … Jemand packte meine Schultern und schüttelte mich kräftig. »Atlan!« Das war Razamons Stimme. »Atlan, komm zu dir! Verliere dich nicht in deinen Erinnerungen. Wir kämpfen gegen den Dunklen Oheim und nicht gegen die Schatten der Vergangenheit.« Plötzlich sah ich wieder klar, sah das Gesicht Razamons wieder vor mir, die schwarzen Augen, in denen sich alle Geheimnisse von Raum und Zeit zu spiegeln schienen. Und ich wußte wieder, wo ich war. »Danke, Razamon«, sagte ich schwach. »Kümmere dich um Zephyn! Ich sehe nach Lureen.« Der Berserker ließ mich los und blickte traurig zur Seite. »Lureen brach vor wenigen Minuten tot zusammen, wie vom Blitz gefällt.« Er wandte sich um und kehrte zu Zephyn zurück. Ich drehte mich in die Richtung, in die er geblickt hatte. Der kleine Amatyrker lag lang ausgestreckt auf dem Rücken. Er sah aus, als schliefe er.
Ich wankte zu ihm, kniete neben ihm nieder und drückte ihm die Augen zu. Dann legte ich ihm die Hände auf die Brust. »Ruhe in Frieden, Lureen!« flüsterte ich. »Wir werden auch für dich weiterkämpfen, bis der Bann des Bösen von der Schwarzen Galaxis genommen ist.« Ich richtete mich wieder auf und konzentrierte mich darauf, die Bildschirme zu beobachten. Als ich auf einem sah, wie die Sonne von einem gigantischen schwarzen Ring umschlungen war, der sich schlangenhaft bewegte, packte mich abermals das Grauen. Es sah tatsächlich so aus, als hielte dort ein ungeheuer großes Lebewesen die Sonne umklammert. Ich wankte zu Zephyn. Der Roboter schaltete nur wenig. Anscheinend lag der Kurs bereits an. Zephyn schien völlig unbeteiligt zu sein. Er hatte sich offenbar damit abgefunden, uns zu gehorchen. »Zephyn!« stieß ich mit belegter Stimme hervor und deutete auf den schwarzen Ring der Sonne. »Um alles in der Welt, sage mir, was das ist!« Zephyn wandte den Kopf und sah mich aus seinen Augenzellen seltsam an. »Das ist der Dunkle Oheim.« »Der Dunkle Oheim«, wiederholte ich monoton. Fassungslos starrte ich auf den sich windenden gigantischen Ring. Obwohl ich ihn sah, vermochte ich mir nicht vorzustellen, wie ein Wesen beschaffen sein mußte, das als schwarzer Ring eine Sonne umschlang, ohne von ihr verbrannt zu werden. Das überstieg mein Vorstellungsvermögen nicht nur hoffnungslos, es jagte mir auch Angst ein, denn erstmals bekam ich eine artikulierbare Ahnung davon, auf was wir uns eingelassen hatten. Gegen dieses unheimliche und anscheinend übermächtige Wesen waren wir nicht mehr als zwei Fliegen gegen einen brennenden Holzstoß. Wie sollten wir eine solche Wesenheit besiegen? Ich schaute zu Razamon und las in seinem Gesicht dieselbe Frage
und dieselben Zweifel. Mir wurden die Knie weich. Doch dann riß ich mich gewaltsam zusammen. Der Dunkle Oheim war mächtig, aber er war nicht übermächtig. Andernfalls wären Razamon und ich niemals so weit gekommen. Er vermochte wahrscheinlich nicht direkt in die Geschehnisse einzugreifen, sondern nur durch seine Werkzeuge – und die waren alles andere als unfehlbar. »Wir werden siegen!« sagte ich aus voller Überzeugung. »Da!« rief Razamon und deutete auf einen anderen Bildschirm. Langsam wanderte in ihn das Abbild des Planeten ein, den wir nach dem Verlassen Dorkhs gesehen hatten: des Planeten mit dem schwarzen Ring. Es sah so aus, als wäre er unser Ziel. Ich zuckte zusammen, als es neben mir klirrte. Razamon und ich blickten gleichzeitig auf den Schrotthaufen, zu dem Zephyn schlagartig zerfallen war. Dann sah ich, wie sich Razamons Translator auflöste – und als ich nach meinem greifen wollte, bekam ich nur Staub in die Finger. Im nächsten Moment bremste die SEDHYRIT ab. Ein Bildschirm flackerte, dann tauchte das Abbild Dorkhs auf ihm auf. Der Dimensionsfahrstuhl war von einem Gewimmel riesiger Organschiffe umgeben. Aber er war nicht unser Ziel, denn auf dem Frontschirm schimmerte unverändert die unheimliche Ringwelt. »Wir stehen fast still«, sagte Razamon und deutete auf einen Kontrollschirm. »Ich muß wieder beschleunigen.« Er setzte sich auf Zephyns Platz und schaltete fieberhaft, dann schüttelte er den Kopf. »Blockiert. Wir sitzen fest, Atlan. Was sollen wir tun?« »Abwarten«, erwiderte ich. Eine unerklärliche Gelassenheit nahm von mir Besitz. »Wohin sollten wir steuern, wenn wir das Boot unter Kontrolle bekämen? In die Sonne jedenfalls nicht. Und freiwillig würde ich auch nicht versuchen, auf dem Ringplaneten zu landen. Wir müssen abwarten. Etwas hat das Boot unter seine Kontrolle gebracht. Es wird uns irgendwohin bringen; dann sehen wir
weiter.« Razamon nickte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Aber was wird uns erwarten? Du bist so ruhig. Ich verstehe das nicht.« Ich lächelte. »Ich bin ruhig, weil ich weiß, daß die Entscheidung in greifbare Nähe gerückt ist. Ab sofort können wir nur entweder siegen oder sterben. Und ich will siegen.« »Der Dunkle Oheim auch«, erklärte Razamon trocken. »Wir werden sehen«, erwiderte ich. ENDE Weiter geht es in Atlan Band 477 von König von Atlantis mit: Gefahr aus der Tiefe von Peter Terrid