Marianne Schüpbach Ganztägige Bildung und Betreuung im Primarschulalter
Marianne Schüpbach
Ganztägige Bildung und Be...
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Marianne Schüpbach Ganztägige Bildung und Betreuung im Primarschulalter
Marianne Schüpbach
Ganztägige Bildung und Betreuung im Primarschulalter Qualität und Wirksamkeit verschiedener Schulformen im Vergleich
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Habilitationsschrift der Phil.-hum. Fakultät der Universität Bern, 2009
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17262-0
Inhalt
Vorwort ............................................................................................................................ 11 1
Einleitung ................................................................................................................13
I. TEIL: KONTEXT – GESELLSCHAFTLICHER WANDEL UND DIE VERÄNDERTEN ANSPRÜCHE AN DIE BILDUNG UND BETREUUNG ........................................................................................................19 2
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens .....................................................................................................21 2.1 Demographischer Wandel ................................................................................21 2.1.1 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung ..............................................21 2.1.2 Bevölkerungsbewegung .......................................................................23 2.2 Familialer Wandel............................................................................................25 2.2.1 Individualisierung und Pluralisierung der familialen Lebensformen ...................................................................................... 25 2.2.2 Veränderter Lebens- und Familienzyklus ............................................ 28 2.2.3 Generatives Verhalten und Familiengrösse......................................... 29 2.2.4 Veränderte Generationsbeziehungen und veränderter familialer Alltag durch die verminderte Familiengrösse ..................... 32 2.2.5 Zunahme der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen ............. 33 2.3 Mediatisierung der Gesellschaft.......................................................................38 2.4 Wandel der lebensweltlichen und institutionellen Räume der Kinder .............39 2.5 Institution Schule nach PISA – im Wandel der Gesellschaft ...........................41
3
Erweiterte Bildungskonzeption ............................................................................. 47
II. TEIL: AUSSERFAMILIALE BILDUNG UND BETREUUNG UND KINDLICHE ENTWICKLUNG – AKTUELLER (FORSCHUNGS-)STAND .........55 4
Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung ................................................57 4.1 Individuelle Merkmale .....................................................................................58 4.2 Schule – insbesondere der Unterricht...............................................................61 4.2.1 Unterricht ............................................................................................61 4.2.2 Merkmale der Lehrperson ................................................................... 64 4.2.3 Klassenkontext und strukturelle Merkmale der Schule ........................ 65
6
Inhalt 4.3 Umwelt: Lebenswelten und weitere Bildungsorte ...........................................66 4.3.1 Familie ................................................................................................ 66 4.3.2 Peer Group .......................................................................................... 73 4.3.3 Medien .................................................................................................75 4.3.4 Weitere institutionelle Bildungsorte .................................................... 77
5
Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz .....................................79 5.1 Historische Entwicklungen ..............................................................................79 5.2 Rechtliche Grundlagen.....................................................................................82 5.2.1 Obligatorische Schule ......................................................................... 83 5.2.2 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung ..............................................84 5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote für Schulkinder, deren Verbreitung, Nutzung und Nachfrage ..........................86 5.3.1 Verschiedene Angebotsformen ............................................................ 86 5.3.2 Verbreitung und Nutzung der Angebote ..............................................89 5.3.3 Die Nachfrage nach Angeboten ...........................................................99 5.4 Traditioneller Unterricht – Blockzeiten ......................................................... 101 5.4.1 Vom traditionellen Halbklassenunterricht zum Blockzeitenunterricht......................................................................... 101 5.4.2 Die Einführung von Blockzeitenunterricht: Ein Schul- und Unterrichtsentwicklungsprojekt ................................ 103 5.4.3 Blockzeitenmodell mit veränderter Unterrichtsorganisation und -gestaltung: Stadt Solothurn ....................................................... 104 5.4.4 Blockzeiten in Verbindung mit Bildungsund Betreuungsangeboten ................................................................. 105 5.5 Tagesschulen.................................................................................................. 106 5.5.1 Was ist eine Tagesschule? ................................................................. 106 5.5.2 Grösse der Tagesschulen und deren Form ........................................ 107 5.5.3 Finanzierung und Schulkosten........................................................... 108 5.5.4 Differenzen zwischen den Sprachregionen ........................................ 109 5.5.5 Soziale Zusammensetzung der Schülerschaft und Entscheidungskriterien der Eltern ..................................................... 111 5.5.6 Organisation von Unterricht und Bildungsund Betreuungsangeboten ................................................................. 113 5.5.7 Personalstruktur ................................................................................ 117
6
Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung bezüglich der kindlichen Entwicklung ................................................................ 121 6.1 Ganztägige Bildung und Betreuung im Schulalter in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.................................................. 123 6.2 Ganztägige Bildung und Betreuung von Kindern im Schulalter: Internationaler Forschungsstand – Länder mit einer ganztägigen Schultradition ................................................................................................. 126
Inhalt
7
6.3 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung von Kindern im Vorschulalter........ 128 6.3.1 Forschungstradition .......................................................................... 128 6.3.2 Effekte von ausserfamilialer Bildung und Betreuung und deren Qualität auf die Sprache und die kognitive Entwicklung insgesamt ........................................................................................... 130 6.3.3 Effekte von ausserfamilialer Bildung und Betreuung und deren Qualität auf die sozio-emotionale Entwicklung ................................. 133 6.3.4 Effekte von ausserfamilialer Bildung und Betreuung sowie von familialen Faktoren ........................................................................... 135 6.3.5 Effekte von ausserfamilialer Bildung und Betreuung sowie deren Qualität bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien ................136 7
Pädagogische Qualität von Unterricht und ausser- familialer Bildung und Betreuung ...................................................................................................... 139 7.1 Ansätze zur pädagogischen Qualität und deren Messung .............................. 140 7.1.1 Konzepte und Modelle pädagogischer Qualität und deren Wirkung ................................................................................... 140 7.1.2 Messung der pädagogischen Qualität ............................................... 148 7.2 Ansätze zur Unterrichtsqualität und deren Messung ...................................... 148 7.2.1 Klassifikationen und Modelle von Unterrichtsqualität ...................... 151 7.2.2 Messung von Unterrichtsqualität ...................................................... 157
8
Zusammenfassung und Fazit für die eigene Untersuchung ................................................................................ 159 8.1 Teil I: Kontext – gesellschaftlicher Wandel und die veränderten Ansprüche an die Bildung .......................................................... 159 8.1.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen ............................................. 159 8.1.2 Erweiterte Bildungskonzeption .......................................................... 160 8.1.3 Fazit................................................................................................... 161 8.2 Teil II: Ausserfamiliale Bildung und Betreuung und kindliche Entwicklung – aktueller (Forschungs-)Stand ................................................. 162 8.2.1 Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung .............................. 162 8.2.2 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz .................... 164 8.2.3 Wirksamkeit und Qualität .................................................................. 165 8.2.4 Fazit................................................................................................... 170
III. TEIL: STUDIE ZUR FAMILIALEN UND AUSSERFAMILIALEN BILDUNG UND BETREUUNG SOWIE ZUR KINDLICHEN ENTWICKLUNG IM PRIMARSCHULALTER ....................................................... 173 9
Methodik der Studie ............................................................................................. 175 9.1 Fragestellungen und allgemeine Hypothesen ................................................. 175 9.2 Theoretische Rahmenkonzeption ................................................................... 177
8
Inhalt 9.3 Forschungsdesign........................................................................................... 181 9.3.1 Untersuchungsanordnung ................................................................. 181 9.3.2 Auswahl der Stichprobe ..................................................................... 181 9.4 Eingesetzte Erhebungsinstrumente und Skalen .............................................. 184 9.4.1 Kindliche Entwicklung....................................................................... 185 9.4.2 Grundintelligenztest Skala 1 (CFT 1) ................................................ 198 9.4.3 Elterliches Erziehungsverhalten ........................................................ 200 9.4.4 Überblick Erhebungsinstrumente: Pädagogische Qualität ............... 201 9.5 Untersuchungsplan......................................................................................... 206 9.6 Stichprobenbeschreibung ............................................................................... 208 9.6.1 Allgemeine Merkmale der realisierten Gesamtstichprobe .................208 9.6.2 Nutzung von ausserfamilialer Bildung und Betreuung im ersten Schuljahr ........................................................................................... 210 9.6.3 Verteilung der realisierten Stichprobe nach Untersuchungsgruppen und notwendige Gewichtungen .................... 212 9.6.4 Mutationen der Stichprobe im Längsschnitt ...................................... 217
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting .................... 219 10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule ..................................... 220 10.1.1 Theoretisierung ................................................................................. 221 10.1.2 Methodisches Vorgehen..................................................................... 223 10.1.3 Beschreibung der pädagogischen Orientierung ................................ 226 10.2 Pädagogische Qualität in der Familie ............................................................ 244 10.2.1 Theoretisierung ................................................................................. 244 10.2.2 Methodisches Vorgehen..................................................................... 245 10.2.3 Beschreibung der Prozessqualität im familialen Setting ................... 249 10.2.4 Beschreibung der Strukturqualität im familialen Setting...................253 10.2.5 Beschreibung der Kontextmerkmale im familialen Setting ................260 10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) ............. 262 10.3.1 Theoretisierung ................................................................................. 263 10.3.2 Methodisches Vorgehen..................................................................... 265 10.3.3 Beschreibung der Strukturqualität: Unterrichtsteil ........................... 269 10.3.4 Beschreibung der Strukturqualität: gesamte Schule ..........................283 10.3.5 Beschreibung der Strukturqualität: ausserunterrichtlicher Teil ........289 10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) .............. 294 10.4.1 Theoretisierung ................................................................................. 295 10.4.2 Methodisches Vorgehen..................................................................... 297 10.4.3 Beschreibung der Prozessqualität: Unterrichtsteil............................ 302 10.4.4 Beschreibung der Prozessqualität: ausserunterrichtlicher Teil ........306 10.4.5 Beschreibung der Prozessqualität: In den Schulformen der Untersuchungsgruppen...................................................................... 311
Inhalt
9
11
Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung ........................................... 313 11.1 Erklärungsmodell pädagogischer Prozessqualität .......................................... 313 11.1.1 Familiales Setting .............................................................................. 313 11.1.2 Ausserfamiliales Setting (Schule) ...................................................... 316 11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren auf die kindliche Entwicklung ................................................................................................... 321 11.2.1 Effekte auf die kognitive Entwicklung ................................................ 326 11.2.2 Effekte auf die sozio-emotionale Entwicklung ................................... 334 11.2.3 Effekte auf die Entwicklung von Alltagsfertigkeiten .......................... 346
12
Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen .................. 351 12.1 Die kognitive Entwicklung in den Schulformen ............................................ 352 12.1.1 Effekte der Schulformen .................................................................... 352 12.1.2 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-)Qualität im ausserfamilialen Setting ........................... 356 12.1.3 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-)Qualität im familialen Setting ..................................... 359 12.2 Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen ................................ 362 12.2.1 Effekte der Schulformen .................................................................... 362 12.2.2 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-)Qualität im ausserfamilialen Setting ........................... 367 12.2.3 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-)Qualität im familialen Setting ..................................... 373 12.3 Die Entwicklung bezüglich Alltagsfertigkeiten in den Schulformen ............. 374 12.3.1 Effekte der Schulformen .................................................................... 374 12.3.2 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-)Qualität im ausserfamilialen Setting ........................... 376 12.3.3 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-)Qualität im familialen Setting ..................................... 376
13
Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse ........................................... 379 13.1 Inhaltliche Ausrichtung der Studie und Vorgehen ......................................... 379 13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting................ 381 13.2.1 Zusammenfassung der Ergebnisse zur pädagogischen Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting ......................... 381 13.2.2 Diskussion der Ergebnisse zur pädagogischen Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting ............................................ 389 13.3 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung ........................................ 394 13.3.1 Zusammenfassung der Ergebnisse zur pädagogischen Qualität und kindlichen Entwicklung ................................................ 394 13.3.2 Diskussion der Ergebnisse zur pädagogischen Qualität und kindlichen Entwicklung............................................................... 399
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Inhalt 13.4 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen................ 406 13.4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse zur kindlichen Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen .......................... 406 13.4.2 Diskussion der Ergebnisse zur kindlichen Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen ............................................... 413 13.5 Ausblick ......................................................................................................... 417
14
Verzeichnisse ......................................................................................................... 421 14.1 Abkürzungen.................................................................................................. 421 14.2 Abbildungen .................................................................................................. 421 14.3 Tabellen ......................................................................................................... 424 14.4 Literatur ......................................................................................................... 428
Anhang ........................................................................................................................... 463
Vorwort
Im vergangenen Jahrzehnt hatte ich die Möglichkeit, im Rahmen meines Studiums und meiner Tätigkeiten, verschiedene Institute und Hochschulen kennenzulernen. Dadurch durfte ich unterschiedliche Organisationsstrukturen und -kulturen, Traditionen in Institutionen, aber auch deren Wandel erleben und mitgestalten. Nicht zu vergessen sind die Menschen, die mir dort begegnet sind und mich bezüglich meiner künftigen Tätigkeiten mitprägten. Meine wissenschaftliche Arbeit hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt – bereichert durch diese unterschiedlichen Einflüsse und Erfahrungen, die ich sammeln durfte. Meine Auseinandersetzung mit dem Thema ganztägige Bildung und Betreuung – Tagesschulen und Schulen mit Blockzeitenunterricht – hat ihren Ursprung am Ende eines früheren Forschungsprojektes an der Universität Fribourg, im Rahmen dessen ich Kinder untersuchte, die von Schulversagen betroffen sind – so genannte Repetierende. So stellte sich mir zum Ende der Studie die Frage, welche allfälligen präventiven Massnahmen* hinsichtlich Lernschwierigkeit in der Schule ergriffen werden könnten – wohl wissend, dass unser Schulsystem neben der Qualifikation der Heranwachsenden immer auch eine selektive Funktion hat. Als eine mögliche Antwort auf die Frage eröffnete sich mir der Gegenstand der ganztägigen Bildung und Betreuung. Die vorliegende Habilitationsschrift geht aus der zu dieser Thematik eingereichten Nationalfondstudie „EduCare – Qualität und Wirksamkeit der familialen und ausserfamilialen Bildung und Betreuung im Primarschulalter“ (Nr. 100013109345) von Prof. Dr. Walter Herzog, Universität Bern, Institut für Erziehungswissenschaft und von mir hervor. Besonders danken möchte ich an dieser Stelle Walter Herzog. In den letzten Jahren konnte ich in verschiedensten Belangen von seiner langjährigen Erfahrung und seiner Unterstützung profitieren. Unsere Gespräche über die Wissenschaft und die pädagogische Praxis haben mich immer wieder von neuem inspiriert und zum Weiterdenken angeregt. Zudem bedanke ich mich bei ihm für die guten Rahmenbedingungen, die ich insbesondere zum Abschluss meiner
*
Die durchgehende „Doppel-s“-Schreibung folgt der in der Schweiz üblichen Praxis.
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Vorwort
Arbeit erfahren durfte, die es mir ermöglicht haben, diese Monographie fertig zu stellen. Im Weitern gehört ein grosses Dankeschön allen, die an der SNF-Studie mitgearbeitet haben: die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen von EduCare I (Melanie Bolz, Hanne Mous, Corina Wustmann), die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen von EduCare II (Daniela Blum-Giger, Lisa Hattersley, Julia Ignaczewska), die Hilfsassistierenden (Marion Scherzinger, Stefanie Gysin, Roman Suter, Nadja Wenger) und eine Vielzahl von studentischen Hilfskräften aus der ganzen Deutschschweiz. Zudem bedanke ich mich bei Prof. Dr. Armin Hollenstein für seine methodischen Inputs. Nicht zuletzt danke ich all den Personen, die, an der Untersuchung teilgenommen haben: allen Kindern, Eltern, Lehr- und Betreuungspersonen. Ohne sie wäre es nicht möglich gewesen eine solch umfangreiche Studie durchzuführen. Danken möchte ich auch den Kooperationspartnern der SNF-Studie – Markus Mauchle Fachstellenleiter Verein Tagesschulen Schweiz, neu: Bildung + Betreuung, Verband für schulische Tagesbetreuung und Beat Wirz, Stabstelle Bildung, Erziehungsdepartement Basel-Landschaft –, die mir im Laufe der Zeit wertvolle fachliche Impulse geben konnten. Für die seit Jahren spannenden und inspirierenden (methodischen) Diskussionen und Rückmeldungen danke ich Dr. Wim Nieuwenboom. Ein besonderer Dank geht an Prof. Dr. Wolfgang Tietze, FU Berlin. Immer wieder befruchtend war für mich zudem der fachliche Austausch mit Mitgliedern des Forschernetzwerks zur „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) in Deutschland. Dieser Austausch ermöglichte mir, in dieser Arbeit auch den Bezug zur aktuellen bundesdeutschen Diskussion herzustellen. Im Besonderen danken möchte ich Prof. Dr. Ludwig Stecher, Universität Giessen und Dr. Nathalie Fischer, DIPF in Frankfurt für den offenen Austausch in den vergangenen Jahren. Zu guter Letzt richtet sich mein Dank an mein privates Umfeld, das mich unterstützt, immer wieder Rücksicht genommen und mich getragen hat. Im Speziellen danke ich meiner Mutter Susi Schüpbach für die ausführliche redaktionelle Lesung meiner Arbeit. Bei meinem Mann Stefan Kaufmann bedanke ich mich für seine fachlichen Impulse über die Disziplinen hinweg, seine treffenden Analysen und vor allem für seine emotionale Unterstützung über all die Jahre. Marianne Schüpbach
1 Einleitung 1 Einleitung 1 Einleitung
Ganztägige Bildung und Betreuung für Kinder im Schulalter stellt in der Schweiz seit einiger Zeit ein Thema von wachsender Bedeutung dar. In den letzten Jahren wurde in den meisten Kantonen die Einführung von Blockzeitenunterricht – die von verschiedenen Akteuren als erster Schritt zu einer ganztägigen Schulorganisation gesehen wird – wie auch die Stärkung eines ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangebots diskutiert und teilweise bereits umgesetzt. Man findet dabei ein im Aufbau begriffenes differenziertes Angebot unterschiedlicher zeitlicher Formen in der Institution Schule oder ergänzend dazu. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in den Begriffen wider, die momentan in diesem Kontext von ganztägiger Bildung und Betreuung gebräuchlich sind. Sonach wird mit dem Begriff „Tagesstrukturen“ – einem gegenwärtig in der Schweiz relativ geläufigen Begriff, der jedoch viel mehr auf die „Strukturen“ als auf die pädagogischen Prozesse von Bildung und Betreuung fokussiert – die Kombination aus Unterricht einerseits und Bildungs- und Betreuungsangeboten andererseits für Kinder im Kindergarten- und Schulalter bezeichnet. Tagesstrukturen können mit unterschiedlichen Massnahmen realisiert werden: mit Tagesschulen oder mit Hilfe von Blockzeitenunterricht und zusätzlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten an oder ergänzend zur Schule. All diese Formen werden nachfolgend synonym auch als ganztägige oder ausserfamiliale Bildung und Betreuung bezeichnet. Unter einer Tagesschule1 versteht man heute in der Schweiz überwiegend eine schulische Institution mit einem den ganzen Tag abdeckenden Angebot. An einer Tagesschule gibt es teilweise einen unterrichtlichen und einen ausserunterrichtlichen Teil oder aber die beiden Teile verschmelzen im Schultag. Der Träger des gesamten Angebotes ist in der Regel die Schule (BMFSFJ 2005; Schüpbach 2006; Schüpbach et al. 2006a). Die so genannten Blockzeiten2 sind eine schulinterne Zeitstruktur und umfassen Morgenblöcke von vier Lektionen an fünf Tagen in der Woche sowie eine Anzahl an Nachmittagsblöcken, während denen alle Kinder unter der Obhut der Schule stehen. Bis anhin stellte im Kindergarten und auf der Primarschulstufe über Jahr1 2
gleichzusetzen mit dem im Deutschland geläufigen Begriff Ganztagsschulen Sie sind vergleichbar mit den „Verlässlichen Halbtagsgrundschulen“ in Deutschland.
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1 Einleitung
zehnte hinweg ein alternierender Abteilungs- oder Halbklassenunterricht den Regelfall dar (EDK 2005). Weshalb wurde die ganztägige Bildung und Betreuung von immer grösserem gesellschaftlichem, bildungspolitischem aber auch wissenschaftlichem Interesse? In den vergangenen Jahrzehnten fanden verschiedene Veränderungen statt. Neben einem demographischen Wandel war auch die Familie massiven Veränderungen unterworfen. Es erfolgte eine Individualisierung und Pluralisierung der familialen Lebensformen, Veränderungen des Lebens- und Familienzyklus, des generativen Verhaltens und der Familiengrösse. Weiterhin veränderten sich die Generationsbeziehungen genauso wie der familiale Alltag durch die verminderte Familiengrösse (EDI 2004; EDI & BFS 2008; Herzog 1997; EDI & BFS 2007). In den letzten Jahren war ausserdem eine Zunahme der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen zu verzeichnen (BFS 2009c). Abgesehen davon kann heute von einer verstärkten Mediatisierung, aber auch von veränderten lebensweltlichen und institutionellen Räumen der Kinder berichtet werden. So hat sich die Kindheit in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Einen zusätzlichen Anstoss zur Debatte um ganztägige Bildung und Betreuung lieferten die (schlechten) Ergebnisse der Leistungsvergleichsstudien PISA, die eine breite öffentliche bildungspolitische Debatte mit initiieren konnten. Dabei werden sowohl sozial-, gesellschafts-, wirtschafts- sowie auch bildungspolitische Argumente laut, was die heterogenen Erwartungen – pädagogische und nicht-pädagogische – andeuten lässt. Im Zusammenhang mit dem beschriebenen Wandel wird im Weiteren die Forderung nach veränderten Zuständigkeiten von Familie und Schule geäussert. Die Schule müsse Wege finden, um sich mit den neuen Familienformen in ein verändertes Verhältnis setzen zu können. Das Verhältnis von Familie und Schule müsse ein neues Gleichgewicht finden (Herzog 1997). Die veränderten Anforderungen an die Schule führen u.a. zu einem Ruf nach einer ausserfamilialen oder ganztägigen Bildung und Betreuung, die erweiterte Aufgaben übernehmen kann. Die Schule soll sich zudem nicht auf formale Bildungsziele beschränken, sondern darüber hinaus auch Verantwortung für soziale Integration, Persönlichkeitsentwicklung und die Aneignung von materiell-praktischen Alltagskompetenzen der Heranwachsenden übernehmen, wird u.a. im Rahmen eines erweiterten Bildungsbegriffs postuliert (BMFSFJ 2006). Im Gegensatz etwa zum angelsächsischen Raum, in dem eine ganztägige Schulorganisation den Normalfall darstellt, ist dies in der Schweiz und in den deutschsprachigen Nachbarländern nicht der Fall. In der Schweiz wird heute nur ein Fünftel und somit ein verhältnismässig geringer Teil der schulpflichtigen Kinder neben dem obliga-
1 Einleitung
15
torischen Unterricht institutionell3 betreut (BFS 2007b), wobei gleichzeitig der Betreuungsumfang mit rund 2.5 Tagen pro Woche doch als eher gering zu bezeichnen ist. Schweizweite Angaben zum Anteil an Kindern, die eine Tagesschule besuchen, liegen bis heute nicht vor. Im Zusammenhang mit der Einführung von ganztägiger Bildung und Betreuung, im Speziellen in Form von Tagesschulen sowie mit den an sie gerichteten pädagogischen Erwartungen, stellt sich die Frage nach derer pädagogischen Qualität und Wirksamkeit im Vergleich zu „traditionellen Schulen“ und deren Unterricht. Relevante Befunde zur Qualität und zur Wirksamkeit ganztägiger Schulorganisation im Vergleich zur halbtägigen (in Deutschland und Österreich) bzw. der traditionellen Organisation in der Schweiz sind jedoch nur sehr vereinzelt vorhanden, liegen doch weitgehend nur Ergebnisse aus Begleitforschung zu Modellversuchen in Form von Einzelfallstudien sowie von breiten Studien aus dem Vorschulbereich vor. An diesem Punkt setzt die vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützte Studie „EduCare – Qualität und Wirksamkeit von familialer und ausserfamilialer Bildung und Betreuung bei Primarschulkindern“ (Nr. 100013109345) – aus der die vorliegende Publikation hervorgeht – an (Herzog & Schüpbach 2005). Das Forschungsinteresse der Längsschnittstudie richtet sich auf die Qualität und Wirksamkeit von familialer und ausserfamilialer Bildung und Betreuung zu Beginn der obligatorischen Schullaufbahn – in den ersten beiden Primarschuljahren – sowie auf die Wirkung weiterer Bündel von Bedingungsfaktoren (individuelle Merkmale, familiale Merkmale und der Entwicklungsstand am Anfang der Schulzeit) der kindlichen Entwicklung. Dabei werden unter ausserfamilialer Bildung und Betreuung die Schulformen Tagesschule (und deren intensive Nutzung), Schulen mit Blockzeitenunterricht sowie Schulen mit „traditionellem Unterricht“ (Kontrollgruppe) subsumiert. In einem ersten Schritt wird der Fragestellung nachgegangen, wie sich die pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting (Schule) gestaltet. In diesem Zusammenhang interessieren insbesondere allfällige Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulformen sowie bezüglich der pädagogischen Orientierungen auch zwischen den Hauptbezugspersonen im familialen und ausserfamilialen Setting. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, wie sich potentielle, ausgewählte, für die Tagesschule spezifische Qualitätsfaktoren gestalten. Nachdem in einem weiteren Schritt überprüft wird, inwieweit die pädagogischen Prozesse im familialen und ausserfamilialen Setting von strukturellen Merkmalen und von den pädagogischen Orientierungen der Hauptbezugspersonen der Kinder beeinflusst werden, wird nochmals ein etwas 3
in Tagesschule, Kindertagesstätten, Nachschulbetreuung oder am Mittagstisch
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1 Einleitung
breiterer Zugang gewählt. Es soll der direkte Einfluss von Merkmalen aus allen Qualitätsdimensionen in Familie und Schule unter Berücksichtigung der verschiedenen Schulformen – neben individuellen Merkmalen und des Entwicklungsstandes am Anfang der Schulzeit – untersucht werden. Das Forschungsinteresse richtet sich auf den Stellenwert verschiedener Merkmalsblöcke sowie auf die entwicklungsfördernden Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung. Der Hauptfokus der vorliegenden Studie liegt auf der Untersuchung der Wirksamkeit der verschiedenen Schulformen hinsichtlich der kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung sowie der Entwicklung der Alltagsfertigkeiten der Kinder. Im Mittelpunkt des Interesses liegt die Entwicklung der Tagesschulkinder (mit intensiver Nutzung) bzw. der Blockzeitenkinder im Vergleich zu den Kindern der Kontrollgruppe (traditioneller Unterricht) am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres unter Kontrolle der sich als zentral herauskristallisierenden Bedingungsfaktoren. Im Speziellen soll analysiert werden, wie sich die Kinder in den unterschiedlichen Schulformen bei jeweils hoher bzw. tiefer Qualität des ausserfamilialen Settings sowie bei jeweils hoher bzw. tiefer pädagogischer Qualität in der Familie entwickeln. Die aktuelle begriffliche Vielfalt in diesem Kontext wurde bereits angesprochen. Die jeweils verwendeten Begriffe für die Bildung und Betreuung von Heranwachsenden lassen auf eine unterschiedliche Einstellung, Haltung hinsichtlich deren Zuständigkeit, Fokus sowie Zielsetzung schliessen. In der vorliegenden Publikation wird einerseits vorwiegend der Begriff „ganztägige Bildung und Betreuung“ bzw. „Bildungs- und Betreuungsangebote“ verwendet, da sich der Begriff „ganztägig“ im gesamten deutschen Sprachraum in den letzten Jahren eingebürgert hat. Andererseits wird der Begriff „ausserfamiliale Bildung und Betreuung“ bzw. „Bildungs- und Betreuungsangebote“ eingesetzt, der seinen Ursprung eher im Vorschulbereich hat. Diese Begriffe werden weitgehend synonym verwendet. Unter „ausserfamilial“ wird jedoch im Gegensatz zu „ganztägig“ zusätzlich die Schulform mit Blockzeitenunterricht – als ein erster Schritt in Richtung einer ganztägigen Schul- und Unterrichtsorganisation – subsumiert. Zur Bezeichnung des „ausserfamilialen Settings (Schule)“ wird als Kontrast zum „familialen Setting“ und aus sprachästhetischen Gründen ausschliesslich der Begriff „ausserfamilial“ verwendet. Es werden nach Möglichkeit alles in allem solche Begriffe benutzt, die implizit pädagogische Ansprüche an die Angebote stellen und somit – neben Betreuungsaufgaben – auch Bildungsaufgaben fokussieren. Werden jedoch z.B. gesetzliche Belege herangezogen, wird an den dort verwendeten Begriffen festgehalten. Für detaillierte Ausführungen zu den einzelnen Schul- und Angebotsformen und deren Bezeichnungen wird auf Kapitel 5 verwiesen.
1 Einleitung
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Die vorliegende Arbeit ist in drei Hauptteile gegliedert. Im ersten Hauptteil wird der Kontext, die sich im Wandel befindende Gesellschaft sowie die damit im Zusammenhang stehenden veränderten Ansprüche an die Bildung und Betreuung der Heranwachsenden beschrieben (Kap. 2). Daraus geht hervor, weshalb ein verändertes Zusammenspiel von Familie und Schule postuliert wird und eine ganztägige Bildung und Betreuung in den letzten Jahren von immer grösserem Interesse wurde. Im Zusammenhang mit der Forderung nach vermehrter ganztägiger Bildung und Betreuung stellt sich die Frage nach der Bildungskonzeption, die einer ganztägigen Bildung und Betreuung zu Grunde gelegt werden soll. Auf einen erweiterten Bildungsbegriff, der in diesem Zusammenhang von breiten Fachkreisen postuliert wird, wird in Kapitel 3 eingegangen. Der zweite Hauptteil der Publikation umfasst den aktuellen Forschungsstand zur ausserfamilialen Bildung und Betreuung und zur kindlichen Entwicklung im Schulalter. In Kapitel 4 werden Befunde zu verschiedenen Bedingungsfaktoren bzw. Blöcke von Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung fokussiert. Es wird dabei aufgrund des Forschungsstandes von drei Hauptblöcken von Bedingungsfaktoren ausgegangen: individuelle Merkmale der Schülerinnen und Schüler, Schule – insbesondere der Unterricht sowie Umwelt (Familie, Peers, Medien und weitere institutionelle Bildungsorte). Im darauffolgenden Kapitel wird die ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz thematisiert (Kap. 5). Es werden die historischen Entwicklungen einer ganztägigen Schulorganisation aufgezeigt und die rechtlichen Grundlagen beschrieben. Im Weiteren werden die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote für Schulkinder, deren Verbreitung, Nutzung und Nachfrage dargestellt, bevor genauer auf die drei relevanten Settings bzw. Schulformen Tagesschule, Schulen mit Blockzeitenunterricht und mit traditionellem Unterricht eingegangen wird. In Kapitel 6 und 7 wird der Forschungsstand zur Wirksamkeit und zur Qualität von ganztägiger Bildung und Betreuung dargestellt. Abgeschlossen wird dieser zweite Hauptteil mit einer Zusammenfassung der bisherigen Teile und Kapitel sowie jeweils einem Fazit mit Implikationen für die eigene Untersuchung. Der dritte Hauptteil der Publikation beschreibt die in der Deutschschweiz durchgeführte Studie EduCare zur Qualität und Wirksamkeit in der familialen und ausserfamilialen Bildung und Betreuung im Primarschulalter. In Kapitel 9 wird die Methodik der Studie erläutert. Nachdem die Fragestellungen der Studie vorgestellt wurden, wird die theoretische Rahmenkonzeption erläutert, bevor das Forschungsdesign, die eingesetzten Erhebungsinstrumente und Skalen, der Untersuchungsplan sowie die Stichprobe beschrieben werden. Die Ergebnisse der Studie sind in drei Hauptbereiche gegliedert. In Kapitel 10 werden die be-
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1 Einleitung
schreibenden Resultate zur Gestaltung der pädagogischen Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting dargestellt. Anschliessend wird auf die pädagogische Qualität und die kindliche Entwicklung fokussiert (Kap. 11). Im letzten Ergebniskapitel 12 wird schliesslich über die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen berichtet. Nachfolgend wird in Kapitel 13 ein zusammenfassender Überblick über die Ergebnisse gegeben, die dann diskutiert werden. Es werden im Einzelnen die inhaltliche Ausrichtung der Studie und das Vorgehen fokussiert, bevor die Hauptergebnisse der Studie entlang der Hauptbereiche der Studie zusammengefasst und diskutiert werden. Abschliessend wird ein Ausblick gewagt.
I. TEIL: KONTEXT – GESELLSCHAFTLICHER WANDEL UND DIE VERÄNDERTEN ANSPRÜCHE AN DIE BILDUNG UND BETREUUNG
2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens 2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens
In den vergangenen Jahren lassen sich gesellschaftliche Veränderungen beobachten, die insbesondere die Familie, aber auch deren Verhältnis zur Schule anbelangen. Davon betroffen ist nicht zuletzt die heranwachsende Generation, die Kinder. Im Folgenden sollen diese Veränderungen am Beispiel der Schweiz und im internationalen Vergleich aufgezeigt und insbesondere unter dem Blickwinkel ihrer Relevanz für das Aufwachsen der Kinder in der heutigen Gesellschaft beschrieben werden.
2.1 Demographischer Wandel 2.1 Demographischer Wandel Im Laufe des 20. Jahrhunderts ereignete sich in der Schweiz sowie in den meisten anderen europäischen Ländern ein demographischer Wandel. Die Bevölkerungsstruktur veränderte sich und verschiedene Bevölkerungsbewegungen fanden statt. Darauf soll in diesem Kapitel eingegangen werden.
2.1.1 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung Die Bevölkerungsstruktur hat sich in der Schweiz im 20. Jahrhundert in verschiedener Hinsicht verändert. So hat sich die Einwohnerzahl der Schweiz seit 1860 von 2.5 auf 7.5 Millionen (2006) fast verdreifacht. Bis 1945 ist die Bevölkerungsentwicklung überwiegend auf die natürliche Bevölkerungsbewegung (Geburten und Todesfälle) sowie die Auswanderung, nach 1945 auf die Einwanderung zurückzuführen. Die Schweiz wurde zu einem eigentlichen Migrationsland. Die grossen Einwanderungswellen der letzten fünf Jahrzehnte haben die Bevölkerungsentwicklung nachhaltig geprägt. Calot, Confesson und Sardon (1998) zeigen auf, dass die Einwohnerzahl als Folge der Wanderungen im Zeitraum 1946-1995 um mindestens 35 Prozent anstieg (BFS 2007a). Schaut man sich die Bevölkerungsentwicklung in der Schweiz im Detail an, so stellt man von 1875 bis 1970 eine starke Veränderung hinsichtlich der Ge-
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2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens
burtenzahl und der Sterblichkeit fest. Bis etwa 1910 fand ein Rückgang der Sterblichkeit statt, und bis etwa 1970 ging zusätzlich auch die Geburtenhäufigkeit bei fortwährender Zunahme der Bevölkerung zurück. Als Abschluss des ersten so genannten demographischen Übergangs bezeichnet man den starken Geburtenrückgang Mitte der 1960er Jahre. Seit den 1970er Jahren liegt die Fertilität in einer wachsenden Zahl von Industriestaaten, so auch in der Schweiz, unter dem Niveau von zwei Kindern pro Frau. In der Schweiz hatte sich die Kinderzahl ab 1975 vorübergehend auf einem Niveau von 1.5 bis 1.6 pro Frau wieder stabilisiert, sank in den 1990er Jahren jedoch auf 1.4 Kinder pro Frau. Dieses veränderte Reproduktionsverhalten, aufgrund veränderter wirtschaftlicher und sozialer Rahmenbedingungen, wird als „zweiter demographischer Übergang“ bezeichnet. So wird u.a. die zunehmende Autonomie und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen als zur Erklärung des veränderten Reproduktionsverhaltens herbeigezogen. Die tiefe Reproduktionsrate in der Schweiz ist mit derjenigen anderer europäischer Staaten vergleichbar (SKfB 2006). Ähnliche demographische Entwicklungen findet man auch in den meisten westeuropäischen Ländern. In diesen Ländern lässt sich ein sehr niedriges Bevölkerungswachstum und eine zunehmende Alterung der Bevölkerung erkennen. Zudem herrschen tiefe Fertilitätsraten und eine Stabilisierung des Wanderungssaldos vor. Vergleicht man das Bevölkerungswachstum innerhalb von Europa, so stellt man fest, dass 2005 dasjenige der Schweiz mit 6.5 Promillen zu den höchsten in Europa zählt. Island weist die stärkste Zunahme auf (+25.6‰) und die schwächsten oder gar negativen Wachstumsraten sind in Ost- und Nordosteuropa zu finden (BFS 2007a). Die gesunkenen Geburten- und Sterbeziffern sowie die erhöhte Lebenserwartung im Verlaufe des 20. Jahrhunderts führen in der Schweiz, wie auch in anderen europäischen Ländern, zu einer starken Alterung der Bevölkerung. Stellt man bei den unter 20-Jährigen (21.7%) einen Rückgang fest, so wird dieser durch eine Zunahme der über 65-Jährigen (16.2%) kompensiert, währenddessen die Altersgruppe der 20-bis 64-Jährigen in etwa stabil bleibt. Die demographische Alterung der Bevölkerung dauert schon länger an (rund 90 Jahre) und wird in den kommenden Jahrzehnten noch zunehmen. Diese Veränderung der Alterspyramide beeinflusst das Verhältnis der Generationen, insbesondere dasjenige zwischen der „abhängigen“ Bevölkerung (Kinder, Jugendliche, Rentner) und der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Dies führt zu einem Rückgang der Schülerzahlen und einer Konkurrenzierung der Bildungskosten mit denjenigen für die Sozialversicherung und den Gesundheitskosten (BFS 2007a; SKfB 2006).
2.1 Demographischer Wandel
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2.1.2 Bevölkerungsbewegung Die Schweiz gehört seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu den bevorzugten Einwanderungszielen vieler Menschen. Sie bleibt aber weiterhin auch ein Auswanderungsland. Im Vergleich zur Einwohnerzahl sind die Wanderungsströme sehr gross. Die internationalen Wanderungen haben – zusammen mit der niedrigen Geburtenhäufigkeit ähnlich wie in den übrigen westeuropäischen Ländern – einen grossen Einfluss auf die Bevölkerungsdynamik. Die internationalen Wanderungen beeinflussen seit 1981 die jährliche Bevölkerungsentwicklung weitaus stärker als die Geburten und Todesfälle. Im Jahr 2006 stehen 127’600 Einwanderungen, 73’400 Geburten und 88’200 Auswanderungen 60’300 Todesfällen gegenüber (BFS 2007a). Die Höhe des Ausländeranteils in der Schweiz ist eine Folge von mehreren Einwanderungswellen seit Beginn der 1950er Jahren, einer restriktiveren Einbürgerungspolitik, aber auch der im Vergleich zu den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern höheren Geburten- und tieferen Sterberaten der Bevölkerung ausländischer Herkunft. Schaut man sich die Ausländerhaushalte an, so stellt man fest, dass sie insgesamt jünger und kinderreicher sind als die Schweizerhaushalte, da die Einwanderer oftmals jüngere Personen sind und nach der Pension wieder in ihr Heimatland zurückkehren (SKfB 2006). Die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung hat sich in den verschiedenen Einwanderungswellen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder verändert. Setzte sich diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem aus Immigranten aus den Nachbarländern zusammen, hat diese Gruppe im Laufe der Zeit eher abgenommen und wurde abgelöst durch Personen aus geografisch ferneren Ländern. In den 1990er Jahren gab es eine grosse Einwanderungswelle aus Ex-Jugoslawien. Insgesamt kann man sagen, dass die Zusammensetzung der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz bedeutend heterogener geworden ist. Dies fordert die Schweiz heraus, Migrantinnen und Migranten aus kulturell und sprachlich unterschiedlichen Herkunftsländern zu integrieren. In den letzten Jahren waren zudem mehr „ganze“ Familien dabei, die in die Gesellschaft integriert werden mussten bzw. sich immer noch integrieren müssen (SKfB 2006). Gerade deshalb ist nicht zuletzt auch die Schule mit einer heterogeneren Schülerschaft konfrontiert. Für die Kinder und Jugendlichen findet eine „Internationalisierung ihrer Lebenswelten“ statt (z.B. Scheuch 2003, p. 22 ). Ein Ausdruck davon ist „das Vordringen von Wissen und Informationen aus aller Welt sowie – oftmals ohne Bewusstsein ihrer Herkunft – die Integration von im internationalen bzw. europäischen Rahmen vereinbarten Rechtsansprüchen in soziale und personale Wahrnehmungs- und Deutungsmuster“ (Bundesministerium für Familie 2006, p. 71).
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2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens
Eine zusätzliche Heterogenisierung ist bezüglich des Bildungsstandes der Einwanderer zu verzeichnen. Während die aus Südeuropa stammenden Personen ein deutlich tieferes Bildungsniveau haben als die schweizerische Bevölkerung, ist es bei den Migranten aus West- und Nordeuropa gerade umgekehrt: Fast die Hälfte hat einen tertiären Bildungsabschluss und übertrifft somit den Anteil der Schweizer Bevölkerung (Stamm & Lamprecht 2005). In diesem Zusammenhang ist die neue Einwanderungswelle von Deutschen Staatsangehörigen seit 1997 zu erwähnen. Diese Einwanderer, welche überwiegend in Gesundheits- und Lehrberufen und in der Wissenschaft tätig sind, erreichen 2006 einen Höchststand (BFS 2007a). Im Weiteren soll auf die Wanderung innerhalb der Schweiz, die so genannte Binnenwanderung, eingegangen werden. Mit 413’900 Zu- und Wegzügen (5.2% der Bevölkerung) ist die Binnenwanderung auch 2006 die quantitativ bedeutsamste Komponente der Bevölkerungsbewegung. Diese ist keinen grossen Schwankungen unterworfen. Nahezu drei Viertel dieser Wanderungen sind Wohnsitzwechsel innerhalb desselben Kantons (BFS 2007a). Die Mobilität im Speziellen von Eltern mit Kindern ist sehr gering. Dies ist insbesondere bei Familien mit Kindern im Schulalter der Fall. Nur 5 Prozent der schulpflichtigen Kinder haben im Zeitraum zwischen 1995 und 2000 mindestens einmal den Kanton gewechselt. Die Mobilitätsbereitschaft nimmt mit jedem weiteren Kind ab. Der Einfluss eines allfälligen Schulwechsels auf die Mobilität ist jedoch nicht bekannt (SKfB 2006). Für die Kinder und Jugendlichen kann die zunehmende Mobilität ihrer Lebenswelten einerseits neue Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten bieten und andererseits auch gewisse Gefahren mit sich bringen. Ein Ausdruck von Überforderung von Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund kann Voreingenommenheit, Stereotypisierung, Verunsicherung oder gar eine fremdenfeindliche Haltung sein. Mangelnde Integrationsanstrengungen auf Seiten der Migrantenkinder wiederum führen die Gefahr von Ausgrenzungs- und Benachteiligungserfahrungen mit sich, was sich ungünstig auf deren Entwicklung und Verhalten auswirken kann. Im Endeffekt erschwert dies deren adäquate Bildungsbeteiligung und soziale Teilhabe (Bundesministerium für Familie 2006). Für die Schule bedeutet die zunehmende Heterogenisierung der Gesellschaft und insbesondere der Schülerschaft, eine neue Herausforderung, mit der man sich auseinandersetzen muss (Prengel 1995; Wenning 2004). Dieser Herausforderung wird sie nur mit gewissen strukturellen Veränderungen wie einer ganztägigen Bildung und Betreuung und einer veränderten Aufgabenaufteilung zwischen den verschiedenen Exponenten – die an der Bildung der heranwachsenden Generation beteiligt sind – gerecht werden können.
2.2 Familialer Wandel
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2.2 Familialer Wandel 2.2 Familialer Wandel Seit Mitte der 1960er Jahren kann man in Europa einen Wandel von Familie und deren Lebensformen feststellen, wovon insbesondere die Heranwachsenden betroffen sind. Dies drückt sich in verschiedenen Bereichen des familialen Lebens aus: In der Individualisierung und Pluralisierung der familialen Lebensformen (Kap. 2.2.1), in einem veränderten Lebens- und Familienzyklus (Kap. 2.2.2), im generativen Verhalten und der Familiengrösse (Kap. 2.2.3), in veränderten Generationsbeziehungen und verändertem familialen Alltag durch die verminderte Familiengrösse (Kap. 2.2.4), aber auch in der Zunahme der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen (Kap. 2.2.5).
2.2.1 Individualisierung und Pluralisierung der familialen Lebensformen Nave-Herz (2007, p. 15) stellt die These auf, dass in den letzten Jahren eine zunehmende Individualisierung und Pluralisierung familialer Lebensformen festgestellt werden kann. Diese Vielfältigkeit der Lebensformen kann dabei sowohl auf die Familienbildungsprozesse (wie Geburt, Verwitwung, Scheidung u.a.) als auch auf die Rollenzusammensetzung (Zwei-Eltern-Familie und verschiedene Ein-Eltern-Familien) bezogen werden. Um den familialen Wandel und die Pluralität der Lebensformen adäquat erfassen zu können, wird eine Definition von Familie auf einem möglichst hohen Abstraktionsniveau als evident erachtet. Nach Nave-Herz (2007) definieren unabhängig von historischen und regionalen Lebensformen folgende konstitutiven Merkmale die Formen von Familien: 1.
2.
3.
die biologisch soziale Doppelnatur aufgrund der Übernahme der Reproduktions- und zumindest der Sozialisationsfunktion neben anderen, die kulturell variabel sind, ein besonderes Kooperations- und Solidaritätsverhältnis; denn über die üblichen Gruppenmerkmale hinaus (wie z.B. gemeinsames Ziel, begrenzte Zahl, Struktur, Wir-Gefühl) wird in allen Gesellschaften der Familie eine ganz spezifische Rollenstruktur mit nur für sie geltenden Rollendefinitionen und Bezeichnungen (z.B. Vater/Mutter/Tochter/Sohn/Schwester usw.) zugewiesen; (die Anzahl der Rollen und die Definition der Rollenerwartungen sind kulturabhängig), die Generationsdifferenzierung. Es darf insofern hier nur die Generationsdifferenzierung (also das Eltern- bzw. Mutter- oder Vater-Kind-Verhältnis) und nicht das Ehesubsystem als essenzielles Kriterium gewählt werden, weil es zu allen Zeiten und in allen Kulturen auch Familien gab (und gibt), die nie auf einem Ehesubsystem beruht haben oder deren Ehesubsystem im Verlaufe der Familienbiographie durch Rollenausfall, infolge von Tod, Trennung oder
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2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens Scheidung, entfallen sind. Damit bilden alleinerziehende Mütter und Väter sowie nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern auch Familiensysteme. (Nave-Herz 2007, p.15)
Unter familialen Lebensformen werden nach dieser Definition sowohl eheliche als auch nichteheliche Lebensgemeinschaften verstanden. Setzt man die möglichen unterschiedlichen Rollenzusammensetzungen mit den möglichen Familienbildungsprozessen in Beziehung, so stellt man fest, dass es insgesamt 16 rechtlich mögliche Familientypen gibt (vgl. Abb. 1). Ein Typus ist dabei die traditionelle Familie mit formaler Eheschliessung und biologisch-genetischer Eltern-Kind-Einheit. Im Laufe von Menschenleben können sich natürlich Wechsel von einem Familientypus zu einem anderen vollziehen. Sogar mehrfache Wechsel wie bei Trennung bzw. Scheidung der Eltern und beim Zusammenleben mit einem neuen Partner können sich ereignen. Eltern-Familien
Familienbildung durch Geburt Adoption Scheidung/ Trennung Verwitwung Wiederheirat Pflegschaftsverhältnis Abb. 1
Formale Eheschliessung x x
Nichteheliche Lebensgemeinschaften x
Ein-ElternFamilien Homosexuelle Paare
MutterFamilie
VaterFamilie
x x x
x
x
x x x
x
x
x
x x
Typologien von Familienformen nach Nave-Herz (2007, p. 17)
In der Schweiz wie auch in den meisten anderen westlichen Ländern haben in den letzten Jahrzehnten statistisch gesehen verschiedene Familienformen, die von der „Normalitätsfamilie“ abweichen, zugenommen. Auf deren Verbreitung und die möglichen Ursachen soll im Folgenden eingegangen werden. Die Bedeutung der Ehe als Lebensform hat in den letzten Jahrzehnten immer weiter abgenommen. Immer weniger Frauen und Männer in der Schweiz entscheiden sich für die Schliessung und die lebenslange Dauer einer formellen Ehe. Im Vergleich zu den früheren Jahrzehnten hat sich der Rückgang in der
2.2 Familialer Wandel
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Verbreitung der Ehe sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen in den 1990er Jahren jedoch etwas verlangsamt. Schaut man sich die Zahl der unverheirateten Eltern an, so stellt man fest, dass diese in absoluten Zahlen stark zunahm. Vergleicht man die Situation der Kinder im Jahr 1980 mit der im Jahr 2000 in Bezug auf den Familienbildungsprozess und die Rollenzusammensetzung, zeigt sich eine sanfte und gleichwohl deutliche Verschiebung. Lebten 1980 91 Prozent der Kinder bei verheirateten Eltern, so sind dies im Jahr 2000 noch 85 Prozent. Die zweitgrösste Gruppe von Kindern, nämlich 12 Prozent4, wohnt 2000 mit einem Elternteil zusammen. 1980 waren dies lediglich 8 Prozent. 3 Prozent Kinder lebten im Jahr 2000 mit unverheirateten Eltern zusammen, welche nicht unbedingt ihre leiblichen Eltern zu sein brauchen. Ihr Anteil hat sich gegenüber 1980 jedoch mehr als verdreifacht. Der Anteil der Kinder in Einelternfamilien nimmt über die Lebensjahre hinweg zu. Das heisst, die meisten Alleinerziehenden waren nicht von Anfang an allein, sondern haben sich nach der Geburt des Kindes bzw. der Kinder von einem Partner bzw. einer Partnerin getrennt (EDI 2004; EDI & BFS 2008). Keine statistischen Aussagen aus der Schweiz sind zum Anteil von Adoptions-, Stief- und Pflegefamilien bekannt. Man kann sagen, dass der Forschungsstand in diesem Bereich sehr dünn ist (Rolff & Zimmermann 1997). Aufgrund von Daten des Familien-Surveys, durchgeführt vom Deutschen Jugendinstitut, wachsen nur 7 Prozent aller Kinder in Stieffamilien auf (Bien et al. 2002). Personen, die in Familienhaushalten leben, machen immer noch die Mehrheit der Bevölkerung aus. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt in einem Haushalt mit Ehepaar und mindestens einem Kind, weitere 5.8 Prozent in einer Einelternfamilie und 1.8 Prozent im Haushalt eines nichtverheirateten Paares, einem Konsensualpaar mit Kind bzw. mit Kindern. Menschen in kinderlosen Haushalten sind weniger zahlreich. 19.5 Prozent der Bevölkerung leben als Ehepaare ohne Kinder und nur 15.4 Prozent wohnen allein (EDI 2004). Auch 2007 leben immer noch mehr Personen in Familienhaushalten, doch der Nichtfamiliensektor ist im Wachsen begriffen (EDI & BFS 2008). Bei den verschiedenen Haushaltsformen kann über die letzten 30 Jahre hinweg ein starkes Wachstum vor allem bei den nichtehelichen Lebensformen festgestellt werden. Weiterhin wird eine Zunahme sowohl bei den Einelternfamilien als auch bei den (Ehe-)Paaren ohne Kinder ersichtlich. Für die Analysen wurden die Werte standardisiert (1980 = 100%), da Konsensualpaare erst seit 1980 erfasst werden. Die Zahl der Personen in (Ehe-)Paarhaushalten mit Kindern sank von 62.2 Prozent der Bevölkerung im Jahr 1970 auf 48.5 Prozent im Jahr 2000 der Bevölkerung (BFS 2005a). 4
2007 sind es bereits 13.5 Prozent.
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Trotz der Zunahme der nichtehelichen Lebensformen kann man nicht von einem „Überholtsein“ der Ehe und Familie sprechen, wie diese Daten für die Schweiz, aber auch für die meisten anderen westlichen Länder zeigen. Vielmehr hat sich laut Nave-Herz (2007) der Phasenablauf bis zur Eheschliessung und die Sinnzuschreibung der Ehe verändert. Mehrere Studien weisen nach (MatthiasBleck 1997; Nave-Herz 1984, 2002), dass die Ehe vor allem aus drei Gründen eingegangen wird: Schwangerschaft, Kinderwunsch oder aber Kinder (aus einer früheren Partnerschaft) sind bereits vorhanden. In vielen nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern verhindert nur der laufende Scheidungsprozess eines Partners die Wiederverheiratung. Auch englische und amerikanische Studien zeigen auf, dass der Kinderwunsch für viele Paare der Grund für eine Eheschliessung ist (Dyer & Berlins 1982). Nave-Herz (1984) bezeichnet diesen Umstand als kindorientierte Ehegründung. Ehe und Familie werden somit immer mehr zur „bewussten und erklärten Sozialisationsinstanz für Kinder“ (Nave-Herz 1996 zit. n. Nave-Herz 2007, p. 19). Im Zusammenhang damit steht wohl auch der universale Trend in Europa der Zunahme des Heiratsalters seit den 1960er Jahren. Vergleicht man das Durchschnittsalter der Frauen bei der ersten Heirat in der Schweiz von 1960 und 2007, so stellt man einen Anstieg des Alters von 24.9 auf 28.9 Jahre fest. Vergleichbar sind diese Werte mit denjenigen der meisten Nachbarländer wie Frankreich, Deutschland, Österreich oder Italien. In Skandinavien, beispielsweise in Schweden hingegen, ist das durchschnittliche Alter der Frau bei ihrer ersten Heirat bereits bei 30.7 Jahren (EDI & BFS 2008; Huinink & Konietzka 2007). Die Zahl der Scheidungen ist in den letzten Jahren angestiegen. Seit 1970 hat sich die Anzahl Scheidungen in der Schweiz generell von 6‘500 auf 19‘900 erhöht. Die Scheidung ist zu einem verbreiteten Muster der ehelichen Konfliktlösung geworden. Die Zunahme der Scheidungshäufigkeit bei Paaren mit Kindern war jedoch weniger massiv. Die Zahl der Scheidungen, die unmündige Kinder betraf, hat sich seit 1970 in etwa verdoppelt. Die meisten Scheidungskinder sind bei der Scheidung ihrer Eltern zwischen 5 und 14 Jahre alt (BFS 2008; EDI & BFS 2008).
2.2.2 Veränderter Lebens- und Familienzyklus Verändert hat sich in den letzten Jahren auch der Lebens- und Familienzyklus des Menschen. Immer mehr Menschen werden älter und gleichzeitig sinkt die Kinderzahl pro Familie. Dies führt zu einer veränderten zeitlichen Strukturierung des individuellen Lebensverlaufs. Insbesondere hat sich ein neuer Lebens-
2.2 Familialer Wandel
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abschnitt zwischen die Phase, in der Jugendliche im Elternhaus leben und den Beginn einer eigenen Partnerschaft oder einer Familie, geschoben (Ariès 1975; Kohli 1991). Das heisst, der Phasenablauf bis zur Familiengründung – Kennenlernen, Verlobung, Eheschliessung, Geburt des Kindes – hat sich durch die Entstehung der neuen Lebensformen und durch deren oft mehrmaligen Wechsel verändert (Nave-Herz 2007). Im Verlaufe der Nachkriegszeit hat sich dieser „vorfamiliale Lebensabschnitt“ verallgemeinert und zugleich auch zeitlich ausgedehnt. Viele haushaltsstrukturelle Veränderungen hängen mit dieser „Entstandardisierung des Lebenslaufs“ zusammen (Kohli 1991). So etwa der Zuwachs der Einpersonenhaushalte junger Erwachsener, die Diffusion nichtehelicher Partnerschaften oder das Aufschieben der Elternschaft. Für rund 60 Prozent der Bevölkerung (Scheidungsrate von rund 40%) ist der anschliessende Lebenslauf gleichgeblieben: Familienphase, nachelterliche Phase, Tod des Ehemannes bzw. Verwitwung, Tod der Ehefrau. Eine Veränderung gab es jedoch bezüglich der Dauer der einzelnen Zyklen. Insbesondere die nachelterliche Phase hat sich in den letzten Jahrzehnten verlängert. Dies kann man anhand des Umstandes der vermehrten Hochzeitsjubiläen, aber auch des Phänomens der Möglichkeit des Kennenlernens der Urgrosseltern feststellen. Hingegen gestaltet sich heutzutage die eigentliche Familienphase, in welcher die Kinder gepflegt und versorgt werden, im Verhältnis als kurz, da einerseits die Kinderzahl pro Familie gesunken und andererseits die Lebenserwartung der Menschen gestiegen ist. Infolge des steigenden Alters bei der Heirat, einer Konzentration auf kleinere Familien, aber auch aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung – was zu einer Verlängerung der Phase des „leeren Nestes“ beiträgt –, sind Ehepaare ohne Kinder absolut und relativ häufiger geworden (Nave-Herz 2007).
2.2.3 Generatives Verhalten und Familiengrösse In den letzten Jahren haben sich nicht nur die familialen Lebensformen sowie der Lebens- und Familienzyklus gewandelt, sondern auch das generative Verhalten. Das durchschnittliche Alter bei der Erstgeburt ist – vergleichbar mit demjenigen der ersten Heirat – in den meisten Ländern Europas angestiegen. In einigen Ländern wie Grossbritannien oder Schweden erfolgt durchschnittlich die erste Heirat gar ein bis zwei Jahre vor der Geburt des ersten Kindes. Dies ein Indiz dafür, dass sehr viele Kinder unehelich zur Welt kommen. In der Schweiz ist das
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Alter der Frau bei der ersten Geburt5 in den letzten 50 Jahren von 26.1 (1960) auf 29.8 Jahre (2007) gestiegen (Council of Europe 2004, 2005). Je nach Geburtsjahrgängen ist eine unterschiedliche, altersspezifische Erstgeburtshäufigkeit von Frauen in der Schweiz, auszumachen. Frauen, die vor Beginn des zweiten demographischen Übergangs ihr erstes Kind zur Welt brachten (Jahrgänge 1930-39 und 1940-49), wurden in der Regel bereits während der ersten Hälfte ihres dritten Lebensjahrzehnts Mütter (BFS 2005a). Rund 80 Prozent der Frauen der beiden ältesten Kohortengruppen haben sich für eine Mutterschaft entschieden. Die neuere Entwicklung verläuft dahingehend, dass einerseits die Geburt des ersten Kindes immer häufiger im Alter zwischen 25 und 35 Jahren stattfindet und andererseits der Anteil der kinderlosen Frauen von rund einem Fünftel eines Frauenjahrgangs auf mehr als einen Drittel ansteigt. In der Schweiz wie in den meisten europäischen Ländern fand ein Geburtenrückgang statt. Nach einem Höchststand von 113‘000 Geburten im Jahr 1964 nahm deren Zahl bis 1978 (71‘000 Geburten) dauernd ab. Der anschliessende leichte Zuwachs im Jahr 1992 konnte diesen Rückgang nicht wettmachen. In den 1990er Jahren blieb die Geburtenzahl ziemlich stabil und verminderte sich dann nochmals leicht. Im Jahr 2007 kamen in der Schweiz 74‘500 Kinder zur Welt. Wirft man einen Blick auf die Familiengrösse in der Schweiz, so stellt man fest, dass heutzutage zwei Kinder die Familiennorm sind. Im Durchschnitt leben in einem Familienhaushalt 1.86 abhängige Kinder unter 25 Jahren. Bei der häufigsten Familienform mit einem Ehepaar als Eltern sind es etwas mehr, nämlich 1.92 Kinder. In Familien von Konsensualpaaren und Alleinerziehenden sind es hingegen nur 1.57 beziehungsweise 1.56 Kinder. Knapp die Hälfte der verheirateten Eltern haben zwei Kinder, ein Drittel eines und ein Fünftel drei oder mehr. Bei unverheirateten Eltern und Einelternfamilien überwiegen Einzelkinder mit 56 respektive 57 Prozent. Nur etwa 10 Prozent dieser Familien haben drei oder mehr Kinder. Aus der Optik der Kinder betrachtet, haben insgesamt vier Fünftel Geschwister. Ein Fünftel sind jedoch Einzelkinder (EDI 2004). In diesem Zusammenhang kann von einem Entdifferenzierungsprozess zwischen den verschiedenen Familienformen gesprochen werden. Die Mehrzahl der Kinder wächst in Ein- oder Zwei-KinderFamilien auf. Die Familienformen sind in diesem Zusammenhang somit nicht pluraler, sondern homogener geworden (Nave-Herz 2007). Innerhalb der Ehepaare mit Kindern zeigt sich im historischen Vergleich über die letzten 30 Jahre die bereits diskutierte Konzentration auf Ein- und Zweikindfamilien. Bei den Konsensualpaaren mit Kindern und nach 1990 auch bei den Einelternfamilien ist ein gegen5
Nur eheliche Geburten
2.2 Familialer Wandel
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läufiger Trend zu beobachten. Die Proportion der fünfköpfigen und grösseren Konsensualpaarhaushalte dehnt sich leicht aus, ebenso wie der Anteil der Einelternfamilien, in denen vier und mehr Personen leben. Erklärbar ist dieser Befund vor allem damit, dass die sozialen Zwänge, die nichteheliche Paare mit Kindern erfahren, während des Beobachtungszeitraums abgenommen haben (BFS 2005a). Der Geburtenrückgang ist nicht durch eine grundsätzliche Ablehnung von Familie und Kindern zu erklären. Studien zeigen, dass in kinderlosen Ehen zum grossen Teil der Kinderwunsch vorhanden ist (Onnen-Isemann 1995, 2000). Medizinische Gründe am Anfang der Ehe sind selten. Eine bewusste Kinderlosigkeit herrscht in den besagten Untersuchungen sehr wohl vor, jedoch ist diese meistens nur befristet am Anfang der Ehe vorgesehen. Nach Nave-Herz (2007) besteht in der Bevölkerungswissenschaft heute Einigkeit, dass sich der Geburtenrückgang einerseits durch einen Funktions- und Bedeutungswandel von Kindern für die Frau (und den Mann) erklären lässt. Andererseits wird ein verändertes Selbstverständnis von Eltern geltend gemacht. Früher waren Kinder in unserem Kulturbereich vor allem Träger materieller Güter. Das heisst, Kinder wurden z.B. als Alters- und Krankenversicherung betrachtet oder die Weitergabe der öffentlichen Position oder des Familienvermögens stand im Zentrum. Heutzutage sind Kinder um ihrer selbst willen und/oder zur eigenen psychischen Bereicherung gewünscht. Sie sollen die emotionalen Bedürfnisse befriedigen. Es steht somit vielmehr der psychologische Nutzen bzw. der emotionale und ideelle Wert des Kindes im Vordergrund (Herzog 1997). Diesen Umstand bestätigt die familienhistorische Forschung seit den 1970er Jahren. Dieser Funktionswandel kann zwar die Unterschiede zwischen den Geburtenzahlen zwischen der Dritten Welt und den Industriestaaten erklären, jedoch nicht zwischen den europäischen Staaten. Es besteht Einigkeit, dass die Erklärung der Kinderzahl ein multifaktorielles Bedingungsgeflecht mit vielfältigen Entscheidungsprozessen ist (Robinson et al. 1995). Als Entscheidungsfaktoren nennt Nave-Herz (2007) u.a.
den ökonomischen Faktor (Frauenlohnhöhe relativ zu denjenigen der Männer, Höhe der Berufsposition der Frau) das Alter der Ehepartner die Art der Partnerbeziehung die Erfahrung mit Kindern die Berufsorientierung der Frau oder den Normenkomplex „einer verantwortungsvollen Elternschaft“ gerecht werden zu wollen.
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Zahlreiche internationale Studien konnten als Hindernisgrund für die Entscheidung Kinder zu bekommen insbesondere auch Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgrund unzureichender Kinderbetreuungsmöglichkeiten mit einem geringen Ausmass an Krippen- und Hortangeboten, fehlenden Ganztagsplätzen in Kindergärten und zu geringer zeitlicher Flexibilität der Angebote nachweisen (Bonoli 2008; DiPrete et al. 2003; Engelhardt et al. 2001; Hank et al. 2003; Seyda 2003).
2.2.4 Veränderte Generationsbeziehungen und veränderter familialer Alltag durch die verminderte Familiengrösse Ein quantitativer Vorgang der Veränderung der Familiengrösse hat – neben dem künftig zu erwartenden Problem der gesellschaftlichen Überalterung – Konsequenzen für die betroffenen Kinder und den Familienalltag. So hat eine geringere Zahl an Familienmitgliedern Auswirkungen auf die innerfamilialen Interaktionsbeziehungen, da gruppendynamische Prozesse nicht zuletzt auch durch die Grösse der Gruppe bestimmt werden. Die Zunahme von Ein- und Zwei-Kind-Familien steht im Zusammenhang mit einer Veränderung hin zu spezifischen Interaktionsstilen und -formen zwischen Eltern und Kindern, aber auch mit bestimmten Erwartungshaltungen und Leistungsanforderungen der Eltern an sich selbst (Herzog 1997; Nave-Herz 2007). Büchner (2002) stellt fest, dass als Zeichen des veränderten Eltern-KindVerhältnisses, immer weniger Kinder immer mehr Aufmerksamkeit von ihren Eltern verlangen. Die Kinder nehmen innerhalb der Familie eine Minoritätenstellung ein. Die bekannte These von Hofstätter (1959) besagt, dass sich die Umwelt gegenüber Minoritäten selten neutral verhält und diese indes eher als Unterprivilegierte behandelt werden oder aber besondere Wertschätzung und Aufmerksamkeit erfahren. In der heutigen Gesellschaft ist in Bezug auf die Kinder letzteres der Fall. Man will ihnen nur das Beste zukommen lassen. Dementsprechend ist oftmals ein „Verwöhnungseffekt“ feststellbar, der wiederum auch zu Defiziten in der Entwicklung der Kinder führen kann (Büchner 2002). Wenn Kinder zu ideellen Werten in der Gesellschaft werden, hat dies Auswirkungen auf das Generationenverhältnis. So hat sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, weg von einem eigentlichen Erziehungsverhältnis, hin zu einer partnerschaftlichen Beziehung (Herzog 1997) bzw. hin zu einem Verhandlungshaushalt entwickelt (Schlemmer 2004). Die Beziehungen der Familienmitglieder gestalten sich immer mehr personen- und weniger rollenspezifisch, d.h. sie definieren sich weniger über ihre Rolle als Mutter, Vater,
2.2 Familialer Wandel
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Junge oder Mädchen. Es findet eine Individualisierung und Enthierarchisierung des Eltern-Kind-Verhältnisses statt (Büchner 1991; Herzog 1997; Stange 2006). Dies können verschiedene Untersuchungen nachweisen (z.B. Cyprian & Franger 1995; Herzog et al. 1997). Gleichzeitig haben sich auch die Erziehungsziele vieler junger Eltern in den letzten Jahrzehnten verändert. Selbständigkeit und Autonomie (du Bois-Remond 2001), Selbstvertrauen haben, glücklich sein oder Verantwortungsbewusstsein (Herzog et al. 1994), werden heute als Erziehungsziele von zentraler Bedeutung genannt. Für einen grossen Teil der Kinder veränderten sich in den letzten Jahren im Vergleich zu früher die Sozialisationsbedingungen durch die fehlenden Geschwister und die nachbarschaftlichen Spielkolleginnen und -kollegen. Für Kinder in den ersten Lebensjahren ist es heute eine typische Erfahrung, dass sie eher enge Beziehungen mit anderen Erwachsenen – meist ihren Eltern – aufbauen als mit anderen Kindern. Sind keine Geschwister vorhanden, führt dies bei der zweiten Generation dazu, dass sie keine Seitenverwandten wie Onkel, Tanten, Cousin oder Cousinen haben. Im Gegensatz zur Abnahme der horizontalen, findet man eine Zunahme der vertikalen Verwandtschaftslinien. So werden die Grosseltern oder gar Urgrosseltern dank der höheren Lebenserwartung noch erlebt (Nave-Herz 2007). Nach Büchner (2002) wird der Wandel des Eltern-Kind-Verhältnisses auch durch eine veränderte Aufgabenteilung zwischen der Familie und ausserfamilialen Sozialisationsinstanzen beeinflusst. Nebst der veränderten Mutterrolle (Schütze 2000) und einer stärkeren Familienorientierung der Väter (Herlth 2000) findet das kindliche Heranwachsen heute auch vermehrt im Rahmen von ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten statt (Krippe, Hort, Tagesschule, Mittagstisch, Tagesfamilie etc.), welche sich in der Gesellschaft immer besser etablieren können und auch beansprucht werden. Auch dies bedeutet für die heutigen Kinder veränderte Rahmenbedingungen (Büchner 2002). Um den Kindern Kontakte mit Gleichaltrigen ermöglichen zu können, ist eine zunehmende Pädagogisierung und Institutionalisierung von Kindheit angesagt. Ein Grossteil der Kinder wird von ihren Eltern in die Spielgruppe oder in Schwimm-, Mal-, Musik- und sonstige Gruppen gefahren (Nave-Herz 2007). Auf diese Thematik soll an anderer Stelle noch vertiefter eingegangen werden.
2.2.5 Zunahme der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen Die erworbene Ausbildung vermittelt in der heutigen Gesellschaft der Schweiz wichtige Kompetenzen für die gesellschaftliche Teilhabe und insbesondere zum Erlangen einer anspruchsvollen beruflichen Stellung oder zu einem höheren
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2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens
Einkommen. Deshalb gehört die Forderung nach gleichen Bildungschancen für Frauen und Männer zu den zentralen Anliegen in der Diskussion um Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter. Im Gleichstellungsartikel der Schweizer Bundesverfassung wird der Ausbildungsbereich neben Familien- und Erwerbsarbeit denn auch ausdrücklich hervorgehoben. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte wurden bemerkenswerte Fortschritte bezüglich der erworbenen Ausbildungsabschlüsse sowohl bei der schweizerischen als auch bei der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz im Hinblick auf eine stärkere Gleichstellung der Geschlechter erzielt. So erweist sich der Anteil der 60- bis 69-jährigen Männer mit Schweizer Nationalität und mit einem Universitätsabschluss als noch rund viermal höher (4.03) als bei den Frauen. Bei den 20- bis 29-Jährigen hat sich diese Differenz auf einem zudem deutlich höheren Niveau markant verringert (1.14) (BFS 2005b). Fortschritte in Richtung Gleichstellung sind auch bei den restlichen Ausbildungsstufen zu verzeichnen (vgl. Abb. 2). Eindrücklich ist bei den Schweizerinnen und Schweizern der prozentuale Rückgang der Personen ohne Berufsausbildung von den älteren zu den jüngeren Altersgruppen. Diese Entwicklung war begleitet von einer gleichzeitigen Verringerung der Geschlechterungleichheiten. Trotzdem kann noch nicht von einer Gleichstellung im Ausbildungsbereich gesprochen werden, ist doch beispielsweise der Anteil derjenigen, die nach der Volksschule keine oder eine deutlich kürzere weiterführende Ausbildung absolvieren, bei den weiblichen Jugendlichen markant höher als bei den männlichen (vgl. Abb. 2). Heute findet man noch die grössten Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in Bezug auf eine Fachhochschulausbildung vor. Die Ursache ist wohl dahingehend zu suchen, dass männliche und weibliche Jugendliche nach wie vor sehr unterschiedliche Lehrberufe wählen, die beruflichen Weiterbildungsmöglichkeiten jedoch gerade bei den von Frauen bevorzugten Berufen im Dienstleistungsbereich deutlich eingeschränkter sind als bei den typischen „Männerberufen“. Bedeutend grössere Ungleichheiten im Ausbildungsbereich als zwischen den Geschlechtern bestehen heutzutage zwischen Personen schweizerischer und ausländischer Staatsbürgerschaft (BFS 2005b) (vgl. Abb. 2).
Abb. 2 100%
© Bundesamt für Statistik
Keine gegenwärtige Ausbildung
80%
Maturitätsschule, Lehrerseminar
60%
Ausbildungsgänge der Tertiärstufe, inkl. Universität
40%
Berufsvorbereitende Schule, Diplommittelschule
20%
Berufslehre, Vollzeitberufsschule
0% Obligatorische Schule
Schweizer
Schweizerinnen
Ausländer
Ausländerinnen
Total
2.2 Familialer Wandel 35
15- bis 20-jährige Wohnbevölkerung nach Geschlecht, Nationalität und gegenwärtiger Ausbildung in Prozent, 2000 (BFS 2005b, p. 17)
36
2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens
Ein wichtiger Faktor, der zur Abnahme der Familiengrössen beiträgt, ist in der Schwierigkeit der Umsetzung der Harmonisierung von Beruf und Familie zu suchen. In den letzten drei Jahrzehnten ist die Erwerbsquote der Frauen in der Schweiz insgesamt von 40 auf 78 Prozent gestiegen (BFS 2005b). Erwähnenswert ist jedoch in diesem Zusammenhang, dass der Anstieg weitgehend auf vermehrte Teilzeitarbeit von Frauen zurückzuführen ist. Viele Frauen weisen dabei nur sehr geringe Pensen auf. Gar nicht erwerbstätige Mütter sind zu einer Minderheit geworden, dies sogar in Familien mit Kindern im Vorschulalter. Ob und in welchem Umfang die Mütter erwerbstätig sind, hängt von der Kinderzahl, dem Bildungsniveau, dem Beruf, der Region und der Herkunft ab. Alleinerziehende leisten im Schnitt ein höheres Erwerbspensum als Mütter in Paarhaushalten. Das traditionell bürgerliche Alleinernährermodell wie auch das Dreiphasenmodell, das einen beruflichen Wiedereinstieg der Mütter nach der Kinderphase vorsieht, entsprechen immer weniger der Wirklichkeit. Das gängigste Familienerwerbsmodell ist in der Schweiz heute jenes mit Vollzeit arbeitendem Vater und Teilzeit erwerbstätiger Mütter (EDI 2004). Auch heutzutage bestimmen immer noch die familiären Ereignisse die Erwerbsbeteiligung der Frau in der Schweiz, wobei die Heirat praktisch keinen Einfluss auf die Erwerbsquote, jedoch auf den Erwerbsumfang der Frauen hat (vgl. Abb. 3):
Abb. 3
Beschäftigungsgrad der Frauen nach Familienphase, Querschnittanalyse 1993 bis 2003 (EDI 2004, p. 49)
2.2 Familialer Wandel
37
Vor der Heirat arbeiten 72 Prozent der Frauen Vollzeit, nach der Heirat sinkt dieser Anteil auf 59.6 Prozent. Im Gegenzug steigt der Anteil der Teilzeit Arbeitenden von 21.2 auf 30.6 Prozent. Auch nach der Geburt des ersten Kindes bleibt die Mehrheit der Frauen berufstätig (56.3%), wobei die Teilzeitbeschäftigung überwiegt. Ein Drittel aller Frauen arbeitet nachher mit einem Teilzeitpensum weiter, nur ein Fünftel bleibt bei Vollzeit. Nach der Geburt des zweiten Kindes sinkt der Anteil der erwerbstätigen Mütter auf 43.6 Prozent. Vollzeitarbeit spielt nur noch eine marginale Rolle (7.1%). Werden die Kinder älter, so nimmt eine Mehrheit der Frauen die Berufstätigkeit wieder auf: Die Erwerbsquote steigt bei Müttern, deren jüngstes Kind fünf Jahre alt ist, auf 60.6 Prozent und bei denjenigen, deren jüngstes Kind 10 Jahre alt ist, auf 67.1 Prozent (EDI 2004). Gleichzeitig hat sich der Erwerbsumfang der Männer nur marginal verändert. Es gibt nur wenig Teilzeiterwerbstätigkeit bei den Männern oder aber solche, die aussschliesslich als Hausmänner tätig sind. Seit 1990 kann jedoch eine wachsende Sensibilität verzeichnet werden, die sich in einer Verdoppelung der Teilzeitquoten, respektive der Hausmännerquoten niederschlägt. Da jedoch das Ausgangsniveau sehr tief ist, kann nicht von einem ausgeprägten Trend in Richtung Gleichstellung gesprochen werden. Nach Bühler und Heye (BFS 2005b) wäre von einer Gleichstellung von Mann und Frau zu sprechen, wenn sich auch die Väter zu gleichen Teilen an den Betreuungslasten beteiligen würden. Eine gewisse Entwicklung in eine positive Richtung wird ersichtlich. Ein Folgeproblem der Erwerbstätigkeit der Väter und der vermehrten Erwerbstätigkeit der Mütter ist die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung für Mütter und Väter (Büchner 2002). Wirft man einen Blick auf die Frauenerwerbsquote in anderen europäischen Ländern, so kann man namhafte Unterschiede feststellen. Diese manifestieren sich auf der Basis verschiedener Typen patriarchalischer Wohlfahrtsstaaten (Schunter-Kleemann 1992). Die Schweiz gehört wie Deutschland oder die Niederlande in die Kategorie des „ehebezogenen Patriarchalismus“. In solchen Ländern, wie dies die Daten aus der Schweiz aufgezeigt haben, erfährt eine eigenständige Existenzsicherung der Mütter die grösste Einschränkung. Dies zeigt sich dadurch, dass die Sozialsysteme eher den Ausstieg der Frau aus der Berufswelt honorieren und die Berufstätigkeit der Frau eher als Zuarbeit verstanden wird. Zu den Ländern mit „egalitären Arbeits- und Sozialstrukturen“ gehört beispielsweise Finnland. Hier besteht traditionell eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was zu einer der höchsten Frauenerwerbsquoten in Europa geführt hat (77 Prozent bei einer durchschnittlichen Stundenzahl von 37 pro Woche) (Coelen 2006b). Einem weiteren Typus, dem „familienbezogenen Patriarchalismus“ gehören Länder wie zum Beispiel Frankreich oder Italien an. In Frankreich übernimmt der Staat die Sozialisationsfunktion von Betreuung und
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2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens
Unterricht und bietet der Familie zusätzlich einen zeitlichen Rahmen, auf den sie sich verlassen kann. Der Staat bezahlt zudem in den ersten drei Lebensjahren des Kindes einen Grossteil der Sozialabgaben einer angestellten Kinderbetreuungsperson, wenn beide Eltern berufstätig sind. Dies führt nicht zuletzt zu einem Selbstverständnis, einer (Vollzeit-)Berufstätigkeit der Mütter und einer hohen Erwerbsquote bei Frauen (70 Prozent der 25 - 50-Jährigen arbeiten durchschnittlich 33 Stunden pro Woche). In Italien jedoch, ist die Erwerbsquote deutlich geringer, arbeiten doch nur 42 Prozent der Mütter mit Kindern unter 10 Jahren (Coelen 2006b).
2.3 Mediatisierung der Gesellschaft 2.3 Mediatisierung der Gesellschaft Abgesehen vom demographischen und familialen Wandel kann man heute von einer verstärkten Mediatisierung der Gesellschaft berichten, welche insbesondere für die Heranwachsenden prägend ist. Die Medien sind zunehmend ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Gesellschaft, aber auch der kindlichen Lebenswelt. Der Umgang mit Fernsehen, Video, Radio, Computer, Internet, Handy u.a. gehört zum Alltag. Diese kommen sowohl in der kindlichen Freizeit als auch in schulischen und weiteren Lernangeboten zum Einsatz. Mit dem Begriff der „Mediatisierung“ wird die zunehmende Durchdringung des Alltags durch die Ausweitung und die zunehmende Nutzung elektronischer Medien bezeichnet. Im Speziellen ist eine sich ausweitende Virtualisierung, also „die Erweiterung und Ausdifferenzierung computervermittelter virtueller Welten und […] die Herauslösung von Wahrnehmen und Handeln aus räumlichen und leiblichen Bezügen“ festzustellen (BMFSFJ 2006, p. 69). Das Medienverhalten ist laut Fuhs (2002) eines der zentralen Phänomene des Wandels der Kindheit in den letzten Jahrzehnten. Wie sich diese Mediatisierung auf die kindlichen Entwicklungsprozesse, auf deren Meinungs- und Wertbildungen sowie auf Interaktionsformen, -themen und -häufigkeiten innerhalb der Familie und im weiteren sozialen Umfeld auswirkt, wird wissenschaftlich untersucht und kontrovers diskutiert. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Medien den Kindern und Jugendlichen einerseits neue Kommunikations- und Erfahrungsmöglichkeiten eröffnen, andererseits bestehen aber auch gewisse Gefahren. So kann eine extensive Nutzung auch zu einem sozialen Rückzug führen, was nach von Hentig (2002) das Verpassen von konkreten Erfahrungen mit der realen Welt nach sich ziehen kann. Das Medienhandeln der Kinder steht im Kontext der jeweiligen Kinderkultur. In diesem Zusammenhang konnten verschiedene Studien, beispielsweise bei der Fernsehnutzung, aber auch bei anderen medialen Aktivitäten, deutliche
2.4 Wandel der lebensweltlichen und institutionellen Räume der Kinde
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soziale Unterschiede aufzeigen (Fuhs 2002). So konnte Fuhs (1996) nachweisen, dass je höher der soziale Status der Familie, desto geringer die Bedeutung des Fernsehens für die 10- bis 15-jährigen Kinder und Jugendlichen. Die Nutzung des Fernsehens von Kindern mit hohem Status ist im Vergleich zu statusniedrigen Peers eher moderat. Erstere sind in Bezug auf Fernsehen oftmals kritisch eingestellt, auch wenn sie selber das Medium viel und gerne nutzen (Fuhs 2002). Nebst Unterschieden bezüglich Status zeigt sich auch eine unterschiedliche Nutzung und unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu den Medien je nach Alter, Geschlecht und Bildungsniveau (BMFSFJ 2006; Otto et al. 2003; Tully 2004a). Trotz der zunehmenden Bedeutung von Medien und Informationstechnologien kann aufgrund der präferierten Freizeitbeschäftigungen der Kinder und Jugendlichen, wie Interaktionen mit Freunden und Familienmitgliedern oder Sport, geschlossen werden, dass diese in den einzelnen Sozial- und Altersgruppen viel Zeit einnehmen, jedoch ihr Leben nicht dominieren (BMFSFJ 2006; Buhren et al. 2002; Institut für Jugendforschung 2005; Thole 2002). Künftig wird es unabdingbar sein, auf diese Mediatisierung der kindlichen Lebenswelt, aber auch derjenigen der Erwachsenen, mit einer systematischen Integration dieses Bildungsbereichs in die öffentliche Bildung zu reagieren, sind doch Medienkompetenzen zunehmend kulturelle und berufliche Basisqualifikationen. Für die Kinder und Jugendlichen in der heutigen Gesellschaft entspricht die tägliche Auseinandersetzung mit den virtuellen und medialen Welten der Realität. Im Bewusstsein, dass diese zwar Lernchancen eröffnen, aber auch Gefahren beinhalten, wird es künftig notwendig sein, Formen der alters-, geschlechts-, bildungs- und sozialstrukturell-differenzierten Aneignung dieser Welten anzuregen und diese auch zu vermitteln (BMFSFJ 2006; Otto et al. 2003; Theunert & Eggert 2003).
2.4 Wandel der lebensweltlichen und institutionellen Räume der Kinder 2.4 Wandel der lebensweltlichen und institutionellen Räume der Kinde Nicht zuletzt haben sich in den letzten Jahrzehnten auch die den Kindern zur Verfügung stehenden lebensweltlichen und institutionellen Räume massiv gewandelt. Auch die Kindheit hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Im Rahmen des stattgefundenen Wandels haben sich verschiedene Formen der Kinderkultur entwickelt. Fuhs (2002) umschreibt diese mit „Freizeitund Medienkindheit“. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Kinderkultur immer mehr an Wichtigkeit gewonnen und sich dementsprechend ausgeweitet (Fölling-Albers 2001). Haushaltliche Pflichten der Kinder in ihrer Familie sind immer mehr weggefallen und durch den Rückgang der Kinderzahl ist es je nach Wohngegend für die Kinder nicht mehr möglich, vor ihrer Haustüre Kontakt-
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2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens
möglichkeiten mit Gleichaltrigen zu finden. Zudem werden die Freiräume für die Kinder und Jugendlichen in unserer Gesellschaft aufgrund des Strassenverkehrs, der intensiveren Nutzung von Grund und Boden und einer verdichteten Siedlungsweise enger. Heutzutage stehen den Kindern hingegen eine Vielzahl an institutionalisierten Freizeitangeboten zur Verfügung, aus denen sie auswählen können: Angebote von Sport- und Musikvereinen, von Verbänden, der Schule, der Kinder- und Jugendhilfe, von weiteren gewerblichen Anbietern sowie Angebote unterschiedlichster Medien (Fernsehen, Computer oder Internet). Neben der Familie und der Schule kann in diesem Zusammenhang von einem weiteren Sozialisationsbereich gesprochen werden, der sich zusätzlich entwickelt hat (Fuhs 2002). Die zunehmende spezifische Institutionalisierung der kindlichen und jugendlichen Lebensräume führt zum einen zur Trennung der Lebenswelten von Kindern und Erwachsenen und zum anderen entstehen mit dem vielfältigen Angebot immer grössere Differenzen zwischen den Tages- bzw. Biographieverläufen von Kindern und Jugendlichen. Letzteres nennt Zeiher (1983) unter dem Aspekt der örtlichen und zeitlichen Partikularisierung der alltäglichen Lebensführung „institutionelle Verinselung des Kinderlebens“. Die immer stärkere „Verreglung“ der Kindheit und Jugend bezeichnet Nauck (1995) als Standardisierung und „Verzeitlichung des Lebens“ der heranwachsenden Generation. Die Handlungs- und Bewegungsräume der Kinder sind im Alltag stark durch institutionelle Bildungsorte strukturiert. In den ersten Lebensjahren vor dem Schuleintritt sind diese noch weitgehend durch die Familie und durch allfällige weitere Kinderbetreuungsarrangements geprägt, bevor sie sich mit dem Eintritt in die Schule und mit ansteigendem Alter des Kindes weiter differenzieren. In den letzten Jahren ist zunehmend eine so genannte „Terminkindheit“ entstanden. Die Kindheit von vielen Kindern ist heute durch verschiedenste ausserfamiliale Aktivitäten ausgefüllt (Fuhs 2002). Damit verbunden ist ein stetiger Wechsel von sozialen und räumlichen Settings für die Kinder, welcher zum einen soziale und kognitive Integrationsleistungen der Kinder fordert und zum anderen aber auch Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für die Kinder ermöglicht. Diese verschiedenen Angebote, welche von den Kindern nebst der obligatorischen Schule freiwillig besucht werden, weisen jeweils unterschiedliche Rollenerwartungen, zeitliche Vorgaben sowie Teilhabeund Handlungsmöglichkeiten auf und finden an unterschiedlichen Orten statt (BMFSFJ 2006). Im Weiteren wird eine tendenzielle Auflösung von altersdifferenzierten Lebenswelten festgestellt. In einer partnerschaftlichen Eltern-Kind-Beziehung werden die Kinder beispielsweise früh in biographisch relevante Entscheidungen miteinbezogen (Kötters 2000). Zudem verdienen Jugendliche früh ihr erstes Geld
2.5 Institution Schule nach PISA – im Wandel der Gesellschaft
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neben der Schule (Schneider & Wagner 2003; Tully 2004a, b). So wird die Kindheit auch als „Konsumkindheit“ bezeichnet (Fuhs 2002). Aber auch das Medien- und Freizeitverhalten der Erwachsenen, Jugendlichen und Kinder gleicht sich immer mehr an (BMFSFJ 2006). Die Bedeutung (schulischer) Bildung und die Notwendigkeit der Beteiligung für eine gesellschaftliche und insbesondere berufliche Integration haben zugenommen. Als Folge dessen haben sich in den letzten Jahren die Bildungsangebote auch in die freie Zeit der Kinder ausgeweitet. Dies führt zu einer funktionalen Entdifferenzierung. So kann ein Trend hin zu einer Verschulung der freien Zeit und einer Entgrenzung der Bildung festgestellt werden. Indikatoren dafür sind die kommerziellen Nachhilfe- und Förderangebote für Kinder, die zunehmende Zertifizierung im Zusammenhang mit kommerziellen und institutionellen Angeboten (z.B. die Teilnahme an einem Sportkurs oder Computerkurs) oder auch die zunehmenden Ausrichtung auf die Bildung der Kinder und deren Entwicklung der ausserschulischen Settings6 oder der sportlichen Aktivitäten7 (BMFSFJ 2006). Diese neue Form der Kindheit mit der Möglichkeit zum Besuch von ausserfamilialen Bildungsaktivitäten führt nach Fuhs (2001) zu neuen Formen der sozialen Ungleichheit. Büchner (2001) nennt das gleiche Phänomen „Kulturalisierung der sozialen Ungleichheit“ im Kindesalter. Es haben nicht alle Kinder den gleichen Zugang zu den Aktivitäten. Dieser ist stark sozial, kulturell und ökonomisch selektiv und kann dem Anspruch der gleichen Bildung für alle nicht genügen, wenn Kinder aus bildungsfernen bzw. -armen Milieus nicht sozialpolitisch oder institutionell unterstützt werden. Dies ruft aufgrund des Bedarfs an ausserfamilialen (Bildungs-) Aktivitäten – zusätzlich zu traditionellen Angebot der Schule – nach einer veränderten Organisation des Bildungsangebots. Eine Antwort darauf könnten Tagesschulen sein, ein Angebot unter der Obhut eines Trägers.
2.5 Institution Schule nach PISA – im Wandel der Gesellschaft 2.5 Institution Schule nach PISA – im Wandel der Gesellschaft Der beschriebene gesellschaftliche Wandel hat in den letzten Jahren in der Schweiz und in den deutschsprachigen Nachbarländern einen wissenschaftlichen und einen politischen Diskurs über Bildung und das Bildungssystem ausgelöst. Ein zusätzlicher Anstoss dazu lieferten die Ergebnisse der PISA-Studien, die eine breite öffentliche Debatte mit initiieren konnten. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Auseinandersetzung mit strukturellen Reformen des Bildungs6 7
z.B. Auslandaufenthalte zur Förderung der sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen Förderung des Körperbewusstseins und der Leistungsorientierung
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2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens
systems, sondern auch um Fragen der Zuständigkeit und der Arbeitsteilung der verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen sowie der Familie bezüglich Bildung und Betreuung der Heranwachsenden. Damit verbunden ist auch ein Diskurs der erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen über den Bildungsbegriff und ihren eigenen Auftrag. Nach der Leistungsvergleichsstudie PISA 2000 wurden in der Schweiz von Bildungsexperten bildungspolitische Massnahmen auf verschiedenen Ebenen des Bildungssystems gefordert, zeigen doch die Resultate von PISA 2000 eine mittelmässige Leseleistung der Schweizer Schülerinnen und Schüler. Zudem genügt die Lesefähigkeit von rund 20 Prozent der Schulabgängerinnen und abgänger in der Schweiz den Anforderungen der Ausbildungen auf der Sekundarstufe II nicht. Betroffen davon sind vor allem Jugendliche aus bildungsfernen Familien. Die Ergebnisse legen im Weiteren dar, dass die soziale Herkunft in der Schweiz ein entscheidender Faktor für den Schulerfolg ist. Man kann somit sagen, dass es dem Schweizer Bildungssystem nicht gelingt, ungünstige Lernvoraussetzungen zu kompensieren und damit das Leistungspotenzial aller Schülerinnen und Schüler optimal zu nutzen. Die PISA Steering Group empfahl, basierend auf den Resultaten der Studie, den kantonalen Erziehungsdirektoren, Massnahmen aus mehreren Handlungsfeldern zu ergreifen. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Vermehrter, früherer und anspruchsvollerer Gebrauch der Standardsprache Erweiterung der Lehrpläne und geschlechtsspezifische Förderung Vermehrte Unterstützung bei hohen Fremdsprachigenanteilen Einführung der Vorschulstufe Ausbau der schulischen Begleitstrukturen Einführung geleiteter Schulen Periodische Überprüfung von Leistungszielen (Bildungsstandards) Verbesserter Übergang in die Berufswelt Chancenfairere Selektionsverfahren Ausbau der Lehrerbildung und der Bildungsforschung. (Buschor et al. 2003, p. 30ff.)
Im Zusammenhang mit ausserfamilialer Bildung und Betreuung erweist sich vor allem der fünfte Punkt von Interesse, der besagt, dass die Schule über Begleitstrukturen verfügen soll, „welche nach Massgabe des Umfeldes der Kinder und Jugendlichen eine lernanimierende Betreuung während einer erheblichen Zeit des Tages sicherstellen und insbesondere Kinder mit Lerndefiziten unterstützen. Solche Strukturen ermöglichen zudem die gezielte Sprachförderung bei Fremdsprachigen“ (Buschor et al. 2003, p. 31). Insgesamt lassen die empfohlenen Massnahmen jedoch grossen Handlungsspielraum offen.
2.5 Institution Schule nach PISA – im Wandel der Gesellschaft
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Aktuelle bildungspolitische Diskussionen und Entwicklungen in den einzelnen Kantonen der Schweiz, aber auch im Rahmen der „interkantonalen Vereinbarung zur Harmonisierung der obligatorischen Schule“ (HarmoS-Konkordat) (EDK 2008), machen sichtbar, dass das Schweizerische Bildungssystem einem umfassenden Strukturwandel unterworfen ist. In einigen der genannten Handlungsfelder werden bereits Veränderungen angestrebt. So besteht der Anspruch, dass das neue schweizerische Schulkonkordat HarmoS erstmals national die Struktur des Schulalltags, die Dauer und die wichtigsten Ziele der Bildungsstufen sowie deren Übergänge harmonisiert. Neu umfasst die Schulzeit den obligatorischen Besuch des Kindergartens bzw. einer Schuleingangsstufe aller Kinder ab dem vierten Altersjahr und ist somit eine Ausweitung des öffentlichen Bildungsauftrags in allen Kantonen über das bisherige Schulalter hinaus in die frühe Kindheit. Die Primarschule inklusive Kindergarten oder Eingangsstufe soll acht Jahre dauern, die Sekundarstufe drei Jahre. Es besteht somit für die dem Konkordat beigetretenen Kantone neu ein Schulobligatorium von elf Jahren (mit Ausnahme des Kantons Tessin) (EDK 2008). Bezüglich der ausserfamilialen Bildung und Betreuung erweisen sich insbesondere die neue obligatorische Strukturierung des Schultages mittels Blockzeiten auf der Primarschulstufe und die flächendeckende Umsetzung von bedarfsgerechten Tagesstrukturen als relevant (EDK 2008). Diese für die Kinder freiwilligen Tagesstrukturen, an welche die EDK8 keine pädagogischen Ansprüche stellt, sind für Kantone und Gemeinden eine Minimallösung. Diesbezüglich gehen die Diskussionen, Entwicklungen und gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Kantonen auseinander. So werden in gewissen Kantonen durchaus auch nach pädagogischen Grundsätzen geführte freiwillige (und vereinzelt gar obligatorische) Angebote diskutiert und umgesetzt. Dies sind einige ausgewählte aktuelle Entwicklungen in der Schweiz. Detaillierter soll darauf in Kapitel 5 eingegangen werden. Ein Aufbau von Bildungs- und Betreuungsangeboten kann künftig verbreitet zu einer Ausweitung des öffentlichen Bildungsauftrags durch einen weitergefassten öffentlichen Erziehungsauftrag sowie eine zunehmende Verzahnung der traditionell eher getrennten Bildungs- und Erziehungssysteme Familie, Schule und ausserschulische Bildung und Betreuung führen. Grunert und von Wensierski (2007) stellen fest, dass sich in Deutschland, die bis anhin rechtlich, institutionell, finanzpolitisch, aber auch in den wissenschaftlichen Disziplinen getrennten Bereiche, zunehmend durchdringen. In der Schweiz sind – etwa mit der Einführung von Schulsozialarbeit oder nun mit dem Auf- und Ausbau ganztägiger Bildung und Betreuungsangebote – vergleichbare Be8
Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren
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2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Aufwachsens
obachtungen festzustellen. Dies veranschaulicht beispielsweise die aktuelle Diskussion bzw. gewisse Wechsel der zuständigen kantonalen Stelle für ausserunterrichtliche Bildungs- und Betreuungsangebote für Schulkinder vom Sozialdepartement zum Erziehungsdepartement sowie die Grundsatzdiskussionen der SODK9 und der EDK bezüglich der Zuständigkeiten. Im Weiteren findet eine gesellschaftspolitische wie auch eine erziehungswissenschaftliche Debatte über die Arbeitsteilung von Familie und Staat im Hinblick auf die Bildung und Erziehung der heranwachsenden Generation statt. Wissenschaftlich, aber auch fachpolitisch schliesslich wird darüber diskutiert, inwieweit die Schule mit der Sozialpädagogik zusammenarbeiten soll. Bis anhin wurden Schulreformen überwiegend als Einzelprojekte wahrgenommen. Es entwickelt sich jedoch immer mehr das Verständnis, dass die institutionelle Segmentierung und Spezialisierung im Bildungssystem dysfunktional ist bezüglich der vorherrschenden Probleme. Grunert und von Wensierski (2007) fordern für Deutschland, was an dieser Stelle auch für die Schweiz als adäquat erscheint, „vielschichtige Antworten sowie interdisziplinäre und integrale Konzepte für die Erziehungs-, Bildungs-, Integrations- und Partizipationsaufgaben in der hochmodernen Gesellschaft. Eine erfolgreiche Schulausbildung ist heute (für viele soziale Gruppen) nur noch durch eine abgestimmte Kooperation von Familie, Schulpädagogik und Sozialpädagogik möglich“. (Grunert & Wensierski von 2007, p.10)
Dies ruft jedoch nach veränderten Zuständigkeiten. Wirft man einen Blick zurück in die Vergangenheit, so stellt man fest, dass die Familie bereits seit dem 19. Jahrhundert nach und nach gewisse Funktionen an öffentliche Institutionen, vor allem die Schule, abgegeben hat. In neuerer Zeit postuliert Herzog (1997) bereits Ende des vergangenen Jahrzehnts, dass die Schule Wege finden müsse, um sich mit den neuen Familienformen in ein verändertes Verhältnis setzen zu können. Weiter fordert er, dass das Verhältnis von Familie und Schule ein neues Gleichgewicht finden müsse. In früheren Zeiten hat die Schule – mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht vor gut 100 Jahren und der zunehmenden Ausweitung des schulischen Angebots in den vergangenen Jahrzehnten – eine Anpassung von der Familie verlangt (ebd.). Zum heutigen Zeitpunkt ist wohl eine reziproke Anpassung der Schule an die Familie erforderlich. Es scheint auf dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und der notwendigen Neuausrichtung des Zusammenspiels der Familie und der Bildungsinstitutionen sinnvoll, dass sich dieser Prozess, Übernahme von erzieherischen, betreuenden und eine Ausweitung von bildenden Funktionen durch die öffentliche Hand, fortsetzt. 9
Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren
2.5 Institution Schule nach PISA – im Wandel der Gesellschaft
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Neuere Untersuchungen zeigen, dass diese Entwicklung nicht zwangsläufig zu Spannungen und Konflikten zwischen Schule und Familie führen muss (Beher et al. 2007; Holtappels et al. 2007b; Schüpbach et al. 2007a). Laut der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ in Deutschland (StEG) fühlen sich die Eltern durch die Ganztagsschule tendenziell entlastet und stellen eine bessere Vereinbarkeit von Kindern und Beruf fest. Die längere Abwesenheit der Kinder von Zuhause wird zudem nicht als Störung des Familienlebens erachtet (Züchner 2007).
3 Erweiterte Bildungskonzeption 3 Erweiterte Bildungskonzeption 3 Erweiterte Bildungskonzeption
Die Bildungsinstitutionen sowie die Familie stehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor der schwierigen Aufgabe, sich an die beschriebenen veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen, d.h. sich in einer Form zukunftsfähig zu erweisen, dass sie ihrer Kernaufgabe – Kinder auf ihrem Weg des Erwachsenwerdens zu unterstützen – gerecht werden können. Als eine Reaktion auf die Tendenzen des gesellschaftlichen Wandels, aber auch auf die Ergebnisse in den PISA-Studien, werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote gefordert und bereits aufgebaut. Dieser Auf- und Ausbau erfolgt momentan in der Schweiz überwiegend in Form von freiwilligen Bildungs- und Betreuungsangeboten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach einer adäquaten Bildungskonzeption, die einer ganztägigen Bildung und Betreuung zu Grunde gelegt werden soll. Otto und Oelkers (2006, p. 9) fragen, was heute eine „zeitgemässe Bildung“ ist. Ihrer Meinung nach ist es eine Notwendigkeit darüber nachzudenken, wobei es um das „Widerspiegeln der Tradition mit dem sekularen Trend einer zunehmenden Entgrenzung von Bildung unter den sich verändernden kulturellen, sozialen und hegemonialen Bedingungen in Korrespondenz zu bringen“ geht. Ein solcher Diskurs soll sowohl den aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen als auch den aktuellen Diskussionen über Bildungsmodelle gerecht werden (Vogel 2006). Man stellt fest, dass sich in den letzten Jahren die Schul-, Sozial- und die Allgemeine Pädagogik sowie weitere sozialwissenschaftliche Bereiche an dieser Debatte beteiligen. Besonders die Sozialpädagogik bringt sich intensiv ein und äussert eine veränderte Sichtweise von Bildung und Lernen. In diesem Kapitel soll auf diese bildungstheoretische Diskussion im Zusammenhang mit Ganztagsbildung und die Zieldimensionen von Bildung eingegangen werden. Ein erweiterter Bildungsbegriff, wie er für die ganztägige Bildung und Betreuung diskutiert wird, impliziert zudem eine Auseinandersetzung mit den Lernwelten und Lebensorten, in welchen sich diese Bildung ereignen soll. Im Zuge der zahlreichen internationalen Schulleistungsstudien wurde in den letzten Jahren das Thema Bildung sowohl in der Wissenschaft als auch in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert (vgl. z.B. Coelen & Otto 2008; Otto &
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3 Erweiterte Bildungskonzeption
Coelen 2004; Otto & Oelkers 2006). Einigkeit besteht darin, dass Bildung im Hinblick auf die Zukunftsausrichtung und Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen eine zentrale Stellung hat und dass die Schule nicht der einzige Bildungsort ist (Mahoney et al. 2005; Rauschenbach et al. 2004). Bis anhin war die empirische Bildungsforschung überwiegend durch die Schulforschung dominiert. Themen wie curriculare Ansätze, heterogene Lernarrangements im Unterricht oder schulische Selektionsmechanismen standen im Zentrum des Interesses. Neben den Lernprozessen in der Schule wurden auch ausserschulische informelle Sozialisationsbereiche analysiert (Tippelt 2005). Böhnisch (2005) schränkt jedoch ein, dass diese Bereiche, wie z.B. Familie oder auch die Peer Group, eher als Ursache für gelungene oder misslungene Schullaufbahnen von Kindern und Jugendlichen betrachtet wurden, als dass sie als Orte untersucht wurden, an denen Bildungsprozesse stattfinden. Insbesondere die Sozialpädagogik fordert nun in Zusammenhang mit einer Ganztagsbildung ein neues Bildungsverständnis. Als Ausgangspunkt für die Überwindung des herkömmlichen Bildungsverständnisses erachten Otto und Coelen (2004) die Reflexion mit der sich entwickelnden „Wissensgesellschaft“ (Stehr 1994, p. 16), welche einem gesellschaftlich erweiterten Bildungsbegriff als Basis dienen soll. Es soll eine Grundlage für eine ganztägige Bildung und Betreuung entstehen, die nicht nur von einer Verlängerung der Unterrichtszeit ausgeht, sondern von Kooperationsformen mit weiteren Sozialisations- und Bildungsinstanzen. Bildung findet nicht nur in der Schule statt, eine neue Schule ist jedoch auch mehr als Unterricht, genauso wie Jugendarbeit mehr ist als Betreuung (Bundesjugendkuratorium 2002). Im deutschen Sprachraum hat im Speziellen der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2006), aber auch Arbeiten von Dohmen (2001), Rauschenbach et al. (2004), Otto und Rauschenbach (2004), Otto und Coelen (2004), Coelen und Otto (2008) die Ausweitung des Bildungsbegriffs geprägt. Dabei betonen Rauschenbach et al. (2004) in diesem Zusammenhang einen erweiterten Bildungsbegriff, in dem neben der formalen (bzw. formellen) auch die nichtformale (bzw. nichtformelle) und die informelle Bildung stärker gewichtet werden. Darunter wird Folgendes verstanden:
Formelle Bildung: Formelle Bildung ist strukturiert, hierarchisch gegliedert, verpflichtend, auf Leistungszertifikate ausgerichtet und baut zeitlich aufeinander im Schul-, Ausbildungs- und Hochschulsystem. Nicht-formelle Bildung: Nichtformeller Bildung liegen organisierte Prozesse zugrunde, jedoch mit einem Angebotscharakter und somit freiwillig. Informelle Bildung: Informelle Bildung geschieht ungeplant durch inneren und äusseren Anstoss ausgelöst, ist kein bewusster Prozess, ohne Bildungsabsicht, im Umfeld von Familie, Freunden, Nachbarschaft, Medien, Freizeit und Ar-
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beit. Informelles Lernen beinhaltet einen induktiven Prozess der Reflexion und Aktion. Sie ist zugleich unverzichtbare Voraussetzung und Fundament, auf dem formelle und nichtformelle Bildungsprozesse aufbauen. (Bundesjugendkuratorium 2001, p. 23)
Es geht um verschiedene Anteile von Bildung, die sich an unterschiedlichen Orten und in Form von unterschiedlichen Strukturen verwirklichen lassen. Diese Bildungsprozesse spielen sich z.B. in der Familie, der Nachbarschaft, in der Peer Group, in der Auseinandersetzung mit Medien oder in öffentlichen Foren des gesellschaftlichen Diskurses ab. Während bei den Bildungsorten die Kontexte und die Voraussetzungen für die strukturellen Modalitäten des Zustandekommens potenzieller Bildungsprozesse im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, liegt bei den Bildungsprozessen der Fokus auf den subjektgebundenen Möglichkeiten erfolgreich zustande gekommener Bildung. In Form einer Unterscheidung von Bildungsmodalitäten fliessen beide Perspektiven ineinander, da Bildungsmodalitäten einerseits nach Bildungsprozessen und andererseits nach Bildungsorten differenziert werden (BMFSF 2006). Vogel (2008) und Coelen (2008) monieren im Bericht des Bundesjugendkuratoriums (2001), nebst der Unterscheidung von formeller und nicht-formeller Bildung, die zusätzliche Differenzierung bezüglich informeller Bildung. Ihrer Meinung nach konnte bisher zu wenig herausgearbeitet werden, wie sich die informelle Bildung von Sozialisationsprozessen unterscheiden könnte. Coelen (2008) schlägt deshalb vor, die Differenzierung zwischen den beiden Begriffen beizubehalten, insbesondere, wenn man „Prozesse der kontextabhängigen und als selbstverständlich verinnerlichten Persönlichkeitsentwicklung auf den Ebenen Subjekt, Interaktion, Institution und Gesellschaft unterscheiden will“ (Coelen 2008, p. 140) von Prozessen, in denen Eigentätigkeit zu beobachten ist, die eine Vereinseitigung verhindern sollen und teilweise auch Widerstände hervorrufen (ebd.). Deshalb wird in Anlehnung an Coelen vorgeschlagen, neben dem Begriff „formelle Bildung“ „nicht-formelle Bildung“ zu verwenden sowie weiterhin vom Begriff „Sozialisation“ Gebrauch zu machen. Formelle und nichtformelle Bildung „stehen als notwendige Komponenten der materiellen und symbolischen Reproduktion demokratischer-kapitalistischer Lebensverhältnisse in einem dialektischen Verhältnis“ (Coelen 2008, p. 140). An diesem Punkt stellt sich – über die Abgrenzung des Begriffs „Bildung“ von dem der „Sozialisation“ hinaus – die Frage nach der Abgrenzung weiterer Nachbarbegriffe wie „Lernen“ und „Erziehung“. Diese vier Begriffe lassen sich jedoch nicht trennscharf unterscheiden. Vogel (2008, p. 118) erachtet es als ein zentrales Problem, dass „Begriffe, die im Kern aus unterschiedlichen epistemologischen Perspektiven entstammen (Lernen, Sozialisation aus der Be-
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obachterperspektive, Erziehung und Bildung aus der Legitimations-/Handlungsperspektive) gleichsam metaphorisch für alle Perspektiven verwendet werden“. Dies führt dazu, dass man zum einen der Analyse die bestehenden Implikationen anlastet und zum anderen weitere zusätzliche begriffliche Überschneidungen kreiert, die den Gegenstand endgültig unbestimmbar machen (ebd.). Vogel (2004) hält fest, dass der Begriff „Bildung“ nicht neutral, sondern immer normativ und programmatisch ist. Eines der Ziele von Bildung ist im Nachgang der neuhumanistischen Bildungstheorie immer „Höher-Bildung“, was der Qualifikations- und Allokationsfunktion und somit dem Erlangen von formalen Ausbildungsstufen entspricht. Nach Habermas geht Bildung in dieser Zielperspektive über eine reine Deskription hinaus (Habermas 1992, zit. n. Coelen 2008). Bezüglich der Zielperspektiven von Bildung gibt es keine allgemein gültige Ausdifferenzierung in verschiedene Dimensionen (Vogel 2004). An anderer Stelle in diesem Kapitel soll beispielhaft auf verschiedene Zugänge eingegangen werden. Der Begriff „Lernen“ ist im Gegensatz zum Bildungsbegriff neutral und taugt insbesondere dann für theoretische oder legitimatorische Zwecke, wenn er in ein pädagogisches oder erziehungswissenschaftliches oder aber in ein bildungspolitisches Konzept eingebunden ist (Vogel 2004, 2006, 2008). Nach Vogel (2004) ist „Lernen“ ansonsten in der erziehungswissenschaftlichen Literatur „der abstrakteste Begriff für das, was ein Mensch in jeder Lebensspanne an Wissen, Kompetenzen, Haltungen, Einsichten usw.“ sich aneignet. „Sozialisation“ ist nach Geulen (2004, p. 101) „die Entstehung und Bildung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit einer spezifischen materiellen, kulturellen und sozialen Umwelt“. Darin eingeschlossen ist zudem, dass „in der Genese der Persönlichkeit, und zwar im Prinzip aller Bereiche, Umweltbedingungen notwendig und entscheidend mitwirken und dass diese Bedingungen ihrerseits gesellschaftlich vermittelt sind“ (Geulen 2005, p. 1409). Bei der Bildung hingegen handelt es sich um Prozesse, in denen Eigentätigkeit vorhanden ist, die einer allfälligen Vereinseitigung vorbeugen sollen, aber auch Widerstände bewirken können (Coelen 2008). „Erziehung“ kann im Weiteren nach Hurrelmann (1994, p. 13) als „die soziale Interaktion zwischen Menschen, bei der ein Erwachsener planvoll und zielgerichtet versucht, bei einem Kind unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und der persönlichen Eigenart des Kindes erwünschtes Verhalten zu entfalten oder zu stärken“, definiert werden. „Erziehung“ wird bei dieser Definition als „ein Bestandteil des umfassenden Sozialisationsprozesses“ verstanden. Es handelt sich dabei um den Bestandteil, „bei dem von Erwachsenen versucht wird, bewusst in den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern einzugreifen – mit dem Ziel, sie zu selbstständigen, leistungsfähigen und verantwortungsvollen Menschen zu bilden“ (ebd., p. 13).
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Hält man sich dieses Bildungsverständnis in Abgrenzung der Nachbarbegriffe vor Augen, so wird klar ersichtlich, dass der Bildungsbegriff dann genutzt wird, wenn es um soziale Differenzen geht, welche diese Verpflichtung beoder verhindern. Er wird als Schnittstelle zur Debatte über Chancengerechtigkeit betrachtet. In diesem Zusammenhang spricht man eindeutig nicht von Lernen, Erziehung oder Sozialisation (Vogel 2008). Der Begriff „Bildung“ impliziert in einem theoretischen Kontext immer auch soziale Differenz. Andresen (2004) konstatiert, dass wenn man über Bildung redet – über formale und nicht-formale – man zusätzlich auch den Aspekt der sozialen Differenzierung durch Bildung mit einkauft. Eine Frage, die momentan noch offen bleibt, ist diejenige nach dem Verhältnis von nicht-formaler Bildung und sozialer Differenz. Werden die sozialen Differenzen geringer und die Chancen für formale Bildungsabschlüsse grösser? Der beschriebene Diskurs zeigt auf, dass man den Begriffen nicht ohne Weiteres trauen kann (Vogel 2008), dass keine Trennschärfe besteht zwischen den verwendeten Nachbarbegriffen und es auf jeden Fall empfehlenswert ist, die Begriffe beim eigenen Gebrauch zu definieren. Im Folgenden soll von einer ganztägigen Bildung und Betreuung ausgegangen werden, die sowohl formelle, auf Zertifizierung ausgerichtete Bildung als auch nicht-formelle Bildung – Prozesse die einen freiwilligen Angebotscharakter haben – umfasst. An allen Bildungsorten findet Sozialisation statt. Welches sind die Zielperspektiven eines „modernen“ Bildungsbegriffs für eine ganztägige Bildung und Betreuung? Diesbezüglich gibt es keine allein gültige Ausdifferenzierung in bestimmte Dimensionen. Otto und Rauschenbach (2004) nennen beispielsweise folgende Zielperspektiven:
Vermittlung von kulturellem Wissen Aneignung von materiell-praktischen Alltagskompetenzen Soziale Integration Persönlichkeitsentwicklung (in Gestalt von sozialem und selbstreflexivem Lernen). (Otto & Rauschenbach, p. 20f.)
Die Schule wird aufgrund ihrer funktionalen Schwerpunkte bei der kulturellen und materiellen Reproduktion angesiedelt. Zudem wird vorausgesetzt, dass die ökonomische Verwertbarkeit von formalisierten Bildungsprozessen erweitert wird. Die sozialpädagogischen Institutionen sollen in einem solchen Modell näher an die Sozialintegration und Persönlichkeitsentwicklung herangeführt werden. In diesem Zusammenhang soll nochmals erwähnt werden, dass nach dem beschriebenen Bildungsverständnis eine Komplementarität der Bildungsanteile von Schule und sozialpädagogischen Angeboten besteht. Beide können den skizzierten Rahmen der erweiterten Bildung nicht vollständig ausfüllen.
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Coelen (2006a) fasst die vier Dimensionen von Otto und Rauschenbach (2004) in zwei Komplementäre zusammen: Ausbildung (kulturelle und materielle Reproduktion) und Identitätsbildung (Sozialintegration und Persönlichkeitsentwicklung). Diese basieren auf der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas und gehen über die Deskription bei Otto und Rauschenbach hinaus. Qualifikation und Partizipation bilden sowohl Grundlage, Medium als auch Ziel jedes Bildungsprozesses. Welche Bildungsinstitution soll jedoch dafür zuständig sein? Laut Coelen (2006a) ist die Qualifikationsfunktion, in Anlehnung z.B. an die Theorie der Schule von Fend10 (1981), unbestritten Aufgabe der Schule. Partizipation hingegen ist eines der Strukturprinzipien der Sozialpädagogik oder der Sozialarbeit, aber auch in der Schule findet man partizipative Elemente. Für Tillmann (2003) ist es eine wichtige Voraussetzung, dass die staatliche Schule weiterhin Verantwortung für die Qualifikationsfunktion übernimmt und eine Kooperation mit weiteren Institutionen eingeht. So kann gemeinsam und gleichsam arbeitsteilig der ganzheitliche Bildungsanspruch eingelöst werden. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, ob die Qualifikations- und Partizipationsfunktion sowie die Ausbildung und Identitätsbildung nicht von einer Institution, der Tagesschule, übernommen werden kann. Nicht-formelle Angebote können dabei mittels Kooperation eingebunden werden (Rauschenbach et al. 2004). Die Schulexperten sind sich bezüglich eines solchen Vorgehens weitgehend einig. Auch zahlreiche Akteure aus der Sozialpädagogik befürworten eine solche Lösung. Bildungs- und Sozialisationsprozesse von Kindern und Jugendlichen finden an verschiedenen Orten statt und sind nicht an bestimmte Institutionen oder Instanzen gebunden. Sie erfolgen in der Familie, in der Schule, in ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten, in der Jugendarbeit, in Vereinen, in kommerziellen Förder- und Freizeitangeboten, aber auch in der Peer Group oder im Gebrauch und in der Nutzung von Medien. Im Zusammenhang mit einem erweiterten Bildungsbegriff wird – abgesehen von der Schule als formeller Bildungsort – der Stellenwert der Familie, von nicht-schulischen Angeboten sowie von weiteren Lernwelten für das Aufwachsen der Kinder hervorgehoben (BMFSJ 2006; Rauschenbach et al. 2004). So sind besonders die Familie und ihre Leistungen bezüglich der gesellschaftlichen Reproduktion wieder vermehrt von gesellschaftlichem Interesse. Aber auch die Bildungsprozesse in weiteren institutionellen Angeboten – abgesehen von der Schule – rücken neu in den Fokus des Interesses der Bildungsdiskussion. Auf der Grundlage eines erweiterten Bildungsbegriffs wird im Zwölften Kinder- und Jugend-
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Nach Fend sind die Selektions- und Allokationsfunktion sowie die Integrations- und Legitimationsfunktion neben der Qualifikationsfunktion weitere Aufgaben der Schule.
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bericht (BMFSFJ 2006) eine Zusammenführung der bis anhin meist unabhängig betrachteten Orte, an denen sich Bildungsprozesse ereignen, geleistet. Zusammenfassend kann man sagen, dass für die Bildung und Sozialisation der Heranwachsenden verschiedene Prozesse, an unterschiedlichen Orten, von mehreren Instanzen von Bedeutung sind. Gerade im Zusammenhang mit einer ganztägigen Bildung und Betreuung, die eine Auseinandersetzung bezüglich des künftigen Verhältnisses von Schule und Familie sowie weiterer Exponenten des gesamten Systems von Bildung und Betreuung verlangt, erweisen sich unterschiedliche Orte und Lernwelten der Bildung, deren Funktion und Bedeutung als wichtig.
II. TEIL: AUSSERFAMILIALE BILDUNG UND BETREUUNG UND KINDLICHE ENTWICKLUNG – AKTUELLER (FORSCHUNGS-)STAND
4 Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung 4 Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung
Bildung findet an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Lernwelten statt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Bedingungsfaktoren bzw. welche Blöcke von Bedingungsfaktoren in den verschiedenen Settings einen Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben. Die Unterrichtsforschung geht dieser Frage seit längerer Zeit nach. Nach Helmke (2004, p. 33) besteht eine grosse „Flut von empirischen Ergebnissen zu den Bedingungen, Korrelaten und Konsequenzen schulischer Leistungen“. Metaanalysen, wie diejenigen von Fraser, Walberg, Welch und Hattie (1987), Walberg (1986) sowie Wang, Haertel und Walberg (1993), gehen nach dem Produktionsmodell schulischer Leistungen von Walberg (1984) von drei Blöcken von Bedingungsfaktoren aus. Es sind dies individuelle Merkmale der Schülerinnen und Schüler, Unterricht sowie Umwelt. Nach Schrader und Helmke (2006) ist jedoch der Stellenwert dieser verschiedenen (Bündel von) Bedingungsfaktoren für die Leistung nicht gleich gross. Prozessnahe individuelle kognitive, motivationale oder volitionale Merkmale haben einen engeren Bezug. Diese individuellen Merkmale werden von Prozessmerkmalen des Unterrichts beeinflusst, die wiederum durch Merkmale des Schul- und Klassenkontexts sowie durch Merkmale der Lehrpersonen (Einstellungen, Lehrkompetenzen) beeinflusst werden. Im Weiteren spielen familiale Faktoren, Peers aber auch die Medien eine Rolle (Schrader & Helmke 2008). Nicht berücksichtigt in diesen „unterrichtsnahen“ Untersuchungen sind explizit die Bildungs- und Betreuungsangebote der Schule sowie weitere institutionelle Bildungsorte. Die Forschung beschränkt sich zudem – insbesondere im Zusammenhang mit Schule und Familie – weitgehend auf (schul-)leistungsbezogene Zielkriterien. So halten Gadeyne, Ghesquière und Onghena (2006) Folgendes fest: However, the scarcity of educational effectiveness research addressing psychosocial child outcomes implies that little is known about the most relevant explanatory school and teacher characteristics in this area yet. Since the teacher characteristics commonly studied in educational effectiveness research relate more to student achievement than to student psychosocial functioning […], it could be argued that a different set of (school and) teacher characteristics may be particularly related to psychosocial child outcomes. (ebd., p. 66)
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Natürlich wären auch weitere Zielkriterien im Bereich der sozio-emotionalen Entwicklung in Bezug auf die Wirkungen dieser Determinanten zu berücksichtigen (Gadeyne et al. 2006; Schrader & Helmke 2008), nur fehlen nach Schrader und Helmke (2008) fundierte Messverfahren wie sie für die fachlichen Kriterien zur Verfügung stehen. Als ein viel versprechender Zugang sehen Gadeyne et al. (2006, p. 66) … to adapt core parental variables such as parental support (also defined as warmth, responsiveness, acceptance, or nurturance) and parental control (also defined as restrictiveness, strictness, directiveness, discipline, hierarchical parenting, structuring, or monitoring; see Gadeyne, Ghesquière und Onghena (2004)) to a teaching context […]. Another pathway may be found in theory and research on powerful teaching and on learner-centred practices. Here, explicit reference is made to student outcomes such as motivation and well-being […].
Die Forschung zeigt, dass unterschiedliche Zielkriterien nicht unvereinbar sein müssen. Empirisch kann keine generelle Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit von kognitiven und nicht-kognitiven Lernzielen festgestellt werden (Baumert & Köller 2000). In „Optimalklassen“ gelingt es durchaus, in mehreren wichtigen Bereichen parallel mehrere Zielperspektiven simultan zu erreichen (Gruehn 1995; Helmke 1988). Darauf wird in Kapitel 7.2 noch ausführlicher eingegangen. Bevor auf die hauptsächlichen Blöcke individuelle Merkmale (Kap.4.1), Schule – insbesondere der Unterricht (Kap. 4.2) und die Umwelt (Kap. 4.3)11 von Bedingungsfaktoren der schulischen Leistung und am Rande auch auf sozioemotionale Kompetenzen eingegangen werden, sollen die sozio-kulturellen Rahmenbedingungen erwähnt werden, die den Lernvorgang indirekt beeinflussen. Es handelt sich dabei einerseits um allgemeine Rahmenbedingungen wie das Wertesystem einer Gesellschaft, das Bildungssystem oder die zur Verfügung stehenden Ressourcen und andererseits um den kulturellen Kontext. Die Relevanz dieser Rahmenbedingungen konnten vor allem internationale Vergleichsstudien wie PISA oder die TIMSS nachweisen (Baumert et al. 1997; Baumert et al. 2001).
4.1 Individuelle Merkmale 4.1 Individuelle Merkmale Der Intelligenz wird im Allgemeinen die grösste Bedeutung für die Erklärung der Leistung zugeschrieben. Als „Intelligenz“ kann nach Schrader und Helmke 11
In Kapitel 4.3 „Umwelt: Lebenswelten und weitere Bildungsorte“ wird auf die Familie, die Peer Group, die Medien und weitere institutionelle Bildungsorte eingegangen.
4.1 Individuelle Merkmale
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(2008, p. 290) die Fähigkeit bezeichnet werden, neuartige Anforderungen durch effektives Denken und Problemlösen bewältigen zu können. Sie unterscheiden im Weiteren grundsätzlich zwischen kristalliner und fluider Intelligenz, wobei es sich bei den kristallinen Fähigkeiten um den wissens- und erfahrungsabhängigen Bereich der Intelligenz oder um die angeeigneten Denk-, Lern- und Gedächtnisstrategien handelt. Die fluiden Fähigkeiten sind im grösseren Masse genetischen Ursprungs und umfassen grundlegende intellektuelle Funktionen, die nicht auf erworbenem Wissen basieren. In den frühen Lebensjahren werden insbesondere die fluiden Fähigkeiten als wichtig erachtet, da erst in geringem Umfang auf vorhandenes Wissen zurückgegriffen werden kann. Mit zunehmendem Alter hingegen werden kristalline Fähigkeiten zunehmend bedeutsamer. Das Mass der allgemeinen Intelligenz ist mit Korrelationen zwischen .50 und .60 der beste Einzelprädiktor der Schulleistung, wie Metaanalysen z.B. von Fraser et al. (1987) und Wang et al. (1993) belegen. Das heisst, etwa 25 Prozent der Unterschiede in den schulischen Leistungen lassen sich durch Intelligenzunterschiede vorhersagen. Je nach Alter, Intelligenz und Art der Leistung gibt es aber erhebliche Unterschiede im Zusammenhang zwischen Intelligenz und Leistung. Neuere Studien haben gezeigt, dass das bereichsspezifische Vorwissen vohersagekräftiger für die Leistung ist als die Intelligenz. Ergebnisse aus der Expertise-Forschung zeigen auf, dass die Überlegenheit der Experten gegenüber den Novizen vor allem auf der grösseren Quantität und Qualität des bereichsspezifischen Wissens basiert (Dochy 1992; Schraw 2006). Wissensdefizite sind durch eine hohe Intelligenz auch nicht kompensierbar. Umgekehrt konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden, dass auch bei relativ tiefer Intelligenz – zumindest bei vorhandenen Wissensvoraussetzungen innerhalb bestimmter Grenzen – kompetente Leistungen erbracht werden können. Trotzdem sind die beiden Konstrukte nicht unabhängig voneinander. Im Weiteren halten Schrader und Helmke fest (2008), dass es intelligenteren Kindern bei suboptimalem und unklarem Unterricht leichter fällt, Lücken in der Darstellung durch eigene Überlegungen und eigenes Folgern zu schliessen und somit schlechte Unterrichtsqualität zu kompensieren als dies weniger intelligenten Kindern gelingt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Wissen und Intelligenz nicht nur als Bedingungsfaktoren auf die Schulleistung wirken, sondern diese auch durch die Leistung determiniert werden. Mit anderen Worten: Helmke und Weinert (1997a, p. 108) haben reziproke Effekte zwischen der Intelligenz und mathematischen Kompetenzen ausgemacht. Sie haben bei ihrer Untersuchung eine reziproke Beeinflussung im Kindergarten und am Anfang der Schulzeit festgestellt und ein stark abfallender Trend dieser Effekte nach dem zweiten Schuljahr. Ähnliche Befunde sind auch in weiteren Studien zu finden.
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4 Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung
Kognitive Fähigkeiten und das Vorwissen haben sich in einer Vielzahl von Studien als notwendige aber nicht als hinreichende Determinanten der Schulleistung erwiesen. Es spielen auch motivationale und volitionale Faktoren eine Rolle. Im Alltag werden motivationale Merkmale als wichtig für den Lernerfolg eingeschätzt. Die wissenschaftliche Befundlage präsentiert sich jedoch nicht eindeutig: Zusammenhänge zwischen motivationalen Merkmalen und der Leistung hängen vom Kontext ab und können erheblich variieren (Helmke 1992). Die Frage nach der Bedeutung der nicht-kognitiven Bedingungen insgesamt für die Schulleistung wurde im Speziellen für das Primarschulalter empirisch erst wenig untersucht. In älterer Literatur findet man für die Aufklärung von Schulleistungsunterschieden durch die Motivation Angaben von um die 25 Prozent. Den Ergebnissen der SCHOLASTIK-Studie (Helmke 1997) ist bei Viertklässlern eine Erklärungskraft der individuellen motivationalen und kognitiven Lernvoraussetzungen von insgesamt 75 Prozent beim Mathematiktest sowie 60 Prozent beim Rechtschreibtest und den Noten in Mathematik und Deutsch zu entnehmen. Überraschend ist der hohe Stellenwert der kognitiven Lernvoraussetzungen (Mathematiktest 42%, Rechtschreibtest 31%, Mathematik- und Deutschnote 22%), verglichen mit demjenigen der motivationalen Merkmale (Mathematiktest 2%, Rechtschreibtest 0.5%, Mathematik- und Deutschnote rund 5%). Erstaunlicherweise unterscheiden sich diese Resultate ziemlich stark von denjenigen, die bei älteren Schülerinnen und Schülern (fünftes Schuljahr)) gefunden wurden. So betrugen da die Varianzen der motivationalen versus kognitiver Merkmale z.B. beim Mathematiktest 16 Prozent versus 21 Prozent und bei der Mathematiknote 32 Prozent versus 4 Prozent (Helmke 1992). Was sich jedoch bei beiden Untersuchungen deutlich zeigt, sowohl bei Testleistungen als auch bei Noten werden 25–30 Prozent der Gesamtvarianz der Schulleistungen durch die Kommunalität aus motivationalen und kognitiven Merkmalen aufgeklärt. Nimmt man die spezifische Varianz der motivationalen Faktoren und die konfundierte Erklärungsvarianz zusammen, bedeutet dies wohl, dass insgesamt die motivationalen Schülermerkmale doch nicht so irrelevant sind. Man kann jedoch sagen, dass die Bedeutung der motivationalen Merkmale für die Schulleistung variiert, abhängig von einer Anzahl von kritischen Variablen (Helmke 1992). Motivationale Determinanten, welche in der schulbezogenen Forschung am häufigsten untersucht wurden, sind nach Helmke und Weinert (1997a) Aspekte des Selbstkonzeptes (Selbstkonzept eigener Fähigkeit, Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen), der Leistungsängstlichkeit sowie die Lernmotivation im engeren Sinne. Im Folgenden wird kurz auf den aktuellen Forschungstand zwischen den Selbstkonzepten, im Speziellen den Fähigkeitsselbst-
4.2 Schule – insbesondere der Unterricht
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konzepten, und der Schulleistung eingegangen. Die Selbstkonzepte sind „gespeicherte kognitive Repräsentationen der eigenen Person (selbstbezogene Wissensbestände und Überzeugungen)“ (Pekrun & Schiefele 1996, p. 159). Nach dem weitverbreiteten Modell von Shavelson, Hubner und Stanton (1976) wird häufig von einer hierarchischen Struktur der Selbstkonzepte ausgegangen. Die Metaanalyse von Hansford und Hattie (1982) zeigt, dass ein grösserer Zusammenhang zwischen Fähigkeitsselbstkonzept und Schulnoten als zwischen Fähigkeitsselbstkonzept und Schulleistungstests besteht. Für Fähigkeitsselbstkonzepte besteht insgesamt ein grösserer Zusammenhang (durchschnittlich r =.42) als für allgemeine Selbstkonzepte (durchschnittlich r =.22). Die Zusammenhänge erweisen sich in bereichsspezifischen Erhebungen als besonders hoch (Helmke & van Aken 1995; Marsh 1990; van Aken et al. 1997). Helmke (1992) stellt im weitern fest, dass das Fähigkeitsselbstbild keinen direkten Einfluss auf die schulische Leistung hat. Dieser Effekt entsteht erst durch mediierende Prozesse. Als eine zentrale Mediatorvariable zwischen dem Unterrichtsangebot und dem Lernerfolg erweist sich die Aufmerksamkeit. Ein erfolgreiches Lernen benötigt eine adäquate Steuerung und Kontrolle der Aufmerksamkeit. Fehlen diese Mechanismen, so können Lernschwierigkeiten wie ADS oder ADHS entstehen, die als multifaktoriell bedingte Störungen betrachtet werden. Diese werden durch genetisch bedingte Beeinträchtigungen von Funktionen des Gehirns, von Temperamentsfaktoren und metakognitiven Steuerungsprozessen beeinflusst (Schrader & Helmke 2008).
4.2 Schule – insbesondere der Unterricht 4.2 Schule – insbesondere der Unterricht 4.2.1 Unterricht Die Forschung in diesem Bereich setzt sich vor allem mit der Frage auseinander, in welchem Umfang die Unterrichtsqualität12, im Vergleich zu anderen Bedingungsfaktoren wie individuelle oder familiale Merkmale, die Schulleistung beeinflusst. Lange Zeit gab es keine Befunde, welche daraufhin deuteten, dass sich bestimmte Unterrichtsmerkmale, bestimmtes Lehrerhandeln oder aber bestimmte Merkmale der Lehrerpersönlichkeit auf die schulische Leistung der Schülerinnen und Schüler auswirken. Nach Studien von Coleman (1966) und Jencks (1973) ist der Einfluss des Schulunterrichts auf die Schulleistung nur gering. Jedoch wird der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler ein 12
Eine Klärung des Begriffs „Unterrichtsqualität“ und eine spezifischere Auseinandersetzung erfolgt in Kapitel 7.2. „Ansätze zur Unterrichtsqualität und deren Messung“.
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grosser Einfluss attestiert. Bloom (1976) hat nach langjähriger Forschung resigniert festgestellt, dass offenbar grosse Klassen, kleine Klassen, Fernsehunterricht und audiovisuelle Medien, Diskussion, Dokumentation, Team-teaching, programmierter Unterricht, autoritäre und nichtautoritäre Lehrformen usw., alle gleich wirksame Methoden zu sein scheinen, um den Schülern zu helfen, mehr Informationen und einfache Fertigkeiten zu erwerben. (Bloom 1976, p. 217)
Bevor man jedoch diese resignative Haltung von Bloom übernimmt, muss eingeräumt werden, dass die unterrichtsmethodischen Vergleichsstudien grundsätzliche Schwächen aufwiesen. In der Regel wurden wenige Instruktionsmerkmale oder Lehrerverhaltensweisen isoliert und anschliessend nach kontextunabhängigen Effekten auf Indikatoren der Schulleistung gesucht. In den 1950er und 1960er Jahren hat sich die empirische Unterrichtsforschung vor allem mit den Merkmalen der Lehrerpersönlichkeit beschäftigt. Analysen von Lehrstilen, Attributionsstilen oder Stilen der Leistungsbewertung wurden durchgeführt (Bromme 1997). Nach einem Paradigmenwechsel zu einem Prozess-Produkt-Paradigma als Suche nach effektiven Lehrerfertigkeiten sind erste Forschungsresultate zur Unterrichtsqualität unter Sammelreferaten zum Thema Lehrereffektivität (z.B. Brophy & Good 1986) zu finden. Die Unterrichtsqualität wird erst relativ spät, nämlich bei Haertel, Walberg und Weinstein (1983), in Modelle zur Erklärung von Schullernen integriert. In späteren Lernmodellen (z.B. Carroll 1963; Slavin et al. 1989) wurden immer mehr Variablen zwischen Lehrerverhalten im Unterricht und dem Kriterium Leistung mitberücksichtigt, wobei das Lehrerverhalten dabei nur einen indirekten Einfluss auf die Lernleistung und das Verstehen des Kindes ausübt (Bromme 1997). Ab Mitte der 1980er Jahre wurden verschiedene Metaanalysen und Synthesen von Metaanalysen durchgeführt, welche versuchten, die Variablen der Unterrichtsqualität und -quantität mit Variablen der Eingangsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler sowie der sozio-kulturellen Umwelt zu einem systematischen Modell zusammenzufügen (Einsiedler 1997). Bei Walbergs Analyse im „Handbook of Research on Teaching“ (1986) zeigt sich vor allem der starke Effekt der kognitiven Eingangsvoraussetzungen der Kinder für den Lernerfolg bzw. den Schulerfolg versus das Schulversagen. Jedoch lässt sich mit Hilfe der Unterrichtsqualität und -quantität die Leistung besser erklären. Die grössten Effekte auf die Leistung zeigen Qualitätsvariablen wie Bekräftigung, Akzeleration, Lesetraining, Hinweise und Rückmeldungen u.a. (Fraser et al. 1987). Die neusten Metaanalysen sind diejenigen von Scheerens und Bosker (1997) sowie von Seidel und Shavelson (2007). Letztere zeigt vor allem die
4.2 Schule – insbesondere der Unterricht
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Relevanz der Organisation von Lernen und von bereichsspezifischen Prozessen auf. Zur Unterrichtsqualität gibt es in neuerer Zeit verschiedene Übersichtswerke wie beispielsweise von Brophy und Good (1986), von Helmke und Weinert (1997), Brophy (2000) oder von Helmke (2004). Vielmals wird darin unterschieden zwischen Klassenführung und Unterrichtsorganisation einerseits und andererseits der Unterrichtsqualität im engeren Sinne. Unter einer effektiven Klassenführung wird die Bereitstellung von Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Unterricht verstanden. Es sind dies „die Etablierung von Regeln für angemessenes Verhalten, die effektive Gestaltung von Lernsituationen und deren Überwachung, der Aufbau von Routinen und der Umgang mit Störungen und Disziplinproblemen“ (Schrader & Helmke 2008, p. 295). Verschiedene Studien zeigen einen relativ hohen Zusammenhang zwischen der Klassenführung und dem Lernerfolg. Schrader und Helmke (2008) konstatieren, dass eine effiziente Klassenführung eine notwendige Voraussetzung für guten Unterricht ist. Bei der Unterrichtsqualität im engeren Sinne – auf die in Kapitel 7.2 noch detaillierter eingegangen wird – handelt es sich um die folgenden Merkmale:
Lernförderliches Unterrichtsklima vielfältige Motivierung Strukturiertheit, Klarheit, Verständlichkeit Ziel-, Wirkungs- und Kompetenzorientierung Schülerorientierung, Unterstützung Aktivierung, Förderung selbständigen Lernens angemessene Variation von Methoden und Sozialformen Konsolidierung, Sicherung, intelligentes Üben sowie Passung und sensibler Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen. (Helmke 2006, zit. n. Schrader & Helmke 2008, p. 295)
Zieht man Ergebnisse aus der neueren Unterrichtsforschung herbei, so dokumentieren diese insgesamt eine grössere Varianzaufklärung von Variablen der Unterrichtsqualität als noch in den 1960er und 1970er Jahren angenommen. Verschiedene Metaanalysen konnten stärkere Effekte der Unterrichtsvariablen auf die Schulleistung aufzeigen als für die Eingangsvoraussetzungen der Kinder (jedoch meist unter 20% aufgeklärter Varianz) (u.a. Wang et al. 1993). Andere Autoren streichen eher die Grenzen des Einflusses des Unterrichts heraus und postulieren eine vermehrte Erforschung der Lern- und Erziehungsmöglichkeiten in der Familie (Helmke & Weinert 1997b; Hofer 1990). Verschiedene pädagogisch-psychologische Studien konnten die Relevanz von Prozessmerkmalen des Elternverhaltens für den Schulerfolg ihrer Kinder nachweisen (z.B. Pekrun 2001; Wild & Hofer 2002; Zimmermann & Spranger 2001). So verweisen Helmke und
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Weinert (1997b) darauf, dass die Zusammenhänge zwischen Schichtzugehörigkeit und Schulleistung auf Unterschiede in schulleistungsrelevanten Merkmalen des elterlichen Verhaltens zurückzuführen sind. Sie konnten aufzeigen, dass sich bis zu zwei Drittel der interindividuellen Varianz der schulischen Lernleistung durch familial bedingte Schülervariablen aufklären lassen.
4.2.2 Merkmale der Lehrperson Im Weiteren stellt sich ferner die Frage nach Merkmalen der Lehrpersonen und deren Einstellungen und deren Einfluss auf die kindliche Entwicklung. Helmke (2004) nennt in diesem Zusammenhang das Engagement und die Lehrmotivation, die Fähigkeit und die Motivation zur Selbstreflexion, die fachwissenschaftliche und didaktische Expertise sowie die subjektiven Theorien und die epistemologischen Überzeugungen der Lehrperson. Blömeke (2006) nennt zudem berufsspezifische Persönlichkeitsmerkmale als Einflussfaktoren auf den Berufserfolg bzw. die Leistungsentwicklung der Kinder. Im Folgenden soll im Speziellen auf die subjektiven Theorien bzw. die pädagogischen Orientierungen der Lehrpersonen eingegangen werden. Dabei handelt es sich nicht um wissenschaftliche Theorien, sondern um „naive Erziehungstheorien“ (Kornadt & Trommsdorff 1990 zit. n. Tietze 1998, p. 68). Die pädagogischen Orientierungen der pädagogischen Fachpersonen – die einzelnen Vorstellungen, Einstellungen sowie Ziele und Werte – bilden laut aktueller Forschung so genannte Überzeugungssysteme, auch „teachers’ beliefs“ genannt. Diese beziehen sich auf ihre Auffassung von pädagogischer Qualität und die Aufgaben der Schule sowie auf ihre pädagogischen Ziele und Normen sowie ihre Vorstellungen über die kindliche Entwicklung und deren Unterstützung. Für die Frage nach Unterrichtsqualität bzw. Veränderung des Unterrichts sind sie von grossem Interesse, da sie das Handeln der Lehrpersonen steuern können (Helmke 2004). Besondere Beachtung finden die teachers’ beliefs im Rahmen der Forschung zur Lehrerbildung, insbesondere in der mathematikdidaktischen Forschung. Das Interesse an Lehrerkognitionen im Rahmen der empirischen Unterrichtsforschung hat sich in den letzten Jahren verstärkt, vor allem im Zusammenhang mit dem Handeln der Lehrperson im Unterricht sowie den Wirkungen. Das Ziel dieser Untersuchungen lag hauptsächlich darin, die Überzeugungen von Lehrpersonen zu identifizieren, ihren Einfluss auf die Gestaltung des Unterrichts zu messen wie auch die Veränderbarkeit der teachers’ beliefs, besonders während und durch die Lehrerausbildung, zu prüfen (Leuchter et al. 2006; Thompson 1992). Wie eine dieser neueren Studien mit Lehrpersonen aus Deutschland und der Schweiz zeigt, scheinen Überzeugungen zwar einerseits das
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Handeln von Lehrpersonen zu leiten, aber verschiedene Umstände die Umsetzung von Wissen in Handeln zu behindern (Leuchter et al. 2006). In anderen Studien wurde festgestellt, dass die pädagogischen Überzeugungen einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Schule sowie die Interpretation der Anforderungen des Unterrichts haben und auf diese Weise das professionelle Handeln der Lehrpersonen beeinflussen (Leuchter et al. 2008). Blömeke (2006) stellt in ihrem Überblick fest, dass empirisch gut abgesichert ist, dass sich fachspezifische Einstellungen von Lehrpersonen auf Schulleistungen auswirken. Dies weist z.B. die Studie von Stipek et al. (2001) nach. Die vorhandenen inkonsistenten Befunde lassen sich u.a. mit den untereinander im Widerspruch stehenden Überzeugungen der Lehrpersonen, kontextualen Bedingungen und der methodischen Schwierigkeit der Erfassung erklären (Leuchter et al. 2008). Die empirischen Befunde im Zusammenhang mit teachers’ beliefs in der Lehrinnen- und Lehrerausbildung stimmen weitgehend darin überein, dass angehende Lehrpersonen in der Ausbildung häufiger traditionelle Überzeugungen einverleibt haben, die sie auch später in ihrer Klasse praktizieren. Abgesehen davon gelten die teachers’ beliefs sowohl von angehenden als auch von bereits unterrichtenden Lehrpersonen als sehr stark verankert, so dass sie sich auch in der Ausbildung, aufgrund ihrer zeitlichen Stabilität, nur wenig verändern lassen (Raths 2000).
4.2.3 Klassenkontext und strukturelle Merkmale der Schule Für die Qualität des Unterrichts und für die Entwicklung der schulischen Leistung spielt aber auch der Schul- und Klassenkontext eine Rolle. Nach Helmke (2004) stehen Unterrichtsqualität und Klassenkontext in einem dynamischen Verhältnis. Das heisst, die Unterrichtsqualität ist einerseits Ursache für die Leistungsentwicklung und andererseits wirkt diese z.B. in Abhängigkeit von der sozialen Heterogenität in der Klasse. Mit anderen Worten: Eine günstige Klassenzusammensetzung kann sich positive auf die Unterrichtsqualität und -effektivität auswirken, genauso wie sich umgekehrt eine ungünstige Zusammensetzung negativ auswirken kann. Nicht explizit erforscht wurde bis anhin der ausserunterrichtliche Teil der Schule und dessen Wirkung. Auf der Klassenebene wurde u.a. der Faktor Klassengrösse untersucht. Ältere Untersuchungsergebnisse haben keine deutlichen Effekte der Klassengrösse auf die schulischen Leistungen der Schülerinnen und Schüler gezeigt. Entscheidend für die Nutzung des Vorteils der kleinen Klasse oder des Nachteils der grossen Klasse ist vor allem die Lehrperson (Helmke & Weinert 1997b). Neuere Analysen sowohl von Moser et al. (1997), basierend auf den TIMSS-
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Daten, als auch von Finn und Achilles (1999) und bei PISA 2000 weisen eher auf einen Leistungsvorteil von kleineren Klassen hin (OECD 2001a). Bei Moser et al. (1997) hat sich insbesondere ein Effekt der Klassengrösse auf die Leistung von schwachen Schülerinnen und Schülern gezeigt. In kleinen Klassen schneiden sie besser ab als in grossen. Die guten Schülerinnen und Schüler werden in allen Klassen gleich gut gefördert. Es scheint jedoch nach von Saldern (1993 zit. n. Helmke & Weinert 1997b) wichtig, dass für einen Vergleich von Schulklassen verschiedener Grösse auch Moderationsvariablen miteinbezogen werden. Verschiedene Studien beschäftigten sich in den letzten Jahren mit der Zusammensetzung der Schülerschaft einer Klasse bzw. Schule. Diese können teilweise einen Einfluss der Heterogenität der Schülerschaft nachweisen. Dabei handelt es sich um soziale, kulturelle aber auch leistungsmässige Formen von Heterogenität, die fokussiert werden (vgl. z.B. Überblick von Moser & Berweger 2004; Rüesch 1998; Stanat 2006). So zeigen etwa die Ergebnisse von PISA 2000 für die Schweiz, dass Leistungsunterschiede in beunruhigendem Masse auf unterschiedliche soziale und kulturelle Zusammensetzungen der Schulklassen zurückzuführen sind (Coradi Vellacott & Wolter 2002). Ähnliche Effekte konnten im Rahmen von PISA 2000 auch in weiteren Ländern gefunden werden: Die kombinierte Wirkung des sozioökonomischen Hintergrunds der Gesamtheit der Schülerschaft einer Schule kann sich merklich in der Leistung des einzelnen Schülers niederschlagen und hat generell grösseren Einfluss auf die zu erwartenden Ergebnisse des Schülers als dessen eigener familiärer Hintergrund. Im Endergebnis führen diese Effekte dazu, dass in Ländern, in denen ein hoher Grad an schulischer Segregation nach sozioökonomischen Merkmalen besteht, Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Milieus schlechtere Leistungen erzielen. (OECD 2001a, p. 252)
4.3 Umwelt: Lebenswelten und weitere Bildungsorte 4.3 Umwelt: Lebenswelten und weitere Bildungsorte 4.3.1 Familie Unter Familie versteht man „die Zusammengehörigkeit von zwei oder mehreren aufeinander bezogenen Generationen die zueinander in einer Eltern-KindBeziehung stehen“ (Böhnisch 2002, p. 283). Darüber besteht ein weitgehender Konsens der sozialwissenschaftlichen Familienforschung. Dies ist die Herkunftsfamilie des Kindes und aus der Sicht der Elternposition die so genannte Eigenfamilie. Die kleinste Familie – ein Kind und ein Elternteil – wird heute als EinEltern-Familie bezeichnet. Der beteiligte Elternteil ist dabei mehrheitlich die Mutter. Besteht die Familie aus einem oder mehreren Kindern und einem Paar in
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der älteren Generation, so handelt es sich um eine Kernfamilie. Diese Form der Familie entspricht dem modernen oder bürgerlichen Familienmodell. Im 20. Jahrhundert hat diese Form eine grosse kulturelle Dominanz erfahren und wird häufig auch als Normalfamilie bezeichnet. Leben in einer Familie – neben den zwei Generationen – noch weitere Generationen, so wird diese als Mehrgenerationenfamilie bezeichnet (Böhnisch 2002). Die Familie ist der erste und in der Zeit von der frühen Kindheit bis weit in die Schulzeit hinein auch der wichtigste Ort der Bildung von Kindern (BFSFJ 2002). In der Familie als primäre Sozialisationsinstanz erwerben Kinder den primären Habitus, der ihr Verhalten, ihre Einstellungen, ihre Denkmuster und Handlungsweisen massgeblich prägt (Bourdieu 1991). Oder anders gesagt: Im familialen Sozialisationsprozess sammeln die Kinder im Umgang mit soziomateriellen Umwelt vielfältige beabsichtigte und unbeabsichtigte Lernerfahrungen (Schneewind 2000). Die Erziehung in der Familie geschieht dabei als absichtsvolle und zielgerichtete Handlungen, die in der Regel von den Eltern oder von weiteren Personen in der Familie geäussert werden, um beim Kind das Lernen von wünschenswerten Erfahrungs- und Verhaltensmuster zu bewirken (Brezinka 1989; Schneewind 2000). Die Erziehung wird somit als ein beabsichtigter Teil von Sozialisation verstanden (Hurrelmann 2006; Schneewind 2000; Schneewind 2008). Als Hauptaufgaben der familialen Akteure bezeichnet Schneewind (2008) die Pflege, Beziehung, Erziehung und die Bildung – vornehmlich durch die Eltern. In diesem Sinne sind die Eltern auch als primäre Sozialisationsinstanz für die Bildung ihrer Kinder zuständig: Einerseits im direkten Umgang mit den Kindern und andererseits indirekt in Form von Kooperation mit den sekundären Sozialisationsinstanzen wie Kindergarten und Schule (Gauvain & Perez 2007; Textor 2006). Nicht zu vernachlässigen bleibt bezüglich des Erziehungs- und Sozialisationsprozesses, dass nicht nur die Eltern, sondern auch die Kinder das familiale Interaktionsgeschehen beeinflussen (Kuczynski 2003; Kuczynski & Parkin 2007). In der familialen Sozialisation werden somit wichtige Weichen gestellt, wie und in welcher Weise die Kinder anschlussfähig sind an andere Sozialisationsinstanzen, insbesondere an die Schule. Diese hat im modernen Wohlfahrtstaat der Familie „die sekundäre Funktion der verwertungsgerichteten Formung des Humanvermögens“ übernommen (Böhnisch 2002, p. 284). Strukturmerkmale der Familie und Schulerfolg Die Nutzung der sekundären Sozialisationsinstanz Schule durch die Kinder, wie sie darin zurecht kommen, in welcher Weise sie von ihr profitieren, wird nach Bourdieu (1983) in einem relevanten Umfang von dem in der Familie er-
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worbenen Habitus beeinflusst und hängt vom vorhandenen und verfügbaren sozialen, kulturellen und ökonomischen Kapital der Familie ab. Der Einfluss des familialen Kapitals bzw. der sozialen Herkunft auf die schulischen Leistungen konnte in vielen Untersuchungen nachgewiesen werden (vgl. z.B. Coradi Vellacott 2007; Coradi Vellacott & Wolter 2002; OECD 2005; Zahner et al. 2002). Coradi Vellacott (2007) untersuchte z.B. im Rahmen der PISA Studie den Einfluss der sozialen Herkunft auf die schulischen Leistungen am Ende der obligatorischen Schulzeit. Dabei stellte sich heraus, dass die Lesekompetenz von Jugendlichen, deren Väter bzw. Mütter einen höheren Berufsstatus besitzen, besser ist als die Kompetenz der Jugendlichen, deren Eltern weiter unten auf der Berufsskala eingeordnet werden. Für die Schweiz ist der Zusammenhang zwischen Familie und Bildungserfolg von Kindern von besonderer Relevanz, da hier Familien mit tiefem sozioökonomischem Status „bildungsferner“ sind als in anderen PISA-Vergleichsländern (Coradi Vellacott et al. 2003). Weniger eindeutig ist die Lage bezüglich weiterer familialer Strukturmerkmale wie Familientypen bzw. -formen und Schulerfolg. So zeigen die Daten von PISA 2000 für Deutschland keine Bestätigung des Vorurteils, dass Scheidungskinder benachteiligt sind (Geissler 2006; Tillmann & Meier 2001). Kinder von Alleinerziehenden erbringen die gleiche Leistung wie Kinder aus „vollständigen Familien“, wenn Schulform und Sozialschicht kontrolliert werden. Auch in der Schweiz manifestieren sich bei PISA 2000 keine Leistungsunterschiede zwischen Kindern aus klassischen Familien und Ein-Eltern-Familien (Coradi Vellacott & Wolter 2002). Das Gleiche gilt auch für eine unterschiedliche Anzahl an Geschwistern. Tietze et al. (2005a) konnten durchaus Effekte von Merkmalen wie Anzahl Kinder im Haushalt, Erwerbstätigkeit der Mutter, Haushaltseinkommen oder Anzahl Personen pro Zimmer auf die kindliche Entwicklung im Kindergarten- und frühen Schulalter nachweisen. Ein zentrales Anliegen der ganztägigen Bildung und Betreuung ist die Einlösung der Forderung nach mehr Bildungsgerechtigkeit für alle – unabhängig der jeweiligen sozialen Herkunft. Man erhofft sich durch eine ganztägige Bildung und Betreuung eine kompensatorische Wirkung in Bezug auf die Vermittlung von kulturellem und sozialem Kapital. Untersuchungen im Bereich schichtspezifischer Ungleichheiten bei „traditionellen Schulen“ stellen übereinstimmend fest, dass trotz der erhöhten Bildungsbeteiligung von Kindern fast aller Schichten (durch die Bildungsexpansion) herkunftsspezifische Ungleichheitsmuster fortbestehen (Böttcher 1991; Hansen & Rolff 1990; Köhler 1992; Meulemann 1992; Rodax 1995). Obwohl die Bildungsexpansion die Bildungschancen für alle erheblich erhöht hat, ist es nur bei den mittleren Abschlüssen zu einem Abbau der Chancenunterschiede zwischen den Schichten gekommen. Die erste World Vision Kinderstudie zeigt auf wie massgeblich die soziale Herkunft den Alltag
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von Kindern prägt und wie nachhaltig wirksam soziale Unterschiede bereits im Kindesalter sind. Schlechtere Startbedingungen aufgrund der sozialen Herkunft bei Kindern durchziehen alle Lebensbereiche und wirken wie ein Teufelskreis. Armutsrisiken und fehlende Ressourcen werden als Belastungen erlebt und schränken Teilhabemöglichkeiten ein: in der Familie, die durch materiellen Druck und existenzielle Sorgen häufig überfordert ist, in der Schule, in der meist die Zeit und die Möglichkeiten für eine individuelle Förderung zum Ausgleich von Nachteilen fehlt, sowie im Wohnumfeld oder bei der Freizeitgestaltung. (Hurrelmann & Andresen 2007, p. 1)
Ungleichheiten aufgrund der sozialen Herkunft zeigen sich auch bei der Wahl des Bildungsangebots und prägen verschiedene Selektionsentscheide im Bildungsverlauf. Während sozial schwache Familien ihre Kinder auch bei guten Leistungen und entsprechenden Lehrerempfehlungen häufig nicht auf ein Gymnasium schicken, verhalten sich Eltern mit hohem sozioökonomischem Status genau umgekehrt; selbst wenn ihre Kinder mässige Leistungen erzielen und oft entgegen der Lehrerempfehlung ziehen sie weiterführende Bildungseinrichtungen vor (Ditton 2004; Ditton et al. 2005). Ungleichheiten bestehen aber nicht nur bei der Wahl des Bildungsangebots, sie zeigen sich auch bei der Wahl des Wohnortes. Coradi Vellacott (2007) hat sozial-räumliche Disparitäten als Ursachen für schulische Benachteiligungen untersucht und dabei folgendes festgestellt: Eltern mit sozioökonomisch hohem Status können wählen, wo sie wohnen möchten, während sozioökonomisch benachteiligten Familien der Zugang zu bestimmten Quartieren oder Gemeinden verwehrt bleibt. Personen, die ihren Wohnort wählen können, wählen diesen nach ganz bestimmten Kriterien. So achten sie darauf, dass ihre Kinder mit Peers „aus gutem Hause“ in die Schule gehen können und dass diese von gut qualifizierten Lehrpersonen in einem gut ausgestatteten Schulhaus unterrichtet werden. Ein guter Indikator für diese Kriterien ist die Steuerbelastung einer Gemeinde. Die einseitige Einschränkung der Wohnungswahl führt dazu, dass in bestimmten Schulhäusern besonders viel sozial benachteiligte und fremdsprachige Kinder und Jugendliche unterrichtet werden und in anderen wiederum sehr wenige. Die Konzentration von Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien in gewissen Schulhäusern wirkt sich wiederum negativ auf genau diese Kinder aus. Somit können diese Kinder und Jugendlichen dreimal im Nachteil stehen: “[…] indem ihre familiäre Lebenswelt keine optimale Voraussetzung für den Schulerfolg ist, indem sie unter Kumulationen von ebenfalls fremdsprachigen Jugendlichen in ihrem Schulhaus leiden und indem sie Schulen besuchen, die von den Gemeinden in ihrem Einzugsgebiet weniger finanzielle Mittel für die Ausstattung (z.B. mit Computern) erhalten“ (ebd., p.180).
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Familiale Prozess- und Orientierungsmerkmale und Schulerfolg Pädagogisch-psychologische Studien konnten die Relevanz von Prozessmerkmalen des Elternverhaltens für den Schulerfolg ihrer Kinder nachweisen (z.B. Pekrun 2001; Wild & Hofer 2002; Zimmermann & Spranger 2001). So weisen Helmke und Weinert (1997b) daraufhin, dass die Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Schulleistung auf Unterschiede in schulleistungsrelevanten Merkmalen des elterlichen Verhaltens zurückzuführen sind. Sie konnten aufzeigen, dass sich bis zu zwei Drittel der interindividuellen Varianz der schulischen Lernleistung durch familial bedingte Schülervariablen aufklären lassen. Dies sind z.B. Bereitstellung einer stimulierenden Umgebung mit Instruktion der Eltern zum Erwerb von Wissen, Gewähren von Autonomie, Modellverhalten und Motivierung. Schulische Merkmale hingegen klären lediglich einen Drittel der Leistungsvarianz auf. Basierend auf einer Analyse des theoretischen und empirischen Forschungsstands unterscheiden Helmke und Weinert (1997b) vier relevante Funktionen des Elternverhaltens in Bezug auf die Schulleistung ihres Kindes: „Stimulation“, „Instruktion“, „Motivation“ und „Imitation“. Parke und Buriel (2006) erwähnen im Weiteren, den indirekten Einfluss der Eltern als „Arrangeure kindlicher Entwicklungsgelegenheiten“, was im Zusammenhang mit Bildung an unterschiedlichen Orten von besonderer Bedeutung ist. Auf diese verschiedenen Funktionen wird im Folgenden detaillierter eingegangen: Unter „Stimulation“ wird der kognitive Anregungsgehalt der familialen Lernumwelt verstanden, welcher für die Entwicklung der Intelligenz eine wichtige Rolle spielt. Die Eltern sind dabei Interaktions- und Beziehungspartner (Schneewind 2008). Stimuliert wird das Kind durch gemeinsame familiale Aktivitäten, Vorlesen oder Frage-Antwort-Spiele. Investitionen in kulturell oder sozial bedeutsame Güter und Aktivitäten schlagen sich auf die unmittelbare Lernumwelt des Kindes nieder. Hier können Unterschiede zwischen der sozialen Herkunft der Familien festgestellt werden (Coradi Vellacott & Wolter 2002). Bildungsressourcen wie Internetanschluss, ein ruhiger Platz zum Lernen oder Zugang zu einem Wörterbuch sind für die Leistungen in allen getesteten Disziplinen von PISA relevant. Der Besitz von Büchern, Kulturgütern und Bildungsressourcen wird denn auch als Indikator von Bildungsnähe betrachtet (Coradi Vellacott 2007; Coradi Vellacott & Wolter 2002). Der Zusammenhang von Bildungsnähe bzw. Bildungsferne der Eltern und Schulerfolg der Kinder ist wissenschaftlich nachgewiesen (Rhyn 2001). Unter „Instruktion“ sind elterliche instruktionale Aktivitäten zu verstehen, welche alle unmittelbar schul- und schulleistungsbezogenen Massnahmen und direkten Investitionen umfassen, die direkt auf eine kognitive Förderung hinwirken. Dabei geschieht die Förderung durch Unterweisung, Korrektur, Unter-
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richt oder Training. Die elterlichen Erziehungs- und Bildungskompetenzen werden oft als Kerngeschäft des elterlichen Umgangs mit ihrem Kind betrachtet. Die pädagogische und die pädagogisch-psychologische Forschung beschäftigen sich u.a. mit dem Erziehungsstil bzw. Erziehungsverhalten der Eltern und dessen Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder. Eine Vielzahl an Untersuchungen konnte aufzeigen, dass ein autoritativer Erziehungsstil die kindliche Entwicklung in vielerlei Hinsicht positiv beeinflusst (Fuhrer 2005). Die Forschergruppe um Laurence Steinberg konnte in mehreren Studien einen positiven Effekt des autoritativen Erziehungsstils auf die Persönlichkeit und die Schulleistungen von Jugendlichen nachweisen. Ebenso konnten Steinberg und Mitarbeiter einen negativen Effekt des autoritären Erziehungsstils auf die Persönlichkeit belegen (Gray & Steinberg 1999; Lamborn et al. 1991; Steinberg et al. 1994; Steinberg et al. 1991). Die Ergebnisse der Forschung im Bereich elterlichen Erziehungsverhaltens bzw. Erziehungsstils werden von Papastefanou und Hofer (2002) wie folgt zusammengefasst: Über alle Altersstufen hinweg konnten Zusammenhänge zwischen Erziehungsstilen und Variablen der kindlichen Persönlichkeit, wie Selbstkonzept, Moralentwicklung, Aggression, soziale Kompetenz, Attributionsmuster, Übernahme von Verantwortung, gefunden werden. Die Ergebnisse weisen dabei durchwegs auf eine Überlegenheit autoritativen Verhaltens der Eltern hin. (Papastefanou & Hofer 2002, p.185)
Zu den direkten Interventionen der Eltern gehört auch die Unterstützung bei den Hausaufgaben (Helmke & Weinert 1997b). Nicht alle Formen der Hausaufgabenunterstützung sind jedoch gleich günstig: Während prozessorientierte Unterstützung (Hilfestellung zum Selbstlernen, Lernstrategien) effizient ist, erweist sich das ledigliche Kontrollieren, dass die Hausaufgaben erledigt sind, im Hinblick auf die Schulleistungen als wirkungslos oder sogar kontraproduktiv (Helmke et al. 1991). Verschiedene Studien haben gezeigt, dass eine qualifizierte pädagogische Betreuung der Hausaufgaben entscheidend ist, damit diese einen Einfluss auf die Schulleistungen zeigen. Ergebnisse aus der sächsischen Ganztagsschulforschung belegen, dass Schülerinnen und Schüler aus Ganztagsschulen signifikant weniger Hausaufgaben zu Hause erledigen müssen, als solche, die Halbtagsschulen besuchen (Gängler 2008). Müssen die Hausaufgaben zu Hause bewältigt werden, entsteht eine Benachteiligung der einkommensschwachen Familien, da diese weniger Geld für Hausaufgabenbetreuung zur Verfügung haben. Ganztagsschulen mit einem alternativen und kostenlosen Angebot können somit einen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit leisten (Morgenstern 2008). Dass Kinder mit günstigem familialem Hintergrund mehr und effizientere elterliche Unterstützung bei der Hausaufgabenerledigung erhalten als Kinder aus
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weniger günstigen Familienverhältnissen, wurde in einer Schweizer Studie (Niggli et al. 2007) nachgewiesen. Als dritte Funktion nennen Helmke und Weinert (1997b) die „Motivation“. Die Schulleistung von Kindern kann indirekt und mittelbar durch die Eltern beeinflusst werden, in dem sie auf motivationale, affektive und emotionale Kindermerkmale Einfluss nehmen. Nach Papastefanou (2006) sind die Zusammenhänge zwischen elterlichen Erwartungen und der kindlichen Leistung in neuerer Zeit empirisch relativ gut belegt. Dabei spielen u.a. elterliche Erwartungen und Bildungsaspirationen eine wichtige Rolle. Seit den Experimenten zur self-fulfilling-prophecy (Rosenthal & Jacobson 1971) ist bekannt und auch in umfangreichen weiteren Forschungsarbeiten im schulischen Kontext bestätigt (z.B. Eccles et al. 1997; Neuenschwander et al. 2007), dass hohe, aber erfüllbare Leistungserwartungen einen positiven Effekt auf Schülerleistungen haben. Helmke und Weinert (1997b) haben in einer umfassenden Analyse des Forschungsstandes elterliche Erwartungen und Aspirationen als Determinanten der Schulleistung identifiziert. Letztere können als eine Art Neigung oder Wert betrachtet werden, an dem die Akteure auch gegen Schwierigkeiten festhalten und sind als Teil der Kultur in das ganze System der Alltagsgestaltung und der Produktion der sozialen Wertschätzung eingebettet. Durch hohe elterliche Bildungsaspirationen erhält ein Abitur beispielsweise für ein Kind aus einer Akademikerfamilie einen viel höheren Wert als für ein Arbeiterkind (Esser 2000). Auch in der Schweizer Studie von Neuenschwander et al. (2005) war der hohe Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit und den Erwartungen, welche Eltern an den Bildungsabschluss haben, eines der auffälligsten Resultate. Die Elternmerkmale (Erwartungen, Attributionen) erklärten zudem einerseits die Ausprägung der Volition, der Motivation und des Fähigkeitsselbstkonzepts ihrer Kinder und trugen andererseits in beachtlichem Ausmass zur Varianzaufklärung der Leistungsunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern bei (ebd.). Als vierte Funktion gilt die „Imitation“. Eltern repräsentieren wichtige Modelle für ihre Kinder (Bandura 1986) und werden dementsprechend von ihnen imitiert. Nachgeahmt werden so genannte „parental beliefs“ so z. B. leistungsbezogene Einstellungen, Erklärungsvorstellungen (Attribuierung guter und schlechter Schulleistungen), Strategien der Bewältigung von Misserfolgen sowie Leistungsängstlichkeit, Arbeitshaltungen oder Lernstrategien (Helmke & Weinert 1997b). Parke und Buriel (2006) nennen neben dem direkten Einfluss der Eltern auf die Entwicklung der Kinder auch deren indirekten Einfluss. In diesem Zusammenhang bezeichnen sie die Eltern als „Arrangeure kindlicher Entwicklungsgelegenheiten“. Dies besagt, dass sie nicht nur im familialen, sondern auch im ausserfamilialen Kontext Umweltbedingungen schaffen, die ihre Kinder
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dazu anregen, ihren Lern- und Erfahrungshorizont zu erweitern und zwar zum Teil auch ohne die Präsenz bzw. das unmittelbare Eingreifen der Eltern. Dies ist insbesondere der Fall bei der Wahl einer ganztägigen Bildungs- und Betreuungsinstitution (NICHD Early Child Care Research Network 2006a; Rossbach 2005) oder bei der Schulwahl (Furstenberg et al. 1999). Nicht zuletzt üben die Eltern auch einen mehr oder weniger subtilen Einfluss auf die Wahl der Freunde und somit auf die „Peergroup-Beziehungen“ ihrer Kinder. Dabei spielt das Netzwerk der Eltern eine wichtige Rolle (Schneewind et al. 1983; Uhlendorff 1996). Schneewind nennt das „Monitoring“ der Eltern bezüglich ihrer Kinder, also wo sie sich befinden und was sie tun, als wichtigen Einflussfaktor für die Qualität der Sozialbeziehung ihrer Kinder (Kerr & Stattin 2000; Waizenhoffer et al. 2004). Die insgesamt in Kapitel 4.3.1. dargestellten Befunde belegen einen Einfluss der familialen Umwelt der Kinder auf deren Bildungserfolg in unserem Bildungssystem. Hierbei erweisen sich insbesondere die Höhe des sozialen und des ökonomischen Status, aber auch die Prozess- und Orientierungsmerkmale des Elternverhaltens als relevant.
4.3.2 Peer Group Im Vergleich zum Einfluss der Familie auf die Entwicklung der Persönlichkeit ist der Einfluss der Peers nur sekundär. Die Familie ist ab der frühen Kindheit zentral für die kindliche Entwicklung. Die Beziehungen mit den Peers oder Gleichaltrigen baut auf die familialen Erfahrungen auf. Zudem haben die Eltern – insbesondere bei jüngeren Kindern – direkten als auch indirekten Einfluss auf die Auswahl der Gleichaltrigen, mit denen ihre Kinder Kontakt haben sowie darauf, wie sie mit Problemen oder Konflikten umgehen. Die direkte Einwirkung manifestiert sich z.B. durch Unterstützung der Eltern bei der Kontaktaufnahme. Auf indirekte Weise beeinflussen die Eltern ihr Kind z.B. als Folge der Bildungsqualität oder durch Ratschläge (von Salisch 2000). Trotzdem kann man aufgrund des Forschungsstandes davon ausgehen, dass die Beziehungen zu den Peers einen besonderen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen haben. Dieser Beitrag kann nicht durch die Eltern oder Personen in Bildungsinstitutionen ersetzt werden. Denn ebenbürtige Personen, wie die Peers oder Gleichaltrigen es sind, fordern einander auf eine andere Art und Weise heraus als Erwachsene und insbesondere Erziehungsberechtigte (Youniss 1980). Es stellt sich die Frage, welchen Einfluss die Erfahrungen mit den Gleichaltrigen auf die Persönlichkeitsentwicklung, die kognitive Entwicklung und den Schulerfolg der Kinder und Jugendlichen und somit auch indirekt auf die
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Bildung haben. Die Kindheitsforschung betont vor allem die entwicklungsstimulierende Kraft der Auseinandersetzungen unter Peers. So betont Youniss (1994), dass der Austausch unter Peers die Entwicklung der Fähigkeit zur reziproken Perspektivenübernahme ermöglicht. Laut Krappmann (2001) bietet die Auseinandersetzung mit den Peers, aufgrund deren Anerkennungsstruktur, Potentiale, welche die Moralentwicklung beeinflussen. Die sozialen Fähigkeiten der Heranwachsenden werden zudem durch das Lernen über soziale Netzwerke – über deren Aufbau und Aufrechterhaltung – erweitert (Grundmann et al. 2003). Die Beziehungen mit Peers erfordern im hohen Masse Kooperations-, Verhandlungsund Kritikfähigkeit. Denn anders als familiale Beziehungen beruhen diese auf Freiwilligkeit und Gleichberechtigung und können jederzeit abgebrochen werden (Hurrelmann 2004). Die Grundsteine für die Entwicklung von sozialen Kompetenzen und insbesondere für die Fähigkeit der Aufnahme von Beziehungen werden jedoch bereits in der familialen Sozialisation gelegt. Bezüglich Selbstkompetenz verlangen die veränderten Bedingungen die Entwicklung eines Zeit- und Terminmanagements sowie eine eigene Prioritätensetzung. Denn Kontakte mit Gleichaltrigen kommen immer weniger spontan zustande. Diese müssen von den Kindern oder auch deren Eltern geplant und abgemacht werden, was von den Kindern Kompetenzen bezüglich der Selbstorganisation bedarf (du Bois-Reymond et al. 1994; Preuss-Lausitz 1999). Im Weiteren beeinflussen Peer-Beziehungen Wohlbefinden und Selbstbild von Kindern und Jugendlichen, so dass ein funktionierendes Netzwerk eine Determinante einer aktiven und vielfältigen Freizeitgestaltung ist (Büchner 1998) (vgl. Überblick Krüger & Grunert 2008). Von Salisch (2000) stellt in ihrem Überblick fest, dass kein direkter kausaler Einfluss der Peer-Beziehungen auf die Intelligenz besteht. Aus den vorliegenden, meist querschnittlich angelegten Studien geht jedoch hervor, dass Kinder die von den Gleichaltrigen wenig akzeptiert werden, in der Regel weniger intelligent sind (Rost & Czeschlik 1994). Schulerfolg wird im Wesentlichen von Faktoren wie Vorwissen, kognitive Fähigkeiten oder Motivation bestimmt. Dennoch kann man sagen, dass Peer-Beziehungen wichtige Bedingungen in der sozialen Lernumwelt der Heranwachsenden darstellen, die auf indirektem Wege – über ihre Persönlichkeit – ihre Leistungen und den Schulerfolg beeinflussen (Heller 1995). Die Kontakte mit den Gleichaltrigen wirken sich über den Peerstatus, über Freundschaften und über die Viktimisierung (Unterdrückung) durch Peers aus. Kinder, die in der Primarschule von den Gleichaltrigen akzeptiert sind, beteiligen sich mehr am Unterricht, sind zufriedener und erbringen bessere Leistungen. Die Ablehnung durch die Peers vermindert die Motivation und die Leistungen der Schulanfänger (De Rosier et al. 1994; Ladd et al. 1997). Im Weiteren konnte festgestellt werden, dass Kinder, die in der Primarschule und weiterführenden Schulen von ihren Peers zurückgewiesen wurden, die Schul-
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leistungen gleich schwach wie vorher blieben und sich nicht weiter verschlechterten (De Rosier et al. 1994; Wentzel & Caldwell 1997). Die Ablehnung durch Peers führt zu mehr Fehlzeiten in der Schule und dadurch vielleicht auch indirekt zu schlechteren Schulnoten (De Rosier et al. 1994). Zusammenhänge zwischen Schulerfolg und Beziehungen mit Gleichaltrigen könnten allenfalls auch reziprok sein (Chen et al. 1997). Nach von Salisch (2000) gibt es nur eine Studie mit einem relativ kleinen Sample, die eine kausale Wirkung des PeerStatus auf Erfolg bzw. Misserfolg in der Schule sowie aufs Berufsleben aufzeigen kann (Bagwell et al. 1998). Nachgewiesen werden konnte der Einfluss von Peer-Beziehungen auf Verhaltensstörungen wie z.B. Aggressivität oder Hyperaktivität. Jedoch sind auch hier keine Kausalitäten belegt. Diese lassen sich jedoch folgern. Zudem bewahren eine hohe Peerakzeptanz und Freundschaften vor Einsamkeit und Depressionen (vgl. Überblick von Salisch 2000).
4.3.3 Medien Medien stellen eine besondere Art von Lernwelt dar. Sie sind weder räumlich noch zeitlich begrenzt, sind nicht von anderen Bildungsorten und Lernwelten abgrenzbar, sind immer auch Bestandteil anderer Bildungsorte und Lernwelten. Insofern bieten ihre Rezeption und ihre Produktion wichtige Bildungsgelegenheiten. Sie eröffnen Möglichkeiten der Aneignung, der Auseinandersetzung, der Geschmacksbildung und der Kommunikation zwischen Gleichaltrigen und zwischen den Generationen. (BMFSFJ 2006, p. 124f.)
Die Bildungsprozesse im Zusammenhang mit Medien finden somit vor allem in der Familie und in der Peer Group statt. Neben den klassischen Bildungs- und Sozialisationsinstanzen, bei denen ein Wissenstransfer von Alt zu Jung geschieht, tritt ein sich im Fluss befindender Medienverbund (Hengst 2003). Ab dem Schuleintritt und der wachsenden Lese- und Sprachfähigkeit nehmen die Möglichkeiten der Mediennutzung zu. So stehen den Kindern Bücher, Computer, Internet, Fernsehen u.a. zur Verfügung. Das wichtigste Medium bleibt in diesem Alter immer noch das Fernsehen. Mit zunehmendem Alter werden aber auch die Musikmedien sowie der Computer immer bedeutsamer. Letzterer wird zuerst vor allem als Spielmedium benutzt, bevor das Internet zunehmend interessanter wird (Feierabend & Klingler 2004; Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2003). Bereits im Alter von 10 bis 16 Jahren nehmen Kinder und Jugendliche ein differenziertes Angebot an Medien wie Fernsehapparat, Radio, Videogerät, DVD- und CD-Player, Computer und Handys in Anspruch. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie in diesem Alter bereits einen grossen Teil der
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Geräte selber besitzen. Der eigene Besitz der Geräte führt auch zu einer vermehrten Nutzung. Fernsehen bleibt als wichtiges Medium bestehen, dessen Relevanz nimmt jedoch zu Gunsten von Musikhören ab. Der Computer und insbesondere die Nutzung des Internets nimmt zudem vermehrt an Bedeutung zu: Zuerst als spielerische und unterhaltsame Seite bei Kindern bis etwa 12 Jahren, bevor die Informationssuche zu schulischen oder persönlichen Themen sowie die Kommunikation mit anderen immer zentraler werden (Decker & Feil 2003; Feil 2001; Feil et al. 2004; Wagner 2002). Welchen Stellenwert haben Medien für den Lernprozess der Kinder und Jugendlichen? Der Gebrauch von Medien kann alles in allem als aktives soziales Handeln bezeichnet werden, mit dem die eigenen Erfahrungen, Wertvorstellungen und Meinungen analysiert, bestätigt oder verworfen werden. Die Kinder und Jugendlichen können einerseits mit der Nutzung von Medien viel für ihre Entwicklung lernen. Andererseits setzen gewisse Heranwachsende einen grösseren Teil ihrer Lebenszeit für Medien als für die Kommunikation in der Familie und mit Peers ein. Die Präsenz und Nutzung von Medien offenbaren ein grosses Potenzial für Lernerfahrungen, die einen positiven oder auch weniger erstrebenswerten Ertrag generieren können. Einen wichtigen Einfluss hat dabei die diskursive Verarbeitung von Medienerfahrungen in der Familie und in der Peer Group. Im Umgang mit Medien können Lerneffekte und Kompetenzen in verschiedenen Bereichen erwartet werden (Theunert 2005): Der Profit, der insgesamt aus dem Umgang mit Medien gezogen werden kann, hängt mit den sozio-kulturellen Voraussetzungen der Familien der Heranwachsenden zusammen. Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder aus anregungsreichen und kulturell offenen Familien – die bezüglich Medien vielseitig interessiert sind und diese auch intensiv nutzen – auch Interesse an der Kommunikation, der Interaktion mit anderen Personen sowie an Aktivitäten ausser Haus und ausserhalb der Familie haben können. Das Medium Buch hat in der heutigen Zeit bei Kinder und Jugendlichen an Wichtigkeit verloren. Diejenigen Kinder, die jedoch nach wie vor (viel) lesen, sind den nicht-lesenden in den sprachlichen Schulfächern wie auch in der Mathematik überlegen (Barthelmes & Sander 2001; Stanat & Kunter 2003; Stürzer et al. 2003). Insgesamt kann festgestellt werden, dass die in den Familien vorhandenen sozio-kulturellen (Bildungs-)Voraussetzungen nicht identisch sind und die bereits vorhandenen Strukturen der Ungleichheit noch vergrössert werden (vgl. Überblick BMFSFJ 2006).
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4.3.4 Weitere institutionelle Bildungsorte Der wichtigste institutionelle Bildungsort in der modernen Gesellschaft ist ganz klar die Schule. Mit der allgemeinen Schulpflicht erreicht sie alle Kinder und Jugendlichen eines Jahrgangs. Um ihre Funktionen erfüllen zu können, ist sie jedoch implizit als auch explizit auf Familie, Medien, Peers und weitere Bildungsorte wie Kindertagesstätten, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Vereine oder zusätzliche ergänzende kommerzielle Schulen (Musikschulen, Hausaufgabenhilfe, Sprachschulen u.a.) angewiesen (BMFSFJ 2006). Solche non-formalen Bildungsorte stellen nach dem Nationalen Bildungsbericht von 2004 aus Deutschland strukturierte und rechtlich geregelte Institutionen dar, deren Nutzung und Inanspruchnahme freiwillig geschieht und die durch ein hohes Mass an individuellen Gestaltungsmöglichkeiten gekennzeichnet sind. Sie müssen sich nicht vorrangig und ausschliesslich als Bildungsinstanzen verstehen, sind jedoch wesentliche Vermittlungsinstanzen vor allem in Fragen der politischen, der sozialen und der Persönlichkeitsbildung. Im Unterschied zu formalen Bildungsorten sind diese weniger deutlich im Binnenhorizont der üblichen Bildungsinstitutionen situiert und sie sind dabei auch weniger auf eine dezidierte Prüfung von erworbenen Bildungsleistungen ausgerichtet. (Rauschenbach et al. 2004, p. 32ff.)
Insgesamt kann festgestellt werden, dass der Einfluss der verschiedenen ausserschulischen Orte auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen noch wenig untersucht wurde. Krüger und Rauschenbach (2006) stellen zudem fest, dass noch weniger Erkenntnisse bezüglich des Zusammenspiels von mehreren Bildungsorten und Lernwelten vorliegen. Einzig der Einfluss der Familie auf die ausserschulische Bildung ist bereits relativ gut untersucht. Man kann sagen, dass Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringen ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen sowohl schlechtere Bildungschancen in der Schule als auch weniger guten Zugang zu ausserschulischen Angeboten wie Vereinen, Jugendverbänden und Medien haben (vgl. auch Kap. 4.3.3). Die wenigen Studien, welche den Kompetenzerwerb in Mathematik, Lesen und politischer Bildung unter Berücksichtigung familialer, schulischer und ausserschulischer Determinanten untersuchten, zeigen auf, dass dieser nicht nur vom formalen Bildungsort Schule, sondern wesentlich auch von nicht-schulischen Faktoren beeinflusst wird (Krüger & Rauschenbach 2006).
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz 5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
Nachdem im vorhergehenden Kapitel (Blöcke von) Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung, im Besonderen der schulischen Leistung, aus verschiedenen Bereichen fokussiert wurden, soll nun im Folgenden der für die vorliegende Untersuchung wichtigste Block von Bedingungsfaktoren herausgegriffen werden: die Schule und insbesondere die ausserfamiliale Bildung und Betreuung. Nach einer kurzen historischen Herleitung der ganztägigen Bildung und Betreuung (Kap. 5.1) soll nachfolgend die rechtliche Situation der obligatorischen Schule sowie der ausserfamilialen Bildung und Betreuung in der Schweiz erläutert werden (Kap. 5.2). Anschliessend sollen die bestehenden Angebote für Schulkinder in der Schweiz, deren Verbreitung, Nutzung und Nachfrage dargestellt werden (Kap. 5.3), bevor auf die relevanten Settings bzw. Schulformen der vorliegenden Studie – Schule mit „traditionellem Unterricht“ und mit Blockzeitenunterricht sowie Tagesschule – vertiefend eingegangen wird (Kap. 5.4 und 5.5).
5.1 Historische Entwicklungen 5.1 Historische Entwicklungen Bis ins 19. Jahrhundert waren die öffentlichen Schulen in Europa in der Regel in ganztägiger Form organisiert (Lohmann 1965). Der Unterricht wurde in den meisten Fällen von 8 bis 12 Uhr und Nachmittag von 14 bis 16 Uhr durchgeführt. Am Mittag kehrten Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen für zwei Stunden nach Hause zurück, um gemeinsam mit der Familie das Mittagessen einzunehmen. Diese Zeitaufteilung entsprach weitgehend derjenigen in der Arbeitswelt zu jener Zeit (Ludwig 2005). Ende des 19. Jahrhunderts fanden in verschiedenen Staaten unterschiedliche Entwicklungen statt. In einigen Ländern wie England, Frankreich und in den USA wurde eine ganztägige Schulorganisation beibehalten. Vor allem in den angelsächsischen Ländern wurden die Aufgaben der Schule weiter ausgebaut. Eine moderne Ganztagsschule übernahm nun neu auch erzieherische und sozialpädagogische Aufgaben, die über den
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Unterricht hinaus gehen. Insbesondere die amerikanische Schule zielte in Richtung Schule als soziale Hilfe, Erleichterung für die Berufstätigkeit der Mütter, Anpassung an die Fünftagewoche in der Berufswelt, Verbesserung von Chancengleichheit, aber auch eine umfassende Menschenbildung, bessere Vorbereitung auf die moderne Arbeitswelt, mehr Spiel, Sport und musische Aktivitäten sowie eine Lösung des Hausaufgabenproblems (Lohmann 1965; Ludwig 1993, 2005). In Deutschland und in Österreich setzte sich die Halbtagsschule durch. Aber auch im deutschen Sprachraum wurde vor allem von Seiten der Reformpädagogik die Einführung einer Ganztagsschule postuliert, was sich jedoch im Rahmen der Volksschule nicht durchsetzen liess (Ludwig 1993). In der Schweiz wurde mit wenigen Ausnahmen die traditionelle „Ganztagschulorganisation“ beibehalten. Die Zeitorganisation sah bis vor kurzer Zeit verbreitet so aus, dass die Vor- und Nachmittagsblöcke relativ kurz gehalten wurden (insbesondere im Kindergarten und in den ersten Primarschuljahren) und die Anfangs- und Schlusszeiten täglich variierten. Für die Mittagspause kehren die Schülerinnen und Schüler auch heute in der Regel ins Elternhaus zurück. Dort wird das Mittagessen eingenommen, bevor an einzelnen Nachmittagen wiederum Unterricht stattfindet. Einzelne Nachmittage sind schulfrei für die jüngeren Kinder – der Mittwochnachmittag ist für alle Schülerinnen und Schüler schulfrei. Seit den 1970er und 1980er Jahren werden in der Deutschschweiz Forderungen nach der Einrichtung von öffentlichen Tagesschulen laut. Diese kamen in der Anfangsphase insbesondere von Frauenorganisationen, Linksparteien und alternativen Gruppierungen und hatten in Zürich, Basel und Bern zum Ziel, gesetzliche Grundlagen für die Einführung von Tagesschulen zu schaffen. Weitere Interessenvereinigungen, wie die in Zürich, Basel, Bern, Luzern und St. Gallen gegründeten Tagesschulvereine, setzten sich für die Gründung von Tagesschulen ein. Die Versuche in Luzern und St. Gallen scheiterten. 1980 erlaubten die kantonalen Behörden in Zürich hingegen, Tagesschulversuche durchzuführen. So konnten in der Stadt Zürich die beiden ersten Tagesschulen eröffnet werden: Die obligatorische, integrierte Tagesschule Feldblumen und die freiwillige, additive Tagesschule Nordstrasse13. In den 1980er Jahren wurden schliesslich einige wenige Tagesschulversuche in Bern, Basel und Zürich geschaffen. Ab den 1990er Jahren veränderten sich die politischen Positionen in der Tagesschuldebatte. Nach und nach postulierten nun auch bildungspolitische Koordinationsgremien, grosse bürgerliche Parteien, Wirtschaftsverbände, Arbeitgeberverbände u.a. den Aufbau von familien- und schulergänzenden Bildungsund Betreuungsangeboten. So forderte die Eidgenössische Erziehungs13
Terminologie in der Stadt Zürich bis heute: „Tagesschule“ für eine obligatorische, integrierte Tagesschule, „Schülerclub“ für eine freiwillige, additive Tagesschule
5.1 Historische Entwicklungen
81
direktorenkonferenz (EDK) 1992 nebst familienergänzenden Betreuungsmassnahmen auch die Schaffung von Tagesschulen (Mangold & Messerli 2005). In den letzten Jahren hat die Anzahl an Tagesschulen in der Schweiz nach einer anfänglichen Stagnation in den 1980er Jahren doch stark zugenommen (81 Tagesschulen in der Deutschschweiz, Verein Tagesschulen Schweiz 2007)14. Gleichzeitig wurde in den 1990er Jahren in der Deutschschweiz eine Debatte bezüglich einer flächendeckenden und umfassenden Einführung von Blockzeiten insbesondere in Kindergarten und Primarschule lanciert. Darunter wird eine Zeitstruktur verstanden, bei der alle Kinder an fünf Vormittagen wenigstens zu dreieinhalb Stunden (bzw. während vier Lektionen) unter der Obhut der Schule stehen und zusätzlich an einem bis vier Nachmittagen Unterricht erhalten (EDK 2005). Die Schule soll mit einer klaren Gestaltung der Zeitstrukturen durch Blockzeiten einerseits einen Beitrag an die Vereinfachung der familialen Kinderbetreuung leisten und andererseits die Organisation von ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten vereinfachen. Damit sollen bessere Chancen für eine schweizweite Umsetzung eines (bedarfsgerechten) flächendeckenden Ausbaus von Tagesstrukturen bzw. Tagesschulen entstehen (ebd.). In den letzten Jahren wurde nun in einigen Deutschschweizer Kantonen die flächendeckende Einführung von Blockzeiten beschlossen oder gar schon umgesetzt. Sowohl die Befürworter von Tagesschulen als auch diejenigen von Blockzeiten profitierten wohl von einem gewissen Einstellungswandel im letzten Jahrzehnt. Auch von der Schule wird in den letzten Jahren immer mehr gefordert, dass sie sich der veränderten gesellschaftlichen und insbesondere familialen Situation anpassen soll (vgl. Kap. 2). Die Schule kann nicht auf das Familienkind warten das schulkompatibel ist, sondern muss allenfalls künftig schulisch die Voraussetzungen schaffen, damit die Schülerinnen und Schüler den Bildungsund Unterrichtsprozessen in der Schule entsprechen können (Helsper & Hummrich 2008). In den letzten Jahren wurden in verschiedenen Gemeinden und Kantonen Bedarfsklärungen vorgenommen, die eine grosse Nachfrage an Bildungs- und Betreuungsangeboten nachweisen konnten (Eidgenössische Kommission für Familienfragen 2004; OECD 2001b; Stern et al. 2006). So zeigen die Ergebnisse von Stern, Banfi und Tassinari (2006) für den Vorschulbereich auf, dass im Vergleich zu den geschätzten Nachfragepotenzialen Bildungs- und Betreuungsangebote für rund 120'000 Kinder bzw. rund 50'000 Betreuungsplätze fehlen. Mit dem bestehenden Angebot von rund 30'000 Betreuungsplätzen im Vorschulbereich, auf denen in etwa 50'000 Kinder betreut werden, sind erst knapp 40 Prozent der geschätzten Nachfragepotenziale gedeckt. 14
Dies entspricht einer Selbstdeklaration der Schule als Tagesschule und keiner Definition durch den Verein Tagesschulen Schweiz.
82
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
5.2 Rechtliche Grundlagen 5.2 Rechtliche Grundlagen Die bereits verschiedentlich angesprochene begriffliche Vielfalt bezüglich der ausserfamilialen Bildung und Betreuung zieht sich auch in den rechtlichen Bereich hinein. Sowohl in der Bundesgesetzgebung als auch in interkantonalen Rechtstexten wird der Begriff „Betreuung“ verwendet. Meist wird dem Begriff „Betreuung“ für den Früh- und Vorschulbereich – damit wird der Altersabschnitt von 0 bis 6 Jahren vor Schuleintritt bezeichnet – „familienergänzend“ vorangestellt. Wohingegen die Betreuung im Schulalter oft mit „schulergänzende Betreuung“ benennt wird. In einer gemeinsamen Erklärung von März 2008 von EDK und SODK wird neu von „familienergänzender Kinderbetreuung“ im Sinne des HarmoS-Konkordats sowohl für Angebote im Frühbereich (0 bis 4 Jahren) als auch für Angebote während der obligatorischen Schule gesprochen. Die familienergänzende Betreuung soll in so genannten Tagesstrukturen stattfinden. Darunter wird die Gesamtheit an bedarfsgerechten Betreuungsangeboten für Kinder und Jugendliche ab Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schule ausserhalb der Familie verstanden (EDK & SODK 2008). In den einzelnen Kantonen wiederum findet man weitere Begriffe wie „familienergänzende Tagesbetreuung“ im Kanton Basel-Stadt (Tagesbetreuungsgesetz 2003) – wobei die Angebote schulergänzend und schulintegriert aufgebaut sein können – oder „Tagesschulangebote“ im Volksschulgesetz des Kantons Bern (1992, revidierte Fassung vom 1.8.2008). Mit den durchwegs verwendeten Begriffen „Betreuung“ oder „unter der Obhut“ 15 wird nur die „kustodiale“ jedoch nicht die „bildende Funktion“ des Angebots akzentuiert. Deshalb wird, wie in Kapitel 1 ausgeführt, in der vorliegenden Publikation der Begriff „Bildung und Betreuung“ vorgezogen, der zusätzlich einen Bildungsanspruch der Angebote hervorhebt. Analysiert man die dem Begriff „Betreuung“ vorangestellten Ausdrücke „schulergänzend“ und „familienergänzend“, so stellt man fest, dass diese jeweils von einem Manko der Schule bzw. der Familie ausgehen, das durch das Angebot „ergänzt“ werden soll. Diese Ausdrücke sind nicht „neutral“ und gehen nicht von einer selbstverständlichen Notwendigkeit bzw. Daseinsberechtigung von ausserfamilialer bzw. ganztägiger Bildung und Betreuung aus. Die folgenden Ausführungen stützen sich weitgehend auf diejenigen Begrifflichkeiten, die in den jeweils vorgestellten Rechtsgrundlagen verwendet werden. Damit wird nebenbei ein Einblick in die heterogene Verwendung der Begrifflichkeiten gegeben. Es wird unterschieden zwischen rechtlichen Grund-
15
in Berichten der EDK
5.2 Rechtliche Grundlagen
83
lagen des Unterrichts im Rahmen der obligatorischen Schule (Kap. 5.2.1) sowie der ausserfamilialen Bildung und Betreuung (Kap. 5.2.2).
5.2.1 Obligatorische Schule Nach der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) sind die Kantone für das Schulwesen zuständig (BV 1999, Art. 62). Sie sorgen für einen ausreichenden Grundschulunterricht. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch und unentgeltlich und steht unter staatlicher Leitung oder Aufsicht. Mit der revidierten Bundesverfassung von 2006 sind die Kantone in den Bildungsbestimmungen zur Koordination verpflichtet. Das heisst, wenn die Kantone in den Bereichen Schuleintrittsalter, Schulpflicht, Dauer und Ziele der Bildungsstufen und deren Übergänge sowie bezüglich Anerkennung der Abschlüsse keine Einigung erzielen, erlässt der Bund die notwendigen Vorschriften. Die rechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit der Kantone bildet das Konkordat über die Schulkoordination (Schulkonkordat) von 1970. Erneuert und erweitert wird dieses Schulkonkordat nun durch die neue Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS-Konkordat). Momentan finden in den Kantonen die Ratifizierungsprozesse statt, die je nach Kanton durch die Zustimmung zum Konkordatsbeitritt durch das kantonale Parlament oder durch das Stimmvolk erfolgen (EDK 2007b). In Kraft gesetzt ist das Konkordat auf 1. August 2009 nach dem zehn Kantone beigetreten sind. Es gilt nun für diejenigen Kantone, welche dem Konkordat beigetreten sind (EDK 2009). Aufgrund der kantonalen Souveränität im Bereich des Bildungswesens regeln die Kantone die obligatorische Schule in kantonalen Gesetzen und Bestimmungen (EDK 2007a). So sind Lehrpläne u.a. in der Zuständigkeit der Kantone. Geplant ist im Rahmen des HarmoS-Konkordats eine Harmonisierung der Lehrpläne und eine Koordination der Lehrmittel auf sprachregionaler Ebene, die sich an den nationalen EDK-Bildungsstandards ausrichten sollen (2007, Art. 8). Dies trifft auch für den so genannten Blockzeitenunterricht zu. Nach wie vor haben nicht alle Kantone der Schweiz den flächendeckenden Unterricht in Kindergarten und Primarschule in Blockzeiten gesetzlich verankert. Bereits gesetzlich geregelt für Kindergarten und Primarschule ist der Unterricht in Blockzeiten in den Kantonen Bern, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Luzern, Schwyz, Solothurn, St. Gallen, Zug und Zürich (Stand 2008) (VSG des Kantons Bern 1992; vgl. z.B VSG des Kantons Zürich 2005). In den meisten anderen Kantonen ist jedoch die Einführung von Blockzeiten auf freiwilliger Basis möglich und ist bereits in einzelnen Gemeinden geplant und umgesetzt. Die Umsetzung der Blockzeiten beschränkt sich bis auf wenige Kantone auf den Kinder-
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5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
garten und die Primarschule, da auf der Sekundarstufe I sich das Problem der zerstückelten und kurzen Unterrichtsblöcke nicht im gleichen Ausmass zeigt wie in den ersten Jahrgangstufen. Auch im Rahmen des HarmoS-Konkordats ist festgehalten, dass der Unterricht auf der Primarstufe vorzugsweise in Blockzeiten organisiert werden soll (EDK 2007b).
5.2.2 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung Familienergänzende Kinderbetreuung wird auf Bundesebene auf der Grundlage des Artikels 316 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) in der Verordnung über die Aufnahme von Kindern zur Pflege und zur Adoption (PAVO) geregelt. Die sich in Revision befindende Verordnung hält in einer sehr allgemeinen Form fest, ab wann eine behördliche Bewilligung eingeholt werden muss. Eine solche ist obligatorisch, wenn mehrere Kinder unter zwölf Jahren gegen Bezahlung regelmässig tagsüber zur Betreuung aufgenommen werden. Zuständig für die Erteilung der Bewilligung und Aufsicht ist die Vormundschaftsbehörde oder eine andere vom Kanton bezeichnete Stelle (PAVO 2008, Art. 1-11). Für die Aufnahme von Kindern bei Tagesfamilien besteht eine Meldepflicht (ebd., Art. 12). Kindertagesstätten und Kinderhorte sind bewilligungspflichtig (ebd., Art. 13). Die Kantone sind befugt, weitere Bestimmungen zum Schutz von Unmündigen, die ausserhalb des Elternhauses aufwachsen zu erlassen (EDK 2007c). Verschiedene Kantone besitzen Bestimmungen, die das Pflegekinderwesen bzw. die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung zusätzlich regeln. Andere Kantone beziehen sich ausschliesslich auf die Bundesverordnung über die Aufnahme von Kindern zur Pflege und zur Adoption (PAVO). Diese gesetzlichen Bestimmungen auf kantonaler Ebene findet man traditionellerweise in den Sozialhilfegesetzen, so z.B. im Sozialhilfegesetz des Kantons Bern (SHG 2001) oder dem Sozialhilfe- und Präventionsgesetz des Kantons Aargau (SPG 2001). Für die ausserfamiliale Bildung und Betreuung im Schulalter findet seit wenigen Jahren die Entwicklung statt, dass in den Kantonen die Zuständigkeiten von der Sozialdirektion an die Erziehungsdirektionen übergeben werden. So bestehen in wenigen Kantonen bereits gesetzliche Verankerungen zu ganztägiger Bildung und Betreuung bzw. Tagesstrukturen in den kantonalen Volksschulgesetzen. Im Kanton Bern trat beispielsweise auf Schuljahr 2008/09 das revidierte Volksschulgesetz in Kraft, welches „Tagesschulangebote“ zur Pflicht macht – sofern sich mindestens die Eltern von zehn Kindern pro Tagesschulmodul dafür interessieren (VSG Kanton Bern 1992). Im Kanton Zürich verpflichtet das neue Volksschulgesetz seit 2005 die Gemeinden zum Bereitstellen einer „bedarfs-
5.2 Rechtliche Grundlagen
85
gerechten ausserschulischen Betreuung“ auf der Grundlage von Blockzeiten (VGS Kanton Zürich 2005). In Basel-Stadt sind die Grundlagen im Tagesbetreuungsgesetz (2003) und in der Tagesbetreuungsverordnung (2007) festgehalten. Zuständig ist auch in diesem Fall das Erziehungsdepartement. Als nächster Schritt ist hier auf 2010 eine Aufnahme in das Schulgesetz geplant. Im Rahmen des HarmoS-Konkordats sollen alle beitretenden Kantone im Minimum zu einem „bedarfsgerechten Betreuungsangebot in Form von freiwilligen Tagesstrukturen“ verpflichtet werden (HarmoS-Konkordat 2007, Art. 11). Das Angebot soll angepasst an den Bedarf und die Situation vor Ort sein. Das HarmoSKonkordat gibt nicht ein "nationales Modell" vor. Es liefert vielmehr Eckdaten, für deren Umsetzung die Kantone zuständig sind. Für die ausserfamiliale Bildung und Betreuung gibt es keine gesetzlich festgelegten Curricula oder Bildungspläne. Einzelne Einrichtungen und Verbände erstellen Leitbilder und Richtlinien für die Mitgliedseinrichtungen, deren Einhaltung sich die Mitgliedsbetriebe verpflichten. So verfassten z.B. der Verband Kindertagesstätten der Schweiz (KiTaS 2008) und der Schweizer Verband für Tagesfamilienorganisationen (SVT 2008) solche Qualitätsrichtlinien. Der Verein Tagesschulen Schweiz, seit April 2009 Bildung + Betreuung, Schweizerischer Verband für schulische Tagesbetreuung (VTS 2007b) wiederum hat unverbindliche Qualitätsmerkmale von Tagesschulen formuliert. Für den Frühbereich wird momentan in der Schweiz die Einführung von Bildungsplänen diskutiert. Die Debatte bezüglich pädagogischer Qualität von Bildungs- und Betreuungsangeboten im Schulalter und bezüglich entsprechender Richtlinien ist erst angelaufen. Seit 2003 (befristet bis 2011) ist das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung (2003) in Kraft. Es handelt sich um ein auf acht Jahre befristetes Impulsprogramm, demnach der Bund befugt ist, neu eröffnete Kindertagesstätten, Strukturen für die Koordination der Betreuung in Tagesfamilien sowie schulergänzende öffentliche Betreuungsangebote wie Tagesschulen, Kinderhorte oder Mittagstische während höchstens zwei bis drei Jahren finanziell zu unterstützen. Die Unterstützung soll dabei höchstens einen Drittel der Kosten decken. Die Finanzierung des Bundes ist eine Ergänzung anderer Finanzquellen der öffentlichen Hand, namentlich der Kantone und Gemeinden sowie Dritter.
86
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote für Schulkinder, deren Verbreitung, Nutzung und Nachfrage 5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote Im Folgenden werden die verschiedenen ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebotsformen für Schulkinder inklusive der Unterricht in Form von Blockzeiten in der Schweiz im Überblick dargestellt, bevor auf deren Verbreitung und Nutzung sowie deren Nachfrage eingegangen wird.
5.3.1 Verschiedene Angebotsformen In der Schweiz findet man ein im Aufbau begriffenes differenziertes Angebot unterschiedlicher Bildungs- und Betreuungsformen in der Institution Kindergarten und Schule oder auch ergänzend dazu, welches verbreitet unter dem Begriff „Tagestrukturen“ subsumiert werden kann (EDK 2005). Mit dem Begriff „Tagesstrukturen“ wird die Kombination aus Unterricht einerseits und Bildungsund Betreuungsangeboten andererseits für Kinder im Kindergarten- und Schulalter bezeichnet (Schüpbach et al. 2009). Dabei können die Angebote sowohl vom Kindergarten und von der Schule selbst als auch von weiteren Institutionen durchgeführt werden. Diese können somit mit unterschiedlichen Massnahmen realisiert werden: Mit Hilfe von Tagesschulen oder aber mit Hilfe von Blockzeiten und verschiedenen Bildungs- und Betreuungsangeboten. Blockzeiten Die Unterrichtsorganisation von Kindergarten und Primarschulunterstufe wurde in einem Grossteil der Kantone bislang als alternierender Abteilungs- oder Halbklassenunterricht geführt (EDK 2005). Diese Unterrichtsstruktur stellte über Jahrzehnte hinweg den Regelfall dar. Blockzeiten sind eine schulinterne Zeitstruktur im Kindergarten, in der Primarschulstufe und noch selten auf der Sekundarstufe I, welche die Vormittagslektionen in grössere Zeitblöcke zusammenfasst. Im Rahmen von umfassenden Blockzeiten auf der Primarstufe stehen alle Schülerinnen und Schüler an fünf Vormittagen pro Woche wenigstens zu dreieinhalb Stunden (oder während vier Lektionen) und an einem bis vier Nachmittagen unter der Obhut der Schule (EDK 2005). Die in den Kantonen und Gemeinden praktizierten Blockzeitenmodelle unterscheiden sich teilweise u.a. bezüglich der zeitlichen Ausdehnung. Die so genannten Blockzeiten sind vergleichbar mit den „verlässlichen Grundschulen“ in Deutschland (Ramseger et al. 2004). Mit einer klaren Gestaltung der Zeitstrukturen durch Blockzeiten soll die Schule einerseits einen Beitrag an die Vereinfachung der familialen Kinder-
5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote
87
betreuung leisten und andererseits die Organisation von ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten vereinfachen. Die Einführung von Blockzeiten wird oft als ein erster Schritt in eine zukünftige ganztägige Schul- und Unterrichtsorganisation gesehen (EDK 2005; Schüpbach et al. 2006a; Schüpbach & Herger 2008). Blockzeiten werden häufig kombiniert mit Angeboten wie Mittagstisch, Hort, (freiwillige) Tagesschule aber auch Tagesfamilien. Mittagstische Mittagstische sind Betreuungs- und Verpflegungsangebote über die Mittagszeit, die von privaten oder kommunalen Trägern geführt werden. Diese werden sowohl mit Freiwilligen als auch mit (pädagogisch ausgebildetem) Personal geführt. Das Angebot findet meist in der Zeit von 12 bis 14 Uhr statt. Während dieser Zeit wird das Mittagessen eingenommen und im Anschluss daran kann in der verbleibenden Zeit von den Schülerinnen und Schülern die Freizeit genutzt werden oder aber es können Hausaufgaben erledigt werden. Gewisse Anbieter offerieren nebst dem eigentlichen Mittagessen unter dem Namen „Mittagstisch“ auch weitere Bildungs- und Betreuungsmodule am Nachmittag. Mittagstischangebote finden oft in Kombination mit Blockzeiten statt und werden als ein Element für den Aufbau eines ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangebots gesehen. Für die Mittagstische werden verschiedene Finanzierungsformen, die jedoch immer auch einen Elternbeitrag vorsehen, eingesetzt. Die Höhe der Elternbeiträge hängt von der (Höhe der) öffentlichen Subventionierung bzw. von der Höhe von privaten Spendern und der Organisationsform ab (Forrer Kasteel & Shenton-Bärlocher 2008; Lanfranchi & Schrottmann 2004; Tschanen-Hauser 2008). Horte Horte sind Angebote für Kinder im Kindergarten, der Primarschul- und teilweise auch der Sekundarstufe I. Weitere Begriffe, die oft synonym eingesetzt werden, sind „Schulhort“, „Kindertagesstätten“ oder „Tagesheime“. Die beiden letzteren Begriffe umfassen teilweise auch Institutionen für Kinder bereits ab der Geburt, anderenorts auch „Krippen“ genannt. Träger von Horten sind meist Schul- oder Sozialbehörden oder private Vereine. Teilweise arbeiten diese eng mit der Schule zusammen, so z.B. die Schulhorte in der Stadt Zürich. Die Horte bieten in der Regel ein Angebot ausserhalb der Unterrichtszeiten an: am Morgen vor dem Unterricht, über den Mittag sowie am Nachmittag nach dem Unterricht. In der Regel verfügen die Mitarbeitenden in Horten über eine pädagogische oder sozialpädagogische Ausbildung. Das Angebot ist inhaltlich sozialpädagogisch
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5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
konzipiert und umfasst die Freizeitgestaltung, Unterstützung bei den Hausaufgaben und die Verpflegung. Je nach Betreuungszeiten wird teilweise in der Bezeichnung des Angebots zwischen „Ganztags-“, „Mittags-“ und „Nachmittagshort“ unterschieden (vgl. Forrer Kasteel & Shenton-Bärlocher 2008; Lanfranchi & Schrottmann 2004; Tschanen-Hauser 2008). Tagesfamilien Tagesfamilien betreuen ein bis maximal fünf Kinder unterschiedlichen Alters in der eigenen Wohnung. Die Betreuung in Tagesfamilien bildet ein wichtiges Segment innerhalb der Angebote für Vorschul- und Schulkinder. Sie erfreut sich einer Beliebtheit aufgrund ihrer Flexibilität. So ermöglichen Tagesfamilien Ganztags- und Teilzeitbetreuung auch zu aussergewöhnlichen Zeiten wie am Abend und am Wochenende. Zudem werden die Kinder meist an ihrem Wohnort oder gar im Quartier betreut. Das Tageskind ist in die Tagesfamilie integriert und gewinnt neue Freundinnen und Freunde. Schweizweit bieten rund 200 Organisationen Tagesfamilienplätze für Kinder unter zwölf Jahren an. Es besteht jedoch in der Schweiz ein grosser Graubereich, da erst eine Betreuung von zweieinhalb Tagen oder mehr melde- und aufsichtspflichtig sind. Für die Ausübung braucht es im Weiteren keine spezielle Ausbildung. Tagesfamilienorganisationen und Vereine versuchen durch Einführungskurse und Beratung Tagesfamilien und Eltern einen minimalen Qualitätsstandard zu garantieren. Der Verband für Tagesfamilien „Tagesfamilien Schweiz“ verabschiedete 2008 Qualitätsrichtlinien (Verband Tagesfamilien Schweiz 2008), zu deren Einhaltung die Mitglieder sich verpflichten und damit minimale strukturelle Standards einhalten. Die finanzielle Unterstützung der Gemeinden und Kantone ist schweizweit sehr unterschiedlich, was wiederum zu unterschiedlichen Elterntarifen und Entschädigungen der Tagesmütter führt (Tschanen-Hauser 2008; Verband Tagesfamilien Schweiz). Tagesschulen Unter einer Tagesschule versteht man in der Schweiz überwiegend eine schulische Institution mit einem den ganzen Tag abdeckenden Angebot, das aus Unterricht und zusätzlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten wie z.B. betreuter Mittagsverpflegung, Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung besteht. Der Träger des gesamten Angebots ist in der Regel die Schule (vgl. Mangold & Messerli 2005; Schüpbach 2006; Schüpbach et al. 2006a). Häufig wird bei der Organisation von Tagesschulen oder Ganztagsschulen – wie sie in Deutschland genannt werden – zwischen der „gebundenen Form als integriertes
5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote
89
Modell“ und der „offenen Form als additives Modell“16 unterschieden. Das Ganztagsangebot in „offener Form als additives Modell“ ist mit fester Schulzeit und freiwillig zu nutzenden Angebotselementen für eine Teilschülerschaft verbunden, zumeist schwerpunktmässig konzentriert auf die Mittagsmahlzeit, auf Spiel, Sport und Freizeit sowie auf Hausaufgabenhilfe durch Lehrpersonen und sozialpädagogisches Personal. Das Angebot kann eine schulische oder eine ausserschulische Trägerschaft haben. Die Tagesschule in gebundener Form als integriertes Modell besteht aus einer festen und obligatorischen, teils rhythmisierten Schulzeit für alle Schülerinnen und Schüler der Schule, weist eine gewisse Verzahnung von Unterricht und Arbeitsgemeinschaften, Projekten und Förderung, Hausaufgabenbetreuung und Freizeitangeboten durch Lehrpersonal und sozialpädagogisches Personal auf und ist in der Regel in schulischer Trägerschaft (Holtappels 2005b).
5.3.2 Verbreitung und Nutzung der Angebote Schweizweite statistische Erhebungen bezüglich des Angebots und der Nutzung von ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten sowohl im Früh- und Vorschulbereich als auch für Kinder im Schulalter erweisen sich als schwierig. Das vielfältige Angebot mit Kinderkrippen, Schülerhorten, Tagesfamilien, Tagesschulen, Mittagstischen, Blockzeiten u.a. kennt keine einheitlichen Bezeichnungen oder Ausgestaltungen. Das heisst, die Bezeichnung der einzelnen Angebote sind meist Selbstdeklarationen der entsprechenden Institutionen. So kann beispielsweise eine Tagesschule in der einen Gemeinde einer Schule mit Mittagstisch in der Nachbargemeinde entsprechen. Es existieren wenige kantonale und kaum gesamtschweizerische Regelungen. Meist sind die Gemeinden die (Haupt-)Verantwortlichen. Als weitere Schwierigkeit erweist sich der Umstand, dass die Trägerschaften nicht selten auch privat sind. Daten auf kommunaler und kantonaler Ebene sind nur schwer zugänglich und kaum vergleichbar. Als weitere Schwierigkeiten erweisen sich die unterschiedlichen Zuständigkeiten für ausserfamiliale Bildungs- und Betreuungsangebote von verschiedenen Departementen oder Ressorts und das Verbuchen der Kosten der Gemeinden und Kantone an verschiedenen Rechnungsstellen, die sich meistens nicht differenzieren lassen (EDI 2004). Aus diesen Gründen liegen nur wenige gesamtschweizerische Erhebungen vor. In diesem Zusammenhang ist z.B. die von der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen in Auftrag gegebene Studie „Familienergänzende Kinderbetreuung“ aus dem Jahr 1992 zu nennen (Eid16
im Kanton Zürich bis heute verbreitet auch Schülerclub genannt
90
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
genössische Kommission für Frauenfragen 1992). Im Weiteren sind der „Familienbericht“ von 2004 (EDI 2004) und der Bericht „Familien in der Schweiz“ von 2008 (EDI & BFS 2008) zu erwähnen, die zwölf bzw. 16 Jahre später die Situation von Familien in der Schweiz beschreiben sowie die „Schweizerischen Arbeitskräfteerhebungen“ (SAKE 2001 und 2005), im Rahmen derer die Nutzung der Angebote erhoben wurden (BFS 2002; BFS 2006). Verbreitung der Angebote Blockzeiten Die meisten Kantone führen Schulen mit umfassenden Blockzeiten. Allerdings besteht nur in einigen Kantonen ein flächendeckendes Angebot an Blockzeitenunterricht in allen Schulen (vgl. Tab. 1). Auf der Primarschulstufe ist dies in neun Kantonen der Fall. In drei weiteren Kantonen findet der Unterricht an über der Hälfte aller Schulen in Blockzeiten statt. Weitere vier Kantone setzen ein Blockzeitenmodell ein, das die genannte Abdeckung nicht ganz erreicht. In den Kindergärten sind Blockzeiten heute beinahe ebenso (EDI & BFS 2008). Mittagstische Das Angebot an Mittagstischen ist insgesamt noch wenig verbreitet (vgl. Tab. 1). Basierend auf einer Umfrage der EDK, nennen die meisten Kantone für die Kindergartenstufe einen Anteil von unter einem Viertel. Im Kanton AppenzellAusserrhoden sind es bereits zwischen der Hälfte und drei Viertel der Kindergärten, die ein Angebot vorweisen können. Eine Sonderstellung nimmt der Kanton Tessin ein, der in über drei Viertel der Kindergärten Mittagstische anbietet. In den Primarschulen liegt der Anteil neben den genannten Kantonen auch in Basel-Landschaft, Luzern, Obwalden, Uri und Zürich zwischen einem Viertel und der Hälfte.
5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote Tab. 1
91
Angebote in Kindergärten und Schulen, Schuljahr 2007/08 (Anzahl bzw. Anteil in Prozent mit entsprechendem Angebot) (EDI & BFS 2008, p.25)
Tagesschulen In der Schweiz sind immer noch relativ wenige Tagesschulen vorhanden. In den meisten Kantonen wurden in den letzten Jahren vor allem die Blockzeiten und andere Formen von Bildungs- und Betreuungsangeboten ausgebaut, während Tagesschulen wenig verbreitet bleiben (vgl. Tab. 1). Ein anderes Bild zeigt sich im Kanton Tessin, der nach Angaben des EDI und BFS (2008) 85 Prozent der
92
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
Kindergärten und die Hälfte der Primarschulen als Tagesschulen führt. Relativ weit verbreitet sind Tagesschulen auch im kleinen Kanton AppenzellAusserrhoden, wo bereits zehn Kindergärten und fünf Schulen mit einem Tagesschulmodell geführt werden. Der einzige weitere Kanton, der über einzelne Angebote hinauskommt, ist der Kanton Zürich, der 20 Prozent der Schulen als Tagesschulen führt. Bei der von der EDK durchgeführten Umfrage fehlen jedoch insbesondere die Daten des Kantons Bern, der auch über vergleichsweise viele Schulen mit einem Tagesschulangebot verfügt. Nach Angaben des Vereins Tagesschulen Schweiz vom Schuljahr 2007/08 ist das Tagesschulangebot in den Städten Zürich, Bern und Basel in der Deutschschweiz am besten ausgebaut. Es werden insgesamt 81 öffentliche Tagesschulen in der Deutschschweiz genannt. Diese bieten 4669 Betreuungsplätze an (Verein Tagesschulen Schweiz 2007). Die freiwilligen Tagesschulen überwiegen stark gegenüber den obligatorischen. Es muss jedoch angefügt werden, dass es sich bei diesen Angaben um Selbstdeklarationen der Schulen handelt. In der Romandie läuft die Entwicklung weniger in Richtung Aufbau von Tagesschulen als viel mehr in Richtung eines freiwilligen Bildungs- und Betreuungsangebots (Lambelet-Krafft 2008). Tagesfamilien Eine weitere Form ist die Betreuung in Tagesfamilien. Diese bildet ein wichtiges Segment innerhalb der Angebote an ausserfamilialer Bildung und Betreuung. Schweizweit bieten rund 200 Organisationen Tagesfamilienplätze für Kinder unter zwölf Jahren an. Die Anzahl der in der Schweiz zur Verfügung stehenden Plätze in Tagesfamilien ist nicht bekannt. Kindertagesstätten (Krippen und Horte) Die Anzahl an Kindertagesstätten (Krippen und Horte) ist in den letzten Jahren weiter gewachsen (vgl. Tab. 2).
5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote Tab. 2
93
Kindertagesstätten nach Kanton 1985 bis 2005 (EDI & BFS 2008, p. 23) Anzahl Kindertagesstätten
Grossregion, Kanton Schweiz
Anzahl Betriebe pro 1000 Kinder unter 7 Jahre alt 1985 1995 2001 2005 1.0 1.3 2.2 2.8
1985 478
1995 706
2001 1084
2005 1337
Genferseeregion
82
169
302
350
1.1
1.6
3.1
GE
31
79
191
216
1.4
2.6
6.4
7.2
VD
50
74
94
102
1.4
1.5
2.0
2.2
VS
3.7
1
16
17
32
0.1
0.7
0.9
1.8
Espace Mittelland
81
141
184
239
0.7
1.1
1.6
2.2
BE
41
65
94
130
0.6
0.9
1.6
2.3
FR
3
18
19
27
0.2
0.9
1.0
1.4 2.7
JU
4
5
9
13
0.8
0.9
1.7
NE
26
40
43
44
2.6
3.1
3.6
3.8
SO
7
13
19
25
0.4
0.7
1.2
1.7
Nordwestschweiz
65
62
103
135
1.0
0.9
1.6
2.2
AG
22
25
39
54
0.6
0.6
1.0
1.5
BL
9
16
19
24
0.5
0.9
1.1
1.5
BS Zürich Ostschweiz
34
21
45
57
3.4
1.8
4.5
5.8
192
235
372
457
2.5
2.8
4.6
5.6
32
49
62
85
0.4
0.6
0.8
1.2
AR
1
1
3
6
0.2
0.2
0.8
1.8
AI
0
1
0
1
0.0
0.6
0.0
0.9
GL
3
3
3
3
1.0
0.9
1.2
1.3
GR
3
6
7
11
0.2
0.4
0.6
1.0
SG
11
22
31
34
0.3
0.6
0.9
1.1
SH
5
7
8
10
1.0
1.3
1.7
2.4
TG
9
9
10
20
0.5
0.4
0.6
1.3
Zentralschweiz
21
30
40
50
0.4
0.5
0.8
1.0
LU
10
15
24
28
0.4
0.5
0.9
1.2
NW
0
0
2
1
0.0
0.0
0.8
0.4
OW
0
2
1
2
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0.4
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SZ
4
4
7
9
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0.9
UR
2
1
1
0
0.7
0.3
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0.0
ZG
5
8
5
10
0.8
1.1
0.7
1.4
Tessin
5
20
21
21
0.3
1.0
1.1
1.1
Die hier als Quelle verwendete Betriebsquelle (BZ) unterschätzt die Zahl der Kindertagesstätten und kann nicht zwischen Krippen und Horten unterscheiden. Sie wurde herangezogen, weil derzeit keine anderen gesamtschweizerischen Zahlen verfügbar sind. Quelle: BFS/BZ, BFS/ESPOP
94
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
Dieses Wachstum an Kinderkrippen und Horten war vor allem dort zu verzeichnen, wo die Abdeckung bereits relativ hoch war, sprich, in den städtischen Kantonen wie im Kanton Genf mit dem grössten Wachstum (auf 7.2 Kindertagesstätten pro 1000 Kinder unter sieben Jahren, höchste Abdeckung in der Schweiz) oder im Kanton Zürich (Abdeckung von 5.6). Über eine vergleichbare Abdeckung verfügt nur noch der Kanton Basel-Stadt (5.8). Unterschiedlich gestalten sich die Bedingungen im Kanton Tessin, in dem beinahe eine flächendeckende Tageskindergartenstruktur für Kinder ab drei Jahren besteht (vgl. Tab. 1) (EDI & BFS 2008). Bildungs- und Betreuungsangebote im Allgemeinen aufgrund der Anstossfinanzierung des Bundes Im Februar 2003 wurde das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung in Kraft gesetzt, ein auf acht Jahre befristetes Impulsprogramm, zur Schaffung zusätzlicher Plätze für die ausserfamiliale Bildung und Betreuung. Die Anstossfinanzierung des Bundes begünstigte seit 2003 die Schaffung von 10’478 Plätzen in Kindertagesstätten und 9154 Plätzen in der „schulergänzenden Betreuung“ und somit zusätzliche Angebote für Kinder im Schulalter (Stand Sept. 2008). Sie unterstützte zudem die Neugründung oder Erweiterung von 551 Kindertagesstätten und 468 Einrichtungen für Kinder im Schulalter. Im Weiteren wurde der Aufbau von 80 Angeboten im Bereich Tagesfamilien unterstützt. Im Verhältnis zur Bevölkerung unter 16 Jahren wurde die Anstossfinanzierung insbesondere in den Kantonen Zürich, Waadt, Basel-Stadt und Zug überproportional genutzt (EDI & BFS 2008). Nutzung der Angebote Der Anteil der Familien, welche ausserfamiliale Bildungs- und Betreuungsangebote nutzen, ist in der Schweiz in den letzten Jahren gewachsen. Waren es 1991 noch 14 Prozent aller Haushalte mit Kindern unter 15 Jahren, so hat sich dieser Anteil rund zehn Jahre später auf 30 Prozent erhöht (BFS 2002; BFS 2006). Im Jahre 2007 nutzten bereits 35.5 Prozent solche Angebote. Alleinerziehende tun dies häufiger (51%) als Paare (34%). Dieser Anteil ist bei den Paaren seit 2001 kontinuierlich angestiegen, während er bei den Alleinerziehenden seit längerem vergleichbar hoch liegt (EDI & BFS 2008). Die Erwerbstätigkeit der Eltern und deren Arbeitsteilung haben einen Einfluss auf die Nutzung von ausserfamilialen Angeboten. So haben Paarhaushalte mit traditioneller Arbeitsteilung und nur einem erwerbstätigen Elternteil wenig Bedarf (unter 10%) an regelmässiger Kinderbetreuung ausserhalb der Kern-
5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote
95
familie. Gehen jedoch beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nach nutzen durchschnittlich 42 Prozent der Familien solche Angebote. Im häufigsten Fall, der Kombination von einem Vollzeit und einem Teilzeit erwerbstätigen Elternteil, sind es 41 Prozent. Arbeiten beide Eltern Vollzeit, so steigt der Anteil auf 43 Prozent. Am häufigsten wird auf die ausserfamiliale Bildung und Betreuung zurückgegriffen, wenn beide Eltern einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen (48%). Es erstaunt, dass die Nutzung bei Vollzeit Erwerbstätigkeit beider Eltern nicht am höchsten ist. Dies könnte mit einem Alterseffekt zusammenhängen. Kinder, deren Elternteile Vollzeit arbeiten, sind oft schon älter und brauchen weniger Betreuung. Zudem könnten sich gewisse nicht erfasste Betreuungsformen (z.B. im Haushalt lebende Au-Pairs) ungleich auf die verschiedenen Haushaltskategorien verteilen (EDI 2004). Welche Betreuungsformen werden gewählt? Mehr als 60 Prozent der Familien greifen auf private Betreuungsangebote zurück. Am häufigsten werden dabei immer noch Verwandte berücksichtigt (52%). 26 Prozent der Familien, die ausserfamiliale Angebote beanspruchen, nutzen das Angebot an Kinderkrippen, Tageskindergarten oder Tagesschulen17, 15 Prozent Tages- oder Pflegefamilien. Bei 10 Prozent der Familien springen Bekannte oder Nachbarinnen ein. Mittagstisch und bzw. oder Nachschulbetreuung werden hingegen nur gerade von 4.3 Prozent berücksichtigt. Unterschiedliche Nutzung der einzelnen Angebote gibt es je nach Alter der Kinder (vgl. Abb. 4) (EDI & BFS 2008).
17
Zu den einzelnen Angeboten liegen keine separaten statistischen Daten vor.
96
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
Abb. 4
Anteil Haushalte mit ausserfamilialer Bildung und Betreuung 2007, aufgeteilt nach Angebotsform (BFS 2007b)
Vergleicht man diese Zahlen mit dem Familienbericht 2004 (basierend auf SAKE 2001), so stellt man vor allem eine um 10 Prozent höhere Nutzung von Kinderkrippe, Tageskindergarten oder Tagesschule fest. Der Umfang der Nutzung der weiteren Formen bleibt in etwa gleich. Ausserfamiliale Bildungs- und Betreuungsangebote werden in der Stadt und in Zentrumsgemeinden mit 36 Prozent mehr genutzt als auf dem Land (26%). Auch bezüglich der Sprachregionen gibt es Unterschiede. In der Westschweiz und im Tessin greifen bedeutend mehr Haushalte (35%) auf solche Angebote zurück als in der Deutschschweiz (27%) (EDI 2004). Die ausserfamiliale Bildung und Betreuung und deren Nutzung hat sich in den letzten Jahren immer mehr verbreitet. Wirft man jedoch einen Blick auf den durchschnittlichen Betreuungsumfang, so stellt man fest, dass dieser sehr tief ist (vgl. Abb. 5). Der Anteil der Familien, die regelmässig Angebote während eines Tages pro Woche beanspruchen, liegt bei Familien mit einem jüngsten Kind von 0 bis 4 Jahren bei 45 Prozent und steigt an auf 67 Prozent, wenn das jüngste Kind 10- bis 14-jährig ist. Arrangements von zwei Betreuungstagen pro Woche nehmen bei einem jüngsten Kind von 0 bis 4 Jahren 28 Prozent der Familien in Anspruch18, wobei dieser Anteil mit zunehmendem Alter des Kindes deutlich 18
von den Familien, die überhaupt ein Angebot nutzen.
5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote
97
geringer wird. Insgesamt stellt man fest, dass Dauer und Häufigkeit der Nutzung mit zunehmendem Alter des Kindes zurückgehen trotz steigender Erwerbsintegration der Mütter (EDI & BFS 2008).
Abb. 5
Nutzung der ausserfamilialen Angebote nach Alter des jüngsten Kindes 2007 (EDI & BFS 2008, p. 72)
Der durchschnittliche Betreuungsumfang gestaltet sich bei den verschiedenen Formen der ausserfamilialen Bildung und Betreuung unterschiedlich (vgl. Abb. 6). Verwandte und Bekannte decken tendenziell einen Bedarf von weniger als zwei Tagen ab. Ist die gewünschte Nutzung höher, kommen eher professionelle Angebote zum Einsatz: Angestellte im Haushalt, Krippen und Tagesschulen oder Tages- und Pflegefamilien. Während mit zunehmendem Alter der Kinder der Betreuungsumfang durch Verwandte, Bekannte und Kindermädchen zurückgeht, bleibt dieser über Tagesschulen oder Tagesfamilien abgedeckt hoch.
98
Abb. 6
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
Durchschnittlicher Umfang nach Alter des jüngsten Kindes und Betreuungsart 2007 (EDI & BFS 2008, p. 72)
5.3 Überblick über die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote
99
5.3.3 Die Nachfrage nach Angeboten Die Anzahl der Bildungs- und Betreuungsplätze ist zwar in den letzten Jahren gestiegen. Dies kann man beispielsweise am Zuwachs von Krippen und Horten seit 1985 von 478 um das Dreifache auf 1337 in der Schweiz erkennen (vgl. Tab 2). Jedoch ist das Angebot regional sehr verschieden und immer noch nicht ausreichend für alle Kinder bzw. Familien, die davon Gebrauch machen möchten. Die in den Familien gelebte Arbeitsteilung der Elternteile ist nicht unbedingt ein Ausdruck ihrer freien Wahl. Dies kann auch heute noch der Ausdruck von Problemen mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sein. Eine Schätzung der Nachfragepotenziale für Angebote für Kinder im Schulalter hat die Arbeitsgemeinschaft INFRAS im Auftrag des Bildungsraums Nordwestschweiz19 durchgeführt. Unter dem Nachfragepotenzial wird die Nachfrage verstanden, welche die Eltern äussern würden, wenn sie die freie Wahl zwischen einer privaten Betreuung und unterschiedlichen Formen ausserfamilialer Bildung und Betreuung frei wählen könnten (Stern et al. 2006). Die in 905 Haushalten mit Kindern im Alter zwischen 4 und 16 Jahren durchgeführte Befragung hat ergeben, dass nur etwa die Hälfte aller Eltern (53%) ohne ausserfamiliale Bildung und Betreuung auskommt. Fast die Hälfte der Befragten (47%) nimmt Betreuung durch Verwandte, Bekannte u.a. in Anspruch. Wohingegen Tagesheim, Hort, Tagesschule, Tageseltern oder Mittagstisch noch eher selten gewählt werden. In vielen Gemeinden sind diese Angebote gar nicht oder in zu geringer Zahl verfügbar. Nur ein Viertel der Eltern von Kindern im Schulalter hat keinen Bedarf nach Bildungs- und Betreuungsangeboten. Von den 75 Prozent der befragten Haushalte, die mindestens einmal pro Woche für ihre Kinder ein Angebot in Anspruch nehmen möchten, bewegt sich bei der Mehrheit der Bedarf im Rahmen von bis zu drei Tagen pro Woche. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Nachfrage regional unterscheidet. In der Tendenz ist die Nachfrage in sozial belasteten Gemeinden und Quartieren höher als in sozial wenig belasteten. Ebenso werden in städtischen Gebieten Bildungs- und Betreuungsangebote deutlich häufiger nachgefragt als in ländlichen Gebieten. Mittels Simulationsmodell zur Schätzung des Nachfragepotenzials, dessen wichtigste Basis die empirischen Daten der Befragung in den 905 Haushalten ist, wurden die aktuellen und künftigen Nachfragepotenziale berechnet. Für die Schätzung der Nachfragepotenziale wurde von einem nach Einkommen abgestuften Tarifsystem ausgegangen. Am höchsten sind die Nachfragepotenziale im Kanton Basel-Stadt. 79 Prozent der Familien mit Kindern im Alter von 4 bis12 Jahren würden potenziell zweimal pro Woche und Kind eine Mittagsbe19
Dem Bildungsraum Nordwestschweiz gehören die vier Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn an.
100
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
treuung nutzen. 74 Prozent würden eine Nachmittagsbetreuung in Anspruch nehmen und durchschnittlich 2.6 Module pro Woche und Kind nachfragen. Am tiefsten ist das Nachfragepotenzial im Kanton Solothurn mit nur 66 Prozent für die Mittagsbetreuung und 51 Prozent am Nachmittag. Da weitere hemmende Faktoren im Simulationsmodell nicht abgebildet wurden, dürfte die tatsächliche Nachfrage tiefer liegen als in der Studie geschätzt. Die Ergebnisse der Nachfragestudie bestätigen für den Bildungsraum Nordwestschweiz, dass eine erhebliche Nachfrage nach Tagesstrukturen besteht (Infras et al. 2008). Im Rahmen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) wurde 2005 u.a. der Zusammenhang zwischen Erwerbsverhalten und Betreuungsaufgaben untersucht. Im Besonderen interessierte dabei, inwieweit familiale Aufgaben zu Einschränkungen der Erwerbstätigkeit führen und aus welchen Gründen Probleme bezüglich der externen Entlastung bei Betreuungsaufgaben bestehen bei Familien mit Kindern unter 15 Jahren (EDI & BFS 2008). Diese Resultate weisen nach, dass die Wahlmöglichkeiten oft beschränkt sind. So äussern sich 26 Prozent der erwerbstätigen Mütter mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren dahingehend, dass sie ihre Erwerbsarbeit aufgrund ihrer familialen Betreuungsaufgaben einschränken müssen. Noch ausgeprägter ist es bei Müttern mit einem Kind unter 5 Jahren (31%). Ein möglicher Zusammenhang mit fehlenden ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten drängt sich auf. Von den nicht erwerbstätigen Frauen mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren möchten 31 Prozent gerne eine Erwerbstätigkeit ausüben. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass insgesamt 26 Prozent aller Mütter von Kindern unter 15 Jahren ihre Betreuungs- und Erwerbsarbeitszeit anders organisieren möchten. Welches sind die Gründe für den Verzicht auf Erwerbsarbeit respektive auf die Ausdehnung der Erwerbsarbeitszeit? 44 Prozent davon nennen die fehlende Kinderbetreuung als Grund. Gründe für ungenügende Kinderbetreuung sind in erster Linie die zu hohen Kosten (39%), die fehlenden Betreuungsangebote (30%), Probleme auf Grund der angebotenen Betreuungszeiten (10%) sowie mangelnde Qualität der Betreuungseinrichtungen (8.4%) (Mecop & Infras 2007). Die Nachfrage an ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten für den Schulbereich kann, wie den vorgestellten Befunden zu entnehmen ist, noch nicht gedeckt werden. Frauen mit Kindern unter 15 Jahren bezeichnen die ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangebote – deren hohe Kosten und das mangelnde Angebot – nach wie vor als ein Hindernis für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
5.4 Traditioneller Unterricht – Blockzeiten
101
5.4 Traditioneller Unterricht – Blockzeiten 5.4 Traditioneller Unterricht – Blockzeiten 5.4.1 Vom traditionellen Halbklassenunterricht zum Blockzeitenunterricht Die Unterrichtsorganisation von Kindergarten und Primarschulunterstufe wurde in einem Grossteil der Kantone bislang als alternierender Halbklassenunterricht geführt (EDK 2005). Für den Halbklassenunterricht, wie er über Jahrzehnte durchgeführt wurde, ist charakteristisch, dass ein Teil des Unterrichts regelmässig mit der einen Hälfte der Klasse abgehalten wird. So besucht traditionellerweise z.B. die Halbklasse Gruppe A am Montag Morgen von 8 bis 10 Uhr den Unterricht. Um 10 Uhr beginnt der Unterricht der anderen Halbklassegruppe B – wobei die Gruppe A bereits wieder nach Hause geht –, der bis 12 Uhr dauert (vgl. Abb. 7). Am Nachmittag findet von 13 bis15 Uhr Unterricht mit der ganzen Klasse statt. Am Dienstag beginnt der Unterricht für die Gruppe B bereits um 8 Uhr und endet um 10 Uhr, wohingegen die Gruppe A den Unterricht von 10 bis 12 Uhr besucht. Im vorliegenden Beispiel findet an diesem Tag am Nachmittag Unterricht bis 16 Uhr statt. Die Unterrichtszeiten sind für die Schülerinnen und Schüler an jedem Wochentag unterschiedlich. Die genauen Uhrzeiten der Lektionen variieren je nach Kanton und gar Gemeinde und wurden hier nur schematisch dargestellt.
Abb. 7
Stundenplanbeispiel einer ersten Klasse mit Halbklassenunterricht
Mit der Einführung von umfassenden Blockzeiten verändert sich der Stundenplan insbesondere für die Kinder im Kindergarten und in den ersten Primarschuljahren grundlegend. Unter Blockzeiten versteht die EDK (2005) eine Zeit-
102
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
struktur, bei der alle Kinder im Kindergarten und an der Primarschule an fünf Vormittagen wenigstens zu dreieinhalb Stunden unter der Obhut der Schule stehen und je nach Stundenpflichtzahl der Klassenlehrperson, Altersstufe und Stundentafel zusätzlich an einem bis zu vier Nachmittagen Unterricht erhalten (vgl. auch Wirz 2006). Ein Stundenplanbeispiel wiederum einer 1. Klasse (vgl. Abb. 8) verdeutlicht, dass nun alle Schülerinnen und Schüler die Zeit von 8 bis 12 Uhr im Unterricht verbringen. Am Nachmittag finden nach wie vor Halbklassenlektionen statt. Die Blöcke für alle Kinder beschränken sich nur auf die Vormittage.
Abb. 8
Stundenplanbeispiel einer ersten Klasse mit Blockzeitenunterricht
In der Vergangenheit wurden nebst dem beschriebenen Blockzeitenmodell weitere Modelle propagiert und erprobt, die sich jedoch in der Praxis nicht durchsetzen konnten. Es sind dies Modelle zur Gestaltung von umfassenden Blockzeiten u.a. mittels Unterricht und Hort, Unterricht ergänzt durch weitere Bildungs- und Betreuungsangebote oder auch Blockzeiten, organisiert durch gleichzeitigen Halbklassenunterricht beider Gruppen mit zwei Lehrpersonen. Durchgesetzt hat sich jedoch weitgehend das graphisch dargestellte Modell (vgl. Abb. 8): Ganzklassenunterricht an fünf Vormittagen und Halbklassenunterricht an den Nachmittagen (EDK 2005). Pensentechnisch sind umfassende Blockzeiten in den meisten Kantonen ab dem dritten, vereinzelt auch erst ab dem vierten Primarschuljahr mit den geltenden Stundentafeln realisierbar. Im Kindergarten und in den ersten Schuljahren sind die Wochenstundenzahlen der Schülerinnen und Schüler traditionellerweise zu gering, als dass nebst den neuen Morgenblöcken von vier Lek-
5.4 Traditioneller Unterricht – Blockzeiten
103
tionen am Nachmittag zusätzlich noch Unterricht stattfinden könnte (EDK 2005). Deshalb wurden und werden momentan Veränderungen bezüglich der Stundentafeln vorgenommen. So beispielsweise im Kanton Solothurn, indem mit der Einführung der Blockzeiten auf Schuljahr 2006/07 auf der Unterstufe (1. bis 3. Klasse der Primarschule) die Anzahl der Unterrichtslektionen erhöht und im Gegenzug die Anzahl der Halbklassenlektionen gesenkt wurden. Konkret heisst dies, dass an der ersten Primarschulklasse das Unterrichtsangebot von 22 auf 24.5 Lektionen ansteigt und der Unterricht in Halbklassen von 10 auf 5.5 Lektionen reduziert wird (unter Einbezug des Religionsunterrichts). Mit dieser Aufteilung der Lektionen kann ein Vollpensum von 29 Lektionen pro Klassenlehrperson gewährleistet werden (Kanton Solothurn 2005).
5.4.2 Die Einführung von Blockzeitenunterricht: Ein Schul- und Unterrichtsentwicklungsprojekt Im Rahmen des Halbklassenunterrichts werden traditionellerweise auf der Primarschulunterstufe in erster Linie die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen vermittelt bzw. geübt. Im Ganzklassenunterricht werden dagegen Themen aus dem Bildungsbereich „Mensch und Umwelt“ sowie Turnen und Musik behandelt. Der Ganzklassenunterricht ist hauptsächlich für freie und spielerische Sequenzen vorgesehen. Methodik und Didaktik in der Primarschule wurden stark vor dem Hintergrund eines solchen Halb- und Ganzklassenunterrichts entwickelt und in dieser Hinsicht immer mehr optimiert (EDK 2005; Schüpbach et al. 2007b; Wirz 2006). Das heisst, dass die Veränderung der Zeitstrukturen und Lerngruppenbildung auch die bisherige Methodik und Didaktik betrifft. In einigen Kantonen der Deutschschweiz wird die Einführung von umfassenden Blockzeiten nicht bloss als organisatorische Massnahme, sondern ebenfalls als Unterrichts- und Schulentwicklungsaufgabe verstanden. Dies wird auch von Wirz im Rahmen des EDK-Berichts zu den Blockzeiten empfohlen (EDK 2005) Diese Veränderung der Schulorganisation sowie der Unterrichtsorganisation und -gestaltung wird jedoch in den einzelnen Kantonen sowie in den einzelnen Schulen in unterschiedlichem Ausmass forciert und umgesetzt. Dies steht u.a. in Abhängigkeit der Innovationsbereitschaft der Schulen, aber auch der einer Schule zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Diese Innovationsbereitschaft stellt einen wichtigen Ausgangspunkt für Veränderungen in der Unterrichtsgestaltung mit erweiterten Lehr- und Lernformen, mit innerer und äusserer Rhythmisierung, Teamteaching und Kooperation der Lehrpersonen im Zusammenhang mit Blockzeitenunterricht dar. Diese Aspekte unterscheiden sich nicht wesentlich von allgemeinen Reformforderungen an Schulen. Insbesondere
104
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
werden jedoch diesbezüglich aktuell Stimmen im Zusammenhang mit der Einführung von Blockzeiten und von Tagesschulen laut. Erkenntnisse aus der Schulforschung zu Schulen mit erweitertem Zeitrahmen, also volle bzw. verlässliche Halbtagsgrundschulen in Deutschland – was vergleichbar ist mit Blockzeiten im Schweizer Kontext – zeigen auf, dass in diesem Zusammenhang vor allem flexible Zeitorganisation, Rhythmisierung, Teamarbeit und intensive Lehrerkooperation sowie nicht zuletzt das Vorhandensein eines pädagogischen Konzeptes und dessen Akzeptanz für guten Unterricht entscheidend sind (Holtappels 1997; Holtappels 2002; Holtappels & Heerdegen 2005). Für eine gezielte Förderung der Kinder sind zudem Differenzierung und ein sinnvolles didaktischmethodisches Vorgehen entscheidend (Holtappels 1994).
5.4.3 Blockzeitenmodell mit veränderter Unterrichtsorganisation und gestaltung: Stadt Solothurn In der Stadt Solothurn haben Primarschule und Kindergarten mit dem Schuljahresbeginn 2004/05 die Blockzeiten eingeführt und ein exemplarisches Beispiel eines Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozess initiiert und durchgeführt. Von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Lehrerschaft, Eltern, Schulkommission und Wirtschaft sowie einem Experten wurde ein Blockzeitenmodell ausgearbeitet. Die Einführung der Blockzeiten wurde als dreijähriger Prozess zusammen mit den betroffenen Lehrpersonen gestaltet. Es wurde davon ausgegangen, dass auch der Unterricht der einzelnen Lehrperson von diesem Entwicklungsprozess betroffen sein würde. Deshalb wurden die Lehrpersonen aufgefordert, ihre berufsbezogene Kompetenz weiterzuentwickeln. Dazu wurden von der Schuldirektion der Stadt Solothurn spezifische Weiterbildungsangebote festgelegt (Schuldirektion Solothurn 2001, p. 17ff.). An der Primarschule wurde ein 4-Stundenmodell eingeführt. In diesem Modell beträgt das Pensum der Kinder im ersten Schuljahr neu 25 Lektionen anstatt 21 Lektionen pro Woche. Somit gibt es an der Primarschule fünfmal die Woche für alle Kinder einen Morgenblock. Je nach Klassenstufe findet Unterricht an zwei bis drei Nachmittagen statt. Dieser wird nach wie vor auch in Halbklassen erteilt. Die zusätzliche Unterrichtszeit soll für die Vertiefung des Stoffes und die Förderung der Schülerinnen und Schüler eingesetzt werden (Schuldirektion Solothurn 2001). In einer Primarschule mit Blockzeiten sind für die Kinder längere Präsenzzeiten in Schule und Kindergarten vorgesehen, die eine neue pädagogische Nutzung der veränderten Zeitstrukturen voraussetzen. Notwendig ist also eine Unterrichtsrhythmisierung und -strukturierung, die sich gleichzeitig an den
5.4 Traditioneller Unterricht – Blockzeiten
105
Möglichkeiten der Kinder wie auch an der Heterogenität der Klasse orientiert – d.h. eine Unterrichtsorganisation, die das selbstgesteuerte, eigenaktive Lernen der Kinder sowie das soziale Handeln beim gemeinsamen Lernen und Spielen begünstigt und fördert. Der verbleibende alternierende Unterricht verlagert sich mit den Blockzeiten weitgehend auf die Nachmittage. Dieser sollte vor allem mit individualisierenden Lehr- und Lernformen gestaltet werden. Bei der Einführung der Blockzeiten in der Stadt Solothurn wurde ein Modell zur Rhythmisierung und Strukturierung gewählt, welches im Kindergarten eine Unterteilung in „geführte und freie Aktivitäten“ (Lektion und Freispiel) und in der Primarschule in „lehrpersonenzentrierte bzw. -geleitete sowie schülerzentrierte Phasen“ vorsieht. Fokussiert wird dabei eine relativ gleichmässige Phasierung von geleiteten und schülerzentrierten Aktivitäten an jedem Vormittag (je 2 Lektionen à 45 Minuten). Unter geleiteten Aktivitäten wird ein Unterricht verstanden, bei dem die Lehrperson neue Lehrinhalte einführt und neue Arbeitstechniken und Grundfertigkeiten erstmals übt. Dies sind so genannte „Einführungslektionen“. Bei den geleiteten Aktivitäten können die Kinder nur in ausserordentlichen Fällen von der Teilnahme entschuldigt werden. Die schülerzentrierten Aktivitäten zeichnen sich durch ein vielfältiges Angebot mit vielen Anregungen und besonderen Förderangeboten aus. Die Kinder verteilen sich auf verschiedene Lehrpersonen, besuchen den Werk- und Religionsunterricht, die Logopädie oder den speziellen Förderunterricht. Die Kinder, die bei der Klassenlehrperson verbleiben, können sich entsprechend ihren Fähigkeiten – einzeln oder in Gruppen – individuellen Arbeiten annehmen. Die Lehrperson unterrichtet nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“: Sie stellt ein reichhaltiges und anregendes Angebot zur Verfügung (Schüpbach 2008). Um den bis anhin durchgeführten Halbklassenunterricht oder geschichteten Unterricht im ersten und zweiten Schuljahr zu kompensieren, wurde zusätzlich ein Teamteaching eingeführt. Eine zweite Lehrperson unterrichtet einen Teil der Klasse im Klassenzimmer oder bei Bedarf in einem zusätzlichen Raum. Für das erste Schuljahr werden vier Lektionen pro Klasse eingesetzt, für das zweite Schuljahr sind es zwei Lektionen. Trotz des vermehrten Unterrichts mit der ganzen Klasse sollen sich die Lehrpersonen mit einzelnen Schülerinnen und Schülern oder Schülergruppen beschäftigen können. Ziel des Teamteachings ist es somit, die Unterrichtsqualität zu erhalten bzw. zu steigern (Schüpbach 2008).
5.4.4 Blockzeiten in Verbindung mit Bildungs- und Betreuungsangeboten Die Einführung von Blockzeiten wird in der Schweiz in Fachkreisen als erster Schritt zu einer künftigen ganztägigen Schul- und Unterrichtsorganisation ver-
106
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
standen (EDK 2005; Schüpbach 2006). Der Ausbau von Schulen mit Blockzeiten, hin zu einer ganztägigen Bildung und Betreuung, hin zu Tagesschulen, kann langfristig die Gelegenheit bieten, diese organisatorischen und pädagogischen Entwicklungen auszubauen und weiterzuführen. Diese Blockzeitenstruktur kann mit freiwilligen Bildungs- und Betreuungsangeboten am Morgen und am späteren Nachmittag ergänzt werden zu einem offenen, additiven oder zu einem gebundenen, integrierten Tagesschulmodell. Entschliesst man sich für ein integriertes Modell, so stellen die veränderten Organisationsstrukturen – Morgenblöcke sowie deren allfällige Rhythmisierung in geleitete und schülerzentrierte Aktivitäten – eine Basis für einen zeitlichen Ausbau des Unterrichtsangebotes dar. Die bis heute überwiegend vorherrschende Aufteilung der Schulfächer in 45-minütige Zeiteinheiten wird bereits seit längerer Zeit kritisiert (vgl. z. B. Ramseger et al. 2004). Infolge dieser strikten Einteilung können Unterrichtsinhalte oft zu wenig vertieft werden. Des Weiteren wird betont, dass eine äussere Rhythmisierung mit grösseren Zeiteinheiten und zusätzlicher innerer Rhythmisierung innerhalb des Blocks mit unterschiedlichen Lehr- und Lernformen sowie wechselnden Sozialformen – wie dies im beschriebenen Solothurner Blockzeitenmodell der Fall ist – eher den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen entgegenkommen (Appel & Rutz 2005).
5.5 Tagesschulen 5.5 Tagesschulen 5.5.1 Was ist eine Tagesschule? Als in den 1980er Jahren in den grössten Schweizer Städten Basel, Bern und Zürich die ersten öffentlichen Tagesschulen gegründet wurden, basierten diese Tagesschulen auf einem relativ einheitlichen Schulkonzept. Unter einer Tagesschule wurde eine Primarschule verstanden, in der alle Kinder des Schulhauses an fünf Tagen in der Woche von morgens 8 Uhr bis nachmittags 17 oder 18 Uhr sich in der Schule befinden – ausgenommen am Mittwochnachmittag und in den Ferien (Aeberli & Binder 2005). Diese „klassische Form“ von Tagesschule findet man auch heute noch eher vereinzelt und vor allem in Städten vor. Versucht man heute zu definieren, was unter einer „Tagesschule“ in der Schweiz verstanden wird, so erweist sich dieses Vorhaben als sehr viel schwieriger. Stehen doch unter dem Begriff „Tagesschule“ Institutionen mit verschiedensten Varianten ganztägiger Bildung und Betreuung. Angemessen scheint somit eine sehr allgemein gehaltene Definition: Unter einer Tagesschule versteht man heute in der Schweiz überwiegend eine schulische Institution mit einem den ganzen Tag abdeckenden Angebot, das aus Unterricht und zusätzlichen Bil-
5.5 Tagesschulen
107
dungs- und Betreuungsangeboten besteht. Zu den letzteren gehören das betreute Mittagessen, eine Zwischenverpflegung, Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung. Der Träger des gesamten öffentlichen Angebots ist in der Regel die Schulgemeinde. Unterrichtet wird nach den kantonalen Lehrplänen (vgl. Mangold & Messerli 2005; Schüpbach 2006; Schüpbach et al. 2006a). Aktuell versucht ein Grossteil der Gemeinden eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Lösung für die Bildung- und Betreuung der Kinder zu finden (Verein Tagesschulen Schweiz 2007). Trotz dieser Vielfalt lassen sich die bestehenden Tagesschulen zwei Haupttypen zuordnen. Häufig wird bei der Organisation von Tagesschulen sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland zwischen der „obligatorischen“, „gebundenen“ oder „integrierten“ Form sowie der „freiwilligen“, „offenen“ oder „additiven“ Form unterschieden. Die Tagesschule als additives Modell (auch à la carte-Modell genannt) ist mit fester Schulzeit und freiwillig zu nutzenden Angebotselementen für eine Teilschülerschaft verbunden. Das Angebot kann eine schulische oder eine ausserschulische Trägerschaft haben. Die Tagesschule als integriertes Modell besteht aus einer festen und obligatorischen, teils rhythmisierten Schulzeit für alle Schülerinnen und Schüler der Schule (Holtappels 2005b; Schüpbach et al. 2007b; Schüpbach et al. 2009; Verein Tagesschulen Schweiz 2007).
5.5.2 Grösse der Tagesschulen und deren Form Die Tagesschulen in der Schweiz variieren ziemlich stark in ihrer Grösse. Es gibt sowohl Tagesschulen mit nur 5 Plätzen als auch solche mit 120 (Verein Tagesschulen Schweiz 2007). Der Umfang an Plätzen bzw. die unterschiedliche Schulgrösse hängt zu einem grossen Teil mit der Form zusammen, in der die Tagesschule geführt wird. In einer obligatorischen Tagesschule besuchen alle Kinder über die ganze Woche das Angebot. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler bleibt somit in den Kernzeiten konstant, wohingegen in einer freiwilligen Tagesschule eine wechselnde Zusammensetzung der Kindergruppe der Regelfall ist. Meistens verändert sich die Gruppe der nutzenden Kinder in jedem Modul (z.B. Frühbetreuung oder Mittagsbetreuung). Wie viele Stunden pro Woche die Kinder insgesamt das Angebot nutzen, variiert sehr. Dies zeigen z.B. die Ergebnisse der Evaluation der Tagesschulen des Pilotprojekts in Basel (Baier et al. 2009). Ein Viertel der Kinder verbringt nebst dem Unterricht sechs bis zehn Stunden pro Woche in der Tagesschule. Ein weiterer Viertel nimmt während 16 bis 20 Stunden teil. Jeweils rund 10 Prozent der Kinder besuchen das Angebot während ein bis fünf Stunden, elf bis fünfzehn Stunden bzw. 26 bis 30 Stunden. In einer offenen Tagesschule kann über die ganze Woche somit leichter eine
108
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
grössere Anzahl an Plätzen angeboten werden als in einer gebundenen, in der die Plätze während der Woche immer von den gleichen Schülerinnen und Schülern genutzt werden.
5.5.3 Finanzierung und Schulkosten In der Schweiz ist die Bereitstellung und Finanzierung des Unterrichts in öffentlichen Schulen während der obligatorischen Schulzeit Aufgabe der einzelnen Kantone und Gemeinden. Der Besuch ist für alle Kinder kostenlos. Die Nutzung von ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten hingegen ist für die Eltern von Kindern jeden Alters kostenpflichtig. Auch im Rahmen des HarmoS-Konkordats wurde festgehalten, dass der Besuch der Tagesstrukturen fakultativ und in der Regel beitragspflichtig ist (EDK 2008). Die Finanzierung dieser Angebote wird von unterschiedlicher Seite getragen. Grundsätzlich sind Eltern und Gemeinden in allen Kantonen an der Finanzierung beteiligt. In einigen Kantonen ist auch der Kanton an der Finanzierung der Angebote beteiligt (z.B. Basel-Stadt, Bern, Genf, Glarus, Neuenburg, Waadt, Wallis). Im Weiteren unterstützen gemeinnützige Organisationen, die Wirtschaft und der Bund den Aufbau von Bildungs- und Betreuungsangeboten bzw. Tagesstrukturen. Der Bund subventioniert mit der so genannten Anstossfinanzierung (Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung 2003) während acht Jahren die Schaffung zusätzlicher Bildungs- und Betreuungsangebote für höchstens zwei bis drei Jahre. Es werden Pauschalbeiträge ausgerichtet, die maximal 3000 Franken pro Platz und Jahr betragen (Vollzeitangebot). Die Höhe des Pauschalbeitrags richtet sich nach den Öffnungszeiten der Institution. Ein Vollzeitangebot umfasst eine jährliche Mindestöffnungszeit von 225 Tagen mit drei Betreuungseinheiten pro Tag. Bei kürzeren Öffnungszeiten wird der Pauschalbeitrag linear gekürzt (EDI & BFS 2008). Die Elternbeitragsmodelle und der Kostendeckungsgrad der Beiträge variiert stark zwischen den einzelnen Angeboten. Verschiedene Faktoren haben einen Einfluss auf diese grosse Spannbreite: So gelangen verschiedene Beitragsmodelle zum Einsatz, die teilweise einkommensabhängig sind und in diesem Fall wiederum unterschiedlich modellierte Progressionskurven aufweisen können. Die Personalzusammensetzungen der Tagesschulen sowie unterschiedliche Lohnniveaus und Anstellungsbedingungen je nach Kanton haben im Weiteren einen Einfluss (Mangold & Messerli 2005). Nicht zuletzt unterscheidet sich auch der Betreuungsschlüssel der verschiedenen Angebote, was sich wiederum auf die unterschiedliche Höhe der Gesamtkosten auswirkt. In Anlehnung an den Verein Tagesschulen Schweiz werden in der Schweiz zwei
5.5 Tagesschulen
109
hauptsächliche Beitragsmodelltypen unterschieden (Verein Schweizer Tagesschulen 2001): Modell 1 einkommensabhängige Beiträge mit Quersubventionierung: Es wird von den Eltern ein einkommensabhängiger Beitrag erhoben. Es wird von allen Eltern ein Beitrag zwischen einem minimalen und maximalen Tarif verlangt. Der Betrag der einkommensstarken Familien ist dabei mehr als kostendeckend. Es findet somit eine Quersubventionierung einkommensschwacher Eltern durch Eltern mit höheren Einkommen statt. Modell 2 einkommensabhängige Beiträge, kostendeckend für hohes Einkommen: Auch bei diesem Modell wird von allen Eltern ein Beitrag zwischen einem minimalen und maximalen Tarif verlangt. Der Betrag der einkommensstarken Familien ist jedoch nur kostendeckend und somit für diese kostengünstiger. In manchen Gemeinden ist man dazu übergegangen, den Maximalbeitrag tiefer anzusetzen als dies die Vollkosten verlangen würden, damit die Attraktivität des Angebots auch für Familien mit höherem Einkommen gegeben ist. Die Minimalbeiträge der einkommensabhängigen Tarife liegen in der Deutschschweiz – basierend auf den Angaben des Verein Tagesschulen Schweiz (Verein Schweizer Tagesschulen 2007a) – zwischen 6 Franken und 39 Franken, während die Maximalbeiträge zwischen 22.40 Franken und 82.70 Franken angesiedelt sind. Bei den Tagesschulen mit einheitlichen Tarifen liegen die Tarife zwischen 17.70 Franken und 40 Franken (Stand August 2007).
5.5.4 Differenzen zwischen den Sprachregionen Die Organisation und Entwicklung von ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten, insbesondere von Tagesschulen, unterscheidet sich in den drei Hauptsprachregionen. Währenddem in der Deutschschweiz eine tendenzielle Entwicklung hin zu ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten und insbesondere Tagesschulen als (räumlich-)organisatorische Einheiten festzustellen ist, bilden Unterricht und Betreuung in der Westschweiz (insbesondere in den grösseren Städten) keine organisatorische und teilweise auch keine örtliche Einheit. Das heisst, Betreuungs- und Schulteam sind in der Regel nicht der gleichen Leitung unterstellt und zusätzliche Angebote nebst dem Unterricht befinden sich eher nicht auf dem Schulareal (Lambelet-Krafft 2008; Mangold & Messerli 2005). LambeletKraft (2008) hält fest, dass die Kantone in der Romandie seit einigen Jahren mit viel Engagement ausserfamiliale Bildungs- und Betreuungsangebote – aber im
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5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
definierten Sinne weniger Tagesschulen – aufbauen. Die Umsetzung erfolgt im Sinne des HarmoS-Konkordats (EDK 2008). Die Bildungs- und Betreuungsangebote werden in den einzelnen Westschweizer Kantonen unterschiedlich bezeichnet. So wird im Kanton Waadt von den „acceuils pour enfants en milieu scolaire“ (APEMS) (in Lausanne), „unités d’accueil pour écoliers“ (UAPE) oder „unités d’accueil parascolaire (UAP) gesprochen, währendem diese in Genf als „animation parascolaire“ sowie in Neuchâtel und Fribourg als „accueils extrascolaire“ bezeichnet werden (LambeletKrafft 2008; Mangold & Messerli 2005). Die Kantone Genf und Waadt und insbesondere die Städte Genf und Lausanne nehmen beim Ausbau des Angebots eine Vorreiterrolle ein. Die Angebote für Vorschul- und Schulkinder im Alter von 4 bis 12 Jahren wird immer noch weiterentwickelt und ausgebaut. Häufig beschränkt sich das Angebot für Kinder über 12 Jahre auf eine Möglichkeit zum Mittagessen. Verantwortlich im Kanton Genf ist dabei die „Groupement intercommunal pour l’animation parascolaire“ (GIAP) und in der Waadt der „Dienst für Jugend und Freizeit“ (Lambelet-Krafft 2008). Alle Westschweizer Kantone haben Gesetze über die Tagesbetreuung der Kinder geschaffen, welche die Betreuung für Kleinkinder, Vorschul- und Schulkinder regeln (z.B. Loi sur l'accueil de jour des enfants (LAJE) du canton de Vaud 2006, Stand 2007; Loi sur l’instruction publique (LIP) du canton de Genève 1940, Stand 2008). Bezüglich der Finanzierung ist die Situation vergleichbar mit derjenigen in den Deutschschweizer Kantonen. Diese wird aufgeteilt zwischen den Eltern, den Gemeinden und Dritten. Es sind dies der Bund mittels Anschubfinanzierung, die Kantone, gemeinnützige Organisationen und die Wirtschaft (Kanton Waadt). Ein wenig anderes ist das Modell in der Waadt. Die Finanzierung läuft in diesem Kanton über eine Stiftung für die Tagesbetreuung der Kinder (FAJE), die mit Inkraftsetzung des neuen Gesetzes (Loi sur l'accueil de jour des enfants (LAJE) du canton de Vaud) gegründet wurde und von Kanton, Gemeinden und Arbeitgebern getragen wird. In allen Kantonen findet man sowohl einheitliche als auch einkommensabhängige Tarife (Lambelet-Krafft 2008). Im Kanton Tessin besteht ein flächendeckendes Tagesbetreuungsangebot für Kinder ab drei Jahren. Im Schuljahr 2004/05 besuchten 60 Prozent der Dreijährigen, 95 Prozent der Vierjährigen und gar 98 Prozent der Fünfjährigen den Kindergarten, die so genannte „Scuola dell’infanzia“ (Aeberli & Binder 2005). Auf der Primarschulstufe (erstes bis fünftes Schuljahr) bietet nur noch zwischen einem Viertel und der Hälfte der Schulen ein Essen über den Mittag an (vgl. Tab. 1, Kap. 5.3.2). Das kantonale Gesetz garantiert den Kindern ein Mittagessen nur dann, wenn diesen der Schulweg über Mittag nicht zugemutet werden kann. Ansonsten liegt es in der Kompetenz der Gemeinde, ob sie ein Angebot zur Verfügung stellen will (Aeberli & Binder 2005). Laut den Angaben des Berichts
5.5 Tagesschulen
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Familien in der Schweiz (EDI & BFS 2008) setzen des Weiteren rund 50 Prozent der Primarschulen ein Tagesschulmodell um.
5.5.5 Soziale Zusammensetzung der Schülerschaft und Entscheidungskriterien der Eltern Mit dem Ausbau der Tagesschulen treten insbesondere zwei Fragen auf: „zum einen, wer an den Ganztagesangeboten teilnimmt, zum anderen, wer vom Ausbau der Ganztagsschulen möglicherweise besonders profitieren könnte“ (Züchner et al. 2007, p. 106). Die Tagesschule richtet sich in ihrer Konzeption nicht an spezielle Zielgruppen, sondern ist als ein allgemeines, infrastrukturelles Angebot ausgelegt (ebd.). Das Spektrum an Angeboten legt jedoch die Schlussfolgerung nahe, dass Schulen mit ganztägigen Angeboten besondere Chancen für leistungsschwache Schüler bilden (Radisch et al. 2006). Zudem besteht in vielen Schulen die Möglichkeit zur freiwilligen Nutzung der ausserfamilialen Angebote. Daraus entstehen zwei häufig formulierte Befürchtungen sozialer Selektivität. Einerseits befürchtet man, dass die Angebote zu stark auf die Förderung der benachteiligten Kinder ausgerichtet seien und überwiegend von diesen genutzt werden, was segregierende und stigmatisierende Folgen mit sich bringen könnte. Andererseits wiederum hegt man die Besorgnis, dass kostenpflichtige Angebote vor allem von Kindern aus bildungsnahem Elternhaus genutzt werden (Stolz & Arnoldt 2007; Züchner et al. 2007). Um die genannte soziale Selektivität der Teilnahme zu untersuchen, lassen sich verschiedene Indikatoren heranziehen. Diese beschreiben sowohl den sozialen und ökonomischen Status der Familien als auch ihr vorhandenes „kulturelles Kapital“. Darunter lassen sich nach Züchner et al. (2007) die Familienform, Migrationserfahrungen der Familie, der sozioökonomische Hintergrund der Familie sowie die Teilnahme an der bürgerlichen Kultur (Bourdieu 1982) subsumieren. Weitere relevante Faktoren im Zusammenhang mit dem interessierenden Thema sind die Erwerbstätigkeit und eine gesicherte Betreuung der Kinder. Für die Schweiz existieren keine umfassenden repräsentativen Erhebungen zur Sozialstruktur der Schülerinnen und Schüler in Tagesschulen. Deshalb wird der Blick auf Studien aus Deutschland ausgeweitet. Erste Ergebnisse bezüglich dieser noch marginal untersuchten Fragestellung findet man bei Züchner et al. (2007) aus der Studie „Ganztagsschule in Deutschland“ (StEG). Zunächst ist die Teilnahme am Ganztagsbetrieb abhängig vom bestehenden Angebot, welches je nach Schule, Schulform oder Klassenstufe variieren kann. Weitere Analysen zeigen in Bezug auf die individuellen Einflussfaktoren, dass in der Grundschule die Frage der Erwerbstätigkeit der Eltern und die Betreuung der Kinder eine
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5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
wichtige Rolle spielen sowie dass die Ganztagsschule Kinder und Jugendliche aus Familien mit Migrationshintergrund ihrem Anteil entsprechend erreicht. Auch im Hinblick auf die soziale Herkunft scheinen die Daten der StEG-Studie nicht auf soziale Selektionsprozesse durch Ganztagsschulen hinzuweisen. Das heisst, dass die Angebote weder vermehrt von Kindern aus sozial benachteiligten noch aus eher bildungsnahen Familien genutzt werden. Dieser Befund wird zudem durch eine Sekundäranalyse zu den Daten der internationalen GrundschulLeseuntersuchung (IGLU) bestätigt: „Die Arbeit an Schulen mit ganztägigem Angebot wurde also hinsichtlich des sozioökonomischen Status nicht durch ein besonderes Klientel geprägt“ (Radisch et al. 2006, p. 44). Die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft bei Ganztagsangeboten wurde auch bei einer bundesweiten Befragung von Schulleitungen an Ganztagsschulen in Deutschland untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass in den meisten Fällen die Zusammensetzung bei den Ganztagsangeboten der Schülerpopulation der Schule entsprach. Abweichungen gingen aber deutlich in Richtung „Problemgruppen“. Unterschiede in der Schülerzusammensetzung wurden häufiger in offenen Tagesschulen sichtbar (Höhmann et al. 2005). In der Studie zu offenen Ganztagsangeboten in Nordrhein-Westfalen zeigen denn auch die Elternauskünfte aus 62 Schulen, dass der soziale Status sehr wohl eine Rolle spielt (höhere Nutzung durch Kinder von Eltern mit vergleichsweise guter Bildung sowie eher mittlerem und hohem Berufs- und Sozialstatus) und dass zugleich Kinder mit Schulproblemen (aus Elternsicht) überrepräsentiert sind (Beher et al. 2007; Wissenschaftlicher Kooperationsverbund 2006). In Bezug auf den Migrationshintergrund werden in Nordrhein-Westfalen grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Schulen festgestellt. Der Anteil solcher Kinder liegt an einigen Schulen über 60 Prozent, an anderen unter 5 Prozent (Beher et al. 2005). Die Sekundäranalyse der IGLU-Daten offenbart, dass der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund fast doppelt so hoch wie in anderen Schulen ist, was für die Autoren als Hinweis gedeutet wird, dass es zum Zeitpunkt der IGLU-Erhebungen gelang, das Klientel, welches durch ganztägige Angebote besonders profitieren kann, auch zu erreichen (Radisch et al. 2006). Die Daten aus dem offenen Ganztag Nordrhein-Westfalen offenbaren, dass ein Bündel von Faktoren für die Teilnahmeentscheidung eine Rolle spielt: Vergleichsweise gut gebildete, erwerbstätige Eltern und Alleinerziehende entscheiden sich eher für Tagesschulen. Vermehrt vertreten sind auch jüngere Kinder (bis zur dritten Klasse) und Kinder aus kleineren Familien. Als dominierendes Motiv für die Nicht-Teilnahme wird der Wunsch, die Kinder selbst zu Hause betreuen zu wollen, genannt. Für ein Viertel der Befragten sind jedoch auch die Kosten Ausschlag gebend. Dies ist insbesondere bei Eltern mit Migrationshintergrund
5.5 Tagesschulen
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und Befragten aus der niedrigsten Sozialschicht der Fall (Beher et al. 2007; Wissenschaftlicher Kooperationsverbund 2006). Unsystematische Beobachtungen in der Schweiz lassen vermuten, dass – nebst dem immer noch vorherrschenden Wunsch, das Kind über weite Strecken selber zu betreuen – die Höhe der einkommensabhängigen Kosten ein wichtiges Kriterium für das Gelingen einer Durchmischung ist. So findet man in einigen Tagesschulen mit einkommensabhängigem Elternbeitrag Tendenzen, dass diese vor allem von Kindern aus Familien mit tiefem Einkommen – stark subventionierter Elternbeitrag – besucht werden, da der Beitrag für mittlere und gute Verdiener verhältnismässig hoch ist. Das bedeutet, dass in diesem Fall eine tendenzielle Nutzung von Kindern mit tiefem sozioökonomischem Status überwiegt. Verbreitet wird der Besuch der Bildungs- und Betreuungsangebote momentan von Fachstellen als sonderpädagogische Massnahme bei familiären oder schulischen Problemen empfohlen, was verschiedentlich zu einer ungünstigen Mischung führt und höhere Ansprüche an das Personal stellt. In diesem Zusammenhang muss auch die Frage nach zusätzlichem Bedarf an (sonder-)pädagogischem Fachpersonal aufgeworfen werden.
5.5.6 Organisation von Unterricht und Bildungs- und Betreuungsangeboten Grundsätzlich besteht eine Tagesschule aus Unterrichtszeiten sowie Bildungsund Betreuungszeiten. Wobei sich der Unterricht einer öffentlichen Tagesschule an den jeweiligen kantonalen Richtlinien der Volksschule zu orientieren hat (Aeberli & Binder 2005; Binder et al. 2000; Verein Tagesschulen Schweiz 2007). Tagesstruktur Die Ausgestaltung der Tagesstruktur unterscheidet sich zwischen einem integrierten und einem additiven Tagesschulmodell. In einer integrierten Tagesschule gliedert sich der Schultag in so genannte Kern- und Auffangzeiten. Als Kernzeiten werden diejenigen Zeiten gekennzeichnet, zu denen alle Kinder obligatorisch anwesend sein müssen. Dies trifft die eigentlichen Unterrichtsstunden, das Mittagessen und die integrierten Aufgabenzeiten (anstelle von Hausaufgaben, die zuhause erledigt werden) zu. Die obligatorischen Kernzeiten sind von Unterrichtsbeginn (ca. ab 8 Uhr) bis ca. 15.30 Uhr, am Mittwoch nur bis Mittag (vgl. Tab. 3). Das heisst, der Mittwochnachmittag ist normalerweise unterrichtsfrei und fällt zu den Auffangzeiten. Die freiwilligen Auffangzeiten vor und nach den Kernzeiten ab ca. 7 Uhr bis etwa 18.00 Uhr können von den Eltern
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5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
individuell gewählt werden (Binder et al. 2000; Verein Tagesschulen Schweiz 2007). Die genauen Anfangs- und Schlusszeiten der Auffang- wie der Kernzeiten unterscheiden sich je nach Schule. Meist müssen sich die Eltern und deren Kinder für die regelmässige Nutzung bestimmter Auffangzeiten über ein Semester oder eine Schuljahr verpflichten. Gewisse Schulen handhaben den Besuch auch flexibler. Tab. 3
Schematische Tagesstruktur der obligatorischen und der freiwilligen Tagesschule
Zeit
Obligatorische Tagesschule
Freiwillige Tagesschule Modul: Freiwillige Angebote, Frühbetreuung
Ab 07.00
Auffangzeit
08.00 12.00h
Unterricht
Unterricht
12.00 13.30h
Mittagessen
Modul: Mittagessen
13.30 15.30h
Unterricht mit integrierter Aufgabenzeit
Unterricht oder Modul: Freiwillige Angebote I 15.30 18.00h
Auffangzeit
Modul: Freiwillige Angebote II
Obligatorische Zeiten für alle
In einer freiwilligen Tagesschule mit einem additiven Modell werden ausserhalb des obligatorischen Unterrichts am Morgen vor Schulbeginn, über Mittag und nach Schulschluss am Nachmittag freiwillige Bildungs- und Betreuungsmodule angeboten (vgl. Tab. 3). Eine Betreuung der Hausaufgaben findet in den Nachmittagsmodulen statt. Die Nutzung aller genannten Angebote ist freiwillig und modular – d.h. sie können nach Bedarf als einzelne Einheiten während einer Woche gebucht werden – und die einzelnen Module werden meist aufgrund ihrer Nachfrage realisiert. Eine Anmeldung verpflichtet die Kinder grösstenteils zu einer Nutzung der ausgewählten Module während eines Semesters oder gar eines Schuljahres.
5.5 Tagesschulen
115
Einige Tagesschulen schreiben eine gewisse Mindestnutzung an Modulen pro Woche vor, um eine grössere Konstanz der Kindergruppe und eine grössere Kontinuität über die Woche hinweg gewährleisten zu können. Dies ist beispielsweise in den Pilotschulen in Basel-Stadt der Fall, in denen im Schuljahr 2008/09 nur Kinder aus dem Quartier, in dem sich die Schule befindet, die Angebote nutzen dürfen, welche die Angebote wöchentlich während mindestens acht Stunden besuchen. Diese Tagesschulen in Basel stehen auch Schülerinnen und Schülern offen, die nicht im Quartier wohnen. Sie können angemeldet werden, wenn sie wöchentlich während mindestens zwölf Stunden Betreuungsangebote nutzen möchten. Unterrichtformen und -organisation Öffentliche Tagesschulen sind Regelschulen, die sich grundsätzlich an die kantonalen Vorgaben halten müssen. Dies bezieht sich auf den Unterrichtsumfang, den Lehrplan, die Leistungsanforderungen, aber auch auf die Methodik und Didaktik des Unterrichts. Gerade obligatorische, integrierte Tagesschulen haben jedoch oft den Anspruch, im Rahmen der mehr zur Verfügung stehenden Zeit, einen Unterricht anzubieten, der (reform-)pädagogischen Zielen gerecht werden kann (Holtappels 2005b; Mangold & Messerli 2005). Aber auch eine Umsetzung von Blockzeiten – die meistens die Basis für eine freiwillige Tagesschule darstellen – als Unterrichtsentwicklung mit einer veränderten Rhythmisierung des Unterrichts – ermöglicht prinzipiell pädagogische Innovationen. So können, beispielsweise mit einer äusseren Rhythmisierung mit grösseren Zeiteinheiten wie mit 90-minütigen Blöcken und zusätzlicher innerer Rhythmisierung mit unterschiedlichen Lehr- und Lernformen sowie wechselnden Sozialformen, längere produktive Arbeitsphasen geschaffen werden, die eine eingehende Vertiefung ermöglichen (vgl. z.B. Solothurner Blockzeitenmodell Kap. 5.4.3). Freiwillige Bildungs- und Betreuungsangebote – ausserunterrichtlicher Teil Neben dem herkömmlichen Unterricht kann in der so genannten Auffangzeit (obligatorische Tagesschule) und im Rahmen der freiwilligen Bildungs- und Betreuungsmodule (freiwillige Tagesschulen) ein vielseitiges Programm stattfinden. Tietze et al. (2003) unterscheiden dabei Angebote, Aktivitäten und Routinen: Angebote sind vom pädagogisch tätigen Personal geplante Aktivitäten, die sich am Entwicklungsstand der Kinder orientieren und Anreize in unterschiedlichen pädagogischen Bereichen bieten. Mahoney et al. (2005) sprechen im gleichen Zusammenhang von „organized activities“. Mit „organized“ ist
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5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz
gemeint, dass es sich um Aktivitäten handelt, die strukturiert sind, von Erwachsenen geführt werden und gewisse Entwicklungsziele mit sich bringen. Das wohl häufigste Angebot ist die Hausaufgabenbetreuung (Morgenstern 2008). Es besteht jedoch auch Zeit für spontane oder geplante Aktivitäten zur Verfügung. Diese Aktivitäten können auf Impulse des Personals oder auf Eigeninitiative der Kinder zurückgehen. Dabei gehören nebst dem freien Spiel – welches drinnen oder draussen stattfinden kann – oder Ausflügen, auch Projekte wie Sportangebote, Malangebote, Bastelangebote dazu. Tietze et al. (2003) unterscheiden im Weiteren Aktivitäten von Routinen, welche im Tagesablauf wiederkehrende Situationen der Versorgung und Pflege wie Mahlzeiten oder Ruhephasen sind. Auch Routinen sind kennzeichnend für die freiwilligen Bildungs- und Betreuungsmodule bzw. die Auffangzeiten in Tagesschulen (Schüpbach & Herger 2008). Die (Haus-) Aufgabenbetreuung ist sowohl bei der obligatorischen als auch bei der freiwilligen Tagesschule gewährleistet. In der obligatorischen, integrierten Tagesschule ist eine Aufgabenzeit meistens in die obligatorische Kernzeit integriert. Im Rahmen einer rhythmisierten Ganztagsstruktur entscheidet die Lehrperson, wann dieses Element innerhalb des Tagesablaufs platziert wird. Diese Zeit kann von der Lehrperson auch als individuelle Vertiefung mit gewissen Kindern genutzt werden. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass Kinder zuhause gewisse Hausaufgaben erledigen müssen (Binder et al. 2000; Mangold & Messerli 2005). In der freiwilligen Tagesschule findet eine Hausaufgabenbetreuung in der Regel im Anschluss an den Unterricht in den freiwilligen Nachmittagsmodulen statt. Es handelt sich dabei um ein Sichern von günstigen Rahmenbedingungen (festes Zeitfenster, Raum, Ruhe zum Arbeiten), welche es den Kindern ermöglichen, die Hausaufgaben unter ruhigen und funktionalen räumlichen Verhältnissen sowie unter personeller Aufsicht ausführen zu können (Baier et al. 2009). Im Normalfall handelt es sich dabei nicht um eine erweiterte Form der Hausaufgabenunterstützung, welche vom Betreuungsteam geleistet wird. Ein weiteres wichtiges Element des Tagesablaufs einer Tagesschule ist die Organisation der Mittagszeit mit einem Mittagessen und nachfolgender Zeit für allfällige Aufräumarbeiten, freiem Spiel oder Ruhezeit. Die Mittagsmahlzeit ist in der Tagesschule ein wichtiger Bestandteil, nicht nur um das Hungergefühl zu stillen, sondern auch um den Kindern eine gesunde Ernährung zu ermöglichen – was heute vor allem infolge der Zunahme übergewichtiger und essgestörter Kinder wichtig ist – sowie das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Die Organisation des Mittagstischs erfolgt aufgrund der infrastrukturellen, geographischen und finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Tagesschule. Deswegen gibt es mehrere Verpflegungssysteme:
5.5 Tagesschulen
117
Frischkostsystem: frische Ware wird in der Schule gekocht. Relaisküchensystem: Vorbereitete Speisen werden von einer benachbarten Grossküche in Warmhaltegefässe in die Schule gebracht und dort gegart, ergänzt und angerichtet. Verteilerküchensystem: Alle Speisen werden in einer Küche ausserhalb der Schule gekocht und fertig zubereitet. Mischküchensystem: Tief gekühlte Fertiggerichte oder Kühlkost werden in der Küche erhitzt und mit frischen Beilagen ergänzt. Catering: Die Gesamtversorgung wird einem Pächter übergeben, welcher für die Beschaffung der Speisen, die Aufbereitung, Portionierung und Austeilung verantwortlich ist. (Appel & Rutz 2005, p. 159)
In der Schweiz findet man überwiegend das Frischkostsystem, das Verteilerküchensystem und das Catering. Das Frischkostsystem erscheint pädagogisch am sinnvollsten, da die Kinder zur Essensvorbereitung und den damit verbundenen Aufgaben beigezogen werden können. So werden implizit verschiedene Kompetenzen und Fertigkeiten geübt (z.B. feinmotorische Fertigkeiten beim Schneiden). Ausserdem erhalten die Kinder in der heutigen "Fast-Food-Gesellschaft" Einsicht in eine gesunde Ernährung. Im Anschluss an das Mittagessen steht den Schülerinnen und Schülern meistens Zeit zum freien Spiel im und ausserhalb des Schulhauses und den jüngeren Kindern nach Möglichkeit für eine Ruhephase zur Verfügung (Aeberli & Binder 2005).
5.5.7 Personalstruktur In der Deutschschweiz werden bezüglich der Personalzusammensetzung an einer Tagesschule folgende drei Modelle praktiziert: 1.
2.
Die Tagesschule beschäftigt ausschliesslich Lehrpersonen. Diese übernehmen ebenfalls Verantwortung für die erweiterten Lern- und Förderzeiten und damit die ausserunterrichtlichen Module wie den Mittagstisch oder die Hausaufgabenbetreuung. Diese Form baut auf der Konzeptidee "Bildung aus einer Hand". Das Kollegium der Tagesschule setzt sich aus Lehrpersonen und weiterem pädagogisch tätigem Personal (Fachperson Betreuung, Kleinkindererzieherinnen, dipl. Sozialpädagogin, keine pädagogisch ausgebildeten Fachpersonen u.a.) zusammen. Beide Gruppen werden sowohl im unterrichtlichen als auch im ausserunterrichtlichen Bereich eingesetzt. Die zugrunde
118
3.
5 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz liegende Konzeptidee kann als "alle anders – alle gleich" bezeichnet werden. Die Tagesschule unterscheidet innerhalb des Kollegiums zwei verschiedene Teams: das Lehr(-personen)team und das (sozialpädagogische) Betreuungsteam. Diese beiden Teams ergänzen sich und verfügen über regelmässige Gefässe für Austausch und Beratung. Sie arbeiten mit der Konzeptidee „gemeinsam sind wir stark“ (Schüpbach & Herger 2008).
Die Qualitätsanforderungen an das im ausserunterrichtlichen Teil pädagogisch tätige Personal gestalten sich momentan alles andere als homogen. Es besteht – ausserhalb von Fachkreisen – noch kein Konsens, dass Personen, die im ausserunterrichtlichen Teil tätig sind, eine pädagogische Grundausbildung mitbringen sollten. So findet man in diesem Bereich von Fachpersonen mit einem Fachhochschulabschluss (Sozialpädagogik, Soziale Arbeit, Lehrdiplom u.a.), über Personen mit einer pädagogischen Berufsausbildung (Kleinkindererzieherin, Fachperson Betreuung u.a.) bis hin zu Personen ohne pädagogische Grundausbildung. Es gibt für die Schweiz bis anhin keine Erhebungen bezüglich des Qualifikationsniveaus des pädagogisch tätigen Personals (Mangold & Messerli 2005). Die Evaluationsergebnisse der Tagesschulen in Basel-Stadt zeigen jedoch auf, dass an die Funktion der Gruppenleitung hohe Anforderungen gestellt werden. Deshalb wird vom Evaluationsteam empfohlen, im Hinblick auf Neueinstellungen, die Gruppenleitungsfunktion mit Mitarbeitenden mit Fachhochschulabschluss zu besetzten. „Zudem ermöglicht ein solches Upgrading der Gruppenleitungsfunktion, dass sich diese mit den Lehrpersonen auf symmetrischer Ebene – auf gleicher Augenhöhe – begegnen, was eine konstruktive Zusammenarbeit unterstützt“ (Baier et al. 2009, p. 116). Auch für eine künftige Anstellung als „Mitarbeitende Betreuung“ an einer Tagesschule in Basel wird eine pädagogische Grundausbildung empfohlen (ebd.). Genauso heterogen wie sich die Personalstruktur und das Qualifikationsniveau des Personals in Tagesschulen darstellen, zeigt sich auch deren Entlöhnung. In allen drei dargestellten Modellen stellt sich die Frage, wie das pädagogisch tätige Personal und bzw. oder die Lehrpersonen für ihre Arbeit im ausserunterrichtlichen Teil entschädigt werden sollen. Es werden in den Deutschschweizer Schulen momentan unterschiedliche Finanzierungsformen eingesetzt. So werden bei einer Variante die Lehrpersonen nach einem bestimmten Schlüssel in der Unterrichtstätigkeit entlastet. In den Städten Bern und Basel beispielsweise hat sich diese Variante bereits etabliert. Der Umrechnungsfaktor in Basel beträgt 1.71, d.h. für 1.71 Betreuungsstunden pro Woche wird die Lehrperson um eine Lektion entlastet.
5.5 Tagesschulen
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Eine weitere Variante – für Lehrpersonen, die im ausserunterrichtlichen Teil arbeiten jedoch keine sehr attraktive Lösung – ist ein zusätzlicher Arbeitsvertrag für die Lehrpersonen explizit für diese Tätigkeit, der dem tieferen Lohnniveau des weiteren pädagogisch tätigen Personals entspricht (Verein Schweizer Tagesschulen 2008). Somit ist bereits angesprochen, dass die Löhne für die Arbeit im ausserunterrichtlichen Teil im Vergleich zum unterrichtlichen Teil der Tagesschule sehr tief liegen. Die Lohndifferenzen sind teilweise beträchtlich. Dies ist wohl einerseits auf den mangelnden Konsens bezüglich des Einsatzes von (hoch) qualifiziertem Personal und andererseits auf den aktuellen unterschiedlichen Ausbildungshintergrund der angestellten pädagogisch tätigen Personen zurückzuführen.
6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung bezüglich der kindlichen Entwicklung 6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung
Im Zusammenhang mit der Einführung einer ganztägigen Bildung und Betreuung im Speziellen in Form von Tagesschulen sowie mit den an sie gerichteten vielfältigen Erwartungen – insbesondere an die Entwicklung der Heranwachsenden – stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit im Vergleich zu „traditionellen Schulen“ und deren Unterricht. Können sie den an sie gestellten Erwartungen gerecht werden? In diesem Kapitel soll der diesbezügliche Forschungsstand dargestellt werden, wobei kein Unterschied zwischen dem Blockzeitenunterricht und dem in der Schweiz lange Zeit vorherrschenden „traditionellen Unterricht“ gemacht werden kann.20 Dabei muss berücksichtigt werden, dass seit Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Staaten unterschiedliche Entwicklungen stattfanden. In Ländern wie England, Frankreich und in den USA wurde eine ganztägige Schulorganisation beibehalten, währenddem sich in Deutschland und Österreich die Halbtagsschule durchsetzte. In der Schweiz wurde mit wenigen Ausnahmen die traditionelle „Ganztagschulorganisation“ beibehalten. Das heisst, die Vor- und Nachmittagsblöcke sind relativ kurz gehalten, die Anfangs- und Schlusszeiten variieren täglich, und für die Mittagspause kehren die Schülerinnen und Schüler in der Regel ins Elternhaus zurück. Einzelne Nachmittage sind schulfrei, der Mittwochnachmittag ist schulfrei für alle Schülerinnen und Schüler (vgl. Kap. 5.1). Diese unterschiedlichen Schulorganisationen manifestieren sich auch in den Forschungsbestrebungen in den entsprechenden Ländern. Während in Ländern mit einer ganztägigen Schulorganisation die Wirksamkeit dieser Organisation nicht von spezifischem Forschungsinteresse ist, wird in der Schweiz und in den deutschsprachigen Nachbarländern im Zusammenhang mit dem Ausbau hin zu einer ganztägigen Bildung- und Betreuung dieses immer grösser, beginnt aber nach Radisch und Klieme (2003, p. 195) im umfassenden Sinne erst nach 2003. Relevante Befunde zur Wirksamkeit ganztägiger Schulorganisation, im Vergleich zur halbtägigen (in Deutschland und Österreich) bzw. der traditionellen Organisation in der Schweiz, sind jedoch nur sehr vereinzelt vorhanden. Diese Forschungsansätze können nach Holtappels (2005a) der systembezogenen 20
Es gibt keine spezifischen Befunde zur Wirksamkeit von Blockzeiten.
122
6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung
Schulqualitätsforschung und Wirksamkeitsforschung zugewiesen werden, welche u.a. verschiedene Schulformen und Teilsysteme zum Gegenstand hat. Bei der ganztägigen (Schul-) Organisation mit freiwilligen bzw. additiven Modellen wie sie momentan in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktuell zum grössten Teil konzipiert wird, setzt sich der Ganztag aus Unterricht und einem (zusätzlichen) ausserunterrichtlichen Teil zusammen. Bei einem obligatorischen bzw. integrierten Tagesschulmodell findet ein Verschmelzen der beiden Elemente im Tagesverlauf statt. Das heisst, bei der Wirksamkeitsanalyse der ganztägigen Bildung und Betreuung müssen auf jeden Fall der Unterricht und der ausserunterrichtliche Teil mitberücksichtigt werden. Die Schule hat die Aufgabe, die Kinder in ihrer Entwicklung zu fördern. Dies ist in den Schulgesetzen und Lehrplänen der Volksschulen der Schweiz verankert. So werden die Aufgaben der Schule beispielsweise in den Leitideen im Lehrplan der Volksschule des Kantons Aargau wie folgt umschrieben: Die Schule unterstützt die Kinder und Jugendlichen in ihrer geistigen, emotionalen, sozialen und motorischen Entwicklung und vermittelt ihnen eine breite Allgemeinbildung. Sie leistet einen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung und zu einer aktiven und erfüllten Lebensgestaltung der Schülerinnen und Schüler. Die Primarschule macht die Kinder mit den Anforderungen der Schule und der Gesellschaft vertraut. Sie vermittelt grundlegende Kulturtechniken und gültige Ausdrucksformen für selbstständiges Denken und Handeln. (Lehrplan für die Volksschule des Kantons Aargau 2000, p. 1)
Im Unterricht wird meist ein Schwerpunkt bei der Entwicklung der fachlichen Kompetenzen der Kinder gelegt. Die Aufgaben einer öffentlichen Tagesschule, die sich für den Unterricht an den kantonalen Schulgesetzen zu orientieren hat, unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denjenigen einer traditionellen Schule. Im ausserunterrichtlichen Teil wird jedoch die Förderung der Kinder in ihrer sozio-emotionalen Entwicklung und bezüglich ihrer Alltagfertigkeiten in den Mittelpunkt gestellt. Anders als für den Unterricht sind die Ziele, Aufgaben, Leitideen in den meisten Kantonen nicht kantonal festgelegt. Das Vorhandensein dieser und deren Umsetzung sind weitgehend von den einzelnen Schulen bzw. Schulgemeinden abhängig. Es stellt sich die Frage, ob man bei Lernprozessen in einer ganztägigen (Schul-) Organisation von anderen Wirkungsketten auszugehen hat als im Unterricht in „traditionellen Schulen“. Dazu vertreten Radisch et al. (2008b) folgende nachvollziehbare Haltung: Die bislang geringe theoretische Aufarbeitung lässt sich teilweise auffangen, indem man davon ausgeht, dass die programmatischen Vorschläge und Konzeptionen für
6.1 Ganztägige Bildung und Betreuung im Schulalter: D, A, CH
123
ganztägiges Lernen eng an Vorstellungen angelehnt sind, die sich seit vielen Jahren in der Reformpädagogik einerseits und in der Schulqualitäts- und Schuleffektivitätsforschung andererseits finden lassen. Entsprechend lässt sich auch argumentieren, dass die Merkmale, die eine gute Ganztagsschule ausmachen, kaum anders gelagert sind als in Halbtagsschulen. Auch die Wirkungsketten, über die Lernen und Persönlichkeitsentwicklung unterstützt werden, sind in Ganztagsschulen nicht prinzipiell anders als in Halbtagsschulen, und die Faktoren, die ganz allgemein für das Lernen im Schulalltag bzw. in institutionalisierten Kontexten wichtig sind, dürften auch in Ganztagsschulen relevant sein. (ebd., p. 929)
Verbreitet untersucht wurde die Wirksamkeit ausserfamilialer Bildung und Betreuung im Frühbereich insbesondere in den USA, Grossbritannien und in den skandinavischen Ländern. Dieses Thema und Forschungsfeld erweist sich dort seit einigen Jahrzehnten als relevant, werden doch in diesem Bereich auch politische Anstrengungen für die Sicherung qualitativ guter Angebote unternommen. Es kann vermutet werden, dass Parallelen zum ausserunterrichtlichen Teil an Tagesschulen für Schulkinder bestehen. Im Folgenden werden die Befunde zur ganztägigen Bildung und Betreuung im Schulalter aufgrund der beschriebenen traditionellen Unterschiede aus der Schweiz und dem deutschen Sprachraum getrennt von denjenigen aus Ländern mit einer ganztägigen Schultradition dargestellt. So wird zuerst der Forschungsstand zur ganztägigen (Schul-)Organisation im Vergleich zur halbtägigen (in Deutschland und Österreich) bzw. der traditionellen Organisation in der Schweiz beschrieben (Kap. 6.1), bevor der internationale Forschungsstand – aus Ländern mit einer ganztägigen Schultradition – zur Wirksamkeit im Schulalter erläutert wird (Kap. 6.2). Nachfolgend werden ausserdem Resultate zur Bildung und Betreuung im Frühbereich (Kap. 6.3) herangezogen, die im Zusammenhang mit ganztägiger Bildung und Betreuung im Schulalter als relevant erachtet werden.
6.1 Ganztägige Bildung und Betreuung im Schulalter in Deutschland, Österreich und in der Schweiz 6.1 Ganztägige Bildung und Betreuung im Schulalter: D, A, CH In der Schweiz wie auch in Deutschland und Österreich fehlen nach unserer Erkenntnis empirische Studien, die Effekte von ganztägigen im Vergleich zu traditionellen Schulformen auf die kognitive und sozio-emotionale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler untersuchen, weitgehend. Es liegen jedoch Studien vor, die am Rande die Thematik streifen oder aber solche, die Sonderauswertungen durchführten. Im Weiteren existiert eine Vielzahl von Begleitforschung zu Modellprojekten einzelner Schulen von regionaler Bedeutung mit nur geringer Stichprobengrösse.
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6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung
Am Rande wird die ganztägige Bildung und Betreuung im Rahmen der Gesamtschulforschung thematisiert. So hält Fend (1982) fest, dass bei einer ganztägigen Organisation der Schule ein positiver Effekt auf die Schulleistung zu erwarten sei. Bei der Betrachtung dieser Folgerung muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese auf Befunden basiert, bei denen eine Konfundierung zwischen Merkmalen der Ganztagesschule und anderen Schulreformmerkmalen, welche im Mittelpunkt Fends Untersuchung stehen, wahrscheinlich ist. Einem älteren Forschungsüberblick von Ipfling (1981) zum Experimentalprogramm aus Modellversuchen mit Ganztagsschulen zufolge zeigen sich nach Holtappels (2007a, p. 42) im Hinblick auf Schulleistung, Schulerfolg, Disziplinprobleme und Schulangst keine wesentlichen Unterschiede zwischen Ganztagsund Halbtagsschulen. Es konnte jedoch eine Verbesserung bezüglich des Sozialklimas, des Gemeinschaftslebens und des Sozialverhaltens festgestellt werden. Diese Befunde stimmen (Holtappels et al. 2007a) weitgehend mit der Evaluation österreichischer Ganztags- und Tagesheimschulen überein (Dobart et al. 1984), einer weiteren Studie, die jedoch bereits mehr als 25 Jahre zurückliegt. In einer unveröffentlichten Sonderauswertung der Hamburger LAU-Studie in den 1990er Jahren wird zwischen Ganztagsschulen und anderen Schulen kein relevanter Leistungsunterschied festgestellt. Jedoch kann eine niedrigere durchschnittliche Streuung der Leistung in den Ganztagsschulen aufgezeigt werden. Es kommt zu einer Nivellierung der durchschnittlichen Leistungen auf einem tieferen Niveau. Es muss jedoch angefügt werden, dass sich die Ergebnisse aufgrund der geringen Stichprobe nicht absichern lassen (Radisch & Klieme 2003). Bei einer Sekundäranalyse des APU-Datensatzes (Hessische ArbeitsPlatzUntersuchung) von Steiner, Schweitzer und Klieme (2003, zit. n. Radisch & Klieme 2003) zeigen sich Hinweise, dass eine ganztägige schulische Bildung und Betreuung aus dem Blickwinkel der Lehrperson eher Effekte im Bereich der Erziehung und der Sozialpädagogik und weniger auf die Leistung der Schülerinnen und Schüler hat. Radisch, Bos und Klieme (2006) analysierten im Weiteren IGLU-Daten, die hinsichtlich einiger Angaben zu Ganztagsschulangeboten ergänzt wurden, im Hinblick auf Unterschiede im Leseverständnis zwischen Halbtags- und Ganztagsschulen. In Bezug auf die Leistungsentwicklung konnten (Holtappels et al. 2007a) folgende Ergebnisse festgestellt werden:
Schulen mit ganztägigen Angeboten unterscheiden sich nicht hinsichtlich des durchschnittlichen Niveaus des Leseverständnisses der Grundschüler von Schulen ohne solche Angebote. Der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Migrationshintergrund einerseits und dem Leseverständnis andererseits unterscheidet sich nicht zwischen Schulen mit und ohne ganztägige Angebote. (ebd., p. 43)
6.1 Ganztägige Bildung und Betreuung im Schulalter: D, A, CH
125
Im Rahmen der „Studie zu Ganztagsschulen in Deutschland“ (StEG) wurden Fragestellungen zu Wirkungen nur am Rande untersucht. Die Oberstufenschülerinnen und -schüler wurden dabei selber gefragt, welchen Nutzen sie für sich aus dem Besuch der ganztägigen Angebote ziehen. Insgesamt kann man sagen, dass Effekte individueller Art als auch betreffend der Schule stark von den Merkmalen der individuellen Teilnahme und der Qualität der Angebote abhängen. Die Befunde sind laut Radisch et al. (2008b) den nicht-kognitiven Wirkungen zuzurechnen. Zudem gibt es verschiedene Ergebnisse aus Projekten der Begleitforschung zu Modellversuchen in Form von Einzelfallstudien. Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass diese bereits älteren und regionalen Studien sich nur beschränkt verallgemeinern lassen. In mehreren Studien wurden keine Leistungsunterschiede gefunden oder aber die Schülerinnen und Schüler in Ganztagsschulen schnitten gar schlechter ab. So nennen Holtappels et al. (2007a) etwa die Berichte von Witting (1997), Eigler et al. (1977), Fendel (1967). Jedoch schneiden Kinder mit einem bildungsfernen Hintergrund in Ganztagsschulen besser ab, als dies bei der Kontrolle von sozioökonomischen Faktoren zu erwarten wäre. Positivere Befunde von ganztägigen Schulen im Vergleich zu Halbtagsschulen können bezüglich deren Wirkung auf sozial-integrative Merkmale und das Schulklima nachgewiesen werden. Dies zeigen laut Holtappels et al. (2007a) etwa die Berichte von Witting (1997), Joppich (1979) oder Köller & Trautwein (2003). Insgesamt zeigt sich bei diesen grösstenteils älteren, meist nicht repräsentativen Studien, eine sehr heterogene Befundlage bezüglich der pädagogischen Wirkungen von Tagesschulen. Ergebnisse der deutschen „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)“ liegen (noch) keine vor (Holtappels et al. 2007b). Ergebnisse aus der Schweiz fehlen ganz. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass den methodischen Ansprüchen genügende, aktuelle Forschung zur pädagogischen Wirksamkeit von Tagesschulen bezüglich der schulischen Leistungen und der sozio-emotionalen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler für den deutschen Sprachraum und insbesondere für die Schweiz fehlt. Es besteht ein beträchtliches Forschungsdefizit.
126
6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung
6.2 Ganztägige Bildung und Betreuung von Kindern im Schulalter: Internationaler Forschungsstand – Länder mit einer ganztägigen Schultradition 6.2 Internat. Forschungsstand – Länder mit einer ganztägigen Schultradition Ein ähnliches Bild des Forschungsstandes, wie für die Schweiz und die deutschsprachigen Nachbarländer beschrieben, zeigt sich in Ländern mit einer weitgehend ganztägigen Schultradition. Einzig in Nordamerika und Skandinavien findet man einige grössere Studien zur Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung im Frühbereich, bei denen längerfristige Wirkungen für den Schulerfolg untersucht wurden. Die wenigen, vorwiegend amerikanischen Studien über Bildungs- und Betreuungsformen für Kinder im Schulalter sind meist Evaluationen von ganz spezifischen Interventionsprogrammen, so genannten After School Programmen z.B. für Kinder mit Verhaltens- oder Leseschwierigkeiten (vgl. für einen Überblick Blau & Currie 2004). Diese Ergebnisse lassen sich nicht ohne weiteres auf ganztägige Schulorganisationen im Allgemeinen übertragen. Insgesamt wird die Wirksamkeit von ganztägiger Bildung und Betreuung im Schulalter auch über den deutschen Sprachraum hinaus nur marginal untersucht, da diese in vielen Schulsystemen der Regelfall darstellt. Auch über die Qualität von verschiedenen organisatorischen und pädagogischdidaktischen Umsetzungen im Schulalltag findet man wenig bis keine Befunde. Im Folgenden werden nun die Ergebnisse der Studien über Interventionsprogramme für das Schulalter dargestellt, bevor im nächsten Kapitel die Ergebnisse zur Wirksamkeit von vorschulischen Institutionen herbeigezogen werden. Ein Problem bei der Zusammenfassung verschiedener Studien zu After School Programmen stellen die unterschiedlichen Definitionen dar. Blau und Currie (2004) halten sich in ihrem Forschungsüberblick an die Definition von Seppanen et al. (1993): „After School Programme“ sind formal organisierte Dienstleistungen für fünf- bis dreizehnjährige Kinder, die während dem Schuljahr vor und nach der Schulzeit täglich angeboten werden, auch wenn die Schule an diesem Tag geschlossen ist. Diese Programme, die meistens mit einer spezifischen Intervention verknüpft sind, mögen im weitesten Sinne vergleichbar sein mit Angeboten von Horten oder Kindertagesstätten in der Schweiz. Diese Programme werden in den USA zu 90 Prozent vor und zu 83 Prozent nach dem Unterricht von Kindern im Vorschulalter bis zur dritten Klasse jedoch wenig von älteren Kindern besucht. Sie werden im Allgemeinen wenig von Kindern genutzt, bei denen negative Effekte zu erwarten wären, wenn sie zuhause auf sich alleine gestellt wären. Es gibt zwei Einschränkungen, welche bei der Betrachtung der durchgeführten Studien vor Augen gehalten werden müssen: Zum einen basieren nur wenige Studien auf einem experimentellen oder quasi-experimentellen Unter-
6.2 Internat. Forschungsstand – Länder mit einer ganztägigen Schultradition 127 suchungsdesign mit Kontrollgruppe. Zum anderen liegt der Fokus der Studien bei den schulischen Outcomes, da das Interesse der Programme darin liegt, die Kinder in Zukunft vor Problemen zu bewahren. Zwei Untersuchungen mit experimentellem Forschungsdesign und Kontrollgruppe sind diejenigen von Morris et al. (1990) („Howard Street Tutoring Program“) und von Ross et al. (1996, zit. n. Blau & Currie 2004) (“Memphis City Schools Extended Day Tutoring Program”). Morris et al. (1990) stellen bei Zweit- und Drittklässlerinnen und -klässlern positive Effekte bezüglich des Lesens von grundlegenden Textstellen, der Worterkennung und des Buchstabierens fest. Auch Ross et al. (1996, zit. n. Blau & Currie 2004) finden einen signifikant höheren Lesescore bei den Kindern in der dritten Klasse. Grosse Aufmerksamkeit erzielt das Programm „LA’s BEST“. Es bietet ein „After School Tutoring“, ein so genanntes cultural enrichment, Erholung, Computer und Mahlzeiten für Kindergarten- und Schulkinder in 19 der ärmsten Schulen in Los Angeles an. In der Studie von Brooks et al. (1995) wurden die teilnehmenden Kinder mit einer nicht zufällig ausgewählten Kontrollgruppe verglichen, welche zu Beginn eine bessere Leistung erbrachte und einen unterschiedlichen familiären Hintergrund hatte. Nach zwei Jahren erreichten die Kinder im Programm höhere Leistungen im Lesen und in den Naturwissenschaften, hatten eine positivere Einstellung zur Schule und eine höhere Bildungsaspiration. Huang et al. (2000) führten im gleichen Programm eine Studie mit einer grösseren Stichprobe von Teilnehmenden und einer nach Geschlecht, Ethnizität, Einkommen und Kenntnissen in Englisch kontrollierten Kontrollgruppe durch. Im Vergleich zu den nicht-teilnehmenden Kindern der Kontrollgruppe wurden die Teilnehmenden in einen besseren Englischkurs eingeteilt, hatten weniger Absenzen, zeigten bessere Einstellungen und waren in den durchgeführten standardisierten Tests eher in der besseren als in der schwächeren Gruppe. Eines der wenigen Programme, das sich damit beschäftigt, ältere Kinder in der Schule zu behalten und von der Strasse fernzuhalten, ist das „Quantum Opportunities Program“. Im Rahmen dieses Programms werden bildende Aktivitäten und verschiedene Dienste der Gemeinde angeboten. Hahn et al. (1994) vergleichen in der Evaluation des Programms eine Zufallsauswahl von Schülerinnen und Schülern des neunten Schuljahres mit öffentlicher Unterstützung der Familie mit einer zufällige zugewiesenen Kontrollgruppe. Die Jugendlichen der Versuchsgruppe schafften häufiger ihren Abschluss in der High School und absolvierten anschliessend eher eine weitere Ausbildung als die Kontrollgruppe. Die Teilnehmenden hatten signifikant weniger häufig bereits Kinder während der High School und waren optimistischer bezüglich ihrer Zukunft.
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6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung
Weitere Untersuchungen beschäftigten sich mit den Auswirkungen auf das Verhalten der Schülerinnen und Schüler. Posner und Vandell (1994) zeigten auf, dass insbesondere Kinder aus Familien mit tiefem sozioökonomischen Status von einer Teilnahme an spezifischen After School Interventionsprogrammen profitierten. Dies manifestierte sich in besserem Verhalten in der Schule, besseren Noten, einer besseren emotionalen Anpassung an die Situation sowie besseren sozialen Beziehungen zu Gleichaltrigen im Vergleich zu Kindern, die andere After School Programme (keine Interventionen) besuchten. Marshall et al. (1997) berichten von geringerem Videospiel- und Fernsehkonsum bei Kindern, die ein After School Programm besuchten. Zusätzlich stellen sie bei denselben Kindern weniger internalisierende Probleme fest. Die Autoren erklären diesen Umstand mit dem vermehrten Spiel mit Gleichaltrigen unter Aufsicht von Erwachsenen. Morrison et al. (2000) weisen im Weiteren bei Fünft- und Sechsklässlerinnen eine Teilnahme an einem After School Programm als protektiven Faktor für Risikokinder nach. Pierce et al. (1999) schlussendlich überprüften den Einfluss auf die Kinder von spezifischen Charakteristiken von Programmen wie das emotionale Klima, Interaktionen mit Gleichaltrigen und das Curriculum. Programme mit einem warmen und positiven Klima stehen, laut ihren Befunden, im Zusammenhang mit weniger internalisierten und externalen Problemen bei Jungen. Ein weniger positives Klima hingegen erzielte nicht die gleichen Effekte. Zudem zeigten Jungen bessere soziale Kompetenzen in Programmen mit mehr individuellen Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten. Insgesamt muss abschliessend nochmals erwähnt werden, dass die dargestellten Ergebnisse sich auf spezifische Interventionsprogramme im Schulalter und nicht auf eine ganztägige Schulorganisation im Allgemeinen beziehen. Deshalb lassen sich die Befunde nicht ohne weiteres auf die Situation in der Schweiz übertragen. Da nur wenige Befunde zur Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung im Schulalter vorliegen, wird im Folgenden vertiefend auf die Forschungstradition und die -ergebnisse von Studien aus dem Vorschulbereich eingegangen, werden doch zu diesem Forschungsfeld Parallelen vermutet.
6.3 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung von Kindern im Vorschulalter 6.3 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung von Kindern im Vorschulalter 6.3.1 Forschungstradition In der angloamerikanischen Forschungstradition zur Wirksamkeit ausserfamilialer Bildung und Betreuung wird von drei verschiedenen Wellen empirischer Forschung gesprochen (Belsky 1984; Hayes et al. 1990; Philips 1988).
6.3 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung von Kindern im Vorschulalter
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Diese entsprechen drei unterschiedlichen Ansätzen mit bestimmten methodischen Implikationen und verschiedenen Reichweiten. Im Zentrum der ersten Welle steht folgende Frage: Unterscheidet sich die Entwicklung von Kindern, die eine ausserfamiliale Bildung und Betreuung während eines Tages erhalten, von der Entwicklung von Kindern, die ausschliesslich zu Hause von ihren Müttern betreut und erzogen werden? Dabei steht die Untersuchung von möglichen negativen Auswirkungen im Mittelpunkt, was jedoch nicht nur im Zusammenhang mit diesem spezifischen Forschungsfeld, sondern eher im Zuge eines gesellschaftlichen Wandels betrachtet werden muss. Diese erste Welle weist verschiedene Probleme auf. Der grösste Nachteil ist wohl, dass beim durchgeführten Gruppenvergleich21 die Entwicklungsunterschiede nicht auf die Bildungs- und Betreuungsformen zurückzuführen sind – da die verschiedenen individuellen Betreuungserfahrungen in der Familie und ausserhalb nicht erhoben wurden. Die jeweilige Bildungs- und Betreuungsform bleibt somit eine „Blackbox“. Die zweite Forschungswelle versuchte einen Teil der Defizite zu eliminieren, indem sie die Qualität, wie sie in der sozialen Wirklichkeit besteht, zum Ausgangspunkt der Untersuchung macht und die Effekte auf die Entwicklung der Kinder untersucht. Es wurden nicht mehr primär Modelleinrichtungen oder programme analysiert. Als typisch für diese Welle erweist sich die folgende Frage: Haben qualitativ unterschiedliche Bedingungen einen Einfluss auf das Verhalten und die Entwicklung von Kindern? Zur Erfassung der Qualität wurden vereinfachende Abstufungen (hohe, mittlere, geringe Qualität) durchgeführt. Überblicke dazu findet man beispielsweise beim Cost Quality and Child Care Outcomes Study Team (1995), bei Hayes et al. (1990) und bei Philips und Howes (1987). Aus den Analysen der zweiten Welle geht hervor, dass die Qualität zu wenig differenziert untersucht wurde und vor allem der Frage, welche Qualitätsaspekte die grösste Bedeutung haben, nicht nachgegangen wurde. Zudem wurde nebst der institutionellen Qualität der Familie der Kinder zu wenig Bedeutung zugemessen (Hayes et al. 1990). In der sich neu herausbildenden dritten Welle wird – neben der Qualität der ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsinstitution – die Familie als primärer Bildungs- und Betreuungsort berücksichtigt und zunehmend differenzierter erfasst. Untersuchungen zeigen, dass beide Kontexte wichtig sind für die Entwicklung der Kinder (Cost Quality and Child Outcomes Study Team 1995; Galinsky et al. 1994; Howes & Stewart 1987; McCartney 1984; Owen & Henderson 1989). Hohe Qualität in der ausserfamilialen Bildung und Betreuung kann ein bildungsfernes familiales Milieu kompensieren (McCartney et al. 21
Gruppen mit oder ohne ausserfamiliale Bildung und Betreuung
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6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung
1985). Nicht zuletzt kann ausserfamiliale Bildung und Betreuung von hoher Qualität gar unabhängig des familialen Hintergrunds positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder haben (Bryant et al. 1994; Galinsky et al. 1994; Ruopp et al. 1979). Diese Forschungswelle ist gegenüber der ersten und zweiten Welle mit einer zunehmenden Komplexität verbunden, indem die Familie mit ihren pädagogischen Aspekten der Qualität und den Verbindungen mit der ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsform miteinbezogen wird. Insgesamt kann gesagt werden, dass die Untersuchungen von einer Welle zur nächsten an Komplexität gewinnen und die dritte Welle nun vermehrt auch die Familie einschliesst. Im Folgenden werden nun neuere Befunde zur familialen und ausserfamilialen Bildung und Betreuung im Vorschulbereich zusammenfassend dargestellt.
6.3.2 Effekte von ausserfamilialer Bildung und Betreuung und deren Qualität auf die Sprache und die kognitive Entwicklung insgesamt Kurzfristige Effekte Studien, welche sich mit ausserfamilialer Bildung und Betreuung und deren Effekte auf die kognitive Entwicklung von Vorschulkindern beschäftigten, zeigen insgesamt einen positiven Zusammenhang zwischen der Qualität des Angebots und der kognitiven Entwicklung bei den Kindern (Doherty 1991). Auch in der Metaanalyse von White et al. (1997) manifestiert sich eine robuste Beziehung, jedoch mit einer eher tiefen Korrelation (r= .20). Zusammenhänge dieser Stärke findet man zwischen Qualität und verschiedenen Bereichen der Entwicklung. Am stärksten erweist sich jedoch jener zwischen der Qualität und der Sprachentwicklung. Eine Grosszahl der Studien in diesem Bereich untersuchte die Effekte von speziellen Interventionsprogrammen. Die Befunde dieser experimentellen Forschung weisen nach, dass ausserfamiliale Bildung und Betreuung positive und andauernde Effekte auf die intellektuelle Entwicklung haben kann. An einer pädagogischen Intervention teilnehmende Kinder zeigen mehr Leistungsfortschritte in Sprachtests und in ihrer kognitiven Arbeitsweise als nicht teilnehmende Kinder (Überblicke: Belsky 1984; Bryant et al. 1994; Burchinal et al. 1989; Clarke-Stewart 1987; Dunn 1993; Hayes et al. 1990; Howes 1990; Lamb 1997; Martin et al. 1990; McCartney et al. 1985; NICHD Early Child Care Research Network 1998; Roberts et al. 1989; Sylva et al. 2003; Whitehurst et al. 1994).
6.3 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung von Kindern im Vorschulalter
131
In Untersuchungen, in denen keine spezifischen Interventionsprogramme evaluiert wurden, zeigen sich im Allgemeinen positive, zumindest kurzzeitige Effekte qualitativ hochstehender ausserfamilialer Bildung und Betreuung auf die kognitive Entwicklung. Bei hoher Qualität konnte in verschiedenen Studien eine mittlere Korrelation mit einer positiveren Sprachentwicklung festgestellt werden (Burchinal et al. 1996; Dunn 1993; Goelman & Pence 1987; Howes et al. 1995; McCartney 1984; Melhuish et al. 1990; NICHD Early Child Care Research Network 2002a, 2004a, 2005a; Peisner-Feinberg & Burchinal 1996; Peterson & Peterson 1986; Philips et al. 1987; Schlieker et al. 1991; Tietze 1998; Tietze et al. 2005a; Whitebook et al. 1989). Längerfristige Effekte Insgesamt zeigen die Befunde, dass ausserfamiliale Bildung und Betreuung einen andauernden, positiven Effekt auf die kindliche Entwicklung hat. Wie auch bei den Untersuchungen zu den kurzfristigen kognitiven Effekten, muss jedoch unterschieden werden zwischen Studien und deren Ergebnisse von Interventionsprogrammen, welche insbesondere Kinder mit Entwicklungsrisiken bezüglich ihrer Schulleistung fördern möchten sowie Regeleinrichtungen. Die Ergebnisse der Interventionsprogramme können als einheitlich positiv bezeichnet werden, wohngegen diejenigen der Regeleinrichtungen etwas weniger konsistent, aber auch mehrheitlich positiv sind. Die Evaluationen von Interventionsprogrammen manifestieren einen moderaten bis grossen positiven Einfluss auf die kognitive Entwicklung. Eine intensive, qualitativ hochwertige und bereits frühe ausserfamiliale Bildung und Betreuung hat einen positiven Effekt auf schulische und kognitive Leistung während der Kindheit und in der Adoleszenz (Burchinal et al. 1997; Campbell & Ramey 1994; Currie & Thomas 1995; Luster & McAdoo 1995; McLoyd 1997; Ramey & Landesman Ramey 1998). Weitere eher ältere Studien konnten gar nachweisen, dass teilnehmende Kinder dieser frühen Programme im Vergleich zu Kontrollgruppen weniger repetieren und mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit in Sonderklassen ausgesondert werden (Ministère de l’Education Nationale 1983; Sheehan et al. 1991; Tietze 1987). Nicht ganz so konsistent sind die Befunde von Regeleinrichtungen. Bei diesen spielt wohl die Qualität der Institution eine ausschlaggebende Rolle (Tietze 2008). So zeigt die Studie von Vandell und Corasantiti (1990) einen Zusammenhang zwischen früher ausserfamilialer Betreuung und einem tiefen Score in einem Kognitionstest. Wohingegen bei Burchinal et al. (1995) bei sechs- bis zwölfjährigen Kindern kein Zusammenhang zwischen diesen beiden Merkmalen gefunden wurde. Gleiches zeigt die Studie von Philips et al. (1987)
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6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung
für Kinder im Alter zwischen fünf und acht Jahren. Die neueren Untersuchungen – die meist bis zum Grundschulalter reichen – finden jedoch durchwegs Effekte qualitativ guter Bildung und Betreuung im Vorschulalter auf die kognitive Entwicklung, die bis ins Schulalter reichen (z.T. gar bis ans Ende der Grundschulzeit). Die Ergebnisse der NICHD-Studie zeigen, dass eine frühe, qualitativ hochwertige Bildungs und Betreuung, im Gegensatz zu einer qualitativ schlechteren, positive Effekte auf Leistungen in Mathematik und im Lesen im Schulalter hat. Diese Haupteffekte der Qualität bleiben ab dem Alter von 54 Monaten bis zum dritten Schuljahr relativ konsistent. Die am Ende des dritten Schuljahres noch besseren Schulleistungen in Lesen und Mathematik haben sich allerdings zunehmend nivelliert und sind im fünften kaum noch messbar. Im sechsten Schuljahr – im Alter von 12 Jahren – können noch positive Auswirkungen auf die Sprachentwicklung ermittelt werden (NICHD Early Child Care Research Network 2005b). Auch in der „Cost, Quality and Outcomes Studie“ (2001b; Peisner-Feinberg et al. 2000; 2004) zeigt sich, dass eine frühe, qualitativ gute Bildung und Betreuung mit einer besseren kognitiven Entwicklung in der Grundschule verbunden ist. Der vorgefundene Effekt der höheren sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten und Leistungen präsentiert sich bis ins Kindergartenalter und nimmt schliesslich bis zum Ende des zweiten Schuljahres etwas ab. Eine positivere Entwicklung bis an das Ende des zweiten Schuljahres eines qualitativ guten Vorschulsettings konnten Tietze et al. (2005a) in Deutschland ebenso nachweisen. Die Entwicklungsunterschiede bei Kindern, die auf die Qualität zurückgeführt werden kann, entsprechen im Extremfall einem Altersunterschied von einem Jahr (ebd.). Die Befunde stimmen mit weiteren Studien z.B. aus Schweden (Anderson 1989, 1992; Broberg et al. 1997) und mit der EPPE-Studie (Sylva et al. 2004a) überein. Die Ergebnisse der Verlängerungsstudie EPPE 3-11 deuten zudem daraufhin, dass der Besuch einer qualitativ guten Vorschule zusammen mit dem Besuch einer wirksamen Primarschule gar noch einen positiven Effekt auf die kognitiven Outcomes der Kinder im Alter von 10 Jahren hat (Sammons et al. 2007a). Insgesamt muss jedoch erwähnt werden, dass die ermittelten Effektgrössen in all diesen Untersuchungen eher schwach ausgeprägt sind. Den grössten Einfluss auf die kindliche Entwicklung, sowohl was kognitive und soziale Kompetenzen anbelangt, hat die familiale Bildungs- und Betreuungsqualität. Diese wirkt sich positiv aufs Lesen, Schreiben und Rechnen aus, führt zu weniger Lehrer-Schüler-Konflikten und erzeugt ein positives Sozial- und Arbeitsverhalten (Tietze et al. 2005a). Tietze (2008) hält in seinem Überblick jedoch fest, dass man von einer besseren Förderung in sprachlichen, kognitiven und schulleistungsbezogenen Dimensionen in vorschulischen Kindertageseinrichtun-
6.3 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung von Kindern im Vorschulalter
133
gen ausgehen kann, wenn ein früher Beginn der Nutzung (etwa um das zweite Lebensjahr) und eine hohe Qualität des Angebots gegeben sind. Diese Effekte gelten für die Vorschul- und teilweise gar für die Grundschulzeit, wobei die Effekte mit der Zeit geringer werden.
6.3.3 Effekte von ausserfamilialer Bildung und Betreuung und deren Qualität auf die sozio-emotionale Entwicklung Kurzfristige Effekte Im Gegensatz zu den Studien zur kognitiven Entwicklung entstammen die meisten Befunde zur sozio-emotionalen Entwicklung nicht aus speziellen Interventionsprogrammen. Zur Untersuchung der so genannten sozio-emotionalen Entwicklung wurden in unterschiedlichen Studien eine Vielzahl von Aspekten wie Affekt, persönliche Reife, Verhaltensprobleme oder soziale Kompetenz untersucht. Werden Kinder, die ein qualitativ hochstehendes ausserfamiliales Bildungsund Betreuungsangebot nutzen, mit Kindern mit einem vergleichbaren sozioökonomischen Hintergrund in Einrichtungen von tiefer Qualität verglichen, so zeigen sich in mehreren Untersuchungen bei den Kindern in Institutionen von hoher Qualität höhere soziale Kompetenzen im Umgang mit Gleichaltrigen (EPPE 2004; Kontos & Fine 1987; Philips et al. 1987; Sylva et al. 2003; The Cost Quality and Child Outcomes Study 2000; Vandell & Powers 1983; White et al. 1988). Im Weiteren offenbaren dieselben einen adäquateren Umgang mit Erwachsenen (Howes & Olenick 1986; Peterson & Peterson 1986) und können ihr eigenes Verhalten besser regulieren (Howes & Olenick 1986; Philips et al. 1987). Auch bei der internationalen ECCE-Studie und der Studie von Tietze (1998) in Deutschland manifestierten sich höhere soziale Kompetenz sowie höhere Kompetenzen im alltäglichen Leben (ECCE 1999). Insgesamt demonstriert eine Mehrheit der Befunde, dass hohe ausserfamiliale Bildungsund Betreuungsqualität die persönliche Reife, die soziale Kompetenz und die Peer-Beziehungen eines Kindes fördert. Einige Ergebnisse weisen aber auch Verhaltensprobleme bei ausserfamilialer Bildung und Betreuung nach (Bates et al. 1994; NICHD Early Child Care Research Network 2005a). So zeigt die NICHD-Studie in den USA auf, dass Kinder mit sehr frühem ausserfamilialen Betreuungsbeginn und langen Betreuungszeiten nach Urteil der Erzieherinnen (und teilweise der Eltern) mehr externalisierendes Problemverhalten zeigen. Dieses Ergebnis wurde bei den zweijährigen Kindern nachgewiesen, jedoch nicht zu allen späteren Messzeitpunkten. Es wurde jedoch sowohl im Vorschul- als
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6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung
auch im Schulalter beobachtet (NICHD Early Child Care Research Network 2005a). Ähnliche Ergebnisse zeigten sich in der EPPE-Studie in England. Wer in der Vorschulzeit längere Zeit eine Institution besucht, äussert am Ende des ersten Schuljahres eher ein Problemverhalten. Die gleichen Kinder entwickelten sich jedoch besser bezüglich Unabhängigkeit/Arbeitsverhalten, Kooperation/Anpassung und Gemeinschaftsfähigkeit (EPPE 2004). Das Fazit für die kurzfristige sozio-emotionale Entwicklung erweist sich somit als durchzogen. Längerfristige Effekte Auch die Befunde der längerfristigen Effekte von qualitativ guter Bildung und Betreuung auf die sozio-emotionale Entwicklung sind nicht konsistent. Einige Studien weisen durchaus positive Wirkungen nach (Clarke-Stewart & Allhusen 2005; Clarke-Stewart 1984; Clarke-Stewart & Fein 1983; European Child Care Education (ECCE) 1999; Peisner-Feinberg & Burchinal 1996; Philips et al. 1987; Tietze et al. 2005a; Whitebook et al. 1989), andere jedoch auch negative Effekte (EPPE 2004; Haskins 1985; NICHD Early Child Care Research Network 2005a). Schlussendlich finden weitere Studien gar keine Effekte (DeaterDeckard et al. 1996; McGurk et al. 1993; Scarr & Eisenberg 1993). Bei den sozialen Kompetenzen findet man längerfristige positivere Effekte bezüglich der besseren Perspektivenübernahme, kooperativem Verhalten, Aufgabenorientierung und Vertrauen in soziale Interaktionen bei Kindern mit ausserfamilialer Bildung und Betreuung im Vergleich zu familial betreuten Kindern (Clarke-Stewart & Allhusen 2005; Clarke-Stewart 1984; Clarke-Stewart & Fein 1983; ECCE 1999; Howes 1988; Howes & Olenick 1986; Tietze et al. 2005a). In der ECCE-Studie konnten Zusammenhänge zwischen pädagogischer Qualität und positivem Sozialverhalten der viereinhalbjährigen Kinder (Deutschland, Portugal und Spanien) nachgewiesen werden, die teilweise bis ans Ende des zweiten bzw. dritten (Spanien) Schuljahr zu beobachten waren (Tietze 2008). Im Zusammenhang mit Verhaltensproblemen stellen verschiedene Studien längerfristige positive Effekte bei Kindern, die eine Einrichtung von hoher Qualität besuchen, fest (Howes 1988; Peisner-Feinberg & Burchinal 1997; Sylva et al. 2004c; Vandell & Powers 1983). Weitere Studien zeigen in diesem Bereich jedoch divergente Ergebnisse (Bates et al. 1994; Belsky 2001; EPPE 2004; NICHD Early Child Care Research Network 2003a, 2004b, 2005a; Vandell & Corasaniti 1990). So konnte in der NICHD-Studie nachgewiesen werden, dass je mehr Zeit die Kinder zuvor in ausserfamilialen Settings verbracht haben, desto mehr externalisierende Verhaltensauffälligkeiten und Konflikte mit Erwachsenen diese laut Einschätzung ihrer Mutter, Erzieherinnen und Lehrpersonen zeigen. Dieses Resultat bestätigte
6.3 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung von Kindern im Vorschulalter
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sich auch, wenn Art, Qualität und Stabilität der ausserfamilialen Bildung und Betreuung sowie Familienfaktoren in die Analyse miteinbezogen wurden. Allerdings scheinen die genannten Auswirkungen bei länger andauernder aussserfamilialer Bildung und Betreuung grösser zu sein, wenn diese bereits in den ersten Lebensjahren des Kindes begonnen hat (Belsky et al. 2007; NICHD Early Child Care Research Network 2003b, 2005a). Ähnliche Ergebnisse sind, wie auch bei den kurzfristigen Effekten, bei der EPPE-Studie zu finden. Diese Befunde zeigen, dass wenn die ausserfamiliale Bildung und Betreuung vor dem dritten (und insbesondere vor dem zweiten) Lebensjahr beginnt, mehr anti-soziale Verhaltensweisen bei den Kindern beobachtet werden können, wenn die Kinder im Alter von drei und wieder von fünf Jahren untersucht werden. In den beiden ersten Primarschuljahren können bei diesen Kindern aber sowohl eine bessere intellektuelle Leistungsfähigkeit als auch mehr Unabhängigkeit, eine höhere Konzentrationsfähigkeit und Soziabilität nachgewiesen werden. Bei all diesen Untersuchungen waren die ermittelten Effektstärken eher schwach ausgeprägt. Beim Besuch einer Kindertageseinrichtung in der EPPE-Studie waren diese beispielsweise nur halb so gross wie diejenigen familialer Faktoren (Bildungsabschluss der Eltern, Beruf, Schichtzugehörigkeit u.a.) (Sylva et al. 2004b; Sylva et al. 2004c; Sylva et al. 2003). Es ist möglich, dass sich die unterschiedlichen Resultate in den dargestellten Studien, gerade im sozio-emotionalen Bereich, mit der mangelnden Kontrolle der Qualität der Institution, der Charakteristiken der Kinder oder familialen Faktoren erklären lassen. Erst neuere Studien werden diesem Anspruch gerecht. Deshalb soll im Speziellen noch auf die Faktoren der Kinder und der Familien eingegangen werden.
6.3.4 Effekte von ausserfamilialer Bildung und Betreuung sowie von familialen Faktoren In weiteren Untersuchungen wurden sowohl die familiale als auch die ausserfamiliale Bildung und Betreuung mit berücksichtigt. In einigen Studien konnte nachgewiesen werden, dass ausserfamiliale Faktoren stärkere Prädiktoren für die kindliche Entwicklung sind als familiale Faktoren (Lamb et al. 1991; Philips et al. 1987; Vandell & Corasaniti 1990 u.a.). Gleichzeitig gibt es eine noch grössere Anzahl von neueren Studien, welche einen prominenteren Zusammenhang zwischen der kindlichen Entwicklung und den familialen Faktoren findet als zu den ausserfamilialen Charakteristiken (Bates et al. 1991; Broberg et al. 1990; Howes 1988; NICHD Early Child Care Research Network 1998, 2001; 2002bu.a.; Peisner-Feinberg & Burchinal 1996; Tietze 1998). So zeigen die
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6 Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung
Ergebnisse von Tietze et al. (2005a), dass der pädagogischen Qualität des familialen Settings für den Entwicklungsstand in der Vorschulphase eine deutlich höhere Erklärungskraft zukommt. Sie erklärt je nach Kriteriumsvariable rund zwei bis dreimal so viel an Entwicklungsvarianz. Beim Übergang in die Primarschule und am Ende des zweiten Schuljahres zeigt sich zudem, dass die Qualität des familialen Settings einen höheren Anteil an Entwicklungs- und Schulleistungsvarianz erklärt als die institutionellen Settings Kindergarten und Primarschule. Diese Befunde bestätigen auch die EPPE- und die NICHD-Studien für den Vorschulbereich (NICHD Early Child Care Research Network 2006b; Sylva et al. 2004b; Sylva et al. 2003). Letztere konnte nachweisen, dass folgende Charakteristika die kognitive bzw. sprachliche und soziale Entwicklung der Kinder voraussagen: die Bildung der Eltern, das Einkommen der Familie, Familien mit zwei Elternteilen im Vergleich zu Familien mit nur einem Elternteil, die psychologische Anpassung (adjustment) und Sensitivität der Mutter sowie die soziale und kognitive Qualität der familialen Umgebung (NICHD Early Child Care Research Network 2006b). Im Weiteren konnte bei der EPPEStudie eine kompensatorische Wirkung einer qualitativ guten Familienerziehung bei Kindern festgestellt werden, die eine schlechte Kindertageseinrichtung besuchten (Sylva et al. 2004b; Sylva et al. 2003). Diesen grösseren Einfluss des familialen Settings wird z.B. von Tietze et al. (2005a) durch die bereits längere Wirkung des familialen Settings vor Eintritt in die institutionelle Bildungs- und Betreuungseinrichtung sowie durch seine generelle Mächtigkeit als Sozialisationsinstanz, die nicht zuletzt auch durch genetische Effekte beeinflusst wird, erklärt. Ein Grund für die heterogene Befundlage zwischen eher älteren und neueren Studien in diesem Bereich könnten die in den beiden Settings oftmals unterschiedlichen eingesetzten Instrumente sein. Die gleichen Messinstrumente in beiden Settings gelangten zur Anwendung z.B. bei Howes (1990), Tietze (1998; 2005a) oder im Rahmen der ECCE Studie (Tietze et al. 1999). Insgesamt erweist es sich als schwierig, zwischen den Effekten der familialen und der ausserfamilialen Merkmalen sowie der kindlichen Charakteristiken zu unterscheiden. Es braucht weitere Untersuchungen, welche die Effekte der verschiedenen (Blöcke von) Bedingungsfaktoren untersuchen und klären.
6.3.5 Effekte von ausserfamilialer Bildung und Betreuung sowie deren Qualität bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien Es ist unbestritten, dass zwischen verschiedenen familialen Merkmalen und der kindlichen Entwicklung ein Zusammenhang besteht. Aus diesem Grund wurden
6.3 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung von Kindern im Vorschulalter
137
(in den USA) verschiedentlich Interventionsprogramme für Kinder mit Entwicklungsrisiken durchgeführt, mit dem Ziel, diesen vermehrt soziale und kognitive Erfahrungen zu ermöglichen, welche im familiären Umfeld nicht geboten werden. Oft wird dies im Paket zusammen mit Gesundheitsprävention, Bildung der Eltern und weiteren Unterstützungsangeboten für die Eltern angeboten. Es konnte klar nachgewiesen werden, dass diese Programme bei Kindern aus sozial und wirtschaftlich benachteiligten Familien geringere Raten von Schulversagen und Dropout nach sich ziehen. So zeigt sich beispielsweise bei Berrueta-Clement et al. (1986), dass Abgänger des „Perry Preschool Program“ signifikant häufiger einen High-School-Abschluss haben, ein Studium oder Berufsausbildung abgeschlossen haben und in ungekündigter Anstellung sind als Erwachsene der Kontrollgruppe, welche nicht an diesem Programm teilgenommen haben. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass diese auf der Primarschulstufe oder Sekundarstufe I in eine Sonderklasse eingewiesen werden. Bei einem weiteren Programm, das bei Kindern im Alter von vier Monaten startete, konnten signifikant bessere verbale Fähigkeiten und eine bessere Aufnahmefähigkeit bei numerischen Aufgaben mit 42 Monaten (Ramey et al. 1983), bessere Leistungen in Lesen und Mathematik mit acht Jahren bzw. mit 12 Jahren (Campbell & Ramey 1994) festgestellt werden. Auch neuere Studien weisen nach Tietze (2008) einen andauernden positiven Effekt für benachteiligte Kinder im kognitiven Bereich nach. Rossbach (2005) fasst in seinem Überblick ähnlich positive Befunde über Interventionsprogramme mit Kindern aus Risikofamilien auch für ihre sozialen Kompetenzen zusammen. In diesem Zusammenhang können z.B. die Studien von Campbell et al. (2001) oder von Schweinhart et al. (2005) genannt werden. Es gibt einige vor allem neuere Belege dafür, dass der Besuch ordentlicher Einrichtungen die gleichen Effekte auf die Entwicklung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien hat. Die Befunde sind jedoch nicht durchgängig konsistent. So konnte in der EPPE-Studie aufgezeigt werden, dass Kinder aus sozial schwachen Familien von der ausserfamilialen Bildung und Betreuung profitieren, sie jedoch anderen Kindern gegenüber benachteiligt bleiben – insbesondere wenn weitere erschwerende Faktoren wie z.B. der Migrantenstatus hinzukommen. Benachteiligte Kinder profitieren besonders von Institutionen, welche von hoher Qualität sind. Am meisten gewinnen sie in sozial gemischten Settings, also in jenen Bildungsinstitutionen, welche von Kindern mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund besucht werden. In die gleiche Richtung gehen ebenfalls die Ergebnisse der NICHD-Studie wie auch weiterer Untersuchungen. Vor allem sozial benachteiligte bzw. in ihrer Familie kaum geförderte Kinder profitieren von einer (guten) ausserfamilialen Bildung und Betreuung (NICHD Early Child Care Research Network 2002c).
7 Pädagogische Qualität von Unterricht und ausserfamilialer Bildung und Betreuung 7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung
In einer Tagesschule hängt die pädagogische Qualität im Gegensatz zu einer traditionellen Schule in der Schweiz und in den deutschsprachigen Nachbarländern von mehreren Momenten ab: von der Gestaltung des Unterrichts, der Gestaltung des ausserunterrichtlichen Teils und der konzeptionellen Verzahnung der beiden Bereiche. Dabei kann insbesondere der dritte Bereich als spezifische Herausforderung der Tagesschule bezeichnet werden (Strätz et al. 2008). Bei einem integrierten Tagesschulmodell findet optimalerweise eine Verzahnung des eigentlichen Unterrichts mit den Bildungs- und Betreuungsangeboten statt. Im Zusammenhang mit Tagesschule kann man drei verschiedene Qualitätsaspekte differenzieren, deren Tradition in unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen Fachbereichen und Forschungsfeldern zu finden ist. So wird die (Qualitäts-)Debatte bezüglich der Gestaltung des Unterrichts in der schulpädagogischen Qualitäts- und Wirksamkeitsforschung untersucht, wohingegen die Qualitätsfrage bezüglich der ausserunterrichtlichen bzw. ausserschulischen Angebote in der Sozialpädagogik anzusiedeln ist. Das Unterrichten in Tagesschulen stand bis vor Kurzem nicht in der „bildungswissenschaftlich-empirischen Aufmerksamkeit“ (Keuffer & Trautmann 2008, p. 557) und entsprechend liegen nur sehr marginal Befunde vor, was genauso für die ausserunterrichtlichen Angebote an Tagesschulen gilt (Radisch et al. 2008b). Die konzeptionelle Verzahnung der beiden Bereiche wiederum stellt ein neues Feld dar, zu dem nur vereinzelte Resultate vorhanden sind. Die Forschung über Unterricht und Unterrichtsqualität im Allgemeinen hat langjährige Tradition. Deren Befunde sind auch für den Blockzeitenunterricht und den traditionellen Unterricht in der Schweiz von Relevanz. Spezifische Forschungsergebnisse zu gutem Blockzeitenunterricht sind nicht vorhanden. Analysiert wurde in der Schweiz in den letzten Jahren die Implementierung von Blockzeitenunterricht und deren Akzeptanz bei Lehrpersonen, Eltern und Kindern in einzelnen Evaluationen von Pilotprojekten in den Kantonen BaselStadt und St. Gallen sowie in den Städten Zürich und Solothurn (Schüpbach 2008; Schüpbach & Bolz 2005; Schüpbach et al. 2007a; Schüpbach et al. 2006b; Schüpbach et al. 2009; Steger et al. 2008; Stöckli et al. 2003).
140
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung
Im Folgenden sollen Ansätze der pädagogischen Qualität und deren Messung aufgezeigt werden. Diese beziehen sich zum einen auf die Bildung und Betreuung, d.h. den ausserunterrichtlichen Teil (vgl. Kap. 7.1), und zum anderen auf den Unterricht (Kap. 7.2).
7.1 Ansätze zur pädagogischen Qualität und deren Messung 7.1 Ansätze zur pädagogischen Qualität und deren Messung Die Frage nach der Qualität der Bildung und Betreuung von Kindern ist nicht neu und wird schon seit der Antike thematisiert und diskutiert. Sie ist seither untrennbar mit den pädagogischen Konzeptionen und dem jeweiligen soziokulturellen Hintergrund verbunden. Die Bemühungen um eine Qualitätsbestimmung sind im Zusammenhang mit den gesamtgesellschaftlichen Bedingungen der jeweiligen Zeit zu sehen. Die Bildungskonzepte wandeln sich genau so wie der Fokus der Betrachtung. So hat man zu Beginn der 1990er Jahre zu realisieren begonnen, dass ein immer grösser werdender Teil der Kinder (im Vorschulbereich) einen Anteil des Tages in einer ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsinstitution verbringt und nicht zuletzt deshalb deren Qualität genauer untersucht werden sollte (Fthenakis 1989). Wird Qualität mit der Güte der Bildungsqualität gleichgesetzt, so besteht eine enge Verknüpfung mit dem Erreichen von pädagogischen Zielen. In der Literatur findet man verschiedene Ziele, auf welchen die Qualitätsbestimmungen basieren: entwicklungspsychologische Kriterien, soziopolitische und marktwirtschaftliche Zielsetzungen. Laut Fthenakis (1998) sollte jedoch von einer definitorischen Auslegung des Begriffs Qualität erwartet werden können, dass sie sich nicht nur mit spezifischen Kriterien aus einem Bereich beschäftigt, sondern im Rahmen eines allgemeinen Konzepts an die Thematik herangeht. Auf diese Weise wird Qualität zu einem dimensionalen evaluativen Konzept, das empirisch überprüft werden kann. Die Forschung im Vorschulbereich beschäftigt sich mit der Extrahierung und der Überprüfung solcher Dimensionen.
7.1.1 Konzepte und Modelle pädagogischer Qualität und deren Wirkung Sozialpädagogische Konzepte pädagogischer Qualität Es kristallisieren sich drei unterschiedliche Ansätze heraus, welche sich mit der Bestimmung von pädagogischer Qualität als dimensionales Konzept auseinandersetzen:
7.1 Ansätze zur pädagogischen Qualität und deren Messung 1.
2.
3.
22
141
Eine Richtung geht von einem Qualitätsbegriff aus, der Werte, Normen, Überzeugungen, Wünsche und Bedürfnisse aller an der Betreuung der Kinder beteiligten Gruppen berücksichtigt und widerspiegelt. Somit sind alle gesellschaftlich beteiligten Gruppen direkt oder indirekt mitbestimmend, wenn es um die Festlegung der zu erreichenden pädagogischen Ziele geht (Dahlberg & Asen 1994; Langsted 1994; Larner & Philips 1994; Moss 1994). Einen elaborierteren Ansatz der relativistischen Perspektive zur Messung von pädagogischer Qualität, der Qualität aus fünf verschiedenen Perspektiven erfasst, hat Katz (1996) entwickelt. Er unterscheidet dabei verschiedene Perspektiven22. Eine weitere Richtung hebt die Dynamik des Qualitätsbegriffs hervor. Qualität wird als bewegliches Konzept mit transitorischem Charakter beschrieben. In diesem Sinne wird Qualität als einen über Generationen und über die Zeit kontinuierlich verändernden Prozess definiert, welcher versucht, die Anliegen der verschiedenen Interessengruppen zu berücksichtigen (Moss 1994). Solche Veränderungen können auch aufgrund von soziokulturellen Unterschieden in multikulturellen Gesellschaften sowie unterschiedlichen Vorstellungen zwischen Kulturen, die einen regen Austausch betreiben, in Gang gesetzt werden (Brophy & Statham 1994; Dragonas et al. 1995; Pence & McCallum 1994). Im Weiteren haben sich in neueren Studien dimensionale und strukturellprozessuale Ansätze von pädagogischer Qualität herauskristallisiert. Nennenswert ist zum einen das zehndimensionale Modell der „National Association for the Education of Young Children“ (NAEYC) mit sowohl strukturellen (Umgebung, personelle Besetzung, Ernährung u.a.) als auch mit interaktionalen Dimensionen (Kind-Erzieherin-Interaktion, ElternErzieherin-Interaktion u.a.). Zum anderen erwähnenswert ist auch das zehndimensionale Modell von Pascal und Bertram (1994), welches den einzelnen Dimensionen von Qualität forschungsrelevante Fragekomplexe wie Absichten und Ziele, Curriculum, Lern- und Lehrstile u.a. zuweist. Bei den strukturell-prozessualen Modellen wird eine Zusammenführung sowohl dynamischer als auch dimensionaler Ansätze versucht. Qualität der ausserfamilialen Bildung und Betreuung wird folglich mit strukturellen und mit prozessualen Dimensionen gemessen (z.B. Fthenakis 1989; Hayes et al. 1990; Tietze 1998). Wichtige Studien, welche auf solchen Modellen basieren, sind jene von Tietze und Mitarbeitenden, in der die pädagogische Qualität in deutschen Kindergärten untersucht wurde (Tietze 1998) wie
Oben-Unten-Perspektive, Unten-Oben-Perspektive, Aussen-Innen-Perspektive, Innen-Perspektive, Aussen-Perspektive
142
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung auch die internationale Vergleichsstudie des „European Child Care and Education Study“ (ECCE 1997).
In diesen zuletzt genannten Untersuchungen, welchen ein deskriptiv-analytisches Konzept zugrunde liegt, werden drei Qualitätsdimensionen unterschieden:
Strukturqualität: Unter Strukturmerkmalen werden situationsunabhängige, zeitlich stabile Rahmenbedingungen der Institution und der Gruppe, innerhalb derer sich die Prozessqualität ereignet und von denen die Prozessqualität beeinflusst wird, verstanden. Diese werden vorwiegend politisch reguliert. Merkmale in diesem Bereich sind etwa die Gruppengrösse, Betreuungsschlüssel, Ausbildung des Betreuungspersonals, Vorbereitungszeit des pädagogisch tätigen Personals, räumliche-materiale Merkmale (z.B. Raumgrösse, Ausstattung), Stabilität der Bildungs- und Betreuungsform, Strukturen der alltäglichen Aktivitäten, Zusammensetzung der Gruppe bezüglich Alter, Unterstützung von aussen, Einkommen des Personals oder der Grad der (öffentlichen) Regulierung der Form von Bildung und Betreuung. Prozessqualität: Darunter fallen die Interaktionen und Erfahrungen des Kindes mit dem pädagogisch tätigen Personal, mit anderen Kindern und der räumlich-materialen Umwelt. Es geht dabei in verschiedenen Studien um allgemeine, soziale und kognitive Anregungen. Orientierungsqualität: Unter diesem Bereich werden die pädagogischen Einstellungen, Werte und Überzeugungen (z. B. allgemeine Erziehungseinstellungen, Entwicklungsvorstellungen, Aufgaben von Familie und Institution, Einstellungen zur Förderung des Kindes) der an den pädagogischen Prozessen beteiligten Personen verstanden (Rossbach 2005).
Diese Dimensionen sind in den verschiedenen institutionellen pädagogischen Settings und in jenem der Familie relevant. So konnte der Einfluss von Merkmalen aus diesen Bereichen auf die kindliche Entwicklung nachgewiesen werden. In der internationalen Forschung für dem Vorschulbereich haben sich mindestens die beiden ersten Qualitätsbereiche eingebürgert (Rossbach 2005). Tietze und Mitarbeiter (1998; 2005a) unterscheiden zusätzlich noch die Orientierungsqualität. Diese wird als relevant erachtet, da sich pädagogische Konzepte und Theorien nicht direkt in die Praxis umsetzen lassen, sondern immer eine Anpassung und Interpretation in Bezug auf die jeweilige besondere Situation erfordern. Diese Übersetzung ist für das tatsächliche Handeln des pädagogisch tätigen Personals von grosser Bedeutung. Dabei spielen neben dem
7.1 Ansätze zur pädagogischen Qualität und deren Messung
143
fachlichen Wissen auch Erfahrungen und individuell unterschiedliche Beurteilungen eine wichtige Rolle (Rauschenbach et al. 2004). Eine Vielzahl von amerikanischen und europäischen Studien weisen nach Tietze (2002) eine substanzielle Beziehung zwischen Strukturmerkmalen und Merkmalen der Orientierungsqualität auf der einen Seite sowie der realisierten Prozessqualität auf der anderen Seite nach (vgl. Abb. 9).
Abb. 9
Beziehungen zwischen den verschiedenen Dimensionen pädagogischer Qualität
Im Allgemeinen kann für die Studien im Vorschulalter festgehalten werden, dass ein höheres Niveau an Prozessqualität vorhanden ist – die Kinder somit einen entwicklungsfördernden und sensitiveren Umgang erfahren –, wenn
die Gruppengrösse kleiner ist, der Betreuungsschlüssel vorteilhaft ist, das pädagogisch tätige Personal höhere formale bzw. berufsbezogene Qualifikationen aufzeigt, das pädagogisch tätige Personal ein höheres Einkommen hat, mehr Raum für die Kinder vorhanden ist sowie dem Personal mehr Vor- und Nachbereitungszeit zur Verfügung steht.
Die genannten Bedingungen können je nach Studie bis zu 50 Prozent der pädagogischen Prozessqualität erklären (ECCE 1997; z.B. Tietze 1998; Tietze et al. 2005a). Diese Konzeption von pädagogischer Qualität findet man in Deutschland auch im Zusammenhang mit ganztägiger Bildung und Betreuung in offenen Ganztagsschulen, zum Teil ergänzt um die Entwicklungs- und die Ergebnisqualität (Strätz et al. 2008) (vgl. Tab. 4). Im Rahmen des bundesweiten Projektverbunds „Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder“ wurden in einem Teilprojekt „Qualität für Schulkinder in Tagesein-
144
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung
richtungen – QUAST“ Fragen der Qualitätsbestimmung bei ausserunterrichtlichen Angeboten bearbeitet und ein Kriterienkatalog zur Beurteilung der Qualität pädagogischer Angebote entwickelt (ebd.). Die Festlegung der Qualitätsbereiche und deren Dimensionen erfolgten aufgrund der Auseinandersetzung mit der Fachliteratur, Gesprächen mit Expertinnen und Experten aus der pädagogischen Praxis, aus Ausbildung und Wissenschaft sowie aus Berufsverbänden und Gewerkschaften. Der Kriterienkatalog umfasst folgende Qualitätsbereiche und Dimensionen: Tab. 4
Qualitätsbereiche und ihre Dimensionen im Überblick (Strätz et al. 2008, p. 41)
Qualitätsbereiche Orientierungsqualität
Strukturqualität
Bedarfsgerechte Angebote Kompetenzen des pädagogischen Personals
Personalausstattung und Arbeitsbedingungen Raumstrukturen und Ausstattung der Räume Infrastruktur/Vernetzung Entwicklung und Gestaltung sozialer Beziehungen
Prozessqualität
Dimensionen Bildung für Kinder im Schulalter Lebensweltorientierung Partizipation/ Partnerschaftlichkeit Integration Regionale Bedarfsorientierung
Tätigkeitsbereiche
Subdimensionen
Kompetenzen der Leitungskräfte Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte
Interaktion Kommunikation Kooperation
Tätigkeitsbereiche der pädagogischen Arbeit mit Kindern Weitere Tätigkeitsbereiche (Planung und Reflexion der pädagogischen Arbeit, Zusammenarbeit im Team, Zusammenarbeit mit Eltern, Zusammenarbeit mit der Schule)
7.1 Ansätze zur pädagogischen Qualität und deren Messung
145
Fortsetzung von Tabelle 4 Entwicklungsqualität
Ergebnisqualität
Installierte Strukturen zur Reflexion der pädagogischen Arbeit Methoden zur Reflexion der Entwicklung von Schulkindern Entwicklung innerhalb einzelner Tätigkeitsbereiche Qualifizierung Professionalisierung Wünschbare Ergebnisse auf allgemeiner Ebene unter Berücksichtigung der Qualitätsziele und -kriterien in den anderen Qualitätsbereichen Ergebnisse auf der Ebene der jeweiligen Einrichtung
Modell zur pädagogischen Qualität und der Wirksamkeit von Angeboten In der Forschung zu schulischen Bildungsprozessen – im Besonderen in der Schul- und Unterrichtswirksamkeitsforschung – ist die Unterrichtsqualität ein zentraler Begriff. Im Rahmen dieser Forschungsrichtung wird speziell der Einfluss von Prozessmerkmalen des Unterrichts auf die individuelle Lern- und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler untersucht. Zunehmend werden nach Radisch et al. (2008a, p. 910) überdies „nicht-kognitive und erzieherische Wirkungen“ der Schule analysiert (zur Unterrichtsqualität ausführlicher in Kap. 7.2). Wie bereits erwähnt, liegen für die Wirkungen bei Tagesschulen kaum Befunde vor. Aber auch da stellt sich die Frage, was eine gute Tagesschule und insbesondere ein ausserunterrichtliches Angebot ausmacht. Im Rahmen der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen in Deutschland“ (StEG) wurde ein Wirkungsmodell von ausserschulischen Aktivitäten bei After School Programmen von Miller (2003) von Klieme (2007) weiterentwickelt (Radisch et al. 2008b) (vgl. Abb. 10). Miller baut in ihrem Modell einerseits auf die umfangreichen Forschungsergebnisse zu pädagogischer Qualität und deren Wirksamkeit im Rahmen von After School Programmen und andererseits auf Modelle der Schuleffizienzforschung (Scheerens & Bosker 1997). Klieme (2007) adaptiert das Modell bezüglich der ausserunterrichtlichen Aktivitäten.
146
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung
(1) Merkmale effekt. Schulen
GT-bezogene Merkmale Ziele und Werte, Ganztagsausbau, Orga-Typ usw.
(2) Externer Kontext Koop.-Partner Gemeinde ...
(6) Angebote: Erzieherische Wirkung (4) Angebote: Prozessmerkmale Struktur
(5) Angebote: Nutzung Teilnahme (u. a. zeitliche Intensität)
Entwicklung von Wertorientierungen Interkulturelles Lernen
Unterstützung Aktivierung und Herausforderung
Schulzufriedenheit Leistungsmotivation
Teilnahmeprofil (z. B. Teilnahme an lern- vs. freizeitbezogenen bzw. an gebundenen vs. freien Angeboten)
Positives (akad.) Selbstkonzept
(7) Angebote: Wirkungen auf Leistung und Schulerfolg Schulleistung
(3) Individueller und familiärer Kontext
Abb. 10
Lernnutzen der Angebote Lernstrategien
Modell der Bildungsqualität ausserunterrichtlicher Angebote in der Ganztagsschule nach Miller (2003) in Erweiterung durch Klieme (2007) (Radisch et al. 2008b, p. 930)
Das Modell berücksichtigt, wie in der Schul- und Unterrichtsforschung verbreitet, eine Wirkungsebene (6 und 7), eine Prozessebene (4 und 5) sowie eine Kontext- bzw. Input-Ebene (1-3) (Radisch et al. 2008b) (vgl. Abb. 10). Auf der Wirkungsebene wird überprüft, ob die ausserunterrichtlichen Angebote, die an die Ganztagsschule geknüpften Erwartungen, erfüllen. Ziel und Hoffnung einer ganztägigen Bildung und Betreuung ist eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen (vgl. Kap. 3). Weiterhin wird im Modell davon ausgegangen, dass zwischen der Leistungsentwicklung und den Wirkungen der Angebote auf die sozio-emotionale Entwicklung eine Wechselwirkung besteht. Dazu gibt es, laut Radisch et al. (2008b), verschiedene Belege (z.B. Köller et al. 2006; Wendland & Rheinberg 2004). Einen weiteren zentralen Bereich machen die Prozessmerkmale der Angebote aus. Dies ist ein Bereich, der bis anhin aufgrund der grossen Heterogenität der einzelnen Angebote mit einer standardisierten quantitativen Erhebung nur schwer zu erfassen ist. Deshalb liegen auch kaum empirische Befunde vor. Radisch et al. (2007) gehen davon aus, dass Parallelen zwischen der Qualität von Unterrichtsprozessen und von ausserunterrichtlichen Angeboten bestehen und deshalb die Konstrukte von Qualität aus der Unterrichtsforschung übertragbar sind (Radisch et al. 2008b). Denn bei beiden Elementen handelt es sich um pädagogisch gestaltete Lern-
7.1 Ansätze zur pädagogischen Qualität und deren Messung
147
umgebungen, die unter Aufsicht der Schule passieren. Radisch et al. (2008b) übernehmen deshalb für die Adaption im Modell von ausserunterrichtlicher Qualität drei Konstrukte nach Klieme (2006):
Verlässlichkeit, Sicherheit und Strukturiertheit der Lernumgebung, ablesbar u.a. an angemessenen und konsistenten Regeln und an klarer, altersangemessener Führung durch Erwachsene (Strukturdimension) akzeptierende und respektvolle Beziehungen zu anderen Kindern und Jugendlichen und zu Erwachsenen, die ein Gefühl der Zugehörigkeit geben, positive soziale Normen vermitteln und persönliches Wachstum unterstützen (Unterstützungs- und Orientierungsdimension) Herausforderungen und Gelegenheiten zur Entfaltung der körperlichen, intellektuellen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten (Herausforderungsund Aktivierungsdimension). (ebd., p. 931)
Diese Konstrukte konnten tatsächlich mit den Merkmalen von effizienten ausserunterrichtlichen Angeboten von Miller (2003) und Mahoney et al. (2005) zusammengeführt werden. Es bleiben jedoch Fragen offen wie z.B., ob durch die gesuchte Vergleichbarkeit mit dem Unterricht, gewisse spezifische Qualitätsdimensionen von ausserunterrichtlichen Angeboten nicht ins Blickfeld geraten (Radisch et al. 2008b). Das Modell von Miller (2003) wurde, neben der Prozessqualität und deren Wirkung, um die Nutzung der Angebote erweitert (vgl. Abb. 10). In Anlehnung an Fiester et al. (2005) wurden vier Merkmale von Teilnahme unterschieden (Radisch et al. 2008b): Die Teilnahme an und für sich, die Intensität der Teilnahme (pro Woche), die Zeitdauer (in Jahren) und die inhaltliche Breite der besuchten Angebote. Zudem wurden auch externe Faktoren, welche einen Einfluss auf die Wirkung haben, wie Faktoren der Wirksamkeit von Schulen, der individuelle oder der familiale Kontext ins Modell mit aufgenommen. Weitere spezifische Elemente im Zusammenhang mit der Ganztagsschule sind das pädagogisch tätige Personal und dessen Zusammenarbeit, die Verknüpfung von Unterricht und ausserunterrichtlichen Angeboten oder aber die Zusammenarbeit mit weiteren Kooperationspartnern. Abschliessend kann festgestellt werden, dass die im vorliegenden Kapitel 7.1.1 vorgestellten Konzepte und Modelle überwiegend für den ausserunterrichtlichen Teil einer Tagesschule konzipiert sind. Vereinzelt geht deren Konzeptionsbereich bereits darüber hinaus wie z.B. bei der ECCE-Studie, bei der auch für den Unterricht ein Konzept pädagogischer Qualität, differenziert nach Prozess-, Struktur- und Orientierungsqualität, zur Anwendung kam (ECCE 1997). Wobei unter der „Prozessqualität“ die Unterrichtsqualität im engeren
148
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung
Sinne, unter „Strukturqualität“ die Rahmenbedingungen in der Klasse und unter „Qualität pädagogischer Orientierungen“ die Werte, Überzeugungen und Einstellungen der Lehrpersonen verstanden wird (Rossbach 2002).
7.1.2 Messung der pädagogischen Qualität Das international wohl am weitesten verbreitete Instrument zur Messung der pädagogischen Prozessqualität dürfte das Beobachtungsinstrument „Early Childhood Environment Rating Scale“ (ECERS) (Harms & Clifford 1980) sein, das auch in einer deutschen Adaption unter dem Namen Kindergarten-Einschätzskala (KES-R) (Tietze et al. 2001) existiert. Diese Skala besteht aus 43 Items in sieben Subbereichen pädagogischer Prozessqualität. Das Instrument ist für den Kindergartenbereich (ganztägige Bildung und Betreuung) konzipiert und gehört zu einer ganzen Familie von weiteren Instrumenten für weitere Bereiche. Tietze und Mitarbeitende haben deutschsprachige Adaptionen dieser Instrumente als Krippen-Skala (KRIPS), Hort- und Ganztagsangebote-Skala (HUGS) und Tagespflege-Skala (TAS) geschaffen (Tietze 2002). Für den interessierenden Altersbereich ist die Hort- und Ganztagsangebote-Skala (Tietze et al. 2005b), das Pendant zur amerikanischen „School Age Care an Environment Scale“ (SACERS) von Harms et al. (1996), das adäquate Instrument. Die Skala besteht aus 50 Items, die in sechs übergeordneten Bereichen23 pädagogischer Prozessqualität zusammengefasst sind. Jedes dieser Items wird in einer mehrstündigen Beobachtung auf einer siebenstufigen Skala eingeschätzt, wobei die Stufe 1 „unzureichende“, 3 „minimale“, 5 „gute“ und 7 „ausgezeichnete Qualität“ besagen (Tietze et al. 2005b). Alle diese Skalen zur Messung der pädagogischen Prozessqualität haben gute psychometrische Eigenschaften. Ihr reliabler Einsatz verlangt jedoch ein ausführliches Training. Insgesamt kann man sagen, dass in den bisherigen Studien (im Vorschulbereich) die Prozessqualität überwiegend mittels Beobachtung und die Strukturmerkmale und die pädagogischen Orientierungen meist über mündliche oder schriftliche Befragungen erhoben werden (Rossbach 2005).
7.2 Ansätze zur Unterrichtsqualität und deren Messung 7.2 Ansätze zur Unterrichtsqualität und deren Messung In der vorliegenden Untersuchung sind neben der ausserfamilialen Bildung und Betreuung auch der traditionelle Unterricht und der Blockzeitenunterricht von Interesse. Zudem soll im Folgenden, auch aufgrund mangelnder Befunde und 23
Platz und Ausstattung, Gesundheit und Sicherheit, Aktivitäten, Interaktionen, Strukturierung der pädagogischen Arbeit sowie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal
7.2 Ansätze zur Unterrichtsqualität und deren Messung
149
Konzepte für den Unterricht an einer Tagesschule, die Forschung zur Unterrichtsqualität fokussiert werden. Wie Kapitel 4.2 zu entnehmen ist, entsprechen der Unterricht und dessen schulische Kontextfaktoren wichtigen Bedingungsfaktoren schulischer Leistung. Der Unterricht und die Unterrichtsqualität lassen sich aus verschiedenen Blickwinkeln – anhand unterschiedlicher Konzeptionen und Forschungstraditionen – anschauen. Im Folgenden wird die Unterrichtsqualität, vor allem unter dem Fokus der Pädagogischen Psychologie und der empirischen Bildungsforschung, weiter analysiert. Stellt man sich die Frage, was guter Unterricht ist, so muss eine weitere Frage mit beantwortet werden: Hinsichtlich welcher Kriterien ist er gut? Unterrichtsqualität ist ein normativer Begriff, der über eine reine Beschreibung von Unterricht hinausgeht. In diesem Sinne sind auch die Dimensionen, hinsichtlich derer die Wirksamkeit der Unterrichtsqualität beschrieben werden soll, gezielt im Hinblick auf die interessierenden Kriterien auszuwählen (Clausen 2002). Oder nach Einsiedler (2002) ist Unterrichtsqualität ein Bündel von Unterrichtsmerkmalen, die sich als ‚Bedingungsseite‘ (oder Prozessqualität) auf Unterrichts- und Erziehungsziele (‚Kriterienseite‘ oder Produktqualität) positiv auswirken, wobei die Kriterienseite überwiegend von normativen Festlegungen bestimmt ist und der Zusammenhang von Unterrichtsmerkmalen und Zielerreichung von empirischen Aussagen geleitete ist. (ebd., p. 195)
Die Ziele der Schule bzw. des Unterrichts sind bildungstheoretischen Konzepten und politischen Rahmenvorgaben zu entnehmen. Es handelt sich dabei um Ziele bezüglich der kognitiven und nicht-kognitiven Entwicklung der Heranwachsenden. Unter den kognitiven Entwicklungszielen wird vor allem die Vermittlung von basalen Kulturtechniken und fachbezogenem Wissen verstanden. Neuere Ansätze unterstreichen auch die Bedeutung von intelligentem, vernetztem Wissen und metakognitiven Kompetenzen (Weinert 1998). Als nichtkognitive, psychosoziale Ziele sind primär die Förderung von Selbstvertrauen, Selbstregulation, Motivation, Verantwortungsbereitschaft, Kooperation und Kommunikation zu benennen (Clausen 2002). Im Rahmen der Unterrichtswirksamkeitsforschung am meisten untersucht, wurde die Wirksamkeit bezüglich des Leistungskriteriums. In neuerer Zeit werden aber auch nicht leistungsbezogene Wirkungen zunehmend ins Blickfeld genommen. Zur Klassifizierbarkeit und Relevanz von Wirkungen des Unterrichts, auch bezüglich der unterschiedlichen Ziele, gibt es eine umfangreiche Forschung, die hier nicht annähernd referiert werden soll. Bezüglich der Wirksamkeit im Hinblick auf unterschiedliche Lernziele kann man jedoch insgesamt sagen, dass unterschiedliche Lernziele unterschiedliche Methoden verlangen. Weinert hat dies in zusammenfassender Form dargestellt (vgl. Tab. 5):
150
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung
Tab. 5
Verschiedene Lernziele erfordern unterschiedliche Lehr- und Lernmethoden (Weinert, zit. n. Helmke et al. 2006)
Lernziele
Lernformen
Lehrmethoden
Intelligentes Wissen
systematischer, kumulativer Wissenserwerb
lehrergesteuerte direkte Instruktion
Handlungskompetenzen
praxisnahes, erfahrungsgesättigtes, situiertes Lernen
Projektarbeit
reflexiv verarbeiteter Wissenserwerb über eigenes Lernen und Handeln automatisierte Routinen der Überwachung, Kontrolle und Korrektur eigenen Handelns
angeleitetes selbstständiges Lernen
Metakompetenzen
Lehrerqualifikationen disziplinäre Sachkompetenz Klassenführungs-, diagnostische und didaktische Kompetenz transdisziplinäre Sachkompetenz didaktische Kompetenz
diagnostische Kompetenz didaktische Kompetenz
Helmke et al. (2006) leiten daraus für die Unterrichtsforschung ab, dass Studien der unterrichtlichen Wirkungen sich möglichst nicht auf ein einziges Kriterium wie das der Schulleistung beschränken sollten. So interessieren gerade Ergebnisse zur Frage nach einem Unterricht, dem es gelingt, bezüglich mehrerer Lernziele erfolgreich zu sein. Empirisch kann keine generelle Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit von kognitiven und nicht-kognitiven Lernzielen festgestellt werden (Baumert & Köller 2000). In „Optimalklassen“ gelingt es durchaus, in mehreren wichtigen Bereichen parallel mehrere Zielperspektiven zu erreichen (Gruehn 1995; Helmke 1988). In der Forschung wurden bis anhin vor allem die Merkmale Qualifizierung (Leistungssteigerung) und Egalisierung (Chancenausgleich) innerhalb von Klassen (Helmke 1988; Schwippert 2001; Treiber 1980) sowie Leistungsentwicklung und Motivationsentwicklung (Helmke & Schrader 1990; Kunter 2004; Schrader et al. 1997) kombiniert.
7.2 Ansätze zur Unterrichtsqualität und deren Messung
151
7.2.1 Klassifikationen und Modelle von Unterrichtsqualität Klassifikationen von Schlüsselmerkmalen der Unterrichtsqualität im engeren Sinne Bei der multiplen Lernzielerreichung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lernvoraussetzungen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler kann es nicht darum gehen, nach einer optimalen Methode zu suchen. Erfolgreich kann ein der Klassenzusammensetzung und dem Lern- und Leistungstand entsprechender Methodenmix sein. Unabhängig davon lassen sich jedoch sehr wohl Prinzipien eines guten Unterrichts definieren. Fokussiert man die Unterrichtsqualität im engeren Sinne24, gibt es eine Reihe von Übersichten und Klassifikationen der entscheidenden Merkmale, die sich zwar hinsichtlich der Terminologie und Ausführlichkeit durchaus voneinander unterscheiden, deren Gemeinsamkeiten jedoch erhebliche Überlappungszonen aufweisen. Helmke et al. (2006) vergleichen drei Klassifikationen unterschiedlicher pädagogischer Traditionen miteinander: Meyer (2004, p. 17ff.) stellt 10 Merkmale guten Unterrichts aus didaktischer Sicht zusammen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Klare Strukturierung des Unterrichts Hoher Anteil echter Lernzeit Lernförderliches Klima Inhaltliche Klarheit Sinnstiftendes Kommunizieren Methodenvielfalt Individuelles Fördern Intelligentes Üben Transparente Leistungserwartungen Vorbereitete Umgebung.
Helmke et al. (2006) leiten folgende 10 Gütekriterien ab, die sich aus der empirischen Unterrichtsforschung ergeben:
Effiziente Klassenführung und Zeitnutzung Lernförderliches Unterrichtsklima Vielfältige Motivierung Strukturiertheit, Klarheit, Verständlichkeit
24
Helmke et al. 2006 unterscheiden im weiteren Sinne vier Bereiche: Unterrichtsqualität im engeren Sinne, Effizienz der Klassenführung, Unterrichtsquantität und Qualität des Unterrichtsmaterials.
152
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung Wirkungsorientierung (Kompetenz- und Lernzielorientierung) Schülerorientierung und -zentrierung Förderung aktiven, selbständigen Lernens Angemessene Variation von Methoden und Sozialformen Konsolidierung, Übung, Transfer Nutzung vielfachen Feedbacks.
Eine kürzere Zusammenstellung relevanter Kriterien findet man bei Baumert (zit. n. Helmke et al. 2006) 1. 2. 3. 4. 5.
Eine störungspräventive Unterrichtsführung (Classroom Management) Klar strukturierte Aufgabenstellungen und Erklärungen Ein angemessenes Tempo Eine gelungene Anpassung an individuelle Lernvoraussetzungen Die Gestaltung einer positiven sozialen Atmosphäre.
Vergleicht man diese Merkmale, so stellt man fest, dass sich diese der (deutschen) Pädagogischen Psychologen (Helmke und Baumert) und der Didaktiker (Meyer als prominenter Vertreter) bei der Betrachtung der Unterrichtsqualität nicht gross unterscheiden – wobei klar vor Augen gehalten werden sollte, dass sie sich auch aufeinander beziehen. Es sind gewisse Kernbereiche sind erkennbar. Das Gleiche gilt auch, wenn man z.B. den neueren amerikanischen Überblick von Brophy (2000) heranzieht:
A supportive classroom climate (ein unterstützendes Klassenklima) Opportunity to learn (Gelegenheit zu lernen) Curricular alignment (Ausrichtung des Lehrplans) Establishing learning orientations (Aufbau von Lern-Orientierungen) Coherent content (Kohärente Unterrichtsinhalte) Thoughtful discourse (Sinnstiftendes Kommunizieren) Practice and application activities (zur Verfügung stellen von Übungs- und Anwendungsmöglichkeiten) Scaffolding students’ task engagement (das Interesse der Schülerinnen und Schüler an den Aufgaben unterstützen) Strategy teaching (die Vermittlung von Lernstrategien) Co-operative learning (kooperatives Lernen) Goal-oriented assessment (lernzielorientierte Beurteilung) Achievement expectations (Formulierung von Leistungserwartungen).
7.2 Ansätze zur Unterrichtsqualität und deren Messung
153
Allein die Ausrichtung des Lehrplans, welche bei Brophy als ein Element guten Unterrichts aufgeführt ist, taucht bei ihm – verglichen mit den anderen Klassifikationen – zusätzlich auf. Bei allen vorgestellten Klassifikationen handelt es sich um allgemeine, nicht fachspezifische Merkmale guten Unterrichts, die schulstufenunabhängig gültig sind (vgl. auch Kap. 4.2). Erste Befunde zur Gestaltung von Unterricht und der zeitlichen Organisation an Tagesschulen und in Schulen mit Blockzeitenunterricht Die Unterrichtsgestaltung spezifisch an Tagesschulen sowie an Schulen mit Blockzeitenunterricht wurde erst sehr wenig untersucht. Die wenigen vorliegenden Befunde stammen jedoch nicht aus der Wirksamkeitsforschung. Das heisst, es konnte nicht im engeren Sinne nachgewiesen werden, dass sich diese Merkmale positiv auf die schulische Leistung der Kinder auswirken. Die sich herauskristallisierenden Merkmale können viel mehr als „Gelingensbedingungen“ für einen guten Auf- und Ausbau dieser Schul- und Unterrichtsformen – meist verbunden mit einer höheren Zufriedenheit bei den Akteuren – bezeichnet werden. Im Zusammenhang mit erweiterten Unterrichtszeiten (Blockzeiten) und zusätzlichen Bildung- und Betreuungsangeboten ist auch eine veränderte Unterrichtsgestaltung mit Elementen wie erweiterten Lehr- und Lernformen, Rhythmisierung, Teamteaching oder Kooperation ein Thema (vgl. Kap. 5.4). Diese Aspekte unterscheiden sich nicht wesentlich von allgemeinen Forderungen der Reform an den Schulen. Insbesondere werden jedoch im Zusammenhang mit der Einführung von Blockzeitenunterricht und von Tagesschulen aktuell Stimmen laut. Erkenntnisse aus der Schulforschung zu Schulen mit erweitertem Zeitrahmen25 – was vergleichbar ist mit Blockzeitenunterricht im Schweizer Kontext – zeigen auf, dass in diesem Zusammenhang vor allem flexible Zeitorganisation, Rhythmisierung, Teamarbeit und intensive Lehrerkooperation sowie nicht zuletzt das Vorhandensein eines pädagogischen Konzeptes und dessen Akzeptanz für guten Unterricht entscheidend sind (Holtappels 1997; Holtappels 2002; Holtappels & Heerdegen 2005). In eine ähnliche Richtung zielen Befunde aus der Ganztagsschulforschung (Klieme et al. 2007). Nach Prüss (2008) bildet die Rhythmisierung des Tagesablaufs die Grundlage für die pädagogisch-didaktische Arbeit. Als zweckmässig haben sich dabei ein offener Beginn, Blockbildungen (90-minütige neben 45-minütigen Veranstaltungen), ein Zeitblock für Fördermassnahmen u.a. erwiesen (Appel & Rutz 2005; Holtappels et al. 2007b). Die Ergebnisse des Berliner Schulversuchs „Verlässliche Halbtagsschulen“ zeigen 25
Dies sind Befunde zu den vollen bzw. verlässlichen Halbtagsgrundschulen in Deutschland.
154
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung
auf, dass zwei Drittel der Projektschulen am Vormittag grössere Zeitblöcke einführen (Ramseger et al. 2004). Momentan nutzt aber nur ein geringer Teil der Ganztagsschulen in Deutschland die Möglichkeit zu einer veränderten Zeitstruktur (Rabenstein 2008). Diejenigen Schulen, die eine solche Umstellung im Zusammenhang mit der Einführung des Ganztagsbetriebs vorgenommen haben, erwähnen vor allem Gestaltungelemente wie offener Beginn und Schluss, jahrgangsübergreifendes Lernen oder grössere Zeitblöcke, welche man zunehmend auch an Halbtagsschulen vorfindet (Dieckmann et al. 2007). Für eine gezielte Förderung der Kinder sind auch Differenzierung und ein sinnvolles didaktisch-methodisches Vorgehen entscheidend. Holtappels (1994) zeigt auf, dass in den meisten Schulen nur eine geringe methodisch-didaktische Ausdifferenzierung des Unterrichts geschieht. Auch neuere Studien (Helmke & Jäger 2002; Kunter et al. 2005) können nach Aussage von Prüss (2008) kaum Veränderungen auf diesem Gebiet nachweisen. Im Rahmen des Schulversuchs „Verlässliche Halbtagsschulen“ gelangen nach Einschätzung der Lehrpersonen die Rhythmisierung und ein Wechsel der Sozialformen im Unterricht in den Projektschulen am besten im Vergleich zu weiteren angestrebten Veränderungen (Ramseger et al. 2004). Nimmt man Ergebnisse zur ganztägigen Bildung und Betreuung hinzu, so werden Formen und Intensität der Kooperation des Personals in einer Tagesschule als bedeutende Merkmale der Organisationskultur bezeichnet. Die bundesweite „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschule“ (StEG) kann nachweisen, dass insbesondere die für eine qualitativ gute Tagesschule als wichtig erscheinende inhaltliche und methodische Verbindung zwischen dem unterrichtlichen und ausserunterrichtlichen Teil in den Schulen noch nicht weit verbreitet ist (Holtappels et al. 2007b). Schulen mit einem solchen integrativen Konzept gelten als weiter fortgeschritten und erreichen eine höhere Zufriedenheit bei den Akteuren. Deshalb wird von den Autoren empfohlen, eine solche Verbindung voranzutreiben. Im gleichen Zusammenhang wird als wichtiger "Hebel" für die Verbindung von Unterricht und ausserunterrichtlichen Angeboten eine enge Kooperation zwischen Lehrpersonen und weiterem pädagogischem Personal genannt, welche anzustreben sei. Das pädagogische Personal soll in die Schule integriert werden. Es wird die Zusammenarbeit der Schule mit externen Partnern mit dem Ziel postuliert, ein erweitertes Konzept von Bildung zu realisieren (ebd.).
7.2 Ansätze zur Unterrichtsqualität und deren Messung
155
Modelle für die Wirkungsweise von Unterricht und von weiteren Bedingungsfaktoren Nach diesem kurzen Exkurs zur Unterrichtsgestaltung in Tagesschulen und Schulen mit Blockzeiten sollen wiederum die Wirkungen von Unterricht und von weiteren Bedingungsfaktoren im Allgemeinen betrachtet werden. Verschiedene Modelle versuchen die komplexen Wirkungsweisen von Unterricht, seine Voraussetzungen, Komponenten und Konsequenzen zu modellieren. Ein zentrales Rahmenmodell ist dasjenige von Helmke (2004), welches auf dem Angebot- und Nutzungsmodell von Fend (1998) sowie auf dem Rahmenmodell von Helmke und Weinert (1997b) basiert. Das Modell von Helmke (vgl. Abb. 11) umfasst den von Lehrpersonen durchgeführten Unterricht, was dem Angebot entspricht. Dieser muss jedoch nicht zwangsläufig zu Wirkungen (Ertrag) führen. Der Ertrag hängt von vermittelnden Prozessen, den so genannten Mediationsprozessen auf Seite der Schülerin bzw. des Schülers ab. Es sind dies einerseits die Wahrnehmung und Interpretation des Unterrichts und die Erwartungen der Lehrperson durch das Kind. Andererseits handelt es sich um die motivationalen, emotionalen und volitionalen Prozesse, die durch den Unterricht beim Kind ausgelöst werden oder auch nicht (vgl. Kap. 4.2). Von diesen Prozessen hängt ab, welche Lernaktivitäten (Nutzung) sich beim Kind effektiv ergeben. Die Nutzung wiederum kann direkt du einem Ertrag führen oder auch nicht (Helmke 2004). Helmke (2006) konstatiert, dass Unterricht nur ein Angebot mit dem Ziel ist, aktiv zu lernen. Die effektive Nutzung und die Nachhaltigkeit auf Seite der Schülerinnen und Schüler, hängen jedoch von einer Vielzahl unterrichtlicher, kontextueller und individueller Merkmale ab. Auf ausserschulische Erklärungsblöcke wird in diesem Modell zu Gunsten einer besseren Übersichtlichkeit verzichtet. Fehlen tun im Weiteren auch Einflussfaktoren des ausserunterrichtlichen Teils einer Tagesschule.
156
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung
LEHRPERSON Expertise in den vier Kernbereichen: Fachwissen Didaktik Diagnose Klassenführung
Engagement
UNTERRICHT (Angebot)
INDIVIDUELLE EINGANGSVORAUSSETZUNGEN
Unterrichtsqualität Effizienz der Klassenführung
Unterrichtsquantität
LERNAKTIVITÄTEN MEDIATIONSPROZESSE auf Schülerseite
Motivationale Vermittlungsprozesse
Humor Pädagogische Orientierungen Selbstwirksamkeit
Qualität des Lehr- und Lernmaterials
Wahrnehmung und Interpretation des Unterrichts
Subjektive Theorien
WIRKUNGEN (Ertrag)
(Nutzung)
Aktive Lernzeit im Unterricht Ausserschulische Lernaktivitäten
Fachliche Effekte Fachwissen Grundverständnis Lernstrategien Fertigkeiten
Überfachliche Effekte Schlüsselkompetenzen Sozialisationseffekte
Bereitschaft zur Selbstreflexion
KLASSENKONTEXT und FACHLICHER KONTEXT
Abb. 11
Wirkungsweise des Unterrichts – ein Rahmenmodell (Helmke 2004, p.42)
Weitere Modelle berücksichtigen nebst dem Unterricht explizit die vielfältigen schulexternen Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung, so z.B. das komplexe Schema der Determinanten der Schulleistung von Helmke und Weinert (1997b). Weitere Rahmenmodelle sind dasjenige der IGLU-Studie (Valtin 2004) oder das Rahmenmodell zur Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern sowie deren schulische Leistung von Pekrun und Helmke (1991), erweitert durch Schüpbach (2004). Letzteres soll an dieser Stelle noch weiter ausgeführt werden (vgl. Abb. 12).
7.2 Ansätze zur Unterrichtsqualität und deren Messung Makrosystem
Exosystem
Mikrosystem
Schulsystem
Schulische Umwelten
157 Individuensystem
Gesellschaft Wirtschaft (1991, 43) Politik Massen medien Wissenschaft Kollektive Überzeugungen
Abb. 12
Familiäre Umwelten
Andere Entwicklungsumwelten
Interpretation
Kultur Epoche
Schülerpersönlichkeit
Schulische Leistung
Rahmenmodell zu Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern und deren schulischen Leistung nach Pekrun und Helmke (1991, p. 43) und Schüpbach (2004, p. 9)
Diese ökologische Betrachtungsweise von Pekrun und Helmke betont die systembezogenen Wechselwirkungen, die subjektiven Vermittlungsprozesse26 sowie die Vermittlung zwischen schulischen, familiären und weiteren kindlichen Entwicklungswelten sowie deren direkte und indirekte Wirkung auf die Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung. Die Interpretation des Angebots der Lernumwelten ist wohl vergleichbar mit den Mediationsprozessen sowie den effektiven Lernaktivitäten bei Helmke (2004). Das Modell wurde von Schüpbach (2004) um die schulische Leistung erweitert.
7.2.2 Messung von Unterrichtsqualität An dieser Stelle soll auf einige methodische Fragen dieses hochgradig komplexen Handlungsfeldes eingegangen werden. Für die Erfassung der darin ablaufenden Prozesse erweist sich die Beobachtung als sinnvolle Methode, die in der Unterrichtsforschung weit verbreitet ist. Dabei unterscheiden Clausen et al. (2003) verschiedene Beobachtungsverfahren zur Datengewinnung: Niedrig-inferente Beobachtungen beschränken sich auf Aspekte des spezifischen, beobachtbaren Verhaltens, die einfach und „objektiv“ zu kodieren sind. Sie erfordern so gut wie keine schlussfolgernden Kognitionen beim Beobachter. […]
26
z.B. selbstwertdienliche Attributionen als Mediator zwischen schulischen Anforderungen und kindlicher Leistung
158
7 Pädagog. Qualität von Unterricht u. ausserfam. Bildung u. Betreuung Hoch-inferente Beurteilungen erfordern demgegenüber Schlussfolgerungen bzw. interpretative Prozesse seitens der Beobachter, die über das konkret beobachtbare Verhalten hinausgehen und sich auf abstraktere Sachverhalte bzw. globalere Verhaltensmerkmale beziehen. (ebd., p. 124)
Ein grundsätzliches Problem bei Beobachtungen insbesondere bei hochinferenten Instrumenten ist das Erzielen einer ausreichenden Reliabilität. Damit dies gelingt, ist eine gute Schulung der Raterinnen und Rater erforderlich. In den letzten Jahren hat immer mehr eine videogestützte Unterrichtsforschung Einzug gehalten (z.B. TIMSS-Videostudie, vgl. Clausen et al. 2003). Vorteile eines solchen Vorgehens sind, dass die Situationen immer wieder angeschaut und Ratings von mehreren Personen durchgeführt werden können. Als Nachteile müssen die kostspielige Anschaffung des technischen Equipments, aber auch die ungewohnte Situation für die Kinder – sie werden gefilmt, was sie leicht ablenken kann – bezeichnet werden. In der Unterrichtsforschung spielt zunehmend eine (fach-)spezifische Differenzierung eine Rolle. Allenfalls sind auch differenzierte Ergebnisse bezüglich Alters- oder Klassenstufen und Schulformen möglich (Ditton 2002). Ein grundsätzliches Problem, das bereits angesprochen wurde und auf das an dieser Stelle nicht mehr vertiefend eingegangen werden soll, betrifft die multikriterialen und längerfristigen Ziele des Unterrichts und deren Messung (Ditton 2002). Ein letzter Punkt, der angesprochen werden soll, ist der Umstand, dass bei einem Angebots-Nutzungs-Modell Wirkungen von Unterricht nicht unmittelbar einer Unterrichtstechnik zugeschrieben werden können. Es ist viel mehr möglich, im Sinne einer Folgeabschätzung, die zentralen Elemente der Wechselwirkung von Angebot und Nutzung nachzubilden. Als Kriterium von Wirksamkeit können dabei Veränderungen der Schülerinnen und Schüler bezüglich Wissen, Denken, Motivation und Verhalten bezeichnet werden. Infolgedessen können Unterrichtsmerkmale, die sich unter Einbezug von Ausgangsbedingungen bezüglich dieser Kriterien als effizient erweisen, als Merkmale der Unterrichtsqualität Geltung haben (Klieme 2006).
8 Zusammenfassung und Fazit für die eigene Untersuchung 8 Zusammenfassung und Fazit für die eigene Untersuchung
Im Folgenden sollen die bisherigen Teile und Kapitel zusammengefasst und jeweils ein Fazit mit Implikationen für die eigene Untersuchung gezogen werden.
8.1 Teil I: Kontext – gesellschaftlicher Wandel und die veränderten Ansprüche an die Bildung 8.1 Teil I: Kontext 8.1.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen In den vergangenen Jahren lassen sich gesellschaftliche Veränderungen beobachten, die insbesondere die Familie, aber auch deren Verhältnis zur Schule betreffen. Davon betroffen ist im Besonderen die heranwachsende Generation, die Kinder. So fand im Laufe des 20. Jahrhunderts in der Schweiz sowie in den meisten anderen europäischen Ländern ein demographischer Wandel statt, der mit einem deutlichen Rückgang der Geburten und einer steten Verlängerung der Lebenserwartung einherging. Zudem haben der politische Zusammenschluss Europas und die anhaltende Immigration in den europäischen Raum zur Veränderung der Bevölkerungsstruktur beigetragen. Aber auch die Familie war einem Wandel unterworfen. Es erfolgte eine Individualisierung und Pluralisierung der familialen Lebensformen, eine Veränderung des Lebens- und Familienzyklus, des generativen Verhaltens und der Familiengrösse. Weiterhin veränderten sich die Generationsbeziehungen genauso wie der familiale Alltag durch die verminderte Familiengrösse. Nicht zuletzt war in den letzten Jahren eine Zunahme der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen zu verzeichnen. Abgesehen vom familialen Wandel kann man heute zunehmend von einer Mediatisierung – einer zunehmenden Durchdringung des Alltags durch die Ausweitung und die zunehmende Nutzung elektronischer Medien – berichten, welche insbesondere für die Heranwachsenden prägend ist, nebst den heutzutage für die Kinder zur Verfügung stehenden lebensweltlichen und institutionellen Räumen, die sich in den letzten Jahrzehnten ebenso massiv geändert haben.
160
8 Zusammenfassung und Fazit für die eigene Untersuchung
Der beschriebene gesellschaftliche Wandel hat in den letzten Jahren in der Schweiz und in den deutschsprachigen Nachbarländern einen wissenschaftlichen und einen politischen Diskurs über Bildung und das Bildungssystem ausgelöst. Ein zusätzlicher Anstoss dazu lieferten die Ergebnisse der PISA-Studien, die eine breite öffentliche Debatte mit initiieren konnten. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Auseinandersetzung mit strukturellen Reformen des Bildungssystems, sondern auch um Fragen der Zuständigkeit und der Arbeitsaufteilung der verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen sowie der Familie bezüglich der Bildung, Erziehung und Sozialisation der Heranwachsenden. Damit verbunden ist auch ein Diskurs der erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen über den Bildungsbegriff und ihren Auftrag. Auf dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels scheint eine Neuausrichtung des Zusammenspiels von Familie und Bildungsinstitutionen sinnvoll und notwendig. Dieser Prozess kann durch eine vermehrte Übernahme von erzieherischen und betreuenden Funktionen durch die öffentliche Hand, in Form von ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten27 und insbesondere von Tagesschulen, fortgesetzt werden. In den letzten Jahren wird aus immer grösser werdenden Kreisen die Forderung nach solchen Angeboten laut. Neueren Untersuchungen aus Deutschland zufolge fühlen sich die Eltern durch die Ganztagsschule28 tendenziell entlastet und stellen eine bessere Vereinbarkeit von Kindern und Beruf fest (vgl. Kap. 2).
8.1.2 Erweiterte Bildungskonzeption Die Bildungsinstitutionen sowie die Familie, stehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor der schwierigen Aufgabe, sich an die beschriebenen veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Im Zusammenhang mit der Forderung nach ganztägiger Bildung und Betreuung stellt sich Frage nach der Bildungskonzeption, die einer solchen zu Grunde gelegt werden soll. Grundsätzlich soll ein solcher Diskurs über Bildung sowohl den aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen als auch den aktuellen Diskussionen über Bildungsmodelle gerecht werden. Der aufgezeigte aktuelle erziehungswissenschaftliche Diskurs dokumentiert, dass man die momentan gewählten Begriffe vor der Anwendung gewissenhaft prüfen soll. Es besteht keine Trennschärfe zwischen den verwendeten Nachbarbegriffen und ist deshalb auf jeden Fall empfehlenswert, die Begriffe beim eigenen Gebrauch zu definieren. In der vorliegenden Untersuchung wird von einer ganztägigen Bildung und Betreuung 27 28
wird in der Schweiz verbreitetTagesstrukturen genannt (vgl. z.B. EDK 2008) in der Schweiz Tagesschule
8.1 Teil I: Kontext
161
ausgegangen, die sowohl formelle als auch nicht-formelle Bildung umfasst. An allen Bildungsorten, die den Heranwachsenden zugänglich sind, findet Sozialisation statt. In Fachkreisen wird eine Entgrenzung von Bildung vorgeschlagen. Bildungs- und Sozialisationsprozesse von Kindern und Jugendlichen finden an vielen Orten statt und sind nicht an bestimmte Institutionen oder Instanzen gebunden. Sie erfolgen in der Familie, in der Schule, im Rahmen von Bildungsund Betreuungsangeboten, in der Jugendarbeit, in Vereinen, in kommerziellen Förder- und Freizeitangeboten, aber auch in der Peer Group oder im Gebrauch und in der Nutzung von Medien. Im Zusammenhang mit einem erweiterten Bildungsbegriff wird neben der Schule als formeller Bildungsort, der Stellenwert der Familie, von nicht-schulischen Angeboten sowie von weiteren Lernorten für das Aufwachsen von Kindern hervorgehoben. Auf der Grundlage eines erweiterten Bildungsbegriffs wird im Zwölften Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2006) eine Zusammenführung der bis anhin meist unabhängig betrachteten Orte, an denen sich Bildungsprozesse ereignen, geleistet. Bezüglich des Erreichens der Zielperspektiven eines erweiterten Bildungsbegriffs – in Kenntnis, dass Bildungsziele immer normativ und programmatisch sind – bedeutet dies, dass sie an unterschiedlichen Orten erworben werden. Gleichzeitig kann sich die Schule jedoch nicht auf formelle Bildungsziele beschränken, sondern muss über diese hinaus auch Verantwortung für soziale Integration, Persönlichkeitsentwicklung und die Aneignung von materiell-praktischen Alltagskompetenzen der Heranwachsenden übernehmen.
8.1.3 Fazit Die sich im Wandel befindenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Aufwachsens der Kinder führen in den letzten Jahren zu einem verbreiteten Ruf nach Veränderungen im Bildungswesen in der Schweiz sowie in den deutschsprachigen Nachbarländern. Diese aktuellen – teilweise erst anlaufenden – strukturellen Reformen des Bildungssystems und die veränderte Zuständigkeit der Arbeitsaufteilung der verschiedenen Institutionen bezüglich Bildung, Erziehung und Betreuung der Heranwachsendenden wirft auch die Frage nach einer angemessenen Bildungskonzeption auf. In Fachkreisen wird ein erweitertes Bildungsverständnis mit einem veränderten Zusammenspiel zwischen Familie, Schule und weiteren Bildungsorten postuliert. Dabei erhofft man sich, dass eine Umsetzung eines solchen Verständnisses von der Tagesschule geleistet werden kann, vorausgesetzt es gelingt ihr, auch pädagogische Ansprüche abzudecken und die Schülerinnen und Schüler vermehrt individuell und ganzheitlich zu
162
8 Zusammenfassung und Fazit für die eigene Untersuchung
fördern. Das anzustrebende Ziel sollte dabei eine bessere kognitive und sozioemotionale Entwicklung aller Kinder, unabhängig ihrer sozialen Herkunft, sein. Welche Auswirkungen solche Veränderungen bezüglich der Bildung der Heranwachsenden auf die Entwicklung der Kinder mit sich bringen, wurde bis anhin noch wenig untersucht. An dieser Stelle soll die vorliegende Studie anknüpfen.
8.2 Teil II: Ausserfamiliale Bildung und Betreuung und kindliche Entwicklung – aktueller (Forschungs-)Stand 8.2 Teil II: Ausserfamiliale Bildung und Betreuung und kindl. Entwicklung 8.2.1 Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung Bildung findet an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Lernwelten statt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Bedingungsfaktoren bzw. welche Blöcke von Bedingungsfaktoren in den verschiedenen Settings einen Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben. Die Unterrichtsforschung geht dieser Frage seit längerer Zeit nach. Die Ergebnisse zeigen Bedingungsfaktoren insbesondere der schulischen Leistung in drei Bereichen: (a) individuelle Merkmale der Kinder, (b) Unterricht und (c) Umwelt (Familie, Schule und Klasse, Peers, Medien). Der Stellenwert dieser verschiedenen Blöcke von Bedingungsfaktoren ist jedoch nicht gleich gross. Prozessnahe individuelle Merkmale haben einen engeren Bezug zur kindlichen Entwicklung. Diese individuellen Merkmale werden von Prozessmerkmalen des Unterrichts beeinflusst, die wiederum durch Merkmale des Schul- und Klassenkontexts sowie durch Merkmale der Lehrpersonen (Einstellungen, Lehrkompetenzen u.a.) beeinflusst werden. Im Weiteren spielen familiale Faktoren, Peers aber auch die Medien eine Rolle (Schrader & Helmke 2008). Nicht berücksichtigt in diesen Untersuchungen ist explizit der ausserunterrichtliche Teil der Schule. Die Forschung beschränkt sich weitgehend auf (schul-)leistungsbezogene Zielkriterien. Natürlich wären auch weitere Zielkriterien im Bereich der sozio-emotionalen Entwicklung in Bezug auf die Wirkungen dieser Determinanten zu berücksichtigen, was sich aus methodischen Gründen als schwierig erweist. Der Intelligenz des Kindes wird im Allgemeinen die grösste Bedeutung für die Erklärung der Leistung zugeschrieben, dies zeigen Korrelationen zwischen .50 und .60 mit der Schulleistung. Das heisst, etwa 25 Prozent der Unterschiede bezüglich der schulischen Leistung lassen sich durch Intelligenzunterschiede vorhersagen. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass das bereichsspezifische Vorwissen teilweise vorhersagekräftiger ist für die Leistung als die Intelligenz. Beide Merkmale haben sich insgesamt in einer Vielzahl von Studien als not-
8.2 Teil II: Ausserfamiliale Bildung und Betreuung und kindl. Entwicklung 163 wendige aber nicht als hinreichende Determinanten für die Schulleistung erwiesen. Auch motivationale und volitionale Faktoren spielen zusätzlich eine Rolle. Lange Zeit gab es keine Befunde, welche daraufhin deuteten, dass sich bestimmte Unterrichtsmerkmale, bestimmtes Lehrerhandeln oder aber bestimmte Merkmale der Lehrerpersönlichkeit auf die schulische Leistung der Schülerinnen und Schüler auswirken. Studien aus den 1960er und 1970er Jahren konnten nur einen geringen Einfluss des Schulunterrichts auf die Schulleistung nachweisen und attestierten vor allem der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler einen grosser Stellenwert. Zieht man Ergebnisse aus der neueren Unterrichtsforschung herbei, so dokumentieren diese insgesamt einen grösseren Einfluss von Variablen der Unterrichtsqualität. Verschiedene Metaanalysen konnten stärkere Effekte der Unterrichtsvariablen auf die Schulleistung aufzeigen als für die Eingangsvoraussetzungen der Kinder (jedoch meist unter 20% aufgeklärter Varianz) (z.B. Wang et al. 1993). Andere Autoren streichen eher die Grenzen des Einflusses des Unterrichts heraus. Verschiedene pädagogisch-psychologische Studien konnten die Relevanz von Prozessmerkmalen des Elternverhaltens für den Schulerfolg ihrer Kinder nachweisen. So konnte aufgezeigt werden, dass die Zusammenhänge zwischen Schichtzugehörigkeit und Schulleistung auf Unterschiede in schulleistungsrelevanten Merkmalen des elterlichen Verhaltens zurückzuführen sind. Bis zu zwei Drittel der interindividuellen Varianz der schulischen Lernleistung lassen sich durch familial bedingte Schülervariablen aufklären. Im Vergleich zum Einfluss der Familie auf die Entwicklung des Kindes ist derjenige der Peers nur sekundär. Die Familie ist ab der frühen Kindheit zentral für die kindliche Entwicklung, wohingegen die Beziehungen mit den Peers oder Gleichaltrigen auf den familialen Erfahrungen aufbaut. Auch der Profit, den die Kinder aus dem Umgang mit Medien ziehen können, hängt mit der Familie der Heranwachsenden und deren sozio-kulturellen Voraussetzungen zusammen. Der Bildungs- und Kompetenzerwerb im Kinder- und Jugendalter an ausserschulischen bzw. ausserunterrichtlichen Orten wurde noch wenig untersucht. Insbesondere liegen noch wenige Erkenntnisse bezüglich des Zusammenwirkens von mehreren Bildungsorten und Lernwelten vor. Einzig der Einfluss der Familie auf die schulische und ausserschulische Bildung ist bereits relativ gut untersucht. Man kann sagen, dass Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringen ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen sowohl schlechtere Bildungschancen in der Schule als auch weniger guten Zugang zu ausserschulischen Angeboten haben. (vgl. Kap. 4).
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8 Zusammenfassung und Fazit für die eigene Untersuchung
8.2.2 Ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz Nachdem die Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung aus verschiedenen Bereichen fokussiert wurden (vgl. Kap. 4), wurde anschliessend die Schule als wichtigsten Ort der Bildung und Betreuung ins Zentrum gerückt (vgl. Kap. 5). In den letzten Jahren wurde in der Schweiz und in den deutschsprachigen Nachbarländern der Auf- und Ausbau einer ganztägigen Bildung und Betreuung vorangetrieben. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie England, Frankreich oder den USA, welche bereits Ende des 19. Jahrhunderts ihre Schulen zu modernen Ganztagsschulen ausgebaut haben, wurde dieses Thema erst vor kurzer Zeit aktuell. An die ganztägige Bildung und Betreuung werden von verschiedenen Seiten hohe Erwartungen gestellt. Die sich im Aufbau befindenden unterschiedlichen Bildungs- und Betreuungsformen in der Institution Schule oder auch ergänzend dazu, wird in der Schweiz vielmals unter dem Begriff „Tagestrukturen“ subsumiert. Mit dem Begriff „Tagesstrukturen“ wird die Kombination aus Unterrichtsangeboten einerseits und Bildungs- und Betreuungsangeboten andererseits für Kinder im Kindergarten- und Schulalter bezeichnet. Dabei können die Angebote sowohl von der Schule selbst als auch von weiteren Institutionen angeboten werden. Tagesstrukturen können mit unterschiedlichen Massnahmen realisiert werden: Mit Hilfe von Tagesschulen oder mit Hilfe von Blockzeiten und verschiedenen Bildungs- und Betreuungsangeboten. Der Anteil der Familien, welche ausserfamiliale Bildungs- und Betreuungsangebote nutzt, ist in der Schweiz in den letzten Jahren gewachsen. Im Jahre 2007 machen 35.5 Prozent aller Haushalte mit Kindern unter 15 Jahren von solchen Angeboten Gebrauch. Alleinerziehende tun dies häufiger als Paare. Mehr als 60 Prozent der Familien greifen auf private Betreuungsangebote zurück. Am häufigsten werden dabei immer noch Verwandte berücksichtigt (52%). 26 Prozent der Familien, die ausserfamiliale Bildungs- und Betreuungsangebote beanspruchen, nutzen Kinderkrippe, Tageskindergarten oder Tagesschule, 15 Prozent Tages- oder Pflegefamilien. Mittagstische und bzw. oder Nachschulbetreuung werden hingegen nur gerade von 4.3 Prozent berücksichtigt. Wirft man einen Blick auf den durchschnittlichen Betreuungsumfang, so stellt man fest, dass dieser sehr tief liegt (vgl. Kap. 5.3). In Kapitel 5 wurde vertiefend auf die Formen, traditioneller Unterricht, Blockzeiten und Tagesschulen eingegangen: Die Unterrichtsorganisation in der Primarschule wurde in einem Grossteil der Kantone bislang als alternierender Halbklassenunterricht geführt. Für den Halbklassenunterricht, wie er über Jahrzehnte durchgeführt wurde, ist charakteris-
8.2 Teil II: Ausserfamiliale Bildung und Betreuung und kindl. Entwicklung 165 tisch, dass ein Teil des Unterrichts regelmässig mit der einen Hälfte der Klasse abgehalten wird. Die Einführung von Blockzeiten wird in der Schweiz von verschiedenen Akteuren als erster Schritt zu einer künftigen ganztägigen Schul- und Unterrichtsorganisation verstanden. Der Ausbau von Schulen mit Blockzeiten hin zu Schulen mit einem ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangebot, insbesondere zu Tagesschulen, kann langfristig die Gelegenheit bieten, die organisatorische und pädagogische Entwicklung auszubauen und weiterzuführen. Die Blockzeitenstruktur kann mit freiwilligen Bildungs- und Betreuungsangeboten am Morgen und am späteren Nachmittag ergänzt werden und zu einem additiven oder integrierten Tagesschulmodell weiterentwickelt werden (vgl. Kap. 5.4). Unter einer Tagesschule versteht man heute in der Schweiz überwiegend eine schulische Institution – der Träger ist in der Regel die Schulgemeinde – mit einem den ganzen Tag abdeckenden Angebot, das aus Unterricht und zusätzlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten besteht. Trotz einer grossen Vielfalt an Angeboten lassen sich die bestehenden Tagesschulen zwei Haupttypen zuordnen: Der Tagesschule in der „obligatorischen“, „gebundenen“ oder „integrierten“ Form sowie der „freiwilligen“, „offenen“ oder „additiven“ Form. Öffentliche Tagesschulen sind „Regelschulen“, deren Unterricht sich grundsätzlich an den kantonalen Vorgaben orientieren muss. Gerade integrierte Tagesschulen haben jedoch oft den Anspruch, im Rahmen der mehr zur Verfügung stehenden Zeit, einen Unterricht anzubieten, der (reform-)pädagogischen Zielen gerecht werden kann (vgl. Kap. 5.5).
8.2.3 Wirksamkeit und Qualität Wirksamkeit Im Zusammenhang mit der Einführung einer ganztägigen Bildung und Betreuung stellt sich die Frage nach deren Wirksamkeit im Vergleich zu traditionellen Schulen und deren Unterricht. Effekte erhofft man sich sowohl auf die kognitive als auf die sozio-emotionale Entwicklung der Kinder. Grundsätzlich gehen Radisch et al. (2008b) davon aus, dass man bei Lernprozessen in ganztägiger (Schul-) Organisation von den gleichen Wirkungsketten auszugehen hat wie beim Unterricht in traditionellen Schulen. So dürften die Faktoren, die im Allgemeinen für das Lernen im Schulalltag bzw. in institutionalisierten Kontexten entscheidend sind, auch in der Tagesschule relevant sein. In der Schweiz wie auch in den deutschsprachigen Nachbarländern fehlen nach unseren Erkenntnissen empirische Studien, die Effekte von Tagesschulen auf die kognitive und sozio-emotionale Entwicklung im Vergleich zu traditio-
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8 Zusammenfassung und Fazit für die eigene Untersuchung
nellen Schulformen untersuchen, weitgehend. Es gibt jedoch Untersuchungen, welche die Thematik am Rande streifen oder aber solche, die Sonderauswertungen durchgeführt hatten. Im Weiteren existiert eine Vielzahl von Begleitforschung zu Modellprojekten einzelner Schulen von regionaler Bedeutung, jedoch nur mit geringer Stichprobengrösse. Bei diesen grösstenteils älteren, meist nicht repräsentativen Studien, zeigt sich eine sehr heterogene Befundlage bezüglich der pädagogischen Wirkungen von Tagesschulen. Dieses Manko behebt im Übrigen auch die deutsche „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) bis anhin nicht. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass den methodischen Ansprüchen genügende, aktuelle Forschung zur pädagogischen Wirksamkeit von Ganztagsschulen bezüglich der kognitiven und sozioemotionalen Entwicklung (für die Schweiz und insgesamt für den deutschen Sprachraum29), fehlt. In diesem Bereich besteht noch ein beträchtliches Forschungsdefizit (vgl. Kap. 6.1). Ein ähnliches Bild des Forschungsstandes zeigt sich auch international, da in Ländern mit einer ganztägigen Schulorganisation, wie etwa den USA, Frankreich oder Grossbritannien die Wirksamkeit dieser Organisation nicht von spezifischem Forschungsinteresse ist. Die wenigen, vorwiegend amerikanischen Studien über Bildungs- und Betreuungsformen für Kinder im Schulalter, sind meist Evaluationen von ganz spezifischen Interventionsprogrammen, die sich nicht ohne weiteres auf eine ganztägige Schulorganisation im Allgemeinen übertragen lassen. Zudem gibt es bei den durchgeführten Untersuchungen zwei Einschränkungen, welche vor Augen gehalten werden müssen: Es gibt nur wenige Studien, die ein experimentelles oder quasi-experimentelles Forschungsdesign mit Kontrollgruppe einsetzten. Ausserdem liegt der Fokus der Studien fast ausschliesslich bei den schulischen Outcomes, die sozio-emotionale Entwicklung wurde nicht mitberücksichtigt (vgl. Kap. 6.2). Verbreitet untersucht wurde die Wirksamkeit ausserfamilialer Bildungsund Betreuungsangebote im Vorschulalter insbesondere in den USA, Grossbritannien und in den skandinavischen Ländern. Dieses Thema und Forschungsfeld erweist sich dort seit einigen Jahrzehnten als relevant. Es kann vermutet werden, dass Parallelen zum ausserunterrichtlichen Teil an Tagesschulen für Schulkinder bestehen. Die meisten publizierten Studien über ausserfamiliale Bildung und Betreuung im Vorschulalter betonen insbesondere die massgebliche Rolle der Qualität der Institution für eine positive kindliche Entwicklung. So kann man in sprachlichen, kognitiven und schulleistungsbezogenen Dimensionen insgesamt kurz- und längerfristig von einer besseren Förderung in vorschulischen Einrichtungen ausgehen, wenn ein früher Beginn der Nutzung 29
Der deutsche Sprachraum insgesamt erweist sich insbesondere als relevant, da hier seit dem 19. Jahrhundert ähnliche Entwicklungen – u.a. hinsichtlich der Zeitstrukturen - statt fanden.
8.2 Teil II: Ausserfamiliale Bildung und Betreuung und kindl. Entwicklung 167 (etwa um das zweite Lebensjahr) und eine hohe Qualität des Angebots gegeben sind. Diese Effekte gelten für die Vorschul- und teilweise bis zur Grundschulzeit, wobei die Effekte mit der Zeit geringer werden. Die Befunde der kurz- und längerfristigen Einflüsse von qualitativ guter Bildung und Betreuung auf die sozio-emotionale Entwicklung sind weniger konsistent als für den kognitiven Bereich. Einige Studien weisen durchaus positive Wirkungen nach. So findet man längerfristige positivere Effekte in qualitativ guten Einrichtungen im Vergleich zu den familial betreuten Kindern – die teilweise bis ins Schulalter reichen – bezüglich einer besseren Perspektivenübernahme, kooperativem Verhalten, Aufgabenorientierung und Vertrauen in soziale Interaktionen. Heterogen erweisen sich die Ergebnisse besonders hinsichtlich des Verhaltens, wo sich teilweise in qualitativ hohem Setting positive Effekte zeigen, wohingegen in anderen Studien bei vermehrtem und schon frühem Besuch mehr externalisierende Verhaltensauffälligkeiten und Konflikte mit Erwachsenen sichtbar wurden. Insgesamt muss jedoch erwähnt werden, dass die ermittelten Effektgrössen in all diesen Untersuchungen im Vorschulbereich – sowohl hinsichtlich der kognitiven als der sozio-emotionalen Entwicklung – eher schwach ausgeprägt sind. Den grössten Einfluss auf die kindliche Entwicklung, sowohl was kognitive wie soziale Fähigkeiten betrifft, hat die familiale Bildungs- und Betreuungsqualität. Dieser Befund ist vergleichbar mit dem nachgewiesenen Einfluss der Familie als Bedingungsfaktoren der schulischen Leistung. (vgl. Kap. 6.3). Qualität In einer Tagesschule hängt die pädagogische Qualität im Gegensatz zu einer traditionellen Schule in der Schweiz und im deutschen Sprachraum von mehreren Momenten ab. Dies sind die Gestaltung des Unterrichts, die Gestaltung des ausserunterrichtlichen Teils und deren konzeptionelle Verknüpfung. Dabei kann insbesondere der dritte Bereich als spezifische Herausforderung der Tagesschule bezeichnet werden. Wobei bei einem integrierten Tagesschulmodell optimalerweise eine Verschmelzung von Unterricht und Bildungs- und Betreuungsangeboten stattfindet. Der Unterricht an einer Tagesschule im Besonderen stand bis vor Kurzem nicht im Fokus des Forschungsinteresses. Dementsprechend liegen nur sehr marginal Befunde vor, was genauso für den ausserunterrichtlichen Teil an Tagesschulen gilt. Die konzeptionelle Verzahnung der beiden Bereiche wiederum stellt ein neues Feld dar, zu dem nur vereinzelte Resultate vorhanden sind. Die Forschung zu Unterricht und Unterrichtsqualität im Allgemeinen hat langjährige Tradition (vgl. Kap. 4.2). Deren Befunde sind für den traditionellen Unterricht
168
8 Zusammenfassung und Fazit für die eigene Untersuchung
und den Blockzeitenunterricht in der Schweiz, die zudem von Interesse sind in der vorliegenden Untersuchung, von Relevanz. Spezifische Forschungsergebnisse zu gutem Blockzeitenunterricht in der Schweiz – abgesehen von Evaluationen einzelner Pilotprojekte – sind nicht vorhanden. In Kapitel 7 wurden sowohl Ansätze zur Bestimmung und Messbarkeit von pädagogischer Qualität aufgezeigt, die sich zum einen auf die ausserfamiliale Bildung und Betreuung und zum anderen auf die Unterrichtsqualität beziehen: Bei den sozialpädagogischen Konzepten pädagogischer Qualität findet man unterschiedliche Perspektiven, wobei sich in neueren Studien dimensionale und strukturell-prozessuale Ansätze von pädagogischer Qualität herauskristallisiert haben. Bei den strukturell-prozessualen Modellen wird eine Zusammenführung sowohl von dynamischen als auch von dimensionalen Ansätzen versucht. Qualität der ausserfamilialen Bildung und Betreuung wird somit mit strukturellen und mit prozessualen Dimensionen auf der Basis eines deskriptiv-analytischen Konzepts gemessen. Folgende Qualitätsdimensionen werden unterschieden, in denen nachstehende Merkmale nachgewiesen werden konnten:
Strukturqualität: Unter Strukturmerkmalen werden situationsunabhängige, zeitlich stabile Rahmenbedingungen der Institution und der Gruppe – innerhalb derer sich die Prozessqualität ereignet und von denen die Prozessqualität beeinflusst wird – verstanden. Diese werden vorwiegend politisch reguliert. Merkmale in diesem Bereich sind etwa die Gruppengrösse, Betreuungsschlüssel, Ausbildung des Betreuungspersonals oder räumlichemateriale Merkmale. Prozessqualität: Darunter fallen die Interaktionen und Erfahrungen des Kindes mit dem pädagogisch tätigen Personal, mit anderen Kindern und der räumlich-materialen Umwelt. Es geht dabei in verschiedenen Studien um allgemeine, soziale und kognitive Anregungen. Orientierungsqualität: Unter diesem Bereich werden die pädagogischen Einstellungen, Werte und Überzeugungen (z. B. allgemeine Erziehungseinstellungen, Entwicklungsvorstellungen, Aufgaben von Familie und Institution, Einstellungen zur Förderung des Kindes) der an den pädagogischen Prozessen beteiligten Personen verstanden. Diese Dimensionen sind in einem institutionellen und dem familialen Setting relevant. Eine Vielzahl von amerikanischen und europäischen Studien weist eine substanzielle Beziehung zwischen Strukturmerkmalen und Merkmalen der Orientierungsqualität auf der einen Seite und der realisierten Prozessqualität auf der anderen Seite nach. Diese Konzeption von Qualität findet man in Deutschland auch in Zusammenhang mit ganz-
8.2 Teil II: Ausserfamiliale Bildung und Betreuung und kindl. Entwicklung 169 tägiger Bildung und Betreuung in offenen Ganztagsschulen, z.T. ergänzt um die Entwicklungs- und die Ergebnisqualität. Ein anderes Qualitäts- und Wirkungsmodell der ausserunterrichtlichen Angebote wurde im Rahmen der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen in Deutschland“ (StEG) eingesetzt. Dazu wurde ein Wirkungsmodell von ausserschulischen Aktivitäten bei After School Programmen von Miller (2003) von Klieme (2007) weiterentwickelt (Radisch et al. 2008b). Miller baut in ihrem Modell einerseits auf die umfangreichen Forschungsergebnisse zur pädagogischen Qualität und deren Wirksamkeit im Rahmen von After School Programmen und andererseits auf Modelle der Schulwirksamkeitsforschung (Scheerens & Bosker 1997). Klieme (2007) adaptiert das Modell bezüglich der ausserunterrichtlichen Aktivitäten. Das Modell von Miller (2003) wurde, nebst der Prozessqualität und deren Wirkung, um den wichtigen Aspekt der Nutzung der Angebote erweitert. Die vorgestellten Konzepte und Modelle sind überwiegend für den ausserunterrichtlichen Teil des Ganztags konzipiert. Vereinzelt geht deren Konzeptionsbereich bereits darüber hinaus wie z.B. bei der ECCE-Studie, bei der auch für den Unterricht ein Konzept pädagogischer Qualität, differenziert nach Prozess-, Struktur- und Orientierungsqualität, zur Anwendung kam. In der vorliegenden Untersuchung ist für die interessierenden Schulformen – nebst dem ausserunterrichtlichen Teil in den Tagesschulen – ebenso der Unterricht von Relevanz. Der Unterricht und die Unterrichtsqualität lassen sich anhand unterschiedlicher Konzeptionen und Forschungstraditionen anschauen. In der vorliegenden Arbeit wird die Unterrichtsqualität vor allem unter dem Fokus der Pädagogischen Psychologie und der empirischen Bildungsforschung analysiert. Unterrichtsqualität ist ein normativer Begriff, der über eine reine Beschreibung von Unterricht hinausgeht. In diesem Sinne sind auch die Dimensionen bezüglich derer die Wirksamkeit von Unterrichtsqualität beschrieben werden soll, gezielt im Hinblick auf die interessierenden Zielkriterien auszuwählen und festzulegen. Denn insgesamt kann festgestellt werden, dass unterschiedliche Lernziele unterschiedliche Methoden verlangen, den Lehrplänen zufolge jedoch mehrere Lernziele angestrebt werden müssen. Daraus kann für die Unterrichtsforschung abgeleitet werden, dass sinnvollerweise nach Möglichkeit Studien zu multikriterialer Wirkung von Unterricht durchgeführt werden sollen. Es gibt eine Reihe von Übersichten und Klassifikationen von entscheidenden Merkmalen von Unterricht, die sich zwar hinsichtlich der Terminologie und Ausführlichkeit durchaus voneinander unterscheiden, jedoch nicht bei der Betrachtung der Unterrichtsqualität: so z.B. diejenigen der Pädagogischen Psy-
170
8 Zusammenfassung und Fazit für die eigene Untersuchung
chologen (Helmke und Baumert) und der Didaktiker (Meyer als prominenter Vertreter) (vgl. Kap. 7.2.1). Erste Befunde zur Unterrichtsgestaltung und zur zeitlichen Organisation in Tagesschule und Schulen mit Blockzeitenunterricht nennen als wichtige Gelingensbedingungen für den Aus- und Aufbau dieser Schul- und Unterrichtsformen folgende Faktoren:
Weiterentwicklung der Lehr- und Lernkultur eine flexible Zeitorganisation innere und äussere Rhythmisierung Teamteaching, aktive Mitarbeit der Lehrpersonen in der Tagesschule individuelle Förderung der Kinder intensive Kooperation zwischen Lehrpersonen und weiterem pädagogischem Personal Zusammenarbeit mit ausserschulischen Partnern sowie das Vorhandensein eines pädagogischen Konzeptes (vgl. Kap. 7.1).
Verschiedene Modelle versuchen die komplexen Wirkungsweisen von Unterricht, seine Voraussetzungen, Komponenten und Konsequenzen zu modellieren. Ein zentrales Rahmenmodell ist dasjenige von Helmke (2004), welches auf dem Angebot- und Nutzungsmodell von Fend (1998) und einem Rahmenmodell von Helmke und Weinert (1997b) basiert. Helmke (2006) konstatiert, dass Unterricht nur ein Angebot mit dem Ziel, aktiv zu lernen, ist. Die effektive Nutzung und die Nachhaltigkeit auf der Seite der Schülerinnen und Schüler, hängen jedoch von einer Vielzahl unterrichtlicher, kontextueller und individueller Merkmale ab. Weitere Modelle berücksichtigen auch explizit die vielfältigen schulexternen Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung, so z.B. das Rahmenmodell zur Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern und deren schulischen Leistung von Pekrun und Helmke (1991), erweitert durch Schüpbach (2004) (vgl. Kap. 7.2.1).
8.2.4 Fazit Nach unserer Erkenntnis fehlen – abgesehen von Evaluationen von einzelnen Pilotprojekten – empirische Studien zu Tagesschulen und zu Schulen mit Blockzeitenunterricht in der Schweiz weitgehend. Das heisst, es gibt keine wissenschaftlich gesicherten Befunde dazu, wie sich die pädagogische Qualität in diesen Schulformen bzw. -settings aber auch in den Familiensettings der nutzenden Kinder
8.2 Teil II: Ausserfamiliale Bildung und Betreuung und kindl. Entwicklung 171 gestaltet und ob allenfalls Unterschiede zwischen diesen Settings vorliegen. Das Gleiche gilt auch bezüglich der Wirksamkeit von Tagesschulen und Schulen mit Blockzeitenunterricht und deren pädagogische Qualität bezüglich der kindlichen Entwicklung. Auch dazu fehlen Untersuchungen, die den aktuellen methodischen Ansprüchen entsprechen. Deshalb erweist es sich als wichtig, eine Studie zur Qualität und Wirksamkeit von Tagesschulen und von Schulen mit Blockzeitenunterricht im Vergleich zur traditionellen Schule in der Schweiz durchzuführen. In diesem Bereich besteht ein beträchtliches Forschungsdefizit. Zudem soll untersucht werden, welchen Anteil weitere Blöcke von Bedingungsfaktoren (individuelle Merkmale des Kindes, familiale Merkmale, der Entwicklungsstand am Anfang der Schulzeit) an der kindlichen Entwicklung haben. Auf eine Untersuchung des Einflusses weiterer Lernwelten wie Peer Group und Medien wird verzichtet, da deren Einfluss nur sekundär ist und diese nicht im Hauptfokus der Studie stehen. Aufgrund des Forschungsstandes erweist es sich jedoch als sinnvoll, das familiale Setting mit in die Untersuchung aufzunehmen, um weitere Einflüsse des kindlichen Umfelds untersuchen und in einer zweiten Phase statistisch kontrollieren zu können und somit die Effekte der ausserfamilialen Bildung und Betreuung auf die Entwicklung des Kindes analysieren zu können. Um den Einfluss der pädagogischen Qualität der verschiedenen Schulsettings auf die kindliche Entwicklung messen zu können, wird ein Längsschnittdesign mit einer Ex-post-facto-Untersuchung gewählt (mit Messzeitpunkten zu Beginn und mehrmals während des Besuchs Schulform). Als relevant werden zudem ein quasi-experimentelles Design mit zwei Versuchsgruppen und einer Kontrollgruppe betrachtet. Die Kontrollgruppe soll Schülerinnen und Schüler umfassen, welche keine Schule mit Blockzeitenunterricht und keine Tagesschule besuchen. Ein solches Vorgehen wurde in früheren Studien (vor allem im Vorschulbereich) mit wenigen Ausnahmen nicht gewählt, was sich als grundsätzliches methodisches Problem erweist. Um der Frage nach der in den verschiedenen Schulformen vorherrschenden pädagogischen Qualität nachgehen zu können, muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich die Situation bezüglich Tagesschulen und Blockzeiten in der Schweiz momentan sehr heterogen gestaltet. Diese Sachlage verlangt ein Untersuchungsdesign, das sowohl einen beschreibenden als auch einen vergleichenden Zugang bezüglich der Gestaltung der pädagogischen Qualität in den drei Formen (Blockzeitenunterricht, Tagesschule, traditioneller Unterricht) hat. Um insbesondere die noch wenig untersuchten (spezifischen) Qualitätsmerkmale einer Tagesschule eingehend analysieren zu können, wird zudem eine vertiefende qualitative Untersuchung durchgeführt. Mittels Fallanalysen soll in den Tagesschulen einzelnen (potenziellen) Qualitätsfaktoren nachgegangen werden.
III. TEIL: STUDIE ZUR FAMILIALEN UND AUSSERFAMILIALEN BILDUNG UND BETREUUNG SOWIE ZUR KINDLICHEN ENTWICKLUNG IM PRIMARSCHULALTER
9 Methodik der Studie 9 Methodik der Studie
In diesem Kapitel werden im Folgenden die Fragestellungen der Untersuchung dargestellt, die an den aktuellen Forschungsstand anknüpfen (Kap. 9.1), bevor die theoretische Rahmenkonzeption (Kap. 9.2) und das Forschungsdesign (Kap. 9.3) der Studie vorgestellt werden. Im Anschluss werden die eingesetzten Erhebungsinstrumente und die Skalen (Kap. 9.4), der Untersuchungsplan (Kap. 9.5) sowie eine Stichprobenbeschreibung (Kap. 9.6) präsentiert.
9.1 Fragestellungen und allgemeine Hypothesen 9.1 Fragestellungen und allgemeine Hypothesen Auf dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen (in der Schweiz) und des dargestellten Forschungsstandes haben sich die folgenden aufeinander aufbauenden Fragestellungen herauskristallisiert, die in der vorliegenden Untersuchung analysiert werden sollen. Diese setzen sich mit der Qualität und der Wirksamkeit von familialer und ausserfamilialer30 Bildung und Betreuung zu Beginn der obligatorischen Schullaufbahn – in den ersten beiden Schuljahren – sowie mit der Wirkung weiterer Bündel bzw. Blöcke von Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung auseinander. Qualität 1.
Wie gestaltet sich die pädagogische Qualität (Orientierungsqualität, Strukturqualität und Prozessqualität) im familialen und ausserfamilialen Setting?
30
Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulformen bzw. Untersuchungsgruppen? Gibt es Unterschiede bezüglich der pädagogischen Orientierungen zwischen den Hauptbezugspersonen im familialen und ausserfamilialen Setting?
Qualität und Wirksamkeit von Tagesschule und Schulen mit Blockzeitenunterricht im Vergleich zum „traditionellen Unterricht“ in der Schweiz (Kontrollgruppe)
176
9 Methodik der Studie
2.
Wie gestalten sich ausgewählte, für die Tagesschule spezifische, Qualitätsfaktoren?
Welchen Einfluss haben Merkmale der Struktur- und Orientierungsqualität jeweils auf die im familialen und ausserfamilialen Setting (Unterricht) realisierte Prozessqualität im Allgemeinen?
Einfluss auf die Entwicklung der Kinder 3.
Welchen Einfluss hat die pädagogische Qualität in der Familie und in der Schule neben weiteren individuellen Bedingungsfaktoren auf den kindlichen Entwicklungsstand am Ende des ersten und zweiten Schuljahres? Konkret: Welchen Einfluss haben die folgenden Merkmalblöcke auf den kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklungsstand sowie bezüglich der Alltagsfertigkeiten der Kinder am Ende des ersten und zweiten Schuljahres? a) unterschiedliche Charakteristiken der Kinder b) unterschiedliche familiale Faktoren (Struktur-, Orientierungs- und Prozessqualität sowie das Erziehungsverhalten) c) der Entwicklungsstand bei Schuleintritt d) unterschiedliche schulische Faktoren (Struktur-, Orientierungs- und Prozessqualität, Schulform31)
4.
5.
Welches sind im Einzelnen entwicklungsfördernde Bedingungsfaktoren in der Familie und in der Schule (der Orientierungs-, Struktur- und Prozessqualität)? Welcher kognitive und sozio-emotionale Entwicklungsstand zeigt sich a) bei den Tagesschulkindern, den Blockzeitenkindern im Vergleich zu den Kindern der Kontrollgruppe (traditioneller Unterricht) am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres? b) … bei zusätzlich jeweils hoher bzw. tiefer Qualität der ausserfamilialen Settings? c) … bei zusätzlich jeweils hoher bzw. tiefer pädagogischer Qualität in der Familie?
Bei den Fragestellungen 3 und 5 wird von folgenden allgemeinen Hypothesen ausgegangen:
31
Tagesschule, Blockzeitenunterricht, traditioneller Unterricht
9.2 Theoretische Rahmenkonzeption
177
Der Einfluss von familialen Einflussfaktoren – unter Kontrolle der individuellen Einflussfaktoren – im Hinblick auf die kindliche Entwicklung ist grösser als derjenige der schulischen Faktoren. Schülerinnen und Schüler, die eine Tagesschule besuchen und diese intensiv nutzen, erreichen in den kognitiven bzw. sozio-emotionalen Bereichen am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres einen höheren Entwicklungsstand als solche, die nur den Blockzeitenunterricht besuchen und beide haben einen höheren Entwicklungsstand als solche, die den traditionellen Unterricht besuchen (Kontrollgruppe). Schülerinnen und Schüler, die eine Tagesschule besuchen und diese intensiv nutzen, erreichen in den kognitiven bzw. sozio-emotionalen Bereichen am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres einen höheren Entwicklungsstand als solche, die nur den Blockzeitenunterricht besuchen und beide haben einen höheren Entwicklungsstand als solche, die den traditionellen Unterricht besuchen (Kontrollgruppe). Diejenigen Kinder, die jeweils ein qualitativ hoch stehendes Angebot besuchen, haben einen höheren Entwicklungsstand als solche, die ein Angebot von tiefer Qualität besuchen. Schülerinnen und Schüler, die eine Tagesschule besuchen und diese intensiv nutzen, erreichen in den kognitiven bzw. sozio-emotionalen Bereichen am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres einen höheren Entwicklungsstand als solche, die nur den Blockzeitenunterricht besuchen und beide haben einen höheren Entwicklungsstand als solche, die den traditionellen Unterricht besuchen (Kontrollgruppe). Diejenigen Kinder, die jeweils in einer Familie von hoher pädagogischer Qualität aufwachsen, haben einen höheren Entwicklungsstand als solche, die in einer Familie von tiefer Qualität aufwachsen.
9.2 Theoretische Rahmenkonzeption 9.2 Theoretische Rahmenkonzeption Der Untersuchung wird ein Rahmenmodell zugrunde gelegt, das sich an die Wirkungsmodelle der Studie StEG (Radisch et al. 2008b), von Helmke (2004), Pekrun und Helmke (1991), ergänzt durch Schüpbach (2004) sowie das deskriptiv-analytische Konzept von pädagogischer Qualität der ECCE-Studie und von Tietze und Mitarbeitenden (ECCE 1997; Rossbach 2002; Tietze 1998; Tietze et al. 2005a) anlehnt. Letzteres unterscheidet die drei Qualitätsbereiche Struktur-, Orientierungs- und Prozessqualität. Dabei wird nicht von einem normativen Konzept von Qualität ausgegangen. Nach Tietze (1998, p. 23) kann die Qualität in einer Schule bzw. in einer Familie als „ein mehrdimensional bestimmtes, empirisch fassbares Phänomen“ verstanden und beschrieben werden. Trotzdem
178
9 Methodik der Studie
ist ein solcher Zugang nicht völlig wertneutral. Dabei werden primär Qualitätsmerkmale fokussiert, von denen bereits empirisch nachgewiesen werden konnte, dass sie im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kinder stehen oder aber vermutet wird, dass sie es tun könnten. Grundsätzlich geht das Rahmenmodell von einer Entgrenzung von Bildung aus. Bildungs- und Sozialisationsprozesse von Kindern und Jugendlichen finden an verschiedenen Orten statt (Familie, Schule, weitere institutionelle Orte, Peers, Medien u.a.) und sind nicht an bestimmte Institutionen oder Instanzen gebunden. Im Fokus dieses Modells stehen die Familie und die Institution Schule (mit einem unterrichtlichen und einem ausserunterrichtlichen Teil in der Tagesschule) (vgl. Abb. 13). In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass an den einzelnen Orten der Bildung und Sozialisation eine Beziehung zwischen Strukturqualität und Merkmalen der Orientierungsqualität (Einstellungen, Werte der involvierten Personen) auf der einen Seite und der realisierten Prozessqualität auf der anderen Seite (Tietze 2002) besteht. Die Prozessqualität in der Familie entspricht dem vorherrschenden Anregungsniveau oder dem Stimulationsgehalt. In der Schule kommt die Prozessqualität einerseits mit der Unterrichtsqualität und andererseits mit den Angeboten, Aktivitäten und Routinen im ausserunterrichtlichen Teil gleich. Die Settings Familie und Schulklasse bzw. Kindergruppe sind zudem in bestimmte Kontextbedingungen eingebunden, von denen Auswirkungen auf die pädagogische Qualität dieser Mikrosysteme und auf die kindliche Entwicklung angenommen werden. In der Familie handelt es sich dabei beispielsweise um Merkmale des Wohnumfelds oder des sozialen Netzwerks. In der Schule sind dies Merkmale der gesamten Schule und des sozialen Umfelds. Prozess-, Struktur- und Orientierungsqualität werden nach Tietze (1998, p. 23) als Bereiche des umfassenden Konzepts von pädagogischer Qualität betrachtet (vgl. Abb. 13), wobei einzelne Qualitätsaspekte als Qualitätsdimensionen bezeichnet werden, die meistens wiederum aus einzelnen Variablen bestehen. Das Modell zur pädagogischen Qualität von Tietze und Mitarbeitenden (ECCE 1997; 1998; 2005a) wurde im Rahmen der Studie EduCare im familialen Setting um den Aspekt des elterlichen Erziehungsverhaltens erweitert. Das elterliche Erziehungsverhalten ist ein relativ zeitstabiles Konstrukt, das sich inhaltlich nicht einer einzelnen Qualitätsdimension zuordnen lässt. Da es sich um einen Aspekt des Verhaltens handelt, der die Eltern-Kind-Interaktion charakterisiert, steht das elterliche Erziehungsverhalten mit dem Konstrukt der Prozessqualität in enger Verbindung. Hinter dem Erziehungsverhalten der Eltern stehen aber auch Wertvorstellungen und Erwartungen, wie sie die Orientierungsqualität thematisiert. Entsprechend ist auch von einer inhaltlichen Verknüpfung mit der Orientierungsqualität auszugehen.
9.2 Theoretische Rahmenkonzeption
179
Beim ausserunterrichtlichen Teil in der Schule wird das Modell zudem, in Anlehnung an dasjenige der StEG-Studie, um die Nutzung der Angebote sowie die Intensität der Teilnahme (pro Woche), erweitert. Das Wirkungsmodell fokussiert sowohl Wirkungen bezüglich der kognitiven als auch der sozioemotionalen Entwicklung und der Alltagsfertigkeiten (vgl. Abb. 13). Das gesamte Rahmenmodell kann als Angebots- und Nutzungsmodell bezeichnet werden. Für die Interpretation der Ergebnisse muss mitberücksichtigt werden, dass so genannte Mediationsprozesse auf Seite des Kindes und dessen aktive Nutzung der Lernaktivitäten die Wirkungen der Prozessqualität mitbeeinflussen (Helmke 2004).
180
Abb. 13
9 Methodik der Studie
Rahmenmodell zur kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler an verschiedenen Orten der Bildung und Sozialisation
9.3 Forschungsdesign
181
9.3 Forschungsdesign 9.3 Forschungsdesign 9.3.1 Untersuchungsanordnung Aufgrund der Fragestellungen der Untersuchung haben sich verschiedene Implikationen und Vorgaben für das Forschungsdesign der Nationalfondsstudie Nr. 100013-109345, „Educare – Qualität und Wirksamkeit der familialen und ausserfamilialen Bildung und Betreuung von Primarschulkindern“ (EduCare I) und deren Verlängerung EduCare II (SNF Nr. 100014-120668) ergeben. Die vorliegende Publikation bezieht sich auf die Ergebnisse des ersten Teils der Studie, Laufzeit von März 2006 bis August 2008. Um die kurz- und mittelfristige Entwicklung der Schülerinnen und Schüler in den unterschiedlichen Schulformen am Anfang ihrer Schullaufbahn messen und die Wirksamkeit analysieren zu können, wurde eine Längsschnittuntersuchung durchgeführt. Der Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler wurde zu Beginn der Schulzeit (am Anfang des ersten Schuljahres), am Ende des ersten und zweiten Schuljahres32 erhoben (vgl. Abb. 13). Im Weiteren wird die Qualität der Settings in verschiedenen Qualitätsbereichen bzw. -dimensionen untersucht und im Rahmen von EduCare I einmal erhoben. Das Untersuchungsdesign beinhaltet drei Untersuchungsgruppen: zwei Versuchsgruppen und eine Kontrollgruppe. Es handelt sich um eine quasiexperimentelle Untersuchungsanordnung, da die Schülerinnen und Schüler in „natürlichen“ Gruppen Tagesschule, Blockzeiten und Kontrollgruppe vereint sind (Bortz 1999). Da das „Treatment“ bei den Schülerinnen und Schülern nicht künstlich variiert werden kann – es liegt bereits variiert in Form der Schulform vor – kann somit von einer quasi-experimentellen Ex-post-facto-Untersuchung gesprochen werden (ebd.). Die vorliegende Studie und die zu untersuchenden Forschungsfragen fallen in den Bereich der Schulwirksamkeitsforschung, die sich mit Effekten von Massnahmen hinsichtlich Effektivität in den Handlungsfeldern Bildungssystem, Schule und Schulklasse bzw. Schülergruppe beschäftigt (Scheerens & Bosker 1997).
9.3.2 Auswahl der Stichprobe Die Durchführung der Untersuchung wurde zum vornherein auf die Deutschschweiz beschränkt. Aufgrund des ungleichen Vorkommens der drei Schulformen in der Grundgesamtheit – Tagesschulen sind am wenigsten verbreitet – 32
Im Rahmen der Verlängerungsstudie wurde eine weitere Erhebung am Ende des dritten Schuljahres durchgeführt.
182
9 Methodik der Studie
galt es, im Hinblick auf Untersuchungsgruppenvergleiche, eine disproportionale Stichproben zu generieren. Dabei sollten drei verschiedene Ebenen berücksichtigt werden: Die Schulen, die Schulklassen, die Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern. Die Schulen der drei Untersuchungsgruppen erfüllen folgende Kriterien: Versuchsgruppe Tagesschulen:
Die Schulen bieten – neben Unterricht – unter ihrer Obhut über Mittag, am Nachmittag nach dem Unterricht sowie an den unterrichtsfreien Nachmittagen an fünf Tagen pro Woche ein obligatorisches oder freiwilliges ausserunterrichtliches Bildungs- und Betreuungsangebot an.
Versuchsgruppe Schulen mit Blockzeiten:
Die Schulen bieten in den Schuljahren 2006/07 und 2007/08 eine Unterrichtsorganisation an, im Rahmen derer alle Schülerinnen und Schüler an fünf Vormittagen pro Woche wenigstens während dreieinhalb Stunden (oder während vier Lektionen) und an einem bis vier Nachmittagen unter Obhut der Schule stehen (EDK 2005).
Kontrollgruppe Schulen mit traditionellem Unterricht:
Die Schulen bieten in den Schuljahren 2006/07 und 2007/08 keinen Blockzeitenunterricht im beschriebenen Umfang (vgl. oben) und kein ausserunterrichtliches Bildungs- und Betreuungsangebot an (vgl. oben). Der Unterricht wird in der für die Schweiz über Jahrzehnte hinweg traditionellen Organisationsform (mit einem grossen Anteil an Halbklassenunterricht in den ersten Schuljahren am Vormittag) erteilt.
Anzufügen ist, dass die Eltern die Wahl treffen können, ihr Kind in eine Tagesschule zu schicken. Ob ihr Kind jedoch eine Schule mit oder ohne Blockzeitenunterricht besucht, liegt nicht in ihrer Hand. Dies ist abhängig davon, ob im entsprechenden Wohnkanton bzw. in der Schulgemeinde ein Unterrichtsmodell mit oder ohne Blockzeiten geführt wird. Die Stichprobe im Rahmen der SNF-Studie EduCare wurde in drei Schritten generiert, welche im Folgenden dargestellt werden sollen.
9.3 Forschungsdesign
183
1. Schritt: Auswahl von Kantonen, Gemeinden und Schulen In einem ersten Schritt wurden die Bildungssysteme aller Deutschschweizer Kantone im Hinblick auf das Vorkommen von Blockzeiten, Tagesschulen sowie des traditionellen Unterrichts ohne Bildungs- und Betreuungsangebote (Kontrollgruppe) analysiert. Erziehungsdirektionen von 11 Kantonen wurden schliesslich aufgrund der aktuellen Situation im Schuljahr 2006/07 um Erlaubnis für die Durchführung der Studie angefragt. Es haben sich alle dazu bereit erklärt. Alle Tagesschulen in der Deutschschweiz33, die unseren Kriterien entsprachen – die Untersuchungsgruppe mit der kleinsten Grundgesamtheit – wurden im Folgenden für eine Teilnahme angefragt. Auf der Grundlage von relevanten soziodemographischen Daten der Gemeinden, in denen sich diese Tagesschulen befinden (Einwohnerzahl, Ausländerquote, Arbeitslosenquote, Höhe des Schulabschlusses der Bevölkerung), wurden für die Versuchsgruppe Blockzeiten und die Kontrollgruppe, Schulen aus vergleichbaren Gemeinden aus den 11 Deutschschweizer Kantonen angefragt, die unseren Kriterien entsprachen. Da sich die Tagesschulen überwiegend in Städte und Agglomerationsgemeinden befinden, spiegelt sich diese Konzentration auf diese Gemeinden aufgrund des gewählten Vorgehens auch in der Gesamtstichprobe wider. So gibt es – mit Ausnahme der Einwohnerzahl der Gemeinden (p<.05), die Blockzeitenklassen befinden sich in grösseren Gemeinden als die Kontrollgruppenklassen – keine signifikanten Unterschiede zwischen den Klassen der Untersuchungsgruppen hinsichtlich der sozio-demographischen Merkmale der Gemeinden. Die Ausländerquote (p=n.s.), die Arbeitslosenquote (p=n.s.) und die Höhe des Schulabschlusses der Bevölkerung (Sekundarstufe II) (p=n.s.) sind annähernd gleich hoch. 2. Schritt: Zufallsauswahl von Schulen und Schulhäusern Die Auswahl der Primarschulen bzw. Schulhäuser, in den im ersten Auswahlschritt bestimmten Gemeinden, erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Aus der Grundgesamtheit der Schulen wurden Primarschulen bzw. Primarschulhäuser, unter Berücksichtigung der genannten Kriterien der Untersuchungsgruppen (vgl. oben) sowie möglichst aller 11 Kantone, eine Zufallsstichprobe gezogen. Die hierfür erforderlichen Daten wurden uns von den kantonalen Erziehungsdirektionen und von den Schulgemeinden zur Verfügung gestellt. Aufgrund der Untersuchungsanlage waren die ersten Primarschulklassen im Schuljahr 2006/07 bzw. deren Kinder, die interessierende Zielgruppe. Im Falle von mehreren ersten Klassen in einer Schulgemeinde bzw. in einem Schulhaus 33
nach Angaben des Vereins Tagesschulen Schweiz von Schuljahr 2005/06, die auf eine Selbstdeklaration der entsprechenden Schulen basieren
184
9 Methodik der Studie
wurden die entsprechenden Lehrpersonen jeweils um ihre Mitarbeit und Unterstützung des Projektes angefragt. Aus der Anzahl der positiven Antworten wurde wiederum eine Zufallsauswahl vorgenommen. Insgesamt wurden nur vereinzelt mehrere Klassen pro Schulhaus bzw. Schulen ausgewählt, was zu einer ähnlichen Anzahl teilnehmender Klassen und Schulen führt. 3. Schritt: Zufallsauswahl von Kindern und ihren Familien In einem nächsten Schritt wurden alle Eltern der ausgewählten Schulklassen für eine Teilnahme ihres Kindes und der Familie angefragt. Die Untersuchungsfrage-stellungen verlangen zwingend die Konstruktion einer verbundenen Stichprobe von Schule bzw. Klasse mit den Kindern und ihrer Familie. Die zu untersuchenden Kinder müssen aus jenen Klassen stammen, in denen auch die pädagogische Qualität analysiert wird. 685 Eltern mit Kindern aus 78 Klassen haben die Zustimmung zur Teilnahme an der Studie gegeben. Davon haben wir in einem letzen Schritt 521 Schülerinnen und Schüler aus 70 Klassen gezogen. Ursprünglich war vorgesehen, dass pro Klasse 6 Kinder (je 3 Jungen und Mädchen) ausgewählt werden sollten. Dieses Ziel konnte jedoch teilweise nicht erreicht werden. Zum Ausgleich wurden deshalb in grösseren Klassen und in Klassen an Tagesschulen mehr Kinder gezogen, was letztlich zu einer durchschnittlichen Verteilung von 9 Kindern pro Klasse geführt hat. Aufgrund des disproportionalen Vorkommens der drei Untersuchungsgruppen – Tagesschulen gibt es in der Schweiz bedeutend weniger als die beiden anderen Schulformen – konnte das ursprünglich gesetzte Ziel, jeweils 80 Kinder aus 20 Schulen bzw. Klassen für die Stichprobe zu generieren, nicht erreicht werden (für eine ausführliche Beschreibung der realisierten Stichprobe vgl. Kap. 9.6).
9.4 Eingesetzte Erhebungsinstrumente und Skalen 9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen In diesem Kapitel sollen die in dieser Untersuchung eingesetzten Erhebungsinstrumente und die Skalen beschrieben werden. Dabei wird – mit Ausnahme der Instrumente zur Erhebung der pädagogischen Qualität, die an dieser Stelle nur im Überblick dargestellt werden – jeweils zusammenfassend auf die Wahl bzw. die Konstruktion, die Auswertung und die Gütekriterien des Instruments eingegangen. Für eine ausführlichere Betrachtung der Auswertung und der Skalenwerte der nicht normierten Instrumente wird auf den Forschungsbericht Nr. 34 zur SNF-Studie EduCare I verwiesen (Schüpbach et al. 2008a).
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen
185
9.4.1 Kindliche Entwicklung Unter der kindlichen Entwicklung wird nach Weinert, Doil und Frevert (2008) ein kumulativer Prozess verstanden, in dessen Verlauf die jeweils verfügbaren kindlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensbestände und die durch die Umwelt zur Verfügung gestellten Angebote an Lerngelegenheiten, Rückmeldungen, Anregungen, Anleitungen und Informationen zusammenwirken, um Entwicklungs-, Lern- und Wissensfortschritte zu bewirken. (ebd., p. 89)
Es stellt sich die Frage, welches die relevanten Masse zur Messung der Entwicklung sind und mit welchen Verfahren man die Entwicklung der Kinder in diesem frühen Alter, am Anfang der Schulzeit, erfassen kann (Rossbach & Weinert 2008). In neueren Studien wird die kindliche Entwicklung meist anhand von vier Kompetenzbereichen erfasst. Zum einen sind dies die sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, gefolgt von den allgemeinkognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie wichtigen Aspekten aus den Bereichen Sozialverhalten, Interessen, Lernbereitschaft und Selbstkonzept (Weinert et al. 2008). Diese genannten Bereiche stimmen weitgehend mit Entwicklungsbereichen überein, in denen die Schülerinnen und Schüler nach den Schulgesetzen und Lehrplänen der Volksschulen in der Schweiz gefördert werden sollen und entsprechen auch den Bildungszielen eines erweiterten Bildungsbegriffs (Otto & Rauschenbach 2004). Diese Ausrichtung unterscheidet sich nicht grundsätzlich bei einer öffentlichen Tagesschule, da sie sich bezüglich Unterricht an den kantonalen Schulgesetzen zu orientieren hat. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass ausserunterrichtliche Angebote tendenziell eher einen Schwerpunkt bei der sozio-emotionalen Entwicklung, einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung und der Entwicklung von Alltagsfertigkeiten setzen. Wohingegen man im Unterricht eher einen Schwerpunkt bei der fachlichen Kompetenzentwicklung vorfindet. Eine verbindliche Ausrichtung für die ausserunterrichtlichen Angebote ist in den meisten Kantonen nicht vorhanden (vgl. Kap. 5). Aufgrund dessen wurde der Lern- und Entwicklungsstand in der Studie EduCare zu mehreren Messzeitpunkten mit folgenden Entwicklungsmassen gemessen:
Schulleistung in Sprache Schulleistung in Mathematik Alltagsfertigkeiten Selbstkonzept
186
9 Methodik der Studie Prosoziales Verhalten Sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten.
Im Weiteren stellt sich die grundsätzliche Frage nach einem angemessenen methodischen Vorgehen bei der Erfassung des Entwicklungsstandes bei Kindern im Alter von sechs oder sieben Jahren. So sind Kinder in diesem Alter noch nicht in der Lage, selbständig längere Sätze zu lesen und meist ist erst ein eingeschränktes Verständnis für die Durchführung von Tests und Fragebögen vorhanden. Dies zeigt die Schwierigkeit der Erfassung der kindlichen Entwicklung im Primarschulalter (Schnabel 1997). Heutzutage werden nun in zahlreichen internationalen Längsschnittuntersuchungen z.B. British Cohort Study, CQCStudy, ECLS, ECCE-Studie (vgl. ECCE 1997), Leistungstests zur Erfassung der kindlichen Entwicklung eingesetzt. Inzwischen liegen auch im deutschen Sprachraum formelle Tests zur Erfassung sprachlicher und mathematischer Fähigkeiten und Fertigkeiten vor. In diesen Untersuchungen werden die kindlichen Entwicklungsmasse in den einzelnen Bereichen bereits in einem sehr frühen Alter und zu mehreren Messzeitpunkten erhoben. Um die Entwicklungsmasse altersgerecht erfassen zu können, bedarf es jedoch Tests, die die verbalen und nonverbalen Aspekte berücksichtigen und dem Verständnis von Kindern in diesem Alter gerecht werden (z.B. Schnabel 1997; Weinert et al. 2008). Ergänzend dazu erfolgen in einigen Studien Einschätzungen und Beobachtungen der Lehr- und Betreuungspersonen hinsichtlich der sozialen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder (Rossbach et al. 2008). Vor diesem Hintergrund wurde folgendes Instrumentarium zur Messung der ausgewählten Entwicklungsmasse eingesetzt (vgl. Tab. 6):
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen Tab. 6
Instrumente zur Erhebung der kindlichen Entwicklung und deren Entwicklungsbereiche im Rahmen der Studie EduCare I im Überblick
Dimension, Skala Kognitive Entwicklung: Schulleistung in Sprache und Mathematik (bei Schuleintritt)
SMS – Sprache und Mathematik beim Schuleintritt (Moser et al. 2003)
Schulleistung in Sprache (1. und 2. Schuljahr)
Würzburger Leise Leseprobe (WLLP) (Küspert & Schneider 1998)
Schulleistung in Mathematik (1. und 2. Schuljahr)
Alltagsfertigkeiten
Sozio-emotionale Entwicklung: Selbstkonzept Peer-Relations Selbstkonzept Parent-Relations Soziales Selbstkonzept a Selbstkonzept Lesen Selbstkonzept Mathematik Akademisches Selbstkonzept b Selbstwert Prosoziales Verhalten Keine Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsprobleme Keine emotionalen Probleme sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten c a
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Instrument
DEMAT 1+ - Deutscher Mathematiktest für erste Klassen (Krajewski et al. 2002) DEMAT 2+ - Deutscher Mathematiktest für zweite Klassen (Krajewski et al. 2004) Fragebogen für Eltern, adaptierte Version der von Tietze et al. (2005a) eingesetzten Version (Einschätzung der Eltern) der „Vineland Adaptive Behavior Scales” (VASB) (Sparrow et al. 1984), ausgewählte Items
Adaptierte Version der „Self Description Questionnaire I – SDQ I“ (Marsh 1992), ausgewählte Skalen
Fragebogen für Eltern, adaptierte Version der „Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ)“ (Goodman 1997)
Diese Skala wurde aus den beiden Skalen „“Peer-Relations“ und „Parent-Relations“ gebildet. Diese Skala wurde aus den beiden Skalen „keine sozial-emotionalen Auffälligkeiten“ und „keine emotionalen Probleme“ gebildet. c Diese Skala wurde aus den beiden Skalen „keine sozial-emotionalen Auffälligkeiten“ und „keine emotionalen Probleme“ gebildet. b
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9 Methodik der Studie
Kognitive Entwicklung: Schulleistung in Sprache und Mathematik Das Längsschnittdesign der Studie verlangt die mehrmalige Messung des Entwicklungsstandes der Schülerinnen und Schüler. Wie bereits erwähnt, sind einige wenige deutschsprachige adäquate Messinstrumente für diesen Altersbereich vorhanden. So wurde im Rahmen der Studie EduCare für die Erhebungen der kognitiven Entwicklungsmasse, Schulleistung in Sprache und in Mathematik, auf bestehende Instrumente zurückgegriffen. Eingangserhebung mit dem Test SMS – Sprache und Mathematik beim Schuleintritt von Moser et al. (2003) Für die Eingangserhebung zu Beginn des ersten Schuljahres wurde der Leistungstest „SMS – Sprache und Mathematik beim Schuleintritt“ von Moser et al. (2003) ausgewählt. Das unveröffentlichte Instrument wurde zuvor in einer kantonalen Vollerhebung bei mehr als 2000 Kindern im Kanton Zürich am Anfang der ersten Klasse (fünf Wochen nach Schulbeginn) eingesetzt (Moser et al. 2005). Um die Lernausgangslage messen zu können, wurde der Lernstand in Mathematik und Deutsch mittels Einzelassessment mündlich von geschulten studentischen Hilfskräften durchgeführt. Die Testdurchführung dauerte in der vorliegenden Studie je nach Kompetenzen des Kindes zwischen 10 und 20 Minuten und fand etwa zweieinhalb Monate nach Schulbeginn statt. Folgende Dimensionen und Inhalte werden bei diesem Test gemessen:
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen Tab. 7
189
Gemessene Dimensionen und Inhalte des Tests SMS – Sprache und Mathematik beim Schuleintritt von Moser (Moser et al. 2005, p. 15)
Dimension
Max. Punktzahl
54 38 Lesen und Wortschatz total 92
43 Mathematik
Inhalte Lesekompetenz und Wortschatz: • Phonemanalyse • Phonemsynthese • Kenntnis von Nomen und Verben (Lesen von Buchstaben, Silben, Wörtern und Sätzen, Gegenstände und Tätigkeiten benennen) Mathematikkompetenz: • Zahlbegriff: Kardinalzahlaspekt, Ordinalzahlaspekt, Operationsverständnis (Mengen, Reihen, Zahlen, einfache Additionen und Subtraktionen)
Aufgrund des aktuellen Forschungsstandes in der Schweiz und im deutschen Sprachraum entsprechen diese Kompetenzen den bei Schuleintritt zu erwartenden Kompetenzen der Kinder (Moser et al. 2005). Im Gegensatz zur Auswertung von Moser et al. (2005), der in den einzelnen Dimensionen Lesen, Wortschatz und Mathematik die Aufgaben zu hierarchischen Kompetenzniveaus zusammenfasste, wurde im Rahmen der Untersuchung EduCare für jede Dimension ein Gesamtwert berechnet. Die Bewertung der einzelnen Aufgaben wurde wiederum nach Moser et al. (2003) vorgenommen. Dabei konnten für die Dimension Lesen ein Maximalwert von 54, für den Wortschatz 38, für Sprache insgesamt (Lesen und Wortschatz) 92 und für die Dimension Mathematik 43 Punkte erzielt werden. Als Normstichprobe stand uns die Stichprobe von Moser aus der Gesamterhebung im Kanton Zürich von 2003 zur Verfügung. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Kinder der Stichprobe von EduCare in allen Dimensionen systematisch besser abschnitten als diejenigen der Studie von Moser et al. (2005). Dies veranlasste uns, die Prozentränge der EduCareStichprobe als Entwicklungsmasse einzusetzen und nicht die auf der Grundlage der Zürcher Stichprobe normierten Werte. Dieser Unterschied bezüglich der
190
9 Methodik der Studie
beiden Stichproben ist wohl u.a. auf den unterschiedlichen Durchführungszeitpunkt zurückzuführen. Die an der Gesamtstichprobe (N= 507) geprüften Gütekriterien ergaben zufriedenstellende Werte. Die Schwierigkeitsindizes streuen für die Dimension Lesen zwischen .49 und .99, für den Wortschatz zwischen .55 und .96 und für die Mathematik zwischen .09 und 1.00. Gegenüber dem erwünschten Regelfall nehmen sie somit einen breiteren Bereich ein (.20 bis .80 vgl. Lienert & Raatz 1994). Insgesamt sind einige Items mit über .80 als zu einfach zu bezeichnen, jedoch wurden sie aus Gründen der Vergleichbarkeit mit der Erhebung von Moser nicht ausgeschlossen. Die überwiegende Mehrheit der Items streut jedoch im üblichen Bereich. Die Trennschärfekoeffizienten liegen für die Dimension Lesen zwischen .18 und .86, für den Wortschatz zwischen .10 und .54 und für die Mathematik zwischen 0 und .58. Wobei auch hier – abgesehen von Ausreissern – die Items im üblichen Bereich liegen. Zur Bestimmung der Reliabilität wurde an dieser Stelle – wie auch bei allen anderen Reliabilitätsberechnungen in der vorliegenden Studie – das nach Cronbach entwickelte Standardverfahren eingesetzt, welches die interne Konsistenz berechnet (Bortz & Döring 2002). Der errechnete Alpha-Koeffizient von .97 für Lesen, .86 für den Wortschatz und .85 für die Mathematik darf als sehr gut bezeichnet werden und somit kann von einem zuverlässigen Verfahren ausgegangen werden. Die Daten sind annähernd normalverteilt, die detaillierten statischen Kennwerte können dem Anhang entnommen werden (vgl. Anhang Tab. 1). Die einzelnen Dimensionen des Instruments korrelieren gering bis hoch miteinander (vgl. Tab. 8). Die Mathematik steht in einem geringen Zusammenhang mit den sprachlichen Bereichen. Zwischen den Kenntnissen in Lesen und bezüglich des Wortschatzes besteht ein mittlerer Zusammenhang. Schliesslich korrelieren die beiden Subdimensionen Lesen und Wortschatz mit dem Gesamtwert Sprache mit .94 bzw. .86. Tab. 8
Korrelationen zwischen den Dimensionen des Tests SMS am Anfang des ersten Schuljahres (N= 507)
Wortschatz Sprache (Lesen + Wortschatz) Mathematik
Lesen .64***
Wortschatz
.94***
.86***
.49***
.40***
*** p< .001 (2-seitig) nach Pearson
Sprache (lesen + Wortschatz)
.49***
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen
191
Im Gegensatz zur Eingangserhebung, für welche ein Instrument mit Einzelassessment ausgewählt wurde, das speziell für diesen Zeitpunkt konzipiert ist, wurden für die nachfolgenden Erhebungen Instrumente ausgesucht, die im Gruppensetting durchgeführt werden können. Zudem wurde für die Messung des Entwicklungsstands ein Instrument ausgesucht – die „Würzburger Leise Leseprobe“ (Küspert & Schneider 1998) –, das sowohl am Ende des ersten als auch des zweiten Schuljahres eingesetzt werden kann, bzw. ein weiteres Instrument ausgewählt, für das jedes Schuljahr eine darauf aufbauende Testversion vorliegt (Demat 1+ und Demat 2+, Krajewski et al. 2002; Krajewski et al. 2004). Da keine entsprechenden Instrumente mit normierten Werten für die Schweiz vorliegen, wurde auf Instrumente aus Deutschland zurückgegriffen. Alle diese Erhebungen fanden im Gruppensetting statt, durchgeführt durch die Lehrpersonen bzw. durch geschulte studentische Hilfskräfte. Für die Anwendung wurden wortgenaue Instruktionen erstellt, anhand derer die Erheberinnen und Erheber die Kinderbefragungen durchführen konnten. Entwicklungsstanderhebung am Ende des ersten und zweiten Schuljahres in Sprache Für die zweite und dritte Erhebung der Schulleistung in Sprache (Erhebungswellen 4 und 5) wurde die „Würzburger Leise Leseprobe“ (WLLP) (Küspert & Schneider 1998) ausgewählt. Dieses Instrument erfasst die Leseleistung in den Grundschulklassen 1 bis 4. Die WLLP ist ein Speed-Test und misst die Lesegeschwindigkeit als Indikator für die Lesefertigkeit. Er ist so aufgebaut, dass geschriebene Wörter jeweils vier Bildalternativen gegenübergestellt sind und jeweils das korrespondierende Bild anzustreichen ist. Die reine Bearbeitungszeit des Tests beträgt fünf Minuten, jedoch muss für die Testinstruktion zusätzlich noch zehn Minuten gerechnet werden. Mit den Testheften der Form A und B liegen Pseudo-Parallelformen mit jeweils 140 Items vor. Die über die Paralleltestmethode errechneten Korrelationskoeffizienten liegen bei .87 für die erste Klasse, .92 für die zweite Klasse und bei .93 für die dritte Klasse. Normwerte liegen jeweils für die letzten zwei Monate des Schuljahres (N = 2820) vor. Die erzielten Werte der EduCareStichprobe liegen jedoch über den jeweiligen der Eichstichproben aus Deutschland für das entsprechende Schuljahr. Dieser Umstand könnte mit veränderten Ansprüchen in Deutschland und der Schweiz zu tun haben. Diese Abweichung hat uns dazu bewogen, mit den Prozenträngen in Bezug auf die Stichprobe zu rechnen. Die Daten sind annähernd normalverteilt. Die Verteilung und die statistischen Kenngrössen der Gesamtstichprobe sind dem Anhang zu entnehmen (vgl. Anhang Tab. 2).
192
9 Methodik der Studie
Entwicklungsstanderhebung am Ende des ersten und zweiten Schuljahres in Mathematik Für die zweite und dritte Erhebung der Schulleistung in Mathematik (Erhebungswellen 4 und 5) jeweils am Ende des Schuljahres wurden der „Demat 1+ – Deutscher Mathematiktest für erste Klassen“ (Krajewski et al. 2002) und der „Demat 2+ – Deutscher Mathematiktest für zweite Klassen“ eingesetzt (Krajewski et al. 2004). Diese Tests können jeweils am Ende des entsprechenden Schuljahrs bzw. am Anfang des neuen Schuljahres durchgeführt werden. Sie überprüfen die mathematischen Kompetenzen von Primarschülerinnen und schülern in Bezug auf die Inhalte der Mathematiklehrpläne der ersten bzw. zweiten Klassen aller deutschen Bundesländer. Zudem sind sie für eine frühzeitige Diagnose einer Rechenschwäche bzw. besonderer Mathematikstärken geeignet. Neun Inhaltsschwerpunkte sind in den Subtests thematisiert. Tab. 9
Inhaltsschwerpunkt bzw. Subtests von Demat 1+ und Demat 2+ (Krajewski et al. 2002; Krajewski et al. 2004)
Inhaltsschwerpunkte: Subtests
Demat 1+ • Mengen-Zahlen • Zahlenraum • Addition • Subtraktion • Zahlenzerlegung und Zahlenergänzung • Teil-GanzesSchema • Kettenaufgaben • Ungleichungen • Sachaufgaben
Demat 2+ • Zahleneigenschaften • Längen • Addition • Subtraktion • Multiplikation • Division • Geld • Geometrie • Sachaufgaben
Demat 1+ und Demat 2+ sind genauso wie der Sprachtest WLLP als Gruppentest mit zwei Parallelformen A und B konzipiert und damit zur ökonomischen Erfassung der Rechenleistung einer gesamten Schulklasse geeignet. Die Bearbeitungsdauer beträgt für die Gruppendurchführung 40 bzw. 45 Minuten. Die interne Konsistenz (Cronbach’s Alpha) des Gesamttests Demat 1+ beträgt für die erste Klasse = .89, für den Gesamttest Demat 2+ beträgt diese für die zweite Klasse = .93. Die Interkorrelationen zwischen den Subtests von Demat 1+ und Demat 2+ können dem Anhang entnommen werden (vgl. Anhang Tab. 3).
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen
193
Auch bei diesen Tests liegen die von der EduCare-Stichprobe erzielten Werte über den jeweiligen der Eichstichproben aus Deutschland, den Normwerten für das entsprechende Schuljahr. Deshalb wird auch hier mit den Prozenträngen in Bezug auf die Stichprobe gerechnet. Die Daten sind annähernd normalverteilt. Die Verteilung und die statistischen Kenngrössen der Gesamtstichprobe sowie die Zusammenhänge zwischen den Subtests sind dem Anhang zu entnehmen (vgl. Anhang Tab. 3, 4 und 5). Zusammenhänge zwischen den kognitiven Entwicklungsmassen zu den verschiedenen Messzeitpunkten Tab. 10
Korrelationen zwischen den kognitiven Entwicklungsmassen (zwischen N= 370 und 507) SMS Sprache am Anfang des 1. Schuljahres
WLLP Ende 1. Schuljahr WLLP Ende 2. Schuljahr SMS Mathematik am Anfang des 1. Schuljahres DEMAT1+ Ende 1. Schuljahr DEMAT2+ Ende 2. Schuljahr
WLLP Ende 1. Schuljahr
WLLP Ende 2. Schuljahr
SMS Mathematik am Anfang des 1. Schuljahres
DEMAT1 + Ende 1. Schuljahr
.46***
.42***
.57***
.49***
.29***
.31**
.45**
.30***
.29***
.54***
.38***
.31***
.28***
.56***
.61***
*** p< .001 (2-seitig) nach Pearson Sozio-emotionale Entwicklung Für die Messung der kindlichen Entwicklung wurde im Rahmen der Studie EduCare im Weiteren das Selbstkonzept der Kinder ausgewählt. Die Erfassung des Selbstkonzepts fand in Anlehnung an den „Self Description Questionnaire I – SDQ I“ von Marsh (1992) statt. Das Instrument beruht auf dem hypothetischen Modell von Shavelson et al. (1976). Das Selbstkonzept wird dabei als organisiert, stabil, differenzierbar und entwicklungsfähig definiert. An der Spitze
194
9 Methodik der Studie
steht das allgemeine, globale Selbstkonzept. Darunter finden sich spezifische Subbereiche des Selbstkonzepts: Das schulische Selbstkonzept (auch Fähigkeitsselbstkonzept genannt), welches sich in weitere fächerspezifische Facetten unterteilt und das nicht-schulische Selbstkonzept, welches das soziale, emotionale und physische Selbstkonzept umfasst. In verschiedenen Untersuchungen von Marsh et al. (1998) konnte die mehrdimensionale Struktur des Selbstkonzepts bereits sehr früh, ab dem Alter von vier Jahren, empirisch belegt werden. Diese Multidimensionalität des Selbstkonzepts ist heute in der Fachdiskussion generell anerkannt und spiegelt sich auch in den vorhandenen Messinstrumenten wider. Der SDQ-I gilt als ein sehr zuverlässiges und vielfach erprobtes Messinstrument zur Erfassung des Selbstkonzepts bei Kindern im Alter von acht bis zwölf Jahren (Marsh 1992). Die Untersuchungsergebnisse von Marsh und Mitarbeitenden (Marsh et al. 1990, 1998; Marsh et al. 2002) zeigen, dass die Skalen des SDQ-I jeweils eine hohe Reliabilität aufweisen (Cronbach’s Alpha: .80 und höher) und gering miteinander korrelieren (weniger als .20). Im Rahmen der EduCare-Erhebung wurden folgende relevante Skalen des reputierten SDQ-I ausgewählt und für den deutschen Sprachraum adaptiert, denn das gesamte Instrument konnte aufgrund des Umfangs nicht eingesetzt werden:
Selbstkonzept Lesen Selbstkonzept Mathematik Peer-Relations Parent-Relations und Selbstwert.
Die Erhebung fand mittels zweier „Fragebögen zur Erfassung der sozioemotionalen Entwicklung für die Kinder“ (FraseE-K I-II; Selbsteinschätzung der Kinder) im Gruppensetting statt. Sie wurde durch die Lehrpersonen bzw. durch geschulte studentische Hilfskräfte ausgeführt. Für die Anwendung wurden wortgenaue Instruktionen erstellt, anhand derer die Lehrpersonen bzw. die Erheberinnen und Erheber die Kinderbefragung durchführen konnten. Das Instrument beinhaltet eine 4er-Antwortskalierung, die im Vergleich zum Original mit einem zweistufigen Antwortformat verändert wurde. Die Kinder können zwischen vier verschiedenfarbigen und unterschiedlich grossen Antwortkreisen wählen: (1) Grosser dunkelgrüner Kreis: „Diesem Satz stimme ich überhaupt nicht zu. Damit bin ich gar nicht einverstanden. Das sehe ich völlig anders. Das stimmt überhaupt nicht für mich.“
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen
195
(2) Kleiner hellgrüner Kreis: „Diesem Satz stimme ich eher nicht zu. Damit bin ich kaum einverstanden. Das sehe ich ein bisschen anders. Das stimmt eigentlich nicht so für mich.“ (3) Kleiner hellblauer Kreis: „Diesem Satz stimme ich ein bisschen zu. Damit bin ich mehr oder weniger einverstanden. Das sehe ich zum Teil so. Das stimmt fast/ein bisschen, aber nicht ganz für mich.“ (4) Grosser dunkelblauer Kreis: „Diesem Satz stimme ich voll und ganz zu. Damit bin ich absolut einverstanden. Das sehe ich ganz genau so. Das stimmt ganz genau für mich.“ Zu allen drei Messzeitpunkten der Erhebung des kindlichen Entwicklungsstandes (Erhebungswellen 1, 4 und 5 im Forschungsplan) haben sich die Skalen und die Antwortskalierung des adaptierten SDQ-I bewährt. Alle Skalen zeigen zufriedenstellende bis sehr gute Reliabilitäten (vgl. Tab. 11). Tab. 11
Skalenübersicht Selbstkonzept
Skala Selbstkonzept PeerRelations Selbstkonzept ParentRelations Akademisches Selbstkonzept Selbstkonzept Lesen Selbstkonzept Mathematik Soziales Selbstkonzept Selbstwert
Cronbach’s α t1 .73
Cronbach’s α t2 .78
Cronbach’s α t3 .80
.70
.78
.74
.82
.83
.80
.76 .83 .76 .75
.80 .85 .80 .79
.79 .88 .77 .78
Darüber hinaus konnten zusammenfassend auch die Skalen „akademisches Selbstkonzept“ (Items der Skalen „Selbstkonzept Mathematik“ und „Selbstkonzept Lesen“) und „soziales Selbstkonzept“ (Items der Skalen „Peer-Relations“ und „Parent-Relations“) gebildet werden. Auch diese beiden Skalen weisen zufriedenstellende bis gute Reliabilitäten auf. Die Daten sind annähernd normalverteilt (vgl. Schüpbach et al. 2008a). Bei der Erfassung des Sozialverhaltens im Primarschulalter steht – nebst der Selbsteinschätzung durch die Kinder – die Fremdeinschätzung von Eltern und bzw. oder pädagogischen Fachkräften im Vordergrund. Nach Petermann (2002, zit. n. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2008) ist eine Selbsteinschätzung von sozialen Kompetenzen bei den Kindern erst ab neun Jahren möglich (drittes bzw. viertes Schuljahr). Aus diesem Grund werden in der Regel in
196
9 Methodik der Studie
Untersuchungen zur Erfassung von sozio-emotionalen Kompetenzen bei jüngeren Altersgruppen Eltern-, Erzieherinnen- oder Lehrpersonenbeurteilungen vorgenommen. Soziale Kompetenz wird bei Jerusalem und Klein-Hessling (2002, zit. n. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2008) definiert als „die Verfügbarkeit und Anwendung kognitiver, emotionaler und motorischer Verhaltensweisen […], die zu einem langfristig günstigen Verhältnis positiver und negativer Konsequenzen in sozialen Situationen führen“ (ebd., p. 181). Es geht dabei um soziales Verhalten wie Interaktionsfähigkeiten in Beziehung zu Gleichaltrigen und Erwachsenen, Konfliktfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Empathie oder das Beachten von sozialen Regeln. Bei der Erfassung von sozialer Kompetenz werden sowohl Merkmale einer positiven Sozialentwicklung (prosoziales Verhalten) als auch Formen sozial auffälligen Verhaltens, d.h. internalisierende und externalisierende Verhaltensprobleme wie Hyperaktivität, Ängstlichkeit oder aggressives, delinquentes Verhalten erhoben. Die meisten Instrumente, die zur Erfassung von sozio-emotionalen Kompetenzen vorliegen, sind im klinischen Bereich entwickelt worden. Ein gut erprobtes Messinstrument zur Erfassung von sozialen Verhaltenskompetenzen und -auffälligkeiten stellt der „Strengths and Difficulties Questionnaire“ (SDQ) (Goodman 1997) dar. In verschiedenen Studien haben sich die psychometrischen Daten des SDQ als reliabel und valide bewährt. Das Instrument ist für den Altersbereich der 4- bis 16-Jährigen entwickelt worden und beinhaltet eine standardisierte Eltern-, Erzieherinnen- und Lehrpersonen-Version. Im Rahmen der EduCare-Studie wurde für die Befragung der Eltern die deutschsprachige Version des SDQ – der „SDQ-Deu“ – eingesetzt. Das Antwortformat wurde zugunsten einer 4er-Antwortskala im Vergleich zum Original modifiziert (1=trifft gar nicht zu, 2=trifft eher nicht zu, 3=trifft eher zu, 4=trifft genau zu). Folgende drei Skalen wurden in die Analysen ausgewählt, einbezogen und mittels eines „Fragebogens zur Erfassung der sozial-emotionalen Entwicklung der Kinder für die Eltern“ (FraseE-E) erhoben:
Keine Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsprobleme Keine emotionalen Probleme Prosoziales Verhalten.
Zu allen drei Messzeitpunkten – am Anfang des ersten sowie am Ende des ersten und zweiten Schuljahrs – erweist sich die Reliabilität der Skalen als akzeptabel (vgl. Tab 12). Bei allen drei Skalen lassen sich leichte Anstiege in der Reliabilität zwischen den drei Messzeitpunkten feststellen. Aus den Items der zwei Skalen „Keine Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsprobleme“ und „Keine
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen
197
emotionalen Probleme“ wurde darüber hinaus eine Skala „sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten“ gebildet. Auch diese Skala zeigt eine zufriedenstellende bis sehr gute Reliabilität von Cronbach’s Alpha .76 zum ersten Messzeitpunkt und .80 zum dritten Messzeitpunkt (vgl. Tab. 12). Die Daten sind annähernd normalverteilt (vgl. Schüpbach et al. 2008a). Tab. 12
Skalenübersicht (Sozial-)Verhalten
Skala Prosoziales Verhalten Keine Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsprobleme Keine emotionalen Probleme sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten
Cronbach’s α t1 .67
Cronbach’s α t2 .72
Cronbach’s α t3 .73
.79
.81
.80
.67
.76
.72
.76
.82
.80
Alltagsfertigkeiten Die Bewältigung von Lebenssituationen stellt ein bedeutendes Kriterium für adaptives Verhalten dar. Es geht dabei um das Bewältigen von alltäglichen Aktivitäten, die für eine Normalentwicklung von Bedeutung sind. Sparrow et al. (1984) gehen bei der Bewältigung von Lebenssituationen von folgenden Annahmen aus (Tietze 1998):
Die Bewältigung von Lebenssituationen ist altersabhängig. Die Bewältigung von Lebenssituationen wird von den Erwartungen und Normen anderer Menschen definiert. Die Bewältigung von Lebenssituationen ist durch typisches alltägliches Verhalten bestimmt, nicht nur durch die angegebene Fähigkeit. Das heisst, es reicht nicht aus, dass die bestimmte Fähigkeit vorhanden ist, sie muss vielmehr in Alltagsverhalten umgesetzt werden.
Zur Erfassung von Alltagsfertigkeiten stellen die „Vineland Adaptive Behavior Scales” (VASB) (Sparrow et al. 1984) ein bedeutendes Messinstrument dar, mit dem die Bewältigung der Erfordernisse des alltäglichen Lebens sehr gut eingeschätzt werden kann. Bei den VASB werden insgesamt vier Dimensionen erfasst: Kommunikation, Alltagsfertigkeiten, soziales Verhalten und Motorik. Im Bereich der Alltagsfertigkeiten geht es um Aspekte wie persönliche Pflege (z.B. Körperhygiene, Essgewohnheiten, Ankleidung), Haushalt und Wohnen (Fertig-
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9 Methodik der Studie
keiten im Haushalt), ausserhäusliche Gemeinschaft (individuelle Zeiteinteilung des Tagesablaufs, Umgang mit Geld, Inanspruchnahme von Telefonaten sowie Zuverlässigkeit und Regelmässigkeit im Arbeitsleben). Als Informanten dienen bei den Vineland Adaptive Behavior Scales Personen, die das Kind sehr gut kennen, d.h. in der Regel die Eltern und bzw. oder pädagogische Fachpersonen. In der Untersuchung von Tietze (1998) wurden die VASB für den deutschen Untersuchungskontext stark modifiziert. Dabei wurden diejenigen Items ausgewählt, die für den Altersbereich von Kindern von drei bis acht Jahren zutreffend sind. Inhaltsanalytisch wurden solche Items ausgeschlossen, die für den europäischen bzw. deutschsprachigen Kontext nicht relevant sind. Schliesslich wurde das Instrument als schriftliche Befragung für Mütter und Erzieherinnen konzipiert und damit untersuchungsökonomischer gestaltet. Dieses adaptierte Vineland-Instrument von Tietze (1998) diente in der vorliegenden EduCare-Studie als Grundlage für die Erhebung der Alltagsfertigkeiten der Kinder. Dabei wurde im „Fragebogen zur Erfassung der sozialemotionalen Entwicklung der Kinder für die Eltern“ (FraseE-E) eine Auswahl von insgesamt 12 der 25 Items zu den Alltagsfertigkeiten der Familien-Version erhoben. Die ausgewählten Items wurden für den Schweizer Sprachkontext angepasst und das Antwortformat zugunsten einer 4er-Antwortskala verändert (1=trifft gar nicht zu, 2=trifft eher nicht zu, 3=trifft eher zu, 4=trifft genau zu). Die Skalenanalysen zeigen, dass die Skala „Alltagsfertigkeiten“ zu allen drei Messzeitpunkten – am Anfang und am Ende des ersten Schuljahres sowie am Ende des zweiten Schuljahres – eine akzeptable Reliabilität aufzeigt: Vom ersten Messzeitpunkt bis zum dritten Messzeitpunkt (Erhebungswellen 1, 4 und 5 im Forschungsplan) hat sich die Reliabilität von Cronbach’s Alpha von .67 auf einen guten Wert von .71 leicht erhöht. Die Daten sind annähernd normalverteilt (vgl. Schüpbach et al. 2008a).
9.4.2 Grundintelligenztest Skala 1 (CFT 1) Im Rahmen der Studie EduCare wurde zudem die Intelligenz als individuelles Merkmal der Schülerinnen und Schüler gemessen. Die Intelligenz ist eines von verschiedenen individuellen Schülermerkmalen im Merkmalblock „individuelle Schülermerkmale“, dessen Einfluss auf die kindliche Entwicklung neben den Merkmalblöcken „Familie“, „Schule“ und „Entwicklungsstand am Anfang der Schulzeit“ analysiert werden soll. Zudem stellt die kognitive Grundfähigkeit bei der vergleichenden Fragestellung bezüglich der Entwicklung der Kinder der Untersuchungsgruppen eine personengebundene Störgrösse dar, die kontrolliert
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen
199
werden soll. Damit wird verhindert, dass bei diesem Vergleich Kinder mit unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen miteinander verglichen werden. Der „Grundintelligenztests Skala 1“ (CFT 1) von Weiss und Osterland (1997) ist eine partielle Adaptation des amerikanischen „Culture Faire Intelligence Test-Scale 1“. Folgende Gründe haben für die Auswahl dieses Tests gesprochen: Der Test ist weitgehend sprachfrei konzipiert, so dass fremdsprachige Kinder, welche oft schulleistungsschwach sind im sprachlichen Bereich, nicht ausgeschlossen werden müssen. Die wenigen mündlichen Instruktionen sind leicht verständlich. Es handelt sich um ein Verfahren, das im ersten oder zweiten Schuljahr auch in Gruppen durchgeführt werden kann, was von einem ökonomischen Gesichtspunkt her gesehen sehr wichtig ist für die Durchführbarkeit des vorliegenden Forschungsplans. Nicht zuletzt handelt es sich um ein weit verbreitetes Instrument mit ausreichender Validität und Reliabilität (ebd.). Der CFT 1 basiert auf der Intelligenztheorie von Cattell (1971), welche von einer Gliederung der allgemeinen intellektuellen Leistungsfähigkeit in zwei Intelligenzformen ausgeht. Dies sind die so genannten flüssigen und die kristallinen generellen Intelligenzfaktoren. Beim Faktor der fluiden Intelligenz handelt es sich um die Fähigkeit, komplexe Relationen in neuartigen Situationen zu erkennen und zu erfassen (ebd.). Im Gegensatz dazu steht der Faktor der kristallinen allgemeinen Intelligenz, der verwandte Fähigkeiten wie „verbal factor“, „numerical ability“, „reasoning“ und „experimental judgement“ umfasst, welche normalerweise in der Schule gelernt werden (ebd., p. 98). Der Grundintelligenztest Skala 1 misst weitgehend den Faktor der fluiden allgemeinen Intelligenz, also die Fähigkeit, Gesetzmässigkeiten, Serien, Klassifikationen, Analogien und Typologien zu erkennen und zu bilden. Der CFT 1 setzt sich aus fünf Subtests mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen zusammen: Substitutionen, Labyrinthe, Klassifikationen, Ähnlichkeiten und Matrizen. Die Angaben zu den Testgütekriterien für die zweite Klasse (N= 1632) der Grundschule basieren auf der Hauptuntersuchung von 1976, zeigen Schwierigkeitsindizes zwischen .11 und .96. Zwischen den zwei (Pseudo-)Parallelversionen A und B wurde kein signifikanter Unterschied festgestellt. Der durchschnittliche Schwierigkeitsgrad streut zwischen .61 und .72. Die Durchschnittswerte der Reliabilitätskoeffizienten (Innere Konsistenz) Formen A (.92) und B (.90) lassen auf eine hohe Reliabilität des gesamten Instruments schliessen. Die Trennschärfekoeffizienten liegen zwischen .47 und .59. Der Test wurde 1995 teilweise revidiert, die Werte der Gütekriterien von 1976 konnten bestätigt werden. In der vorliegenden Studie wurde der CFT 1 in den Schulklassen nach den schriftlichen Angaben von Weiss und Osterland (1997) von speziell instruierten
200
9 Methodik der Studie
Testleiterinnen und Testleitern durchgeführt. Damit sollte eine möglichst hohe Durchführungsobjektivität erreicht werden. Die Rohwerte wurden aufgrund der altersgemässen Normtabellen in den Intelligenzquotienten transformiert. Die Daten sind annähernd normalverteilt. Die Verteilung und die statistischen Kenngrössen der Gesamtstichprobe sind dem Anhang zu entnehmen (vgl. Anhang Tab. 6).
9.4.3 Elterliches Erziehungsverhalten Im Rahmenmodell der Studie EduCare wurde das familiale Setting – neben der pädagogischen Qualität nach Tietze und Mitarbeitenden (ECCE 1997; Tietze 1998; Tietze et al. 2005a) – um den Aspekt des elterlichen Erziehungsverhaltens erweitert. Das elterliche Erziehungsverhalten ist ein relativ zeitstabiles Konstrukt, das sich inhaltlich nicht einer einzelnen Qualitätsdimension zuordnen lässt. Es handelt sich um einen Aspekt des elterlichen Verhaltens, der die ElternKind-Interaktion charakterisiert und mit dem Konstrukt der Prozessqualität in enger Verbindung steht. Hinter dem Erziehungsverhalten der Eltern stehen aber auch Wertvorstellungen und Erwartungen, wie sie die Orientierungsqualität thematisiert. Entsprechend ist auch von einer inhaltlichen Verknüpfung mit der Orientierungsqualität auszugehen. Das eingesetzte Messinstrument der „Parenting Styles and Dimensions Questionnaire“ (PSDQ) von Robinson et al. (2001) ist ein Fragebogen zur Erfassung des selbstberichteten Erziehungsverhaltens von Eltern. Es wurde im Gegensatz zu den meist verbreiteten Messinstrumenten zum Erziehungsverhalten nicht für Eltern von Jugendlichen, sondern für Eltern von Kindern im Vorschulund Grundschulalter entwickelt. Es stellt eines der wenigen guten Messinstrumente für diese Altersgruppe dar. Der PSDQ besteht aus 62 Items. Den Items liegt eine fünfstufige Likert-Antwortskala zugrunde, welche von „(1) nie“ bis „(5) immer“ reicht. Der PSDQ bildet die drei Erziehungsstile „autoritativ“, „autoritär“ und „permissiv“ entsprechend der Typologie von Baumrind (1971) ab. Des Weiteren ermittelten Robinson und Mitarbeitende (1995; 2001) insgesamt 11 Subdimensionen pro Erziehungsstil. Der PSDQ hat sich in vielen interkulturellen Studien als sehr reliables und valides Messinstrument erwiesen (Sharma & Sandhu 2006; Winsler et al. 2005). Im Rahmen der Studie EduCare wurde der PSDQ ins Deutsche übersetzt und an die spezifischen kulturellen Gegebenheiten in der Schweiz adaptiert. Die drei Bereiche des Erziehungsverhaltens (autoritativ, autoritär und permissiv) nach Robinson et al. (2001) lassen sich empirisch nicht als eigenständige Faktoren generieren, wurden aber als theoretisch begründete Dimensionen auf-
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen
201
rechterhalten. Die Trennschärfen liegen in der vorliegenden Studie beim autoritativen Erziehungsverhalten zwischen .31 und .62, beim autoritären zwischen .32 und .57 und schliesslich beim permissiven Erziehungsverhalten zwischen .31 und .50. Auch die innere Konsistenz kann mit Werten von .88, .82 bzw. .75 für das autoritative, autoritäre bzw. permissive Erziehungsverhalten als befriedigend bis sehr gut bezeichnet werden (vgl. Schüpbach et al. 2008a). Tab. 13
Korrelationen zwischen den verschiedenen Dimensionen des Erziehungsverhaltens Autoritatives Erziehungsverhalten
Autoritäres Erziehungsverhalten Permissives Erziehungsverhalten
Autoritäres Erziehungsverhalten
-.30*** -.38***
.54***
*** p < 0.001 (2-seitig) nach Pearson Die geringen bis mittleren Korrelationen zwischen den Dimensionen weisen darauf hin, dass tatsächlich unterschiedliche Dimensionen erfasst wurden, diese aber jeweils signifikant miteinander korrelieren (vgl. Tab. 13).
9.4.4 Überblick Erhebungsinstrumente: Pädagogische Qualität Im Rahmen der quasi-experimentellen Längsschnittuntersuchung wurden verschiedene Befragungs- und Beobachtungsinstrumente zur Erhebung der pädagogischen Qualität im familialen und schulischen Setting ausgewählt, entwickelt, adaptiert und eingesetzt. Bei der Auswahl der Verfahren wurde nach Möglichkeit auf erprobte Messinstrumente zurückgegriffen, die an die spezifischen Bedingungen des Schweizer Kontexts angepasst wurden. So sind dies weitgehend Instrumente, die im Rahmen der europäischen Studie ECCE (1997), als auch in den Studien von Tietze (1998) und Tietze et al. (2005a), eingesetzt wurden. Diese werden im Folgenden jeweils mit einigen zentralen Items und Skalen im Überblick dargestellt. Ausführlicher werden diese in Kapitel 10, zusammen mit den Ergebnissen sowie in der Skalendokumentation zur Studie (Schüpbach et al. 2008a), beschrieben. Pädagogische Qualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Zur Erfassung von Merkmalen der Orientierungsqualität und der Strukturqualität im Schulsetting wurde ein umfangreicher Fragebogen für Lehr- bzw. Betreuungspersonen (jeweils an die Personengruppen angepasste Versionen) ein-
202
9 Methodik der Studie
gesetzt (vgl. Tab. 14). Dieser Fragebogen ist eine an die Bedingungen des Schweizer Schulsystems adaptierte und an die spezifischen Fragestellungen dieser Studie angepasste Version der deutschen Fassung des „Parent and Teacher Questionnaire on Educational Representations for School-Aged Children“ (Palacios et al. 1998) sowie der deutschen Fassung des „Standardized Interview with Primary School Teachers” (Rossbach & Stendel 1998). Das Instrument wurde bei den Klassenlehrpersonen sowie bei den Hauptbezugspersonen im ausserunterrichtlichen Teil der Tagesschule der teilnehmenden Kinder eingesetzt. Erhoben wurden Daten zur Strukturqualität der Schulklasse bzw. Kindergruppe im ausserunterrichtlichen Teil wie Alter der Bezugsperson, Qualifikation, Vorbereitungszeit, Anzahl Lehrpersonen an einer Klasse u.a. sowie zu den pädagogischen Werten, Überzeugungen, Einstellungen und Orientierungen der Bezugspersonen in der Schule bzw. Tagesschule. Zudem wurden damit auch Informationen zur gesamten Schule wie Anzahl Klassen im Schulhaus, Anteil ausländische Schülerinnen und Schüler u.a. eingeholt. Ergänzend wurde ein Leitfadeninterview mit den Tagesschulleitungspersonen durchgeführt sowie ein kurzer Fragebogen eingesetzt. Damit wurden Qualifikation des Personals, Zusammenarbeit, Hausaufgabenbetreuung, Angebote und Aktivitäten u.a. in einem momentan sehr heterogenen Feld in den Schweizer Schulen erfragt (vgl. Tab. 14). Diese Instrumente wurden aufgrund des aktuellen Forschungsstandes (vgl. Kap. 7.2.1) und der aktuellen Rahmenbedingungen in den Schweizer Tagesschulen entwickelt. Die Prozessqualität in der Schule wurde mit zwei verschiedenen Instrumenten erhoben (vgl. Tab. 14). So verlangt das Forschungsdesign sowohl die Prozesse im Unterricht als auch im ausserunterrichtlichen Teil (bei den Tagesschulen) mit einzubeziehen und zu analysieren: Im Unterricht der teilnehmenden Kinder wurden dreistündige Beobachtungen durchgeführt. Das eingesetzte „Beobachtungsinstrument zur Erfassung von Unterricht“ (BUQ) (Schüpbach et al. 2008a) wurde in Anlehnung an den Bogen zur Unterrichtsbeobachtung „Einblick in die Lehr-Lern-Situation“ von Helmke (2007) entwickelt. Damit können niedrig-inferente Beobachtungen durchgeführt werden. Es werden dabei einzelne Aspekte auf einer 4er-Skala geratet, um anschliessend 21 Merkmale der Dimensionen „Klassenführung und Klarheit“, „Lernförderliches Klima und Variabilität“, „Motivierung und Aktivierung“ sowie „Raumgestaltung und Klima“ einschätzen zu können. Die Prozesse im ausserunterrichtlichen Teil von Tagesschulen wurden mittels Beobachtungsinstrument „Hort- und Ganztagsangebote-Skala“ (HUGS) von Tietze et al. (2005b) erhoben. Dies ist die deutsche Fassung der „SchoolAge Care Environment Rating Scale“ von Harms et al. (1996) und geht davon aus, dass die pädagogische Qualität sich aus den drei zentralen Bereichen der
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen
203
Prozess-, Orientierungs- und Strukturqualität zusammensetzt. Die Hort- und Ganztagsangebote-Skala erfasst Merkmale, die bestimmte pädagogische Prozesse ermöglichen, aber ebenso solche Prozesse an und für sich. Insgesamt besteht die HUGS aus 50 Qualitätsmerkmalen, die in die folgenden sieben Qualitätsbereiche zusammengefasst werden:
Platz und Ausstattung Gesundheit und Sicherheit Aktivitäten Interaktionen Strukturierung der pädagogischen Arbeit berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal sowie ergänzende Merkmale für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.
Tab. 14
Instrumente zur Erhebung der pädagogischen Qualität im ausserfamilialen Setting (Schule) und die gebildeten Skalen sowie beispielhafte Merkmale im Überblick
Qualitätsbereich
Skala bzw. Merkmal
Instrument
Orientierungsqualität
Skalen: Bildungszielea: • Schulleistungsorientierung • Kreativitäts- vs. Rationalitätsorientierung Entwicklungsvorstellungen Erfüllen von Zielen bezüglich der kognitiven Entwicklung der Kinder
Fragebogen für Lehr- bzw. Betreuungspersonen, adaptierte Version der deutschen Fassung des „Parent and Teacher Questionnaire on Educational Representations for School-Aged Children“ (Palacios et al. 1998).
z.B. Alter, Qualifikation, Vorbereitungszeit, Anzahl Lehrpersonen an einer Klasse Strukturqualität
z.B. Zusammenarbeit, Hausaufgabenbetreuung, Angebote und Aktivitäten Qualifikation, Funktionen der pädagogisch tätigen Personen
Fragebogen für Lehr- bzw. Betreuungspersonen, adaptierte Version der deutschen Fassung des „Standardized Interview with Primary School Teachers” (Rossbach & Stendel 1998) Leitfadeninterview für Tagesschulleitungenb c
Fragebogen zur Beschreibung von Tagesschulen für Tagesschulleitungen c
204
9 Methodik der Studie
Fortsetzung von Tabelle 14 Prozessqualität Unterricht
Ausserunterrichtlicher Teil
Schule
a b
c
Skalen: Klassenführung und Klarheit Lernförderliches Klima und Variabilität Motivierung und Aktivierung Raumgestaltung und Klima Skalen: Platz und Ausstattung Gesundheit und Sicherheit Aktivitäten Interaktionen Strukturierung der päd. Arbeit Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal Ergänzende Merkmale für Kinder mit sonderpäd. Förderbedarf z.B. Anzahl Klassen im Schulhaus, Blockzeitenmodell, Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler
Beobachtungsinstrument zur Erfassung von Unterricht (BUQ) (Schüpbach et al. 2008a) in Anlehnung an Helmke (2007)
Hort- und Ganztagsangebote-Skala (HUGS) (Tietze et al. 2005b)
Fragebogen für Lehr- bzw. Betreuungspersonen, adaptierte Version der deutschen Fassung des „Standardized Interview with Primary School Teachers” (Rossbach & Stendel 1998)
Dabei wird von einem erweiterten Bildungsbegriff ausgegangen. Bei den erhobenen Daten zum ausserunterrichtlichen Teil ist teilweise keine klare Zuordnung zur Ebene der Kindergruppe oder zu derjenigen der Ebene Tagesschule (Mesoebene) möglich. Anders als im Unterricht bestehen oft keine fixen Kindergruppen, weshalb auf diese Unterscheidung verzichtet wurde. Erhoben im Rahmen der Lizentiatsarbeit von Gysin und Scherzinger (2009)
Pädagogische Qualität im familialen Setting Die Konzeptualisierung der pädagogischen Qualität in den Familien entspricht nach Tietze et al. (2005a), mit der Unterscheidung von Orientierungs-, Strukturund Prozessqualität, derjenigen im ausserfamilialen Setting, der Schule. Auch die im familialen Setting eingesetzten Instrumente beziehen sich auf die gleichen Bereiche und Dimensionen wie die Instrumente im ausserfamilialen Setting. Die Instrumente und Operationalisierungen von gewissen Konstrukten sind, falls erforderlich, an die Gegebenheiten in der Familie und die häusliche Umwelt adaptiert.
9.4 Eingesetzte Erhebungsintrumente und Skalen Tab. 15
Instrumente zur Erhebung der pädagogischen Qualität im familialen Setting und die gebildeten Skalen sowie beispielhafte Merkmale im Überblick
Qualitätsbereich
Orientierungsqualität
Strukturqualität
a
205
Skala bzw. Merkmal Skalen: Bildungszielea: • Schulleistungsorientierung • Kreativitäts- vs. Rationalitätsorientierung Entwicklungsvorstellungen Erfüllen von Zielen bezüglich der kognitiven Entwicklung der Kinder z.B. soziodemographische und strukturelle Angaben der Eltern wie Haushaltszusammensetzung, Alter, Bildungsstand der Eltern, Einkommen, Berufstätigkeit der Eltern
Prozessqualität
Skala: Entwicklungsförderung und aktive Stimulation
Familialer Kontext
Skala: Nutzung öffentlicher und sozialer Ressourcen
Instrument
Fragebogen für Eltern, adaptierte Version der deutschen Fassung des „Parent and Teacher Questionnaire on Educational Representations for School-Aged Children“ (Palacios et al. 1998).
Standardisiertes Elterninterview zur Erfassung von Familienqualität, adaptierte Version der deutschen Fassung des „Parent and Household Survey for Families with Preschool-Aged Children“ (Bairrao et al. 1993) Standardisiertes Elterninterview zur Erfassung von Familienqualität, adaptierte Version der deutschen Fassung “Home Observation Measurement of the Environment” (HOME) (Caldwell & Bradley 1984) Standardisiertes Elterninterview zur Erfassung von Familienqualität, adaptierte Version der deutschen Fassung des „Parent and Household Survey for Families with Preschool-Aged Children” (Bairrao et al. 1993)
Dabei wird von einem erweiterten Bildungsbegriff ausgegangen.
Die Orientierungsqualität in den Familien wurde mit den gleichen Instrumenten und Skalen erfasst wie bei den Lehr- und Betreuungspersonen. Die Strukturqualität wurde im Weiteren mit einem standardisierten Elterninterview zur Erfassung von Familienqualität, einer adaptierten Version der deutschen Fassung des „Parent and Household Survey for Families with Preschool-Aged Children” (Bairrao et al. 1993) erhoben. Im Elterninterview wurden soziodemographische und strukturelle Angaben der Eltern wie Alter, Bildungsstand, Haushaltszusammensetzung, Einkommen, Berufstätigkeit erhoben. Zudem wurden Fragen zur Betreuungssituation der Zielkinder gestellt. Die Prozessqualität in der Familie – darunter wird das Anregungspotential in den Familien verstanden – wurde anhand der adaptierten Version der
206
9 Methodik der Studie
deutschen Fassung der “Home Observation Measurement of the Environment” (HOME) (Caldwell & Bradley 1984) erhoben. Dieses Instrument wurde bereits bei zahlreichen Studien eingesetzt und kann als erprobtes Instrument bezeichnet werden. Bei der vorliegenden Untersuchung kristallisierte sich aufgrund der Datenlage eine adaptierte Version der HOME-Skala im Bereich der „Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation“ als Mass für die Prozessqualität heraus (Schüpbach et al. 2008a).
Ausserfamiliales Setting (Schule)
Familiales Setting
Kinder
9.5 Untersuchungsplan 9.5 Untersuchungsplan Der eigentlichen Datenerhebung in mehreren Erhebungswellen gingen jeweils eine intensive Phase der Instrumentenentwicklung bzw. deren Adaptation an die Schweizer Verhältnisse sowie eine Phase der Pretestung voran. Alle eingesetzten Instrumente wurden bezüglich der Optimierung der Gütekriterien, der Akzeptanz für die zu Befragenden und der Durchführbarkeit (durch geschulte Erheberinnen und Erheber) erprobt. Die Abbildung 14 gibt einen Überblick über den Untersuchungsplan mit den Erhebungswellen in den unterschiedlichen Untersuchungssettings über die Projektlaufzeit von EduCare I von zwei Schuljahren. Welle 1: Entwicklungsstand Kinder Anfang 1. Schuljahr
Welle 4: Entwicklungsstand Kinder Ende 1. Schuljahr
Welle 2: Elternhaus • Orientierungsqualität • Strukturqualität • Prozessqualität Welle 3: Schule (Unterricht + ausserunterrichtl. Teil) • Orientierungsqualität • Strukturqualität • Prozessqualität Schuljahr 2006/07
Abb. 14
Welle 5: Entwicklungsstand Kinder Ende 2. Schuljahr
Untersuchungsplan
Vertiefung von Welle 3: Tagesschulen • Strukturqualität
Schuljahr 2007/08
9.5 Untersuchungsplan
207
Der kindliche Entwicklungsstand wurde zu drei Zeitpunkten gemessen. Bei Schuleintritt der Schülerinnen und Schüler in die erste Klasse (N= 521) fand eine Eingangsmessung (im Oktober 2006) in ausgewählten Entwicklungsbereichen statt (Welle 1 des Projekts; Messzeitpunkt 1 des kindlichen Entwicklungsstandes). Am Ende des ersten Schuljahres (Mai/Juni 2007) (Welle 4 des Projekts; Messzeitpunkt 2 des kindlichen Entwicklungsstandes) sowie am Ende des zweiten Schuljahres (Mai/Juni 2008) (Welle 5 des Projekts; Messzeitpunkt 3 des kindlichen Entwicklungsstandes) wurde der Entwicklungsstand erneut gemessen. Es wurden dazu sowohl Erhebungen bei den Kindern als auch bei deren Eltern durchgeführt. Letztere hatten eine Fremdeinschätzung vorzunehmen. Die Erhebung bei den Eltern (N= 521) wurde jeweils zeitgleich mittels Fragebogen durchgeführt. Der sozio-emotionale Entwicklungsstand wurde bei den Kindern zu jedem Messzeitpunkt mittels zweier Fragebogen durch instruierte Testleiterinnen und Testleiter ermittelt. Die Tests zur Messung der kognitiven Entwicklung wurden in der Welle 1 und 5 von geschulten Testleiterinnen und Testleitern im Einzel- bzw. im Gruppensetting ausgerichtet. Zu Welle 4 wurden die Tests mit den teilnehmenden Kindern, nach ausführlichen Instruktionen von den Klassenlehrpersonen der Kinder, durchgeführt (vgl. Abb. 14). Der Intelligenztest CFT1 wurde am Anfang des zweiten Schuljahres (August / September 2007) von eigens dafür instruierten Testleiterinnen und Testleitern ausgeführt. Aufgrund der Annahme, dass die Intelligenz ein stabiles Konstrukt sei, wurde aus ökonomischen Gründen darauf verzichtet, den Test noch vor Ende des Schuljahres 2006/07 – neben den anderen beschriebenen umfangreichen Erhebungen – durchzuführen. Im Rahmen der Welle 2 wurde im November und Dezember 2006 von geschulten Testleiterinnen und Testleitern in den Familien der teilnehmenden Kinder (N= 521) ein Elterninterview zur Erfassung der Familienqualität (Struktur- und Prozessqualität) durchgeführt. Zudem füllten die Eltern zur gleichen Zeit einen Fragebogen zur Erfassung der Familienqualität (Orientierungsqualität) aus (vgl. Abb. 14). Im Mai bzw. Juni 2007 fanden im Rahmen der Welle 3 einerseits durch in einem dreitägigen Kurs geschulte Raterinnen und Rater standardisierte Unterrichtsbeobachtungen (N= 70), sowie andererseits Beobachtungen im ausserunterrichtlichen Teil der Tagesschulen (N= 9) statt (Erhebung der Prozessqualität). Ergänzend dazu füllten Klassenlehrpersonen und Betreuungspersonen (Hauptbezugspersonen der teilnehmenden Kinder) einen Fragebogen zur Erfassung der Struktur- und Orientierungsqualität aus. Es wurde im Folgenden von der Annahme ausgegangen, dass das ausserfamiliale Setting (Schule) über die ersten zwei Schuljahre relativ stabil bleibt, da Lehrpersonenwechsel in dieser Zeit nur
208
9 Methodik der Studie
sehr selten eintreten, was sich auch bestätigt hat. Deshalb wurde auf eine erneute Erhebung am Ende des zweiten Schuljahres verzichtet. Hingegen wurde am Ende des Schuljahres 2007/08 – aufgrund der aktuell ziemlich heterogenen strukturellen Rahmenbedingungen in den Tagesschulen – eine ergänzende und vertiefende qualitative Erhebung bezüglich der Strukturqualität im ausserunterrichtlichen Teil in den Tagesschulen durchgeführt. Im Mai bzw. Juni 2008 wurde dazu mit den Tagesschulleitungen ein Leitfadeninterview (N= 7) durchgeführt, das ergänzt wurde durch einen Kurzfragebogen bei denselben Personen. Die erhobenen quantitativen Daten wurden in das Programm SPSS, Version14 eingegeben. Anschliessend wurde ein Daten-Cleaning mittels verschiedener Kontrollberechnungen durchgeführt. Die Auswertungsstrategie und die Wahl der statistischen Verfahren richteten sich nach den Fragestellungen. Nebst deskriptiven Darstellungen wurden regressions- und (ko-)varianzanalytische Verfahren eingesetzt. In der Regel werden statistische Verfahren für intervallskalierte Daten verwendet, bei Einzelitems wurden teilweise auch non-parametrische Verfahren eingesetzt. Die Analysen wurden mit dem Programm SPSS, Version 15 durchgeführt. Die erhobenen qualitativen Daten wurden transkribiert und mittels des Programms MAXQDA qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet. Auf die Auswertung wird in den nachfolgenden Kapiteln 10 bis 12 jeweils noch detaillierter eingegangen.
9.6 Stichprobenbeschreibung 9.6 Stichprobenbeschreibung 9.6.1 Allgemeine Merkmale der realisierten Gesamtstichprobe Die ursprünglich realisierte Stichprobe besteht aus 521 Kindern aus 56 Schulen und 70 ersten Primarschulklassen (Schuljahr 2006/07) mit ihren jeweiligen Familien. Von den 521 Schülerinnen und Schülern sind 51.8 Prozent Jungen und 48.2 Prozent Mädchen. Die Kinder sind zu Beginn der Erhebungswelle 1 im Oktober 2006 im Durchschnitt 7 Jahre alt (M = 6.98; SD = 0.47). Das jüngste Kind in der Untersuchung ist zu diesem Zeitpunkt 5 Jahre und 8 Monate (Min.), das älteste 11 Jahre und 8 Monate (Max.) alt. Rund 80 Prozent der teilnehmenden Kinder besitzen einen Schweizer Pass, rund 20 Prozent der Kinder nicht. Dies repräsentiert in etwa den gesamtschweizerischen Anteil der in der Schweiz wohnhaften Bevölkerung. Gemäss Angaben des Eidgenössischen Departements des Innern und des Bundesamts für Statistik lag im Jahr 2005 der Anteil der in der Schweiz wohnhaften ausländischen Bevölkerung bei 20.4 Prozent (EDI & BFS 2007). Im Weiteren
9.6 Stichprobenbeschreibung
209
stammen 6.4 Prozent der an der Studie teilnehmenden Kinder aus Osteuropa, Südosteuropa bzw. Balkan und der Türkei, was der grössten (Nationalitäten-) Gruppe entspricht (vgl. Tab. 16). Tab. 16
Stichprobe nach Nationalitätengruppen
Nationalitätengruppen Schweiz (inkl. Doppelbürger) Südeuropa
Angabe in Prozent 80.3 3.5
Osteuropa, Südosteuropa/Balkan, Türkei Deutschland, Österreich, Liechtenstein
6.4 3.7
Westeuropa, Nordeuropa
1.4
andere Nationalitäten
4.6
Gesamt
100.0
In rund 90 Prozent der Familien wird zu Hause schweizerdeutsch gesprochen. Bei einem Grossteil der Familien (58.2%) ist es die einzige Familiensprache. Bei 31.7 Prozent der Familien wird neben Schweizerdeutsch eine weitere Sprache gepflegt. Bei 10.1 Prozent der Familien werden nur eine oder mehrere andere Sprachen als Schweizerdeutsch gesprochen. Die häufigste Fremdsprache ist Tamilisch, gefolgt von Türkisch bzw. Kurdisch, Albanisch sowie Sprachen aus Ex-Jugoslawien. Rund 5 Prozent der Kinder sprechen Englisch, Italienisch, Französisch, Portugiesisch oder Spanisch. Rund 17 Prozent der an der Untersuchung teilnehmenden Kinder sind Einzelkinder, etwas mehr als die Hälfte der Kinder hat ein Geschwister (52.3%), ein knapper Viertel hat deren zwei. Mehr als zwei Geschwister haben nur rund 2 Prozent der Kinder. Die Mütter der Kinder sind im November 2006 durchschnittlich rund 39 Jahre alt, wobei die jüngste Mutter 26-jährig (Min.) und die älteste 51-jährig (Max.) ist. Die Kinder und deren Familie stammen aus 11 Kantonen der Deutschschweiz (vgl. Tab. 17). Die meisten, nämlich 104 Kinder (20%), sind im Kanton Bern wohnhaft und besuchen dort die Schule. Weitere 83 Kinder (15.9%) gehen im Kanton Zürich, 81 (15.5%) im Kanton Aargau und 63 Kinder (12.1%) im Kanton St. Gallen zur Schule. Die geringste Anzahl teilnehmender Kinder, lediglich 8 (1.5%), sind im Kanton Graubünden zuhause. Die Aufteilung der Kinder auf die Klassen und Schulen in den einzelnen Kantonen ist der Tabelle 17 zu entnehmen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich die Anzahl Klassen und Kinder pro Kanton gemäss der jeweiligen Grösse des Kantons (Einwohnerzahl) relativ ausgeglichen verteilt.
210 Tab. 17
9 Methodik der Studie Stichprobe nach Kantonen
Aargau Bern Basel-Landschaft Basel-Stadt Graubünden Luzern St. Gallen Solothurn Schwyz Zug Zürich Gesamt
Schulen 7 8 4 3 2 7 6 6 1 1 11 56
Klassen 9 12 5 3 2 8 6 7 3 1 14 70
Kinder 81 (15.5%) 104 (20.0%) 31 (6.0%) 25 (4.8% 8 (1.5%) 44 (8.4%) 63 (12.1%) 49 (9.4%) 19 (3.6%) 14 (2.7%) 83 (16.0%) 521 (100.0%)
Im Durchschnitt wurden bei der Stichprobenziehung 9 Kinder pro teilnehmende Klasse gezogen (M= 8.88, Median= 7.00), wobei das Minimum bei der Anfangsstichprobe bei 4 und das Maximum bei 18 Kindern pro Klasse lag (vgl. Kap. 9.3.2). Bei den an der Untersuchung teilnehmenden Lehrpersonen handelt es sich bei 88.2 Prozent um Frauen und bei 11.8 Prozent um Männer. Das durchschnittliche Alter liegt bei rund 43 Jahren und die Lehrpersonen sind nahezu alle Schweizerinnen und Schweizer. Die durchschnittliche Berufserfahrung der Lehrpersonen liegt bei 18.8 Jahren, wobei sowohl Berufsanfängerinnen und -anfänger (ein Dienstjahr, Min.) als auch eine Person mit 43 Jahren (Max.) Berufserfahrung an der Studie teilnehmen. Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer arbeiten im Durchschnitt mit einem Pensum von 83-Stellenprozent (M= 82.55, SD= 18.18), wobei nur rund 37 Prozent mit 100-Stellenprozent angestellt sind.
9.6.2 Nutzung von ausserfamilialer Bildung und Betreuung im ersten Schuljahr 55.0 Prozent der Kinder der Gesamtstichprobe werden im ersten Schuljahr zusätzlich von anderen Personen ausser von ihren Eltern betreut. Diese werden im Folgenden als „ausserfamilial betreute Kinder“ bezeichnet. 45.0 Prozent der Kinder der Gesamtstichprobe werden ausschliesslich von ihren Eltern betreut. Die ausserfamilial betreuten Kinder nutzen verschiedene Betreuungsformen, die man unter privat organisierten und institutionellen Formen subsumieren kann
9.6 Stichprobenbeschreibung
211
(vgl. Tab. 18). Diese Unterteilung richtet sich nach der (angenommenen) Professionalität der Bildung und Betreuung. Tab. 18
Privat und institutionell organisierte Settings sowie deren Nutzung durch die ausserfamilial betreuten Kinder (N= 267)
Privat organisierte Settings Betreuung durch erwachsene Verwandte (Grosseltern, Geschwister, etc.) in deren Wohnung oder in der Wohnung der Familie des Kindes Nachbarschaftliche Betreuung Betreuung durch nichtverwandte erwachsene Personen wie Aupair u.a. in deren Wohnung oder in der Wohnung der Familie des Kindes Betreuung durch nichterwachsene Geschwister
in Prozent
Institutionelle Settings
in Prozent
25.4
Tagesschule, Schulhort
15.4
9.4
Mittagstisch
10.6
3.1
Tageseltern in deren Wohnung in der Wohnung der Familie des Kindes
1.5
Kindertagesstätte, Hort, Tagesheim
5.6
Kinderclub, Schülerclub
0.4
3.6 2.9
Während des ersten Schuljahres werden 15.4 Prozent der ausserfamilial betreuten Kinder in der Tagesschule oder im Schulhort betreut34. Am zweithäufigsten wird die Betreuung durch Verwandte in der Wohnung der Familie des Kindes (12.7%) und in deren Wohnung (12.7%) – mit insgesamt 25.4 Prozent – als regelmässige Betreuungsform genutzt. Dieser Anteil liegt nur in etwa halb so hoch wie im gesamtschweizerischen Durchschnitt (53.7%). Der Mittagstisch wird von 10.6 Prozent der Kinder besucht, die nachbarschaftliche Betreuung von 9.4 Prozent. Weitere 5.6 Prozent der Kinder besuchen eine Kindertagesstätte, einen Hort oder ein Tagesheim, 0.4 Prozent den Kinder- bzw. Schülerclub. Eine Betreuung durch Tageseltern in deren Wohnung erfahren 3.6 Prozent, in der Wohnung der Familie des Kindes 2.9 Prozent. Nur sehr selten werden Kinder durch nicht-verwandte Personen oder durch Geschwister betreut (vgl. Tab. 18) (Ignaczewska 2008). Der Anteil der Nutzung der einzelnen Formen entspricht – 34
Diese und die nachfolgenden Analysen in diesem Kapitel wurden im Rahmen der Masterarbeit von Ignaczewska (2008) durchgeführt.
212
9 Methodik der Studie
mit Ausnahme der Betreuung durch Verwandte, die in der vorliegenden Studie deutlich tiefer liegt – in etwa dem gesamtschweizerischen Mittelwert (BFS 2007b). Im Weiteren wurde untersucht, welche weiteren ausserfamilialen Bildungsund Betreuungsangebote Kinder nutzen, die eine Tagesschule besuchen. 3.4 Prozent der Familien, deren Kinder das Angebot der Tagesschule nutzen, werden zusätzlich durch Verwandte in der Wohnung der Familie der Kinder und weitere 3.1 Prozent in der Wohnung der Verwandten betreut. Die nachbarschaftliche Betreuung wurde von 2.7 Prozent der Familien in Kombination mit der Nutzung des Tagesschulangebots genannt (Ignaczewska 2008). Der Betreuungsumfang der Nutzerinnen und Nutzer der Tagesschule bewegt sich zwischen 3 Stunden und bis zu mehr als 27 Stunden pro Woche35. Am häufigsten besuchen die Kinder die Tagesschule zwischen 3 und 6 Stunden (3.8%). Seltener liegt der Umfang der Nutzung bei bis zu drei Stunden (2.3%), zwischen 9 und 12 Stunden (1.9%) sowie zwischen 15 und 18 Stunden (1.7%) pro Woche. Die Betreuung durch Verwandte der Familie findet am häufigsten während 3 bis 6 Stunden pro Woche (11.6%) statt. Der Umfang der nachbarschaftlichen Betreuung beläuft sich bei 6 Prozent der Kinder auf bis zu drei Stunden, bei 2.7 Prozent gar auf drei bis sechs Stunden pro Woche. Am Mittagstisch werden die Kinder am häufigsten bis zu drei Stunden pro Woche betreut (8.1%). Der Umfang des Besuchs einer Kindertagesstätte oder eines Horts liegt zwischen drei und sechs Stunden (2.5%). Der Betreuungsumfang der Kinder durch Tageseltern bewegt sich zwischen 3 und mehr als 27 Stunden pro Woche in der Wohnung der Familie des Kindes sowie für 2.9 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Stunden in der Wohnung der Tageseltern. Durch nicht Verwandte werden die Kinder in den meisten Fällen nur bis zu drei Stunden pro Woche betreut (1.3%), und nur gerade 1 Prozent der Kinder wird durch Geschwister während bis zu drei Stunden pro Woche betreut (Ignaczewska 2008).
9.6.3 Verteilung der realisierten Stichprobe nach Untersuchungsgruppen und notwendige Gewichtungen Für die Rekrutierung der Kinder aus den einzelnen Schulformen (Tagesschulen, Schulen mit Blockzeitenunterricht, Schulen mit traditionellem Unterricht [Kontrollgruppe]) war ursprünglich ein disproportionaler Ziehungsplan vorgesehen, um trotz des ungleichen Vorkommens der drei Schulformen in der Schweiz vergleichbar grosse Untersuchungsgruppen verfügbar zu haben. Diese 35
Alle Angaben beziehen sich auf Angaben der Eltern der ausserfamilial betreuten Kinder.
9.6 Stichprobenbeschreibung
213
geplante disproportionale Stichprobe konnte nicht vollumfänglich in die Tat umgesetzt werden, da nicht genügend Tagesschulen bzw. Tagesschulkinder gefunden werden konnten, die zu einer Teilnahme an der Studie bereit waren (vgl. Kap. 9.3.2). Das bedeutet, dass die Versuchsgruppe „Tagesschulkinder“ und die entsprechenden Familien wie in der Realität auch in der Stichprobe effektiv kleiner ist als die beiden anderen Gruppen. 69 Kinder (13.0%), die sowohl im Schuljahr 2006/07 als auch 2007/08 das Tagesschulangebot nutzten, aus 10 Klassen, in 8 Schulen gehören dieser Versuchsgruppe an (aufgeteilt nach Untersuchungsgruppen a; vgl. Tab. 20). Davon besuchten annähernd gleich viele Schülerinnen und Schüler die beiden Tagesschulmodelle: 37 Kinder in 5 Klassen an 3 Schulen besuchen eine obligatorische Tagesschule und 32 Kinder in 5 Klassen an 5 Schulen eine freiwillige und nutzen auch deren Angebot (vgl. Tab. 19). Tab. 19
Tagesschulkinder, aufgeteilt nach freiwilligen und obligatorischen Tagesschulen36
Tagesschulkinder Obligatorische Tagesschule Freiwillige Tagesschule Total
Schulen
Klassen
Kinder
3 5 8
5 5 10
37 (54.0%) 32 (46.0%) 69 (100.0%)
Letzteres ist erwähnenswert, da nicht alle Kinder die eine freiwillige Tagesschule besuchten, auch deren freiwilliges ausserunterrichtliches Angebot nutzen. Solche Kinder gehören in dieser Untersuchung der Versuchsgruppe „Blockzeitenkinder“ an, da alle Schulen, die eine Tagesschule anbieten, den Unterricht auch in Blockzeiten abhalten und diese Kinder keine Bildungs- und Betreuungsangebote besuchen. Gewisse Kinder der beiden Versuchsgruppen befinden sich in denselben Klassen und Schulen wieder. Somit kann nicht von einer verschachtelten Stichprobe ausgegangen werden. Der Versuchsgruppe „Blockzeitenkinder“ entsprechen 226 Kinder (43.5%), aus 38 Klassen, an 31 Schulen (vgl. Tab. 20). Dabei sind Kinder aus Schulen vertreten, die bereits bis zum Schuljahr 2006/07 ein Blockzeitenmodell eingeführt hatten oder dies auf Schuljahr 2007/08 einführten (Kanton Solothurn), bei dem alle Kinder an fünf Vormittagen pro Woche, zu mindestens für vier Lektionen unter der Obhut der Schule stehen. Der Kontrollgruppe gehören schliesslich 226 Kinder (43.5%), aus 27 Klassen, an 21 Schulen an (vgl. Tab. 20). 36
oder auch additive und integrierte Modelle genannt
214 Tab. 20
9 Methodik der Studie Stichprobe, aufgeteilt nach Untersuchungsgruppen a: Besuch einer Schulform
Untersuchungsgruppen a Versuchsgruppe: Tagesschulkinder u. die entsprechenden Familien Versuchsgruppe: BlockzeitenKinder u. die entsprechenden Familien Kontrollgruppen-Kinder u. die entsprechenden Familien Gesamt
Schulen
Klassen
Kinder
8*
10*
69
31*
38*
226 (43.5%)
21
27
226 (43.5%)
56
70
521 (100.0%)
(13.0%)
*5 Klassen sind an 5 freiwilligen Tagesschulen angesiedelt, so dass diesen jeweils Kinder der Untersuchungsgruppe Tagesschule als auch – solche, welche das ausserunterrichtliche Angebot nicht besuchen – der Untersuchungsgruppe Blockzeiten angehören können. Somit sind diese Schulen und Klassen zweimal in der Tabelle enthalten.
Aufgrund des Forschungsstands im vorschulischen Bereich – hier konnte ein positiver Einfluss der Intensität der Nutzung von institutionellen ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten auf die kindliche Entwicklung nachgewiesen werden – wurde eine weitere Untersuchungsgruppenbildung unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität des Besuchs der Schulform Tagessschule (Untersuchungsgruppen b) vorgenommen (vgl. Tab. 21). Dabei wurde als Kriterium für eine „intensive Nutzung“, eine Nutzung an mindestens drei Tagen pro Woche (z.B. Module am Morgen, über Mittag und bzw. oder am Nachmittag) zu mindestens 7.5 Stunden (Median der Stichprobe) festgelegt. Bei 51 der 69 Tagesschulkinder, also bei 74.0 Prozent, kann von einer intensiven Nutzung der Tagesschule gesprochen werden. Diese stammen aus 8 Klassen, in 6 Schulen. Diese teilen sich wiederum auf in 37 Kinder aus 4 Klassen, in 3 obligatorischen Tagesschulen bzw. 14 Kinder, aus 4 Klassen und 4 freiwilligen Tagesschulen. Die Wenig-Nutzerinnen und Wenig-Nutzer werden mit den Kindern gleichgestellt, welche nur den Blockzeitenunterricht besuchen und somit neu der Versuchsgruppe „Blockzeitenkinder“ zugerechnet. Deshalb besteht diese unter Berücksichtigung der Intensität des Besuchs aus 244 Kindern, aus 38 Klassen, in 31 Schulen (vgl. Tab. 21). Auch bei diesen Untersuchungsgruppen b liegt keine verschachtelte Stichprobe vor. Die nachfolgenden Vergleiche zwischen den Untersuchungsgruppen in dieser Studie basieren alle auf der Aufteilung nach Untersuchungsgruppe b unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität des Besuchs der Tagesschule.
9.6 Stichprobenbeschreibung Tab. 21
215
Stichprobe, aufgeteilt nach Untersuchungsgruppen b: Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität des Besuchs der Schulform Tagesschule
Untersuchungsgruppen b Versuchsgruppe: Tagesschulkinder u. die entsprechenden Familien Versuchsgruppe: BlockzeitenKinder u. die entsprechenden Familien Kontrollgruppen-Kinder u. die entsprechenden Familien Gesamt
Schulen
Klassen
Kinder
7*
8*
51 (10.0%)
31*
38*
244 (46.7%)
21
27
226 (43.3%)
56
70
521 (100.0%)
*4 Klassen sind an 4 freiwilligen Tagesschulen angesiedelt, so dass diesen jeweils Kinder der Untersuchungsgruppe Tagesschule als auch – solche, welche das ausserunterrichtliche Angebot nicht besuchen – der Untersuchungsgruppe Blockzeiten angehören können. Somit sind diese Schulen und Klassen zweimal in der Tabelle enthalten.
Es ist zu vermuten, dass die 10.0 bzw.13.0 Prozent der Kinder der Stichprobe (Untersuchungsgruppen a bzw. b), welche eine Tagesschule nutzen, in etwa der aktuellen schweizerischen Situation entsprechen – mit einer leichten Tendenz zu einem höheren Anteil in der vorliegenden Stichprobe. Diesbezüglich liegen noch keine so differenzierte gesamtschweizerische Daten vor. Aufgrund der unterschiedlichen Grösse der Untersuchungsgruppen in der proportionalen Stichprobe werden für Gruppenvergleiche (Tagesschulkinder, Blockzeitenkinder, Kontrollgruppenkinder) die einzelnen Untersuchungsgruppen vorgängig gewichtet, um somit zur ursprünglich geplanten disproportionalen Stichprobe zu gelangen, geht es doch in der vorliegenden Studie darum, Aussagen zu Ausprägungen der pädagogischen Qualität und der Wirksamkeit der Schulformen, unabhängig ihres effektiven Vorkommens, zu machen. Dabei wird eine theoretisch-statistische Gewichtung (Designgewicht) angewandt, bei der durch eine Korrektur ungleicher bekannter Auswahlwahrscheinlichkeiten eine Herauf- bzw. Heruntergewichtung der einzelnen Untersuchungsgruppen stattfindet (Diekmann 2004, p. 365). Diese Gewichtung erfolgt nach Rothe und Wiedenbeck (1994, zit. n. Diekmann 2004) auf sicherem statistisch-theoretischem Grund. Dadurch liegt eine gleichmässige Zellenbesetzung bzw. eine disproportionale Verteilung vor. Aussagen, die sich auf die Schulformen und deren Unterschiede beziehen, basieren somit auf gewichteten Daten, wobei die Mittelwerte der Gewichtungsfaktoren zwischen 1.01 und 1.04 liegen. Ein Vorteil einer gleichmässigen Zellenbesetzung ist für die eingesetzten statistischen Analyseverfahren der Varianz- und Kovarianzanalyse, dass diese mit gleichen Zellenbesetzungen verhältnismässig robust gegenüber Verletzungen der Prämissen ihres linearen Grundansatzes sind
216
9 Methodik der Studie
wie die Normalverteilung und die Varianzhomogenität (Backhaus et al. 2006). Die in den folgenden Kapiteln dargestellten Ergebnisse basieren somit – wenn nicht anders vermerkt – auf gewichteten Daten. Prüft man die dargestellten allgemeinen Merkmale der Gesamtstichprobe hinsichtlich deren Ausprägung in den Untersuchungsgruppen, so stellt man keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses von Jungen und Mädchen, des Alters der Kinder sowie des Ausländeranteils fest. Diese und die folgenden Angaben beziehen sich dabei auf die Untersuchungsgruppen b. Einen Unterschied stellt man bei den Sprachen fest, welche zuhause überwiegend gesprochen werden (Chi2 (2,616) =19.93 p<.001). In den Familien der Tagesschulkinder wird dabei eher Schweizerdeutsch und eine andere Sprache oder gar nur eine andere Sprache gesprochen. Auch die bildungsrelevanten Ressourcen der Familien unterscheiden sich (Eta2= .03, F(2,616) =9.13 p<.001), wobei man bei den Familien der Tagesschulkinder die höchste Ausprägung und bei denjenigen der Blockzeitenkinder die tiefste findet (Post-hoc-Test GamesHowell p<.05). Ein nicht überraschender Unterschied zwischen den Untersuchungsgruppen zeigt sich hinsichtlich der Anzahl Geschwister (Eta2= .14, F(2,616) 48.58 p<.001). Tagesschulkinder sind häufiger Einzelkinder oder haben lediglich ein Geschwister als die Kinder in den übrigen Untersuchungsgruppen (Post-hoc-Test Games-Howell p<.05). Nicht alle drei Untersuchungsgruppen sind in jedem der 11 Kantone vertreten (vgl. Tab. 22). Dies hängt damit zusammen, dass nicht alle interessierenden Schulformen in jedem Kanton gleich stark bzw. überhaupt verbreitet sind oder waren. Tab. 22
Untersuchungsgruppen nach Kantonen (ungewichtet)
Kanton Aargau Bern BaselLandschaft Basel-Stadt Graubünden Luzern St. Gallen Solothurn Schwyz Zug Zürich Gesamt
Tagesschulkinder und deren Familie 10 (19.6%) 10 (19.6%)
Blockzeitenkinder und deren Familie 18 (7.4%) 61 (25.0%)
-
3 (12.7%)
13 (25.5%) 4 (7.8%) 14 (27.5%) 51 (100.0%)
12
(4.9%) 40 (16.4%) 22 (9.0%) 19 (7.8%) 41 (16.8%) 244 (100.0%)
Kontrollgruppenkinder und deren Familie 53 (23.5%) 33 (14.6%) 8 (3.5%) 63 (27.9%) 42 (18.5%) 266 (100.0%)
Kinder und deren Familie total 81 (15.5%) 104 (20.0%) 31 (6.0%) 25 (4.8% 8 (1.5%) 44 (8.4%) 63 (12.1%) 49 (9.4%) 19 (3.6%) 14 (2.7%) 83 (16.0%) 521 (100.0%)
9.6 Stichprobenbeschreibung
217
Die Kinder und Familien der Kontrollgruppe finden sich in den Kantonen Bern, Aargau, Graubünden, St. Gallen und Zürich wieder, da in diesen Kantonen der traditionelle Unterricht noch verbreitet ist bzw. war. Die Versuchsgruppe Blockzeiten setzt sich aus Kindern und deren Familie aus den Kantonen Aargau, Bern, beider Basel, Luzern, Solothurn, Schwyz und Zürich zusammen. Tagesschulen schliesslich fand man im Schuljahr 2006/07 überwiegend in städtischen Gemeinden vor, was sich auch in der kantonalen Zusammensetzung der Versuchsgruppe Tagesschulkinder widerspiegelt. Vertreten sind hier Tagesschulen aus den Kantonen Aargau, Bern, Basel-Stadt, Luzern und Zug. Auf der Basis von relevanten sozio-demographischen Angaben der Gemeinden mit Tagesschulen (Einwohnerzahl, Ausländerquote, Arbeitslosenquote, Höhe des Schulabschlusses der Bevölkerung) wurden für die beiden anderen Untersuchungsgruppen, Schulen aus vergleichbaren Gemeinden angefragt (vgl. Kap. 9.3.2). Da sich die Tagesschulen überwiegend in städtischen und Agglomerationsgemeinden befinden, spiegelt sich diese Konzentration auch in der Gesamtstichprobe wider.
9.6.4 Mutationen der Stichprobe im Längsschnitt Wie es bei einer Längsschnittuntersuchung zu erwarten ist, nimmt der Anteil der Teilnehmenden im Laufe der Zeit kontinuierlich ab. Die Gründe dafür sind unterschiedlich und sollen im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden. Von den ursprünglich 521 Kindern sind zum Ende des Schuljahres 2007/08 (also am Ende der 2. Klasse) noch 437 Kinder in der Untersuchung vertreten, d.h. rund 84 Prozent der ursprünglichen Stichprobe. Für die 84 „Ausfälle“ sind folgende Gründe bekannt:
7 Kinder (8.3% der Ausfälle) besuchten zu Beginn der Untersuchung bereits die zweite Klasse, waren also keine eigentlichen „Zielkinder“. Sie besuchten zusammen mit Kindern der ersten Klasse eine zweistufig geführte Klasse und wurden fälschlicherweise in die Untersuchung aufgenommen. Bei 28 Kindern (33.3% der Ausfälle) verweigerten die Eltern nachträglich die Teilnahme an der Studie. Zu einem kleineren Teil (12 Fälle) mag dies mit sprachlich-kulturellen Schwierigkeiten zusammenhängen. Insgesamt 22 Kinder sind mit ihren Familien im Verlauf der Zeit weggezogen (26.2% der Ausfälle); 27 Kinder wechselten die Klasse oder Schule (32.1% der Ausfälle). Bei Klassenwechseln und Umzügen wurde lediglich einer der beiden Gründe in der Statistik erfasst, es gibt sicherlich Fälle, für die beides zutreffend wäre (Klassenwechsel aufgrund des Umzugs).
218
9 Methodik der Studie
Die Ausfälle verteilen sich gleichmässig sowohl über die einzelnen Untersuchungsgruppen als auch über die erhobenen sozioökomischen Merkmale der Familien. Es sind keinerlei Auffälligkeiten festzustellen.
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting 10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Die vorliegende Studie EduCare geht – wie dem Rahmenmodell (vgl. Kap. 9.2) zu entnehmen ist – von einem deskriptiv-analytischen Konzept pädagogischer Qualität aus. Prozess-, Struktur- und Orientierungsqualität werden nach Tietze (1998) als Bereiche des umfassenden Konzepts von pädagogischer Qualität betrachtet, wobei einzelne Qualitätsaspekte als Qualitätsdimensionen bezeichnet werden, die meistens wiederum aus einzelnen Merkmalen bestehen. Dabei wird nicht von einem normativen Konzept von Qualität ausgegangen. Nach Tietze (1998, p. 23) kann die Qualität in einer Schule bzw. in einer Familie als „ein mehrdimensional bestimmtes, empirisch fassbares Phänomen“ verstanden und beschrieben werden. Trotzdem ist ein solcher Zugang nicht völlig wertneutral. In Übereinstimmung mit den nationalen Berufsverbänden der Erzieherinnen in den USA und in Kanada wird von qualitativ guter Bildung und Betreuung gesprochen, wenn diese das Wohlbefinden und die Entwicklung der Kinder im intellektuellen, emotionalen, sozialen und körperlichen Bereich fördert, sowie wenn die Familien in ihrer Bildungsarbeit37 unterstützt werden (ebd.). Dabei wird in dieser Studie in Anlehnung an die ECCE-Studie (ECCE-Study Team 1997) und an Tietze und Mitarbeitende (1998; 2005a) die Entwicklung der Kinder als zentrales Kriterium der pädagogischen Qualität betrachtet. Aufgrund des Forschungsstandes (vgl. Kap. 4 und 7) ist bekannt, welche Qualitätsaspekte in Familie und Schule im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kinder stehen oder aber es wird vermutet, dass sie dies tun. Dabei werden primär Qualitätsmerkmale fokussiert, von denen bereits empirisch Effekte auf die kindliche Entwicklung nachgewiesen werden konnten. Die Unterscheidung in Prozess-, Struktur- und Orientierungsqualität und in verschiedene Dimensionen innerhalb dieser Bereiche, die in der Rahmenkonzeption der Studie vorgenommen wird, sagt nicht aus, dass diese Bereiche völlig unabhängig voneinander sind. Es muss eher davon ausgegangen werden, dass die unterschiedlichen Dimensionen innerhalb eines Bereichs oder bereichsübergreifend kovariieren. So kann beispielsweise vermutet werden, dass günstige Struktur37
Es wird an dieser Stelle und im Folgenden von einem erweiterten Bildungsbegriff ausgegangen (vgl. Kap. 3).
220
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
merkmale wie hohe Qualifikation des Personals und kleine Gruppengrösse sich positiv auf die Prozessqualität auswirken (Tietze 1998). Im Rahmen dieser Studie soll ein Fokus auf die Beschreibung der Bereiche der pädagogischen Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting gelegt werden. Es geht darum, die in den Hauptsettings der Schülerinnen und Schüler vorliegende Ausprägung von pädagogischer Qualität differenziert zu erfassen und zu beschreiben, liegen doch dazu für die ganztägige Bildung und Betreuung im Schulalter und für den Unterricht in Blockzeiten nur sehr wenige Erkenntnisse vor. In diesem Kapitel soll der ersten Fragestellung der Untersuchung nachgegangen werden, wie sich die pädagogische Qualität (Orientierungsqualität, Strukturqualität und Prozessqualität) im familialen und ausserfamilialen Setting gestaltet. In diesem Zusammenhang interessieren insbesondere allfällige Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen und bezüglich der pädagogischen Orientierungen auch zwischen den Hauptbezugspersonen im familialen und ausserfamilialen Setting. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, wie sich potentielle, ausgewählte, für die Tagesschule spezifische Qualitätsfaktoren gestalten. In den jeweiligen Settings und Qualitätsbereichen wird im vorliegenden Kapitel jeweils mit einer kurzen Theoretisierung sowie dem methodischen Vorgehen eingeführt, bevor die Ergebnisse beschrieben werden.
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule 10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule Die pädagogische Qualität ist ein komplexes Gebilde mit verschiedenen Bereichen und Subbereichen. Neben den beiden Qualitätsbereichen der Prozessund Strukturqualität lässt sich die Orientierungsqualität als dritter Qualitätsbereich festmachen (Tietze 1998). Diese pädagogischen Orientierungen stellen einen wichtigen Aspekt des Bildungs- und Betreuungskontextes für das Kind dar. Sie thematisieren das „mentale Klima“ (ebd., p. 67), während die Strukturqualität die situationsunabhängigen materialen, sozialen und organisatorischen Rahmenbedingungen und die pädagogische Prozessqualität die konkreten Interaktionen im Bildungs- und Betreuungssetting fokussieren (ebd.). Die Auseinandersetzung mit der Qualität der pädagogischen Orientierungen ist daher für die Familie und die Bildungs- und Betreuungsinstitutionen sowie für die darin beteiligten Personen von grosser Bedeutung (Viernickel 2006). In der vorliegenden Studie sollen die pädagogischen Orientierungen der Hauptbezugspersonen in der Schule – Klassenlehrpersonen sowie Betreuungspersonen im ausserunterrichtlichen Teil – und in der Familie – in den meisten Fällen die Mutter oder der Vater – untersucht werden. Da die Konzeption und Messung der Orientierungsqualität in den aktuellen Studien weniger verbreitet
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule
221
ist, wird deren Konzeptualisierung etwas ausführlicher gehalten als im Folgenden diejenigen der Struktur- und Prozessqualität.
10.1.1 Theoretisierung Die pädagogischen Orientierungen thematisieren „die kind- und erziehungsbezogenen Vorstellungen, Einstellungen, Werte, Normen und übergreifenden Überzeugungssysteme der im Setting verantwortlich handelnden Erwachsenen“ (Tietze 1998, p. 67). Diese pädagogischen Orientierungen werden als normativ wirksame kognitive Konstrukte verstanden, die das pädagogische Handeln, also die Prozessqualität, beeinflussen. Sie beziehen sich auf anthropologische Grundannahmen über das Wesen des Kindes, auf Bildungsziele38 und die entsprechenden Massnahmen wie auch auf die Aufgaben von Familie und Schule39. Zudem stehen diese im Zusammenhang mit Fragen nach der Bedingtheit von Entwicklungsverläufen durch genetische Determinanten oder aber nach sozialen Einflussgrössen (BMFSFJ 2006; Viernickel 2006). Allgemeine wichtige Komponenten der Orientierungsqualität sind in Lehrplänen, aber auch in schulspezifischen Schulleitbildern festgehalten. Dies trifft in vielen Fällen nicht für den ausserunterrichtlichen Teil40 zu, dessen pädagogischen Zielsetzungen meist nicht verankert sind. Die pädagogischen Orientierungen werden nicht als wissenschaftliche Theorien, sondern als „naive Erziehungstheorien“ (Kornadt & Trommsdorff 1990 zit. n. Tietze 1998, p. 68) verstanden, da die im Bildungsprozess beteiligten Erwachsenen die Vorstellungen im Bezug auf die kindliche Entwicklung und Bildung (überwiegend) im Rahmen ihrer eigenen Sozialisation erwerben und verinnerlichen – pädagogische Fachpersonen zusätzlich auch in ihrer Ausbildung. In der Forschung wird hinsichtlich dieser so genannten Überzeugungssysteme zwischen laienhaften Überzeugungssystemen der Eltern (parental beliefs) und professionellen Überzeugungssystemen der Lehr- und Betreuungspersonen (teachers‘ beliefs) unterschieden (Tietze 1998): Studien zu den pädagogischen Orientierungen insbesondere von Eltern beruhen auf der Hypothese Kohn´s (1969, zit. n. Tietze et al. 2005b), die besagt, dass der soziale Kontext die Ziele und Werte der Eltern und deren Umgang mit ihrem Kind beeinflusst. Dabei handelt es sich nicht um eine einseitige Übertragung der Normen und Werte von der Gesellschaft auf die Eltern, sondern um einen „ko-konstruierenden“ Wechselwirkungsprozess dieser beiden Kontexte 38 39 40
Dabei wird von einem erweiterten Bildungsbegriff ausgegangen. und insbesondere auch der ausserfamilialen Bildung und Betreuung und dessen Verbindung mit dem Unterricht
222
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
(ebd., p. 209). Verschiedene Studien konnten den Einfluss von elterlichen Merkmalen wie Erwartungen, Bildungsaspiration, Attributionen auf den Schulerfolg bzw. die kindliche Ausprägung des Fähigkeitsselbstkonzepts nachweisen (vgl. z.B. Esser 2000; Helmke & Weinert 1997b; Neuenschwander et al. 2005) (vgl. Kap. 4.3). Die Schwierigkeit der Forschung, speziell im Bereich der parental beliefs, besteht einerseits in der theoretischen Fundierung, der komplexen Struktur sowie der zahlreichen Einflussfaktoren auf die parental beliefs, andererseits aber auch in der Berücksichtigung der Übereinstimmung bzw. Widersprüche der beliefs zwischen den Ehepartnern (Palacios 1990). Die pädagogischen Orientierungen der pädagogischen Fachpersonen bilden so genannte teachers’ beliefs. Nach der heutigen Befundlage kann davon ausgegangen werden, dass insbesondere die Erwartungen der professionellen Bezugspersonen einen Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben (vgl. Übersicht Rossbach 2005; Stipek et al. 2001; Tietze 1998; Tietze et al. 2005a) (vgl. Kap. 4.2). Dem Modell pädagogischer Qualität von Tietze und Mitarbeitenden (1998; 2005a) folgend, wird in der vorliegenden Untersuchung davon ausgegangen, dass die einzelnen pädagogischen Qualitätsbereiche ein mehrdimensionales Konstrukt bilden, das wiederum unterschiedliche Subbereiche beinhaltet. Innerhalb der pädagogischen Orientierungsqualität werden folgende drei Subbereiche unterschieden:
Vorstellungen und Überzeugungen über die Entwicklung von Kindern Vorstellungen und Überzeugungen über Bildungsziele und Vorstellungen und Überzeugungen bezüglich der Schule als Umwelt („einer guten Schule“).
Die einzelnen Unterbereiche stehen nicht unabhängig und isoliert voneinander, sondern ordnen sich in das gesamte System pädagogischer Orientierungen ein und stehen in Bezug mit dem (pädagogischen) Handeln (Tietze et al. 2005a). Die Berücksichtigung dieser „belief systems“ ergänzt die Untersuchung der konkret stattfindenden pädagogischen Interaktionen. Entsprechende Bedeutung erhält die Erfassung der pädagogischen Orientierungsqualität in Familie und Schule auch in der Studie EduCare. Laut Bronfenbrenner (1989, zit. n. Tietze et al. 2005a) ist davon auszugehen, dass sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede in den pädagogischen Orientierungen von Familie und Schule bestehen, die einen bedeutsamen Einfluss auf die pädagogischen Anregungen und damit auf die Entwicklung der Kinder haben. Daher ist es wichtig, die pädagogischen Orientierungen im familialen und ausserfamilialen Setting zu untersuchen, weshalb im Folgenden ein Fokus auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Hinblick
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule
223
auf die pädagogischen Orientierungen, der Hauptbezugspersonen der Kinder in den verschiedenen Settings gelegt wird. Folgenden Fragestellungen soll im Bereich der Orientierungsqualität nachgegangen werden:
Wie gestalten sich die Entwicklungsvorstellungen, Bildungsvorstellungen und Vorstellungen bezüglich einer guten Schule der Eltern sowie der Lehrund Betreuungspersonen? Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen? Gibt es Unterschiede zwischen den Hauptbezugspersonen im familialen und ausserfamilialen Setting, den Lehr- und Betreuungspersonen41 sowie den Eltern?
10.1.2 Methodisches Vorgehen Die Erhebung der Orientierungsqualität erfolgte im Rahmen der vorliegenden Studie sowohl bei den Lehr- und Betreuungspersonen sowie bei den Eltern der Kinder mittels Fragebogen. Diese Instrumente sind adaptierte Versionen der deutschen Fassung des „Parent and Teacher Questionnaire on Educational Representations for School-Aged Children“ (Palacios et al. 1998) und umfassen zu einem grossen Teil dieselben Items zu den Entwicklungs- und Bildungsvorstellungen sowie den Vorstellungen in Bezug auf eine gute Schule. Allein hinsichtlich der letzten Dimension hatten die Eltern zusätzliche Items einzuschätzen. In Anlehnung an Tietze und Mitarbeitende (1998; 2005a) wurden in allen Subbereichen der Orientierungsqualität Skalen über alle Personengruppen hinweg (Lehr-, Betreuungspersonen und Eltern) gebildet, mit dem Ziel der Vergleichbarkeit der Gruppen. Nach Möglichkeit wurden bewährte Skalen repliziert. Wo eine Replikation nicht möglich war, wurden auf der Grundlage von Faktoren- und Reliabilitätsanalysen Skalen verändert oder neue Skalen gebildet. Den empirisch begründeten Skalen wurde jeweils der Vorzug gegeben. Eine ausführliche Darstellung der Skalen ist dem Forschungsbericht zur Studie zu entnehmen (Schüpbach et al. 2008a).
41
Unterschiede zwischen Lehr- und Betreuungspersonen werden aufgrund der geringen Anzahl an Betreuungspersonen nicht untersucht.
224 Tab. 23
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting Skalen der Orientierungsqualität im Überblick (N entspricht Lehr-, Betreuungspersonen und Eltern)
Bereiche der Orientierungsqualität
Entwicklungsvorstellungen
Skala
Entwicklungsvorstellungen (11 Items)
Schulleistungsorientierung (4 Items) Bildungsvorstellungen
Vorstellungen bezüglich einer guten Schule:
Erfüllen von Zielen bezüglich der kognitiven vs. der sozialen Entwicklung
Kreativitäts(>) vs. Rationalitätsorientieru ng (<) (4 Items) Erfüllen von Zielen bezüglich der kognitiven Entwicklung der Kinder (4 Items) Erfüllen von Zielen bezüglich der sozialen Entwicklung der Kinder (4 Items)
BeispielItem
M
SD
N
Cronbach’s
4.60
0.81
508
.81
5.08
1.93
309
.73
„Zuverlässig sein.“ [recodiert] „Sinn für Kunst und guten Geschmack.“
3.50
1.86
309
.69
„Plus und Minusrechnungen beherrschen.“ „geübtes Diktat fehlerfrei schreiben.“
3.36
0.47
509
.63
„Konflikte in Gruppe ohne Lehrpersonen lösen.“ „Gemeinsam mit anderen Kindern soziale Regeln aushandeln.“
3.13
0.51
509
.60
„Für zwei oder drei Tage an einer Schulreise oder einem Lager teilnehmen.“ „Kleider selbst auswählen und sich ohne Hilfe anziehen.“ „Gute Schulnoten bekommen.“ „Richtig lesen, ohne Rechtschreibefehler schreiben.“
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule
225
Fortsetzung von Tabelle 23
Erfüllen von traditionellen vs. erweiterten Aufgaben der Schule
Erfüllen von traditionelle n Aufgaben der Schule (4 Items)
Erfüllen von erweiterten Aufgaben der Schule (3 Items)
„Die Eltern sorgen für korrekt gelöste Hausaufgaben.“ „Legt Wert auf Wissensvermittlung.“ „Kümmert sich um Betreuungsbedürfnisse der Familie.“ „Stellt Betreuungsmöglichkeiten auch in der unterrichtsfreien Zeit bereit.“
2.58
0.58
509
.59
2.62
0.65
509
.62
Für den Subbereich der Entwicklungsvorstellungen der Hauptbezugspersonen im familialen und ausserfamilialen Setting konnte die Skala „Entwicklungsvorstellungen“ gebildet werden. Sie umfasst Einschätzungen, in welchem Alter ein Kind durchschnittlich einen bestimmten Entwicklungsstand erreicht hat (vgl. Tab. 23). Ein hoher Wert bedeutet, dass ein Kind diesen Entwicklungsstand nach Einschätzung der Bezugsperson erst später, ein tiefer Wert weist darauf hin, dass es diesen bereits im früheren Alter erreichen kann. Für die Bildungsvorstellungen ergab sich eine zweifaktorielle Lösung mit einer Skala „Schulleistungsorientierung“ und „Kreativitäts- versus Rationalitätsorientierung“ (vgl. Tab. 23). Ein hoher Wert bei der Schulleistungsorientierung (Skala von 1 „eher unwichtig“ bis 12 „sehr wichtig“) bedeutet, dass diese stark ausgeprägt ist. Ein hoher Wert bei der zweiten Skala weist auf eine hohe Kreativitätsorientierung und eine tiefe Rationalitätsorientierung hin. Die Vorstellungen bezüglich einer guten Schule werden anhand des Erfüllens von Zielen bezüglich der kognitiven versus der sozialen Entwicklung sowie von traditionellen versus erweiterten Aufgaben der Schule gemessen. Dabei ergab sich jeweils eine zweifaktorielle Lösung (vgl. Tab. 23). Ein Skalenwert von 1 besagt eine Einschätzung als „wenig bedeutsam“, wohingegen ein Wert von 4 eine Einschätzung als „sehr bedeutsam“ aussagt. Die Reliabilitäten der Skalen liegen zwischen .59 und .81 und sind somit zufriedenstellend bis sehr gut. Um die Vorstellungen bezüglich einer guten Schule noch vertiefter untersuchen zu können, sind weitere Einzelitems zu den Aufgaben der Primarschule (bei den Eltern sowie den Lehr- und Betreuungspersonen), den Lernmethoden
226
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
(bei den Eltern) und zu den Sozialformen (bei den Eltern) erhoben und ausserdem in die Analysen mit eingeflossen. Für die Beantwortung der Fragestellungen werden im Folgenden deskriptive Analysen bezüglich der Merkmale der Orientierungsqualität von Eltern, Lehr- und Betreuungspersonen durchgeführt. Lehr- und Betreuungspersonen werden dabei – aufgrund der geringen Anzahl an Betreuungsperson –gemeinsam analysiert. Im Weiteren interessieren die Unterschiede zwischen den pädagogischen Orientierungen der Bezugspersonen der Kinder der Untersuchungsgruppen – im familialen und ausserfamilialen Setting. Bei den Untersuchungsgruppen handelt es sich um Kinder, welche die Schulform Tageschule unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität der Nutzung, die Schule mit Blockzeitenunterricht und die Schule mit traditionellem Unterricht besuchen. Die Unterschiede zwischen den Gruppen werden mittels einfaktorieller univariater Varianzanalysen berechnet. Nach Backhaus et al. (2006) ist dies ein robustes Verfahren, dessen Raum für Fehlinterpretationen relativ gering ist. Die Gruppenunterschiede zwischen den drei Untersuchungsgruppen werden mit Post-hoc-Tests berechnet. Bei Varianzhomogenität der Daten wird der Scheffé-Test bei Varianzinhomogenität der GamesHowell-Test eingesetzt. Die jeweils angegebene Stichprobengrösse (N) entspricht dem Umfang nach der Gewichtung der Daten. Deshalb ist die Stichprobengrösse teilweise grösser als N= 521 Kinder bzw. Familien. Wird im Folgenden von Unterschieden zwischen den Untersuchungsgruppen gesprochen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um statistisch bedeutsame Unterschiede handelt, wenn nichts anderes vermerkt wird.
10.1.3 Beschreibung der pädagogischen Orientierung Im Rahmen der Konzeption von pädagogischer Orientierungsqualität werden in der vorliegenden Studie die drei Subbereiche Vorstellungen, Überzeugungen über die Entwicklung von Kindern, über Bildungsziele sowie Vorstellungen bezüglich einer guten Schule unterschieden. Die Ergebnisse bezüglich der Fragestellungen werden nun bezüglich der drei Subbereiche – die nicht voneinander trennbar sind und sich in ein gesamtes System pädagogischer Orientierungen einordnen lassen – dargestellt. Dabei wird zuerst auf die Entwicklungsvorstellungen der Lehr- und Betreuungspersonen sowie der Eltern an Kinder im frühen Schulalter eingegangen.
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule
227
Entwicklungsvorstellungen Vergleicht man auf der Grundlage der Skala Entwicklungsvorstellungen die Erwartungen der Eltern mit denjenigen der pädagogischen Fachpersonen, so stellt man mittels einfaktorieller univariater Varianzanalyse einen signifikant höheren Mittelwert der Lehr- und Betreuungspersonen gegenüber den Eltern fest (vgl. Tab. 24). Die Eltern erwarten, dass das Kind denselben Entwicklungsstand rund 6 Monate früher erreicht als die (Haupt-)Bezugspersonen in der Schule. Tab. 24
Skala Entwicklungsvorstellungen: Unterschiede zwischen Eltern sowie Lehr- und Betreuungspersonen (LP/BP) und zwischen den Untersuchungsgruppen (TS, BZ und KG) Personen
Gruppe
Mb
SDb
N
Elterna
7;1 7.56
0;0 0.04
443
LP/BP
7;7 7.83
0;1 0.10
65
TS2
7;8 7.65
0;9 0.75
204
BZ
7;9 7.79
0;8 0.68
232
KG
7;11 7.93
0;7 0.61
213
TS
7;5 7.39
0;10 0.87
172
BZ
7;7 7.56
0;10 0.85
202
KG
7;6 7.59
0;9 0.79
197
a
Entwicklungsvorstellungen
LP/BP
Eltern
df
F-Wert
1
6.55
<.01
2
8.67
<.001
2
2.88
n.s.
LP/BP= Lehr- und Betreuungspersonen TS= Tagesschulkinder; BZ= Blockzeitenkinder; KG= Kontrollgruppenkinder a ungewichtete Daten b Angaben jeweils in Jahren und Monaten sowie als Dezimalzahl 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe Scheffé (p <.05)
p
Eta2
.02
.03
228
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Analysiert man die Einschätzungen der Eltern sowie der Lehr- und Betreuungspersonen bei den einzelnen Items zu den Entwicklungsvorstellungen (der Skala), so stellt man den beschriebenen Unterschied bezüglich der Entwicklungserwartungen der Bezugspersonen am stärksten bei den Items „auf einer Landkarte von der Schweiz zeigen, wo sein Wohnort liegt (Stadt, Region)“, „verstehen, was eine sexuelle Beziehung ist“, “die Zeit auf einer Uhr ablesen und wissen, was die Uhrzeit bedeutet“ oder „für zwei oder drei Tage an einer Schulreise oder einem Lager teilnehmen“ fest (vgl. Abb. 15).
Eltern Lehr- und Betreuungspersonen
5
6
5 Jahre alt
7
8
9
10
11
11 Jahre alt
* p < .05; ** p < .01; *** p < .001 einfaktorielle univariate Varianzanalysen
Abb. 15
Entwicklungsvorstellungen: Ausprägungen und Unterschiede zwischen den Lehr- und Betreuungspersonen sowie den Eltern (N= 488), Angaben in Dezimalzahlen
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule
229
Diese Items, die sich weitgehend auf die kognitive Entwicklung des Kindes bzw. sich eher auf die Entwicklung im schulischen Erfahrungsbereich der Fachpersonen beziehen (Teilnahme an einer Schulreise), zeigen frühere Erwartungen der Eltern bzw. die Erwartung der Lehr- und Betreuungspersonen, dass das Kind diesen Entwicklungsstand erst zu einem späteren Zeitpunkt erreichen wird. So erwarten die Eltern im Mittelwert zum Beispiel, dass ihr Kind auf einer Landkarte der Schweiz seinen Wohnort bereits im Alter von acht Jahren findet, wohingegen die schulischen Bezugspersonen dies erst mit neun Jahren, erwarten oder aber bezüglich einer Teilnahme an einer mehrtägigen Schulreise mit neun bzw. mit acht Jahren und 6 Monaten (vgl. Abb. 15). Weniger konsistent sind Erwartungen hinsichtlich der Selbständigkeit, Autonomie des Kindes. Dies zeigt sich z.B. bezüglich der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Begleitung (Eltern trauen dies ihrem Kind erst später zu als die Lehr- und Betreuungspersonen), selbständig Dinge in einem Geschäft kaufen oder Kleider auswählen und anziehen (keine Unterschiede). Im Weiteren interessiert, ob sich die Entwicklungsvorstellungen der Lehrund Betreuungspersonen zwischen den drei Untersuchungsgruppen – Tagesschulkinder, Blockzeitenkinder und Kontrollgruppe – unterscheiden. Der Tabelle 24 ist zu entnehmen, dass zwischen den Untersuchungsgruppen ein hochsignifikanter Unterschied besteht. Der Post-hoc-Test Scheffé zeigt dabei einen Unterschied zwischen den Bezugspersonen der Tagesschulkinder und den Kontrollgruppenkindern (p<.05). Die Erwartungen der in der Tagesschule pädagogisch tätigen Personen sind um rund drei Monate verzögert gegenüber den Lehrpersonen der Kontrollgruppenkinder. Keine diesbezüglichen Unterschiede von statistischer Relevanz sind zwischen den Eltern der Kinder der Untersuchungsgruppen zu finden. Bildungsvorstellungen Als Nächstes kommen wir zum zweiten Subbereich der Orientierungsqualität, den Bildungsvorstellungen im Sinne eines erweiterten Bildungsverständnisses. Dieses Konstrukt umfasst Bildungsvorstellungen und -ziele an Kinder im frühen Schulalter, welche Eltern sowie Lehr- und Betreuungspersonen als bedeutsam erachten. Die genannten Personen gaben Einschätzungen bezüglich der Bedeutsamkeit verschiedener Ziele an Kinder auf einer 12-stufigen Skala ab (1 eher unwichtig bis 12 sehr wichtig). In der Tabelle 25 wird ersichtlich, für wie bedeutsam Eltern sowie Lehr- und Betreuungspersonen jedes Bildungsziel erachten. Aufgrund der Mittelwerte wurde den Zielen jeweils ein Rangplatz zugewiesen. So bedeutet Rang 1 die höchste und Rang 12 die geringste Bedeutsamkeit des Ziels.
230
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Eltern sowie Lehr- und Betreuungspersonen sind sich in den meisten Fällen bezüglich der Relevanz der Bildungsziele einig, wie den Rangplätzen zu entnehmen ist. Als besonders wichtig werden bei den Eltern persönlichkeitsbezogene und soziale Bildungsziele (zuverlässig, selbstsicher oder sozial aufgeschlossen sein), gefolgt von schulleistungsbezogenen Zielen (gute Noten bekommen oder gut sein in Sprache oder Mathematik) eingeschätzt. Bei den Lehrund Betreuungspersonen hingegen wird den ästhetisch-künstlerischen Zielen tendenziell mehr Relevanz zugemessen als den leistungsbezogenen. Gerade bei drei Zielen („zuverlässig sein“; „gute Noten bekommen“ und „richtig lesen, ohne Rechtschreibefehler schreiben“) zeigen sich in Bezug auf den Mittelwert signifikante Unterschiede zwischen den Personengruppen (vgl. Tab. 25). Dabei ist das jeweilige Ziel für die Eltern von grösserer Bedeutsamkeit als für die pädagogischen Fachpersonen. Man stellt fest, dass insgesamt die Unterschiede zwischen den Bezugspersonen im familialen und im ausserfamilialen Setting nur sehr gering sind und mit den genannten Ausnahmen, sich nicht statistisch signifikant unterscheiden.
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule Tab. 25
Bedeutsamkeit von verschiedenen Bildungszielen für Eltern und Lehr- und Betreuungspersonen (LP/BP) in einer Rangfolge Elterna
Ziel Zuverlässig sein Sozial aufgeschlossen, Freunde haben Selbstsicher sein Bereit sein, anderen zu helfen Sinn für Humor haben Denken, danach entscheiden Interesse für Kunst im Allgemein Gute Schulnoten bekommen Richtig lesen, ohne Rechtschreibefehler schreiben Gut in Mathematik und Naturwissenschaften sein Musikinstrument spielen lernen Sinn für Kunst und guten Geschmack a
231
M SD N M SD N M SD N M SD N M SD N M SD N M SD N M SD N M SD N M SD N M SD N M SD N
ungewichtete Daten
10.26 2.39 432 10.07 2.46 432 9.40 2.61 432 9.28 2.25 432 7.86 2.81 432 7.53 2.71 432 7.02 3.01 434 6.83 3.04 432 5.79 3.09 432 5.59 3.09 432 5.30 3.10 432 4.19 3.23 432
Rang 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
LP/BPa 9.48 2.85 132 10.39 2.09 132 8.94 2.73 132 9.52 2.26 132 7.98 2.59 132 7.38 2.57 132 6.94 2.89 132 4.88 2.85 132 4.97 2.89 132 5.12 2.62 132 5.33 2.92 132 4.41 3.33 132
Rang 3
P <.01
1
n.s.
4
n.s.
2
n.s.
5
n.s.
6
n.s.
7
n.s.
11
<.001
10
<.01
9
n.s.
8
n.s.
12
n.s.
232
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Wirft man einen Blick auf die Bildungsvorstellungen der Hauptbezugspersonen der Kinder in Familie und Schule, so stellt man in Bezug auf die Schulleistungsorientierung keinen Unterschied zwischen den Eltern bzw. den Lehr- und Betreuungspersonen fest (vgl. Tab. 26). Für beide Gruppen hat die Leistung in der Schule (z.B. „gute Schulnoten bekommen“) in etwa die gleiche Bedeutung. Betrachtet man jedoch die Schulleistungsorientierung der Lehr- und Betreuungspersonen nach Untersuchungsgruppen, so unterscheiden sich diese hochsignifikant. Die schulischen Bezugspersonen der Kinder in der Tagesschule sind am stärksten leistungsorientiert, diejenigen der Kontrollgruppe am wenigsten. Keine Unterschiede lassen sich zwischen den Eltern der verschiedenen Untersuchungsgruppen nachweisen (vgl. Tab. 26). Bei der Kreativitäts- versus Rationalitätsorientierung zeigt sich bei den Lehr- und Betreuungspersonen eine signifikant höhere Kreativitätsorientierung (z.B. „Musikinstrument spielen lernen“) und eine geringere Rationalitätsorientierung (z.B. „zuverlässig sein“ [recodiert]) als bei den Eltern, was sich mit der tendenziell höheren Schulleistungsorientierung bei den Eltern gut vereinbaren lässt (vgl. Tab. 26).
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule Tab. 26
Bildungsvorstellungen: Unterschiede zwischen Eltern sowie Lehr- und Betreuungspersonen (LP/BP) und zwischen den Untersuchungsgruppen (TS, BZ und KG) Personen
Schulleistungsorientierung
LP/BP
Eltern
Kreativitäts- vs. Rationalitätsorientierung
233
LP/BP
Eltern
Gruppe
M
SD
N
Elterna
5.16
1.95
262
LP/BP TS1 BZ3 KG TS BZ KG
4.49 5.69 3.92 5.07 5.26 5.30 5.01
1.72 4.02 1.25 1.54 2.04 2.02 1.86
47 160 166 170 116 110 124
Elterna
3.40
1.78
262
LP/BP TS1,2 BZ3 KG TS BZ KG
4.05 6.12 4.06 3.46 3.42 3.32 3.51
2.17 2.43 1.69 2.13 1.60 1.74 1.94
47 160 166 170 115 110 124
p
Eta2
df
F-Wert
1
3.54
n.s.
2
20.13
<.001
2
0.48
n.s.
1
5.07
<.05
.02
2
71.66
<.001
.23
2
0.37
n.s.
.08
1
Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p <.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p < .05) a ungewichtete Daten 2
Eine hohe Relevanz kann dem signifikanten Unterschied bei den Lehr- und Betreuungspersonen zwischen den Untersuchungsgruppen beigemessen werden (aufgeklärte Varianz 23%). Die Kreativitätsorientierung der Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder erweist sich mit Abstand am höchsten, gefolgt von den Lehrpersonen der Kinder mit Blockzeitenunterricht und denjenigen mit traditionellem Unterricht (Kontrollgruppe) (Post-hoc-Test Scheffé zwischen allen Gruppen signifikant). Nicht abweichen tun hingegen die Eltern der drei Untersuchungsgruppen hinsichtlich ihrer Kreativitäts- versus Rationalitätsorientierung genauso wie bei der Schulleistungsorientierung. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die Lehrpersonen der verschiedenen Untersuchungsgruppen in ihrer Ausrichtung unterscheiden. Es stechen dabei insbesondere Lehr- und Betreuungspersonen in den Tagesschulen mit einer höheren Schulleistungsorientierung und einer höheren Kreativitätsorientierung bzw. tieferen Rationalitätsorientierung im Vergleich zu den Lehrpersonen der beiden anderen Gruppen heraus.
234
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Vorstellungen bezüglich einer „guten“ Schule Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche Vorstellungen und Überzeugungen bezüglich einer guten Schule vorherrschen, und ob allfällige Differenzen zwischen Hauptbezugspersonen in den beiden Settings vorhanden sind. Bei den Eltern handelt es sich um Erwartungen an das „andere“ Bildungsund Sozialisationsfeld, wohingegen es sich bei den Lehr- und Betreuungspersonen um Vorstellungen an das eigene Berufsfeld handelt. Idealerweise bildet der Erfahrungsraum Familie und Schule eine harmonische Ergänzung für die Kinder (Tietze 1998). Eine Voraussetzung dazu stellt wohl eine gewisse Übereinstimmung der Vorstellungen ihrer Bezugspersonen im familialen und im ausserfamilialen Setting dar. Die Vorstellungen bezüglich einer guten Schule wurden in der vorliegenden Untersuchung anhand der vier Skalen gemessen: Erfüllen von Zielen bezüglich der „kognitiven“ und „sozialen Entwicklung“ sowie von „traditionellen“ und „erweiterten Aufgaben der Schule“. Zusätzlich wurden weitere Einschätzungen bezüglich der Relevanz von Lernmethoden und Sozialformen eingefordert. In Bezug auf die Erwartungen an das Erfüllen von Zielen bezüglich der kognitiven und sozialen Entwicklung der Kinder unterscheiden sich Eltern und Lehrpersonen nicht (vgl. Tab. 27). Es geht dabei einerseits um Erwartungen hinsichtlich dessen, was Kinder in einer Schule, z.B. für eine gute kognitive Entwicklung, lernen sollen: Z.B. einen einfachen aber unbekannten Text sicher zu lesen, Plus- und Minusrechnungen zu beherrschen oder ein geübtes Diktat fehlerfrei zu schreiben (Beispielitems). Andererseits handelt es sich bei der sozialen und persönlichkeitsbezogenen Entwicklung der Kinder um Vorstellungen wie Konflikte in der Gruppe ohne die Lehrperson lösen zu können oder eine Aufgabe nicht alleine, sondern auch mit einer Gruppe von Kindern lösen zu können. In beiden Bereichen – Erwartungen hinsichtlich des Erfüllens von kognitiven und sozialen Entwicklungszielen – erweisen sich die Einschätzungen der Lehr- und Betreuungspersonen der einzelnen Untersuchungsgruppen als signifikant unterschiedlich (vgl. Tab. 27). Dieser Unterschied ist dabei sehr relevant (aufgeklärte Varianz von 20% bzw. 38%). Für die Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder ist das Erreichen der Ziele bezüglich der kognitiven Entwicklung weniger bedeutsam als für diejenigen der Blockzeitenkinder und der Kontrollgruppe (Post-hoc-Test jeweils signifikant). Gerade umgekehrt gestaltet es sich bei der sozialen Entwicklung. Zusätzlich schätzen hier die Lehrpersonen, die Blockzeitenunterricht erteilen, deren Erreichen signifikant wichtiger ein als diejenigen, die den traditionellen Unterricht erteilen (Kontrollgruppe) (vgl. Tab. 27).
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule Tab. 27
Vorstellungen bezüglich einer guten Schule: Unterschiede zwischen Eltern und Lehr- und Betreuungspersonen (LP/BP) sowie zwischen den Untersuchungsgruppen (TS, BZ und KG) in den einzelnen Skalen Personen
Erfüllen von Zielen bezüglich der kognitiven Entwicklung
Erfüllen von Zielen bezüglich der sozialen Entwicklung
Erfüllen von traditionellen Aufgaben der Schule
LP/BP
Eltern
M
SD
N
Elterna
3.37
0.48
443
LP/BP TS1,2 BZ KG TS1 BZ KG
3.33 2.94 3.34 3.39 3.28 3.42 3.33
0.42 0.39 0.43 0.37 0.43 0.46 0.51
66 204 232 220 172 202 197
Elterna
3.11
0.52
443
LP/BP TS1,2 BZ3 KG TS BZ KG
3.21 3.79 3.23 3.14 3.13 3.16 3.07
0.42 0.30 0.36 0.40 0.61 0.50 0.52
66 204 232 220 172 202 197
Elterna
2.62
0.57
443
LP/BP TS1,2 BZ3 KG TS1,2 BZ KG
2.22 1.79 2.21 2.32 2.42 2.72 2.58
0.49 0.53 0.42 0.51 0.60 0.56 0.57
66 204 232 220 172 202 197
Elterna
4.56
0.04
443
4.83 2.83 2.68 2.63 3.19 2.62 2.59
0.10 0.63 0.64 0.59 0.41 0.63 0.65
65 204 232 220 172 202 197
a
LP/BP
Eltern
a
LP/BP
a
LP/BP
Eltern 1
Gruppen
a
Eltern
Erfüllen von erweiterten Aufgaben der Schule
235
LP/BP TS1,2 BZ KG TS1,2 BZ KG
df
F-Wert
p
1
0.43
n.s.
2
82.96
<.001a
.20
2
4.31
<.05b
.02
1
2.09
n.s.
2
201.19
2
1.43
1
30.26
<.001c
.06
2
70.12
<.001c
.18
2
12.68
<.001b
.04
1
6.55
<.01b
.02
2
5.71
<.01c
.02
2
4.31
<.001c
.18
<.001b
.38
n.s.
Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (b Scheffé bzw. c Games-Howell p<.05) Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (b Scheffé bzw. c Games-Howell p <.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (b Scheffé bzw. c Games-Howell p < .05) a ungewichtete Daten 2
Eta2
236
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Von besonderem Interesse für die Thematik der ganztägigen Bildung und Betreuung und somit einer Schule mit einem erweiterten Bildungsauftrag sind die Vorstellungen der schulischen und familialen Bezugspersonen der Kinder im Hinblick auf traditionelle und erweiterte Aufgaben, die eine Schule zu leisten hat. Diesbezüglich konnte festgestellt werden, dass Eltern insgesamt der Vorstellung, dass eine Schule traditionellen Aufgaben42 gerecht werden müsse, signifikant mehr zustimmen als die Lehr- und Betreuungspersonen (vgl. Tab. 27). Schaut man sich nun die Erwartungen der Eltern der drei Untersuchungsgruppen an, so unterscheiden sich auch diese signifikant (vgl. Tab. 27). Nicht überraschend entsprechen die traditionellen Aufgaben der Schule am wenigsten den Eltern, deren Kinder eine Tagesschule besuchen. Diese unterscheiden sich von den beiden anderen Gruppen signifikant. Die Vorstellungen der Lehr- und Betreuungspersonen der drei Untersuchungsgruppen zeigen ein mit den Eltern vergleichbares, aber noch klareres Bild. Die traditionellen Aufgaben finden hier mit einer grossen Deutlichkeit (aufgeklärte Varianz 18%) am wenigsten Unterstützung bei den Bezugspersonen der Kinder in den Tagesschulen. Sieht man sich die einzelnen Aussagen (der Skala) zu den traditionellen Aufgaben der Schule im Detail an, so erweisen sich alle Ergebnisse der Varianzanalysen als hochsignifikant (vgl. Abb. 16). Wie man der Abbildung entnehmen kann, werden diesen Aussagen zu den traditionellen Aufgaben der Schule – mit Ausnahme der letzten – von Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder fast durchwegs weniger zugestimmt als von denjenigen der Blockzeitenkinder bzw. mit traditionellem Unterricht (vgl. Abb. 16).
42
Es soll ein einheitliches Arbeitstempo vorherrschen, Wert auf Wissensvermittlung gelegt werden oder die Eltern haben für korrekt gelöste Hausaufgaben zu sorgen (Beispielitems).
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule
237
Tagesschulkinder Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
1.00 1.50 2.00 2.50 3.00 3.50 4.00 1 stimme gar nicht zu
4 stimme voll und ganz zu
*** p < .001 einfaktorielle univariate Varianzanalysen 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05)
Abb. 16
Einschätzung der Aufgaben einer guten Schule der Lehr- und Betreuungspersonen: Erfüllen von traditionellen Aufgaben, Ausprägungen und Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen (N=656)
Die Lehr- und Betreuungspersonen sind erweiterten Aufgaben der Schule insgesamt signifikant positiver eingestellt als die Eltern (vgl. Tab. 27). Diese positive Einschätzung hinsichtlich Betreuungsbedürfnisse der Familie und Betreuungsmöglichkeiten in der unterrichtsfreien Zeit der schulischen Bezugspersonen der Kinder unterscheidet sich wiederum nach Schulform, also nach Untersuchungsgruppe. Dem Post-hoc-Test Games-Howell zufolge entsprechen diese erweiterten Aufgaben am stärksten den Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder, die sich von den beiden anderen Gruppen von Lehrpersonen
238
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
differenzieren (vgl. Tab. 27). Wirft man einen Blick auf die einzelnen Items (der Skala) hinsichtlich der erweiterten Aufgaben, so kann man bei allen Aussagen Unterschiede zwischen den drei Untersuchungsgruppen feststellen (vgl. Abb. 17). Überraschen mag das Ergebnis, dass die Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder weniger der Meinung sind, dass die Schule die Wünsche der Eltern berücksichtigen soll als die Lehrpersonen der beiden anderen Untersuchungsgruppen (vgl. Abb. 17).
*** p < .001 einfaktorielle univariate Varianzanalysen 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05)
Abb. 17
Einschätzungen der Aufgaben einer guten Schule der Lehr- und Betreuungspersonen: Erfüllen von erweiterten Aufgaben, Ausprägungen und Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen (LP/ BP N=650)
Kommen wir nun zum Abschluss noch zur Einschätzung der Eltern nach Untersuchungsgruppen. Diese gehen in die gleiche Richtung wie diejenigen der Lehrpersonen, deren Ausprägung ist jedoch nochmals deutlich stärker und hochsigni-
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule
239
fikant. Dies verdeutlicht die hohe aufgeklärte Relevanz von 18 Prozent. Erstaunliches stellt man bei den einzelnen Items der Skala fest. Übereinstimmend mit den Lehr- und Betreuungspersonen stimmen auch die Eltern der Tagesschulkinder am stärksten den Aussagen zu, dass eine gute Schule Betreuungsmöglichkeiten bereitzustellen habe und sich um die Betreuungsbedürfnisse der Familie kümmern soll. In der Aussage, dass eine solche Schule bemüht sein soll, die Wünsche der Eltern zu berücksichtigen, besteht an dieser Stelle jedoch Einigkeit zwischen den Eltern aller Untersuchungsgruppen43, im Unterschied zu den Lehrund Betreuungspersonen (vgl. Abb. 17 und Abb. 18).
Tagesschulkinder Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
1.00
2.00
1 stimme gar nicht zu
3.00
4.00
4 stimme voll und ganz zu
*** p < .001 einfaktorielle univariate Varianzanalysen 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05)
Abb. 18
43
Einschätzung der Aufgaben einer guten Schule der Eltern: Erfüllen von erweiterten Aufgaben, Ausprägungen und Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen (Eltern N=568)
Sie stimmen der Aussage zu.
240
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Den unterschiedlichen Personengruppen wurden des Weiteren verschiedene Aufgaben der Schule vorgelegt, die sie bezüglich ihrer Bedeutsamkeit zu beurteilen hatten. Dabei ging es darum, deren Relevanz in einer Rangfolge einzuschätzen. Als interessant erweisen sich die (hoch-)signifikanten unterschiedlichen Einschätzungen der Lehr- und Betreuungspersonen der drei Untersuchungsgruppen. Es zeigt sich insgesamt – vergleichbar mit der Relevanz der Einschätzung der Bildungsziele – eine stärkere Gewichtung von sozialen Aufgaben und solche im Hinblick auf ein gutes Klima in der Schule, wohingegen leistungsbezogene Aufgaben der Schule gegen Schluss der Rangliste stehen. Bei jeder genannten Aufgabe unterscheiden sich die Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder signifikant von den Lehrpersonen der Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder. Nur in wenigen Fällen unterscheiden sich die Blockzeitenlehrpersonen von denjenigen der Kontrollgruppe. Auffallend in Bezug auf Unterschiede zwischen den drei Untersuchungsgruppen ist die grössere Relevanz, welche die Lehr- und Betreuungspersonen in der Tagesschule den folgenden Aufgaben beimessen: Förderung der Kooperation und der guten Beziehung unter den Kindern, Unterstützung der Kinder zur Lösung von Konflikten ohne Lehrerhilfe, den Fokus mehr auf das Wohlbefinden der Kinder als auf die schulischen Leistungen legen sowie dem Beibringen von Disziplin und Verhaltensregeln (vgl. Abb. 19). Dies lässt doch insgesamt auf eine unterschiedliche pädagogische Ausrichtung der Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder schliessen.
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule
241
Tagesschulkinder Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
1.00 2.00 3.00 4.00 5.00 6.00 7.00 8.00 9.00 1 tiefere Relevanz
9 sehr hohe Relevanz
** p < .01; *** p < .001 einfaktorielle univariate Varianzanalysen 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05)
Abb. 19
Relevanz von Aufgaben der Primarschule nach Einschätzung der Lehrund Betreuungspersonen unterteilt nach Untersuchungsgruppen (N=417)
Die Eltern schätzten im Weiteren verschiedene Lernmethoden in Bezug auf ihre Relevanz ein. Bezüglich einiger Lernmethoden unterscheiden sich die Eltern deren Kinder unterschiedliche Schulformen besuchen (non-parametrischen Test Kruskal-Wallis). Dieses Ergebnis bestätigt auch die einfaktorielle multivariate Varianzanalyse, die trotz Verletzung der Voraussetzung einer Intervallskalierung zusätzlich durchgeführt wurde44. Insbesondere von den Eltern der Tagesschul44
Da diese zusätzlich einen Post-hoc-Vergleich zwischen den einzelnen Untersuchungsgruppen ermöglicht (vgl. Abb. 20)
242
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
kinder werden im Vergleich zu den Eltern in den beiden anderen Schulformen naturwissenschaftliche Experimente sowie Museums- und Ausstellungsbesuche als wichtiger erachtet. Dieselben Eltern finden jedoch im Vergleich Hausaufgaben weniger wichtig, genauso wie den Umstand, dass sich die Lehrperson im Unterricht an einem Schulbuch orientieren soll. Einig sind sich die Eltern im Hinblick auf das spielerische Lernen im Unterricht und die grösste Bedeutung dieser Form von Lernen (vgl. Abb. 20).
Tagesschulkinder Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
1.00
1.50
2.00
2.50
3.00
1 geringste Bedeutung 3 am wichtigsten
* p < .05; *** p < .001 non-parametrischer Test (Kruskal-Wallis), auch sig. mit einfaktoriellen univariaten Varianzanalysen 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Scheffé p < .05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Scheffé p < .05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Scheffé p < .05)
Abb. 20
Relevanz der Lernmethoden in der Primarschule nach Einschätzung der Eltern (N=477)
10.1 Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule
243
Auch bezüglich der einzusetzenden Sozialformen im Unterricht gibt es unterschiedliche Vorlieben der Eltern (non-parametrischen Test Kruskal-Wallis)45. Der Unterricht mit der ganzen Klasse wird von den Eltern mit einem Kind in der Tagesschule als weniger wichtig eingeschätzt als von den Eltern der beiden anderen Untersuchungsgruppen. Die Einzelarbeit wird hingegen von den Eltern der Tagesschulkinder höher gewertet als von denjenigen der Kontrollgruppe. Als die wichtigste Sozialform im Unterricht – da sind sich alle Eltern einig – wird die Gruppen- bzw. die Partnerarbeit beurteilt. Jedoch ist dies für die Eltern der Tagesschulkinder am ausgeprägtesten, gefolgt von denjenigen der Kontrollgruppe und der Blockzeitengruppe (vgl. Abb. 21).
Tagesschulkinder Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
1.00 1.50 2.00 1 geringste Bedeutung
2.50
3.00 3 am wichtigsten
*** p < .001 non-parametrischer Test (Kruskal-Wallis), auch sig. mit einfaktoriellen univariaten Varianzanalysen 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Scheffé p < .05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Scheffé p < .05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Scheffé p < .05)
Abb. 21
Relevanz der Sozialformen nach Einschätzung der Eltern (N=488)
Die dargestellten Einschätzungen bezüglich der Bedeutsamkeit der Lernmethoden und der Sozialformen lassen vermuten, dass Eltern von Kindern, die 45
Dieses Ergebnis bestätigt auch die einfaktorielle multivariate Varianzanalyse, die trotz Verletzung der Voraussetzung einer Intervallskalierung durchgeführt wurde, da diese zusätzlich einen Post-hoc-Vergleich ermöglicht (vgl. Abb. 21).
244
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
eine Tagesschule besuchen, sich von einer solchen eine Umsetzung von (reform-) pädagogischen Anliegen erwarten und erhoffen.
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie 10.2 Pädagogische Qualität in der Familie Im Rahmen dieser Studie wird ein Hauptfokus auf die pädagogische Qualität und Wirksamkeit von verschiedenen Bildungs- und Betreuungsformen für Primarschulkinder gelegt. Bildungs- und Sozialisationsprozesse von Kindern finden jedoch an verschiedenen Orten statt und sind nicht an bestimmte Institutionen oder Instanzen gebunden (vgl. Kap. 3). Dabei ist die Familie der erste und in der Zeit von der frühen Kindheit bis weit in die Schulzeit hinein der wichtigste Ort der Bildung (BMFSFJ 2002). Der in der Familie erworbene Habitus beeinflusst nach (Bourdieu 1983) im Besonderen auch die Nutzung der Schule. Verschiedene Studien stellen im Weiteren fest (Helmke & Weinert 1997b), dass die interindividuelle Varianz der schulischen Leistung sich bis zu zwei Drittel durch familial bedingte Merkmale der Schülerinnen und Schüler erklären lässt (vgl. Kap.4.3.1). Um eine Aussage bezüglich der Relevanz des Einflusses von Familie und Schule auf die kindliche Entwicklung machen zu können, ist es im Rahmen der vorliegenden Studie im frühen Schulalter von zentraler Bedeutung, auch den Bildungsort Familie mit zu berücksichtigen bzw. diesen in gewissen Analyseverfahren zu kontrollieren. Dies widerspielt sich im Rahmenmodell der Studie, in welchem sich, nebst der Institution Schule (mit einem unterrichtlichen und einem ausserunterrichtlichen Teil), auch die Familie wieder findet. In diesem Kapitel soll nun ein Überblick über die wichtigsten Gesichtspunkte hinsichtlich der pädagogischen Qualität – Struktur- und Prozessqualität – im familialen Setting bzw. der familialen Kontextbedingungen gegeben werden. Auf die Orientierungsqualität wurde bereits im vorhergehenden Kapitel eingegangen.
10.2.1 Theoretisierung Der Zusammenhang von Familie und der Entwicklung der Kinder ist hinreichend belegt. Insbesondere Studien zur sozialen Herkunft und Schulerfolg sowie pädagogischen Prozessen in der Familie und Schulerfolg liegen vor (vgl. Kap. 4.3.1). Es stellt sich nun die Frage, welche Ausprägung spezifische Merkmale der Familien und deren Kontext in den Familien von Kindern in verschiedenen Schulformen, den Untersuchungsgruppen, haben. Dem Rahmenmodell der
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie
245
Studie zufolge wird auch im Setting Familie – neben der Orientierungsqualität – zwischen Struktur- und Prozessqualität unterschieden. Unter der Prozessqualität in der Familie werden die pädagogischen Interaktionen und Anregungen des Kindes in seiner Familie subsummiert. Unter der Strukturqualität – den strukturellen Merkmalen der Familie – werden im Weiteren situationsunabhängige, zeitlich stabile Rahmenbedingungen verstanden, innerhalb derer sich die Prozessqualität ereignet und von denen die Prozessqualität beeinflusst werden kann. Bei der Strukturqualität werden nach (Tietze 1998, p. 123) drei weitere Dimensionen von Bedingungen unterschieden:
Bedingungen, die mit der Mutter oder dem Vater verbunden sind (z.B. Bildungsabschluss, Erwerbstätigkeit) (personale Bedingungen) Bedingungen, welche die Familie als Sozialverbund kennzeichnen (z.B. Anzahl Geschwister, Familienzusammensetzung, bildungsrelevante Ressourcen der Familie) (soziale Bedingungen) Räumliche und materielle Bedingungen der Familie (z.B. Anzahl Zimmer pro Person, eigenes Zimmer des Kindes, Haushaltseinkommen).
Das familiale Setting ist wiederum eingebettet in einen Lebens- und Erfahrungsraum. Von diesem räumlichen und sozialen Kontext wird angenommen, dass er für die Erfahrungen des Kindes relevant ist (Tietze 1998). Diese Kontextbedingungen werden im Weiteren analysiert. Insbesondere interessieren in diesem Kapitel Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen. Folgenden Fragestellungen soll im Bereich der Struktur- und Prozessqualität und der Kontextmerkmale der Familie nachgegangen werden:
Wie gestaltet sich die Prozessqualität der Familie? Wie gestalten sich die personale, soziale sowie die räumlich-materiale Dimension der Strukturqualität der Familie? Wie gestaltet sich die Nutzung des räumlichen und sozialen Kontexts durch die Familie? Gibt es jeweils Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen?
10.2.2 Methodisches Vorgehen Die Prozessqualität in der Familie – darunter wird das Anregungspotential in den Familien verstanden – wurde anhand der adaptierten Version der deutschen Fassung “Home Observation Measurement of the Environment” (HOME) (Caldwell & Bradley 1984) erhoben. Das Instrument HOME wurde zur Messung
246
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
der Qualität und der Stimulation entwickelt, welche das Kind in seinem familialen Umfeld vorfindet. Dieses Instrument wurde bereits in zahlreichen Studien eingesetzt und kann als erprobtes Instrument bezeichnet werden. Im Rahmen von EduCare wurde die deutsche Version für das Grundschulalter („middle childhood“, 6 bis 10 Jahre) eingesetzt. Diese umfasst wie im Original 59 Items, zugeordnet in acht Teilskalen. Ein Teil der Items wird mittels geschulter Beobachtung eingeschätzt, die anderen Items werden in einem Interview mit der Hauptbetreuungsperson resp. einem oder beiden Elternteil(en) erfragt. Im Rahmen der Nationalfondsstudie EduCare konnten die bei Caldwell und Bradley (1984) gebildeten Subskalen nicht repliziert werden. Stattdessen wurde empirisch begründet, das ursprüngliche Instrument um 40 Items auf 19 Items reduziert (2-stufiges Antwortformat). Es wurden die drei Subskalen „Entwicklungsförderung und aktive Stimulation“, „Emotionale und verbale Responsivität“ und „Aspekte der räumlichen Umgebung“ gebildet, deren Items jedoch nicht vollständig mit den ursprünglichen Subskalen korrespondieren (vgl. Schüpbach et al. 2008a). Diese Subskalen erwiesen sich mittels Faktorenanalyse als drei eigenständige und reliable Skalen mit einem akzeptablen Cronbach’s Alpha von .62 (vgl. Tab. 28) (vgl. Schüpbach et al. 2008a).
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie Tab. 28
247
Skalen der familialen Prozessqualität im Überblick
Skala
Entwicklungsförderung und aktive Stimulation (9 Items)
Emotionale und verbale Responsivität (6 Items)
Aspekte der räumlichen Umgebung (4 Items)
Beispielitem „Hat … (Zielkind) die Möglichkeit, seine / ihre Fähigkeiten und Talente auch ausserhalb der Familie auszuleben und zu verbessern?“ „Haben Sie oder ein Familienmitglied mit … (Zielkind) im letzten Jahr ein Museum oder eine Ausstellung besucht? Oder haben Sie ihm / ihr einen solchen Besuch ermöglicht?“ „Das Kind wird ermutigt, sich an der Unterhaltung während des Besuchs zu beteiligen.“ „Die Mutter / befragte Person zeigt positive emotionale Reaktionen (Freude), wenn der Interviewer / die Interviewerin das Kind lobt.“ „Das Innere der Wohnung wirkt weder düster noch eintönig.“ [recodiert] „Die Wohnung wirkt nicht mit Möbeln überladen.“ [recodiert]
M
SD
N
Cronbach’s
0.85
0.17
484
.62
0.85
0.20
483
.62
0.97
0.11
481
.62
248
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
In die weiteren Analysen wird im Folgenden die HOME-Skala „Entwicklungsförderung und aktive Stimulation“ Eingang finden, die sich im Zusammenhang mit der Struktur- und Orientierungsqualität am relevantesten erwiesen hat. Die familiale Strukturqualität wurde mit einem standardisierten Elterninterview zur Erfassung von Familienqualität, einer adaptierten und an die Schweizer Verhältnisse angepassten Version der deutschen Fassung des „Parent and Household Survey for Families with Preschool-Aged Children“ (Bairrao et al. 1993) erhoben. Im Elterninterview wurden soziodemographische und strukturelle Angaben der Eltern wie Alter der Mutter, Bildungsabschluss, Nationalität, Berufstätigkeit, Familienzusammensetzung, bildungsrelevante Ressourcen, Erwerbstätigkeitsniveau bzw. sozioökonomischer Status und Anzahl Zimmer pro Person erhoben. Ergänzt wurde das Instrument mit einigen zusätzlichen Konstrukten. Die Operationalisierung eines dieser neuen Konstrukte, der „bildungsrelevanten Ressourcen“, erfolgte in Anlehnung an die von Schüpbach (2004) gebildete Skala, zusammengesetzt aus der Anzahl Bücher und Anzahl Musikinstrumente im Haushalt sowie der Anzahl Zimmer im Haus. Das Konstrukt „Erwerbstätigkeitsniveau“, was im Folgenden als sozioökonomischer Status bezeichnet wird, basiert auf der internationalen Standardklassifikation der Berufe (ISCO-88 COM) ( Schüpbach et al. 2008b) und die Variable „Nationalität“ auf Herzog, Egger, Neuenschwander und Abächerli (2003). Die insgesamt erhobenen strukturellen Merkmale können der personalen, sozialen und der räumlich-materiellen Dimension zugewiesen werden. Mittels standardisiertem Elterninterview zur Erfassung von Familienqualität, adaptierte Version der deutschen Fassung des „Parent and Household Survey for Families with Preschool-Aged Children“ (Bairrao et al. 1993) wurden die Verfügbarkeit und Nutzung räumlicher Gegebenheiten sowie das Vorhandensein von Kindern in der Nachbarschaft und die Häufigkeit, mit der die Kinder an den verschiedenen Orten miteinander spielen, erhoben. Die faktorenanalytisch gebildete Skala bezüglich der Nutzung öffentlicher und sozialer Ressourcen (6stufiges Antwortformat; 1 „gar nicht“, 2 „weniger als monatlich“, 3 „monatlich“, 4 wöchentlich“, 5 häufiger als einmal pro Woche“ bis 6 „täglich“) erwies sich mit einem Cronbach’s Alpha von .57 als mässig (vgl. Tab. 29) (vgl. Schüpbach et al. 2008a).
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie Tab. 29
249
Skala familialer Kontext: Nutzung öffentlicher und sozialer Ressourcen
Skala
Nutzung öffentlicher und sozialer Ressourcen (3 Items)
Beispielitem
M
SD
N
Cronbach’s
„Spielplatz, Sportplatz, Sportanlage Nutzungshäufigkeit?“ „Öffentlicher Park, Grünanlage Nutzungshäufigkeit“ „Wie oft spielt (Zielkind) mit diesen Kindern?“
4.36
0.98
480
.57
Für die Beantwortung der Fragestellungen werden im Folgenden deskriptive Analysen bezüglich der Merkmale der familialen Qualität durchgeführt. Im Weiteren interessieren die Unterschiede zwischen den einzelnen Merkmalen der Struktur- und Prozessqualität des familialen Settings der Kinder der Untersuchungsgruppen. Bei den Untersuchungsgruppen handelt es sich um Kinder, welche die Schulform Tageschule unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität der Nutzung, die Schule mit Blockzeitenunterricht und die Schule mit traditionellem Unterricht besuchen. Die Unterschiede zwischen den Gruppen werden mittels Chi2-Tests, non-parametrischen Tests (Kruskal-Wallis) und einfaktoriellen univariaten Varianzanalysen berechnet. Die Gruppenunterschiede zwischen den drei Untersuchungsgruppen werden bei den Varianzanalysen mit Post-hoc-Tests berechnet. Bei Varianzhomogenität der Daten wird der SchefféTest, bei Varianzinhomogenität der Games-Howell-Test eingesetzt. Die jeweils angegebene Stichprobengrösse (N) entspricht dem Umfang nach der Gewichtung der Daten. Deshalb ist dieser teilweise grösser als N= 521 Kinder bzw. Familien. Wird im Folgenden von Unterschieden zwischen den Untersuchungsgruppen gesprochen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um statistisch bedeutsame Unterschiede handelt, wenn nichts anderes vermerkt wird.
10.2.3 Beschreibung der Prozessqualität im familialen Setting Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf die Skala Entwicklungsförderung und aktive Stimulation, erhoben mit der adaptierten Version der deutschen Fassung “Home Observation Measurement of the Environment” (HOME) (Caldwell & Bradley 1984).
250
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Betrachtet man die Werte der Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation insgesamt in den an der Studie teilnehmenden Familien, so stellt man fest, dass diese auf einer Skala von 0 bis 1 in einem sehr hohen Bereich liegen (M= 0.85). Zudem zeigt sich, dass die Standardabweichung als relativ gering bezeichnet werden kann (SD= 0.17). Das heisst, rund 95 Prozent der Familien liegen auf der Skala zwischen einem Wert von 0.5 und 1. Das gleiche Bild zeigt sich auch, wenn man die drei Untersuchungsgruppen getrennt analysiert (vgl. Abb. 22). Diese geringe Streuung unter den Schweizer Bedingungen hat wohl damit zu tun, dass das Instrument HOME ursprünglich für Familien mit einem tiefen sozioökonomischen Status in den USA entwickelt wurde. Die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in den Familien der Tageschul-, Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder unterscheidet sich jedoch hochsignifikant (Eta2 = .03, F (2,625)= 8.0277, p<.001). Mittels Post-hoc-Test (GamesHowell) stellt man fest, dass die Tageschulkinder eine bessere Förderung gegenüber den Blockzeitenkindern erfahren und die Kinder der Kontrollgruppe eine bessere als die Blockzeitenkinder. Die Tagesschulkinder erhalten im Mittelwert die beste Förderung im familialen Setting (vgl. Abb. 22).46
46
Die Boxplot-Darstellung ist so zu lesen, als dass im grauen Bereich jeweils die mittleren 50% der Antworten liegen. Wobei die waagrechte Linie im Balken den Median angibt (teilt die Stichprobe in zwei gleich grosse Teile auf) und die senkrechten Linien jeweils das obere und untere Viertel der Antworten kennzeichnen.
Entwick lungsförderung und aktive Stimulation
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie
251
1.00
1 2 3
0.80
Tagesschulkinder 1 Blockzeitenkinder 3 Kontrollgruppe
0.60
0.40
0.20
0.00 1
2
3
Untersuchungsgruppen Einfaktorielle univariate Varianzanalyse 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p < .05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p < .05)
Abb. 22
Die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in den Familien, getrennt nach Untersuchungsgruppe (N=625)
Schaut man sich die Items der Skala Entwicklungsförderung und aktive Stimulation im Detail an (vgl. Abb. 23), so stellt man fest, dass insgesamt in den Familien darauf geachtet wird, den Kindern Grenzen zu setzen und auch auf dessen Einhaltung geachtet wird. Dieses Merkmal erzielt den höchsten Wert in den Familien aller Untersuchungsgruppen (M= 0.98; SD= 0.15). Diesbezüglich unterscheiden sich die Familien nicht. Insbesondere eine hohe Entwicklungsförderung in allen Familien erfahren die Kinder im kulturellen Bereich in Form von Besuchen von Theater- oder Musikveranstaltungen, Museen oder Ausstellungen sowie dem Alter des Kindes angemessenen Büchern Zuhause (alle M> 0.87). Auch die Möglichkeit zur Nutzung von Medien durch die Kinder ist eine Selbstverständlichkeit in allen Familien. Ein signifikanter Unterschied zwischen den Untersuchungsgruppen an dieser Stelle zeigt jedoch auf, dass dies in der Familie der Blockzeitenkinder im Vergleich zu denjenigen der Tagesschulkinder sowie auch zu denjenigen der Kontrollgruppe weniger der Fall ist (vgl. Abb. 23). Ein weiterer signifikanter Unterschied bezüglich der Entwick-
252
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
lungsförderung zwischen den Familien der Untersuchungsgruppen besteht im Besuch von Theater- oder Musikveranstaltungen. Diese werden den Tagesschulkindern sowohl im Vergleich mit den Blockzeiten- als auch mit den Kontrollgruppenkindern vermehrt ermöglicht. In den drei Untersuchungsgruppen wird nicht zuletzt unterschiedlich viel Wert auf das Spielen eines Musikinstruments gelegt. Mehr Gewicht wird darauf in den Familien der Tagesschulkinder als in denjenigen der Blockzeitenkinder gelegt (vgl. Abb. 23).
Tagesschulkinder Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
0.5
0.6
0 tiefe Prozessqualität
0.7
0.8
0.9
1 1 hohe Prozessqualität
* p < .05; ** p < .01; *** p < .001 Einfaktorielle univariate Varianzanalysen 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p < .05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p < .05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p < .05)
Abb. 23
Einzelitems der Skala Entwicklungsförderung und aktive Stimulation
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie
253
10.2.4 Beschreibung der Strukturqualität im familialen Setting Die strukturellen Bedingungen in den Familien der Kinder werden im Folgenden in der personalen, der sozialen und der räumlich-materialen Dimension beschrieben. Personale Dimension Bei der personalen Dimension der familialen Struktur kann festgestellt werden, dass das Alter der Mutter bei rund 39 Jahren liegt (Mittelwert), wobei die jüngste Mutter 26 und die älteste 51 Jahre alt war als das Kind in die erste Klasse eintrat. Das durchschnittliche Alter der Mütter unterscheidet sich nicht zwischen den Untersuchungsgruppen und spiegelt das in der Schweiz und in Westeuropa insgesamt festzustellende immer höhere Alter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder wider. Wirft man einen Blick auf den Bildungsabschluss der Eltern, so stellt man fest, dass über alle Familien hinweg, in den meisten Familien (39.3%) der höchste Bildungsabschluss beider Elternteile ein Universitätsstudium ist. Dies stellt, verglichen mit dem gesamtschweizerischen Durchschnitt, ein sehr hoher Wert dar, der sich mit der überdurchschnittlich hohen Zahl an Universitätsabschlüssen von rund 59.6 Prozent der Tagesschuleltern erklären lässt. Die Verteilung des höchsten Berufsabschlusses in den Familien unterscheidet sich auch signifikant zwischen den drei Untersuchungsgruppen (vgl. Tab. 30). Ein ähnliches Bild zeigt sich auch beim tiefsten Bildungsabschluss beider Elternteile, bei dem die Eltern der Tagesschulkinder wiederum höhere Abschlüsse vorweisen können als die beiden anderen Gruppen. Die grösste Gruppe der Eltern der Tagesschulkinder hat einen Abschluss einer Fachhochschule/höhere Fachschule (34.0%), wohingegen die meisten Eltern bei den Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern eine Berufslehre abgeschlossen haben (44.2% bzw. 44.3%).
254 Tab. 30
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting Strukturmerkmale des familialen Settings: Personale Dimension (N= 403 bis 412)
Merkmal
Alter der Mutter M SD Höchster Bildungsabschluss der Eltern: Abschluss Sekundarstufe I Berufslehre Sekundarstufe II Fachhochschule/ höhere Fachschule Universität /ETH Tiefster Bildungsabschluss der Eltern: Abschluss Sekundarstufe I Berufslehre Sekundarstufe II Fachhochschule/ höhere Fachschule Universität /ETH Familiale Erwerbstätigkeit: Trad. bürgerliches Modell (gar nicht und Vollzeit erwerbstätig) Modernisiertes bürgerliches Modell 1 (Teilzeit unter 49% - Vollzeit erwerbstätig) Modernisiertes bürgerliches Modell 2 (Teilzeit über 50% unter 89% Vollzeit erwerbstätig) Egalitärerwerbsbezogenes Modell (beide Vollzeit) Egalitärfamilienbezogenes Modell (beide Teilzeit) Keine Erwerbstätigkeit Restliche Kombinationen
total
Tagesschulkinder
Blockzeitenkinder
Kontrollgruppenkinder
39.46 4.89
38.93 4.71
39.14 4.37
1,2
3
5.8% 17.9% 10.5%
6.4% 10.6%
11.6% 25.4% 11.2%
5.7% 22.2% 9.4%
26.5% 39.3%
23.4% 59.6%
24.6% 27.2%
32.1% 30.7%
p n.s. +
39.17 4.67
<. 001++
1, 2
<. 001++
13.6% 34.2% 11.9%
4.3% 14.9% 21.3%
21.9% 44.2% 5.8%
14.6% 44.3% 8.5%
25.3% 15.0%
34.0% 25.5%
16.5% 11.6%
25.5% 7.1%
1, 2
20.5%
6.4%
<. 001+++
27.5%
28.3%
26.6%
34.9%
15.3%
16.0%
1, 2
22.9%
8.5% 1, 2
24.2%
40.4% 1, 2
8.6%
17.0%
4.5%
3.8%
18.4% 3.0% 2.5%
21.3% 4.3% 2.1%
19.4% 2.3% 4.5%
14.2% 2.4% 0.5%
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie
255
Fortsetzung von Tabelle 30 Max. berufl. Tätigkeit der Eltern ausser Haus: < 15 Stunden 15-24 Stunden 25-34 Stunden 35-40 Stunden 41-60 Stunden > 60 Stunden Min. berufl. Tätigkeit der Eltern ausser Haus: < 15 Stunden 15-24 Stunden 25-34 Stunden 35-40 Stunden 41-60 Stunden > 60 Stunden Gesprochene Sprache: Meistens Schweizerdeutsch Schweizerdeutsch und andere Sprache Eine oder mehrere andere Sprachen Nationalität nach Herkunftsgruppen: Schweiz oder DoppelbürgerIn Südeuropa Osteuropa, Südosteuropa/Balkan Türkei Deutschland, Österreich, Liechtenstein West- und Nordeuropa Andere Nationalitäten
2.6% 3.5% 8.4% 9.6% 62.2% 13.6%
1
3
0% 4.3% 8.7% 10.9% 60.9% 15.2%
4.6% 3.7% 10.0% 11.0% 61.6% 9.1%
<. 01++ 3.4% 2.4% 6.3% 6.7% 64.4% 16.8%
1, 2
<. 001++ 30.8% 20.2% 14.9% 3.8% 24.0% 6.3%
2.2% 23.9% 26.1% 15.2% 28.3% 4.3%
24.7% 19.6% 17.8% 7.3% 28.8% 1.8%
1, 2
3
53.8%
42.6%
55.2%
64.8%
34.7%
42.6%
31.8%
29.1%
11.5%
14.9%
13.0%
6.1%
18.8% 21.3% 19.8% 9.0% 27.1% 4.0%
<. 001++
n.s. +++
81.5% 2.6%
85.1% 0%
77.1% 4.9%
82.6% 2.8%
5.9% 0%
4.3% 0%
8.1% 0%
5.2% 0%
4.4% 1.1% 4.5%
6.4% 0% 4.3%
3.1% 1.8% 4.9%
3.8% 1.4% 4.2%
+ einfaktorielle univariate Varianzanalyse; ++ non-parametrischer Test (Kruskal-Wallis); nach Pearson 1 Unterschied (Verteilung) Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (p<.05) 2 Unterschied (Verteilung) Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.05) 3 Unterschied (Verteilung) Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (p<.05)
+++
Chi2-Test
Die familialen Erwerbstätigkeitsmodelle zeigen ein beinahe gleich häufiges Vorkommen des traditionellen bürgerlichen Modells (keine Erwerbstätigkeit der Mutter und Vollzeit erwerbstätig des Vaters; 20.5%), des modernisierten bürgerlichen Modells 1 (Teilzeit unter 49% der Mutter – Vater Vollzeit erwerbstätig; 22.9%) und des modernisierten bürgerlichen Modells 2 (Teilzeit über 50% unter
256
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
89% der Mutter – Vater Vollzeit erwerbstätig; 24.2%). Mit 18.4 Prozent erweist sich auch das egalitär-familienbezogene Modell (beide Teilzeit) als relevant. Vergleicht man diese Verteilung mit den Daten für das Jahr 2007 des Bundesamts für Statistik für Paarhaushalte mit Kindern zwischen 7 und 14 Jahren, so stimmt die Verteilung dieser Stichprobe für die drei relevantesten Modelle sehr gut überein. Das egalitär-familienbezogenen Modell ist hingegen mit 18.4 Prozent gegenüber 3.7 Prozent (BFS 2009c) in der vorliegenden Stichprobe überrepräsentiert. Die Verteilungen der Modelle unterscheiden sich signifikant zwischen den Untersuchungsgruppen, wobei – nicht unerwartet – vor allem signifikante Unterschiede zwischen den Eltern der Tagesschulkindern und der anderen beiden Gruppen festzustellen sind. So leben die Eltern der Tagesschulkinder signifikant weniger häufig als erwartet das traditionell bürgerliche und das modernisierte bürgerliche Modell 1, jedoch häufiger das modernisierte bürgerliche Modell 2 und das egalitär-erwerbsbezogene Modell (vgl. Tab. 30). Bei der beruflichen Abwesenheit der Eltern ausser Haus zeigt sich, dass die grösste Gruppe des Elternteils, der zum grösseren Anteil berufstätig ist, zwischen 41 bis 60 Stunden pro Woche abwesend ist, wohingegen die Anzahl Stunden der Abwesenheit der nur im geringeren Umfang arbeitenden Person mehr variiert. Auch hier sind Unterschiede – jedoch in geringerem Ausmass – zwischen den Untersuchungsgruppen feststellbar (vgl. Tab. 30). In 53.8 Prozent der Familien wird schweizerdeutsch gesprochen und in 34.7 Prozent zusätzlich eine weitere Sprache, wobei sich die Verteilung zwischen den Untersuchungsgruppen signifikant unterscheidet. Weniger häufig wird bei den Familien der Tagesschulkinder nur schweizerdeutsch gesprochen. Bei den Kontrollgruppenkindern indessen wird häufiger eine Fremdsprache gesprochen (vgl. Tab. 30). Rund 82 Prozent der Familien sind Schweizerbürgerinnen und bürger. Die Bevölkerungsgruppen aus Osteuropa, Südosteuropa/Balkan ist am meisten vertreten mit beinahe 6 Prozent. Zwischen den Untersuchungsgruppen offenbaren sich keine Unterschiede (vgl. Tab. 30). Soziale Dimension Was die soziale Dimension der Familie anbelangt, stellt man in Bezug auf die Anzahl Personen im Haushalt sowie auf die Anzahl Geschwister einen signifikanten Unterschied zwischen den Familien der Tagesschulkinder und denjenigen der beiden anderen Untersuchungsgruppen fest. In einem Haushalt mit einem Tagesschulkind leben rund 3.53 Personen gegenüber 4.17 bzw. 4.35 Personen in den beiden anderen Untersuchungsgruppen. Die Tagesschulkinder haben nur 0.6 Geschwister und somit eine deutlich tiefere Anzahl als die Blockzeiten- (M= 1.25) und die Kontrollgruppenkinder (M= 1.37) (vgl. Tab. 31).
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie
257
Rund 83 Prozent der Kinder leben in traditionellen Familien mit Mutter, Vater und allenfalls Geschwister oder weiteren Familienangehörigen. 11.2 Prozent leben mit einem alleinerziehenden Elternteil sowie weitere 6.0 Prozent in einer Patchworkfamilie. Signifikant mehr Tagesschulkinder wachsen in Patchworkfamilien auf als Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder (vgl. Tab. 31). Tab. 31
Strukturmerkmale des familialen Settings: Soziale Dimension (N= 592 bis 625)
Merkmal
Anzahl Personen im Haushalt M SD Geschwister M SD Familienzusammensetzung: Traditionelle Familie Alleinerziehender Elternteil
total
Tagesschulkinder
Blockzeitenkinder
Kontrollgruppenkinder
1, 2
4.01 1.05
3.53 0.82
<. 001+ 4.17 1.14
4.35 0.99
1.25 0.89
1.37 0.93
1, 2
1.06 0.89
0.60 0.64
p
<. 001+ <. 001+++
82.8% 11.2%
87.4% 10.3%
89.2% 8.0%
12.8%
2.2%
2.8%
1
3
0.11 0.75
-0.14 0.78
72.3% 14.9% 1, 2
Patchworkfamilie Bildungsrelevante Ressourcen der Familie (zWert) M SD Erwerbstätigkeitsniveau bzw. sozioökonomischer Status der Familie (nach ISCO 88 COM): M SD 4. höchstes Niveau (Hilfsarbeitskräfte; ISCO 9) 3. höchstes Niveau (Arbeitskräfte mit Berufslehre; ISCO 4-8) 2. höchstes Niveau (Techniker und gleichrangige nichttechnische Berufe; ISCO 3) höchstes Niveau (Führungskräfte, WissenschaftlerInnen; ISCO 1-2) +
6.0%
0.03 0.77
<. 001+
0.12 0.74
1, 2*
<. 001+
3.24 0.90
3.56 0.73
3.06 0.94
3.17 0.92
1.5%
0%
2.8%
1.5%
26.0%
14.0%
33.5%
30.2%
18.0%
16.3%
19.3%
18.3%
54.5%
69.8%
44.5%
50.0%
einfaktorielle univariate Varianzanalyse (Scheffé bzw. *Games-Howell); +++ Chi2-Test nach Pearson 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (p<.05)
258
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Hinsichtlich der so genannten bildungsrelevanten Ressourcen unterscheiden sich die Familien der Untersuchungsgruppen signifikant. Unter bildungsrelevanten Ressourcen oder dem „kulturellen Kapital“ wird nach Bourdieu (1983) verstanden, inwieweit ein Mensch über Kulturgüter (Kunst, Literatur, Musik u.a.) sowie über individuelle Kompetenzen (Wissen, Fähigkeiten und Geschmack) verfügt (Ditton 1992). Die Familien der Tagesschulkinder verfügen über höhere Ressourcen als diejenigen der Blockzeitenkinder. In den Familien der Blockzeitenkinder wiederum sind tiefere Ressourcen vorhanden als bei denjenigen der Kontrollgruppe (vgl. Tab. 31). Das Erwerbstätigkeitsniveau der Familien mit Tagesschulkindern liegt höher als dasjenige der Familien der beiden anderen Untersuchungsgruppen. Insbesondere im höchsten Niveau sind die Familien der Tagesschulkinder am häufigsten – und zudem häufiger als die anderen Familien – vertreten (vgl. Tab. 31). Dieses Merkmal wurde mittels ausgeübtem Beruf bzw. ausgeübter Berufe erfasst und entspricht dem sozio-ökonomischen Status der Familie. Räumlich-materiale Dimension Kommen wir nun zur räumlich-materialen Dimension der familialen Strukturqualität. Die grösste Anzahl an Familien mit rund 34 Prozent lebt auf einer Wohnfläche von mehr als 140 Quadratmetern. Dieses Bild zeigt sich auch in allen drei Untersuchungsgruppen, jedoch unterscheiden sie sich bezüglich der Stärke der Ausprägung signifikant. So ist die Wohnung von 42.1 Prozent der Familien der Kontrollgruppe grösser als 140 Quadratmeter, bei den anderen Familien sind dies jedoch nur 31.9 (Tagesschulkinder) bzw. 29.9 Prozent (Blockzeitenkinder). Die grösste Anzahl Zimmer pro Person im Haushalt haben hingegen die Familien mit einem Tagesschulkind im Vergleich mit den Familien der beiden anderen Untersuchungsgruppen. Kein Unterschied ist bezüglich der Anzahl Kinder vorhanden, die Zuhause ein eigenes Zimmer haben. Rund 75 Prozent der Kinder haben ein eigenes Zimmer (vgl. Tab. 32).
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie Tab. 32
259
Strukturmerkmale des familialen Settings: Räumlich-materiale Dimension (N= 423 bis 435)
Merkmal Wohnfläche in m2 < 40m2 41-60m2 61-80m2 81-100m2 101-120m2 121-140m2 > 140m2 Anzahl Zimmer pro Person im Haushalt M SD Eigenes Zimmer des Kindes ja nein Monatliches Bruttoeinkommen des Haushalts < 5200Fr. 5201-7500Fr 7501-10‘700Fr. > 10‘700Fr.
Total
Tagesschulkinder 2
0.1% 1.2% 13.1% 17.3% 15.7% 18.2% 34.3%
2.1% 14.9% 17.0% 12.8% 21.3% 31.9%
Blockzeitenkinder
Kontrollgruppenkinder
3
0.9% 15.6% 20.1% 17.0% 16.5% 29.9%
<. 001++ 0.5% 0.5% 8.1% 14.4% 17.7% 16.7% 42.1%
1, 2
1.31 0.37
1.44 0.40
p
<. 001+
1.23 0.35
1.26 0.32 n.s. +++
74.9% 25.1%
14.1% 21.0% 32.4% 32.4%
78.7% 21.3%
72.5% 27.5%
1, 2
3
10.6% 12.8% 29.8% 46.8%
19.8% 27.2% 30.0% 23.0%
73.2% 26.8% <. 05++
11.7% 23.3% 38.3% 26.7%
+
einfaktorielle univariate Varianzanalyse (Scheffé bzw. *Games-Howell); ++ non-parametrischer Test +++ (Kruskal-Wallis); Chi2-Test nach Pearson 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (p<.05)
Das monatliche Bruttoeinkommen der Familie beläuft sich für die meisten Familien, für jeweils 32.4 Prozent, zwischen 7501 bis 10‘700 Franken sowie auf mehr als 10‘700 Franken. Die Verteilung des Einkommens insgesamt ist unterschiedlich in den drei Untersuchungsgruppen. Auffällig ist insbesondere die grössere Vertretung der Familien der Tagesschulkinder bei der Gruppe der am besten Verdienenden im Unterschied zu den Familien der anderen beiden Untersuchungsgruppen (vgl. Tab. 32).
260
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
10.2.5 Beschreibung der Kontextmerkmale im familialen Setting Nicht nur den Strukturbedingungen der Kinder und deren Familien wurde in dieser Studie Beachtung geschenkt, sondern auch den Kontextbedingungen des familialen Settings. Dabei geht es um Anregungsbedingungen im unmittelbaren Wohnumfeld. Dazu werden Garten, Hof, Strasse, aber auch Spielplatz, Feld und Wald gezählt (Tietze 1998). Zur sozialen Umgebung gehören die Kinder in der Nachbarschaft. Erfragt wurden bei den Eltern das Vorhandensein – und wenn dies der Fall war – die Nutzung des Spielorts durch das Kind. Rund 93 Prozent der Kinder haben in ihrer Nachbarschaft und somit in ihrer sozialen Umgebung Kinder, mit denen sie spielen können. Dies trifft für alle Kinder gleichermassen zu. Kinder, bei denen kein Haushof, Garten oder eine Terrasse vorhanden sind, bilden eine kleine Minderheit (5.2%). Zwischen 10 und 15 Prozent liegen jeweils die Anteile der Kinder, die in ihrer Umgebung keinen Spiel-, Sportplatz oder eine Spielanlage, keine Felder, Wald, Wiese oder Gewässer oder aber Wege oder Strassen zum Spielen vorfinden. Etwas anders sieht es bezüglich des Vorhandenseins eines öffentlichen Parks oder einer Grünanlage aus. So berichten doch 42.4 Prozent, dass solche Plätze in der unmittelbaren Umgebung nicht existieren. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die erfragten Spielorte sehr verbreitet vorhanden sind: Bei 40.0 Prozent der Kinder gar alle fünf, bei 38.2 Prozent vier und bei 16.6 Prozent drei der erfragten Spielorte. Unterschiede zwischen den Kindern der Untersuchungsgruppen zeigen sich hinsichtlich des Vorhandenseins von Spiel-, Sportplatz oder Spielanlage (Eta2= .02, F (2,237) =3.91 p<.05), öffentlichen Parks oder einer Grünanlage (Eta2= .02, F (2,237) =6.54 p<.01) und eines Wegs oder einer Strasse zum Spielen (Eta2= .03, F (2,237) =8.56 p<.001), wobei die Tagesschulkinder im Vergleich zur Kontrollgruppe eher vom Dasein der ersten beiden Spielorte profitieren können. Das Spiel auf der Strasse ist im Gegensatz dazu bei den Kindern der Kontrollgruppe mehr möglich als bei den Tagesschulkindern (Post-hoc-Test GamesHowell p<.05). Im Weiteren interessiert, wie oft die Kinder in der ersten Klasse mit Nachbarskindern spielen. Rund ein Viertel der Kinder (23.5%) spielt täglich mit den Nachbarskindern. Der grösste Teil der Kinder (39.7%) tut dies immer noch häufiger als einmal pro Woche und ein weiterer Viertel (26.2%) immerhin noch wöchentlich. Die Kinder der Untersuchungsgruppen unterscheiden sich dabei signifikant in diesem Spielverhalten (Eta2= .03, F (2,237) =3.22 p<.05). Tagesschulkinder spielen weniger häufig mit ihren Nachbarskindern als Blockzeitenkinder (Post-hoc-Test Scheffé p<.05). Dies lässt sich wohl mit dem grösseren Zeitumfang erklären, während dem sich die Tagesschulkinder in der Schule aufhalten.
10.2 Pädagogische Qualität in der Familie
261
Über die Hälfte der Kinder spielt täglich im Haushof, Garten oder auf der Terrasse. Rund ein Drittel ist immer noch häufiger als einmal pro Woche dort anzutreffen. Weitere rund 40 Prozent nutzen täglich Wege und Strassen in ihrer Wohnumgebung, 35 Prozent tun dies wöchentlich oder gar häufiger. Am dritthäufigsten werden Spiel-, Sportplatz und Spielanlage genutzt. Der grösste Teil – 31.5 Prozent der Kinder – tut dies wöchentlich, ein Viertel häufiger als einmal pro Woche, ein Fünftel gar täglich. Auch Öffentlicher Park und Grünanlage (33.9%) sowie Felder, Wald, Wiese und Gewässer (41.6%) werden vom grössten Teil der Kinder wöchentlich zum Spielen aufgesucht. Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen stellt man einerseits bei der Nutzung von Haushof, Garten oder Terrasse fest (Eta2= .09, F (2,237) =11.12 p<.001), wobei die Tagesschulkinder diese signifikant weniger häufig nutzen als die Blockzeiten- und auch als die Kontrollgruppenkinder (Post-hoc-Test Games-Howell p<.05). Dies könnte wohl mit dem längeren Aufenthalt der Tagesschulkinder in der Schule zu tun haben. Andererseits unterscheiden sich die Untersuchungsgruppen auch signifikant hinsichtlich der Nutzung eines öffentlichen Parks oder einer Grünanlage (Eta2= .06, F (2,237) =7.73 p<.001). Bei der Kontrollgruppe ist dies weniger häufig der Fall als bei den Tagesschul- bzw. den Blockzeitenkindern (Post-hoc-Test Games-Howell p<.05). Zur Verdichtung dieser Ergebnisse wurde eine Skala der „Nutzung räumlicher und sozialer Ressourcen“ durch die Kinder gebildet, welche die Nutzung von Spielplatz, öffentlichem Park und das gemeinsame Spielen mit den Nachbarskindern umfasst (vgl. Kap. 10.2.2).
Nutzung räumlicher und sozialer Ressourcen
262
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
6
5
1 2 3
4
Tagesschulkinder1 Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
3
2
1 1
2
3
Untersuchungsgruppen
einfaktorielle univariate Varianzanalyse 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Scheffé p < .05)
Abb. 24
Skala Nutzung räumlicher und sozialer Ressourcen47 nach Untersuchungsgruppe (N= 480)
Die Untersuchungsgruppen unterscheiden sich im Hinblick auf die Nutzung räumlicher und sozialer Ressourcen in ihrer Wohnumgebung signifikant (Eta2= .01, F (2,618) =3.69, p<.05). Tagesschulkinder nutzen diese Ressourcen signifikant weniger häufig als die Blockzeitenkinder. Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder tun dies annähernd gleich oft (vgl. Abb. 24). Schaut man sich die Nutzungshäufigkeit der Untersuchungsgruppe im Detail an, so stellt man fest, dass rund die Hälfte der Tagesschulkinder wöchentlich diese Ressourcen nutzt (M= 4.15; SD= 0.98) und die beiden anderen Gruppen dies gar häufiger tun als einmal pro Woche (BZ M= 4.40; SD= 0.96; KG M= 4.37; SD= 1.00).
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) 10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Nachdem in den vorhergehenden Kapiteln, dem Rahmenmodell der Studie folgend, Merkmale der pädagogischen Orientierungen der Hauptbezugspersonen der Kinder sowie Merkmale der familialen Struktur- und Prozessqualität beschrieben sowie bezüglich allfälliger Unterschiede zwischen den Untersuchungs47
Antwortformat: 1 „gar nicht“, 2 „weniger als monatlich“, 3 „monatlich“, 4 wöchentlich“, 5 häufiger als einmal pro Woche“ bis 6 „täglich“
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
263
gruppen analysiert wurden, sollen nun in diesem und im folgenden Kapitel 10.4 wesentliche Merkmale der Struktur- und Prozessqualität des ausserfamilialen Settings, der Schule, beschrieben werden. Oftmals wird den strukturellen Rahmenbedingungen in der Schule als auch in weiteren Institutionen besondere Beachtung geschenkt, weil sie relativ leicht erfassbar sind – wie beispielsweise die Klassengrösse bzw. Grösse der Kindergruppe, Ausbildungshintergrund oder Anzahl Weiterbildungstage der pädagogisch tätigen Personen – im Gegensatz zur Prozess- und Orientierungsqualität. Zudem sind diese Strukturen bzw. Bedingungen, politisch regulierbar. Es sind Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit, die z.B. von Kanton, der Gemeinde oder von weiteren Trägern festgelegt werden (Kuger & Kluczniok 2008; Palacios et al. 1998; Rossbach 2005). Für die obligatorische Volksschule werden diese strukturellen Rahmenbedingungen weitgehend auf kantonaler Ebene in Gesetzen und Verordnungen festgehalten (vgl. Kap. 5.2.1). Für den ausserunterrichtlichen Teil bzw. für Bildungs- und Betreuungsangebote sieht die Lage viel heterogener aus. Meist sind kommunale Träger verantwortlich für die Rahmenbedingungen, z.T. sind es auch die Kantone (vgl. Kap. 5.2.2).
10.3.1 Theoretisierung Unter Strukturmerkmalen werden relativ überdauernde Rahmenbedingungen verstanden, die in der Regel vorgegeben und politisch regulierbar sind und innerhalb derer sich das pädagogische Handeln der pädagogisch tätigen Personen und das Lernen der Kinder im weitesten Sinne abspielt. Strukturmerkmale finden sich sowohl auf der Ebene der Schulklasse bzw. Kindergruppe als auch auf der Ebene der gesamten Schule bzw. Tagesschule wieder. Da in vielen Tagesschulen der Schweiz der unterrichtliche und der ausserunterrichtliche Teil der gesamten Schule mehr oder weniger „strukturell“ getrennt sind und getrennt laufen, wird im Folgenden in einem ersten Schritt auch zwischen den Strukturbedingungen des unterrichtlichen und ausserunterrichtlichen Teils unterschieden. Wie bei der Strukturqualität der Familie werden auch an dieser Stelle die Strukturmerkmale nach Tietze (1998) in die Dimensionen der personalen, sozialen, räumlich-materialen sowie zusätzlich in die Handlungs- bzw. Angebotsdimension unterteilt. Unter Merkmalen der personalen Dimension der Schulklasse werden relativ stabile Merkmale der Lehrperson bzw. der Lehrpersonen wie Alter der Lehrperson, Berufserfahrung, Weiterbildung oder Berufszufriedenheit subsumiert. Soziale Merkmale wiederum sind situationsunabhängig und beziehen sich auf die Schulklasse, die Gruppe der Kinder sowie die Lehrpersonen an dieser Klasse. Beispiele dazu sind die Anzahl Kinder in der
264
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Klasse, die Homogenität bezüglich Alter und Bedürfnisse der Kinder oder die Anzahl Lehrpersonen, welche eine Klasse unterrichten. Die räumlich-materiale Dimension umfasst Merkmale zum Raum bzw. zu den Räumen und deren Ausstattung wie zur Verfügung stehende Materialien oder die Nutzung von Fluren. Unter der Handlungsdimension auf der Ebene der Schulklasse werden schliesslich Merkmale wie Anzahl Lektionen, Anzahl Leistungskontrollen, Anzahl Tage mit Hausaufgaben oder die Zusammenarbeit unter den Lehrpersonen verstanden. Bezüglich der Kindergruppe im ausserunterrichtlichen Teil erweisen sich die Dimensionen sehr ähnlich. So geht es bei den personalen Merkmalen parallel zur Schulklasse und den Merkmalen der Lehrperson um diejenigen der Betreuungspersonen. Bei der sozialen Dimension stehen Merkmale wie Gruppengrösse, Betreuungsschlüssel oder Gruppenzusammensetzung im Mittelpunkt, wobei ein fliessender Übergang zwischen der Kindergruppe und der Gesamtgruppe, die den ausserunterrichtliche Teil besucht, besteht. Eine solche Kindergruppe ist meistens nicht gleich konstant wie dies eine Schulklasse ist. Die räumlich-materiale Dimension und die Handlungsdimension umfassen mit dem unterrichtlichen Teil vergleichbare Merkmale. Zu den Merkmalen der gesamten Schule werden unter der sozialen Dimension Variablen wie Anzahl Klassen oder Anzahl ausländische Kinder im Schulhaus gezählt. Unter der räumlich-materialen Dimension werden Aussenfläche des Schulhauses oder deren Nutzung subsumiert. Die Angebotsdimension einer Schule umfasst schliesslich weitere freiwillige (pädagogische) Angebote wie Hausaufgabenhilfe, Sport- oder Musikangebote oder das Angebot Mittagsverpflegung. Es sind dies insgesamt Elemente, die als erweiterte, fächerübergreifende oder fachbezogene Lernarrangements und bzw. oder Fördermassnahmen bezeichnet werden können. Diese können prinzipiell sowohl an traditionellen Schulen wie an Tagesschulen angeboten werden. Folgenden Fragestellungen soll im Bereich der Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) nachgegangen werden:
Wie gestaltet sich die Strukturqualität im Unterrichtsteil? Wie gestaltet sich die Strukturqualität der gesamten Schule? Gibt es jeweils Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen? Wie gestaltet sich die Strukturqualität im ausserunterrichtlichen Teil?
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
265
10.3.2 Methodisches Vorgehen Zur Erfassung von Merkmalen der Strukturqualität im Schulsetting wurde ein umfangreicher Fragebogen für Lehr- bzw. Betreuungspersonen (jeweils angepasste Versionen) eingesetzt. Dieser Fragebogen ist eine an die Bedingungen des Schweizer Schulsystems adaptierte und um für die Studie spezifische Fragestellungen erweiterte Version der deutschen Form des „Parent and Teacher Questionnaire on Educational Representations for School-Aged Children“ (Palacios et al. 1998) sowie der deutschen Version des „Standardized Interview with Primary School Teachers” (Rossbach & Stendel 1998). Das Instrument wurde bei den Klassenlehrpersonen sowie bei den Hauptbezugspersonen im ausserunterrichtlichen Teil der teilnehmenden Kinder eingesetzt. Dabei wurden Daten zur Strukturqualität der Schulklasse bzw. Kindergruppe im ausserunterrichtlichen Teil wie Alter der Bezugsperson, berufliche Qualifikation, Vorbereitungszeit, Anzahl Lehrpersonen an einer Klasse u.a. erhoben. Erfragt wurden zudem Daten zur gesamten Schule wie Anzahl Klassen im Schulhaus oder Anteil ausländischen Schülerinnen und Schüler. Die Lehr- und Betreuungspersonen wurden aufgefordert, diesbezügliche Informationen bei der Schul- bzw. Tagesschulleitung einzuholen. Nebst den geschlossenen Fragen wurde offen danach gefragt, wie die „Zusammenarbeit unter den Lehrpersonen konkret aussieht“. Sie wurden gebeten, in wenigen Sätzen die Zusammenarbeit in einem typischen Monat zu beschreiben. Diese Daten wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (1997) analysiert, wobei verschiedene Formen, „Gefässe“ der Zusammenarbeit in Anlehnung an Lütje-Klose und Willenbring auf verschiedenen Ebenen (1999) kategorisiert werden konnten. Die im Rahmen des Fragebogens erhobenen Merkmale sind den Dimensionen der personalen, sozialen, räumlich-materialen sowie der Handlungs- bzw. Angebotsdimension zuzurechnen. Zur Messung der Berufszufriedenheit der Lehrpersonen wurde faktorenanalytisch eine einfaktorielle Skala generiert. Die 4-stufige Skala (von 1 „sehr zufrieden“ bis 4 „gar nicht zufrieden“) mit Trennschärfen zwischen .24 und .50 und einer Reliabilität von Cronbach’s Alpha von .62 kann als mässig bezeichnet werden (vgl. Tab. 33).
266
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Tab. 33
Skala familialer Kontext: Nutzung öffentlicher und sozialer Ressourcen
Skala
Berufszufriedenheit der Lehrpersonen (6 Items)
Beispielitem „Zufrieden mit dem pädagogischen und didaktischen Spielraum“ „Zufrieden mit der Arbeit mit den Kindern“ „Zufrieden mit der Besoldung“
M
SD
N
Cronbach’s
1.80
0.37
68
.62
Im Rahmen der Angebotsdimension wurden die an den Schulen realisierten Angebote und die Frequenz folgender Angebote erfragt:
Angebote im Bereich Musik und Kultur Hausaufgabenhilfe Mittagsverpflegung/Mittagstisch Angebote im Bereich Sport und Bewegung Angebote im Bereich Werken und kreatives Gestalten Hausaufgabenbetreuung / Beaufsichtigung der Hausaufgaben Angebote im Bereich Sprache und Fremdsprachen Besondere Begabungsförderung ausserhalb des Unterrichts Beaufsichtigte pädagogische Freizeitgestaltung (freies Spiel) Projektarbeit ausserhalb des Unterrichts Angebote zur Entspannung und Konzentration ausserhalb des Unterrichts Angebote im Bereich Technik, Natur und Umwelt.
Um ein zusammenfassendes Angebotsprofil der einzelnen Schulen darstellen zu können, wurden so genannte Angebotsindizes gebildet, die den Umfang der realisierten Angebote und zugleich die Angebotsbreite in verschiedenen Bereichen abbilden. Nach Holtappels (2007) wurden vier Angebotsindizes realisiert. Die Zuweisung zu den einzelnen Gestaltungsbereichen erfolgte nach theoretischen Gesichtspunkten und orientierte sich nebst an Holtappels auch an Beher et al. (2005), welche drei verschiedene Handlungsfelder im Ganztagsbereich generieren konnten. Im Rahmen der Studie EduCare, in welcher nicht ausschliesslich Tagesschulen und deren Kinder im Fokus stehen, wurden die Gestaltungsbereiche „Hausaufgabenhilfe und -betreuung“ (2 Items), „fachbezogene Angebotsformen“ (3 Items) sowie „Freizeitangebote“ (4 Items) gebildet. Aus diesen drei Angebotsindizes wurde zusätzlich ein Gesamtindex ge-
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
267
bildet. Die Werte, die jeweils zwischen 0 und 1 liegen, bilden quasi die relative Ausprägung an Angeboten innerhalb der Indexzusammenfassung ab. Dieser Angebotsindex bildet den Umfang der realisierten Angebote und der gebildete Gesamtindex die Angebotsbreite ab. Die Skalenwerte der vier Skalen sind bis auf eine, die mit .52 deutlicher unter .60 liegt, mässig bis gut (vgl. Tab. 34). Die Trennschärfen der Indizes liegen zwischen. 31 und .48 (mit einem Ausreisser beim Gesamtindex von .14). Tab. 34
Indizes der Angebote der Schulen im Überblick
Skala Hausaufgabenhilfe und -betreuung (2 Items)
Freizeitangebote (4 Items)
Fachbezogene Angebotsformen (3 Items)
Gesamtindex (9 Items; 3 Subskalen)
Beispielitem „Hausaufgabenhilfe“ „Hausaufgabenbetreuung/Beaufsichtigung“ „Mittagsverpflegung/Mittagstisch“ Beaufsichtigte pädagogische Freizeitgestaltung (freies Spiel) „Angebote im Bereich Sport und Bewegung“ „Angebote im Bereich Werken und kreatives Gestalten“ vgl. oben
M
SD
N
Cronbach’s
0.53
0.40
68
.52
0.24
0.26
68
.65
0.34
0.31
68
.57
0.37
0.24
68
.72
Ergänzend zum genannten Fragebogen wurde in den Tagesschulen ein problemzentriertes Leitfadeninterview mit den Tagesschulleitungspersonen durchgeführt sowie ein ergänzender Fragebogen eingesetzt. Damit wurden Betreuungsschlüssel, Qualifikation des Personals, Zusammenarbeit, Hausaufgabenbetreuung, Angebote und Aktivitäten u.a. detaillierter erfragt. Es hat sich nach den ersten quantitativen Analysen gezeigt, dass in diesem momentan sehr heterogenen Feld in den Schweizer Schulen zusätzlich ein exploratives Vorgehen angezeigt ist. Der vorher eingesetzte Fragebogen – mit weitgehend geschlossenen Fragen – konnte dem Forschungsfeld zu wenig gerecht werden, zumal sich die Schwierigkeit ergab, dass der Stichprobenumfang der Tagesschulen bzw. Tagesschulklassen geringer als ursprünglich erwünscht war. Der Leitfaden und der zusätzliche Fragebogen wurden aufgrund des aktuellen Forschungsstandes und der aktuellen Rahmenbedingungen in den Schweizer Tagesschulen entwickelt. Die Daten wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (1997) aus-
268
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
gewertet. In einem ersten Schritt wurde eine zusammenfassende Inhaltsanalyse durchgeführt, die als erste Basis für ein datengeleitetes Kategoriensystem diente (Gysin & Scherzinger 2009). Nachfolgend wurde eine strukturierende Inhaltsanalyse durchgeführt, die es ermöglichte, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern und „unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen“ (Mayring 2007, p.58). Die Kapitel zum Unterrichtsteil (Kap. 10.3.3) und zur gesamten Schule (Kap. 10.3.4) beziehen sich im Folgenden auf den Fragebogen für die Lehr- und Betreuungspersonen. In diesen Teilen werden jeweils die Merkmale in Bezug auf die Lehrpersonen bzw. Klassen und Schulen sowie als Qualitätsmerkmale in Bezug auf die einzelnen Kinder in den Untersuchungsgruppen beschrieben. Das heisst, jedem Kind wird bei den einzelnen Merkmalen des ausserfamilialen Settings der jeweilige Wert zugewiesen, der seinem erfahrenen schulischen Umfeld entspricht. Dies entspricht bei den Tagesschulkindern dem jeweiligen Wert der Schulklasse bzw. der Lehrperson, der gesamten Schule sowie dem ausserunterrichtlichen Teil bzw. der Betreuungsperson. Bei den Kindern der Versuchsgruppe Blockzeitenkinder und der Kontrollgruppe fällt der ausserunterrichtliche Teil weg. Anders als beim familialen Setting, bei dem jedes Kind in einer Familie aufwächst, erfahren mehrere Kinder dasselbe schulische Umfeld, weshalb die Kinder einer Klasse bzw. einer Tagesschule in den einzelnen Merkmalen die gleiche Qualitätsausprägung haben. Für die Beantwortung der Fragestellungen 1 bis 3 werden im Folgenden deskriptive Analysen bezüglich der Merkmale der ausserfamilialen Qualität durchgeführt. Im Weiteren interessieren die Unterschiede zwischen den einzelnen Merkmalen der Kinder der Untersuchungsgruppen. Bei den Untersuchungsgruppen handelt es sich um Kinder, welche die Schulform Tageschule unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität der Nutzung, die Schule mit Blockzeitenunterricht und die Schule mit traditionellem Unterricht besuchen. Die Unterschiede zwischen den Gruppen werden mittels einfaktorieller univariater Varianzanalysen berechnet. Die Gruppenunterschiede zwischen den drei Untersuchungsgruppen werden bei den Varianzanalysen mit Post-hoc-Tests berechnet. Bei Varianzhomogenität der Daten wird der Scheffé-Test, bei Varianzinhomogenität der Games-Howell-Test eingesetzt. Die jeweils angegebene Stichprobengrösse (N) entspricht dem Umfang nach der Gewichtung der Daten. Deshalb ist dieser teilweise grösser als N= 521 Kinder bzw. Familien. Wird im Folgenden von Unterschieden zwischen den Untersuchungsgruppen gesprochen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um statistisch bedeutsame Unterschiede handelt, wenn nichts anderes vermerkt wird.
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
269
Das letzte Kapitel zum ausserunterrichtlichen Teil (Kap. 10.3.5) wird sich auf die Ergebnisse der problemzentrierten Interviews mit den Leitungspersonen der Tagesschulen stützen und der vierten Frage nachgehen.
10.3.3 Beschreibung der Strukturqualität: Unterrichtsteil Im nachstehenden Teil wird ein Überblick über relevante Strukturmerkmale der personalen Dimension, sozialen Dimension, Handlungsdimension und der räumlich-materialen Dimension des Unterrichts und der unterrichtenden Lehrpersonen gegeben. Personale Dimension Die Ergebnisse zur personalen Dimension zeigen, dass das durchschnittliche Alter aller Klassenlehrpersonen bei rund 43 Jahren liegt. Wird das Alter der Klassenlehrperson bezüglich der Untersuchungsgruppe und auf der Ebene der Kinder analysiert – jedem Kind wird das jeweilige Alter seiner Klassenlehrperson zugewiesen – so stellt man einen signifikanten Unterschied zwischen den Untersuchungsgruppen fest. Die Lehrpersonen der Kontrollgruppenkinder sind älter als diejenigen der Tagesschul- und der Blockzeitenkinder (vgl. Tab. 35). Dieses um rund drei Jahre höhere Alter der Lehrpersonen der Kontrollgruppenkinder manifestiert sich auch in der höheren Berufserfahrung und der bereits höheren Anzahl an eigenen Kindern (vgl. Tab 35). 88.2 Prozent der Klassenlehrpersonen sind Lehrerinnen und 11.8 Prozent (N= 8) Lehrer. Auch diesbezüglich unterscheiden sich die Untersuchungsgruppen (Eta2=.13, F(2,648) =47.12 p<.001). Die Tagesschulkinder erleben im Unterricht häufiger Lehrer als die Kinder der beiden anderen Gruppen (Post-hocTest Games-Howell p<.001). Diese hohe Frauenquote unter den Lehrpersonen wirkt sich vermutlich auch auf das vorliegende tiefe Anstellungsniveau aus. Die Lehrpersonen sind im Mittel zu einem Stellenumfang von 83.6 Prozent angestellt, was 23.68 Lektionen entspricht. Nur gerade 26 der 68 Lehrpersonen arbeiten zu 100 Prozent oder mehr (was 27 oder mehr Lektionen entspricht48). Auch hier unterscheiden sich die Lehrpersonen der Kinder der Untersuchungsgruppen signifikant. Die geringste Anzahl Lektionen haben die Lehrpersonen der Tagesschulkinder, gefolgt von denjenigen der Blockzeiten- und der Kontrollgruppenkinder (vgl. Tab. 35).
48
Dabei muss berücksichtigt werden, dass ein 100-Prozent-Pensum an dieser Stelle nicht in allen Kantonen der Schweiz der gleichen Anzahl Lektionen entspricht.
270 Tab. 35
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting Strukturmerkmale des Unterrichtsteils nach Klasse bzw. Lehrperson und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Personale Dimension
Merkmal
Alter der Lehrperson M SD N Anzahl eigene Kinder der Lehrperson M SD N Anzahl Jahre Berufserfahrung M SD N Anstellung: Anzahl Lektionen pro Woche M SD N Anteil Vorbereitungszeit, gemessen am Arbeitsumfang pro Woche (in %) M SD N Anzahl Weiterbildungstage in den letzten 12 Monaten M SD N Zufriedenheit mit der Arbeit (Skala von 1 „gar nicht zufrieden“ bis „sehr zufrieden“) M SD N +
Klasse/ LP
42.71 12.45 68
2.36 1.15 36
18.31 11.45 67
23.43 5.32 68
Tagesschulkinder
Blockzeitenkinder
Kontrollgruppenkinder
2
3
41.46 9.70 184
41.50 12.76 238
2
3
2.03 0.89 128
2.03 0.89 128
2
3
17.54 7.84 184
16.96 11.15 238
1,2
3
20.44 5.47 184
22.64 5.75 238
<. 001 2.66 1.38 115 <. 001 20.93 11.22 221 <. 001 24.30 4.76 226
15.78 5.93 184
<. 001
26.18 18.59 209
26.52 16.49 191
1,2
7.76 6.14 61
3.20 0.38 68
<. 001
5.38 2.91 128
7.76 5.21 208
1,2
3
3.20 0.38 184
3.11 0.39 238
einfaktorielle univariate Varianzanalysen Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 1
<. 01 44.52 11.23 226
1,2
25.35 19.37 59
p+
6.64 6.48 208 <. 001
3.28 0.29 226
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
271
Wirft man einen Blick auf den Umfang an Vorbereitungszeit, gemessen am Arbeitsumfang pro Woche, fällt der Unterschied zwischen den Lehrpersonen der Tagesschulkinder – die eine deutlich geringere Vorbereitungszeit beanspruchen – im Vergleich mit denjenigen der anderen beiden Gruppen auf (Post-hoc-Test Games-Howell p<.001) (vgl. Tab. 35). Dieser geringere Aufwand lässt sich vermutlich mit dem Einsatz gewisser Tagesschullehrpersonen in der Betreuung erklären, welcher weniger oder gar keine Vorbereitungszeit beansprucht. Darüber hinaus interessiert das Weiterbildungsengagement der Klassenlehrpersonen. Dieses lag in den letzten zwölf Monaten im Mittelwert bei rund 8 Tagen. Dies entspricht in etwa anderthalb Arbeitswochen. Die Weiterbildungstage differieren zwischen den Untersuchungsgruppen, wobei die Lehrpersonen der Tagesschulkinder rund 2.5 Tage weniger als diejenigen der Blockzeitenkinder und immer noch rund 1 Tag weniger als diejenigen der Kontrollgruppe an Weiterbildungstagen genossen haben (vgl. Tab. 35). Es kann vermutet werden, dass die hohe Weiterbildungsfreudigkeit der Blockzeitenlehrpersonen mit dem Unterrichten an einer besonders innovativen Schule im Zusammenhang steht (z.B. wurden Blockzeiten bereits eingeführt). Abschliessend kann festgestellt werden, dass sich die Klassenlehrpersonen mit einem Mittelwert von 3.20 auf einer Skala von 1 „gar nicht zufrieden“ bis 4 „sehr zufrieden“ als insgesamt doch recht zufrieden bezeichnen. Bei den einzuschätzenden Aspekten handelt es sich u.a. um die Zufriedenheit mit dem pädagogischen und didaktischen Spielraum, der Arbeit mit den Kindern und der Zufriedenheit mit ihrer Besoldung. Bei den sich unterscheidenden Untersuchungsgruppen erweisen sich die Lehrpersonen der Kontrollgruppenkinder als die zufriedensten, gefolgt von denjenigen der Tagesschul- und denjenigen der Blockzeitenkinder (vgl. Tab. 35). Soziale Dimension Bei der sozialen Dimension der Strukturmerkmale des Unterrichtsteils zeigt sich, dass die Klassen im Mittelwert von 3.83 Lehrpersonen unterrichtet werden. Nur gerade 3.0 Prozent der Klassen werden von einer Lehrperson unterrichtet. In fast 50 Prozent unterrichten zwei oder drei und in etwas weniger als einem Fünftel gar vier und fünf Lehrpersonen an einer Klasse. Die Klassen umfassen im Mittelwert rund 20 Kinder – was dem gesamtschweizerischen Durchschnitt dieser Schulstufe entspricht (BFS 2009b) –, wobei sich die Klassengrösse zwischen den Untersuchungsgruppen unterscheidet. Die Tagesschulkinder gehen mit durchschnittlich rund zwei Kindern mehr in dieselbe Klasse als die Kinder der anderen beiden Untersuchungsgruppen (vgl. Tab. 36). Der Anteil der Schülerinnen in den Klassen liegt bei rund 50 Prozent, was genau der Hälfte
272
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
entspricht. Auch diesbezüglich unterscheiden sich jedoch die Untersuchungsgruppen signifikant. Den geringsten Anteil an Mädchen findet man in den Kontrollgruppenklassen und den höchsten – mit einem Anteil von 51.28 – in den Klassen der Tagesschulkinder (vgl. Tab. 36). Auch die Altersunterschiede in der Klasse zwischen dem jüngsten und dem ältesten Kind differieren zwischen den Untersuchungsgruppen. Als interessant erweisen sich vor allem die signifikanten Gruppenunterschiede. Die Post-hoc-Tests zeigen, dass diese Altersdifferenz bei den Klassen der Tagesschulkinder mit 1.74 – was einem Jahr und rund acht Monaten entspricht – deutlich grösser ist als bei den anderen beiden Gruppen (Unterschied von rund drei bis vier Monaten). Nachdem die Altersheterogenität in den Klassen beleuchtet wurde, soll nun im Folgenden auch die Heterogenität bezüglich Nationalität bzw. zuhause gesprochener Sprache und bezüglich Schulschwierigkeiten (Kinder mit besonderen Bedürfnissen) analysiert werden. Dabei wird sowohl die Heterogenität bezüglich der Nationalitäten als auch der Sprachen untersucht, weil diese Merkmale oftmals nicht übereinstimmen. Dies erweist sich beispielsweise so bei einer beachtlichen Zahl an deutschen Staatsangehörigen, die in der Schweiz leben, aber deutsch sprechen, wohingegen bei Romands, die in der Deutschschweiz wohnen, gerade der umgekehrte Fall vorliegt. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit ausländischer Nationalität in der vorliegenden Studie liegt bei 29.3, derjenige von Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache bei 33.3 Prozent. Kulturelle und sprachliche Heterogenität auf der Primarschulstufe insgesamt liegen nach Angaben des Bundesamt für Statistik (2009a) im gesamtschweizerischen Durchschnitt gar bei 37.4 Prozent. Beim Anteil an ausländischen Kindern zeigt sich ein Unterschied zwischen den Untersuchungsgruppen. Der Anteil in den Klassen der Tagesschulkinder ist tiefer als in denjenigen der Kontrollgruppenkinder. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich die an der Studie teilnehmenden Kinder in den Untersuchungsgruppen hinsichtlich der Nationalität nicht unterscheiden (vgl. Kap. 10.2.4). Der Anteil an Kindern mit besonderen Bedürfnissen (nach Angabe der Lehrperson) befindet sich bei 1.0 Prozent. Schaut man sich alle drei Merkmale bezüglich der allfälligen Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen an, so manifestieren sich die signifikant höchsten Anteile an Kindern mit einem allfälligen Problempotenzial in den Klassen der Blockzeitenkinder im Vergleich sowohl zu den Klassen der Tagesschul- als auch zu den Kontrollgruppenkindern (vgl. Tab. 36).
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Tab. 36
Strukturmerkmale des Unterrichtsteils nach Klasse/Lehrperson und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Soziale Dimension
Merkmal
Anzahl LP, die eine Klasse unterrichten M SD N Anzahl Kinder insgesamt in der Klasse M SD N Anteil der Schülerinnen in der Klasse (in %) M SD N Altersdifferenz zwischen ältestem und jüngstem Kind in der Klasse M SD N Anteil der Schülerinnen u. Schüler mit ausländischer Nationalität in der Klasse (in %) M SD N Anteil der Schülerinnen u. Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache in der Klasse (in %) M SD N Anteil Kinder mit besonderen Bedürfnissen in der Klasse (in %) M SD N +
Klasse/ LP
Tagesschulkinder
Blockzeitenkinder
Kontrollgruppenkinder
p+
n.s. 3.83 1.57 66
3.84 0.94 180
3.90 1.65 220
3.79 1.26 226
1,2
19.58 3.89 67
49.89 11.56 66
<. 001
21.52 5.20 184
19.69 3.03 232
2
3
51.28 13.09 184
50.98 12.55 226
19.86 3.85 226 <. 01 47.77 7.82 226
1,2
1.48 0.83 60
29.30 23.91 66
33.30 25.46 66
1.00 0.73 66
<. 001
1.74 0.69 180
1.42 0.56 196
1,2
3
15.35 13.70 180
33.52 27.64 220
1
3
23.90 11.43 180
37.43 28.56 220
1
3
0.96 0.45 180
1.12 0.80 220
1.30 0.80 208 <. 001
22.27 16.37 226 <. 001
24.87 18.73 226 <. 001
0.87 0.56 226
einfaktorielle univariate Varianzanalysen Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 1
273
274
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Handlungsdimension Kommen wir zur Handlungsdimension der Strukturmerkmale, welche die Unterrichtsorganisation betreffen. Es werden dabei einige ausgewählte Merkmale dargestellt. Im ersten Schuljahr erhalten die Schülerinnen und Schüler im Mittelwert 23.35 Lektionen. Die Lektionen in den einzelnen Kantonen und Gemeinden variieren zwischen 19 und 29 Lektionen. Die grösste Varianz bezüglich der Lektionenzahl innerhalb eines Kantons verzeichnen die teilnehmenden Gemeinden des Kantons Zürich (zwischen 21 und 29 Lektionen). Die Untersuchungsgruppen unterscheiden sich an dieser Stelle hochsignifikant. Die Tagesschulkinder besuchen signifikant mehr Lektionen (24.70 Lektionen) als die Blockzeiten- (23.98 Lektionen) und die Kontrollgruppenkinder (21.84). Die Blockzeitenkinder besuchen auch signifikant mehr Lektionen als die Kontrollgruppe. Diese Unterschiede lassen sich weitgehend damit erklären, dass mit der Einführung von Blockzeiten die obligatorische Anzahl an Lektionen für die ersten Schuljahre in den meisten Kantonen erhöht wurde. Zudem gelangen in den einzelnen Gemeinden verschiedene Blockzeitenmodelle mit unterschiedlichen Lektionenzahlen zum Einsatz. Das Gleiche gilt wohl auch für die Tagesschulen, die auch von einem Blockzeitenmodell ausgehen und teilweise bestehende „Lücken“ im Schultag mit zusätzlichen Lektionen bzw. Stunden aufgefüllt haben.
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Tab. 37
Strukturmerkmale des Unterrichtsteils nach Klasse bzw. Lehrperson und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Handlungsdimension
Merkmal
Anzahl Lektionen pro Woche (1. Schuljahr) M SD N Anteil des Unterrichts in Deutsch und Mathematik im Plenum (in %) M SD N Anzahl Leistungskontrollen in Deutsch und Mathematik im Durchschnitt pro Woche M SD N Anzahl Tage mit Hausaufgaben pro Woche M SD N Regelmässiger Austausch und Planung mit DoppelstellenpartnerIn49 (0 „nein; 1 „ja“) M SD N Regelmässiger Austausch und Planung mit Förder- bzw. Speziallehrperson50 (0 „nein; 1 „ja“) M SD N Regelmässiger Austausch und Planung mit Fachlehrperson51 (0 „nein; 1 „ja“) M SD N
49 50 51
275
Klasse/ LP
23.35 2.27 66
29.38 10.96 65
Tagesschulkinder
Blockzeitenkinder
1,2
3
24.70 3.32 184
23.98 1.91 226
1
3
26.90 6.26 184
31.05 12.28 228
Kontrollgruppenkinder
<. 001 21.84 1.67 226 <. 001
26.73 7.97 220
1,2
3.37 1.08 66
3.16 0.68 38
0.38 0.49 66
<. 001
4.17 1.02 184
3.25 1.16 232
1,2
3
2.38 1.22 128
3.06 0.62 141
1,2
3
0.72 0.45 184
0.44 0.50 232
3.36 0.78 220 <. 001 3.50 0.50 131 <. 001
0.28 0.45 220
1,2
0.67 0.48 66
0.42 0.50 66
p+
<. 001
0.93 0.25 184
0.70 0.46 232
2
3
0.28 0.45 184
0.38 0.49 232
Lehrperson, die eine Klasse gemeinsam im Job-Sharing unterrichtet z.B. DaZ, schulische Heilpädagogik z.B. Werklehrperson, Instrumentallehrperson
0.62 0.49 219 <. 001
0.52 0.50 219
276
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Fortsetzung von Tabelle 37 Regelmässiger Austausch und Planung mit Parallelklassenlehrperson52 (0 „nein; 1 „ja“) M SD N
3
0.42 0.50 66
0.35 0.48 184
0.43 0.50 232
<. 01 0.29 0.45 219
+
einfaktorielle univariate Varianzanalysen Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 1
Im Hinblick auf die Sozialformen, die im Unterricht und insbesondere in den Hauptfächern Deutsch und Mathematik zum Einsatz gelangen, zeigt sich nach Einschätzung der Klassenlehrpersonen über alle Klassen hinweg, dass sowohl in Deutsch wie in Mathematik der Einzelunterricht mit rund 40 Prozent den grössten Anteil ausmacht. An zweiter Stelle liegt der Unterricht im Plenum mit 30.1 in Deutsch bzw. 28.8 Prozent der Zeit in Mathematik, was insgesamt einem durchschnittlichen Anteil von 29.4 entspricht (vgl. Tab. 37). Partnerarbeit in rund 20 und Gruppenarbeit in rund 10 Prozent der Zeit werden im Unterricht weniger eingesetzt. Die hauptsächlich eingesetzten Sozialformen in den Fächern Deutsch und Mathematik unterscheiden sich bei den drei Untersuchungsgruppen – bis auf die Gruppenarbeit in der Mathematik – signifikant53. Erwähnenswert ist im Besonderen der deutlich geringere Anteil an Unterricht mit der gesamten Klasse und an Einzelarbeit in Deutsch den die Tagesschulkinder im Vergleich zu den Blockzeiten- als auch zu den Kontrollgruppenkindern erfahren. Gerade umgekehrt erweist es sich bei der Gruppen- und bei der Partnerarbeit im Fach Deutsch (alle Post-hoc-Tests Games-Howell p<.001). Bezüglich des Einsatzes von Sozialformen im Mathematikunterricht manifestieren sich durchwegs54 Unterschiede zwischen dem Unterricht, den die Tagesschul- und die Kontrollgruppenkinder sowie die Blockzeiten- und die Kontrollgruppenkinder besuchen. Die Erstgenannten arbeiten im Unterricht mehr in der ganzen Klasse, mehr in 52 53
54
Lehrperson, die eine Klasse der gleicher Klassenstufe unterrichtet Deutsch Plenum (Eta2= .09, F (2,568) =28.77 p< .001) Deutsch Gruppenarbeit (Eta2= .06, F (2,568) =19.20 p< .001) Deutsch Partnerarbeit (Eta2= .11, F (2,568) =34.81 p< .001) Deutsch Einzelarbeit (Eta2= .03, F (2,568) =8.15 p< .001) Mathematik Plenum (Eta2= .12, F (2,568) =38.88 p< .001) Mathematik Partnerarbeit (Eta2= .04, F (2,568) =10.68 p< .001) Mathematik Einzelarbeit (Eta2= .09, F (2,568) =26.75 p< .001) ohne die Gruppenarbeit in der Mathematik
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
277
Partnerarbeit aber weniger in Einzelarbeit (alle Post-hoc-Tests Games-Howell p<.001). Um diese Ergebnisse zusammenfassend darstellen zu können, wurde das Merkmal „Anteil des Unterrichts in der ganzen Klasse (Plenum) in Deutsch und Mathematik“ gebildet – in dem sich die Untersuchungsgruppen signifikant unterscheiden. Diese Variable wird auch Eingang in die weiterführenden Analysen finden. Die Blockzeitenkinder erleben dabei mehr Unterricht im Plenum als die Tagesschul- und als die Kontrollgruppenkinder (vgl. Tab. 37). Leistungskontrollen in den Hauptfächern Deutsch und Mathematik werden in den Untersuchungsgruppen unterschiedlich häufig durchgeführt. So sind die Tagesschulkinder 4.17 Mal pro Woche mit Leistungskontrollen konfrontiert, wohingegen dies die Kinder der Kontrollgruppe nur 3.36 bzw. diejenigen der Blockzeitengruppe nur 3.25 Mal sind (vgl. Tab. 37). Rund dreimal pro Woche bearbeiten die Schülerinnen und Schüler im Mittel Hausaufgaben. Wenig überraschend erweist sich der diesbezügliche Unterschied zwischen Untersuchungsgruppen. Die Tagesschulkinder erhalten deutlich weniger oft Hausaufgaben als die Kontrollgruppenkinder und als die Blockzeitenkinder. Auch der Unterschied zwischen Anzahl Tagen mit Hausaufgaben der Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder ist von statistischer Relevanz (vgl. Tab. 37). Dieser Umstand lässt sich damit erklären, dass der grösste Teil der Kinder in obligatorischen Tagesschulen nur einmal pro Woche Hausaufgaben zu bearbeiten hat. Zusätzliche Übungsphasen – wie sie Hausaufgaben ermöglichen – fallen ansonsten in die Präsenzzeiten an der Tagesschule. Nachfolgend soll nun ein zentraler Aspekt der Handlungsdimension, die Zusammenarbeit unter den Lehrpersonen, fokussiert werden. In einem ersten Schritt wird analysiert, ob überhaupt ein regelmässiger Austausch gepflegt wird (vgl. Tab. 37), bevor im Anschluss auf die unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit eingegangen wird (vgl. Abb. 25). Die Lehrpersonen wurden im Rahmen der Untersuchung befragt, ob sie einen regelmässigen Austausch sowie eine regelmässige Planung mit der Doppelstellenpartnerin bzw. dem -partner, mit den Förder- bzw. Speziallehrpersonen, den Fachlehrpersonen, die an der gleichen Klasse unterrichten, und den Parallelklassenlehrpersonen pflegen. Dies trifft je nach Lehrpersonengruppe auf zwischen 38 und 67 Prozent der Fälle zu (vgl. Tab. 37). In Bezug auf alle Lehrpersonengruppen differieren die Untersuchungsgruppen in ihrem Kooperationsverhalten signifikant. Bei der Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen der Tagesschulkinder wird dabei im Vergleich zu den beiden anderen Untersuchungsgruppen stärker auf den Austausch mit der Doppelstellenpartnerin oder dem Doppelstellenpartner55 (TS von 72%, BZ von 55
ein grosser Teil der Lehrpersonen arbeitet im Job-Sharing
278
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
44%, KG von 28%) und mit den Speziallehrpersonen (TS von 92%, BZ von 70%, KG von 62%), die zudem an der Klasse unterrichten, Wert gelegt (vgl. Tab. 37). Die Kooperation mit den Fachlehrpersonen, die an der Klasse unterrichten, wird hingegen häufiger von den Lehrpersonen der Kontrollgruppenkinder (von 52%) als von den Lehrpersonen der beiden anderen Gruppen (TS von 28%, BZ von 38%) gepflegt. Der Austausch und die Planung mit den Parallelklassenlehrpersonen schliesslich werden häufiger von den Lehrpersonen der Blockzeitenkinder (von 43%) als von denjenigen der Kontrollgruppe (von 29%) betrieben (vgl. Tab. 37). Zusammenfassend kann insbesondere eine verbreitete Kooperation der Tagesschullehrpersonen mit den Doppelstellenpartnerinnen und -partnern sowie mit den Speziallehrpersonen konstatiert werden. Die Lehrpersonen wurden im Weiteren gefragt, wie ihre Zusammenarbeit mit anderen Lehrpersonen konkret aussieht (offene Frage). Dabei wurden sie gebeten in wenigen Sätzen die Zusammenarbeit in einem typischen Monat zu beschreiben. Dabei konnten bei der durchgeführten zusammenfassenden Inhaltsanalyse in Anlehnung an Lütje-Klose und Willenbring (1999) auf drei Ebenen Formen, „Gefässe“ der Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen identifiziert werden, deren Vorkommen anschliessend quantifiziert wurde. Nach Lütje-Klose und Willenbring (1999) existieren unterschiedliche Ebenen kooperativer Beziehungen. So ist die organisatorische Ebene pädagogischer Zusammenarbeit eine von mehreren Strukturebenen, welche zum Gelingen kooperativer Prozesse beiträgt und den Rahmen einer Zusammenarbeit bildet. Unter diese Ebene fallen vor allem Faktoren der administrativen Unterstützung, gemeinsame Planungszeiten, jedoch sind auch räumliche und materielle Bedingungen sowie die Unterstützungssysteme Aus- und Fortbildung, Supervision, Schulentwicklung u.a. zu berücksichtigen (Lütje-Klose & Willenbring 1999). Im Rahmen der Studie EduCare liessen sich auf dieser Ebene vier Formen von Zusammenarbeit finden. Es sind dies Sitzungen bzw. Konferenzen56, Schulentwicklung und (schulische) Weiterbildung57, Super- bzw. -intervision oder Hospitationen sowie klassenübergreifende Projekte bzw. Jahresprojekte58. Mit 25.4 Prozent sind Sitzungen und Konferenzen in den Lehrerkollegien am häufigsten verbreitet59, die anderen Formen sind – alle zwischen 5 und 8 Prozent – bedeutend weniger verbreitet (vgl. Abb. 25). 56 57 58 59
Schulhaussitzung, Stufensitzung u.a. mit allen Lehrpersonen Schulentwicklungsprojekte zu verschiedenen Themen oft verbunden mit (schulinterner) Weiterbildung Arbeiten in verschiedene Steuergruppen an einzelnen Themen oder an verschiedenen Klassenübergreifenden Projekte in kleinen Teams 25.4 Prozent Nennungen durch die Lehrpersonen gegenüber von 74.6 Prozent, welche dieses „Gefäss“ der Zusammenarbeit nicht genannt haben.
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
279
Formen der Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen auf organisatorischer Ebene Sitzungen/Konferenzen
25,4
Schulentwicklung und (schulische) Weiterbildung
5,1
Super-oder Intervision, Hospitation
6,8
Klassenübergreifende Projekte/Jahresprojekte
8,5
Formen der Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen auf formeller Ebene Unterrichtsplanung/Unterrichtsabsprachen, Austausch/Absprachen im Rahmen des Teamteachings
78
Gemeinsames Arbeiten (Unterrichtsvorbereitung, Materialaustausch)
37,3
Gemeinsames Beurteilen von Schülerinnen und Schülern
47,5
Elterngespräche/Eltern(mit)arbeit
10,2
Formen der Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen auf informeller Ebene Erfahrungsaustausch oder Teamaustausch
23,7
Austausch, Treffen in den Pausen/ausserhalb der Schulzeiten
18,6
0
20
40
60
80
100
Zustimmung in %
Abb. 25 Formen der Zusammenarbeit der Lehrpersonen
Pädagogische Zusammenarbeit findet zudem auf einer formellen Ebene statt. Es handelt sich dabei um Zusammenarbeit, die sich auf die fachlichen Kompetenzen und Verantwortungsbereiche der Lehrpersonen richtet. Wie sich bereits gezeigt hat, unterrichten in der Regel mehrere Lehrpersonen gemeinsam an einer Klasse. Dies führt dazu, dass neben einer gemeinsamen Planung und Durchführung des Unterrichts ebenso eine Verteilung von Aufgaben mit unterschiedlichen Verantwortungsbereichen – Aufteilung von Unterrichtsstoff und methodische Umsetzung – notwendig sind (Lütje-Klose & Willenbring 1999). 78.0 Prozent der Lehrpersonen schildern eine gemeinsame Unterrichtsplanung oder berichten von Absprachen im Rahmen des Teamteachings. 47.5 Prozent beurteilen gemeinsam die Leistungen von Schülerinnen und Schülern, dabei geht es um Einstufungen der Schülerinnen und Schüler oder auch um Besprechungen von Problemsituationen. Noch 37.3 Prozent berichten von gemeinsamem Arbeiten in Form von Unterrichtsvorbereitung oder Material- oder Ideenaustausch. Wenige Lehrpersonen planen oder führen zusammen mit der Stellenpartnerin oder der Logopädin u.a. gemeinsame Elterngespräche durch (10.2%) (vgl. Abb. 25).
280
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Kommen wir zur dritten Ebene, auf der Zusammenarbeit stattfinden kann. Die informelle Ebene pädagogischer Zusammenarbeit richtet sich weitgehend auf die bestehenden Beziehungen zwischen Lehrpersonen insbesondere auf die Arbeitsbeziehungen. So haben gerade Lehrpersonen in ihrer kooperativen Arbeit oft den Bedarf, sich über (Miss-)Erfolge oder bestimmte Erfahrungen auszutauschen. Dabei sind Diskussions- und Mitteilungsbereitschaft ebenso erforderlich wie die grundsätzliche Wertschätzung und Akzeptanz anderer Personen. Weiter gehören Solidarität, Vertrauen, Anpassungs- bzw. Veränderungsbereitschaft, ein ausgebildetes Selbstkonzept wie auch ein Bewusstsein für die eigenen Beitragsmöglichkeiten in der Kooperation in den Bereich der Beziehungsebene (Lütje-Klose & Willenbring 1999). Nach Angabe der Lehrpersonen ist jedoch gerade diese Zusammenarbeit auf informeller Ebene vergleichsweise gering ausgeprägt. In 23.7 Prozent der Fälle wird ein Erfahrungsaustausch oder Teamaustausch gepflegt. Darunter fallen beispielsweise spontane, individuelle Besprechungen von Schwierigkeiten, z.B. didaktischer Art, einen Rat oder Anstösse zu einem bestimmten Thema einholen. Im Weiteren liess sich eine weitere informelle Form des Austauschs beim gemeinsamen (Mittag-)Essen oder insgesamt ausserhalb der Schulzeiten ausmachen (18.6%). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Relevanz der einzelnen Formen der Zusammenarbeit – gekennzeichnet durch die Nennung durch die Lehrperson – doch als eher gering bezeichnet werden muss. Die bedeutsamsten Formen der Zusammenarbeit findet man auf der formellen Ebene der pädagogischen Zusammenarbeit insbesondere bei der gemeinsamen Unterrichtsplanung bzw. bei Absprachen im Rahmen des häufig verbreiteten Teamteachings (mehrere Lehrpersonen unterrichten gemeinsam an einer Klasse) (vgl. Abb. 25). Räumlich-materiale Dimension Abschliessend soll auf ausgewählte Merkmale bezüglich der räumlich-materialen Dimension der Strukturqualität des Unterrichtsteils eingegangen werden. Die Lehrpersonen wurden diesbezüglich nach dem Vorhandensein von 26 Materialien sowie sonstigen weiteren Materialen in ihrer Klasse befragt (vgl. Tab. 38). Insgesamt findet man im Mittel in den Klassenzimmern 15.98 der erfragten Materialien wieder, wobei in zwei Dritteln aller Klassen 12 bis 19 Sachen vorhanden sind. Dabei gibt es einen signifikanten Unterschied bezüglich des Bestands zwischen den Untersuchungsgruppen. In den Klassenzimmern der Kontrollgruppenkinder findet man eine grössere Anzahl verschiedener Materialien wieder als in denjenigen der Blockzeiten- sowie der Tagesschulkinder (vgl. Tab. 38).
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Tab. 38
281
Strukturmerkmale des Unterrichtsteils: Vorhandene Materialien in den Klassen
Materialien
Anzahl Klassen
Prozent der Klassen
1.
Lehrbücher im Klassenzimmer
64
97.0
2.
Übungsbücher im Klassenzimmer
60
90.9
3.
Nachschlagewerke / Lexika im Klassenzimmer
53
80.3
4.
Aktuelle Klassenbibliothek
39
59.1
5.
Landkarten
21
31.8
6.
Globus
21
31.8
7.
Computer
55
83.3
8.
Hellraumprojektor
57
86.4
9.
Kassettenrekorder
61
92.4
10. Audiokassetten
44
66.7
11. CD-Player
64
97.0
12. CDs
58
87.9
13. Musikinstrumente
41
62.1
14. Sofa / Kissen / Decken
50
75.8
15. Videorekorder / DVD-Player
5
7.6
16. Videokassetten / DVDs
6
9.1
17. Videokamera
1
1.5
18. Fernseher
6
9.1
19. Flipchart
3
4.5
20. Magnetwand / Pinnwand
50
75.8
21. Scanner / Drucker
31
47.0
22. Lernspiele
59
89.4
23. Lavabo
64
97.0
24. Wandtafel
66
100.0
2
3.0
26. Zeichenmaterial/Bastelmaterial
64
97.0
27. Sonstiges
10
15.2
25. Lebende Tiere
282
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Lehrpersonen, die mit erweiterten Lehr- und Lernformen arbeiten sowie verschiedene Sozialformen einsetzen, benötigen oftmals mehr Räumlichkeiten. In einem solchen Fall werden vielmals auch Flure für den Unterricht pädagogisch genutzt. In der vorliegenden Studie dienen nach Angabe der Klassenlehrpersonen in 77 Prozent der Klassen die Flure zu pädagogischen Zwecken. Auch diesbezüglich unterscheiden sich die drei Untersuchungsgruppen. In den Klassen der Tagesschulkinder werden diese signifikant häufiger genutzt als in denjenigen der Kontrollgruppen- und der Blockzeitenkinder. Eine Nutzung in den Kontrollgruppenklassen ist auch signifikant häufiger der Fall als in den Blockzeitenklassen (vgl. Tab. 39). Tab. 39
Strukturmerkmale des Unterrichtsteils nach Klasse/Lehrperson und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Räumlich-materiale Dimension
Merkmal
Anzahl verschiedener Materialien im Klassenzimmer M SD N Pädagogische Nutzung der Flure des Schulhauses im Rahmen des Unterrichts (0 „nein; 1 „ja“) M SD N
+
Klasse/ LP
15.98 3.12 66
0.77 0.43 65
Tagesschulkinder
Blockzeitenkinder
Kontrollgruppenkinder
2
3
15.80 1.55 184
15.38 3.23 232
1,2
3
1.00 0.00 184
0.61 0.49 232
einfaktorielle univariate Varianzanalysen Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 1
p+
<. 001
16.83 2.82 220 <. 001
0.89 0.31 220
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
283
10.3.4 Beschreibung der Strukturqualität: gesamte Schule Bis anhin wurden Aspekte der Strukturqualität auf der Ebene des Unterrichts und der Lehrperson(en) einer Klasse beschrieben. Diese Aspekte werden jedoch von Merkmalen auf der Ebene der gesamten Schule beeinflusst. Das heisst, Strukturmerkmale finden sich, nebst auf der Ebene der Schulklasse bzw. Kindergruppe, von denen wohl unmittelbarer ein Effekt auf die Entwicklung der Kinder zu erwarten ist, auch auf der Ebene der gesamten Schule bzw. Tagesschule wieder. Im Weiteren sollen nun auf einige zentrale Strukturmerkmale der Schule eingegangen werden, die in der sozialen, der räumlich-materialen Dimension sowie der Angebotsdimension zu situieren sind. Merkmale, die eher auf die Gesamtgruppe des ausserunterrichtlichen Teils bezogen sind, werden in Kapitel 10.3.5 näher beschrieben, da an dieser Stelle ein fliessender Übergang zwischen der Kindergruppe und der Gesamtgruppe besteht. Eine solche Kindergruppe ist meistens nicht gleich konstant wie eine Schulklasse. Soziale und räumlich-materiale Dimensionen der Schule Die an der Untersuchung teilnehmenden Klassen werden in Schulhäusern mit durchschnittlich rund 10 Klassen unterrichtet. Das Spektrum der Grösse des Schulhauses reicht dabei von einer bis zu 22 Klassen. Rund zwei Drittel der Klassen befinden sich jedoch in einem Schulhaus von mittlerer Grösse für Schweizer Verhältnisse zwischen 4.6 und 15.7 Klassen. Die Grösse der Schulhäuser der Untersuchungsgruppenkinder unterscheidet sich signifikant. Die Tagesschulkinder gehen in signifikant kleineren Schulhäusern zur Schule als die Blockzeiten- und die Kontrollgruppenkinder (vgl. Tab. 40). Der Anteil an Schülerinnen und Schüler mit ausländischer Nationalität liegt bei rund einem Drittel, was vergleichbar ist mit dem durchschnittlichen Anteil in den Klassen (M= 29.30). Bei dem sich manifestierenden Unterschied zwischen den drei Untersuchungsgruppen erweist sich auch hier, in Übereinstimmung mit dem Anteil in den Klassen, der Anteil der ausländischen Schülerinnen und Schüler in den Schulhäusern der Blockzeitenkinder jeweils signifikant höher als in denjenigen der Tagesschulkinder und auch der Kontrollgruppenkinder (vgl. Tab. 40).
284 Tab. 40
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting Strukturmerkmale der Schule nach Schulhaus und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Soziale und räumlich-materiale Dimensionen
Merkmal
Anzahl Klassen im Schulhaus M SD N Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler im Schulhaus (in %) M SD N Geschätzte Fläche des Schulhausareals (in m2) M SD N Häufigkeit der Nutzung der Aussenfläche im Unterricht (pro Woche) M SD N
Schule
Tagesschulkinder
Blockzeitenkinder
Kontrollgruppenkinder
1,2
10.16 5.52 58
32.74 21.78 58
<. 001
5.22 4.29 204
10.89 5.22 208
1
3
24.69 24.31 128
34.20 22.25 195
10.63 4.49 176 <. 001
28.53 17.82 201
1,2
5100.08 5983.50 46
3.82 1.53 67
p+
<. 001
3050.00 3799.42 152
5297.57 4802.44 140
1,2
3
2.90 1.89 204
4.11 1.28 232
5517.17 7191.42 159 <. 001
3.53 1.68 220
+
einfaktorielle univariate Varianzanalysen Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 1
Wirft man einen Blick auf die Grösse der Fläche des Schulhausareals und auf deren Nutzung im Unterricht, so ergeben sich wiederum Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen. Das Schulhausareal der Tagesschulkinder ist signifikant kleiner als dasjenige der anderen beiden Gruppen. Auch die Nutzung des Aussengeländes im Rahmen des Unterrichts mit rund 3 Mal pro Woche, im Vergleich zu rund 4 bzw. 3.5 Mal der Blockzeiten- bzw. der Kontrollgruppenkinder, ist bei den Tagesschulkindern signifikant geringer. Dies könnte allenfalls mit einer vermehrten Nutzung im ausserunterrichtlichen Teil des Tages zu tun haben.
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
285
Angebotsdimension der Schule Im Folgenden soll vertiefend auf die Angebotsdimension der Schule eingegangen werden. Diese umfasst weitere (freiwillige) pädagogische Angebote, die sowohl an „traditionellen Schulen“ als auch an Tagesschulen angeboten werden können. Es muss jedoch bei der Betrachtung der nachfolgenden Ergebnisse berücksichtigt werden, dass die Anlage der Untersuchung konzipiert wurde, um verschiedene Schulformen mit ihren entsprechend unterschiedlichen Angebotsprofilen zu vergleichen. Bei einer Betrachtung der Angebotselemente und -profile ist von daher zu berücksichtigen, dass bei der Stichprobenziehung bewusst Schulen mit unterschiedlich stark ausgeprägten Angebotsprofilen in die Untersuchung aufgenommen wurden. Eine Deutung hinsichtlich der Qualität aufgrund des Angebotsprofils (reines Vorkommen von Angeboten) kann daher nicht getroffen werden. Im Rahmen der Untersuchung wurde bei den Lehrpersonen das Vorkommen von über den Unterricht hinausgehenden (fakultativen) pädagogischen Angeboten an der Schule erfragt. Dabei wurde sowohl das Vorhandensein als auch die Häufigkeit des Angebots (pro Woche, pro Monat, Anzahl Blockkurse pro Jahr) erhoben. Diese Angebote werden nachfolgend selbst dann als „Angebot“ bezeichnet, wenn diese für die Schülerschaft oder aber für eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern an einer Schule obligatorisch sind (z.B. der Mittagstisch in der obligatorischen Tagesschule als ein klar definiertes verbindliches Element für alle Kinder).
286
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Angebote im Bereich Musik und Kultur
19,2
Hausaufgabenhilfe
3,8
73
35,8
Mittagsverpflegung/Mittagstisch
26,4
43,4
Angebote im Bereich Sport und Bewegung
1,9
5,7
28,3 17
50
Angebote im Bereich Werken und kreatives Gestalten
58,8
Hausaufgabenbetreuung / Beaufsichtigung der Hausaufgaben
58,5
Angebote im Bereich Sprache und Fremdsprachen
64,2
Besondere Begabungsförderung ausserhalb des Unterrichts
64,7
Beaufsichtigte pädagogische Freizeitgestaltung (freies Spiel)
9,4 34
26,9 3,9
13,4 1,9 31,3
15
5,9
13,2
13,2
35,8 5,9 83
29,4 1.9 15,1
Projektarbeit ausserhalb des Unterrichts
88,9
Angebote zur Entspannung und Konzentration ausserhalb des Unterrichts
90,6
1,9 3,8
Angebote im Bereich Technik, Natur und Umwelt
92,6
3,7
Sonstiges
96,2
100%
kein Angebot 3-4 Mal pro Woche
7,4 3,7
80%
60%
seltener als wöchentlich täglich
1,9
40%
20%
0%
1-2 Mal pro Woche
Abb. 26 Angebote der Schulen nach Umfang (N= 56 Schulen)
Wie der Abbildung 26 zu entnehmen ist, finden Angebote im Bereich Musik und Kultur an mehr als drei Viertel aller Schulen – meist ein bis zweimal (73%) – statt. Ebenfalls in nahezu zwei Dritteln der Schulen wird eine Hausaufgabenhilfe angeboten. Rund 10 Prozent der Schulen hält dieses Angebot täglich, ein Viertel an drei bis vier Tagen und ein weiterer Viertel an ein bis zwei Tagen aufrecht. Auch der Mittagstisch findet sich – nebst in den Tagesschulen – über alle Schulformen hinweg relativ häufig. In rund einem Drittel der Schulen wird ein solcher täglich, in knapp einem Fünftel der Schulen drei bis viermal pro Woche angeboten. Gar an allen Schulen finden sich Angebote im Bereich Sport und Bewegung wieder, wobei der grösste Anteil der Kurse seltener als wöchentlich (50.0%) oder ein bis zweimal in der Woche (26.9%) stattfindet. Für weitere
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
287
Angebote in den Bereichen Werken und kreatives Gestalten, Hausaufgabenbetreuung, Sprache und Fremdsprache sowie Begabungsförderung ausserhalb des Unterrichts eröffnen rund zwei Drittel der Schulen den Kindern Möglichkeiten zur Teilnahme. Bis auf die Hausaufgabenbetreuung, die etwa gleich häufig täglich, ein bis zweimal bzw. drei bis viermal pro Woche angeboten wird (jeweils rund 15%), finden die genannten Angebote hauptsächlich (rund 30%) ein bis zweimal wöchentlich statt (vgl. Abb. 26). Deutlich weniger verbreitet sind die beaufsichtigte pädagogische Freizeitgestaltung (freies Spiel), Projektarbeit ausserhalb des Unterrichts, Angebote zur Entspannung und Konzentration sowie Angebote im Bereich Technik, Natur und Umwelt. Nur zwischen 17 und 4 Prozent der Schulen bieten überhaupt solche Angebote an. Abschliessend kann festgehalten werden, dass offensichtlich zahlreiche Angebote wie beispielsweise der Mittagstisch regelmässig auch an Schulen stattfinden, die nicht zu den Tagesschulen der Untersuchung gehören (vgl. Abb. 26). Weiterhin soll auf die Angebotsstruktur und Angebotsbreite des ausserunterrichtlichen Bildungsangebotes der Schulen eingegangen werden. Angebotsstruktur und -breite bilden nach Holtappels (2007) Indikatoren für das in den Schulen anzutreffende Verständnis und deren entwickelte pädagogische Konzeption. Zugleich wird auch die Bandbreite der ermöglichten Lerngelegenheiten skizziert. Dazu wurden in Anlehnung an Holtappels (2007) so genannte Angebotsindizes gebildet. Diese umfassen die Gestaltungsbereiche „Hausaufgabenhilfe und -betreuung“, „fachbezogene Angebotsformen“ sowie „Freizeitangebote“ (vgl. Kap. 10.3.2). Aus diesen drei Angebotsindizes wurde zusätzlich ein Gesamtindex gebildet. Die Werte, die jeweils zwischen 0 und 1 liegen, machen die relative Ausprägung an Angeboten innerhalb der Indexzusammenfassung aus. Dieser Angebotsindex bildet insgesamt den Umfang der realisierten Angebote und der Gesamtindex die Angebotsbreite ab. Die Angebotsindizes liegen beim Subbereich fachbezogene Angebotsformen bei .44 (SD= 0.25) und bei der Hausaufgabenhilfe und -betreuung bei .54 (SD= 0.41) jeweils bei einem mittleren Wert und besagt das Vorhandensein von rund der Hälfte der Angebote in diesem Gestaltungsbereich. Bedeutend tiefer – was somit auf einen geringeren Angebotsumfang in diesem Bereich schliessen lässt – liegt der Index bei den Freizeitangeboten mit .24 (SD= 0.27). Der Gesamtindex, der eine Aussage zur Angebotsbreite über alle Bereiche hinweg zulässt, befindet sich bei .40 (SD= 0.22). Somit sind über alle Schulen hinweg insgesamt 40 Prozent der Angebote ausgebaut. Bei allen Indizes ergeben sich signifikante Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen. Die Tagesschulkinder können dabei in allen drei Gestaltungsbereichen von einem signifikant grösseren Angebotsumfang Gebrauch machen als die Blockzeiten- und die Kontrollgruppenkinder. Dies trifft infolge-
288
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
dessen auch für die Angebotsbreite über alle Gestaltungsbereiche hinweg zu. Besonders ausgeprägt ist der positive Angebotsumfang der für die Tagesschulkinder zur Auswahl steht beim Freizeitindex. Bis auf das Hausaufgabenbetreuungsangebot können aber auch die Blockzeitenkinder von einem signifikant umfangreicheren und breiteren Angebot als die Kontrollgruppenkinder profitieren (vgl. Abb. 27). Es überrascht letztlich wenig, dass die Tagesschulen über das vergleichsweise am besten ausgebaute Angebot verfügen. Beachtenswert sind umso mehr die Werte, insbesondere der Schulen der Blockzeitenkinder – die bis auf den Gestaltungsbereich der Hausaufgaben über ein umfangreicheres Angebot als die Kontrollgruppe verfügen –, die sich nicht als Tagesschulen bzw. Schulen mit Tagesstrukturen bezeichnen.
Tagesschulkinder Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
0
0.20
keine Angebote
0.40
0.60
0.80
1.00 umfangreiche Angebote
*** p < .001 einfaktorielle univariate Varianzanalysen 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p < .05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p < .05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p < .05)
Abb. 27
Index zu Angebotsumfang der Gestaltungsbereiche und Angebotsbreite nach Holtappels (2007) nach den Kindern der Untersuchungsgruppen
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
289
10.3.5 Beschreibung der Strukturqualität: ausserunterrichtlicher Teil Nachfolgend wird ein Überblick über einige ausgewählte Strukturmerkmale des ausserunterrichtlichen Teils der Tagesschulen gegeben. Dabei wird auf eine Unterteilung hinsichtlich einzelner Kindergruppen und des gesamten ausserunterrichtlichen Teils verzichtet, da anders als im Unterricht, meist keine festen Kindergruppen vorhanden sind. Es wird somit der ausserunterrichtliche Teil als Ganzes beschrieben. Die Ergebnisse beziehen sich auf die schriftliche und mündliche Befragung der Tagesschulleitungspersonen am Ende des zweiten Schuljahres60. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 7 Tagesschulen an der Studie beteiligt. Dabei handelt es sich nach eigenen Angaben um 3 obligatorische und 4 freiwillige Tagesschulen. Die Tagesschulen wurden zwischen 1990 und 2005 gegründet, im Mittel sind sie 12 Jahre alt. Das heisst, alle Tagesschulen können als relativ „junge Schulen“ bezeichnet werden, was der aktuellen Situation bezüglich Tagesschulen in der Schweiz insgesamt entspricht. Personale und soziale Dimensionen Das durchschnittliche Alter der Tagesschulleitungspersonen liegt bei 48.4 Jahren und somit verglichen mit den Lehrpersonen um rund 6 Jahre höher. 5 der 7 Leitungspersonen sind Frauen, womit der Frauenanteil ähnlich hoch ist wie bei den Lehrpersonen. Der Stellenumfang für die Leitungstätigkeit an der Tagesschule variiert zwischen 10.0 (Min.) und 26.9 Prozent (Max.) und liegt bei einem Mittelwert von 19.2 Prozent. Alle Leitungspersonen haben jedoch zusätzlich noch ein Pensum an der Schule als Lehr- oder Betreuungsperson. Ihre Berufserfahrung liegt im Mittel bei 6.6 Jahren und variiert zwischen 3 (Min.) und 16 Jahren (Max.). Als interessant erweist sich der unterschiedliche Ausbildungshintergrund der Tagesschulleitungspersonen. 5 Personen haben ein Lehrdiplom61, 1 Person ist Sozialpädagogin und 1 weitere Person ist Familienmediatorin. Eine Lehrperson hat zusätzlich eine Schulleitungsausbildung durchlaufen.
60
61
Diese Daten wurden im Rahmen der Lizentiatsarbeit von Gysin und Scherzinger (2009) erhoben wie auch die Ergebnisse zur Handlungsdimension und teilweise zur sozialen Dimension ausgewertet. 3 Leitungspersonen haben ein Lehrdiplom für die Primarstufe, 1 für Primarstufe und Sekundarstufe I und 1 Leitungsperson war ursprünglich Hauswirtschaftslehrerin.
TS 6 TS 5 TS 4 TS 7 TS 3 TS 2 TS 1
290
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
freiwillige TS
4
freiwillige TS
3,1
freiwillige TS
2
freiwillige TS
0,7
obligatorische TS
0,9
70 80
obligatorische TS
1
72 72
obligatorische TS
1 0
348
88 220
70 190
95 28 40
24 25 50
100
150
200
250
300
350
Anzahl angemeldete Kinder Schuljahr 2007/08 Anzahl Tagesschulplätze Anzahl Kinder pro Platz Abb. 28
Anzahl Tagesschulplätze, angemeldete Kinder im Schuljahr 2007/08 und Anzahl Kinder pro Platz
Die 7 Tagesschulen sind unterschiedlich gross. Die Kleinste hat ein Angebot von 25 Plätzen, die Grösste eines von 95 Plätzen. Der Median liegt bei 72.0 Plätzen. Bei den obligatorischen Tagesschulen entspricht die Anzahl Plätze in etwa den für das Schuljahr 07/08 angemeldeten Kindern. Bei den freiwilligen Tagesschulen, bei denen die einzelnen angebotenen Module über die Woche von den Eltern bzw. den Kindern meistens für ein Semester gewählt werden können, ist die Anzahl der angemeldeten und auch die Tagesschule nutzenden Kinder um einiges höher als die zur Verfügung stehenden Plätze. So kommen bei den freiwilligen Tagesschulen auf einen Tagesschulplatz zwischen 0.7 (Min.) und 4.0 Kinder (Max.), wobei der Mittelwert bei 2.5 Kindern liegt (vgl. Abb. 28). Im Zusammenhang mit der Grösse der Tagesschule steht die Anzahl an pädagogisch tätigen Personen. Diese liegt bei den 7 Tagesschulen zwischen 4 (Min.) und 35 pädagogisch tätigen Personen (Max.). Da das Pensum dieser Personen in der Betreuung sehr stark variiert, wird darauf verzichtet, einen Betreuungsschlüssel zu berechnen. Eine solche Berechnung wäre nicht aussage-
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
291
kräftig für die effektive Situation vor Ort. Fragt man in den einzelnen Tagesschulen nach, ob ein vorgeschriebener Betreuungsschlüssel besteht, so stellt man fest, dass die obligatorischen Tagesschulen mehrheitlich über keinen Betreuungsschlüssel verfügen. Die Tagesschulleitung hat meist die Möglichkeit, eine bestimmte Anzahl Stellenprozente flexibel und nach Bedarf auf die Woche verteilen zu können, so dass eine lückenlose Betreuung der Kinder garantiert ist (Gysin & Scherzinger 2009). Bei den freiwilligen Tagesschulen richtet sich eine Mehrheit nach einem von der Stadt vorgegebenen Betreuungsschlüssel. Das diesbezügliche Spektrum der freiwilligen Tagesschulen liegt dabei zwischen zehn und zwölf Kindern, für die eine erwachsene Person eingesetzt werden kann. Die konkrete Umsetzung ist jedoch von der Anzahl der zu betreuenden Kinder und der Betreuungszeit abhängig. Insbesondere während der Mittagszeit besteht ein grosser Bedarf an pädagogisch tätigem Personal, da in den Tagesschulen meistens das Mittagsmodul sehr stark frequentiert ist. Auch in der freiwilligen Tagesschule liegt es schliesslich in der Verantwortung der Tagesschulleitung, das verfügbare Betreuungskontingent der jeweiligen Kindergruppe anzupassen und sinnvoll auf die Woche zu verteilen (ebd.). Der grösste Teil dieser im ausserunterrichtlichen Teil tätigen Personen bringt ein Lehrdiplom für Schule oder Kindergarten mit. Weitere pädagogische Abschlüsse der Mitarbeitenden sind das Diplom zur Kleinkindererzieherin, Fachmann bzw. Fachfrau Betreuung, Spielgruppenleiterin oder das Diplom zur Sozialpädagogin und zum Sozialpädagogen. Einige Personen bringen keine pädagogische Ausbildung mit. Diese unterschiedlichen Ausbildungsabschlüsse sowohl der Tagesschulleitungspersonen als auch der Mitarbeitenden verdeutlichen, die momentan heterogene Situation, in der teilweise gar keine kantonalen Vorgaben bezüglich des erforderlichen Bildungsabschlusses vorhanden sind. Handlungsdimension Wirft man einen Blick darauf, wie das pädagogisch tätige Personal mit unterschiedlichem Ausbildungshintergrund eingesetzt wird in den Tagesschulen, so stellt man fest, dass in zwei der drei untersuchten obligatorischen Tagesschulen nur Lehrpersonen beziehungsweise in der dritten Tagesschule Lehrpersonen sowie Betreuungspersonen mit einer pädagogischen Ausbildung arbeiten. An freiwilligen Tagesschulen hingegen sind neben Lehrpersonen, die zudem unterrichten, ebenso weitere pädagogisch tätige Personen für die Betreuung der Kinder im ausserunterrichtlichen Teil zuständig. Einige pädagogisch tätige Personen ohne Lehrauftrag an der Schule bilden das Kernteam des ausserunterrichtlichen Teils der Tagesschule. In den freiwilligen Tagesschulen besteht ein Tag aus drei Betreuungseinheiten (Mittag, Nachmittag 1 und Nachmittag 2),
292
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
wobei in den jeweiligen Einheiten an einem Wochentag immer die gleichen Teams arbeiten. Bei den obligatorischen Tagesschulen findet man eine weitere Form der Teamzusammensetzung vor. Oft wird jeder Schulklasse eine Erzieherin zugeteilt, die mit der jeweiligen Klassenlehrperson zusammenarbeitet. Daneben übernehmen auch die Lehrkräfte ein kleines Betreuungspensum neben dem Unterricht. Zusammenfassend lässt sich bezüglich des Verhältnisses zwischen Lehrund Betreuungspersonen festhalten, dass in freiwilligen Tagesschulen ungefähr zwei Drittel Lehrpersonen sowie ein Drittel weiteres pädagogisch tätiges Personal mit beziehungsweise ohne pädagogische Ausbildung arbeiten. Aufgrund der Daten lassen sich keine Aussagen zu den jeweiligen Anstellungsprozenten der einzelnen Personen machen (Gysin & Scherzinger 2009). Erste Ergebnisse aus der Ganztagsschulforschung legen nahe, dass insbesondere Formen und Intensität der Kooperation des Personals in einer Tagesschule wichtige Qualitätsmerkmale guter Tagesschulen sind. Die Analyse der zum Einsatz gelangenden Zusammenarbeitsformen in den untersuchten Tagesschulen zeigt auf, dass die Zusammenarbeit in erster Linie in Form von Sitzungen erfolgt. Dies sind einerseits „grosse Sitzungen“ zu Schuljahresbeginn, in welchen mit dem gesamten Tagesschulteam das neue Schuljahr geplant und die Arbeitspensen aufgeteilt werden. Andererseits finden regelmässige Sitzungen statt, in denen sich das Tagesschulteam trifft und sich über administrative und pädagogische Fragen austauscht. In obligatorischen Tagesschulen, in denen die Lehrpersonen zusätzlich im ausserunterrichtlichen Teil tätig sind, handelt es sich um wöchentliche Sitzungen, in denen Fragen zum Unterricht und zur Betreuung der Kinder besprochen werden. In den freiwilligen Tagesschulen ist entweder eine monatliche Sitzung oder jeweils eine Sitzung pro Quartal für das ganze Team des ausserunterrichtlichen Teils geplant. Absprachen zwischen der Tagesschulleitung und dem Kernteam – Personen, die im ausserunterrichtlichen Teil tätig sind – finden regelmässig statt (Gysin & Scherzinger 2009). Es kann weiterhin festgehalten werden, dass die Zusammenarbeit in den untersuchten Tagesschulen von einem regen mündlichen Austausch zwischen den einzelnen Personen, die in der Tagesschule arbeiten, geprägt ist. Dies manifestiert sich z.B. in Absprachen des pädagogisch tätigen Personals der Tagesschule mit der jeweiligen Klassenlehrperson hinsichtlich Schwierigkeiten mit einzelnen Kindern, so zum Beispiel bei auftretenden Problemen bei den Hausaufgaben. Die Beteiligten, Eltern sowie Lehr- und Betreuungspersonen, halten einander in zwei Schulen mit einem Team- beziehungsweise Kontaktheft, in das beispielsweise Auffälligkeiten, Besonderheiten oder Vorfälle eingetragen werden, auf dem Laufenden. In den freiwilligen Tagesschulen findet man einen Austausch zwischen Tagesschulleitung und Schulleitung vor, der sich jedoch
10.3 Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
293
mehrheitlich auf eine administrative Ebene beschränkt. Weiter besteht eine Zusammenarbeit zwischen der Tagesschule und weiteren Institutionen und Partnern wie beispielsweise die Schulsozialarbeit. Bei schwerwiegenden Fällen kommt es zu einer Zusammenarbeit zwischen der Tagesschulleitung, der Klassenlehrperson wie auch der Schulsozialarbeit (Gysin & Scherzinger 2009). Neben dem herkömmlichen Unterricht kann in den so genannten Auffangzeiten der obligatorischen Tagesschule und im Rahmen der freiwilligen Bildungs- und Betreuungsmodulen in den freiwilligen Tagesschulen ein vielseitiges Angebot stattfinden. In den in der vorliegenden Studie untersuchten Tagesschulen hat das freie Spiel, welches meist nach dem Mittagessen wie auch am Nachmittag nach dem Unterricht stattfindet, in allen Tagesschulen einen grossen Stellenwert. In dieser Form des freien Spiels können die Kinder die ihnen zur Verfügung stehende Zeit frei nutzen und selbst entscheiden, was und wo sie spielen möchten. Nebst dem freien Spiel gibt es in den Tagesschulen auch geführte Angebote und Aktivitäten wie zum Beispiel Basteln, Kochen und Backen, Ausflüge in die nahe gelegenen Wälder, Museums- oder Kinobesuche, Spiel und Sport in der Turnhalle oder aber der Besuch von Eisbahn, Hallenbad und Freibad. Diese Angebote und Aktivitäten richten sich nach Jahreszeit, Wetter, Bedürfnissen und Wünschen der Kinder wie auch nach den Fähigkeiten des pädagogisch tätigen Personals. In allen Tagesschulen wird darauf Wert gelegt, dass sich die Kinder viel bewegen und im Freien aufhalten. In obligatorischen Tagesschulen werden im ausserunterrichtlichen Teil teilweise Themen des Unterrichts in Angeboten und Aktivitäten wieder aufgegriffen. In den Schulferien sind alle Tagesschulen geschlossen. Grösstenteils stellen Gemeinden, in einem Fall der Kanton, ein Ferienbetreuungsangebot zur Verfügung (Gysin & Scherzinger 2009). Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Kontext den Hausaufgaben zu. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen auch in diesem Bereich Unterschiede zwischen obligatorischen und freiwilligen Tagesschulen. So führen die Kinder in obligatorischen Tagesschulen die zu verrichtenden Aufgaben überwiegend im Unterricht aus. In einer Tagesschule werden darüberhinaus gar keine Hausaufgaben erteilt, in den anderen beiden obligatorischen Tagesschulen werden die Aufgaben in einer fest definierten Hausaufgabenstunde am Nachmittag verrichtet. In einer Tagesschule ist diese Hausaufgabenstunde wöchentlich. Zusätzlich wird in dieser Tagesschule eine Wochenhausaufgabe erteilt, welche die Kinder innerhalb einer Woche zuhause oder in der Tagesschule zu lösen haben. In der anderen Tagesschule ist die Hausaufgabenstunde in den täglichen Ablauf integriert und wird jeweils von 15.30 bis 16.00 Uhr durchgeführt. Wer den ausserunterrichtlichen Teil einer freiwilligen Tagesschule besucht, kommt in den Genuss einer geregelten Hausaufgabenstunde nach dem Unterricht
294
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
am Nachmittag. Wer am Nachmittag keinen Unterricht hat, macht dabei seine Hausaufgaben bereits nach der Mittagseinheit. Hausaufgaben werden mehrheitlich in den Räumen durchgeführt, in denen vorher das Essen eingenommen wurde, teilweise auch in Schulzimmern oder der Bibliothek. Dabei handelt es sich um ein Hausaufgabenbetreuungsangebot und nicht um eine individuelle Hausaufgabenhilfe. Betreut werden die Hausaufgaben zum grössten Teil durch pädagogisch tätige Personen der entsprechenden Betreuungseinheit (Gysin & Scherzinger 2009). Ein weiteres Element des Tagesablaufs einer Tagesschule ist das Mittagessen. Die meisten Tagesschulen können eine Küche beanspruchen und kochen selber. Lediglich zwei Tagesschulen machen am Mittag von einem „Catering Service“ Gebrauch. In allen Tagesschulen ist Küchenpersonal engagiert, das entweder für die Zubereitung oder Bereitstellung der Mahlzeiten zuständig ist. In den meisten Fällen nehmen Lehr- und Betreuungspersonen gemeinsam mit den Kindern das Mittagessen ein. Nach dem Essen erledigen die Kinder verschiedene Ämtli (Geschirr abräumen, abtrocknen, Tische sauber machen etc.), worin sie vom Küchen- und Betreuungspersonal unterstützt werden. Die Aufgaben und Funktionen des pädagogisch tätigen Personals sind dabei klar geregelt. In jeder Tagesschule erhalten die Kinder am Nachmittag ein Zvieri, in obligatorischen Tagesschulen teilweise sogar ein Znüni am Morgen (Gysin & Scherzinger 2009). Nicht zuletzt wird im Zusammenhang mit Schulentwicklung die Relevanz der Entwicklung des Vorhandenseins eines Schulleitbildes betont. In den untersuchten Tagesschulen verfügen alle Tagesschulen über ein Leitbild bzw. pädagogisches Konzept. Dies liegt jedoch nur teilweise in schriftlichter Form vor. Darin wird bezüglich der kindlichen Entwicklung ein Schwerpunkt auf die Sozialkompetenzen, die Integration der Kinder sowie deren Erwerb von Alltagsfertigkeiten gelegt. Die freiwilligen Tagesschulen verfügen teilweise über ein Leitbild über den Unterrichtsteil und den ausserunterrichtlichen Teil hinweg (ebd.).
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) 10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Abschliessend soll nun in diesem Kapitel auf den letzten Qualitätsbereich im ausserfamilialen Setting, die pädagogische Prozessqualität in der Schule, eingegangen werden. Hält man sich das Rahmenmodell der Studie vor Augen, so stellt man fest, dass sich die Prozessqualität je nach Schulform, also je nach Untersuchungsgruppe, in dieser Studie konzeptionell aus Unterricht – Untersuchungsgruppen Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder – sowie Unterricht und ausserunterrichtlichem Teil – in der Untersuchungsgruppe Tagesschulkinder
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
295
– zusammensetzt. Aufgrund dessen wird nach der Theoretisierung (Kap. 10.4.1) und dem methodischen Vorgehen (Kap. 10.4.2) zuerst ausführlich die Prozessqualität des Unterrichts (Kap. 10.4.3) und des ausserunterrichtlichen Teils (Kap. 10.4.4) beschrieben, bevor die Prozessqualität der drei Schulformen und somit der Untersuchungsgruppen miteinander verglichen wird (Kap. 10.4.5).
10.4.1 Theoretisierung Die Prozessqualität wird oft als zentrale Dimension der pädagogischen Qualität betrachtet. Die Prozessqualität bezieht sich auf die Gesamtheit der Interaktion und Erfahrungen, die das Kind in der Schule in seiner sozialen und räumlichmaterialen Umwelt sammeln kann (Tietze 1998). Bezüglich des Unterrichts in der Schule werden die in der Klasse stattfindenden pädagogischen Prozesse verstanden, die Unterrichtsqualität im engeren Sinne (Helmke 2004; Rossbach 2002). Gewisse Kernbereiche eines „guten Unterrichts“ wie klare Strukturierung, vielfältige Motivierung und Aktivierung oder angemessene Variation von Methoden und Sozialformen u.a. sind aus der Unterrichtsforschung bekannt (vgl. Kap. 7.2.1). Bezüglich des ausserunterrichtlichen Bereichs handelt es sich um die „Dynamik des pädagogischen Geschehens und den entwicklungsangemessenen und auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmten Umgang mit dem Kind“ (Kuger & Kluczniok 2008, p. 161). Insbesondere aus dem Frühbereich weiss man hier, dass entwicklungsangemessene Aktivitäten, positive Interaktionen mit Betreuungspersonen, mit Kindern und der räumlich-materialen Umwelt und die Strukturierung u.a. gute pädagogische Prozessqualität ausmachen (vgl. Kap. 7.1.1). Studien, welche empirisch Elemente pädagogischer Qualität von Tagesschulen bzw. des ausserunterrichtlichen Teils nachweisen können, liegen nur marginal vor (vgl. z.B. Radisch et al. 2008b; Stecher et al. 2009)62. In zahlreichen Studien zu frühpädagogischen Einrichtungen wird implizit oder explizit die Annahme zu Grunde gelegt, dass insbesondere die Prozessmerkmale einen direkten Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben und Struktur- und Orientierungsqualitätsmerkmale hauptsächlich indirekt über die Prozessqualität wirken. Dies konnte jedoch bis jetzt nur in einer Studie nachgewiesen werden (NICHD 2002, zit. n. Kuger & Kluczniok 2008). In diesem Sinne ist die Prozessqualität ein Transmissionsriemen, über den alle anderen Qualitätsmerkmale im Sinne von Entwicklungsanregungen an die Kinder weitergeleitet werden. Es wird somit davon ausgegangen, dass die pädagogische Prozessqualität die unmittelbare Auseinandersetzung der Schülerinnen und 62
Dies bezieht sich auf den deutschsprachigen Raum mit vergleichbaren Schulsystemen und aktuellen Entwicklungen.
296
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Schüler mit den jeweiligen Lernaufgaben am unmittelbarsten beeinflusst (Rossbach 2002) unter Berücksichtigung der Mediationsprozesse, die auf Seite des Kindes Ablaufen (Helmke 2004) (vgl. Rahmenmodell der Studie Kap. 9.2). Die vorliegende Studie bezieht sich im Folgenden im Bereich der pädagogischen Prozessqualität im Setting Tagesschule auf Traditionen in unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen Fachbereichen und Forschungsfeldern. So wird der (gute) Unterricht in der schulpädagogischen Qualitäts- und Wirksamkeitsforschung untersucht, wohingegen Studien über ausserunterrichtliche bzw. ausserschulische Angebote in der Sozialpädagogik anzusiedeln sind. Das Unterrichten an Tagesschulen stand bis vor Kurzem nicht in der „bildungswissenschaftlich-empirischen Aufmerksamkeit“ (Keuffer & Trautmann 2008, p. 557) genauso wie die ausserunterrichtlichen Angebote an Tagesschulen (Radisch et al. 2008b). Die konzeptionelle Verzahnung der beiden Bereiche wiederum stellt ein neues Feld dar (vgl. Kap. 7). Im Rahmen der Studie EduCare wird davon ausgegangen, dass sich guter Unterricht in allen drei Schulformen der Untersuchungsgruppen gleich manifestiert. Dabei werden Klassifikationen und Modelle – basierend auf dem aktuellen Forschungsstand zur Unterrichtsqualität – zugrunde gelegt. In den Tagesschulen wird zusätzlich die pädagogische Qualität des ausserunterrichtlichen Teils analysiert. Als Kriterium wird festgelegt, dass dann von guter pädagogischer Qualität von Bildung und Betreuung gesprochen wird, wenn diese die Kinder im intellektuellen, emotionalen und sozialen Bereich fördert (ECCEStudy Team 1997) (vgl. Kap. 10). Unter pädagogischer Prozessqualität wird all das verstanden, „was den konkreten Bildungs- und Erfahrungsraum des Kindes in […] einem Ganztagsangebot unmittelbar gestaltet und beeinflusst“ (Tietze et al. 2005b, p. 7). Folgenden Fragestellungen soll im Bereich der Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) nachgegangen werden:
Wie gestaltet sich die Prozessqualität des Unterrichts? Gibt es diesbezügliche Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen? Wie gestaltet sich die Prozessqualität des ausserunterrichtlichen Teils? Wie gestaltet sich die Prozessqualität in den drei Schulformen der Untersuchungsgruppen? Gibt es diesbezügliche Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen?
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
297
10.4.2 Methodisches Vorgehen Die Prozessqualität in der Schule wurde mit zwei verschiedenen Beobachtungsinstrumenten erhoben: Mit dem einen Instrument wurden die pädagogischen Prozesse im Unterricht erhoben, mit dem anderen Instrument die Prozesse im ausserunterrichtlichen Teil an den Tagesschulen. Im Unterricht der teilnehmenden Kinder wurden standardisierte Beobachtungen mit Hilfe eines adaptierten Instruments durchgeführt. Dieses niedriginferente „Beobachtungsinstrument zur Erfassung von Unterricht“ (BUQ) (Schüpbach et al. 2008a) wurde in Anlehnung an den Bogen zur Unterrichtsbeobachtung „Einblick in die Lehr-Lern-Situation“ von Helmke (2007) entwickelt. Das Instrument BUQ umfasst die Dimensionen „Klassenführung“, „lernförderliches Klima“, „Motivierung“, „Klarheit“, „Variabilität“, „Aktivierung“ sowie „Raumgestaltung und Klima“. Da in den ersten Schuljahren in der Schweiz meistens eine, allenfalls zwei Klassenlehrpersonen, den relevantesten Teil des Unterrichts einer Klasse durchführen – der nach Möglichkeit teilweise fächerübergreifend angelegt ist –, wird von einem bereichsübergreifenden Verständnis von Unterrichtsqualität ausgegangen. Die vorliegenden Merkmale des Helmke-Beobachtungsbogens wurden ergänzt (um die Dimension Raumgestaltung/Klima) und in den meisten Fällen durch mehrere Beobachtungsaspekte operationalisiert. Das heisst, jedes Qualitätsmerkmal wird durch eine je unterschiedliche Anzahl an Aspekten beschrieben, die von einer externen beobachtenden Person (Raterin bzw. Rater) zweistufig beurteilt werden. Die Summe der Aspekte ergibt für das Merkmal eine vierstufige Einschätzung63. Die Beobachtung erfolgt über drei bis vier Unterrichtslektionen am Vormittag (mit Beginn bei der ersten Lektion), wobei vorrangig die Kernfächer Deutsch und Mathematik sowie ein weiteres Fach für die Einschätzung herangezogen werden. Ergänzend können der Lehrperson Fragen gestellt werden, ein explizites Interview ist jedoch nicht vorgesehen. Das eingesetzte Instrument BUQ beinhaltet 29 Merkmale mit insgesamt 93 einzuschätzenden einzelnen Aspekten. Für die Raterinnen und Rater wurde vorgängig ein dreieinhalbtägiges Training durchgeführt, das eine reliable Einschätzung der Merkmale ermöglichte. Zur Bestimmung der Objektivität im Sinne der Beobachterübereinstimmung wurden die Raterinnen und Rater in 11 Beobachtungspaare eingeteilt, welche die 29 Merkmale des Beobachtungsinstrumentes zum gleichen Zeitpunkt unabhängig voneinander einschätzten. Für jedes Beobachtungspaar wurde die prozentuale Übereinstimmung über die 29 Merkmale berechnet. Die Beob63
Das beobachtbare Auftreten einzelner Aspekte wird mit „ja“ bzw. „nein“ eingeschätzt. Die Aspekte eines Kriteriums (Merkmals) werden anschliessend zusammenfassend auf einer 4erSkala 1 „trifft nicht zu“, 2 „trifft eher nicht zu“, 3 „trifft eher zu“ und 4 „trifft zu“ geratet.
298
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
achterübereinstimmungen reichen von 62 Prozent (d.h. in 18 von 29 Merkmalen stimmen die beiden Beobachter exakt überein) bis 90 Prozent (26 von 29 Merkmalen). Betrachtet man eine Abweichung von einem Skalenpunkt noch als Übereinstimmung, so reichen die Beobachterübereinstimmungen von 90 Prozent bis 100 Prozent. Der Median der Beobachterübereinstimmungen der 11 Paare liegt bei 72 Prozent (exakte Übereinstimmung) bzw. 96 Prozent (maximal ein Punkt Differenz). Insgesamt kann somit von einer guten Beobachterobjektivität des BUQ ausgegangen werden. Mittels Faktorenanalyse über alle erhobenen Merkmale hinweg ergab sich keine zufriedenstellenden interpretierbaren Dimensionen. So wurde eine theoretische Skalenbildung in Anlehnung an das Originalinstrument von Helmke (2007) und weiterer Klassifikationen von Merkmalen guten Unterrichts wie beispielsweise Meyer (2004), Helmke et al. (2006) oder Klieme et al. (2006, zit. n. Stecher et al. 2009) vorgenommen. Es wurden die folgenden vier Subskalen und Dimensionen des Unterrichts gebildet, die insgesamt 21 Qualitätsmerkmale umfassen: Klassenführung und Klarheit: Eine hohe Qualität bedeutet eine effiziente Nutzung der Unterrichtszeit mit einem kohärenten Unterrichtsverlauf. Der Unterricht ist dabei annähernd störungsfrei. Es werden im Unterricht Rituale gepflegt, und die Lehrperson hat den Überblick über die Schüleraktivitäten. Lernförderliches Klima und Variabilität: Eine hohe Qualität bedeutet ein für die meisten Kinder angemessenes Unterrichtstempo, das Pflegen eines wertschätzenden und respektvollen Umgangstons zwischen der Lehrperson und den Kindern sowie ein konstruktiver Umgang mit Fehlern und unpassenden Beiträgen der Schülerinnen und Schüler. Bezüglich der Variabilität erfordert ein guter Unterricht eine an die unterschiedlichen (Lern-)Voraussetzungen der Kinder angepasste Unterrichtsgestaltung sowie adäquate Lernangebote, die nach unten und nach oben differenzieren. Es findet eine Binnendifferenzierung statt. Motivierung und Aktivierung: Eine hohe Qualität bedeutet, dass der Unterricht abwechslungsreich ist und die Lehrperson differenzierte Rückmeldungen gibt. Es sollen Angebote für selbstreguliertes Lernen sowie Spielräume für die Kinder eröffnet werden, welche diesen auch erlaubt, den Unterricht aktiv mitzugestalten. Sprachlicher Input wird nicht-sprachlich angereichert. Raumgestaltung und Klima: Eine hohe Qualität bedeutet, dass der Raum ausreichend beleuchtet und belüftet und die Raumgestaltung altersgerecht und abwechslungsreich ist. Das Mobiliar soll nicht nur rein funktional sein. Nebst den Stühlen und Tischen sollen weitere Möbel vorhanden sein. Zudem wurde mit diesen 21 Merkmalen ein BUQ-Gesamtwert gebildet, der die Unterrichtsqualität als Ganzes erfasst (vgl. Anhang Tab. 7). Die internen Konsistenzen (Cronbach’s Alpha) wurden für den Gesamtwert sowie für die
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
299
Subskalen des Instrumentes ermittelt. Für den Gesamtwert ergibt sich eine Reliabilität von .84. Für die Subskalen liegen die Cronbach’s Alpha zwischen .69 und .73. Alle diese Werte liegen im für sozialwissenschaftliche Instrumente zufriedenstellenden bis guten Bereich (vgl. Tab. 41). Tab. 41
Skalen der Unterrichtsqualität bzw. Prozessqualität
Skala
M
SD
N
Cronbach’s
Klassenführung und Klarheit (5 Items)
3.39
0.48
70
.69
Lernförderliches Klima und Variabilität (6 Items)
2.85
0.47
70
.73
Motivierung und Aktivierung (7 Items)
3.01
0.47
70
.70
Raumgestaltung und Klima (3 Items)
3.53
0.52
70
.69
Gesamtwert (21 Items)
3.12
0.40
70
.84
Die Prozesse des ausserunterrichtlichen Teils von Tagesschulen wurden mittels Beobachtungsinstrument „Hort- und Ganztagsangebote-Skala“ (HUGS) von Tietze et al. (2005b) erhoben. Dieses ist die deutsche Fassung der „School-Age Care Environment Rating Scale“ von Harms et al. (1996) und geht davon aus, dass sich die pädagogische Qualität aus den drei zentralen Bereichen der Prozess-, Orientierungs- und Strukturqualität zusammensetzt. Im Zentrum steht die Gruppe der Kinder und nicht die Einrichtung insgesamt. Pädagogische Qualität wird in einem breiten Sinne verstanden. Sie umfasst Voraussetzungen pädagogischer Prozesse wie konzeptionelle Aspekte oder Aspekte der räumlichmateriellen Ausgestaltung und deren Nutzung. Zudem werden Aspekte der „bildungs- und entwicklungsfördernden Interaktionen“ zwischen den pädagogisch tätigen Personen und den Kindern, den Kindern untereinander sowie zwischen den erwachsenen Personen fokussiert (Tietze et al. 2005b, p. 7). Die Hort- und Ganztagsangebote-Skala umfasst somit Merkmale, die bestimmte pädagogische Prozesse ermöglichen wie auch solche Prozesse an und für sich. Das Instrument ist nicht auf ein bestimmtes pädagogisches Konzept bezogen. Die Einschätzung als gute oder auch unzureichende Qualität basiert auf empirischen Studien über ausserunterrichtliche bzw. ausserschulische Angebote für Kinder im Schulalter und „reflektiert die Qualitätsstandards, die Experten, Forscher und Berufsorganisationen weltweit – über kulturspezifische und konzeptbezogene Kriterien hinaus – in einem weitgehenden Konsens als bedeutsam erachten“ (Tietze et al. 2005b, p. 7).
300
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Folgende grundlegende pädagogische Orientierungen liegen den ausgewählten Merkmalen der Skala zugrunde: 1. 2.
3.
4.
5.
Kinder sind aktiv Lernende; sie lernen durch ihre Aktivitäten, durch das, was sie tun, hören, erfahren und sehen. Kinder lernen durch die Interaktionen mit ihren Pädagogen und anderen Erwachsenen wie auch durch die Interaktionen mit anderen Kindern. Sprachliche und nicht-sprachliche Interaktionen mit Erwachsenen sind wichtig zur Anregung kindlicher Bildungsprozesse. Eine räumlich-materiale Umwelt, die so organisiert ist, dass Kinder maximal unabhängig und erfolgreich sein können, gibt den Kindern mehr Gelegenheit für produktive Interaktionen, Diskussionen und Freude. Kinder benötigen emotionale Geborgenheit und Wärme und räumliche Möglichkeiten, die diesen Bedürfnissen entgegenkommen, sowie vorhersagbare Routinen, um sich sicher und geschützt zu fühlen. Eine gute Umwelt für Kinder sollte auch den Bedürfnissen der Erwachsenen, die in ihr arbeiten, gerecht werden. (Tietze et al. 2005b, p. 7)
Insgesamt besteht die HUGS aus 50 Qualitätsmerkmalen, die in die sieben Qualitätsbereiche „Platz und Ausstattung“, „Gesundheit und Sicherheit“, „Aktivitäten“, „Interaktionen“, „Strukturierung der pädagogischen Arbeit“, „berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal“ sowie „ergänzende Merkmale für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf“ zusammengefasst sind (vgl. Tab. 42). Die Qualitätsmerkmale werden jeweils in Form einer 7-stufigen Skala von 1 „unzureichend“ bis 7 „ausgezeichnet“ geratet. Dabei werden auf jeder Stufe Aspekte eingeschätzt, ob deren Beschreibung zutrifft oder nicht. Im Rahmen der Standards der Hort- und Ganztagsangeboteskala (Tietze et al. 2005b) bedeuten Werte von 5 und darüber „gute Qualität“, Werte zwischen 3 und 5 „mittlere Qualität“ und Werte unter 3 „unzureichende Qualität“. In der Studie EduCare nahmen Kinder aus 10 verschiedenen Klassen, aus 8 verschiedenen Tagesschulen an der Untersuchung teil. Insgesamt fanden sieben Beobachtungen in ausserunterrichtlichen Tagesschulsettings statt, da zwei Schulhäuser ein gemeinsames ausserunterrichtliches Angebot führen. Die Anwendung des Instrumentes erfolgte durch eine geschulte Erheberin in den einzelnen Settings, in der Regel zwischen 11.30 und 18.00 Uhr, an einem Tagesschulnachmittag. Die Beobachtung erstreckte sich jeweils über mehrere Stunden. Ausserdem wurde ein ergänzendes Interview mit der hauptsächlich zuständigen Tagesschulbetreuungsperson durchgeführt. Dieser Ablauf entspricht der formalisierten Erhebungsprozedere.
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Tab. 42
301
Skalen der pädagogische Prozessqualität im ausserunterrichtlichen Teil (HUGS)
Skala Platz und Ausstattung (12 Items) Gesundheit und Sicherheit (7 Items) Aktivitäten (8 Items)
Interaktionen (9 Items) Strukturierung der pädagogischen Arbeit (5 Items) Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal (3 Items) HUGS-Gesamtwert (50 Items)
Beispielitem „Innenraum“ „Bereiche/Räume zur Erledigung der Hausaufgaben“ „Anwesenheiten“ „Nachhausegehen“ „Musik und Bewegung“ „Sprach/Leseaktivitäten“ „Begrüssung und Verabschiedung“ „Erzieher-KindInteraktion“ „Tagesablauf“ „Freispiel“ „Fortbildungsmöglichkeiten“ „Dienstbesprechungen“ vgl. oben
M
SD
N
4.45
0.47
7
4.67
0.82
7
3.14
0.24
7
5.76
0.56
7
3.90
0.43
7
4.52
1.33
7
4.46
0.31
7
Zone mittlerer Qualität Zone ausgezeichneter Qualität
Die Mittelwerte der ausserunterrichtlichen Angebote an den Tagesschulen liegen in den einzelnen Bereichen der HUGS in der Zone der mittleren pädagogischen Qualität, mit Ausnahme des Bereichs der Interaktionen zwischen den Personen, der gar in der Zone der ausgezeichneten Qualität liegt. Für die Beantwortung der Fragestellungen werden im Folgenden deskriptive Analysen bezüglich der Bereiche der ausserfamilialen Prozessqualität durchgeführt. Im Weiteren interessieren die Unterschiede zwischen den einzelnen Prozessqualitätsbereichen der Kinder der Untersuchungsgruppen. Bei den Untersuchungsgruppen handelt es sich um Kinder, welche die Schulform Tageschule unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität der Nutzung, die Schule mit Blockzeitenunterricht und die Schule mit traditionellem Unterricht besuchen. Die Unterschiede zwischen den Gruppen werden mittels einfaktorieller univariater
302
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Varianzanalysen berechnet. Die Gruppenunterschiede zwischen den drei Untersuchungsgruppen werden bei den Varianzanalysen mit Post-hoc-Tests berechnet. Bei Varianzhomogenität der Daten wird der Scheffé-Test, bei Varianzinhomogenität der Games-Howell-Test eingesetzt. Die jeweils angegebene Stichprobengrösse (N) entspricht dem Umfang nach der Gewichtung der Daten. Deshalb ist dieser teilweise grösser als N= 521 Kinder bzw. Familien. Wird im Folgenden von Unterschieden zwischen den Untersuchungsgruppen gesprochen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um statistisch bedeutsame Unterschiede handelt, wenn nichts anderes vermerkt wird.
10.4.3 Beschreibung der Prozessqualität: Unterrichtsteil Die Unterrichtsqualität wurde bezüglich vier Subbereichen und dem Gesamtwert untersucht. Die eingesetzten Merkmale und die Skalen sind dabei nicht normiert oder standardisiert, so dass es möglich sein würde, eine Aussage einer bestimmten Ausprägung hinsichtlich unzureichender, mittelmässiger oder guter Qualität zu machen wie dies z.B. bei der HUGS der Fall ist. Deshalb sollen die Ausprägungen in den einzelnen Bereichen sehr vorsichtig interpretiert werden. Aussagen zu besserer und weniger guter Qualität können im Vergleich der verschiedenen Gestaltungsdimensionen von Unterricht sowie zwischen den Ausprägungen der Untersuchungsgruppen gemacht werden. Die Mittelwerte der 70 Schulklassen in den einzelnen Skalen liegen alle zwischen 2.85 und 3.53.64 und somit alle über dem theoretischen Mittelwert von 2.50 (vgl. Abb. 29. Die Standardabweichung liegt bei allen Skalen um 0.50. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Ausprägungen der Merkmale65 sehr wohl differenzieren, dies jedoch nach unten weniger tun. Das heisst, die Merkmale des Unterrichts wurden insgesamt alle eher positiv oder positiv eingeschätzt, was sich auch bei den Skalen zeigt. Schaut man sich die einzelnen Gestaltungsbereiche von Unterricht an, so zeigt sich in den Klassen ein mit 2.85 – mit den anderen Bereichen – vergleichsweise tiefer Mittelwert bezüglich des lernförderlichen Klimas und der Variabilität im Unterricht. Dabei geht es um die erforderliche Anpassung des Lerntempos an die Bedürfnisse der Kinder und die Binnendifferenzierung im Unterricht. Nur wenig höher liegt der Mittelwert im Bereich Motivierung und Aktivierung (M=3.01). Kindern soll selbstreguliertes Lernen oder das Gestalten von abwechslungsreichen Aufgaben ermöglicht werden oder aber Spielräume geöffnet 64 65
4-stufige Skala von 1 „trifft nicht zu“, 2 „trifft eher nicht zu“, 3 „trifft eher zu“ und 4 „trifft zu“ ob das positive Merkmal des Unterrichts 1 „trifft nicht zu“, 2 „trifft eher nicht zu“, 3 „trifft eher zu“ und 4 „trifft zu“
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
303
werden. Die Klassenführung und Klarheit wird in den Klassen am zweitbesten eingeschätzt (M=3.39). Den Lehrpersonen gelingt es, die Unterrichtszeit effizient zu nutzen, den Überblick zu behalten und den Unterricht (weitgehend) störungsfrei zu gestalten. Am positivsten wurden die Raumgestaltung und das Klima im Klassenzimmer eingeschätzt (M= 3.53). Dabei geht es um das Vorhandensein von nicht nur rein funktionalem Mobiliar sowie um eine altersgerechte und abwechslungsreiche Raumgestaltung im Klassenzimmer. Der Gesamtwert über alle 21 Items hinweg liegt bei 3.12 und somit über dem obersten theoretischen Drittel (vgl. Abb. 29). Der Unterricht findet insgesamt auf hohem Niveau statt. 1,00
Klassenf ührung und Klarheit
Lernf örderliches Klima und Variabilität
Motivierung und Aktivierung
Raumgestaltung und Klima
Gesamtwert
1,50
2,00
2,50
3,00
3,50
4,00
M=3.39 SD=0.48
M=2.85 SD=0.47 M=3.01 SD=0.47
M=3.53 SD=0.52
M=3.12 SD=0.40
Guter Unterricht
Abb. 29 Die Dimensionen der Unterrichtsgestaltung im Überblick (N= 70)
Vergleicht man den Unterricht in den einzelnen Gestaltungsbereichen und insgesamt bezüglich der Untersuchungsgruppen, so stellt man – bis auf die Klassenführung und Klarheit, die bei allen Untersuchungsgruppen als sehr gut ein-
304
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
geschätzt wird – in allen Bereichen hochsignifikante Unterschiede fest (vgl. Abb. 30). Sowohl bezüglich des lernförderlichen Klimas und der Variabilität, der Motivierung und Aktivierung, der Raumgestaltung und des Klimas als auch bezüglich des Gesamtwerts der Unterrichtsqualität „erleben“ die Tagesschulkinder einen signifikant besseren Unterricht als die Blockzeitenkinder einerseits und die Kontrollgruppenkinder andererseits. Einen signifikanten Unterschied zwischen dem Unterricht, den die Blockzeitenkinder besuchen und demjenigen der Kontrollgruppe findet man einzig bei der Dimension lernförderliches Klima und der Variabilität des Unterrichts, welche in den Klassen der Blockzeitenkinder höher eingeschätzt wurde. Ansonsten gibt es somit keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Blockzeiten- und dem traditionellen Unterricht (vgl. Abb. 30).
Tagesschulkinder Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
1.00 1.50 2.00 2.50 3.00 3.50 4.00 1 tiefe Prozessqualität
4 hohe Prozessqualität
*** p < .001 einfaktorielle univariate Varianzanalysen 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p<.05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p<.05)
Abb. 30
Die Dimensionen der Unterrichtsgestaltung nach Untersuchungsgruppen (N=674)
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
305
Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, in welchen Merkmalen der einzelnen Gestaltungsbereiche sich besonders ausgeprägte Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulformen zeigen. Hinsichtlich des lernförderlichen Klimas und der Variabilität des Unterrichts kann festgestellt werden, dass vor allem die Kinder in den Tagesschulen von einem konstruktiveren Umgang mit ihren gemachten Fehlern im Unterricht (Eta2=.12, (2,618) =42.35 p<.001), aber auch von einer grösseren Binnendifferenzierung im Unterricht unter Berücksichtigung der Lernvoraussetzungen leistungsstärkerer (Eta2=.09, (2,618) =28.69 p<.001) und leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler (Eta2=.23, (2,618) =90.59 p<.001) im Vergleich zu den beiden anderen Untersuchungsgruppen profitieren können. Signifikant positiver gestaltet sich der Unterricht bezüglich Binnendifferenzierung auch für die Blockzeitenkinder, verglichen mit demjenigen für die Kontrollgruppenkinder (Post-hoc-Test Games-Howell p<.05). Im Gestaltungsbereich der Motivierung und Aktivierung im Unterricht erhalten die Tagesschulkinder insbesondere mehr Angebote für selbstreguliertes Lernen (Eta2=.13, (2,618) =46.86 p<.001), differenziertere Rückmeldungen (Eta2=.14, (2,618) =50.72 p<.001) und profitieren von mehr Spielräumen im Unterricht (Eta2=.05, (2,618) =15.83 p<.001) als die Kinder in den anderen beiden Settings. Den Blockzeitenkindern werden im Unterschied zu den Kontrollgruppenkindern insbesondere signifikant öfter Möglichkeiten zum selbstregulierten Lernen geboten (Post-hoc-Test Games-Howell p<.05). Bei der Dimension der Raumgestaltung darf bei der Untersuchungsgruppe der Tagesschulkinder die altersgerechte und abwechslungsreiche Raumgestaltung, im Vergleich zu den anderen Gruppen, hervorgehoben werden (Eta2=.06, (2,618) =20.37 p<.001). Nimmt man schliesslich die Klassenführung und die Klarheit in den Fokus – für die gesamte Dimension liegen hier keine Unterschiede vor – stellt man insbesondere fest, dass die Tagesschulkinder, verglichen mit den Blockzeiten und den Kontrollgruppenkindern, von einer effizienteren Nutzung der Unterrichtszeit profitieren können (Eta2=.09; (2,618) 28.84 p<.001). Interessant ist im Weiteren, dass im Unterricht der Blockzeitenkinder vermehrt Rituale gepflegt werden (Eta2=.03; (2,618) 9.45 p<.001). Zusammenfassend kann man die Aussage machen, dass die Tagesschulkinder im Vergleich zu den anderen Kindern in allen Gestaltungsbereichen vom vergleichsweise „besten Unterricht“ profitieren können, wobei im wichtigen Bereich der Klassenführung und der Klarheit in allen Klassen qualitativ (gleich) guter Unterricht durchgeführt wird (vgl. Abb. 30).
306
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
10.4.4 Beschreibung der Prozessqualität: ausserunterrichtlicher Teil Im Folgenden werden die Merkmale der pädagogischen Prozessqualität der ausserunterrichtlichen Angebote deskriptiv dargestellt. Aufgrund des geringen Umfangs der Stichprobe werden die Ausprägungen der einzelnen ausserunterrichtlichen Angebote sowie insgesamt über die Tagesschulen hinweg aufgezeigt. Anders als bei den zuvor beschriebenen Gestaltungsbereichen bzw. Dimensionen des Unterrichts handelt es sich bei der „Hort- und Ganztagsangeboteskala“ (HUGS) (Tietze et al. 2005b) um ein standardisiertes Instrument mit entsprechenden Skalen. So kennzeichnen die Werte von 5 und darüber gute Qualität, Werte zwischen 3 und 5 mittlere Qualität sowie Werte unter 3 eine unzureichende Qualität (bei den Gesamtwerten, Qualitätsbereichen und in den einzelnen Qualitätsmerkmalen). In einem ersten Schritt sollen die Mittelwerte der ausserunterrichtlichen Angebote in den einzelnen Qualitätsmerkmalen der HUGS betrachtet werden. Die Tabelle 43 zeigt die deskriptiven Werte für alle eingeschätzten Merkmale der HUGS. Die dunkel unterlegten Merkmale haben Mittelwerte von kleiner gleich 3, liegen also in der Zone von unzureichender Qualität. Lediglich 5 Merkmale von untersuchten 44 fallen in diese Zone. Hingegen liegen 15 Merkmale in der Zone der ausgezeichneten Qualität mit Mittelwerten zwischen 5 und 7.
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Tab. 43
307
Pädagogische Prozessqualität der HUGS nach Einzelmerkmalen (N=7)
Nr. Merkmal
M
SD
Min
Max
27.
Akzeptanz von Verschiedenartigkeit
1.71
1.25
1
4
37.
Tagesablauf
2.00
0.00
2
2
24.
Sprach- und Leseaktivitäten
2.71
0.95
2
4
26.
2.71
0.76
1
3
2.71
0.76
1
3
3.14
1.46
1
4
3.29
2.36
1
6
23.
Naturwissenschaft/Naturerfahrung Vernetzung der pädagogischen Arbeit/Öffnung nach aussen Raumgestaltung Räumlichkeiten für persönliche Bedürfnisse der Erzieherinnen Rollenspiel/Theaterspiel
3.29
0.49
3
4
22.
Bauen und Konstruieren
3.29
1.70
1
5
05.
Hausaufgaben
3.40
2.19
1
7
21.
Musik und Bewegung
3.43
0.53
3
4
18.
Mahlzeiten
3.57
2.15
1
6
19.
Körperpflege
3.71
1.50
1
6
15.
Sicherheitsvorkehrungen
3.71
2.75
1
7
06.
Ausstattung für regelmässige Pflege
3.86
3.02
1
7
09.
Ausstattung für Grobmotorik
3.86
0.38
3
4
08.
3.86
1.57
3
7
3.86
1.77
1
7
3.86
2.41
1
7
42.
Ausstattung für Entspannung/Behaglichkeit Räumlichkeiten für professionelle Bedürfnisse der Erzieherinnen Massnahmen im Krankheitsfall/Gesundheitsförderung Fortbildungsmöglichkeiten
3.86
2.12
1
7
20.
Künstlerisches Gestalten
4.00
0.82
3
5
25.
Mathematik/schlussfolgerndes Denken
4.00
0.82
3
5
38.
Freispiel
4.14
0.38
4
5
43.
Dienstbesprechungen
4.29
2.50
1
7
03.
Platz für grobmotorische Aktivitäten
4.29
1.25
3
7
14.
Notfallmassnahmen
4.43
2.76
1
7
41. 04. 11.
12. 13.
308
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Fortsetzung von Tabelle 43 31.
Beaufsichtigung der Kinder
4.43
0.79
4
6
32.
Verhaltensregeln/Disziplin
4.43
1.13
3
6
34.
Interaktion zwischen Personal und Eltern
4.71
1.70
2
7
44.
Beratung und fachliche Beurteilung
5.43
0.98
4
6
40.
Nutzung von Angeboten der Gemeinde
5.57
1.51
3
7
02.
Platz für grobmotorische Aktivitäten
5.71
1.25
4
7
35.
Kooperation zwischen den Erzieherinnen
5.71
1.38
4
7
01.
Innenraum
6.00
1.41
4
7
30.
Erzieherin-Kind-Kommunikation
6.29
1.11
4
7
17.
Nachhausegehen
6.43
1.51
3
7
36.
Kooperation mit der Schule
6.50
0.55
6
7
07.
Ausstattung für Lern/Freizeitaktivitäten
6.57
0.53
6
7
28.
Begrüssung und Verabschiedung
6.57
1.13
4
7
33.
Interaktion zwischen den Kindern
6.67
0.52
6
7
29.
Erzieherin-Kind-Interaktion
6.86
0.38
6
7
10.
Zugang zu den Räumen
7.00
0.00
7
7
16.
Anwesenheit
7.00
0.00
7
7
0.00
7
7
39.
Administrative Verantwortlichkeit Zone unzureichender Qualität
Zone mittlerer Qualität
7.00
Zone ausgezeichneter Qualität
Der Grossteil der Merkmale liegt im Bereich mittlerer Qualität mit Werten zwischen 3 und 5. Stärken der pädagogischen Prozessqualität der Kindergruppen im ausserunterrichtlichen Teil der Tagesschule zeigen sich insbesondere bei Interaktion und administrativen Vorgängen (vgl. Tab. 43). Die Begrüssung und Verabschiedung der Kinder findet in freundlicher Art und Weise statt, die „Erzieherin-Kind-Interaktion“ ist durch Zuneigung und gegenseitigen Respekt geprägt. Es gibt viele Gespräche zwischen der pädagogisch tätigen Person und den Kindern, die pädagogisch tätige Person ist Vorbild für soziale Kompetenzen der Kinder und stimuliert die Interaktionen der Kinder untereinander. Das Gelingen von Kommunikation und Interaktion erstreckt sich auch auf die positive Kooperation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untereinander sowie auf die Verantwortlichkeit bei administrativen Zuständigkeiten.
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
309
Auch bei den Regelungen, die den Aufenthalt der Kinder im ausserunterrichtlichen Teil der Tagesschule betreffen, weisen die Gruppen hohe Werte auf. Es gibt klare Vorgaben für die Erfassung der Anwesenheit der Kinder, und die pädagogisch tätige Person bespricht diese mit Eltern und Kindern. Sie begleitet jüngere Kinder auf Wegen zwischen Schule und Hort. Das Nachhausegehen der Kinder wird dementsprechend organisiert und das sichere Verhalten auf dem Heimweg mit den Kindern besprochen. Weitere Stärken zeigen sich darin, dass für die Kinder ausreichend Platz im Innenbereich existiert sowie meistens ausreichend Platz für grobmotorische Aktivitäten zur Verfügung steht (vgl. Tab. 43). Qualitätsmerkmale, die weniger günstig ausfallen, betreffen Aktivitäts- und Planungsaspekte (vgl. Tab. 43). Hier mangelt es oft an ausreichend vielfältigen und entwicklungsfördernden Materialien sowie einer schriftlichen, öffentlich sichtbaren Planung der Tages- und Wochenabläufe, die insbesondere bei sich immer wieder ändernden Kindergruppen die Regelmässigkeit von Abläufen hervorheben könnte. Das regelmässige Stattfinden von Angeboten muss für die Kinder gewährleistet sein, die beispielsweise lediglich einen Nachmittag in der Woche den ausserunterrichtlichen Teil besuchen. Gleichzeitig müssen die Angebote denjenigen Kindern, die sie während fünf Nachmittagen in der Woche besuchen, eine entwicklungsanregende Umgebung bieten. Die Mittelwerte der Qualität des ausserunterrichtlichen Teils an den Tagesschulen liegen in den Qualitätsbereichen Platz und Ausstattung, Gesundheit und Sicherheit, Aktivitäten, Strukturierung der pädagogischen Arbeit sowie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal in der Zone von mittlerer pädagogischer Qualität. Der Qualitätsbereich der Interaktionen zwischen den Personen liegt gar in der Zone von ausgezeichneter Qualität (vgl. Tab. 43). Die pro Kindergruppe an einer Tagesschule erreichten Subskalen oder Bereichswerte sind in der folgenden Abbildung dargestellt (vgl. Abb. 31). Es zeigt sich, dass die jeweiligen Profile des ausserunterrichtlichen Teils einer Tagesschule recht dicht beieinander liegen. Lediglich bei den Bereichen Gesundheit und Sicherheit, Interaktionen sowie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal bestehen Differenzen von deutlich mehr als einem Skalenpunkt zwischen dem minimal und maximal erreichten Subskalenwert. Ebenfalls deutlich wird durch die Abbildung, dass es Profile von Tagesschulen gibt, die über ausgeglichenere Ausprägungen und solche, die über ein breiteres Spektrum an Ausprägungen in den einzelnen Bereichen verfügen. Ein Beispiel für ein ausgeglichenes Profil wäre das mit Tagesschule 1 (TS 1) angeschriebene, breiter gestreute Werte finden sich hingegen bei Tagesschule 5 (TS 5) (vgl. Abb. 31).
310
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
Platz + Ausstattung
Gesundheit + Sicherheit
TS 1 TS 2 TS 3 TS 4
Aktivitäten
TS 5 TS 6 TS 7 Interaktionen
Strukturierung der pädagogischen Arbeit
Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal
1.00
2.00
unter 3 unzureichende Prozessqualität
Abb. 31
3.00
4.00
5.00
6.00
7.00
zwischen 3 u. 5 mittlere 5 und mehr gute Prozessqualität Prozessqualität
Bereichswerte und Gesamtwert der HUGS66 in den einzelnen Tagesschulen67 (N=7)
Für alle Bereiche liegen die jeweils erreichten Mittelwerte in einem erwartungsgemässen Rahmen. Ein Vergleich mit drei deutschen Untersuchungen (Braun 2003) zeigt, dass die Schweizer Tagesschulsettings durchaus passabel abschneiden. Was die Verteilung der einzelnen Subskalenwerte betrifft, liefern auch hier die untersuchten schweizerischen Tagesschulen ein mit dem deutschen Untersuchungsraum vergleichbares Bild. Der Bereich Interaktionen erreicht mit 66 67
Betrifft nur den ausserunterrichtlichen Teil der Tagesschule TS 4, 5 und 6 sind obligatorische und TS 1, 2, 3 und 7 sind freiwillige Tagesschulen.
10.4 Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
311
einem Wert über 5.5 einen sehr hohen Mittelwert, was zu erwarten war. Der Bereich Aktivitäten schneidet am vergleichsweise schlechtesten ab, aber auch hier liegt der Mittelwert immerhin im Bereich der mittleren Qualität, wenn auch im unteren Ende. Wirft man abschliessend einen Blick auf den Gesamtwert der Hort- und Ganztagsskala, so stellt man fest, dass alle Tagesschulgruppen im Bereich der mittleren Qualität (Werte 3 bis 5) und hier gar im oberen Teil liegen. Die Gesamtwerte der einzelnen Tagesschulen bewegen sich zwischen 4.07 bis 4.79 mit einem Gesamtmittelwert von 4.46 (SD=0.31). Dieser Gesamtwert der HUGS liegt leicht unterhalb einer vergleichbaren Untersuchung der Evaluation in Göttingen (M=4.52; bei 20 Gruppen) und höher als die Vergleichsuntersuchungen in Bremen (M=4.02; bei 24 Gruppen) und Brandenburg (M=4.25; bei 48 Gruppen). Am besten abgeschnitten haben die sechs in Flensburg 2003 untersuchten Hortgruppen mit einem Mittelwert von 4.70.
10.4.5 Beschreibung der Prozessqualität: In den Schulformen der Untersuchungsgruppen In den vorhergehenden Kapiteln 10.4.3 und 10.4.4 wurde einerseits die Unterrichtsqualität in den Klassen analysiert – anhand von vier Dimensionen der Unterrichtsgestaltung und eines Gesamtwerts – und andererseits die pädagogische Qualität des ausserunterrichtlichen Teils in den Tagesschulen beschrieben. Der Rahmenkonzeption der Studie zufolge soll unter der Prozessqualität in den Tagesschulen sowohl die pädagogische Qualität im Unterricht als auch im ausserunterrichtlichen Teil der Tagesschule verstanden werden, was somit der Prozessqualität in beiden Bereichen entspricht. In den Untersuchungsgruppen der Kinder aus Blockzeitenklassen und aus den Klassen mit traditionellem Unterricht (Kontrollgruppe) entspricht die Unterrichtsqualität der Prozessqualität, welche die Kinder in der Schule erleben. Nachfolgend soll nun die sich unterschiedlich zusammensetzende Prozessqualität68 der Schulformen und somit der Untersuchungsgruppen dargestellt werden. Der Mittelwert der pädagogischen Prozessqualität wurde für die nachfolgenden Analysen in Prozentränge bezüglich der Stichprobe transformiert. Die Untersuchungsgruppen unterscheiden sich hochsignifikant bezüglich ihrer Prozessqualität (Eta2= .14, F (2,674) =54.05 p<.001). Die Tagesschulkinder 68
Bei der Untersuchungsgruppe Tagesschulkinder handelt es sich um den Mittelwert aus der Unterrichtsqualität (BUQ-Gesamtwert) und der Qualität im ausserunterrichtlichen Teil (HUGSGesamtwert). Bei den Untersuchungsgruppen Blockzeitenkinder und Kontrollgruppenkinder entspricht die Prozessqualität der Unterrichtsqualität (BUQ-Gesamtwert).
312
10 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
profitieren dabei von einer signifikant besseren Qualität als die Blockzeitenkinder und auch als die Kontrollgruppenkinder. Kein signifikanter Unterschied liegt zwischen der erlebten Prozessqualität der Blockzeiten- und der Kontrollgruppenkinder vor. Prozess qualität Schule (Prozen tränge)
100 .00
80.00
1 2 3
Tagesschulkinder 1, 2 Blockzeitenkinder Kontrollgruppe
60.00
40.00
20.00
0.00 1
2
3
Untersuchungsgruppen einfaktorielle univariate Varianzanalyse p<.001 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (Games-Howell p < .05) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (Games-Howell p < .05)
Abb. 32 Prozessqualität in den Schulformen der Untersuchungsgruppen (N= 674)
Dieses Ergebnis verdeutlicht der Boxplot mit den Ausprägungen bezüglich der Prozessqualität der drei Untersuchungsgruppen (vgl. Abb. 32). Dabei fällt insbesondere auf, dass sich die Werte der mittleren 50 Prozent der Untersuchungsgruppe Tagesschule insgesamt oberhalb des Mittelwerts der beiden anderen Untersuchungsgruppen verteilen, was den klaren Unterschied zu verdeutlichen mag.
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung 11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
Im vorhergehenden Kapitel wurden die Struktur-, Orientierungs- und Prozessqualität, welche die Kinder im familialen und im ausserfamilialen Setting, der Schule, erfahren sowie die familialen Kontextbedingungen hergeleitet und beschrieben. Dem Rahmenmodell der Studie zufolge (vgl. Kap. 9.2) wird von einem Zusammenspiel der verschiedenen Qualitätsdimensionen ausgegangen, das nun im nächsten Schritt in den Fokus genommen werden soll. In Kapitel 11.1 soll jeweils, getrennt für das familiale und ausserfamiliale Setting, überprüft werden, inwieweit die pädagogischen Prozesse, die sich im entsprechenden Setting ereignen, von den strukturellen Merkmalen und von den pädagogischen Orientierungen der Hauptbezugspersonen der Kinder beeinflusst werden. Bei der Familie soll zusätzlich der Einfluss der Kontextbedingungen analysiert werden. Dabei handelt es sich um die Qualitätsmerkmale und Kontextbedingungen, welche in Kapitel 10 theoretisch und methodisch hergeleitet sowie eingehend beschrieben wurden. In Kapitel 11.2 wird nochmals ein etwas breiterer Zugang gewählt, indem der im Rahmenmodell modellierte Einfluss der pädagogischen Qualität – der direkte Einfluss aller Qualitätsdimensionen – in Familie und Schule auf die kindliche Entwicklung neben weiteren Bedingungsfaktoren – untersucht wird.
11.1 Erklärungsmodell pädagogischer Prozessqualität 11.1 Erklärungsmodell pädagogischer Prozessqualität 11.1.1 Familiales Setting Ausgangspunkt ist das Rahmenmodell der Studie, das eine substanzielle Beziehung zwischen Strukturqualität und Merkmalen der Orientierungsqualität auf der einen Seite und der realisierten Prozessqualität auf der anderen Seite im familialen und ausserfamilialen Setting postuliert. An dieser Stelle soll untersucht werden, welchen Einfluss Merkmale der Struktur- und Orientierungsqualität auf die im familialen Setting realisierte Prozessqualität haben. Es wird von der Annahme ausgegangen, dass sich dieses Erklärungsmodell für alle Schulformen gleich gestaltet.
314
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
Die Prozessqualität in den Familien entspricht der Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation (vgl. Kap. 10.2.3) des Kindes im Elternhaus. Nachfolgend interessiert nun der Einfluss der strukturellen Bedingungen in der Familie – der personalen, sozialen und der räumlich-materialen Dimensionen –, der pädagogischen Orientierungen der Hauptbezugsperson des Kindes69 und der Kontextbedingungen der Familie70 auf die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation im Elternhaus. Als Analyseverfahren wurde in einem ersten Schritt die blockweise und schrittweise hierarchisch multiple Regression ausgewählt, die es ermöglicht, die unterschiedliche Nähe der verschiedenen Bedingungen zum Prozessgeschehen – Kontextbedingungen im Wohnumfeld sind weniger unmittelbar als die strukturellen Bedingungen und pädagogischen Orientierungen der Familie – nach theoretischen Gesichtspunkten hierarchisch zu modellieren. In den ersten Prädiktorenblock gingen Merkmale der familialen Orientierungs- und Strukturqualität (vgl. Kap. 10.1 und 9.2) ins Modell ein. Diese wurden weitgehend aufgrund des Forschungsstandes ausgewählt. Im zweiten Prädiktorenblock fand sich die Skala Nutzung der räumlichen und sozialen Ressourcen durch die Kinder in ihrem Wohnumfeld wieder. Da die Nutzung der sozialen und räumlichen Ressourcen bei der durchgeführten Regressionsanalyse keinen Eingang ins Modell fand, wurde in einem zweiten Schritt auf eine hierarchische Regressionsanalyse verzichtet und der Einfluss der verschiedenen Faktoren auf die pädagogische Prozessqualität mittels eines schrittweisen multiplen Regressionsmodells modelliert (vgl. Tab. 44).
69 70
Vorstellungen bezüglich der Entwicklung von Kindern, über Bildungsziele und bezüglich der Schule als Umwelt die Nutzung von räumlichen und sozialen Ressourcen im Wohnumfeld durch das Kind
11.1 Erklärungsmodell pädagogischer Prozessqualität Tab. 44
315
Einfluss der Orientierungs- und Strukturqualität auf die pädagogische Prozessqualität in der Familie: Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalyse
Merkmale
Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie Stand. Koeffizienten (Beta)
Pädagogische Orientierungen der Eltern Strukturqualität personale Dimension Gesprochene Sprache(n) in der Familie Schweizerdeutsch a soziale Dimension Anzahl Personen im Haushalt Bildungsrelevante Ressourcen der Familie Sozioökonomischer Status der Familie räumlich-materiale Dimension monatliches Haushaltsbruttoeinkommen Aufgeklärte Varianz R²
.20*** -.28*** .50*** .13*** .12** 43%
** .p<.01; *** .p<.001 Entwicklungsförderung und aktive Stimulation N=521, F-Wert= 75.88*** a Schweizerdeutsch =1, eine oder mehrere andere gesprochene Sprachen =0
Dem hochsignifikanten Modell ist zu entnehmen, dass die fünf Prädiktoren 43 Prozent der Varianz bezüglich der abhängigen Variable Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie erklären können. Wirft man einen Blick auf die signifikanten Prädiktoren, die ins Modell aufgenommen wurden, so stellt man für die personale Dimension der Strukturqualität fest, dass in Familien, in denen schweizerdeutsch gesprochen wird, die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation für das Kind positiver ausfällt als in Familien, in denen schweizerdeutsch und eine andere Sprache bzw. nur eine andere Sprache gesprochen wird. Dieses Merkmal wurde für die weiterführenden Analysen anstelle der Variable Nationalität ausgewählt, da gerade in Bezug auf die Schulleistungen den Kenntnissen in der Unterrichtssprache ein wichtiger Stellenwert zukommt. Der Deckungsbereich dieser beiden Variablen ist jedoch relativ hoch (vgl. Kap. 10.2.4). In der sozialen Dimension wurden beim schrittweisen Verfahren drei signifikante Prädiktoren ins Modell aufgenommen: Die Anzahl Personen, die zusammen in einem Haushalt lebt, die bildungsrelevanten Ressourcen sowie der sozioökonomische Status der Familie. Je mehr Personen gemeinsam in einem
316
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
Haushalt leben neben den Eltern bzw. Elternteil und dem Kind – Geschwister des Kindes, die Grosseltern u.a. –, desto geringer fällt die Förderung des Kindes aus. Der stärkste Prädiktor im Modell sind die bildungsrelevanten Ressourcen der Familie. Je höher diese Ressourcen der Familie71 sind, desto günstiger fällt die Förderung für das Kind aus. Dies gilt auch für den sozioökonomischen Status der Familie. Das monatliche Haushaltsbruttoeinkommen der Familie erweist sich bei der räumlich-materialen Dimension als Prädiktor für die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation des Kindes in der Familie. Gar keinen Eingang ins Modell fanden – und sind somit keine relevanten Prädiktoren – die pädagogischen Orientierungen der Eltern, konkret die Entwicklungserwartungen und die Aufgaben einer guten Schule. Keinen Einfluss auf die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation haben im Weiteren Merkmale der personalen Dimension der Strukturqualität wie das Alter der Mutter, der Schulabschluss der Eltern, das familiale Erwerbstätigkeitsmodell oder der Umfang der beruflichen Tätigkeit ausser Haus. In der sozialen und in der räumlich-materialen Dimension wurden die Merkmale Anzahl der Geschwister, die Grösse der zur Verfügung stehenden Wohnfläche sowie eignes Zimmer des Kindes nicht ins Modell aufgenommen.
11.1.2 Ausserfamiliales Setting (Schule) Nach dem gleichen methodischen Vorgehen soll nun auch der Frage nach dem Einfluss von Merkmalen der Struktur- und Orientierungsqualität auf die realisierte Prozessqualität im zweiten relevanten Setting dieser Studie, der Schule, nachgegangen werden. Es wird auch an dieser Stelle von der grundsätzlichen Annahme ausgegangen, dass sich die Erklärungsmodelle für alle Schulformen gleich gestalten. Darauffolgend interessiert der Einfluss der strukturellen Bedingungen des Unterrichts bzw. der Schule – die personale, soziale und räumlich-materiale Dimension sowie die Handlungsdimension – und der pädagogischen Orientierungen der Klassenlehrperson des Kindes72 auf die erzielte Prozessqualität, die Unterrichtsqualität. Als Kriteriumsvariablen dienen die vier Dimensionen und der Gesamtwert der Unterrichtsqualität. Aufgrund der geringen Anzahl an Tagesschulen in dieser Studie wird dem ausserunterrichtlichen Teil an dieser Stelle keine Beachtung geschenkt. Wie bereits in Kapitel 10.3 und 10.4 werden die Qualitätsmerkmale in Bezug auf die einzelnen Kinder in den Untersuchungs71 72
das kulturelle Kapital der Familie Vorstellungen bezüglich der Entwicklung von Kindern, über Bildungsziele und bezüglich der Schule als Umwelt
11.1 Erklärungsmodell pädagogischer Prozessqualität
317
gruppen analysiert. Das heisst, jedem Kind wird bei den einzelnen Merkmalen des ausserfamilialen Settings der jeweilige Wert zugewiesen, der seinem „erlebten“ schulischen Umfeld entspricht. Anders als beim familialen Setting, bei dem jedes Kind in einer Familie aufwächst, erfahren mehrere Kinder dasselbe schulische Umfeld, weshalb die Kinder einer Klasse bzw. einer Tagesschule in den einzelnen Merkmalen die gleiche Qualitätsausprägung haben. Auch an dieser Stelle wurde als Analyseverfahren in einem ersten Schritt die blockweise und schrittweise, hierarchische multiple Regression ausgewählt, die es ermöglicht, die unterschiedliche Nähe der verschiedenen Bedingungen zum Prozessgeschehen hierarchisch zu modellieren. Es wurde von der Annahme ausgegangen, dass die Merkmale der Schulklasse unmittelbarer beim Prozessgeschehen liegen als diejenigen der gesamten Schule. In den ersten Prädiktorenblock gingen Merkmale der Orientierungs- und Strukturqualität des Unterrichts bzw. der Klassenlehrperson ein. Diese wurden in Anlehnung an Tietze et al. (2005a), auf der Basis des Forschungsstands (vgl. z.B. Helmke & Weinert 1997c; Rossbach 2005; Tietze 1998) und aufgrund statistischer Analysen73 ausgewählt. Im zweiten Prädiktorenblock fanden sich Variablen der Strukturqualität der gesamten Schule74 wieder. Dieser gesamte zweite Prädiktorenblock fand jedoch keinen Eingang ins Modell. Deshalb wurde in einem zweiten Schritt dieser Block weggelassen und auf ein hierarchisches Verfahren – zu Gunsten einer schrittweisen multiplen Regression – verzichtet (vgl. Tab. 45). Die hochsignifikanten Modelle zeigen einen Anteil an erklärter Varianz von 46 Prozent für den Gesamtwert der Unterrichtsqualität und Werte zwischen 31 und 44 Prozent für die vier Gestaltungsbereiche von Unterricht, was als zufriedenstellend bezeichnet werden darf. Betrachtet man die einzelnen signifikanten Prädiktoren, die Eingang in die fünf Modelle bezüglich der Unterrichtsqualität gefunden haben, so stellt man hinsichtlich der pädagogischen Orientierungen fest, dass die vier Prädiktoren traditionelle Aufgaben der Schule, Schulleistungsorientierung, die Kreativitätsversus Rationalitätsorientierung sowie die Entwicklungserwartungen der Lehrpersonen an die Kinder einen Einfluss auf einen oder mehrere Gestaltungsbereiche von Unterricht bzw. die Unterrichtsqualität insgesamt haben (vgl. Tab. 45). Es kann festgehalten werden, dass je mehr die Lehrpersonen die Aufgaben
73
74
Bei hoher Kollinearität zweier potentieller Prädiktoren wurde nur einer in die Analyse aufgenommen. Es wurden zudem vorzugsweise Prädiktoren ausgewählt, die (hohe) Korrelationen mit den abhängigen Variablen vorweisen konnten. Folgende Merkmale: Anzahl Klassen im Schulhaus, Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler im Schulhaus, geschätzte Fläche des Schulhausareals und Häufigkeit der Nutzung der Aussenfläche im Unterricht
318
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
der Schule vor allem auf traditionelle Aufgaben75 beschränkt sehen, desto tiefer ist die Qualität des Unterrichts (in allen Bereichen bis auf die Raumgestaltung/Klima). Dieser Prädiktor erweist sich als einer der stärksten insgesamt. Je höher die Schulleistungsorientierung der Klassenlehrperson, desto besser ist die Klassenführung und Klarheit, die Aktivierung und Motivierung der Kinder und der Unterricht insgesamt. Tab. 45
Merkmale
Einfluss der Orientierungs- und Strukturqualität auf die Prozessqualität in den Dimensionen des Unterrichts: Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalysen
Unterichtsqualität Gesamtwert Stand. Koeffizienten (Beta)
Pädagogische Orientierungen der Lehrpersonen Entwicklungserwartungen Pädagogische Einstellung: Schul.24*** leistungsorientierung Pädagogische Einstellung: Kreativitäts- vs. Rationalitätsorientierung Aufgaben einer guten Schule: Erfüllen von traditionellen Auf-.37*** gaben der Schule Strukturqualität personale Dimension Anzahl Jahre Berufserfahrung Anteil Vorbereitungszeit bezüglich der gesamten Arbeitszeit
75
Klassenführung und Klarheit Stand. Koeffizienten (Beta)
Aktivierung und Motivierung Stand. Koeffizienten (Beta)
.22***
.21***
Lernförderliches Klima und Variabilität Stand. Koeffizienten (Beta)
Raumgestaltung und Klima Stand. Koeffizienten (Beta)
-.12*
.19***
-.43***
-.36***
-.18***
-.37*** .10*
-.13**
Unter „traditionellen Aufgaben“ wird u.a. verstanden, dass die Eltern für korrekt gelöste Hausaufgaben sorgen. Zudem soll in der Schule ein einheitliches Arbeitstempo vorherrschen, und es wird Wert auf Wissensvermittlung gelegt (Beispielitems) (vgl. Kap. 10.1.2 und 10.1.3).
11.1 Erklärungsmodell pädagogischer Prozessqualität
319
Fortsetzung von Tabelle 45 soziale Dimension Anzahl Lehrpersonen, die eine Klasse unterrichten Anteil der Schülerinnen in der Klasse (in Prozent)
Altersdifferenz zwischen ältestem und jüngstem Kind in der Klasse Handlungsdimension zeitlicher Anteil des Unterrichts in Deutsch und Mathematik im Plenum („Ganzklassenunterricht“) Anzahl Leistungskontrollen in Deutsch und Mathematik (Durchschnitt) Regelmässiger Austausch und Planung mit Doppelstellenpartner/in Regelmässiger Austausch und Planung mit Speziallehrpersonen Regelmässiger Austausch und Planung mit Parallelklassenlehrpersonen räumlich-materiale Dimension Anzahl verschiedener Materialien im Klassenzimmer Pädagogische Nutzung der Flure des Schulhauses im Rahmen des Unterrichts Aufgeklärte Varianz R²
.25***
.22***
.31***
-.10*
.22***
.20**
.33***
.18*** -.24***
.19***
.35***
.20***
.19***
.16***
.28***
.19***
-.19*** .17***
.10*
.30***
.33***
.32***
.14**
.24***
.33***
.13** 46%
39%
44%
.15**
.24***
.19***
.12*
31%
33
* .p<.05; ** .p<.01; *** .p<.001 Unterrichtsqualität N=521, F-Wert= 32.17***; Klassenführung/Klarheit N=521, F-Wert= 22.13***; Aktivierung/Motivierung N=521, F-Wert= 37.22***; Lernförderliches Klima/Variabilität N=521, FWert=17.32***; Raumgestaltung/Klima N=521, F-Wert= 24.34***
In der personalen Dimension treten die Berufserfahrung der Lehrperson und deren Unterrichtsvorbereitungszeit als signifikante Prädiktoren hervor. Je weniger berufserfahren die Lehrperson ist, desto günstiger sind Raumgestaltung und Klima im Klassenzimmer. Bei der Vorbereitungszeit geht der sehr geringe Effekt in zwei unterschiedliche Richtungen: Je grösser die Vorbereitungszeit76, desto besser gestaltet sich die Klassenführung und die Klarheit, aber desto weniger gut
76
Anteil Vorbereitungszeit bezüglich der gesamten Arbeitszeit
320
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
erweist sich das (lernförderliche) Klima und die Variabilität des Unterrichts (vgl. Tab. 45). Bei der sozialen Dimension kann festgehalten werden, dass je höher die Anzahl an Lehrpersonen, die gemeinsam eine Klasse unterrichten, desto besser die Unterrichtsqualität insgesamt sowie in allen Dimensionen – mit Ausnahme der Dimension Raumgestaltung und Klima. Auch die Altersdifferenz der Kinder in der Klasse hat einen positiven Effekt auf das lernförderliche Klima und die Variabilität des Unterrichts sowie die Unterrichtsqualität insgesamt. Der Anteil der Mädchen in der Klasse beeinflusst das lernförderliche Klima und die Variabilität in der Klasse positiv, aber die Klassenführung und Klarheit leicht negativ. In der Handlungsdimension zeigt sich ein positiver Einfluss des Unterrichts im Plenum in den Hauptfächern Deutsch und Mathematik. Je höher der Anteil an Unterricht im Plenum, desto besser gestaltet sich der Unterricht in allen Dimensionen. Auch die Zusammenarbeit – insbesondere mit der Parallelklassenlehrperson und den Speziallehrpersonen – erweist sich als positiv für einen qualitativ guten Unterricht. Einzig der Austausch mit der Doppelstellenpartnerin offenbart sich als ungünstig für die Klassenführung und Klarheit. Schliesslich kann konstatiert werden, dass je mehr Leistungskontrollen in Deutsch und Mathematik durchgeführt werden, desto höher ist die Aktivierung und Motivierung der Kinder und desto adäquater die Raumgestaltung und das Klima (vgl. Tab. 45). Letzteres Ergebnis könnte auf eine hohe allgemeine Motivation der Lehrperson zurückzuführen sein. In der räumlich-materialen Dimension schliesslich lässt sich erkennen, dass je mehr verschiedene Materialien im Klassenzimmer vorhanden sind, desto besser die Aktivierung und Motivierung, aber auch die Klassenführung und Klarheit und der Unterricht insgesamt. Zudem zeigt die pädagogische Nutzung der Flure des Schulhauses im Rahmen des Unterrichts einen positiven Effekt auf ein lernförderliches Klima und die Variabilität des Unterrichts, die Raumgestaltung und das Klima sowie auf den Unterricht im Ganzen (vgl. Tab. 45). Der positive Einfluss bezüglich der Raumgestaltung und des Klimas könnte wohl so verstanden werden, dass neben dem Klassenzimmer auch die Flure entsprechend einer pädagogischen Nutzung eingerichtet sind. Keinen Eingang ins Modell fanden – neben den strukturellen Merkmalen auf der Ebene der gesamten Schule – Variablen der Strukturqualität auf der Klassenebene wie der Umfang an Weiterbildung der Lehrpersonen, der Anteil Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache in der Klasse oder die Zusammenarbeit mit den Fachlehrpersonen. Bei den pädagogischen Orientierungen der Lehrpersonen offenbarten sich die erweiterten Aufgaben der Schule als nichtsignifikanten Prädiktor.
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
321
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren auf die kindliche Entwicklung 11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren Im vorhergehenden Kapitel wurde die Abhängigkeit der pädagogischen Prozessqualität von strukturellen Rahmenbedingungen und pädagogischen Orientierungen im familialen und ausserfamilialen Setting untersucht. Dabei konnte festgestellt werden, dass je nach Mass der Prozessqualität die Merkmale der Struktur- und Orientierungsqualität zwischen 31 und 46 Prozent an Varianz aufklären können und somit eine gewisse interne Abhängigkeit besteht. In diesem Kapitel soll in Anlehnung an Tietze (1998) und Tietze et al. (2005a) nochmals ein etwas breiterer Zugang gewählt werden und dabei die Betrachtungen der Abhängigkeiten nicht weiterverfolgt werden. Es geht nun darum, den Einfluss der pädagogischen Qualität in der Familie und in der Schule in den ersten beiden Schuljahren auf die kindliche Entwicklung zu untersuchen. Dazu können jedoch nicht nur familiale und schulische Merkmale berücksichtigt werden. Der Forschungsstand zu Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen legt nahe (vgl. Kap. 4), dass verschiedene Bedingungsfaktoren bzw. Blöcke von Bedingungsfaktoren die kindliche Entwicklung beeinflussen können (vgl. z.B. Schrader & Helmke 2008). Deshalb werden neben Familie und Schule im Folgenden der Block der kindlichen Charakteristiken und der Entwicklungsstand des Kindes am Anfang der Schulzeit mitberücksichtigt. Bei den hauptsächlich interessierenden Einflussbereichen der kindlichen Entwicklung, der Familie und der Schule, wird nicht von einzelnen, sondern von ganzen Blöcken bzw. Bündeln von Bedingungsfaktoren kindlicher Entwicklung ausgegangen werden (vgl. Kap. 4). Dem Rahmenmodell der Studie folgend wird Qualität somit als ein mehrdimensionales Konstrukt verstanden. Das Interesse liegt auf dem Einfluss einer Kombination unterschiedlicher Qualitätsmerkmale – dem direkten Einfluss von Merkmalen aus allen Qualitätsdimensionen – auf den kindlichen Entwicklungsstand am Ende des ersten und zweiten Schuljahres. Es soll konkret der Stellenwert verschiedener Merkmalsblöcke pädagogischer Qualität in den Settings Schule – unter Berücksichtigung der verschiedenen Schulformen77 – und Familie im Zusammenhang mit den individuellen Merkmalen des Kindes und dessen Entwicklungsstand zu Beginn des ersten Schuljahres verglichen werden. Unter dem Entwicklungsstand bei Schuleintritt können dabei die Kompetenzen subsumiert werden, die an vorschulischen institutionellen Bildungsorten, in Lernwelten wie Medien oder Peer Group u.a. erworben werden und nicht auf die (gemessenen) kindlichen Charakteristiken und
77
Tagesschule (unter Berücksichtigung der Intensität der Nutzung), Blockzeitenunterricht und traditioneller Unterricht
322
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
die familialen Merkmale zurückzuführen sind. Folgende Fragestellung soll nun untersucht werden: Welchen Einfluss haben die folgenden Merkmalblöcke a) unterschiedliche Charakteristiken der Kinder b) unterschiedliche familiale Faktoren (Struktur-, Orientierungs- und Prozessqualität sowie das Erziehungsverhalten) c) der Entwicklungsstand bei Schuleintritt d) unterschiedliche schulische Faktoren (Struktur-, Orientierungs- und Prozessqualität, Schulform) auf den kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklungsstand sowie bezüglich der Bewältigung von Alltagssituationen (Alltagsfertigkeiten) der Kinder am Ende des ersten und zweiten Schuljahres im Allgemeinen? Anhand des Merkmals Schulform bzw. Untersuchungsgruppe soll zudem der Einfluss weiterer spezifischer Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung in den verschiedenen Schulformen – Tagesschule, Unterricht mit Blockzeiten und traditioneller Unterricht – untersucht werden. Überdies soll analysiert werden, welches die einzelnen entwicklungsfördernden Bedingungsfaktoren in Schule und Familie sind. Es wird von der allgemeinen Hypothese ausgegangen, dass der Einfluss der familialen Merkmale im Hinblick auf den kindlichen Entwicklungsstand – unter Kontrolle der individuellen Merkmale der Kinder – grösser ist als derjenige der schulischen Merkmale. Die Entwicklung der Kinder wurde im Rahmen dieser Studie in verschiedenen Entwicklungsbereichen zu jeweils drei Messzeitpunkten gemessen: Zu Beginn und zum Ende des ersten Schuljahres sowie zum Ende des zweiten Schuljahres. Der kognitive Entwicklungsstand wurde mittels Leistungstests in den Hauptfächern Mathematik und Deutsch ermittelt. Die Messwerte am Ende des ersten und zweiten Schuljahres werden im Folgenden jeweils als Kriteriumsvariablen miteinbezogen. Im Bereich der sozio-emotionalen Entwicklung wurde für die Durchführung der folgenden Analysen einzelne Entwicklungsmasse ausgewählt. Es sind dies das Selbstkonzept Lesen und das Selbstkonzept Mathematik, zwei Bereiche des akademischen Selbstkonzepts78. Zudem wurde als Mass für den sozialen Bereich einerseits das Selbstkonzept Peer-Relations79 und 78 79
An dieser Stelle wird ein theoretischer Zusammenhang mit den Massen der kognitiven Entwicklung vermutet, der sich, wenn auch in geringer Stärke, empirisch bestätigt (vgl. Tab. 46). Dem Selbstkonzept Peer-Relations wurde gegenüber dem Selbstkonzept Parent-Relations den Vorrang gegeben, da es die höheren Korrelationen mit den anderen Subbereichen des Selbstkonzepts hat und deshalb von einer besseren Konstruktvalidität ausgegangen wird.
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
323
andererseits das von den Eltern eingeschätzte prosoziale Verhalten des Kindes festgelegt. Das Vorkommen von sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten80 beim Kinde schliesslich bildet das vierte Entwicklungsmass in diesem Bereich. Nicht zuletzt bildet die Entwicklung bezüglich der Alltagsfertigkeiten ein wichtiger Entwicklungsbereich, der ein bedeutendes Kriterium für adaptives Verhalten zur Bewältigung von Lebenssituationen darstellt. Der Tabelle 46 ist zu entnehmen, dass die verschiedenen Entwicklungsmasse am Ende des zweiten Schuljahres untereinander nur sehr geringe bis geringe Korrelationen aufweisen. Die höchsten Korrelationen von . 38 bzw. .34 findet man zwischen den Alltagsfertigkeiten und dem prosozialen Verhalten bzw. den Alltagsfertigkeiten und den sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten. Das bedeutet, dass davon ausgegangen werden kann, dass die ausgewählten Entwicklungsmasse voneinander unabhängige, unterschiedliche Aspekte der kindlichen Entwicklung messen.
80
Die Skala setzt sich aus den beiden Subskalen „keine Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsprobleme“ und „keine emotionalen Probleme zusammen“.
324
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
Tab. 46
Korrelationen zwischen den Entwicklungsmassen am Ende des zweiten Schuljahres (N= 378 bis 414)
Schulleistung in Sprache
Schulleistung in Mathematik
Selbstkonzept Lesen
Selbstkonzept Mathematik
Selbstkonzept PeerRelations
Prosoziales Verhalten
sozioemotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten
Schulleistung in Sprache Schulleistung in Mathematik
.28***
Selbstkonzept Lesen
.19**
n.s.
Selbstkonzept Mathematik
n.s.
.30***
.22***
Selbstkonzept Peer-Relations
n.s.
-.11*
.32***
.25***
n.s.
n.s.
.14**
n.s.
n.s.
.21***
.23***
.13**
.18***
n.s.
.24***
.13*
.18***
n.s.
n.s.
.11*
.36***
Prosoziales Verhalten sozioemotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten Alltagsfertigkeiten
.33***
* p< .05; ** p< .01; *** p< .001 (2-seitig) nach Pearson
Für den Block der individuellen Charakteristiken wurden aufgrund des Forschungsstands die Merkmale Geschlecht, Alter und Intelligenz der Kinder einbezogen. Der Entwicklungsstand – oder das Vorwissen bei der Schulleistung – als weiterer Block umfasst jeweils den bereichsspezifischen Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres, also am Anfang der Schulzeit. Für die Auswahl der Einzelvariablen im familialen und im ausserfamilialen Block waren der Forschungsstand81 und die Ergebnisse der Analysen (vgl. Kap. 10) massgebend. Beim familialen Block fanden, wie der Rahmenkonzeption der Studie zu entnehmen ist, zusätzlich Dimensionen des elterlichen Erziehungsverhaltens Eingang in den Block. Das elterliche Erziehungsverhalten ist ein relativ zeitstabiles Konstrukt, das sich inhaltlich nicht einer einzelnen Qualitäts81
Es wurden Variablen aufgrund des Forschungsstandes im Vorschul- und teilweise im Schulbereich ausgewählt, welche sich bereits als Prädiktoren erwiesen haben.
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
325
dimension zuordnen lässt. Da es sich um einen Aspekt des Verhaltens handelt, der die Eltern-Kind-Interaktion charakterisiert, steht das elterliche Erziehungsverhalten mit dem Konstrukt der Prozessqualität in enger Verbindung. Hinter dem Erziehungsverhalten der Eltern stehen aber auch Wertvorstellungen und Erwartungen, wie sie die Orientierungsqualität thematisiert. Entsprechend ist auch von einer inhaltlichen Verknüpfung mit der Orientierungsqualität auszugehen. In dieser Studie soll überprüft werden, ob und in welcher Weise dieses Konstrukt die familiale Struktur-, Orientierungs- und Prozessqualität ergänzt. Da – im Gegensatz zur Fragestellung im vorhergehenden Kapitel – insbesondere auch der Einfluss der unterschiedlichen Schulformen untersucht werden soll, wurden im Weiteren für den ausserfamilialen Block (Schule) nach Möglichkeit Merkmale berücksichtigt, die sich – wie für die schulische Prozessqualität82 in Kapitel 10.4.5 beschrieben – je nach Schulform und somit nach Untersuchungsgruppen unterschiedlich zusammensetzen. Dies betrifft neben der Prozessqualität die Merkmale der Orientierungsqualität. Zudem wurden Variablen ausgewählt, die im weitesten Sinne ein Bild von der Schule als Ganzes (vom Unterricht und vom ausserunterrichtlichen Teil) umreissen können. Es sind dies die Merkmale Berufserfahrung, Anzahl Lehrpersonen, die gemeinsam eine Klasse unterrichten, Unterricht im Plenum (Sozialform), vorhandene Materialien sowie die Zusammenarbeit mit anderen Lehrpersonen. Als zusätzliches Merkmal wurde die Variable Freizeitangebote an der Schule berücksichtigt, die vor allem den ausserunterrichtlichen Teil fokussiert. Nicht zuletzt wurde darauf geachtet, dass der Variablensatz des familialen und des ausserfamilialen Blocks vom Ansatz und vom Umfang her vergleichbar sind. Da vermutet wurde, dass neben diesen potentiellen Prädiktoren der Entwicklung der Kinder weitere Charakteristiken der verschiedenen Schulformen – Tagesschule, Schule mit Blockzeitenunterricht und Schule mit traditionellem Unterricht –, einen Einfluss auf den kindlichen Entwicklungsstand ausüben, wurde zusätzlich die Variable Schulform bzw. Untersuchungsgruppe83 in den ausserfamilialen Block aufgenommen. Diese Variable kann eine Aussage darüber machen, ob und in welchem Umfang in einer spezifischen Schulform, z.B. der Tagesschule, allenfalls weitere Faktoren die kindliche Entwicklung erklären können. Als Analyseverfahren zur Vorhersage des kindlichen Entwicklungsstandes in verschiedenen Entwicklungsbereichen wurde in Anlehnung an Tietze et al. 82
83
Bei der Untersuchungsgruppe Tagesschulkinder handelt es sich bei der Prozessqualität um den Mittelwert aus der Unterrichtsqualität und der Qualität im ausserunterrichtlichen Teil. Bei den Untersuchungsgruppen Blockzeitenkinder und Kontrollgruppenkinder entspricht die Prozessqualität der Unterrichtsqualität. Es handelt sich an dieser Stelle und im Folgenden um zwei Dummy-Variablen.
326
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
(2005a) eine Serie von blockweisen hierarchischen Regressionsanalysen ausgeführt, wobei die Variablenblöcke schrittweise in die Analyse eingegeben wurden. Handlungsleitend für die Reihenfolge waren theoretische Überlegungen hinsichtlich der Nähe des Variablenbocks zum Kind und der zeitlichen Abfolge (Tietze 1998). So wurde zuerst der für die kindliche Entwicklung unmittelbarste Block, die individuellen Merkmale des Kindes, analysiert, bevor die Familie als erster Entwicklungskontext des Kindes Eingang fand. Als nächstes folgte der Entwicklungsstand des Kindes bei Schuleintritt84 und am Schluss der ausserfamiliale, also der schulische Merkmalblock. Der Anteil an erklärter Varianz jedes Blocks sagt aus, wie stark er in Beziehung zum Entwicklungsstand des Kindes steht, resp. wie stark sein Einfluss ist. Es handelt sich im Folgenden um ein additives Modell, was für die Interpretation der Ergebnisse bedeutet, dass die gemeinsame aufgeklärte Varianz zweier Blöcke dem ersten Block beigefügt wird, der ins Regressionsmodell eingeht. Ein Variablenblock auf einer bestimmten Hierarchiestufe wiederum erklärt das Erklärungspotential dieses spezifischen Blocks sowie die gemeinsame Varianz dieses Blocks mit später ins Modell eingehenden Blöcken. Dieses Analyseverfahren manifestiert somit allein die Effekte des Blocks, die unabhängig sind von Effekten, die zuvor ins Modell aufgenommen wurden (Tietze et al. 2005a, p. 246). Neben der Identifizierung von Haupteffekten dieser Blöcke auf den kindlichen Entwicklungsstand wurden darüber hinaus mögliche Interaktionseffekte erster Ordnung zwischen den Blöcken analysiert. Die Interaktionsterme zwischen den Blöcken wurden jeweils als zusätzliche Blöcke ins Modell aufgenommen. Die jeweils angegebene Stichprobengrösse (N) entspricht dem Umfang nach der Gewichtung der Daten. Deshalb ist dieser teilweise grösser als N= 521 Kinder bzw. Familien. Alle im Folgenden beschriebenen Ergebnisse der Regressionsmodelle erweisen sich als signifikant, wenn nicht anders vermerkt.
11.2.1 Effekte auf die kognitive Entwicklung Die Ergebnisse der Regressionsanalysen zeigen auf, dass die vier bzw. 585 Prädiktorenblöcke insgesamt 43 Prozent der interindividuellen Schulleistungs84
85
Unter dem Entwicklungsstand bei Schuleintritt, können die Kompetenzen subsumiert werden, die an vorschulischen institutionellen Bildungsorten, in Lernwelten wie Medien oder Peer Group u.a. erworben werden und nicht auf die (gemessenen) kindlichen Charakteristiken und die familialen Merkmale zurückzuführen sind. Bei der Leistung in Sprache am Ende der ersten Klasse erweist sich zusätzlich die Interaktion zwischen Block 3 und Block 4 (9. Block im Modell) als signifikant.
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
327
unterschiede der Kinder in Mathematik am Ende des ersten Schuljahres und gar 56 Prozent am Ende des zweiten Schuljahres erklären können. Bezüglich der Schulleistung in Sprache liegen die Werte mit 34 am Ende des ersten bzw. mit 23 Prozent am Ende des zweiten Schuljahres etwas tiefer. Die Erklärungskraft der hochsignifikanten Modelle ist für die Leistung in Mathematik geringfügig besser als für die Sprache (hochsignifikant nach einem Schuljahr). Insgesamt kann man jedoch für beide Entwicklungsmasse von zufriedenstellenden erklärten Varianzanteilen sprechen. Es ist jedoch zu vermerken, dass ein erheblicher zusätzlicher Anteil der Entwicklungsunterschiede zwischen den Kindern am Ende des ersten bzw. zweiten Schuljahres von weiteren nicht im Modell aufgenommenen Variablen erklärt wird (vgl. Tab. 47). Effekte der verschiedenen Prädiktorenblöcke Die individuellen Merkmale Geschlecht, Alter und Intelligenz spielen am Ende des ersten und zweiten Schuljahres für den Leistungsstand in Mathematik mit 16 bzw. gar 29 Prozent an aufgeklärter Varianz eine bedeutsame Rolle. Dies entspricht am Ende des ersten etwas weniger und am Ende des zweiten Schuljahres gar etwas mehr als der Hälfte der gesamten aufgeklärten Varianz. Für keinen anderen Entwicklungsbereich erweisen sich die individuellen Merkmale annähernd so wichtig. Bei der Schulleistung in Sprache klärt dieser Block vergleichsweise geringe 3 bzw. 6 Prozent auf (vgl. Tab. 47). Wirft man einen Blick auf die Effekte des Blocks der pädagogischen Qualität und des Erziehungsverhaltens in den Familien, so stellt man zu beiden Messzeitpunkten für das Kriterium Mathematikleistung eine weit geringere aufgeklärte Varianz und für Sprachleistung eine mit den individuellen Merkmalen vergleichbare Varianz fest. Der Anteil der zu erklärenden Leistungsunterschiede zwischen den Kindern liegt zwischen 2 bis 5 Prozent. Es ist anzufügen, dass der Anteil an erklärter Varianz bezüglich der Leistung in der Sprache im Vergleich zu den insgesamt aufgeklärten interindividuellen Leistungsunterschieden höher ist als dies bei der Mathematik der Fall ist. Der am Anfang des ersten Schuljahres gemessene Entwicklungsstand in Mathematik – darunter werden die kindlichen Kompetenzen, die nicht auf die (gemessenen) kindlichen Charakteristiken und die familialen Merkmale zurückzuführen sind, verstanden – erklärt am Ende des ersten noch 19 und am Ende des zweiten Schuljahres immer noch 15 Prozent der Varianz der Leistung zwischen den Kindern. Ähnlich sieht es auch bei der Schulleistung in der Sprache aus, da die Werte nur geringfügig tiefer liegen. Alles in allem kann konstatiert werden, dass dieser Block hinsichtlich des kognitiven Entwicklungsstandes nach einem
328
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
bzw. nach zwei Schuljahren den grössten bzw. zweitgrössten Anteil an Leistungsunterschieden zwischen den Kindern erklären kann (vgl. Tab. 47). Tab. 47
Anteil aufgeklärter Varianz verschiedener Prädiktorenblöcke bezüglich des kognitiven Entwicklungsstands der Kinder: Blockweise hierarchische Regressionsanalysen Leistung in Sprache
Block 1: Individuelle Merkmale Block 2: Familiale Merkmale Block 3: Entwicklungsstand am Anfang des 1. Schuljahres Block 4: Schulische Merkmale Block 5: Interaktion Block 1 x Block 2 Block 6: Interaktion Block 1 x Block 3 Block 7: Interaktion Block 1 x Block 4 Block 8: Interaktion Block 2 x Block 4 Block 9: Interaktion Block 3 x Block 4 Aufgeklärte Varianz R² total
Leistung in Mathematik
1. Schuljahr 3%*** 2%***
2. Schuljahr 6%*** 5%**
1. Schuljahr 16%*** 4%*
13%***
10%***
19%***
15%***
1%
5%***
7%***
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
2%**
-
-
-
13%***
34%***
23%
43%
2. Schuljahr 29%*** 5%***
56%***
* p< .05; ** p< .01; *** p< .001 Leistung in Mathematik 1. Sj.: N= 442, 2. Sj.: N= 423; Leistung in Sprache 1. Sj.: N= 406, 2. Sj.: N= 410
Die pädagogische Qualität in der Schule – unter Berücksichtigung der drei unterschiedlichen schulischen Settings – klärt bei der Schulleistung in Mathematik einen statistisch bedeutsamen, aber verhältnismässig geringen Anteil an aufgeklärter Varianz von 5 bzw. 7 Prozent nach einem bzw. nach zwei Schuljahren auf. Dies entspricht rund einem Achtel der gesamten aufgeklärten Varianz. Als erstaunlich hoch dürfen die 13 Prozent erklärter Varianz hinsichtlich der Sprachleistung nach einem Schuljahr gewertet werden. Zudem zeigt sich der Interaktionseffekt (Block 9) zwischen Block 3 und Block 4 als signifikant. Dieser Effekt ist dahingehend zu interpretieren, dass Kinder, die am Anfang des ersten Schuljahrs einen tiefen Leistungsstand in der Sprache mitbringen im Besonderen von einem qualitativ guten Schulsetting profitieren. Um der Frage nachgehen zu können, wie gross die aufgeklärte Varianz bezüglich des kindlichen Entwicklungsstandes allein durch die unterschiedlichen Schulformen – Tagesschule, Schule mit Blockzeitenunterricht und Schule mit
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
329
traditionellem Unterricht – ist, wurde jeweils86 ein weiteres Modell ohne das Merkmal Schulform bzw. Untersuchungsgruppe gerechnet. Die Differenz der aufgeklärten Varianz des Blocks schulische Merkmale, zwischen dem jeweiligen Modell mit (vgl. Tab. 47) und ohne das Merkmal Schulform, sagt aus, wie viel an Varianz im Speziellen durch die unterschiedlichen Schulformen aufgeklärt werden kann. Es erweist sich als interessant, dass sowohl bei der Schulleistung in der Mathematik als auch in der Sprache am Ende des ersten Schuljahres die unterschiedlichen Schulformen – Tagesschule, Schule mit Blockzeitenunterricht und Schule mit traditionellem Unterricht – 0.5 bzw. gar rund 5 Prozent an Varianz aufklären können. Das heisst, weitere spezifische Merkmale der Schulformen, die nicht explizit genannt und in den Modellen vorhanden sind, können in dieser Höhe zusätzliche Leistungsunterschiede der Kinder erklären. Am Ende des zweiten Schuljahres können die verschiedenen Schulformen jedoch die Schulleistung nicht mehr besser vorhersagen. Vergleicht man die beiden Blöcke der familialen und der schulischen Merkmale – die in der vorliegenden Studie im Besonderen interessieren – bezüglich ihrer Relevanz für die kognitive Entwicklung, so stellt man fest, dass die Effekte beider Blöcke hinsichtlich der Leistung in Mathematik in etwa gleich gross sind, mit einem leichten Vorteil für die schulischen Merkmale. Für die Schulleistung in Sprache erweist sich das schulische Setting nach einem Schuljahr als deutlich wichtiger, was jedoch nach zwei Schuljahren gerade umgekehrt ist (vgl. Tab. 47). Entgegen der Erwartungen kann somit festgestellt werden, dass das schulische Setting nach einem und nach zwei Schuljahren, unter vorhergehenden Berücksichtigung individueller Merkmale der Kinder und deren Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres, insgesamt einen grösseren Einfluss auf die schulische Leistung der Kinder hat als das familiale Setting. Dies ist umso erstaunlicher, als dass, aufgrund der Reihenfolge der Blöcke im Gesamtmodell, die Schätzung des schulischen Settings die konservativste ist. Beschreibung der einzelnen Prädiktorenblöcke und deren relevanten Merkmale Im Folgenden sollen die vorhersagbaren Linearkombinationen der einzelnen Prädiktorenblöcke mittels der Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten beschrieben werden. Für jeden Variablenblock, der in das Regressionsmodell aufgenommen wurde, wird die Linearkombination aus allen Variablen dieses Blocks – ohne aller vorangehender Variablen, die nicht diesem Block angehören – gebildet. Diese Linearkombination oder auch Faktorvariable eines Blocks 86
Für die Schulleistung in Sprache 1. Schuljahr, Schulleistung in Sprache 2. Schuljahr, Schulleistung in Mathematik 1. Schuljahr und Schulleistung in Mathematik 2. Schuljahr
330
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
genannt, erklärt die jeweilige Kriteriumsvariable maximal. Um beschreiben zu können, wie relevant die einzelnen Ausgangsvariablen des Blocks sind, wird eine Korrelation der Ausgangsvariablen des Blocks mit dessen Faktorvariable gerechnet. Die daraus resultierenden Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten können wie Faktorenladungen interpretiert werden (Tietze et al.2005a, p. 250). Für die Interpretation der Ergebnisse bleibt anzufügen, dass die Korrelationen mit den vorhergesagten Linearkombinationen eines Blocks nur unter Berücksichtigung der aufgeklärten Varianz des gesamten Blocks gedeutet werden können. Das heisst, eine Korrelation einer Variable mit der Linearkombination des Blocks kann noch so hoch sein, wenn die aufgeklärte Varianz des gesamten Blocks gering ist. In diesem Fall muss die hohe Korrelation als wenig aussagekräftig bezeichnet werden (Tietze et al. 2005a, p. 138). Die Beschreibung beschränkt sich im Folgenden auf die Blöcke mit mehreren Ausgangsvariablen: Block 1 (individuelle Merkmale), Block 2 (familiale Merkmale) und Block 4 (schulische Merkmale). Es werden dabei nur Koeffizienten > I.20I aufgeführt und interpretiert. Für die Vorhersage der Schulleistung in Mathematik erweist sich der gesamte Block der individuellen Kindermerkmale als statistisch sehr bedeutsam (vgl. Tab. 47). Wirft man einen Blick auf die einzelnen Merkmale und deren Korrelationen mit der Linearkombination, so stellt man fest, dass dieser Block insbesondere durch das Geschlecht (-.5587 und -.5988) und den IQ (.81 und .78) des Kindes beschrieben wird. Als günstig für die Entwicklung erweist sich ein hoher IQ. Zudem erzielen Jungen bessere Leistungen als Mädchen. Eine positivere Entwicklung bezüglich der Schulleistung in Sprache zeigen vor allem Kinder von hoher Intelligenz (.82 und .95), die zu den älteren Kindern der Jahrgangsklasse (.55 und .31) gehören. Die Ergebnisse bezüglich des Geschlechts des Kindes erweisen sich als heterogen. Dieser Block vereint jedoch insgesamt weniger aufgeklärte Varianz auf sich als der vorhergehende Block (vgl. Tab. 47). Der Block der pädagogischen Qualität der Familie hat eine mittlere Beziehung mit dem Entwicklungsstand in Mathematik und Sprache zu beiden relevanten Zeitpunkten inne. Als besonders günstig für die Leistungen in den beiden Hauptfächern erweisen sich hohe bildungsrelevante Ressourcen (zwischen .61 und .94), ein hoher sozioökonomischer Status der Familie (zwischen .21 und .55), eine gute Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie (zwischen .40 und .83) und das ausschliessliche Sprechen von schweizerdeutsch in der Familie (zwischen .33 und .54). Einen negativen Einfluss hat durchwegs das permissive Erziehungsverhalten der Eltern (zwischen -.21 und -.56) (vgl. Tab. 48). 87 88
Ende des ersten Schuljahres Ende des zweiten Schuljahres
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
331
Als weniger eindeutig zeigt sich die Situation bei den einzelnen Prädiktoren des Prädiktorenblocks Schulsetting. Eine Vielzahl von Variablen weisen Koeffizienten von geringerer und mittlerer Höhe mit der Faktorvariable auf, wie der Tabelle 48 zu entnehmen ist. Im Speziellen erwähnt werden sollen die tiefe Schulleistungsorientierung (-. 63 und -.70) und die positive Einstellung hinsichtlich der Fokussierung traditioneller Aufgaben der Schule der Lehr- und Betreuungspersonen (.54 und .43), die eine hohe Mathematikleistung begünstigen. Als positiv erweist sich zudem ein regelmässiger Austausch und eine regelmässige Planung mit der Parallelklassenlehrperson (.40 Ende erstes Schuljahr) sowie das Vorhandensein einer Vielzahl von verschiedenen Materialien im Klassenzimmer (.43 Ende zweites Schuljahr). Je mehr Lehrpersonen gemeinsam eine Klasse unterrichten, desto ungünstiger wirkt sich dies hingegen auf die Leistungen in Mathematik aus. Als besonders vorteilhaft für eine gute Schulleistung in der Sprache präsentiert sich ein Unterricht, der wenig im Plenum abgehalten wird (-. 36 und .38). Zudem erweist es sich als umso günstiger, je weniger die Klassenlehrperson den Austausch mit den Speziallehrpersonen pflegt (-.36) und umso mehr Materialien im Klassenzimmer vorhanden sind (.41 Ende erstes Schuljahr). Ebenso erzielen Kinder, deren Lehr- und Betreuungspersonen eine höhere Schulleistungsorientierung haben, eine positivere Leistung (.40 Ende des ersten Schuljahres) (vgl. Tab. 48).
332 Tab. 48
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten der Blöcke individuelle, familiale und schulische Merkmale: Kognitiver Entwicklungsstand (Schulleistungen) Leistung in Sprache
Block 1: individuelle Merkmale Geschlechta Alter des Kindes bei Schuleintritt Intelligenzquotient des Kindes Block 2: Familiale Merkmale Pädagogische Orientierungen Entwicklungserwartungen Erziehungsverhalten der Eltern autoritatives Erziehungsverhalten Permissives Erziehungsverhalten autoritäres Erziehungsverhalten Strukturqualität personale Dimension berufliche Tätigkeit ausser Haus der Familie (in Wochenstunden) Gesprochene Sprache(n) in der Familie Schweizerdeutschb soziale Dimension Anzahl Personen im Haushalt Bildungsrelevante Ressourcen der Familie Sozioökonomischer Status der Familie Prozessqualität in der Familie Entwicklungsförderung und aktive Stimulation HOMEI
Leistung in Mathematik
1. Schuljahr
2. Schuljahr
1. Schuljahr
2. Schuljahr
-.31** .55** .82**
.22** .31** .95**
-.55**
-.59**
.81**
.78**
.46**
-.55**
-.56** -.40**
-.27** -.21**
.24** -.44** -.21**
.45**
.37**
.54**
.33**
.55**
-.25**
.68**
.64**
.61**
.94**
.39**
.21**
.55**
.30**
.55**
.53**
.83**
.40**
.48**
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
333
Fortsetzung von Tabelle 48 Block 4: Schulische Merkmale Untersuchungsgruppen Schulform Tagesschulkinderc Blockzeitenkinderd Pädagogische Orientierungen der Lehr- und Betreuungspersonen Schulleistungsorientierung Traditionelle Aufgaben der Schule Strukturqualität personale Dimension Anzahl Jahre Berufserfahrung der Lehrperson soziale Dimension Anzahl Lehrpersonen, die eine Klasse unterrichten Handlungsdimension zeitlicher Anteil des Unterrichts in Deutsch und Mathematik im Plenum („Ganzklassenunterricht“) Regelmässiger Austausch und Planung mit Speziallehrpersonen Regelmässiger Austausch und Planung mit Parallelklassenlehrpersonen Angebotsdimension Freizeitangebote räumlich-materiale Dimension Anzahl verschiedener Materialien im Klassenzimmer Prozessqualität im Schulsetting der Untersuchungsgruppen Prozessqualität (Unterrichtsqualität und Qualität im ausserunterrichtlichen Teil)
-.58**
-.22** .20**
.40**
.41**
.26**
-.63** .54**
-.25**
-.33**
-.20**
-.43**
-.36** -.36**
-.70** .43**
-.23**
.33** -.38**
.24**
-.28**
-.36**
.40**
.21**
-.30**
-.26**
-.27**
.41**
.22**
.43**
-.23**
** p< .01; Koeffizienten > I.20I; Leistung in Mathematik 1. Sj.: N= 442, 2. Sj.: N= 423; Leistung in Sprache 1. Sj.: N= 406, 2. Sj.: N= 410 a 1=Junge, 2= Mädchen b 1= Schweizerdeutsch, 0= Schweizerdeutsch und eine andere Sprache bzw. eine andere Sprache; c 1= Tagesschulkinder, 0= Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder; d 1= Blockzeitenkinder, 0= Tagesschul- und Kontrollgruppenkinder
Die Schulform Tagesschule (-.22) offenbart sich im Weiteren als eher ungünstig für eine gute Mathematikleistung am Ende des zweiten Schuljahres und für eine
334
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
gute Sprachleistung am Ende des ersten Schuljahres (vgl. Tab. 48). Dieses Ergebnis muss dahingehend interpretiert werden, dass weitere, wenig entwicklungsfördernde Merkmale des Tagesschulsettings, die in diesem Modell nicht berücksichtigt wurden, einen Einfluss auf den kindlichen Entwicklungsstand ausüben. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich in der Schule eine Vielzahl an entwicklungsfördernden Bedingungsfaktoren zeigt.
11.2.2 Effekte auf die sozio-emotionale Entwicklung Die sozio-emotionale Entwicklung der Kinder wurde hinsichtlich des Selbstkonzepts der Kinder (in Lesen, Mathematik und Peer-Relations), ihres prosozialen Verhaltens sowie bezüglich ihrer sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres analysiert. Die Modelle mit allen Blöcken (inkl. Interaktionen) erklären beim Selbstkonzept Lesen und beim Selbstkonzept Mathematik der Kinder insgesamt rund 25 Prozent der Unterschiede zwischen den Kindern. Dies trifft nach dem ersten und nach dem zweiten Schuljahr zu (vgl. Tab. 49). Etwas divergenter sieht es beim Selbstkonzept Peer-Relations aus, bei dem sich am Ende des ersten Schuljahres 43 Prozent und ein Jahr später nur noch 21 Prozent der interindividuellen Differenzen erklären lassen. Betrachtet man das von den Eltern eingeschätzte prosoziale Verhalten ihrer Kinder und deren Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten, so ist die Erklärungskraft dieser Modelle um einiges höher. Diese liegen mit einer Ausnahme (prosoziales Verhalten am Ende des zweiten Schuljahrs 39%) zwischen 50 und 63 Prozent, was als hoch zu bewerten ist (vgl. Tab. 50). Die insgesamt tieferen Werte an aufgeklärter Varianz beim Selbstkonzept könnten in dem Sinne erklärt werden, dass die Selbstwahrnehmung der Kinder von anderen Merkmalen pädagogischer Qualität abhängig ist, als in dieser Studie thematisiert werden. Oder aber das im Aufbau begriffene Selbstkonzept der Kinder ist in diesem Alter, am Anfang der Primarschulzeit, noch wenig ausdifferenziert. Effekte der verschiedenen Prädiktorenblöcke Die individuellen Merkmale spielen am Ende des ersten und des zweiten Schuljahres bei allen Entwicklungsmassen – mit Ausnahme beim sozialen Selbstkonzept Peer-Relations nach zwei Schuljahren – mit einer aufgeklärten Varianz von zwischen 2 und 10 Prozent eine statistisch bedeutsame Rolle. Im Vergleich mit den weiteren Blöcken im jeweiligen Modell vereinigt jedoch dieser Block
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
335
eher wenig Gewicht auf sich. Einzig beim Selbstkonzept Mathematik erweisen sich die individuellen Merkmale am Ende des zweiten Schuljahres mit einer aufgeklärten Varianz von annähernd der Hälfte des Gesamtwertes als der wichtigste aller Blöcke (vgl. Tab. 49). Der Einfluss der pädagogischen Qualität in der Familie kann für das prosoziale Verhalten und die sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten als beträchtlich bezeichnet werden. Dieser Block klärt um die 12 Prozent der Varianz auf, etwas geringer ist diese beim prosozialen Verhalten am Ende des zweiten Schuljahres (6%) (vgl. Tab. 50). Der Entwicklungsstand des Selbstkonzepts der Kinder hingegen wird deutlich weniger beeinflusst durch die familialen Merkmale. Die Varianzen der beiden schulischen Selbstkonzepte liegen in etwa in der gleichen Höhe wie beim Block der individuellen Merkmale. Dies ist für beide Zeitpunkte der Fall. Gar keinen signifikanten Einfluss hat die familiale pädagogische Qualität für das soziale Selbstkonzept (vgl. Tab. 49).
336 Tab. 49
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung Anteil aufgeklärter Varianz verschiedener Prädiktorenblöcke bezüglich des Entwicklungsstandes in verschiedenen Bereichen des Selbstkonzepts der Kinder: Blockweise hierarchische Regressionsanalysen
Block 1: Individuelle Merkmale Block 2: Familiale Merkmale Block 3: Entwicklungsstand am Anfang des 1. Schuljahres Block 4: Schulische Merkmale Block 5: Interaktion Block 1 x Block 2 Block 6: Interaktion Block 1 x Block 3 Block 7: Interaktion Block 1 x Block 4 Block 8: Interaktion Block 2 x Block 4 Block 9: Interaktion Block 3 x Block 4 Aufgeklärte Varianz R² total
Selbstkonzept Lesen 1. 2. Schuljahr Schuljahr
Selbstkonzept Mathematik 1. 2. Schujahr Schuljahr
2%*
3%**
6%***
3%*
4%*
5%**
5%**
16%***
15%***
12%***
5%***
16%***
14%***
13%***
0%
10%***
Selbstkonzept Peer-Relations 1. 2. Schuljahr Schuljahr
5%***
1%
2%
4%
2%
2%*
0%
0%
-
-
-
3%**
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
7%***
-
-
2%**
1%* 25%*
24%*
3%***
-
25%***
23%**
43%***
21%**
* p< .05; ** p< .01; *** p< .001 Selbstkonzept Lesen 1. Sj.: N= 454, 2. Sj.: N= 455; Selbstkonzept Mathematik 1. Sj.: N= 453, 2. Sj.: N= 417; Selbstkonzept Peer-Relations 1. Sj.: N= 458, 2. Sj.: N= 420
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren Tab. 50
337
Anteil aufgeklärter Varianz verschiedener Prädiktorenblöcke bezüglich sozioemotionaler Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten der Kinder: Blockweise hierarchische Regressionsanalysen Prosoziales Verhalten
1. Schuljahr Block 1: Individuelle Merkmale Block 2: Familiale Merkmale Block 3: Entwicklungsstand am Anfang des 1. Schuljahres Block 4: Schulische Merkmale Block 5: Interaktion Block 1 x Block 2 Block 6: Interaktion Block 1 x Block 3 Block 7: Interaktion Block 1 x Block 4 Block 8: Interaktion Block 2 x Block 4 Block 9: Interaktion Block 3 x Block 4 Aufgeklärte Varianz R² total
2. Schuljahr
Sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten 1. Schuljahr 2. Schuljahr
5%***
3%*
3%*
5%**
12%***
6%**
14%***
12%***
32%***
27%***
37%***
34%***
0%
1%
3%**
4%**
-
-
-
-
-
3%***
1%*
-
-
-
1%*
-
1%**
-
-
2%**
-
-
1%**
7%***
59%**
63%***
50%**
39%***
* p< .05; ** p< .01; *** p< .001 Prosoziales Verhalten 1. Sj.: N= 393, 2. Sj.: N= 392 Sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten 1. Sj.: N= 392, 2. Sj.: N= 390
Der Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres zeigt bezüglich aller sozio-emotionalen Entwicklungsmasse – mit der Ausnahme des Selbstkonzepts in Mathematik am Ende des zweiten Jahres (5%) – den grössten Effekt auf den Entwicklungsstand am Ende des ersten und zweiten Schuljahres. Beim Selbstkonzept liegen aufgeklärte Varianzen zwischen 12 und 16 Prozent, beim prosozialen Verhalten und den Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten gar zwischen 27 und 37 Prozent vor (vgl. Tab. 49 und 50). Erstaunlich ist dabei, dass die Ab-
338
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
nahme der Vorhersage des Entwicklungsstandes vom Ende des ersten bis zum Ende des zweiten Schuljahres nur gering ist. Die pädagogische Qualität in den schulischen Settings zeigt nur statistisch bedeutsame und somit signifikante Effekte auf den sozio-emotionalen Entwicklungsstand beim Selbstkonzept Peer-Relations am Ende des ersten (13%), beim Selbstkonzept Lesen am Ende des zweiten Schuljahrs (2%) und bezüglich Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten zu beiden Zeitpunkten (3 bzw. 4%). Ansonsten hat das schulische Setting keinen signifikanten Einfluss (vgl. Tab. 49 und 50). Auch hinsichtlich der sozio-emotionalen Entwicklungsmasse wurde der Frage nach der durch die verschiedenen Schulformen spezifisch erklärten Varianz nachgegangen. Dazu wurde wiederum jeweils ein weiteres Modell ohne das Merkmal Schulform bzw. Untersuchungsgruppe gerechnet. Die Differenz der aufgeklärten Varianz des Blocks schulische Merkmale, zwischen dem jeweiligen Modell mit (vgl. Tab. 49 und 50) und ohne das Merkmal Schulform, sagt aus, wie viel an Varianz im Speziellen durch die unterschiedlichen Schulformen aufgeklärt werden kann. Nur beim sozialen Selbstkonzept können die unterschiedlichen Schulformen – Tagesschule, Schule mit Blockzeitenunterricht und Schule mit traditionellem Unterricht – einen relevanten Anteil an zusätzlichen 3 Prozent an Varianz aufklären. Das heisst, weitere spezifische Merkmale der Schulformen, die nicht explizit genannt und in den Modellen vorhanden sind, können in dieser Höhe zusätzliche Leistungsunterschiede der Kinder erklären. Dies trifft jedoch allein auf das soziale Selbstkonzept zu. Im Weiteren erweisen sich bei allen sozio-emotionalen Entwicklungsmassen Interaktionseffekte zwischen den Blöcken als signifikant (vgl. Tab. 49 und 50). Diese Effekte sind – bis auf das Selbstkonzept in Mathematik89 – alle dahingehend zu interpretieren, dass Kinder, die im ersten Block günstige Merkmale für ihre Entwicklung haben, sich besonders gut entwickeln, wenn sie auch im zweiten Block besonders entwicklungsfördernde Bedingungen vorfinden. Als stärkster Interaktionseffekt zeigt sich die Interaktion zwischen den familialen und den schulischen Merkmalen, die 7 Prozent des Selbstkonzepts Peer-Relations am Ende des ersten Schuljahres aufklären kann. Dieser Effekt kann dahingehend ausgelegt werden, dass wer von einem entwicklungsfördernden familialen Umfeld profitieren kann, im schulischen Setting am meisten dazulernt. Andererseits liegt auch die aufgeklärte Varianz der Interaktion zwischen dem Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres und den schulischen Merkmalen bezüglich der sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten bei 7 Prozent. Wer bereits zu Beginn der Schullaufbahn aus89
Hier findet man jeweils negative Korrelationen vor.
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
339
geprägte Verhaltensstärken aufweisen kann, profitiert ganz besonders von einem qualitativ hochstehenden Schulsetting. Wer zudem in einer entwicklungsfördernden Familie aufwächst, profitiert speziell von einer hohen pädagogischen Qualität in der Schule (2%). Vergleicht man abschliessend die beiden zentralen Blöcke familiale und schulische Merkmale, zeigt sich – mit Ausnahme beim Selbstkonzept PeerRelations zum Ende des ersten Schuljahrs – die klar grössere Bedeutung der Familie hinsichtlich des sozio-emotionalen Entwicklungsstandes der Kinder am Anfang der Schullaufbahn. Beim Selbstkonzept Peer-Relations hingegen liegt der Effekt der schulischen Merkmale nach einem Jahr um ein mehrfaches höher als derjenige der Familie. Dieser Effekt ist jedoch ein Jahr später nicht mehr vorhanden. Insgesamt zeigen die Ergebnisse somit, dass das familiale Setting nach einem und nach zwei Schuljahren, unter vorhergehender Berücksichtigung individueller Merkmale der Kinder – im Gegensatz zum kognitiven Entwicklungsstand – einen grösseren Einfluss auf den sozio-emotionalen Entwicklungsstand der Kinder hat als das schulische Setting. Beschreibung der einzelnen Prädiktorenblöcke und deren relevanten Merkmale Betrachtet man nun die einzelnen Prädiktoren des Blocks individuelle Merkmale, so zeigt sich bei den drei Subbereichen des Selbstkonzepts ein heterogenes Bild. Dies gilt auch für die beiden Zeitpunkte Ende des ersten und zweiten Schuljahres. Die Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten – die Korrelationen der einzelnen Variablen mit der Faktorvariable des Blocks – zeigen, dass dieser Block beim Selbstkonzept Lesen und beim Selbstkonzept Mathematik im Besonderen durch das Geschlecht und die Intelligenz beschrieben wird. Das trifft sowohl am Ende des ersten wie auch des zweiten Schuljahres zu. Dabei sind es beim Selbstkonzept Lesen die Mädchen und beim Selbstkonzept Mathematik die Jungen, die ein höheres Selbstkonzept entwickeln. Diese Entwicklungen laufen parallel – mindestens am Ende des zweiten Schuljahres – mit den Schulleistungen der Geschlechter in den entsprechenden Fächern (vgl. Kap. 11.2.1). Als günstig für den Entwicklungsstand erweist sich zudem ein hoher IQ (vgl. Tab. 51). Beim sozialen Selbstkonzept zeigt sich eine inkonsistentere Lage. Zumindest nach einem Schuljahr scheint auch hier das Geschlecht (.68) ein wichtiger Prädiktor in diesem Block zu sein. Mädchen entwickeln das höhere soziale Selbstkonzept (vgl. Tab. 51). Beim prosozialen Verhalten und den sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten wird der IQ als wichtigster individueller Prädiktor in diesem Block sichtbar. Kinder mit einem hohen IQ zeigen ein positiveres Ver-
340
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
halten. Dies trifft im geringeren Masse auch für die Mädchen zu, die sich besser entwickeln als die Jungen. Dieser Prädiktorenblock leistet jedoch im Vergleich zu den anderen Blöcken eine eher geringe Aufklärung der interindividuellen Unterschiede (vgl. Tab. 52). Der Block der pädagogischen Qualität in der Familie legt eine wichtige Beziehung zum sozio-emotionalen Entwicklungsstand offen. Dies trifft im Besonderen für das prosoziale Verhalten und die sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten zu (vgl. Tab. 50). Sowohl bei den beiden akademischen wie auch beim sozialen Selbstkonzept wird die Qualität des familialen Settings durch eine Vielzahl von Merkmalen von mittlerer Korrelation mit der Faktorvariable des Blocks charakterisiert. Die entwicklungsbegünstigende Qualität in der Familie wird durch tiefere bildungsrelevante Ressourcen (zwischen -.21 und -.78), einen tieferen sozioökonomischen Status (zwischen .37 und -.63), tieferen Entwicklungserwartungen an die Kinder (zwischen -.21 und -.54) sowie teilweise einer geringeren Entwicklungsförderung (zwischen -.28 und -.36) in der Familie90 beschrieben. Zu diesen begünstigenden Merkmalen gehört weiterhin ein eher autoritäres Erziehungsverhalten der Eltern (zwischen .24 und .54) (vgl. Tab. 51). Diese eher unerwarteten Ergebnisse könnten einerseits dahingehend interpretiert werden, dass hohe Erwartungen und ein grosser Druck von Seite der Eltern eher kontraproduktiv sein können für die Entwicklung eines hohen Selbstkonzepts. Andererseits muss an dieser Stelle berücksichtigt werden, dass es nicht allein das Ziel sein kann, ein möglichst hohes Selbstkonzept zu entwickeln, sondern dieses auch der Realität entsprechen soll. Wirft man einen Blick auf den Zusammenhang zwischen den Schulleistungen im entsprechenden Bereich und dem Selbstkonzept, so stellt man sowohl am Ende des ersten als auch des zweiten Schuljahres nur sehr geringe91 bis geringe92 Korrelationen zwischen der Leistung und dem Selbstkonzept fest. Das bedeutet wohl, dass ein recht grosser Teil der Kinder sich (noch) nicht den Leistungen entsprechend einschätzen kann in diesen ersten Schuljahren. Anders sieht das Bild beim prosozialen Verhalten und den sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten aus. Für die Entwicklung in diesen Bereichen erscheint ein überwiegend autoritatives Erziehungsverhalten (zwischen .23 und .73) im Gegensatz zu einem permissiven (zwischen -.56 und .75) oder autoritären Erziehungsverhalten der Eltern (zwischen -. 58 und -.78) als 90 91 92
Selbstkonzept Mathematik am Ende des ersten und zweiten und Selbstkonzept Lesen am Ende des zweiten Schuljahres Pearsons r=.15** bzw. .19** zwischen der Schulleistung in Sprache und dem Selbstkonzept Lesen Pearsons r=.21** bzw. .30*** zwischen der Schulleistung in Mathematik und dem Selbstkonzept Mathematik
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
341
günstig. Ebenso kann ein positiver Einfluss hoher bildungsrelevanter Ressourcen (.63 und .58), ein hoher sozioökonomischer Status der Familie (.43 und .39) nur bei den Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten sowie einer guten Entwicklungsförderung in der Familie (zwischen .35 und .69) aufgezeigt werden (vgl. Tab. 52). An dieser Stelle offenbart sich ein Effekt derselben Merkmale in die entgegengesetzte Richtung wie beim Selbstkonzept, der jedoch eher erwartungskonform ist. Die Qualität im schulischen Setting erklärt nur im geringen Masse, wenn überhaupt, den sozio-emotionalen Entwicklungsstand nach einem und nach zwei Schuljahren. Am wichtigsten präsentiert sich dieser Prädiktorenblock für das soziale Selbstkonzept (am Ende des ersten Schuljahrs) und die sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten (vgl. Tab. 49 und Tab. 50). Deshalb wird in der Beschreibung auf diese Bereiche fokussiert. Günstig auf den Entwicklungsstand bezüglich des sozialen Selbstkonzepts nach einem Jahr wirken sich eine geringe Schulleistungsorientierung der Lehrperson, ein traditionelles Verständnis hinsichtlich der Aufgaben der Schule und eine geringere Erfahrung der Lehrperson aus. Den Blockzeitenunterricht zu besuchen (.26), erweist sich im Weiteren als günstiger im Gegensatz zum Besuch einer Tagesschule (-.51). Letzteres erweist sich für ein hohes soziales Selbstkonzept nach einem Schuljahr als eher ungünstig (vgl. Tab. 51). Diese Ergebnisse müssen dahingehend verstanden werden, dass weitere spezifische Charakteristiken der einzelnen Schulformen einen positiven bzw. negativen Einfluss auf den kindlichen Entwicklungsstand ausüben.
342 Tab. 51
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten der Blöcke individuelle, familiale und schulische Merkmale: verschiedene Bereiche des Selbstkonzepts
2. Schuljahr
Selbstkonzept Mathematik 1. Schul2. Schuljahr jahr
-.58**
Selbstkonzept Lesen 1. Schuljahr Block 1: individuelle Merkmale Geschlechta Alter des Kindes bei Schuleintritt Intelligenzquotient des Kindes
Block 2: Familiale Merkmale Pädagogische Orientierungen Entwicklungserwartungen Erziehungsverhalten der Eltern autoritatives Erziehungsverhalten Permissives Erziehungsverhalten autoritäres Erziehungsverhalten Strukturqualität personale Dimension berufliche Tätigkeit ausser Haus der Familie (in Wochenstunden) Gesprochene Sprache(n) in der Familie Schweizerdeutschb soziale Dimension Anzahl Personen im Haushalt Bildungsrelevante Ressourcen der Familie Sozioökonomischer Status der Familie Prozessqualität in der Familie Entwicklungsförderung und aktive Stimulation HOMEI
.92**
.76**
-.32**
.27**
.33**
.60**
-.23**
-.29**
.78**
-.70**
.69**
-.54**
Soziales Selbstkonzept Peer-Relations 1. Schul2. Schuljahr jahr
.68** .54**
.77**
-.29**
-.57**
-.21**
-.51**
.38** .53** .24**
.20**
.33**
.40**
.53**
.22**
-.52**
-.43**
.42**
-.32** -.54**
-.78**
-.60**
-.67**
-.44**
-.21**
-.63**
-.48**
-.56**
-.49**
-.43**
-.37**
-.36**
-.31**
-.28**
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
343
Fortsetzung von Tabelle 51 Block 4: Schulische Merkmale Untersuchungsgruppen Schulform Tagesschulkinderc Blockzeitenkinderd Pädagogische Orientierungen der Lehrund Betreuungspersonen Schulleistungsorientierung Traditionelle Aufgaben der Schule Strukturqualität personale Dimension Anzahl Jahre Berufserfahrung der Lehrperson soziale Dimension Anzahl Lehrpersonen, die eine Klasse unterrichten Handlungsdimension zeitlicher Anteil des Unterrichts in Deutsch und Mathematik im Plenum („Ganzklassenunterricht“) Regelmässiger Austausch und Planung mit Speziallehrpersonen Regelmässiger Austausch und Planung mit Parallelklassenlehrpersonen Angebotsdimension Freizeitangebote räumlich-materiale Dimension Anzahl verschiedener Materialien im Klassenzimmer Prozessqualität im Schulsetting der Untersuchungsgruppen Prozessqualität (Unterrichtsqualität und Qualität im ausserunterrichtlichen Teil)
.20**
.34** -.50**
.91**
.75**
-.27**
-.28**
-.28**
.23**
-.79**
.22**
.23**
.23**
-.29**
-.51** .26**
-.22**
-.58**
.51**
.60**
-.48**
-.45**
-.24**
-.36**
-.29**
-.13**
.30**
-.69**
-.24**
-.20**
.44**
-.40**
-.43**
.33**
.25**
-.21**
-.43**
.34**
** p< .01; Koeffizienten > I.20I Selbstkonzept Lesen 1. Sj.: N= 454, 2. Sj.: N= 455; Selbstkonzept Mathematik 1. Sj.: N= 453, 2. Sj.: N= 417; Selbstkonzept Peer-Relations 1. Sj.: N= 458, 2. Sj.: N= 420 a 1=Junge, 2= Mädchen; b 1= Schweizerdeutsch, 0= Schweizerdeutsch und eine andere Sprache bzw. eine andere Sprache; c 1= Tagesschulkinder, 0= Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder; d 1= Blockzeitenkinder, 0= Tagesschul- und Kontrollgruppenkinder
344 Tab. 52
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten der Blöcke individuelle, familiale und schulische Merkmale: sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten Prosoziales Verhalten 1. Schuljahr
Block 1: individuelle Merkmale Geschlechta Alter des Kindes bei Schuleintritt Intelligenzquotient des Kindes Block 2: Familiale Merkmale Pädagogische Orientierungen Entwicklungserwartungen Erziehungsverhalten der Eltern autoritatives Erziehungsverhalten Permissives Erziehungsverhalten autoritäres Erziehungsverhalten Strukturqualität personale Dimension berufliche Tätigkeit ausser Haus der Familie (in Wochenstunden) Gesprochene Sprache(n) in der Familie Schweizerdeutschb soziale Dimension Anzahl Personen im Haushalt Bildungsrelevante Ressourcen der Familie Sozioökonomischer Status der Familie Prozessqualität in der Familie Entwicklungsförderung und aktive Stimulation HOMEI
.39**
2. Schuljahr .97**
.90**
.41** -.22** .89**
.65** -.56** -.78**
.38** -.75** -.58**
.23** -.74** -.67**
-.26**
.21**
.94**
.73** -.68** -.70**
Sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten 1. Schuljahr 2. Schuljahr .47**
.27** .25**
.35**
.35**
.25**
.63**
.58**
.43**
.39**
.44**
.69**
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
345
Fortsetzung von Tabelle 52 Block 4: Schulische Merkmale Untersuchungsgruppen Schulform Tagesschulkinderc Blockzeitenkinderd Pädagogische Orientierungen der Lehr- und Betreuungspersonen Schulleistungsorientierung Traditionelle Aufgaben der Schule Strukturqualität personale Dimension Anzahl Jahre Berufserfahrung der Lehrperson soziale Dimension Anzahl Lehrpersonen, die eine Klasse unterrichten Handlungsdimension zeitlicher Anteil des Unterrichts in Deutsch und Mathematik im Plenum („Ganzklassenunterricht“) Regelmässiger Austausch und Planung mit Speziallehrpersonen Regelmässiger Austausch und Planung mit Parallelklassenlehrpersonen Angebotsdimension Freizeitangebote räumlich-materiale Dimension Anzahl verschiedener Materialien im Klassenzimmer Prozessqualität im Schulsetting der Untersuchungsgruppen Prozessqualität (Unterrichtsqualität und Qualität im ausserunterrichtlichen Teil)
.46** -.22**
.53** -.18**
.68** -.50**
-.43**
-.49**
-.71**
.69** -.23**
.30**
.37**
.37**
-.23** .36**
.35**
-.53**
.56**
.63**
.86**
.83**
.99**
.99**
.49**
.42**
** p< .01; Koeffizienten > I.20I Prosoziales Verhalten 1. Sj.: N= 393, 2. Sj.: N= 392; sozio-emotionale Verhaltensstärken 1. Sj.: N= 392, 2. Sj.: N= 390 a 1=Junge, 2= Mädchen; b 1= Schweizerdeutsch, 0= Schweizerdeutsch und eine andere Sprache bzw. eine andere Sprache; c 1= Tagesschulkinder, 0= Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder; d 1= Blockzeitenkinder, 0= Tagesschul- und Kontrollgruppenkinder
Im Hinblick auf Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten zeigen die Ergebnisse bezüglich der Schulformen gerade in die entgegengesetzte Richtung. Das Tagesschulsetting (.68 und .69) ist dabei besonders förderlich, das Blockzeitensetting
346
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
ist es weniger (-.50 und -.23). Ansonsten kann die entwicklungsfördernde Qualität des Schulsettings am besten durch die vorhandenen Freizeitangebote in der Schule (.86 und .83), ein geringes traditionelles Verständnis bezüglich der Aufgaben der Schule (-.71) und nicht zuletzt durch eine hohe Prozessqualität im Unterricht und im ausserunterrichtlichen Teil (.49 und .42) charakterisiert werden (vgl. Tab. 52). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich auch hinsichtlich des sozio-emotionalen Entwicklungsstandes eine Vielzahl von entwicklungsfördernden Merkmalen im familialen und schulischen Setting zeigen.
11.2.3 Effekte auf die Entwicklung von Alltagsfertigkeiten Ein weiteres bedeutsames Kriterium für die Entwicklung von Kindern im Primarschulalter ist die Bewältigung von Lebenssituation. Es geht dabei um alltägliche Aktivitäten, die relevant sind für eine Normalentwicklung. Hinsichtlich der Entwicklung dieser Alltagsfertigkeiten klären die Regressionsmodelle mit allen Hauptblöcken – Interaktionseffekte sind keine signifikant – am Ende des ersten Schuljahres 61 und am Ende des zweiten Schuljahres 49 Prozent der interindividuellen Unterschiede bezüglich des Entwicklungsstandes in den Alltagsfertigkeiten der Kinder auf (vgl. Tab. 53). Effekte der verschiedenen Prädiktorenblöcke Der Block der individuellen Merkmale der Kinder weist nach einem Schuljahr eine beträchtliche aufgeklärte Varianz von 7 Prozent auf, die bis zum Ende des zweiten Jahres noch bei 2 Prozent liegt. Diese Werte sind in etwa in der Höhe derjenigen bei der sozio-emotionalen Entwicklung anzusiedeln. Von vergleichsweise grosser Relevanz ist der Einfluss der familialen Merkmale der pädagogischen Qualität in der Familie. Diese spielen am Ende des ersten und des zweiten Schuljahres mit aufgeklärten Varianzen von 14 bzw. 21 Prozent eine statistisch bedeutsame Rolle und sind – nach dem Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres – der gewichtigste Block. Im Vergleich zu den dargestellten Entwicklungsmassen zur kognitiven und zur sozio-emotionalen Entwicklung erklärt dieser Block einen grösseren Anteil an interindividuellen Unterschieden zwischen den Kindern bezüglich des Entwicklungsstandes. Vergleichbar mit den anderen Entwicklungsbereichen offenbart sich bei den Alltagsfertigkeiten ebenfalls der Entwicklungsstand zu Schuleintritt als wichtigster Prädiktorenblock. Die Abnahme der Vorhersage vom Ende des ersten bis
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
347
zum Ende des zweiten Schuljahres liegt jedoch bei nicht zu vernachlässigenden 14 Prozent, was sich auch bei der aufgeklärten Varianz aller Blöcke insgesamt am Ende des zweiten Jahres niederschlägt (vgl. Tab. 53). Die pädagogische Qualität in den schulischen Settings erweist sich für die Alltagsfertigkeiten als statistisch bedeutsam und klärt 3 bzw. 4 Prozent der Entwicklungsunterschiede am Ende des ersten bzw. zweiten Jahres auf (vgl. Tab. 53). Diese Werte liegen in etwa auf der Höhe des Prädiktorenblocks der individuellen Merkmale. Das schulische Setting ist jedoch deutlich weniger gewichtig als es das Setting der Familie ist. Tab. 53
Anteil aufgeklärter Varianz verschiedener Prädiktorenblöcke bezüglich des Entwicklungsstandes in den Alltagsfertigkeiten der Kinder: Blockweise hierarchische Regressionsanalysen
Block 1: Individuelle Merkmale Block 2: Familiale Merkmale Block 3: Entwicklungsstand am Anfang des 1. Schuljahres Block 4: Schulische Merkmale Block 5: Interaktion Block 1 x Block 2 Block 6: Interaktion Block 1 x Block 3 Block 7: Interaktion Block 1 x Block 4 Block 8: Interaktion Block 2 x Block 4 Block 9: Interaktion Block 3 x Block 4 Aufgeklärte Varianz R² total
Alltagsfertigkeiten 1. Schuljahr 2. Schuljahr 7%*** 2%* 14%*** 21%*** 38%***
24%***
3%* 61%**
4%** 49%**
* p< .05; ** p< .01; *** p< .001 Alltagsfertigkeiten 1. Sj.: N= 391, 2. Sj.: N= 385
Auch hinsichtlich der Alltagsfertigkeiten wurde der Frage nach der durch die unterschiedlichen Schulformen spezifisch erklärten Varianz nachgegangen. Dazu wurde wiederum jeweils ein weiteres Modell ohne das Merkmal Schulform gerechnet. Die Differenz der aufgeklärten Varianz des Blocks schulische Merkmale, zwischen dem jeweiligen Modell mit (vgl. Tab. 53) und ohne das Merkmal Schulform, sagt aus, wie viel an Varianz im Speziellen durch die unterschiedlichen Schulformen aufgeklärt werden kann. Die Ergebnisse zeigen auf, dass am Ende des zweiten Schuljahres die verschiedenen Schulformen – Tagesschule, Schule mit Blockzeitenunterricht und Schule mit traditionellem Unterricht – rund 1 Prozent an Varianz aufklären können. Das bedeutet, dass weitere spezifische Merkmale der Schulformen, die nicht explizit genannt und in den Modellen
348
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
vorhanden sind, in dieser Höhe zusätzliche Leistungsunterschiede der Kinder erklären. Die Ergebnisse legen alles in allem dar, dass das familiale Setting nach einem und nach zwei Schuljahren, unter vorhergehender Berücksichtigung individueller Merkmale der Kinder, wie erwartet einen deutlich grösseren Einfluss auf die Entwicklung der Alltagsfertigkeiten der Kinder hat als das schulische Setting. Beschreibung der einzelnen Prädiktorenblöcke und deren relevanten Merkmale Der Block der individuellen Merkmale der Kinder wird sowohl nach einem als auch nach zwei Schuljahren insbesondere durch den Intelligenzquotienten (.78 und .82) und das Geschlecht (.51 und .55) bestimmt. Kinder mit einer hohen Intelligenz entwickeln bessere Alltagsfertigkeiten und Mädchen zeigen bessere Alltagsfertigkeiten als Jungen. Dieser Prädiktorenblock leistet jedoch im Vergleich zu anderen Blöcken eine eher geringe Aufklärung der interindividuellen Unterschiede hinsichtlich des Entwicklungsstandes in den Alltagsfertigkeiten (vgl. Tab. 54). Tab. 54
Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten der Blöcke individuelle, familiale und schulische Merkmale: Alltagsfertigkeiten
Block 1: individuelle Merkmale Geschlechta Alter des Kindes bei Schuleintritt Intelligenzquotient des Kindes Block 2: Familiale Merkmale Pädagogische Orientierungen Entwicklungserwartungen Erziehungsverhalten der Eltern autoritatives Erziehungsverhalten Permissives Erziehungsverhalten autoritäres Erziehungsverhalten Strukturqualität personale Dimension berufliche Tätigkeit ausser Haus der Familie (in Wochenstunden) Gesprochene Sprache(n) in der Familie Schweizerdeutschb soziale Dimension Anzahl Personen im Haushalt Bildungsrelevante Ressourcen der Familie Sozioökonomischer Status der Familie Prozessqualität in der Familie Entwicklungsförderung und aktive Stimulation HOMEI
Alltagsfertigkeiten 1. Schuljahr
Alltagsfertigkeiten 2. Schuljahr
.51** .44** .78**
.55** -.22** .82**
-.36** .69** -.79** -.52**
.63** -.83** -.62**
-.27**
.44** .27**
.44**
.52**
.49**
11.2 Effekte verschiedener Blöcke von Bedingungsfaktoren
349
Fortsetzung von Tabelle 54 Block 4: Schulische Merkmale Untersuchungsgruppen Schulform Tagesschulkinderc Blockzeitenkinderd Pädagogische Orientierungen der Lehr- und Betreuungspersonen Schulleistungsorientierung Traditionelle Aufgaben der Schule Strukturqualität personale Dimension Anzahl Jahre Berufserfahrung der Lehrperson soziale Dimension Anzahl Lehrpersonen, die eine Klasse unterrichten Handlungsdimension zeitlicher Anteil des Unterrichts in Deutsch und Mathematik im Plenum („Ganzklassenunterricht“) Regelmässiger Austausch und Planung mit Speziallehrpersonen Regelmässiger Austausch und Planung mit Parallelklassenlehrpersonen Angebotsdimension Freizeitangebote räumlich-materiale Dimension Anzahl verschiedener Materialien im Klassenzimmer Prozessqualität im Schulsetting der Untersuchungsgruppen Prozessqualität (Unterrichtsqualität und Qualität im ausserunterrichtlichen Teil)
.45** -.29**
.69**
-.40**
.35**
.40** -.24**
.21** -.25**
.41**
.70**
.20**
.24**
** p< .01; Koeffizienten > I.20I Alltagsfertigkeiten 1. Sj.: N= 391, 2. Sj.: N= 385 a 1=Junge, 2= Mädchen; b 1= Schweizerdeutsch, 0= Schweizerdeutsch und eine andere Sprache bzw. eine andere Sprache; c 1= Tagesschulkinder, 0= Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder; d 1= Blockzeitenkinder, 0= Tagesschul- und Kontrollgruppenkinder
Dieser Block der pädagogischen Qualität in der Familie weist eine vergleichsweise starke Beziehung zum Entwicklungsstand der Alltagsfertigkeiten auf. Als besonders entwicklungsbegünstigend kristallisiert sich ein überwiegend autoritatives Erziehungsverhalten (.69 und .63) im Gegensatz zu einem ausgeprägten permissiven (-.79 und -.83) oder autoritären Erziehungsverhalten (-.52 und -.62) heraus. Im Weiteren begünstigen hohe bildungsrelevante Ressourcen (.44 und .44) sowie eine angemessene Entwicklungsförderung und aktive Stimulation des Kindes in der Familie (.52 und .49) das Erlangen von guten Alltagsfertigkeiten (vgl. Tab. 54).
350
11 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
Im Gegensatz zum Familiensetting lässt sich die entwicklungsbegünstigende Qualität des schulischen Settings weniger klar charakterisieren, unterscheiden sich doch teilweise die zentralen Einzelprädiktoren in den zwei Zeitpunkten. Günstig auf die Alltagsfertigkeiten sowohl nach einem wie nach zwei Schuljahren wirken sich vorhandene Freizeitangebote an der Schule (.41 und .70) und das Schulsetting Tagesschule (.45 und.69) im Vergleich zu den anderen beiden Settings aus. Das bedeutet, dass weitere spezifische Merkmale des Tagesschulsettings, die nicht im Modell vorhanden sind, einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Tagesschulkinder ausüben können. Eine geringe Schulleistungsorientierung der Lehrperson nach einem (-.40), hingegen eine hohe Schulleistungsorientierung nach zwei Jahren (.35) erweisen sich im Weiteren als günstig, genauso wie ein hoher zeitlicher Anteil an Unterricht im Plenum (.40 am Ende des zweiten Jahres) (vgl. Tab. 54).
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen 12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
Nachdem untersucht wurde, welchen Einfluss eine Kombination von individuellen, familialen und schulischen Merkmalen – unter Berücksichtigung der Schulform – sowie des Entwicklungsstandes beim Eintritt in die erste Klasse auf die kognitive und sozio-emotionale Entwicklung der Kinder hat und welches entwicklungsfördernde Bedingungsfaktoren sind, soll nachfolgend der Fokus auf die Entwicklung der Kinder nach dem ersten und zweiten Schuljahr in den drei Schulformen gelegt werden. Es soll die Frage untersucht werden, welcher kognitive und sozio-emotionale Entwicklungsstand sich bei den Tagesschulkindern, den Blockzeitenkindern im Vergleich zu den Kindern der Kontrollgruppe (traditioneller Unterricht) am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres zeigt. Im Speziellen soll analysiert werden, wie sich die Kinder in den unterschiedlichen Schulformen bei jeweils hoher bzw. tiefer Qualität des ausserfamilialen Settings sowie bei jeweils hoher bzw. tiefer pädagogischer Qualität in der Familie entwickeln. Dabei wird erwartet, dass Schülerinnen und Schüler, die eine Tagesschule besuchen und diese intensiv nutzen93, in den kognitiven bzw. sozio-emotionalen Bereichen am Ende des ersten bzw. am Ende des zweiten Schuljahres einen höheren Entwicklungsstand erreichen als solche, die nur den Blockzeitenunterricht besuchen und dass beide einen höheren Entwicklungsstand haben als solche der Kontrollgruppe (traditioneller Unterricht). Zudem wird erwartet, dass sich Kinder in einem qualitativ hochstehenden Schulsetting bzw. in einem familialen Setting von hoher pädagogischer Qualität besser entwickeln als in einem von weniger hoher Qualität. Wie die Ergebnisse in Kapitel 11.2 gezeigt haben, lässt sich der Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler am Ende des ersten und zweiten Schuljahres durch eine Vielzahl von Merkmalen erklären. Es gibt jedoch gewisse Merkmale, die sich über alle Entwicklungsbereiche hinweg als wichtig erweisen. Dazu gehören die kindliche Intelligenz – insbesondere bezüglich der kognitiven Entwicklung (Schulleistung in Sprache und Mathematik) – und der Entwicklungsstand des Kindes bei Schuleintritt. Bei den familialen und schulischen Merkmalen stellt sich die Situation etwas weniger eindeutig dar. Bei den 93
mindestens an drei Tagen und 7.5 Stunden pro Woche
352
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
familialen Bedingungsfaktoren lassen sich jedoch eine Anzahl an Merkmalen wie bildungsrelevante Ressourcen, sozioökonomischer Status, Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie (Prozessqualität) oder überwiegendes permissives Erziehungsverhalten als wichtige familiale Einflussfaktoren ausmachen. Diese lassen sich zu einer reliablen Skala „Einfluss der Familie“ mit einem guten Cronbach’s Alpha von .72 und Trennschärfen zwischen .38 und .62 zusammenfassen. Bei den schulischen Merkmalen kristallisieren sich keine solch zentralen Bedingungsfaktoren (über mehrere Entwicklungsbereiche hinweg) heraus. Bei den folgenden Analysen liegt das Hauptinteresse auf den unterschiedlichen Schulformen – Tagesschule, Schulen mit Blockzeitenunterricht und traditionellem Unterricht – und deren Einfluss auf die kindliche Entwicklung bzw. den Entwicklungsstand. Damit die Merkmale, die sich ausserhalb des schulischen Settings als wichtig erwiesen haben, die Untersuchung der Fragestellungen nicht beeinflussen, werden diese in der Folge kontrolliert. Das heisst, der Einfluss dieser Kontrollvariablen wird bei den Analysen „herauspartialisiert“ (Bortz 1999, p. 349). Als Analyseverfahren zur Untersuchung der Unterschiede bezüglich des Entwicklungsstandes – in den gleichen Entwicklungsbereichen wie im vorhergehenden Kapitel – der Kinder in den verschiedenen Schulformen (Untersuchungsgruppen94) nach einem und nach zwei Schuljahren wurden ein- und zweifaktorielle Kovarianzanalysen durchgeführt. Diese Analysen erlauben es, den Einfluss von Kontrollvariablen auf die jeweilige abhängige Variable zu neutralisieren. Die im Folgenden jeweils angegebene Stichprobengrösse (N) entspricht dem Umfang nach der Gewichtung der Daten. Deshalb ist dieser teilweise grösser als N= 521 Kinder bzw. Familien. Wird von Unterschieden zwischen den (einzelnen) Untersuchungsgruppen gesprochen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um statistisch bedeutsame Unterschiede handelt, wenn nichts anderes vermerkt ist. Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen werden mittels Parameter bzw. Kontrastschätzer untersucht. Aufgrund des erhöhten Fehlerrisikos wird die Signifikanzschranke von p<.05 auf p<.01 gesenkt.
12.1 Die kognitive Entwicklung in den Schulformen 12.1 Die kognitive Entwicklung in den Schulformen 12.1.1 Effekte der Schulformen Mittels einfaktorieller univariater Kovarianzanalyse wurden die drei Untersuchungsgruppen hinsichtlich allfälliger Unterschiede in ihrer Schulleistung in 94
unter Berücksichtigung der Intensität der Tagesschulnutzung
12.1 Die kognitive Entwicklung in den Schulformen
353
Sprache nach einem und nach zwei Schuljahren untersucht. Um den effektiven Leistungsfortschritt der Kinder in der Schule messen zu können, wurde der Einfluss des Entwicklungsstandes zum Anfang der Schulzeit und somit die vor Schuleintritt bereits erworbenen Fertigkeiten der Kinder sowie das wichtige individuelle Schülermerkmal Intelligenz statistisch kontrolliert. Dabei zeigt sich nach einem (Eta2 =.05, F (2,477) =12.52, p<.001) wie nach zwei Schuljahren (Eta2 =.02, F (2, 520) =5.44, p<.01) ein signifikanter Unterschied bezüglich der Schulleistung in Sprache der Tagesschulkinder, der Kinder mit Blockzeitenunterricht und denjenigen aus der Kontrollgruppe mit traditionellem Unterricht. Die Kovariaten Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres und IQ sind hochsignifikant. Schaut man die Unterschiede in den beiden Zeitpunkten zwischen den einzelnen Gruppen an, stellt man Erstaunliches fest: Nach einem Jahr schneiden die Tagesschulkinder signifikant schwächer ab als die Kinder aus den beiden anderen Gruppen (p<.01). Nach zwei Schuljahren hingegen erzielen sie die höchste Leistung aller drei Gruppen und unterscheiden sich signifikant von den Kontrollgruppenkindern (p<.01). Kein relevanter Unterschied besteht hingegen nach einem und nach zwei Schuljahren zwischen den beiden anderen Gruppen – den Blockzeitenkindern und den Kindern aus der Kontrollgruppe. In den vorhergehenden Regressionsanalysen erwiesen sich familiale Merkmale als wichtige Prädiktoren des kindlichen Entwicklungsstandes (vgl. Kap. 11.2.1). Deshalb soll in einem nächsten Schritt, zusätzlich der Einfluss der wichtigsten familialen Charakteristiken in Form der gebildeten Skala Einfluss der Familie (vgl. oben) in die Analyse eingeführt werden. Die beschriebenen Ergebnisse verändern sich jedoch nach einem (Eta2 =.06, F (2,475) =14.42, p<.001) und nach zwei Schuljahren (Eta2 =.02, F (2, 515) =4.77, p<.01) nur unwesentlich, wenn man diese relevanten Einflussfaktoren der Familie auf die Entwicklung statistisch konstant hält95. Nach zwei Schuljahren erweisen sich einzig zusätzlich auch die Blockzeitenkinder als besser als die Kontrollgruppenkinder (vgl. Abb. 33).
95
nach einem Schuljahr Kovariaten IQ: p<.001 und Einfluss der Familie p<.05; nach zwei Schuljahren Kovariaten IQ: p<.001 und Einfluss der Familie p<.01
354
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
53.03
Kontrollgruppe
50.36
Blockzeitenkinder
Tagesschulkinder
53.74
Blockzeitenkinder
38.02
54.05
Tagesschulkinder
40.00
45.00
50.00
55.00
Schulleistung in Sprache (Prozentränge)
1. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianzanalyse p < .001 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (p<.01) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Abb. 33
46.83
Kontrollgruppe
60.00
40.00
45.00 50.00 55.00 Schulleistung in Sprache (Prozentränge)
60.00
2. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianzanalyse p < .01 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Schulleistung in Sprache nach Untersuchungsgruppen am Ende des ersten und zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Intelligenz und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 475 bzw. 515)
Um allfällige Unterschiede in der Schulleistung der Kinder in Mathematik in den verschiedenen Schulformen untersuchen zu können, wurden gleichfalls der Einfluss des Entwicklungsstandes zum Anfang der Schulzeit und die Intelligenz der Kinder statistisch kontrolliert. Sowohl nach einem (Eta2 =.01, F (2,514) =3.39, p<.05) als auch nach zwei Schuljahren (Eta2 =.02, F (2, 524) =5.91, p<.01) unterscheiden sich die Kinder der Untersuchungsgruppen signifikant hinsichtlich ihres Leistungsstandes in Mathematik. Auch an dieser Stelle erweisen sich die beiden Kovariaten als hochsignifikant. Die Kinder der Kontrollgruppe erzielen jeweils die höchste Leistung, gefolgt von den Blockzeiten- und den Tagesschulkindern. Dabei unterscheiden sich die Kontrollgruppenkinder nach einem Jahr tendenziell und nach zwei Jahren signifikant (p<.01) von den beiden anderen Gruppen. Kein relevanter Unterschied besteht hingegen zwischen den Tagesschul- und den Blockzeitenkindern. Wird in einem nächsten Analyseschritt wiederum zusätzlich der familiale Einfluss neutralisiert, erhöht sich der Effekt und die Effektstärke nach einem (Eta2 =.02, F (2,511) =4.48, p<.01) wie nach
12.1 Die kognitive Entwicklung in den Schulformen
355
zwei Schuljahren (Eta2 =.03, F (2,519) =8.80, p<.001). Nach einem Jahr differenzieren sich die Tagesschulkinder nun signifikant von der Kontrollgruppe und nach zwei Jahren sogar von beiden anderen Gruppen. Zwischen den Blockzeitenkindern und der Kontrollgruppe zeigt sich jeweils ein annähernd unterschiedlicher Entwicklungsstand (vgl. Abb. 34).
46.83
Kontrollgruppe
40.00
45.00 50.00 55.00 Schulleistung in Sprache (Prozentränge)
2. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianzanalyse p < .001 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Abb. 34
44.12
Tagesschulkinder
54.05
Tagesschulkinder
50.68
Blockzeitenkinder
53.74
Blockzeitenkinder
54.53
Kontrollgruppe
60.00
40.00
45.00 50.00 55.00 Schulleistung in Mathe (Prozentränge)
60.00
2. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianzanalyse p < .01 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (p<.01) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Schulleistung in Sprache und Mathematik nach Untersuchungsgruppen am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Intelligenz und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 515 bzw. 519)
Für die kognitive Entwicklung der Kinder – gemessen anhand der Schulleistung in Sprache und Mathematik – in den unterschiedlichen Schulformen insgesamt kann somit festgestellt werden, dass das Tagesschulsetting nach einem Schuljahr sich nicht wie erwartet als besser erweist als der traditionelle Unterricht und auch als der Blockzeitenunterricht. Die Kinder der Kontrollgruppe schneiden am besten ab. Mittelfristig, nach zwei Schuljahren, zeigen die Tagesschulkinder wie erwartet die positivsten Leistungen, diese sind jedoch annähernd gleich gut wie diejenigen der Blockzeitenkinder, unterscheiden sich jedoch signifikant von denjenigen der Kontrollgruppe. In der Schulleistung in Mathematik erbringen
356
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
wiederum die Kinder der Kontrollgruppe die beste Leistung. Die gleichen Effekte zeigen sich im Übrigen auch, wenn die Intensität der Nutzung der Tagesschule nicht mit berücksichtigt wird. Das heisst, der Umfang des Besuchs des ausserunterrichtlichen Teils spielt an dieser Stelle keine Rolle für die kognitive Entwicklung der Kinder.
12.1.2 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-) Qualität im ausserfamilialen Setting In einem nächsten Schritt soll die Frage analysiert werden, ob die von den Kindern in den jeweiligen Schulformen erlebte Qualität einen Effekt auf den Entwicklungsstand in den schulischen Kernfächern hat. Dabei wird die von den Kindern unmittelbar widerfahrene Qualität, die Prozessqualität im Schulsetting96, ins Modell aufgenommen. Weiterhin werden wiederum der Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres, die Intelligenz und die wichtigen Einflussfaktoren der Familie kontrolliert (vgl. Kap. 12.1.1). Die Ergebnisse der zweifaktoriellen univariaten Kovarianzanalyse zeigen, dass sich nach einem Schuljahr die beiden Faktoren Untersuchungsgruppe und Prozessqualität97 als auch die Kovariaten als signifikant erweisen. Das heisst, neben dem bereits bekannten Unterschied in der Schulleistung in Sprache zwischen den Untersuchungsgruppen (vgl. Kap. 12.2.1), unterscheiden sich auch die Leistungen aller Kinder in der Sprache je nach erfahrener Prozessqualität. Höhere Prozessqualität in der Schule geht im Allgemeinen mit einer besseren Leistung des Kindes einher. Im Weiteren zeigt sich der interessierende Interaktionseffekt Untersuchungsgruppe x Prozessqualität am Ende des ersten Schuljahres (Eta2 =.03, F (2,475) =6.48, p<.01) als signifikant. Somit entwickeln sich die Kinder der Untersuchungsgruppen in Abhängigkeit von der Prozessqualität unterschiedlich. So leisten Tagesschulkinder in einem qualitativ hohen Setting am besten, wohingegen die Qualität des Settings bei den Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern statistisch nicht relevant ist (p<.001). Sowohl Tagesschul- als auch Kontrollgruppenkinder erzielen bei hoher Qualität die beste Leistung. Bei tieferer Qualität schneiden die Tagesschulkinder deutlich schlechter ab als die anderen Gruppen 96
97
Bei der Untersuchungsgruppe Tagesschulkinder handelt es sich um den Mittelwert aus der Unterrichtsqualität und der Qualität im ausserunterrichtlichen Teil. Bei den Untersuchungsgruppen Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder entspricht die Prozessqualität der Unterrichtsqualität. Die Prozessqualität wurde für die folgenden Analysen mittels eines MedianSplits dichotomisiert, d.h. „hohe Qualität“ bzw. „tiefe Qualität“ bedeutet eine hohe bzw. tiefe pädagogische Qualität, gemessen an der vorliegenden Stichprobe. Untersuchungsgruppe (Eta2 =.03, F (2,511) =21.50, p<.01); Prozessqualität (Eta2 =.02, F (2,475) =7.82, p<.01)
12.1 Die kognitive Entwicklung in den Schulformen
357
(p<.01) (vgl. Abb. 35). Es fällt somit auf, dass die grösste Diskrepanz zwischen hoher und tiefer Qualität bei den Tagesschulkindern festzustellen ist. Nach zwei Schuljahren sind jedoch keine signifikanten Effekte mehr vorhanden. Wird zudem als Kontrolle auch für das Tagesschulsetting nur die Unterrichtsqualität berücksichtigt – die Prozessqualität des ausserunterrichtlichen Teils wird nicht mitberücksichtigt –, so zeigen sich nach zwei Schuljahren keine signifikanten Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen hinsichtlich der Schulleistung in Sprache unter Berücksichtigung der Unterrichtsqualität. Somit erweist sich insbesondere die Qualität im ausserunterrichtlichen Teil als massgeblich für die positivere Entwicklung der Tagesschulkinder.
51.17 Kontrollgruppe
54.57 Prozessqualität im schulischen Setting
Blockzeitenkinder
tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
49.08
Tagesschulkinder
24.15
20.00
51.76
43.34
30.00 40.00 50.00 Schulleistung in Sprache (Prozentränge)
60.00
1. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p < .01 1 Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder x Prozessqualität (p<.01) 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
Abb. 35
Schulleistung in Sprache nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Intelligenz und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 475)
358
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
Bezüglich der Schulleistung in Mathematik zeigt sich ein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Prozessqualität nach einem wie nach zwei Schuljahren98. Eine qualitativ tiefe Prozessqualität im schulischen Setting wirkt sich bei den Kindern im Allgemeinen als entwicklungsfördernd aus. Der Entwicklungsstand zwischen den Untersuchungsgruppen hingegen unterscheidet sich nur nach zwei Schuljahren99. Alle Kovariaten sind hochsignifikant. Die relevante Interaktion Untersuchungsgruppe x Prozessqualität erweist sich am Ende des ersten (Eta2 =.04, F (2,511) =10.78, p<.001) und des zweiten Schuljahres (Eta2 =.03, F (2,519) =7.14, p<.001) als hochsignifikant.
Kontrollgruppe
52.36
57.09
48.54 Blockzeitenkinder
Tagesschulkinder
52.45
39.88
Prozessqualität im schulischen Setting tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
54.88
40.00 45.00 50.00 55.00 60.00 Schulleistung in Mathe (Prozentränge)
2. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p < .001 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
Abb. 36
98 99
Schulleistung in Mathematik nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Intelligenz und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 519)
Prozessqualität nach einem (Eta2 =.03, F (2,511) =15.26, p<.001) und nach zwei Schuljahren (Eta2 =.01, F (2,519) =5.45, p<.05) Untersuchungsgruppe (Eta2 =.02, F (2,519) =4.28, p<.05)
12.1 Die kognitive Entwicklung in den Schulformen
359
Kinder der Untersuchungsgruppen entwickeln sich unterschiedlich in Abhängigkeit von der vorgefundenen Prozessqualität. Dies trifft zu beiden Zeitpunkten im Besonderen auf die Tagesschulkinder, im Vergleich zu den Kindern der Kontrollgruppe zu (p<.01), welche sich in einem Schulsetting von tieferer pädagogischen Qualität deutlich besser entwickeln als in einem von höherer Qualität. Die Leistungsunterschiede der Kontrollgruppenkinder zwischen hoher und tieferer Prozessqualität sind hingegen nur gering, jedoch gerade umgekehrt als bei den Tagesschulkindern (vgl. Abb. 36). Wird als Kontrolle für das Tagesschulsetting nur die Unterrichtsqualität berücksichtigt, so zeigt sich auch hier nach zwei Schuljahren ein signifikanter Unterschied zwischen den Untersuchungsgruppen (Eta2 =.02, F (2,519) =9.43, p<.01) und eine bessere Leistung der Tagesschulkinder in einem als qualitativ tiefer definierten Unterricht, jedoch ist die Effektstärke weniger gross. Dies lässt auf die Relevanz für die Entwicklung der Tagesschulkinder in Mathematik sowohl der unterrichtlichen und ausserunterrichtlichen Qualität schliessen. Insgesamt belegen die Ergebnisse die Bedeutsamkeit der pädagogischen Qualität des schulischen Settings für die kognitive Entwicklung. Insbesondere für die Kinder im Tagesschulsetting scheint eine hohe Qualität für eine gute Sprachleistung als zentral. Anders sieht es jedoch bei der Schulleistung in Mathematik aus. Am Ende des zweiten Schuljahres erzielen die Tagesschulkinder in einem qualitativ tiefen Setting in der Mathematik gar annähernd die gleich hohe Leistung wie die Kontrollgruppenkinder, die alles in allem am besten abschneiden. Dies obwohl die Tagesschulkinder ohne Berücksichtigung der pädagogischen Qualität am schwächsten abschneiden (vgl. Kap. 12.1.1). Erwähnenswert ist, dass sich diese Effekte nur bei einer intensiven Nutzung der Tagesschule zeigen.
12.1.3 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-) Qualität im familialen Setting Im Weiteren wird der Entwicklungsstand der drei Untersuchungsgruppen unter zusätzlicher Berücksichtigung der Prozessqualität in der Familie100 – also die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation des Kindes in der Familie – untersucht. Dabei werden einerseits der Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres und andererseits die Intelligenz kontrolliert.
100 Die Prozessqualität wurde für die folgenden Analysen mittels eines Median-Splits dichotomisiert, d.h. „hohe Qualität“ bzw. „tiefe Qualität“ bedeutet eine hohe bzw. tiefe pädagogische Qualität, gemessen an der vorliegenden Stichprobe.
360
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
Die zweifaktorielle univariate Kovarianzanalyse legt zum Ende des zweiten Schuljahres einen Unterschied hinsichtlich der Schulleistung in Sprache je nach Höhe der familialen Prozessqualität101 dar. Eine hohe familiale Entwicklungsförderung im Allgemeinen hat somit einen positiven Einfluss auf die Leistung aller Kinder. Die beiden Kovariaten sind wiederum signifikant. Auch die relevante Interaktion zwischen Untersuchungsgruppe und familialer Prozessqualität (Eta2 =.02, F (2,509) =4.78, p<.01) präsentiert sich als statistisch bedeutsam. Schaut man sich die Entwicklungen der Kinder der drei Untersuchungsgruppen mit unterschiedlicher Qualität102 im Detail an, so stellt man fest, dass die Leistungsdiskrepanz der Tagesschulkinder zwischen denjenigen, die in der Familie eine hohe bzw. eine tiefe Entwicklungsförderung und aktive Stimulation erfahren deutlich grösser ist als in den anderen Untersuchungsgruppen. Gleichzeitig erweist sich der Entwicklungsstand im qualitativ besseren familialen Setting als höher als bei den Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern. Ein entwicklungsförderndes familiales Setting hat jedoch bei allen Schulformen einen geringfügig positiveren Effekt auf den Entwicklungsstand. (vgl. Abb. 37). Keine signifikanten Interaktionseffekte bezüglich der Untersuchungsgruppen und der familialen Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation des Kindes stellt man zum Ende des ersten Schuljahres sowohl bei der Schulleistung in Sprache als auch in Mathematik fest. Das heisst, es zeigt sich in Abhängigkeit von der Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation des Kindes in der Familie keine unterschiedliche Entwicklung nach Untersuchungsgruppen.
101 (Eta2 =.02, F (2,509) =18.14, p<.001) 102 1 Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder x Prozessqualität (p<.01); 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
12.1 Die kognitive Entwicklung in den Schulformen
Kontrollgruppe
Blockzeitenkinder
45.18
Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie (Prozessqualität)
50.24
52.16
361
52.45
Kontrollgruppe
56.21
Blockzeitenkinder
Tagesschulkinder
45.18
47.76
52.94
Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie (Prozessqualität)
tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
65.43
Tagesschulkinder
40.00 45.00 50.00 55.00 60.00 65.00 Schulleistung in Sprache (Prozentränge)
2. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p < .01 1 Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder x Prozessqualität (p<.01) 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
Abb. 37
56.34
tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
42.87
51.92
40.00 45.00 50.00 55.00 60.00 65.00 Schulleistung in Mathe (Prozentränge)
2. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p < .05 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
Schulleistung in Sprache und Mathematik nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität in der Familie am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der Intelligenz (N= 509 und 513)
Am Ende des zweiten Schuljahres hingegen findet man auch für die Schulleistung in Mathematik einen signifikanten Interaktionseffekt vor (Eta2 =.01, F (2,513) =3.39, p<.05). Dieser Effekt äussert sich insbesondere zwischen den Tagesschul- und Kontrollgruppenkindern und deren familialer Prozessqualität103. Vergleichbar mit den Ergebnissen der Analysen zur Schulleistung in Sprache kann bei den Tagesschulkindern ebenso ein deutlich grösseres Leistungsgefälle zwischen den Kindern mit hoher und geringerer Förderung konstatiert werden, welches bei der Kontrollgruppe nicht in diesem Ausmass vorhanden ist. Die Leistung der Kinder mit einer hohen Prozessqualität bewegt sich in etwa auf gleich hohem Niveau, wohingegen das Niveau bei tieferer Prozessqualität bei den Tagesschulkindern am tiefsten und dasjenige der Kontrollgruppenkinder im Vergleich aller Untersuchungsgruppen am höchsten liegt (vgl. Abb. 37). Die Ergebnisse sowohl hinsichtlich der Schulleistung in Sprache und Mathematik legen somit einen relevanten Einfluss der pädagogischen Prozess103 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
362
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
qualität in der Familie nahe. Eine hohe familiale Förderung zeigt sich im Besonderen bei den Tagesschulkindern, aber auch bei den Blockzeitenkindern in abgeschwächter Form als schulleistungswirksam. Diese Effekte zeigen sich jedoch allein bei einer intensiven Tagesschulnutzung.
12.2 Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen 12.2 Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen Die sozio-emotionale Entwicklung der Kinder wird im Folgenden anhand des Selbstkonzepts in Lesen und der Mathematik, dem sozialen Selbstkonzept PeerRelations, dem prosozialen Verhalten sowie den sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten der Kinder analysiert.
12.2.1 Effekte der Schulformen Bezüglich des Selbstkonzepts in Lesen zeigen die Resultate der einfaktoriellen univariaten Kovarianzanalyse unter Kontrolle des Selbstkonzepts zum Anfang der Schulzeit (p<.001) am Ende des ersten Schuljahres keine relevanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulformen. Anders sieht es nach zwei Schuljahren aus. Zu diesem Zeitpunkt unterscheiden sich die Kinder der Untersuchungsgruppen signifikant bezüglich ihres Selbstkonzepts in Lesen (Eta2 =.02, F (2,530) =5.84, p<.01). Ein Blick auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen macht sichtbar, dass die Tagesschulkinder ein signifikant höheres Selbstkonzept haben als die Kontrollgruppenkinder (p<.01). Die Höhe des Selbstkonzepts der Blockzeitenkinder liegt in der Mitte. Diesbezüglich offenbaren sich jedoch keine statistisch relevanten Unterschiede. Kontrolliert man in einem nächsten Analyseschritt zusätzlich die relevanten Einflussfaktoren der Familie der Kinder (p<.001) so erhöht sich Effektgrösse und -stärke des Faktors Untersuchungsgruppe. Die Ergebnisse nach zwei Schuljahren gehen (Eta2 =.03, F (2,525) =7.41, p<.001) jedoch in die gleiche Richtung (vgl. Abb. 38).
12.2 Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen
363
-0.14
Kontrollgruppe
0.02
Blockzeitenkinder
Tagesschulkinder
0.26
-0.30
-0.20
-0.10
0.00
0.10
0.20
0.30
Selbstkonzept Lesen (z-Wert)
2. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianzanalyse p < .001 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Abb. 38
Selbstkonzept in Lesen nach Untersuchungsgruppen am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Leistung in Sprache Ende 1. Schuljahr und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 519)
Es wurde festgestellt, dass sowohl nach einem als auch nach zwei Schuljahren nur eine (sehr) tiefe Korrelation zwischen den kognitiven Entwicklungsmassen und den akademischen Selbstkonzepten bestehen104. Deshalb wurde im Weiteren zusätzlich die Schulleistung in Sprache kontrolliert, so dass bei den Analysen davon ausgegangen wird, dass alle Kinder den gleichen Leistungsstand hätten. Auch dann zeigen sich nach einem Schuljahr keine Differenzen bezüglich des Selbstkonzepts in Sprache zwischen den Untersuchungsgruppen, jedoch wiederum nach zwei Schuljahren (Eta2 =.05, F (2,467) =11.33, p<.001). Die beiden Kovariaten Einfluss der Familie (p<.001) und Leistung in Sprache nach einem Schuljahr (p<.001) sind signifikant. Die Tagesschulkinder haben ein höheres Selbstkonzept als die Kontrollgruppenkinder und zusätzlich ein signifikant höheres Selbstkonzept als die Blockzeitenkinder (p<.01). Interessanterweise weist die Kovariate Leistung nach einem Schuljahr, also ein Jahr früher, eine 104 zu Selbstkonzept und Leistung vgl. Kapitel 4.1.
364
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
minimal grössere Relevanz auf als die aktuelle Leistung in Sprache. Das Selbstkonzept in Sprache wird somit stärker von der früheren als von der aktuellen Leistung beeinflusst. Mit denselben Analyseverfahren wurde auch der Entwicklungsstand des Selbstkonzepts in Mathematik untersucht. Erstaunlicherweise ergeben sich jedoch diesbezüglich keine relevanten Unterschiede zwischen den Kindern der Untersuchungsgruppen. Hinsichtlich des sozialen Selbstkonzepts Peer-Relations, also bezüglich der Beziehungen mit Gleichaltrigen, manifestieren sich Unterschiede nach einem (Eta2 =.05, F (2,574) =14.25, p<.001) und nach zwei Jahren (Eta2 =.02, F (2,513) =4.13, p<.05) unter Kontrolle des Selbstkonzepts am Anfang der Schulzeit (p<.001). In die gleiche Richtung gehen mit einer kleinen Ausnahme die Resultate der Analysen, bei denen ausserdem der familiale Einfluss neutralisiert wird, nach einem (Eta2 =.04, F (2,570) =11.50, p<.001) wie nach zwei Schuljahren (Eta2 =.02, F (2,525) =4.21, p<.05). Nach einem Schuljahr erweist sich das soziale Selbstkonzept der Blockzeiten- wie auch der Kontrollgruppenkinder als signifikant höher als dasjenige der Tagesschulkinder. Bis ans Ende des zweiten Schuljahres steigt das soziale Selbstkonzept der Tagesschulkinder markant an und liegt nur noch wenig unter demjenigen der Blockzeitenkinder. Dieser Unterschied ist jedoch nicht statistisch signifikant im Gegensatz zum Abstand zwischen den Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder. Wird zusätzlich der Einfluss der Familie herauspartialisiert (p<.01), erweist sich das Selbstkonzept der Tagesschulkinder gar am höchsten105 (vgl. Abb. 39). Das heisst, dass von Ende erstem bis Ende zweitem Schuljahr, die Tagesschulkinder einen grossen Schritt hinsichtlich eines positiven sozialen Selbstkonzepts gemacht haben, wohingegen die beiden anderen Gruppen in etwa gleich geblieben sind.
105 signifikanter Unterschied zwischen den Tagesschul- und Kontrollgruppenkindern, jedoch nicht zwischen den Tagesschul- und Blockzeitenkindern
12.2 Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen
-0.04
Kontrollgruppe
Tagesschulkinder
-0.38
-0.40 -0.30 -0.20 -0.10 0.00 0.10 0.20 Soziales Selbstkonzept Peer-Relations (z-Wert)
1. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianzanalyse p<.001 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (p<.01) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Abb. 39
-0.13
Kontrollgruppe
0.09
Blockzeitenkinder
365
0.09
Blockzeitenkinder
0.12
Tagesschulkinder
-0.40
-0.30 -0.20 -0.10 0.00 0.10 0.20 Soziales Selbstkonzept Peer-Relations (z-Wert)
2. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianz-analyse p<.05 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01) 3 Unterschied Blockzeitenkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Soziales Selbstkonzept Peer-Relations nach Untersuchungsgruppen am Ende des ersten und zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 570 bzw. 525)
Das prosoziale Verhalten der Kinder wurde jeweils von den Eltern eingeschätzt. Nach einem Schuljahr verhalten sich die Kinder aller Untersuchungsgruppen annähernd gleich. Erst nach einem zweiten Schuljahr werden Unterschiede sowohl ohne (Eta2 =.02, F (2,489) =3.90, p<.05) als auch mit Kontrolle der familialen Einflüsse (Eta2 =.01, F (2,487) =3.27, p<.05)106 sichtbar. Tagesschulkinder zeigen nach Einschätzung ihrer Eltern das positivste Verhalten, gefolgt von den Blockzeiten- und den Kontrollgruppenkindern. Ein statistisch relevanter Unterschied ist jedoch nur zwischen den Tagesschul- und den Kontrollgruppenkindern auszumachen (p<.01) (vgl. Abb. 40). Wie beim prosozialen Verhalten äusserten sich auch die Eltern hinsichtlich der sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten ihrer Kinder zu den verschiedenen Zeitpunkten. Sowohl am Ende des ersten (Eta2 =.02, F (2,500) =6.13, p<.01) wie auch des zweiten Schuljahres (Eta2 =.02, F (2,489) =5.06, p<.01) bestehen Unterschiede 106 Kovariate Einfluss der Familie (p= n.s.)
366
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
zwischen den Untersuchungsgruppen, wenn der Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres kontrolliert wird (p<.001). Nach einem Schuljahr schneiden die Tagesschulkinder signifikant besser ab als die beiden anderen Gruppen, nach zwei Schuljahren immer noch besser als die Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse verändern sich nicht wesentlich, wenn als zusätzliche Kovariate der familiale Einfluss in das Modell aufgenommen wird (p<.05 und p<.001)107 (vgl. Abb. 40).
-0.03
Kontrollgruppe
0.05
Blockzeitenkinder
0.21
0.00
0.10
0.20
Prosoziales Verhalten (z-Werte)
2. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianzanalyse p<.05 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Abb. 40
0.09
Blockzeitenkinder
Tagesschulkinder
-0.10
0.02
Kontrollgruppe
0.25
Tagesschulkinder
0.30
-0.10
0.00
0.10
0.20
0.30
sozio-emotionale Verhaltensstärken (z-Werte)
2. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianzanalyse p<.05 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Prosoziales Verhalten und sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten nach Untersuchungsgruppen am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 487)
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass nach einem Schuljahr nur hinsichtlich des sozialen Selbstkonzepts und der sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten Unterschiede bezüglich des Entwicklungsstandes der Kinder in den verschiedenen Schulformen vorhanden sind. Die Tagesschulkinder haben ein tieferes soziales Selbstkonzept als die anderen beiden Gruppen, jedoch höhere sozio-emotionale Verhaltensstärken. Nach zwei Schuljahren zeigt sich – bis auf das Selbstkonzept in Mathematik, bei dem gar keine Effekte zu 107 Am Ende des ersten (Eta2 =.02, F (2,499) =4.67, p<.01) und des zweiten Schuljahres (Eta2 =.02, F (2,487) =3.98, p<.05)
12.2 Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen
367
erkennen sind – ein positiveres Bild für die Kinder im Tagesschulsetting im Vergleich zur Kontrollgruppe und teilweise auch zu den Kindern im Blockzeitensetting. Die gleichen Effekte zeigen sich im Übrigen auch, wenn die Intensität der Nutzung der Tagesschule nicht mit berücksichtigt wird. Das heisst, der Umfang des Besuchs des ausserunterrichtlichen Teils spielt an dieser Stelle keine Rolle für die sozio-emotionale Entwicklung der Kinder.
12.2.2 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-) Qualität im ausserfamilialen Setting In einem nächsten Schritt soll auch für die Entwicklungsbereiche der sozioemotionalen Entwicklung die Frage analysiert werden, ob die von den Kindern in den jeweiligen Schulformen erfahrene Qualität einen Effekt auf den Entwicklungsstand hat. Dabei wird die von den Kindern unmittelbar widerfahrene Qualität, die Prozessqualität im Schulsetting, ins Modell aufgenommen. Weiterhin werden wiederum der Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres und die wichtigen Einflussfaktoren der Familie kontrolliert. Die Ergebnisse der zweifaktoriellen Kovarianzanalyse lassen bezüglich des Selbstkonzepts in Lesen sowohl nach einem wie nach zwei Schuljahren keine Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen erkennen. Wenn man wiederum zusätzlich die Schulleistung der Kinder in Sprache herauspartialisiert (vgl. Kap. 12.2.1), so besteht hinsichtlich des Selbstkonzepts in Lesen ein signifikanter Unterschied zwischen Kindern, die eine hohe bzw. eine tiefe schulische Prozessqualität108 erfahren haben (Eta2 =.01, F (2,505) =5.87, p<.05)109. Das heisst, eine höhere Prozessqualität in der Schule geht im Allgemeinen mit einem höheren Selbstkonzept des Kindes einher, unabhängig von seiner Leistung. Im Weiteren zeigt sich der interessierende Interaktionseffekt Untersuchungsgruppe x Prozessqualität am Ende des ersten Schuljahres (Eta2 =.01, F (2,505) =3.50, p<.05) als signifikant. Somit entwickeln sich die Kinder der Untersuchungsgruppen unterschiedlich in Abhängigkeit von der Prozessqualität. Die Tagesschul- und Blockzeitenkinder entwickeln nach einem Schuljahr in einem qualitativ hohen Setting das höchste Selbstkonzept in Lesen. Bei der Kontrollgruppe spielt die pädagogische Qualität im schulischen Setting keine Rolle. Die Diskrepanz zwischen Kindern in einem schulischen Setting von tieferer bzw. höherer Qualität ist wiederum bei den Tagesschulkindern deutlich 108 Untersuchungsgruppe (Eta2 =.03, F (2,511) =21.50, p<.01), Prozessqualität (Eta2 =.02, F (2,475) =7.82, p<.01) 109 Kovariaten Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres p<.001, Einfluss der Familie p< .01, Schulleistung in Sprache am Ende des ersten Schuljahres p=n.s.
368
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
grösser als bei den Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern. Die Tagesschulkinder entwickeln das höchste Selbstkonzept bei guter Qualität und das tiefste Selbstkonzept aller Gruppen bei tieferer Qualität (vgl. Abb. 41). Nach zwei Schuljahren sind keine signifikanten Interaktionseffekte mehr vorhanden. Aber auch zu diesem Zeitpunkt zeigt es sich bei zusätzlicher statistischer Kontrolle der Schulleistung in Sprache, dass eine hohe pädagogische Qualität zu einem höheren Selbstkonzept führt und umgekehrt eine tiefere Qualität zu einem tieferen Selbstkonzept (Eta2 =.02, F (2,467) =10.12, p<.01). Wird als Kontrollanalyse auch für die Schulform Tagesschule nur die Unterrichtsqualität berücksichtigt, so zeigen sich nach einem Schuljahr keine signifikanten Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen hinsichtlich des Selbstkonzepts in Lesen unter Berücksichtigung der Unterrichtsqualität. Es werden jedoch vergleichbare Tendenzen ersichtlich. Somit erweist sich gerade auch die Qualität des ausserunterrichtlichen Settings als massgebend für die positive Entwicklung der Tagesschulkinder. Prozessqualität im schulischen Setting 0.01 0.02
Kontrollgruppe
Blockzeitenkinder
-0.08
Tagesschulkinder
tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
0.01
0.26
-0.23
-0.30
-0.20
-0.10
0.00
0.10
0.20
0.30
Selbstkonzept Lesen (z-Wert)
1. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p < .05 1 Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder x Prozessqualität (p<.01) 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
Abb. 41
Selbstkonzept in Lesen nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Leistung in Sprache zur gleichen Zeit110 und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 505)
110 Ende 1. Schuljahr
12.2 Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen
369
Mit denselben Analyseverfahren wurde auch der Entwicklungsstand des Selbstkonzepts in Mathematik untersucht. Dabei zeigt sich auch hier am Ende des ersten Schuljahres die Interaktion zwischen den Untersuchungsgruppen und der Prozessqualität als signifikant (Eta2 =.02, F (2,537) =4.08, p<.05). Alle Kovariaten erweisen sich als hochsignifikant. Vergleichbar mit dem Selbstkonzept in Lesen, findet man auch beim Selbstkonzept in Mathematik beim Entwicklungsstand der Tagesschulkinder wiederum diesen grossen Kontrast hinsichtlich der Entwicklung in Abhängigkeit von der pädagogischen Qualität. Diese Unterschiede innerhalb der anderen beiden Untersuchungsgruppen sind viel geringer. Die Tagesschulkinder entwickeln das höchste Selbstkonzept bei guter Qualität und das tiefste Selbstkonzept aller Gruppen bei tieferer Qualität (vgl. Abb. 42). Im Gegensatz dazu zeigt sich das höchste Selbstkonzept in Mathematik bei den Kontrollgruppenkindern bei eher tieferer pädagogischer Prozessqualität. In abgeschwächter Form wird dieses Bild auch bei den Blockzeitenkindern sichtbar (vgl. Abb. 42).
Prozessqualität im schulischen Setting tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
-0.03 0.06
Kontrollgruppe
-0.09 Blockzeitenkinder
-0.03
-0.27
Tagesschulkinder
-0.30
-0.20
0.19
-0.10
0.00
0.10
0.20
Selbstkonzept Mathematik (z-Wert)
1. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p < .05 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
Abb. 42
Selbstkonzept in Mathematik nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Leistung in Mathematik zur gleichen Zeit und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 519)
370
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
Die Kontrollanalyse mit Berücksichtigung der Unterrichtsqualität, ebenfalls für die Schulform Tagesschule, offenbart – wie beim Selbstkonzept in Lesen – keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Selbstkonzepts in Mathematik, jedoch vergleichbare Tendenzen. Somit erscheint für beide akademischen Selbstkonzepte insbesondere eine hohe ausserunterrichtliche Qualität im Tagesschulsetting als massgebend für eine positive Entwicklung. Bezüglich des sozialen Selbstkonzepts Peer-Relations zeigt sich ein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Prozessqualität nach einem Schuljahr111. Alle Kovariaten sind signifikant. Dabei wirkt sich eine qualitativ tiefe Prozessqualität im schulischen Setting bei den Kindern im Allgemeinen als entwicklungsfördernd aus. Die relevante Interaktion Untersuchungsgruppe x Prozessqualität erweist sich am Ende des ersten (Eta2 =.02, F (2,570) =5.16, p<.01) und des zweiten Schuljahres (Eta2 =.02, F (2,525) =5.49, p<.01) als signifikant. Kinder der Untersuchungsgruppen entwickeln sich unterschiedlich in Abhängigkeit von der vorgefundenen Prozessqualität. Dies trifft zu beiden Zeitpunkten im Besonderen auf die Tagesschulkinder im Vergleich zu den Kindern der Kontrollgruppe (p<.01) und nach zwei Jahren auch zu den Blockzeitenkindern (p<.01) zu. Der Einfluss von guter bzw. tieferer Qualität gestaltet sich jedoch in den beiden Zeitpunkten – bis auf die Tagesschulkinder, die sich jeweils in einem qualitativ geringeren Setting besser entwickeln – unterschiedlich. Nach einem Schuljahr findet man bei den Tagesschulkindern wiederum die grosse Diskrepanz zwischen der Entwicklung im qualitativ tieferen bzw. höheren Setting (bessere Entwicklung bei tieferer Qualität), währenddem bei der Kontrollgruppe die schulische Prozessqualität keine Rolle spielt für die Entwicklung. Nach zwei Schuljahren findet man bei Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern bei hoher pädagogischer Qualität ein höheres soziales Selbstkonzept PeerRelations im Gegensatz zu den Tagesschulkindern, die bei tieferer Qualität den höchsten Wert erlangen. Gleichzeitig ist dies jedoch das höchste soziale Selbstkonzept aller Gruppen (vgl. Abb. 43). Wird wiederum die Kontrollanalyse mit der Unterrichtsqualität für die Schulform Tagesschule durchgeführt, offenbaren die Ergebnisse sowohl nach einem (Eta2 =.04, F (2,570) =11.51, p<.001) als auch nach zwei Schuljahren (Eta2 =.03, F (2,525) =7.37, p<.001) signifikante Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen in Bezug auf das soziale Selbstkonzept unter Berücksichtigung der Unterrichtsqualität. Diese Effekte stimmen von der Richtung her mit denjenigen der Prozessqualität unter Einbezug des Unterrichts und des ausserunterrichtlichen Teils überein, sind jedoch gar stärker als diese. Das be-
111 Prozessqualität nach einem (Eta2 =.02, F (2,570) =12.21, p<.001)
12.2 Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen
371
deutet, dass für die positive Entwicklung in der Tagesschule insbesondere der Tagesschulunterricht entscheidend ist.
-0.03 Kontrollgruppe
-0.04
Blockzeitenkinder
Tagesschulkinder
Prozessqualität im schulischen Setting
-0.05
-0.57
0.20
0.05
tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
Kontrollgruppe
Abb. 43
0.01
Blockzeitenkinder
0.01
Tagesschulkinder
0.00
-0.60 -0.40 -0.20 0.00 0.20 0.40 soziales Selbstkonzept Peer-Relations (z-Wert)
1. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p<.01 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
-0.25
Prozessqualität im schulischen Setting
0.19
tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
0.42
-0.60 -0.40 -0.20 0.00 0.20 0.40 soziales Selbstkonzept Peer-Relations (z-Wert)
2. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p<.01 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (p<.01) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Soziales Selbstkonzept Peer-Relations nach Untersuchungsgruppen am Ende des ersten und zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 570 bzw. 525)
Keine unterschiedlichen Entwicklungen der Untersuchungsgruppen, also der Kinder in den verschiedenen Schulformen, lassen sich beim prosozialen Verhalten erkennen. Bei den sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten hingegen findet man neben einem signifikanten Unterschied zwischen der Entwicklung in einem qualitativ hohen und tieferen Setting112 – positivere Entwicklung in guter pädagogischer Qualität – einen signifikanten Interaktionseffekt zwischen den Untersuchungsgruppen und der Prozessqualität (Eta2 =.04, F (2,499) =8.91, p<.001). Kinder der Untersuchungsgruppen entwickeln sich unterschiedlich in hoher bzw. tiefer schulischer Qualität. Dies trifft besonders auf die Tagesschulkinder im Vergleich zu den Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern zu (jeweils p<.01). Tagesschulkinder zeigen hohe sozio-emotionale Verhaltensstärken und wenig Auffälligkeiten, wenn sie ein Schulsetting 112 Prozessqualität (Eta2 =.04, F (2,499) =14.82, p<.001)
372
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
von hoher pädagogischer Qualität besuchen und eher hohe sozio-emotionale Auffälligkeiten in einem Setting von tieferer Qualität. Im Vergleich aller Gruppen sind dies der höchste und der tiefste Wert bezüglich Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten. Bei den Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern liegen die Werte, unabhängig der Qualität des Schulsettings, annähernd gleich tief (vgl. Abb. 44).
Prozessqualität im schulischen Setting -0.03
Kontrollgruppe
0.04
-0.02
Blockzeitenkinder
Tagesschulkinder
tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
0.02
0.40
-0.19
-0.30
-0.20
-0.10
0.00
0.10
0.20
0.30
0.40
sozio-emotionale Verhaltensstärken (z-Wert)
1. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p < .001 1 Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder x Prozessqualität (p<.01) 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
Abb. 44
Sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 499)
Auch die Kontrollanalyse mit der Unterrichtsqualität für das Tagesschulsetting zeigt einen signifikanten Unterschied zwischen den Untersuchungsgruppen in Bezug auf die sozio-emotionalen Auffälligkeiten unter Berücksichtigung der Unterrichtsqualität (Eta2 =.01, F (2,499) =3.03, p<.05). Diese Effekte stimmen von der Richtung her mit denjenigen der Prozessqualität, unter Einbezug des
12.2 Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen
373
Unterrichts und des ausserunterrichtlichen Teils, überein, sind jedoch klar schwächer. Somit sind für die positive Entwicklung in der Tagesschule sowohl die Qualität des Unterrichts als auch der ausserunterrichtliche Teil massgebend. Insgesamt erweist sich die pädagogische Qualität in der Schulform mit Blockzeitenunterricht wie in derjenigen mit traditionellem Unterricht als wenig massgebend für die Entwicklung im sozio-emotionalen Bereich, wohingegen bei allen Subbereichen des Selbstkonzepts und bei den sozio-emotionalen Verhaltensstärken – hauptsächlich am Ende des ersten Schuljahres – bei den Tagesschulkindern eine grosse Diskrepanz zwischen deren Entwicklung in einem qualitativ höheren oder tieferen Schulsetting besteht. Eine hohe Qualität erweist sich – bis auf das soziale Selbstkonzept – als entwicklungsförderlich. In den genannten Bereichen hat die Qualität in Abhängigkeit von der Schulform einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung der Kinder. Diese positiven Effekte sind ausschliesslich bei einer intensiven Nutzung der Tagesschule vorhanden.
12.2.3 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-) Qualität im familialen Setting Die Ergebnisse hinsichtlich der Entwicklung der Untersuchungsgruppen unter zusätzlicher Berücksichtigung der Prozessqualität in der Familie – also die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation des Kindes in der Familie – weisen mit einer Ausnahme keine Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen auf. Der Entwicklungsstand präsentiert sich für die Kinder der drei Schulformen in Abhängigkeit von der familialen Entwicklungsförderung annähernd gleich. Einzig bezüglich des Selbstkonzepts in Mathematik unterscheiden sich die Untersuchungsgruppen am Ende des ersten Schuljahres je nach Höhe der familialen Prozessqualität. Zusätzlich zum Entwicklungsstand am Anfang der Schulzeit wurde bei dieser Analyse der Einfluss der Schulleistung in Mathematik zum gleichen Zeitpunkt herauspartialisiert. Die beiden Kovariaten sind hochsignifikant. Die interessierende Interaktion zwischen der Untersuchungsgruppe und der familialen Prozessqualität (Eta2 =.01, F (2,532) =3.16, p<.05) präsentiert sich als statistisch bedeutsam. Dieser Effekt äussert sich insbesondere zwischen den Tagesschul- und Kontrollgruppenkindern und deren erfahrenen familialer Prozessqualität. Beim Selbstkonzept der Tageschulkinder kann eine deutlich grössere Differenz zwischen den Kindern mit hoher und geringerer Förderung konstatiert werden, welche bei der Kontrollgruppe nicht in diesem Ausmass vorhanden ist. Positiv für ein hohes Selbstkonzept bei den Tagesschulkindern ist eher eine geringere Förderung, wohingegen bei den Kontrollgruppenkindern eine höhere Förderung wirksamer ist. Das Selbstkonzept in Mathematik der Tagesschulkinder
374
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
mit einer tieferen Prozessqualität bewegt sich in etwa auf gleich hohem Niveau wie dasjenige der Kontrollgruppenkinder bei hoher Qualität (vgl. Abb. 45).
Kontrollgruppe
0.12
-0.03
-0.13
Blockzeitenkinder
-0.30
-0.20
tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe
0.02
-0.22
Tagesschulkinder
Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie (Prozessqualität)
0.13
-0.10
0.00
0.10
0.20
Selbstkonzept Mathematik (z-Wert)
1. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p < .05 2 Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe x Prozessqualität (p<.01)
Abb. 45
Selbstkonzept in Mathematik nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität in der Familie am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der Schulleistung in Mathematik zum selben Zeitpunkt (N= 532)
Familiale Prozessqualität im Zusammenhang mit der jeweiligen Schulform, welche die Kinder besuchen, spielt somit alles in allem mit Ausnahme beim Selbstkonzept Mathematik keine Rolle für die sozio-emotionale Entwicklung.
12.3 Die Entwicklung bezüglich Alltagsfertigkeiten in den Schulformen 12.3 Die Entwicklung bezüglich Alltagsfertigkeiten in den Schulformen 12.3.1 Effekte der Schulformen Nach einem (Eta2 =.02 F (2, 498) =6.03, p<.01) wie nach zwei Schuljahren (Eta2 =.03 F (2, 489) =6.11, p<.01) zeigt sich bezüglich der Entwicklung der Tages-
12.3 Die Entwicklung bezüglich Alltagsfertigkeiten in den Schulformen
375
schulkinder, der Kinder mit Blockzeitenunterricht und derjenigen aus der Kontrollgruppe mit traditionellem Unterricht, unter Kontrolle der Alltagsfertigkeiten zum Beginn der Schulzeit, ein signifikanter Unterschied. Die Tagesschulkinder schneiden jeweils besser ab als die Kinder aus den beiden anderen Untersuchungsgruppen. Wohingegen kein relevanter Unterschied zwischen den beiden anderen Gruppen – den Blockzeitenkindern und den Kindern aus der Kontrollgruppe besteht (p<.01). Die Kovariate Alltagsfähigkeiten bei Schuleintritt ist hochsignifikant.
0.02
Kontrollgruppe
0.05
Blockzeitenkinder
0.31
Tagesschulkinder
-0.10
0.00
0.10
0.20
0.30
0.40
Alltagsfertigkeiten (z-Wert)
2. Schuljahr: einfaktorielle Kovarianzanalyse p < .05 1 Unterschied Tagesschulkinder vs. Blockzeitenkinder (p<.01) 2 Unterschied Tagesschulkinder vs. Kontrollgruppe (p<.01)
Abb. 46
Alltagsfertigkeiten nach Untersuchungsgruppen am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 519)
Dieses Ergebnis verändert sich nach einem (Eta2 =.02 F (2, 497) =3.92, p<.05) und nach zwei Schuljahren (Eta2 =.02 F (2, 487) =3.69, p<.05) hinsichtlich einer geringeren Effektgrösse jedoch nicht wesentlich in seiner Gesamtaussage, wenn man zusätzlich die relevanten Einflussfaktoren der Familie der Kinder auf die
376
12 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
Entwicklung statistisch konstant hält (p<.001) (vgl. Abb. 46). Somit kann man feststellen, dass das Tagesschulsetting tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Entwicklung hinsichtlich der Alltagsfertigkeiten der Kinder hat. Erwähnenswert ist, dass sich dieser positive Effekt ausschliesslich bei einer intensiven Nutzung der Tagesschule zeigt.
12.3.2 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-) Qualität im ausserfamilialen Setting Nimmt man zusätzlich die Prozessqualität – die Qualität des Unterrichts bzw. des ausserunterrichtlichen Teils in der Tagesschule – in den Schulen ins Modell auf, so kann man der zweifaktoriellen univariaten Kovarianzanalyse mit den Kovariaten Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres und familiale Einflussfaktoren entnehmen, dass das Niveau der Qualität sowohl nach einem wie nach zwei Schuljahren keinen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung der Kinder in den Versuchs- und in der Kontrollgruppe hat. Die Kinder entwickeln sich gleich gut, unabhängig des Niveaus der Qualität.
12.3.3 Effekte der Schulformen bei zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-) Qualität im familialen Setting Im Weiteren wird die Entwicklung in den drei Untersuchungsgruppen unter zusätzlicher Berücksichtigung der Prozessqualität in der Familie untersucht. Die Ergebnisse der Kovarianzanalyse zeigen auf, dass sich die Kinder bis ans Ende des ersten Schuljahres besser entwickeln in ihren Alltagsfertigkeiten, wenn sie eine gute Entwicklungsförderung in der Familie erfahren (Eta2 =.04 F (1, 492) =20.30, p<.001), unabhängig davon, in welcher Untersuchungsgruppe sie sind. Der interessierende Interaktionseffekt zwischen Untersuchungsgruppe und Prozessqualität in der Familie erweist sich am Ende des ersten Schuljahres jedoch als nicht signifikant. Das heisst, es zeigt sich im Zusammenhang mit dem Niveau der Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation des Kindes in der Familie keine unterschiedliche Entwicklung der Kinder in den Untersuchungsgruppen. Anders sieht es nach zwei Schuljahren aus (vgl. Abb. 47). Hier entwickeln sich die Kinder der Untersuchungsgruppen unterschiedlich in Abhängigkeit der Entwicklungsförderung in ihrer Familie (Eta2 =.02 F (2,482) =4.18, p<.05). Die Kovariate Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres erweist sich als hochsignifikant.
12.3 Die Entwicklung bezüglich Alltagsfertigkeiten in den Schulformen
Kontrollgruppe
Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie (Prozessqualität)
0.16
-0.05
377
tiefe Qualität in Bezug auf die Stichprobe hohe Qualität in Bezug auf die Stichprobe -0.05
Blockzeitenkinder
0.27
0.39 0.19
Tagesschulkinder
-0.10
0.00
0.10
0.20
0.30
0.40
Alltagsfertigkeiten (z-Wert)
2. Schuljahr: zweifaktorielle Kovarianzanalyse p < .05
Abb. 47
Alltagsfertigkeiten nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres (N= 482)
Schaut man sich die Entwicklungen der Kinder der drei Untersuchungsgruppen mit unterschiedlicher Qualität im Detail an, so stellt man in der Tendenz fest, dass die Tagesschulkinder mit nur wenig familialer Unterstützung die grössten Fortschritte machen, wohingegen bei den Kindern mit Blockzeitenunterricht und bei denjenigen der Kontrollgruppe auch am Ende des zweiten Schuljahres die Entwicklungsförderung in der Familie eine wichtige Komponente für den Erwerb von Alltagsfertigkeiten zu sein scheint. Kinder mit einer besseren Entwicklungsförderung schneiden hier besser ab. Dieses Ergebnis scheint doch sehr interessant, verweist es doch tendenziell auf die von der Tagesschule erhoffte kompensatorische Wirkung hinsichtlich einer nur geringen Unterstützung aus der Familie. Diese Effekte zeigen sich jedoch allein bei einer intensiven Tagesschulnutzung.
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse 13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
In diesem Kapitel werden in einem ersten Teil die inhaltliche Ausrichtung der Studie und das Vorgehen (Kap. 13.1) fokussiert, bevor die Hauptergebnisse der Studie entlang der Hauptbereiche der Studie zusammengefasst und diskutiert werden (Kap. 13.2 bis 13.4). Abschliessend wird ein Ausblick gewagt (Kap. 13.5).
13.1 Inhaltliche Ausrichtung der Studie und Vorgehen 13.1 Inhatliche Ausrichtung der Studie und Vorgehen Im Laufe des 20. Jahrhunderts fand in der Schweiz sowie in den meisten anderen europäischen Ländern ein demographischer Wandel statt, der mit einem deutlichen Rückgang der Geburten und einer steten Verlängerung der Lebenserwartung einherging. Zudem haben der politische Zusammenschluss Europas und die anhaltende Immigration in den europäischen Raum zur Veränderung der Bevölkerungsstruktur beigetragen. Aber auch die Familie war einem Wandel unterworfen. Die Gleichstellungspolitik führte zu einer wachsenden Bildungsund Erwerbsbeteiligung der Frauen, die den Prozess der gesellschaftlichen Individualisierung und die Pluralisierung der Lebensformen beschleunigte und veränderte Lebens- und Familienzyklen zur Folge hatte (EDI 2004; EDI & BFS 2008; Herzog 1997; Nave-Herz 2007). Zudem haben sich in den letzten Jahrzehnten auch die den Kindern zur Verfügung stehenden lebensweltlichen und institutionellen Räume massiv verändert (Fölling-Albers 2001). Die sich im Wandel befindenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Aufwachsens der Kinder führten in den letzten Jahren zu einem verbreiteten Ruf nach Veränderungen im Bildungswesen in der Schweiz und in den deutschsprachigen Nachbarländern. Ein zusätzlicher Anstoss dazu lieferten die Ergebnisse der PISA-Studien, die eine breite öffentliche Debatte mit initiieren konnten. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Auseinandersetzung mit strukturellen Reformen des Bildungssystems, sondern auch um Fragen bezüglich einer veränderten Zuständigkeit der Arbeitsaufteilung der verschiedenen Institutionen bezüglich Bildung, Erziehung und Sozialisation der Heranwachsenden sowie nach einer angemessenen Bildungskonzeption (Coelen 2006a; Otto & Oelkers 2006; Vogel 2006) und den Bildungszielen (Otto & Rauschenbach 2004).
380
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
In Fachkreisen wird ein erweitertes Bildungsverständnis mit einem veränderten Zusammenspiel zwischen Familie, Schule und weiteren Bildungsorten postuliert. Gleichzeitig wird von der Schule erwartet, dass sie sich nicht nur auf formelle Bildungsziele beschränkt, sondern über diese hinaus auch Verantwortung für soziale Integration, Persönlichkeitsentwicklung und die Aneignung von materiell-praktischen Alltagskompetenzen der Heranwachsenden übernimmt. Dabei erhofft man sich, dass eine Umsetzung eines solchen Verständnisses gerade von der Tagesschule geleistet werden kann. Welche Auswirkungen solche Veränderungen effektiv für Schule, Familie und für die kognitive und sozio-emotionale Entwicklung der Kinder mit sich bringen, wurde bislang wenig untersucht (vgl. z.B. Holtappels et al. 2007a). Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, in einem ersten Schritt die von den Schülerinnen und Schülern erfahrene pädagogische Qualität in den verschiedenen Schulformen unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität der Nutzung bei den Tagesschulkindern – und ihrem wohl prägendsten Setting in den ersten Lebensjahren, der Familie – zu beschreiben und zu vergleichen (vgl. Kap. 10). Nach unserer Erkenntnis fehlen – abgesehen von Evaluationen von einzelnen Schulen – empirische Studien zu Tagesschulen und zu Schulen mit Blockzeitenunterricht in der Schweiz weitgehend. Das heisst, es gibt keine wissenschaftlich gesicherten Befunde dazu, wie sich die pädagogische Qualität in diesen Schulformen, aber auch in den Familiensettings der nutzenden Kinder im Vergleich zu Schulen mit traditionellem Unterricht, gestaltet. Nachdem in einem weiteren Schritt überprüft wurde, inwieweit die pädagogischen Prozesse im familialen und ausserfamilialen Setting von strukturellen Merkmalen und von den pädagogischen Orientierungen der Hauptbezugspersonen der Kinder beeinflusst werden (Erklärungsmodell der pädagogischen Qualität vgl. Kap. 11.1), wurde nochmals ein etwas breiterer Zugang gewählt, indem der direkte Einfluss aller Qualitätsdimensionen in Familie und Schule auf die kindliche Entwicklung, nebst individuellen Merkmalen und des Entwicklungsstands am Anfang der Schulzeit, untersucht wurde (vgl. Kap. 11.2). Auch der Frage nach der Bedeutung von Schul- und Unterrichtsfaktoren für die Entwicklung der Kinder, im Vergleich zu weiteren Blöcken von Bedingungsfaktoren wie der Familie und personalen Merkmalen der Kinder, wurde im Kontext der Forschung zu Tagesschulen und Blockzeitenunterricht bis anhin nicht nachgegangen. Der Hauptfokus der vorliegenden Studie lag auf der Untersuchung der Wirksamkeit der verschiedenen Schulformen unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität der Nutzung bei den Tagesschulkindern113 hinsichtlich der 113 mindestens drei Tage und 7.5h pro Woche
13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
381
kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung der Kinder sowie bezüglich deren Alltagsfertigkeiten. In diesem abschliessenden Analyseschritt (vgl. Kap. 12) wurde als zusätzlicher Faktor nebst der Schulform einerseits die Qualität im ausserfamilialen Setting (Schule) und andererseits im familialen Setting berücksichtigt. Je nach Fragestellung wurden die sich als wichtige Bedingungsfaktoren der kindlichen Entwicklung erwiesenen Merkmale (vgl. Kap. 11.2) kontrolliert. Studien bezüglich Qualität und Wirksamkeit von ausserfamilialer Bildung und Betreuung, die den aktuellen methodischen Ansprüchen gerecht werden, fehlen (für die Schweiz und den deutschen Sprachraum114) weitgehend (vgl. z.B. Holtappels et al. 2007a; Radisch & Klieme 2004). In diesem Bereich besteht ein beträchtliches Forschungsdefizit. So wurde diese Studie u.a. an vergleichbare Untersuchungen aus dem Vorschulbereich angelehnt (ECCE-Study Team 1997; Tietze 1998; Tietze et al. 2005a). Nach Holtappels (2005a) – der einen Systematisierungsversuch der Schulqualitäts- und Schulentwicklungsforschung vorgenommen hat – handelt es sich bei der vorliegenden Untersuchung um systembezogene Forschung, die u.a. die Entwicklung von Schulformen zum Gegenstand hat. Um die kurz- und mittelfristige Entwicklung der Schülerinnen und Schüler in den unterschiedlichen Schulformen am Anfang ihrer Schullaufbahn messen und die Wirksamkeit der Schulform analysieren zu können, wurde eine Längsschnittuntersuchung durchgeführt. Der Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler wurde zu Beginn der Schulzeit (am Anfang des ersten Schuljahres), am Ende des ersten und zweiten Schuljahres erhoben. Im Weiteren wurde die pädagogische Qualität des familialen und ausserfamilialen Settings in verschiedenen Qualitätsdimensionen untersucht. Das Untersuchungsdesign beinhaltet drei Untersuchungsgruppen: Zwei Versuchsgruppen und eine Kontrollgruppe. Es handelt sich dabei um eine quasi-experimentelle Ex-post-facto-Untersuchung.
13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting 13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting 13.2.1 Zusammenfassung der Ergebnisse zur pädagogischen Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting Im Rahmen dieser Studie wurde mittels Charakteristiken der Familien und Merkmale der verschiedenen Schulformen – Tagesschulen, Schulen mit Block114 Dieser erweist sich im Besonderen als relevant, da hier genauso wie in der Schweiz erst in den letzten Jahren eine ganztägige Bildung und Betreuung angestrebt wird, im Vergleich zu Ländern wie England, Frankreich oder den USA, in denen eine ganztägige Bildung und Betreuung Tradition hat.
382
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
zeitenunterricht und Schulen mit traditionellem Unterricht115 – analysiert, wie sich die pädagogische Qualität für die Kinder gestaltet und ob sie sich allenfalls unterscheidet zwischen den Schulformen. Nachfolgend sollen in Bezug auf die pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting ausgewählte, zentrale Ergebnisse festgehalten werden. Pädagogische Orientierungen in Familie und Schule Die pädagogische Qualität ist ein komplexes Gebilde mit verschiedenen Bereichen und Subbereichen. Die Orientierungsqualität lässt sich neben den beiden Qualitätsbereichen der Prozess- und Strukturqualität als ein weiterer Qualitätsbereich festmachen. Die Ergebnisse zur Orientierungsqualität, die im Folgenden zusammengefasst werden, beziehen sich auf die Vorstellungen und Überzeugungen über die Entwicklung von Kindern, über Bildungsziele und bezüglich der Schule als Umwelt der Hauptbezugspersonen der Kinder in Familie und Schule. Der Vergleich der Entwicklungsvorstellungen an Kindern im frühen Schulalter zwischen den Lehr- und Betreuungspersonen und denjenigen der Eltern zeigt auf, dass die Eltern im Allgemeinen denselben Entwicklungsstand beim Kinde rund sechs Monate früher erwarten als die (Haupt-)Bezugspersonen in der Schule. Diese früheren Erwartungen der Eltern treffen insbesondere auf kognitive Entwicklungsbereiche im schulischen Erfahrungsbereich zu. Vergleicht man die Entwicklungsvorstellungen der Lehrpersonen116 in den verschiedenen Schulformen, so sind die Erwartungen der in der Tagesschule tätigen Personen um rund drei Monate verzögert gegenüber den Lehrpersonen der Kontrollgruppenkinder. Bezüglich der Relevanz der Bildungsziele sind sich Eltern wie Lehr- und Betreuungspersonen in den meisten Fällen einig. Als besonders wichtig werden persönlichkeitsbezogene und soziale Bildungsziele eingeschätzt, gefolgt von schulleistungsbezogenen Zielen bei den Eltern. Bei den Lehr- und Betreuungspersonen hingegen wird den ästhetisch-künstlerischen Zielen tendenziell mehr Relevanz zugemessen als den leistungsbezogenen. Bei den Bildungsvorstellungen der Hauptbezugspersonen der Kinder in Familie und Schule zeigt sich in Bezug auf die Schulleistungsorientierung kein Unterschied, hingegen kann bei der Kreativitäts- versus Rationalitätsorientierung bei den Lehr- und Betreuungspersonen eine signifikant höhere Kreativitätsorientierung und eine geringere Rationalitätsorientierung als bei den Eltern festgestellt werden. In der Schule findet man insbesondere eine höhere Schul115 mit einem grossen Anteil an Halbklassenunterricht wie er in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz auf der Primarschulstufe vorherrschend war 116 und Betreuungspersonen nur in der Tagesschule
13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
383
leistungsorientierung und eine höhere Kreativitätsorientierung bzw. tiefere Rationalitätsorientierung des pädagogisch tätigen Personals in den Tagesschulen im Vergleich mit den Lehrpersonen der beiden anderen Untersuchungsgruppen. Im Weiteren ist für die Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder das Erreichen der Ziele bezüglich der kognitiven Entwicklung weniger bedeutsam als für die Lehrpersonen der Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder. Gerade umgekehrt gestaltet es sich bei der sozialen Entwicklung. Nicht überraschend entsprechen die traditionellen Aufgaben der Schule am wenigsten den Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder und die erweiterten Aufgaben gerade am meisten diesen Personen. Die Vorstellungen der Eltern der Tagesschul-, Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder zeigen ein vergleichbares Bild. Die Lehr- und Betreuungspersonen sind insgesamt erweiterten Aufgaben der Schule positiver und traditionellen Aufgaben negativer eingestellt als die Eltern. Verschiedenen Aufgaben der Schule wird unterschiedliche Bedeutsamkeit zugemessen. Auffallend ist dabei die grössere Relevanz, welche die Lehr- und Betreuungspersonen in den Tagesschulen den folgenden Aufgaben beimessen: Förderung der Kooperation und der guten Beziehung unter den Kindern, Unterstützung der Kinder zur Lösung von Konflikten ohne Lehrerhilfe, den Fokus mehr auf das Wohlbefinden der Kinder als auf die schulischen Leistungen legen sowie das Beibringen von Disziplin und Verhaltensregeln. Dies lässt doch insgesamt auf eine unterschiedliche pädagogische Ausrichtung der pädagogisch tätigen Personen an Tagesschulen im Vergleich zu den Lehrpersonen in den anderen Schulformen schliessen. Eine unterschiedliche Ausrichtung bzw. unterschiedliche pädagogische Anliegen findet man auch bei den Eltern der Tagesschulkinder wieder. Die Einschätzungen bezüglich der Bedeutsamkeit von Lernmethoden und Sozialformen lassen vermuten, dass Eltern von Kindern, die eine Tagesschule besuchen, sich von einer solchen eine Umsetzung von (reform-)pädagogischen Anliegen erwarten und erhoffen. Pädagogische Qualität in der Familie Bildungs- und Sozialisationsprozesse von Kindern finden an verschiedenen Orten statt und sind nicht an bestimmte Institutionen oder Instanzen gebunden. Die Familie ist jedoch der erste – und in der Zeit von der frühen Kindheit bis weit in die Schulzeit hinein – der wichtigste Ort der Bildung. In der Folge sollen die zentralen Ergebnisse hinsichtlich der pädagogischen Qualität in den Familien der Kinder in den verschiedenen Schulformen zusammengefasst werden. Bezüglich der personalen Dimension der familialen strukturellen Merkmale zeigen ausgewählte Ergebnisse, dass der Bildungsabschluss der Eltern in der
384
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
vorliegenden Studie insgesamt höher liegt als der gesamtschweizerische Durchschnitt. Dies lässt sich mit der überdurchschnittlich hohen Zahl an Universitätsabschlüssen bei den Tagesschuleltern erklären. Die familialen Erwerbstätigkeitsmodelle entsprechen, abgesehen vom egalitär-familienbezogenen Modell, das überrepräsentiert ist in der vorliegenden Studie, dem gesamtschweizerischen Durchschnitt. Die Eltern der Tagesschulkinder leben jedoch weniger häufig als erwartet das traditionell bürgerliche und das modernisierte bürgerliche Modell 1, jedoch häufiger das modernisierte bürgerliche Modell 2117 und das egalitärerwerbsbezogene Modell118. Bei den Familien der Tagesschulkinder wird überraschenderweise weniger häufig nur schweizerdeutsch gesprochen. Bei den Kontrollgruppenkindern indessen wird häufiger eine Fremdsprache gesprochen. Was die soziale Dimension der Familie anbelangt, stellt man fest, dass in einem Haushalt mit einem Tagesschulkind weniger Personen leben und dieses Kind zugleich weniger Geschwister hat als ein Blockzeiten- und ein Kontrollgruppenkind. Die Familien der Tagesschulkinder verfügen zudem über höhere bildungsrelevante Ressourcen als diejenigen der Blockzeitenkinder. In den Familien der Blockzeitenkinder wiederum sind tiefere Ressourcen vorhanden als bei denjenigen der Kontrollgruppe. Ebenfalls höher liegt der sozioökonomische Status der Familien mit Tagesschulkindern als derjenige der Familien der anderen Untersuchungsgruppen. Bei der räumlich-materialen Dimension fällt die unterschiedliche Verteilung des Einkommens in den Familien der Tagesschul-, Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder auf. Insbesondere kann eine grössere Vertretung der Familien der Tagesschulkinder bei der Gruppe der am besten Verdienenden im Unterschied zu den Familien der anderen beiden Untersuchungsgruppen konstatiert werden. Hinsichtlich der Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation, der Prozessqualität in den Familien, erfahren die Tageschulkinder eine bessere Förderung als die Blockzeiten- und die Kontrollgruppenkinder. Kontrollgruppenkinder erhalten eine bessere Förderung als die Blockzeitenkinder. Pädagogische Strukturqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Nachfolgend sollen die wesentlichen Merkmale der Strukturqualität des ausserfamilialen Settings, der Schule, zusammengefasst werden. Unter Strukturmerkmalen werden relativ überdauernde Rahmenbedingungen verstanden, die in der Regel vorgegeben und politisch regulierbar sind. Innerhalb derer spielen sich das pädagogische Handeln der pädagogisch tätigen Personen und das Lernen der 117 Modell 1: Elternteile sind Teilzeit unter 49 Prozent und Vollzeit erwerbstätig; Modell 2: Elternteile sind Teilzeit über 50 unter 89 Prozent und Vollzeit erwerbstätig. 118 Beide Elternteile sind Vollzeit erwerbstätig.
13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
385
Kinder im weitesten Sinne ab. Strukturmerkmale finden sich sowohl auf der Ebene der Schulklasse bzw. Kindergruppe als auch auf der Ebene der gesamten Schule bzw. Tagesschule wieder. Da in vielen Tagesschulen der Schweiz der unterrichtliche und der ausserunterrichtliche Teil der gesamten Schule mehr oder weniger strukturell getrennt sind und auch getrennt laufen, wurde in dieser Studie ebenfalls zwischen den Strukturbedingungen des Unterrichtsteils, des ausserunterrichtlichen Teils und der gesamten Schule unterschieden. Ausgewählte Ergebnisse zur sozialen Dimension der Strukturqualität des Unterrichtsteils zeigen auf, dass man heutzutage auch auf der Unterstufe insgesamt nur noch in den wenigsten Fällen davon ausgehen kann, dass eine Klasse von einer Lehrperson unterrichtet wird (3.0%). Die Klassen werden im Mittel von 3.83 Lehrpersonen unterrichtet. In fast 50 Prozent der Klassen unterrichten zwei oder drei Lehrpersonen. Hinsichtlich der Heterogenität verdeutlichen die Ergebnisse dieser Studie, dass die Altersdifferenz bei den Klassen der Tagesschulkinder deutlich grösser ist als bei den anderen beiden Gruppen (Unterschied von rund drei bis vier Monaten). Anders bei der kulturellen und sprachlichen Heterogenität sowie bei der Leistungsheterogenität. Den höchsten Anteil an Kindern mit einem allfälligen Problempotenzial, das für besonders heterogene Klassen nachgewiesen ist, findet man in den Klassen der Blockzeitenkinder im Vergleich sowohl zu den Klassen der Tagesschul- als auch zu den Kontrollgruppenkindern. Dieser Effekt widerspiegelt sich ebenso auf Schulebene. Als besonders interessant erweisen sich die Befunde in der Handlungsdimension, welche die Unterrichtsorganisation betreffen. So unterscheidet sich alles in allem der Einsatz von Sozialformen in den Fächern Deutsch und Mathematik in den Klassen der Tagesschul-, Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder. Erwähnenswert ist im Besonderen der deutlich geringere Anteil an Unterricht mit der gesamten Klasse (im Plenum) und an Einzelarbeit im Fach Deutsch, den die Tagesschulkinder erfahren. Gerade umgekehrt ist es bei der Gruppenund bei der Partnerarbeit. In der Mathematik arbeiten die Tagesschulkinder im Unterricht mehr in der ganzen Klasse, in Partnerarbeit aber weniger in Einzelarbeit. Lehrpersonen, die verschiedene Sozialformen einsetzen und mit erweiterten Lehr- und Lernformen arbeiten, benötigen oftmals mehr Räumlichkeiten. In der vorliegenden Studie zeigt es sich, dass in den Klassen der Tagesschulkinder die Flure häufiger genutzt werden als in denjenigen der Blockzeitenkinder und der Kontrollgruppe, was somit eher auf den Einsatz von erweiterten Lehr- und Lernformen schliessen lässt. Ausserdem wird die Zusammenarbeit unter den Lehrpersonen häufig als wichtiger Qualitätsaspekt bezeichnet. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass bei der Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen der Tagesschulkinder im Vergleich zu denjenigen der Blockzeiten- und Kontrollgruppen-
386
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
kinder stärker auf den Austausch mit der Doppelstellenpartnerin oder dem Doppelstellenpartner119 und mit den Speziallehrpersonen120 Wert gelegt wird. Die Kooperation mit den Fachlehrpersonen121, die an der Klasse unterrichten, wird hingegen häufiger von den Lehrpersonen der Kontrollgruppenkinder als von den Lehrpersonen der beiden anderen Gruppen gepflegt. Austausch und gemeinsame Planung mit den Parallelklassenlehrpersonen werden schliesslich häufiger von den Lehrpersonen der Blockzeitenkinder als von denjenigen der Kontrollgruppe betrieben. Zusammenfassend kann im Besonderen eine verbreitete Kooperation der Tagesschullehrpersonen mit den Doppelstellenpartnerinnen und -partnern sowie mit den Speziallehrpersonen konstatiert werden. Die bedeutsamsten Formen von Zusammenarbeit findet man auf der formellen Ebene der pädagogischen Zusammenarbeit. Es ist dies die gemeinsame Unterrichtsplanung bzw. die Absprache im Rahmen des häufig verbreiteten Teamteachings122. Die Relevanz der insgesamt genannten Formen von Zusammenarbeit muss insgesamt als eher gering bezeichnet werden. Ein weiteres Thema, das in Familie und Schule immer wieder zu Diskussionen Anlass gibt, sind die Hausaufgaben. Rund dreimal pro Woche bearbeiten die Schülerinnen und Schüler im Mittel Hausaufgaben. Die Tagesschulkinder erhalten jedoch bedeutend weniger oft Hausaufgaben als die Kinder der anderen beiden Schulformen. Eine Aussage über das in der Schule anzutreffende Verständnis und die aufgrund dessen entwickelte pädagogische Konzeption lässt sich aufgrund der Angebotsstruktur und -breite des ausserunterrichtlichen Bildungsangebotes der Schulen machen (Holtappels 2007). Zugleich wird dadurch auch die Bandbreite der ermöglichten Lerngelegenheiten skizziert. Um diese Angebotsstruktur und breite abbilden zu können, wurden so genannte Angebotsindizes gebildet. Diese Angebotsindizes liegen bei den fachbezogenen Angebotsformen und bei der Hausaufgabenhilfe und -betreuung jeweils bei einem mittleren Wert, der das Vorhandensein von rund der Hälfte der Angebote in diesem Gestaltungsbereich besagt. Bedeutend tiefer liegt der vorhandene Angebotsumfang bei den Freizeitangeboten. Insgesamt sind über alle Bereiche hinweg 40 Prozent der Angebote ausgebaut (Gesamtindex). Die Tagesschulkinder können dabei in allen drei Gestaltungsbereichen von einem grösseren Angebotsumfang als die Blockzeitenund die Kontrollgruppenkinder profitieren. Dies trifft infolgedessen auch für die Angebotsbreite über alle Gestaltungsbereiche hinweg zu. Besonders ausgeprägt ist der positive Angebotsumfang, der für die Tagesschulkinder zur Auswahl steht 119 120 121 122
Lehrperson, die eine Klasse gemeinsam im Job-Sharing unterrichtet z.B. Lehrperson für Deutsch als Zweitsprache (DaZ), für schulische Heilpädagogik z.B. Werklehrperson, Instrumentallehrperson mehrere Lehrpersonen unterrichten gemeinsam an einer Klasse
13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
387
beim Freizeitindex. Bis auf das Hausaufgabenbetreuungsangebot können aber auch die Blockzeitenkinder von einem umfangreicheren und breiteren Angebot als die Kontrollgruppenkinder Gebrauch machen. Es überrascht letztlich wenig, dass die Tagesschulen über das vergleichsweise am besten ausgebaute Angebot verfügen. Beachtenswert sind umso mehr die Werte insbesondere der Schulen der Blockzeitenkinder, die insgesamt über ein umfangreicheres Angebot als die Schulen der Kontrollgruppenkinder verfügen und sich gleichwohl nicht als Tagesschulen bzw. Schulen mit Tagesstrukturen bezeichnen. Die Situation bezüglich der (strukturellen) Merkmale des ausserunterrichtlichen Teils der Tagesschule erweist sich momentan als sehr heterogen. So liegen beispielsweise heterogene und teilweise gar keine kantonalen Vorgaben bezüglich des erforderlichen Bildungsabschlusses sowohl der Tagesschulleitungspersonen als auch der Mitarbeitenden vor. Dies verdeutlichen die unterschiedlichen Ausbildungsabschlüsse dieser Personengruppen in der vorliegenden Studie. So findet man unter den Tagesschulleitungspersonen vor allem Personen mit einem Lehrdiplom, eine Sozialpädagogin und eine Familienmediatorin. Auch der grösste Teil der im ausserunterrichtlichen Teil tätigen Personen bringt ein Lehrdiplom (für Kindergarten, Primarschule oder Sekundarstufe I) mit. Weitere Mitarbeitende haben einen Ausbildungsabschluss als Kleinkindererzieherin, Fachmann bzw. Fachfrau Betreuung, Spielgruppenleiterin oder als Sozialpädagogin bzw. -pädagoge. Einige Personen bringen gar keine pädagogische Ausbildung mit. Zusammenfassend lässt sich bezüglich des Verhältnisses zwischen Lehrund Betreuungspersonen festhalten, dass in freiwilligen Tagesschulen ungefähr zwei Drittel Lehrpersonen sowie ein Drittel weiteres pädagogisch tätiges Personal mit beziehungsweise ohne pädagogische Ausbildung arbeiten. Die (untersuchten) Tagesschulen sind unterschiedlich gross. So bietet die kleinste 25 und die grösste 95 Plätze an. Bei den gebundenen Tagesschulen entspricht die Anzahl Plätze in etwa den angemeldeten Kindern. Bei den offenen Tagesschulen, bei denen die einzelnen angebotenen Module über die Woche von den Eltern bzw. den Kindern meistens für ein Semester gewählt werden können, ist die Anzahl der angemeldeten und auch die Tagesschule nutzenden Kinder um einiges höher als die zur Verfügung stehenden Plätze. Bei den offenen Tagesschulen kommen auf einen Tagesschulplatz zwischen 0.7 und 4.0 Kinder. Neben dem Unterricht kann in den so genannten Auffangzeiten der obligatorischen Tagesschule und im Rahmen der freiwilligen Bildungs- und Betreuungsmodulen in den freiwilligen Tagesschulen ein vielseitiges Angebot stattfinden. In den in der vorliegenden Studie untersuchten Tagesschulen hat das freie Spiel, welches meist nach dem Mittagessen wie auch am Nachmittag nach dem Unterricht stattfindet, in allen Tagesschulen einen grossen Stellenwert.
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13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
Nebst dem freien Spiel gibt es in den Tagesschulen auch geführte Angebote und Aktivitäten. Diese Angebote und Aktivitäten richten sich nach Jahreszeit, Wetter, Bedürfnissen und Wünschen der Kinder wie auch nach den Fähigkeiten des pädagogisch tätigen Personals. In obligatorischen Tagesschulen werden im ausserunterrichtlichen Teil teilweise Themen des Unterrichts in Angeboten und Aktivitäten wieder aufgegriffen. Eine besondere Bedeutung kommt in der Tagesschule den Hausaufgaben zu. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen auch in diesem Bereich Unterschiede zwischen obligatorischen und freiwilligen Tagesschulen. So führen die Kinder in obligatorischen Tagesschulen die zu verrichtenden Aufgaben überwiegend im Unterricht aus. In einer Tagesschule werden darüberhinaus gar keine Hausaufgaben erteilt, in den anderen beiden obligatorischen Tagesschulen werden die Aufgaben in einer fest definierten Hausaufgabenstunde am Nachmittag verrichtet. Wer den ausserunterrichtlichen Teil einer offenen freiwilligen Tagesschule besucht, kommt in den Genuss einer geregelten Hausaufgabenstunde nach dem Unterricht am Nachmittag. Wer am Nachmittag keinen Unterricht hat, macht dabei seine Hausaufgaben bereits nach der Mittagseinheit. Dabei handelt es sich um ein Hausaufgabenbetreuungsangebot und nicht um eine individuelle Hausaufgabenhilfe. Pädagogische Prozessqualität im ausserfamilialen Setting (Schule) Kommen wir nun zu den Ergebnissen zur pädagogischen Prozessqualität im ausserfamilialen Setting, der Schule. Die Prozessqualität bezieht sich auf die Gesamtheit der Interaktion und Erfahrungen, die das Kind in der Schule in seiner sozialen und räumlich-materialen Umwelt sammeln kann. Der Unterricht, den die Tagesschul-, Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder erleben, unterscheidet sich in den einzelnen Unterrichtsgestaltungsbereichen und insgesamt. Sowohl bezüglich des lernförderlichen Klimas und der Variabilität von Unterricht, der Motivierung und Aktivierung der Kinder, der Raumgestaltung und des Klimas im Klassenzimmer als auch bezüglich Unterrichtsqualität insgesamt erfahren die Tagesschulkinder einen besseren Unterricht als die Kinder in den beiden anderen Schulformen. Einen statistisch relevanten Unterschied zwischen dem Unterricht, den die Blockzeitenkinder besuchen und demjenigen der Kontrollgruppe, dem „traditionellen Unterricht“, findet man hingegen einzig bei der Dimension lernförderliches Klima und Variabilität des Unterrichts, welche in den Klassen der Blockzeitenkinder höher eingeschätzt wird. Zusammenfassend kann die Aussage gemacht werden, dass die Tagesschulkinder im Vergleich zu den anderen Kindern in allen Gestaltungsbereichen vom „besten Unterricht“ profitieren können, wobei im wichtigen Bereich der
13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
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Klassenführung und der Klarheit des Unterrichts in allen Klassen qualitativ (gleich) guter Unterricht durchgeführt wird. Die jeweiligen Profile in den einzelnen Qualitätsbereichen der Tagesschulen des ausserunterrichtlichen Teils liegen recht dicht beieinander. Lediglich bei den Bereichen Gesundheit und Sicherheit, Interaktionen sowie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal bestehen Differenzen von deutlich mehr als einem Skalenpunkt zwischen dem jeweiligen minimal und maximal erreichten Subskalenwert. Es wird deutlich, dass es Profile von Tagesschulen gibt, die über ausgeglichenere Ausprägungen und solche, die über ein breiteres Spektrum an Ausprägungen in den einzelnen Bereichen verfügen. Der Rahmenkonzeption der Studie zufolge wurde unter der Prozessqualität in den Tagesschulen sowohl die pädagogische Qualität im Unterricht (Unterrichtsqualität) als auch im ausserunterrichtlichen Teil der Tagesschule verstanden. In den Untersuchungsgruppen der Kinder aus Blockzeitenklassen und aus Klassen mit traditionellem Unterricht (Kontrollgruppe) entspricht hingegen die Prozessqualität der Unterrichtsqualität, welche die Kinder in der Schule erleben. Alles in allem kann festgestellt werden, dass die Tagesschulkinder von einer höheren Qualität profitieren als die Kinder in den anderen Schulformen. Kein Unterschied liegt zwischen der erfahrenen Prozessqualität der Blockzeitenund der Kontrollgruppenkinder vor.
13.2.2 Diskussion der Ergebnisse zur pädagogischen Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden neben der Struktur- und Prozessqualität die pädagogischen Orientierungen – die Einstellungen und Haltungen – der Hauptbezugspersonen in Familie und Schule untersucht. Diese wurden in der vorliegenden Studie mit den gleichen Skalen gemessen, was als wichtige methodische Voraussetzung für den Vergleich zwischen familialem und ausserfamilialem Setting gesehen wird (Tietze 1998). Die Eltern erwarten im Allgemeinen denselben Entwicklungsstand im frühen Schulalter beim Kinde rund 6 Monate früher als die (Haupt-)Bezugspersonen in der Schule. Dies entspricht dem Befund von Tietze (1998) in seiner Studie im Vorschulalter in Deutschland, indem die Eltern das Auftreten entsprechender Verhaltensweisen vier bis fünf Monate früher erwarten als die Erzieherinnen. Im frühen Schulalter hat sich in dieser deutschen Studie das Blatt bezüglich der Erwartungen jedoch gewendet (Tietze et al. 2005a). Es kann vermutet werden, dass sich dieser in der vorliegenden Studie im ersten Schuljahr gezeigte Optimismus der Mütter bezüglich der Entwicklung ihres Kindes im Laufe der ersten Schuljahre etwas mehr an
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13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
die „Realität“ anpassen wird. Grundsätzlich besteht jedoch eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen den Eltern und den Lehr- und Betreuungspersonen u.a. bezüglich der Relevanz der Bildungsziele, was ebenso mit den vergleichbaren Befunden der deutschen Studie von Tietze et al. (2005a) übereinkommt. Insbesondere erweisen sich die Ergebnisse des erstmals in der vorliegenden Studie durchgeführten Vergleichs zwischen den (Haupt-)Bezugspersonen der Kinder in den verschiedenen Schulformen als interessant. Die Eltern der Tagesschulkinder gewichten nicht unerwartet erweiterte Aufgaben der Schule stärker. Zudem lassen deren Einschätzungen bezüglich der Bedeutsamkeit von Lernmethoden und Sozialformen vermuten, dass sie von einer Tagesschule eine Umsetzung von (reform-)pädagogischen Anliegen erwarten. Die Entscheidung, ihr Kind in eine Tagesschule zu schicken, scheint auf diesem Hintergrund für die Eltern eine bewusste Wahl für diese Schulform u.a. nach pädagogischen Kriterien zu sein. Im Unterschied dazu liegt es hingegen nicht in der Hand der Eltern, ob das Kind eine Schule mit Blockzeitenunterricht oder mit traditionellem Unterricht besuchen darf. Dies ist abhängig davon, ob im entsprechenden Wohnkanton bzw. in der Schulgemeinde ein Unterrichtsmodell mit oder ohne Blockzeiten geführt wird. Eine freie Schulwahl besteht in der Schweiz nicht. Bei den Lehr- und Betreuungspersonen der Tagesschulkinder fallen eine höhere Schulleistungsorientierung und ausserdem eine höhere Kreativitätsorientierung im Vergleich zu den anderen Lehrpersonen auf. Gleichzeitig ist für diese das Erfüllen von erweiterten Aufgaben der Schule, genauso wie das Erreichen von sozialen Entwicklungszielen, vergleichsweise relevanter. Diese stärkere Gewichtung des Sozialen manifestiert sich auch in den von ihnen als besonders bedeutsam erachteten Aufgaben wie Förderung der Kooperation und der guten Beziehung unter den Kindern, Unterstützung der Kinder zur Lösung von Konflikten ohne Lehrerhilfe oder aber, den Fokus mehr auf das Wohlbefinden der Kinder als auf die schulischen Leistungen zu legen. Es kann vermutet werden, dass es sich bei den Lehr- und Betreuungspersonen in den Tagesschulen um Fachpersonen handelt, die bewusst eine Schule ausgewählt haben, die es ihnen ermöglicht, ihre pädagogischen Haltungen und Vorstellungen bezüglich einer guten Schule in die Tat umzusetzen. Diese Hypothese stützt zusätzlich die in den Tagesschulen vorgefundene Unterrichts- und Prozessqualität123, die sich für die Tagesschulkinder als höher erweisen als für die anderen Kinder. Zudem kann eine stärker verbreitete Kooperation der Tagesschullehrpersonen mit ihren Doppelstellenpartnerinnen sowie mit den Speziallehrpersonen konstatiert werden. Es scheint sich bei den Tagesschullehrpersonen um besonders engagierte Fachpersonen zu handeln, die bewusst an einer Tagesschule 123 Qualität im Unterricht und im ausserunterrichtlichen Teil
13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
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einen grösseren Handlungsspielraum suchen und diesen auch pädagogisch nutzen. Zur Messung der erwähnten Unterrichtsqualität wurde in Anlehnung an Helmke (2007), basierend auf dem aktuellen Forschungsstand, ein niedriginferentes Beobachtungsinstrument entwickelt und eingesetzt, dessen Skalenwerte im für sozialwissenschaftliche Instrumente zufriedenstellenden bis guten Bereich liegen. Die eingesetzten Merkmale und die Skalen sind jedoch nicht normiert, so dass eine bestimmte Ausprägung nicht hinsichtlich unzureichender, mittelmässiger oder guter Qualität bewertet werden kann, wie dies z.B. bei der Hort- und Ganztagsangebote-Skala (Tietze et al. 2005b) der Fall ist. Aussagen zu höherer und tieferer Qualität von Unterricht im Vergleich zwischen den Untersuchungsgruppen – was im Zentrum des Interesses der vorliegenden Studie lag – können jedoch unbedenklich gemacht werden. Im Rahmen der im ausserunterrichtlichen Teil eingesetzten normierten Hort- und Ganztagsangebote-Skala wird pädagogische Qualität in einem breiten Sinne verstanden und ist nicht auf ein bestimmtes pädagogisches Konzept bezogen. Die Einschätzung als gute oder auch unzureichende Qualität basiert auf empirischen Studien über ausserunterrichtliche Angebote für Kinder im Schulalter und „reflektiert die Qualitätsstandards, die Experten, Forscher und Berufsorganisationen weltweit – über kulturspezifische und konzeptbezogene Kriterien hinaus – in einem weitgehenden Konsens als bedeutsam erachten“ (Tietze et al. 2005b, p. 7). Spezifische „Bildungspläne“, die pädagogische Ziele und Qualität des ausserunterrichtlichen Teils kantonal oder schweizweit festlegen würden, sind weitgehend nicht vorhanden, weshalb eine Messung anhand kultur- und konzeptneutraler Kriterien als sinnvoll erachtet wird. Um Angebotsstruktur und -breite der ausserunterrichtlichen Bildungs- und Betreuungsangebote in den Schulen abbilden zu können, wurden so genannte Angebotsindizes gebildet. Es handelt sich dabei um Indizes für fachbezogene Angebotsformen, für Hausaufgabenhilfe und -betreuung, für Freizeitangebote sowie um einen Gesamtindex bezüglich des gesamten Angebotes. Es überrascht letztlich wenig, dass die Tagesschulen über die vergleichsweise am besten ausgebauten Angebote verfügen. Vergleicht man den Ausbaustand mit demjenigen der Ganztagsschulen in Deutschland (vgl. z.B. Holtappels 2007), so kann man insgesamt in den Tagesschulen der vorliegenden Studie einen grösseren Angebotsumfang lokalisieren. Die Werte der anderen Schulen in der Schweiz liegen tiefer – auch als die Ganztagsschulen in Deutschland. Es ist jedoch beachtenswert, über welch umfangreicheres Angebot auch die anderen Schulen verfügen, die sich nicht als Tagesschulen bzw. Schulen mit Tagesstrukturen bezeichnen. Als relativ schwierig wird es momentan erachtet, verallgemeinernde Aussagen zu strukturellen Merkmalen von Tagesschulen in der Schweiz zu
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13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
generieren. In der aktuellen Situation des Auf- und Ausbaus handelt es sich bei jeder Tagesschule annähernd um einen Einzelfall. Der im Rahmen der Studie in einem ersten Schritt eingesetzte standardisierte Fragebogen konnte deshalb dem Forschungsfeld zu wenig gerecht werden, weshalb ergänzend zum Fragebogen mit den Tagesschulleitungspersonen ein problemzentriertes Leitfadeninterview durchgeführt und ein kurzer Fragebogen eingesetzt wurde. Mit Hilfe dieses Vorgehens konnten die personale und die soziale Dimension sowie die Handlungsdimension der Struktur der Tagesschulen beschrieben werden. Ein weiterer Forschungsbedarf wird darin gesehen, ein noch detaillierteres und breiteres Bild bezüglich der vorherrschenden Strukturen und der ablaufenden Prozesse zu gewinnen. Bis anhin liegen noch wenig spezifische Kenntnisse für die Tagesschule vor, was sich als qualitativ hochstehend für die kindliche Entwicklung erweist (vgl. z.B. Holtappels et al. 2007b). In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass ökonomisches, kulturelles und soziales Kapitel und somit die familiale Qualität bedeutsam für den Schulerfolg der Kinder sind (z.B. Coradi Vellacott & Wolter 2002). Deshalb wurde das Vorhandensein dieser Ressourcen in den Familien der Untersuchungsgruppen untersucht. Auffallend in der vorliegenden Studie sind die hohen Bildungsabschlüsse der Tagesschuleltern. Diese Eltern verfügen auch über vergleichsweise höhere bildungsrelevante Ressourcen, einen höheren sozioökonomischen Status und sind bei den insgesamt am besten verdienenden Familien übervertreten. Auch die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation, die Prozessqualität in den Familien der Tageschulkinder, erweist sich als höher als in den anderen Familien. Pädagogisch-psychologische Studien konnten verschiedentlich ebenfalls die Relevanz von Prozessmerkmalen des Elternverhaltens für den Schulerfolg ihrer Kinder nachweisen (vgl. z.B. Pekrun 2001; Wild & Hofer 2002; Zimmermann & Spranger 2001). So weisen Helmke und Weinert (1997b) daraufhin, dass die Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Schulleistung auf Unterschiede in schulleistungsrelevanten Merkmalen des elterlichen Verhaltens zurückzuführen sind. Neben dem direkten Einfluss der Eltern auf die Entwicklung der Kinder nennen Parke und Buriel (2006) auch deren indirekten Einfluss als Arrangeure kindlicher Entwicklungsgelegenheiten. Dies ist z.B. bei der Wahl des Tagesschulsettings der Fall, bei der dem Kind mit einer „bewussten Wahl“ eine andere Schulform ermöglicht wird. Diese beschriebenen Befunde zur Familie der Tagesschulkinder der vorliegenden Studie müssen sehr vorsichtig interpretiert werden, könnten doch die aufgezeigten Effekte im Zusammenhang mit der Entscheidung der Eltern zur Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an der Studie EduCare stehen. Das heisst, allenfalls könnten sich überwiegend Eltern zu einer Teilnahme entschlossen haben, die von ihrem positiven familialen Umfeld überzeugt sind. Die Ergebnisse legen
13.2 Pädagogische Qualität im familialen und ausserfamilialen Setting
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gleichwohl nahe, dass die Tagesschulkinder insgesamt eher von einer familialen Struktur- und Prozessqualität profitieren können, die nachweislich zu grösserem Schulerfolg führt. Deshalb wurde der Einfluss der genannten familialen Strukturund Prozessmerkmale für die weiterführenden Analysen hinsichtlich der kindlichen Entwicklung in den verschiedenen Schulformen statistisch kontrolliert, damit allein die Effekte des schulischen Settings auf die kindliche Entwicklung gemessen werden können. Was bedeutet dieses festgestellte Übergewicht an Familien mit hoher Struktur- und Prozessqualität bezüglich der Sozialstruktur in den Tagesschulen? Für die Schweiz existieren bis anhin keine umfassenden repräsentativen Untersuchungen zur Sozialstruktur der Schülerinnen und Schüler an Tagesschulen. Diese unterscheidet sich unsystematischen Beobachtungen zufolge jedoch von Tagesschule zu Tagesschule beträchtlich. Insbesondere dürften die Höhe des Elternbeitrags, eine Empfehlung des Besuchs von Fachstellen als sonderpädagogische Massnahme und das gewählte Tagesschulmodell – u.a. offen oder gebunden – entscheidend sein für die vorherrschende Sozialstruktur an einer Tagesschule. Verschiedene Studien aus Deutschland zeigen diesbezüglich ausserdem ein divergentes Bild. Deshalb sollen – aufgrund der Tatsache, dass nur 10 Tagesschulklassen mit an der Studie beteiligt waren – auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse keine allgemeinen Schlüsse auf die Sozialstruktur an Tagesschulen in der Schweiz gewagt werden. Unter methodischen Gesichtspunkten soll erwähnt werden, dass die Erhebung der familialen Prozessqualität mittels der adaptierten Version der deutschen Fassung “Home Observation Measurement of the Environment” (HOME) (Caldwell & Bradley 1984) erfolgte. Die Subskalen des Instruments HOME, die zur Messung der Qualität und der Stimulation in anregungsarmen familialen Milieus in den USA entwickelt wurden, konnten jedoch in der vorliegenden Studie nicht repliziert werden. Die Messung der familialen Prozessqualität mit diesem Instrument hat sich aufgrund der mangelnden Differenzierung nach oben bereits in verschiedenen Studien im Vorschulalter in Deutschland (Tietze et al. 2005a) und in Grossbritannien als problematisch erwiesen. Stattdessen wurden in der vorliegenden Studie drei empirisch begründete, reliable Subskalen gebildet. Die Skala Entwicklungsförderung und aktive Stimulation mit den besten statistischen Werten wurde in weiterführende Analysen einbezogen. Für eine künftige Verwendung der Skalen wäre eine Kreuzvalidierung angebracht.
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13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
13.3 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung 13.3 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung 13.3.1 Zusammenfassung der Ergebnisse zur pädagogischen Qualität und kindlichen Entwicklung Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde im Weiteren untersucht, inwieweit die pädagogischen Prozesse im familialen und ausserfamilialen Setting (Schule) von strukturellen Merkmalen und von den pädagogischen Orientierungen der Hauptbezugspersonen der Kinder beeinflusst werden (Erklärungsmodell der pädagogischen Qualität). Dabei wurde in beiden Settings von der Annahme ausgegangen, dass sich das Erklärungsmodell der Prozessqualität für alle Schulformen gleich gestaltet. Die Ergebnisse zeigen auf, dass 43 Prozent der Varianz der Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation des Kindes, was der Prozessqualität der Familie entspricht, durch vier strukturelle Merkmale der Familie aufgeklärt werden können. Die Entwicklungsförderung des Kindes fällt in Familien besser aus, in denen eine geringere Anzahl Personen in einem Haushalt leben sowie hohe bildungsrelevante Ressourcen, ein hoher sozioökonomischer Status und ein hohes Einkommen der Familie vorhanden sind. Zudem fällt die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in Familien, in denen schweizerdeutsch gesprochen wird besser aus als in Familien, in denen schweizerdeutsch und eine andere Sprache bzw. nur eine andere Sprache gesprochen wird. In der Schule erklären strukturelle Merkmale und pädagogische Orientierungen der Klassenlehrpersonen des Kindes 46 Prozent der Unterrichtsqualität (Gesamtwert), also der Prozessqualität des Unterrichts, und zwischen 31 und 44 Prozent der Varianz der vier Gestaltungsbereiche von Unterricht124. Die Ergebnisse zeigen auf, dass man in Klassen mit einer Klassenlehrperson mit hoher Schulleistungsorientierung eine höhere Unterrichtsqualität (Gesamtwert) findet. Zudem kann festgehalten werden, dass je mehr die Lehrpersonen die Aufgaben der Schule vor allem auf traditionelle Aufgaben125 beschränkt sehen, desto weniger hoch die Qualität des Unterrichts ist. Je höher die Anzahl an Lehrpersonen, die gemeinsam eine Klasse unterrichten, desto besser die Unterrichtsqualität. Das Gleiche gilt für die Altersdifferenz der Kinder in der Klasse sowie den Unterricht im Plenum in den Hauptfächern Deutsch und Mathematik. Auch die Zusammenarbeit – insbesondere mit der Parallelklassenlehrperson und den 124 Klassenführung und Klarheit, Aktivierung und Motivierung, lernförderliches Klima und Variabilität sowie Raumgestaltung und Klima 125 Unter „traditionellen Aufgaben“ wird u.a. verstanden, dass die Eltern für korrekt gelöste Hausaufgaben sorgen. Zudem soll in der Schule ein einheitliches Arbeitstempo vorherrschen, und es wird Wert auf Wissensvermittlung gelegt (Beispielitems) (vgl. Kap. 10.1.2).
13.3 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
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Speziallehrpersonen – erweist sich als positiv für einen qualitativ guten Unterricht. In der räumlich-materialen Dimension schliesslich lässt sich erkennen, dass je mehr verschiedene Materialien im Klassenzimmer vorhanden sind, desto besser der Unterricht. Zudem zeigt die pädagogische Nutzung der Flure des Schulhauses und somit von zusätzlichen Räumlichkeiten im Rahmen des Unterrichts einen positiven Effekt. Die relevanten Faktoren für die einzelnen Gestaltungsbereiche von Unterricht gehen insgesamt in die gleiche Richtung. Untersucht wurde im nächsten Schritt, welchen Einfluss die Merkmalblöcke und potentielle Bedingungsfaktoren – Charakteristiken der Kinder, unterschiedliche familiale Merkmale, der Entwicklungsstand bei Schuleintritt sowie verschiedene schulische Merkmale – auf den kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklungsstand sowie auf die Alltagsfertigkeiten der Kinder am Ende des ersten und zweiten Schuljahres haben. Zudem wurde analysiert, welches im Einzelnen entwicklungsfördernde Bedingungsfaktoren in Familie und Schule sind. Effekte auf die kognitive Entwicklung Die genannten Merkmalsblöcke klären am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres insgesamt 43 bzw. 56 Prozent der interindividuellen Schulleistungsunterschiede der Kinder in Mathematik auf. Bezüglich der Schulleistung in Sprache liegen die Werte mit 34 bzw. mit 23 Prozent etwas tiefer. Die individuellen Merkmale des Kindes spielen für den Leistungsstand in Mathematik eine wichtige Rolle. Für keinen anderen Entwicklungsbereich erweisen sich die individuellen Voraussetzungen der Kinder annähernd so wichtig wie für die Schulleistung in Mathematik. Bei der Schulleistung in Sprache126 sind die individuellen Merkmale vergleichsweise wenig voraussagekräftig. Bei den familialen Merkmalen stellt man für die Mathematikleistung eine weit geringere und für Sprachleistung vergleichbare Voraussagekraft der Leistung fest. Von grösster bzw. zweitgrösster Relevanz in beiden Leistungsbereichen ist der Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres. Unter dem Entwicklungsstand bei Schuleintritt können dabei die Kompetenzen subsumiert werden, die an vorschulischen institutionellen Bildungsorten, in Lernwelten wie Medien oder Peer Group u.a. erworben werden und nicht auf die (gemessenen) kindlichen Charakteristiken und die familialen Merkmale zurückzuführen sind. Die pädagogische Qualität in der Schule – unter Berücksichtigung der drei unterschiedlichen schulischen Settings – spielt für die Schulleistung der Kinder in Mathematik im Gegensatz zur Sprache eine verhältnismässig geringe Rolle. 126 entspricht vor allem der Leistung bezüglich Wortschatz und Lesen der Kinder
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13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
Im Weiteren wurde der Frage nachgegangen, wie gross der spezifische Einfluss der unterschiedlichen Schulformen – Tagesschule127, Schule mit Blockzeitenunterricht und Schule mit traditionellem Unterricht – auf den kindlichen Entwicklungsstand ist. Sowohl bei der Schulleistung in Mathematik als auch in Sprache klären die unterschiedlichen Schulformen am Ende des ersten Schuljahres zusätzliche Varianz auf, was bedeutet, dass man den Einfluss weiterer spezifischer Merkmale der Schulformen, die nicht explizit in den Modellen vorhanden sind, auf den kindlichen Entwicklungsstand lokalisieren kann. Vergleicht man die beiden Blöcke der familialen und der schulischen Merkmale – die in der vorliegenden Studie im Besonderen interessieren – bezüglich ihrer Relevanz für die kognitive Entwicklung, so stellt man fest, dass, entgegen der Erwartung, das schulische Setting unter vorhergehender Berücksichtigung individueller Merkmale der Kinder und deren Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres einen grösseren Einfluss auf die schulische Leistung bzw. den kognitiven Entwicklungsstand der Kinder hat als die Familie. Als entwicklungsfördernde Bedingungsfaktoren in der Familie sind zusammenfassend hohe bildungsrelevante Ressourcen, ein hoher sozioökonomischer Status, eine hohe Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie, ausschliessliches Sprechen von schweizerdeutsch in der Familie und ein geringes permissives Erziehungsverhalten der Eltern zu nennen. In der Schule zeigt sich kein solch klares Bild. Eine Vielzahl von Merkmalen hat einen mittleren Zusammenhang mit hoher pädagogischer Qualität und einer hohen schulischen Leistung. Als entwicklungsfördernd kristallisieren sich u.a. eine positive Einstellung hinsichtlich der Fokussierung traditioneller Aufgaben der Schule, regelmässiger Austausch und Planung mit der Parallelklassenlehrperson, eine geringe Anzahl an Lehrpersonen, die gemeinsam eine Klasse unterrichten oder wenig Unterricht Plenum heraus. Effekte auf die sozio-emotionale Entwicklung Die aufgeklärten Varianzen hinsichtlich der verschiedenen Entwicklungsbereiche der sozio-emotionalen Entwicklung liegen in einem Spektrum zwischen 21 und 63 Prozent. Die individuellen Charakteristiken des Kindes spielen am Ende des ersten und des zweiten Schuljahres mit einer Ausnahme bei allen Entwicklungsbereichen eine bedeutsame Rolle. Im Vergleich zu den weiteren Blöcken vereinigt jedoch dieser Block eher wenig Gewicht auf sich. Die Voraussagekraft der pädagogischen Qualität in der Familie kann für das prosoziale Verhalten und die sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten als beträchtlich be127 mit intensiver Nutzung an mindestens drei Tagen und 7.5 Stunden
13.3 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
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zeichnet werden. Der Entwicklungsstand hinsichtlich des Selbstkonzepts der Kinder hingegen ist deutlich weniger voraussagekräftig als die Familie. Keinen relevanten Einfluss hat die Familie für das soziale Selbstkonzept Peer-Relations. Der Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres hat bezüglich aller sozio-emotionalen Entwicklungsbereiche – mit einer Ausnahme – die grösste Relevanz für den späteren Entwicklungsstand des Kindes. Die pädagogische Qualität in der Schule zeigt nur vereinzelte statistisch bedeutsame Effekte auf die sozio-emotionale Entwicklung. Dies ist beim sozialen Selbstkonzept PeerRelations am Ende des ersten, beim Selbstkonzept Lesen am Ende des zweiten Schuljahres und bezüglich Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten zu beiden Zeitpunkten der Fall. Ausserdem wurde untersucht, wie gross der spezifische Einfluss der unterschiedlichen Schulformen auf den kindlichen Entwicklungsstandes ist. Nur beim sozialen Selbstkonzept Peer-Relations können die unterschiedlichen Schulformen – Tagesschule, Schule mit Blockzeitenunterricht und Schule mit traditionellem Unterricht – einen relevanten Anteil an zusätzlicher Varianz aufklären. Das bedeutet, dass weitere spezifische Merkmale der Schulformen, die nicht explizit in den Modellen vorhanden sind, einen Einfluss auf den Entwicklungsstand der Kinder haben. Vergleicht man die beiden zentralen Blöcke familiale und schulische Merkmale, zeigt sich insgesamt die klar grössere Bedeutung der Familie hinsichtlich der sozio-emotionalen Entwicklung der Kinder am Anfang der Schullaufbahn. Die Ergebnisse zeigen somit, dass das familiale Setting unter vorhergehender Berücksichtigung individueller Merkmale der Kinder – im Gegensatz zur kognitiven Entwicklung – einen grösseren Einfluss auf den sozio-emotionalen Entwicklungsstand der Kinder hat als die Schule. Als entwicklungsfördernde Bedingungsfaktoren in der Familie für prosoziales Verhalten und sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten können ein hohes autoritatives Erziehungsverhalten, ein tiefes permissives und autoritäres Erziehungsverhalten der Eltern genannt werden. Für ein hohes Mass an sozio-emotionalen Verhaltensstärken sind zudem eine gute Entwicklungsförderung, hohe bildungsrelevante Ressourcen und ein hoher sozioökonomischer Status der Familie entscheidend. Als entwicklungsfördernd für ein hohes Selbstkonzept – ohne zu beurteilen, ob dieses der Realität angepasst ist – erweisen sich tiefere bildungsrelevante Ressourcen, ein tieferer sozioökonomischer Status, tiefere Entwicklungserwartungen an die Kinder sowie teilweise eine geringere Entwicklungsförderung in der Familie. Entwicklungsfördernde Bedingungsfaktoren in der Schule sind für das Ausbilden von sozio-emotionalen Verhaltensstärken das Vorhandensein von Freizeitangeboten in der Schule, eine negative Einstellung der Lehrperson hinsichtlich der alleinigen Fokussierung traditioneller
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Aufgaben der Schule, eine hohe Prozessqualität im Unterricht und im ausserunterrichtlichen Teil sowie der Besuch einer Tagesschule. Weitere zusätzliche Merkmale des Tagesschulsettings, die in diesem Modell nicht berücksichtigt wurden, üben somit einen positiven Einfluss auf die kindliche Entwicklung aus. Als entwicklungsfördernd für das soziale Selbstkonzept erweisen sich eine geringe Schulleistungsorientierung der Lehrperson, ein traditionelles Verständnis hinsichtlich der Aufgaben der Schule und eine geringere Erfahrung der Lehrperson. Die Schulform Schule mit Blockzeitenunterricht zeigt sich als günstiger als die beiden anderen Schulformen, im Gegensatz zum Tagesschulsetting, das sich im Vergleich mit den anderen beiden als ungünstiger erweist. Entwicklungsfördernde Effekte auf die Entwicklung von Alltagsfertigkeiten Ein weiteres bedeutsames Kriterium für die Entwicklung von Kindern im Primarschulalter ist die Bewältigung von Lebenssituationen mittels adäquater Alltagsfertigkeiten. Die Regressionsmodelle in Bezug auf die Alltagsfertigkeiten der Kinder klären am Ende des ersten 61 und am Ende des zweiten Schuljahres 49 Prozent der interindividuellen Unterschiede auf. Die Ergebnisse zeigen, dass den individuellen Merkmalen der Kinder nach einem Schuljahr eine beträchtliche Voraussagekraft für den Entwicklungsstand bezüglich der Alltagsfertigkeiten zugesprochen werden kann, die jedoch bis zum Ende des zweiten Jahres wesentlich zurückgeht. Diese aufgeklärten Varianzen sind in etwa in der Höhe derjenigen der sozio-emotionalen Entwicklung anzusiedeln. Die familialen Merkmale spielen eine bedeutsame Rolle und entsprechen dem zweitgewichtigsten Block. Im Vergleich zu den dargestellten kognitiven und sozioemotionalen Entwicklungsbereichen erweist sich die Familie an dieser Stelle weit wichtiger für die kindliche Entwicklung. Vergleichbar mit den anderen Entwicklungsbereichen offenbart sich auch bei den Alltagsfertigkeiten der Entwicklungsstand zum Schuleintritt als wichtig für die Vorhersage der späteren Fertigkeiten. Die pädagogische Qualität in der Schule erweist sich für die Entwicklung der Alltagsfertigkeiten als bedeutsam, jedoch als weniger relevant als die Familie. Auch bei der Entwicklung der Alltagsfertigkeiten zeigen die unterschiedlichen Schulformen – Tagesschule, Schule mit Blockzeitenunterricht und Schule mit traditionellem Unterricht – einen spezifischen Einfluss auf den Entwicklungsstand der Kinder (am Ende des zweiten Schuljahres). Somit sind weitere spezifische Merkmale in den Schulformen vorhanden, die einen Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben. Die Ergebnisse hinsichtlich des Vergleichs des Einflusses von Familie und Schule legen alles in allem dar, dass die Familie unter vorhergehender Berück-
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sichtigung der individuellen Charakteristiken der Kinder, wie erwartet, einen deutlich grösseren Einfluss auf den Entwicklungsstand hinsichtlich der Alltagsfertigkeiten der Kinder hat als die Schule. Als entwicklungsfördernde Bedingungsfaktoren der Familie erweisen sich ein überwiegend autoritatives Erziehungsverhalten im Gegensatz zu einem ausgeprägten permissiven oder autoritären Erziehungsverhalten, hohe bildungsrelevante Ressourcen sowie eine angemessene Entwicklungsförderung und aktive Stimulation des Kindes in der Familie. Im Gegensatz zur Familie lässt sich die entwicklungsbegünstigende Qualität der Schule weniger klar charakterisieren, unterscheiden sich doch teilweise die zentralen Einzelprädiktoren in den zwei Zeitpunkten. Günstig auf die Alltagsfertigkeiten wirken sich insgesamt vorhandene Freizeitangebote an der Schule und die Schulform Tagesschule im Vergleich zu den anderen Schulformen aus. Das bedeutet somit, dass weitere spezifische Merkmale des Tagesschulsettings, die nicht gemessen wurden, vorhanden sind und einen positiven Einfluss auf den Entwicklungsstand der Tagesschulkinder ausüben können. Fazit Zusammenfassend über alle kindlichen Entwicklungsbereiche hinweg kann festgehalten werden, dass der Entwicklungsstand am Anfang der Schulzeit im entsprechenden Bereich – also was das Kind bereits in die Schule mitbringt – der wichtigste Prädiktor für den späteren Entwicklungsstand am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres des Kindes darstellt. Zudem erweist sich die Familie für einen hohen sozio-emotionalen Entwicklungsstand und gut entwickelte Alltagsfertigkeiten als relevanter als die Schule, was sich als hypothesenkonform erweist. Gerade umgekehrt ist es für die Schulleistung in Sprache und Mathematik.
13.3.2 Diskussion der Ergebnisse zur pädagogischen Qualität und kindlichen Entwicklung Die Ergebnisse der vorliegenden Studie hinsichtlich des Einflusses struktureller Familienmerkmale und pädagogischer Orientierungen auf die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation des Kindes in der Familie (mittels multiple lineare Regressionsanalyse) zeigen auf, dass es bildungsnahen Kleinfamilien mit hohem sozioökonomischem Status und einem hohen Einkommen am besten gelingt, ihrem Kind entwicklungsfördernde Bedingungen zu bieten, die ihm nach Böhnisch (2002) ermöglichen, sich adäquat den Ansprüchen der Schule stellen.
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13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
Dieses Ergebnis einer eher wenig untersuchten Fragestellung nach dem Zusammenspiel verschiedener Dimensionen familialer Faktoren pädagogischer Qualität, deckt sich weitgehend mit den Ergebnissen von Tietze (1998) für den Vorschulbereich. Er konnte zusätzlich den Einfluss von pädagogischen Einstellungen der Eltern auf die kindliche Förderung nachweisen, was in der vorliegenden Studie nicht der Fall ist. Die strukturellen Merkmale, insbesondere die soziale Herkunft der Familie, die sich in der vorliegenden Studie als Prädiktoren hoher Entwicklungsförderung herauskristallisierten, entsprechen den Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen, die sich bereits in einer Vielzahl von Studien nachweisen liessen (vgl. z.B. Coradi Vellacott & Wolter 2002; OECD 2005; Zahner et al. 2002). Das gleiche regressionsanalytische Vorgehen wurde auch für das Schulsetting gewählt. Für eine hohe Unterrichtsqualität über alle Schulformen hinweg erweisen sich in der vorliegenden Untersuchung sowohl strukturelle Merkmale des Unterrichts als auch die pädagogischen Orientierungen der Klassenlehrpersonen als relevant. Positive Faktoren für eine hohe Unterrichtsqualität sind eine hohe Schulleistungsorientierung, die Einstellung der Lehrperson, dass die Schule nicht nur traditionelle Aufgaben zu fokussieren hat, mehrere Lehrpersonen die gemeinsam eine Klasse unterrichten sowie einen regelmässigen Austausch pflegen. Als positiv können des Weiteren ein hoher Anteil an Unterricht im Plenum in Deutsch und Mathematik, das Vorhandensein verschiedener Materialien sowie die pädagogische Nutzung von Fluren für den Unterricht gewertet werden. Erwähnenswert ist, dass der Einfluss von strukturellen Faktoren der gesamten Schule auf die Unterrichtsqualität nicht nachgewiesen werden konnte. Auch zum untersuchten Zusammenspiel zwischen den pädagogischen Orientierungen der Lehrpersonen, strukturellen Merkmalen und der Unterrichtsqualität liegen – anders als bei der pädagogischen Qualität in vorschulischen Institutionen – wenig vergleichbare Befunde vor. Ausnahmen bilden für die Primarschulstufe z.B. die Studien von Helmke und Weinert (1997c) und Tietze et al. (2005a). Vergleichbar mit der vorliegenden Studie wurden in der SCHOLASTIK-Studie (Helmke & Weinert 1997c) Zusammenhänge zwischen Unterrichtsmerkmalen und Kontextmerkmalen des Unterrichts festgestellt.128 So konnte ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen dem Anteil an Mädchen in einer Klasse und dem Sozialklimas nachgewiesen werden. Zudem besteht ein tendenzieller Zusammenhang zwischen dem Mädchenanteil, der schwach positiv mit der Klassenführung und gar leicht negativ mit der Klarheit des Unterrichts ist, und Unterrichtsdimensionen (ebd.). Dies stimmt weitgehend 128 In der vorliegenden Studie wurde jedoch anders als bei Helmke und Weinert der Einfluss von Qualitätsmerkmalen auf Unterrichtsmerkmale bzw. -dimensionen analysiert (mittels Regressionsanalysen).
13.3 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
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mit dem doch eher überraschenden Ergebnis der vorliegenden Studie überein, dass ein hoher Mädchenanteil in der Klasse einen leicht negativen Einfluss auf die Klassenführung und Klarheit des Unterrichts hat. Bei Tietze et al. (2005a, p. 207), offenbarten sich Effekte in den gleichen Dimensionen von Strukturqualität – personale, soziale und räumlich-materiale Dimension sowie Handlungsdimension – und bezüglich der pädagogischen Orientierungen129 wie in der vorliegenden Studie. Innerhalb dieser Dimensionen erwiesen sich jedoch teilweise wiederum andere Faktoren als relevant wie bei der Studie EduCare. Insgesamt sind jedoch die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung mit dem Forschungsstand vergleichbar. Die sich in der vorliegenden Untersuchung herauskristallisierten Bedingungsfaktoren von gutem Unterricht sind sowohl für den Unterricht in Tagesschulen, in Schulen mit Blockzeiten als auch in Schulen mit traditionellem Unterricht massgebend. Es kann jedoch in dieser Untersuchung nachgewiesen werden, dass weitere spezifische Merkmale der einzelnen Schulformen, die nicht explizit genannt und in den Modellen nicht vorhanden sind, zusätzliche Leistungsunterschiede der Kinder erklären können. Insbesondere beim prosozialen Verhalten, bei den sozio-emotionalen Verhaltensstärken und bei den Alltagsfertigkeiten zeigt sich ausdrücklich, dass die spezifischen, nicht explizit genannten Merkmale im Tagesschulsetting einen relevanten positiven Einfluss auf den Entwicklungsstand der Kinder haben. Was spezifisch einen guten Tagesschulunterricht bzw. einen guten ausserunterrichtlichen Teil einer Tagesschule auszeichnet, konnte leider aufgrund der geringen Anzahl an teilnehmenden Tagesschulen in dieser Studie nicht untersucht werden. Welches spezifische Bedingungsfaktoren eines guten Tagesschulunterrichts und eines guten Angebots im ausserunterrichtlichen Teil sind, muss noch weiter untersucht werden. Dabei offenbart sich das momentan vorherrschende heterogene Feld ausserfamiliale Bildung und Betreuung in der Schweiz als forschungsmethodische Herausforderung. Um dieses Feld genauer beschreiben zu können, sind wohl in einem ersten Schritt vertiefende qualitative Untersuchungen angesagt, bevor quantitative hypothesenprüfende Untersuchungen durchgeführt werden können. In diesem Punkt besteht ein weiterer Forschungsbedarf. Beim Erklärungsmodell der Prozessqualität in Familie und Schule, genauso wie bei den Fragestellungen rund um den Einfluss verschiedener Merkmalblöcke130 auf den Entwicklungsstand der Kinder, wurde auf die Modellierung von Interaktionen zwischen einzelnen Merkmalen verzichtet, da einerseits der Hauptfokus der Studie nicht auf dieser Fragestellung lag, und da andererseits 129 Entwicklungserwartungen, Leistungs- und Kreativitätsorientierung 130 unterschiedliche Charakteristiken der Kinder, unterschiedliche familiale Faktoren, der Entwicklungsstand bei Schuleintritt und unterschiedliche schulische Faktoren
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13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
aufgrund des Forschungsstandes und der mangelnden theoretischen Grundlagen an dieser Stelle ein rein exploratives Vorgehen hätte gewählt werden müssen. Die modellierten Interaktionen zwischen den Merkmalsblöcken hingegen, die sich in dieser Studie teilweise als relevant erweisen – im Gegensatz etwa zu Tietze et al. (2005a) –, lassen sich aufgrund des Forschungsstandes begründen. Die aufgeklärten Varianzen sind jedoch weitgehend vergleichsweise tief. Die Ergebnisse zum Einfluss verschiedener Merkmalsblöcke auf den kindlichen Entwicklungsstand legen insgesamt eine grosse Relevanz des Entwicklungsstandes des Kindes im entsprechenden Bereich am Anfang der Schulzeit für seine spätere Entwicklung nahe. Dieser Befund, was den bedeutsamen Einfluss des Entwicklungsstandes bzw. des Vorwissens im kognitiven Bereich anbelangt, deckt sich weitgehend mit dem Forschungsstand (vgl. z.B. Dochy 1992; Schraw 2006). Für die kognitive Entwicklung, der Schulleistung in Sprache und Mathematik, erweisen sich, wie aufgrund des Forschungsstands zu vermuten war, die individuellen Merkmale, vorab die Intelligenz des Kindes, als einflussreich. Deren Effekte sind für die Mathematikleistung gleich gross (nach einem Schuljahr) und grösser (nach zwei Schuljahren) als derjenige des Entwicklungsstandes. Für die Leistung in Sprache sind die individuellen Merkmale weniger bedeutsam als das Vorwissen. Schrader und Helmke (2008) stellen fest, dass der Intelligenz im Allgemeinen die grösste Bedeutung für die Erklärung der Leistung zugeschrieben wird. Neuere Studien haben jedoch teilweise aufgezeigt, dass das bereichsspezifische Vorwissen gar voraussagekräftiger ist für die Leistung als die Intelligenz. Für die vorliegenden Ergebnisse zeigt sich für die Mathematik eine eher grössere Relevanz der individuellen Merkmale und insbesondere der Intelligenz im Gegensatz zur Sprachleistung, für die sich das Vorwissen bzw. der Entwicklungsstand als bedeutsamer erweist. Den gleichen Befund wie für die Schulleistung in Sprache findet man ebenfalls für alle sozio-emotionalen Entwicklungsbereiche und für den Entwicklungsstand in den Alltagsfertigkeiten. Vergleicht man die Bedingungsfaktoren von Familie und Schule bezüglich ihrer Bedeutsamkeit für die Entwicklung des Kindes, so erweist sich, entgegen der Erwartung, das schulische Setting als voraussagekräftiger als die Familie. Es muss jedoch eingeräumt werden, dass es sich bei Schule und Familie um eine weit geringere Bedeutsamkeit handelt als beim Entwicklungsstand am Anfang des ersten Schuljahres. Dies ist umso erstaunlicher, als dass aufgrund der gewählten Reihenfolge der Blöcke im Gesamtmodell, die Schätzung des Einflusses des Schulsettings die konservativste ist. Dieser Befund knüpft etwa an die Ergebnisse der Metaanalyse von Wang et al. (1993) an, die stärkere Effekte insbesondere von Variablen der Unterrichtsqualität aufzeigen als bis anhin nachgewiesen werden konnten. Für die sozio-emotionale Entwicklung und die Ent-
13.3 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
403
wicklung hinsichtlich der Alltagsfertigkeiten hingegen erweist sich die Familie als relevanter als die Schule. Dieses Ergebnis entspricht der Studie von Tietze et al. (2005a). Vergleichbare Ergebnisse für Zielkriterien der sozio-emotionalen Entwicklung sind ansonsten für das Schulalter weitgehend nicht vorhanden (Schrader & Helmke 2008). Zieht man Befunde zum Zielkriterium kognitive Entwicklung herbei, so konstatieren Helmke und Weinert (1997b), dass sich bis zu zwei Drittel der interindividuellen Varianz der schulischen Leistung durch familial bedingte Schülervariablen aufklären lassen. Es sind dies familiale Struktur- und Prozessmerkmale des Unterrichts (vgl. z.B. Coradi Vellacott & Wolter 2002; OECD 2005; Pekrun 2001; Wild & Hofer 2002; Zimmermann & Spranger 2001). Die Befundlage im Vorschulbereich bei einer ausserfamilialen institutionellen Bildung und Betreuung präsentiert sich heterogen. Eine Anzahl der Studien fand heraus, dass ausserfamiliale Faktoren, wie die Qualität der Institution, stärkere Prädiktoren für das Wissen und Können der Kinder sind als familiale Faktoren (vgl. z.B. Lamb et al. 1991; Vandell & Corasaniti 1990). Gleichzeitig gibt es jedoch eine noch grössere Anzahl von neueren Studien, welche einen prominenteren Zusammenhang zwischen der kindlichen Entwicklung und den familialen Faktoren finden als zu den ausserfamilialen Bedingungsfaktoren (vgl. z.B. NICHD Early Child Care Research Network 2001; Peisner-Feinberg & Burchinal 1996; Tietze 1998). Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Ergebnisse der vorliegenden Studie zur kognitiven Entwicklung nahe legen, dass auch die Schule nebst der Familie einen mit dem Forschungsstand vergleichsweise bedeutsamen Anteil an der kindlichen Entwicklung innehat. Anders sieht es bei der sozio-emotionalen Entwicklung und derjenigen bezüglich der Alltagsfertigkeiten aus bei der die Familie – konsistent mit einer Mehrzahl an Forschungsbefunden – sich insgesamt als zentraler für die kindliche Entwicklung erweist. Angefügt werden muss, dass sich in der vorliegenden Studie der Merkmalblock Schule aus Charakteristiken der Orientierungs- und Prozessqualität des Unterrichts und des ausserunterrichtlichen Teils sowie aus überwiegend unterrichtsbezogenen Strukturmerkmalen131 zusammensetzt. Die Strukturmerkmale des ausserunterrichtlichen Teils konnten einerseits aufgrund methodischer Limiten132 und andererseits aufgrund der Heterogenität der aktuellen Situation in den Tagesschulen nicht mitberücksichtigt werden. Sie wurden anhand einer qualitativen Vertiefungsstudie weiter analysiert. Um allfällige spezifische Bedingungsfaktoren in den verschiedenen Schulformen – gerade auch im Tages131 ergänzt durch die von der Schule getragenen Freizeitangebote 132 Sind Merkmale nur in der Untersuchungsgruppe Tagesschulkinder – sprich im Tagesschulsetting – vorhanden, können diese aus methodischen Gründen nicht als Prädiktoren in ein Regressionsmodell über alle Untersuchungsgruppen hinweg aufgenommen werde.
404
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
schulsetting – trotzdem mitberücksichtigen zu können, wurde die Variable Schulform bzw. Untersuchungsgruppe ins Modell eingefügt. Diese Variable133 zeigt an, ob weitere spezifische schulische Merkmale einer Schulform, die nicht im Modell vertreten sind, einen Einfluss auf den kindlichen Entwicklungsstand haben. Schaut man sich die einzelnen schulischen Prädiktoren im Detail an, so zeigt sich über alle Entwicklungsbereiche hinweg ein relativ unklares Bild, da die Merkmale überwiegend in einem mittleren Zusammenhang zum Gesamtblock Schule stehen. Auffallend ist die Bedeutsamkeit der Einstellungen der Lehr- und Betreuungspersonen für die kindliche Entwicklung, was soweit literaturkonform ist (vgl. z.B. Blömeke 2006). Das Vorhandensein von verschiedenen Freizeitangeboten, einer hohen Prozessqualität im Schulsetting sowie die Schulform Tagesschule134 und somit weitere spezifische Merkmale dieses Settings erweisen sich für die sozio-emotionale Entwicklung – ohne das Selbstkonzept – und die Alltagsfertigkeiten als relevant. Somit kann für diese Bereiche die Bedeutsamkeit hoher pädagogischer Qualität für den Unterricht und den ausserunterrichtlichen Teil nachgewiesen werden, was mit den Befunden zur Unterrichtsqualität (vgl. z.B. Schrader & Helmke 2008) und zur ausserfamilialen Bildung und Betreuung und pädagogischer Qualität im Vorschulalter (vgl. z.B. Peisner-Feinberg & Burchinal 1997; Sylva et al. 2004c; Tietze 1998) übereinstimmt. Als besonders entwicklungsfördernd über alle Entwicklungsbereiche hinweg – mit Ausnahme des Selbstkonzepts – erweisen sich bei den familialen Merkmalen literaturkonform hohe bildungsrelevante Ressourcen, ein hoher sozioökonomischer Status der Eltern sowie eine gute Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie (vgl. z.B. Coradi Vellacott 2007; Pekrun 2001). Neben den familialen Merkmalen der Struktur-, Prozess- und Orientierungsqualität erweisen sich – mit Ausnahme bei der kognitiven Entwicklung – zusätzlich die Dimensionen des Erziehungsverhaltens der Eltern als wichtige entwicklungsfördernde Faktoren, was somit mit dem Rahmenmodell der Studie übereinstimmt. Dabei wirken sich ein überwiegend autoritatives Erziehungsverhalten der Eltern positiv und ein überwiegend permissives oder autoritäres Verhalten negativ auf den Entwicklungsstand des prosozialen Verhaltens, der sozioemotionalen Verhaltensstärken und der Alltagsfertigkeiten aus, was dem Forschungsstand entspricht (vgl. z.B. Gray & Steinberg 1999; Lamborn et al. 1991; Steinberg et al. 1994; Steinberg et al. 1991). Die Ergebnisse hinsichtlich der Entwicklung eines hohen Selbstkonzepts sowohl beim Selbstkonzept Lesen, Selbstkonzept Mathematik als auch beim 133 Es handelt sich an dieser Stelle um zwei Dummy-Variablen. 134 nur bei den Alltagsfertigkeiten
13.3 Pädagogische Qualität und kindliche Entwicklung
405
sozialen Selbstkonzept Peer-Relations unterscheiden sich grundsätzlich von den anderen untersuchten Entwicklungsbereichen. Dies zeigt sich in den tieferen aufgeklärten Varianzen der Modelle sowie ausserdem in der Einflussrichtung der einzelnen Merkmale auf den kindlichen Entwicklungsstand. Das heisst, für ein hohes Selbstkonzept – ohne zu beurteilen, ob dieses der Realität angepasst ist – erweisen sich in der Familie tiefere bildungsrelevante Ressourcen, ein tieferer sozioökonomischer Status, tiefere Entwicklungserwartungen an die Kinder und teilweise eine geringere Entwicklungsförderung als förderlich. In der Schule sind es Faktoren wie eine geringe Schulleistungsorientierung der Lehrperson, ein traditionelles Verständnis hinsichtlich der Aufgaben der Schule u.a. Diese eher unerwarteten Ergebnisse könnten dahingehend interpretiert werden, dass hohe Erwartungen und ein grosser Druck von Seite der Eltern eher kontraproduktiv sein können für die Entwicklung eines hohen Selbstkonzepts. Zudem muss berücksichtigt werden, dass es nicht allein das Ziel sein kann, ein möglichst hohes Selbstkonzept zu entwickeln, sondern dieses auch der Realität entsprechen soll (vgl. z.B. Fend 1997). Wirft man einen Blick auf den Zusammenhang zwischen den Schulleistungen im entsprechenden Bereich und dem Selbstkonzept, so stellt man nur geringe Korrelationen zwischen Leistung und Selbstkonzept fest, die jedoch von Ende des ersten bis Ende des zweiten Schuljahres zunehmen. Das bedeutet wohl, dass ein recht grosser Teil der Kinder, sich in den ersten Schuljahren (noch) wenig den Leistungen entsprechend einschätzt. Aufgrund des Forschungsstands kann davon ausgegangen werden, dass der Zusammenhang zwischen Leistungsvariablen und Selbstkonzeptmassen mit zunehmender Schulstufe ansteigt (ebd.). Aus der Selbstkonzeptforschung ist ausserdem bekannt, dass Kinder am Anfang der Primarschulzeit im Kontext der Schulklasse beginnen, ihr akademisches und ihr soziales Selbstkonzept aus- und aufzubauen sowie ausdifferenzieren. Die Schule mit ihren stabilen Leistungsanforderungen und den sozial transparenten Leistungsbewertungen stellt dabei für die Kinder quasi ein Entwicklungslabor dar (Schnabel 1997). Alles in allem sollte bei einer vorsichtigen Interpretation der Ergebnisse zum Selbstkonzept und dessen Bedingungsfaktoren diese altersspezifischen Aspekte bei den akademischen wie beim sozialen Selbstkonzept nicht ausser Acht gelassen werden.
406
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
13.4 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen 13.4 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen 13.4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse zur kindlichen Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen Der Hauptfokus der vorliegenden Studie lag auf der Untersuchung der Wirksamkeit der verschiedenen Schulformen hinsichtlich der kognitiven und sozioemotionalen Entwicklung und der Alltagsfertigkeiten der Kinder. Es wurde konkret der Frage nachgegangen, welcher kognitive und sozio-emotionale Entwicklungsstand sich bei den Tagesschulkindern mit intensiver Nutzung135, den Blockzeitenkindern im Vergleich zu den Kindern der Kontrollgruppe (traditioneller Unterricht) am Ende des ersten bzw. des zweiten Schuljahres zeigt. Zudem wurde analysiert, wie sich die Kinder in den unterschiedlichen Schulformen bei jeweils hoher bzw. tiefer Qualität des ausserfamilialen Settings sowie bei jeweils hoher bzw. tiefer pädagogischer Qualität in der Familie entwickeln. Die kognitive Entwicklung in den Schulformen Um den effektiven Leistungsfortschritt der Kinder in der Schule messen zu können, wurde der Einfluss des Entwicklungsstandes zum Anfang der Schulzeit und somit die vor Schuleintritt bereits erworbenen Fertigkeiten der Kinder, das wichtige individuelle Schülermerkmal Intelligenz und die relevantesten Einflussfaktoren der Familie136 statistisch kontrolliert. Bei der kognitiven Entwicklung, der Schulleistung in Sprache137 und Mathematik – ermittelt mit Leistungstests –, zeigen sich nach einem und nach zwei Schuljahren Unterschiede zwischen den Tagesschulkindern mit intensiver Nutzung, Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern hinsichtlich ihres Entwicklungsstandes. Eine interessante Entwicklung ist bezüglich der Schulleistung in Sprache festzustellen. Nachdem die Tagesschulkinder nach einem Schuljahr schwächer abschneiden als die Blockzeitenund Kontrollgruppenkinder, erzielen sie nach zwei Schuljahren die höchste Leistung aller drei Gruppen und unterscheiden sich signifikant von den Kontrollgruppenkindern. Kein relevanter Unterschied besteht hingegen zu beiden Zeitpunkten zwischen den Blockzeitenkindern und den Kindern der Kontrollgruppe. Ein anderes Bild zeigt sich bei den Leistungen in Mathematik 135 mindestens drei Tage und 7.5 Stunden pro Woche 136 Neben der Intelligenz des Kindes haben sich folgende familiale Merkmale als wichtige Prädiktoren der kindlichen Entwicklung erwiesen (vgl. Kap. 11.2.): Bildungsrelevante Ressourcen, sozioökonomischer Status, Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in der Familie (Prozessqualität) und überwiegendes permissives Erziehungsverhalten. Diese wurden anschliessend zur Skala „Einfluss der Familie“ zusammengefasst. 137 entspricht vor allem der Leistung bezüglich Wortschatz und Lesen der Kinder
13.4 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
407
nach einem und nach zwei Schuljahren. Die Kinder der Kontrollgruppe erzielen jeweils die höchste Leistung, gefolgt von den Blockzeiten- und den Tagesschulkindern. Dabei unterscheiden sich die Tagesschulkinder jeweils signifikant von den Kontrollgruppenkindern und nach zwei Jahren auch von den Blockzeitenkindern; der Vergleich geht jedoch zu ihren Ungunsten aus. Die gleichen Effekte zeigen sich im Übrigen gleichfalls, wenn die Intensität der Nutzung der Tagesschule nicht mit berücksichtigt wird. Das heisst, der Umfang des Besuchs des ausserunterrichtlichen Teils spielt an dieser Stelle keine Rolle für die kognitive Entwicklung der Kinder. In einem nächsten Schritt wurde untersucht, ob die von den Kindern in den jeweiligen Schulformen erfahrene Prozessqualität einen Effekt auf den Entwicklungsstand in den schulischen Kernfächern hat. Sowohl in ihrer Schulleistung Sprache als auch in Mathematik entwickeln sich die Kinder in den verschiedenen Schulformen unterschiedlich in Abhängigkeit von der erfahrenen Prozessqualität. Insgesamt belegen die Ergebnisse die Relevanz der pädagogischen Qualität im schulischen Setting für die kognitive Entwicklung. Dies trifft insbesondere für Kinder in der Tagesschule zu, bei denen sich hohe Qualität für eine gute Sprachleistung als zentral erweist. Anders sieht es jedoch bei der Schulleistung in Mathematik aus. Am Ende des zweiten Schuljahres erzielen die Tagesschulkinder in einem als qualitativ tief definierten Setting in der Mathematik gar annähernd die gleich hohe Leistung wie die Kontrollgruppenkinder – die alles in allem am besten abschneiden –, obwohl die Tagesschulkinder ohne Berücksichtigung der pädagogischen Qualität am schwächsten abschneiden. Diese beschriebenen Effekte zeigen sich ausschliesslich bei einer intensiven Nutzung der Tagesschule. Im Weiteren wurde die kognitive Entwicklung unter zusätzlicher Berücksichtigung der Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation des Kindes in der Familie (Prozessqualität) untersucht. Die Ergebnisse sowohl hinsichtlich der Schulleistung in Sprache und in Mathematik zeigen nach zwei Schuljahren einen relevanten Einfluss der pädagogischen Prozessqualität in der Familie auf. Eine hohe familiale Förderung erweist sich im Besonderen bei den Tagesschulkindern und ebenso bei den Blockzeitenkindern in abgeschwächter Form als schulleistungswirksam. Bei den Tagesschulkindern kann ein deutlich grösseres Leistungsgefälle zwischen den Kindern mit hoher und geringerer Förderung konstatiert werden als bei den Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern. Zudem schneiden die Tagesschulkinder mit hoher familialer Förderung, insbesondere in der Schulleistung in Sprache, deutlich am besten ab, gefolgt von den Blockzeiten- und den Kontrollgruppenkindern jeweils mit einer hohen Förderung. Auch diese Effekte zeigen sich allein bei einer intensiven Tagesschulnutzung.
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13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
Die sozio-emotionale Entwicklung in den Schulformen Die sozio-emotionale Entwicklung der Kinder wurde anhand des Selbstkonzepts Lesen und Mathematik, dem sozialen Selbstkonzept Peer-Relations, dem prosozialen Verhalten sowie den sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten der Kinder untersucht. Bei den akademischen Selbstkonzepten zeigt sich nur beim Selbstkonzept in Lesen (Ende zweites Schuljahr) ein Unterschied im Entwicklungsstand der Tagesschulkinder mit intensiver Nutzung, Blockzeiten- und Kontrollgruppenkinder. Die Tagesschulkinder haben ein höheres Selbstkonzept als die Kontrollgruppen- und die Blockzeitenkinder unter Konstanthaltung des Entwicklungsstands am Anfang des ersten Schuljahres, der Schulleistung in Sprache nach einem Schuljahr sowie der relevanten familialen Einflussfaktoren. Auch beim sozialen Selbstkonzept Peer-Relations138 zeigen sich Unterschiede hinsichtlich des Entwicklungsstandes, wobei sich das soziale Selbstkonzept der Blockzeiten- und der Kontrollgruppenkinder nach einem Schuljahr als höher erweist als dasjenige der Tagesschulkinder. Nach zwei Schuljahren ist jedoch dasjenige der Tagesschulkinder am höchsten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass vom Ende des ersten bis zum Ende zweiten Schuljahres die Tagesschulkinder einen grossen Schritt hinsichtlich eines positiven sozialen Selbstkonzepts gemacht haben, wohingegen die beiden anderen Gruppen in etwa gleich geblieben sind. Noch positiver gestaltet sich das Bild zu Gunsten der Tagesschulkinder im Vergleich zur Kontrollgruppe bezüglich des prosozialen Verhaltens und der sozio-emotionalen Verhaltensstärken nach einem139 und nach zwei Schuljahren. Die Ergebnisse der sozio-emotionalen kindlichen Entwicklung legen nach zwei Schuljahren – bis auf das Selbstkonzept in Mathematik, bei dem gar keine Effekte zu erkennen sind – insgesamt ein positiveres Bild für die Kinder mit intensiver Nutzung des Tagesschulsettings im Vergleich zur Kontrollgruppe und teilweise auch zu den Kindern in Schulen mit Blockzeitenunterricht dar. Die gleichen Effekte zeigen sich im Übrigen auch, wenn die Intensität der Nutzung der Tagesschule nicht mit berücksichtigt wird. Das heisst, der Umfang des Besuchs des ausserunterrichtlichen Teils spielt an dieser Stelle keine Rolle für eine positive sozio-emotionale Entwicklung der Tagesschulkinder. Auch für die sozio-emotionale Entwicklung wurde untersucht, ob die von den Kindern in der jeweiligen Schulform erfahrene Prozessqualität einen Effekt auf den Entwicklungsstand hat. Insgesamt erweist sich die pädagogische Qualität für die Entwicklung im sozio-emotionalen Bereich der Blockzeiten- und 138 unter Kontrolle des Entwicklungsstands am Anfang des ersten Schuljahres und des Einflusses der Familie 139 nur bei den sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten
13.4 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
409
Kontrollgruppenkinder als wenig massgebend, wohingegen bei allen Subbereichen des Selbstkonzepts und bei den sozio-emotionalen Verhaltensstärken – hauptsächlich am Ende des ersten Schuljahres – bei den Tagesschulkindern eine grosse Diskrepanz zwischen deren Entwicklungsstand in einem qualitativ hohen oder tieferen Schulsetting besteht. Eine hohe Qualität erweist sich – bis auf das soziale Selbstkonzept – als entwicklungsförderlich für die Tagesschulkinder. In den genannten Entwicklungsbereichen hat die Qualität in Abhängigkeit von der Schulform einen statistisch relevanten Einfluss auf den Entwicklungsstand der Kinder. Diese positiven Effekte zeigen sich ausschliesslich bei einer intensiven Nutzung der Tagesschule. Zudem wurde die sozio-emotionale Entwicklung unter zusätzlicher Berücksichtigung der Entwicklungsförderung und aktiven Stimulation des Kindes in der Familie (Prozessqualität) analysiert. Die familiale Prozessqualität im Zusammenhang mit der jeweiligen Schulform, die das Kind besucht, spielt für seine sozio-emotionale Entwicklung – mit Ausnahme beim Selbstkonzept Mathematik – keine Rolle. Beim Selbstkonzept in Mathematik haben diejenigen Tagesschulkinder unter Konstanthaltung ihres Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und ihrer Leistung in Mathematik nach einem Jahr das höchste Selbstkonzept, welche zuhause eine eher geringe Förderung erfahren. Auch diese Effekte zeigen sich allein bei einer intensiven Tagesschulnutzung. Die Entwicklung bezüglich Alltagsfertigkeiten in den Schulformen Beim Entwicklungsstand hinsichtlich der Alltagsfertigkeiten der Kinder zeigen sich nach einem und nach zwei Schuljahren Unterschiede zwischen den Tagesschulkindern mit intensiver Nutzung, Blockzeiten- und Kontrollgruppenkindern. Um den effektiven Fortschritt der Kinder in der Schule messen zu können, wurde auch hier der Einfluss des Entwicklungsstands zum Anfang der Schulzeit und die relevantesten Einflussfaktoren der Familie statistisch kontrolliert. Die Ergebnisse zeigen ein besseres Abschneiden der Tagesschulkinder als der Blockzeiten- und der Kontrollgruppenkinder. Somit kann konstatiert werden, dass das Tagesschulsetting einen positiven Einfluss auf den Entwicklungsstand hinsichtlich der Alltagsfertigkeiten der Kinder hat. Erwähnenswert ist, dass sich dieser positive Effekt ausschliesslich bei einer intensiven Nutzung der Tagesschule zeigt. Keinen Einfluss auf die kindliche Entwicklung bezüglich der Alltagsfertigkeiten sowohl nach einem wie nach zwei Schuljahren hat das Niveau der Qualität im schulischen Setting. Die Kinder entwickeln sich gleich gut, unabhängig des Niveaus der pädagogischen Qualität. Die Ergebnisse bezüglich der Entwicklung der Tagesschul-, Blockzeitenund Kontrollgruppenkinder unter zusätzlicher Berücksichtigung der Prozess-
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13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
qualität in der Familie zeigen nach zwei Schuljahren je nach Schulform in Abhängigkeit von der Entwicklungsförderung in der Familie einen unterschiedlichen Entwicklungsstand. In der Tendenz kann festgestellt werden, dass die Tagesschulkinder mit nur wenig familialer Unterstützung den höchsten Entwicklungsstand erreichen, wohingegen bei den Kindern mit Blockzeitenunterricht und bei den Kindern der Kontrollgruppe auch am Ende des zweiten Schuljahres die Entwicklungsförderung in der Familie eine wichtige Komponente für den Erwerb von Alltagsfertigkeiten zu sein scheint. Kinder mit einer besseren Entwicklungsförderung schneiden hier besser ab. Auch diese Effekte zeigen sich allein bei einer intensiven Tagesschulnutzung. Effekte in Hinsicht auf den Entwicklungsstand im Überblick Die beschriebenen Effekte hinsichtlich des Entwicklungsstandes der Kinder in den unterschiedlichen Schulformen können im Überblick der Tabelle 55 entnommen werden: Tab. 55
Effekte bezüglich des Entwicklungsstandes der Kinder in den verschiedenen Schulformen
Effekte der Schulform
Effekte der Schulform unter zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-)Qualität im ausserfamilialen Setting (Schule)
Effekte der Schulform unter zusätzlicher Berücksichtigung der (Prozess-)Qualität im familialen Setting
Schulleistung in Sprache Ende 1. Schuljahr
-
Ende 2. Schuljahr
-
Schulleistung in Mathematik Ende 1. Schuljahr
-
Ende 2. Schuljahr
Kognitive Entwicklung
Entwicklungsbereich und Zeitpunkt
13.4 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
411
Fortsetzung von Tabelle 55
Sozio-emotionale Entwicklung
Selbstkonzept in Lesen Ende 1. Schuljahr
-
-
Ende 2. Schuljahr Selbstkonzept in Mathematik Ende 1. Schuljahr
-
-
-
Ende 2. Schuljahr
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
Soziales Selbstkonzept PeerRelations Ende 1. Schuljahr Ende 2. Schuljahr Prosoziales Verhalten Ende 1. Schuljahr
Alltagsfertigkeiten
Ende 2. Schuljahr
Sozio-emotionale Verhaltensstärken Ende 1. Schuljahr Ende 2. Schuljahr Alltagsfertigkeiten Ende 1. Schuljahr Ende 2. Schuljahr Effekt ist signifikant, p< .05
Die Ergebnisse hinsichtlich der allgemeinen Hypothesen Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Studie zusammenfassend unter Heranziehung der allgemeinen Hypothesen der Studien nach Schulform dargestellt werden. Schaut man sich die Entwicklung der Tagesschulkinder mit intensiver Nutzung im Vergleich zu den Kontrollgruppenkindern an, so kann man insgesamt feststellen, dass – mit Ausnahme der Entwicklung hinsichtlich der Schulleistung in Mathematik – der Vergleich bezüglich des Entwicklungsstandes in der Schulleistung in Sprache, der sozio-emotionalen Entwicklung als auch der Entwicklung der Alltagsfertigkeiten zu Gunsten der Tagesschulkinder ausfällt, was
412
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
somit grösstenteils hypothesenkonform ist. Erwähnenswert ist, dass sich dieselben Effekte – mit Ausnahme bei den Alltagfertigkeiten – ebenso ohne Berücksichtigung der Intensität der Nutzung bei den Tagesschulkindern zeigen. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der pädagogischen Qualität des Schulsettings kann man insgesamt bei der sozio-emotionalen Entwicklung von einem Vorteil des Tagesschulsettings von hoher Qualität gegenüber dem traditionellen Unterricht, bei der kognitiven Entwicklung von einem Gleichstand sprechen: ein qualitativ hohes Tagesschulsetting weist sich als förderlicher für die Leistung in Sprache bzw. ein qualitativ tieferes Tagesschulsetting als förderlicher für die Leistung in Mathematik aus. Die pädagogische Qualität erweist sich bei der Kontrollgruppe mit traditionellem Unterricht als nicht relevant. Die Ergebnisse hinsichtlich der allgemeinen Hypothese sind hiermit nur teilweise konform. Wird neben der Schulform zusätzlich die pädagogische Qualität des familialen Settings berücksichtigt, so zeigen die Ergebnisse alles in allem für die kognitive Entwicklung den erwarteten höheren Leistungsstand bei guter familialer Förderung. Bei der sozio-emotionalen Entwicklung ergeben sich keine statistisch relevanten Unterschiede bis auf das Selbstkonzept in Mathematik. Das bedeutet, dass sich die Kinder in der Schulform Tagesschule und Schule mit traditionellem Unterricht, in Abhängigkeit von der erfahrenen pädagogischen Qualität in der Familie, nicht unterschiedlich entwickeln. Beim Selbstkonzept in Mathematik und tendenziell bei den Alltagsfertigkeiten verweisen die Ergebnisse auf eine kompensatorische Wirkung der Tagesschule hinsichtlich einer geringeren familialer Unterstützung. Somit erweisen sich die Ergebnisse auch an dieser Stelle nur teilweise – für die kognitive Entwicklung – hinsichtlich der allgemeinen Hypothese als konform. Die Ergebnisse des Vergleichs zwischen den Tagesschulkindern und denjenigen Kindern, die den Blockzeitenunterricht besucht haben, weisen insgesamt etwas weniger deutlich, jedoch tendenziell in die gleiche Richtung wie die dargestellten Ergebnisse des Vergleichs mit den Kontrollgruppenkindern. Beim Vergleich der Entwicklung zwischen den Blockzeiten- und den Kontrollgruppenkindern lassen sich alles in allem über alle Entwicklungsbereiche hinweg – mit Ausnahme bei der Schulleistung in Sprache, bei der die Blockzeitenkinder besser abschneiden als die Kontrollgruppenkinder – keine Unterschiede bezüglich des Entwicklungsstandes feststellen, was nicht hypothesenkonform ist.
13.4 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
413
13.4.2 Diskussion der Ergebnisse zur kindlichen Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen Erstmals liegen für die Schweiz Ergebnisse hinsichtlich der kognitiven, sozioemotionalen Entwicklung und der Entwicklung von Alltagsfertigkeiten von Schülerinnen und Schülern in den verschiedenen Schulformen, in Tagesschulen, in Schulen mit Blockzeitenunterricht und traditionellem Unterricht im Primarschulalter, im Vergleich vor. Die vorliegenden Ergebnisse der quasiexperimentellen Längsschnittstudie lassen für die Schweiz (und die deutschsprachigen Nachbarländer) erstmals Schlüsse bezüglich der Wirksamkeit dieser unterschiedlichen Schulformen ziehen (vgl. z.B. Radisch & Klieme 2003; Schüpbach 2006). Als Kriterium von Wirksamkeit können nach Klieme (2006) Veränderungen der Schülerinnen und Schüler der Untersuchungsgruppen bezüglich Wissen, Denken, Motivation und Verhalten bezeichnet werden. In der vorliegenden Studie interessiert hauptsächlich zum einen die Entwicklung der Kinder, die ein Tagesschulangebot (intensiv) nutzen, im Vergleich zu Kindern in einer Schule mit traditionellem Unterricht (Kontrollgruppe) und zum anderen der Vergleich von Kindern in Schulen mit Blockzeitenunterricht im Vergleich zu Kindern in einer Schule mit traditionellem Unterricht in den ersten Schuljahren. Dabei wurde, basierend auf dem Forschungsstand im vorschulischen Bereich, davon ausgegangen, dass die Intensität der Nutzung von institutionellen ausserfamilialen Bildungs- und Betreuungsangeboten einen positiven Einfluss auf die kindliche Entwicklung hat. Aufgrund dessen wurde bei der Untersuchungsgruppenbildung zusätzlich die Intensität des Besuchs der Schulform Tagessschule berücksichtigt. Als Kriterium für eine „intensive Nutzung“ wurde eine Nutzung an mindestens drei Tagen pro Woche zu 7.5 Stunden (Median der Stichprobe) festgelegt. Es zeigt sich beim Vergleich zwischen den Blockzeitenkindern und den Kindern, die den traditionellen Unterricht besuchen (Kontrollgruppe), dass – mit Ausnahme bezüglich der Schulleistung in Sprache, in der Blockzeitenkinder gar besser abschneiden als Kinder, die den traditionellen Unterricht besuchen – in den ersten beiden Primarschuljahren über alle Entwicklungsbereiche hinweg keine Unterschiede bezüglich des Entwicklungsstands bestehen. Ob ein Kind den Blockzeitenunterricht oder den traditionellen Unterricht mit insgesamt weniger Stunden, aber mit mehr Halbklassenunterricht besucht, hat keinen relevanten Einfluss auf seinen Entwicklungsstand. Dazu liegen bis anhin keine vergleichbaren Ergebnisse vor, beschränkten sich doch die Forschungsbestrebungen rund um Blockzeitenunterricht weitgehend auf Evaluationen von einzelnen Pilotprojekten z.B. in den Kantonen Basel-Stadt und St. Gallen sowie in den Städten Zürich und Solothurn (vgl. z.B. Schüpbach et al. 2009). Somit kann der in der
414
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
Schweiz in vielen Kantonen momentan voranschreitenden Entwicklung hin zu (flächendeckenden) Blockzeiten grundsätzlich gelassen entgegengesehen werden. Es stellt sich jedoch aus pädagogischer Sicht die Frage, ob bei einer solch umfangreichen (zeitorganisatorischen) Reform, wie dies die Einführung von Blockzeiten ist, dieser Gleichstand hinsichtlich der kindlichen Entwicklung zufriedenstellend ist. Müsste nicht das Ziel dieser Reform überdies hinaus eine Verbesserung der kindlichen Entwicklung sein, gerade auch, weil die Einführung des Blockzeitenunterrichts von verschiedensten Akteuren als ein erster Schritt in Richtung einer ganztägigen Schul- und Unterrichtsorganisation verstanden wird? Beim Vergleich der Entwicklung der Tagesschulkinder mit intensiver Nutzung mit derjenigen von Kindern, die den traditionellen Unterricht besuchen, stellt man insgesamt einen positiveren Entwicklungsstand der Tagesschulkinder in der Schulleistung in Sprache, in verschiedenen Entwicklungsbereichen der sozio-emotionalen Entwicklung wie auch in deren Entwicklungsstand bezüglich Alltagsfertigkeiten fest. Eine Ausnahme bildet die Entwicklung hinsichtlich der Schulleistung in Mathematik. Es erweist sich als interessant, dass sich in der vorliegenden Studie an dieser Stelle ebenso die gleichen Effekte zeigen, wenn die Intensität der Nutzung der Tagesschule nicht mit berücksichtigt wird. Das heisst, der Umfang des Besuchs des ausserunterrichtlichen Teils spielt an dieser Stelle keine Rolle für eine positive Entwicklung der Tagesschulkinder. Zieht man die wenigen Befunde aus der Ganztagsschulforschung vorwiegend aus Deutschland herbei, so zeigt sich, bei diesen grösstenteils älteren, meist nicht repräsentativen Studien, eine sehr heterogene Befundlage bezüglich der pädagogischen Wirkungen von ganztägigen Schulen (vgl. z.B. Radisch & Klieme 2003). Grundsätzlich können aber eher Wirkungen auf die sozioemotionale Entwicklung und weniger auf die Schulleistung, wie dies bei der vorliegenden Studie für die Schulleistung in Sprache der Fall ist, festgestellt werden. In so genannten After School Programmen in den USA, spezifischen Interventionsprogrammen, konnten jedoch ebenso positive Effekte auf schulische Leistungen nachgewiesen werden (Blau & Currie 2004). Das Gleiche gilt auch für Interventionsprogramme im Vorschulalter. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie erweisen sich somit, verglichen mit dem Forschungsstand, als tendenziell günstiger für die Tagesschulkinder. Der nicht vorhandene Einfluss der Intensität der Tagesschulnutzung auf die kindliche Entwicklung könnte auf die momentan doch sehr heterogene Situation an den Tagesschulen in der Schweiz zurückzuführen sein. Berücksichtigt man zusätzlich die Qualität des schulischen bzw. des familialen Settings, so ist dieser Effekt nicht mehr vorhanden. Das heisst, in diesem Fall sind gar keine Entwicklungsunterschiede mehr zwischen den Kindern der verschiedenen Schulformen vorhanden. Im
13.4 Die kindliche Entwicklung in den unterschiedlichen Schulformen
415
Zusammenhang mit der pädagogischen Qualität im Schulsetting erweist sich die Intensität somit sehr wohl als relevant für die Entwicklung der Tagesschulkinder. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie unter zusätzlicher Berücksichtigung der pädagogischen Qualität des Schulsettings zeigen alles in allem bei der sozioemotionalen Entwicklung einen Vorteil des Tagesschulsettings, bei der kognitiven Entwicklung insgesamt einen Gleichstand – bei einem qualitativ hohen für die Leistung in Sprache bzw. tieferen Tagesschulsetting für die Leistung in Mathematik. Als nicht relevant erweist sich die pädagogische Qualität bei der Kontrollgruppe traditioneller Unterricht. Eine hohe pädagogische Qualität ist somit besonders in der Tagesschule wirksam für eine gute kindliche Entwicklung. Für das Schulalter sind keine weiteren Studien unter besonderer Berücksichtigung pädagogischer Qualität bekannt. Die Befunde zur ausserfamilialen Bildung und Betreuung im Vorschulalter weisen – die vorliegenden Ergebnisse bestätigend – gleichfalls auf die Relevanz der institutionellen Qualität, insbesondere für die kognitive Entwicklung und im Speziellen für die Sprachentwicklung hin (vgl. z.B. Burchinal et al. 1996; NICHD Early Child Care Research Network 2004a, 2005a; Peisner-Feinberg et al. 2001a; PeisnerFeinberg & Yazejian 2004; Sammons et al. 2007b; Tietze et al. 2005a; White et al. 1997). Auch eine Vielzahl von Studien zur sozio-emotionalen Entwicklung unterstreichen positive kurzfristige Effekte u.a. auf die sozialen Kompetenzen und auf das Verhalten (vgl. z.B. EPPE 2004; ECCE 1999; Sylva et al. 2003; The Cost Quality and Child Outcomes Study 2000; Tietze 1998). Der Forschungsstand zur sozio-emotionalen Entwicklung ist insgesamt kurz- als auch längerfristig jedoch weniger konsistent als zur kognitiven Entwicklung. Vergleichbar mit den vorliegenden Ergebnissen der Studie konnten auch in der ECCE-Studie (1999) bei den ganztägig ausserfamilial betreuten Kindern im Vorschulalter höhere Alltagsfertigkeiten ausgemacht werden. Zusammenfassend kann bei der vorliegenden Studie – bis auf die Schulleistung in Mathematik in einem qualitativ tieferen Setting – von übereinstimmenden Befunden mit dem Forschungsstand im Vorschulalter gesprochen werden. Für das Schulalter lagen bis anhin nach unseren Erkenntnissen keine Resultate vor, womit diese Studie wichtige Erkenntnisse liefern kann. Auffallend und nicht literaturkonform ist die positivere Schulleistung der Kinder in Mathematik in einem als qualitativ tiefer definierten Setting. Dieser Befund könnte dahingehend interpretiert werden, dass die Kriteriumsvariable Schulleistung in Mathematik mittels Tests140 gemessen wird, die überwiegend einfach zu erfragendes mathematisches Wissen und automatisierte Rechenverfahren abfragt. Nach Weinert (zit. n. Helmke et al. 2006) verlangen verschiedene 140 DEMAT 1+ und DEMAT 2+ (vgl. Kap. 9.4.1.)
416
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
Lernziele unterschiedliche Lernformen, Lernmethoden und Lehrerqualifikationen. Solche Kompetenzen, die als Kriterium abgefragt wurden in den eingesetzten Tests, erfordern nach Weinert im Speziellen eine lehrergesteuerte direkte Instruktion. Weitere Lernziele wie der Erwerb von Handlungs- oder Metakompetenzen werden hingegen vorzugsweise durch Projektarbeit bzw. angeleitetes selbständiges Lernen angeeignet. Insbesondere als hohe Unterrichtsqualität wurde jedoch in der vorliegenden Studie ein Setting mit erweiterten Lehr- und Lernformen, innerer Rhythmisierung, Teamteaching u.a. definiert, welches zu eigenständigem Lernen anregen soll. Das heisst, dass wohl möglich im als qualitativ hoch definierten Setting andere bzw. weitere Kompetenzen gelernt wurden als anschliessend in der Studie EduCare als Kriterium für eine gute Mathematikleistung gemessen wurde. Bezüglich der Definition von hoher bzw. tiefer Prozessqualität soll zudem angefügt werden, dass die metrische Variable pädagogische Prozessqualität für die kovarianzanalytischen Verfahren mittels eines Median-Splits dichotomisiert wurde, d.h. „hohe Qualität“ bzw. „tiefe Qualität“ bedeutet eine hohe bzw. tiefe pädagogische Qualität gemessen an der vorliegenden Stichprobe. An dieser Stelle kommt somit eine soziale und keine kriteriale Bezugsnormorientierung zum Tragen. Als bemerkenswert kann das folgende Resultat am Rande bezeichnet werden. Da sich die pädagogische Qualität im Speziellen für die Entwicklung der Tagesschulkinder als relevant erweist, wurde ergänzend analysiert, ob allenfalls die gute Unterrichtsqualität oder aber die gesamte Prozessqualität (inkl. für den ausserunterrichtlichen Teil) entscheidend ist. Dazu wurde in einer Kontrollanalyse bei den Tagesschulkindern nur die Unterrichtsqualität141 berücksichtigt. Die Ergebnisse legen alles in allem nahe, dass nicht die Unterrichtsqualität alleine bedeutsam ist für einen hohen Entwicklungsstand der Tagesschulkinder, sondern sowohl eine gute Qualität im Unterrichtsteil als auch im ausserunterrichtlichen Teil. Am stärksten ausgeprägt war dieser Befund bei der Schulleistung in Sprache nach zwei Schuljahren, wo insbesondere die Qualität im ausserunterrichtlichen Teil ausschlaggebend ist für einen hohen Entwicklungsstand der Tagesschulkinder. Dieses Ergebnis kann dahingehend interpretiert werden, dass neben einem guten (Tagesschul-)Unterricht die pädagogische Qualität des ausserunterrichtlichen Teils ebenso relevant ist. Die Resultate der vorliegenden Studie zeigen im Weiteren, wenn neben der Schulform zusätzlich die pädagogische Qualität des familialen Settings berücksichtigt wird, für die kognitive Entwicklung bei guter familialer Förderung die erwarteten besseren Leistungen. Dieses Ergebnis ist weitgehend literaturkonform. Bei der sozio-emotionalen Entwicklung ergeben sich keine statistisch 141 Ansonsten umfasst die pädagogische Qualität im Tagesschulsetting sowohl den Unterricht als auch den ausserunterrichtlichen Teil.
13.5 Ausblick
417
relevanten Unterschiede bezüglich des Entwicklungsstandes bis auf das Selbstkonzept in Mathematik. Beim Selbstkonzept in Mathematik und tendenziell bei den Alltagsfertigkeiten verweisen die Ergebnisse auf eine kompensatorische Wirkung der Tagesschule hinsichtlich einer geringeren familialen Unterstützung. In der Literatur findet man einige vor allem neuere Belege für vergleichbare Effekte auf die Entwicklung von Kindern im Vorschulbereich aus sozial benachteiligten Familien (EPPE 2004; NICHD Early Child Care Research Network 2002c). Ansonsten konnten entsprechende Effekte in spezifischen Interventionsprogrammen für Kinder aus sozial benachteiligten Familien nachgewiesen werden. Diese Befunde der vorliegenden Studie können somit erste Hinweise für das Schulalter liefern. Der Tagesschule scheint es zumindest in einzelnen Entwicklungsbereichen (beim Selbstkonzept in Mathematik und den Alltagsfertigkeiten) zu gelingen, ungünstige Lernvoraussetzungen zu kompensieren. Tendenziell kann man in der vorliegenden Studie auch in weiteren Bereichen (beim prosozialen Verhalten und den sozio-emotionalen Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten der Kinder) eine ähnliche, jedoch weniger weitreichende, Entwicklung – der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Entwicklung wird in der Tagesschule verringert – feststellen. Es braucht weitere Forschung um überprüfen zu können, ob es der Tagesschule gelingt ein zentrales Anliegen, mehr Bildungsgerechtigkeit für alle unabhängig der jeweiligen sozialen Herkunft zu erzielen, und somit eine optimale Nutzung des Leistungspotenzials aller Schülerinnen und Schüler einzulösen.
13.5 Ausblick 13.5 Ausblick Die vorliegende Studie EduCare liefert erstmals Ergebnisse zur Gestaltung der pädagogischen Qualität für Kinder in den verschiedenen Schulformen Tagesschule (und deren intensive Nutzung), Schule mit Blockzeiten und Schulen mit traditionellem Unterricht sowie zu allfälligen Unterschieden. Gerade zu Tagesschulen und Blockzeitenunterricht in der Schweiz stellt dies eine Studie dar, welche über Evaluationen von einzelnen Pilotschulen und -projekten hinausgeht. Da die teilnehmenden Familien und deren Kinder sowohl freiwillige, additive als auch integrierte Tagesschulen besuchen, haben die Ergebnisse der vorliegenden Studie Aussagekraft über beide Modelle hinweg. Ausserdem werden die pädagogischen Qualitätsmerkmale der Familie beschrieben sowie allfällige Unterschiede zwischen den Familien der Kinder, welche die verschiedenen Schulformen besuchen, analysiert. Dabei muss insbesondere berücksichtigt werden, dass allein die Eltern der Tagesschulkinder die Möglichkeit zur Auswahl der Schulform hatten bzw. nutzten. Tagesschulen sind jedoch in der Schweiz erst
418
13 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
wenig verbreitet, sodass nicht alle Eltern effektiv eine echte Wahl haben, ob sie ihr Kind dorthin schicken wollen oder nicht. Ob ein Kind eine Schule mit Blockzeitenunterricht oder traditionellem Unterricht besucht, hängt hingegen davon ab, welche der beiden Schulformen in der Schulgemeinde des Kindes vorhanden ist. Es besteht diesbezüglich keine Wahl für die Eltern. Dieser Umstand muss bei der Interpretation der Ergebnisse mitberücksichtigt werden. Die Ergebnisse bezüglich der pädagogischen Orientierungen der Eltern der Kinder zeigen auf, dass die Eltern, die für ihre Kinder „bewusst“ die Tagesschule ausgewählt haben, erweiterte Aufgaben der Schule stärker gewichten sowie von den anderen Eltern sich unterscheidende (reform-)pädagogische Ansprüche an die (Tages-)Schule haben. Aufgrund der Ergebnisse der vorliegenden Studie zu den pädagogischen Orientierungen der Lehr- und Betreuungspersonen kann gefolgert werden, dass es sich bei den Lehr- und Betreuungspersonen in den Tagesschulen um Fachpersonen handelt, die bewusst eine Schule ausgewählt haben, die es ihnen ermöglicht, ihre pädagogischen Haltungen und Vorstellungen bezüglich einer guten Schule in die Tat umzusetzen. Diese Hypothese wird auch durch die in den Tagesschulen vorgefundene Unterrichts- und Prozessqualität142 gestützt, die sich für die Tagesschulkinder als höher erweisen als für die Kinder in den anderen Schulformen. Was bedeutet nun dieser Befund? Es muss wohl vor Augen gehalten werden, dass bei einer grossflächigen Einführung von Tagesschulen nicht zwingend mit denselben positiven Effekten gerechnet werden darf, wenn nicht bei der Implementierung gezielte Massnahmen getroffen werden, da man wohl nicht verbreitet mit denselben pädagogischen Haltungen der pädagogisch tätigen Personen rechnen darf. Dies zeigen breit angelegte Reformprojekte aus dem Vorschulbereich auf (vgl. z.B. Leseman 2008). Für eine breite Implementierung braucht es Vorgaben bezüglich pädagogischer Qualität an Tagesschulen, Schulund Unterrichtsentwicklung, aber auch spezifische Aus- und Weiterbildung der pädagogischen Fachpersonen. Während der Laufzeit der Studie haben verschiedene Gemeinden und Kantone an ihren Schulen Blockzeitenunterricht eingeführt und somit den über Jahrzehnte hinweg vorherrschenden traditionellen Unterricht mit vorwiegend Halbklassenunterricht in den ersten Primarschuljahren abgeschafft. Somit ist die vorliegende wohl die erste und letzte Studie, welche die beiden Unterrichtsformen vergleichend untersuchen kann und konnte. Die Ergebnisse haben jedoch klar aufgezeigt, dass grundsätzlich keine Unterschiede bezüglich der kindlichen Entwicklung in den beiden Settings festzustellen sind.
142 Qualität im Unterricht und im ausserunterrichtlichen Teil
13.5 Ausblick
419
Die vorliegende Studie EduCare I, die erstmals Ergebnisse zur Wirksamkeit von Tagesschulen und Blockzeitenunterricht hinsichtlich der kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung sowie bezüglich der Alltagfertigkeiten der Kinder liefern kann, hat sich schwerpunktmässig mit der intensiven Nutzung von Tagesschulen beschäftigt, da sich gerade im Vorschulbereich die Intensität als wichtiger Faktor für eine positive kindliche Entwicklung gezeigt hat. Um den Geltungsbereich der Studie abwägen zu können, wurden ergänzend dazu an den entscheidenden Stellen zusätzlich die Befunde ohne Berücksichtigung der Intensität der Tagesschulnutzung berichtet. Die Studie erstreckt sich über die ersten zwei Primarschuljahre der Schülerinnen und Schüler. Diese Schuleingangsphase wurde gewählt, um allfällige Effekte der verschiedenen Schulformen auf die kindliche Entwicklung von Anfang her unter Kontrolle weiterer Bedingungsfaktoren untersuchen zu können. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie legen bereits nach zwei Schuljahren – trotz der kleinen Stichprobe bei den Tagesschulen und den Tagesschulkindern – erstaunlich prägnante Effekte hinsichtlich der kindlichen Entwicklung in den verschiedenen Schulformen offen. Trotzdem wird es als wichtig erachtet, diese Befunde bezüglich der kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung von Schülerinnen und Schülern in Tageschulen und traditionellen Schulen künftig mit einer grösseren Stichprobe über mehrere Schuljahre hinweg zu untersuchen und die vorliegenden Befunde zu validieren.
14 Verzeichnisse 14 Verzeichnisse
14.1 Abkürzungen 14.1 Abkürzungen N Anzahl Personen M Arithmetischer Mittelwert SD Standardabweichung p Signifikanzniveau Chi2 Chi-Quadrat-Wert df Freiheitsgrad F F-Wert bei der Regressions-, Varianz- und Kovarianzanalyse Eta2 Effektstärke Varianz- und Kovarianzanalyse r Pearsons-Korrelationskoeffizient R2 Aufgeklärte Varianz α Cronbach’s Alpha-Koeffizient 14.2 Abbildungen 14.2 Abbildungen Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9
Typologien von Familienformen nach Nave-Herz (2007, p. 17) ................... 26 15- bis 20-jährige Wohnbevölkerung nach Geschlecht, Nationalität und gegenwärtiger Ausbildung in Prozent, 2000 (BFS 2005b, p. 17)........... 35 Beschäftigungsgrad der Frauen nach Familienphase, Querschnittanalyse 1993 bis 2003 (EDI 2004, p. 49) .................................... 36 Anteil Haushalte mit ausserfamilialer Bildung und Betreuung 2007, aufgeteilt nach Angebotsform (BFS 2007b) .................................................. 96 Nutzung der ausserfamilialen Angebote nach Alter des jüngsten Kindes 2007 (EDI & BFS 2008, p. 72) ...................................................................... 97 Durchschnittlicher Umfang nach Alter des jüngsten Kindes und Betreuungsart 2007 (EDI & BFS 2008, p. 72) ............................................... 98 Stundenplanbeispiel einer ersten Klasse mit Halbklassenunterricht ............ 101 Stundenplanbeispiel einer ersten Klasse mit Blockzeitenunterricht............. 102 Beziehungen zwischen den verschiedenen Dimensionen pädagogischer Qualität ........................................................................................................ 143
422 Abb. 10
Abb. 11 Abb. 12
Abb. 13
Abb. 14 Abb. 15
Abb. 16
Abb. 17
Abb. 18
Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25 Abb. 26 Abb. 27
14 Verzeichnisse Modell der Bildungsqualität ausserunterrichtlicher Angebote in der Ganztagsschule nach Miller (2003) in Erweiterung durch Klieme (2007) (Radisch et al. 2008b, p. 930) ...................................................................... 146 Wirkungsweise des Unterrichts – ein Rahmenmodell (Helmke 2004, p.42) ..................................................... 156 Rahmenmodell zu Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern und deren schulischen Leistung nach Pekrun und Helmke (1991, p. 43) und Schüpbach (2004, p. 9) .................................................... 157 Rahmenmodell zur kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler an verschiedenen Orten der Bildung und Sozialisation ................................................................................................ 180 Untersuchungsplan ...................................................................................... 206 Entwicklungsvorstellungen: Ausprägungen und Unterschiede zwischen den Lehr- und Betreuungspersonen sowie den Eltern (N= 488), Angaben in Dezimalzahlen .......................................................................... 228 Einschätzung der Aufgaben einer guten Schule der Lehr- und Betreuungspersonen: Erfüllen von traditionellen Aufgaben, Ausprägungen und Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen (N=656) ..................... 237 Einschätzungen der Aufgaben einer guten Schule der Lehr- und Betreuungspersonen: Erfüllen von erweiterten Aufgaben, Ausprägungen und Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen (LP/ BP N=650) ......... 238 Einschätzung der Aufgaben einer guten Schule der Eltern: Erfüllen von erweiterten Aufgaben, Ausprägungen und Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen (Eltern N=568) ....................................................... 239 Relevanz von Aufgaben der Primarschule nach Einschätzung der Lehrund Betreuungspersonen unterteilt nach Untersuchungsgruppen (N=417) .. 241 Relevanz der Lernmethoden in der Primarschule nach Einschätzung der Eltern (N=477)....................................................................................... 242 Relevanz der Sozialformen nach Einschätzung der Eltern (N=488) ............ 243 Die Entwicklungsförderung und aktive Stimulation in den Familien, getrennt nach Untersuchungsgruppe (N=625) ............................................. 251 Einzelitems der Skala Entwicklungsförderung und aktive Stimulation ....... 252 Skala Nutzung räumlicher und sozialer Ressourcen nach Untersuchungsgruppe (N= 480)................................................................... 262 Formen der Zusammenarbeit der Lehrpersonen .......................................... 279 Angebote der Schulen nach Umfang (N= 56 Schulen) ................................ 286 Index zu Angebotsumfang der Gestaltungsbereiche und Angebotsbreite nach Holtappels (2007) nach den Kindern der Untersuchungsgruppen ....... 288
14.2 Abbildungen Abb. 28 Abb. 29 Abb. 30 Abb. 31 Abb. 32 Abb. 33
Abb. 34
Abb. 35
Abb. 36
Abb. 37
Abb. 38
Abb. 39
Abb. 40
423
Anzahl Tagesschulplätze, angemeldete Kinder im Schuljahr 2007/08 und Anzahl Kinder pro Platz ....................................................................... 290 Die Dimensionen der Unterrichtsgestaltung im Überblick (N= 70)............. 303 Die Dimensionen der Unterrichtsgestaltung nach Untersuchungsgruppen (N=674) ....................................................................................................... 304 Bereichswerte und Gesamtwert der HUGS in den einzelnen Tagesschulen (N=7) ........................................................................................................... 310 Prozessqualität in den Schulformen der Untersuchungsgruppen (N= 674).. 312 Schulleistung in Sprache nach Untersuchungsgruppen am Ende des ersten und zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Intelligenz und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 475 bzw. 515)......................................... 354 Schulleistung in Sprache und Mathematik nach Untersuchungsgruppen am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Intelligenz und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 515 bzw. 519)......................................... 355 Schulleistung in Sprache nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Intelligenz und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 475)... 357 Schulleistung in Mathematik nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Intelligenz und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 519)... 358 Schulleistung in Sprache und Mathematik nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität in der Familie am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der Intelligenz (N= 509 und 513).......................................................... 361 Selbstkonzept in Lesen nach Untersuchungsgruppen am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Leistung in Sprache Ende 1. Schuljahr und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 519) ....................................... 363 Soziales Selbstkonzept Peer-Relations nach Untersuchungsgruppen am Ende des ersten und zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 570 bzw. 525)......................................... 365 Prosoziales Verhalten und sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten nach Untersuchungsgruppen am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 487) ....... 366
424 Abb. 41
Abb. 42
Abb. 43
Abb. 44
Abb. 45
Abb. 46
Abb. 47
14 Verzeichnisse Selbstkonzept in Lesen nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Leistung in Sprache zur gleichen Zeit und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 505) ................................................................................... 368 Selbstkonzept in Mathematik nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres, der Leistung in Mathematik zur gleichen Zeit und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 519) ........................................................ 369 Soziales Selbstkonzept Peer-Relations nach Untersuchungsgruppen am Ende des ersten und zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 570 bzw. 525)......................................... 371 Sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 499) ................................................................................... 372 Selbstkonzept in Mathematik nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität in der Familie am Ende des ersten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der Schulleistung in Mathematik zum selben Zeitpunkt (N= 532) .................... 374 Alltagsfertigkeiten nach Untersuchungsgruppen am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres und der wichtigen Einflussfaktoren der Familie (N= 519) ...................................................................................................... 375 Alltagsfertigkeiten nach Untersuchungsgruppen und Prozessqualität im schulischen Setting am Ende des zweiten Schuljahres unter Kontrolle des Entwicklungsstandes am Anfang des ersten Schuljahres (N= 482) ............. 377
14.3 Tabellen 14.3 Tabellen Tab. 1
Angebote in Kindergärten und Schulen, Schuljahr 2007/08 (Anzahl bzw. Anteil in Prozent mit entsprechendem Angebot) (EDI & BFS 2008, p.25) .................................................................................91
Tab. 2
Kindertagesstätten nach Kanton 1985 bis 2005 (EDI & BFS 2008, p. 23) ................................................................................93
Tab. 3
Schematische Tagesstruktur der obligatorischen und der freiwilligen Tagesschule ............................................................................... 114
14.3 Tabellen
425
Tab. 4
Qualitätsbereiche und ihre Dimensionen im Überblick (Strätz et al. 2008, p. 41)............................................................................... 144
Tab. 6
Instrumente zur Erhebung der kindlichen Entwicklung und deren Entwicklungsbereiche im Rahmen der Studie EduCare I im Überblick ................................................................................................. 187
Tab. 7
Gemessene Dimensionen und Inhalte des Tests SMS – Sprache und Mathematik beim Schuleintritt von Moser (Moser et al. 2005, p. 15) .............................................................................. 189
Tab. 8
Korrelationen zwischen den Dimensionen des Tests SMS am Anfang des ersten Schuljahres (N= 507) ...................................................... 190
Tab. 9
Inhaltsschwerpunkt bzw. Subtests von Demat 1+ und Demat 2+ (Krajewski et al. 2002; Krajewski et al. 2004).............................................. 192
Tab. 10
Korrelationen zwischen den kognitiven Entwicklungsmassen (zwischen N= 370 und 507) .......................................................................... 193
Tab. 11
Skalenübersicht Selbstkonzept ..................................................................... 195
Tab. 12
Skalenübersicht (Sozial-)Verhalten .............................................................. 197
Tab. 13
Korrelationen zwischen den verschiedenen Dimensionen des Erziehungsverhaltens.............................................................................. 201
Tab. 14
Instrumente zur Erhebung der pädagogischen Qualität im ausserfamilialen Setting (Schule) und die gebildeten Skalen sowie beispielhafte Merkmale im Überblick ................................................ 203
Tab. 15
Instrumente zur Erhebung der pädagogischen Qualität im familialen Setting und die gebildeten Skalen sowie beispielhafte Merkmale im Überblick ................................................................................ 205
Tab. 16
Stichprobe nach Nationalitätengruppen ........................................................ 209
Tab. 17
Stichprobe nach Kantonen ............................................................................ 210
Tab. 18
Privat und institutionell organisierte Settings sowie deren Nutzung durch die ausserfamilial betreuten Kinder (N= 267) ..................................... 211
Tab. 19
Tagesschulkinder, aufgeteilt nach freiwilligen und obligatorischen Tagesschulen ....................................................................... 213
Tab. 20
Stichprobe, aufgeteilt nach Untersuchungsgruppen a: Besuch einer Schulform ................................................................................ 214
Tab. 21
Stichprobe, aufgeteilt nach Untersuchungsgruppen b: Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Intensität des Besuchs der Schulform Tagesschule........................................................................... 215
426
14 Verzeichnisse
Tab. 22
Untersuchungsgruppen nach Kantonen (ungewichtet) ................................. 216
Tab. 24
Skala Entwicklungsvorstellungen: Unterschiede zwischen Eltern sowie Lehr- und Betreuungspersonen (LP/BP) und zwischen den Untersuchungsgruppen (TS, BZ und KG) .................................................... 227
Tab. 25
Bedeutsamkeit von verschiedenen Bildungszielen für Eltern und Lehr- und Betreuungspersonen (LP/BP) in einer Rangfolge ........................ 231
Tab. 26
Bildungsvorstellungen: Unterschiede zwischen Eltern sowie Lehrund Betreuungspersonen (LP/BP) und zwischen den Untersuchungsgruppen (TS, BZ und KG) .................................................... 233
Tab. 27
Vorstellungen bezüglich einer guten Schule: Unterschiede zwischen Eltern und Lehr- und Betreuungspersonen (LP/BP) sowie zwischen den Untersuchungsgruppen (TS, BZ und KG) in den einzelnen Skalen ................................................................................ 235
Tab. 28
Skalen der familialen Prozessqualität im Überblick ..................................... 247
Tab. 29
Skala familialer Kontext: Nutzung öffentlicher und sozialer Ressourcen ............................................. 249
Tab. 30
Strukturmerkmale des familialen Settings: Personale Dimension (N= 403 bis 412) ........................................................................................... 254
Tab. 31
Strukturmerkmale des familialen Settings: Soziale Dimension (N= 592 bis 625) ........................................................................................... 257
Tab. 32
Strukturmerkmale des familialen Settings: Räumlich-materiale Dimension (N= 423 bis 435) ........................................................................ 259
Tab. 33
Skala familialer Kontext: Nutzung öffentlicher und sozialer Ressourcen.................................................................................................... 266
Tab. 34
Indizes der Angebote der Schulen im Überblick .......................................... 267
Tab. 35
Strukturmerkmale des Unterrichtsteils nach Klasse bzw. Lehrperson und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Personale Dimension .................................................................................... 270
Tab. 36
Strukturmerkmale des Unterrichtsteils nach Klasse/Lehrperson und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Soziale Dimension ........................................................................................ 273
Tab. 37
Strukturmerkmale des Unterrichtsteils nach Klasse bzw. Lehrperson und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Handlungsdimension .................................................................................... 275
Tab. 38
Strukturmerkmale des Unterrichtsteils: Vorhandene Materialien in den Klassen............................................................................................... 281
14.3 Tabellen
427
Tab. 39
Strukturmerkmale des Unterrichtsteils nach Klasse/Lehrperson und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Räumlich-materiale Dimension .................................................................... 282
Tab. 40
Strukturmerkmale der Schule nach Schulhaus und nach den Kindern der Untersuchungsgruppen: Soziale und räumlich-materiale Dimensionen .............................................. 284
Tab. 41
Skalen der Unterrichtsqualität bzw. Prozessqualität ..................................... 299
Tab. 42
Skalen der pädagogische Prozessqualität im ausserunterrichtlichen Teil (HUGS) ....................................................................... 301
Tab. 43
Pädagogische Prozessqualität der HUGS nach Einzelmerkmalen (N=7) ............................................................................... 307
Tab. 44
Einfluss der Orientierungs- und Strukturqualität auf die pädagogische Prozessqualität in der Familie: Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalyse ................................. 315
Tab. 45
Einfluss der Orientierungs- und Strukturqualität auf die Prozessqualität in den Dimensionen des Unterrichts: Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalysen ....................................................... 318
Tab. 46
Korrelationen zwischen den Entwicklungsmassen am Ende des zweiten Schuljahres (N= 378 bis 414) .......................................................... 324
Tab. 47
Anteil aufgeklärter Varianz verschiedener Prädiktorenblöcke bezüglich des kognitiven Entwicklungsstands der Kinder: Blockweise hierarchische Regressionsanalysen............................................ 328
Tab. 48
Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten der Blöcke individuelle, familiale und schulische Merkmale: Kognitiver Entwicklungsstand (Schulleistungen) ......................................... 332
Tab. 49
Anteil aufgeklärter Varianz verschiedener Prädiktorenblöcke bezüglich des Entwicklungsstandes in verschiedenen Bereichen des Selbstkonzepts der Kinder: Blockweise hierarchische Regressionsanalysen............................................ 336
Tab. 50
Anteil aufgeklärter Varianz verschiedener Prädiktorenblöcke bezüglich sozio-emotionaler Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten der Kinder: Blockweise hierarchische Regressionsanalysen .............. 337
Tab. 51
Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten der Blöcke individuelle, familiale und schulische Merkmale: verschiedene Bereiche des Selbstkonzepts ................................................... 342
428
14 Verzeichnisse
Tab. 52
Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten der Blöcke individuelle, familiale und schulische Merkmale: sozio-emotionale Verhaltensstärken bzw. Auffälligkeiten ........................................................ 344
Tab. 53
Anteil aufgeklärter Varianz verschiedener Prädiktorenblöcke bezüglich des Entwicklungsstandes in den Alltagsfertigkeiten der Kinder: Blockweise hierarchische Regressionsanalysen ........................ 347
Tab. 54
Regressions-Faktor-Struktur-Koeffizienten der Blöcke individuelle, familiale und schulische Merkmale: Alltagsfertigkeiten ................... 348
Tab. 55
Effekte bezüglich des Entwicklungsstandes der Kinder in den verschiedenen Schulformen .......................................................................... 410
14.4 Literatur 14.4 Literatur Aeberli, C.; Binder, H.-M. (2005). Das Einmaleins der Tagesschule. Zürich: Avenir Suisse. Anderson, B.E. (1989). Effects of Public Day-Care: A Longitudinal Study. Child Development, 60, 857-866. Anderson, B.E. (1992). Effects of Day-Care on Cognitive and Socio-emotional Competence of Thirteen-Year-Old Swedish School Children. Child Development, 63, 2036. Andresen, S. (2004). "Bildung" als fragile Denkfigur im 20. Jahrhundert. In Otto, H.-U.; Coelen, T. (Eds.), Grundbegriffe der Ganztagsbildung. Beiträge zu einem neuen Bildungsverständnis in der Wissensgesellschaft (p. 42-50). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Appel, S.; Rutz, G. (2005). Handbuch Ganztagsschule: Konzeption, Einrichtung und Organisation. Schwalbach, Ts. Ariès, P. (1975). Geschichte der Kindheit. München. Backhaus, K.; Erichson, B.; Plinke, W.; Weiber, R. (2006). Multivariate Analysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung (11. Aufl.). Berlin: Springer. Bagwell, C.L.; Newcomb, A.F.; Bukowski, W.M. (1998). Preadolescent Friendship and Peer Rejection as Predictors of Adult Adjustment. Child Development, 69, 140-153. Baier, F.; Schönbächler, M.-T.; Forrer Kasteel, E.; Galliker Schrott, B.; Schnurr, S.; Schüpbach, M.; Steiner, O. (2009). Evaluationsbericht 1 zum „Projekt Tagesschulen“ des ED Basel-Stadt „Projekt Schulen mit Tagesstrukturen auf der Stufe Kindergarten und Primarschule“ (Zwischenbericht). Dienstleistung zuhanden des ED Basel-Stadt: Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz und Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Bern. Bairrao, J.; Leal, T.; Rossbach, H.-G. (1993). Deutsche Fassung des “Parent and Household Survey for Families with Preschool-Aged Children”. Unveröffentl. Manuskript: Universidade do Porto und Westfälische Wilhelms-Universität Münster.
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15 Anhang 15 Anhang 15 Anhang
Schulleistung in Mathematik und in Sprache (SMS) am Anfang des ersten Schuljahres
Tab. 1
Gesamtstichprobe t1 N M Median Min Max SD Skewness
Gesamtstichprobe t1 507 33.63 34.00 16 46 5.78 -.15
N M Median Min Max SD Skewness
507 99.26 106.00 33 129 24.35 -0.90
Kurtosis
-.13
Kurtosis
-0.02
Variance
33.36
Variance
592.84
Tab. 2
Schulleistung in Sprache (WLLP) Ende erstes und zweiten Schuljahres
Gesamtstichprobe t2 N M Median Min Max SD Skewness Kurtosis Variance
406 49.24 45.00 13 118 19.44 0.67 0.27 377.86
Gesamtstichprobe t3 N M Median Min Max SD Skewness Kurtosis Variance
430 72.15 71.00 28 138 20.00 0.31 -0.18 400.12
464 Tab. 3
15 Anhang Schulleistung in Mathematik (DEMAT 1+ und DEMAT 2+) Ende erstes und zweites Schuljahr
Gesamtstichprobe t2 N M Median Min Max SD Skewness Kurtosis Variance
Tab. 4
Gesamtstichprobe t3 N M Median Min Max SD Skewness Kurtosis Variance
406 28.22 29.00 4 36 5.98 -1.10 1.23 35.73
435 19.60 20.00 0 36 8.52 -0.28 -0.80 72.62
Interkorrelationen zwischen den Subtests des Demat 1+ (N=441)
MengenZahlenRohwert
Zahlenraum
Addition
Subtraktion
Zahlenzerlegung und -ergänzung
TeilGanzesSchema
Kettenaufgaben
Zahlenraum
.25***
Addition
.16***
.14**
Subtraktion
.25***
.24***
.56***
Zahlenzerlegung und -ergänzung
.28***
.31***
.35***
.40***
Teil-GanzesSchema
.21***
.28***
.27***
.35***
.41***
Kettenaufgaben
.24***
.23***
.36***
.41***
.35***
.35***
.12*
.20***
.32***
.36***
.35***
.30***
.30***
.26***
.25***
.22***
.26***
.39***
.27***
.27***
Ungleichungen Sachaufgaben
* p< .05; ** p< .01; *** p< .001 (2-seitig) nach Pearson
Ungleichungen
.22***
15 Anhang Tab. 5
465
Interkorrelationen zwischen den Subtests des Demat 2+ (N= 435) Zahleneigenschaften
Längen vergleich
Addition
Subtraktion
Verdoppeln
Division
Halbieren
Geld
Längenvergleich
.35***
Addition
.37***
.33***
Subtraktion
.36***
.35***
.49***
Verdoppeln
.37***
.40***
.39***
.35***
Division
.38***
.27***
.36***
.31***
.34***
Halbieren
.44***
.42***
.54***
.47***
.63***
.36***
Geld-
.41***
.38***
.56***
.41***
.52***
.34***
.57***
Sachaufgaben
.40***
.41***
.48***
.46***
.49****
.35***
.49***
.47***
Geometrie
.17***
.26***
.27***
.32***
.27***
.19***
.26***
.27***
*** p< .001 (2-seitig) nach Pearson
Tab. 6
Intelligenztest (CFT 1) am Anfang des zweiten Schuljahres
Gesamtstichprobe N M Median Min Max SD Skewness Kurtosis Variance
446 101.22 102.00 64 141 12.22 -0.15 0.42 149.37
Sach aufgaben
.22***
466
15 Anhang
Tab. 7
Merkmale und Dimensionen des Beobachtungsinstruments für den Unterricht (BUQ)
Klassenführung und Klarheit
Qualitätsbereich
Merkmal Unterrichtszeit wird effizient genutzt. (Kf) Lehrkraft hat Überblick über Schüleraktivitäten. (Kf) Der Unterricht ist störungsfrei. (Kf) Rituale werden gepflegt. (Kf)
Anzahl Aspekte 5 4 4
Motivierung und Aktivierung
Lernförderliches Klima undVariabilität
Der Verlauf des Unterrichts ist kohärent. (Klh) Der Umgangston LP-Schüler ist wertschätzend und respektvoll. (LfK) Die Lehrkraft geht mit Schülerfehlern und „unpassenden“ Beiträgen konstruktiv um (Fehler als Lernchance, das Verständnis förderliche Hinweise). (LfK) Das Unterrichtstempo ist (für die meisten Kinder in der Klasse) angemessen (z. B. ausreichende Wartezeit nach Fragen, Geduld bei Langsamkeit, keine Hektik). (LfK)
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6
Unterrichtsgestaltung und Lernangebote berücksichtigen die unterschiedlichen Voraussetzungen von Schüler/innen verschiedener Sprachherkunft. (Var)
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Der Unterricht berücksichtigt die besonderen Lernvoraussetzungen leistungsschwächerer Schüler/innen (spezielle Angebote, Differenzierung, besondere Förderung). (Var)
4
Der Unterricht berücksichtigt die besonderen Lernvoraussetzungen leistungsstärkerer Schüler/innen (spezielle Angebote, Differenzierung, besondere Förderung). (Var)
4
Der Unterricht enthält Angebote für selbstreguliertes Lernen (Arbeitstechniken, Denk-, Lern oder Gedächtnisstrategien). (Akt)
4
Der Unterricht eröffnet Spielräume (ist nicht engführend, kurzschrittig, auf nur eine richtige Antwort oder Lösung fokussiert). (Akt)
4
Die Schülerinnen und Schüler gestalten den Unterricht aktiv mit (z.B. stellen von sich aus Fragen, machen Vorschläge, äußern Interesse, kritisieren). (Akt)
4
Sprachlicher Input wird nicht-sprachlich angereichert (z.B. Verknüpfung mit grafischen Repräsentationen wie mind map, physischen Modellen, Bildern, körperlicher Bewegung). (Akt) Dem Unterricht über die meiste Zeit folgen in etwa …% der Kinder (Antwortformat: (1) < 25% (2) < 50% (3) <75% (4) > 75%) (Akt) Die Aufgaben sind abwechslungsreich (nicht monoton, repetitiv). (Mot) Die Lehrkraft gibt differenzierte Rückmeldungen. (Mot)
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15 Anhang
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Raumgestaltung und Klima
Fortsetzung von Tabelle 7 Der Raum ist ausreichend beleuchtet und belüftet. (RgK)
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Das Mobiliar ist nicht nur rein funktional. Es gibt zusätzlich zu Tischen und Stühlen der Kinder Möbel wie Regale, Sofa, etc. (bitte ggf. unten notieren). (RgK)
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Die Raumgestaltung ist altersgerecht und abwechslungsreich. (Wanddekorationen beinhalten sowohl „akademische“ wie auch „künstlerische“ Arbeiten. Dies umfasst beispielsweise Zahlen, Buchstaben, Wörter, Bilder der Kinder oder auch kommerzielle Dekorationen, etc.). (RgK)
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