Inga Halwachs Frauenerwerbstätigkeit in Geschlechterregimen
Inga Halwachs
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Inga Halwachs Frauenerwerbstätigkeit in Geschlechterregimen
Inga Halwachs
Frauenerwerbstätigkeit in Geschlechterregimen Großbritannien, Frankreich und Schweden im Vergleich
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, 2010
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17444-0
Für meine Eltern und Moritz
Danksagung
Von der Idee bis zur Abgabe einer solchen Arbeit vergehen i. d. R. mehrere Jahre, so dass selbstverständlich zahlreiche Personen direkt und indirekt die Entstehung und Entwicklung begleitet haben, denen hier gedankt werden soll. Mein größter Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Josef Esser, der bereits meine Diplomarbeit betreute und so seit vielen Jahren meinen wissenschaftlichen Werdegang begleitet und beeinflusst. Er hat sich stets Zeit genommen, mit mir zu diskutieren und konnte mich mit dem richtigen Maß an konstruktiver Kritik immer wieder aufs Neue motivieren. Außerdem danke ich meiner Zweitbetreuerin Prof. Dr. Marianne Rodenstein für ihr kontinuierliches Interesse an meiner Arbeit und die fruchtbaren Anregungen, die ich aus den Gesprächen mitnehmen konnte. Auch danken möchte ich allen TeilnehmerInnen des Kolloquiums „Europäische Stadt- und Regionalentwicklung“ für den wissenschaftlichen Austausch in den verschiedenen Entwicklungsstufen meiner Arbeit. Besonderer Dank gilt meinen KollegInnen aus den Arbeitsgruppen Textwerkstatt und TISS-KG. Diese regelmäßigen Arbeitstreffen, in denen nachgefragt, kritisiert und diskutiert wurde, haben dazu beigetragen, dass ich meine Arbeit immer wieder überdenken musste und auch unbequeme, da arbeitsintensive Punkte, nicht ignorieren konnte. Vielen Dank Dr. Andreas Brand, Tanja Hoffmann, Dr. Barbara Hyna, Tobias Schasse, Sabine Flick und Sacha Knoche. Mein Dank gilt auch der Franfurt Graduate School for the Humanities and Social Sciences (FGS) für die sehr hilfreichen und nützlichen (Methoden-) Workshops sowie für die finanzielle Unterstützung während des Kurzzeitstipendiums. Einen herzlichen Dank möchte ich auch meinen InterviewpartnerInnen aussprechen, die mit ihrem ExpertInnenwissen nicht nur neue Erkenntnisse möglich gemacht, sondern auch Farbe in meine Arbeit gebracht haben. Für die Ratschläge und Aufarbeitung der Problematiken rund um das Thema „Vereinbarkeit Dissertation & Leben & Beruf“ danke ich der Supervisorin Dr. Ulle Jäger. Sarina Brand sowie Tobias Schasse danke ich für das Korrekturlesen. Nicht zuletzt möchte ich Moritz Mörschel und meinen Eltern Marianne und Prof. Dr. Werner Halwachs für die moralische Unterstützung und die Geduld, die sie mir und meinem Projekt entgegengebracht haben, danken. Frankfurt, Februar 2010
Inga Halwachs
Inhalt
Tabellenverzeichnis ............................................................................................ 11 Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................... 13 1
Einleitung - Forschungsrahmen und -design ...................................... 15 1.1 Fragestellung ................................................................................. 1.2 Theoretische Konzeption der Untersuchung .................................. 1.2.1 Wohlfahrtsstaat ......................................................................... 1.2.2 Arbeitsmarktpolitik ................................................................... 1.2.2.1 Diskrimimierung am Arbeitsplatz ........................... 1.2.3 Geschlechterregime ................................................................... 1.2.4 Verortung der Arbeitsmarktpolitik in Geschlechterregimen ...... 1.2.5 Dimensionen des Ländervergleichs .......................................... 1.2.6 Erläuterung der Länderauswahl ................................................ 1.2.7 Typologisierung der Länder – Ländervergleich ........................ 1.2.7.1 Pfadabhängigkeitsprüfung nach Peter Hall ............. 1.3 Erhebungs- und Auswertungsmethode .......................................... 1.3.1 Ergebnisse der Akquisition ....................................................... 1.3.2 Die interviewten ExpertInnen ................................................... 1.3.3 Interviewleitfaden ..................................................................... 1.3.4 Interviewverlauf bzw. –situation ............................................... 1.3.5 Anonymisierung – Codierung – Auswertung ............................
2
15 20 20 21 27 32 34 37 44 45 52 54 58 59 60 61 61
Großbritannien - Das liberale Regime ................................................ 63 2.1 Familienpolitische Leistungen ....................................................... 71 2.1.1 Mutterschutz / Elternurlaub ...................................................... 72 2.1.2 Elterngeld .................................................................................. 76 2.2 Anerkennung der familialen Arbeit ............................................... 76 2.2.1 Frauen im Alter – Rentenbezug ................................................ 77 2.3 Vereinbarkeit von Familie und Beruf ............................................ 79 2.3.1 Bereitstellung von sozialer Infrastruktur und deren Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen ....................................... 84 2.4 Frauen in Führungspositionen ....................................................... 96 2.5 Gender Pay Gap ........................................................................... 101 2.6 Gender Mainstreaming ................................................................ 107
3
Frankreich - Das konservativ-kooperatistische Regime .................. 111 3.1 Familienpolitische Leistungen ..................................................... 3.1.1 Mutterschutz / Elternurlaub .................................................... 3.1.2 Elterngeld ................................................................................ 3.2 Anerkennung der familialen Arbeit ............................................. 3.2.1 Frauen im Alter – Rentenbezug .............................................. 3.3 Vereinbarkeit von Familie und Beruf .......................................... 3.3.1 Bereitstellung von sozialer Infrastruktur und deren Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen ..................................... 3.4 Frauen in Führungspositionen ..................................................... 3.5 Gender Pay Gap ........................................................................... 3.6 Gender Mainstreaming ................................................................
4
135 146 149 151
Schweden - Das sozialdemokratische Regime ................................... 155 4.1 Familienpolitische Leistungen ..................................................... 4.1.1 Mutterschutz / Elternurlaub .................................................... 4.1.2 Elterngeld ................................................................................ 4.2 Anerkennung der familialen Arbeit ............................................. 4.2.1 Frauen im Alter – Rentenbezug .............................................. 4.3 Vereinbarkeit von Familie und Beruf ........................................... 4.3.1 Bereitstellung von sozialer Infrastruktur und deren Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen ..................................... 4.4 Frauen in Führungspositionen ..................................................... 4.5 Gender Pay Gap ........................................................................... 4.6 Gender Mainstreaming ................................................................
5
119 122 127 130 131 133
162 163 171 175 176 178 183 192 196 201
Schlussbetrachtungen ......................................................................... 205 5.1 5.2
Zusammenfassung der Ergebnisse der vergleichenden Länderanalyse .............................................................................. 205 Thesenüberprüfung und Schlussfolgerungen ............................... 233
Literaturverzeichnis ........................................................................................ 241 Anhang I - Kurzportraits der 20 interviewten ExpertInnen ............................ 259 Anhang II - Liste der Codes ............................................................................ 266
10
Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19:
Zusammenhang der verschiedenen Ebenen ............................. 23 Teufelskreis ökonomischer Rationalität .................................. 36
Charakteristika der Regime-Typen ............................................... 47 Anzahl der Interviews bezogen auf die verschiedenen Ebenen .... 59 Anonymisierungsschema .............................................................. 62 Transformationsmerkmale der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Regulation und Reformen (Großbritannien) ................ 67 Ehegattenbesteuerung und Familienlastenausgleich (GB) ............ 77 Die Bedeutung der Kinderversorgung und Familiensituation für die Rentenansprüche von Müttern (GB) .................................. 79 Zeitverwendung von Frauen und Männern in Großbritannien ...... 80 Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen und Erwerbsquote von Müttern in GB ........................................................................ 86 Kinderbetreuungsangebot und Vorschulerziehung in GB, 2001 ... 86 Erwerbsbeteiligung von Frauen nach Anzahl der Kinder (GB) .... 89 Beschäftigungsquoten in Vollzeitäquivalenten 1998 (GB) ........... 90 Beschäftigungsquote in % (GB) .................................................... 91 Arbeitslosenquote in % (GB) ........................................................ 92 Die historische Entwicklung von Teilzeitarbeit in % (GB) ........... 93 Anteil der Teilzeitbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung und geschlechtsspezifische Unterschiede in % (GB) .................... 94 Geschlechtsspezifische Einkommensdifferenz in ausgewählten EU-Ländern 2005 ........................................................................ 102 Transformationsmerkmale der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Regulation und Reformen (Frankreich) .................... 112 Überblick über rechtliche und ökonomische familienbezogene Interventionen in Frankreich ....................................................... 121 Überblick über arbeitsrechtliche Regelungen des Mutter- und Neugeborenenschutzes in Frankreich (Rechtsstand 1999) .......... 125
Tabelle 20: Überblick über Regelungen zur Erziehungsfreistellung in Frankreich (Rechtsstand 1999) ................................................... 126 Tabelle 21: Ehegattenbesteuerung und Familienlastenausgleich (FR) ........... 130 Tabelle 22: Zeitverwendung von Frauen und Männern in Frankreich ........... 133 Tabelle 23: Nicht-elterliche Kinderbetreuungsformen in Frankreich ............ 136 Tabelle 24: Staatlich subventionierte Kinderbetreuungs-Arrangements für Kinder unter drei Jahren im Doppelverdiener Haushalt .............. 137 Tabelle 25: Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen und Erwerbsquote von Müttern in Frankreich .......................................................... 138 Tabelle 26: Beschäftigungsquote in % (Frankreich) ...................................... 140 Tabelle 27: Arbeitslosenquote in % (Frankreich) .......................................... 141 Tabelle 28: Beschäftigungsquoten in Vollzeitäquivalenten 1998 (FR) .......... 142 Tabelle 29: Altersspezifische weibliche Erwerbsquoten (FR) 1965-1997 ..... 142 Tabelle 30: Anteil der Teilzeitbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung und geschlechtsspezifische Unterschiede in % (FR) .................... 143 Tabelle 31: Vergleich von in Partnerschaft lebenden Voll- oder Teilzeit arbeitenden Frauen von 1990-2002 ............................................. 145 Tabelle 32: Erwerbstätigkeit der Mütter nach Kinderanzahl & Kindesalter .. 145 Tabelle 33: Transformationsmerkmale der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Regulation und Reformen (Schweden) ..................... 156 Tabelle 34: Die schwedische Elternversicherung 1987-2002 ........................ 173 Tabelle 35: Die Bedeutung der Kinderversorgung und Familiensituation für die Rentenansprüche von Müttern (SE) ................................. 178 Tabelle 36: Zeitverwendung von Frauen und Männern in Schweden ........... 179 Tabelle 37: Beschäftigungsquote in % (Schweden) ....................................... 188 Tabelle 38: Beschäftigungsquoten in Vollzeitäquivalenten 1998 (SE) .......... 188 Tabelle 39: Arbeitslosenquote in % (Schweden) ........................................... 189 Tabelle 40: Erwerbstätigkeit und Vorhandensein von Kindern (SE) ............. 189 Tabelle 41: Anteil der Teilzeitbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung und geschlechtsspezifische Unterschiede in % (SE) ................... 191 Tabelle 42: Pfadabhängigkeitsüberprüfung ................................................... 232
12
Abkürzungsverzeichnis
AGG = Art. = BSP = CEO = CF = CP = CT = DCC = EGV = EOC = ESF = EuGH = EWG = Exp. = FR = GB = GBP = JämO = Lit. = LO = n. v. = NAP = NGO = NHS = OECD = PAJE = PDG = RL = SAF = SAP = SE = SEK = VZÄ =
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Artikel Bruttosozialprodukt Chief Executive Officer complément familial (Familienergänzungsbeihilfe) Code Pénal Code de Travail Double Career Couple Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) Equal Opportunities Commission Europäische Sozialfonds Europäische Gerichtshof Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Experte / Expertin Ländercode Frankreich Ländercode Großbritannien (engl. = UK) Great Britain Pound Jämställdhetsombudsmannen (Gleichstellungs-Ombudsmann/-frau) Litera (Buchstaben zur Unterscheidung in Satzungen) Landesorganisation, Dachverband der Arbeitergewerkschaften (SE) nicht verfügbar Nationale Aktionsplan Non-Governmental Organization (Nicht-Regierungsorganisationen) National Health Service (staatlicher Gesundheitsdienst) Organisation for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Prestation d`accueil du jeune enfant (Leistung zur Pflege von Kleinkindern) Président Directeur Général Richtlinie Arbeitgeberverband (Svenska Arbetsgivareföreningen) Sveriges Socialdemokratiska Arbetarepartiet Ländercode Schweden Schwedische Kronen Vollzeitäquivalent
1 Einleitung – Forschungsrahmen und –design
1.1 Fragestellung Die Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt ist eines der ältesten Themen der vergleichsweise jungen Geschlechterforschung und doch ist es immer noch aktuell, da sich herausgestellt hat, dass gerade in diesem Themenbereich noch Diskussions- und Reformbedarf besteht. Die Geschlechterfrage bleibt Thema des öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurses, solange Frauen oder Männer nur aufgrund ihres Geschlechts bevorzugt oder benachteiligt werden und eine geschlechtsspezifische Einteilung von Fähigkeiten und Eigenschaften in „weiblich“ oder „männlich“ vorgenommen wird (Hopfner/Leonhard 1996, 221). Kritik gegenüber der feministischen Theorie ist die Tatsache entgegenzusetzen, dass trotz der formalrechtlichen Errungenschaften Frauen nach wie vor mit Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechts konfrontiert werden (Nagl-Docekal 1998, 105). Anders als im Bereich des Privaten, was einen weiteren Themenschwerpunkt der vergleichenden Geschlechterforschung darstellt - und auch in dieser Arbeit eine große Rolle spielt, weil viele Entscheidungen, welche auf die weibliche Erwerbsbiografie wirken, aufgrund der privaten Situation und dem Ausmaß an Unterstützung im Privaten durch den Staat oder die Familie/(Ehe-)Partner getroffen werden - scheint die Messung der Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt konkreter und leichter realisierbar zu sein. Trotz der nun Jahrzehnte währenden Bemühungen der Frauen, in allen öffentlichen und privaten Bereichen des Lebens Gleichberechtigung im Sinne der Geschlechterdemokratie1 zu erlangen, ist es eine in der Sekundärliteratur häufig beschriebene Tatsache, dass die Frau noch immer die doppelte Rolle der
1 Hierunter versteht sich eine de facto und nicht nur de jure bestehende Gleichheit der Geschlechter. Nicht nur die politische Partizipation, sondern auch die gesellschaftliche Ressourcenverteilung beider Geschlechter soll gleichverteilt sein. Zudem beinhaltet der Begriff der „Geschlechterdemokratie“ die Kritik an autoritär-hierarchischen und undemokratischen Strukturen in der Öffentlichkeit und der privaten Sphäre ebenso wie die Ablehnung an „explizit gewaltförmiger Herrschaftsausübung“ von Männern über Frauen. Geschlechterdemokratie kann deshalb für Frauen sowie für Männer als positiver Leitbegriff gesehen werden (Bereswill 2004, 64), weil er sowohl für Chancengleichheit wie auch für Gleichberechtigung beider Geschlechter in allen Lebensbereichen steht. Geschlechterdemokratie wird hier als Ziel bzw. Zustand verstanden, den es durch die verschiedenen Maßnahmen zur Geschlechtergleichstellung herzustellen gilt.
Hausfrau und Mutter sowie Erwerbstätigen ausfüllt (Lewis 1992, Reddock 1982, Ruf 1991, Lewis 1992 u. a. ). Es beschäftigten sich bereits zahlreiche Veröffentlichungen mit dem Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den Schwierigkeiten, denen sich Frauen bei der Kommodifizierung2, aber auch bei der Dekommodifizierung3 gegenübersehen (Becker 2000, Dackweiler 2003a, Dackweiler 2003b, EspingAndersen 1998, Heinze 1999 u. a.). Probleme stellen sich für Frauen, vor allem Mütter, sowohl beim Einstieg in die Erwerbstätigkeit als auch beim Ausstieg in die Erziehungsphase und dem darauf folgenden Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt. Diese Phasen der weiblichen Erwerbstätigkeit werden als Drei-PhasenModell beschrieben (Busch 1995, Geissler 1998, Lauterbach, 1994 u. a.). Die genannten Probleme haben in den unterschiedlichen Geschlechterregimen verschiedene Qualitäten, weil in diesen traditionell gewachsene und differierende Leitbilder von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ entstanden sind. Auch sind die politischen Traditionen unterschiedlich, was wiederum Einfluss auf die diversen Ausprägungen des gesellschaftlichen, politischen und privaten Umgangs mit den Geschlechtern hat. Auch das Ziel, Geschlechterdemokratie durch gleiche Ressourcenverteilung und gleiche Teilhabe in öffentlichen und privaten Lebensbereichen zu erreichen, hat aufgrund der unterschiedlichen historischen Hintergründe und politischen Traditionen einen jeweils spezifischen Stellenwert, den es zu untersuchen gilt. Der Wohlfahrtsstaat spielt bei der Ausprägung der Geschlechtergleichstellung eine große Rolle. Der Wohlfahrtsstaat und seine Politik nehmen auf verschiedene Weise und auf verschiedenen Ebenen Einfluss auf die weibliche Erwerbstätigkeit. Kulturelle Leitbilder zur weiblichen Erwerbstätigkeit sowie zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung werden in ihm und durch ihn generiert, reproduziert oder verändert. Diese Einflussnahme auf die Erwerbstätigkeit und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung geschieht durch die Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen, wodurch die Handlungsmöglichkeiten verschiedener Gruppen von Frauen durch den Wohlfahrtsstaat und seine Politik determiniert werden (Pfau-Effinger 2000, 76). Die weibliche Erwerbstätigkeit und ihre Fördermaßnahmen können zwar für die einzelnen Länder beschrieben werden, aber die Auswirkungen und Bedeutungen werden nur im Vergleich verschiedener Typen von Wohlfahrtsstaaten sichtbar. Eine geschlechtersensible Analyse von Wohlfahrtsstaaten ist für das Verständnis der Entwicklung verschiedener Ge2 Kommodifizierung beschreibt die Fähigkeit, Wohlfahrt über den Markt, also durch eine Erwerbstätigkeit zu erlangen. 3 Dekommodifizierung bedeutet dementsprechend die Unabhängigkeit vom Markt bei der Generierung von Wohlfahrt (Obinger/Wagschal 1997, 8).
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schlechterregime daher unerlässlich, nicht zuletzt, weil die Wohlfahrtsstaaten die Plattform der Geschlechterregime bilden und ihre Unterschiedlichkeit direkt Einfluss auf die Ausprägungen der Regime-Typen nimmt. Jeder Wohlfahrtsstaat ist Nährboden für eine spezielle Art der Ausprägung von Geschlechterverhältnissen und –demokratie, wobei die ausgewählten Länder einer idealtypischen Zuordnung von Regimetypen entsprechen (vgl. Kap. 1.2.7). Die feministische Forschung hat vieles zu der Wohlfahrtsstaatenlehre beigetragen. Mary Daly nennt gleich vier Aspekte. Erstens wurde die Familie ins Zentrum der Betrachtung und Analyse gerückt, woraufhin untersucht wurde, inwieweit der Staat (bzw. staatliche Strategien) unterschiedliche Typen von Familien generiert und unterstützt. Zweitens wurden gesetzliche Regelungen und Maßnahmen untersucht, die Wohlfahrt untermauern, speziell solche, die sich auf Frauen beziehen. Drittens wurde von der feministischen Forschung gezeigt, dass der Wohlfahrtsstaat auf Arbeit außerhalb des öffentlichen/ökonomischen Bereichs angewiesen ist, wobei i. d. R. Frauen diese un- oder unterbezahlte Wohlfahrtsarbeit leisten. Schließlich wurde viertens aufgezeigt, dass die Staatsbürgerrechte für Frauen teilweise nur eingeschränkt Gültigkeit besitzen (Rechte zweiten Grades) und inwiefern Ungleichheiten durch die Ungleichbehandlung der Geschlechter verursacht werden (Daly 1994, 104). Zudem wird die geschlechtsspezifische Struktur des Wohlfahrtsstaates nicht zuletzt dadurch deutlich sichtbar, dass Maßnahmen u. ä. Männer und Frauen unterschiedlich betreffen und Frauen einem weit höheren Armutsrisiko unterliegen (Pierson 1991, 73), was die These aufwirft, staatliche Dienstleistungen und Zuwendungen würden die beiden Geschlechter nicht in gleichem Maße erreichen. Diese Arbeit will nun an die Diskussion um die weibliche Erwerbstätigkeit anknüpfen und herausfinden, welche Strategien zur Förderung der Frauenerwerbstätigkeit in den verschiedenen Ländern verfolgt werden. Ziel ist hierbei u. a. eine Korrelation zwischen den Geschlechterregimen und den Aktivitäten der 4 Länder (und deren Regierungen), Unternehmen und anderer AkteurInnen hinsichtlich der Frauen- und Geschlechterförderung und der Bereitstellung sozialer Infrastruktur sowie weiterer wohlfahrtsstaatlicher Transferleistungen aufzuzeigen, zu beschreiben und Handlungsempfehlungen zu geben, wie das weibliche Potenzial sowie die Geschlechtergleichstellung weiter befördert werden können. Hier wird diese Untersuchung an den drei ausgewählten europäischen Wohlfahrtsstaaten Großbritannien, Frankreich und Schweden als Repräsentanten ver4 Zur besseren Lesbarkeit erfolgt die Berücksichtigung beider Geschlechter im Folgenden durch das „Binnen-I“.
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schiedener Typen von Geschlechterregimen vollzogen (zur Begründung der Auswahl und Vorstellung der Länder vgl. Kap. 1.2.6 und 1.2.7). Es soll außerdem analysiert werden, wie die verschiedenen Strategien der Frauenförderung und Förderung der Erwerbstätigkeit Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern beeinflussen, ob sie Ungleichheiten verschärfen oder abbauen und inwieweit sie als Mittel dienen können, die Benachteiligung von Frauen zu reduzieren. Dies ist von hohem Interesse, da zwar vieles über das Ausmaß der Schlechterstellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt bekannt ist, „aber noch viel zu wenig über die Ursachen und Mechanismen der Erzeugung (wie des Abbaus) von Geschlechter(un)gleichheit“ (Funder 2004, 48). Die vornehmliche Frage dieser Arbeit lautet deshalb, wie die weibliche Erwerbstätigkeit quantitativ und qualitativ unter spezieller Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert wird. Ein Vergleich des Grades der Geschlechterdemokratie, also des Grades an gleicher Partizipation in den verschiedenen Lebensbereichen, muss dabei sowohl die Arbeitswelt als auch die Privatheit (bzw. Regelungen und Gesetze, die den privaten Bereich betreffen) berücksichtigen, da beide Bereiche wechselseitig auf die Geschlechterverhältnisse wirken. Allerdings wird hier keine Untersuchung der Mechanismen zur Entstehung privater Geschlechterungleichheiten angestrebt, da die hier verwendeten Untersuchungsgegenstände und Methoden dies nicht ermöglichen. Auch das Konzept der Geschlechterdemokratie ist zu mechanisch und Paarbeziehungen unterliegen nicht technokratischen Mechanismen, so dass dieses Konzept nicht auf die Erklärung und Auflösung von Geschlechterungleichheiten im privaten Bereich herangezogen werden kann (mit Ausnahme einzelner Aspekte wie der private Arbeitsteilung, die auf Geschlechterdemokratie hin überprüft werden kann) (Hollstein 2004, 10&11). Die 1. These bezüglich des Forschungsprojektes ist, dass die Quantität und Qualität der Strategien zur Frauenförderung vom jeweiligen Typus des Geschlechterregimes abhängen. Aspekte wie die Bereitstellung der sozialen Infrastruktur werden von den AkteurInnen unterschiedlich aufgegriffen, abhängig von der traditionell geprägten Betrachtungsweise von Mann und Frau und der Einstellung zur traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, wobei eine Ausgangsvermutung ist, dass Frauen in Schweden stärker gefördert werden als in Frankreich und Frauen in Großbritannien die geringste Förderung erfahren. Die 2. These bezieht sich auf die Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten, nämlich dass die Wohlfahrtsstaaten (in welche die Geschlechterregime eingebettet sind) sich in ihrer Politik hinsichtlich sozialer Sicherung und ihren arbeitsmarktpolitischen Instrumenten einander annähern, da auf EU-Ebene vereinheitlichende Regelungen vorgegeben werden (bspw. in Bezug auf Gender Mainstreaming, Antidiskriminierung und Gleichstellung, Mutterschutz, Entgeltgleichheit u. a.). 18
Es wird angenommen, dass die wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen in nicht-deterministischer Weise die Handlungen der AkteurInnen beeinflussen, indem spezifische Handlungsmöglichkeiten definiert werden, wobei die AkteurInnen durch die Herstellung ihrer alltäglichen Lebensführung und ihrer Biografie diese Handlungsmöglichkeiten selbsttätig ausfüllen (Rüling 2004, 111). Die Strategien zur Frauenförderung müssen auf Landes- und ausgewählten Bereichen der EU-Ebene als Rahmenbedingungen für das Handeln betrachtet werden, wobei die europäische Dimension nur exemplarisch anhand des Prinzips des Gender Mainstreaming sowie der EU-Gleichstellungsrichtlinien und ausgewählter EU-Arbeitsrecht-Entscheidungen einbezogen wird. Die vergleichende Analyse der Geschlechterregime wird durchgeführt, indem in Kapitel 1.2 die theoretische Konzeption der Untersuchung vorgestellt und zunächst die hier untersuchte Staatsform des Wohlfahrtsstaats in 1.2.1 definiert wird, bevor in 1.2.2 allgemeine Erläuterungen zur Arbeitsmarktpolitik folgen. In Abschnitt 1.2.2.1 schließt sich eine Darstellung zur Rechtslage und Unterscheidung der unterschiedlichen Formen von Diskriminierung am Arbeitsmarkt an. Das Geschlechterregime wird in 1.2.3 vorgestellt. Es gilt zu klären, was dieser Begriff bedeutet und warum das Geschlechterregime in der Lage ist, Geschlechterverhältnisse zu erklären. In 1.2.4 wird näher darauf eingegangen, welche Bedeutung die (nationale) Arbeitsmarktpolitik für die Klärung der verschiedenen Thesen und Fragen hat und wie diese Einfluss auf die Geschlechterregime nimmt. Im Abschnitt 1.5 werden die Vergleichsdimensionen allgemein eingeführt und erklärt. Danach folgt in 1.2.6 die Begründung der Auswahl der Wohlfahrtsstaaten Großbritannien, Frankreich und Schweden. Im Kapitel 1.2.7 folgt die Typologisierung der untersuchten Länder. Es wird in diesem Abschnitt die Bedeutung des Wohlfahrtsstaates und seine verschiedenen Erscheinungsformen und Ausprägungen als Regimetypen erläutert. Daran schließt sich der letzte Abschnitt 1.2.7.1 an, in dem die Pfadabhängigkeitsprüfung nach dem Konzept des „Social Learning“ von Peter Hall vorgestellt wird. In Kapitel 1.3 wird die Erhebungs- und Auswertungsmethode erörtert. In den Kapiteln 1.3.1 bis 1.3.5 finden sich Erläuterungen zur Akquisition der interviewten ExpertInnen, zum Interviewleitfaden, zur Durchführung der ExpertInneninterviews sowie zum Anonymisierungs- und Codierungsschema. Die Kapitel 2 bis 4 beschäftigen sich mit den Wohlfahrtsstaaten Großbritannien (Kap. 2), Frankreich (Kap. 3) und Schweden (Kap. 4), wobei die einzelnen Länder anhand von verschiedenen Vergleichsdimensionen untersucht werden (vgl. Kap. 1.2.5). Zu Beginn jedes Länderkapitels wird zunächst das jeweilige Land und dessen regimetypologische Ausprägung vorgestellt und erläutert. In Kapitel 2.1, 3.1 und 4.1 wird auf die familienpolitischen Leistungen eingegangen. Diesen folgen als Unterdimensionen bezüglich der Gesetzeslage sowie der 19
Transferleistungen zu Elternschaft in 2.1.1, 3.1.1 und 4.1.1 der Mutterschutz sowie der Elternurlaub (im Folgenden jeweils ohne 2., 3. und 4. aufgeführt). Abschnitt 1.2 behandelt das Elterngeld, da auch dieses Einfluss auf die Dekommodifizierung von Frauen nimmt. In 2. wird die Anerkennung der familialen Arbeit betrachtet, daran anschließend wird in 2.1 exemplarisch der Rentenbezug der Frauen bzw. die Anerkennung von Kindererziehung auf die Rente dargestellt. Abschnitt 3. der Länderabschnitte beschäftigt sich mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In 3.1 wird die Bereitstellung sozialer Infrastruktur in Quantität und Qualität sowie ihre Bedeutung für die weibliche Erwerbstätigkeit betrachtet. Abschnitt 4 behandelt das Thema „Frauen in Führungspositionen“. In 5. folgt die Betrachtung der Ursachen und möglichen Problemlösungsstrategien des Gender Pay Gap. Als letztes wird in den Länderkapiteln im 6. Abschnitt das Prinzip des Gender Mainstreaming länderspezifisch betrachtet. Es wird überprüft, ob die EU-Vorgaben berücksichtigt werden und inwiefern dies geschieht. Zuletzt werden in Abschnitt 5.1 die Ergebnisse der vergleichenden Analyse entlang der Dimensionen zusammengefasst und bewertet sowie in 5.2 Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen gezogen und die Thesen überprüft.
1.2 Theoretische Konzeption der Untersuchung 1.2.1 Wohlfahrtsstaat Die Geburt des Wohlfahrtsstaates wird von Pierson in die Zeit von 1880-1914 eingeordnet, da in dieser Zeit staatlich geförderte Systeme sozialer Sicherung für Arbeiter eingeführt wurden. Die Einführung eines Systems sozialer Sicherung ist eines von drei Kriterien, anhand derer ein Wohlfahrtsstaat identifiziert wird. Das zweite Kriterium ist die Ausweitung der Staatsbürgerschaft und Regelungen, die der Verarmung öffentlicher Wohlfahrt entgegenwirken sowie als drittes Kriterium das Wachstum sozialer Ausgaben (Pierson 1991, 106f.). „Der Wohlfahrtsstaat ist der institutionelle Ausdruck der Übernahme einer legalen und damit formalen und ausdrücklichen Verantwortung einer Gesellschaft für das Wohlergehen ihrer Mitglieder in grundlegenden Belangen“ (Kaufmann 1997, 21). Der Begriff „Wohlfahrtsstaat“ kennzeichnet Länder, in denen der Staat eine aktive Rolle in der Steuerung wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Abläufe übernimmt und einen beträchtlichen Teil seiner Ressourcen sozialpolitischen Zwecken widmet, „die der Förderung einer größeren Gleichheit der Lebenschancen in den Dimensionen Einkommenssicherung, Gesundheit, Wohnen und Bildung dienen (...)“ (Heinze 1999, 18). 20
Der Wohlfahrtsstaat ist zudem zuständig für die Förderung des Wirtschaftswachstums und der Vollbeschäftigung und für den Abbau ungleicher Teilnahmechancen am gesellschaftlichen und politischen Leben (ebd.). Esping-Andersen hält die Definition, ein Wohlfahrtsstaat sei verantwortlich für die Sicherung eines Mindestmaßes an Wohlfahrt für seine Bürger, nicht für umfassend oder vollständig. Er stellt die Frage, was unter einem Mindestmaß zu verstehen wäre. Zudem könne man Wohlfahrtsstaaten nicht nach ihren Ausgaben einordnen, da man ansonsten alle Sozialausgaben gleich bewerten würde. Er sieht eine analytische Notwenigkeit dafür, von einem linearen zu einem interaktiven Ansatz der Definition und Erklärung des Wohlfahrtsstaates überzugehen. Darunter zu verstehen ist die Einteilung in verschiedene Regime-Typen wie liberal, konservativ und sozialdemokratisch sowie die Analyse der Wohlfahrtsstaaten durch die Untersuchung einzelner Teilbereiche unter Berücksichtigung der jeweiligen (historischen) Pfadabhängigkeiten, um eine historische Untersuchung anhand der verschiedenen Erklärungsansätze wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung durchführen zu können (Esping-Andersen 1998, 32&52). Esping-Andersen grenzt sich deutlich von der makrosoziologischquantitativen Tradition komparativer Wohlfahrtsforschung ab. In seiner qualitativ angelegten Methodologie berücksichtigt er die Interessen politischer AkteurInnen bei der institutionellen Ausgestaltung von Wohlfahrtsstaaten als Ursache für die konstatierbaren Variationen und die unterschiedliche Entwicklungsdynamik staatlicher Wohlfahrtsproduktion und situiert diese Interessen in spezifische ideologische Traditionen, genauer gesagt in das Erbe der klassischen politischen Ökonomien des Liberalismus, Konservatismus und des Sozialismus/der Sozialdemokratie. Das hier jeweils entfaltete Denken über das Verhältnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, von Markt, Staat und Familie „sowie die damit verbundenen normativen gesellschaftspolitischen Konzeptionen stifteten nach Esping-Andersen bei der Ausgestaltung nationaler Wohlfahrtsstaaten Orientierung für die beteiligten politischen Akteure“ (Dackweiler 2003a, 89f.). 1.2.2 Arbeitsmarktpolitik Arbeitsmarktpolitik umfasst die Gesamtheit aller Maßnahmen, welche den Arbeitsmarkt mit dem Ziel betreffen, die Beschäftigungsmöglichkeiten und –bedingungen so zu beeinflussen, dass allen Arbeitsfähigen und –willigen eine ununterbrochene Beschäftigung gemäß ihrer Fähigkeiten und Neigungen zu bestmöglichen Bedingungen auch hinsichtlich des Arbeitsentgelts und der Arbeitszeit ermöglicht wird. Der Staat ist durch die Arbeitsmarktpolitik in der Lage, in den Markt zu intervenieren, wenn grundlegende Anforderungen (wie die Men21
schenwürde) verletzt werden (Zerche 2000, 45). Arbeitsmarktpolitik kann untergliedert werden in Arbeitsmarktordnungspolitik, die zur Gewährleistung der bestmöglichen Arbeitsbedingungen durch Setzung staatlicher Mindestnormen hinsichtlich des Arbeitsschutzes, der Lohnhöhe, der Partizipation und der sozialen Sicherung beitragen soll sowie Arbeitsmarktprozesspolitik. Diese soll kurzfristig einen Ausgleich von Arbeitsangebot und -nachfrage zur optimalen Allokation des Faktors Arbeit schaffen (Ausgleichspolitik) und langfristig das Ziel der Vollbeschäftigung verfolgen (ebd., 46). Passive Arbeitsmarktpolitik hat den Zweck, vom Arbeitsmarkt ausgegrenzte Personen abzusichern bzw. aufzufangen und diesen mit Hilfe einer Arbeitslosenversicherung/Sozialhilfe o. a. die Existenzsicherung außerhalb des Marktes zu ermöglichen. Aktive Arbeitsmarktpolitik hat zum Ziel, direkt in den Arbeitsmarkt zu intervenieren, um Arbeitslosigkeit präventiv zu verhindern oder diese aktiv zu beseitigen (Henninger 2000, 14). Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik sind bspw. Maßnahmen der Fortbildung, Umschulung und Arbeitsbeschaffung. Die aktivierende Arbeitsmarktpolitik hingegen besteht aus einer Kombination von Sicherung/Förderung und Zwang (Zerche 2000, 136). Seit Mitte der 1990er Jahre und bis heute5 anhaltend vollzieht sich der Wandel zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, was erneut Änderungen der staatlichen Zielsetzungen mit sich brachte. Bezogen auf die vier Ziele bedeutet aktivierende Arbeitsmarktpolitik erstens, dass der Staat nicht mehr Arbeitgeber in letzter Instanz ist, sondern sich viel mehr als Moderator einer koordinierten Vollbeschäftigungspolitik versteht. Zweitens distanziert sich der Staat von seinem Vermittlungsmonopol, der Arbeitsmarkt soll sich über seine eigene Preisinformation wieder in größerem Maße selbst gestalten. Drittens werden die (Transfer-)Leistungen im Sinne der sozialen Sicherheit zwar entsprechend des größeren Risikos der ArbeitnehmerInnen ausgeweitet, aber gleichzeitig sollen diese durch Eigenleistungen und Pflichten zum Aufnehmen einer Arbeit animiert werden, um moral hazard6 in der sozialen Sicherung zu vermeiden und Arbeitsanreize zu schaffen. Viertens soll die Chancengleichheit der ArbeitnehmerInnen nicht mehr durch die Festschreibung von Zielgruppen, sondern im Sinne „ziviler Erwerbsfähigkeit“ durch ein individuelles Fallmanagement erfolgen (Schmid 2004, 5). Castel beschreibt die Möglichkeit der Ablösung des angelsächsischen workfare durch learnfare, also der Hilfe durch Weiterbildung als Teil des Rechtes der ArbeitnehmerInnen auf Fortbildung. Diese unterstützenden Schulungsmaßnahmen ermöglichen eine qualitative Verbesserung der ArbeitnehmerInnen und eine 5
Datenstand Januar 2009 (gilt für das gesamt Dokument). Moral hazard bezeichnet die Möglichkeit des unehrlichen Verhaltens, vor allem in solchen Situationen, in denen die Kontrolle unvollkommen ist (Mankiw 2000, 599). 6
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dadurch erleichterte Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. In Dänemark konnte durch flexicurity eine nahezu Vollbeschäftigungssituation aufrechterhalten werden, bei der auch learnfare als Wiedereingliederungskonzept eine Rolle spielte (Castel 2005, 123). Arbeitsmarkt- und ebenso Familienpolitik tragen zur Ausformung des Geschlechterregimes genauso bei wie andere externe Effekte, bspw. europäische Vorgaben bzw. Richtlinien oder interne Effekte, d. h. akteursgesteuerte Prozesse in den Regimen selbst, wobei diese AkteurInnen PolitikerInnen, ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen oder Privatpersonen sein können. Aber auch der Typus des Geschlechterregimes nimmt Einfluss auf die Ausprägungen der nationalstaatlichen Politik. So besteht eine Wechselwirkung verschiedener Ebenen. Wohlfahrtsstaat und Arbeitsmarkt werden i. d. R. getrennt untersucht, obwohl sich die Grenzen zwischen diesen beiden Institutionen aufgelöst haben. Der Wohlfahrtsstaat kann nicht mehr ohne den Arbeitsmarkt analysiert werden. Man sollte daher institutionelle Komplexe untersuchen, anstatt sich auf einzelne Gebiete zu konzentrieren (Kolberg/Uusitalo 1992, 84), was in dieser Arbeit anhand des Vergleichs entlang der Dimensionen (vgl. Kap. 1.2.5) vollzogen wird. Abbildung 1:
Zusammenhang der verschiedenen Untersuchungsebenen
Wohlfahrtsstaat
Arbeitsmarktpolitik
Familien-/ Sozial-/ Finanzpolitik
Externe Effekte
Geschlechterregime
Interne Effekte
Wohlfahrtsstaaten bilden die Plattform der Geschlechterregime, weil ihre Unterschiedlichkeit direkt Einfluss auf die Ausprägungen der Regime-Typen nimmt. Die Arbeitsmarktpolitik hingegen ist das hauptsächliche Element, welches hilft, die Geschlechterregime hinsichtlich der Frage nach der Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Familie und 23
Beruf in ihren unterschiedlichen Ausprägungen zu fassen und zu erklären. Außerdem hat die Arbeitsmarktpolitik wesentlichen Einfluss auf die (Weiter-) Entwicklung der Geschlechterregime, nicht zuletzt, weil durch Novellierungen im Arbeitsrecht zugunsten der Frauen langfristig auch gesellschaftliche Normen verändert werden können. Der Arbeitsmarkt ist in modernen Gesellschaften jene zentrale Instanz, über welche die Kommodifizierung der Individuen bzw. deren Arbeitskräftepotential geregelt wird. Die Integration in den Arbeitsmarkt wird determiniert durch Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften, aber auch politische Entscheidungen nehmen Einfluss auf das Erscheinungsbild des Arbeitsmarktes. Die AkteurInnen auf und um den Arbeitsmarkt sind nicht ausschließlich von ökonomischen Interessen geleitet, sondern auch durch kulturelle Leitbilder zu „Männlichkeit“, „Weiblichkeit“ und „Mutterschaft“ in ihrem Handeln beeinflusst. Pfau-Effinger beschreibt dies nach dem Konzept von Edwards und Duncan (1995, 1997, 1999) als „gender moral rationalities“ (Pfau-Effinger 2000, 74). Durch die unterschiedlichen kulturellen Leitbilder werden Arbeitsplätze vergeschlechtlicht und Arbeitsmarktpolitik nimmt verschiedene Ausprägungen an, welche den Arbeitsmarkt und die Arbeitsplätze in ihrer Gestalt formen. Aber Arbeitsmarktpolitik ist neben Familienpolitik/Sozialpolitik und Finanzpolitik nur eines der Steuerungsinstrumente eines Staates. Die Ausprägungen der verschiedenen Geschlechterregime nehmen Einfluss auf die Aufgabenbereiche und Kompetenzen dieser drei politischen Bereiche und die Verteilung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten derselben. So ist bspw. die Familienpolitik in Großbritannien weniger stark ausgeprägt als die Finanzpolitik oder die Arbeitsmarktpolitik. Die Maßnahmen und Reformen der verschiedenen Regimetypen werden hinsichtlich ihres Einflusses auf die weibliche Erwerbstätigkeit und die Geschlechtergerechtigkeit herausgearbeitet. Da gerade auf dem Gebiet der Erwerbstätigkeit Frauen weiterhin benachteiligt sind, ist es notwendig zu untersuchen, ob die Wohlfahrtsstaaten im Rahmen einer frauenfreundlichen Arbeitsmarktpolitik mehr Geschlechtergleichstellung mit dem Ziel Geschlechterdemokratie herstellen wollen oder ob im Gegenteil keine bzw. kaum Maßnahmen zur Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit bestehen. Zudem ist nicht nur die Quantität arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen von Bedeutung, sondern auch die Qualität. Arbeitsmarktpolitik in ihrer unterschiedlichen Ausprägung entscheidet so indirekt über die Geschlechterverhältnisse. In Großbritannien bspw., wo aufgrund des Steuerrechts und der Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt Frauen zunehmend in Teilzeitarbeit gedrängt werden, wird die Frau als Zuverdienerin verstanden, was wiederum Auswirkungen auf das Verständnis zur Aufteilung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und somit auf die Geschlechterrollen hat. In anderen Ländern, in denen Arbeitsmarkt- und auch Familienpolitik weniger 24
auf die freien Märkte ausgelegt sind wie bspw. in Schweden, wird prinzipiell der Doppelverdienerhaushalt gefördert, was oftmals zu einem hohen Maß an Geschlechterdemokratie führt, da für die Erwerbstätigkeit beider (Ehe-)Partner und ggf. Elternteile Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf getroffen werden müssen. Ebenso festigt die Erwerbstätigkeit die gleichberechtigte Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft und im Privaten. Aufgrund der eben angeführten Beispiele wird deutlich, warum es notwendig ist, den Einfluss der Arbeitsmarktpolitik auf die Geschlechterverhältnisse und –regime auf der Basis eines Wohlfahrtsstaates zu analysieren. Außerdem müssen die Maßnahmen und arbeitsmarktpolitischen Regelungen auch dahingehend überprüft werden, ob diese die weibliche Erwerbstätigkeit überhaupt fördern können oder ob der Wohlfahrtsstaat durch diese nicht vielmehr alte Rollenbilder reproduziert. Die Betrachtung und Analyse der Frauenerwerbstätigkeit kann aber nicht ohne die Einbeziehung der Familienpolitik/Sozialpolitik und Finanzpolitik erfolgen, welche durch Regelungen zur Kinderbetreuung, Kindergeld u. v. m. sowie durch das Steuersystem und bspw. die Anrechnung der Erziehungszeiten auf die Rente indirekten Einfluss auf die Erwerbstätigkeit der Frauen nehmen. Denn nicht nur die Kommodifizierung der Frauenerwerbstätigkeit spielt hier eine Rolle, auch die Dekommodifizierung muss von Seiten des Staates unterstützt werden. Dies geschieht sowohl durch die Arbeitsmarktpolitik (bspw. Anspruch auf einen Arbeitsplatz während des Mutterschutzes), als auch durch zahlreiche Transferleistungen im Bereich der Familienpolitik (bspw. Elterngeld als Lohnersatzleistung). D. h. auch wenn hier vornehmlich über die unterschiedlichen Ausprägungen der Arbeitsmarktpolitik gesprochen werden soll, gilt es zu berücksichtigen, dass auch Familien-, Sozial- und Finanzpolitik betrachtet werden müssen, um die Darstellung des Status quo eines Landes bezüglich der Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit zu vervollständigen. Der Stellenwert und die Förderung von Erwerbsarbeit sind in den untersuchten Ländern sehr unterschiedlich, wodurch diese verschiedenen Beschäftigungsregimen zugeordnet werden können. Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik werden trotz der Europäisierung in erster Linie nationalstaatlich organisiert. Gerade Arbeitsmärkte und Beschäftigungssysteme sind in hohem Maße durch national spezifische soziale, wirtschaftliche u. a. Rahmenbedingungen beeinflusst (Bieling 2006, 41). Diese verschiedenen Beschäftigungsregime sind das liberale, konservative und sozialdemokratische Beschäftigungsregime, vertreten durch Großbritannien, Frankreich und Schweden. Die genauere Erklärung und Beschreibung dieser Typen von Beschäftigungsregimen findet sich in den Einleitungen der Länderkapitel in der Beschreibung der jeweiligen Arbeitsmarktpolitik. Diese Zuordnungen helfen, die Spezifika der jeweiligen Arbeitsmärkte zu
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identifizieren. Hier liegen allerdings keine Reinformen vor, die Zuordnung geschieht gemäß der jeweils größten Übereinstimmung mit einem Typus. Die Effektivität von Beschäftigungssystemen hängt von mehreren Faktoren ab. Mit wachsender Komplexität der Systemumwelt muss auch die Zahl der koordinierenden Instrumente steigen, womit einfache Wege zur Vollbeschäftigung immer unwahrscheinlicher werden. Diese institutionelle Vielfalt verlangt nach einem neuen Geschlechtervertrag, der Frauen und Männer nicht auf bestimmte Rollenmodelle festlegt, sondern ihnen vielmehr Gelegenheitsstrukturen bietet. Auch die Verteilung sozialer Anrechte entlang einer kontinuierlichen Erwerbstätigkeit kann die weibliche Erwerbstätigkeit bestrafen (Gottfried/O´Reilly 2002, 47). Die Neustrukturierung oder gar Auflösung des alten Geschlechtervertrags fordert demnach eine Selbstbestimmung und gleiche Teilhabe von Frauen und Männern an den Systemen sozialer Sicherung ebenso wie am Arbeitsmarkt, ohne dass die Entscheidungen von Sanktionen oder Anreizen beeinflusst werden. Die „Geburtsstunde“ Europäischer Beschäftigungspolitik wird im Ratsgipfel von Essen gesehen, der im Dezember 1994 abgehalten wurde. Die wichtigsten Ziele gemäß des Ratsbeschlusses von Essen waren höhere Investitionen in Aus- und Weiterbildung, ein beschäftigungsintensiveres Wachstum durch flexiblere Arbeitsorganisation, Senkung der Lohnnebenkosten, Übergang von passiver zu aktiver Arbeitsmarktpolitik und besondere Maßnahmen zur Unterstützung von Problemgruppen wie bspw. Langzeitarbeitslose, unqualifizierte Schulabgänger, ältere Arbeitslose und Frauen (Hannowsky 2003, 70). Die Europäische Beschäftigungsstrategie beinhaltet drei übergeordnete Ziele: Vollbeschäftigung, Arbeitsplatzqualität und hohe Produktivität sowie soziale Kohäsion (Schmid 2004, 11). Die Europäischen Beschäftigungsleitlinien der 1990er Jahre hatten für Frauen jedoch kontraproduktive Wirkungen. Die Essener und Luxemburger Beschlüsse wurden auf ihre geschlechtsspezifischen Wirkungen hin nicht ausreichend untersucht, obwohl sie ausdrücklich auf die Förderung der Chancengleichheit verweisen. Als größtes Versäumnis wird das fehlende Durchdenken komplexer Zusammenhänge zwischen Beschäftigungsniveau und den sich verändernden Geschlechterbeziehungen verstanden (Schunter-Kleemann 2000, 20). Die Beseitigung geschlechtsspezifischer Diskriminierung sowie die Forderung nach Gleichbehandlung der Geschlechter „finden sich im Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, in der Europäischen Sozialcharta des Europarats ebenso wie in Vereinbarungen der Vereinten Nationen“ (Falkner/Tálos 1992, 197). Artikel 6 Abs. 1 und 2 des Abkommens über die Sozialpolitik (der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme von Großbritannien und Nordirland) entspricht inhaltlich Art. 119 EGV. Art. 6 Abs. 3, allerdings geht dieser insofern darüber hinaus, als dass die Mitgliedstaaten nicht gehindert 26
werden, „zur Erleichterung der Berufstätigkeit der Frauen oder zur Verhinderung bzw. dem Ausgleich von Benachteiligungen in ihrer beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen“ (Dungs 1997, 50). Ungleichbehandlungen werden demnach, anders als in Art. 119, zugelassen. Der Diskriminierung, bezogen auf das Entgelt, wird nicht Einhalt geboten. Teil- und vollzeitbeschäftigte Erwerbstätige sind arbeitsrechtlich in Europa gleichgestellt, was nicht zuletzt den Initiativen zur Geschlechtergleichstellung der Europäischen Union zu verdanken ist, denn seit der Umsetzung der EUTeilzeitrichtlinie (97/81/EG) zum 1. April 2000 müssen sich alle Mitgliedstaaten bei der Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten an dem de jure geltenden Gleichstellungsgebot für die Bereiche Bezahlung, Kündigungsschutz, Abfindung, Urlaubsrecht, Mutterschutz, Bezahlung von Überstunden, Weiterbildung und ggf. Anspruch auf Mindestlohn orientieren (Hipp 2004, 81). Im Dezember 2000 wurde während des Ratsgipfels von Lissabon erneut die Priorität des Vollbeschäftigungsziels betont. 2001 wurde im Rahmen des Gipfeltreffens in Stockholm ein neuer Anlauf zum Abbau von Mobilitätshemmnissen durch Renten- und Leistungssysteme und europaweiter Anerkennung von Qualifikationen unternommen sowie die „Lissabon-Strategie“ durch ein Konzept zum Aufbau der Informationsgesellschaft konkretisiert (Hannowsky 2003, 71ff.). 2003 beschloss die Europäische Kommission die Neudefinition der beschäftigungspolitischen Leitlinien (Bieling 2006, 54). Mit dieser Neudefinition gingen eine Verschlankung der Leitlinien mit einem gestrafften Verfahren sowie neue Prioritäten einher. Nicht mehr die vier Säulen des Luxemburg-Prozesses (Beschäftigungsfähigkeit, Unternehmergeist, Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und Chancengleichheit von Frauen und Männern) sind ausschlaggebend, sondern die sozial ausgerichteten Ziele Vollbeschäftigung (Beschäftigungsquote gesamt von 67% bis 2005 und 70% bis 2010 sowie einer weiblichen Beschäftigungsquote von 57% bis 2005 und 60% bis 2010, außerdem einer Beschäftigungsquote von 50% bei älteren Menschen bis 2010), Steigerung der Arbeitsplatzqualität und Arbeitsproduktivität sowie die Förderung des sozialen Zusammenhaltes und der sozialen Eingliederung (ebd., 59f.). 1.2.2.1 Diskriminierung am Arbeitsplatz Die EU-Mitgliedstaaten sind nach Art. 3 der Richtlinie 75/117 und Art. 3 und 5 Abs. 2 lit. a) und Art. 4 lit. a) der Richtlinie 76/207 verpflichtet, alle Vorschriften zu eliminieren, die gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen (Krämer 1996, 92). Eine Differenzierung zwischen männlichem und weiblichem Arbeitnehmer ist unzulässig, wenn es sich um mittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtli27
nie 76/207/EWG handelt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist eine Maßnahme mittelbar diskriminierend, wenn unverhältnismäßig mehr Frauen als Männer von ihr betroffen sind (oder umgekehrt) und sich für diesen Tatbestand keine objektive Rechtfertigung unabhängig vom Geschlecht finden lässt (Schiek 1992, 304). Eine Legaldefinition der mittelbaren Diskriminierung wird durch das europäische Gemeinschaftsrecht in Art. 2 der Richtlinie 2000/73/EG vom 23. September 2002 zur Änderung der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG geliefert. Der Grundsatz der Gleichbehandlung besagt, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegen darf. Der Richtlinie nach handelt es sich um mittelbare Diskriminierung, wenn „dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können (…)“ (Engler 2005, 1). Ausnahme ist hierbei, dass die betreffenden Vorschriften usw. durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung desselben angemessen und erforderlich sind. Es werden weiterhin verschiedene Arten der Diskriminierung unterschieden. Erstens „post entry“ und zweitens „pre-entry - Diskriminierung“. Der Terminus „pre-entry“ beschreibt den Einfluss von ökonomischen und sozialen Faktoren, die zur Benachteiligung von Frauen bereits vor dem Eintritt in das Erwerbsleben führen. Folglich bezeichnet „post entry“ die Benachteiligung, die stattfindet, nachdem der Einstieg in bestimmte Beschäftigungsverhältnisse vorgenommen wurde (Fiedler/Regenhardt 1987, 60), gemeint sind hier z. B. die reine Lohndiskriminierung oder echte Einkommensdiskriminierung. Aber auch Einstellungs-, Beschäftigungs- und Aufstiegsdiskriminierung sind Arten der Diskriminierung, welche der Arbeitsmarkt selbst generiert. Werden Frauen bei gleicher Qualifikation schlechter behandelt als andere Gruppen (Beschäftigungsdiskriminierung), haben sie schlechtere Einstellungschancen oder werden systematisch auf geringwertigere Arbeitsplätze verwiesen (Einstellungsdiskriminierung) oder haben schlechteren Zugang zu Weiterbildungsmöglichkeiten bei Ausführung einer gleichwertigen Arbeit wie männliche Kollegen (Aufstiegsdiskriminierung), liegt Diskriminierung vor. Eine Ausnahme bei der Einstellung hinsichtlich Bevorzugung eines Geschlechts ist, wenn das Geschlecht für die Ausübung des Berufs entscheidend ist (bspw. im Falle der Einstellung einer Amme). Der dritte von Kapphan unterschiedene Diskriminierungsbereich ist der dem Arbeitsmarkt nachgelagerte, mit dem Begriff „post-market - Diskriminierung“ verknüpft. Hierbei handelt es sich um indirekte Diskriminierungen bspw. in den Sozialversicherungen, speziell der Altersversorgung. Da die Versorgung von den vorangegangenen einkommensbezogenen Beiträgen abhängt und Frauen meist weniger Beiträge leisten können oder weniger Beitragsjahre aufweisen, sind sie 28
auch nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt noch Benachteiligungen ausgesetzt (Kapphan 1994, 44). Seit den Römischen Verträgen 1957 gilt der Grundsatz der Entgeltgleichheit für Frauen und Männer. Der Art. 119 EGV Abs. 1 regelt den Anspruch von Männern und Frauen auf gleiches Entgelt für gleiche Arbeit und wird dem primären Gemeinschaftsrecht zugeordnet (Mittmann 1997, 28). Im sekundären Gemeinschaftsrecht werden Konkretisierungen und Ergänzungen zu Art. 119 EGV, nun von Art. 141 EGV7 abgelöst, vorgenommen. So muss nach der Entgeltrichtlinie vom 10.2.1975 75/177/EWG und später 2006/54/EG jede Art der Diskriminierung beim Entgelt gleicher oder gleichwertiger Arbeit beseitigt werden. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit ist für die Mitgliedstaaten verbindlich und hat Vorrang vor widersprechendem nationalem Recht. Die Festlegung, wann eine Tätigkeit als gleich und wann als gleichwertig gilt, hat der EuGH durch seine Rechtsprechung vorgenommen. Demnach ist eine Tätigkeit gleich, „wenn im Hinblick auf die Arbeit, den Ausbildungsstand, die Anforderungen und die Arbeitsbedingungen eine vergleichbare Situation vorliegt“ (Von Schwanenflug 2008, 23f.). Liegt hier eine Ungleichbezahlung vor, ist diese unmittelbare Diskriminierung im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG gegeben. Unmittelbare (§ 3 Abs. 1 AGG) und mittelbare Diskriminierung (§ 3 Abs. 2 AGG) sind seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG) am 18.8.2006 laut § 7 AGG unwirksam und verboten. In einem solchen Fall hat die benachteiligte Person Recht auf rückwirkende Lohnanpassung. Tätigkeiten gelten als gleichwertig, wenn sie verschiedenartig, „aber unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände bezüglich der Art der Arbeit, der Ausbildungsanforderungen und der Bedingungen von gleichem Wert sind“ (ebd., 24). Bei der Prüfung von gleichwertigen Tätigkeiten bedarf es Einzelfallentscheidungen. Um eine diskriminierungsfreie Entlohnung zu gewährleisten, gelten folgende Grundsätze des EuGH: (1) Die Entgeltsysteme müssen durchschaubar und überprüfbar sein, d. h. es muss genügend Transparenz bestehen, damit ArbeitnehmerInnen Unterschiede beim Entgelt nachvollziehen können. (2) Die Entgeltsysteme müssen Kriterien enthalten, die objektiv sind, sich auf die Tätigkeit 7
In Art. 141 Abs. 1 und 2 heißt es: „(1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher der gleichwertiger Arbeit sicher. (2) Unter Entgelt im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und Gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar oder in Sachleistungen zahlt. Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet, a) dass das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit aufgrund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird, b) dass für eine nach Zeit bestimmte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist“ (Von Schwanenflug 2008, 23).
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beziehen und wesentliche Anforderungen abbilden. Zudem sind diejenigen Kriterien, zu denen weibliche Arbeitnehmer besonders geeignet sind, aufzunehmen, um in der Gesamtheit geschlechterneutral zu sein. (3) Die ausgewählten Kriterien dürfen nicht diskriminierend wirken. Allerdings haben Familienpflichten und unterschiedliche Körperkraft diskriminierende Aspekte bspw. hinsichtlich des Kriteriums Flexibilität, welche von Frauen mit Familienpflichten nicht in gleichem Maße ausgeübt werden kann wie von einem Mann ohne familiale Pflichten. Das Kriterium Berufserfahrung/Dienstalter ist hingegen nach der Rechtsprechung des EuGH ein legitimiertes Ziel des Arbeitgebers für eine Ungleichbehandlung, obwohl die familialen Pflichten sich negativ auf die Berufserfahrung ausüben können. (4) Die Kriterien müssen diskriminierungsfrei ausgelegt und angewendet werden können. (5) Die Kriterien müssen einen adäquaten Platz im Gesamtsystem finden, welches nicht diskriminierend sein darf (ebd. 26). Die Beweislast im Diskriminierungsfall ist in den hier untersuchten Ländern unterschiedlich geregelt, obwohl auf europäischer Ebene Richtlinien hierzu vorgegeben wurden, die aber noch nicht überall und nicht in gleichem Maße umgesetzt wurden. Nach der Richtlinie Art 12. Abs. 1 RL 2006/54/EG und den Vorgaben des § 22 AGG müssen Betroffene Indizien vorlegen, die eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung glaubhaft machen, woraufhin die jeweiligen ArbeitgeberInnen im nächsten Schritt beweisen müssen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat (ebd.). Die Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG vom 9.2.1976 stützt sich auf Art. 235 EGV und beinhaltet die Gleichbehandlung der Geschlechter hinsichtlich des Zugangs zu Beschäftigung sowie zur beruflichen Weiterbildung und zum beruflichen Aufstieg. Ebenfalls auf Art. 235 stützt sich die erste Versorgungsrichtlinie vom 19.12.1978 79/7/EWG, in der die Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den gesetzlichen Systemen der sozialen Sicherheit geregelt wird. Frauen sollen vor Diskriminierungen aufgrund von Krankheitsrisiko, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Arbeitslosigkeit geschützt werden (Mittmann 1997, 29f.). In der zweiten Versorgungsrichtlinie vom 24.7.1986 86/378/EWG wird die Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit thematisiert, wiederum gestützt auf Art. 100, 235 EGV. Die Richtlinie 86/613/EWG über die Gleichbehandlung selbstständig erwerbstätiger Männer und Frauen sowie über den Mutterschutz, gestützt auf Art. 100, 235 EGV, enthält die Förderung der Chancengleichheit der Frauen (ebd., 31). Ergänzend kann hier die Richtlinie vom 19.10.1992 92/85/EWG über den Schutz von Schwangeren und Wöchnerinnen am Arbeitsplatz genannt werden, mit Hilfe dieser die Sicherheit und der Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz verbessert werden soll. Gestützt wird diese auf Art. 30
118 a) EGV und „stellt eine Einzelrichtlinie im Sinne der Rahmenrichtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes des Arbeitnehmers bei der Arbeit dar“ (ebd., 32). Die Schwangerschaft darf nach Richtlinie 76/207 bei der Einstellung keine Rolle spielen, generell gilt das Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts, darunter fällt auch die Berücksichtigung des Ehe- und Familienstandes. Ebenso ist auch eine Entlassung aufgrund des Geschlechts oder spezieller aufgrund einer Schwangerschaft als unmittelbare Diskriminierung verboten (Krämer 1996, 92f.). Direkte und indirekte Diskriminierung wurden ausführlich im britischen Sex Discrimination Act beschrieben. Dieser unterscheidet zwischen Geschlechtsdiskriminierungen, Diskriminierungen aufgrund des Ehestandes und bestrafenden Diskriminierungen. Letztere beziehen sich auf Personen, die vom Equal Pay Act oder Sex Discrimination Act Gebrauch gemacht und dadurch einen Nachteil erfahren haben. Aber es existiert auch positive Diskriminierung (im Englischen Positive Action) (Schmidt 2003, 9f.). Trotz der Richtlinien und Gesetze auf EU- und nationaler Politikebene zur Verhinderung von Diskriminierung kommt es aber zu Formen indirekter und direkter Diskriminierung. Wie sich diese darstellt und welche Ursachen identifiziert werden, ist Teil der vergleichenden Länderanalyse entlang der Dimensionen. Ein Erklärungsversuch der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt und der geschlechtsspezifischen Segregation desselben beinhaltet die Zuschreibung typisch weiblicher oder männlicher Rollenbilder in Privatheit und Beruf. In diesem Zusammenhang muss der von Ostner und Beck-Gernsheim geprägte Begriff des „weiblichen Arbeitsvermögens“ erwähnt werden, der intuitivgefühlsbestimmte Verhaltensweisen und mehr auf familiale denn berufliche Anforderungen ausgerichtete Bedürfnisse und Fähigkeiten beschreibt (Krämer 1996, 157). Konstruktionen wie die des weiblichen Arbeitsvermögens sind reduktionistisch, weil sie Frauen auf etwas reduzieren, was diese nicht (nur) sind oder auch nicht sein wollen; sie sind ebenso positivistisch, weil die gesellschaftlichen Kontexte, Beziehungen und Arbeitsverhältnisse, in denen sich Arbeitsvermögen generiert, keine Rolle bei der inhaltlichen Bestimmung der Kategorien spielen. Zuletzt sind die Konstruktionen ideologisch, weil sie Stereotypen produzieren und so ein Bild vom weiblichen Arbeitsvermögen entstehen lassen, welches die Frau wiederum auf die herrschende Normierung des Weiblichen begrenzt (Wetterer 1992, 19). Neuere Erklärungsansätze legen mehr Gewicht auf den Lebensplan, um so die Situation der Frauen am Arbeitsmarkt zu erfassen, aber auch das Verhalten der (Ehe-)Partner als einflussnehmende Individuen wird berücksichtigt (Oberst 2003, 21). 31
1.2.3 Geschlechterregime Das „Regime“ wird wertneutral als „Bezeichnung für eine bestimmte politische Herrschaftsform oder Staatsform“ definiert (Schmidt 1995, 819). In der neueren vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung wird der Regime-Begriff als Fachwort für „ein entwicklungsgeschichtlich angelegtes Muster von Staatstätigkeit mit hoher Pfadabhängigkeit“ (ebd.) gebraucht. Auch Esping-Andersens Kategorisierung von westlichen Wohlfahrtsstaaten ist mit diesem Regime-Begriff zu verstehen (vgl. Kap. 1.2.7). Ergänzend zu dieser Definition bezeichnet der Regime-Begriff einen Komplex aus Regeln und Normen, „der die Erwartungshaltung in einer Gesellschaft und somit auch die gesellschaftliche Praxis prägt“ (Gerhard/Knijn/Weckwert 2003a, 13). Der Begriff „Genderregime“ wird analog zum deutschsprachigen Begriff „Geschlechterregime“ verwendet, wobei der Begriff „Gender“ differenzierter verstanden wird als „Geschlecht“. Bereits 1972 schlug Ann Oakley die Unterscheidung von „sex“ als dem biologischen Geschlecht und „gender“ als sozialem Geschlecht vor (Leitner 1998a, 9), „das gesellschaftlich definiert und entlang der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung normiert wird“ (Hopfner 1996, 134). Nach Sainsbury besteht ein Geschlechterregime aus Regeln und Normen für das Geschlechterverhältnis, beinhaltet Rechte und Pflichten betreffend der zwei Geschlechter (Sainsbury 1999, 5) und kann als Schauplatz oder Austragungsort von Geschlechterbeziehungen oder Konflikten aufgrund von geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung in den verschiedensten Institutionen verstanden werden (Connell 1994, 30). Das Geschlechterregime fasst die verschiedenen Dimensionen, die Aussagen über die geschlechtliche Ordnung von Wohlfahrtsstaaten ermöglichen, zusammen. Geschlechterregime implizieren weder die Existenz einer einzigen historischen „Männlichkeit“ noch einer unveränderten „Weiblichkeit“, sondern weisen vielmehr auf den historischen Prozess der geschlechtsspezifischen Identitätsbildung und asymmetrischen Machtverteilung zwischen den Geschlechtern innerhalb des jeweiligen gesellschaftlichen Kontextes hin (Young 2000, 390). Eine spezifische Ausformung des Geschlechterregimes wird bspw. deutlich durch das Verhältnis von Mann, der als Familienernährer auftritt und Frau, welche die Betreuungsarbeit leistet und den Mann entlang seiner Bedürfnisse unterstützt, so dass dieser seiner Rolle als Ernährer gerecht werden kann (Crompton 2002, 257f.). Der Begriff des „Geschlechterregimes“ ist als Untersuchungsrahmen hinsichtlich meiner Fragestellung ideal, da Gesellschaften durch ihr spezifisches Geschlechterregime gekennzeichnet sind, in welchem die Generierung von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern auf dem Arbeitsmarkt, in der ge32
schlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die Unterrepräsentation und Marginalisierung der Frau in Politik und politisch-administrativen Institutionen erfolgt (Sauer 2001, 48). Mit der Untersuchung von Geschlechterregimen lassen sich so alle relevanten Aspekte der Kommodifizierung und Dekommodifizierung von Frauen bzw. weiblicher Erwerbstätigkeit analysieren. Das Konzept der Geschlechterregime knüpft an den typologischen Vergleich von Wohlfahrtsstaaten nach ihnen immanenten Verteilungslogiken an und ermöglicht eine empirische Untersuchung der Wohlfahrtsstaaten nach ihrer Geschlechtsspezifik (Kulawik 1998, 301). Jeder Staat bildet als „Niederschlag sozialer Kämpfe“ ein Geschlechterregime aus, welches als eine institutionell verfestigte geschlechtsspezifische Struktur verstanden wird. Der Wohlfahrtsstaat ist hier nun wieder als Plattform der Geschlechterregime zu sehen und zu verstehen, die für ein „gendered“ Gebiet sorgen, in welchem Frauen und Männer unterschiedliche Positionen wahrnehmen (Pühl 2001, 47) sowie die Basis, auf welcher sich spezifische Geschlechterregime entwickeln. Der Staat vereinigt alle „kleinen“ Regime zu einem großen, verbindet die einzelnen Institutionen und stellt nicht zuletzt die Rahmenbedingungen für die Geschlechterregime, indem er für die Regulierungen am Arbeitsplatz, in der Familie und in der Öffentlichkeit durch Maßnahmen, Gesetze und soziale Dienstleistungen zuständig ist. „Wohlfahrtsregime, d. h. die Muster sozialstaatlicher Regulierungen, sind in länderspezifische Geschlechterregime eingebettet“ (Sauer 2001, 127) und nehmen wiederum Einfluss auf die Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse. Geschlechterregime treten also überall dort auf und wirken überall, wo beide Geschlechter aufeinander treffen, gemeinsam leben und arbeiten, sowohl in den verschiedenen Bereichen der Öffentlichkeit als auch im privaten Bereich. Die Gestalt der Geschlechterregime variiert je nach dem Geschlechterverhältnis, welches durch Rechte und Pflichten, freie Entscheidung für oder gegen Berufstätigkeit, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – allgemein durch das Machtund Kräfteverhältnis von Mann und Frau in den öffentlichen und privaten Bereichen des Lebens – determiniert wird. Die spezifischen Ausprägungen der Geschlechterregime herauszuarbeiten ist ein Ziel dieser Arbeit. Die Dimensionen des Ländervergleichs (vgl. Kap. 1.2.5) ermöglichen, die Länder als verschiedene Geschlechterregime zu identifizieren und zu beschreiben, sind somit also Dimensionen der Geschlechterregime an sich, machen den Vergleich möglich und sind Voraussetzung für ein tief greifendes Verständnis der jeweiligen Geschlechterregime.
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1.2.4 Verortung der Arbeitsmarktpolitik in Geschlechterregimen Arbeitsmarktpolitik ist hinsichtlich der Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit das am unmittelbarsten angesprochene Politikfeld. Da diese Arbeit die Frauenerwerbstätigkeit allerdings ganzheitlich analysieren will, findet nicht nur die Arbeitsmarktpolitik Berücksichtigung, sondern wie eingangs bereits erwähnt auch relevante Aspekte der Familien-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik sowie Einflüsse aus der privaten Sphäre, sofern diese identifiziert werden können. Nichtsdestotrotz bleibt die Arbeitsmarktpolitik ein besonders wichtiges Steuerungsmittel des Staates bei der Förderung der weiblichen (De-) Kommodifizierung. Eine hohe weibliche Erwerbsquote8 allein zeugt noch nicht automatisch von einem ausgeglichenen Verhältnis von Angebot und Nachfrage und gibt keinerlei Auskunft über den Grad der Geschlechtergleichstellung am Arbeitsmarkt, denn viele Frauen gehen keiner Vollzeitbeschäftigung nach, sondern arbeiten nur in Teilzeit oder sind geringfügig beschäftigt. In diesen Fällen sind Frauen oft auf die finanzielle Unterstützung eines Ernährers angewiesen oder abhängig von den Transferleistungen des Staates. Arbeitsmarktpolitik muss deshalb ganzheitlich den Erwerbszweig und den privaten Zweig des Lebens abdecken, bzw. jeweilige Defizite kompensieren. Die Arbeitsmarkpolitik ist ganz unterschiedlich in den Geschlechterregimen verortet, da die Staaten verschiedene Ziele verfolgen. Es lassen sich deshalb Rückschlüsse daraus ziehen, ob ein Staat den Doppelernährer-Haushalt, in dem Mann und Frau theoretisch gleichgestellt sind oder das Modell des männlichen Familienernährers fördert. Dies gibt Aufschluss über die Geschlechterverhältnisse, die Stellung des Staates zur Chancengleichheit der Frau und letztlich auch über die Ausprägung des Geschlechterregimes in seiner Gesamtheit. Bei der Umsetzung von Frauenfördermaßnahmen kann man auf spezielle Schwierigkeiten stoßen, die sich durch das männlich geprägte und dominierte Konzept der Unternehmenskultur (und damit die Konfrontation mit männlich organisierten Interessengruppen), durch gemeinsames strategisches Vorgehen von Männern bei der Verhinderung von Frauenfördermaßnahmen oder den erfolglosen top-down Prozess der Implementierung von der Führungsebene gegen den Widerstand bestimmter Beschäftigtengruppen erklären lassen (Henninger 2000, 19). Frauen sind zudem in den Organisationsstrukturen meist unterrepräsentiert, halten keine innerbetrieblichen Machtpositionen und stellen keine homogenen Interessengruppen dar (ebd., 20), was es für Frauen meist schwierig 8 Die Erwerbsquote misst den Anteil der Erwerbstätigen sowie Erwerbslosen an der Wohnbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis unter 65 Jahre) (Bundesagentur für Arbeit 2008).
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macht, ihre Konzepte in die Realität umzusetzen. Hinzu kommt noch, dass Frauen heute generell keine homogene Gruppe mit gleichförmigen Interessen darstellen, nicht nur im konkreten Fall der Umsetzung von Fördermaßnahmen in einem Unternehmen. Frauen haben heutzutage so unterschiedliche Erwerbs- und Lebensbiografien, dass es problematisch wird, eine gemeinsame Förderstrategie zu entwickeln, da auch die Interessen bspw. einer Managerin und einer Raumpflegerin unterschiedlicher nicht sein könnten. In kapitalistischen Gesellschaften bestimmen die differenzierten Lebenschancen und die gesellschaftliche Stellung eines Individuums sowie die soziokulturelle Gliederung der Gesellschaft die Art und das Ausmaß der Integration des Individuums in das Erwerbssystem. „Die Arbeitsmärkte in westlichen Industriegesellschaften sind geschlechtsspezifisch differenziert und hierarchisiert“ (Huschke 2002, 30). Darauf Bezug nehmend werden zwei Arten der Segregation unterschieden: Die horizontale Segregation, bei der eine Trennung nach Branchen und Berufen vorgenommen wird und die vertikale Segregation, welche die innerbetrieblichen und innerberuflichen Hierarchien umfasst (ebd.) und die Tatsache beschreibt, dass Frauen in gleichen Berufen und gleicher Qualifikation sowie vergleichbarer Erwerbsbiographie trotzdem hierarchisch unterhalb der Männer anzutreffen sind (Engler 2005, 21). Allgemein können zwei Faktoren unterschieden werden, die Einfluss auf die Frauenerwerbstätigkeit nehmen. Erstens sind dies Faktoren, welche die Kosten der Erwerbsunterbrechung erhöhen und somit eine Weiterarbeit begünstigen wie bspw. der Humankapitalverlust, der Verlust des eigenen Einkommens, also auch der Unabhängigkeit/Selbstständigkeit und damit einhergehender Abhängigkeit vom Partner oder staatlichen Sozialleistungen. Zweitens Faktoren, welche die Kosten der Weiterarbeit erhöhen und somit die Erwerbsunterbrechung begünstigen wie bspw. steuerliche Erleichterungen, Kindergeld, Organisation und Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Haushalt (Wetterer 2002, 90). Frauen wird dann eine Reservefunktion zugeschrieben, die zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts dient. Ott sieht die Nutzenmaximierung des Haushalts bei Spezialisierung des Mannes auf Erwerbsarbeit und der Frau auf Hausarbeit als Teil eines Teufelskreises ökonomischer Rationalität (vgl. Abb. 2). Dieser führt zu einer geringen Erwerbsbeteiligung von Frauen, was wiederum eine geringere Ausbildung (Humankapitalansatz) bedingt und Auswirkungen auf die erwartete Produktivität (Signaling-Modelle) sowie die erwarteten Erträge von Ausbildungskosten (statistische Diskriminierung) hat. Die vier zuletzt genannten Faktoren führen zu „schlechteren“ Arbeitsplätzen mit geringerer Entlohnung, höherem Arbeitslosigkeitsrisiko und einer größeren Belastung. Dies alles endet wiederum bei der Nutzenmaximierung der Haushalte bei geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. 35
Jeder dieser Faktoren kann Ausgangspunkt oder Ergebnis darstellen, da jeder Faktor Einfluss auf die anderen nimmt (Behning 1997, 45). Abbildung 2:
Teufelskreis ökonomischer Rationalität
Geringere Erwerbsbeteiligung von Frauen
Geringere Ausbildung (Humankapitalansatz)
erwartete Produktivität (Signaling-Modelle)
Nutzenmaximum des Haushalts bei Spezialisierung - des Mannes auf Erwerbsarbeit - der Frau auf Hausarbeit (new home economics)
erwartete Erträge von Ausbildungskosten (statistische Diskriminierung)
„schlechtere“ Arbeitsplätze mit - geringer Entlohnung - höherem Arbeitslosigkeitsrisiko - größerer Belastung Quelle: Ott 1997, 45 Die geschlechtsspezifische Teilung des Beschäftigungssystems lässt sich nur aufheben, wenn im Bereich privater Arbeitsteilung tatsächliche Veränderungen eintreten, die sich in einer veränderten Erwartungshaltung von Unternehmen und Frauen manifestieren und durch entsprechende politisch-institutionelle Rahmenbedingungen gefördert werden (Assenmacher 1991, 14f.). Pfarr stellt die These auf, dass es keine Gleichberechtigung der Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt geben wird, solange eben dieser nach dem Kriterium „Geschlecht“ geteilt wird (Pfarr 1996, 107), wobei sich vor allem die Konzeption der Förderung der Beschäftigungsintensität nachteilig für Frauen auswirkt. Auch Senkungen der Lohnnebenkosten, vor allem im Bereich gering qualifizierter Arbeitskräfte, wirken sich gerade auf die Qualität der weiblichen Beschäftigung und die Versorgung mit einkommensabhängigen Transferleistungen negativ aus (SchunterKleemann 2000, 21). Gesamtwirtschaftlich gesehen ist die niedrige Erwerbsbeteiligung von Frauen eine Vergeudung von Humankapital (Lorenz 1997, 2), um 36
diese zu verhindern, müssen makro- und mikroökonomische Maßnahmen die Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, verbessern (ebd., 31). Es ist deutlich geworden, dass die Kommodifizierung der Frauenerwerbstätigkeit mit einigen Problemen verknüpft ist. Um nun untersuchen zu können, welche Bereiche der Arbeitsmarktpolitik und auch Familienpolitik direkt und indirekt auf die weibliche Erwerbsfähigkeit wirken, werden im folgenden Abschnitt verschiedene Dimensionen des Vergleichs festgelegt, die aus den bisher aufgestellten Überlegungen und beschriebenen Problemen, auch der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, resultieren. 1.2.5 Dimensionen des Ländervergleich Die im Folgenden vorgestellten Dimensionen decken m. E. alle relevanten Aspekte ab, die Einfluss auf die weibliche Erwerbstätigkeit ausüben, also sowohl die Kommodifizierung als auch die Dekommodifizierung betreffen. Die Dimensionen helfen hier, die Erwerbsbeteiligung von Frauen „als Ergebnis eines komplexen, konfliktreichen und widersprüchlichen Abstimmungsprozesses zwischen den kulturellen Leitbildern, der familialen Arbeitsteilung und der Politik des Wohlfahrtsstaates und der Betriebe zu verstehen“ (Pfau-Effinger 2000, 21). Die Auswahl der Dimensionen erfolgt nicht zuletzt, um das Untersuchungsfeld einzugrenzen und eine Übersicht zu garantieren. Die Dimensionen des Ländervergleichs sollen zudem dabei helfen, die hierüber gewonnen Ergebnisse zu operationalisieren, d. h. im zusammenführenden Kapitel 5.1 sollen Kennzahlen, Messziffern und Merkmale identifiziert werden, anhand derer die Zusammenhänge zwischen den Geschlechterregimen, den wohlfahrtsstaatlichen Politiken und der Frauenerwerbstätigkeit deutlich werden. Diese Merkmale können vorausblickend m. E. sowohl Quoten zur Erwerbstätigkeit sein, wie auch Trends in den Politikentscheidungen oder konkrete Sachverhalte, die durch die ExpertInneninterviews erkennbar werden. Die Reihenfolge der Dimensionen ist so gewählt, dass Problemstellungen entlang der weiblichen Erwerbsbiografie erklärt/diskutiert werden. Frauen sind i. d. R. erwerbstätig bis sie Mütter werden. Die familienpolitischen Leistungen unter spezieller Berücksichtigung der Elternschaft bzw. Mutterschaft als erste Hürde der weiblichen Erwerbstätigkeit spielen deshalb eine bedeutende Rolle. Nach der kinderbezogenen Erwerbsunterbrechung erfolgt der Wiedereintritt in den Beruf, wobei sich bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wiederum Probleme ergeben können. Allerdings sind auch Frauen ohne Kinder mit Problemen rund um ihre Berufstätigkeit konfrontiert und in den nachfolgenden Dimensionen (mit Ausnahme der Dimension „Elternschaft“) erfasst. Eine Familie 37
besteht nicht zwingend aus Eltern mit Kindern, sondern auch aus (Ehe-)Partner und evtl. pflegebedürftigen Angehörigen. Die klassische Familie mit verheirateten Eltern von ein bis zwei Kindern ist auf dem Rückzug und Alternativen auf dem Vormarsch. Zudem werden der Gender Pay Gap und Frauen in Führungspositionen betrachtet, woran sich messen lässt, inwieweit Vereinbarkeit, Karriere und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt gelungen sind. Als letzte Dimension wird Gender Mainstreaming angeführt, um die Auswirkungen von EURichtlinien auf die nationale Gleichstellungsarbeit zu überprüfen. Die erste Dimension umfasst die familienpolitischen Leistungen. Diese beinhalten das Kindergeld oder steuerrechtliche Aspekte der Kindererziehung, um herauszufinden, inwieweit Familien und speziell Frauen (seltener Männer), die Kinder erziehen, unterstützt werden. Denn verlässt eine Frau den Arbeitsmarkt, um sich der Familie zu widmen, muss sie von einem sozialen Netz aufgefangen werden, um sich und ihre Kinder versorgen zu können. Wenn aufgrund der Steuerabgaben die Erwerbsarbeit der Frau im Verhältnis höher belastet wird als die des Mannes, wirkt sich dies negativ auf die Erwerbsquoten der Frauen aus. Staatliche Politiken spielen also bei der Entscheidungsfindung zur Erwerbstätigkeit von Frauen eine Rolle, weil sie die zentrale Preis-Mengenkalkulation beeinflussen, indem sie die Haushaltsproduktion durch Erziehungs- oder Pflegegeld finanziell attraktiv machen oder den Familienernährer durch Ehegattensplitting oder Verheiratetenzuschläge für öffentlich Bedienstete finanziell besser stellen (Geissler 1995, 185). Als Unterdimension der familienpolitischen Leistungen werden besonders die Dimensionen in den verschiedenen Ländern analysiert, welche mit der Elternschaft zusammenhängen, da diese gerade aufgrund der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen großen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit von Frauen hat. Allerdings ist die Ausprägung der Entscheidungsfreiheit in den Ländern sehr unterschiedlich. Deshalb ist es wichtig, die Regelungen zum Mutterschutz zu betrachten (dieser soll EU-weit eine Mindestdauer von 18 Wochen erreichen, wobei sechs Wochen nach der Geburt genommen werden sollen, die verbleibende Zeit ist für Frauen frei einteilbar (EU-Nachrichten Nr. 33, 3)), weil hier z. B. geregelt wird, ob Frauen einen garantierten Anspruch auf ihren Arbeitsplatz nach der Erziehungsphase haben oder ob es andererseits die Rahmenbedingungen zulassen, sich voll auf die Kindererziehung zu konzentrieren, ohne in Abhängigkeit von einem Ernährer zu geraten. Hierbei spielt der Elternurlaub eine große Rolle. Daher muss untersucht werden, welche Transferleistungen Frauen, aber auch Männern, in dieser Familienphase zugesprochen werden. Elterngeld ist hinsichtlich der Dekommodifizierung der Frau ein wichtiges Instrument, denn es wertet die Arbeit im familialen Bereich auf und macht die Frau finanziell unabhängig von einem (Familien-)Ernährer. Die Phase der Kindererziehung wird so 38
aus dem Bereich der gedachten Arbeitslosigkeit herausgehoben und durch das Elterngeld, welches als Erwerbsersatzleistung interpretiert werden kann, als vorübergehender Lebensabschnitt zwischen zwei Phasen der Erwerbstätigkeit verstanden (Hannowsky 2003, 139). Die zweite Dimension ist die Anerkennung der familialen Arbeit. Traditionelle Geschlechterrollen führen dazu, dass größtenteils Frauen die Haushaltsund Familienarbeit leisten, unabhängig davon, ob diese erwerbstätig sind oder nicht. Die Arbeit im Privaten wird solange als minderwertig betrachtet, wie sie unentgeltlich von Frauen geleistet wird. Aufgrund dessen spielt es für die Anerkennung eine große Rolle, wie das Steuersystem diese Arbeit bewertet. In diesem Zusammenhang ist die Dimension Frauen im Alter – Rentenbezug interessant und aufschlussreich, weil sie zeigt, inwieweit Kinderbetreuungszeiten und der damit verbundene (temporäre) Verzicht auf Erwerbsarbeit in die Rentenansprüche eingerechnet werden, denn dies lässt Rückschlüsse darauf zu, welchen Stellenwert die weibliche Reproduktionsarbeit in einem Geschlechterregime einnimmt. Die dritte Dimension beinhaltet die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Um den Grad dieser messen oder einordnen zu können, werden hier auch Angaben zur Frauenerwerbsquote in Voll- und Teilzeitarbeit angeführt. Die Betrachtung des tatsächlichen Arbeitsvolumens ist unerlässlich, da eine hohe Erwerbsquote alleine noch nicht für eine qualitativ hohe Beteiligung oder ein hohes Maß an Vereinbarkeit spricht, da es sich bei der weiblichen Erwerbstätigkeit auch um größtenteils geringfügige Beschäftigungen oder Teilzeiterwerbstätigkeit handeln kann. Der Anspruch, Familie und Beruf in einer Biografie zu vereinbaren, avanciert zur individuellen Lösung systemischer Widersprüche. Die Verbindung von Familie und Erwerbstätigkeit ist ein strukturelles Problem der Moderne, welches, abhängig von der gesellschaftlichen Organisation von Erwerbsarbeit, Ehe und Familie auf unterschiedliche Weise bearbeitet und in den Wohlfahrtsstaaten institutionell verankert ist (Rüling 2004, 109). Allgemein klagen Frauen die Optionalität an, denn die Entscheidung für Familie, Heirat, Kinder, Berufstätigkeit, Unterbrechung derselben oder Hausarbeitsteilung soll freiwillig getroffen und nicht über Normvorstellungen oder Arbeitsmarktbedingungen geregelt werden (Lauterbach 1994, 61). In sozial privilegierten Schichten wird das Vereinbarkeitsproblem durch Delegation und Outsourcing der Familienarbeit an bezahlte Putzkräfte, Kindermädchen, Tagesmütter u. a., sog. „domestic workers“, gelöst. Aber auch die „domestic workers“ sind zum größten Teil weiblich. Für den Arbeitsmarkt ist also weiterhin eine geschlechtsspezifische Segregation zu konstatieren (Klammer 1998, 7).
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Die Bereitstellung von sozialer Infrastruktur hat großen Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen. Unter sozialer Infrastruktur sollen alle öffentlichen oder gesellschaftlich hergestellten Einrichtungen verstanden werden, die nicht der technischen Infrastruktur, also dem Verkehr oder der Energieversorgung etc., dienen (Göschel/Kunert-Schroth/Mittag 1992, 16). Hierbei sind vor allem die diversen öffentlichen, aber auch privaten Einrichtungen zur Kinderbetreuung von Interesse, weil diese in ihrer Qualität und Quantität den Grad der Entlastung der Frau von ihrer doppelten Rolle sowie den zeitlichen Rahmen, in dem die Frau ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, bestimmt. Positiv bewertete Kriterien von Erwerbsverläufen sind Kontinuität und Konsistenz. Diese dem Modell des männlichen Normalerwerbsverlaufs entsprechenden Kriterien erscheinen defizitär, wenn sie aufgrund von familienbedingter Unterbrechung der Erwerbsarbeit gebrochen vorliegen (Wagner 1998, 245). „Contemporary liberal feminists have admitted that women’s sexual capacities may impede their participation in the public activity of reason (…)“ (Colebook 2004, 79). Feministinnen deuteten die körperlichen Fähigkeiten der Frau (Mutterschaft) als Hemmnis der Teilnahme an öffentlichen Aktivitäten (Erwerbstätigkeit), weshalb Rahmenbedingungen wie Kinderbetreuung u. a. geschaffen bzw. erweitert werden müssen, um dieses Hemmnis zumindest teilweise abzubauen. Die Anzahl der Frauen in Führungspositionen (vierte Dimension) eines Landes lässt Rückschlüsse über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch über die dort herrschenden Geschlechterrollen zu. Die Besetzung von hochqualifizierten Stellen geschieht immer noch selten mit Frauen. Diese entsprechen nicht dem Idealtyp des Berufsarbeiters und können aufgrund von familialen Pflichten keine kontinuierliche Berufstätigkeit/Produktivität gewährleisten (Fiedler/Regenhardt 1987, 139), weshalb Frauen auch heute noch weitgehend von Führungspositionen ausgeschlossen werden. Diese vertikale Segregation am Arbeitsmarkt wird mit dem „Glass Ceiling - Phänomen“ (= Phänomen der gläsernen Decke) beschrieben. „Frauen sind durch eine gläserne Decke von den Spitzenpositionen getrennt. Die Positionen sind zwar sichtbar, aber nicht erreichbar“ (Pasero 2004, 148). Während Frauen sich bemühen müssen, um in männlich dominierten Arbeitsbereichen Führungspositionen zu erreichen, müssen sich Männer hingegen anstrengen, um in weiblich dominierten Berufen nicht Karriere zu machen. Dieses gegengeschlechtliche Komplement wird als „glass escalator“ (gläserner Fahlstuhl) beschrieben (Wetterer 2002, 142). In Großbritannien wird anstatt des Glass Ceiling - Phänomens der Begriff der „marzipan layer“ (Marzipan-Schicht (eines Kuchens)) verwendet. Hier wird das Problem der weiblichen Karriere anhand eines Schichtkuchens deutlich gemacht. Frauen gelangen zwar in die oberen, leckeren und erstrebenswerten Schichten des Kuchens, aber in der obersten Schicht, der Marzipan Schicht, 40
bleiben sie stecken. Die Top-Positionen, in diesem Bildnis die Sahne oder Glasur auf dem Kuchen, bleiben Männern vorbehalten. Ein weiterer Aspekt, der für die männliche Dominanz und zuungunsten von Frauen in Führungspositionen spricht, ist die Tatsache, dass diese Positionen auch heute noch als „Anderthalb-Personen-Berufe“ konzipiert sind. I. d. R. ist es dann eine nicht oder nur Teilzeit erwerbstätige Frau, welche die Reproduktionsarbeit leistet und so ihrem Partner indirekt ermöglicht, eine Position einzunehmen, die mit erhöhtem zeitlichen Engagement einhergeht (Wimbauer u. a. 2007, 87). Diesem Modell der Anderthalb-Personen-Berufe steht allerdings die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen entgegen, weswegen nach neueren Überlegungen das traditionelle Ernährermodell vom modifizierten Ernährermodell, in dem die Frau als Zuverdienerin betrachtet wird, dem Zwei-Verdiener-Modell, in dem beide Partner Vollzeit berufstätig sind und – hier besonders interessant – dem „Doppelkarriere-Paare“ Modell bzw. „Dual Career Couples“ (DCCs) abgelöst wird. Zunächst wird den DCCs ein egalitärer Lebensstil unterstellt, weshalb diese sogar als „Lebensstilpioniere“ bezeichnet werden (ebd., 88). Studien zeigen (im englischsprachigen Raum gibt es bereits seit Ende der 1960er Jahre Untersuchungen zu DCCs), dass auch in DCCs geschlechtsspezifische Ungleichheiten existieren und dies, obwohl die Verteilung der Ressourcen wie Bildung symmetrisch ist. Die Ungleichheiten nehmen im Laufe einer Paarbeziehung zu. Starten beide anfangs gleichwertig, kommt es spätestens nach der Geburt des (ersten) Kindes zu einer Verschiebung hin zu innerpartnerschaftlichen Vereinbarkeitsstrategien, nach denen Mobilitätsentscheidungen u. ä. zugunsten der Karriere des Mannes getroffen werden. Dies spricht dafür, dass die gleichwertige Verteilung der Ressourcen nicht geschlechtsspezifische Ungleichheiten in Paarbeziehungen verhindern kann und es nach der Geburt des Kindes zu einer ReTraditionalisierung von Partnerschaften kommt (ebd., 89ff.). Aufgrund des zu erwartenden Arbeitskräftemangels in den kommenden Jahren rückt das weibliche Erwerbspotential in der öffentlichen Diskussion zunehmend in den Vordergrund. Vor diesem Hintergrund lassen sich drei Diskurse unterschieden. Der erste beschäftigt sich mit dem „weiblichen Führungsstil“ und die Chancen für Frauen durch ihr Innovationspotential. Der zweite Diskurs setzt seinen Fokus auf die vertikale Arbeitssegregation und sieht den Weg zum Durchbrechen der „gläsernen Decke“ im Diversity Management9 und Mentoring-Programmen (Schunter9 Dieses Organisationsentwicklungskonzept setzt sich mit Quotenregelungen für eine stärkere Vielfalt unter den MitarbeiterInnen ein. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass in transkulturellen Organisationen eine bessere Qualität der Arbeit durch eine größere Vielfalt gerade der Führungskräfte gewährleistet wird. Im Mittelpunkt stehen meist verschiedene ethnische Gruppen, Geschlecht als Kate-
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Kleemann 2007, 50). Der dritte Diskurs folgt in der Tradition dem liberalen Feminismus und fordert „die gleichberechtigte Integration von Frauen in alle Domänen männlicher Herrschaft: Staat, Wirtschaft und Militär (…)“ (ebd., 50f.). Der Gender Pay Gap10 (fünfte Dimension) stand im Jahr 2007 im Fokus zahlreicher Untersuchungen, nicht zuletzt, weil die Forderung nach gleichem Entgelt für gleiche Arbeit auch im Jahr der Chancengleichheit wieder lebhaft diskutiert wurde. Die Einkommensposition von Frauen ist ein wichtiger Indikator für deren Status am Arbeitsmarkt. „Diese zeigt letztlich ihre berufliche Stellung im Vergleich zu der der Männer an und ist ein quantitatives Anzeichen für mögliche Diskriminierungsmechanismen“ (Assenmacher/Roloff 1991, 35). Der Gender Pay Gap ist in den drei Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt und nimmt mit der Höhe der Positionen sogar zu. Diese Dimension folgt daher jener zu Frauen in Führungspositionen, da beide Diskussionen miteinander verknüpft sind und thematisch zusammenhängen, denn eine Ursache des Gender Pay Gap wird in der Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen gesehen. Trotzdem soll die Darstellung des Gender Pay Gap hier nicht mit einer Elitediskussion um die Angleichung von ManagerInnengehältern verknüpft werden, denn die Einkommensdifferenzen betreffen nicht nur Frauen in Führungspositionen oder gut ausgebildete Frauen, sondern alle Frauen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen. Die 6. und letzte hier vorgestellte Dimension ist die des Prinzips des Gender Mainstreaming11. Gender Mainstreaming besteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung von Entscheidungsprozessen in allen Politik- und Arbeitsbereichen, mit dem Ziel, dass von allen AkteurInnen, die üblicherweise in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, eine Perspektive der Gleichberechtigung der Geschlechter in allen Vorgehensweisen, auf allen Ebenen und in allen Phasen eingenommen wird (Stiegler 2000, 8). Gender Mainstreaming kann interessante Aspekte zur Diskussion um die weibliche Erwerbstätigkeit und deren Förderung beitragen, weil diese Doppelstrategie auf internationaler Ebene initiiert wurde und die EU, die sich dem Prinzip des Gender gorie der Ungleichheit wird nicht immer berücksichtigt (Höyng 2002, 214). (Geschlechts-)Homogene (Arbeits-)Gruppen sind zwar in der Entscheidungsfindung schneller, heterogen zusammengesetzten Gruppen werden aber eine kreativere Arbeit und tragfähigere Problemlösungsansätze zugetraut (Döge 2003, 41). 10 Gender Pay Gap (engl.) = Geschlechtsspezifische Lohndifferenz; Differenz der durchschnittlichen Brutto-Frauenstundenlöhne als Anteil (in Prozentpunkten) der durchschnittlichen Brutto-Männerstundenlöhne (Europäische Kommission 2006, 22). 11 Mainstream (engl.) = Hauptstrom. (To) mainstream bedeutet, etwas, das bisher lediglich am Rande betrachtet wurde, als zentrales Kriterium aufzunehmen, mitzudenken, als durchgängigen roten Faden zu sehen (Schwerma/Von Marschall 2004, 22).
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Mainstreaming verschrieben hat, Regelungen und Leitlinien vorgibt, welche in allen Bereichen des öffentlichen Lebens und so natürlich auch im Erwerbsleben das Ziel der Geschlechterdemokratie verfolgen (Blickhäuser 2003, 5). Im Unterschied zur herkömmlichen Frauenförderpolitik akzentuiert eine Geschlechterpolitik, die den Gender-Begriff und nicht den Begriff Frauen zugrunde legt, dass es erstens um beide Geschlechter und die Verhältnisse zwischen ihnen geht, die zweitens als historisch gewachsen und politisch gestaltbar interpretiert werden (Stiegler 2000, 9). Wie dieses Prinzip in den einzelnen Ländern beurteilt und umgesetzt wird, lässt sich in den Länderkapiteln (2.6, 3.6, 4.6) nachlesen. Im Folgenden einige Erläuterungen zur Entstehung des Gender Mainstreaming. 1984 betrat der Begriff Mainstreaming die internationale entwicklungs- und frauenpolitische Szene mit der Restrukturierung und Neu-Mandatierung von UNIFEM, dem Frauenfonds der Vereinten Nationen (Von Braunmühl 2002, 17). Mit der Verbreitung des Begriffs „Gender Mainstreaming“ durch die Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz von Peking 1995 hat dieser auch über die Entwicklungsorganisationen hinaus Eingang in die institutionalisierte Frauenpolitik Europas gefunden. Als Meilenstein für supranationale Frauen- und Gleichberechtigungspolitik wurde die Verankerung von Gender Mainstreaming im Amsterdamer Vertrag von 1996 gefeiert. Mit dessen Ratifizierung am 1. Mai 1999 haben die Mitgliedstaaten der EU die Gleichstellung von Frauen und Männern als aktiv zu fördernde Gemeinschaftsaufgabe in allen Politikfeldern der EU anerkannt und sich verpflichtet, bei allen Tätigkeiten darauf hin zu wirken, soziale Ungleichheiten zu beseitigen (seinen Anfang genommen hat dies mit dem Maastrichter Vertrag Mitte der 1990er Jahre) (Rodenberg 2003, 1). Richtlinien sind hinsichtlich des Ziels der Geschlechtergleichstellung für jeden Mitgliedstaat nach Art. 189 Abs. 3 EWGV verbindlich, wobei die Mittel zur Erreichung des Ziels offen stehen, aber Maßnahmen ergriffen werden müssen, welche die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie und deren Zielsetzung ermöglichen bzw. gewährleisten. Das europäische Recht hat hierbei Vorrang vor innerstaatlichem Recht, falls sich beide widersprechen (Krämer 1996, 11f.). Während Helge Pross als Verfechterin des Prinzips des Gender Mainstreaming gilt, ist die Offenhaltung bei der Wahl der Instrumente zur Umsetzung von Gender Mainstreaming für Betriebe, Verwaltungen und Organisationen der Kritikpunkt der schärfsten Kritikerin des Gender Mainstreaming, Susanne SchunterKleemann. Denn die Strategie selbst formuliert keine Inhalte und Ziele (Faulstich-Wieland 2003, 136). Kritisiert wird Gender Mainstreaming auch von den Vertreterinnen der klassischen Frauenpolitik, weil befürchtet wird, Gender Mainstreaming könne zu einer Professionalisierungsstrategie einer neuen Gruppe von Gender-ExpertInnen werden (Meuser/Neusüß 2004, 10). Außerdem wurden als paradoxe Nebenwirkung zur Einführung von Gender Mainstreaming - Maßnah43
men Haushaltsmittel für Frauenförderung gestrichen, weshalb immer wieder betont wird, dass Gender Mainstreaming die traditionelle Frauenförderpolitik nicht ersetzen, sondern ergänzen soll (Schreck 2002, 13). 1.2.6 Erläuterung der Länderauswahl Das Ausmaß der Ungleichheiten des sozialen Status von Frauen und Männern differiert in den verschiedenen Gesellschaften. Um die Unterschiede des Grades der Geschlechtergleichstellung in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens aufzeigen zu können, erscheint es sinnvoll, einen Vergleich verschiedener (Typen von) Wohlfahrtsstaaten (vgl. Kap. 1.2.7) in ihrer Eigenschaft als Geschlechterregime zu vergleichen und diese durch die aufzeigbaren Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu analysieren. Die Betrachtung nur eines Staates genügt hier also nicht, für einen Vergleich muss zumindest ein weiterer Staat betrachtet werden. Hier soll der Vergleich von drei Wohlfahrtsstaaten angestellt werden, denn nicht nur in der Disziplin der comparative politics, sondern auch in der (politischen) Soziologie ist eine komparative Analyse sinnvoll, denn „ohne Vergleich (seien) keine Erkenntnisse zu gewinnen“ (Nissen 2002, 19). Bei Durkheim lässt sich lesen: „Die vergleichende Soziologie ist nicht etwa nur ein besonderer Zweig der Soziologie; sie ist soweit die Soziologie selbst, als sie aufhört, rein deskriptiv zu sein, und danach strebt, sich über die Tatsachen Rechenschaft zu geben“ (Durkheim 1995, 216). In der vergleichenden Politikwissenschaft bezogen auf Studien zur nationalstaatlich organisierten Staatenwelt ist die ForscherIn aufgefordert, Länder zu untersuchen bzw. zu vergleichen, aus denen diese(r) nicht stammt. So kann die ForscherIn, den eigenen Hintergrund, die eigene Perspektive sowie Sozialisation berücksichtigend (denn beides beeinflusst den Ländervergleich), das Allgemeine eines fremden Staates aufzeigen und so das „verstehende Erklären“ erreichen (Hartmann 1995, 14f.). Die Voraussetzung für einen Ländevergleich durch den „Blick von außen“ wird hier erfüllt. Die europäischen Wohlfahrtsstaaten Großbritannien, Frankreich und Schweden wurden aus Ländern Europas gewählt, weil diese verschiedene Regime-Typen repräsentieren, welche aber eine gemeinsame historische Basis und innerstaatliche Grundstruktur aufweisen, so dass Unterschiede bspw. wie hier in den verschiedenen Bereichen, die auf Frauenerwerbstätigkeit Einfluss nehmen, identifiziert werden können. Die zu vergleichenden Länder verfügen alle über einen ausgebauten, öffentlich regulierten Wohlfahrtssektor, haben weiterhin eine demokratische Verfassung, einen hohen ökonomischen Entwicklungsstand und Teile der europäischen Geschichte gemeinsam (Kaufmann 2003, 125). 44
Zudem unterlagen die drei Länder, allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen, dem Arbeitsplatzabbau im industriellen Sektor, einer zunehmenden Individualisierung der Arbeit und Defamilisierung im Privaten sowie einer Schwächung der Position der Gewerkschaften (Hartmann 1995, 17). Auch kann hier von einer gemeinsamen Semantik ausgegangen werden, so dass Begriffe wie „Institutionen“, „Interessenverbände“, „Parteien“ u. ä. gleichnamige Phänomene beschreiben, die aufgrund der ähnlichen Strukturen der hier analysierten Staaten nebeneinander gestellt und verglichen werden können (ebd., 42). Nicht zuletzt erfolgt die Begrenzung der Untersuchung von drei Ländern aus praktischen Gründen der Durchführbarkeit. 1.2.7 Typologisierung der Länder – Ländervergleich Eine Kategorisierung der Wohlfahrtsstaaten erfolgt zunächst nach dem Konzept von Esping-Andersen (1998), der Wohlfahrtsstaaten in liberal (Großbritannien), konservativ-kooperatistisch (Frankreich) und sozialdemokratisch (Schweden) einteilt, wobei die von mir ausgewählten Länder den jeweiligen Idealtypen dieser Kategorisierung sehr nahe kommen, aber keine Reinformen darstellen. In dieser Verwendung von Esping-Andersens Typologisierung wird Großbritannien den liberalen Staaten zugeordnet, die Kategorisierung der liberalen Staaten ist bei Esping-Andersen allerdings an den USA ausgerichtet. Hier könnte kritisiert werden, dass so die USA und Großbritannien durch die gemeinsame Zuordnung zum Typ „liberaler Wohlfahrtsstaat“ zu Unrecht vermischt werden. Allerdings ist die Zuordnung von Großbritannien zum liberalen Regimetypus nicht nur im Vergleich mit Frankreich und Schweden gerechtfertigt, sondern auch durch die lange Tradition des britischen Staates, Transferleistungen an das Erwerbseinkommen zu koppeln und hauptsächlich armutspolitisch in die Haushalte hinein unterstützend zu intervenieren. „Im institutionellen Arrangement der Wohlfahrtsproduktion dominiert in Großbritannien ähnlich wie in den Vereinigten Staaten die Verteilungswirkung der Märkte und das Ausmaß der Partizipation am Arbeitsmarkt“ (Kaufmann 2003, 160). Der Markt hat in Großbritannien so nicht nur zur Generierung von Wohlfahrt einen sehr hohen Stellenwert im europäischen Vergleich, auch bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie der Schaffung von Arbeitsplätzen wird an der Selbstregulierung des Marktes nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage festgehalten. Ebenso wird der egalisierenden Politik der Labour Partei die faktische Relevanz und Wirkung abgesprochen (ebd.), so dass sich Großbritannien mit seiner marktwirtschaftlich geprägten politischen Ausrichtung eindeutig von Frankreich und Schweden absetzt und m. E. zu Recht als liberaler Wohlfahrtsstaat in die vergleichende Analyse eingeht. 45
Die USA stehen bei Esping-Andersen zwar idealtypisch für den liberalen Wohlfahrtsstaat, aber hinsichtlich der Zuordnungen zu den Kategorien Arbeitsmarktregulation, Wohlfahrtsstaatstyp und Bedeutung der Familie werden sowohl die USA als auch Großbritannien in die Gruppe der Wohlfahrtsstaaten eingeordnet, in denen eine geringe Arbeitsmarktregulation vorliegt. Zudem werden beide Länder dem residualen Wohlfahrtsstaat zugeordnet, der in seiner Ausprägung u. a. als „non-familialist“ eingestuft wird, was der Zuteilung entspricht, dass in Großbritannien und den USA der dominante Modus der Solidarität individuell, also das Individuum selbst, ist (Esping-Andersen 1999, 85f.) (vgl. Tab. 1, S. 47). Diese identischen Zuordnungen beider Länder sind m. E. eine weitere Rechtfertigung, Großbritannien hier als liberalen Wohlfahrtsstaat in den Ländervergleich eingehen zu lassen. Nicht zuletzt ist auch Esping-Andersen der Meinung, dass Großbritannien in einer heutigen vergleichenden Länderanalyse als Vertreter des liberalen Wohlfahrtsstaates gesehen werden kann. „In a contemporary comparison, then, Britain appears increasingly liberal“ (ebd., 87). Allerdings betrifft diese liberale Ausrichtung nicht alle Politikbereiche Großbritanniens, jedoch die für diese vergleichende Analyse relevanten Bereiche der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik, die eindeutig durch Flexibilisierung und Privatisierung bzw. Kürzungen sozialer Leistungen gekennzeichnet sind. Der Politikbereich der social security, also das Fürsorge- bzw. Sozialversicherungssystem, ist hingegen nicht liberal organisiert. Der staatliche Gesundheitsdienst (NHS) wird in Großbritannien als sozialpolitisches Tabu betrachtet, dieser unterliegt zwar Rationalisierungsmaßnahmen, ist aber nicht in gleichem Maße von Kürzungen betroffen wie andere, bereits erwähnte, (politische) Bereiche (vgl. Tab. 4, S. 67). Esping-Andersen beantwortete die Frage, ob liberale Staaten aufgrund einzelner nicht-liberaler politischer Bereiche aus dieser Kategorisierung herausfallen würden, für das Länderbeispiel der USA mit: „No, because even if one programme deviates from the `ideal type´, the over-dominating character of the entire welfare package remains `liberal´“ (Esping-Andersen 1999, 88). Dies gilt ebenso für Großbritannien, denn auch wenn ein politisches Programm vom Idealtyp abweicht, bleibt der dominierende Charakter des gesamten Wohlfahrtsprogramms liberal. Ein wichtiger Aspekt bei der Regime-Analyse ist die Quantität und Qualität der sozialen Rechte und der Grad der Marktabhängigkeit der Individuen bzw. inwieweit staatliche Politik diese Abhängigkeit reduziert, demnach also das Potential eines Wohlfahrtsstaates zur Dekommodifizierung (Lessenich/Ostner 1998, 12). Die Dekommodifizierung sowie zwei weitere Analysekriterien, die mit Hilfe einer historisch-analytischen Aufbereitung der jeweiligen ideologischen Ordnungsvorstellungen definiert werden konnten, liegen der Kategorisierung der Länder in verschiedene Sozialstaatstypen nach Esping-Andersen zu46
grunde. Mit den zentralen Definitionskriterien (Dekommodifizierung, soziale Stratifikation, Staat-Markt-Familie-Nexus) wird es nun möglich, die qualitativen Dimensionen der Wohlfahrtsstaatlichkeit der verschiedenen Regimetypen herauszuarbeiten und die Ursachen für die Generierung sozialer Ungleichheit durch diese Wohlfahrtsstaatsregime zu markieren (Dackweiler 2003b, 53). In der nachfolgenden Tabelle werden zunächst die Merkmale der verschiedenen Regime-Typen nach Esping-Andersen zur Übersicht dargestellt. Tabelle 1: Charakteristika der Regime-Typen
Bedeutung von: Familie Markt Staat Wohlfahrtsstaat: Dominierender Modus der Solidarität
Liberal (GB)
Konservativ (FR)
Sozialdemokratisch (SE)
Marginal Zentral Marginal
Marginal Marginal Zentral
Zentral Marginal Subsidiär geordnet)
Individuell
Universell
Verwandtschaft12 Korporatismus Etatismus Familie
Dominierender Ort der Markt Solidarität Grad der Dekommodifi- Minimum zierung Quelle: Esping-Andersen 1999, 85
Staat Maximum
(unter-
Hoch (für die „breadwinner“)
Das erste Kriterium ist das Ausmaß der Dekommodifizierung, d. h. der Grad der Unabhängigkeit vom Markt bei der Generierung von Wohlfahrt. In liberalen Regimen sichert der Markt mehr als der Staat, bzw. die Systeme sozialer Sicherung, die Wohlfahrt (und die Bedürfnisse) der BürgerInnen. Hier wird die Erwerbstätigkeit des Mannes als Priorität angesehen. Der Staat geht dazu über, die Produktion gesundheitlicher und sozialer Dienstleistungen der privaten Initiative, d. h. den privaten AkteurInnen, zu überlassen (Fitzenberger/Wunderlich 2004, Heinze 1999, Kilkey/Bradshaw 1999, Nokielski/Pankoke 1996 u. a.). Liberale Staaten agieren also als Nachtwächterstaaten, d. h. es wird erst in den Markt interveniert, wenn dieser versagt hat. Sozialdemokratische und konservative
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Hier gemeint ist die Solidarität innerhalb der Familie bzw. durch die Familie.
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Regime hingegen schließen den Markt eher aus und weisen eine Vielzahl von Wohlfahrtsprogrammen auf (Orloff 1993, 310). Liberale Regime sind stückweit dekommodifiziert, weil ihr Versicherungssystem auf Arbeit aufbaut. Bei den konservativ-kooperatistischen Regimen mit einem einkommensbezogenen Versicherungssystem liegt keine Dekommodifizierung von Arbeit vor (Orloff 1993, 310f.). Im konservativ-kooperatistischen Regime Frankreich liegt die Frauenerwerbsquote auch aufgrund zahlreicher Programme und Regelungen zur Elternschaft höher als in Großbritannien, um die Erwerbstätigkeit für Mütter zu erleichtern (Becker 2000, Kißler 2005, Gornick/Meyers/Ross 1999, Steinhilber 1997 u. a.). Sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten sind am stärksten dekommodifiziert, weil diese eine universelle soziale Sicherung aufweisen. Die Gleichverteilung von Haus- und Erwerbsarbeit scheint im sozialdemokratischen Regime Schweden am weitesten fortgeschritten zu sein. Die Berufstätigkeit von Müttern auch kleiner Kinder wird nicht mehr hinterfragt oder gar angezweifelt (Busch 1995, 133) und die Bereitstellung einer sozialen Infrastruktur wie bspw. der Kinderbetreuung stellt eine wichtige Voraussetzung für die Frauenerwerbstätigkeit dar (Kolbe 2002, Jönsson/Letablier 2003, Lewis 1991, Gornick/Meyers/Ross 1999 u. a.). Das zweite Kriterium ist das Ausmaß an Stratifikation, d. h. an Strukturierung und Schichtung gesellschaftlicher Verhältnisse sowie sozialer Beziehungen durch die Systeme sozialer Sicherung (Obinger/Wagschal 1997, 8). Der Wohlfahrtsstaat an sich stellt ein System der Stratifikation dar. „Some policies may promote equality, cross-class solidarity, or minimize economic differences, while others may promote social dualism or maintain or strengthen class, status, or occupational differentiation“ (Orloff 1993, 310). Wie das Zitat deutlich aussagt, reduzieren manche Programme Ungleichheiten, andere bauen diese aus. Liberale Regime fördern einen sozialen Dualismus zwischen der Minderheit (die Wohlfahrt durch den Staat erlangt) und der Mehrheit (die Wohlfahrt über den Markt erwirbt). In diesem Regime vollzieht sich die Reduzierung von sozialer Ungleichheit über die Lebensspanne, ist also nicht alters- oder klassenbezogen. Konservativ-kooperatistische Regime bieten unterschiedliche Versorgungsprogramme für verschiedene soziale Schichten an und schaffen dadurch Ungleichheiten. Sozialdemokratische Regime hingegen fördern Solidarität, indem sie alle Bürger in gemeinsame Projekte einschließen. Das dritte Kriterium umfasst den jeweiligen Stellenwert von Staat, Markt und Familie in der sozialen Sicherung, erklärt also wie die Machtressourcen in den Bereichen verteilt und Interessen organisierbar sind (Obinger/Wagschal 1997, 8). Kritisiert wird die Kategorisierung Esping-Andersens u. a. wegen seiner fehlenden Geschlechterdimension und –relevanz. Dieser wird vorgeworfen, 48
keinen Zusammenhang zwischen den Kriterien und dem Geschlechterverhältnis aufzuzeigen, auch werden geschlechtsspezifische Regulierungen nicht weiter untersucht (Obinger/Wagschal 1997, 9). Geschlechter und Differenzen zwischen den Geschlechtern in die Analyse einzubinden ist allerdings von großer Bedeutung, da so die Beziehung zwischen Frauen und den verschiedenen Typen von Wohlfahrtsstaaten genauer betrachtet werden kann (Sainsbury 1996, 34). Aus diesem Grund muss bei einer geschlechtersensiblen Untersuchung berücksichtigt werden, inwieweit sozialpolitische Regelungen und Rechte ge-„gendered“, d. h. hinsichtlich der sozialen Kategorie „Geschlecht“ verändert bzw. angepasst wurden (ebd., 35). Um der Kritik der fehlenden Geschlechterdimension gerecht zu werden, wird eine zweite, geschlechtersensible, Kategorisierung durch Ostner (1994) und Lewis (1992, 1994) vorgenommen, die ihrerseits Wohlfahrtsstaaten in „strong male-breadwinner“ Modell (GB), „modified13 male-breadwinner“ Modell (FR) und „weak male-breadwinner“ Modell (SE) unterteilen. Auch hier stehen die Länder nicht für Reinformen, aber idealtypisch. Das von Lewis und Ostner erarbeitete „male-breadwinner family model”, also das Modell vom männlichen Familienernährer, soll zur (historischen) Aufarbeitung von Typologien der Wohlfahrtsstaatsregime dienen und aufzeigen, inwieweit wohlfahrtsstaatliche Regularien insbesondere in ernährerzentrierten Wohlfahrtsregimen partikularistischen männlichen, d. h. erwerbszentrierten Interessen, entgegenkommen (Sauer 2001, 129). Denn „(Wohlfahrts-)Staatliche Politiken sind `institutionalisierte Interpretationsmuster´, die durch ihre Praktiken Geschlechter, `Männer´ und `Frauen´, sowie deren Bedürfnisse überhaupt erst konstruieren“ (ebd., 133), nämlich als „Familienernährer“ oder als „Abhängige“ und „Schützenswerte“. Das Ideal des „male-breadwinner models“ sieht den „Broterwerb“ für Männer und die Versorgung von Haushalt und Familie für Frauen vor, was einem Modell für die männliche weiße Mittelschicht entspricht. Mit Hilfe des „breadwinner“ Modells soll herausgefunden werden, inwieweit Frauen selbst als Familienernährer aktiv werden, die Rolle von Erwerbstätigem und Elternteil übernehmen können. Hierbei spielt die Quantität und Qualität des Einschlusses von Frauen in die Systeme und Institutionen sozialer Sicherung eine große Rolle, ebenso wie die weibliche Erwerbsbeteiligung und die nationalen Dienstleistungsprofile (Ostner 1995, 91). Die Stärke oder Schwäche der „malebreadwinner” Modelle dient hierbei als Indikator dafür, welchen Status Frauen im System sozialer Sicherung haben, wie hoch das Niveau sozialer Dienstleistungen ist (vor allem in Bezug auf Kinderversorgung u. ä., weil diese die Frau 13
Modified (engl.) = abgeschwächt, eingeschränkt.
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beim Eintritt in das Erwerbsleben unterstützt) (Lewis 1992, 159ff.) und in welchem Maße die Wohlfahrtsstaaten dekommodifiziert sind. Kritisiert wird an dieser Klassifizierung die fehlende oder unzureichende Berücksichtigung der Kinderkosten und deren Aufteilung auf Staat und Familie sowie die Verteilung von Kinderbetreuung zwischen Gesellschaft und Eltern, die Bewertung unbezahlter Sorgearbeit und die Hierarchie der Subventionierung von Mutter- und Vaterschaft durch Sozialleistungen (Scheiwe 1999, 160), was in dieser Arbeit allerdings eingehend untersucht und ergänzend dargestellt wird. Der geschlechtsspezifischen Kritik an Esping-Andersens Kategorisierung kann hier allerdings nur bedingt zugestimmt werden, da auch er in neueren Werken den geschlechtsspezifischen Aspekten der einzelnen Dimensionen Rechnung trägt (Esping-Andersen 1999). Allerdings steht für ihn bei seinen Überlegungen weniger die Geschlechtergleichstellung als die Gewinnmaximierung für Familien/Haushalte und Gesellschaften im Vordergrund. Inwiefern dies geschieht, wird im Folgenden deutlich. Die Staat - Markt Dimension wird für eine geschlechtersensible Untersuchung von Orloff um den Unterpunkt Familie erweitert. Hierbei stehen die Familie und die Erwerbstätigkeit (und die Rolle der Frau in diesen Bereichen) im Vordergrund. Die Familie muss als Versorger mit Wohlfahrts- und Dienstleistungen berücksichtigt werden, denn bislang gilt: „families are ignored as `private´ providers of welfare goods and services“ (Orloff 1993, 312). Auch EspingAndersen betrachtet die Familie im Kontext individueller und sozialer Risiken, denn in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft betreffen die Risiken und Folgen des Versagens der Familie (die ebenso versagen kann wie Märkte) bei der Generierung von Wohlfahrt nicht mehr nur Individuen, sondern haben Auswirkungen auf die Gesellschaft, welche die sozialen Risiken auffangen muss, so dass eine De-Individualisierung und De-Familiarisierung sozialer Risiken konstatiert werden kann (Esping-Andersen 1999, 37). Die Familie wird zudem als zentrale Institution betrachtet, die neben Staat und Markt als integrative und regulative Infrastruktur darüber entscheidet, was im gesellschaftlichen Sinne rational und wünschenswert ist. „Parallel to the state and the market, it is part of an integrated regulatory infrastructure that defines what is rational and desirable, (…)“ (ebd., 47). Bei der geschlechtersensiblen Untersuchung der Dimension der Stratifikation wird deutlich, dass staatliche Strategien und Politiken weiterhin Ungleichheiten schaffen, indem Vollzeitbeschäftigte eine privilegiertere Stellung einnehmen als unbezahlte ArbeiterInnen und Arbeit nach Geschlechtern aufgeteilt wird. Wegen der ungleichen Stellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt werden Transferleistungen zur Kompensierung dieser auch weitestgehend von
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Frauen bezogen. Die Sozialversicherung ist, da meist einkommensbezogen, nicht geschlechterneutral (Krell 1984, 9). Liberale Regime bringen einen Dualismus hervor, wobei die Ärmsten versorgt werden und ein Zwang zur Erwerbstätigkeit für alle anderen herrscht, wodurch die Abhängigkeit der Frau vom Mann steigt. Konservativ-kooperatistische Regime unterstützen Familien, in denen die Frau ausschließlich zu Hause arbeitet, d. h. in diesen Regimen erfolgt eine Unterstützung der traditionellen Familie und Arbeitsteilung. In sozialdemokratischen Regimen liegt eine universelle Sicherung vor, Frauen werden zur Erwerbstätigkeit animiert, sind aber politisch unterrepräsentiert (Orloff 1993, 314ff.). Bei der geschlechtersensiblen Untersuchung der Dimension der sozialen Bürgerrechte und Dekommodifizierung wird deutlich, dass durch Dekommodifizierung nicht nur Vorteile geschaffen werden. Mutterschaftsurlaub z. B. dekommodifiziert Arbeit, aber reduziert gleichzeitig das Einkommen und dadurch auch die Rentenansprüche. D. h., dass auch Dekommodifizierung der Arbeit Männer und Frauen wieder unterschiedlich beeinflusst. Außerdem beachtet das Konzept der Dekommodifizierung nicht, das Frauen, um dekommodifiziert werden zu können, zunächst kommodifiziert werden müssen bzw. die freie Option für oder gegen eine Erwerbstätigkeit haben sollten (Daly 1994, 108). Esping-Andersen betont hinsichtlich der Kommodifizierung der weiblichen Erwerbstätigkeit die Effektivität öffentlicher Kinderbetreuung. Auch hier widerlegt er die an ihm geübte, geschlechtsspezifische Kritik und macht deutlich, dass die Frauenerwerbstätigkeit vor allem durch den Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung gefördert wird. Der Beteiligung von Männern an der familialen Arbeit zur Ausweitung weiblicher Erwerbstätigkeit und –fähigkeit spricht er eine hohe Effektivität ab. Politische Strategien, die auf eine stärkere Beteilung der Männer an Haushaltsarbeit abzielen, würden zwar geschlechtsspezifisch betrachtet egalitär wirken, „but they do not appear to be a `win-win´ strategy“ (Esping-Andersen 1999, 59), aber können nicht als Strategie verstanden werden, welche für die Familie bzw. das Familieneinkommen und die Gesellschaft den größten Gewinn erzielen. Das Konzept der Dekommodifizierung wird von Esping-Andersen durch das Konzept der Defamilisierung ergänzt. Defamilisierung bedeutet nicht die Auflösung der Familie oder das Gegenteil von Familie, sondern bezieht sich auf den Grad der Haushalte, zu dem die Wohlfahrtsgenerierung durch sozialstaatliche oder marktmäßige Dienstleistungen abgedeckt ist. Defamilisierung wird als Voraussetzung für die Kommodifizierung der weiblichen Erwerbstätigkeit betrachtet (ebd., 51). Neben der Geschlechtsblindheit wird auch die dreipolige Typologie kritisiert, welche sich in den letzten Jahren erheblich aufgefächert hat. Die Anzahl der Wohlfahrtsstaatentypen wäre demnach zu beschränkt. Esping-Andersen 51
begegnet dieser Kritik, indem er mehrere Varianten eines vierten Typus diskutiert. Er macht zudem deutlich, dass das letzte Wort in der Debatte um die Kategorisierung der Wohlfahrtsstaaten noch nicht gesprochen sei und die Kategorisierung ggf. den Bedürfnissen und Anforderungen der ForscherIn angepasst werden müsste. Trotzdem erklärt er, dass sich die dreipolige Einteilung unter Berücksichtigung die seiner Analyse zugrunde liegenden Dimensionen und (politischen) Instrumente anbietet (Esping-Andersen 1999, 88ff.). Weiterhin wird an Esping-Andersens Ansatz kritisiert, dass er sich in seinem Werk „The Three Worlds of Welfare Capitalism“ zu sehr auf die Sozialpolitik der 1980er Jahre beschränkt. Für spätere Zeitpunkte wird eine starke Pfadabhängigkeitsthese aufgestellt, wonach die bisherige Struktur der Sozialpolitik die zukünftige Struktur determiniert. Dadurch wird der Möglichkeit der Umkehrbarkeit von Entwicklungen und der Auflösbarkeit von Institutionen keine Rechnung getragen (Schmidt 1998,181). Esping-Andersen begegnet dieser Kritik, indem er seine Kategorisierung als Momentaufnahme und deshalb nur als zeitlich begrenzt zutreffend versteht. Er spricht den Regimetypen nicht die Wandlungsfähigkeit von einem Regimetypus zu einem anderen ab und macht am Beispiel Großbritanniens deutlich, dass sich dieser Wohlfahrtsstaat erst zu einem liberalen Regime entwickelt hat, wodurch ersichtlich wird, dass er selbst nicht per se von einer Pfadabhängigkeit der jeweiligen Regimetypen ausgeht und Entwicklungen nicht im Widerspruch zu seiner Kategorisierung stehen, wobei er allerdings einen gewissen Grad an Kongruenz und Gemeinsamkeit bei der Anpassung an massive soziale und wirtschaftliche Veränderungen für jeden Regimetyp unterstellt (Esping-Andersen 1999, 86f.). Trotz der Kritik an Esping-Andersens Konzept kann dieses für eine vergleichende Wohlfahrtsstaaten-Analyse herangezogen werden, da es die wichtigen Dimensionen Dekommodifizierung, Stratifikation sowie Verhältnis von Staat/Markt/Familie enthält und so eine gute Basis schafft, um eine geschlechtersensible Untersuchung vornehmen zu können. Auch die dreipolige Kategorisierung ist m. E. gerade bei einem Vergleich dreier westeuropäischer Staaten vorteilhaft. Der letzte Kritikpunkt bezogen auf die Pfadabhängigkeit wird hier durch die Überprüfung dieser nach dem Konzept von Hall aufgegriffen (vgl. Kap. 1.2.7.1 sowie Kap. 5.1). 1.2.7.1 Pfadabhängigkeitsprüfung nach Peter Hall Für eine geschlechtersensible Untersuchung des Stratifizierungskonzeptes von Esping-Andersen dienen die in Kapital 1.2.5 vorgestellten Dimensionen des 52
Ländervergleichs unter Berücksichtigung des Konzepts der male-breadwinner states von Ostner und Lewis. Zur Überprüfung der (politischen) Pfadabhängigkeit in den Ländern wird im Kapitel 5.1 anhand der Ergebnisse des Ländervergleichs entlang der Dimensionen analysiert, ob sich, bezogen auf die einzelnen politischen Bereiche, ein Paradigmenwechsel vollzogen hat oder ob der herkömmliche politische Pfad begangen wird. Für diese Analyse wird das Konzept des „Social Learning“14 von Peter Hall herangezogen. Hall definiert drei Grade des Paradigmen- bzw. Pfadwechsels von politischer Aktivität, die durch einen Prozess des Social Learning hervorgerufen werden (können). Dieses gesellschaftliche Lernen wird hervorgerufen und beeinflusst durch (1) die Politik der Vergangenheit, (2) ExpertInnen eines bestimmten Politikfeldes (PolitikerInnen wird im Prozess des gesellschaftlichen Lebens weniger Bedeutung beigemessen). Zudem wird dem Staat (3) autonomes Vorgehen bei der Setzung politischer Ziele eingeräumt. Nach diesem Konzept spielen externe Faktoren wie die wirtschaftliche Situation, Wahlen, Parteien, Lobbyismus keine primäre Rolle im Prozess des gesellschaftlichen Lernens und wirken somit auch nicht primär auf politische Veränderungen im Sinne eines Paradigmenwechsels (Hall 1993, 277f.). Das politische Paradigma bei Hall beinhaltet die politischen Ziele, die Instrumente zur Erreichung der Ziele und die Ausformung der politischen Probleme selbst. Diese drei Faktoren des politischen Paradigmas bilden die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die „policy maker“ bewegen und durch die politischer Wandel stattfindet (ebd., 279). Zukünftiger politischer Wandel durch gesellschaftliches Lernen kann nach Hall in drei Ausprägungsstufen untergliedert werden. (1) First order change und (2) second order change sind Fälle von „policy making“ innerhalb eines politischen Paradigmas. Beim häufiger auftretenden first order change werden politische Entscheidungen entlang des Pfades getroffen, es kommt evtl. zu Anpassungen der Instrumente. Der second order change geht einen Schritt weiter, die Entwicklung vollzieht sich zwar entlang des Pfades, aber es werden aufgrund von Unzufriedenheiten mit politischen Entscheidungen der Vergangenheit bspw. neue politische Instrumente eingesetzt. Beim (3) third order change kommt es zu starken Abweichungen von der politischen Linie, also zu einem Paradigmenwandel oder - in der Terminologie vergleichender Wohlfahrtsstaatstheorie - zu einem Pfadwechsel. Dieser drückt sich in einer veränderten Hierarchie politi14 Social Learning (engl.) = gesellschaftliches Lernen ist der bewusste Versuch, die Ziele oder Techniken (Instrumente) von Politik/politischer Linie in Erwiderung auf vergangene Erfahrungen und neue Informationen anzugleichen. Lernen ist somit indiziert, wenn sich Politik als Ergebnis eines solchen Prozesses ändert (Hall 1993, 278).
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scher Ziele, einem neuen Set an politischen Instrumenten und geänderten politischen Austragungsorten aus (ebd., 283f.). Der Prozess, bei dem ein Paradigma das andere ablöst und die Bestimmung des Grades bzw. Ausmaßes, ist nur schwer wissenschaftlich auszumachen, vielmehr ist die Interpretation soziologisch und bedingt kontroverse Einschätzungen von ExpertInnen des politischen Feldes (ebd. 279f.). Zur Überprüfung von Pfadabhängigkeit oder –wechsel der politischen Linien wird die Hall´sche Klassifizierung, die sich ursprünglich auf die Untersuchung von Wirtschaftspolitik bezieht, hier für die Analyse der Veränderungen in Arbeitsmarkt- und Familienpolitik herangezogen. Nachdem im Kapitel 5.1 eine Kategorisierung der politischen Pfade entlang der Vergleichsdimensionen nach dem Hall´schen Konzept durchgeführt wird, folgt in Kapitel 5.2 aufgrund der vorher gewonnenen Ergebnisse eine Überprüfung der Aktualität von EspingAndersens Kategorisierung der Wohlfahrtsstaaten in liberal, konservativkooperatistisch und sozialdemokratisch. Durch das Hall´sche Konzept können somit Aussagen darüber getroffen werden, ob die hier verglichenen Wohlfahrtsstaaten nach wie vor ihrer typologischen Zuschreibung zugeordnet werden können oder nicht. Außerdem ist es möglich, Aussagen über die politische Entwicklung der Länder sowie den Einfluss der EU-Politik auf die nationalstaatliche Politik durch evtl. Abweichungen vom herkömmlichen politischen Pfad oder den Einsatz neuer Instrumente zu formulieren. Nicht zuletzt trägt dies zur Beantwortung der Forschungsthesen bei.
1.3 Erhebungs- und Auswertungsmethode Die Aufarbeitung des Forschungstandes und darüber hinaus die vergleichende Analyse der Wohlfahrtsstaaten wird durch eine Sekundäranalyse geleistet. Wie bereits erwähnt ist der Vergleich wichtig, um zu eindeutigen und quantifizierbaren Ergebnissen zu kommen. Hier werden allerdings nur drei Wohlfahrtsstaaten untersucht und verglichen, was eine quantitative Methode zur Gewinnung von Ergebnissen aufgrund der geringen Fallzahl unmöglich macht. Aufgrund dessen soll qualitativ geforscht werden, was hinsichtlich des hier vorliegenden Forschungsinteresses eindeutig der effektivere Weg ist, um zu stichhaltigen Ergebnissen zu kommen, denn die statistische Methode überprüft hauptsächlich lineare Beziehungen und Trends, während die vergleichende Methode die Möglichkeit bietet, intensiv nach nicht-linearen Beziehungen und komplexen Interpretationen zu suchen. Bei einem qualitativen Vergleich ist eine begrenzte Anzahl an Vergleichsobjekten ratsam, da die qualitative Auswertung bei zu hoher Fallzahl unmöglich wird (Nissen 2002, 27f.). 54
Der Vergleich weniger Länder und die damit verbundene Analyse wird als Vorgehensweise betrachtet, „die den größten Erkenntnisgewinn verspricht (…), (denn) Fallstudien in so genannten paired15 oder focused16 comparison bleiben sensibel gegenüber Länderspezifika und erlauben trotzdem die Formulierung und Überprüfung von Hypothesen“ (ebd., 44). Durch den Vergleich weniger Fälle können in der Kombination von intensiven Einzeluntersuchungen der Länder und einer vergleichenden Zusammenführung der drei Länder beide Vorteile genutzt werden und die Länderanalysen stehen nicht isoliert, so dass Überbewertungen vermieden werden können. Diese Vorgehensweise der Analyse mehrerer begründet gegenübergestellter Untersuchungsobjekte ermöglicht intensive Untersuchungen am Objekt an sich und im Vergleich mit anderen Untersuchungsobjekten, so dass trotz dieser kritisch betrachteten Vorgehensweise auch die Theoriebildung nicht auszuschließen ist (ebd., 45). Die Vorgehensweise der aufeinander folgenden Länderkapitel als Vergleichsobjekte mit anschließendem Zusammenführen der Ergebnisse über ein Fazit (hier Kap. 5.1) wird von einigen Autoren, wie Nissen dies beschreibt, hinsichtlich des methodischen Vorgehens kritisiert, da die Einzeluntersuchungen unverbunden aneinandergereiht würden (ebd., 37). Da hier aber untersucht werden soll, wie sich staatliche Strategien hinsichtlich der weiblichen Erwerbstätigkeit verhalten, erscheint es sinnvoll, zunächst diejenigen Bereiche eines Wohlfahrtsstaates zu untersuchen, welche die Erwerbstätigkeit tangierenden, um ein umfassendes Bild dieses Untersuchungsobjektes zu erhalten und nicht etwa die Objekte bereits vor der vollständigen Analyse gegenüberzustellen, da dies ansonsten zu falschen Schlussfolgerungen führen könnte. Demnach ist hier die Methode des Vergleichs durch drei Untersuchungsobjekte, die zwar nicht „über Kreuz“ miteinander verglichen werden, aber durch die Vergleichsdimensionen die Kategorien des Vergleichs unverändert bleiben, vorzuziehen und auch die Zusammenführung der Ergebnisse des Vergleichs in einem abschließenden Kapitel scheint methodisch wie auch praktisch sinnvoll. Um zu untersuchen, was auf den verschiedenen Ebenen (Staat, Politik, Gesellschaft, Privatheit) getan wird, um die Kommodifizierung der Frauenerwerbstätigkeit zu gewährleisten, aber auch für Aussagen zur Entwicklung der Geschlechterverhältnisse, werden neben der Sekundärliteratur verschiedene Statistiken herangezogen und interpretiert, d. h. es erfolgt die Erhebung und Auswertung neuer Daten ebenso wie die Aufarbeitung bereits erhobener Daten mit einer ggf. auf die Forschungsfragen bezogenen neuen Auswertung. Untersucht werden bspw. Statistiken zur Erwerbs- und Arbeitslosenquote, zur Zeitverwendung bei15 16
Paired (engl.) = paarweise (Methode des paarweisen Vergleichs). Focused (engl.) = konzentriert, gebündelt (konzentrierter Vergleich).
55
der Geschlechter sowie zur Anzahl der Kinderbetreuungsplätze u. v. m. Diese Statistiken werden von Eurostat bezogen, teilweise übernommen, aber auch selbst zusammengestellt. Die einheitliche Verwendung von Daten des statistischen Amtes der Europäischen Union hat den großen Vorteil, dass diese anhand gleicher Kriterien erhoben werden und so die Vergleichbarkeit von Daten verschiedener Länder gewährleistet ist. Die Interpretation erfolgt immer eigenständig. Andere Quellen für statistische Daten liefert die Sekundärliteratur. Trotz der Vergleichbarkeit oder der expliziten Erläuterung der unterschiedlichen Datenbasen muss hier darauf hingewiesen werden, dass die Interpretation der Daten verlangt, „hinter“ die Zahlen zu schauen, da die länderspezifischen Statistiken aufgrund der unterschiedlichen Struktur der Länder nicht in jedem Fall eindeutig vergleichbar sind. Diese Problematik ergibt sich bspw. im Vergleich des Gender Pay Gap und wird in Kapitel 2.5 näher erläutert. Bei der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes helfen die in Kapitel 1.5 vorgestellten Dimensionen. Eine weitere Einschränkung wird durch die Begrenzung der zeitlichen Dimension vollzogen, da in dieser Arbeit nur Daten neueren Datums herangezogen werden. Dies schließt einen historischen Überblick zur Erklärung der Entwicklung bspw. der Teilzeitarbeit, des Elterngeldes ö. ä. an gegebener Stelle nicht aus. Zudem wird bei dem Vergleich der europäischen Länder die Dimension Europa nur an konkreten Beispielen wie dem Prinzip des Gender Mainstreaming und ausgewählten EU-Rechts-sprechungen sowie Leitlinien in Bezug auf Geschlechtergleichstellung einbezogen. Zusätzliche Informationen zur Überprüfung der eingangs aufgestellten Thesen sollen durch problemzentrierte leitfadengestützte ExpertInneninterviews erhoben werden, die anhand der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet werden. Das ExpertInneninterview ist eine Art der qualitativen Forschung, welche im Hinblick auf die Forschungsfrage sinnvoll erscheint, weil bislang unerforschte Lebensrealitäten, Sichtweisen und Erfahrungen von Frauen sichtbar und für die empirische Forschung zugänglich gemacht werden können (Behnke/Meuser 1999, 14). Die ExpertInneninterviews gehören zu den offenen Verfahren (Liebold/Trinczek 2002, 39) und ermöglichen im Idealfall eine „unvoreingenommene Erfassung individueller Handlungen sowie subjektiver Wahrnehmungen und Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität“ (Witzel 2000 (1)). Zudem verfügen ExpertInnen über ein „privilegiertes Sonderwissen“ (Liebold, Trinczek 2002, 68). Die Unvoreingenommenheit der ExpertInnen kann allerdings angezweifelt werden, da sie trotz ihres Status eine eigene Meinung nicht gänzlich außer acht lassen können, jedoch sichern diese in jedem Fall Informationen zu Themenbereichen und Problematiken, welche ansonsten nur schwer zugänglich sind. So bestimmen sich die ExpertInnen also durch eben dieses fachlich orien56
tierte Sonderwissen und kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie über einen Wissensvorsprung hinsichtlich der Forschungsfrage verfügen (ebd., 36f.). Die ExpertInnen als Individuen stehen hierbei nicht im Vordergrund, vielmehr „verkörpern (sie) organisationale und institutionelle Entscheidungsstrukturen und Problemlösungen, sie repräsentieren Wissensbestände im Sinne von Erfahrungsregeln, die das Funktionieren von sozialen Systemen bestimmen (…)“ (ebd., 41) und gehen so als RepräsentantInnen/MultiplikatorInnen einer bestimmten Gruppe geschlechterpolitischer AkteurInnen in die Untersuchung ein (Henninger 2000, 41). Die ExpertInneninterviews sollen helfen, die spezifischen Nationalstaaten als Geschlechterregime tiefgreifender zu verstehen und einordnen zu können. Wichtig ist es deshalb auch, herauszufinden, ob die Einschätzungen der ExpertInnen über die Wirksamkeit und Praktikabilität der verschiedenen familien- und arbeitsmarktpolitischen Leistungen mit den in der Sekundärliteratur beschriebenen Effekten übereinstimmen oder abweichen. Auch die in der Sekundärliteratur dargestellten landesspezifischen Geschlechterverhältnisse, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung etc. soll durch die Interviews mit den tatsächlich „gelebten“ Praktiken verglichen werden. Außerdem werden konkrete Beispiele für erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Modelle und Maßnahmen zur Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit greifbar, wodurch Politikempfehlungen für eine positive Weiterentwicklung hin zu einer paritätischen Teilhabe und Verteilung der Ressourcen, vor allem auf dem Arbeitsmarkt, möglich werden. Die Anzahl der durchzuführenden Interviews wird soweit eingegrenzt, dass trotzdem Einblicke verschiedener AkteurInnen auf verschiedenen Ebenen gewonnen werden. So wird in den drei Wohlfahrtsstaaten Großbritannien, Frankreich und Schweden jeweils eine ExpertIn der (1) städtischen- oder kommunalpolitischen Ebene, (2) aus gesellschaftspolitischen Institutionen und (3) Unternehmen interviewt - hier ist der Bereich Human Resources, also die Personalabteilung, besonders relevant - wodurch die drei gesellschaftliche Bereiche abgedeckt sind, welche maßgeblichen Einfluss auf die Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit ausüben. Dies ermöglicht nach der Auswertung der Ergebnisse Rückschlüsse auf den jeweiligen Typus des Geschlechterregimes. Die Vergleichbarkeit der für die ExpertInneninterviews ausgewählten Städte wird dadurch gewährleistet, dass es sich hierbei um die jeweiligen Hauptstädte London, Paris und Stockholm handelt, in denen ähnliche Lebensbedingungen bspw. in Bezug auf Arbeiten, Wohnen etc. und ähnliche Bevölkerungszahlen, Anteile erwerbstätiger Frauen, Infrastruktur u. ä. vorgefunden werden. Diese zeichnen sich weiterhin dadurch aus, dass die politische Führung der Hauptstädte - zumindest hinsichtlich der regierenden Parteien – mit der jeweiligen Regierung auf Länderebene zum Interviewzeitpunkt identisch ist. Das Vorfinden frauenpo57
litischer AkteurInnen auf diesen drei gesellschaftlichen Ebenen lässt ungeachtet der durch die Interviews erhobenen Daten und Erkenntnisse den ersten positiven Rückschluss zu, dass der Auftrag, mehr Gleichheit der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen herzustellen, der von Landes- und teilweise von EUEbene initiiert wurde, ernst genommen und durchgeführt wird, wobei dies noch keine Aussagen über die Qualität der Umsetzung zulässt. 1.3.1 Ergebnisse der Akquisition Im Zeitraum von sechs Monaten (Mai – Oktober 2007) habe ich Anfragen mit Informationen zu meiner Person und meiner Forschungsarbeit per E-Mail auf Englisch (und teilweise auf Französisch) versendet sowie vereinzelt auch telefonisch Kontakt aufgenommen. Zunächst wurden AutorInnen angeschrieben, die sich mit gleichstellungspolitischen Themen im In- und Ausland befassen und mir Personen und Institutionen nennen konnten, die für meine Forschungsfragen von Interesse sind. Viele der vermeintlichen ExpertInnen haben mich auf Anfrage an andere Personen weitergeleitet, so dass ich meine ExpertInnen über das „Schneeballsystem“ gefunden habe. Um die Akquisition effizienter zu gestalten, habe ich ExpertInnen auf politischer Ebene durch Recherche auf den jeweiligen Städteseiten kontaktiert, zusätzlich Recherche nach Ministerien oder auch einzelnen politischen Personen betrieben. In Großbritannien habe ich zudem zahlreiche Stadtverwaltungen mit Bitte um Kontakte zu ExpertInnen angeschrieben. Auf Institutionen-Ebene habe ich Organisationen und Institutionen kontaktiert, die sich mit Frauen u./o. Frauenerwerbsarbeit beschäftigen. Auf Unternehmens-Ebene wurden zunächst die Unternehmenslisten der jeweiligen Städte via Internet zugänglich gemacht, um dann zu überprüfen, ob und inwiefern sich diese auf ihren Websites auf Gender oder Diversity beziehen und so eine Auswahl der anzuschreibenden Unternehmen zu erhalten. Im Fall Großbritannien wurden zusätzlich die Mitglieder von „Opportunity Now“ kontaktiert, die sich freiwillig verpflichten, nach Diversity und Gender Equality zu streben. Zusammengenommen wurden auf diesen Wegen 42 Anfragen nach Frankreich, ca. 90 nach Großbritannien und ca. 54 nach Schweden per E-Mail verschickt. Das „ca.“ deutet daraufhin, dass für die Akquisition in allen drei Ländern auf Institutionen- und Unternehmens-Ebene zusätzlich eine große Anzahl an Anfragen direkt auf den Websites durch Formblätter verschickt wurde. Diese werden allerdings nicht gespeichert und können nicht auf dem PC abgelegt werden, so dass deren genaue Zahl nicht bekannt ist. Die Anfragen nach Frankreich sind geringer ausgefallen, da ich zunächst 58
eine Zusage über sechs ExpertInnengespräche durch Vermittlung eines Pariser Institutes hatte, welche sich aber bedauerlicherweise doch nicht realisieren ließen, aus welchem Grund bleibt an dieser Stelle unklar. Ich habe aufgrund der gescheiterten Vermittlung die Akquisition hier also erst zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt. 1.3.2 Die interviewten ExpertInnen Bei der Auswahl vorab war es mir wichtig für die Feststellung des ExpertInnenStatus und hinsichtlich meiner Forschungsfrage, dass die ExpertInnen in ihrer täglichen Arbeit in die Gender Issues involviert, d. h. als Diversity Manager, Equality Advisor o. ä. (was in Deutschland der Position der Gleichstellungsbeauftragten / Beauftragten für Chancengleichheit o. ä. entspricht) täglich mit der Förderung der Geschlechtergleichstellung oder spezieller der Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit beschäftigt sind. Dies spielt vor allem auf Institutionen und Unternehmens-Ebene eine Rolle, auf politischer Ebene sollten es Frauen oder Männer sein, die politisch mit den Gender Issues arbeiten. Zudem habe ich bei der Auswahl der Unternehmen darauf geachtet, dass ich für jedes Land eine ExpertIn als Stellvertreter eines Großunternehmens interviewe, welches von Männern dominierte Arbeitsbereiche aufweist, da dort Maßnahmen, Defizite und Erfolge von Diversity Strategien stärker ausgebildet sein sollten. Es wurden 17 ExpertInnen-Interviews mit insgesamt 20 ExpertInnen (14 Einzelinterviews und drei Interviews mit je zwei ExpertInnen) durchgeführt, davon entfielen sechs Interviews auf Großbritannien (im Oktober 2007), drei auf Frankreich (im November 2007) und acht auf Schweden (im September 2007). Die Anzahl der durchgeführten Interviews pro Ebene und Land wird aus Tabelle 2 ersichtlich. Tabelle 2: Anzahl der Interviews bezogen auf die verschiedenen Ebenen GB
FR
SE
insgesamt
Interv.
Exp.
Interv.
Exp.
Interv.
Exp.
Interv.
Exp.
Politik
1
1
1
2
1
2
3
5
Institution
2
2
1
1
2
2
5
5
Unternehmen Insges.
3
3
1
1
5
6
9
10
6
6
3
4
8
10
17
20 59
Die von mir erklärte und definierte Mindestanzahl von neun Interviews (je ein Interview pro Ebene und Land) wurde deutlich überschritten, was zu einer guten Vergleichbarkeit und Einschätzung der erhobenen Daten führt, nicht zuletzt, da fast alle Interviewpositionen doppelt vergeben sind. Die Interviewsprache war Englisch, die Ausnahme bildete das Interview in Frankreich auf politischer Ebene (2.1.1), das ich mit zwei Expertinnen geführt habe, wobei eine Expertin zusätzlich als Übersetzerin (von Französisch in Englisch) fungiert hat. Dies könnte als problematisch betrachtet werden, was es aber praktisch nicht war, da ich genug verstehen konnte, um die Vollständigkeit der Übersetzung zu überprüfen. Von den 20 interviewten ExpertInnen waren 18 Frauen und zwei Männer. Diese zwei Männer wurden in Schweden interviewt (ein Experte auf Institutionen-Ebene und ein Experte auf Unternehmens-Ebene). Die geringe Anzahl an Männern in den sich mit Gender Issues beschäftigenden Positionen lässt die Vermutung zu, dass die Gender Issues nach wie vor ein weiblich dominiertes Arbeitsgebiet sind, welches allerdings in Schweden die größte gesellschaftliche Zustimmung erfährt, weshalb auch Männer in diese typisch weibliche Domäne vordringen. Zudem muss das prozentuale Übergewicht weiblicher Vertretung unter den ExpertInnen bei der Interpretation der Aussagen sowie beim Lesen der Auswertung der empirischen Daten beachtet werden. So ist eine größere Anzahl an „typisch weiblichen“ Aussagen vorzufinden, welche es ggf. gegen die Meinungen der Experten abzuwägen gilt. Um die ExpertInnen genauer kennen zu lernen und deren Aussagen besser einschätzen zu können, befinden sich im Anhang I zudem Kurzportraits der 20 interviewten ExpertInnen mit Informationen zur beruflichen Position, politischen Zugehörigkeit etc. 1.3.3 Interviewleitfaden Durch den Interviewleitfaden wird gewährleistet, dass alle relevanten und interessanten Themenkomplexe während des Interviews angesprochen werden, aber trotzdem genug Raum für die subjektiven Wahrnehmungen und Sichtweisen der InterviewpartnerInnen verbleibt, was durch erzählungsgenerierende Fragestellungen gewährleistet ist. Der Interviewleitfaden wurde vor der Akquisition erstellt, da die Leitfragen anhand der noch zu klärenden bzw. thematisch interessanten Fragen entwickelt wurden und so auch die hinsichtlich der Fragestellungen geeigneten ExpertInnen eingegrenzt werden konnten. Der Interviewleitfaden ist in Themenblöcke unterteilt. Die Vergleichsdimensionen der Länderkapitel spiegeln die verschiedenen 60
Themenkomplexe des Leitfadens wider. Zudem wurde der Interviewleitfaden für den Forschungsaufenthalt in den jeweiligen Ländern modifiziert. Die Anpassungen tragen den neueren Gesetzgebungen Rechnung und berücksichtigen auch die aktuellen Regierungen in Großbritannien, Frankreich und Schweden, die sich in 2006 und 2007 gebildet haben. Außerdem weist jedes Land Spezifika auf. Bspw. spielt der Vaterschaftsurlaub in Schweden eine größere Rolle als in Großbritannien oder Frankreich, weil dieser dort mit einer Dauer von jeweils zwei Wochen keinen privaten Spielraum in der Verteilung zwischen Mann und Frau zulässt. 1.3.4 Interviewverlauf bzw. –situation Zu Beginn des ExpertInnen-Treffens informierte ich nach der Vorstellung und Begrüßung erneut über mein Forschungsthema und -interesse. Vor dem Beginn des Interviews habe ich die ExpertInnen um die Erlaubnis zur Aufzeichnung gebeten, die mir alle erteilt haben. Alle Interviews wurden mit Hilfe eines digitalen Diktiergerätes aufgezeichnet. Der Status der Interviewten als ExpertInnen wurde u. a. daran sichtbar, dass alle Interviews wochentags und während der Arbeitszeit der ExpertInnen durchgeführt wurden, was nicht überrascht, da diese als RepräsentantInnen ihrer Unternehmen, Institutionen sowie Parteien und nicht als Privatperson interviewt wurden. Anhand der Interaktion der ExpertInnen mit mir als Interviewerin wurde deutlich, dass es keine Statusdemonstrationen oder „Dummheitsunterstellungen“ (Liebold, Trinczek 2002, 47) gab. Ich wurde als Co-Expertin wahrgenommen. Die Atmosphäre war freundlich bis herzlich und freundschaftlich. Die ExpertInnen (vor allem die weiblichen) haben in mir jemanden gesehen, der für die gleiche Sache kämpft, die gleichen Wert- und Zielvorstellungen hat. So gab es oft Momente, in denen ich als „Mitverschwörerin“ im positiven Sinne betrachtet wurde. 1.3.5 Anonymisierung – Codierung – Auswertung Für die Verwendung der empirischen Daten im Text habe ich ein InterviewAnonymisierungs-Schema erdacht, welches einen schnellen Überblick über Land, Ebene und ExpertIn garantiert. So setzt sich jedes Interview aus drei Zahlen zusammen. Die erste Zahl steht für das Land (1 = Großbritannien, 2 = Frankreich, 3 = Schweden), die zweite Zahl steht für die Ebene (1 = Politik, 2 = Institution, 3 = Unternehmen) und die dritte Zahl steht für die ExpertIn (1 = erste ExpertIn bis 5 = fünfte interviewte ExpertIn, wobei die Interviews mit zwei Ex61
pertInnen in bspw. 2.1.1.1 und 2.1.1.2 aufgeteilt sind). Tabelle 3 veranschaulicht die Anonymisierung. Tabelle 3: Anonymisierungsschema
Politik Institution Unternehmen
Großbritannien Interviews 1.1.1 1.2.1 / 1.2.2 1.3.1 - 1.3.3
Frankreich Interviews 2.1.1.1 / 2.1.1.2 2.2.1 2.3.1
Schweden Interviews 3.1.1.1 / 3.1.1.2 3.2.1 / 3.2.2 3.3.1 - 3.3.5
Nach der digitalen Aufnahme der Interviews wurde im ersten Arbeitsschritt die Transkription mit dem Programm f4 durchgeführt. Im zweiten Arbeitsschritt wurden alle 17 Transkripte mit dem Programm MAXQDA codiert, um einen tieferen Einblick in das Material zu erhalten. Durch den Leitfaden und die darin enthaltenen Themenschwerpunkte, die durch die Vergleichsdimensionen geprägt sind, ist die Häufung einzelner Codes im Gegensatz zu anderen Codes zu erklären, trotzdem wurden auch eine Vielzahl an Themen von den ExpertInnen angesprochen, die nicht durch den Leitfaden vorgegeben wurden. Die Codes, die nach einer Dimension benannt sind, standen als solche bereits vor der Codierung fest. Die restlichen Codes sind aus dem Material heraus entstanden. Welche Themen mit welcher Häufigkeit insgesamt in den Interviews angesprochen/behandelt wurden, geht aus der Liste der Codes hervor, die im Anhang II eingesehen werden kann. Die Codierungen wurden einzeln analysiert, wobei der Länderaspekt vorerst nicht berücksichtigt wurde, sondern die Ergebnisse losgelöst von den ExpertInnen und ihrer Herkunft gewonnen wurden, um im zweiten Schritt Auffälligkeiten oder Häufungen von Aussagen/Ansichten u. ä. der ExpertInnen eines Landes als erstes Ergebnis werten zu können. So wurde das Risiko vermieden, Ergebnisse zu schnell oder fälschlicherweise als länderspezifisch zu bewerten. Die Ergebnisse der einzelnen Codes wurden in einem nächsten Arbeitsschritt den Vergleichsdimensionen in den jeweiligen Länderkapiteln zugeordnet und als Vergleichsfolie zu den Erkenntnissen aus der Sekundärliteratur aufgeführt. Hierbei muss darauf hingewiesen werden, dass aufgrund der Menge an Material nicht alle Codes und empirischen Ergebnisse Eingang in die Dimensionen und den Ländervergleich finden.
62
2 Großbritannien - Das liberale Regime
Liberale Regime, die den „strong male-breadwinner states“ entsprechen, sehen die Erwerbstätigkeit des Mannes als Priorität an. Historisch gesehen liegt deshalb ein geringer Frauenanteil auf dem Arbeitsmarkt vor, Frauen sind auch nach der Mutterschaft gewöhnlich nur halbtags erwerbstätig. Gerade alleinerziehende Mütter sind weniger als 50% vollzeiterwerbstätig und weisen eine überdurchschnittliche Armutsquote auf, unabhängig davon, ob sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder nicht (Kilkey/Bradshaw 1999, 176). Das kann u. a. daran liegen, dass die Transferleistungen des Staates meist über Beiträge an das Erwerbseinkommen gekoppelt sind und geringer ausfallen als in den beiden anderen Ländern, die hier untersucht werden. Im liberalen Wohlfahrtsstaat wird die Rolle des freien Marktes herausgestellt, weshalb Eingriffe von Seiten des Staates, wenn überhaupt, nur erfolgen, um Bürokratie abzubauen oder die Vertragsfreiheit zu wahren. Aber auch der Familie kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als in ihr ein großer Teil der sozialen Dienstleistungen getätigt wird. Soziale Ansprüche an den liberalen Wohlfahrtsstaat sind niedrig und zudem mit individuellen Bedürftigkeitsprüfungen verbunden. Deshalb geht mit der Inanspruchnahme von staatlichen Leistungen auch häufig eine Stigmatisierung einher. Finanziert werden die Leistungen durch den Staat (Heinze 1999, 101). Allgemein liegt einem liberalen Wohlfahrtsstaat die Überlegung zugrunde, dass eine große Anzahl an EinzelakteurInnen, die alle nach dem Prinzip der individuellen Nutzenmaximierung handeln, die Leistungsfähigkeit des gesamten Systems erhöht und staatliche Interventionen demnach nur nachteilige Effekte für die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt haben können (Michelsen 2002, 170). Im liberalen Wohlfahrtsstaatsregime dominieren die von Bedürftigkeitsprüfung abhängigen Unterstützungs- und Transferleistungen, die Adressaten hierbei sind hauptsächlich Individuen mit niedrigem Einkommen. Der liberale Wohlfahrtsstaat fördert private, marktförmige Sozialleistungen, der Grad der Dekommodifizierung ist minimal (Dackweiler 2003b, 46), was bedeutet, dass der Wohlfahrtsstaat kaum Leistungen erbringt und soziale Dienstleistungen über den Markt erbracht werden. Frauen, die i. d. R. keine ununterbrochene Erwerbsbiografie aufweisen können, sind hierbei besonders stark benachteiligt. Gerade bei fortschreitender Privatisierung von bisher öffentlichen Dienstleistungen in liberalen, aber auch konservativen und teilweise sozialdemokratischen Staaten, müssen die vor allem im Pflege- und Gesundheitsbereich wichtigen Leistungen verstärkt
über den Markt eingekauft oder privat erbracht werden. Diese Primärverteilung über den Markt, denn staatliche Regularien greifen erst später ein, wird zu einem zentralen gleichstellungspolitischen Moment, denn unterschiedliche Markteinkommen können nicht ausreichend durch Besteuerung und Transferleistungen ausgeglichen werden. Verringerungen in der Differenz von Primäreinkommen würden einerseits zu einer Reduktion geschlechtsspezifische Ungleichheiten ökonomischer Ressourcen führen und hätten zudem andererseits positive Effekte auf die Geschlechter hierarchisierende Arbeitsteilung. Der Markt darf nicht als sich selbst ausgleichend und dadurch als Einkommen regulierende Instanz anerkannt werden. Ökonomische Ungleichheiten werden durch die zunehmende Privatisierung immer weniger abgeschwächt und führen bspw. in Großbritannien zu einer Feminisierung von Armut und dadurch zu einer verstärkten Abhängigkeit der Frauen von einem Ernährer oder staatlichen Transferleistungen (Michaelitsch 2003, 238f.). In Europa entspricht Großbritannien mit seiner liberalen Marktwirtschaft spätestens seit der Ära Thatcher dem liberalen Beschäftigungsregime. In diesem Regime greift der Staat mit seinen Politiken und Maßnahmen selten bis gar nicht in den Markt ein, sondern versucht vielmehr seine BürgerInnen so aufzustellen, dass diese jegliche Leistungen über den Markt generieren können (Bieling 2006, 44). Großbritanniens Arbeitsmarkt gilt als der flexibelste unter den europäischen Arbeitsmärkten und ist aufgrund dessen von stärkerer Durchlässigkeit, d. h. die Qualifikation ist nicht unbedingt ausschlaggebend und atypische Beschäftigung, gerade beim Einstieg in den Arbeitsmarkt, sind aufgrund der stärkeren Flexibilität keine Ausnahme, sondern die Regel. Dies hat zur Folge, dass atypische Beschäftigungsformen weit weniger negativ bewertet werden als im europäischen Durchschnitt (Scherer 2003, 142). Befristete Arbeitsverträge machen in Großbritannien rund 6% der Arbeitsverträge aus (dabei bestehen nur vernachlässigbar kleine Unterschiede zwischen Männern und Frauen). Unternehmen sehen sich keinen gesetzlichen Regelungen oder Einschränkungen in Bezug auf Vertragsdauer oder Vertragsverlängerungsmöglichkeiten ausgesetzt und müssen ebenso wenig die Anwendung der befristeten Verträge rechtfertigen. Der Anteil der befristeten Verträge ist nicht allzu hoch, weil seit 1985 eine reguläre Beschäftigung während der ersten zwei Jahre frei gekündigt werden kann (Kim/Kurz 2003, 172). Die zunehmenden Flexibilisierungsbestrebungen der Unternehmen schlagen sich in einem überproportionalen Wachstum der Ein-PersonenSelbstständigkeit nieder. Ehemals innerbetriebliche Aufträge werden nun an „freie Mitarbeiter“ übergeben, die damit einen Großteil der Marktrisiken tragen. Diese Entwicklung ist vor allem im Hotel-, Gaststätten- und Baugewerbe zu beobachten (ebd., 173).
64
Die Anpassung an Globalisierung und Individualisierung geschieht hier vor allem durch Lohnflexibilisierung, was u. a. zu sinkenden Reallöhnen und damit Haushaltseinkommen führt, was allerdings z. T. durch die zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen und längeren Arbeitszeiten pro Beschäftigtem kompensiert wird. Teilzeitarbeit ist auf mittlerem Niveau, die Zahl der working poor ist hoch. (Schmid 2002, 122). Auch die Qualität der Teilzeitarbeit muss unterschieden werden. Während in Schweden Frauen 50% oder 75% einer vollen Stelle ausfüllen und somit in die Versorgung des Staates eingebunden sind (Rentenkasse, Sozialversicherung etc.), bedeutet Teilzeitarbeit in Großbritannien eine Erwerbstätigkeit mit wenig Wochenarbeitsstunden und wenig Transferleistungen (Lewis/Ostner 1994, 23) (vgl. Kap. 2.3.1). Während der 1980er Jahre versuchten die aufeinander folgenden konservativen Regierungen, die britische Sozialpolitik unter Beachtung neoliberaler Prinzipien umzuformen, mit der Absicht, die Rolle des Staates zu verringern und ein Wachstum des Wohlfahrtspluralismus zu fördern. Die öffentlichen Ausgaben für soziale Dienste blieben bemerkenswert konstant. Mitte der 1990er Jahre erließ die Regierung jedoch einige bedeutende Gesetze, welche die Vielfalt sowie die Wahlmöglichkeiten bei der Art der Dienstleistungserbringung und den Methoden der Finanzierung fördern sollten. Mit der „Ära Thatcher“ ging eine durchgreifende Entstaatlichungs-, Privatisierungs- und Deregulierungspolitik in den verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft, Wohnungssektor, Bildung und Gesundheit einher. „A reduction of government regulation is another form of privatisation. (...) There has been considerable deregulation in the economic, financial and industrial spheres and deregulation of the private rented sector in housing (…)“ (Johnson 1990, 196). Ehemals öffentliche Güter wurden privatisiert, so z. B. Schulen, welche aus der Verantwortung der Lokalpolitik genommen wurden, soziale Dienstleistungen wie die Kinderbeihilfe wurden gekürzt, ebenso wie die Zusatzleistungen in Krankenhäusern. Die private Gesundheitsversorgung wurde stark gefördert oder besser gesagt vorangetrieben (Pierson 1991, 167). In Folge der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik wollte man die Marktkräfte nicht in ihrer freien Entfaltung einschränken. Das Resultat des „Experiments Thatcher“, mit einer erhöhten Bereitschaft, soziale Konflikte mit aller Härte gegen weite Teile der eigenen Bevölkerung durchzukämpfen, „ist ein geborstener englischer Wohlfahrtsstaat, geschwächte und zersplitterte Gewerkschaften und eine extreme Verarmung ganzer Regionen und Bevölkerungsgruppen“ (Schunter-Kleemann 1992, 314). Der Thatcherismus zeichnete sich weiterhin durch seine Gleichgültigkeit und z. T. sogar Hinnahme gegenüber Ungleichheiten aus. Soziale Ungleichheit wird nicht als schädlich oder falsch beurteilt
65
(Giddens 1999, 23). Allerdings halten die dem Liberalismus nahe stehenden Positionen die Chancengleichheit für wünschenswert (ebd., 24). Prinzipiell wurde die Wirtschafts- und Sozialpolitik von der Regierung Tony Blairs und „New Labour“ übernommen. Auch sie bekannten sich zu Unternehmergeist, Wettbewerb und einer modernen Angebotspolitik, allerdings mit der zusätzlichen Forderung nach sozialer Inklusion. Es folgten die Unterzeichnung der EU-Sozialcharta und die Wiedereröffnung der „Wage Councils17“, 1998 profitierten zwei Millionen Menschen, darunter vor allem Frauen aus dem Niedriglohnbereich, von der Einführung gesetzlicher Mindestlöhne. Der „Employment Relation Act“ erhöhte zudem den ArbeitnehmerInnenschutz und die betriebliche Anerkennung der Gewerkschaften wurde erleichtert. Die „New Labour“ Regierung folgt dem Prinzip des „supply-side-egalitarianism“, also einem angebotsseitigem Egalitarismus. Deshalb zielt die Regierung mit Maßnahmen vor allem auf gute Bildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen ab, um so unter den Arbeitslosen Chancengleichheit beim Versuch der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu schaffen (Deppe 2001, 32f.). Die Änderungen auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik, die seit dem Regierungswechsel von 1997 stattgefunden haben, werden mit den Begriffen „New Deal“ oder „Welfare to Work“ verbunden. Hier steht die Zielsetzung der Beschäftigungsfähigkeit, vor allem von Problemgruppen des Arbeitsmarktes, im Vordergrund. Der „New Deal“ ist zielgruppenorientiert, denn er richtet sich mit Information und Beratung in erster Linie an Jugendliche (18- bis 24-Jährige) und Langzeitarbeitslose. Die Jugendlichen müssen einige Verbindlichkeiten eingehen wie den Antritt einer staatlich subventionierten Maßnahme, den Beginn einer Ausbildungs- oder Trainingsmaßnahme oder die Aufnahme einer gemeinnützigen Arbeit oder Arbeit im Umweltschutzbereich (Kröger/Van Suntum 1999, 80f.). Auch hier liegt wieder eine Kombination aus aktiver und aktivierender Arbeitsmarktpolitik vor, denn weigert sich der Jugendliche, eine der Maßnahmen anzunehmen, verliert dieser den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Lohnsubventionen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erhalten lediglich die Problemgruppen des „New Deal“, womit alle Formen der subventionierten Beschäftigung in Großbritannien von untergeordneter Bedeutung sind (ebd., 98). Auf Seiten der passiven Arbeitsmarktpolitik existiert in Großbritannien eine Zweiteilung zwischen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe (engl. = unemployment benefit, income support). Die Arbeitslosenunterstützung erfordert aber wiederum Leistungen von Seiten des Arbeitssuchenden wie bspw. eine aktive Beschäftigungssuche (zwei Anstrengungen in schriftlicher oder mündli17
Council (engl.) = Gemeinderat, Ratsversammlung.
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cher Form pro Woche). Zudem muss der Suchende jederzeit eine neue Beschäftigung aufnehmen können (ebd., 84). Die bezahlte Beschäftigung von Frauen und anderen Personen, die Pflegearbeiten ausüben, zu fördern, war eines der wichtigsten Ziele der Regulierungspolitik in Großbritannien. Die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit wird positiv als Element einer Aufwärtsspirale verstanden, bei der Arbeiten aus der privaten Sphäre auf den offiziellen Arbeitsmarkt verlagert werden und dort im Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze schaffen. Wenn allerdings wiederum hauptsächlich Frauen diese neuen Arbeitsplätze füllen, ändert sich an der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Sinne einer horizontalen Segregation nichts. Andererseits ermöglichen oftmals gerade die flexiblen Beschäftigungsformen, welche u. a. im Dienstleistungssektor entstanden sind, Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Crompton 2002, 261). Großbritannien hat neben den skandinavischen Ländern den größten Anteil von Dienstleistungen an der Beschäftigung insgesamt, was größtenteils durch den Wohlfahrtsstaat selbst begründet ist, der im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen, aber auch in der öffentlichen Verwaltung, Beschäftigung bietet. In der nachfolgenden Tabelle werden die markanten Merkmale der britischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik dargestellt. Tabelle 4: Transformationsmerkmale der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Regulation und Reformen (Großbritannien) Dominantes Moment der Arbeitsmarktpolitik
Veränderungen in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme
Teilzeitarbeit, Kürzungen staatlicher LohnflexibiliSubventionen zur sierung und Sozialversicherung Quasiund Senkung der SelbstständigUnternehmensbeiträge keit Quelle: Bieling 1997, 360
Sozialpolitische Kürzungsschwerpunkte
Sozialpolitische „Tabus“
Extreme Kürzungen der pauschalen Arbeitslosengeld- und Sozialhilfesätze
NHS (staatlicher Gesundheits-dienst) aller-dings: Rationalisierung
Das Arbeitsvolumen ist aufgrund des hohen Teilzeitarbeitsanteils allerdings nicht höher als im europäischen Durchschnitt (Meyer 2002, 234f.). Zu den vornehmlichen Zielen der jährlichen Dienstleistungsvereinbarung der Beschäftigungsdienstleistungen 2000 bis 2001 zählten u. a. den Arbeitsmarkt flexibler und effizienter zu gestalten, die Regierung bei der Erweiterung des Arbeitsangebotes zu 67
unterstützen und Bezieher von Sozialhilfe durch Hilfestellungen bei der aktiven Stellensuche konkurrenzfähig zu machen. Ein Teilziel dieser Vereinbarung war bspw. die Integration der insgesamt 70.000 Personen umfassenden Zielgruppen in den Arbeitsmarkt, worunter auch arbeitslose Alleinerziehende gefasst werden, die wiederum größtenteils Frauen sind (Bertelsmann Stiftung 2003, 139f.). Die Grundlagen des Systems der sozialen Sicherheit wurden in Großbritannien mit dem Beveridge-Report von 1942 gelegt. „Es beruht auf den drei Grundprinzipien Universalität, umfassende Risikoabsicherung sowie Angemessenheit der Leistungen und bildet ein einheitliches allgemeines Sicherungssystem, das die gesamte Bevölkerung umfaßt“ (Heinze 1999, 129). Bei diesem Sozialplan, den Beveridge selbst als umfassende Absicherung betrachtete, sollte das Existenzminimum „from cradle to grave“, also von der Wiege bis ins Grab, wie es in der damaligen Presse hieß, gesichert werden. Der Plan beruht nach Spicker auf sechs Prinzipien, von denen keines vollständig umgesetzt wurde, weil der Plan an sich widersprüchlich konzipiert war. So ergaben sich die meisten Probleme aus dem Prinzip der Beitragsfinanzierung, welches die Zielvorstellungen des Beveridge-Plans konterkarierte. Diese sechs Prinzipien bestehen aus 1. einer umfassenden Risikoabdeckung, 2. verschiedenen Versorgungsklassen, 3. einem ausreichenden Niveau der Versorgung, 4. und 5. Einheitsleistungen und – beiträgen und 6. aus einer zentralisierten Verwaltung (Spicker 1992, 180). Das Problem des ersten Prinzips, dem der umfassenden Risikoabdeckung, bestand in der Arbeitslosigkeit. Die Inanspruchnahme der Arbeitslosenunterstützung war nach der Annahme von Vollbeschäftigung, welche für die Finanzierung des Leistungssystems entscheidend war, nur auf vorübergehende Arbeitslosigkeit und nicht auf die immer weiter steigende Quote der Langzeitarbeitslosigkeit ausgelegt. Die Versorgungsklassen sahen zunächst auch Frauen und Kinder vor. Diese wurden 1975 allerdings herausgerechnet, der Status verheirateter Frauen lief 1977 aus. Das ausreichende Versorgungsmodell unterlag den Schwankungen des Arbeitsmarktes, da anfangs Überschüsse im Versorgungssystem erwirtschaftet werden konnten, aber steigende Arbeitslosigkeit (und hohe Altersrenten) zu starken Schwankungen im System führte(n). Zudem bestand immer das Problem, eine Beitragshöhe festzusetzen, die von den Beitragszahlern wirklich aufgebraucht werden kann (ebd., 181). Einheitsleistungen zu Einheitsbeiträgen anzubieten stellte sich vor allem für untere Einkommensschichten als prekär heraus, weil diese die notwendigen Beiträge zur Erreichung ausreichender Versorgung nicht leisten konnten. Einkommensbezogene Leistungen wie die Abdeckung von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Mutterschaft wurden in den 1980er Jahren abgeschafft, da befürchtet wurde, eine zu umfangreiche Arbeitslosenunterstützung würde die Arbeitsbereitschaft negativ beeinträchtigen (ebd., 182). Es wurde zwar eine zentralisierte Verwaltung zur Umsetzung des Beveridge-Plans eingeführt, 68
aber aufgrund der unzureichenden Abdeckung der Versorgungsleistung traten andere Arten sozialer Leistungen hinzu (ebd., 183). Die Einführung des Eintrittsalters in den Ruhestand als Anspruchsvoraussetzung stellte eine Neuerung dar, Frauen erreichten mit dem 60. Lebensjahr das gesetzliche Rentenzugangsalter, Männer erwarben dies mit 65 Jahren (diese Altersgrenze gilt nach wie vor). Da eine weitergeführte Erwerbstätigkeit ökonomisch attraktiver sein sollte als die Inanspruchnahme der Altersleistung, wurde diese auf sehr niedrigem Niveau festgelegt. Aufgrund des ausreichenden Abstandes der niedrigen Altersleistung zum Entlohnungsniveau älterer Erwerbstätiger „erhoffte sich (Beveridge) (…) durch diese zusätzliche Anspruchsvoraussetzung eine Reduzierung der Zahl der Antragsteller“ (Rechmann 2001, 59). Nach Rechmann hatte der Beveridge-Plan von Anfang an mit Unstimmigkeiten zu kämpfen, die sich aus den Grundprinzipien Universalität, effektive Mindestsicherung und Geltung des Versicherungsprinzips ergaben, da diese Prinzipien in einem Spannungsverhältnis zueinander standen. Das Prinzip der Universalität wurde dadurch beschränkt, dass Personen ohne Einkommen keine Beiträge leisten konnten, aufgrund dessen auch an der Ehefrauenrente festgehalten wurde, die 60% des Leistungssatzes für den Beschäftigten betrug. Bei dem Prinzip der effektiven Mindestsicherung war problematisch, dass Beiträge so erhoben werden mussten, dass sie auch für Geringverdiener tragbar waren. Um eine effektive Mindestsicherung gewährleisten zu können, mussten zusätzlich drei Annahmen erfüllt sein, die dem Bericht zugrunde lagen. Erstens die allgemeine Zahlung von Kindergeld, um Familien mit Kindern aus evtl. Zahlungsengpässen zu helfen, zweitens die staatliche und kostenlose Gesundheitsversorgung, um die Beitragszahler im Krankheitsfall zu entlasten und drittens Vollbeschäftigung, um einen kontinuierlichen Einkommensfluss bis zur Erreichung des Rentenalters zu garantieren (ebd., 61f.). Ehefrauen und Mütter wurden in Großbritannien lange nicht als Empfänger familienpolitischer Leistungen verstanden. Der „Family Allowance Act“ von 1945 wurde von den Parlamentariern zunächst so interpretiert, dass Zuschüsse dem Mann zukommen sollten, so dass die Bedürfnisse der Ehefrau nicht automatisch zu berücksichtigen seien. Die „Labour Party“, die als Partei einer wohlfahrtsstaatlichen Sozialpolitik bekannt war, brachte Großbritannien während ihrer ersten Regierungsperiode von 1945 (nach dem Sieg über die Konservative Partei (Conservative Party)) bis 1951 auf den Weg, ein Wohlfahrtsstaat zu werden. In dieser Partei waren Frauen zwar noch unterrepräsentiert, verfolgten aber bereits einen eigenen feministischen Kurs, der vor allem soziale und ökonomische Belange der Frauen, auch als Mütter, beinhaltete. „The women of the Labour Party gave especial attention to issues of social and economic policy concerning women, including woman as mothers“ (Thane 1991, 93). 1928 erlangten 69
Frauen hier das allgemeine Wahlrecht (Herabsetzung des Mindestalters auf 21 Jahre). Im Jahr 2000 waren 27% der 23.325 kommunalen Abgeordneten weiblich (Lang 2005, 192). In Parlamenten sind Großbritanniens Frauen unterrepräsentiert. Der Anteil von Frauen in den nationalen/föderalen Parlamenten betrug im November 2004 17,9%, während der EU-25 Durchschnitt bei 22,4% lag. Der Anteil von Frauen im Europäischen Parlament betrug im Januar 2005 24,4% bei einem EU-25 Durchschnitt von 30,3% (Eurostat 2008d). Erst Eleanor Rathbone, welche die „Family Endowment Society“ gründete und Mitglied des Parlaments war, als welches sie den Family Allowance Act von 1945 beurteilte, machte klar, dass das Gehalt des Ehemanns als Bezug individueller Leistungen gesehen wird und nicht gleichzeitig auch noch die Bedürfnisse einer (Ehe-)Frau und einer variablen Anzahl von Kindern befriedigen könne. Sie forderte deshalb staatliche Leistungen als „Gehalt“ für Mütter, um sich und ihre Kinder unabhängig vom Einkommen des Mannes versorgen zu können (Lewis 1991, 73). 1977 wurden die „Child Tax Credits“ (wodurch die Kosten für die Kindererziehung steuerlich absetzbar waren) in eine andere Art der Bezahlung, den sog. „Child Benefit“ umgewandelt, der nach längerer Debatte im Parlament auch direkt an die Mutter gezahlt wurde (ebd., 74). Im Jahr 2001 wurde ein solcher Child Tax Credit erstmals für Familien eingeführt, die mindestens einen Erwerbstätigen im Niedriglohnbereich aufweisen. Die Steuervergünstigung ist an das Einkommen gekoppelt (Meyer 2005, 292) (vgl. Kap. 2.1). Ein Argument (von Männern und Frauen der Mittelschicht) gegen die Erwerbstätigkeit der Frau war, dass eine erwerbstätige Frau keine Zeit für die Familie und den Erhalt zukünftiger Generationen hat (Lewis 1992, 163). Verheirateten Frauen wurde die „married women’s option“ angeboten (diese „Option“ bestand bis Mitte der 1970er Jahre), bei der die Frau zwar weniger Beitragszahlungen leisten musste, dafür aber auch geringere Ansprüche hatte. Pflegearbeit wurde erlaubt, weil diese zu den normalen Aufgaben einer Frau gehörte. Weitere Besonderheiten für verheiratete Frauen im System sozialer Sicherung waren, nicht die vollen Beiträge zu zahlen und sich somit auf das Einkommen des Ehemannes zu verlassen. Zudem bezogen sie bei vollen Beiträgen nicht die gleiche Höhe an Leistungen wie ein verheirateter Mann oder Alleinstehende/r, es sei denn, diese Frau war der Hauptverdiener der Familie. Frauen wurden von dem Programm „Adult Dependant Allowances“ angehalten bzw. motiviert, zu Hause zu bleiben, da diese Transferleistungen nur denjenigen zugestanden wurden, die kein Einkommen bezogen, womit die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie befördert wurde. In den 1970er Jahren schieden drei Viertel der verheirateten Frauen aus dem nationalen System sozialer Sicherung aus, die „married women’s option“ wurde demnach in großem Maße genutzt (Sainsbury 1994, 158). 70
Ein wichtiger Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter in den Systemen sozialer Sicherung war die Abschaffung dieser Option. Weitere geschlechtersensible Reformen, basierend auf den Bezügen der Frauen als Fürsorger und Ehefrauen, führten zu einer zunehmenden Individualisierung, u. a. durch die Steuerreform von 1990, mit der eine getrennte Besteuerung von Mann und Frau (als Ehepartner) eingeführt wurde sowie einer Reform des nationalen Versicherungssystems in Bezug auf die Familienversicherung (ebd., 180). Am 27.6.2007 löste Premierminister Gordon Brown Tony Blair als Chef der Labour Partei ab und wird sein Amt bis zu den nächsten Wahlen voraussichtlich 2009 bekleiden. Brown folgt dem politischen Pfad Blairs, doch birgt der Regierungswechsel auch Veränderungen, denn Brown hat nun einige Frauen in sein Kabinett berufen, welche die Gender Agenda vorwärts bringen werden. Die Partizipation der Frauen an den Regierungsgeschäften und der Einfluss sind also gewachsen (Exp. 1.1.1., Abs. 28). Das Labour Government hat zudem einen Ministerposten für Frauenangelegenheiten und Gleichstellung.
2.1 Familienpolitische Leistungen Die Familie hat auch in Großbritannien einen hohen öffentlichen Stellenwert, trotzdem ist hier der Ausdruck „familienpolitische Regelungen“ nicht in aller Munde. Es gibt kein Familien-Ministerium, allerdings wurde 1994 der Gesundheitsminister zum Sprecher der Familien ernannt (Clarke/Henwood 1997, 183). Obwohl so keine direkten familienpolitischen Entscheidungen vorliegen, betreffen trotzdem viele Regelungen die Familien indirekt in unterschiedlichem Maße, bspw. die Neuerung im Steuersystem, wonach ab 1988 das Einkommen der Ehefrau nicht mehr so behandelt wurde, als gehöre es zu ihrem Ehemann und Frauen nun das gleiche Recht auf Privatsphäre und Unabhängigkeit hinsichtlich ihrer Steuern wie Männern zuteil wurde (ebd., 184). Die ungleichen Geschlechterverhältnisse in Großbritannien beschreiben einen „marktförmigen Patriarchalismus“. Allerdings wurde das System der Ganztagsschulen beibehalten, welches aus der sozialdemokratischen Tradition der Labour Party stammt. „Auch die Familiensphäre ist also konsequent `marktwirtschaftlich´ gestaltet und der privaten Initiative und Zahlungsfähigkeit überlassen“ (Schunter-Kleemann 1992, 317). Positiv zu bemerken ist allerdings, dass im Jahr 2007 der Mutterschaftsurlaub verlängert wurde und seit einigen Jahren auch Väter einen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub haben (vgl. Kap. 2.1.1). Weitere familienpolitische Leistungen sind die Kinderbeihilfe, im Social Security Contributions and Benefits Act von 1992 geregelt und die Steueranrechnung der Kindererziehung durch den Tax Credits Act von 2002. Ein universales steuerfinan71
ziertes Kindergeldsystem wurde im Vereinigten Königreich erstmalig im Jahre 1945 eingeführt, wobei der Betrag nie besonders hoch war und zwischen 1948 und 1967 nur für Eltern ohne steuerpflichtiges Einkommen angehoben wurde (Scheiwe 1997, 169f.). Die Kinderbeihilfe sowie die Steuergutschrift steht allen Eltern von Kindern unter 16 Jahren (in Ausnahmefällen unter 20 Jahren, bspw. wenn das Kind in der Ausbildung ist) zu. Begünstigter der Kinderbeihilfe ist hierbei der Elternteil, der hauptsächlich für die Kindererziehung verantwortlich ist bzw. derjenige, bei dem das Kind wohnt. Diese Transferleistung wird immer nur einer Person gutgeschrieben und beträgt pauschal GBP 78,43 für das erste Kind und GBP 52,43 für jedes weitere. Die Steueranrechnung der Kindererziehung kann ebenfalls bis zum 16. (bzw. 20.) Geburtstag des Kindes geltend gemacht werden und besteht aus mehreren Elementen der Vergünstigung: Familie GBP 45,42; Familie mit Baby GBP 45,42; Kind GBP 153,75; Kind mit Behinderung 203,33; Kind mit schwerer Behinderung GBP 81,67. Alle Elemente, auf die der Antragsteller Anspruch hat, mit Ausnahme des Elements „Familie“, welches mit dem Nettoeinkommen verrechnet wird, werden zusammengerechnet und reduzieren das Bruttoeinkommen. Zusätzlich zu den Transferleistungen, welche bei der Betreuung von Kindern ausgezahlt werden, gibt es auch Beihilfen für „carers“, die pflegebedürftige Personen pflegen (Missoc 2008). 2.1.1 Mutterschutz / Elternurlaub Großbritannien ist unter den hier untersuchten Ländern das einzige Land, in dem sich die Mutterschaftsrechte (Mitte der 1970er Jahre errungen) in den 1980er Jahren verringert haben. So bestand Ende der 1980er Jahre ein Mutterschutzprogramm mit Lohnfortzahlung, bei dem die Frau nach zwei Jahren ununterbrochener Arbeit elf Wochen vor und 29 Wochen nach der Geburt freinehmen konnte, wobei sie für sechs Wochen 90%ige Lohnfortzahlung und das Recht auf Wiedereinstellung erhielt, „but, given the precarious labour market position of British women, only 60 per cent qualify“ (Lewis 1992, 164). Dies bedeutet, dass Mutterschutzprogramme aufgestellt wurden, welche nicht universell galten, sondern von denen nur eine ausgewählte Gruppe profitieren konnte, die den Anforderungen zur Beziehung dieser Leistungen genügten. Bei der angespannten Arbeitsmarktlage in Großbritannien konnten nur 60% der Mütter die Bedingungen zum Bezug voller Ansprüche erfüllen. Durch die Ausdehnung der Richtlinie 96/34/EG auf Großbritannien durch Beschluss des Ministerrats vom 25.12.1997 verpflichtete sich das Vereinigte Königreich zur Einführung eines dreimonatigen Elternurlaubs für Arbeitnehme-
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rInnen bis zum 15. Dezember 1999 (Scheiwe 1999, 310f.). Im Jahr 1999 erfolgte der „Welfare Reform and Pension Act“. Grundsätzlich ist die Höhe des Mutterschaftsgeldes einkommensabhängig, wird aus Steuern finanziert und durch den nationalen Gesundheitsdienst vergeben (Missoc 2008). In 2002/2003 und 2004 wurden die Zahlungen im Mutterschaftsurlaub auf 26 Wochen ausgeweitet, Vätern wurden zwei Wochen bezahlter Elternurlaub zugestanden. Die Regierung ging sogar so weit, im Jahr 2004 zu versprechen, dass jedem Kind im Alter von drei Jahren, dessen Eltern einen Betreuungsplatz beanspruchen wollten, ein solcher garantiert würde (Meyer 2005, 292). Aktuell dauert der bezahlte Mutterschutzurlaub in Großbritannien 26 Wochen und ist damit länger als die von der EU vorgeschriebene Mindestdauer von 18 Wochen (EU-Nachrichten 2008, 3). Diese 26 Wochen Mutterschaftsurlaub gelten für Mütter, deren Kinder bis zum 31. März 2007 geboren wurden. Mütter, deren Kinder am oder nach dem 1. April 2007 geboren wurden, haben Anspruch auf 39 Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub. Gleiches gilt auch für die Bezugsdauer der Mutterschaftsbeihilfe. Voraussetzung ist, dass die Frau 15 Wochen vor der voraussichtlichen Geburt des Kindes 26 Wochen bei derselben ArbeitgeberIn beschäftigt ist und einen Mindestverdienst von GBP 87 wöchentlich hat. Gleiches gilt für die Beziehung von Vaterschaftsgeld und Elterngeld bei Adoption. Um Mutterschaftsbeihilfe zu beziehen, muss die Frau ebenfalls 26 Wochen beschäftigt sein, allerdings dies zum Zeitpunkt von einer Woche vor der Geburt des Kindes und nicht zwingend bei derselben ArbeitgeberIn. Außerdem liegt hierfür der durchschnittliche Mindestverdienst nur bei GBP 30 pro Woche. Die Mutterschaftsbeihilfe kann nicht mit dem Mutterschaftsgeld kombiniert werden. (Missoc 2008). Diese Sozialleistung zielt auf Geringverdienende sowie Selbstständige ab. Zusätzlich zu diesen länger andauernden Transferleistungen gibt es noch ein einmalig ausgezahltes Babygeld in Höhe von GBP 500 für jedes Neugeborene (ebd.). Mutterschaft im Polizeidienst wird klar vom Gesetz geregelt, die einzelnen Einheiten können selbst keinen weiteren Einfluss nehmen und bieten auch keine zusätzlichen Leistungen an. Nach Ansicht der Expertin wollen Väter heute stärker am Familienleben und der Kinderbetreuung teilhaben, aber der Polizeidienst ist mit seinen Regelungen und Einstellungen zu träge, um Innovationen schnell umzusetzen und Vaterschaft als Gewinn zu betrachten (Exp. 1.2.2, Abs. 74). Auf Unternehmens-Ebene beschreibt Expertin 1.3.1, dass in ihrem Unternehmen ein „Maternity Matters“ Projektteam sicherstellt, dass MutterschaftsAngebote allen zugänglich (im Internet, durch Broschüren) und im Vergleich mit anderen Unternehmen konkurrenzfähig sind. Das Projektteam für MutterschaftsAngelegenheiten informiert über unternehmensinterne Regelungen und hält Kontakt zu Arbeitnehmerinnen, die sich im Mutterschaftsurlaub befinden (Exp. 73
1.3.1, Abs. 12, 44 & 46). Außer der Kommunikation während des Mutterschaftsurlaubs bietet das Unternehmen bei Rückkehr den gleichen Arbeitsplatz, flexible Arbeitszeiten und eine finanzielle Kompensation während der Mutterschaftszeit. Diese Kompensation bzw. finanzielle Unterstützung steigt mit der Länge der Firmenzugehörigkeit und ist nach einem Jahr, zwei Jahren und vier Jahren Firmenzugehörigkeit gestaffelt. So erhält die Angestellte bei zwei Jahren Firmenzugehörigkeit zwei voll bezahlte Monate Mutterschaftsurlaub und bei vier Jahren 4,5 Monate. Diese Monate, in denen das volle vorherige Gehalt gezahlt wird, liegen innerhalb der sechs Monate, die gesetzlich festgeschrieben sind, es können hier keine extra Monate „verdient“ werden (ebd., Abs. 52 & 58). Expertin 1.3.2, auch eine Vertreterin der Unternehmens-Ebene, gibt an, ihr Unternehmen habe eine schlechte Rückkehrerinnen-Quote. Um diese zu erhöhen und Frauen an das Unternehmen zu binden, zahlen sie nun einen „return to work Bonus“, der die Differenz zwischen dem Elterngeld und dem vorherigen Gehalt auffüllt. Diese Summe kann in den sechs Monaten Mutterschaftsurlaub bezogen werden oder der Arbeitnehmerin als Einmalzahlung bei Rückkehr in das Unternehmen gutgeschrieben werden. Auch hier sind die Mutterschafts-Regelungen nach Firmenzugehörigkeit gestaffelt. Weniger als sechs Monate, sechs Monate bis ein Jahr und drei Jahre plus sind die Staffelungen. Zudem haben Mütter die Möglichkeit, während ihres Mutterschaftsurlaubs weiterhin Renten- und Gesundheitsbeiträge zu leisten, wobei letztere auch die Versorgung und Versicherung des Babys einschließen. Außerdem gibt es die Möglichkeit flexibler Arbeitszeiten (Exp. 1.3.2, Abs. 6 & 15). Vaterschaftsurlaub ist im Unternehmen möglich, es gibt hier aber keine extra Urlaubstage oder andere Anreize für Väter, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Frauen, die in Mutterschaft gehen, sprechen vorher mit den jeweils zuständigen ManagerInnen, damit die Arbeitnehmerin weiß, wo auf der Karriereleiter sie sich befindet. Außerdem dient dieses Gespräch zur Klärung der Vorstellungen bei der Rückkehr in den Beruf. Diese Absprache ermöglicht eine Vereinbarkeit der persönlichen Wünsche mit den Anforderungen im Beruf. Durch individuelle Vereinbarungen darüber, wie Kontakt gehalten werden soll (Anruf, E-Mail, ein Tag im Büro), bleibt die Verbindung zum Unternehmen bestehen (ebd., Abs. 25 & 46). Aufgrund der individuellen Betreuung und Rücksichtnahme auf veränderte Anforderungen konnte in 90% der Anfragen bezüglich flexibler Arbeitszeiten diesen zugestimmt werden. Die Position der Arbeitnehmerin wird temporär auf ein Jahr anderweitig vergeben, entweder durch kurzzeitige Beförderung einer internen ArbeitnehmerIn oder durch Vergabe der Position an eine(n) Externe(n) mit zeitlich befristetem Vertrag, so dass bei Rückkehr der in Mutterschaft befindlichen Person der gleiche Arbeitsplatz garantiert werden kann (ebd., Abs. 70). 74
Im Unternehmen der Expertin 1.3.3 können Eltern 30 Wochen unbezahlten Urlaub nehmen, zusätzlich zu den 26 Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub für Frauen. In der Zeit des Mutterschaftsurlaubs zahlt die Frau nichts in die sozialen Sicherungssysteme ein. Vielen Frauen ist nicht bewusst, welche Nachteile dies bei der Rente oder bei Scheidung haben kann (Exp. 1.3.3, Abs. 8 & 51). Als Extra bietet das Unternehmen deshalb die Fortzahlung der Rentenbeiträge sowie „child care vouchers“, also Gutscheine zur Kinderbetreuung, an. Diese werden vom Bruttolohn abgezogen. Allerdings kritisiert die Expertin, dass diese Gutscheine nur an Eltern adressiert sind und nicht an „carers“ allgemein, also jene, die eine pflegebedürftige Person im Haushalt versorgen (ebd., Abs. 8). In Großbritannien spielt Vaterschaft noch immer eine untergeordnete Rolle. Auch eine gesetzliche Initiative (aus dem Jahr 2004), nach der der Vaterschaftsurlaub von vormals zwei Tagen auf zwei Wochen erhöht wurde, scheint nicht wirklich weit reichende Konsequenzen nach sich zu ziehen oder gar die Geschlechterverhältnisse, gerade von Mann und Frau in ihrem Status als Elternteile, zu verändern. Obwohl in Großbritannien heutzutage keine Stigmatisierung von Vätern, die Vaterschaftsurlaub nehmen, vorliegt, sind die gesetzlichen Vorgaben noch weit von einer gleichberechtigten Beteiligung der Väter an der Kinderbetreuung entfernt. Ebenso ist Vaterschaftsurlaub noch keine Normalität in Großbritannien und es wird noch einiger männlicher Vorbilder bedürfen, bis Väter hier selbstverständlich ihr Recht auf Vaterschaft einfordern. Diese Ansicht wird durch folgendes Zitat bekräftigt: „When Tony Blair went to have a week of paternity leave after his little boy was born and he is Prime Minister, everybody was like: `what?´ It needs to be more normalized; we need more role models in government etc.“ (ebd., Abs. 58). Mütter sind eindeutig Adressaten von Kinderbetreuungsmaßnahmen und Initiativen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dass bei dieser noch zahlreiche Probleme auftreten, zeigt die Problematik des Verlustes weiblichen Talents nach dem Mutterschaftsurlaub gerade in den Unternehmen, die sich hierbei als Leittragende verstehen, weil sie die Investitionen in das weibliche Humankapital nicht an das Unternehmen binden können. Um dies zu verbessern, bieten alle hier befragten Unternehmen flexible Arbeitszeiten an und versuchen durch gestaffelte Leistungen, welche an die Unternehmenszugehörigkeit gekoppelt sind, Frauen an das Unternehmen zu binden. Dabei wirken bspw. auch die Fortzahlungen in Renten- und Gesundheitskassen sowie Lohnfortzahlungen als Anreiz für Frauen, in einem Unternehmen zu verbleiben.
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2.1.2 Elterngeld Eltern in Großbritannien erhalten kein explizites Elterngeld im Rahmen einer staatlichen Transferleistung. Allerdings existieren Mutterschafts- und Vaterschaftsgeld, was allerdings, weil es nicht auf den Partner übertragen werden kann, keine geschlechterneutrale Sozialleistung ist. Die Höhe des Mutterschaftsgeldes beläuft sich zurzeit auf 90% des vorherigen Durchschnittseinkommens. In den ersten sechs Wochen gibt es keine Höchstgrenze. Die restlichen (20 bzw. 33, je nach dem, ob das Kind vor oder nach dem 1. April 2007 geboren wurde) Wochen werden mit maximal GBP 112,75 pro Woche vergütet oder mit 90% des vorherigen Einkommens, falls dieser Betrag geringer ist. Das Vaterschaftsgeld wird für zwei Wochen ausgezahlt und beträgt ebenso maximal GBP 112,75 pro Woche oder 90% des vorherigen Einkommens, wenn dieses geringer war. Der finanzielle Anspruch bei Adoption ist mit der Höhe des Vaterschaftsgeldes identisch, wird allerdings für 39 Wochen ausgezahlt. Die Mutterschaftsbeihilfe beträgt seit dem 10. April 2006 ebenso maximal GBP 112,75 pro Woche oder 90% des vorherigen Einkommens und wird für 26 bzw. 39 Wochen ausgezahlt (s. o.). Die Transferleistungen bezüglich Mutterschaft bzw. Vaterschaft sind mit Ausnahme der Mutterschaftsbeihilfe einkommenssteuerpflichtig (Missoc 2008). Einige Unternehmen haben zusätzliche finanzielle Kompensation von Elternschaft durch Lohnfortzahlungen als Chance verstanden, gerade Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs für ihr Unternehmen zu gewinnen bzw. an dieses zu binden (s. o.). Interessant ist dies vor allem für weibliche Führungskräfte, die bei einem Maximalbetrag von GBP 112,75 wöchentlich stärkere Gehaltseinbußen haben. Der Gesetzgeber ist hier gefordert, die Lohnersatzleistungen zu erhöhen, nicht um den Wiedereintritt der Mütter in die Erwerbstätigkeit hinauszuzögern, sondern um Frauen finanziell unabhängiger von einem Familienernährer zu machen. Auch Vätern sollten durch den Ausbau der Leistungen in Bezug auf Vaterschaft mehr Rechte eingeräumt werden. Durch höhere finanzielle Kompensation von Vaterschaft könnten zudem Anreize für Väter geschaffen werden, sich stärker in der Betreuungsarbeit zu engagieren und somit langfristig die Geschlechterdemokratie durch innerpaarliche Gleichstellung zu fördern.
2.2 Anerkennung der familialen Arbeit Seit der Scheidungsreform von 1969 werden für die Festsetzung nachehelicher Unterhaltsleistungen verschiedene Kriterien wie das Einkommen, Vermögen, Verdienstmöglichkeiten der Ehepartner, Alter der Ehepartner und Dauer der Ehe, 76
aber auch die vorherige Arbeitsteilung, d. h. die Beiträge zur Haushaltsführung und Erziehung der Kinder berücksichtigt (Scheiwe 1997, 88). Tabelle 5: Ehegattenbesteuerung und Familienlastenausgleich (GB) Ehegatten
Seit 1990 Einzelveranlagung ohne Optionsmöglichkeiten zur Zusammen-veranlagung; zusätzlicher Verheirateten-Freibetrag (married couple´s allowance), der üblicherweise dem Ehemann gewährt wird, aber falls dessen Einkünfte zu gering sind, auf die Ehefrau übertragen werden kann Kinder Allgemeines Kindergeld (Child Benefit); keine steuerlichen Freibeträge AlleinZusätzlicher Freibetrag (additional personal allowance) in Höhe stehende des Verheirateten-Freibetrages; ihn erhält auch ein Steuerpflichtiger mit Kindern, dessen Ehefrau infolge Krankheit oder Behinderung nicht zur Führung des Haushalts in der Lage ist Quelle: Buchholz-Will 1992, 76-79 Wie aus Tabelle 5 ersichtlich wird, begünstigt die Ehegattenbesteuerung Männer, solange diese ein höheres Arbeitsentgeld beziehen. Die Leistungen der Frau im Privaten wie die Erziehung und Betreuung der Kinder schlägt sich auch in der Alterssicherung nieder, was im folgenden Abschnitt erläutert wird. 2.2.1 Frauen im Alter - Rentenbezug Die Kindererziehungs- und Pflegezeiten sowie der Mutterschaftsurlaub werden in Großbritannien auf die Beitragszeiten der Rentenversicherung angerechnet, so dass sich die notwendigen Beitragsjahre für die Grundrente seit 1975 verringern (Scheiwe 1997, 129). Dies kommt vor allem Frauen zugute, die aufgrund von familienbedingten Unterbrechungen diskontinuierliche Erwerbsbiografien aufweisen. Doch es bestehen, gerade in den Zusatzrentensystemen, auch Nachteile für Frauen. Eine Form des Zusatzrentensystems in Großbritannien ist die Betriebsrente. Unterscheidet man hier zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten, fällt auf, dass 1991 unter den Vollzeitbeschäftigten Frauen mit 54% und Männer mit 58% beinahe paritätisch Mitglieder eines Betriebsrentensystems waren. Bei den Teilzeitbeschäftigten sind es 17% Frauen und 15% Männer, wobei gesagt werden muss, dass Frauen in wesentlich höherem Maße teilzeiterwerbstätig sind und der Deckungsgrad der Mitgliedschaft in einem betrieblichen Altersversorgungssys77
tem 1991 mit 37% weiblichen und 57% männlichen Beschäftigten deshalb zuungunsten der Frauen ausfällt (ebd., 157f.). Die relative Besserstellung der Frauen im System staatlicher Rentensysteme durch das frühere Renteneintrittsalter von 60 Jahren wird mit dem Pensions Act von 2004 abgebaut, da ab dem Jahr 2010 bis 2020 das Eintrittsalter stufenweise auf 65 Jahre erhöht und somit dem des Mannes angeglichen wird (Missoc 2008). Die Kindererziehung sowie die häusliche Pflege von kranken oder behinderten Personen wird auf die Grundrente angerechnet, indem die für den vollen Rentenanspruch notwendigen Jahre um die Anzahl der Jahre reduziert werden, in denen Kinder erzogen oder andere Personen gepflegt wurden, wobei die Anzahl der erforderlichen Jahre nicht unter 20 sinken darf (Missoc 2008). Frauen können bis zu 20 qualifizierenden Jahren sparen (Männer ebenso) und so durch die Regelungen zur „home responsibility“ nach 19 Versicherungsjahren (Männer 24 Jahre) einen vollen Versicherungsanspruch erwerben (Scheiwe 1997, 228). Die volle Grundrente nach 44 Versicherungsjahren, in denen Beiträge gezahlt wurden, für Männer und 39 Jahren für Frauen, beträgt zurzeit GBP 87,30 pro Woche. Fehlende Versicherungsjahre werden prozentual abgezogen. Für jedes Kind mit Anspruch auf Kindergeld gibt es Zulagen zur Grundrente für die unterhaltsberechtigte Person in Höhe von GBP 11,35 pro Woche. Für Kinder, die den höheren Kindergeldsatz erhalten, beträgt die Zulage GBP 9 pro Woche (Missoc 2008). Generell ist die Gleichbehandlung von Mann und Frau nur erreichbar, wenn die Anspruchsvoraussetzungen sich unabhängig vom Markt erwerben lassen. Um die volle Grundrente zu beziehen, müssen die Personen die Altersgrenze erreicht haben und mindestens den 52fachen Satz der wöchentlichen unteren Einkommensgrenze im vorangegangenen Steuerjahr erworben haben. Zudem muss eine Person, welche die volle Leistung in Anspruch nehmen will, eine bestimmte Anzahl „qualifizierender Jahre“ vorweisen können, wobei ein qualifizierendes Jahr wiederum darin besteht, das 52fache (bzw. 50fache für Steuerjahre 1977/78 und früher) der unteren Einkommensgrenze erwirtschaftet zu haben. Zur vollen Inanspruchnahme muss die Person rund 90% der Arbeitsjahre vorweisen können, um die nötigen „qualifizierenden Jahre“ zu erreichen (Rechmann 2001, 95). Expertin 1.3.3 als Vertreterin der Unternehmens-Ebene gibt an, dass die Rentenansprüche in ihrem Unternehmen bei Unterbrechung der Erwerbstätigkeit eingefroren werden, wie dies gängige Praxis ist (Exp. 1.3.3, Abs. 51). Dieses Vorgehen ist m. E. weder explizit geschlechterneutral noch –blind. Der Großteil der Erwerbsunterbrechungen findet aufgrund von Familien- und Betreuungspflichten statt und wird überwiegend von Frauen geleistet. Diese verlieren hier bei einer Unterbrechung zwar nicht ihre Ansprüche, können sie aber auch nicht weiter ausbauen, weil in der Berufspause nicht weiter in die Systeme sozialer Sicherung eingezahlt wird. Dieser Nachteil macht sich mit Eintritt ins Rentenal78
ter bemerkbar. Verstärkend wirkt bei der Benachteiligung der Faktor Teilzeitbeschäftigung. In nachfolgender Tabelle werden die einzelnen Faktoren sowie der Einfluss von Kindererziehungszeiten auf die Rentenansprüche in Großbritannien auf einen Blick dargestellt. Tabelle 6: Die Bedeutung der Kinderversorgung und Familiensituation für die Rentenansprüche von Müttern (GB) Direkte positive Berücksichtigung Differenzierung der Rentenhöhe nach der Familiensituation Umfang der Hinterbliebenenrenten Anerkennung von Kindererziehungszeiten Absicherung der Scheidungsfolgen Indirekte positive Berücksichtigung Volksrenten Mindestrenten oder Festbeiträge Frauenfreundliche Ausgestaltung des Zeitfaktors in der Rentenformel Negative Auswirkungen Rigide Verknüpfung der Rentenformel mit Erwerbskarriere Anforderungen an Beitragszeiten und Kontinuität Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter Quelle: Scheiwe 1997, 146
hoch (Grundrente); keine (Zusatzund Betriebsrenten) mittel mittel gering ja ja (Grundrente) - (staatl. Zusatz- u. Betriebsrenten) Keine (Grundrente) Hoch (Zusatz- und Betriebsrenten) Mittel (Grundrente) Hoch (Zusatzrente) hoch
2.3 Vereinbarkeit von Familie und Beruf Für Großbritannien hat der jährlich erscheinende „British Social Attitudes Survey“ in der Zeit von den frühen 1980er Jahren bis frühen 1990er Jahren eine schwache Steigerung der Beteiligung von Männern an Hausarbeit festgestellt, obwohl sich in der Praxis die Einstellungen zur innerfamiliären Arbeitsteilung kaum geändert haben. Nach Lister sprechen die Tatsachen gegen eine Neuverhandlung über die Geschlechterrollen (Lister 1997, 131). Auch die Werte zur Zeitverwendung (vgl. Tab. 7) machen deutlich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Großbritannien noch immer ein zeitli79
ches Problem darstellt, dass sich aufgrund der traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern negativ auf die Erwerbsfähigkeit der Frauen auswirkt. Tabelle 7: Zeitverwendung von Frauen und Männern in Großbritannien18 Erwerbsarbeit / Bildung
Hausarbeit
Frauen
Männer
F
M
F
2:33
4:18
4:15
2:18
6:48
Mahlzeiten &
Freizeit
M
Köperpflege F M
F
M
6:36
2:16
5:04
5:32
Arbeit insgesamt
2:04
Anmerkung: Alter von 20 bis 74 Jahren; Angaben in Stunden und Minuten pro Tag.
Quelle: Eurostat 2006b Frauen verwenden mehr Zeit auf Hausarbeit als Männer und entsprechend weniger Zeit auf Erwerbsarbeit. Die Frage nach der Problematik bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. der sog. Work-Life-Balance wurde auch im Rahmen der ExpertInnengespräche erörtert. Zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsse 1. die Kinderbetreuung verbessert werden, d. h. das Angebot muss erweitert werden (quantitativ), die Kinderbetreuung muss billiger werden und eine höhere Qualität erreichen. 2. benötigen Frauen Formen flexibler Arbeitszeiten und Arbeitsplatzgestaltung (Exp. 1.2.1, Abs. 76). Durch flexible Arbeitszeiten könnten Frauen weiterhin ihren Beruf ausüben und wären nicht aufgrund von Vereinbarkeitsproblemen zum Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit gezwungen (Exp. 1.2.2, Abs. 80). Im Polizeidienst ist der Verlust weiblichen Talents sehr häufig, Frauen kehren nach dem Mutterschaftsurlaub in den Beruf zurück, um nach kurzer Zeit festzustellen, dass das Vereinbarkeitsproblem nicht lösbar ist und wieder aussteigen oder in eine andere Tätigkeit wechseln, aber für die Polizei damit verloren sind (ebd., Abs. 42). Ein Problem hierbei ist nach Ansicht der Expertin, dass die personalverantwortlichen ManagerInnen der Polizei nicht über das nötige Wissen verfügen, wie sie mit Berufsrückkehrerinnen verfahren sollen. ManagerInnen müssen mehr Verständnis für alternative Arbeitszeitmodelle entwickeln und verstehen, dass Flexible Working nicht heißt, von 9-15Uhr zu arbeiten, sondern alle möglichen Kombinationen denkbar sind. Um Flexible Working – Arrangements besser zu kommunizieren, wurde unlängst (Interview im Oktober 2007) ein neues Projekt mit dem Home Office bezüglich Flexible Working 18
Die Daten stammen aus nationalen Zeitbudgeterhebungen der Jahre 1998 bis 2004, die von den nationalen statistischen Ämtern und von Forschungsinstituten durchgeführt wurden. Der berechnete Zeitaufwand für die einzelnen Tätigkeiten ist der Mittelwert für alle Personen zwischen 20 und 74 Jahren und für das gesamte Jahr; erfasst werden Arbeits- und Wochenendtage sowie Urlaubszeiten (gleiches gilt für Tab. 22 und 36).
80
gestartet, in dem es vornehmlich darum geht, positive Erfahrungen mit Flexible Working auszutauschen und die Vorteile darin zu erkennen (ebd., Abs. 20). Auf Unternehmens-Ebene wird die Ansicht vertreten, dass eine Work-LifeBalance nicht von der Regierung initiiert werden kann, sondern von den Unternehmen aus gestaltet werden muss. Die Regierung sollte lediglich die Mutterschafts- und Vaterschaftsregulierungen ausbauen und verbessern, alles andere muss aus der Wirtschaft („Business“) kommen. Die Unternehmen müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als wichtigen Faktor sowohl der Unternehmensbewertung, der Außendarstellung als auch der Bewertung durch die ArbeitnehmerInnen erkennen. Auch Männer fordern verstärkt eine Work-LifeBalance ein und wollen flexibel arbeiten. Zudem gibt es heutzutage mehr Doppelverdiener-Haushalte, so dass in gleichberechtigten Partnerschaften Frauen und Männer flexible Arbeitszeitgestaltungen benötigen (Exp. 1.3.1, Abs. 126). Zwei Ursachen für die eingeschränkte praktische Durchführbarkeit flexibler Arbeitszeiten werden in den Kernarbeitszeiten, zu denen jede ArbeitnehmerIn anwesend sein soll sowie in der „long hours culture“, der Kultur langer Arbeitszeiten, gesehen. „The organizing of our work is still not very outcome, rather prisoned19 focuses, you have to be here from 9-5p.m. rather then do it x, y, z how you want it. I think that is an issue in the whole UK. In terms of our European Union Counterparts, we have very long hours culture here, people need to be seen at work here, whether they are working or not, that doesn’t matter. I don’t think employees are most productive when they don’t see the value of their organization and can’t organize their lives satisfactory“ (Exp. 1.3.3, Abs. 2).
Das Arbeiten von zu Hause als eine Form der flexiblen Arbeitsgestaltung wird von vielen ArbeitgeberInnen misstrauisch betrachtet und größtenteils abgelehnt. Es geht hier nach Meinung der Expertin 1.3.3 vielmehr um das „Gesehenwerden“ als um Produktivität, denn ob man in der Zeit arbeitet, ist nur bedingt nachvollziehbar. ArbeitnehmerInnen sind nicht am produktivsten, wenn diese die Werte in ihrem Unternehmen nicht sehen und ihr Leben nicht zufrieden stellend organisieren können. Trotzdem gibt es im Unternehmen der Expertin 1.3.3 einige Bemühungen, welche auf die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf abzielen. So wird bspw. versucht, in neuen Arbeitsverträgen mehr Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeiten einzubauen. Zudem gibt es bereits die so genannten „annua19 Prisoned (engl.) = Kein engl. Wort im eigentl. Sinne, gebraucht als Synonym für beschränkt, beengt.
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lised hours“, wobei ein Jahreskontingent an Arbeitsstunden (hier bspw. 200 Stunden) über das Jahr flexibel verteilt werden kann, d. h. es kann in Blöcken oder Intervallen mehr gearbeitet werden, um bspw. in den Schulferien komplett freinehmen zu können. Auch dies ist nur realisierbar, wenn es sich nicht mit den Firmeninteressen überschneidet (ebd., Abs. 4 & 6). Expertin 1.3.3 sagt ganz deutlich, dass sie nur Vollzeit berufstätige Mutter von vier Kindern sein kann, weil sie die Hilfe eines Au-pairs hat, obwohl es mit dieser Hilfe trotzdem sehr schwer ist, Familie und Beruf zu vereinbaren. Frauen brauchen bei der Durchführung ihrer Erwerbstätigkeit viel Unterstützung, weil sie so viele unbezahlte und unbeachtete Arbeiten zusätzlich verrichten (ebd., Abs. 41). Im Gespräch mit den britischen Expertinnen über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dominiert der Wunsch nach flexibler Arbeitszeit- und – platzgestaltung über die Aussagen zu quantitativer und qualitativer Kinderbetreuung, die vor allem stärker ausgebaut und billiger werden sollte, damit noch mehr Frauen Kinderbetreuung in Anspruch nehmen können und damit in die Lage versetzt werden, eine Erwerbstätigkeit auszuüben oder diese auszubauen. Der Wunsch nach individuelleren Lösungen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird zwar größtenteils von Frauen geäußert, aber auch zunehmend Männer wollen ihre Arbeitszeiten ihren persönlichen Vorstellungen anpassen. Die Frage ist hierbei, ob Männer die gleichen Formen flexibler Arbeit nachfragen, denn während Frauen oftmals familienbedingt auf flexible Arrangements angewiesen sind, um ihre Erwerbstätigkeit aufrechtzuerhalten, sind es bei Männern oft nicht familienbedingte längere Pausen (Sabbaticals). Die Herstellung einer Work-Life-Balance kann nicht von der Regierung vorgegeben werden, sondern muss aus der Wirtschaft selbst erfolgen. Viele Unternehmen beharren noch auf traditionellen Kernarbeitszeiten oder verweigern sich dem Modell, von zu Hause aus zu arbeiten. Die Unternehmen müssen die Vorteile für sich und ihre ArbeitnehmerInnen begreifen und wie bei den hier vorgestellten Unternehmen deutlich wurde, sind diese bereits im Begriff, Flexible Working auch als Unternehmensvorteil zu sehen bzw. Angebote zu flexiblen Arbeitszeiten zu machen, um einer hohen Fluktuation an Arbeitskräften entgegenzuwirken. Flexible Working gewinnt an Bedeutung, da es bereits als gleichstellungspolitisches Instrument und zur Verbesserung der Work-Life-Balance angeführt werden kann. Die Gründe, warum Frauen aus einer Erwerbstätigkeit austreten, sind oftmals mit Flexible Working und der Unternehmenskultur verbunden, bspw. wenn eine Frau in einem von Männern dominierten Arbeitsbereich beschäftigt ist (Exp. 1.1.1, Abs. 46). Expertin 1.2.2 der Institutionen-Ebene berichtet, dass auf Konferenzen im ganzen Land versucht wird, ManagerInnen die 82
operationalen Vorteile von Flexible Working zu erklären, denn es ist nach Ansicht der Expertin in jedem Fall besser, jemanden nur zu 20% zu beschäftigen als niemanden zu finden. Die verschiedenen Flexible Working Optionen sind: compressed hours (Arbeitszeit in Stunden in weniger Arbeitstagen bewältigen), Teilzeitarbeit, Job-Sharing (Arbeitsplatzteilung), flexible Arbeitszeiten, term time working (Arbeiten in Blöcken). Die compressed hours sind bei den Londonern beliebt, gerade aufgrund langer Anfahrtswege wollen viele ArbeitnehmerInnen ihre Überstunden nutzen, um eine Vier-Tage-Woche zu erreichen (Exp. 1.2.2, Abs. 22). Eine weitere Form der flexibilisierten Arbeitszeit sind die additional holiday patches (um eine Verlängerung der Ferien zu ermöglichen, können diese „hinzugekauft“ werden). Im Unternehmen der Expertin 1.3.1 gibt es einen Flexible Working Champion, der im Diversity Ausschuss des Unternehmens vertreten ist. Der Flexible Working Champion ist (zum Zeitpunkt des Interviews im Oktober 2007) der Leiter der Finanzabteilung des Unternehmens und nach Ansicht der Expertin 1.3.1 ist es wirkungsvoll, ein männliches Vorbild für eine Thematik bzw. Problematik zu haben, die hauptsächlich Frauen betrifft, wobei aber 34% der Flexible Working Anfragen in ihrem Unternehmen von Männern gestellt werden und 98% der Anfragen beider Geschlechter insgesamt ermöglicht werden (ebd., Abs. 32 & 36). Auch die Expertinnen 1.3.2 und 1.3.3 der Unternehmens-Ebene können auf einige bereits genannte Formen von flexibilisierten Arbeitszeiten verweisen, da Eltern oder carer de jure das Recht auf Flexible Working haben (Exp. 1.3.2, Abs. 17). Es werden immer mehr flexible Arbeitsformen nachgefragt, vor allem auf dem Senior Level, wo Flexible Working noch nicht gut etabliert ist. Auch Männer arbeiten flexibel, würden es aber nicht so nennen. Deshalb muss nach Ansicht der Expertin 1.3.3 ein anderer Name gefunden werden, denn Flexible Working wird oftmals als Äquivalent zur Teilzeitarbeit verstanden, was niedriger bewertet und mit einem Statusverlust verbunden wird. „So we need to get rid of the `F´ word, because it is seen as flexible working equals part-time which equals less commitment“ (Exp. 1.3.3, Abs. 12). In Großbritannien, das für seine long hours culture bekannt ist, spielt Flexible Working eine große Rolle im Erwerbsleben der Individuen und als erfolgreiche Geschäftsstrategie für die Unternehmen. Frauen und Männer fragen flexible Arbeitsformen nach, wobei dies verschiedene Gründe haben kann. Trotzdem ist Flexible Working an beide Geschlechter gerichtet und kann von beiden abgerufen werden. Gerade in den konservativen Branchen existieren Widerstände gegen zu freie Arbeitsformen, aber auch diese scheinen sich abzubauen, sobald verstanden wird, dass Flexible Working nicht nur die Angestellten glücklicher macht, sondern auch die KundInnen, was unmittelbar mit steigenden Gewinnen verbunden ist. 83
Interessant ist bei den Überlegungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch die Einschätzung der ExpertInnen, ob Frauen eine freie Wahlmöglichkeit hinsichtlich Erwerbstätigkeit oder Ausstieg aus dieser und privater Kinderbetreuung haben oder nicht. Im Gespräch mit den ExpertInnen der verschiedenen Länder fallen unterschiedliche Schwerpunkte auf. In Großbritannien dominiert die Sichtweise, dass die finanzielle Situation der Frauen über die Wahlmöglichkeit entscheidet (Exp. 1.3.1, Abs. 132/Exp. 1.3.2, Abs. 62). Frauen haben heute die freie Wahl zwischen Erwerbstätigkeit und Reproduktionsarbeit, da es viele Initiativen, Programme und Gesetze gibt, um dies zu ermöglichen (Exp. 1.3.1, Abs. 132). Freie Wahlmöglichkeiten haben auch Frauen mit familiärer Unterstützung (Exp. 1.3.2, Abs. 62). Frauen in ärmlichen Verhältnissen hingegen haben keine Wahl, weil der finanzielle Spielraum nicht gegeben ist, um auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten (Exp. 1.3.1, Abs. 132). Ebenso wenig haben Alleinerziehende eine Wahl, gerade in Anbetracht der hohen Kosten für Kinderbetreuung. 2.3.1 Bereitstellung von sozialer Infrastruktur und deren Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen Kinderbetreuung wird in Großbritannien als Privatangelegenheit betrachtet und traditionell in der Familie gesehen. Die staatliche Unterstützung der Betreuung ist dementsprechend auf ein Minimum beschränkt (Jönsson/Letablier 2003, 93). Frauen, welche diese private Arbeit leisten, werden nur als Zuverdienerinnen verstanden, die auf Teilzeitzeitbasis oder auf der Grundlage befristeter Arbeitsverträge beschäftigt sind (ebd., 94f.). Die Kommunen müssen lediglich die Betreuung kranker oder behinderter Kinder oder Kinder behinderter Eltern bereitstellen. Während der 1980er Jahre stieg die Zahl der privaten Betreuungseinrichtungen in Großbritannien stark an, wohingegen die Zahl der staatlichen Einrichtungen stagnierte. Herausragend ist der Sektor der informellen und unbezahlten Betreuung. 1980 zahlte nur ein Drittel der erwerbstätigen Mütter mit Kindern im Vorschulalter für die Betreuung ihrer Kinder, da sie die Hilfe ihrer Ehemänner, Verwandten und Freunde in Anspruch nahmen. Fast 15% der Mütter mit kleinen Kindern betreuten diese während sie einer Erwerbstätigkeit nachgingen (Sainsbury 1996, 97). 3- bis 4-jährige Kinder besuchen am häufigsten die Spielgruppen, die von Eltern organisiert werden, da nur ein kleiner Teil der Kinder in dieser Altersgruppe einen Vorschulplatz bekommt (Scheiwe 1997, 241). Der „marktförmige Patriarchalismus“ Großbritanniens ist dadurch gekennzeichnet, dass staatliche Strategien kaum in den Privatraum Familie eingreifen. So besteht auch keine intensive staatliche Aktivität zugunsten erwerbstätiger 84
Frauen. Durch den „Thatcherismus“ wurde die Lage der Frauen und Familien zunehmend verschlechtert, weil dieser eine Erosion des britischen Wohlfahrtssystems bewirkte (Schunter-Kleemann 1996, 182). Es wurden erhebliche Kürzungen von Sozialausgaben vorgenommen, zusätzlich zu Stellenverlusten in jenen Bereichen, in denen Frauen bevorzugt gearbeitet hatten. Dem Rückgang von Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern folgte eine Rückverlagerung von bezahlter öffentlicher zu unbezahlter privater Pflegearbeit und zu erheblichen Doppelbelastungen der Frauen. Einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist für britische Mütter nicht leicht zu realisieren, obwohl „The New Labour administration is the first post-war government to put in place a comprehensive childcare policy to encourage more women into paid employment“ (Anttonen/Sipilä 2005, 126). Die Tatsache, dass die Erwerbsquote von Frauen und vor allem von Müttern durch Kinderbetreuung gesteigert werden sollte, sagt allerdings nichts über deren Qualität aus. Die Arbeitszeit der Frauen ist aufgrund der schlechten Kinderversorgung zeitlich stark begrenzt und z. T. nur möglich, wenn der Partner die Kinder betreuen kann, d. h. es kam zu einem erheblichen Zuwachs an weiblicher Nacht- und Schichtarbeit (Schunter-Kleemann 1996, 183). Die linke Mitte der Labour Regierung hat zwar bereits Mitte der 1980er Jahre die Ansprüche der Frauen auf eine Erwerbstätigkeit im ersten Arbeitsmarkt anerkannt, jedoch steht dieser politische Wandel nicht einfach für die Anerkennung der Beschäftigungsaspiration vieler Frauen als vielmehr für die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen der Maximierung der Erwerbsbeteiligung (Crompton 2002, 265). 1996 wurde der „Working Families Tax Credit“ eingeführt, welcher es ermöglichte, die Kosten der Kinderbetreuung steuerlich abzusetzen. Damit sollten vor allem Frauen zur Erwerbstätigkeit ermutigt werden. Die „National Childcare“ Strategie knüpft deshalb auch mit der Bereitstellung von Betreuungsangeboten direkt an die Restrukturierung des Arbeitsmarktes an (Jönsson/Letablier 2003, 94). Der Europäische Rat hat im März 2002 mit den Barcelona-Zielen vereinheitlichende Richtwerte bezüglich Kinderbetreuung für alle Mitgliedstaaten vorgegeben, nach denen die Verfügbarkeit sowie der Zugang von bzw. zu Kinderbetreuungseinrichtungen, ebenso wie Einrichtungen für betreuungsbedürftige abhängige Personen, verbessert werden sollen. Konkret bedeutet dies, dass bis zum Jahr 2010 die Versorgung von 33% der Kinder unter drei Jahren und 90% der Kinder zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter in Kinderbetreuungseinrichtungen gewährleistet sein soll (Europäische Kommission 2008b). Aus den Tabellen 8 und 9 geht hervor, wieweit die Erfüllung der Barcelona-Ziele in Großbritannien vorangeschritten ist.
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Tabelle 8: Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen und Erwerbsquote von Müttern in GB Anteil der Kinder, die (private und Nachrichtlich: Erwerbstätigenquote öffentliche) Kinderbetreuungseinrich- von Müttern mit Kindern unter tungen nutzen (2000) sechs Jahren (1999) Kinder Kinder zwischen drei unter drei Jahren u. dem schulJahren pflichtigen Alter 34% (nur 60% (nur England) 55,8% England) Quelle: Gerhard/Knijn/Weckwert 2003b, 215 Tabelle 9: Kinderbetreuungsangebot und Vorschulerziehung in GB, 2001
Tageskrippe Spielgruppen Tagesmütter Außerschulische Einrichtungen Vorschulklassen (ab drei Jahren) Quelle: Deutscher Bundestag 2006
Plätze/100 Kinder 2001 9,5 11,0 6,3 8,2 90,0
Der Anteil der Kinder unter drei Jahren, die Betreuungseinrichtungen nutzen, betrug im Jahr 2000 34%. Allerdings waren 60% der Kinder zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter in Betreuungseinrichtungen untergebracht (vgl. Tab. 8). Diese Einrichtungen sind größtenteils privat. In dem Bericht der EU-Kommission zur Umsetzung der Barcelona-Ziele heißt es, das Ziel der 33%igen Versorgung der unter 3-Jährigen und der 90%igen Versorgung der Kinder zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter (bis 2010) sei in Großbritannien annähernd erreicht (Europäische Kommission 2008b, 6), was dafür spricht, dass die Anzahl der Betreuungsplätze in den letzten Jahren nicht zugenommen hat und in Großbritannien geringer ausfällt als in England isoliert betrachtet. Zumindest im Bereich Vorschule sind bereits 90 Plätze für 100 Kinder vorhanden (vgl. Tab. 9). Der seit dem Jahr 2000 amtierende Bürgermeister Londons, Ken Livingston, hat eine Maßnahme aus der London Development Agency heraus initiiert, welche wiederum von der nationalen Regierung, genauer dem „Department of Education“ gegründet wurde. Diese Maßnahme hat zum Ziel, 10.000 bezahlbare 86
Kinderbetreuungsplätze zu schaffen bzw. das bestehende Angebot auf diese Zahl auszubauen. Zielgruppen dieser subventionierten Betreuungsplätze sind Frauen und Familien, die Sozialleistungen beziehen und generell Frauen, die in den Arbeitsmarkt zurückkehren wollen. Im Oktober 2007 erreichte diese Maßnahme bereits 6.000 Familien. Der Umfang der Kosten und der Kostenersparnis für die Familien ist hierbei nur schwer kalkulierbar, aber sicher ist, dass diese Maßnahme eine erhebliche Entlastung für Alleinerziehende und Familien darstellt, die bereits durch die hohen Kosten in Bezug auf Wohnen belastet sind (Exp. 1.1.1, Abs. 95&97). Es existieren zwar bereits staatliche und private Kinderbetreuungseinrichtungen, doch die privaten sind wesentlich teurer als die öffentlichen, welche allerdings auch zwischen GBP 200 bis GBP 1.000 pro Monat kosten. Für einige Frauen ist es deshalb günstiger, von Sozialleistungen zu leben als einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und Kinderbetreuung zahlen zu müssen (Exp. 1.2.1, Abs. 80). Die Polizeieinheiten verfügen nicht über eigene Kindergärten, aber es werden „child care vouchers“, also Betreuungsgutscheine, ausgegeben. Diese werden jedoch selten genutzt, weil viele bei der Polizei Beschäftigte nicht über diese Zusatzleistung informiert sind. Allerdings haben die meisten Einheiten ein Ferienbetreuungsangebot und arbeiten in diesen Fällen mit den lokalen Betreuungseinrichtungen zusammen. Viele Einheiten haben jetzt auch einen „Child Care Coordinator“, der in Vollzeit Mutterschafts- und Schwangerschaftsregularien bearbeitet und an die Frauen im Polizeidienst kommuniziert, um bspw. die child care vouchers bekannter zu machen (Exp. 1.2.2, Abs. 34). Die Regierung ist aber trotzdem gefordert, mehr öffentliche Kinderbetreuung anzubieten, um Familien die hohen Kosten für private Betreuung zu ersparen. Zudem existiert heute in den wenigsten Familien eine traditionelle Familienstruktur, welche die Defizite der staatlichen Betreuung auffangen könnte (ebd., Abs. 91). Auch in den Unternehmen der Expertinnen 1.3.1 und 1.3.2 (Abs. 123) werden Kinderbetreuungsgutscheine angeboten. Zusätzlich hat im Unternehmen der Expertin 1.3.1 seit Januar 2007 jede ArbeitnehmerIn Anspruch auf fünf Tage Notfall-Kinderbetreuung (falls die Betreuungseinrichtung schließt, das Kind oder die Tagesmutter krank sind etc.). Diese Notfallbetreuung wird über das Unternehmen koordiniert. Das Unternehmen sieht diese Zusatzleistung als großen Vorteil für sich, da ArbeitnehmerInnen mit Kindern so an ihrem Arbeitsplatz erscheinen können und nicht aufgrund von Krankheit des Kindes o. ä. als Arbeitskraft ausfallen. Zudem ist es ein zusätzlicher Anreiz für die ArbeitnehmerInnen, dem Unternehmen gegenüber loyal zu bleiben, weil dieses als Arbeitgeber gerade für Eltern attraktiver wird (Exp. 1.3.1, Abs. 106 & 108). Im Gespräch mit den britischen Expertinnen wird deutlich, dass das aktuelle Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung nicht ausreicht, um den Bedarf berufs87
tätiger Eltern zu decken. Das Ausweichen in private Kinderbetreuung ist aufgrund der höheren Kosten nicht jedem zugänglich, aber auch die Kosten für öffentliche Kinderbetreuung sind so hoch, dass sie geringverdienende Frauen von einer Erwerbsarbeit abhalten können, da diese abzüglich der Sozialabgaben und Kinderbetreuungskosten nicht mehr lukrativ erscheint. Zudem fehlt in der heutigen Gesellschaft das private Netzwerk der traditionellen Familie, um Defizite im Betreuungsangebot auszugleichen. Dies wurde auch auf politischer Ebene erfasst, weshalb eine Maßnahme zum Ausbau der subventionierten Betreuungsplätze auf 10.000 Plätze initiiert wurde. Diese Maßnahme ist ein wichtiger Schritt, um Eltern, aber speziell Frauen, durch Kinderbetreuung eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen und sich diese auch leisten zu können. Auf Unternehmens- und auch Institutionen-Ebene ist der Einsatz von child care vouchers zur finanziellen Entlastung der ArbeitnehmerInnen stark verbreitet. Diese Betreuungsgutscheine schaffen nicht nur mehr Flexibilität der Eltern und finanzielle Entlastung der Familien, sondern stärken zudem das Unternehmensprofil. Die Erwerbsquote von Müttern spiegelt die Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wider. Während 2006 82,9% aller erwerbsfähigen Frauen ohne Kinder berufstätig waren, ist diese Quote bei Frauen mit Kindern mit 63,1% knapp 20%-Punkte geringer (Europäische Kommission 2008a). Die Frauen diskriminierenden Regelungen bei einem Arbeitsplatzwechsel stellen für Frauen eine weitere Hürde dar. „In England existieren (...) sensible Verfallbarkeitsbestimmungen, die bewirken, daß Frauen eher als Männer aus den Betriebssystemen wieder herausfallen“ (Hemerijck 2002, 323). Ein unverfallbarer Anspruch auf den Arbeitsplatz besteht in der Regel erst ab einem Alter von 26 Jahren und nach fünfjähriger Zugehörigkeit zu einem Betriebssystem. Dies gilt nur für Vollzeitbeschäftigte (mehr als 30 Wochenstunden). Teilzeitbeschäftigte erwerben keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz, was bedeutet, dass eine Frau, die nach der „Babypause“ in den Betrieb zurückkehrt, mit dem Aufbau von Ansprüchen wieder von vorne anfängt. Das Vorhandensein von Kindern ist also ein wichtiger Faktor für die weibliche Erwerbsfähigkeit und -tätigkeit, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich wird. Während die Erwerbsbeteiligung der Frauen ohne Kinder bei 84% liegt, sinkt diese Quote mit steigender Kinderanzahl. Frauen mit drei und mehr Kindern sind nur noch zu 48% erwerbstätig, wobei hier keine Differenzierungen nach Qualität und Umfang der Erwerbstätigkeit gemacht werden (vgl. Tab: 10). Trotzdem ist anzunehmen, dass diese hauptsächlich im Teilzeitbereich geleistet wird. Ungenügende Kinderbetreuung wirkt wie ein Katalysator hinsichtlich einer abnehmenden weiblichen Erwerbsquote.
88
Tabelle 10: Erwerbsbeteiligung nach Anzahl der Kinder (GB) Anzahl der Kinder Erwerbsbeteiligung Kinderlose Frauen 84% Erwerbstätigenquote von Frauen mit Kindern im Alter von 0-14 Jahren 1 Kind 72% 2 Kinder 68% 3 und mehr Kinder 48% Anmerkung: Erwerbsbeteiligung von Frauen im Alter von 25 bis 49 Jahren.
Quelle: Deutscher Bundestag 2006 Durch die offensichtlichen Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheiden sich immer mehr Frauen für eine Familie oder eine Karriere und versuchen nicht, beides zu kombinieren, wenn die nationalstaatliche Politik nicht die Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit bereitstellt, was zu einer Geburtenrate führt, die nicht ausreicht, um die bestehende Bevölkerungsanzahl aufrechtzuerhalten. Großbritannien wird aufgrund einer Geburtenrate von 1,84 (Kindern pro Frau) im Jahr 2006 (Eurostat 2008b) die Auswirkungen des demographischen Wandels in den nächsten Jahren und Jahrzehnten u. a. auf dem Arbeitsmarkt als Verknappung des Arbeitskräfteangebots bemerken, wobei die Geburtenrate seit 2001 kontinuierlich gestiegen ist. Es bleibt abzuwarten, ob diese positive Entwicklung anhält. Der Staat in seiner Funktion als Wohlfahrtsstaat muss verstehen, dass es durch den demographischen Wandel soziale Kosten zu decken gilt. Eine folgende Generation wird nicht zuletzt gebraucht, um die Rente zu erwirtschaften. Der demographische Wandel ist auch ein Grund für die Auflösung der traditionellen Familie. Aber nicht nur die traditionelle, sondern auch die erweiterte Familie fällt zur Unterstützung der berufstätigen Mutter weg, weil die Gesellschaft zunehmend mobiler wird und sich aus traditionellen (Familien-) Verhältnissen löst (Exp. 1.1.1, Abs. 115). Zudem steigt die Lebenserwartung, was zur Folge hat, dass immer mehr ältere Menschen privat oder in Einrichtungen gepflegt werden müssen. Es sollten deshalb nicht nur Eltern Betreuungsurlaub und -geld erhalten, sondern auch private Betreuer/Pfleger von Älteren. „Care“ darf sich nicht länger nur auf Kinder beziehen, sondern muss auch auf Alte und andere Pflegebedürftige ausgeweitet werden (Exp. 1.3.3, Abs. 8). Die weibliche Erwerbsquote wird in der Sekundärliteratur oft als Indikator für den Grad der Geschlechtergleichstellung herangezogen (Pfau-Effinger 2000, 14). Hierbei muss allerdings erwähnt werden, dass eine (im Sinne der Geschlechterdemokratie) erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik nicht einzig auf die Steigerung der Erwerbsquote abzielen darf, da diese keine Aussagen über die Quantität und 89
Qualität der Erwerbstätigkeit zulässt, weshalb die Betrachtung der Erwerbsquote in Vollzeitäquivalenten sinnvoller erscheint. Tabelle 11: Beschäftigungsquoten in Vollzeitäquivalenten20 1998 (in %) (GB) Insgesamt
Männer
Frauen
Differenz
EU 15
55,7
70,8
40,7
30,1
GB
60,9
77,0
44,4
32,6
Quelle: Bosch 2002, 214 Wie aus der obigen Tabelle hervorgeht, beträgt die Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalenten 44,4% und liegt damit fast 20 Prozentpunkte unter der Beschäftigungsquote des Jahres 1998 mit 63,6% (vgl. Tab. 12). Aktuellere Zahlen konnten leider nicht ermittelt werden (auch nicht für Frankreich und Schweden), allerdings lässt sich durch die Zahlen hier bereits feststellen, wie groß die Differenz der Beschäftigungsquoten ist. Dies lässt sich vermutlich auf den hohen Anteil an Teilzeiterwerbstätigkeit zurückführen. Bis zum Jahr 2010 soll die Beschäftigungsquote der Frauen EU-weit auf 60% angehoben werden (Behning 2004, 131). In den drei fokussierten Ländern haben dies Großbritannien und Schweden vor Frankreich erreicht, das diesen Wert erst 2007 vorweisen konnte. Allerdings liegt die Quote in Großbritannien im Jahr 2007 mit 65,5% nur 5,5% über dem geforderten Wert, wie aus Tabelle 12 ersichtlich wird. Die weibliche Beschäftigungsquote ist in den letzten Jahren zudem kaum Schwankungen unterworfen, wodurch nicht von einer baldigen Erhöhung der Quote ausgegangen werden kann. Auch ohne die Beschäftigungsquoten im Vollzeitäquivalent für dieses Jahr zu kennen, kann davon ausgegangen werden, dass der Wert von 60% weiblicher Beschäftigungsquote nicht erreicht würde (dies gilt allerdings auch für die Länder Frankreich und Schweden, wobei in Schweden das VZÄ weiblicher Beschäftigung den höchsten Wert hat).
20
Bei vollzeitäquivalenten Beschäftigungsquoten (VZÄ) werden die Teilzeitbeschäftigungen und die geleisteten Überstunden in reguläre Vollzeitbeschäftigung umgerechnet. Dabei entspricht ein Vollzeitäquivalent (VZÄ) der Arbeit einer Person in einem Jahr. Arbeitet diese Person zu 30%, geht sie mit 0,3 VZÄ in die Rechnung ein.
90
Tabelle 12: Beschäftigungsquote in % (GB) 1998
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Insgesamt EU 27
61.2
62.2
62.8
62.4
62.6
63.0
63.6
64.5
65.4
EU 15
61.4
63.4
64.1
64.2
64.5
64.8
65.4
66.2
67.0
GB
70.5
71.2
71.4
71.4
71.5
71.7
71,7
71,6
71,5
Männer EU 27 EU 15 GB
70.3
70.8
70.9
70.4
70.3
70.4
70.8
71.7
72.5
71.2
72.8
73.1
72.8
72.7
72.7
73.0
73.6
74.2
77.3
77.8
78.0
77.7
77.8
77.9
77.7
77.5
77.5
Frauen EU 27 EU 15 GB
52.0
53.7
54.3
54.4
54.9
55.5
56.3
57.3
58.3
51.6
54.1
55.0
55.6
56.2
57.0
57.8
58.8
59.7
63.6
64.7
65.0
65.2
65.3
65.6
65.8
65.8
65.5
Quelle: Eurostat 2008e Die Arbeitslosenquote der Frauen liegt mit 5,0% im Jahr 2007 nur 0,6 Prozentpunkte unter der Quote der Männer (vgl. Tab. 13). Würden alle Frauen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, sondern sich bspw. auf die häusliche Betreuung konzentrieren, in der Statistik aufgeführt, läge diese Quote höher. Die Quoten liegen allerdings generell unter dem EU-Durchschnitt, was darauf hinweist, dass die aktivierende Arbeitsmarktpolitik Wirkung zeigt. Damit zusammenhängend liegen die Transferleistungen des Staates bezüglich Arbeitslosigkeit auf niedrigem Niveau, um Anreize in der Bevölkerung zu schaffen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. In Großbritannien wurde die Definition von Vollzeit als Anspruchsvoraussetzung für den „Family Credit“ schrittweise von 30 Wochenstunden im Jahre 1979 auf 16 Stunden bis zum Jahr 1999 abgesenkt. 91
Mit dieser Maßnahme sollte vor allem die Teilzeitarbeit alleinerziehender Eltern gefördert werden, die auch aufgrund der niedrigen Einkommensgrenzen hauptsächlich die Empfänger des „Family Credit“ sind (Scheiwe 1999, 278). Tabelle 13: Arbeitslosenquote in % (GB)
EU 27 EU 15 GB EU 27 EU 15 GB EU 27 EU 15 GB
1998
2000
2001
2002 2003 Insgesamt
2004
2005
2006
2007
n. v.
8.7
8.5
8.9
9.0
9.0
8.9
8.2
7.1
9.3
7.7
7.2
7.6
7.9
8.1
8.1
7.7
7.0
6.1
5.4
5.0
5.1 5.0 Männer
4.7
4.8
5.4
5.3
n. v.
7.8
7.7
8.3
8.4
8.5
8.3
7.6
6.6
8.2
6.7
6.4
6.9
7.3
7.4
7.5
7.1
6.4
6.8
5.9
5.5
5.7 5.5 Frauen
5.1
5.2
5.8
5.6
n. v.
9.8
9.4
9.7
9.7
9.8
9.6
8.9
7.8
10.7
8.9
8.3
8.5
8.7
8.9
8.9
8.5
7.8
5.3
4.8
4.4
4.5
4.3
4.2
4.3
4.9
5.0
n. v. = nicht verfügbar
Quelle: Eurostat 2008f Teilzeitarbeit hat in Großbritannien nach einem anfänglich niedrigen Ausgangsniveau in den 1950er Jahren rasch zugenommen (vgl. Tab. 14). Anfang der 1990er Jahre war bereits nahezu jede zweite Frau teilzeiterwerbstätig, von diesen wiederum ca. 30% nicht der Sozialversicherungspflicht unterlagen. Aus dieser Tatsache ergibt sich auch heute noch ein hohes Verarmungsrisiko im Alter (Schunter-Kleemann 1996, 183). Die Ursache für die schnelle Zunahme von Teilzeiterwerbstätigkeit ist ein struktureller Wandel hin zum Dienstleistungssektor (Tertiarisierung), der einen großen Anteil an der Gesamtbeschäftigung ausmacht. Der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt geht mit veränderten Anforderungen an die Qualifikationen der ArbeitnehmerInnen einher, die sich in Zukunft 92
noch flexibler hinsichtlich Branchen-, Berufs- oder Wohnsitzwechsel zeigen und sich fortlaufend weiterbilden müssen. Die zunehmende Flexibilisierung führt zu einem weiteren Abbau der „Normalarbeitsverhältnisse“ zugunsten verschiedener Teilzeitarbeitsmodelle bei limitierter Jahresarbeitszeit (Hauser 1995, 56). Tabelle 14: Die historische Entwicklung von Teilzeitarbeit in % (GB) 1951
1961
1971
1981
1984
1990
1994
All parttime Male
3,7
8,9
16,4
20,6
20,8
21,7
24,4
0,2
0,7
2,5
3,5
2,4
3,0
3,8
Female
3,5
8,1
13,9
17,0
18,5
18,7
20,5
% of employment which is part-time Male
0,3
1,1
4,0
5,9
4,0
5,3
6,9
Female
11,5
24,9
37,8
42,4
44,5
43,2
45,8
Quelle: Rubery/Fagan 1997, 224 Esping-Andersen weist daraufhin, dass dieser Wandel positiv im Sinne weiblicher Beschäftigung interpretiert werden kann (analog zum technischen Fortschritt und als Folge von diesem), macht aber gleichzeitig darauf aufmerksam, dass: „A huge part of the service economy owes its existence directly to the disappearance of housewifery“ (Esping-Andersen 2002, 68). Ein großer Teil der Dienstleistungsökonomie verdankt ihre Existenz demnach dem Verschwinden der traditionellen Hausfrau. Teilzeitarbeitsplätze sind zudem für ArbeitgeberInnen ökonomischer, da die deutlich höhere Geringfügigkeitsgrenze bei der Sozialversicherungspflicht (ArbeitnehmerInnen dürfen bis 23% des nationalen Durchschnittseinkommens verdienen, ohne der Sozialversicherungspflicht zu unterliegen) und die starken Differenzen in der Bezahlung zwischen Teil- und Vollzeitkräften wesentlich geringere Kosten auf ArbeitgeberInnenseite zur Folge haben. Wie aus der folgenden Tabelle hervorgeht, verbleibt die Teilzeiterwerbstätigkeit auf hohem Niveau. Im Vergleich der Jahre 2000 und 2007 lässt sich kein signifikanter Unterschied ausmachen, wobei interessant ist, dass die Quote weiblicher Teilzeitbeschäftigung leicht abgenommen und die der Männer gleichzeitig leicht zugenommen hat, so dass der geschlechtsspezifische Unterschied verringert wurde. Die Zunahme der männlichen Quote spricht für die Annahme, dass im Zuge der Tertiarisierung die Teilzeitarbeitsplätze weiter zugunsten von Nor93
malarbeitsplätzen ausgebaut werden und dies auch in männlich dominierten Berufen bzw. Branchen geschieht. Tabelle 15: Anteil der Teilzeitbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung und geschlechtsspezifische Unterschiede in % (GB) 2000
EU 27 Eurozone GB
Männer 5,9 5,1 7,9
2007 Frauen 28,7 30,4 43,8
Männer 6,9 6,9 9,4
Frauen 30,7 34,8 41,6
Geschlechtsspezifischer Unterschied 2000 2007 -22,8 -23,8 -25,3 -27,9 -35,9 -32,2
Anmerkung: Teilzeitbeschäftigte als Anteil an allen beschäftigten Personen in der Altergruppe 15-64.
Quelle: Eurostat 2008g Frauen werden oftmals unfreiwillig in die Teilzeitarbeit gedrängt, weil Einrichtungen, welche Eltern die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienaufgaben erleichtern, durchgängig fehlen. Dies bestätigt auch Hemerijck, indem er sagt: „In the UK, the absence of quality day care provision means that women are frequently compelled to accept low-quality part-time work“ (Hemerijck 2002, 182). Frauen werden aufgrund fehlender Kinderbetreuungseinrichtungen in schlecht bezahlte Teilzeitbeschäftigung gezwungen. Die stark gestiegene Kinderarmut und Chancenungleichheit bei Kindern hängen damit zusammen. Zudem sind alle Teilzeitbeschäftigten in Großbritannien vom Ausschluss von Prämiensystemen, Krankengeld und betrieblicher Rentenversicherung betroffen, die Vollzeitbeschäftigte in Anspruch nehmen können, wobei der Grad der schlechten Stellung der TeilzeitarbeitnehmerInnen von der Zahl der Wochenstunden abhängt (Kurz 2003, 171). Auch im Polizeidienst ist die klassische Teilzeitarbeit ein weiblich dominiertes Feld. Generell arbeiten nur 3% der PolizistInnen in Teilzeit, 90% dieser 3% sind allerdings Frauen (Exp. 1.2.2, Abs. 24). Auch auf Unternehmens-Ebene wird bestätigt, dass mehr Frauen in Teilzeit beschäftigt sind als Männer (Exp. 1.3.1, Abs. 40), die auch vielmehr in unterschiedlichen Variationen von Flexible Working arbeiten als in klassischer Teilzeitarbeit (Exp. 1.3.2, Abs. 25). Angaben zu erwerbstätigen Müttern und Vätern waren nur vage, es konnten keine genauen Zahlen genannt werden. Evtl. lässt dies einen Rückschluss über die Visualität und Repräsentativität von Eltern im britischen Berufsalltag zu, in welchem Familie und Kinder zwar vorhanden sein können, aber nicht den Berufsalltag stören sollen. Dies könnte ein Grund sein, warum die Expertinnen die 94
Zahl der Mütter und Väter noch nicht einmal schätzen konnten. Eine Schwierigkeit im Laufe der weiblichen Erwerbsbiografie ergibt sich für Frauen beim Wiedereinstieg in den Beruf nach der Erziehungsphase. Je länger diese Phase der Berufsunterbrechung andauert, desto größer ist das Risiko von Kompetenzverlust und wachsenden Unsicherheiten. Um diese Schwierigkeiten beim Wiedereintritt in den Beruf zu beseitigen, bräuchte man rechtliche Rahmenbedingungen und Werkzeuge, auch zum Überprüfen von Maßnahmen und Richtlinien. Expertin 1.1.1 nennt das Beispiel eines Unternehmens, in dem Bemühungen, Frauen im Unternehmen zu halten, erst nach der Erkenntnis über den enormen finanziellen Verlust gestartet wurden. Von einer großen Bank wurde ihr berichtet, dass es sechs bis acht Jahre dauert, um eine BankerIn voll auszubilden und Gewinn aus diesem Humankapital zu schöpfen. Die Kosten der Ausbildung belaufen sich dabei auf ca. GBP 1 Million. Ist die Arbeitskraft unzufrieden im Unternehmen, ob es Frauen, Menschen mit unterschiedlichen ethnischen Hintergründen oder Homosexuelle sind, verlassen diese das Unternehmen und nehmen ihre Millionen mit. „If they are not comfortable, if the culture is sexist, racist, homophobic and those people had to be women, black people, lesbian and gay people, they gonna walk through the door and take their million training with them“ (Exp. 1.1.1, Abs. 165). Die Expertin 1.2.1 der Institutionen-Ebene berichtet von der Initiative „vorbildliche Arbeitgeber“, bei der 130 ArbeitgeberInnen beteiligt sind. Ziel dieser Initiative ist es, Frauen zurück in Arbeit zu verhelfen, bspw. durch qualitativ hochwertige Teilzeitarbeit für Mütter (Exp. 1.2.1, Abs. 6). Im Unternehmen der Expertin 1.3.1 besteht ein Anreiz in der zwölfmonatigen Jobgarantie, die nach dem Gesetz nur sechs Monate beträgt (Exp. 1.3.1, Abs. 50). Zudem wurde in diesem Unternehmen 2005 die erste „retaining talented women conference“ abgehalten, um Instrumente zu entwickeln, Frauen langfristig an das Unternehmen zu binden. Auf dieser Konferenz formulierten Frauen Forderungen an das Unternehmen, um die Arbeitsbedingungen gerade für arbeitende Mütter zu verbessern, aus denen im Anschluss an diese Konferenz zwei Projekt-Teams zu den Themen „maternity matters“ und „learning and development“ hervorgingen, also Mutterschafts-Angelegenheiten sowie Lernen/Weiterbildung und Entwicklung (ebd., Abs. 12). In einem anderen Unternehmen gibt es finanzielle Anreize für Frauen, nach der Erziehungspause ins Unternehmen zurückzukehren. So kann der „return to work bonus“ hier bereits während des Mutterschaftsurlaubs ausgezahlt werden, was diese Frauen stärker an das Unternehmen bindet (1.3.2, Abs. 6). Auch das Unternehmen der Expertin 1.3.3 ist bei der Rückgewinnung weiblicher Arbeitskräfte erfolgreich, denn 80% der Frauen kehren nach 26 Wochen Elternzeit in den Beruf zurück. Dieser Erfolg währt aber nur kurzfristig, da viele Frauen keine guten Arbeitsbedingungen vorfinden und daraufhin das Unterneh95
men verlassen. Erfolgreiche Strategien zur Gegensteuerung existieren hier noch nicht (Exp. 1.3.3, Abs. 53). Großbritannien nimmt ein zunehmendes Risiko der Desintegration in Kauf. Die Arbeitsplätze werden rarer, die Einkommen fallen, Wohnfläche wird unbezahlbar, die traditionelle Familie verschwindet und auch soziale Kontakte und Freundschaften waren seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr so gering. Die Entwicklung hin zu atypischen Arbeitsverhältnissen führt dazu, dass nicht nur Arbeitslose der ständigen Angst vor Armut ausgesetzt sind, sondern sogar die arbeitende Bevölkerung, meist mit geringem Lohn, keine Sicherheit mehr kennt. Dies ist die neue Quelle der Ungleichheit. Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt führten dazu, dass nun von einer 30/30/40 Gesellschaft in Großbritannien gesprochen werden kann, denn 30% der Bevölkerung sind arbeitslos oder „ökonomisch unaktiv“, 30% sind in atypischen und somit unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und 40% sind zwar in gesicherten Verhältnissen mit fester Arbeit, aber auch diese Gruppe weiß um das Risiko, da die Anzahl der in dieser Gruppe befindlichen Bevölkerung fortlaufend schrumpft (Hutton 2000, 337).
2.4 Frauen in Führungspositionen Die britische Wirtschaftselite zeichnet sich weniger durch professionelle und soziale Kompetenz als durch „die Zugehörigkeit zu elitären Freundschafts- und Beziehungsnetzen“ (Schunter-Kleemann 2007, 55) aus. So hat fast jeder zweite Aufsichtsratsvorsitzende (Chairman) der 100 größten britischen Firmen einen Bildungsabschluss mit hohem symbolischem Wert, also einen Abschluss an einer Eliteuniversität oder Public School. Ein Drittel dieser Aufsichtsratsvorsitzenden verfügt sogar weder über einen Universitätsabschluss noch über eine einschlägige berufliche Ausbildung, dafür aber über exklusive Auszeichnungen und Prädikate. Die Anzahl der „Fallschirmspringer“, d.h. jener Generaldirektoren, die kurz nach Eintritt in ein Unternehmen bereits ins Spitzenmanagement berufen werden, liegt hier bei 38% (ebd., 54). So verwundert es nicht, dass bis heute die „Oxbridge-Mafia“, also die verschworene Gemeinschaft ehemaliger Oxford und Cambridge Absolventen, als Führungselite des Landes gehandelt wird. Der Besuch dieser beiden Eliteuniversitäten sowie der London School of Economics stellt die wichtigste Voraussetzung für Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik, Justiz und Militär dar (ebd., 55f.). Frauen haben es in Großbritannien auch deshalb schwer, in Führungspositionen aufzusteigen, weil hier die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgrund der familienfeindlichen Stimmung und der „long hours culture“ beinahe unmöglich erscheint. Eine Bankerin der Londoner Niederlassung der Deutschen Bank 96
klagte vor Gericht, da ihr als Mutter von vier Kindern gekündigt wurde, weil sie um flexiblere Arbeitszeiten gebeten hatte. Sie erhielt zwar eine Abfindung von GBP 12.000, allerdings kam der Richter zu dem Urteil, der Arbeitgeber könne bei einem so hoch bezahlten Job wie dem der Bankerin grundsätzlich eine entsprechend zeitlich anspruchsvolle Gegenleistung erwarten (ebd., 58). Im Finanzsektor ist es interessant zu sehen, dass lieber hohe Abfindungen an Frauen gezahlt werden, die unbequeme Forderungen stellen, als Arbeitsbedingungen zu ändern, denn diese Zahlungen sind für die AkteurInnen nicht nennenswert und nur „Tee und Kekse-Geld“, wie es die Expertin nennt. Ausnahme: der Fall landet vor Gericht, denn dann ist die Reputation des Unternehmens in Gefahr. „The financial sector has a lot of cases against it and a lot of big pays, but it is easier for them to keep making the pays which are like tea and biscuit money to them instead of actually doing something about the situation, unless somebody takes it to the tribune, or satellite it to court“ (Exp. 1.1.1, Abs. 85).
Unter den 180 britischen multiplen Direktoren, also solchen Personen, die zur ökonomischen Machtelite gehören und sowohl als „Executive Director“ einem Unternehmens-Vorstand sowie zwei oder mehr Aufsichtsräten angehören, wurden bei einer entsprechenden Untersuchung lediglich drei Frauen gefunden. Typisch britisch kann hier der Fakt genannt werden, dass ein hoher Anteil der Spitzenmanager ihre Karriere beim Militär begonnen hat. Auch waren viele Spitzenmanager im Dienst der königlichen Familie oder zu Auslandsmissionen berufen, bevor sie in den Führungsetagen der Wirtschaftskonzerne eingesetzt wurden. Diese informellen Netzwerke sind Frauen größtenteils nicht zugänglich. Zudem setzen solche Erwerbsbiografien ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität voraus, da Frauen aber wesentlich seltener mit internationalen Projekten betraut werden, sinken auch dadurch wieder die Chancen, in Führungspositionen aufzusteigen. Ein weiterer Aspekt, welcher die weibliche Karriere nur bis zu einem gewissen Punkt möglich macht, ist die Mitgliedschaft in Clubs, mit denen hier der Lebenslauf ausgeschmückt wird. Der Zugang zu den meisten vornehmen Clubs ist für Frauen allerdings nicht gestattet, wodurch sie ein weiteres Qualifikationskriterium nicht erfüllen können (Schunter-Kleemann 2007, 59). Der Ausschluss von Frauen aus den traditionellen Herrenclubs gehört zum Ehrenkodex und wurde bis in jüngster Zeit von der englischen Anti-Diskriminierungsgesetzgebung insofern unterstützt, als dass der Ausschluss zulässig ist und somit Ausnahmen der Gleichbehandlung genehmigt werden, solange der sportlich oder politisch motivierte Club nicht eine auf Profit angelegte Institution ist. Erst langsam öffnen sich diese Clubs und stimmen Änderungen ihrer Satzungen nur wi97
derstrebend zu (ebd., 60). Im Jahr 2006 lag der Anteil der weiblichen Manager an den Managern insgesamt bei 34,8% (Europäische Kommission 2008a), was nur eine kleine Steigerung zum Vorjahr bedeutet, in dem der Wert bei 34,5% lag (bei einem EU-25 Wert von 32,1%) (Eurostat 2006a). Expertin 1.1.1, Vertreterin der Politik-Ebene, beschreibt die Situation von Frauen in London als nicht per se schlecht, denn es gibt hier bereits einige Frauen in hohen politischen Ämtern, sie selbst eingeschlossen, die Einfluss nehmen können, um Geschlechtergleichstellung zu fördern. Kurzfristige positive Diskriminierung kann ihrer Einschätzung nach ein gutes Instrument zur Frauenförderung sein. Um Frauen in London zu fördern, gibt es u. a. eine jährliche „Women in London´s Economy“ Konferenz, auf der Themen und Probleme der Geschlechtergleichstellung angesprochen werden und durch die große Medienaufmerksamkeit, welche dieser Konferenz zuteil wird, in die Öffentlichkeit rücken (Exp. 1.1.1, Abs. 87). Neben einer stärkeren Öffentlichkeit werden auch weibliche Vorbilder in der Gesellschaft benötigt, um Frauen in Führungspositionen nicht mehr als Ausnahmen zu sehen (Exp. 1.2.1, Abs. 42). Sehr interessant ist bei der Diskussion über Frauen in Führungspositionen die Einführung eines neuen Begriffs, der ausschließlich in den Interviews mit Expertinnen in London verwendet wurde. Anstatt des „Glass Ceiling“ - Phänomens wird hier die „marzipan layer“, also die Marzipan Schicht, beschrieben. Wie eingangs bereits erwähnt, stellt die marzipan layer die oberste Schicht eines Kuchens dar, wobei Frauen in diesem Bildnis diese Schicht zwar erreichen, aber darin stecken bleiben und nicht an die Glasur herankommen. Die Glasur des Kuchens steht für die Top-Positionen, die somit Männern vorbehalten sind. “The first thing I start with is looking at the female FTSE 100, because this is a specific analytical document, looking at how few women there are working in the top executive positions in private companies and the research shows, that women are stuck in this marzipan layer, they are not getting to the top jobs“ (ebd., Abs.6).
Eine Strategie, dies zu ändern, sieht Expertin 1.2.1 in der Stärkung des weiblichen Selbstbewusstseins. „Women are underselling themselves all the time“ (ebd., Abs. 48). Frauen verkaufen sich in Verhandlungen um Gehalt und Positionen immerzu unter Wert. Ein analytisches Instrument zur Überprüfung des Erfolgs oder Misserfolgs von Fördermaßnahmen für mehr Frauen in Führungspositionen und zur Darstelung des Status quo ist der female FTSE 10021, der als 21 Der Financial Times Stock Exchange Index, kurz FTSE (gesprochen: footsie) ist ein Aktienindex, welcher die 100 wichtigsten Aktien umfasst, die an der Börse in London gehandelt werden (Investor Glossary 2009).
98
analytischer Bericht die Anteile von Frauen in Führungspositionen darstellt. In diesem wurde festgestellt, dass Frauen in der Marzipanschicht stecken bleiben. Das Glass Ceiling existiert auch im öffentlichen Dienst, hier speziell betrachtet bei der Polizei und verstärkt sich mit zunehmend höheren Dienstgraden. Zur Erhöhung des Anteils von Frauen im Polizeidienst allgemein, aber auch zur Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen, Frauen in Spezialeinheiten und Frauen in bewaffneten Einheiten, in denen der Männeranteil bislang dominiert, werden Mentoring-Programme durchgeführt, bei denen Frauen als Mentorinnen Frauen als Mentees unterstützen und beraten (Exp. 1.2.2, Abs. 16 & 144). Auch auf Unternehmens-Ebene wird versucht, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, in dem erfolgreiche Frauen als Vorbilder fungieren. Dies hat auch der globale Finanzdienstleister, bei dem Expertin 1.3.1 eine hohe Stellung bekleidet, erkannt und ernennt nach dem Vorbild seines amerikanischen Mutterkonzerns, der wiederum Vorbildfunktion in Sachen Geschlechtergleichstellung ist und Diversity Richtlinien vorgibt, einen Gender Champion. Dieser Gender Champion, zurzeit (des Interviews im Oktober 2007) durch eine Frau in Führungsposition vertreten, ist firmenintern und –extern Repräsentant der Diversity - und Gender Issues – Strategien. Veranstaltungen zu diesen Themen werden unter der Schirmherrschaft des Gender Champions durchgeführt, welcher durch seinen beruflichen Erfolg und als Angehöriger einer diskriminierten bzw. unterrepräsentierten Gruppe zugleich Vorbild und Aushängeschild ist. Der Gender Champion setzt positive Signale, aber trotzdem nimmt auch hier die Ungleichverteilung ab dem Manager-Level stark zu, d. h. auch hier wirkt der Glass Ceiling – Effekt (Exp. 1.3.1, Abs. 8, 10 & 12). Für die Steigerung des Anteils von Frauen in Führungspositionen ist im Unternehmen der Expertin 1.3.2 das Diversity Council zuständig (Exp. 1.3.2, Abs. 6). Auch im Unternehmen der Expertin 1.3.3 wird das Glass Ceiling - Phänomen beobachtet. Der Grund, warum Frauen nicht in Top Position gelangen, liegt ihrer Meinung nach an der indirekten Diskriminierung, denn man findet immer einen Grund, eine Frau nicht für eine hohe Position zu nehmen. „(…) in terms of real discrimination, the case is easy, but the problem is the indirect discrimination, saying, that the woman is not the right candidate for the job, because of her skills etc., you can always find a reason“ (Exp. 1.3.3., Abs. 18). Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist ein strukturelles, denn der Wunsch eines Unternehmens, qualifizierte Frauen einzustellen, bleibt oftmals unerfüllt. Gerade für Spitzenpositionen rekrutieren globale Unternehmen Frauen aus den USA, weil weibliche Führungskräfte nicht in Großbritannien „wachsen“, weshalb es auch schwer sei, britische weibliche Führungskräfte einzusetzen. „Big organisations like (…) etc., acting globally, they all had to recruit their 99
senior women from America, because senior females are not growing in the UK“ (ebd., Abs. 18). Diese Aussage beinhaltet eine starke Kritik an der Struktur des britischen Arbeitsmarktes und den öffentlichen sowie unternehmensinternen Aus- und Weiterbildungssystemen, denn das Fehlen weiblicher Exzellenz in Großbritannien weist darauf hin, dass die Strukturen der Erwerbstätigkeit Frauen, die ebenso eine Familie gründen wollen, aus dem Arbeitsmarkt verdrängen oder diese in Teilzeit verbleiben, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einem unüberbrückbaren Hindernis wird. Weibliche Talente durch das Ausscheiden aus dem Beruf zu verlieren bedeutet aber automatisch, dass auch weniger Frauen in Führungspositionen gelangen. Eine Strategie, Frauen langfristig an ein Unternehmen zu binden, wäre nach Ansicht der Expertin 1.3.3 20% des Gehaltes während des Mutterschaftsurlaubs zu zahlen und die Mutter als Gegenleistung zu verpflichten, nach ihrer Rückkehr mindestens 18 Monate im Unternehmen zu verbleiben (ebd., Abs. 92). Nicht zuletzt stellt neben der mangelnden Förderung von Frauen durch Männer ein Problem dar, dass viele Frauen, die in den Spitzenpositionen angekommen sind, vergessen, dass sie MentorInnen hatten und anderen Frauen nicht helfen, ihnen in Führungspositionen zu folgen (ebd., Abs. 66 & 68). Auch in Großbritannien ist das Glass Ceiling oder die marzipan layer ein allgegenwärtiges Problem, das sich durch alle Branchen und Berufe zieht. Hier ist die Forderung nach konkreter Förderung durch Netzwerkbildung und Mentoring-Programme stark, gebraucht werden weibliche Vorbilder sowie Männer und Frauen, die anderen Frauen helfen, in Führungspositionen zu gelangen. Die vorgefundene bzw. von den Expertinnen beschriebene Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen und die nur sehr langsame Verbesserung dieses ungleichen Verhältnisses deckt sich mit den Erkenntnissen aus der Sekundärliteratur und dem dort beschriebenen Ausschluss von Frauen aus der Eliteförderung. Die indirekte Diskriminierung ist ebenso ein strukturelles Problem wie der Verlust weiblichen Talents nach der Erziehungsphase. Hier muss nicht nur das Selbstvertrauen der einzelnen Arbeitnehmerin gestärkt werden, sondern es müssen Strukturen geschaffen werden, die einen Wiedereintritt in das Erwerbsleben mit gleichzeitiger Belastung durch Reproduktionsarbeit möglich machen, mit dem Ziel, zukünftig weibliche High Potentials im eigenen Land vorzufinden und nicht aus dem Ausland rekrutieren zu müssen. Allerdings wird hier die Strömung des (neo-)liberalen Feminismus mit seinem weiblichen Elitekonzept der selektiven Chancengleichheit deutlich, in dessen Fokus die Karriere und Aufstiegsmöglichkeiten von weiblichen High Potentials stehen (SchunterKleemann 2007, 51). Auf der Institutionen- und Unternehmens-Ebene wurden einige Maßnahmen wie das Mentoring, Umfragen und Trainings genannt, um mehr Frauen in Führungspositionen zu befördern. 100
Da dem Mentoring eine große Rolle in seiner Funktion zur Förderung weiblicher High Potentials zugesprochen wird, folgt nun eine Stellungnahme sowie eine Einschätzung der Expertinnen über die Wirksamkeit von Mentoring und Netzwerken. Die Expertin der politischen Ebene 1.1.1 erklärt, dass männliche Netzwerke mit verschiedenen Ausschlussverfahren von Frauen funktionieren. Diese finden entweder spät am Abend statt, wenn viele Frauen aufgrund ihrer familialen Verpflichtungen nicht teilnehmen können oder in Kneipen, in großer Entfernung etc. Nach Ansicht der Expertin birgt dies eindeutig diskriminierende Tendenzen in sich. „It’s difficult to enter the male networks, because how the male networks work, is sometimes outside where women can go. (…) It can be that they can’t be at the meeting at 19:30 at night, because they have got caring responsibilities either for the family or for children and meetings are held in pubs and meetings are held on the other side of the town – whatever. There is a whole layering, I would think, of discrimination in this“ (Exp. 1.1.1, Abs. 85).
Im Unternehmen der Expertin 1.3.1 gibt es für jeden Arbeitsbereich ein Frauennetzwerk, weil die Interessen und Anforderungen mit den Arbeitsbereichen differieren, außerdem gibt es ein „Senior Women Network“, in dem speziell weibliche Führungskräfte zusammenkommen (Exp. 1.3.1, Abs. 10). Trotz der steigenden Anzahl und Bedeutung von Netzwerken wird Frauen vorgeworfen, dass diese nicht die (politische) Macht von Netzwerken erkennen, was Männern entgegenkommt, da diese Sichtweise deren machtvolle Position festigt. „(…) a lot of women don’t (…) see it as something powerful and political, they see it as a club and men like women to see it as a club, because that maintains their power position“ (Exp. 1.3.3, Abs. 12). Die Expertinnen sind sich einig, dass Netzwerke wichtig für Frauen sind, um ihre Karriere strategisch zu planen und zu gestalten. Meist treffen Frauen nur auf Männernetzwerke, von denen sie ausgeschlossen werden oder aber reine Frauennetzwerke. Beides ist nicht ideal, denn für mehr Geschlechtergleichstellung ist es notwendig, Frauen und Männer in einem Netzwerk zu versammeln, damit Themen diskutiert und beide Geschlecht mit den jeweils spezifischen Problemen, bspw. bezogen auf die Work-Life-Balance, visualisiert werden können.
2.5 Gender Pay Gap Die Berechnungsgrundlagen für den Gender Pay Gap sind in den hier untersuchten Ländern unterschiedlich. In Großbritannien wurde diese zwischen 1996 und 101
1997 geändert. Bis 1996 war das Haushalts-Panel der Europäischen Union (European Community Household Panel – ECHP) Grundlage der Kalkulationen. Von 1997 an wurde ein nationales Panel benutzt, welches in die Form des ECHP transformiert wurde. Seit 2003 wird die Studie zu den nationalen Strukturdaten bezüglich der Einkommen verwendet. Eine Analyse der Daten von 2001 zeigte, dass die nationale Struktur der Einkommens-Studie einen Gender Pay Gap ergab, der 2% höher lag als die statistischen Werte, die auf der Basis der Quelle des nationalen Panels berechnet wurden. Tabelle 16: Geschlechtsspezifische Einkommensdifferenz in ausgewählten EULändern 2005 24
Estland 22
Deutschland 20
Vereinigtes Königreich 19
Finnland Niederlande
18
Dänemark
17 16
Schweden 13
Spanien 12
Frankreich
EU 25
11
Irland Griechenland
9
Belgien
6 0
5
10
15
20
25
30
Differenz zwischen durchschnittlichen Fraueneinkommen und Männereinkommen als Prozentsatz des durchschnittlichen Männereinkommens (%)
Basis: durchschnittliche Bruttolöhne
Quelle: Klenner 2008, 8 Tabelle 16 gibt einen Überblick über den Gender Pay Gap in ausgewählten europäischen Ländern und zeigt, dass Großbritannien im Jahr 2005 fünf Prozentpunkte über dem EU-25 Durchschnitt liegt und im Vergleich mit Frankreich und Schweden den höchsten Wert aufweist. Im Jahr 2002 lag der Gender Pay Gap bei 30% im privaten Sektor, bezogen auf den privaten und öffentlichen Sektor zusammen lag dieser bei 23%, also durch eine andere Berechnungsgrundlage 7% niedriger. Der Gender Pay Gap stieg in Großbritannien von 72% im Jahr 1982 auf 82% im Jahr 2001, was einen Gender Pay Gap von 18% bedeutet. 2002 war für Großbritannien ein statistisches 102
„Ausreißerjahr“, denn sowohl unmittelbar vorher als auch nachher ist der Gender Pay Gap etwas niedriger, aber über 20% (Europäische Kommission 2006, 22ff.). Der Gender Pay Gap hatte anschließend im Vergleich zum Jahr 2005 einen niedrigeren Wert, denn dieser lag 2005 für Großbritannien bei 20% (vgl. Tab. 16). Kleine Abweichungen ergeben sich aus den unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen. Die aktuelle Zahl des Gender Pay Gap (im Oktober 2007) beziffert Expertin 1.1.1 mit 17%, was eine weitere Senkung des Gender Pay Gap bedeutet (Exp. 1.1.1, Abs. 10). Gerade am Beispiel der statistischen Zahlen zum Gender Pay Gap zeigt sich die Schwierigkeit, vergleichbare Zahlen zu recherchieren. Abgesehen von dem generellen Mangel an statistisch aufbereitetem und nach Geschlecht differenziertem Datenmaterial wird hier und in den Kapiteln 3.5 und 4.5 zum Gender Pay Gap in Frankreich und Schweden deutlich, dass jeder Mitgliedstaat der EU abweichende Berechnungsmethoden verwendet bzw. unterschiedliche Datengrundlagen in die Berechnung einbezogen werden. Deshalb wird hier nicht nur auf die verschiedenen Berechnungsgrundlagen verwiesen. Auch bei der Interpretation gerade des Gender Pay Gap muss darauf hingewiesen werden, dass es aufgrund der Datenerhebung oder des Status quo eines Landes zu indirekten Verzerrungen bzw. Fehlinterpretationen kommen kann. Den aufmerksamen Leser mag es so verwundern, dass bspw. Griechenland oder Belgien einen sehr niedrigen, Deutschland oder auch Schweden hingegen einen vergleichsweise höheren Gender Pay Gap aufweisen (vgl. Tab. 16). Dies liegt nicht etwa an einer erfolgreichen Gleichstellungspolitik Griechenlands, sondern vielmehr an der dort niedrigen Frauenerwerbsquote von 47,9% im Jahr 2007 (Belgien 55,3% in 2007). Wäre die Frauenerwerbsquote 0%, wäre auch der Gender Pay Gap nicht existent, d. h. dass dieser mit steigender Erwerbsquote zunehmen kann. Ist er bei einer hohen weiblichen Erwerbsquote in einem Land aber vergleichsweise niedrig – wie der schwedische Gender Pay Gap, der nur einen Prozentpunkt über dem EUDurchschnitt von 15%, die Frauenerwerbsquote mit 71,8% im Jahr 2007 aber weit über dem EU-Durchschnitt von 59,7% (2007, EU-15) (Eurostat 2008c) liegt - kann die Annahme getroffen werden, in diesem Land existiere eine erfolgreiche Gleichstellungsarbeit hinsichtlich der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Zudem beeinflusst auch die öffentliche und politische Aufmerksamkeit zu einem Thema die Qualität und Verfügbarkeit von geschlechtsspezifischen Daten. Ein Land mit einer starken Gleichstellungsarbeit ist demnach an der Offenlegung aller Fakten interessiert, der Status quo kann aber dann im Vergleich zu anderen Ländern, in denen Geschlechtergleichstellung keinen hohen Stellenwert hat, negativ erscheinen. Hier liegt eine Korrelation zwischen Öffentlichkeit und Ergebnis vor. Dies kann auch in anderen Fällen der Gleichstellungsarbeit wie bspw. den Klagen bei Verstößen gegen das Allgemeine Gleichstellungsge103
setz nach dessen Einführung beobachtet werden. Die Zunahme der Klagen lässt nicht auf eine Verschlechterung der tatsächlichen Geschlechterverhältnisse schließen, sondern vielmehr auf eine erfolgreiche, öffentlich kommunizierte und in diesem Fall sanktionierende Gleich-stellungspolitik. Seit den 1990er Jahren, in denen es zu einigen Finanzskandalen und Firmenzusammenbrüchen kam, sind die Gehälter der TopmanagerInnen in Großbritannien verglichen mit anderen Ländern gut dokumentiert. Aus diesem Grund kann eindeutig festgestellt werden, dass weibliche Topmanager deutlich weniger Einkommen erzielen/erhalten als ihre männlichen Kollegen und so, obwohl diese Frauen bereits in den Führungsetagen angekommen sind, einer geschlechtsspezifischen Abwertung und (Einkommens-)Diskriminierung unterliegen. Allerdings sind nicht alle Unternehmen bereit, Erwerbspopulationen oder Einkommensstrukturen offen zu legen. Die führenden Bankhäuser Londons bspw. weigern sich bis heute, Zahlen vorzulegen. Aus Protokollen zu Gerichtsverhandlungen kann man jedoch ableiten, dass etwa ein Drittel der Banker und Analysten weiblich ist, in den mittleren Führungspositionen machen Frauen etwa ein Viertel aus (Schunter-Kleemann 2007, 56). Per Gesetz muss das unterrepräsentierte Geschlecht im öffentlichen Sektor besonders berücksichtigt und gefördert werden, d. h. eine Geschlechtersensibilität wird erwartet und vorausgesetzt. Im privaten Sektor allerdings ist dies nicht vorgeschrieben. „(…) we have a public sector duty to promote gender, either women must be treated equally as men, but that doesn’t go far enough as far as I am concerned, because it only applies to the public sector“ (Exp. 1.1.1, Abs. 10). Dies führt dazu, dass es im privaten Sektor keine Transparenz gibt, Expertin 1.1.1 fordert deshalb die Ausweitung dieser gesetzlichen Bestimmung auf den privaten Sektor (ebd., Abs. 12), denn trotz des Equal Pay Act hat eine Studie für Großbritannien 1999 festgestellt, dass Frauen in Vollzeitbeschäftigung nur 82%, in Teilzeit arbeitende Frauen nur 60% des durchschnittlichen Stundenlohns ihrer männlichen Kollegen erhielten (Schmidt 2003, 63). Mit dem Ziel, den Gender Pay Gap abzubauen, will die Initiative „Valuing Women“ erreichen, dass die Elemente des Gender Pay Gap abgebaut werden, welche auf eine Geschlechterdiskriminierung hinsichtlich des Entgelts zurückzuführen sind (ebd., 111). Die Position der Frauen hinsichtlich der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit konnte allerdings bereits gestärkt werden, denn seit im Jahr 2001 der „Sex Discrimination Act“ von 1975 an die EU-Bestimmungen zur Umkehr der Beweislast angepasst wurde, versuchen viele Frauen, ihr Recht auf gleiches Einkommen für gleichwertige Arbeit geltend zu machen. Einige Frauen waren auch insofern erfolgreich, als dass ihnen z. T. hohe Entschädigungszahlungen gewährt wurden (Schunter-Kleemann 2007, 57).
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Teilzeitarbeit wurde durch Studien als eine der Ursachen für den Gender Pay Gap identifiziert. Um also dort eine Problemlösungsstrategie zu implementieren, wo das Problem entsteht, gibt der „Quality Part Time Work Fund“ jährlich GBP 500.000 Zuschüsse an ArbeitgeberInnen, die angemessen bezahlte Teilzeitarbeitsplätze mit angemessenen Arbeitsbedingungen speziell für Frauen schaffen bzw. anbieten. Diese Maßnahme, an der im Oktober 2007 zwölf ArbeitgeberInnen teilnahmen, richtet sich an Frauen ohne Qualifizierung, die mit einer Teilzeitarbeit in den Beruf zurückfinden und sich weiter qualifizieren können (Exp. 1.2.1, Abs. 8 & 22). Weitere Faktoren bei der Entstehung des Gender Pay Gap sind Bildung, Reproduktionsarbeit, Selbsteinschätzung der Frauen (zu schwach) und Faktoren/Einstellungen in der Umgebung/Gesellschaft. Der Bericht „Shaping a Fairer Future“ hat einige Nachteile für Frauen auf dem Arbeitsmarkt identifiziert. Aber nicht nur den weiblichen Arbeitnehmern entstehen Nachteile durch ungleiche Behandlung auf dem Arbeitsmarkt, der geschlechtsspezifischen Segregation, Verbleiben in Teilzeitarbeitsplätzen, die nicht ihren Qualifizierungen entsprechen, Verbleiben in typischen Frauenberufen u. a., auch für die britische Wirtschaft konnten Nachteile quantifiziert werden. „(…) they found that women faced an unfair disadvantage and that the UK (…) economy was loosing productivity and output. They found that women were crowded into a lower range of lower payment occupations, those mainly available part-time that did not made the best use out of their skills. And the Commission here estimated that if the barriers to women working in occupations traditionally done by men and increasing their participation in the labour market could be worth between 15 billion and 23 billion Pounds. That’s 1.3 to 2% of the Gross Domestic Product“ (ebd., Abs. 24).
Hier wird deutlich, welches wirtschaftliche Potential mobilisiert werden könnte und zurzeit verloren geht, weil das weibliche Humankapital nicht in vollem Umfang genutzt wird – geschätzte GBP 15 bis 23 Milliarden. Expertin 1.2.2, die im Polizeidienst tätig ist, ging lange davon aus, dass der Gender Pay Gap im öffentlichen Dienst keine Rolle spielen würde, bzw. nicht vorhanden wäre, weil Beförderungen und damit das Gehalt an die Dienstjahre gekoppelt sind und somit automatisch steigen, aber wie sie feststellen musste, ist dies nicht der Fall. Bonus und Sonderzahlungen gehen meistens an Männer, auch sind diese stärker in den Sondereinheiten vertreten als Frauen, in denen höhere Sonderzahlungen ausgeschüttet werden. Diese Faktoren führen dazu, dass es auch im öffentlichen Dienst zu einem Gender Pay Gap kommt. Ein großes Problem bei der Quantifizierung des Gender Pay Gap ist die Intransparenz der Gehaltsstrukturen. Keiner weiß, wie viel eine KollegIn verdient, der auf einer vergleichbaren Position ist (Exp. 1.2.2, Abs. 60 & 66). Um diese Intransparenz 105
aufzulösen, sind die einzelnen Abteilungen der Polizei per Gesetz dazu verpflichtet, einen Equal Pay Review zu erstellen. Allerdings drohen bei Nichterfüllung keinerlei Sanktionen, überprüft werden die Gehaltsstrukturen nur auf konkreten Verdacht (ebd., Abs. 62 & 70). Expertin 1.3.1 als Repräsentantin der Unternehmens-Ebene gibt an, dass ihr Unternehmen einige Initiativen gestartet hat, um den Gender Pay Gap zu eliminieren. So liegt jeder Gehaltsentscheidung ein Diversity Monitoring zugrunde, d. h. alle ManagerInnen müssen die Gehaltsentscheidung begründen, damit jegliche Diskriminierungsgründe im Sinne des Diversity (ethnische Abstammung, Religion, Geschlecht, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung) ausgeschlossen werden können. Besteht trotzdem der Verdacht auf Lohndiskriminierung, wird das Gehalt der klagenden Person angeglichen. Dies kommt aber nur sehr selten vor, da ManagerInnen in Personalverantwortung, um den Gender Pay Gap zu vermeiden, ein Diversity Training absolvieren müssen (Exp. 1.3.1, Abs. 82). Ein weiterer Grund für den Gender Pay Gap ist die geringe Grundbezahlung mit teilweise hohen Bonuszahlungen, von denen Frauen aber weniger häufig profitieren können als Männer, weil sie aufgrund von Teilzeitarbeit oder Reproduktionsarbeit und –pflichten nicht in gleichem Umfang am Arbeitsplatz präsent sein und Zielvereinbarungen nicht erreichen können (Exp. 1.3.3, Abs. 86). Zur Verringerung des Gender Pay Gap fordert Expertin 1.3.3, Equal Pay Reviews als gesetzliche Vorschrift einzuführen. Außerdem ist sie in ihrem Unternehmen insofern aktiv an der Beseitigung der Einkommensdifferenz beteiligt, als dass sie für gleiche Einstiegsgehälter nach Übernahmen oder bei Neuanstellungen sorgt, um so zumindest gleiche Startbedingungen zu gewährleisten (ebd., Abs. 80). Durch die Aussagen der Expertinnen wurde deutlich, dass der Gender Pay Gap in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, der Politik und Wirtschaft als Problem identifiziert wurde, welches es zu beseitigen gilt. Als Ursachen werden vor allem die ungleiche Chancenverteilung auf dem Arbeitsmarkt, Teilzeitarbeit und das Verbleiben auf typischen Frauenarbeitsplätzen, aber auch die Selbsteinschätzung der Frauen genannt. Auch der öffentliche Sektor, in dem gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit gesetzlich vorgeschrieben ist, produziert durch Sonderzahlungen, von denen Frauen in geringerem Maße profitieren können, einen Gender Pay Gap. Um diesen abzubauen, wird die Forderung nach gesetzlicher Regulierung durch die Pflicht von Equal Pay Reviews auch für die Privatwirtschaft laut, zusätzlich zu der Forderung nach stärkeren Sanktionen bei Nichteinhaltung im öffentlichen Sektor.
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2.6 Gender Mainstreaming Großbritanniens entscheidende Fortschritte in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter und vor allem der Frauen im Arbeitsleben wurden in den 1970er Jahren gemacht (Schmidt 2003, 37). Der „Equal Pay Act“ entstammt dem Jahr 1970, 1975 trat die Richtlinie für gleichen Lohn für gleich bewertete Arbeit in Kraft. 1983 wurde das Gesetz zur gleichen Entlohnung hinsichtlich gleichen Lohns für gleichwertige Arbeit ausgeweitet, d. h. die geleistete Arbeit fällt unter die Entgeltgleichheits-Klausel, wenn es sich um gleiche, gleich bewertete oder gleichwertige Arbeit handelt (ebd.). 1975 wurde zudem der „Sex Discrimination Act“ verabschiedet, nach dem die Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts verhindert werden soll. Bis 1983 allerdings waren Betriebe mit bis zu fünf MitarbeiterInnen sowie Bedienstete in Privathaushalten von dieser Regelung ausgenommen, was aber nach der Kritik des Europäischen Gerichtshofes geändert wurde. 1976 wurde die „Equal Opportunities Commission“ (EOC), also die Kommission für gleiche Möglichkeiten im Sinne der Chancengleichheit, gegründet (ebd., 38). Unter der EOC wurde zur Verbesserung der Situation hinsichtlich der Entgeltgleichheit im Oktober 1999 eine „Equal Pay Task“ aufgebaut, dessen Hauptaufgabe in der Findung von Ursachen und Lösungen des Gender Pay Gap liegt und entsprechende Empfehlungen an Regierung, ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften weitergeben soll. Der EOC-Bericht des Jahres 2001 machte allerdings deutlich, dass zwar der Wille zur Beseitigung von Gender Gaps (bezogen auf den Arbeitsmarkt sind dies geschlechtsspezifische Ungleichheiten bezüglich Erwerbsbeteiligung, Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Einkommen u. a.) gezeigt wird, die Aktivitäten und Bestrebungen dahingehend aber unkoordiniert und nicht ausreichend sind, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Eine weitere Rüge wurde Großbritannien zuteil, weil die EG-Richtlinie 96/34/EG zum Elternurlaub entgegen den Absichten der Richtlinie von Seiten Großbritanniens dahingehend eingeschränkt wurde, dass der Elternurlaub nur Eltern von Kindern gewährt wurde, die nach dem 15. Dezember 1999 geboren sind oder adoptiert wurden (Schmidt 2003, 39). Im Dezember 1999 trat der Employment Relations Act (ERA) in Kraft, der neue Bestimmung hinsichtlich des „Parental Leave“ (Elternurlaub) mit sich brachte (ebd., 189). Im Nationalen Aktionsplan (NAP) Großbritanniens wird im ersten Teil auf die Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation eingegangen, im zweiten Teil werden die Leitlinien der Europäischen Beschäftigungsstrategie unmittelbar den jeweiligen Empfehlungen des Europäischen Rates an Großbritannien gegenübergestellt (ebd., 40). Die Empfehlungen zur Leitlinie 16, „Gender Mainstreaming Approach“, sind das Reduzieren des Gender Pay Gap und der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen. Zur Leitlinie 17, „Tackling Gender Gaps“, wird die Emp107
fehlung gegeben, die weibliche Arbeitslosenquote weiterhin niedrig zu halten und durch gezielte Programme das Berufsspektrum der Frauen zu erweitern, um so die Segregation am Arbeitsmarkt weiter abzubauen. Die Verbesserung und Vereinfachung des Wiedereintritts in den Arbeitsmarkt und die Verbesserung der Work-Life-Balance wird hinsichtlich der Leitlinie 18, „Reconciling work and family life“, erläutert. Im letzten Teil des NAP wird auf die Rolle des ESF eingegangen, der Mittel zur Kinderbetreuung zur Verfügung stellt (ebd., 41f.). Gender Budgeting22 spielt in Großbritannien seit 1989 verstärkt eine Rolle, seit die Women´s Budget Group (WBG), die aus Expertinnen von Universitäten, Gewerkschaften und NGOs besteht, jedes Jahr einen Bericht zum Staatsbudget veröffentlicht. Die WBG gewann durch die Regierungsnahme der Labour Party an Einfluss, konzentriert sich aber in ihren jährlichen Kommentaren, dem britischen Budget-Verständnis folgend, auf Steuern und Transfers (Michaelitsch 2003, 233). Um den Prinzipien von Gender Budgeting und Gender Mainstreaming gerecht zu werden, muss Budgetpolitik unbezahlte Arbeit berücksichtigen sowie Frauenerwerbstätigkeit und zunehmende Väterkarenz fördern (ebd., 242). Auch die Expertin 1.1.1 der Politik-Ebene erstellt zusammen mit dem Berater des (Londoner) Bürgermeisters für Gleichstellung und Policing einen jährlichen „Equalities Budget Review“, welcher die Budgets aller operativen Körperschaften Londons offen legt. Gerade in den Anfangsjahren dieses Berichts traten interessante Umstände zutage wie bspw. die Aussage eines hohen Mitarbeiters der Feuerwehr, der behauptete, Arbeitsschuhe könnten nicht kleiner als Größe 6 (britisches Maß) für Männer beschafft werden, wodurch es für Frauen schwierig sei, in die Berufsfeuerwehr einzutreten. Derlei Begründungen, warum Frauen nicht in Männerberufen beschäftigt werden könnten, wären ohne diesen Review nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt aufgedeckt worden (Exp. 1.1.1, Abs. 48). Gleichstellungsarbeit in Großbritannien setzt seinen Schwerpunkt nicht nur auf Geschlecht, sondern auch auf andere Themen hinsichtlich Diversität wie Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung, Behinderung und Alter. Die „Women and Equality Unit“ (WEU) sowie die EOC sind neben der Regierung wichtige AkteurInnen bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming. In der Regierung existieren zwei Ministerposten für Frauenangelegenheiten, einer davon seit 1997 im Kabinett. Die WEU informiert über die Situation von Frauen in Großbritannien, gestützt von geschlechtsspezifischen Statistiken sowie Forschungen, die im „Gender Research Forum“ durchgeführt werden, welches von 22 Mit „Gender Budget“ (Budget (engl.) = Haushalt oder Etat) ist das Ergebnis von geschlechterbewusstem Haushalten bzw. dem geschlechterbewussten Haushalt gemeint (Kletzing 2004, 55). Durch Gender-Budget-Analysen soll Gender Mainstreaming unter Zuhilfenahme von Gender Budgeting innerhalb von Regierungspolitik durch- und umgesetzt werden (Michaelitsch 2003, 229).
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der WEU geleitet und vom „Office for National Statistics (ONS)“ und dem „Economic and Social Research Council (ESRC)“ kofinanziert wird. Zudem hat die WEU verschiedene Gender Mainstreaming Instrumente entwickelt. Die Regierung hat in der allerersten Vereinbarung bezüglich des öffentlichen Dienstes sich selbst verpflichtet, geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu reduzieren. „By 2006, working with all departments the Government will bring about measurable improvements in gender equality across a range of indicators, as part of its objectives on equality and social inclusion“ (FrauenComputerZentrumBerlin 2008). Dieses Versprechen oder Vorhaben konnte bisher nicht umgesetzt werden. Bereits 1999 versprach die Regierung die Einführung einer Gender-Pflicht, also der Pflicht für alle öffentlichen und unternehmerischen AkteurInnen, Geschlecht bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Allerdings hat die Regierung ihre Versprechen bislang nicht eingelöst, Frauenorganisationen sind enttäuscht über den Mangel an realem Fortschritt hinsichtlich der Umsetzung von Gender Mainstreaming in den Jahren 1999-2003, auch wurden keine Evaluierungen zu diesem Thema in der Regierung vorgenommen (ebd.). „Gender Mainstreaming“ als Begriff spielt in Großbritannien nur auf politischer Ebene eine Rolle. Expertin 1.1.1 beschreibt, dass Gender Mainstreaming ihr mehr Instrumente zur Arbeit mit den Gender Issues bereitstellt (Exp. 1.1.1, Abs. 95). Auf den anderen Ebenen ist dieser Begriff entweder nicht bekannt oder als Strategie ohne expliziten Namen präsent. Gender wird in Großbritannien nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit anderen Diversity Faktoren, vor allem der ethnischen Abstammung, betrachtet. Diversität in der Arbeitspopulation ist gewünscht und erforderlich, damit eine Atmosphäre entsteht, in der Innovationen möglich sind, was bei rein homogenen Gruppen nicht in gleichem Maße unterstellt wird. „(…) whereas you have women and different people, people from different backgrounds, different ways of thinking then everybody is offering something and it just breeds an environment where innovation can be born“ (Exp. 1.3.1, Abs. 42). Es wird in diesem Zusammenhang auch von Synergieeffekten durch Diversität gesprochen, denn der Gewinn für ein Unternehmen ist größer, wenn sich alle als Ganzes fühlen und arbeiten als die einzeln bewerteten und zusammengerechneten Leistungen der Angestellten (Exp. 1.3.2, Abs. 101). Im Februar 2005 wurde der Vorstandschef des Unternehmens (hier „R.“), in dem Expertin 1.3.3 tätig ist, auf einer Aktionärsversammlung darauf aufmerksam gemacht, dass das Direktorium blass (weiß), männlich und schal/abgestanden sei und gefragt, wo denn die Frauen seien. „(…) and somebody stood up and said: `R., I am looking at your board, why are you all pale, male and stale? Where are the women?´ R. was very embarrassed“ (Exp. 1.3.3, Abs. 18). 109
Dieser Vorfall hatte positive gleichstellungspolitische Effekte, denn er war Auslöser einiger Initiativen, um ein heterogeneres Management zu bilden, weil dies auch der Struktur der KundInnen entspricht und von diesen eingefordert wird.
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3 Frankreich - Das konservativ-kooperatistische Regime
Im Modell der „modified male-breadwinner“, was dem konservativ-kooperatistischen Regime entspricht, gibt es historisch gesehen eine höhere Frauenerwerbsquote und einen höheren Anteil an Vollzeitarbeit auch aufgrund von umfangreicheren Sozialleistungen. Alleinerziehende Mütter sind ebenso zu mehr als 50% vollzeiterwerbstätig und weisen eine unterdurchschnittliche Armutsquote auf, wenn sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen, aber eine überdurchschnittliche, wenn sie erwerbslos sind (Kilkey/Bradshaw 1999, 174). Im konservativkooperatistischen Modell wird die Frau sowohl als Bürgerin und Mutter als auch als Bürgerin und Arbeitnehmerin betrachtet (Lewis/Ostner 1994, 25). Statusunterschiede werden in diesem Regime bewusst bewahrt, Rechte und Ansprüche der vom Staat organisierten Systeme sozialer Sicherung werden mit dem Status auf dem Arbeitsmarkt und nach Besitzständen differenziert, so dass zwischen ArbeiterInnen, Angestellten und BeamtInnen unterschieden wird (Dackweiler 2003b, 46). Weiterhin ist Frankreich durch soziale Ungleichheiten aufgrund von Herkunft und Abstammung sowie einem starken Gefälle zwischen den Provinzen und den Großstädten geprägt. Ungleichheiten aufgrund des Geschlechts wiederum sind hier aber weniger stark ausgeprägt als bspw. in Großbritannien (Kaufmann 2003, 245). Im konservativen Beschäftigungsregime orientieren sich politische Verhandlungen an den Interessen der Erwerbstätigen. Nicht-Erwerbstätige oder solche in atypischen Beschäftigungsverhältnissen werden durch die quantitativ und qualitativ schlechteren (Transfer-)Leistungen des Staates benachteiligt. Die gesellschaftliche Teilhabe soll hier über die Erwerbsbeteiligung geschehen (Bieling 2006, 43). Unternehmen oder Arbeitgeberverbände haben eine weit stärkere Machtposition als die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen (Schmid 2002, 122). Dies führt zu einer moderaten Lohnpolitik und steigenden Lohndifferenzen sowie aktiver Industriepolitik als Antwort auf die Megatrends Globalisierung und Individualisierung. Hier ist die Frauenerwerbstätigkeit hoch, die Arbeitsproduktivität steigt und die Langzeitarbeitslosigkeit ist auf niedrigem Niveau. Ein Mangel wird allerdings in dem fehlenden synergetischen Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik gesehen, das nicht zu einer von „funktionsfähigen korporatistischen Strukturen unterstützten Arbeitsmarktpolitik“ führen kann (Kaufmann 2003, 246).
In der nachfolgenden Tabelle werden zur Übersicht die markanten Merkmale der französischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik dargestellt. Tabelle 17: Transformationsmerkmale der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Regulation und Reformen (Frankreich) Dominantes Veränderungen in der Sozialpolitische SozialMoment der Finanzierung der Kürzungsschwerpolitische Arbeitsmarktsozialen Sicherungspunkte „Tabus“ politik systeme Vorruhestand; Beitragsanhebungen KrankenversicherBildungsgeminderter und Senkung der ung (restriktiverer system KündigungsUnternehmensbeiträZugang und stärkeschutz; befristete ge bei Einstellung re EigenbeteiliBeschäftigung von Problemgruppen gung) Quelle: Bieling 1997, 360 Frankreich verfügt über eine Vielzahl von berufsorientierten familienpolitischen Leistungen, welche Diskriminierungen von Frauen am Arbeitsmarkt abschwächen können. Das qualitativ hohe Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen spiegelt den Fokus der französischen Familienpolitik auf das Wohl des Kindes wider, was insofern einen positiven Effekt auf die Entscheidungsfreiheit von Frauen hat, als dass die Arbeitsmarktintegration nicht mit bestimmten Rollenerwartungen verbunden ist. Die französische Familienpolitik bewertet die Entscheidungen von Frauen für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit weder positiv noch negativ (Veil 2002b, 83). Aber gerade aufgrund dieser Zentrierung auf Familien und Kinder können Regelungen zugunsten kinderreicher Familien und der häuslichen Betreuung von Kindern die Erwerbstätigkeit der Frauen hemmen bzw. weniger attraktiv machen. Die französische Arbeitsmarktpolitik ist stark auf geringqualifizierte ArbeitnehmerInnen und Langzeitarbeitslose ausgerichtet, auch die Jugendarbeitslosigkeit und deren Bekämpfung sind ein wichtiger Faktor. Eine arbeitsmarktpolitische Förderung speziell für Frauen hat es allerdings bisher kaum gegeben. Auch die spezifische Gleichstellungsförderung wurde in Frankreich weniger stark verfolgt als in anderen Ländern. „Die französische Besonderheit in der Arbeitsmarktpolitik besteht in der zentralen Rolle des Staates und in der Verknüpfung von Beschäftigungs-, Bildungs- und Sozialpolitik“ (Reuter 2002, 87). So werden französische Frauen indirekt durch die Familienpolitik, aber nicht direkt über eine spezielle Form der Arbeitsmarktpolitik in ihrer Erwerbsfähigkeit
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unterstützt. Zudem scheinen Familie und Beruf die Struktur bestimmenden Variablen zu sein angesichts der Vielzahl und der Komplexität von Transferleistungen mit den jeweils dahinter stehenden Institutionen, die teilweise nach Berufsgruppen differieren und den Charakter der französischen Wohlfahrtsproduktion widerspiegeln. „Sowohl Staat als auch die Marktwirtschaft kommen hier eher in indirekter Weise zur Geltung“ (Kaufmann 2003, 246). Die Arbeitsmarktpolitik der Regierung Jospin Ende der 1990er Jahre wird als offensiv und diversifiziert beschrieben und konnte durch die Gleichzeitigkeit von Tradition und Moderne sowie Staat und Markt tatsächlich zu einer Reduzierung der Arbeitslosenquote beitragen. Trotz vieler nachhaltiger arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen bleibt die besondere Situation von (jungen) Frauen sowie Mädchen (speziell beim Eintritt in das Berufsleben) weitestgehend unberücksichtigt. Ende der 1990er Jahre wurde lediglich ein Prozent der Summe für aktive Arbeitsmarktpolitik für Beschäftigungsmaßnahmen für Frauen ausgegeben, was sich sowohl in der Quantität, Qualität sowie in der TeilnehmerInnenzahl der Maßnahmen niederschlägt (Reuter 2002, 96f.). Die Natur der weiblichen Arbeit und ihre Bedingungen haben sich erst grundlegend gewandelt, als sich die Erwerbstätigkeit von Frauen weg von der Landwirtschaft und der Familienarbeit hin zu Erwerbstätigen in Industrie und dem Dienstleistungssektor entwickelte (Hantrais 1993, 117). Bereits im 18. Jh. haben Frauen nicht ausschließlich Kinder und Haushalt betreut, sondern gerade in den Bauer- und Handwerkerehen, die eine ökonomische Partnerschaft darstellten, eine wichtige Rolle beim Erwerb des Familieneinkommens gespielt. Dies sogar in doppelter Hinsicht, da sie Nahrung und Kleidung für die Familie einerseits und Güter zum Verkauf andererseits produzierten. Frauen waren so oft die einzigen, die Bargeld in der Familie erwirtschaftet haben (Gullickson 1989, 51). Die Weltausstellung in Paris 1900 wurde von den Feministinnen genutzt, um sich Gehör zu verschaffen und tatsächlich wurden drei Kongresse abgehalten, welche den Frauen gewidmet waren und an denen in zwei von drei Kongressen erstmals auch Mitglieder der Regierung teilnahmen. 1906 lag die weibliche Erwerbsquote bei fast 38% und 20% der verheirateten Frauen gingen einer Erwerbstätigkeit nach. Erwerbstätige Frauen waren sowohl unter den Feministinnen als auch in der Gewerkschaft vertreten. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte in Frankreich eine Phase des Wiederaufbaus und schnellen ökonomischen Wachstums, auch bekannt als die 30 „glorreichen“ Nachkriegsjahre. Es vollzog sich aber auch ein sozialer Wandel in der Gesellschaft. Frankreich war noch bis in die 1940er Jahre ein von Agrarwirtschaft geprägtes Land. Ein Drittel aller Arbeitskräfte war im Primären Sektor beschäftigt (Hantrais 1993, 116). Mit dem Ende der „Trente Glorieuses“ Ende der 1970er Jahre, also dem Ende von Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung, welches durch die erste Ölkrise ausgelöst 113
wurde, institutionalisierte sich das Eingreifen des Staates in den Arbeitsmarkt und in die nachschulische Berufsausbildung. Obwohl Frauen 1944 das allgemeine Wahlrecht zugestanden wurde, waren die Interessen der Frauen als Erwerbstätige keine Priorität der Politik. Zudem werden Frauenangelegenheiten i. d. R. in dem Maße in den Fokus gerückt wie die Repräsentativität der Frauen in der Politik zunimmt. So waren im Jahr 2000 22,86% der 506.216 kommunalen Abgeordneten und 8,04% der BürgermeisterInnen Frauen (Lang 2005, 192). Frankreichs Frauen sind unterdurchschnittlich häufig in den nationalen/föderalen Parlamenten vertreten. Der Anteil von Frauen betrug hier im November 2004 12,2%, während der EU-25 Durchschnitt bei 22,4% lag. Damit ist die kritische Masse, die benötigt wird, um Macht auszuüben und Interessen erfolgreich umzusetzen, noch nicht erreicht. Der Anteil von Frauen im Europäischen Parlament allerdings war im Vergleich mit 42,3% im Januar 2005 bei einem EU-25 Durchschnitt von 30,3% überdurchschnittlich (Eurostat 2008d). 1945 waren die Zuschüsse/Unterstützungen für Familien in Frankreich doppelt so hoch wie die Ausgaben für Sozialversicherungen, was einer vierköpfigen Familie das doppelte Einkommen ermöglichte. Wie aus diesem Beispiel bereits erkennbar wird, war es das primäre Ziel des französischen sozialen Sicherungssystems, Familien für die Kosten der Kinder(-erziehung) zu entschädigen. Bei dieser Maßnahme handelt die staatliche Politik geschlechterneutral, da Eltern und nicht Mütter oder Väter die Leistungsempfänger sind. Frankreich tätigte weiterhin Leistungen nach dem Umverteilungsprinzip an Frauen und Kinder, einige Leistungen wurden direkt an Frauen ausgezahlt, um diese indirekt für die unbezahlte Arbeit zu entschädigen (Lewis 1992, 165). Bis 1965 war es Männern in Frankreich möglich, ihren Frauen das Arbeiten zu verbieten. 1966 wurde Frauen im Mutterschaftsurlaub die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes garantiert und so die Möglichkeit geboten, ein Jahr aus der Erwerbstätigkeit auszutreten, ohne an Status zu verlieren. 1967 wurde mit der Legalisierung von Schwangerschaftsverhütung ein wichtiger Schritt zur Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper geleistet, auch wenn die Kosten für „die Pille“ erst 1974 von der Krankenversicherung übernommen wurden. Schwangerschaftsabbrüche wurden 1979 legalisiert, aber es brauchte wieder einige Jahre, einen Regierungswechsel und die Schaffung eines Ministeriums für Frauenrechte, bis auch diese von der Krankenversicherung getragen wurden (Hantrais 1993, 122). Von 1968 bis 1975 stieg die Erwerbsquote von 34% auf 40%. Die Familienpolitik passte sich wieder an, so dass 1972 der „frais de garde“ zum Schutz von Familien mit arbeitenden Müttern vorgestellt wurde. 1977 wurde der „frais de garde“ so verändert, dass Zuteilungen, die vorher an Alleinverdiener gingen, 114
nun der ganzen Familie zuteil wurden. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Neutralität gegenüber der mütterlichen Erwerbsbeteiligung und zugleich eine weitere deutliche Akzentuierung der sozialpolitischen Ausrichtung der Familienpolitik bildete schließlich 1978 die Einführung der „allocation de salaire unique“, der „allocation de la mère au foyer“ und der „allocation pour frais de garde“ in der neu geschaffenen Familienergänzungsbeihilfe, dem „complément familial“ (CF) (Becker 2000, 167). Durch den CF verschwand jede direkte Bezugnahme auf den Erwerbsstatus der Mutter aus der Regelung der Anspruchsvoraussetzung. Ebenso wurde daraufhin 1980 die Idee des Mindesteinkommens in Form der Garantie eines Familienmindesteinkommens fortgeführt und für Familien mit mindestens drei Kindern umgesetzt (revenu familial) (ebd., 168). Dieses Familieneinkommen wurde aber nur dann gewährt, wenn in der Familie bereits ein Einkommen in Höhe des Mindestlohns bezogen wurde. Ansonsten wurde ein geringer Fixbetrag ausgezahlt. Man kann dies einen „perversen Effekt“ nennen, da NiedrigverdienerInnen mehr Mittel zugestanden wurden als wirklich Bedürftigen (ebd., 169). In den 1980er Jahren wollte man den Frauen noch mehr Zugeständnisse machen, indem sie frei zwischen Haushalt/Familie und Erwerbstätigkeit wählen können sollten. Allerdings unterstützte der CF den Einverdienerhaushalt mehr als den Doppelverdienerhaushalt und auch das Steuersystem unterstützte den Eintritt von Frauen in die Erwerbstätigkeit nicht, da es ökonomisch sinnvoller war, zu Hause zu bleiben, anstatt mit niedrigem Einkommen zu arbeiten. Obwohl sich Frauen bei der Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit (und gleichzeitiger Bewältigung der Haushaltsarbeit) mit einigen Problemen konfrontiert sehen, war Frankreich 1988 eines von drei Ländern, in denen mehr als 50% der Frauen mit Kindern arbeiteten, was vor allem auf die sehr gute öffentliche Kinderversorgung zurückzuführen ist (vgl. Kap. 3.3.1). Frankreich - und damit das „modified breadwinner“ Modell - erkannte die doppelte Rolle (doppelte Lebensführung) der Frau als Erwerbstätige und Mutter an und machte nach Lewis wirkliche Zugeständnisse (Lewis 1992, 166f.). Trotz oder gerade aufgrund der hohen weiblichen Erwerbsbeteiligung muss auch hier darauf hingewiesen werden, dass seit Ende der 1970er Jahre eine Verschiebung von den „normalen“ zu den so genannten „atypischen“ Beschäftigungsformen festzustellen ist, vor allem bei Teilzeitarbeit, befristeter Beschäftigung und Lohnarbeit (Steinhilber 1997, 99). Die Teilzeitarbeit nahm zwischen 1979 und 1990 um 45% zu, wobei Teilzeitarbeit fast ausschließlich eine Beschäftigungsform von Frauen ist. Im März 1994 waren 28% aller weiblichen Erwerbstätigen in Teilzeitverhältnissen beschäftigt (ebd., 100). Ein Anreiz für Frauen, Familie und Haushalt der Erwerbstätigkeit vorzuziehen, bestand auch darin, dass Mütter mit der Geburt des dritten Kindes ein Anrecht auf längeren Mutterschaftsurlaub erwarben. Auf dem Arbeitsmarkt wirkten 115
sich diese Tatsachen dahingehend aus, dass von 1982 bis 1986 13.000 Vollzeitarbeitsplätze zugunsten von 45.000 Teilzeitarbeitsplätzen abgeschafft wurden. 1984/1985, während der Präsidentschaft Mitterands (1981-1995), wurden wieder einige neue gesetzgeberische Aktivitäten unternommen (vgl. Kap. 3.1). Die Versicherungssysteme, welche die Basis für die 1945 geschaffene „sécurité sociale“ bilden, umfassen drei Hauptzweige: Erstens die gesetzliche Krankenversicherung (Caisse Nationale d´Assurance Maladie (CNAM)), zweitens die Rentenversicherung (Caisse Nationale d´Assurance Vieillesse (CNAV)) und drittens die Familienbeihilfen (Caisse Nationale d´Allocation Familiale (CNAF)). Sie alle haben einen hohen Stellenwert und decken 80% der Bevölkerung ab. Die Finanzierung erfolgt über Pflichtbeiträge der ArbeitnehmerInnen (24%) und der ArbeitgeberInnen (64%). Für BeamtInnen, Landwirte oder Militärangehörige bestehen gesonderte autonome Regelungen (Heinze 1999, 135). Im Gesundheitssystem existieren offiziell keine Benachteiligungen für Frauen, aber bspw. wird bei der Entwicklung und Vergabe von Medikamenten immer der männliche Körper als Grundlage genommen. „Officially there is no difference, but if you consider the research, the reference is always to a male person“ (Exp. 2.1.1.1, Abs. 184). Andere Körperfettwerte oder die Verträglichkeit und Reaktion mit Hormonen der Frau werden nicht berücksichtigt. Zudem legte ein Artikel über Herzinfarkte offen, dass davon ausgegangen wird, Männer hätten öfter Herzinfarkte als Frauen. Statistisch jedoch sterben mehr Frauen an Herzinfarkten, weil bei der Erstversorgung der Frauen der Herzinfarkt nicht als Ursache der Beschwerde im Vordergrund steht, bei Männern hingegen häufiger sofort von einem Herzinfarkt ausgegangen und die entsprechende Behandlung eingeleitet wird (ebd., Abs. 86). Ein anderes Beispiel, dass Frauen direkt betrifft, ist die Abtreibung. Diese ist in Frankreich erlaubt (s. o.), aber immer weniger Ärzte wollen sie durchführen, weil die Operation zu einem festen Preis durchgeführt werden muss, der 2004 zwar angehoben wurde, davor aber zehn Jahre stabil war. Die Kosten für andere Operationen werden jedes Jahr neu festgelegt, d. h. viele Ärzte weigern sich, eine Abtreibung durchzuführen, wozu sie auch berechtigt sind, weil diese mit zu niedrigen Kosten angesetzt ist. So werden nur noch weniger als 10% der Abtreibungen durch die öffentliche Versorgung abgedeckt und aus öffentlichen Kassen bezahlt, der Rest privat, auf Kosten der Frau (ebd., Abs. 196 & 206). Die Systeme sozialer Sicherung gelten als de jure geschlechterneutral. Ungleichheiten wurden in den 1970ern behoben, aber einige der scheinbar gleichen Gesetze haben unterschiedliche Auswirkungen auf die Geschlechter, bspw. durch den bezahlten Elternurlaub sind es quasi ausschließlich Frauen, die aufgrund der Kindererziehung aus dem Erwerbsmarkt austreten. Ungleiche Effekt treten aber nicht nur in Bezug auf den Elternurlaub auf, auch die Sozial- und Krankenversi116
cherung beinhalten ungleiche Effekte, weil der Erwerbstätige durch seine Anstellung versichert ist und seine Familienmitglieder im gemeinsamen Haushalt mitversichern kann, für viele Frauen ist es also attraktiv, schwarz (im Rahmen einer nicht sozialversicherungspflichtigen, nicht angemeldeten Tätigkeit) zu arbeiten, da sie über den Ehemann mitversichert sind. Die Sozialversicherung in Frankreich ist nicht diskriminierend, hat aber diskriminierende Effekte, auch das Steuersystem, das keine individuelle Besteuerung beinhaltet, benachteiligt Frauen indirekt. Bei einer gemeinsamen Besteuerung der Ehepartner ist der Anreiz für Frauen mit niedrigem Lohn gering, diesen zu steigern, da auch die Steuern steigen (Exp. 2.2.1, Abs. 29). Im September 1992 standen die Franzosen kurz vor der Ablehnung des Maastrichter Vertrags. Diesem war ein Protokoll zur Sozialpolitik angehängt, in welchem festgelegt wurde, dass die EU nun Initiativen im Sozialbereich mit einer qualifizierten Mehrheit verabschieden kann, anstatt wie zuvor einstimmig abstimmen zu müssen (Rodrik 2000, 55). Die Umsetzung der Maastrichter Kriterien war die Aufgabe von Jacques Chirac, der seit Mai 1995 das Amt des Präsidenten bekleidete, sowie dem Premierminister Alain Juppé. Das Defizit des Staatshaushaltes von 5% des BSP sollte durch erhebliche Einschnitte in das soziale Sicherungssystem ausgeglichen werden, welches zu diesem Zeitpunkt (1995) sein fünfzigstes Jubiläum feierte. Öffentlich Bedienstete sollten statt 37,5 Jahren nun 40 Jahre bis zum Pensionsanspruch arbeiten. Es sollte zusätzlich eine neue Einkommenssteuer von 0,5% geben, um die Defizite im Gesundheitssystem und den Pensionen zu finanzieren. Im Oktober 1996 kam es zu einem eintägigen Proteststreik, da die Gehälter öffentlich Bediensteter eingefroren werden sollten. An diesem Streik beteiligten sich fünf Millionen ArbeiterInnen und beeinträchtigten die Sektoren Transport, Stromversorgung, Post und Telekommunikation. Juppé brachte sein Maßnahmenbündel trotzdem mit 463 zu 87 Stimmen durch. Im November streikten die Eisenbahner und die ArbeiterInnen der öffentlichen Stromversorgung, weil diese die Auflösung des staatlichen Elektrizitätsmonopols befürchteten (ebd., 56f.). Da die Allgemeinheit die Streiks unterstützte, konnte die Regierung nur zunächst an ihrem Programm festhalten, als allerdings im Dezember die französischen Gewerkschaftsführer alle Lohnabhängigen zum Streik aufriefen und über ein Drittel diesem Ruf folgte, musste die Regierung (in den Verhandlungen mit der Eisenbahngewerkschaft bezüglich der Pensionsfrage) Zugeständnisse machen und zeigte sich den Gewerkschaften kompromiss- und handlungsbereit. Knapp zwei Wochen später riefen daraufhin die Gewerkschaften an die Arbeit zurück (ebd., 58). Die Lohnsteuer wurde zwar gesenkt, um Arbeitsplätze zu schaffen, dafür wurde der Beitragssatz für das Gesundheitswesen von Juppé per Dekret eingeführt. Die Kosten des Streiks waren mit 0,4% bis 0,5% (am 19. Dezember 1996 von der Regierung geschätzt) eines vierteljährli117
chen Sozialprodukts enorm. Es wurde aber deutlich, dass die Franzosen es ablehnen, ihren Wohlfahrtsstaat zugunsten des internationalen Handels aufzugeben (ebd., 59). Die Gewerkschaften wurden nach dem Zweiten Weltkrieg auf nationaler Ebene institutionalisiert und von der Regierung als an den Entscheidungen mitwirkende Körperschaften zur Teilnahme an Verhandlungen aufgefordert. Die Gewerkschaften sind der Regierung als nationale Regulationseinheiten zugeordnet, weshalb die Mitglieder keinen Beitrag zahlen müssen. Da sie wegen der Zuordnung zur Regierung nicht auf Beiträge angewiesen sind, werben sie auch nicht aktiv um Mitglieder. Die Gewerkschaften haben sich deshalb immer weiter von den ArbeiterInnen entfernt, diese fühlen sich und ihre Interessen nur mangelhaft repräsentiert. Diejenigen Gewerkschaften, die mit den Nationalsozialisten unter der Vichy Regierung zusammengearbeitet haben, wurden verboten; diejenigen, die nicht mit der Vichy Regierung kooperierten, blieben unabhängig von den Wahlergebnissen der lokalen Gewerkschaftswahlen bestehen. Anders als in Großbritannien können auch Gewerkschaften mit geringem Wahlerfolg an lokalen und nationalen Verhandlungen teilnehmen (Exp. 2.2.1, Abs. 77). In Frankreich gibt es seit 1945 fünf Gewerkschaften, welche das Repräsentationsmonopol haben. Dieses System kann kaum verändert werden, weil die Regierung dazu die von ihr eingesetzten und legitimierten Gewerkschaften schwächen müsste. Dies führt zum Verdruss und Mitgliederschwund, weil sich die ArbeitnehmerInnen nicht durch die fünf alten Gewerkschaften repräsentiert fühlen. Tarifabkommen o. ä. müssen von einer dieser fünf Gewerkschaften unterzeichnet werden, ansonsten können Inhalte nicht umgesetzt werden (ebd., Abs. 79). Arbeitsgesetze werden immer häufiger durch Verhandlungen eingeführt, was vor allem dort problematisch ist, wo eine sehr niedrige Quote an Gewerkschaftsmitgliedern vorliegt, bspw. in örtlichen Fabriken. Teilweise gibt es dort keine gewerkschaftliche Vertretung mehr oder eine Gewerkschaft ohne Beteiligung der ArbeiterInnen. Generell liegt der Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern im privaten Sektor bei nur 7% (in 2007), in lokalen Fabriken haben Gewerkschaften quasi keine Mitglieder. Die Interessenvertretung sollte durch die Gewerkschaften gewährleistet sein, doch aufgrund der geringen Beteiligung kommen kaum Verhandlungen zu Stande, weshalb oft gestreikt wird. Grund für häufige Streiks ist auch der Mangel an Arbeitsorganisation auf lokaler und nationaler Ebene. Expertin 2.2.1 bestreitet deshalb, dass Gewerkschaften in Frankreich auf nationaler und lokaler Ebene demokratisch organisiert sind (ebd., Abs. 69 & 73). Bereits kurze Zeit nachdem Präsident Nicolas Sarkozy, der Jacques Chirac am 16.5.2007 ablöste, sein Amt angetreten hatte, konnten Veränderungen in der nationalen (Gleichstellungs-)Politik festgestellt werden. Die neue Regierung 118
unter Sarkozy hat im Gegensatz zur vorherigen Regierung kein eigenes Ressort für die Chancengleichheit der Geschlechter. Es gibt auch kein Ministerium für Frauen; Frauenangelegenheiten sind nun der Abteilung Gesundheit untergeordnet, welche aber hauptsächlich das Ziel der Familienförderung verfolgt. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist dem Arbeitsministerium zugeordnet. Die Interessen der Frauen scheinen in der neuen Regierung nicht mehr den gleichen Stellenwert zu haben. Diese Einschätzung wird durch ein Beispiel der Expertin 2.1.1.1 erhärtet, denn anlässlich des Weltfrauentages, der jedes Jahr am 8. März stattfindet, wurden u. a. Aktionen gegen Gewalt gegen Frauen durchgeführt. In der neuen Regierung sind keine neuen Initiativen geplant, nur der Bezug auf Berichte über Aktionen der letzten Regierung existiert. Die Gender Issues verlieren in dieser Regierung an Wichtigkeit, der Fokus liegt nun auf Diskriminierung aufgrund von Ethnie (Exp. 2.1.1.1, Abs. 56). Diese Marginalisierung von Frauen hängt laut Expertin 2.1.1.1 mit dem Gesetz von 2000 zur Parität zusammen. Da der Anteil von Frauen und Männern in lokalen Wahlen gleich ist, halten die politischen AkteurInnen die Probleme der Frauen in der gesamten Gesellschaft für gelöst, was nicht der Fall ist. Das gleiche Phänomen beobachtet sie für die Region Île-de-France, auch hier legte die regionale Regierung in der Wahl 2004 den Schwerpunkt auf Ethnie und Migrationsproblematiken und nahm keinen Bezug zu Chancengleichheit der Geschlechter (ebd., Abs. 71 & 73). Die Expertin 2.1.1.1 sieht diese Marginalisierung der Gender Issues als generelles Problem, denn auch bei einem Treffen in Brüssel wurden ihr ähnliche Ansichten/Erfahrungen des „set back“ der Gender Issues von AkteurInnen anderer europäischer Länder mitgeteilt (ebd., Abs. 77).
3.1 Familienpolitische Leistungen Mutterschaft ist in Frankreich mit der Staatsbürgerschaft verknüpft und wird staatlich geschützt, unabhängig davon, ob die Mutter erwerbstätig ist oder nicht (Becker 2000, 90f.). Grundsätzlich kann zwischen „politique demographique“ und „politique familiale“ unterschieden werden. Die „politique demographique“ will vornehmlich zur Familiengründung motivieren, während die „politique familiale“ sozial konturiert ist und die Lebensbedingungen von Familien mit Kindern verbessern will (Schunter-Kleemann 1996, 177). Das französische System der Familienleistungen ist weiterhin durch eine Vielzahl von Maßnahmen und ständiger Reformen dieser Maßnahmen gekennzeichnet, was es selbst den für die Beratung der Familie zuständigen örtlichen Familienkassen (Caisse d´Allocations Familiale) schwer macht, die jeweiligen Ansprüche nach gegebenem Stand zu errechnen. Die französische Familienpolitik besteht im Kern aus 119
einem umfangreichen und komplizierten System direkter und indirekter (steuermindernder) Finanzhilfen für Familien mit Kindern, „wobei für die verschiedenen Einkommensschichten unterschiedliche Förderungsbedingungen zur Anwendung kommen“ (Schunter-Kleemann 1992, 201f.). Es besteht eine Unübersichtlichkeit der Familienleistungen und durch die an das Erwerbseinkommen gekoppelten Leistungen bleiben soziale Abstände erhalten. Seit 1989 können Eltern die Kosten der Kinderbetreuung steuerlich absetzen (Becker 2000, 93). Zu den vielen Maßnahmen und Leistungen gehört das nicht einkommenssteuerpflichtige Kindergeld (allocations familiales), welches dem Haupterziehungsberechtigten in Höhe von € 120,92 ausgezahlt wird, allerdings erst ab dem zweiten Kind (BMFSFJ 2008, Missoc 2008). Bei drei Kindern erhalten Eltern ein Kindergeld in Höhe von € 275,84, bei vier Kindern von € 430,76, bei fünf Kindern von € 585,68, bei sechs Kindern von € 740,60 und für jedes weitere zusätzlich € 154,92 (Missoc 2008). Die Beihilfe für das Kleinkind (allocation au jeune enfant) wurde per Gesetz am 4.1.1985 erlassen und gewährt einkommensunabhängige Beihilfen ab dem vierten Schwangerschaftsmonat bis zum dritten Monat nach der Geburt, danach wird bis zum Kindesalter von drei Jahren eine einkommensabhängige Leistung gezahlt. Zudem existiert eine Familienergänzungsbeihilfe (complément familiale), welche von Haushalten oder Einzelpersonen in Anspruch genommen werden kann, die mindestens drei Kinder zu versorgen haben, wobei diese alle älter als drei Jahre sein müssen. Das Familienmindesteinkommen (revenu minimum familiale) ist eine bedarfsorientierte Maßnahme, fällt aber in ihrer Auszahlungshöhe eher gering aus, da sie nur gezahlt wird, wenn mindesten drei Kinder in einem Haushalt zu versorgen sind. Die Schulanfangsbeihilfe (allocations de rentrée scolaire) stellt seit 1974 einen Beitrag zur Deckung der Kosten für Kleidung und Schulmaterial schulpflichtiger Kinder dar. Diese Leistung wird nur Familien gewährt, die eine bestimmte Einkommensgrenze nicht überschreiten. Die Beihilfe für den alleinstehenden Elternteil (allocation de parent isolé, API) wird einkommensabhängig einem Elternteil gewährt, der allein ein oder mehrere Kinder versorgt, solange sie bzw. er nicht mit einer anderen Person in einer eheähnlichen Partnerschaft lebt (Veil 2002a, 41). Hierbei beträgt die Zahlung in Höhe des garantierten Minimum-Familieneinkommens zurzeit € 566,79 sowie € 188,93 pro Kind (Missoc 2008). Alleinerziehende haben außerdem Anspruch auf eine Arbeitsrückkehrprämie (prime de retour à l´emploi) in Höhe von € 1.000 bei Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nach Arbeitslosigkeit oder Elternzeit, die zu Beginn der Erwerbstätigkeit ausgezahlt wird, welche aber auf mehr als sechs Monate befristet oder unbefristet sein muss (BMFSFJ 2008). Frauen, die bereits länger als sechs Monate schwanger sind, müssen weder die Zuzahlung für ärztliche Leistungen in Höhe von € 1 noch die Medikamentenzuzahlung von € 120
0,50 pro Packung bezahlen (Missoc 2008). Die wichtigsten familienpolitischen Leistungen werden in der nachfolgenden Tabelle dargestellt: Tabelle 18: Überblick über rechtliche und ökonomische familienbezogene Interventionen in Frankreich Maßnahmenbereich 1. Mutter- und Neugeborenenschutz 2. Erziehungsfreistellung und Einkommensersatz 3. Kinderbetreuung
4. Verbesserung der ökonomischen Situation
5. Hilfen für Alleinerziehende
Einzelmaßnahmen Assurance maternité Congé parental - allocation pour jeune enfant (AJE) Allocation parentale d´éducation (APE) Allocation de garde d´énfant à domicile (AGED), prestation spéciale assistante maternelle (PSAM) bzw. allocation familiale pour l´emploi d´une assistante maternelle (AFEAMA) Allocations familiales (AF), complément familial (CF) Steuererleichterungen : a) familienbezogen : (quotient familial) b) situationsbezogen: (Freibetrag zur Kinder-betreuung außer Haus und zur Beschäftigung einer Haushaltshilfe) allocation de rentrée scolaire (ARS) Allocation pour parent isolé (API), allocation de soutien familial (ASF)
Quelle: Becker 2000, 173 Eltern können zudem auf Beihilfen zum Schulbeginn (allocation de rentrée scolaire), Beihilfen zur Beschäftigung einer Tagesmutter, Erziehungsgeld (allocation parentale d´éducation, APE) und berufliche Eingliederungshilfen (revenu minimum d´insertion, RMI) zurückgreifen (Veil 2002a, 41). Der RMI wurde bereits 1988 verabschiedet und ist ein gutes Beispiel für die neue, aktivierende Politik des Staates mit Tendenz zur Individualisierung von Sozialleistungen (Castel 2005, 101), weil diese Wiedereingliederungshilfe mit einem Vertrag verknüpft ist, mit dem der Anspruchsberechtigte sich an die Umsetzung eines bestimmten Projektes bindet, wobei die Inhalte des Vertrages auf die individuelle Situation und die Schwierigkeiten des Einzelnen angepasst werden (ebd., 100). 121
Bedauerlicherweise haben Evaluationen des RMI gezeigt, dass in ca. 50% der Fälle die LeistungsempfängerInnen erst gar keinen Vertrag abschließen und nur in 10-15% der Fälle eine berufliche Wiedereingliederung stattfindet. Obgleich der RMI damit als wenig erfolgreich gelten muss, ist er trotz allem ein Instrument, welches die Situation einiger Betroffener entschärfen konnte (ebd., 103f.). Die letzte Leistung, die hier vorgestellt werden soll, ist die auf die begüterte Mittelschicht zugeschnittene Beihilfe für die Betreuung eines Kindes im Haushalt (allocation de garde d´un enfant à domicile, AGED). Sie wird dann gewährleistet, wenn beide Ehepartner erwerbstätig sind und wenn für die Betreuung eines Kindes unter drei Jahren im eigenen Haushalt eine oder mehrere Betreuungspersonen eingestellt werden. Diese seit 1986 existierende Leistung ist politisch sehr umstritten, da sie überwiegend höhere Einkommensschichten subventioniert (Schunter-Kleemann 1992, 202f.). 3.1.1 Mutterschutz / Elternurlaub 1901 wurde der „Conseil National des Femmes Françaises“(CNFF) gegründet. Dieser entstand nach der Weltausstellung 1900 in Paris und den zum damaligen Zeitpunkt veranstalteten Kongressen und stellt die französische Sektion des International Council of Women dar, der 1888 in Washington gegründet wurde. Der CNFF beabsichtigte, all diejenigen, die sich für die sozialen und materiellen Belange und Interessen der Frauen interessierten und einsetzten, zusammenzuführen (Cova 1991, 127). Madeleine Pelletier war 1903 die erst Frau, die eine Festanstellung als Psychiaterin an der psychiatrischen Klinik in Paris erlangte. 1911 forderte sie in einem öffentlichen Pamphlet die selbstbestimmte und freiwillige Mutterschaft und das Recht auf Abtreibung und verurteilte die unfreiwillige Mutterschaft, weil sie das Leben der Frau ruiniere und diese ihr Leben ansonsten nicht mehr selbstbestimmt führen könne (ebd., 128). 23 1909 wurde die „Union Française pour le Suffrage des Femmes“ (UFSF) gegründet, die sich ebenso wie der CNFF für die Belange der Frauen einsetzte. Am 17. Juni 1913 wurde ein Gesetz nach dem sog. „Strauss Act“ erlassen, wonach Frauen ein Mutterschaftsurlaub von vier Wochen nach Geburt des Kindes eingeräumt wurde. Mitten im Ersten Weltkrieg, 1916, vertraten die Führer der UFSF ebenso die Position der Frauen bei der Diskussion über ihre Pflicht hinsichtlich der Problematik des Geburtenrückgangs (Offen 1991, 145), denn Frauen sollten unter Druck gesetzt werden, um während der Kriegsjahre möglichst viele Kinder zu gebären, um einer sinkenden Bevölkerungszahl entgegenzuwir23
Le suffrage (franz.) = die Wahl o. die Stimme, im Sinne von Selbstbestimmung.
122
ken. Die VertreterInnen der UFSF argumentierten, dass in Ländern, in denen Frauen bereits das allgemeine Wahlrecht erhalten haben, die Führerinnen der Frauenrechte selbst für Maßnahmen eintraten, um die Bedingungen der Mutterschaft zu verbessern. 1917 forderten die Delegierten der UFSF auf ihrem Kongress, der Staat solle die Mutterschaft als nationalen Service, d. h. als Dienstleistung dem Staat und der Gesellschaft gegenüber, wahrnehmen (ebd.). Frankreich zeichnet sich unter den europäischen Ländern als das Land aus, welches Frauen großzügige Leistungen im Falle des Schwangerschaftsurlaubs bietet. Bereits bei der ersten Einführung wurde der Frau das Recht zugesagt, ihren Arbeitsvertrag einzufrieren, d. h. bis nach der Schwangerschaft die Erwerbstätigkeit zu unterbrechen, ohne den Arbeitsplatz zu verlieren. Für die Geburt des dritten Kindes wurde der gewährte Urlaub von 16 auf 26 Wochen ausgedehnt. Angestellte des Staates, die ihr Kind stillen, haben zusätzlich einen Anspruch auf drei weitere Monate bezahlten Urlaub zu 100% oder sechs weitere zu 50%. 1986 wurde der Elternurlaub von einem Jahr auf drei Jahre für jedes Kind erweitert. Frauen und Männer können diesen Elternurlaub am Ende des Mutterschaftsurlaubs unter der Bedingung nehmen, dass sie bereits mindestens ein Jahr bei derselben ArbeitgeberIn angestellt sind. Eltern können die Zeit des Elternurlaubs auch unter sich aufteilen (Hantrais 1993, 131). Seit 1988 wird der Mutterschaftsurlaub als Phase der Erwerbstätigkeit bei der Rentenkalkulation berechnet. Heute werden 84% des Lohnes von der „Caisse Primaire d´Assurance Maladie“ (Ortskrankenkasse) gezahlt, bis zum doppelten des Minimallohns einer Frau, die 200 Stunden in drei Monaten arbeitet. Angestellte des Staates werden auch hier wieder bevorzugt behandelt. Sie bekommen ihr volles Gehalt für 16 Wochen (ebd., 130). Der zurzeit geltende Mutterschutz von 16 Wochen für das erste und zweite Kind beginnt sechs Wochen vor und endet zehn Wochen nach der Geburt (BMFSFJ 2008) und ist im Code de Travail, Art. L 122-26, geregelt (Becker 2000, 203). Zudem dürfen beide Elternteile eine Woche plus einen Arbeitstag jedes Jahr freinehmen, um ein krankes Kind unter 16 Jahren zu versorgen (Hantrais 1993, 130). Alleinerziehende haben Anspruch auf die doppelte Anzahl von Tagen. Mit der Geburt des dritten Kindes beträgt der gesetzliche Mutterschaftsurlaub 26 Wochen (davon acht Wochen vor der Geburt). Bei der Geburt von Zwillingen erweitert sich der Mutterschaftsurlaub auf 34 Wochen (davon zwölf Wochen vor der Geburt) und bei Mehrlingsgeburten (außer Zwillingen) auf 46 Wochen (davon 24 Wochen vor der Geburt) (Missoc 2008). Die von der EU angestrebte Mindestdauer des Mutterschutzes von 18 Wochen (bei der Geburt des ersten Kindes) ist damit hier allerdings noch nicht erreicht (EU-Nachrichten 2008, 3). 123
Der Elternurlaub beträgt zunächst zwölf unvergütete Monate und kann bis zum dritten Lebensjahr des Kindes zweimal um jeweils ein Jahr verlängert werden (Code de Travail, Art. L 122-28-1 (Becker 2000, 211f.)). Voraussetzung für die Verlängerung ist, dass der Elternteil, welcher Elternurlaub beziehen möchte, vor der Geburt des Kindes ein Jahr bei derselben ArbeitgeberIn beschäftigt war (BMFSFJ 2008) (Code de Travail, Art. L 122-28-1 (Becker 2000, 211f.)). Diese Leistung ist geschlechterneutral, denn sie kann gleichwertig von Frauen oder Männern in Anspruch genommen werden. Seit Januar 2002 ist auch der Vaterschaftsurlaub geregelt. Dieser hat eine Dauer von elf Tagen, verlängert sich bei Mehrlingsgeburten auf 18 Tage (Französische Botschaft 2008). Zusätzlich können sich Väter drei Tage (finanziell kompensiert) im Anschluss an die Geburt eines Kindes beurlauben lassen. Obwohl das Unternehmen der Expertin 2.3.1 für die Zeit des gesetzlich festgeschriebenen Vaterschaftsurlaubs von insgesamt zwei Wochen das Gehalt zu 100% weiterzahlt, nahmen dies nur 42% der Väter in Anspruch. Gründe für diese geringe Quote können nach Einschätzung der Expertin fehlende männliche Vorbilder auf hoher Ebene (im Unternehmen) sein sowie das typisch weibliche Image dieses Urlaubs. Auch falle es Männern schwer, zu sagen, sie wollen Vaterschaftsurlaub nehmen, da es noch nicht zur Normalität geworden ist, dass Väter dieses Recht auf Vaterschaftsurlaub für sich in Anspruch nehmen (Exp. 2.3.1, Abs. 173 & 175). Sind Eltern bereits mindestens ein Jahr in einem Unternehmen beschäftigt, können beide Elternteile nach dem Mutterschaftsurlaub Elternurlaub in Anspruch nehmen oder Teilzeit arbeiten, wobei dies bedeutet, nicht mehr als 16 Stunden pro Woche zu arbeiten. Ist ein Kind ernsthaft erkrankt, können Eltern bei Betriebszugehörigkeit von mindestens einem Jahr bezahlten Urlaub nehmen oder in Teilzeit arbeiten. Hierbei entscheidet sowohl die Betriebs- als auch die Familienstruktur über die tatsächliche Dauer dieses Urlaubs und den Umfang der Transferleistungen (Fagnani/Letablier 2005, 140). Die Tabellen 19 und 20 geben eine abschließende Übersicht über die gesetzlichen Verankerungen der arbeitsrechtlichen Regelungen in Bezug auf den Mutterschutz sowie über diejenigen Regelungen zur Erziehungsfreistellung im Code de Travail, die hier nicht explizit genannt wurden. Nicht alle de jure geschlechterneutralen Regelungen bezüglich Elternschaft sind dies de facto auch. Der Mutterschaftsurlaub ist eine Ursache für Diskriminierungen im Arbeitsrecht, denn Frauen bekamen bis 2001 in der Dauer des Mutterschaftsurlaubs keine Gehaltssteigerungen. Dieser Art der Diskriminierung wurde allerdings entgegengewirkt.
124
Tabelle 19: Überblick über arbeitsrechtliche Regelungen des Mutter- und Neugeborenenschutzes in Frankreich (Rechtsstand 1999)
Code trav. art. L 12226
Alle abhängig beschäftigten Schwangeren und Wöchnerinnen, bei Tod der Mutter auch Väter, bei Adoption Mutter oder Vater Code trav. Auflistung verbotener/ eingeArt. R 234 schränkter Tätigkeiten, Arbeitsbedingungen Code trav. 8 Wochen um den EntbinArt. L dungstermin, insb. 6 Wochen 224-1 danach Code trav. Während der Schwangerschaft Art. L 4 Wochen nach Ende der je122-25-2 weiligen Freistellungsfrist Quelle: Becker 2000, 203
Beschäftigungseinschränkungen/ -verbot und Kündigungsschutz Anspruchsvoraussetzungen
Regulation potentieller gesundheitsschädlicher Tätigkeiten bzw. Arbeitszeiten Beschäftigungsverbot
Kündigungsschutz
Ein neues Gesetz, „Loi Genission“, nach seinem Urheber benannt und 2001 eingeführt, verlangt nun von den Unternehmen, dass sie die durchschnittliche Einkommenssteigerung auch auf das Gehalt von Frauen anrechnen, die im Mutterschaftsurlaub sind, damit die Zeit der Mutterschaft nicht als unbewertet und unproduktiv interpretiert wird (Exp. 2.2.1, Abs. 8). Im französischen Gesetz existieren weitere indirekte Ungleichheiten bezüglich Mutterschaft. Sanktioniert werden generell aber nur Verstöße gegen das Antidiskriminierungsgesetz, die vor das Arbeitsgericht gebracht werden. Die „autorité du lutte contre les discriminations“ (et pour l'égalité) (Behörde zur Bekämpfung der Diskriminierung und für Egalität), ein Arbeitsgericht, berät ArbeitgeberInnen im öffentlichen und privaten Sektor zur Einhaltung der Antidiskriminierungrichtlinien (Exp. 2.2.1, Abs. 141). Eine indirekte Benachteiligung geht aus der Tatsache hervor, dass es zum Großteil Frauen sind, welche die Kinderbetreuung übernehmen, weswegen sie von indirekter Diskriminierung aufgrund der Geburt von Kindern überproportional betroffen sind. Nur 2% der Männer nehmen Elternurlaub. Außerdem haben die meisten Männer, die Elternurlaub nehmen, geringe Gehälter und nehmen diesen nur für eine kurze Dauer, die meisten Frauen hingegen nehmen drei Jahre Elternurlaub (ebd., Abs. 195). 125
Dies hat negative Folgen für die weibliche Erwerbsbiografie und zieht einen erschwerten Wiedereintritt in das Berufsleben nach sich. In Frankreich gibt es zahlreiche Regelungen zum Mutterschutz und einen gut ausgebauten Sektor der öffentlichen Kinderbetreuungsmaßnahmen. Tabelle 20: Überblick über Regelungen zur Erziehungsfreistellung in Frankreich (Rechtsstand 1999)
Code trav. Art. L 122-28-1 Art. L 122-28-2 Code trav. Art. L 122-28-3 Art. L 122-28-6 Code séc. soc. Art. L 161-9 Art. L 351-4
Festlegung über Gestaltung jew. bei Neuantrag, Anspruch auf Rückkehr bzw. vorherige Arbeitszeit bei wesentlicher Verminderung des Haushalts-einkommens. Rechtsanspruch auf Reduktion der Arbeitszeit um mind. 1/5 der regulären Zeit bis zu 16 Wochen-stunden Recht auf Rückkehr an gleichen oder gleichbezahlten Arbeitsplatz Im Bedarfsfall Recht auf Fortbildung Kündigung (aus „wirtschaftlichen Gründen“) möglich. Weiterbestehen der Kranken- und Mutterschafts-versicherung. Für Mütter generell 2 Jahre Rentenversicherung pro Kind
Erziehungsfreistellung Flexibilität und Entscheidungsbefugnis Rückkehrrecht und Wiedereingliederung Sozialrechtlich Absicherung
Quelle: Becker 2000, 211f. Trotzdem wird hier deutlich, dass Gesetze etc. zwar neutral formuliert sein können, aber Frauen dennoch Nachteile bei der Umsetzung erfahren. So ist das „Loi Genission“ ein wichtiger Schritt, Frauen mit Kindern denen ohne Kinder sowie Männern im Allgemeinen im Berufsleben stückweit gleichzustellen bzw. den Nachteil der Gehaltseinbußen durch die Mutterschaft zu verhindern. Generell kann festgestellt werden, dass der französische Staat nicht direkt auf die Gleichstellung der Geschlechter hinwirkt, denn mit insgesamt 14 Tagen bezahltem Vaterschaftsurlaub im Gegensatz zu den gut ausgebauten Maßnahmen hinsichtlich des Mutterschutzes und Mutterschaftsurlaubs wird hier der Frau eindeutig die Hauptrolle in der Kindererziehung und Familienarbeit zugeschrieben. Dieses geringe Zugeständnis des Staates gegenüber Männern und ihrer Rolle als Väter ist ein Grund, warum die Inanspruchnahme eines kurzen Vaterschaftsurlaubs bis126
her keine Normalität ist. Die finanziellen Einbußen scheinen bei einer Dauer von insgesamt 14 Tagen kaum eine wichtige Rolle spielen zu können, zumal selbst in einem Unternehmen, welches das volle Gehalt für diese Zeit weiterzahlt, nicht einmal die Hälfte der Väter Vaterschaftsurlaub beantragte. Hier müssen staatliche Strategien und Regularien eindeutig positive Signale setzen und die Rolle der Väter durch Gesetze stärken, da diese ansonsten nur Statisten ihres Familienlebens sein können und weder einen Anreiz haben, Vaterschafts- noch Elternurlaub zu beantragen, wenn dieser mit Statusverlusten einhergeht. 3.1.2 Elterngeld Nur zwei Wochen nach dem 17. Juni 1913, an dem ein Gesetz nach dem sog. „Strauss Act“ erlassen wurde, sicherte ein finanzpolitisches Gesetz Müttern eine Transferzahlung von 0,5 und 1,5 Francs zu, zusätzlich sogar weitere 0,5 Francs, wenn die Mütter ihre Kinder selbst versorgten (Cova 1991, 129). Artikel 2 des Gesetzes von 1913 sicherte bedürftigen Familien eine Unterstützung für ihre Kinder zu. Diese vom Staat finanzierte Transferleistung wurde aber nur wenigen Familien zuteil, denn die monatlichen Zahlungen erfolgten erst ab der Geburt des vierten Kindes (und jedes weiteren) bis zum Kindesalter von 13 Jahren. Die Zahlungen erhielt der Vater als Haushaltsvorstand, war ein solcher nicht vorhanden, wurden sie auch direkt an die alleinerziehende Mutter geleistet (Offen 1991, 146). Der Einkommensersatz für Erwerbstätige im Rahmen des Mutterschutzes wird im „Code de la sécurité sociale“ geregelt. Die Höhe des Mutterschaftsgeldes ergibt sich aus der Berechnung der Einkünfte der letzten drei Verdienstmonate. Liegt das Einkommen über der Obergrenze der Sozialversicherung von € 2.773 brutto, übernimmt die ArbeitgeberIn ganz oder z. T. die Differenz zwischen dem Einkommen und dem Mutterschaftsgeld, was im nationalen Abkommen der Sozialpartner (régime général d´assurance maladie des travailleurs salariés, RGAMTS) bzw. in den jeweiligen Tarifverträgen geregelt ist. Selbstständige Frauen erhalten einmalige Geldleistungen in Höhe eines Pauschalbetrags von € 2.279,11, der in zwei Raten ausgezahlt wird sowie eine weitere Einmalzahlung von € 1.139,56, wenn sie ihre Selbstständigkeit nicht aufrechterhalten können (BMFSFJ 2008). Der Vater hat nur dann ein Recht auf die Zahlung des Mutterschaftsgeldes, wenn die Mutter infolge der Entbindung verstirbt. Das Mutterschaftsgeld wird im Rahmen der Krankenversicherung geregelt und aus Steuern und Krankenkassenbeiträgen finanziert. Voraussetzung für den Erhalt ist eine Vorversicherungszeit von zehn Monaten vor der Geburt und die Arbeitsunterbre127
chung von mindestens acht Wochen, wobei sich diese auf zwei Wochen vor und sechs Wochen nach der Geburt verteilt (Becker 2000, 211f.). Das Elterngeld ist in Frankreich ein fester Betrag und nicht wie in Schweden ein prozentualer Anteil des vorherigen Gehalts. Also verlieren Familien mehr Geld, wenn der Mann Elternurlaub nimmt, weil dieser i. d. R. ein höheres Einkommen bezieht als die Frau (Exp. 2.2.1, Abs. 39 & 43). Zudem besteht das Elterngeld aus zwei Teilen. Erstens die Grundleistung für Kleinkinder unter drei Jahren, die als monatliche Pauschale in Höhe von € 172,77 ausgezahlt wird, wenn ein gewisses Bruttojahreseinkommen nicht überschritten wird und zweitens aus dem eigentlichen Elterngeld. Das Elterngeld beträgt monatlich € 536,03 und wird bei Bezug der Grundleistung für Kleinkinder mit dieser verrechnet, so dass die Differenz von € 363,27 ausgezahlt wird. Das Elterngeld ist abhängig von dem Erwerbseinkommen (nicht als prozentualer Anteil, sondern als Bezugsbemessungsgrenze), dem Erwerbsumfang und der Familiengröße und kann bis zu drei Jahre bezogen werden, beim ersten Kind allerdings nur die ersten sechs Monate. Das Elterngeld ist auch mit einer Teilzeitbeschäftigung kombinierbar, wobei diese höchstens 80% einer Vollzeiterwerbstätigkeit betragen darf. Bei einer 50%-Stelle beträgt das Elterngeld € 407,60 pro Monat, bei einer Erwerbstätigkeit zwischen 50% und 80% beträgt dieses noch € 308,23 monatlich (BMFSFJ 2008). In Frankreich gibt es restriktive Zugangsbedingungen wie die Vorversicherungszeit von mindestens zehn Monaten, außerdem können die finanziellen Leistungen der „assurance maternité“ nur in Anspruch genommen werden, wenn der vorherige Arbeitsumfang nicht weniger als zwei Stunden pro Tag beträgt (Becker 2000, 204). Im „Code de Travail“ ist festgeschrieben, dass für die Rückkehr in das Berufsleben im Bedarfsfall ein Recht auf Anpassungsfortbildung besteht, allerdings ist der Kündigungsschutz so weit gelockert, dass eine Kündigung während der Erziehungsfreistellung möglich ist (ebd., 209). Positiv zu bemerken ist, dass auch Väter seit 2002 einen Anspruch auf Vaterschaftsgeld während der elf Tage Vaterschaftsurlaub haben. Zusätzlich können diese sich aufgrund der Geburt eines Kindes bei fortlaufender Gehaltszahlung drei Tage im direkten Anschluss an die Geburt freistellen lassen. Für diese drei Tage übernimmt die ArbeitgeberIn die volle Lohnfortzahlung, die restlichen elf Tage bzw. 18 Tage bei Mehrlingsgeburten werden analog zum Mutterschaftsgeld berechnet und müssen in den ersten vier Lebensmonaten des Kindes in Anspruch genommen werden. Im Jahr 2004 nahmen fast zwei Drittel der Väter durchschnittlich 10,8 Tage Vaterschaftsgeld in Anspruch. Allerdings nahmen 20% der Väter nur die gesetzlich vorgeschriebenen drei Tage Vaterschaftsurlaub nach der Geburt. Diejenigen Väter, die prozentual am meisten Vaterschaftstage in Anspruch genommen haben, waren mittlere Angestellte im öffentlichen Sek128
tor. Am seltensten, mit 44%, nehmen diejenigen Väter Vaterschaftsurlaub, welche in unsicheren Arbeitsverhältnissen sowie geringfügigen Anstellungen beschäftigt sind (BMFSFJ 2008). Trotz der steten Ausweitung der Transferleistungen kann ein Vaterschaftsurlaub von maximal 14 Tagen keine nachhaltige Veränderung der Geschlechterverhältnisse bewirken. Um einen Anreiz für Väter zu schaffen, verstärkt Vaterschaftsurlaub zu nehmen und Familien insgesamt nicht zu stark durch Opportunitätskosten zu belasten, müsste kurz- und mittelfristig der Betrag des Elterngeldes entweder angehoben oder das Elterngeld prozentual berechnet werden. Langfristig müssten Ursachen des Gender Pay Gap behoben sowie der Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöht werden (vgl. Kap. 3.5 und 3.4), da bei Parität in den Paarbeziehungen die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Männer als Väter gefordert werden. Das in Deutschland kontrovers diskutierte Betreuungsgeld für häusliche Erziehung, welches ab 2013 im Gesetz verankert sein soll, beinhaltet finanzielle Förderung für diejenigen Eltern, die ihre Kinder nicht in Erziehungseinrichtungen geben, sondern die Betreuung der Kinder privat leisten. Dieses Erziehungsgeld wurde in Frankreich auf Empfehlung der Familienkonferenz aus dem Jahr 2003 mit dem Gesetz „Prestation d`accueil du jeune enfant“ („PAJE“) (Leistung zur Pflege von Kleinkindern) eingeführt und 2005 modifiziert. Neu war die Regelung, dass Eltern ab dem dritten Kind einen erhöhten Betrag über einen kürzeren Zeitraum erhalten, wodurch Eltern aus Mehrkinderfamilien zur schnelleren Wiederaufnahme der Berufstätigkeit animiert werden sollten (BMFSFJ 2008). Voraussetzungen für den Bezug von Transferleistungen im Rahmen von PAJE ist die Erziehung von mindestens einem unter 3-jährigen Kind und kann sechs Monate für das erste Kind sowie drei Jahre für das zweite und weitere bezogen werden (Missoc 2008). Das Gesetz PAJE fördert in noch stärkerer Form die private Betreuung weg von den Strukturen kollektiver Erziehung. Die Eltern haben hierbei die Möglichkeit, zwischen staatlichen Zuschüssen zur Tagespflege oder der freien Wahl der Betreuungsform zu entscheiden. Das Erziehungsgeld wird bis zum dritten Geburtstag des Kindes in Höhe von € 538,72 für nichterwerbstätige Eltern und € 409,64 für teilzeiterwerbstätige Eltern gezahlt (Erziehungstrends 2007, Missoc 2008), wenn diese Teilzeiterwerbstätigkeit nicht mehr als 50% der normalen Arbeitszeit beträgt. Liegt die Teilzeiterwerbstätigkeit zwischen 50% und 80%, beträgt die ausgezahlte Leistung nur € 309,77 (Missoc 2008). 500.000 Frauen haben diese Leistung zur Pflege von Kleinkindern in häuslicher Betreuung in Anspruch genommen und wurden in Folge dessen aus der Arbeitslosenstatistik herausgerechnet. Die Folgen sind der Verlust von beruflicher Qualifikation, der erschwerte Wiedereintritt in den Beruf und eine verzerrte 129
Abbildung der weiblichen Erwerbs- und Arbeitslosenquote (Exp. 2.1.1.1, Abs. 302). In Frankreich konnte festgestellt werden, dass tendenziell gerade junge Frauen mit Migrationshintergrund u./o. geringer Qualifikation die Leistung zur Pflege von Kleinkindern in Anspruch nehmen. Dies birgt das Risiko, dass die Kinder dieser Frauen erst später in eine gesellschaftliche Institution, eine öffentliche Kinderbetreuungseinrichtung, eingeführt werden und so Nachteile in Bezug auf Sprachfähigkeiten und Integration in eine Gruppe entstehen können. In Analogie dazu kann die Annahme getroffen werden, dass diese Problematik auch die Migrations- und Bildungspolitik in Deutschland beschäftigen wird.
3.2 Anerkennung der familialen Arbeit Wie aus den Erläuterungen der vorherigen Kapitel 3.1.1 und 3.1.2 hervorging, existieren in Frankreich zahlreiche Regelungen zur finanziellen Kompensation von Mutterschaft, Vaterschaft und Elternschaft, deren Leistungen sich mit zunehmender Kinderanzahl erhöhen. Dies steht in der natalistischen Tradition Frankreichs und bietet Anreize für Frauen, Kinder zu bekommen. Die gemeinsame Besteuerung von Ehepaaren in Frankreich (vgl. Tab. 21) führt besonders häufig zu Austritten aus der Erwerbstätigkeit von Frauen, wenn diese ein niedriges Einkommen beziehen und sich der Nettoverdienst nach den steuerlichen Abgaben nicht mehr zu lohnen scheint, vor allem, weil bei der Ausübung der Erwerbstätigkeit zusätzlich Kinderbetreuung in Anspruch genommen und evtl. teils privat finanziert werden muss. Trotzdem ist die Anerkennung der Kindererziehungszeiten in Frankreich auf einem vergleichsweise hohen Niveau, auch hinsichtlich des Rentenbezugs erwerben Frauen Ansprüche, was im nächsten Abschnitt erläutert wird. Tabelle 21: Ehegattenbesteuerung und Familienlastenausgleich (FR) Ehegatten
Zusammenveranlagung/Splitting; (Quotient 2 bei kinderlosen Ehepaaren) Kinder Familiensplitting; der Quotient erhöht sich um 0,5 für die ersten beiden (unterhaltsberechtigten) Kinder und 1 für jedes weitere Kind Alleinstehende Bei Ledigen und Geschiedenen mit Kindern beträgt der Familienquotient 1,5 zuzüglich 0,5 bzw. 1 für jedes unterhaltsberechtigte Kind; Verwitwete mit Kindern werden wie Ehepaare behandelt Quelle: Buchholz-Will 1992, 76-79 130
3.2.1 Frauen im Alter – Rentenbezug Die Anerkennung der Reproduktionsarbeit in der Alterssicherung gehört zu den Ansprüchen der Frauen in Frankreich, die hier dargestellt werden sollen. Die „solidarité“ ist der Schlüsselbegriff der französischen Sozialprogramme. Die „solidarité professionelle“ beinhaltet verschiedene Berufsgruppen und deren Haltung gegenüber dem Staat, sie streben nach Autonomie und Selbstverwaltung und sind in verschiedenen Rentenkassen organisiert. Die steuerfinanzierten (Renten-)Leistungen sind mit „solidarité nationale“ bezeichnet (Veil 2002a, 19). Die Familienleistungen sind in den Familienkassen (CNAF) organisiert, werden dort verwaltet und ausgezahlt. Die unterschiedlichen Lebenslagen und –phasen sowie die Familienphasen werden durch die Leistungen der CNAF repräsentiert. Die Rentenvoraussetzung umfasst eine Mindestversicherungszeit von einem Trimester und das Erreichen des 60. Lebensjahres (Rente ohne Abschläge nach 40 Versicherungsjahren ab Rentenzugang 2003). Bei weniger als 40 Versicherungsjahren werden Abschläge bei Renteneintritt im Alter von 60 Jahren gemacht. Die Abschläge werden degressiv mit 5% für die Geburtsjahrgänge vor 1944 bis 2,5% für die Jahrgänge nach 1952 pro Jahr berechnet. Der volle Rentensatz wird Personen unabhängig von den tatsächlichen Versicherungsjahren gewährt, die eine Erwerbsminderung von 50% vorweisen können sowie Arbeiterinnen, die mindestens drei Kinder erzogen haben. Ebenfalls den vollen Rentensatz, unabhängig von der Versicherungszeit, erhalten Veteranen, Kriegsopfer und diejenigen Personen, die bei der Festsetzung der Rente das 65. Lebensjahr bereits erreicht haben (Missoc 2008). Das Renteneintrittsalter wird allerdings stufenweise auf 65 angehoben, was in Bezug auf die Arbeitslosenquoten älterer ArbeitnehmerInnen als problematisch eingeschätzt wird, da diese als Arbeitskräfte nicht stark nachgefragt sind (Exp. 2.1.1.1, Abs. 308). Die französische Rentenversicherung weist unterschiedliche kindbezogene Leistungen auf, je nach Funktion, Verteilungswirkungen und Zielgruppe. Kindbezogene Rentenleistungen existieren in den Versicherten- und Hinterbliebenenrenten, wobei die Zeit der Kinderbetreuung entweder als zusätzliche Versicherungsjahre (nur bei Frauen) zählt oder den Rentenbetrag aufstockt (gilt für Eltern mit drei oder mehr Kindern). Die prozentuale Rentenaufstockung (10% im Basissystem) für Eltern von drei oder mehr Kindern (majoration pour enfants) für pflichtversicherte Mütter oder Väter entstammt einer frühen natalistischen Orientierung der Familienpolitik und wurde 1948 eingeführt. Diese Regelung produziert allerdings geschlechtsspezifische Asymmetrien, weil aufgrund der prozentualen Rentenaufstockung Frauen mit einem durchschnittlich geringeren Entgelt benachteiligt sind. Zudem werden kinderreiche Familien stärker gefördert, weil Ziel dieser Regelung in erster Linie die Aufstockung des Haushalteinkommens 131
ist. Diese Rentenpolitik würde Frauen nur dann stärken, wenn ausschließlich diese Empfänger der Leistungen wären (Veil 2002a, 75ff.). Die Anrechnung der Kindererziehungszeit (annuités pour enfant) auf die Rente beträgt zwei Jahre pro Kind und existiert nur für Frauen. Diese Regelung wurde 1971 eingeführt und hat den Nachteilsausgleich für Frauen zum Ziel. Diese Leistung kann in Anspruch genommen werden, unabhängig davon, ob die Mutter ihre Erwerbstätigkeit unterbricht oder nicht oder ob sie einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung nachgeht. Damit bleibt die staatliche Politik hinsichtlich der Gleichstellung der Frauen im Alter wertungsfrei, honoriert oder sanktioniert also nicht das Erwerbsverhalten von Müttern. Die zusätzlichen Erziehungsjahre erleichtern es vielen Frauen, die notwendigen Versicherungsjahre zu erreichen und so im Alter von 60 Jahren aus dem Berufsleben auszuscheiden. Ansonsten könnten viele Frauen erst mit 65 Jahren eine abschlagsfreie Rente beziehen (ebd., 79). Der Elternurlaub wird mit bis zu drei Jahren auf die Versicherungsjahre angerechnet (Missoc 2008). Als Versicherungsjahre gelten auch Anrechnungszeiten (périodes assimilées) aufgrund von Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Militärdienst. Ausbildungszeiten werden allerdings nicht auf die Versicherungsjahre angerechnet (Veil 2002a, 62). Eine Sonderregelung besteht für Frauen, die im öffentlichen Sektor tätig waren. Diese dürfen, wenn sie mindestens drei Kinder haben, bereits nach 15 Jahren in Rente gehen, unabhängig vom Alter bei Rentenbeginn (Fagnani/Letablier 2005, 141). Die Mindestrente bei einem Anspruch auf den vollen Versicherungssatz beträgt zurzeit € 7.603,41 pro Jahr, die Höchstgrenze nach dem allgemeinen System für ArbeitnehmerInnen beträgt € 16.638 pro Jahr, was 50% der Bemessungsgrenze der Sozialversicherung entspricht (Missoc 2008). Problematisch ist die Situation für Frauen im Alter, wenn diese in einem Beschäftigungsverhältnis arbeiten, für das keine Sozialabgaben gezahlt werden. Zumindest kurzfristig sehen einige Frauen Vorteile in der Schwarzarbeit, da es sich für einige Frauen nicht lohnt, auf ein geringes Gehalt Abgaben zu zahlen. Diese Schwarzarbeit hat erhebliche negative Folgen bei Rentenantritt, dem Versicherungsstatus und im Scheidungsfall. Über die langfristigen negativen Folgen sind viele Frauen nicht angemessen aufgeklärt (Exp. 2.2.1, Abs. 49). Aber auch durch Teilzeitarbeit kann in vielen Fällen keine finanziell unabhängige Situation im Alter geschaffen werden (Exp. 2.3.1, Abs. 209). Die ExpertInnen in Frankreich haben sich alle zum Thema „Frauen im Alter – Rentenbezug“ geäußert, was in den anderen Ländern nicht der Fall war, wo lediglich eine Expertin in Großbritannien und zwei in Schweden das Thema angesprochen haben. Dies lässt die Vermutung zu, dass die steigende Altersarmut, die überproportional Frauen betrifft, in Frankreich ein aktuelles und brisantes Thema der öffentlichen Diskussion ist. 132
3.3 Vereinbarkeit von Familie und Beruf Wie aus der nachfolgenden Tabelle hervorgeht, ist die Zeitverwendung von Frauen und Männern für Erwerbs- bzw. Hausarbeit sehr unterschiedlich. Männer verwenden den Großteil der Zeit für Erwerbsarbeit und Frauen für Hausarbeit. Tabelle 22: Zeitverwendung von Frauen und Männern in Frankreich Erwerbsarbeit / Bildung Frauen Männer 2:31 4:03
Hausarbeit F 4:30
M 2:22
Arbeit insgesamt F M 7:01 6:25
Mahlzeiten & Köperpflege F M 3:02 3:01
Freizeit F 4:08
M 4:46
Anmerkung: Alter von 20 bis 74 Jahren; Angaben in Stunden und Minuten pro Tag.
Quelle: Eurostat 2006b Auffällig ist, dass Frauen für Arbeit insgesamt 36 Minuten mehr Zeit aufwenden als Männer. Durch die hohe zeitliche Belastung durch Hausarbeit bleibt weniger Zeit für Erwerbsarbeit und insgesamt sind Frauen mit sieben Stunden Arbeit höher belastet als Männer. Das Vereinbarkeitsproblem von Familie und Beruf ist somit auch in Frankreich ein vornehmlich weibliches Thema. Die hohe Beschäftigungsquote von Frauen in Frankreich wird als Ursache gesehen, warum Kinderbetreuung und Zeitmanagement zu einem ernsthaften Thema bzw. Problem geworden sind, denn aufgrund einer steigenden Anzahl von Frauen in Erwerbstätigkeit müssen auch zusätzliche Kinderbetreuungsplätze geschaffen werden. Da dies aber nicht immer ohne Zeitverzögerung gelingt, werden verstärkt alternative Arbeitszeitmodelle nötig, um eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen (Exp. 2.1.1.1, Abs. 270). Diese flexiblen Arbeitszeitregelungen werden allerdings lediglich von den Unternehmen initiiert, da die Regierung nichts unternimmt, um die Arbeitszeiten zugunsten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu beeinflussen. „For flexible work, nothing is done by the government“ (Exp. 2.2.1, Abs. 149). Das Problem verschärft sich, da die meisten neu geschaffenen Arbeitsstellen für Frauen in Teilzeit und oftmals im Service oder Reinigungsgewerbe verortet sind, wo es häufig Arbeitszeiten gibt, für die keine öffentlichen Kinderbetreuungsangebote existieren. Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass im Arbeitsrecht Änderungen bezüglich der Regulation der Arbeitszeiten oder der Festsetzung einer Höchstdauer geschehen, dennoch sieht Expertin 2.2.1 eine mögliche Lösung des Vereinbarkeitsproblem darin, dass Männer durch das Arbeitsrecht stärker ermutigt werden sollten, ihre Arbeitsplätze früh zu verlassen, um am Familienleben partizipieren zu können. 133
„But also I think that in Labour Law it will never ever be done of course, because especially after everything is not compulsory and must be negotiated, I think that Labour Law should oblige24 men not to stay until late, to leave work plant at 7 o’clock“ (ebd., Abs. 230). Durch die Ausweitung von Teilzeitarbeit auf 35 Stunden sind allerdings viele Normalarbeitsplätze weggefallen, was dazu führt, dass die Intensivierung mit langen Arbeitszeiten zunimmt (ebd.) (Anmerkung: Nach einer Vereinbarung der EU-Arbeitsminister vom 10.06.2008 haben sich diese in einer neuen Richtlinie auf eine Begrenzung der Wochenarbeitszeit von weiterhin max. 48 Stunden geeinigt, allerdings sind Ausnahmen bspw. im Krankenhaus o. ä. mit bis zu 65 Stunden möglich, was aber voraussetzt, dass die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten geschützt und die längere Arbeitszeit durch Gesetze oder Tarifverträge geregelt wird. Diese Regelung muss allerdings noch vom Europaparlament verabschiedet werden (EU-Arbeitszeitrichtlinie 2008)). Expertin 2.3.1 als Vertreterin der Unternehmens-Ebene beschreibt die Maßnahmen in ihrem Unternehmen hinsichtlich einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier können Mütter einen Tag freinehmen, wenn ihr Kind krank ist, allerdings wird dafür ein Attest benötigt. In den neuen Tarifverhandlungen des Unternehmens mit der ArbeitnehmerInnenvertretung soll diese Möglichkeit auch für Väter umgesetzt werden, denn für diese gilt die Regelung bislang nicht (Exp. 2.3.1, Abs. 16). Auch Flexible Working ist möglich, für Väter aber nicht üblich, weil es nicht deren Mentalität entspricht. Väter werden in diesem Unternehmen nicht als Personen mit Familienpflichten wahrgenommen, was daran deutlich wird, dass Maßnahmen speziell auf Mütter abzielen. Diese Vorgehensweise des Unternehmens kann auch als Diskriminierung von Vätern gewertet werden (ebd., Abs. 8 & 19). In Frankreich spielt das Thema der flexiblen Arbeitszeiten anders als in Großbritannien eine untergeordnete Rolle. Hier fordern die ExpertInnen vor allem einen Ausbau des Angebots an öffentlicher Kinderbetreuung zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zudem müssen Väter stärker als Elternteile visualisiert und gefordert werden, mehr Vergünstigungen bezüglich Elternschaft erhalten, aber auch einen größeren Anteil der familialen Pflichten übernehmen. Interessant ist bei den Überlegungen zur Vereinbarkeit auch die Einschätzung der ExpertInnen, ob Frauen in Frankreich eine freie Wahlmöglichkeit zwischen Erwerbstätigkeit und öffentlicher Kinderbetreuung oder Ausstieg aus dieser und privater Kinderbetreuung haben oder nicht.
24
(To) oblige (engl.) = entgegenkommen.
134
Die Expertinnen bewerteten die Qualifikation der Frauen als entscheidenden Faktor bei der Wahlmöglichkeit zwischen Erwerbstätigkeit oder Reproduktionsarbeit (Exp. 2.1.1.1, Abs. 298 / Exp. 2.2.1, Abs. 207). Ist die Qualifikation hoch, haben Frauen keine freie Wahl, weil der finanzielle Verlust zu hoch wäre, wenn sie auf eine Erwerbstätigkeit verzichten würden. Ist die Qualifikation allerdings gering, ist auch das erwartete Einkommen niedrig und die Differenz zu den Sozialleistungen nicht sehr hoch. Niedrig qualifizierte Frauen haben deshalb nach Einschätzung der Expertinnen (2.1.1.1, Abs. 298 / 2.2.1, Abs. 215) die freie Wahl zwischen „Kind oder Karriere“, weil die Erwerbstätigkeit nicht in gleichem Maße attraktiv ist. Alleinerziehende Mütter haben einen besonderen Status. Aufgrund der hohen Scheidungsrate (50% in der Region Île-de-France (2.1.1.1, Abs. 318)) existieren viele Ein-Eltern-Familien, wobei 85% dieser Ein-ElternFamilien alleinerziehende Frauen sind, die auch überproportional von Armut betroffen sind. Hier ist die Wahl zwischen Familie oder Beruf nicht frei, sondern von ökonomischen Notwendigkeiten geleitet (ebd., Abs. 330 / Exp. 2.3.1, Abs. 197 & 201). 3.3.1 Bereitstellung von sozialer Infrastruktur und deren Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen Die Kinderbetreuung in Frankreich ist ein Zusammenspiel familienpolitischer Anliegen, bevölkerungspolitischer Ziele und republikanischer Erziehungsideale (Jönsson/Letablier 2003, 90f.). Die Geschichte der öffentlichen Kinderbetreuung ist mit einer spezifischen (paternalistischen) Konzeption des Staates (état paternaliste) verbunden, nach welcher der Staat verpflichtet ist, Kinder und Mütter zu schützen. Mutterschaft ist nicht an den Staatsbürgerstatus oder die Erwerbstätigkeit der Mutter gebunden. Außerdem versteht sich der Staat als Beschützer der Kindheit und garantiert die Chancengleichheit der Kinder (ebd., 91). Zudem spielt der demographische Faktor eine Rolle bei den Bemühungen, Familien zu unterstützen und zu entlasten (ebd., 92). Die Unterstützung von Kindern und Familien wurzelt in zwei Traditionslinien. Erstens der natalistischen („nataliste“), die eine hohe Geburtenrate fördern soll, weil Kinder den Wohlstand und die Zukunft einer Nation sichern und zweitens der familialistischen („familialiste“), deren Ziel die Umverteilung des Vermögens zwischen Familien mit und ohne Kindern darstellt. Der Lastenausgleich, der sich an den Kosten für das Großziehen eines Kindes bemisst, ist das wichtigste Instrument der französischen Kinder- und Familienförderung (ebd., 100f.). Frankreich hatte in den vergangenen Jahren mit bis zu 1,94 Kindern pro Frau bereits eine hohe Geburtenrate im europäischen Vergleich. Im Jahr 2007 hat 135
sich Frankreich mit einer Geburtenrate von 2,07 (diese Zahl wurde am 16.1.2007 von INSEE herausgegeben) Kindern pro Frau wieder an die europäische Spitze gesetzt. Diese Quote wurde seit 1981 nicht mehr erreicht und bedeutet einen Anstieg um 2,9% im Vergleich zum Vorjahr. Premierminister Dominique de Villepin sieht dies als Bestätigung seiner erfolgreichen Familienpolitik (Wiegel, FAZ.net. 17.1.2007). Die hohe Geburtenrate ist nicht nur in den gut ausgebauten Kinderbetreuungsangeboten begründet. Für Frauen in Frankreich ist die Ausübung einer Erwerbstätigkeit normal, für den negativ konnotierten deutschen Begriff „Rabenmutter“ gibt es in der französischen Sprache keine Übersetzung. Mütter entwickeln durch die Selbstverständlichkeit der Berufstätigkeit kein schlechtes Gewissen ihren Kindern gegenüber, ebenso misstrauen sie nicht den Betreuungseinrichtungen, was dazu führt, dass 80% der französischen Frauen mit einem oder mehr Kindern einer Erwerbstätigkeit nachgehen und diese im Durchschnitt bereits drei Monate nach der Geburt wieder aufnehmen (Kohl, FR 19.04.2006). Bevor nun die einzelnen Formen der französischen Kinderbetreuung vorgestellt werden, gibt Tabelle 23 einen ersten Überblick. Tabelle 23: Nicht-elterliche Kinderbetreuungsformen in Frankreich Öffentlich
Entlohnt
Privat
Kollektiv
Individuell
Kollektiv
individuell
Crèches École maternelle Sonstiges
Crèches familiale
Private Betreuungseinrichtungen
Assistante maternelle âgée (AMA) nourrices Sonstiges Soziale Netzwerke
Nicht Evtl. Freiwillige/Ehrenamt entlohnt Quelle: Becker 2000, 226
Spielgruppe
Die französische „crèche“ entspricht begrifflich der deutschen Krippe, ist aber tatsächlich wesentlich umfangreicher zu verstehen. Die Gemeinsamkeit der verschiedenen „crèches“ ist, dass sie Kinder zwischen zwei Monaten und drei Jahren ganztätig aufnehmen (Becker 2000, 226). Die „crèches traditionelles“ haben öffentliche Träger, durchschnittlich 50 Kinder werden in eigenen Gebäuden betreut. Die „mini-crèches“, ebenfalls öffentlich, betreuen in meist angemieteten Räumen durchschnittlich 20 Kinder. Die „crèches parentales“ werden öffentlich bezuschusst, aber von Elternvereinigungen betrieben. Betreut wird in kleinen Gruppen, wobei eine Beteiligung der Eltern an der Betreuung charakteristisch ist. Zuletzt die „crèches familiales“: Der Begriff „crèche“ ist hier irreführend, da es 136
sich um eine individuelle Betreuung durch eine speziell ausgebildete Tagesmutter handelt (AMA), welche die Kinder tagsüber in ihrer eigenen Wohnung betreut (ebd., 227). Bereits seit Mitte der 1980er Jahre förderte der Staat nicht zuletzt aus Kostengründen die private Betreuung von Kindern anstelle von staatlicher Krippenbetreuung der unter 3-Jährigen. Dadurch wurde die Inanspruchnahme einer Tagesmutter gerade für die Mittelschicht zu einem beliebten Betreuungsmodell berufstätiger Eltern. Die 3- bis unter 6-Jährigen Kinder werden in Frankreich durch die „école maternelle“ bis zum Beginn der Schulpflicht betreut. Obwohl diese einen voll integrierten Teil des Bildungssystems darstellt (aufgrund der Trägerschaft durch das Bildungsministerium), ist der Besuch nicht verpflichtend, da er aber andererseits kostenlos ist, wird sie von fast allen 3- bis 6-Jährigen regelmäßig besucht. Die Betreuung ist ganztägig und schließt ein Mittagessen ein (ebd., 228). Eine alternative Betreuungseinrichtung ist die „halte-garderie“ (Kinderkrippe), die sich aus öffentlichen Mitteln und Elternbeiträgen finanziert und Kinder von zwei Monaten bis sechs Jahren betreut, allerdings nicht dauerhaft ganztägig (ebd., 230). In der nachfolgenden Tabelle 24 wird ein Überblick über die prozentuale Nutzung der Kinderbetreuungseinrichtungen in Doppelverdiener Haushalten gegeben, während Tabelle 25 die Nutzung der Kinderbetreuung nach Alter der Kinder differenziert darstellt. Tabelle 24: Staatlich subventionierte Kinderbetreuungs-Arrangements für Kinder unter drei Jahren im Doppelverdiener Haushalt % Öffentliche Einrichtungen Crèches Kindergarten/Vorschule* Individuelle Kinderbetreuungs-Arrangements Registrierte Tagesmütter (oder –väter) Mutter oder Vater beziehen Elterngeld oder andere Erziehungsbeihilfen Betreuung zu Hause (durch Dritte (Tagesmutter)), finanziert durch Beihilfen zur Kinderbetreuung Total (N= 1.590.000)
15 16 29 38 2
*
einige Kinder, die in die Vorschule gehen, haben evtl. eine Mutter, die nicht erwerbstätig ist und sich voll der Kinderbetreuung widmet
Quelle: Fagnani/Letablier 2005, 144
137
Der Anteil der Kinder unter drei Jahren, die Betreuungseinrichtungen nutzen, betrug im Jahr 1998 lediglich 29%, während 99% der Kinder zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter in Betreuungseinrichtungen untergebracht waren (vgl. Tab. 25). Tabelle 25: Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen und Erwerbsquote von Müttern in (Frankreich) Anteil der Kinder, die (private u. öffent- Nachrichtlich: Erwerbstätigenquoliche) Kinderbetreuungseinrichtungen te von Müttern mit Kindern unter nutzen (1998) sechs Jahren (1999) Kinder Kinder zw. drei Jahren u. unter drei schulpflichtigem Alter Jahren 29% 99% 56,2% Quelle: Gerhard/Knijn/Weckwert 2003b, 215 In einer aktuellen Veröffentlichung heißt es, Kinder unter drei Jahren werden zu 64% von den Eltern betreut. 18% der Kinder unter drei Jahren werden bei einer Tagesmutter, 8% in Krippen, 4% von den Großeltern und 6% in anderen Betreuungsarrangements betreut (BMFSFJ 2008). Somit wird der Großteil der Kinder (68%) unter drei Jahren privat betreut, nur 32% sind in öffentlichen Betreuungseinrichtungen untergebracht. In dem Bericht der EU-Kommission zur Umsetzung der Barcelona-Ziele heißt es, das Ziel der 33%igen Versorgung der unter 3-Jährigen sei in Frankreich annähernd erreicht, während das Ziel der 90%igen Versorgung der Kinder zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter (bis 2010) bereits übertroffen wurde (Europäische Kommission 2008b, 6), was tendenziell mit den vorgestellten Zahlen übereinstimmt. Nach dem Fünfjahresplan „Kleinkinder“, den die Regierung 2006 beschlossen hat, sollen die öffentlichen Betreuungsangebote weiter ausgebaut werden. Bereits zurzeit zahlt der Staat im Rahmen der Betreuungsbeihilfe einen Teil der außerfamiliären Betreuung, der in seiner Höhe vom Alter und der Anzahl der Kinder sowie dem Familieneinkommen abhängt (BMFSFJ 2008). Kritisiert wird aber vor allem die Qualität der öffentlichen Kinderbetreuung. Seit 2003 gibt es zwar verlängerte Öffnungszeiten der crèches, aber immer noch sehr wenige sind bspw. von 5 bis 22 Uhr geöffnet sind (Exp. 2.2.1, Abs. 155). Eltern, die keine gewöhnlichen Arbeitszeiten haben, sondern bspw. in Schicht arbeiten, müssen private Kinderbetreuung nutzen. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze fand hier zum größten Teil in Teilzeitarbeitsplätzen statt, weshalb gerade 138
Frauen in Dienstleistungsberufen und Teilzeitarbeit mit „unnormalen“ Arbeitszeiten auf eine flexible Betreuung angewiesen sind und besonders unter diesem Defizit leiden, vor allem, weil Kinderbetreuung außerhalb der Regelzeiten privat finanziert werden muss (allerdings vom Staat subventioniert wird). Durch die steigende Zahl an erwerbstätigen Frauen verschärft sich die Betreuungssituation zunehmend. Generell ist diese in Frankreich aber laut Expertin 2.2.1 zufriedenstellend. Es gibt ein gutes Angebot an subventionierter öffentlicher und privater Betreuung. Das Problem ist allerdings, dass dieses Angebot sehr ungleich im Land verteilt ist, d. h. im Großraum Paris, der Region Île-de-France, das Angebot nicht ausreichend ist, ebenso wie in sehr dünn besiedelten, ländlichen Gebieten, wohingegen das Angebot in Städten mittlerer Größe als sehr gut und ausreichend eingeschätzt wird (Exp. 2.2.1, Abs. 159 & 161 / Exp. 2.3.1, Abs. 35). Kinderbetreuungseinrichtungen in Unternehmen bleiben allerdings Einzelfälle, die Unternehmensleitungen sehen gerade aufgrund der umfangreichen öffentlichen und privaten Betreuungsangebote keinen Handlungsbedarf und können eine solche unternehmensinterne Einrichtung nicht als Unternehmensvorteil aufgrund der stärkeren Anbindung von Eltern an das Unternehmen erkennen. Expertin 2.3.1 der Unternehmens-Ebene bestätigt, dass es nur sehr wenige unternehmensinterne oder –eigene Kinderbetreuungseinrichtungen gibt. Da das Unternehmen der Expertin 2.3.1 allerdings viele junge ArbeitnehmerInnen im Alter von 30-35 Jahren beschäftigt, von denen viele Kinder haben, hat das Unternehmen einen Anreiz für diese ArbeitnehmerInnen geschaffen und sich als Arbeitgeber attraktiv positioniert, indem im Jahr 2005 zusammen mit einem Automobilunternehmen eine Kinderbetreuung für die Kinder der Angestellten geschaffen wurde (Exp. 2.3.1, Abs. 39 & 67). Das Management und die Infrastruktur der Kinderbetreuung werden von einem Unternehmen koordiniert, das auf Kinderbetreuungseinrichtungen spezialisiert ist (Le Petit Chaperon Rouge). Kinder von 0-4 Jahren können dort regulär untergebracht werden. Im Alter von fünf bis sechs Jahren werden Kinder im Notfall betreut, bei Krankheit der Tagesmutter o. ä. Diese unternehmensinterne Kinderbetreuung ist für die ArbeitnehmerInnen aber nicht billiger als die öffentlichen Einrichtungen und wird nicht subventioniert, da es vornehmlich um die Bereitstellung zusätzlicher Betreuungsplätze geht. Die Preise für die Betreuung variieren, da diese sich als prozentualer Anteil des Einkommens berechnen. Das Unternehmen hingegen hat nach einem neuen Gesetz von 2004 erhebliche Steuervorteile und bekommt für die Einrichtung Subventionen von der Institution CNAF (ebd., Abs. 53, 69 & 73). In Frankreich ist die Entwicklung der Kinderbetreuung zweigleisig. Einerseits gibt es Initiativen auf Politik-Ebene und Maßnahmen auf UnternehmensEbene, um das vor allem im Großraum Paris nicht ausreichende Angebot an Kinderbetreuung zu vergrößern und die Öffnungszeiten flexibler zu gestalten, 139
andererseits ist mit der Einführung des Erziehungsgeldes im Jahr 2004 ein Schritt unternommen worden, der durch die private Betreuung nicht nur Kinderbetreuungsplätze freisetzt, sondern auch größtenteils Frauen durch finanzielle Anreize zu einer längeren Erziehungspause animiert. So wirken einige Maßnahmen zugunsten der weiblichen Erwerbstätigkeit, während andere diese negativ beeinflussen. Um die Auswirkungen der Kinderbetreuungsangebote auf die weibliche Erwerbstätigkeit zu bestimmen, ist zunächst die Betrachtung der weiblichen Erwerbsquote erforderlich (vgl. Tab. 26). Wie bereits festgestellt, soll die Beschäftigungsquote der Frauen EU-weit bis zum Jahr 2010 auf 60% angehoben werden, wobei dies zuerst in Großbritannien und Schweden erreicht wurde (Behning 2004, 131). Aber auch Frankreich konnte im Jahr 2007 erstmals den angestrebten Wert der weiblichen Erwerbsquote von 60% vorweisen wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich wird. Tabelle 26: Beschäftigungsquote in % (Frankreich)
EU 27 EU 15 FR EU 27 EU 15 FR
1998
2000
2001
2002 2003 Insgesamt
2004
2005
2006
2007
61.2
62.2
62.8
62.4
62.6
63.0
63.6
64.5
65.4
61.4
63.4
64.1
64.2
64.5
64.8
65.4
66.2
67.0
60.2
62.1
62.8
63.0 64.0 Männer
63.7
63.9
63.8
64.6
70.3
70.8
70.9
70.4
70.3
70.4
70.8
71.7
72.5
71.2
72.8
73.1
72.8
72.7
72.7
73.0
73.6
74.2
67.4
69.2
69.7
69.5 69.9 Frauen
69.4
69.3
69.0
69.3
54.3
54.4
54.9
55.5
56.3
57.3
58.3
55.0
55.6
56.2
57.0
57.8
58.8
59.7
56.0
56.7
58.2
58.2
58.5
58.8
60.0
EU 52.0 53.7 27 EU 51.6 54.1 15 FR 53.1 55.2 Quelle: Eurostat 2008e
140
Aus Tabelle 27 ist eine Abnahme der weiblichen Arbeitslosenquote seit 2004 ersichtlich. Grund können die Regelungen zur Vereinfachung von Familie und Beruf, eine Ausweitung des Kinderbetreuungsangebots oder aber die Einführung des Erziehungsgeldes für häusliche Betreuung sein, da Frauen, welche dieses in Anspruch nehmen, aus der Arbeitslosenstatistik herausgerechnet werden und somit ein falscher Trend suggeriert werden kann. Die Beschäftigungsquote im VZÄ (vgl. Tab. 28) ist mit 45,4% im Jahr 1998 (neuere vergleichende Länderdaten sind hier leider nicht verfügbar) geringer als die allgemeine Beschäftigungsquote von 53,1% im Jahr 1998 (vgl. Tab. 26), wobei die Differenz beider Quoten in Frankreich am geringsten ausfällt (im Vergleich mit Großbritannien und Schweden). Dies spricht für ein vergleichsweise hohes Arbeitsvolumen von Frauen, wobei die Entwicklung hin zu mehr Teilzeitbeschäftigung geht. Tabelle 27: Arbeitslosenquote in % (Frankreich) 1998 2000 2001 2002 2003 2004 Insgesamt EU 27 EU 15 FR EU 27 EU 15 FR EU 27 EU 15 FR
2005
2006
2007
n. v.
8.7
8.5
8.9
9.0
9.0
8.9
8.2
7.1
9.3
7.7
7.2
7.6
7.9
8.1
8.1
7.7
7.0
11.0
9.0
8.3
8.6 9.0 Männer
9.3
9.2
9.2
8.3
n. v.
7.8
7.7
8.3
8.4
8.5
8.3
7.6
6.6
8.2
6.7
6.4
6.9
7.3
7.4
7.5
7.1
6.4
9.4
7.5
7.0
7.7 8.1 Frauen
8.4
8.4
8.5
7.8
n. v.
9.8
9.4
9.7
9.7
9.8
9.6
8.9
7.8
10.7
8.9
8.3
8.5
8.7
8.9
8.9
8.5
7.8
12.8
10.8
9.9
9.7
10.0
10.3
10.2
10.1
8.9
n. v. = nicht verfügbar
Quelle: Eurostat 2008f
141
Tabelle 28: Beschäftigungsquoten in Vollzeitäquivalenten 1998 (in %) (FR) Insgesamt EU 15 55,7 FR 57,4 Quelle: Bosch 2002, 214.
Männer 70,8 69,9
Frauen 40,7 45,4
Differenz 30,1 24,5
In Frankreich stieg die Zahl der erwerbstätigen Frauen von 6,5 Mio. 1962 bis über 11 Mio. im Jahre 1989. Bei den Männern konnte im gleichen Zeitraum nur ein Anstieg um 1 Mio. beobachtet werden. Anders als vermutet, „it has not been part-time work which enabled women to force open the doors of employment. It is in the area of full-time work that they have invaded the labour market“ (Maruani 1997, 70). Es war also nicht der Sektor der Teilzeiterwerbstätigkeit, in den die Frauen vorgedrungen sind, sondern der der Vollzeiterwerbstätigkeit. Tabelle 29: Altersspezifische weibliche Erwerbsquoten (FR) 1965-1997 (in %) Alter Jahr
1519
2024
2529
3034
3539
4044
4549
5054
5559
6064
1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 1997
35,1 27,3 23 18,2 12,6 8,1 4,4 4,3
63,4 63,8 65,7 67 66 57,6 46,9 44,9
48,9 54,8 63,3 69,5 74,2 77,7 78,9 77,7
38,7 48,2 58 65,3 71,1 74,6 78,4 77
42,2 45,7 55,3 63 70,9 73,1 77,6 77,7
46,6 48,4 54,2 60,7 70,3 75,4 79,4 80,3
46,9 50 54,1 57,7 65,9 69,1 77,1 78,1
47,9 49,1 51,5 54,3 57,8 62,7 69,9 72,1
44,4 45,8 43,3 46,8 42,8 45,3 48,5 50
35,7 33,7 29,3 27,1 18,9 17 14,4 14,4
Quelle: Becker 2000, 312 Die hohe Zahl der Frauen in Teilzeitarbeit entwickelte sich erst im Laufe der 1980er Jahre aufgrund von höheren Arbeitslosenzahlen und Arbeitsplatzkürzungen (ebd.). Es liegt zudem eine große Spreizung der Altersgruppen 20 bis 24 und 55 bis 59 Jahre vor (vgl. Tab. 29). In den mittleren Altersgruppen ist ein durchschnittlicher Anstieg von 32% zwischen 1965 und 1995 zu erkennen. Die größte Differenz findet sich dabei in der Altersgruppe der 30- bis 34-Jährigen, deren Erwerbsbeteiligung sich im Verlauf von ca. 30 Jahren am stärksten verändert hat. Die Phase aktiver Erwerbsbeteiligung liegt zunehmend zwischen dem 25. und 54. Lebensjahr (Becker 2000, 265). Es fällt auf, dass die Erwerbsquoten bei den 25-Jährigen und Älteren von 1975 bis 1997 stetig anstieg. Die Quote bei den un142
ter 25-Jährigen und über 60-Jährigen fiel hingegen, was an der besseren Ausbildung von Frauen liegen kann, die nun später in den Beruf einsteigen sowie an einem System der Alterssicherung, in dem Kindererziehungszeiten angerechnet werden, was einen frühen Austritt aus dem Erwerbsleben ermöglicht. Interessant ist bei der Entwicklung des Arbeitsmarktes der steigende Anteil der Teilzeiterwerbstätigkeit an der Gesamtbeschäftigung der Männer (vgl. Tab. 30), während dieser Anteil bei den Frauen sogar leicht zurückgegangen ist. Dies ist z. T. der fortschreitenden Tertiarisierung geschuldet, denn neue Arbeitsplätze entstehen zu einem Großteil in Teilzeit, was typisch männliche Arbeitsplätze nun auch stärker betrifft als in den vergangenen Jahren. Natürlich muss diese Entwicklung bezogen auf die positive Tendenz für Frauen insofern relativiert werden, als dass die Teilzeitbeschäftigung bei diesen auf einem sehr viel höheren Niveau verbleibt. Die leichte Abnahme könnte außerdem für ein Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt eines Teils von Frauen aufgrund von vorzeitiger Rente oder Erziehungsurlaub sprechen, die vorher in Teilzeit beschäftigt waren. Tabelle 30: Anteil der Teilzeitbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung und geschlechtsspezifische Unterschiede in % (FR) 2000
2007
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Geschlechtsspezifischer Unterschied 2000 2007
EU 27
5,9
28,7
6,9
30,7
-22,8
-23,8
FR
5,2
30,9
5,5
30,2
-25,7
-24,7
Anmerkung: Teilzeitbeschäftigte als Anteil an allen beschäftigten Personen in der Altersgruppe 15-64.
Quelle: Eurostat 2008g In Frankreich befinden sich Arbeitslose, Frauen und Jugendliche größtenteils in einem Bereich des Beschäftigungssystems, der aufgrund der zahlreichen Deregulierungen im Bereich der prekären Beschäftigung von Seiten der ArbeitgeberInnen ohne großen finanziellen Aufwand ausgedehnt oder verengt werden kann (Steinhilber 1997, 103). Teilzeitarbeit wird in erster Linie mit Frauen in Verbindung gebracht, was durch die oben angeführte Datenlage auch begründet ist und keine andere Form von Arbeitsverhältnissen ist in diesem Maße geschlechterabhängig (Maruani 1997, 73). Trotzdem sind teilzeitbeschäftigte Frauen in Frankreich nicht so hohen sozialen Risiken ausgesetzt wie bspw. in Großbritannien, da Teilzeitbeschäftigte mit mehr als 40% der allgemeinen Arbeitszeit in die Systeme sozialer Sicherung integriert sind (Schunter-Kleemann 1996, 175). 143
In Frankreich wurde mit der Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse, also solchen, die von den Normalarbeitsverhältnissen abweichen, auch im Bereich der Arbeitszeitpolitik eine Neuerung erforderlich. Der Großteil der befristeten Beschäftigungsverhältnisse, die sich in Frankreich zur dominierenden Form der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes entwickelten (contrat à durée déterminé (CDD) und contrats emploi-solidarité (CES)), entstanden im Handel und im Dienstleistungsgewerbe (Steinhilber 1997, 100). Die Leiharbeit (travail intérim) liegt quantitativ hinter der befristeten Beschäftigung und ist hauptsächlich in der Bauindustrie zu finden (ebd., 101). Im Jahr 1982 wurde die Einschränkung der missbräuchlichen Praktiken von atypischen Arbeitsformen eingeleitet, denn die Angleichung des (vergleichbaren) rechtlichen Status von Teilzeit- und VollzeitarbeitnehmerInnen wurde mit der Verordnung vom 26.3.1982 garantiert (Schunter-Kleemann 1992, 199). Die kurz nach der Regierungsübernahme durch die Sozialisten verabschiedeten Regelungen von 1982 hatten explizit und vornehmlich zum Ziel, die mit Teilzeit verbundenen hohen, sozialen Risiken für Frauen zu mindern (ebd.), denn es waren und sind immer noch hauptsächlich Frauen, die eine Teilzeiterwerbstätigkeit ausüben (zum Zeitpunkt der Regelung zur Teilzeitarbeit betrug die Quote der Teilzeiterwerbstätigen 37,3% der jungen Frauen in der Altersgruppe von 15-19 Jahren). Aufgrund der hohen Quote an teilzeiterwerbstätigen Frauen steckt hier noch Verbesserungspotential bzw. weibliches Humankapital, das noch nicht in vollem Umfang nutzbar gemacht wurde und sowohl für das Individuum als auch für den Staat verloren ist. Ein Anfang ist die Unterstützung von Berufsrückkehrerinnen durch die Organisation „Retravailler“ (Exp. 2.1.1.1, Abs. 89). Neben dem Alter und externen Effekten wie der generellen wirtschaftlichen Lage eines Landes oder Arbeitsmarktes als speziellem Teil davon, hat auch das Vorhandensein von Kindern einen direkten Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Frankreich. Wie in Tabelle 31 deutlich wird, gibt es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Kinder und der Erwerbsquote von Frauen in Voll- und Teilzeitarbeit. Während die Quote der Frauen ohne Kinder in Vollzeit 51,4% im Jahr 2002 betrug, sinkt diese Quote mit zunehmender Kinderanzahl, ist zwar wieder höher, wenn die Kinder älter als drei Jahre sind, nimmt aber auch da wieder mit Anzahl der Kinder ab. Umgekehrt ist es bei Erwerbstätigkeit in Teilzeit. Diese Quote stieg insgesamt von 1990 bis 2002 an, d. h. der Anteil der Teilzeitbeschäftigung (von Frauen und Männern) an der Beschäftigung insgesamt nimmt zu. Mit zunehmender Kinderanzahl steigt die Teilzeitbeschäftigung zusätzlich, nur bei drei oder mehr Kindern sinkt diese, wahrscheinlich, weil viele Mütter mit drei oder mehr Kindern aufgrund der Problematik bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz auf eine Erwerbstätigkeit verzichten (müssen).
144
Tabelle 31: Vergleich von in Partnerschaft lebenden Voll- oder Teilzeit arbeitenden Frauen von 1990-2002 % der Frauen in… Vollzeit Teilzeit 1990 2002 1990 2002 In Partnerschaft lebend Keine Kinder 49,4 51,4 12,3 16,5 1 Kind unter 3 Jahren 51,1 52,1 14,1 17,2 2 Kinder, 1 unter 3 Jahren 38,6 27,4 15,5 22,0 3 oder mehr Kinder, 1 Kind unter 3 16,5 15,5 8,0 14,1 Jahren 1 Kind über 3 Jahren 52,3 51,7 14,2 22,5 2 Kinder über 3 Jahren 47,1 47,3 19,3 28,3 3 oder mehr Kinder über 3 Jahren 24,1 28,7 16,9 26,8 Frauen gesamt (15-59 Jahre) 47,5 47,9 14,1 20,0 Quelle: Fagnani/Letablier 2005, 144 Die aktuelleren, nach Kinderanzahl differenzierten, Erwerbsquoten bestätigen die oben beschriebene Korrelation von Erwerbstätigkeit und Anzahl der Kinder auch für die Gegenwart (vgl. Tab. 32). Es handelt sich bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf also eindeutig um ein strukturelles Problem. Interessant ist die Tatsache, dass die Erwerbsquote der Frauen mit einem Kind unter drei Jahren höher ist als die der Frauen ohne Kinder. Ein Grund hierfür kann sein, dass Schülerinnen und Studentinnen noch nicht in das Berufsleben eingetreten sind und hier der Anteil der Mütter kleiner ist, somit die Quote durch diese Gruppe verringert wird und die Gruppe der Mütter im Durchschnitt älter ist und deshalb beruflich aktiv oder weil aufgrund der Geburt des Kindes die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen, plötzlich in den Vordergrund tritt. Tabelle 32: Erwerbstätigkeit der Mütter nach Kinderanzahl und Kindesalter Anzahl der Kinder ohne Kind 1 Kind unter 3 Jahren 2 Kinder, 1 unter 3 Jahren 3 Kinder, 1 unter 3 Jahren 1 Kind über 3 Jahren 2 Kinder über 3 Jahren 3 Kinder über 3 Jahren Quelle: BMFSFJ 2008
Erwerbsquote 75% 81% 60% 37% 82% 86% 72% 145
3.4 Frauen in Führungspositionen Der französische Kapitalismus wurde aufgrund seines umfassenden Staatssektors als gelenkte Marktwirtschaft verstanden, allerdings entwickelte sich diese in den letzten 20 Jahren in einen Shareholder getriebenen Marktkapitalismus. Die Wirtschaftskultur ist nicht nur durch Zentralismus, Dirigismus und Protektionismus geprägt, sondern auch von einer männlich dominierten Führungselite, die bis auf wenige Ausnahmen aus der französischen Oberschicht stammt. Die Elitebildung ist in Frankreich stark institutionalisiert, eine wichtige Rolle spielen die staatlich hoch subventionierten „Grandes École“ (Schunter-Kleemann 2007, 52). Annähernd zwei Drittel der „Président Directeur Général“ (PDG) sind so Absolventen einer der drei Eliteschulen École Nationale d`Administration (ENA), École Polytechnique und der privaten École des Hautes Études Commerciales (HEC), wobei die beiden ersten mit nur ca. 500 Absolventen pro Jahr jede zweite SpitzenmanagerIn in Frankreich stellen. Die HEC ist die einzige Eliteschule, in welcher der Frauenanteil unter den Studierenden fast paritätisch ist, in den anderen beiden liegt dieser Anteil bei ungefähr 20%. Der hohe Frauenanteil führte für die HEC zu erheblichen Bedeutungsverlusten in der Wirtschaft, so stammen nur ca. 8% der SpitzenmanagerInnen aus dieser Eliteschule. Diese Zahlen sprechen für die These, dass eine Feminisierung von Branchen, Arbeitsfeldern, Tätigkeiten oder wie hier Institutionen mit Statusverlusten für diese verbunden sind, sobald die Feminisierung eines Bereiches eine kritische Marke überschreitet, die allerdings keinen eindeutigen Wert hat. Frauen bleiben so die Ausnahme in Spitzenpositionen und müssen sich, um beruflichen Erfolg zu erreichen und hohe Stellungen in der Gesellschaft einzunehmen, einen männlichen Führungs- und Lebensstil aneignen. „Denn nicht nur die Leistung, sondern auch die Fähigkeit den kulturellen Lebensstil der `classes dominantes´ zu beherrschen, entscheidet letztlich über den Einstieg in gesellschaftliche Machtpositionen“ (ebd., 53). Die französische Wirtschaftselite ist eine relativ abgeschlossene Gesellschaft, in der Frauen traditionell keinen Zugang finden. Das Glass Ceiling - Phänomen wird auch daran deutlich, dass seit der Öffnung der École Polytechnique für weibliche Studenten 1972 (200 Jahre nach ihrer Gründung) der Anteil an weiblichen Managern in Frankreich gestiegen ist, diese aber meist nur eine Position im mittleren Management einnehmen. Auch deutlich wird dies durch die Tatsache, dass die Generaldirektoren der 200 größten Unternehmen zu 60% aus so genannten „Fallschirmspringern“ bestehen, also solchen ManagerInnen, die sich nicht innerhalb eines Unternehmens nach oben arbeiten, sondern bereits kurz nach ihrem Eintritt in das Spitzenmanagement berufen werden. Außerdem besetzte in 2007 nur eine Frau die Position eines PDG (ebd., 54).
146
Im Jahr 2005 betrug der Anteil an weiblichen Managern an den Managern insgesamt 37,1% und überstieg damit den EU-25-Durchschnitt von 32,1% (Eurostat 2006a). Im Jahr 2006 lag der Anteil der weiblichen Manager an den Managern insgesamt bei 38,5% (Europäische Kommission 2008a), was eine Steigerung zum Vorjahr bedeutet. Trotzdem ist dieser Wert noch weit von einer paritätischen Teilhabe von Frauen an Führungspositionen entfernt. Der Wert hier ist zwar höher als in den anderen verglichenen Ländern, aber auch bei diesem fließen alle Positionen in die Rechnung mit ein, d. h. es wird aus diesem Wert nicht erkenntlich, wie viele Frauen Positionen des unteren, mittleren oder oberen Managementlevels bekleiden, wobei auch die Aussagen der Expertinnen dafür sprechen, dass es sich hier überwiegend um untere Führungspositionen handelt. Die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen stellt insofern eine widersprüchliche Entwicklung dar, als dass Frauen bzw. Mädchen in der Schule häufiger qualifizierte Abschlüsse erwerben und dort mindestens paritätisch vertreten sind. Das Glass Ceiling wird nur in Ausnahmen wie bspw. dem typisch weiblich dominierten Human Ressource Bereich durchbrochen (Exp. 2.1.1.1, Abs. 160 & 162). Nach Ansicht der Expertin 2.2.1 gelangen nur wenige Frauen in Führungspositionen, weil immer noch Männer die hohen Positionen besetzen. Aber auch Frauen in hohen Positionen bevorzugen wiederum Frauen (Exp. 2.2.1, Abs. 137), d. h. sie machen sich männlich konnotierte Handlungsmuster zu Eigen oder entwickeln diese aufgrund der Position neu. Die Expertin auf Unternehmens-Ebene 2.3.1 erzählt am Beispiel ihres Unternehmens, dass dort ein Bericht über Karrieren von Frauen und Männern verfasst wurde, um den Status quo hinsichtlich der Erwerbspopulation von 9.600 MitarbeiterInnen zu kennen, wodurch das Glass Ceiling nicht nur identifiziert, sondern auch quantifiziert werden konnte. 2007 waren Frauen zu 25% im mittleren und 13% im höheren Management vertreten (Exp. 2.3.1, Abs. 101 & 105). Es gibt keinen konkreten Aktionsplan oder Zielsetzungen zur Erhöhung des Frauenanteils an ManagerInnen, aber um die ungleiche Verteilung von Führungspositionen zugunsten des Frauenanteils zu verändern, wurde das Career Committee eingeführt, welches einmal pro Monat über die Neubesetzung von Stellen berät. Zuerst waren in diesem Career Committee nur Männer vertreten, mittlerweile sind es aber einige Frauen, was insofern wichtig ist, als dass bei der Beratung über die Neubesetzung von Stellen eine gewisse kritische Masse von Frauen mit Stimmrecht viel zur Frauenförderung eines Unternehmens beitragen kann (ebd., Abs. 113 & 117). Abgesehen von den oben angeführten Eliteschmieden wird in Frankreich, wie auch in anderen europäischen Ländern sowie den USA, eine zunehmende Individualisierung der Arbeitsprozesse beobachtet, die wiederum einer hohen Mobilität und Flexibilität der ArbeitnehmerInnen bedarf. Diese Anforderungen 147
sind gerade für Frauen, die Reproduktionsarbeit leisten, schwieriger zu bewältigen als für Männer, welche die hohe Flexibilität zu ihrem Vorteil nutzen können, denn Karrieren entstehen heute immer seltener in einem Unternehmen, typisch sind diskontinuierliche Berufsverläufe mit häufigem Wechsel der ArbeitgeberInnen. ArbeitnehmerInnen müssen hier zu Ich-Unternehmen werden und entlang nicht-linearer Berufsverläufe die richtigen Entscheidungen bezüglich Fortbildung und Unternehmenswechsel treffen. „Da er25 sich jedoch dabei nicht mehr auf kollektive Regelungssysteme stützen kann, wird er anfälliger und verwundbarer“ (Castel 2005, 60f.). Castel hat dies ohne Bezug auf den Geschlechteraspekt formuliert, wobei er darauf hinweist, dass es Gewinner und Verlierer dieser Flexibilisierungstendenzen gibt. Es ist eindeutig, dass die Schwierigkeit von Flexibilität und Mobilität Frauen stärker betrifft als Männer und deshalb die Mehrheit der Frauen als Verlierer der Individualisierung und Flexibilisierung zu betrachten ist. Auch von den französischen Expertinnen wird das Glass Ceiling als reales Problem erkannt, welches dadurch hervorgerufen und verstärkt wird, dass hauptsächlich Männer in Personalverantwortung und somit für die Einstellung von Frauen verantwortlich sind. Diese bevorzugen aber größtenteils wiederum Männer, wobei auch Frauen die (Macht-)Position nutzen, wenn sie in diese gelangen und sich ebenso häufiger für Frauen entscheiden. Die Homo-Sozialität wird also bei beiden Geschlechtern registriert, allerdings ist die männliche alltäglicher, die weibliche eher Ausnahme, nicht zuletzt aufgrund der kritisch betrachteten ungleichen Struktur der Erwerbspopulation. Die empirischen Erkenntnisse stimmen auch hier mit denen aus der Sekundärliteratur überein, Frauen gelangen weniger häufig in Führungspositionen, obwohl sie nach dem Schulabschluss die größere Masse an qualifiziertem Human Kapital bilden. Dies spricht für die These, dass im Laufe der Erwerbsbiografie Ausschlussmechanismen – wie eine männliche Eliteförderung – wirken, welche Grund für die stetig wachsende Ungleichverteilung und geschlechtsspezifische Segregation (horizontal sowie vertikal) ist. Konkrete Problemlösungsstrategien werden von den hier befragten Expertinnen nicht vorgegeben, allerdings ist das im Unternehmen eingesetzte Karriere Komitee ein erster Schritt, um bei den Personalverantwortlichen eine geschlechtersensible Sichtweise herzustellen. Dem Mentoring wird von den französischen Expertinnen keine große Rolle in seiner Funktion zur Förderung weiblicher High Potentials zugesprochen und nicht weiter thematisiert, allerdings existieren Frauennetzwerke in der Region Île-de-France, z. B. von weiblichen Ingenieuren (Exp. 2.1.1.1, Abs. 164).
25
Damit ist hier der Arbeitnehmer gemeint.
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3.5 Gender Pay Gap Bereits vor der Einführung des Art. 119 EWGV und der Richtlinie 75/117 zur Entgeltgleichheit wurde in Frankreich in dieser Hinsicht einiges für die Gleichstellung von Mann und Frau getan. Die Verfassung von 1946 bis 1958 sicherte Frauen bereits nach dem Zweiten Weltkrieg gleiche Rechte auf allen Gebieten zu und das „salaire féminin“ (das weibliche Gehalt) wurde durch den Erlass vom 30.7.1946 abgeschafft, wodurch eine vorher legitime Möglichkeit der Ungleichbehandlung hinsichtlich des Entgelts eliminiert wurde. Nach dem Gesetz vom 11.2.1950 wurden die Sozialpartner dazu verpflichtet, den Grundsatz der Entgeltgleichheit bei gleicher Arbeit in Tarifverträgen einzuhalten. Aus dieser Verpflichtung gleiches Entgelt für gleiche Arbeit zu zahlen ist der heutige Art. L. 133-5 n° 4 d) CT (Code du Travail) geworden (Krämer 1996, 7). In Art. L. 140-2 CT wird dies ausdrücklich garantiert und nach Art. L. 140-3 CT müssen alle Kriterien zur Berechnung des Entgelts geschlechterneutral gefasst sein (ebd., 8). Um die Einhaltung der Richtlinie zur Entgeltgleichheit zu gewährleisten, wurde in Frankreich die Einrichtung des „Inspecteur du travail“ geschaffen. Dieser überprüft die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des CT und kann bei Verstößen gegen die jeweiligen ArbeitgeberInnen vorgehen, welche wiederum die Anschuldigungen des Inspecteur widerlegen müssen, da ansonsten von deren Richtigkeit ausgegangen wird. Der Inspecteur darf bei seinen Nachforschungen innerhalb des Betriebs nicht behindert werden (Hantrais 1993, 207). Seine Kontrollmöglichkeiten zur Überprüfung der Berechnungskriterien des Entgelts nach ihrer Geschlechterneutralität und Diskriminierungsfreiheit werden als umfassend angesehen. Trotzdem haben diese in der Praxis wenig Relevanz, da die Einstufungssysteme in Tarifverträgen nur die Mindestbedingungen des Entgelts festlegen und ArbeitgeberInnen zudem nach einzelvertraglichen Vereinbarungen mit den ArbeitnehmerInnen zahlen können (ebd., 208). Die EU-Bestimmung zur Umkehr der Beweislast im Diskriminierungsfall in Bezug auf den 1975 verabschiedeten „Sex Discrimination Act“ wurde in Frankreich im Arbeitsgesetzbuch umgesetzt. KlägerInnen müssen demnach lediglich den Tatbestand der Diskriminierung nachweisen, dem Beklagten hingegen obliegt es, dass Gegenteil zu beweisen (openPR 2010). Als Berechnungsgrundlage für den Gender Pay Gap wurde in Frankreich von 1994 bis 2002 der jährliche Arbeitsmarkt- bzw. Arbeitskräftebericht benutzt. Seit 2003 basieren die Ergebnisse auf dem vierteljährlich erstellten Arbeitsmarkt- bzw. -kräftebericht. Das Ergebnis dieser veränderten Berechnungsgrundlage ist die Reduzierung des Gender Pay Gap um 1%, wie bei einem Vergleich der Daten von 2002 mit beiden Bezugsquellen herausgefunden wurde.
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In Frankreich stieg das durchschnittliche Fraueneinkommen im Verhältnis zum Männereinkommen von 64% in den 1960er Jahren auf 82% im Jahr 1996. Der Gender Pay Gap 1996 lag damit bei 18% (Europäische Kommission 2006, 24). Im Jahr 2002 lag der Gender Pay Gap im privaten Sektor bei ca. 17%, was auf einen geringeren Wert im Gesamtbereich (privater und öffentlicher Sektor zusammengenommen) schließen lässt, da der Gender Pay Gap aufgrund von individuellen Gehaltsstrukturen im privaten Sektor i. d. R. größer ist als im öffentlichen Sektor mit einheitlicherer Lohn- und Gehaltsstruktur. Der Gender Pay Gap beträgt im Jahr 2005 in Frankreich 12%, der EU-Durchschnitt des Jahres 2005 lag bei 15% (vgl. Tab. 16, S. 102). Die Schlussfolgerung aus den statistischen Daten lässt eine kontinuierliche Abnahme des Gender Pay Gap in Frankreich vermuten, was die Expertinnen allerdings nicht verifizieren können. Die Expertin der Politik-Ebene 2.1.1.1 beziffert den Gender Pay Gap in Frankreich mit 20% (Exp. 2.1.1.1, Abs. 81). Expertin 2.2.1 als Repräsentantin der Institutionen-Ebene gibt an, dass Frauen in Frankreich bis zu 27% weniger Gehalt für gleiche oder vergleichbare Arbeit erhielten als Männer (Exp. 2.2.1, Abs. 109), wobei der Gender Pay Gap aus drei Komponenten besteht: (1) 12% des Gender Pay Gap werden durch Teilzeitarbeit bedingt, (2) 8% durch Segregation, Qualifikation, Berufserfahrung und Reproduktionsarbeit. Nach dieser Erklärung beträgt der Gender Pay Gap 20%. Zusätzlich sind aber (3) 7% nicht erklärbar, also auf reine Diskriminierung zurückzuführen. Auch Expertin 2.3.1 als Vertreterin der Unternehmens-Ebene ist mit dem Gender Pay Gap in ihrem Unternehmen konfrontiert. Sie bestätigt die Einkommensdifferenz von 20% in Frankreich und sieht ebenso die Teilzeitarbeit als eine hauptsächliche Ursache für diese. In ihrem Unternehmen betrug der Gender Pay Gap im Jahr 2004 5% bezogen auf das Basisgehalt, Sonder- und Bonuszahlungen werden hier nicht berücksichtigt, allerdings wird davon ausgegangen, dass sich die Differenz durch diese vergrößert (Exp. 2.3.1, Abs. 270 & 296). Die Ursachen für den Gender Pay Gap sind neben der Teilzeiterwerbstätigkeit die (2.) Erziehungsphase, (3.) die geschlechtsspezifische Segregation, (4.) die geringere Qualifikation für gleiche Arbeit und (5.) die geringere Berufserfahrung (Exp. 2.2.1, Abs. 115). Eine mögliche Maßnahme zur Reduzierung des Gender Pay Gap könnte sein, Zuschüsse der Region an Unternehmen davon abhängig zu machen, ob diese den Gender Pay Gap zu schließen versuchen (Exp. 2.1.1.1, Abs. 81). Wichtig ist außerdem die Aufklärung und Sensibilisierung, gerade von Männern, denen die Brisanz dieses Problems nicht bewusst zu sein scheint. Dieses geschieht durch Sensibilisierungs-Workshops. Eine weitere, sehr konkrete Maßnahme im Unternehmen der Expertin 2.3.1 ist die Schließung bzw. das Auffüllen des 5%igen Basis - Gender Pay Gap durch das Unternehmen selbst. Im Zeitraum 150
2004-2007 wurden jährlich ca. € 100.000 für die Schließung aufgewendet. Diese Maßnahme wurde im Jahr 2007 abgeschlossen und der Gender Pay Gap im Unternehmen reduziert, aber nicht vollständig geschlossen (Exp. 2.3.1, Abs. 312). Allerdings stimmt die Expertin hier der Einschätzung zu, dass es sich bei dieser Maßnahme nur um die Bekämpfung der Symptome handelt und nicht der Ursachen und somit keine nachhaltige Reduzierung der Einkommensdifferenz erwartet werden kann (ebd., Abs. 316). Auch in Frankreich ist der Gender Pay Gap ein ernst zu nehmendes Problem. Die Ursachen werden ebenso wie von den Expertinnen in Großbritannien vor allem in der Teilzeitarbeit gesehen, aber auch in der Reproduktionsarbeit, der geringeren Berufserfahrung und Qualifikation für gleiche Arbeit sowie der geschlechtsspezifischen Segregation. Maßnahmen oder konkrete Initiativen werden hier wenige geschildert. Die Bezuschussung von Unternehmen zur Schließung des Gender Pay Gap bzw. das unternehmensinterne Auffüllen der Einkommensdifferenz scheint hier nur eine kurzfristige Lösung zu sein. Alleine die Sensibilisierung aller beteiligten AkteurInnen, mit speziellem Fokus auf Männer in Personalverantwortung, ist hier eine langfristige Maßnahme und ein wichtiger Schritt zur Reduzierung der Einkommensdifferenz, denn noch immer sitzen hauptsächlich Männer in den Positionen mit Personalverantwortung und sind mehrheitlich für Neueinstellungen verantwortlich. Die Tatsache, dass der Gender Pay Gap von den Expertinnen einstimmig mit 20% angegeben wurde, wohingegen im Jahr 2005 ein Wert von 12% (vgl. Tab. 16, S. 102) erreicht wurde, ist verwunderlich. Ein Grund für die Differenz kann eine unterschiedliche Berechnungsgrundlage sein, allerdings haben alle Expertinnen denselben hohen Wert angegeben. Eine andere Vermutung wäre, dass der Wert tatsächlich so stark gestiegen ist, evtl. weil der Großteil der neu geschaffenen Frauenarbeitsplätze im Teilzeitsektor entsteht, in dem die Differenz der Frauenlöhne zu den Männerlöhnen noch größer ist als im Vollzeitsektor.
3.6 Gender Mainstreaming „Gender Mainstreaming“ als Begriff spielt in Frankreich hinsichtlich der Förderung der Geschlechtergleichstellung keine große Rolle. Auf Regierungs-Ebene hat das Thema „Migration“ mehr Gewicht. Trotzdem existieren in Frankreich Institutionen, die spezifische Frauenförderung bzw. Geschlechtergleichstellung betreiben, aber zunächst folgen einige Informationen zur Gesetzeslage hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter.
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Seit dem 11.7.1975 ist es ArbeitgeberInnen nach dem Gesetz n° 75-625 und Art. 416 Nr. 3e (im Code Pénal (CP)) unter Androhung einer Geld- oder Freiheitsstrafe verboten, eine Person aufgrund ihres Geschlechts bei der Einstellung oder Entlassung zu benachteiligen. Aber erst mit der Einführung des Gesetzes zur beruflichen Gleichheit von Frauen und Männern vom 13.7.1983 lag ein umfassendes Diskriminierungsverbot nach Art. L 123-1 ff. CT im Arbeitsleben vor. Dieser Artikel verbietet es ArbeitgeberInnen, das Geschlecht oder den Familienstand einer Person bei der Stellenausschreibung, Einstellung sowie während des Arbeitsverhältnisses und bei Beendigung desselben zu berücksichtigen. Ausnahmen können hier Sonderbestimmungen sein, die sich in Beschäftigungsverboten oder –einschränkungen manifestieren (Krämer 1996, 9). Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot werden in Frankreich sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt, was sich aus einem Nebeneinander von Art. L. 123-1 ff CT (Arbeitsrecht) und Art. 416 CP (Strafrecht) ergibt (ebd., 10). Zudem wurden Unternehmen mit dem Gesetz von 1983 verpflichtet, einen jährlichen Bericht über die Situation männlicher und weiblicher Beschäftigter zu verfassen, um die Umsetzung des Gesetzestextes in die Praxis zu demonstrieren und zu beweisen (Hantrais 1993, 123). Durch Art. L. 123-3 CT ist in Frankreich die Frauenförderung ausdrücklich zugelassen und Frauen sind demnach die einzige Zielgruppe positiver Aktionen, während nach Art. 2 Abs. 4 der europäischen Richtlinie die Förderung von Frauen und Männern zulässig ist (Krämer 1996, 53). Nach Art. L. 140-4 CT sind, der europäischen Vorgabe folgend (s. o.), alle dem Diskriminierungsverbot widersprechenden Vereinbarungen nichtig (ebd., 192). Die französische Regierung legte das so genannte „Gelb-Buch“ auf, das verbindliche Forderungen für Ministerien beinhaltet, nach welchen der Output auf seine Geschlechtergerechtigkeit hin untersucht werden soll. Zudem wird von der Regierung in Frankreich in Verbindung mit dem Budgetbericht jährlich ein Gender-Impact-Statement erarbeitet, welches gemeinsam mit dem Budget veröffentlicht wird (Michaelitsch 2003, 234). Die AkteurInnen bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming sind auf Regierungsebene eine Anlaufstelle für Frauenrechte und Chancengleichheit. Regional wirken die gewählten Abgeordneten sowie Behörden bezüglich Frauenrechten und Chancengleichheit. Auf allen Ebenen arbeiten so AkteurInnen, teilweise in Kooperation, um die Geschlechtergleichstellung zu erhöhen. ArbeitgeberInnen haben sich mit den Gesetzen zur Gleichstellung im Beruf (1983 & 2001) zu einer jährlichen Verhandlung zu diesem Thema sowie zur Erstellung von Berichten über die Situation von Frauen und Männern in den Unternehmen verpflichtet. Seit dem Gesetz zu politischer Parität (1999 & 2000) wird der gleichberechtigte Zugang von Frauen und Männern zu Mandaten und gewählten 152
Positionen gefördert. Diejenigen Parteien, die eine gleichwertige Repräsentativität der Geschlechter bei den zu Wahlen aufgestellten Personen nicht beachten, werden per Gesetz sanktioniert (FrauenComputerZentrumBerlin 2008). Wie diese Sanktionen im Einzelnen aussehen und ob diese bereits zum Einsatz kamen, bleibt hier unklar. Die Europäische Kommission und der Europäische Rat haben unlängst beschlossen, Geschlechtergleichstellung auch in Bildung und Repräsentation/Darstellung zu fördern, also in Symbolen und kulturellen Codes der geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Dies soll Eingang in das Bildungssystem bspw. durch eine geschlechtersensible Überprüfung und Bearbeitung von Schulbücher finden (Exp. 2.2.1, Abs. 91). Trotz der Vorgaben der EU bezüglich Gender Mainstreaming werden diesem Instrument auf politischer Ebene keinerlei positive Effekte in Bezug auf die Geschlechtergleichstellung zugestanden und spezifische Frauenförderung bevorzugt (Exp. 2.1.1.1, Abs. 382).
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4 Schweden – Das sozialdemokratische Regime
Als Letztes wird nun das sozialdemokratische Regime oder „weak malebreadwinner“ Modell am Länderbeispiel Schweden untersucht. Schweden ist eine parlamentarische Demokratie, in welcher der König seit der 1973/74 verabschiedeten und 1975 in Kraft getretenen Verfassungsänderung nur noch eine repräsentative Funktion inne hat, womit die Aufgabe der Regierungsbildung an den Vorsitzenden des schwedischen Parlaments überging (Michelsen 2002, 37). Das sozialdemokratische Wohlfahrtsstaatsmodell beinhaltet nicht nur die herkömmlichen Bereiche direkter Sozialpolitik wie Sozialversicherung oder Sozialhilfeleistungen, sondern umfasst seinen Prinzipien nach eine ganzheitliche Wohlfahrtspolitik im weitesten Sinne unter Einbeziehung von Demokratie- und Wirtschaftspolitik (Leitner 1999, 65). Der Wohlfahrtsstaat Schweden basiert auf den Prinzipien Universalismus, Egalitarismus, Dekommodifizierung und Effizienz. Er hat weiterhin eine einzigartige Ausrichtung auf eine produktivistische und präventive Sozialpolitik, die eine aktive Arbeitsmarktpolitik, Erwachsenenbildung, Prävention von Krankheit und Unfällen ebenso umfasst wie Familienpolitik (Michelsen 2002, 241). Die durch Steuern finanzierten Systeme sozialer Sicherung garantieren ein hohes Niveau im Bereich der Gesundheitsvorsorge und sind an die Bedürfnisse der sozialen Reproduktion von Familien angepasst, wodurch ein hoher Grad der Dekommodifizierung erreicht wird (Dackweiler 2003b, 47). Die Sozialversicherung ist universalistisch ausgelegt, bezieht also alle Bevölkerungs- und Einkommensgruppen mit ein. Michelsen ordnet Schweden bei der Unterscheidung zwischen dem Bismarck-Modell26, welches ein Sozialversicherungsmodell ist und dem Beveridge-Modell, das ein Fürsorgemodell darstellt, letzterem zu. Im Beveridge-Modell umfasst der Kreis der versicherten Personen die gesamte Bevölkerung. Es ist ein steuerfinanziertes Modell mit einheitlichen Pauschalleistungen. Sachleistungen der medizinischen Versorgung sind kostenlos und werden durch den staatlichen Gesundheitsdienst bereitgestellt. Die Verwaltung des Beveridge-Modells ist öffentlich, die Transferintensität niedrig (Michelsen 2002, 154). Schweden wird weiterhin dem etatistisch-bürokra26
Im Bismarck-Modell sind Erwerbstätige die Gruppe der versicherten Personen. Die Finanzierung wird durch an Löhne gekoppelte Beiträge gewährleistet, Sachleistungen erfolgen durch die Versicherung oder eine Kostenerstattung. Die Verwaltung dieses Modells ist häufig paritätisch (anteilig ArbeitgeberInnen/ArbeitnehmerInnen) und z. T. privat, die Transferintensität ist hoch (Michelsen 2002, 154).
tischen/staatlichen Modell zugeordnet, in dem Regierungen unmittelbaren Einfluss auf den Leistungsumfang und das Leistungsangebot nehmen (ebd., 165f.). Das sozialdemokratische Modell erfasst den Wohlfahrtsstaat als Instrument, „die Schichtung der Gesellschaft aktiv unter Maßgabe egalitärer Zielsetzungen zu beeinflussen“ (Michelsen 2002, 171). Das „schwedische Modell“ wird von seinen skandinavischen Nachbarn häufig missgünstig betrachtet. Zu den Bausteinen des klassischen Modells Schweden zählen: eine starke staatliche Regulation der Arbeitsmärkte sowie ein hoher gewerkschaftlicher Einfluss auf die Politik bei gleichzeitig uneingeschränkter privat-unternehmerischer Kontrolle der Wirtschaft, eine parlamentarische Hegemonie der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, ein formal stark zentralisiertes Lohnverhandlungs-System mit Einheits-Gewerkschaften und ihren Dachverbänden, die mit dem schwedischen Arbeitgeberverband SAF (Svenska Arbetsgivareföreningen) übergreifende Tarifabschlüsse vereinbaren (Michelsen 2002, 154). Die aktive Rolle des Staates wird deutlich, da bei der Einführung von „Mixed Markets“ darauf geachtet wurde, dass alle Bevölkerungsgruppen auf diesen gemischten Märkten die gleichen Zugangsrechte zu bestimmten Leistungen wie bspw. der Kinderbetreuung haben (Evers/Olk 1996, 13). Tabelle 33: Transformationsmerkmale der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Regulation und Reformen (Schweden) Dominantes Veränderungen in Moment der der Finanzierung Arbeitsmarktder sozialen Sichepolitik rungssysteme Teilzeitarbeit Erhöhung indirekter sowie LohnSteuern und Senund Einkomkung der Sozialvermensflexisicherungsbeiträge bilisierung der Unternehmen Quelle: Bieling 1997, 360
Sozialpolitische Kürzungsschwerpunkte
Sozialpolitische „Tabus“
Breit angelegte („gestreute“) Kürzungen bei Lohnersatzleis-tungen und Sozialhilfe
Gesundheitssystem und aktive Arbeitsmarktpolitik
Weiterhin soll die Abhängigkeit vom Staat bei der Wohlfahrtsproduktion minimiert werden, dafür wird der Markt in dieser Hinsicht entmachtet, um die Egalität der Bürger zu maximieren (Esping-Andersen 1999, 78f.). „(…) trotz einer ausgeprägten Staatlichkeit (erscheint) die Differenz von Staat und Gesellschaft gering“ (Kaufmann 2003, 168). Die gesellschaftlichen Kräfte sind größtenteils hoch organisiert und nehmen so Einfluss auf politische Entwicklungen (ebd.). Schweden gilt als ein Land, in dem es realisiert wurde, trotz umfangreicher 156
Wohlfahrtsleistungen ein schnelles Wirtschaftswachstum, wenig Arbeitslosigkeit und eine hohe Quote der Erwerbsbeteiligung zu erreichen (Stephens 1996, 32). Schweden verfolgte lange Zeit das Ziel der Vollbeschäftigung und nahm dabei eine höhere Inflation in Kauf. Mit der Sicht auf eine baldige EU-Mitgliedschaft verkehrte Schweden sein bisheriges System und strebte – seinen europäischen Nachbarn folgend – eine niedrige Inflationsrate an. Kurze Zeit später stieg die Arbeitslosenquote bereits an (Pettersson 1997a, 13f.). Die Mehrheit der Bevölkerung sowie auch die führenden Sozialdemokraten und Gewerkschafter lehnten diese Entwicklung ab und sagten „Nein“ zur Währungsunion (ebd., 16). Diese Position hat sich schließlich auch durchgesetzt. In Opposition zur sozialdemokratisch ausgerichteten LO (LO = Landesorganisation, Dachverband der Arbeitergewerkschaften) entstanden die Angestelltengewerkschaften, die von Anfang an ihre parteiliche Neutralität bei ihren gewerkschaftlichen Aktivitäten betonten (Henningsen 1986, 241). Seit 1902 existiert auf der anderen Seite der Arbeitgeberverband SAF (ebd., 242). Anfang der 1950er Jahre wurde von den LO-Ökonomen Rehn und Meidner ein Modell entwickelt, wonach die Regierung eine restriktive Fiskal- und Geldpolitik betreibt, um eine übersteigerte Nachfrage auf Teilarbeitsmärkten zu verringern und inflationäre Tendenzen zu verhindern. Die schwedischen Sozialdemokraten (SAP = Sveriges Socialdemokratiska Arbetarepartiet) übernahmen später dieses Modell. „Ab Mitte der sechziger Jahre wandelte sich der schwedische Wohlfahrtsstaat innerhalb nur eines Jahrzehnts vom Familienernährer- zum Individualmodell“ (Kolbe 2002, 84). Bis zum Beginn der 1980er Jahre verschlechterte sich die ökonomische Situation und Schweden wurde aufgrund des geringen Wirtschaftswachstums, des hohen Haushaltsdefizits und der steigenden Staatsverschuldung als „der kranke `Mann´ Europas“ bezeichnet. Doch nach dem Regierungsantritt der schwedischen Sozialdemokraten 1982, welche die Förderung wirtschaftlichen Wachstums mit umfassenden wohlfahrtsstaatlichen Reformen verbanden, erholte sich die Konjunktur und der „kranke `Mann´“ gesundete. Für Wirtschaftsjournalisten und liberale Wirtschaftswissenschaftler stellte diese Entwicklung ein Paradox dar, denn trotz der im europäischen Vergleich überdurchschnittlichen Größe des öffentlichen Dienstleistungssektors, hoher Steuern, umfassender wohlfahrtsstaatlicher Leistungen und geringer Lohndifferenzen war die Arbeitslosigkeit niedrig, die Großunternehmen expandierten und der Lebensstandard stieg (wenn auch langsam) an (Michelsen 1997, 185). In der ersten Hälfte der 1990er Jahre wurde allerdings nicht nur das VolvoWerk in Kalmar geschlossen, Schweden geriet in die tiefste Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren. 1991 übernahm eine Koalition unter dem Konservativen Carl Bildt die Regierung, die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft an. Zur Konsolidierung 157
des defizitären Staatshaushalts wurden Sozialleistungen gekürzt. 1994 übernahm wieder die SAP die Regierungsverantwortung, doch auch sie sah sich mit Problemen wie maroden öffentlichen Finanzen, Arbeitslosigkeit und Stabilisierung des Preisniveaus konfrontiert (ebd., 186). Trotzdem wird Schweden als das Land betrachtet, das sein hohes Niveau wohlfahrtstaatlicher Leistungen durch ein überdurchschnittliches Maß an Frauenerwerbsarbeit erwirtschaftet (SchunterKleemann 1992, 274). In diesem Modell gibt es demnach eine hohe Frauenerwerbsquote, die staatlichen Dienstleistungen befinden sich auf einem hohen Niveau und der Doppelverdienerhaushalt wird gefördert (z. B. durch Familien- und Steuerpolitik), was im Folgenden näher ausgeführt wird. Zudem sind alleinerziehende Mütter zu mehr als 50% vollzeiterwerbstätig und weisen eine unterdurchschnittliche Armutsquote auf, unabhängig davon, ob sie einer Erwerbsarbeit nachgehen oder nicht (Kilkey/Bradshaw 1999, 172) (vgl. Kap. 4.3.1). Die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten und somit auch der schwedische Wohlfahrtsstaat „(…) have stressed the right to work for everyone and have centred their welfare state policy on this issue (…)“ (Leibfried 1991, 16). Jeder Bürger soll ein Recht auf Arbeit haben und dementsprechend ist die Wohlfahrtspolitik gestaltet. Nach Bieling gehört Schweden zum sozialdemokratischen Arbeitsmarktregime, in dem die verschiedenen Politiken auf das Ziel der Vollbeschäftigung ausgerichtet sind. Alle BürgerInnen sollen nach dem Prinzip des Universalismus gleiche Chancen und Risiken erhalten/tragen, weshalb auch der Staat mit umfassenden Aktivitäten (bspw. wird die hohe Gewinnbesteuerung in die öffentliche Infrastruktur investiert) und als Arbeitgeber im öffentlichen Sektor eine große Rolle spielt (Bieling 2006, 43). Hier liegen geringe Lohndifferenzen und eine hohe Qualität sozialer Sicherheit im Falle von Krankheit, Alter oder Arbeitslosigkeit vor. Das Beschäftigungswachstum ist in diesem Beschäftigungsregime gering oder sogar negativ und konnte oft nur durch Umverteilung oder eine wachsende Erwerbsbevölkerung erzielt werden. Die Arbeitsproduktivität steigt und fördert damit das Wirtschaftswachstum, die Arbeitszeit pro Beschäftigtem sinkt, was in der Macht der Gewerkschaften begründet ist. Der Anteil an Teilzeitarbeit ist hoch oder steigt, sinkt allerdings dort wieder, wo die Teilzeitquote bereits auf einem hohen Niveau angekommen ist. Dies ist in den skandinavischen Ländern, mit Ausnahme von Finnland, im Bereich der Frauenteilzeitarbeit der Fall (Schmid 2002, 123). Die schwedische Arbeitsmarktpolitik will vornehmlich die Arbeitslosen durch entsprechende Programme in den Arbeitsmarkt integrieren, weshalb hier aktive Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik eindeutig passiven vorgezogen werden. Der staatlichen Arbeitsmarktbehörde (arbetsmarknadsverket (AMV)) obliegt dabei die Durchführung der Arbeitsmarktpolitik. Die AMV setzt sich aus 158
dem staatlichen Arbeitsmarktausschuss, den 21 regionalen Landesarbeitsämtern sowie den lokalen Arbeitsämtern und Arbeitsmarktinstituten zusammen (Kröger/Van Suntum 1999, 117). In Schweden werden seit vielen Jahren vergleichsweise hohe Ausgaben für aktive Arbeitsmarkpolitik getätigt (knapp 50% der Gesamtausgaben für Arbeitsmarktpolitik) (Kröger/Van Suntum 1999, 59). Das Arbeitslosenversicherungssystem besteht aus zwei Elementen, nämlich einerseits aus der Arbeitslosenversicherung (arbetslöshetsförsäkring) und andererseits aus der „Barleistung bei Arbeitslosigkeit“ (kontant arbetsmarknadsstöd (KAS)). Dieses zweistufige System besteht im Kern aus den Leistungen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe (ebd., 113). Die Arbeitslosenversicherung beruht auf freiwilliger Mitgliedschaft und soll in erster Linie zur Sicherung des Lebensstandards beitragen (ebd., 131). Der öffentliche Dienst stellt in Schweden das Auffangbecken für ehemalige Industrieangestellte dar und ist im OECD-Vergleich überdurchschnittlich repräsentiert. Hier arbeiten mit 32% der Beschäftigten mehr als doppelt so viele Personen im öffentlichen Dienst wie z. B. in Deutschland, wo es nur 15% der Beschäftigten sind (Michelsen 2002, 154). Der öffentliche Sektor in Schweden hatte 1994 einen Anteil von 68,8% am BSP, im OECD-Vergleich lag dieser in Deutschland im gleichen Jahr bei nur 41,4% (Meidner 1997, 41). Der schwedische Wohlfahrtsstaat wird aufgrund seines umfangreichen öffentlichen Sektors als Dienstleistungsstaat bezeichnet, der aber, wie die Zahlen beweisen, nicht nur hohe Kosten verursacht, sondern auch massiv zum BSP beiträgt, indem Alkoholpolitik, Post, Bahn, Straßenbau, Banken, Versicherungen u. a. m. einem staatlichen Monopol unterliegen. ArbeitnehmerInnen im öffentlichen Dienst zahlen Steuern, wodurch dem Staat die Alimentierung einer breiten Bevölkerungsgruppe erspart bleibt. „Der öffentliche Sektor stärkt und stützt den Wohlfahrtsstaat. Durch ihn wird Wohlfahrt vermittelt und genutzt“ (Kurpjoweit 1997, 111). Der öffentliche Sektor beschäftigte bspw. 1985 56% aller berufstätigen Frauen im Alter von 16 bis 64, bereits damals erhielten Frauen 91% des männlichen Durchschnittseinkommens, die solidarische Lohnpolitik wirkte hier in einem Maße wie in keinem anderen Sektor (ebd.) (vgl. Kap. 4.5). Um Arbeitslosigkeit im öffentlichen Sektor aufzufangen, von der vor allem Frauen in typisch weiblich dominierten Berufen wie denen der Pflegerinnen und Erzieherinnen betroffen sind, wurde das Kalmar-Modell entwickelt, das Teilzeitund Vollzeitarbeitslose als so genannte „Qualitätsverstärker“, als zusätzliche Arbeitskräfte vor allem in Einrichtungen der Kinder- und Altenbetreuung, einsetzt. So erhalten diese Arbeitskräfte statt 75% des Arbeitslosengeldes 90% des Tariflohns. Sie sind zu 90% beschäftigt, können also 10% ihrer Zeit für die generelle Arbeitssuche aufwenden und haben zusätzlich einen Anspruch auf Weiterbildung (Pettersson 1997b, 122). Durch das Kalmar-Modell erhalten Pflegerin159
nen und Kindergärtnerinnen nicht nur ihre Kompetenz, sondern steigern auch noch die Qualität der öffentlichen Einrichtung, in der sie beschäftigt sind; daher auch der Begriff „Qualitätsverstärker“ (ebd., 124). Schweden hat eine der höchsten Frauenerwerbsquoten im europäischen Vergleich, die nur geringfügig unter der Erwerbsquote der Männer liegt (vgl. Kap. 4.3.1). Die hohe Frauenerwerbsquote ist nicht notwendigerweise nur auf eine aktive Gleichstellungspolitik zurückzuführen, sondern auch auf ein Besteuerungssystem, welches den Doppelverdienerhaushalt begünstigt (Heinze 1999, 123f.) und auf die Tatsache, dass im skandinavischen Modell der Wohlfahrtsstaat zum Hauptbeschäftigten vor allem für Frauen geworden ist, um ihnen in gewissem Maße Vollbeschäftigung zu garantieren. In den skandinavischen Ländern richtet sich die Politik des Wohlfahrtsstaates also weder auf die Aufrechterhaltung der Abhängigkeit der Frauen von der Familie noch auf die Beschränkung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, sondern hat durch den Ausbau des Wohlfahrtsstaates die Erwerbstätigkeit von Frauen möglich gemacht, indem Arbeitsplätze geschaffen und Infrastruktur bereitgestellt wurde (Kulawik 1996, 61). Die schwedische Gleichstellungspolitik war durch die Vielzahl an Maßnahmen und Instrumenten so vor allem eine Arbeitsmarktpolitik. Es wirkten schon frühzeitig aktive Arbeitsmarktpolitik, solidarische Lohnpolitik, berufliche Qualifikation und Gleichstellung im Arbeitsleben auf die Gleichstellung der Geschlechter. Frauen profitierten hier von der Arbeiterbewegung auf dem Arbeitsmarkt, aber auch eine friedliche Konsenspolitik von Gewerkschaften und ArbeitgeberInnen sowie die rechtlichen Antidiskriminierungsregelungen beeinflussten den Arbeitsmarkt im Sinne der Frauen positiv (Kurpjoweit 1997, 75). Bereits seit 1845 sind Männer und Frauen im Erbrecht gleichberechtigt. Der Frederica-Bremer-Förbundet (FBF) wurde 1884 gegründet und ist die größte und älteste Frauenorganisation. Diese hatte großen Einfluss auf das 1918 auf dem schwedischen Reichstag beschlossene allgemeine und gleiche Wahlrecht, welches erstmals 1921 in Kraft trat (Kurpjoweit 1997, 61). Als Vorreiter vor anderen europäischen Staaten hatte Schweden 1921 seine erste Frau im Parlament und 1947 die erste Ministerin (Leira 1993, 52). Der Begriff „family policy“ kam in Schweden in den Nachkriegsjahren (des Zweiten Weltkrieges) auf und wurde in den 1950ern erstmals in einem öffentlichen und politischen Kontext gebraucht. Die sozialdemokratische Regierung nutzte den Begriff der „family policy“ in ihrem Programm 1964 (Ohlander 1991, 61f.). Ende der 1960er Jahre forderte die LO die Demokratisierung der Wirtschaft, woraufhin die SAP die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechte auf betrieblicher Ebene erweiterte (Michelsen 1997, 188). Bis in die Hälfte der 1970er Jahre hinein waren die sozialdemokratischen Politikkonzeptionen in Schweden hegemonial. Die SAP betrieb mit Unterstützung und unter Einfluss 160
der LO eine Politik des Interessenausgleichs zwischen der Arbeiterbewegung, ArbeitgeberInnen und Mittelschichten (ebd., 186). Bereits 1969 wurde von den Sozialdemokraten darauf hingewiesen, die geschlechtsspezifische Aufteilung zwischen bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Erziehungsarbeit müsse durch die soziale Praxis der Zweiversorgerfamilie ersetzt werden, was auch dem vermehrten Bedürfnis der Frauen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, Rechnung trug (Kolbe 2002, 214f.). 1971 wurde daraufhin auch das sog. Ehegattensplitting abgeschafft, so dass fortan Ehepartner oder in eheähnlicher Gemeinschaft lebende Paare für Einkommen aus Erwerbsarbeit, Renteneinkommen, Arbeitslosenunterstützung und weitere Transferleistungen getrennt veranlagt wurden. Die „symmetrische Familie“, in der beide Partner gleichberechtigt einer Erwerbsarbeit nachgehen und evtl. sogar den Haushalt zu gleichen Teilen erledigen, wurde durch diese Einkommenssteuerreform gefördert, weil es nun in jedem Fall günstiger war, wenn beide (Ehe-)Partner arbeiteten. Die weibliche Erwerbstätigkeit wurde nicht mehr länger durch steuerliche Nachteile abgestraft (Buchczik/Gerlach 1989, 14). 1974 wurden Männer und Frauen als vor dem Gesetz gleichberechtigte Elternteile legitimiert, 1975 trat mit der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein Gesetz in Kraft, das Frauen völlige Selbstbestimmung über ihren Körper ermöglichte und 1980 wurden Regelungen zur Herstellung der Gleichberechtigung am Arbeitsplatz getroffen (Leira 1993, 52). 1980 wurde zudem der „Equal Opportunities Act“ beschlossen und 1992 in aktueller Version in Schweden implementiert. Dieser Beschluss über gleiche Möglichkeiten wurde von der EU angestoßen und verbietet seitdem die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Ein eingesetzter Ombudsmann ist für die Einhaltung dieser Regelung zuständig (Meisaari-Polsa 1997, 308). Während der Regierungszeit Perssons (1996 – 2006) waren schwedische Frauen paritätisch an der Spitze der Politik vertreten, elf von 22 Regierungsmitgliedern waren weiblich und mit 41% der Ministerposten im Reichstag und ca. 30% in den Länder- und Kommunalverwaltungen haben Frauen eine hohe politische Repräsentanz erreicht (Kurpjoweit 1997, 261). Schwedens Frauen sind überdurchschnittlich häufig in Parlamenten vertreten. Der Anteil von Frauen in den nationalen/föderalen Parlamenten betrug im November 2004 45,3%, während der EU-25 Durchschnitt bei 22,4% lag. Der Anteil von Frauen im Europäischen Parlament betrug im Januar 2005 57,9% bei einem EU-25 Durchschnitt von 30,3% (Eurostat 2008d). Hierbei muss der Begriff des „Staatsfeminismus“ genannt werden, der einen Zuwachs an politischer Macht für Frauen enthält. Staatsfeminismus bedeutet eine Allianz zwischen Frauen und dem Staat und wird als Feminismus „von oben“ verstanden, der aber auch eine Reaktion eines Feminismus „von unten“, also von Frauenaktivistinnen, war (Kurpjoweit 1997, 207). Aufgrund der Repräsentation 161
in Institutionen können Frauen direkt Einfluss nehmen und greifen im Sinne des Staatsfeminismus durch politische Beteiligung unmittelbar und nach ihren Vorstellungen in die Gestaltung des Staates ein (ebd., 238). Dieser sozialdemokratisch reformerische Staatsfeminismus ist der Weg zu einer postpatriarchalen frauenfreundlichen Gesellschaft, in der Frauen ökonomische Eigenständigkeit und politische Machtressourcen gewinnen (Töns 2000, 185f.). „The increasing representation of women in elite politics suggests a power base to build a woman-friendly state or, more precisely, a base from which to advocate women’s interests“ (Leira 1993, 49). Die politische Repräsentation und aktive Teilhabe ist Voraussetzung für eine frauenfreundliche Politik bzw. die Basis von der aus im Sinne der Frauen (politisch) gehandelt werden kann. Die neue Regierung um den Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt, welcher Göran Persson am 5. Oktober 2006 ablöste, hat nach Angaben der ExpertInnen 3.1.1.1 (Abs. 68), 3.1.1.2 (Abs. 67), 3.2.1 (Abs. 103), 3.2.2 (Abs.70) und 3.3.2 (Abs. 54) zu keiner Veränderung oder neuen Einflüssen bezogen auf ihre tägliche Arbeit geführt, denn alle Parteien sind an den Gender Issues interessiert sowie in Geschlechtergleichstellung engagiert, nur die Lösungsstrategien differieren. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Wohlfahrtsstaat Schweden der Prototyp des generellen Wohlfahrtssystems ist, da hier eine Kombination von Sozialleistungen an alle Staatsbürger ohne Bedürftigkeitsprüfung vorliegt sowie eine Sozialversicherung, die durch Krankheit, Alter oder Arbeitslosigkeit verursachte Einkommensverluste ausgleicht und umfassende, für jeden zugängliche Dienstleistungen beinhaltet (wie Ausbildung, Gesundheitsdienst, Kinder- oder Altenfürsorge) (Meidner 1997, 39). In Schweden hat sich ein gesellschaftspolitisches Leitbild entwickelt, aus welchem ein Bewusstsein entstanden ist, welches die staatliche Steuerung von sozialen Gesamtzusammenhängen zulässt und akzeptiert. Gleichheit und Effizienz bilden demnach auch die Leitbegriffe wohlfahrtsstaatlicher Politik in Schweden (Kaufmann 2003, 171). Ob diese Leitbegriffe auch positiv auf die Geschlechtergleichstellung sowie die weibliche Erwerbstätigkeit wirken, soll in den folgenden Abschnitten diskutiert werden.
4.1 Familienpolitische Leistungen In Schweden wurden von den damals allein regierenden Sozialdemokraten und gegen den Protest der Konservativen am 1. Januar 1948 die Kinderfreibeträge abgeschafft, die Väter als Familienernährer definierten und so gegenüber den Müttern begünstigten. Die nun gezahlten Kinderfreibeträge waren ausdrücklich
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an die Mütter gerichtet und beliefen sich auf 260 Kronen im Jahr für Kinder bis 16 Jahre (für Kinder in der Ausbildung bis 18 Jahre) (Kolbe 2002, 54). Seit 1948 wird in Schweden ab dem ersten Kind ein universales steuerfinanziertes Kindergeld ausgezahlt, womit gleichzeitig Steuererleichterungen für Kinder gestrichen wurden, die von 1917 bis 1950 Geltung besaßen. Seit 1965 wird anschließend an das Kindergeld ein allgemeines Ausbildungsgeld für schulpflichtige Jugendliche im Alter von 17 und 18 Jahren sowie eine Ausbildungsbeihilfe für Schüler bis 20 Jahre gezahlt (Leitner 1998b, 171&173). Zurzeit beläuft sich das Kindergeld auf einen pauschalen Betrag, der allerdings nach der Anzahl der Kinder gestaffelt ist und bis zum 16. Lebensjahr des Kindes ausgezahlt wird (für ältere Kinder in weiterführenden Schulen gibt es eine dem Kindergeld ähnliche Transferleistung (Missoc 2008)). Der Kindergeldbetrag beträgt aktuell SEK 1.050 pro Kind und Monat, bei dem zweiten Kind wird ein Zuschlag von SEK 100, bei drei Kindern von SEK 354, bei vier Kindern von SEK 860 und bei fünf Kindern und jedem weiteren von SEK 1.050 zusätzlich zu den SEK 1.050 pro Kind gezahlt (BMFSFJ 2008, Missoc 2008). Zu den familienpolitischen Leistungen zählen außerdem einkommensunabhängige Wohnungszulagen sowie Studienbeihilfen. Mittelbar wirkt hier auch der Ausbau an Kinderbetreuungseinrichtungen und die Zunahme an Urlaubstagen in Bezug auf Elternschaft als Familienleistung (Kaufmann 2003, 193), was in den folgenden Abschnitten näher erläutert wird. 4.1.1 Mutterschutz / Elternurlaub 1900 wurde das erste Gesetz zum Mutterschutz erlassen, wonach Frauen nach der Geburt eines Kindes vier Wochen lang keiner körperlichen Arbeit nachgehen sollten. Das Problem bei der Umsetzung dieses Gesetzes war jedoch, dass damit keinerlei finanzielle Unterstützung einherging. Viele Frauen waren also nach wie vor gezwungen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, um das Minimaleinkommen der Familie zu sichern. Erst gute dreißig Jahre später, im Jahre 1931, wurde eine Mutterschutzversicherung für die finanzielle Unterstützung der ersten Wochen nach der Geburt eingeführt. Diese Mutterschutzversicherung stellte einen frühzeitigen Kontrollmechanismus von Seiten des Staates dar und führte zu einer sinkenden Sterberate bei Säuglingen, da der finanziell unterstützte Mutterschaftsurlaub sicherstellte, dass die Mütter in der Zeit kurz vor und nach der Geburt keiner Erwerbstätigkeit nachgehen mussten und nun körperlich und zeitlich in der Lage waren, ihre Säuglinge zu stillen (Ohlander 1991, 60). 1911 veranlasste die Regierung die Errichtung von Frauenhäusern/Geburtshäusern, in denen sich Frauen vor und 163
nach der Geburt ausruhen und auf medizinische Unterstützung zurückgreifen konnten (ebd., 64). In Schweden bestanden bereits 1969 Forderungen nach einer Ausdehnung des Mutterschaftsurlaubs auf Väter, die Gewerkschaften forderten zudem eine Ausdehnung des bezahlten Kinderbetreuungsurlaubs von sechs auf zwölf Monate (Kolbe 2002, 223). Bei der Umwandlung der Mutterschafts- in eine Elternversicherung blieben viele grundsätzliche Regelungen wie das Verbot, in der Zeit des Leistungsbezugs einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, bestehen. Aber es wurden auch Änderungen vorgenommen, welche vor allem die Situation nicht Erwerbstätiger verbesserten. So z. B. die Umwandlung des Grundgeldes der Mutterschaftsversicherung (das an alle Mütter als einmaliger Betrag von SEK 1080 ausgezahlt wurde) in das Elterngeld, welches in einer fortlaufenden, sechsmonatigen Zahlung bestand (ebd., 226). Aktuell besteht der Mutterschutz für insgesamt drei Monate, jeweils sieben Wochen vor und nach der Geburt des Kindes. Die von der EU angestrebte Mindestdauer des Mutterschutzes von 18 Wochen ist hier somit noch nicht erreicht (EU-Nachrichten 2008, 3), allerdings schließen sich großzügige Transferleistungen in Bezug auf Elternschaft an (s. u.). Schwangerschaftsgeld wird frühestens 60 Tage vor der Geburt gezahlt. Kann eine Mutter aufgrund der Schwangerschaft ihren Beruf nicht weiter ausüben, werden max. 50 Tage analog zu den Regelungen im Krankheitsfall vergütet (BMFSFJ 2008). Seit der Einführung der Elternversicherung veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und dem Wohlfahrtsstaat. Während zunächst der Wohlfahrtsstaat für die Kinderbetreuung zuständig war und Eltern lediglich unterstützt wurden und selbst für den Familienunterhalt aufkommen sollten, gewann die Elternschaft nun an Bedeutung (Kolbe 2002, 258). Ab dem 1. Januar 1975 wurde der Elternurlaub von sechs auf sieben Monate verlängert, genau zwei Jahre später wurde die Zahl der Urlaubstage zur Krankenpflege, nach Anzahl der Kinder gestaffelt, erhöht. Bei einem Kind auf zwölf Tage, bei zwei Kindern 15 Tage und bei drei und mehr Kindern 18 Tage (ebd., 260). Ab dem 1. Januar 1978 wurde der Elternurlaub wiederum auf insgesamt neun Monate verlängert. Die Leistungsberechnung der neuen Elternversicherung wurde an die Erwerbsarbeit gekoppelt, wodurch Unterschiede in Rechten und Ansprüchen zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Eltern entstanden. Vorher bekamen Eltern einen einheitlichen Betrag, welcher dem universellen Wohlfahrtsprinzip Schwedens entsprach. Nach der Einführung der neuen Elternversicherung richtete sich die gezahlte Ersatzleistung an den Verdienstausfall, wobei eine vorherige achtmonatige Erwerbstätigkeit als Voraussetzung zur Beziehung dieser Leistung festgesetzt wurde. Durch diese Regelung wurde die schwedische Gleichstellung zurückgeworfen, denn Frauen, die zum größten Teil ein geringe164
res Einkommen beziehen, sind von dieser Elternversicherung einseitig negativ betroffen (Kurpjoweit 1997, 192). Das Familienpolitische Komitee legte sein Hauptaugenmerk nicht nur auf das Kindeswohl, sondern auch auf die Auswirkungen einer Verlängerung des Elternurlaubs auf die Stellung von Müttern im Erwerbsleben, da von ArbeitgeberInnenseite Vorbehalte gegen die Beschäftigung von Frauen entstehen könnten (Kolbe 2002, 229). Während das Erziehungsgeld einem Elternteil die Erwerbstätigkeit für längere Zeit ermöglichen sollte, zielte der Elternurlaub darauf ab, die Zeit zu überbrücken, bis das Kind alt genug war, um in einer Kindertagesstätte betreut zu werden und beide Elternteile ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen können (ebd., 230). Bei der Umwandlung der Mutterschaftsversicherung zur Elternversicherung wurde die vorher umstrittene Regelung gestrichen, nach welcher der Anspruch auf den restlichen Urlaub bei einer Erwerbstätigkeit der Mutter von mehr als 30 Tagen verfiel. Damit wurden die Schutz- und Pflegegesichtspunkte zugunsten des Elternurlaubs aufgegeben (ebd., 232). „In ihrer Funktion als KleinkinderbetreuerInnen und –pflegerInnen wurden Eltern somit lediglich als Komplement zu den Serviceleistungen des Wohlfahrtsstaates konzipiert“ (ebd., 246). Die öffentlichen Betreuungsangebote expandierten daraufhin kräftig. Absolutes Novum auf internationaler Ebene war, dass auch Väter das Elterngeld in Anspruch nehmen konnten (ebd., 227), denn 1974 war Schweden das erste Land, das eine Elternzeit für beide Elternteile einführte, die mit dem Elterngeld vergütet wird. Die Väter aber stellten ein wenig erfreuliches Bild dar, denn bspw. 1974 nahmen Väter lediglich 0,5% aller Urlaubstage in Anschluss an die Geburt ihres Kindes. Zwischen 1974 und 1984 pendelte sich der Wert bei rund zwei Prozent ein (ebd., 277). Väter und ihre ablehnende Haltung gegenüber der Elternversicherung wurden zum Thema des öffentlichen Diskurses. Ursachen wurden in den immer noch tief verwurzelten geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen und der stärkeren Berufsorientierung von Männern gesehen, aber auch die ablehnende Haltung von ArbeitgeberInnen und ArbeitskollegInnen gegenüber Vätern, die Elternurlaub in Anspruch nahmen, wurden als Gründe für die zurückhaltende Inanspruchnahme des Elternurlaubs durch Väter angeführt (ebd., 278). Solange das Gesetz zur Elternversicherung geschlechterneutral formuliert war, blieben Eltern zum größten Teil weiblich (ebd., 279). Nur sieben Prozent der Väter, aber 63% der Mütter, reduzierten nach der Geburt eines Kindes ihre Arbeitszeit (ebd., 280f.). Verschiedene Möglichkeiten, den Väteranteil zu erhöhen, wurden diskutiert. Eine Maßnahme zur Schaffung von mehr Geschlechtergleichheit bestand darin, dass Väter nur dann Elterngeld in Lohnersatzhöhe erhalten konnten, wenn auch die Mütter erwerbstätig waren. Zum 1. Januar 1980 wurde ein zehntägiger Vaterschaftsurlaub eingeführt, der 1984 von 72% und 1990 bereits von 86% der Väter in Anspruch genommen wurde (ebd., 165
282). Seit Mitte der 1980er Jahre wurden für Väter ElternschaftsLehrprogramme in fünf der 21 schwedischen Bezirke veranstaltet, um beide Elternteile über die (physischen und psychologischen) Auswirkungen der Elternschaft zu informieren. Diese Väter-Lehrgänge (als Teil der Eltern-Lehrgänge) konnten als Erfolg gewertet werden, da teilnehmende Väter im Durchschnitt länger Elternzeit beanspruchten (Jalmert 2004, 201). 1995 wurde in Schweden der Vatermonat eingeführt. Ab 1996 standen zwei sog. „Papapakete“ bereit, diese mit umgerechnet DM 700.000 aus dem Staatshaushalt subventionierte Kampagne zielte einerseits auf Väter, andererseits auf ArbeitgeberInnen ab und beinhaltete sowohl allgemeine Informationen sowie persönliche Erfahrungsberichte von Männern mit dem Elternurlaub, in denen sie z. B. den intensiven Umgang mit ihrem Kind beschrieben (Kolbe 2002, 283). Die Elternversicherung wurde nun Quotierung genannt, aber wider dem ersten Anschein wurden die Stichworte „Papaquotierung“ und „Papa-Monat“ in der Gesetzessprache streng geschlechterneutral diskutiert (ebd., 289). Im Jahr 2002 wurde der Vaterschaftsurlaub auf zwei Monate ausgedehnt. Zudem stehen Vätern innerhalb der ersten 60 Tage nach der Geburt des Kindes zehn arbeitsfreie zu 80% des Bruttoeinkommens vergütete Tage zur Verfügung (BMFSFJ 2008). 2002 nutzten 15,5% der Väter die Gelder der Elternversicherung, dieser Prozentsatz war der bis dahin höchste. Auch nahmen mehr als 50% der Väter ihren Anspruch auf bezahlten Elternurlaub während des ersten Lebensjahres des Kindes wahr. Der befristete Elternurlaub und die Urlaubstage für die Pflege kranker Kinder wurden 2002 von 43% der Väter genutzt (Jalmert 2004, 198). Der Elternurlaub beträgt zurzeit 480 Tage bzw. 16 Monate, wovon 390 Tage bezahlt werden (vgl. Kap. 4.1.2) (BMFSFJ 2008). Zwei dieser 16 Monate können ausschließlich vom Vater in Anspruch genommen werden. Beide Elternteile haben gleichermaßen Anspruch auf 240 Tage, wobei die meisten Väter ihre 240 Tage an die Frau abgeben, die dafür das Einverständnis des Vaters braucht (und umgekehrt). Der Großteil der Väter nimmt de facto also nur die obligatorischen zwei Vaterschaftsmonate, die nicht auf die Mutter übertragen werden können. Der Elternurlaub kann in Anspruch genommen werden bis das Kind acht Jahre alt ist (auch in Kombination mit einer Teilzeiterwerbstätigkeit, so bekäme der Elternteil bspw. ein Achtel des Elterngeldbetrags bis zum 8. Lebensjahr des Kindes). Unternehmen kompensieren (abhängig von den Tarifvereinbarungen) drei Monate bis zu 80% oder 90% des vorherigen Einkommens. Aktuell wurde für den Zeitraum 2007-2009 zwischen ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften auf zentraler Ebene (also ganz Schweden betreffend) darüber verhandelt, dass Unternehmen vier Monate Kompensation zahlen sollen. Gerade für Besserverdienende und zu diesen zählen überproportional Väter wäre diese Neuerung attraktiv und ein Anreiz, mehr als nur die zwei nicht übertragbaren Vater166
schaftsmonate zu nehmen (Exp. 3.2.2, 48). Zusätzlich zum Elternurlaub haben Eltern per Gesetz Anspruch auf 60 freie Tage pro Jahr im Falle von Krankheit des Kindes bis zu dessen 12. Lebensjahr. Nach dem Elternurlaub auf dieselbe Arbeitsstelle zurückzukehren ist gesetzlich garantiert (Anmerkung: Ausnahmen wären nur im Falle von gravierenden Umstrukturierungsmaßnahmen im Unternehmen oder durch die Aufgabe ganzer Geschäftsbereiche durch das Gesetz gerechtfertigt). Zur Verbesserung der Vereinbarkeitsproblematik von Familie und Beruf sind Unternehmen in Schweden außerdem per Gesetz dazu verpflichtet, nach dem Erziehungsurlaub dieselbe Arbeitsstelle in 75%-Teilzeit zu gewährleisten, wenn dies von dem Elternteil gewünscht ist, welches in den Beruf zurückkehrt (vgl. Kap. 4.3). Die Regierung diskutiert aktuell (Interview im September 2007) ein neues Gesetz über einen finanziellen Bonus für paritätische Verteilung des Elternurlaubs, Eltern würden so umgerechnet bis zu € 1.300 pro Monat erhalten, wenn sie den Elternurlaub halbieren. Außerdem wird über eine obligatorische Teilung des Elternurlaubs nachgedacht, so dass Väter ihre Hälfte des Elternurlaubs nicht mehr an Mütter abgeben könnten, wie es heutzutage größtenteils der Fall ist. Die Expertinnen 3.1.1.1 und 3.1.1.2 finden die Idee des Vaterschaftsurlaubs gut. Die Anhänger der sozialistischen und konservativen Partei stimmen darin überein, dass der Elternurlaub halbiert werden sollte, da darin auch die Chance gesehen wird, langfristig die Gehälter von Männern und Frauen anzugleichen (3.1.1.2 Abs. 69). Expertin 3.1.1.1 gibt allerdings zu bedenken, dass der geteilte Elternurlaub zwar politisch gefordert werden kann, aber es müsse immer der individuelle Fall betrachtet werden. Die obligatorische Teilung des Elternurlaubs wird sehr kritisch beurteilt, denn Eltern sollten selbst entscheiden können, wie sie ihre Kinderbetreuung regeln und nicht zu einem bestimmten Lebensentwurf gezwungen werden (Exp. 3.3.5, Abs. 58). Interessant war im Gespräch mit den schwedischen ExpertInnen die Behauptung, dass Männer den Elternurlaub besonders im Sommer oder bei Sportereignissen in Anspruch nehmen. „(…) the man often takes parental leave over the summer and when there is an Olympic or a big championship. There are always a lot of men who use their parental leave, so that’s a bit sad, but that’s unfortunately the truth“ (Exp. 3.1.1.1, Abs. 297). Auch die Expertinnen 3.2.2 sowie 3.3.5 bestätigen die Behauptung, Männer würden ihren Elternurlaub an Ferien und Sportereignisse koppeln (Exp. 3.2.2., Abs. 114 / Exp. 3.3.5, Abs. 94). Experte 3.2.1 als Vertreter der Institutionen-Ebene bezieht sich hinsichtlich der Inanspruchnahme der Elterntage auf einen Bericht, in welchem diese untersucht wurde. So nehmen Männer zwischen 30 und 59 Tagen, Mütter praktisch nie unter 240 Tagen Elternurlaub. Auf die Frage, was seine Meinung zu der
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Behauptung ist, Männer würden ihren Elternurlaub vor allem im Sommer und bei Sportereignissen abrufen, sagt er: „That myth was brutally killed earlier this year through a study that shows that there is no such connection between major sports events and parental leave. However, there is a connection between parental leave and summer holidays, (…) but there is also a connection between mother’s parental leave and holidays. So, it’s a way of extending the holiday“ (Exp. 3.2.1, Abs. 217).
Der Mythos von Vätern, die im Sommer und bei Sportereignissen Elternurlaub nehmen, stellte sich als unwahr heraus. Es gibt zwar eine Korrelation zwischen Elternurlaub und Ferien, aber dies bei Männern und Frauen. Experte 3.2.1 sieht die Ursache für die geringe Inanspruchnahme von Elternurlaub durch Väter darin begründet, dass viele Familien sich für Mütter als Elternurlaubnehmerinnen entscheiden, weil Väter i. d. R. ein höheres Einkommen erhalten und so der Verlust für eine Familie geringer ausfällt. Die Höhe der Quote der Väter, die Elternurlaub nimmt, ist also nur eine Frage des Geldes. Er hält das Argument der finanziellen Belastung allerdings nicht für plausibel, denn die (schwedische) Gesellschaft ist heute 25% reicher als sie es vor zehn Jahren war und diejenigen, welche die größte Anzahl an Elternurlaubstagen in Anspruch nehmen, sind in der Gruppe der AkademikerInnen zu finden, die am meisten Geld verlieren, wohingegen diejenigen, die am wenigsten verlieren würden, in der Gruppe der ArbeiterInnen, am wenigsten Elternurlaub nehmen. Allerdings verliert die AkademikerIn zwar mehr, dies aber von einem höheren Einkommensniveau aus und behält so insgesamt mehr als die durchschnittliche ArbeiterIn. Die Frage, die sich Experte 3.2.1 stellt, ist, wann sich Familien und die Gesellschaft Elternurlaub für Väter leisten wollen werden (ebd., Abs. 225 & 229). Die männlichen Mitglieder der Gewerkschaft27, für die Expertin 3.2.2 tätig ist, nehmen durchschnittlich vier Monate Elternurlaub und liegen damit weit über dem Durchschnitt (Exp. 3.2.2, Abs. 50). Dies bestätigt die Aussage, dass AkademikerInnen mehr Elternurlaub in Anspruch nehmen, obwohl sie absolut mehr Einkommen in dieser Zeit einbüßen, aber eben insgesamt noch mehr zur Verfügung haben. Nach der Erfahrung von Expertin 3.2.2 können Väter ihren Elternurlaub oftmals als Gewinn „verkaufen“ und nach diesem eine höhere Gehaltssteigerung erhalten als Mütter (ebd., Abs. 56). Dies würde die These bestätigen, dass Frauen im Beruf schlechter verhandeln als Männer und oftmals zu wenig in Bezug auf Gehalt und Positionen einfordern. 27 Die Mitglieder dieser Gewerkschaft sind ausschließlich AkademikerInnen mit mindestens drei Jahren Universitäts-Ausbildung (vgl. Anhang I, S. 270).
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Das Unternehmen, in dem Expertin 3.3.1 arbeitet, zahlt 90% des vorherigen Gehalts während des Elternurlaubs bis zu einer gewissen Einkommensgrenze, bei hohen Einkommen werden 80% des vorherigen Lohns als Kompensation für Eltern vom Unternehmen gezahlt (Exp. 3.3.1, Abs. 20). Mit dieser finanziellen Bezuschussung sollen Männer und generell ArbeitnehmerInnen in Führungspositionen mit entsprechend hohen Gehältern animiert werden, Elternurlaub zu nehmen. Diese Maßnahme ist auch mit Erfolg gekrönt, denn tatsächlich nehmen hier mehr Männer Elternurlaub als vor dieser Initiative, allerdings zeigt sich bei der Dauer, dass Frauen i. d. R. dreimal so lange Elternurlaub nehmen wie ihre Kollegen (ebd., Abs. 34). Vor dem Elternurlaub gibt es im Unternehmen der Expertin 3.3.1 ein Gespräch mit den zuständigen ManagerInnen über die Vorstellungen der beruflichen Weiterentwicklung der ArbeitnehmerIn während und nach dem Elternurlaub. Auch die Fragen, ob Kontakt zum Unternehmen gewünscht wird und in welchem Ausmaß, Umfang der Arbeitszeit bei Rückkehr in den Beruf etc., werden geklärt (ebd., Abs. 36). Vor und auch während dem Elternurlaub besteht das Recht auf Gehaltsverhandlungen, d. h. Elternteile, die in Elternurlaub gehen, nehmen trotzdem an den jährlichen Gehaltsverhandlungen teil. In den Tarifvereinbarungen wurde festgehalten, dass der Elternurlaub genauso bewertet werden soll wie die Arbeit im Unternehmen, also auch ein Recht auf Gehaltssteigerung nach dem Elternurlaub besteht (ebd., Abs. 48). Im Unternehmen des Experten 3.3.2 werden 80% des vorherigen Einkommens erstattet, unabhängig von dessen Höhe (Exp. 3.3.2, Abs. 28). Diese Regelung zielt wie auch bei Expertin 3.3.1 vor allem darauf ab, Elternurlaub für Väter attraktiv zu machen und Familien allgemein finanziell zu entlasten. Auch in diesem Unternehmen nehmen Elternteile an den jährlichen Gehaltsverhandlungen teil, wodurch der Elternurlaub eben nicht zu einem langfristigen finanziellen Nachteil aufgrund von niedrigeren Gehaltssteigerungen durch den Ausfall einer Gehaltsverhandlung führt. In diesem Unternehmen wird der Elternurlaub für beide Geschlechter zunehmend als Vorteil verstanden, weil Soft Skills wie Multitasking-Fähigkeit u. ä., welche durch die Familienarbeit erworben werden, auch im Arbeitsleben effektiv genutzt werden können (ebd., Abs. 143). Expertin 3.3.3 als weitere Vertreterin der Unternehmens-Ebene beschreibt, dass in ihrem Unternehmen Vätern und Müttern gleichermaßen 90% des vorherigen Gehalts ausgezahlt werden, während sie im Elternurlaub sind (allerdings nicht für den gesamten Zeitraum). Auch hier wirkt der finanzielle Anreiz. Väter nehmen jetzt öfter und länger Elternurlaub (Exp. 3.3.3, Abs. 46 & 50). Eine Veränderung in den männlichen Netzwerken und in der Einstellung der Männer bezüglich Elternurlaub kann nach Ansicht der Expertin 3.3.3 nur geschehen,
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wenn Männer begreifen, dass sie nicht Macht an Frauen abgeben, sondern selbst persönlichen Gewinn daraus ziehen können. Die Expertin 3.3.4.1 gibt an, dass in ihrem Unternehmen die Differenz zwischen Versicherungssumme und vorherigem Gehalt in den ersten sechs Monaten des Elternurlaubs bezahlt wird, was die normale Kompensation von drei Monaten, die nach Tarifvereinbarungen verhandelt wurde, um 100% übersteigt (Exp. 3.3.4.1, Abs. 45). Trotzdem nehmen hier die meisten Väter nur zwei Monate Vaterschaftsurlaub. Expertin 3.3.5 informiert, dass eine Besprechung mit den jeweils zuständigen ManagerInnen arrangiert wird, bevor ArbeitnehmerInnen in Elternurlaub gehen, um die Modalitäten der Rückkehr zu klären. Außerdem ist es besonders wichtig, sowohl für das Unternehmen wie auch für die ArbeitnehmerIn, gegenseitig in Kontakt zu bleiben, damit der Wiedereinstieg in den Beruf ohne Schwierigkeiten gelingen kann (Exp. 3.3.5, Abs. 40). Viele ArbeitgeberInnen sind sich nicht immer bewusst darüber, wie viel sie bereits in Frauen (als Human Kapital/Arbeitskraft) investiert haben und sehen diese im Elternurlaub als verloren, aber Frauen, denen flexible Arbeitsmöglichkeiten geboten werden, könnten dem Unternehmen gegenüber loyaler werden, wodurch die Gefahr des Verlusts weiblichen Talents nach der Erziehungsphase vermindert wird (ebd., Abs. 66 & 112). Die Männer im Unternehmen der Expertin 3.3.5 nehmen nur die zwei Monate Vaterschaftsurlaub, die nicht auf Mütter übertragen werden können, was sie allerdings bereits als Fortschritt wertet (ebd., Abs. 86). Auch sie bestätigt, dass unter den Akademikern die meisten Väter sind, die Elternurlaub in Anspruch nehmen. Ein Grund könnte ihrer Meinung nach sein, dass die Einkommenshöhe unter AkademikerInnen-Paaren ähnlich hoch ist (ebd., Abs. 122). Die ExpertInnen 3.2.1, 3.3.2, 3.3.4 und 3.3.5 machen zuletzt explizit deutlich, dass sie sehr zufrieden mit der Qualität und Quantität der gesetzlichen Regelungen in Bezug auf Mutterschutz und Elternurlaub sind und diese für großzügig/generös halten (Exp. 3.2.1, Abs. 207, 209 & 225 / Exp. 3.3.2, Abs. 104 / Exp. 3.3.4, Abs. 47 / Exp. 3.3.5, Abs. 58). Bei den schwedischen ExpertInnen dominiert eine kritische Zufriedenheit mit den gesetzlichen Regelungen und Vorgaben zum Mutterschutz und Erziehungsurlaub. Kritisch deswegen, weil sich alle ExpertInnen darüber einig sind, die obligatorische Teilung des Elternurlaubs, die auf Regierungsebene diskutiert wird, um den Anteil der Väter, die Elternurlaub nehmen, zu erhöhen, führe zu einem Verlust freier Entscheidungsfindung. Auf Unternehmens-Ebene kann positiv herausgestellt werden, dass mit Ausnahme eines Unternehmens alle zusätzliche finanzielle Kompensation während des Elternurlaubs anbieten, um Personen in Führungspositionen und Män170
nern, die eben diese größtenteils bekleiden (vgl. Kap. 4.4), einen Anreiz zu liefern, Elternurlaub in Anspruch zu nehmen bzw. wird dieser finanzielle Anreiz generell mit dem Ziel geboten, das Unternehmen im Vergleich zu anderen attraktiver oder zumindest konkurrenzfähig zu machen und weibliche sowie männliche High Potentials an das Unternehmen zu binden. Auch wenn Experte 3.2.1 den Mythos von Vätern, die ihren Elternurlaub zur Verlängerung der Sommerferien oder bei Sportereignissen nehmen, Lügen straft, wird diese Behauptung von allen anderen ExpertInnen als Realität empfunden. Dies lässt den Rückschluss zu, dass Frauen in Schweden immer noch hauptverantwortlich für die Familienarbeit sind oder dies zumindest persönlich so wahrnehmen. Dieses Gefühl wird aber dahingehend bestärkt, dass der durchschnittliche schwedische Vater nur oder noch nicht einmal die zwei nicht übertragbaren Vaterschaftsmonate beansprucht und somit nicht über das Minimum an aktiver Teilhabe an der Reproduktionsarbeit hinauskommt. 4.1.2
Elterngeld
Ab dem 1. Januar 1978 wurde der Elternurlaub erneut auf insgesamt neun Monate verlängert. Damit verbunden war die neuartige Unterscheidung zwischen (normalem) Elterngeld, welches mit der Geburt eines Kindes zusammenhing und dem besonderen Elterngeld, hierbei wurden sechs Monate des Elternurlaubs sofort genommen, über die restlichen drei konnte variabel verfügt werden (Kolbe 2002, 261). Auch die Qualität des Elterngeldes zur gelegentlichen Kinderpflege veränderte sich insofern, als dass Eltern nun in allen erdenklichen Situationen Anspruch erheben konnten, in denen sie für ihre Kinder während der Arbeitszeit sorgen mussten oder wollten (ebd., 263). Ab dem 1. Juli 1980 gab es insgesamt zwölf Monate Elternurlaub, für die drei zusätzlichen Monate allerdings nur ein Elterngeld in Höhe des Garantieniveaus, welches von 32 auf 37 Kronen täglich erhöht wurde (ebd., 271). Eine weitere Neuerung war das am 1. Januar 1980 eingeführte Schwangerschaftsgeld mit Lohnersatzfunktion, welches vor allem an Frauen gerichtet war, die aufgrund von Schwangerschaftsbeschwerden ihre Erwerbstätigkeit nicht fortsetzen konnten (ebd., 272). 1980 wurde die sog. „Geschwindigkeitsprämie“ eingeführt. Wurde ein weiteres Kind 30 Monate (bzw. bis 1986 24 Monate) nach der Geburt des ersten Kindes geboren, wurde das Elterngeld nach dem Einkommen vor der Geburt des ersten Kindes bemessen. Diese Maßnahme begünstigt vor allem Elternteile, die in der Zwischenzeit teilzeiterwerbstätig sind und denen daraus keine finanziellen Nachteile entstehen (BMFSFJ 2008). Anlass zum Nachdenken boten unlängst aber die enormen Schwankungen, denen die Geburtenrate Schwedens unterliegt. 171
Das Elterngeld führte zusammen mit anderen einkommensabhängigen Leistungen, die seitdem ständig ausgebaut und erweitert wurden, zu einer relativ hohen Geburtenrate von 1,85 Kindern pro Frau im Jahr 2006, die seit Ende der 1990er Jahre stetig angestiegen ist und einer hohen weiblichen Erwerbsquote (EUROASTAT 2008b) (vgl. Kap. 4.3.1). Van Altenbockum schrieb in seinem Artikel, dass die Familienpolitik Schwedens mit der Geschwindigkeitsprämie eine prozyklische Entwicklung entlang der Wirtschaft fördere. Damit war es für Frauen besonders reizvoll, in Zeiten hoher Konjunktur und damit verbundenem hohen Gehalt Kinder zu bekommen, wohingegen in schwachen Konjunkturphasen auch der Anreiz schwach und die Geburtenrate entsprechend niedrig war (Van Altenbockum FAZ 23.11.2006, 12). 1985/86 wurde die Elternversicherung erneut reformiert und die einfachere Elternversicherung in drei Schritten eingeführt. Das Elterngeld zur gelegentlichen Kinderpflege wurde in Gelegentliches Elterngeld umbenannt, wobei es prinzipiell gleich blieb. Die zwei Leistungen, das Elterngeld und das besondere Elterngeld, die jeweils sechs Monate gezahlt wurden, wurden allerdings zu einer Leistung zusammengelegt, dem Elterngeld (Kolbe 2002, 273). 1989 betrug der Elternurlaub trotz der tiefen Krise des schwedischen Staathaushaltes und Wohlfahrtsstaates schließlich 15 Monate (ebd., 274). Mit Einführung des quotierten Monats nahm nun auch der Großteil der Väter (80%) Elternurlaub. Vor der Gesetzesänderung 1995, die zu einer Reduzierung des Leistungsniveaus nicht quotierter Monate führte, waren es lediglich 50% (Kolbe 2002, 290). Die Prozentzahl der von Vätern tatsächlich genommenen Urlaubstage (die gesamte Zahl der Tage, die in Anspruch genommen werden können, beträgt 100%) für die Zeit der Schwangerschaft, der Geburt oder der Adoption liegt bei 13,7% im Jahr 2000, 15,0% in 2001 und 16,6% in 2002 (Eydal 2005, 162). Aktuell beläuft sich das Elterngeld auf einen einkommensabhängigen Betrag von 80% des vorherigen Bruttoeinkommens, der 13 Monate ausbezahlt wird, allerdings im Jahr 2006 auf einen maximalen Betrag von SEK 410.000 (ca. € 43.500) im Jahr begrenzt wurde. Die restlichen 90 Tage der insgesamt 480 Tage Elternzeit werden zu einem Pauschalbetrag, der auch den Wert des Minimalbetrags hat, von SEK 180 pro Tag vergütet (BMFSFJ 2008). Das Elterngeld kann frühestens 60 Tage vor der voraussichtlichen Niederkunft von der Frau und bis zum 8. Geburtstag des Kindes von beiden Elternteilen in Anspruch genommen werden (Missoc 2008). Für Eltern von nach dem 1. Juli 2008 geborenen Kindern wird als Anreiz zur gleichmäüßigen Aufteilung des Elternurlaubs eine Gleichstellungszulage gewährt (Missoc 2010). In Tabelle 34 sind die wichtigsten Eckdaten der schwedischen Elternversicherung in den Jahren zwischen 1974 und 2002 zusammengefasst.
172
Tabelle 34: Die schwedische Elternversicherung 1987-2002 Datum des Inkrafttretens 1. Januar 1987 1. Juli 1989
Elterngeld nach der Geburt (Lohnersatz oder Garantieniveau)
Sonstiges
90 Tage pro Kind und Jahr für Kinder bis zu 16 Jahren
Elternurlaub kann bis zum 8. Lebensjahr des Kindes genommen werden Lohnersatzhöhe beim Schwangerschaftsgeld von 90% auf 80% gesenkt (für die ersten 3 Tage auf 65%) Pflegegeld von max. SEK 2.000 monatlich für Kinder bis zu 3 Jahren. Recht auf Kinderbetreuungsurlaub auf 3 Jahre verlängert Abschaffung des Pflege-geldes. Recht auf Kinderbetreuungsurlaub wieder auf 18 Monate verkürzt. Quotierung des Elternurlaubs: Jeweils 1 Monat kann nicht dem anderen Elternteil übertragen werden
Garantieniveau auf SEK 60 pro Tag erhöht 15 Monate; davon 3 nur mit Elterngeld in Höhe des Garantieniveaus
Lohnersatzhöhe beim Gelegentlichen Elterngeld für die ersten 14 Tage von 90% auf 80% gesenkt
1. März 1991
1. Juli 1994
Kürzung des Elternurlaubs auf 12 Monate, an die sich das neue Pflegegeld anschließt
1. Januar 1995
Wiederherstellung des Elternurlaubs von 15 Monaten (davon 3 nur mit Elterngeld in Höhe des Garantieniveaus). Senkung des lohnabhängigen Elterngeldes von 90 auf 80% des letzten Bruttoeinkommens – mit Ausnahme der 2 quotierten Monate
1. Juli 1995
Elterngeld zur Pflege eines kranken Kindes / Gelegentliches Elterngeld
Einsparungen beim Gelegent-lichen Elterngeld: 60 Tage pro Kind und Jahr für Kinder bis zum 12. Lebensjahr; weitere 60 Tage u./o. Ausdehnung auf Kinder bis
173
1. Januar 1996 1. Januar 1997 1. Januar 1998 1. Juli 2001
1. Januar 2002
Elterngeld auf 75% gesenkt. Aber: 85% für die 2 quotierten Elternurlaubsmonate Lohnersatzleistungen auch für die quotierten Monate auf 75% gesenkt Erhöhung der Lohnersatzleistungen auf 80%
zum 16. Lebensjahr in Ausnahmefällen. Kontakt-tage nur noch für behinderte Kinder Gelegentliches Elterngeld auf 75% gesenkt
Schwangerschaftsgeld auf 75% gesenkt
Wiedereinführung eines Kontakttages pro Kind und Jahr für Kinder zwischen 6 und 11 Jahren Elternurlaub und Elterngeld auf 16 Monate ausgedehnt, davon 3 Monate nur mit Elterngeld in Höhe des Garantieniveaus (SEK 60 pro Tag); Mindestbetrag des lohnabhängigen Elterngeldes SEK 120 pro Tag erhöht
Jew. 2 Monate des Eltern-urlaubs sind quotiert und können nicht dem anderen Elternteil übertragen werden. Elterngeld kann auch in Achtelbeträgen bezogen werden (zur Arbeitszeitreduzierung)
Quelle: Kolbe 2002, 422ff. Experte 3.3.2 der Unternehmens-Ebene berichtet, dass die neue Regierung um den Konservativen Fredrik Reinfeldt, der am 17. September 2006 mit 48,2% der Stimmen knapp vor dem Sozialdemokraten Göran Persson mit 46% gewonnen hat, zum Zeitpunkt des Interviews über ein Erziehungsgeld in Höhe von maximal SEK 3.000 pro Monat diskutiert, welches bereits seit Januar 2008 in zwei kleineren Städten getestet wird und ab dem 1. Juli 2008 als freiwillige kommunale Beihilfe zur Kindererziehung eingeführt wurde (Missoc 2010). Dieses Erziehungsgeld versteht sich als Entschädigung der Eltern für nicht in Anspruch genommene öffentliche Kinderbetreuung (die aus Steuermitteln finanziert wird) 174
durch die Betreuung im Privaten (vgl. Kap. 4.3.1). Alle AkteurInnen der Geschlechtergleichstellung sehen dieses Erziehungsgeld sehr kritisch, da die Abhängigkeit der Frau von Staat und Ernährer zunimmt und nach der längeren Berufsunterbrechung der Wiedereinstieg in den Beruf erschwert wird (Exp. 3.3.2, Abs. 120).
4.2 Anerkennung der familialen Arbeit Alva Myrdal setzte sich in Schweden für einen Wandel des gesellschaftlichen Bewusstseins ein, denn bei der Erfassung aller sozialen Risiken machte sie darauf aufmerksam, dass auch die Erziehung von Kindern ein soziales Risiko darstellt, welches vom Wohlfahrtsstaat getragen werden müsse. Dies nicht zuletzt, „weil diese Reproduktion zur Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft in deren ureigenstem Interesse liege“ (Leitner 1999, 69). Die schwedische Gleichstellungspolitik versucht auch nicht, die Geschlechterhierarchie in den Familien thematisch auszuschließen. Anders als Großbritannien interveniert sie auch in die Familien hinein mit dem Ziel, die gemeinsame Verantwortung von Männern und Frauen für Kinder, Haushalt und eine gleichberechtigte Partnerbeziehung zu fördern. Die sozialen Risiken, die mit der Gebär-, Pflege- und Erziehungsarbeit verbunden sind, werden nicht einfach auf die Frauen abgewälzt. Es wird vielmehr versucht, mit einem neuen Konzept elterlicher Verantwortung (welches mit öffentlicher Kinderbetreuung, einkommensunabhängigem Kindergeld und Elternurlaub abgestützt wird), der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung die Legitimation zu entziehen. „Frauen soll umgekehrt mit dem Eintritt in das Erwerbsleben ökonomische Unabhängigkeit und Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen ermöglicht werden“ (Schunter-Kleemann 1992, 274). Die Regelungen des Unterhalts im Scheidungsfall sehen seit der Neufassung des Ehegesetzes 1978 vor, dass der Unterhaltsbezieher möglichst schnell wieder ökonomisch unabhängig wird, allerdings besteht ein Anspruch auf Übergangsunterhalt, wenn dieser berechtigt ist. Durch diese Unterhaltsregelung soll die Unabhängigkeit beider Ehepartner bereits während der Ehe erreicht werden, um das Streben beider nach Erwerbsarbeit auch rechtlich attraktiv zu machen und die Gleichberechtigung der Geschlechter zu befördern (Scheiwe 1997, 84). Das Steuerrecht ermöglicht es dem Unterhaltspflichtigen, den Unterhalt für den geschiedenen Ehepartner in der Steuererklärung komplett steuermindernd geltend zu machen. Der Unterhalt für nicht dem Haushalt zugehörige Kinder hingegen ist nur zum Teil versteuerbar (ebd., 85).
175
Die Anerkennung der familialen Arbeit geschieht nicht nur durch die bereits vorgestellten finanziellen Leistungen und Arbeitsfreistellungen in Bezug auf Elternschaft, sondern wirkt sich auch im Alter, beim Rentenbezug, aus. Was dies konkret bedeutet, wird im nächsten Abschnitt erläutert. 4.2.1 Frauen im Alter - Rentenbezug Die Kindererziehungszeiten werden in Schweden indirekt durch die Grundrente (folkpension), einer Volksversicherung, anerkannt. Seit 1978 werden 18 Monate Elternurlaub pro Kind für die Zusatzversicherung angerechnet und seit 1982 zusätzlich drei Jahre Betreuungszeit eines unter dreijährigen Kindes (Scheiwe 1997, 129). Aktuell können maximal vier Versicherungsjahre pro Kind angerechnet werden, wobei hier die Voraussetzung fünf versicherungspflichtige Erwerbsjahre sind (Leitner 2007, 5). Generell haben alle Anspruch auf die volle Grundrente, die über 65 Jahre alt sind und seit 40 Jahren in Schweden leben, dies gilt unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Für jedes fehlende Jahr wird 1/40 des Rentenanspruchs abgezogen (Leitner 1998b, 49). Die volle Grundrente bei 40 Wohnsitzjahren beläuft sich aktuell auf das 2,13-fache des Grundbetrags für eine alleinstehende Person, was SEK 87.330 entspricht und auf das 1,9-fache des Grundbetrages für verheiratete Personen, was SEK 77.900 entspricht. Reduziert wird die garantierte Rente außerdem proportional zur Höhe der entgeltbezogenen Rente (Missoc 2008). In Schweden werden aufgrund der einkommensbezogenen Zugangsbarrieren, die sich auf ein Jahreseinkommen oberhalb der festgesetzten Bemessungsgrundlage belaufen, NiedrigverdienerInnen wie Teilzeit- oder geringfügig Beschäftigte aus dem staatlichen Allgemeinen Zusatzrentensystem ausgeschlossen. Allerdings werden maximal 30 Berufsjahre bei der Berechnung berücksichtigt, was wiederum Frauen zugute kommt, bei denen diskontinuierliche Erwerbsverläufe aufgrund von spätem Einstieg, frühem Ausstieg oder einer familienbedingten Unterbrechung der Erwerbstätigkeit besonders häufig auftreten (Leitner 1998b, 51). 56% der Pensionistinnen befriedigen nicht die Zugangsvoraussetzungen von 30 Jahren Erwerbsarbeit für die betriebliche Altersversorgung (ebd., 56). Die Expertinnen 3.1.1.1 und 3.1.1.2 informieren darüber, dass das Renteneintrittsalter zurzeit 65 Jahre beträgt, aber aktuell (Interview im September 2007) über ein Renteneintrittsalter von 70 Jahren für bestimmte Berufsgruppen diskutiert wird (Exp. 3.1.1.1, Abs. 194 / Exp. 3.1.1.2, Abs. 193). Allerdings ist zurzeit der Renteneintritt noch im Alter zwischen 61 und 67 möglich, wobei Abzüge 176
vorgenommen werden, wenn die 40 Wohnsitzjahre nicht erreicht sind (Missoc 2008). Ein gesetzlich festgelegter späterer Renteneintritt kann m. E. zu einer steigenden Arbeitslosenquote älterer ArbeitnehmerInnen führen, da diese am Markt nicht in gleichem Maße nachgefragt werden wie sie zur Verfügung stehen. Das Unternehmen der Expertin 3.3.1 wirkt dieser Entwicklung schon heute entgegen, denn hier haben ältere ArbeitnehmerInnen ab 58 Jahren die Möglichkeit der Altersteilzeit, wobei man zu 80% arbeitet (Arbeitszeitvolumen), 90% des vorherigen Gehalts verdient und 100% der Rentenansprüche bewahrt, diese also durch einen geringen Arbeitsumfang nicht geringer ausfallen (Exp. 3.3.1, Abs. 83). Der Rentenbezug ist ein wichtiger Bestandteil der Untersuchung von Frauen im Alter. Lindencrona und Westerholm befassten sich zudem intensiv mit der Situation von alten Frauen (wobei die Definition von alten Frauen im MERIProjekt mit 50 Jahren und älter und in den statistischen Quellen mit 65 Jahren und älter variiert (Lindencrona/Westerholm 2006, 72)) in den Bereichen Gesundheit, Gesundheitsversorgung, Pflege (zu Hause und in Institutionen), materielle Situation, soziale Integration, Partizipation, Sexualität, Gewalt gegen ältere Frauen, Bildung sowie Arbeit, worauf hier näher eingegangen wird. Im Bereich Arbeit, in welchem Frauen im Alter von 45 Jahren und älter im Fokus standen, wurde festgestellt, dass der Grad, zu dem ein Arbeitsplatz als stimulierend und einnehmend empfunden wird mit dem Wohlbefinden korreliert. Allerdings berichteten Frauen zu größerem Maße von Stress am Arbeitsplatz bei gleichzeitig höherer Intensität und Einbindung/Einbringung. Trotz des gut ausgebauten Systems sozialer Sicherung in Schweden leiden hier mehr ältere Frauen als Männer an Altersarmut, was auf ihre typische Rollenzuteilung im Privaten zurückgeführt wird und ihre dadurch schwache Präsenz auf dem Arbeitsmarkt im Laufe ihres Erwerbslebens. Zudem sind Frauen während ihrer Erwerbstätigkeit häufiger krank und gehen oftmals vor dem Rentenalter von 65 in Rente (ebd., 81). Um dem verfrühten Renteneintritt entgegenzuwirken, müssten Arbeitsmodelle entwickelt werden, die speziell auf die Bedürfnisse älterer ArbeitnehmerInnen abzielen. Ein solches Modell müsste flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorganisationen beinhalten sowie spezielle Fortbildungen für ältere ArbeitnehmerInnen berücksichtigen. In Tabelle 35 wird der Einfluss von Kindererziehungszeiten auf die Rentenansprüche in Schweden abschließend in einer Übersicht dargestellt.
177
Tabelle 35: Die Bedeutung der Kinderversorgung und Familiensituation für die Rentenansprüche von Müttern (SE) Direkte positive Berücksichtigung Differenzierung der Rentenhöhe nach der Familiensituation Umfang der Hinterbliebenenrenten Anerkennung von Kindererziehungszeiten Absicherung der Scheidungsfolgen Indirekte positive Berücksichtigung Volksrenten Mindestrenten oder Festbeiträge Frauenfreundliche Ausgestaltung des Zeitfaktors in der Rentenformel Negative Auswirkungen Rigide Verknüpfung der Rentenformel mit Erwerbskarriere Anforderungen an Beitragszeiten und Kontinuität Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter Quelle: Scheiwe 1997, 146
gering mittel (Erwachsene); hoch (Kinder) hoch ja ja ja
Keine (Grundrente), mittel (Zusatzrente) keine (Grundrente), mittel (Zusatzrenten) gering
4.3 Vereinbarkeit von Familie und Beruf Im Rahmen einer international vergleichenden Studie mit dem Titel: „Mütter zwischen Familie und Beruf“ wurde für Schweden festgestellt, dass die staatlichen Hilfen zwar dazu geführt haben, Frauen in die Berufsarbeit zu integrieren, es aber nicht geschafft haben, Männer in die Reproduktionsarbeit einzubinden. Dieses Ungleichgewicht entsteht nicht nur aufgrund mangelnden Interesses der Männer für die familiale Arbeit, sondern auch, weil Frauen trotz ausgeprägter beruflicher Identität immer noch an ihrer „Familienidentität“, ihrer „Reproduktionsidentität“ festhalten (Eckart 1990, 17). „There is one big mistake I think, historically here and it’s that in the process of creating possibilities for the women to work at the labour market. Someone forgot that these women had been doing a lot of jobs in the homes. These jobs still have to be done“ (Exp. 3.2.1, Abs. 201).
178
Nach Meinung des Experten 3.2.1 liegt bei der Ermöglichung von Frauenerwerbstätigkeit ein historischer Fehler vor, denn jemand (hier gesamtgesellschaftlich gemeint) hat vergessen, dass Frauen viele haushaltsbezogene Arbeiten ausgeführt haben, die jetzt trotzdem noch erledigt werden müssen. Die Work-Life-Balance war zunächst nur auf die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen ausgelegt, spricht aber mittlerweile auch Männer und generell alle ArbeitnehmerInnen an. Die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt ist wesentlich weiter fortgeschritten als die Integration der Männer in die Familienarbeit, obwohl die zwei in Schweden eingeführten „PapaMonate“ zeigen, dass auch Männer gerne bereit sind, einen Teil des Elternurlaubs (bei hoher Lohnersatzleistung) für sich zu beanspruchen (Dettling 2004, 106). Aus der folgenden Tabelle zur Zeitverwendung von Männern und Frauen geht jedoch hervor, dass die Reproduktionsarbeit auch in Schweden nach wie vor eindeutig weiblich konnotiert ist. Tabelle 36: Zeitverwendung von Frauen und Männern in Schweden Erwerbsarbeit / Bildung Frauen Männer 3:12 4:25
Hausarbeit F 3:42
M 2:29
Arbeit insgesamt F M 6:54 6:54
Mahlzeiten & Köperpflege F M 2:28 2:11
Freizeit F 5:04
M 5:24
Anmerkung: Alter von 20 bis 74 Jahren; Angaben in Stunden und Minuten pro Tag.
Quelle: Eurostat 2006b Der Arbeitsaufwand insgesamt ist durchschnittlich zwar gleich, aber Männer verwenden den Großteil ihrer Zeit auf Erwerbsarbeit, Frauen hingegen auf Hausarbeit. Durch flexible Arbeitszeitregelungen ist es vielen Elternteilen, aber vor allem Müttern, möglich, die Kindererziehung eines Kleinkindes mit einer Erwerbstätigkeit zu verbinden. Die Arbeitszeit kann bis zum 8. Lebensjahr des Kindes oder bis zum Abschluss des 1. Schuljahres reduziert und mit dem verbleibenden Elternurlaub sowie Elterngeld verrechnet werden. Hierbei besteht die Möglichkeit, eine Vollzeiterwerbstätigkeit um 75%, 50%, 25% oder 12,5% mit den ent-sprechenden Abzügen beim Elterngeld zu reduzieren (BMFSFJ 2008). Trotzdem bleibt es schwer, Familie und Beruf zu vereinbaren, auch die Vertreterin der politischen Ebene, Expertin 3.1.1.1, bestätigt dies, zumindest wenn eine Vollzeiterwerbstätigkeit angestrebt wird und man lediglich die öffentliche Kinderbetreuung zur Unterstützung nutzen kann, bspw. weil die Öffnungszeiten zu unflexibel sind. Einige Familien können sich zusätzlich eine Haushaltshilfe oder ein Au-pair leisten, für alle anderen ist es sehr anstrengend, Mutter, Erwerbstätige und Zuständige für Haushalt zu sein (Exp. 3.1.1.1, Abs. 358). 179
Das größte Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die Zeit bzw. Zeitknappheit. Statistiken zeigen, dass Frauen mehr Aufgaben bewältigen müssen und mehr zeitlichen Druck haben als Männer, die ihre Zeit flexibler einteilen können (Exp. 3.2.2, Abs. 110). Expertin 3.2.2 nennt deshalb das JobSharing, bei dem sich zwei Personen eine Arbeitsstelle teilen, als mögliche Lösung, um eine Entlastung vom zeitlichen Druck zu erhalten (ebd., Abs. 128). Eine neue Initiative der Regierung, die am 1. Juli 2007 in Kraft getreten ist, soll nun Eltern entlasten, indem diese als private ArbeitgeberInnen von Haushalts- und Kinderbetreuungsdienstleistungen bewertet und finanziell unterstützt werden (vgl. Kap. 4.3.1). Diese Initiative wurde in den Medien als reine Haushalts- im Sinne von Putzhilfe dargestellt, aber für die Expertin 3.2.2 bedeutet sie viel mehr als das, nämlich Kinderbetreuung abends und am Wochenende zu haben (Exp. 3.2.2, Abs. 102 & 104). Expertin 3.3.1 sagt aus, dass es in Schweden völlig akzeptiert ist, berufstätig zu sein und Familie zu haben bzw. Mutter zu sein. Aber auch in Schweden, wo Eltern und Kinder einen gesellschaftlich positiv bewerteten Status haben, herrschen in männerdominierten Berufen (bspw. Juristen) sehr traditionelle Sichtweisen, verknüpft mit langen Arbeitszeiten, wenig Akzeptanz für familiale Pflichten und kaum Möglichkeiten zur Vereinbarkeit (Exp. 3.3.1, Abs. 300). Der „home and family service“, der von allen Banken in Schweden angeboten wird und zehn Stunden pro Monat Haushalts- oder Betreuungsarbeit für Eltern mit Kindern unter acht Jahren beinhaltet, gibt zusätzlich mehr Flexibilität und Zeit, um sich auf die berufliche Karriere zu konzentrieren. Allerdings nutzt bei weitem nicht jede ArbeitnehmerIn diesen Service, da die Steuern für die zehn Arbeitsstunden von den ArbeitnehmerInnen abgeführt werden müssen (ebd., Abs. 10 & 16). Im Unternehmen der Expertin 3.3.1 ist es möglich, in Absprache mit den jeweiligen Vorgesetzten, flexible Arbeitszeiten individuell zu vereinbaren, solange das Kundengeschäft nicht darunter leidet. Auch Teilzeitarrangements sind möglich, was vor allem von Frauen genutzt wird, ebenso möglich ist es, von zu Hause aus zu arbeiten, wobei es zu dieser Form des flexiblen Arbeitens auch kritische Stimmen gibt, die sagen, ArbeitnehmerInnen würden dadurch gezwungen, noch mehr zu arbeiten. Expertin 3.3.1 ist allerdings nicht dieser Meinung. „And then some critical persons sometimes say `well, then you only force your employees to work more´, because they can work from home. Well, that’s not my opinion“ (ebd., Abs. 73). Expertin 3.3.4.1 gehört zu diesen KritikerInnen, obwohl sie flexiblen Arbeitszeiten auch positive Effekte zuschreibt. Sie fragt, ob das eine Work-Life-Balance sei, wenn das Telefon ständig angeschaltet ist, weil eine permanente Erreichbarkeit gefordert wird oder erforderlich ist. Andererseits erhalten ArbeitnehmerInnen durch flexible Arbeitszeiten auch mehr Freiheiten bezüglich der individuellen Lebensgestaltung (ebd., Abs. 65). „(…) 180
but on the other hand, is that work-life-balance or is it not, because you then constantly need to be hooked on the computers and your telephone is always on. So it has two aspects, but it gives you a freedom, that normal work cannot give you“ (ebd.). Experte 3.3.2, ebenfalls Vertreter der Unternehmens-Ebene, beschreibt, dass auch in seinem Unternehmen verschiedene Möglichkeiten der flexiblen Arbeit möglich gemacht werden. Auch hier wird der „home and family service“ als geschlechterneutrales Angebot bereitgestellt, da er gleichermaßen von Frauen wie von Männern in Anspruch genommen werden kann (Exp. 3.3.2, Abs. 90). Ähnlich wie im Unternehmen der Expertin 3.3.1 wurde im Unternehmen des Experten 3.3.2 nach einer Befragung eine Liste mit Forderungen der weiblichen Arbeitnehmer formuliert, um für diese die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Gefordert wurden 1. die Steigerung der Kompensationsleistungen hinsichtlich des Elternurlaubs, 2. Hilfe bei Haushalts- und Betreuungsaufgaben und 3. mehr Optionen flexibler Arbeitszeiten. Die ersten beiden Forderungen wurden bereits erfüllt, an der Umsetzung der dritten Forderung wird noch gearbeitet (ebd., Abs. 92 & 96). Auch in den Unternehmen der Expertinnen 3.3.3 und 3.3.4.1/3.3.4.2 wird versucht, die Vereinbarkeit zu verbessern, indem die Möglichkeit besteht, am PC zu Hause zu arbeiten und flexible Arbeitszeiten angeboten werden. Eine Reduzierung der Arbeitszeit ist unter den Angestellten mit Kindern sehr populär (Exp. 3.3.3, Abs. 158 / Exp. 3.3.4.1, Abs. 67). Da es für ca. 90% der ArbeitnehmerInnen möglich ist, auch im Falle der Krankheit des Kindes von zu Hause aus zu arbeiten, sieht Expertin 3.3.4.1 keine Notwendigkeit, zusätzliche Leistungen (extra Urlaubstage o. ä.) für Eltern anzubieten (Exp. 3.3.4.1, Abs. 125). Expertin 3.3.5 der Unternehmens-Ebene benennt die Flexibilität als sehr wichtigen Faktor bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ihr Arbeitgeber konnte ihr diese bieten, so ist sie bereits ein halbes Jahr nach der Geburt ihres Kindes wieder in den Beruf eingestiegen (im Umfang von einigen Arbeitsstunden auf Teilzeitbasis) (Exp. 3.3.5, Abs. 76 & 82). Im Gespräch mit den schwedischen ExpertInnen wurden einige Schwerpunkte deutlich. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. die sog. WorkLife-Balance kann nicht alleine durch Gesetze vorgegeben oder bestimmt werden, sondern muss ebenso am Arbeitsmarkt entwickelt werden. ArbeitgeberInnen werden also zu HauptakteurInnen bei der Bereitstellung von Regelungen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die ArbeitnehmerInnen zu ermöglichen. Damit verbunden ist die Forderung der ExpertInnen, ArbeitgeberInnen entsprechend zu unterstützen. Es wurden hier bereits einige Initiativen und Maßnahmen vorgestellt wie die Initiative der Regierung, die Eltern als private ArbeitgeberInnen von Dienst181
leistungen finanziell unterstützt oder der „home and family service“ auf Unternehmens-Ebene. Dominiert hat in den Gesprächen mit den ExpertInnen allerdings der Wunsch nach flexibleren Arbeitszeiten sowie längeren und flexibleren Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen (vgl. Kap. 4.3.1), wobei Aussagen zu flexiblen Arbeitszeiten überwiegen. Auch wird häufig betont, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur schwer und unter persönlichen Abstrichen wie Freizeitaktivitäten gelingt, zumal heutige Familien nicht auf ein privates Netzwerk zurückgreifen können, wie es in der traditionellen Familie existierte. Eltern stoßen also an gewisse Grenzen, nicht zuletzt an zeitliche, wobei den AkteurInnen aus Politik und Wirtschaft die Aufgabe zufällt, Regelungen und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bereitzustellen, damit im Idealfall die ArbeitnehmerInnen aus einem Pool an Möglichkeiten die individuell beste Kombination zur Lösung des Vereinbarkeitsproblem wählen können. Schweden ähnelt mit den vorgebrachten Positionen seiner ExpertInnen zu flexibler Arbeit und Kinderbetreuung den Argumentationen sowohl der britischen wie auch der französischen ExpertInnen. Ein großer Unterschied liegt allerdings darin, dass bei der Vereinbarkeit von schwedischen ExpertInnen viele Möglichkeiten der Problemlösung gesehen werden, wobei sich das Individuum entscheiden muss, welche Art der Flexibilität es wünscht. Interessant ist bei den Überlegungen zur Vereinbarkeit auch die Einschätzung der ExpertInnen, ob Frauen in Schweden eine freie Wahlmöglichkeit zwischen einer Erwerbstätigkeit oder Ausstieg aus dieser mit privater, häuslicher Kinderbetreuung haben oder nicht. In Schweden sind zwei Expertinnen der Meinung, es bestünde eine freie Wahlmöglichkeit und drei ExpertInnen sehen die freie Wahl als nicht gegeben. Bei freier Wahl ist der Lebensstandard ein Schwerpunkt, würde dieser auf einem niedrigeren Niveau akzeptiert, könnten Familien mit einem Gehalt auskommen (Exp. 3.3.1, Abs. 260). Die Erhaltung eines relativ hohen Lebensstandards hingegen zwingt Paare mit Kindern in die Erwerbstätigkeit (Exp. 3.2.1, Abs. 193). Die Erwerbstätigkeit der Frau steht heutzutage außer Frage, was auch von Frauen so gewollt ist, weshalb sie die freie Wahl haben (Exp. 3.3.3, Abs. 174), allerdings wäre hierbei die Gefahr der Reproduktion von Stereotypen und traditioneller Arbeitsteilung gegeben (Exp. 3.2.1, Abs. 193). Keine Wahlmöglichkeiten hingegen sehen die ExpertInnen 3.2.1 (Abs. 193), 3.3.2 (Abs. 110) und 3.3.5 (Abs. 100). Grund für diese Einschätzung ist die ökonomische Notwendigkeit eines Doppelverdienerhaushalts und die individuelle Besteuerung, die eine freie Wahlmöglichkeit ausschließt (Exp. 3.3.2, Abs. 110). Die Dekommodifizierung für Frauen und Männer mit Kindern ist nur während des Elternurlaubs möglich (Exp. 3.3.5, Abs. 56).
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4.3.1 Bereitstellung von sozialer Infrastruktur und deren Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen Schweden gehört zum nordeuropäischen Kinderbetreuungsregime, welches Gleichberechtigung und Kinderbetreuung als staatliche Aufgabe betrachtet. So vollzog sich in Schweden schon frühzeitig ein Wechsel vom AlleinernährerModell hin zu zwei gleichberechtigten Elternteilen, die für ihren eigenen Unterhalt verantwortlich sind (Jönsson/Letablier 2003, 88). Das moderne Kinderbetreuungssystem in Schweden hat seinen Ursprung in einer Kombination aus den crèches des 19. Jahrhunderts und den Kindergärten, die um die Jahrhundertwende (19./20. Jh.) existierten. Während die crèches eingerichtet wurden, um nicht verheiratete Mütter zu unterstützen, hatte der Kindergarten den Zweck, die Entwicklung des Kindes gegen eine Gebühr zu fördern. Alva Myrdal wollte die guten Seiten beider Modelle in einem System vereinen und so entstanden ihre sog. Großen Kinderhorte (storbarnkammare). Diese kostenlosen Horte wurden von speziell ausgebildeten Pädagogen geleitet und gingen in die heutige Betreuung von Vorschulkindern über (Meisaari-Polsa 1997, 335). Bereits 1943 gewährte der Staat erstmals Zuschüsse für Kindertagesstätten, Ende der 1940er Jahre wurden kostenlose Schulmahlzeiten eingeführt (Kolbe 2002, 76). Aufgrund eines 1962 veröffentlichten Gutachtens über den zukünftigen Bedarf an Arbeitskräften kamen die Sachverständigen zu der Erkenntnis, dass das angestrebte Produktionswachstum in der Industrie aufgrund des Arbeitskräftemangels nur dann erreicht werden könnte, wenn man mit der Bereitstellung von Teilzeitarbeitsplätzen, Fortbildungsmaßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung und einem wesentlichen Ausbau der kommunalen und privaten Kinderbetreuungseinrichtungen die Arbeitskraftreserve der verheirateten Frauen mobilisieren könnte (Meisaari-Polsa 1997, 91f.). Mit dem gesetzlich garantierten Kinderbetreuungsurlaub und dem Recht auf vorübergehende Arbeitszeitverkürzung bis zum achten Lebensjahr des Kindes sollte die Gleichstellung der Geschlechter weiter befördert werden. In den 1970er arbeiteten Mütter zu 29% Vollzeit, 37% Teilzeit und 34% arbeiteten überhaupt nicht, wohingegen 95% der Väter mit Kindern im Vorschulalter Vollzeit erwerbstätig waren (Kolbe 2002, 265f.). 1975 wurde ein Gesetz verabschiedet, welches den Rechtsanspruch aller Sechsjährigen auf einen Vorschulplatz sicherte. 1977 trat das Kinderbetreuungsgesetz mit einem Fünfjahresplan in Kraft, wonach bis 1982 100.000 neue Tagesstätten und 50.000 neue Kinderhortplätze geschaffen werden sollten. Ziel war es, bis 1987 für alle erwerbstätigen oder studierenden Eltern sowie für Eltern von Kindern mit Behinderungen oder
183
Entwicklungsstörungen einen Platz in der kommunalen Kinderbetreuung bereitzustellen (ebd., 246). Kinderbetreuung und -plätze werden auf kommunaler Ebene geregelt und zugeteilt, wobei aktuell ein Betreuungsplatz innerhalb von drei Monaten bereitgestellt werden muss, allerdings kann dieser ggf. auch weiter vom Wohnort entfernt liegen (Exp. 3.2.1, Abs. 181). I. d. R. funktioniert das System aber gut, praktisch hat jedes Kind einen Platz in der Vorschule (die im Kindesalter von 18 Monaten bis zwei Jahren begonnen wird), was aber als System nicht unumstritten ist, räumt Experte 3.2.1 ein, da viele Eltern länger mit ihren Kindern zu Hause bleiben würden (ebd., Abs. 183). Nach neuen gesetzlichen Regelungen steht Eltern ab Juli 2008, die keine öffentliche Kinderbetreuung nutzen, aber trotzdem Steuern zahlen, durch die auch die Betreuungseinrichtungen finanziert werden, ein finanzieller Ausgleich für die private Betreuung zu Hause in Höhe von max. SEK 3.000 für Kinder von einem bis drei Jahren zu. Dieses Erziehungsgeld kann mit Teilzeitarbeit kombiniert werden (ebd., Abs. 193). Allerdings obliegt den Kommunen das Recht, dieses Erziehungsgeld einzuführen, zu finanzieren und zu verwalten (Missoc 2010). Außerdem gibt es eine neue Initiative, die im Juli 2007 gestartet wurde und eine finanzielle Unterstützung der ArbeitnehmerInnen durch die Unternehmen darstellt. ArbeitnehmerInnen werden bei dieser Initiative als individuelle ArbeitgeberInnen bezüglich Haushaltsdienstleistungen verstanden und mit bis zu SEK 100.000 pro Jahr für Haushaltshilfen und Kinderbetreuung unterstützt, um bspw. Kinderbetreuung abends, am Wochenende oder im Krankheitsfall sowie Hilfe für den Haushalt in Anspruch nehmen zu können. Die Kosten für private Kinderbetreuung gibt Expertin 3.2.2 mit SEK 350 pro Stunde an. Diese Initiative ist aber nicht besonders erfolgreich, da sie aufgrund der finanziellen Mehrausgaben kaum von Unternehmen angeboten wird (Exp. 3.2.2, Abs. 104 & 106). Im Folgenden werden die verschiedenen Formen der (öffentlichen) Kinderbetreuung vorgestellt: Die Schulpflicht der Kinder umfasst alle 7- bis 16Jährigen, die sich auf Grundschulen, Schulen für Samen (1.-6. Klasse der Grundschule), Gymnasien sowie Spezialschulen für sinnesgeschädigte und Sonderschulen für geistesgeschädigte Kinder verteilen. Die Eltern müssen für dieses öffentliche Betreuungsangebot (Vorschule eingeschlossen) keinen Beitrag leisten (Kriwet 2000, 164), denn die kommunalen Behörden in Schweden sind zur Bereitstellung solcher Betreuungsangebote verpflichtet. Für Kinder im Alter zwischen einem und zwölf Jahren besteht in Schweden ein Rechtsanspruch auf öffentliche Kinderbetreuung (Jönsson/Klammer/Knijn 2003, 190). Eltern müssen für die Kinderbetreuung maximal 3% des Bruttoeinkommens für das erste Kind, 2% für das zweite und 1% für das dritte Kind aufwenden, wobei dieser Elternanteil an den Kinderbetreuungskosten auf max. € 84 pro Monat begrenzt ist 184
(BMFSFJ 2008). Außerschulische Betreuung, die auch während der Ferienzeiten zur Verfügung steht, wird durch Freizeitzentren, Tagesmütter oder Vereine organisiert, wobei die schulischen Räume genutzt werden können (Jönsson/Klammer/Knijn 2003, 186). Bei der Kleinkinderbetreuung stehen Kindern im Vorschulalter von 6:30 Uhr bis 18:30 Uhr Kindertagesstätten (dagis) zur Verfügung. Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren können Schülertagesstätten (fritids), mit den gleichen Öffnungszeiten wie bei den dagis, nutzen, wo sie auch Hausaufgabenbetreuung, Freizeitaktivitäten und Kursprogramme zur Auswahl haben. Tagesmütter (dagmammas, selten auch Tagesväter – dagpapas) werden für ihre Tätigkeit, die sozial abgesichert und arbeitsrechtlich geschützt ist, von den Kommunen bezahlt. Eltern, die nachts arbeiten, stehen die Nachtkindergärten (nattis) zur Verfügung, welche durchgehend geöffnet sind. Alle Kindergärten sind ganzjährig geöffnet und bieten Eltern so die maximale Flexibilität (Kurpjoweit 1997, 189). 48% der Kinder unter drei Jahren und 79% der Kinder über drei Jahren bis zum schulpflichtigen Alter sind in Betreuungseinrichtungen untergebracht (Hans-Böckler-Stiftung 2006). Der Bericht der EU-Kommission zur Umsetzung der Barcelona-Ziele bestätigt, dass das Ziel der 33%igen Versorgung der unter 3Jährigen in Schweden bereits übertroffen wurde. Auch das Ziel der 90%igen Versorgung der Kinder zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter (bis 2010) ist laut Bericht bereits übertroffen (Europäsche Kommission 2008b, 6), was bedeutet, dass in Schweden in den letzten Jahren die Kinderbetreuung stetig ausgebaut wurde. 98% aller schwedischen Kinder im Alter von sechs Jahren besuchen eine Vorschule oder eine reguläre Schule, bevor sie mit sieben Jahren schulpflichtig werden, was Mütter und Väter erheblich entlastet. Außerdem nehmen 66% der 6bis 9-Jährigen ein Betreuungsangebot außerhalb der Schulzeit wahr, in welchem ein warmes Mittagessen und eine Mahlzeit am Nachmittag eingeschlossen sind (Jönsson/Klammer/Knijn 2003, 185). Expertin 3.1.1.1 der Politik-Ebene bewertet die Kinderbetreuung in Schweden bis zu einem gewissen Grad als gut, allerdings müssen die Kinderbetreuungseinrichtungen flexibler werden, vor allem in Bezug auf die Öffnungszeiten, die mit Bereitstellung von Betreuung von 8-17Uhr nicht ausreichen. Zudem wünscht sie sich eine größere Akzeptanz bzw. Rücksichtnahme von in Kinderbetreuungseinrichtungen beschäftigten Frauen gegenüber vollzeiterwerbstätigen Müttern. Sie berichtet von beinah bösen Blicken, die ihr von der Kindergärtnerin zugeworfen werden, wenn sie ihre Kinder freitags nach 16 Uhr abholt. „You get almost a bad look if you come on a Friday after four o’clock and haven’t picked up your child“ (Exp. 3.1.1.1, Abs. 261). 185
Experte 3.2.1 kritisiert an den Betreuungseinrichtungen ebenso, dass die Erzieherinnen geschlechterblind seien. Der Umgang mit den Kindern und die Einstellungen der Erzieherinnen sind stark stereotyp und traditionell geprägt, obwohl diese nach einer gesetzlichen Vorgabe angewiesen sind, Geschlechterstereotypen entgegenzuarbeiten. Grund hierfür ist allerdings, dass Erzieherinnen sich dieser Handlungen nicht bewusst sind oder aber keine Kenntnis darüber haben, wie sie diesen entgegenwirken könnten. Auf diesem Gebiet muss nach Einschätzung des Experten 3.2.1 noch viel Arbeit geleistet werden (Exp. 3.2.1, Abs. 115). Er persönlich schätzt die öffentliche Kinderbetreuung aber trotzdem als eine ausgezeichnete Art des sozialen Trainings ein, welches Eltern alleine nicht leisten können. Interessant ist die Information von Expertin 3.1.1.2, dass es vor ca. zehn Jahren noch mehr Männer gab, die in Kinderbetreuungseinrichtungen tätig waren, aber es Vorfälle von sexuellen Übergriffen gegeben hat und nun Männer, die in Kinderbetreuung arbeiten wollen, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen müssen. Dieses kollektive Misstrauen führte dazu, dass diese Arbeitsplätze für Männer unattraktiver wurden (Exp. 3.1.1.2, Abs. 151). ExpertInnen 3.3.1 und 3.3.2 geben an, dass es in ihren Unternehmen keine interne oder vom Unternehmen geförderte Kinderbetreuung gibt, aber den von allen Banken Schwedens angebotenen „home and family service“ (s. o) (Exp. 3.3.1, Abs. 10 & 16 / Exp. 3.3.2, Abs. 90). Nach Einschätzung der Expertinnen 3.3.3 (Abs. 58) und 3.3.4.1 (Abs. 156) ist eine unternehmensinterne Kinderbetreuung aufgrund des gut ausgebauten Systems in Schweden auch nicht notwendig. Eine gute Kinderbetreuung ist gerade für Frauen notwendig, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, denn heutzutage kommt die Tatsache hinzu, dass es kaum noch traditionelle Familien gibt, auf deren Netzwerk Frauen zurückgreifen können und welches vorübergehende Betreuungsengpässe kompensieren kann (Exp. 3.3.5, Abs. 68). Die schwedischen ExpertInnen sind zufrieden mit der Quantität und Qualität der Kinderbetreuung und sehen diese als wichtige Voraussetzung für die Kommodifizierung der weiblichen Erwerbstätigkeit. Aufgrund der gut ausgebauten Kinderbetreuung wird von den ExpertInnen keine Notwendigkeit zu unternehmensinterner Kinderbetreuung gesehen. Auf Unternehmens-Ebene ist so das einzige zusätzliche Angebot, dass auf die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf abzielt, der home and family service. Trotzdem schätzen die ExpertInnen ihre jeweiligen Arbeitsstellen als kinder- und familienfreundlich ein. An allen Arbeitsplätzen ist das Mitbringen der Kinder nicht problematisch, gilt allerdings als Ausnahme. Kritisiert werden die öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen jedoch aufgrund der wenig flexiblen Öffnungszeiten und der mangelnden Toleranz der 186
Erzieherinnen gegenüber Vollzeit erwerbstätigen Müttern. Zudem wird die fehlende Geschlechtersensibilität der Erzieherinnen bemängelt, durch die Stereotypen und traditionelle Handlungsmuster reproduziert werden. Hier gibt es noch viel Verbesserungspotential. Traurig ist die Tatsache, dass Männer im Betreuungswesen aufgrund von pädophilen Vorfällen in Generalverdacht geraten sind und nun ein polizeiliches Führungszeugnis bei einer Bewerbung im Bereich Kinderbetreuung einreichen müssen. Es verwundert nicht, dass diese Vorfälle Misstrauen bei Eltern geschürt haben und Männer mit Ambitionen, in der Kinderbetreuung zu arbeiten, durch diese Vorurteile abgeschreckt werden, wobei die niedriege Zahl männlicher Beschäftigter noch weitere Gründe hat wie bspw. Vorbehalte gegen traditionell weiblich geprägte Berufsfelder. Die Auswirkungen des zu Beginn des Jahres 2008 eingeführten steuerlichen Ausgleichs für die private Kinderbetreuung müssen abgewartet werden. In Frankreich, wo das Erziehungsgeld bereits seit 2004 implementiert ist, konnten negative Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit der Frauen beobachtet werden. Für schwedische Frauen bedeutet dieser finanzielle Anreiz m. E. ebenso längere familienbedingte Pausen und größere Probleme beim Wiedereintritt in den Beruf. Auch die schwedischen ExpertInnen machen deutlich, dass eine lange Erwerbsunterbrechung, ob durch Elternurlaub oder Krankheit (Exp. 3.1.1.1, Abs. 21 / Exp. 3.1.1.2, Abs. 24) der Karriere der Frau schadet. Zudem sind Unterbrechungen von Frauen i. d. R. länger als die der Männer, so dass Frauen beim Wiedereinstieg in den Beruf nach dem Elternurlaub eine schlechtere Position als diese einnehmen. Aber auch die Unternehmen sind bemüht, der Frau dabei zu helfen, diese Unterbrechung möglichst kurz zu halten, indem individuelle Karrierepläne und flexible Arbeitszeiten möglich gemacht werden (Exp. 3.2.2, Abs. 68). Um den tatsächlichen Einfluss von Kindern auf die weibliche Erwerbstätigkeit und die Förderung durch Kinderbetreuungseinrichtungen zu überprüfen, werden zunächst die Erwerbsquoten betrachtet. Im Jahr 2007 konnten alle drei Länder das EU-Ziel einer weiblichen Beschäftigungsquote von 60% bis 2010 erfüllen. Die Beschäftigungsquote von Frauen liegt in Schweden mit 71,8% im Jahr 2007 (vgl. Tab. 37) ebenso wie die Quote im VZÄ zwar im Vergleich mit Frankreich und Großbritannien höher, aber auch hier beträgt die Differenz dieser Quoten knapp 15% (im Jahr 1998, vgl. Tab. 38). Neuere Zahlen liegen zwar nicht vor, doch auch hier kann m. E. die Annahme getroffen werden, dass das EU-Ziel einer weiblichen Beschäftigungsquote von 60% im VZÄ noch nicht erreicht wäre.
187
Tabelle 37: Beschäftigungsquote in % (Schweden)
EU 27 EU 15 SE EU 27 EU 15 SE
1998
2000
2001
2002 2003 Insgesamt
2004
2005
2006
2007
61.2
62.2
62.8
62.4
62.6
63.0
63.6
64.5
65.4
61.4
63.4
64.1
64.2
64.5
64.8
65.4
66.2
67.0
70.3
73.0
74.0
73.6 72.9 Männer
72.1
72.5
73.1
74.2
70.3
70.8
70.9
70.4
70.3
70.4
70.8
71.7
72.5
71.2
72.8
73.1
72.8
72.7
72.7
73.0
73.6
74.2
72.8
75.1
75.7
74.9 74.2 Frauen
73.6
74.4
75.5
76.5
54.3
54.4
54.9
55.5
56.3
57.3
58.3
55.0
55.6
56.2
57.0
57.8
58.8
59.7
72.3
72.2
71.5
70.5
70.4
70.7
71.8
EU 52.0 53.7 27 EU 51.6 54.1 15 SE 67.9 70.9 Quelle: Eurostat 2008e
Positiv zu bemerken ist, dass die allgemeine Beschäftigungsquote der Frauen, also Voll- und Teilzeitarbeit zusammengenommen, im Jahr 2007 nur knapp fünf Prozentpunkte unter jener der Männer liegt, wobei beide Quoten eine analoge Entwicklung durchlaufen und seit 2005 kontinuierlich gestiegen sind. Tabelle 38: Beschäftigungsquoten in Vollzeitäquivalenten 1998 in (%) (SE) Insgesamt
Männer
Frauen
Differenz
EU 15
55,7
70,8
40,7
30,1
SE
62,8
70,0
55,3
14,7
Quelle: Bosch 2002, 214
188
Tabelle 39: Arbeitslosenquote in % (Schweden)
EU 27 EU 15 SE EU 27 EU 15 SE EU 27 EU 15 SE
1998
2000
2001
2002 2003 Insgesamt
2004
2005
2006
2007
n. v.
8.7
8.5
8.9
9.0
9.0
8.9
8.2
7.1
9.3
7.7
7.2
7.6
7.9
8.1
8.1
7.7
7.0
8.2
5.6
4.9
4.9 5.6 Männer
6.3
7.4
7.0
6.1
n. v.
7.8
7.7
8.3
8.4
8.5
8.3
7.6
6.6
8.2
6.7
6.4
6.9
7.3
7.4
7.5
7.1
6.4
8.4
5.9
5.2
5.3 6.0 Frauen
6.5
7.5
6.9
5.8
n. v.
9.8
9.4
9.7
9.7
9.8
9.6
8.9
7.8
10.7
8.9
8.3
8.5
8.7
8.9
8.9
8.5
7.8
8.0
5.3
4.5
4.6
5.2
6.1
7.4
7.2
6.4
n. v. = nicht verfügbar
Quelle: Eurostat 2008f Auch die Arbeitslosenquote der Frauen ist im Jahr 2007 nur 0,6% höher als die der Männer, allerdings hat die männliche Quote seit 2005 stärker abgenommen als die weibliche (vgl. Tab. 39). Tabelle 40: Erwerbstätigkeit und Vorhandensein von Kindern (SE) Erwerbstätige Männer zwischen 16-64 (in %) Erwerbstätige Frauen zwischen 16-64 (in %) Erwerbstätige Mütter mit Kindern zwischen 0-6 (in %) Davon Vollzeit erwerbstätig (in %) Geburtsrate (total)
79,5 74,8 76,6 56,2 1547
Anmerkung: Angaben 2000-2003.
Quelle: Eydal 2005, 165
189
Trotz vielfältiger Maßnahmen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf begünstigen, ist es Müttern nicht in gleichem Maße möglich, einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachzugehen wie dies für Frauen ohne Kinder oder nicht aktiv an der Erziehung beteiligte Männer der Fall ist. Die Erwerbstätigkeit von Müttern in Vollzeit liegt knapp 20% unter der von Frauen ohne Kinder (vgl. Tab. 40) und wie in den anderen beiden hier verglichenen Ländern auch, nimmt die Quote mit der Anzahl der Kinder weiter ab. In den skandinavischen Staaten wird ein Großteil der Sorgearbeit in Form von professionalisierter Erwerbsarbeit erbracht, was die sozialstaatliche Absicherung dieser Arbeit bedeutet (Becker 2000, 103). Mit der Professionalisierung der Sorgearbeit ist gleichzeitig ein Anstieg der weiblichen Erwerbsquoten verbunden, da auch die entlohnte Sorgearbeit überwiegend von Frauen getätigt wird. „Selbst Mütter mit kleinen Kindern sind beinahe ausnahmslos berufstätig. Den Lebensentwurf `Hausfrau´ gibt es so gut wie nicht mehr. Nur zwei Prozent aller schwedischen Frauen waren (1992) nie erwerbstätig“ (Schunter-Kleemann 1992, 274). Diese enorm hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen scheint im ersten Moment in einem Widerspruch zu der höchsten Geburtenhäufigkeit (Geburtenziffer 2,1; aktuell 1,71) im OECD-Vergleich im Jahre 1992 zu stehen. Doch auch diese hohe weibliche Erwerbsquote muss differenziert und kann nicht nur positiv betrachtet werden. Ein hoher Anteil der in die Erwerbsarbeit eintretenden Frauen ist Teilzeit erwerbstätig, weil nicht genügend Vollzeitbeschäftigungen angeboten werden. Unter Teilzeitarbeit versteht man in Schweden alle Arbeitsverhältnisse mit einer wöchentlichen Arbeitszeit unter 35 Stunden. Allerdings hat Teilzeiterwerbstätigkeit für Frauen (und Männer) in Schweden die geringsten negativen Folgen im europäischen Vergleich, da ArbeitnehmerInnen bereits ab einer wöchentlichen Arbeitszeit von 17 Stunden versicherungsrechtlich den Vollbeschäftigten gleichgestellt sind, wobei aber erst ab 22 Stunden wöchentlich ein Rentenanspruch erworben wird (ebd., 277). Wie aus der nachfolgenden Tabelle deutlich hervorgeht, liegt der Anteil der Teilzeitbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung im Jahr 2000 bei 35,7% und hat sich im Vergleich zum Jahr 2007 weiter auf 39,5% gesteigert. Der Anteil an Teilzeitbeschäftigung bei den Männern hat zwar auch zugenommen, aber nur um 1,4%, wodurch sich der geschlechtsspezifische Unterschied bis zum Jahr 2007 weiter auf -29% vergrößert hat. Es kann zwar von einer generellen Ausweitung der Teilzeitarbeit am Arbeitsmarkt gesprochen werden, dennoch sind Frauen davon in größerem Maße betroffen. Zudem spricht die steigende geschlechtsspezifische Differenz für die Tatsache, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiterhin überwiegend von Frauen bewältigt werden muss.
190
Tabelle 41: Anteil der Teilzeitbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung und geschlechtsspezifische Unterschiede in % (SE) 2000
EU 27 Eurozone SE
2007
Männer 5,9 5,1
Frauen 28,7 30,4
Männer 6,9 6,9
Frauen 30,7 34,8
Geschlechtsspezifischer Unterschied 2000 2007 -22,8 -23,8 -25,3 -27,9
9,1
35,7
10,5
39,5
-26,6
-29,0
Anmerkung: Teilzeitbeschäftigte als Anteil an allen beschäftigten Personen in der Altergruppe 15-64.
Quelle: Eurostat 2008g Ein Problem, welches sich speziell im Sektor der Teilzeitarbeit stellt, ist die anhaltende Arbeitsmarktsegregation. Frauen sind eher in die Bereiche der Erwerbsarbeit vorgedrungen, in denen sie nicht mit Männern konkurrieren mussten. Zusätzlich häufen sich in den von Frauen dominierten Teilzeitbereichen (im öffentlichen und privaten Dienstleistungssektor) Arbeitsplätze mit kurzen Anlernzeiten, minderen Qualifikationsanforderungen und fehlenden Aufstiegschancen. Frauen arbeiten „regelmäßig unregelmäßig“ als Verkäuferinnen in den Abendstunden und am Wochenende oder im Krankenhaus in Schichtsystemen (Schunter-Kleemann 1992, 278). Auch die ExpertInnen bestätigen die statistischen Zahlen und können für ihre Arbeitsbereiche ebenso feststellen, dass der Großteil der Teilzeitarbeitsplätze von Frauen besetzt ist (Exp. 3.1.1.2, Abs. 98 / Exp. 3.3.1, Abs. 83 / Exp. 3.3.2, Abs. 60 / Exp. 3.3.4.1, Abs. 61 & 63). Außerdem arbeiten diejenigen Männer, die in Teilzeit beschäftigt sind, dies nicht, weil sie Kinder versorgen müssen, sondern weil sie bspw. die Angebote bezüglich der Altersteilzeit nutzen. Im Unternehmen des Experten 3.3.2 waren 150 Männer und 1270 Frauen in Teilzeit erwerbstätig (insgesamt sind hier 55% der Angestellten weiblich und 45% männlich, die Erwerbspopulation beträgt 8.000 Angestellte in Schweden, 2.500 außerhalb Schwedens (Exp. 3.3.2, Abs. 60)). Da Eltern heutzutage die Elternzeit in Teilzeit nehmen können, rechnet der Experte mit einem weiteren Anstieg der Teilzeitarbeit bei beiden Geschlechtern (ebd., Abs. 62).
191
4.4 Frauen in Führungspositionen Spezifische, landestypische Ausschlussmechanismen durch die Mitgliedschaft in elitären Clubs oder Abschlüssen an Eliteuniversitäten, die bereits vor dem Berufseinstieg Ungleichheiten produzieren, konnten für Schweden anders als in Großbritannien und Frankreich weder in der Sekundärliteratur noch von den ExpertInnen identifiziert werden. Trotz des Fehlens expliziter Ausschlussmechanismen müssen diese implizit wirken, da weibliche Studenten in Schweden paritätisch - in manchen Disziplinen sogar stärker - vertreten sind, aber nicht in gleichem Maße wie ihre männlichen Kollegen Führungspositionen erreichen. Im Jahr 2005 betrug der Anteil der weiblichen Manager an den Managern insgesamt nur 29,8% (und lag damit unter dem EU-25 Durchschnitt von 32,1%) (Eurostat 2006a), d. h. dass nur knapp jede dritte Führungsposition von einer Frau besetzt ist, wobei hier nicht nach der Qualität der Positionen differenziert wird, sondern alle Positionen von unteren bis oberen Managementebenen in diesem Wert zusammenkommen. Im Jahr 2006 lag der Anteil der weiblichen Manager an den Managern insgesamt bei 31,8% (Europäische Kommission 2008a), was eine Steigerung zum Vorjahr bedeutet, aber auch in Schweden nehmen Frauen größtenteils untere und mittlere, nur selten obere, Führungspositionen ein. Allerdings weist Schweden nach Norwegen (mit 34%) den zweithöchsten Anteil der Frauen in Unternehmensvorständen mit 24% im Jahr 2007 (Europäische Kommission 2008a, 36) auf, ebenso sind im Jahr 2007 45,5% Frauen Mitglieder des parlamentarischen Überwachungsrates, welcher die Zentralbank beaufsichtigt (ebd., 33), auch der Anteil der Frauen an Ministern in der nationalen Regierung wird mit ca. 45% im Jahr 2007 nur von Norwegen und Finnland überschritten (ebd., 23). In der Sekundärliteratur sind die Problematiken der Eliteförderung sowie des Ausschlusses von Frauen von Positionen mit umfassenden Führungsaufgaben in Schweden nicht in dem Maße präsent wie dies bspw. für Großbritannien und Frankreich der Fall ist. Umso spannender ist die Einschätzung der acht interviewten ExpertInnen aus Politik, Institutionen und Wirtschaft, die sich zu diesem Thema geäußert haben. Im ExpertInnengespräch wurde deutlich, dass Frauen zum Großteil auf unteren und mittleren Managementebenen verbleiben und die Managerinnenquote somit mit steigender Position sinkt. Eine mögliche Ursache ist die geschlechtsspezifische Segregation am Ausbildungsmarkt, die sich darin äußert, dass Frauen bspw. in den Naturwissenschaften unterrepräsentiert sind. Das Glass Ceiling Phänomen wurde also auch hier identifiziert, was darauf schließen lässt, dass es keiner offensichtlichen Ausschlussmechanismen bedarf, um zu ungleichen Entwicklungen der Geschlechter am Arbeitsmarkt zu führen. 192
Gerade im öffentlichen Sektor verwundert aber die Stärke des Glass Ceiling, denn obwohl das schwedische Arbeitsgesetz eindeutig darauf abzielt, dass sich Institutionen und Unternehmen um Parität bei der Besetzung von Führungspositionen bemühen sollen, kann der schwedische Staat als größter Arbeitgeber für Frauen mit einem Anteil von 80% weiblicher Angestellter dies nicht leisten. Nur 25% der ManagerInnen sind weiblich, was bei 80% weiblicher Angestellter in noch stärkerem Maße verwunderlich ist (Exp. 3.2.1, Abs. 143) als es bspw. bei einem Unternehmen mit 30-40% weiblicher Angestellter der Fall wäre. Expertin 3.2.2 der Institutionen-Ebene bestätigt, dass Frauen im mittleren Management stecken bleiben. Das Problem der Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen nimmt überproportional mit der Höhe der Position zu (Exp. 3.2.2, Abs. 68). So sind in den zwei Bankhäusern, aus denen ich je eine Expertin und einen Experten interviewt habe, 38% (Exp. 3.3.1, Abs. 6 & 8) bzw. 37% (Exp. 3.3.2, Abs. 40) der Manager weiblich, allerdings sind diese zum Großteil im mittleren Management angesiedelt, womit auch hier das Glass Ceiling identifiziert wurde. Expertin 3.3.3 benennt die Zahlen der Frauen in ihrem Unternehmen wie folgt: 40% im Management, 5% Generaldirektorinnen/Geschäftsführerinnen (CEOs), 15% durchschnittlich (in allen Führungspositionen) (Exp. 3.3.3, Abs. 8). In dem Telekommunikationsunternehmen der Expertinnen 3.3.4.1 und 3.3.4.2 ist eine paritätische Verteilung zwar nicht erreicht, allerdings entspricht der Anteil der weiblichen Manager von 22% exakt dem Anteil an der gesamten weiblichen Erwerbspopulation von 22%, was unternehmensintern als großer Erfolg gewertet wird (Exp. 3.3.4.1, Abs. 24 & 26). Erklärungsansätze für das Glass Ceiling im öffentlichen Sektor gibt der Experte 3.2.1 nicht, allerdings kann angemerkt werden, dass ein erheblicher Anteil dieser 80% der Frauen in Teilzeit beschäftigt ist und diese Form der Erwerbsarbeit in allen Branchen gleichermaßen zu einer Verstärkung des weiblichen Nichterreichens von Führungspositionen führt. Allerdings besteht hier kein quantifizierbarer kausaler Zusammenhang zwischen Teilzeiterwerbstätigkeit und Führungspositionen. Teilzeiterwerbstätigkeit ist zwar ein wichtiger Faktor, aber nur ein möglicher Erklärungsansatz für das Glass Ceiling - Phänomen. Nach Experte 3.2.1 ist der Grund für die unegalitäre Repräsentation von Frauen in Führungspositionen generell, dass Männer heute den Großteil der führenden Positionen besetzen und damit auch größtenteils für die Stellenbesetzung zuständig sind. Er spricht in diesem Zusammenhang von Homo-Sozialität, womit hier die Bevorzugung von Männern durch Männer gemeint ist. „The principle of homosociality is very, very strong. So men have their own network where they search for new managers and it’s very difficult for skilled and experienced women to enter these networks“ (Exp. 3.2.1, Abs. 139). Aber nicht nur 193
Männer müssen ihr Verhalten bei der Einstellung und Beförderung reflektieren, auch Frauen in Führungspositionen üben in einigen Fällen Diskriminierung aus, indem sie wiederum Frauen bevorzugen und dies rigoroser durchführen als Männer in Führungspositionen (Exp. 3.1.1.1, Abs. 358). Ein weiterer Erklärungsversuch des Experten 3.2.1 liegt in der Sozialisation der Menschen begründet. Frauen und Männer wachsen mit völlig unterschiedlichen Erwartungen an die eigene Person auf und so verwundert es ihn nicht, dass in einer Gruppe von Menschen (er nennt hier das Beispiel der StudentInnen) immer der Mann die Führungspositionen bzw. Leitung der Gruppe übernimmt. Er glaubt nicht, dass es genetische Unterschiede sind, die sich auf die Verteilung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt auswirken (Exp. 3.2.1, Abs. 143). Experte 3.3.2 sieht u. a. die erwartete Mobilität als ein Karriere-Hindernis für Frauen, da hohe Positionen einen hohen Grad an Mobilität und Flexibilität verlangen, den Frauen aufgrund ihrer Zuschreibung zur Reproduktionsarbeit oftmals nicht leisten können (Exp. 3.3.2, Abs. 32 & 84). Forschungen zu den DCC zeigten dies auch und beschrieben, dass Mobilitätsentscheidungen in der Mehrzahl der Fälle zugunsten der Karriere des Mannes getroffen werden. Quotierungen zur Frauenförderung sind als Maßnahme stark umstritten. Frauen wollten nicht als Tokens28, sondern als qualifizierteste Bewerberin wahrgenommen werden. Auch Rankings, die Aufschluss über den Frauenanteil auf verschiedenen Führungsebenen geben, werden kritisch betrachtet, da diese kein geeignetes Werkzeug darstellen, um die tatsächliche Macht von Frauen auf bestimmten Positionen abzubilden oder gar zu messen (Exp. 3.1.1.1, Abs. 80). So könnte der Frauenanteil der Führungsebene eines Unternehmens bspw. 50% betragen, ohne dass dieser Anteil einen Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen hat, weil die Positionen mit weit reichenden Entscheidungs- und Machtbefugnissen von Männern besetzt sind. Im Unternehmen der Expertin 3.3.1 sind bereits einige konkrete Maßnahmen entwickelt worden, um den Anteil weiblicher Führungskräfte zu erhöhen. So müssen bei der Neubesetzung von Stellen beide Geschlechter unter den letzten drei Kandidaten vertreten sein, auch wenn die beste Frau eigentlich nur die achte Position erreicht hat (Exp. 3.3.1, Abs. 117 & 119). Diese Art der kurzfristigen positiven Diskriminierung soll zu einer Visualisierung beider Geschlechter führen. Es muss dabei nicht zur Einstellung der Frau kommen, aber das Motiv hierbei ist, Frauen ins Blickfeld zu rücken und damit zu gewährleisten, dass diese überhaupt wahrgenommen und mit Spitzenpositionen in Verbindung gebracht werden, um evtl. bei der nächsten Stellenbesetzung berücksichtigt zu werden 28 Token (engl.) = Gutschein oder Spielmarke. Dieser Begriff drückt einen rein symbolischen, nicht realen Wert einer Sache bzw. in diesem Fall einer Person aus.
194
(ebd., Abs. 121). Um den Erfolg oder Misserfolg dieser Maßnahme zu erkennen, gibt es hier einen Top Management Review (TMR). Diese Aufstellung der Führungskräfte soll auch bei der Visualisierung von geeigneten Personen für Führungspositionen helfen und kann somit durchaus als Instrument der Frauenförderung verstanden werden (ebd., Abs. 134). Im Unternehmen des Experten 3.3.2 wird ein jährlicher Gender Equality Plan erstellt. Hier soll der Anteil an weiblichen Managern gesteigert werden, indem Frauen regelmäßig darüber befragt werden, was von Seiten des Unternehmens zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geleistet werden kann (Exp. 3.3.2, Abs. 19) (vgl. Kap. 4.3). Das Unternehmen der Expertin 3.3.3 hatte die konkrete Zielvorstellung, den durchschnittlichen Anteil von Frauen in Führungspositionen von 15% auf 30% zu erhöhen und hat daraufhin zur gezielten Frauenförderung einen 3-Jahres Plan entworfen, der aus folgenden sechs Punkten besteht: (1) Beschluss 15% auf 30% bekannt machen, (2) Mapping29, welche Frauen in Führungspositionen wollen, (3) flexiblere Arbeitszeiten für Work-Life-/Family-Balance, (4) MentoringProgramme, (5) AkteurInnen für Glass Ceiling - Problem sensibilisieren sowie (6) Frauen-Netzwerke bilden. Dieser Aktionsplan war sehr erfolgreich, das Ziel von 30% wurde mit 34% sogar noch überschritten (Exp. 3.3.3., Abs. 18, 22, 26, 32, 36 & 38). Expertin 3.3.3 beschreibt zudem ihre Beobachtung, dass Männer in Führungspositionen durchschnittlich mehr Kinder haben, Frauen mit vielen Kindern in Führungspositionen eine Ausnahme bilden (ebd., Abs. 154). Auch in diesem Punkt wird wieder eine Position der DCC Forschung deutlich und bestätigt die Vermutung, dass an der männlichen Karriere zwei Personen arbeiten, während die Frau dabei meist in Teilzeitarbeit verbleibt. Zur Verbesserung der geschlechtsspezifischen Segregation innerhalb des Unternehmens der Expertinnen 3.3.4.1 und 3.3.4.2 wird eine verstärkte Repräsentation des Unternehmens an Universitäten geplant, um vermehrt auch weibliche Talente anzusprechen (Exp. 3.3.4.1, Abs. 17). Expertin 3.3.5 weist für ihr Unternehmen darauf hin, dass die Verteilung in der Erwerbspopulation fast paritätisch ist, ebenso sind Frauen in Führungspositionen vertreten. Dies wird von den KundInnen so gewünscht und eingefordert, wodurch die Gleichstellung der Geschlechter zu einem Unternehmensvorteil wird (Exp. 3.3.5, Abs. 62). Gerade Frauen, als Kundinnen, Arbeitnehmerinnen und Geschäftspartnerinnen, aber auch geschlechtersensible AkteurInnen im Wirtschaftsprozess allgemein, fragen verstärkt nach der Unternehmensstruktur und deren Diversity Strategien, wodurch Unternehmen einem gewissen Erfolgs29
Mapping (engl.) = Abbildung
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druck hinsichtlich ihrer Diversität und Maßnahmen hinsichtlich der Geschlechtergleichstellung unterliegen und KundInnen über den Markt so eine Kontrollund Evaluierungsinstanz bilden, die über Angebot und Nachfrage die Qualität der Frauenförderung bzw. Diversity Strategien eines Unternehmens beeinflusst. Dieser Vorteil ist eine bedeutende Entwicklung und ein starkes Argument für die Gender Issues, um mehr Druck zur Erreichung der Geschlechterdemokratie auszuüben. Die Meinungen der ExpertInnen zum Thema „Frauen in Führungspositionen“ sind ebenso wie die Problemlösungsstrategien sehr unterschiedlich und zahlreich, was in der Multikausalität der Ursachen und dem gleichzeitigen Vorhandensein verschiedenster AkteurInnen (vom Staat über Institutionen, Unternehmen bis zum Individuum) begründet liegt. Es wird hier deutlich, dass es kein Patentrezept zur Förderung weiblicher Exzellenzen geben wird, aber Beispiele der good practice, die in modifizierter Form sicherlich als Vorbild für weitere konkrete Frauenfördermaßnahmen dienen können, ohne aber langfristige positive Diskriminierung auszuüben, was von vielen ExpertInnen als kontraproduktiv eingeschätzt wird. Im Gespräch mit den schwedischen Expertinnen (hierzu haben sich nur Frauen geäußert) wird deutlich, welchen hohen Stellenwert das Mentoring hier im Berufsleben einnimmt und welches Potential zur Ausbildung weiblicher Karrieren ihm zugeschrieben wird. Auch wird betont, dass Frauen sich nicht in eigenen Netzwerken isolieren sollten, sondern ein gemischtgeschlechtliches Netzwerk als Ideal angestrebt wird (Exp. 3.3.3, Abs. 69). Diese Netzwerke für Männer und Frauen müssen auf die Lebensbedingungen der Frauen eingehen, also möglichst wenig Zeit in Anspruch nehmen, weil der Zeitmangel eine Hauptursache ist, warum Frauen seltener in Netzwerken agieren (Exp. 3.3.1, Abs. 123), wie schwedische Untersuchungen zeigten. In gemischtgeschlechtlichen Netzwerken werden außerdem keine prominenten MentorInnen mehr benötigt, wie dies bei Frauennetzwerken in der Vergangenheit beobachtet wurde (Exp. 3.1.1.1, Abs. 60), weil das Interesse beider Geschlechter und die Zusammenarbeit in diesen mehr Öffentlichkeit schafft als reine Männer- oder Frauennetzwerke.
4.5 Gender Pay Gap Die Monats-Einkommen (nicht Stundenlöhne) im Vollzeitäquivalent der ArbeitnehmerInnen im Alter von 18-64 Jahren dienen in Schweden als Datengrundlage für die Berechnung des Gender Pay Gap. Die Statistik berücksichtigt hierbei nicht ArbeitnehmerInnen, die weniger als 5% der Vollzeit-Stunden arbeiten. Die Datenquelle ist der Bericht über die nationalen Strukturdaten zu Einkommen 196
(Eurostat 2008a). Die Umkehr der Beweislast im Diskriminierungsfall gilt in Schweden nur im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen, wodurch es bspw. Selbstständigen in einem Unternehmen oder einer Institution (als Berater o. ä.) erschwert wird, Gehaltskorrekturen aufgrund eines geschlechtsspezifischen Diskriminierungsverdachts gesetzlich durchzusetzen. Der Gender Pay Gap war in Schweden zwischen 1975 und 1995 mit durchschnittlich 14% am niedrigsten. 1994 betrug dieser 16%. Bezogen auf Berechnungen, die sich ausschließlich auf den privaten Sektor beziehen, lag der Gender Pay Gap in Schweden im Jahr 2002 ebenso bei ca. 16%, ist aber geringer, wenn man den öffentlichen Sektor, der gleiches Entgelt für gleiche Arbeit gewährleisten muss, in die Berechnung mit einbezieht. 2004 betrug der Gender Pay Gap bereits 17% und 2005 wiederum 16% (Europäische Kommission 2006, 22f.). Schweden scheint sich in den letzten 15 Jahren auf dieser Höhe einzupendeln. Die Senkung eines niedrigeren Wertes (im Vergleich mit Großbritannien und Frankreich) scheint hier schwerer zu sein. Der Wert liegt zwar mit 16% einen Prozentpunkt über dem EU-Durchschnitt von 15% im Jahr 2005 (vgl. Tab. 16, S. 102), die Interpretation der Gender Pay Gap Werte ist jedoch vielschichtig und wurde bereits diskutiert (vgl. Kap. 2.5). Der Gender Pay Gap ist in der Gruppe der gut ausgebildeten ArbeitnehmerInnen am größten. In Schweden betrug dieser im September 2007 11% bereinigt, d. h. versch. Faktoren, die zur Einkommensdifferenz führen, wurden berücksichtigt, 22% unbereinigt, es verbleiben also 10%, die nur mit reiner Einkommensdiskriminierung erklärt werden können (Exp. 3.2.2, Abs. 14 & 22). 2007 wurde der Behörde für Gleichstellung und Chancengleichheit des Ombudsmannes bzw. zurzeit der Ombudsfrau (Jämställdhetsombudsmannen (JämO)) von der Regierung der Gender Pay Gap als Fokus ihrer Tätigkeiten und Maßnahmen vorgeschrieben. Die Behörde JämO führt ein jährliches Gender Equal Pay - Monitoring durch. Von 380 ArbeitgeberInnen, die zu der Erstellung einer Übersicht ihrer Gehälter verpflichtet sind, haben in 2007 nur 8% eine Übersicht erstellt. Auf die Nachfrage hin, ob dies evtl. mit dem vermehrten Arbeitsaufwand zusammenhinge, meinte Experte 3.2.1, die Richtlinien zur Erstellung der Gehaltsaufstellung seien konform mit den unternehmerischen Gehaltsstrukturen, es bestünde also kein großer, zusätzlicher Arbeitsaufwand. Der Trend der letzten 15 Jahre, der weg von Tarifvereinbarungen der Arbeitgeber- und – nehmerInnen Verbände hin zu individuellen Gehaltsverhandlungen führt, trägt zusätzlich zur Intransparenz der Gehälter bei (Exp. 3.2.1, Abs. 25 & 29). Per Gesetz ist der Gender Pay Gap Report zwar gefordert, aber Experte 3.3.2 schildert aus der Unternehmens-Perspektive, dass dieser keine hohe Akzeptanz genießt, denn nun müssen nicht mehr nur gleiche, sondern auch gleichwertige Tätigkeiten verglichen werden, was sehr zeitintensiv ist und subjektive Ar197
beitsbewertung beinhaltet. Dies ermöglicht es, immer Gründe zu finden, um unterschiedlich zu bewerten, wenn man dies will (Exp. 3.3.2, Abs. 10). Er fordert deshalb zumindest ein gleiches Einstiegsgehalt für alle ArbeitnehmerInnen, denn seiner Meinung nach sollte auch nicht jeder das gleiche Gehalt bekommen, sondern individuell nach Leistung bezahlt werden (ebd., Abs. 27). Expertin 3.1.1.1 berichtet von einem konkreten Gender Pay Gap in ihrem Arbeitsumfeld, da der einzige Mann in ihrer Abteilung des Amtes mehr verdient als seine Kolleginnen. Er hat zwar geringfügig mehr Erfahrung, aber Expertin 3.1.1.1 ist sich sicher, dass er nur mehr verdient, weil er ein Mann ist. „And we know by fact, (…) that the man in our group, he got in a much higher level of wages and the women who got in got a lot lower (…). There is just one explanation to that and that is that he is a man“(Exp. 3.1.1.1, Abs. 240). Experte 3.2.1 sieht eine Ursache des Gender Pay Gap darin begründet, dass Unternehmen mehr finanzielle Mittel in männliches Human Kapital investieren, weil der Erwartungswert höher ist, denn Frauen fallen häufiger aufgrund von Reproduktionsarbeit aus. „We know that employers tend to hold in a lot more resources on their male staff than on their female. And one reason for that is that women still have the main responsibility for home and children. So the employer knows that if I invest time and money to develop my human resources, my personal, I am sure to get better return if I put the money into a man“(Exp. 3.2.1, Abs. 141).
Die Mobilität ist ebenso ein entscheidender Faktor für höhere Gehälter und die Existenz eines Gender Pay Gap. Männer wechseln öfter den Arbeitsplatz, verbunden mit häufigeren Ortswechseln, erlangen so mehr Qualifikationen und sind in einer stärkeren Verhandlungsposition als Frauen, denn oftmals werden Gehaltserhöhungen in Unternehmen als Anreiz eingesetzt, um qualifizierte Männer an das Unternehmen zu binden und deren Humankapital nicht zu verlieren, weil ihnen mehr Mobilität als Frauen unterstellt wird. „(…) the branch manager consciously or unconsciously says: `oh, Inga there, she is doing a great job, but she isn’t moving anyway, so she gets 500, but Hans, he is also doing a great job, maybe if I don’t pay enough, he goes to another branch, so he gets more´. There are a lot of reasons why females are far behind in salaries“(Exp. 3.3.2, Abs. 84).
Eine Möglichkeit zur Auflösung des Gender Pay Gap wird in der generellen Anhebung der Löhne gesehen. Problematisch hierbei ist aber, dass für Unternehmen generell kein Anreiz besteht, Frauen mehr zu zahlen als nötig bzw. individuell verhandelt (Exp. 3.1.1.1, Abs. 127). Eine weitere Lösungsstrategie wird 198
in der Anhebung der Gehälter für typische Frauenjobs durch die Privatisierung des öffentlichen Sektors und mehr Konkurrenz in diesem gesehen, was aber auch kritisch beurteilt wird, denn der öffentliche Sektor muss eigene Lösungen entwickeln, zudem soll die Arbeitsbewertung objektiv bleiben. Fühlen sich ArbeitnehmerInnen im Unternehmen des Experten 3.3.2 hinsichtlich ihres Gehalts diskriminiert, können diese bei der Gewerkschaft Beschwerde einlegen und die verantwortliche ManagerIn muss die Gehaltsentscheidung daraufhin begründen (Exp. 3.3.2, Abs. 152). Die Gewerkschaft der Expertin 3.2.2 hilft ihren Mitgliedern, ihr Gehalt zu ermitteln (im Internet gibt es Gehaltsrechner, Statistiken zu Durchschnittsgehältern sowie eine telefonische Beratung), d. h. jene Höhe, welche diese bei Gehaltsverhandlungen verlangen sollten. Außerdem bietet die Gewerkschaft Verhandlungskurse an, denn aufgrund von unbezahlten Überstunden der white collar workers (also gut ausgebildeter Fachkräfte/AkademikerInnen) wird ein hohes Grundgehalt wichtiger zur Erhaltung des Lebensstandards (Exp. 3.2.2, Abs. 32). Um den Gender Pay Gap langfristig zu reduzieren, fordert die Expertin 3.2.2, dass der Erziehungsurlaub stärker von Vätern in Anspruch genommen werden muss, damit Frauen aufgrund von Mutterschaft keine Gehaltsnachteile bei Verhandlungen haben (ebd., Abs. 58). Im Unternehmen der Expertin 3.3.1 wird ein jährliches „Salary Mapping“ durchgeführt. Werden hierbei geschlechtsspezifische Einkommensdifferenzen festgestellt, werden diese sofort behoben, indem die verantwortliche ManagerIn das Gehalt der betroffenen Person aufstockt. Die Behörde JämO überprüft dieses Salary Mapping und Vorbilder sowie Negativbeispiele werden öffentlich gemacht, wodurch ein gewisser öffentlicher Druck auf die Unternehmen erzeugt wird (Exp. 3.3.1, Abs. 58 & 107). „And lucky us, we were mentioned as one of the companies who did that very well“ (ebd., Abs. 109). Das Unternehmen dieser Expertin ist also auf dem richtigen Weg, den Gender Pay Gap zu schließen. Allerdings sagt sie auch, dass der Gender Pay Gap im Durchschnittsgehalt nicht eindeutig nur auf das Geschlecht zurückzuführen ist, es gäbe eben mehr männliche Manager, die mehr verdienen (ebd., Abs. 234), womit der Gender Pay Gap als strukturelles Problem mit der Frage verknüpft ist, wie mehr Frauen in Führungspositionen gelangen können. Auch im Unternehmen der Expertin 3.3.3 ist der Gender Pay Gap vorhanden und wird durch die gesetzlich vorgeschriebenen jährlichen Berichte identifiziert. Allerdings macht die Expertin deutlich, dass das Unternehmen versucht, einer ArbeitnehmerIn so wenig wie möglich zu zahlen. Das Einstiegsgehalt ist individuelle Verhandlungssache, danach übernimmt die ArbeitnehmerInnen-Vertretung die Verhandlung (Exp. 3.3.3, Abs. 138, 144 & 146). Da Frauen weniger Verhandlungskompetenz in Bezug auf die Gehälter
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zugesprochen wird, starten diese meist direkt mit einer Einkommensdifferenz im Vergleich zu männlichen Kollegen. Im Unternehmen der Expertin 3.3.4.1 wurde das Ziel der Schließung des Gender Pay Gap bereits erreicht (Exp. 3.3.4.1, Abs. 108). Zuvor wurde der Pay Gap durch Zuschüsse aus dem Pott der Gehaltssteigerungen zugunsten der Frauen geschlossen. Wurde also festgestellt, dass bei einer allgemeinen Erhöhung von bspw. 3% ein Gender Pay Gap auftrat, wurden 2% den Frauen zugeteilt und die Männer erhielten 1%. „We have maybe a total salary increase of 3% and maybe there is a gap so that we need to put 2% of the 3% to the females to close the gap, we have done that and the males got 1%“ (ebd., Abs. 115). Durch die hohen Anforderungen, welche das Gesetz an ArbeitgeberInnen in Schweden stellt, also ein Salary Mapping durchzuführen und einen Equal Pay Review zu erstellen, ist das Problem des Gender Pay Gap im Bewusstsein aller AkteurInnen präsent, wobei diese Vorschriften in der Umsetzung qualitativ und quantitativ selten so gelingen wie es sich der Gesetzgeber vorstellt. Dies kann an mangelnder Kommunikation der Anforderungen und Umsetzung von Seiten der Behörden bzw. des Gesetzgebers oder aber an der Zeitintensität der Erstellung liegen, da nicht nur gleiche, sondern auch gleichwertige Arbeitsplätze hinsichtlich ihrer Gehaltsstruktur verglichen werden müssen, was eine hohe Sensibilität bei der Tätigkeitsbewertung sowie einen zeitlichen Mehraufwand erfordert. Ursachen des Gender Pay Gap werden vor allem in der Diskontinuität aufgrund von Erziehungsurlaub gesehen und der eingeschränkten Mobilität aufgrund der Betreuungs- und Versorgungspflichten, was mit der Diskussion um die DCC übereinstimmt. Denn auch in der Sekundärliteratur wurde festgestellt, dass selbst bei DCCs, die als besonders gleichwertige Paare gelten, Mobilitätsentscheidungen i. d. R. zugunsten der männlichen Karriere getroffen werden. Bei einigen ExpertInnen wird deshalb die Forderung nach gleichen Einstiegsgehältern laut, um zumindest gleiche Startbedingungen am Anfang der Erwerbsbiografie zu gewährleisten. Zudem müssen familiale Pflichten unter den Geschlechtern paritätisch verteilt werden, damit Frauen keine Nachteile entstehen, weil potentielle ArbeitgeberInnen nicht in gleichem Maße in weibliches Humankapital, welches oftmals durch Diskontinuität in der Erwerbsbiografie gekennzeichnet ist, investieren wollen. Außer der Vermeidung der Ursachen werden hier keine konkreten Maßnahmen zur Schließung des Gender Pay Gap genannt. Wird beim „Salary Mapping“ eine Differenz der Gehälter festgestellt, wird die Schließung der Lücke durch finanzielle Bezuschussung von Seiten des Unternehmens eingeleitet, was allerdings nicht zur langfristigen Verringerung des Gender Pay Gap führen kann, da nicht an den Ursachen, sondern nur an den Symptomen gearbeitet wird.
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4.6 Gender Mainstreaming Als Kontrollinstanz zur Überwachung möglicher Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt wurde bereits 1980 die Institution eines Ombudsmannes für Gleichstellung (JämO) eingerichtet. Diese Einrichtungen sind Schiedsstellen mit schlichtender und vermittelnder Funktion in Arbeitsmarktfragen und beantworten Verbraucherfragen, befassen sich mit ethnischen Problemen und bieten rechtlichen Schutz. Schwedens JämO wird als Symbol der Gleichstellungsarbeit gesehen. In den Jahren 1989 bis 1991 wurden vom JämO 175 Diskriminierungsfälle bearbeitet, wobei 90% von Frauen angezeigt wurden. Der Großteil der Verstöße bezog sich auf die Amtsbesetzung im öffentlichen Dienst, Pensionsbedingungen, Lohnunterschiede und sexuelle Belästigung (Kurpjoweit 1997, 230). Die Institution JämO muss zwar Berichte über Ausgaben und Zielvereinbarungen verfassen und der Regierung vorlegen, in der Ausführung der Arbeit ist sie aber völlig unabhängig (Exp. 3.2.1, Abs. 90). Die Regierung gibt Gesetze bezüglich Antidiskriminierung und Geschlechtergleichstellung vor, deren Umsetzung JämO überprüft. Diese sind zurzeit: 1. Equal Opportunities Act (1980) (fordert u. a. die Förderung des unterrepräsentierten Geschlechts in Berufsgruppen von ArbeitgeberInnen), 2. Equal Treatment of Student Act (2001), 3. Act Prohibiting Discrimination (2005), 4. Act Prohibiting Discrimination and other Degrading Treatment of Children and Pupils in School (2006), 5. Veränderung im Parental Leave Act (2006), nach dem Benachteiligungen von ArbeitnehmerInnen aufgrund von Elternurlaub abgebaut werden müssen (ebd., Abs. 111). Mit Hilfe der Gleichstellungsgesetze nimmt JämO Einfluss auf die Arbeitsmarkt- und Lohnpolitik. Das Gesetz vom 1.7.1980, welches nur empfehlend wirkte, wurde dahingehend verschärft, dass alle ArbeitgeberInnen, die zehn oder mehr ArbeitnehmerInnen beschäftigen, bestehende Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern offen legen müssen. Bei der Überprüfung muss darauf geachtet werden, dass aus den Lohnsetzungskriterien keine geschlechtsspezifischen Benachteiligungen folgen dürfen. Die Unternehmen sind weiterhin verpflichtet, Gleichstellungspläne zu erstellen (Kurpjoweit 1997, 98f.). Der JämO hat zusätzlich noch die Aufgabe, positiv auf das Meinungsbild der Öffentlichkeit einzuwirken. Hierzu gab es zwischen 1989 und 1991 regelmäßige Netzwerktreffen zwischen JämO und Gewerkschaften, um die gegenseitige Information zu gewährleisten, die heute als umfassend eingestuft wird. Die schwedische Regierung stellt durch das Staatsbudget die Finanzierung der Gleichstellungsinstitution Jämo sicher (ebd., 232). Bereits 1994 wurde damit begonnen, Gender Mainstreaming auf nationaler, regionaler und kommunaler Politikebene umzusetzen. In der staatlichinstitutionalisierten Gleichstellungsarbeit können verschiedene Institutionen 201
unterschieden werden, die in der Regierungskanzlei eingerichtet wurden. Der Gleichstellungsrat (Jämställdhetsrådet) als ratgebendes Organ zur Wahrnehmung von Interessen aus Politik und Gesellschaft vereinigt in sich 24 Organisationen, darunter bspw. Frauenorganisationen und politische Parteien. Das Organ zur Aufnahme und Diskussion dieser Interessen ist der Gleichstellungsausschuss (Jämställdhetsberedningen), welcher die Gleichstellungsarbeit in der Regierungskanzlei zusammenfasst und sich zum Erfahrungs- und Informationsaustausch mehrmals pro Jahr versammelt. Bereits 1983 wurde das Gleichstellungssekretariat (Jämställdhetssekretariatet) eingerichtet und ist für die Koordinierung der Gleichstellungsarbeit verantwortlich. Zur Initiierung der Frauen- und Gleichstellungsforschung wurde zum Jahreswechsel 1982/83 eine Delegation für Gleichstellungsforschung (Delegationen for jämställdhetsforskning) eingesetzt. Eine Gleichstellungskommission (Jämställdhetsnämnden) besteht aus ArbeitsmarktexpertInnen sowie zwei GleichstellungsexpertInnen und handelt nach Begehren des JämO nach gerichtlichen Verfahren, so dass ArbeitgeberInnen auch nachträglich zur Regulierung bestehender Diskriminierungsfälle oder zu Geldstrafen verurteilt werden (können) (Kurpjoweit 1997, 227). Im Rahmen der Gender Mainstreaming - Arbeit der Kommunen wurde die 3-R-Methode entwickelt (Schweikert 2002, 94f.), wobei die drei „Rs“ für Repräsentation, Ressourcen und Realisierung stehen. Der schwedische Ministerpräsident berichtet jährlich in seiner Regierungserklärung über den Stand der Umsetzung des Gender Mainstreaming - Prozesses. Sog. „Flying Experts“, mobile Fachleute in Gender-Fragen, die zu bestimmten Fragen oder Projekten engagiert oder für eine gewisse Zeit in einer Organisation beschäftigt werden (Stiegler 2000, 13), beraten und unterstützen die Regierungsmitglieder, leitende Beamte und Sonderbeauftragte für Gender Mainstreaming. Eine GleichstellungsexpertIn ist in allen 21 Provinzen Schwedens beratend tätig. 1994 entschied das Schwedische Parlament, dass alle offiziellen Statistiken des Statistischen Zentralamtes (Statistiska centralbyran) bezüglich Individuen nach Geschlecht differenziert werden sollen, es sein denn es läge ein spezieller Grund vor, dies nicht zu tun (Lindencrona/Westerholm 2006, 73). Das Statistische Zentralamt setzt Gender Mainstreaming erfolgreich um, indem dieses zusätzlich zur geschlechtsspezifischen Aufbereitung der statistischen Daten jährlich einen „Lathund om Jämställdhet“ herausbringt, eine Broschüre über die Gleichberechtigung und Gleichstellungsarbeit in den verschiedenen Bereichen. Die Kommunen und Landkreise können so durch den Jäm-Index miteinander verglichen werden (Pettersson 2004b, 29). 1997 wurde ein Think Tank eingesetzt, der aus einer hochqualifizierten Arbeitsgruppe von Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und der Ministerin für Gleichstellungsfragen bestand. Dieser Think Tank setzte viele 202
Ideen und Pläne um. Z. B. wurde das Riksrevisionsverket, welches mit dem deutschen Bundesrechnungshof vergleichbar ist, zur Überprüfung der Effizienz der Strukturen und Arbeitsformen animiert (Pettersson 2004b, 33). Die schwedische Regierung erinnert in jeder ihrer Veröffentlichungen mit „Gör det jämt“ an ihren Auftrag der Gleichstellung der Geschlechter und an ihr Ziel der Geschlechterdemokratie. „Gör det jämt“ wird sinngemäß mit „Mach es, tue unermüdlich etwas für die Gleichberechtigung“ übersetzt und soll daran erinnern, das Gleichberechtigung zum Alltag gehört (Pettersson 2004a, 13). „Jämt“ ist gleichzeitig eine umgangssprachliche Abkürzung für Gleichberechtigung (jämställdhet). Für die Legislaturperiode bis 2006 legte die Gleichstellungsministerin einen noch eindeutiger formulierten Handlungsplan mit dem Titel: „Jämt och ständigt“ vor, was „gleichberechtigt und immerzu“ bedeutet (Pettersson 2004b, 25). In zwei schwedischen Vorschulen wurde nach einer pädagogischen Idee aus Island im Sinne des Gender Mainstreaming eine Überprüfung der dort reproduzierten Geschlechterrollen durchgeführt. MitarbeiterInnen dieser Vorschulen filmten die täglichen Aktivitäten der Kinder und der MitarbeiterInnen und mussten feststellen, dass sie selbst traditionelle Geschlechterrollen bei den Kindern förderten. Nach dieser Entdeckung wurden alternative Verhaltensmuster ganz bewusst gefördert. Ein positiver Effekt ist hierbei das größere Verhaltensrepertoire, welches diese Kinder im Vergleich mit Kindern anderer Vorschulen aufwiesen (Jalmert 2004, 202). Diese geschlechtersensiblen Reflektionen in (Vor)Schulen müssten auf das ganze Land ausgeweitet werden, damit diese Maßnahme kein positiver Einzelfall bleibt, sondern nachhaltig auf die Veränderung der Geschlechterverhältnisse und traditionellen Rollenzuweisungen zugunsten eines höheren Maßes an Geschlechtergleichstellung wirkt. Schweden gehört dem Nordischen Rat an. Dieser hat sich verpflichtet, Gender Budgeting – welches in den Ländern Skandinaviens von Regierungsorganisationen getragen wird – im Haushaltsverfahren zu verankern und Untersuchungen hinsichtlich der Auswirkungen von Einnahmen und Ausgaben auf Frauen und Männer sowie Mädchen und Jungen vorzunehmen. Durchgeführt anhand von Pilotprojekten in den Jahren zwischen 2001 und 2005, die sich auf die Bereiche Arbeitsmarkt und Soziales konzentrierten, bestand ein Etappenziel darin, dass im Jahr 2003 zum ersten Mal die Budgetposten zu Arbeitsmarkt, Erziehung, Bildung, Kultur, Soziales und Gesundheit hinsichtlich ihrer geschlechtsspezifischen Auswirkungen analysiert werden sollten (Michaelitsch 2003, 234). Die Expertinnen der politischen Ebene 3.1.1.1 und 3.1.1.2 haben den Begriff „Gender Mainstreaming“ bereits gehört und wissen auch, welche Inhalte dieses Prinzip vermitteln will (Exp. 3.1.1.1, Abs. 230 / Exp. 3.1.1.2, Abs. 229). Expertin 3.1.1.2 räumt allerdings ein, dass trotz ihres Wissen über Gender Main203
streaming in ihrem jetzigen Arbeitsumfeld Gender Mainstreaming als Prinzip noch nie angesprochen oder diskutiert wurde. Auch doing gender oder eine generelle Achtsamkeit gegenüber geschlechtsspezifischen Unterschieden wurde nicht thematisiert. „I have never heard, talked, used the word Mainstreaming or doing gender or that we should be aware of differences (…). No such a discussion“ (Exp. 3.1.1.2, Abs. 239). Der Experte der Institutionen-Ebene 3.2.1 hält Gender Mainstreaming für das einzig sinnvolle Instrument, um Geschlechtersensibilität in die Prozesse der Entscheidungsfindung zu integrieren. Das Problem ist seiner Meinung nach, dass Gender Mainstreaming nur ein Konzept ist, dessen Umsetzung im öffentlichen Sektor sehr lange dauern kann, zudem nimmt es keinerlei Einfluss auf den privaten Sektor, weshalb dort auch keine entsprechenden Initiativen geplant werden (Exp. 3.2.1, Abs. 175). Dieser mangelnde Einfluss auf den privaten Sektor wird durch die Aussage der nächsten Expertin verifiziert, denn der Begriff „Gender Mainstreaming“ ist der Expertin 3.3.4.1 (Vertreterin der Unternehmens-Ebene) unbekannt. Nach Erklärung desselben ist sie aber der Ansicht, dass das Prinzip, welches hinter dem Begriff stünde, in Schweden bereits länger angewendet würde als es diesen Begriff gäbe und weder etwas Neues noch eine Verbesserung darstellt (Exp. 3.3.4.1, Abs. 93 & 95). In Schweden ist der Begriff „Gender Mainstreaming“ den meisten ExpertInnen bekannt, allerdings scheint er auch hier nur auf politischer und institutioneller Ebene eine Rolle zu spielen, wobei Gender Mainstreaming als Instrument zwar angesehen ist, die Wirkung dessen aber angezweifelt wird, weil die Umsetzung sehr lange dauert und Gender Mainstreaming zudem keinen Effekt auf den privaten Sektor zu haben scheint, was durch die Aussagen der ExpertInnen auf Unternehmens-Ebene deutlich wurde. Auf dieser Ebene scheinen die AkteurInnen am Begriff selbst nicht festzuhalten, eine Expertin hat ihn sogar noch nicht gehört, allerdings verfolgen alle AkteurInnen eine Strategie der Frauen- und Geschlechterförderung, die durchaus das Prinzip des Gender Mainstreaming widerspiegelt. Trotz der differierenden Meinungen der schwedischen ExpertInnen zu Gender Mainstreaming muss konstatiert werden, dass Schweden nach dem Human Development Report der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2005 den vierten Platz bezüglich der erfolgreichen Umsetzung von Gender Mainstreaming belegt (BMFSFJ 2006).
204
5 Schlussbetrachtungen
5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse der vergleichenden Länderanalyse Im Folgenden wird entlang der Vergleichsdimensionen zusammenfassend analysiert und bewertet, welche Auswirkungen auf die weibliche Erwerbstätigkeit sowie Handlungsempfehlungen aus den drei hier verglichenen Regimetypen und deren Gleichstellungsarbeit resultieren. Dabei werden die Ergebnisse aus der Sekundäranalyse sowie der ExpertInneninterviews verwertet, ohne aber nochmals explizit auf die AutorInnen oder die einzelnen ExpertInnen zu verweisen, da dies bereits in den Abschnitten der Länderkapitel hinreichend erfolgt ist. Das liberale Regime Großbritannien ist durch seine liberalisierte Marktwirtschaft und einen geringen Dekommodifizierungsgrad gekennzeichnet. Mit dem „Thatcherismus“ ging eine verstärkte Privatisierung vormals staatlicher Leistungen und Kürzungen der Sozialausgaben einher, die bis heute zu einer erheblichen Doppelbelastung von Frauen und Problematiken bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen. Das konservativ-kooperatistische Regime Frankreich ist geprägt durch seine lange Tradition der Familien- und Kinderförderung als Teil der staatlichen Politik. Die Regelungen in den Systemen sozialer Sicherung sind de jure geschlechterneutral, bilden aber in der Praxis diskriminierende Faktoren aus, was im Folgenden anhand der Vergleichsdimensionen näher erläutert wird. Das sozialdemokratische Regime Schweden zeichnet sich durch seine umfassende und universalistische Absicherung seiner Bevölkerung aus, wodurch auch die Leistungen hinsichtlich Elternschaft und Kinderbetreuung ein Niveau erreicht haben, welches zu einem hohen Dekommodifizierungsgrad führt. Wie im Einzelnen die politischen Maßnahmen auf die weibliche Erwerbstätigkeit, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf etc. wirken, wird nachfolgend in den zusammenfassenden Vergleichsabschnitten entlang der Dimensionen erläutert. Die familienpolitischen Leistungen sind in Großbritannien aufgrund des „marktförmigen Patriarchalismus“ auf ein Minimum beschränkt, auch gibt es kein eigenes spezielles Ministerium, das sich mit den Bedürfnissen und Interessen der Familien befasst. Der britische Staat agiert als Nachtwächterstaat, was bedeutet, dass dieser nur aus armutspolitischer Notwendigkeit in die Familien interveniert, diese ansonsten aber für die Generierung hauptsächlich an Erwerbseinkommen orientierten Transferleistungen selbst zuständig sind. So gibt es in Großbritannien auch keinen Kinderlastenausgleich und die öffentlichen
Betreuungsangebote können den Bedarf nicht decken. Berufliche Wiedereingliederungshilfen stehen im Sinne des Förderns und Forderns und weisen einen Arbeit erzwingenden Charakter auf. Positiv für die weibliche Erwerbstätigkeit kann allerdings das System der Ganztagsschulen gesehen werden. Da Mutterschaft in Frankreich mit dem Staatsbürgerstatus verbunden ist, spielt auch die Familie hier eine besondere Rolle. Einerseits wird versucht, durch zahlreiche familienpolitische Leistungen die Zahl der Geburten zu steigern, andererseits sollen die Lebensbedingungen von Familien verbessert werden. Um diesen beiden politischen Ausrichtungen zu entsprechen, existiert in Frankreich ein System direkter und indirekter (steuermindernder) Finanzhilfen für Familien mit Kindern. Diese Beihilfen wirken sich positiv auf den Grad der Dekommodifizierung aus. Auch in Schweden hat die Familie einen hohen Stellenwert. Allerdings sind Maßnahmen hier nicht nur auf das Kindeswohl ausgelegt, sondern zielen ebenso auf die Berufsfähigkeit der Mütter ab. Diese sollen möglichst schnell nach der Geburt befähigt werden, ihre Erwerbstätigkeit fortzusetzen, was durch zahlreiche Maßnahmen wie dem Elterngeld, den Regelungen zum Mutterschutz und Elternurlaub sowie steuerlichen Vorteilen und öffentlicher Kinderbetreuung geleistet wird. Die eben genannten Einflussfaktoren werden in den kommenden Abschnitten detailliert beschrieben und bewertet. In Großbritannien sind eindeutig Frauen die Adressaten von Transferleistungen des Staates bezüglich Elternschaft. Mutterschaftsurlaub richtet sich dem Namen nach nur an Frauen und kann nicht mit Vätern geteilt werden. Auch Angebote zur Kinderbetreuung richten sich primär an Frauen. Vaterschaft spielt nur eine marginale Rolle, was dadurch sichtbar wird, dass Vätern lediglich zwei Wochen Vaterschaftsurlaub zugestanden wird. Es liegt zwar keine gesellschaftliche Stigmatisierung von Vaterschaft oder der Inanspruchnahme von Vaterschaftsurlaub vor, allerdings wird dieser, gerade wenn es sich um prominente Führungspersonen handelt, wie im Falle Tony Blairs, skeptisch betrachtet, was die Vermutung zulässt, Elternschaft bzw. speziell die aktive Vaterschaft und Karriere seien im gesellschaftlichen Bild Großbritanniens nicht vereinbar. Eine Garantie zur Wiederkehr an denselben Arbeitsplatz besteht in Großbritannien für sechs Monate, einige Unternehmen haben diese Garantie aber freiwillig als Anreiz für Berufsrückkehrerinnen auf ein Jahr erweitert. Auch Fortzahlungen in Renten- und Gesundheitskassen während des Mutterschaftsurlaubs werden als weitere Anreize angeboten. Die befragten britischen Unternehmen leisten mehr als gesetzlich vorgeschrieben ist. Trotzdem verbleibt die Doppelbelastung von Familie/Haushalt und Beruf bei den Frauen. Hier müssten neue Gesetze geschaffen werden, mit Hilfe derer Väter gleichberechtigt in die Erziehungsarbeit eingebunden werden, freiwillig oder verpflichtend. Nur so kann m. 206
E. Vaterschaft langfristig als Normalität und Vaterschaftsurlaub als Regel anstatt als Ausnahme betrachtet und empfunden werden. Dies würde zu einer entscheidenden Veränderung in den Geschlechterverhältnissen mit paritätischen Partnerschaften führen, die Sichtweise auf arbeitende Väter und Mütter verändern sowie den Stand der Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken, da eine potentielle Mutterschaft, verbunden mit temporärem Erwerbsausfall, heute noch ein wichtiger Faktor hinsichtlich der Vorbehalte gegenüber Investitionen in weibliches Humankapital und der Förderung weiblicher High Potentials ist. In Frankreich ist der Elternurlaub prinzipiell geschlechterneutral geregelt, d. h. Frauen und Männern haben in gleichem Maße Anspruch auf diese staatlichen Transferleistungen und können diese unter sich aufteilen. Der Mutterschaftsurlaub ist hier nach Anzahl der Kinder gestaffelt, Väter können zwei Wochen Vaterschaftsurlaub nehmen, der nicht auf Mütter übertragbar ist. Der gesetzlich geregelte Anspruch auf Teilzeitarbeit hilft gerade Müttern, welche den Großteil der Betreuungsarbeit leisten, Familie und Beruf zu vereinbaren. Das Gesetz „Loi Genission“, welches den Anspruch auf Gehaltsanpassung durch den Mutterschaftsurlaub regelt, ist ein wichtiges Instrument, um Frauen nicht langfristig finanziell schlechter zu stellen als Männer, die keine Erwerbsunterbrechung in ihrer Biografie aufweisen. Vaterschaft ist auch in Frankreich nicht mit der gleichen zeitlichen Verpflichtung verbunden wie Mutterschaft. Hier wirkt der französische Staat durch einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub eindeutig nicht auf die Gleichstellung der Geschlechter hin. Das Geschlechterverhältnis ist weiterhin traditionell geprägt und Kindererziehung sowie Familienarbeit weibliche Arbeitsfelder. Nur wenige Väter nehmen ihren Vaterschaftsurlaub in Anspruch, auch wenn dieser von einigen Unternehmen voll bezahlt wird. Dies lässt die Vermutung zu, dass Väter in Frankreich keinen Anreiz haben, sich aktiv an der Erziehungsarbeit zu beteiligen, weil mit der Erwerbsunterbrechung und der Tätigkeit der Kinderversorgung berufliche Risiken verknüpft sind sowie ein Statusverlust befürchtet wird. Der französische Staat hat mit seinen Reglungen zur Elternschaft zwar de jure Geschlechterneutralität bewahrt und zeigt so die Ambitionen zur Geschlechtergleichstellung, doch de facto bedarf es obligatorischer Regelungen für Väter, um diese in die private Familienarbeit einzubinden und so langfristig eine paritätische Verteilung der Pflichten zu fördern. Das Erziehungsgeld für private Betreuung ist m. E. ein Rückschritt in der Gleichstellung der Geschlechter, weil es traditionelle Arbeitsteilung zementiert und weniger Raum für neue, gleichberechtigte Partnerschaften lässt, zumal die Förderung der Retraditionalisierung hier durch finanzielle Anreize besteht, die wiederum größtenteils Frauen dazu veranlassen, sich selbst aus der Erwerbsarbeit auszusortieren. 207
Schweden ist auf dem Gebiet der Regelungen hinsichtlich Elternurlaub und der damit verbundenen Möglichkeiten, Geschlechtergleichstellung zu schaffen, Vorreiter. Der 16-monatige Elternurlaub kann zwischen den Eltern aufgeteilt werden (vgl. Kap. 4.1.1). Da aber hauptsächlich Frauen diese 16 Monate in Anspruch nehmen – zu welchem Teil Frauen nicht mit ihren Partnern teilen wollen oder diese kein Interesse haben, bleibt hier Spekulation – hat Schweden als erstes Land international den Vaterschaftsurlaub eingeführt. Diese zwei Monate können ausschließlich vom Vater in Anspruch genommen werden und verfallen bei Nichtantritt ohne weitere Leistungen. Diese gesetzliche Neuerung stärkte die Rechte ebenso wie die Pflichten von Vätern und schreibt der Vaterschaft eine neue Bedeutung zu. Durch die zwei „Papa-Monate“ wurde zudem ein Anreiz für Männer geschaffen, in die typisch weibliche Betreuungsarbeit „hereinzuschnuppern“, was den innerpaarlichen Geschlechterverhältnissen zu mehr Gleichberechtigung verhilft. Väter sind in Schweden präsenter als in den anderen beiden hier verglichenen Wohlfahrtsstaaten. Allerdings sind es bei weitem nicht alle Väter, die diesen Vaterschaftsurlaub nutzen, der Großteil beschränkt sich dabei auch auf die obligatorischen zwei Monate. Dies bedeutet, dass Frauen den Großteil des Elternurlaubs übernehmen und damit auch eine längere Erwerbsunterbrechung hinnehmen wollen oder müssen. Der Wandel vom Erziehungsgeld zum Elternurlaub war in dieser Hinsicht bereits ein großer Fortschritt, denn nun wurde das Hauptaugenmerk auf die Erwerbsfähigkeit der Mütter gelegt und es galt, die Zeit bis zum Wiedereintritt ins Berufsleben kurz zu halten. Dabei helfen die gut ausgebauten Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch der gesetzliche Anspruch auf Teilzeitarbeit bis zum achten Lebensjahr des Kindes gibt vielen Eltern die Möglichkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren. Allerdings hält sich in der schwedischen Gesellschaft hartnäckig der Mythos, Väter würden vor allem dann ihre „Papa-Monate“ nehmen, wenn große Sportereignisse oder Sommerferien anstünden. Dieser Mythos wurde durch statistische Zahlen entkräftet, die eine Korrelation von Elternurlaub und Sommerferien sowohl bei Frauen als auch bei Männern belegen. Was aber sagt dieser gesellschaftliche Eindruck über die schwedischen Väter aus? Auch wenn diese Europas Musterknaben in Sachen Elternschaft sind, scheinen sie doch eher als Teilzeit- oder Freizeit-Papas wahrgenommen zu werden, wohingegen die Vollzeit-Mamas auch noch einem Beruf nachgehen. Die traditionelle Arbeitsteilung ist in Schweden nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Ländern der EU, allerdings lässt sich auch hier eine Retraditionalisierung nach der Geburt eines Kindes feststellen, wobei es immer Männer gibt, die ihre Vaterschaft ambitioniert verfolgen, diese bleiben aber auch hier stark unterrepräsentiert.
208
Das ab dem Jahr 2008 eingeführte Erziehungsgeld für häusliche Betreuung, kombinierbar mit Teilzeitarbeit, ist eine weitere Verstärkung der Retraditionalisierung und wird die Fortschritte auf dem Gebiet der Geschlechtergleichstellung teilweise zunichte machen. Denn diese finanzielle Bezuschussung für häusliche Betreuung in den ersten drei Jahren des Kindes, welche vor allem von Frauen in Anspruch genommen werden wird, zieht eine längere Berufsunterbrechung nach sich und schwächt die Position der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft sowie deren innerpartnerschaftliche Position. In Großbritannien existiert kein ausgewiesenes Elterngeld, sondern lediglich eine kurzweilig ausgezahlte Pauschale. Einige Unternehmen locken gerade weibliche Arbeitnehmerinnen mit Lohnfortzahlungen während des Mutterschaftsurlaubs, was angesichts der fehlenden staatlichen Kompensation sehr attraktiv erscheint. Hier muss der Gesetzgeber die Leistungen stark erhöhen, nicht um den Wiedereintritt der Mütter in die Erwerbstätigkeit hinauszuzögern, sondern um Frauen finanziell unabhängiger von einem Familienernährer zu machen. Zudem sollten auch Väter ein Anrecht auf bezahlten Elternurlaub haben. Dies würde Anreize für Väter schaffen, sich stärker in der Betreuungsarbeit zu engagieren, was durch den bisher geltenden Vaterschaftsurlaub nur bedingt möglich ist. In Frankreich ist der Einkommensersatz im Rahmen des Mutterschutzes durch den „Code de la Sécurité sociale“ geregelt. In Kapitel 3.1 wurden bereits die zahlreichen zusätzlichen Transferleistungen genannt, die mittelbar in die Kategorie Elternbeihilfen fallen. Trotz der verschiedenen Beihilfen muss hier kritisiert werden, dass das Elterngeld ein Pauschalbetrag ist und nicht wie bspw. in Schweden prozentual am Einkommen bemessen wird. Dies hat zur Folge, dass es für Familien finanziell vernünftiger ist, der Frau ihre traditionelle familiale Arbeit zuzuweisen, weil diese durchschnittlich weniger Einkommen bezieht und so das Familieneinkommen weniger geschwächt wird. Die zahlreichen Mutterschafts- und Familienbeihilfen bergen so diskriminierende Faktoren, weil Frauen im Vergleich zu Männern indirekt benachteiligt werden. Dies gilt es zu verhindern, indem der Staat die Beihilfen prozentual bemisst und außerdem das Beziehen der kompletten Leistungen abhängig von einer Teilhabe der Männer am Elternurlaub macht. Männern stehen zurzeit lediglich 14 (unterschiedlich) bezahlte Urlaubstage zur Verfügung (vgl. Kap. 3.1.2), wodurch sie in ihrer Position als Väter gesellschaftlich kaum wahrgenommen werden. Die paritätische Leistungsbeziehung wäre demnach ein großer Schritt im Abbau von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten und würde sowohl die Position der Mütter als auch der Väter stärken. In Schweden werden von 480 Tagen Elternurlaub 390 Tage mit 80% des vorherigen Einkommens vergütet und 90 Tage pauschal zu einem universellen 209
Satz (vgl. Kap. 4.1.2). Dies birgt zwar auch Nachteile für Frauen im Allgemeinen, weil diese im Durchschnitt weniger verdienen als Männer, aber die Leistung an sich ist geschlechterneutral, da für beide Geschlechter gleiche Bedingungen herrschen und diese Leistung paritätisch aufgeteilt werden kann. Die Anerkennung der familialen Arbeit drückt sich in Großbritannien bspw. im Scheidungsfall der Ehepartner aus, denn bei den Unterhaltszahlungen werden Haushaltsarbeit sowie Kinderbetreuung und –erziehung ebenso berücksichtigt wie das vorherige Einkommen und die Verdienstmöglichkeiten. Dies kann zwar positiv bewertet werden, allerdings geraten Frauen nach der Scheidung überproportional häufig (im Vergleich zu Männern) in eine Abhängigkeit von den Unterhaltszahlungen des Ehepartners und evtl. auch des Staates aufgrund von Transferleistungen. Zudem ist es meist der Berufsunterbrechung bedingt durch Kindererziehung geschuldet, dass sich Frauen einem erschwerten beruflichen Wiedereinstieg in Beruf und Karriere nach einer Scheidung gegenübersehen, so dass die Anerkennung der Kindererziehung und Haushaltsführung nur eine geringe Entschädigung für die entstanden Opportunitätskosten aufgrund der Berufsunterbrechung darstellt. Es existiert auch ein Kindergeld als Teil des Familienlastenausgleichs neben steuerlichen Freibeträgen für Ehepaare sowie Alleinstehende mit Kindern, aber dieses Kindergeld war seit seiner Einführung sehr niedrig und kann mehr als Bezeugung des guten Willens hinsichtlich der Anerkennung der Kindererziehung von Seiten des Staates betrachtet werden als eine Kompensation oder Kostendeckung. In Frankreich drückt sich die Anerkennung der Kindererziehung im Steuersystem aus, denn die steuerlichen Abgaben verringern sich mit jedem weiteren Kind. Bei Ehepaaren haben Frauen dann einen Nachteil, wenn sie erheblich weniger verdienen als der Ehepartner und auch so die Einsparungen niedriger ausfallen. Weiterhin wird die Kindererziehung als Teil der familialen Arbeit im Rentensystem berücksichtigt, was im folgenden Abschnitt genauer erläutert wird. Der schwedische Staat interveniert direkt in die Familien hinein und unterscheidet sich in diesem Punkt klar von Großbritannien. Diese Einmischung hat die Auflösung der geschlechtsstereotypen, innerfamiliären Arbeitsteilung zum Zweck, damit die sozialen Risiken, die mit der Mutterschaft und Kinderbetreuung/-erziehung zusammenhängen, nicht ausschließlich von Frauen getragen werden müssen. Diese De-Traditionalisierung wird durch die öffentliche Kinderbetreuung, den Elternurlaub und ein einkommensunabhängiges Kindergeld gestützt, wodurch zudem Anreize für Väter entstehen sollen, einen aktiveren Part in der Erziehungsarbeit zu übernehmen und Frauen dadurch eine verstärkte Erwerbsbeteiligung zu ermöglichen. Alleine die Visualisierung dieses Problems mit der Präsentation der Lösungsstrategien ist m. E. eine Art der Anerkennung der Familienarbeit in ihrer Quantität und Qualität. 210
Im Scheidungsfall besteht nur ein Anspruch auf einen Übergangsunterhalt, um den Unterhaltsbezieher schnellstmöglich zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu animieren. Die prinzipiell gute Absicht, beide Ehepartner durch diese Unterhaltsregelung bereits während der Ehe gleichzustellen, die finanzielle Unabhängigkeit zu fördern und zu fordern und damit die Geschlechtergleichstellung positiv zu beeinflussen, birgt aufgrund der erschwerten Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerade für (alleinerziehende) Frauen nach der Scheidung ein hohes Armutsrisiko, wohingegen der Ehepartner den Unterhalt für die nicht im Haushalt lebenden Kinder sogar noch z. T. steuerlich geltend machen kann. Die Anerkennung der familialen Arbeit (am Bsp. Kindererziehung) durch das staatliche Rentensystem wird im kommenden Abschnitt zu Frauen im Alter – Rentenbezug detailliert beschrieben. Frauen im Alter sind in Großbritannien mit einigen Nachteilen konfrontiert. So wirkt sich bspw. die hohe weibliche Quote an Teilzeiterwerbstätigen negativ auf den Rentenbezug aus, da nicht in gleichem Maße Ansprüche durch Erwerbstätigkeit und entsprechende Einzahlungen in die Rentensysteme erworben werden können. Vor allem bei der betrieblichen Altersversorgung als Teil des Zusatzrentensystems wirkt sich die prozentual niedrigere Mitgliedschaft von Frauen in diesem System negativ auf die Rente aus. Auch die relative Besserstellung der Frauen durch das frühere Renteneintrittsalter von 60 Jahren wird ab dem Jahr 2009 stufenweise auf 65 Jahre angehoben, wobei Frauen und Männer zurzeit durch die Regelungen zur „home responsibility“ 20 qualifizierende Versicherungsjahre sparen können (vgl. Kap. 2.2.1), was vor allem Frauen zugute kommt, die durch Kindererziehung und eine entsprechend diskontinuierliche Erwerbsbiografie einen Verlust an qualifizierenden Jahren verzeichnen. Werden die Ansprüche bei Erwerbsunterbrechung eingefroren, bedeutet dies zwar keinen Verlust, aber auch der Ausbau der Ansprüche wird gestoppt. Hiervon sind vor allem Frauen betroffen. Die Auswirkungen werden erst im Alter durch geringere Rentenansprüche und eine hohe Quote weiblicher Altersarmut deutlich. Geschlechtergleichstellung in Bezug auf das Rentensystem kann also nur gelingen, wenn die Kindererziehungszeiten stärker finanziell unterstützt bzw. mit den Versicherungsjahren verrechnet werden. Auch sollte Teilzeiterwerbstätigkeit stärker gefördert werden, so dass trotz geringerem Arbeitsumfang äquivalente Ansprüche generiert werden können; dies sollte zumindest für Teilzeiterwerbstätigkeit gelten, die aufgrund von Kinderbetreuung und –erziehung zwingend erforderlich ist. Hier müsste die britische Regierung Gesetze erlassen, die einerseits ArbeitgeberInnen stärker in die Pflicht nehmen, indem die Sozialabgaben für Teilzeitarbeit erhöht werden und andererseits sollten zusätzlich die durch Teilzeitarbeit aufgrund von Kinderbetreuung verlorenen Ansprüche bis zum schulpflichtigen Alter des Kindes vom Staat kompensiert bzw. Rentenbeiträge 211
übernommen werden, denn Geschlechtergleichstellung im Rentensystem kann nur gelingen, wenn Frauen, aber auch Männer, in der Lage sind, Ansprüche auch unabhängig von einer Vollzeiterwerbstätigkeit zu erlangen, ohne im Alter mit einem erhöhten Armutsrisiko konfrontiert zu sein. Die Regelungen in Frankreich zum Rentenbezug erscheinen nur auf den ersten Blick geschlechterneutral. Zwar kann bisher eine abschlagsfreie Rente bei einem Renteneintrittsalter von 65 (Renteneintritt mit 60 mit Abschlägen) bezogen werden, aber durch die stufenweise Anpassung auf ein Renteneintrittsalter von 65 wird diese Regelung höchstwahrscheinlich nach oben korrigiert. Frauen können durch die Kindererziehungszeit zwei Versicherungsjahre geltend machen, unabhängig davon, ob die Frau während dieser zwei Jahre erwerbstätig war oder nicht. Dies ist ein Akt der positiven Diskriminierung. Statt der zusätzlichen Versicherungsjahre kann auch eine Aufstockung des Rentenbeitrags als Kompensation der Kindererziehung genutzt werden, allerdings nur für Eltern mit drei oder mehr Kindern. Hierbei sind Frauen ebenso wie in Großbritannien benachteiligt, da diese generell weniger Einkommen beziehen als Männer und dadurch auch die finanzielle Kompensation geringer ausfällt. Auch werden hier kinderreiche Familien bevorzugt, was der natalistischen Tradition Frankreichs geschuldet ist, nach der die Geburtenrate erhöht werden soll. Durch die Anhebung des Renteneintrittsalters kann mit einer steigenden weiblichen Arbeitslosenquote älterer Arbeitnehmerinnen gerechnet werden, da diese nicht in gleichem Maße am Arbeitsmarkt nachgefragt werden wie jüngere ArbeitnehmerInnen. Weibliche Altersarmut ist zurzeit ein brisantes Thema in Frankreich. Bereits jetzt sind Frauen überproportional betroffen und auch zukünftig wird mit einem weiteren Anstieg gerechnet. Gründe hierfür sind u. a. der hohe Anteil an Frauen in Teilzeitarbeit und vor allem in Schwarzarbeit. Kurzfristige Vorteile durch den Wegfall von Sozialabgaben wirken sich im Alter negativ aus. Auch hier ist der Staat in seiner Funktion als Wohlfahrtsstaat angehalten, die steuerlichen Vorteile der Teilzeitarbeit für ArbeitgeberInnen zu reduzieren oder selbst kompensierend in die Sozialabgaben einzugreifen, um vor allem Frauen finanzielle Unabhängigkeit im Alter zu ermöglichen und teilzeiterwerbstätige Frauen während der Erziehungsphase vollzeiterwerbtätigen ArbeitnehmerInnen gleich zu stellen. Ebenso dürfen sich Regelungen zur Subventionierung der Kindererziehungszeiten nicht auf das Haushaltseinkommen konzentrieren, sondern müssen sich an die BetreuerIn richten, die den Großteil der häuslichen Verpflichtungen übernimmt. Durch die Konzentration auf einen Elternteil könnten die Transferleistungen zusätzlich aufgestockt werden, was vor allem Frauen zugute käme, da diese hauptsächlich ihre Erwerbstätigkeit aufgrund von Kindererziehung einschränken oder unterbrechen.
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In Schweden wirken ebenso Mechanismen bei der Verteilung von Wohlfahrt zuungunsten der Frauen. So ist bspw. gut die Hälfte der Pensionistinnen von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen, da sie die notwenigen 30 Berufsjahre als Zugangsvoraussetzung nicht erfüllen können. Vor allem Teilzeitarbeit und die Kindererziehung wirken sich hier wieder negativ aus, wobei ein positiver Aspekt die Anrechnung von drei Jahren Betreuungszeit eines unter dreijährigen Kindes in der Volksversicherung ist. Trotzdem kann eine abschlagsfreie Volksrente im Alter von 65 Jahren nur mit 40 Versicherungsjahren bezogen werden, was gerade für Frauen schwierig zu erreichen ist. Der geringere Versicherungsanspruch und die damit verbundenen geringeren finanziellen Transferleistungen führen auch in Schweden zu einer vor allem bei Frauen registrierten Altersarmut. Die Erwerbsbeteiligung ist bei älteren Arbeitnehmerinnen geringer, auch setzt sich die geschlechtsspezifische Segregation am Arbeitsmarkt verbunden mit tendenziell geringeren Löhnen in typischen Frauenberufen fort. Das schwedische Rentensystem ist de jure geschlechterneutral, auch das Niveau der Leistungen ist befriedigend. Hier muss es vielmehr darum gehen, Frauen in die Lage zu versetzen, auch an den Zusatzversicherungen wie der betrieblichen Altersversorgung teilzunehmen. Bei einer bereits hohen Erwerbsquote müssen sich die Überlegungen zur Verbesserung der Gleichstellung der Geschlechter in den Systemen sozialer Sicherung deshalb auf die Teilzeiterwerbstätigkeit konzentrieren, die hauptsächlich von Frauen ausgeübt wird. Eine Option wäre die Anhebung der Leistungserwerbung durch Teilzeit, sodass Nachteile bei der Anspruchsgenerierung abgemildert werden können. Eine langfristige Lösung, die für alle drei der hier verglichenen Länder gilt, müsste auf die Verbesserung der Bedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf abzielen, um mehr Frauen eine Vollzeiterwerbstätigkeit zu ermöglichen sowie spezielle Fortbildungsmaßnahmen für ältere ArbeitnehmerInnen, damit diese für den Arbeitsmarkt attraktiv bleiben und die notwenigen Versicherungsjahre geleistet werden können. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf lässt sich feststellen, dass Frauen und Männer in den drei untersuchten Ländern ein geschlechtsspezifisches Arbeitspensum haben, das sich im Ländervergleich nicht maßgeblich unterscheidet, wie eine Eurostat Untersuchung zeigte. Bei der Analyse der Zeitverwendung von Frauen und Männern wurde deutlich, dass in allen drei Ländern Frauen in etwa soviel Zeit für Hausarbeit verwenden wie Männer für Erwerbsarbeit und umgekehrt (vgl. Tab. 7, S. 79/Tab. 22, S. 133/Tab. 36, S. 179). Aus dieser statistisch erhobenen Zeitverwendung wird deutlich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor allem ein Problem der Frauen bleibt. Die Forderungen zur Lösung des Vereinbarkeitsproblems variieren in den verschiedenen Ländern. 213
In Großbritannien fordern Frauen zur Lösung des Problems der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor allem flexible Arbeitszeitmodelle, die gerade in männlich dominierten Berufsfeldern bislang verpönt werden. Auch haben Männer einen anders gearteten Bedarf nach Flexibilität. Während es Frauen vor allem um eine Work-Life-Balance geht, wollen Männer von zu Hause aus arbeiten, um sich Fahrtwege zu sparen oder längere Auszeiten (Sabbaticals) in Anspruch nehmen. Interessant ist hierbei, dass Männer in Großbritannien in diesen Fällen nicht von flexibler Arbeitszeit sprechen, weil dies mit Teilzeitarbeit in Verbindung gebracht wird und diese wiederum durch die deutliche Feminisierung negativ konnotiert bzw. nicht mit einem männlichen Karrieremuster vereinbar ist oder zu sein scheint. Hier müssen Regierung und Unternehmen zusammenarbeiten, um über Richtlinien und Initiativen zur flexiblen Arbeitsgestaltung diese Vorurteile abzubauen. Gerade Unternehmen müssen die Vorteile verschiedener Arbeitszeitmodelle erfassen, die es ihnen ermöglichen, ihr weibliches Arbeitskräftepotential voll auszuschöpfen und die Fluktuationsrate zu senken. In einigen Unternehmen konnte dies bereits gelingen, da die Unternehmensführung herausgefunden hat, dass Flexible Working zu mehr Zufriedenheit unter den Angestellten führt, was wiederum zu mehr Kundenzufriedenheit beiträgt und sich diese in steigenden Unternehmensgewinnen ausdrückt. Die Lösung des Vereinbarkeitsproblems scheint hier also zunächst nur über den Markt zu gelingen, was trotzdem für alle AkteurInnen zu einer Verbesserung führt. Die Regierung kann durch entsprechende Gesetze evtl. Anstöße geben oder den Prozess der Work-Life-Balance beschleunigen. Solange aber Vereinbarkeits-Arrangements nicht von den Unternehmen selbst initiiert werden, wird Flexible Working weiterhin ein negatives Image anhängen, was dazu führt, dass gerade Männer, die um ihren beruflichen Status besorgt sind, nicht von ihrem Normalarbeitsverhältnis abrücken (wollen), wodurch die Geschlechtergleichstellung entschleunigt wird. Die Lösung des Vereinbarkeitsproblems ist für Frauen in Frankreich vor allem eine Frage der Kinderbetreuung. Hier wird der Ausbau der Betreuungseinrichtungen durch den Staat - denn gerade in Ballungsräumen wie der Region Îlede-France kann das Angebot die Nachfrage nicht decken - sowie eine höhere Flexibilität des bestehenden Angebots gefordert, vor allem bezogen auf die Öffnungszeiten. Diese sind gerade für Frauen im Dienstleistungs- oder Reinigungsgewerbe, wo die Mehrzahl der neu geschaffenen Frauenarbeitsplätze (zumeist in Teilzeit) entstanden sind, mit den Arbeitszeiten nicht oder nur unzureichend vereinbar. Gerade durch die stetig steigende weibliche Erwerbsquote wird es für Frauen immer wichtiger, Väter per Gesetz stärker in die Familienpflichten einzubinden, um Frauen eine Work-Life-Balance zu ermöglichen. 214
In Schweden überwiegen zwar die Forderungen nach flexibleren Arbeitszeiten zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch die Ausweitung der Öffnungszeiten der bestehenden Kinderbetreuungseinrichtungen nach den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen ist ein wichtiger Faktor zur Herstellung einer Work-Life-Balance. Schweden siedelt sich mit diesen Forderungen zwischen Frankreich und Großbritannien an. Aber auch hier wird deutlich, dass mit Ausnahme der Kinderbetreuung die Vereinbarkeit nicht von Seiten des Staates, sondern aus dem Markt heraus verbessert werden kann. Die ArbeitgeberInnen aller drei Länder müssen die Vorteile der flexiblen Arbeitszeitregelungen und die positiven Effekte auf das weibliche Humankapital sehen und so zu HauptakteurInnen bei der Bereitstellung von Regelungen hinsichtlich verbesserter Vereinbarkeit werden. Positive Aktionen von Seiten der ArbeitgeberInnen sind auch deshalb besonders wichtig, weil in Schweden, aber auch in Großbritannien und Frankreich, oftmals beklagt wurde, dass es keine traditionellen Familienstrukturen mehr gäbe, d. h. Frauen und Männer können bei der Lösung ihres Vereinbarkeitsproblems nicht mehr auf informelle, familiäre Netzwerke zurückgreifen, wodurch es entscheidend wird, dass dies über den Markt gelingt. Dem Staat kommt hierbei die Aufgabe zu, das Angebot der öffentlichen Kinderbetreuung auszuweiten und die gesetzlichen Voraussetzungen für flexible Arbeitszeitarrangements zu schaffen. Außerdem ist es nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels notwendig, dass staatliche Transferleistungen hinsichtlich der Betreuung und Regelungen zur Teilzeitarbeit nicht nur auf Eltern und Kinder ausgerichtet werden, sondern auch BetreuerInnen pflegebedürftiger Menschen im Sinne des Care berücksichtigt und finanziell unterstützt werden. Großbritannien zeichnet sich hinsichtlich der Bereitstellung sozialer Infrastruktur, hier speziell betrachtet die Kinderbetreuung, durch einen hohen Grad an informeller und unbezahlter Betreuung aus. Das öffentliche Angebot kann den Bedarf an Kinderbetreuung nicht decken, weshalb hier eine große Anzahl an privaten Betreuungseinrichtungen sowie Formen der familiären Betreuung vorliegen. Diese familiäre Betreuung wird hauptsächlich von Frauen geleistet, was insofern Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen nimmt, als dass diese in hohem Maße in Teilzeiterwerbstätigkeit sowie Formen flexibler Arbeitszeiten beschäftigt sind oder sich ausschließlich der privaten Kinderbetreuung widmen. In Großbritannien ist das Barcelona-Ziel zur 33%igen Versorgung der unter 3-Jährigen und der 90%igen Versorgung der Kinder zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter (bis 2010) annähernd erreicht (vgl. Kap. 2.3.1). Großbritannien verfügt damit im Ländervergleich über die geringste quantitative Kinderbetreuung. Die Geburtenrate im Jahr 2006 lag trotz einer nicht ausreichenden Kinderbetreuung bei 1,84 (vgl. Kap. 2.3.1). Die Beschäftigungsquote im 215
Jahr 2007 betrug 65,5% (vgl. Tab. 12, S. 91). Das EU-Ziel der weiblichen Beschäftigungsquote von 60% bis zum Jahr 2010 konnte erreicht werden, obwohl fehlende Kinderbetreuungsplätze die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren. Betrachtet man allerdings die Beschäftigungsquote im Vollzeitäquivalent (VZÄ), wird anhand der großen Differenz von fast 20% im Jahr 1998 deutlich (vgl. Tab. 11, S. 90), welchen Anteil Teilzeiterwerbstätigkeit an der weiblichen Erwerbstätigkeit hat - 41,6% aller erwerbstätigen Frauen gingen im Jahr 2007 einer Teilzeitbeschäftigung nach (vgl. Tab. 15, S. 94) - und dass noch erhebliche Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen bezogen auf das tatsächliche Arbeitszeitvolumen existieren. Das zunächst vor allem quantitativ nicht ausreichende Angebot öffentlicher Kinderbetreuung birgt soziale Risiken für Frauen. Da nur ein geringer, privilegierter Teil der Bevölkerung die teureren privaten Betreuungseinrichtungen zahlen kann, ist es für geringverdienende Frauen oftmals lukrativer, auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten, von Sozialleistungen zu leben und die Kosten externer Kinderbetreuung einzusparen, was sich in einem erhöhten Armutsrisiko vor allem im Alter niederschlägt. Um diesen Effekten entgegenzuwirken wurde bspw. in der Region London der Ausbau der bezahlbaren Betreuungsplätze auf 10.000 Plätze beschlossen (vgl. Kap. 2.3.1), in den meisten großen Unternehmen werden außerdem Betreuungsgutscheine ausgegeben. Trotz dieser Initiativen scheint Kinderbetreuung und das Aufziehen von Kindern in Großbritannien nach wie vor eine Privatangelegenheit zu sein. Eltern werden als Personengruppe im beruflichen Alltag nicht visualisiert, Kinder dürfen zwar vorhanden sein, sollen aber den beruflichen Ablauf nicht stören. So verwundert es nicht, dass sich gerade Frauen zahlreichen Problemen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gegenübersehen und die Erwerbsfähigkeit unter diesen leidet. Eltern müssen in Großbritannien als Interessengruppen stärker wahrgenommen und berücksichtigt werden, die Ausweitung gesetzlich verankerter Flexibilisierung von Arbeitszeiten und –orten sowie der Ausbau der Betreuungseinrichtungen ist dringend notwendig, um nicht nur eine scheinbar hohe Erwerbsquote, sondern auch eine Steigerung der Quote im VZÄ zu erreichen. Die Unterstützung von Kindern und Familien hat in Frankreich eine lange natalistische und familialistische Tradition, woraus ein breites Netz öffentlicher Kinderbetreuung und zahlreiche Transferleistungen in Bezug auf Elternschaft entstanden sind. Diese gut ausgebaute Förderung und Unterstützung der Familien schlägt sich auch positiv auf die Geburtenrate nieder, die Anfang des Jahres 2007 mit 2,07 Kindern den europäischen Spitzenwert darstellte (vgl. Kap. 3.3.1). Die hohe Geburtenrate liegt aber auch darin begründet, dass die Erwerbstätigkeit für französische Mütter Normalität ist und Begriffe wie „Rabenmutter“ keine äquivalente Übersetzung finden, so dass über 80% der Mütter mit einem Kind einer 216
Erwerbstätigkeit nachgehen (vgl. Tab. 32, S. 145) und diese im Durchschnitt bereits drei Monate nach der Geburt des Kindes wieder aufnehmen. Ca. 32% der Kinder unter drei Jahren besuchen eine der zahlreichen Formen von „crèches“ oder andere Betreuungsformen wie die Vorschule, der Großteil der Kinder unter drei Jahren wird privat betreut (vgl. Tab. 24, S. 137). Das Barcelona-Ziel der Versorgung unter 3-Jähriger ist damit fast erreicht, das Versorgungsziel der über 3-Jährigen ist bereits übertroffen. Trotzdem liegt die Beschäftigungsquote im Jahr 2007 mit 60,0% niedriger als in den anderen zwei Ländern, erreicht aber erstmals das EU-Ziel einer 60%igen weiblichen Beschäftigungsquote bis zum Jahr 2010 (vgl. Tab. 26, S. 140). Trotzdem muss auch hier der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigung berücksichtigt werden (30,2% in 2007, vgl. Tab. 30, S. 143), der auf eine geringere Quote im VZÄ hinweist. So betrug die weibliche Beschäftigungsquote bspw. im Jahr 1998 53,1%, das VZÄ aber nur 45,4% (vgl. Tab. 28, S. 142). Diese Differenz ist zwar geringer als in Großbritannien, lässt aber vermuten, dass das EU-Ziel unter Berücksichtigung des VZÄ noch nicht erreicht wäre. Trotz der steigenden Erwerbsquote besteht hier für Frankreich noch Handlungsbedarf. Das mit dem Gesetz PAJE 2004 eingeführte Erziehungsgeld wirkt sich hierbei negativ auf die Erwerbsquote aus, weil finanzielle Anreize geschaffen werden, Kinder drei Jahre lang im privaten Haushalt zu betreuen. Da größtenteils Frauen mit dieser Betreuung beschäftigt sind, wirkt sich die lange Erwerbsunterbrechung negativ auf die Karrierechancen und das Einkommen der Frauen aus. 500.000 Frauen nahmen diese Transferleistungen bisher in Anspruch und wurden infolgedessen aus der Arbeitslosenstatistik herausgerechnet, wodurch ein verzerrtes Bild der weiblichen Erwerbstätigkeit entsteht (vgl. Kap. 3.1.2). Auch für die privat betreuten Kinder ergeben sich Nachteile, denn Untersuchungen zum Erziehungsgeld fanden heraus, dass überwiegend junge Frauen mit Migrationshintergrund und/oder geringer Qualifikation diese Transferleistung in Anspruch nahmen und sich die späte Integration in öffentliche Institutionen wie Schulen negativ auf die Sprachentwicklung der Kinder auswirkte. Das Erziehungsgeld beeinflusst nicht nur die weibliche Erwerbstätigkeit und -fähigkeit negativ und ist so ein kontraproduktives gleichstellungspolitisches Instrument, es ist auch aus migrationspolitischer Sicht höchst bedenklich. Die Anzahl der Kinder ist ein weiterer Faktor, welcher die Erwerbstätigkeit der Frauen beeinflusst. Je mehr Kinder betreut werden müssen, desto geringer ist der Anteil dieser Frauen an einer Vollzeiterwerbstätigkeit, während der Anteil an Teilzeiterwerbstätigen steigt (vgl. Tab. 31, S. 145). Dies liegt zum einen an der erschwerten Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zum anderen an den zusätzlichen staatlichen Leistungen für kinderreiche Familien mit drei oder mehr Kin-
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dern, die Anreize schaffen, die Erwerbstätigkeit zugunsten privater Betreuung zu unterbrechen oder aufzugeben. Die gut ausgebaute Kinderbetreuung in Frankreich ist vor allem in den Ballungsgebieten nicht ausreichend. Um die Erwerbstätigkeit der Frauen positiv zu beeinflussen, müssen hier mehr öffentliche Betreuungsplätze geschaffen werden, denn die private Betreuung ist auch in Frankreich erheblich teurer, ebenso müssen die Öffnungszeiten flexibler werden, um sich den veränderten Anforderungen beschäftigter Mütter anzupassen. In Schweden existiert eine lange Tradition öffentlicher Kinderbetreuung und so wurde das Barcelona-Ziel der Versorgung der unter 3-Jährigen sowie der Kinder im Alter zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter hier im Gegensatz zu Großbritannien und Frankreich bereits übertroffen. Das umfangreiche Betreuungsangebot entlastet Eltern und gerade erwerbstätige Mütter. Die weibliche Erwerbstätigkeit kann sich entfalten, so dass die Beschäftigungsquote der Frauen im Jahr 2007 71,8% erreicht, womit das EU-Ziel von 60% bis zum Jahr 2010 bereits deutlich überschritten wurde (vgl. Tab. 37, S. 188). Allerdings liegt die Teilzeiterwerbsquote im Jahr 2007 bei 39,5% (vgl. Tab. 41, S. 191), was bedeutet, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch in Schweden nicht unproblematisch ist und bei einer Geburtenrate von 1,85 Kindern (2006, vgl. Kap. 4.1.2) im Durchschnitt Frauen häufig nur einer Teilzeiterwerbstätigkeit nachgehen können. Vergleicht man wieder die weibliche Beschäftigungsquote (1998 von 67,9%) mit der Quote im VZÄ (von 55,3%, vgl. Tab. 38, S. 188), wird auch hier die Differenz deutlich. Das Vollzeitäquivalent liegt allerdings um ca. zehn Prozentpunkte höher als in den beiden anderen Ländern, was darauf schließen lässt, dass die tatsächliche Arbeitsleistung bezogen auf das Arbeitsvolumen in Schweden am größten ist und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hier am besten zu gelingen scheint, wobei die Erwerbsquoten von Müttern wie in den anderen Ländern je nach Anzahl und Alter der Kinder variieren. Die Kinderbetreuungseinrichtungen in Schweden haben ein gutes Niveau erreicht, allerdings müssen auch hier in speziellen Regionen wie Großstädten mehr Betreuungsplätze geschaffen und die Öffnungszeiten weiter flexibilisiert werden, da diese nicht auf die heutigen Arbeitsanforderungen zugeschnitten sind und nicht die tatsächlichen Abwesenheitsstunden berücksichtigen, welche durch Fahrtzeiten u. ä. vermehrt werden. Schwedens Gesellschaft und Wirtschaft sind familien- und kinderfreundlich, arbeitende Mütter werden als Normalität betrachtet und die Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Teil einer öffentlichen Diskussion, Eltern sind als Interessengruppe respektiert und politisch relevant. In den Unternehmen wird durch zahlreiche Maßnahmen versucht, die Erwerbsunterbrechung so kurz wie möglich zu gestalten und Eltern
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auch während der Elternzeit an den Unternehmensvorgängen teilhaben zu lassen, damit die Unterbrechung keinen negativen Einfluss auf die Erwerbsbiografie hat. Zu Beginn des Jahres 2008 wurde in Schweden probeweise das Erziehungsgeld für häusliche Betreuung eingeführt, die Einführung auf kommunaler Ebene fand ab dem Juli 2008 statt. Evaluierungen bleiben abzuwarten, obwohl sich m. E. diese Maßnahme, wenn sie weiter durchgeführt wird, ausschließlich negativ auf die weibliche Erwerbstätigkeit und –fähigkeit auswirken kann, da finanzielle Anreize zu langen Berufsunterbrechungen führen, anstatt diese Transferleistung in den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen zu investieren. Kurzfristig wird das Erziehungsgeld vor allem jungen und geringqualifizierten Frauen als Alternative zur Erwerbstätigkeit erscheinen, langfristig birgt sich für diese Frauen ein hohes Armutsrisiko im Alter und ein hohes Maß der Abhängigkeit von einem Familienernährer oder dem Staat. Diese Entwicklung ist eine gegenläufige Tendenz zu der bereits geleisteten Gleichstellungsarbeit, die Geschlechterverhältnisse werden sich hin zur traditionellen Arbeitsteilung verhärten und rückentwickeln. Bildung und Wirtschaft sind in Großbritannien und Frankreich für Frauen und Männer nicht in gleichem Maße zugänglich, aber auch in Schweden wurden das Glass Ceiling bzw. die marzipan layer von den AkteurInnen als Problem wahrgenommen, welche sich in der Unterrepräsentativität von Frauen in Führungspositionen ausdrücken. Die britische Wirtschaftselite zeichnet sich durch Bildungsabschlüsse an den Eliteuniversitäten Oxford, Cambridge oder der London School of Economics aus sowie durch Qualifizierungen im Militär oder der Zugehörigkeit zu spezifischen Herrenclubs. Von dieser Eliteförderung bzw. –bildung sind Frauen größtenteils ausgeschlossen oder im Falle der Universitäten stark unterrepräsentiert. Diese Faktoren zusammen mit der long hours culture und dem branchenabhängigen Misstrauen oder Missfallen gegenüber Flexible Working führen dazu, dass Frauen nicht in hohe Führungspositionen aufsteigen (können), sondern in unteren oder mittleren Ebenen verbleiben und sich oftmals nach der Geburt von Kindern einer Unvereinbarkeit von Familie und Beruf gegenübersehen und die Erwerbstätigkeit verlassen. Wollen oder müssen Frauen aus privaten Gründen ihren Beruf aufgeben, bedeutet das für öffentliche und private ArbeitgeberInnen den Verlust dieses Humankapitals. Gerade Unternehmen haben in Großbritannien in den letzten Jahren erkannt, dass die dadurch bedingte Fluktuation in der Erwerbspopulation zu hohen Verlusten aufgrund der verlorenen Erfahrungen und Investitionen in die Ausbildung der Arbeitnehmerin sowie hohen Kosten bei der Neuanstellung und Einarbeitung führt. Dies lässt vermuten, dass britische Unternehmen nicht vornehmlich die Quote der weiblichen Führungskräfte erhöhen, sondern in erster Linie Kosten 219
sparen (und durch in einmal investiertes Humankapital Gewinne erzielen) wollen. Aufgrund dieses wirtschaftlichen Interesses sind gerade im privaten Sektor viele Maßnahmen und Initiativen zu flexiblen Arbeitszeitmodellen entstanden, die ohne einen entsprechenden Anreiz evtl. nicht aufzufinden wären, denn ein Interesse an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben nur diejenigen ArbeitgeberInnen, welche sich durch das gezielte Fördern von Frauen einen wirtschaftlichen Gewinn sowie langfristige Prestige-Gewinne als vorbildliche ArbeitgeberInnen versprechen. Die Reduzierung der Unterrepräsentativität (34,5% weibliche Manager im Jahr 2005) und die Auflösung einseitiger Eliteförderung, welche durch Ausschlussmechanismen gegenüber Frauen gekennzeichnet ist, müssen in Großbritannien nach Einschätzung der Expertinnen durch Netzwerkbildung und Mentoring-Programme geschehen, in denen es zu Dialogen über die Bedürfnisse und Anforderungen beider Geschlechter kommt und Frauen in Führungspositionen speziell gefördert werden. Allerdings kann die Auflösung der Ausschlussmechanismen durch einseitige Eliteförderung m. E. nur gelingen, wenn Frauen paritätisch an diesen Eliteschulen teilhaben, was durch eine spezielle Frauenförderung möglich ist. Denn Verbesserungen hinsichtlich der Kontinuität der Erwerbsbiografien von Frauen oder auch eine Senkung der Teilzeitquote und der Versuch, Frauen verstärkt in Vollzeiterwerbstätigkeit zu beschäftigten, erzielen keine Erfolge, wenn Mechanismen im Ausbildungsmarkt bereits vor dem Einstieg in das Berufsleben zu ungleicher Chancenverteilung bei den Geschlechtern führen, welche von Frauen im Berufsleben gerade aufgrund des informellen Charakters der Eliteförderung nicht kompensiert werden können. In Frankreich ist die Elitebildung ebenso wie in Großbritannien stark institutionalisiert. Auch hier spielt es eine große Rolle für die Erreichung einer Führungsposition, auf einer der drei „Grandes École“ ausgebildet worden zu sein. Frauen sind auch hier stark unterrepräsentiert. Die Reduzierung des Status durch einen zunehmenden Anteil an weiblichen Studenten wird am Beispiel der École des Hautes Études Commerciales (HEC) deutlich, wo der Frauenanteil bei annähernd 50% liegt, aber auch nur 8% der SpitzenmanagerInnen aus Politik und Wirtschaft aus dieser Eliteschmiede stammen (vgl. Kap. 3.4). Dies lässt die Vermutung zu, dass es zu einem Bedeutungsverlust durch Feminisierung kommt, die HEC wird nicht mehr als exklusive Schule wahrgenommen, weil eine kritische Masse von Frauen Einzug gehalten hat, was dazu führt, dass die „neue Elite“ nun verstärkt aus den beiden anderen Eliteschulen rekrutiert wird, bei denen der Frauenanteil wesentlich geringer ist. Frauen sind in Frankreich nach wie vor von den höchsten Positionen weitgehend ausgeschlossen. Es rücken zwar immer mehr Frauen in Führungspositionen vor, auch durch die Öffnung der Eliteschulen für weibliche Studenten, aber 220
diese verbleiben meist im mittleren Management (dies ist auch in Großbritannien und Schweden der Fall). Der Anteil der weiblichen Manager an den Managern insgesamt von 37,1% im Jahr 2005 ist vergleichsweise hoch, aber auch hier muss beachtet werden, dass darin alle Führungspositionen des unteren, mittleren und oberen Managements zusammengefasst sind. Eine weitere Ursache für die Aufrechterhaltung des Glass CeilingPhänomens neben der Eliteförderung wird in der Homo-Sozialität gesehen, die bewirkt, dass Männer in Positionen mit Personalverantwortung bei der Besetzung von Stellen Männer favorisieren, da diese ihnen ähnlich sind und sie so den zukünftigen Mitarbeiter besser einschätzen können. Daraus folgt, dass Frauen, obwohl sie quantitativ den größeren Anteil an StudienabgängerInnen stellen, nur selten hohe Positionen erreichen. Die Frage lautet hier also: Welche Maßnahmen können den hier wirkenden Ausschlussmechanismen entgegenwirken? Eine Lösungsstrategie ist m. E. das Verhindern von Diskontinuitäten in den weiblichen Erwerbsbiografien. Frauen benötigen gerade nach der Geburt von Kindern flexible Arbeitszeitmodelle, um Familie und Beruf vereinbaren zu können und nicht aus dem Beruf aussteigen zu müssen, denn je länger diese Erwerbsunterbrechungen andauern, desto unwahrscheinlicher scheint der Anschluss an männliche Karrieremodelle und das Erreichen von hohen Führungspositionen. Auch müssen von allen AkteurInnen das Potential weiblicher Arbeitskräfte und der hohe immanente finanzielle Wert durch langjährige Ausbildung erkannt werden, damit ein unternehmerischer Anreiz besteht, Frauen gezielt zu fördern. Wichtig neben der Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen und der Senkung der Teilzeitquote ist aber auch die Öffnung der Eliteschulen für Frauen. Hier ist eine kurzfristige positive Diskriminierung erforderlich, um Chancengleichheit der Geschlechter herzustellen, denn ansonsten können Frauen den Nachteil des Ausschlusses aus einer Elite im Berufsleben nur schwer aufholen. Diese Erkenntnis scheint in Frankreich noch nicht erreicht bzw. entsprechend umgesetzt, denn Unternehmen nehmen durch das Ausscheiden von Frauen bewusst oder unbewusst hohe finanzielle Verluste in Kauf. Der Anteil der weiblichen Manager an den Managern insgesamt lag in Schweden im Jahr 2005 mit 29,8% unter dem EU-25 Durchschnitt von 32,1%. Ausschlussmechanismen, die bereits vor dem Berufseinstieg durch Eliteschulen ö. ä. wirken, konnten weder in der Sekundärliteratur noch von den ExpertInnen identifiziert werden. Weibliche Studenten sind in Schweden paritätisch vertreten, obwohl es auch hier zu einer geschlechtsspezifischen Segregation am Ausbildungsmarkt kommt, was sich darin äußert, dass Frauen bspw. in den Naturwissenschaften unterrepräsentiert sind.
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Das Glass Ceiling-Phänomen wurde hier dennoch identifiziert, was darauf schließen lässt, dass es keiner offensichtlichen Ausschlussmechanismen bedarf, um zu ungleichen Entwicklungen der Geschlechter am Arbeitsmarkt zu führen. Frauen bilden den Großteil der AbsolventInnen mit akademischem Abschluss, verbleiben aber größtenteils auf Positionen des mittleren Managements. Die multikausalen Ursachen sollen aber dem Empfinden der ExpertInnen nach nicht mit positiver Diskriminierung, bspw. durch Quotierungen, von Frauen bekämpft werden. Vielmehr sollen Frauen durch spezifische Förderung in Männerdomänen Einzug halten, wobei in Schweden der Grundgedanke des doing gender sehr präsent ist, denn hier sollen Frauen gefördert werden, indem sie bspw. in Netzwerken mit Männern zusammen über Probleme der Erwerbstätigkeit und Problemlösungen diskutieren und durch gemeinsame Zusammenarbeit Geschlechtergleichstellung quasi als Selbstläufer und Selbstverständlichkeit angestrebt wird. Durch eine gemischtgeschlechtliche Zusammenarbeit entfällt der bisher für notwendig erachtete Einsatz prominenter MentorInnen, auch wenn diese einen höheren Grad an öffentlicher Aufmerksamkeit erzielen können, gerade wenn es sich bei diesen um Männer handelt, die sich öffentlich für Geschlechtergleichstellung engagieren. Die hohen Standards der gesetzlichen Vorgaben lassen wenig Raum für weiterführende Fördermaßnahmen. Zu vermuten ist, dass aufgrund der quantitativ und qualitativ hochwertigen Richtlinien und Gesetze bezüglich Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexiblen Arbeitszeiten, Elternurlaub und den vergleichsweise hohen finanziellen Ausgleichszahlungen gesellschaftlich kein Bedarf zu weiterer Förderung bzw. positiver Diskriminierung gesehen wird. Dies zeigt sich vor allem in den Unternehmen, die zwar bestehende Gesetze umsetzen, aber darüber hinaus keine konkreten Maßnahmen zur Förderung von Frauen in Führungspositionen anbieten, abgesehen von der evtl. langfristig erfolgreichen Schaffung von gemischtgeschlechtlichen Netzwerken. Zudem bedingt die schwedische Individualbesteuerung den Doppelverdiener-Haushalt, so dass die Erwerbstätigkeit von Frauen zwar selbstverständlich ist, aber die Präsenz der Frauen auf dem Arbeitsmarkt zugleich über die jeweilige meist niedrigen Qualität und auch Quantität ihrer Arbeit, durch Erwerbstätigkeit im Niedriglohnbereich oder in Teilzeitarbeit, hinwegtäuscht. Evtl. führt die gesellschaftliche Annahme, der schwedische Wohlfahrtsstaat stelle ausreichend Regelungen bereit, um Frauenerwerbstätigkeit zu ermöglichen, zu einer Marginalisierung der Problematik in der Öffentlichkeit, so dass das Problem der geringen Repräsentativität von Frauen in Führungspositionen nicht als (gesellschaftliches) Problem wahrgenommen wird, was die niedrige Quote auch im Vergleich mit Großbritannien und Frankreich erklären könnte. Ein anderer Erklärungsversuch wäre die Annahme, dass die Zahl der Führungs222
positionen, die Frauen besetzen wollen oder können, begrenzt ist, wodurch die Diskrepanz zwischen einer hohen weiblichen Erwerbsquote und einer niedrigeren Quote von Frauen in Führungspositionen begründet werden könnte. Möglicherweise sind auch die Berechnungsgrundlagen in den Ländern unterschiedlich, vor allem in Bezug auf die berücksichtigten Positionen. D. h. möglicherweise bestehen Unterschiede bei der Definition von Führungspositionen, wodurch evtl. hier weniger Positionen für die Einrechnung qualifiziert sind. Für diese Vermutung spricht die hohe Repräsentativität von Frauen in einzelnen hohen Organen Schwedens. Natürlich ist aber auch der geringere Wert als Tatsache zu sehen und zu interpretieren. Hier bedarf es also der verstärkten Sensibilisierung aller AkteurInnen für die noch bestehende geschlechtsspezifische Segregation (vertikal und horizontal) am Arbeitsmarkt. Der Gender Pay Gap ist in allen drei untersuchten Ländern als ernst zu nehmendes Problem identifiziert worden. Nicht zuletzt, weil dieser Gender Pay Gap in den einzelnen Ländern eine scheinbar nicht messbare Ungleichbehandlung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt quantifiziert. Im Jahr 2005 lag der EU-15 Durchschnitt des Gender Pay Gap bei 15%, in Großbritannien beträgt dieser 20%, in Frankreich 12% und in Schweden 16% (vgl. Tab. 16, S. 102). Die deutlich niedrigere Quote Frankreichs wird von den interviewten ExpertInnen schnell entkräftet, sie geben den in 2007 aktuellen Gender Pay Gap übereinstimmend mit 20% an (vgl. Kap. 3.5). Um diese hohe Schwankung erklären zu können, müssen die offiziellen Zahlen auch im Ländervergleich abgewartet werden. Die Ursachen des Gender Pay Gap werden in den drei untersuchten Ländern in der ungleichen Chancenverteilung auf dem Arbeitsmarkt und der Diskontinuität der Erwerbsbiografien aufgrund der Reproduktionsarbeit gesehen. Weitere Ursachen sind Teilzeitarbeit, die Selbsteinschätzung der Frauen, eine geringere Berufserfahrung, die geschlechtsspezifische Segregation und geringere Qualifikation sowie die eingeschränkte Mobilität aufgrund der Betreuungs- und Versorgungspflichten. Alle Ursachen münden im Symptom der Diskontinuität der Erwerbsbiografien, wobei den einzelnen Ursachen in den verschiedenen Ländern nicht jeweils der gleiche Stellenwert zugeschrieben wird. Während in Großbritannien die ungleiche Chancenverteilung, Teilzeiterwerbstätigkeit, die geschlechtsspezifische Segregation und die Selbsteinschätzung der Frauen als Hauptursachen identifiziert wurden, steht in Frankreich die Problematik der Reproduktionsarbeit, der ungleichen Bildungschancen und geringeren Qualifikation sowie wiederum Teilzeiterwerbstätigkeit im Vordergrund. In Schweden stehen die Diskontinuität aufgrund des Erziehungsurlaubs und die eingeschränkte Mobilität im Fokus der Ursachenforschung.
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Die Einschränkungen der Erwerbstätigkeit nach der Geburt von Kindern spielen auch in der Diskussion um die DCC eine Rolle, denn hier wurde herausgefunden, dass selbst bei DCCs, die als besonders gleichwertige Paare gelten, Mobilitätsentscheidungen i. d. R. zugunsten der männlichen Karriere getroffen werden. Ebenso wird in dieser Diskussion festgestellt, dass es bei anfangs gleichgestellten Paare nach der Geburt eines Kindes zu einer Retraditionalisierung kommt, bei der sich der Mann stärker auf die Erwerbsarbeit und die Frau stärker auf die Reproduktionsarbeit spezialisiert, wodurch es zu einem Kompetenzverlust der weiblichen Arbeitskraft kommt, der sich negativ auf das Einkommen der Frau auswirkt und der Gender Pay Gap sich vergrößert. Die steigende Tendenz dieser Quote kann ihre Ursache einerseits in einer wachsenden weiblichen Erwerbsbeteiligung haben, denn je mehr Frauen aktiv am Arbeitsmarkt teilnehmen, desto größer werden die Unterschiede rein rechnerisch, da der Großteil der neu geschaffenen Frauenarbeitsplätze lediglich in Teilzeitarbeit stattfindet, wo der Gender Pay Gap größer ist als im Vollzeitsektor. Andererseits rückt die geschlechtsspezifische Einkommensdifferenz zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Jahr 2007 war der Gender Pay Gap Hauptthema vieler Länder bzw. Fokus der Bemühungen im Bereich der Frauen- und Geschlechterförderung bzw. –gleichstellung. Durch diese vermehrte Aufmerksamkeit gelangen gerade private Unternehmen stärker unter Druck, Gehaltsauflistungen zu veröffentlichen und geschlechtsspezifische Ungleichheiten aufzudecken und zu bekämpfen, doch ist das Ausmaß in den drei Ländern, zu dem die öffentlichen und privaten ArbeitgeberInnen ermutigt oder gezwungen werden, Equal Pay Reviews zu erstellen und zu veröffentlichen, sehr unterschiedlich. In Großbritannien gilt das Gehalt gerade in traditionellen Männerbranchen wie dem Bankgewerbe immer noch als Geheimnis, nicht zuletzt, da durch die individuellen Gehaltsverhandlungen erhebliche Gehaltsunterschiede innerhalb der gleichen Berufsgruppe eines Unternehmens auftreten können. Die Umkehr der Beweislast als Bestandteil der Anpassung des „Sex Discrimination Act“ von 1975 an die EU-Bestimmungen im Jahr 2001 ist ein wichtiger Schritt, um Frauen zu ihrem Recht auf gleiches Einkommen für gleiche Arbeit zu verhelfen. Im Oktober 1999 wurde durch die Initiative der EOC eine „Equal Pay Task“ zur Findung von Ursachen und Lösungen des Gender Pay Gap eingeführt, die entsprechende Empfehlungen an Regierung, ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften weitergeben sollte. Doch der EOC Bericht des Jahres 2001 zeigte, dass es zwar nicht am Willen zur Beseitigung von Gender Gaps mangelt, aber die Aktivitäten und Bestrebungen dahingehend unkoordiniert und nicht ausreichend sind, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Der öffentliche Sektor ist gesetzlich zu gleichem Lohn für gleiche Arbeit verpflichtet, geschlechtsspezifische Ungleichheiten werden aber auch hier durch 224
Bonus- und Sonderzahlungen produziert und toleriert. In der Privatwirtschaft besteht kein gesetzlicher Zwang zu Equal Pay Reviews o. ä. Auch der öffentliche Arbeitgeber hat keine Sanktionen bei Nichteinhaltung der Antidiskriminierungsrichtlinien zu befürchten, zumindest keine finanziellen. Gerade der Staat als Arbeitgeber und rechtgebende Instanz sollte aber ein Interesse daran haben, Diskriminierungen jeglicher Art abzubauen, da die Nicht-Aktivierung bzw. Nicht-Ausnutzung des weiblichen Arbeitskräftepotentials jährlich Opportunitätskosten in Höhe von bis zu 2% des GDP (Gross Domestic Product = Bruttoinlandsprodukt) verursacht (vgl. Kap. 2.5). Obwohl es keine gesetzlichen Bestimmungen gibt, werden Maßnahmen zur Reduzierung des Gender Pay Gap im privaten Sektor durchgeführt, weil darin ein Unternehmensvorteil gesehen wird. Unternehmen wollen als ArbeitgeberInnen attraktiv sein und reizen High Potentials durch konkrete Gleichstellungspläne. Damit werden vor allem Frauen an Unternehmen gebunden, die von Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf am meisten profitieren und gleichzeitig eine kontinuierliche Erwerbsbiografie erreichen können, die wiederum indirekt zum Abbau des Gender Pay Gap führt. Es ist also festzustellen, dass in britischen Unternehmen die Reduzierung des Gender Pay Gap aktiver betrieben wird als dies vom Gesetzgeber gefordert ist, allerdings nicht vornehmlich, um Geschlechtergleichstellung zu erreichen, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass Diversity Strategien im Allgemeinen den Unternehmensgewinn steigern und außerdem zu einer positiven Reputation führen. Nicht die Vermeidung der Ursachen steht im Vordergrund des Interesses, sondern die marktwirtschaftliche Effektivität. Somit ist die Reduzierung des Gender Pay Gap eher Nebenprodukt einer Gewinnmaximierungsstrategie. Diese beinhaltet zur vollen Nutzung des Arbeitskräftepotentials, Frauen an das Unternehmen zu binden, Frauen in Führungspositionen zu fördern und die Vereinbarkeit zu verbessern, alles Faktoren, welche den Gender Pay Gap reduzieren können, wenn sie erfolgreich verlaufen. Da der Gender Pay Gap in Großbritannien zwar hoch ist, aber im Vergleich der letzten Jahre gesunken, scheint sich der Einfluss des privaten Sektors positiv auf den Wert des Gender Pay Gap auszuwirken. Die Reduzierung des Gender Pay Gap und die spezifische Frauenförderung sowie Geschlechtergleichstellung sind Nebenprodukte einer Geschäfts-/Unternehmens - Strategie. In dieser durch einen hohen Grad an Privatisierung gekennzeichneten Marktwirtschaft ist es gerade das Prinzip von Angebot und Nachfrage, welches zu einem eher zufällig anfallenden positiven Effekt auf die Geschlechtergleichstellung führt, was allerdings hinsichtlich des Gender Pay Gap als die effektivste Lösungsstrategie erscheint, denn Geschlechtergleichstellung kann dort nachhaltig funktionieren bzw. verbessert werden, wo durch die Reduzierung der Ungleichheiten von allen AkteurInnen Vorteile erkannt und genutzt 225
werden. Kann also Geschlechtergleichstellung oder in diesem Fall die Reduzierung des Gender Pay Gap zu einer Kostenreduktion oder Gewinnsteigerung führen, haben die Forderungen an marktwirtschaftlich geprägte AkteurInnen einen starken Rückhalt und es kommt auf diese Weise für alle beteiligten AkteurInnen zu einer, wenn auch nicht beabsichtigten, Win-Win-Situation, die m. E. in den nächsten Jahren zu einer weiteren Senkung des Gender Pay Gap führen wird. Der Staat als öffentlicher Arbeitgeber ist auch hier zur Reduzierung des Gender Pay Gap angehalten und verpflichtet. Langfristig effektive Maßnahmen bleiben allerdings bislang aus. In Frankreich wird vielmehr auf eine kurzfristige Problemlösung durch finanzielle Bezuschussung der Unternehmen zur Schließung der Einkommensdifferenzen gesetzt. Auch die Unternehmen verfahren in dieser Weise und schließen den Gender Pay Gap, wenn er festgestellt wird, aus unternehmensinternen Fonds. Diese Aktionen können allerdings nur die Symptome lindern und auch dies nicht nachhaltig. Die Ursachen bleiben bestehen und eine Reduzierung scheint langfristig nicht möglich. Glaubt man dem von den Expertinnen angegebenen Wert von 20%, ist der Gender Pay Gap also nicht von 17% im Jahr 2002 auf 12% im Jahr 2005 gefallen, sondern auf 20% im Jahr 2007 gestiegen. Auch bei unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen ist diese Differenz enorm. Allerdings deckt sich m. E. ein steigender Wert mit den allgemeinen Entwicklungen gerade am Arbeitsmarkt, denn von den in den letzten Jahren neu geschaffenen Frauenarbeitsplätzen ist ein Großteil im Teilzeitsektor verortet, in dem die Differenz zwischen den Frauen- und Männereinkommen noch größer ist als im Vollzeitsektor. In Frankreich scheint nicht nur der Gender Pay Gap aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden zu sein. Kurzfristige und nicht nachhaltige Konzepte zur Schließung der Einkommensdifferenz weisen auf eine latente Duldung des Problems hin. Dies bestätigt die Wahrnehmung, in Frankreich käme es aufgrund dringenderen Migrationsproblematiken zu einem zunehmenden Bedeutungsverlust der Geschlechtergleichstellung in der Politik auf Landesebene. Greifen hier staatliche Strategien und Maßnahmen nicht regulierend ein, um die Arbeitsbedingungen und Gehälter im Teilzeitbereich zu steigern, wird der Gender Pay Gap in Frankreich m. E weiter steigen. In Schweden ist der Staat als größter Arbeitgeber des Landes ebenso zur Schließung des Gender Pay Gap verpflichtet. Auch die Unternehmen des privaten Sektors müssen per Gesetz ein Salary Mapping sowie Equal Pay Reviews erstellen. Durch diese gesetzlichen Vorgaben sind alle AkteurInnen über die Problemstellung informiert und an der Beseitigung des Problems interessiert, da durch staatliche Behörden Sanktionen erlassen werden, falls den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprochen wird. Ein Problem hierbei ist allerdings, dass die Überwachung und Evaluierung gerade der Unternehmen des privaten Sektors 226
aufgrund der enormen Fallzahl und des geringen Personals der Gleichstellungsbehörde nur stichprobenartig erfolgen können, was das Risiko, bei Nichteinhaltung der Standards ertappt und sanktioniert zu werden, minimiert. In den Unternehmen beschränken sich Maßnahmen zur Schließung eines vorgefundenen Gender Pay Gap ebenso wie in Frankreich auf die Angleichung des Einkommens der betroffenen Person. Auch die Forderung nach gleichen Einstiegsgehältern zur Selbstregulierung des Gender Pay Gap ist langfristig nicht effektiv, da es ja gerade die ungleichen Lebensentwürfe und Erwerbsbiografien bzw. -verläufe sind, die im Laufe der Arbeitsjahre zu immer größeren Einkommensdifferenzen zwischen Mann und Frau führen. Hier muss allerdings eingeräumt werden, dass Schweden durch sein hohes Niveau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen bereits viel zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Geschlechtergleichstellung leistet, was sich wiederum positiv auf die Kontinuität der Erwerbsbiografien der Frauen auswirkt und damit nicht zuletzt den Gender Pay Gap reduzieren wird. Schweden liegt zwar mit einem Prozentpunkt über dem EU-Durchschnitt von 15% im Jahr 2005, allerdings ist dieser Wert im Vergleich bereits auf einem niedrigen Niveau, wenn man die überdurchschnittliche Erwerbsquote von 71,8% im Jahr 2007 berücksichtigt (vgl. Kap. 2.5 zur Bedeutung der Erwerbsquote bei der Interpretation des Gender Pay Gap), was auf eine bereits seit Jahrzehnten gut positionierte Gleichstellungsarbeit schließen lässt. In Schweden wird die Reduzierung des Gender Pay Gap demnach hauptsächlich von Seiten des Staates initiiert, wobei die Unternehmen durch die Einhaltung der hohen Standards zur Bekämpfung der Ursachen des Gender Pay Gap beitragen. Richtlinien für staatliche und öffentliche ArbeitgeberInnen über die Offenlegung von Gleichstellungsplänen schaffen einen öffentlichen Druck, geschlechtsspezifische Ungleichheiten wie den Gender Pay Gap zu reduzieren. Gender Mainstreaming als von der EU eingesetzte Richtlinie fand und findet Eingang in die Gleichstellungspolitik der jeweiligen Mitgliedstaaten. In Großbritannien wurden bereits vor der Einsetzung von Gender Mainstreaming in den 1970ern der Equal Pay Act und der Sex Discrimination Act erlassen, um gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu schaffen bzw. Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts abzubauen. 1976 wurde die EOC gegründet, die sich im Folgenden mit einer Equal Pay Task mit den Ursachen und Lösungen des Gender Pay Gap befasste und entsprechende Empfehlungen an Regierung, ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften lieferte. Die Idee des Gender Mainstreaming wird auch im NAP Großbritanniens umgesetzt, denn hier gibt es Empfehlungen zur Schließung der Gender Gaps und der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Vereinfachung des Wiedereintritts in das Erwerbsleben nach einer Erziehungspause. Auch Gender Budgeting hat seit der 227
Gründung der Women´s Budget Group im Jahre 1989 an Bedeutung gewonnen. Alle staatlichen Ausgaben werden geschlechtsspezifisch untersucht, wobei festgestellt wurde, dass die Budgetpolitik unbezahlte Arbeit berücksichtigen muss, um geschlechterneutral zu sein, da die Bemessung vieler Ansprüche bezogen auf das Primäreinkommen gerade Frauen benachteiligt. Gender Mainstreaming findet in Großbritannien Eingang in die verschiedenen Politikbereiche und spielt in diesen als Gleichstellungsstrategie eine wichtige Rolle. Auf anderen Ebenen wie der Unternehmens-Ebene hingegen spielt Gender Mainstreaming bei den Überlegungen zur Geschlechtergleichstellung keine direkte Rolle, ist vielen AkteurInnen als Begriff unbekannt. Allerdings steht hier thematisch Diversity und Diversity Management im Vordergrund, da Heterogenität entsprechend der verschiedenen Diversity Faktoren als Unternehmensvorteil und –gewinn erkannt wurde. In Frankreich wurden bereits in den 1950ern Gesetze hinsichtlich der Entgeltgleichheit erlassen, welche in den folgenden Jahren präzisiert und verschärft wurden. 1975 wurde es ArbeitgeberInnen verboten, eine Person aufgrund des Geschlechts bei Einstellung oder Entlassung zu benachteiligen und 1983 lag mit dem Gesetz zur beruflichen Gleichheit von Frauen und Männern ein umfassendes Diskriminierungsverbot vor, nach welchem Geschlecht vor, während und bei Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr berücksichtigt werden durfte. Zudem mussten ArbeitgeberInnen einen Bericht im Sinne eines Gender Equality Reviews erstellen. Um die Einhaltung des Diskriminierungsverbots zu überprüfen, wurde der „Inspecteur du travail“ als Institution geschaffen. Dieser kann Entgeltgleichheit aber nur hinsichtlich der Tarifvereinbarungen überprüfen, Ungleichbezahlungen in außertariflichen Abschlüssen fallen nicht in seinen Kompetenzbereich. Gender Budgeting ist durch das von der Regierung vorgelegte „Gelb-Buch“ als Teil der Gender Mainstreaming Strategie in der nationalen Politik verankert. In Frankreich ist positive Diskriminierung ausdrücklich zugelassen. Diese französische Eigenheit wird auf Politik-Ebene als sinnvoller erachtet als Gender Mainstreaming, dem wenige praktische Effekte zugetraut werden, was die Diskussion um den Stellenwert von Gender Mainstreaming und Frauenförderung als konkurrierende bzw. im Idealfall sich ergänzende Konzepte widerspiegelt. In Schweden wurde die Gleichstellungsbehörde des Ombudsmannes für Gleichstellung (JämO) eingesetzt, um das national gültige Gleichstellungsgesetz zu überwachen und die Einhaltung der Verpflichtung der ArbeitgeberInnen zur Erstellung von Gleichstellungsplänen und Gehaltsaufstellungen nach Geschlecht zu kontrollieren. Unterstützt wird diese Institution von verschiedenen anderen wie dem Gleichstellungsrat, dem Gleichstellungsausschuss, dem Gleichstellungssekretariat und der Gleichstellungskommission. Das Statistische Zentralamt 228
bringt außerdem jährlich eine Broschüre über die Gleichberechtigung und Gleichstellungsarbeit in den verschiedenen Bereichen heraus. Schweden als Mitglied des Nordischen Rates hat sich zur Verankerung von Gender Budgeting im Haushalt sowie zur Überprüfung der geschlechtsspezifischen Auswirkungen der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben verpflichtet. Gender Mainstreaming als Strategie wird von den verschiedenen Einrichtungen/Institutionen und der Politik befördert, allerdings verbleibt die Strategie begrifflich auf den Ebenen Politik und Institution und scheint auf UnternehmensEbene keine Rolle zu spielen. Gender Mainstreaming wird die Effektivität auf den privaten Sektor abgesprochen, auch ist die Umsetzung von Gender Mainstreaming zu langwierig und für den privaten Sektor deshalb evtl. „unhandlich“. Allerdings muss hier festgestellt werden, dass die AkteurInnen auf Unternehmens-Ebene ebenso an der Strategie des Gender Mainstreaming festhalten wie andere AkteurInnen aus Politik und Institution, denn die zahlreichen Initiativen und Maßnahmen halten zwar nicht am Begriff „Gender Mainstreaming“ fest, beinhalten aber doch die Idee der Strategie. Anhand der Zusammenfassung der Ergebnisse entlang der Vergleichsdimensionen lassen sich folgende Aussagen bezüglich der Länder treffen: In Großbritannien werden wenige Gesetze und Maßnahmen hinsichtlich der Frauenförderung und Geschlechtergleichstellung von der Regierung vorgegeben bzw. initiiert, die Privatisierung von ehemals staatlichen Transferleistungen nimmt zu. Auch die neue Regierung um Gordon Brown folgt diesem politischen Pfad. Dennoch entwickelt sich Großbritannien m. E. positiv für Frauen und in Richtung eines höheren Grades an Geschlechtergleichstellung, weil spezifische Frauenförderung ebenso wie Diversity Strategien, in denen beiden Geschlechtern besondere Aufmerksamkeit zukommt, von den AkteurInnen des privaten Sektors, also vornehmlich der Unternehmen, als Wettbewerbsvorteil gesehen und deshalb hier weiterentwickelt werden. Im Gegensatz zu Schweden und Frankreich, wo historisch gesehen eine vergleichsweise hohe Erwerbsquote von Frauen und besonders von Müttern erreicht wird, ist das Vordringen von Frauen der Mittel- und Oberschicht auf den Arbeitsmarkt in Großbritannien ein neueres Phänomen. Neben der finanziellen Notwendigkeit aufgrund steigender Lebenshaltungskosten (bspw. aufgrund der Miet- und Wohnungspreise) sind Frauen heute nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Frankreich und Schweden besser ausgebildet, finanziell unabhängiger und streben (z. T.) nach Selbstverwirklichung im Beruf. Diese Frauen sind nun Marktteilnehmerinnen und beeinflussen so aktiv als Akteurinnen des Arbeitsmarktes oder passiv als Konsumentinnen, Unternehmensentscheidungen und –politiken. Gerade im marktwirtschaftlich geprägten britischen Raum werden Frauen nun als neue aktive Kraft verstanden, auf die eingegangen werden muss, 229
um ökonomische Gewinne und Wettbewerbsfähigkeit zu realisieren. Dies birgt ein großes Innovationspotential hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse und verspricht weit reichende Verbesserungen hinsichtlich der familienpolitischen Leistungen, zumindest soweit diese vom Markt bereitgestellt werden. Inwiefern und wie schnell sich staatliche Politiken und Strategien diesen Veränderungen anpassen, bleibt abzuwarten. In Frankreich existieren starke Vorgaben von der Regierung hinsichtlich der Förderung der Geschlechter mit dem Ziel, den Zustand der Geschlechterdemokratie zu erreichen, doch zielen diese Maßnahmen verstärkt auf Familien und Kinder, nicht auf Frauen ab, wohingegen spezielle Frauenförderung und Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit mehr als Randprodukt gesehen werden kann und positive Auswirkungen nur indirekt aus der Kinder- und Familienförderung folgen (bspw. durch den Ausbau der Kinderbetreuung). Im privaten Sektor, d. h. auf Unternehmens-Ebene, konnten nur wenige Initiativen ausgemacht werden, Geschlechtergleichstellung ist auf dieser Ebene noch nicht als Unternehmensvorteil und Anreiz verstanden worden, weshalb dort keine Innovationen oder sprunghafte Fortschritte hinsichtlich der Geschlechtergleichstellung zu erwarten sind. Gleichzeitig scheint sich in Frankreich ein schleichender Rückzug aus der Gleichstellungsarbeit bzw. eine Marginalisierung der Geschlechterpolitik durch den Regierungswechsel um Nicolas Sarkozy abzuzeichnen. Die neue Regierung in Frankreich hat eine neue Richtung eingeschlagen, da diese im Gegensatz zur vorherigen kein eigenes Ressort für die Chancengleichheit der Geschlechter hat. Ebenso wenig existiert ein Ministerium für Frauen. Frauenangelegenheiten sind thematisch nun dem Gesundheits- oder Familienminister zugeordnet, welche aber hauptsächlich das Ziel der Familienförderung verfolgen. Hier wurde die Vermutung laut, dass auf hoher politischer Ebene die Geschlechtergleichstellung als abgeschlossen beurteilt wird. Die Interessen der Frauen scheinen in der neuen Regierung nicht mehr den gleichen Stellenwert zu haben, was durch eine sinkende Anzahl an Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtergleichstellung deutlich wird. Stattdessen rücken auf nationaler Ebene Probleme der Migrations- und Integrationspolitik in den Vordergrund. Diese Entwicklung birgt Risiken für die Frauen(förder)politik. Frauen werden zukünftig nicht mehr in gleichem Maße als zu fördernde Gruppe wahrgenommen, wodurch sich negative Auswirkungen (Rückentwicklungen) auf die Geschlechtergleichstellung ergeben (werden). In Schweden liegt ein hoher Standard an Regierungsvorgaben hinsichtlich der Frauenförderung und Geschlechtergleichstellung vor, trotzdem konnten noch zusätzliche Maßnahmen und Initiativen im privaten Sektor, auf UnternehmensEbene, ausgemacht werden. Auch auf Institutionen-Ebene werden fortlaufend 230
neue Strategien zur Förderung der Geschlechtergleichstellung unter verschiedenen Schwerpunkten wie bspw. der Entgeltgleichheit entwickelt, welche von den Unternehmen umgesetzt werden müssen. Der Regierungswechsel um Fredrik Reinfeldt hat zu keiner erkennbaren Veränderung in der Gleichstellungspolitik oder der Arbeit der gleichstellungspolitischen AkteurInnen geführt. Schweden setzt den positiven Trend fort, hält sein hohes Niveau und behauptet seine Vorreiterrolle im europäischen Vergleich hinsichtlich der Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit und der Geschlechtergleichstellung. Die Frauenförderung ist dort besonders ausdifferenziert, weit fortgeschritten und zukunftsträchtig, wo diese als Vorteil für alle AkteurInnen verstanden wird. Doch meine These ist nicht, dass Deregulierung zu einer Verbesserung der Geschlechterverhältnisse führt und Regulierung bzw. gesetzliche Vorgaben keine weiteren Anreize zur Geschlechtergleichstellung zulassen. Auch sollte Schweden hier nicht als „Verlierer“ (hinsichtlich des Entwicklungspotentials) dargestellt werden, da Innovationen von einem sehr hohen Niveau der Geschlechtergleichstellung aus schwerer sind. Vielmehr lassen sich zwei Wege zu einem höheren Grad an Geschlechterdemokratie erkennen. Schweden erreicht aufgrund seiner Gesetzgebung und seiner universalistischen Transferleistungen hohe quantitative und qualitative Ergebnisse hinsichtlich der Geschlechter-gleichstellung im Vergleich der drei hier untersuchten Staaten. Großbritannien findet m. E. einen indirekten Weg zu mehr Geschlechterdemokratie über den Markt, anstatt durch einen „top down“ Prozess, bei dem Veränderungen durch Vorgaben „von oben“ (vom Gesetzgeber) initiiert werden. Beide Strategien können zum Ziel der Gleichstellung der Geschlechter führen, evtl. sind Entwicklungen, die sich über den Markt ergeben, sogar schneller umsetzbar als gesetzlich vorgegebene, so dass Großbritannien in einigen Jahren evtl. mit Schweden in Punkto Geschlechtergleichstellung gleichziehen kann. Kritisch sehe ich aber die Entwicklung Frankreichs, aufgrund der oben beschriebenen Tendenzen. Um zu überprüfen, welche Effekte die eben beschriebenen Ergebnisse auf die Entwicklungen der politischen Paradigma der einzelnen Länder haben, wird entlang der Vergleichsdimensionen der Prozess des Social Learning untersucht. Tabelle 42 gibt eine Übersicht über die Ausprägungen first, second bzw. third order change entlang der Vergleichsdimensionen nach Hall (vgl. Kap. 1.2.7.1). Für alle Dimensionen folgt das „policy making“ sowie die angewandten Instrumenten dem bereits bestehenden politischen Pfad bzw. Paradigma. Hier liegt also ein first order change vor, denn alle Entwicklungen und Fälle von wurden unter Einsatz der bereits bestehenden Instrumente und entlang des Pfades vollzogen.
231
Tabelle 42: Pfadabhängigkeitsüberprüfung Wohlfahrtsstaat
GB
FR
Dimension Familienpolitische Leistungen
First
First
First
Mutterschutz/Elternurlaub
First/Second
First
First
Elterngeld Anerkennung der familialen Arbeit Frauen im Alter – Rentenbezug Vereinbarkeit von Familie und Beruf
First First
First First
Second First
First
First
First
First
First
First
Bereitstellung von sozialer Infrastruktur und deren Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen
First
First
First
Frauen in Führungspositionen
First (Second im privaten Sektor)
First
First (Se-
First First
First First
Gender Pay Gap Gender Mainstreaming
SE
cond im privaten Sektor)
First First
Nur in wenigen Fällen bzw. Unterdimensionen kommt es zum Einsatz neuer Instrumente und somit zu einem second order change. So geschehen m. E. in Großbritannien in Bezug auf den Elternurlaub (beim Mutterschutz kommt es nicht zum Einsatz neuer Instrumente, also liegt hier ein first order change vor). Väter spielten und spielen noch eine marginale Rolle in Großbritannien, trotzdem vollzieht sich hier durch das neuere Instrument Vaterschaftsurlaub und Vaterschaftsgeld ein Wandel in der Wahrnehmung von Familien im kollektiven Bewusstsein. Der Vaterschaftsurlaub beträgt zwar ebenso wie in Frankreich nur zwei Wochen, doch ist es im Hinblick darauf, dass der britische Staat nur als Nachtwächterstaat in die Familien interveniert, ein großer Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter, obwohl das Vaterschaftsgeld m. E. nicht stark genug wirkt, um Einfluss auf die gesamten familienpolitischen Leistungen zu nehmen und es bei diesen so bei einem first order change verbleibt. In Frankreich ist der Einsatz des Vaterschaftsurlaubs zwar ebenso ein neueres Instrument, aber die familialistische und natalistische Tradition steht auch hierbei wieder im Vordergrund, nicht die Gleichstellung der Geschlechter oder der schnellere Wiedereintritt der Frauen in den Arbeitsmarkt (denn zwei Wochen Vaterschaftsurlaub können die Kommodifizierung der Frauenerwerbstätigkeit 232
nicht effektiv beeinflussen). Frankreich folgt somit dem herkömmlichen politischen Pfad. In Schweden stehen sowohl Eltern als auch deren Arbeitsfähigkeit im Interesse der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik. Der Vaterschaftsurlaub folgt hier diesen Interessen. In Schweden kann m. E. das Erziehungsgeld für häusliche Betreuung als neues Instrument gesehen werden, welches gleichzeitig auch zu einem Abweichen vom herkömmlichen Pfad in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter in der Familienpolitik führt. Dieses Erziehungsgeld fördert im Gegensatz zu anderen Instrumenten die Re-Traditionalisierung und be- oder verhindert die Kommodifizierung gerade von weiblicher Erwerbstätigkeit für teilweise bis zu drei Jahre. In Frankreich hingegen ist das Erziehungsgeld ebenso ein Instrument, das zur Steigerung der Geburtenrate führen soll wie andere hier vorgestellte, die Großfamilien speziell fördern bzw. bevorzugen. Die Erwerbstätigkeit der Frau stand nie im Fokus der Familienpolitik Frankreichs, im Gegensatz zu Schweden, weshalb der Einsatz eines Erziehungsgeldes hier zu einem second order change führt. Auch für die Dimension Frauen in Führungspositionen vollzieht sich ein first order change aufgrund politischer Entscheidung entlang des herkömmlichen Pfades. Allerdings ist hier zu bemerken, dass es sowohl in Großbritannien als auch in Schweden im privaten Sektor zum Einsatz neuer Instrumente wie dem Mentoring oder dem Einsatz von Netzwerken kommt (im privaten Sektor liegt also ein second order change vor), was zwar positive Effekte auf die Frauenförderung hat, aber keinen Einfluss auf die politischen Entscheidungen der Nationalstaaten nimmt. Ein third order change, bei dem es zu starken Abweichungen von der politischen Linie kommt, die zu einem Pfadwechsel führen würden, konnte für keine Dimension ausgemacht werden.
5.2 Thesenüberprüfung und Schlussfolgerungen Erwerbsarbeit wird nicht nur für Frauen sowohl für die langfristige Existenzsicherung wie auch für die kurzfristige Erfüllung von Selbstverwirklichung immer bedeutender. Frauen wollen Karriere und Familie vereinbaren, doch mit Blick auf die organisationalen und sozialstaatlichen Rahmenbedingungen wird deutlich, dass Frauen die Herausforderungen der Vereinbarkeit selbst lösen müssen (Wimbauer u. a. 2007, 99), wobei hier die Regimetypen in unterschiedlichem Maße diese Herausforderung bzw. Problematik der Doppelbelastung stärken oder schwächen, wie in den Länderkapiteln gezeigt wurde. Auch der Staat wirkt hier als Basis der verschiedenen Regimetypen auf die Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse sowie der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, wo233
durch die unterschiedlichen Niveaus der Frauenförderung und die Ausformung der Geschlechterregime erklärbar werden. Die 1. These meiner Forschungsarbeit konnte somit verifiziert werden, denn wie am Status quo bezogen auf die einzelnen Vergleichsdimensionen (vgl. Kap. 5.1) gezeigt wurde, ist die Quantität und Qualität der Strategien zur Frauenförderung vom jeweiligen Typus des Geschlechterregimes abhängig, zudem werden unterschiedliche politische Schwerpunkte gesetzt. Während Großbritannien die Transferleistungen bspw. bezüglich Mutterschaft/Elternschaft an die Erwerbsarbeit knüpft und diese nur von kurzer Dauer sind, existieren in Frankreich zahlreiche Leistungen, die allerdings hauptsächlich an Mütter und nicht an Eltern gerichtet sind. Die Familie steht hier im Fokus politischer Bestrebungen, nicht die Gleichstellung der Geschlechter. In Schweden liegen eine Vielzahl von unterstützenden Maßnahmen und Regelungen vor, die in den meisten Fällen auch von beiden Geschlechtern in Anspruch genommen werden können. Schweden fördert dadurch nicht nur die Erwerbsfähigkeit der Mütter, sondern auch die Gleichstellung der Geschlechter und behauptet sich weiterhin als sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat bzw. weak male-breadwinner Modell. Es wurde so nicht nur ersichtlich, dass das Ausmaß der Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit und die Quantität der damit verbundenen Regelungen vom Typus des Geschlechterregimes abhängt, auch die Kategorisierung nach EspingAndersen stellt sich bei diesem Ländervergleich als weiterhin aktuell heraus, denn wie durch die Pfadabhängigkeitsprüfung nach Hall gezeigt wurde, haben die Regimetypen ihren jeweiligen (politischen) Pfad nicht verlassen, wobei die Kritik der teilweisen Geschlechterblindheit nach wie vor besteht und deshalb auch zukünftig eine geschlechtersensible Erweiterung, wie hier durch das Konzept von Ostner und Lewis geschehen, unerlässlich bleibt. Zwar sind in allen drei Ländern Entwicklungen verschiedener Tendenzen (abhängig vom betrachteten Politikfeld) zu beobachten, doch vollziehen sich diese im Rahmen des jeweiligen Typus von Wohlfahrtsstaat, male-breadwinner Modell bzw. Geschlechterregime (mehr zur Entwicklung in den Ländern s. u. zu These 2). Da Entwicklungen im privaten Sektor allerdings anders verlaufen können als im öffentlichen Sektor, wäre es für zukünftige Arbeiten zum Thema „Frauenerwerbstätigkeit“ oder für Wohlfahrtsstaatenanalysen m. E. erstrebenswert und ein Erkenntnisgewinn, Regimetypen durch die geschlechtersensible Analyse anhand eines Vergleiches der einzelnen gesellschaftlichen Bereiche getrennt zu untersuchen. Hier konnte festgestellt werden, dass die schwedischen Unternehmen, soweit sich dies aus den empirischen Ergebnissen lesen lässt, die Wichtigkeit des weiblichen Arbeitskräftepotentials erkannt haben und durch eine Vielzahl ver234
schiedener frauen- und familienfreundlicher Maßnahmen fördern, bspw. im Bereich flexibler Arbeitszeitmodelle oder durch finanzielle Anreize während des Elternurlaubs, damit Unternehmen weibliche Talente nach der Erziehungsphase nicht verlieren, weil diese aufgrund von Unvereinbarkeit von Familie und Beruf nicht in die Erwerbstätigkeit zurückkehren. In Frankreich wird die Erwerbstätigkeit der Frau durch den Staat nur mäßig befördert. Im privaten Sektor scheinen das weibliche Potential und die hohen Kosten des Verlusts weiblichen Humankapitals bisher nur eine marginale Rolle zu spielen, wohingegen in Großbritannien die Erwerbstätigkeit beider Geschlechter durch einkommensabhängige Transferleistungen gefördert wird, wobei dies im Sinne des workfare einen erzwungenen Charakter hat. Im privaten Sektor Großbritanniens wurde das große Potential weiblicher Talente erkannt und Geschlechtergleichstellung sowie Diversität gelten zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit und Gewinnsteigerung als obligatorisch, wobei diese Einstellungen nach Branchen und Unternehmen variieren. Der Einfluss des privaten Sektors könnte in Großbritannien langfristig zu einem Regimewechsel weg vom liberalen Typus führen, wobei die tatsächliche Wirkung des privaten auf den öffentlichen Sektor in den nächsten Jahren abgewartet werden muss. Aufgrund der vorgefundenen und eben beschriebenen Tatsache, dass die einzelnen Sektoren der Länder konträre Entwicklungen durchlaufen und deshalb auch unterschiedlich hohe Grade der Geschlechtergleichstellung parallel existieren können, sollten zukünftige Arbeiten zum Thema „Frauen-erwerbstätigkeit“ oder „Geschlechtergleichstellung“ den privaten und öffent-lichen Sektor als eigenständige Forschungsgegenstände berücksichtigen, um durch die Analyse beider Sektoren ein schärferes Bild des Wohlfahrtsstaates bzw. Regimetypus zu erhalten, wie es hier bereits auszugsweise durchgeführt wurde. Die Ergebnisse aus Sekundärliteratur und Empirie führen hinsichtlich meiner Forschungsfrage und -ergebnisse zu folgender Typologie, welche den Grad der Förderung von Frauenerwerbstätigkeit im öffentlichen und privaten Sektor der hier untersuchten Länder beschreibt und welche hier als Denkanstoß für zukünftige Arbeiten dienen soll: Modified public and modified/strong (unternehmens- bzw. branchenabhängig) private female workforce supporter (Großbritannien) Modified public and weak private female workforce supporter (Frankreich) Strong public and private female workforce supporter (Schweden)
Von besonderem Interesse ist für die weitere Forschung zum Thema „Frauenerwerbstätigkeit“ nicht nur die Überprüfung und Ausdifferenzierung dieser Typologie, sondern auch die Erklärung der Kausalität beider Sektoren. Es konnte 235
gezeigt werden, dass sich Entwicklungen zur Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit in den einzelnen Sektoren in unterschiedlichem Maße und aufgrund unterschiedlicher Interessen vollziehen. Noch zu klärende Fragen hierbei sind: Welcher Sektor (privater oder öffentlicher) nimmt in welchem Ausmaß Einfluss auf die Geschlechterverhältnisse und wie stark beeinflussen sich die Sektoren gegenseitig? Kann Geschlechterdemokratie durch marktwirtschaftliche Interessen initiiert und auf andere gesellschaftliche Ebenen sowie in den privaten Bereich transportiert werden? Diese Fragen lassen sich schwerlich eindeutig beantworten, da sich beide Sektoren gegenseitig beeinflussen und zusammen die Rahmenbedingung für nationalstaatliche Politik und deren AkteurInnen bilden. Nicht zuletzt aufgrund des europäischen Einflusses ist es hilfreich, die Entwicklung der politischen Linie zu untersuchen, was durch die 2. These geleistet wurde. Diese bezieht sich auf die Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten. Angenommen wurde, dass sich die Wohlfahrtsstaaten (in welche die Geschlechterregime eingebettet sind) in ihrer Politik hinsichtlich sozialer Sicherung und ihren arbeitsmarktpolitschen Instrumenten einander annähern, da auf EU-Ebene vereinheitlichende Regelungen vorgegeben werden (bspw. in Bezug auf Gender Mainstreaming, Antidiskriminierung und Gleichstellung, Mutterschutz, Entgeltgleichheit u. a.). Zur Beantwortung dieser These wurden die Entwicklungen in den einzelnen politischen Bereichen, vertreten durch die Vergleichsdimensionen, der Länder nachvollzogen und im Sinne des Social Learning nach Peter Hall überprüft (vgl. Kap. 5.1). Es wurde deutlich, dass sich Entwicklungen - mit wenigen Ausnahmen – unter Benutzung bereits bestehender Instrumente entlang des herkömmlichen politischen Pfades vollziehen, es aber aufgrund der Mindestanforderungen von Transferleistungen, welche die EU in Bezug auf Mutterschaft/Elternschaft, flexibilisierte Arbeitszeiten während der Kindererziehung sowie Förderung der Gleichstellung der Geschlechter u. a. durch Gender Mainstreaming etc. stellt, zu einer Annährung der Wohlfahrtsstaaten Großbritannien, Frankreich und Schweden auf einem Minimalniveau bezüglich der Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit kommt, wobei die nationalstaatlichen Ziele der einzelnen Instrumente und politischen Richtungen weiterhin unterschiedlich bleiben. Die Frauen- und Geschlechterförderung, welche über die Mindestanforderungen der EU hinaus-gehen, werden nach wie vor nationalstaatlich organisiert und sind vom Typus des Geschlechterregimes abhängig (vgl. These 1). M. E. aber problematisch bei der Umsetzung der Minimalanforderungen hinsichtlich der Geschlechtergleichstellung ist die fehlende oder unzureichende Sanktionierung bei Nichteinhaltung von Seiten der EU, wobei der ESF als Kompensator für die fehlende Macht, den fehlenden Einfluss der EU auf ihre Mitgliedstaaten gesehen werden kann. Durch die Vergabe von Mitteln aus dem ESF, die an 236
Vorgaben gebunden sind, kann auf die Nationalstaaten bzw. die länderspezifische Politik indirekt Einfluss genommen sowie positive Signale oder Trends gesetzt werden. Die von mir untersuchten Wohlfahrtsstaaten befinden sich in verschiedenen Stadien der Frauenförderung, speziell auf dem Gebiet der Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit, wie aus der Zusammenfassung der Ergebnisse deutlich wurde. Diese Stadien sind abhängig von dem jeweiligen Regimetyp sowie dem verfolgten politischen Pfad. Eine pauschalisierte Vereinheitlichung der nationalstaatlichen Politiken ist nicht erstrebenswert, vielmehr müssen Politikempfehlungen am Status quo der jeweiligen Länder ansetzen, damit Verbesserungen innerhalb der einzelnen Staaten möglich sind, denn Maßnahmen, die in einem Land sehr erfolgreich sind, können wiederum aus unterschiedlichen Gründen in einem anderen Land scheitern. Die Länder folgen einem gewissen Pfad, der immer auch das Ergebnis von historisch abgelaufenen Institutionalisierungsprozessen ist, deshalb sollten sich Handlungsempfehlungen an diesem Pfad orientieren, da m. E. Veränderungen/Verbesserungen entlang des Pfades größere Chancen auf Realisierung und Nachhaltigkeit haben als das Erzwingen des Verlassens des Pfades durch drastische politische Kurswechsel. Eine europäische Beschäftigungsstrategie, welche sich auf die Frauenförderung auswirken könnte, halte ich für undenkbar, solange die Nationalstaaten eigenständig agieren. Allerdings können von der EU-Ebene aus Richtlinien erlassen werden, zu deren Einhaltung die Nationalstaaten aufgerufen sind. Hierbei ist es den Staaten aber selbst überlassen, ob sie speziell hinsichtlich der Frauenförderung nur die Mindestanforderungen der de jure verankerten Chancengleichheit erfüllen oder ob sie die Chancen der Frauenförderung sowie Geschlechtergleichstellung und die damit einhergehende Ausschöpfung des weiblichen Potentials als Arbeitskräfte und Mütter zukünftiger Generationen erkennen und konkrete Maßnahmen hierzu beschließen. Eine wichtige Frage lautet in diesem Zusammenhang, ob die Gesellschaften der jeweiligen Länder fähig und willig sind, die Forderungen bezüglich der Gleichstellung der Geschlechter aus den EU-Richtlinien in das gesellschaftliche Leben zu transportieren und einheitliche Standards der Geschlechtergleichstellung herzustellen oder ob die Familien- und Rollenbilder weiterhin zu stark (traditionell und) nationalstaatlich geprägt sind und somit die Auflösung der vorhandenen Geschlechterhierarchie, welche anhand der vergleichenden Analyse der Wohlfahrtsstaaten in den einzelnen Lebensbereichen in unterschiedlichem Ausmaß vorgefunden wurde, verhindern. Allerdings existieren m. E. Annäherungen zu einem höheren Grad an Geschlechtergleichstellung und langfristig zur Geschlechterdemokratie auf zwei unterschiedlichen Niveaus bzw. zwei Wegen: Die EU-Gesetzgebung führt nur 237
zu einem Minimalstandard bzw. -niveau, aber es kann eine indirekte Annährung auf hohem Niveau auf unterschiedlichen Wegen gelingen, wie am Beispiel Schweden und Großbritannien verdeutlicht wurde. In einem Land führt der Weg zu einem höheren Grad an Geschlechtergleichstellung über die Gesetzgebung (SE), im anderen gelingt dies über marktwirtschaftliche Interessen (GB). Das Vereinbarkeitsproblem von Familie und Beruf ist und bleibt ein Hauptfaktor der weiblichen Erwerbsfähigkeit und somit auch Erwerbstätigkeit. Um dieses Problem nachhaltig zu lösen, die Problemlösung selbst paritätisch zwischen beiden Geschlechtern aufzuteilen und Geschlechterdemokratie sowie eine Veränderung in den Geschlechterverhältnissen langfristig zu erreichen, müssen die Einstellungen von Männern und Frauen hinsichtlich ihres Rollenverständnisses (attitudes) verändert werden, denn „Geschlechterdemokratie ist eine Aufgabe, die einen grundsätzlichen Bewusstseinswandel von staatlichen Trägern und gesellschaftlichen Institutionen, von allen Frauen und allen Männern verlangt, (…)“ (Hollstein 2004, 349). Dies könnte langfristig bspw. dadurch erreicht bzw. gefördert werden, dass, zunächst in Kindergärten und Vorschulen, akademisch ausgebildete Fachkräfte eingestellt werden, die durch geschlechterthematische (Sensibilisierungs-)Kurse Fähigkeiten erwerben, um traditionelle, stereotype Verhaltensmuster zu erkennen und nicht zu reproduzieren. Diese sensibilisierte Sichtweise muss im nächsten Schritt auch auf die Grund- und weiterführenden Schulen transportiert bzw. ausgeweitet werden, um Jungen und Mädchen zu ermutigen und in die Lage zu versetzen, die bestehenden Rollenbilder aufzuweichen und Interessen und Fähigkeiten unabhängig von deren Geschlechtszugehörigkeit zu erwerben (bspw. das Interesse von Mädchen an Naturwissenschaften und der Jungen an Sprachen fördern). Die Loslösung von marktmäßigen Strukturen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch Dekommodifizierung ist für viele Frauen als alternative Problemlösung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unbefriedigend. Eine Entscheidung für oder gegen Erwerbstätigkeit sollte von jeder Frau individuell getroffen werden können. Dazu muss auf allen Ebenen und von allen AkteurInnen eine Atmosphäre geschaffen werden, die Frauen bei ihrem Wunsch nach Berufstätigkeit unterstützt und verhindert, dass diese einer Doppelbelastung ausgesetzt werden. Der Staat spielt hier als Akteur der Geschlechtergleichstellung eine bedeutende Rolle und muss Richtlinien vorgeben sowie Maßnahmen schaffen oder fördern, die zu mehr Geschlechtergleichstellung in den Geschlechterverhältnissen führen und so langfristig die Geschlechterdemokratie ermöglichen. Auch die traditionelle Frauenförderung kann einen Beitrag zur Herstellung von Geschlechterdemokratie leisten, denn „if you make things better for women, you make things better for everybody“ (Exp. 1.1.1, Abs. 38). Wenn sich die Rahmenbedin-
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gungen hinsichtlich Leben und Arbeiten für Frauen verbessern, verbessern sie sich für beide Geschlechter. Ich möchte diese Arbeit mit einem Zitat der Expertin 1.3.3 (Abs. 74) beenden, welches deutlich macht, dass Geschlechtergleichstellung nicht erreicht und weiterhin ein bedeutendes gesellschaftliches Thema ist, über das es auch zukünftig zu forschen gilt. „People have become more sophisticated in the way they discriminate, but the discrimination still exists.“
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Anhang I - Kurzportraits der 20 interviewten ExpertInnen
Kinder und Familienstand wurden nicht explizit erfragt, weshalb die Informationen über die ExpertInnen quantitativ und qualitativ unterschiedlich sind. Großbritannien Politik-Ebene 1.1.1 Diese Expertin leitet das Ressort für Frauen und Frauenthemen im Bürgermeisteramt von London. Sie kämpft für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Politik und Öffentlichkeit. So konnte sie einen Erfolg verbuchen, als 1997 mehr Frauen ins Parlament einziehen konnten, nachdem 15 Jahre der Bemühungen fruchteten und Frauen in der Labour Party „short list“, also bevorzugt, behandelt wurden. Sie ist bereits Jahrzehnte lang politisch aktiv, auch als Mitglied der Labour Party. Ihr Interesse für die Gender Issues rührt aus ihrer seit 1983 währenden Gewerkschaftsarbeit und der Arbeit in der Labour Party mit frauenspezifischen Themen. Die Expertin ist ca. 60 Jahre alt und hat einen erwachsenen Sohn. Institutionen-Ebene 1.2.1 Diese Expertin arbeitet zum Zeitpunkt des Interviews im Oktober 2007 in einem Amt mit Schwerpunkt Arbeit und Altersrente. Sie ist seit einem Jahr in diesem Amt beschäftigt, welches auch dem „Department for women´s issues“ (Frauenreferat/Büro für Frauenangelegenheiten) zugeordnet ist und bekleidet dort die Position eines Senior Policy Advisor (Politikberaterin). Senior deutet auf eine höhere Stellung bzw. Berufserfahrung hin. Vorher war sie im ministeriellen „Private Office” tätig. Sie arbeitet eng mit Harriet Harman, „Cabinet Minister“, Vorsitz des House of Commons sowie „Minister for Women and Equality“ und Barbara Follett, die zum Zeitpunkt des Interviews im „Governement Equalities Office“ tätig war, zusammen. Sie gehört einer Arbeitsgruppe an, dem „Women in Economic Participation Team“, die sich vor allem mit weiblicher Erwerbstätigkeit und der Schließung des Gender Pay Gap beschäftigt. Sie ist ca. Mitte/Ende 40 Jahre alt, verheiratet und hat Kinder (mindestens zwei, da von diesen in der Mehrzahl gesprochen wurde).
1.2.2 Diese Expertin ist Police Officer der Metropolitan Police, hat bereits 28 Dienstjahre als Polizistin geleistet und ist zurzeit zu einer Organisation/Verband abgeordnet/abgestellt, die/der 2001 in ein Kooperation zwischen dem Bund, der Vereinigung der Superintendents und dem Innenministerium gegründet wurde und sich mit Frauenthemen und Frauen im Polizeidienst auseinandersetzt. Für diese Organisation ist sie hauptberuflich als nationale Koordinatorin tätig, spricht auf Konferenzen, organisiert Veranstaltung etc., um die Gender Issues und spezifische Frauenthemen im Polizeidienst auf die Agenda zu rücken. Zur Zeit des Interviews arbeitete sie am Aktionsplan „Gender Agenda 2“. Sie ist ca. Ende 40 Jahre alt, ledig und hat keine Kinder. Unternehmens-Ebene 1.3.1 Diese Expertin arbeitet bei einem großen, global agierenden Finanzdienstleister mit 10.000 Angestellten und PartnerInnen und besetzte dort die Position eines Senior Managers im Diversity Team. Am 1. Oktober 2007, wenige Tage vor dem Interview, wurde sie zur Abteilungsleiterin des Diversity Bereichs mit Zuständigkeit für gesamt Großbritannien befördert (UK Head of Diversity) und ist nun für die Umsetzung der Gender Strategie in ihrem Unternehmen für Großbritannien verantwortlich. Vor ihrem Einstieg bei diesem Finanzdienstleister hat sie kurze Zeit in einer Kanzlei gearbeitet, sie ist studierte Juristin. Im Oktober 2007 war sie 28 Jahre alt, hat im Sommer 2007 geheiratet (ihr Mann ist Zahnarzt) und hat keine Kinder. 1.3.2 Diese Expertin arbeitet seit September 2005 für einen global agierenden Konzern, der Pflege- und Hygiene - Produkte produziert und vertreibt. Ihre Position ist die der Beraterin im Personalbereich mit Zuständigkeit für Europa (European HR Advisor). Außerdem ist sie im Diversity Council des Unternehmens engagiert, wobei diese Aufgabe freiwillig und nicht Teil ihrer Stellenbeschreibung ist. Dies ist ihre erste Anstellung, vorher war sie auf dem College. Sie ist Ende 20 Jahre alt, nicht verheiratet und hat keine Kinder. 1.3.3 Diese Expertin ist für einen britischen Finanzdienstleister mit 9.000 Angestellten (63% weiblich) als Group Diversity Manager tätig. Was bedeutet, dass sie sich mit allen Themen beschäftigt, die Gleichheit/Gleichstellung, Respekt und Werte als Arbeitsgrundlage beinhalten. Bevor sie 2005 angestellt wurde, gab es niemanden, der in diesem Unternehmen mit Diversity und Gender Issues gearbeitet hat.
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Sie ist ca. Anfang/Mitte 40, lebt seit Sommer 2007 von ihrem Ehemann getrennt und hat vier Kinder. Frankreich Politik-Ebene Auf dieser Ebene wurde das Interview mit zwei Expertinnen geführt, wobei die Expertin 2.1.1.2 als Übersetzerin fungierte und sich nur selten selbst zu Wort meldete. 2.1.1.1 Sie ist gewählte Repräsentantin der Grünen Partei (Les Verts) der Region Île-de-France. Die Region Île-de-France hat 209 gewählte RepräsentantInnen. Die Mehrheit von diesen stellen die Linke mit der Sozialistischen Partei sowie die Grünen und die Kommunistische Partei. Die hauptsächlichen Zuständigkeitsbereiche der Verwaltung der Region sind die Organisation des Gebiets (das in die Region fällt), weiterführende Schulen, Transportwesen und berufliche (Weiter-)Bildung. Sie versucht, die politischen Richtlinien geschlechtsspezifisch zu beeinflussen und arbeitet an nach Geschlecht differenzierte Statistiken. Außerdem organisiert sie Veranstaltungen rund um den Weltfrauentag, den 8. März, und den 25. November, der Aktionstag gegen Gewalt gegen Frauen ist. Sie ist ca. Anfang 60 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und eine Enkelin. 2.1.1.2 Sie ist eine Staatsbeamtin (civil servant) und ist Mitglied der Vereinigung „unité development“, die Forschung, berufliche Trainings und Erwerbstätigkeit als Schwerpunktthemen behandelt. Außerdem arbeitet sie in einer Arbeitsgruppe „Strategy“ an Statistiken, Evaluierungen und ist Projektleiterin für Chancengleichheit. Sie ist ca. 40-Mitte 40 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Söhne. Im Folgenden eine Aufstellung der Parteien mit der zugehörigen Anzahl an gewählten Repräsentanten zur weiteren Information: Das Île-de-France Regional – Parlament (Regional-Rat) ist mit 209 gewählten Mitgliedern besetzt, welche im Jahr 2004 für sechs Jahre gewählt wurden. Diese 209 Mitglieder gehören folgenden Parteien an: (a) Socialist Group und Angegliederte/Angeschlossene (64) (b) Union pour un Mouvement Populaire (U.M.P) Group (38) (c) Green party (29) (d) Communiste, Alternative Citoyenne - Républicain Group(24) (e) Union pour la Démocratie française (U.D.F) Group und Angegliederte (26) (f) Front National Group (15) 261
(g) Mouvement Républicain Citoyen Group and affiliated (7) (h) Radical de Gauche Group (6) Quelle: The Regional Council 2007 Institutionen-Ebene 2.2.1 Diese Expertin ist bei der nationalen Familienausgleichskasse (Beihilfen-Kasse) beschäftigt, welche auch die Regierung hinsichtlich familienpolitischer Maßnahmen berät. Sie ist in der Abteilung für statistische Studien und Forschung als Expertin für Forschung (Expert Researcher) tätig und hat sich außerdem auf Sozialrecht spezialisiert. In dieser Funktion hat sie im Auftrag des „Observatoire Français des Conjonctures économiques“ (OFCE), einer Forschungsinstitution in Paris, an der Erstellung eines Reports für das Gleichstellungsministerium zum Thema geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt mitgearbeitet. Sie ist ca. Anfang/Mitte 40 Jahre alt, bereits lange Zeit Witwe und hat einen Sohn aus der Ehe mit ihrem verstorbenen Mann, den sie alleine aufzieht. Unternehmens-Ebene 2.3.1 Diese Expertin ist in einem großen französischen Energiekonzern tätig (besonders interessant ist hierbei die starke geschlechtsspezifische Segregation innerhalb des Konzerns und der Umgang mit dieser). Sie ist zuständig für das Diversity Projekt, in welchem an Geschlechtergleichstellung gearbeitet wird. Zu Beginn ihrer Tätigkeit waren Frauen in Führungspositionen noch kein Diskussionsthema, im Career Committee war sie die einzige Frau. Sie hat sozusagen Pionierarbeit geleistet. Nun ist das Unternehmen Inhaber des „label égalité professionnelle“, welches durch die „association française pour l’assurance de la qualité“ für qualitative und Erfolg versprechende Aktionspläne bezüglich Geschlechtergleichstellung verliehen wird. Die Erwerbspopulation betrug in 2007 47.560 Angestellte insgesamt, davon 31.723 in Frankreich und 15.837 international. Sie ist ca. Anfang/Mitte 40 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Söhne im Alter von acht und zehn Jahren. Schweden Politik-Ebene Auf dieser Ebene wurde das Interview mit zwei Expertinnen geführt. Beide arbeiten im Stockholm County Council (Bezirksverwaltung /-rat). 3.1.1.1 Sie arbeitet zur Zeit des Interviews als Prozess Managerin (Process Manager) im Bereich (Weiter-)Entwicklung von Gesundheitsversorgung mit 262
Schwerpunkt Kinder, junge Erwachsene und Frauen. Nach der Universität hat sie zunächst als politische Beraterin der Liberalen Partei gearbeitet, für die sie viele Programme durchführte und für eine Vielzahl von Themen, u. a. auch Equality Issues, zuständig war. Sie ist Mitglied der Liberalen Partei (Folkpartiet, FP). Sie ist ca. Mitte 30 Jahre alt, verheiratet und hat zwei kleine Kinder im Kindergarten-/Vorschulalter, einen Sohn und eine Tochter. 3.1.1.2 Sie ist Senior Projekt Managerin, hauptsächlich zuständig für präventive öffentliche Gesundheitsarbeit. Sie war Projektleiterin des 1994 erschienenen Gesundheitsberichtes der Stockholmer Bezirksverwaltung. Heute ist die Expertin Projektleiterin zum Thema Gesundheit und krankheitsbedingte Ausfälle/Fehlzeiten von Frauen. Sie hat den akademischen Grad des PhD. Sie war vorher im Bereich der Sozialarbeit und Sozialversicherung tätig. Außerdem ist sie seit 30 Jahre politisch engagiert und ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (Socialdemokraterna, S). In ihrer politischen und auch beruflichen Laufbahn beschäftigte sie sich mit der Frage von Macht und Unterordnung von Frauen. Sie arbeitet in Teilzeit im Karolinska Institut (KI), welches eine medizinische Universität ist und als eine der besten medizinischen Forschungseinrichtungen der Welt gilt. Sie ist Anfang/Mitte 60 Jahre alt und steht kurz davor, aus dem Berufsleben auszuscheiden, ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Institutionen-Ebene 3.2.1 Der Experte ist Media Officer, also zuständig für die Presse/Öffentlichkeitsarbeit im Amt für Chancengleichheit des Ombudsmannes bzw. zurzeit der Ombudsfrau (JämO - Jämställdhetsombudsmannen) (seit Anfang September 2007 Anne-Marie Bergström, vorher Claes Borgström) in der Abteilung Information in Stockholm. Dieses Amt existiert seit der Umsetzung des 1. Equal Opportunity Act im Jahr 1980. Der Ombudsmann versteht sich als Ombudsmann für Menschenrechte. In Schweden hat dieser mehr gesetzliche Macht, weil das Amt eine Regierungsbehörde ist und von dieser finanziert wird sowie Vorgaben für die Spezialisierung auf bestimmte Themen bekommt und jährlich Bericht erstatten muss, obwohl die Umsetzung der Arbeitsgebiete unabhängig geschieht. Die Behörde beschäftigte im September 2007 35 MitarbeiterInnen und überwacht die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben von 35.000 ArbeitgeberInnen, 61 Universitäten und 28.000 Schulen, denen sie bei der Umsetzung auch hilfreich zur Seite stehen. Die Kontrolle, das Monitoring, kann hier nur über Stichproben geschehen. Werden Verstöße aufgedeckt, kann die Behörde eine Geldstrafe verhängen, die substantiell sein sollte. Seine Perspektive auf Ge263
schlechtergleichstellung ist die, dass es eine Menschenrechtsangelegenheit ist, da Diskriminierung aufgrund des Geschlechts auch eine Verletzung der Menschenrechte ist. Er ist ca. Ende 30 Jahre alt und hat zwei kleine Töchter im Vorschul- bzw. Grundschulalter. 3.2.2 Diese Expertin arbeitet als Forschungsangestellte (Research Officer) und Demographin für eine schwedische Gewerkschaft, deren 35.000 Mitglieder in Schweden ausschließlich AkademikerInnen mit mindestens drei Jahren Universitäts-Ausbildung (also vergleichbar mit dem Bachelor als Mindestanforderung) mit Schwerpunkt Volks- oder Betriebswirtschaft sind. Es ist eine kleine Gewerkschaft, aber eine von 26 in der Vereinigung der Gewerkschaften für Angestellte mit akademischem Hintergrund. Dieser Verband umfasst 600.000 Mitglieder in Schweden. Sie ist ca. Ende 30 bis Anfang 40 Jahre alt, verheiratet und hat zwei kleine Söhne, einer ist sieben Jahre alt. Sie ist gebürtige Rumänin, mit einem Franzosen verheiratet und lebt seit 1991 in Schweden. Unternehmens-Ebene 3.3.1 Diese Expertin ist seit sieben Jahren in einer großen schwedischen Bank mit 10.000 Angestellten als „Manager of Labour Law“, also Managerin des Arbeitsrechts, angestellt und berät in dieser Funktion auch ihr Unternehmen hinsichtlich der Anforderungen zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben. Zudem war sie ebenfalls sieben Jahre lang verantwortlich für Gender und Diversity Themen dieser Bankengruppe in Schweden. Sie war zum Zeitpunkt des Interviews gerade dabei, diese Verantwortung aufgrund eines internen Stellenwechsel an eine Kollegin weiterzugeben, macht aber deutlich, dass sie immer noch die Expertin zu diesen Themenbereichen in ihrer Bank ist. Sie ist ca. Mitte 40 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. 3.3.2 Dieser Experte arbeitet seit 20 Jahren in einer großen schwedischen Bank mit 3.000 Angestellten im Raum Stockholm. Er ist verantwortlich für die Bereiche „Compensation and Benefits“, „Gender Equality“ und „Pension“, also für Personalentlohnung/Vergütung/Abfindung, Bezüge/Leistungen/Zuschüsse, Geschlechtergleichstellung und Altersrente sowie für die Außenwirkung des Unternehmens. Er ist im September 2007 60 Jahre alt geworden, ist verheiratet und hat Kinder (mindestens zwei).
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3.3.3 Diese Expertin arbeitet bei einer großen schwedischen Zeitung, bzw. einer Zeitungs- und Verlagsgruppe. Sie ist Journalistin und arbeitet nun seit einem halben Jahr (zum Zeitpunkt des Interviews im September 2007) im Bereich Öffentlichkeitsarbeit der Zeitung, wobei ihre Arbeit die Aufbereitung und Vermittlung von internen und externen Informationen beinhaltet. Außerdem ist sie für die Durchführung eines Mentoring-Programms zuständig. Zuvor hat sie sieben Jahre lang in der Verlagsgruppe an einer Agenda zu Mainstreaming, einer „Gender Agenda“, mitgearbeitet. Sie ist ca. 50 Jahre alt, verheiratet und hat drei Töchter. Interview 3.3.4 wurde wieder mit zwei Expertinnen durchgeführt, wobei sich Expertin 3.3.4.2 als wesentlich jüngere der beiden seltener zu Wort meldete. Beide arbeiten in dem größten schwedischen Telekommunikationsunternehmen, welches global agiert (in 140 Ländern) und 50.000 Angestellte insgesamt, 15.000 in Schweden hat (davon 22% Frauen). 3.3.4.1 Sie ist verantwortlich für Human Resources (Personalabteilung) und Organisation innerhalb des Geschäftsbereichs Global Services (globale Dienste/Dienstleistungen). Ihre alltägliche Arbeit besteht hauptsächlich im Aufstellen und Anwenden globaler Strategien, welche die globalen Dienstleistungen optimieren sollen. Sie ist ca. 40 Jahre alt, verheiratet und hat mindestens zwei Kinder. 3.3.4.2 Sie wurde erst wenige Wochen vor dem Interview zum Global Diversity Program Director, also zur Direktorin der globalen Diversity Programme, ernannt. Sie ist gebürtige Türkin, hat zuvor in der Türkei gearbeitet und ist im Juni 2007 nach Stockholm gezogen. Sie ist ca. 30 Jahre alt, nicht verheiratet und hat keine Kinder. 3.3.5 Diese Expertin arbeitet in einem global agierenden Unternehmen mit Stammsitz in Schweden, welches Dienstleistungen für ArbeitgeberInnen anbietet (bspw. Vermarktung des Unternehmens, Rekrutierung qualifizierten Personals). Ihre Position ist die des Country Managers, sie ist für alle Vorgänge des Unternehmens in Schweden zuständig. Die Erwerbspopulation ist mit durchschnittlichen 29 Jahren relativ jung. Sie ist 37 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von einem Jahr und vier Jahren (sie nutzt zur Zeit des Interviews die Möglichkeit, einen Teil ihrer Arbeit von zu Hause aus zu tätigen und arbeitet reduziert).
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Anhang II - Liste der Codes
Codesystem
Häufigkeiten
insgesamt Alleinerziehende Mütter allgemeine Vorstellung Alter(sarmut)/Rente (Managing) Diversity im Unternehmen Beschreibung UN/Inst./Stadt demographischer Wandel Diskriminierung erlebt every day work ExpertIn: persönliches Interesse an Gender Issues familienfreundliches UN flexible work Frauen in Führungspositionen (Mentoring) Frauen in Männerberufen vice versa Frauen vs. Frauen free choice between work and care Gender Budget Gender Issues/Diskriminierung (UN/Stadt) Gender Pay Gap geschlechtsspezifische Arbeitsteilung/Segregation Geschlechterregime Gesundheitssystem Gewerkschaften Gender Mainstreaming Kinderbetreuung MigrantInnen/prekäre Arbeit Motivation von Frauen zur Erwerbstätigkeit Motivation von Unternehmen zur Frauenförderung Mutterschutz/Elternurlaub Männer-/Frauen-Netzwerke Mütter in Arbeit (Anne Wahlgren) neue Regierung/(neue) Gesetze retain women/talent Selbstwahrnehmung von Frauen These: Gender Equality, wo einfacher? UN/Institution Aktivitäten Voll-/Teilzeit (+ Kinder) Wiedereinstieg in den Beruf Work-Life-Balance
1061 2 28 6 36 27 7 17 30 15 7 25 66 36 11 11 1 98 43 104 40 5 6 7 34 3 19 22 78 20 8 61 32 25 17 22 32 20 40
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