Schahrzad Farrokhzad · Markus Ottersbach Michael Tunç · Anne Meuer-Willuweit Verschieden – Gleich – Anders?
Interkult...
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Schahrzad Farrokhzad · Markus Ottersbach Michael Tunç · Anne Meuer-Willuweit Verschieden – Gleich – Anders?
Interkulturelle Studien Herausgegeben von Georg Auernheimer Wolf-Dietrich Bukow Christoph Butterwegge Hans-Joachim Roth Erol Yildiz
Schahrzad Farrokhzad Markus Ottersbach · Michael Tunç Anne Meuer-Willuweit
Verschieden – Gleich – Anders? Geschlechterarrangements im intergenerativen und interkulturellen Vergleich
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Engelhardt / Cori Mackrodt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17690-1
Vorwort
Dieser Buchveröffentlichung liegt ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Rollenverständnis von Frauen und Männern mit Zuwanderungsgeschichte unter Berücksichtigung intergenerativer und interkultureller EinÀüsse“ zugrunde. Das Forschungsprojekt wurde vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration (MGFFI) NRW und dem Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegeben und lief von November 2008 bis Juni 2009. Das Projekt wurde durchgeführt von drei Organisationen: der Firma Univation – Institut für Evaluation Dr. Beywl & Associates, dem Institut für Interkulturelle Bildung und Entwicklung (Interkult) der Fachhochschule Köln und dem Verein women on top e. V. (Verband der weiblichen Fach- und Führungskräfte in OWL) in Bielefeld. An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich bei allen bedanken, die zum Entstehen dieser Studie beigetragen haben. Zuallererst möchten wir uns bei den Befragten bedanken, durch deren Offenheit und Gesprächsbereitschaft diese Studie überhaupt möglich wurde. Ein weiterer großer Dank gilt allen Mitwirkenden an der Studie: Andrej Below, Christoph Büdke, Dr. Olga Lakizyuk, Sarah Möller, die an der Auswertung der Kurzfragebögen und des Interviewmaterials beteiligt waren und Teile des Abschlussberichts mitverfasst hatten, außerdem ein Dank an Melanie Niestroj, die neben der Mitwirkung an der Auswertung und der Erstellung verschiedener Berichtsteile auch die Endredaktion des Forschungsberichts übernommen hatte. Wir bedanken uns bei Berthold Schobert für die Unterstützung beim Projektmanagement und der Akquise der Interviewpartnerinnen und -partner und bei Dr. Wolfgang Beywl, der den Abschlussbericht der Studie inhaltlich redigiert hat und uns wertvolle Tipps gab. Darüber hinaus möchten wir uns bei den Interviewerinnen und Interviewern bedanken, die nicht nur die Interviews durchgeführt haben, sondern darüber hinaus bei der Akquise von Interviewpartnerinnen und -partnern behilÀich waren. Dies waren neben den bereits genannten Personen und drei der Autorinnen/Autoren dieser Buchveröffentlichung: Erol Akman, Besime Atasever, Jenny Buchna, Mümin Fil, Inna Kudyk, Laura Lisogorko, Valerij Pabst, Solveigh Skaloud, Ekaterina Suslina und Lena Toker. Ein weiterer Dank gilt allen Einzelpersonen und Institutionen in unserem beruÀichen und persönlichen Umfeld, die uns ebenfalls mit ihrem Engagement bei der Akquise der Befragten unterstützt haben. Schließlich möchten wir uns bei den Auftraggebenden der dieser Buchveröffentlichung zugrundeliegenden Studie, dem MGFFI und dem BMFSFJ herzlich bedanken, dass sie diese Forschungsarbeit ¿nanziell ermöglicht haben.
Inhalt
1 Einleitung ...................................................................................................... 11 2 Von Geschlechterrollen, Geschlechterverhältnissen und Integration – Begriffsklärungen ........................................................................................15 2.1 Vom Geschlechterrollenverständnis zu Geschlechterarrangements .....15 2.2 Integration und ethnische Zugehörigkeit ...............................................19 2.3 Race, Class und Gender: Konzept der Intersektionalitätsanalyse.........25 3 Zuwanderung und Geschlecht – die SINUS-Migrantenmilieus und andere Erkenntnisse ....................................................................................29 3.1 Die geschlechtsspezi¿sche Perspektive gewinnt an Bedeutung ...........29 3.2 Frauen als Agentinnen von Wandlungsprozessen – Erkenntnisse aus der Frauenforschung ..................................................39 3.3 Männer in Bewegung – Erkenntnisse aus der Männerforschung .........47 3.4 Resümee .................................................................................................56 4 Forschungsdesign .........................................................................................59 4.1 Forschungsauftrag und Fragestellungen ................................................59 4.2 Erhebungsmethoden und Auswertungsverfahren .................................60 4.3 Die Untersuchungsgruppe – Anforderungen, Zugang, Zusammensetzung .................................................................................63 5 Ergebnisse der Interviews ...........................................................................77 5.1 Pragmatismus, gerechte Arbeitsteilung und männliche Helfer – Geschlechterarrangements .....................................................................77 5.1.1 Aufgaben- und Arbeitsteilung bei der älteren Generation .........81 5.1.2 Aufgaben- und Arbeitsteilung bei der jüngeren Generation ......89 5.1.3 Resümee ....................................................................................106 5.2 Persönliche Vorbilder statt abstrakter Kulturmuster – intergenerative, interkulturelle und andere EinÀüsse auf Geschlechterarrangements ...................................................................109 5.2.1 EinÀüsse auf Geschlechterarrangements der jüngeren Generation.................................................................................109
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5.2.2 EinÀüsse auf Geschlechterarrangements der älteren Generation.....................................................................125 5.2.3 Resümee ....................................................................................137 Starke Männer und selbständige Frauen – geschlechtsspezi¿sche Zuschreibungen und Partnerwahl bei der jüngeren Generation .........142 5.3.1 Frauen- und Männerbilder ........................................................143 5.3.2 Aspekte der Partnerwahl ..........................................................146 5.3.3 EinÀüsse auf die Partnerwahl...................................................150 5.3.4 Resümee ....................................................................................152 Erziehungsideale und Erziehungspraxis ..............................................155 5.4.1 Erziehungsvorstellungen beider Generationen.........................156 5.4.2 Weitergabe von Geschlechterbildern in der Erziehung ............160 5.4.3 Zufriedenheit mit der Erziehung ..............................................163 5.4.4 Ist Erziehung kulturspezi¿sch ? (Inter-)kulturelle EinÀüsse ....165 5.4.5 Resümee ....................................................................................169 Bedeutung von Bildung, Beruf und Arbeit..........................................172 5.5.1 Bildungseinstellungen und -erfahrungen .................................173 5.5.2 Berufseinstellungen und -erfahrungen ....................................183 5.5.3 EinÀüsse auf die Bildungs- und Berufseinstellungen durch Vorbilder .........................................................................192 5.5.4 Resümee ....................................................................................197 Geschlechterarrangements, Integration und Zugehörigkeit ................200 5.6.1 Allgemeine Statements zu Integration .....................................201 5.6.2 Biographische Beispiele für Integration ...................................204 5.6.3 Bezug zur Integrationsdebatte..................................................207 5.6.4 Herkunftsübergreifende soziale Kontakte ...............................209 5.6.5 Bereiche der Zugehörigkeit/Nicht-Zugehörigkeit ....................213 5.6.6 Resümee ....................................................................................218 5.6.7 Gibt es einen Zusammenhang zwischen Geschlechterarrangement und Integration ? .............................220
6 Mehrperspektivisch denken – Zusammenfassung der Hauptergebnisse .................................................223 6.1 Vorherrschende Geschlechterarrangements ........................................223 6.2 EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder und -praxen ................................231 6.3 Geschlechterarrangements und Integrationsbestrebungen .................241
9 7 Schlussfolgerungen und weiterführende Fragestellungen .....................249 7.1 Schlussfolgerungen für die Wissenschaft und weitere Forschungsfragestellungen ..................................................................249 7.2 Schlussfolgerungen für Politik und Praxis ..........................................251 Literatur............................................................................................................255 Anhang I: Miniglossar zu zentralen Begriffen der Studie ...........................265 Anhang II: Zitierregeln ...................................................................................269 Autorinnen und Autoren .................................................................................271
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Einleitung
Noch nie wurden Menschen mit Zuwanderungsgeschichte1, die teilweise seit vielen Jahren in Deutschland leben und hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben, so in den Fokus gerückt wie in der letzten Zeit. Neuere große Studien, die SinusStudien und die Studie über „Ungenutzte Potenziale“ des Berlin-Instituts (2009), die – wenn auch schlagwortartig – in den Medien kommentiert und in Politik, Medien, Wissenschaft und pädagogischer Praxis kontrovers diskutiert wurden, haben auf das Thema Zuwanderung in breiteren Kreisen der Bevölkerung aufmerksam gemacht. Vor dem Hintergrund der demogra¿schen Entwicklung und des trotz Krise in der Wirtschaft spürbar werdenden Fachkräftemangels erscheinen die Diskussionen um die „anderen Deutschen“2 widersprüchlich. Einerseits scheint es bei einer wachsenden Gruppe im Bereich der Politik die Motivation zu geben, die Diskussionen von einer De¿zitperspektive stärker hin zu einer Perspektive auf Potenziale der Personen mit Zuwanderungsgeschichte zu verschieben. Andererseits wird aber stellenweise immer noch von Versäumnissen verfehlter Integrationsbemühungen seitens der Bevölkerung mit Zuwanderungsgeschichte gesprochen (in diesem Kontext werden häu¿g Menschen mit türkischem und/oder muslimischem Hintergrund thematisiert), ohne den Integrationsbegriff multiperspektivisch zu diskutieren und z. B. die Messbarkeit von Integration kritisch zu verhandeln. Noch immer begegnet man vielfältigen Stereotypen, wenn vom Geschlechterverhältnis und den damit verbundenen (Geschlechter-)Rollenverständnissen von Männern und Frauen mit Zuwanderungsgeschichte die Rede ist. Dominant sind in der Wahrnehmung diejenigen, die auffallen durch ihr Anderssein: durch ihre Kleidung, ihr Verhalten in der Öffentlichkeit, ihr anderes Aussehen, ihre Gewohnheiten etc. Von ihnen wird häu¿g auf der Basis von vagen Vorstellungen über „fremde Kulturen“ auf die Mehrheit der Gruppe der Zugewanderten geschlossen. Aber wie sieht die Realität aus ? Genaueres über die Vorstellungen von Frauen und Männern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, über ihre eigene InterpretaIn der vorliegenden Studie werden durchgängig solche Genus-Formen genutzt, die eindeutig auf das Geschlecht der angesprochenen Personen schließen lassen. Wo möglich werden neutrale Termini genutzt (z. B. Menschen, Lehrkräfte) und damit beide Geschlechter angesprochen. Eine detaillierte Beschreibung der von Univation, einem der am Forschungsbericht beteiligten Institute genutzten ‚Genus-Richtlinie‘ ¿ndet sich in Beywl/Kehr/Keller-Ebert 2004. 2 Paul Mecheril, Pädagoge und Psychologe, prägte zusammen mit Thomas Teo 1994 den Begriff des „anderen Deutschen“ und meint damit Menschen, deren eigene Wurzeln bzw. die Wurzeln ihrer Vorfahren nicht in Deutschland liegen, die aber hier zu wesentlichen Teilen sozialisiert wurden und hier ihren Lebensmittelpunkt haben – jenseits von Staatsbürgerschaft. 1
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Einleitung
tion ihrer Rolle in der Familie, in ihrem Umfeld und in der Gesellschaft und über ihre Vorstellungen von Integration zu erfahren, steht im Mittelpunkt dieser Studie. Ziel der Auftraggebenden war es, Faktoren zu identi¿zieren, die maßgeblich sind für die Herausbildung männlicher und weiblicher Identitätsentwürfe, die u. a. für die Entwicklung von (Geschlechter-)Rollenverständnissen bei jungen Frauen und Männern mit Zuwanderungsgeschichte ausschlaggebend sind. Es wurden hierzu drei Herkunftsgruppen untersucht, die in Deutschland am stärksten vertreten sind: neben der Gruppe von deutschen Personen ohne Zuwanderungsgeschichte die Zuwandererfamilien aus der ehemaligen Sowjetunion und die Familien mit türkischer Zuwanderungsgeschichte. Damit gleichzeitig sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den Generationen sichtbar gemacht werden können, wurden jeweils Mutter-Tochter- bzw. Vater-Sohn-Tandems befragt. In der Studie ging es im Wesentlichen darum herauszu¿nden, ƒ ƒ
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welche Geschlechterrollenverständnisse und Geschlechterbilder die Befragten haben und wie sie in Beziehungen und Familien Aufgaben- und Arbeitsteilungen tatsächlich umsetzen; inwieweit und wodurch die Geschlechterrollenverständnisse und Geschlechterbilder beeinÀusst wurden (z. B. durch die Schule u. a.), welche Bedeutung dabei Werte, Normen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Herkunftsländer (bei den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte) und die Bundesrepublik (bei allen Befragten) hatten und welche Rolle die Eltern als EinÀussgrößen spielten; ob und inwiefern es bei den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte einen Zusammenhang zwischen Geschlechterrollenverständnissen und Integration gibt bzw. inwieweit überhaupt solch ein Zusammenhang ersichtlich ist.
Wohl wissend um die Heterogenität innerhalb der Zielgruppen, haben wir uns bemüht, durch die einbezogenen Personen ein möglichst breites Spektrum abzubilden. So wurden sowohl Menschen aus dem großstädtischen Milieu als auch Menschen aus einer eher ländlichen Region befragt. Auch im Hinblick auf den Bildungsstand der zu Befragenden wurde versucht, möglichst hohe, mittlere und niedrige Bildungsniveaus einzubeziehen. Dem Forschungsgegenstand angemessen, bestand das Forscherteam in einem ausgewogenen Verhältnis aus Männern und Frauen mit und ohne Migrationshintergrund. Die Mutter-Tochter-Tandems wurden von Frauen und die Vater-SohnTandems von Männern der jeweiligen Herkunftsgruppen interviewt, bei Bedarf teilweise zweisprachig. Damit wurde bei den teilweise sensiblen Fragen des Interviews zu geschlechtsspezi¿schen Themen eine größere Offenheit ermöglicht.
Einleitung
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Außerdem trug es zu einer schnellen Vertrauensbildung bei, die bei den befragten Themenfeldern äußerst wichtig war. Zu den Inhalten dieses Buches: Nach dieser Einleitung (Kapitel 1) werden in einem zweiten Kapitel zentrale Konzepte wie Integration oder Geschlechterarrangements erläutert, damit die Leserinnen und Leser wissen, in welchem Sinne diese Begriffe hier verwendet werden. Im Kapitel 3 wird der bisherige Forschungsstand zum Thema Geschlechterrollenverständnisse in Theorie und Praxis dargestellt und einem interkulturellen Vergleich unterzogen. Wichtige Referenzrahmen hierbei sind u. a. die inzwischen bekannt gewordenen SINUS-Studien zu Migrantenmilieus. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie knüpfen an diese Erkenntnisse an und erweitern sie u. a. um interessante Aspekte, wie z. B. die intergenerativen Wirkungen auf Geschlechter rollenverständnisse und damit zusammenhängende weitere Themen wie Einstellungen zu Bildung, Beruf und Partnerwahl und den EinÀuss des Bildungshintergrundes der Befragten. In Kapitel 4 wird kurz Auskunft zum Forschungsdesign gegeben und ein Überblick über die Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe nach soziodemogra¿schen Merkmalen gegeben. Die intergenerativen Interviews stellen das Herzstück der Studie dar. Die Ergebnisse hieraus ¿nden sich in den Unterkapiteln des Kapitels 5. Hier wird über die Geschlechterleitbilder und die gelebte Praxis in den Paar- und Familienbeziehungen berichtet, u. a. bezogen auf die Aufgabenteilung in Haus und Familie, über Wünsche, die vor allem die jüngere Generation bezüglich der Arbeitsteilung in einer Partnerschaft hat (Kap. 5.1), und EinÀüsse, die sie durch das Elternhaus, aber auch u. a. durch ihre weitere soziale Umgebung erfährt und mit denen sie sich auseinandersetzen (Kap. 5.2). Weitere Kapitel widmen sich geschlechtsspezi¿schen Zuschreibungen, wie Männer und Frauen idealerweise sein bzw. was sie können sollen, Einstellungen zur Partnerwahl (Kap. 5.3) sowie Erziehungsvorstellungen und Erziehungspraxen (Kap. 5.4). Im letztgenannten Kapitel geht es vor allem um Werte, die die Befragten weitergeben wollen. Der Bereich „Bildung, Beruf und Arbeit“ (Kap. 5.5) beleuchtet die Bedeutung von Bildung für die strukturelle Integration in Deutschland und die Teilhabechancen beider Generationen und Geschlechter, den Stellenwert von Berufstätigkeit, insbesondere für Frauen, und die Chancen der Integration über adäquate Arbeit. Auch über bestehende Vorstellungen von Integration wurde gesprochen, was sie für den Einzelnen bedeutet und inwieweit sie den Alltag berühren. Außerdem wurde nach sozialen Kontakten mit Menschen verschiedener ethnisch-kultureller Hintergründe gefragt und kritisch beleuchtet, ob und ggf. was dies mit Integration (zwischen Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte als beiderseitiger Prozess) zu tun haben kann. Alle Befragten wurden um Hinweise zu ihren sozialen Kontakten gebeten. Die Thematik der Einstellungen und Erfahrungen zu Integration und (ethnischer) Zugehörigkeit
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Einleitung
wird in Kap. 5.6 behandelt. Außerdem wollten wir von allen Befragten etwas zu ihren Vorbildern und deren EinÀuss auf die Entwicklung von Deutungsmustern, Orientierungen und Geschlechterleitbildern erfahren. Dabei spielten auch Fragen nach Vorstellungen über eine gute Beziehung, nach der Abgrenzung zur erlebten Partnerschaft der Eltern und nach Erwartungen des Elternhauses eine Rolle (in verschiedenen Kapiteln mitbehandelt). Diese Fragen wurden in einem Teil des Interviews gestellt, in dem beide Interviewpartnerinnen/Interviewpartner getrennt voneinander befragt wurden. Die getrennte Befragung sollte beiden Generationen noch einmal die Chance eröffnen, sich ohne Scheu vor dem jeweils anderen Familienmitglied zu äußern. In einem Gesamtresümee (Kap. 6) werden die vorgestellten zentralen Fragestellungen der Studie zusammengefasst beantwortet und ein Ausblick auf weitere interessante Forschungsfragestellungen, die an diese Studie anknüpfen könnten, gegeben. Außerdem werden Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Forschungsergebnissen für Politik und Praxis gezogen (Kap. 7). Insgesamt vertieft diese Untersuchung die Ergebnisse vorangegangener Studien in dem speziellen Themenfeld „(Geschlechter-)Rollenverständnisse von Männern und Frauen“ und kann damit weitere Ansatzpunkte liefern, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland zum einen besser zu verstehen und zum anderen neben Unterschieden auch häu¿g vernachlässigte bzw. unsichtbar bleibende Gemeinsamkeiten mit denen ohne Zuwanderungsgeschichte aufdecken. Darüber hinaus liefert sie neue Erkenntnisse über intergenerative Transmissionsprozesse speziell bei den befragten zugewanderten Gruppen und erschließt damit ein bisher kaum erforschtes Themengebiet.
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Von Geschlechterrollen, Geschlechterverhältnissen und Integration – Begriffsklärungen
In den folgenden Abschnitten wird erläutert, welche Begriffe wir in dieser Studie nutzen und auf welchen theoretischen Hintergründen diese basieren. Zu den BegrifÀichkeiten ist zusätzlich ein Miniglossar entstanden, welches sich im Anhang des Berichtes be¿ndet. Außerdem wird das Prinzip der Intersektionalitätsanalyse, welches bereits kurz angesprochen wurde, näher erläutert. 2.1
Vom Geschlechterrollenverständnis zu Geschlechterarrangements
Im Kontext des vorliegenden Forschungsprojektes ist mit dem Begriff Rollenverständnis immer das Verständnis von Geschlechterrollen gemeint. Zudem verstehen wir, entsprechend der mittlerweile in der Geschlechterforschung verbreiteten konstruktivistischen Perspektive, Geschlecht als soziale Konstruktion. Geschlechterrollen beschreiben gesellschaftliche Zuschreibungen, die Erwartungen an geschlechtsdifferenzierte Verhaltensweisen von Frauen und Männern umfassen. Da so geschlechtsbezogene Verhaltenserwartungen als typisch weiblich oder typisch männlich beschrieben werden können, kann man auch von Geschlechtertypisierungen sprechen. Da diese aber gesellschaftlich begründet und durch Sozialisation und Erziehung hervorgebracht sind, erscheinen sie als nur individuell dem jeweiligen Subjekt zugehörig. Geschlechterrollen beschreiben ein dualistisches und komplementär strukturiertes Konzept zweier relativ homogener Kategorien von Männlichkeit und Weiblichkeit. Dabei werden zwei mehr oder weniger ¿xierte Sets von Rolleninhalten Frauen- und Männerrollen zugeordnet (vgl. Rendtorff/Moser 1999, S. 315 f.). In aktuellen theoretischen Debatten soziologischer Geschlechterforschung wird der Begriff Geschlechterrolle nur noch eingeschränkt verwendet: „Kritisiert (und mittlerweile verworfen) wurde der Begriff vor allem wegen der vom Wortbestandteil ‚Rolle‘ suggerierten, gewissermaßen mechanistischen Auffassung, man könne geschlechtstypische Einstellungen einfach (eben wie eine Rolle im Theater) ablegen oder annehmen, sie seien also etwa einem ‚allgemein menschlichen Kern‘ des Subjekts übergestülpt“ (Rendtorff/Moser 1999, S. 316). Mit unserem Begriffsverständnis sollen aber sowohl Macht-, Herrschaftsoder Ungleichheitsverhältnisse erfasst werden als auch die Chancen ihres Wandels. Veränderungen aktueller Geschlechterverhältnisse lassen sich jedoch mit dem Begriff der Geschlechterrolle kaum erklären. Als zentralen Punkt der Weiterent-
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Von Geschlechterrollen, Geschlechterverhältnissen und Integration
wicklung des Konzepts der Geschlechterrollen stellt Regina Becker-Schmidt (2005) heraus, dass Geschlechterbeziehungen durch die geschlechtsdifferenzierte Arbeitsteilung in Paarbeziehungen und Familien strukturiert sind, welche wiederum von gesellschaftlichen Institutionen stabilisiert werden (Becker-Schmidt 2005, S. 107 f.). Auch wenn also in der aktuellen Geschlechterforschung der Begriff der Geschlechterrolle weniger Verwendung ¿ndet, so bildet doch das Geschlechterrollen-Konzept die Grundlage, aus der sich das heutige Verständnis vom kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit zur Analyse der Geschlechterverhältnisse bzw. der Geschlechterordnung entwickelte. Die neuere Geschlechterforschung brachte wichtige Erkenntnisse, in welcher Weise Geschlechterkultur und Geschlechterordnung untrennbar miteinander verwoben sind. Das Forschungsprojekt orientiert sich an dem von Birgit Pfau-Ef¿nger (1996 und 2000) entwickelten Begriffssystem, das gesellschaftlich wie individuell etablierte (Leit-)Bilder von Geschlechterkultur mit Strukturen der Geschlechterordnung verbindet. Nach Pfau-Ef¿nger umfasst der Begriff der Geschlechterordnung „(…) die real vor¿ndlichen Strukturen des Geschlechterverhältnisses und die Beziehungen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen im Hinblick auf die geschlechtliche Arbeitsteilung“ (Pfau-Ef¿nger 1996, S. 467). Und die Geschlechterordnung ist ihrer Ansicht nach in Anlehnung an Connell (1987) gekennzeichnet durch Macht und Arbeitsteilung, die wiederum beeinÀusst wird durch das Bildungswesen und den Arbeitsmarkt, die Familie/den Haushalt und den Wohlfahrtsstaat. Mit dem Begriff Geschlechterkultur bezeichnet Pfau-Ef¿nger die kulturellen „Werte und Leitbilder in Bezug auf die Geschlechterbeziehungen und die Formen der geschlechtsspezi¿schen Arbeitsteilung“ (Pfau-Ef¿nger 1996, S. 467). Geschlechterkulturelle Normen sind der Autorin zufolge wegen ihrer institutionellen Verankerung relativ stabil und auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen wirksam, nämlich auf „der Ebene der sozialen Strukturen, in den gesellschaftlichen Institutionen und Diskursen kollektiver Akteure sowie auf der Ebene der Individuen, in ihren Orientierungen und Werthaltungen“ (Pfau-Ef¿nger 2000, S. 69). Der Begriff „Geschlechter-Arrangement“ bildet dann nach Pfau-Ef¿ngers Auffassung gewissermaßen die Klammer um diese zentralen Begriffe: Mit dem Begriff Geschlechter-Arrangement bezeichnet die Autorin Wechselbeziehungen zwischen Geschlechterkultur und der Geschlechterordnung. In jeder modernen Gesellschaft besteht mindestens ein „(…) Geschlechter-Arrangement, das auf den jeweils dominierenden Werten und Leitbildern zu den Geschlechterbeziehungen beruht und durch das Handeln sozialer Akteure, durch ihre Diskurse, KonÀikte, Aushandlungsprozesse und Kompromissbildungen reproduziert und verändert wird“ (Pfau-Ef¿nger 2001, S. 492). Diesem Vorschlag von Pfau-Ef¿nger folgend sollen hier mit dem Begriff Geschlechterarrangement konkrete Ausgestaltungen von Geschlechterverhältnissen gefasst werden, die jeweils spezi¿schen historischen, nationalen sowie regionalen
Vom Geschlechterrollenverständnis zu Geschlechterarrangements
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Rahmenbedingungen unterliegen und auf der Mikro-, Meso- und Makroebene beschrieben werden können. Den von Pfau-Ef¿nger vorgeschlagenen Begriff Geschlechterkultur wollen wir hier für die individuelle und die gesellschaftliche Ebene geschlechterkultureller Leitbilder präzisieren: Mit dem Begriff Geschlechterleitbilder werden hier in Anlehnung an Pfau-Ef¿nger (2000) sowohl individuelle geschlechterkulturelle Orientierungen, also Einstellungen und Deutungsmuster auf der personalen Ebene, als auch kollektiv geteilte und institutionalisierte bzw. gesellschaftlich verankerte geschlechterkulturelle Leitbilder bezeichnet. Pfau-Ef¿nger betont, dass die gesellschaftliche Reichweite dominierender Geschlechterleitbilder begrenzt ist, weil sie eine große Variationsbreite aufweisen, z. B. bezüglich verschiedener Regionen eines Staates, innerhalb bestimmter sozialer Milieus bzw. Gruppen und auch ethnischer Minderheiten (ebd., S. 69 f.). Innerhalb eines Geschlechterarrangements existieren verschiedene geschlechterkulturelle Modelle oder Familienmodelle, einschließlich entsprechender Modelle von Arbeitsteilung (ebd., S. 73). Pfau-Ef¿nger unterscheidet vier Modelle, das familienökonomische Modell, das Modell der männlichen Versorgerehe, das egalitär-individualistische und das egalitär-familienbezogene Modell, „die – einzeln und in Kombination miteinander – im Zentrum des jeweiligen Geschlechter-Arrangements stehen“ (Pfau-Ef¿nger 1996, S. 469 ff.). Insofern sind Paarbeziehungen und Familien einerseits ein privates Arrangement der Geschlechter, so dass man auf dieser Ebene familiale Geschlechterarrangements (vgl. König 2006) oder Geschlechterarrangements von Paaren differenzieren kann. In Paarbeziehungen und Familien werden verschiedene Modelle geschlechtlicher Arbeitsteilung praktiziert, die wiederum geschlechterkulturell gestützt werden. Mit ihren alltäglichen Verhaltensweisen, die hier Geschlechterpraxen genannt werden, gestalten Frauen und Männer somit Geschlechterarrangements. Andererseits ist die Familie aber auch ein teilweise institutionalisiertes Geschlechterarrangement, weil sie von gesellschaftlichen und wohlfahrtsstaatlichen (Sozial-)Politiken mit strukturiert wird, ebenso wie vom Arbeitsmarkt und dem Bildungssystem. Gleichermaßen können aber veränderte private Arbeitsteilungsmodelle, als Ergebnis von Aushandlungsprozessen sozialer Akteure in Paarbeziehungen und Familien, wiederum EinÀuss nehmen auf die Konstellationen im gesellschaftlichen Geschlechterarrangement. Konkrete Verwendung der BegrifÀichkeiten in diesem Forschungsprojekt Das Forschungsteam steht vor der Herausforderung, für die empirische Auswertung unseres Forschungsprojektes handhabbare BegrifÀichkeiten zu de¿nieren. Die wichtigste Orientierung dabei stellen die Ausführungen von Pfau-Ef¿ nger (1996, 2000, 2001) und das von ihr entworfene Konzept der Geschlechterarran-
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Von Geschlechterrollen, Geschlechterverhältnissen und Integration
gements dar. Dieses wird jedoch auf die von uns angelegte mikrosoziologische Perspektive unseres Forschungsgegenstandes angepasst. Insofern verstehen wir Geschlechterarrangement als Oberbegriff, der folgende Elemente umfasst: Individuelle Geschlechterleitbilder: Damit sind die subjektiven Geschlechterrollenorientierungen gemeint, wie sie die Befragten in den Interviews verdeutlichen (z. B. individuelle Vorstellungen von Arbeits- und Aufgabenteilungen zwischen den Geschlechtern, Bildungs- und Berufsorientierungen etc.). Gesellschaftliche Geschlechterleitbilder: Damit sind die gesellschaftlich diskursiv hergestellten und reproduzierten Leitbilder zu Geschlechterrollenorientierungen (z. B. Hauptverantwortung der Kleinkinderziehung bei den Müttern, Normativität der bürgerlichen Kleinfamilie, geschlechtsspezi¿sche Aufgabenzuschreibungen wie etwa handwerkliche Arbeiten, Kochen etc.) gemeint. 3 Auf dieser Ebene ist es z. B. interessant zu betrachten, auf welche Weise ethnisch-kulturelle Geschlechterleitbilder (direkt oder indirekt) thematisiert werden und wie damit von den Befragten (etwa im Kontext von ethnisch-kulturellen Mehrfachzugehörigkeiten) individuell umgegangen wird, wodurch im Ergebnis subjektive Geschlechterleitbilder entstehen. Geschlechterkulturen und Geschlechterverhältnisse: Durch die Auseinandersetzung der Individuen und ihrer individuellen Geschlechterleitbilder mit den diskursiv hergestellten und institutionalisierten Geschlechterleitbildern entstehen gesellschaftliche Geschlechterkulturen. Diese Geschlechterkulturen stehen wiederum in Wechselwirkung mit den vorherrschenden und institutionalisierten Geschlechterverhältnissen bzw. Geschlechterordnungen. Geschlechterkulturen formieren gewissermaßen Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft. Die Begriffe der Geschlechterkulturen und Geschlechterverhältnisse sind eher auf einer makrosoziologischen Ebene angesiedelt und ¿ nden daher bei der Auswertung der Aussagen der Befragten nur eingeschränkt Verwendung. Sie werden dann relevant, wenn im Vergleich der Aussagen der Befragten mit Erkenntnissen in der Fachliteratur z. B. deutlich wird, dass sich die hiesigen Geschlechterverhältnisse in den Aussagen der Befragten widerspiegeln.4 3 So ¿ ndet z. B. Sozialisation als Prozess der Auseinandersetzung mit den diskursiv hergestellten gesellschaftlichen Geschlechterleitbildern und der Auseinandersetzung mit den Geschlechterbildern im sozialen Umfeld statt und hat die je individuellen Geschlechterbilder zum Ergebnis. 4 Ein Beispiel dazu: die Öffnungszeiten der Kindergärten und -Tagesstätten sind in der Bundesrepublik immer noch vielfach auf mindestens einen Teilzeit arbeitenden Elternteil ausgerichtet. Die institutionalisierte Organisation der Kinderbetreuung (zu wenig Àexible Öffnungszeiten, keine Àächendeckende Existenz von Plätzen, v. a. für unter Dreijährige) prägt die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse,
Integration und ethnische Zugehörigkeit
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Geschlechterpraxen: Mit Geschlechterpraxen meinen wir das alltägliche Handeln von Männern und Frauen in Geschlechterarrangements. Individuelle Leitbilder (also die Rollenorientierungen, die die Befragten konkret äußern, die aber auch lediglich auf einer Ebene von Idealvorstellungen existieren können) und gesellschaftliche Geschlechterleitbilder (wie sie häu¿g in den Aussagen der Befragten indirekt zu ¿ nden sind, aber sich auch nur auf der Orientierungsebene be¿ nden können) beeinÀussen Geschlechterpraxen, also das alltägliche Handeln von Männern und Frauen in Geschlechterarrangements. Die Unterscheidung zwischen Einstellung und Praxis ist wichtig, da in unserem Forschungsprojekt insbesondere von der Mehrheit der jüngeren Generation mangels Partnerschaft, eigenem (partnerschaftlich geführtem) Haushalt und Kindern die Aussagen auf der Ebene der Einstellungen verbleiben. Geschlechterpraxen in Form von gelebten Geschlechterarrangements stellen in diesen Fällen bisher nur Zukunftsvisionen dar. Bei einigen Befragten der jüngeren Generation (denen in Partnerschaft und/oder mit eigenem Haushalt) und bei der älteren Generation (die entsprechend dem Forschungsdesign alle Kinder haben und einen eigenen Haushalt führen) werden dagegen mehr Facetten von Geschlechterarrangements sichtbar. Der Begriff der Geschlechterpraxen ist für die Auswertung der Aussagen der Befragten also von großer Bedeutung, insbesondere für die Beschreibung der Geschlechterarrangements der älteren Generation und derjenigen der jüngeren Generation, die in einer Ehe oder Partnerschaft leben. 2.2
Integration und ethnische Zugehörigkeit
Das Alltagsbewusstsein ist geprägt von kulturellen Überlieferungen, öffentlichen Diskursen und einer Reduktion von Komplexität. So begegnet man auch im Bereich der Integrationsthematik häu¿g voreiligen und schnellen Schlussfolgerungen, die nach eingehender wissenschaftlicher Betrachtung nicht haltbar sind. Insbesondere bei politisch und sozial brisanten Themen wie Integration ist deshalb eine wissenschaftlich fundierte Herangehensweise unerlässlich. Im Rahmen dieser Studie muss kritisch überprüft werden, inwieweit eindeutige oder auch indirekte Schlussfolgerungen von gender- und zuwanderungsspezi¿schen Aspekten des da sie in vielen Regionen einen Elternteil dazu zwingt, entweder einige Zeit komplett zu Hause zu bleiben oder zumindest die Arbeitszeit zu reduzieren (was oft negative Folgen für die beruÀiche Karriere hat). Hinzu kommt, dass diese betreuenden Personen (trotz Elterngeld) in der Hauptverantwortung überwiegend die Mütter sind, da Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch immer rund ein Viertel weniger verdienen als Männer und sich (werdende) Eltern aus pragmatischen Gründen daher oft nicht anders entscheiden können. Auf diese Weise tragen Institutionen, deren Organisationsstrukturen wiederum durch Politik, Verbände etc. vorgegeben werden, zur Reproduktion vorherrschender Geschlechterverhältnisse bei.
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(Geschlechter-)Rollenverständnisses bzw. der Geschlechterarrangements auf Integration tatsächlich gezogen werden können. Unter Integration ist wörtlich „Eingliederung“ zu verstehen. In der soziologischen Literatur ist das Begriffspaar Inklusion und Exklusion geläu¿ger. So differenziert die Systemtheorie zwischen einzelnen Subsystemen (Bildung, Ökonomie, Recht etc.) und deren Institutionen (Schulen, Banken, Gerichte etc.), die Individuen sowohl in- als auch exkludieren (können). In Bezug auf Migration ist es sinnvoll, zunächst die Integrationsleistungen der Aufnahmegesellschaft analytisch von denjenigen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu trennen. Integrationsleistungen seitens der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte werden in der wissenschaftlichen Literatur als Akkulturation bezeichnet (vgl. stellvertretend Sackmann 2004, S. 23). Es gibt unterschiedliche Akkulturationsformen, die von Assimilation (vollständiges Aufgehen in der Einwanderungsgesellschaft) bis hin zur Marginalisierung (völlige Orientierungslosigkeit) reichen (vgl. Berry et al. 1989). Als Integration wird dagegen eine gesellschaftliche Leistung bezeichnet, wobei der Begriff einerseits einen Zustand und andererseits auch einen Prozess der Eingliederung verdeutlicht (vgl. Esser 2000). Integration in die Gesellschaft meint insofern immer Integration (bzw. Inklusion) in die bestehenden Funktionssysteme einer Gesellschaft. Bezeichnet wird dieser Aspekt auch als systemische Integration, die sich von der sozialen Integration deutlich unterscheidet (vgl. Habermas 1973, S. 9 ff.; Habermas 1988, Bd. II, S. 179 ff., S. 226 ff.). Auch im aktuellen Integrationsbericht der nordrheinwestfälischen Landesregierung werden diese Termini verwendet (vgl. Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration 2008, S. 107). Aspekte der systemischen Integrationsleistung sind etwa der Zugang zu Arbeit und zu Bildung, zum Wohnungs- und zum Gesundheitssystem oder Möglichkeiten der politischen Partizipation. Sämtliche Aspekte werden durch die aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Globalisierung, der Individualisierung und der Pluralisierung geprägt (vgl. Ottersbach 2003, S. 32 ff.). Die systemische Integration erfolgt in verschiedene gesellschaftliche Teilsysteme und gelingt nur selten vollständig, d. h. sie kann in einem Bereich erfolgen und in einem anderen misslingen. Aspekte der sozialen Integration oder der Lebenswelt sind kulturelle Traditionen, Normen, Werte und die Entwicklung der Persönlichkeit, der Individualität und der Identität der Menschen. Rollen und die Identi¿kation der Menschen mit dem Gemeinwesen bzw. das Zugehörigkeitsgefühl der Menschen zur Gesellschaft sind Aspekte der sozialen Integration. Friedrich Heckmann (Heckmann 2005, S. 2 ff.) hat den Integrationsbegriff erweitert. Er unterscheidet vier Dimensionen von Integration: a) Strukturelle Integration (z. B. Erwerb von Rechten, Zugang zu Quali¿kationssystemen und zum Arbeitsmarkt), b) kulturelle Veränderungen sowohl der Migrationsbevölkerung als auch der Aufnahmegesellschaft im Sinne von kognitiven sowie verhaltens- und ein-
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stellungsbezogenen Veränderungen, c) soziale Integration (z. B. Mitgliedschaft in Vereinen, Freundschaften, Bekanntschaften) und d) identi¿katorische Integration (Zugehörigkeits- und Identi¿zierungsbereitschaften, z. B. mit ethnisch-nationalen, regionalen und/oder lokalen Strukturen). Zahlreiche Studien belegen die Benachteiligung von Personen mit Zuwanderungsgeschichte in vielen Bereichen der strukturellen Integration.5 In Bezug auf die kulturelle Integration werden sowohl Leistungen der Personen mit als auch ohne Zuwanderungsgeschichte diskutiert. Belegt ist, dass Personen mit Zuwanderungsgeschichte nicht selten mit Diskriminierungen konfrontiert sind (vgl. Schneekloth 2006, S. 138 f.; Brettfeld/Wetzels 2007, S. 333 f.). Dies bedeutet, dass Personen mit Zuwanderungsgeschichte nicht nur im Rahmen der strukturellen, sondern auch im Kontext der kulturellen Integration deutlichen Benachteiligungen ausgesetzt sind.6 Ethnische Zugehörigkeit gilt im öffentlichen Diskurs als ein zentraler Aspekt der identi¿ katorischen Integration und wird im Alltagsbewusstsein oft als primordial, gegeben oder gar angeboren interpretiert. Nach Max Weber (1985, S. 238) basiert die ethnische Zugehörigkeit jedoch auf Gefühlen, die von Gemeinschaften erzeugt werden, „(…) welche dann dauernd, auch nach dem Verschwinden der Gemeinschaft bestehen bleiben und als ‚ethnisch‘ empfunden werden“. Die ethnische Zugehörigkeit ist nach Weber eine nur „geglaubte Gemeinsamkeit“, die eine Vergemeinschaftung erleichtert, sie aber nicht ersetzen kann. Mit anderen Worten: Ethnische Zugehörigkeit erleichtert einerseits die Bildung von Gemeinschaften, ist jedoch kein substantieller Bestandteil von ihr. Andererseits kann ethnische Zugehörigkeit auch noch weiter bestehen, wenn die Gemeinschaft schon gar nicht mehr existiert. Daran erkennt man sehr gut ihren mythischen Charakter. Angesichts der erwähnten aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Globalisierung, der Individualisierung und der Pluralisierung tritt dieses Zugehörigkeitsgefühl jedoch nicht mehr als eindeutiges Emp¿nden der Zugehörigkeit zu Vgl. stellvertretend die Übersicht bei: Geißler 2006, S. 231 ff.; vgl. Einzelstudien zu Bildung: Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, zu Ausbildung: Granato 2006, Ottersbach 2006; zu Arbeit und Einkommen: Deimann/Ottersbach 2005, Deimann/Ottersbach 2007. 6 Als problematisch sind u. E. Studien anzusehen, die die notwendige Differenzierung zwischen einzelnen Integrationsaspekten nur halbherzig vollziehen (vgl. die Studie „Ungenutzte Potenziale“, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, 2009). Einbürgerung und den Vollzug einer bikulturellen Ehe als Integrationsindikatoren neben Bildung, Arbeit und soziale Absicherung zu stellen, führt zu einer Vermischung grundsätzlich verschiedener Bereiche der Integration. Zudem haben Personen mit Zuwanderungsgeschichte aufgrund ihrer Herkunft sehr unterschiedliche Chancen zur Einbürgerung. (Spät-)Aussiedlerinnen/Aussiedler erhalten die deutsche Staatsangehörigkeit sofort, Zugewanderte aus der Türkei müssen relativ hohe Barrieren überschreiten, um sie zu erhalten, und für EU-Migrantinnen/-Migranten ist sie relativ unwichtig, weil sie annähernd über dieselben Rechte verfügen wie Deutsche. Auch der Indikator des Vollzugs einer bi-kulturellen Ehe ist problematisch, weil dazu notwendigerweise auch die Bereitschaft der Deutschen gehört, eine solche Ehe zu schließen. Diese Gruppe wurde aber gar nicht befragt. 5
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einer Kultur, zu einem Land oder einer Region, sondern immer stärker als ein Gefühl der Hybridität (vgl. Bronfen/Marius/Steffen 1997) auf.7 Eine solche Hybridität stellt die propagierte, geglaubte, eindeutige und sozial praktizierte Reinheit und Exklusivität natio-kultureller Zugehörigkeit in Frage. Dies gilt vor allem für Menschen, die selbst zugewandert sind oder der zweiten oder dritten Generation von Zugewanderten angehören. Paul Mecheril (2003) spricht in diesem Kontext auch von einer „natio-ethno-kulturellen (Mehrfach-)Zugehörigkeit“. Die Zugehörigkeit bezieht sich demnach nicht nur auf eine bestimmte Kultur, sondern auf verschiedene Kulturen gleichzeitig (vgl. auch Badawia 2002). Mehrfachzugehörigkeit kann sich neben der Kultur auch auf ein Land, eine Region, auf ein Geschlecht oder auf eine Schicht beziehen. In diesem Fall betrifft sie sowohl Individuen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. In Bezug auf manche dieser Aspekte entwickeln Menschen eventuell auch gar kein Zugehörigkeitsgefühl, ohne dabei gleichzeitig als nicht-integriert zu gelten. Sie beziehen sich dann z. B. nur auf eine Region und kein Land oder nur auf ein Geschlecht und keine Region. Carsten Wippermann und Berthold Bodo Flaig (2009, S. 10) kritisieren mit Blick auf ihre Erkenntnisse der Sinus-Studie zu Migrantenmilieus den Integrationsdiskurs in Deutschland als „allzu stark auf eine De¿zitperspektive verengt, so dass Ressourcen an kulturellem Kapital von Migranten, ihre Anpassungsleistungen und der Stand ihrer Etablierung in der Mitte der Gesellschaft unterschätzt werden“. Zwar betonen Wippermann und Flaig, dass der Milieuansatz der Sinus-Studie umfassender sei als die üblichen subjektiven Beschreibungen der Lebenswelten Zugewanderter mit Begriffen der Ethnizität. Gleichwohl weisen sie darauf hin, dass die meisten Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sich nicht nur als Angehörige der multi-ethnischen deutschen Gesellschaft verstehen, sondern auch ihre kulturellen Wurzeln nicht vergessen möchten: „Viele, insbesondere in den soziokulturell modernen Milieus, haben ein bi-kulturelles Selbstbewusstsein und eine postintegrative Perspektive. Das heißt, sie sind längst in dieser Gesellschaft angekommen. Vor diesem Hintergrund beklagen viele – quer durch die MigrantenMilieus – die mangelnde Integrationsbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft und das geringe Interesse an den Eingewanderten“ (Wippermann/Flaig 2009, S. 10). Davon ausgehend sind grundsätzlich in der Migrationsforschung und speziell in unserem Forschungsprojekt Wechselwirkungen von Integration und ethnischen Zugehörigkeitsentwürfen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte genauer zu bestimmen. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte fühlen sich zum Teil mehrfach zugehörig, beispielsweise mit einem deutsch-türkischen Zugehörigkeitsentwurf. Ähnlich wie beim Begriff der Geschlechterverhältnisse, der eine Mit Hybridität bezeichnen die Autoren die vor dem Hintergrund der Globalisierung, der Migration und der weltweiten Zirkulation von Waren, Dienstleistungen und Informationen entstandene Vermischung kultureller Elemente.
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gesellschaftstheoretische Perspektive markiert, sind auch Fragen natio-ethnokultureller Zugehörigkeit8 nicht allein auf der individuellen Ebene, sondern nur in der Vermittlung mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu verstehen. Mit Paul Mecheril (2004) lassen sich ethnische Zugehörigkeitsverhältnisse als ein symbolisches Ordnungssystem auffassen, das über die binäre Unterscheidung zwischen den „Anderen“ (mit Zuwanderungsgeschichte) und einem „Wir“ (der nicht zugewanderten deutschen Mehrheitsgesellschaft) konstruiert wird. Ethnische Zugehörigkeitsverhältnisse verstehen wir insofern als Produkt gesamtgesellschaftlicher Diskurse, die idealtypische, „normale“ bzw. selbstverständliche Zugehörigkeiten als reines und exklusives Phänomen propagieren, was durch Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte gestützt wird. Ein gutes Beispiel dafür sind die Debatten um die doppelte Staatsbürgerschaft im Zuge der Gesetzesnovelle 1999, welche die (Re-)Produktion eines nationalen „Wir“ in Abgrenzung von nicht eindeutigen, mehrfachen Zugehörigkeiten der „Anderen“ verdeutlichen (vgl. Thomas 2003). In Teilen der Migrantenmilieus und im Mainstream der Mehrheitsgesellschaft sind mehrfache Zugehörigkeiten zu wenig anerkannt, so dass mehrfach Zugehörige mit ihren Lebensentwürfen in zwei Heimaten unter Druck geraten – was die biographischen Erzählungen im Buch „zweiheimisch. Bi-kulturell leben in Deutschland“ (vgl. Spohn 2006) eindrücklich belegen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Studie von Barbara Schramkowski (2006), die herausfand, dass nach strukturellen Kriterien gut integrierte junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sich nicht integriert fühlen, weil ihre mehrfachen Zugehörigkeitsentwürfe nicht anerkannt werden: Die Erfahrungen und Sichtweisen der von ihr untersuchten jungen Erwachsenen „lassen erkennen, dass viele sich infolge des Vorbehalts der Anerkennung ihrer Zugehörigkeit als gleichberechtigte Gesellschaftsmitglieder trotz ihrer im Sinne wissenschaftlicher Indikatoren erfolgreichen Integration nicht integriert und somit der Gesellschaft, in der sie faktisch Zuhause sind, nur eingeschränkt zugehörig fühlen“ (Schramkowski 2006, S. 373 f., Hervorhebung im Original). Schramkowski fordert daher einen neuen Umgang mit ethnischen Zugehörigkeiten. Damit „die dauerhafte Anwesenheit und Zugehörigkeit von Personen mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft mit ihren Mehrfachzugehörigkeiten zur Selbstverständlichkeit werden und Eingewanderte positive Integrationsemp¿ndungen entwickeln können, sind grundsätzliche ReÀexionen bezüglich vorherrschender Denk- und Handlungsmuster unabdingbar. Nur so kann es (…) zu einer Neude¿ni8 Mit der Formulierung „natio-ethno-kulturell“ macht Paul Mecheril klar, dass die Ausdrücke Kultur, Nation und Ethnizität in einer diffusen und mehrwertigen Weise begrifÀich aufeinander verweisen. Wenn im Folgenden aus Gründen der besseren Lesbarkeit von „ethnisch“ gesprochen wird, ist die Bedeutung impliziert, die Mecheril mit „natio-ethno-kulturell“ verbindet (vgl. Mecheril 2004: 22 ff..).
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tion bestehender Normalitäten seitens der aufnehmenden Gesellschaft kommen, in deren Rahmen die Anwesenheit und nicht die ‚Fremdheit‘ Eingewanderter als normal konzipiert wird“ (ebd., S. 375). Viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind insofern gezwungen, auf die wiederholte alltägliche Konfrontation mit ethnischen Zuschreibungen zu reagieren, auf welche sie als handlungsfähige Subjekte mittels Bewältigung, Bewahrung und Veränderung auch (inter-)aktiv Bezug nehmen können. Das Herstellen und interaktive Vertreten ihrer oft mehrfachen Zugehörigkeiten stellt unserer Ansicht nach eine Integrationsleistung der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte eigener Qualität dar, die bisher zu wenig als solche wahrgenommen, anerkannt und unterstützt wird. Auch aus diesem Grund haben wir in unsere empirische Forschung auch Fragen zur Integration und zu Selbstverständnissen der Zugehörigkeit von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aufgenommen, um das Zusammenwirken dieser beiden Themenbereiche und mögliche Wechselwirkungen mit den Geschlechterarrangements zu rekonstruieren. Interessant für dieses Forschungsprojekt ist zweifellos das Verhältnis von struktureller, kultureller und identi¿katorischer Integration. Gesellschaftliche Integrationsleistungen haben einen erheblichen EinÀuss auf die kulturelle und identi¿ katorische Integrationsleistung der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte9. Berücksichtigt werden muss, dass das intergenerative Geschlechterarrangement der Frauen und Männer mit Zuwanderungsgeschichte dabei nur ein Faktor der kulturellen Integration ist. Obacht gilt hier vor allem möglichen Kulturalisierungen, die entstehen können, wenn man keine Vergleichsgruppe untersucht und gleichzeitig die Integrationsbestrebungen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte z. B. vor dem Hintergrund eines idealen Emanzipationsverständnisses diskutiert, dem in der Realität auch die Bevölkerung ohne Zuwanderungsgeschichte nicht oder nur partiell gerecht wird. Dem wird durch die vorliegende Studie Rechnung getragen, da eine Vergleichsgruppe ohne Zuwanderungsgeschichte herangezogen wird. Vor diesem Hintergrund ist also bei der Untersuchung möglicher Zusammenhänge zwischen Geschlechterarrangements und Integration kritisch zu überprüfen, ob überhaupt eindeutige Zusammenhänge rekonstruiert werden können und welche dies sind. Vorstellbar ist insbesondere ein Zusammenhang zwischen struktureller Integration und Geschlechterarrangements – so können z. B. Frauen mit Zuwanderungsgeschichte nur die Rolle einer Erwerbstätigen ausfüllen, wenn sie einen Arbeitsplatz ¿nden; umgekehrt können sie am ehesten ein egalitäres Geschlechterarrangement in Familien leben, wenn sie mindestens solche gesellschaftlichen Teilhabechancen haben wie ihre Ehemänner oder Partner. Auch die soziale Integration (im Sinne von sozialer Teilhabe, sowohl bezogen auf die gesellschaft-
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Dies gilt auch für die Personen ohne Zuwanderungsgeschichte.
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liche Mehrheit wie auch andere Menschen mit Zuwanderungsgeschichte) könnte EinÀuss auf Geschlechterarrangements nehmen. Wichtig ist jedenfalls zu betonen, dass hierbei sowohl die Integrationsleistungen der Mehrheitsgesellschaft als auch der Zuwandererfamilien zu betrachten sind, da die Zuwandererfamilien eigene Integrationsbestrebungen ohne Integrationsleistungen der Mehrheit nur bedingt umsetzen können. Schließlich ist ein reÀektierter und differenzierter Umgang mit dem Integrationsbegriff in dieser Studie (gerade in Bezug auf die bezüglich Zuwandererfamilien vieldiskutierten Geschlechterarrangements) gefragt. 2.3
Race, Class und Gender: Konzept der Intersektionalitätsanalyse
In den Sozialwissenschaften wird schon seit einiger Zeit die Kritik geäußert, dass die Forschung bisher wechselseitige BeeinÀussungen und Überschneidungen zwischen verschiedenen Differenzkategorien wie Klasse, Geschlecht, Ethnizität, Alter, sexuelle Orientierung usw. nicht oder nur selten angemessen berücksichtigt oder erfasst. Folgende Fragen illustrieren grob die so umschriebenen Herausforderungen, die vergleichende Studien beim Erforschen von Frauen und Männern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte zu bearbeiten haben: Sind von den vielen Differenzen zwischen Menschen bzw. Frauen und Männern die ethnisch-kulturellen besonders wichtig ? Oder sind vielleicht bei allen ethnisch-kulturellen Unterschieden die Gemeinsamkeiten zwischen Angehörigen eines Geschlechts, z. B. der Frauen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte untereinander, größer ? Welchen EinÀuss hat die soziale Herkunft der Frauen und Männer und ist diese mitunter, je nach Situation und Kontext, von größerer Bedeutung als die Zuwanderungsgeschichte oder das Geschlecht ? Zur Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen ist eine mehrdimensionale, eine so genannte intersektionelle Perspektive auf soziale Differenzlinien erforderlich, die nicht einer Dimension – wie beispielsweise der Ethnizität – grundsätzlich den Vorrang gegenüber anderen Strukturkategorien wie Geschlecht oder Klasse einräumt. Solche Untersuchungen, die sich mit Überschneidungen zwischen den Kategorien Geschlecht, Ethnizität und Klasse befassen, werden seit einiger Zeit vermehrt mit dem Begriff intersektionell (intersectional) bezeichnet, der aus US-ame ri ka nischen Debatten kommend in Deutschland übernommen wurde. Gudrun-Axeli Knapp (2005) sieht in mehrdimensionalen intersektionellen Analysen ein neues Paradigma aktueller Geschlechterforschung, das eine gesellschaftsund herrschaftskritische Perspektive mit einer anspruchsvollen ungleichheits- und differenztheoretischen Programmatik verbindet. Knapp betont nun, dass man die Begriffe Geschlecht, Ethnizität und Klasse zugleich getrennt voneinander und in Wechselwirkung miteinander verstehen sollte: „Class, Race und Gender sind relationale Begriffe, wen sie unter welchen Formbestimmtheiten und durch welche
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Mechanismen einschließen oder ausschließen, wie die jeweilige Relationalität verfasst ist unter spezi¿schen sozio-historischen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen, kann nicht begriffen werden, wenn man nur eine dieser Kategorien in den Blick nimmt. Sie müssen also sowohl in ihrer jeweiligen Spezi¿k als auch in ihrem Zusammenhang gesehen werden.“ (Knapp 2005, S. 74; Hervorhebungen im Original) Zur Verortung unseres Forschungsansatzes beziehen wir uns auch auf Rudolf Leiprecht und Helma Lutz (2009), die zur Entwicklung der Migrations- bzw. Rassismusforschung und Geschlechterforschung feststellen, diese Forschungsfelder hätten sich „in den letzten Jahren, wenn auch auf unterschiedliche Weise, mit Themen wie Dezentrierung, VerÀüssigung und Fragmentierung auseinandergesetzt. Zumindest in der Theoriebildung wurden dabei Begriffe wie Geschlecht, Ethnie und ‚Rasse‘ vom Anschein ihrer ‚Naturhaftigkeit‘ und ‚Essentialität‘ befreit und als soziale Konstruktionen konzeptualisiert (…). (…) Geschlecht, Ethnie und ‚Rasse‘ werden in diesen Fachdiskursen dabei keineswegs so aufgefasst, dass sie für gleich wichtig gehalten werden, dennoch verbindet die neueren Beiträge über diese Kategorien die Suche nach theoretischen Konzepten, die VerÀüssigungen individueller Subjektpositionen zulassen, ohne gleichzeitig die strukturellen Dimensionen von Privilegierung/Deprivilegierung und Einschließung/Ausschließung aus dem Auge zu verlieren.“ (Leiprecht/Lutz 2009, S. 179) Auch wenn in der empirischen Forschung oft die individuelle und interaktive Ebene im Mittelpunkt steht, gilt es auch gesellschaftstheoretisch und sensibel gegenüber Machtaspekten zu arbeiten: „Es ist sinnlos, auf die sich überlagernden oder durchkreuzenden Aspekte von Klasse, Rasse und Geschlecht in den individuellen Erfahrungswelten hinzuweisen, ohne angeben zu können, wie und wodurch Klasse, Rasse und Geschlecht als gesellschaftliche Kategorien konstituiert sind.“ (Klinger 2003, S. 25) Diese Position kennzeichnet eine Haltung unseres Forschungsprojekts, mit der wir auch an das empirische Interviewmaterial herangegangen sind. Nicht nur in der Theorie, sondern auch in der empirischen Forschung muss noch mehr dafür sensibilisiert werden, das wechselseitige Zusammenspiel zwischen Geschlecht, Klasse und Ethnizität einzubeziehen. Auf die Gefahr einer unzulässigen Reduzierung von Komplexität durch eindimensionale Analysen verweist Helma Lutz (2001), die das bislang weithin praktizierte Vorgehen kritisiert, einzelne Differenzlinien ganz auszublenden oder die Überschneidungen analytisch voneinander getrennter Kategorien als schlichte Rechenaufgaben von Differenzen – als Addition oder Multiplikation von Benachteiligungen – zu konzipieren. Meist fehlt eine intersektionelle Perspektive, was zur Folge hat, dass eine Kategorie dominiert und weitere Differenzlinien oft gar nicht beachtet oder allenfalls punktuell erwähnt werden (vgl. Knapp 2005). Beispiele für solche unterkomplexen Ansätze könnten sein: In einer Studie der Frauenforschung zur Doppelbelastung von Frauen durch Erwerbs- und Hausarbeit wird nicht detailliert beschrieben, wie es sich auf das
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Alltagsleben konkret auswirkt, ob die Frauen eine Zuwanderungsgeschichte haben oder nicht. Oder in einer Migrationsstudie werden Indikatoren für erfolgreiche Integration geprüft, ohne dabei systematisch die EinÀüsse der sozialen Herkunft und des Geschlechts der Untersuchungspersonen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte einzubeziehen. Auch wenn es gelingt, mehrere Differenzen gleichzeitig im Blick zu behalten, gibt es ein weiteres Problem: Über die genannten Grundprinzipien intersektioneller Forschung hinaus ist es die weitere zentrale Anforderung an intersektionelle Geschlechterforschung, Wechselwirkungen von Differenzkategorien nicht hierarchisch zu theoretisieren, auch wenn Differenzlinien sich in ihren Wechselwirkungen überlagern, verstärken oder abschwächen (können). Mit Katrin Huxel (2008) möchten wir betonen, dass wir eine Praxis intersektioneller Analysen etablieren möchten, „ohne eine der analytischen Kategorien wie Geschlecht, Ethnizität, Klasse oder Sexualität zu bevorzugen“. Das bedeutet für intersektionelle Analysen von Gender und Ethnizität, „dass auch hier keiner der beiden Differenzen eine quasi natürliche Vorgängigkeit eingeräumt werden darf. (…) Geschlecht und Ethnizität werden dabei nicht als statische und determinierende Kategorien begriffen, sondern als Àexible, aber wirkmächtige Produkte von Aushandlungsprozessen und gesellschaftlichen Machtstrukturen“ (Huxel 2008, S. 63). Eine weitere Herausforderung beim „doing intersectionality“ liegt nach Leiprecht/Lutz (2009) darin zu klären, „welche verschiedenen ‚Achsen‘ im konkreten Fall in welcher Weise von Bedeutung sind und wie beispielsweise die spezi¿schen Konstellationen von Subjekt und Struktur, von Benachteiligung und Bevorzugung, von Unterdrückung und Ressource oder von Fremdbestimmung und Selbstbestimmung aussehen“ (Leiprecht/Lutz 2009, S. 187 f.). Dieser Punkt soll jetzt an einem Beispiel aus einem Reader für Social Justice Trainings (Czollek/Weinbach 2008) weiter verdeutlicht werden: Ineinander greifende, komplexe soziale Ungleichheiten können sich je nach Kontext und Situation unterschiedlich auswirken: „Ein homosexueller, muslimischer Migrant, der Wirtschaftswissenschaften studiert, könnte beispielsweise aufgrund seiner sexuellen Identität und/oder seiner Religion und/ oder seiner ethnischen Herkunft von Diskriminierung betroffen sein. Gleichzeitig stehen ihm aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit und seines Bildungshintergrundes verschiedene Ressourcen zur Verfügung, die ihn in diesen Aspekten privilegieren.“ (Czollek/Weinbach 2008, S. 64) Anhand dieses Beispiels möchten wir noch auf die Herausforderung an intersektionelles Arbeiten hinweisen, „nicht bei vereinfachenden Opfer-Täter-Reduktionismen stehen zu bleiben, sondern die subjektiven Bewegungen auch tatsächlich wahrzunehmen und präzise herauszuarbeiten, wie sich die Subjekte in ihrem jeweiligen Möglichkeitsraum verhalten“ (Leiprecht/Lutz 2009, S. 187). Vor allem in intergenerational angelegten Untersuchungen, wie der hier vorgelegten, ist es nötig, Differenzen des Alters bzw. generationale Differenzen und
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Hierarchien in Generationenverhältnissen als eigene Differenzlinie zu thematisieren. Daher stellt sich Forschenden in vielen Intersektionalitätsanalysen die Frage, wie sie zusätzlich zu den Kategorien Geschlecht, Ethnizität und Klasse die Dimension Alter bzw. Generation als Kategorie sozialer Differenzierung und sozialer Ungleichheit zu beachten und mit zu untersuchen haben. Dann stellt sich die Frage, welche Konstruktionsprinzipien das Verhältnis zwischen jungen und alten Menschen bzw. der jüngeren und älteren Generation bestimmen und welche Faktoren Generationenbeziehungen beeinÀussen. Damit können grundsätzliche Fragen verbunden sein, wie denn das Generationenverhältnis insgesamt und die „soziale Organisation generationaler Strukturen“ (Alanen 2005, S. 80) beschaffen sind. Das Besondere an dieser Kategorie Alter ist jedoch, dass alle Menschen in der Regel im Verlauf ihres Lebens auf verschiedene Arten und Weisen von der Differenzierung nach Alter betroffen sind, zunächst als junge und später als alte Menschen. Deutlich wird das beispielsweise beim Thema der elterlichen EinÀüsse auf Erziehungsvorstellungen der jüngeren Generation: Viele Jugendliche nehmen sich vor, später vieles anders als ihre Eltern zu machen. Sind sie aber erwachsen und selbst in der Elternrolle, lassen sich die guten Vorsätze oft aus den unterschiedlichsten Gründen nur schwer umsetzen. Im Rahmen unseres Forschungsprojektes haben wir uns gemeinsam mit den Auftraggebenden dafür entschieden, zunächst die folgenden Differenzlinien in den Blick zu nehmen: a) b) c) d)
Geschlechtszugehörigkeit Herkunft/Zuwanderungsgeschichte Generationszugehörigkeit Bildungshintergrund
Darüber hinaus ist ein offener Blick auf das Datenmaterial gefragt, um (je nach Relevanz für das jeweilig zu bearbeitende Thema) herauszu¿nden, welche weiteren Differenzlinien eine Rolle spielen. Denkbar sind z. B. Bildungsniveau und Erwerbssituation der Eltern, Wohnsituation der jüngeren Generation (eigener Haushalt oder bei den Eltern lebend) und Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein einer Partnerschaft (sowohl bei der älteren als auch bei der jüngeren Generation). Diese hier vorab geleisteten grundsätzlichen Klärungen zum Thema Intersektionalität werden später in Kapitel 4 zum Forschungsdesign speziell auf unsere Untersuchung hin anwendbar macht.
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Zuwanderung und Geschlecht – die SINUSMigrantenmilieus und andere Erkenntnisse
Die folgenden Abschnitte verfolgen den Zweck, den gegenwärtigen Forschungsstand zu Zuwanderung und Geschlecht aufzubereiten und damit die Möglichkeit zu eröffnen, an diese bereits vorhandenen Forschungsergebnisse anzuknüpfen. Hierzu wurden u. a. mehrere Sinus-Studien analysiert, und zwar sowohl zu den deutschen Milieus als auch zu den Migrantenmilieus. Unsere Studie knüpft also an die vorliegenden Sinus-Ergebnisse zu Geschlechterleitbildern und Geschlechterpraxen an, aber auch an zahlreiche andere Studien aus der Migrationsforschung. Zur Begriffsklärung sei bemerkt, dass in der vorliegenden Studie der Begriff „Personen mit Zuwanderungsgeschichte“ verwendet wird. Er entspricht nach der De¿ nition des Statistischen Bundesamts dem Begriff „Personen mit Migrationshintergrund“. Dem Miniglossar im Anhang ist zu entnehmen, welche Personengruppen hiermit gefasst werden. 3.1
Die geschlechtsspezi¿sche Perspektive gewinnt an Bedeutung
Die Themen Zuwanderung und Integration haben in den letzten Jahren in der politischen Öffentlichkeit erheblich an Bedeutung gewonnen. Dies ist bedingt durch verschiedene Faktoren, u. a.: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
die EinÀüsse der Globalisierung auf den Alltag der Menschen die Immigration zahlreicher Migrationsgruppen nach Deutschland den demographischen Wandel und die damit verbundene Sicherung des Generationenvertrags die Suche nach Potenzialen für Wirtschaft und Gesellschaft und insbesondere nach hoch quali¿zierten Arbeitskräften die Zunahme bzw. die Stagnation latenter und manifester Fremdenfeindlichkeit auf relativ hohem Niveau.10
Die Bedeutungszunahme der Themen Zuwanderung und Integration ist inzwischen erkennbar vor allem an:
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Vgl. hierzu exemplarisch Heitmeyer (2007) und Decker/Brähler (2006).
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Zuwanderung und Geschlecht der Veränderung rechtlicher Rahmenbedingungen für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte (z. B. die Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes 2000, die partielle Umwandlung von Ausländerbeiräten in sog. Integrationsräte in NRW 2004, die Einführung des Zuwanderungsgesetzes 2005 und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes 2006) politischen Interventionen (z. B. dem Nationalen Integrationsplan11 und den Integrationsgipfeln sowie der Islamkonferenz) einer differenzierten Datenerhebung zu Menschen mit Zuwanderungsgeschichte durch den Mikrozensus 2005 der Einrichtung eines Integrationsministeriums auf Landesebene in NRW die Zuordnung des Ressorts Integration zum Bundeskanzleramt der Entwicklung zahlreicher kommunaler Integrationskonzepte der Implantierung der Thematik in die Lehre der Hochschulen, Curricula der Schulen und Konzepte der Elementarerziehung der zunehmenden Akzeptanz verschiedener Religionen (z. B. Moscheebau)
Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik hat sich in den letzten Jahren gewandelt: Dominierte lange Zeit eine eher an De¿ziten der Population mit Zuwanderungsgeschichte orientierte Perspektive die wissenschaftlichen Diskurse, so hat sich im Laufe der 1990er Jahre der Blickwinkel z. B. der Erziehungs- und Sozialwissenschaften im Rahmen der dort verankerten Migrationsforschung eher in Richtung einer stärkeren Betrachtung der Ressourcen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte verändert.12 Diese Veränderungen und der Perspektivenwechsel haben Konsequenzen für die weitere Forschung. Die aktuellen Diskussionen machen deutlich, dass differenzierte wissenschaftliche Untersuchungen erforderlich sind, um Lebenssituationen und Orientierungen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte angemessen zu erfassen. Solche Forschungen sind nicht nur auf der Ebene der Sozialstruktur (wie z. B. durch das SOEP – das sozioökonomische Panel) erforderlich, sondern ebenso auf der „mikrosoziologischen Ebene“, z. B. bezogen auf Geschlechterarrangements. Es ist in diesem Zusammenhang lohnenswert, sowohl Forschungsergebnisse zu betrachten, die sich einzelnen Nationalitätengruppen widmen, als auch Studien, die quer zu den Nationalitätengruppen Spezi¿ka von Lebenslagen, Milieus und Lebensstilen herausarbeiten. Dies kann im Rahmen dieses Kapitels nur in aller Kürze geschehen. Da sich unsere Forschungsarbeit zugewanderten Familien aus der Türkei und der ehemaligen Sowjetunion widmet, werden hier einige für dieVgl. Bundesregierung 2007. Hierzu gibt es mittlerweile eine Fülle von Studien aus der Migrationsforschung und aus der Geschlechterforschung, z. B. Boos-Nünning/Karakasoglu (2004), Weber (2003), Agha (1997), Lutz (1991), Farrokhzad (2007), Erel (2003), Hummrich (2002), Riegel (2004) und Dettling/Gerometta (2007).
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Die geschlechtsspezi¿sche Perspektive gewinnt an Bedeutung
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se Gruppen relevante Hintergründe hinsichtlich ihrer Zuwanderungsgeschichte, Sozialstruktur, Lebenssituation und Orientierungen vorangestellt. Menschen aus der Türkei sind zu einem großen Teil im Zuge der Arbeitsmigration und des Familiennachzugs und zu einem zahlenmäßig geringeren Teil aus politischen Gründen nach Deutschland eingewandert. Politische Gründe waren zum Beispiel die Folgen des Militärputsches 1980 oder der KonÀikt mit der kurdischen Minderheit. Ein weiterer (zahlenmäßig kleinerer) Anteil von Zuwanderinnen und Zuwanderern aus der Türkei reiste vor allem bis in die 1960er Jahre zu Studienzwecken nach Deutschland.13 Die überwiegende Zahl kam jedoch infolge der Anwerbeverträge. In der frühen Phase der Arbeitsmigration (1961 bis 1967) stammten viele Zugewanderte noch aus städtischen Regionen und verfügten über höhere Quali¿ kationen und Bildungsabschlüsse. Die zahlenmäßig größte Gruppe kam dann 1968 bis 1973 aus ländlichen Gebieten der Türkei und gehörte vorwiegend der Arbeiterschicht oder dem bäuerlichen Milieu an. In Deutschland waren sie zunächst vorwiegend als an- und ungelernte Arbeiterinnen und Arbeiter tätig.14 Mittlerweile ist die Anzahl der Selbständigen wie auch der Angestellten mit türkischer Zuwanderungsgeschichte angestiegen (Geißler 2006, S. 242). Im Jahr 2006 lebten in der Bundesrepublik 1.738.831 Bürgerinnen und Bürger mit türkischem Pass, davon waren 920.861 Personen männlich und 817.970 weiblich.15 Die junge türkische Generation liegt insgesamt bei den Schulerfolgen etwas unter dem Durchschnitt der gesamten Population der Menschen mit ZuwanderungsSeit 1968 überstieg die Zahl derjenigen, die aus ländlichen Gebieten stammten, die der Personen aus städtischen Gebieten (Vortragsmanuskript Prof. Gitmez, METU Ankara, vom 30.10.2001). Während in der Anfangszeit der Arbeitsmigration aus der Türkei vornehmlich quali¿zierte Zuwanderinnen und Zuwanderer in Deutschland aufgenommen wurden, sank ihre Zahl bei der zweiten, weitaus größeren Arbeitsmigrationswelle 1968–1973 (Hunn 2004). Nermin Abadan-Unat (1993) stellt zudem fest, dass von den türkischen Arbeitsmigrantinnen und -migranten 70 % der Männer und 61 % der Frauen lediglich einen Grundschulabschluss aufweisen. 21 % der Männer und 38 % der Frauen hatten eine weiterführende Ausbildung. 10 % der Männer und 7 % der Frauen hatten keinen Schulabschluss. Damit waren die Frauen im Durchschnitt etwas besser quali¿ziert als die Männer (Abadan-Unat 1993, S. 210). Hunn (2004) erklärt das damit, dass vor allem in der späten Zuwanderungsphase, geringer quali¿zierte Männer ihre besser quali¿zierten Frauen „vorschickten“, um teils mehrjährige Wartezeiten zu umgehen. Die Frauen konnten ihre Männer, einmal in Deutschland angekommen, relativ kurzfristig nachholen. Hunn stellt in diesem Zusammenhang eine zunehmende Akzeptanz der Migration sowohl lediger als auch verheirateter Frauen seitens der türkischen Gesellschaft fest. Dafür spricht auch der zunehmende Frauenanteil an den türkischen Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten im Verlauf der Arbeitsmigration (Gitmez 2001). 14 Die Sozialstruktur der eingewanderten kurdischen Minderheit entspricht laut Lexikon der ethnischen Minderheiten in Deutschland (Schmalz-Jacobsen/Hansen 1995) in etwa derjenigen der türkischen Zugewanderten. Unter den kurdischen Zugewanderten aus dem Iran hingegen hat eine vergleichsweise größere Anzahl eine akademische Ausbildung. 15 Siehe Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2007, Anhang S. 10). 13
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geschichte, in der beruÀichen Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt sind die Erfolgschancen vieler Personen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte im Vergleich etwa zur deutschen Gruppe ohne Zuwanderungsgeschichte eingeschränkt (z. B. durch niedrigere Bildungsabschlüsse, aber auch durch mangelnde Akzeptanz seitens der Arbeitgeber – auch bei guten Schulnoten –, durch fehlende Unterstützungsstrukturen im Bildungswesen, insbesondere für die verhältnismäßig große Gruppe der türkischen Familien, in denen kein Elternteil einen höheren Schul- oder einen Hochschulabschluss hat; vgl. Farrokhzad 2007). Insgesamt lässt sich sagen, dass die türkische Gruppe in der Bundesrepublik sozialstrukturell gesehen eine heterogenere Gruppe ist als allgemein bekannt, und dies äußert sich auch in einer großen Bandbreite z. B. von Geschlechterleitbildern, die von traditionellen bis hin zu progressiven und egalitären Leitbildern reichen (Karakasoglu 2003, S. 46). Die Bevölkerungsgruppe der (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler bildet mit 4,1 Millionen Personen die größte Zuwanderergruppe in Deutschland. Allein zwischen 1987 und 1998 kamen über 2,5 Millionen (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler in die Bundesrepublik, die große Mehrheit davon aus den Gebieten der ehemaligen UdSSR, insbesondere aus Kasachstan und den mittelasiatischen Staaten Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan. Da die Befragten dieser Forschungsarbeit Aussiedlerinnen und Aussiedler und (wenige) andere Zuwanderinnen und Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sind, werden diese Gruppen im Folgenden genauer betrachtet. Zunächst muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion stark ausgeprägte territoriale Unterschiede gibt. Eigentlich ist der erhebliche Teil der Population der „Russlanddeutschen“ in der Bundesrepublik für die russische Gesellschaft nicht repräsentativ, da die meisten von ihnen aus kleinen Wohnorten stammen. Einige bringen zudem stark ausgeprägte religiöse Einstellungen mit (z. B. Angehörige von mennonitischen oder baptistischen Gemeinden; vgl. Lakizyuk 2006, S. 336). Derzeit leben in der Bundesrepublik neben den Russlanddeutschen, die die größte Gruppe unter den Zugewanderten aus der GUS ausmachen (ebenda, S. 133 und Landesstelle Unna-Massen 2009), Zuwanderinnen und Zuwanderer aus Russland mit jüdischer Religionszugehörigkeit, aus der Ukraine, aus Weißrussland etc., die unterschiedliche Aufenthaltstitel haben und aus unterschiedlichen Motiven eingewandert sind. Die Rechtsgrundlagen der Einwanderung der Aussiedlerinnen und Aussiedler waren das Grundgesetz (Artikel 116 zur Staatsangehörigkeit) und das Bundesvertriebenengesetz (zur deutschen Volkszugehörigkeit). Waren für die ersten Generationen von Aussiedlerinnen und Aussiedlern der Wunsch nach Familien zusammenführung und das Bedürfnis, als „Deutsche unter Deutschen zu leben“ (Bade/Oltmer 2003, S. 26) entscheidende Beweggründe für die Zuwanderung in die Bundesrepublik, so bestimmen seit Beginn der 1990er Jahre zunehmend wirtschaftliche Motive und ein besseres Leben angesichts zunehmen-
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der sozialer Ungleichheit nach dem Zerfall des so genannten „Ostblocks“ den Ausreisewunsch vieler Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. 80 bis 90 % aller Russlanddeutschen waren in ihren Herkunftsländern erwerbstätig. Ein wesentliches Charakteristikum der damaligen sowjetischen Führung war die hohe und kontinuierlich angelegte Erwerbsbeteiligung von Frauen16, wobei diese überproportional gut quali¿ziert waren und nicht selten einen nach westlichen Kriterien „männlichen“ Beruf ausübten (Bade/Oltmer 2003, S.129 f.) – entsprechend stand ein gut ausgebautes öffentliches Kinderbetreuungssystem zur Verfügung. Insgesamt hat die Gruppe der eingereisten Russlanddeutschen vergleichsweise hohe Bildungsabschlüsse und Berufserfahrung. Ein großes Problem dieser Gruppe ist aber die nicht oder nur unzureichend gegebene Anerkennung ihrer Bildungs- und Berufsabschlüsse sowie Berufserfahrung in der Bundesrepublik, wodurch viele einen sozialen Abstieg durch Arbeitslosigkeit oder gering quali¿zierte Tätigkeiten in Kauf nehmen müssen. Bezüglich der Jugendlichen aus der ehemaligen Sowjetunion lassen sich folgende zentrale Aspekte festhalten: ƒ
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Wie bei der türkischen Gruppe ¿ndet man bei den jugendlichen (aber auch erwachsenen) Personen mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion eine Vielfalt von Handlungs-, Wertorientierungen und Rollenbildern. Diese resultieren nicht nur aus ihrer Auseinandersetzung sowohl mit dem Leben in der russischen als auch in der deutschen Gesellschaft, sondern auch aus den EinÀüssen der Globalisierung. Daneben sind mehrere unterschiedliche EinÀüsse der russischen/postsowjetischen gesellschaftlichen Ordnung nicht zu unterschätzen (z. B. kollektivistische Orientierungen, Hilfs- und Kommunikationsbereitschaft), genauso wie der Bildungshintergrund, die regionale Herkunft und die Generationenzugehörigkeit von hoher Bedeutung sind. Bei einigen ¿ nden sich Probleme in Fragen der subjektiven Verortung im Sinne von Zugehörigkeit, die sich mit der Nichtanerkennung als Deutsche/ Deutscher und Russin/Russe erklären lassen. Unter der hier betrachteten Zielgruppe gibt es sowohl diejenigen Zuwanderinnen und Zuwanderer, die sich als Deutsche fühlen und darauf bestehen, entsprechend behandelt zu werden, als auch solche, die sich mit dem Russisch-Sein stark identi¿zieren und dies auch nach außen betonen (Lakizyuk 2006, S. 514 ff.). Bedeutsame Unterschiede zwischen den Geschlechterleitbildern ¿nden sich entlang des Bildungsniveaus (je niedriger der Bildungsabschluss, desto traditioneller ist das Geschlechterleitbild bezüglich Aufgabenteilung im
Mitte bis Ende der 1980er Jahre befanden sich in der Sowjetunion 85 % aller Frauen im erwerbsfähigen Alter entweder in Ausbildung oder waren vollzeit berufstätig.
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Zuwanderung und Geschlecht Haushalt etc.) und entlang der Generationen (bei den Älteren gibt es eher Tendenzen zu einem traditionellen Geschlechterleitbild bezüglich Aufgabenteilung im Haushalt etc.). Die jungen Zuwanderinnen und Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion orientieren sich genauso wie viele andere Menschen auf Familie und Karriere, verfolgen u. a. materialistische, hedonistische oder auch altruistische Ziele. Sie versuchen, sich von der Lebensweise ihrer Eltern zu distanzieren und kritisch mit den Möglichkeiten der heutigen Gesellschaft umzugehen. Sie sind u. a. freier bei der Wahl der Lebensszenarien, Partnerbeziehungen und deren individueller Ausgestaltung. (Herwartz-Emden 2000)
Der Blick auf beide Nationalitätengruppen zeigt einerseits, dass die Kenntnis der Kontexte der Zuwanderungsgeschichte zur Interpretation von lebensweltlichen Orientierungen im Allgemeinen und Geschlechterleitbildern im Besonderen von Bedeutung sein können – darüber hinaus sind aber besonders Mikroanalysen quer zu Herkunftsgruppen und zwar entlang von Lebenslagen, Milieuzugehörigkeiten und Lebensstilen zentral, denn nur dadurch erhält man ein differenziertes und vollständiges Bild von der Situation von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland. Einen Ansatz hierzu liefern z. B. die Sinus-Studien zu Migrantenmilieus von 2007 und 2008. Zentrale Ergebnisse der repräsentativen Sinus-Studie zu Migrantenmilieus von 2008 sind (Sinus Sociovision 2008): ƒ
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Es lassen sich insgesamt acht Migrantenmilieus identi¿zieren (das religösverwur zelte Milieu, das statusorientierte Milieu, das traditionelle Gastarbeitermilieu, das entwurzelte Milieu, das adaptive bürgerliche Milieu, das intellektuell kosmopolitische Milieu, das multikulturelle Performermilieu und das hedonistisch-subkulturelle Milieu). Damit wird deutlich, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland bezüglich sozialer Lage, Lebensauffassungen und Lebensweisen eine sehr heterogene Gruppe sind. Soziale Herkunft und Lebensstilbildung von Migrantenmilieus weisen keine anders gelagerte Korrelation auf als bei Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Konkret bedeutet dies, dass man weder von der Herkunftskultur auf das Milieu schließen, noch ein Milieu auf eine spezi¿sche Herkunftskultur reduzieren kann. Damit verbindet Zuwanderinnen und Zuwanderer mehr mit Menschen des gleichen Milieus als mit Landsleuten aus anderen Milieus. Der EinÀuss religiöser Traditionen wird bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte oft überschätzt. So betrachten 84 % der Befragten Religion als Privatsache und drei Viertel wenden sich entschieden gegen fundamentalistische Einstellungen. Nur in dem kleinsten aller Milieus, dem religiös verwurzelten Milieu (welches nicht nur Muslime umfasst), spielt Religion eine durchgehend alltagsbestimmende Rolle. Diesem Milieu gehören jedoch nur 7 % aller Menschen mit Zuwanderungsgeschichte an.
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Die meisten Befragten der Sinus-Studie verstehen sich als Angehörige der (multiethnischen) deutschen Gesellschaft, wollen sich aktiv einbringen, jedoch ohne ihre kulturellen „Wurzeln“ zu vergessen. So genannte „Integrationsde¿zite“ (z. B. mangelnder Bildungserfolg, schwierige Integration in den Arbeitsmarkt) sind eher in den unterschichtigen Milieus zu ¿nden (z. B. beim entwurzelten Milieu, dem religiös verwurzelten Milieu und bei Teilen des hedonistisch-subkulturellen Milieus), ähnlich wie bei der Bevölkerung ohne Zuwanderungsgeschichte. Die meisten hingegen berührt die Debatte um Integration in ihrem Lebensalltag kaum, da sie sich als Teil der hiesigen Gesellschaft begreifen und auch so handeln. Rund ein Viertel der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte fühlt sich diskriminiert und ausgegrenzt – auch dies gilt insbesondere für die unterschichtigen Milieus und auch hier betrifft diese Ausgrenzungserfahrung unterschichtige Milieus mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Erfolgreiche Etablierung in der Mehrheitsgesellschaft ist stark abhängig vom Bildungsniveau und der Herkunftsregion. Je höher das Bildungsniveau und je urbaner die Herkunftsregion, desto leichter fällt es, sich zu etablieren. Das Beherrschen der deutschen Sprache wird von rund 85 % der Befragten als besonders wichtig angesehen, 68 % halten ihre Deutschkenntnisse für sehr gut oder gut. Die Bereitschaft zu Leistung und der Wille zum gesellschaftlichen Aufstieg ist bei der Zuwandererpopulation stark ausgeprägt – stärker als bei der deutschen Bevölkerung ohne Zuwanderungsgeschichte. Zudem ist das Spektrum der Grundorientierungen bei der Zuwandererpopulation breiter als bei denjenigen ohne Zuwanderungsgeschichte und damit gibt es dort sowohl traditionellere als auch soziokulturell modernere Segmente als bei der Vergleichsgruppe ohne Zuwanderungsgeschichte.
Die Sinus-Studien haben viele Ergebnisse gebracht, die vor allem innerhalb der soziologischen und pädagogischen Migrationsforschung bereits bekannt waren, z. B. die Heterogenität der Gruppen mit Zuwanderungsgeschichte, die hohe Bedeutung des sozialen Status, des Bildungshintergrunds und der urbanen Herkunft gegenüber der ethnisch-kulturellen Herkunft, die Leistungs- und Integrationsbereitschaft bei der Mehrheit, die Diskriminierungserfahrungen und die eher geringe Bedeutung von Religiosität bei einer großen Gruppe der Personen mit Zuwanderungsgeschichte (Sinus Sociovision 2007a und b und 2008; Wippermann 2008). Auch der Familienbericht der Bundesregierung hat bereits Erkenntnisse zusammengefasst, welche die Heterogenität der Gruppen mit Zuwanderungsgeschichte und die Bedeutsamkeit von sozialen Merkmalen und regionaler Herkunft betonen (BMFSFJ 2000, S. 77). Auch in den Geschlechterarrangements haben beide Sinus-Studien eine Heterogenität festgestellt, wie sie ebenfalls u. a. durch Studien aus der soziologischen und
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pädagogischen Migrationsforschung17 und durch den Familienbericht des BMFSFJ von 2000 nachgewiesen wurde. So ist es ebenfalls eher milieu- und bildungs- und weniger herkunftsabhängig, welche Geschlechterleitbilder Männer und Frauen verfolgen und welche Geschlechterpraxen sie leben. Die Geschlechterleitbilder reichen von wertkonservativen Vorstellungen (z. B. Frauen sind allein/vornehmlich zuständig für Haushalt und Kinder, Frauen sollen bereit sein, sich unterzuordnen, sie sollen nicht oder nur Teilzeit arbeiten etc.) und Erziehungsstilen (z. B. eher autoritäre Erziehungspraktiken) bis hin zu egalitären Geschlechterleitbildern (egalitäre Geschlechterrollenorientierungen, hohe Berufsorientierung bei Frauen und Männern, Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung für beide Geschlechter bedeutsam etc.) und Erziehungsvorstellungen (z. B. tendenziell liberale Erziehungspraktiken) mit vielen Facetten zwischen diesen beiden Polen.18 Auffällig ist, dass entlang der verschiedenen durch Sinus abgefragten Items (Aufgabenzuteilungen Mann/ Frau wie z. B. Kinderbetreuung und diverse Haushaltstätigkeiten; Zuschreibungen sympathischer Eigenschaften zu Mann/Frau) gewisse Grundorientierungen nach Milieus zu ¿nden sind. In der Tendenz ¿nden sich eher konservative Geschlechterarrangements beim religiös verwurzelten Milieu, beim traditionellen Arbeitermilieu, beim entwurzelten und zum Teil beim hedonistisch-subkulturellen Milieu, während progressivere/koorientierte Geschlechterarrangements sich eher beim statusorientierten Milieu, beim intellektuell-kosmopolitischen Milieu und beim multikulturellen Performer-Milieu ¿nden lassen. Darüber hinaus scheint es wichtig, die Lebenswelten und Orientierungen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte nicht isoliert, sondern auch im Vergleich zu denjenigen ohne Zuwanderungsgeschichte zu betrachten, um einseitige Pauschalurteile und Stereotypisierungen zu vermeiden. Daher wurde für diese empirische Studie auch eine Kontrollgruppe ohne Zuwanderungsgeschichte hinzugezogen. Auch hierzu lassen sich aus verschiedenen Sinus-Studien interessante Vergleiche ziehen. So ähneln manche Sinus-Milieus der deutschen Bevölkerung denen der Migrantenmilieus (z. B. das adaptive bürgerliche Milieu der Migrantenpopulation dem Milieu der bürgerlichen Mitte der Deutschen oder das multikulturelle Performermilieu der Zuwandererpopulation dem Milieu der modernen Performer). Auch bezüglich der Geschlechterarrangements wird bei Sinus sehr deutlich (Wippermann 2008, S. 77 und S. 104), dass es große Ähnlichkeiten zwischen der Grundgesamtheit der Zuwandererpopulation und der Population ohne Zuwanderungsgeschichte gibt (die Zuwandererpopulation ist insgesamt etwas wertkonservativer, in den meisten abgefragten Bereichen aber nur um wenige Prozentpunkte). Zwischen den verschiedenen Milieus innerhalb der Gruppe der Menschen Vgl. hierzu z. B. Munsch/Gemende/Weber-Unger Rotino (2007), Boos-Nünning/Karakasolgu (2004), Herwartz-Emden (2000), Agha (1997), Farrokhzad (2007), Erel (2003) und Hummrich (2002). 18 Vgl. Sinus Sociovision 2007a und Wippermann 2008. 17
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mit Zuwanderungsgeschichte und auch zwischen den Geschlechtern sind meist weitaus deutlichere Unterschiede erkennbar als z. B. zwischen der Gruppe der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auf der einen und der Population ohne Zuwanderungsgeschichte auf der anderen Seite (z. B. Wippermann 2008, S. 70 ff.). Genauso lassen sich große Unterschiede zwischen den Geschlechterleitbildern innerhalb der Gruppe ohne Zuwanderungsgeschichte ¿nden, die in einer SinusStudie zu Fragen der Gleichstellung der Geschlechter (Sinus Sociovision 2007c) im Auftrag des BMFSFJ unter Betrachtung analoger Sinus-Milieus bei Deutschen entlang dreier Grundorientierungen (Tradition, Modernisierung, Neuorientierung) sichtbar werden. Es lässt sich also auch in den Geschlechterleitbildern beider Gruppen ein heterogenes Spektrum an Orientierungen von Wertkonservatismus und eher geschlechterstereotypen Eigenschaftszuschreibungen bis hin zu tendenziell egalitären Aufgabenzuschreibungen sowie weniger geschlechterstereotypen Eigenschaftszuschreibungen zu Mann und Frau ¿nden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine qualitative Studie zu 20-Jährigen ohne Migrationshintergrund (Sinus Sociovision 2007d), die ebenfalls eine Vielfalt an Orientierungen aufweisen (insgesamt jedoch zu progressiveren Einstellungen tendieren und gleichzeitig allen SinusMilieus außer dem konservativen, dem traditionsverwurzelten und dem DDRnostalgischen Milieu zugeordnet werden). Auch hier unterscheiden sich zudem die Orientierungen deutlich nach Geschlecht und Bildungshintergrund. Da unsere Forschungsarbeit ein besonderes Augenmerk auf die Geschlechterarrangements der jüngeren Generation legt, werden im Folgenden einige zentrale Erkenntnisse aus der Shell-Jugendstudie (die Jugendliche mit und ohne Zuwanderungsgeschichte einbezog) zusammengefasst (Hurrelmann/Albert 2006): ƒ
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Insgesamt ist bei den in Deutschland lebenden Jugendlichen eine hohe Familienorientierung festzustellen, entgegen der faktischen Tendenz zur AuÀösung von Ehe und Familie. 72 % der Jugendlichen sind der Meinung, dass man nur mit einer Familie wirklich glücklich leben kann. Die in den vergangenen vier Jahren angestiegene Familienorientierung lässt sich erklären mit zunehmenden Anforderungen und Unsicherheiten bezüglich Zukunftsperspektiven und Arbeitsmarkt, auch bei hohen Leistungsanstrengungen. Die meisten Jugendlichen sind mit ihrer Erziehung zufrieden und 71 % würden ihre Kinder ungefähr so oder genauso erziehen. 90 % kommen mit ihren Eltern gut zurecht. Mädchen und junge Frauen sind im Vergleich zu Jungen stärker familienorientiert, wünschen sich häu¿ger Kinder und sind früher in festen Partnerschaften. Gleichzeitig ziehen sie früher aus dem Elternhaus aus. Bei den Mädchen und jungen Frauen gab es insbesondere seit den 1990er Jahren eine (wieder aufkommende) Verstärkung der Familienorientierung.
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Zuwanderung und Geschlecht Der schulische und beruÀiche Ehrgeiz der Mädchen und jungen Frauen ist über die Jahre stark angestiegen und auch die Durchsetzungsstärke und Konkurrenzorientierung – vormals eher als „typisch männlich“ konnotierte Eigenschaften – haben deutlich zugenommen. Ergänzend ist hinzuzufügen, dass dies auch ausdrücklich für junge Frauen mit ausländischem Pass gilt. 84 % der Schulabgängerinnen mit ausländischem Pass halten es für sehr wichtig, dass eine Frau einen Beruf erlernt und über ein eigenes Einkommen verfügt (Cornelißen u. a. 2002, S. 25). Diese Orientierungen kombinieren viele Mädchen und junge Frauen jedoch häu¿g weiterhin mit als „typisch weiblich“ konnotierten Eigenschaften, wie soziale Hilfsbereitschaft und Toleranz. Der hohe Ausbildungsgrad der jungen Frauen schlägt sich im Vergleich zu den Männern jedoch noch nicht adäquat auf ihren beruÀichen Erfolg nieder. Bei gleichzeitig hoher Familienorientierung wird von zunehmend mehr Mädchen die traditionelle Hausfrauenrolle abgelehnt. Wichtige Attribute sind für sie u. a.: ein gutes Aussehen, aktiv sein, Freunde und einen interessanten Beruf haben, in einer harmonischen Beziehung leben und Kinder bekommen. Die überwiegende Mehrheit plant, Karriere und Familie zu verbinden. Auch eine im Zeitvergleich steigende Zahl von Jungen und Männern tritt für egalitäre Geschlechterleitbilder ein – gleichzeitig bleibt aber eine im Vergleich zu Mädchen und Frauen größere Gruppe von Jungen und jungen Männern im traditionellen Männer- und Frauenbild verhaftet, sieht z. B. die Aufgaben im Haushalt und die Kinderbetreuung weiterhin in der Hauptzuständigkeit der Frau und ist der Meinung, Frauen sollen, wenn Kinder da sind, zu Hause bleiben. Gleichzeitig macht sich bei den jungen Männern eine zunehmende Verunsicherung angesichts der Umorientierungen der Frauen breit. Zudem sind sie widersprüchlichen Erwartungen ausgesetzt (Stärke und Durchsetzungsvermögen, aber auch Einfühlsamkeit und für die Familie Zeit zu haben, Kinderbetreuung und Freizeitaktivitäten mit Freunden, erhöhte Anforderungen in der Arbeitswelt bei gleichzeitig erhöhten Anforderungen der Frauen, an Hausarbeit und Kinderbetreuung mitzuwirken etc.). Neben denen, die sich (z. T. auch aufgrund von Ängsten vor zu starker Konkurrenz der Frauen auf dem Arbeitsmarkt) gewissermaßen in traditionelle Geschlechterleitbilder „Àüchten“, gibt es eine noch kleine, aber wachsende Gruppe von jungen Männern, die sich in Bezug auf die Geschlechterrollen umorientieren und sich Àexibler zeigen. Die Sinus-Studie zu 20-Jährigen zeigt, dass dies u. a. bildungsabhängig ist (dies gilt auch für junge Frauen, die im Bereich der mittleren/niedrigen Bildungsniveaus zum Teil ebenfalls eher zu traditionellen Geschlechterleitbildern neigen, wenngleich in weit geringerem Ausmaß). Die Sinus-Studien (zu Deutschen und Migrantenmilieus) zeigen die hohe Bedeutung der Milieuzugehörigkeit, die auch für die jungen Menschen gilt.
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Ergänzend zu den oben dargestellten Forschungsergebnissen führen Cornelißen u. a. (2002)19 in ihrer Studie „Junge Frauen – junge Männer“ an, dass auch bei zunehmend egalitären Geschlechterleitbildern und Befürwortung von Gleichberechtigung diese insbesondere mit zunehmendem Alter und mit dem Vorhandensein von Kindern nicht im entsprechenden Maße in die Alltagspraxis umgesetzt wird. Hausarbeit und Kinderbetreuung gehen weiterhin faktisch zu Lasten der Frauen, deren diesbezügliche Arbeitsbelastung pro Tag (im Alter zwischen 15 und 30 Jahren) bei durchschnittlich drei Stunden und fünf Minuten liegt (Männer: 1 Stunde und 10 Minuten) und mit zunehmendem Alter innerhalb dieser Altersspanne kontinuierlich steigt (Cornelißen u. a. 2002, S. 127). Dieser Befund wird implizit sowohl für Jugendliche als auch für spätere Lebensphasen von der Sinus-Studie zu Gleichstellung (2007c) bestätigt, in der deutlich wird, dass der überwiegende Teil der „klassischen“ Haushaltsarbeiten (wie Bügeln, Wäsche, Kochen, Putzen, Einkaufen) von den Frauen erledigt wird (und dieser Prozentsatz beim Vorhandensein von Kindern noch ansteigt), während Männer weiterhin eher die als „männlich“ konnotierten Aufgaben übernehmen (z. B. Autowäsche, Reparaturen, Computerinstallation) und ihr Anteil an der Übernahme von „klassischen“ Haushaltsarbeiten mit dem Vorhandensein von Kindern noch sinkt. Der Blick auf diese Ergebnisse macht deutlich, dass Frauen weiterhin erheblich mehr Zeit für Hausarbeit und Kinderbetreuung aufwenden als Männer. Dieser letzte Befund ist wichtig, da in unserer empirischen Studie die befragte jüngere Generation zum Teil noch zu Hause bzw. noch nicht in einer Partnerschaft lebt. Zudem hat keine befragte jüngere Person bereits eigene Kinder. Die in der Analyse der empirischen Daten festgestellten Geschlechterleitbilder müssen im Folgenden klar als Orientierungen und Wunschvorstellungen gekennzeichnet werden – sie können sich im Verlauf des weiteren Lebens (mit eigenem Haushalt, Partnerschaft und ggf. Kindern) nachgewiesenermaßen erheblich ändern. 3.2
Frauen als Agentinnen von Wandlungsprozessen – Erkenntnisse aus der Frauenforschung
Die Diskurse über Mädchen und Frauen mit Zuwanderungsgeschichte sind nach wie vor stark geprägt von dem Bild der durch patriarchale Familienverhältnisse unterdrückten Frau ohne innerfamiliäre Macht und mit geringen Entscheidungskompetenzen (dies gilt vor allem für muslimische Frauen). Zudem wurden Frauen mit Zuwanderungsgeschichte lange als „Anhängsel“ zuwandernder Männer angesehen, indem sie entweder allein mit ihren Kindern am Herkunftsort zurückbleiDiese Studie analysiert verschieden Arbeiten zu jungen Frauen und jungen Männern, vornehmlich ohne, punktuell aber auch mit Zuwanderungsgeschichte.
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ben oder ihrem Ehemann folgen und von ihm abhängig bleiben. Jedoch zeigt die steigende Zahl an Forschungsarbeiten zu Lebenseinstellungen, Handlungsorientierungen und Geschlechterleitbildern von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte, dass dieses Bild nicht haltbar ist und man vielmehr eine große Vielfalt an Deutungsund Handlungsmustern von hier lebenden Frauen mit Zuwanderungsgeschichte vor¿ndet.20 Heute ist bekannt, dass bereits zu Zeiten der Arbeitsmigration über 20 % der zuwandernden Personen Frauen waren. Viele kamen zunächst allein und holten ihre Ehemänner und/oder Familien nach. Gleichzeitig waren sie bis in die 1970er Jahre hinein häu¿ger erwerbstätig als deutsche Frauen. Trotzdem wurden sie damals eher in ihren Rollen als Hausfrauen und Mütter erforscht und nicht als Erwerbstätige (Farrokhzad 2007). Manuela Westphal (2004) stellt unter Bezugnahme auf die internationale Migrationsforschung fest, dass Frauen häu¿ger als angenommen einen aktiven Anteil an Form und Verlauf familiärer Migration haben und ihre familiären und sozialen Netzwerke, ihre Arbeit und ihr Verdienst das Überleben der Familie im Herkunftswie im Aufnahmeland sichern. Zudem verdeutlicht sie, dass die sozialen, rechtlichen und ökonomischen Herkunfts- und Aufnahmebedingungen maßgeblich ihre Lebenssituation und ihre Einstellungen und Handlungsoptionen mitbestimmen. So ist häu¿g von hoher Relevanz, welchen Bildungshintergrund und welchen sozialen und beruÀichen Status die Frauen bereits im Herkunftsland hatten, ob sie aus einer dörÀichen oder städtischen Region kommen und ob sie bereits im Herkunftsland vom Land in die Stadt gezogen sind, welche unterstützenden Netzwerke sie sowohl im Herkunfts- als auch im Aufnahmeland haben. Darüber hinaus bestimmen neben innerfamiliären Aspekten auch die Bedingungen und die Aufnahmebereitschaft der Aufnahmegesellschaft die Lebens- und Sozialisationsbedingungen der Frauen erheblich mit. So ist mitentscheidend für die Integrationschancen der Frauen, ob sie einen sicheren Aufenthaltsstatus (auch unabhängig vom Ehemann) haben, inwieweit sie Zugang zu Bildung und Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, in welchem Wohnumfeld sie leben und in welcher Weise sie ggf. durch Beratungs- und Informationsangebote deutscher Einrichtungen unterstützt werden können. Ein großes Problem vieler Frauen mit Zuwanderungsgeschichte ist beispielsweise die Nicht-Anerkennung ihrer Bildungsabschlüsse und ihrer Berufserfahrung aus dem Ausland – dies kann im Aufnahmeland zu einer sozialen Deklassierung führen und auch die Geschlechterarrangements in den Familien (zu Ungunsten der Frauen) verändern. Mit Blick auf Geschlechterarrangements stellt sich also an dieser Stelle
20 Vgl. exemplarisch Westphal (2004), Herwartz-Emden (2000), Karakasoglu (1999, 2003), Lutz (1991), Boos-Nünning/Karakasoglu (2004), Riegel (2004), Guiterrez Rodriguez (1999) und Farrokhzad (2007).
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bereits die Frage, inwieweit diese kulturell beeinÀusst oder auch eine Folge von Desintegrationserfahrungen im Aufnahmeland sind. Die Rollenleitbilder von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte werden also mitbestimmt durch viele verschiedene Faktoren: Neben möglichen Orientierungen an der Herkunftskultur (die sehr unterschiedlich ausgeprägt sind), rechtlichen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen sind es auch das Rechts- und Institutionensystem sowie die Mitglieder der Aufnahmegesellschaft und ihre normativen Verhaltenserwartungen, die EinÀuss darauf ausüben. Die Studien von Herwartz-Emden (2000) und Boos-Nünning/Karakasoglu (2004) haben sich unter anderem den Geschlechterleitbildern von Frauen und Mädchen mit Zuwanderungsgeschichte gewidmet.21 Herwartz-Emden (2000) kommt zu folgenden zentralen Ergebnissen: ƒ
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Migration kann zu einem verstärkten familiären Zusammenhalt und zu einer stärkeren Koorientierung der Zuwandererfamilien untereinander führen. Dies ist der Migrationssituation geschuldet, durch welche besondere Ressourcen und Unterstützernetzwerke erforderlich sind – auch und gerade für Integrationsbemühungen. Daher schließen sich eine hohe Familienorientierung und innerethnische Orientierung bei Integrationsbemühungen nicht notwendigerweise gegenseitig aus. Gerade Frauen sind häu¿g „Agentinnen“ von Wandlungsprozessen in ihren Familien und in den ethnischen Communities, sie leisten dadurch nicht selten einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der gesamten Familie im Aufnahmeland. Die Erwerbstätigkeit der Frauen (im Aufnahmeland), insbesondere im Status der Pioniermigrantinnen 22, befördert ihre Rolle als Agentinnen von innerfamiliären Wandlungs- und Integrationsprozessen in die Gesellschaft. Bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie leben Frauen mit Zuwanderungsgeschichte eher ein Weiblichkeitskonzepts23 des „Sowohl-Als-Auch“, die Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte eher ein „Entweder-Oder“. Sie sehen am stärksten eine Verbindung zwischen Mutterschaft und Selbstaufgabe
21 Die Arbeit von Herwartz-Emden bezieht sich eher auf Einwanderinnen der ersten Generation, während die Arbeit von Boos-Nünning/Karakasoglu sich ausschließlich mit der jüngeren Generation (15 bis 21 Jahre) beschäftigt. In beiden Arbeiten werden mehrere Nationalitäten, vor allem Mädchen und Frauen aus der Arbeitsmigration und dem Aussiedlerkontext, zum Teil im Vergleich mit deutschen Frauen, befragt. 22 Mit „Pioniermigrantinnen“ sind Frauen gemeint, die von der Familie als Erste in das Aufnahmeland eingewandert sind, häu¿g im Rahmen der Arbeitsmigration. 23 Mit „Weiblichkeitskonzept“ ist die Vorstellung davon gemeint, welche Aspekte aus Sicht der Frauen zum „Frausein“ dazugehören bzw. integraler Bestandteil ihres Lebens als Frau sein sollen.
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Zuwanderung und Geschlecht bzw. Verzicht auf Selbstverwirklichung und befürworten am häu¿gsten die Notwendigkeit eigener beruÀicher Einschränkungen durch Kinder. Der Grad der Liberalität und der Emotionalität in den Erziehungseinstellungen steigt bei Frauen mit Zuwanderungsgeschichte u. a. mit höherem Bildungsniveau, jüngerem Alter, geringerer Kinderzahl und einer positiven Beziehung zur Bundesrepublik. Zudem ist bei mehr Frauen mit als ohne Zuwanderungsgeschichte insgesamt etwas häu¿ger mütterliche Kontrolle festzustellen. Dies korreliert wiederum mit ihrer besonderen Sorge um die Zukunftssicherung der Kinder. Damit gehen häu¿g auch hohe Erwartungen an die Bildungsmotivation der Kinder einher. Frauen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte wiesen in dieser Arbeit die stärkste Ausbildungsmotivation auf. Gleichzeitig gab diese Gruppe am häu¿gsten an, keine Ausbildungsmöglichkeiten gehabt zu haben.
Die Arbeit von Boos-Nünning und Karakasoglu (2004) zu Mädchen und jungen Frauen mit Zuwanderungsgeschichte kam zu folgenden Ergebnissen: ƒ ƒ
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Die meisten der befragten jungen Frauen bestehen auf einer selbstbestimmten Partnerauswahl (87 %). Lediglich 4 % von ihnen ¿nden es „sehr gut“ oder „gut“, gemeinsam mit den Eltern einen Ehemann auszusuchen. Konventionellen Geschlechterarrangements in der Familie stimmen nur rund ein Viertel aller Befragten zu. Dabei wird am meisten das Ansinnen abgelehnt, dass dem Mann der Beruf und der Frau der Haushalt vorbehalten sei. Nach Meinung der weitaus meisten Befragten sollen Mann und Frau gleichermaßen zum Haushaltseinkommen beitragen. Die elterliche Erziehungspraxis beschreiben lediglich 8 % der befragten jungen Frauen mit „sehr streng“ oder „streng“ (8 %), dagegen sehr häu¿g als „streng, aber liebevoll“ (58 %) und auch relativ häu¿g als „locker“ (31 %). Unter denen, die ihre Erziehung als „streng“ beschreiben, ¿ nden sich vor allem Frauen jugoslawischer Herkunft und Frauen aus dem Aussiedlerkontext, nicht die Frauen türkischer Herkunft. Sowohl bei den jungen Frauen mit Zuwanderungsgeschichte als auch bei deren Eltern bestehen durchgängig hohe Bildungsaspirationen und Wünsche, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, und viele Eltern versuchen ihre Töchter so gut es geht zu unterstützen. Vor allem bei den Mädchen aus bildungsfernen Familien sind jedoch häu¿g nur eine moralische Unterstützung und eine Unterstützung durch Nachhilfe möglich. Gleichzeitig wird ihnen nicht selten sowohl von den Eltern als auch von der Schule ein hohes Maß an Leistungsvermögen und Selbstdisziplin abverlangt, da sie in der Phase des Schulbesuchs stärker als Kinder aus „bildungsnahen“ Elternhäusern auf sich selbst angewiesen sind.
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Den eben quer zu den Nationalitätengruppen vorgestellten Ergebnissen folgen einige Erkenntnisse zu den in dieser Forschungsarbeit relevanten Gruppen, nämlich Frauen und Männer mit türkischer Zuwanderungsgeschichte und Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion. Hier werden (in Kurzform) die Ergebnisse in den jeweiligen regionalen Migrationskontext eingebettet. Wie bereits erwähnt, waren für die türkische Gruppe in Deutschland, historisch gesehen, insbesondere die Arbeitsmigration und die politische Migration prägend (vgl. Kap. 3.1). Oft wird dabei von männlichen Gastarbeitern ausgegangen. Von den zwischen 1961 (Anwerbeabkommen mit der Türkei) und 1973 aus der Türkei angeworbenen Arbeitskräften waren jedoch 21,3 % Frauen (Eryilmaz 1998, S. 134). Sie kamen in den 1960er Jahren vor allem als quali¿zierte und alleinstehende Frauen aus den Städten der Türkei, ab Ende der 1960er Jahre auch zunehmend mit niedrigerem Bildungshintergrund und aus ländlicheren Gebieten. Nach Nauck (1998, S. 10) weisen Familien, bei denen die Ehefrau/Mutter die Pioniermigrantin war, eine besonders hohe strukturelle Flexibilität auf. Da diese Flexibilität nicht immer auf allen Ebenen gleichzeitig anzutreffen ist, konnte die Stellung der Frau als Pioniermigrantin und damit ihre Rolle als Ernährerin der Familie (vorübergehend) zu KonÀikten innerhalb der Familie führen. Abadan-Unat (1993, S. 220 ff.) beurteilt dies etwas optimistischer. Sie hat festgestellt, dass in der Pioniermigration im Rahmen der Anwerbephase besonders für Frauen Entwicklungschancen lagen, die ihre Position in der Familie begünstigen konnten. Sie waren berufstätig und brachten damit „das Geld nach Hause“; außerdem hatten sie häu¿g den besseren Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft. Diese Bedingungen konnten das Selbstbild dieser Frauen signi¿kant verändern, ebenso wie ihre Macht- und Entscheidungsbefugnisse innerhalb der Familie (sofern die Familie vorher männerdominiert war). Die Frauenquote der Angeworbenen erhöhte sich im Verlauf der Phase der Arbeitsmigration – ein Grund war u. a. der wachsende Arbeitskräftebedarf in den als „frauentypisch“ geltenden Niedriglohnbranchen und eine damit verbundene gezielte Anwerbung weiblicher Zuwanderinnen ab Mitte der 1960er Jahre (z. B. in die Metall- und Elektroindustrie für ¿ligrane Handarbeiten, in die Textilbranche und die Nahrungsmittelindustrie) (Karakasoglu 2003, S. 35). Die Angeworbenen nahmen dann innerhalb der Familien häu¿g eine Pionierrolle ein, verbunden mit innerfamiliären weitreichenden Entscheidungskompetenzen. Die Erwerbsquote von Zuwanderinnen lag in Deutschland in der Hochphase der türkischen Arbeitsmigration entsprechend hoch (1970 bei 71,6 %, während zugleich nur ein gutes Drittel der deutschen Frauen erwerbstätig war) (Westphal 1996, S. 18). Weitgehend unbekannt ist, dass mit der so genannten Stichtagsregelung vom 30.11.1974 ein Arbeitsverbot für Zugewanderte im Zuge der Familienzusammenführung eingeführt wurde – dies traf in der großen Mehrheit Frauen (und Kinder/Jugendliche). Die nach dem Stichtag eingereisten Ehepartnerinnen/Ehepartner und Jugendlichen erhielten keine Arbeitserlaubnis mehr. Diese Regelung traf die neu zugewanderten
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Ehefrauen besonders hart, da sie, nachdem lange Zeit bevorzugt Frauen angeworben worden waren, mit solchen restriktiven Regelungen nicht gerechnet hatten. Unter diesen Umständen konnten Familien unerwartet auf nur ein Familieneinkommen angewiesen sein. Die Folgen dieser Regelung drücken sich in den Beschäftigtenzahlen der türkischen Frauen aus: Durch instabile Beschäftigung und zusätzliche Zuwanderung in Erwerbslosigkeit sank ihre Beschäftigtenquote von 62 % im Jahr 1973 auf 52 % im Jahr 1975 (Erdem/Mattes 2003, S. 174). Zugleich bedeutete diese Maßnahme eine höhere ökonomische und soziale Abhängigkeit dieser Frauen von ihren Ehemännern, was auch einen innerfamiliären Autonomieverlust verursachte oder der Grund dafür war, dass die Frauen erst gar keine Autonomie entwickeln und gestalten konnten (im Gegensatz zu vielen Pioniermigrantinnen).24 Hier zeigt sich deutlich, dass kulturelle Erklärungsmuster bei der Beurteilung von weiblichen Erwerbsquoten zu kurz greifen und dass vielmehr auch rechtliche Rahmenbedingungen Berücksichtigung ¿nden müssen. Mit Blick auf die Gegenwart lässt sich festhalten, dass die Prozesse der Familienbildung und die innerfamiliären Beziehungen in türkischen Familien sehr heterogen sind – dies zeigen verschiedene Studien und dies bezieht sich gleichermaßen auf in der Türkei wie in Deutschland lebende Familien.25 In beiden Ländern gibt es sowohl die Lebensform der Großfamilie als auch die der Kleinfamilie, wie sie häu¿g als typisch für westliche Industrienationen wahrgenommen wird. Außerdem sind unterschiedliche Einstellungen gegenüber den Geschlechterleitbildern und Geschlechterpraxen sowie unterschiedliche Erziehungsstile feststellbar. Diese sind wiederum stark vom Bildungsgrad, von der sozialen Schicht sowie von der regionalen Herkunft und den damit zusammenhängenden wirtschaftlichen und strukturellen Lebensbedingungen abhängig. So waren und sind z. B. in der Türkei Bildung und Berufstätigkeit für Frauen zugleich Ressourcen und Möglichkeitsräume, durch welche sie ein erhöhtes Maß an Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein erlangen können (Abadan-Unat 1993, S. 53) und dies gilt eben auch für die in Deutschland lebenden Frauen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte. Zu Erziehungsvorstellungen und Erziehungsstilen bei türkischen Vätern und Müttern sowie deren Bildungsaspirationen hat Nauck (1998) herausgearbeitet, dass viele türkische Eltern gegenüber ihren Kindern weniger eine rigide Durchsetzung elterlicher Erwartungen, sondern vielmehr, insbesondere gegenüber den Mädchen, einen behütenden Erziehungsstil praktizieren. Mit Ansteigen des Bildungsniveaus der Eltern wird der behütende durch einen permissiven bzw. „liberaleren“ Erziehungsstil ersetzt (den Söhnen und Töchtern wird mehr „erlaubt“, z. B. bezüglich abendlicher Freizeitgestaltung). Zudem haben sich sowohl die Erwartungen an eine Die Stichtagsregelung wurde 1980/81 durch eine Wartezeitregelung ersetzt, wonach Jugendliche nach zwei und Ehepartner nach vier Jahren eine Arbeit aufnehmen durften. 25 Vgl. exemplarisch Nauck (1997, 1998), Herwartz-Emden (2000) und Karakasoglu-Aydin (1999). 24
Frauen als Agentinnen von Wandlungsprozessen
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¿nanzielle Beteiligung der Kinder am Familieneinkommen als auch die Erwartungen an eine Unterstützung der jüngeren Geschwister tendenziell reduziert. Dass dies der Migrationssituation geschuldet ist, zeigt eine Untersuchung türkischer Familien in Istanbul, wo die ökonomisch-utilitaristischen Erwartungen26 der Eltern an ihre Kinder und insbesondere Töchter weiterhin hoch sind (Nauck 1998, S. 15 ff.). Eine Ursache für diesen tendenziellen Wandel in den elterlichen Einstellungen kann in dem Vorhandensein eines ausgebauten staatlichen Sozialsystems in der Bundesrepublik liegen. Aber auch die Eltern, welche aus einem urbanen Kontext in der Türkei stammen und gleichzeitig einen höheren Bildungsstand aufweisen, neigen eher zu psychologisch-emotionalen als zu ökonomisch-utilitaristischen Nutzerwartungen (Nauck 1998, S. 29). Die Pluralität der Familienstrukturen und Erziehungsstile bei Familien mit türkischer Zuwanderungsgeschichte wurde immer wieder in verschiedenen Studien thematisiert.27 Zu Frauen mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion: Folgende Hintergrundinformationen, u. a. zu der Thematik, inwieweit Frauen mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion Gleichberechtigung als gesellschaftlich wichtiges Thema bewerten, sind erwähnenswert: Russland hatte bereits Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts eine im europäischen Vergleich progressive Emanzipationspolitik, so dass die Kommunisten bei der Machtergreifung kaum Möglichkeiten hatten, die schon zustande gekommenen gesellschaftlichen Entwicklungen zu ignorieren.28 In der ehemaligen Sowjetunion war die Gleichberechtigung der Frau in den Wahlprogrammen aller großen Parteien mehr oder weniger explizit verankert. Das Ergebnis der langjährig betriebenen (formalen) Gleichberechtigungspolitik: Es gab zwar eine z. B. im Vergleich zu Deutschland sehr hohe Erwerbsquote bei den Frauen und ein entsprechend gut ausgebautes öffentliches Kinderbetreuungssystem; gleichzeitig gab und gibt es in Russland (immer noch) keine wirksamen Debatten um die gleiche Entlohnung zwischen Männern und Frauen. Daneben genießen Frauen aber hohe Privilegien in der wissenschaftlichen Sphäre und bei der Besetzung von wichtigen gesellschaftlichen Posten. Weniger deutlich ist dagegen die Teilhabe im wirtschaftlichen und politischen Feld (aktive Partizipation und allgemeines Interesse), was teilweise mit der allgemeinen Lebenslage/mit allgemeinen Interessen zu erklären ist. So haben eher wenige Frauen zeitliche Kapazitäten für das Engagement in Wirtschaft und Politik, nicht viele von ihnen nehmen aktiv an anderen Bereichen des öffentlichen Lebens teil. 26 Mit „ökonomisch-utilitaristischen Erwartungen“ sind Erwartungen der Eltern an ihre Kinder dahingehend gemeint, dass diese z. B. zum Familieneinkommen beitragen, ihre Eltern im Alter unterstützen sollen etc. 27 Vgl. exemplarisch Familienbericht 2000, Herwartz-Emden 2000, Ofner 2003 und Hummrich 2002. 28 Vgl. Orlow/Georgijew/Georgijewa/Siwohina 2006.
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Michael Frey (2003) beispielsweise hat die Lebenswünsche und Orientierungen von Frauen in Russland untersucht. Zu den dort favorisierten Lebenszielen gehörten u. a. verlässliche Freunde, Selbstachtung, Respekt von der Umgebung, wahre Liebe, ehrliches Leben, Gründung einer glücklichen Familie, eigene Wohnung, seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen und eine gute Kindererziehung. Favorisierten jüngere Befragte unter ihren Lebenszielen mehr die Karriere, Bildung, Status und Reisen, stehen bei den Älteren Ziele, die mit privaten Aspekten des Lebens verbunden sind und die auf „weibliche“ familiäre Rollen hinweisen, eindeutig an erster Stelle. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass „Karrieristinnen“ in Russland häu¿ger glücklich verheiratet sind (Frey 2003). Die innerfamiliären Einstellungen zu Gleichberechtigung in Russland (damals und heute) sind genauso wie in der deutschen Gesellschaft eine Frage der sozialen Schichtzugehörigkeit (Sinus Sociovision 2007a und b, 2008; Wippermann 2008; Liboranika 2009). Dass ein Großteil der russischen Frauen, der zu keinem sozial und wirtschaftlich privilegierten Milieu gehört und sich folglich in keiner günstigen Situation im Bereich der Gleichberechtigung be¿ndet, keine bessere Ausgangslage erreichen will, lässt sich aber nur noch bedingt veri¿zieren. In der Tat sind die russischen Frauen häu¿ger diejenigen Personen, die für alle Familienmitglieder sorgen, dies zum Teil auch komplett für ihre (Ehe-)Männer übernehmen, einen vollen Arbeitstag haben, sich um den Haushalt und z. B. die Gartenarbeit kümmern. Die schwierige postsowjetische Zeit (beispielsweise mit größeren sozialen Unsicherheiten, Arbeitslosigkeit) erforderte von jedem Einzelnen eine Umorientierung, die in vielen Familien nicht reibungslos vonstatten ging. In Bezug auf die Situation in Deutschland lässt sich festhalten, dass die Nicht-Anerkennung vorhandener Bildungs- und Berufsabschlüssen sowie von Bildungs- und Berufserfahrung bei nicht vorhandenen oder nicht dokumentierbaren Abschlüssen nicht nur für die Männer, sondern auch für die Frauen ein bedeutsames Thema ist und sie in ihren Entfaltungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik erheblich einschränkt. Viele hochquali¿zierte Frauen (z. B. Lehrerinnen, Ingenieurinnen) arbeiten als Putzkräfte in Deutschland oder üben andere niedrig quali¿zierte Tätigkeiten aus und benötigen entsprechend passgenaue Unterstützung in Bildungs- und Berufsbelangen. Trotz der in der Bundesrepublik vorhandenen strukturellen Barrieren und der oft daraus erwachsenden schwierigen innerfamiliären, intergenerationalen Umstrukturierungsprozesse haben viele dieser Frauen ihren Optimismus bezüglich ihrer Zukunftsperspektiven nicht verloren. Viele von ihnen sind zudem in der Lage, große Veränderungen in Bezug auf den eigenen Lebensstil in Kauf zu nehmen, was eine hohe Flexibilität beweist. Durch die innerfamiliären Umstrukturierungen und Umorientierungen lassen sich jedoch manches Mal, z. B. bei den Aussiedlerfamilien in Deutschland, auch KonÀikte konstatieren, und zwar in Bezug auf den zwischengeschlechtlichen Umgang (Lakizyuk 2006, S. 583 ff.) –
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dies lässt sich u. a. darauf zurückführen, dass die Frauen sich mehr zutrauen und autonomer werden (Lakizyuk 2007). Auf die Frage, inwieweit die Geschlechterrollenleitbilder und Geschlechterpraxen der Frauen aus Russland auf ihre Integration in Deutschland EinÀuss nehmen, kann man keine eindeutige Antwort geben. Einerseits können traditionelle Normen in Bezug auf Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen (mit Ausnahme der Erwerbsarbeit) ein Hindernis bei der Neuorientierung in der Mehrheitsgesellschaft darstellen. Auf der anderen Seite sind der häu¿g anzutreffende Àexible Umgang auch mit schwierigen Lebenssituationen sowie die Bereitschaft zum Engagement innerhalb des familiären und beruÀichen Lebens ein großer Vorteil. Die Frauen sind i. d. R. gut gebildet, haben gute Potenziale der Beteiligung am öffentlichen Leben und bringen auch die Bereitschaft mit, bei entsprechender Förderung neue Strategien des Umganges mit der „Außenwelt“ kennenzulernen.29 Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse, die viele Klischees widerlegen bzw. aufzeigen, dass es eine große Bandbreite von Rollenorientierungen und ihren EinÀüssen bei Familien mit Zuwanderungsgeschichte gibt, ist die Befragung von Väter-Söhnen- und Mütter-Töchter-Paaren aus verschiedenen Nationalitäten eine interessante Herausforderung. Denn dadurch ist im Unterschied zu den genannten Studien ein unmittelbarer Zugang zu intergenerationalen Beziehungen gewährleistet – Kinder erzählen nicht über ihre Eltern, sondern Eltern und Kinder berichten gemeinsam über ihr Verhältnis zueinander und die daraus und aus biographischen Erfahrungen, Handlungs- und Deutungsmustern resultierenden Rollenleitbilder. 3.3
Männer in Bewegung – Erkenntnisse aus der Männerforschung
Anders als in der Frauenforschung sind Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in der Männerforschung bisher ein wissenschaftlich kaum beachtetes Randthema. Insofern ist es eine Aufgabe dieses Kapitels, Forschungsdesiderate zu benennen und anschließend einige ausgewählte Erkenntnisse bisheriger Studien zu referieren. Besser als in der Männerforschung ist die Forschungslage in der Jugendforschung, wo es inzwischen einige Studien über männliche Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte gibt.30 Insbesondere männliche Jugendliche mit türkischer und russischer Zuwanderungsgeschichte werden in gesellschaftlichen Diskursen meist einseitig aus De¿zit- und Negativperspektive gesehen, in der Regel im Kontext von Gewalt und Kriminalität. Zu kritisieren sind allerdings nicht nur die Desintegrationsprobleme und konservativen Männlichkeitsleitbilder und -praxen in Teilen dieser Zuwanderergruppen, sondern auch einige Engführungen und SchieÀagen 29 30
Vgl. exemplarisch Pfeiffer/Kleimann/Petersen/Schott 2004 und Luff 2005. Vgl. beispielsweise Scheibelhofer 2005; King 2005; Spindler 2006; Mertol 2008.
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bisheriger wissenschaftlicher Analysen in diesem Themenfeld. Gerd Stecklina (2007) rekonstruiert kritisch ethnisierende Männlichkeitsdiskurse über männliche Jugendliche mit türkischer und russischer Zuwanderungsgeschichte und fordert, die Themen Männlichkeit und Ethnizität zukünftig differenzierter zu untersuchen. Auffällig ist nun, dass das Interesse des Forschungsmainstreams an männlichen Zugewanderten nach dem Jugendalter in aller Regel endet. Studien über erwachsene männliche Zuwanderer, ihren Alltag und ihre Lebensentwürfe als Männer/Väter existieren kaum. Diese Forschungslücke ist beim Thema der zugewanderten Männer aus der ehemaligen Sowjetunion noch beträchtlicher als bei den Männern mit türkischer Zuwanderungsgeschichte. Daher gilt für die Männer forschung weitgehend auch heute noch die Kritik von Holger Brandes (2002, S. 25): Ihm zufolge ist „die Erforschung ethnischer und nationaler Unterschiede von Männlichkeit weiterhin eine Leerstelle in der deutschen Forschung“. In der Männerforschung werden aktuell meist nur die Vielfalt männlicher Lebensformen und die Entwicklung von Deutschen ohne Zuwanderungsgeschichte dargestellt; (junge) Männer mit Zuwanderungsgeschichte sind dagegen nicht repräsentiert. Andererseits gibt es in der Migrationsforschung Studien, die sich mit Männern oder Vätern beschäftigen. Viele dieser Untersuchungen nehmen jedoch nicht systematisch Bezug zu Theorien und Begriffen der Geschlechter- oder Männerforschung, weil in ihnen Fragen der Integration und Akkulturation dominieren. In der Migrationsforschung fehlen überwiegend auch Vergleichsgruppen von deutschen Männern ohne Zuwanderungsgeschichte. Fazit: Bisher ist es kaum gelungen, Aspekte des Wandels von Männlichkeit(svorstellungen) in vergleichender Perspektive auf Männer mit und ohne Zuwanderungsgeschichte zu untersuchen. Dringend erforderlich sind daher solche vergleichenden Forschungsansätze wie in der vorliegenden Studie, die sich gleichermaßen an neueren Erkenntnissen der Männer- wie Migrationsforschung orientieren. Nur so wird es zum einen möglich, ethnisch-kulturelle Aspekte in ihren Auswirkungen auf Geschlechterarrangements klar von anderen (beispielsweise strukturellen) EinÀussfaktoren zu trennen. Zum anderen können nur in vergleichender Perspektive auch Gemeinsamkeiten von (jungen) Männern unterschiedlicher Herkunft herausgearbeitet werden, wenn die Situation (junger) Männer beispielsweise (zusätzlich) kontrastiv entlang ihrer jeweiligen Bildungsniveaus untersucht wird. Die Studien „Männer in Bewegung“ von Rainer Volz und Paul Zulehner (2009) und „Rolle vorwärts – Rolle rückwärts ?“ von Sinus Sociovision (Wipper mann/ Calmbach/Wippermann 2009) dokumentieren mit ihren reichhaltigen empirischen Daten, dass sich die Männerforschung in Deutschland inzwischen etabliert hat. Die Studie von Wippermann u. a. enthält aufschlussreiche Befunde bezüglich Einstellun-
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gen zu Gleichstellung und Retraditionalisierung sowie zu Geschlechterleitbildern, Geschlechterpraxen31 und Geschlechtsidentitäten. Wichtige Erkenntnisse sind: ƒ
ƒ ƒ ƒ
Sowohl Männer als auch Frauen haben ein steigendes Interesse an Gleichstellung – bei Frauen ist dies jedoch ausgeprägter. Bei Männern hat Gleichstellung zwar den Rang des sozial Erwünschten erreicht, die diesbezüglichen Einstellungen sind aber stärker als bei den Frauen von Brüchen und Ambiguitäten gekennzeichnet (z. B. betonen 84 % der Männer, dass sie in einer gleichberechtigten Partnerschaft leben, andererseits praktizieren im Bereich Hausarbeit ebenso viele eine traditionelle Geschlechterrollenteilung). Es ließ sich bei den befragten Männern demnach eine Diskrepanz zwischen Einstellungen zu Gleichstellung auf der einen und dem tatsächlichen Verhalten auf der anderen Seite feststellen. Die Geschlechtsidentitäten der Männer ließen sich typisieren nach: Starker Haupternährer der Familie (23 %), Lifestyle-Macho (14 %), Moderner „neuer“ Mann (32 %) und Postmoderner, Àexibler Mann (31 %). Hausmann oder Zuverdiener werden nicht als attraktive Rollenbilder gesehen. Die selektive Entlastung der Frau im Bereich der Haushaltsaufgaben ist bei den befragten Männern der dominante Verhaltenstypus (49 %), gefolgt von der traditionalistischen Delegation (31 %), der Single-Versorgung (18 %) und zuletzt der gleichgestellten Arbeitsteilung (7 %).
Nachfolgend einige Erkenntnisse aus der Studie von Volz und Zulehner (2009): Zehn Jahre nach ihrer ersten großen Männerstudie „Männer im Aufbruch“ (Zulehner/Volz 1999) haben die Autoren erneut vier Männertypen herausgearbeitet. Dem „teiltraditionellen“ Typ, der sein Lebenskonzept stark an der Ernährerfunktion festmacht, können 27 % der Befragten zugerechnet werden. Gleichberechtigte partnerschaftliche Arbeitsteilung und eine engagierte Väterlichkeit zeichnen den „modernen“ Mann aus, dem 19 % der Untersuchten zugeordnet werden können. Der „balancierende“ Männertyp wählt sich ganz pragmatisch für seinen Lebensentwurf aus traditionellen und modernen Werten aus, was ihm gefällt. Dieser Typus ist zu 24 % in der Untersuchungsgruppe vertreten. Der „suchende“ Mann, der mit 30 % den größten Anteil der Befragten ausmacht, hat mit seinem Lebensmodell noch keine klare Position zwischen traditionellen und modernen Orientierungen gefunden. Die Stichprobe dieser Männerstudie umfasst Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft, mit untersucht wurden aber auch Personen mit Zuwanderungs-
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Allerdings wurden Personen mit Zuwanderungsgeschichte nicht systematisch berücksichtigt.
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geschichte.32 Konkrete Details zu Aussagen der befragten Männer mit Zuwanderungsgeschichte fehlen in der Studie jedoch und es wird nicht diskutiert, wie die dargestellte Verteilung der Männertypen nach Zuwanderungsgeschichte (vgl. Volz/Zulehner 2009, Abb. 14 und 15, S. 40 f.) zu erklären sein könnte.33 Dabei wäre ein Vergleich zwischen Deutschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte hoch relevant, um die vorhandenen Unterschiede wie Ähnlichkeiten im Männerleben zu ergründen – auch bezüglich der Relevanz ethnisch-kultureller Aspekte. Da diese Studien Einstellungen bzw. Wahrnehmungen erforschen, sind ergänzende Zeitbudgetstudien ein für die Männerforschung relevanter Forschungszugang, mit dem sich empirisch der Wandel von familialen Geschlechterarrangements nachzeichnen lässt. Unter anderem haben Peter Döge und Rainer Volz (2004) die Balance von Beruf und Familie bei Männern analysiert und darauf hingewiesen, dass Männer im Durchschnitt doppelt so viel Zeit für Erwerbsarbeit verwenden wie Frauen, für Haus- und Familienarbeit dagegen nur zwei Drittel der Zeit, die Frauen dafür investieren (vgl. Döge/Volz 2004, S. 22). Auf diese Weise lassen sich zwar auf breiter empirischer Datenbasis Aussagen über männliche Praxen in verschiedenen familiären Arbeitsteilungsmodellen treffen, Frauen und Männer mit Zuwanderungsgeschichte wurden aber in den Zeitbudgeterhebungen bislang nicht untersucht. Fehlen aber solche grundlegenden empirischen Daten über Geschlechterarrangements von Zugewanderten, dann ist die Gefahr groß, dass ethnisch-kulturelle Erklärungsmuster dort bemüht werden, wo sie faktisch nicht für die ihnen zugeschriebenen Effekte verantwortlich sind (oder nicht in dem behaupteten Ausmaß). Die in den oben genannten aktuellen Männerstudien detailliert erforschte Spannung zwischen modernen und traditionellen Geschlechterleitbildern ¿ndet sich in ähnlicher Weise in einer Studie des Zentrums für Türkeistudien (Goldberg/Sauer 2004), in der die Lebenssituation von Frauen und Männern türkischer Herkunft in Nordrhein-Westfalen untersucht wird: Männer und Frauen türkischer Herkunft sind sich hinsichtlich ihrer Einstellungen zu Geschlechterleitbildern demnach ähnlicher als oft vermutet. Die Ergebnisse überraschen, weil sie gängigen Stereotypen teilweise widersprechen. Auch einige Frauen halten an traditionellen Geschlechterleitbildern fest und umgekehrt favorisiert ein beträchtlicher Teil der Männer diesbezüglich moderne Vorstellungen. So stimmen beispielsweise der 32 Zur Erläuterung: In der Studie wird der Begriff „Migrationshintergrund“ auch als statistische Größe verwendet – in der vorliegenden Studie wird der Begriff „Zuwanderungsgeschichte“ auch hierfür synonym verwendet. 33 Den Autorinnen und Autoren dieser Studie ist durch Michael Tunç, der als Migrationsexperte die Studie von Volz/Zulehner (2009) begleitet hat, und durch eine entsprechende Information seitens der Auftraggebenden bekannt, dass die Stichprobe der Befragten mit Zuwanderungsgeschichte zu klein war. Daher ist zu kritisieren, dass diese methodischen Probleme in den Veröffentlichungen nicht diskutiert wurden.
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Aussage, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern eine wichtige politische Problemlage darstellt, 84 % der Frauen und 78 % der Männer zu. Die Realität entspricht den geäußerten normativen Vorstellungen aber nicht. Denn mehrheitlich sind Frauen für die Familienarbeit zuständig, partnerschaftliche Arbeitsteilung ist wenig verbreitet und so können Frauen ihren Wunsch nach Ausbildung und Erwerbsarbeit häu¿g nicht verwirklichen. „Andererseits ist dieses Modell sowohl bei Frauen als auch bei Männern zumindest normativ umstritten, je rund die Hälfte unterstützt ein traditionelles bzw. ein modernes Frauenbild“ (Goldberg/Sauer 2004, S. 205). In der Tendenz gibt es insofern Herkunft übergreifende Ähnlichkeiten zwischen Männern, was die Umsetzung der teilweise geäußerten Gleichstellungsrhetorik betrifft. Es bleibt also festzuhalten, dass es für Männer mit und ohne Zuwanderungsgeschichte noch weiterer Veränderungen bedarf, bis die Ziele der Emanzipation erreicht sind. Zugewanderte türkische Männer der ersten Generation untersucht die Studie von Margret Spohn (2002). In ihrer qualitativen Studie mit türkischen Männern der ersten Zuwanderergeneration kommt sie zu dem Ergebnis, dass diese Männer verschiedene Familienmodelle entwickeln, die sowohl durch Orientierung an Individualität als auch durch die PÀege familiärer emotionaler Beziehungen gekennzeichnet sind. Die Männer bilden ihre eigenen Leitbilder von Männlichkeit vor allem aus, indem sie sich mit den vom Vater oder anderen Respektspersonen vorgelebten Modellen auseinandersetzen, d. h. diese für sich ablehnen oder annehmen. Insofern hatten schon Männer im Herkunftsland damit begonnen, das vorgefundene Männerleitbild in Frage zu stellen. Teilweise ermöglichte es ihnen aber erst die Lebenssituation in Deutschland (und die Unterstützung ihrer Frauen), den eigenen Lebensplan und das mitunter schon vor der Migration gewünschte Männerleitbild zu realisieren. Für andere Männer löst das Leben in Deutschland einen Prozess der Bewusstwerdung aus, bei dem sich die eigene Position in Abgrenzung zum deutschen wie türkischen Umfeld bildete. „Sowohl die ‚türkischen‘ als auch die ‚deutschen‘ Modelle hegemonialer Männlichkeit werden dabei kritisch analysiert, aber auch in plakativer Weise vereinfacht. In allen Fällen ¿ndet jedoch eine aktive Auseinandersetzung statt. Es ist keineswegs so (…), dass die türkischen Migranten der ersten Generation unverändert und starr an alten Bildern festhalten.“ (Spohn 2002, S. 440). Die von Spohn interviewten Zugewanderten nehmen sehr deutlich wahr, „(…) dass ihnen seitens des deutschen Umfelds Eigenschaften zugeschrieben werden, die mit ihrem Selbstbild nicht übereinstimmen. (…) Die befragten Männer hingegen de¿ nieren sich als fürsorgliche, warmherzige und großzügige Väter, denen das Wohl ihrer Kinder und ihrer Familie wichtiger ist als die eigenen Entbehrungen und die harte Arbeit, die sie für eine bessere Zukunft ihrer Kinder auf sich nehmen müssen“ (Spohn 2002: S. 442 f.). Auf die weiter oben bereits dargestellte Studie „Einwandererfamilien“ (Herwartz-Emden 2000), die auch gezielt Väter untersuchte, werden wir nachfolgend
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näher eingehen. Manuela Westphal (2000) bezieht sich in dieser Studie auf die gleichen Gruppen wie das vorliegende Forschungsprojekt: Sie vergleicht Väter der ersten Generation von Zugewanderten aus Spätaussiedlerfamilien, aus Familien türkischer Arbeitsmigranten und Väter westdeutscher Familien ohne Zuwanderungsgeschichte. Ihre Haupterkenntnisse sind: Die Zugewanderten verstehen ihr Vatersein nicht nur im Sinne der Versorger- und Ernährerrolle, sie sind bestrebt, sich Zeit für ihre Kinder zu nehmen. Die Väter investieren ihre knappe Zeit in die Familie, denn sie wollen den sozialen Aufstieg ihrer Kinder unterstützen. Die männlichen Geschlechterleitbilder werden von Westphal bei den zugewanderten Männern als ein eindeutiges, im Vergleich zu den westdeutschen Männern kaum in Frage gestelltes Konstrukt gesehen, obwohl die Alltagspraxis von starken Umbruchprozessen und Neukonstruktionen gekennzeichnet ist. Bei den untersuchten Westdeutschen ohne Zuwanderungsgeschichte kommt es teilweise zu Brüchen zwischen ihrer Orientierung an neuer Väterlichkeit und gelebter Praxis. Die verstärkten Erziehungsaktivitäten der Zugewanderten deutet Westphal eher als pragmatische Alltagslösungen und weniger als Folge sich wandelnder Überzeugungen bezüglich des Ideals partnerschaftlicher Arbeitsteilung. Die grundsätzliche Haltung vieler Väter mit Zuwanderungsgeschichte, ihre Söhne wie Töchter beim Bildungsaufstieg zu unterstützen, gerät mitunter in KonÀikte mit einem anderen wichtigen Aspekt der väterlichen Erziehung: Die Trennung zwischen außerfamiliärer Umgebung und der Familie (im Kontext der Raumkategorien Drinnen/Draußen bzw. Öffentlich/Privat) ist in der Erziehungspraxis von Zugewanderten aus der Türkei und Russland sehr präsent. Die Zugewanderten berichten von ihren Erfahrungen aus den Herkunftsländern mit einem geschlechtsdifferenzierten Raumarrangement, in dem der Außenbereich mehr den Männern und der Innenbereich (der Familie) mehr den Frauen zugeordnet ist. Nach der Migration sahen sie sich diesbezüglich in Deutschland herausgefordert, ihre Erziehungsvorstellungen zu reÀektieren und ggf. den neuen Gegebenheiten anzupassen. Nachfolgend werden ausgewählte Ergebnisse der Studie von HerwartzEmden (2000) für die einzelnen Herkunftsgruppen präsentiert: Wie bereits festgestellt, haben die befragten türkischen Väter den Wunsch, möglichst viel Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, können diesem Anspruch aber aufgrund hoher Arbeitsbelastung oft nicht gerecht werden. Das Verständnis der eigenen Erziehungsleistung als Bildungsinvestition für die Kinder, nach dem Motto: „Meine Kinder sollen es einmal besser haben als ich“, ist bei türkischen Vätern besonders ausgeprägt. Dabei wird kein Unterschied zwischen Söhnen und Töchtern gemacht. Allerdings steht diese Bildungsorientierung im KonÀikt zu dem Bedürfnis, die Töchter vor „Gefahren“ der deutschen Umgebung zu schützen. Dabei setzen die Väter jedoch auf Einsicht, sozusagen auf eine Selbstkontrolle, statt auf äußere bzw. räumliche Kontrolle, um die Vater-Tochter-Beziehung nicht zu gefährden (vgl. Westphal 2000, S. 202 f.). „Respekt“ ist bei diesen Vätern noch ein
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Erziehungswert, sie haben sich aber von traditionellen Formen der Respektbekundung gelöst: „Die Erwartungshaltung zielt nun auf vernünftiges und angemessenes Verhalten zwischen Vater und Kind ab. Der Ausdruck, also das sichtbare Zeigen von Respekt, gilt den Vätern als unangemessen, und sie zielen auf das innere Wissen und Verständnis der Kinder. Damit ist die äußere Kontrolle seitens der Eltern zu verwandeln in eine Form der Selbstkontrolle und Autonomie auf Seiten der Kinder.“ (Westphal 2000, S. 202) In ähnlicher Weise hat sich bei den Aussiedlern die innerfamiliäre Statusverteilung infolge der Migration verändert. Die Kinder haben an Status und EinÀuss gewonnen, die Väter dagegen einen Statusverlust erlebt. Das führte zum Autoritätsverlust der Väter in einer Zeit, die ohnehin durch Unsicherheit und Orientierungslosigkeit in der neuen Umgebung geprägt ist. Sie waren dadurch gezwungen, das Vater-Kind-Verhältnis neu zu gestalten. Mütter wie Väter spürten auch deutlich den Verlust gewohnter Strukturen. Anders als in der ehemaligen Sowjetunion, wo ein umfangreiches ganztägiges Kinderbetreuungsangebot existierte, fanden sie in Deutschland ein institutionelles Angebot durch Kindergarten bzw. Schulen vor, das sich weniger an den Arbeitsstrukturen erwerbstätiger Väter und Mütter ausrichtet. Für die Väter aus Aussiedlerfamilien und ihre Entwürfe von Väterlichkeit und Erziehung ist kennzeichnend, dass sie „(…) einen strukturellen und meist verdeckten Aspekt modernisierter Eltern-Kind-Verhältnisse, den des Verhandlungszwanges, zum Thema machen. Eltern-Kind-Verhältnisse erscheinen in Deutschland befreit von festen Regeln und festen Verhaltensvorschriften (‚hier ist alles ganz frei, es gibt keine Regeln‘). Die Regel lautet jedoch nunmehr, dass Eltern und Kinder ihr Verhalten nach gegenseitiger Beratung und wechselseitiger Zustimmung ständig neu bestimmen. Bei den Aussiedlern sind es offenbar die Kinder, die den Verhandlungsaspekt in die Familie tragen“ (Westphal 2000, S. 201). Von den befragten westdeutschen Vätern wurde geäußert, dass sie ihr Zeitbudget für Kinder und Familie größer als das ihrer eigenen Väter einschätzen, was ihnen wichtig ist. Aber auch für sie bildet die Ernährerrolle einen zentralen Aspekt ihrer Väterlichkeit. Ziel ihrer Erziehungspraxis ist, den Kindern bestimmte Grenzen diskursiv zu vermitteln. Die deutschen Väter ohne Zuwanderungsgeschichte heben auch ihre engagierte Mitarbeit im Bereich der KleinkindpÀege hervor: „Sie betonten die Intensivierung in Form der emotionalen, pÀegenden (fürsorgerischen) und zärtlichen Anteile im Kontakt zum Kind. Dafür gibt es zwei Motive, erstens die Veränderung der Vater-Kind-Beziehung und zweitens die Persönlichkeitsveränderung des Vaters selbst hin zu einer neuen Männlichkeit.“ (Westphal 2000, S. 200) Diese Entwicklung der Erziehungsaktivitäten der deutschen Väter ohne Zuwanderungsgeschichte geht allerdings oft nicht einher mit einer Egalisierung des Geschlechterarrangements, denn die Väter verabschieden sich nicht immer von der traditionellen Arbeitsteilung im familiären Alltag (vgl. Westphal 2000, S. 201 ff.).
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Aus verschiedenen Gründen vollziehen die Väter aller drei Gruppen Veränderungen der Erziehungspraxis, die „(…) auf das Aushandeln eines neuen Selbstverständnisses von Vaterschaft hinweisen. Für alle drei Gruppen ergibt sich aus diesem Aushandlungsprozess ein Verlust alter Bedeutungen von Vaterschaft, ohne dass sie bereits durch neue ersetzt worden sind. Die Aussiedler suchen in ihrem Selbstverständnis von Vaterschaft und Erziehung die Balance zwischen den Erfahrungen und Bedeutungen aus dem Herkunfts- und Einwanderungskontext. Die Männer aus der Türkei präsentieren ihr Selbstverständnis von Vaterschaft und Erziehung mittels Abgrenzungen zu anderen (deutschen Vätern, türkischen Vätern). Die deutschen Männer beschreiben ihr Selbstverständnis als die Herausforderung, es anders zu machen als ihre Väter.“ (Westphal 2000, S. 159). Im Folgenden werden nun die jüngeren Männer mit Zuwanderungsgeschichte in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt. Um den vielfältigen EinÀüssen auf deren Leitbilder von Männlichkeit und Väterlichkeit gerecht zu werden, sind im Sinne der intersektionellen Perspektive (vgl. Kap. 2.3) auf ineinander greifende Ungleichheiten auch sozialstrukturelle Faktoren in die Analyse einzubeziehen. Daher ist ein Blick auf die schlechtere Position der jüngeren Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in den Bereichen Bildung und Arbeit unentbehrlich. Anders als die erste Generation haben die Jüngeren höhere Erwartungen an ihr Leben in Deutschland. Die Eltern waren zwar Pioniere des familiären Migrationsprojekts, erreichten aber nur in seltenen Fällen einen sozialen Aufstieg. Sie vermochten es kaum, sich von den niedrigen sozialen Positionen im Aufnahmeland zu lösen, die ihnen zugewiesen wurden. Der soziale Aufstieg wird sozusagen an die zweite Generation delegiert, um das Familienprojekt Migration zum Erfolg zu bringen (vgl. Juhasz/Mey 2003, S. 311 ff.). Das gelingt einem Teil der jungen Menschen, ein anderer Teil hat damit massive Probleme.34 Wie aktuelle Statistiken zeigen, sind Jungen mit Zuwanderungsgeschichte im deutschen Bildungssystem offensichtlich besonders benachteiligt (vgl. Geissler 2005). Studien über Hauptschulabsolventen belegen z. B. die prekäre Arbeitsmarktintegration männlicher Personen türkischer Herkunft der zweiten Generation und zeigen, dass diese häu¿ger als die deutsche Vergleichsgruppe von Arbeitslosigkeit betroffen und mehr in unteren Segmenten des Arbeitsmarktes beschäftigt sind, wo sie geringere Einkommen erhalten. Nach Gestring, Janssen und Polat (2006, S. 205) kann man von starken EinÀüssen dieser sozialen Lage auf die Geschlechterarrangements der zweiten Generation türkischer Zugewanderter ausgehen: „Neben der türkischen Kultur, in der die Rollenverteilung der Geschlechter eindeutiger geregelt ist als in der deutschen Kultur, spielt hier auch die Schichtzugehörigkeit der Zugewanderten als Erklärung für deren Orientierungen eine Rolle. In den unteren Bildungsschichten wird die klassische Da auf statistische Details an dieser Stelle nicht eingegangen wird, sei verwiesen auf BMFSFJ u. a. (2007).
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Rollenaufteilung seltener in Frage gestellt.“ Ähnlich argumentiert auch Ahmet Toprak (2005, S. 169 f.), demzufolge neben ethnisch-kulturellen Faktoren auch die sozialstrukturelle Desintegration vieler türkischer Zugewanderter der zweiten Generation für das Festhalten an traditionellen Männlichkeiten verantwortlich ist. Daran lässt sich zwar erkennen, dass eine größere Aufmerksamkeit für Fragen sozialer Ungleichheit Forschungen im Kontext von Männlichkeit und Migration davor bewahren kann, sozialstrukturell bedingte Phänomene ethnisch-kulturell zu erklären. Unausweichlich schließt sich allerdings die Frage an, wie Geschlechterarrangements von Personen türkischer Herkunft der zweiten Generation mit höherem Bildungsniveau aussehen. Denn ohne eine kontrastive Untersuchung von Menschen unterschiedlicher Bildungsniveaus, beispielsweise Arbeitern und Akademikern, lassen sich die vielfältigen Wechselwirkungen ethnisch-kultureller und sozialstruktureller EinÀussfaktoren kaum präzise differenzieren – auf diese Vergleichsperspektive wird daher in der vorliegenden Studie ebenfalls ein besonderes Augenmerk gelegt. Darüber hinaus ist besonders für die zweite und dritte Generation der Zugewanderten bisher kaum geklärt, inwiefern die Herausbildung mehrfacher Zugehörigkeiten (siehe Kap. 2.2) mit Konstruktionen von Männlichkeit in Wechselwirkung steht (vgl. Tunç 2008). Abschließend soll der Aspekt der intergenerativen Dynamik zwischen Eltern und Kindern, besonders Vätern und ihren Söhnen als Hintergrund für unseren Forschungsansatz, d. h. die intergenerativen Vater-Sohn-Interviews, erläutert werden. Die Analyse der intergenerationalen Transmission von (familiären) Ressourcen liefert fruchtbare Erkenntnisse für u. a. folgende Fragen: Wie entwickeln sich familiäre Beziehungsmuster männlicher Zugewanderter in und nach der Jugendphase, vor allem in Wechselwirkung mit ihren Bildungsverläufen, mit migrationsbezogenen Transformationsprozessen und wie beeinÀusst das ihre Männlichkeits- und Vaterleitbilder ? Für junge deutsche Männer ohne Zuwanderungsgeschichte stellt sich diese Frage zwar selbstverständlich ganz ähnlich, allerdings natürlich ohne EinÀüsse der Migration bzw. der ethnisch-kulturellen Zugehörigkeit. Im Folgenden wird aber auf junge Männer mit Zuwanderungsgeschichte fokussiert. Interessante Ergebnisse zu dieser Frage liefert Vera King (2005): Sie untersucht, wie sich die Familiendynamik der Vater-Sohn-Beziehungen unter Zugewanderten und die Bildungsmobilität wechselseitig bedingen. King identi¿ziert unterschiedliche Konstellationen von Bildungsprozessen und Formen der adoleszenten Ablösung in Familien, mit bestimmten Effekten für das männliche und väterliche Selbstbild der Söhne. Bei der Konstellation „trotziger Außenseiter“ zum Beispiel verbindet sich eine massive adoleszente Abgrenzung und eine mit großer Selbsteinschränkung verbundene Autonomie in der Peer-Group mit ungünstigen Bildungsverläufen. Der junge Mann in dieser Konstellation bildet übertriebene Männlichkeitskonstrukte aus und verweigert sich den familiären Aufstiegserwartungen. „Dabei kann noch in der Revolte und Abwendung von den Eltern – in der Übersteigerung und Inszenierung
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Zuwanderung und Geschlecht
von Männlichkeitsklischees in der maskulinen Peergroup – der hilÀose Versuch einer Rehabilitierung der entwerteten Männlichkeit der Väter zum Ausdruck kommen“ (King 2005, S. 64). Im Vergleich dazu gelingt es dem jungen Mann in der Konstellation „Familienmann“ eine Zeit lang, die adoleszente Trennung und Individuation zu umgehen, verbunden mit der anfänglichen Annahme des elterlichen Auftrags zum sozialen Aufstieg. Doch später wird der begonnene Bildungsweg aufgegeben, um die Nähe zum Vater nicht zu verlieren. Die Konsequenz für das Männlichkeitsbild des Sohnes in dieser Konstellation ist die fürsorgende Väterlichkeit. Solche Konstellationen verbindet eine besondere Dynamik der familialen Generationenbeziehungen: Der migrationsbedingte soziale Abstieg des Vaters und dessen Erfahrungen von Missachtung motivieren den Sohn, den Vater zu retten und zu rehabilitieren. Der Vater wiederum delegiert seine nicht verwirklichten Bedürfnisse an den Sohn, von dem er einen Bildungsaufstieg erwartet. Andererseits leisten die Söhne Widerstand gegen die väterlichen Eingriffe in das eigene Leben, sozusagen als Streben nach Individuation. Dieses Grundmuster der Vater-Sohn-Beziehung strukturiert die Ablösung der jungen Männer, King umschreibt es als „abgrenzende Bezugnahme“. „Die jeweiligen Männlichkeitsentwürfe sind Ausdruck emotionaler Nähe wie des Ringens um Abgrenzung und zugleich Antworten auf die gesellschaftliche Diskriminierung und Anerkennung, die die Söhne auf unterschiedliche Weise – als Außenseiter oder als im jeweiligen Umfeld erfolgreiche oder partiell Etablierte – gemacht haben“ (King 2005, S. 73). An den Aussagen von King wird deutlich, wie stark sich die Generationenbeziehungen zwischen Vätern und ihren Kindern auswirken, insbesondere auch auf die Vorstellungen zu Geschlechterarrangements und auf die Bildungsverläufe der Kinder. 3.4
Resümee
Die Erkenntnisse der bisherigen Forschung zeigen, dass ein differenzierter Blick auf Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen von Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte notwendig ist. Unsere Studie knüpft hierbei an die vorliegenden Erkenntnisse sowohl aus den Sinus-Studien wie auch an zahlreiche andere Studien aus der Migrationsforschung und (in Bezug auf Personen ohne Zuwanderungsgeschichte bzw. herkunftsübergreifend) an Studien aus der Familien-, Jugend-, Frauen- und Männerforschung an. Die Sinus-Studien haben verdeutlicht, dass auf Lebenslagen und Einstellungen der Bevölkerung (mit und ohne Zuwanderungsgeschichte) jeweils die Milieuzugehörigkeit, der Bildungshintergrund und zum Teil auch die Geschlechtszugehörigkeit häu¿g stärker wirken als die Herkunftsgruppe und dass man z. B.
Resümee
57
vom Milieu nicht auf die Herkunft, und von der Herkunft nicht auf das Milieu schließen kann.35 Andere bereits erwähnte Studien bestätigen dies.36 Außerdem zeigten sowohl kulturübergreifende Studien (inklusive systematischer Vergleiche mit Deutschen ohne Zuwanderungsgeschichte) als auch Studien zu den Nationalitätengruppen unter besonderer Berücksichtigung ihrer jeweils speziellen (individuellen und kollektiven) Zuwanderungsgeschichte, dass Rahmenbedingungen in den Herkunftsländern bei der Auswanderung und die rechtlichen, politischen und sozialen Bedingungen im Einwanderungsland eine Rolle für die Ausgestaltung von Einstellungen u. a. bezüglich Geschlechterleitbildern und Geschlechterpraxen spielen. Deutlich wird zudem, dass viele Klischees, insbesondere über die türkische Herkunftsgruppe, kritisch hinterfragt werden müssen. Mit der vorliegenden Studie wird der Versuch unternommen, dieser Komplexität von Rahmenbedingungen und möglichen EinÀüssen auf Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen Rechnung zu tragen – durch ausführliche Interviews mit den Befragten ist ein tiefer Einblick in deren Geschlechterarrangements gelungen, darüber hinaus liegen Erkenntnisse zur Situation im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt, zu Vorbildern und zu Einstellungen zu Integration und ethnischer Zugehörigkeit sowie zu sozialen Kontakten im Alltag vor, die zum Teil indirekt auf die Geschlechterarrangements der Befragten verweisen, zum Teil aber auch davon unabhängig aufschlussreiche Einblicke in Einstellungen und das Alltagsleben geben. Die Studie weist gegenüber anderen Studien drei Besonderheiten auf, welche die bereits vorhandene Forschungslandschaft ergänzen: ƒ
ƒ ƒ
Sie gehört zu den wenigen systematisch interkulturell angelegten Studien, in denen nicht nur mehrere Gruppen mit Zuwanderungsgeschichte, sondern auch eine Gruppe Befragter ohne Zuwanderungsgeschichte zum Thema Geschlechterarrangements verglichen werden. Sie ermöglicht durch ihren intergenerativen Ansatz einen Vergleich zwischen den Generationen. Damit werden z. B. auch die Ergebnisse der Sinus-Studien ergänzt. Sie füllt Forschungslücken in der Männerforschung, wo es a) bisher nur wenige Studien zu Männern mit Migrationshintergrund gibt und insbesondere die Gruppe der Männer aus der ehemaligen Sowjetunion bisher stark vernachlässigt wurde und b) bisher auch systematische Vergleiche zwischen Geschlechterleitbildern und Geschlechterpraxen von Männern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte weitgehend fehlen.
Vgl. Sinus Sociovision 2007a, b, c, d und 2008; Wippermann 2008 Vgl. zur hohen Bedeutung des Bildungsniveaus etwa für Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen z. B. Herwartz-Emden (2000), Abadan-Unat (1993).
35
36
4
Forschungsdesign
Zur Datengewinnung im Rahmen der vorliegenden Studie wurden zwischen Dezember 2008 und März 2009 insgesamt 34 intergenerative Interviews mit 70 Personen aus 31 Familien geführt. Das zugrunde liegende Forschungsdesign und die Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe werden im Folgenden näher beschrieben. 4.1
Forschungsauftrag und Fragestellungen
Das zentrale Anliegen der vorliegenden Studie besteht darin, Genaueres über die Vorstellungen von Frauen und Männern mit Zuwanderungsgeschichte, über ihre eigene Interpretation ihrer Rolle in der Familie, in ihrem Umfeld und in der Gesellschaft zu erfahren. Folgende Fragestellungen haben die Auftraggebenden der Studie zugrunde gelegt: 1. 2. 3. 4. 5.
Welches Rollenverständnis herrscht in den zu untersuchenden Zielgruppen tatsächlich vor ? Welche EinÀüsse tragen maßgeblich zur Entwicklung von Rollenleitbildern bei jungen Frauen und Männern mit Zuwanderungsgeschichte bei ? Welchen EinÀuss auf die Entstehung von Rollenleitbildern haben Werte und Normen der Herkunftskultur und der Kultur des (neuen) Heimatlandes (bei den Vätern/Müttern und den Söhnen/Töchtern) ? Wie weit lassen sich dabei junge Frauen und Männer von den Vorstellungen der Elterngeneration beeinÀussen ? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Rollenverständnis (insbesondere junger) Frauen und Männer mit Zuwanderungshintergrund und ihren Integrationsbestrebungen ?
Da auch Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte befragt wurden, wird die zweite Fragestellung erweitert beantwortet. Sie lautet nun: 2.
Welche EinÀüsse tragen maßgeblich zur Entwicklung von Rollenleitbildern bei jungen Frauen und Männern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte bei ?
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
60 4.2
Forschungsdesign Erhebungsmethoden und Auswertungsverfahren
Zur Erhebung der empirischen Daten wurden drei verschiedene Instrumente entwickelt. Im Folgenden werden diese Instrumente und das Vorgehen detaillierter dargestellt. Zunächst wurde ein Kurzfragebogen entwickelt. Mit diesem wurden vor den Interviews relevante Grunddaten von (potenziellen) Interviewpartnerinnen und -partnern, wie Alter, Familienstand, Ausbildung, Einwanderungszeitpunkt etc. erhoben. Es gibt hierbei eine Version für Personen mit Zuwanderungsgeschichte und eine für Personen ohne Zuwanderungsgeschichte. Der Kurzfragebogen hatte zwei Funktionen: a) Er unterstützte das Forscherteam bei der Auswahl und Zusammenstellung einer angemessenen, möglichst heterogen zusammengesetzten Untersuchungsgruppe und lieferte b) wichtiges Vorwissen über die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner für die Interviewerinnen und Interviewer. Die Kurzfragebögen wurden vom Forscherteam vornehmlich bei der Suche von Interviewpartnerinnen und -partnern eingesetzt. Die Interviews im Forschungsprojekt wurden als qualitative Leitfadeninterviews geführt. Das bedeutet, dass sie offene Fragen beinhalten, welche die zu Befragenden zum Erzählen anregen sollen und viel Spielraum für die Interpretationen ihrer Antworten lassen. Der konkrete Typ der in dieser Forschungsarbeit angewendeten Leitfadeninterviews ist das problemzentrierte Interview. Das problemzentrierte Interview ist „eine Interviewvariante, die eine sehr lockere Bindung an einen knappen, der thematischen Einordnung dienenden Leitfaden mit dem Versuch verbindet, den Befragten sehr weitgehende Artikulationschancen einzuräumen und zu freien Erzählungen anzuregen“. (Friebertshäuser/Prengel 1996, S. 78). Das problemzentrierte Interview ist durch drei zentrale Kriterien gekennzeichnet: Problemzentrierung bezieht sich auf die Orientierung der Forschenden an einer zentralen gesellschaftlichen Problemstellung. Gegenstandsorientierung bedeutet, dass die Methoden am Forschungsgegenstand orientiert entwickelt bzw. modi¿ziert werden. Prozessorientierung bezieht sich auf den Forschungsprozess und das Gegenstandsverständnis (vgl. Flick 2007). Aus den zentralen Fragestellungen der Auftraggebenden wurden Interviewfragen entwickelt, die im Interviewleitfaden in einzelne Frageblöcke gegliedert sind. Der Interviewleitfaden wurde ins Russische und ins Türkische übersetzt, um eine ggf. notwendige Interviewführung in der Muttersprache der Befragten zu erleichtern. Mit den interviewten Tandems wurde jeweils ein Teil des Interviews gemeinsam und ein Teil getrennt geführt, um zu ermöglichen, dass die Beteiligten auch über Themen sprechen können, die sie bei Anwesenheit des Elternteils bzw. Kindes eventuell nicht ansprechen würden. Beide Generationen wurden zunächst in einer gemeinsamen Interviewphase zu folgenden Themen befragt: Alltag des Lebens als Frau oder als Mann im Tagesablauf und in der Arbeitsteilung; Erzie-
Erhebungsmethoden und Auswertungsverfahren
61
hungsvorstellungen; Bildung, Beruf und Arbeit; Vorstellungen von Integration; Kontakte zu Deutschen und zu anderen Zuwanderern. Anschließend wurden der zweiten Generation unter Abwesenheit der ersten Generation Fragen zu folgenden Themen gestellt: EinÀüsse der Eltern auf die jüngere Generation hinsichtlich der Aufgabenteilung und der Anforderungen im Beruf und in der Familie; EinÀüsse auf das Rollenverständnis sowie positive und negative Vorbilder; Idealtypen von Mann und Frau; Partnerwahl; Modell geschlechtlicher Arbeitsteilung; elterliche Erwartungen; das Rollenverständnis der Eltern; Zugehörigkeit. In der anschließenden Phase des Interviews wurden der älteren Generation getrennt von der jüngeren Generation Fragen aus den folgenden Themenbereichen gestellt: positive und negative Vorbilder; Rollenverständnis der Eltern; Erziehung, Werte und Normen; Arbeitsteilung; intergenerativer Vergleich. In den Interviews wurde den zu Befragenden freigestellt, das Interview überwiegend in der Herkunftssprache oder überwiegend in der deutschen Sprache zu führen. Alle Interviews wurden schließlich überwiegend auf Deutsch geführt. In einigen Fällen wurde von der ersten Generation der Wunsch geäußert bzw. ergab es sich während des Interviews, einen Teil des Interviews in der jeweiligen Herkunftssprache zu führen. Auch der Ort des Interviews konnte gewählt werden (z. B. bei den zu Befragenden zu Hause oder im Büro einer der an der Studie beteiligten Organisationen). Die Interviews wurden schließlich teils bei den Befragten zuhause und teils in den Büroräumen der beteiligten Einrichtungen geführt. Ergänzend zum Interviewleitfaden wurden Gedächtnisprotokolle eingesetzt, die von den Interviewerinnen/Interviewern nach Abschluss der Gespräche erstellt wurden. Darin wurden Informationen zur Interviewatmosphäre, zu Besonderheiten des Ortes und zu Gesprächen vor Beginn oder nach Ende der Tonbandaufnahme festgehalten. Weiterhin wurden die vorwiegend gesprochene Sprache, die Häu¿gkeit eventueller Sprachwechsel und die Themen, zu denen vorwiegend in der Muttersprache gesprochen wurde, protokolliert. Auswahl der zu befragenden Personen und Reichweite der Ergebnisse Mit Hilfe der aus den Kurzfragebögen gewonnenen Grunddaten wurden Personen für die Interviews ausgewählt. Die Grunddaten wurden dabei herangezogen, um basierend auf dem aus der Grounded Theory (vgl. Glaser/Strauss 1998) stammenden Verfahren des Theoretical Sampling, einer verbreiteten Strategie in der qualitativen Forschung, gezielt Personen für das Sample, also die Gruppe der zu interviewenden Personen, auszuwählen. Das Sample wird dabei um die für die Theoriebildung wichtig gewordenen Aspekte kontinuierlich erweitert. Durch die Fallauswahl nach einem solchen Verfahren sind anschließende Generalisierungen kaum möglich. Stattdessen können Gemeinsamkeiten festgestellt, Strukturen sowie subjektive Deutungs- und Handlungsmuster aufgezeigt werden (vgl. Lamnek 2005, S. 266). Das Theoretical Sampling setzt voraus, dass die Forschenden bei der Befragten-
62
Forschungsdesign
auswahl wissen, worauf die Aufmerksamkeit zu richten ist. Daher wird auch in dieser qualitativen Forschung eine gezielte Auswahl vorgenommen, die sich aus der theoretischen Vororientierung ergibt. Die explorativen Ergebnisse schließen das Forschungsfeld auf, um erste Tendenzen zu den untersuchten Themenkomplexen sichtbar zu machen. Ähnlich wurde beispielsweise auch in der Sinus-Vorstudie zu den Migranten-Milieus verfahren (Sinus Sociovision 2007a). Der Anspruch dieser Studie ist also, einen Überblick über die Varianzbreite von Geschlechterleitbildern und Geschlechterpraxen zu geben. Um diese sichtbar zu machen, wurde in unserer Studie eine möglichst heterogen zusammengesetzte Gruppe, u. a. hinsichtlich des Geschlechts und des Bildungsniveaus angestrebt. Datensicherung und Auswertungsverfahren Die Datensicherung bei den Interviews erfolgte über digitale Tonbandaufnahmen, mit denen sich die Befragten vor Interviewbeginn einverstanden erklärten. Die Aufnahmen wurden wörtlich transkribiert, wobei pro Interview ein Word-Dokument entstand. Technisch erfolgte die Auswertung der transkribierten Interviews mit dem Programm MAXQDA, in das die Transkripte eingelesen wurden. Die angewendeten Transkriptionsregeln ¿nden sich im Anhang. Die Interviews wurden nach der Methode des thematischen Kodierens nach Uwe Flick (2007) ausgewertet. Das thematische Kodieren dient der Gewinnung inhaltlicher Kategorien zur Analyse verbaler Daten und ist ein aus der Grounded Theory abgeleitetes Verfahren. Es wird häu¿g in der Auswertung leitfadengestützter Interviews eingesetzt. Hierbei werden in mehreren Schritten theoretisch bedeutsame Kategorien gebildet, welche schließlich in ein mit thematischen Über- und Unterordnungen versehenes Kategoriensystem münden. Einzelne aus den Inter views generierte Fälle werden auf der Grundlage der entwickelten Struktur konstant miteinander verglichen. Daraus lässt sich ein inhaltliches Spektrum der Auseinandersetzung der Befragten mit den jeweiligen Themen skizzieren. Gleichzeitig können gruppenspezi¿sche Gemeinsamkeiten und Unterschiede identi¿ziert werden. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden die inhaltlichen Kategorien im Sinne des thematischen Kodierens sowohl induktiv (aus dem empirischen Material) als auch deduktiv (aus der Theorie) gewonnen. Im Verlauf des Forschungsprozesses wurden so genannte „Memos“ (Strauss/Corbin 1996) erstellt. Memos sind schriftliche Notizen, die bei der Auswertung und bei der Entwicklung der gegenstandsgeleiteten Theorie helfen sollen. In Memos können Notizen zu den erstellten Codes festgehalten, aber auch erste theoretische Annahmen formuliert oder die nächsten Schritte im Forschungsprozess geplant werden. Memos stellen damit einen breiten und freizügigen Raum für die Entwicklung von Ideen dar. Im Auswertungsprozess ist es wichtig, offen mit den verschiedenen Dimensionen der Differenz umzugehen, wenn es um deren Überschneidungen (Intersektionen) und Wechselwirkungen geht: Die Differenzkategorien Geschlecht, Herkunft/
Die Untersuchungsgruppe
63
Ethnizität, Generation und sozialer Status werden in ihrem Verhältnis zueinander als zumindest grundsätzlich gleichrangig behandelt. Wir betrachten dieses Verhältnis der Differenzlinien zueinander nicht als hierarchisch: Weder Geschlecht noch Herkunft/Ethnizität wird der Status einer primären Differenzkategorie zugesprochen, die andere überlagert. Diese Grundhaltung kennzeichnet viele Studien, die sich dem neuen Paradigma der Intersektionalität verpÀichtet fühlen, z. B. über Befragte mit Zuwanderungsgeschichte (Knapp 2005, vgl. auch Kap. 2.3 zum Konzept der Intersektionalitätsanalyse). Gleichzeitig liegt in dieser Studie ein besonderer Fokus auf geschlechtsspezi¿schen Transformationsprozessen, da gezielt Eltern mit ihren gleichgeschlechtlichen Kindern (also Väter mit Söhnen, Mütter mit Töchtern) befragt wurden. Sie ist daher im Kontext einer migrationssensiblen Geschlechterforschung zu verorten. 4.3
Die Untersuchungsgruppe – Anforderungen, Zugang, Zusammensetzung
Die Untersuchungsgruppe bestand aus insgesamt 70 Personen, die in Eltern-KindTandems befragt wurden. Die Interviews wurden im Köln-Bonner Raum und im Raum Ostwestfalen-Lippe geführt. Die drei untersuchten Gruppen sind: ƒ ƒ ƒ
Mütter und Töchter, Väter und Söhne mit türkischer Zuwanderungsgeschichte Mütter und Töchter, Väter und Söhne mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion deutsche Mütter und Töchter, Väter und Söhne ohne Zuwanderungsgeschichte
Um der Vielfalt der zu befragenden Gruppen gerecht zu werden, wurden die beteiligten Interviewpartnerinnen und Interviewpartner nach folgenden Kriterien zusammengestellt: Väter-Söhne- bzw. Mütter-Töchter-Tandems ƒ mit hohem, mittlerem und niedrigem Bildungsniveau, ƒ bei denen die ältere Generation mindestens bis ins junge Erwachsenenalter im Herkunftsland aufgewachsen ist (gilt nur für Personen mit Zuwanderungsgeschichte), ƒ bei denen die jüngere Generation in der Bundesrepublik mindestens ca. fünf Jahre zur Schule gegangen ist (gilt nur für Personen mit Zuwanderungsgeschichte), ƒ und bei denen die jüngere Generation 18 bis 28 Jahre alt ist (für die ältere Generation gab es keine Altersgrenzen).
64
Zuwanderung und Geschlecht
Akquisestrategien Zur Gewinnung der Interviewpartnerinnen und -partner wurden Akquisebestrebungen in drei verschiedene Richtungen unternommen. Zum einen wurden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren über eine Vielzahl von Organisationen und Institutionen gewonnen, die über das Forschungsprojekt informiert und um Unterstützung bei der Gewinnung von interessierten Personen gebeten wurden. Zweitens wurden in einigen von den zu untersuchenden Gruppen frequentierten Cafés, Gaststätten und öffentlichen Gebäuden Plakate ausgehängt. Drittens führten in einer Art Schneeballverfahren persönliche Kontakte der am Forschungsprojekt Beteiligten (Interviewerinnen und Interviewer, Mitglieder des Forschungsteams) dazu, Personen der gesuchten Gruppen über das Forschungsprojekt zu informieren und sie für eine Teilnahme an den Interviews zu interessieren. Reaktionen von angesprochenen und einbezogenen Personen Während der Akquise zeigte sich, dass es bei angesprochenen Personen Vorbehalte gegen eine Teilnahme gab, die oft in vorhergehenden (schlechten) Erfahrungen begründet waren. Während der Akquise wurden die Auftragnehmenden und die Interviewerinnen und Interviewer mehrfach mit entsprechenden Reaktionen der zu befragenden Gruppe konfrontiert: ƒ ƒ
ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
Mehrere Personen aus der zu befragenden Gruppe (mit Zuwanderungsgeschichte) thematisierten ihre Angst vor Diskursen über Zugewanderte, die vor allem Vorurteile replizieren. Einige Personen (vor allem mit Zuwanderungsgeschichte) begründeten ihre Skepsis damit, dass das Forschungsprojekt von zwei Ministerien in Auftrag gegeben wurde. Aufgrund sehr unterschiedlicher Erfahrungen mit Behörden waren Einzelne deshalb eher skeptisch. Von einigen Personen wurde mangelnder Datenschutz gegenüber Auftraggebenden oder bei der Publikation von Ergebnissen befürchtet. Einzelne betrachteten die Thematik des Forschungsprojektes als zu persönlich und wollten zu privaten familiären Themen keine Auskunft geben. Andere gingen davon aus, dass die Ergebnisse einer solchen Studie nicht zu politischen Veränderungen beitragen würden. Einige Personen erklärten, dass sie keine Zeit für ein Interview hätten. Von einigen Personen der jüngeren Generation mit mittlerem und niedrigem Bildungsniveau kamen auf die Frage nach einer Mitwirkung an Interviews eher verhaltene Reaktionen, weil sie mit Forschungsprojekten und Interviews bisher grundsätzlich keine Erfahrung hatten.
Manche Vorbehalte hinsichtlich einer Reproduktion von Stereotypen konnten durch die Interviewerinnen und Interviewer entkräftet werden, indem die Kon-
Die Untersuchungsgruppe
65
zeption des Forschungsprojektes darlegt wurde, die eine Vergleichsgruppe von Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte vorsieht und bei der von Beginn an Stereotypisierungen vermieden werden sollten. Auch Befürchtungen hinsichtlich mangelnden Datenschutzes konnten in vielen Fällen entkräftet werden. Den zu befragenden Personen wurde in einer Datenschutzerklärung zudem schriftlich Anonymität zugesichert. Insgesamt wurde seitens der Auftragnehmenden versucht, alle Vorbehalte sehr ernst zu nehmen, denn sie deuten auch auf negative Erfahrungen mit Forschungsprojekten hin, die es nicht zu wiederholen gilt. Neben kritischen gab es auch eine Reihe sehr positiver Reaktionen. So bekräftigten mehrere Interviewte abschließend, dass sie das Interview sehr interessant fanden und dafür gern Zeit investiert hätten. Ein Vater bedankte sich und sagte, dass er schon lange nicht mit seinem Sohn so vertieft über Themen gesprochen habe und stolz sei auf ihn. Eine andere Person bekräftigte, wie notwendig solche Forschungsprojekte seien und dass Deutsche mehr Offenheit gegenüber Personen mit Zuwanderungsgeschichte zeigen sollten. Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe Im Folgenden wird ein Überblick darüber gegeben, welche Personen durch die Abgabe eines Kurzfragebogens (vgl. Kap. 4.1) ihr Interesse an einer Mitwirkung bekundet haben und im Rahmen der Studie befragt wurden. Anhand einiger aussagekräftiger Kriterien wird eine genauere Charakterisierung der untersuchten Gruppe vorgenommen. Insgesamt wurden 70 Personen befragt. Dabei wurden jeweils Tandems aus Töchtern und Müttern bzw. Söhnen und Vätern gebildet. In zwei Fällen wurde statt einem Zweier- ein Dreiertandem aus einer Mutter mit jeweils zwei Töchtern befragt (zwei „Familieninterviews“).37 Auf diese Weise wurden insgesamt 36 Personen der jüngeren und 34 Personen der älteren Generation in 34 intergenerativen Interviews befragt. Darüber hinaus wurden in drei Fällen Geschwister jeweils mit dem betreffenden Elternteil getrennt voneinander interviewt (Bruder mit Vater, Schwester mit Mutter). So wurden Personen aus insgesamt 31 Familien befragt. Die Interviews wurden mit 16 weiblichen Tandems (davon zwei Familieninterviews) und 18 männlichen Tandems geführt.
37 Die Familieninterviews beschränken nicht die Aussagekraft der Daten, sondern hatten im Einzelfall den Vorteil, dass auch Diskurse, z. B. zwischen einer Mutter und einer Tochter, zusätzlich aus Sicht einer weiteren Tochter beschrieben wurden.
66 Abbildung 1
Zuwanderung und Geschlecht Geschlechtszuordnung der befragten Tandems
Den Vorgaben entsprechend weisen die Familien von knapp zwei Dritteln der befragten 34 Tandems eine Zuwanderungsgeschichte auf (darunter die beiden Familieninterviews sowie die befragten Geschwisterpaare; vgl. Abbildung 2). Abbildung 2
Zuwanderungsgeschichte der befragten Tandems
Es wurden insgesamt zehn Tandems mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei, elf Tandems mit Zuordnung zur ehemaligen Sowjetunion und 13 deutsche Tandems ohne Zuwanderungsgeschichte befragt. Die Familieninterviews wurden in beiden Fällen mit weiblichen Personen mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei geführt. Die Interviews mit Geschwisterpaaren betrafen in zwei Fällen Personen mit Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion und in einem Fall eine Familie ohne Zuwanderungsgeschichte.
Die Untersuchungsgruppe
67
Die folgende Übersicht gibt einen Überblick über die insgesamt 70 Befragten hinsichtlich Herkunft, Generation und Geschlecht. Tabelle 1
Befragte Personen aufgeschlüsselt nach Herkunftsgruppe, Generation und Geschlecht Deutschland
Türkei
ehem. Sowjetunion
Jüngere
Ältere
Jüngere
Ältere
Jüngere
Ältere
6
6
7
5
5
5
weiblich
Gesamt 34
männlich
7
7
5
5
6
6
36
Gesamt
13
13
12
10
11
11
70
Die Zuordnung zu einem Herkunftsland erforderte die Herkunft mindestens des befragten Elternteils aus dem jeweiligen Land/Gebiet; die Befragten der jüngeren Generation konnten dagegen auch in Deutschland geboren sein. Es zeigt sich in Abbildung 3, dass lediglich bei den Befragten mit Zuordnung zur ehemaligen Sowjetunion fast alle Befragten der jüngeren Generation im Herkunftsland der Eltern geboren wurden (acht in Russland, zwei in Kasachstan). In der Türkei wurden lediglich zwei Befragte der jüngeren Generation geboren. Abbildung 3
Geburts-/Herkunftsland der befragten Personen beider Generationen
68
Zuwanderung und Geschlecht
Fast alle befragten Personen der jüngeren Generation besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Lediglich je eine Person verfügt über eine türkische bzw. russische Staatsangehörigkeit. Abbildung 4
Staatsangehörigkeit der befragten Personen der jüngeren Generation
Zum Zuwanderungszeitpunkt der Befragten der älteren Generation kann gesagt werden, dass die Personen türkischer Herkunft früher nach Deutschland eingewandert sind als die Befragten aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Älteren türkischer Herkunft kamen zwischen 1969 und 1989 in die BRD, der Schwerpunkt der Wanderungen liegt Anfang der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre. In fünf Fällen ist der Vater der Familie zuerst aus der Türkei zugewandert, in drei Fällen die Mutter, in zwei Fällen liegen unzureichende Informationen vor. Hierbei muss beachtet werden, dass die Zuwanderung der älteren Befragten zumeist vor der Geburt der (befragten) Kinder und – dazu liegen keine Informationen vor – wahrscheinlich zumindest in einigen Fällen auch vor der Heirat der Eltern erfolgte, so dass ein gemeinsames Einwandern im Familienverbund in diesen Fällen ausgeschlossen ist. Die befragten Personen aus der ehemaligen Sowjetunion wanderten zwischen 1988 und 2005 zu. Bei ihnen gibt es zwei Schwerpunkte der Wanderungen: ein Schwerpunkt Anfang bis Mitte der 1990er Jahre und einen zweiten Schwerpunkt 2000–2005. Damit kamen fast alle Befragten nach dem Zusammenbruch der Sowjet union nach Deutschland. In der überwiegenden Mehrheit sind sie Spätaussiedlerinnen und -aussiedler. Alle befragten Personen sind im Familienverbund jeweils zum gleichen Zeitpunkt eingewandert. Das Alter der befragten Personen der jüngeren Generation liegt zwischen 18 und 28 Jahren, wobei der Großteil zwischen 19 und 24 Jahren alt ist.
Die Untersuchungsgruppe Abbildung 5
69
Alter der befragten Personen der zweiten Generation
In das Sample sollten möglichst Personen einbezogen werden, die hohe, mittlere und niedrige Bildungsniveaus aufweisen. Die Zuordnung der befragten Personen zu den Bildungsniveaus wurde nach dem letzten vorliegenden schulischen bzw. beruÀichen Abschluss der Person vorgenommen. Personen, die sich noch in einer schulischen Ausbildung be¿nden, wurden nicht zugeordnet. Die Kategorisierung wurde nach folgenden Kriterien vorgenommen:38 ƒ ƒ ƒ ƒ
38
‚kein Abschluss‘ bei Angaben zu einem Grundschulabschluss und/oder abgebrochenen niederen Bildungsgängen ‚niedriges Bildungsniveau‘ bei Angaben zu einem der folgenden Bildungsabschlüsse und/oder -gänge: Hauptschule, abgebrochene Ausbildung bzw. Äquivalenten ‚mittleres Bildungsniveau‘ bei Angaben zu einem der folgenden Bildungsabschlüsse und/oder -gänge: Realschulabschluss, Fachoberschulreife, Handelsschule, abgeschlossener Berufsausbildung bzw. Äquivalenten ‚hohes Bildungsniveau‘ bei Angaben zu einem der folgenden Bildungsabschlüsse und/oder -gänge: Abitur, Fachabitur, Gymnasium, Fachhochschulreife, Meistertitel (Handwerk), abgeschlossenem Studium bzw. Äquivalenten
Die Begriffe und Zuordnungen ¿nden sich auch nochmals im Miniglossar im Anhang.
70
Zuwanderung und Geschlecht
Bezüglich der Bildungsniveaus zeigt sich die Zusammensetzung der Gruppe der jüngeren Befragten wie in Abbildung 6 dargestellt. Abbildung 6
Bildungsniveaus der befragten Personen der jüngeren Generation
Die Personen weisen zur Hälfte ein hohes Bildungsniveau auf. Die andere Hälfte der Befragten setzt sich aus Personen mit mittlerem bzw. niedrigem Bildungsniveau bzw. Schülerinnen und Schülern zusammen. In der Auswertung der Interviewergebnisse werden die befragten Personen mit mittlerem bzw. niedrigem Bildungsniveau als eine Gruppe zusammenfassend behandelt. Dem Alter der befragten Personen der jüngeren Generation entsprechend, be¿ nden sich die meisten zum Befragungszeitpunkt in einer schulischen oder beruÀichen Ausbildung. Während wie oben bereits dargestellt fünf noch zur Schule gehen, be¿nden sich zehn Personen in einem Studium (u. a. Bibliothekswesen, Jura, Lehramt Sek. I, Soziologie, Wirtschaftsingenieurswesen, Chemie) und neun in einer Berufsausbildung (u. a. Physiotherapie, Bauzeichner, Medizinfachangestellte, Mediengestaltung, kaufmännische Ausbildungen). Eine Person absolviert eine Ausbildung und ein Studium (BWL). Sechs Personen sind aktuell berufstätig (u. a. als Verkäuferin, Kosmetikerin/Visagistin, Krankenschwester, Bankkauffrau, Unterof¿zier bei der Bundeswehr). Eine Person hat ein Studium abgeschlossen und ist derzeit Arbeit suchend, eine weitere hat eine Berufsausbildung abgebrochen und sucht Arbeit. Jeweils eine Person absolviert Zivildienst, ein freiwilliges soziales Jahr bzw. hat keinen Schulabschluss und absolviert auch keine Ausbildung. Bei der Verteilung der Ausbildungen/Berufe ¿nden sich vielfach deutliche geschlechtsspezi¿sche Tendenzen. So werden alle Ausbildungen/ Berufe im naturwissenschaftlich-technischen Bereich von männlichen Personen
Die Untersuchungsgruppe
71
absolviert (Studium Wirtschaftsingenieur, Studium Chemie, Ausbildung Bauzeichner). Bei den weiblichen Befragten ¿nden sich verstärkt Ausbildungen/Berufe im sozial(wissenschaftlich)en/Gesundheits-Bereich (Studium Soziologie, Studium Soziale Arbeit, Erzieherin, Physiotherapeutin, Krankenschwester). Die Zusammensetzung der Gruppe der älteren Befragten nach Bildungsniveaus ist in Abbildung 7 dargestellt. Dabei wird das Bildungsniveau der Mütter und Väter getrennt betrachtet. Ergänzend wurde ein gemeinsames Bildungsniveau für beide Elternteile der befragten Jüngeren formuliert. Es wurde festgelegt, wann von einem ‚niedrigen‘, ‚mittleren‘ bzw. ‚hohen‘ Bildungshintergrund der Eltern der jüngeren Befragten ausgegangen werden soll: Der gemeinsam ausgewiesene Bildungshintergrund der Eltern (Abbildung 8) erfolgt nach dem formal höchsten schulischen bzw. beruÀichen Bildungsabschluss eines Elternteils, wobei es keine Rolle spielt, welcher Elternteil über einen höheren Bildungsabschluss verfügt und welcher Elternteil im Rahmen eines Tandems befragt wurde. Die Eltern wurden danach z. B. der Kategorie ‚hohes Bildungsniveau‘ zugerechnet, wenn entweder Vater oder Mutter (oder beide) über ein Abitur, einen akademischen Grad o. Ä. verfügen. Dahinter steht die Annahme, dass der höchste vorliegende Bildungsabschluss das Klima in der Familie insgesamt prägt, egal welcher Elternteil diesen aufweist. Abbildung 7 und 8 Bildungsniveau Befragte der älteren Generation und Bildungsniveau Eltern der befragten Jüngeren gesamt
72
Zuwanderung und Geschlecht
Es wird deutlich, dass allein schon die Befragten der älteren Generation überwiegend über hohe bzw. mittlere Bildungsniveaus verfügen. Insbesondere die befragten Väter bringen hohe Bildungsabschlüsse mit (Abb. 7). Zusammengenommen ist dies nochmals deutlicher bei beiden Elternteilen der befragten Personen der jüngeren Generation (Abb. 8). Annähernd zwei Drittel stammen aus einem Elternhaus, das ein hohes Bildungsniveau aufweist. Knapp ein Viertel ist durch ein mittleres Bildungsniveau im Elternhaus geprägt. Die Eltern von lediglich drei Personen verfügen nur über eine niedrige Bildung und lediglich eine Person hat Eltern, die beide keinen Bildungsabschluss besitzen. Die ausgeübten Berufe der befragten Personen der älteren Generation weisen eine große Bandbreite auf. Bei den Vätern ¿nden sich beispielsweise Berufe im betriebswirtschaftlichen/kaufmännischen Bereich (im Vertrieb, bei Versicherung) oder im Handwerk (Schweißer, Maurer, Maler); auch Ingenieure sind darunter (u. a. Bauingenieur, Maschinenbauingenieur). Einzelne sind selbständig (z. B. als Gastronom oder mit einer Werbeagentur). Zudem ¿nden sich Fernfahrer und Arbeiter. Die ausgeübten Berufe der befragten Mütter sind ebenfalls vielfältig. Nur einzelne sind aktuell Hausfrau und nicht berufstätig. Die Berufstätigen sind u. a. Angestellte im Öffentlichen Dienst (bei Kommune, Arbeitsagentur), im kaufmännischen Bereich, als Arzthelferin, freischaffende Künstlerin, Sozialwissenschaftlerin oder Sekretärin tätig. Bei einzelnen Personen mit Zuwanderungsgeschichte fällt auf, dass es Differenzen zwischen dem ausgeübten Beruf im Herkunftsland und dem in Deutschland ausgeübten Beruf gibt. Detailliert werden diese Differenzen im Kapitel 5.5 betrachtet. Die Bildungsniveaus innerhalb der einzelnen Gruppen von Befragten sollten sich möglichst auf hohe, mittlere und niedrige Niveaus verteilen. Die Tabelle 2 zeigt, dass dies unter den gegebenen Schwierigkeiten (vgl. Kap. 4.3) annähernd gelungen ist. Bei den Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte überwiegt ein hohes Bildungsniveau deutlich das mittlere und niedrige Bildungsniveau. Bei den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion überwiegt ebenfalls das hohe Bildungsniveau, aber vergleichsweise weniger deutlich. Bei den Befragten mit türkischer Zuwanderungsgeschichte hingegen überwiegen das mittlere und niedrige Bildungsniveau zusammen genommen das höhere Bildungsniveau. Speziell bei der jüngeren Gruppe überwiegt bei den Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte das hohe Bildungsniveau das mittlere und niedrige deutlich, bei den jungen Befragten mit türkischer Zuwanderungsgeschichte überwiegt das hohe Bildungsniveau ebenfalls, wenngleich nicht so deutlich. Bei den jüngeren Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion sind hohes und mittleres Bildungsniveau ausgeglichen.
Die Untersuchungsgruppe Tabelle 2
73
Befragte Personen aufgeschlüsselt nach Herkunftsgruppe, Generation und Bildungsniveau Deutschland
Türkei
ehem. Sowjetunion
Gesamt
Jüngere
Ältere
Jüngere
Ältere
Jüngere
Ältere
Noch Schüler/in
1
---
3
---
1
---
5
Niedriges Bildungsniveau + kein Abschluss
1
---
---
5
---
1
7
Mittleres Bildungsniveau
3
6
4
1
5
2
21
Hohes Bildungsniveau
8
7
5
4
5
8
37
Gesamt
13
13
12
10
11
11
70
Abbildung 9
Gegenüberstellung gemeinsames Bildungsniveau der Eltern zu dem der Kinder39
39 Dieser Abbildung liegt das Bildungsniveau der Elternhäuser insgesamt, also auch der nicht befragten Elternteile, zugrunde, wie in Abb. 8.
74
Zuwanderung und Geschlecht
Vergleicht man das erreichte Bildungsniveau der befragten jüngeren Personen mit dem ihrer Herkunftsfamilie (die fünf Schülerinnen und Schüler nicht berücksichtigt) zeigt sich, dass die Kinder in 13 Fällen das bereits hohe Bildungsniveau der Eltern gehalten haben. Drei hielten das mittlere Niveau der Eltern. In sieben Fällen erreichten die Kinder ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern; in acht Fällen blieben die Kinder mit ihrem aktuellen Bildungsniveau jedoch auch darunter. Dabei lag das erreichte Bildungsniveau der Kinder in den meisten Fällen lediglich eine „Stufe“ über bzw. unter dem der Eltern. Lediglich in zwei Fällen erfolgte ein Sprung über mehr als eine Niveaustufe. Zwischen Söhnen und Töchtern gibt es keine auffälligen Unterschiede. In unserer Befragtengruppe scheint es eine leichte Tendenz zu geben, dass Töchter eher das Niveau der Eltern halten, während Söhne eher abweichen. Beide ‚Abweichler‘ über mehr als eine Niveaustufe sind Söhne. Differenziert nach den Herkunftsgruppen der jüngeren Befragten sowie nach den Geschlechtern fällt auf, dass sich in unserem Sample ‚Bildungsaufsteiger‘ und auch ‚Absteige‘ in jeder Befragtengruppe und -untergruppe ¿nden. Die befragten Personen der jüngeren Generation leben zu knapp drei Vierteln zusammen mit ihren Eltern, davon in fünf Fällen lediglich mit der Mutter, in einem lediglich mit dem Vater. Von den zehn Jüngeren, die im eigenen Haushalt leben, wohnen sieben allein; drei mit einem Partner bzw. einer Partnerin zusammen. Abbildung 10 Wohnsituation der Befragten der jüngeren Generation
Aufgegliedert auf Geschlechter und Herkunftsgruppen zeigt sich, dass in unserem Sample insbesondere die jungen Männer noch bei den Eltern leben, während es eher
Die Untersuchungsgruppe
75
die jungen Frauen sind, die einen eigenen Haushalt führen. Personen, die lediglich mit einem Elternteil zusammen leben, ¿nden sich in allen Herkunftsgruppen. In einer Partnerschaft be¿nden sich insgesamt 16 der jüngeren Befragten, also etwas weniger als die Hälfte. Von diesen Personen ist lediglich eine Person verheiratet. Das Verhältnis derer mit bzw. ohne Partnerschaft ist innerhalb der Herkunftsgruppen und Geschlechter etwa ausgeglichen (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3
Partnerschaften der Befragten der jüngeren Generation, aufgegliedert nach Geschlecht und Herkunftsgruppen Deutschland männl.
weibl.
Türkei
ehem. Sowjetunion
männl.
weibl.
männl.
weibl.
Gesamt
mit Partner
2
3
2
4
2
3
16
ohne Partner
4
3
3
3
5
2
20
Gesamt
6
6
5
7
7
5
36
Den Wünschen der Auftraggebenden entsprechend, hat keine der befragten Personen der jüngeren Generation selbst bereits Kinder.
5
Ergebnisse der Interviews
Mit den nun folgenden Kapiteln, die aus den empirischen Ergebnissen der intergenerativen Interviews bestehen, werden die zentralen Fragestellungen der Studie beantwortet. Dabei wird auch nochmals Bezug auf die in Kapitel 2 und 3 dargestellten Ergebnisse anderer Studien genommen. Jedes Kapitel enthält Detailfragen, entlang derer die Ergebnisse betrachtet wurden, sowie Analysen und illustrierende Zitate aus dem empirischen Material. Die Analysen setzen sich zusammen aus Analysen von Einzelaussagen und der Feststellung von Trends bezüglich der verschiedenen Untergruppen. Dabei wurden im Schwerpunkt die Differenzlinien Geschlecht, Generationenzugehörigkeit, Herkunftsgruppe und Bildungsniveau näher betrachtet, in manchen Fällen (wenn es relevant für das jeweilige Thema war) auch die Wohnsituation der Befragten und die Situation bezüglich Ehe und Partnerschaft. Außerdem enthält jedes Kapitel ein Resümee im Hinblick auf die zentralen Fragestellungen der Studie. Darüber hinaus werden im Gesamtresümee (Kap. 6), dezidiert entlang der zentralen Fragestellungen der Auftraggebenden, die wesentlichen Ergebnisse der Studie nochmals zusammengefasst. Die Zitate aus dem empirischen Material sind im Folgenden jeweils so beschriftet, dass sie über Pseudonyme den befragten Personen zugeordnet werden können (vgl. dazu weitere Informationen im Anhang). Die Kennzeichnung beinhaltet zudem Informationen zur Gruppenzugehörigkeit der betreffenden Person, zu ihrem Alter und Bildungsniveau. Die Zitate wurden punktuell mit dem Ziel besserer Lesbarkeit bearbeitet. Änderungen gegenüber den Originaltranskripten sind dabei durch eckige Klammern gekennzeichnet, sofern es sich nicht lediglich um die Korrektur von Rechtschreibung und Zeichenfehlern handelte. Änderungen wurden auch vorgenommen, um einzelne Personen mit ggf. schlechteren Deutschkenntnissen nicht in ein schlechtes Licht zu rücken. 5.1
Pragmatismus, gerechte Arbeitsteilung und männliche Helfer – Geschlechterarrangements
In diesem Kapitel geht es darum, die Leitfrage zu beantworten, welches Rollenverständnis in den zu untersuchenden Zielgruppen tatsächlich vorherrscht. Dazu gehören folgende Teilfragen:
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
78
Ergebnisse der Interviews
a)
Wie ist die Aufgaben- und Arbeitsteilung in den Haushalten bei beiden Generationen (wer übernimmt welche Tätigkeiten in welchem Umfang), wer ist inwiefern erwerbstätig und was hat dies miteinander zu tun ? Wie stellt sich die jüngere Generation diese Arbeitsteilung für ihre zukünftige Partnerschaft/Familie im eigenen Haushalt vor ? Wenn die Jüngeren einen eigenen Haushalt haben/in einer Partnerschaft leben: Entsprechen die Geschlechterleitbilder den Geschlechterpraxen ?
b)
Bei den Praxen der Aufgaben- und Arbeitsteilung wurde für beide Generationen eine breite Varianz untersucht: Es wurde gefragt nach der Arbeitsverteilung in den klassischen Bereichen Erwerbsarbeit und Haushalt mit folgenden Schwerpunkten: Kochen, Essen zubereiten, Putzen/Saubermachen, Waschen/Bügeln und Kindererziehung bzw. -betreuung. Darüber hinaus zusätzlich betrachtet und gesondert dargestellt werden auch die Arbeitsbereiche Einkaufen, Reparaturen, Bankgeschäfte, Streit schlichten, Kontakte (Freunde und Nachbarschaft) pÀegen, Behördenbriefe schreiben, über größere Anschaffungen entscheiden, PÀege von Angehörigen und Sonstiges (Gartenarbeit usw.). Bei der älteren Generation wurden zur gelebten Aufgaben- und Arbeitsteilung in all diesen Bereichen vielfältige Aussagen erhoben. So geben die Einschätzungen der älteren Interviewpartnerinnen und Interviewpartner zu der Frage, wie die Erwerbs- und Haushaltsarbeit zwischen Mutter und Vater aufgeteilt sind, auch Aufschlüsse darüber, ob das Arbeitsteilungsmodell nach der Selbsteinschätzung der Interviewten eher konservativ oder egalitär ist. Etwas mehr als die Hälfte der jüngeren Befragten lebte zum Befragungszeitpunkt nicht in einer festen Partnerschaft. Die Jüngeren waren zum Zeitpunkt der Befragung alle kinderlos. Der größte Teil der Jüngeren lebt, wie bereits erwähnt, zudem noch bei den Eltern oder einem Elternteil und nicht im eigenen Haushalt. Vor diesem Hintergrund machte der größere Teil der jüngeren Generation hypothetische Aussagen dazu, wie die Arbeits- und Aufgabenteilung idealerweise in der Zukunft aussehen sollte. Hierzu wurde ein Leben in fester Paarbeziehung und ggf. mit Kindern angenommen. Die Gruppe der Jüngeren, die zum Interviewzeitpunkt in einer Partnerschaft lebt, erzählte hingegen von der aktuellen Geschlechterpraxis und auch von Zukunftsvorstellungen bezüglich idealer Arbeitsteilung. Diese Idealvorstellungen hinsichtlich der Aufgaben- und Arbeitsteilung wurden gleichermaßen differenziert wie bei den Älteren entlang der o. g. vielfältigen Arbeitsbereiche erfragt. Alle Aussagen zu den genannten Themen werden gruppenübergreifend und gruppenspezi¿sch vergleichend zwischen den Generationen, Geschlechtern, Herkunftsgruppen und den Bildungsniveaus der Befragten untersucht.
Pragmatismus, gerechte Arbeitsteilung und männliche Helfer
79
Dieses erste, sehr komplexe Kapitel bezieht sich auch auf Themen und Erkenntnisse, die in den folgenden empirischen Kapiteln noch vertiefend dargestellt sind: ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Die ältere Generation macht nicht nur Aussagen zur aktuellen Praxis der Arbeitsteilung, sondern erzählt auch davon, wie sich das heutige Modell im Verlauf der Zeit und beeinÀusst durch verschiedene Lebensereignisse (z. B. Migration oder Geburt von Kindern) entwickelt hat (vgl. detailliert Kap. 5.2). Zur Beantwortung der Frage, welchen EinÀuss die Werte und Normen der Herkunftskultur bzw. das Leben im Herkunftsland auf Geschlechterarrangements haben, werden Aussagen der älteren Generation der Zugewanderten dazu untersucht, wie sich ihr Leben als Frau/Mann in Deutschland vom Leben im Herkunftsland unterscheidet. Bei diesem Vergleich der Lebensumstände und kulturellen Werte und Normen äußerten sich die Interviewten auch dazu, inwiefern sich das auch auf die familiale Arbeitsteilung auswirkt (vgl. detailliert Kap. 5.2). Vergleichende Sichtweisen der jüngeren auf die ältere Generation und umgekehrt werden ebenfalls im Kapitel 5.2 vertiefend dargestellt. Solche Bezüge auf die jeweils andere Generation verdeutlichen oft Besonderheiten bezüglich Einstellungen oder Lebensentwürfen der eigenen Generation, auch bezüglich der Geschlechterarrangements. Die Interviewten mit Zuwanderungsgeschichte beziehen sich in ihren Aussagen auch auf Besonderheiten lebensgeschichtlicher Verläufe bzw. auf das Herkunftsland und Deutschland. Hinsichtlich der Einstellungen und Erfahrungen zu den Themen Bildung und Beruf, die auch geschlechtsdifferenziert geäußert werden, wird verwiesen auf das Kapitel 5.5.
Vorbemerkungen zu den vorgefundenen Modellen von Geschlechterarrangements Bevor die empirischen Erkenntnisse zu Geschlechterarrangements und zur Aufgaben- und Arbeitsteilung dargestellt werden, werden im Folgenden zunächst die vorgefundenen Modelle von Geschlechterarrangements kurz erläutert. Ein Ergebnis der qualitativen Analyse der Interviewaussagen war, dass die in Familien vorherrschenden (gelebten oder gewünschten) Arbeitsteilungsmodelle den folgenden drei Gruppen zugeordnet wurden: a) b) c)
konservative Geschlechterarrangements bedingt egalitäre Geschlechterarrangements egalitäre Geschlechterarrangements.
Eine Ausdifferenzierung in mehr als drei Typen erschien angesichts des explorativen Charakters der Studie und der Größe der Fallzahl nicht zweckmäßig. Bei
80
Ergebnisse der Interviews
der Entwicklung der Modelle und der Zuordnung der Befragten zu ihnen wurden Aussagen zu den folgenden zentralen Bereichen der Arbeitsteilung einbezogen (andere wurden vernachlässigt): Erwerbsarbeit sowie Verantwortung für Kinderbetreuung, Waschen/Bügeln, Kochen/Essen zubereiten und Putzen/Staubsaugen. Die folgende Darstellung der Aufgaben- und Arbeitsteilung konzentriert sich deshalb zunächst auf diese genannten klassischen Bereiche – die weiteren Arbeitsfelder werden später getrennt beschrieben. Die gebildete Typologie ist als grobe Orientierung zu sehen. Eine zu starre Festschreibung ist mit der Typenbildung nicht intendiert, sie würde der Komplexität in den geschilderten Alltagserfahrungen und den vielfältigen Dynamiken innerhalb der familialen Geschlechterarrangements nicht gerecht. Dennoch können durch diese Typologie aufschlussreiche Tendenzen sichtbar gemacht werden. Das konservative Geschlechterarrangement: Kennzeichnend für das konservative Geschlechterarrangement ist, dass tendenziell das traditionelle Arbeitsteilungsmodell (männlicher Alleinverdiener plus Hausfrau) praktiziert wird. Wenn die Frau erwerbstätig ist, dann in geringem Umfang. Gleichzeitig ist sie (fast) allein für die klassischen Haushaltsbereiche zuständig. Der Mann übernimmt also nur geringe oder gar keine Verantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung. Diese für das traditionelle Ernährermodell geschlechtstypische Verteilung, bei der für den Innenbereich hauptsächlich die Mutter und für den Außenbereich ganz überwiegend der Vater verantwortlich ist, bildet das Grundmuster auch dann, wenn es nicht für alle Arbeitsbereiche gilt und nie völlig strikt getrennt praktiziert wird. Das bedingt egalitäre Geschlechterarrangement: Als bedingt egalitär wurden familiale Geschlechterarrangements dann eingestuft, wenn der Mann umfangreicher im Bereich der Haus- und Familienarbeit mithilft und die Frau in der Regel (zumindest in Teilzeit, halbtags oder mehr) auch erwerbstätig ist. Die Klassi¿zierung männlicher Hausarbeitsaktivitäten als ‚Mithilfe‘ weist aber darauf hin, dass die Frau immer noch den größeren Teil häuslicher Arbeit leistet. Sie ist gewissermaßen die ‚Familienmanagerin‘, der Mann die zuarbeitende ‚Hilfskraft‘. Oft sind in den Familien, die wir diesem Modell zugeordnet haben, beide Elternteile erwerbstätig. Diese Gruppe ist in sich besonders heterogen: Bei der Erwerbsarbeit reicht es vom Modell männlicher Haupternährer plus Zuverdienst der Frau bis dahin, dass die Erwerbsarbeit mit (annähernd) gleichen Zeitbudgets auf die Elternteile verteilt ist. In diesem Modell gestaltet sich die Verteilung zwar schon weniger stark geschlechtstypisch, sie ist aber hier und da noch vorhanden. Das heißt, manche Aufgaben im inneren Bereich der Familie erledigen regelmäßig und umfangreich Frau und Mann, andere werden auch Àexibler mal von ihm und mal von ihr erledigt
Pragmatismus, gerechte Arbeitsteilung und männliche Helfer
81
oder die eingebrachten Zeitbudgets nähern sich an. In der Haus- und Familienarbeit übernehmen die Männer teilweise einzelne Arbeitsbereiche in größerem zeitlichem Umfang als ihre Frauen oder in Einzelfällen auch ganz, während sie sich aus anderen möglicherweise partiell oder gar vollständig heraushalten. Das egalitäre Geschlechterarrangement: Ein Arbeitsteilungsmodell wird dann als egalitär bezeichnet, wenn Frauen und Männer gleichermaßen Erwerbs- wie Haus-/Familienarbeit leisten. In dieser Gruppe sind durchgängig beide Elternteile berufstätig und die Haus- und Familienarbeit wird, zum Teil abhängig vom Umfang der Erwerbstätigkeit, gleichmäßig auf beide verteilt. Hier wird die geschlechtstypische Festlegung von Arbeitsbereichen durchbrochen und seltener sind Mann oder Frau für einen bestimmten Bereich allein verantwortlich – auch wenn beide Elternteile bevorzugte Tätigkeiten verantworten, in die sie mehr Zeit investieren. In diesem Sinne weisen egalitäre Arbeitsteilungsmodelle die größte Flexibilität und Durchlässigkeit auf. 5.1.1
Aufgaben- und Arbeitsteilung bei der älteren Generation
In diesem ersten Unterkapitel wird die aktuell gelebte Aufgaben- und Arbeitsteilung in der älteren Generation der befragten Mutter/Tochter- und Vater/Sohn-Tandems vorgestellt. Die zu Interviewenden wurden zum Einstieg ins Gespräch nach ihren Tagesabläufen gefragt, was dann zum Thema Arbeitsteilung überleitete.40 Bei der befragten älteren Generation gibt es bei Müttern wie Vätern eine große Bandbreite der Modelle von Arbeitsteilung. Diese weisen im Lauf der Zeit mal eine (gewisse) Kontinuität auf, mal unterliegen sie auch Veränderungen im Lebenslauf, beispielsweise durch Arbeitslosigkeit, Stellenwechsel, Umzüge oder auch Trennungen. Wenn die hauptsächlich Erziehenden, meist die Mütter, nach einer familienbedingten Unterbrechung der Erwerbsarbeit wieder in den Beruf einsteigen, verändern sich die Geschlechterarrangements oft nochmals. Bei den Personen mit Zuwanderungsgeschichte kommt es bei einigen in Folge der Migration zu Brüchen in den Erwerbsbiographien, die oft (manchmal entgegen der Wünsche der Betroffenen) zu einer Traditionalisierung der Arbeitsteilung führen. Diese Erkenntnis ist ein Hinweis darauf, dass mangelnde strukturelle Integration (hier in den Arbeitsmarkt, z. T. durch die Nicht-Anerkennung von Bildungs- und Berufserfahrung) einen ‚Roll-back‘ der Geschlechterarrangements in Richtung
Es kam durch die intergenerative Interviewkonstellation auch dazu, dass die Beteiligung der Jüngeren an der Haus- und Familienarbeit thematisiert wurde. Diese wurde nicht systematisch ausgewertet. Welche Fragestellungen sich hieraus ergeben, wird am Ende des Kapitels kurz skizziert. 40
82
Ergebnisse der Interviews
Konservatismus verursachen oder befördern kann. (Vgl. zur Anerkennung von Quali¿kationen Kap. 5.5) Darüber hinaus ¿ndet sich natürlich im Sample dieser Studie auch die Vielfalt familialer Lebensformen, wie sie in der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu ¿ nden ist – die Befragten leben in klassischen bürgerlichen Kleinfamilien, in Patchwork-Familien und Ein-Eltern-Familien. Da die befragten Elternteile in Ein-Eltern-Familien keine aktuelle Arbeitsteilung in einer Partnerschaft leben, wurden sie keinem der vorgestellten Geschlechterarrangements zugeordnet und nicht gesondert analysiert. Betont wird nochmals, dass die in diesem Kapitel vorgestellten Erkenntnisse Momentaufnahmen sind, die sich im Zeitverlauf gewandelt haben und zukünftig immer wieder wandeln können. 5.1.1.1 Konservative Geschlechterarrangements bei den Älteren Insgesamt lässt sich etwas weniger als die Hälfte der älteren Generation dem Modell des konservativen Geschlechterarrangements zurechnen. Als typisch für dieses Modell der Arbeitsteilung wurde herausgestellt, dass häu¿g der Vater Familienernährer und die Mutter Hausfrau ist. Ungefähr ein Sechstel aller befragten Familien hat angegeben, dass die Mütter als Hausfrauen tätig sind und aktuell meist keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Von diesen Familien leben alle bis auf eine ein konservatives Geschlechterarrangement. Gut ein Drittel der Mütter im konservativen Arbeitsteilungsmodell sind somit ausschließlich Hausfrauen. Die überwiegende Mehrheit der Frauen, die immer wieder arbeitet oder gearbeitet hat, ist/war in Teilzeit berufstätig und übernimmt zusätzlich den Großteil der klassischen Hausarbeit. Unter den Interviewpartnerinnen/-partnern ¿nden sich wenige mehr Männer der älteren Generation, die über ein konservatives Arbeitsteilungsmodell berichten. Unter den Befragten mit konservativem Geschlechterarrangement ¿nden sich überwiegend Personen mit niedrigem und mittlerem Bildungsniveau. Ein Drittel der ‚Konservativen‘ hat ein hohes Bildungsniveau. Dabei fällt auf, dass die in der Gruppe Vertretenen mit einem hohen Bildungsniveau bis auf eine Person Männer sind. Das heißt, dass lediglich eine Frau mit einem hohen Bildungsniveau aus unserer Befragtengruppe der älteren Generation ein konservatives Geschlechterarrangement lebt. Die Gruppe der konservativen Älteren setzt sich zu je einem Drittel aus Befragten der drei Herkunftsgruppen zusammen. Damit wird deutlich, dass unter unseren Befragten ein Zusammenhang zwischen Herkunft und präferiertem Geschlechterarrangement ausgeschlossen werden muss.
Pragmatismus, gerechte Arbeitsteilung und männliche Helfer
83
Ein konservatives Arbeitsteilungsmodell stellt Murat Türk41 vor, der Diplomingenieur im Bereich Elektrotechnik ist. Seine Frau ist Hausfrau, hat aber auch ein hohes Bildungsniveau. Konservativ ist die aktuelle Geschlechterpraxis des Ehepaares, da der Mann einer Erwerbsarbeit nachgeht, nur vereinzelt Haushaltsaufgaben erledigt und die Frau fast die vollständige Hausarbeit übernimmt. Sie erledigt Waschen, Kochen und Putzen, ab und zu begleitet er sie beim Einkaufen. Auf die Frage nach der Verantwortung für den Haushalt antwortet er: „Hauptsächlich die Mutter. Aber wir teilen wo möglich. Ich gehe einkaufen natürlich ganz gerne mit ihr. Wir gehen zusammen einkaufen. Ansonsten Waschen, Wäsche waschen ist hauptsächlich ihre Aufgabe bzw. sie hat sich das als Aufgabe angeeignet. Spülen, Aufräumen, da beteiligen wir uns auch, aber reguliert ist es nicht. Meistens ist es ihre Aufgabe. Aber diese Aufgabe haben wir ihr nicht erteilt, sie hat sich diese Aufgabe selber angeeignet.“ (1Murat Türk, TR-M, 47 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 12)
Weitere Beispiele für konservative Geschlechterarrangements präsentieren die Befragten Olga Rust und Alfred Schneider, die jeweils im Tandem mit Tochter und Sohn interviewt wurden (sie gehören derselben Familie an). Er ist selbständiger Maler in der Baubranche, die Mutter gelernte Schneiderin und aktuell Hausfrau. Sie hilft gelegentlich mit in der Firma ihres Mannes. Der Interviewer fragt nach der Hausarbeit in der Familie: „[…] meine Frau die macht Hausfrau, Hausbedarf hier zu Hause. Natürlich sie ist tätig in der Firma so, räumt auf, Bürokram hin und her. Aber sie macht gleichzeitig auch das Haus, […] verwaltet hier, also im Haus kochen, waschen, sauber machen usw.“ (1Alfred Schneider, SU-M, 46 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 9)
Bei der Schilderung ihres Tagesablaufs erzählt Olga Rust von der Arbeit ihres Mannes als Selbständiger: „Olga Rust: Mein Mann ist selbstständig. Das heißt ‚selbst‘ und ‚ständig‘ (lachend). Die Zeiten sind unterschiedlich. Manchmal ist um 6 Schluss, aber dann seine Papiere in Ordnung bringen usw. Also, frühestens um halb sieben ist er zu Hause. Manchmal um halb neun. Es ist unterschiedlich. […] INT: Ist er im Haushalt für manche Sachen ebenso zuständig oder machen Sie alles im Haushalt alleine ? Wenn er Ihnen hilft, dann in welchen Bereichen inwieweit ? […]
41
Alle Namen der Interviewten sind Pseudonyme (vgl. Zitierregeln im Anhang).
84
Ergebnisse der Interviews Olga Rust: Na ja, manchmal kauft er ein. Manchmal kaufen wir zusammen ein. Aber im Großen und Ganzen mache ich das selber.“ (1Olga Rust, SU-W, 48 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 11–17)
Ein weiteres Beispiel für diese Gruppe ist Helga Bergmann. Das Beispiel ist zur Veranschaulichung auch deshalb interessant, weil hier ebenfalls der Vater der Familie (Hans Meisner) und der Sohn interviewt wurden. Herr Meisner ist Industriekaufmann, Frau Bergmann ist Nachtschwester und arbeitet nach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung wieder in einer halben Stelle. Sie trägt die Hauptverantwortung für ca. 70 % des Haushalts. Hausarbeiten wie Kochen, Wäsche und Putzen erledigt sie. Auf die Frage zur Kindererziehung antwortet sie: „Ich habe hin und wieder mal gesagt, ich bin allein erziehend, weil mein Mann von morgens bis abends arbeiten war oder als sie klein waren, war er noch in A-dorf tätig. Da brauchte es mehr Zeit, um erstmal dahin zu fahren und dann kam er mittags nicht wieder und abends war er auch spät. Beziehungsweise manche Reise steht auch an, dass er ganz weg war. Also das war schon anstrengend.“ (1Helga Bergmann, DT-W, 49 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 79)
Herr Meisner, der Vollzeit beschäftigt ist und immer wieder auch Überstunden leistet, bestätigt den Umfang ihrer Haushaltsarbeit und schildert seine Mithilfe, die er u. a. am Wochenende einbringt: „Haushalt natürlich zum großen Teil bei meiner Frau, wobei ich schon versuche dann zu ergänzen. Am Wochenende übernehm ich z. B. den Part vom Kochen von samstags bis Sonntag abends […] Wenn meine Frau krank ist, dann würd ich natürlich auch staubsaugen oder… das kommt vielleicht drei, vier Mal im Jahr vor, wo ich dann den Staubsauger selber in die Hand nehme. Das war schon mal mehr […]. Also, vor den Kindern war der Anteil dort höher.“ (1Hans Meisner, DT-M, 52 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 74–76)
In einigen Familien gibt es den Trend, dass mit zunehmendem Alter der Kinder der Anteil der Zuarbeit der Väter etwas ansteigt. Dann gehen viele der Frauen wieder einer Erwerbsarbeit nach, das Arbeitsteilungsmodell verändert sich aber in der Regel nicht grundlegendIm Hinblick auf den EinÀuss der Kultur bzw. Migration zeigt sich bei vier der Familien mit Zuwanderungsgeschichte (je zwei aus der Türkei und aus der ehemaligen Sowjetunion) eine überraschende Tendenz: Heute ist das Arbeitsteilungsmodell teilweise konservativer als in der Zeit, als die Kinder klein waren. Denn da haben die Männer neben ihrer Arbeit mehr geholfen als heute, so dass diese Familien in dieser Zeit eher bedingt egalitäre Geschlechterarrangements lebten. Ein solches Beispiel schildert Pamire Kara.
Pragmatismus, gerechte Arbeitsteilung und männliche Helfer
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Ihr Mann war in der Türkei Beamter und ist in Deutschland Arbeiter. Sie arbeitet halbtags als Küchenhilfe. Heute hat die Mutter die Hauptverantwortung für die Haushaltsarbeit und die Tochter hilft mit. Vor der Geburt der Kinder und während der Kinderbetreuungszeit hatten die Eltern aber eine eher egalitäre Geschlechterpraxis, die Mutter hat beispielsweise erst vom Vater Kochen gelernt. Sie war mit ihrem neu geborenen Kind zunächst ohne ihren Mann oder ihre Familie in Deutschland; Hilfe erhielt sie von einer Nachbarin. Wenig später holte sie ihren Mann nach und ging bereits sechs Wochen nach der Geburt wieder arbeiten. Er übernahm zeitweise die Versorgung und Betreuung des Kindes, später waren beide berufstätig. Als das Kind noch klein war, wurden die Aufgaben geteilt: „In der Zeit hatten wir keine Maschine, […] mit der Hand haben wir gewaschen. Ich habe gewaschen oder getrocknet, er hat gewaschen, ich habe getrocknet. Danach Essen, hat er Essen gemacht, ich […] habe gewaschen usw., aufgehangen, also wir haben alles zusammen gemacht.“ (1Pamire Kara, TR-W, 58 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 31)
Später nahm aber seine Beteiligung wieder ab und sie übernahm einen Großteil der Hausarbeit. Aufgrund der kleinen Fallzahl kann man diesen Aspekt allerdings nur unter Vorbehalt als Trend bezeichnen, da das Thema der väterlichen Mithilfe in der Kleinkindphase nicht systematisch erhoben wurde. Vor allem bei Zugewanderten aus der ehemaligen Sowjetunion kam es teilweise dazu, dass (bedingt) egalitäre Arbeitsteilungsmodelle in Deutschland nicht mehr realisiert werden konnten. Einzelne sind unter dem Quali¿kationsniveau des Herkunftslandes beschäftigt, was auch an der Nicht-Anerkennung von Abschlüssen liegt.42 Ein Beispiel dafür, wie solche Benachteiligungen hinsichtlich der Integration auf dem Arbeitsmarkt zur Traditionalisierung des Geschlechterarrangements führen, ist Familie Ahrens. Anne Ahrens war in Kasachstan als Chemietechnikerin tätig. Ihr Mann war dort Tischler und arbeitet in Deutschland als Lagerarbeiter. Da ihr Abschluss nicht anerkannt wurde, arbeitet Frau Ahrens in Deutschland als Reinigungskraft im Rahmen eines Minijobs. Trotz ihrer Berufstätigkeit in Kasachstan (sie hatte ein höheres Gehalt als der Mann), war die Arbeitsteilung mit ihrem Mann dort egalitärer. Heute lebt das Paar eine konservative Geschlechterpraxis, die Mutter übernimmt komplett die Haushaltsarbeit und der Vater geht arbeiten. Sie übernimmt z. B. nach eigenen Schätzungen zu 90 Prozent das Kochen, Waschen, Bügeln und Putzen. Allerdings erledigt er alle Einkäufe. Reparaturen sowie Gartenarbeit machen beide gemeinsam.
42
Vertiefend wird dieses Thema in den Kapiteln 5.2. und 5.5. behandelt.
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Ergebnisse der Interviews
5.1.1.2 Bedingt egalitäre Geschlechterarrangements bei den Älteren Ein Viertel der älteren Befragten praktiziert ein bedingt egalitäres Geschlechterarrangement. Entsprechende Arbeitsteilungsmodelle schildern unter den Befragten zu etwa einem Drittel Frauen und zu zwei Dritteln Männer. Die Verteilung nach Herkunft ist beinahe ausgewogen. Mit einem Anteil von etwa zwei Dritteln sind in dieser Gruppe hohe Bildungsniveaus gegenüber niedrigen und mittleren Quali¿kationen überrepräsentiert. Gabriele Neumann kann zu dieser Gruppe gerechnet werden, da sie trotz Berufstätigkeit beider Eheleute in der Tendenz für mehr Hausarbeit zuständig ist. Sie arbeitet als Rechtsanwaltsfachangestellte und ihr Mann als Hausmeister, beide in Vollzeit. Sie erzählt von den Veränderungen der familialen Arbeitsteilung im Zeitverlauf, erwähnt dann den Wechsel zu ihrer aktuellen Stelle und fährt fort: „[…] weil ich jetzt einen weiteren Arbeitsweg habe und dadurch, dass die Kinder halt selbständig wurden und außer Haus wollen, ja, ist das halt dann so, dann hat mein Mann halt schon mehr Aufgaben im Haushalt übernommen, weil ich einfach auch die Zeit nicht mehr dazu hatte. […] Und jetzt sowieso noch mehr. Seit wir halt umgezogen sind und hier im Haus wohnen, weil er ist schon um halb vier zu Hause und ich erst um zehn nach sechs. Von daher gesehen macht er schon so Kochen und so was. Ich mein’, gut, Putzen und Bügeln und so was, das macht er nicht. Das bleibt bei mir.“ (1Gabriele Neumann, DT-W, 50 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 27–29)
Trotz ihrer höheren Arbeitsbelastung und seiner zunehmenden Mithilfe ist sie immer noch für den größeren Teil der Hausarbeit zuständig. Ähnlich gelagert ist der Fall bei Kamber Karadag, der als Angestellter der Stadt beschäftigt ist. Seine Frau arbeitet als Kosmetikerin und absolviert ein Fernstudium zur Öffentlichkeitsarbeit. Beide sind nicht Vollzeit tätig und haben unregelmäßige Arbeitszeiten. Das Paar lebt ein bedingt egalitäres Modell der Arbeitsteilung, weil Frau Karadag trotz ihrer Berufstätigkeit mehr im Haushalt macht. Er beschreibt seine Beteiligung am Haushalt so: „Kamber Karadag: […] ich kann alles kochen, die wissen, die Kinder. Ich kann genauso kochen wie meine Frau, aber die, weil sie meistens auch zu Hause ist, die kocht das, die macht das. Aber manchmal habe ich auch Lust zu kochen, dann koche ich auch. […] Wenn wir Gäste bekommen, natürlich, helfen wir den ganzen Tag […]. INT: Wie sieht’s mit anderen Dingen aus, wie Wäschewaschen ? Kamber Karadag: Ich sagte, Wäsche, Wäschesachen macht immer sie. Prozentual macht sie fast 100 Prozent. Fast 100 Prozent für uns alle. Manchmal machen die Kinder auch, aber ich [habe] noch keine Wäsche in die Waschmaschine rein getan. (lachend) Noch nicht. Aber sie macht das […]. Bügeln ist meine Aufgabe, das wissen
Pragmatismus, gerechte Arbeitsteilung und männliche Helfer
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die Kinder. Das mein ich vorher, dass wir, das mache ich alles selbst. […] Also, Spülen, Bügeln, das mache ich, Schuhe Putzen- […] Reinigen. Ich möchte auch so sichtbare Sachen möchte ich auch selbst machen und sehen. In unseren Beruf kann man nicht so viel sehen, was wir geleistet haben.“ (1Kamber Karadag, TR-M, 61 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 68–76)
Nachdem das Paar in der Vergangenheit auch schon mal ein konservatives Geschlechterarrangement praktiziert hatte, hat sich die aktuelle Arbeitsteilung etwas zugunsten der Frau verändert, wenngleich sie weiterhin trotz Erwerbsarbeit mehr Tätigkeiten im Haushalt übernimmt. 5.1.1.3 Egalitäre Geschlechterarrangements bei den Älteren Über ein egalitäres Geschlechterarrangement berichten nur Einzelne aus der älteren Generation – zu gleichen Teilen aus der ehemaligen Sowjetunion und Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte. Unter den Älteren sind es ebenso viele Männer wie Frauen, die ein egalitäres Geschlechterarrangement leben. Dabei handelt es sich ausschließlich um Personen, die über ein hohes Bildungsniveau verfügen und von denen beide einer Erwerbstätigkeit mit ähnlichen Zeitbudgets nachgehen. Ein Beispiel ist Hermann Fischer, der in der Gastronomie arbeitet. Seine Frau ist promovierte Ägyptologin, beide haben unregelmäßige Arbeitszeiten und damit einen unregelmäßigen Alltag. Die Aufgabenteilung in der Partnerschaft ist eher pragmatisch und wenig festgelegt, er kocht hauptsächlich und schätzt die Verteilung der Hausarbeit auf 50/50: „Es ist bis heute so, dass meine Frau eben in der Hauptsache für die Wäsche zuständig ist und ich in der Hauptsache den Küchenbereich übernommen habe […] ich glaube, dass wir eine Rollenverteilung, sowohl im klassischen Sinne als auch überhaupt, dadurch, dass wir eigentlich alle für alle, für alles zuständig waren, bei uns einfach nicht gelebt wurde, bis heute nicht gelebt wird.“ (1Herman Fischer, DT-M, 45 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 83–89)
Ein egalitäres Geschlechterarrangement lebt auch Katharina Dolinkova mit ihrem Mann. Sie war in der ehemaligen Sowjetunion Architektin und ist in Deutschland freiberuÀich als Künstlerin tätig. Ihr Mann war in Russland Bauingenieur und arbeitet hier selbständig im Vertrieb. Das Ehepaar hat einen unregelmäßigen Tagesablauf, weil beide freiberuÀich erwerbstätig sind. Konkret sieht die Arbeitsteilung so aus, dass beide das Kochen und Einkaufen übernehmen. Andere Arbeiten sind aufgeteilt: Sie macht die Wäsche, er wischt Staub, wischt die Böden und putzt die Fenster. Das Einkaufen teilen sich beide nach Schätzungen von Frau Dolinkova
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Ergebnisse der Interviews
ungefähr im Verhältnis 30 Prozent (er) zu 70 Prozent (sie). Im Bericht über ihren Tagesablauf kommt sie auf die Arbeitsteilung zu sprechen: „Katharina Dolinkova: Wir haben nicht so was, dass nur ich koche, oder nur mein Mann kocht. Es ist eher spontan, irgendwie macht jeder selbst, freiwillig so zu sagen. Keiner wird gezwungen, etwas zuzubereiten. Wir entscheiden einfach, dass wir etwas zum Essen kaufen sollen. INT: Wer erledigt solche Sachen im Haushalt –, wir reden jetzt übrigens über Haushalt, also, wie Waschen, Saubermachen ? Katharina Dolinkova: Nun, Waschen erledige ich. Weil, so hat es sich nun ergeben. Obwohl in unserer Familie kann es jeder machen: Kinder, mein Mann, es ist überhaupt kein Problem. Weil, das Waschen besteht nur daraus, dass man die Waschmaschine anstellt. Einkäufe werden nach der Notwendigkeit erledigt. Wenn wir was brauchen, schreiben wir das auf einen Zettel. Dann geht mein Mann einkaufen, oder auch ich.“ (1Katharina Dolinkova, SU-W, 56 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 24–28)
5.1.1.4 Aussagen zu den zusätzlichen Haushaltsbereichen bei den Älteren Die Erhebung der familiären Arbeitsteilung in den untersuchten Familien orientierte sich an den Items der Sinus-Studie, mit denen über die klassischen Bereiche hinaus eine Vielzahl von Arbeitsbereichen ermittelt wurde. Unsere Befragten machten in den Interviews auch Aussagen zu den Tätigkeitsfeldern Einkaufen, Reparaturen, Bankgeschäfte, Streitschlichten, KontaktpÀege (Freunde und Nachbarschaft), Behördenbriefe schreiben, Entscheiden über größere Anschaffungen, PÀege von Angehörigen und Sonstiges (Gartenarbeit usw.).43 Nachfolgend sollen diese Angaben kurz zusammengefasst werden. Zum Bereich Einkaufen geben alle egalitär orientierten Befragten an, diese Arbeit gemeinsam zu erledigen. Insgesamt sind Frauen der älteren Generation jedoch doppelt so häu¿g in der Allein- bzw. Hauptverantwortung für diese Arbeit, der Anteil der Frauen mit Zuwanderungsgeschichte ist in dieser Hinsicht nur geringfügig höher. Abgesehen davon sind bezüglich Herkunft oder Bildungsniveau keine Auffälligkeiten erkennbar. Die Antworten variieren außerdem je nach konkreten Umständen: z. B. nach Anzahl der Einkäufe pro Woche, ob sich Arbeits- und Einkaufsweg verbinden lassen, wer überwiegend das gemeinsame Auto benutzt usw. Im Folgenden sind immer Angaben derjenigen Befragten gemeint, die Aussagen zu den Arbeitsbereichen gemacht haben. Wie weiter oben bereits dargestellt, haben sich aber nicht alle Befragten zu allen Aufgabenbereichen geäußert, so dass die dargestellten Ergebnisse als grobe Trends zu verstehen sind.
43
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Der Arbeitsbereich Reparaturen ist dagegen der am stärksten geschlechtsdifferenzierte. Fast alle Älteren geben an, dass Reparaturen in der Verantwortung des Mannes liegen, viele von ihnen bezeichnen dies sogar als selbstverständlich. Nur Einzelne sehen hier eine gemeinsame Verantwortung. (Ein Befragter aus den GUSStaaten unterscheidet allerdings zwischen Möbelreparaturen und Näharbeiten.) Insgesamt sind keine Besonderheiten nach Herkunft und Bildungsniveau erkennbar. Die Aussagen zum Thema Bankgeschäfte liefern im Vergleich dazu ein gemischtes Bild: Die meisten (etwa die Hälfte aller Befragten) gaben an, dass der Mann dafür zuständig sei, bei den übrigen sind beide Partner gemeinsam verantwortlich, nur in Einzelfällen die Frau allein. Besonderheiten nach Herkunft und Bildungsniveau fallen hier nicht ins Gewicht. Beim Thema Streitschlichten sieht der Großteil die Zuständigkeit nur bei einem Partner: entweder bei Mann oder Frau (ungefähr zu gleichen Teilen), nur rund ein Viertel der Interviewten sieht beide Partner gemeinsam in der Verantwortung. Besonderheiten nach Herkunft und Bildungsniveau sind nicht feststellbar. Rund die Hälfte der Interviewten sieht KontaktpÀege zu Freunden und Nachbarn als Aufgabe der Frau. Die übrigen sind der Ansicht, dass KontaktpÀege eine gemeinsame Angelegenheit sei, wobei punktuell auch deutlich wird, dass z. T. unterschiedliche Freundeskreise existieren, dass die Organisation (z. B. Terminabsprache) im konkreten Fall doch von der Frau übernommen wird und im Einzelfall von ihr auch die Freunde des Mannes „gleich mitgepÀegt“ würden. Nur einmal wird gesagt, dass KontaktpÀege allein in die Zuständigkeit des Mannes falle. Alle Befragten der älteren Generation (bis auf zwei Ausnahmen, in denen jeweils der Mann oder die Frau allein zuständig ist) sagen aus, dass die Entscheidung über größere Anschaffungen gemeinsam getroffen wird. Punktuell werden dafür auch die Kinder einbezogen. Die Mehrheit der Interviewten beschreibt, dass Frau und Mann gemeinsam für die PÀege hilfsbedürftiger Angehöriger verantwortlich sind bzw. sein sollten. Als alleinige Aufgabe der Frau bezeichnet das nur eine Minderheit, obwohl deutlich wird, dass in einem konkreten Fall (wegen der Erwerbstätigkeit des Mannes) die Ehefrau allein verantwortlich war. Nach Herkunft oder Bildungsniveau können diesbezüglich jedoch keine Unterschiede festgestellt werden. Für den Bereich Sonstiges wurde nur Gartenarbeit erwähnt, die bei allen Befragten (bis auf eine Ausnahme) in die Verantwortung des Mannes fällt. 5.1.2
Aufgaben- und Arbeitsteilung bei der jüngeren Generation
Parallel zu den gerade vorgestellten empirischen Erkenntnissen zur älteren Generation kann man bereits einleitend vorwegnehmen, dass die Geschlechterarrangements der Jüngeren ebenso facettenreich sind wie die der Älteren. Dabei ist nicht
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Ergebnisse der Interviews
nur die Kinderlosigkeit der Jüngeren zu beachten sondern auch, dass sich bei einem erheblichen Teil der Jüngeren die Aufgaben- und Arbeitsteilung auf der Ebene der Idealvorstellungen für die Zukunft bewegt, da diese in vielen Fällen noch bei den Eltern leben und/oder keine feste Partnerschaft haben. Bevor nun die verschiedenen Geschlechterarrangements im Einzelnen vorgestellt werden, sollen vorab noch einige interessante Facetten von Interviewaussagen dargestellt werden, die teilweise quer liegen zu den egalitären bis konservativen Arbeitsteilungsmodellen bzw. sich auf einer übergeordneten Ebene be¿nden. 5.1.2.1 Grundsätzliche Trends in der Aufgabenteilung bei den Jüngeren „Gerechte Arbeitsteilung“ Ein großes Thema, vor allem bei bedingt egalitär und egalitär eingestellten Jüngeren, ist das Thema der Gerechtigkeit in Bezug auf partnerschaftliche Arbeitsteilungsmodelle. Die Lehramtsreferendarin Cansu Akdeniz, die aktuell zwar keinen Partner, aber bereits Erfahrungen aus einer gescheiterten langjährigen Beziehung hat, fordert eine gerechte Arbeitsteilung ein: „Cansu Akdeniz: Die Aufgabenverteilung sollte gerecht sein. Es sollte natürlich auch auf den Tagesablauf rhythmisch passen: Wenn mein Partner auch Lehrer ist, könnte es vielleicht sein, dass wir den restlichen Tag dann die Arbeitsaufteilung gemeinsam aufteilen, indem wir gemeinsam kochen oder derjenige, der kommt, kocht zuerst und dann räumt man gemeinsam ab und erledigt alle Aufgaben gemeinsam, wobei bestimmte Dinge natürlich Prioritäten haben. Wenn mein Partner auch Lehrer ist […] und Korrekturen hat, hat er natürlich Vorrang und darf sich dann ins Arbeitszimmer setzen. Und wenn ich die dann nicht habe, würde ich natürlich den Haushalt vorziehen. Aber dasselbe erwarte ich auch von ihm. INT: Also schon gleichberechtigte Aufgabenteilung ? ! Cansu Akdeniz: Immer, immer, ja.“ (2Cansu Akdeniz, TR-W, 27 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 9–13)
Als gerecht angesehen wird von einigen eine Verteilung von Zeitbudgets, die von Frau und Mann in die Haushaltsarbeit eingebracht werden, wenn sie im Verhältnis stehen zur zeitlichen Belastung beider durch ihre Erwerbsarbeit. Dahingehend äußert sich auch ein Student, der später Wirtschaftsingenieur werden möchte. Denis Perov hat eine Freundin, lebt aber ohne sie im eigenen Haushalt: „Ich ¿nde, es muss gerecht sein: Wer mehr Zeit hat, der muss sich mehr um den Aufwand zuhause kümmern im Haushalt. Aber es geht genauso um mich, wenn ich mehr Zeit habe, kann ich natürlich auch kochen. Es ist gar kein Problem, macht mir sogar
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Spaß. Aber meistens macht das meine Freundin.“ (2Denis Perov, SU-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 34)
In diesem Zitat wird andeutungsweise der bereits in der Literatur (z. B. Wippermann 2008) häu¿ger festgestellte Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit in der geschlechtsspezi¿schen Aufgabenteilung deutlich: Denis wäre bereit zu kochen, faktisch übernimmt dies aber seine Freundin. Auch ein junger Mann, der ein konservatives Geschlechterarrangement bevorzugt und noch ohne Freundin bei den Eltern lebt, bezieht sich hinsichtlich der Arbeitsteilung auf den Wert Gerechtigkeit: „Bei mir, also mir geht es – ich hab natürlich dann auch konkrete Vorstellungen, wie das aussehen soll. Bei mir geht es einfach bei der Rollenverteilung dann schon darum, dass eben die Aufgaben auch relativ gerecht, was das dann ist, muss man dann im Einzelnen schauen, aber relativ gerecht aufgeteilt werden.“ (2Tobias Fischer, DT-M, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 197)
Pragmatische Modelle Ein weiteres bei einem Teil der Jüngeren feststellbares Phänomen lässt sich als Pragmatismus beschreiben. Pragmatikerinnen und Pragmatiker machen ihr Arbeitsteilungsmodell von der beruÀichen Entwicklung, dem Einkommen beider und von der verbleibenden Zeit für den Haushalt abhängig. In den geäußerten Idealvorstellungen vieler wird zudem sichtbar, dass sie sich von den klassischen geschlechtstypischen Zuschreibungen lösen bzw. lösen möchten. Dabei werden sehr unterschiedliche Motive sichtbar, warum die Befragten eine Àexiblere Aufteilung bevorzugen. Ein Orientierungsmuster, das sich bei einem Teil der Interviewten beobachten lässt, bezieht sich auf die Kompetenzen der Partner. Cansu Akdeniz, die sich egalitär orientiert, begründet ihr nicht geschlechtsdifferenziertes Modell mehr mit den individuellen Fähigkeiten, die in der Partnerschaft vorhanden sind: „Also ich würd’ das nicht auf die Geschlechter verteilen. Das hat was mit Kompetenzen zu tun. Wenn ich in der Küche gut kochen kann, was ich nicht kann, dann würd’ ich das natürlich gerne tun. Das werd’ ich aber später nicht tun können. Aber dafür bin ich zum Beispiel im Organisieren und […] bestimmte Dinge abzuklären, [da] bin ich eher kompetenter. Dann würd’ ich natürlich diese Schwerpunkte vorziehen. Ich kann eigentlich Gäste gut empfangen aber ich denke, dass das auch mein Partner tun kann oder tun wird. Deswegen guck’ ich jetzt nicht auf die Geschlechterrolle, wer was macht, sondern die Aufgabenschwerpunkte liegen [darin], welche Kompetenz und wie geeignet und was der am besten kann […]. Hat also jetzt nichts mit der Per-
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Ergebnisse der Interviews son zu tun, individueller Bezug ist das.“ (2Cansu Akdeniz, TR-W, 27 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 21–23)
Brüche zwischen Einstellung und Praxis Die Interviewaussagen der jüngeren Frauen wie Männer offenbaren Brüche zwischen Einstellungen und der realistischen Einschätzung der Möglichkeiten ihrer Umsetzung, die zudem deutlich geschlechtsdifferenzierte Facetten aufweisen. Es gibt einige Frauen, die ihre Wünsche hinsichtlich der Idealvorstellung ihrer zukünftigen Geschlechterarrangements herunterschrauben. Gedanklich nehmen sie vorweg, dass ihre Wünsche eventuell nicht realisierbar sind und positionieren sich selbst dadurch konservativer als sie sich bezüglich ihrer Geschlechterleitbilder äußern. Eine starke Spannung zwischen ihrer egalitären Orientierung und ihrer Sorge, diese später nicht verwirklichen zu können, emp¿ndet z. B. Lisa Bergmann, die noch bei den Eltern wohnt und ein Studium im Bereich International Business absolviert. Der Grund für ihre Bedenken sind ihre aktuellen Erfahrungen in ihrer Familie: „Weil zum Beispiel, wenn ich jetzt in der Küche stehe und, ich hatte im Moment so ein Beispiel mit meinem Bruder, bin ich zum Beispiel diejenige, die dann auch irgendwie […] sagt ‚O. k., dann lass mich das machen‘. Ich würde schon sagen, dass ich das trotzdem immer noch so sehen würde, dass es jetzt mein Bereich [wäre], also wenn ich sage: ‚O. k., es soll auch geteilt werden, die Rollen.‘ Und trotzdem wäre ich diejenige, die trotzdem, glaube ich, immer noch die große Rolle [im Bereich Haushalt] […] übernimmt, das schon, auch wenn ich versuche, das nicht so zu machen, aber ich glaube, in letzter Konsequenz könnte es doch trotzdem sein, dass man es ja nicht, ich weiß nicht, nicht schafft, oder dass ich schon mich unterordnen würde. Und sage: Ja, o. k., mach du mal, also, ich bin die Untergeordnete und der Mann ist übergeordnet, also das kann ich mir schon vorstellen.“ (2Lisa Bergmann, DT-W, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 311)
Gedanklich nimmt sie also für ihre Zukunft vorweg, dass sie angesichts einer Auseinandersetzung mit einem Partner um die Arbeitsteilung resignieren bzw. unterliegen könnte und ist unsicher, ob sie die von ihr angestrebte gerechte Verteilung der Hausarbeit durchsetzen kann. Bei diesen Frauen entfalten solche inneren Auseinandersetzungen möglicherweise eine starke eigene Dynamik, die in Verbindung mit realen AushandlungskonÀikten oder auch davon unabhängig dazu führen können, dass ihre Kraft zur Durchsetzung der gewünschten egalitären Entwürfe gebremst wird. Tendenziell ähnlich lässt sich auch die Aussage der egalitär ausgerichteten Studentin Sabine Ahrens verstehen, die aktuell nicht in einer Partnerschaft lebt:
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„[…] denn wenn ich acht Stunden am Tag arbeite, muss das so oder so irgendwie aufgeteilt werden. Das kann ich nicht alleine machen und er dann auch nicht. Also muss es gerecht aufgeteilt werden, natürlich werd ich dann wahrscheinlich, weil’s (seufzt) ja so ist, als Frau die meiste Arbeit haben […].“ (Sabine Ahrens, SU-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 70)
Etwas anders gelagert als die bisherigen Fälle ist das Beispiel von Resul Türk. Bei ihm geht es weniger um Brüche zwischen Einstellung und Praxis als um Brüche auf der Einstellungsebene. Der Schüler, der das Abitur anstrebt, wohnt bei den Eltern und hat eine Freundin. Im Rahmen seines bedingt egalitären Entwurfs einer idealen zukünftigen Arbeitsteilung möchte Resul Türk, von der Erledigung der Wäsche abgesehen, die Haushaltsbereiche Einkaufen und Kochen zu gleichen Teilen übernehmen: „Partnerschaft, ja, bei den meisten Freunden ist es so, dass sie der Meinung sind, dass sie irgendwie auf die Karriere ¿xiert sind. Emanzipation und so, und dass sie nicht kochen können und wollen. Es ist so eine Sache. Ich sage nicht: ‚Ja, du musst kochen und putzen und darfst nichts anderes machen.‘ Da sollte schon Ausgewogenheit herrschen, dass jeder mal anpackt. Es ist nicht so, dass ich der Frau vorschreiben würde: ‚Du kochst für mich.‘, weil ich auch gerne koche, wenn nichts da ist oder wenn ich am Wochenende später aufstehe als die meisten. Ich mache mir schon selbst Essen. Rollenverteilung, ich bin eher dafür, dass meine Lebensabschnittsgefährtin in der Zukunft, ja nach dem, meine Frau oder so, sollte schon studieren und Karriere machen, durch die Beziehung keine Steine in [den] Weg legen. Aber sie sollte sich auch nicht unbedingt von diesen zugeschriebenen Rollen, geschlechtszugeordneten Rollen, total abwenden.“ (2Resul Türk, TR-M, 18 Jahre, Schüler, Absatz 42)
Auch wenn er seine Aussage am Ende nicht konkretisiert, offenbart Resul Türk doch, dass es zu Spannungen zwischen der Orientierung an einem bedingt egalitären Arbeitsteilungsmodell und konservativen geschlechterkulturellen Einstellungen kommen kann. Besonders bei vielen Männern sind, unabhängig von ihrer Herkunft, Diskrepanzen zwischen Einstellungen und (vorgestellter) Praxis zu beobachten. Einige Männer äußern auf die Frage nach ihren Idealvorstellungen von Arbeitsteilung, dass sie eine gerechte Verteilung begrüßen. Erst bei den konkreten Nachfragen relativieren sie dann häu¿g diese Vorstellungen und geben zu, im Haushalt doch weniger zu leisten bzw. leisten zu wollen.44 44 Dies war auch ein Ergebnis der Sinus-Studie „Wege zur Gleichstellung heute und morgen“ (Befragung von Deutschen ohne Zuwanderungsgeschichte; Sinus Sociovision 2007c). Es scheint sich also um ein transkulturelles Phänomen zu handeln.
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Ein Beispiel ist Bulut Saman, der ebenfalls noch bei den Eltern lebt und keine Freundin hat. Auf die Frage, wie die Arbeitsbereiche Kochen, Waschen und Bügeln im Idealfall verteilt sein sollten, antwortet er, dass das zu gleichen Teilen Aufgabe von Frau und Mann sei. „INT: Und was ist jetzt mit Waschen ? Wie würdest du dich da beteiligen ? Bulut Saman: Wäsche waschen, meinst du, da konnte ich mich gar nicht beteiligen. Also, weil, ich kann einfach nicht die Waschmaschine bedienen, ich habe es noch nie gemacht. Ich weiß nicht, wie man in Weiß- und Buntwäsche trennt. INT: Kochen ? Bulut Saman: Kochen ? Ich bin kein Koch, ich kann nicht wirklich sehr gut kochen, aber ich würde jetzt nicht irgendwie zu Hause verhungern, wenn jetzt meine Partnerin nicht gekocht hätte, also, ich würde […] mir [schon] selber was kochen können.“ (2Bulut Saman, TR-M, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 32–34)
Offenbar hat sich, unabhängig von der Herkunft, bei vielen Männern neben einer durchaus vorhandenen Gleichstellungsorientierung gleichzeitig eine Vorstellung herausgebildet, die punktuell der Praxis nicht entspricht oder sich nach konkreten alltagsnahen Nachfragen doch als bloße Gleichstellungsrhetorik entpuppt. Arbeitsteilung und Erwerbsarbeitsverlauf Wie verknüpfen die jüngeren Befragten, die sich in Partnerschaften be¿nden, ihre Arbeitsteilungsmodelle mit den Verläufen der beruÀichen Etablierung von Mann und Frau ? Bei einigen kommt es zur Flexibilisierung ihrer Modelle der Aufgabenteilung. Dabei greifen Vorstellungen über die Berufstätigkeit von Frau und Mann oft ineinander mit Einstellungen zu Geschlechterleitbildern. Ein Student, dessen etwas ältere Freundin Lehrerin ist, verbindet geschlechterkulturelle Orientierungen mit den Möglichkeiten beruÀicher Verläufe und zeigt sich offen für verschiedene Alternativen: „Ich könnte mir schon vorstellen, dass diese Rollenbilder zwischen Männern und Weiblein sich irgendwie geändert haben. Ich merke das schon, dass ich meiner Freundin, krass gesagt oder platt gesagt, nichts befehlen kann, dass man das schon irgendwie ja, dass sich das geändert hat, dass man da nicht irgendwie in festen Rollenklischees stecken kann oder so, [dass] ich mich da für Dinge, [wo] man früher vielleicht gesagt hat: ‚Das ist Frauenarbeit‘ oder so, […] genauso angesprochen fühle, und ich mich z. B., wie ich schon gesagt habe, Erziehung oder so, […] meinen Job dann zu unterbrechen, wenn das so möglich ist. Ich würde eine zeitlang die Erziehung übernehmen, wenn z. B. meine Frau oder Freundin einfach eine bessere Position hat und es für sie schlechter ist, aus dem Beruf auszusteigen oder so. [Da] gibt es viele
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Möglichkeiten, die man […] durchspielen kann.“ (2Niklas Kunz, DT-M, 24 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 67)
Für die dargestellten Aspekte lassen sich insgesamt keine offensichtlichen Tendenzen dafür ausmachen, dass sich bestimmte Haltungen nach Geschlecht, Herkunft oder Bildungsniveau häufen würden. 5.1.2.2 Konservative Geschlechterarrangements bei den Jüngeren Einige wenige der Interviewten der jüngeren Generation streben für sich ein konservatives Geschlechterarrangement an. Bis auf eine Frau türkischer Herkunft äußern eine solche Idealvorstellung ausschließlich junge Männer (aller Herkunftsgruppen, aber etwas häu¿ger ohne Zuwanderungsgeschichte). Anzutreffen sind in dieser Gruppe, bis auf einen Mann mit hohem Bildungsniveau, zudem ausschließlich Jüngere mit höchstens mittlerem Bildungsniveau. Besonders auffällig sind die Aussagen eines jungen Mannes, der bei seinen Eltern ein egalitäres Modell erlebt, in dem es keine festen Zuständigkeiten von Mutter oder Vater gibt und in dem Erwerbsarbeit und Haushalt insgesamt gleich verteilt sind: „Idealerweise, also, da würde ich von mir behaupten, dass ich eher konservativer eingestellt bin. Heißt dann natürlich, ganz klar, dass ich’s schon für mich erstrebenswert, als erstrebenswert emp¿ nde, dass ich dann halt, meinetwegen auch hauptsächlich, zumindest […] (lacht) für die Ernährung, sagt man immer so, also, eben das Einkommen, oder das Haupteinkommen zur Verfügung stelle, und, das ist jetzt aber halt, das muss jetzt nicht so eine ganz strikte Trennung sein, das nicht, also es geht nur um gewisse Schwerpunkte. Natürlich kann man sich (lacht) an der Erziehung der Kinder trotzdem beteiligen, sollte man ja auch. Es geht halt dann auch schon darum, wo dann die Schwerpunkte der Tätigkeit liegen, also, und da, ja, sehe ich so eine Aufgabenteilung schon als erstrebenswert an.“ (2Tobias Fischer, DT-M, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 55)
Richard Schneider be¿ ndet sich in der Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, lebt bei den Eltern und hat keine Freundin. Er begrüßt klar die klassische Aufgabenteilung von Frau und Mann: „(Nachdenklich) Wie ich das vorstelle […] ja, also die Frau mehr im Haushalt (lächelnd) und ich mehr auf der Arbeit. Ich ¿nde, Männer sollen mehr [dafür] sorgen, dass wir das Geld reinkriegen. Natürlich, wenn [man] nach Hause kommt, [ein] biss-
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Ergebnisse der Interviews chen mithelfen, aber sonst so, die Frau zu Hause und ich auf der Arbeit.“ (2Richard Schneider, SU-M, 19 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 29)
Diese Beanspruchung der Erwerbsarbeit als männliche Domäne ¿ndet ihre Entsprechung in der Einstellung einer Frau, die für sich die Verantwortung im Haushalt sieht. Sevgi Yildirim macht eine Ausbildung im Bereich Mediengestaltung und hat einen Verlobten, lebt aber aktuell im Haushalt ihrer Mutter: „Also, ich bin so der Typ, also, ich liebe die Wohnung sozusagen. Ich möchte gerne auch zu Hause bleiben. Ich könnte auch Teilzeit arbeiten. Und also werden wir mal schauen, wie es mal sein wird. Also gegen Arbeiten ist er nicht. Und ich werde ihm auch gerne helfen sozusagen mit [der] Arbeit. Jetzt kommen wir zum Haushalt. Ein Mann sollte schon in die Küche gehen, aber sollte nicht übertreiben (lacht). Solche Sachen kann man mir überlassen. Ich würde gerne bedienen. Und […] wenn ich so mal nicht kann, dass man mir unter die Arme greift. Das hätte ich gern. Zum Beispiel, wenn man Kinder hat oder so, und nicht mit allem zurecht kommt. Man sieht, da ist eine Arbeit offen, oder dass man die Augen öffnet und sagt: ‚Komm, ich helfe dir dabei‘, oder so. Und einfach halt ein Gentleman ist, sozusagen. […] Haushalt sollte schon der Frau angehören, weil es braucht ja einen Chef immer so zu sagen. Wer das alles regelt, die Organisation, aber halt Hilfe ist immer gut dabei. Weil der Mann hat ja genug draußen zu tun und hat genug Stress mit der Arbeit und [damit], für die Familie zu sorgen. Die Frau sollte dann den Haushalt regeln […].“ (2Sevgi Yildirim, TR-W, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 7)
Es gibt demnach nur wenige Ausnahmen für das Grundprinzip der Arbeitsteilung, bei dem der Außenbereich der Arbeit dem Mann und der Innenbereich der Frau vorbehalten bleiben soll. Auch eine gewisse Mithilfe des Mannes im Haushalt gehört bei den jungen Menschen, die das konservative Geschlechterarrangement befürworten, zum Arbeitsteilungsmodell. Näher an einem bedingt egalitären Lebensentwurf liegen die Ansichten von Murat Uzun, der einen Realschulabschluss hat, noch bei den Eltern lebt und keine Freundin hat. Er hatte eine Ausbildung angefangen, diese nach acht Monaten abgebrochen und ist aktuell arbeitssuchend, nachdem er zeitweise bei einem Sicherheitsdienst gearbeitet hat. Zu seiner Idealvorstellung von Aufgabenteilung äußert er sich widersprüchlich: „Ich würde [das natürlich nicht so machen], wie das bei den türkischen oder kurdischen Familien Tradition ist, [also] dass der Mann das Sagen hat. Ich glaube, […] Partnerschaft mit der Frau [ist] eine Zusammenarbeit […] auf beiden Seiten. […] Dass die Aufgaben […] verteilt werden müssen. Ist klar, dass ein Mann vielleicht nicht die Wäsche waschen kann oder kochen kann. Aber man sollte immer Gleichberechtigung
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zeigen gegenüber der Frau. [Und] die Frau gegenüber dem Mann. Und nicht sagen: ‚Du bist die Frau und du musst in der Wohnung alles machen.‘ Wenn ich jetzt verheiratet wäre, ich hätte mich nicht davor geschont, […] Staub [zu] saugen oder selber [zu] kochen. Es ist für mich kein Problem. Man sollte sich die Aufgaben zuteilen als Mann und als Frau.“ (2Murat Uzun, 26, TR-M, mittleres Bildungsniveau, Absatz 15)
Im Gespräch über Bildung sagt er, „dass der Mann Geld normalerweise bringen soll und die Frau auf die Kinder aufpassen soll“ (ebenda, Absatz 60). Trotz seiner Vorstellung von Mitarbeit im Haushalt sieht er die Verantwortung für die Kindererziehung bei der Frau, was bedingt egalitär orientierte Männer nur in Ausnahmen vertreten. Deutlich wird seine eher konservative Haltung auch daran, dass Murat Uzun die Tätigkeiten Kochen und Waschen selbstverständlich als nicht männliche Tätigkeiten weitgehend an die Frau delegiert. 5.1.2.3 Bedingt egalitäre Geschlechterarrangements bei den Jüngeren Ein bedingt egalitäres Arbeitsteilungsmodell schildern etwas weniger als zwei Drittel und damit die meisten aller Befragten der jüngeren Generation, zu gleichen Teilen Männer und Frauen. Rund die Hälfte von ihnen hat ein hohes Bildungsniveau, ein Viertel verfügt über mittlere Bildungsabschlüsse, die übrigen besuchen noch die Schule. Bezüglich der Herkunft ist zu sagen, dass Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte mit einem Viertel den kleinsten Anteil dieser Gruppe bilden (davon Frauen und Männer nahezu ausgewogen). Den größten Teil machen mit fast der Hälfte jüngere Befragte mit türkischer Zuwanderungsgeschichte aus (davon Frauen und Männer ausgewogen), gefolgt von Befragten mit russischer Zuwanderungsgeschichte (davon rund doppelt so viele Männer wie Frauen). Im Großen und Ganzen befürwortet die große Mehrheit der bedingt egalitär orientierten Interviewten, dass grundsätzlich Mann und Frau berufstätig sein sollten. Allerdings gibt es innerhalb dieser Gruppe eine große Spannbreite von Orientierungen bezüglich der geschlechtsbezogenen Arbeitsteilung. Christian Meisner, der ein Wirtschaftsgymnasium besucht, lebt bei den Eltern und hat keine Freundin. Seine Grundorientierung zur Teilung der Aufgaben zwischen Frau und Mann stellt er als pragmatisch und Àexibel dar: „Ideal wäre, wenn beide arbeiten würden, und morgens, dass nicht der eine das macht und der andere das, also dass das Standard ist, sondern dass der eine mal das macht, der andere macht das. Also z. B. Frühstückstisch decken oder so. Wer eher wach wird, deckt halt den Tisch. Dann gehen beide möglichst zeitgleich aus dem Haus, gehen arbeiten und kommen, falls es so ist, gleich wieder oder auch nicht. Wenn der eine
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Ergebnisse der Interviews dann eher wieder [da] ist, dann macht der halt die Aktivitäten im Haus, die halt so anfallen. Ja, also dass eigentlich beide gleich viel machen und halt, wenn meine Partnerin dann das eine nicht machen würde, dass ich das dann mache oder andersrum.“ (2Christian Meisner, DT-M, 19 Jahre, Schüler, Absatz 34–36)
Seine Ambivalenz zwischen egalitär und konservativ wird jedoch dadurch gekennzeichnet, dass er zwar Beruf und auch Kinderbetreuung in gemeinsamer Verantwortung, die Hauptverantwortung für die klassischen Arbeitsbereiche Kochen, Putzen und Waschen aber ganz überwiegend bei der Frau sieht. Ungefähr ähnlich bezüglich der geteilten Verantwortung für Kinder und Erwerbsarbeit stellt Aylin Tac ihr Modell dar. Sie ist älter, verheiratet und lebt mit ihrem Mann in eigenem Haushalt. Aylin Tac, die ebenso wie ihr Mann Vollzeit arbeitet, vertritt zwar ein egalitäres Geschlechterleitbild. Die Verantwortung für die Kinderbetreuung etwa sieht sie zu gleichen Teilen bei ihrem Partner. Sie erledigt ihren Angaben zufolge jedoch faktisch 80 Prozent, er ca. 20 Prozent der Hausarbeit, und das, obwohl sie sogar mehr Wochenstunden berufstätig ist als ihr Mann. Eigentlich möchte sie sich die Hausarbeit mit ihrem Mann gerecht aufteilen, das entspricht aber nicht der Alltagspraxis: „Also, die Küche überlässt Mustafa eigentlich schon mir. So beim Abräumen hilft er mir ab und zu mal. Kommt aber auch nicht immer vor. Waschen, Bügeln tu’ ich selber. Es sei denn ich muss mal irgendwie spezielle Hemden für den bügeln. Das macht der dann selber, weil ich da ’n bisschen unfähig bin. Ja, also Saubermachen tu’ ich auch zu Hause. Es kommt natürlich auch schon mal vor, dass er staubsaugt und den Boden nass wischt. Hat er am Anfang ein bisschen öfter gemacht. Mittlerweile lässt das ’n bisschen nach. Aber sonst, Einkaufen tun wir [samstags] zusammen.“ (2Aylin Tac, TR-W, 26 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 25)
Insofern lebt sie nur eine bedingt egalitäre Praxis und ist damit unzufrieden. Hier besteht also eine deutliche Spannung zwischen Wunschvorstellung und Realität. Im Folgenden wird die in sich heterogene Gruppe der bedingt egalitären Jüngeren entlang verschiedener Themen der Arbeitsteilung weiter aufgefächert. Traditionalisierung von Geschlechterarrangements in der Erziehungsphase Ganz unabhängig von der Herkunft schildern einige bedingt egalitär orientierte Befragte, dass sie eine gemeinsame Berufstätigkeit von Frau und Mann lediglich bis zur Familiengründung verfolgen wollen. Die betreffenden Interviewten planen eine beruÀiche Auszeit der Mutter nach der Geburt eines Kindes, so dass dann der Mann (befristet) zum Alleinverdiener wird, während die Frau für Haushalt und Kinder hauptverantwortlich ist. Von diesen Interviewten, bei denen es also in
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Zukunft wahrscheinlich zu einer Traditionalisierung durch die Verantwortung der Mütter für die Kinderbetreuung kommt, sind drei Frauen und ein Mann. Peter Wallmann hat Abitur, ist Unterof¿zier bei der Bundeswehr, hat den Hauptwohnsitz bei seinen Eltern und lebt während der Woche in der Kaserne. Er hat zum Interviewzeitpunkt keine Partnerin und favorisiert ein bedingt egalitäres Geschlechterleitbild mit einer Tendenz in Richtung konservativ, bei dem grundsätzlich die Frau die größere Verantwortung für die Hausarbeit hat. Er vertritt aber auch, dass der Mann die Partnerin bei der Familien- und Hausarbeit z. B. beim Putzen unterstützen soll, auch im Hinblick auf eine Angleichung der Zeitbudgets der Aufgabenverteilung. Konservativ orientiert ist er beim Thema Kindererziehung: „INT: Welche Rolle würde es für dich spielen, dass deine zukünftige Partnerin oder Frau arbeiten geht ? Peter Wallmann: Es spielt eine Rolle. Solang man keine Kinder hat. Sobald man Kinder hat, ist es schon wichtig, dass jemand für die Kinder da ist, deswegen. Ich hätte nichts dagegen, wenn die Frau arbeiten geht.“ (2Peter Wallmann, SU-M, 24 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 141–142)
Zusammengenommen ist die Idealvorstellung seines zukünftigen Geschlechterarrangements als bedingt egalitär einzuschätzen hinsichtlich der Arbeitsteilung, aber auch als konservativ bezüglich der Kindererziehung. Eine unentschiedene Haltung zwischen egalitär und konservativ vertritt Nele Krause, die Erzieherin ist, aktuell studiert und in eigenem Haushalt lebt. „Also ich (zögert) würde schon von meinem Mann erwarten, dass er auf jeden Fall auch Dinge oder Aufgaben im Haushalt übernimmt. Aber, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, wenn ich jetzt so überlege, wenn ich mal Kinder bekommen würde, so wer arbeiten geht und wer zu Hause bleiben würde. Ich glaube, ich würde schon lieber bei den Kindern zu Hause bleiben, aber ich würde auch die Rolle einnehmen, dass ich arbeiten gehe und mein Mann dann quasi zu Hause bleibt mit den Kindern und das übernimmt. Also ich bin da gar nicht so sehr eingefahren. […] Also ich würd’ schon gern, dass es so alles ineinander greift, dass man sich so, irgendwie so unterstützt.“ (2Nele Krause, DT-W, 24 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 57)
Entgegen dieser egalitären Orientierung würde sie andererseits, wenn sie zukünftig mit den Kindern zu Hause bleiben sollte, kaum Mithilfe von ihrem Mann erwarten, so dass sie insgesamt gesehen als bedingt egalitär einzustufen ist. Auch Lydia Rust, die sich in der Ausbildung zur Physiotherapeutin be¿ndet und noch ohne Partner bei ihren Eltern wohnt, plant eine egalitäre Arbeitsteilung nur bis zur Familiengründung.
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Ergebnisse der Interviews „Eigentlich möchte ich erst mal die erste Zeit arbeiten, meinen Beruf ausüben. Wenn die Kinder kommen, dann würde ich gerne Haushalt machen, aber davor ¿nde ich schon, wenn ich arbeite, dass wir gemeinsam [den] Haushalt machen, dass er mir eventuell hilft. Oder wenn ich später von der Arbeit komme, dass er kocht.“ (2Lydia Rust, SU-W, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 39)
Obwohl sie die Mithilfe des Mannes erwartet, sieht Lydia Rust für sich die Hauptverantwortung für den Haushalt. Eine ähnliche Traditionalisierung nach der Geburt eines Kindes schildert Sandra Fuchs, die eine bedingt egalitäre Geschlechterpraxis favorisiert. Die noch bei den Eltern lebende Studentin der Sozialen Arbeit möchte zwar in allen Bereichen der Arbeitsteilung eine gleiche Verteilung zwischen sich und einem zukünftigen Partner, was die Bereiche Kochen, Putzen und Waschen angeht. Als bedingt egalitär ist ihr Geschlechterleitbild zu sehen wegen ihrer Vorstellung der Kinderbetreuung. Sie hat aktuell keinen Freund, aber wenn Kinder kämen, würde sie auch zu Hause bleiben und sich um den Haushalt kümmern. Abschließend lässt sich festhalten: Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass die jungen Frauen mehr als die jungen Männer für das Problem der Arbeitsteilung im Übergang zur Elternschaft sensibilisiert sind und es reÀektieren. Die hier vorgestellten jungen Frauen erwarten, dass es vermutlich zu einer Traditionalisierung kommen wird, sie geben dabei aber teilweise ihre egalitäre Orientierung nicht ganz auf. Das Konzept der männlichen Mithilfe Auch wenn sich viele für ihre Zukunft ein Modell vorstellen, bei dem Frau und Mann sich Erwerbs- und Hausarbeit teilen, übersteigt doch der männliche Anteil ein bestimmtes Zeitbudget nicht. Ein Teil der befragten Jüngeren gibt Einschätzungen für die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, die ca. im Bereich von 30 Prozent für den Mann und 70 Prozent für die Frau liegen. Hinsichtlich der Herkunft oder des Geschlechts dieser Befragten lassen sich keine Auffälligkeiten ¿nden. Dieses Arbeitsteilungsmodell mit einem geringen Anteil der männlichen Zuständigkeit in der Hausarbeit lässt sich mit dem Begriff der ‚Mithilfe‘ treffend beschreiben und war auch bereits bei den älteren Befragten im Bereich des bedingt egalitären Geschlechterarrangements zu ¿nden. Ein Mann, der dieses Modell männlicher Unterstützung in einer zukünftigen Partnerschaft praktizieren möchte, ist Peter Wallmann. „Also, de¿nitiv macht die Frau so dann den Haushalt. Die Frau ist vieles, die Frau ist, ¿nde ich, ist für eine Familie verantwortlich, die [hält] eine Familie zusammen […], weil, von der Frau kommt eher die Liebe aus, und dieser Familienzusammenhalt kommt eher von einer Frau aus. Ich denke, […] mit der Frau steht ein Feld der Familie und natürlich würde ich den Haushalt unterstützen, […] aber ich denke mal, das
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meiste macht die Frau. So Wäsche und Waschen und Haushalt, diese ganzen Sachen, weil es ist schon immer so gewesen auch.“ (2Peter Wallmann, SU-M, 24 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 36)
Auf konkrete Nachfrage gibt er an, dass nur Einkaufen von beiden erledigt werden soll. Aber beim Waschen und Bügeln sieht er die Zuständigkeit zu 60 Prozent bei der Frau, bei sich nur zu 40 Prozent. Beim Kochen unterstützt er nur zu 20 Prozent und sagt, dass er auch beim Putzen lediglich unterstützen möchte. Ein weiteres Beispiel dafür liefert Mutlu Karadag, der nach dem Realschulabschluss gerade in Ausbildung zum biologisch-technischen Assistenten ist. Mutlu Karadag lebt bei den Eltern und hat zum Interviewzeitpunkt eine Partnerin. Seine Aussagen zum bevorzugten Modell der Arbeitsteilung sind etwas widersprüchlich, sie schwanken zwischen egalitär und konservativ bezüglich der klassischen Tätigkeiten im Haushalt. „Mutlu Karadag: Ich denke, also was Einkaufen angeht, gehen wir zusammen, aber so Waschen und Kochen, Bügeln: die Partnerin, würde ich sagen. INT: Mh, das sollte sie übernehmen. Mutlu Karadag: Ja. Ich werde natürlich helfen, aber wäre, ich denke, die Partnerin.“ (2Mutlu Karadag, TR-M, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 48–50)
Als abschließendes Beispiel für das Konzept der Mithilfe werden die Interviewaussagen von Zuhal Kara vorgestellt. Sie hat Abitur, studiert gerade Soziologie und lebt bei den Eltern, hat aber einen Partner. Zu ihrer Idealvorstellung der Teilung von Verantwortlichkeiten gehört, dass beide einer Erwerbsarbeit nachgehen sollen. „Wünschen würde ich mir, dass es aufgeteilt ist, dass es […] nicht [nur die] Rolle der Frau, eben Hausfrau und Mutter, sondern, ich studiere, möchte später arbeiten gehen und ich [er]hoffe mir, dass mein Partner mir im Haushalt behilÀich ist. Ich denke, dass Sachen wie Kochen, oder sagen wir mal Putzen, und vielleicht, in Anführungsstrichen, mehr auf meiner Seite liegen werden, aber [dass] das schon aufgeteilt ist, also nicht ich das allein mache, […] dass wir uns gegenseitig helfen […].“ (2Zuhal Kara, TR-M, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 20)
5.1.2.4 Egalitäre Geschlechterarrangements bei den Jüngeren Ein (erwünschtes) egalitäres Geschlechterarrangement beschreibt etwas weniger als ein Drittel aller jüngeren Interviewten. Nur einzelne davon sind Männer, sie sind Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte. In der größeren Gruppe der egalitär eingestellten Frauen, die knapp vier Fünftel dieser Untergruppe ausmachen, sind
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Ergebnisse der Interviews
die drei Herkunftsgruppen nahezu zu gleichen Teilen vertreten. Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte sind in der Gruppe insgesamt jedoch so stark vertreten wie die beiden anderen Herkunftsgruppen zusammen. Von den hier Zugeordneten hat ein Fünftel ein mittleres, vier Fünftel verfügen über ein hohes Bildungsniveau. Ein erstes Beispiel für das Modell einer egalitären Arbeitsteilung ist Sabine Ahrens, die mittlere Reife hat und sich aktuell im Bereich Bibliothekswesen weiter quali¿ziert. Sie lebt noch im Haushalt der Eltern und hat zum Interviewzeitpunkt keinen Freund. Bei Sabine Ahrens wird der Unterschied zu den bedingt egalitären Befragten daran deutlich, dass sie eine geteilte Hauptverantwortung für die Kindererziehung und -betreuung anstrebt: „[Ich] möchte nicht irgendwie zu Hause sitzen und aufpassen auf die Kinder und, schön alles behütet. Sondern ich möchte […] genauso wie der Mann berufstätig sein, acht Stunden arbeiten gehen, und dass man die Kinder, falls irgendwelche Kinder da sein werden, dass man die irgendwie auf beide aufsplittet. Dass beide mitbeteiligt sind und nicht eine Partei da sich abrackert, und der Mann kommt nach Hause und legt sich schön aufs Sofa hin und sagt: ‚Ich habe jetzt gearbeitet, Frau, bring mir das Essen.‘“ (2Sabine Ahrens, SU-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 204)
Im Vergleich zu den übrigen Männern am stärksten und durchgängig für alle Arbeitsbereiche vertritt Mirko Preis ein egalitäres Modell der Arbeitsteilung, bei dem Partnerin und Partner gleichermaßen verantwortlich sind für die Bereiche Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung, Kochen, Putzen und Waschen. Der junge Mann leistet nach Abschluss des Abiturs gerade ein freiwilliges soziales Jahr, lebt in einem eigenen Haushalt und hat aktuell eine Partnerin, die allerdings nicht bei ihm im Haushalt lebt. Nach der Trennung der Eltern lebte er zusammen mit der Mutter und hat schon früh viel Verantwortung tragen müssen, weil die Mutter alkoholabhängig ist: „Ich war dann selber irgendwann häuslich involviert, weil halt jemand gefehlt hat. Ich musste ganz oft auf meinen kleinen Bruder aufpassen und ich war viel alleine und solche Sachen wie Haushalt machen, das ist Normalität für mich geworden. […] Ich muss das jetzt einfach – ich muss das machen, weil ich das immer machen musste.“ (2Mirko Preis, DT-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 139–141)
Möglicherweise ist es dieser besondere biographische Verlauf, der zur Entwicklung seiner egalitären Orientierung maßgeblich beigetragen hat. Asli Onur, die Lehramtstudentin ist und zum Interviewzeitpunkt keinen Partner hat, lebt noch zu Hause bei den Eltern. Ihr Lebensentwurf zeichnet sich durch ihre hohe Berufsorientierung aus und sie sieht sich gemeinsam mit ihrem Mann ebenso zuständig für Erwerbsarbeit wie für Kinderbetreuung bzw. Erziehung.
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„Asli Onur: Ja, ich ¿nd’s auf jeden Fall gut, wenn beide sich gegenseitig helfen und unterstützen im Haushalt. INT: Gleichberechtigt auch ? Oder – Asli Onur: Ja auf jeden Fall. Gleichberechtigt.“ (2Asli Onur, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 588–590)
Vor dem Hintergrund ihres Lebensentwurfs kritisiert sie türkische Männer, die wenig im Haushalt helfen würden, und es entsteht ein kurzer Disput mit ihrer Mutter, die bei der Haushaltsarbeit und Kinderbetreuung mitwirkende türkische Männer verteidigt. Die Jurastudentin Susanne Riesner wohnt mit ihrem Partner in einem eigenen Haushalt und favorisiert ein Modell der Arbeitsteilung, bei dem Frau und Mann gemeinsam für die Hausarbeit und Kinderbetreuung verantwortlich sind: „Im Haushalt machen wir viele Sachen zusammen, es gibt aber auch die Aufgabenverteilung, die nicht obligatorisch ist. Ich mache in der Regel Bad und Küche sauber und spüle ab. Er wischt Staub, wäscht, kocht mehr als ich und beschäftigt sich mit den Reparaturen. Einkaufen tun wir immer zusammen.“ (2Susanne Riesner, SU-W, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 8)
Sie ist eine der wenigen, die ausdrücklich einen Zusammenhang zwischen ihrer Herkunft bzw. Kultur und ihrem angestrebten Geschlechterarrangement herstellt, indem sie sich von, aus ihrer Sicht, russischen Vorstellungen abgrenzt: „Ich emp¿nde alles, was mit so genannten ‚russischen‘ Vorstellungen über Geschlechterrollen zu tun hat, negativ. Meine Eltern haben Gott sei Dank keine Stereotypen. Wir sind eher den deutschen als den russischen Familien ähnlich. […] Meine Mutter sagt mir immer, ich muss meine Meinung deutlich äußern. Die Russinnen können es sehr schlecht. Auch in Demokratie sind sie anders. Ich bin für sie mehr der ‚Mann im Rock‘. Ich bin für sie zu laut, nicht weiblich und zu dominant.“ (2Susanne Riesner, SU-W, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 20–23)
Anna Dolinkova hat Abitur, arbeitet als Verkäuferin und teilt sich die Arbeit mit ihrem Partner zu gleichen Teilen. Sie möchte noch besser kochen lernen, was er sehr gut kann. „Ich will mehr Disziplin schaffen, mehr aufräumen, damit es auch sauber bleibt. Aber ich will auch, dass er dabei hilft. Eigentlich macht er auch jetzt einen großen Teil an Haushaltsaufgaben. Er saugt Staub, wäscht, manchmal macht er das ganz alleine, ohne meine Beteiligung.“ (2Anna Dolinkova, SU-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 65)
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Ergebnisse der Interviews
Bei der Kinderbetreuung sieht Anna Dolinkova beide in der Verantwortung, wobei sie später mehr Zeit dafür investieren möchte als er. Auch bezüglich der zusätzlichen Arbeitsbereiche, auf die wir nachfolgend noch zusammenfassend eingehen werden, betont sie, dass auch Reparaturen im Haus gemeinsam erledigt werden. Somit sind Susanne Riesner und Anna Dolinkova zwei Gegenbeispiele bezüglich der von Susanne Riesner angesprochenen „russischen“ Vorstellungen, die gerade durch diese Beispiele brüchig werden. 5.1.2.5 Aussagen zu den zusätzlichen Haushaltsbereichen bei den Jüngeren Für die zuvor dargestellten Geschlechterarrangements wurden lediglich die klassischen Bereiche wie Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung/-erziehung und Hausarbeiten wie Kochen, Putzen oder Wäsche herangezogen. Nachfolgend sollen Aussagen zu weiteren Tätigkeitsbereichen kurz zusammengefasst werden.45 Beim Thema Einkaufen fällt auf, dass die überwiegende Mehrheit der Jüngeren, von konservativ bis egalitär orientiert und weitgehend unabhängig von Herkunft oder Bildungsniveau, Einkaufen als gemeinsame Aufgabe von Mann und Frau ansieht. Der Bereich Reparaturen dagegen wird, wie bei der älteren Generation, eindeutig als ‚klassische Männeraufgabe‘ betrachtet. Dabei gibt es keine auffälligen Unterschiede nach Herkunft, Geschlecht oder Bildungsniveau. Nur wenige Frauen geben an, dass sich beide Partner um Reparaturen kümmern oder kümmern sollten. Vereinzelt werden pragmatische Erwägungen deutlich: Jeder tut, was ihm am besten liegt, ansonsten werden Handwerker gerufen. Mehr als die Hälfte der Jüngeren, vor allem mit höherem Bildungsniveau, befürwortet, dass Bankgeschäfte in der Partnerschaft gemeinsam erledigt werden (sollten). Die übrigen sehen die Zuständigkeit beim Mann. Niemand äußerte dagegen, dass dies allein Aufgabe der Frau wäre bzw. sein sollte. Offensichtliche Differenzen nach Herkunft und Geschlecht sind nicht feststellbar. Hinsichtlich des Themas Streitschlichten sieht die Mehrheit der Befragten, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Bildungsniveau, beide Partner in der Verantwortung und bevorzugt eine pragmatische KonÀiktlösung. Etwas geschlechtsdifferenzierter sind die Äußerungen der Befragten beim Thema der KontaktpÀege zu Freunden und Nachbarschaft: Während – weitgehend unabhängig von Herkunft, Bildung oder Geschlecht – etwas mehr als zwei Drittel der Befragten die Partner gemeinsam für zuständig halten, plädiert der Rest für eine Verantwortung der Frau. 45 Wie bereits erwähnt, haben sich nicht alle Befragten zu allen Aufgabenbereichen geäußert, so dass die dargestellten Ergebnisse nur als grobe Trends zu verstehen sind.
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Die Entscheidung über größere Anschaffungen sollte nach Ansicht einzelner junger Männer vor allem beim Mann liegen. Nur eine junge Frau gibt dagegen an, dass sie diese Aufgabe allein übernehmen würde. Die übrigen sind der Ansicht, dass größere Kaufentscheidungen Sache beider Partner sind, wobei das im Einzelfall auch vom jeweiligen Gegenstand (z. B. Auto) abhängt. Besonderheiten nach Herkunft oder Bildungsniveau sind hier nicht feststellbar. Fast alle Jüngeren sind dafür, dass Frau und Mann gemeinsam für die PÀege hilfsbedürftiger Angehöriger zuständig sein sollten. Solche Äußerungen kamen von männlichen wie weiblichen Befragten gleichermaßen, wobei im Einzelfall auch unterschieden wurde, um wessen Eltern/Angehörige es sich handelt. Ebenso wie bei der älteren Generation gibt es zu dem Bereich Sonstiges kaum Aussagen. Das Thema Garten kommt bei den Jüngeren kaum vor. Nur von einigen männlichen Befragten, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion, wurde Gartenarbeit erwähnt und im Einzelfall herkunftsbedingt „groß geschrieben“. Exkurs: Erweiterung der geschlechtlichen zur familialen Arbeitsteilung/Mithilfe der Jüngeren im Haushalt Spannend an der besonderen intergenerationalen Forschungsmethodik dieser Studie und der Samplestruktur der beiden untersuchten Generationen ist, dass die Mehrheit der jüngeren Generation noch zu Hause bei den Eltern wohnt. Dadurch erweitert sich der Blick auf geschlechtliche Arbeitsteilung zwischen den Ehepartnern und Eltern insofern, als die jüngere Generation ja mehr oder weniger in die häusliche Arbeitsteilung der Familie einbezogen ist. Das macht die Analyse der häuslichen Arbeitsteilung komplexer, weil empirisch wie theoretisch die klassischen Modelle (meist) nur auf die Eltern fokussieren. In unserem Setting stellen sich daher neue Fragen: ƒ
ƒ
In welchen Familien beteiligen sich die Angehörigen der jüngeren Generation wie intensiv an welchen Arbeitsbereichen und wie sind dabei die Unterschiede zwischen Söhnen und Töchtern bzw. den Gruppen mit/ohne Zuwanderungsgeschichte ? Hat das Auswirkungen auf die Erfahrungen und die Bereitschaft, selbst später im eigenen Haushalt als Frau/Mann bestimmte Aufgaben zu erledigen und auch entsprechende Kompetenzen auszubilden ?
Da in den Interviews hierzu keine gezielten Fragen gestellt wurden, können Ergebnisse hier nur angedeutet werden. Es sind zu wenige Daten vorhanden, um valide Schlüsse ziehen zu können. Aussagekräftig waren einzelne Aussagen der Befragten im Gesprächseinstieg zum Thema typische Tagesabläufe. Vorsichtig
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Ergebnisse der Interviews
formuliert lässt sich die grobe Tendenz feststellen, dass doppelt Berufstätige stärker auf die Mithilfe ihrer inzwischen älteren Kinder angewiesen sind und diese auch erhalten. Tendenziell scheinen zudem die jungen Frauen entweder mehr zu helfen oder dazu angehalten zu werden. Außerdem sind Hinweise dahingehend erkennbar, dass junge Menschen in Ein-Eltern-Familien mehr Mithilfe leisten und im Bereich Hausarbeit oft besonders kompetent sind. Unklar ist, wie sich das auf die Einstellungen und Praxen der Jüngeren bezüglich der Arbeitsteilung in der Partnerschaft auswirkt. 5.1.3
Resümee
Auch wenn zur Veranschaulichung wichtiger Erkenntnisse dieser Forschungsarbeit eine Typisierung in drei Geschlechterarrangements vorgenommen wurde, soll erneut betont werden, dass die vorgefundenen Modelle der Aufgaben- und Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern in beiden Generationen sehr vielfältig sind. Zunächst werden nun zusammenfassend die groben Verteilungen beider Generationen auf konservative, bedingt egalitäre und egalitäre Geschlechterarrangements dargestellt: Ältere Generation Etwas weniger als die Hälfte der Älteren lebt ein konservatives Modell der Aufgaben- und Arbeitsteilung, etwa ein Viertel ein bedingt egalitäres. Einzelne gestalten die Arbeitsteilung egalitär. Ältere, die nach Trennung in Ein-Eltern-Familien leben, konnten keinem Modell der Arbeitsteilung zugeordnet werden. Hinsichtlich der Verteilung der interviewten Älteren nach Geschlecht lässt sich sagen, dass etwas mehr der befragten Männer als der befragten Frauen ein konservatives Geschlechter arrangement praktizieren. Insgesamt fällt die Tendenz auf, dass nahezu gleichermaßen ältere Frauen und Männer mit steigendem Bildungsniveau egalitärere Geschlechterarrangements bevorzugen. Demgegenüber führt eine Differenzierung entlang der Herkunft der Befragten zu keinen Auffälligkeiten. Jüngere Generation Einzelne jüngere Befragte orientieren sich oder leben konservativ, knapp zwei Drittel praktizieren oder befürworten bedingt egalitäre Modelle und knapp ein Drittel ist bezüglich der Einstellungen oder Praxen dem egalitären Geschlechterarrangement zuzurechnen. Differenziert nach Geschlecht zeigt sich deutlich, dass die Verteilung zwischen Männern und Frauen im bedingt egalitären Geschlechterarrangement nahezu ausgewogen ist, während bei den konservativen Modellen die Männer und bei den egalitären die Frauen überwiegen. Bezüglich der Herkunft der Befragten jungen Männer und Frauen lassen sich keine Besonderheiten ¿nden.
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Jedoch hat, wie schon bei den Älteren, das Bildungsniveau bei jüngeren Frauen wie Männern Auswirkungen: Besser Gebildete orientieren sich stärker egalitär. Weitere Ergebnisse für jüngere und ältere Generation Im Generationenvergleich ist zu erkennen, dass unter den Jüngeren weniger Interviewte konservativ und dafür weitaus mehr Befragte bedingt egalitär eingestellt sind oder leben. Auch die (innerhalb einer Altersgruppe gesehen kleinere) Gruppe der egalitären Modelle ist bei den jungen Menschen etwas größer als bei den Älteren. Aufgrund der kleinen Fallzahl unserer explorativen Studie war es nicht möglich, eine weitere Differenzierung in der großen Gruppe der bedingt egalitären Modelle herauszuarbeiten. Würde man jedoch die große Gruppe der bedingt egalitären Jüngeren in sich weiter differenzieren können und daraus zwei neue Typen machen, ist gut denkbar, dass sich ungefähr eine Verteilung ergäbe, die an die vier Typen der Männerstudie von Volz und Zulehner (2009) erinnert, in der traditionelle, moderne, dazwischen balancierende und suchende Männertypen unterschieden werden. Die oben referierten Details der Gruppe von Jüngeren, die dem bedingt egalitären Arbeitsteilungsmodell zugeordnet wurden, enthalten viele Hinweise auf Merkmale balancierender und suchender Männer im Sinne von Volz/Zulehner, nämlich eine unklare oder widersprüchliche Position zwischen traditionellen und modernen Einstellungen/Geschlechterpraxen. Recht klar zeigt sich der generationen- und herkunftsübergreifende Trend, dass ‚männliche Mithilfe‘ bei der Haushaltsarbeit ein zentrales Konzept in den Arbeitsteilungsmodellen vieler Interviewter darstellt. Offensichtlich ist dieses Phänomen vor allem abhängig vom Bildungsniveau der Befragten, denn mit steigendem Bildungsniveau bevorzugen Jüngere wie Ältere zunehmend eine gleichmäßige Verteilung von Erwerbs- und Haus- bzw. Familienarbeit zwischen Frau und Mann. Tendenziell nehmen mit steigendem Bildungsniveau herkunftsübergreifend in beiden Generationen egalitäre Einstellungen oder Praxen in Geschlechterarrangements zu. Sofern die Eltern bereits (bedingt) egalitär eingestellt sind, können diese Einstellungen ebenso mit steigendem Bildungsniveau eher gehalten werden. Die vorliegenden Aussagen weisen darauf hin, dass der Bildungs- und soziale Aufstieg (bzw. der Erhalt einer erreichten sozialen Position) der Jüngeren von größerer Bedeutung für die Egalisierung von Geschlechterarrangements als die ethnischkulturelle Herkunft bzw. Zuwanderungsgeschichte ist. Für Zusammenhänge zwischen Geschlechterleitbildern und Geschlechterpraxen auf der einen und zwischen Bildungsniveau und Herkunft auf der anderen Seite bestätigen diese Ergebnisse diejenigen der Studie von Herwartz-Emden (2000) und mittelbar auch die der Sinus-Studien zu Migrantenmilieus (Sinus Sociovision 2007a, Wippermann 2008). Da die vorliegende Studie intergenerativ ausgelegt ist, wird zudem deutlich, dass auch die Generationenzugehörigkeit bedeutsamere Unterschiede bezüglich
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Ergebnisse der Interviews
der Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen hervorbringt als die Herkunft: Etwa die Hälfte aller befragten Jüngeren vollzieht im Vergleich zu den Eltern eine Egalisierung bzw. strebt sie an. Etwa die andere Hälfte gibt an, ein Geschlechterarrangement auf ähnlichem Niveau zu leben oder leben zu wollen wie die Eltern. Zur Frage der intergenerationalen Transmission lassen sich zudem keine besonderen Auffälligkeiten nach Geschlecht oder Herkunft ausmachen. Das ist insofern ein wichtiger Befund, als er bedeutet, dass Frauen wie Männer aller Herkunftsgruppen in ähnlichem Maße entweder eine Egalisierung ihres eigenen Geschlechterarrangements im Vergleich zu ihren Eltern favorisieren bzw. praktizieren oder auf dem elterlichen Niveau bleiben bzw. zukünftig leben möchten (vgl. hierzu genauer Kap. 5.2). Darunter schildern etwa doppelt so viele junge Frauen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte wie junge Frauen mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion bzw. junge deutsche Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte, dass sich ihr Arbeitsteilungsmodell gegenüber den Eltern egalisiert habe bzw., dass sie es zukünftig egalisieren möchten. Dieser Trend widerspricht deutlich den Stereotypen über konservative Geschlechterarrangements der Frauen mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei und bestätigt die im Kapitel 3.2 referierten Erkenntnisse der Geschlechterforschung über zugewanderte Frauen. Außerdem fällt auf, dass sich zwar bei keiner jungen Frau, dafür aber bei zwei jungen Männern in den geäußerten Idealvorstellungen für ein zukünftiges Geschlechterarrangement eine Traditionalisierung im Vergleich zu den Eltern vollzogen hat (beide jungen Männer, einer ohne und einer mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion, haben zum Interviewzeitpunkt keine Partnerin). Insgesamt bestätigt die vorliegende Studie auch den aus anderen Forschungsarbeiten bekannten Befund, dass junge Frauen – und zwar herkunftsübergreifend – im Durchschnitt mehr als junge Männer eine Egalisierung von Geschlechterarrangements anstreben oder praktizieren. Dieses Kapitel gab Einblicke in die aktuell vorherrschenden Geschlechterarrangements der Befragten und verweist gleichzeitig auf die teilweise vorhandene Flexibilität von Geschlechterarrangements im Lebensverlauf. Es fällt auf, dass sich Geschlechterarrangements aufgrund verschiedener Bedingungen besonders bei einem Teil der älteren Befragten im Laufe des Lebens verändert haben. Als kritische Lebensereignisse lassen sich dabei die Geburt von Kindern sowie Migration herausstellen (vgl. dazu genauer Kap. 5.2). Auch die jüngeren Befragten sind sich dessen bewusst und gehen z. T. davon aus, dass ihre Geschlechterarrangements durch die Geburt von Kindern in der Tendenz eher konservativer werden (ohne dass dies unbedingt ihren persönlichen Wünschen entspricht). Zudem gibt es unter den jüngeren Befragten Einzelne, besonders Frauen, die (bedingt) egalitäre Vorstellungen haben, aber befürchten, diese später nicht umsetzen zu können.
Persönliche Vorbilder statt abstrakter Kulturmuster 5.2
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Persönliche Vorbilder statt abstrakter Kulturmuster – intergenerative, interkulturelle und andere EinÀüsse auf Geschlechterarrangements
Welche EinÀüsse auf Geschlechterarrangements haben eigentlich die Eltern und andere Schlüsselpersonen aus dem sozialen Nahumfeld ? Wovon grenzen sich die Befragten ab und woran orientieren sie sich ? Welche Rolle spielt ggf. der Umstand, eine Zuwanderungsgeschichte zu haben ? Diesen Fragen wird im Folgenden nachgegangen. Hierzu werden zunächst die EinÀüsse auf die Geschlechterarrangements der Jüngeren systematisch betrachtet (Kap. 5.2.1), bevor die EinÀüsse auf die älteren Befragten untersucht werden (Kap. 5.2.2). 5.2.1
EinÀüsse auf Geschlechterarrangements der jüngeren Generation
Unter Rückgriff auf die in Kapitel 5.1 beschriebenen Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen der Befragten geht es in diesem Abschnitt darum zu erschließen, inwieweit sich die jüngere Generation in ihren Geschlechterleitbildern an den Eltern, biographischen Erfahrungen bezüglich der familiären Zuwanderungsgeschichte oder anderen Erfahrungen orientiert oder auch (mit welcher Begründung) davon abgrenzt. Die Leitfragen hierbei lauten: a) b) c)
Welchen EinÀuss nehmen die Eltern auf Geschlechterleitbilder und ggf. Geschlechterpraxen der Jüngeren ? Welche Rolle spielen elterliche Erwartungen ? Welche anderen EinÀüsse gibt es ? Welche EinÀüsse werden als ethnisch-kulturelle EinÀüsse (von den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte) angegeben ?
Die Interviewten wurden danach befragt, welche EinÀüsse ihre Eltern auf ihre Geschlechterarrangements hatten, welche anderen EinÀüsse es gab, welche Rolle dabei das Herkunftsland und das Leben in der Bundesrepublik spielen, welche Vorbilder sie haben, welche Erwartungen ihre Eltern an sie hatten und ob sie diese aus ihrer Sicht erfüllt haben. 5.2.1.1 EinÀüsse der Eltern auf Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen Die EinÀüsse der Eltern auf Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen sind vielfältig und insgesamt sehr individuell. Zudem hängen sie häu¿g mit den Familienformen zusammen, in denen die Kinder mit ihren Eltern leben (‚klassische‘
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Ergebnisse der Interviews
Familie, Ein-Eltern-Familie, Patchwork-Familie etc.). So erwähnen Jüngere mit alleinerziehenden Müttern oder Vätern oft nur den EinÀuss dieses Elternteils. Die Betrachtung ergab die folgende Bandbreite von Tendenzen: Abgrenzung von Eltern/Elternteilen, bedingte Abgrenzung, Orientierung an Eltern/Elternteilen, weder Abgrenzung noch Orientierung. Abgrenzung von Eltern/Elternteilen Ingesamt grenzt sich rund ein Viertel der Befragten von den Geschlechterpraxen der Eltern ab. Die Varianten und die Begründungen sind unterschiedlich. Die meisten grenzen sich von einer eher konservativen Geschlechterpraxis der Eltern ab, in der die Mutter die Hauptverantwortung für ‚klassische‘ Haushaltsarbeiten (z. B. Kochen, Putzen, Bügeln, Waschen) und die Kinderbetreuung übernimmt und zum Teil oder gar nicht erwerbstätig ist. Diese Befragten verfolgen dann eher eine egalitäre oder bedingt egalitäre Geschlechterpraxis und möchten, dass sich in einer Partnerschaft beide gleichermaßen beteiligen. Ein Beispiel dafür ist Sabine Ahrens: Ihre Eltern waren in der ehemaligen Sowjetunion beide in quali¿zierten Berufen tätig und hatten ein bedingt egalitäres Geschlechterarrangement. Die Berufsausbildungen wurden in Deutschland nicht anerkannt, er ist heute Lagerarbeiter in Vollzeit, sie in Teilzeit als Putzfrau beschäftigt. Seit der Zuwanderung nach Deutschland hat sich ein konservativeres Geschlechterarrangement zwischen den Eltern etabliert. Der Vater hilft wenig im innerhäuslichen Bereich und die Mutter ist damit unzufrieden. Sabine hat während ihres Aufwachsens vor allem das konservativere Geschlechterarrangement erlebt und grenzt ihre Vorstellungen klar von diesem Modell ab: „Bei uns in der Familie ist halt ne klassische Familie. Also, Mama kocht und räumt auf und hat quasi haushälterische Aufgaben übernommen. Der Papa geht arbeiten. Also, was ich übernommen habe ? Dass keinem zu nahe zu kommen. Ich möchte das nicht in meinem Leben haben. Möchte nicht irgendwie zu Hause sitzen und aufpassen auf die Kinder und schön alles behütet. Sondern ich möchte das genauso gut – genauso wie der Mann berufstätig sein, acht Stunden arbeiten gehen und dass man die Kinder, falls irgendwelche Kinder da sein werden, dass man die irgendwie auf beide aufsplittet.“ (2Sabine Ahrens, SU-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 204)
Darüber hinaus gibt es Befragte mit anderen Varianten der Abgrenzung: Ein Befragter beispielsweise grenzt sich gewissermaßen im umgekehrten Verhältnis zu den Eltern ab – diese lebten eine eher egalitäre Geschlechterpraxis mit unklaren Aufgabenteilungen, was manchmal zu KonÀikten führte. Der Befragte verfolgt hingegen ein klar konservatives Geschlechterleitbild, in dem seine Partnerin die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung übernehmen und im Idealfall auch nicht arbeiten soll. Gleichzeitig ist ihm aber bewusst, dass es nicht viele
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junge Frauen gibt, die diese Variante der konservativen Geschlechterpraxis für ihren Lebensentwurf bevorzugen. „Idealerweise, also da würde ich von mir behaupten, dass ich eher konservativer eingestellt bin, heißt dann natürlich, ganz klar, dass ich’s schon für mich erstrebenswert, als erstrebenswert emp¿nde, dass ich dann halt, meinetwegen auch hauptsächlich […] die Ernährung sagt man immer so, also eben das Einkommen, oder das Haupteinkommen zur Verfügung stelle […], natürlich kann man sich (lacht) an der Erziehung der Kinder trotzdem beteiligen, sollte man ja auch, es geht halt dann auch schon darum, wo dann die Schwerpunkte der Tätigkeit liegen, also und da, ja, sehe ich so eine Aufgabenteilung schon als erstrebenswert an. Bedeutet dann natürlich, ja, es sollte natürlich also nicht so sein, dass man, das ist aber heutzutage ja nicht mehr so möglich, dass man da eben ne Frau dazu zwingt, ne.“ (2Tobias Fischer, DT-M, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 55)
Bei einem Vergleich der Gruppenzugehörigkeit der Befragten zum Thema Abgrenzung von den Eltern fällt zunächst auf, dass fast alle, die sich von eher konservativen Geschlechterpraxen der Eltern abgrenzen und im Gegensatz dazu selbst egalitäre oder bedingt egalitäre Geschlechterpraxen leben wollen, Frauen sind – und zwar aus allen drei Herkunftsgruppen (überwiegend ohne Zuwanderungsgeschichte, teilweise türkischer Herkunft und in einem Fall aus der Gruppe ehemalige Sowjetunion). Ein Mann (türkischer Herkunft), der sich ebenfalls vom konservativen Modell abgrenzt und ein bedingt egalitäres Geschlechterarrangement verfolgt, gehört ebenfalls dazu. Tobias Fischer ist der Einzige in der sich von den Eltern klar abgrenzenden Gruppe, der im Gegensatz zu den Eltern ein konservatives Geschlechterarrangement leben will, sich also eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen wünscht. Wenn man nun wiederum geschlechtsunabhängig die gesamte sich abgrenzende Befragtengruppe betrachtet, lässt sich feststellen, dass in dieser Gruppe mehrheitlich Personen mit hohem Bildungsniveau vertreten sind. Das Bildungsniveau könnte somit hinsichtlich Abgrenzungsbestrebungen eine Rolle spielen. So kann vermutet werden, dass der häu¿ger mit dem Bildungsniveau steigende Autonomiegewinn eine Ursache (neben anderen) dafür sein könnte – gerade bezogen auf Frauen wurde dieser Zusammenhang bereits mehrfach nachgewiesen.46 Auffällig ist, dass sich lediglich eine junge Befragte mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion klar vom elterlichen (konservativen) Geschlechterarrangement abgrenzt (und ein egalitäres Geschlechterarrangement anstrebt).
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Z. B. für Frauen mit Zuwanderungsgeschichte vgl. Abadan-Unat (1993), Karakasoglu (2003).
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Ergebnisse der Interviews
Bedingte Abgrenzung von Eltern/Elternteilen Die Gruppe der Befragten, die sich von den Eltern oder einem Elternteil hinsichtlich Geschlechterleitbildern und Geschlechterpraxen bedingt abgrenzt, ist mit knapp einem Drittel der Befragten größer als die Gruppe, die sich klar abgrenzt. Die Variation der bedingten Abgrenzung von den Eltern ist zudem größer. Bei einigen jungen Befragten ¿ ndet sich eine bedingte Abgrenzung von konservativen Geschlechterpraxen der Eltern bei gleichzeitiger Präferenz einer lediglich bedingt egalitären Geschlechterpraxis. Das kann z. B. beinhalten, dass der Mann etwas mehr Zeit in die Erwerbstätigkeit investieren soll als die Frau und dass er nach der Geburt von Kindern eher die Haupternährerrolle übernehmen soll. Ein weiterer in diesem Kontext häu¿g genannter Aspekt des bedingt egalitären Geschlechterleitbildes ist die Hauptverantwortung der Frau für ‚klassische‘ Haushaltsaufgaben bei angemessener Beteiligung/Unterstützung durch den Mann: Gerade der letztgenannte Punkt ¿ndet sich sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Befragten – quer durch die Herkunftsgruppen. Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen die Eltern bereits eine bedingt egalitäre Geschlechterpraxis leben, die Befragten dies häu¿g auch begrüßen, ihr Geschlechterleitbild aber noch mehr an einem egalitären Geschlechterarrangement ausrichten: „[…] ja also, ich bin hier geboren, aber ich würde nicht so vieles machen wie meine Mama, weil sie damals ja alles eher selbst gemacht hat, als Papa natürlich auch gearbeitet hat, musste sie als Frau den Haushalt führen, aber jetzt sind die Zeiten ja anders […],der Partner sollte auch was machen und ich natürlich auch, also gleichberechtigt.“ (Selin Akdeniz, TR-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 33)
Wie in der Kategorie Abgrenzung ¿ndet man auch in der Kategorie bedingte Abgrenzung keine einzige junge Frau, deren Geschlechterleitbild sich im Vergleich zur Elterngeneration in eine konservativere Richtung entwickelt hätte (quer durch die Herkunftsgruppen und ohne besondere Auffälligkeiten bezüglich des Bildungsniveaus). Auch hier ¿ndet sich ein männlicher Befragter, der eine konservativere Geschlechterpraxis leben will als seine Eltern. Zu der Gesamtheit der jüngeren Befragten, die sich bedingt von den Geschlechterpraxen der Eltern oder Elternteile abgrenzen, gehören etwas mehr Männer als Frauen. Alle Bildungsniveaus sind gleichermaßen vertreten. Auch nach Herkunft ist diese Gruppe relativ ausgeglichen, es sind nur wenige mehr aus der Gruppe mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei, die sich bedingt von den Geschlechterarrangements der Eltern abgrenzen.
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Orientierung an Eltern/Elternteilen Die Gruppe der Befragten, die sich in ihren Geschlechterleitbildern an der Elterngeneration orientiert, ist im Vergleich mit über einem Drittel der Befragten knapp die größte Gruppe. Dies zeigt, dass die Eltern insgesamt einen nicht unerheblichen EinÀuss ausüben und eine Vorbildrolle einnehmen. Dabei lassen sich alle Varianten von konservativ bis hin zu egalitär ¿ nden, wobei aber nur eine Minderheit ein der elterlichen konservativen Geschlechterpraxis ähnelndes Geschlechterrollenleitbild verfolgt: „Jürgen Neumann: […] mit der Hausarbeit […], das ist – [das] kenn ich halt nur so und deswegen denk ich auch – denk ich genauso. INT: Mhm. Fällt Ihnen da ein konkretes Beispiel zu ein ? Wenn Sie sich Ihren Alltag so anschauen ? Jürgen Neumann: Ja das mit der Arbeit halt, dass meine Mutter, halt, war immer halt zu Hause als wir noch klein waren und da denk ich mal – also für mich gehört das halt auch so, dass ich später halt dann arbeiten gehe und die Frau sich um die Kinder kümmert. […] So wie ich es halt auch gewohnt bin.“ (2Jürgen Neumann, DT-M, 23 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 159–163)
Die Mehrheit bevorzugt jedoch (mit zuweilen kleineren Abweichungen von den Eltern) ein bedingt egalitäres Geschlechterleitbild und orientiert sich dabei an einer ebenfalls bedingt egalitären Geschlechterpraxis der Eltern, bei der beide arbeiten, beide Haushaltsaufgaben erledigen und evtl. Kinder betreuen, aber die Frauen gewissermaßen das Management übernehmen und die Männer (mehr oder weniger) assistieren. Es ¿nden sich Orientierungsvarianten an Àexiblen elterlichen Geschlechterpraxen, die vor der Geburt von Kindern, in der Kleinkindphase und für den Zeitraum des Heranwachsens unterschiedlich gestaltet wurden. Dann wird beispielsweise in einer Kleinkindphase eine bedingt egalitäre bzw. konservative Geschlechterpraxis für akzeptabel befunden. Schließlich gibt es darüber hinaus einige Befragte, deren Eltern bereits eine egalitäre Geschlechterpraxis lebten und die dieses Modell auch für sich als Geschlechterleitbild übernommen haben. Mit Blick auf die Gesamtgruppe der sich an den Eltern orientierenden Befragten ist zunächst auffällig, dass sich mehr junge Männer als Frauen an den elterlichen Geschlechterpraxen (die überwiegend konservativ oder bedingt egalitär sind) orientieren. Die zahlenmäßig größte Gruppe (die Hälfte aller Befragten) sind Personen mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion. Befragte mit türkischer bzw. ohne Zuwanderungsgeschichte sind in etwas geringerer Zahl vertreten. Insgesamt kommt hier die ganze Bandbreite an Geschlechterleitbildern vor, von konservativ bis egalitär. Bezüglich des Bildungsniveaus lässt sich festhalten, dass es keine auffälligen Häufungen gibt – es be¿nden sich in dieser Gruppe nur wenig mehr Personen mit hohem Bildungsniveau.
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Ergebnisse der Interviews
Weder Abgrenzung noch Orientierung Bei lediglich zwei Befragten ließen sich weder Abgrenzungs- noch Orientierungsstrategien bezüglich der elterlichen Geschlechterpraxen identi¿zieren, da in einem Fall keine Auskunft gegeben wurde, im anderen Fall wegen des alleinerziehenden Elternteils kein entsprechendes Rollenmodell existierte. 5.2.1.2 Interkulturelle EinÀüsse auf Geschlechterarrangements der Jüngeren Neben den intergenerativen wurden auch die interkulturellen EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder der Jüngeren herausgearbeitet. Diese Frage betraf nur die Jüngeren mit Zuwanderungsgeschichte. Es wurde offensichtlich, dass für viele Jüngere mit Zuwanderungsgeschichte interkulturelle EinÀüsse auf ihre Geschlechterleitbilder kein relevantes Thema sind. Sie konnten also häu¿g keine Bezüge zwischen ihren Geschlechterleitbildern und der Herkunft der Familie erkennen. Dieser Umstand weist deutlich darauf hin, dass die Zuwanderungsgeschichte in Bezug auf die Entwicklung von Geschlechterleitbildern für die jüngeren Befragten eher eine untergeordnete Rolle spielt. Sie setzten sich, wie die Ergebnisse unter 5.2.1.1 zeigen, vielmehr mit den individuell innerfamiliären Geschlechterleitbildern (und mit Geschlechterleitbildern der weiteren sozialen Umgebung, vgl. Kap. 5.2.1.3) auseinander. Aus den Interviews lassen sich drei Hauptaspekte der ReÀexion über Herkunft erkennen: Bezugnahme auf Herkunft, Bezugnahme auf Familie und andere Hintergründe und Ausschluss der Bedeutung von Herkunft. Alle Varianten werden von beiden Herkunftsgruppen sowie von beiden Geschlechtern vertreten: Bezugnahme auf Herkunft Einige der Jüngeren mit Zuwanderungsgeschichte versuchen, einen Zusammenhang zwischen ihren Geschlechterleitbildern und ihrer Zuwanderungsgeschichte herzustellen. Es sind insgesamt mehr Personen mit hohem als mit mittlerem/ niedrigerem Bildungsniveau, bei denen eine herkunftsbezogene Verortung ihrer Geschlechterleitbilder (direkt oder indirekt) ein Thema ist. Die Thematisierung verläuft dabei sehr unterschiedlich und reicht von interkulturellen Vergleichen, die sowohl abwertende als auch idealisierende Selbst- und Fremdbilder (z. B. über Weiblichkeit, Gleichberechtigung, Karriereorientierung, Mithilfe von Männern im Haushalt) enthalten bis hin zu einem bi-kulturellen Selbstbewusstsein ohne Bezug zu Geschlechterleitbildern. Bezugnahme auf Familie und andere Hintergründe Die überwiegende Mehrheit der Interviewten stellt jedoch auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Herkunft und Geschlechterleitbild keine eindeutigen
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Zusammenhänge her – stattdessen wird von der individuellen Orientierung an Eltern(teilen) berichtet, z. B. hinsichtlich der gerechten Aufgabenverteilung im Elternhaus, der Berufstätigkeit der Eltern, aber auch der Verantwortlichkeit der Mutter für den Haushalt bei gleichzeitiger Berufstätigkeit oder ihrer Selbständigkeit und Durchsetzungsfähigkeit, die als prägend für die eigenen Einstellungen empfunden werden: „Also, was mich sehr beeinÀusst hat an dem Leben meiner Mutter ist, dass sie so früh nach Deutschland gekommen ist und alleine. Man muss sich das vorstellen. Ich bin jetzt 22, mit 17 Jahren habe ich gerade mal das Abitur damals gemacht. Wenn ich mir jetzt vorstelle, mit 17 Jahren, allein in ein fremdes Land, ohne die Sprachkenntnisse, zu arbeiten und sich selbst zu sorgen, es ist, das ist unglaublich. Das ist, das ist ein solches Können, das ist etwas, was sie da geschafft hat, unglaublich. […] Also, ich hoffe, ich spiegele mich in meiner Mutter insofern wieder, dass ich ebenfalls selbständig bin, weil sie ist sehr, war stark, selbständig, sehr unabhängig. Sie ist in allen Dingen unabhängig. Sie hat ihr eigenes Geld. Sie verfolgt ihre eigenen Interessen und sie gibt mir immer zu verstehen, dass ich das auch so machen soll […].“ (2Zuhal Kara, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 71)
Ausschluss der Bedeutung der Herkunft Einige Befragte schließen zudem komplett aus, dass ihre Zuwanderungsgeschichte etwas mit ihrem Geschlechterleitbild zu tun habe. Begründungen dafür sind etwa, dass autonome Entscheidungen (z. B. bei der Ehe- und Partnerwahl) getroffen werden, man in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert worden sei und ¿nanzielle Unabhängigkeit kulturunabhängig für beide Geschlechter selbstverständlich sei. 5.2.1.3 Weitere EinÀüsse auf Geschlechterarrangements bei den Jüngeren Im Material ließen sich über die intergenerativen und interkulturellen EinÀüsse bezüglich Geschlechterarrangements bei den Jüngeren noch weitere EinÀüsse identi¿zieren, die von einer kleineren Gruppe der Befragten eingebracht wurden (Jüngere mit und ohne Zuwanderungsgeschichte). Dazu gehören z. B.: Steigerung der eigenen Durchsetzungsfähigkeit als Frau (gegenüber den Eltern) mit Hilfe des sozialen Umfelds, der Wandel des Zeitgeistes in Richtung Gleichstellung der Geschlechter (mehrfach genannt), zum Teil gepaart mit Kritik an der mangelhaften tatsächlichen Umsetzung derselben, hohe Karriereorientierung und (vorübergehende) Abkehr von Wünschen nach Familie/Kindern, beeinÀusst durch das universitäre und beruÀiche Umfeld und durch Freundschaften, d. h. Abgrenzung von der hohen Familienorientierung der Eltern. Auch diese EinÀüsse wurden von
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Ergebnisse der Interviews
den Befragten eher in einen globalen statt in einen ethnisch-kulturellen Zusammenhang gestellt. Während die bisher behandelten Aussagen der Befragten einen direkten Bezug zum EinÀuss der Eltern auf die Geschlechterleitbilder hatten, werden im folgenden zwei Themenbereiche besprochen, in welchen sich indirekte Hinweise auf elterliche (und ggf. andere) EinÀüsse auf Geschlechterbilder ablesen lassen: Aussagen zu Vorbildern und zu elterlichen Erwartungen. 5.2.1.4 Familiäre und andere Vorbilder Die Auswertung ergibt, dass eine sehr große Mehrheit der jüngeren Befragten Familienmitglieder als Vorbilder hat – es ist fast das gesamte Sample der Jüngeren, welches innerfamiliäre Vorbilder benennt. Damit wird ganz allgemein die hohe Bedeutung der Sozialisationsinstanz Familie als Orientierungspunkt in dieser Studie bestätigt bzw. hervorgehoben – und dies gilt sowohl für junge Menschen mit als auch ohne Zuwanderungsgeschichte. Als Vorbilder wurden neben den Eltern verschiedenste Familienmitglieder genannt: Großeltern, Onkel und Tanten, Geschwister, Cousins und Cousinen. Als weitere Vorbilder wurden – mit erheblichem Abstand – zu den Familienmitgliedern genannt (nach Häu¿gkeit in dieser Reihenfolge): Pädagoginnen/Pädagogen (hauptsächlich Lehrerinnen/Lehrer und einmal Professoren), Freundinnen und Freunde, Prominente, Lebenspartnerinnen/ Lebenspartner.47 Einige der Befragten nannten keine konkreten Personen, sondern nur Eigenschaften, die sie als vorbildhaft erachteten. Innerfamiliäre Vorbilder Bei den innerfamiliären Vorbildern werden am häu¿gsten Eltern oder Elternteile genannt. Die Aussagen zu Eltern insgesamt sind eher allgemein, während die Aussagen zu den einzelnen Elternteilen weitaus spezi¿scher sind. Einige Befragte sehen ihre Eltern ganz allgemein als Orientierungspunkte in ihrem Leben, weil 47 Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts bestätigt am Beispiel der schulischen und beruÀichen Zukunftsplanung (vgl. hierzu auch Kap. 5.5) den hohen EinÀuss der Eltern, die von allen dort befragten Jugendlichen (Jungen und Mädchen, mit und ohne Zuwanderungsgeschichte) an erster Stelle genannt wurden, gefolgt von Freundinnen und Freunden und an dritter Stelle von Lehrerinnen und Lehrern. Zwei (kleinere) Unterschiede zwischen den Befragtengruppen sind aufschlussreich: a) mehr Mädchen als Jungen führen Gespräche über ihre beruÀiche Zukunft mit Freundinnen und Freunden, mehr Jungen als Mädchen tun dies hingegen mit Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen und b) die Eltern sind bei Jugendlichen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte an erster Stelle genannt, jedoch am häu¿gsten von Jugendlichen ohne Zuwanderungsgeschichte – Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte hingegen nutzen die Möglichkeit, mit Lehrerinnen und Lehrern über die Zukunft zu sprechen, häu¿ger als Befragte ohne Zuwanderungsgeschichte. (DJI 2005, S. 17–19).
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sie viel von ihnen gelernt hätten, andere begründen dies einfach mit der Tatsache, einen Großteil des Lebens mit ihnen verbracht zu haben. Darüber hinaus werden Aussagen zu den Eltern getroffen, die sich weniger auf deren generelle Vorbildfunktion beziehen als vielmehr auf ihre vorbildhaft ausgefüllte Elternrolle. Dazu gehört: Die Eltern setzen sich für die Kinder ein, sind für sie da und ansprechbar, erziehen sie zu HöÀichkeit und Respekt und motivieren sie hinsichtlich Bildung und Ausbildung, in einem Einzelfall wurde auch die gute Paarbeziehung der Eltern als vorbildhaft geschildert. Bezüglich dieser Aussagen lassen sich keine besonderen Unterschiede zwischen den jüngeren Frauen und Männern, den Herkunftsgruppen oder Bildungshintergründen identi¿zieren. Konkreter sind die Aussagen zu einzelnen Elternteilen. Besonders auffällig ist dabei, dass die Gründe für das Vorbildsein der Mütter bzw. Väter tendenziell ‚gegendert‘ sind. Die Mutter gilt in vielen Bereichen von ‚weiblich‘ konnotierten Eigenschaften als Vorbild (Aufopferung, Hilfsbereitschaft, Fürsorglichkeit etc.). Einige Male wurden jedoch auch Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit, Stärke und Bildung/Wissen und Erwerbstätigkeit genannt (diese kamen häu¿g geschlechtsübergreifend vor). Bei den Vätern gehen die Gründe für die Vorbildrolle noch stärker in die typisch geschlechtsspezi¿sche Richtung (z. B. Ernährerrolle, Beruf, Verdienst, technisches und handwerkliches Können). Insgesamt ¿ndet man hier also eine Gleichzeitigkeit von gendertypischen Vorbildeigenschaften und Vorbildeigenschaften, die geschlechterübergreifend genannt wurden.48 An weiteren Verwandten werden nach den Elternteilen am zweithäu¿gsten die Geschwister genannt, und zwar ebenfalls nach Brüdern/Schwestern unterschieden, gefolgt von den Großeltern. Schwestern werden für Intelligenz und gutes Aussehen, soziale Eigenschaften und Fleiß in Schule und Beruf bewundert, Brüder für Sportlichkeit, technische Fähigkeiten, Zielstrebigkeit und Selbständigkeit, Stärke und Klugheit. Großmütter werden bewundert für ihre Strenge bei gleichzeitiger Warmherzigkeit, Großväter für Intelligenz, ihre Fähigkeit, mit bescheidenen Mitteln viel aus ihrem Leben zu machen, für innere Ruhe und Weisheit oder aufgrund ihres reichhaltigen Wissens über die Herkunftskultur (‚Kulturträger‘). In Einzelfällen wurden auch Tanten (für ihre Fürsorglichkeit und Fähigkeit zur Solidarität) oder Cousins (als beruÀiche Vorbilder) genannt. Man erkennt hier, dass auch die Begründungen für Vorbilder bei den entfernteren Verwandten genderspezi¿sch sind, wenn auch nicht ganz so deutlich. Zudem können aufgrund der verhältnismäßig kleinen Anzahl die obigen Aussagen nur vorsichtig als Tendenzen gewertet werden.
48 Dies ähnelt den in Kapitel 5.3 dargestellten Ergebnissen zu geschlechtsdifferenzierenden Vorstellungen von Frauen und Männern allgemein.
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Ergebnisse der Interviews
Der Gruppenvergleich der Befragten ergibt sehr auffällige Unterschiede nach Geschlecht: Es bestätigt sich die immer wieder behandelte These, dass Vorbilder vorrangig gleichgeschlechtlich gewählt werden: Weibliche Befragte unserer Gruppe benennen vorrangig ihre Mütter und männliche Befragte vorrangig ihre Väter als Vorbilder. In manchen Interviews wurde z. B. der männliche Interviewpartner gezielt nach der Rolle des weiblichen Elternteils gefragt und konnte dazu keine Aussage entwickeln oder blieb auf einer ganz allgemeinen Ebene. Eine andere Variante war, dass die Eltern zunächst beide als Vorbilder eingeführt wurden, dann aber nur noch vom Vater/von der Mutter gesprochen wurde. Insgesamt sind die Funktionen der genannten Vorbilder teils klischeehaft geschlechtsspezi¿sch ausgeprägt und teils geschlechtsübergreifend (z. B. bei Vorbildern aufgrund einer hohen beruÀichen Position). Es sind nur vereinzelte Befragte, die z. B. den andersgeschlechtlichen Elternteil zum Vorbild haben (eine Tochter bewundert ihren Vater für dessen Zuwendung gegenüber den Kindern, seine Liberalität und demokratischen Umgangsformen, ein jüngerer Mann bewundert seine Mutter aufgrund ihres Bildungsniveaus – bei ihm ist interessant, dass er seine Mutter nicht als sein Vorbild, sondern als Vorbild für seine zukünftige Partnerin sieht, die ebenfalls so gebildet sein soll wie die Mutter). Die Befragten aller Herkunftsgruppen benennen gleichermaßen häu¿g Familienmitglieder als Vorbilder und orientieren sich dabei an gleichgeschlechtlichen Personen. Eine Tendenz, die sich vorbehaltlich der zugrunde liegenden geringen Fallzahl andeutet, ist, dass die Befragten mit Zuwanderungsgeschichte häu¿ger als diejenigen ohne Zuwanderungsgeschichte Geschwister als Vorbilder nennen. Die sehr wenigen Aussagen zu weiteren Verwandten lassen hingegen keine Identi¿zierung von Gruppentendenzen zu. Außerfamiliäre Vorbilder Ein nicht unerheblicher Teil der Befragten nennt Lehrerinnen und Lehrer entweder namentlich oder generell als Vorbilder. Darüber hinaus wurden von einer Befragten ihre Universitätsprofessoren genannt (ohne dass dies näher spezi¿ziert wurde). Lehrerinnen/Lehrer waren für diese Befragten Vorbilder, wenn sie willensstark und durchsetzungsfähig waren, Schülerinnen/Schülern Förderung und Verständnis entgegen brachten, aber auch wegen ihres Allgemeinwissens und vorgelebter Tugenden. Zwei weitere Aussagen bezogen sich speziell auf die Situation von Schülerinnen/ Schülern mit Zuwanderungsgeschichte und wurden von Befragten dieser Gruppe genannt. Sie werden hier hervorgehoben, weil sie sich von den oben genannten Äußerungen (von Befragten mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, Frauen und Männern) deutlich unterscheiden. Ein Befragter sagte, er habe von seinem Lehrer gelernt, dass man sich, nur weil man zugewandert sei, nicht der Gesellschaft unterwerfen, bzw. sich überanpassen müsse, sondern sich selbst auch treu bleiben und sein Selbstbewusstsein und seine Identität bewahren solle. Eine weitere Befragte
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gab ihren Lehrer als Vorbild an, weil er seinen Status nicht zur Schau stelle (z. B. Schülerinnen/Schüler nicht ‚verpetze‘, in einfachen Supermärkten einkaufe, keinen Luxuswagen fahre) und außerdem interkulturell kompetent und tolerant sei. Die Lehrkräfte wurden häu¿ger von Frauen als von Männern, aber gleichermaßen von Befragten mit und ohne Zuwanderungsgeschichte als Vorbilder genannt. Freundinnen/Freunde wurden von den Befragten als Vorbilder bezeichnet, wenn sie z. B. höÀich, Àeißig und gleichzeitig zurückhaltend sind, wenn sie bilingual sind (ohne dass dies näher ausgeführt wurde), wenn sie moralische Einstellungen haben, an denen man sich orientieren kann. Darüber hinaus wurden Freundinnen/Freunde von Eltern, Schwestern und Brüdern genannt, die alle älter waren als die Befragten selbst und Vorbilder waren im freien Denken und Vermitteln technisch/handwerklicher Kenntnisse. Bezüglich prominenter Vorbilder nennt eine weibliche Befragte Angela Merkel. Drei männliche Befragte nennen Sportler, darunter Fußballer und Radrennfahrer. Eine Befragte bezeichnet außerdem ihren Lebenspartner als Vorbild und „Idealmann“, weil er individuell, offen, ehrgeizig und gleichzeitig elegant, sozial kompetent und nicht überheblich sei. Welche Rolle spielen nun die Vorbilder bezüglich der Geschlechterleitbilder der Jüngeren ? Hieraus lassen sich nur indirekte Schlussfolgerungen ziehen. Angesichts der Tatsache, dass sowohl die jüngeren Frauen, als auch die jüngeren Männer in der überwiegenden Mehrheit eine hohe Bildungs- und Berufsorientierung und mehrheitlich egalitäre oder bedingt egalitäre Geschlechterleitbilder haben, scheint es zunächst verwunderlich, dass die Frauen ihre Mütter seltener als die Männer ihre Väter wegen ihrer Berufsorientierung als vorbildhaft bezeichnen. (Sie tun dies vor allem dann, wenn diese Mütter selbst ein hohes Bildungsniveau haben und/oder in einem entsprechenden Berufsbereich tätig sind.49) Dies hat damit zu tun, dass viele Mütter in unserer Befragtengruppe keine Berufe in hoher Position haben oder Vollzeit arbeiten. Daher werden von den jungen Frauen bezüglich Bildungs- und Berufsorientierung eher Schwestern oder außerfamiliäre Vorbilder genannt. Darüber hinaus nennen die Frauen ihre Mütter jenseits von Bildungs- und Berufsorientierung als Vorbilder bezüglich solcher Eigenschaften wie Selbständigkeit und Durchsetzungsfähigkeit, betonen aber gleichzeitig deren vorbildhafte soziale Eigenschaften, die eher als ‚typisch weiblich‘ gelten. Bei den Männern werden tendenziell eher ‚typisch männliche‘ Eigenschaften hervorgehoben.
Der Umstand, dass Mütter für die Töchter vor allem dann Vorbild im Bildungs- und Berufsbereich sind, wenn sie selbst ein hohes Bildungsniveau haben und berufstätig sind, wird speziell für Frauen mit Zuwanderungsgeschichte auch in der bereits erwähnten Studie zu Akademikerinnen mit Zuwanderungsgeschichte (Farrokhzad 2007) bestätigt. Allerdings werden dort von den Frauen häu¿ger die Väter als Vorbilder genannt als in der vorliegenden Studie. 49
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5.2.1.5 Der Umgang mit elterlichen Erwartungen Aus den elterlichen Erwartungen und daraus, ob die jüngeren Befragten sie aus ihrer Sicht erfüllt haben (oder erfüllen wollten), lassen sich ebenfalls Schlüsse auf intergenerative EinÀüsse der Eltern auf ihre Kinder ziehen. Elterliche Erwartungen Die jüngere Generation nennt eine Fülle von elterlichen Erwartungen, die sich zwar nicht unmittelbar auf deren Geschlechterleitbilder beziehen, aber dennoch indirekt Auskunft darüber geben (wenn etwa über Erwartungen bezüglich Bildung, Beruf und Familie berichtet wird). Mit Abstand am ausführlichsten wurden bei der Frage nach den elterlichen Erwartungen die Themen Bildung, Beruf und die Fähigkeit zur ¿nanziellen Unabhängigkeit und eigenständigen Lebensführung angesprochen. Dies zeigt den hohen Stellenwert der Ausbildung und Berufstätigkeit der Kinder bei den Eltern (dies gilt für alle Herkunftsgruppen). Weitere Themen elterlicher Erwartungen sind: Tugenden (wie Fleiß, Höflichkeit etc.), Lebensstil, Familie/Familiengründung, allgemein Glück und Zufriedenheit und Erwartungen an die Partnerschaft. Diese werden im Kapitel 5.3 zur Partnerwahl näher erläutert. Darüber hinaus waren Aussagen zu Themen zu ¿nden, die gewissermaßen quer zu den bereits benannten Themenfeldern liegen: Aussagen dazu, inwiefern durch die Eltern Druck ausgeübt wurde, Aussagen zur Entscheidungsfreiheit (z. B. bezüglich der Berufswahl) sowie Stellungnahmen zur allgemeinen Bereitschaft der Eltern, die Kinder bei Ihren Vorhaben zu unterstützen. Elterliche Erwartungen im Bereich Bildung und Beruf Die Bandbreite reicht von einer hohen Erwartung (Studium) bis hin zur Minimalerwartung, dass das Kind wenigstens einen Schulabschluss schafft. Die insgesamt hohe Bedeutung der Bildung bei den elterlichen Erwartungen ¿ndet sich bei beiden Geschlechtern und allen Herkunftsgruppen. Einen auffälligen Unterschied gibt es bezüglich des Bildungsniveaus der Jüngeren: Diejenigen, die Abitur haben bzw. studieren, äußern sich häu¿ger zu Bildungserwartungen und berichten häu¿ger, dass die Eltern von ihnen mindestens Abitur, zum Teil auch ein Studium erhofft haben. Diejenigen, die ein mittleres oder niedriges Bildungsniveau haben, berichten häu¿ger, dass die Eltern sich eine „gute Ausbildung“ ihrer Kinder wünschten (was meist mittlerer Schulabschluss und beruÀiche Ausbildung bedeutete) – manchen Eltern dieser Gruppe reichte es auch, wenn ihre Kinder überhaupt einen Schulabschluss schaffen. Bezüglich der elterlichen Erwartungen ist im Vergleich der Befragten auffällig, dass bei denen mit Zuwanderungsgeschichte häu¿ger ausdrücklich gewünscht wurde, dass die Kinder gute Schulleistungen bringen, Abitur und Studium absolvieren. Dieser Umstand verweist auf tendenziell höhere
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elterliche Erwartungen an bildungsbezogene Leistungen der Kinder seitens der Eltern mit Zuwanderungsgeschichte beider Herkunftsgruppen.50 Zum Thema Erwerbstätigkeit wurde u. a. berichtet, dass die Eltern sich wünschen, dass ihre Kinder Arbeit haben, in einem guten Beruf tätig sind, Geld verdienen, beruÀichen Erfolg haben und eine Familie ernähren können. „[Meine Eltern] erwarten viel von mir. […] Sie möchten, dass ich eine vernünftige Arbeit bekomme, dass ich in meinem Leben zufrieden werde, und dass ich möglichst viel dafür mache, um das zu erreichen, was ich möchte. Unter dem liegenden Stein Àießt kein Wasser, deswegen wenn man sich nicht bemüht, wird auch nichts.“ (2Denis Perov, SU-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 247)
Bei den Aussagen zu Selbständigkeit und Unabhängigkeit ¿ nden sich folgende Auffälligkeiten: Nur bei den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte (männlich und weiblich) war es Thema, dass die Eltern die Hoffnung hegten, dass ihre Kinder ¿nanziell unabhängig sein sollten, und dass es als wichtig betont wurde, dass sie überhaupt Arbeit haben. Diese Struktur der Aussagen weist darauf hin, dass insbesondere in den Zuwandererfamilien die Sorge um die Arbeitslosigkeit ihrer Kinder besonders ausgeprägt ist – was nachvollziehbar ist vor dem Hintergrund, dass Personen mit Zuwanderungsgeschichte weitaus häu¿ger von Arbeitslosigkeit betroffen sind als Personen ohne Zuwanderungsgeschichte. Die Fähigkeit, eine Familie zu ernähren, stand vereinzelt im Vordergrund (jedoch nur bei männlichen Befragten). Elterliche Erwartungen im Bereich Tugenden und Lebensstil Die jungen Männer ohne Zuwanderungsgeschichte, die sich zu dieser Frage äußerten, erwähnen dazu Fleiß, HöÀichkeit, Freundlichkeit, Ehrlichkeit, soziales Verhalten und (in einem Fall) Hilfe bei der Hausarbeit. Bei einer türkischen jungen Frau wurde Liebe genannt, ein guter Mensch zu werden und die Eltern nicht zu vernachlässigen. Von mehreren Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion wurden soziales Verhalten, Humanität, Offenheit und Vorurteilslosigkeit, gutes Benehmen, Respekt, HöÀichkeit und Hilfsbereitschaft als elterliche Erwartungen genannt und (von einer jungen Frau) der elterliche Wunsch, dass sie zukünftig eine gute Mutter und Hausfrau (bei gleichzeitiger 50 Die zentrale Rolle der Bildung bestätigt sich auch im Kapitel 5.4 wenn dargestellt wird, was den Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder besonders wichtig war. Auch hier sind es noch deutlicher die Eltern mit Zuwanderungsgeschichte (insb. türkischer Herkunft), denen besonders die Bildung der Kinder am Herzen lag. Die befragten Eltern scheinen sich darüber bewusst zu sein, dass Bildung für Integration im Sinne von gesellschaftlichen Teilhabechancen und beruÀichem Erfolg sehr bedeutsam ist und vermitteln vor allem vor diesem Hintergrund Bildung als besonders wichtigen Wert an ihre Töchter und Söhne weiter.
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Erwerbstätigkeit) sein würde. Auffällig hierbei ist, dass es eine Tendenz dazu gibt, dass vor allem Befragte mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion Tugenden als elterliche Erwartungen thematisieren. Elterliche Erwartungen bezüglich des Lebensstils wurden nur in wenigen Aussagen explizit genannt, sind aber vielfältig. Dazu gehören: nicht kriminell zu werden, keine Drogen, keine frühe Schwangerschaft, ein Leben mit „Familie, Haus, Kind und Auto“, keine zu frühe feste Bindung an einen Partner, erwachsen zu werden, nicht auf der Straße „rumzugammeln“, gesund zu bleiben, „keinen Mist zu bauen“. Ausübung von Druck und/oder Gewährung von Entscheidungsfreiheit Bezüglich der Entscheidungsfreiheit wurden vor allem Aussagen zur Berufwahl getroffen – diese konnte von den Befragten, die sich dazu äußerten, eigenverantwortlich entschieden werden – wenngleich sich manche Väter freuten, wenn ihre Söhne die gleiche fachliche Richtung einschlugen wie sie selbst. Zum Thema Druck seitens der Eltern haben sich ebenfalls einige Befragte geäußert. Auffällig ist hierbei, dass (bis auf eine weibliche Befragte ohne Zuwanderungsgeschichte, deren Mutter unbedingt wollte, dass sich ihre Töchter so vielseitig wie möglich bilden) alle sich dazu äußernden Personen ohne Zuwanderungsgeschichte allgemein von weniger Erwartungen und geringem Leistungsdruck seitens der Eltern berichten. Bei den sich äußernden Befragten mit Zuwanderungsgeschichte sind die elterlichen Erwartungen (vor allem im Bereich Bildung, zum Teil auch Berufstätigkeit und Tugenden) tendenziell höher. „Sibel Can: Meine Eltern haben Erwartungen, ja sogar sehr hohe. Die wollen, dass ich, was natürlich verständlichvoll ist, die wollen, dass ich einen guten Abschluss habe, guten Beruf habe, auf eigenen Beinen stehen kann. […] INT: Hatten oder haben Ihre Eltern Erwartungen bezüglich Ihrer Bildung und Berufswahl ? Sibel Can: Ja, meine Mama, die […] hat da schon ihre Traumwünsche oder Traumberufswünsche, wie Polizistin, Anwältin. Dass ich sozusagen ihren Traumberuf dann ausübe.“ (2Sibel Can, TR-W, 21 Jahre, Schülerin, Absatz 200–202)
Von einigen Befragten wurde geäußert, dass ihre Eltern sich wünschen, dass ihre Kinder ganz allgemein glücklich und mit ihrem Leben zufrieden sind, ein ‚normales Leben‘ führen. Indirekt ist insgesamt den Aussagen der meisten Befragten zu entnehmen, dass sie durch die Eltern in dem, was sie selbst sich wünschen, auch unterstützt werden.51 51 Der gleiche Eindruck entsteht im Hinblick auf die Partnerwahl (vgl. Kap. 5.3). Die Eltern haben zwar Erwartungen, etwa hinsichtlich der Herkunft oder Bildung der Partnerin/des Partners, die jüngeren Befragten sehen sich in ihrer Partnerwahl jedoch zumeist als selbstbestimmt an.
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Erfüllung elterlicher Erwartungen Wie verhalten sich die Befragten gegenüber den Erwartungen der Eltern, welche erfüllen sie und welche nicht ? Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen. Die jüngere Generation benennt einige zentrale Bereiche, in denen sie mit den Ansprüchen der Eltern konfrontiert ist und in denen sie versucht, diese zu erfüllen bzw. sich davon abzugrenzen. Der am häu¿gsten benannte Themenkomplex ist Bildung und Ausbildung. Daneben werden die Themenbereiche eigenständige Lebensführung und Erwerbstätigkeit, Glück und Zufriedenheit im eigenen Leben sowie Partnerschaft und Familie benannt. Die Erfüllung von Erwartungen im Bereich Bildung ist ein zentrales Thema, weil die Lebensphase des Jugend- und jungen Erwachsenenalters, in der sich die Personen der jüngeren Generation be¿nden, durch Bildungserfahrungen in Schule, Berufsausbildung und/oder Universität gekennzeichnet sind. Erfüllung elterlicher Erwartungen im Bereich Bildung und Beruf Das Spektrum der Antworten reicht hier von einer vollständigen Erfüllung der elterlichen Bildungserwartungen über kleine Abstriche in der Erfüllung bis hin zur Nichterfüllung. Die bereits im vorangegangenen Abschnitt gefundene Tendenz zu einer hohen Bedeutung der Bildung in den elterlichen Ansprüchen zeigt sich auch bei der Frage nach deren Erfüllung. Die Mehrheit der befragten Personen beschreibt, dass sie sich mit elterlichen Erwartungen hinsichtlich Schulbildung und beruÀicher oder universitärer Ausbildung auseinandersetzt. Der jeweils gewählte Umgang kann unterschiedlich sein. Entweder werden die Erwartungen akzeptiert oder sie werden abgelehnt und es wird versucht, sich davon abzugrenzen, indem eigene (andere) Lebensziele und Erwartungen benannt werden. Zuhal Kara gehört zu den Personen, die die elterlichen Erwartungen annehmen. „Also ich denke, es gibt keine Erwartung, die ich bis jetzt noch nicht erfüllt habe. Aber, die Erwartung, die ich erfüllen soll, ist eben, meine Uni zu beenden. Und ich bin auf dem Weg dorthin. Also die erste Erwartung war, dass ich mein Abitur schaffe. Das habe ich gemeistert. Und die nächste ist es eben, dass ich die Uni schaffe. Und da bin ich ja dabei, mit vollem Elan.“ (2Zuhal Kara, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 225)
Nicht für alle befragten Personen der jüngeren Generation sind die elterlichen Erwartungen jedoch einfach zu erfüllen. Aus mehreren Antworten wird deutlich, dass die Maßstäbe nach Auffassung der Befragten in einigen Fällen zu hoch angesetzt sind und es der jüngeren Generation daher nicht gelingt, ihnen gerecht zu werden. „Ja, meine Eltern haben sich immer gewünscht, dass ich Abitur mache, dass ich studieren gehe. Ich hab’ das nicht geschafft, diesen Wunsch zu erfüllen. […] Ich [..]
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Ergebnisse der Interviews habe viel Scheiße in der Schule gemacht und hab’ die Erwartungen nicht erfüllt. Ich hatte andere Dinge im Kopf und deswegen, ja.“ (2Peter Wallmann, SU-M, 24 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 303–311)
Andererseits sind in den Beschreibungen der jüngeren Generation auch unabhängige Entscheidungen gegen die Erwartungen der Eltern zu ¿nden. Einige Personen beschreiben, wie sie sich von den Erwartungen der Eltern abgrenzen und sich z. B. bewusst gegen das Abitur und gegen ein Studium entscheiden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass bei der Mehrzahl der Jugendlichen eine intensive Auseinandersetzung mit elterlichen Erwartungen zum Thema Bildungserwerb statt¿ndet. Die Aussagen der überwiegenden Mehrheit der Befragten weisen daraufhin, dass versucht wird, die elterlichen Erwartungen hinsichtlich Bildung und Ausbildung zu erfüllen und dass dies überwiegend auch gelingt. Dabei lassen sich keine auffälligen Differenzen zwischen Herkunftsgruppen und Geschlechtern erkennen. Die Reaktionen der befragten jüngeren Generation auf elterliche Erwartungen zum Thema Erwerbsarbeit bzw. Beruf sind sehr unterschiedlich. Zum einen ¿nden sich Jugendliche, die sich den Erwartungen der Eltern anpassen und z. B. Bankkauffrau werden, weil dies ein angesehener Beruf ist. Zum anderen gibt es Personen, die sich in ihrer eigenen Wahl durchsetzen. Identi¿kation mit elterlichen Erwartungen vs. Abgrenzung In Bezug auf das zu den inhaltlichen Bereichen quer zu betrachtende Thema der Identi¿kation mit elterlichen Erwartungen fällt auf, dass von der jüngeren Generation vor allem die elterlichen Erwartungen erfüllt werden, mit denen sich die befragten Personen selbst identi¿zieren können. Beispielsweise beschreibt Sibel Can mit Bezug auf ihre Schullaufbahn: „[…] weil ich ja noch an meiner Schule dran hake, und, ja, ich will das auch selber durchziehen. Also es geht ja auch um meine Zukunft und nicht um Mamas Zukunft. Von daher muss ich es und will ich es durchziehen.“ (2Sibel Can, TR-W, 21 Jahre, Schülerin, Absatz 204)
Bei den Jüngeren ¿ nden sich insgesamt etwa ebenso viele, die die elterlichen Erwartungen eher erfüllen, wie solche, auf die das nicht zutrifft. Zum Teil thematisieren die Befragten allerdings auch, dass es ihnen nicht immer gelingt, sauber zwischen den eigenen und den elterlichen Erwartungen zu trennen, weil der EinÀuss der älteren Generation so weit reicht, dass eine scheinbar freie Entscheidung möglicherweise auf internalisierten Wünschen der Eltern beruht.
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5.2.2 EinÀüsse auf Geschlechterarrangements der älteren Generation In diesem Abschnitt geht es um die Perspektive der älteren Generation. Diese wird in diesem Abschnitt entlang folgender Fragen behandelt: a) b) c)
Welche Geschlechterarrangements werden im Zeitvergleich sichtbar ? Welche Rolle spielen dabei interkulturelle EinÀüsse und die Zuwanderung nach Deutschland ? Welche Bedeutung haben diesbezüglich Vorbilder für die ältere Generation ?
Für diesen Abschnitt werden also nur die Aussagen der älteren Generation herangezogen und interpretiert. Die Interviewten wurden danach befragt, wie die Aufgabenteilung in ihrer Lebensgemeinschaft vor der Geburt des ersten Kindes aussah, wer von ihnen als Lebenspartnerinnen und -partner für welche Aufgaben zuständig war, wie dies in der Zeit geregelt wurde, als die Kinder heranwuchsen (in die Schule kamen usw.) und wie die Aufgabenteilung war, als die Kinder groß waren. Die Personen mit Zuwanderungsgeschichte wurden zudem noch dazu aufgefordert, an die Zeit vor ihrer Einwanderung zurückzudenken und zu überlegen, wie es im Herkunftsland war, als Mann bzw. als Frau zu leben, und wie sie im Vergleich dazu die Situation in Deutschland erleben. 5.2.2.1 Aufgaben- und Arbeitsteilung im Zeitvergleich In Kapitel 5.1 wurde bereits deutlich, dass bei der älteren Generation die Aufgabenund Arbeitsteilung vielfältig ist und sich grob in konservative, bedingt egalitäre und egalitäre Geschlechterarrangements unterscheiden lässt. Im Gegensatz zur jüngeren Generation dominieren jedoch klar konservative Arrangements, bei dem die Männer primär arbeiten gehen und sich gar nicht oder kaum um Haushalt und Kindererziehung kümmern. Vertreten ist aber bei einem nicht unerheblichen Anteil der Älteren auch ein bedingt egalitäres Geschlechterarrangement. Egalitäre Geschlechterarrangements sind die Ausnahme. Alle Typen ¿ nden sich sowohl bei den Angehörigen ohne als auch mit Zuwanderungsgeschichte. Es wurde in Kapitel 5.1 zudem offensichtlich, dass die Wahl des Geschlechterarrangements weniger von der Zuwanderungsgeschichte als vielmehr vom Bildungsniveau abhängt. Ist dieses hoch, kommt es eher zur Ausbildung eines (bedingt) egalitären Geschlechterarrangements. Das Besondere am Zeitvergleich ist, dass sich die Geschlechterarrangements der Älteren vervielfältigen. Es gibt einen erheblichen Anteil der Älteren, bei dem sich die Geschlechterarrangements im biographischen Verlauf gewandelt haben.
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Ergebnisse der Interviews
So gibt es etwa Paare, die vor der Geburt eines Kindes ein egalitäres oder bedingt egalitäres Geschlechterarrangement lebten und bei denen sich dieses nach der Geburt des Kindes in ein konservatives Geschlechterarrangement umwandelte.52 Weiterhin lässt sich bei einigen entdecken, dass sich das Geschlechterarrangement, als die Kinder erwachsen wurden und/oder aus dem Haus waren, von einer konservativen in eine egalitäre Richtung bewegte. Auch im Zeitvergleich geben Befragte verschiedene Begründungen dafür an, warum sie in unterschiedlichen Phasen des Familienlebens ein konservatives, bedingt egalitäres oder egalitäres Geschlechterarrangement lebten. Die konservative Aufteilung der Aufgaben im Zeitvergleich beispielsweise wird entweder als natürlich oder aus pragmatischen Gründen legitimiert, etwa weil der Mann besser verdient oder eben andere Dinge besser bewerkstelligen kann. Besonders auffällig ist, dass eine konservative Geschlechterpraxis häu¿g mit der Geburt von Kindern einsetzte. Einige Beispiele verdeutlichen diese Entwicklung: „Ja eigentlich am Anfang, sind wir halt ja beide zusammen arbeiten gegangen und dann, bis dann halt, ja, die erste Schwangerschaft kam. Wie ich dann zu Hause geblieben bin, dann habe ich mich ums Kind gekümmert bzw. dann um beide Kinder, habe dann den Haushalt vollständig übernommen, weil wir haben dann ja quasi von einem Gehalt gelebt und dann hat mein Mann halt eben noch ein bisschen so einen Nebenjob gehabt. (__) so dass wir uns dann da auch über Wasser halten konnten. Ja und dann war ich noch sieben Jahre zu Hause und dann habe ich wieder stundenweise halt angefangen zu arbeiten. Aber der Haushalt oder so was ist dann halt an mir verblieben. Ja und am Wochenende haben wir uns gemeinsam halt um die Kinder gekümmert und eingekauft oder so was, das haben wir auch schon gemeinsam. Aber dann auch so Schriftkram: meine Aufgabe, Reparaturen und technische Sachen: seine Aufgabe. Aber so überwiegend Haushalt, das lag schon bei mir.“ (1Gabriele Neumann, DT-W, 50 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 21)
Dieses Beispiel zeigt eindrücklich den Wandel der Geschlechterpraxis im Zeitverlauf und weist zudem darauf hin, dass trotz Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit der Frau, nachdem die Kinder älter waren, die Hauptarbeit des Haushalts weiterhin an ihr ‚hängen blieb‘. In einzelnen Fällen kümmert der Mann sich durchgängig weder um Haushalt noch um die Kindererziehung. Hier das Beispiel einer Befragten mit türkischer Zuwanderungsgeschichte (die mit dem Partner, auf den sie sich im Zitat bezieht, nicht mehr zusammenlebt): 52 Die Familiengründung als einschneidendes Ereignis und als eine zentrale Ursache für Entwicklung von Geschlechterarrangements in Richtung Konservatismus wurde auch in einer Studie von Blossfeld und Schulz (2006) zur Veränderung der häuslichen Arbeitsteilung im Lebensverlauf herausgearbeitet.
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„Wo die Kinder auf die Welt kamen, war ich natürlich zu Hause, weil die sind ja abhängig von mir, die brauchen mich, ich bin dann Hausfrau geworden. Dadurch war ich dann zu Hause […]. Mein jüngster Sohn ist 1995 geboren. 1997 habe ich dann direkt angefangen (zu arbeiten). Weil mein Partner war […] für mich keine Hilfe, sondern Last. Ich musste alles selber machen. […] Der ist zwar immer nach Hause gekommen, sich hingelegt, das Essen war ja fertig, hat er gegessen und dann hat sich dann auf den Weg gemacht. Zu türkischem Cafe. Dann habe ich ihn gar nicht zu Gesicht bekommen. Die Kinder habe ich so zu sagen, der ist zwar da Partner, aber allein groß gezogen. Wo die Kinder dann im Schulalter waren, habe ich die dann alleine zur Schule gebracht. Mit den ganzen Lehrern in Verbindung gesetzt. Auch in Kindergartenzeit, die ganzen Aktivitäten habe ich dann mit übernommen. Was alles im Kindergarten gemacht werden muss, zum Beispiel Bastelsachen oder Martinszug, solche Sachen habe ich immer mitgemacht. Ich war auch im Elternrat (lacht). In der Kindergartenzeit, in der Schulzeit wie gesagt, habe ich sie alle hinkutschiert. […] Bei meinem Partner ist es immer so gewesen, dass er meistens in türkischen Cafes war, der hat sich dort sehr oft aufgehalten. Seinen Verdienst hat er selber aufgegessen, sage ich mal so. Also der war keine Hilfe für mich, sondern mehr Last.“ (1Canan Yildirim, TR-W, 40 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 25–42)
Im Beispiel einer Frau ohne Zuwanderungsgeschichte hat das Verhalten des Ehemannes ebenfalls zur Trennung geführt. Auf die Frage, wie die Aufgabenteilung in ihrem Haushalt geregelt war, antwortet sie: „Oh ! (stöhnt) Toll, so wie man sich das vorstellt. So wie man das von, vor fünfzig Jahren oder vor hundert Jahren gewöhnt war. Der Mann hat das Sagen und die Frau hat zu [parieren]. […]. Der kam nach Hause und sagte: ‚Mach mal nen Kaffee !‘ Ich musste […] aufstehen, wenn er aufstand, weil ich musste ihm ja Brote machen und so was alles. Das war alles meine Aufgabe.“ (1Elisabeth Krause, DT-W, 57 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 73–91)
Später erklärt sie, dass sie auch für die Kinder alleine zuständig war, er immer nur genörgelt und sich lediglich um das Auto gekümmert habe. Sie resümiert (zu ihrer Tochter): „Also, Papa war, war in der Beziehung, war ganz schlimm. Weil, wenn der abends nach Hause kam, dann musste ich mich erst mal eine oder zwei Stunden mit ihm hinsetzen. Und dann hat er mir nur von der Arbeit erzählt: Wie toll er auch ist, und wie klasse er das gemacht hat, und wenn se ihn nicht hätten, dann würde die, ach ich weiß gar nicht, die […] (seine Firma; d. Verf.) gäb’s gar nicht mehr. So in etwa.“ (Absatz 320)
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Ergebnisse der Interviews „Männer und Frauen. So richtig Klischee. So als, wie man das kennt. […]. Ich hab gesagt, ich warte bis die Kinder groß sind und dann hauste ab.“ (Absatz 104–111)
Das nächste Beispiel zeigt ein bedingt egalitäres Geschlechterarrangement eines Paares mit türkischer Zuwanderungsgeschichte, welches vor der Geburt von Kindern vorhanden war, sich aber auch während der Kleinkindphase hielt, zumindest was die Aufgabenteilung im Bereich Haushalt und Kinderbetreuung angeht: „Ja, bevor die Kinder kamen, hat Ahmet mir sehr viel geholfen. Während meiner Schwangerschaft hat er alles gemacht, geputzt. Wenn Besuch kam, machte er die Salate, deckte den Tisch.“ (1Hatice Onur, TR-W, 54 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 64)
In Bezug auf die Verteilung der Arbeiten während der Zeit als die Kinder noch klein waren, fährt sie fort: „Ja, zu der Zeit hat er natürlich gearbeitet. Und ich hab mich um die Kinder gekümmert, groß gezogen. Aber, als sie klein waren, hat er mir viel geholfen, wenn er nach Hause kam. Also ständig ins Bett bringen. Er hat mit uns viel unternommen am Wochenende. Wir haben ständig was unternommen. Wir haben fast nie zu Hause gesessen. […]. Dann (hatten) sie (die Kinder) irgendwann ihre eigenen Freunde und sind dann natürlich mit denen raus gegangen. Aber bis dahin haben wir immer viel […] gemeinsam unternommen.“ (Absatz 70)
In Bezug auf die Situation, nachdem die Kinder herangewachsen waren, erklärt sie: „Ja, ja. Die Mädchen sollen das machen, sagt er immer. Er hat auch ein wenig Recht. Aber wenn sie nichts machen, dann erledigt er seine Aufgaben selbst. Also immer. Aber ich bin eh zu Hause und koche. Aber wenn ich nicht zu Hause bin, bleibt auf jeden Fall die Wohnung so, wie ich sie hinterlassen hab. Manchmal ¿nde ich sie sogar noch ordentlicher vor, wenn er allein zu Hause war. Also er ist nicht unordentlich. Er ist sehr ordentlich. Ich hab zum Beispiel noch nie von ihm etwas Dreckiges genommen und weggetan. Also zum Beispiel die Socken möchte ich waschen und möchte, dass er sie auszieht, damit ich sie in die Maschine tun kann und dann sagt er: Nein ich mache das. Also so ist das.“ (Absatz 74)
Das bedingt egalitäre Geschlechterarrangement kippt im Zeitvergleich dadurch eher in Richtung konservatives Geschlechterarrangement, da Hatice Onur seit den Schwangerschaften Hausfrau geblieben ist, der Vater zwar nach wie vor bei den Haushaltsarbeiten mithilft, jedoch auch die Töchter viele Aufgaben im Haushalt übernehmen (sollen), was allerdings nicht immer der Fall ist.
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Nur bei einem Paar scheint sich ein echt egalitäres Geschlechterarrangement auch im Zeitvergleich durchgesetzt zu haben. Sie befanden sich jedoch auch in einer privilegierten Situation. Ein Mann ohne Zuwanderungsgeschichte stellt die Aufgabenverteilung wie folgt dar: „[…] Ich würde tatsächlich sagen, dass sich da […] in der ganzen Zeit der Partnerschaft, meine Frau und ich sind jetzt seit dreiundzwanzig Jahren ein Paar, wenig verändert hat, das heißt, wenn ich mal einfach nur den Zeitpunkt nehme, von dem wir an zusammengewohnt haben, so war es beispielsweise immer so, dass ich eigentlich für Küche, Einkaufen usw. verantwortlich war und das einfach, weil ich das seit sehr, sehr langer Zeit gemacht hab, […] also mit zwölf, dreizehn habe ich angefangen richtig zu kochen und das ist dann einfach so geblieben. Dadurch, dass wir, bevor die Kinder kamen, beide studiert haben, beide gearbeitet haben, eben als studentische Aushilfen, hat sich das einfach auch so, wie man das heute dann sagt, vom Zeitmanagement her so ergeben, dass beide verschiedene Aufgaben eben auch im Haushalt übernommen haben. […]. Als die Kinder geboren wurden, ist das eigentlich so geblieben. Es kam halt eben nur eine zusätzliche Belastung, wenn man das dann als Belastung sehen will, durch die Kinder dazu. Das heißt, es waren mehr Absprachen notwendig, weil einfach dann natürlich ganz andere Verantwortlichkeiten da sind und das hat für beide einen erhöhten zeitlichen Aufwand erfordert. […]. Das heißt, die Beschäftigung, sage ich mal, mit den Kindern, würde ich sagen, war zu gleichen Teilen da, wobei ich vielleicht, sage ich mal, in der Anfangsphase sogar etwas mehr mit den Kindern zu tun hatte, weil ich halt weiterhin nachts gearbeitet habe.“ (1Hermann Fischer, 45 Jahre, DT-M, hohes Bildungsniveau, Absatz 71–75)
Bei einem erheblichen Teil der Befragten hat sich die Aufgabenteilung geändert als Kinder hinzukamen, jedoch nicht bei allen. In der Regel wird die Betreuung der Kinder von der Mutter übernommen, der Mann geht dann arbeiten. Bei einem Teil derjenigen, bei denen sich die Aufgabenteilung geändert hat, ergaben sich, nachdem die Kinder groß waren, neuerliche Änderungen. Ist dies geschehen, kommt es in manchen Fällen wieder zur Aufgabenverteilung, die vor der Geburt der Kinder geherrscht hat; in manchen Fällen wird ein Großteil der Hausarbeit (etwa 70 Prozent) jedoch weiterhin von der Frau bewältigt, auch wenn sie (wieder) berufstätig ist. Gerade in langjährigen Beziehungen scheinen sich dann Gewohnheiten einzuschleichen, die beide Seiten nicht mehr ändern (wollen), es sei denn, es kommt – wie im vorhin erwähnten Fall – zur Trennung.
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Ergebnisse der Interviews
5.2.2.2 Vergleich Leben und Geschlechterarrangements zwischen Herkunftsland und Deutschland Spielt Migration eine Rolle, muss man in zweifacher Hinsicht vorsichtig sein mit der Interpretation. Erstens: Viele Zuwanderinnen und Zuwanderer, insbesondere aus der ehemaligen Sowjetunion, erfahren in Deutschland nur die Situation, wie sie heute ist, d. h. nachdem seit Ende der 1960er Jahre kontinuierliche Kämpfe um das Geschlechterarrangement stattgefunden und Frauen eine formale Gleichberechtigung erhalten haben. Zudem muss bei den Interpretationen insbesondere der Aussagen der Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion berücksichtigt werden, dass für Frauen dort Berufstätigkeit eine Selbstverständlichkeit war und entsprechend die Erwerbsquote von Frauen im Vergleich zu Deutschland auch im Zeitvergleich hoch war (vgl. Kap. 3.2). Zweitens: Bei vielen Zuwanderinnen und Zuwanderern hat neben der transnationalen Migration auch gleichzeitig eine Migration vom Land in die Stadt stattgefunden.53 Mit anderen Worten: Sie haben zwei einschneidende Veränderungen vollzogen. Bedenken muss man bei der Auswertung der Interviews zu diesem Thema auch, dass die Kinder der Angehörigen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte in der Regel in Deutschland geboren wurden und erzogen worden sind. Die Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion dagegen sind meist noch nicht so lange in Deutschland, so dass ein Teil der Erziehung der Kinder bereits in der ehemaligen Sowjetunion stattgefunden hat. Der Ortswechsel spielt bei den vielen Befragten mit Zuwanderungsgeschichte für das Geschlechterarrangement eine geringere Rolle als z. B. die Geburt von Kindern und deren Betreuung, insbesondere dann, wenn der Wechsel von einer Stadt (in der ehemaligen Sowjetunion oder in der Türkei) zu einer Stadt (in Deutschland) erfolgte und nicht vom Land in die Stadt. Die Geburt eines Kindes scheint also das bis dahin gültige Geschlechterarrangement meist stärker auf die Probe zu stellen als die Migration. Einige Beispiele jedoch sollen den Stellenwert der Migration verdeutlichen. Eine Frau türkischer Herkunft berichtet: „Inci Akdeniz: Meine Stadt war –, ich wohne auf der Ägäis-Seite der Türkei, ganz normal, nicht wie Ostanatolien oder andere Gebiete, normal wie hier […], wenn Frauen arbeiten, arbeiten, dann machen sie zusammen […], wenn nicht arbeiten, dann machen das alle, so auch Essen, Kochen, Spülen, Einkaufen, […] macht das immer die Frau. INT: Mhm. Also das heißt Aufgabenverteilung ist eigentlich so wie hier, hab ich verstanden ?
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Vgl. exemplarisch für die türkische Herkunftsgruppe Abadan-Unat (1993, S. 43 ff.).
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Inci Akdeniz: Ja.“ (1Inci Akdeniz, TR-W, 48 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 29–31)
Eine Frau russischer Herkunft schildert den Wechsel und die Unterschiede zwischen den Ländern wie folgt: „Ich kann mich noch erinnern, als die Kinder klein waren, war ich Àeißig wie eine Biene. Mich wundern jetzt Familien mit einem Kind, die nur wenig schaffen. Bei mir war es immer sauber und gekocht habe ich immer. Wir beide haben immer viel geschafft, weil wir jung und voller Energie waren. Das war für uns kein Problem: wir wollten ein hohes Lebensstandard haben, deshalb machten wir das auch. Wir konnten schon immer Geld verdienen und eigenen Eltern helfen. Alle in Russland hatten es nicht leicht damals, und wir sorgten für unsere Verwandtschaft ziemlich gut.“ (Katharina Dolinkova, SU-W, 56 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 73)
Auf die Frage, wer für die Kinder gesorgt hat, antwortet sie: „Eher ich. Weil mein Mann doch mehr im Beruf beschäftigt war, wie es bei Männern üblich ist. Ich hatte eine feste Tagesplanung, besonders was meine Kinder betraf. Sie hatten bestimmte Zeit zum schlafen, essen, Kindergartenzeit. Ich hatte Zeit für meine Arbeit, und um sie zu haben, musste ich alles so genau organisieren. Ohne diese Planung hätte ich nicht –, hätte ich ein Chaos. Damals war diese Planung viel fester, als heutzutage.“ (Absatz 75)
Unterschiede gegenüber der späteren Situation in Deutschland schildert sie wie folgt: „In Russland hatten war das doch nicht. So viel Bürokratie gab’s damals dort nicht. Wahrscheinlich – ich war doch damals keine Hausfrau, ich war ja auch berufstätig, als Architekt, zumindest vor der Geburt meiner Kinder. Für mich war es kein Problem, mich mit irgendwelchen Angelegenheiten auseinanderzusetzen, zu Behörden zu gehen. Je nach Bedarf. Aber sonst waren wir schon immer eine gute Familie und erledigten solche Sachen gemeinsam. Wir hatten keine exakte Verteilung in solchen Angelegenheiten. Jetzt haben wir sie. Das ist die Sache meines Mannes. Ich weiß zwar auch Bescheid, aber sonst ist er immer damit beschäftigt.“ (Absatz 77)
Und weiter: „Ich hatte ein Glück, dass ich einen sehr guten Mann habe. Er ist sehr tolerant, verständnisvoll, immer hilfsbereit. Nicht so, dass er sagt: Kümmere du dich darum, und ich muss mich hinlegen und Zeitung lesen, oder mache etwas für mich. Er ist sogar nachts öfters als ich aufgestanden, als unsere Kinder klein waren. Weil er gesehen
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Ergebnisse der Interviews hat, dass ich müde war und schlafen wollte. Deshalb hat er das gemacht. Er hat mir niemals etwas vorgeworfen, wenn ich mit etwas nicht fertig war. Deshalb habe ich mich als Frau in meiner Familie sehr gut gefühlt. Und in der Gesellschaft, nun, da hatte ich auch eine gute Position. Ich habe sehr gute Universitätsbildung genossen können. Das habe ich aber erst vor kurzem verstanden, wie gut wir das mit unserem Bildungssystem damals hatten.“ (Absatz 83)
Trotz einer guten Ausbildung hat sie jedoch Probleme, in Deutschland eine Arbeit zu ¿nden. Sie berichtet: „Der einzige Nachteil dabei war, dass obwohl mir der Staat so eine gute Bildung gegeben hat, konnte ich trotzdem keinen Job ¿nden. Ich war 45, mein Alter hat nicht mehr gepasst. Immer hat irgendwas gestört, obwohl ich voller Energie und Kräfte war, ich konnte so viel schaffen. Aber ich wurde leider zum Markt nicht zugelassen. In Russland hätte ich auf jeden Fall etwas Passendes gefunden.“ (Absatz 89)
Einige der Befragten berichten über Veränderungen, die durchaus EinÀuss auf ihr jetziges Wohlbe¿nden haben. Berichtet wird z. B. davon, dass die Hausarbeit in Deutschland wesentlich leichter ist, weil es für alles Maschinen gibt. Andere erzählen, dass das Arbeitsleben insgesamt früher härter war. Tendenziell wird von der jetzigen Situation in Deutschland eher positiv berichtet. Es gibt aber auch Befragte, gerade bei denjenigen aus der ehemaligen Sowjetunion, die ihre Situation in Deutschland kritischer bewerten. Eine als Chemietechnikerin quali¿zierte Frau berichtet davon, dass sie sich früher, als sie eigenes Geld, teilweise sogar mehr als ihr Mann verdiente, unabhängiger gefühlt habe. Sie arbeitet in Deutschland als Putzfrau, ihre mangelnde strukturelle Integration in den Arbeitsmarkt hat also zu einem ‚Roll-back‘ bzw. zu einer Re-Traditionalisierung des Geschlechterarrangements von bedingtem Egalitarismus Richtung Konservatismus geführt.54 Der Mann hilft ihr nun kaum noch im Haushalt. Obwohl für manche der Personen aus der ehemaligen Sowjetunion die Zuwanderung nach Deutschland mit sozialem Abstieg verbunden war, scheinen viele den Ortswechsel nicht zu bereuen, manche haben aber auch Probleme damit. Einige hatten in der Sowjetunion einen deutlich höheren sozialen Status, hatten lukrativere Jobs und waren zum Teil auch ¿nanziell besser abgesichert. Die meisten der Befragten klagen jedoch nicht, sondern scheinen die Nachteile für die neu gewonnene Freiheit in Kauf zu nehmen. Die Bewertung der Veränderungen durch Migration ist leicht geschlechtsspezi¿sch ausgeprägt, d. h. Frauen beschreiben eher die positiven, Männer eher
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Vgl. Kap. 5.5 zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse in Deutschland.
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die negativen Veränderungen. Eine Frau russischer Herkunft schildert die Veränderungen wie folgt: „In Russland muss die Frau alles können. Sie soll berufstätig sein und für alle Sachen im Haushalt verantwortlich sein, sei es Kinderbetreuung, Kochen oder Einkaufen. In meiner Familie hat es so nie funktioniert. Ich habe nie den Männern Dominanz überlassen. Wir – mein Mann und ich – machten alles gemeinsam. […]. Von der Frau in Russland wird normalerweise ein kokettiertes Verhalten erwartet. Das heißt, sie ist angeblich weiblich dabei. Die Frau soll gepÀegt sein und insgesamt ziemlich viel Zeit darin investieren. Im anderen Fall ist sie quasi nicht weiblich. Das ist der typische Ausdruck bzw. Beschimpfung für die Frauen, die sich anders verhalten. Frauen sollen den weiblichen Kleidungsstil und weibliches Verhalten haben. […] Ich habe diesen Vorstellungen und Erwartungen immer nur noch im geringen Sinne entsprochen. Ich war z. B. diejenige, die in Jeans zur Arbeit gegangen ist, was damals für Hochschuldozenten überhaupt nicht vorstellbar war.“ (1Irene Riesner, SU-W, 44 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 14–17)
Sie resümiert: „Hier ist das Leben anders. Frauen haben mehr Rechte und Möglichkeiten: Beruf, Karriere, gesellschaftliche Erwartungen.“ (Absatz 18)
Eine Frau türkischer Herkunft beschreibt die durch Migration erfolgten Veränderungen sehr differenziert: „Dort ist es sehr schwer als Frau, zum Beispiel, […] die Frau steht morgens auf, morgens früh um fünf, melkt die Kuh, geht zu den Schafen, bringt Milch, was weiß ich, muss Joghurt aus Milch machen. Muss Käse machen. Die dortigen Bedingungen sind schwerer als hier. Die Armen –, sie arbeiten bis abends, das heißt, an einem Ort, sie haben weder Versicherungen, noch […].“ (1Pamire Kara, TR-W, 58 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 50) „Als wir das erste Mal hierher kamen, haben wir viele Schwierigkeiten gehabt. Wir konnten kein Deutsch, alles kam uns fremd vor. Vom Dorf weg nach Deutschland, wir konnten weder lesen noch schreiben, also, wir waren nicht so, wir hatten nicht in der Stadt gelebt, wir waren Dorfkinder. Aus dem Dorf sind wir gekommen, aber ich habe sechs Monate lang immer geweint.“ (Absatz 63)
Auf die Frage, wie sie das Leben jetzt in Deutschland emp¿ndet, schildert sie: „Jetzt ist unser Leben natürlich verändert, es ist nicht mehr wie das alte. Du hast Kinder, hast eine Familie, wir haben Enkel, vier Stück. Alles, also ist schöner, aber
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Ergebnisse der Interviews Mensch, wie damals schwierig. Hier zu leben ist schöner, also, zum Leben. Die Menschen hier, Kinder, sie haben die Armut nicht erlebt, wie wir. Wir hatten nur eine Scheibe Brot, von morgens bis abends, wenn wir etwas Butter drauf streichen konnten, waren wir sehr glücklich. Wenigstens wenn der Frühling kam, wie schön, ja, das Leben war doch schön. Vergeblich, aber. Es kommt nicht mehr zurück. Diese Schönheit kommt nicht mehr zurück.“ (Absatz 65)
Die Nachteile verschweigt sie jedoch nicht: „Jetzt geht es uns Gott sei Dank sehr gut. Aber meine Gesundheit ist weg. Trotzdem, ich sehe auch nichts als Frau, es geht uns Gott sei Dank gut. Wir haben ein Zuhause, Kind und Kegel sind bei uns, ich sage Dank dafür. Ich danke dafür. Ich sage, Gott soll dies auch denjenigen geben, die das nicht haben. […]. Mein Dorf, natürlich. Mein Dorf sehr –, aber wenn ich in das Dorf fahre, vergesse ich alles. Warum ? Wenn du die Menschen siehst, wenn du jene Liebe siehst, weißt du.“ (Absatz 67)
Männer sehen eher keine großen Veränderungen durch Migration oder sie heben – wie im folgenden Beispiel – eher ihre Nachteile hervor. Ein Mann türkischer Herkunft emp¿ ndet die negativen Seiten Deutschlands vor allem in Bezug auf psycho-soziale Veränderungen: „Als Mann in der Türkei zu leben, bedeutete für mich schwere Arbeit zu machen und meine Frau war da zu Hause. Damals gab es keine Technik, technischer Fortschritt war noch nicht da und man hat durch körperliche Arbeit versucht, alles zu schaffen. Als Mann in der Türkei war das Leben schön. Als Mann in Deutschland zu leben ist eigentlich sehr schwierig. Wo man eigentlich gute Möglichkeiten hier hat zu leben, aber seelisch gesehen, hier in Deutschland als Mann zu leben ist schwierig. Ich habe ein Viertel meines Lebens mich damit auseinander setzen müssen, gab’s auch Schwierigkeiten, Sprache zu lernen und das ist teilweise mir gelungen […]. Als Mann hier zu leben ist von der ¿nanziellen Seite vielleicht in Ordnung. Aber emotional, seelisch gesehen: es macht kaputt.“ (1Ahmet Uzun, TR-M, 54 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 35)
5.2.2.3 EinÀüsse durch Vorbilder Auch die Befragten der älteren Generation berichten von zahlreichen Vorbildern, die für sie im Laufe ihres Lebens bedeutsam waren. Wie bei der jüngeren Generation dominieren als Vorbild die eigenen Eltern. Es werden aber auch andere Vorbilder genannt. Innerhalb der Familie werden Großeltern, Onkel und Tanten, Geschwis-
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ter, Cousinen und Cousins genannt. Außerfamiliär werden Kolleginnen/Kollegen, Nachbarinnen/Nachbarn, Prominente und Freundinnen/Freunde erwähnt. Manche meinen jedoch, dass sie gar keine Vorbilder haben. Dazu zählen ein Mann ohne Zuwanderungsgeschichte und jeweils eine Frau und ein Mann mit türkischer Zuwanderungsgeschichte. Bedeutsam ist auch, dass sich die Vorbilder im Laufe der Biographie bei einigen Befragten geändert haben. In diesen Fällen werden zunächst die Eltern, später Arbeitskolleginnen/-kollegen Freundinnen und Freunde oder Personen, die sich sozial engagieren, als Vorbilder genannt. Innerfamiliäre Vorbilder Fast zwei Drittel nennen Familienmitglieder, ungefähr die Hälfte nennt die eigenen Eltern als Vorbilder. Auch hier sind die elterlichen Vorbilder eher geschlechtsspezi¿sch verteilt, dass heißt für die Frauen sind Mütter, für die Männer Väter die wichtigsten Vorbilder. Typisch für diese Haltung sind zwei Beispiele: „Geprägt hat mich mein Vater. Mein Vater war streng, er war aber auch ein gewisses Vorbild. […]. Ich war Einzelkind, meine Eltern haben alles gegeben, was machbar war, aber […] mein Vater ist mit 49 Jahren Frührentner geworden.“ (1Hans Meisner, DT-M, 52 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 462–464)
Auf die Frage, wer ihr Vorbild war, antwortet eine Frau ohne Zuwanderungsgeschichte: „Helga Bergmann: Meine Mutter, das ist für mich ein absolutes Vorbild. INT: Und inwiefern ? Helga Bergmann: Ja, mir hat es immer leid getan, dass es eine sehr intelligente Frau war, aber dadurch, dass eben die Zeiten damals, dass sie nie die Chancen hatten, wie heute unsere Kinder, war sie eben halt Hausfrau und Landwirtin und hatte nie die Chance, […] ihr Leben zu leben und hat aber aus dem, was sie gemacht hat, immer viel gemacht […]. Sie hat alles so gemanagt und da gab es nie böses Wort und sehr tolerant, eben diese Toleranz hatte sie auch […]. Aber sie hat Wert drauf gelegt, dann geht doch, geht doch ins Büro, ach, macht doch was, also immer diesen (Druck) ein bisschen versucht, uns einfach zu beeinÀussen. ‚Das hätte ich gerne selber gemacht, ich wäre gerne in Politik gegangen‘, so redete sie immer, dann wäre auch mit Sicherheit was geworden, aber waren eben die Zeiten nicht so und dann hat sie aber uns immer so geführt ohne, dass wir uns geführt fühlten […] und hat uns dann aber gelassen. Sie hat zwar gesagt, so zum Beispiel, diesen Beruf im Büro, das ist doch toll. Dann hätte ich das aber nicht gern gemacht, aber […] man durfte eben schon machen, was man wollte, aber sie hat uns immer gelassen.“ (1Helga Bergmann, DT-W, 49 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 166–168)
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Ergebnisse der Interviews
Es gibt jedoch einige Ausnahmen. Für eine Frau ohne Zuwanderungsgeschichte war trotz Ambivalenzen eher der Vater, für einen Mann türkischer Herkunft eher die Mutter Vorbild. Bei einer weiteren Frau ohne Zuwanderungsgeschichte hat sich im Laufe der Zeit das Vorbild geändert: Zuerst (als Kind) war es der Vater und später (als Erwachsene) die Mutter. Meistens werden jedoch nur die Elternteile genannt, ohne ihre positiven Attribute näher auszuführen. Genannt werden auch hier zahlreiche geschlechtsspezi¿sche Klischees. Bei den Vätern wird mehrmals die Strenge, die soziale oder beruÀiche Position und in einem Fall auch dessen Lebensart (als ‚Existenzialist‘) und seine Bildung hervorgehoben, bei den Müttern deren Intelligenz, ihre Gutmütigkeit, die Toleranz, die Selbstlosigkeit und die Hilfsbereitschaft. Außerfamiliäre Vorbilder Genannt werden hier positive EinÀüsse durch Kolleginnen/Kollegen, Nachbarinnen/Nachbarn, Lehrkräfte, Prominente und Freundinnen bzw. Freunde. Sie scheinen auch in Bezug auf die Integration nicht unbedeutend zu sein. Hierzu ein Beispiel: „Vorbilder ? Meine Nachbarn, Familie Moser, mein Cousins und Cousinen. […]. Sie sind intelligent und sind gut. […]. Sie sind intelligent, ihre Lebensweise ist schön. […]. Alles was sie tun, sie beraten mich, ich pro¿tiere von ihrem Wissen. […]. Ja, was ich nicht weiß, lerne ich von ihnen. Ich glaube, dass es richtig ist, was sie denken. Sie helfen mir auch sehr gerne. Das zeigt mir auch sehr, dass ich sie als Vorbild ansehen kann.“ (1Inci Akdeniz, TR-W, 48 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 244–256)
Der konkrete Bezug zwischen Vorbildern und der Entwicklung eines spezi¿schen Geschlechterarrangements der älteren Generation ist auch hier nur abstrakt zu vollziehen. Eine konkrete Aussage lässt sich diesbezüglich beispielhaft von einer Frau ohne Zuwanderungsgeschichte anführen, die den positiven EinÀuss ihrer Eltern hervorhebt: „Obwohl meine Eltern aus einer anderen Zeit stammten, mein Vater hat immer zu Hause mitgeholfen. Also ich hab das nicht gekannt, dass der nicht sonntags mal mit abgetrocknet hat oder so, ne ? ! […]. In der Woche, gut, meine Mutter war zu Hause, klar, wenn man den ganzen Tag zu Hause ist, ist die Aufgabenverteilung so: Der eine geht arbeiten, der andere kommt nach Hause und hat Feierabend, ne ? ! Aber der hat ja mit uns –, die Wochenenden haben wir immer gemeinsam Dinge unternommen, was ich auch schön fand. […]. Das fand ich eigentlich gut, der Familienzusammenhalt war da. […] auch wenn die Erziehungsmethoden vielleicht nicht die sind, die man heute anwendet, glaube ich schon, dass meine Eltern insofern Vorbilder waren. Das, was ich heute noch drin hab, mit der Pünktlichkeit oder auch Ehrlichkeit oder so und keinen
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betrügen, keinen belügen, bewusst. […] die Werte haben sie mir mitgegeben, auf jeden Fall.“ (1Edith Engel, DT-W, 57 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 894–903)
Im Vergleich mit der jüngeren Generation zeigt sich, dass in Bezug auf Vorbilder die Eltern in beiden Generationen nach wie vor eine herausragende Rolle spielen. Im Gegensatz zur jüngeren Generation wird die Rolle der eigenen Eltern seitens der älteren Generation offensichtlich weniger reÀektiert. Denn zwischen den Zeilen ist bei der älteren Generation manchmal herauszulesen, dass bestimmte Leitbilder vorgegeben waren und dass sie automatisch und kritiklos übernommen wurden. Ein Beispiel verdeutlicht diesen Kontext u. E. in Bezug auf Gewalt in der Familie recht klar: „Bin eigentlich in einem behüteten Elternhaus groß geworden. Gut, das war ne sehr strenge Erziehung, da ging’s auch noch mit Schlägern teilweise vom Vater aus. Aber das war so normal. So, wenn man tagsüber etwas angestellt hatte, ging’s durch die Tür. Und sagte dann: ‚Du hast das und das gemacht‘, dann kriegte man schon mal prophylaktisch ein paar um die Ohren, ne ? ! War mir so was von egal. Das war wie, weiß ich nicht, wie Frühstück, Mittag- und Abendessen. War mir völlig wurscht. Hat mich auch irgendwie nicht weiter belastet. Schule war sehr streng. Wir hatten noch so Lehrer, die noch so mit so knarzenden Schuhen durch die Gegend gingen und immer im Unterricht sagen: ‚Komm an die Tafel und scheiter Dir einen vor !‘ Also das waren für mich nicht unbedingt Vorbilder.“ (1Edith Engel, DT-W, 57 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 826–827)
5.2.3 Resümee 5.2.3.1 Zur jüngeren Generation Bezüglich der intergenerativen, interkulturellen und anderen EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder der Jüngeren können folgende zentrale Ergebnisse festgehalten werden: Elterliche EinÀüsse ƒ Grundsätzlich sind die elterlichen EinÀüsse graduell sehr unterschiedlich. Es gibt Befragte, die sich in ihren Geschlechterleitbildern klar von den elterlichen abgrenzen, andere grenzen sich bedingt von diesen ab. Einige bestätigen die elterlichen Geschlechterpraxen als Grundlage für ihre Geschlechterleitbilder. In allen drei Kategorien ¿nden sich verschiedene Varianzen (z. B. Abgrenzung oder bedingte Abgrenzung von konservativen elterlichen Geschlechterpraxen, bedingte Abgrenzung von konservativen oder bedingt egalitären elterlichen
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Ergebnisse der Interviews Geschlechterpraxen etc.). In der Mehrheit der Fälle wollen die Jüngeren graduell ein egalitäreres Geschlechterarrangement leben als die Eltern, es gibt aber auch (wenige) Gegenbeispiele, bei denen die Jüngeren ein konservativeres Geschlechterarrangement bevorzugen. Dies sind ausschließlich Männer, während keine einzige Frau ein konservativeres Geschlechterarrangement leben will als die Eltern. In der Gruppe, die sich im Bereich Geschlechterleitbilder an den Eltern orientiert, be¿ nden sich tendenziell die meisten der Befragten aus der ehemaligen Sowjetunion. Außerdem lässt sich eine leichte Überrepräsentanz von Männern ¿nden. Bei der Gruppe der sich von den Eltern klar abgrenzenden Personen hingegen gibt es eine deutliche Überrepräsentanz von Frauen. Die Varianten der Orientierungen an den Eltern reichen in der Gruppe, die die Eltern zum Geschlechterrollenvorbild nimmt, von Konservatismus bis hin zu Egalitarismus. Vereinzelt bestätigt sich bei den jüngeren Befragten (die bereits in Partnerschaften und in einem eigenen Haushalt leben) der in der Literatur, z. B. in der Sinus-Männerstudie (Wippermann/Calmbach/Wippermann 2009) beschriebene ‚gap‘ zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Dies betrifft insbesondere Frauen, die ein egalitäres Geschlechterleitbild haben, aber in der Realität mehr Haushaltsaufgaben übernehmen. Andere Frauen (noch ohne Partnerschaft und/oder eigenen Haushalt) vermuten mit Blick in die Zukunft, dass sie ihre egalitären Geschlechterleitbilder möglicherweise nicht durchhalten können bzw. diese den Realitäten nicht standhalten werden. Manche Eltern lebten in der Vergangenheit eine andere Geschlechterpraxis als heute, so kommt es zustande, dass sich manche Kinder an vergangenen, manche an aktuellen Geschlechterpraxen der Eltern orientieren (oder sich davon abgrenzen). Bei der Frage nach Vorbildern werden bei allen Geschlechtern und Herkunftsgruppen einerseits geschlechtsspezi¿sche Tendenzen deutlich (z. B. soziale Eigenschaften der Mütter für die Töchter vorbildhaft, Sportlichkeit und Berufsorientierung der Väter für die Söhne vorbildhaft), aber auch geschlechtsübergreifende Vorbildeigenschaften (z. B. Selbständigkeit, gute Bildung) werden genannt. Einige Frauen orientieren sich z. B. dann an der Bildung und der Berufstätigkeit der Mütter, wenn diese quali¿ziert sind und ihre Berufsorientierung für sie eine hohe Bedeutung hat. Ergänzend werden von einigen befragten Frauen hinsichtlich Bildungs- und Berufsorientierungen Schwestern, Freundinnen oder Prominente genannt. Die elterlichen Erwartungen weisen für beide Geschlechter gleichermaßen auf eine hohe Bedeutung der Bildungs- und Berufsorientierung und der Selbständigkeit hin. Dies gilt insbesondere für die Jüngeren mit hohem Bildungsniveau. Auffällig ist weiterhin ein höherer Leistungsdruck der Eltern mit
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Zuwanderungsgeschichte auf ihre Kinder und ein besonderes Augenmerk darauf, dass aus ihnen ‚etwas wird‘, dass sie gut ausgebildet sind und vor allem, einen Job haben und nicht arbeitslos werden. Hier drückt sich die Sorge insbesondere dieser Eltern vor Arbeitslosigkeit ihrer Kinder aus, die ja in der Tat weitaus höher ist als bei Personen ohne Zuwanderungsgeschichte (vgl. BMFSFJ 2007, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2007). Viele der Befragten erfüllen die Erwartungen der Eltern ganz, manche teilweise, manche grenzen sich aber auch davon ab. Elterliche Erwartungen in Form von Tugenden (HöÀichkeit, soziales Verhalten, Ehrlichkeit etc.) werden tendenziell häu¿ger von den Personen mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion genannt als von den anderen Herkunftsgruppen.
Alle genannten Ergebnisse zum elterlichen EinÀuss sind vor dem Hintergrund zu interpretieren, dass das Setting der Interviews eine direkte Auseinandersetzung der Jüngeren mit den Vorstellungen der Elterngeneration förderte. Zudem sollte das junge Alter der Befragten und der Umstand Beachtung ¿nden, dass die Befragten in vielen Fällen keine eigene Partnerschaft haben und noch im elterlichen Haushalt leben, dass also über diese räumliche Nähe eine starke Bindung an die Eltern(teile) besteht und eigene Vorstellungen zu Geschlechterarrangements der Jüngeren noch nicht im Alltag erprobt werden konnten. Andere EinÀüsse ƒ Andere als elterliche EinÀüsse auf das Rollenverständnis sind geschlechterübergreifend: das soziale Umfeld allgemein, der Zeitgeist und damit die aktuellen Diskurse um Gleichstellung sowie das beruÀiche und universitäre Umfeld. Hierzu berichteten die Befragten bezüglich Geschlechterleitbildern eher wenig, deutlich wurde aber, dass die genannten nichtelterlichen EinÀüsse eher zu einem egalitären Geschlechterleitbild führen als zu einem konservativen. ƒ Im Bereich der Vorbilder lassen sich einige Schlüsse bezüglich nichtelterlicher EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder ziehen. Wie bereits erwähnt, sind Geschlechterleitbilder immer noch zum Teil geschlechtsspezi¿sch, was männliche und weibliche Eigenschaftszuschreibungen angeht. Gleichzeitig ¿nden sich aber sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Vorbildern bewunderte Eigenschaften wie Selbständigkeit und Durchsetzungsfähigkeit, Unabhängigkeit, gute Ausbildung und hohe beruÀiche Position. Neben den Eltern wurden hierzu als Vorbilder (und damit EinÀussfaktoren) vor allem Freundinnen und Freunde, Geschwister sowie Lehrerinnen und Lehrer genannt.
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Interkulturelle EinÀüsse ƒ Für viele der Jüngeren ist geschlechterübergreifend der EinÀuss der Herkunft auf ihr Geschlechterleitbild kein als besonders relevant gekennzeichnetes Thema. Vielmehr sind einzelne Personen sowohl aus dem Herkunfts- als auch dem Einwanderungskontext hierbei von Bedeutung. Einige weisen zudem den EinÀuss der Herkunft explizit von sich und begründen dies mit dem Aufgewachsensein in der Bundesrepublik, mit einer europäischen Identität und damit, dass z. B. Heiraten und gleichzeitig auf eigenen Beinen zu stehen mittlerweile kulturunabhängig eine Selbstverständlichkeit sei. Stattdessen werden nochmals Aspekte, vornehmlich der (partiellen) Orientierung an den Eltern genannt, wie deren Berufstätigkeit, hohe Durchsetzungsfähigkeit der Mütter oder gerechte Aufgabenteilung zwischen den Eltern. Die (wenigen) Bezüge, die zwischen Herkunft und Geschlechterleitbildern vorgenommen werden, sind eher allgemein und bestehen vor allem darin, dass man sich entweder von der eigenen oder von anderen Herkunftsgruppen abgrenzt. Das heißt, man grenzt sich z. B. innerhalb der eigenen Gruppe von anderen Milieus ab,55 die im Gegensatz zur eigenen Familie, ihre Töchter zu ‚weiblich‘ erziehen und/oder unterdrücken und die Söhne verwöhnen würden, während die Frauen allein für die Hausarbeit verantwortlich seien. Gleichzeitig wird Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte eine höhere Karriereorientierung zugeschrieben und der Gruppe ohne Zuwanderungsgeschichte allgemein, dass deren Männer weitaus mehr im Haushalt helfen würden als diejenigen aus der eigenen ethnischen Gruppe. Sowohl die Ergebnisse unserer Studie als auch die Sinus-Studie zu Migrantenmilieus (Wippermann 2008) und weitere Untersuchungen (wie Herwartz-Emden 2000) belegen jedoch, dass sowohl Einstellungen als auch Praxen der Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte in ihrer Gesamtheit nicht so weit voneinander entfernt sind, wie es scheint. Auch existiert bei beiden Gruppen die bereits erwähnte Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, was z. B. die Realisierung von gleichgestellten Geschlechterpraxen angeht. 5.2.3.2 Zur älteren Generation In Bezug auf die Entwicklung der individuellen Geschlechterarrangements der älteren Generation und mögliche intergenerative, interkulturelle und andere EinÀüsse sind folgende Ergebnisse festzuhalten: 55 Abgrenzungen innerhalb der Nationalitätengruppen sind ein deutlicher Indikator für die Relevanz der Milieus innerhalb der Gruppen mit Zuwanderungsgeschichte und können als Bestätigung der Sinus-Ergebnisse (Sinus Sociovision 2007b, 2008) gewertet werden.
Persönliche Vorbilder statt abstrakter Kulturmuster
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Aufgaben- und Arbeitsteilung im Zeitvergleich Während bei der älteren Generation bezüglich ihrer aktuellen Situation ein konservatives Geschlechterarrangement dominiert, gefolgt von bedingt egalitären Geschlechterarrangements, zeigt der Zeitvergleich, dass sich die Geschlechterarrangements vervielfältigen, sich also bei einem nicht unerheblichen Teil der Befragten je nach Lebenssituation gewandelt haben – dies betraf sowohl die Frauen als auch die Männer. Wurden z. B. ein oder mehrere Kinder geboren, blieb eher die Frau zu Hause, der Mann ging arbeiten und beteiligte sich mal mehr, mal weniger im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Legitimiert wird die Entscheidung, wer weiterhin arbeiten geht, meist pragmatisch, manchmal damit, dass die Berufstätigkeit des Mannes selbstverständlich ist. Sind die Kinder groß, kommt es zum Teil wieder zu Veränderungen, bei den meisten bleibt jedoch ein Unterschied in Bezug auf das Ausmaß der Tätigkeit im Haushalt bestehen, weil sich inzwischen Gewohnheiten eingespielt haben. Es gibt diesbezüglich keine Differenzen zwischen den Herkunftsgruppen von signi¿kanter Bedeutung, d. h. es gibt bei allen Gruppen im Zeitvergleich konservative und bedingt egalitäre, in wenigen Fällen auch egalitäre Geschlechterarrangements. Vergleich Leben und Geschlechterarrangements zwischen Herkunftsland und Deutschland Die Interpretation der Antworten muss insgesamt mit Vorsicht geschehen. Die Voraussetzungen sind bei den einzelnen Herkunftsgruppen unterschiedlich. Die durch uns befragten älteren Personen türkischer Herkunft sind schon länger in Deutschland als diejenigen aus der ehemaligen Sowjetunion. Entwicklungen, wie die Veränderung des Geschlechterarrangements, die in Deutschland über eine lange Zeit erfolgten, haben Frauen und Männer mit türkischer Zuwanderungsgeschichte partiell miterlebt, Frauen und Männer mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion sind jedoch eher mit deren Ergebnissen konfrontiert worden. Zugleich ist die hohe (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit der Frauen in der ehemaligen Sowjetunion, die dort selbstverständlicher war als zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik, zu beachten. Tendenziell neu für die aus der ehemaligen Sowjetunion zugewanderten Frauen ist also nicht die weibliche Erwerbsarbeit an sich, sondern die Diskussion darum, dass auch Männer mehr Aufgaben im Haushalt und bei der Kinderbetreuung übernehmen sollen. Berücksichtigt werden muss zudem auch, ob eine Stadt-Stadt- oder eine Land-Stadt-Migration erfolgte. Die Veränderungen, die durch die Migration der älteren Generationen eingetreten sind, werden nur von einem Teil der Befragten als wichtiger EinÀuss auf die Ausbildung des Geschlechterarrangements erachtet. Durch die Geburt des ersten Kindes wurden die Geschlechterarrangements offenbar deutlicher verändert bzw. geprägt als durch die Zuwanderung. Zu den wichtigen Veränderungen durch Migration zählen z. B. die Rationalisierung der Haushaltstätigkeiten und die
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Ergebnisse der Interviews
Erleichterung der Erwerbsarbeit gegenüber derjenigen im Herkunftsland. Insgesamt wird von der Situation in Deutschland positiver berichtet, es gibt aber auch Ausnahmen. Diese werden einerseits eher von Männern erwähnt. Hierzu zählen z. B. psychische Probleme oder die Angst vor dem sozialen Abstieg. Andererseits klagen auch einige Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion darüber, dass sie in Deutschland eine schlechter bezahlte Arbeit aufnehmen mussten und ihr Status gesunken sei. EinÀüsse durch Vorbilder Die Aussagen zu eigenen Vorbildern der älteren Generation sind so zahlreich wie bei der jüngeren Generation. Kaum eine/einer der Befragten hat keine Vorbilder. Die innerfamiliären Vorbilder dominieren auffällig, vor allem die der eigenen Eltern. Allerdings können sich die Vorbilder im Laufe des Lebens ändern. Die Eltern scheinen mit dem Erwachsenwerden an Bedeutung zu verlieren, andere Vorbilder, wie z. B. Arbeitskolleginnen/-kollegen oder Freundinnen und Freunde, nehmen an Bedeutung zu. Erkennbar ist jedoch, dass für die ältere Generation die eigenen Eltern insgesamt eine noch wichtigere Rolle in Bezug auf positiv besetzte Vorbilder spielen als für die jüngere Generation. Vieles erscheint zudem bei der älteren Generation unkritisch übernommen, eine ReÀexion der Geschlechterarrangements oder auch der eigenen Erziehung standen und stehen offensichtlich nicht im Vordergrund ihrer Auseinandersetzungen. 5.3
Starke Männer und selbständige Frauen – geschlechtsspezi¿sche Zuschreibungen und Partnerwahl bei der jüngeren Generation
Welche Idealvorstellungen von Geschlechterbildern hat die jüngere Generation von Männern und Frauen ? Um dies herauszuarbeiten, wurde gefragt, welche Eigenschaften die jungen Frauen und Männer des Samples an einem Mann bzw. an einer Frau grundsätzlich sympathisch ¿nden. Zum Thema Partnerwahl wurden die Jüngeren gebeten zu erläutern, was ihnen an einem Partner/einer Partnerin allgemein wichtig ist und welche Rolle Aspekte wie Vertrauen, Treue oder gemeinsame Interessen bzw. die Bildung und Herkunft des Partners/der Partnerin spielen. Ergänzend wurden Aussagen dazu ausgewertet, welche Erwartungen die Elterngeneration im Hinblick auf die Partnerwahl ihrer Kinder hat, welchen EinÀuss diese auf die Vorstellungen der Jüngeren haben und welche weiteren EinÀüsse es gibt.
Starke Männer und selbständige Frauen
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Die Auswertung orientiert sich an den folgenden Leitfragen: a) b)
Welche Idealvorstellungen haben die jüngeren Befragten von Frauen und Männern und welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf ihre Geschlechterleitbilder ziehen ? (Dies wurde qualitativ und quantitativ abgefragt). Welche Aspekte orientieren die Partnerwahl der Jüngeren und durch welche Personen werden sie dabei beeinÀusst ? Welche Hinweise ergeben sich hieraus auf die Geschlechterleitbilder und die Integration der jüngeren Befragten ?
5.3.1
Frauen- und Männerbilder
Bei praktisch allen der jungen Befragten – unabhängig vom eigenen Geschlecht – ¿nden sich (insbesondere in der offenen Abfrage) in den Idealvorstellungen von Frauen bzw. Männern im kleineren oder größeren Umfang stereotype Geschlechtszuschreibungen. Es gibt lediglich eine Person, die sich vehement gegen diese Geschlechtsstereotypen wehrt. In der offenen Abfrage werden in der Regel bei einer Frau etwas stärker emotionale und soziale Aspekte betont, dass sie beispielsweise auf Menschen zugehen kann, herzlich, nett und verständnisvoll ist. Häu¿ger wird bei sympathischen Eigenschaften einer Frau auch das Aussehen angesprochen, was im Hinblick auf Männer praktisch nicht vorkommt. Gleichzeitig wirkt es auf viele Befragte – wiederum unabhängig vom eigenen Geschlecht – sympathisch, wenn eine Frau selbständig/unabhängig und selbstbewusst, klug bzw. gebildet ist und mitreden kann/ eine eigene Meinung hat. Es gibt keine Person unter den jüngeren Befragten, die einseitig dem Mann Überlegenheit zugesteht und von der Frau Unterordnung erwartet. Selbst bei den wenigen Befragten – eine junge Frau russischer Herkunft und zwei junge Männer (ohne Zuwanderungsgeschichte und türkischer Herkunft – beide mit konservativen Rollenvorstellungen) –, die durch ihre deutlichere Betonung gängiger Stereotype stärker hervorstechen, wird dieses Muster nicht gebrochen. „Die perfekte Frau sollte selbstständig sein können, emanzipiert natürlich. Jedoch auch für ihren Mann sorgen, ihm das Abendessen kochen. Dann eine sehr, sehr gute Mutter sein, also immer ein Ohr offen haben für die Kinder. Und gebildet, eine Frau sollte gebildet sein.“ (2Anna Kramarova, SU-W, 19 Jahre, Schülerin, Absatz 130) „Der Mann sollte stark sein, er sollte Verantwortung übernehmen.“ (Absatz 134) „Eine Frau soll sich wie eine Frau benehmen, sie soll zeigen, dass sie eine Frau ist.“ (2Murat Uzun, TR-M, 26 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 151) „Wenn sie Recht hat, auf jeden Fall, gebe ich ihr Überlegenheit. Gleichberechtigung ist für mich wichtig.“ (Absatz 135)
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Ergebnisse der Interviews
In der offenen Abfrage zeigt sich, dass von Männern Selbstbewusstsein, Zielstrebigkeit und Durchsetzungskraft erwartet wird. Die männlichen Befragten erwarten von einem guten Freund beispielsweise auch Vertrauen, Ehrlichkeit und Unkompliziertheit im Umgang. Daneben gibt es einzelne (v. a. weibliche) Befragte, die von einem Mann auch erwarten, dass er Gefühle zeigt, dass er herzlich und offen ist. Die geschlossene Abfrage von verschiedenen Eigenschaften zeigt, dass es sehr viele Eigenschaften gibt, die für beide Geschlechter ähnlich bewertet werden. Grundsätzlich sind sich alle Befragten (unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Bildungsniveau), die zu diesen Fragen Stellung nehmen, einig, dass für Männer und Frauen die Eigenschaften Unabhängigkeit sowie Hilfsbereitschaft gleichermaßen wichtig sind. Gleiches gilt (mit lediglich einer Ausnahme) für die Fähigkeit zur Selbstkritik. Fast alle der Befragten sind sich auch im Hinblick auf Eigenschaften wie ‚Zärtlichkeit‘ oder die Fähigkeit, Gefühle zeigen zu können einig: Nur einzelne Personen emp¿nden diese für Männer, geschweige denn für Frauen, als weniger wichtig. In der Gruppe der Jüngeren türkischer Herkunft sind sich alle Antwortenden einig, dass es für Männer und Frauen gleichermaßen wichtig ist, Gefühle zu zeigen. Kreativität ist eine Eigenschaft, die insgesamt von den jungen Befragten für beide Geschlechter als eher positiv und wünschenswert bewertet wird. Ähnliches gilt für ‚romantisch sein‘ – hier sind die Einschätzungen jedoch sehr individuell. Ebenfalls sehr unterschiedlich sind die Einschätzungen zur Eigenschaft Hartnäckigkeit. Eigenschaften wie Härte und Risikofreude werden in der Tendenz eher bei Männern als wichtig erachtet, dabei wird Härte aber von der Mehrheit (bei Männern oder Frauen) abgelehnt. Risikofreude wird im Vergleich positiver bewertet. Noch klarer fällt die Wertung bei technischen Fertigkeiten aus: Es gibt kaum Befragte, die solche Fähigkeiten bei einem Mann nicht wichtig ¿nden. Nur etwa ein Drittel der Befragten ¿ndet es auch bei einer Frau wünschenswert, wenn sie mit technischem Gerät umgehen kann (diese Einschätzungen ¿nden sich in der Tendenz etwas häu¿ger bei den Frauen ohne und mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion sowie bei den jungen Männern türkischer Herkunft). Bei Männern ¿ ndet sich in diesem Zusammenhang immer wieder die Aussage, dass sie selbst ja mit technischem Gerät umgehen könnten und es deshalb von einer Partnerin nicht erwarten würden.56 Eine genauere Betrachtung der Einschätzungen der unterschiedlichen Aspekte von Unterordnung und Überlegenheit zeigt zunächst, dass diese Eigenschaften von nur sehr wenigen Befragten überhaupt positiv bewertet werden, d. h. die überwiegende Mehrzahl der Befragten ¿ ndet es weder für Frauen noch für Männer Vor diesem Hintergrund stellt sich zudem die Frage, ob nicht ähnlich unterschiedliche Vorstellungen z. B. von Unabhängigkeit oder Hartnäckigkeit auch den Bewertungen im Rahmen der Sinus-Studie zu Migrantenmilieus zugrunde liegen (vgl. Wippermann, 2008).
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wichtig, sich unterzuordnen oder überlegen zu sein. Es gibt nur sehr wenige Personen, die einseitig von der Frau erwarten, sich unterzuordnen, und dem Mann Überlegenheit zuschreiben. Hier lässt sich vorsichtig eine Verbindung zum Bildungsniveau der Befragten herstellen, da es in der Tendenz eher Personen mittleren Bildungsniveaus sind, die freiwillige Unterordnung bei einer Frau positiv bewerten, während dies fast alle mit einem hohen Bildungsniveau weniger wichtig ¿nden/ ablehnen. Zudem sind es eher Personen mit hohem Bildungsniveau, die auch von Männern erwarten, sich unterordnen zu können. Bis auf eine Ausnahme sind es darüber hinaus ausschließlich junge Männer, die es als positiv bewerten, wenn eine Frau sich unterordnen kann. Die Jüngeren ohne Zuwanderungsgeschichte lehnen Unterordnung und Überlegenheit für beide Geschlechter am deutlichsten ab, während es bei beiden Gruppen mit Zuwanderungsgeschichte jeweils Personen gibt, die Überlegenheit bei einer Frau oder einem Mann wichtig/sympathisch ¿nden. In der Gruppe der Jüngeren mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion fällt zudem auf, dass Überlegenheit als männliche Eigenschaft von allen antwortenden jungen Männern als sympathisch betrachtet wird (zwei von ihnen schätzen diese Eigenschaft allerdings auch bei einer Frau). Dies deutet an, dass es in der Gruppe der jungen Männer mit Zuwanderungsgeschichte offenbar einzelne Vorstellungen gibt, die sich in der Tendenz von denen der jungen Männer ohne Zuwanderungsgeschichte unterscheiden. Dabei ist es jedoch erforderlich, die Eigenschaften Unterordnen und Überlegenheit gemeinsam zu betrachten: Auch wenn es zum Bild eines Mannes gehören mag, Überlegenheit zu zeigen, erwarten die meisten jungen Männer doch nicht gleichzeitig von einer Frau, sich unterzuordnen – auch Frauen wird teilweise Überlegenheit zugestanden.57 Insgesamt machen jeweils nur wenige Nennungen die festgestellten Unterschiede aus, was nochmals unterstreicht, dass es bei den Befragten zwar geschlechterdifferenzierte Zuschreibungen gibt, diese jedoch zumeist nicht in deutliche Stereotype abrutschen. Außerdem ist die wesentliche Schlussfolgerung dieses Abschnitts, dass es zwischen den Befragten, unabhängig von Bildungsniveau, Herkunft und Geschlecht, mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt. Insgesamt lässt sich von den geschlechtsspezi¿schen Zuschreibungen der jungen Befragten nicht auf die Art des Geschlechterarrangements schließen, die sie sich für ihr späteres Leben wünschen. Lediglich bei jungen Männern, die für sich selbst ein konservatives Geschlechterarrangement präferieren, zeigt sich hier eine Parallele. 57 Zur Interpretation ist zu sagen, dass die Eigenschaften nicht gezielt im Hinblick auf das Verhalten in einer Beziehung abgefragt wurden, sondern allgemein: Was ¿ nden Sie wichtig/sympathisch bei einer Frau/einem Mann ? So erläutern einige der Befragten ihre Antworten, wobei sie zwischen verschiedenen Situationen differieren, z. B. was ist im Beruf angemessen, was zuhause im Familienkreis.
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Ergebnisse der Interviews
5.3.2 Aspekte der Partnerwahl Von den Befragten der jüngeren Generation lebt zum Befragungszeitpunkt etwas weniger als die Hälfte in einer Partnerschaft. Insgesamt ist das Verhältnis der Personen mit bzw. ohne Partnerschaft innerhalb der Herkunftsgruppen und Geschlechter etwa ausgeglichen. Unabhängig von einer aktuell bestehenden Partnerschaft wurden alle befragten Personen der jüngeren Generation in den Interviews gebeten zu erzählen, was ihnen in einer Partnerschaft grundsätzlich wichtig ist und ob beispielsweise Dinge wie Herkunft, Bildung oder Beruf der Partnerin/des Partners bzw. Aspekte wie Vertrauen, Treue oder gemeinsame Interessen eine Rolle spielen (würden). Quer durch die Gruppen und Geschlechter sind sich die Interviewpartnerinnen und -partner einig, dass u. a. Liebe, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Treue und Verständnis unverzichtbare Grundlagen einer Partnerbeziehung darstellen. Tendenzielle Unterschiede zwischen den, aber auch innerhalb der Herkunftsgruppen ergeben sich im Hinblick auf die Bedeutung der Herkunft sowie der Bildung als Auswahlkriterien von (potenziellen) Partnerinnen und Partnern. Es gibt bei Befragten aller drei Herkunftsgruppen jeweils solche Personen, für die die Herkunft einer (potenziellen) Partnerin/eines (potenziellen) Partners keine Rolle spielt, und solche, die diesbezüglich bestimmte Vorstellungen und Wünsche haben. Bei den im Rahmen dieser Studie befragten Personen ¿ndet sich die Tendenz, dass die Herkunft eines Partners den jungen Frauen mit Zuwanderungsgeschichte eher unwichtig ist, während die jungen Männer mit Zuwanderungsgeschichte der Herkunft in der Tendenz eine größere Bedeutung beimessen. In einzelnen Fällen führen junge Frauen der Befragtengruppe aktuell eine Beziehung mit einem Partner aus einer anderen Kultur, von der sie berichten. Eine Befragte türkischer Herkunft ist mit einem jungen Mann bosnischer Herkunft zusammen, eine andere führt eine Beziehung mit einem Kurden. Der Partner einer jungen Frau russischer Herkunft ist selbst japanischer Herkunft. Zwischen der Bewertung der Herkunft und dem Bildungsniveau der Befragten lässt sich kein Zusammenhang herstellen. Bei einzelnen jungen Deutschen ohne Zuwanderungsgeschichte zeigt sich parallel dazu, dass sie aufgrund von Unsicherheiten oder Vorurteilen bestimmte Personen als Partnerin/Partner eher ausschließen würden. „Also, um irgendwo wieder auf diesen Migrationshintergrund zurückzugreifen: Das spielt absolut ne Rolle. Weil ich glaube auch noch nie hab irgendwie versucht anzubandeln an jemanden mit `nem Migrationshintergrund. Weil vor allen Dingen bei muslimischen Frauen das quasi gar nicht geht. Also das ist für mich ne Kategorie die unerreichbar erscheint. Weil die das irgendwo unter sich in ihrer kleinen Gruppe regeln.“ (2Mirko Preis, DT-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 312)
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„[…] ich könnt jetzt glaub ich nich mit nem Türken oder so zusammen sein. Wenn der dieselben Ansichten hat wie die Strengen, Älteren – was man sich halt drunter vorstellt, ne?! Die Frau bleibt zu Hause und so weiter, das kann ich nich, ich kann mich nicht unterordnen. Und deswegen könnt ich auch mit so jemand nicht zusammen sein. Genau wie mit nem Italiener oder Spanier, die ham ja teilweise dieselben Ansichten, dass die noch sehr ja, weiß nicht, altbacken sind. Das könnt ich nich. Deswegen also ich hatte – ich hatte noch nie einen nichtdeutschen Freund. […] Es ist einfach so gekommen. Weiß nich.“ (2Sarah Engel, DT-W, 20 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 701–703)
Die Befragten mit Zuwanderungsgeschichte wünschen sich in einigen Fällen eine Partnerin/einen Partner mit der gleichen Zuwanderungsgeschichte. Begründet wird dies in der Regel damit, dass man mehr Gemeinsamkeiten oder die gleiche Mentalität habe, sich insgesamt besser verstehen und auch die gleiche Sprache sprechen würde. Zudem könne die Person besser in die eigene Familie integriert werden. „[…] und die Herkunft, ich sage mal, optimal wäre es natürlich, wenn sie auch dieselbe Kultur hätte und auch dasselbe Sprache, weil es irgendwo anders [ist], wenn man die eigene Sprache spricht, als wenn man Deutsch spricht. Ich ¿nde es persönlicher, wenn man die eigene Sprache sprechen kann, und vor allem in der Familie, dann kann sie sich viel besser integrieren, sage ich mal, deswegen wäre mir das auch wichtig.“ (2Bulut Saman, TR-M, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 317) „Dass sie aus Russland kommt, war für mich auch nicht uninteressant, denn diese Mentalität ist mir natürlich näher [als die] deutsche Mentalität. Ich hab’ auch Erfahrung mit anderen Frauen, nicht aus Russland, und ich ¿nde diese Mentalität am einfachsten sozusagen, dass Menschen sich besser verstehen.“ (2Denis Perov, SU-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 227)
Cansu Akdeniz, eine junge Frau türkischer Herkunft, kommt aus einer liberal eingestellten Familie mit einem hohen Bildungsniveau. Die Lehramtsstudentin ist aktuell ohne Partner und lebt bei den Eltern. Sie sagt aus, dass ihr die Herkunft des Partners nicht wichtig ist, betont jedoch an anderer Stelle, dass sie vom Partner auf jeden Fall erwarten würde, dass er Türkisch spricht bzw. lernt, damit eine Verständigung auch mit der Familie möglich ist. So ließen sich aus ihrer Sicht Gemeinsamkeiten auch mit einem Partner herstellen, der selbst nicht türkischer Herkunft ist. „[Ich könnte es mir] nicht vorstellen, dass ich mit jemandem zusammenleben […] könnte, der zum Beispiel nicht beide Sprachen beherrscht. Der könnte… also Deutsch müsste der auf jeden Fall beherrschen und er müsste zum Beispiel bereit sein, die zweite Sprache auch zu lernen, weil ich mich manchmal auch türkisch artikuliere und
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Ergebnisse der Interviews auch mit meinen Verwandten, die nicht Deutsch können, auf Türkisch verständige und da wäre es mir wichtig, dass mein Mann oder mein Freund in der Hinsicht mit agieren kann, weil sonst würde ich ihn ja von der Gesellschaft ausschließen und er würde sich niemals zu meiner Familie verbunden fühlen.“ (2Cansu Akdeniz, TR-W, 27 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 49)
In vielen Fällen wird deutlich, dass das Bildungsniveau einer (potenziellen) Partnerin/eines (potenziellen) Partners für die Befragten das wichtigere Auswahlkriterium ist. Vielfach wird dabei deutlich, dass ein ähnliches Bildungsniveau – ähnlich wie eine vergleichbare Zuwanderungsgeschichte – für die jungen Befragten ein Indikator dafür ist, dass sie mit der anderen Person auch in anderer Beziehung Gemeinsamkeiten haben, auf der gleichen Wellenlänge sind und sich austauschen können. Im Hinblick auf Wünsche an die Bildung (potenzieller) Partnerinnen und Partner sind sich vor allem die jungen Befragten türkischer Herkunft weitgehend einig, dass ihnen eine gute Schul- und Berufsbildung am Herzen liegt, wobei hier durchaus auch das formale Bildungsniveau betont wird. Dieses Ergebnis passt u. a. zu der Feststellung, dass der Bildung der Kinder in den von uns befragten Familien türkischer Herkunft insgesamt eine sehr zentrale Bedeutung gegeben wird, was die Kinder für sich selbst übernehmen (vgl. Erziehungsvorstellungen in Kap. 5.4). Alle sieben weiblichen Befragten türkischer Herkunft äußern sich in dieser Weise, von den jungen Männern sind es vier, lediglich einer ist aufgrund seiner Vorstellungen eines konservativen Geschlechterarrangements etwas unentschieden (Bildung der Frau ist wichtig, aber der Nutzen von Bildung für das Hausfrauen-Dasein und die Kinderbetreuung wird nicht betont). Allein in dieser Herkunftsgruppe gibt es zudem zwei junge Frauen, beide mit hohem Bildungsniveau, die einen Partner mit noch höherem Bildungsniveau bevorzugen würden.58 „INT: Und welche Rolle würde für dich die Ausbildung deines Mannes spielen ? Asli Onur: Auch eine sehr große Rolle. Der muss mindestens genau so was gemacht haben wie ich. Also mindestens. Besser wär’s, wenn er sogar was Höheres gemacht hätte. INT: Kannst du das begründen ? Warum dir das wichtig ist ? Asli Onur: Also begründen… Ich weiß nicht. Ich glaub, dass hat wieder was mit den kulturellen Werten zu tun. Ich weiß nich. Also, dass der Mann schon was Festes in der Hand haben muss. Und ganz ehrlich, würd’ ich ne Uniausbildung hinter mir gehabt haben und mein Mann nur ne Ausbildung oder keine Ausbildung, ich weiß nich’, ich würd’ den mit anderen Augen angucken. Ganz ehrlich. (lacht)“ (2Asli Onur, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 226–229) Es bestätigt sich auch bei einigen weiteren weiblichen Befragten mit Zuwanderungsgeschichte, dass aus ihrer Sicht der Mann eine Verantwortung als Versorger der Familie trägt (vgl. hierzu Kap. 5.5).
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In der Gruppe der jüngeren Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion sowie der Gruppe der Jüngeren ohne Zuwanderungsgeschichte fällt auf, dass es jeweils einzelne junge Männer gibt, denen die Bildung der (potenziellen) Partnerin in der Tendenz weniger wichtig ist, aber nur eine junge Frau (ohne Zuwanderungsgeschichte). Diese Männer haben entweder ein konservatives oder ein bedingt egalitäres Geschlechterleitbild. Zwar wünschen auch sie sich, dass die Partnerin ein Mindestmaß an Bildung hat und eigene Ziele verfolgt, aber sie stellen dies weniger in den Mittelpunkt als andere Befragte: „Auf Bildung, sag ich mal, lege ich nicht so wirklich Wert. Nicht besonders großen Wert. Okay, das hat schon wichtigen Stellenwert, aber ich würd’ jetzt gucken, ob die, sag ich mal, innere Schönheit, also Charaktereigenschaften interessant sind usw. Das würde mich an erster Stelle so interessieren.“ (2Richard Schneider, SU-M, 19 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 199)
Es gibt mehrere Befragte insbesondere unter den jungen Frauen aus allen drei Herkunftsgruppen, die sich wünschen, mit dem Partner intellektuell auf gleicher Ebene zu sein, aber gleichzeitig relativieren, dass sich dies nicht unbedingt an schulischen oder beruÀichen Abschlüssen, also dem formalen Bildungsniveau ablesen lässt. „Also, das habe ich vorher schon mal gesagt, dass es halt nicht um dieses Papier geht, sondern um… Man kann auch echt allgemeinwissend sein, aber dann kein Diplom haben, oder so. Also, oder keinen Abschluss, oder so was. Ich glaub’, es ist aber schon so, dass man sich eher zu dem hingezogen fühlt, der irgendwas schon im Leben erreicht hat.“ (2Anna Dolinkova, SU-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 238)
Während die jungen Befragten die Bildung des Partners/der Partnerin ganz überwiegend deshalb für wichtig halten, weil darüber Rückschlüsse auf gemeinsame Interessen gezogen werden können, gibt es auch einzelne (aus allen Herkunftsgruppen), die im Hinblick auf eine spätere feste Partnerschaft den Aspekt der materiellen Absicherung betonen. Einige Personen sind der Auffassung, dass eine gute Bildung es den Partnern in einer Beziehung erleichtert, KonÀikte beizulegen bzw. dass ein ähnliches Bildungsniveau der beiden Partner KonÀikte verhindern kann. Ein junger Befragter ohne Zuwanderungsgeschichte etwa, aus dessen (konservativer) Sicht die Frau die typische Rolle von Hausfrau und Mutter ausfüllen sollte, erachtet die Bildung seiner Partnerin zudem noch aus einem anderen Grund für wichtig: „Also, ich hab ja eben diese Rollenverteilung angesprochen… als Idealbild. Wenn, wenn es denn so sein sollte, dass meine Frau den Schwerpunkt z. B. der Kindererziehung übernimmt, dann ist es für mich ganz besonders wichtig, dass sie gebildet
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Ergebnisse der Interviews ist, sonst müsste ich ja ein schlechtes Gewissen haben. Nein also (lacht), sonst wäre das natürlich nicht hinzunehmen. Also, ich möchte ja dann auch, dass meine Kinder in einer Art und Weise erzogen werden, die dann eben nur durch auch eine gewisse Bildung möglich ist.“ (Tobias Fischer, DT-M, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 179)
Ähnlich sieht es eine junge Befragte türkischer Herkunft, deren hoch gebildeter Partner aus ihrer Sicht später ein gutes Vorbild für ihre Kinder sein wird. 5.3.3 EinÀüsse auf die Partnerwahl Im Folgenden wird dargestellt, welchen EinÀüssen sich die jüngeren Befragten im Hinblick auf ihre Partnerwahl ausgesetzt sehen. Als wichtigsten EinÀuss auf die Partnerwahl der Jüngeren lassen sich eindeutig die Vorstellungen der Eltern feststellen. Nicht nur setzen sich viele der Jüngeren in ihren Antworten bezüglich Wunschvorstellungen zur Partnerschaft mit den Erwartungen ihrer Eltern auseinander, auch sprechen einzelne Personen (türkischer Herkunft) direkt an, dass sie es sich wünschen, dass der ausgewählte Partner/die ausgewählte Partnerin auf Zustimmung bei den Eltern stößt, dass er/ sie sich gut in die Familie einfügt und sich gut mit den Eltern versteht. „Und mein Umfeld ist auch sehr wichtig. Ich möchte auch gerne natürlich, dass er sich […] mit meinen Eltern, mit meinen Geschwistern und überhaupt mit meiner Familie sich versteht. Das ist für mich sehr wichtig, weil, wenn man mit einander heiratet, dann heiratet man nicht nur halt mit dem Partner, sondern mit der ganzen Familie. Man muss auch mit der Familie auskommen. Ich möchte auch gerne mit seiner Familie auskommen. Und deswegen ist es für mich sehr wichtig, dass er mit meinem Umfeld klar kommt.“ (2Sevgi Yildirim, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 251)
Im Hinblick auf den Inhalt der elterlichen Erwartungen zur Partnerschaft der Kinder wird in den Äußerungen vor allem deutlich, dass sich die Eltern aller Herkunftsgruppen für ihre Kinder einen Partner/eine Partnerin wünschen, der/die sie glücklich macht. Dazu werden ähnliche Voraussetzungen als wichtig angesehen wie sie die Kinder selbst betonen. Die betreffende Person soll vor allem liebevoll sein und Geborgenheit vermitteln, möglichst gut gebildet sein und attraktiv. In gut einem Drittel der Fälle wird deutlich – jedes Mal von den jüngeren Befragten angesprochen –, dass die Eltern bezüglich der Herkunft eines zukünftigen Lebenspartners/einer zukünftigen Lebenspartnerin bestimmte Vorstellungen haben. Dabei besteht in den meisten Fällen der Wunsch nach einer eigenethnischen Partnerschaft. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Eltern mit Zuwanderungs-
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geschichte, in einem Fall um eine Familie ohne Zuwanderungsgeschichte. Henrike Neumann erinnert sich diesbezüglich an widersprüchliche Aussagen ihres Vaters: „Also, mein Vater hat schon immer gesagt: ‚Wehe, du kommst mir mit nem Türken nach Hause !‘ oder so, also, das war schon. Also, ich glaub, ich hätte es mich damals auch, glaube ich, nicht getraut.“ (2Henrike Neumann, DT-W, 25 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 286) „INT: […] Und Türke war letztendlich ein Synonym für jede Art von Ausländern, wahrscheinlich ? Henrike Neumann: Richtig, ja. Das widerspricht sich auch. Meine Cousine z. B. [ist] mit nem Polen zusammen und den mochte der total gerne. Der hat auch im Freundeskreis ganz viele Polen oder so, ne. Aber, ne, bloß nicht seine Töchter. Also, ganz komisch.“ (Absatz 295–296)
In über der Hälfte der Fälle teilen die Kinder die Vorstellung der Eltern bezüglich der Herkunft des Partners/der Partnerin nicht und sagen für sich selbst aus, dass die Herkunft keine Rolle spielen würde. Dass sie Probleme mit den Eltern bekommen könnten, wenn sie beispielsweise eine deutsche Partnerin/einen deutschen Partner wählen würden, ist den Befragten bewusst. Letztlich sind sie sich meist sicher, dass sie ihre Wahl gegen die Eltern durchsetzen könnten, wenn deutlich wird, dass die Partnerschaft glücklich ist. In einigen Fällen wird der Wunsch der Eltern nach einem eigenethnischen Partner/einer eigenethnischen Partnerin begründet. Dabei wird deutlich, dass etwa die Möglichkeit der Verständigung in der Herkunftssprache und kulturelle Gemeinsamkeiten (in einem Fall auch die gemeinsame islamische Religionszugehörigkeit) im Vordergrund stehen, die aus Sicht der Eltern eine reibungslosere Partnerschaft ermöglichen. Die Gemeinsamkeit der Herkunft wird auch von ihnen als Indiz dafür gesehen, dass es weitere Gemeinsamkeiten zwischen den Partnern gibt und dass die Partnerschaft glücklich wird. Eine Partnerschaft beispielsweise mit einem deutschen Mann würde für die Eltern einer Tochter türkischer Herkunft dagegen gewisse Ängste auslösen.59 „Ich denke, dass die die gleiche Erwartung haben wie ich in Bezug auf Toleranz, der Religion und der Identität. Der ersten Identität oder dem Migrationshintergrund. Und
59 Sowohl in Teilen der Mehrheitsgesellschaft als auch in Teilen der Zuwanderungsgruppen (oft aus den o. g. funktionalen Gründen) kommt es zu Partnerschaften innerhalb der eigenethnischen Gruppen. Dass es auch auf deutscher Seite Ängste oder auch Vorbehalte gegenüber Zugewanderten bzgl. der Partnerwahl gibt, zeigt eine Allbus-Studie (1996, zit. nach Westphal 2007, S. 141), wonach es 56 % der Deutschen ohne Zuwanderungsgeschichte als unangenehm emp¿nden würden, einen Angehörigen der türkischen Bevölkerung als Familienmitglied zu haben.
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Ergebnisse der Interviews dass er mich liebt und alles für mich tut. Dass sie sich keine Sorgen machen müssen um mich. Davor hätten sie glaub ich Angst. Wenn sie jemanden hätten, wo sie sich unsicher sind. Und da würden sie sich ganz starke Sorgen machen. Aber das würd’ auch ne deutsche Familie machen. Also das hat jetzt nichts mit der Identität zu tun.“ (2Cansu Akdeniz, 27 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 211)
Neben dem Wunsch nach Partnern gleicher Herkunft gibt es auch Abgrenzungen von subkulturellen Milieus innerhalb der eigenethnischen Gruppe. So lehnten beispielsweise die Eltern einer türkischen Befragten einen türkischen Ehemann aus dörÀichen Strukturen der Türkei und mit einem traditionell-religiösen Hintergrund zunächst ab, bevor die Tochter sie mit großer Hartnäckigkeit überzeugen konnte und den Mann heiratete. Die Eltern selbst sind hoch gebildet und eher liberal eingestellt, konnten zudem nur schwer akzeptieren, dass der Schwiegersohn lediglich eine Ausbildung gemacht und nicht studiert hat. In einem Fall werden auch bestimmte ethnisch-kulturelle Gruppen abgelehnt (so lehnte ein türkischer Vater Partnerschaften seiner Tochter mit kurdischen oder arabischen Männern ab), in einem anderen Fall wird neben der eigenen ethnischen Gruppe auch eine deutsche Partnerin für den Sohn der Familie bevorzugt. In zwei Fällen berichten junge Männer mit Zuwanderungsgeschichte (ehemalige Sowjetunion), dass die Eltern (bzw. der Vater) sich eine Partnerin wünschen, die kochen kann – womit vermutlich insgesamt der Wunsch der Eltern verbunden ist, dass die Frau in der Lage ist, den Haushalt zu führen und den Sohn zu versorgen. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass alle im Rahmen der vorliegenden Studie befragten Jüngeren ihre eigenen Vorstellungen – wo sie denn von denen der Eltern abweichen – auch durchsetzen könnten. So haben alle Befragten letztlich die Freiheit, ihre Partnerinnen/Partner selbst zu wählen. Einige jüngere Befragte betonen dies dezidiert und sind unter Umständen bereit, sich für die eigene Wahl einzusetzen. In mehreren Fällen – unabhängig von der Herkunftsgruppe – wird deutlich, dass neben den Eltern der Freundeskreis der Jüngeren einen EinÀuss auf die Partnerwahl hat. Hier steht im Vordergrund, dass die Partnerin/der Partner sich gut in den Freundeskreis einfügt, dass man sich versteht. Bei Einzelnen wird auch deutlich, dass Urteile aus dem Freundeskreis ein wichtiges Auswahlkriterium darstellen. 5.3.4
Resümee
Die Befragten äußern, unabhängig vom eigenen Geschlecht, ganz überwiegend geschlechterdifferenzierte Zuschreibungen, wenn sie nach ihren Idealvorstellungen von Frauen bzw. Männern gefragt werden. Diese entsprechen jedoch zumeist nicht deutlichen Stereotypen, sondern sind eher gemäßigt. Gemeinsamkeiten zwischen nahezu allen Befragten bestehen darin, dass sie es für Männer und Frauen gleicher-
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maßen erstrebenswert halten, unabhängig zu sein, Selbstbewusstsein zu haben, die Fähigkeit zur Selbstkritik zu besitzen sowie hilfsbereit zu sein. Auch ‚typisch weibliche‘ Eigenschaften wie Emotionalität, Zärtlichkeit, Romantik werden aus der Sicht der Befragten beiden Geschlechts für beide Geschlechter gleichermaßen befürwortet. Zwar zeigt es sich etwa bei zwei jungen Männern, die ein konservatives Geschlechterarrangement befürworten, dass sie in der Tendenz deutlicher geschlechterstereotype Auffassungen haben als ihre Altersgenossen, dennoch lässt sich kein durchgängig überzeugender Zusammenhang zwischen den Idealbildern von Frau bzw. Mann und den präferierten Geschlechterarrangements herstellen. Das Männlichkeitsbild der jungen Männer mit Zuwanderungsgeschichte zeichnet sich im Vergleich mit denen ohne Zuwanderungsgeschichte dadurch aus, dass Überlegenheit deutlicher hervorgehoben wird, ohne dass gleichzeitig einseitig von einer Frau erwartet wird, sich unterzuordnen. Beim Thema Unterordnung zeigt sich nochmals ein EinÀuss des Bildungsniveaus, indem die Jüngeren mit hohem Bildungsniveau eine Unterordnung der Frau deutlicher ablehnen, während für sie punktuell jedoch männliche Unterordnung denkbar wäre. Diese konkreten Ergebnisse unterscheiden sich von denen der Studie zu Migrantenmilieus durch Sinus Sociovision, in der über die Milieus hinweg beispielsweise Zärtlichkeit, Gefühlsbetontheit, Romantik bzw. die Fähigkeit, eine schöne Atmosphäre zu schaffen, die wichtigsten einer Frau zugeschriebenen Eigenschaften sind, welche Männern deutlich weniger häu¿g zugeordnet werden (vgl. Wippermann 2008). Alle Eigenschaften, die in den Studien ähnlich abgefragt wurden, sind in unserer Erhebung höher bewertet worden, das heißt sowohl für Frauen als auch Männer als sympathischer/wichtiger eingeschätzt worden. Besonders fällt u. a. auf, dass die in der vorliegenden Studie Befragten mit Zuwanderungsgeschichte die Eigenschaften Unabhängigkeit sowie Fähigkeit zur Selbstkritik ausnahmslos bei Frauen und Männern begrüßen, während dies bei Sinus jeweils nur ein kleinerer Teil der Befragten tut. Die Ergebnisse der Studien sind aufgrund der unterschiedlichen Anlage jedoch nur begrenzt vergleichbar.60 Bei Wünschen an eine Partnerin/einen Partner wird insgesamt deutlich, dass die Befragten besonderen Wert auf Gemeinsamkeiten legen. Dabei werden in den meisten Fällen ein ähnliches Bildungsniveau wie das eigene und teilweise eine gleiche Zuwanderungsgeschichte bzw. gleiche Herkunft als Indikatoren dafür gesehen, dass solche Gemeinsamkeiten vorliegen. In der Tendenz ist eine vergleichbare 60 Dies liegt insbesondere in der unterschiedlichen Art der Abfrage und der Tatsache begründet, dass sich die Jüngeren – die bei uns ausschließlich befragt wurden – bei Sinus eher in den ‚moderneren‘ Milieus ¿ nden, die verfügbaren Daten sich jedoch auf alle Milieus beziehen. In der Sinus-Studie zu Migrantenmilieus 2007 z. B. wird der lebensweltliche Schwerpunkt der 2. und 3. Generation der Zugewanderten im hedonistisch-subkulturellen Milieu, im adaptiven Integrationsmilieu und im multikulturellen Performermilieu gesehen (vgl. Sinus Sociovision, 2007a).
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Ergebnisse der Interviews
Zuwanderungsgeschichte den jungen Männern etwas wichtiger als den jungen Frauen. Lediglich in der Gruppe der Jüngeren ohne Zuwanderungsgeschichte bzw. in der mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion gibt es einzelne Personen, denen die Bildung der (potenziellen) Lebenspartnerin/des (potenziellen) Lebenspartners weniger wichtig ist. Alle anderen betrachten ein gewisses Bildungsniveau als Voraussetzung einer erfüllten Partnerschaft bzw. erwarten, dass damit eine größere materielle Sicherheit verbunden sein wird. Die jungen Männer, denen die Bildung der (zukünftigen) Partnerin weniger wichtig ist, zeichnen sich in der Tendenz dadurch aus, dass sie selbst eher ein mittleres Bildungsniveau haben sowie ein konservatives oder lediglich bedingt egalitäres Geschlechterarrangement in ihrem späteren Leben anstreben. Auffällig ist zudem, dass die Bildung der Lebenspartner und -partnerinnen aus Sicht der Jüngeren türkischer Herkunft (und hier nochmals besonders der jungen Frauen) häu¿ger eine große Rolle spielt. In Kap. 5.4 wird sich noch zeigen, dass Bildung in Familien türkischer Herkunft eine hohe Bedeutung in der Erziehung beigemessen wird, was auch von den Jüngeren so akzeptiert und übernommen wurde. Hier wird deutlich, dass solche Wünsche sich auf (künftige) Lebenspartnerinnen/-partner übertragen. Einzelne junge Frauen türkischer Herkunft wünschen sich explizit einen Partner mit einem höheren Bildungsniveau als das eigene. Insgesamt lassen die Aussagen die Vermutung zu, dass für die befragten Jüngeren die Herkunft der Partnerinnen/ des Partners offenbar ein weniger ausschlaggebendes Kriterium darstellt als das Bildungsniveau. Wiederum bestätigen sich die Eltern mit ihren Vorstellungen und Erwartungen als ein zentraler EinÀuss im Leben der jüngeren Befragten. Die Eltern wünschen sich für ihre Kinder vor allem eine erfüllte Partnerschaft. Häu¿ger als die jüngeren Befragten würden die Eltern mit Zuwanderungsgeschichte dabei offenbar eine eigenethnische Partnerschaft bevorzugen. In mehreren Fällen stimmen diese Erwartungen jedoch nicht mit den Wünschen und Vorstellungen der Jüngeren überein. Obwohl sie möchten, dass sich die Partnerin/der Partner in die eigene Familie einfügt, also etwa mit den Eltern gut versteht, sind die jüngeren Befragten letztlich überzeugt, dass sie ihre eigenen Vorstellungen gegen die der Eltern durchsetzen könnten, wenn die Partnerin/der Partner den Vorstellungen der Eltern nicht vollständig entspricht. Sie vermuten, dass die Eltern die gewählte Partnerschaft akzeptieren würden, sofern sie sich als glücklich erweist (dies gilt für Befragte beiderlei Geschlechts.) Damit kann die Partnerwahl der jüngeren Befragten als weitgehend selbstbestimmt charakterisiert werden, wie auch BoosNünning und Karakasoglu (2004) gezeigt haben. Neben der ‚Passung‘ der Partnerin/des Partners zur Herkunftsfamilie/zu den Eltern spielt für die Jüngeren in mehreren Fällen auch der Freundeskreis eine Rolle. Den vorliegenden Erkenntnissen zufolge lässt sich kein Zusammenhang zwischen den geschlechtsspezi¿schen Zuschreibungen und den verschiedenen Dimensionen von Integration (z. B. kultureller, identi¿katorischer und struktureller) der
Erziehungsideale und Erziehungspraxis
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Befragten mit Zuwanderungsgeschichte erkennen. An dieser Stelle lässt sich also lediglich konstatieren, dass es unter den Jüngeren unseres Samples diesbezüglich insgesamt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt. Immer wieder wird ein Zusammenhang zwischen Integrationsbestrebungen und Partnerwahl bzw. Heiratsverhalten angenommen61: Die Bereitschaft, eine Partnerschaft/Ehe mit einer Person aus einer anderen Herkunftskultur zu führen, soll mit dem Grad der Integrationsbereitschaft ansteigen. In der vorliegenden Studie zeigt sich schlichtweg eine Vielfalt der diesbezüglichen Einstellungen: Mitunter ¿ ndet sich eine Gleichzeitigkeit von gelungener struktureller Integration (hier in Form eines hohen Bildungsniveaus) und dem Wunsch, Partnerschaften mit Personen aus der eigenen Herkunftsgruppe einzugehen. Für andere der jüngeren Befragten spielt die Herkunft einer Partnerin/eines Partners keine Rolle. Sie weisen teils den elterlichen Wunsch nach einer Partnerschaft innerhalb der eigenen Herkunftsgruppe deutlich von sich. Gleichzeitig gibt es deutsche Befragte ohne Zuwanderungsgeschichte, die sich eine Partnerschaft mit Personen mit Zuwanderungsgeschichte nicht vorstellen könnten. Ein interessantes Ergebnis der vorliegenden Studie ist, dass die Partnerwahl vor allem unter funktionalen Gesichtspunkten anvisiert wurde oder wird, und dass dies sowohl für die Wahl eigenethnischer Partnerinnen/Partner als auch für die Wahl von Partnerinnen/Partnern mit mindestens dem eigenen Bildungsniveau gilt: Wenn Personen aus der eigenen Herkunftsgruppe oder mindestens dem eigenen Bildungsniveau bevorzugt werden, dann wird damit vor allem der Wunsch verbunden, eine (Herkunfts-)Sprache, möglicherweise gemeinsame biographische Erfahrungen und Erfahrungswelten zu teilen und damit weniger KonÀikte und Reibungsverluste in der Partnerschaft zu haben. 5.4
Erziehungsideale und Erziehungspraxis
Das folgende Kapitel beleuchtet die gelebte Erziehung der befragten älteren Personen sowie die generellen Vorstellungen, die beide Generationen mit dem Thema Erziehung verbinden. Die Auswertung der gesammelten Aussagen erfolgte unter den folgenden Leitfragen: a)
61
Was sind die Erziehungsvorstellungen beider Generationen und wie wurden/ werden sie in der älteren Generation gelebt? Welche Rolle spielen insbesondere schulische/beruÀiche Bildung und Leistungsorientierung in den Erziehungsvorstellungen ?
Vgl. hierzu exemplarisch Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (2009).
156 b) c)
d)
Ergebnisse der Interviews Inwiefern wurden bzw. werden Geschlechterleitbilder über die Erziehung weitergegeben ? Wie zufrieden sind die Älteren mit der Erziehung und wie positionieren sich die jüngeren Befragten zu der selbst erfahrenen Erziehung ? Was würden sie anders machen ? Welche nichtelterlichen EinÀüsse gibt es darüber hinaus auf Erziehungsvorstellungen der jüngeren Generation ? Welchen EinÀuss hat die Herkunft der Befragten auf die Erziehung bzw. Erziehungsvorstellungen ? Welche Selbst- und Fremdbilder bezüglich der eigenen und der anderen Herkunftsgruppen zeigen sich ? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus bezüglich Integration ziehen ?
5.4.1
Erziehungsvorstellungen beider Generationen
Die Erziehungsvorstellungen der befragten Eltern aus den verschiedenen Herkunftsgruppen unterscheiden sich in wesentlichen Bereichen kaum voneinander. In allen Gruppen (unabhängig von Geschlecht und Bildungsniveau) werden beispielsweise Selbständigkeit der Kinder und Selbstbewusstsein/Durchsetzungsfähigkeit, soziale Kompetenzen wie Hilfsbereitschaft, Respekt vor anderen Menschen, sowie Charakteraspekte wie Ehrlichkeit, Offenheit, Verantwortungsbewusstsein, Fähigkeit zur Selbstkritik etc. als Erziehungsziele betont. In allen Gruppen ¿nden sich zudem Eltern, die betonen, dass sie selbst mit gutem Vorbild vorangehen müssen und dass die Beziehung zu den Kindern durch Vertrauen und Offenheit sowie Kommunikation zwischen den Generationen geprägt sein sollte. Für viele sind Liebe und die Vermittlung von Geborgenheit sehr wichtige Grundlagen – Kinder sollen das Gefühl haben, dass Eltern für sie da sind. In der Tendenz sind es Eltern mit Zuwanderungsgeschichte, die den Aspekt stärker betonen, dass die Kinder Ältere bzw. die Eltern achten und respektieren sollten bzw. dass Kinder gehorsam sein sollten. Vereinzelt wird auch vom Erziehungsziel der Gehorsamkeit gesprochen. Entgegen den Vorstellungen, dass insbesondere Mädchen in Familien mit türkischer Zuwanderungsgeschichte stets sehr streng erzogen und in ihren Freiheiten eingegrenzt werden, schildern junge Frauen aus dieser Gruppe im Rahmen der beiden Familieninterviews, dass sie ihre Erziehung als sehr freizügig erlebt haben. „[…] ich denke, dass ich eigentlich von meiner, wenn ich so in mein Umfeld gucke, eine gute Erziehung genossen habe, weil ich immer kritisch denken durfte. Ich durfte mich immer zu allem äußern. Ich durfte immer mitbestimmen, hatte sehr viele Freiheiten und Freiräume sowohl in meinem Sprachgebrauch, als auch in meinem Interessensgebiet. Durfte viel ausprobieren und wurde ernst genommen. Das war sehr wichtig.“ (2Cansu Akdeniz, TR-W, 27 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 27)
Erziehungsideale und Erziehungspraxis
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In diesen Familien haben die Eltern ein hohes Bildungsniveau und eine Tochter stellt bewusst einen Zusammenhang zwischen diesem Umstand und der selbst erlebten liberalen Erziehung her. Auch wurden die Mütter der betreffenden Familien bereits selbst liberal erzogen. Insgesamt ergibt sich ein vielfältiges Bild: Während einige Töchter aus offensichtlich strengeren Elternhäusern ihre eigenen Kinder freizügiger erziehen wollen, gab es auch eine Befragte aus einem liberalen Elternhaus, die ihrer Tochter weniger Freiheiten einräumen möchte mit der Begründung, sie beschützen zu wollen. Niemand berichtete aber dezidiert von erlebten geschlechtsspezi¿schen Benachteiligungen in der Erziehung. Die befragten Personen der jüngeren Generation haben insgesamt oft weniger klare Vorstellungen von einer guten Erziehung, was oft damit begründet wird, dass noch nicht darüber nachgedacht wurde, da ja noch keine eigenen Kinder da sind. Oft schließen sie sich den Aussagen der Eltern an. Insofern ¿nden sich auch unter den Jüngeren kaum wesentliche Unterschiede. Auch sie betonen neben Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft, den sozialen Fähigkeiten und den Charakterstärken solche Erziehungsziele wie HöÀichkeit, Umgangsformen und Manieren. Die Personen unter ihnen – dies betrifft einige wenige Jüngere ohne Zuwanderungsgeschichte –, die als Kinder selbst die Scheidung der Eltern oder kritische Familiensituationen miterlebt haben, wünschen sich, diese Erfahrungen ihren eigenen Kindern zu ersparen, ihnen emotionalen Halt und stabile Familienverhältnisse geben zu können bzw. Streit zwischen den Eltern nicht vor den Kindern auszutragen. Sollte es zur Trennung kommen, soll der Kontakt zu beiden Elternteilen erhalten bleiben. Vereinzelt sprechen jüngere Befragte das Thema Religion an. Dazu gehörten Aspekte wie der Wunsch nach Weitergabe des evangelischen Glaubens an die Kinder, die hohe Bedeutung des türkisch-alevitischen Glaubens für Erziehungsvorstellungen oder die hohe Bedeutung des muslimischen Glaubens für das Alltagsleben. Insgesamt zeigen die Analysen aber, dass a) Religion eine deutlich untergeordnete Rolle im Alltagsleben der meisten Befragten spielt (dies bestätigt auch die Ergebnisse der Sinus-Studien zu Migrantenmilieus) und b) dass bei der vereinzelt vorkommenden hohen oder relativ hohen Bedeutung von Religion verschiedene Glaubensrichtungen eine Rolle spielen und nicht etwa, wie im Alltagsdiskurs oft angenommen wird, hierbei der Islam besonders betont würde. Es fällt insgesamt auf, dass innerhalb der Erziehungsvorstellungen und Ziele die Aspekte schulische und beruÀiche Bildung, Leistung und Fleiß eine besondere, teils zentrale Rolle für die Befragten spielen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die (formale – schulische und beruÀiche) Ausbildung der Kinder bei den befragten Elternteilen türkischer Herkunft am deutlichsten ein zentrales Erziehungsziel darstellt. Alle aus dieser Gruppe betonen, dass ihnen die Bildung ihrer Kinder sehr am Herzen liegt, und die meisten von ihnen nennen dies spontan unter den wichtigsten Erziehungszielen. Diese Aussagen bestätigen die hohen
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Ergebnisse der Interviews
Bildungserwartungen vieler türkischer Eltern an ihre Kinder, welche u. a. darauf zurückgeführt werden, dass ein relativ hoher Anteil Eltern türkischer Herkunft (in Deutschland und auch in unserem Sample) selbst ein geringeres Bildungsniveau hat und im Rahmen der Arbeitsmigration häu¿g als unquali¿zierte Beschäftigte eingesetzt wurde. Sie verfolgen das Ziel (ähnlich wie es für deutsche Arbeiterfamilien besonders in den 1960er und 1970er Jahren zutrifft), dass es ihren Kindern einmal besser gehen sollte als ihnen selbst. Zudem wird in der Befragung über die Herkunftsgruppen hinweg deutlich, dass die Bildung der Töchter den gleichen Stellenwert hat wie die der Söhne, wobei die befragten Mütter oft den Aspekt nochmals besonders hervorheben, dass die jungen Frauen selbständig sein sollen. „Also, alle sollen auf jeden Fall die Schule besuchen, die Oberstufe besuchen. Einen guten Beruf. Sie sollen auf ihren eigenen Füßen stehen. Sie sollen ihre Wünsche ausleben können und für sich selber sorgen können. Sie sollen nicht von dem Mann abhängig sein. Das ist das, was ich immer wollte.“ (1Hatice Onur, TR-W, 54 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 105)
Die Eltern sind bereit, sich sehr für die Ausbildung der Kinder einzusetzen. Wenn die Kinder dann einen guten Bildungsweg eingeschlagen haben und Bildungserfolge vorzuweisen sind, sprechen die Eltern häu¿g voller Stolz über das von den Kindern Erreichte: „Ich […] will, dass alle meine Kinder lernen, immer weiter lernen. Bildung ist etwas Schönes für sie, für deren Zukunft. Sie sollen keine Arbeiterin sein wie ich. Meine Kinder sollen weiter lernen, sie sollen andere unterrichten. In meinem Inneren ist es so, ich möchte, dass alle meine Kinder immer lernen. Zwei haben studiert, die andere hat eine Ausbildung gemacht. Gott sei Dank haben alle so lange gelernt, wie sie es wollten.“ (1Pamire Kara, TR-W, 58 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 73) „Auf der Arbeit sagen meine Freunde, die Kinder von Frau Kara haben alle studiert. Sie sagen zum Beispiel, eine Tochter von Frau Kara ist in Spanien. Also, ich bin sehr stolz.“ (Absatz 282)
Auch in der Gruppe der Elternteile mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion genießt Bildung einen hohen Stellenwert – mehrere Elternteile (Väter und Mütter mit hohem und mittlerem Bildungsniveau) äußern sich entsprechend. Häu¿ger wird in dieser Gruppe zudem auf grundlegende Weise der Wert von Fleiß und Leistungsbereitschaft betont. Im Hinblick auf Unterschiede in der Erziehung zwischen Söhnen und Töchtern wird bei manchen Befragten mit Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion deutlich, dass die beruÀiche Ausbildung der Töchter wichtig ist, dass ihnen in
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einzelnen Familien jedoch gleichzeitig die Hauptverantwortung für eine spätere Familie und den Haushalt zugesprochen werden. Vor diesem Hintergrund wird von Töchtern erwartet, dass sie besonders Àeißig und leistungsbereit sind. Tendenziell lassen sich bei der Gruppe der befragten Elternteile ohne Zuwanderungsgeschichte Unterschiede zu den vorgenannten feststellen. Zwar betonen auch in dieser Gruppe die meisten Elternteile die hohe Bedeutung der Bildung ihrer Kinder, aber ausschließlich hier ¿nden sich auch Personen, die den eigenen Kindern kein Leistungsdenken vermitteln wollten, die Fleiß als Tugend explizit weniger oder gar nicht wichtig ¿ nden oder die aussagen, dass ein schulisches Versagen der Kinder „kein Beinbruch“ wäre. Von den befragten Elternteilen ohne Zuwanderungsgeschichte äußern sich mehrere in dieser Richtung (Väter und Mütter mit mittlerem oder hohem Bildungsniveau). Zwar wünschen sie sich für ihre Kinder die bestmögliche Ausbildung und die Möglichkeit, auf eigenen Füßen zu stehen, sie relativieren dies jedoch dadurch, dass ihnen charakterliche Tugenden wie beispielsweise Verantwortungsbewusstsein oder soziales Verhalten in der Erziehung der Kinder wichtiger seien. „[…] also ich […] hab mehr Wert drauf gelegt, nicht auf Karriere, sondern dass sie anständige Menschen sind und auch andere Leute anständig behandeln.“ (1Egon Schiersmann, DT-M, 49 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 166)
Bei diesem Vater – wie auch bei einer Mutter ohne Zuwanderungsgeschichte – zeigt sich zudem der Wunsch, dass der selbst als negativ empfundene Leistungsdruck in der Gesellschaft nicht gleichermaßen an den Sohn weitergegeben werden soll. Die jüngere Generation bezieht sich in ihren Erziehungsvorstellungen insgesamt etwas seltener als die ältere auf die Ausbildung der Kinder bzw. auf Fleiß oder Leistung. Im Wesentlichen halten es die Jüngeren aus den verschiedenen Herkunftsgruppen für richtig, dass ihre Eltern Wert auf eine gute schulische und Berufsausbildung gelegt haben. Sie gehen davon aus, dass sie dies den eigenen Kindern weitergeben werden. Aus den Antworten gewinnt man ansonsten eher den Eindruck, dass Bildung für die Jüngeren eine Selbstverständlichkeit ist, die gleichberechtigt neben anderen Erziehungszielen steht. Im Kontext der Fragen zur Erziehung fällt über das Dargestellte hinaus auf, dass einige Befragte dem Zusammenhalt innerhalb der Familie eine besondere Bedeutung zumessen. Darunter ¿nden sich Frauen und Männer mit Zuwanderungsgeschichte aus beiden Altersgruppen. Aus ihrer Sicht ist es wichtig, dass innerhalb der Erziehung ein starker Familienzusammenhalt vermittelt wird: „Ja, mit einander klar kommen, einander aushalten können und die Vorstellung, was eine Familie überhaupt ist. Die Familie ist ein Zusammensein. Und sie müssen verstehen, wenn meine Frau und ich nicht mehr leben würden, dass sie für einander die
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Ergebnisse der Interviews nächsten Verwandten sind und dass sie als Geschwister einander nie im Stich lassen sollen. Die Familie ist ein Hafen, wohin der Mensch jederzeit zurückkehren kann. Das ist das Grundlegende. Ich denke, meine Kinder haben das gelernt und wissen es schon.“ (1Dietrich Wallmann, SU-M, 56 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 98) „Na ja, wichtig ist, dass die Kinder ehren ihre Eltern, unter einander Geschwister, z. B. gute Kontakte pÀegen, auch als Erwachsene, Verheiratete, zusammen immer bleiben. Ich meine, nicht zusammen wohnen, aber ab und zu zusammen treffen, unternehmen usw., z. B. Geburtstage feiern oder irgendwelche Feste. Das pÀegen wir auch. Und es [ist] wichtig, dass das bleibt.“ (1Olga Rust, SU-W, 48 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 67)
5.4.2
Weitergabe von Geschlechterbildern in der Erziehung
Um Einblicke zu ermöglichen, welche Geschlechterleitbilder in der Erziehung durch die ältere Generation weitergegeben wurden bzw. welche du rch die Jüngeren ggf. weitergegeben werden, wurden die Interviewten dazu befragt, welche Unterschiede sie in der Erziehung zwischen Mädchen und Jungen gemacht haben bzw. machen würden. Etwa zwei Drittel der Personen, die sich hierzu positionieren, gehen davon aus, dass sie keine Unterschiede gemacht haben bzw. machen würden. Ganz überwiegend ¿nden sich in dieser Gruppe Befragte der älteren Generation, die in vielen Fällen aus Erfahrung sprechen, da sie Söhne und Töchter erzogen haben, in einigen Fällen aber auch hypothetisch antworten, da sie nur Kinder eines Geschlechts erzogen haben. Stark vertreten sind Eltern ohne Zuwanderungsgeschichte bzw. mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei, darunter Väter und Mütter gleichermaßen. Einzelne weisen darauf hin, dass zwar die Erziehung von Söhnen und Töchtern nicht genau gleich gewesen sei, führen dies aber auf individuelle Unterschiede zwischen den Kindern zurück. In einzelnen Fällen scheinen Mütter ohne Zuwanderungsgeschichte mit ihrer Erziehung eher gezielt gegen eine „typische“ Entwicklung gesteuert zu haben: „Also ich habe auch immer gesagt, was der eine muss, muss der andere auch können. Ich habe immer Wert drauf gelegt. Ich wollte nicht, wie das in meiner Familie war: ein Sohn, […] drei Mädchen, und mein Bruder musste nie was machen. Da habe ich immer drauf Wert gelegt, dass also Julian genau die gleichen Dinge machen muss wie wir auch und umgekehrt.“ (1Helga Bergmann, DT-W, 49 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 117)
Die Personen, die aussagen, (tendenziell) Unterschiede in der Erziehung zwischen Mädchen und Jungen gemacht zu haben bzw. machen zu wollen, ¿nden sich über-
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raschenderweise in der Tendenz stärker in der Gruppe der jüngeren Befragten. Hinsichtlich der vertretenen Bildungsniveaus ¿nden sich keine Tendenzen. Deutlich häu¿ger vertreten sind insgesamt männliche Befragte, darunter eine Reihe mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion (Jüngere und Ältere), in der Anzahl gefolgt von männlichen Jüngeren ohne Zuwanderungsgeschichte. In der Mehrzahl zeigen sich die möglichen Erziehungsunterschiede in der Dar stellung der Befragten eher diffus und sind nicht mit einem klaren Erziehungsideal verbunden, nach dem sich etwa die Erziehung von Mädchen durch bestimmte Charakteristika auszeichnen sollte. Befragte geben diesbezüglich zwar zu, Unterschiede gemacht zu haben bzw. diese machen zu wollem. Dies resultiert dabei jedoch eher aus Unsicherheit oder dem Gefühl, dass mit Mädchen anders umzugehen sei als mit Jungen. „Mit der Tochter wird es schwieriger. Ein Beispiel, wie man einen Sohn erzieht, habe ich quasi an meinem eigenen Leib gefühlt. Aber mit der Tochter, es wird komplizierter, denn ich weiß nicht, was ich von meiner Tochter verlangen kann oder fordern. Ich weiß ganz genau, wie ich diesen Menschen sozusagen formen möchte, aber ich kann auch nicht so hart sein. Mit dem Sohn ist diese Hinsicht einfacher.“ (2Denis Perov, SU-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 77)
Andere sind unsicher, weil sie die Situation nicht kennen (selbst nur Töchter haben), und daher eher vermuten, dass sie in der Erziehung Unterschiede machen würden. In mehreren der in dieser Gruppe versammelten Fälle lassen die Antworten der Befragten darauf schließen, dass in der Erziehung tendenziell klassische Geschlechterbilder (im größeren oder kleineren Umfang) reproduziert wurden oder werden würden. Dies beginnt dabei, dass einem Sohn eher sportliche Aktivitäten zugeschrieben werden. „INT: […] Wie würden Sie sagen, werden Sie Ihre Töchter erziehen, Söhne ? Je nach dem, wenn beide da wären ? Christian Meisner: Ja, […] so geh ich mal davon aus, dass er […] sportlich auch eben sein sollte. Fußball oder wie ich jetzt vom Fußball zum Tennis gewechselt hab. Das sollte auf jeden Fall sein. Nicht nur nichts machen. INT: Mhm Christian Meisner: Ja, und Tochter, ja, dass…, was weiß ich, normal. INT: Mhm Was könnte (normal sein) ? Gibt’s ein Beispiel ? Christian Meisner: Ja, meine Schwester.“ (2Christian Meisner, DT-M, 19 Jahre, Schüler, Absatz 169–174)
162
Ergebnisse der Interviews
An diesem Beispiel wird deutlich, dass diffuse Vorstellungen von einer „normalen“ geschlechtertypischen Erziehung existieren, die von dem jungen Befragten nicht konkret ausgedrückt werden können. In einigen wenigen Fällen wird explizit deutlich, dass Töchter durch die Erziehung gezielt auf ein Leben als (zumindest zeitweise) berufstätige Frau mit gleichzeitiger Hauptverantwortung für Haushalt und Familie vorbereitet werden sollten. Dies zeigt sich in einigen Fällen bei männlichen Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion und ohne Zuwanderungsgeschichte. In keinem Fall wird eine solche Auffassung von einer durch uns befragten Frau geäußert. Am Beispiel eines Vaters und seines Sohnes: „Erziehung bei der Tochter ? Dass sie genau so, nicht […] verlässt ihre Ausbildung. Nicht dass sie denkt, ich bin eine Hausfrau, sich drauf verlassen auf den Mann, jetzt zukünftigen Mann. […] jetzt leben wir in einem ganz anderen Land. Sie muss sich auf sich selber einstellen, aber gleichzeitig, sie muss dran denken, dass sie ist immer noch eine Frau, ein Mädchen. […] Sie muss sich kümmern um Familienzukunft oder Kinder. Nicht einfach, ich mach was ich will, der Mann was er will. […] Die muss beides können, die muss kochen können, backen auf jeden Fall, Haushalt verwalten, Mann versorgen und alles etc., ja. Und natürlich in Klammerzeichen auch genau gleichzeitig arbeiten.“ (1Alfred Schneider, SU-M, 46 Jahre hohes Bildungsniveau, Absatz 63) „INT: Und wie würdest du deine Töchter erziehen ? Richard Schneider: Ja, so ähnlich […]. Na, dass sie halt, ja, auch ganz anständig ist und dass sie auch für die erste Zeit, sag ich mal, reif ist für Beruf zu machen und so was. Und nachher auch den Haushalt führen kann, so dass sie kochen kann, und backen und die ganzen Geschichten da, dass sie schon drauf hat, das ¿nde [ich] schon wichtig.“ (2Richard Schneider, SU-M, 19 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 72–73)
Eine Tochter mit türkischer Zuwanderungsgeschichte hingegen grenzt sich in der Frage nach Geschlechtsunterschieden in der Erziehung bewusst von der selbst erfahrenen Erziehung und damit auch vom Standpunkt der Mutter ab, indem sie ihren eigenen Töchtern weniger Freiheiten einräumen würde als sie selbst sie hatte. Zu diesem Punkt gibt es im Interview eine Auseinandersetzung zwischen den Generationen. Die Mutter ermahnt und bittet die Tochter schließlich, in der Erziehung keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu machen. „Aber, wenn ich mir so überlege. Es hätte auch einiges schief gehen können. Also, man hätte schon auf die schiefe Bahn gehen können. Und das würd ich dann schon versuchen bei meiner Tochter dann halt eventuell ein bisschen schon zu vermeiden. Also das würd ich schon ’n bisschen anders machen als man das bei mir gemacht hat.“ (2Aylin Tac, TR-W, 26 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 131)
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Eine ähnliche Einstellung zeigt sich bei einem Sohn mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei, der ebenfalls die Freiheiten der Töchter eher aus dem Wunsch heraus beschränken würde, diese stärker vor möglichen Gefahren zu beschützen, sowie bei einer Mutter ohne Zuwanderungsgeschichte aus ähnlichen Motiven. 5.4.3
Zufriedenheit mit der Erziehung
Die Personen der älteren Generation wurden dazu befragt, wie zufrieden sie mit der Erziehung ihrer Kinder sind. Von den befragten Müttern und Vätern ist kaum jemand mit der eigenen Erziehungsleistung wirklich unzufrieden, die meisten sind entweder im Wesentlichen zufrieden, erkennen aber rückblickend kleinere Fehler, oder sie sind sogar rundum zufrieden. Bei den diesbezüglich selbstkritischen Elternteilen handelt es sich um eine Mutter und einen Vater ohne Zuwanderungsgeschichte. Die Mutter begründet ihre Unzufriedenheit mit der zu strengen Erziehung der beiden Kinder. In dieser Hinsicht wurde sie auch von ihrer Tochter deutlich kritisiert. Sie erläutert, dass sie sich nach ihrer Scheidung mit zwei kleinen Kindern nicht in der Lage sah, der Situation anders Herr zu werden. Der Vater schildert ganz im Gegensatz dazu, dass er es sich rückblickend sehr wünschen würde, dem Sohn deutlichere Grenzen gesetzt zu haben. Auch er blickt auf eine schwierige Situation zurück, in der er sich von der Mutter seines Sohnes getrennt hat und ihr die Verantwortung überließ. Unter anderem vor dem Hintergrund des fehlenden Schul- und Berufsabschlusses des Sohnes hätte er nun lieber stärker in die Erziehung eingegriffen. Die Elternteile, die rückblickend kleinere Fehler einräumen, aber grundsätzlich zufrieden sind, nennen z. B. folgende Aspekte, die sie im Rückblick gern anders gemacht hätten: ƒ ƒ ƒ
etwas strengere Erziehung; man hätte die Kinder mehr fordern sollen etwas weniger strenge, gelassenere Erziehung Feststellung mangelnder Zielstrebigkeit, Selbständigkeit und Respekts bei den Kindern; in der Erziehung zu wenig Grenzen gesetzt
Speziell einige Elternteile türkischer Herkunft bedauern unter anderem, dass sie ihren Kindern zu wenig Zeit gewidmet haben und dass sie sie beispielsweise aufgrund von Sprachschwierigkeiten nicht so gut unterstützen konnten, wie sie sich das gewünscht hätten. Es sind zwar überwiegend, aber nicht nur Eltern türkischer Herkunft, die in den Interviews rückblickend den Wunsch äußern, mehr Zeit mit den Kindern verbracht zu haben. Es wird dabei jedoch deutlich, dass ihnen dies insbesondere aufgrund ihrer Berufstätigkeit nicht möglich war. Bei einigen Personen
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Ergebnisse der Interviews
mit Zuwanderungsgeschichte klingt zudem an, dass sie durch die wirtschaftliche Situation der Familie dazu gezwungen waren: „[…] wir müssen arbeiten, arbeiten immer noch. Und ich denke, wir hatten ein bisschen wenig Zeit gehabt für unsere Kinder. Wir haben manche Dinge verpasst. Manche Sachen nicht mitgemacht. Mit der Erziehung bin ich nicht ganz zufrieden.“ (1Kemal Uzun, TR-M, 49 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 331)
Die Tochter einer türkischen Interviewpartnerin bestätigt, dass auch sie es sich als Tochter gewünscht hätte, mehr Zeit mit der Mutter zu verbringen. Die Notwendigkeit ihrer Berufstätigkeit sieht sie dabei ein und stellt einen Bezug zur besonderen Situation der Eltern her: „Ich muss sagen, meine Eltern hatten vielleicht nicht immer Zeit, weil sie viel arbeiten mussten. Es ist typisch für die erste Generation von Migranten, die in Deutschland leben.“ (2Zuhal Kara, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 83)
Die Mütter und Väter der älteren Generation, die rückblickend mit der Erziehung ihrer Kinder sehr zufrieden sind, begründen dies vor allem mit dem Ergebnis dieser Erziehung, d. h. mit ihren Kindern selbst zum aktuellen Zeitpunkt. Sie betonen dabei, dass ihre Kinder selbstbewusst, aktiv, höÀich, ehrlich, geduldig, Àeißig und hilfsbereit sind und verweisen auf gute Ausbildungserfolge. Viele freuen sich über ihre gute Beziehung zu den Kindern. Die Kinder selbst stimmen mit den Eltern ganz überwiegend überein: Lediglich ein junger Mann ohne Zuwanderungsgeschichte distanziert sich sehr stark von der selbst erfahrenen Erziehung durch seine Mutter, die sich als Alkoholikerin nicht entsprechend um ihn kümmern konnte. Alle übrigen sind (sehr) zufrieden mit der Erziehung, die sie durch die Eltern erfahren haben und würden es selbst so oder ähnlich machen, in manchen Fällen sind sie sogar zufriedener und würden vieles übernehmen, obwohl die Eltern sich selbstkritisch äußerten. Eine etwa gleiche Zahl grenzt sich in einzelnen Bereichen von den Eltern ab, obwohl diese sehr zufrieden mit der eigenen Erziehungsleistung waren. In der Tendenz urteilen die Töchter etwas positiver, Söhne grenzen sich in Einzelaspekten häu¿ger von den Eltern ab. Im Folgenden machen einige Argumente die Art und Weise der teilweisen Abgrenzung der Befragten von Eltern bzw. Elternteilen deutlich. Von einzelnen Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte wurden z. B. folgende Argumente genannt: ƒ
der Wunsch, eigenen Kindern selbst erlebte elterliche Scheidungs- und Krisensituationen zu ersparen
Erziehungsideale und Erziehungspraxis ƒ
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der Wunsch, strenger, oder aber weniger streng mit ihren eigenen Kindern zu sein Kritik am Vater, der seine Töchter zu stark in Mädchenrollen gedrängt hätte
ƒ
Von einzelnen Befragten mit Zuwanderungsgeschichte wurden u. a. folgende Aspekte genannt: ƒ ƒ ƒ ƒ
der Wunsch, mehr Zeit mit den eigenen Kindern zu verbringen als die eigenen Eltern Wunsch, zu größerer Kompromissbereitschaft, mehr Verständnis, Offenheit und Freiheit zu erziehen weniger Leistungsdruck speziell bei befragten Frauen: Wunsch, eigene Töchter freizügiger oder weniger freizügig zu erziehen (beides ist vertreten) und Wunsch, (im Gegensatz zur Mutter) auch mit Kindern weiter berufstätig zu sein
Im Zusammenhang mit der dargestellten Zufriedenheit der Jüngeren mit der selbst erfahrenen Erziehung sowie vor dem Hintergrund, dass sie noch keine Erziehungserfahrungen mit eigenen Kindern gemacht haben, ist es nicht erstaunlich, dass die Jüngeren ihre Eltern als wichtigsten EinÀuss auf ihre Erziehungsvorstellungen benennen. Einige nennen zudem andere Personen aus ihrem Umkreis: weitere Verwandte wie Großeltern, Onkel oder Tanten, den Freundeskreis. Vereinzelt wird zudem auf Erziehungsratgeber und den religiösen Glauben verwiesen. 5.4.4
Ist Erziehung kulturspezi¿sch ? (Inter-)kulturelle EinÀüsse
Die jüngeren Interviewpartnerinnen und -partner mit Zuwanderungsgeschichte wurden um eine Einschätzung gebeten, in welchem Maße aus ihrer Sicht die Herkunft der Familie einen EinÀuss auf ihre Erziehungsvorstellungen hat. Oft wurde diese Frage durch die Interviewten auch unter Bezug auf die selbst erfahrene Erziehung durch die Eltern und welche Rolle die Herkunft hierbei spielte, beantwortet. Es sind nur wenige, ausschließlich jüngere Frauen und Männer türkischer Herkunft, die durchgängig betonen, dass ihre Herkunft bei Erziehungsvorstellungen keine Rolle spielt. Die Befragten beziehen sich teils auch auf die selbst erfahrene Erziehung, bei der die Herkunft aus ihrer Sicht nicht relevant war: „Ich habe wenig mitbekommen, wie meine Eltern gelebt haben. Meine Kinder werden noch weniger [mit]bekommen, wie es war.“ (2Hüseyin Uzun, TR-M, 21 Jahre, Schüler, Absatz 99)
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Ergebnisse der Interviews
Ingesamt ist es ein erheblicher Teil der jüngeren Befragten (türkischer Herkunft und Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion nahezu ausgeglichen), die einen – wie auch immer gearteten – EinÀuss der Herkunftskultur auf ihre eigenen Erziehungsvorstellungen bzw. die selbst erfahrene Erziehung wahrnehmen. Hierzu einige Beispiele: Unter den Jüngeren türkischer Herkunft gibt es zwei junge Frauen, die explizit Wert darauf legen, ihren Kindern verschiedene Kulturen nahe zu bringen und sie zu befähigen, eine eigene Position zu ¿ nden. Eine junge Frau erzählt, dass ihr Verlobter Kurde ist, dass die Kinder sowohl Inhalte der türkischen und kurdischen Kultur als auch beide Sprachen kennen lernen sollen und dass mit ihnen über diese Aspekte gesprochen werden soll, um ein Bewusstsein zu wecken. Eine weitere Befragte erzählt, dass bereits die eigenen Eltern es ihr in bewundernswerter Weise ermöglicht haben, mehrere Kulturen und Religionen kennen zu lernen, was für sie selbst von Vorteil war: „Auch als Kind wurde ich ernst genommen und durfte in verschiedenen Vereinen alles Mögliche tun und machen und durfte auch in viele Kulturen reinriechen. Und daher denk ich, dass ich eine […] variable Erziehung hatte, indem ich beide Kulturen auf einmal genossen habe, was [sich] nachher für mich aussprach, dass ich wirklich differenzieren konnte und die Vor- und Nachzüge erkennen konnte.“ (2Cansu Akdeniz, TR-W, 27 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 27)
Dazu schildert sie, dass ihr, aus ihrer Sicht kulturunspezi¿sche Verhaltensweisen sowie Normen und Werte wie HöÀichkeit, Respekt und Vernunft vermittelt wurden, die ihr sehr wichtig seien. Als dabei eher für die türkische Kultur typisch emp¿ndet sie allerdings den Respekt vor Älteren. In der Erziehung ihrer Kinder wäre es ihr wichtig, dass diese sich gegenüber dem türkischen Teil der Familie korrekt verhalten könnten. Sie betont dabei jedoch, dass die entsprechenden Verhaltensweisen auch im Kontakt mit deutschen Familien grundlegend und wünschenswert seien. Weitere Beispiele sind zwei junge Männer türkischer Herkunft, die in der Erziehung ihrer Kinder Elemente der eigenen Herkunftskultur, Religion und Muttersprache weitergeben wollen. Ein weiterer junger Mann türkischer Herkunft schließlich präzisiert, dass es aus seiner Sicht ein wichtiges Erziehungsziel ist, dass die Familie eine zentrale Rolle spielt und dass Eltern als Autoritätspersonen wahrgenommen werden. Einzelne junge Befragte mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion sprechen sich ebenfalls dafür aus, Elemente der eigenen Kultur an die Kinder weiterzugeben. Ähnlich wie ein junger Mann türkischer Herkunft betont ein junger Mann russischer Herkunft die zentrale Bedeutung der Familie (über die Kernfamilie hinaus) als Sozialisationsinstanz. Ein weiterer junger Mann macht deutlich, dass Kinder aus den Familien russischer Herkunft erziehungsbedingt
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früher verantwortungsbewusst und reif würden. Ein weiterer Befragter sagt, dass die Jugendlichen russischer Herkunft sich gegenüber älteren Personen höÀicher verhalten würden. Zwei junge Befragte zeigen Vorteile auf, die sich aus ihrer Sicht durch den Umstand ergeben, dass sie nicht ausschließlich im Herkunftsland, sondern auch in Deutschland erzogen wurden. Ein junger Mann betont die besseren Ausbildungs- und beruÀichen Chancen, eine junge Frau führt an, dass sie eine größere Vielfalt kennen gelernt habe: „Also, wir haben keine Schranken, wir haben unterschiedlichere Menschen gesehen. Also, wir haben nicht nur die Menschen in unserer Heimat gesehen, sondern auch die Menschen in Deutschland. Und das ist schon einfacher, diese Vielfalt in die Lebenssicht mit einzubeziehen.“ (2Anna Kramarova, SU-W, 19 Jahre, Schülerin, Absatz 60)
Zwei andere reÀektieren auch die Schwierigkeiten, die die Einwanderung nach Deutschland mit sich brachte. Eine junge Frau spricht davon, dass sie sich aufgrund ihrer „russischen Erziehung“ und des „deutschen Umfelds“ weder als Russin noch als Deutsche fühlt. Ein junger Mann weist darauf hin, dass er sich wie andere Jugendliche, die mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen sind, die Situation nicht aussuchen konnte. Er erlebte in seiner Erziehung, dass die Eltern sich als „Emigranten“ um einen „sicheren Stand“ in Deutschland bemühten und dass sie ihm den Wunsch mitgaben, es besser zu machen und weiter zu kommen. Gleichzeitig ist es ihm wichtig, stolz auf die eigene Herkunft zu sein. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich die Befragten russischer/kasachischer Herkunft, die alle eigene Zuwanderungserfahrungen haben, in einer anderen Situation be¿nden als die mehrheitlich in Deutschland geborenen Jüngeren mit türkischem Familienhintergrund. Eine junge Frau ist sicher, von den Eltern viele Werte und Normen übernommen zu haben sowie eine Denkweise, die sich ihrer Ansicht nach in mancher Hinsicht von der „der Deutschen“ unterscheidet. Ihr ist der eigene Glaube, den sie an ihre Kinder weitergeben möchte, besonders wichtig – eine Ausnahme unter den Befragten. Ein Altersgenosse, der selbst bereits in Deutschland geboren wurde, sieht dagegen den EinÀuss der Familienherkunft auf die eigene Erziehung mit der Aufenthaltsdauer in Deutschland schwinden. Über das bereits Geschilderte hinaus ist interessant, welche (verallgemeinernden) Zuschreibungen die Interviewpartnerinnen und -partner mit Zuwanderungsgeschichte gegenüber der eigenen bzw. gegenüber der deutschen und anderen Kulturen treffen. Eine junge Frau (mit türkischem Hintergrund) bedauert es, dass Kinder und Jugendliche mit türkischer Zuwanderungsgeschichte in Deutschland häu¿g unnötigerweise durch fehlenden Respekt gegenüber Lehrkräften auffallen, da aus ihrer Wahrnehmung der Respekt gegenüber Älteren und insbesondere Lehrerin-
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Ergebnisse der Interviews
nen und Lehrern in der türkischen Kultur stark verankert ist. Einer der befragten türkischen Väter bestätigt dies. Eine weitere junge türkische Frau beobachtet bei anderen ‚türkischen Familien‘, dass die Eltern sehr streng sind und starken Zwang in der Erziehung ausüben, dass Töchter z. B. häu¿g keinen Freund haben dürfen. Dies führt sie darauf zurück, dass diese Eltern häu¿g keine Bildung hätten, anders als ihre eigenen Eltern, die sie entsprechend liberaler erziehen würden. Dies bestätigt eine weitere junge Frau mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei, die ihre Wahrnehmung schildert, dass eine liberal erzogene Tochter aus ‚türkischen Familien‘ „mit mehr Verstand an die Sachen rangeht“, dass strenger erzogene Töchter dagegen häu¿g hinter dem Rücken ihrer Eltern Dummheiten begehen würden. Eine dritte junge Frau glaubt, dass der Kontakt mit ‚deutschen Familien‘, in denen innerhalb der Familie ein lockererer Umgang und weniger Strenge herrschen, ihre eigene Vorstellung von Erziehung beeinÀusst. Sie wünscht sich zu den eigenen Kindern ein besonders vertrauensvolles Verhältnis. Diese Beispiele zeigen auf, dass einige Befragte sich innerhalb der eigenen Herkunftsgruppe abgrenzen von Familien mit anderen Lebensentwürfen, wobei das Bildungsniveau und das Herkunftsmilieu eine erhebliche Rolle spielen. Ein junger Mann mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei beschreibt, dass „typisch deutsche“ Erziehungsmittel wie Hausarrest oder Taschengeldkürzungen in seiner Erziehung nie vorkamen. Sein Vater schildert seinen Unmut gegenüber „türkischen Eltern“, die ihren Kindern materielle Wünsche erfüllen, statt Zeit mit ihnen zu verbringen und für sie da zu sein. Viele dieser Eltern haben aus seiner Sicht keine Kenntnisse von guter Erziehung und tragen durch ein schlechtes Vorbild zu Integrationsproblemen der jüngeren Generation bei. Er selbst setzt sich durch Seminare zu guter Erziehung dafür ein, dass Eltern mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei bessere Erziehungskenntnisse erwerben. Ein Befragter der älteren Generation schließlich ¿ndet, dass es in der deutschen Gesellschaft an Hilfsbereitschaft mangelt. Es mache ihn beispielsweise „innerlich unruhig und nervös“, wenn einer älteren Frau im Bus kein Platz angeboten werde. Bei einigen Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion ¿nden sich im Erziehungskontext ebenfalls Aussagen, die sich als Zuschreibungen zur eigenen bzw. zu fremden Kulturen deuten lassen. Hierzu ein Beispiel: Ein junger Mann kontrastiert die eigene kulturell bedingte Neigung, mehr in der Familie zu bleiben, damit, dass ‚deutsche‘ Kinder und Jugendliche während des Aufwachsens vielfältige Kontakte mit Personen außerhalb der Familie haben. Die ‚türkische Erziehung‘ ist aus seiner Außensicht stark religiös geprägt: „[…] und dann gibt’s die Türken, die würden auch so sagen, die sind mehr Familienmenschen, aber die haben halt andere Religion, dass das da eine große Rolle spielt.“ (2Friedrich Schulz, SU-M, 23 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 82)
Erziehungsideale und Erziehungspraxis
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Weitere, teilweise gegensätzliche Zuschreibungen aus Sicht von Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion sind z. B.: Jugendliche aus Familien russischer Herkunft würden früher zur Selbständigkeit erzogen als Deutsche; mangelnder Respekt der deutschen Gesellschaft gegenüber älteren Menschen und gegenüber Lehrkräften bei gleichzeitiger Übererfüllung materieller Wünsche der Kinder, auch unabhängig von deren Leistungen; Disziplin als besondere Tugend der ‚mehrheitsdeutschen‘ Bevölkerung oder Disziplin als besondere Tugend der Bevölkerung mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion. 5.4.5
Resümee
Im Hinblick auf Erziehungsvorstellungen bzw. Erziehungspraxis zeigen sich zunächst viele Gemeinsamkeiten zwischen den Befragten der Geschlechter und verschiedenen Herkunftsgruppen. So stehen u. a. bei allen die Selbstständigkeit der Kinder, charakterliche Tugenden und soziales Verhalten hoch im Kurs. Auch wünschen sich die Befragten aller Gruppen für ihre Kinder eine gute schulische und beruÀiche Bildung, wobei jedoch deutlich wird, dass deren Bedeutung insbesondere in den Gruppen mit Zuwanderungsgeschichte besonders hervorgehoben wird (und hier nochmals besonders bei Familien türkischer Herkunft), während es ausschließlich deutsche Elternteile sind, die Bildungsfragen entspannter sehen bzw. den Wunsch hegen, auf die Kinder keinen Leistungsdruck auszuüben. Gleichzeitig ist bemerkenswert, dass die Gruppe der durch uns befragten aus der Türkei zugewanderten Eltern im Vergleich mit den anderen Gruppen durchschnittlich das niedrigste Bildungsniveau aufweist. Dieser Befund bestätigt die bereits z. B. in der Studie von Herwartz-Emden (2000) festgestellte Aufstiegsorientierung eines Teils der Gruppe der Zugewanderten mit türkischem Migrationshintergrund. Aus den Schilderungen der Interviewpartnerinnen und -partner ergibt sich zudem der Eindruck, dass die Erziehung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion sich in der Tendenz insofern hervorhebt, dass die Jugendlichen hier zur frühen Selbständigkeit und zu einem respektvollen Auftreten gegenüber älteren Personen erzogen werden. Dies geht zum Teil mit der Forderung nach Gehorsam gegenüber den Eltern einher. Zudem lässt sich eine relativ starke Familienorientierung feststellen. Tendenziell werden zudem von einzelnen männlichen Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion stärker als bei anderen Befragten in der Erziehung bewusst solche Geschlechterleitbilder an die nächste Generation weitergegeben, die in Richtung eines bedingt egalitären oder gar konservativen Geschlechterarrangements gehen (Hauptverantwortung der Frau für Haushalt und Familie bei gleichzeitiger Notwendigkeit einer beruÀichen Ausbildung und Erwerbstätigkeit der Töchter, dies bei einzelnen vor/nach der Familien-
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Ergebnisse der Interviews
phase). Die Kapitel 5.1 und 5.2 haben aber bereits gezeigt, dass nur ein Teil der jüngeren Frauen solche Erwartungen auch erfüllen will. Mindestens in einem Fall wird deutlich, dass der Weitergabe kultureller Elemente innerhalb der Familie eine große Bedeutung beigemessen wird. Einzelne männliche jüngere Befragte mit Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion fühlen sich Altersgenossen ohne Zuwanderungsgeschichte hinsichtlich ihrer ‚guten Erziehung‘ überlegen. Die Befragten türkischer Herkunft stellen neben der Bildung in der Tendenz den Respekt gegenüber Älteren bzw. den Eltern stärker in den Fokus (vgl. auch Westphal 2000 und Kap. 3.3). Es ergibt sich insgesamt der Eindruck, dass die Erziehung, welche die jüngeren Befragten in ihren Familien erlebt haben, tendenziell streng war, wobei es hier auch deutliche Ausnahmen gibt: Junge Frauen aus zwei Familien, bei denen die Eltern ein hohes Bildungsniveau haben und auch die Mütter bereits liberal erzogen wurden, sprechen von einer sehr freizügigen Erziehung. Entgegen gängiger Klischees sind bewusste geschlechterdifferenzierte Vorstellungen in der Erziehung der Jüngeren türkischer Herkunft offenbar kaum relevant und auch die Jüngeren selbst wollen ihre Kinder nicht geschlechterdifferenziert erziehen. Die türkische Herkunft spielt aus Sicht der Jüngeren in einigen Fällen insgesamt keine bzw. keine große Rolle im Kontext der Erziehung. Andere sehen diesen EinÀuss und möchten auch Aspekte ihrer Herkunftskultur an die Kinder weitergeben. Lediglich in einem Fall wird die türkische Herkunftskultur als primärer Bezugspunkt für die Kindererziehung angesehen. Entgegen der – auch im vorliegenden Fall durch einen jungen Mann russischer Herkunft geäußerten – Fremdwahrnehmung, dass in ‚türkischen Familien‘ Religion eine zentrale Rolle spielen würde, zeigt sich, dass die Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei im Erziehungskontext praktisch nicht über Religion sprechen. Lediglich in zwei Familien türkischer Herkunft scheint der Glaube eine lebensstilprägende Rolle zu spielen (einmal der alevitische, einmal der islamisch-sunnitische Glaube). Gleichzeitig gibt es auch in den beiden anderen Herkunftsgruppen jeweils eine jüngere Person, die Glaubensfragen im Kontext der Erziehung thematisiert. Die Befragten der älteren Generation sind zumeist zufrieden bzw. überwiegend zufrieden mit der eigenen Erziehungsleistung. Insbesondere Mütter und Väter türkischer Herkunft, die während der Kindererziehung berufstätig waren, wünschen sich aber in manchen Fällen, dass sie mehr Zeit mit ihren Kindern hätten verbringen können (vgl. auch Herwartz-Emden 2000, die zu einem ähnlichen Ergebnis kommt). Die jüngeren Befragten unseres Samples sind – analog zur 15. Shell-Jugendstudie (Hurrelmann/Albert 2006) – mit der erlebten Erziehung ebenfalls ganz überwiegend zufrieden und würden vieles von dem übernehmen, was sie erfahren haben, dabei einzelne Aspekte verändern. In der Tendenz sind
Erziehungsideale und Erziehungspraxis
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die Töchter etwas zufriedener mit der Erziehung der Eltern, Söhne grenzen sich punktuell etwas häu¿ger von den Eltern ab. Jüngere türkischer Herkunft wünschen sich, mit den eigenen Kindern weniger streng in der Erziehung zu sein. Somit bestätigt sich auch hier – wie bereits in anderen Bereichen (vgl. u. a. Kap. 5.2) – die Bedeutung des elterlichen EinÀusses auf die Vorstellungen der Jüngeren.62 Andere EinÀüsse ¿nden sich im weiteren Umfeld der jüngeren Befragten, wie Freunden, Bekannten und weiteren Familienmitgliedern. Im Hinblick auf die Fragestellung nach den existenten Geschlechterleitbildern lässt sich festhalten, dass geschlechterstereotype Leitbilder im Rahmen der Erziehung durch die ältere Generation zwar teilweise weitergegeben wurden, dass dies jedoch in den wenigsten Fällen bewusst geschah. Die Jüngeren selbst schließen eine Weitergabe dieser Stereotypen an die eigenen Kinder weitgehend aus. Lediglich in wenigen Fällen und insbesondere von Seiten jüngerer Männer (ohne Zuwanderungsgeschichte bzw. mit Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion) ¿nden sich Erziehungsvorstellungen, die eine geschlechterdifferenzierte Erziehung hin zu einem bedingt egalitären bzw. konservativen Rollenverständnis einschließen. Ingesamt sind die Unterschiede zwischen den Befragten mit und ohne Zuwanderungsgeschichte nicht so gravierend, dass man von erheblich abweichenden Erziehungsvorstellungen und gelebten Erziehungspraxen sprechen kann. Auch eine bewusst unterschiedliche Erziehung von Söhnen und Töchtern wird von der ganz überwiegenden Mehrheit aller Befragten eher abgelehnt. In der kleinen Gruppe der Jüngeren, die Töchter gezielt auf ein Leben als (berufstätige) Hausfrau und Mutter vorbereiten würden, sind auch Deutsche vertreten. Wenn man Integration u. a. als gegenseitige Annäherung der Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte betrachtet, hat diese Variante der Integration bei den Befragten unseres Samples stattgefunden. Zudem kann angenommen werden, dass die Erziehungswerte und -vorstellungen in vielen Bereichen nie besonders weit voneinander entfernt waren. Aufschlussreich ist außerdem, dass viele der Befragten sich in ihren Erziehungsvorstellungen und -praxen (und dadurch mittelbar auch in ihren Geschlechterleitbildern) mit den Lebensstilen und Einstellungen in der deutschen Gesellschaft auseinandersetzen und auch das „deutsche“ Umfeld als beeinÀussend erleben. Viele Befragte mit Zuwanderungsgeschichte möchten in der Erziehung auch Werte vermitteln, die sie als spezi¿sche Elemente ihrer Herkunftskultur ansehen (wie z. B. Sprache, Respekt vor Älteren, Familiensinn). Gemeinsame Erziehungsvorstellungen und Erziehungspraxen wie Liebe und Zuneigung, Bildung 62 Auch an dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, dass bei der Interpretation dieses Ergebnisses das Setting der Interviews und die Lebenssituation der jüngeren Befragten zu beachten sind: Sie beziehen sich im Interview unmittelbar auf das von den Eltern Geäußerte und haben selbst noch keine eigenen Erfahrungen mit der Erziehung von Kindern sammeln können.
172
Ergebnisse der Interviews
und Leistung, soziale Einstellung, Tugenden wie HöÀichkeit etc. werden zum Teil auch von den Befragten selbst als transkulturelle Werte markiert. An dieser Stelle bestätigt sich die in mehreren Arbeiten (z. B. Sinus 2007b, Wippermann/Flaig 2009 und Mannitz 2006) gefundene tendenziell hohe lebensweltliche Integration und Integrationsleistung der Mehrheit der Personen mit Zuwanderungsgeschichte. Besonders bei den Jüngeren sind diese gepaart mit einem ethnisch-kulturell heterogenen und das Deutsche einschließenden Umfeld sowie dem gleichzeitigen Wunsch, aus eigener Sicht nützliche, wertvolle und identitätsstiftende Aspekte der Herkunftskultur weiter in den Lebensentwurf zu integrieren. 5.5
Bedeutung von Bildung, Beruf und Arbeit
Bereits in den vorangegangenen Kapiteln klang an, dass Bildung für alle Befragten eine besondere Rolle spielt. In diesem Kapitel geht es darum, folgende Leitfragen zu beantworten: a) b) c) d)
Welchen Stellenwert hat Bildung bei den befragten Personen der älteren und der jüngeren Generation und welche Bildungserfahrungen haben sie gemacht? Welche Berufseinstellungen und Berufsorientierungen werden sichtbar ? Lassen sich daraus Auswirkungen auf die Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen ableiten und wenn ja, inwiefern ? Inwieweit haben Vorbilder die persönliche Entwicklung und die beruÀiche Karriere der Befragten mit geprägt ? Welchen EinÀuss hat die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen auf die strukturelle Integration der Befragten mit Zuwanderungsgeschichte?
Der Bildungsbegriff wird in dieser Auswertung eher weit gefasst und beinhaltet sowohl die formelle als auch die informelle Bildung. Die Bedeutung der schulischen Abschlüsse bis hin zum Studium wird untersucht, aber darüber hinaus auch Aspekte der Allgemeinbildung und Persönlichkeitsbildung. Bei der Personengruppe mit Zuwanderungsgeschichte wird ein besonderer Blick auf intergenerative Unterschiede gelegt, da hier Brüche in der Berufsbiographie durch die Einwanderung zu vermuten sind. Diese können EinÀuss nehmen auf die Einstellungen zum Beruf. Bildungserfahrungen wirken i. d. R. auf die beruÀiche Orientierung ein, genauso wie die EinÀüsse aus dem näheren oder weiteren Umfeld. Im Kontext Bildung, Beruf und Arbeit wurden Aussagen beider Generationen sowie Angaben aus den Kurzfragebögen, mit denen Grunddaten zu den Befragten ermittelt wurden, ausgewertet (vgl. Kap. 4). So wurden sowohl die schulischen und beruÀichen Bildungsabschlüsse aller Befragten erfasst als auch Informationen dazu, welche beruÀiche Tätigkeit sie aktuell in welchem Umfang ausüben
Bedeutung von Bildung, Beruf und Arbeit
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und – bei den älteren Personen mit Zuwanderungsgeschichte – welche Tätigkeit sie im Herkunftsland ausgeübt haben. Personen beider Generationen wurden im Rahmen der Interviews zudem dazu befragt, welche Bedeutung für sie Bildung und Berufstätigkeit im Leben haben und welche Rolle auch die Bildung und Berufstätigkeit eines Lebenspartners/einer Lebenspartnerin spielt.63 Die älteren Personen mit Zuwanderungsgeschichte sollten angeben, ob sie mit ihrer Ausbildung auf dem deutschen Arbeitsmarkt etwas anfangen können. Alle genannten Fragen wurden in dem Teil des Interviews gestellt, in dem beide Generationen gemeinsam befragt wurden. 5.5.1
Bildungseinstellungen und -erfahrungen
5.5.1.1 Bildungseinstellungen Es werden diejenigen Aspekte der Bildung identi¿ziert und analysiert, die für die Interviewten wichtig sind. Dabei werden sowohl formelle Bildungsprozesse (Schule, Studium, Ausbildung) wie auch informelle (z. B. Wertevermittlung) betrachtet, da beide zur Formung eines Individuums beitragen. Allgemeine Wertschätzung von Bildung Welche Bedeutung hat Bildung als Wert an sich und wie wichtig ist Bildung im Allgemeinen ? Gleich im ersten Statement äußerte über die Hälfte aller Befragten ausdrücklich, dass Bildung für sie wichtig bzw. ein hohes Gut sei. Diese Einschätzung teilen Befragte aus allen drei Herkunftsgruppen relativ gleichmäßig, Frauen dabei in der Tendenz etwas stärker. Folgende Beispiele illustrieren die Einstellungen dazu: „Also erstmal hat Bildung für mich einen ganz hohen Wert. Ohne Bildung wär ich nicht da, wo ich jetzt bin.“ (1Klaus Hirte, DT-M, 51 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 260) „Ich ¿nde Bildung sehr, sehr wichtig, weil wenn man im Leben was erreichen möchte, muss man schon Bildung haben, ¿nde ich.“ (2Lydia Rust, SU-W, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 93)
Es wird deutlich, dass Bildung an sich als Wert von mehr als der Hälfte der Befragten als wichtig erachtet wird, unabhängig von ihren Bildungsniveaus, der Geschlechts-
63
Vgl. Kap. 5.3 zur Bedeutung der Bildung bei der Partnerwahl.
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Ergebnisse der Interviews
zugehörigkeit oder der Herkunft. Für andere Befragte hat Bildung ebenfalls einen gewissen Wert, jedoch haben sie das eher implizit formuliert. „[…] ich meine man spürt es ja immer wieder im Leben, wenn man irgendwie was vorzuweisen hat, kommt man auch weiter. Letztendlich sind arbeitslos auch nur die, die nichts an sich tun und nicht weiter gekommen sind. Es war ja mal ne gute Zeit, da gab’s Arbeit auch für diese Jungarbeiter oder Hilfsarbeiter, nich. Jetzt ist das natürlich überhaupt nicht mehr gefragt.“ (1Hans Neumann, DT-M, 58 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 214)
Schon anhand dieser Beispiel-Statements wird deutlich, dass das Bildungsverständnis unserer Befragten unterschiedlich ist. Für einige ist formalisierte (formelle) Bildung, die in der Schule strukturell und curricular organisiert ist, von größerer Bedeutung. Andere dagegen legen mehr Wert auf informelle Bildung, die als Prozess der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt verstanden wird.64 Um das zu verdeutlichen, befassen wir uns zunächst mit den Statements zum formellen Bildungsverständnis. Formelle Bildung Hierzu erwähnen mehrere Befragte, dass durch Bildung ein höher quali¿zierter Beruf erreicht werden kann und sich dadurch ein besserer Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet. „Ich würde sagen sehr wichtig, denn Bildung würde mir helfen viele Ziele zu erreichen oder meinen Job zu bekommen. Ich würde gerne als Wirtschaftsingenieur arbeiten und dafür brauche ich Studium und Diplom.“ (2Denis Perov, SU-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 101)
Einige Befragte sehen eine bessere Bildung im Zusammenhang mit einem höheren und damit auch abgesicherten Einkommen. „Bildung ist für mich eigentlich sehr wichtig, auch sehr wichtig, weil man ohne Bildung nicht weit kommt, ¿ nde ich, in Deutschland und generell. Weil man mit einer guten Bildung viel erreichen kann und dementsprechend auch Geld verdient, viel mehr Geld verdienen kann als nicht viel Gebildeter.“ (2Mutlu Karadag, TR-M, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 161)
Andere Befragte sehen in Bildung einen Weg zu ihrer persönlichen Autonomie.
64
Vgl. Thiersch 2008, S. 25 ff.
Bedeutung von Bildung, Beruf und Arbeit
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„[Je besser die] Ausbildung ist, desto bessere Chancen hat man dann auch später im Berufsleben und […] man kann dann auch besser auf eigenen Beinen stehen.“ (2Selin Akdeniz, TR-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 59) „Und dadurch, dass ich diese Bildung erfahren habe, bin ich schon über viele Grenzen hinaus. Und diese Bildung ist für mich mein Weg für meine Selbständigkeit.“ (2Zuhal Kara, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 94)
Aus obigen Statements der Befragten wird vielleicht noch nicht ganz deutlich, was für eine Art der Selbständigkeit sie meinen, doch betrachtet man beispielsweise ein Statement einer Befragten der älteren Generation, wird noch klarer, dass formelle Bildung für diese Befragten auch Unabhängigkeit bedeutet. „Bildung heißt also eigentlich, dass eine, dass es eine notwendige Sache ist, damit man im späteren Leben auf seinen eigenen Beinen stehen kann. […] heutzutage muss man auf jeden Fall einen Universitätsabschluss haben. […] Bildung ist sehr wichtig im Leben.“ (1Hatice Onur, TR-W, 54 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 196) „Also die Ausbildung ist Bedingung für eine Frau. Sie muss auf eigenen Füßen stehen. Sie muss arbeiten. Sie muss Selbstbewusstsein bekommen auch in der Gesellschaft.“ (Absatz 447)
Beide Tendenzen, der bessere Zugang zum Arbeitsmarkt und die Absicherung des Einkommens, haben eine größere Bedeutung für Personen mit Zuwanderungsgeschichte. Von den Befragten, die sich dazu geäußert haben, sind einige aus der ehemaligen Sowjetunion und einige haben eine türkische Zuwanderungsgeschichte. Informelle Bildung Insgesamt sieht die überwiegende Mehrheit der Befragten neben den formellen Bildungsprozessen auch informelle Bildungsprozesse als wichtig an. Einige der Befragten sprechen dabei von der Allgemeinbildung, die anteilig auch durch informelle Bildungsprozesse zustande kommt. Bei diesen Aussagen lassen sich kaum Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen und Geschlechtern erkennen. „Heutzutage ist Bildung ein Muss. Also, schulische Bildung sowieso für Arbeit und alles. […] weil kommt man nicht weiter, muss man sich weiterbilden und allgemein bilden […] Weil wenn du gar nichts weißt und dann nur rumläufst […] mit dem Nichtwissen da kommst auch nicht weit im Leben, es hat schon einen hohen Stellenwert.“ (2Valerij Wilhelm, SU-M, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 109) „Also Bildung hat einen ganz hohen Wert, und zwar jetzt nicht nur Bildung jetzt eben diese fachliche Bildung, sondern da gehört auch soziale Bildung dazu. Wie verhalte
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Ergebnisse der Interviews ich mich in meinem Umfeld.“ (1Klaus Hirte, DT-M, 51 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 270)
Was bedeutet informelle Bildung für die Befragten und warum ist ihnen ein weit gefasster Bildungsbegriff wichtig ? Für einige Befragte ist Bildung eine Voraussetzung für eine bessere Kommunikation mit ihrer Umwelt. Was bei dieser Ansicht auffällt ist, dass die meisten solcher Aussagen von der älteren Generation stammen und nur eine von einer weiblichen Befragten der jüngeren Generation. „Bildung ist schön. Du kannst besser in die Zukunft blicken, mit Menschen mehr Kontakte knüpfen. Also, je mehr du lernst, desto stärker es ist, desto mehr Kontakt hast du zu den Menschen.“ (1Pamire Kara, TR-W, 58 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 90)
Für andere bedeutet Bildung die Erweiterung der Möglichkeiten bzw. Kompetenzen, um in Krisensituationen oder KonÀiktsituationen besser reagieren zu können. Dieser Meinung sind einige männliche Befragte ohne und mit türkischer Zuwanderungsgeschichte, nur einer davon gehört der jüngeren Generation an. „[Weil man über] Bildung sich einfach […] auch andere Perspektiven für sein Leben […] geschaffen hat […] und von daher eine Zeit, sage ich mal, relativer materieller Knappheit, tatsächlich nicht zu solchen VerzweiÀungstaten geführt hat.“ (1Hermann Fischer, DT-M, 45 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 165)
Für einige männliche Befragte der älteren Generation aus der ehemaligen Sowjetunion und für einzelne männliche Befragte türkischer Herkunft der jüngeren Generation bedeutet Bildung auch Macht. „Ich sage mal, das hört sich jetzt sehr populistisch an, aber ich ¿ nde schon, dass Bildung Macht ist, einfach, weil […] wenn man eine Bildung hat […] dann hat man das einfach und das kann einem niemand wegnehmen und ich denke auch, dass eine Person, die gebildet ist in der Gesellschaft auch ganz anders angesehen ist“ (2Bulut Saman, TR-M, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 148)
Weitgehend in dieselbe Richtung geht ein Statement eines jungen Mannes ohne Zuwanderungsgeschichte. „[…] Vergleich von Migrantenfamilien mit Familien ohne Migrationshintergrund, dass eben in gewissen Kreisen eben eine mangelnde Bildung von Frauen eben auch das Mittel ist, um eben dann diese Rollenverteilung […] zu ¿xieren.“ (2Tobias Fischer, DT-M, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 181)
Bedeutung von Bildung, Beruf und Arbeit
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Bildung als elterlicher Wunsch und Wunsch an (zukünftige) Lebenspartnerschaften Einige der Befragten, unter ihnen männliche und weibliche Personen ohne Zuwanderungsgeschichte sowie männliche Befragte aus der ehemaligen Sowjetunion, äußern den Wunsch, ihren Kindern eine bessere Bildung zu ermöglichen. Unter diesen Befragten stammt die Mehrzahl aus der älteren Generation, aber es sind auch einige aus der jüngeren Generation vertreten. „Für mich ist Bildung auch wichtig. Ich bin froh, dass ich eben durch die Grundschule, durchs Gymnasium so durchgekommen bin, wie ich es geschafft habe.“ (2Stefan Hirte, DT-M, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 288) „Dann ist es klar, dass ich dann auch versuchen würde meine Kinder dahin zu bringen.“ (Absatz 296) „Wenn man jetzt vergleicht, was ich damals gelernt habe und dass meine Kinder für Möglichkeiten haben, die werden keine LKW-Fahrer wie ich mein ganzes Leben. Die werden gebildet, wenn sie einen Kopf haben, dass er lernt, einen guten Job bekommt und gutes Geld verdient.“ (1Oskar Wilhelm, SU-M, 52, niedriges Bildungsniveau, Absatz 113)
Bildung spielt auch eine nicht unwesentliche Rolle bei der Partnerwahl. Dies wurde im Kapitel 5.3 bereits ausführlicher erläutert. Wesentlich ist dabei der Wunsch, auf dem gleichen Bildungsniveau besser miteinander kommunizieren zu können, somit KonÀikten entgegen zu wirken und gemeinsam eine ¿nanzielle Absicherung erfolgreicher zu gewährleisten. An dieser Stelle sei zudem nochmals daran erinnert, dass die Förderung der (formalen) Bildung der eigenen Kinder besonders bei den befragten Elternteilen mit Zuwanderungsgeschichte ein wichtiger Bestandteil der Erziehung war (vgl. Kap. 5.4) Zusammenfassend lassen sich zwei große Tendenzen erkennen: Zum einen stellt für die ganz überwiegende Mehrheit unserer Befragten Bildung an sich einen hohen Wert dar, auch für Befragte, die das nicht so offen geäußert haben. Einige der Befragten haben ein weites Bildungsverständnis, indem sie formelle und informelle Bildungsprozesse in einem Zusammenhang sehen und aufgrund individueller Erfahrung bzw. Einstellung eines von beidem mehr gewichten. So individuell verschiedene Persönlichkeiten sind, so individuell sind auch ihre Statements zur Bildung und ihrer Bedeutung. Andererseits stellen mehr Frauen als Männer die Bedeutung von Bildung heraus. Etwa zwei Drittel von ihnen halten sie auf dem Weg zu Selbständigkeit und ¿ nanzieller Unabhängigkeit für außerordentlich wichtig, egal welcher Generation und Herkunftsgruppe sie angehören.
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Ergebnisse der Interviews
5.5.1.2 Bildungserfahrungen Was Bildungs- und vor allem Berufserfahrungen angeht, so ist es nicht verwunderlich, dass Aussagen zu diesem Thema überwiegend von der älteren Generation getroffen wurden. Sie konnte im Laufe ihres Lebens solche Erfahrungen sammeln und hat i. d. R. einen größeren Abstand zur formellen Bildung als die jüngere Generation, die sich teilweise noch in formellen Bildungsprozessen be¿ndet. So beziehen sich die Statements der Jüngeren überwiegend auf ihre Bildungserfahrungen in Schule, Studium oder Ausbildung. Die (Nicht-)Anerkennung von Bildungs- und Berufserfahrung Welche Rolle spielt die (Nicht-)Anerkennung von Abschlüssen und Berufserfahrung für die Bildungs- und Berufschancen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ? Wie wirkt sich das auf ihre persönliche Lebenssituation und ihre Integrationsmöglichkeiten aus ? Diesen Fragen soll hier nachgegangen werden. Betrachtet man die im Kurzfragebogen erfassten Angaben zu den Berufen, zeigt sich, dass einige Elternteile aus der Gruppe der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland einer Arbeit nachgehen, die eine deutlich niedrigere Quali¿kation erfordert als ihre ursprünglich im Herkunftsland erworbene. Dies betrifft mehrheitlich Personen aus der ehemaligen Sowjetunion und eine Person mit türkischer Zuwanderungsgeschichte. Beispielsweise arbeitet die ehemalige Geschäftsleiterin eines russischen Kaufhauses in Deutschland als Aushilfe im Kindergarten. Ihr Mann, der als studierter Ingenieur tätig war, ist in Deutschland Fernfahrer. Ein weiteres Beispiel ist eine Chemietechnikerin aus der ehemaligen Sowjetunion, die in Deutschland als Reinigungskraft arbeitet. In einigen Fällen hat der beruÀiche Abstieg mit der Nicht-Anerkennung von im Herkunftsland erworbenen Bildungsabschlüssen zu tun. Dass dies für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte häu¿g problematisch ist, wird in der Literatur seit vielen Jahren umfassend thematisiert (z. B. BMFSFJ 2002). Insgesamt äußern sich in den Interviews rund vier Fünftel der Personen aus der älteren Generation mit Zuwanderungsgeschichte zur Frage der Anerkennung ihrer beruÀichen Quali¿ kationen. Das Spektrum der Aussagen reicht dabei von anerkannten über teilweise anerkannten bis hin zu nicht anerkannten Bildungsabschlüssen. Bei etwa einem Drittel der sich zu diesem Thema äußernden Befragten kam es zur teilweisen oder vollständigen Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Für ein weiteres knappes Drittel war Anerkennung zum Zeitpunkt ihrer Migration kein Thema, weil sie noch nicht über eine abgeschlossene Berufsquali¿kation aus ihrem Herkunftsland verfügten. Bei einem weiteren Drittel wurden Abschlüsse nicht anerkannt bzw. wurde aus unterschiedlichen Gründen eine Anerkennung von Abschlüssen gar nicht erst versucht. In einzelnen Fällen
Bedeutung von Bildung, Beruf und Arbeit
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wird hierbei deutlich, wie mangelnde strukturelle Integration sich auch auf das Geschlechterarrangement auswirken kann. Die Interviewte Anna Ahrens berichtet, dass ihr in Kasachstan erworbener Abschluss als Chemietechnikerin nicht anerkannt wurde und sie daher in Deutschland als Reinigungskraft tätig ist. Sie arbeitet in einem Job, in dem sie nicht genug Arbeitsstunden zusammen bekommt, um ausreichend zu verdienen. Im Herkunftsland verdiente sie hingegen mehr als ihr Mann. Eine solche Nicht-Anerkennung eines Abschlusses hat in ihrem Fall auch 16 Jahre nach der Einwanderung noch Nachwirkungen. „INT: Und können Sie irgendwas mit Ihrer Berufsausbildung hier anfangen, am Arbeitsmarkt, irgendwelchen Platz zu ¿nden ? Anna Ahrens: Hier ? Nein. Ist alles schon zu spät. INT: Können Sie nicht. Und was ist mit dem Abschluss ? War nicht anerkannt ? Anna Ahrens: Nein, ich bin Russin, war nicht anerkannt, überhaupt nichts. Wir sind aus Kasachstan gekommen […] INT: Ja. Okay. Anna Ahrens: […] Bei meinem Mann war alles anerkannt, bei mir nichts.“ (1Anna Ahrens, SU-W, 58 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 268–273)
Dieser Fall zeigt darüber hinaus beispielhaft auf, wie mangelnde strukturelle Integration zu einer Veränderung des Geschlechterarrangements führen kann, nämlich von einem bedingt egalitären Geschlechterarrangement im Herkunftsland zu einem konservativen in Deutschland (vgl. Kap. 5.2). Eine andere Person berichtet, wie sie die Hürde der Nicht-Anerkennung bewältigen und durch große Kraftanstrengung einem beruÀichen Abstieg entgegenwirken konnte. Sie arbeitete in Russland als Dolmetscherin in einem Chemiebetrieb, studierte in Deutschland erneut und ist jetzt als Projektleiterin im Sozialbereich tätig. Bemerkenswert sind ihre starke Bildungsorientierung und ihr nachdrücklicher Verweis darauf, dass sie ihre nicht anerkannten Bildungsabschlüsse dennoch im Lebenslauf angibt und dies auch Arbeitgeber überzeugte. „Bildung im Sinne der Zeugnisse [ist] ein ziemlich relatives Kriterium […] Ich kenne z. B. in Russland ganz viele Menschen, die keine Zeugnisse haben und trotzdem sehr gebildet sind. Meine Abschlüsse wurden in Deutschland nicht anerkannt. Ich musste von Anfang an studieren. Allerdings gebe ich meine ehemaligen Quali¿ kationen immer in meinem Lebenslauf an. Für die Arbeitgeber reicht es aus. Sie glauben mir, dass ich es kann.“ (1Irene Riesner, SU-W, 44 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 33)
Bei rund einem Drittel der Personen, die dieses Thema ansprachen, kam es zu einer teilweisen oder vollständigen Anerkennung ihrer im Herkunftsland erwor-
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Ergebnisse der Interviews
benen Abschlüsse. Eine Person, deren Abschluss anerkannt wurde, beschreibt den anschließenden besonders erfolgreichen Übergang in eine Führungsposition: „Ich wurde hier nicht als Ingenieur, ich wurde als Meister bezeichnet. Ich konnte hier weiter machen […] hat sich das kurz danach entschieden, dass ich die Branche insgesamt wechsele und rübergehe wieder zur, ich sag mal so, führende Rolle. Das ist mir auch ganz schnell gelungen. Ich habe dann die Fachausbildung gemacht bei einem großen Unternehmen […] Die haben auch in mir gesehen eine führende Person, die nach einem Jahr eine Geschäftstelle übergeben haben und seitdem leite ich die Geschäftsstelle. Mit ca. 260 Mitarbeitern.“ (1Wilhelm Schulz, SU-M, 52 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 96)
Eine Frau aus der ehemaligen Sowjetunion erhielt die Anerkennung ihres Abschlusses, entschied sich anschließend jedoch für einen neuen Beruf: „War anerkannt, aber ein bisschen falsch. Übersetzung, falsch anerkannt (lachend). Aber es war anerkannt. Aber ich hatte schon große Familie. In dem Beruf wollte ich nicht arbeiten.“ (1Olga Rust, SU-W, 48 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 85)
Einige wenige Personen haben eine Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse gar nicht erst versucht. Sie geben an, dass sie sich eine Tätigkeit in ihrem alten Beruf aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht zutrauten oder sich lieber für ein neues Berufsfeld entschieden haben. Maria Karamova, mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion, ist in Deutschland nicht als Juristin tätig, sondern arbeitet als Reiseverkehrskauffrau, in einem Beruf, für den sie sich bewusst entschieden hat. „Du weißt ja, dass ich Jura studiert habe. Der Gedanke, den Beruf weiter auszuüben, den ich auch in Russland ausgeübt habe, na erstens hätte es mich unglaubliche Kraft gekostet. […] ich [wusste] ganz genau, dass ich nicht dieselbe Tätigkeit hier haben werde, weil ich nicht in meiner Muttersprache reden konnte. Und für Jura spielt die Sprache die entscheidendste Rolle.“ (1Maria Kramarova, SU-W,43 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 340) „Das heißt, als ich nach Deutschland kam, und die Rede davon war, irgendeinen Beruf zu bekommen, weil es auch möglich war, einen neuen Beruf zu bekommen, da war meine Wahl genügend durchdacht. Nicht so, dass es ganz aus Not passierte.“ (Absatz 327)
Mehrfach wird von den interviewten Personen mit Zuwanderungsgeschichte auf die Bedeutung von Sprachkenntnissen bei ihrer Suche nach einem guten Arbeits-
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platz hingewiesen, mehrere Personen erwähnen auch, dass sie Sprachkurse besucht haben. Knapp ein Drittel der Personen, die sich zum Thema Anerkennung äußerten, sind als junge Erwachsene nach Deutschland eingewandert. Sie verfügten zum Einwanderungszeitpunkt über einen Schulabschluss, eine begonnene Ausbildung oder keine Quali¿kation. Für diese Gruppe, in der alle Personen eine türkische Zuwanderungsgeschichte haben, stellt sich die Frage der Anerkennung nicht direkt. Viele von ihnen strebten in Deutschland den Erwerb einer beruÀichen Quali¿kation an. „Eigentlich ist es so, wie ich nach Deutschland kam, durfte ich am Anfang nicht arbeiten. Da habe ich meine Ausbildung gemacht als Hauswirtschaft, Textil […] Anschließend habe ich dann als Metzgerei-Verkäuferin angefangen.“ (1Canan Yildirim, TR-W, 40 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 11)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl Personen mit türkischer als auch mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion in beinahe allen Gruppen zu ¿nden sind, unter denjenigen mit anerkannten und mit nicht anerkannten Abschlüssen genauso wie in der Gruppe derjenigen, die ohne einen Berufsabschluss zugewandert sind. Nutzen und Varianten der Bildungserfahrungen Sowohl Männer als auch Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion berichten, dass ihre Investition in Bildung sich gelohnt bzw. ihnen geholfen habe. „Ich habe ziemlich viel Zeit in meine Bildung investiert und habe es nie bereut. Ich genieße hier und genoss in Russland eine gute gesellschaftliche Stellung, was eng mit meinem Bildungsniveau zusammenhängt.“ (1Irene Riesner, SU-W, 44 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 32)
Ein männlicher Befragter aus der ehemaligen Sowjetunion und einige weibliche Befragte mit türkischer Zuwanderungsgeschichte erzählen über die Bildungserfahrungen ihrer Ehepartnerin/ihres Ehepartners. „Ich hätte gerne gewünscht, dass er überhaupt Ausbildung gemacht hätte, und das er überhaupt Deutsch gesprochen hätte. Obwohl er jahrelang hier ist, hat er keine Ausbildung gemacht. Der hat ja auch kein Wort Deutsch gesprochen. Das war auch sehr schwierig für mich, weil ich ihn sozusagen mit kutschiert habe.“ (1Canan Yildirim, TR-W, 40 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 160)
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Ergebnisse der Interviews „Sie hat schon eine Ausbildung. Hier wurde diese Ausbildung nicht anerkannt. Sie wollte auch weiterhin als Buchhalterin arbeiten, aber man ist ihr nicht entgegengekommen.“ (1Alexej Perov, SU-M, 50 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 87)
Einige weibliche Befragte berichten, dass sie ihre Wünsche nach mehr und besserer Bildung nicht realisieren konnten. Eine Frau ohne Zuwanderungsgeschichte konnte sich aufgrund ¿nanzieller Schwierigkeiten nicht weiterbilden, und einer Frau mit türkischer Zuwanderungsgeschichte wurde neben ¿nanziellen Restriktionen durch ihren Partner auch der Zugang zu Bildung verwehrt. Von einzelnen Personen wurden zudem individuelle Bildungserfahrungen beschrieben. So ist ein männlicher Befragter ohne Zuwanderungsgeschichte stolz darauf, als erster in der mütterlichen Familie das Abitur geschafft zu haben. Abgesehen davon ¿ndet er, dass der Leistungsdruck in der Schule zu groß sei. „Weil da bin ich ein kleiner Sonderling. Ich bin in der Familie mütterlicherseits der Erste, der Abitur gemacht hat. […] Weil meine Mutter glaub ich, aus ner sehr bildungsfernen Schicht kommt. […] Bis hierhin traue ich mir das auch zu und dann zieh ich Grenzen, weil die Erwartungen, die jetzt gesetzt werden von Schülern und von Studenten enorm gewachsen sind. Die sind so hoch geworden […]“ (2Mirko Preis, DT-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 187)
Eine Frau der älteren Generation ohne Zuwanderungsgeschichte berichtet, dass sie schlecht in der Schule war, da sie zu wenig Aufmerksamkeit bekam. Bei ihren Kindern hat sie versucht, es besser zu machen. Ihre Tochter hat schlechte Erfahrungen mit der Schule gemacht, so dass sie ihr Abitur abbrechen musste. Dennoch bekam sie keinen Druck von ihrer Mutter, nur von ihrem Vater. „Ja, ich war z. B. also auch schlecht in der Schule, weil, weil ich zu Hause keine Aufmerksamkeit bekam […]. Ich hab dann immer, immer versucht, immer denen Aufmerksamkeit zu geben und alle und die sind beide gut gewesen in der Schule“ (1Elisabeth Krause, DT-W, 57 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 523) „Oder das Gefühl, dass wir irgendwie Druck hätten. Und darum, […] ich war immer in der Schule ziemlich gut“ (2Nele Krause, DT-W, 24 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 667) „Mein Vater […] Der war da sehr erbost, als ich gesagt hab: Papa, ich brech das jetzt ab und dann fang ich ne Ausbildung an als Erzieherin.“ (Absatz 677)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass über Bildungserfahrungen zumeist die ältere Generation berichtet. Die Anerkennung der im Ausland erworbenen Bildungsabschlüsse spielt für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte eine große Rolle, da sich mit der (weitgehenden) Anerkennung bessere Chancen auf dem
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Arbeitsmarkt und insgesamt bessere Voraussetzungen für eine strukturellen Integration ergeben. Zudem ist Bildung ein Gut, das einem niemand wegnehmen kann. So denken auch die Befragten, die es nicht bereut haben, in Bildung investiert zu haben und sich teilweise den Zugang dazu erkämpfen mussten. 5.5.2
Berufseinstellungen und -erfahrungen
Die beruÀiche Eingliederung und persönlichen Einstellungen zur beruÀichen Tätigkeit spielen eine wichtige Rolle für Integration und geben auch Hinweise auf die vorhandenen Einstellungen zu Geschlechterarrangements. Im Folgenden werden Aussagen der Interviewten zu ihren Berufseinstellungen und Berufserfahrungen dargestellt und analysiert. Materielle Werte und ¿nanzielle Sicherheit Eine der Tendenzen, die bei der Auswertung der Interviews im Bereich der Berufseinstellungen und -erfahrungen deutlich wird, bezieht sich auf den materiellen Wert der beruÀichen Tätigkeit. So sagt ein nicht unerheblicher Teil der Befragten, dass mit der Arbeit in erster Linie ¿nanzielles Einkommen verbunden wird. Hierzu ein Beispiel: „Was verbinde ich mit der Arbeit ? Erst mal, dass ich dafür ne Vergütung bekomme und die Vergütung ist wiederum der Lebensstandard, den wir uns hier leisten können.“ (1Hans Meisner, DT-M, 52 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 202)
Diese Tendenz ist überwiegend unter der Gruppe der interviewten Männer ohne Zuwanderungsgeschichte vorzu¿ nden und hierbei am stärksten bei der älteren Generation. Nur wenige Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte heben diesen Aspekt hervor. Auch für Befragte mit türkischer Zuwanderungsgeschichte spielen ökonomische Gründe der beruÀichen Tätigkeit eine große Rolle – so gaben mehrere interviewte Männer türkischer Herkunft und einige Frauen an, sie schätzten an der Arbeit in erster Linie das Geld. Unter weiblichen Zugewanderten aus der ehemaligen Sowjetunion berichtet lediglich eine jüngere Interviewte, dass für sie eine Arbeitsstelle ohne ausreichendes ¿nanzielles Einkommen nicht vorstellbar ist. Die russischsprachigen männlichen Befragten äußern ebenfalls die hohe Priorität der ¿nanziellen Entlohnung. Dies bestätigten auch bereits die Auswertungen zu Vorbildern in Kapitel 5.2. In eine ähnliche Richtung gehen die Äußerungen der interviewten Personen, die ebenfalls ¿nanzielle Motive der Berufstätigkeit akzentuieren, dabei aber auf die persönliche, damit in Verbindung stehende Sicherheit hinweisen.
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Ergebnisse der Interviews „INT: Was bedeutet für Sie Arbeit grundsätzlich im Leben ? Lydia Rust: Finanzielle Sicherheit und auch selber ¿nde ich, ich könnte nicht ohne Arbeit.“ (2Lydia Rust, SU-W, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 102–103) „Ja, absolut ¿nanzielle Sicherheit bedeutet mir das.“ (1Edith Engel, DT-W, 57 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 389)
Attraktivität der Berufstätigkeit und Identi¿kation mit der Arbeit Der zweite große Trend stellt die bedeutsame Rolle der Attraktivität des jeweiligen Berufes heraus – hiermit sind die persönlichen Sympathien gegenüber einer bestimmten Beschäftigung gemeint und dass der Beruf Spaß machen sollte. Dieser Aspekt ist im Vergleich für jüngere und ältere Männer und Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte am wichtigsten. Betrachtet man weiter die Bedeutung der Arbeit als solcher, ist die Identi¿kation mit der Tätigkeit, die beim jeweiligen Beruf möglich ist, für eine große Zahl der Interviewten sehr wichtig. „Was [die Arbeit] mir persönlich bringt ? Ich glaub, es wird mich erfüllen, wenn ich die Stelle bekomme, die ich haben möchte, wird es mich als Menschen erfüllen. Ich würde sehen, dass es mir was gebracht hat, zu studieren. Dass ich […] nicht umsonst gelernt habe, nicht umsonst die Diplomarbeit geschrieben habe.“ (2Sabine Ahrens, SU-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 315)
An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass bei weitem nicht viele der Zugewanderten die Möglichkeit haben, sich selbst im Beruf zu verwirklichen. Niedrig quali¿zierte Jobs mit entsprechender Bezahlung, Nichtanerkennung der Berufs- und Studienzeugnisse, strukturelle Benachteiligungen, unzureichende Angebote der Kinderbetreuung sowie andere auf dem Arbeitsmarkt existierende Benachteiligungen für Frauen geben vielen Zugewanderten nicht die Möglichkeit, ihre (Kreativ-) Potenziale bei der Arbeit zu verwirklichen.65 Arbeit ist Vielfalt im Leben – sagen verschiedene jüngere und ältere Männer aus allen Herkunftsgruppen sowie vereinzelte jüngere weibliche Interviewte mit türkischem Hintergrund. „Weil es da einfach, ich ¿nde das macht diese Atmosphäre, in der wir uns bewegen, spannend, interessant. Es hält sie auch offen. Es kommt keine […] schädliche Langeweile und Routine auf, sondern das ist wirklich immer in Bewegung. Das ist ganz wichtig.“ (1Stefan Preis, DT-M, 48 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 197)
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Vgl. IG Metall Vorstand (2009).
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Unabhängigkeit und Kontakte durch Arbeit Viele der Interviewten unterstreichen die Unabhängigkeit, die die beruÀiche Tätigkeit im Leben geben kann. „Ich ¿nde, Arbeiten ist sehr wichtig. Arbeiten, selber das Geld verdienen und ausgeben. Das ist sehr wichtig, dass man selber das geschaffen hat. […] Vor allem durch Arbeit hat man Unabhängigkeit. Und diese Unabhängigkeit ist für mich auch sehr wichtig.“ (1Ahmet Uzun, TR-M, 54 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 62)
Viele der befragten Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte verbinden mit der Arbeit Kontakte und Kommunikation. „Ich möchte glücklich im Beruf sein, gleichzeitig muss ich auch Geld damit verdienen. Ich möchte genauso Kontakte pÀegen mit Arbeitskollegen.“ (2Sabine Ahrens, SU-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 301). „Pamire Kara: Ich schwöre, ich bleibe jung. […] ich mag es nicht, zu Hause rumzuhocken, […] dorthin gehen, hierhin gehen – so was mag ich nicht. Arbeit, aber jemanden zu besuchen, sich mit Menschen zu treffen, sich zu unterhalten, reden, unter Freunden sein, ist was Schönes. INT: Was verbinden Sie mit der Arbeit ? Pamire Kara: Dort unterhältst du dich den ganzen Tag mit den dortigen Menschen, du arbeitest zusammen, lachst. Also, der Tag vergeht schön.“ (1Pamire Kara, TR-W, 58 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 101–105)
Ein interessanter Aspekt ist, dass einige Befragte mit Zuwanderungsgeschichte angeben, sie würden auch wegen der Freundschaften, die sie am Arbeitsplatz geschlossen haben und die ihnen Kommunikation und Austausch ermöglichen, gern zur Arbeit gehen. Dieser Befund widerspricht der Annahme, dass vor allem ältere Zugewanderte gewisse Schwierigkeiten der sozialen Integration haben. Man muss aber erwähnen, dass diese Äußerungen in der Mehrzahl von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte kommen, die sozial höher angesehene beruÀiche Tätigkeiten ausüben. „Arbeit hat für mich einen sehr hohen Stellenwert. Arbeit bedeutet für mich Anerkennung, Kommunikation, Kontakte, Geld. Die meisten Freunde habe ich auch bei der Arbeit gewonnen.“ (1Irene Riesner, SU-W, 44 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 38)
Arbeit ist Bildung, Herausforderung, gibt Sicherheit und Selbstbewusstsein Arbeit ist Bildung – sagen etliche der Interviewten. Sich weiter zu entwickeln, Neues dazu zu lernen hat einen hohen Stellenwert. Davon sind in erster Linie die
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Ergebnisse der Interviews
Älteren überzeugt. Sie haben bereits die Erfahrung gemacht, dass ihnen die Arbeit auch persönliche Entwicklungschancen bietet und sie aktiv und lebendig sein lässt. „Meine jetzige Berufstätigkeit, sie gefällt mir sehr. Es gefällt mir als Gabelstaplerfahrer zu arbeiten. Als ich noch bei XY gearbeitet habe, habe ich dort auch etwas dazugelernt, wie z. B. Spachtel- und Malerarbeiten. Selbst bei uns Zuhause kann ich das jetzt selbst machen. Ich zeige es Ihnen später, wie ich hier Zuhause alles selbst renoviert habe.“ (1Helmut Brenner, SU-M, 54 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 131) „Arbeit ist ein großer Beitrag für’s Leben. […] Vor allen Dingen trägt die Arbeit erstens dazu bei, dass ich aktiv bin, zweitens wegen ¿nanziellen Gründen, drittens lerne ich jeden Tag was Neues.“ (1Arzu Can, TR-W, 43 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 94)
Arbeit ist Kampf, Herausforderung und die Möglichkeit, sich selbst zu disziplinieren. Solche Einstellungen vertreten einzelne Befragte aus allen Herkunftsgruppen. „Ich bin ein Àeißiger Mensch, ich mag Faulheit nicht. Sogar zuhause, es muss Disziplin herrschen, alles soll sauber sein. Ich bin auch auf der Arbeit so. Ich bin ein Mensch, der die Arbeit sehr mag. Sich vor etwas zu drücken, kenne ich nicht.“ (1Pamire Kara, TR-W, 58 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 101) „Ansonsten glaube ich, dass Berufstätigkeit etwas ganz Wichtiges ist. Ich hatte nämlich jetzt so ne Phase, wo ich zwei Monate nichts gemacht habe […] Da entsteht ein riesengroßes klaffendes Loch. Mir hat mal jemand gesagt, ich solle die Macht der äußeren Struktur nicht unterschätzen und das stimmt de¿nitiv. Also wenn man weiß: Ich hab unter der Woche jetzt das und das zu tun. Ich gehe täglich sechs, sieben Stunden dahin. Dann hat man einfach etwas, woran man sich festhalten kann. Und das glaub ich, dass der Mensch einfach ne Struktur braucht.“ (2Mirko Preis, DT-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 199)
Arbeit bedeutet Selbstbewusstsein und ist die PÀicht eines erwachsenen Menschen – diese Lebenseinstellung ist bei einigen Befragten vorzu¿nden. „Auf jeden Fall ist Berufstätigkeit wichtig. Für mich besonders. Es gibt bestimmt Leute, die sich sagen: ‚Ich brauche nicht arbeiten, ich bekomme mein Arbeitslosengeld und lebe bis zu 25 bei den Eltern.‘ […] Ich kenne solche Leute, aber ich will mein eigenes Geld verdienen. […] Ich will nicht von der Hand anderer Leute essen. Ganz einfach. Ich will mein eigenes Leben führen. Ich will auf meinen eigenen Beinen stehen.“ (2Resul Türk, TR-M, 18 Jahre, Schüler, Absatz 159)
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Allgemeine Wertschätzung von Arbeit Den insgesamt hohen Wert der Arbeit betonen mehrere jüngere und ältere Befragte aller Herkunftsgruppen, überwiegend männlich. Hierzu ein Beispiel: „Dies ist groß geschrieben. Ohne Arbeit bist du tot. […] wer will arbeiten, der arbeitet. Der ¿ndet die Arbeit, würde ich sagen.“ (1Alfred Schneider, SU-M, 46 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 83)
Nur wenige (weibliche) Befragte mit türkischer Zuwanderungsgeschichte betonen, dass Arbeit kaum oder keine Rolle in ihrem Leben spielt. Diese Frauen sind familienorientiert und üben zumeist keine anspruchsvollen beruÀichen Tätigkeiten aus. Eine jüngere Frau mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion z. B. hatte Schwierigkeiten, genau einzuschätzen, was für sie wichtiger wäre – Leben mit oder ohne Arbeit. Ein älterer aus der Türkei Zugewanderter brachte den Traum, überhaupt nicht zu arbeiten zum Ausdruck. „Wenn ich die Möglichkeit hätte, jetzt ohne Berufstätigkeit zu existieren, würde ich [es] gerne mal versuchen.“ (1Murat Türk, TR-M, 47 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 167)
Ein männliches Familientandem ohne Zuwanderungsgeschichte berichtet darüber, dass für sie die Attraktivität der Arbeit überhaupt keine Rolle spielt. Den beiden Personen geht es ausschließlich ums Geldverdienen. Für eine jüngere Interviewte ohne Zuwanderungsgeschichte dagegen spielen die ökonomischen Gründe der Arbeit keine Rolle. Sie liebt ihren Beruf so, dass sie damit einverstanden wäre, auch ohne Geld diese Tätigkeit auszuüben. Weitere Berufseinstellungen, die in Einzelaussagen angesprochen werden, reichen von Altruismus und dem Wunsch, Verantwortung zu übernehmen, Erfahrungen zu sammeln bis zu dem Ziel, EinÀuss und gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, wobei auch der Wunsch nach einer positiven Arbeitsatmosphäre betont wird. Berufseinstellungen mit Blick auf Geschlechtszugehörigkeit und Partnerschaft Betrachtet man die Einstellung zur Arbeit geschlechterdifferenziert, lässt sich bei einigen Frauen mit Zuwanderungsgeschichte folgender Trend identi¿zieren: Der Mann muss arbeiten, weil er der Mann ist. Diese Einstellung vertreten mehrere jüngere und ältere Frauen mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjet union und der Türkei. „Ich möchte so wenig wie möglich aus dem Job raus und ich könnte […] keinen Mann – der könnte aus Gold gebacken werden oder aus Schokolade, das wär mir
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Ergebnisse der Interviews egal […] – ertragen, der […] kein Ziel zum Arbeiten hat. Das wäre für mich gestrichen. Das könnte auch der perfekteste Mann meines Lebens sein. Dass er arbeiten muss und will wäre die erste Priorität meines Lebens. Ich könnte mit keinem Mann zusammen leben, der nicht arbeitswillig in jeglicher Hinsicht ist. Da bin ich auch ganz konsequent. Er muss arbeiten, er wird arbeiten und soll auch Spaß am Arbeiten haben, weil wer nichts tut, der kriegt auch nichts. Ohne Moos – nichts los.“ (2Cansu Akdeniz, TR-W, 27 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 67) „Also, in meinen Augen muss ein Mann arbeiten. Wenn ein Mann zu Hause sitzen würde, würde mir das sehr komisch vorkommen. Das würde einem Mann überhaupt auch gar nicht passen, er würde, glaube ich, bestimmt Depressionen bekommen (lacht). Also auf jeden Fall, der Mann sollte arbeiten gehen und halt für die Familie sorgen, für die Kinder auch. […] Ein Mann sollte arbeiten, weil, wenn ein Mann nicht arbeitet, geht die Familie kaputt.“ (2Sevgi Yildirim, TR-W, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 176)
Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte äußern sich nicht dahingehend, dass ein Mann nur aufgrund seines Geschlechts arbeiten sollte, aber ihren Statements ist zu entnehmen, dass ihnen die Erwerbstätigkeit der Männer ebenfalls wichtig ist. Sie begründen dies jedoch nicht vordergründig mit dem Mann-Sein, sondern für sie ist wichtig, dass in der Partnerschaft ein Gleichgewicht hergestellt wird. „Es hat auch was mit Achtung so zu tun, so voreinander. Ich denke schon, dass das so dazu gehört. Ich könnt’s mir nicht anders vorstellen. Wir haben schon mal darüber gesprochen, dass er – er ist jetzt achtundfünfzig – dass er eventuell reduziert, das könnt ich mir schon vorstellen. Aber so, dass er nur noch zu Hause wär, könnte ich mir, wär jetzt im Moment nicht unser Leben. Unser Leben is einfach so, dass wir beide berufstätig sind.“ (1Christa Fuchs, DT-W, 51, hohes Bildungsniveau, Absatz 146)
Für einzelne jüngere und ältere Befragte mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion spielt es keine Rolle, was ihr Mann/Partner im Leben tut. Andere Werte werden höher eingestuft. Es geht ihnen mehr um die Persönlichkeit bzw. das Verhältnis miteinander. „Arbeit ist für mich existentiell notwendig. Mein Partner kann sich allerdings nach seinem Belieben verhalten. Das heißt – ich würde ihn auch dann achten, wenn er nicht arbeiten geht. Wichtig ist für mich, dass wir uns beide entwickeln, dass wir nicht stehen bleiben. Es gibt ziemlich viele Bereiche im Leben außer Arbeit, dass man sich weiter entwickeln kann. […] Mein Partner soll selbst wissen, was er aus seinem Leben machen möchte. Auch wenn wir Kinder bekämen, wäre es für mich
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in Ordnung, dass er nicht arbeiten geht.“ (2Susanne Riesner, SU-W, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 41–42)
Vereinzelte befragte Frauen verbinden mit der beruÀichen Tätigkeit des Partners einen gleichberechtigten Umgang miteinander bzw. die Möglichkeit, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Andere meinen, dass für sie auch der gut verdienende Mann nicht attraktiv ist, wenn er bestimmte persönliche Charaktereigenschaften nicht besitzt. „Ich möchte etwas von der anderen Person lernen, ein Gefühl haben, dass ich nicht über ihm stehe. […] Oder sich gegenseitig austauschen. Aber vom Berufswesen, ist es mir relativ egal. Es muss wirklich mit der Persönlichkeit stimmen. Es nützt nicht ein wunderbares Gehalt von dem Mann, wenn ich mit ihm nicht klarkomme.“ (2Sabine Ahrens, SU-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 327)
Eine jüngere Interviewte türkischer Herkunft berichtet, dass sie wegen der Familienverhältnisse nie zuhause bleiben würde – egal was der Mann verdient und wie er ist. „Auf eigenen Beinen stehen, also je besser eine gute Ausbildung, desto besser ein Job und man sollte dann halt nicht irgendwie z. B. später, wenn man verheiratet ist, dem Mann alles überlassen. Man sollte auch arbeiten.“ (2Selin Akdeniz, TR-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 61)
Die schon deutlich gewordene spezi¿sche Emanzipationstendenz der Frauen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte äußert sich des Weiteren darin, dass Frauenarbeit Anerkennung seitens des Mannes sowie ¿ nanzielle Unabhängigkeit von ihm bedeutet. „Ich denke, es ist auch wichtig, dass eine Frau arbeiten geht. […] Weil die Person dann von dem Mann auch mehr Anerkennung bekommt […] ich könnte mir das auch selber nicht vorstellen, Taschengeld von meinem Mann […] zu kriegen, wenn ich selber nicht mehr arbeite.“ (2Aylin Tac , TR-W, 26 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 258)
Des Weiteren ist erwähnenswert, dass einige Frauen die ausschließliche Arbeit als Hausfrau dezidiert ablehnen, weil sie damit nie zufrieden sein würden. Für die Person aus der älteren Generation ist dabei auch wichtig, später einen Rentenanspruch zu haben. „Frau ist ja nicht nur für [den] Haushalt, ist ja nicht nur für Kinder da. Beruf ist ja wichtig um sich selber weiterzubilden, fortzubilden. Zum Beispiel, wenn ich jetzt
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Ergebnisse der Interviews nicht arbeiten würde, hätte ich für mich keine Rente zahlen können. Später habe ich ja Gelegenheit, Rente zu bekommen. Weiß zwar nicht, wie lange ich leben werde, aber zumindest verdiene ich meine eigene Kohle. […] Eigenes Geld zu haben, ich kenn das nicht anders. Seit ich hier in Deutschland bin, arbeite ich und das ist mein Geld.“ (1Canan Yildirim, TR-W, 40 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 168) „Ja, ohne Beruf wird es bei mir nicht gehen, dann würde ich mich überhaupt nicht ausgelastet fühlen und wenn ich jetzt wirklich nur sage, dass ich mal Hausfrau würde, das kann ich mir nicht vorstellen, muss ich ehrlich sagen (lachend).“ (2Lisa Bergmann, DT-W, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 137)
Schaut man auf die Einstellungen zur beruÀichen Tätigkeit ihrer Partnerinnen/Ehefrauen seitens der männlichen Interviewten, wird deutlich, dass es für viele Männer in allen Herkunftsgruppen vertraut bzw. selbstverständlich ist, dass Frauen einen Beruf ausüben. Sie sehen, dass dies für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig ist und außerdem das Familieneinkommen mit absichert. Wie sehr sie jedoch wirklich dahinter stehen und dann konsequenterweise die familiären Aufgaben entsprechend mit wahrnehmen, ist eine andere Sache. Im vorliegenden Sample sind ja die egalitären Geschlechterpraxen nur zu einem Teil verwirklicht. (vgl. Kap. 5.1) „Ich würde sagen, sie kann ruhig arbeiten gehen und es ist auch gut so. Wenn ich arbeiten gehe, kann sie genauso arbeiten gehen. In der Zeit, wo ich arbeiten gehe, habe ich sowieso nichts von ihr.“ (2Resul Türk, TR-M, 18 Jahre, Schüler, Absatz 160–161) „Ich bin gegen diese Untätigkeit der Frau, die nur zu Hause sitzt und nur Haushalt macht. Sie sollen auch eine Tätigkeit draußen ausüben, damit sie auch Geld verdienen. Damit sie auch für die anderen Menschen nützlich sind. Das ist wichtig, dass sie nicht nur um den Ehemann oder die Kinder kümmert oder für sich selbst in vier Wänden [ist].“ (1Kamber Karadag, TR-M, 61 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 173) „INT: Welche Rolle spielt für Sie, ob Ihre Frau ebenfalls arbeiten geht ? Helmut Brenner: Wie gesagt, ¿nanziell ist es einfacher. Natürlich, was kann man da sagen, es ist wichtig.“ (1Helmut Brenner, SU-M, 54 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 134–135)
Mehrere jüngere und ältere Männer ohne Zuwanderungsgeschichte berichten zudem, dass ohne die Arbeit der Partnerin/Frau das heutige Leben ¿nanziell nicht zu bewältigen ist. Verschiedene jüngere und ältere Männer aus allen Herkunftsgruppen sagen, dass eine Frau zuhause bleiben kann, wenn kleine Kinder da sind. Ausschlaggebend sind dabei teilweise die ¿nanziellen Möglichkeiten der Partnerschaft.
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„INT: Welche Rolle spielt es für dich, dass deine zukünftige Freundin oder Frau auch arbeiten geht ? Torsten Brenner: Ja, zum Beispiel, okay, wenn ich mal Kinder hab, dann kann die ruhig zuhause sitzen, aber so, ja, normalerweise spielt das für mich keine Rolle. Wenn ich arbeite, ist [es] kein Problem, wenn meine Frau zuhause sitzt.“ (2Torsten Brenner, SU-M, 19 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 154–155) „Wenn das ¿nanziell nicht nötig ist, dann würde ich sagen, kann die Frau auch zuhause bleiben, wenn die Kinder klein sind.“ (1Egon Schiersmann, DT-M, 49 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 212)
Einige der befragten Männer verbinden mit der Arbeit der Partnerin deren Eigenständigkeit. Sie fügen teilweise hinzu, dass Frauen ohne beruÀiche Tätigkeit an Selbstbewusstsein verlieren würden. „Zu meiner späteren Partnerin, klar würd ich mir wünschen, dass wir beide fest irgendwie berufstätig sind. Ich würde mir jetzt keine Frau wünschen, die mir auf Grund von Kindern jetzt [die] Jobplanung aufgeben muss und zu Hause bleiben muss, also die Vorstellung, mit der kann ich mich überhaupt nicht anfreunden. Ich möchte schon, dass sie auch irgendwie so’n Stück weit, weil man weiß nie, was in einer Beziehung passieren kann. Das sie einfach unabhängig ist.“ (2Mirko Preis, DT-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 201–203)
Berufseinstellungen und -erfahrungen – Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren Zusammenfassend ist festzustellen, dass jüngere Befragte ebenso viel Wert auf Erwerbstätigkeit legen wie ihre Eltern. Der Aspekt des Dazulernens und der Wissensvermittlung spielt für sie aber (noch) eine geringere Rolle. Dafür haben Kommunikation und mögliche Kontakte bei der Arbeit, die Arbeitsatmosphäre und die persönliche Anerkennung durch den Beruf für sie einen höheren Stellenwert. Sie streben besonders solche Beschäftigungen an, die für sie persönlich attraktiv sind. Jüngeren weiblichen Befragten ist die positive Selbsteinschätzung als berufstätige Frau zudem bedeutsamer als den Älteren. Mehreren jungen Frauen mit Zuwanderungsgeschichte ist es besonders wichtig, dass ihr (zukünftiger) Mann/Lebenspartner erwerbstätig ist. Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte sehen dies nicht ganz so absolut, obwohl auch sie die Arbeit des Mannes für sehr wichtig erachten. Allen geht es um Ausgewogenheit und Gleichberechtigung, sowohl in der Partnerschaft als auch in gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Auch Männer ohne Zuwanderungsgeschichte plädieren für eine Berufstätigkeit ihrer (Ehe-)Partnerinnen. Allerdings geht es ihnen dabei nicht
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Ergebnisse der Interviews
um Genderrollen, sondern um ein gesundes Verhältnis miteinander, den ¿nanziellen Wohlstand der Familie bzw. die Selbstverwirklichung der Frau. Intergenerative EinÀüsse auf Berufseinstellungen und Berufserfahrungen Im Folgenden wird der EinÀuss der älteren auf die jüngere Generation betrachtet. Insgesamt ist festzustellen, dass man von einem bedingten EinÀuss der Generationen aufeinander sprechen kann. Mehrere Tandems aller Herkunftsgruppen unterstreichen die Wichtigkeit der ¿nanziellen Einkünfte bei der Arbeit. Stärker ist diese Tendenz bei männlichen Interviewten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion und ohne Zuwanderungsgeschichte erkennbar. Einige weibliche Tandems mit Zuwanderungsgeschichte heben dabei hervor, dass Arbeit zur PÀicht des Mannes gehört; eine Mutter und ihre Tochter mit türkischer Zuwanderungsgeschichte bezweifeln darüber hinaus den kommunikativen Zusammenhalt der Familie, wenn der Mann nicht erwerbstätig ist. Einige männliche Tandems mit Zuwanderungsgeschichte sind sich einig, dass die Frau aus ¿nanziellen Gründen berufstätig sein sollte. Ein Vater-Sohn-Tandem ohne Zuwanderungsgeschichte unterstreicht daneben, dass dies v. a. dann akzeptabel wäre, wenn sie Freude dabei habe, ein anderes männliches Interviewtandem ohne Zuwanderungsgeschichte verbindet mit der Berufstätigkeit der Frau ihre Selbstverwirklichung. Einige weibliche und männliche Befragtentandems ohne Zuwanderungsgeschichte schätzen allgemein die Attraktivität der Arbeit oder sprechen von der Bereicherung für das eigene Leben durch beruÀiche Beschäftigung. Für einen Vater und seinen Sohn ohne Zuwanderungsgeschichte dagegen ist die Attraktivität des Berufes unwichtig. Teilweise verbinden weibliche Tandems mit dem Beruf Kommunikation und Kontakte zu anderen Menschen; eine Mutter russischer Herkunft und ihre Tochter schätzen darüber hinaus das Sicherheitsgefühl im Leben, das durch Erwerbstätigkeit möglich wird. In diesem Zusammenhang zeigt sich nochmals, dass sich Familien mit Zuwanderungsgeschichte in einer spezi¿schen Situation be¿nden. Sie gehen eher davon aus, dass es für die jüngere Generation im Vergleich zu deutschen Familien weniger verlässliche Unterstützung im Bereich der Arbeitsmarktintegration gibt und legen deshalb ein besonders hohes Gewicht auf gesicherte ¿nanzielle Einkünfte. 5.5.3
EinÀüsse auf die Bildungs- und Berufseinstellungen durch Vorbilder
Vorbilder spielen für die persönliche Entwicklung von Wertvorstellungen und damit auch für die Bildung von Leitbildern für Bildungsbiographien, Berufswahl und Karrieren häu¿g eine entscheidende Rolle. Deshalb wird im Folgenden aus den
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Aussagen der Befragten zu solchen Vorbildern versucht, Tendenzen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Herkunftsgruppen, den Generationen und den Geschlechtern zu entwickeln. Dies ist an dieser Stelle auf Aussagen zu den Bereichen „Bildung und Beruf“ beschränkt. Zu allen anderen Bereichen wurde im Kapitel 5.2 Stellung bezogen. 5.5.3.1 EinÀüsse durch die Familie Wie bereits in Kap. 5.2 deutlich wurde, wird die Familie bei nahezu allen Befragten auch für die Ausprägung der Bildungs- und Berufskarriere als häu¿ger und starker EinÀussfaktor genannt. Manchmal werden Familienmitglieder ausdrücklich als Vorbilder genannt, manchmal wird lediglich Bezug auf als vorbildhaft erachtete Eigenschaften/Lebensweisen mit Blick auf Bildung und Beruf genommen. In der Familie fanden schon in früher Kindheit erste Prägungen von Wertvorstellungen gegenüber dem Stellenwert von Bildung und Arbeit, zu Haltungen gegenüber der Berufsausübung und zu Arbeitstugenden statt. Die Familie als das System der engsten Umgebung konnte auf heutige Entwicklungen, sei es durch Übernahme von Wertvorstellungen oder durch Abgrenzung, entscheidend einwirken. Somit werden bei allen Befragten die Eltern sehr häu¿g als Vorbilder genannt. „INT: Und welche Rolle spielt es für Sie, dass Ihr Mann ebenfalls arbeiten geht ? Zuhal Kara: Das spielt erstens eine wichtige Rolle für mich und auch eine sehr große Rolle für mich. Denn meine Eltern haben beide gearbeitet.“ (2Zuhal Kara, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 114–115)
Mütter, die vor allem von Frauen als Vorbilder benannt werden, waren sowohl Vorbild für Werte, die auch auf die Arbeit anzulegen sind, als auch Förderinnen der beruÀichen Eigenständigkeit der Töchter. Sie wurden aber von den Töchtern seltener als unmittelbare Vorbilder im Bildungs- und Berufbereich genannt als die Väter von den Söhnen. Bei der älteren Generation der Frauen und auch deren Müttern sind zugleich eher Tendenzen eingeschränkter eigener Entwicklungsmöglichkeiten erkennbar. Die Einengungen durch die Rahmenbedingungen bzw. Konventionen damaliger gesellschaftlicher Leitbilder werden sowohl von den Müttern bezogen auf deren Mütter als auch von den heutigen Töchtern empfunden. Häu¿ger ist von Selbstlosigkeit die Rede aber auch von intensiver Förderung. Da wo eine freie (beruÀiche) Entfaltung möglich war, wird diese an die Töchter weitergegeben und von ihnen auch als positiv wahrgenommen. (Selbst-)Disziplin und Strenge werden in der Rückschau als wichtige Ressourcen erkannt. Wo Mütter nach Trennungen ihr Leben alleine meistern mussten,
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Ergebnisse der Interviews
wird das von den Töchtern hoch geachtet. Stärke, Kraft und Mut zur Veränderung werden als positive Eigenschaften genannt. Den Müttern wird bescheinigt, beruflich viel geschafft zu haben. Sie haben an die Töchter die Überzeugung vermittelt, dass Schwierigkeiten gemeistert werden können. „Stark sein und wenn mich irgendwas stört oder wenn mir irgendwas nicht passt, dann auch den Mut und die Kraft haben, halt irgendwie das zu verändern und dabei trotzdem noch so fröhlich sein und so optimistisch.“ (2Nele Krause, DT-W, 24 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 564)
Sich von männlichen Chefs nicht alles gefallen zu lassen und sich gegen Ausnutzung aufzulehnen wird als Erfolg verbucht. Vereinzelt werden von den männlichen Befragten Mütter als Vorbild genannt. Dies ist eher dort der Fall, wo es bereits in früher Jugend Trennungen der Eltern gegeben hat und ein männliches Vorbild nicht allgegenwärtig war. Hier wird die Leistung, die Familie allein zu unterhalten, besonders hoch geachtet. Die Berufstätigkeit der Mütter wird geschätzt und für künftige Partnerinnen als selbstverständlich vorausgesetzt. Unterschiede zwischen den untersuchten Herkunftsgruppen sind dabei nicht deutlich. Eine ‚Emanzipation‘ scheint es in allen Kulturen gegeben zu haben, in den ehemaligen GUS-Staaten durch den Kommunismus mit seiner gesetzlichen Gleichstellung (die faktisch jedoch differenziert zu betrachten ist), in der Türkei durch die Reformen von Atatürk, dem türkischen Staatsgründer, und in Deutschland durch die Frauenbewegung der 1970er Jahre. Die Emanzipationsprozesse fanden jedoch zum Teil zu verschiedenen Zeiten statt und hatten nationalitätenspezi¿sche Eigenheiten, was z. B. die jeweils relevanten Themen und Aktionsformen der Frauen angeht. Außerdem hatten sie unterschiedliche Auswirkungen auf die Politik und die Lebensstile der Frauen und Männer in den jeweiligen Ländern. Daher stellen manche Befragte, wie bereits in Kapitel 5.2 erwähnt, unterschiedliche Ausformungen der Diskurse um Gleichstellung und ihre Auswirkungen in ihren Herkunftsländern im Vergleich zu Deutschland fest. Väter werden stärker von den männlichen Befragten als Vorbilder genannt. Sie werden für ihre Leistungen und ihr Wissen in bestimmten Fachgebieten (z. B. Technik) und wegen verschiedener Eigenschaften wie Zielstrebigkeit, Durchsetzungsstärke, Authentizität, Standhaftigkeit, Kampfgeist und Arbeitsethik bewundert. „Na ja […] mein Vater halt. Er ist immer arbeiten gegangen und alles obwohl die Bezahlung eigentlich schlecht ist, sag ich mal […] auf dem Bau kriegt man ja nicht besonders viel. Im Gegensatz ich bin ja (eher faul)… ich sitz ja hier und mach gar nichts zurzeit. Ja – sonst… keine Vorbilder.“ (2Ralf Schiersmann, DT-M, 21 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 277)
Bedeutung von Bildung, Beruf und Arbeit
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„Ich sag mal, er hatte sehr großes Durchsetzungsvermögen, […] er war wirklich nicht scheu, nicht menschenscheu. Er ist auf die Leute zugegangen, egal in welchen Amt die waren, und hat seins durchgesetzt. Für mich war das Vorbild. Für mich später, wo ich Leitender war, dann habe ich immer wieder versucht, wenn ich dann eine gewisse Aufgabe bekommen habe, dass ich die auch durchsetze.“ (1Wilhelm Schulz, SU-M, 52 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 281)
Die Integrationsleistung in Deutschland trotz schwieriger Ausgangsbedingungen wird wertgeschätzt, wenn die Väter als Arbeitsmigranten oder als Flüchtlinge kamen. Disziplin und harte Arbeit für den Familienunterhalt sind anerkannte Tugenden. Sich etwas selbst zu erarbeiten und dabei die Familie zusammenzuhalten wird an die Kinder weitergegeben. „[…] mein Vater auf jeden Fall. Weil ich sehe zum Beispiel [dass] er mit nichts hierhin gekommen ist, also ich sag mal schon mit einer Ausbildung und so, aber […] er hat halt hier etwas aufgebaut und das ist für mich schon ein, eine Art Vorbild. So zum Beispiel jetzt ein Haus und ein Auto, Einkommen. Das ist schon eine Art Vorbild.“ (2Mutlu Karadag, TR-M, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 265)
Teilweise schlagen die Söhne die gleiche beruÀiche Richtung wie der Vater ein, wenn sie sich früh mit dem väterlichen Beruf auseinandersetzen konnten, z. B. wenn sie die Möglichkeit bekamen, den Arbeitsplatz des Vaters kennenzulernen. „Ich würde sagen, in der ersten Linie mein Vater. Er war für mich Vorbild. Ich wollte auch die Berufe ergreifen später […] die er damals konnte oder was er gelernt hat wollt’ ich auch lernen…“ (2Denis Perov, 21 Jahre, SU-M, hohes Bildungsniveau, Absatz 141)
Durch Töchter werden beruÀiche Vatervorbilder nur selten genannt. Sie beschreiben ihre Väter in Bezug auf ihre beruÀiche Leistung zwar mit Hochachtung, aber vereinzelt auch mit ängstlichem Respekt vor der väterlichen Autorität. Von der jüngeren männlichen Generation mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion werden teilweise ältere Brüder als Vorbilder genannt. Sie werden für ihre Leistungen und besonderen Kenntnisse (z. B. EDV) geschätzt. Die jüngere und ältere weibliche und männliche Generation mit türkischer Zuwanderungsgeschichte nennt auch Schwestern, von deren Intelligenz und selbständigen Lebensweise man lernen kann und deren Fleiß und Disziplin ein Vorbild sind. Zudem werden Geschwister mit einem guten Beruf erwähnt, die etwas erreicht haben. Andere Verwandte werden nur vereinzelt als Vorbilder für Berufswünsche genannt.
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Ergebnisse der Interviews
5.5.3.2 EinÀüsse durch sonstige Vorbilder Lehrerinnen und Lehrer werden von allen Generationen, Geschlechtern und Herkunftsgruppen oft als Vorbilder genannt. Sie haben bestimmte Interessen geweckt (Naturwissenschaften, Kreativität, Musik) und werden dann besonders geschätzt, wenn durch sie eine besondere Förderung stattgefunden hat. Dabei waren sie stets Vertrauenspersonen, die den Kindern Respekt und Verständnis entgegenbrachten. Besonders hervorgehoben werden von einem älteren Befragten mit türkischer Zuwanderungsgeschichte Lehrer an einem Internat, die ihren Beruf mit Idealismus ausübten und ein hohes Engagement für die Förderung und Wertschätzung der Schüler aufbrachten. Lehrkräfte werden als gebildete Leute geehrt. Daneben gibt es auch Lehrkräfte, mit denen negative Erfahrungen gemacht wurden. Vereinzelt werden EinÀüsse durch Freunde und Freundinnen genannt. Positiv hervorgehoben werden sie, wenn sie voll im Leben und im Beruf stehen oder etwas besser können als man selbst. Mit Führungskräften gibt es quer durch alle Generationen, Geschlechter und Herkunftsgruppen sowohl positive als auch negative Erfahrungen. Durchsetzungsstärke und gute Menschenführung werden als positive Eigenschaften anerkannt. Politiker und Politikerinnen als Vorbilder tauchen nur zwei Mal auf: Neben Angela Merkel, die bereits in Kapitel 5.2 erwähnt wurde, wird Atatürk für seine Reformen und die damit einhergehende Philosophie ‚Arbeite, arbeite, arbeite und vertraue‘ bewundert. 5.5.3.3 Besondere negative EinÀüsse Vereinzelt werden von älteren Befragten beiderlei Geschlechts ohne Zuwanderungsgeschichte Vorgesetzte als negative Vorbilder aufgrund ihres schlechten Führungsstils genannt. „Also einmal im Berufsleben hab ich also eine Phase mitgemacht, da war ich im Küchenwerk in W.-(Stadt) und da war mein Vorgesetzter Choleriker. Und gut, Choleriker gibt’s ja häu¿ger. Hab ich auch schon häu¿ger erlebt, aber diese Person war dann ein Extrem, was dann dazu geführt hat, dass, ich – bin eigentlich ein ruhiger Typ und wenn der Vulkan platzt, dann ist es leider immer zum falschen Zeitpunkt, aber es braucht etwas bevor er dann platzt und da war ich also davor. Insgesamt war das ne Phase von vier Jahren und zweimal stand ich davor mich of¿ziell zu beschweren in G-(Stadt) in der Zentrale.“ (1Hans Meisner, DT-M, 52 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 456)
Bedeutung von Bildung, Beruf und Arbeit
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„Ich habe eine ganz furchtbare Stationsschwester gehabt, die also alles verkörpert, was menschlich völlig daneben ist, und ihre Menschenführung war so schlecht, dass ich meine Kollegin immer wieder [auf]fangen muss. Die ergießen sich in Tränen dann bei mir. Und sie mobbt ohne Ende und das ist für mich eine Verkörperung eines schlechten Menschen und das macht mich nur ein bisschen härter, ich bin auch ein bisschen weich und aber das, die ist schon die, die ich negativ betrachte.“ (1Helga Bergmann, DT-W, 49, mittleres Bildungsniveau, Absatz 172) „Das Negative, das war mein Chef.“ (1Edith Engel, DT-W, 57 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 869)
Ein Mal wurden Vorurteile in der Schule angeführt. „Genau und auch die Tatsache, heute erfahr ich das immer noch, dass wenn man weiß, es ist eine türkische Familie oder ein türkischer Schüler: Da schließt man schon von Anfang an mit ab, dass er zum Beispiel ein sehr gutes Examen oder Abitur machen kann. Und das ist so etwas, was, was mich ganz stark, also ganz, ganz stark abscheut vor solchen Leuten und da hab ich überhaupt kein Respekt. Das, das, das stört mich und dafür reg ich mich auch immer auf und muss aufpassen, dass mich das nervlich nicht belastet so was.“ (2Cansu Akdeniz, TR-W, 27, hohes Bildungsniveau, Absatz 119)
5.5.4
Resümee
Stellenwert von Bildung und Beruf Bildung wird von den allermeisten Befragten als hohes Gut betrachtet. Das sehen Männer und Frauen beider Generationen aus allen Herkunftsgruppen so. Der Erwerb von Bildung wird als Basis einer erfolgreichen Lebensführung angesehen und als Wert, der nicht mehr aberkannt werden kann. Somit ist verständlich, dass eine gute Ausbildung für beide Geschlechter als wichtig betrachtet wird. Sowohl formale Bildung mit Abschlüssen und Zeugnissen als auch die informelle Bildung als Ausprägung des Charakters und der Allgemeinbildung werden als wichtig für die Persönlichkeitsbildung gesehen. Bildung ist der Schlüssel zu einem guten Beruf und damit für die Befragten mit Zuwanderungsgeschichte ein wichtiger Schritt zur strukturellen Integration. Gerade für zugewanderte Menschen eröffnet eine gute Bildung die Chance zum sozialen Aufstieg und zum ¿nanziellen Auskommen im weiteren Leben. Die meisten Frauen sehen ihre Berufstätigkeit als wichtigen Baustein ihres selbst bestimmten Lebens an, wohingegen Männer die Berufstätigkeit der Frau eher als Option betrachten. Es scheint inzwischen Konsens zu sein, dass Frauen
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Ergebnisse der Interviews
ihr Recht auf Arbeit wahrnehmen wollen und auch prinzipiell aus Sicht der Männer sollen, jedoch scheint bei einigen Aussagen durch, dass die Situation bei der Familiengründung abhängig von den ¿nanziellen Möglichkeiten auf den Prüfstand kommen sollte. Die älteren Befragten mit Zuwanderungsgeschichte sowohl aus den GUSStaaten als auch aus der Türkei haben aufgrund der Migration ihre beruÀichen Ziele nicht immer erreichen können. Somit wird auf die Kinder ein tendenziell stärkerer Leistungsdruck ausgeübt als bei den Familien ohne Zuwanderungsgeschichte (vgl. hierzu auch Kap. 5.3). Dabei ist zu erkennen, dass in den Familien mit türkischer Zuwanderungsgeschichte trotz tendenziellen Leistungsdrucks gleichzeitig eine etwas freiere Entfaltung möglich scheint als in den Familien mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion. Hintergrund dazu kann der stärker erlebte ‚soziale Abstieg‘ durch die Ausübung nicht gleichwertiger beruÀicher Tätigkeiten als im Herkunftsland sein. Männer und Frauen haben tendenziell unterschiedliche Vorstellungen vom Beruf. Dabei neigen Frauen eher zu einer idealistischen, Männer eher zu einer materialistischen Sichtweise. Hier ¿nden sich deutlich mehr Aussagen vor allem bei den älteren Männern dazu, dass in erster Linie das Einkommen abgesichert werden muss. Frauen verbinden mit Berufstätigkeit zwar auch die angemessene Vergütung, haben zudem jedoch stärkere Erwartungshaltungen zur Attraktivität des Berufs, zur Identi¿ kation damit, zur Persönlichkeitsentwicklung, zur Möglichkeit der Kommunikation und dem Auf- und Ausbau von Kontakten sowie der Chancen zur Weiterbildung. Lediglich jüngere Männer gleichen sich in ihren Berufsvorstellungen denen der Frauen an und schätzen die Attraktivität des Berufs und die damit verbundene Selbstverwirklichung ähnlich hoch ein. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Unterschiede in den Bildungs- und Berufseinstellungen zwischen den Herkunftsgruppen nicht besonders bedeutsam sind. Der Anspruch von Frauen auf die eigene beruÀiche Unabhängigkeit scheint sich überall durchzusetzen, wenn sie nicht bereits selbstverständlich war. Mütter vor allem vermitteln ihren Töchtern die Bedeutung von Bildung und Berufstätigkeit zur Wahrung der Autonomie und betonen den Nutzen für eine bessere Kommunikation innerhalb von Familie und Partnerschaft. Auswirkungen auf Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen Die durch uns befragten jungen Frauen haben für sich bereits stark das Leitbild der unabhängigen, frei entscheidenden, selbständigen Frau entwickelt. Das gilt wiederum für alle Herkunftsgruppen. Arbeitsteilung mit dem Partner sowohl für die ¿ nanzielle Absicherung der Partnerschaft/Familie, als auch für die häuslichen und innerfamiliären Aufgaben wird angestrebt. Gleichwohl werden teilweise Einschränkungen in der realistischen Umsetzung dieser Vorstellungen gesehen. Schlechtere Chancen gegenüber den Männern in der Erreichung der beruÀichen
Bedeutung von Bildung, Beruf und Arbeit
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Ziele werden nicht angesprochen. Zudem wird von einigen jungen Frauen aller Herkunftsgruppen (wenngleich z. T. aus verschiedenen Motiven heraus) die Wichtigkeit der Berufstätigkeit des Partners betont. Bei einer erheblichen Zahl der älteren Frauen aller Herkunftsgruppen zeigt sich dagegen noch die bereits im Kapitel 5.1 deutlich gewordene konservative Geschlechterpraxis. Trotz (oder gerade wegen) dieser Erfahrung scheinen nicht wenige Mütter ihre Töchter anzuspornen, beruÀich etwas aus sich zu machen. EinÀüsse von Vorbildern auf die Ausbildung und die beruÀiche Karriere Vor allem Mütter vermittelten ihren Töchtern das Streben nach Unabhängigkeit – quer durch alle Herkunftsgruppen. Voraussetzung dafür sind ein guter Bildungsabschluss und ein Beruf, der sowohl die ¿nanzielle als auch die persönliche Unabhängigkeit garantiert. Berufstätigkeit (bei Eltern oder anderen Vorbildern) fungiert als Rollenmodell – auch in allen Herkunftsgruppen. Ein Leben auf ‚gleicher Augenhöhe‘ mit dem Partner gilt vor allem für Frauen, aber auch für die Männer als erstrebenswertes Ziel. Söhne erleben stärker ihre Väter als Vorbilder und übernehmen von ihnen zum großen Teil die Ansicht, dass es PÀicht ist zu arbeiten, trotz teilweise kritischer Distanz zu den Rahmenbedingungen der Arbeit. EinÀüsse der formalen Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen ist relevant für die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt. Sichtbar wird dies an Beispielen, in denen Anerkennung die beruÀiche Karriere stark beförderte, während in anderen Fällen die Nicht-Anerkennung auch viele Jahre nach der Zuwanderung zu De¿ziten bei der Integration in den Arbeitsmarkt beitrug. Bei einem Drittel der älteren Befragten mit Zuwanderungsgeschichte kam es zur teilweisen oder vollständigen Anerkennung ihrer beruÀichen Quali¿kationen, für ein weiteres knappes Drittel war Anerkennung kein Thema, weil diese Personen zum Einwanderungszeitpunkt noch nicht über abgeschlossene (beruÀiche) Quali¿kationen verfügten. Bei einem weiteren Drittel kam es zur Nicht-Anerkennung von Abschlüssen bzw. wurde eine Anerkennung von Abschlüssen gar nicht erst versucht (z. B. aufgrund fehlender Sprachkenntnisse). Personen dieser letzten Gruppe gingen mit der Nicht-Nutzbarkeit ihrer Abschlüsse unterschiedlich um. Die meisten Personen versuchten, neue Bildungsabschlüsse zu erwerben, in einzelnen Fällen gelang dies jedoch nicht und führte zu einer dauerhaft schlechteren Integration in den Arbeitsmarkt, was wiederum Auswirkungen auf die Geschlechterarrangements haben kann, etwa indem in den betreffenden Familien die Arrangements konservativer wurden (vgl. Kap. 5.1 und 5.2).
200 5.6
Ergebnisse der Interviews Geschlechterarrangements, Integration und Zugehörigkeit
Von Interesse für die Erkundung des Rollenverständnisses von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind auch Informationen zu den Themen Integration und Zugehörigkeit. Vermutet werden kann z. B., dass sowohl das Geschlechterarrangement als auch das Zugehörigkeitsgefühl EinÀuss auf die Integrationsbestrebungen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte haben. Beide Aspekte gehören zur sozialen Integration. Verwendet man das differenzierte Modell der Integration nach Heckmann (2005), rechnet man das Geschlechterarrangement der kulturellen Integration und das Zugehörigkeitsgefühl der identi¿katorischen Integration zu. Für dieses Kapitel werden Aussagen der älteren und der jüngeren Generation herangezogen und interpretiert. Alle Fragen wurden sowohl den Menschen mit als auch ohne Zuwanderungsgeschichte gestellt. Dies gilt jedoch nicht für den Fragenkomplex zum Thema Zugehörigkeit. Dieser wurde nur an die jüngere Generation mit Zuwanderungsgeschichte gerichtet. Im Leitfaden wurden die Themen Integration und Zugehörigkeit getrennt behandelt. Auch in Bezug auf das Thema Integration wurden zwei Zugänge gewählt, indem einerseits nach Integration direkt und andererseits nach Kontakten zu verschiedenen Personen gefragt wurde. Bezüglich des Themas Integration wurde einleitend darauf hingewiesen, dass in Deutschland gegenwärtig viel über Integration gesprochen wird. Es wurde auch erwähnt, dass Integration heute als Leistung sowohl der Einheimischen als auch der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte verstanden wird. Anschließend wurde zunächst nach biographischen Beispielen für Integration gefragt. Dann sollten die Interviewpartnerinnen/-partner ihren individuellen Bezug zur aktuellen Integrationsdebatte darstellen. Beim nächsten Fragenkomplex ging es um die Erkundung sozialer Kontakte der Befragten zu Menschen ohne bzw. mit anderer Zuwanderungsgeschichte. Die Interviewten wurden aufgefordert, etwas über ihre sozialen Kontakte (z. B. Freundeskreis, Familie, Freizeit, Universität, Arbeit, Schule etc.) zu erzählen. Gefragt wurde auch, ob es Kontakte zu Personen mit einer anderen Zuwanderungsgeschichte gibt und welche Bedeutung diese Kontakte haben. Aus den zahlreichen Fragen zum Thema Integration sind folgende vier Kategorien gebildet worden: a) b) c) d)
Allgemeine Statements zu Integration Biographische Beispiele für Integration Bezug zur Integrationsdebatte Soziale Kontakte zu Menschen ohne/mit einer anderen Zuwanderungsgeschichte
Geschlechterarrangements, Integration und Zugehörigkeit
201
In Bezug auf das Thema Zugehörigkeit wurden zwei Fragen gestellt: zunächst, ob Zugehörigkeit in irgendeiner Weise für die Befragten ein Thema ist, und zudem, was ihnen zum Thema Zugehörigkeit einfällt, wenn sie an ihr Leben in Deutschland denken bzw. was für sie z. B. ‚Heimat‘ oder ‚Zuhause‘ bedeutet. Da die Antworten der Interviewten jedoch keine hinreichenden Aussagen über die Zugehörigkeit als abstraktes Phänomen beinhalten, sehen wir von einer Kategorisierung der Aussagen in Bezug auf ein abstraktes Verständnis von Zugehörigkeit und einer konkreten Bezeichnung von ‚Heimat‘ und ‚Zuhause‘ ab. Insofern gibt es in Bezug auf das Thema der Zugehörigkeit lediglich eine Kategorie: ƒ
Bereiche der Zugehörigkeit/Nicht-Zugehörigkeit
Bei der Präsentation der Ergebnisse erfolgt jeweils im Anschluss an die Vermittlung eines ersten Eindrucks ohne Berücksichtigung einzelner Gruppen – wenn möglich und sinnvoll – die differenzierte und systematische Darstellung der Aussagen nach Geschlechtszugehörigkeit, kultureller Herkunft und Bildungsniveau gemäß der Intersektionalitätsanalyse. Dabei wird es darum gehen, einerseits allgemeine Trends aufzuzeigen und andererseits besondere oder unerwartete Auffassungen einzelner Befragter näher zu beleuchten. Zum Schluss werden zentrale Aussagen zu Integration und Zugehörigkeit resümiert, mögliche Querverbindungen zu anderen Aspekten der Thematik hergestellt und die Aussagen mit dem aktuellen Forschungsstand verglichen. 5.6.1
Allgemeine Statements zu Integration
Bei der Sichtung und Auswertung der Interviews zeigte sich, dass in den Interviews mit 70 Befragten fast die ganze Palette an Ansichten und Haltungen zum Thema Integration der gesamten Gesellschaft vorhanden ist. In der Regel wird Integration als ein Prozess aufgefasst, der von zwei Seiten ausgehen muss: von der Mehrheitsgesellschaft einerseits und von den Menschen mit Zuwanderungsgeschichte andererseits. Unter Integration stellen sich die Befragten vor, dass sie z. B. in die Gemeinschaft aufgenommen werden, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, selbst leben und andere leben lassen oder schlicht ein gegenseitiges Miteinander erleben. Nur zwei Frauen der älteren Generation ohne Zuwanderungsgeschichte fassen Integration als Assimilation auf bzw. beklagen die Existenz einer von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gebildeten Parallelgesellschaft und verlangen, dass die
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Ergebnisse der Interviews „Ausländer […] sich an die deutschen Gewohnheiten anpassen sollten.“ (1Gabriele Neumann, DT-W, 50 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 79)
In dem Zitat einer Angehörigen der älteren Generation russischer Herkunft wird das Verständnis von Integration stellvertretend für viele andere und sehr pointiert formuliert: „Ich bin integriert, bedeutet für mich, dass ich mir keine Gedanken machen soll, dass ich anders bin. Ich kann arbeiten, Freunde haben, alles wie bei einem ganz normalen Menschen. Die Frage ‚Woher kommst du ?‘, wird nur aus dem Interesse an meiner Herkunft gestellt und nicht nach dem Motto ‚Was machst Du eigentlich hier ?‘ Ich kann mich ebenso stolz fühlen, wenn ich über meine Wurzeln erzähle. Mich selbst emp¿ nde ich als vollkommen integriert.“ (1Irene Riesner, SU-W, 44 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 48)
Hier zeigt sich sehr deutlich, dass sich hinter dem Begriff der Integration vor allem eine Sehnsucht nach wechselseitiger Toleranz und gegenseitigem Respekt verbirgt. Die Interviewten wissen in Bezug auf die Mehrheitsgesellschaft auch zu unterscheiden zwischen deren Teilbereichen und Institutionen zum einen und deren Individuen zum anderen. Zu den Teilbereichen und Institutionen zählen sie an erster Stelle die Bildung bzw. die Ausbildung und deren institutionelle Verkörperung, die Schule. Mit ihr wird immer wieder der Erwerb der deutschen Sprache assoziiert, der von vielen, insbesondere von Interviewpartnerinnen/-partnern ohne Zuwanderungsgeschichte, am häu¿gsten genannte Aspekt der Integration. Dann werden auch Bereiche wie Beruf, Wohnen und Freizeit genannt. Die Institutionen haben aus Sicht der Befragten die Aufgabe, das Gefühl bei allen zu erzeugen, dass es keine Rolle spielt, wo man herkommt. Auch Aspekte, die eher der sozialen Integration zuzurechnen sind, werden erwähnt: der Freundeskreis, Kontakte zu Angehörigen anderer Zuwanderungsgeschichte, Essgewohnheiten. Religion wird interessanterweise so gut wie gar nicht erwähnt, nur einmal, von einem Angehörigen der älteren Generation ohne Zuwanderungsgeschichte. In Bezug auf die Einschätzung zum Gelingen der Integration gibt es Unterschiede zwischen den Befragten mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Die Interviewten mit Zuwanderungsgeschichte betrachten Integration eher positiv. Dies ist verwunderlich, da viele von ihnen eigene Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Deren Ausmaß einerseits und deren individuelle Verarbeitung andererseits haben offensichtlich nicht dazu geführt, dass sie die Erfolge der Integration in Frage stellen. Hingegen gibt es bei den Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte häu¿ger Aussagen zu Problemen der Integration. Bei den kritischen Aussagen zu Integration wird (von beiden Seiten) jeweils nach Aspekten der systemischen und sozialen Integration unterschieden: Allen voran werden fehlende Deutschkennt-
Geschlechterarrangements, Integration und Zugehörigkeit
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nisse genannt. Dafür werden seitens der Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte häu¿g die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte selbst verantwortlich gemacht. Es gibt aber auch differenzierte Stimmen, die die hohe Verantwortung des deutschen Bildungssystems und der Wirtschaft in den Vordergrund rücken: „Wir […] beklagen uns über die Gewalt, die uns dann irgendwann begegnet, aber es ist hausgemacht. Man muss den Kids eine Perspektive bieten […]. Eine ganze Generation von Kids, die jetzt ihren Schulabschluss haben, kriegen im Moment keinen Job. Die Krise ¿ndet ja angeblich nur im Fernsehen statt, […] die ¿ndet aber draußen auf der Straße statt. Es gibt schon Entlassungen und es gibt vor allen Dingen keine Chance für Neueinstellungen.“ (1Klaus Hirte, DT-M, 51 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 340–372)
Das bisher in Bezug auf Menschen mit Zuwanderungsgeschichte wenig erfolgreiche Bildungssystem in Deutschland wird auch von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte kritisiert. Eine junge Frau türkischer Herkunft merkt an: „Es ist sehr traurig, dass vielen Ausländern der Weg zu denselben Bildungschancen eigentlich verwehrt bleibt. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für ausländische Schüler schwieriger ist, dieselben Präferenzen zu bekommen […] zum Besuch eines Gymnasiums wie eben deutsche Kinder. […] Dass es die Hauptschulen gibt, […] die Realschulen, Gesamtschulen gibt, dass man gerne aussortiert, dass man gerne ausselektiert und dass man vor allem gerne Schüler mit Migrationshintergrund ausselektiert und ihnen deshalb die Bildungschancen, die gleichen Bildungschancen genommen werden […], ¿nde ich schade und traurig […] und ich würde mir wünschen, dass die ganzen Hauptschulen abgeschafft würden.“ (2Zuhal Kara, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 254)
Gelegentlich wird auch die Religionszugehörigkeit als Integrationsbarriere erwähnt. Von zwei männlichen Angehörigen der älteren Generation mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion wird die Abhängigkeit vom Staat als Hemmnis für die Integration genannt. Will man sich integrieren, argumentiert einer, darf man sich nicht vom Staat abhängig machen. Ein anderer betont, man solle sein eigenes Brot selbst verdienen und kein Geld vom Staat beziehen. In Bezug auf die soziale Integration gibt es auch Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die Probleme sehen. Vielfach wird angemahnt, dass die Integrationsbereitschaft von beiden Seiten kommen muss. Die Menschen sollten stärker als bisher aufeinander zugehen, Interesse an den jeweils anderen zeigen und sich für alle Kulturen und Traditionen interessieren. Dabei ist es auch ein Problem, dass viele immer noch von „wir“ und „denen“ sprechen, also die Dichotomie im
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Ergebnisse der Interviews
Denken der Menschen dafür sorgt, dass immer noch mehr auf die Differenzen als auf die Gemeinsamkeiten Wert gelegt wird. Weder die Geschlechtszugehörigkeit noch das Bildungsniveau spielen eine auffällige Rolle bei der Sichtweise auf Integration. Lediglich zwei Angehörige der älteren Generation ohne Zuwanderungsgeschichte und mit geringem Bildungsniveau fallen durch eine populistische Auffassung in Bezug auf Integration auf. Einer der beiden, von Beruf KFZ-Mechaniker und mit einem sehr konservativen Geschlechterleitbild, argumentiert wie folgt: „Ich habe nichts gegen Türken und gegen keinen was, aber wenn diese Art – eigentlich müssten die sich nach unseren Gesetzen richten und nicht wir nach denen. Und solange der Türke sich integriert, […] habe ich da nichts dagegen. Speziell die Türken, die werden ja immer viel angesprochen und ich hab nichts gegen Türken, aber wenn sie so zuhauf kommen und […] die treten ja immer so in Gruppen auf und denn fällt mir das schon schwer, dass ich denn hier mal wieder sage: Mensch nicht.“ (1Hans Neumann, DT-M, 58 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 238)
Der andere, von Beruf Tischler und ebenfalls konservativ in Bezug auf das Geschlechterarrangement in der Familie, vertritt folgende Auffassung: „Die Migration ist glaub ich im Moment eher nur so ein Thema, weil halt im Moment sehr viele hereinkommen und auch sehr viel unterschiedliche, all die ganzen aus dem Ostblock. Da kommt ja soviel aus dem Ostblock, wo man gar nicht weiß, wo man die hintun soll.“ (1Egon Schiersmann, DT-M, 49 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 568)
5.6.2 Biographische Beispiele für Integration Es ist nicht verwunderlich, dass die Auffassungen und Haltungen der Befragten zum Thema Integration häu¿g mit eigenen Erfahrungen im Umgang mit Menschen anderer Zuwanderungsgeschichte korrelieren bzw. teilweise auch damit begründet werden. Allerdings kann auch die mediale Berichterstattung eine Rolle bei der Entstehung der Sichtweisen zum Thema Integration spielen. Das folgende Beispiel verdeutlicht, dass die Haltung zu Integration nicht unbedingt auf eigenen Erfahrungen beruhen muss: „Und wenn ich dann so Geschichten höre wie in A-(Stadt), wo die zwei guten Leute da diesen Rentner zusammen gehauen haben oder in Kreuzberg oder in Neukölln, wo die Leute nicht mal Deutsch sprechen, gehen in türkische Läden und das ist für mich
Geschlechterarrangements, Integration und Zugehörigkeit
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keine Integration. […] Das ist für mich – da können sie auch in ihrem Land bleiben.“ (2Jürgen Neumann, DT-M, 23 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 262–263)
Ein weiteres Beispiel zeigt, dass auch Erzählungen von Bekannten ausschlaggebend für die Bildung einer eigenen Position sein können, insbesondere dann, wenn die Gelegenheit zum direkten Kontakt nicht oder kaum gegeben ist. Ein Angehöriger der jüngeren Generation ohne Zuwanderungsgeschichte, der eine erzbischöÀiche Schule besucht hat, berichtet: „Also bin ich eigentlich mit denen kaum in Berührung gekommen. Was man natürlich mitkriegt, ist, wenn dann auf der Schule darüber gesprochen wird, dass wieder irgendjemand, der türkisch aussieht oder so, durch den Park streift und da irgendwie versucht, wen auszurauben oder so […]“. (2Stefan Hirte, DT-M, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 386)
Nicht verwunderlich ist dann auch, dass solche, aus dritter Hand erhaltenen Berichte, einen stark negativen Charakter aufweisen. Es sind in der Regel Vorurteile, die, mangels eigener Erfahrungen, kritiklos übernommen werden. Insgesamt sind die individuellen biographischen Erfahrungen mit Integration bei den Menschen mit Zuwanderungsgeschichte jedoch sehr vielfältig. Sie reichen von überwiegend positiven bis überwiegend negativen Erfahrungen. Dies gilt sowohl für die ältere als auch die jüngere Generation. Alle Befragten mit Zuwanderungsgeschichte berichten sowohl über positive als auch über negative Erfahrungen mit Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Die Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte führen bei dieser Frage einerseits Beispiele von Bekannten und Freunden mit Zuwanderungsgeschichte an, die ebenfalls variieren, oder sie berichten von eigenen Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Der Sohn einer der schon erwähnten Familien mit geringem Bildungsniveau zeigt eine stark fremdenfeindliche Grundhaltung gegenüber seinen Altersgenossen mit Zuwanderungsgeschichte: „Dieser Migrationshintergrund, das – da krieg ich wirklich momentan so’n Hals, wenn ich so Leute über die Strasse gehen sehe. Ja mit so einem Gesicht so – gleich – ich hau gleich irgendwen zusammen oder so was. Ich sehe halt zum Großteil wirklich nur noch die Leute bei mir in der Schule. Die haben große, große Klappe und rennen da rum. Da hör ich nur noch Geschichten und da krieg ich wirklich schon so’ n Hals und das sind so Sachen. […] Ich sag mal, 90 Prozent von denen auf unserer Schule sind bekloppt, asozial sogar.“ (2Jürgen Neumann, DT-M, 23 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 339)
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Ergebnisse der Interviews
Es gibt aber auch Gegenbeispiele. Ein Angehöriger der jüngeren Generation ohne Zuwanderungsgeschichte, der nur über ein geringes Bildungsniveau verfügt, führt an: „Schlechte Menschen, ja da gibt’s viele. Also man sagt ja immer ‚¿ese Ausländer‘ und so, mit Drogen und bla, war ja auch auf meiner Schule viel der Fall. Aber ich hab mehr mitbekommen in B-(Stadt). Die Deutschen waren schlimmer (lacht) mit den Drogen und dem EinÀuss und den Kriminellen. Also da gab’s ein paar Freunde von mir […], z. B. er ist seit zwei Jahren Vater und sitzt im Gefängnis seit einem Jahr. Also so, ist auch ein Deutscher. […]. Ja […] ich fand die Deutschen eigentlich schlimmer. […] Ich bin nur der Meinung dass, wie gesagt mit den Immigranten. Ich ¿nd, das sind auch nur Menschen. Die sind auch, also immer mit B-(Stadt) verglichen, also, wenn ich daran denke, da […] waren sogar die polnischen, die arabischen, die Eltern, die waren so großzügig und immer so, ach willkommen und […] möchtest du etwas essen, wenn du durch die Tür kommst, auch wenn sie nicht gut Deutsch konnten, waren sie schon immer sozialer.“ (2Ralf Schiersmann, DT-M, 21 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 461–463)
Ein Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und der individuellen Einstellung zu Integration zeigt sich vor dem Hintergrund unserer Interviews nicht. Auch geschlechtsspezi¿sche Differenzen spielen dabei keine Rolle. Interessant ist bei den negativen Erfahrungen der jüngeren Generation mit Zuwanderungsgeschichte, dass diese häu¿g bereits in der Schule beginnen. Auf den hohen Leistungsdruck in der Schule wird wohl auch mit Ressentiments gegenüber Menschen mit Zuwanderungsgeschichte reagiert. Eine junge Frau türkischer Herkunft berichtet: „Und (ich) hatte natürlich, also in der Grundschule, ich rede jetzt von der Grundschule, […] war da aber schon als Türkin abgestempelt und im Nachhinein: Ich war immer Ausländerin. Ich war immer Migrantin. Das war’s. Oft war es so, dass ich sogar, wenn ich besser in der Schule war als die deutschen Schüler, dass ich dann degradiert worden bin, was mir ganz, ganz schwere Probleme eigentlich auch psychisch bereitet hat […]“. (2Cansu Akdeniz, TR-W, 27 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 77)
In einigen Interviews wird auch der Stellenwert der Zuwanderungsgeschichte thematisiert. Einerseits wird die Einbürgerung als Erleichterung bei Alltagsgeschäften interpretiert, andererseits wird aber auch gesagt, dass sich durch die Übernahme der deutschen Staatsangehörigkeit nichts verändert habe, d. h. man wird nach wie vor als ‚Ausländer‘ bzw. ‚Ausländerin‘ wahrgenommen.
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5.6.3 Bezug zur Integrationsdebatte Es gibt nur sehr wenige Aussagen der Interviewten, die sich auf die aktuelle Integrationsdebatte beziehen. Dennoch sollen sie hier erwähnt werden, weil davon ausgegangen werden kann, dass auch die Integrationsdebatte in Bezug auf die individuellen Auffassungen und Haltungen zum Thema Integration meinungsbildend wirkt. Die Einschätzungen gegenüber der Debatte sind sehr heterogen. So wird z. B. von einer jungen Frau türkischer Herkunft das neue Zuwanderungsgesetz, insbesondere der Sprachstandstest positiv gewürdigt: „[…] und das mit dem neuen Gesetz ¿nd ich auch echt super gut, dass die Türken, die halt nach Deutschland auswandern möchten, schon irgendwie so bestimmte Prüfungen mittlerweile machen müssen, bestehen müssen. Weil so ältere Leute, wie jetzt meine Eltern oder sonst wer, die sind halt damals immer davon ausgegangen, ach paar Jahre Geld verdienen in Deutschland und dann wandern wir eh wieder aus. Und ja deshalb haben die auch gar nicht versucht, die deutsche Sprache oder sonst irgendwas zu lernen oder sich irgendwie anzupassen. Aber heutzutage ist das schon ziemlich wichtig eigentlich.“ (2Aylin Tac, TR-W, 26 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 322)
Es gibt aber auch Kritik an der gegenwärtigen Integrationsdebatte. Interessant ist diesbezüglich die Haltung eines jungen Mannes ohne Zuwanderungsgeschichte, der vor der Reduzierung des Integrationsbegriffs auf den Assimilationsbegriff warnt: „Grob gesagt, man spricht ja häu¿g auch, oder das ist dann immer der Vorwurf, Integration, das geht dann in Richtung Assimilation, es ist schon in einem gewissen Sinne natürlich auch ne Angleichung, ne Anpassung […]. Nur ist natürlich selbstverständlich, dass in einer Gesellschaft sich die Individuen sowieso voneinander unterscheiden. Die Frage ist halt nur, hat man halt in dieser Gesellschaft nochmals spezielle Gruppen, oder ist die Frage, das ist ja dann wahrscheinlich noch nicht mal als Gesellschaft zu bezeichnen, sondern […] verschiedene Gesellschaften, die in einem Land leben, die sich halt voneinander abschotten und wo halt die Unterschiede zwischen diesen Gruppen extrem viel größer sind als eben sonst innerhalb dieser Gruppen (und) zwischen, zwischen einzelnen Individuen. Und Integration bedeutet also eben nicht, dass da nicht auch Unterschiede vorhanden bleiben sollten, ich denke aber, es gibt schon wesentliche Dinge, in denen eine Anpassung statt¿nden muss.“ (2Tobias Fischer, DT-M, 20 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 223)
Eine Expertin mit russischer Zuwanderungsgeschichte, die selbst im Integrationsbereich tätig ist, meint dazu:
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Ergebnisse der Interviews „Ich habe mit dem Thema viel zu tun – aus beruÀichen Gründen. Ich arbeite in Integrationsprojekten. Ich denke, solange wir über Migranten, Zuwanderer sprechen, wird keine Integration passieren. Man schafft quasi Gruppierungen innerhalb der Gesellschaft. Die Politik ist im Wesentlichen daran schuld. Die Politiker transportieren in die Öffentlichkeit das Bild von einem ‚anderen Menschen‘. […] Ich ¿nde die Vorstellungen von Integration im Sinne der Assimilation utopisch. Das funktioniert einfach nicht. Komisch ¿nde ich auch, wenn die Ausländer gezwungen werden, sich zu integrieren. Menschen können sich nicht anpassen, wenn sie es nicht wollen.“ (1Irene Riesner, SU-W, 44 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 47)
Viele Interviewte scheinen die Debatte um Integration aber auch schlichtweg zu ignorieren. Manche meinen, sie kämen aus beruÀichen Gründen nicht dazu, sie zu verfolgen. Andere sind ihrer überdrüssig und geben an, genügend andere Probleme zu haben. Hier wird zum Teil auch eine allgemeine Skepsis gegenüber der ‚großen Politik‘ deutlich, bei der offensichtlich viel über Menschen mit Zuwanderungsgeschichte berichtet wird, die aber nur selten von ihnen gestaltet wird. Vorwürfe dieser Art gibt es auch gegenüber den Medien, die eine ähnliche Strategie verfolgen und teils eine unheilvolle Allianz mit der Politik eingehen. Ein Älterer türkischer Herkunft kritisiert: „Da sehe ich sofort andere Interessen. Dass dieses Problem von den Medien als Werkzeug benutzt wird. Das muss ich offen sagen. Ich emp¿nde das so. Wenn ich in den Nachrichten Berichte mit der Problematik, was mit Ausländern zu tun hat, sehe: Da sieht man Frauen in den Großstädten mit den Kopftüchern rumlaufen. Diese Bilder werden bewusst ausgewählt. Man möchte, dass dort Diskrepanzen entstehen bzw. wahrgenommen werden. Ich persönlich als ein Mensch, der in Deutschland lebt, mit Emigrantenhintergrund, habe damit kein Problem.“ (1Murat Türk, TR-M, 47 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 206)
Eine ähnliche Sicht vertritt ein junger Mann türkischer Herkunft: „Ich sage mal so, das wird im Fernsehen diskutiert. […]. Ich halte da nicht viel von, es ist einfach populistisch, es wird einfach beispielsweise diese Sache, die in München passiert ist, an der U-Bahn Station, dass da zwei Ausländer einen Deutschen geschlagen haben. Das war in der Bild-Zeitung, das war tagelang im Fernsehen und es wurde einfach ein Bild vermittelt, dass die Ausländer nicht wollen, dass die noch in Gedanken im Dorf, dass sie noch in Gedanken im Jahre 1960 sind […] ein Beispiel, ich habe ein Praktikum bei der AOK gemacht und am letzten Tag habe ich die gefragt, was wollt ihr denn, soll ich zum Frühstück belegte Brötchen oder was Türkisches und sie wollen was Türkisches haben. […] das ist traurig so was, die haben mich gefragt, ob wir auch Fleischschnitzel und so weiter essen würden oder ob wir dieses Börek
Geschlechterarrangements, Integration und Zugehörigkeit
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essen würden. So wird es in Medien dargestellt, dass wir wirklich uns komplett abkapseln von der […] Gesellschaft und dass wir nur untereinander leben und immer noch wie gesagt mit den Gedanken im Dorf sind.“ (2Bulut Saman, TR-M, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 203)
Auffällig ist, dass vor allem die gut gebildeten Angehörigen der jüngeren Generation mit Zuwanderungsgeschichte die Pauschalisierungen der Medien heftig kritisieren. Die Geschlechtszugehörigkeit scheint dabei keine Rolle zu spielen. Bei den Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte ist die Haltung zur Integrationsdebatte eher heterogen. Es gibt sowohl Befürworter einer härteren Gangart gegenüber Menschen mit Zuwanderungsgeschichte als auch Personen, die deren Lage sehr differenziert betrachten, ein Verständnis für Phänomene wie Chancenungleichheit und Diskriminierung entwickelt haben und politische Reformen verlangen. 5.6.4
Herkunftsübergreifende soziale Kontakte
Auch bezüglich der sozialen Kontakte gibt es ein sehr differenziertes Bild. Insgesamt gibt es nur wenige Befragte, die keine oder kaum Kontakte zu Menschen einer anderen bzw. ohne Zuwanderungsgeschichte haben. Für nahezu niemanden scheinen solche Kontakte auch völlig unwichtig zu sein. Im Folgenden wird zunächst auf den Stellenwert der verschiedenen Kontakte eingegangen, dann werden die tatsächlich vorhandenen Kontakte der Interviewten präsentiert. Bedeutung herkunftsübergreifender sozialer Kontakte Soziale Kontakte zu Menschen einer anderen oder zu Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte sind für fast alle Interviewten selbstverständlich. Viele führen an, dass man in einer faktisch multikulturellen Gesellschaft entweder notwendigerweise oder auch freiwillig solche Kontakte hat. Das heißt, auch diejenigen, die solche Kontakte nicht gerade suchen, haben sich offensichtlich damit arrangiert. Für die meisten Interviewten mit und ohne Zuwanderungsgeschichte ist die Zuwanderungsgeschichte bei der Auswahl sozialer Kontakte eher sekundär, d. h. es spielt keine Rolle, ob man mit einem ‚Deutschen‘, einer ‚Türkin‘ oder einem ‚Russen‘ zu tun hat. Dies gilt vor allem, wenn die Kontakte institutionell entstanden sind, wie z. B. in der Schule, in der Hochschule oder am Arbeitsplatz. Sowohl die Ausbildungsstätten als auch der Arbeitsplatz eröffnen – notwendiger- oder erfreulicherweise – Gelegenheiten, mit Menschen einer anderen bzw. ohne Zuwanderungsgeschichte in Kontakt zu kommen. Mit anderen Worten: Sind Menschen von diesen Gelegenheiten ausgeschlossen (insbesondere durch Arbeitslosigkeit),
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Ergebnisse der Interviews
haben sie oft kaum eine Gelegenheit, mit Menschen einer anderen bzw. ohne Zuwanderungsgeschichte in Kontakt zu kommen. Wenn der Stellenwert der Zuwanderungsgeschichte bei der Auswahl der sozialen Kontakte hoch ist, kann dies zweierlei bedeuten: Entweder werden die Kontakte bewusst gesucht oder absichtlich gemieden. Für eine Frau der jüngeren Generation ohne Zuwanderungsgeschichte ist die Bedeutung der Herkunft bei der Auswahl sozialer Kontakte aus folgendem Grund sehr wichtig: „Also ich ¿nd’s eigentlich total bereichernd, weil es eigentlich total interessant ist, sich so über seine Kulturen so irgendwie so auszutauschen oder halt, was über andere Kulturen zu erfahren, also von den Leuten selber. Also man kann sich noch so viele Bücher durchlesen, also das ist schon was anderes, wenn man dann wirklich mal Kontakt hat mit Leuten, die halt woanders herkommen.“ (2Sandra Fuchs, DT-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 192)
Ein junger Mann mit russischer Zuwanderungsgeschichte legitimiert die hohe Bedeutung des Kontakts zu Russen aus einem sehr pragmatischen Grund: „Es ist wichtig für mich. Denn seine eigene Kultur sollte man auch nicht vergessen, meiner Meinung nach. Wenn man keine Freunde hat von seinem Herkunftsland, dann weiß man auch nicht viel, was dort passiert, was dort… Es kommt immer wieder zu irgendwelchen kleinen Neuigkeiten oder Ereignissen und am besten erfährt man über die über seine Freunde. Denn so oft kann ich ja nicht nach Russland reisen, deswegen ist es. Die sind quasi Vermittler für die Information für mich. Ich guck kein russisches Fernsehen, erfahre über alles nur über meine Freunde.“ (2Denis Perov, SU-M, 21 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 138)
In Bezug auf die Auswahl sozialer Kontakte nach Zuwanderungsgeschichte scheint es jedoch generationenspezi¿sche Besonderheiten zu geben. Für die Befragten der älteren Generation spielt die Zuwanderungsgeschichte wohl eine größere Rolle als für die Befragten der jüngeren Generation. Dies gilt sowohl für Personen mit als auch ohne Zuwanderungsgeschichte. Ein Beispiel einer Älteren türkischer Herkunft verdeutlicht dies. Zunächst wird sie nach Kontakten mit ‚Deutschen‘ gefragt: „Auf der Arbeit habe ich drei Freundinnen, wir sprechen miteinander, manchmal telefonieren wir, wenn jemand krank wird. Nur auf der Arbeit sprechen wir ein paar Wörter miteinander, das ist alles am Tag. Also, ich habe keinen in der Nachbarschaft. Also ich besuche sie nicht. Wir telefonieren nur, so ist es, wenn sie Geburtstag haben, dann rufe ich an. Also sich zusammen hinzusetzen und sich zu unterhalten, gibt es nicht. Ich verstehe mich mit denen sehr gut, auf der Arbeit, also es geht mir gut. Es gibt einige Leute, eine ist alt, zwei sind jung. Sonst gibt es keinen. Ansonsten sind
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auf der Arbeit so oder so nur Jugoslawen, Rumänen, Polen, das sind die.“ (1Pamire Kara, TR-W, 58 Jahre, niedriges Bildungsniveau, Absatz 140)
Seitens der jüngeren Generation wird zwischen der Art bzw. der Intensität der Kontakte differenziert. Spielt die Zuwanderungsgeschichte im Alltag zum größten Teil keine deutliche Rolle, so kann sie bei intensiven Freundschaften dann doch wieder bedeutsam sein. Eine junge Frau türkischer Herkunft führt aus: „Ich trenne da eigentlich nicht so, so deutsch-türkisch. Aber ich weiß zum Beispiel, dass ich wenn ich emotionaler bin, dass mich Türken eher verstehen als Deutsche. Wenn ich zum Beispiel auf den Fall meines Opas, auf den Sterbefall meines Opas stärker eingehe und emotional bin und Tränen in den Augen kriege oder in bestimmten Fällen einen Film gesehen, der sehr traurig ist und darüber geweint und stark davon betroffen zu sein, da merke ich, dass die türkischen Freunde mitfühlen können. Das die wesentlich emotionaler sind auch in Verbindung mit Liedern oder Tanz, mit kulturellen Sachen halt. Aber dann Schützenfest und Karneval bin ich eher mit meinen deutschen Freunden verknüpft. Sag ich mal so. Also es gibt schon Punkte, wo ich sage, das machst du auf jeden Fall mit deinen deutschen Freunden und das machst du auf jeden Fall mit deinen türkischen Freunden. Zum Beispiel kann ich mit meinen deutschen Freunden nicht auf einer türkischen Feier ganz toll und viel Spaß haben, weil die vielleicht nichts mit den Liedern verbinden können. Und das hat einfach nur ein, ein Teil einer Empathie. Das hat einfach was mit Empathie zu tun, weil die vielleicht auch die Sprache verstehen und auch diese Kulturgegebenheit auch und die Anpassungen kennen. Hat aber nichts mit der Nationalität zu tun. Einfach aus den Ritualen heraus, weil sie das nicht so kennen. Das ist halt kulturspezi¿sch.“ (2Cansu Akdeniz, TR-W, 27 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 95)
Die Bedeutung sozialer Kontakte variiert in unserer Befragtengruppe vor allem bei den Generationen, weniger bei den Herkunftsgruppen und Geschlechtern. Auch bezüglich des Bildungsniveaus konnten keine Differenzen entdeckt werden. Noch bedeutsamer als die generationenspezi¿schen Sichtweisen sind jedoch die unterschiedlichen Vorstellungen über die Bedeutung der Zuwanderungsgeschichte bei der Auswahl sozialer Kontakte. Große Unterschiede konnten bei der Art und Intensität der Kontakte (Arbeitsbeziehung vs. Freundschaft) und bei den Hintergründen dieser Bedeutung ausgemacht werden (bewusste Auswahl von Kontakten mit Angehörigen der eigenen Zuwanderungsgeschichte aus pragmatischen Gründen vs. bewusste Auswahl von Kontakten mit Angehörigen einer anderen Zuwanderungsgeschichte aus Gründen des Interesses an fremden Kulturen).
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Ergebnisse der Interviews
Tatsächlich vorhandene herkunftsübergreifende soziale Kontakte Obwohl es offensichtlich keine großen Differenzen gibt zwischen der Bedeutung, die die Interviewten den sozialen Kontakten mit Angehörigen einer anderen oder zu Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte beimessen, und den tatsächlich vorhandenen Kontakten, spielt die Entstehung dieser Kontakte doch eine große Rolle. An zahlreichen Beispielen zeigt sich nämlich, dass vor allem bei der Entstehung intensiver sozialer Kontakte nicht die Zuwanderungsgeschichte zentral ist, sondern der institutionelle Kontext. Mit anderen Worten: Wenn die Bedeutung der Kontakte mit Angehörigen einer anderen oder zu Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte hoch ist, gibt es auch einen multikulturellen Freundeskreis; allerdings nicht wegen der bewussten Auswahl der Personen, sondern eher wegen der institutionellen Voraussetzungen der Begegnung. Betrachtet man die Entstehungsbedingungen und -orte sozialer Kontakte, erkennt man, dass Ausbildungsstätten und Arbeitsstätten eine besondere Bedeutung haben. In fast allen Fällen berichten die Interviewten davon, dass sie sowohl ihre Kolleginnen und Kollegen, als auch ihre Freundinnen und Freunde in Schulen, Universitäten, in der Lehre oder am Arbeitsplatz kennen gelernt haben. An allen diesen Orten stellt der institutionelle Rahmen die zentrale Voraussetzung für eine Zusammenkunft dar. Erst wenn dieser den Kontakt ermöglicht, kann die Zuwanderungsgeschichte eine Rolle spielen. Einige Beispiele verdeutlichen die entscheidende Rolle des institutionellen Kontexts. Zunächst erklärt eine Frau der jüngeren Generation mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei, wie und wo ihre Kontakte entstanden sind: „Also bei mir, ganz ehrlich, jetzt auch mit dem Studium. Ich studiere ja jetzt auch Türkisch. Also die meisten meiner Freunde sind halt Türken. Mit einem Migrationshintergrund halt. […] Also, wo ich Abi gemacht hatte, da gab’s halt auch ein paar Türken, aber da hat ich mehr mit Deutschen zu tun und jetzt seitdem ich an der Uni bin mehr mit Türken irgendwie. (lacht) Ich hör halt nur noch Türkisch und Englisch.“ (2Asli Onur, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 340)
Noch prägnanter formuliert dies ein junger Mann ohne Zuwanderungsgeschichte. Er studiert Musikwissenschaften und Germanistik. „Ich habe auch eine polnische Kollegin. Da ist das eben Bildung, das ist ein Level, das heißt, da ist überhaupt keine Barriere da. Sie denkt wahrscheinlich noch sehr stark auf einer polnischen Ebene, ich vielleicht noch auf einer deutschen Ebene, aber das ist doch schon über den Beruf und über die sonstigen Möglichkeiten, die wir haben zu kommunizieren, doch relativ ausgeglichen. Einfach weil wir auch in der gleichen Sphäre leben, dann relativiert sich halt viel […].“ (2Niklas Kunz, DT-M, 24 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 107)
Geschlechterarrangements, Integration und Zugehörigkeit
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Ist der Entstehungsort sozialer Kontakte nicht die Ausbildungsstätte, dann ist es der Arbeitsplatz. Eine Angehörige der älteren Generation mit russischer Zuwanderungsgeschichte, die als Projektleiterin im Sozialbereich tätig ist, berichtet: „Ich habe Freunde unter unterschiedlichen Nationen. Ich kann in Prozenten schlecht einschätzen, wie viele welcher Nation angehören. Die Herkunft des Menschen spielt für mich überhaupt keine Rolle. Die menschlichen Charaktereigenschaften und mein Interesse zur Person sind mir viel wichtiger. Die meisten Freunde habe ich bei der Arbeit gewinnen können. Das liegt einfach daran, dass ich hier viel kommuniziere. Zu mir kommen viele Menschen, die viele Fehler in der deutschen Sprache machen oder mit Akzent sprechen. Ich freue mich, ihnen zu helfen.“ (1Irene Riesner, SU-W, 44 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 52)
Insgesamt berichtet die große Mehrheit der Interviewpartnerinnen und -partner über viele vorhandene Kontakte zu Menschen mit einer anderen oder zu Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Ist der soziale Kontakt zu Angehörigen einer anderen oder zu Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte dadurch eingeschränkt, dass eine Person keine multikulturellen Kontakte im Rahmen von Institutionen knüpfen kann, steigt die Gefahr, sich bei seinen Urteilen auf andere (Bekannte, Medien etc.) verlassen zu müssen. Dies ist so geschehen in dem bereits erwähnten Beispiel des Jungen ohne Zuwanderungsgeschichte, der eine erzbischöÀiche Schule besucht hat, auf der keine Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte waren. Die Gefahr der Herausbildung fremdenfeindlicher Haltungen wird dadurch erhöht. Sie ist im Grunde überall dort groß, wo sich vor dem Hintergrund institutioneller Zusammenhänge stark homogene Gruppen herausbilden. Das können einerseits Eliteschulen für Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte und andererseits Hauptschulen sein, die keine oder kaum Schülerinnen und Schüler ohne Zuwanderungsgeschichte besuchen. Zwar mag das Lernen in heterogenen Gruppen eine gewisse Herausforderung sein. Es hat jedoch den entscheidenden Vorteil, dass Schülerinnen und Schüler sich mit anderen Lebenslagen und -stilen auseinandersetzen, die Lebensperspektiven anderer Schülerinnen und Schüler kennenlernen und den demokratischen Umgang mit potenziellen KonÀikten einüben können. 5.6.5 Bereiche der Zugehörigkeit/Nicht-Zugehörigkeit Der Fragenkomplex zum Thema Zugehörigkeit wurde ausschließlich an die Angehörigen der jüngeren Generation mit Zuwanderungsgeschichte gerichtet. Die Assoziationen der Befragten zum Thema Zugehörigkeit und ganz konkret zu den Themen ‚Heimat‘ und ‚Zuhause‘ sind sehr vielfältig. Sehr häu¿g werden
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Ergebnisse der Interviews
Aspekte wie Familie und Freunde genannt. Manche der Befragten verstehen darunter z. B.: einen Ort, an dem man sich wohlfühlt, wo man willkommen ist, wo man geliebt wird, bei Personen, die einem lieb sind, im Freundeskreis oder die Gesellschaft, die eigene Wohnung, die Arbeit, die Schule. Einige Zitate verdeutlichen die Vielfalt der o. g. Assoziationen. So erklärt z. B. eine junge Frau kasachischer Herkunft auf die Frage, was ‚Zuhause‘ für sie ausmacht: „Ja, das weiß ich noch nicht. Wie gesagt, ich habe wirklich lange gedacht, dass es da ist, wo die Familie ist und wo das gewohnte Umfeld ist. Aber da, wo man sich wohl fühlt und wo man zurecht kommt, wo Freunde da sind oder Personen da sind, die einem lieb sind oder nett sind oder wichtig sind, da ist auch Zuhause. Da, wo man willkommen ist.“ (2Sabine Ahrens, SU-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 710)
Eine junge Frau mit russischer Zuwanderungsgeschichte antwortet auf die Frage nach der Zugehörigkeit: „Ich fühle mich zugehörig zu meiner Freundesclique in der Schule. Also, ich gehe zu einer Mädchenschule, und es gibt ungefähr so 15 Mädchen, die zu einer Clique, (lachend), so banal es auch klingen mag, gehören. Und, wenn ich da ankomme, dann sagen alle: Hallo !, und da fühle ich mich zugehörig. Als wenn es eine andere Clique ist, wo ich einfach nur winke, und vielleicht eine oder zwei winken mir zurück, aber halt nicht alle. Und das –, also, ich gehöre zu einer Gruppe. Dann fühle ich mich zugehörig zu meiner Familie. Natürlich, ich bin ein Teil meiner Familie, meiner großen Familie. Aber auch mit meiner Herkunft. Ich fühle mich zugehörig zu diesen besonderen Menschen, die aus Russland kommen, also, wenn irgendjemand von Russen spricht, dann fühle ich mich da zugehörig.“ (2Anna Kramarova, SU-W, 19 Jahre, Schülerin, Absatz 162)
Etwa die Hälfte der Befragten assoziiert Heimat mit dem Aufnahmeland, dem Herkunftsland oder mit mehreren länderspezi¿schen Zugehörigkeiten. Bei diesen Befragten kommt es jedoch auch nicht zu einheitlichen Antworten. Man kann fast sagen, es gibt so viele unterschiedliche Antworten wie befragte Personen. Eine Typisierung ist deshalb nur eingeschränkt möglich. Es gibt eine Gruppe, die sich relativ eindeutig zu Deutschland zugehörig fühlt. Es fällt auf, dass es hauptsächlich junge Frauen türkischer Herkunft sind, die diese Auffassung vertreten. Dies muss vermutlich im Zusammenhang damit interpretiert werden, dass die jungen Befragten türkischer Herkunft ganz überwiegend bereits in Deutschland geboren wurden, wie sie selbst betonen, während die Jüngeren mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion zum
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größeren Teil im Herkunftsland geboren wurden, also insgesamt noch nicht so lange in Deutschland leben. Einige Beispiele dokumentieren die Klarheit, mit der sich die Befragten zu Deutschland zugehörig fühlen. Eine junge Frau mit türkischer Zuwanderungsgeschichte führt aus: „Das [Deutschland, Anm. d. Verf.] ist mein Zuhause. Das ist mein Heimatort, wo ich mich wohl fühle. Wenn ich jetzt in die Türkei À iege wegen Urlaub, will ich wieder nach drei, vier Wochen zurück. Weil das ist, ja, will ich wieder zurück nach Deutschland, weil […] ich bin hier auf die Welt gekommen, bin hier geboren, bin hier aufgewachsen und werde ich auch sozusagen hier ernährt, deshalb ist es hier mein Heimatort, ne. […] Ich fühle mich nicht als Ausländerin, weil ich […] hier geboren bin und weil ich die deutsche Sprache beherrsche, weil ich auf der deutschen Schule war und ja.“ (2Sibel Can, TR-W, 21 Jahre, Schülerin, Absatz 222)
Eine andere junge Frau erklärt: „Mhm, also ich sehe mich hier nicht unbedingt als Ausländer. Also ich bin hier geboren, hier aufgewachsen, ich habe mehr deutsche Eigenschaften an mir wahrscheinlich als türkische. Ob das jetzt Pünktlichkeit ist oder sonst irgendwas. Also von daher […].“ (2Asli Onur, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 857)
Eine weitere Gruppe fühlt sich sowohl zu Deutschland als auch zum Herkunftsland zugehörig. Stellvertretend meint ein junger Mann türkischer Herkunft auf die Frage, welche Staatsangehörigkeit er besitzt: „[…] ich persönlich versuche anzustreben, dass ich mir möglichst alle Wege frei halte, sowohl Richtung Deutschland, deutsche Staatsangehörigkeit, als auch türkische Staatsangehörigkeit. Weil mir an beiden Ländern viel liegt. Weil ich in beiden Ländern gelebt habe. Mein Freundeskreis. Ich habe immer noch Freunde in der Türkei. Meine Großfamilie lebt zwar in der Türkei, aber ich lebe mit meiner Familie hier. Deswegen bin ich an den beiden Nationen verbunden.“ (2Resul Türk, TR-M, 18 Jahre, Schüler, Absatz 179)
Eine junge Frau russischer Herkunft argumentiert ähnlich: „Im Moment geht es, aber eine zeitlang war es echt schwierig. Im Dorf fällt das nicht so auf, dass man Russlanddeutsche ist. Und wenn man in einer Großstadt ist, dann merkt man, dass es auch andere Leute gibt. Man merkt, man ist nicht die Deutsche. Aber wir sind keine richtigen Russen, weil die richtigen Russen sind doch anders als wir. Man merkt schon, dass man zwischen ist. Man spricht zwar Deutsch, aber man hat unterschiedliche Denkweise. Hauptsächlich fühle ich mich wirklich zu den
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Ergebnisse der Interviews Russlanddeutschen zugehörig, aber ich bin auch gerne mit den Deutschen so.“ (2Lydia Rust, SU-W, 21 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 264)
Interessant ist, dass dabei ‚Heimat‘ häu¿g eher mit dem Herkunftsland, ‚Zuhause‘ eher mit Deutschland verbunden wird. Eine junge Frau bringt dies auf den Punkt: „Heimat. Das ist auch so ne Sache, ne ? (lacht) ich mein, hier sind wir noch auf der einen Seite Ausländer, in der Türkei sind wir ja auch wiederum Ausländer. Ja, als Heimat ist eigentlich Deutschland und Türkei würde ich sagen. […]. Zuhausesein ist Deutschland de¿nitiv. Ja, also das hasse ich auch, wenn […] irgendwelche Kunden mich fragen, ob ich zu Hause war im Urlaub. […] Also zu Hause bin ich hier. De¿nitiv !“ (Aylin Tac, TR-W, 26 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 867)
Viele beklagen jedoch, dass sie sich im Grunde gerne mit Deutschland identi¿zieren möchten, jedoch von der Mehrheitsgesellschaft daran gehindert werden. „Ich selber fühle ich mich nicht als Ausländer, aber ich werde als Ausländer angesehen. […] Es ist einfach dieses Bild, was da ist, also was in den Köpfen der Leuten ist […], die haben einfach ein Bild, die Ausländer sind so und so, da wird vieles über einen Kamm geschert. Natürlich nicht alle so, aber es ist halt Mehrzahl der Leute. Das ist das Problem.“ (2Bulut Saman, TR-M, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 385–387)
Und es gehört offensichtlich eine Menge Selbstbewusstsein dazu, den Vorurteilen der Mehrheitsgesellschaft zu trotzen, wie folgendes Beispiel einer Studentin der Soziologie zeigt: „Ich werde vielleicht als Ausländer bezeichnet oder auch beschimpft, weil ich vielleicht schwarze Haare hab. Das ist zwar traurig, aber ich fühl mich nicht als Ausländer. Also Ausländer hat für mich mittlerweile so eine Gestalt angenommen, dass es eine Beschimpfung ist, für Menschen, die sich vielleicht nicht richtig integriert haben, nicht die Sprache sprechen, aber das trifft auf mich nicht zu. Meine Heimat ist Deutschland, ich spreche Deutsch, ich benehme mich auch angepasst […].“ (2Zuhal Kara, TR-W, 22 Jahre, hohes Bildungsniveau, Absatz 250)
Von manchen wird die Bedeutung der Nationalität bewusst eingeschränkt. Ein junger Mann türkischer Herkunft, der sich grundsätzlich beiden Ländern verbunden fühlt, berichtet auf die Frage, ob die Staatsangehörigkeit für ihn ein Thema ist:
Geschlechterarrangements, Integration und Zugehörigkeit
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„Ein Thema ? Ich würde sagen, es spielt eine gewisse Rolle. Das war eins meiner Probleme. Dieser Spalt, Türke, Deutscher. Es war immer so eine Sache, dass ich mich nicht den Türken zuordnen könnte. Für mich, als ich nach Deutschland kam, hatte ich das Bild von meinen türkischen Mitmenschen total anders. Zugehörigkeit – ich fühle mich nur meiner Familie zugehörig. Ich würde sagen, einer Nation nicht. Vielleicht fühle ich mich der Türkei zugehörig, dem Land, der Wärme, der Sonne, den Städten, aber nicht der Nation. Nein.“ (2Resul Türk, 18 Jahre, Schüler, Absatz 329)
Die meisten der Befragten wissen relativ genau, wo sie sich zugehörig fühlen, wo ihre Heimat bzw. ihr Zuhause ist. Lediglich eine, bereits zu Anfang des Kapitels zitierte junge Frau, ist sich bezüglich der Zugehörigkeit unsicher, nimmt dies jedoch mit Humor: „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre. Ich fühle mich integriert, aber ich weiß nicht, zu wem ich gehöre, weil ich irgendwie beide Erziehungen mitgehabt, miterlebt habe, sei es deutsche, sei es russische. Oder russische Erziehung, aber deutsches Umfeld. Im Pass ist man deutsch, wenn man nach Russland fährt, ist man deutsch. Aber gleichzeitig fühle ich mich nicht […] wirklich deutsch, denn ich habe ja diesen russischen Hintergrund in mir. Also, ich weiß nicht, wo ich hingehöre (lacht).“ (2Sabine Ahrens, SU-W, 24 Jahre, mittleres Bildungsniveau, Absatz 694)
Die Interviews haben insgesamt gezeigt, dass es eine sehr breite Palette an Haltungen zu den Themen Zugehörigkeit, Heimat und Zuhause gibt. Sie zu vereinheitlichen würde bedeuten, Klischees zu produzieren. Einmal mehr wird hier deutlich, dass es nicht der Realität entspricht, dass junge Frauen und Männer türkischer Herkunft oder junge Aussiedlerinnen und Aussiedler sich nicht mit Deutschland identi¿zieren würden. Klar ist aber auch geworden, dass Zugehörigkeit nur zum Teil überhaupt mit einer oder mehreren Staatsangehörigkeiten oder kultureller Herkunft verbunden wird. Stattdessen tendieren die meisten Befragten dazu, mit Zugehörigkeit Heimat und Zuhause Freundschaften, Familie, Arbeit und Schule zu assoziieren, Aspekte, die möglicherweise auch für Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte einen wesentlich wichtigeren Stellenwert besitzen als die Nationalität. Es wäre interessant gewesen, diese Fragen auch an die Angehörigen der jüngeren Generation ohne Zuwanderungsgeschichte zu richten. Dann würde vielleicht noch deutlicher, dass es in dieser Hinsicht mehr Gemeinsamkeiten unter den Angehörigen der jüngeren Generationen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte gibt als vermutet.
218 5.6.6
Ergebnisse der Interviews Resümee
Die Grundidee dieses Kapitels basiert auf der Vermutung, dass für die Erkundung des intergenerativen Rollenverständnisses von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auch Informationen zu den Themen Integration und Zugehörigkeit von Bedeutung sein können. Folgende Ergebnisse können in Bezug auf die Bedeutung der beiden Themen für die Befragten festgehalten werden: Allgemeine Statements zu Integration Die Ansichten der Befragten zum Thema Integration sind sehr vielfältig. Mit Integration werden ganz unterschiedliche Begriffe assoziiert. Es dominiert ein Verständnis, mit dem eine Sehnsucht nach gegenseitiger Toleranz bzw. wechselseitigem Respekt verbunden wird. Genannt werden zahlreiche Aspekte, die sowohl der systemischen als auch der sozialen Integration zugeordnet werden können. Bezüglich der Bewertung der Integration dominiert bei den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte eine positive Haltung. In der Tendenz sehen eher Interviewte ohne Zuwanderungsgeschichte Integration als problematisch und beziehen sich damit vor allem auf vermeintliche De¿zite der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Stellvertretend für viele Probleme werden fehlende Sprachkenntnisse genannt. Sowohl von Menschen mit als auch ohne Zuwanderungsgeschichte wird aber auch das deutsche Bildungssystem kritisiert. Es sei zu selektiv und würde Kinder und Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte diskriminieren. Geschlechtszugehörigkeit und Bildungsniveau scheinen nur eine untergeordnete Rolle bei der Sichtweise auf Integration zu spielen. Populistische Auffassungen in Bezug auf Integration werden nur wenige vorgetragen. Sie werden in unserer Befragtengruppe von einzelnen Menschen der älteren Generation ohne Zuwanderungsgeschichte und mit hohem Bildungsniveau vertreten. Biographische Beispiele für Integration Nicht immer werden die Haltungen zum Thema Integration mit eigenen Erfahrungen begründet. Einige Beispiele zeigen, dass Meinungen aus den Medien oder von Bekannten übernommen werden. In Bezug auf die biographischen Erfahrungen existiert ebenfalls eine breite Vielfalt. Die gesamte Spannbreite von positiven bis negativen Erfahrungen wird in den Interviews abgedeckt. Das gilt sowohl für die ältere als auch für die jüngere Generation. Auch hier zeigen sich jedoch weder geschlechts- noch bildungsspezi¿sche Besonderheiten. Aber auch hier scheint die Schule eine besondere Rolle zu spielen: Hoher Leistungsdruck und Ressentiments gegenüber Menschen mit Zuwanderungsgeschichte scheinen miteinander zu korrelieren und die Diskriminierungserfahrungen von Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte beginnen bereits in der Sekundarstufe oder früher.
Geschlechterarrangements, Integration und Zugehörigkeit
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Bezug zur Integrationsdebatte Konkrete Aussagen zur Integrationsdebatte sind eher selten. Es kommen sowohl positive als auch negative Reaktionen vor, unabhängig von der Herkunftsgruppe der Befragten. Positiv hervorgehoben wird die durch die Debatte aufgewertete Bedeutung der Sprachförderung. Kritisiert wird, dass Integration immer noch zu sehr auf den Assimilationsbegriff reduziert würde oder Medien und Politik die Debatte für ihre Interessen instrumentalisieren und Vorurteile und Pauschalisierungen befördern. Allerdings spielt die Debatte für viele Befragte mit und ohne Zuwanderungsgeschichte kaum oder gar keine Rolle. Sie geben an, aus beruÀichen Gründen dafür keine Zeit oder einfach andere Probleme zu haben. Soziale Kontakte zu Menschen mit einer anderen bzw. ohne Zuwanderungsgeschichte Befragte, die kaum oder keine eigenen Kontakte zu Menschen einer anderen oder zu Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte haben, gibt es nur wenige. Für niemanden scheinen diese Kontakte jedenfalls bedeutungslos zu sein. Im Gegenteil, insbesondere in Institutionen, d. h. in der Schule oder am Arbeitsplatz, scheinen die Kontakte zu einer Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Sie gehören zum Alltag. Die Zuwanderungsgeschichte ist meist kein Kriterium für die Auswahl der Kontakte. Deutlich geworden ist jedoch, dass die Institutionen eine wichtige Rolle bei der Herstellung interkultureller Kontakte spielen: Sie bieten Gelegenheiten, solche Kontakte zu knüpfen bzw. zu wahren. Fallen Leute aus dem Netz dieser Institutionen heraus oder wählen sie bewusst Institutionen, deren Gruppen sehr homogen sind, wächst die Gefahr der Isolation bzw. Übernahme von Vorurteilen, d. h. die Gefahr der Fremdenfeindlichkeit steigt. Die Bedeutung der Kontakte unterscheidet sich bei den beiden Generationen. Die (eigene) Zuwanderungsgeschichte spielt bei der älteren Generation (noch) eine größere Rolle. Auch die Art und die Intensität der Kontakte variieren stark. Sie reichen von der bewussten Auswahl von Kontakten mit Menschen einer anderen oder mit Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte bis hin zur bewussten Auswahl von Kontakten mit Angehörigen der eigenen Zuwanderungsgeschichte aus pragmatischen Gründen. Die Geschlechtszugehörigkeit und die Zuwanderungsgeschichte selbst scheinen keine besondere Rolle bei Art und Intensität der Kontakte zu spielen. Bereiche der Zugehörigkeit/Nicht-Zugehörigkeit. Ähnlich wie bei den Haltungen zum Thema Integration ist auch das Verständnis von Zugehörigkeit, Heimat und Zuhause sehr unterschiedlich. Häu¿g werden damit Gefühle des Wohlbe¿ndens, des Willkommenseins oder auch Begriffe wie Freundschaft, Gesellschaft, Familie, Arbeit oder Schule verbunden. Etwa die Hälfte der Befragten denkt bezüglich Integration an das Herkunftsoder das Aufnahmeland oder mehrere länderspezi¿sche Zugehörigkeiten. Aber
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Ergebnisse der Interviews
auch hier gehen die Haltungen sehr weit auseinander. Die Mehrheit der Befragten mit Zuwanderungsgeschichte fühlt sich entweder zu Deutschland oder zu mehreren Ländern zugehörig. Dass die Jüngeren sich nicht zu Deutschland zugehörig fühlen, kann somit nicht bestätigt werden. Interessant ist jedoch darüber hinaus, dass eben auch nur die Hälfte der Befragten mit dem Begriff der Zugehörigkeit überhaupt eine oder mehrere Staatsangehörigkeiten oder kulturelle Herkunft verbindet. 5.6.7
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Geschlechterarrangement und Integration ?
Die Interviews mit den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte haben verdeutlicht, dass das Geschlechterarrangement so differenziert ist wie ihre Integrationsbestrebungen und ihre Vorstellungen von Zugehörigkeit. Dies gilt sowohl für die selbst Zugewanderten als auch für ihre Kinder. Hätten die Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte bei den Fragen zum Thema Integration nicht sofort und ausschließlich an die Integration der Bevölkerung mit Zuwanderungsgeschichte, sondern eher an sich selbst und ihre eigene Integriertheit gedacht, und wären sie ebenfalls zum Thema Zugehörigkeit befragt worden, hätte man vermutlich auch hier ein differenzierteres Bild erhalten. Auch wenn bei der älteren Generation konservative Geschlechterarrangements dominieren, sind deren Integrationsbestrebungen und auch deren subjektives Gefühl, integriert zu sein, doch sehr unterschiedlich. Es gibt durchaus ältere Befragte, die eine eher konservative Geschlechterpraxis leben und deren Bestrebungen, sich zu integrieren, gleichzeitig als hoch einzuschätzen sind. Viele der älteren Befragten fühlen sich integriert und zugehörig, auch wenn es nicht immer die Staatsangehörigkeit ist, die hier im Vordergrund steht, sondern eher die Familie, der Freundeskreis oder die Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz. Bei der jüngeren Generation ist es noch differenzierter. Hier gibt es sogar Beispiele dafür, dass junge Männer – vielleicht entgegen mancher Erwartungen – für sich die Vorstellung eines egalitären Geschlechterarrangements entwickelt haben und sich gleichzeitig als wenig integriert emp¿nden. Umgekehrt gibt es den Typ, der Wert darauf legt, dass im Haushalt die Arbeit klar geschlechtsspezi¿sch aufgeteilt wird, und sich insgesamt sehr integriert fühlt, weil er im Hinblick auf Bildung und Beruf erfolgreich ist. Klare Linien oder Parallelen, bei denen man von einem bestimmten Geschlechterarrangement auf eine spezi¿sche Art und Weise der Integrationsbereitschaft bzw. der Integriertheit schließen könnte, gibt es nicht. Dies ist auch nicht verwunderlich. Das Geschlechterarrangement als Teil der kulturellen Integration sagt nur sehr wenig über Art und Ausmaß der gesamten Integration aus, da sie sich aus weiteren, teilweise sogar wesentlicheren Bestandteilen zusammensetzt. In
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modernen Gesellschaften werden die Menschen nur teilinkludiert bzw. nur partiell integriert. Man kann durchaus ökonomisch integriert sein und eine traditionelle Geschlechterpraxis pÀegen. Umgekehrt ist ein egalitäres Geschlechterarrangement kein Garant für eine gelungene Integration.
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Mehrperspektivisch denken – Zusammenfassung der Hauptergebnisse
Was lässt sich nun zusammenfassend über die Geschlechterleitbilder und -praxen der Befragten und über die EinÀüsse darauf aus verschiedenen Kontexten sagen ? Und welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die Einstellungen, aber auch die Diskurse zu Integration ? Der Übersichtlichkeit halber werden an dieser Stelle die Hauptergebnisse der vorliegenden Studie zusammengefasst, und zwar orientiert an den durch die Ausgangsfragestellungen gesetzten zentralen Themen.66 Zudem bietet sich so die Gelegenheit, in fokussierter Weise an die Erkenntnisse anzuknüpfen, die dazu bisher vorliegen, insbesondere auch aus den SINUS-Studien. 6.1
Vorherrschende Geschlechterarrangements
Bei den befragten Frauen und Männern sind drei Typen von Rollenverständnissen bzw. Geschlechterarrangements identi¿zierbar: konservative, bedingt egalitäre und egalitäre Geschlechterarrangements. Die Entwicklung der Typen zur Einordnung der Befragten stützt sich auf folgende zentrale und ‚klassische‘ Bereiche der gelebten und vor allem bei den Jüngeren gewünschten Aufgaben- und Arbeitsteilung: Erwerbsarbeit (Tätigkeitsfeld und Stundenzahl), Kinderbetreuung, Waschen/Bügeln, Kochen/Essen zubereiten und Putzen/Staubsaugen. In die Typenbildung wurden demnach die klassischerweise in der Geschlechterforschung thematisierten geschlechtsspezi¿schen Arbeitsbereiche in Partnerschaften und Familien einbezogen. Darüber hinaus wurden weitere Aufgaben- und Arbeitsbereiche ausgewertet. a) Geschlechterarrangements der älteren Generation Typen der Geschlechterarrangements In der älteren Generation dominiert das konservative Geschlechterarrangement, gefolgt vom bedingt egalitären Geschlechterarrangement. Egalitäre Geschlechterarrangements bei den Älteren sind die Ausnahme. Außerdem konnten einige Be-
66
Vgl. dazu die Einleitung.
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Mehrperspektivisch denken
fragte keinem der Typen zugeordnet werden, da sie allein erziehend waren bzw. sind (darunter sind alle Herkunftsgruppen vertreten). In der älteren Generation mit einem konservativen Geschlechterarrangement (etwas weniger als die Hälfte aller älteren Befragten gehören diesem Typus an, zudem etwas weniger Frauen als Männer) ist gut ein Drittel aller Mütter ausschließlich Hausfrau, andere Frauen arbeiten in Mini-Jobs oder (maximal) in Teilzeit. Die Frau übernimmt ganz überwiegend oder ausschließlich die ‚klassischen‘ Haushaltsarbeiten und die Kinderbetreuung. Es sind keine Effekte bezüglich der Herkunft erkennbar. Ein Zusammenhang scheint hingegen mit dem Bildungsniveau zu bestehen: Der Gruppe der konservativen Älteren gehören mehr Befragte mit mittleren und niedrigen Bildungsabschlüssen an. Die Gruppe der älteren Befragten mit einem bedingt egalitären Geschlechterarrangement (knapp ein Viertel aller Älteren, davon rund zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen) zeichnet sich durch eine umfänglichere Erwerbstätigkeit der Frauen und eine größere Unterstützung in ‚klassischen‘ Haushaltsarbeiten und der Kinderbetreuung durch die Männer aus. Allerdings übernehmen die Frauen weiterhin mehr Verantwortung, z. T. auch neben einer Vollzeitberufstätigkeit (Konzept der männlichen Mithilfe). Die Herkunftsgruppen sind ebenfalls nahezu ausgewogen in der Gruppe vertreten, mit einem Anteil von rund zwei Dritteln gehören zu dieser Gruppe jedoch mehr Befragte mit hohen als mit mittleren und niedrigen Bildungsniveaus. Die kleine Gruppe der älteren Befragten mit einem egalitären Geschlechterarrangement (der Frauen- und Männeranteil ist ausgewogen) besteht ausschließlich (zu beinahe gleichen Teilen) aus Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte und Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese Personen haben alle ein hohes Bildungsniveau (dieses ist in der Gruppe der älteren Befragten mit türkischer Zuwanderungsgeschichte seltener vertreten). In der Regel gehen beide Partner einer Erwerbstätigkeit mit ähnlichen Zeitbudgets nach. Diese Ergebnisse sowie die zu den in der Gruppe der Jüngeren präferierten Geschlechterarrangements (s. u.) stehen in Übereinstimmung mit denen der SinusStudie von 2008 (Wippermann 2008), wonach die Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte bezüglich Geschlechterarrangements mit Blick auf ‚klassische‘ Haushaltsaufgaben und Kinderbetreuung an vielen Stellen nicht besonders hoch sind. In der vorliegenden Arbeit scheinen die Unterschiede noch geringer zu sein. Zusätzliche Aufgaben- und Arbeitsbereiche Über die ‚klassischen‘ Haushaltsaufgaben, die Erwerbsarbeit und die Kinderbetreuung hinaus gibt es sehr individuelle Varianten der Aufgabenteilung ohne besondere Auffälligkeiten nach Geschlecht, Herkunft oder Bildungsniveau. Vieles wird entweder gemeinsam erledigt oder ohne eine besondere erkennbare Geschlechts-
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typologie aufgeteilt. Lediglich beim Einkaufen und beim Bereich KontaktpÀege fällt auf, dass diese in Teilen ausschließlich der Frau zugeschrieben werden, in ganz wenigen Fällen ausschließlich dem Mann. In der Mehrzahl der Fälle wird beides gemeinsam erledigt. Beim Bereich Reparaturen fällt eine stark geschlechtsspezi¿sche Tendenz auf: Von fast allen Befragten (Männern und Frauen) werden Reparaturen eindeutig dem Mann zugewiesen.67 Weitere Erkenntnisse zu Geschlechterarrangements der älteren Generation: ƒ
ƒ
Die Geschlechterarrangements der älteren Generation änderten sich teilweise im Zeitverlauf, insbesondere beeinÀusst durch Lebensereignisse wie die Geburt von Kindern, die Zuwanderung, Arbeitslosigkeit, Stellenwechsel usw. Dabei hat die Geburt von Kindern deutlich den größten EinÀuss. Aktuell vorherrschende Geschlechterarrangements sind vor diesem Hintergrund als Momentaufnahme zu verstehen. Dieser Aspekt der Flexibilität von Geschlechterarrangements ergänzt Erhebungsergebnisse von Sinus Sociovision (2007a, b, c, d, 2008; Wippermann 2008) und anderen Studien (z. B. Herwartz-Emden 2000, BMFSFJ 2000), bei denen kein Zeitvergleich angestellt wurde. Kinder helfen im Haushalt teilweise mit. So ¿ndet die Aufgaben- und Arbeitsteilung nicht selten im gesamten familiären Verbund und nicht nur zwischen den Elternteilen statt.
b) Geschlechterarrangements der jüngeren Generation Die jüngeren Befragten formulieren zu einem großen Teil Vorstellungen von zukünftigen Geschlechterarrangements, da lediglich ein kleiner Teil von ihnen bereits mit einer Partnerin/einem Partner im eigenen Haushalt lebt oder gelebt hat. Darüber hinaus hat keine befragte jüngere Person eigene Kinder. Typen der Geschlechterarrangements In der jüngeren Generation dominiert das bedingt egalitäre Geschlechterarrangement, gefolgt vom egalitären Geschlechterarrangement. Einige wenige Befragte bevorzugen ein konservatives Geschlechterarrangement. Die größte Gruppe der Jüngeren präferiert ein bedingt egalitäres Geschlechterarrangement (etwas weniger als zwei Drittel aller jüngeren Befragten, zahlenmäßig nach Männern und Frauen nahezu ausgewogen). In der Gruppe sind Befragte mit türkischer Zuwanderungsgeschichte etwas häu¿ger vertreten, gefolgt von Befragten 67 Die genannten Ergebnisse sind mit denen von Sinus Sociovision (Wippermann 2008) nur eingeschränkt vergleichbar, da diese Aspekte bei unserer Studie im offenen Gespräch und nicht mittels geschlossener Fragen erhoben wurden (die Kriterien wurden z. T. von den Interviewten hinterfragt oder mit ihnen diskutiert). Zudem wurden nicht exakt die gleichen Fragen gestellt.
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Mehrperspektivisch denken
mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion und Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte. Rund die Hälfte dieser Gruppe hat ein hohes Bildungsniveau, rund ein Viertel verfügt über mittlere Bildungsabschlüsse. Die restlichen Befragten dieser Gruppe besuchen die Schule. Unterschiede des Bildungsniveaus fallen verhältnismäßig stärker ins Gewicht als Unterschiede bezüglich der Herkunft. Typisch für diese Gruppe ist eine grundsätzlich hohe Zustimmung zur Berufstätigkeit von Frau und Mann, dazwischen gibt es eine große Varianzbreite individueller Vorstellungen und gelebter Praxen der Aufgaben- und Arbeitsteilung im Haushalt und bezüglich der Kinderbetreuung. Zwei Trends sind in dieser Gruppe erkennbar: ƒ
ƒ
Zum einen gibt es das Konzept der männlichen Mithilfe: Der Mann unterstützt die Frau in Haushaltsaufgaben und Kinderbetreuung zum Teil erheblich – individuell in verschiedenem Ausmaß und in verschiedenen Bereichen, aber insgesamt mehr und häu¿ger als in der konservativen Gruppe. Zum anderen wird des Öfteren eine (zeitweise, manchmal vollständige) Traditionalisierung von Geschlechterarrangements in der Kinderphase angestrebt.
Der Gruppe der Jüngeren, die ein egalitäres Geschlechterarrangement präferiert (etwas weniger als ein Drittel aller jüngeren Befragten) gehören ganz überwiegend Frauen (aus allen Herkunftsgruppen, davon mehrheitlich Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte) und nur wenige Männer (ohne Zuwanderungsgeschichte) an. Ingesamt haben je rund ein Viertel eine Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei und der ehemaligen Sowjetunion. Rund die Hälfte sind Personen ohne Zuwanderungsgeschichte. Ganz überwiegend besteht diese Gruppe aus Personen mit hohem Bildungsniveau, wobei das Bildungsniveau einen vergleichsweise höheren EinÀuss hat als die Herkunft. Diese Gruppe zeichnet sich u. a. durch eine durchgängig hohe Berufsorientierung der Frauen, den Wunsch nach einer gemeinsamen Kinderbetreuung auch in der Kleinkindphase und eine gleiche Aufteilung der ‚klassischen‘ Haushaltsarbeiten aus. Die kleine Gruppe der jüngeren Generation, die ein konservatives Geschlechterarrangement präferiert (gleichermaßen Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte), besteht fast ausschließlich aus jungen Männern; es gibt nur eine Frau in der Gruppe. Die Frau ist türkischer Herkunft. Bis auf einen Mann mit hohem Bildungsniveau sind ausschließlich Jüngere mit mittlerem und niedrigem Bildungsniveau vertreten. In dieser Gruppe ist Erwerbsarbeit tendenziell eine männliche Domäne. Hausarbeit und Kinderbetreuung sind Frauensache.68
68 Diese Ergebnisse stehen, wie bereits erwähnt, weitgehend in Übereinstimmung mit denen von Sinus Sociovision.
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Zusätzliche Aufgaben- und Arbeitsbereiche Bei den Jüngeren gibt es ebenfalls bei den über die ‚klassischen‘ Haushaltsaufgaben, die Erwerbsarbeit und die Kinderbetreuung hinausgehenden Aufgaben sehr individuelle Varianten der Aufgabenteilung, die größtenteils keine eindeutigen Trends erkennen lassen. Vieles soll auch hier gemeinsam erledigt werden, bzw. wird ohne erkennbare Geschlechtspräferenzen aufgeteilt. Leicht geschlechtsspezi¿sche Tendenzen weisen bei den Jüngeren die Bereiche Bankgeschäfte und Streitschlichtung auf. Zwar sehen auch hier die meisten eine gemeinsame Verantwortung, doch tendiert die Verantwortung bei Bankgeschäften in Richtung des Mannes, beim Streitschlichten in Richtung der Frau. Ähnlich wie bei den Älteren wird die Verantwortung für die KontaktpÀege von einigen stärker der Frau zugewiesen. Wie bei den älteren Befragten fällt eine stark geschlechtsspezi¿sche Tendenz beim Bereich Reparaturen auf. Diese werden wieder von fast allen Befragten (Männern und Frauen) eindeutig dem Mann zugeordnet.69 Weitere Erkenntnisse zu Geschlechterarrangements der jüngeren Generation: ƒ ƒ
ƒ
69
Vor allem egalitär und bedingt egalitär Eingestellte wünschen sich eine ‚gerechte‘ Aufgaben- und Arbeitsteilung, in der kein Partner in seinem Zeitbudget übermäßig belastet wird. Viele jüngere Befragte möchten die Aufgabenteilung pragmatisch regeln oder tun dies bereits. Sie machen dies von der beruÀichen Entwicklung, dem Einkommen beider, der je verbleibenden Zeit für den Haushalt sowie von Neigungen der Beteiligten abhängig. Viele bevorzugen eine Àexible Arbeitsteilung und möchten sich von geschlechtstypischen Zuschreibungen lösen (quer durch die Herkunftsgruppen, etwas mehr Frauen als Männer). Jüngere, die bereits ein Arbeitsteilungsmodell in Partnerschaft mit eigenem Haushalt leben, erleben teils bereits im jungen Alter den ‚gap‘ zwischen Wunsch und Wirklichkeit (wie gezeigt in Wippermann 2008, Sinus Sociovison 2007c, Cornelißen u. a. 2002). Dabei übernehmen Frauen z. B. mehr Hausarbeit als geplant. Es scheint, als würde sich diese Diskrepanz mit zunehmendem Lebensalter bzw. zunehmender Beziehungsdauer etablieren. Einige Frauen, die noch nicht in Partnerschaft und einem eigenem Haushalt leben, nehmen diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit bereits gedanklich vorweg bzw. sehen sie voraus.
Auch hier gilt die eingeschränkte Vergleichbarkeit mit den Sinus-Ergebnissen (s. o.).
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c) Geschlechterarrangements generationenübergreifend Hier lässt sich als ein zentrales Ergebnis feststellen, dass es vor allem die Generationenzugehörigkeit und das Bildungsniveau sind, welche einen EinÀuss auf die Herausbildung von Geschlechterleitbildern und Geschlechterpraxen haben. Die Untersuchung hat jedoch auch gezeigt, dass noch andere Faktoren EinÀuss auf die Konstruktion der Geschlechterarrangements haben. Genannt wurden z. B. das soziale Umfeld, der Wandel des Zeitgeists und eine hohe Karriereorientierung.70 Zudem wird gerade bei den Jüngeren deutlich, dass Frauen etwas häu¿ger als Männer ein egalitäres Geschlechterarrangement leben wollen. Herkunft hat im Vergleich dazu eine geringere Bedeutung. Lediglich bei einigen Befragten (sehr wenigen Frauen und einigen Männern) aus der ehemaligen Sowjetunion und bei einigen wenigen Männern ohne Zuwanderungsgeschichte gibt es eine leichte Tendenz dahingehend, dass sie Frauen eher gleichzeitig eine hohe Berufsorientierung und die Hauptverantwortung für den Haushalt zuschreiben (dies ¿ndet sich z. T. in den Erziehungsvorstellungen wieder). Insgesamt lässt sich der Trend beobachten, dass mit steigendem Bildungsniveau die Tendenz zum Egalitarismus in den Geschlechterarrangements zunimmt.71 Die Bedeutung des Bildungsniveaus im Vergleich zur Herkunft wurde bereits in verschiedenen Studien als z. T. besonders relevanter Faktor (manchmal neben anderen, z. B. sozialen Merkmalen, regionaler Herkunft) herausgearbeitet.72 Es lässt sich einerseits eine Tendenz der Jüngeren in Richtung (bedingter) Egalisierung der Geschlechterarrangements gegenüber den Älteren feststellen. Andererseits gibt es aber insbesondere in der Gruppe der bedingt egalitären Jüngeren einige, die den Status quo der Eltern aufrechterhalten möchten. Schließlich gibt es noch wenige Ausnahmen unter den Jüngeren, die einen ‚Roll-back‘73 der Geschlechterarrangements gegenüber den Eltern anstreben (zwei jüngere Männer). d) Idealvorstellungen über Frauen und Männer aus Sicht der jüngeren Generation Bei den jüngeren Befragten aller Gruppen ¿nden sich in einer offenen Abfrage neben verbreitet gemäßigt geschlechtsstereotypen Zuschreibungen (Idealbilder Mann/Frau) gleichzeitig geschlechtsübergreifende Zuschreibungen. Es gibt fast keine Befragten, die es abgelehnt oder Mühe damit gehabt hätten, bestimmte Eigenschaften eher einer Frau bzw. eher einem Mann zuzuschreiben. In der TenNicht genannt, aber zu vermuten ist, dass auch Vorstellungen von Gerechtigkeit und demokratischem Handeln eine Rolle bei der Herausbildung von Geschlechterleitbildern und -praxen spielen. 71 Wir sprechen an dieser Stelle bewusst von einem „Trend“ und nicht von einer hinreichend kausalen Beziehung zwischen Bildungsniveau und der Herausbildung eines spezi¿schen Geschlechterarrangements. 72 Neben Sinus Sociovision (2007a), Wippermann (2008) außerdem BMFSFJ (2000), Herwartz-Emden (2000), Guiterrez Rodriguez (1999), Farrokhzad (2007). 73 Der Begriff spricht gewissermaßen eine ‚Rückentwicklung‘ an (z. B. bei der jüngeren Generation) zu einem (als überwunden geglaubten) Konservatismus in Paarbeziehung und Familie. 70
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denz verbinden sie mit Frauen stärker emotionale und soziale Eigenschaften und mit Männern z. B. stärker technisches Know-how und Zielstrebigkeit. Gutes Aussehen wurde nahezu ausschließlich bezüglich weiblicher Idealtypen thematisiert. Gleichzeitig werden häu¿g Eigenschaften wie Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein geschlechtsübergreifend als sympathisch erachtet. Die Antworten auf eine darauf folgende geschlossene Abfrage bestimmter Eigenschaften im Hinblick auf beide Geschlechter relativierten die geschlechtsstereotypen Zuschreibungen allerdings. So werden z. B. von Männern und Frauen gleichermaßen die Fähigkeit zur Selbstkritik, Hilfsbereitschaft und Emotionalität als wichtige Eigenschaften genannt. Auch in der geschlossenen Abfrage bleibt allerdings Konsens, dass technisches Verständnis aus Sicht der Befragten mehrheitlich eine ‚typisch männliche‘ Eigenschaft ist. Außerdem werden Männern etwas häu¿ger Härte und Risikofreude zugeschrieben, Frauen dagegen etwas häu¿ger Zärtlichkeit und Kreativität. Insgesamt liegen die Unterschiede jedoch nur bei wenigen Nennungen. Im Vergleich der verschiedenen Untergruppen sind vor allem Gemeinsamkeiten festzustellen. Und es lässt sich kein überzeugender Zusammenhang zwischen den geschlechtsspezi¿schen Sympathiezuschreibungen und den präferierten Geschlechterarrangements der Jüngeren identi¿zieren. Der Vergleich der genannten Ergebnisse zeigt zunächst einen Unterschied zu den Ergebnissen der Sinus-Studie (Wippermann 2008), in der durch die Befragten deutlich stärker geschlechtsstereotype Zuschreibungen vorgenommen wurden. Allerdings muss einschränkend erwähnt werden, dass in der vorliegenden Studie zu geschlechtsspezi¿schen Zuschreibungen nur die Jüngeren befragt wurden, während in der genannten Sinus-Studie alle Altersgruppen einbezogen wurden. e) Aspekte der Partnerwahl aus Sicht der jüngeren Generation Insgesamt erleben sich die jüngeren Befragten in der Partnerwahl als selbstbestimmt. Gemeinsam ist den Befragten der Wunsch nach Vertrauen, Liebe, Zuwendung, Treue und Verständnis in einer Paarbeziehung. Zudem zeigt sich ein verbreiteter Wunsch der Jüngeren, mit der Partnerin/dem Partner möglichst viele Gemeinsamkeiten zu haben. Für die meisten Befragten (in allen Herkunftsgruppen) ist Bildung ein wichtiges Kriterium bei der Partnerwahl – meistens wünscht man sich bei dem Partner/der Partnerin eine gute Bildung, häu¿g ein vergleichbares (überwiegend hohes) Bildungsniveau. Eine kleine Gruppe (v. a. mit mittlerem und niedrigem Bildungsniveau und konservativem oder bedingt egalitärem Geschlechterarrangement) erachtet Bildung bei der Partnerwahl als weniger wichtig. Die Gruppe der Befragten türkischer Herkunft fällt besonders durch ihre Betonung der Bedeutung von Bildung des Partners/der Partnerin auf. Gründe für die insgesamt hohe Bedeutung von Bildung sind (neben der Hoffnung auf materielle Sicherheit) u. a. die Hoffnung auf eine gleiche ‚Wellenlänge‘, eine reibungslose Kommunikation, KonÀiktvermeidung und eine gemeinsame Erfahrungswelt.
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Mehrperspektivisch denken
Ähnlich pragmatisch wird der Wunsch eines Teils der jüngeren Befragten nach einer eigenethnischen Partnerschaft begründet. Dieser Wunsch ¿ndet sich vor allem bei jüngeren Befragten mit Zuwanderungsgeschichte. Auch einige Befragte ohne Zuwanderungsgeschichte stehen einer Partnerschaft mit einer Person anderer Herkunft skeptisch gegenüber. Gleichzeitig betont der größere Teil der Jüngeren, dass die Herkunft des Partners/der Partnerin keine Rolle spielen würde. Dabei wenden sich die jüngeren Befragten in einzelnen Fällen gegen die Erwartungen ihrer Eltern. Gründe für den Wunsch (von Eltern und Kindern) nach einer eigenethnischen Partnerschaft liegen wiederum vor allem in dem Wunsch nach Gemeinsamkeiten, einer gemeinsamen Sprache, gemeinsamen Erfahrungen und weniger Reibungsverlusten durch KonÀikte. Darüber hinaus besteht die Vermutung, eine besseren Integrierbarkeit des Partners/der Partnerin in die eigene Familie, wenn er/sie aus derselben Herkunftsgruppe kommt. f) Erziehungsvorstellungen und Erziehungspraxis Insgesamt werden viele Gemeinsamkeiten zwischen den Herkunftsgruppen, Geschlechtern und Generationen dahingehend deutlich, dass die Befragten ihre Kinder in Richtung Selbständigkeit erziehen bzw. erziehen wollen und charakterliche, besonders soziale Eigenschaften einen hohen Stellenwert haben. Genauso bedeutsam ist für die meisten Befragten (unabhängig vom eigenen Bildungsniveau) eine gute schulische und beruÀiche Ausbildung, wobei dies vor allem von den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte betont wird (ganz besonders von Befragten türkischer Herkunft). Es wird deutlich, dass die Erziehungspraxis der Personen ohne Zuwanderungsgeschichte als etwas ‚lockerer‘ beschrieben wird, die Erziehung bei den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte als etwas strenger und leistungsorientierter, z. B. in Richtung Tugenden wie Verantwortungsbewusstsein bereits im Kindesalter. Speziell in der Gruppe mit Zuwanderungsgeschichte aus der Türkei gibt es eine große Bandbreite in der Erziehungspraxis von streng bis sehr liberal. Davon berichten vor allem einige jüngere Frauen, die den liberalen Erziehungsstil ihrer Eltern auf deren Bildungsniveau und zum Teil auf deren städtische Herkunft zurückführen. Einige wenige jüngere Befragte ohne Zuwanderungsgeschichte, die in der eigenen Familie z. B. Scheidungen/Trennungen erlebt haben, möchten ihren Kindern ein konÀiktarmes, harmonisches Elternhaus bieten. Bei den Zugewanderten dagegen fallen einige interkulturell relevante Aspekte auf (z. B. hohe Bedeutung von Respekt gegenüber Älteren). Auf die Frage nach geschlechtsspezi¿scher Erziehung antworteten rund zwei Drittel aller Befragten (quer durch die Herkunftsgruppen), dass sie bei der Erziehung keine geschlechtsspezi¿schen Unterschiede machen wollen bzw. nicht (bewusst) gemacht haben. Hierunter be¿ndet sich eine große Gruppe der älteren Generation, davon mehrheitlich Befragte ohne Zuwanderungsgeschichte und mit türkischer Zuwanderungsgeschichte und einige Befragte mit Zuwanderungs-
EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder und -praxen
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geschichte aus der ehemaligen Sowjetunion. Vielmehr wurde darauf verwiesen, dass der Umgang mit den Kindern allenfalls wegen ihrer individuellen Eigenheiten unterschiedlich gewesen sei. Überraschend ist das Ergebnis, dass sich eher in der Gruppe der Jüngeren als der Älteren Befragte ¿nden, die (tendenziell) eine geschlechtsspezi¿sche Erziehung anvisieren (aber auch in dieser Gruppe ist das eine Minderheit). Ihre Erläuterungen dazu bleiben aber undeutlich, statt einer gezielten Strategie fällt eher eine Unsicherheit darüber auf, ob nicht Jungen und Mädchen einen unterschiedlichen erzieherischen Umgang benötigen würden. Insgesamt wird die mangelnde Erziehungserfahrung der Jüngeren (niemand von ihnen hat Kinder) deutlich. Auffällig ist, dass es in beiden Generationen eher Männer und eher Zugewanderte aus der ehemaligen Sowjetunion (und einige wenige Befragte ohne Zuwanderungsgeschichte) sind, die eine (teilweise) geschlechtsspezi¿sche Erziehung befürworten. So favorisieren sie z. B. als Erziehungsziele bei den Frauen eine hohe Berufsorientierung bei gleichzeitiger Fähigkeit, die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung zu übernehmen.74 Außerdem fällt – entgegen gängiger Klischees – auf, dass insbesondere die türkische Gruppe ihre Kinder nicht geschlechtsspezi¿sch erzogen hat und hier die Jüngeren ihre Kinder nicht geschlechtsspezi¿sch erziehen wollen. Sie wehren sich zum Teil auch gegen dieses Klischee und bewerten die (türkische) Herkunft als EinÀussgröße insgesamt geringer als die Befragten mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion dies tun. 6.2
EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder und -praxen
Es lassen sich mehrere parallele EinÀüsse auf die Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen der Jüngeren identi¿zieren. Hierzu sei einschränkend bemerkt, dass die Studie bzw. der Interviewleitfaden von vorneherein stark auf intergenerative und interkulturelle EinÀüsse fokussiert. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass neben intergenerativen EinÀüssen, der Generationenzugehörigkeit und weiteren Faktoren, wie die sozialen Kontakte, der Wandel des Zeitgeistes und die entsprechende Karriereorientierung, das Bildungsniveau einen erheblichen EinÀuss auf die Geschlechterarrangements hat. Diese EinÀussgrößen ziehen sich durch verschiedene Themenbereiche dieser Studie. Kulturelle EinÀüsse treten hinter diesen EinÀussgrößen eher zurück und werden auch von den Befragten selbst
74 Bezüglich der Gruppe aus der ehemaligen Sowjetunion entsprachen diese Wunschvorstellungen der Realität vieler Familien in der ehemaligen Sowjetunion (Herwatz-Emden 2000). Es gibt aber nach unseren Ergebnissen auch Deutsche (v. a. Männer) ohne Zuwanderungsgeschichte, die diesem Modell gegenüber nicht abgeneigt sind.
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Mehrperspektivisch denken
teils dezidiert zurückgewiesen. Welche Rolle kulturelle Bezüge insgesamt spielen, wird im Folgenden deutlich. Grundsätzlich fällt es vielen Befragten schwer, eine Verbindung zwischen ihren Geschlechterleitbildern und Geschlechterpraxen und den EinÀüssen ihres Herkunftslandes bzw. Deutschland zu identi¿zieren. Sie neigen dazu, EinÀüsse eher aus ihren biographischen Erfahrungen mit konkreten Personen heraus, statt aus etwas Abstraktem wie ‚Kultur‘ oder ‚Umfeld‘ herzuleiten. Dennoch werden einige (inter-)kulturelle EinÀüsse sichtbar, wenngleich diese bei beiden Gruppen einen geringeren Stellenwert einnehmen als z. B. die EinÀüsse durch die Generationenzugehörigkeit (und damit der Zeit, in der man aufgewachsen ist) oder die EinÀüsse durch das Bildungsniveau und die Geschlechtszugehörigkeit. Die (inter-)kulturellen EinÀüsse werden zum Teil explizit thematisiert, zum Teil sind sie implizit den Aussagen der Befragten zu entnehmen. Nach Auernheimer besteht Kultur aus „(…) ihrem Repertoire an Symboldeutungen, d. h. (…) ihrem Repertoire an Kommunikations- und Repräsentationsmitteln“ (Auernheimer 1995, S. 110). Kultur dient als Orientierungssystem und damit der Deutung gesellschaftlichen Lebens und der Handlungsorientierung (ebenda). In diesem Kulturverständnis wird das Individuum nicht als „Gefangener“ seiner Kultur gesehen, sondern vielmehr als Gestalter von Kultur wahrgenommen. Kultur ist demnach nicht ein statisches, unveränderliches Gebilde, sondern wird durch die gesellschaftlichen Akteure ausgestaltet. Wenn nun kulturelle EinÀüsse, etwa auf Geschlechterarrangements, erfasst werden sollen, sind ebenso die Rahmenbedingungen, unter denen (kulturelle) Werte und Normen entstehen (z. B. Gesetze, Bildungssysteme, Stadt-Land-Gefälle, aber auch migrationsbedingte Spezi¿ka wie die Anerkennung von Bildungsabschlüssen etc.), von beträchtlicher Bedeutung. Den Aussagen der Befragten waren sowohl soziostrukturelle Rahmenbedingungen für die Entstehung von Werten und Normen und demzufolge auch Geschlechterarrangements zu entnehmen als auch „kulturelle“ Wertvorstellungen (die sich z. T. auf EinÀüsse der Herkunftsländer, z. T. auf EinÀüsse des Einwanderungslandes beziehen, daher wird stellenweise auch von (inter-)kulturellen EinÀüssen gesprochen). Erkenntnisse über in diesem Kontext bedeutsame soziostrukturelle Rahmenbedingungen konnten v. a. aus den Vergleichen des Lebens im Herkunftsland und in Deutschland sowie den Geschlechterarrangements im Zeitvergleich herausgearbeitet werden. Informationen zu kulturellen EinÀüssen im Sinne von Werten und Normen konnten v. a. den Themengebieten Erziehung(svorstellungen) und Zugehörigkeit entnommen werden. a) Soziostrukturelle und (inter-)kulturelle EinÀüsse bei der älteren Generation Die ältere Generation mit Zuwanderungsgeschichte nimmt einen expliziten Vergleich ihrer Lebenssituation im Herkunftsland mit der Situation in Deutschland vor. Dabei werden vor allem soziostrukturelle Unterschiede zwischen den Her-
EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder und -praxen
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kunftsländern und Deutschland deutlich. Die Befragten erläutern etwa, dass das Leben in Deutschland in Bezug auf die Bedingungen der Erwerbs- und Hausarbeit als leichter empfunden wird, die Arbeitsbedingungen im Herkunftsland dagegen in beiden Bereichen als härter. Dieser Befund bestätigt sich in der Studie von Herwartz-Emden (2000), in der vor allem Zuwanderinnen/Zuwanderer aus der Türkei und der ehemaligen Sowjetunion befragt wurden. So wird es z. B. als Erleichterung bzw. als Freizeitgewinn empfunden, dass in Deutschland viele Hausarbeiten mit Hilfe elektrischer Geräte erledigt werden können – ein Standard, der in den Herkunftsländern nicht selbstverständlich war. Hierbei muss beachtet werden, dass ein Teil der zugewanderten Älteren aus ländlichen Regionen der Herkunftsländer kommt und (im Fall der ehemaligen Sowjetunion) zum Teil Anfang der 1990er Jahre oder (im Fall der Türkei) in den 1970er, vereinzelt noch in den 1980er Jahren eingewandert sind. Gleichzeitig wird durch die Befragten festgestellt, dass man im Herkunftsland mehr geschafft habe, und zwar aufgrund einer systematischen Alltagsplanung. Insgesamt wird von den meisten älteren Befragten ihre gegenwärtige Situation in Deutschland vergleichsweise positiv betrachtet. Auch die Entfaltungsmöglichkeiten im Bildungs- und Berufsbereich werden positiv vermerkt, manchmal trotz eines sozialen Abstiegs. Es gibt aber auch Befragte, die aufgrund eines sozialen Abstiegs ihre Situation in Deutschland kritischer bewerten, z. B. wenn ihre Berufsabschlüsse nicht anerkannt wurden und sie hier verhältnismäßig wenig verdienen. Mehrfach wird beklagt, dass man als Person mit Zuwanderungsgeschichte häu¿ger in schlecht bezahlten Arbeitsmarksegmenten tätig sei. Neben den positiven Bewertungen der Bildungs- und Berufschancen gibt es auch negative Bewertungen derselben, vor allem im Vergleich mit den Bildungsmöglichkeiten in der ehemaligen Sowjetunion. Dies gilt auch für die mit Bildung verbundenen Arbeitsmarktchancen. Gerade Befragte aus der ehemaligen Sowjetunion mit hohem Bildungsniveau äußern sich in dieser Weise. Insgesamt zeigt sich die Tendenz, dass Frauen mit Zuwanderungsgeschichte die Lebenssituation in Deutschland im Vergleich zum Herkunftsland als etwas positiver, Männer mit Zuwanderungsgeschichte ihre Situation dagegen als etwas negativer emp¿nden. Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion berichten z. B. dass sie als Frauen mehr Entfaltungsmöglichkeiten erleben als im Herkunftsland, z. B. bezüglich der Möglichkeit, dominantes Verhalten von Seiten der Männer nicht (mehr) tolerieren zu müssen oder ihre Weiblichkeitsentwürfe Àexibilisieren zu können (sich also nicht allzu ‚weiblich‘ kleiden und verhalten zu müssen). Hierbei zeigen sich aber auch innerhalb der Herkunftsgruppen Abgrenzungsprozesse, wenn Interviewpartnerinnen z. B. erzählen, dass sie in ihrer Familie auch im Herkunftsland als Frauen Gleichberechtigung leben konnten. Einige Männer scheinen stärker als die Frauen unter seelischer Belastung in Folge der Migration zu leiden (sich neu einleben, eine neue Sprache lernen zu müssen, Fuß fassen zu müssen etc.). Der Wechsel von einer dörÀichen Region im Herkunftsland in eine städtische
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Region in Deutschland bedeutet dabei gewissermaßen eine zweifache interkulturelle Umstellung. Darüber hinaus wird deutlich, dass auch die älteren Befragten sich mit den Diskursen um Gleichstellung in Deutschland auseinandersetzen bzw. diese kennen und damit im Alltag in Berührung kommen. Frauen beurteilen dabei manchmal das Leben als Frau in Deutschland als angenehmer, manche heben auch ihr Herkunftsland diesbezüglich positiv hervor, vor allem wenn sie ein hohes Bildungsniveau haben und sich im Herkunftsland in einer günstigeren Lebenssituation befanden. Die Einschätzung von Entfaltungsmöglichkeiten als Frau scheinen also (zumindest partiell) etwas mit der Schichtzugehörigkeit (auch im Herkunftsland) zu tun zu haben.75 Geschlechterarrangements im Zeitvergleich Es hat sich herausgestellt, dass sich bei vielen älteren Befragten die Geschlechterarrangements im Zeitvergleich gewandelt haben, manchmal von einem (bedingten) Egalitarismus zum Konservatismus, vor allem, wenn Kinder geboren wurden. In Einzelfällen erfolgte mit steigendem Alter der Kinder wieder ein Wechsel zum (bedingt) egalitären Arrangement, insbesondere, wenn die Frau wieder eine Erwerbsarbeit aufnahm. Trotzdem wird in vielen Fällen der größere Teil der Haushaltsarbeiten weiterhin von ihr übernommen. Diese Wandlungsprozesse haben kaum mit der Migration, sondern in den meisten Fällen (auch bei den Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte) mit der Geburt und dem Aufwachsen (und später dem Selbständigwerden) von Kindern zu tun. Kinder verursachten in fast allen Fällen gravierende Zäsuren in den Geschlechterarrangements der Älteren. Ein weiterer EinÀuss auf die Geschlechterarrangements besteht in einer mangelnden strukturellen Integration in Deutschland durch die Nicht-Anerkennung von Abschlüssen aus dem Herkunftsland. Dies kann, wenn es die Frau betrifft und diese beispielsweise nur schlecht bezahlte Mini-Jobs angeboten bekommt, zu der bereits mehrfach erwähnten Retraditionalisierung der Geschlechterarrangements führen. Elterliche Erwartungen und interkulturelle EinÀüsse auf Erziehungsvorstellungen Neben den oben genannten EinÀüssen, die im Vergleich zwischen Herkunftsland und Deutschland von den Älteren genannt werden und die vor allem soziostrukturelle EinÀüsse sind, werden insbesondere in den elterlichen Erwartungen und Erziehungsvorstellungen Aspekte deutlich, die sich als interkulturelle EinÀüsse auf der Ebene von Werten und Normen bezeichnen lassen. Grundsätzlich ist für die ältere Generation diesbezüglich kennzeichnend, dass sie manche kulturellen Werte aus dem Herkunftsland bewahren will, indem sie diese sowohl von sich selbst, als auch von den Kindern verlangt. Im Vergleich zu den Befragten ohne
75
Für die Türkei vgl. beispielsweise Neusel (1996).
EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder und -praxen
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Zuwanderungsgeschichte waren solche Werte z. B. Respekt vor Älteren, Fleiß, frühes Verantwortungsbewusstsein, innerfamiliärer Zusammenhalt und HöÀichkeit. Tugenden werden insgesamt von den befragten Älteren mit Zuwanderungsgeschichte (insbesondere bei denen aus der ehemaligen Sowjetunion) häu¿ger als elterliche Erwartung und Erziehungsvorstellung genannt als von Älteren ohne Zuwanderungsgeschichte. Besonders Respekt vor Älteren wird als positive kulturspezi¿sche Tugend hervorgehoben. (Zum Teil wird der mangelnde Respekt vor Älteren in Deutschland kritisiert.) Daneben werden hauptsächlich folgende, in allen Herkunftsgruppen anzutreffende kulturübergreifende Tugenden genannt: Selbständigkeit, Freundlichkeit und Ehrlichkeit. Zudem besteht durchgehend der Wunsch, dass die Kinder glücklich sein, eine gute Ausbildung und einen guten Beruf erlernen sollten. Der Wunsch nach guten Berufschancen wird jedoch wiederum besonders von den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte betont. Dies geht häu¿g einher mit hohem Leistungsstreben und manchmal einem deutlichen Leistungsdruck auf die Kinder. Die hohe Leistungsbereitschaft vieler Personen mit Zuwanderungsgeschichte wurde bereits in der quantitativen Sinus-Studie (Sinus Sociovision 2008) hervorgehoben. Dieser Aspekt kann nicht (nur) unter kulturellen Aspekten betrachtet, sondern muss vor allem im Zusammenhang mit der Migrationssituation in Deutschland interpretiert werden. Die Furcht der Befragten mit Zuwanderungsgeschichte vor Bildungsversagen und Arbeitslosigkeit ihrer Kinder und das Bedürfnis nach (materieller) Sicherheit ist angesichts der schlechteren Bildungs- und Arbeitsmarktchancen dieser Gruppe (deren Hintergründe vielfältig sind) nicht zu Unrecht größer als bei den Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte. Darüber hinaus ist die hohe Bedeutung von guter Ausbildung speziell in der Gruppe der Älteren mit türkischer Herkunft (die durchschnittlich das niedrigste Bildungsniveau bei den Befragten aufweist) u. a. durch den Willen eines intergenerativen Aufstiegs begründet nach dem Motto: ‚Du sollst es einmal besser haben als wir‘. Dieses Motto erinnert an das Argument der aufstiegsorientierten Arbeiterfamilien im Deutschland der 1970er Jahre, mit dem sie ihre Kinder zum Studium motivierten. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Wertvorstellungen der älteren Befragten viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Es wird sichtbar, dass ein aktiver Auseinandersetzungsprozess mit Geschlechterverhältnissen in Deutschland statt¿ndet. Gleichzeitig möchten die Befragten mit Zuwanderungsgeschichte kulturelle Wertvorstellungen, die sie für bedeutsam und erhaltenswert erachten, an ihre Kinder weitergeben. Neben manchen Tugenden gehören dazu die Sprache und andere ‚geistige Kulturgüter‘. Bikulturelles Wissen und Mehrsprachigkeit wird in diesem Zusammenhang von einem erheblichen Teil der Befragten als Ressource betrachtet. Diese Erkenntnisse stehen ebenfalls in Übereinstimmung mit den SinusErgebnissen zu Migrantenmilieus (Sinus Sociovision 2007b), ebenso wie die Erkenntnis, dass religiöse Wertvorstellungen lediglich bei einer kleinen Minderheit
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eine herausragende Rolle spielen. Im Bereich Erziehung orientieren sich lediglich drei jüngere Befragte (jeweils eine Person aus jeder Herkunftsgruppe) lose an ihrer jeweiligen Religion bzw. sie erwähnen ihre Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft. Auch geschlechtsspezi¿sche Erziehungsvorstellungen erweisen sich nicht als kulturspezi¿sches Phänomen der Herkunftsländer, vielmehr gibt es quer durch die Herkunftsgruppen eine überwiegende Ablehnung unterschiedlicher Erziehungsvorstellungen für Jungen und Mädchen (wenngleich Unterschiede unbewusst doch gemacht wurden). b) Soziostrukturelle und (inter-)kulturelle EinÀüsse bei der jüngeren Generation Die Sichtweisen der jüngeren Generation zu EinÀüssen aus dem Herkunftsland und Deutschland auf ihre Geschlechterleitbilder weisen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede mit denen der älteren Generation auf. Bezüglich der eigenen Erfahrungen im Herkunftsland wird deutlich, dass die Jüngeren dazu weitaus weniger zu berichten haben und sich mehr auf ihre Sozialisation in Deutschland beziehen. Dies ist aus ihrer Sicht damit zu erklären, dass sie in der Mehrzahl in Deutschland geboren wurden und einen großen Teil ihrer Jugend in Deutschland verbracht haben. Daher fällt es den Jüngeren weitaus schwerer, mögliche EinÀüsse des Herkunftslandes zu verbalisieren. Vielmehr betonen sie, dass sie (überwiegend oder teilweise) in Deutschland sozialisiert sind und mit Werten und Normen des Herkunftslandes weniger zu tun haben als die Eltern. Das zeigt sich u. a. darin, dass die Jüngeren seltener eine Partnerwahl innerhalb der eigenen Herkunftsgruppe befürworten. Sie wollen sich diesbezüglich mehr Spielraum lassen und individuell entscheiden. Einige Befragte weisen strikt jeden EinÀuss der Herkunftskultur von sich und beschreiben sich selbst als Europäer/Europäerin oder geben an, durch ihre Geburt, ihr Aufwachsen und ihre Sozialisation in Deutschland, vor allem in Schule und im universitären und beruÀichem Umfeld geprägt worden zu sein. Zudem individualisieren sie die Frage nach der Herkunftskultur häu¿g und erzählen stattdessen selektiv von solchen EinÀüssen der Eltern, die sie positiv bewerten. Zugleich ist vielen Aussagen der Jüngeren (in allen Herkunftsgruppen) noch deutlicher als denen der Älteren zu entnehmen, dass sie sich in ihrem Alltag mit dem Gleichstellungsdiskurs in Deutschland auseinandersetzen. Die jüngeren Befragten haben in ihrer überwiegenden Mehrheit ein Bild davon, welche Geschlechterleitbilder und Erziehungsvorstellungen und welche sonstigen Werte (z. B. Leistungsbereitschaft) in Deutschland einen hohen Stellenwert haben. In diesem Kontext versuchen sie sich zu positionieren. Für viele ist das ein nicht abgeschlossener Prozess, da die jüngeren Befragten erst zwischen 18 und 28 Jahre alt sind. Manche Erziehungsvorstellungen und Erwartungen der Eltern weisen sie zurück, weil sie aus ihrer Sicht nicht zu ihrem Lebensentwurf passen. Dazu gehören z. B. eine strenge Erziehung mit wenig Vertrauen, Leistungsdruck, wenig Zeit für die
EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder und -praxen
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Kinder. Alle Aspekte werden vor allem von jüngeren Befragten mit Zuwanderungsgeschichte genannt – manche davon können interkulturell gedeutet werden. Deutlich wird, dass sich die Jüngeren wie die Älteren bezüglich ihrer Geschlechterleitbilder (zumindest partiell) sowohl mit ihrer Herkunft (bzw. der ihrer Eltern) als auch mit den Rahmenbedingungen und öffentlichen Diskursen in Deutschland auseinandersetzen. Wie die Eltern möchten sie einige, mit den Herkunftsländern assoziierte Tugenden (wie z. B. Respekt vor Älteren, Verantwortungsbewusstsein) erhalten und ebenso Bilingualität und Bikulturalität als Ressource nutzen. Die Jüngeren verorten die Entstehung ihrer Geschlechterleitbilder und ihrer Wertvorstellungen insgesamt aber stärker in Deutschland. Dies wird auch an den geographischen Verortungen (z. B. als Europäer/Europäerin, als hier aufgewachsen etc.) deutlich. Ingesamt wird von den Jüngeren der EinÀuss des Herkunftslandes eher als gering eingeschätzt – was mit den zahlreichen von uns festgestellten Gemeinsamkeiten über Herkunftsgrenzen hinweg korrespondiert. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Jüngeren sich in einigen Bereichen bewusst von Teilen ihrer Herkunftsgruppe abgrenzen. Darüber hinaus ¿nden sich aber auch Abgrenzungen gegenüber anderen Herkunftsgruppen. So äußern einzelne Befragte mit Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion zum Teil stereotype Vorstellungen über die unterdrückte ‚türkische Frau‘ und einen starken EinÀuss der Religion auf türkische Familien. (Dies steht im Gegensatz zu den Selbstbeschreibungen der großen Mehrzahl der türkischen Frauen im befragten Sample.) Gleichzeitig grenzen sich Frauen türkischer Herkunft von dörÀichen, religiösen und Unterschicht-Milieus des Herkunftslandes ab. Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion grenzen sich und ihre Familien von männerdominierten Familien und dem weiblichen Idealbild der ‚russischen Frau‘ ab. Interessant sind überdies die teilweise vorhandenen und sehr weitgehend mit Modernisierung assoziierten Fremdbilder über die Geschlechterarrangements in Familien ohne Zuwanderungsgeschichte (z. B. die Annahme, dass in vielen deutschen Familien der Vater Hausmann sei und die Kinder betreuen würde), welche nicht der Realität entsprechen (Volz/Zulehner 2009, Wippermann/ Calmbach/Wippermann 2009). Insgesamt lässt sich sagen, dass der EinÀuss der Herkunftskultur (bei den Älteren wie auch bei den Jüngeren) dadurch relativiert wird, dass die Gemeinsamkeiten zwischen Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte die Unterschiede in ihrer lebensweltlichen Bedeutung überwiegen.76 Dies trifft sowohl 76 Mit „lebensweltlicher Bedeutung“ ist gemeint, dass z. B. allein dadurch, dass die Befragten alle in der Bundesrepublik leben, z. B. die Lebens- und Arbeitsbedingungen und auch die hiesigen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen gemeinsame Erfahrungsbereiche sein können. Die Herkunftskultur hingegen hat für nicht wenige Befragte keine besonders große Bedeutung für die eigenen Einstellungen bezüglich Geschlechterarrangements.
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für Geschlechterarrangements als auch z. B. für die Erziehungsvorstellungen zu. Darüber hinaus betonen die Jüngeren, dass sie ihre Orientierungen vornehmlich individuell entwickeln. Externe EinÀüsse weisen sie immer wieder zurück bzw. relativieren diese. Zudem wird deutlich, dass die Relevanz der Herkunft hinter dem Bildungsniveau und der Generationenzugehörigkeit zurücktritt. Stellenweise (insbesondere bei Erziehungsvorstellungen und elterlichen Erwartungen) werden (inter-)kulturelle EinÀüsse sichtbar, wie z. B. der Respekt vor Älteren, der von den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte selbst als (herkunfts-)kulturspezi¿sch bezeichnet wird. Als besonders prägend werten jüngere Befragte mit Zuwanderungsgeschichte aber ihre Sozialisation in Deutschland. Schließlich sei an dieser Stelle nochmals auf die nicht zu unterschätzende Bedeutung der soziostrukturellen Rahmenbedingungen (im Herkunftsland und in Deutschland) für die Entstehung/ den Wandel von Geschlechterarrangements verwiesen. c) EinÀüsse der Elterngeneration auf die Geschlechterarrangements der Jüngeren Die EinÀüsse der Eltern auf die Geschlechterleitbilder und Geschlechterpraxen der Kinder fallen sehr unterschiedlich aus. Im Großen und Ganzen ist der EinÀuss der Eltern beträchtlich. Über ein Drittel der jüngeren Befragten orientiert sich an den Geschlechterarrangements der Eltern, knapp gefolgt von solchen, die sich von ihren Eltern bedingt abgrenzen. Rund ein Viertel der Befragten grenzt sich deutlich vom Geschlechterarrangement der Eltern ab. Die Varianz der Orientierung an oder Abgrenzung von den Eltern ist wiederum beträchtlich. In der Mehrheit der Fälle wollen die Jüngeren entweder ein graduell egalitäreres Geschlechterarrangement als die Eltern leben oder sie wollen den Status quo der Eltern erhalten, wenn diese mindestens ein bedingt egalitäres Geschlechterarrangement vorgelebt haben. Nur in Ausnahmefällen wollen Jüngere ein konservativeres Geschlechterarrangement leben als die Eltern – dies sind ausschließlich junge Männer. Gleichzeitig sind es vor allem Frauen (mit und ohne Zuwanderungsgeschichte), die sich klar vom Modell der Eltern abgrenzen, und zwar ausschließlich in Richtung Egalisierung der Geschlechterarrangements. Manche jüngere Befragte positionieren sich zu aktuell vorherrschenden Geschlechterarrangements der Eltern, andere zu vergangenen, was nochmals biographische Wandlungsprozesse der Modelle bei den Älteren sichtbar machtDie bereits behandelten Erziehungsvorstellungen und die elterlichen Erwartungen an die Kinder verdeutlichen bereits spezi¿sche EinÀüsse der Eltern auf die Kinder. Dazu gehören die oft genannte Vorbildwirkung der Eltern (in denen sich teilweise geschlechtsstereotype Vorstellungen der Befragten widerspiegeln), die hohe Bildungs- und Berufsorientierung in der Erziehungspraxis, insbesondere bei den Zugewanderten, die Aufrechterhaltung und Weitergabe von ‚Tugenden‘ und manchmal Wünsche bezüglich der Partnerwahl. Im Wesentlichen sind die jüngeren Befragten mit der Erziehung ihrer Eltern zufrieden und berichten mehrheitlich von erfahrener Unterstützung und Zuwen-
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dung. Mehr oder weniger deutliche Abgrenzungen gegenüber den Eltern gibt es punktuell bezüglich einer zu strengen oder geschlechtsspezi¿schen Erziehung und Leistungsdruck (z. B. bei einigen Befragten mit Zuwanderungsgeschichte) oder der Partnerwahl. Allerdings muss bei diesen Einschätzungen eingeräumt werden, dass wegen des Settings unserer Studie (Befragung von Eltern-Kind-Tandems) sowie der Lebenssituation und dem geringen Alter der jüngeren Befragten bezüglich Gültigkeit und Übertragbarkeit Einschränkungen bestehen.77 Dennoch gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die Eltern eine wichtige Vorbildrolle einnehmen, was sich auch bestätigte, wenn die Jüngeren getrennt von ihren Eltern befragt wurden. d) Weitere EinÀüsse auf Geschlechterleitbilder und -praxen Welche weiteren EinÀussgrößen auf Geschlechterarrangements jenseits der interkulturellen, soziostrukturellen und intergenerativen Aspekte sind bei den Befragten relevant ? Immer wieder vorkommende Aspekte sind z. B. das aktuelle soziale Umfeld in Deutschland und die von den Befragten wahrgenommenen aktuellen Diskurse um Gleichstellung in Deutschland. Zum sozialen Umfeld gehören für die Befragten z. B. das schulische, beruÀiche und universitäre Umfeld. Diese weder als elterlich noch als kulturell de¿nierten EinÀüsse sind offensichtlich in besonderem Maße für die tendenzielle (bedingte) Egalisierung der Geschlechterarrangements verantwortlich, z. B. für die Emanzipation der jungen Frauen oder für Karriereorientierungen und Ideen für die eigene Partnerwahl, teils für die eigenen Erziehungsvorstellungen und Wünsche an Geschlechterarrangements. Den Aussagen vieler Befragter quer durch die Herkunftsgruppen ist zu entnehmen, dass ihnen die Diskussionen um Gleichstellung der Geschlechter in ihrem Alltag begegnen und dass sie sich mit dieser Frage auch bezüglich ihrer eigenen Vorstellungen zu Geschlechterarrangements auseinandersetzen.78 So wird z. B. die Berufstätigkeit von Frauen grundsätzlich weitestgehend als Selbstverständ77 Es ist anzunehmen, dass die Befragungssituation dazu beigetragen hat, dass die Jüngeren sich häu¿ger als in anderen Situationen auf das gerade von den anwesenden Elternteilen Geäußerte bezogen haben und ihren Eltern (zur Wahrung der Harmonie unter den Generationen oder um die Eltern nicht bloßzustellen) häu¿ger Recht gaben. Zudem muss beachtet werden, dass die jüngeren Befragten zu einem großen Teil noch im Haushalt der Eltern leben, vielfach keine Lebenspartner und in keinem Fall eigene Kinder haben. Demnach sind zum einen die Beispiele der Eltern täglich präsent und zum anderen konnten in vielen Fällen noch keine eigenen Erfahrungen gesammelt werden, die ggf. zu einer stärkeren Abkehr vom Beispiel der Eltern führen würden. 78 Die Einstellungen zu Gleichstellung und gleichstellungspolitischen Maßnahmen sind nach Sinus Sociovision wiederum stärker milieu- als herkunftsspezi¿sch geprägt (Wippermann 2008). Und auch bei Personen ohne Zuwanderungsgeschichte gibt es diesbezüglich eine deutliche Binnendifferenzierung (Sinus Sociovision 2007c). Betonen muss man jedoch auch, dass gleichstellungspolitische Einstellungen nicht nur eine Frage des Bildungsniveaus sind. Auch Einstellungen zu Gerechtigkeit und demokratischem Handeln spielen hierbei eine Rolle.
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lichkeit angesehen. Die Aussagen vieler männlicher Befragter zeigen, dass sie wissen, dass von ihnen heute mehr Unterstützung bei Haushaltsaufgaben und Kinderbetreuung erwartet wird. Manches Mal erweist sich das Geschlechterleitbild von Männern als ‚Gleichstellungsrhetorik‘. Dennoch macht die Befragung bei einem nicht unerheblichen Teil der männlichen Teilnehmer bedingt egalitäre oder (in wenigen Fällen) egalitäre Geschlechterleitbilder bzw. Geschlechterpraxen sichtbar. Solche beobachtbaren Wandlungsprozesse bezüglich der Berufsausübung der Frauen79 und einer zunehmend gleichberechtigten Aufteilung der ‚klassischen‘ Haushaltsaufgaben ¿nden sich jedoch nicht bezüglich des technischen Bereichs. Trotz der Gleichstellungsdiskurse, mit denen gefordert wird, dass mehr Frauen für technische Berufe ausgebildet werden sollten, sind sich die männlichen und weiblichen Befragten quer durch die Herkunftsgruppen und Bildungsniveaus (bis auf einige Ausnahmen) einig, dass technisches Know-how weiterhin maßgeblich in die Kompetenz des Mannes fallen sollte. Auch hier erweist sich manche Forderung als Gleichstellungsrhetorik. Jedenfalls wird stellenweise sowohl bei Forderungen nach mehr Unterstützung durch die Männer bei Haushaltsaufgaben und Kinderbetreuung als auch bei der Forderung nach einer stärkeren Beteiligung von Frauen in technischen Berufen die Kluft zwischen dem politischen Diskurs und der Alltagsrealität deutlich. Auch die Antworten auf Fragen zu den Vorbildern geben Aufschluss darüber, welche Personen jenseits der Eltern die Befragten beeinÀusst haben. Die Aussagen lassen zumindest indirekt Schlussfolgerungen auf die Geschlechterleitbilder zu (z. B. bezogen auf Persönlichkeitseigenschaften und die Bildungs- und Berufsorientierung sowie Erziehungsvorstellungen). Als Vorbilder werden neben den Eltern, die am häu¿gsten genannt sind, von den Befragten (in dieser Reihenfolge) weitere Verwandte, Lehrerinnen und Lehrer sowie Freundinnen und Freunde und Prominente benannt. Die Persönlichkeitseigenschaften und warum diese Personengruppen für die Befragten als Vorbilder galten, sind gemäßigt geschlechtsstereotyp (im Vergleich zu den Vorbildeigenschaften der Eltern, die etwas geschlechtsstereotyper ausfallen). Schwestern wurden z. B. für ihre Intelligenz, ihren Fleiß, ihren beruÀichen Erfolg und ihr gutes Aussehen bewundert, Brüder und Cousins für beruÀiche Aktivitäten, ihre Zielstrebigkeit, Sportlichkeit und ihre technischen Fähigkeiten. Lehrerinnen und Lehrer waren Vorbilder aufgrund ihres breiten Allgemeinwissens, ihrer pädagogischen Fähigkeiten, speziell von Befragten mit Zuwanderungsgeschichte auch wegen ihrer interkulturellen Kompetenz und ihrer Durchsetzungsfähigkeit. Freundinnen und Freunde werden für Tugenden (HöÀichkeit, Fleiß), moralische Einstellungen, Erfolg in Bildung und Beruf und ihre Selbständigkeit bewundert. Prominente gelten als vorbildhaft 79 Dies gilt weniger für die Befragten aus der ehemaligen Sowjetunion, wo die weibliche bezahlte Erwerbstätigkeit die längste Tradition hat.
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z. B. wegen ihres beruÀichen Erfolges in Politik und Sport – Letztere waren vor allem für männliche Befragte relevant. Bezüglich der Geschlechterarrangements ist aufschlussreich, dass für beide Geschlechter Bildung und Beruf bei der Nennung von (nichtelterlichen) Vorbildern immer wieder Thema sind, was die ganz überwiegend hohe Berufsorientierung beider Geschlechter unterstreicht. Darüber hinaus werden einige (bedingt) geschlechtsstereotype Eigenschaften genannt, z. B. soziale Eigenschaften und gutes Aussehen bei weiblichen Vorbildern, technische und sportliche Fähigkeiten bei männlichen Vorbildern. Geschlechtsübergreifend werden z. B. Selbständigkeit und Durchsetzungsvermögen angesprochen. Die Antworten auf die Frage nach Vorbildern ähneln den Antworten zu den Idealtypen von Mann und Frau. Tugenden spielen zwar bei beiden Geschlechtern eine Rolle, aber manche soziale Eigenschaften wie etwa Fürsorglichkeit werden eher weiblichen Vorbildern zugeschrieben, technische und sportliche Eigenschaften vor allem männlichen. Darüber fällt auf, dass von männlichen Befragten fast ausschließlich männliche Vorbilder, von weiblichen Befragten fast ausschließlich weibliche Vorbilder genannt wurden. Dieser Befund ist zentral, beispielsweise für Bildungs- und Beratungseinrichtungen. Er zeigt, dass gleichgeschlechtliche Vorbilder konstitutiv für die Entwicklung von Identitätsentwürfen sind. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die bereits in dieser Zusammenfassung festgestellte Generationenzugehörigkeit und das Bildungsniveau bedeutsame EinÀussfaktoren auf Geschlechterarrangements sind – auf die älteren und die jüngeren Befragten. Auch die Geschlechtszugehörigkeit spielt eine Rolle, da jüngere Frauen (insbesondere mit hohem Bildungsniveau) eher zu „egalitäreren“ Geschlechterleitbildern und -praxen neigen. Zudem haben sich die folgenden weiteren Aspekte herausgestellt: a) die von den Befragten als EinÀussgrößen angegebenen Lebensbereiche Schule, Universität und beruÀiches Umfeld sind besonders einÀussreich auf eine tendenziell (bedingte) Egalisierung des Geschlechterarrangements und b) gesellschaftliche und politische Diskurse um Gleichstellung beeinÀussen viele jüngere Befragte dahingehend, dass sie sich in ihrem Alltag mit diesen Diskursen explizit oder implizit (und ggf. mit ihrem Partner/ihrer Partnerin) auseinandersetzen. Auch den genannten Vorbildern der jüngeren Frauen und Männer ist zu entnehmen, dass sie Geschlechterleitbilder mitbestimmen, indem (neben geschlechterübergreifenden) auch geschlechtsspezi¿sche Akzente gesetzt werden. 6.3
Geschlechterarrangements und Integrationsbestrebungen
a) Integration und Geschlechterarrangements Vorab sei daran erinnert: Rollenverständnisse bzw. Geschlechterleitbilder machen nach dem weit gefassten Integrationsbegriff von Heckmann (2005), bestehend aus struktureller, kultureller, sozialer und identi¿ katorischer Integration,
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lediglich einen von mehreren Bestandteilen der kulturellen Integration aus.80 Daher kann von Geschlechterleitbildern nicht auf Integration(sbestrebungen) insgesamt geschlossen werden. Hinzu kommt, dass der Zusammenhang zwischen Integration(sbestrebungen) und Geschlechterarrangements durch die Ergebnisse des Vergleichs zwischen Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, der in unserer Studie vorgenommen wurde, stark relativiert wird. Es zeigt sich folgendes: ƒ
ƒ
Bezüglich der Geschlechterarrangements und deren Varianzbreiten gibt es zwischen den Herkunftsgruppen insgesamt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, also keine überzeugend eindeutigen Tendenzen nach Herkunftsgruppen. Es gibt einen deutlicheren Zusammenhang zwischen Generationenzugehörigkeit und Geschlechterleitbildern als zwischen Herkunft und Geschlechterleitbildern: Tendenziell hat bei den Jüngeren eine (bedingte) Egalisierung der Geschlechterarrangements im Vergleich zur Elterngeneration stattgefunden, zum Teil wurde der Status quo der Eltern erhalten (Letzteres gilt vor allem im Fall bedingt egalitärer und egalitärer elterlicher Geschlechterarrangements). Es wird also bei den Jüngeren insgesamt eine Tendenz zu mehr egalitären Geschlechterarrangements im Vergleich zu den Älteren deutlich. Innerhalb der Generationen wiederum ¿ndet sich vor allem ein Zusammenhang zwischen Geschlechterarrangements und Bildungsniveaus. Die Tendenz ist: Höhere Bildungsniveaus gehen mit egalitäreren Geschlechterarrangements einher. Und es lässt sich stellenweise eine Bedeutsamkeit der Geschlechtszugehörigkeit, insbesondere bei den Jüngeren feststellen. Frauen tendieren eher als Männer zu egalitären Geschlechterarrangements. Die wenigen Jüngeren hingegen, die ein konservatives Geschlechterarrangement präferieren, sind nahezu ausschließlich Männer.
Vor diesem Hintergrund lässt sich kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Herkunft und Geschlechterarrangements identi¿zieren und damit auch kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Integration und Geschlechterleitbildern. So lassen sich z. B. strukturell gut integrierte Personen mit Zuwanderungsgeschichte und einem konservativen Geschlechterleitbild genauso ¿nden wie Personen, die ein egalitäres Geschlechterleitbild verfolgen, sich aber nicht gut integriert fühlen. Die bisher vorgestellten Ergebnisse zu den Thematiken Geschlechterarrangements und Gleichstellung unter Integrationsaspekten ließen sich aus unserer Sicht wie folgt für die Beschäftigung im zukünftigen gesellschaftlichen Diskurs und auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung verdichten: Statt die Frage 80 Diese ist überdies nur schwer messbar und hat in den vorherrschenden Diskursen häu¿g eine De¿nition mit stark wertendem Charakter.
Geschlechterarrangements und Integrationsbestrebungen
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der Integration Zugewanderter in den Mittelpunkt zu stellen, ist es angemessen, diese Thematik aus einer transkulturellen, gesamtgesellschaftlichen Perspektive zu diskutieren – unter systematischer Einbeziehung der Einstellungen von Personen mit Zuwanderungsgeschichte. Die fortwährende Sonderstellung dieser Gruppen in Forschung und Politik führt hingegen eher zur Stabilisierung von Klischees, die von der sozialen Realität zum Teil weit entfernt sind. Ähnlich sehen dies die Autoren der Sinus-Studien, welche Integration als allzu einseitige Leistungsanforderung an die Personen mit Zuwanderungsgeschichte und ihre Familien kritisch betrachten.81 b) Erziehungsvorstellungen Die bereits dargelegten Erkenntnisse zu Erziehungsvorstellungen bringen insgesamt ebenfalls mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den Befragten quer durch die Herkunftsgruppen hervor. Dies gilt ebenso für die Frage der geschlechtsspezi¿schen Erziehung, die von der Mehrheit der Befragten in allen Herkunftsgruppen abgelehnt wird. Der augenfälligste Unterschied zwischen Befragten mit und ohne Zuwanderungsgeschichte ist, dass die Erstgenannten neben den transkulturell vorhandenen Erziehungsvorstellungen auch kulturspezi¿sche Erziehungsvorstellungen aus ihren Herkunftsländern, die sie als wertvoll erachten, in ihre Erziehung integrieren möchten. Beispiele sind ein besonderer Respekt vor Älteren sowie spezi¿sches kulturelles Wissen. Diese Vorstellungen, wie sie ja auch in anderen geschichtlichen Perioden mit Wanderungsbewegungen von Zugewanderten mitgebracht wurden, sollten keinesfalls als Gegensatz zu Integrationsbestrebungen begriffen werden. Vielmehr sind sie mit ihnen vereinbar und können einen Beitrag zur Vergrößerung kultureller Ressourcen in der deutschen Gesellschaft leisten. Eher bei den älteren Zugewanderten als bei den Nicht-Zugewanderten gab es die Tendenz, hohe Leistungsanforderungen an die Jüngeren zu stellen. Dies ist ein Hinweis auf hohe strukturelle Integrationsbestrebungen dieser Gruppe und ihrer Kinder. Eine weitere Tendenz war der Wunsch mancher Jüngerer nach einer weniger strengen Erziehung bzw. deren Vorhaben, weniger streng erziehen zu wollen. Eine strenge Erziehung ist aber nicht bei allen Befragten mit Zuwanderungsgeschichte verbreitet und kam auch bei Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte vor. Schließlich zeigt die gleichermaßen hohe Bildungs- und Berufsorientierung der meisten Jüngeren (Männern wie Frauen) aus allen Herkunftsgruppen, dass das männliche Ernährermodell nicht den Idealvorstellungen der meisten entspricht. 81 In ihrem Text zu Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten, der auf den Erkenntnissen der Sinus-Studien zu Migrantenmilieus fußt, hinterfragen Wippermann und Flaig (2009, S. 10) kritisch, inwieweit denn z. B. deutsche Rechtsradikale, Mallorca-Ballermänner, Hedonisten, Hochadelige und Finanzmanager integriert seien.
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c) Partnerwahl Die bereits in dieser Zusammenfassung behandelte Partnerwahl macht ebenfalls große Gemeinsamkeiten zwischen allen Befragten deutlich. So will die Mehrheit aus allen Herkunftsgruppen ihre Wahl einer Partnerin/eines Partners nicht vorab auf eine Person der gleichen Herkunftsgruppe eingrenzen; ein ähnliches (oder höheres) Bildungsniveau ist ausschlaggebender als die Herkunft. Diejenigen, die einen Partner/eine Partnerin aus der eigenen Herkunftsgruppe favorisieren (dazu gehören Befragte mit und ohne Zuwanderungsgeschichte), tun dies vor allem aus der bereits erläuterten pragmatischen Argumentation heraus (Wunsch nach Gemeinsamkeiten von Sprache und Erfahrungen etc.). Die Partnerwahl bzw. das Heiratsverhalten wird häu¿g in wissenschaftlichen und politischen Diskursen als Integrationsindikator angegeben.82 Dies erscheint unter zwei Aspekten fragwürdig: a) Partnerwahl auf individueller Ebene ist Privatsache und gehört zu den Rechten, die sowohl Personen mit als auch ohne Zuwanderungsgeschichte in Deutschland genießen. b) Gerade in dieser Frage wird mit zweierlei Maß gemessen: Wenn Personen mit Zuwanderungsgeschichte innerhalb der eigenen Herkunftsgruppe heiraten, wird dies als Integrationsproblem bewertet. Wenn Personen ohne Zuwanderungsgeschichte untereinander heiraten (und dies möglicherweise aufgrund von Vorbehalten gegenüber Personen mit Zuwanderungsgeschichte) wird dies hingegen nicht thematisiert. Gleichzeitig erkennen wir an, dass die Häu¿gkeit, mit der Partnerschaften zwischen Personen unterschiedlicher Herkunft geschlossen werden, ein Indikator für die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft darstellt. Vor diesem Hintergrund scheint ein transkultureller Diskurs über Partnerwahl auf der Ebene der Gesamtgesellschaft in Deutschland sinnvoller als unter dem Gesichtspunkt der Integration mit Blick ausschließlich auf die Gruppe der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Um einige ergänzende Antworten auf die Frage nach Integration bzw. Integrationsbestrebungen und zusätzlich zur Integrationsbereitschaft der Einwanderungsgesellschaft geben zu können (die aber dann nicht oder nur indirekt im Zusammenhang mit Geschlechterleitbildern stehen), werden die vorliegenden Informationen zu Bildungs- und Berufseinstellungen, zu sozialen Kontakten und zur Frage der Zugehörigkeit unter dem Integrationsaspekt kurz aufgegriffen. Darüber hinaus werden die Einstellungen und Erfahrungen der Befragten im Hinblick auf Integration resümiert. Unter strukturellen Aspekten und mit Blick auf die Leistungsbereitschaft der Befragten mit Zuwanderungsgeschichte kann von einer tendenziell hohen Integrationsbereitschaft gesprochen werden. Dies gilt ebenso mit Blick auf die Auseinandersetzung mit Werten und Normen des Herkunftslandes und Deutsch-
82
Vgl. hierzu exemplarisch die bereits erwähnte Berlin-Studie (2009, S. 49).
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lands bei der ganz überwiegenden Mehrheit. Insbesondere für die Jüngeren ist die Frage nach Integration zunehmend eine abstrakte – sie verstehen sich häu¿g längst als hier sozialisiert und/oder z. B. als Europäer/Europäerin etc. Es gibt insbesondere bei den Jüngeren Hinweise auf eine solche identi¿katorische Integration. Die Interviewergebnisse hinterlassen den Eindruck, dass Zugewanderte wie NichtZugewanderte auf einer ähnlichen Wertgrundlage ein gutes Leben führen wollen und dies zumindest ebenso oder sogar besser ihren Kindern ermöglichen möchten. Zufriedenstellende Beziehungen und Geschlechterarrangements gehören dazu. d) Integration durch Bildung und Beruf Bildung spielt für sehr viele Befragte gruppenübergreifend eine bedeutende Rolle (Personen mit hohem Bildungsniveau sowie Zugewanderten aus der Türkei betonen dies besonders). Dazu gehört sowohl eine gute formale wie informelle Bildung. Diese Bildungsbestrebungen verweisen auf eine hohe strukturelle Integrationsbereitschaft. Gleichzeitig wird aber bei einigen Zugewanderten deutlich, dass die Problematik der Nicht-Anerkennung von Abschlüssen aus dem Herkunftsland sowohl zu einer strukturellen wie auch sozialen Exklusion führen kann – und dies kann wiederum kulturelle Exklusion zur Folge haben. Darüber hinaus ist der überwiegenden Mehrheit der Befragten die Berufstätigkeit wichtig. Diese wird u. a. verbunden mit materieller Sicherheit, Freude/Selbstverwirklichung, Unabhängigkeit, Freundschaften, Austausch und Kommunikation. Außerdem steht Arbeit für Bildung und Weiterentwicklung. Hierbei fallen wiederum intergenerative Unterschiede eher als Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen ins Auge: So streben z. B. Jüngere eher eine Arbeit an, in der sie sich selbst verwirklichen können, als Ältere. Auch die kommunikativen Aspekte der Arbeit sind den Jüngeren besonders wichtig. e) Soziale Kontakte Wie wichtig die soziale Integration den allermeisten Befragten ist, zeigen die Fragen zu sozialen Kontakten: Die ganz überwiegende Mehrheit verfolgt im Rahmen ihrer Möglichkeiten soziale Kontakte verschiedenster Art. Die Jüngeren haben dabei mehr Kontakte als die Älteren, auch mehr Kontakte zu anderen Herkunftsgruppen als der eigenen. Zielgerichtete Isolierungstendenzen gegenüber der deutschen Herkunftsgruppe lassen sich nicht erkennen. Vielmehr erfolgt die Auswahl der sozialen Kontakte (wie bei der Partnerwahl) funktional und/oder nach Neigung, nicht strategisch, sondern häu¿g zufällig. Es zeigt sich, dass gerade soziale Kontakte in Schule, Arbeitsplatz und anderen Institutionen Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte zusammenbringen. Daher ist es wichtig, dass solche Institutionen weiterhin eine integrative Wirkung haben können bzw. dass diese noch gezielter verstärkt wird, da so Klischeebildungen zumindest entgegen gewirkt werden kann. Im Umkehrschluss heißt dies gleichzeitig, dass einer sozialen Exklusion Vorschub
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geleistet wird, wenn bei einzelnen Personen die integrative Wirkung von Institutionen versagt oder Personen z. B. aufgrund von Arbeitslosigkeit aus solchen Systemen herausfallen. f) Zugehörigkeit Das Emp¿nden von Zugehörigkeit wird häu¿g als ein Aspekt identi¿katorischer Integration thematisiert. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass auf eine offene Frage danach lediglich rund die Hälfte der Befragten mit Zuwanderungsgeschichte Zugehörigkeit überhaupt unter dem Aspekt von nationaler bzw. geographischer Zugehörigkeit betrachtet. Die anderen Befragten fühlen sich z. B. zugehörig dort, wo sie sich wohlfühlen, im Freundeskreis, in der Schule, in der Familie und am Arbeitsplatz. Sich zugehörig zu fühlen bedeutet für einige z. B. zu Hause sein, bei Menschen, die ihnen nahe stehen. Die Befragten, die Zugehörigkeit auf geographischer Ebene thematisieren, assoziieren Heimat entweder mit dem Aufnahmeland, dem Herkunftsland oder mit mehreren länderbezogenen Zugehörigkeiten. Die Varianzbreite ist hier sehr groß und es lassen sich keine eindeutigen Trends erkennen. Ein aufschlussreicher Aspekt ist, dass einige Befragte ‚Heimat‘ mit dem Herkunftsland assoziieren und ‚Zuhause‘ mit Deutschland. Auch die transkulturelle Identi¿kation als Europäerin/Europäer wird mehrfach genannt. Gleichzeitig wird das Problem angesprochen, dass Teile der Mehrheitsgesellschaft die identi¿ katorische Integration mit Deutschland erschweren, da Zugewanderte von ihnen regelmäßig mit dem Bild des ‚Ausländers‘ konfrontiert werden – das ist insbesondere auch für diejenigen ein Thema, die einen deutschen Pass haben. So schildern etwa Befragte aus der ehemaligen Sowjetunion mit deutschem Pass, dass sie in Russland keine ‚richtigen Russen‘ waren und in Deutschland nicht als Deutsche anerkannt werden. Diese Statements zeigen, dass die Diskurse um Zuwanderung und Integration durch die Reproduktion der Dichotomie ‚Wir‘ (die deutsche Mehrheitsgesellschaft) und ‚die Anderen‘ (Personen mit Zuwanderungsgeschichte) den Prozess der identi¿katorischen Integration belasten. g) Einstellungen und Erfahrungen zu Integration In den grundsätzlichen Einstellungen zu Integration wird bei der Mehrheit der Befragten vor allem der Wunsch nach gegenseitigem Respekt und Toleranz sichtbar – quer durch die Herkunftsgruppen. Als Bereiche der Integration werden u. a. Sprache, Arbeit, Ausbildung (v. a. Schule), Wohnen und Freizeit genannt. Insgesamt dominiert bei den Befragten mit Zuwanderungsgeschichte eine eher positive Haltung zu ihrer eigenen Integration (in Einzelfällen sogar trotz Diskriminierungserfahrungen), während diese von Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte eher problematisiert wird, z. B. mit dem Hinweis auf Sprachprobleme. Die PÀicht zur Integration wird eher auf Seiten der Personen mit Zuwanderungsgeschichte gesehen. Vereinzelt gibt es bei Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte
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auch populistische Auffassungen, in denen gängige Klischees und Vorurteile zum Ausdruck kommen. Herkunftsübergreifend gibt es Kritik am deutschen Bildungssystem, welches aus Sicht einiger Befragter Personen mit Zuwanderungsgeschichte benachteiligt. Sie wünschen sich vor allem eine Verstärkung der sozialen Integration und der Annäherung (von beiden Seiten). Zudem kritisieren sie die bereits angesprochene immer wieder reproduzierte Dichotomie ‚wir‘ und ‚die‘, welche aus ihrer Sicht einer Integration im Wege steht, wenn Personen mit Zuwanderungsgeschichte nicht als selbstverständlicher und integraler Bestandteil der Gesellschaft gesehen werden. Die biographischen Erfahrungen bezüglich Integration sind ebenfalls vielfältig. Manche Befragte ohne Zuwanderungsgeschichte neigen wiederum zum Teil zu populistischen, ganz vereinzelt zu fremdenfeindlichen Haltungen, andere betonen die positiven Aspekte einer vielfältigen Gesellschaft und haben positive Erfahrungen gemacht. Im Unterschied dazu thematisieren manche Personen mit Zuwanderungsgeschichte eigene Diskriminierungserfahrungen, z. B. als ‚Ausländerin‘ in der Schule. Diese Erkenntnisse fordern auf zu einer systematischen Zusammenführung der Diskussionen um Integration und Fremdenfeindlichkeit in Forschung und Politik, was zum Teil bereits umgesetzt wird – beispielsweise werden diese Themen mittlerweile in einigen Bundesprogrammen (z. B. das Programm „Vielfalt tut gut“ des BMFSFJ)83 als gemeinsamer Themenkomplex behandelt und in Projekten umgesetzt. Insgesamt haben die Antworten der Befragten mit Zuwanderungsgeschichte deutlich gezeigt, wie individuell und differenziert ihre Vorstellungen von und Bestrebungen nach Integration und ihre Vorstellungen von Zugehörigkeit sind – gleichzeitig enthielten sie kaum Hinweise oder Rückschlüsse auf ihre Geschlechterarrangements. Es lässt sich mit Blick auf Geschlechterarrangements und Integrationsbestrebungen klar festhalten, dass es keinen Zusammenhang zwischen Geschlechterarrangements und Integrationsbestrebungen gibt. Vielmehr ist solch eine Annahme irreführend, da a) Geschlechterarrangements als Bestandteil nur einer (der kulturellen) Dimension von Integration kaum Auskunft über Art und Ausmaß der Integration gibt und b) wenn von „Integrationsbestrebungen“ (seitens der Personen mit Zuwanderungsgeschichte) die Rede ist, während das Ausmaß der Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft (und ihrer Institutionen) überhaupt nicht in den Blick gerät. Überdies wird eine Gegeneinanderstellung von Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte (im Sinne von „wir“ und „die“) in unzulässiger Weise reproduziert – die Studie hat gezeigt, dass es quer durch die Herkunftsgruppen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt und vorhandene Unterschiede sich z. B. eher über die Generationszugehörigkeit und das Bildungsniveau als über die Herkunft
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Vgl. Homepage des Programms: www.vielfalt-tut-gut.de [Stand 18.06.2009].
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feststellen lassen. Einmal mehr muss also an dieser Stelle kritisch hinterfragt werden, in welchen Kontexten Debatten um Integration überhaupt zielführend sind oder inwieweit andere viel relevantere Aspekte dadurch übersehen werden.
7
Schlussfolgerungen und weiterführende Fragestellungen
Was bedeuten die Ergebnisse dieser Studie nun für Wissenschaft, Politik und Praxis? Welche weiterführenden Forschungsfragestellungen könnten interessant sein? Ist ggf. ein Perspektivwechsel in der Forschung angebracht? Welche Konsequenzen haben die Forschungsergebnisse z. B. für politische Gleichstellungsprogramme oder für Integrationsprojekte für Zielgruppen mit Zuwanderungsgeschichte ? 7.1
Schlussfolgerungen für die Wissenschaft und weitere Forschungsfragestellungen
Es zeigt sich deutlich, dass die oben zusammengefassten Ergebnisse der vorliegenden Studie an verschiedene Sinus-Studien und an eine Fülle von Studien aus der Migrations-, Geschlechter-, Jugend- und Familienforschung anschlussfähig sind. Viele unserer Ergebnisse stehen in Übereinstimmung mit denen jüngerer Studien, die wir in den ersten Kapiteln dieser Forschungsarbeit vorgestellt haben. Insbesondere durch den interkulturellen Vergleich und eine systematische Einbeziehung von Deutschen ohne Zuwanderungsgeschichte, die genderspezi¿sche Betrachtungsweise aller Herkunftsgruppen sowie den intergenerativen Ansatz werden der Forschungslandschaft teils ergänzende, teils neue Forschungsergebnisse geliefert. Aus den vorliegenden Erkenntnissen heraus halten wir folgende Themen und Fragestellungen, die für zukünftige Studien forschungsleitend sein können, für erwähnenswert: a)
Wir empfehlen, eine ähnlich gelagerte Studie wie die vorliegende auch mit jüngeren Personen durchzuführen, die bereits eigene Kinder haben und in Partnerschaften in einem eigenen Haushalt leben. Auf diese Weise können auch bei der jüngeren Generation Aussagen zu tatsächlich vorhandenen Geschlechterpraxen gesammelt werden. Damit kann eine systematische Erforschung der ‚Lücke‘ zwischen Wunsch und Wirklichkeit auch im interkulturellen Vergleich erfolgen. b) Wie in anderen Studien (u. a. den Sinus-Studien) wurde auch in dieser Studie festgestellt, dass die Hauptunterschiede in den Einstellungen und Geschlechterverhältnissen nicht entlang der Herkunftsgruppen verlaufen, sondern häu¿g quer dazu liegen. (Bei uns ¿nden sich zentrale Zusammenhänge z. B. mit der
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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c)
d)
e) f)
g)
Schlussfolgerungen und weiterführende Fragestellungen Generationenzugehörigkeit und dem Bildungsniveau, z. T. mit dem Geschlecht; die Gewichtung der Strukturkategorien variiert je nach Thema). Die in unserer Studie erzielten Ergebnisse in Bezug auf den Vergleich des Geschlechterarrangements zwischen Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte relativieren somit die oftmals in älteren Arbeiten überhöhte Bedeutung der Dichotomie zwischen Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Damit wurde erneut deutlich, dass die Kategorie Herkunft bzw. Kultur als Unterscheidungsmerkmal für lebensweltliche Aspekte wie das Rollenverständnis keine zentrale Differenzkategorie (mehr) ist. Um der Reproduktion von Klischees und Stereotypen vorzubeugen, empfehlen wir Forschungsthemen wie das Rollenverständnis bzw. die Geschlechterarrangements nicht mehr unter einem Integrationsaspekt, sondern aus einem gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel zu bearbeiten. Wir empfehlen, Zeitbudgetstudien, welche die Zeitdauer der Aufwendungen im Haus und in der Familie sowie der Erwerbsarbeit erheben, systematisch interkulturell auszurichten und nicht nur Frauen und Männer, sondern auch Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte zu vergleichen. Außerdem scheinen aufgrund der Flexibilität der Geschlechterarrangements im Zeitverlauf je nach Lebenssituation Längsschnittstudien im interkulturellen Vergleich ratsam. Mit der vorliegenden Studie wird eine Forschungslücke bezüglich der Zugewanderten aus der ehemaligen Sowjetunion unter geschlechtsspezi¿scher Perspektive bearbeitet. Es empfehlen sich weitere geschlechtsspezi¿sche Studien zu dieser Gruppe, auch unter besonderer Berücksichtigung der Diskrepanz zwischen den im Herkunftsland und in Deutschland ausgeübten Berufen der zugewanderten ersten Generation, der (Nicht-)Anerkennung von Berufsabschlüssen und deren Folgen für die beruÀiche Entwicklung, von sozialen Kontakten und schließlich der Problematik der Nicht-Anerkenunng als ‚Deutsche/ Deutscher‘ trotz deutschem Pass. Lohnenswert wäre außerdem eine genauere Untersuchung von innerfamilialer Arbeitsteilung unter aktiver Einbeziehung der Kinder, was in dieser Studie bereits ansatzweise sichtbar wurde. Weiterhin deutet sich an, dass eine systematische Untersuchung der Alltagsbewältigungsprozesse von Zugewanderten der ersten Generation aufschlussreich sein kann, um mögliche Unterschiede zwischen Stadt-Stadt-Migrationen und Land-Stadt-Migrationen nachzuvollziehen. Schließlich wäre es eine interessante Perspektive, Zugehörigkeit bei Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte unter Diversity-Aspekten zu untersuchen und dabei einen weit gefassten und offenen Zugehörigkeitsbegriff zugrunde zu legen. Wir vermuten, dass sich auch in dieser Hinsicht viele Gemeinsamkeiten zwischen Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte ¿nden lassen würden.
Schlussfolgerungen für Politik und Praxis 7.2
251
Schlussfolgerungen für Politik und Praxis
Ähnlich wie es bereits die vorgestellten Studien, insbesondere auch die SINUSStudien nahe legten, ist es bei der AuÀage z. B. von politischen Programmen und Projekten zur Geschlechtergleichstellung, aber auch zur Integration von Personen mit Migrationshintergrund wichtig und notwendig, folgendes zu berücksichtigen: a)
b)
Es gibt oft innerhalb von (Bildungs-)Milieus und innerhalb von Generationen in Bezug auf Einstellungen und Lebensstil, auch bezüglich Geschlechterarrangements, mehr Gemeinsamkeiten als innerhalb einer Nationalitätengruppe (dies gilt auch für Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte). Daher sollten z. B. politische und pädagogische Programme zu diesen Themen, sofern sie bedarfsorientierte und passgenaue Angebote machen wollen, nicht nationalitätenspezi¿sch ausgerichtet werden, sondern den Aspekt der (Bildungs)milieuzugehörigkeit, aber auch andere Differenzlinien wie z. B. Geschlecht oder Alter berücksichtigen. Wenn es beispielsweise um Gleichstellung geht, ist herkunftsübergreifend für die Zielgruppen mit hohem Bildungsniveau eine andere Zielgruppenansprache und ggf. auch ein anderes Angebot angebracht als für sozial benachteiligte Zielgruppen mit niedrigem Bildungsniveau. Ähnliches sollte für Generationen bzw. Altersgruppen gelten. Oft wird es von Projektzielen und -inhalten in den Bereichen Gleichstellung und Integration abhängen, ob, inwieweit und unter Berücksichtigung welcher Differenzlinien eine zielgruppenspezi¿sche Ausrichtung Sinn macht oder eine heterogene Gruppenzusammensetzung nicht doch bevorzugt werden sollte. Gleichzeitig sollten allerdings bei Bedarf eventuell vorhandene Unterschiede zwischen Herkunftsgruppen nicht unsichtbar gemacht, sondern systematisch mit berücksichtigt und thematisiert werden, wenn es für das Programmziel effektiv ist. Wenn es z. B. um besonderen Informationsbedarf zu ausländerrechtlichen Fragen geht, könnte – jedoch unter dem Dach einer vorrangig bildungs- oder milieuspezi¿schen Ausrichtung – etwa ein Mentoringprogramm für die Förderung von Frauen in Führungspositionen (bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie) in der Zielgruppenansprache dezidiert sowohl Frauen mit als auch ohne Zuwanderungsgeschichte in den Blick nehmen und z. B. bei Informationsangeboten auch spezielles Know How zu aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Fragen behandeln oder Hinweise zu Sprachkursen oder zu Antidiskriminierungsstellen geben. Bei der praktischen, z. B. projektbezogenen Arbeit in Bezug auf eine Erhöhung der Sensibilität gegenüber Gleichstellung zwischen Mann und Frau und gleichberechtigten Lebensformen sollte der EinÀuss religiöser Aspekte zwar berücksichtigt, aber angesichts der tendenziell geringen Bedeutung von Religion bezüglich Geschlechterarrangements in der vorliegenden Studie nicht
252
c)
Schlussfolgerungen und weiterführende Fragestellungen überschätzt werden. So können im Rahmen von Programmen und Projekten zum Thema Gleichstellung Einrichtungen verschiedener Religionsgemeinschaften im Einzelfall sinnvolle Kooperationspartner sein – sie sollten aber einige wenige von vielen sein, eine zu einseitige Konzentration auf religiöse Milieus sollte eher vermieden werden. Vor dem Hintergrund des Ergebnisses, dass die Kontextualisierung von Geschlechterarrangements und Integrationsbestrebungen irreführend ist, da diese sowohl bei denen mit als auch bei denen ohne Zuwanderungsgeschichte gleichermaßen in heterogener Form zu ¿nden sind, halten wir es nicht für sinnvoll, Fragen der Gleichstellung von Mann und Frau sowohl politisch als auch pädagogisch im Kontext von Integration zu behandeln oder im Rahmen von Integrationsprogrammen praktisch umzusetzen. Wir plädieren eher für eine gesamtgesellschaftliche Behandlung der Gleichstellungsthematik unter systematischer Einbezug aller Gesellschaftsmitglieder als Zielgruppen, also auch derjenigen ohne Zuwanderungsgeschichte. Ratsam wäre idealerweise eine diversity-orientierte Gleichstellungspolitik und -praxis, bei der gleichermaßen mit Unterschieden sowohl aufgrund von Geschlechts- als auch von Milieuund Generationenzugehörigkeit sensibel umgegangen wird. Ziel dieser Praxis wäre es, passgenaue Angebote zu machen, die entsprechenden Zielgruppen zu erreichen und gleichzeitig eine gesamtgesellschaftliche Gleichstellungspolitik und -praxis zu etablieren, ohne die durch den Integrationsdiskurs immer wieder reproduzierte kategorische Unterscheidung zwischen „Wir“ (die „Deutschen“) und „Die“ (die „Anderen“) weiter aufrechtzuerhalten. Eine solche Differenzierung ist aus unserer Sicht nicht zielführend, zumal noch hinzukommt, dass immer weniger Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, vor allem bei den Jüngeren, sich als „Objekt“ einer vermeintlich notwendigen Integrationspolitik sehen oder es als notwendig erachten, dass nur „sie“ integriert werden müssen. Diesen Umstand illustriert auch das folgende Zitat einer jungen Frau mit türkischer Zuwanderungsgeschichte aus der bereits erwähnten Studie von Barbara Schramkowski (2006, 2008) zum Thema Integration: „Dieses Integrationswort hat für mich mit der Zeit seinen Wert verloren, und es ist jetzt ein negatives Wort. (…) Und eigentlich sollte man diese Integration abschaffen, denn durch das Wort werden diese Ausgrenzungen gemacht: Du bist das, und du bist das. Denn du bist weiter Ausländerin, auch wenn du hier geboren bist, und du sollst dich weiter integrieren“ (Schramkowski 2008, S. 4).
d)
Die Erkenntnisse der vorliegenden Studie bezüglich der großen Vorbildfunktion der Eltern für ihre Kinder weisen erneut auf die herausragende Bedeutung der Elternbildung bzw. Elternbeteiligung hin, um die Bildung von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen – auch in Richtung einer Egalisierung von
Schlussfolgerungen für Politik und Praxis
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Geschlechterverhältnissen. Auch in diesem Zusammenhang ist die Perspektive auf verschiedene (Bildungs-)Milieus produktiv, wie sie Henry-Huthmacher/ Borchard (2008) in ihrer Sinus-Studie zu Elternmilieus erforscht und vorgestellt haben. Während dort bereits deutlich wurde, wie sozialstrukturelle Aspekte Elternmilieus konstituieren, so lässt sich anhand der hier präsentierten Forschungsergebnisse herausstellen, dass Bildungsmilieus mitunter größere EinÀüsse auf das Alltagsleben haben als ethnisch-kulturelle Zugehörigkeiten. In jedem Fall also scheint eine (weitere) Verstärkung des Handlungsfeldes Elternarbeit und Elternbeteiligung erforderlich, insbesondere im Handlungsfeld Schule und dort u. a. fokussiert auf sozial Benachteiligte und interkulturell sensibel (vgl. Gomolla/Fürstenau 2009). Entsprechend sind in der Elternbildungsarbeit solche Veränderungen voranzutreiben, die mit den in diesem Forschungsprojekt skizzierten Erweiterungen von Perspektiven auf Seiten der Institutionen bzw. der Fachkräfte einhergehen. Für die Professionalisierung dieses Feldes unabdingbar ist es, bei Problem- bzw. Fallanalysen mehrperspektivisch bzw. intersektional mit vielfältigen Erklärungsursachen umzugehen, wie es z. B. Melahat Altan u. a. (2009) vorbildlich ausgearbeitet haben: Für das Verstehen von Einzelfällen ist es erforderlich, verschiedene Perspektiven auf Migration, Kultur, Diskriminierung, soziale Herkunft und weitere individuelle Faktoren im Blick zu haben, insbesondere bezüglich der Wechselwirkungen zwischen diesen EinÀussfaktoren (vgl. Altan/Foitzik/Goltz 2009). In der Elternarbeit sollten sich dabei Angebote sowie die weiteren Konzepte verstärkt an Mütter und Väter gleichermaßen wenden. In diesem Sinne erscheint es vor dem Hintergrund der vorgestellten Studie wichtig und sinnvoll, zukünftige Elternbildung gendersensibel sowie interkulturell sensibel zu gestalten. Dazu müssen in Zukunft aber noch verstärkt Konzepte der Elternbildungsarbeit entwickelt und Àächendeckend umgesetzt werden, die eine bessere Beteiligung der Väter erreichen – auch mittels einer interkulturell sensiblen Väterarbeit (vgl. Tunç 2008 und 2009).
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Anhang I: Miniglossar zu zentralen Begriffen der Studie
Begriff
Erläuterungen
bedingt egalitäres Geschlechterarrangement
Familiales Geschlechterarrangement, bei dem der Mann umfangreicher im Bereich der Haus- und Familienarbeit mithilft und die Frau in der Regel (zumindest in Teilzeit, halbtags oder mehr) auch erwerbstätig ist. Oft sind beide Elternteile erwerbstätig. Die Frau leistet immer noch den größeren Teil häuslicher Arbeit, der Mann arbeitet zu. Bei der Erwerbsarbeit reicht es vom Modell männlicher Haupternährer plus Zuverdienst der Frau bis dahin, dass die Erwerbsarbeit mit (annähernd) gleichen Zeitbudgets auf die Elternteile verteilt ist. In diesem Modell ist die Verteilung der Hausarbeit tendenziell weniger stark geschlechtstypisch, teils wird sie Àexibel gehandhabt. Diese Gruppe ist in sich besonders heterogen.
Bildungsniveau
In unserer Studie wie folgt: Die Zuordnung einer Person erfolgte jeweils über den letzten vorliegenden schulischen bzw. beruÀichen Abschluss der Person. Personen, die sich noch in der schulischen Ausbildung be¿nden, wurden keinem Bildungsniveau zugeordnet. Niedriges Bildungsniveau Angaben zu einem der folgenden Bildungsabschlüsse und/oder -gänge: Hauptschule, abgebrochene Ausbildung bzw. Äquivalenten Mittleres Bildungsniveau Angaben zu einem der folgenden Bildungsabschlüsse und/oder -gänge: Realschulabschluss, Fachoberschulreife, Handelsschule, abgeschlossener Berufsausbildung bzw. Äquivalenten Hohes Bildungsniveau Angaben zu einem der folgenden Bildungsabschlüsse und/oder -gänge: Abitur, Fachabitur, Gymnasium, Fachhochschulreife, Meistertitel (Handwerk), abgeschlossenem Studium bzw. Äquivalenten Darüber hinaus wurden Personen, bei denen lediglich Angaben zu einem Grundschulabschluss und/oder abgebrochenen niederen Bildungsgängen vorliegen, der Kategorie ‚kein Abschluss‘ zugewiesen.
Differenzlinien
Merkmale, entlang derer sich Personen unterscheiden (können). Dazu gehören eher unveränderbare Merkmale (wie Ethnizität, Geschlecht) und grundsätzlich veränderbare Merkmale (wie Bildungsniveau, Religionszugehörigkeit). In dieser Studie steht insbesondere das Zusammenwirken der Differenzlinien Geschlecht, Herkunft, Generationenzugehörigkeit und Bildungshintergrund im Vordergrund.
DT-M
Kürzel für ein befragtes männliches Tandem/eine befragte männliche Person ohne Zuwanderungsgeschichte
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
266
Anhang I
DT-W
Kürzel für ein befragtes weibliches Tandem/eine befragte weibliche Person ohne Zuwanderungsgeschichte
egalitäres Geschlechterarrangement
Familiales Geschlechterarrangement, bei dem Mutter und Vater gleichermaßen Erwerbs- wie Haus-/Familienarbeit leisten. Beide Elternteile sind berufstätig und die Haus- und Familienarbeit wird, zum Teil abhängig vom Umfang der Erwerbstätigkeit, gleichmäßig auf beide verteilt. Die geschlechtstypische Festlegung von Arbeitsbereichen wird durchbrochen; seltener sind Mann oder Frau für einen bestimmten Bereich allein verantwortlich, auch wenn beide Elternteile bevorzugte Tätigkeiten verantworten, in die sie mehr Zeit investieren. Egalitäre Arbeitsteilungsmodelle weisen die größte Flexibilität und Durchlässigkeit auf.
ethnische Zugehörigkeit
Ethnische Zugehörigkeit lässt sich einerseits als ein symbolisches Ordnungssystem auffassen, das über die binäre Unterscheidung zwischen „(Migrations-)Anderen“ und einem „Wir“ (der nicht migrierten deutschen Mehrheitsgesellschaft) konstruiert und produziert wird (makrosoziologisch, wird auch als „ethnische Zugehörigkeitsverhältnisse“ bezeichnet); andererseits als individueller und gruppenbezogener Prozess der Selbst- und Fremdzuschreibung, der u. a. Zugehörigkeitsgefühle auslöst (mikrosoziologisch; tritt bei den Zugewanderten immer stärker als Gefühl der Hybridität auf, Stichwort Mehrfachzugehörigkeiten, z. B. deutsch-türkisch). (vgl. Kap. 2.2)
Geschlechterarrangement
Oberbegriff, umfasst folgende Begriffe (vgl. Kap. 2.1): individuelle Geschlechterleitbilder subjektive Geschlechterrollenorientierungen, wie sie die Befragten in den Interviews verdeutlichen (z. B. individuelle Vorstellungen von Arbeits- und Aufgabenteilungen zwischen den Geschlechtern, Bildungsund Berufsorientierungen etc.) kollektive/gesellschaftliche Geschlechterleitbilder gesellschaftlich diskursiv hergestellte Leitbilder zu Geschlechterrollenorientierungen (z. B. Hauptverantwortung der Kleinkinderziehung bei den Müttern, Normativität der bürgerlichen Kleinfamilie, geschlechtsspezi¿sche Aufgabenzuschreibungen wie etwa handwerkliche Arbeiten, Kochen etc.) Geschlechterkulturen und Geschlechterverhältnisse Geschlechterkulturen = Ergebnis der Auseinandersetzung der Individuen und ihren individuellen Geschlechterleitbildern mit den diskursiv hergestellten und institutionalisierten Geschlechterleitbildern; Geschlechterverhältnisse = (institutionalisierte) Geschlechterordnungen, die durch Geschlechterkulturen geformt werden Geschlechterpraxen alltägliches Handeln von Männern und Frauen in Geschlechterarrangements
Geschlechtsstereotype
Ein kulturell geprägtes Meinungssystem über Eigenarten der beiden Geschlechter, das von Erwartungen und Wahrnehmungen beeinÀusst wird. (www.fremdwort.de) Ein Beispiel ist etwa die Annahme, Frauen könnten schlechter Auto fahren.
Anhang I
267
Integration
Wörtlich übersetzt heißt Integration „Eingliederung“ und bezieht sich sowohl auf die Notwendigkeit von Integrationsleistungen seitens der Personen mit Zuwanderungsgeschichte wie auch seitens des Einwanderungslandes und dessen Institutionen. So gehört zu Integration, dass Angehörige der Gruppen mit Zuwanderungsgeschichte die gleichen PÀichten erfüllen, aber auch die gleichen Rechte und die gleichen gesellschaftlichen Partizipationschancen haben sollten wie Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. Integration kann unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden, z. B. strukturelle, soziale, kulturelle und identi¿katorische Integration. (vgl. Kap. 2.2)
Intersektionalitätsanalyse
Vorgehen, bei dem Daten multiperspektivisch, beispielsweise in diesem Forschungsprojekt vor allem im Hinblick auf Geschlecht, Ethnizität, Generationenzugehörigkeit und Bildungshintergrund betrachtet werden; es werden Überschneidungen zwischen diesen Kategorien herausgearbeitet und es wird nicht von vorne herein einer Kategorie die Hauptbedeutung bei der Erklärung von Phänomenen zugemessen. Wechselwirkungen von Differenzkategorien sollen nicht hierarchisch theoretisiert werden, auch wenn Differenzlinien sich in ihren Wechselwirkungen überlagern, verstärken oder abschwächen (können). (vgl. Kap. 2.3)
konservatives Geschlechterarrangement
Kennzeichnend ist das oft das traditionelle Arbeitsteilungsmodell (männlicher Alleinverdiener plus Hausfrau). Die Frau ist nicht oder im geringen Umfang erwerbstätig und gleichzeitig (fast) allein für klassische Haushaltsbereiche zuständig. Der Mann übernimmt nur geringe oder gar keine Verantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung. Diese geschlechtstypische Verteilung, bei der für den Innenbereich hauptsächlich die Mutter und für den Außenbereich ganz überwiegend der Vater verantwortlich ist, bildet das Grundmuster auch dann, wenn es nicht für alle Arbeitsbereiche gilt und nie völlig strikt getrennt praktiziert wird. (vgl. Kap. 5.1)
Personen mit Zuwanderungsgeschichte
Laut Statistischem Bundesamt (dargestellt in Wippermann/Flaig 2009) alle folgenden Personen: - zugewanderte sowie in Deutschland geborene Ausländer - Deutsche mit eigener Zuwanderungserfahrung (Spätaussiedler/Eingebürgerte) - Personen mit mindestens einem zugewanderten Elternteil oder mindestens einem Elternteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit Wird in unserer Studie verwendet statt ‚Personen mit Migrationshintergrund‘.
SU-M
Kürzel für ein befragtes männliches Tandem/eine befragte männliche Person mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion
SU-W
Kürzel für ein befragtes weibliches Tandem/eine befragte weibliche Person mit Zuwanderungsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion
TR-M
Kürzel für ein befragtes männliches Tandem/eine befragte männliche Person mit Zuwanderungsgeschichte Türkei
TR-W
Kürzel für ein befragtes weibliches Tandem/eine befragte weibliche Person mit Zuwanderungsgeschichte Türkei
Anhang II: Zitierregeln
Die Zitate dieser Studie wurden nach folgenden Kriterien erstellt: Die verwendeten Namen sind Pseudonyme. Die Zitate wurden bei Bedarf sprachlich geglättet. Auslassungen im Originaltext durch die Autorinnen/Autoren wurden durch […] gekennzeichnet. Aus sprachlichen/stilistischen Erwägungen vorgenommene Ergänzungen wurden ebenfalls in eckigen Klammern in den Text eingefügt. Dasselbe gilt für inhaltliche Hinweise, um das Zitat verstehen zu können. Unverständliche Stellen im Interview wurden durch (__) gekennzeichnet. Die Abkürzung INT steht für Interviewer/in. Aus der Beschriftung unmittelbar hinter den Zitaten ist Folgendes erkennbar: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
die 1 oder 2 vor dem Pseudonym verdeutlicht, um welche Generation es sich handelt (1 = 1. Generation; 2 = 2. Generation) das Befragten-Pseudonym verdeutlicht, um welche Person es sich handelt die Kürzel SU-W/SU-M, TR-W/TR-M, DT-W/DT-M verdeutlichen, welcher Gruppe sie zugehört und welchem Geschlecht das Alter in Jahren und das Bildungsniveau sind ebenfalls angegeben die Nummerierung der Absätze kennzeichnet, in welchem Absatz des MAXQDA-Auswertungsprogramms die Zitate zu ¿nden sind (interner Vermerk).
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Autorinnen und Autoren
Schahrzad Farrokhzad: Dr., geb. 1971, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Univation, Institut für Evaluation Dr, Beywl & Associates GmbH Köln, Diplompädagogin und promoviert im Bereich interkulturelle Bildungsforschung; Forschungsschwerpunkte: Migration und Geschlechterverhältnisse, Evaluation und qualitative Sozialforschung, interkulturelle Bildung und Organisationsentwicklung; darüber hinaus freiberuÀiche interkulturelle Trainerin, Beraterin und Prozessbegleiterin und Lehrbeauftragte an der Universität zu Köln Markus Ottersbach: Dr. habil, geb. 1962, Professor für Soziologie an der Fachhochschule Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften; Arbeits-, Lehrund Forschungsschwerpunkte: Soziale Ungleichheit, Migrations-, Jugend- und Stadtsoziologie, Politische Partizipation und Qualitative Sozialforschung Michael Tunç: Diplom-Sozialpädagoge, geb. 1967, Stipendiat der Hans-BöcklerStiftung mit einem laufenden Dissertationsprojekt an der Universität Wuppertal; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Geschlechter-/Männlichkeits- und Väterforschung sowie Migrationsforschung, interkulturelle Männer- und Väterarbeit; von 1999 bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsschwerpunkt interkulturelle Kompetenz der Fachhochschule Köln; Mitglied und aktiv im VäterExperten-Netz Deutschland e. V., bei Väter in Köln e. V. und im Männer- und Väterforum Köln. Anne Meuer-Willuweit: Dipl.-Ing., geb. 1951, Personal- und Organisationsberaterin, Entwicklerin und Koordinatorin regionaler bildungs- und arbeitsmarkt politischer Projekte sowie Projekte der Frauenförderung und Gleichstellungspolitik. Vorsitzende von Women on top e. V., Verband der weiblichen Fach- und Führungskräfte Ostwestfalen-Lippe, Vorsitzende des BeruÀichen Weiterbildungsverbunds Bielefeld e. V., Mitglied in verschiedenen bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Gremien. Forschungsschwerpunkte: Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik, Demogra¿scher Wandel, Gender- und Migrationsthemen.
S. Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, DOI 10.1007/ 978-3-531-92712-1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011