Andreas Sommeregger Soft Power und Religion
Vorwort
Das vorliegende Forschungsprojekt, das als Dissertation in den Jahren 2007 bis 2010 arn Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik der Universität zu Köln entstanden ist, wäre ohne die Unterstützung zahlreicher Personen nicht möglich gewesen. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Thomas Jäger für seine wertvollen Ratschläge und ausgezeichnete Betreuung sowie Herrn Dr. Matthias Zimmer für sein Zweitgutachten. Mein Dank richtet sich auch an meine Interviewpartner, die maßgeblich zu einem besseren Verständnis des Untersuchungsgegenstandes beigetragen haben: Dazu zählen (mit ihrer Funktion zum Zeitpunkt des Interviews) S. E. Paul Josef Kardinal Cordes (präsident des Päpstlichen Rates Cor Unum), Prälat Dr. KarlHeinz Vogt (Leiter des Katholischen Büros Nordrhein-Westfahlen), Pfarrer Christoph Biskupek (pfarrvikar und Leiter der Fides in Köln), Dr. Paul Verbeek (Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl a. D.), Dr. Stefan Ruppert (kirchenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion), Raju Sharma (religionspolitischer Sprecher der DIE-LINKE-Bundestagsfraktion), Gernot Facius (stellv. Chefredakteur Die Welt a. D.) und Alexander Smoltczyk (Korrespondent Der Spiegel); meine besondere Verbundenheit gilt an dieser Stelle Herrn Willy Wimmer (parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung a. D.) und Herrn Benedikt Steinschulte (Referent im Päpstlichen Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel). Weitere Hintergrundgespräche wurden mit Angehörigen des diplomatischen Dienstes des Heiligen Stuhls, Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz und Mitgliedern des Deutschen Bundestages gefiibrt. Meine Anerkennung gebührt aber auch meiner Familie, meinen Freunden und Kollegen, die mir in vielfältiger Weise beigestanden haben; namentlich danke ich Brigitte Wienand, Jens Hasselmeier, Dr. Christiane Boje, Dr. Tanja Weber und Dr. Rasmus Beckuumn.
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort .............................................................................................................. 5 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis .............................................................. 13 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................... 13
1
Gegenstand, Zielsetzung und theoretische Konzeption der Arheit ... 15
2
Die Rolle der Religion in Westeuropa zu Beginu des ll. Jahrhunderts .................................................................................... 22 2.1 2.2 2.3 2.4
Die Substanz von Religion .............................................................. Spiritualität und die Funktion von Religion .................................... Scham als Druckmittel am Beispiel der katholischen Kirche ......... Der Bedeutungsverlust von Religionsgemeinschaften in Westeuropa und die Gründe für ihr Wiedererstarken ...................... 2.5 Religionsgemeinschaften in der Konfliktvermittlung .....................
3
22 24 30 33 37
Der Staat der Vatikanstadt, die katholische Kirche und der Papst als verbindendes Element .................................................... 41 3.1
Der Staat der Vatikanstadt ............................................................... 3.1.1 Begriffsklärung ................................................................. 3.1.2 Historischer Abriss ............................................................ 3.1.3 Das politische System der letzten absolutistischen Monarchie Europas ........................................................... 3.1.4 Das Papstamt .....................................................................
41 41 44 46 48 7
3.1.5 3.1.6
Der Verzicht auf Menschen- und Bürgerrechte zugunsten einer höheren Effektivität ................................. 50 Wirtschaft und Finanzen ................................................... 52
3.2 Die katholische Kirche .................................................................... 3.2.1 Organisation ...................................................................... 3.2.2 Repräsentation ................................................................... 3.2.3 Die katholische Kirche als transnationale Organisation .... 3.2.4 Die Mission der katholischen Kirche: Menschenrechte und Religionsfreiheit ......................................................... 3.2.5 Positionssicherung durch Konkordate am Beispiel der Verträge mit den neuen Bundesländern Deutschlands (1994-1998) .......................................................................
54 54 56 57 63
67
3.3 Der Papst als ,,Klammer" ................................................................ 68
4
Macht in den internationalen nnd transnationalen Beziehnngen ...... 71
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
5
Internationale Beziehungen ............................................................. Internationale Politik ....................................................................... Außenpolitik .................................................................................... Transoationale Beziehungen ........................................................... Macht .............................................................................................. 4.5.1 Internationale Macht ......................................................... 4.5.2 Macht und Interdependenz ................................................ 4.5.3 Die andere Macht: Soft Power .......................................... 4.5.4 Zur Unterscheidung von Hard Power und Soft Power ...... 4.5.5 Zur gestiegenen Bedeutung von Soft Power ..................... 4.5.6 Der Einfluss auf die öffentliche Meinung als Machtressource und die Rolle der Medien ........................
71 72 74 75 76 77 78 83 84 87 89
Soft-Power-Checkliste ........................................................................... 94 5.1 Intellektuelle Leistungen ................................................................. 95 5.1.1 Kultur ................................................................................ 95
8
5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5
Werte einer Gesellschaft ................................................... Produkte der Massenkultur ................................................ Implementierung von Symbolen und Zeichen .................. Wissenschaft und Technologie ..........................................
96 97 98 99
5.2 Auftreten der Regierung ................................................................ 5.2.1 Die Zusammenarbeit mit der eigenen Gesellschaft ......... 5.2.2 Die Zusammenarbeit mit ausländischen Regierungen und internationalen Organisationen ................................. 5.2.3 Public Diplomacy: Die Zusammenarbeit mit ausländischen Gesellschaften ..........................................
101 102
5.3 Eigen- und Frerndwahmehmung eines Landes ............................. 5.3.1 Geschichte ....................................................................... 5.3.2 Gegenwart ....................................................................... 5.3.3 Zukunft ............................................................................
109 109 110 113
5.4 Organisatorische Fähigkeiten und Flexibilität ............................... 5.4.1 Eigene Organisation, Schnittstelle transnationaler Kontakte und globale Gemeingüter ................................. 5.4.2 Informationsnetzwerke .................................................... 5.4.3 Anpassung und Reformfähigkeit .....................................
113
103 104
113 115 116
5.5 Agenda-Setting .............................................................................. 116 5.5.1 Themen der Tagesordnung beeinflussen und Mobilisierungsfabigkeit .................................................. 116 5.5.2 Maßstäbe setzen und Stellvertreterrolle .......................... 117 5.6 Kräfte jenseits stastlicher Kontrolle: Outside Partner ................... 5.6.1 Prominente Einzelpersonen ............................................. 5.6.2 Wirtschaft ........................................................................ 5.6.3 NGOs und Verbände ....................................................... 5.6.4 Eigene Gesellschaft und einzelne Bürger ........................ 5.6.5 Partner in ausländischen Gesellschaften .........................
118 119 119 120 120 123
5.7 Übersicht Soft-Power-Checkliste .................................................. 123
9
6
Der Heilige Stuhl in Aktion ................................................................. 125 6.1
Der Heilige Stuhl in den internationalen und transnationalen Beziehungen .................................................................................. 126 6.1.1
Rechtfertigung und Merkmale seiner Zugänge und der Stellenwert der päpstlichen Initiativen ...................... Der Heilige Stuhl und sein Verhältois zu Staaten ........... 6.1.2 6.1.3 Die Diplomatie des Heiligen Stuhls ................................ 6.1.3.1 Strukturelle und institutionelle Ausgestaltung ........ 6.1.3.2 Grundsätze und Ziele der Friedenspädagogik des Heiligen Stuhls ........................................................ 6.1.3.3 Unterstützung durch kirchliche Organisationen und Einrichtungen ................................................... 6.1.4 Der Zugang des Heiligen Stuhls zu Politikern ................ Der Zugang des Heiligen Stuhls zu Journa1isten und 6.1.5 die kirchlichen Medien .................................................... 6.1.6 Inszenierung, symbolische Politik und die Starqualitäten des Papstes ............................................... Der Event als ein Instrument der katholischen Kirche 6.1.7 am Beispiel des XX. Weltjugendtages in KöIn ............... 6.1.8 Gesellschaftliche Präsenz und der Zugang des Heiligen Stuhls zu Gläubigen ..........................................
126 130 132 132 135 138 141 152 162 168 173
6.2 Der Heilige Stuhl in ausgewählten Konflikten .............................. 179 6.2.1
10
Die Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stuhl und der poInischen Gewerkschaft Solidamosc in den I 980er Jahren ....................................................... 6.2.1.1 Die Position des Heiligen Stuhls zum Kommunismus und Gemeinsamkeiten ................... 6.2.1.2 Grundsätzliche Ziele der Ostpolitik des Heiligen Stuhls ........................................................ 6.2.1.3 Zusammenarbeit Heiliger Stuhl- Solidamosc ....... 6.2.1.4 Parallelen zum Ende der Marcos-Diktatur aufden Philippinen 1986 ..................................................... 6.2.1.5 Zusammeufassung und Bewertuug .........................
179 180 181 182 190 193
6.2.1.6 Gegenüberstellung der Konflikte in Polen und auf den Philippinen ....................................................... 199 6.2.2
6.2.3
6.3
7
Kampf gegen Abtreibung ................................................ 6.2.2.1 Grundsätzlicbe Ablehnung ...................................... 6.2.2.2 Der Schwangerenkonfliktberatungsschein in Deutschlaod ............................................................ 6.2.2.3 Die jeweiligen Interessen und Machtmittel der beteiligten Akteure .................................................. 6.2.2.4 Die UN-Kouferenz in Kairo 1994: Der Heilige Stuhl gegen die USA, China und die UNO ............. 6.2.2.5 Zusammenfassung und Bewertung .........................
20 I 202
Irakkrieg 2003 ................................................................. 6.2.3.1 Die katholische Lehre vom gerechten Krieg ........... 6.2.3.2 Der Konfliktverlaufund die Friedensbemühungen des Heiligen Stuhls ................................................. 6.2.3.3 Nach dem Ende der Kampthaodlungen: Wiedemuthau und Sicherung der eigenen Stellung 6.2.3.4 Zusammenfassung und Bewertung: Die jeweiligen Interessen und der Erfolg des Heiligen Stuhls ........
218 218
202 206 211 215
221 230 233
Zusammenfassung: Die Soft Power des Heiligen Stuhls .............. 239
Der Heilige Stuhl im Vergleich mit weiteren Akteuren der internationalen und tran.nationalen Beziehungen ........................... 247
7.1
Der Heilige Stuhl und die USA: Kooperation und ähnliche Interessen ........................................................................ 7.1.1 Amerikanische Schwächen ............................................. 7.1.2 Die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA ................... 7.1.3 Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA ................................................................... 7.1.4 Fazit .................................................................................
247 248 250 253 259
11
7.2 Der Heilige Stuhl und die UNO: Die Schwächen der Vereinten Nationen als Stärken des Heiligen Stuhls? .................................... 7.2.1 Anspruch und Schwächen der UNO ................................ 7.2.2 Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und der UNO ................................................................... 7.2.3 Der Verzicht auf eine Vollmitgliedschaft ........................ 7.2.4 Fazit ................................................................................. 7.3 Der Heilige Stuhl im Vergleich mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ........................................ 7.3.1 Annäherung an den BegriffNGO ................................... 7.3.2 Stärken und Schwächen von NGOs ................................ 7.3.3 NGOsundMedien .......................................................... 7.3.4 Fazit: Die katholische Kirche als NGO und ihre Vorteile gegenüber herkömmlichen NGOs .....................
8
260 260 263 271 273
275 275 277 280 281
Fazit ...................................................................................................... 286 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Die Staatsform des Vatikan, die Verfasstheit der katholischen Kirche und der Papst als Philosophenkönig .................................. Der komfortsble Platz zwischen den Stiihlen: Staat und NGO ..... Egalität und Neutralität ................................................................. Die katholische Kirche als Leerstelle des bürgerlichen Lebens .... Die Grenzen des Heiligen Stuhls und seine Aufgaben für die Zukunft ..............................................................................
286 288 291 293 295
9
Aushlick ................................................................................................ 303
10
Literaturverzeichnis ............................................................................ 305 10.1 Interviews ...................................................................................... 305 10.2 Primärliteratur ............................................................................... 305 10.3 Sekundärliteratur ........................................................................... 312
12
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abb.l: Abb.2: Abb.3: Abb.4:
Abb.5:
Tab. I: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5:
Die spezialisierte Religion. ... ..... .... ... .... .... ... ..... ... .... ..... Transnationale Gesellschaft .............................................. Transnationale Politik mit horizontaler und vertikaler Kommunikation ................................................ .......... Transnationale Politik: horizontale Kommunikation Heiliger Stuhl - Regierungsinstitutionen und Dominanz des Heiligen Stuhls in der transnationalen Gesellschaft.. .... ... .... ... ..... ..... Quasi-penetriertes System (Heiliger Stuhl- Staat A) und außengesteuerte Durchdringung (Heiliger Stuhl - Staaten B undC) .....................................................................................
27 58
Peinlichkeit, Scham und Schuld ......................•..•........... Soft-Power-Checkliste ................................................ Zuständigkeiten kirchlicher Einheiten.............................. Gegenüberstellung der Konflikte in Polen und auf den Philippinen... ... .... ... .... .... ... .... .... ... .... ... .... ... ... Sprechertypen einer NGO .............................................
32 123 132
59
60
62
199 281
Abkürzungsverzeichnis H. i. sc.
o.
Hervorhebung im Original (scilicet) nämlich, gemeint ist
13
A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
unterhält auch Schulen, Universitäten und Sozialeinrichtungen; sie betätigt sich als Kultur- und Informationsorganisation und besitzt sogar einen eigenen Staat (pallenberg 1968: 9). Als spirituelle Gemeinschaft und auf Grund ihrer sozialen Größe berührt sie das private Leben von Millionen von Menschen in einer sonst eher naturwissenschaftlich geprägten Welt Der von der Globalisierung verursachten Orientierungslosigkeit begegnet sie als Sinnstifterin und Interpretationsagentur, die regelmäßig moralische Fragen und den Zustand der Welt diskutiert. Die katholische Kirche hat Einfluss auf politische Entscheidungen: So ist sie im Juli 2010 federfiihrend an der Entlassung von politischen Gefangenen in Chile und auf Kuba beteiligt; Benedikt XVI. meldet sich zu den Integrationsdebatten in Deutschland und Frankreich zu Wort und wird im November 2010 vom Forbes Magazine zur fiinftmächtigsten Person der Welt erklärt: Wenn man vom Sinn und Unsinn solcher Ranglisten und ihrem realitätskonstrnierenden Vermögen absieht, bringt diese Wah\ zum Ausdruck, dass man der katholischen Kirche Gestaltungs- und Durchsetzungskraft unterstellt Die entscheidende Forschungsfrage und die daran anschließenden drei Thesen lauten daher: Welche Ressourcen stehen dem Heiligen Stuhl zur Veifügung, um seine normativen Vorstellungen in konkrete Politik umsetzen zu können und damit Einfluss auf international relevante politische Entscheidungen und innergesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen? These I: Der Heilige Stuhl besitzt Soft Power. Dies wirft die Fragen auf, wie sie genutzt wird und unter welchen Bedingungen sie vergrößert werden kann. These 2: Der Heilige Stuhl ist als Leitungsgremium des Staates der Vatikanstadt und der katholischen Kirche der einzige Akteur in den internationalen und transnationalen Beziehungen, der als Regierungsorganisation und zugleich oder je nach Erfordernis - als Nichtregierungsorganisation auftritt. Dabei profitiert er von den Vorteilen beider Aktenrstypen und umgeht deren Nachteile. These 3: Der Heilige Stuhl appelliert an das Gewissen der Menschen und besetzt damit eine Leerstelle des bürgerlichen Lebens; er setzt auf freiwilligen 2
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Das Forbes Magazine benennt 68 Persönlichkeiten, die nacb seiner Beurteilung Macht haben; darunter finden sich nur zwei Deutsche: Nach Benedikt XVI. wird auf Platz 6 Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgeführt, deren Vorgehen in der Finanzkrise gewürdigt wird. Als Begründung für die hohe Platzierung des Papstes wird sein Einfluss auf über 1.1 Milliarden Menschen genannt (Forbes 2010).
Gehorsam. Weil er sich nicht nur für Katholiken engagiert, sondern für die gesamte Menschheit und als einziger Staat der Welt Menschenrechtspolitik zu seiner Hauptaufgabe gemacht hat, kann er als moralische Instanz der Welt auftreten.
Von methodischer Bedeutung ist für das vorliegende Forschungsprojekt der Power-and-Interdependence-Ansatz von Robert Keohane und Joseph Nye; dieser untersucht die unterschiedlich ausfallenden Kosten und Nu1zen von VerlIechtungen zwischen Staaten oder Akteuren verschiedener Staaten. Interdependenz liegt nach der Definition der Autoren vor, wenn Interaktionen wechselseitige Einflüsse und Kostenwirkungen verursachen. Herrscht eine Asymmetrie in der Interdependenz, kann der weniger abhiingige Akteur dies als Machtinstrument nutzen. Da Interdependenz nur schwer zu messen ist, verfolgen Keohane/Nye in ihrer Darstellung jedoch keine Prognosefertigkeit über die erfolgreiche Ausübung von Macht; sie wollen vielmehr zeigen, welche Vorteile ein Akteur zu Beginn einer Verhandlung durch seine überlegene Interdependenzposition gegenüber seinem Verhandlungspartner hat (Keohane/Nye 1977: 19). In diesem Verständnis ist es der Ansatz dieser Arbeit, die Verhandlungsposition des Heiligen Stohls in den internationalen und transnationalen Beziehungen darzustellen: Es geht weniger um die Frage nach den Faktoren, die erfiillt sein müssen, damit sich der Heilige Stohl in einer Verhandlung tatsächlich durchsetzt oder um die Effizienz der ihm zur Verfiignng stehenden Instrumente,' sondern vielmehr um die Eigenschaften, die den Heiligen Stohl überhaupt erst zu einem Teil der internationalen und transnationalen Beziehungen werden lassen und seine MitgestaItung ermöglichen. In Darstellungen über die Macht des Heiligen Stohls wird häufig zwischen direktem und indirektem Einfluss oder pastoralen und politischen Instrumenten unterschieden. Dieses Vorgehen kann hilfreich sein, die vorliegende Untersuchung konzentriert sich jedoch auf eine andere Herangehensweise: Weil der Heilige Stuhl nicht die Fähigkeit zur autoritativen Wertzuweisung besitzt, braucht er Partner, die ihn bei der Umsetzung seiner normativen Vorstellungen in konktete Politik unterstützen. Drei Akteursgruppen stechen als potentielle Verbündete hervor: Politiker, Journalisten und Gläubige. Welche Zugäoge er zu ilmen hat und wie sich seine Verhandlungsposition ihnen gegenüber darstellt, ist ebenso zu erläutern wie die unterschiedlich ausfallenden Kosten und Gewinne dieser drei Interde-
3
Das ist im Soft-Power-Konzept auch kaum möglich. weil sich weiche Macht nicht in einer Weise messen lässt. wie sich Einheiten von Armeen zählen lassen.
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pendenzbeziebungen. Ein Vorzug des Power-and-Interdependence-Ansatzes ist es dabei, dass er die Salienz neuer Machtformen erklärt und damit den Weg zur Soft Power ebnet. Zunächst aber wird in Kapitel 2 das Phänomen der Religion diskutiert. Neben der Darstellung von Substanz und Funktion der Religion sollen zentrale Begriffe wie Scham und Gewissen erörtert werden. Es stellt sich die Frage, warum Menschen fiir die von einer Religionsgemeinschaft aufgestellten Regeln empfänglich sind. Ferner werden die Gründe fiir den Bedeutungsverlust von Religionsgemeinschaften in Westeuropa und das wieder gewachsene Interesse der Politik an ihnen dargestellt. In der Folge ist auf die Fähigkeiten einzugehen, die Religionsgemeinschaften in der Konfliktbeilegung haben. Manche Autoren neigen dazu, das eigentümliche Konglomerat aus Staat der Vatikanstadt und katholiscber Kirche voreilig mit einem Sui-generisStempel zu versehen und lassen die Möglichkeiten, die sich aus den institutionellen Besonderheiten ergeben, fiir ihre Untersuchung außer Acht. Kapitel 3 befasst sich deshalb mit diesem besonderen Akteurstypus: Die katholische Kirche ist in ihrer weltumspannenden, hierarchischen und zentralistischen Organisation arn besten geeignet, um den Einfluss einer Religionsgemeinschaft in den internationalen Beziehungen darzustellen (Schwarzenberger 1955: 88); hinzu kommt, dass sie mit der Staatlichkeit des Vatikan gleichberechtigt neben anderen Staaten steht. Das Leitungsgremium beider Institutionen ist der Heilige Stuhl in der Person des Papstes; er ist zu jeder Zeit die Letztentscheidungsinstanz. Ob der Papst als Oberhaupt seines Staates oder seiner Religionsgemeinschaft auftritt, bleibt bewusst offen; sein politisches Handeln ist mit den Aufgaben der katholischen Kirche so eng verbunden, dass eine Unterscheidung kaum möglich ist (Rauch 2006: 55). In der Konsequenz werden die Abläufe innerhalb der Verbindung aus Staat und Religion als eine Art Black Box unberücksichtigt gelassen. Durch den Zentralismus können auch die kirchlichen Strukturen in den einzelnen Ländem vernachlässigt werden: Betrachtet wird die Organisation der Weltkirche, die vom Vatikan aus geleitet wird. Dass die katholische Kirche seit jeher transnational ausgerichtet ist und global denkt, wirkt sich als ihr Vorteil aus (Strange 1996: 4-5); sie ist eine transnationale Organisation (Rittberger 1994: 29; Nye 2004b: 90), die von der Globalisierung profitiert. Die Mission des Heiligen Stuhls ist es, allen Menschen die Heilsbotschaft zu bringen; der Kampf fiir die Menschenrechte (und als deren Teil die Religionsfreiheit) steht im Mittelpunkt der Politik des Heiligen Stuhls. Erörtert werden soll auch, welche Folgen Religionsfreiheit in einem Land nach sich ziehen kann - nicht 18
ohne Grund verschließt sich China seit Jahren einem wirklichen Dialog mit der katholischen Kirche angesichts der Entwicklungen in Europa 1989/1990. Exemplarisch kann an den Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und den neuen Bundesländern Deutschlands aus den Jahren 1994 bis 1998 gezeigt werden, in welchen Bereichen sich die katholische Kirche eine Mitsprache sichert. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Deutschland ist insofern von Interesse, als dass es hier nur eine "hinkende Trennung" (Jasper 2000: 301) gibt und die Privilegiengarantie fiir die beiden christlichen Kirchen durch die exponierte Stellung Deutschlands in der EU auch fiir andere Staaten zu einer Orientierung werden oder europäische Verträge beeinflussen kann. Der Heilige Stohl ist ein Akteur in den internationalen und transnationalen Beziehungen. Kapitel 4 klärt die Begriffe internationale und transnationale Beziehungen, internationale Politik und Außenpolitik sowie Macht als ihr zentrales Medium und führt über den sich gewandelten Machtbegriff zu der bereits thematisierten Interdependenztheorie von KeohanelNye: Die Abnahme der Relevanz von militärischer Macht hat zur Folge, Macht als eine Beziehungsgröße wahrzunehmen, die sich aus dem Maß an wechselseitiger Verwundbarkeit ergibt. Die internationale Verflechtung stellt dabei einen Impuls fiir die veränderten Formen von Machtausübung und Konfliktregelung dar. Eine dieser sogenannten neuen Machtformen ist Soft Power, die sich - in Bezug auf Staaten oder gesellschaftliche Akteure - vor allem im Kontext der öffentlichen Meinung als hilfreich erweist. Die Macht des Heiligen Stohls, die auf militärische und wirtschaftliche Befehlsgewalt verzichten muss, soll auf der Grundlage des Konzeptes der Soft Power untersucht werden. In zahIreichen Veröffentlichungen hat Joseph Nye Soft Power zum Gegenstand seiner Forschung gemacht. Die zentrale Schwäche seines Vorgehens besteht jedoch darin, dass er zwar einen umf.ngreichen Katalog einzelner Instrumente liefert - und damit eine fundierte Grundlage denkbar relevanter Faktoren, die die Soft Power von Staaten oder gesellschaftlichen Akteuren vergrößern können -, diese aber nicht in ein systematisch anwendbares Analyseschema zur Bestimmung von Soft Power integriert. In dieser Konsequenz werden in KapitelS die einzelnen Soft-Power-Instrumente, die sich bei Nye und weiteren Autoren finden, herausgearbeitet, vervollständigt und in einer universalen Checkliste zusammengeführt, mit deren Hilfe sich die weiche Macht eines jeden Staates strukturiert ermitteln lässt. Der didaktische Charakter dieser Liste ist nicht zu leugnen: In Anbetracht der unbefriedigenden Beurteilung, dass alles mit allem zusammenhängt, fällt die eindeutige Zuordnung der 19
jeweiligen Instrumente unter eine bestimmte Leistungsrubrik häufig schwer was der Grund dafür sein könnte, dass eine derartige Zusammenstellung bislang auf sich warten ließ. Dessen ungeachtet verfolgt die in Aussicht gestellte Checkliste einen höheren Grad an Systematik, als das bloße Auflisten einzelner Punkte oboe ihren größeren Zusammenhang dies erreichen könnte, und legt überdies Verantwortungsbereiche offen. Im Anschluss wird in Kapitel 6 die Machtausübung des Heiligen Stuhls in den internationalen und transnationalen Beziehungen auf der Basis dieser SoftPower-Checkliste analysiert: Mit ihrer Hilfe können die Stärken des Heiligen Stuhls aufgezeigt werden; sie identifiziert aber auch sein Entwicklungspotential und neue Perspektiven. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf den charakteristischen Merkmalen der päpstlichen Diplomatie, aber auch auf Einrichtungen wie dem Katholischen Büro in Berlin (Lobbyvertretung der Deutschen Bischofskouferenz) und der ComECE in Brüssel (Commissio Episcopatuum Communitatis Europensis), die am Integrationsprozess und der weltanschaulichen Ausrichtung der Europäischen Union teilnimmt, obwohl der Vatikan nicht Mitglied der EU ist und es auf Grund seines Selbstbildes auch nicht sein kann (Rotte 2007: 152). Beleuchtet werden femer die Zugänge, die der Heilige Stuhl zu Politikern, Journalisten und Gläubigen hat, das weltweite Netzwerk der katholischen Kirche (auch in China) sowie das Medienprlvileg und die Publikumswirksamkeit des Papstes. Darauf folgt die Besprechung von drei Fallbeispielen: Die Wahl fiel hierbei auf die Zusammenarbeit des Heiligen Stuhls mit der polnischen Gewerkschaft Solidamosc in den 1980er Jahren unter einer vergleichenden Berücksichtigung der Revolution auf den Philippinen 1986, das Vorgehen des Heiligen Stuhls gegen Abtreibung auf nationaler und internationaler Ebene sowie der Einsatz von Johannes Paul Ir. zur Verhinderung des lrakkriegs 2003: Obwohl der Papst den amerikanischen Präsidenten George W. Bush nicht davon abhalten kann, den Irak anzugreifen, ist sein Engagement als erfolgreich zu beurteilen. Da die Iuformationslage über die Verhandlungen des Heiligen Stuhls mit Konfliktparteien oder Regierungen begrenzt ist, soll in Kapitel 7 ein Vergleich zwischen ilun und weiteren Akteuren der internationalen und transnationalen Beziehungen den Blick zusätzlich weiten. Ausgewählt wurden die USA als letzte Supermacht, die UNO als größte internationale und weltweit operierende Organisation und der Akteurstyp der Nichtregierungsorganisation. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob der Heilige Stuhl Fähigkeiten besitzt, die anderen nicht zur Verfügung stehen. 20
Im Fazit (Kapitel 8) werden die bedeutendsten Soft-Power-Instrumente des Heiligen Stuhls herausgestellt; deutlich werden auch die Gründe für die exponierte Stellung des Heiligen Stuhls in deu internationalen und transnationaIen Beziehungen. Vervollständigt wird die Untersuchung durch einen Ausblick (Kapitel 9). Diese breit angelegte Analyse nimmt in Kauf, dass einzelne Diskurse (so könnte bspw. schon die Gegenüberstellung von katholischer Kirche und UNO ein eigenes Forschungsprojekt darstellen) nicht in ihrer erschöpfenden Bandbreite behandelt werden können; die Beschränkung auf Teilaspekte erlaubt jedoch keine Gesamtbewertung und stellt deshalb keine Alternative dar. Die hier favorisierte Vorgehensweise verspricht, umfassender Auskunft über daa Mitgestaltungspotential und die Stärken des Heiligen Stuhls zu geben (die auch erst in ihrer Gesamtheit an Bedeutung gewinnen), als Detailbeobachtungen dies leisten könnten. Der Untersuchungszeitraum bezieht sich auf die Möglichkeiten, die sich - nach den im Hinblick auf die Soft Power des Heiligen Stuhls wichtigen Pontifikaten von Johannes XXIII. und Johannes PauI II. - aktuell für Benedikt XVI. eröffnen. Der deutsche Blickwinkel ist insofern von Interesse, als daas die katholische Kirche ihr Zentrum immer noch in Europa hat (wo ihre Einflussausübung am längsten kultiviert ist) und ihr in Deutschland - dem Land der Kirchenspaltung - ein Wohlwollen entgegengebracht wird, das beispiellos ist. Als Schwierigkeit des vorliegenden Forschungsprojektes erwies sich die Erreichbarkeit von Primärquellen; die Diskretion des Heiligen Stuhls macht sich auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihm bernerkbar. Die Informationsbeschaffnng und -auswertung erfolgte deshalb über offizielle Verlautbarungen des Heiligen Stuhls (Ansprachen und Veröffentlichungen des Papstes, Schreiben der Römischen Kurie), über eine umfassende SekundärquellenanaIyse und im Besonderen über Experteninterviews. Auf den Inhalt der Gespräche wird mit dem Namen des Interviewten oder in anonymisierter Form hingewiesen. Als weitere Hürde stellte sich heraus, dass generelle oder verallgemeinernde Aussagen über den Einfluss des Heiligen Stuhls sowohl für die nationale als auch für die internationale Ebene kaum zu treffen waren, da die Bedeutung der katholischen Kirche regional sehr unterschiedlich ausfällt. Vergleichbar mit der Soft Power der USA, von der letztlich auch nicht jeder beriihrt wird, soll für den Heiligen Stuhl im Rahmen dieser Arbeit deshalb an Beispielen das Instrumentarium aufgezeigt werden, das ihm theoretisch zur Verfiigung steht, um seine normativen Vorstellung in konkrete Politik umsetzen zu können.
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A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
gion gestaltet sich in seinen unterschiedlichen Erscheinungsweisen hingegen schwierig (Sommer 2000: 66),' was Laustsen/W",ver wie folgt erläutern: Once, in criticizing Kant's transcendental categories, Heget ironically c1aimed that every time he asked for a piece of fruit at the greengrocers he got an apple, a pear, but never a piece of fruit ille apples and pears, we have only Christianity, Islam, Hinduism, etc., never religion as such.
Die Autoren folgern daraus: "The point is, however, that one has to accept that our way to the universal (religion as such) goes through the particular (Christiaoity)." (Laustsen/Wrever 2003: 152) Versucht man dennoch, die Substanz von Religion zu ermitteln, kann sie als eine Weltanschauung und Lebensführung beschrieben werden, die von der Existenz einer verehrensWÜTdigen Gottheit oder Macht ausgeht (Schischkoff 1991: 612); sie ist immer auch eine Kosmologie. Dierse weist darauf hin, dass Religion als "Sammelbegriff fiir jede Verehrung transzendenter Mächte, jede Lehre vom Göttlichen und alle Glaubensbekenntnisse der Menschen" verwendet wird (Dierse 1992: 632). Religion ist ein System aus Mythen, Dogmen, Ritualen, Sitten sowie Zeremonien und unterscheidet das Irdische, Profane und Weltliche von dem Heiligen. Religion umfasst eine Fülle von historischen Erscheinungen, um einen Bezug zwischen dem Transzendenten, der Gottheit bzw. dem Heiligen auf der einen Seite und dem Menschen auf der anderen herzustellen. Die Gottheit wird dabei erfahrbar und teilweise beschreibbar, aber nie vollständig erschließbar. Ein Aspekt dieser Verbindung ist, dass Einfluss auf das Verhalten von Menschen normativ ausgeübt wird. Es gibt keine Religion, die ohne Verbote auskommt; wer gegen die Regeln verstößt, macht sich schuldig (Weber 2001: 269, 271). Besonders ältere Religionsbeschreibungen heben diesen Aspekt des äußeren Vollzugs von Religion hervor, der sich an dem Einhalten von Anweisungen ablesen lässt (Dierse 1992: 633). Auf den Gesichtspunkt des gemeinschaftlichen Erlebens von Religion machen HepplKrönert aufmerksam: Sie verstehen unter Religion ein "Sinn- oder Bedeutungssystem ( ... ), das einen transzendenten und damit außeralItäglichen Anspruch hat, durch kulturelle Alltagspraktiken artikuliert
5
Die Unterschiedlicbkeit der Religionen basiert auf der ungleichen mythologischen, geschichtlichen ond völkerpsycbologischen Beschaffenheit ihrer Anhänger. Abweichongcn sind besonders in der Art der Verehrung ond Kontaktaufuahme mit der Gotthcit zu verzeichnen (SchiscbkoffI991: 612).
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wird und auf eine entsprechende Vergemeinschaftung zielt" (HepplKrönert 2009: 22). Luclanann beobachtet Religion überall dort, wo das Verhalten der Gattungsmitglieder zum sinn-orientierten Handeln wird, wo ein Selbst sich in einer Welt findet, die von seinesgleichen bevölkert ist, mit welchen, für welche und gegen
welche es wertend handelt - wissend, dass sein Handeln von den anderen beurteilt wird. ,Religion' findet sich also überall, wo Zugehörige der Gattung Mensch in Handelnde innerhalb einer sie als ,natürliche' Organismen transzendierenden, geschichtlich entstandenen gesellschaft1ichen Ordnung verwandelt worden (Luckmann 1996: 18).
Dierse resümiert, dass es keine Beschreibung von Religion gibt, die all dem gerecht wird, was man als Religion bezeichnet; selbst die Summe aller Beschreibungen treffe das Phänomen nicht (Dierse 1992: 633).
2.2
Spiritualität und die Funktion von Religion
Schnakenberg bezieht sich auf die Ergebnisse der paläontologischen Anthropologie, nach denen religiöses Verhalten bei Menschen zu jeder Zeit in ihrem Dasein feststellbar ist (Schnakenberg 2000: 38). Auch Stieve weist darauf hin, dass die Suche nach einer menschlichen Kultur ohne Religion aussichtslos scheint (Stieve 2000: 63). Selbst jahrzehntelange Anstrengungen, eine Religion auszulöschen (wie in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg oder in China), scheitern (Sommer 2000: 67). Als mögliche Ursache fiir die Empfänglichkeit und Nachfrage der Menschen nach Religion nennt Leidhold zwei Erklärungsmodelle: zum einen die unzulängliche Natur des Menschen, aus der die Angst vor Schmerz und Tod sowie die Suche nach dem Sinn des Lebens erwächst; zum anderen die Begegnung des Menschen mit Gott und der Versuch der Religion, diese Begegnung dem Menschen verstehbar zu machen und auszulegen (Leidhold 2008: 1-2). Nach Stieve gibt es keine eindeutigen Erkenntnisse darüber, ob religiöses Verhalten angeboren oder erlernt ist; fiir wahrscheinlich hält er jedoch die Annahroe, dass die Offenheit dafiir auf menschlicher Veranlagung beruht, während der jeweilige Inhalt einer Religion eingeübt wird. Für vergleichbar hält er diesen Sachverhalt mit der Befiihigung zur Sprache: Die Veranlagung ist im Menschen feststellbar, während die Wahl der jeweiligen Sprache durch das Umfeld des Menschen bestimmt wird. Religionen sind nach Stieve "also Kulturprodukte, die auf genetischen Eigenschaften basieren" 24
(Stieve 2000: 56-57). Dieser Überlegung folgend erscheint die Unterscheidung der Begrifflichkeiten Religiosität und Spiritualität folgerichtig: Religiosität wird in einem sozialen Umfeld erlemt (dem sogenannten historischen Apriori: welcher Religion man angehört, wird primär vom Umfeld und den Eltern bestimmt), während Spiritualität, also die Neigung zur Mystik und die Bereitschaft, sich auf ein höheres Ganzes einzulassen, angeboren ist (Vaas 2006: 1120-1121). Stieve nennt die folgenden Aspekte von Religion, die sich in der Evolution positiv auf den Menschen ausgewirkt und Spiritualität als Disposition befördert haben können: Zum einen sieht er die Religion als Lebenshilfe und Unheilsbewältigung; sie unterstütze den Menschen dabei, mit den Herausforderungen und Schwierigkeiten des Alltags fertig zu werden, z. B. durch die Etablierung des Jenseits als paradiesischem Ort. Auch ,,Nicht-Reales" könne einen Nutzen in der Evolution darstellen. 6 Zum anderen beurteilt Stieve Religion als "soziales Werkzeug" (Stieve 2000: 43, 55, 56): Sie beeinflusse das Verhalten einer sozialen Gruppe und organisiere das Leben in der Gemeinschaft. Er zitiert Wickler, der von den Zehn Geboten der katholischen Kirche sechs als "soziobiologisch vorteilhaft" erachtet (Wickler zit. in: Stieve 2000: 55). Religion diene der Gruppeufestigung und Abgrenzuog nach außen: Sie verbinde die Menschen nach innen miteinander und definiere den Außenbereich z. B. gegen Feinde; sie könne Menschen unterwerfen und verfiihren (Stieve 2000: 44). Den Aspekt des sozialen Werkzeugs fiibrt Vaas aus: Religion mache das Gruppenleben sicherer, harmonischer und wirtschaftlicher, denn Menschen mit gleicher Religionazugehörigkeit arbeiteten effizienter zusannnen, als wenn eine ungleiche Zugehörigkeit vorliege (Vaas 2006: 1129);7 Kooperation und Altruismus könnten durch Religion gesteigert und gegen Schmarotzer abgesichert werden. Die gegenseitige Unterstützung und Arbeitsteilung sei fundamental für die menschlichen Gemeinschaften und ein essentieller Faktor fiir die Ausbreitung des Menschen 6
Vaas nennt Religion in diesem Zusannnenhang ein "psychische[s] Placebo" (Vaas 2006: 1125).
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In dieser EIk.enntnis argumentiert auch Schwarzenberger in Bezug auf das mittelalterliche Völkerrecht zu Begion des 16. Jahrlnmderts zwischen den italienischen Stadtstaaten und den ucabhängigen Staaten am Rande des Römischen Reichs: .,Letztlich jedoch beruhte der Wert dieser Verträge auf dem Wort und dem guten Glauben der vertragschließenden Teile. Die Annahme, daß das Prinzip pacta sunt servanda allgemein beachtet würde, beruhte auf gemeinsamen religiösen und ethischen Traditionen, und wenn auch diese Erwartung oft nicht ertüllt
wurde, so ist das nicht so wesentlich wie die Tatsache, daß die Fürsten ihre Beziehungen zueinander stets erneut auf der gleichen Vertrauensbasis zu regeln versuchten." (Schwarzenberger 1955: 20-21)
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auf der Erde; Rituale wirkten sich hierbei förderlich aus (Vaas 2006: 1129). In diesem Sinne argumentiert auch Burkert, wenn er eine Hauptaufgabe der Religion darin sieht, dass sie durch Eide versucht, Lüge uod Missbrauch auszuschalten. 8 Nach einer Untersuchung von Sosis/Bressler sind religiöse Gemeinschaften langlebiger als weltliche, und Religionsgemeinschaften können diese Langlebigkeit noch einmal über einen höheren Grad an Restriktivität steigern (Sosis/Bressler zit. in: Vaas 2006: 1129). Der menschliche Organismus wird erst durch konkrete Sozialisationsprozesse zu einer Person (Luckmann 1991: 88); das Bewusstsein wird alleine in gesellschaftlichen Vorgängen realisiert. Sozialisation besteht dabei im bewussten Erlemen der Weltansicht, d. h. einer Sinnstruktur. Diese Sinnstruktur wird von der Religion geprägt, die die Ordnung des Lebens und der Welt erklärt. Die Vermutung, dass steigende Bildung unweigerlich zu abnehmender Religiosität fiihrt, widerspricht aktuellen Forschungsergebnissen (Blume 2006: 10-11). Religionsgemeinschaften strukturieren das Zusammenleben von Menschen und geben Antworten auf Fragen, die das Welt- und Menschenbild betreffen. Damit werden sie zu Interpreten und bieten ein Sinnreservoir an, aus dem sich jeder bedienen kann, statt an der fast unlösbaren Aufgabe zu scheitern, ein eigenes Sinnsystem entwickeln zu müssen. Durch möglichst viele Nutzer dieses Reservoirs steigt die Stabilität der Weltansicht. Das Sinureservoir ist zeitübergreifend, geht dem einzelnen Menschen also voraus und "bildet die empirische Grundlage fiir die Integration als Person" (Luckmann 1991: 89); es hält über das Wertesystem aber auch die Knltur zusammen und stützt das soziale System (Luckmann 1985: 26). Zu diesem Sinn gehört es, dass Religionsgemeinschaften zwischen dem Individuum und dem Heiligen Kosmos vermitteln; sie schalten sich gleichsam dazwischen und nehmen fiir sich das Monopol in Anspruch, die Auslegung der letzten Bedeutung zu leisten (Luckmann 1991: 112-113); sie sind die "Vergesellschaftung des Umgangs mit Transzendenzerfahrungen" (Luckmann 1985: 34).
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,.Man braucht Eide auf allen Ebenen., :für wirtschaftliche Verträge, vor Gericht, zwischen Städten, Stämmen und Monarchen. Immer geht es darum, Lüge und Betrug auszuschalten. ( ... ) Die einfachste Garantie der Richtigkeit einer Aussage ist die Zuzichung von Zeugen. Mit dem Eid werden darum göttliche Personen auf den Plan gerufen." (Burkert 2000: 117)
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Heili ger Kosmos
O··;·~czialisicrtc Religion
.... Individu um
Abb. 1: Die spezialisierte Religion (eigene Darstellung) Religionsgemeinschaften leisten ein Höchstmaß an Integration :I:ür den Einzelnen in das kollektive Ganze und für den inneren Zusammenhalt von Gesellschaften durch normative Gewissheiten oder die Bildung von Erinnenmgsgemeinschaften (Küenzlen 2003: 114; Graf 2004: 209). Sie sind ein Garant der e1hnisch-nationalcn Identitätsbildung (Kleine 2002: 2). Religionsgemeinschaften schaffen für die Gesellschaft eine Ordnung, die als universale und transzendente Manifestation angesehen werden kann (bclnnann 1991: 89). Ein Aspekt dieser Ordnung ist die Strukturicrung von Zeit, sei es in Bezug auf den Rhythmus des Jahres (die Feiertage der katholischen Kirche haben sich als merklich stabil erwiesen und eine hohe Akzeptanz auch bei Nicht-Christen) oder :I:ür die Zeitentwürfe eines Individuums (z. B. durch Taufe, Kommunion, Firmung, Ehe und Beerdigung, mittels derer sich Familien auch immer ihrer selbst vergewissern) (Graf2004: 87). Eine weitere Aufgabe dieser Ordnung ist es, die unbestimmbue, wdJ. nach lIlBe.n (Umwelt) und nach iIme.n (S}'Item) hin unahschli.eBbare Welt in eine bestimmbare zu transformieren, in der System. und Umwch in Beziehung stehen köuncn, die auf bciden Seiten Bclicbigkcit der Vcrindcnmg IlIlIsehlie&n (LuhIwmn 1977: 26).
Religionsgemeinschaften nehmen mit ihren Positionen Einfluss auf die öffentliche Meinungs- und Willcnsbildung (Habermas 2007: 1443-1444). Sie können durch die Wahl ihrer Sprache dazu beitragen, dass sich ,,Lernpathologien verfestigen" und damit ,,Erfahrungsresistenzen fördern", indem sie mentale Konstrukte aufbauen (Graf2004: 181). Dabei unterscheidet Hahermas zwischen zwei Arten des Auftretens: Religionsgemeinschaften können als moralische Institution an a11c Menschen appellieren oder nur die eigenen Gläubigen ansprechen und über Gewissenszwang und geistliche Autorität statt über Argumente ein Ziel verfolgen. Als Beispiel für das 1ctztgenannte Auftreten gibt er die Hirtenbriefe zu den Bundestagswahlen der 1950er Jahre in Deutschland an (H.henna. 2007, 1445). 27
Religionsgemeinschaften leisten eioen gesellschaftspolitischen Beitrag in der Familienpolitik; diese ist immer die Antwort des Staates auf gesellschaftliche Probleme, und Religionen nehmen hier eine Schlüsselrolle ein (Bahle 2003: 391). Sie engagieren sich auch im Bereich der Wohltätigkeit und Bildung durch zahlreiche Einrichtungen. Sogar im laizistischen Frankreich werde der katholischen Kirche fiir ihr soziales Engagement hohes Ansehen entgegengebracht (z. B. fiir die Sans Papiers), so dass viele Franzosen bereit seien, die Vorgaben der katholischen Kirche zu befolgen (Warner 2003: 280-281, 287). Zahlreiche Autoren machen fiir den europäischen Einigungsprozess in seiner Anfangsphase darauf aufinerkaarn, dass die katholische Kirche dabei hilft, als gemeinsamer Nenner die nationalen Unterschiede zu überwinden (Robbers 2003: 158; Malik 2006: 97)" Pickel sieht den Beitrag des Cbristentoms fiir die Demokratie verstanden als Prozess der Legitimation durch Verfahren - darin, dass diese von Werten und Normen lebt, die sie nicht selbst hervorbringen kann (pickel 2006: 467). Verbeek bemerkt, dass der Staat die Kirche fiir die Dinge bmucht, die sich seioem Einfluss entziehen. Würden bspw. alle Bürger die Mitwirkung im Gemeiowesen ablehnen, gäbe es keines; der Staat hätte auch keine Zukunft, wenn niemand eine Familie gründete. Unterstützung erhält Verbeek dabei von Verfassungsrechtlem (Verbeek 2005: 157). Religionsgemeioschaften üben darüber hinaus Herrschaft und Gehorsam ein, indem sie fiir sich Hiemrchien etablieren, die ein ,,Bewusstsein von Rang und Unterordnung" schaffen (Burkert 2000: 114). Religionsgemeinschaften können schließlich auch einen positiven Effekt auf die Wirtschaft haben: Selbst neoliberale Ökonomen sähen in der Religion einen Garanten fiir die Entstehung und Anhäufung jenes Maßes an Vertrauen, auf das produktive Interaktion auf Märkten und jede andere ökonomische Kooperation angewiesen seien (Graf2004: 15). Koslowski argumentiert in einer detaillierten Darstellung, dass Religion ein Mittel gegen Ethikversagen und Ethik wiederum als ein Korrektiv von Marktversagen zu werten ist. Er beurteilt eine individualistische Gesellschaftsordnung mit völliger Handlungsfreiheit fiir lebensunfähig, wenn keine religiöse Grundüberzeugung von einem Großteil der Bevölkerung akzeptiert und angenommen wird (Koslowski 1985: 76). In seiner Darstellung bezieht er sich zunächst auf den Zusammenhang von Ökonomie, Ethik und Religion im Hinblick auf rationales Handeln. Soziale Integmtion, die
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In Anbetracht der Tatsache, dass im Laufe des Einigungsprozesses auch nicht-christliche Staaten in die EU aufgenommen werden., ist von Einfluss-Einbußen für die katholische Kirche auszugehen. Dies hält sie jedoch nicht davon ab, sich für die Bewerberstaaten stark. zu machen, die eine christliche Tradition aufweisen (s. Kapitel 6.1.4).
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Religionsgemeinschaften leisten, senke die Transaktionskosten des Marktes und sorge in dieser Folge für ein höheres Maß an Wettbewerbsfähigkeit und Schutz vor Marktversagen, was zu einer Erhöhung der Wohlfahrt in einer Volkswirtschaft führe. Unter Transaktionskosten summiert er einen Mangel an Arbeitsmotivation, Zuverlässigkeit, an Vertrauen und der freiwilligen Befolgung und Einhaltung von Regeln auch dort, wo diese nicht oder nur schwer von anderen überprüft werden können (Koslowski 1985: 79-80). Neben der sozialen Integration sieht er in der Ethik den zweiten Pfeiler zum Schutz vor Marktversagen, weil sie die Kosten für Sanktionen und Kontrolle minimiere. Auch hier helfe der religiöse Glaube, denn er stärke das Vertrauen in die Notwendigkeit von Ethik, Sittlichkeit und Regelbefolgung. Der Glaube erhöhe die Bereitwilligkeit, dass ,,moralische Vorleistungen" erbracht werden und moralisches Verhalten zu einem allgemeinen Verhalten wird (Koslowski 1985: 86-87). Den Nutzen von Religion und ihre Bedeutung für die Gesellschaft fasst Koslowski wie folgt zusammen: "In der Religion reliiert sich das Individuum den anderen und transzendiert zugleich in der Personalität der Gottesbeziehung das Allgemeine der Gesellschaft." (Koslowski 1985: 93-94) An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften auch eigene, weltliche Interessen haben: "Wer den himmlischen Herrscher verkiindigt, hat irdische Kosten, braucht also Geld." (Graf 2004: 24) Am Beispiel der katholischen Kirche stellt Luckmann fest, dass sie eine international operierende Religionsgemeinschaft ist, die neben ihrer dogmatischen und liturgischen Tradition einen ökonomischen, politischen und administrativen Apparat ausgebildet hat (Luckmann 1991: 121). Sie ähnelt - wie noch herauszuarbeiten ist - in ihrem Auftreten einer Interessengemeinschaft und steht vor den Herausforderungen einer solchen: Sie muss sich in der politischen Arena beweisen, wenn sie ibre gesellschaftspolitischen und moralischen Überzeugungen umsetzten möchte, und staatliche Subventionen sowie rechtlichen Schutz generieren (Warner 2002: 279). In Zeiten eines Religionspluralismus muss sie sich auch vor anderen Religionsgemeinschaften behaupten, von ihnen abgrenzen
und ihre "corporate identity" pflegen, um "Marktanteile" zu sichern. und auszubauen, wie Graf es formuliert (Graf2004: 21-22). Dabei ist zu beobachten, dass der diesbezügliche Erfolg einer Religionsgemeinschaft desto höher ist, je strenger sie auftritt (Kallschener 2009: 69). Als Beispiele für "aggressives God selling" nennt Graf den Erfolg von Religionsgemeinschaften in den USA und in lateinsmerikanischen Gesellschaften. 1O 10
"Indem sie hohes religiöse, Engagement, diehte Vergemeinschaftung, s1rikt zu beachteede moralische Normen und erhebliche Finanzmittel fordern. erschließen sie den in ihnen verge-
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2.3
Scham als Druckmittel am Beispiel der katholischen Kirche
Jeder Mensch besitzt ein angeborenes Gewissen, das es ibm ermöglicht, zwischen dem sittlichen Wert und Unwert der eigenen Handlung zu unterscheiden (Schischkoff 1991: 249). Die Vorstellung vom Gewissen als Einfallstor des Schöpfergottes bezieht sich auf die Theologie von PhiIon von Alexandria: Das Gewissen wird zum ,,zeuge" und ,,Ankläger" des eigenen Handelos io der Vergangenheit und der Zukunft (Reioer 1974: 578). In diesem Sione argumentiert auch Casaroli, wenn er vom Heiligen Stuhl behauptet: "seio eigentliches Reich siod die Gewissen" (Casarali 1981: 96). Joseph Kardinal Ratzioger erklärt das Gewissen mit der Unterscheidung von anamnesis und conscientia, wobei anamnesis die Voraussetzung und ontologische Begründung fiir die conscientia ist. Mit dem Heiligen Basilius nennt er die anamnesis den ,,Funken göttlicher Liebe, der io uns eiogeboren ist"; dieser Funke beinhalte die Eriooeruog an das Gute und Wahre, bedürfe aber des Beistands von außen, den die katholische Kirche leiste." Die conscientia ist dagegen der "aetus - eio Geschehen im Vollzug" (Ratzioger 1993: 51, 54, 56). Dieser actus wende das Wissen der anamnesis an und vollziehe sich io drei Schritten: Wiedererkennen, Zeugnisablegen, Urteilen. Mit dieser Vorgehensweise könne der Mensch das Gute und Wahre sehen; verschließe er jedoch bewusst seine Augen davor, mache er sich schuldig und habe Schuldgefiihle, selbst wenn er diese zu unterdrücken versuche: Das Schuldgefiihl, das eine falsche Gewissensruhe aufbricht und die Wortmeldung des Gewissens gegen meine selbstzufriedene Existenz genannt werden könnte, ist dem Menschen so nötig wie der körperliche Schmerz als Signal, das Störungen der no:nnalen Lebensfunktion erl<ennen läßt (Ratzinger 1993: 34·35, 58)."
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m.einschafteten Menschen in pluralistischer Unübersichtlichkeit und verängstigender Unsicherheit eine starke, stabile Identität, krisenresistente Welt- und Zeitdeutung. geordnete Familienstrukturen und dichte Netzwerl
Sich dem Gewissen als Resultat von psychologischen Beziehungen zu nähern, ist erst eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts (Reiner 1974: 587). Reiner fasst zusammen, dass das Gewissen sowohl als das ,persönliche Betroffensein von einem konkreten sittlichen Verhaltensanspruch (Sollensbewußtsein)" definiert werden kann als auch als die ,,Anlage", die das Betroffensein erst hervorruft (Reiner 1974: 591, H. i. 0.). Die Aufgaben des Betroffenseins sieht Reiner zum einen in der Feststellung eines Anspruches, zum anderen in der Beurteilung darüber, ob dieser Anspruch erfiillt wird (was ein gutes Gewissen zur Folge hat) oder verfehlt wird (was dann als schlechtes Gewissen zu bezeichnen ist) (Reiner 1974: 591-592). Zu den sittlichen Empfindungen gehört nicht nur das von KlIrdinal Ratzinger genannte Schuldgefiihl, sondem auch Scham, Verbundenheit oder Versöhnung' die erfahrbar sind und handlungsbeeinflussend sein köunen. Kennzeichnend fiir Religionsgemeinschaften ist desgleichen der Einsatz von Angst: ,,Beim ,Erlernen' von Religion spielt Prägung durch Angsterlebnisse offenbar eine zentrale Rolle." (Burkert 2000: 113) Diesen Ausfiihrungen folgend macht sich die katholische IGrche die Angst vor negativen Gefühlen zu Nutze und operiert mit ihr, um den Menschen zu dem in ihrem Verständnis richtigen Verhalten zu fiihren: Schuld und Scham werden zu ihrem Druckmittel durch die Etablierung der Gegenpole gottgefälliges Leben und Sünde. Scham, Peinlichkeit und Schuld gehören zu den Emotionen, die mit kulturellen und normativen Bezugssystemen verbunden sind, welche sich in Konventionen (fischsitten, Kleiderordnung u. ä.), moralische Normen (Achtung der Interessen der Mitmenschen) und gesetzliche Regeln (Achtung der Rechte von Mitmenschen; Rechte, die erzwingbar sind) unterteilen lassen. Sie sind von sozialen Verhaltenserwartungen abhängig (Roos 2000: 264). Scham, Peinlichkeit und Schuld können nur von Lebewesen empfunden werden, die sich in die des Gewissens fußt auf der Offenbarung. deren Interpretation auf einem gesellschaftlichen Empfinden fußt. Das heiß~ die Zehn Gebote hat man vor 400 Jahren anders interpretiert als heute. Die katholische Kirche gibt aus der Offenbarung objektive Leitlinien heraus. an denen sich der Mensch misst Das Gewissen des Einzelnen beurteilt nun. ob das eigene Verhalten damit kongruent ist. Hundertprozentige Kongruenz mit den Ausführungsbestimmungen der katholischen Kirche ist unmöglich. Die Kirche drängt darauf, dass ihre Weisungen eingehalten werden. Das ist der Versuch, dem Menschen Orientierung zu bieten. ( ... ) Das Gewissen des Menschen kann trügerisch sein, es kann durch die Gesellschaft desavouiert werden. Nehmen wir als Beispiel das Dritte Reich: Hier haben Menschen aus ihrem Gewissen heraus Juden umgebracht, weil sie dazu erzogen worden waren. weil sie Gehirnwäsche und Manipulation erfahren haben. Das ist zwar ein krasses Beispiel, aber es belegt, dass das Gewissen nicht allein die letzte Instanz ist, sondern nur die Offenbarung Gottes, wie sie in der Thora oder in 1esus Christus im Evangelium gegeben ist" (Interview Biskupek 2010)
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Sichtweise anderer hineinversetzen und sich vorstellen können, dass sie bewertet werden. Scham hat eine große Nähe zur Peinlichkeit; das Unterscheidungsmerkmal liegt in der Art des wahrgenommenen Missverhältnisses zwischen aktoellem und idealem Selbst: Scham bedeutet, eine Kluft zwischen dem eigenen Anspruch und der Realität festzustellen; die Selbstzweifel sind von substantieller und langfristiger Natur und gehen häufig tnit dem Verlust der Selbstachtong einher. Das Vorhandensein einer Öffentlichkeit ist nicht notwendig. Das Gegenteil von Scham ist Stolz, also eine Leistongsbewertong, die positiv ausfällt (Roos 2000: 267-268). Peinlichkeit ist dagegen eine vorübergehende, unkontrollierte und tnissglückte Selbstdarstellung oder Fehlleistong (z. B. im Bereich der gesellschaftlichen Konventionen), die Aufmerksamkeit erzeugt und ein Selbstwertproblem verursacht; es wird eine subjektive Bedrohung des persönlichen Ansehens empfunden. Schnld steht in ihrer Wirkung eine Stufe über der Scham: Sie tritt ein, wenn eine Person erkennt, eine moralische Norm durch eine Handlung oder Unterlassungshandlung verletzt zu haben oder fiir eine Normverletzung verantwortlich zu sein, durch die eine Notlage oder ein Schaden fiir eine andere Person entstanden ist; der Schaden muss dabei anerkannt bzw. mitgefühlt werden (Roos 2000: 265, 268).
PeiDlichkeit
Scham
Selbstwertrelevanzl Selbstbezng
Offendichkeit
Verantwortung
notwendig (Fremdb.. wertung, Selbstdarstellungsprobleme)
notwendig
nicht notwendig
notwendig (Selbstbewertung, Selbstwert-
nicht notwendig
negative Folgen für
andere nicht notwendig
notwendig
nicht notwendig
probleme) Schuld
notwendig (Selbstbe-
nicht notwendig
notwendig
notwendig
wertun.) •
Tab. I: PeinlichkeIt, Scham und Schuld (Roos 2000: 270) Scham, Peinlichkeit und Schuld dienen der Erhaltung sozialer Systeme und stehen im Dienst der sozialen Steuerung des menschlichen Verhaltens und Handelns. 13 Roos schreibt ihnen daher auch eine Warnfunktion zu, die der knIturellen Stabilität einer Gesellschaft dient (Roos 2000: 264). Auf Grund dieser Betrachtong kann als Ergebnis festgehalten werden: Menschen scheinen eine Disposition zur Spiritoalität zu haben; diese Dispositi13
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Scham und Gerechtigkeit leisten eine Vorarbeit zur politischen Onlnung, aber nicht die fertige Onlnung selbst (Leidhold 2003: 154).
on hat sich herausgebildet, weil sie sich als vorteilhaft für die Ausbreitung und Erhaltung des Menschen erwiesen hat. Auf Grund ibrer Spiritualität sind Menschen empfänglich für Religionen und die von Religionsgemeinschaften aufgestellten Regeln; diese bringen die Spiritualität gleichaam in Form und begiinstigen eine Kooperation unter den Menschen. Das Druckmittel von Religionsgemeinschaften ist dabei die Androhung negativer Gefiihle, insbesondere der Scham.
2.4
Der Bedeutungsverlust von Religionsgemeinschaften in Westeuropa und die Gründe für ihr Wiedererstarken
Trotz der Säkularisierungsschübe der Aufklärung, die zunächst zu einer Trennung von Tbron und Altar und dann von Staat und Kirche führen, spielen die christlichen Kirchen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein eine ausschlaggebende Rolle im öffentlichen Leben Westeuropas. Danach ist ihre Marginalisierung festzustellen, die sich an einer Entfernung der Gesetzgebung und Rechtsprechung von christlichen Positionen, Kirchenaustritten und mangelndem Priesternschwuchs ablesen lässt. Malik spricht von einer Säkularisierung des Alltagslebens seit den 1960er Jahren, die erst zu einer tatsächlichen Trennung von Politik und Religion gefiibrt habe (Malik 2006: 97). Neben dem allgemein gehaltenen Vorwurf gegenüber der katholischen Kirche, sie habe es versäumt, sich auf die Bedürfuisse des modernen Menschen einzustellen oder lasse es zumindest an einer professionellen "performance" fehlen (Beyer 1994: 148), sind vor allem externe Gründe für die zunelnnende Privatisierung der Religiosität zu benennen, die losgelöst von Religionsgemeinschaften zu beobachten sind: 14 Durch Migration und Internationalisierung der Gesellschaft hat eine multireligiöse Kultur Einzug in Europa gefunden (Küenzlen 2003: 37). Auch weltliche Ideen von Leben und Welt, das wissenschaftliche Denken und der Aufstieg von Sekten sorgen für den Verlust der früheren Monopolsteilung der
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Kirchenaustritte oder eine abnehmende Kirchgangsfreudigkeit spreeheo dabei nicht zwangsläufig für einen Mangel an Religiosität, sondern auch für eine nachlassende Bedeutung der in der Kircheore1igioo institutiooalisierteo Werte Iür das Alltags1ebeo (Luekmann 1991: 73). Die Institution Kirche mag also an Bedeutung verlieren. was aber nicht notwendig mit einem Bedeutungsverlust von Religiosität einhergeht; sie wird lediglich aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Andererseits spticht Iür eine Kircheozugchörigkeit nicht zwingend eine Bindung zu ihr: Die Traditioo der Mitgliedacbaft, ein Gruppeozwang oder die Feierlichkeiteo, die die Kir· cbe im Lauf einea Leheos auslichtet (Taufe, Hochzei~ Beerdigung etc.), wertet Pa11eoberg a1a Austrittsbemmnia (palleoberg 1968: 202).
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katholischen KITche (Luckmaon 1991: 135-137). Der von Joseph Kardinal Ratzinger beklagte Relativismus wird zu ihrer Bedrohung: Die Vorstellung, dass alle Religionen und Weltanschauungen gleich gültig und wahr seien, lässt die Menschen der katholischen Kirche nur eingeschränkt zuhören (Ratzinger 2005: 7-11). Religiöse Funktionen werden zunehmend von nicht-religiösen Strukturen übernommen (Luckmaon 1991: 28). In Bezug auf Orientierung und Sinnsuche treten Psychologen und Ratgeberseiten in Zeitschriften auf, aber auch esoterische Erbauungsgemeinschaften, die als zusätzliche Anbieter auf dem Religionsmarkt mit Wellness statt Regelwerk locken. Konsummaterialistische Lebensformen ersetzen die Sinn- und Heilssuche (Schischkoff 1991: 614). Fuchs bezieht sich auf ein Forschungsergebnis von NorrisJInglehart, die den Bedeutungsverlust von Religion damit erklären, dass der Wohlfahrtsstaat mit seinem sozialen Netz den Schutz der Bürger übernommen und ihnen damit die "existentielle Unsicherheit" genommen habe, was bis dahin eine der Hauptaufgaben der Religionsgemeinschaften gewesen sei (Fuchs 2009: 351). Ferner ist eine generelle Distanzierung von öffentlichen Ritualen und traditionellen Institutionen zu beobachten: Sie umfasst Mitgliedschaften in Parteien, Verbänden oder Museums- und Theaterbesuche (Luckmaon 1991: 57). Die institutionalisierte Religiosität verliert an Bedeutung und entwickelt sich zu einer privatisierten (Beyer 1994: 97).15 Luckmaon stellt fest, dass Veränderungen in der Gesellschaft, wie das Entstehen einer Arbeiterklasse oder die Folgen von Urbanisierung und Industrialisierung insgesamt, bedeutend dazu beigetragen haben, dass der Staat den Hoheitsanspruch der christlichen KITchen - wie noch zu Zeiten der absolutistischen Monarchien - nicht mehr garantieren kaon (Luckmaon 1991: 136). Hinzu kommt, dass sich die Werte von spätrnodemen Gesellschaften nur noch vereinzelt mit denen der christlichen Kirchen decken; spätrnoderne Gesellschaften werden als ,,hochindividualisierte und pluralistische Sozialgebilde" definiert, fiir die eine "akzelerierende ,Multioptionslust' und ,Erlebnisorientierung'" charakteristisch ist (Gebhardt 2007: 211). Unter Multioptionslust versteht Gebhardt die Erwartungshaltung an ein Überangebot und eine Auswaltlmög-
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HepplKrönert sprechen in diesem Zusammenhang von einer "Individualisierung von Religion" und erklären diese wie folgt: "Unter der Individualisierung von Religion verstehen wir damit den Umstand, dass Religion Teil einer individualisierten Lebensführung geworden ist. Konkret bedeutet das dreierlei. Erstens hat die Verbindlichkeit institutionalisierter religiöser Sinnangebote in Konkurrenz mit anderen (transzendenteo) Sinoangeboteo abgenommen. Zweiteoa bewegen sich damit verschiedenste institutionalisierte Religionen in einem allgemeinen Sinnmarkt. Dritteoa ist Religioo Teil der individuellen Gestaltung des Lebensentwurlii des Einzelnen geworden, was auf untersehiedliche Ausprägungen und Hybridisierungeo voo Religioo verweist" (HepplKrönert 2009: 28, H. i. 0.)
lichkeit sowohl an Waren als auch an Welt- und Sinndeutungen, unter Erlebnisorientierung die Tendenz, das Handeln nach dem Faktor persönlicher Spaß auszurichten statt an verbindlichen kulturellen Werten. Verlieren die einstmals akzeptierten Werte an Bedeutung, schwächt dies auch die sie propagierende Institution. l • Auf einen weiteren Aspekt für den Bedeutungsverlust von Religion in Westeuropa macht Tyrell unter dem Begriff der ,,Deinstitutionalisierung der Familie" aufmerksam. Seit dem 19. Jahrhundert treten die beiden christlichen Kirchen offensiv als Anwältinnen für Ehe und Familie auf; das gewandelte Fami\ienbild habe nun auch eine Rückwirkung auf ihre Relevanz: Der familiäre Zusammenhalt leide unter der Individnalisierung des Einzelnen, normative Vorstellungen seien auf dem Rückzug (z. B. das Verbot des Zusammenwohnens von unverheirateten Paaren), die Verbindung von Ehe und Elternschaft sei brüchig geworden, und das Kind habe sich von einer herrschaftsartigen Fami\ienhierarchie emanzipiert (was auch die Ächtung von Gewalt gegen Kinder beinhaltet) (Tyrell 1993: 142-143). Verliert also die Familie an Bedentung, leiden darunter auch diejenigen, die für sie eintreten. Beachtet werden muss femer, dass die zunehmende Mobilität der Menschen das Gerneindeleben beeinträchtigt und damit das Zugehörigkeitsgefühl der Menschen zu ihrer Pfarrei als zentralem Ort schwächt: Die Gemeinde verliert ihre Stellung als zwischenmenschliche Begegnungsstätte für religiöse Erfahrungen. Die genannten Aspekte können in ihrer Summe erklären, dass die institutionalisierte Religiosität (in Gestalt der Religionsgemeinschaften) eine Privatisierung erf"ahrt. Die Verbindung des Religiösen mit dern öffentlichen Anliegen löst sich in der Folge auf und geht häufig mit einem religiösen Subjektivismus einher, der auf den Bezug zur Religionsgemeinschaft verzichtet. In dieser Folge glaubt der "soziologische Mainstream" noch bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts, dass sich Religionsgemeinschaften im Lauf der Zeit auf die Seelsorge beschränkt, Kompetenzen abgegeben und sich in einen abgeschotteten Bereich zurückgezogen haben (Habermas 2007: 1443). Diese Vorstellung ist jedoch bröchig geworden: Die SaIienz des Diskurses über Religion und Religionsgemeinschaften in den nationalen Gesellschaften und internationalen Beziehungen ist mittlerweile unübersehbar (Gebhardt 2009: 2).17
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Als Konsequenz daraus stellt Gebhardt z. B. für die katholiscbe Kircbe das Entstehen von Szenen fest. was vor dem. Hintergrund des Anspruchs der katholischen Kirche, eine allumfassende und verpfliebtende Einheit zo sein. fata1 sei (Gebhardt 2007: 213).
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Hier lohnte es sich der Frage nachzugehen., ob Religionsgemeinschaften tatsächlich wieder wichtiger geworden sind, oder ob es sich hierbei nicht bloß um eine veränderte Aufi:nerksam-
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In der Forschungslitemtur werden dafür die folgenden Gründe genannt: Der Mensch steht vor den Hemusforderungen, die eine sich ständig und immer schneller verändernde Umwelt mit sich bringt; technischer und wissenschaftlicher Fortschritt, Entwicklungen in der Gesellschaftsstruktur und die Dissoziation des Umfelds hinterlassen Fragen. Hier wirken Religionen einer Verhaltensund Orientierungsunsicherheit entgegen (Küenzlen 2003: 72);" in weltanschaulich pluralistischen Gesellschaften können sie Wertkonflikte lösen (Hahermas 2007: 1444). Die zentrale These von Beyer geht davon aus, dass das globale System die kulturellen und personalen Identitäten beschädigt und Religionen davor schützen können, indem sie das Problem thematisieren und Lösungswege mitgestalten (Beyer 1994: 3). Religionen haben zwar ihren Hoheitsanspruch verloren, dadurch jedoch eine innere Autonomie erworben (Luckmann 1991: 137): Bahle weist damuf hin, dass es den christlichen Religionsgemeinschaften bereits nach der Französischen Revolution, dem italienischen Risorgimento und dem deutschen Kulturkampf gelingt, ihre Gläubigen zu mobilisieren und (z. B. im katholischen Vereinswesen) sozial zu integrieren (Bahle 2002: 393-394). Marquard hebt hervor, dass je mtiona!isierter und spezialisierter die Welt sei, es urnso erforderlicher werde, Vertrauen denjenigen gegenüber zu entwickeln, die Fachwissen besitzen. Ähnliches gelte für die Aufklärung: Je erfolgreicher sie sei, desto augenfiilliger werde, was nicht verfügbar oder beherrschbar ist (Marquard 1990: 88). Religionen helfen dabei, dass sich Vertrauen entwickeln kann. 19 Unter demogmphischen Gesichtspunkten ist es vor dem Hintergrund der altemden Gesellschaft in vielen Ländem Europas nicht unerheblich, dass religiöse Menschen relativ mehr Kinder hervorbringen als nichtreligiöse. 2O In soge-
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keitsstruktur handelt. Auch die Ausgangshypothese, dass die Relevanz von Religionsgemeinschaften abgenommen hat. könnte unzutreffend sein. Indizien für die Orientierungslosiglreit der Gesellschaft sind nach Hanclre die wachsende Scheidungsrate, der Zulauf zu Psychiatern. die Zunahme von Suchtkranke:n sowie die "seelische Verwahrlosung" von Kindern und Jugendlichen (Hande 1999: 246).
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WilkinsonlPickett beziehen sich in einer Untersuchung über die Ungleichheit in Gesellschaften auf Putnam/Uslaner, die zeigen. dass Vertrauen eine notwendige Voraussetzung für das FlIllktioniere:n von menschlichen Gemeinschaften ist: Menschen. die Vertrauen besitzen, seien hilfsbereiter, verantwortungsbewusster und kooperativer gegenüber anderen (Wilkin-
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Noch bis in die 1970er Jahre haben Katholiken in Deutschland im Durchschnitt mehr Kinder als Protestanten, dann sinkt die Zahl auf katholischer Seite und bewegt sich seit den 1980er Jahre auf dem. Niveau der Kin.derzahl von Protestanten. In Europa haben nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2000 Goltesdienstbesucher im Durchschnitt mehr Kinder als diejenigen,
sonlPickett201O: 44-45).
die nicht regelmäßig in die Kin:he gehen (Fuchs 2009: 480-351). Das bestätigen nationale und
internationale Erhebungen wie die Untersuchung des Instituts der deutschen Wlrtschaft in Köln, der ,.World Value Survey", die ,,Fertility and Family Surveys" der UNO aus den 1990er
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nannten Diaspora-Gemeinden ist eine relativ hohe Bindung der Gläubigen an ihre Religionsgemeinschaft festzustellen (Luckmann 1991: 66). Verbeek weist darauf hin, dass der glorifizierte Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts der Schöpfung auch ethische Fehlleistungen gebracht hat; als Beispiele nennt er die Atombombe und die Gräueltaten in den Konzentrationslagern. Religionsgemeinschaften sensibilisierten die Gesellschaften daher notwendigerweise für Menschenrechte und forderten eine gegenseitige Verantwortung; die katholische Kirche habe einen universellen Charakter wie die UNO (Verbeek 1990: 14). Habermas macht ferner darauf aufmerksam, dass eine individuelle Religiosität einen Bezug braucht und ihre urspriingliche Religionsgemeinschaft nicht ohne Einbußen ausblenden kann; auch eine privatisierte Religiosität rekurriere auf einen Ausgangspunkt. Die Funktionsverluste von Religionen bedeuteten deshalb nicht zwangsläufig ihren Bedeutungsverlust für den politischen oder kulturellen Raum (Habermas 2007: 1443).
2.5
Religionsgemeinschaften in der Konfliktvermittlung
Die Intoleranz mancher Religionsgemeinschaften gegenüber ihrer Umwelt überträgt sich auch darauf, welche Beurteilung sie selbst erfahren. So werden sie häufig als Ursache oder Teil eines Konfliktes wahrgenommen, denn Religionsgemeinschaften können dazu beitragen, dass Konflikte ausbrechen: entweder weil sie dazu explizit aufrufen, oder weil sie dazu missbraucht werden, einer weltlichen Gegnerschaft einen religiösen Anstrich zu geben (Hildehrand 2007: 7). Unberöcksichtigt bleiben hingegen häufig ihre friedensfördernden Fähigkeiten (Hasenclever/Juan 2007: 16). Reychler schreibt Religionsgemeinschaften drei mögliche Rollen zu, die sie in einern Konflikt übernehmen können: als Konfliktpartei, als Zuschauer oder als Friedensforderer. Als Konfliktpartei treten sie in Religionskriegen auf; hier föhren sie selbst einen Krieg im Namen Jahren, ,,Allbus" und ,,Familiensurvey". Fuebs weist darauf hin, dass bei säkularen Bevölk.,.
rungsgruppen Ehe- und Kinderlosigkeit häufiger anzutreffen sind als bei religiösen Menschen (Kriterien für die Zusebreibung religiös sind dabei KirebgangshäuJigkei~ Beten und religiöses Selbstbild) (Fuebs 2009: 353, 355). Blume zitiert die ,,Allbus"·Befragung 2002, naeb der die Befragten. die sich als nicht-religiös bezeichnen, im Durchschnitt 1,44 Kinder haben im Vergleich zu den Sehr-Religiös-Befragten mit 1,9 Kindern (Blume 2006: 3). Fuchs zieht das Fazit :für die empirische Sozialforschung: ,,Religiöser Glaube erleichtert es, sich für Kinder zu entscheiden - auch dann., wenn sie nicht ,geplant' sind. Er fördert die Neigung zu heiraten und Kinder in einer Ehe zu erziehen. Er begünstig die Bereitschaft zugunsten von Kindern. materielle Einbußen in kauf zu nehmen." (Fuchs 2009: 357-358) Ehe erscheint bei Fuchs als intervenierende Variable.
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ihrer jeweiligen Gottheit; häufiger ist jedoch ihr Einsatz mit geringerer Gewalt. In diesem Zusammenhang schreibt Reychler Religionsgemeinschaften strukturelle Gewalt zu, wenn sie ein autoritäres Regime unterstützen, sowie kulturelle Gewalt, wenn sie Denkpathologien festigen oder Kriege als heilig bzw. unbeilig bezeichnen. Selbst in ihrer Rolle als Zuschauer haben sie Gewicht: Auch sich zu enthalten, zu schweigen oder Neutralität zu bekunden sei eine Aussage; als Beispiel führt Reychler Papst Pius XII. und seinen Umgang mit den Nationalsozialisten an. 2I Schließlich können Religionsgemeinschaften als Friedensfcirderer handelo: Reychler unterscheidet dabei zwischen Peace-Building und PeaceMaking. Peace-Building wird von Religionsgemeinschaften betrieben, indem sie z. B. schwache Gruppen stärken (Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in der Dritteo Welt) und Friedensbewegungen durch gemeinsame Erklärungen oder theologische Begleitung aufWerteo. Religionsgemeinschaften können das politische und moralische Klima prägen, indem sie Kriege rechtfertigen, fiir Pazifismus eintreten, Menschen in ihrem Selbstbewusstsein stärken, Toleranz fOrdern oder humauitäre Hilfe leisten. Als Peace-Maker bezeichnet Reychler Religionsgemeinschaften, die im Ra10nen der traditionellen Diplomatie als Mediator tätig werden, Track-II-Diplomacr oder Field-Diplomacy''' betreiben (Reychler 1997). Als Stärken von Religionsgemeinschaften24 in der Beilegung von Konflikten identifiziert Weingardt, dass mehr als zwei Drittel der WeItbevölkerung eine Mitgliedschaft zu einer solchen unterhält, woraus er eine breit aufgestellte Empfänglichkeit fiir die Angebote von Religionsgemeinschaften ableitet (Weingardt 2007: 45). Religionsgemeinschaften sind in vielen Entwicklungsläodem die einzige funktionierende Institution oder ernstzuoelonende Opposition. Sie können Menschen mobilisieren, ihre Einstellungen veräodern und zu freiwilliger
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Ob Pius XII. tatsächlich nur die Rolle eines Zuschauers hatte. ist in der Forschungsliteratur allerdings umstritten. Verbeek weist auf eine sehr undiffe:re:nzi.erte Beurteilung von Pius XII. hin (Interview Verbeek 2010). Steinscbulte fiibrt die aktive Rolle voo Pius XII. an, der deot· sehen Militäropposition dabei behiltlich zu sein. in Verhandlungen mit England zu einem Waffenstillstand an der Westfront zu kommeo (Interview Steinschulte 2010). Als Track-ll-Diplomacy wird eine informelle Diplomatie bezeichnet, in der inoffizielle Vertreter aus Wissenschaft, Gesellschaft, KDltur, Militär oder sozialen Bewegungen in einen Dialog miteinander zur Kooflikthellegoog oder VertraueosI"orderoog treteo; dorch Kommordkatioo wird Verständois füreinander gefOrdert. Field-Diplomacy bedeutet, in Krisengebieten auch dann noch präsent zu sein., wenn das Militär abgezogen ist, langfristige Projekte auf lokaler Ebene zu unterstützen und z. B. mit psychologischer und spiritueller Hilfe Hassgefiihle in Freundschaft umzuwandeln bzw. Verzweiflung in Hoflhoog UlIlZUkehreo. Weingardt spricht voo •.religionsbasierten Akteuren".
Hilfe bzw. ehrenamtlichem Engagement anregen. Sie können bei sozialen Konflikten gerade dann als Vermittler auftreten, wenn der Staat selbst Teil des Konfliktes ist oder es ihm an Glaubwürdigkeit mangelt (Rubin 1994: 24). Religionsgemeinschaften können das Verhalten von Menschen durch Belohnung (indem Vorteile verschafft werden), Zwang (durch Drohung), Legitimität (die verliehen wird um jemanden dadurch zu erhöhen), die Herstellung von Beziehungen (z. B. zwischen Volk und Staatsfiihrung, Empfehlungen aussprechen), die Weitergabe von Informationen und Sachkenntoisseo, das Sprechen im Namen Gottes und durch die Reputation von religiösen Führern beeinflussen; sie können nicht selten auch finanzielle Unterstützuog leisten. Als weitere Vorteile von Religionsgemeinschafteo in der Konfliktvermittlung beurteilt Weingardt den wachsenden Bedarf an nichtstaatlicher Vermittlung (den diskreten Begegnungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit), den Vertrauensvorschuss in die gnten Absichten der Religionsgemeinschaft und den Respekt gegenüber dem religiösen Oberhaupt. Religionsgemeinschaften würden als glaubwürdig, unabhängig und gerecht gelten, da sie zunächst keine politischen oder finanziellen Interessen hätten (Weingardt 2007: 45-49). Als besonders wirkungsvoll hebt auch Weingardt hervor, dass Religionsgemeinschaften durch ihre Infrastruktur bis auf die lokale Ebene in der Regel immer bereits vor Ort sind und zwangsläufig eine gewisse Nähe zum jeweiligen Konflikt haben. HasencleverlRittberger weisen darauf hin, dass diese Präsenz auch nach dem Konflikt bestehen bleibt, so dass sie oder eine ihrer zahlreichen Unterorgaoisationen die Einhaltuog von Vereinbarungen überwachen und begleiten können (HasencleverlRittberger 2003: 134). In ihrer Vermittlung behandelo sie nicht nur den Konflikt selbst, sondern beschäftigen sich auch mit tiefer liegenden Aspekten wie Schuld und Vergebung, Hass und Verantwortung (Weingardt 2007: 48). Sie können ein Forum für Begegnungen herstelleo, Kommunikationskanäle öffnen und geöffnet halten sowie Kompromisse herstellen, bei denen alle beteiligten Parteien ihr Gesicht wahren können (HasencleverlRittberger 2003: 133-134). Johnston weist darauf hin, dass Religionsgemeinschaften einen sozialen Wandel in einem Konflikt dann am besten unterstützen können, wenn sie institutionelle Stabilität und moralische Autorität besitzen, Individuen zum Handelo motivieren können und gewaltlos vorgehen (Johnston 1994: 261). Als Problem von Religionsgemeinschaften in Konflikten markiert Weingardt ihre Fähigkeit, selbst zu Gewalt anstiften und Friedensprozesse blockieren zu können sowie sich zu defensiv zu verhalten. Weingardt bemängelt ihre bisweilen ungenügende Kooperationsbereitschaft gegenüber anderen Religionsgemeinschafteo, ihr bisweilen defizitäres Wissen über versiertes Konfliktmanagement sowie finanzielle und personelle Engpässe, die eine professionelle 39
Arbeit und öffentliches Aufueten verhiudem. Der Autor weist ferner darauf hin, dass religiöse Biudung iu manchen Gesellschaften abnehmen und Religionsgemeinschaften deshalb an Beachtong verlieren oder iu der Gefahr stehen, missbraucht zu werden (Weiugardt 2007: 46, 49-50). Zusammenfassend kann deshalb mit Hildebrand von eiuer ,,Ambivalenz des Sakralen" gesprochen werden: Religionsgemeinschaften können Heil und Verderben briugen. Sie iutegrieren die Menschen, können andere aber auch ausschließen (Hildebrand 2007: 3-4). Sie können einen positiven Effekt auf Regieruogen haben, diese können Religionsgemeiuschaften aber auch missbrauchen, indem sie z. B. Glaubensuoterschiede iustrumentalisieren (Hasenclever/Juan 2007: 11).
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A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
anderen kirchlichen Würdenträgern aus aller Welt (Waschkuhn 1999: 710).27 Der Vatikan ist ein Völkerrechtssubjekt auf der Grundlage von Verträgen mit Italien und internationalen Organisationen. Er verfügt über ein Staatsgebiet, Staatsvolk sowie eine Staatsgewalt und erfüllt damit die drei von Georg Jellinek aufgestellten Kriterien für Staatlichkeit (Jellinek 1929: 426_427);28 er ist der geistige und verwaltungstec\mische Mittelpunkt der katholischen Kirche. Sein Hauptziel ist die Verbreitung des Glaubens (Waschkuhn 1999: 711); er ist dem Heiligen Stuhl zu- und untergeordnet (Raffel 1960: 109). Der Heilige Stuhl ist die Bezeichnung, unter der das Oberhaupt der katholischen Kirche nach CIC, can. 361 (mit oder ohne Römische Kurie) völkerrechtlich auftritt: Der Papst, der mit seiner Person den Heiligen Stuhl mit dem Vatikan verbindet, steht als Souverän mit anderen Staaten und internationalen Einrichtungen in Kontakt und baut diplomatische Beziehungen auf (Kuh! 2004: 32; Mayr-Singer 2000: 193). Der Heilige Stuhl ist Mitglied und Beobachter bei internationalen Einrichtungen.29 Dass der Heilige Stuhl (bzw. der Papst) ein 27 28
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42
Unter den im Vatikan lebenden Staatsangehörigen befinden sich auch Ehepaare, so dass Benz für das Jahr 1988 auf eine Geburtenrate von 0,4 Prozent hinweist (Benz 1993: 17). Dennoch wird aeine Staatlichkeit immer wieder in Frage gestellt (Rotte 2007: 57-60). Die Staatsgewa1t ist im Vatikan gegeben und sorgt dabei für weniger Zweifel an der Staatlicbkeit als vielmehr der Zustand der vatikanischen Bevölkerung: Häufig wird angefiiln1:. dass es keine Geburten gebe und die vatikanische Staatsbürgerschaft nur an Würdenträger bzw. mit einem
Amt verliehen wird. Dem muss entgegengehalten werden, dass z. B. Deutschland seine Staatlichkeit ebenso wenig verlieren würde, wenn die Geburtenrate gegen Null tendieren sollte und sich das Fortbestehen des Landes nur über Einwanderung gewährleisten ließe; Einwanderer sind nicht weniger stQQtsbildend als einheimische Bürger (wie die USA als Einwanderungsland zeigen). Auch die Größe des Vatikan ist kein Kriterium. um seine Staatlichkeit zu bestreiten: Es gibt eine Reihe von Zwergstaaten, die vollständig akzeptiert sind (Wascbkoim 1999). Unabhängig von dem Abwägen und Aofrechnen der einzelnen Kriterien ist darauf hinzuweisen. dass der Vatikan wie ein Staat behandelt wird. so dass sämtliche Zweifel letztlich durch die normative Kraft des Faktischen hinfällig werden: Der Kirchenstaat ist bis 1870 ein souveräner Staat. und diese Idee überträgt sich (zudem der Vatikan bzw. die Leonische Stadt nie in anderen Händen als in denen des Papstes war) auf den Vatikan. Der Heilige Stuhl hat einen Beobachterstatus bei folgenden Organisationen: UN (United Nations Organization, New York), UNOG (United Nations Office in Geneva), UNOV (United Nations Office in Vienna), FAO (United Nations Food and Agricu1ture Organization, Rom), ILO (International Laboor Organization, Genf), WHO (World Hea1th Organization, Genf), UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultura1 Organization, Paris), UNIDO (United Nations Indostrial Development Organization, Wien), IFAD (International Fund ror Agricu1tura1 Development, Rom), UNWTO (World Tourist Organization, Madrid), WMO (World Meteorologiea1 Organization, Genf), wro (World Trade Organization, Genf), UNDP (United Nations Development Program, New York), UN-HABITAT (United Nations Centre for Human Settlements, Nairobi), UNEP (United Nations Environment Prognonme, Nairobi), WFP (World Food Programme, Rom), CIEC (International Connnission on Civil Status, Strasborg), CE (Cooncil ofEurope, Strasborg), OAS (Organization of American States, Wash-
Völkerrechtssubjekt ist, resultiert aus eiuer Zeit, in der Herrscher für ihre Person Rechtssubjektivität beanspruchen (Mayr-Siuger 2000: 193). Der Apostolische Stuhl bezeichnet innerkirchlich das römische Bistum, aus dem der Papst die katholische KITche mit weltweit über I, I Milliarden Katholiken leitet. Mit dem Apostolischen Stohl ist immer der Papst als Nachfolger des Apostels Petrus gemeiut, die oberste Autorität der Weltkirche, oder die Instanzen, die im Namen des Papstes innerkirchlich auftreten (Neale 1998: 103; Kuhl 2004: 28-30). Der Begriff Römische Kurie benennt nach kanonischem Recht den Komplex der Zentralorgane des Heiligen Stohls, die den Papst bei der Generalregierung der katholischen KITche unterstützen; sie dienen dem Papst, haben aber keiue von ihm unabhängige Autorität (Matlary 200 I: 81). Obwohl die katholische KITche und der Heilige Stohl untrennbar miteiuander verbunden sind, stellen sie zwei voneiuander zu unterscheidende Rechtssubjekte dar. In der Forschungsliterator taucht die Fmge auf, ob auch der Heilige Stohl und der Staat der Vatikanstadt voneiuander zu trennen sind. Die monistische Theorie bestreitet dies, die dualistische fiihrt rechtliche und historische Griiude für eine Trennung an (Raffel 1960: 12_13).'0 Diese Arbeit nimmt für sich in Anspruch, dass eiue solche Unterscheidung zwar von rechtswissenschaftlichem Interesse seiu mag, in der politikwissenschaftlichen Analyse jedoch für den Fall vernachlässigt werden kann, der die iuternen Abläufe in dem ington). Der Heilige Stuhl ist Mitglied im UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugeea, Gent), UNCTAD (United Nationa Conference on Trade and Developmen~ Gent), WIPO (World Intellectua1 Property Organization, Gent), IAEA International Atontic Energy Agency, Wien), OPCW (Organization for 1he Prohibition of Cbentical Weapona, Den Haag),
CmTO (Preparatory Commission for the Comprehensive Nuclear-Test Ban Treaty Organization, Wien), ICMM (International Connnittce of Military Mcdicine, Brüssel), INTOSAI (International Organization of Supreme Audit Institutiona, Wien), OSCE (Organization for Sccurity and Co·operation in Europe, Wien), LAS (League of Arab States, Kairo), UNIDROIT (In-
ternational Institute ror the Unification of Private Law, Rom). Der Heilige Stuhl ist Gast bei der AU (African Union, Addis Abeba), AALCO (Asian-African Legal Conaultative Organiza· tion, Neu Delhi), UL (Latin Union, Paris). Der Staat der Vatikanstadt ist Mitglied bei fol-
genden Organisationen: UPU (Universal Pasta! Union, Bem), !TU (International Telecommunication Union, Gent), !GC (International Grains Counei~ London), ITSO (International Tel.,.
30
cororounications Satellite Organization, Washington D.C.), EUTELSAT lGO (Europcan Tele· cororounication Satellite Organization, Paris), CEPT (Europcan Confcrence of Pasta! and Telecororounicationa, Kopcobagen), USA (International Institute of Administrative Seiences, Brüssel) (Stand 22.10.2009) (Vatikan 2009). So ergeben sieb drei eigenständige Völkcrrcchtssubjekte: die ka1holisehe Kirche als die einzige Religionagemeinsehaft, die als Völkcrrcchtssubjekt anerkaont is~ der Heilige Stuhl als nicbt-gebietsmäßige internationale Rechtsperaönlicbkeit (Faber 1968: 112; Wu1he 2002: 17, 22); der Vatikan als ein Rcehtsgebilde, das in der Nachfolge des 1870 aufgelösten Kirchenstaates steht und die Unabhängigkeit des Papstes garantiert (Faber 1968: 112; Rood 1993: 21).
43
Gebilde aus katholischer KircheNatikanlHeiligem Stuhl zusammenfasst und als eine Black Box unberücksichtig lässt.
3.1.2
Historischer Abriss
Der Heilige Stuhl tritt seit dem 5. Jahthundert als Vermittlungsinstanz in Erscheinung (Müller 1927: 36) und unternimmt seit dieser Zeit diverse diplomatische Missionen: als Schiedsrichter bei Thronstreitigkeiten (z. B. Dänemark/Norwegen im 13. Jahthundert) oder Grenzkonflikten (z. B. SpanienlPortugal 1494) sowie als Vermittler bei der Beendigung des Dreißigjährigen Kriegs (Rotte 2007: 24,29). Müller zählt für den Zeitraum zwischen 1598 und 1917 insgesamt 32 Friedensaktionen des Heiligen Stuhls und nennt ihn ,,die
erste ständige Vermittlungsinstanz der Völker, welche die Weltgeschichte kennt. ( ... ) Als Friedensstifter Europas ist der ID. Stuhl zum Retter ganzer Länder geworden." (Müller 1927: 35-36,44-50, H. i. 0.) Ab dem 17. Jahthundert wird es um den Papst als schiedsrichterlicher Instanz ruhiger." Der seit dem 8. Jahthundert bestehende Kirchenstaat zerbricht 1870,32 nachdem die französischen Truppen, die ihn zuletzt beschützt haben, wegen des Kriegs mit Deutschland abgezogen werden (Rink 1997: 36). Die italienische Armee stiirmt nach der Ausrufung des Königreichs Italien den Vatikan, und der Papst, der über Jahthunderte den Monarchen die göttliche Legitimation verliehen hat und für die "letzte Bastion einer alten Weltordnung" (Ring-Eifel 2004: 10) steht, verliert
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..Bis ins 17. Jahrhundert erscheint der Apostal. Nuntius fast regelmäßig auf den Friedenskongressen an der Spitze vermittelnder, neutraler Mächte. Zuletzt Nuntius Luigi Bevilacqua auf dem Kongresse zu Nijmegen an der Spitze der Bevollmächtigten Englands (167m8). ( ... ) Seit dem 17. Jalnhundert, seit den Kongressen zu Nijmegen und Ryswick. ist die völkerrechtliche Wrrksamkeit des Papstes als Schiedsrichter und Vermittler ganz zurückgetreten, we Schiedssprechung überhaupt ( ... ) bis zum ersten päpstlichen Schiedsspruche der neoesten Zeit, nämlich dem Schiedsspruche Papst Leos XIII. fiir Haiti und San Domingo wegen der Auslegung der Vertragsldausel (1895)." (Müller 1927: 39, H. i. 0.) Als Grüude fiir dss einset· zende Desinteresse an einer päpstlichen Vermittlerrolle gibt Müller zum einen den ,,Fanatismus der Staatssouveränität" der Fürsten und deren Unwille an, sich einem Rechtsverfahren beugen zu wollen, zum anderen die Trennung der Christenheit im. 16. Jahrhundert, die zu einer "Desorganisation Europas" geführt hebe (Müller 1927: 39-40). Emich benennt ergänzend fiir den Machtverlust der Päpste deren militärische Schwäche: Die Armee des Kirchenstaates wird wegen finanzieller Schwierigkeiten schon Anfang des 17. Jahrhundert aufgelöst (Emich 2007:
32
Zu diesem Zeitpunkt erstreckt sich sein Tenitorium von Mittelitalien bis Ravenna (ca. 18000 km') mit einer Bev6lkerong von über 3,12 Millionen (Faber 1968: 14; Dorn 1989: 16).
40; Rotte 2007: 31).
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seine weltliche Herrschaft. 33 Ist der Kirchenstaat bis zu diesem Zeitpunkt selbst ein politischer und militärischer Machtfaktor (Rauch 2005: 41), lebt der Papst nun für die nächsten knapp 60 Jahre "wie ein Gefangener". Seinen moralischen Anspruch als Kirchenoberhaupt gibt er jedoch nicht auf, was ihm Respekt bei Anhängern und Gegnern einbringt. Schon während des Ersten Weltkriegs erwirbt Benedikt XV. durch seine Friedeusbemühungen Anerkennung für den Heiligen Stuhl; der Papst wird wieder zu einer "von allen Seiten gesuchten Iustanz" (Ring-EifeI2004: 10,62). Nach über 50 Jahren spendet Pius XI. nach seiner Wahl 1922 erstmals wieder einen öffentlichen Segen und macht die Lösung der Römischen Frage augenfällig. Die politische Lage in Italien begünstigt einen Neubeginn: Benito Mussolini sucht nach seinem Amtsantritt für sein Pmjekt einer faschistischen Gesellschaft internationalen Respekt durch die Beendigung der inneritalienischen Spaltung (Ring-Eifel 2004: 67). Das Resultat dreißigmonatiger Verhandlungen ist eine staatliche Konstruktion bestehend aus zwei Teilen, die bis heute gültig ist: Der Heilige Stuhl mit dem Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche wird als eigenständiges Völkerrechtssubjekt mit dem Recht auf diplomatische Beziehungen anerkannt; dem Staat der Vatikanstadt wird auf 0,44 km' mit eigener Verwaltung eine staatliche Basis garantiert. Zusätzlich erhält der Papst eine Entschädigung von 1,75 Milliarden Lire.34 Am 11. Februar 1929 besiegeln die Lateranverträge die wiederhergestellte Souveränität, und daa faschistische Italien erfährt die "enorme politische Aufwertung", die es gesucht hat (Rink 1997: 38). Die Lateranverträge" sichern dem Heiligen Stuhl die territoriale Garantie seiner absoluten und sichtbaren Unabhiingigkeit (Raffel 1960: 121), die jedoch keine notwendige Voraussetzung für seine Souveränität ist. Das Territorium ermöglicht vielmehr praktische Funktionen, wie die Unterbringung und Erhaltung des kultorellen Erbes des Papsttums (Waschkuhn 1999:
33 34
Die Erstürmung des VatikJm findet zwei Monate nach Beendigung des Ersten Vatikanischen Konzils statt (Shelledy 2009: 20). Diese Summe wird als der Grundstein :für das heutige Vermögen des Vatikan gewertet (RingEifeI2004: 68).
35
Die Lateranverträge bestehen aus einem Versöhnungsvertrag (27 Artikel, die die volle Souveränität des Heiligen Stuhls, des Papstes und des VatikJm anerkenoeo; der Heilige Stuhl erklärt seine Neutralität), einer finanziellen Übereinkunft (drei Artikel, in denen sich der italienische Staat bereiteddärt, dem Heiligen Stuhl 750 Millionen Lire in bar und Schuldacheine mit einem Nominalwert von einer Milliarde Lire zu zahlen; der Heilige Stuhl verzichtet im Gegenzug auf weitere Ansprüche aus seinem 1870 annektierten Tenitorium) und einem Konkordat (45 Artikel, die das Zusammenleben von italienischem. Staat und katholischer Kirche regeln) (Melnyk 2009: 10-12).
45
711). So ist der Vatikan vor allem das Symbol für die Unabhängigkeit des Heiligen Stohls.
3.1.3
Das politische System der letzten absolutistischen Monarchie Europas
Der Staat der Vatikanstadt ist definiert als Wahlmonarcbie unter der Hoheit des Papstes. Die Verwaltung des Staates delegiert der Papst ao den Kardinalstaatssekretär, von 1991 bis 2006 Angelo Kardinal Sodaoo, seit 2006 Tarcisio Kardinal Bertone. Er kann als eine Art Prernienninister verstaoden werden, da er in Angelegenheiten weltlicher Souveränität alle Vollmachten besitzt; ihm untersteht das Staatssekretariat. Die Regierung liegt in den Händen der Päpstlichen Kommission, die aus sieben Kurienkardinälen besteht; sie werden vom Papst fiir jeweils fiinf Jahre emannt. Mit der Römischen Kurie entsteht ab dem 4. Jahrhundert ein Verwaltungsapparat parallel zur Vormachtstellung des römischen Bischofs (Leist 1971: 139); sie beschäftigt etwa 3000 Menschen" (Waschkuhu 1999: 711) und besteht in ihrem pyramideartigen Aufbau aus: dem Staatssekretariat als Ausfiihrungsorgao des Papstes und zur Koordinierung der Kurie mit erster Sektion (zuständig fiir die täglichen Arbeiten im Dienst des Papstes, die Leitung der Ortskirchen, Veräffentlichung aller Dokumente des Heiligen Stohls) und zweiter Sektion (zuständig fiir die diplomatischen Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen); neun Kongregationen (darunter auch die einflussreiche Kongregation fiir die Glaubenslehre zum Schutz und zur Förderung der Glaubens- und Sittenlehre in der ganzen katholischen Kirche); drei Tribunalen der Apostolischen Pönitentiarie (zuständig für den Gewissensbereich), dem Obersten Gerichtshof der Apostolischen Signatur (höchstes Gericht der Römischen Kurie, Berufungsinstanz, juristische Verwal-
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Andere Quellen sprechen von 4 6004 800 Beschäftigten Iür den Heiligen Stuhl und den Vatikan (Auswärtiges Amt 2010; Reese 1998: 290). Verbeek maeht auf die - in Relation zur Aufgabe - dünne Personaldeeke auJinerksam: Wahrend seiner Zeit als Botaebafter beim Heiligen Stuhl besteht der Stab im Staatssekretariat tür die Ostpolitik. aus zwei Personen (Interview Verbeek 2010). Im Hinblick auf die Arbeitsweise der Römischen Kmie hebt Steinschulte einen :für die weitere Untersuchung wichtigen Aspekt hervor. .,Berücksichtigt werden muss auch
die geographische Lage des Vatikan: In Italien ist die Wahmehm:ungsschwelle sehr hoch; die Italiener sind es gewohnt, dass Themen schnell wieder vom Tisch sind; das öffentliche Leben ist bunter, greller als bspw. in Nordeuropa. Diese italienische Wahmehmungsschwelle überträgt sich zwangsläufig auch auf deo Vatikan und die dort arbeitenden Meoschen." (Interview Steinschulte 2010, H. i. 0.)
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tung) und der Römischen Rota (für Rechtsfragen in gerichtlichen Verfahren);37 elf Päpstlichen Räten und drei Büros der Apostolischen Kammer, der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls und der Präfektur für wirtschaftliche Angelegenheiten. Komplettiert wird die Römische Kurie durch die Präfektur des Päpstlichen Hauses und das Amt für liturgische Feiern (Re 1995: 437438). Verteidigung und Schutz übernehmen die Schweizergarde" und die Zivilgarde des vatikanischen zentralen Sicherheitsamtes.'9 Im Vergleich mit modernen Regierungen gibt es weder ein regelmäßig tagendes Kabinett noch eine von den präfekten und Präsidenten der Dikasterien getragene kollegiale Gesamtverantwortung.40 Die Ressortchefs arbeiten weitge37
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Gegenstand des Gerichtssystems ist das kanonische Recht (CIC), das aus Sammlungen aller kirchlichen Gesetze und Erlasse zu Fragen des Glaubens, der Moral und der kirchlichen Disziplin besteht, ferner Apostolische Konstitutionen sowie Gesetze und Verordnungen des Papstes. Nur Anwälte mit bestimmter Qualifikation (z. B. nur promovierte Juristen oder Inhaber eines Lehrstuhls) dürfen vor Gericht auftreten (Raffe11960: 117). Eine Judikative in demokrati· schem Sinne gibt es jedoch nicht: Vor Machtmissbrauch schützt nach Auffassung der Kirche die Verantwortung vor Gott bzw. das Jüngste Gericht Wie di:ffizi.l sich der Versuch gestaltet, im. vatikanischen Gerichtswesen sein Recht einzuklagen, verdeutlicht das Zitat eines amerikanischen Professors für kanonisches Recht: ,,Praktisch gibt es kein juristisches System in der Kirche, das deine Rechte schützt. Wenn zu mir Leute kommen, frage ich sie immer, ob sie bereit sind. riesige Kosten auf sich zu nehmen, Jahre zu warten und vielleicht sogar nach Rom zu reisen. Normalerweise lassen sie ihren Plan dann fallen." (Anonymus zit. in: Reese 1998: 157) Der Papst kann sich zu jeder Zeit in ein Gerichtsverfahren einschalten oder Urteile aufheben. Die Reta basiert auf einer Geschäftsuninung, die ihr Johaones XXII. 1331 gibt, und ist damit der älteste Gerichtshof der Welt (Faber 1968: 94; Leist 1971: 322). Die Schweizergarde ist das älteste stehende Heer der Welt und mit dem Verfhl1 der Ritterheere im Spätmittelalter in zahlreichen Staaten anzu1reffi:n. In Frankreich umfusst ihre Truppenstärke Ende des 18. Jahehunderts noch ca. 15000 Mann. Als erster Papst beauftragte Julius IL 1505 die Schweizergarde als seine Palast- und Leibwache, um sich vor der Familie seines Vorgängers (Alexander VI) zu schützen (Faber 1968: 121). 1825 wird der Auftrag von Leo Xll. mit Luzern erneuert. Hinzu kommen Institutionen" die mit dem Heiligen Stuhl verbunden sind: das Vatikanische Geheim.archiv, die Vatikanische Apostolische Bibliothek. die Päpstliche .Akademie der Wissenschaften, die Vatikanische Polyglott-Druckerei. die Vatikanische Verlagsbuchhandlung, der L'Osservatore Romano, Radio Vatikan. das Vatikanische Femsehzentrum. die Dombauhütte von St. Peter, der Päpstliche Wohltätigkeitsdienst, das Konsisturium und der Pressesaal (Benz 1993: 21). Darin gleicht der Vatikan der Kabinettsregierung der USA: Hier gibt es einen übermächtigen Präsidenten, der sich von Räten und Ressortchefs beraten lässt Es gibt keine Minister, sondem Staatssekretäre; die Letztentscheidung liegt immer beim Präsidenten. Die Administration arbeitet nach Sach· und Facbgesichtspunkten ohne eine vennittelnde kollegiale Regierungsstruk!ur (Meier 2001: 148, 153-154). Beim Heiligen Stuhl kommt die geringe Zahl des Führungspersonals durch die Bündelung von Zuständigkeiten in "Superrninisterien" hinzu. Kallscheuer sieht darin eine reibungslosere Führung der Weltkirche, aber auch die Gefahr der unzureichenden Kritikfiihigkeit (Kallscheuer 2005: 10).
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hend unabhängig voneinander und - wie Kallscheuer vermutet - bisweilen wohl auch gegeneinander (Kallscheuer 2003: 534). Wie die Parteigrößen im politischen System der früheren So~etunion wirken Kardinäle und hohe Kurienbeamte über viele Jahre in diversen Kongregationen und Kommissionen; trotz der von Paul VI. eingeführten Altersschranken spielen sie häufig bis zu ihrem Tod eine gewichtige Rolle innerhalb der Kurie (Hanson 1987: 91). Die Auffassung des Heiligen Stuhls von Politik spiegelt sich nicht in der Dauer einer Legislaturperiode, sondern in der Konzentration darauf wider, was das Jahrhundert an Entwicklungen bewegt. Der Vatikan betrachtet seine eigene Regierungsform jedoch nicht als Modell fiir andere Staaten (Reese 1998: 27).
3.1.4
Das Papstamt
Nach dem 26jäbrigen Pontifikat von Johannes Paul II.41 ist seit dem 19. April 2005 Benedikt XVI. das Oberhaupt der katholischen Kirche und des Vatikan. Er ist wie in präsidentiellen Demokratien Staatsoberhaupt und Regierunrschef in einer Person. Seine Stellung ist jedoch einzigartig (Reese 1998: 38).4 Er wird im Konklave von Kardinälen gewählt43 und ist der letzte absolutistische Herrscher Europas (Nichols 1969: 165; Ryall 1998: 32); in der Nachfolge des Apostels Petrus als Bischof von Rom ist er der Stellvertreter Jesu Christi auf Erden. Dieser Umstand beschert ihro eine "unbeschränkte Machtfiille" (Renner 2005: 284); bei ihro liegt das Herrschaftsmonopol als gewähltem Monarchen kraft der ihro durch die vatikanische Verfassung zugesprochenen Rechte (Johannes Paul II. 2000). Er wird durch die Weltanschauung der katholischen Kirche zu einer legitimierten Institution. Der Papst besitzt die Vorrangstellung in Fragen der Lehre und Disziplin; die Struktur des Vatikan unterliegt seinem unmittelbaren Eingriff als allein entscheidender, unbeschränkter und höchster Instanz von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung (Raffel 1960: 110; Johannes Paul Ir. 2000). Da die Verfassung keine Gewaltentrennung kennt, handeln alle Beauftragten der päpstlichen Gewalt nach delegiertem Recht; de jure kann der Papst jedes Amt selbst ausüben (Faber 1968: 26; Waschkuhn 41
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Johannes Paul 11. ist der erste Nicht-Italiener seit IIadrian VI. der 1522-1523 regiert (Coppa 2008: 183). Dorn zieht das Fazit: ,,Er [sc. der Papst] ist [ein] völlig souveräner Staatschef, ja der Staat ist sogar sein persönliches Eigentum." (Dorn 1989: 9) Zu dem gleichen Ergebnis kommt Faher (Faber 1968: 20). Urbao VI (1378-1389) ist der letzte Paps~ der bei seiner Wahl zum Papst nicht dem Kardina1skollegium aogehört (Coppa 2008: 3).
1999: 710; Neuvecelle 1955: 37). Das Kardinalskollegium und die Bischofssynoden haben nur beratenden Charakter; ihre Mitglieder schwören dem Papst bei ihrer Ernennung den Untertaneneid.44 In seiner Doppelfunktion als Oberhirte der katholischen Kirche und vatikanisches Staatsoberhaupt kontrolliert er einen Großteil des kirchlichen Geschehens bis auf die Ebene von Pfarreien (Raffel 1960: 110; Reese 1998: 9). Er kann begnadigen, befreien, Amnestien aussprechen und jeden Verwaltungsakt widerrufen, sobald er ihm nicht mehr zweckmäßig erscheint (Johannes Paul Ir. 2000: Art. 19; Raffel 1960: 112). Diese Machtfülle lässt sich mit wenigen Worten zusammenfsssen: Nur der Papst selbst setzt sich Grenzen (Kallscheuer 2005a: 9); nach der katholischen Theologie gibt es auf Erden keine höher Gewalt als seine (Leist 1971: 322). Im Verständnis der katholischen Kirche kann er nur durch die Tatsache, weder einer Person noch einer Institution unterstellt zu sein, ,,richtig arbeiten" (Uertz 2005: 16). Doch dies wird genau dann zu einem Problem, wenn der Papst im Alter seine Zurechnungsfähigkeit verlieren sollte. Dann befände sich der Heilige Stuhl in einer Krise, da das Instrument der Amtsenthebung nicht vorhanden ist (Reese 1998: 103);45 der Römischen Kurie stehen nur im Zeitraum der Sedisvakanz begrenzte Rechte zu. Neben seiner Funktion als Staatsoberhaupt und Religionsfiibrer sind seit dern Pontifikat von Johannes Paul Ir. die Rollen des Idols und des Privatmenschen hinzugekommen: Jugendliche feiern den Papst wie einen Star; in den Medien wird dies entsprechend aufbereitet, und das Interesse, ihn als Person darzustellen, ist gewachsen (Hepp/Krönert 2009: 155, 156, 160).46
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Das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt das Recht des Papstes, die Kirche alleine zu regieren (Leist 1971: 317). Benedili XVI unterstreicht jedoch, dass er nicht als abscluter M.,. narch regiert. sondern auf die Mitarbeit der Bischöfe angewiesen ist Er betrachtet sich (im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils) als ,,Erster im Miteinander" (Benedili XVI. 201 Ob: 93). Steinschulte führt aus, dass der Papst nicht ,,Herr über den Glauben" ist, ihn also weder neu erfinden noch verändern darf. Der Papst ist nach katholischer Auffassung der Garant dafür, dass der Glaube der Apostel die Geschichte hindurch weitergegeben wird, "ohne ein Iota zu verändern"; der Papst äußert also nicht seine Privatmeinung, wenn er den katholischen Glauben verkündet, sondern spricht aus dem. tradierten Glauben der Weltkirche und formuliert diesen sowie die daraus sich ergehende Morallehre (Interview Steinschulte 2010). Gregor XII. (1406-1415) ist der letzte Papst, der zurück1ritt (Coppa 2008: 197). HepplKrönert weisen darauf hin, dass jede noch so banale Information., wie z. B. der Besuch des Papst-Bruders in Castel Gandolfo und die Frage, ob man sich auf Bayerisch unterhalten würde, herichtenawert erscheint.
49
3.1.5
Der Verzicht aufMenschen- und Bürgerrechte zugunsten einer höheren Effektivität
Der Herrschaftsanspruch gegenüber den vatikanischen Staatsbürgern ist unbegrenzt. Der Papst kann jede Entscheidung treffen; sie ist per se von der Verfassung legitimiert, die sich darauf beruft, dass z. B. im Fall von Benedikt XVI. nicht Joseph Ratzinger Entscheidungen trifft, sondern durch ihn Jesus Christus. Bürgern, die ihren Gehorsam verweigern, droht der Verlust des Arbeitsplatzes und der vatikanischen Staatsbürgerschaft. Papst Johannes Paul 11. unterstreicht in seiner Antrittsenzyklika REDEMPTOR HOMINIS die Menschenrechte und betont die unverletzliche Würde jedes einzelnen Menschen (Johannes Paul II. 1979a: 3741). Dabei geht es ilnn jedoch nicht um eine Vie1zabl von Rechten, sondern um die integrale PersonenWÜTde, die auch die Pflichten jedes Einzelnen benennt. Slangl sieht darin den in der Demokratiediskussion verschwundenen Begriff der Brüderlichkeit (neben Freiheit und Gleichheit) wieder aufgenommen (Slangl 1985: 158). Diese Brüderlichkeit rechtfertigt im Verständnis des Vatikan, dass manche Grundrechte nur indirekt oder erst gar nicht verliehen werden (Raffel 1960: 120); das Grundgesetz des Vatikan erwähnt Bürger- und Grundrechte jedenfalls mit keinem Wort (Barz 2004: 508).47 Die schwache Rechtsstellung des Bürgers relativiert der Heilige Stuhl mit dem Hinweis darauf, dass sich 47
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So darf das im Vatikan befindliche Eigentum nur mit Genehmigung verkauft oder vererbt werden. Der Vatikan ist eine Staatswirtschaft ohne Privateigentum im herkömmlichen Sinn. Der Handel mit Verbrauchsgütern ist dem. Staat vorbehalten. Kein Geschäft und kein Büro dürfen ohne die Genehmigung der Kmie unterhalten oder gegründet werden. Auch die Ausübung eines Berofs ist lllIr nsch vorheriger Bewilligung gestattet (Köck 1975: 157). Der Han· del mit Schriften in der Öffentlichkeit ist untersagt (Pressefreiheit ist nicht eimnal marginsl vorhanden, allerdings ist die Einfuhr externer Publikationen nicht verboten, so dass die Möglichkeit besteht. sich mit Informationen zu versorgen, die nicht vom Staatssekretariat zensiert worden sind), ebenso wie die freie Meinungsäußerung, denn die Erlaubnis von Kritik: am. Staatsoberhaupt würde das gesamte System der katholischen Kirche in Frage stellen (Hörner 1995: 36). Schon bei geringen Vergehen, wie z. B. dem Zuspätkommen zum Dienst oder dem. unerlaubten Tragen von Wsffen, können hohe Strafen verhängt werden (Köck 1975: 157). Gewerkschaften sind nicht zugelassen, was der Heilige Stoh! demit begründet, dass diejenigen, die fiir den Papst arbeiten. keiner Interessenvertretung zum Schutz vor dem Arbeitgeber bedürften; darüber hinaus gebe es keine Spannuogen zwischen Kapital und Arbeit, ds lllIr Güter geistiger und nwralischer Art produziert würden (Benz 1993: 103-104). In dieser Folge ist die 1979 gegründete Vereinigung der vatikanischen Arbeitnehmer im Laienstand ADLV illegal, wird aber nicht strafrechtlich verfolgt Die Ablehnung von Plurslität verhindert jeglicbno Min· derheitenschutz. Kardinäle mit vatikanischer Staatsbürgerschaft haben Residenzpflicht und dürfen das Staatsgebiet nur mit Erlaubnis des Papstes verlassen. Es gibt keine Institution, die die Regierungspolitik von Wählerstimmen oder snderen Ausdrucksformen der BürgeTpräferenzen abhllngig macht.
jeder vatikanische Einwohner freiwillig in der Zugehörigkeit zu diesem Staat befindet und zu jeder Zeit das Recht hat, aus seinem Dienstverhäl1nis auszuscheiden (Raffel 1960: 124). Dies verlangt den Bürgern ein hohes Maß an Gehorsam ab, der nach Auffassung des Heiligen Stohls aber nur dano einen Wert besitzt, wenn er freiwillig geleistet wird: Hier zählt der wichtigste Grundsatz der christlichen Morallehre, nach dem jeder Mensch nur nach dem eigenen Gewissen und in Freiheit handeln darf (Neuvecelle 1955: 39). Entschließt sich eine Person also zum Dienst in der Kirche bzw. im Vatikan, akzeptiert sie da1nit die Forderung von Papst Johannes Paul Ir., dass das Gemeinwohl der Gesellschaft Vorrang vor Einzelinteressen hat (Casaroli 1981: xvi). Gemeinwohl wird dabei als Entfaltong und Verwirklichung aller im Menschen angelegten Möglichkeiten und Fähigkeiten in der Gemeioschaft definiert (StanglI985: 77-79). Zusammenfassend muss der Vatikan deshalb als eine Behörde verstanden werden, in der man - unabhängig von seiner spirituellen Disposition - seinem Vorgesetzten Folge zu leisten hat. Das Besondere dieser Behörde liegt darin, dass sie gleichzeitig ein Staat ist. Dem Bürger bleibt die ernüchternde Feststellung, dass er seinen Arbeitgeber wechseln und sich zu einer anderen Lebensweise entschließen muss, sofern er sich mit dem Preis, den er fiir seine vatikanische Staatbürgerschaft zahlt, nicht arrangieren kann." Die Rechte und Partizipationsmöglichkeiten der Gläubigen in der katholischen Kirche gestalten sich in ähulicher Weise (weshalb sie bereits hier und nicht erst in Kapitel 3.2 behandelt werden könoen): Da die katholische Kirche ein Ziel verfolgt, das ihr von Gott vorgegeben ist, kann es keine Berucksichtiguog des Volkswillens geben. Von den Gläubigen wird erwartet, dass sie gemäß ihrer Bezeichnung glauben und vertrauen.'9 Wie die Querelen um den Regensburger Bischof Müller im Jahr 2006 beispielhaft zeigen, sind Gläubige gegenüber der Kirchenfiihrung nahezu machtlos. '0
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Faber zieht das Fazit: ,,Das Wesen dieses Staates heißt Unterordnung unter den Papst und seinen ihm von Christus verliehenen Auftrag, Oberhaupt der Kirche zu sein. Deshalb regiert der Papst über den Staat wie über einen Privatbesitz; über die Einwohner wie über Dienstmannen; über die Organe, die er selbst geschaffen hat und die deshalb allein von ihm abhängig sind; über die Gesetze, die nur einen Wert haben, solange sie dem. letzten Zweck dienen." (Faber 1968: 26) "Der Glaube der Kirche gebt dem Glauben des einzelnen voraus, der aufgefordert wird, ihm zuzustinnnen." (Katechismus der Katholischen Kirche 1993: 1124) Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller löst zum ersten Advent 2006 das gewählte oberste Laiengremium auf und ersetzt es durch einen Diözesanpastoralrat, dessen Mitglieder er selbst ernennt. Ebenso löst er die 33 Dekanatsräte auf und beschneidet die Kompetenzen der über 700 PfinTgemeinderäte der Diözese (Thym 2006: 12).
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Kardinal Ratzinger vergleicht die katholische Kirche mit der Judikative in der demokratischen Gewaltenteilung: Entscheidungen in der katholischen Kirche seien in ähnlicher Weise dem Mehrheitsprinzip entzogen, da es um moralische Grundworte gehe; von den Gläubigen werde deshalb Gehorsam und Disziplin verlangt. Diese Strenge, die manche Menschen dazu verleite, von Droh-Botschaft statt Froher Botschaft zu sprechen, erklätt Joseph Kardinal Ratzinger wie folgt: Eine leitende Funktion in der Kirche inne zu haben, bedeute, Diener zu sein und zu tadeln, wenn man Vernachlässigung bemerke. Dies geschehe jedoch nicht zur Drangsalierung. Herrschaft werde nicht als Hierarchie im Sinne eines Beherrschtwerdens verstanden, sondern als Schicksalsgemeinschaft mit dem Herrn, der den Jüngern die FUße wasche und sie damit tischfähig für die Tischgemeinschaft mache. Schließlich stehe die Kirche - und in ihrem Dienst der Vatikan - in der Identität aller Generationen und sei zeitübergreifend (Ratzinger 2004: 199-203, 205). Nach der katholischen Lehre erwartet die Gläubigen für ihre Mühen in der irdischen Welt das Paradies nach dem Tod, während den vatikanischen Staatsbürgern wiederum ein hohes Ansehen entgegengebracht wird. 51
3.1.6
Wirtschaft und Finanzen
Der Vatikan bemüht sich um wirtschaftliche Autarkie, ist aber hochgradig abhängig von Italien (Bathon 2001: 617); für das Pontifikat von Pius XIT. arbeitet Pallenberg die engen Verbindungen zu italienischen Banken, Versicherungen und Unternehmen sowie Beteiligungen an ihnen heraus.'2 Als Geldquellen des Vatikan benennt Reese die Verleihung von Kunstschätzen, Vermarktungsaktionen (z. B. der vatikanischen Münzen und Briefinarken), den Immobilienbesitz" und die weltweite Spendenbereitschaft (Reese 1998: 295-299). Die Apostolische Kammer ist zuständig für das Finanzwesen und verwaltet das Budget des Heiligen Stuhls und des Vatikan. Ihre Allgemeine Erttagsrechnung weist für das Jahr 2008 Ausgaben in Höhe von 255 Millionen Euro und Einnahmen in Höhe von 254 Millionen Euro aus (Der Fischer Weltalmanach 2010: 499). Erst seit den 1990er Jahren wird professionell Buch gefiihrt. Hauptposten 51 52 53
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.,In päpstlichen Diensten zu stehen ist ein in Italien hochangesehener Job, der vielfach privilegiert und begiiJIstigt ist." (Rossi 2004: 27; Pallenberg 1968: 99) Pallenberg weist daraufhin, dsss es als ein prestigeträchtiges Ptivileg gil~ mit dem Vatikan Gesehäftsbeziehungen zu unterhalten (pallenberg 1968: 131-149). Im Jahr 1987 gehören dem Vatikan in Rom rund 5 000 Büroräume und über 1 700 Mietwohnungen (Stand 1993: 850 Mietwohnungen) (Benz 1993: 20).
auf Seiten der Ausgaben sind karitative Unternehmungen sowie die Personalkosten als größter Faktor (Reese 1998: 281, 302). Die Vermögenswerte des Vatikan unterliegen einer strengen Geheimhaltung, was Raum für Spekulationen über Steuerhinterziehung, Kontakte zur Mafia oder Schmiergeldzahlungen bietet (Nichols 1969: 207). Für die Finanzdefizite im Haushalt des Heiligen Stuhls seit den 1970er Jabren gibt Benz den Zuwachs an Aufgaben seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil an," ohne dass die Einnalunen in gleichem Maße gewachsen sind; des Weiteren verweist er auf inflationsbedingte Lohnerhöhungen und die Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik: Seit Paul VI. werden moralische Aspekte einer Investition höher bewertet als der maximale Gewinn. Ein Auslöser für diesen Strategiewechsel ist die Beteiligung an dem italiensehen Pharmaunternebmen Istituto Farmacologico Sereno, der Verhütungsmittel herstellt; deren Gebrauch wird 1968 in der Enzyklika HUMANAE VlTAE jedoch ausdrücklich untersagt (poUard 2005: 218). Benz bezeichnet es als einen Fehler, dass der Heilige Stuhl mit seinem Verzicht auf weniger moralische, aber dafür ertragreichere Investitionen und Beteiligungen seine Abhängigkeit von Spenden erhöht, die jedoch nicht als eine sichere EinnahmequeUe bewertet werden können. Als ein weiteres Problem identifiziert Benz die ungenügende Qualifikation der für die Finanzen zustiindigen Mitarbeiter: Hier seien primär Theologen, KirchenrechtIer und Philosophen statt Betrlebs- und Volkswirte im Einsatz (Benz 1993: 147, 166). Mit der Istituto per le Opere di Religione (IOR) verfügt der Vatikan über eine eigene Bank, deren Aufgaben die Akkumulation von Kapital und Dienstleistungen für Diözesen, Orden, vatikanische Büros und andere religiöse institutionen sind. Gegründet wird sie 1942 von Pius XII. als Reaktion auf die plötzliche Kapitalknappheit, nachdem Italien den USA 1941 den Krieg erklärt (Benz 1997: 313); die Wurzeln der Bank liegen in der 1887 von Leo XIII. eingerichteten Amministrazione delle Opere di Religione (Benz 1993: 24). Ring-Eifel bewertet die [OR (als steuerfrei arbeitendes Institut, das enorme Vermögenswerte verwaltet) als eine "Lizenz zum Gelddrucken" (Ring-EifeI2004: 217). innerhalb der Kurie ist sie vö11ig unabhängig. Im Lauf der 1970er Jabre wird sie unter der Leitung des amerikanischen Erzbischofs Marcinkus mit italienischen Devisenbetrügereien und Bankkonkursen in Zusammenhang gebracht. Die Mailänder Staatsanwaltschaft ermittelte wegen der Beihilfe zum betrügerischen Bankrott; Haftbefehle gegen die Leitung der [OR können jedoch nicht voUstreckt werden,
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Mit den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) findet eine Verdoppelung des Personals in der Kurie und damit auch der Kosten statt.
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da der Vatikan eine Auslieferung ablehnt (Benz 1997: 313-314)." Dennoch zahlt die IOR eine Art Wiedergutmachung an die Gläubiger einer zu Schaden gekommenen Bank" und nimmt - wohl auch aus Sorge um einen dauerhaften Verlust von Glaubwürdigkeit als moralische Instanz - die Ereignisse zum Anlass einer Umstrukturierung, die 1994 vorläufig abgeschlossen wird. Seither arbeitet die IOR nach internationalen Geschäftsregeln und wird von pensionierten Bankdirektoren aus Europa und den USA geleitet (Ring-Eifel 2004: 211, 216). Es liegt in der Natur dieses Bankhauses, dass Informationen über die Gewinne kaum in Erfahrung zu bringen sind. Eine Schätzuog zu Begino der 1990er Jahre beziffert das bewegliche Vermögen der IOR auf 3,2 Milliarden Dollar, die jährlicheo Gewinne auf 32 bis 40 Millioneo Dollar. Hinzuzurechneo sind hnmobilienwerte in Höhe von zwei Milliarden Dollar, so dass sich das Gesamtvermögen der IOR auf 5,2 Milliarden Dollar belaufeo soll (Benz 1997: 153, 314). Zwar beteuert der Heilige Stuhl die Unabhängigkeit seiner Bank, kontrolliert wird sie allerdiogs vom Papst, dem gleichsam alleinigeo Aktionär (Reese 1998: 284). Die Tatsache, dass es ihm zusteht, Entscheidungeo über die Verteilung des Budgets zu treffen oder zu korrigiereo, ohne Rechenschaft darüber ablegeo zu müssen (Johaones Paul Ir. 2000), stellt deo Grund für die eingeheode Beschäftigung mit der IOR im Rahmen dieser Arbeit dar: Die Geheimhaltung ermöglicht es dem Heiligen Stuhl, die Gewinne der Bank nach eigeoem Belieben einzusetzeo. Der frühere Kardioalstaatssekretär Casaroli argumentiert, dass auf diese Weise "die Aufrechterhaltung des Flusses an notweodigen FinanzrnitteIn für die Werke der Kirche in deo verschiedeneo Teileo der Weltkirche gewährleistet" wird (Casaroli zit. in: Ring-EifeI2004: 218)."
3.2
Die katholische Kirche
3.2.1
Organisation
Die katholische Kirche ist "die in der Welt verfaßte und (von Christus gestiftete) Gemeinschaft der Getauften und den rechten Glauben Bekennenden, die unter der Leitung des Nachfolgers Petri (und der Bischöfe in Verbindung mit ihm) 55 56 57
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In diesem Zusammenhang ist auf die Möglichkeit des Heiligen Stuhls hinzuweisen, Skandale jahrelang •.auszusitzen". da er an keine Wiederwahl gebunden ist (Ring-EifeI2004: 214). Die IOR zahlt 240 Millionen Dollar an die Gläubiger der BIlIlOO Ambrosiano (Benz 1993: 153). Ring-Eife1 spriebt von einem ..Reptilienfond". den der Papst nach Gutdünken einaetzen kann (Ring-EifeI2004: 218).
stehen" (Köck zit. in: Mayr-Singer 2000: 193). Sie ist hierarchisch strukturiert, zentralistisch geleitet und operiert global; sie hat die Welt in territoriale Einheiten gegliedert, die in einem vertikalen Autoritäts-System mit dem Vatikan als Zentrale verbunden sind (Vallier 1972: 130; Bull 1987: 11)." Ihr weltweites Netz besteht aus über 2 800 Bistümern und 220 000 Pfarreien, denen über 4 500 Bischöfe, 400 000 Bistums- und Ordenspriester, 750 000 Ordensfrauen und über 58
Der Zen1ralismus der katholischen Kirche wird unterschiedlich beurteilt: Ein Gespräcllspartner
weist darauf hin, dass Paul VI. die Bischofssynoden eingerichtet und die Selbständigkeit der Bischofskonferenzen und Bischofssynoden akzeptiert habe. Damit sei der Zentralismus durchbrochen (Interview 4). Zu einer gänzlich anderen Einschätzung kommt es in der folgenden Ausführung: ,,Johannes Paul 11. ist eine geniale Figur in der Außenwirkung der katholischen Kirche und in der Außenpolitik gewesen. (... ) Aber kirchenintern ist Johannes Paul 11. ein Zentralist gewesen, der die Diktatur des Pluralismus zu bekämpfen versucht hat mit den MitteIn. die er gegen die Diktatur des Kommunismus verwandt hat. Der Zeitgeist wird in Gänze verurteilt, aber es gibt auch Gutes am Zeitgeist. Interne Politik in der Kirche ist nur noch auf Gehorsam ausgerichtet, der Denken verbietet. ( ... ) Ich plädiere nicht für Willkür, Hierarchie ist ja auch wichtig. aber dieses Durchregieren, z. B. bei Bischofsemeonungen, das unentwegte Bevorzugen von Opus-Dei-Leuten oder von den Legionären Christi. das ist für mich der falsehe Weg. Seit Johaones Paul 11. ist die Linke aus der Kirche verschwunden, und das wäre nicht nötig gewesen. Der Umgang und die Kommunikation innerhalb der katholischen Kirche ist eine Katastrophe. Die Zentrale in Rom ist wichtig, um die Weltkirche zusammenzuhalten, aber Zentralismus ist nicht gut. Aber eine gute Zentrale schafft die Gradwanderung zwischen Raum lassen zur Entfhltung und Zusammenb:in.den. damit es eine Einheit gl"t. Das ist zweifellos eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt; aber so was muss ich in meiner Gemeinde ja auch leisten. Wichtige Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils sind aufgegeben worden; die Bischofskollegialität ist so ein Beispiel: Man setzte damals Bischofskonferenzen ein und gab ihnen gewisse Selbständiglrei~ wie den Pfarrgemeinderäten oder den Diözesanräten oder dem Priesterrat. Aber heutzutage sind das alles nur noch Alibi-Veranstaltungen: Die Bischofskonferenz kann nichts entscheiden. Ein Beispiel ist das neue Gotteslob: Es gibt hier Sachverstand. aber Rom muss alles erst genehmigen. Kardinal Frings in den 1950er Jahren hätte sein neues Gotteslob niemals in Rom vorgelegt. und wenn er dazu ermahnt worden wäre, hätte er Rom ausgelacht und sich geweigert. Aber heute will Rom jeden Satz, der irgendwo in der Kirche benutzt wird, approbieren. Und in Rom sitzt nicht mehr Sachverstand als hier. Beispiel USA: Dort het die Bischofskocferenz fünf Jahre auf das Okay für ihr neues Gebetbuch gewartet, und letztlich kam eine Ablehnung. Es ist eine unglaubliche Selbstüberschätzung im Vatikan fe_stellen. Und als Feigenblatt für ihr Tun wird die Einbeit der Kirche ins Feld geführt. Einheit kann man aber auch anders fördern. Es gibt zwar Willkür und Beliebigkeit, und dagegen muss man vorgehen, aber der Umgang, der in Rom gepflegt wird, ist nicht immer der richtige, wie man am Beispiel der lateinamerikanischen Befreiungstheologie sehen kann: Die Wertschätzung fehlt. Rom regiert seit Johannes Pau! II. mit enormem Druck; und die Kräfte, die gerne Druck machen, sind bestärkt worden, Druck auszuüben. ( ... ) Aber wer weiß, wie wir den Zen1ralismus in 200 bis 300 Jahren beurteilen." (Interview 6, H. i. 0.) Steinschulte berichtet dagegen von einem Bischof aus Deutschland, der ausgefiihrt habe, dass 90 Prozent seiner Entscheidungsbefugnisse nichts mit Rom zu tun hätten. Rom komme nur ins Spiel, wenn es um Glaubensfragen, die Liturgie oder z. B. die priesterliche Lebensweise gehe (Interview Steinschulte 2010).
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1,1 Milliarden Katholiken zugeordnet sind. Das dichteste Netz an Seelsorgern besteht nach wie vor in Europa mit 127000 Pfarreien (Ring-Eifel 2004: 15). Hinzu kommen über 100000 Sozial- und Bildungseinrichtungen wie Waisenhäuser, Seniorenheime, Universitäten und Schulen sowie weitere säkulare Einrichtungen, die mit dem Papst verbunden sind. Im Jahr 2006 beträgt der Anteil der Katholiken an der Weltbevölkerung 17,2 Prozent (Coppa 2008: 224). Die Führung der katholischen Kirche in den einzelnen Staaten übemehmen die Bischöfe (mit den nationalen Bischofskonferenzen) und die Nuntien des Heiligen Stuhls, während die Gesamtleitung bei der Römischen Kurie liegt. Die Ortskirchen müssen sich der Autorität des Papstes unterordnen; gleichzeitig liefern sie jedoch die Ressourcen (z. B. Geld und Loyalität), ohne die der Heilige Stuhl nicht existieren kann (Vallier 1972: 129, 131).
3.2.2
Repräsentation
Die katholische Kirche ist der Inhalt dessen, was von der Römischen Kurie verwaltet wird. Sie führt nach Sclnnitt als historischer Komplex und administrativer Apparat den Universalismus des römischen Imperiums fort (Sclnnitt 1923: 12). Sie sieht als Religion ihre Aufgabe in der Herstellung einer Verbindung des Menschen zu Gott. Nach Hofmann repräsentiert der Papst - wie jedes Haupt einer Körperschaft - die katholische Kirche besonders nach außen (Hofmann 1974: 300); die katholische Kirche repräsentiert wiederum die Idee der Gerechtigkeit und die civitas humana, aber vor allem die Person Jesu Christi, woraus sie ihren Anspruch anf Rulun, Ehre und Macht ableitet (Sclnnitt 1923: 65-66). Repräsentation ist dabei definiert als die Vergegenwärtigung von zeitlich oder räumlich nichtgegenwärtig Gegebenem, als Vertretung und Darstellung kraft Wahl oder-z. B. ständischem- Vorrecht (Holtmann2000: 601; Scheerer 1992: 790-797). Die Gläubigen repräsentiert die katholische Kirche dagegen nicht, denn Repräsentation liegt nur dann vor, wenn zwischen den Gläubigen und der Leitung der Religionsgemeinschaft Kommunikation stattfmdet (Leidhold 2003: 180). Die Partizipation der Gläubigen drückt sich in der katholischen Kirche lediglich in ihrem Gehorsam aus, der ihr Vertrauen widerspiegelt (Leidhold 2003: 184); aber auch ihnen als Adressat der Repräsentation kommt ein Wert zu, denn vor "Automaten und Maschinen kann man nicht repräsentieren" (Sclnnitt 1923: 45)." Religiöse Repräsentation ist die Verkörperung des Heili59
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Faber fasst die Konstellation wie folgt zusammen: ..Die Kirche ist keine Demokratie und wird auch nie eine werden. Die Gewalt geht nach dem positiven Willen Christi, von oben nach un-
gen Kosmos; sie gibt dem eiozelnen Menschen aus eigener Kraft einen Sinn (Luckmann 1991: 98). Bei der katholischen Kirche liegt folglich eine Identitätsrepräsentation vor: ,,Der Papst ist identitätsrepräsentativ Petrus, der identitätsrepräsentativ die Kirche, die identitätsrepräsentativ als Corpus mysticum die Braut Christi ist, der als Sohn Gottes mit Gott identisch ist." (Weiland 1999: 312, H. i. 0.) Sie schafft eine konformistische Einheit, während sich die Differenzrepräsentation dadurch auszeichnet, "dass sie sich der Pluralität der Repräsentierten bewusst bleibt, vor denen die Repräsentanten sich in ihrem Tun verantwortlich wissen." (Weber 2003: 195)
3.2.3
Die katholische Kirche als transnationale Organisation
Die katholische Kirche ist eine transnationale Organisation (Nye 2004b: 90; Rittberger 1994: 29).60 Innerhalb der Klasse der nichtstaatlichen internationalen Organisationen definiert Rittberger transnationale Organisationen als ,,hierarchisch strukturierte, zentralistisch geleitete nichtstaatliche Organisationen, die über eine unbestimmte Vielzahl von Ländem verteilt materielle oder immaterielle Güter produzieren und Verteilungs- bzw. Dienstleistungen erbringen." In einem weiteren Schritt können transnationale Organisationen unterschieden werden zwischen profitorientierten Organisationen, zu denen transnationale Unternehmen gehören, und gemeinnützigen Organisationen. Zu der letztgenannten Gruppe zählt Rittberger neben der katholischen Kirche das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das Internationale Olympische Komitee, Greenpeace International und Amnesty International (Rittberger 1994: 29). Transnationale Organisationen gewinnen im Prozess der Globalisierung an Bedeutung, da sie sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene an der politischen Willensbildung beteiligt sein können. So beurteilt Rittberger das politikwissenschaftliche Interesse an ihnen damit, daß den transnationalen Organisationen insgesamt quasi-politische Funktionen zukommen; d. h. durch ihre Tätigkeiten bewirken sie u. 8. verbindliche Wertzuteilungen - in Bezug auf Heilserwartungen, humanitäre Hilfe, sportliche Leistungschancen, Investitionen, Umweltrisiken. etc. - an staatlichen und zwischenstaatlichen Stellen vorbei, teils mit deren ausdrücldieher Unterstützung oder stillschweigender Duldnng, teils ohne derartige Zustimmung oder
ten'.
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Nicht wie in der Demokratie von unten nach oben. ,Wie mich der Vater gesandt hat, so
sende ich euch!'" (Faher 1968: 132) Kallscheuer nennt sie für die Zeit vor der Französischen Revolution sogar die wichtigste
transnationale Institution (Kallseheuer 2003: 527).
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gar gegm dIII! mkIiirtml, abs- VOllzugsschwachlll W"IIlm politilCh-lllhninill1nltivm .Akteum. TransnationaIe Orpniaationen können daher - andcn als die iibrigen niehtstaatliche internationalen OrganisationaJ. - faktisch an die Stelle von zwiachcnstaatlicl!en Organisatioo.CIl, u.. U. selbst von nationalstaatliehen OrgmiIl8tiOIlal tret:e.n.. Sie miiIIen daher bei der Anal}'IC der intcmaüona1en Problcmbear'beitung in bestimmten Politild.cldemall :relativ lCIbstindige E1cmcnte eines scktoraJ.cn intcmationa1cn Mchrt:bcncn-Emscheidungssys beriielaichtigt ~~I994;29,Ri.O.).
Die katholische Kirche ist in nahezujedem Land der Welt vertreten. Sie steht in erster Linie - je nach Standort in unterschiedlicher Intensität - auf der Gemeindeebene mit den Menschen in Kontakt. Weil die Politik die öffentliche religiöse Praxis regelt, ist die spirituelle Repräsentation der katholischen Kirche immer und notwendig mit der politischen Repräsentation verbunden (Leidhold 2003: 110). Die katholische Kirche fördert die transnationale Gesellschaft, indem sie mit ihrer über Grenzen hinausreichenden Organisation und mit gemeinsamen Glaubenssätzen Katholiken bzw. (seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil) alle Menschen guten Willens miteinander zu verbinden sucht. Kaiser definiert die transnationale Gesellschaft als soziale Interaktion zwischen Gesellschaften verschiedener nationalstaatlicher Systeme außerbalb der Regierungsinstitutionen in bestimmten Sachbereichen. Dabei können Entscheidungen auch von Eliten getroffen werden. solange diese Eliten nicht Teil von Regierungsinstitutionen sind (Kaiser 1969: 94).
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Stnrlt A
Stnrlt B
Staat C
Abb. 2: Transnationale Gesellschaft (Kaiser 1969: 94) Der Heilige Stuhl betreibt eine transnationale Politik, wenn er auf gesellschaftliche Prozesse reagiert, die au6erhalb seines vatikanischen Territoriums liegen. aber seine eigene Gesellschaft, also die Gläubigen. von diesen Prozessen betroffen ist. Der Begriff der tnmsnationalen Politik geht von der Vermehrung der nichtstaatlichen internationalen Akteure seit den 1960er Jahren aus und wird von Kaiser definiert als ,Jene politischen Prozesse zwischen nationalstaatlichen Regierungen undIoder zwischen transnationaler Gesellschaft und Rcgierung(cn), deren Anstoß von Interaktionen in der transnationalen Gesellschaft gegeben 58
wurde." (Kaiser 1969: 95) D. h. Regierungen antworten nicht auf von ihnen unabhängige äußere Entwicklungen. die eben außen und von anderen Regierungen geschaffen wurden, sondern auf gesellschaftliche Prozesse, von denen die eigene Gese11schaft sowohl betroffen ist als auch gleichzeitig diese Prozesse mit verursacht hat (Kaiser 1969: 97). Diese Prozesse beschneiden die Souveränität der Nationalstaaten als Hauptakteure der internationalen Beziehungen (Lehmkuhl 2002: 223). Transnationa1e Politik wird intensiviert dmch Entwicklungen, die Kaiser unter den Begriffen horizontale und vertikale Kommunikation behandelt. Unter horizontaler Kommunikation versteht er "ein ständiges Anwachsen der Interaktion sowohl zwischen gesellschaftlichen Akteuren verschiedener nationalstaatlichcr Systeme als auch zwischen den politischen Institutionen der staatlichen Einheiten" (Kaiser 1969: 100). Förderlich ist es dabei, dass die Preise für Transport und Kommunikation gesunken siDd. Die vertikale Kommunikation erklärt Kaiser als "Verbindungen zwischen Gese11schaften und ihren jeweiligen Regierungsinstitutionen", die zunimmt durch das Maß an Demokratisierung undIoder durch das Engagement der Regienmgsinstitutionen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich der Gesellschaft (Kaiser 1969: 103). Drei Aspekte sind bei der transnationalen Politik kennzeichnend: Die verschiedenen nationalen Gese11schaften kommunizieren miteinander, das Transmissionsmedium kann variieren; die Interaktionen können Entwicklungen nach sich ziehen oder Veränderungen für die beteiligten Gesellschaften zur Folge haben; durch diese Entwicklungen kann der Entscheidungskontext der dazugehörigen Regierungen beeinflusst werden, was sich in einer Beschränkung der Handlungsfäh:igkeit genauso äußern kann wie in dem Erfordernis des HandeIns.
Abb. 3: Transnationale Politik mit horizontaler und vertikaler Kommunikation
(Kaiser 1969: 95) Die katholischen Gläubigen bilden die transnationale Gesellschaft. Die horizontale Kommunikation findet zwischen den Gläubigen verschiedener nationalstaatlicher Systeme statt; die Kommunikation der transnationalen Gesellschaft wird vom Heiligen Stuhl dominiert. Zwischen dem Heiligen Stuhl und politi-
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sehen Institutionen nationaler Staaten ist eine horizontale Kommunjkation zu beobachten. Die vertikale Kommunikation, also die Verbindung von Gläubigen in den verschiedenen nationalstaatlichen Systemen mit dem. Heiligen Stuhl, jst nicht ausgebildet: Ihr Verhältnis ist nicht demokratisiert; der Monolog des Heiligen Stuhls zu den Gläubigen wird durch das Engagement der katholischen Kirche in der Heilsbringung und im Sozialsektor ermöglicht. Vertikale Kommunikation findet nur zwischen Gläubigen und ihren nationalen Regierungsinstitutionen statt. Auch die Regierungsinstitutionen versuchen, Einfluss auf die (katholische) transnationale Gesellschaft zu nehmen.
Abb. 4: Transnationale Politik.: horizontale Kommunilmtion Heiliger StuhIRegierungsinstitutionen und Dominanz des Heiligen Stuhls in der transnationalen Gesellschaft (eigene DamteUung)61
Kaiser unterscheidet vier Idealtypen62 der transnationalen Politik: die transnationale Politik des gleichgewichtigen Typs, die transnationaIe Politik. mit Dominanz-Effekten, die außengesteuerte Durchdringung auf zwischengesellschaftlicher Basis sowie die außengesteuerte Durchdringung (Kaiser 1969: 104-106). Typ 3, die außengesteuerte Dun:hdringung aufzwischengesellschaftlicher Basis, definiert Kaiser als gegehen, "wenn ein Gefälle zwischen gesellschaftlichen Akteuren verschiedener nationalstaatlicher Systeme von der Regierung des mächtigeren Akteurs dazu ausgenutzt wird. die Durchsetzung ihrer Ziele im (oder in) anderen nationalstaatlichen System(en) zu betreiben." (Kaiser 1969: 105) Die außengesteuerte Durchdringung als Typ 4 liegt vor, ,;wenn eine Regierung direkten Zugang zu gesellschaftlichen Akteuren in anderen nationalstaatlicben Systemen hat oder aufbaut und zur Verfolgung ihrer Interessen nutzt." (Kaiser 1969: 106) Wie bereits ausgeführt, hat der Heilige Stuhl den entschei61
Der Heilige Stuhl iat kein Staat, Iondcm. das Leitungsgremium eincs solchen. In dieser Folge ist die fIir dic Abbildung gcwIhlte Bcgrifflicbkeit HelUger Stuhl alI eine KonkrctiIimmg der
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In dcF politischem Wi:rkIichbit sind nach KaiSCll" j«ioch weitcnl KonsteThdionon mit ßioßClldcm
Bezeichnung VatJkan zu ve:mIl=b.CII.. Grenzen zu beobachten (Kaiser 1969:
60
107).
denden Einfluss auf die katholische transnationale Gesellschaft: Er prägt die Meinung und moralische Anschauung der Gläubigen (Sauvant 1987: 81). Von besonderem Interesse sind jedoch die einzelnen Bischofskouferenzen in den Nationalstaaten, die zweifelsfrei als gesellschaftliche Akteure ihrer jeweiligen Staaten bezeichnet werden können, und die auch untereinander in Kontakt stehen. Diesen Zugang, der verstanden werden kann als Ausdruck von ökonomischer und organisatorischer Stärke, benutzt der Heilige Stuhl zur Verfolgung seiner Interessen, was als außengesteuerte Durchdringung (Typ 4) bezeichnet werden kann. In seiner Auseinandersetzung mit dem penetrierten System bezieht sich Kaiser auf die Forschungsergebnisse von Rosenau; dieser definiert ein penetriertes System wie folgt: A penetrated political system is one in which nonmembers 0/ anational society parßcipate directly cmd authoritatively, through actions takenjointly with the society's members, in ei-
ther the allocation 0/ its values or the mobilization 0/ support on behalf0/ its goals (Rosen.au 1971: 127-128, H. i. 0.).
Entscheidend ist fiir Rosenau dabei der Aspekt der Akzeptanz, den die Nichtmitglieder erfahren: Most important, the participation of nonmembers of the society in value-allocative and goalattainment processes is accepted by both its officialdom and its citizenry, so that the decisions to which non-members contribute are na less authoritative and legitimate than are those in which they do not participate.
Ob diese Akzeptanz glücklich vollzogen wird, ist dabei unerheblich; ausschlaggebend ist, dass die Entscheidungen der Nichtmitglieder als bindend aufgefasst werden (Rosenau 1971: 126-127). Als Beispiele nennt Rosenau den Einfluss der Sowjetunion auf die osteuropäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg, auf China bis 1960 und auf Kuba ab 1961, das Verhälmis der Alliierten zu Japan und der Bundesrepublik Deutschland bis zur Erlangung ihrer Souveränität, aber auch die Aktivitäten britischer Streitkräfte im gerade unabhängig gewordenen Kenia 1963 (Rosenau 1971: 128-129). Ein quasi-penetriertes System geprägt durch den Heiligen Stuhl ist fiir den Fall gegeben, dass katholische Parteien Regierungsverantwortung übernelnnen und als eine Art verlängerter Arm des Heiligen Stuhls die Interessen der katholischen Kirche umsetzen. 63 Zu einer 63
Der Ausdruck. des quasi-penetrierten Systems macht darauf aufmerksam, dass der Einfluss des
Heiligen Stuhls über eine katholische Partei in Regierungsverantwortung zwar kaum die Qualität ba~ mit der bspw. die UdSSR die Führung in der DDR übernimmt; er unterstreicht iedoch
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abgeschwächten Version mag dies auch auf christliche Parteien zutreffen, die an einer Regierungsbildung teilnehmen - vor allem dann. wenn sie ihren Wahlsieg nicht zuletzt der Unterstützung der katholischen Kirche zu verdanken haben. So spricht sich die katholische Kirche in der BRD 1949 in einem Hirtenbrief eindeutig :I:ür die Wahl der Unionsparteien und damit für den Kanzlerkandidaten Konrad Adenauer aus. Morsey macht darauf aufiDcrksam, dass die katholische
Kirche zu dieser Zeit auf der Höhe ihrer Mitgestaltungsmöglichkeit steht (Morsey 1970: 58). In den 1960er und 1970er Jahren büßt sie dagegen an Einfluss ein, als christdemokratische Parteien wie coutcsu und OVP in österreich den Regierungsauftrag an linksliberale Parteien verlieren.64
Staat A
Heiliger Stuh l
Quosi-penetrierles Syslem
Abb. 5: Quasi-penetriertes System (Heiliger Stuhl- Staat A) und au8engestcuerte Durchdringung (Heiliger Stuhl - Staaten B und C) (eigene Darstellung)6S die dmn höhere Int:ensitit der Dun:b.setzungsfibigkcit des HeiligeD Stuhls im Vergleich zu den Möglichkeiten, die sich für eine Bischo:fJkonfere (als ein gese11sehaftlicher Akteur unter vieIm) ergeben. Darüber hinawI schl!lint Rosenau das plWll:rierte SystI!Ill weiter zu verstI!Ihen, all dies in der Darste1hmg bei Kaiser deutlich wird: Für RoIClllU1 ilt es nicht statilIch oder zwingend von 1anger Dau«, lOIldem ~heilIt, venclIwindet od« wandelt &eine Gestalt; es tritt BOWlJhl in offenen aiII aw;:h in geschlossenen OeIIeIlIIchaften auf(Rosenau.1971: 129-130); die
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auioritative Zuweisung kann sich lIllfeinzelml WmtII ods- aufmebrme WmtII bezie1Hm.:.,Acoordingly, so IUI 10 differm.tiatc degrees ofpenetration u wc1l es 1II.e stnwturaJ. differenoel to which 1hey give rite, it leeDlII appropriate to di8t:ingui8h betwee.n multi-ili8lle and lingle-isIue p:uetrated 8)'JI:eImI, 1II.e dUIindion being baKd on whethcI" IlODIIleJIlbcn partieipate in the allocation of a variety ofvaluetl or of only 11 seIeetod set ofvaluetl." (Rosenau 1971: 132) Die christlichen Parteien in Europe haben mittlerwcile jedoch an tatriichlicho Nihe zu den chrUtIichcn !Groben verloral, womit auch von ein« Abnahme des gegmlleitigaJ. Einwirke:nl IUSgegmgeD. ~ 1I1UII5 (Interview 4). Dio Abbildung bezieht sich auf ein Schaubild bei Kaiser, dalII dem Einflus, der Sowjetunion auf vcraehiedene curopiische Staaten zeigt (Kaiser 1969: 107).
Die katholische Kirche ist, da ihre Anhänger gleichzeitig Bürger verschiedener nationalstaatlicher Systeme sind, in hohem Maße außenorientiert und wird damit zu einem Akteur der nicht-institutionalisierten transnationalen Beziehungen. Sie verbindet das internationale System und das jeweilige staatliche System, da sie besondere Beziehungen zu beiden besitzt. Die katholischen Gläubigen stellen eine Weltgesellschaft dar; ihr Transmissionsmedium ist der christliche Glaube. Obwohl die katholische Kirche keine Normgeberin ist, die verbindliche Entscheidungen fiir staatliche Akteure triffi, kann sie im Hinblick auf das allgemeine Meinungsklima und die konkrete Politik in den einzelnen nationalstaatlichen Systemen sowohl eine Assoziationsfunktion als auch eine Dissoziationsfunktion einnelnnen, indem sie fiir eine Annäberung bzw. Distanzierung von Regierungsinstitutionen und der dazugehörigen Gesellschaft sorgt (Lelnnkuhl 200 I: 226).66
3.2.4
Die Mission der katholischen Kirche: Menschenrechte und Religionsfreiheit
Die universelle Sendung der katholischen Kirche ist es, allen Menschen und Völkem die Heilsbotschaft zu bringen (Heck 1990: 30); aus ihr leitet sie ihre normativen Vorstellungen ab. Sie sieht sich durch göttliches Recht damit beauftragt, den Frieden der neutestamentlichen Offenbarung in die Welt zu tragen (Köck 1979: 223-224). Dabei gilt der bereits zitierte Grundsatz von Pius XI.: "Weon es darum ginge, Seelen zu retten, größere Schäden von Seelen abzuwenden, hätten Wir sogar den Mut, mit dem Teufel in Person zu verhandeln.,,·7 Das Ziel der katholischen Kirche ist die weltumspannende Verbreitung des Christentums; im Vordergrund der Bemühungen des Heiligen Stuhls stehen dabei die Menschenrechte und die Religionsfreiheit, deon auch heute noch können Katho1iken ihrem Glauben und Kleriker ihrem Amt in vielen Teilen der Welt nicht ungehindert nachgehen; das Christentum ist eine der meistverfolgten Religionsgemeinschaften der Welt. Ferner beantwortet der Heilige Stuhl moralische, kulturelle und soziale Fragestellungen und forciert die Förderung der internationalen Ordnung (Cardinale 1976: 38). Die Charta der Vereinten Nationen hat die Menschenechte formell universalisiert; dennoch fehlt es weltweit an einem einheitlichen Menschenrechtsver66 67
Wie sie diese Funktionen ausübt, ist Gegenstand der Untersuchung in den Kapiteln 6 und 7. Pius XI. am 14.05.1929 als Rechtfertigung seiner Kontakte mit dem. atheistischen Regime in Moskau (Pius XI. zit. in: Brechenmacher 2005: 591).
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ständnis. Der Grund hierfür liegt in den verschiedenen Kulturkreisen, Staatsverfassungen und Ideologien. Ebenso mangelt es an einem weltweiten Vollzugsapparat zur Durchsetzung der Menschenrechte. Die Päpstliche Kommission Iustitia et Pax fordert deshalb u. a. die Schaffung eines Weltgerichtshofes als oberste Appellationsinstanz bei Menschenrechtsverletzungen und eine übernationale Kommission für Menschenrechte innerhalb der UNO (Wuthe 2002: 39). Dabei steht die katholische Kirche den Menschenrechten besonders während der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 und der Ausrufung der Französischen Republik 1792 zunächst ablehnend gegenüber. Ihr fehlen ein hinreichender Gottesbezug und die genügende Berücksichtigung der Pflichten des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft, die zugunsten der neuen, individualistischen Konzeption des Menschen vernachlässigt würden. Sie kritisiert auch den neutralen Freiheitsbegriff der Menschenrechte, der es an einer Verpflichtung auf Wahrheit und Sittlichkeit fehlen lasse (Wuthe 2002: 4546). Die Französische Revolution fiihrt die liberalen Freiheitsrechte ein, die das Individuum vor dem Staat schützen sollen und wendet sich damit auch vom katholischen Konfessionsstaat ab, der nach der zu dieser Zeit vertretenen Überzeugung der katholischen Kirche die gottgewollte Ordnung darstellt (Emich 2007: 43, 45). Obwohl Menschenrechte nicht zum klassischen Traditionsgut von Religionsgemeinschaften gehören (Wuthe 2002: 55), setzt mit dem Pontifikat von Leo XIII. (1878-1903) eine Annäherung daran ein. Entscheidend ist jedoch die Enzyklika PACEM IN TERRIS (1963), in der Johannes XXIII. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO, an der er als Apostolischer Nuntius in Paris selbst mitgewirkt hat, ausdrücklich begrüßt. Als Grund für den Sinneswandel der katholischen Kirche gibt Johannes XXIII. die neuen Verhältnisse in wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fragen an (Wuthe 2002: 49). Neu ist auch, dass die katholische Kirche nun die Rechte der ganzen Menschheit - und nicht nur der Katholiken - verteidigt. Die Menschenwürde, begründet durch die Vemunft und den freien Willen, wird zum Ausgangspunkt für die Menschenrechte, die jedem aufgrund seines Menschseins unwiderruflich innewohnen. Menschenrechte werden damit "universal und absolut" (Wuthe 2002: 51). Die schöpfungstheologische Begründung geht von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen aus. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sieht sich die katholische Kirche in der Verantwortung, sich als Kämpferin für Frieden und Gerechtigkeit und als Fürsprecherin für universale Menschenrechte einzusetzen; als moralische Instanz beurteilt Emich sie damit als mächtiger denn je zuvor (Emich 2007: 56-57). Die Gewährleistung der Menschenrechte - die nicht mehr nur die interne Angelegenheit eines Staates ist (Graham 1959: 393) - wird als eine Voraussetzung für Gerechtigkeit angesehen, ohne die es wiederum keinen 64
Frieden geben kann (Verdross 1979: 51-52). Da die katholische Kirche als Personenverbaod eine soziale Größe bildet (basierend auf ihrer Mitgliederstärke, gesellschaftlichen Stellung, Finanzkraft und ihrem Organisationsgrad), ist davon auszugehen, dass sie wie Staaten zur Durchsetzuog ihrer Ziele Macht aowendet (Wuthe 2002: 65-66). Die katholische Kirche setzt sich nicht nur fiir die Menschenrechte ein, sie definiert sie auch; damit werden Menschenrechte gleichsam zur Regierungspolitik des Heiligen Stuhls. Bredow weist in seiner Einfiihrung in die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschlaod darauf hin, dass kein Staat der Welt die Menschenrechte zum Hauptanliegen seiner Außenpolitik macht, weil jeder Staat damit überfordert sei und der kompromisslose Kampf fiir Menschenrechte aodere Ziele der jeweiligen Außenpolitik (z. B. wirtschaftliche Interessen) gefährden würde (Bredow 2006: 29-30). Damit lässt Bredow die Außenpolitik des Heiligen Stuhls jedoch außer Acht. Das Menschenbild der katholischen Kirche ist ausschlaggebend fiir ihr Bekenntnis zur Demokratie, in der der Mensch die Möglichkeit hat, "als Subjekt ao der Staatswillensbildung tei1zunehmen und nicht bloß ein Objekt der Fremdbestimmung zu sein." (Scbambeck 1999: 1003) Dieser radikale Waodel wird von Johannes XXIII. und dem Zweiten Vatikanischen Konzil vollzogen, denn tritt die katholische Kirche bis ins 20. Jahrhundert hinein noch als Erhalterin fiir den Status quo auf, hat nun die soziale Gerechtigkeit oberste Priorität (Johuston 1994: 260). Die Demokratie erscheint als die einzig aogemessene Regierungsform, weil die Verteilung und Kontrolle von Macht am besten die Freiheit und Gleichheit des Menschen zu verwirklichen vermag (Ratzinger 1993: 65).68 Menschenrechte in der Kirche selbst bleiben davon jedoch unberücksichtigt: Die Grundrechte müssen sich der Heilssendung der Kirche fügen (Wuthe 2002: 65). Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gestattet die katholische Kirche den Menschen die vollständige Freiheit in religiösen Belaogen und gibt damit ihr Vorrecht gegenüber aoderen Religionsgemeinschaften auf; Freiheit wird als die Voraussetzung fiir Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe gewertet (Wuthe 2002: 75, 82-83). Dies ist insofern überraschend, als dass die katholische Kirche
68
Die katholische Kirche hat zunächst Vorbehalte gegen die Demokratie: Sie befürwortet die Monarchie als gottgewollte und damit beste Regierungsform, weil es in der Demokratie weniger um die Wahrhei~ als um die Reehte des Einzelnen gehe (Brich 2007: 43. 45. 53). Ihr schwieriges Verhältnis zur Demokratie ist u. 8. vor dem. Hintergrund zu verstehen. dass während der Französischen Revolution., die gegen die von Thomas von Aquin gerechtfertigte societas naturalis kämpft, die katholische Kirche die Verstaatlichung ihres Besitzes und die Ermordung von über 300 Geistlichen erlebt (Rotte 2007: 31).
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von ihrer absoluten Wabrheit überzeugt ist;69 doch sie gesteht dem Menschen in seiner freien Entscheidung für eine bestinunte Religionsgemeinschaft die Letztverantwortlichkeit zu (Wuthe 2002: 87). Religionsfreiheit erwächst zum einen aus der angeborenen Menschenwürde, zum anderen ist sie die Bedingung dafür, dass der Bürger in einer pluralistischen Gesellschaft seinen Staat anerkennen kann (Johannes Paul II. 1990: 283; Casaroli zit. in: Heck 1990: 39). Die Zusicherung von Religionsfreiheit impliziert aber auch gewisse Rechte für die Religionsgemeinschaft (Graham 1959: 395): Neben der Gestaltung der Gottesdienste, der Erziehung und Unterweisung der Mitglieder in eigenen Einrichtungen und der Ernennung der Amtsträger benennt Wuthe das Recht, mit religiösen Autoritäten und Gemeinschaften auch über Staatsgrenzen hinweg in Kontakt zu treten, die Verbreitung des Glaubens in Wort und Schrift sowie die Errichtung von Vereinigungen für Erziehung, Kultur und soziales Leben (Wuthe 2002: 89). Die katholische Kirche fordert darüber hinsus die Freiheit für Orden und die Legitimation zum Aufbau einer eigenen Hierarchie; besondere Bedeutung verleiht sie den Familien als Träger des Rechts auf Freiheit in religiösen Dingen (Rood 1993: 351, 353-354). Dieser Position verleiht Johannes Paul II. Nachdruck während seiner Neujahrsansprache vor dem diplomatischen Corps 1979, vor der UN-Vollversammlung in New York im Oktober des gleichen Jabres und während der KSZE-Folgekonferenz in Wien 1988 bis 1989 (Rood 1993: 351353). Sofern die religiöse Praxis also nicht gegen eine öffentliche Ordnung verstößt (z. B. bei Polygamie), darf nach Auffassung des Heiligen Stuhls der Staat die Ausübung der Religionsfreiheit nicht behindern. Religionsfreiheit bedeutet darüber hinaus, dass Kirche und Religionen im öffentlichen Raum in Dialog treten können. Aus der Perspektive des Staates betrachtet gibt dieser mit der Zusicherung der Eigenständigkeit von Religionsgemeinschaften Rechte auf. Zugleich kann er seine Herrschaftsorganisation nicht auf einen bestimmten Glauben gründen. Nur ein liberaler Staat gewährleistet Religionsfreiheit als Menschenrecht (Habermas 2007: 1442). In Aulehnung an Böckenförde folgert Wuthe: ,,In diesem Sinne bezeichnet das Maß der Verwirklichung der Religionsfreiheit auch das Maß der Weltlichkeit des Staates." Daraus ergibt sich ferner eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. In letzter Konsequenz bedeutet Religionsfreiheit deshalb nicht nur die gegenseitige Autonomie von Staat und Kirche anzuerkennen, sondern auch ein neues Verhältnis zwischen 69
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Die katholische Kirche vertritt (wie bspw. der Islam auch) nach wie vor einen ExklusivisIDllS, nach dem. ausschließlich das Christentum - und sonst keine Religion - die Wahrheit besitzl Dies entspricht der ,,Logik des Monotheismus" (Neuser zil in: Benedili XVl201Ob: 132).
Staat und Individuum zu implementieren (Wuthe 2002: 95, 97).70 Eine Gleichbehandlung der Menschen wird dadurch unterstrichen, dass Gläubige nicht als Bürger ,,zweiter Klasse" behandelt werden dürfen (Johannes Paul Ir. zit. in: Ring-EifeI2004: 178).
3.2.5
Positionssicherung durch Konkordate am Beispiel der Verträge mit den neuen Bundesländern Deutschlands (1994-1998)
Grabam definiert die Vertragsform des Konkordats wie folgt: "A concordat is a formal treaty or agreement in legal form entered into between the Holy See and individual states for the purpose of defining the respective roles of the two parties in fields where conflict!ends to arise." (Graham 1959: 18) In Deutschland gilt das zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl geschlossene Reichskonkordat von 1933; der Rechtsbestand und die Weitergeltung werden durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1957 anerkannt und bestätigt (Heck 1990: 44). Gegenstand von Konkordaten zwischen dem Heiligen Stuhl und Staaten sind vor allem Regelungen über die freie Religionsausübung, die konfessionell geprägte Schulbildung, die kirchliche Jugend- und Vereinsarbeit sowie den fiskalischen Status (auch von Orden). Ebenso wird die Rolle von Kirche und Staat bei der Besetzung und Dotierung von Bischofsstiihlen und theologischen Lehrstiihlen festgelegt (Brechenmacher 2005: 598). Es gilt das Prinzip der Subsidiarität, nach dern der Staat nur die Aufgaben übernehmen soll, die von Familien und der Kirche nicht übernommen werden können. 71 Die Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den neuen Bundesländern Deutschlands aus den Jahren 1994 bis 1998 sind insofern von Interesse, als dass sie gegenwärtig zu den jüngsten Konkordatsabschlüssen in Europa gehören und sich auf ein Territorium beziehen, das wegen der atheistischen Orientierung der DDR in hohem Maße konfessionslos geprägt ist. Die Verträge zeigen neben der Einrichtong einer Diözesanstrnktur diverse Bereiche auf, in denen die katholi-
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Hierin sieht die kommunistische Partei Chinas eine Gefahr: Sie beurteilt Religionsfreiheit als "Trojanisches Pferd", weil aus religiösen Ambitionen politische Forderungen werden können (Rotte 2008: 30).
71
So hat der Mensch ein Recht auf Arbeit mit angemessener Bezahlung. auf politische Aktivität und auf die Gründung einer Familie. Der Staat muss sich um das Wohl der Menschen kümmern. datf sich aber nicht in ihr Leben oder in die Belange der Kirche einmischen (Matlary 2001: 83).
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sehe Kirche Einfluss trimmt: 72 Abgesehen von den Vereinbarungen über den Schutz des Sonntags und der kirchlichen Feiertage, der Gebührenbefreiung für die öffentlich-rechtlichen kirchlichen Institutionen, den ,,Freundschaftsklauseln" und Versprechen zur ,,Kontaktpflege" (Haering 1999: 783, 792), haben sich die neuen Länder verpflichtet, in Rundfunk und Fernsehen kirchlichen Themen (Gottesdienste, Behandlung kirchlicher Fragen) eine genügende Präsenz einzuräumen und eine Beteiligung der Kirchenvertreter in den Aufsichtsgremien und Programmorganen zu gewährleisten. 73 Neu ist bei diesen Verträgen, die bewusst nicht Konkordate genannt werden,74 dass auch eine Kooperation im Bereich des Meldewesens vereinbart wird, die über die bisherige Form der Weitergabe von Melde- und Personendaten für die Kirchensteuer hinausgeht. Beispiellos ist die sogenannte Paritätsgarantie, die gewährleistet, dass keine andere Religionsgemeinschaft weitergehende Rechte und Leistungen erfahren darf als die katholische Kirche, während anderen Religionsgemeinschaften diese Paritätsgarantie nicht zuteil wird (Haering 1999: 785, 791). Diese jüngsten Verträge unterstreichen, dass es in Deutschland - bedingt durch die Garantie des öffentlichrechtlichen Status der katholischen Kirche und ihrer Aufgabe, die Sicherung des allgemeinen Wertkonsenses zu betreiben (Einfluss der Kirche auf den polityBereich) - nur eine ,,hinkende Trennung" zwischen Staat und Kirche gibt (Jasper 2000: 301).75
3.3
Der Papst als "Klammer"
Ähnlich dem Kommunismus und der So\\jetunion handelt es sich bei dem Konglomerat aus Vatikan und katholischer Kirche um ein Gebilde, das aus Geist und Materie besteht: Die Idee des Christentums als eine weltumspannende 72
73 74 7S
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Aus historischen Gründen fallen Konkordate in Deutschland nicht unter Artikel 59 des Grundgesetzes, sondern in die Gesetzgebungskompetenz der Länder, so dass es über das Reichskookordat hinaus auch KooIrordate mit einzelneo Bundesländern gibt (z. B. das Bayerisebe Konkotdat voo 1924). Ebenso wird der Kirche das Recht eingeräumt. selbst als privater Rundfunkveranstalter aktiv zu werden oder sich bei privaten Rundfunkanstalten zu engagieren (Haering 1999: 784). Bei Verbandlungsbegioo wird be!ürchtet, dass der geschichtlich aufge1adeoe Begriff des Konkordats eine emotionalisierende Stimmungsmache bestimmter Gruppen gegen die Verträge hervolTUfen könnte (Haering 1999: 766). Die staatliche Garantie des öffentlich-rechtlichen status sichert in der Folge die staatlich :finanzierte Anstaltsseelsorge in Krankenh.äusem, Gefängnissen und beim Militär sowie die Einzicboog der Kircbeosteuer durch die staat1iche Finauzverwaltung (Jasper 2000: 301; Pfeiffer 2007: 38).
Religion mit dem Anspruch auf Wahrheit und Alleingültigkeit ist in Macht und Staatlichkeit geronnen. 76 Die Leitungsebene des Vatikan und der katholischen Kirche ist der Heilige Stuhl in der Person des Papstes. 77 Die untrennbare Zusammengehörigkeit wird alleine dadurch deutlich, dass das Oberhaupt des Vatikan immer nur der Papst als oberster Hirte der katholischen Kirche sein kann. In diesem Sinne argumentiert auch Sack: Völkerrechtlich ist er [sc. der Vatikan] vom Heiligen Stuhl zu unterscheiden, wenngleich in
der Praxis die Trennung wenig beachtet wird und auf internationalen Konferenzen und beim Abschluß von Verträgen im allgemeinen der Heilige Stuhl als Völker.rechtssubjekt auftritt, der jedoch nicht Staatsqualität hat (Sack 1997: 49).
Wuthe begriindet: Durch seine Souveränität über den Vatikanstaat erwächst dem Heiligen Stuhl ein zweiter Rechtstitel:für seine Vö1kerrechtssubjek.tivität. Es steht dem Apostolischen Stuhl deshalb auch :frei, entsprechend der Sachlage entweder als oberstes Organ der Katholischen Kirche oder als Souverän des Vatikanstaates auf der Ebene der internationalen Ordnung zu agieren (Wuthe 2002: 23).
Pollard sieht einen entscheidenden Grund fiir den Wiederaufstieg des Vatikan und der katholischen Kirche in der Modeme in der Person des Papstes: "the development of the devotion of the faithful to the person of the pope, a sort of papal ,cult of the personality', a close and direct relationship between Catholics and their supreme religious leader which has no precedent in the previous history of the papacy." (pollard 2005: 14-15) Dieses neue Verhältnis entsteht nach Pollard nicht zuletzt durch den technischen Fortschritt: Gläubige haben im Gegensatz zu früheren Zeiten die Möglichkeit, nach Rom zu reisen, und der Papst kann diverse Kommunikationswege nutzen, um sich direkt an seine 76
Marxismus und Kommunismus sind nicht nur politische Bewegungen. sondern. auch die Darlegung einer säkularen Theologie (Küenzlen 2003: 109). In dieser Folge inszeniert sich die Sowjetunion als säkular-religiöses Gebilde mit Feiertagen und Ritualen., einer Erinnerungskul!ur und Heilsfiguren. Hanson weist auf die darin hagründete Gemeinsamkeit bin: "The Cath.,. lie Church, like the CPSU. sees the maintenance and progress of its own institution as an integral part of its central ideological orientatioD. Neither the Curia nor the Politburo can envision the intemationalizatiOD of its highest values apart from the survival and growth of its own institution." (Hanson 1987: 326) Für eine weiterführende Beschäftigung mit den Gemeinsamkeis. Kapitel 6.2.1.1.
ten zwischen katholischer Kirche und Kommunismus
77
..Da sich die Rechtsmacht der Römischen Kmie vom Papst herleitet, ist es immer letzterer, sei es ohne, sei es mit seinem. gesamtkirchlichen Verwaltungsapparat, der mit dem. Terminus ,Heiliger Stuhl' gemeint ist." (Rauch 2005: 41) Der Papst bildet "in gewissem Sinne eine Klammer zwischen Heiligem Stuhl und Vatikanstaaf' (Renner 2005: 283).
69
Gläubigen zu wenden (Pollard 2005: 229).78 Die Gläubigen können darüber hinaus ihr religiöses Oberhaupt durch den sogenannten Peterspfennig unterstützen. 79 Weil in der Praxis die Möglichkeit der Unterscheidung, ob eine Aktivität nun von der katholischen Kirche oder dem Vatikan ausgeht, in der Regel nicht gegeben ist, werden die Strukturen und Prozesse innerhalb der Verbindung aus Staat und Kirche für die vorliegende Untersuchung als Black Box unberöcksichtigt gelassen und für den Verlauf der Arbeit als Letztentscheidungsinstanz die Begriftlichkeit Heiliger Stuhl gewählt. 80
78
79 80
70
Pollard, der in seiner Darstellung das Papsttum in der Zeit von 1850 bis 1950 untersucht. bezieht sich mit den neuen Kommunjkationswegen auf den Ausbau des internationalen Postund Telegraphennetzes. Bei Päpsten. die wie Johannes XXIII. hohe Sympathiewerte erreichen., ist die Bereitschaft besonders ausgeprägt, die katholische Kirche durch den Peterpfennig zu unterstützen. Die eigentümliche Verbindung aus Staat und Kirche als ,,Heiliger Stuhl" zu bezeichnen, entspricht der Praxis der pclitikwissecschaftlicben Auseinandersetz mit diesem Thema: ,,11 is the Holy See, not Vatican City, which enters into diplomatie relations. It is the Holy See as a spiritual and owral reality which is Ibe actor in Ibe international order." (Quinn 1984: 295) Im Lauf der Untersuchung wird die Bezeichnung Vatikan nur Iür den Fall gewählt, dass der Nlpekt der Staatlichkeit oder des Tenitoriums im. Vordergrund steht; von der katholischen Kirche ist dann zu sprechen. wenn die Ortskirchen oder die Lehre der Religionsgemeinschaft hervorgehoben werden sollen.
A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
die Themen nationale Sicherheit, ioteroationale Ordnung, Macht und Recht geht, und die transnationalen Beziehungen, io denen sich originär nichtstastliehe Akteure vor allem mit dem Thema Wohlfahrt im weitesten Sione befassen. Eioe Analyse der ioternationalen Beziehungen besteht fiir ihn - io eioem ersten Schritt - im Sichtbarmachen von ,,Knotenpunkte[n] sozialer Machtballungen", unter die er das ,,zusammenwirken vieler Individuen durch die Bündelung ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Beeinflussung ihrer Umwelt und anderer Menschen" versteht (Mauli 2000: 369). Die Bündelung sozialer Macht werde dabei erreicht über die Ausübung von Autorität (Bürokratie als Verkörperung von Stast oder ioternationaler Organisation auf der Grundlage von Befehl und Gehorsam), durch Tausch (Märkte, deren Träger Wirtschaftsakteure siod) oder freiwillige Zusammenschlüsse (auf der Basis gemeiosamer Werte, Interessen und Ziele). Maull stellt eioe Machtverschiebung io den iotemationalen Beziehungen zugunsten nichtstastlicher Akteure fest. Als Gründe hierfiir nennt er ihre gestiegene Kompetenz uod die Krise stastlicher Autorität (hervorgerufen durch eioe kritische Öffentlichkeit, Glaubensdefizite von Ideologien uod ein partielles Versagen des Stastes bei Sicherheit und Wohlfahrt). In dieser Folge bestimmten immer mehr Akteure die iotemationalen Beziehungen immer weniger (Mauli 2000: 370, 379-380). Nach Maull kommt den stasten io den interoationalen Beziehungen auch weiterhin die zentrale Rolle zu; diese Rolle habe sich jedoch von der autonomen Letztinstanzlichkeit hin zu eioer Vermittlungsinstanz zwischen subnationalen und supranationalen Politik-Anforderungen gewandelt. Die gemeiosame Herausforderung fiir stastliche und nichtstastliehe Akteure sieht er in eioer Kooperation zur Förderung und Aufrechterhaltung der stastlichen Gestaltungsfähigkeit (Maull2000: 380-381). Für Hartmann liegt der Fokus der ioternationalen Beziehungen sowohl auf politischen Akteuren und Inhalten als auch auf Handlungen zwischen Stasten uod internationalen Organisationen, die Sicherheit, Wohlfahrt und Herrschaft berühren. Dies fiihre dazu, dass auch gesellschaftliche Akteure wie Interessengruppen, transnationale Unternehmen, Religionen und der Terrorismus eine Rolle io den ioternationalen Beziehungen spielten (Hartmann 2001: 9-10).
4.2
Internationale Politik
Die ioternationale Politik wird von Czempiel als der Gegenstand der Disziplio Internationale Beziehungen definiert. Sie setzt sich aus den Außenpolitiken der eiozelnen nationalen Stasten zusammen, ist aber mehr als deren bloße Summe. Sie "ergibt sich aus der repetitiven Interaktion der Akteure zum Zweck der 72
Konfliktbearbeitung" (Czempiel 1996: 4, 12). Charakteristisch ist dabei die Offeoheit des internationalen Systems, in dem die internationale Politik stattfindet: Sie führt über die Unsicherheit gegenüber dem Verhalten der anderen Akteure zu einem Sicherheits streben, das - bedingt durch die Komplexität und Unübersichtlichkeit des Feldes - eine fehlerhafte Beurteilung der Umwelt zur Folge haben kann. Als einen möglichen Lösungsversuch sieht Czempiel die Integration der Akteure in internationale Organisationen (Czempiel 1996: 12). Vertreter anderer Theorierichtungen plädieren für die Anhäufung von Macht und schreiben internationalen Institutionen nur eine marginale Wirkung auf die Kooperationsbereitschaft zu. So sind nach Auffassung der realistischen Schule Staaten das konstituierende Element des internationalen Systems, in dem es weder ein legitimiertes Gewaltmonopol noch eine Rechtsprechungsinstanz mit Saoktionsbefugnis gibt; es herrsche Aoarchie, in der jeder Staat für die Sicherung seiner Existenz selbst zuständig sei. Aus dem Sicherheitsdilemma folge das Streben nach Macht; Krieg könne dabei eine Konsequenz des Wettbewerbs und der asymmetrischen Machtverteilung sein. Schwarzenberger nennt als Realist drei Werkzeuge der internationalen Politik: Diplomatie (auf Regierungsebene, die für Verständnis und Zustimmung bei fremden Staaten wirbt), Propaganda (im Bereich der ausländischen öffentlichen Meinung; gegenwärtige Bezeichnung: Public Diplomacy) und die Anwendung von Waffengewalt (zur bloßen Abschreckung oder zur Verteidigung) (Schwarzenberger 1955: 101). Vor der Analyse der internationalen Politik (dem outcome) steht die Beschäftigung mit den Akteuren und ihren Handlungen, also der Außenpolitik (dem output). Die Hauptakteure auf der internationalen Ebene sind Regierungen, die den Anspruch auf Souveränität erheben, aber zugleich in ihrem Handeln durch innenpolitische, soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Einflüsse begrenzt werden; demokratisch verfasste Staaten kooperieren mit gesellschaftlichen Akteuren (Czempiel 1996: 11). Formaljuristisch haben alle Staaten dieselbe Souveränität und sind keiner Instanz untergeordoet; de faeta gibt es jedoch Unterschiede in der Gewichtung ihrer Relevanz (MaulI2000: 371). Die Unterscheidung zwischen den Begriffen internationale Beziehungen und internationale Politik als Gegenstand der Disziplin Internationale Beziehungen wird in der politikwissenschaftlichen Literatur nicht durchgängig befolgt. Die vorliegende Untersuchung spricht - in Aulehnung an den gegenwärtigen Gebrauch der Begrifllichkeiten und zur Pointierung des Aspektes der strukturellen Vertlochtenheit der Staaten und ihrer Aktionen sowie der SystemZentrlerung - von internationalen Beziehungen statt internationaler Politik; sie nutzt ihn damit als Gegenstand und Fachrichtung (in letztgenanntem Fall dann: Internationale Beziehungen) und reserviert ihn für staatliche Akteure. 73
4.3
Außenpolitik
Politik ist die autoritativ (herrschaftlich) oder über den Modus der Macht erfolgende Verteilung (und Erzeugung) von Werten in den Sachbereichen Sicherheit, Wohlfahrt, Herrschaft, die vom politischen System oder von gesellschaftlichen Akteuren innerhalb des gesellschaftlichen Umfeldes einer Einheit oder innerhalb der internationalen Umwelt vorgenommen wird.
Die Außenpolitik ist staatlichen Akteuren vorbehalten; sie briogt die Interaktion in den ioternationalen Beziehungen zustande (CzempieI1996: 4, 6). Ihre Analyse untersucht jeweils die Außenpolitik eines Staates und muss dabei das Umfeld berücksichtigen, io dem diese Außenpolitik stattfindet: geographische und klimatische Bedingungen, technischer und iodustrieller Stand, Herrschafts- und Wittschaftssystem sowie die politische Kultur (CzempieI1996: 17). Die Ebenen der Außenpolitikanalyse sind das iotemationale System, der ionerstaatliche Politikprozess und die iodividuellen Entscheidungsträger. Liok definiert Außenpolitik als die aktive und reaktive Gestaltung der Beziehungen einer staatlich organisierten Gesellschaft zu ihrer Umwelt nach Zielvorstellungen. die - in Auseinandersetzung mit dieser Umwelt - im. internen Willensbildongs- und EntscheidungsprozeB entwickelt und in konkreten Handlungssituationen umzusetzen versucht werden (Link 1978b: 484).
Außenpolitik hat das origioäre Ziel, die nationale Sicherheit zu gewährleisten und sich im iotemationalen Staatensystem zu behaupten, io dem andere Staaten die eigene Existenz bedrohen können (Schwarzenberger 1955: 96; Schwarz 1985: 55). Der Realismus vertraut dabei auf militärische Gewalt; andere instrumente siod Diplomatie, Außenwirtschaftspolitik und Auslandhilfe. Darüber hinaus geht es io der Außenpolitik um die Umsetzung nationaler Interessen, die von gesellschaftlichen Gruppen auf eioe bestimmte Zeit gegen andere Gruppen durchgesetzt worden siod und eioe Allgemeingü1tigkeit für die jeweilige Gesellschaft erreicht haben. Der Erfolg eioer Außenpolitik lässt sich nicht nur anband des Ergehnisses für die jeweils eigene Gesellschaft beurteilen; berücksichtigt werden müssen auch die Folgen für die anderen Gesellschaften der ioternationalen Umwelt (CzempieI1993: \03).
74
4.4
Tran.nationale Beziehnngen
Link widmet sich in einer Untersuchung von deutschen und amerikanischen Gewerkschaften und Geschäftsleuten dem Einfluss von gesellschaftlichen Gruppen auf die Entstehung von zwischenstaatlichen und zwischengesellschaftlichen Beziehungen. Als gesellschaftliche Akteure gibt er Gewerkschaften, Unternehmen und Geschäftsleute, kulturelle und religiöse Organisationen an. Als Voraussetzung fiir ihr grenzüberschreitendes Engagement nennt er - neben der Abwesenheit eines Staatsmonopols darauf - eine ,,relative Autonomie" der gesellschaftlichen Akteure gegenüber dem Staat und einen nach außen gerichteten Handlungsspielraum (Link 1978a: 3). In Abgrenzung zu den internationalen Beziehungen, in denen die Interaktion ausscbließlich von Regierungen unternommen wird, definiert er transnationale Beziehungen als ,,Außenbeziehungen und Außenaktivitäten, an denen mindestens ein gesellschaftlicher Akteur beteiligt ist" (Link 1978a: 6, H. i. 0.). Link überwindet die von Singer vorgenommene Trennung zwischen der Beteiligung eines gesellschaftlichen Akteurs als Teil einer Koalition mit seinem national-staatlichen Akteur fiir die offizielle Außenpolitik einerseits und der direkten Kontsktaufnabrne eines gesellschaftlichen Akteurs mit einer ausländischen Regierung unter Umgehung der eigenen Regierungsstelle andererseits (Link 1978a: 5_6).81 Die gestiegene Bedeutung von transnationalen Beziehungen sieht Link in den seit den 1960er Jahren gewachsenen zwischengesellschaftlichen Verflechtungen und dem Niedergang der Vorstellung, dass der Staat der einzige Akteur ist, der international auftritt. Als eine Vorform der transnationalen Beziehung nennt er die Deutsche Hanse seit dem 12. und 13. Jahrhundert, in der Kaufleute großer Handelsstädte ihre Interessen bündeln und gemeinsam gegenüber dem Ausland vertreten (Link 1978a: 11-12). Als "biunengesellschaftliche Voraussetzung" fiir die politische Wirksamkeit transnationaler Beziehungen hebt Link neben der bereits genannten Autonomie der gesellschaftlichen Akteure den ,,Interventionsstaat" hervor, in dem der Staat gesellschaftliche Interessen berücksichtigt und fiir seine optimale Steuerungsfnnktion die Trennung von staatlichem und gesellschaftlichem Bereich aulhebt. In dieser Folge kommt esüber die interne Verflechtung - auch zu einer Zusammenarbeit von gesellschaftlichen und politisch-administrativen Eliten im Bereich der Außenaktivität (Link I 978a: 15, 17). In Bezug auf die Wirkungen von transnationalen Beziehungen 81
Die Unterscheidung zwischen der Interessenpolitik. gesellschaftlicher Gruppen im. Inneren und ihren autonomen AuBenaktivitäten hält Link. für von der Empirie als unzweckmäßig erwiesen. da die eine Aktivitätsart häufig die Voraussetzung für die andere sei (Link 1978.: 7).
75
fasst Link die folgenden Funktionen" zusammen: Durch ihre transnationalen Aktivitäten vermitteln und übertragen gesellschaftliche Akteure Informationen sowie Waren und Kapital; damit fördern sie Bindungen. Des Weiteren können gesellschaftliche Akteure ihre gesellschaftlichen oder stastlichen Partner beraten und unterstützen. Dadurch nelnnen sie Einfluss auf den internen Willensbildungsprozess und wirken positiv oder negativ auf bestimmte Politiken ein (Initiierungsfunktion). Je nach dem, ob die Bevölkerungen bestimmten transnationalen Aktivitäten zustimmend oder ablehnend gegenüberstehen, kann es zwischen den Gesellschaften bzw. Stasten zu einer Annäherung (assoziative Wirkung der transnationalen Beziehungen) oder Distanzierung (dissoziative Funktion der transnationalen Beziehungen) kommen. Für beide Ergebnisse spielt die Haltung der nationalstastlichen Regierung eine bedeutende Rolle (Link 1978: 23-24). Viele Autoren wählen eine weitergehende Definition der internationalen Beziehungen, die die transnationalen Beziehungen als einen Teil von ihr auffasst. Als einen Grund dafür nennt Czempiel, dass die Außenpolitik eines Stastes kein Monopol der nationalen Regierung mehr sei. Auch nichtstastliehe Akteure brächten sich stärker als früher in den Prozess der Verteilung von Werten ein und wendeten dabei Mittel an, die sich von denen stastlicher Akteure nicht unterschieden. Czempiel geht in seinem Resümee soweit, festzustellen: ,,Alle Beziehungen sind transnational, weil überall mindestens ein gesellschaftlicher Akteur beteiligt ist." (Czempiel 1981: 13, 19-21) Diese Aussage bezieht er insbesondere auf liberale Demokratien, in denen die nationalen Regierungen kein abgeschottetes Dasein fiihren, sondem auf die Interessen ihrer Gesellschaft reagieren; diese Vorstellung deckt sich mit Links Interventionsstast. Die vorliegende Arbeit wählt den Begriff der transnationalen Beziehungen nur für den Fall, dass mindestens ein gesellschaftlicher Akteur an einer grenzüberschreitenden Interaktion beteiligt ist.
4.5
Macht
Macht ist das entscheidende Medium in den internationalen Beziehungen (Czempiel 1996: 18; Schwarzenberger 1955: 9); etymologisch ist Macht auf Können und Vermögen zurückzuführen (Kobusch/Oeing-Hanhoff 1980: 585). Czempiel weist darauf hin, dass sie eine Fähigkeit ist, die erworben oder verlo82
76
Wirkungen und Funktionen von transnationalen Beziehungen gehören für Link. zusammen (Link 1978.: 22).
ren werden kann, die jedoch kein Mittel darstellt; er nennt sie eine ,,Allokationskompetenz" (Czempiel 1981: 204). Eine der arn häufigsten zitierten Definitionen von Macht stammt von Max Weber: ,,Macht bedeute! jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." (Weber 1922: 28) Weber hebt damit hervor, dass Macht nicht bloß auf Gewalt, sondern auch auf Anerkennung beruhen kann. Der Gedanke der Beeinflussung ist zentral bei Susan Strange: ,,Power is the ability of a person or group of persons so to affect outcomes that their preferences take precedence over the preferences of others." (Strange 1996: 17) Karl Deutsch sieht in der Macht die Fähigkeit, sich nicht anpassen zu müssen, sondern die Anpassung ausschließlich der Umwelt zuzuweisen (Deutsch zit. in: Czempiel 1999: 91). In ihrem Einwirken auf das Verhalten und Denken einer sozialen Gruppe oder einer Person im Interesse des Einwirkenden ähnelt Macht in ihrem Wesen der Autorität und korreliert mit der Ehrfurcht (Schischkoff 1991: 449).
4.5.1
Internationale Macht
Schwarz widmet sich dem Thema Macht in den internationalen Beziehungen und bezeichnet sie im Verlauf seiner Ausfiihrungen als internationale Macht, die für ihn "eine der gefährlichsten Herausforderungen menschlicher Existenz" bedeutet. In der Außenpolitik wird sie mit dem Ziel genutzt, sich als Staat in einer Weltstaatengesellschaft zu behaupten, in der andere Staaten einen Schaden in den Bereichen Existenz, Wohlfahrt und Unabhängigkeit verursachen können (Schwarz 1985: 55). In Bezug auf die Definition internationaler Macht spielt deshalb immer der Konflikt eine Rolle (Schwarz 1985: 52). Die Fähigkeit, Werte zuweisen zu können, gilt als Ausdruck von Macht (CzempieI1981: 204). Schwarz weist auf die gewandelte Wahrnebmung von Macht hin: Wird sie in den 1940er und 1950er Jahren primär im Kontext der Gewaltandrohung und anwendung von militärischer und wirtschaftlicher Stärke zur Brechung eines fremden Willens im Bereich der Sicherheitspolitik gesehen, ändert sich ihre Perzeption bis in die I 970er Jahre zu einer Größe innerhalb diverser Beziehungen in unterschiedlichen Themenbereichen. In den Fokus riicken "asymmetrische Interdependenzen" mit einer Beurteilung von Empfindlichkeit und Verwundbarkeit von Staaten; dadurch wächst auch das Spektrum über die bloße Anwendung von militärischer und wirtschaftlicher Macht hinaus zu vie\fältigeren Instrumenten wie Subversion und Allianzdiplomatie (Schwarz 1985: 53-54). Internationale Macht verortet Schwarz nach wie vor bei staatlich verfassten 77
Einheiten. Zwar hätten auch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen in gewisser Weise Macht, doch die Erwartong, mit der sie gegründet worden seien, habe sich nicht erfüllt. Supranationale Einrichtungen wie die Europäische Gemeinachaft hätten zwar eine nicht unerhebliche Gestaltungskraft; vor allem ihre Bürokratie könne Einfluss auf Staaten ausüben; Schwarz bewertet sie (Mitte der I 980er Jahren) als Machtfaktor aber nur von untergeordneter Wichtigkeit (Schwarz 1985: 56-57). In Bezug auf gesellschaftliche Akteure wie multinationale Konzerne, Religionsgemeinschaften, Parteien, NGOs und Terrororganisationen stellt sich fiir Schwarz die Frage nach der Messbarkeit des Einflusses auf Staaten. Als Ergebnis schreibt er (vor Beendigung des Ost-WestKonfliktes) internationale Macht den Großmächten USA und (an zweiter Stelle) UdSSR zu, sieht sie aber auch bei regionalen Großmächten wie China, Indien, Japan, Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Internationale Macht beruht nach Schwarz nicht alleine auf militärischem und wirtschaftlichem Potential, sondern wird durch das Regierungssystem des einzelnen Staates genauso bestimmt wie durch die Wertvorstellungen der Gesellschaft. Die internen Gegebenheiten von Staaten sind erhebliche Bestimmungsgrößen fiir internationale Macht (Schwarz 1985: 57-59). Schwarz unterscheidet zwischen Machtinstrumenten (Militär, Wirtschaft, Propaganda, Diplomatie), Machtstrategien (Aufbau von Imperien, Allianzen, Neutralität, Gieichgewichtspolitik) und Machtrnodalitäten (friedliche oder gewaltsame Machtanwendung). Er attestiert der Macht, zwar ein Auslöser fiir Krisen, aber auch ein Faktor fiir Ordnung zu sein (Schwarz 1985: 61,72). Mit dern Szientismus der 1960er Jahre und der gestiegenen Relevanz der transnationalen Beziehungen, in denen - wie dargestellt - gesellschaftliche Akteure eigene grenzüberschreitende Interaktionen unterhalten und damit den Handlungsspielraum der staatlichen Außenpolitik beschneiden, wird das Staatenwelt-Modell des Realismus in Frage gestellt und als eine Alternative die komplexe Interdependenz entwickelt, die den Zwängen und Kosten von Verflechtungen Rechnung trägt. Macht - bisher definiert vor allem als militärische Leistungsfähigkeit - wird zu einer ,,Beziehungsgröße, die sich aus dem Maß an wechselseitiger Verwundbarkeit, d. h. nach der Entwicklung von Abwehrstrategien verbliebenen Kosten, ergibt." (Kohler-Koch 2000: 280)
4.5.2
Macht und Interdependenz
Die Interdependenztheorie widmet sich den Abhängigkeitsstrukturen zwischen Systemen, Akteuren und Politikbereichen und möchte die Gegensätzlichkeit von 78
Innen-, Außen- und Internationaler Politik überwinden. Sie geht davon aus, dass
das internationale System als ein "mixed actor system" oder "conglomerate system" verstanden werden kann, in dem es keine feste hierarchische Ordnung gibt (Lehmkuhl2001: 193). Sie beschäftigt sich mit Wirkungszusammenhängen zwischen Entscheidungen oder Vorkommnissen in einem Staat und den daraus resultierenden Konsequenzen fiir andere Staaten; sie untersucht damit die steigende Intensität der internationalen Verflechtung. 83 Die Interdependenztheorie entwickelt sich in der Politikwissenschaft in den 1960er und 1970er Jahren und wird hervorgerufen durch den durch Interkontinentalraketen gefährdeten Weltfrieden, den Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton-Woods und die Ölkrisen von 1973 und 1979. Zuvor ist sie bereits fester Bestandteil der Forschung über den internationalen Welthandel und die Währungspolitik (Spindler 2006: 93-95). Czempiel definiert Interdependenz als eine wechselseitige Abhängigkeit von Interaktionen; eine Abhängigkeit bestehe dann, wenn "ein Akteur ein Ziel nur mit Hilfe der Kooperation anderer Akteure erreichen kann und dieses Ziel höher bewertet als den Preis, den er fiir die Kooperation der anderen entrichten muß." (Czempiel 1981: 107) Eines der prominentesten Forschungsknnzepte ist dabei - neben der Liokage-Theorie von Rosenau (1964), der transnationalen Politik von Kaiser (1969) und der ökonomischen Interdependenz von Cooper (1968) und Bergsten (1973) - der Power-andInterdependence-Ansatz von Robert Keohane und Joseph Nye (1977), der die unterschiedlich ausfallenden Kosten und Nutzen von Verflechtungen untersucht: Der Ausgangspunkt der beiden Autoren ist die veränderte Struktur des internationalen Systems, in dem sie eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit von Staaten beobachten. Diese Einschränkung wirke sich auf die Verfolgung wirtschaftlicher und politischer Ziele aus. Ihre Beobachtung machen sie u. a. daran fest, dass militärische Macht nicht mehr durchgängig das wirksamste Mittel darstellt und sich andere Machttessourcen als effizienter erwiesen haben, womit sie Stellung gegen den realistischen Standpunkt beziehen. Militärische Stärke relativiere sich, weil sie gegenwärtig mit zu hohen Kosten verbunden und ihr Einsatz kaum glaubhaft zu vermitteln sei und in dieser Folge schlichtweg als Verzweiflungstat erscheine (KeohanelNye 1977: 8, 11, 18). Die Analyseebene der Interdependenztheorie ist das internationale System. Da Interdependenz nur schwer zu messen ist, verfolgen KeohanelNye in ihrer Darstellung keine Prognosefertigkeit über die erfolgreiche Ausübung von Macht bedingt durch eine 83
Dass das Ausmaß dieser Ver:flechtung zunimmt, ist jedoch kein Konsens. Als Gründe für die differierende Beurteilung nennt Spindler die unterschiedlichen Methoden zur Messung von Interdependenz und die vielll!ltigen Definitionen von Interdependenz (Spindler 2006: 98·99).
79
asymmetrische Interdependenz; sie setzen sich vielmehr zum Ziel, herauszuarbeiten, welche Vorteile eio Akteur zu Beginn eioer Verhandlung durch seioe überlegene Interdependenzposition gegenüber seinem Verhandlungspartner hat (Keohane/Nye 1977: 19). Im Mittelpunkt ihres Konzeptes steht eioe politiksektorspezifische gegenseitige Abhängigkeit in der Weltpolitik zwischen Staaten oder Akteuren verschiedener Staaten, die durch ioternationale Transaktionen von bspw. Geld, Gütern, Personen und Nachrichten entsteht und durch deren Unterbrechung Kosten hervorgerufen werden. Interdependenz liegt nach ihrer Definition dort vor, wo Interaktionen io bestimmten Situationen wechselseitige Einflüsse und Kostenwirkungen verursachen (wozu sie bereits die Einschränkung staatlicher Autonomie zählen); eioe Interaktion ohne kostspielige Effekte nennen Keohane! Nye lediglich eioe gegenseitige Verbundenheit (Keohane!Nye 1977: 8-9). Mit der Verdichtung der Interdependenz zwischen Staaten nehmen Konflikte neue Formen an (Keohane/Nye 1977: 8); auch steigt die Notwendigkeit zur zwischenstaatlichen Kooperation, weil sich durch sie nicht nur gerneiosame Gewione realisieren lassen, sondern auch die Möglichkeit der einzelstaatlichen ProblernIösung und Stenerung abnimmt. Zwischenstaatliche Kooperation ist jedoch kein Automatismus. Interdependenzbeziehungen siod häufig dort zu beobachten, wo formale oder ioformelle Normen-, Regel- und Prozesssysterne fiir bestimmte Problernfelder das Verhalten und die Erwartungen internationaler Akteure leiten oder das Ergebnis beeinflussen, z. B. io ioternationalen Regimen. Internationale Regime können die Gestalt von zwischenstaatlichen Vereiobarungen oder Übereinkünften annehmen und bestehen, wenn ihre Verbiodlichkeit weitestgehend und dauerhaft beachtet wird (Keohane!Nye 1977: 19-20).84 Auf die Regime wirken Struktur und Prozess des ioternationalen Systems. Als Struktur bestimmen Keohane/Nye die Machtverteilung zwischen den einzeInen Staaten, unter Prozess das Verhalten der Staaten innerhalb der von ihnen vorgefundenen Machtverteilung. Der Anschaulichkeit halber vergleichen sie diese Unterscheidung mit eioern Pokerspiei, indem sie die Struktur mit dern Ausgeben
84
Czempiel definiert ein Regime als ,,die freiwillig vereinbarte, geregelte bzw. sogar verregelte
Zusammenarbeit zwischen staatlichen und/oder nichtstaatlichen Akteuren.. (Czempiel 1996: 5). Internationale Regime sind dabei nicht mit internationalen Organisationen gleichzusetzen
(obwohl sie diesen häufig ihre Entstehung verdanken), denn sie besitzen keine Akteursqualität und sind auf spezifische PolitikfeWer bezogen. Sie stellen in Aussicht, dass internationale Kooperation vorteilhaft für alle Partizipierenden sein wird und senken die Transaktionskosten von Kooperation, wie Keohane 1984 in ,,After Hegemony" herausarbeitet (Zangl2006: 123, 129). Beispiele für internationale Regime im Umweltbereich sind die Vereinbarungen über
den Ausstieg aus der FCKW-Produktion oder die Sauberh.altung des Rheins.
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der Karten und Chips zu Beginn des Spiels gleichsetten, den Prozess mit der Art, wie die Spieler die ausgeteilten Karten und Chips einsetten (Keohane/Nye 1977: 20-21). Herrscht eine Asymmetrie in der Interdependenz, kann der weniger abhiingige Akteur dies als Machtinstrument nutzen: entweder über die Kontrolle der Ressourcen (indem er darauf hinwirkt, dass andere etwas tun, was sie sonst nicht getan hätten) oder über die Steuerung des Ergebnisses von Beziehungen ("outcomes"); die Intensität seiner Macht lässt sich daran ablesen, in welcher Höhe er bei anderen Kosten verursachen kann (KeohaneINye 1977: 11, 15, 18). Keohane/Nye unterscheiden zwischen Interdependenz-Empfindlichkeit und Interdependenz-Verwundbarkeit: Interdependenz-Empfindlichkeit ("sensitivity") bezieht sich auf Ereignisse in Staaten oder internationalen Organisationen, die immer häufiger auch auf fremde Staaten einwirken, d. h. Probleme anderer Staaten werden in den eigenen importiert; Empfindlichkeit bezeichnet dabei den Grad an Empfänglichkeit gegenüber diesen Einflüssen und der eigenen Reaktionsfähigkeit in dem politische Rahmen, der nicht geändert werden kann. Zur Erläuterung nennen die Autoren die Ölpreissteigerungen in den 1970er Ja1rren und deren unterschiedliche ökonomische Wirkung auf die USA, Japan und Westeuropa und die sozialen Ansteckungseffekte am Beispiel der radikalen Studentenbewegungen Ende der 1960er Jahre. Interdependenz-Verwundbarkeit ("vuInerability") bedeutet dagegen, dass Staaten sich als verletzbar herausstellen können, wenn sich die Kosten der Interdependenz als zu hoch erweisen; die Verwundbarkeit bezieht sich auf die relative Verfiigbarkeit und die Kosten von Alternativen; der Akteur ist durch die äußeren Einflüsse selbst dann belastet, wenn er mit politischen Gegenmaßnaiunen antwortet: So sind die USA in den 1960er Jahren weniger verletzbar von ausländischen Spekolanten und Zentralbanken, die ihre Währungsreserven umtauschen, als Großbritannien (Keohane/ Nye 1977: 12-13). In einer Gegenüberstellung arbeiten KeohaneINye heraus, dass der Grad an Verwondbarkeit durch Interdependenz als bedeutsamer zu beurteilen ist als die Empfindlichkeit: An innenpolitischen Protesten gegen die mangelnde Bereitschaft der amerikanischen Regierung, die Hungersnot in Schwarzafrika nachhaltig zu bekämpfen, zeigen die Autoren, dass es der ameriktmischen Regierung relativ leicht gelingen kann, durch innen- und außenpolitische Maßna1unen die Intensität ihrer Empfindlichkeit zu verringern. Dies gelingt dann, wenn zeitnah eine Anpassung an die neuen Gegebenheiten vorgenommen werdeu kann, um damit Kosten senken zu können. Anders gestaltet es sich bei der Verwondbarkeit, die auch dann Kosten hervorruft, selbst wenn der Betroffene seine Politik zu ändern versucht (Keohane/Nye 1977: 13, 15). Für die Reduzierung der 81
eigenen Interdependenz-Verwundbarkeit empfehlen die Autoren die Übernahme einer Politikkoordinierung und eine internationale Führerschaft - z. B. durch Förderung und Ausbau der Kooperation in internationalen Organisationen und Regimen (,08 strategy of policy coordination and international leadership") (KeohanelNye 1977: 106). Interdependenz tritt in dieser Darstellung als intervenierende Variable zwischen der Macht (unabhängige Variable) und dem Politikergebnis (abhängige Variable) auf; sie verändert ,,Kontext und Struktur internationaler Verhandlungen" (Spindler 2006: 104). KeohaneJNye weisen gleichwohl auf die Grenzen der Macht durch asymmetrische Interdependenz hin: Die genannten Asymmetrien müssten in ihrem jeweiligen Kontext gesehen werden, bspw. im Prozess der politischen Verhandlung oder bei partnerschaftlichen Beziehungen wie dem amerikanisch-kanadischen Verhältnis (KeohanelNye 1977: 18-19). Die bereits angefiihrte Notwendigkeit zur zwischenstaatlichen Kooperation kann nach dem Interdependenz-Ansatz durch internationale Institutionen gefördert werden. Diese agieren über der nationalstaatlichen Ebene und sind als relativ dauerhafte und stabile Verhandlungsforen eine Iuformationsquelle über die Absichten und Aktionen anderer Akteure. Indem sie die Erwartungen über das Verhalten anderer stabilisieren, schaffen sie Vertrauen, Transparenz und eine Reduzierung der Transaktionskosten zwischenstaatlicher Kooperation. Die nach KeohanelNye zunehmende und intensiver werdende Interdependenz nähert sich dem Zustand der komplexen Interdependenz": Mit ihr entwerfen die Autoren einen disparaten Idealfall des internationalen Systems zum Realismus (KeohanelNye 1977: 24-37). Diese "analytische Behelfskonstruktion von heuristischem Wert" (Spindler 2006: 102) spiegelt jedoch nicht die Realität wider und wird von KeohaneJNye selbst als Gedankenexperiment bezeichnet, das sie am ehesten in den Beziehungen westlicher Industriestaaten auf den Feldern der wirtschaftlichen und ökologischen Interdependenz beobachten (KeohanelNye 1987: 737, 1977: 225-226). Hier gilt, dass Staaten nicht die einzigen Akteore in der Weltpolitik sind und transnationale Beziehungen sich als ebenso wichtig fiir diesen Bereich erweisen. Politische Prozesse fragen in diesem Idealtyp nach dem Umgang mit Machtressourcen; KeohaneJNye stellen hierzu fest: Je deutlicher sich die komplexe Interdependenz zeigt, desto unschärfer wird die priuzipielle Machtüberlegenheit eines Staates, denn "zwischen 85
82
Hierzu bemerkt Spindler: ,,Es hätte nicht so viele Irritationen bei der Rezeption von Pa! [sc. Power and Interdependence] gegeben, würden KeohaneINye nicht im Grunde genommeo einen doppelten Interdependenz-Begriff verweoden: Der Begriff der Interdependenz ( ... ) ist nicht ideotisch mit .komplexer Interdependenz'" (Spindler 2006: 101. H. i. 0.).
Machtressourcen und Macht als Kontrolle über Politikergebnisse ,wirkt' Interdependenz als intervenierende Variable" (Spindler 2006: 103, H. i. 0.). Dies hat zur Folge, dass zum einen militärische Übermacht nicht mehr grundsätzlich zu einer Übermacht auch in anderen Bereichen führt; die jeweiligen Politikfelder sind gesondert zu betrachten. Zum anderen muss festgestellt werden, dass mit steigender Interdependenz auch die Möglichkeit nichtstaatlicher Akteure wächst, sich am internationalen Agenda-Setting zu beteiligen; ferner nimmt die Bedeutung von internationalen Organisationen zu (Spindler 2006: 103-104). Kritiker des Power-and-Interdependence-Aosatzes bemängelo, dass KeohaneINye mit ihren Erklärungen auf der Ebene des internationalen Systems stecken blieben und Staaten unverhältnismäßig stark als dominante und geschlossene Einheiten betrachtet würden; eine Binnendifferenzierung der Staaten fehle ebenso wie eine Beleuchtung ihrer Rolle im Prozess der zunelonenden Interdependenz. Ferner wird ihnen ein tautologisches Vorgehen vorgeworfen, in dem Ziele und Instrumente staatlicher Politik als Merkmale und als Folge komplexer Interdependenz erschienen. Auch bleibe die Frage nach der Entstehung von Interdependenz unbeantwortet: Der Hinweis auf ,,Kräfte der Modemisierung" sei unbefriedigend (Spindler 2006: 110-116).
4.5.3
Die andere Macht: Soft Power
Nach dem Interdependenz-Aosatz ist nicht mehr militärische Gewalt das bedeutendste Instrument, sondem die Verfiigungsgewalt über die Ressourcen für bestimmte Sachbereiche. Czempiel bestätigt, dass Gewaltanwendung im internationalen System zwar auch weiterhin ein mögliches Mittel ist, sie ihre politische Gestaltungskraft jedoch verloren hat; gesellschaftlicher Konsens könne mit ihr nicht erreicht werden (Czempiel 1999: 78,244). Politische Gestaltungskraft besitzt hingegen in besonderer Weise derjenige, der Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben kann; als eine Ressource für den Sachbereich öffentliche Meinung ist Soft Power zu nennen. Soft Power ist - in Bezug auf staatlich verfasste oder gesellschaftliche Akteure - eine der sogenannten neuen Machtformen, die Joseph Nye in zahlreichen Veröffentlichungen zum Gegenstand seiner Forschung macht. Als Grundlage für diese Beschäftigung dienen ilon Überlegungen von Peter Bachrach und Morton Baratz, die in ihrem 1962 erschienen Aufsatz "Two Faces Of Power" schildern, wie Pluralists und Elitists Macht und Einflussnalune zu erklären versuchen, um dann mit einem eigenen Beispiel zu belegen, dass beide Herangehensweisen zu kurz greifen. hn Mittelpunkt des Beispiels von Bachrach und Baratz steht ein Universitätsprofessor, 83
der sich vornimmt, bei der kommenden Fakultätssitzung Kritik an dem eingeschlagenen Weg der traditionsreichen Leitung zu üben; in dem Moment des Aufbegehrens verharrt er jedoch in Schweigen (BachrachIBaratz 1962: 949). Neben den Erklärungsversuchen, der Professor sei ängstlich gewesen, wollte nicht illoyal erscheinen und habe sich gesorgt, mit seiner Meinung in der Minderheit zu sein, vermuten die Autoren einen weiteren Grund: Die Leitung der Fakultät habe imaginäre Barrieren errichtet, und dieser Tatbestand lasse auf ein zweites Gesicht von Macht schließen. 86 Bachrach und Baratz räumen ein, dass diese Art von Macht nur schwer objektiv zu messen ist (BachrachIBaratz 1962: 952); sie umfasst auch Nicht-Entscheidungen und Nicht-Ereignisse, was in der Folge darauf schließen lässt, dass es Strukturen gibt, die Entscheidungen beeinflussen (Lichtblau 1980: 613).
4.5.4
Zur Unterscheidung von Hard Puwer und Soft Power"
Unter Macht versteht Nye zunächst die Befähigung, die Ergebnisse herbeizufiihren, die man haben möchte, und dabei gegebenenfalls das Verhalten anderer entsprechend zu ändern: ..power is the ability to influence the behavior of others to get the outcomes one wants. But there are several ways to affect the behavior of others. Y ou can coerce them with threats; you can induce them with payments; or you can attrac! and co-opt them to want what you want." (Nye 2004b: 2) Neben den herkömmlichen (harten) Machtressourcen wie Bevölkerungsanzahl und Territorium listet Nye wirtschaftliche Stärke und militärisches Potential auf (Nye 2003: 69). Eine hohe Bevölkerungszahl ist als eine leistungsfähige Steuerquelle anzusehen und gilt in früherer Zeit als vorteifbaft für die Rekrutierung von Infanteriesoldaten (Nye 1990a: 154). Ausschlaggebend für die Beurteilung des Territoriums sind nicht nur Größe und Qualität (Rohstoffe und Bodenschätze erhöhen die Autarkie eines Landes), sondern auch die geographische Lage (Joffe 2002: 160), die Beschaffenheit von Grenzen, das Vorhandensein eines Meerzugangs sowie das Klima. Zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zählen neben der Stärke der Unternehmen das Bruttosozialprodukt, der 86
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Die Autoren zitieren in diesem Zusammenhang Schattschneider: ,.All forms of political organization have a bias in favor ofthe exploitation of same kinds of conflict and the suppression of others because organization ja the mobilizatioll ofbias. Some issues are organized into politics while athers are organized out." (Schattscbneider zit. in: BachrachlBaratz 1962: 949, H. i. 0.) Die Begriffe Hard Power und harte Macht bzw. Soft Power und weiche Macht werden synonym verwandt.
technische Entwicklungsstand des Landes und die Infrastruktur. Im Hinblick auf das Militär spielen die qualitative Ausbildung der Soldaten und ihre Ausrüstung eine bedeutende Rolle. Befehlsmacht, also zu verändern, was andere tun, greift hier in der Regel auf Zwang, Drohung, Einschüchterung, Erpressung und Repression zurück. Verstärkt wird harte Macht nun durch weiche Macht; ihre Unterscheidung ist gradueller Art (Nye 2003: 30, 254). Gemeinsam ist harter und weicher Macht, dass sie das Verhalten anderer beeinflussen können, um ein Ziel zu erreichen. Ein Staat profitiert davon, wenn andere Länder seinen Idealen nacheifern oder ihn (z. B. fiir das Niveau von Wohlstand und Offenheit) bewundern (Nye 2003: 29). Aber auch internationale und zivilgesellschaftliche Organisationen, internationale Unternehmen oder kulturelle Einrichtungen, die vielfach auf Hard Power verzichten müssen, können Soft Power besitzen. Maresch bezieht sich auf den Geographen und Wirtschaftshistoriker Harold Adam Innis, demzufolge jede Macht zweigesichtig sei: Wolle ein Imperium auf Dauer bestehen, sei es gezwungen, Raum und Zeit zu kontrollieren. Raumkontrolle obliegt der Politik und dem Militär, Zeitkontrolle biogegen der Religion, den Massenmedien und ihren Programmen. ( ... ) Erst wenn die symbolische wie reale Besetzung von Zeit und Raum funktioniert, das Zusammenwirken von Hard Power (politik, Militär) und Soft Power (Kultur, Ideologie) gelingt, ist Dominanz, Superiorität und langes Regieren möglieb (Maresch 2002: 252).
Soft Power ist dabei nicht gleich Einfluss, obwohl sie eine Quelle des Einflusses ist; sie ist auch mehr als Überredungskunst: Soft Power bedeutet verlockend, anziehend und glaubwürdig zu sein (Nye 2003: 30, IU). Perthes übersetzt weiche Macht als Attraktivität (als ein Ergebnis aus Kommunikation und Wissen) der eigenen Kultor, Werte, Ideen, Politik und des politischen Systems, als Glaubwürdigkeit und einer positiven öffentlichen Meinung des Auslandes gegenüber dem eigenen Staat (perthes 2007: 5). Wittig unterstreicht, dass Soft Power auf Reputation und Anerkennung durch Dritte bernht und der ständigen Pflege bedarf (Wittig 2007: 8). Nye konstatiert, dass weiche Macht - ähnlich wie die Liebe - schwierig zu messen ist und letztlich nicht jeder von ihr berührt wird (Nye 2003: 31). Kritiker des Soft-Power-Konzeptes bestreiten hingegen ihre Relevanz: Sie führen an, dass Attraktivität und Popularität immer nur kurzlebig sei, kein Kriterium z. B. fiir die amerikanische Außenpolitik sein dürfe und sich Gegner der USA, wie die Attentäter des 11. September 2001, nicht durch amerikanische Werte und Errungenschaften von ihrer terroristischen
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Absicht abhalten ließen (Nye 2004a: 16-17)." Sie sehen in Soft Power einen mitunter weltfremden Idealismus, der hilflos in einer gewalt-geprägten Welt und fragil sei." Weiche Macht kann nicht in einer Weise vergrößert werden, wie man militärisches Gerät hinzukauft. Sie muss sich erarbeitet werden, und da sie häufig ein "unbeabsichtigtes Nebenprodukt gesellschaftlicher Kräfte" ist (Nye 2003: 209), fällt es einer Regierung oftmals schwer, sie zu verwerten. Arroganz und Gleichgültigkeit gegenüber der Meinung anderer können weiche Macht schwächen; sie kann auch als Bedrohung empfunden werden (Nye 2003: 114). Nye weist darauf hin, dass ein Land wie die USA sowohl harte als auch weiche Macht braucht (Nye 2003: 209). Zusammen eingesetzt sind sie am effektivsten (Sloan/Borchert 2005: 524), was Nye als "smart power" bezeichnet (Nye 2004b: 57, 2008: x). Soft Power sollte nicht als Ausdruck von Gutmenschentum und Interesselosigkeit missverstanden werden: Es ist vielmehr das Ziel, die eigenen Werte und Vorstellung zu verbreiten, das eigene Ansehen zu stärken, gute Beziehungen zu anderen Staaten und Akteuren aufrecht zu erhalten und Einfluss auszuüben (perthes 2007: 5). Voss-Wittig sunrmiert Soft Power daher als die Fähigkeit eines Landes, andere fiir sich zu gewinnen oder eine Entscheidung zu dem eigenen Vorteil zu bewegen, ohne dabei Druck oder Zwang anzuwenden. Sie unterscheidet darüber hinaus zwischen aktiven Soft-Power-Inatrumenten (Dialog der Diplomatie, Public Diplomacy, zwischenstaatliche oder internationale Zusammenarbeit) und passiven Soft-Power-Instrumenten (Strahlkraft der Errungenschaften eines Landes, vorbildhaftes Handeln, das zum Maßstab fiir andere wird) (Voss-Wittig 2007: 34-35). Nye ist überzeugt, dass Huntington 88 89
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Dass Donald RumsfeW während seiner Amtszeit als Verteidigungsminister der USA überspitzt vorgibt. den Begriff der Soft Power erst gar nicht zu verstehen. ist nur ein Beispiel (Nye 2004.: 16-17). Obwohl selbst Kagan zum Schluss seiner Ausfiihrungen über das Problem des transatlantisehen Verhältnisses davon spricht, dass die USA mehr Verständnis und intellektuelle Großzügigkeit zeigen und mehr Anstrengungen unternehmen sollten. die Meinung der anderen zu achten, und dass eine europäische Unterstützung einem amerikanischen Alleingang immer vorzuziehen sei, ist der Tenor seiner Überlegungen jedoch folgender: ,,Das Problem. ist, dass die Vereinigten Staaten gelegentlich nach den Regeln einer Hobbesschen Welt agieren müssen. auch wenn sie damit gegen die postmodernen Normen Europas verstoßen. Sie sind gezwungen., die Einhaltung gewisser internationaler Abkommen zu verweigern. die ihre Fähigkeit. in Robert Coopers Dschungel erfolgreich zu kämpfen, beeinträchtigen könnten. Sie sind gezwungen, Rüstungskontrollen zu unterstützen. können sie aber nicht immer für sich selbst gelten lassen. Sie müssen mit einer Doppe1mora11eben. Und sie müssen gelegentlich einseitig agieren, nicht weil sie dem Unilateralismus so innig zugetan wären, sondern weil den Vereinigten Staaten in Anbetracht eines schwachen Europas, das die Machtpolitik überwunden ha~ nichts anderes übrig bleibt, als einseitig zu handeln." (Kagan 2003: 116-117)
sich irrt, wenn er für die Existenz von Soft Power Hard Power voraussetzt. Richtig sei allerdings, dass materieller Erfolg eine Kultur attraktiv mache bzw. dass wirtschaftliche und militärische Misserfolge das Gegenteil bewirkten (Keohane/Nye 1998: 86). Schließlich kann Soft Power auch Hard Power legitimieren, wenn bspw. ein militärischer Einsatz oder Repressionen deswegen geduldet werden, weil man dem agierendeo Staat vertraut (SloanlBorchert 2005: 524). Soft Power kann als ein Altemativkonzept interessant werden, wenn die Hard-Power-Strategie eines Staates nicht erfolgreich ist. Als Beispiel nennt Wagner Indien, dessen Bemühungen in den 1970er und 1980er Jahren, zu einem Hard-Power-Hegemon zu werden (Belege dafür sieht er in deo militärischen Invasionen in Sri Lanka und Ost-Pakistan sowie im Nukleartest 1974), scheitern und dessen Interessen sich nach der ökonomischen Liberalisierung 1991 wandeln (Wagner 2005: 2). Ein weiterer bedeutsamer Aspekt von Soft Power ist, dass ihre Zuschreibung in erster Linie innerhalb einer Wertegemeinschaft stattfindet (z. B. in der westlichen Wertegemeinschaft USA - Europa), da ein Konsens darüber, was letztlich mit den Attributen verlockend, anziehend und glaubwürdig bezeichnet wird, innerhalb unterschiedlicher Kulturkreise bisweilen schwerfällt: Andere Kulturen bedeuten andere Rationalitäten und Normen (Wittig 2007: 9). Letztlich kann Soft Power die Handlungsfähigkeit eines Landes auch behindern: Schwarz stellt in einem Vergieich zwischen deo USA und der So\\jetunion fest, dass letztgenannte im Einsatz ihrer Machtmittel freier war, weil sie nicht (wie die USA) Rücksicht auf innenpolitische Stinunen zu nehmen hrauchte oder Gefahr lief, ihr Ansehen zu verlieren (Schwarz 1985: 5859).
4.5.5
Zur gestiegenen Bedeutung von Soft Power
Weiche Macht ist kein neues Phänomen, doch Nye stellt im Zeitalter der globalen Iuformationsverbreitung ein Wachstum ihrer Bedeutung fest, weil sie weniger kostsrielig als der Gebrauch von harter Macht ist (Nye 2003: 112,208, 1990b: 190).' Beobachtet wird die gestiegene Bedeutung von neuen Akteuren (nichtterritoriale Akteure wie z. B. multinationale Firmen), transnationalen 90
Joffe pflichtet ihm bei: ."Hanl' power - men and missiles, guns and ships - still counts. It remains the ultimate, existential cunency of power. But on the day-to-day transaction level, ,Soft Power' is the more interesting coinage. It is ,less coercive and less tangiblc'." (Jaffe 2002: 169-170)
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Sozialbewegungen und internationalen Organisationen (Keohane/Nye 1998: 81). Durch die technologische Revolution im Bereich der Informationsverarbeitung und Kommunikation haben jetzt auch Individuen und kleine Gruppen bestimmte Machtmittel, die bisher das Monopol von Regierungen sind.'! Jeder, der mit einem PC und einem Modem ausgestattet ist, könne heute kostengiinstig zu einem "desktop publisher" werden (Keohane/Nye 1998: 83, 2003: 8). Diese Möglichkeit muss mittlerweile sicher um die Bedeutung von sozialen Netzwerken im Internet und von multifunktionalen Handys ergänzt werden, wie ihr Einsatz z. B. bei der Grünen Revolution im Iran im Jahr 2009 oder beim Fall der Regime in Tunesien und Ägypten Anfang 20 II zeigt. Globale Themen rücken stärker in deu Fokus der öffentlichen Wahrnehmung (Nye 1990a: 163-164). Fiir den Niedergang der militärischen Macht sieht Nye die Gründe in der nuklearen Bedrohung, im Nationalismus schwacher Staaten, in der Gefahr, durch militärische Konflikte wichtige Kontak\e in anderen Bereichen zu verlieren, in der Ächtung des Kriegs in demokratischen Staaten sowie in der ökonomischen und ökologischen Verflechtung der Staaten (Nye 1990b: 30).92 Hinsichtlich der Relevanz von Soft Power weist Czernpiel darauf hin, dass an die Stelle der Staatenwelt die Gesellschaftswelt getreten sei, in der die Ansprüche der Gesellschaft dominierten. Er definiert die Gesellschaftsweit über die Emanzipation der Gesellschaft vom Staat; mit dem Anstieg des Wohlstandes habe sich die Bildung als fester Bestandteil des Menschen durchgesetzt, die wiederum zu einem Anstieg des Informationsbedürfnisses und dem Willen zur Mitgestaltung gefiihrt habe (Czempiel 2002: 27). Dieser Vorgang befördert nach Czempiel gesellschaftliche Akteure herauf, die eigene Interaktionen mit der internationalen Umwelt unterhalten und dem Staat damit sein außenpolitisches Monopol nehmen. Die Entwicklung zur Gesellschaftswelt werde dabei durch den Ausbau der Kommunikations- und Verkehrsnetze beschleunigt (CzempieI1999: 45).
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Nye bemerkt an anderer Stelle: "Th.e process of modemization, urbanization, and increased communication in developing nations has also diffused power from govemment to private actors." (Nye 1990b: 185) Nye nennt als Beispiel einen amerikanischen Admiral, der 1853 Japan noch erfolgreich damit drohen kann, bei einer Nichtöflhung für den Handel die japanischen Häfen zu bombardieren (Ny. 1990b: 28-29).
4.5.6
Der Eirifluss aufdie öffentliche Meinung als Machtressource und die Rolle der Medien
Die Bedeutung der öffentlichen Meinung ist nicht erst durch den Fortschritt in der Kommunikationstechnik, der Digitalisierung der Medienwelt oder das Internet gewachsen: Die Informationsmöglichkeiten vermehren sich seit der Erfindung des Buchdrucks stetig und mit ihr die Informationsverbreitung. Vor diesem Hintergruod ist der Einfluss auf die öffentliche Meinung als Machtressource zu betrachten. In Demokratien steht die öffentliche Meinung zwischen der Bevölkerung und ihrer Regierung. Wie sie entsteht und welchen Einfluss sie auf die Regierung hat, wird kontrovers diskutiert; selbst über ihre Definition herrscht in hohem Maße Uneinigkeit. Tentativ kann die öffentliche Meinung als die Gesamtheit der Meinungen der Mitglieder einer Gesellschaft zu einer Angelegenheit oder Person, aber auch als der Standpunkt der Massenmedien bezeichnet werden (Holtmann 2000: 431). Der Forderung, mehrere öffentliche Meinungen nebeneinander (statt nur einer) zu akzeptieren, erteilt Noelle-Neumann eine Absage; ihre Auslegung von öffentlicher Meinung bezieht sich auf diejenige, die sich im Ringen mit anderen Meinungen durchgesetzt hat und gegen die man nicht mehr Stellung beziehen kann, ohne sich der Gefahr einer Isolation auszusetzen (Noelle-Neumann 1998: 92). Die öffentliche Meinung ist nach Schwarzenberger ein spontanes Phänomen, das im Allgemeinen unabhängig von Institotionen ist, jedoch auch organisiert und gelenkt werden kann, z. B. durch die (Schul-) Erziehung des Einzeloen, durch die Medien oder offene Propaganda (Schwarzenberger 1955: 93-94). Während Regierungen in totalitären Staaten das Monopol auf die öffentliche Meinung fiir sich einfordern und sie in autoritären Staaten dieses Monopol unter Umständen mit anderen Eliten (z. B. aus Wirtschaft und Kirchen) teilen, herrscht in demokratisch verfassten Staaten ein Wettbewerb zwischen der Regierung und gesellschaftlichen Groppen um die öffentliche Meinung. Eine intakte öffentliche Meinung - also ein unbeschränkter Informationsfluss - ist insofern das Fundament fiir die Legitimation einer demokratischen Ordnung. Henze bezeichnet die öffentliche Meinung als ein ,janusköpfiges Phänomen": Sie könne als ein Zeichen der lebhaften politischen Teilhabe verstanden werden, wenn demokratische Regierungen, die um Zustimmung werben, durch die öffentliche Meinung in ihrem Handeln beeinflusst werden. Die andere Gesichtshälfte verortet er dagegen im Risiko, das die öffentliche Meinung beinhaltet, wenn sie sich z. B. gegen Minderheiten richtet (Henze 2008: 41). Höse/Oppermann nähern sich der öffentlichen Meinung über einen Vergleich der Begriffe Werte, Einstellungen und Meinung: Werte erklären sie 89
als dauerhafte, universale und situationsübergreifende Überzeugungen, die abstrakt sind und als handlungsbestimmend für alle erachtet werden, wohingegen Einstellungen greitbarer und situationsabhängiger sind als Werte, aber deshalb auch leichter verändert werden können. Bei einer Meinung handelt es sich schließlich um die oberflächlichste (weil am leichtesten veränderbare) Handlungsdisposition: Sie macht die Einstellungen sichtbar und bezieht sich auf konkrete Situationen und Objekte. Dies führt die Autoren zur Definition von öffentlicher Meinung als eine ,,Aggregation von individuellen Einstellungen und Meinungen zu Gegenstiinden, die von öffentlichem Interesse sind und politischen Entscheidungen unterliegen können" (Höse/Oppermann 2005: 375-376). Sie ergänzen, dass sich diese Einstellungen und Meinungen mit Hilfe von demoskopischen Erhebungen empirisch ermitteln lassen. Die Relevanz der öffentlichen Meinung steigt, wenn in der Bevölkerung eine Art Geschlossenheit oder Konsens zu einem bestimmten Thema feststellbar ist, wenn es zwischen politischen Eliten in der inhaltlichen Ausrichtung einen Dissens gibt, wenn Wahlen oder Referenden bevorstehen oder die Salienz" des Themas hoch ist (Höse/Oppermann 2005: 389). Noelle-Neumann unterscheidet zwei Arten von öffentlicher Meinung: die des lntegrationskonzeptes und des Elitekonzeptes. Das Integrationskonzept umfasst alle Menschen und beinhaltet ein Verstiindnis von öffentlicher Meinung als eine die Gesellschaft zusammenhaltende Mischung aus sozialer Kontrolle, ungeschriebenen Gesetzen und einem Konformitätsdruck (Noelle-Neumann 1998: 81-82). ln dieser sozialpsychologischen Auffassung, die auch von Platon, Aristoteies, Cicero, Montaigne und Hume vertreten wird, ist die öffentliche Meinung keine Angelegenheit von Eliten, sondern die des Volkes: Jeder einzelne Mensch bringt die öffentliche Meinung hervor. Sie bildet eine erhebliche Macht gegenüber der Regierung, aber auch gegenüber allen Mitgliedern der Gesellschaft. Noelle-Neumann erklärt diese Macht in Bezug auf den Einzelnen mit der Isolationsfurcht des Menschen; im Mittelpunkt ihrer Argnmentation steht dabei die Sichtweise von John Locke über die soziale Natur des Menschen: Niemand, der die Sitten und Auffassungen seiner Umwelt verletzt, entrinnt der Strafe ihrer Kritik und ihrer Feindseligkeit. Nicht einer unter zehntausend Menschen ist so unbeugsam
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Salienz ist ein aus der Sozialpsychologie stammender Begriff: Unter salienten Stimuli sind Reize zu verstehen. die hervorstechen und auffallen (Stolz 2000: 87-88). Salienz ist im vorliegenden Kontext die Messgröße für den Erfolg von Agenda-Setting und 81bt über die Wichtigkeit eines Themas :für die Medien und die öffentliche Meinung in Relation zu anderen Themen Auskunft.
und so stumpf, so unempfindlich, dass er sich aufrechthalten könnte, wenn er in seinem Kreis nur auf Ablehnung und Unbeliebtheit stößt (Locke zit. in: Noellc-Neumann 1998: 84).
Eine Dimension dieses Verständnisses ist dabei das Mitläufertum der Menscheo; auf dieser Basis entwickelt Noelle-Neumano ihre Konzeption der sogenannten Schweigespirale. 94 Sie arbeitet des Weiteren heraus, dass sich die öffentliche Meinung nicht über Sachargumente bildet, sondern über Moral, Werte und Gefühle, womit der öffentlichen Meinung etwas ,,Diffuses, Unbestimmbares, Unberechenbares" anlastet (Noelle-Neumann 1998: 87-88). Mit dem 18. Jahrhundert und der Aufklärung tritt nach Noelle-Neumano eine neue Auffassung von öffentlicher Meinung neben die ursprüngliche Auslegung: die des Elitekonzeptes. Dieses spricht der Mehrheit der Bürger die Qualifikation zur politischen Partizipation ab: "Öffentliche Meinung wurde zur Meinung der urteilsfähigen, kritisch räsonnierenden [siel], verantwortungsbewusst der Regierung gegenübertretenden Bürger." (Noelle-Neumano 1998: 82, H. i. 0.) Befiirworter dieses Konzeptes sind Hennis, Bourdieu, Foucault und Habermas. Noelle-Neumano findet hierfiir den Ausdruck der "veröffentlichten Meinung", da es sich um ein Produkt von Eliten und Intellektuellen handelt (NoelleNeumano 1998: 83). Hier herrsche Rationalität statt Emotionen, und eine iuformierte Elite, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fiih1t, bringe die öffentliche Meinung hervor. Beide Konzepte stehen sich gegenüber; bei allen Unterschieden ist ihnen gemeinsam, dass sie der öffentlichen Meinung eine Macht zuschreiben, die weder der einzelne Bürger noch die Regierung ignorieren kann. Rousseau beurteilt die öffentliche Meinung als eine Art Sittenwächterin, die mit den Normen und Bräuchen der Menschen verwurzelt ist, und unterstreicht damit ihr Machtpotential. Gallus/Lühe bemerken hierzu: ,,Die öffentliche Meinung bei Rousseau hat eine disziplinierende Funktion und stellt eine Kraft dar, die nicht
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Prozess der Schweigespirale erklärt sie wie folgt: "Wenn eine Position von der Mehrheit der tonangebenden Medien eingenommen wird und die Bevölkerung von dieser Position zunehmend überzeugt ist. werden die Anhänger dieser Ansicht zunehmend mutiger und äußern sich laut und selbstbewusst in der Öffentlichkeit und stecken damit andere an, sich auch in der Öffentlichkeit zu äußern. Zugleich werden die Anhänger der Gegenmeinung unsicher und furchtsam und verfallen in Schweigen und stecken andere an, ebenfa11s vorsichtig in der Öffentlichkeit zu schweigen. Damit erscheint das erste Lager stärker, als es wirklich ist, und das Gegenlager schwächer, als es wirklich ist. Und damit kommt die Schweigespirale - man kann auch sagen die Redespirale - in Gang und entscheidet, welche Meinung sich im. Kampfum öffentliche Meinung durchsetzt." (NoelJo.Neumann 1998: 86, H. i. 0.) Das Konzept der Schweigespirale ist wegen seiner theoretischen und empirischen Mängel jedoch nicht unumstritten.
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nur die Regierung betrifft, sondern auf jeden Einzelnen in der Gesellschaft eine sittlich-soziale Kontrolle ausübt." (Gallus/Lübe 1998: 17) Der Einfluss der modemen Massenmedien auf die Gesellschaft ist unbestritten: Luhmann versteht unter Massenmedien alle gesellschaftlichen Einrichtungen, "die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen". Ob die Veröffentlichung von Inhalten auf gedrucktern oder elektronischem Weg stattfindet, ist dabei zweitrangig; wichtige Aspekte sind fiir ihn "die maschinelle Herstellung eines Produktes als Träger der Kommunikation" fiir ein verstteutes Publikum und die fehlende Interaktion zwischen Sender und Empfänger (Luhmann 2009: 10):' Mit ihren (Live-) Berichten machen sie den Zuschauer zu einem Teil des Geschehens. Medien können Druck auf die politische Elite ausüben, weil sie den Bürger dabei unterstützen, sich mit Informationen und Definitionen zu versorgen, die sich dem staatlichen Zugriff entziehen (Hoge 2000: 327-328). Czempiel zählt den Sachbereich Information zu den ,,maßgebenden Herrschaftsinstrumenten"; über die Art des Umgangs mit Informationen könne das V erhalten oder die Einstellung von Menschen verändert werden (Czempiel 1981: 170-171).96 Medien haben einen - nach dem Elitekunzept den entscheidenden - Einfluss auf die öffentliche Meinung. Noelle-Neurnann sieht darin die Ursache, dass die öffentliche Meinung (des Integrationskonzeptes) mit der veröffentlichten Meinung (Elitekonzept) gleichgesetzt wird. Sie stützt sich dabei auf Untersuchungen, die eine Korrelation zwischen der vorherrschenden Meinung in den Medien und der Einstellung der Bevölkerung belegen. Die Stimmfiihrerschaft der Medien erachtet sie als notwendig, damit sich die Bevölkerung artikulieren kann (Noelle-Neumann 1998: 83, 90). Für das Thema Außenpolitik beurteilen Höse/Oppermann die Medien als notwendige Bedingung fiir die Entstehung einer öffentlichen Meinung, da sich die komplexen Zusammenhänge jenseits nationaler Grenzen in der Regel einer direkten Betrachtung entziehen (Höse/Oppermann 2005: 390). Die Mobilisierung der öffentlichen Meinung ist in der Regel aber nur von kurzer Dauer und gelingt vor allem über emotionale Bilder (Hoge 2000: 329). Die Effekte der Massenmedien äußern sich im Agenda-Setting, Framing und Priming; hier liegt die Idee zugrunde, dass Massenmedien eine Verbindung 95 96
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Diese Interaktion wird durch die Teehnik, die zwisehen Sender und Empfiinger steh~ verhin· dert. Naeh Luhmann wird durch Leserbriefe oder HörerJneinungeo Interaktion lediglieh insze. Diert (Luhmann 2009: lO·ll). Hoge gibt an, dass China und Iran den Erwerb von Satelliteoempfangsanteonen erschwereo, um das Monopol über Informationen nicht zu verlieren (Hoge 2000: 329). Das Aktionsfeld der beiden Regierungen hat sich mittlerweile auch auf die Zensur des Intemets ausgeweitet.
zwischen den Vorkommnissen in der Welt und ihrer Wahmehmung durch das Individuum sind (McCombs 2001: 285). Agenda-Setting bezieht sich auf den Prozess, in dem bestimmte Themen gesetzt werden, die also in den Massenmedien in hoher Intensität behandelt werden, in die öffentliche Wahmehmung gelangen und von dieser als bedentend erachtet werden (McCombs 2001: 286). Unter Framing ist die Auswahl eines Interpretationsmusters zu verstehen, das Orientierung zu einer Meldung gibt. Hierbei werden von den Medien zeitlich überdauernde und sozial feststehende Modelle eingesetzt, um Ereignisse zu akzentuieren und aus einer bestimmten Sichtweise darzustellen (Entman 200 I: 9365, 9368). Beim Prituing fokussieren und standardisieren Medien bestimmte Aspekte eines Themas, während andere Gesichtspunkte eine Benachteiligung erfahren. Dadurch werden Reize beim Rezipienten aktiviert, die seine Meinung oder Entscheidung gegenüber einem Politiker oder einer politischen Institution beeinflussen (MillerlKrosnick 1997: 260). Medien, die über ihren nationalen Wirkungskreis hinaus auch ausländische Beobachter mit Informationen ausstatten, können Einfluss auf die öffentliche Weltmeinung haben - wenn es diese denn gibt: So macht Henze zur Anfechtung der möglichen Existenz einer Weltmeinung auf eine zunehmende Fragmentierung der giobalisierten Öffentlichkeit aufmerksam: Durch die Digitalisierung der Medienwelt sei ein Anstieg der Spartensender und eine Differenzierung des Medienangebots zu beobachten, wodurch eine Verständigung über die Realität immer schwieriger werde (Henze 2008: 44, 50). Verschärft werde dieser Umstand durch die ,,Entkontextualisierung des Diskurses": Die Möglichkeiten des Internets ließen die Verbundenheit von Zeit, Raum und beteiligten Akteuren brüchig werden (Henze 2008: 41-42).
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A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
5.1
InteUektueUe Leistungen
5.1.1
Kultur
Die Kultur gehört zu den bedeutendsten Soft-Power-Instrumenten und ist als die Gesamtheit der Lebensbekundungen einer Gesellschaft zu definieren; Kultur gibt einer Gesellschaft ihre Bedeutung (perpeet 1976: 1318). Nach Cassirer entsteht Kultur, weil der Mensch - in einer permanenten Beschäftigung mit sich selbst - das natürliche Universum nur noch durch das Zwischenschalten von ,,künstlichen Medien" erlebt; Kultur wird zum symbolischen Universum (Cassirer zit. in: Perpeet 1976: 1321-1322). Auf den Zusammenhang zwischen Kultur und Werte macht Rickert aufmerksam. Er definiert Kultur als die "Gesamtheit der realen Objekte, an denen allgemein anerkannte Werte oder durch sie konstituierte Sinngebilde haften und die mit Rücksicht auf diese Werte gepflegt werden" (Rickert zit. in: Perpeet 1976: 1322, H. i. 0.). Bereits im 18. Jahrhundert gilt die Kultur als Machtressource Frankreichs (Nye 2003: 35); Kramer weist darauf hin, dass letztlich jede Politik kulturell unterfüttert ist (Kramer 1997: 6). Triepel beurteilt die Verhreitung der eigenen Kultur als eine wichtige Aufgabe des Hegemon: Er solle dafür sorgen, dass seine Kultur geachtet und deren Inhalte in der Kultur fremder Nationen heimisch werde, denn die Kulturhegemonie sei - durch die seelische Annäherung - die Gehilfin der politischen Hegemonie (Triepel 1938: 224, 254). Kulturelle Hegemonie bezeichnet dabei "grundsätzlich eine Ordnung, in der eine bestimmte Art zu leben und zu denken dominiert, mittels derer sich eine Varstellung von Realität in einer Gesellschaft ausbreitet." Sie lässt sich nicht durch Zwang herstellen, sondern nur vom Konsens der Mehrheit (Metzinger 2005: 60-61). Die kulturelle Selbständigkeit eines Landes ist insofern nicht nur eine Dimension politischer Selbstbestimmung (Bredow/Jäger 1993: 136), sondern auch - wie die ethnische Autonomie - ein universelles Ziel jedes Staates (Strange 1996: 6). lbre Relevanz ist gestiegen, seitdem der identitätsstiftende Gegensatz der fröheren Machtblöcke USA- Sowjetunion weggefallen ist (Metzinger 2005: 42). [SPC I: Radio, Film, Fernsehen und Internet] Nye sieht in der Verbreitung von Filmen, Radio- und Fernsehsendungen ("popular culture") einen der wichtigsten Aspekte von weicher Macht. Hollywood exportiere das amerikanische Leben in sämtliche Kontinente, der American Dream werde der Welt vorgefiihrt (Nye 1990b: 194, 2004b: 11). Ähnlich wirke die Filmindustrie Indiens, auch wenn Bollywood eher in Asien und in Teilen des Nahen Ostens vertreten sei (Nye 2003: 57). Hollywood-Filme verraten mehr als Details über die Mode, Ess- und Wohokultur oder Freizeitgestaltung amerikanischer Bürger: Sie sind 95
Träger eines Lebensgefühls und einer Weltanschauung; beworben werden hier die Offenbeit Amerikas und die politische Anziehungskraft von Demokratie und Menschenrechten (Nye 1990b: 195, 1999: 25). Die Verflechtung von Unterhaltungswirtschaft und Waffenindustrie sollte dabei nicht unterschätzt werden: Maresch macht darauf aufmerksam, dass sogenannte Blockbuster wie Pearl Harbour in der Lage sind, der amerikanischen Regierun§ die Durchsetzung militärischer Projekte zu erleichtern (Maresch 2002: 243).' Eine hohe Anzahl an Internet-Websites sowie der zensurfreie Zugang zu ihnen wirken sich ebenso vorteilhaft auf die Soft Power eines Landes aus (Nye 2004b: 34). [SPC 2: Musik-, Kunst- und Literaturszene] Nicht zu vernachlässigen ist die Strahlkraft einer intakten Musik-, Kunst- und Literaturszene (,,high culture") (Nye 2004b: 11). Fiir die Literatur gilt z. B. die Übersetzung in möglichst viele Sprachen als vorteilhaft. Die weltweit auftretenden Bolschoi-Ballet!ensemble und Kirov-Symphonie-Orchester gelten lange Zeit als die besten ihrer Art und sollen unterstreichen, welche bedeutende Rolle die So\\jetunion der Kultur einräumt (Nye 2004b: 73). Derzeit erfreut sich chinesische Kunst aus Dashanzi, wo die chinesische Regierung vor einigen Jahren die Rahrnenbedingungen für einen florierenden Kunstbetrieb schafft, einer gestiegenen Nachfrage (Kurlantzick 2007: 119). [SPC 3: Sportliche Erfolge] Auch der Sport ist zu erwähnen: Zahlreiche Medaillen für sportliche Höchstleistungen wirken sich positiv auf das Ansehen eines Landes aus, denn sie können ein Indiz für den Entwicklungsstand einer Gesellschaft sein, in der die lebensnotwendigen Bedürfuisse der Menschen befriedilrt sind und die Bürger Ressourcen für den Freizeitbereich aufwenden ·· 9' konnen.
5.1.2
Werte einer Gesellschaft
[SPC 4: Politische und religiöse Weltanschauung, Werte] Die politische und religiöse Weltanschauung können einem Land Kraft verleihen und seine Soft Power vergrößern. Der Mythos des Kommunismus gilt als Ressource weicher Macht der UdSSR nach dem Zweiten Weltkrieg (Nye 1990b: 188): Die So\\jet-
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Hier setzt Blinken an und fordert eine Zusammenarbeit zwischen Hollywood und der Madison Avenue (Zentrum der amerikanischen Werbeindustrie), um die USA vorteilhafter darzustellen (Blinken 2003: 294). Die erfolgreiche Organisatioo voo sportlichen Großereignissen (Olympiaden, Weltmeisterschaften) wird unter 5.4.1 beheodell
union wird nach 1945 dafür bewundert, Widerstand gegen Ritter geleistet zu haben; in Asien und Afrika wird sie dafür geschätzt, gegen den europäischen Imperialismus Stellung bezogen zu haben. Für Japans kulturelle Attraktivität nennt Nye die spirituelle Tradition des Zen-Buddhismus (Nye 2004b: 73, 86). Die ideologische Attraktivität eines Landes basiert auf ihren Werten (Nye 1999: 25), "ein von den Menschen gefiiblsmäßig als übergeordnet Anerkanotes, zu dem man sich anschauend, anerkennend, verehrend, strebend, verhalten kano" (Schischkoff 1991: 776). Werte sind präskriptiv: Sie beschreiben Verhaltensweisen und Idealzustände. Sie können sich wandelo, sind aber - im Vergleich zu sozialen Normen und Einstellungen - relativ stabil (Höse/Oppermano 2005: 375-376). Der deutsche Begriff des Wertes entwickelt sich erst Ende des 19. Jahrhunderts von seiner rein ökonomischen Bedeutung bio zu einer Fortfiihrung des platonischen agathons (das Gute) (Hügli 2004: 556). Rügli verweist auf einen Gedaoken Charles Taylors, nach dem Werte nicht aus einer individuellen Entscheidung für sie heraus entstehen; das Individuum finde sie in dem ,,Kontext einer bestimmten Kultur, Gesellschaft und Sprache" bereits vor. Die Bindung eines Wertes an eine bestimmte Kultur fiihre dabei aber nicht zwangsläufig zu einem Kulturrelativismus (Rügli 2004: 582-583). Werte erfahren unterschiedliche Wertungen; zu einer großen Übereinstimmung - auch über Kulturkreise hinaus - zählen positiv belegte Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit und Glaubwürdigkeit; ihre Zuschreibung erhöht die weiche Macht eines Staates (Nye 2003: lll). Die Anzahl von Einwanderern, Austauschschülern und Gaststudenten gibt Auskunft über die Anziehungskraft eines Landes (Nye 1999: 25). Nye attestiert der Europäischen Union ein hohes Maß an Attraktivität gerade für die Läoder Osteuropas und die Türkei: Sie drücke sich u. a. dadurch aus, dass die Regierungen dieser Läoder ihre Politik nach dem Gesichtspunkt gestalteten, dass sie Brüssels Erwartungen entspreche oder zumindest nicht zuwiderlaufe (Nye 2003: 59). Die Werte der Europäischen Union lassen sie zu einer Verfechterin der Demokratie und Menschenrechte werden.
5.1.3
Produkte der Massenkultur
[SPC 5: Produkte der Massenkultur1 Mit den Produkten der Massenkultur bezieht sich Nye auf die weltweite Präsenz von McDonald's, Microsoft und Coca-Cola, die zum Inbegriff amerikanischer Erzeugnisse geworden sind (Nye 2003: 116). So steht das rot-weiße Logo von Coca-Cola nicht nur für eine Limonade von besonderem Geschmack, sondern als pars pro toto für all das, womit Amerika gemeinhin assoziiert wird: Freiheit, Wohlstand, Glück und 97
unbegrenzte Möglichkeiten. Marken wie Mercedes, BMW und Siemens werden indessen mit deutscher Wertarbeit in Verbindung gebracht. So wie das Made in Germany zu einem Qualitätssiegel wird und sich positiv auf die Soft Power Deutschlands auswirkt, 100 ist die Herkunftsbestimmung Made in China mit der eher beklemmenden Vorstellung von ausgebeuteten Wanderarbeitern, mangelndem Umweltschutz und katastrophaler Arbeitssicherheit verbunden (Kurlantzick 2006: 4), was die Soft Power Chinas wiederum schmälert. Eine exportorientierte Wirtschaft lässt die Welt an den einheimischen Produkten und Errungenschaften teilhaben, so dass ein Mercedes zu einem gleichsam deutschen Botschafter zu werden vermag. Kurioserweise kann ein Land auch über das Essen auf sich aufmerksam machen: Die thailändische Regierung unterstützt die Eröffnung von Thai-Restaurants im Ausland, um daröber Beziehungen zu anderen Gesellschaften zu knüpfen oder zu festigen (Nye 2004b: 89). Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Produkte, die in Mode sind, zwar förderlich fiir die Soft Power ihres Herknnftslandes sein können; vor allem junge Erwachsene sind empfänglich fiir Markenzeichen und symbolische Ausdrucksformen (Maresch 2002: 247). Doch so schnell, wie sie zum Zeitgescbrnack geworden sind, können sie aus der öffentlichen Wabrnehmung auch wieder verschwinden, so dass Soft Power eher aus den Produkten erwächst, die sich über einen längeren Zeitraum im Bewusstsein der Menschen halten können.
5.1.4
Implementierung von Symbolen und Zeichen
[SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Nach den Werten einer Gesellschaft und den Markenzeichen von Produkten ist auf die Implementierung von Symbolen und Zeichen hinzuweisen. Ein Symbol ist als Erkennungszeichen ein Gebilde, das von einer bestimmten Gruppe von Menschen eine Bedeutung verliehen bekommt und in der Regel zu einem Hinweis auf oder einer Mahnung an etwas wird, das hinter der wahrnehmbaren Erscheinung liegt (Meier-Oeser 1998: 710-713). Als Beispiele fiir Symbole, die stellvertretend fiir einen Sachverhalt, eine Idee oder eine Emotion stehen, ist das Kreuz fiir den christlichen Glauben oder die Freiheitsstatue in New York zu nennen. Je verbreiteter ein
100 An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass sich die Zuschrel"bung eines solchen Qualitätssiegels in der Regel nur auf einen bestimmten Produktionsbereich bezieht Das hier genannte technische Know-how Deutschlands hat bspw. keine Auswirkung auf die internationale Bedeutung der deutschen Modeindustrie. weil dort andere Kompetenzen erforderlich sind als z. B. im. Maschinenbau.
98
Symbol ist und je klarer sein Ursprung einer bestimmten Gruppe von Menschen zugeschrieben werden kann, desto eher profitiert diese Gruppe davon in dem Fall, dass es sich um ein positiv belegtes Symbol handelt. Als Negativbeispiel kann das Hakenkreuz als Symbol für Antisemitismus genannt werden (Dierkesmann 2003: 386-387). Nye hebt hervor, dass Symbole und Handlungen in der Kommunikation mit ausländischen Gesellschaften wichtiger sind als Worte (Nye 2004b: 111). In der Kommunikation mit der eigenen Gesellschaft dienen Stastsymbole als Identifikationsfaktoren: Flagge, Hymne, Verfassung oder sogar AutoauIkleber unterstiitzen die emotionale Bindung des Volkes an ihre Nation (Hartmann 1992: 177-178). Auch das Setzen von Zeichen!O! ist zu nenoen: So wird der Kniefall von Bundeskanzler Brandt in Warschau 1970 vor dem Denkmal der Helden des Ghettos als Zeichen seiner Demut und Bitte um Vergebung gewertet.!02 Symbole und Zeichen verleihen eine Bedeutong und erlangen eine umso durchschlagendere Wirkung, je sichtbarer sie sind. Comelißen zitiert Walter Bagehot: "Unsichtbar zu sein, heißt, vergessen zu werden. Um ein Symbol zu sein, und zwar ein wirksames Symbol, muss man oft und lebendig gesehen werden." (Hagehot zit. in: Comelißen 2009: 436)
5.1.5
WISsenschaft und Technalogie
[SPC 7: Wissenschaft und Techoologie: Führungs- oder Vorreiterrolle] Eine wissenschaftliche oder techoologische Führungsrolle zu besitzen, ist in einer Zeit, in der die Produktion in Billigloholänder abwandert, von exponierter Bedeutong. Ein Vorreiter in einem prestigeträchtigen Bereich zu sein, der ein hohes Maß an Know-how voraussetzt (z. B. Raumfahrt, Überschallflugzeuge), erhöht die Soft Power eines Landes. Nye nenot als Beispiel den ersten so~eti sehen Erdsatelliten Sputnik, der im Oktober 1957 in den Weltraum geschossen wird und den UdSSR zeitweilig den Ruf einbringt, sie seien den USA wissenschaftlich überlegen (Nye 2004b: 74). Wird die eigene Sprache - z. B. durch diese Vorreiterrolle - zu einer lingua franca für eine bestimmte Region oder einen bestimmten Bereich, ist dies als vorteilhaft zu werten. Die Zahl der angemeldeten Patente ist ebenso ausschlaggebend: Japans Soft Power wird u. a.
101 Im. Unterschied zum Symbol ist das Zeichen eine Ausdrucksgebärde, die mit ihrer Aussage noch keine untrennbare Verbindung eingegangen ist (Schiscbkoff 1991: 796·791). 102 Auch wenn dieser Kniefall in Deutschland 1970 eine unterschiedliche Bewertung hervorruft, wird er international- besonders in Polen - positiv aufgefasst.
99
dadurch gestärkt, die Nummer Eins in der Anmeldung von Erfindungen zu sein (Nye 2004b: 85). [SPC 8: Nobelpreise] Die Anzahl der Nobelpreise, die in ein bestimmtes Land verliehen werden, wirkt sich ebenfalls positiv aus (Nye 2004c). Aber nicht nur das Empfiingerland profitiert von der Anerkennung einer besonderen Leistung: Für die auszeichnenden Länder Schweden und Norwegen ist der Nobelpreis ein vorzügliches Mittel der Einflussnahme (Henrikson 2005: 68, 79).'03 [SPC 9: Bildung] Die Anstrengungen, die im Bereich der Bildung unternommen werden (Qualität der Schulbildung, Anzahl der Universitäten, allgemeine Einstellung der Bevölkerung zur Bildung), sind von hoher Bedeutung. Soft Power besitzt das Land, dem es gelingt, wissenschaftliche Erfolge nicht nur zu erreichen, sondern andere an diesen Erfolgen auch teilhaben zu lassen (z. B. durch Vortragsreisen von Wissenschaftlern). Auch wenn die Universitätslandschaft der USA eher durchschnittlich ist, profitieren sie in erstaunlicher Stärke von dem ausgezeichneten Ruf ihrer Elite-Universitäten Harvard und Stauford. Studentenaustausch- und Besuchsprogramme (zwischen Universitäten, Stiftungen oder auch Krankenhäusern) und Kooperationen sind einträglich: Offen für andere und Neues zu sein, zahlt sich früher oder später aus, denn es stellt Verständnis und Bindungen her (Sloan/Borchert 2005: 534; Nye 2004b: 45). Der gesamte Ausbildungsbereich ist von hoher Attraktivität - vor allem dann, wenn man wie bspw. Deutschland kaum Rohstoffe besitzt: Großbritannien gewinnt durch die Ausbildung von Throufolgern aus anderen Staaten an Prestige (Triepel 1938: 225); auch für die USA zahlt sich nichts so sehr aus wie politische Führer, die an amerikanischen Universitäten ausgebildet worden sind. 1M Deutschland wird wiederum für sein duales Berufsausbildungssystem geachtet, während die guten Pisa-Ergebnisse die Attraktivität Finulands erhöhen (perthes 2007: 6). Chins schickt nicht nur die eigenen Studenten in die Welt (vor allem nach Mexiko), sondern holt auch fremde ins eigenen Land (vornehmlich aus Dritte-Welt-Ländern): Nimmt China 1988 noch ca. 8000 Studenten auf; sind es gegenwärtig an die 120 000. Es fördert über die Programme rencai qiang guo und haigui pai chinesische Gelehrte, die im Ausland leben, und arbeitet mit thailändischen Schulen zusammen, in denen Mandarin und chinesische Kultur unterrichtet werden (Kurlantzick 2006: 3, 2007: 68-69). Die unter Intellektuelle Leistungen (5.1) genannten fünf Bereiche unterstreichen die Aussage von Barber: "culture has become more potent than 103 Über den Wert von Auszeichnungen als indirekte Einflussnahme referiert auch Triepel (TriepelI938: 235). 104 Nye zitiert hier den früheren amerikanischen Außenminister Colin Powell (Nye 2004b: 42).
100
armaments." (Barber 2005: 621) Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass selbst die beste Werbung für ein Land eine wirkliche Leistung oder Errungenschaft nicht ersetzen kann lOS und dass das Anpreisen der eigenen Kulturgüter nicht ohne den Einsatz finanzieller Mittel möglich ist (TriepeI1938: 225).11)6 Gleichzeitig muss eine Kongruenz zwischen dem Bild bestehen, das vermittelt werden soll, und dem Auftreten der dahinter stehenden Personen oder Institutionen. So gelingt es zwar der Sowjetunion während des Ost-West-Konfliktes, ihre kulturellen Errungenschaften erfolgreich anzupreisen, sie wird aber nie zu einem ernsthaften Konkurrenten für die USA im Hinblick auf deren Soft Power, weil ihr geschlossenes System, ihre aggressive Außenpolitik und das Fehlen eines Exportes von Populärkulturgütern dies verhindert (Nye 2004b: 75).107
5.2
Auftreten der Regierung
Das Auftreten einer Regierung differenziert Nye nach den Bereichen Inland, Außenpolitik und internationale Organisationen. Generell scheint hier Besonnenheit von hoher Bedeutung zu sein, die trotzdem Stärke ausstrahlt, sowie die Vermittlung des Eindrucks, dass Mandatsträger eine Politik verfolgen, die eine Verbesserung des Zustandes zum Ziel hat und nicht bloß auf persöuliche Interessen (wie die eigene Wiederwahl) ausgerichtet ist. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden die Felder Außenpolitik und internationale Organisationen zusammengefasst, da es in beiden Bereichen im Hinblick auf Soft Power darauf ankommt, zu einer moralischen Autorität zu werden, die ein gemeinnütziges und kooperatives Engagement nicht scheut. Eine gesonderte Betrachtung verdient hingegen die Public Diplomacy: Sie spiegelt die Wertschätzung für die Bevölkerungen fremder Nationen wider. Das Erfordernis, gute Kontskte sowohl zu einer ausländischen Regierung als auch zu den dazugehörigen Bürgern zu pflegen, wird mit Karl Kaiser theoretisch untermauert. In Anbetracht der besonderen Bedeutung von Public Diplomacy auf die Soft Power eines Landes, wirdauch im Interesse der Anschaulichkeit - das Agieren Chinas und der USA in diesem Politikfeld detaillierter betrachtet.
105 "The proof ofthe pudding is in 1he eating." (Ham 2005: 61) 106 Frankreich gibt auch heote noch über 1 Milliarde US·DoUar jährlich Iiir die Verbreitung der französischen Kultur aus (Nye 2004b: 76). 107 Die enorme Bedeotung der Kultur und ihre Strahlkraft werden in der Besprechung von Kultureinrichtungen der Public Diplomacy erneut aufgegriffen.
101
5.2.1
Die Zusammenarbeit mit der eigenen Gesellschaft
[SPC 10: Auftreten der Regierung im Inland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen] Ausschlaggebend für weiche Macht ist der Umgang mit Minderheiten und Bedürftigen im eigenen Land (Nye 2003: 196); die Kluft zwischen Diskurs und praktischer Politik darf nicht zu groß sein (pertbes 2007: 6). So gibt die "social performance" (Nye 1990b: 200) Aufschluss darüber, ob die Art, wie der Staat seine Bürger behandelt (z. B. soziale Sicherungssysteme, finanzielle Be- oder Entlastung, Respekt gegenüber dem Souverän), mit den Idealen übereinstimmt, die er verkörpert. Dass in Indien eine halbe Milliarde Menschen in bitterer Armut leben, beeinträchtigt die Soft Power des Landes. Die Rassentrennung in den USA der 1950er Jahre schadet der amerikanischen Soft Power nicht nur in Afrika (Nye 2003: 57, 2004b: 13). [SPC 11: Humanitätsideal gesetzlicher Regelungen] Auf welcher Grundlage und in welcher Intensität wird der Gedanke der Humanität gelebt? Welches theoretische Konzept liegt der "social performance" zugrunde? Das Christentum spricht - im Gegensatz zu anderen Religionen - von der Würde des Menschen (wegen seiner Gottesebenbildlichkeit) und entwickelt daraus die Menschenrechte und die demokratische Staatsordnung. Kommt z. B. die Todesstrafe zur Anwendung oder wird politisches Asyl gewährt (Nye 2004c)? Erleichterungen bei der Visa-Vergabe können das Ansehen eines Landes und damit seine Soft Power erhöhen (Kurlantzick 2007: 69). [SPC 12: Qualität der Regierungspolitik] Gelingt es einer Regierung darüber hinaus eine Politik zu betreiben, die sowohl die gesellschaftliche Elite ihres Landes als auch die weniger privilegierten Schichten anspricht (Nye 1990b: 32)? Ohae einen Konsens ist staatliche Macht nicht überlebensfähig, wodurch auch die staatliche Organisation sowie die Rechte und Bedürfnisse des Einzeloen und der Gesamtheit in Frage gestellt würden (Hartmann 1992: 177). Werden die eigenen Bürger dabei unterstützt, sich selbst zu verwirklichen? Nye erklärt Führung als einen Prozess, der aus den drei Komponenten "leaders, followers, and contexts" besteht. Der letztgenannte Punkt bezieht sich auf äußere und innere Umstände, die bestimmte Bedürfnisse bei den Geführten wecken, auf die die Führenden eingehen müssten. Als Beispiel nennt Nye den britischen Premierminister Churchi1l, der erst durch die weltpolitische Lage und durch Hitler als seinen Gegner an Profil gewonnen habe (Nye 2008: 21). [SPC
102
13: Charismatische Führer] Charismatische FührerlO8 profitieren von ihrer Ausstrahlung insofern, als dass es ihnen in der Regel leichter gelingt, ihre Unterstützer hinter sich zu versammeln (Nye 2008: 55). Dabei benötigen sie emotionale Intelligenz, gute bzw. strategische Kommunikationsfiihigkeit und Visionen (Nye 2008: 55, 69). Eine Regierung, die in ihrem eigenen Land stark ist, wird auch international davon profitieren (Nye 1990b: 201). Dies trifft besonders in Zeiten zu, in denen die Souveränität von Staaten abninunt, weil noch nie zuvor so viele unterschiedliche nichtstaatliche Akteure um Macht und Einfluss konkutrieren wie heute (Nye 2003: 119).
5.2.2
Die Zusammenarbeit mit ausländischen Regierungen und internationalen Organisationen
[SPC 14: Regierung als kooperativer Partner fiir Frieden, Sicherheit und Entwicklung] In der Außenpolitik ist Sensibilität angeraten (Nye 1990b: 200). Engagement zahlt sich hier genauso aus wie bei internationalen Organisationen. Als Machtressource der USA nennt Nye ihr Eintreten fiir Frieden und Sicherheit in Europa und in Japan (Nye 1990b: 190). Das Ansehen von Japan ist wiederum deshalb hoch, weil es der größte Gläubiger der Welt und Vorreiter auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe ist (Nye 2003: 50). Im letztgenannten Bereich sind langfristige Projekte geeiguet, dauerhafte Sympathien fiir das Fördererland zu bewirken (Ross 2003: 257). So arbeitet China an dem Aufbau eines besseren Schulsystems in Kambodscha, wo die Lehrerschaft als korrupt gilt (Kurlantzick 2007: 69).109 Durch sein konziliantes und konstruktives Auftreten in der UNO kann China in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Sympathien und Ansehen fiir sich gewinnen (Henrich 2010: 82).110 Ein verlässlicher, respektvoller und 108 Nye definiert Charisma als "self-confident, strong convictions, high energy, enthasiasJn that they communicate to others, ability to manipulate symbols of power and success 10 create an emotional attraction ror followers, aura ofmagic and mystery" (Nye 2008: 55). 109 Diese Beispiele zeigen. dass Soft Power bis zu einem. gewissen Grad auch erkauft werden kann. wenn über ein finanzielles Engagement das Ansehen eines staates steigt. 110 So würde z. B. kein Staat die UN-Friedensm:issionen so nachhaltig finanziell unterstützen wie China. Henrich beobachtet aber auch ein Verhalten, das der chinesischen Soft Power schadet: So nennt er Chinas Passivität zum Völkermord in Darfur und zum Atomprogramm des Iran. we Blockadehaltung während der UN-KlimaIronferenz in Kopenhagen 2009, darüber hinaus das gewaltsame Vorgehen gegen die jüngsten Proteste in Tibet und Urumki sowie die erste Hinrichtung eines Ausländers seit über 50 Jahren (Hecricb 2010: 81, 83). Ergänzt werden kann diese Auflistung um das Tjananmen_Massaker, das die chinesische Regierung bis heute veifolgt.
103
glaubwürdiger Partner zu sein, der stark ist und Kooperationen eingehen will und kann, sollte das Ziel jeder Regierung darstellen. Nye und Huntington sehen in Europa das beste Heilmittel gegen die amerikanische Einsamkeit und unterstreichen damit die Notwendigkeit, Freunde und Verbündete zu haben (Huntington 1999: 48; Nye 2003: 66). [SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] Den USA kommt ihr Engagement als Mediator zugute (Nye 1999: 30); aber auch kleineren Ländern wie Norwegen gelingt es (vor allem wegen seiner Neutralität), mit seiner sogenannten Nischen-Diplomatie ein anerkannter Vermittler im Bereich der Friedensförderung und Konfliktvermeidung zu sein, z. B. im Mittleren Osten, auf Sri Lanka und in Kolumbien (Nye 2004b: 112).
5.2.3
Public Diplomacy: Die Zusammenarbeit mit ausländischen Gesellschaften
[SPC 16: Public Diplomacy] Public Diplomacy erreicht schon unter Ludwig XlV. einen Höchststand an Aufmerksamkeit (Melissen 2005: 3). Das Ziel von Public Diplomacy ist es, über Informations- und Kultorpolitik auf die Öffentlichkeit im Ausland zuzugehen, um Interesse für das eigene Land zu wecken und Zustimmung zu fördern. Tuch definiert sie als ,,a government's process of communicating with foreign publics in an attempt to bring about understanding for its nation's ideas and ideals, its institotions and culture, as weil as its national goals and current policies." (Tuch 1993: 3) Signitzer weist darauf hin, dass es sich dabei nicht nur um die Kommunikation Regierung Bevölkerung handelt, sondern dass es auch zu einer Konstellation Bevölkerung - Bevölkerung kommen kann (Signitzer 1995: 73). Public Diplomacy ist zu unterscheiden von der Commercial Diplomacy (Aktivitäten des Außenministeriums und der Botschaften mit dem ausländischen Wirtschafts- und Finanzsektor) und der traditionellen Diplomatie (zwischen Regierungen oder Diplomaten unter Ausschluss der Öffentlichkeit) (Melissen 2005: 5). Zahlreiche Autoren sind der Meinung, dass in erster Linie junge Erwachsene das Ziel von Public Diplomacy sein sollten (Gnodtke 2006; Ross 2003: 257). Die beiden Grundpfeiler von Public Diplomacy sind Verständigung und Persuasion. Signitzer sieht sie auf einem Kontinuum und ordnet ihnen die folgenden Charakteristika zu: Verständigung bezieht sich auf die kulturelle Kommunikation, die ein langfristiges, wechselseitiges Verständnis bei ausländischen Bevölkerungen wecken soll. Instrumente sind hierbei "langsame Medien" wie Filme, Sprachunterricht, Austauschprograrnme und Ausstellungen. Persuasion ist in Abgrenzung dazu 104
eher auf die kurzfristige Erklärung und politische Information an ausländische Zielgruppen angelegt, die über "schnelle Medien" wie Zeitung, Radio und Fernsehen verbreitet wird (Signitzer 1995: 74-75). Das theoretische Fundament zur Public Diplomacy erarbeitet Karl Kaiser. Sein Ausgangspunkt ist die Kritik am Begriff der internationalen Politik, da die traditionelle Zweiteilung von nationaler und internationaler Politik verkürzend sei. Die Strukturen und Prozesse innerbalb der nationalstastlichen Einheit seien eng verflochten und heute mebr denn je in ihrem Charakter mehrdimensional. So prägt Kaiser den Begriff der "transnationalen Beziehungen", die er als Prozesse definiert, bei denen nationalstastliche Regierungen und/oder transnationale Gesellschaften und Regierungen miteinander in Kontak:l treteo (Kaiser 1969: 95). In der Folge könnten - nicht zuletzt durch die neuen technischen Möglichkeiten und den offenen Zugang - auch ausliindische Institutionen und Gruppen die Vorgänge in einem fremden Land beeinflussen und damit gleichermaßen die Entscheidungsfmdung der dazugehörigen Regierung. Public Diplomacy übernehmen im Wesentlichen die Diplomaten einer Botschaft; sie sind die Repräsentanten ihres Landes vor Ort. Blinken schlägt vor, diese zu stärken: Sie sollten ein besseres Sprach- und Medientraining erbalten, sich kompetent an Diskussionen in ihrem jeweiligen Aufenthaltsland beteiligen und den Kontak:l zur ausländischen Presse und einheimischen Bevölkerung suchen, anstatt ein abgeschottetes Leben in ihrer eigenen (diplomatischen) Welt zu fiihren. In kritischen Ländern sollten - so Blinkens Empfehlung an die USA - offizielle Vertreter sogar auf lokaler Ebene eingesetzt werden, um das Image des Landes durch Kultur- und Informationszentren, Ausstellungen und Künstlerauftritte zu verbessern (Blinken 2003: 290; Metzinger 2005: 108).lll Im giinstigsten Fall erreicht Public Diplomacy nicht nur fremde Bevölkerungen, sondern auch die eigene und scham ein Verstiindnis dafiir, wie sie selbst vom Ausland gesehen wird (Signitzer 1995: 75). Zu den prominentesten Public-Diplomacy-Einrichtungen dürfen sich die Kulturzentren zählen: AIs British Council, amerika haus oder Goethe-Institut versorgen sie die ausländische Gesellschaft mit Informationen über ihr jeweiliges Heimatland. Es verwundert nicht, dass die chinesische Regierung die Eröffuung von hunderten Konfozius-Instituten weltweit zwischen 2007 und 2012 plant und damit dem Beispiel anderer Stasten folgt, über eigene Kultur-Einrichtungen in ausländi-
111 Schneider erinnert daran, dass in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Jazz-Auftritte in amerikanischen Einrichtungen ein großer Erfulg sind (Schneider 2005: 154).
\05
sehen Gesellschaften für sich zu werben (Kurlantzick 2006: 3, 2007: 68).112 Das Vorbild für diese Unternehmung dürfte die Verbreitung der französischen Kultur über das Institut Francais sein, das Ende des 19. Jahrhunderts als Mittel der Diplomatie Frankreichs eingesetzt wird, um ideologische Attraktivität auszustrahlen. ll3 Gnodtke gibt zu bedenken, dass kein Staat Geld für auswärtige Kultur- und Bildungs- oder Medienpolitik ausgebe, ohne darauf zu hoffen, sich selbst als Land für die auswärtige Welt attraktiv zu machen. Erklärtes Ziel sei es, eine Anziehungskraft zu schaffen, die letztlich auch für die politischen Ziele Resonanz produziere. ll4 Wittig bemerkt für Deutschland, dass sich durch eine kulturelle Präsenz inuner auch zusätzliche Chancen für die Wirtschaft ergeben (Wittig 2007: 9). Da die Herstellung und die Verwaltung eines Images eine Schlüsselqualifikation ist, bei der nichtstaatliche Akteure im Vorteil sind, schlägt Hocking ihre Einbindung vor (Hocking 2005: 41). Vor allem aber sollte der Kontakt nicht einseitig sein: Nye plädiert für eine "two-waycommunication" (Nye 2004a: 20) zwischen den jeweiligen Repräsentanten und der ausländischen Bevölkerung. China ersetzt zur Zeit seine älteren Diplomaten durch jüngere und gut ausgebildete, die die jeweilige Landesprache fließend beherrschen und den Auftrag haben, sich offensiv in der Öffentlichkeit zu zeigen."' Der Vorstoß im Bereich der Public Diplomacy ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass man China weltweit nicht traut: Hooghe legt dar, dass China in der eigenen Region Neid für den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg erfährt, während die EU über die Menschenrechtsverletzungen verärgert und die USA ohnehin skeptisch seien (Hooghe 2005: 103). Ferner ist zu beobachten, dass sich China inuner dort umgehend in Position bringt, wo sich die USA für die Bestrafung eines Landes entschieden haben, z. B. in Bolivien, Usbekistan und im Sudan (Kurlantzick
112 Im Sommer 2010 gibt es weltweit mehr als 650 Konfuzius-Institute, in der BRD sind es 12 (die Unterscheidung von ,,Konfuzius-Instituf< und ,,Konfuzius-Klasse" betrifft nur die interne Organisation). Anders als bspw. die Goethe-Institute sind die Konfuzius-Institute als ,,Joint Ventures" aufgestellt und weisen auch nicht die Distanz zur Regierung aufwie die deutschen Einrichtungen (Hartig 20\0: 85, 88). Darüber hinaus hat die chinesische Regierung das Sendegebiet ihres Staatsfernsehens CCTV erheblich vergrößert. 113 Frankreich gründet 1883 nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg (1870/1871) die Alliance Franraise, um über die Förderung der französischen Sprache und Literatur das erschütterte Ansehen wieder a_bauen (Nye 2003: 112). 114 Gnodlke, Botschafter und Beauftragter dea Auswärtigen Amtes für den Dialog mit der is1amiachen We1~ sicht auch die dentschen Schulen im Aus1and in dieaem KDntext (Gnodlke 2006). 115 Im Jahr 2005 ist die Hälfte der 4 000 DiplomatenjÜDger als 35 Jalue (Kurlantzick 2007: 65).
106
2007: 53_54).116 China möchte für andere Staaten zu einem Vorbild werden und erreicht das vor allem bei den Eliten autokratischer Regime: Länder wie Laos, Kambodscha, Kasachstan und Nordkorea halten China für das gelobte Land (Kurlantzick 2007: 229, 137). Auch die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele in Peking 2008 und die Weltausstellung Expo in Shanghai 2010, die die Modemität Chinas unterstreichen sollen und so teuer sind wie nie zuvor in ihrer Ausrichtung, sind in diesem Zusammenhang zu nennen, weil sie - von ihrer Aussagekraft über die organisatorischen Fähigkeiten einmal abgesehen - vor allem als ein Signal an das Ausland zu verstehen sind. Ein gutes Image bei einer ausländischen Bevölkerung zu besitzen, hat den Nebeneffekt, dass es der dazugehörigen Regierung schwerfällt, Sanktionen oder gar militärische Angriffe gegen das Land, für das die eigene Bevölkerung Sympathien empfindet, vorzunehmen. Die Früchte von Public Diplomacy sind nicht postwendend zu erwarten, weshalb Gerz (in Anlehnung an eine Fabel von Äsop) Public Diplomacy mit einer Schildkröte vergleicht, die zwar langsam, aber letzt1ich doch ihr Ziel erreichen wird (Gerz 2005: 435). Entscheidend sind langfristig angelegte Projekte; der arnerikanische Vorstoß in Indonesien, in Werbespots glückliche Muslime in den USA vorzuführen, um an Vertrauen zu gewinnen, scheitert entsprechend (Melissen 2005: 7). Eine gelungen Public Diplomacy besteht für Nye aus einer "täglichen Kommunikation" (um anderen nicht die Deutungshoheit über bestimmte Vorgänge zu überlassen), einer "strategischen Kommunikation" (die die Regierungspolitik über einen längeren Zeitraum fortlaufend erklärt) und einem Netz aus ausländischen Multiplikatoren (die zu einer Anlaufstelle werden können, z. B. frühere Stipendiaten als Ansprechpartner bei Fragen zu ihrem Aufenthaltsland) (Nye zit. in: Gerz 2005: 439). Gerz trägt weitere Aspekte vor, die eine Kommission aus PR- und Werbefachleuten für eine wirksame Public Diplomacy erarbeitet: Jede Kampagne sollte auf die 60 Prozent der politischen Mitte zugeschnitten sein, wobei besonders junge Erwachsene im Fokus des Interesses stehen sollten; Meinungsführer in den Zielgesellschaften müssten gewonnen werden (z. B. Imame, Lehrer, angesehene Jouma\isten) - auch mit Hilfe der entsprechenden ethnischen Minderheit im eigenen Land. Besonders kritische Geguer könnten in das von ihnen kritisierte Land eingeladen werden; Wahrheit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen seien dabei die Basis jedes Kontaktes, um für Demokratie und Rechtstaatlichkeit erfolgreich werben zu können. Gerz macht deutlich, dass Public Diplomacy kein geschlossenes Konzept ist, sondern vor allem aus den sich 116 Hierzu bemerkt der chinesische Staatspräsident Hu 1intao: "China will always stay on th.e side of the developing countrie," (Kurlantzick 2007: 52).
107
ergebenden günstigen Momenten der Öffentlichkeitsarbeit bestehe, mit denen das Bild eines Landes und seiner Bevölkerung zwar nicht begründet, aber doch zumindest positiv verstärkt werden könne (Gerz 2005: 440, 445-446). Eine Independent Task Force, die sich fiir eine bessere Koordination von Public Diplomacy und auswärtiger Politik einsetzt, rät darüber hinaus zu einer Evaluation des diplomatischen Dienstes und zu einer Verbessenmg des Kontaktes zu ausländischen Journalisten, denn letztgenannte würden häufig stiefmütterlich behandelt (Finding America's Voice 2005: 459-461). Im Mittelpunkt der amerikanischen Public Diplomacy steht über Jahre die United States Information Agency (USIA). Sie wird 1953 von Präsident Eisenhower gegründet und gilt als wichtigstes Instrument im Kampf gegen die Kommunisten und die Eindämmung des sowjetischen Einflusses. Das erklärte Ziel ist es, Vertrauen in die amerikanische Führungsposition aulZubauen, eine ausgewogene und faire Darstellung der USA zu gewährleisten und zu zeigen, dass die USA zwar Frieden wollen, aber auch fiir militärische Aktionen gerüstet sind. Im Fokus stehen Medien- und Infonnationsdienste (Rundfunk, Fernsehen, Printmedien) und Kulturaktivitäten (Kultur- und Informationszentren, Personenaustauschprogramme wie die Fulbrigt-Stipendien, Education-Prograrnme, Ausstellungen, Künstleraufiritte) (Metzinger 2005: 81, 108).117 Nach 1989 wird die USIA jedoch vernachlässigt; viele sehen sie als Relikt an, weil Ausländer, an die sich das Programm richtet, in den USA nicht wählen dürfen. Die finanzielle Unterstützung für Austauschprograrnme sinkt zwischen 1993 und 2000 um ein Drittel (Blinken 2003: 286-287, 293), und die Anzahl der Stellen wird erheblich gekürzt. Nye kritisiert, dass selbst unter Präsident Barack Obama noch 500 Mal mehr für das Militär ausgegeben wird als fiir Austauschprogramme (Nye 2009a). Andoni urteilt, dass die Public Diplomacy der USA im 21. Jahrhundert zu einer Marginalisierung und Verachtung der Nicht-Amerikaner verkommen sei (Andoni 2003: 263). In diesem Zusammenhang ist der Hinweis Huntingtons zu verstehen, dass in manchen Ländern mittlerweile jede amerikanische Äußerung als Ärgernis aufgefasst werde, nur weil sie eben aus Amerika komme. So wachse bspw. in bestimmten Regionen die Popularität eines Führers unter seinen Landsleuten und bei anderen Staaten alleine schon dann, wenn die USA ihn nur verurteilten und er sich darstellen könne als jemand, der der stärksten Macht der Welt die Stirn geboten habe (Huntington 1999: 39). Blinken fordert 117 Wie engagiert Public Diplom.acy zu dieser Zeit betrieben wird, belegt der Hinweis von Kmlantzick, dass während des Ost-WeBt-Konfliktes in jeder amerikanischen Botschaft ein Mitarbeiter nur dafür abgestellt ist, die sowjetische Public Diplomacy in demjeweiligen Land zu beobachten und Störmanöver zu veröben (Kurlantzick 2006: 7).
108
deshalb die Rückkehr zu einer substantiellen Public Diplomacy; die stärksten amerikanischen Waffen seien Freiheit, Toleranz und die unbegrenzten Möglichkeiten (Blinken 2003: 297).118
5.3
Eigen- und Fremdwahrnehmung eines Landes
Während in Kapitel 5.2 die Regierung und ihr Auftreten im Zentrum stehen, rückt an dieser Stelle das Land im Lauf der Zeit in den Mittelpunkt: Hier stellt sich die Frage, wie es mit seiner Bevölkerung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vom Ausland wahrgenommen wird, welche Assoziationen es weckt und auch, welche Einstellung die Bevölkerung zu ihrem eigenen Land hat. '19
5.3.1
Geschichte
[SPC 17: Eigen- und Fremdwabrnehmung der Geschichte eines Landes] Erfolge in der Geschichte eines Landes erhöhen das Ansehen in der Gegenwart, so zum Beispiel ein Mythos von Unverletzlichkeit (Nye 2003: 255): Sparta eilt zu seiner Zeit der Ruf des Unbesiegten voraus, das Ansehen und die Selbstinszenierung Großbritanniens zehren auch heute noch von der einstigen Rolle als Weltmacht. Als Grund dafür, dass die römische Gemeinde zur Welthauptstadt wird (durch ihre Führerstellung iunerhalb der römischen Christgemeinden ab dem Ende des 3. Jahrhunderts), gibt Triepel das Vorhandensein einer lückelosen Bischofsliste an. Diese sei zwar nicht ganz so lückenlos gewesen wie behauptet, doch wichtiger sei es, dass man an die Lückenlosigkeit geglaubt und diese weitererzählt habe (Triepel 1938: 119). Geschichtliche Strukturen bewirken Verhaltensorientierungen, die sich über einen längeren Zeitraum bemerkbar machen und Bestandteile der aktuellen Politik werden können (Hartmann 1995: 17).120 Henrik118 Nye macht darauf auftnerksam, dass die USA in ihrer Geschichte schön häufiger vorüberge-
hende EinbuBen im Bereich ihrer Soft Power zu verzeichnen haben. Die Zurückgewinnung sei nun jedoch erheblich schwieriger als zur Zeit des Ost-West-Konfliktes. als die Sowjetunion als viel gefährlichere Großmacht wahrgenoIlllllJ:ll wird (Nye 2004b: 129). 119 Mit Wahrnehmung der Zulamft sind Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen auf der Grundlage einer kritischen Beurteilung des Vergangenen und Gegenwärtigen gemeint. 120 Welzer bezieht sich in seiner Darstellung über die "Schwerkraft mentaler Infrastrukturen" auf Norbert Elias und dessen Gedanken, dass "Gesellschaften dazu neigen, jenen Habitus zu konservieren., der in ihrer besten Zeit entwickelt worden ist: So bleibt es ein Bestandteil des nationalen Habitus der Niederländer, dass sie mal eine bedeutende See- und Handelsmacht waren,
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son arbeitet am Beispiel Norwegens heraus, dass es eioem Land zugute kommen kann, keine koloniale Vergangeoheit zu haben. Dagegen ist als Negativbeispiel Deutschland zu nennen, das sich bis heute nicht vom Schrecken des Nationalsozialismus erholt zu haben scheiot. Positiv muss dagegen fiir die deutsche Geschichte bewertet werden, dass der Fall der Berlioer Mauer und damit die Überwiodung der Teilung Deutschlands auf friedlichem Weg (vor allem über die Massendemonstrationen der DDR-Bevölkerung) erreicht wird. Vieles spricht fiir die These, dass jede Politik durch die Geschichte belastet ist, weil die Vergangenheit von den Partnern als Interpretationshilfe fiir das aktuelle Verhalten genutzt wird (Bredow/Jäger 1993: 92). Insofern schadet es eioem Land, wenn es mit dem Vorwurf konfrontiert wird, es habe sich seioen Fehlern io der Vergangenheit nicht io angemessener Weise gestellt, wie es bspw. auf Japan im Hioblick auf seioe aggressive Außenpolitik der I 930er Jahre zutrifft (Nye 2004b: 86-87).
5.3.2
Gegenwart
[SPC 18: Politische Stabilität io der Gegenwart] Für die Gegenwart bestimmt Nye politische Stabilität als Ressource von Soft Power und nennt als Beispiel die gefestigte Demokratie Indiens, denn sie strahle Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit aus (Nye 2003: 57). [SPC 19: Homogenität der eigenen Bevölkerung] Von Vorteil ist es auch, wenn die Bevölkerung aus einer (z. B. ethnisch) homogenen ~e besteht und sie nicht unter regelmäßig aufbrechenden Konflikten leidet. Als Beispiele fiir Gesellschsften, die auseioanderzubrechen drohen oder relativ separierte Gruppen vorweisen, siod Belgien und Kanada zu nennen. Ist die Gesellschaft befriedet oder erschweren jahrzehntelange Konflikte wie um Taiwan oder Kaschmir das Zusammenleben (Nye 2004b: 89)? Gibt es eioen Konsens über die gesellschaftlichen Interessen, und welche Schwerpunkte werden dabei gesetzt? Es wirkt sich positiv aus, wenn io der Bevölkerung ein gerneiosamer kognitiver Rahmen vorhanden ist. [SPC 20: Demographie und Gesundheitszustand] Hiosichtlich des demographischen Wandels in vielen europäischen Ländern spielt die Geburtenrate oder der Italiener, dass sie mal in der europäiscllen Kunst Iührend waren." (Welzer 2010: 50) Graham macht eine ähnliche Beobachtung beim Souveränen Malteserorden und spricht von einer Fiktion der fortgeführten Souveränität Weil der Malteserorden einst mächtig gewesen se~ werde er heute in ähnlieher Weise wahrgenommen (Graham 1959: 28). 121 Triepel nennt als Stärke Preußens die Homogenität der Bevölkerung (im Rahmen eioes Vergleiehes mit Östeneich) (friepelI938: 550-551).
HO
eine wichtige Rolle, die das Fortbestehen einer Gesellschaft sichert und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen arbeitender und nicht mehr arbeitender Bevölkerung sorgt (Nye 2004b: 79). In Bezug auf die Kooperationsfähigkeit der Generationen innerhalb einer Gesellschaft ,'Tricht Druyen von einem "intergenerativen Vermögen" (Druyen 2007: 207).' Aber auch die Kindersterblichkeit, Lebenserwartung und der Gesundheitszustand der Bevölkerung eines Landes sind zu berücksichtigen.'2' [SPC 21: Selbstinszenierung und Nation-Branding] Einen weiteren Aspekt stellt die Inszenierung eines Landes dar: Scholz arbeitet unter dem Schlagwort der Kulturmanifestation einer Organisation heraus, dass die Architektur, Inneneinrichtung, Gestaltung der Arbeitsplätze und Bekleidungsvorschriften Schlüsse auf das spezifische Selbstverständnis einer Organisation zulassen (Scholz 2000: 227). Diese Beobachtung lässt sich auch auf Staaten übertragen. '24 Noch deutli122 Druyen beruft sich dabei auf die Vermögensd.efinition von Hans-Günter Krüsselberg: "Vermögen ist jenes durch konkret verfügbare produktive Faktoren verkörperte Handlungspotenzi· al in den Händen von privaten Haushalten, Unternehmen oder des Staates, welches maßgeblich über die Lebenschancen. den platz und den Einfluss von Menschen in ihrer Gesellschaft bestimmt." Den richtigen Umgang mit diesem. Vermögen beschreibt Druyen als eine Vermögenskultur, die er als ,,Förderung und Pflege von materiellen und immateriellen Werten, von Beziehungen und Netzwerken zum Schutze der individuellen, familiären und gescllscbaftlichen Zukunftsfähiglreit" zusammenfilsst (Druyen 2007: 209). 123 Druyen bündelt die physische, psychische, soziale und kulturelle Beschaffenheit des Men· sehen unter dem Begriff ..BumanverD1Ögen" (Druyen 2007: 207). Häntzschel beurteilt z. B. die Fettsuch~ von der 30 Prozent der Amerikaner be1roffen sind, und damit den schlechter ge. wordenen Gesundheitszustand als ein Indiz für den Abstieg der USA (HäntzscheI2008: 13). 124 Inscfern könnte ein Vergleich zwischen dem Prunk und Glanz des französischen oder italienischen Regierungsviertels mit bspw. dem. deutschen von Interesse sein. Schreiber bemerkt für die dentsehe lIauptstsdt Bonn: ,,Die Partei- und Regierungsgebäudc worden lässig an den Rand einer lärmenden Bundesstraße gekipp~ nicht anders als Tankstellen und Gewer· beschuppen. Mancher meint. diesen Charakter der liebenswert-vorstädtischen Beiläufigkeit am Landstraßenrand, in dem. man auch ein Stück rheinischer Verächtlichkeit gegenüber Obrigkeiten sehen darf, müsse das jetzt größer werdende Deutschland unbedingt in seiner HauptstadtÄs1hetik bewahren als Symhul eines vie1fältig-friedliehen, harmlos-föderalistischen, freund· lieh-sozialen, formlos-zivilen Landesgeistes. Dem wäre entgegenzusetzen, dass auch demonstrative Harmlosigkeit penetrant wirken kann ( ... ), die selbstbewussten Nationen auf die Nerven geht." (Schreiber 1992: 194-195) Schreiber lihrt fort: "Staatsarchitektur sollt einen kultischen, auratisehen Gestus haben, der den mündigen Bürger nicht en1mündi~ ihn aber dazu Illlhäl~ den Schritt zu ver1angsamen und zu staunen. ( ... ) Ende mit der Banner Unauffiilligkei~ Schüchternheit und Verlegenheit und dem an den Straßenrand gewürfeltem Kisten-Allerlei, denn es ist kein repräsentatives und würdiges Programm fiir ein wieder souverän gewordenes Land, das sich endgültig zu europäisehen Normen bekehrt hat." (Schreiber 1992: 202-203) Isensee weist darauf hin, dass aber auch die Bonner Hauptstadt nicht gänzlich ohne Herrschaftsarchitektur auskommen will: ..Da die Bonner Republik nicht aus eigenem Licht zu glänzen versteht. sonnt sie sich, wenn sie der architektonischen Repräsentation bed.art im.
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eher gibt jedoch die Wahl von Denkmälern und Feiertagen Auskunft, die Ereignisse aus der Vergangenheit in die Gegenwart transportieren. Es ist ferner zu untersuchen, ob, und wenn ja, welches Branding sich eine Nation gibt (Nye 2004b: 122).125 [SPC 22: Anziehungskraft von Natur und Urbanität] Eine anziehende Natur sollte nicht nur vor dem Hintergrund der touristischen Verwertbarkeit gesehen werden, 126 sondem ist auch als Ausdruck fiir die zivilisatorische Leistung zu verstehen, die Flora und Fauna zu schützen und Verantwortung fiir sie zu übernehmen. So wie es gemeinhin attraktive Menschen im Leben leichter haben sollen (Hamermesh/Biddle 1994: 1192-1193), möchte man sich dort, wo es schön ist, auch aufhalten. Ein solcher Ort zu sein (sei es nun eine malerische Natur oder die "urbane Anziehungskraft" einer Großstadt12'), erhöht die Soft Power eines Landes. Eine Auflistung der Vereinten Nationen benennt regelmäßig die Länder mit der höchsten Lebensqualität der Welt. 128 Sich auf dieser Liste an vorderer Stelle wiederzufinden, erhöht die Soft Power.
Glanze der Kölner Kurfürsten, die vormals in Bonn residierten. und zieht in das Barockschloß zu Brühl; sie erborgt ihre Repräsentation beim geistlichen Monarchen aus der Verfassungsepoche des aufgeklärten Absolutismus." (Isensee 1992: 229) Auch Beamten-Uniformen loh· nen eine Betrachtung: Natürlich sind sie für sich genommen nicht in der Lage, die Soft Power eines Landes zu erhöhen, aber auch sie geben. wie z. B. die wilhelminischen Roben mit ihrem. "zauber der Montur', Auskunft über die Art des Selbstbildes einea Landes (Isensee 1992: 229). 125 Das Versehen eines Produktes mit einer MaIke. einem. Brand, ist eine gängige Praxis in der Wirtschaft, um Kunden Iür sich zu gewinnen (Berry 2000: 128·129). Seit einigen Jahren exis-
tiert der Begriff des Nation Brandings, unter dem der Versuch von Staaten verstanden wird, ihrer Nation eine Art Marke zu geben. um im. Ausland (aber auch in der eigenen Gesellschaft) eine vorteilhafte Wahrnehmung zu erfahren. Dabei wird ein vorhandenes Image mit professionellen und strategischen Mitteln ausgebaut. um sich langfristig auf dem Markt der Staaten von anderen abzugrenzen (Lepp/fank 2009: 351-352). 126 Nye nennt als Soft-Power-Ressource Fnmkreichs. mehr Touristen ins Land zu locken als bspw. die USA (Nye 2004b: 76). 127 Wittig bezieht sich bier aufBerlin (Wittig 2007: 8). 128 Zu den Kriterien gehören u. a. auch die Bereiche Bildung, Gesundheitsveraorgong und Lebenserwartung. Bei dieser Auflistung schneiden regelmäßig Norwegen und Kanada gut ab, aber auch Schweden, lsland, Auatralien, die Niederlande und Belgien (Nye 2004b: 34). Im Umweltbereich wird für Norwegen allerdings negativ bewertet. dass es immer noch dem Walfang nachgeht (Henrikaon 2005: 80·82).
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5.3.3
Zukunft
[SPC 23: Ausstrahlen von Macht und Verlässlichkeit für die Zukunft] Vergangenheit und Gegenwart eines Landes sind ausschlaggebend für Prognosen über sein Verhalten in der Zukunft. Soft Power besitzt detjenige, dem es gelingt, gegenüber seinen Mitspielern in der "internationalen Pokerpartie" Macht, Sicherheit, Verlässlichkeit und Kontinuität auszustrahlen (Nye 2003: 24). Unvorteilhaft ist es hingegen, wenn man - wie China - als eine potentielle Gefahr für die Zukunft empfunden wird (Nye 2004b: 89).
5.4
Organisatorische Fähigkeiten und Flexibilität
5.4.1
Eigene Organisation, Schnittstelle transnationaler Kontakte und globale Gemeingüter
[SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen im eigenen Land] Während sich Spanien im 16. Jahrhundert über dynastische Verbindungen ein Netzwerk schafft oder die Habsburger eine ausgefeilte Heiratspolitik betreiben, steht heute das Zusammenspiel der Institutionen eines Landes im Fokus: Arbeiten Parteien, Wirtschaft und gesellschaftliche Verbände zusammen, oder herrscht eine Kultur des Gegeneinanders vor? Wie hoch ist der Grad an Transparenz bei politischen Entscheidungen? Transparenz kann durch Presse, Nichtregierungsorganisationen und das Internet erhöht werden (Nye 2003: 246). [SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten] Organisatorische Fähigkeiten sind ein Baustein von weicher Macht (Nye I 990b: 196). Dazu gehört neben der Fähigkeit, Systeme in Systeme zu integrieren,129 die erfolgreiche Organisation von sogenannten Mer,-Events wie G8- bzw. G20-GipfeIn, Olympiaden und Weltmeisterschaften.' 0 [SPC 26: Schuittstelle transnationaler Kontakte] Gelingt es einem Land darüber hinaus, auf Grund seiner organisatorischen Befiihigung zu einer Schuittstelle transnationaler Kontakte zu werden? China arbeitet mit Hochdruck daran, Peking zu einem "centre for meeting" zu machen (Kurlant-
129 K.eohane/Nye nennen beispielhaft die Verbindung von militärischer Macht und Informationstechnologie (KeohaneINye 1998: 88-89). 130 Wittig referiert über die Fußball-WM 2006 in Deutschland, die der deutschen Soft Power genutzt habe (Wittig 2007: 8).
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zick 2007: 64-65). Das Ziel ist dabei, ein asiatischer Hub zu werden und die Konkurrenten vor Ort zu Spokes zu degradieren. 13l [SPC 27: Globale Gemeingüter erzeugen1 Globale Gemeingüter zu erzeugen, von denen möglichst viele Slasten ~fitieren, legitimiert in den Augen anderer eine gewisse Vorrangstellung. 32 So erreicht Großbritannien im 19. Jahrhundert die Aufrechterhaltung des Machtgefiiges in Europa, fördert ein offenes Wirtschaftssystem und sichert internationale Gemeingüter, wie die Freiheit der Meere oder den Kampf gegen Piraten (Nye 2002). Joffe zieht das Fazit: "Those who do for others engage in systemic supply-side economies: they ereate a demand for their services, and that translates into political profits also koown as 'leadership' ." (Joffe 2002: 180) Nye betrachtet drei Dimensionen von globalen Gütern: zunächst die Entwicklung und Implementierung internationaler rechtlicher Regelo und Organisationen, die die internationalen Maßnahmen (z. B. Aktionen in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt, Verbreitung von Waffen, Friedenssicherung, Menschenrechte) organisieren; eine nachhaltige Entwicklungshilfe, deno die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt in Armut (die Gefahr eines Teufelskreises aus Armut, Krankheit und politischer Instabilität besteht); und schließlich die Vermittlung in Konfliktfällen: Die USA sind in der Lage, eine internationale Ordnung voranzutreiben, die auch fiir andere Länder attraktiv ist (Nye 2003: 214-216). Ferner wirkt es sich als Vorteil aus, an dem Aufbau internationaler Institutionen beteiligt zu sein ("built public goods"). Joffe gibt an, dass die USA auf dem Höhepunkt ihrer Soft Power stehen, als sie internationale Organisationen schaffen133 und folgert: ,,Do good for others in order to do weil for yourself." (Joffe 2002: 180) Metzinger ergänzt, dass die USA die UNESCO als Plattform nutzen, um ihre liberalen Grundüberzeugungen in die Welt zu tragen (Metzinger 2005: 73). Ein Land kano seine Soft Power vergrößern, wenn es auf Grund seines technischen Entwicklungsstands die daraus resultierenden Fähigkeiten anderen zugänglich macht bzw. möglichst viele von ihnen profitieren: So erfahren die USA eine gewaltige Aufwertuog, als sie ihre Kriegsschiffe USS Lincolo und USNS Mercy samt zahlreichen Helikoptern nach der Tsunami-Katastrophe 2004 vor die Küste Indonesiens schicken (Gerz 2005: 439). Katastrophenhilfe mit seinem militärischen Gerät leisten zu können, Offiziers-Austausch- und Ausbil131 Das Hub-Spokes-Modell bzw. Nabe-Speiche-Modell drückt aus, dass es zwischen zwei Punkten keine direkte Verbindung gibt, sondern dass sie über einen zentralen Punkt miteinander in Kontakt stehen (Joffe 2002: 164). 132 Ein "global public good" zu schaffen, fördert internatiocales Prestige (Henriksco 2005: 68). 133 Joffe nenct beispielhaft: UNO, IMF, GATI, OBeD, NATO, Wor1d Bank, WTO, pfp (Jaffe 2002: 178-180).
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dungsprogramme unter der Federführung des Pentagon zu initiieren, die Weitergabe von hohen Ausbildungsstandards und das Kniipfen von Kontakten zwischen den verschiedenen Militärs, lässt die Hard Power der USA zu einer Ressource für Soft Power werden (Nye 2004b: 116; Nye 2009a).
5.4.2
InJormationsnetzwerke
[SPC 28: Infonnationen sammeln und steuern] Ein funktionierendes Infonnationsnetzwerk ist von außerordentlichem Wert. Der Ausgangspunkt der Philosophie von Francis Bacon, demzufolge Wissen Macht ist, hat seine Bedeutsamkeit nicht eingebüßt. Besitz! ein Land einen funktionierenden Geheimdienstapparat, von dessen Erkenntnissen womöglich auch andere Staaten profitieren (Nye 2004b: 115)? Gelingt es über Institutionen im Ausland, vor Ort Informationen zu gewinnen (durch Botschaften, Kultur-Institute; Netzwerke aus der Vergangenheit, z. B. aus der Kolonialzeit; Dependancen der eigenen Wirtschaft)? Wer von der Informationsrevolution profitieren möchte, muss sich um Glaubwürdigkeit und Reputation bemühen (Keohane/Nye 1998: 94). Glaubwürdigkeit ist der Grund dafür, dass die British Broadcasting Corporation (BBC) die Soft Power Großbritanniens erhöht.!" Kommen sogenannte Informationssoldaten zum Einsatz, die gegen Falschinformation vorgehen und im Wettstreit über Meinungen und Urteile auch Kampa!Wsen vorbereiten und unterstützen, die das Ansehen ihrer Regierung verbessern? 35 Durch die Entmonopolisierung der Medien, die Digitalisierung der gedruckten Presse und die Internet-Revolution erf"ahrt die journalistische Arbeit eine enorme Beschleunigung bei einem gleichzeitigen Abbau von internen Qualitätskontrollen und der Steigerung des Wettbewerbsdrucks (Bergsdorf2002: 11). [SPC 29: Zivile Kommunikationsnetzwerke] Gibt es zivile Kommunikationsnetzwerke, die Einstellungen und Gesinnungen massenwirksam verbreiten? Dazu zählt Maresch die Print- und Bildschirmmedien sowie die Unterhaltungsindustrie (mit ihrer Pop-, Medien- und Trash-Kultur, den Agenturen des Marketings und der Public Relations), die Lifestyle und Lebensgefiihl, kulturelle Zeichen und Semantiken erzeugen (Maresch 2002: 248). Sie können Transparenz und Offenheit schaffen. Nach den Erfindungen der Dampfmaschine im 134 Glaubwürdigkeit und Reputation sind gerade in einer Zeit, in der es eher zu viele als zu wenige lnfurmationen glbt, ein hilfreicher Filter (KeohanelNye 1998: 89-90). 135 Maresch spricht von ,,Medienoffizi.eren". Sie werden von den USA im. Rahmen des Committee on Pub/ic Information schon während des Ersten Weltkriegs eingesetzt (Maresch 2002: 250).
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19. Jahrhundert und der Elektrizität im 20. Jahrhundert sieht Nye in der Verbundtechnologie aus Computertechnik und Kommunikation eine Art dritte industrielle Revolution. Durch den Informationsfluss wachse die Demokratisierung, also das Recht auf Mitbestinunung (Nye 1999: 25, 2003: 77-78). Nye stellt in Aussicht, dass dasjenige Land, das die Informationsrevolution am besten steuern bzw. fiihren kann, mächtiger sein wird als andere Staaten und vergleicht diesen Vorsprung sogar mit nuklearer Macht (Nye/Owens 1996: 20, 27). [SPC 30: Kontakte von Privatleuten] In Bezug auf den Austausch von Informationen sollten Privatleute und ihre Kontakte nicht unterschätzt werden (Nye!Owens 1996: 34). Die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Informationen wird inuner auch andere erreichen.
5.4.3
Anpassung und Reformjiihigkeit
[SPC 31: Anpassung und Reformf"ahigkeit] Die sich ständig und schneller verändernde Umwelt macht Flexibilität in der Reaktion auf Einflüsse notwendig. Wer sich dieser Herausforderung nicht stellt, wird von Staaten überholt, denen Anpassung besser gelingt. Beispielhaft nennt Nye die Reformfähigkeit Japans, das vorbildlich auf die Belange der sich veriindemden Rahrnenbedingungen eingegangen sei (Nye 1990b: 200-201, 2003: 50).136 Beachtlich ist dabei Japans Aufstieg zur wirtschaftlichen Großmacht, nachdem der Zweite Weltkrieg das Land zerstört zurücklässt.
5.5
Agenda-Setting
5.5.1
Themen der Tagesordnung beeinflussen und Mobilisierungsjiihigkeit
[SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Frarning; Präferenzen formen] Wer die Themen der Tagesordnung beeinflussen und darüber hinaus die Präferenzen
136 Dieser Punkt geht einher mit dem Zus8llllllellSpiei der Institutionen (Kapitel 5.4.1): Für eine
Anpassungsleistung bedatf es nicht nur des Erkennens einer Entwicklungsnotwendigkeit, sondern es muss auch institutionell und organisatorisch möglich sein. Veränderungen in angemessener Zeit vorzunehmen. Insofern kann es sich als ungünstig erweisen, wenn, wie in Deutsch· land, viele Institutionen und Ebenen hemmend wirken und Reformen verhindern.
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anderer Staaten formen kann, besitzt weiche Macht. 137 Mit der Auswahl seiner Themen sensibilisiert er seine Umwelt für seine Prioritäten. Versteht er es ferner, auch das Priming und Framing 138 seiner Themen zu steuern? Als ein Staat Agenda-Setting zu betreiben, setzt freilich voraus, dass er sich Klarheit über seine Ziele und Interessen verschafft. Think Tanks und Politstrategen sind nicht nur im eigenen Land in der Lage, Themen zu setzen, sondern können sie unter Umständen auch in fremden Staaten anstoßen (Maresch 2002: 254). [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit] Die Fähigkeit, Menschen mobilisieren zu können, setzt eine gewisse Attraktivität für die zu Mobilisierenden voraus. Ist ein Land, eine Gesellschaft, eine Regierung oder ein Politiker durch seine bzw. ihre wie auch immer geartete Attraktivität in der Lage, das Interesse der Medien auf sich zu ziehen und sich damit selbst auf die Tagesordnung zu setzen oder Menschen für das jeweilige Anliegen zu mobilisieren? Als ein prägnantes Beispiel hierfür dürfte Karl-Theodor zu Guttenberg gelten, bevor er in Ungnade fällt. Der aus der Sozialpsychologie stanunende Mere-Exposure-EjJekt beschreibt das Phänomen, dass Attraktivität auch durch eine hohe Präsenz erreicht werden kann: Es wird das als schön empfunden, was einem vertraut erscheint (Wagner 200 I ).139 Die Regierung der USA unter George W. Bush bemüht hingegen eine "säbeirasselnden Rhetorik", um das Interesse auf sich zu ziehen und für ihre Anliegen zu werben; dabei gebraucht sie eine angsteinflößende
"apokalyptische Semantik", wenn sie von "grenzenloser Gerechtigkeit", ,,Kreuzzug" oder ,,Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse" spricht (Maresch 2002: 246).
5.5.2
Maßstiibe setzen und Stellvertrete"olle
[SPC 34: Maßstäbe setzen] Die Kompetenz, Maßstäbe zu setzen, ist in Bezug auf Soft Power von außerordentlicher Wichtigkeit. Nye führt als Beispiel den Schutz der Privatsphäre an: Amerikanische Politiker achteten im Zeitalter des Intemets darauf, dass die amerikanische Praxis den europäischen Regeln für die Privatheit von Iuformationen nicht widerspreche (Nye 2003: 60). Von großem 137 Unter PräJerenzenJormen versteht Nye: ,.Wenn ich den anderen dazu bekomme, dass er das tun wut, was ich möchte, dann muss ich ihn nicht zwingen. das zu tun, was er nicht will." (Nye 2003: 30, H. i. 0.) 138 Für eine Erläuterung der Begriffe s. Kapitel 4.5.6. 139 Personifizierungen erleichtern es dabei, Aufmerksamkeit zu erzeugen (z. B. der Dalai Lama für Tibet oder Bill Gates für Microsoft). Der Mere-Exposure--Ejfelrt spielt auch für die unter Kapitel 5.1.3 genannten Produkte der Massenkultur eine RDlle.
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Wert ist es, wenn z. B. die eigene Verfassung, das Rechts-, Bildungs- oder Gesundheitssystem zum Vorbild fiir andere Staaten werden oder es gelingt, die eigenen nationalen Normen in internationalen Konsens umzuwandeln. Nye sieht in dieser Fähigkeit eine der größten Leistungen des antiken Roms, Großbritsnniens im 19. Jahrhundert und der USA im 20. Jahrhundert (Nye 1990b: 32, 2003: 248). [SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle] Nye lobt Europa dafiir, zu einer Insel des Friedens und Wohlstsndes geworden zu sein und dafiir weltweit anerkannt und zu einem Vorbild fiir andere Kontinente zu werden (Nye 2004b: 77).140 Für andere zu einem Ideal zu werden, besser als die Mitbewerber zu sein oder auf Grund von bestimmten Fähigkeiten z. B. zu einem Sprachrohr zu werden, zahlt sich im Hinblick auf Soft Power immer aus, denn aus dieser Anerkennung erwächst die Fähigkeit, jemandem oder etwas Legitimität oder einen Wert verleihen zu können. In gleicher Weise verhält es sich mit der Stellvertreterrolle, die Wahl am Beispiel von Greenpeace herausarbeitet: Greenpeace entlastet mit seinen Aktionen die Zuschauer gleichsam von deren eigenen Verantwortung, in einen Missstsnd eingreifen zu müssen. Indem eine Organisation diese Aufgabe fiir das Publikum übernimmt, verschafft sie sich Ansehen (Wahl 2000: 305).
5.6
Kräfte jenseits staatlicher Kontrolle: Outside Partner
Weiche Macht erwächst häufig aus gesellschaftlichen Kräften, die keine formale Autorität besitzen (Nye 2008: 38). Sogenannte Outside Partner sind vielfach glaubwürdigere Akteure als offizielle Vertreter. Hier dürfte die negative Vorstellung des bürokratischen und nach Macht strebenden Staates eine Rolle spielen, in dem Parteipolitik, Korruption und Eigeninteressen von Mandatsträgern vorherrschen. Outside Partoer stützen sich auf die Akzeptanz des Publikums (Nye 2004b: 99). Die Iuformationsrevolution ist u. a. verantwortlich dafiir, dass Regierungen neben sich weitere Akteure akzeptieren müssen (Nye 2004b: 91). Wenn in einem Land Outside Partner existieren, die sich gleichsam als Verbündete mit den staatlichen Akteuren fiir eine gemeinsame Sache einsetzen, kann die Regierung davon profitieren.I<1
140 Gelingt es ferner, sich auf Standards zu einigen und eine Kooperation einzugehen? Nye nennt als Beispiel Europa und die GSM-Teehnik für Mobiltelefone 1987 (Ny< 2004b: 82,2004c). 141 Dass diese gesellschaftlichen Kräfte häufig aber auch hinderlich sein können, belegt z. B. der Protest der amerikJUrisehen Popkultur gegen den Vietnamkrieg (Ny< 2003: 33).
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5.6.1
Prominente Einzelpersonen
[SPC 36: Prominente Einzelpersonen als Outside Partner] Einfluss haben anerkannte moralische Autoritäten (z. B. Preisträger im Allgemeinen, Nobelpreisträger im Besonderen, Vertreter von Religionsgemeinschaften), technische Experten und Repräsentanten von Gruppierungen, die auf Grund einer hohen Mitgliederzahl einflussreich sind (Donnelly 2002: 169). Femer sind zu erwähnen: einzelne Wirtschaftsvertreter, frühere Spitzenbeamte, Meinungsfiihrer, Prominente aus Kunst, Sport'42 und Wissenschaft. Integrität ist dabei die unerlässliche Voraussetzung, um zu einem Outside Partner zu werden. Eine moralische Autorität ist auch der UN-Generalsekretär: Er wird auf Grund der Friedensbemühungen der Vereiuten Nationen zu einer respektierten Persönlichkeit (Nye 2004b: 95).143 Bringt die Gesellschaft Prominente hervor, die als sogenannte Celebritys144 Aufmerksamkeit für bestimmte Themen schaffen und damit Politiker zum Handeln auffordern können? Hier sind das Engagement des U2Sängers Bono für die Entschuldung afrikanischer Staaten und Lady Diana in ihrern Einsatz gegen Landmiuen zu nennen (Keohane/Nye 1998: 92; Nye 2004b: 93,2008: 19). HepplKröner! fiihren aus, dass ,,Medienberühmtheiten ein zentraler Verkaufsfaktor sind". Dieser Faktor lässt sich nicht nur für den Absatz von Konsumgütern nutzen, sondern auch für die V erhreitong von Ideen (Heppl Kröner! 2009: 145). FaulstichIKorte weisen daraufhin, dass Stars ,,als Multiplikatoren oder Leitbilder unser Verhalten, unsere politischen und gesellschaftlichen Sehweisen und Überzeugungen, ja sogar unser Handeln bis in die ,kleinen' Entscheidungen des Alltags hinein" beeinflussen (FaulstichIKorte 1997: 7).145
5.6.2
Wirtschaft
[SPC 37: Wirtschaft als Outside Partner] Durch die geringen Kosten für Transport und Kommunikation haben sich die globalen Märkte verändert; die Ent-
142 Ein Beispiel ist Mllhammad All. der im Fernsehen über die amerikanische Offenheit gegenüber dem Islam spricht (Blinken 2003: 292). 143 Für China dürfte es sich als vorteilha:ft erweisen. dass mit Margret Chan als Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO seit 2006 erstmals eine Chinesin eine bedeutende Stellung in der UNO einnimmt. 144 Für eine detaillierte Darstellung des Begriffs Celebrity s. Kapitel 6.1.6. 145 Zu den Stars zählen FaulslichlKorte Prominente aus Politik, Wirtscbaft, den Medien, der Musik-, Film-, Kunst- und Modebranche. Die Autoren weisen daraufhin, dass das Phänomen des Stars noch nicht ausreichend geklärt ist (FaulstichlKorte 1997: 7). S. auch Kapitel 6.1.6.
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wicklung von transnationalen Finnen wird beschleunigt (Nye 1990a: 161), wodurch ihre Bedeutung als Outside Par1ner wächst. Zudem berühren Unternehmen häufig unmittelbar daa Leben der Menschen und sind (sowohl im Inland als auch im Ausland) präsenter und greifbarer vor Ort als Regierungen (Nye 2004b: 114). Nye nennt - neben der Vermarktung der amerikanischen Kultur und Werte durch amerikanische Unternehmen - die japanische Popkultur mit ihrer ökonomischen Bedeutung fiir Asien (Nye 2003: 112-113). Unternehmen, die nicht ausschließlich den eigenen Profit verfolgen, sondern sich auch verantwortlich fiir ihren Heimatstandort und ihre Beschäftigten zeigen oder z. B. Stiftungen gründen, können von entscheidendem Wert sein. Beispiele fiir große Stiftungen in den USA sind die Bill and Melinda Gates Foundation, der Getty Trust uud die Ford Foundation sowie in Deutschland die Rober/-Bosch-Stiftung in Stuttgart.
5.6.3
NGOs und Verbände
[SPC 38: NGOs und Verbände als Outside Par1ner] Das Bild eines Landes, das von nichtstaatlichen Gruppen transportiert wird, erscheint häufig authentischer als z. B. staatlich gesteuerte Imagekampagnen. Bekräftigt wird diese Sichtweise durch den Erfolg von Nichtregierungsorganisationen und ihrem "Chsrme der Neuartigkeit": Ihnen haftet die Zuschreibung von Dynamik, moralischer integrität und selbstlosem Idealismus an (Wahl 2000: 294). Daraus erwächst die Möglichkeit, mit Scharo operieren und Finnen öffentlich anprangern zu können (,,name and shame"), wenn sie einen Missstand festgestellt haben (Nye 2004b: 93). Hawkins fiihrt aus, dass Menschenrechtsnetzwerke wie Oxfam und ihre Normen die Weltpolitik restrukturiert haben. Staateu könnteu nicht länger vorgeben, sie hätten allein die Autorität über ihre Bürger und sollten deshalb versuchen, diese Menschenrechtsnetzwerke einzubinden bzw. fiir sich zu gewinnen (Hawkins 2002: 70). Verbände treten in der Regel als Experten auf. Sie gewinnen dann an Soft Power, wenn ihnen die Öffentlichkeit daa Erreichen gemeinnütziger Güter zuschreibt und ihnen nicht die Rolle des Lobbyisten unterstellt wird.
5.6.4
Eigene Gesellschaft und einzelne Bürger
[SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranteu als Outside Par1ner] An dieser Stelle ist der gesellschaftliche Zusammenhalt zu betrachten: Welche 120
aktuelle Stimmung herrscht in der Bevölkerung VOr?'46 Gibt es ein Nationalbewusstsein, und identifizieren sich die Bürger mit ihrem Land? Die monarchische Staatsform erreicht die Repräsentationsleistung in besond= Weise, wie !sensee herausarbeitet. l47 Ham sieht den Untergang des sowjetischen Imperiums u. a. darin begründet, dass ab einem gewissen Zeitpunkt die Unterstützung der eigenen Bevölkerung gefehlt habe (Ham 2005: 48). Anders gestaltet sich dies in der US-amerikanischen Gesellschaft, die ihre Nation als etwas Religiöses betrachtet (Maresch 2002: 242). Maresch zitiert einen amerikanischen Publizisten mit den Worten: Welche Ungerechtigkeit auch immer im Namen Amerikas begangen werde, "sein demokratisches System und seine blühende Zukunft sind über jeden Zweifel erhaben." (eroly zit. in: Maresch 2002: 245) Ist die Gesellschaft offen wie bspw. die synkretische Kultur der USA, die vielfältige Traditionen in sich aufnimmt und Einflüssen von außen aufgeschIos146 Die Stimmung in der Bevölkerung ist nicht zuletzt abhängig von der Einstellung der Bürger zu ihrer Regierung. Die deutsche Bundesregierung gibt pro Quartal eine Auflistung ihrer Aktivitäten im. Bereich der Öffentlichkeitsarbeit heraus. Dazu zählen Veröffentlichungen von Brosebüren, CDs, Faltblättern, Filmen, Ausstellungen und Anzeigen ebenso, wie lmagekampag· neo und Plakate, die für bestimmte Projekte der Bundesregierung wetbeo. Im Jahr 2009 gibt
das Bundespresseamt für die Öffentlichkeitsarbeit rund 6,6 Millionen Euro aus, die Bundesministerieo zusammeo über 23,2 Milliooeo Euro (Bundesregierung 2011). GaUuslLübe bemerkeo in Bezug auf die Rolle der öffeotlicbeo Meinung in der Politik: ,,Jede Regierung fi-
nanziert Pressekampagnen und Presseämter, um sich und ihre Politik darzustellen und im. besten Liebt eracbeineo zu Jasseo." (GalluslLübe 1998: 43) 147 ,,Die Repräseotatioo fiillt der Mooarebie leichter als der Repubtik. Sie verfügt über ein ererbtes Repertoire an Insignien, Zeremonien. Roben, Orden. Monumenten und sonstigen Symbolen. in
denen Einheit und Tradition des Landes sichtbar werden. Die britische Krone verkörpert die geistige Einheit der Nation. in der die Bürger aller politischen. sozialen und wirtschaftlichen Lager sich wiedererkennen. Die Einheit, die sie darstellt. bezieht sich nicht allein auf die gegenwärtig lebende Gesellschaft. Vielmehr verknüpft sie auch die lebende Generation mit den vergangenen. über die unterschiedlichen Zeitläufe und politischen Epochen hinweg. Sie symboliBiert die politische Tradition, das gute Erbe, Großbritannien als geschichtliches Kontinuum, in dem. die Schlacht von Hastings ihren Platz hat wie der Sieg bei den FalkJandinseln, die Magna Charta wie die Bill ofRights. Die englische Königin repräsentiert. weil sie Königin ist Hinter ihr stehen die Jahrhunderte Großbritanniens. Sie ist ausgewiesen durch objektive Vorgabeo, Gebutt und
Am~
Krone und Zeremooiell. Das Amt trägt die Persoo. Umgekehtt
dient die Person dem Amt Persönliche Ereignisse der Monarchin und ihrer Familie werden natiooale Integrationserlebnisse: Gebutten, Kindstaufeo. Eheschließungen, Gebuttstage. Die Bürger projizieren die Vorstellungen eines höheren., schöneren, besseren Selbst auf die Monarchin, auf ihre subjektive Befindlichkeit (... ) stets repräsentiert sie durch objektive Präsenz, nicht dureh subjektive Leistung." (!seosee 1992: 224) Damit steht die britische Königin im
Gegensatz zum deutschen Bundespräsidenten, der - nachdem. er für die Zustimmung seiner Wähler werben musste - sich als Person durch Leistung beweisen muss. Sein Repräsentationserfolg ist abhängig voo seineo persöolicbeo Fähigkeiten und seiner eigeneo Tüchtigkeit (!seosee 1992: 225).
121
sen gegenüber steht (Nye 2003: 125) oder eher geschlossen bzw. skeptisch gegenüber Fremden?l" Eine spendenfreudige Gesellschaft zeigt Verantwortungsgefühl für Hilfsbedürftige im In- und Ausland und generiert damit Soft Power. I" Die chinesische Regierung schickt derzeit Jugendliche in Entwicklungsländer, die vor Ort Projekte in den Bereichen Landwirtschaft und Sport unterstützen (Kurlantzick 2007: 63). Das Auftreten der Bürger im Ausland kann darauf hinweisen, ob ihnen bereits in der Schule Respekt vor fremden Kulturen vermittelt wird (Gerz 2005: 446).150 Eine besondere Erwähnung sollen an dieser Stelle Bürger mit Migrationshintergrund finden: Wenn ihre Integration gelingt, kann die Soft Power eines Staates davon profitieren. Blinken befiirwortet, dass arabisch-stämmige Amerikaner und amerikanische Muslime als Multiplikatoren für die Offenheit Amerikas eingesetzt werden sollten (Blinken 2003: 294). [SPC 40: Staatsbürger im Ausland als Outside Partner] Aber nicht nur die Bürger im eigenen Land können sich als Unterstützer erweisen, sondern auch Landsleute im Ausland: Als Beispiele sind die 1,7 Millionen Inder und 2,4 Millionen Chinesen in den USA zu nennen, die das Interesse unter den Amerikanern für ihr Herkunftsland wecken (Nye 2004b: 88), oder die Chinesen in Teilen Burmas und Vietnams, die die dortige Wirtschaft und Gesellschaft dominieren und ein Einflussfaktor in der ausländischen Gesellschaft sind (Kurlantzick 2006: 4). Die chinesische Regierung wirbt darüber hinaus bei ihren Bürgern im Ausland dafür, Geld in China zu investieren. Programme wie Travel 10 China 10 Find Your Rools werden eingerichtet, um Kindern von Auslandschinesen in Soromercamps die Heimat ihrer Eltern näherzubringen (Kurlantzick 2007: 76-77). Viele Familien in Dritte-Welt-Staaten sind auf die finanzielle Unterstützung von ihren Angehörigen im Ausland angewiesen.
148 Als Beispiel für Selbstbezogenheit und Desinteresse gegenüber anderen Klllturen nennt Nye Japan: ,,Japan is somewhat limited by the inward orientation of its culture. While Japan bas been extraordinarily successful in accepting foreign technology, it has been far more reluctant to accept foreigners." (Nye 1990a: 169-170) Nye bemängelt außerdem die mangelnden Englisch-Kenntnisse der Japaner, die als die schlechtesten in Asien gelten und damit einen internationalen Austauaeh (z. B. an Universitäten) schwierig maehen (Nye 2004b: 87). 149 Deutsche gelten als ausgesprochen spendenfreudig. Im ersten Halbjahr 2007 beträgt die gespendete Summe für karitative Zwecke 843 Millionen Euro (Tagesschau 11.02.2008). Im. Rclrordjahr 2005 (naeh der Tsunanti-Katastrophe in Südostasien) beträgt daa Spendenaufkommen in Deutschland sogar rund drei Milliarden Euro (Handelsblatt 13.12.2006). 150 Die hier genannten Aspekte könnten aueh unter Kapitel 5.32 Erwähnung finden. Stimmung, Nationalbewusstsein, !dentifikation oder Offenheit und Engagement der Bevölkerung werden an dieser Stelle jedoch mehr als volatile Einstellung erörtert, aus denen Regierungen temporär bzw. für einzelne Sachbereiche Unterstützung mobilisieren können.
122
5.6.5
Partner in ausländischen Gesellschaften
[SPC 41: Meinungsführer in ausländischen Gesellschaften als Outside Partner1 Eine Regierung profitiert davon, wenn sie ihre Gesellschaft als Partner gewinnt; noch vorzüglicher ist es, wenn eine Regierung auch Unterstützergruppen in ausländischen Gesellschaften hinter sich weiß (Triepel 1938: 484).'51 Dazu gehören u. a. Meinungsführer wie Kolumnisten, Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften, Femseh- und Programmdirektoren (Blinken 2003: 294). Sie sind in der Lage, in ihrer Gesellschaft das positive Image eines ausländischen Landes auszubauen bzw. zu festigen.
5.7
Übersicht Soft-Power-Checkliste
Leistungen
der RegIerung
SPC 15: Regierung als Mediator; Noutra1ität
151 Ein prägnantes Beispiel dürfte die Israel-Lobby in den USA sein, deren Einfluss Mearshei· mer!Walt herausarbeiten (Mearsheimer!Walt 2008: 335·336).
123
nehmung eines Landes
von Natur
3.3
Kontrolle: Outside Partner
Tab. 2: Soft-Power-Checkliste
124
A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Zunächst aber ist der Heilige Stuhl in den internationalen und transnationalen Beziehungen einzuordnen und der Charakter seiner Diplomatie zu skizzieren. Ferner werden die Inszenierung und die symbolische Politik des Heiligen Stuhls sowie die Starqnalitäten des Papstes behandelt, bevor die Besprechung von drei Fallbeispielen und eine Zusammenfassung folgen.
6.1
Der Heilige Stuhl in den internationalen und transnationalen Beziehungen
6.1.1
Rechifertigung und Merkmale seiner Zugänge und der Stellenwert der päpstlichen Initiativen
Der Heilige Stuhl ist Teil der internationalen Beziehungen, weil er die Exelrutive des Staates der Vatikanstadt darstellt und zugleich das Leitungsgremium einer der größten Religionsgemeinschaften mit über einer Milliarde Mitgliedern ist: Er steht den Gläubigen vor und bündelt die gesellschaftliche Kraft auf internationaler Ebene über die Römische Kurie und auf nationaler Ebene über die Bischofskonferenzen. Er setzt sich nicht nur für Katholiken ein, sondern für alle Menschen guten Willens. Er genießt moralisches Ansehen, weil er Friedensund Vermittlungsdienste mit gewaltlosen Mitteln leistet; darüber hinaus kann er mit überdurchschnittlich vielen Staaten eine Allianz eingehen, weil er seine Neutralität wahrt. Er ist ein lang etabliertes, ethisch-religiös fundiertes Völkerrechtssubjekt: Die Staatenwelt gesteht dem Heiligen Stuhl eine Sonderrolle zueine gleichsam durch Tradition legitimierte Privilegierung -, denn auch während der Krisenjahre 1870 bis 1929 büßt er seine internationale Anerkennung trotz des Verlustes seiner weltlichen Autorität nicht ein (Rauch 2006: 61). '" Als
153 Selbst als der Heilige Stuhl noch im Besitz seines Kirchenstaates ist, ist er nicht wegen des Territoriums Teil der internationalen Gemeinschaft, sondern. .,on the spiritual, moral and humanitarian nature ofhe [sjc~ papal office." (Quinn 1984: 294) Kiick fügt hinzu: ,,Der völkerrechtliche Status des Heiligen Stuhls und we derzeitige rechtliche Verfaßtheit der internationa· len Gemeinschaft, insbesondere des Systems der Vereinten Nationen, ermöglichen dem Heiligen Stuhl eine praktisch unbeschränkte Teilnahme in jeder von ihm. gewünschten Form. Es steht daher im Ermessen des Heiligen Stuhls, welche :für die Realisierung seiner geistlichen und caritativen Mission als zweclanäBig erachtete Teilnahmsweise er in concreto wählt. Diese Dispositionsfreiheit stellt einen unschätzharen politischen Wert dar, dessen Erhaltung als zweckmäßig und daher wünschenswert erachtet werden muß. Da im Völkerrecht dem bisherigen Verhalten der Rechtssubjekte stets eine gewisse normative Kraft zukommt, liegt es im. Interesse des Heiligen Stuhls, seine jeweilige internationale Präsenz schließlich auch selbst in
126
transnationale Organisation steht die katholische Kirche, die die Welt in geographische Einheiten eingeteilt hat und sich für diese zustiindig fiihlt, zwangsläufig in Kontakt mit Regierungen, die die eigentliche Kontrolle über ihr Territorium beanspruchen (Shelledy 2009: 15). Der Heilige Stuhl unterhält Konkordate mit zahlreichen Staaten und verfiigt (als einzige Religionsgemeinschaft) über ein weltweites diplomatisches Netz, bei dem konfessionelle Faktoren oder eine laizistische Staatsverfassung (wie in Frankreich) keine Rolle spielen (Graham 1959: 7, 18-19). Unter den Weltreligionen hat die katholische Kirche eine exponierte Stellung: Sie verfUgt nicht nur über die umfassendste Organisation, sondern besitzt mit dem Vatikan auch Staatlichkeit. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 200 I sind Religionsgemeinschaften insgesamt wieder deutlicher in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt; hier spielt die Vorstellung eine Rolle, dass es einen dauerhaften Frieden ohne Religionen nicht geben kann. 1S4 Der Heilige Stuhl gibt sich die Anfgabe des Sprachrohres für andere Religionsgemeinschaften, denen ein solch hohes Maß an Aufmerksamkeit nicht entgegengebracht wird. Nicht zuletzt durch die Weltgebetstreffen in Assisi, die der Heilige Stuhl organisiert, empfiehlt er sich als Anführer einer ideologischen Allianz. Ein weiteres Charakteristikum ist die Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls. Als vatikanische Regierung muss er kein Staatsvolk berücksichtigen, das in regelmäßigen Abstiinden seine Präferenzen durch Wahlen zum Ausdruck bringt; es drohen weder parlamentarische Untersuchungsausschüsse noch Wirtschaftsvertreter mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen, und trotz eines Rückgangs der Einnahmen durch Kirchensteuern befmdet sich der Vatikan in keiner finanziellen Schieflage. Auch in den internationalen Beziehungen bewahrt sich der Heilige Stuhl seine Unabhängigkeit: Er betreibt weder balancing noch bandwagoning; er verfolgt eine innere Machtbildung durch den Aufbau autonomer politischer und kultoreller Fähigkeiten. Der Heilige Stuhl nimmt an internationalen Konferenzen und Fachtagungen teil und beschreibt seine heutige Rolle in der Völkergemeinschaft damit,
jener Klarheit darzustellen und darstellen zu lassen., die späteren Zweifeln faktischer oder rechtlicher Art jeden Beden entzieht." (Köck 1984: 318, H. i. 0.) 154 Zu diesem Ergebnis kommt auch Küng auf seiner Suche nach einem neuen Weltethos: .,Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforsehung in den Religionen." (Küng 2000: 147)
127
nicht nur Lehrer von Wahrheiten zu sein, die über Zeit und Geschichte hinausgreifen, sondern auch die Völker aufihrem Weg zu begleiten und die Verantwortung der Regierenden zu teilen, so als habe er das Vorrecht eines Bannerträgers und Sprechers für die gemeinsamen geistlichen und moralischen Werte, ohne die eine echte und würdige menschliche Gesellschaft nicht aufgebaut wenIen kann (Caaaroli 1974: 114-115).'''
Auf die Bedeutung des Christentums fiir das Völkerrecht macht Schwarzenberger aufmerksam (Schwarzenberger 1955: 140-147). Die Partizipation des Heiligen Stuhls beruht bei internationalen Organisationen wie der UNO oder der EU häufig auf einer Mischung aus institutionalisierten Zugängen (als Zeichen der Anerkennung seiner Leistungen als gesellschaftliche Kraft) und Entgegenkommen. Casaroli beschreibt den Heiligen Stuhl in den internationalen Beziehungen als diskret, bescheiden, unparteüsch und uneigennützig, dessen Interventionsarten vielfältig seien, wobei er auf eine öffentliche Verurteilung jedoch in der 155 Seine Qualitäten als Mediator dürfen auascblaggebend dafür sein, daas der Heilige Stuhl zu
einer treibenden Kraft innerhalb der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1973 bis 1975 (KSZE, ab 1995 OSZE) wird, als die Länder der NATO und dea WOISChauer Paktes über die Möglichkeiten der Ost-West-Kontakte debattieren. Die Konferenz soll dabei helfen, den Ost-West-Kon:f1:ikt zu entspannen. Dabei geht es in den vier zu verhandelnden .,Körben" um die Sicherheit in Europa (1), eine Zusammenarbeit in wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, technischen und umweltpolitischen Fragen eine Kooperation in humanitären Angelegenheiten (III) und die Folgen der Konfereoz (IV) (Liedermann 1984: 489, 491). Caaaroli nennt als Begründung, warum sich der Heilige Stuhl- entgegen seinem sonstigen Vorgeheo -Iiir eine Vol1mitgliedschaft bei der KSZE eotscbließt: ,,Die Entscheidung hing vom Bogriff ab, den der Heilige Stuhl vom Frieden als einem nicht nur politischen, sondern vor allem moralischeo Wert voo grundlegeoder Bedeutung hat" (Casaroli 1981: 158) Und Paul VI. weiter: ..Wir halten es für unsere Pflicht. uns im Rahmen des Möglichen zu aktiven Förderern des Friedeoa und der Befriedung zu macheo." (paul VI. zit. in: Casaroli 1981: 158) Liedermann betont die bedeutende Rolle der neutralen und pakt-ungebundenen Staaten im Konferenzverlauf, weoo die Verhandluogeo zwischeo deo NATO- und WOISchauer-Pakt-Staaten featgefahren sind (Liedermann 1984: 511-512). Darüber hinaua veraucht der Heilige Stuhl während der Konferenz für sich selbst Verbesserungen in folgenden Bereichen zu erzielen: Er möchte religiös motivierte Reisen erleichtern (Pilgerreisen, Ad-limina-Besuche der Bischöfe. Studienaufeothalte Iiir Prieaterkaodidaten in Rom) uod die Verbreitung religiöser Schriften und Rundfunkprogramme auabaoeo (Helbig 1981: 179). Beaunderea Engagement zeigt der Heilige Stuhl deshalb in Korb I1I, deaseo Sprengkraft Johaooes Paul 11. fröh erkeont (Verbeek 2005: 74; 10terview Verheek 2010; Kempe 2004: 58-59); er setzt sich aber auch Iiir die Achtung der Meoscheorechte, Gedankeo-, Gewisseoa-, Religiooa- und Überaeuguogsfreiheit in Korb I ein (Ryall 2001: 49). Der Heilige Stuhl ist in seinen Bemühungen um eine Verbesserung der Situation der katholischen Kirche in den Ostblockstaaten nur teilweise erfolgreich; im Ergebnis kann er eine wirkliche Verbeaserung Iiir die Religioosfreiheit nicht erreicheo (Helbig 1981: 179-180). Winuoer, der zwischeo 1994 und 2000 Vizepräsideot der Parlamen1arischeo Veraammluog der OSZE is~ hebt die Ernsthaftigkeit hervor, mit der der Vertreter des Heiligeo Stuhls die Verhaodlungeo begleitet (Interview Winuoer 2010).
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128
Regel verzichte (Casaroli 1977: 7-10, 57). Der Heilige Stuhl bricht seine diplomatischen Beziehungen zu einem Staat grundsätzlich nicht ab, um den Dialog für sich oder andere Akteure aufrechterhalten zu können. Er befasst sich mit ethischen und juristischen Fragen, hält sich aus dem Bereich der technischen, rein politischen und militärischen Problemstellungen allerdings fern, weshalb er bei internationalen Organisationen häufig einen Beobachterstatus vorzieht, um nicht zwischen politische Interessen zu geraten (Casaroli 1974: 93, Ill). Der Heilige Stuhl fiihlt sich verpflichtet, für all diejenigen Gruppen zu sprechen, die sich in den internationalen Beziehungen fiir moralische Worte einsetzen, und sieht sich selbst als Gewissen der Menschheit, das die cbristlichen Grundsätze verkündet und dazu ermutigt, diese zu befolgen (Casaroli 1974: 99-100, 103). Der Heilige Stuhl hat nach eigener Auffassung eine größere Befähigung zur objektiven Beurteilung von Streitigkeiten, da er unabhängig und unparteüsch ist, keine eigenen (irdischen) Interessen hat, IS. vielfältige Kontakte unterhält, ihm ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht wird und er über keine herkömmlichen Machtmittel verfiigt, die eine Gefahr für andere Staaten darstellen können. Die Sonderrolle des Heiligen Stuhls in den internationalen Beziehungen erklärt Casaroli damit, dass seine Souveränität geistlicher bzw. religiöser Natur ist: Seine Befehlsgewalt liege im freiwilligen Gehorsam seiner Gläubigen; er habe einen Einfluss, den sonst z. B. nur Intellektuelle hätten (Casaroli 1974: 9596, 103-104, 106). Schwarz ergänzt, dass die Neutralität des Heiligen Stuhls authentisch sei und sein Engagement für die Menschen anerkannt werde: ,,Der ID. Stuhl rückt zu einem Teil in die Rolle der fehlenden Weltautorität" Dies prädestiniere ihn für die Aufgabe als Gutachter, internationaler Berater, Schiedsrichter und Vermittler (Schwarz 1983: 27-28). Er trägt damit zu einem Ausgleich zwischen den Staaten bei und verbindet sie miteinander durch die Katholiken. Das Recht auf Stellungnahmen in den internationalen Beziehungen erwächst dem Heiligen Stuhl aus seinem Status als souveränes Rechtssubjekt und seinem Selbstverständnis als moralische Autorität (Köck 1979: 226; Zemanek 1979: 254). Die spirituelle Grundlage für sein politisches Engagement beruht auf den jährlichen Weltfriedensbotschaften und der Enzyklika PACEM IN TERRIS von Johannes XXIII. (Squicciarini 1979: 18). Einen Grund dafür, dass die Stellungnahmen des Papstes Gewicht haben, sieht Mörschel im päpstlichen Image als ein überkonfessionelles Weltgewissen (Mörschel 2007: 12). Casaroli bestätigt die Bereitschaft des Heiligen Stuhls, "das ganze Gewicht des morali156 Wie z. B. Gebietsansprüche oder die Forderung nach Beteiligung bei einer RessourcenverteiJung.
129
schen Ansehens in die Waagschale zu werfen, das ihm eine jahrhundertelange Geschichte, sein ihm eigener Lehr- und Hirtenauftrag und die hörende Bereitschaft so vieler Millionen Menschen in allen Kontinenten eingetragen haben" (Casaroli 1977: 63-64). Der Papst ist das Oberhaupt von über 1,1 Milliarden Katholiken, die immer auch Bürger in einem Staat sind; Schwarz weist darauf hin, dass er ihr Verhalten in ihrer jeweiligen Gesellschaft beeinflussen kann, indem er z. B. einen Gewissenskonflikt zwischen der Loyalität zur Kirche oder der Zugehörigkeit zum Staat auslöst. Seine Autorität über die katholische Kirche übertrage sich deshalb auch auf das Gewicht seiner Stellungnalunen in Bezug auf die internationalen Beziehungen (Schwarz 1983: 21, 28).
6.1.2
Der Heilige Stuhl und sein Verhältnis zu Staaten
Grundsätzlich sind auch fiir den Heiligen Stuhl Staat und Kirche voneinander zu trennen.!57 Der Staat bestehe aus zahlreichen sozialen Gruppen, so dass es die Aufgabe der Regierung sei, Ordoung, Gerechtigkeit und Freiheit sicherzustellen (Ratzinger 1993: 73-74, 89, 91). Was dabei gerecht ist, beantworte die praktische Vernuoft; diese sei jedoch gefährdet. Der Glaube wirke nun als eine ,,reinigende Kraft" und helfe über seinen Einfluss auf die Vernunft dabei, das Gerechte zu finden. Der Staat müsse deshalb Religionsfreiheit schaffen und die Unabhäogigkeit von Religionsgemeinschaften respektieren (Benedikt XVI. 2005: 37). Er habe keinen Absolutheitaanspruch gegenüber seinen Bürger, weil er nicht der Ursprung der Wahrheit und Moral sei; diesen Ursprung nehme die katholische Kirche fiir sich in Anspruch, die sich als moralischer Wegweiser und sittliche Macht sehe. Sie liege "außerhalb" des Staates und besorge "das fiir iho unerlässliche Maß an Erkenntnis und Wahrheit über das Gute" (Ratzinger 1993: 85-86, 89). Sie wolle deshalb nicht in staatliche Angelegenheiten eingreifen, sondern zur Reioheit der Vernunft beitragen und der Politik bei der Ausgestaltung des Gewissens behilflich sein. Benedikt XVI. weist darauf hin, dass die gerechte 157 Kardinal Ratzinger führt aus: ,,Die Idee der Trennung von Staat und Kirche ist überhaupt erst durch das Christentum in die Welt gekommen. Bis dahin gab es nur die Identität von politischer Verfassung und Religion. Für alle Kulturen galt, daß der Staat selbst Sakralität in sich trägt und der eigentliche und oberste Hüter der Sakralität ist ( ... ) Das Christentum hst das nicht akzeptiert, dem Staat die Sakralität genommen und damit die Grundkonstruktion des Römischen Reiches, ja der antiken Welt überhaupt, in Frage gestellt. Insofern ist diese Tren-
nung letzten Endes ein urchristliches Vermächtnis und auch ein entscheidender Freiheitsfak.tor. Damit ist nicht der Staat selbst die sakrale Macht, sundern lediglich eine Ordnung, die ihre Grenzen findet in einem Glauben, der nicht den Staat anbetet. sondern einen ihm gegenüberstebenden und ihn richtenden Gott." (Ratzinger 2004: 254-255)
130
Staatsordnung der Liebe bedarf, die der Gesellschaft erst das Menschliche gebe und fordert zur "gelebter Nächstenliebe" auf (Benedikt XVI. 2005: 3841 ).158 Der Heilige Stuhl hat für die Rechte der katholischen Kirche in Staaten das Ideal, dass diese ihr einen freien Zugang sichern, ihren Glauben schützen und unterstützen und ihr die uneingeschränkte Kontmlle über das geistliche und kirchliche Leben überlassen; dies wird idealerweise über Konkordate vertraglich festgeschrieben. In der Realität werden der katholischen Kirche diese Rechte aber nur selten in vollem Umfang ermöglicht; die meisten Regierungen versuchen sich gewisse Rechte vorzubehalten, um die Kirche in bestimmten Situationen zu einer Allianz dtängen zu können (Vallier 1972: 135-136, 138-139). Der jeweilige politische Einfluss der Kirche fällt regional und themenspezifisch unterschiedlich aus (Czempiel 1981: 164). Innerhalb der Kirche zählt Vallier vier Einheiten, die damit beauftragt sind, für stabile Verhältnisse zu Staaten und Gesellschaften sowie für den Ausbau der katholischen Institutionen zu sorgen: Im Ralunen der pastoralen Arbeit kümmern sich Bischöfe und Priester um das Seelenheil ihrer Gläubigen; sie arbeiten an der Basis. Die Evangelisierung wird von Missionaren betrieben, die sich der Nicht-Katholiken annehmen; neue Gläubige müssen gewonnen werden, der Bau von Kirchen und die Einrichtung neuer Diözesen vorangetrieben werden. AIs Teil des diplomatischen Corps sorgt der Nuntius für ein gutes Verhältnis zu den einzelnen Staaten und ihren Regierungen; er sichert für die katholische Kirche den Zugang zu frernden Territorien und eine freie Ausübung ihrer Tätigkeit. Die Römische Kurie hat als oberste Administration die Weltkirche als Ganzes im Blick; sie befasst sich mit Macht und Autorität in der katholischen Kirche undfiir die katholische Kirche; sie steht mit allen (internen) kirchlichen Entscheidungsträgern in Verbindung und koordiniert die Arbeit mit weltlichen (externen) Entscheidungsträgem (Vallier 1972: 131-132).
158 Die gelebte Nächsten1iebe ist für Benedikt XVl der Ausgangspllllkt für die karitativen Unternebnnmgen der katholiscl!en Kirebe. Er kritisiert den Marxismus, weil dieser der karita-
tiven Hilfe den Vorwurf macht, sie stütze das ungerechte Hemchaftssystem, indem sie das Los der Menschen erträglich mache, anstatt gegen die ungerechte Herrschaft vorzugehen, die für das Leiden der Menschen verantwortlich sei. Benedikt XVI. nennt den Marxismus deshalb eine ,,Philosophie der Unmenscblichkeif' (Benedikt XVI. 2005: 46).
131
Areas of Specialization
Internal-politieal
External-
Establishment ofinternal authority and control Papal bureaucrats
Securement of conditions for workin poHtieal Öymms
Papal nuncios
political
Protection and control of ehorch
memhers
~ Missionaries
Externa1rcligious Internalreligious
Capture of loyalties for the church
-
V
Reaideotial biahop,
Tab. 3: Zuständigkeiten kirchl.cher Einhe.ten (Vallier 1972: 132) Die Unterauchung von Graham kommt zu dem Ergebnis, dass sich Staat und Kirche nie völlig voneinander trennen oder sich ignorieren können, sondern immer miteinander interagieren und sich beeinflussen (Graharn 1959: 386).
6.1.3
Die Diplomatie des Heiligen Stuhls
6.1.3.1
Strukturelle und institutionelle Ausgestaltung
Die Diplomatie ist ein Werkzeug der Außenpolitik, in der es die Aufgabe von Diplomaten ist, die von den Entscheidungsträgern festgelegte Politik zu vollziehen. Plehwe definiert Diplomatie als "die Kunst des Verhandelns im zwischenstaatlichen Bereich, ausgefiihrt von den bestellten Vertretern der Regierungen, ergänzt durch deren Berichteratattung aus dem Ausland und ihre Repräsentation im Ausland." (plehwe 1972: 15, 24) Die Kirchendiplomatie entsteht ab dem 16. Jahrhundert aus dem Zusammenleben zwischen Kirche und einzelnen Staaten, weil die jeweiligen Rechte und Pflichten zu regeln sind (Gerbore 1964: 23); erste Schritte zur Einrichtung eines diplomatischen Dienstes sind jedoch schon im 15. Jahrhundert zu beobachten. Um 1600 zählt der Kirchenstaat ein Dutzend Nuntiaturen in Europa (Reinhard 2007: 31); sein diplomatisches Netz entsteht eher spontan und ist nicht einem Papst zuzuschreiben (Graham 1959: 34). Im 17. Jahrhundert wird Rom das diplomatische Zentrum; Gerbore zitiert ein französisches Dokument aus dieser Zeit: ,,Die französische Gesandtschaft in Rom steht über allen anderen Missionen an Würde, weil ihr Gegenstand der Papst ist, welchem als höchstem Würdenträger der Kirche die christlichen Fürsten ihren Respekt erweisen wollen, und weil ihr Sitz Rom ist, wo alle wichtigen Geschäfle zufließen." Bis zum Ende des 18. Jahrhundert unterhält der 132
Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen nur mit katholischen Regenten (Gerbore 1964: 24-25). Während des Imperialismus leistet die Diplomatie des Heiligen Stuhls Beistand durch katholische Kreise und Geistliche mittels Befriedung der Streitigkeiten im zu unterstützenden Lager und die Mehrung der Spannungen und Konflikte im gegnerischen Lager (Adamov 1932: 41). Die Kontinuität seiner Diplomatie ist auch in der Phase der Staatenlosigkeit des Papstes von 1870 bis 1929 gegeben (Graham 1959: 31). Nach dem Zusammenbruch des Kommuuismus in Osteuropa 1989 kann der Heilige Stuhl zahlreiche neue diplomatische Vertretungen aufnehmen und sein Engagement ausweiten (Rauch 2006: 68); heute verfiigt er über ein globales Netz von über 180 diplomatiscben Vertretungen mit mebr als hundert Nuntiaturen, was einer Verdreifachung uach dem Zweiten Weltkrieg entspricht (Goldt 2004: 76; Melnyk 2009: iv; Coppa 2008: 198). Rechtlich sind Nuntiaturen den weltlichen Botschaften gleichgestellt lS9 und werden freiwillig unterhalten: Das kanouische Recht sieht keine Verpflichtung zu Nuntiaturen vor (Rink 1997: 67; Graham 1959: 31). Ausgebildete Diplomaten berichten regelmäßig über die Lage der katholischen Kirche in dem jeweiligen Land, sorgen für die Einheit der Ortskirche mit dem Heiligen Stuhl und bemühen sich im Ralunen der klassischen Diplomatie sowohl um eine gute Beziehung zu den einzelnen Staaten als auch um den Frieden und die Zusammenarbeit der Völker (Rigali 1990: 2; Casaroli 1979: 82; Interview Vogt 2010). Dabei vertreten sie den Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche und uicht das Staatsoberhaupt des Staates der Vatikanstadt; auch die ausländischen Diplomaten in Rom sind beim Heiligen Stuhl akkreditiert (und uicht beim Vatikan) (Faber 1968: HO; Bull 1987: 154; Renner 2005: 283).160 Rossi sieht in der außenpolitischen Repräsentation und dem rein geistlich-religiösen Auftrag eine ,,zwitterstellung" (Rossi 2004: 72). Kritiker bernän159 Der Nuntius ist seit 1815 der Doyen des diplomatischen Corps; bestätigt wird diese Regelung 1961 auf der internalionalen Dip1omaten1ronferenz der UNO in Wien. Für den Fall, dass z. B. ein nicht-cll:ristliches Land den Nuntius als Doyen nicht akzeptieren kann, trägt dieser den Titel Pronunlius (Faber 1968: 112·113). 160 Die Aufgaben des dentschen Botschafters beim Heiligen Stoh! sieht der frühere Amtsinhaber Paul Verbeek. in der Aufrechterh.altung eines permanenten Gesprächskontaktes, dem. Austausch von Informationen und Kultur sowie der gegenseitigen Hilfestellung: So habe die katholisehe Kirche vor der Wende in Europa 1989/1990 über das dentsche diplomalisehe Netz den Zogaeg zo europäisehen Staaten ebenso gesoeh~ wie Deutschland von den Kontakten des Heiligen Stoh!a profiliert habe. Verbeek spricht von einer ,,Brückenfunklion" (Verbeek 1990: 15-16). Die Botschaft beim Heiligen Stoh! unterscheidet sich von anderen Botschaften darin, dass es keine Wlrtschafts- und Konsuiarabteilung gibt; viehneht geht ea um die grundsätzlichen Überzeugungen in der Politik und weniger um praktisehe Angelegenheiten (wie dem Ausstellen von Pässen). Weitere Themen sind Menschenrechtsfragen und Entwicklungshilfe (Interview Verbeek 2010).
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geln, dass sich der Heilige Stuhl mit seinem diplomatischen Netz das Gesicht einer weltlichen Macht gebe und sich mit herkömmlichen Staaten gemein mache (Leist 1971: 168-169).161 Die Ausbildung der Diplomaten des Heiligen Stuhls findet an der 170 I von Clemens XI. in Rom gegründeten L 'Accademia ststt; die Wurzeln dieser Diplomatenschule reichen aber bis ins 5. Jahrhundert. Positiv hervorgehoben wird an den Diplomaten ihre Vorbildung als Priester, die sie über eine gute Menschenkenntnis, Einfiihlungsvermögen und gutes geschichtliches Wissen verfUgen lasse (Gerbore 1964: 63; Ring-EifeI2004: 25; Matlary 2001: 82). Der frühere Kardinalstaatssekretär Casaroli bemerkr hierzu, dass die Attraktivität und Überlegenheit der päpstlichen Diplomatie darin begründet sei, dass der Heilige Stuhl als übernationaler Akteur nicht auf politische, territoriale oder militärische Eigeninteressen Rücksicht zu nehmen brauche und die Probleme auf internationaler Ebene daher mit größerer Objektivität sehen könne (Rossi 2004: 70). Stutz zitiert einen Nuntius, der seine Aufgabe wie folgt beschreibt: ,,Der Nuntius hat von Amts wegen bis zu einem gewissen Grade der Führer oder wenigstens der Erzieher der katholischen öffentlichen Meinung zu sein; außerdem soll er den Papst bei der Regierung vertreten." Stutz weist darauf hin, dass weltliche Diplomaten Fremde in einem Land sind; da der Nuntius aber den Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche vertritt, sei er in dem Land, in das er entsandt wird, wegen der dortigen Katholiken immer ein Teil der Gesellschaft (Stutz 1926: 57-58). Der Unterschied zwischen der herkömmlichen Diplomatie eines Staates und der des Heiligen Stuhls liegt zunächst in dem Umstsnd, dass nicht zwei Staaten miteinander in Kontskt treten, sondem ein Stsat mit einer Religionsgemeinschaft (Graham 1959: 9-10). Cardinale definiert die päpstliche Diplomatie "as the system which, in accordance with the rules of both ecclesiastical and internationallaw, govems the relations between Church and Stste with a view to ensuring their harmony and co-operation and thus promoting lasting goodwill, understsnding and peace among all peoples." (Cardinale 1976: 37) Der Heilige Stuhl verfolgt eine Diplomatie ohne Androhung von materiellen Sanktionen; sie kann mit der Nischen-Diplomatie Norwegens und Kanadas verglichen werden, die Werte schaffen möchte und auf öffentliche Dank- und Ehrbekundigungen verzichtet; die Nischen-Diplomatie agiert diskret und leistet Hilfe ohne deren Zurschaustellung (Henrikson 2005; Melnyk 2009: iv; Interview Facius 2010). Für Faber dient die Diplomatie der katholischen Kirche in erster Linie der 161 Diese Vorbehalte können auf eine machiavellistische Vorste11ung von Diplomatie und Politik zurückzufiihren sein (Graham 1959: 31; Cardina!e 1976: xv).
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Seelsorge (Faber 1968: 15). Sie schaffe darüber hinaus aber auch engere Beziehungen zwischen den Staaten durch einen umsichtigen Dialog und die Respektierung der Rechte und Pflichten eines jeden Staates (Cardinale 1976: xviii). Dazu gehört, dass der Heilige Stuhl nationalen Stolz, Egoismus und Konkurrenz mit dem Hinweis auf eine höhere Wesenheit zu überwinden versucht.
6.1.3.2
Grundsätze und Ziele der Friedenspädagogik des Heiligen Stuhls
Giovanni Montini, der spätere Paul VI., rechtfertigt 1951 das diplomatische Engagement des Heiligen Stuhls wie folgt: Er sieht in der kirchlichen Diplomatie ein Vorbild fiir staatliche Akteure, da sie mit gewaltlosen Mitteln und Vernunft Vereinbarungen erreichen möchte, die Frieden schaffen und festigen;'·2 Frieden und ein menschenwürdiges Leben versucht die katholische Kirche dabei nicht nur fiir Katholiken zu erreichen, sondern fiir die gesamte Menschheit. Der Heilige Stuhl - so Montini - versteht die internationalen Beziehungen als einen Raum, in dem es um die Entfaltung ethischer Grundwerte geht. Hier bringt er sich weniger mit Detailbetrachtungen ein, als vielmehr mit der Beantwortung moralischer und ethischer Grundsatzfragen und leistet mit diesem Gerüst eine Orientierung, die auf die Strukturen und Prozesse der internationalen Beziehungen wirkt (Montini zit. in: Schwarz 1983: 15-19). Als Ziele des Heiligen Stuhls benennt Casaroli'·3 (in der Reihenfolge ihrer Priorität) die Vertretung der Interessen der katholischen Kirche (das religiöse Leben und die religiösen Rechte fordern, Verbreitung der Heilsbotschaft durch Missionierung der Welt), die Bewahrung oder Herstellung des Friedens zwischen den Staaten (durch Abrüstung und Beseitigung der Griinde fiir Gewalt) und die Stärkung internationaler und supranationaler Strukturen (Casaroli 1971: 5-7, 1977: 59, 1978: 7275). Die normativen Vorstellungen des Heiligen Stuhls sind geprägt vom Alten und Neuen Testament, den Friedensvisionen des Propheten Jesaja, der Bergpredigt Jesu und den Lehren des Heiligen Augustinus über Krieg und Frieden
162 IIanson unterstreicht: "The Catholic politica1 tradition is inalicnably reformist. 11 always starts with the church as an institution fostering consensus betwee:n the leadership of states and national and transnational organizations." (Hanson 1987: 352) 163 Agostino Casaroli (1914·1998) gilt als eine der herausragenden Persönlichkeiten der Diploma· tie des Heiligen Stuhls. Er dient ab 1940 unter den Päpsten Pius xn. bis Johannes Paul 11.; 1967 erhält er die Bischofsweihe und wird Außenminister, 1979 Kardinal, Kardinalstaatssekretär, Präfekt des Rates für die öffentlichen Angelegenheiten und Präsident der Päpstlichen Kommission für den Staat der Vatikanstadt. Er unternimmt zahlreiche Initiativen zur Verbes-
serung des Verhältnisses von katholischer Kirche und den Staaten des Ostblocks.
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(Ring-EifeI2004: 247-248). Die Kommission fiir Gerechtigkeit und Frieden gilt als der Think Tank des Heiligen Stuhls in Bezug auf internationale Entwicklungen und Fragen (Donnelly 2002: 157). Das Engagement der jeweiligen Päpste wirkt auch über ihr Pontifikat hinaus: So ist die Enzyklika PACEM IN TERRIS von Johannes XXIII. noch inuner ein Eckpfeiler fiir das politische Handeln des Heiligen Stuhls. Paul VI. hebt die soziale Dimension des Friedens hervor und rückt die Entwicklungsländer in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Johannes Paul 11. entdeckt die Menschenrechte fiir seine Friedensbemühungen (Rauch 2006: 66-67). Rotte arbeitet fiir den Heiligen Stuhl eine Vorstellung vom Frieden heraus, der auf Werte ausgerichtet und ethisch-religiös untermauert ist. Erreicht werden könne der Frieden durch Demokratie, soziale Gerechtigkeit und den Schutz von Minderheiten; 164 internatiouale Organisationen spielten dabei eine unerlässliche Rolle. Als Prinzipien der Diplomatie des Heiligen Stuhls benennt Rotte die menschliche Würde, Frieden, Demokratie und eine internatiouale Ordnung fiir Gerechtigkeit und Recht; alle Menschen und Staaten seien gleich an Rechten; die Schwächeren müssten geschützt werden, die Stärkeren müssten sich solidarisch zeigen; Gewaltlosigkeit, Abriistung und Respekt stiinden im Mittelpunkt. Inhaltlich sind die folgenden Themenfelder zu nennen, auf die sich der Heilige Stuhl inuner wieder bezieht: Er zeigt sich skeptisch gegenüber ideologischen Strömungen und dem unbeschränkten Kapitalismus. Er fordert zu einer substantiellen und langfristigen Entwicklungshilfe durch die Erlassung der Schulden auf, setzt sich fiir Bildungsprogramme, Gesundheitsfiirsorge und den Zugang zu Wasser und Nahrung sowie fiir eine humanere Flüchtlingspolitik ein. Er plädiert fiir einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Umwelt und die Abschaffung der nuklearen Bedrohung, von ABC-Waffen und der Todesstrafe. Er setzt sich fiir die Schaffung internatioualer Strukturen ein, so z. B. fiir die Reform der UNO und eine transparente und demokratische WTO (Rotte 2007: 246-258, 261-270). Die inhaltliche Ausrichtung von Benedikt XVI. unterscheidet sich in ihrer Zielsetzung nicht von der seiner Vorgänger; in der Außenpolitik ist bei Benedikt XVI. Kontinuität festzustellen (Franco 2008: 199). Er setzt sich fiir das Wohlergehen aller Völker und fiir Frieden ein, der durch Zusammenarbeit, wirtschaftlichen Ausgieich und durch Respekt vor Kulturen und Religionen erreicht werden kann (Goldt 2007: 343-344). Sein Engagement fiir die gesamte 164 Der Heilige Stuhl organisiert die erste internationale Konferenz zur Verbesserung der Lebensbedingungen von behinderten Menscl!en (November 1992) und setzt sich auch gegen Drogenund Alkoholabhängigkeit ein (Melady 1994: 164-166).
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Menschheit bezieht sich auf dieselben inhaltlichen Prinzipien seiner Vorgänger: Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden. Den Regierungsstil von Benedikt XVI. beurteilt Schwarz im Vergleich zu dem von Johannes Paul Ir. als weniger spontan und emotional; auffallend sei dagegen die Besinnung auf die traditionelle Diplomatie. Auch Benedikt XVI. kämpft fiir eine starke Stellung der katholischen Kirche in Europa, wo er eine Missachtung ihrer Werte beobachtet. Neben den gesellschaftlichen Themen weist er regelmäßig auf die Bedeutung internationaler Organisationen und die Vorstöße von UNO und WTO hin. Er bemüht sich um eine Verbesserung der Situation der katholischen Kirche in China, '6> Osteuropa und Russland sowie um bessere Kontakte zur 165 Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und China verschlechtert sich mit der Gründung der Volksrepublik.: Die Sorge vor dem westlichen Imperialismus und der Ausbeutung Chinas schließt auch die Skepsis gegenüber der kalholisehen Kirche ein (Chan 1989: 816). Nachdem Mao Zedong 1951 die dip10matisehen Beziehungen zum Heiligen Stuhl abbtich~ zeigt sich Deng Xiaoping ab 1978 dialogbereiter. Unter der Vermittlung von Kardinal Sin aus Manila finden Gespräche statt, bei denen es um das Recht aufBischofsemennungen, die Vereinigung der offiziellen katholischen Kirche Patriotische UnionIPatriotische Vereinigung der katholischen [(jrche (PU) mit der romtreuen Untergrundkirche sowie um die Verlegung der päpstlichen Nuntiatur von Taipeh nach Peking geht. 1986 verzeichnet China ca. 361 000 Katholiken; im Jahr 2000 werden fünf Millionen Mitglieder der PU und sieben Mi11ionen der romtreuen Untergrundkirche gezählt (Leung 2005: 354, 356, 361). Rotte beziffert die Größe dea Klerus mit 74 Bischöfen und ca. 1 700 Priestern für die PU und 46 Bischöfen mit ca. 1 000 Priestern für die Untergrondkirche (Rotte 2008: 27). Der Heilige Stuhl unteratützt in China die PrieaterausbiWung, leistet finanzielle Unterstützung und organisiert Hilfsprojekte. Leung schätzt. dass Misereor und Missio 1994 zwischen drei und vier Millionen DM spenden; Caritas Hongkong soll zwischen 1996 und 2001 über 8 Millionen HKD für BiWung und Gesundheitsfiirsorge bereitstellen. Die chinesische Regierung steht dieser Hilfe zwar skeptisch gegenüber, weil sie keinen Einfluss auf sie hat, sieht aber auch die Vorteile, die ihr durch den Abbau von sozialen Missstiinden entstehen. Als China im August 1999 die alleinige geistliche Verwaltung und das Recht auf Bischofsernennungen fordert, werden die Verhandlungen über eine diplomatische Annäherung abgebrochen, weil diesem Anspruch nach Artikel 333 des kanonischen Rechts nicht zugestimmt werden kann. Die chinesische Regierung, die ähnliche Vorbehalte auch gegenüber dem Islam hat (Kolonko 2006), fordert vom Papst den Verzicht auf seine uneingeschränkte Macht über kirchliche Angelegenheiten. Für Verärgerung auf chinesischer Seite sorgt die Heiligsprechung von chinesischen Märtyrern im Oktober 200 I, die während des Boxeraufstandea im 19. Jahrhundert ums Leben konunen (Leung 2005: 356-357, 361-362). Die chinesische Regierung ist sich im Klaren darüber, dass Johannes Paul 11. und die katholische Kirche am Untergang des Kommunismus in Europa einen entscheidenden Anteil haben (Leong 2005: 358). Leong entdeckt in einer Annäbrung zwisehen China und dem Heiligen Stuhl den Vorteil für China, dass sich die westliche Kritik an der chinesischen Menschenrechtssituation abschwächen könnte auf Grund des Einflusses der katholischen Kirche auf die europäisehe Politik (Leung 2005: 358, 367). Darüber hinaus stellt die chinesisehe Regierung das Problem fest, dass seit Deng die kommunistische Ideologie bröckelt und ihre ideologische Substanzlosigkeit ein moralisches Vakuum erzeugt: Die chinesische Wcrtelosigkeit wird nach Leong d"",h Konuption und Machtmissbrauch innerhalb der chineaischen konunUJlistiachen
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orthodoxen Kirche (Schwarz 2007: 561-562; Kallscheuer 2010: 49-50). Benedikt XVI. unterstreicht, dass sich die katholische Kirche nicht in die Tagespolitik einschalten, sondern Grundsätze formulieren und Antworten auf die Herausforderungen der Zeit finden sollte (Melnyk 2009: 170). Während sich Johannes Paul Ir. mit Muslimen und islamischen Führern triffi und mit seiner Eiuladung nach Assisi ein vielbeachtetes Zeichen setzt, pflegt Benedikt XVI. mit dem Islam einen eher theologischen Umgang mit dem Ziel, die katholische Identität zu stärken (Kallscheuer 2010: 50).
6.1.3.3
Unterstützung durch kirchliche Organisationen und Einrichtungen
Die katholische Kirche unterhält zahlreiche Organisationen und Hilfskomitees; sie sind ein Beleg fiir die große Bandbreite der katholischen Kirche und beeinflussen durch ihr Engagement auch immer das Klima in einer Gesellschaft (Interview Vogt 2010). Sant'Egidio ist im Bereich der Konfliktvermittlung tätig; Opus Dei ist mit gesellschaftlichen Fragen und der Einheit der katholischen Kirche befasst, während Pax Christi eine Friedeusbewegung ist. Mit der römischen Laiengemeinschaft Sant'Egidio besitzt der Heilige Stuhl eine Organisation, deren Leistungen in der Konfliktvermittlung international anerkannt sind (Debiel/Sticht 2005: 153; Interview Smoltczyk 2010). Als ,,Krisenmoderator" (Ring-Eifel 2004: 34) ist sie kein offizieller Teil der Römischen Kurie und bezeichnet sich selbst als "Öffentlicher Verein von Gläubigen" in der Kirche. Sie entsteht 1968 unter dem Einfluss des Zweiten Vatikanischen Konzils und zählt als Laienbewegung heute ca. 50 000 Mitglieder. Sie ist in über 70 Ländern vertreten; ihr Zentrum ist die Kirche Sant'Egidio im Rom Trastevere. Nach eigenen Angaben ruht ihre Arbeit auf fünf Säulen: dem Gebet als geistigem Mittelpunkt des Lebens, der Weitetgabe des Evangeliums an Sinnsuchende, dem umfassenden Dienst an den Armen (in Europa und in Entwicklungsländern), dem Bemühen um die Ökumene unter Christen sowie
Partei bef"ordert, ferner durch die Inkongruenz des Wirtsehaftssystems (dialektiseher Materia· lismus vs. ökonomischer Materialismus) (Leung 2005: 360). Wimmer hebt die ,,mentale Sub· stanzlosigkeif' der chinesischen Bevölkerung hervor, gegen die die chinesische Regierung vorgehen will Die katholiaehe Lehre eraeheint hier als eioe mögliche Option, und die katholische Kirche kann darüber hinaus im. Ausland Kontakte herstellen sowie Vorurteile gegenüber dem. chinesischen Regime abbauen. Da China besonders in Afrika und Lateinamerika aktiv ist, begegnen sieh beide Akteure zwangaläufig. Deshalb prüft die chinesische Regierung gegenwärtig. ob dea deutsche Konlrordatssystcm auf China angewendet werden kann (Interview Wimmer 2010).
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dem Einsatz für den interreligiösen Dialog im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils (Sant'Egidio 2010). Sant'Egidio setzt aufnichtdirekte Vermittlung und ist Anfang der 1990er Jahre maßgeblich an der Beilegung des Bürgerkriegs in Mosambik beteiligt (Reychler 1997: 11; Interview Steinschulte 2010). Dort engagiert sie sich seit den 1970er Jahren und genießt in dem festgefahrenen Konflikt Vertrauen auf staatlicher und kirchlicher Seite. '66 Auch in Algerien, Kolumbien und im KosovO '67 soll sie mit ihrer ,,multi-track-diplomacy" aktiv sein; ihr Engagement in Angola wird als weniger erfolgreich beurteilt (Debiel/Sticht 2005: 153; Ryal12001: 55). Sant'Egidio ist auch daran beteiligt, dass Boutros Boutros-Ghali 1991 zum Generalsekretär der UNO gewählt wird (Melady 1994: 38). Detaillierte und verlässliche Iuformationen über die einzelnen Konfliktvermittlungen entziehen sich bislang einer wissenschaftlichen Betrachtung zum Schutz der beteiligten Parteien (Interview 2). Der Heilige Stuhl scheint mit Sant'Egidio über ein Instrument zu verfiigen, mit dem er unbehelligt in Krisen eingreifen kann: Es wird gehandelt, ohne dass die Öffentlichkeit davou erfährt. Da Sant'Egidio nicht zu der offiziellen Struktur der katholischen Kirche gehört, hat sie eine größere Freiheit in ihrem Vorgehen (Ryal12001: 54). Franco schätzt ihre Nähe zum Heiligen Stuhl aber so stark ein, dass er sie als ein zweites Außenministerium interpretiert (Franco 2008: 68); in diesem Sinne spricht auch Steinschulte von einem ,,Neben-Außenministerium" (Interview Steinschulte 2010). Wimmer bezeichnet die Organisation als einen fairen und kompetenten Partner für die Politik (Interview Wimmer 2010). Sie als eine Geheimorganisation zu bezeichnen, ist jedoch insofern unzutreffend, als dass sie öffentlich auftritt und in Rom z. B. die Armenspeisung besorgt (Interview 2); ihr Gründer Andrea Riccardi erhält 2009 den Karlspreis. Opus Dei ist eine weltliche Priestergenossenschaft, die 1928 in Spanien gegründet wird. Um sie ranken sich mehr Geriichte von einer mafiaartigen Unterwanderung von Wirtschaft und Politik, als dass verlässliche Informationen zu ermitteln wären. Als sicher gilt, dass Opus Dei die Umsetzung konservativkatholischer Ziele verfolgt, gegen die Veifehlungen der Gesellschaft vorgehen 166 1980 beginnt in Mosambik ein Bürgerkrieg zwischen der marxistischen Regierung und aufstiindjschen Truppen, dem bis 1992 über 700 000 Menscben zum Opfer fallen. Sant'Egidio spielt in den zweieinhalbjäbrigen Friedensverhandlungen, an denen auch mosambikanische Bischöfe, der Heilige Stuhl und die USA über ihreo Botschafter beim Heiligen Stuhl beteiligt sind, eine tragende Rolle (Melady 1994: 86). Saot'Egidio kann die italienische Regierung dazu veranlassen. Mosambik. Schulden in Höhe von 524 Millionen Dollar zu erlassen (Englisch 2003a). 167 Im. Kosovo arbeitet Sant'Egidio eng mit der Norwegischen Regierung zusammen (Matlary 2001: 93). Es finden Gespräche zwischen Sant'Egidio und der Ehefrau voo Slobodeo Milol.,. vi. statt (Interview Wimmer 2010).
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will und die Pfarreien ermutigen möchte, loyal zu den Bischöfen und zum Papst zu stehen (Rink 1997: 69; Interview Biskupek 2010). Mit über 80000 Mitgliedern, die aus gesellschaftlichen Eliten rekrutiert werden, ist die Organisation in über 90 Ländern vertreten. Opus Dei soll mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende paktiert haben (Appleby 2000: 18). Biskupek weist daraufhin, dass sich Opus Dei - da es sich hierbei nicht um eine Hilfsorganisation handelt, die Spenden bezieht - auch gar nicht um Transparenz bemühen muss. Dies habe allerdings zur Folge, dass Opus Dei von der Gesellschaft als "okkultistisch, sektiererisch und fundamentalistisch" waIrrgenommen werde (Interview Biskupek 2010). Pax Christi ist eine ökumenische Friedensbewegung der katholischen Kirche, die in über 60 Ländern der Welt aktiv ist. Sie wird nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich gegründet und zäblt heute insgesamt über 60 000 Mitglieder, in Deutschland ca. 4500. Sie engagiert sich im Bereich der Konf1iktbeilegung mit Hilfsprojekten, Friedensdiensten, Gedenk- und Informationsveranstaltungen. Als internationale katholische NGO kämpft sie auch gegen Nuklearwaffen und fiir pazifistische Prinzipien (RyalI2001: 54-55). Sie beteiligt sich an der politischen Öffentlichkeit durch Demonstrationen, Unterschriftensammlungen und Zeitungsbeiträge bis hin zu ,,kalkulierten Schritten des zivilen Ungehorsams". Mit ihrer Art der Werbung fiir humanistische Werte verhält sie sich nicht immer nach den Wünschen des Heiligen Stuhls (Colonomos 2001: 78). Ein Präsidium, Fachkommissionen und eine Delegiertenversammlung übernehmen die Organisation und inhaltliche Ausrichtung; zur Zeit engagiert sich Pax Christi in Friedensprojekten auf dem Balkan, im Nahen Osten und in Südost-Asien (Pax Christi 2010). Winuner weist daraufhin, dass die Macht des Heiligen Stuhls besonders in den katholischen Strukturen vor Ort zu sehen ist, auf die auch die hier genannten Organisationen einwirken.'·8 Die Frage, ob der Heilige Stuhl einen eigenen, vatikanischen Geheimdienst im Sinne des BND oder der CIA unterhält, kann nicht beantwortet werden. Während in der Forschungsliteratur Anhaltspunkte dafiir genannt werden (Franco 2008: 30, 63; Carmin 2000: 465-468), beurteilen nahezu alle Interviewpartner eine solche Existenz als wenig wahrscheinlich.'·' 168 .,Ich habe immer wieder festgestellt, dass die katholische Kirche sofort da war, wenn man sie brauchte - auch an neuralgischen Punkten. Ich war mehrfach in Nordkorea. Auch hier ist die katholische Kirche über Caritas vor Ort. Die katholische Kirche ist da, und wenn nichts mehr hilft, dann greift man auf sie zurück. Das ist zwar keine Garantie für Erfolg, aber zumindest eine Möglichkeit, erfulgreich zu sein." (Interview Wimmer 2010) 169 Eine Begründung liefert Steinschulte: ,,Die katholische Kirche hat Priester, Ordeosleute und
Laien., die weltweit mit den Gläubigen in den Pfarrgemeinden leben; insofern hat die Kirche
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6.1.4
Der Zugang des Heiligen Stuhls zu Politikern
Neben den institutionalisierten Zugängen des Heiligen Stuhls zu Staaten (über Konkordate) und internationalen Organisationen sind diverse Faktoren zu nennen, die den Heiligen Stuhls bzw. die katholische Kirche zu einem interessanten Verhandlungspartner für Politiker und Parteien machen: Die katholische Kirche gründet ihren Glauben auf einem stabilen intellektuellen Fundament; allen Menschen soll die Frohe Botschaft verkündet werden. Was bei Staaten ein solides Regierungsprogramm ist, entspricht hier der ideellen Selbstvergewisserung. Diese inhaltliche Ausrichtung kann mit dem Programm einer politischen Partei verglichen werden, denn es beinhaltet sämtliche Themen zur sozialen Gerechtigkeit wie Erziehung, Gesundheit, Arbeit und gesellschaftliche Entwicklungen; es macht die katholische Lehre zu einer Alternative zu den politischen Weltsichten (Rubin 1994: 31-32). Als Verhandlungspartner strahlt der Heilige Stuhl Kontinuität und Verlässlichkeit aus: Mit der Ernennung von Kardinälen besitz! der Papst ein effektives Instrument, die Einstellung der Kurie auch für die Zeit nach seinem Pontifikat zu beeinflussen. Von einem abrupten Richtungswechsel ist deshalb nicht auszugehen. 17• Das Handeln des Heiligen Stuhls wird damit vorhersehbar, was seine Partner vor Überraschungen bewahrt. Außenpolitisch tritt der Heilige Stuhl in erster Linie durch die Reisen des Papstes in Erscheinung; mit der Auswahl der Reisen und ihren einzelnen Programmpunkten kann er ein hohes Maß an Symbolik erreichen. Niemandem außer ilun gelingt es regelmäßig, das Interesse der Weltpresse gleich über mehrere Tage an sich zu binden (Matlary 2001: 87). Matlary nennt dies den öffentlichen Teil seiner Diplomatie. l7l
weltweit in vielen Ländern wahrscheinlich mehr und bessere Quellen als jeder Geheimdienst: Sie hat kcineo, weil sie keioen braucht." (Ioterview Steinschulte 2010) 170 .,By his 201h anniversary as pope in 1998, Joho Paul had named 101 .f the 115 cardinals eligible to vote in a conclave, as weil as more than half ofthe Catholic Church's 4,200 bishops. These prin.ces and bishops of the church are intensely loyal to their patron and are cut along the same authoritarian and traditionallin.es. (Support ror the ban on artificial birth contra!. for instance, has often been said to be a litmus tes! ror bishops appointed on John Paul's watch.)" (Applehy 2000: 23) Dies bestätigt Klotz und ergänzt: ,,Es erübtigt sich zu sageo, dass alles, was ein Papst denkt, sich in langer Traditioosreihe befindet." (Klotz 2005: 17) 171 Matlary unterscheidet zwischco "public diplomacy" (öffcotliche symbolIrächtige Diplomatie des Papstes; hierzu gehören auch Predigtco und Enzykliken) und "classical diplomacy" (tradi· tiooelle Diplomatie unter Ausschluss der Öffentlichkeit) (Mat1ary 2001: 80). Papst Johannes Paul 11. unternimmt in der Regel vier bis fünf Auslandreisen pro Jahr. ,,Die Reisen Johannes Pauls II. in 132 Länder aller Kontiocote, die durchweg als ptivate PiIgerreisco deklariert sind, habco zum größteo Teil politischoo Charakter." (Rossi 2004: 100)
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Politiker bzw. Parteien haben das primäre Interesse, sich mit ihren Themen durchzusetzen und gewählt zu werden. l72 Der Heilige Stuhl kann als Verbündeter diese Interessen unterstützen, als Gegner kann er sie konterkarieren, auch wenn die politische Bedeutung der katholischen Kirche regional und national differenziert werden muss. So ist der Respekt der Politiker gegenüber dem Papst bzw. seiner Institution letztlich auch ein Ausdruck fiir den Respekt gegenüber den Katholiken im eigenen Land, die nicht zuletzt bei einer Wahl zu einer Kraft werden können. Katholiken bilden in ihrer weltweiten Verstreutheit eine soziologische Größe; sie können fiir oder gegen einen Politiker mobilisiert werden (Rubin 1994: 32). Der Heilige Stuhl kann auf Politiker Druck ausüben, indem er ihnen z. B. offene Briefe schreibt oder sich mit Stellungnahmen an die Öffentlichkeit wendet (Interview 4); sein moralisches Ansehen beflihigt ihn dazu, sich selbstbewusst zu Wort zu melden. So ist die Liberalisierung von Abtreibung und Euthanasie Gegenstand eines Schreibens, das im November 2002 weltweit an katholische Politiker aller nationalen Parlamente verschickt wird. Unter dem Titel Lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben ruft die Römische Glaubenskongregation unter ihrem Präfekten Joseph Kardinal Ratzinger sowohl katholische Politiker als auch gläubige Laien und die eigenen Bischöfe dazu auf, den Aufbau einer Kultur voranzutreiben, die "ausgerichtet am Evangelium, den Reichtum der Werte und Inhalte der katholischen Tradition" zeigt (Kongregation fiir die Glaubenslehre 2002: 17). In diesem Schreiben wird zunächst die Verbindung von Politik und Moral herausgearbeitet, dann die allgemeine Unsicherheit der Menschen über die Grundwerte in der modernen Welt, die dazu fiihre, mit Hilfe des kulturellen Pluralismus einen ethischen Pluralismus zu rechtfertigen, der Vernunft, moralische Normen und unumstüßliche Wahrheiten relativiere. Das nicht verhandelbare gemeinsame Fundament aller Menschen sei jedoch die Auffassung über die Person (mit ihrer Würde) und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens. Im Folgenden werden Themen herausgearbeitet, die entscheidend fiir die moralische Ordnung seien: Kampf gegen Abtreibung und Euthanasie, Schutz der Familie (u. a. durch die Ablehnung der gesetzlichen Anerkennung homosexueller Partuerschaften), Erziehung und sozialer Schutz von Kindern, Bekämpfung der modemen Erscheinungsformen von Sklaverei, 172 Politiker bewegen sich nach Kepplioger in zwei Arenen, die unterschiedlich funktionieren und eigene Gesetzmäßigkeiten haben: In der ersten Arena geht es um die Lösung von Sachfragen, in der zweiten um die Mobilisierung von Zustimmung (sowohl in der eigenen Partei als auch im Parlament oder bei den Wählern) (Kepplioger 1997: 176-177).
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Religionsfreiheit, die Schaffung einer sozialen Wirtschaftsordnung und Frieden (Kongregation für die Glaubenslehre 2002: 10-13). Die Trennung von Kirche und Staat wird dabei nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr betont. Die Lehrmäßige Note diene der gerechten, sozialen Ordnung und dem Wohl der menschlichen Gewissen, in dem sie darauf hinweist, dass das spirituelle Leben vom weltlichen nicht getrennt werden könne. Deshalb seien Christen dazu verpflichtet, für "die Einheit und Kohärenz zwischen Glauben und Leben, zwischen Evangelium und Kultur" einzutreten. Das Recht und die Aufgabe der katholischen Kirche werden dabei weniger in der Überwindung konkreter Probleme gesehen, als vielmehr in der Herausarbeitung von grundsätzlichen Antworten auf sittliche und moralische Fragen (Kongregation für die Glaubenslehre 2002: 9, 19). Als Reaktion auf die Lehrmäßige Note Wbt es in Medien und Parteien Proteste, die jedoch olme Konsequenzen bleiben.' 3 Der Heilige Stnhl kann über Bischöfe oder katholische Einrichtungen das persönliche Gespräch zu Politikern suchen.'7' Dies wird in erster Linie über die Zugänge möglich, die die katholische Kirche auf nationaler und internationaler Ebene besitzt (Interview 4). Die Ortskirchen können dabei als verlängerter Arm 173 Roos rechtfertigt das Schreiben der Römischen Glaubeuskongregation: Es ginge darin nicht um Aufträge und Verbote, sondern um die beständige Lehre der katholischen Kirche. Die aktive Teilnahme an der Politik. gehöre zum Einsatz der Christen in der Welt; es sei zwar nicht
die Aufgabe der Kirche, über die richtige Politik: zu entscheiden. Dennoch müsse Sorge getragen werden. dass politischer Pluralismus nicht in einen ethischen Relativismus münde; die Demokratie beruhe schließlich auf ethischen Prinzipien. die nicht verh.andelbar seien; der demokratische Verfassungsstaat sei reli.giös-weltanschaulich neutral. aber nicht wertneutral. So sei es der Glaubenskongregation nicht um konfessionelle Werte gegangen, sondern. um die Würde der Person und die dantit verbundenen Rechte und Pflichten, die jedem Menschen über seine Vernunft zugänglich seien (Roos 2003: 223·227). Ähnlich argumentiert Williams: Die Kongregation habe sich in dieser Angelegenheit an Abgeordnete wenden müssen. da nur diese die Fähigkeit besäßen festzulegen, was gesetzlich oder gesetzeswidtig sei (Williams 2007: 179). Smoltczyk beurteilt Offene Britife als weniger wirkungsvoll (Interview Smoltczyk 2010).
Interviews mit Abgeordneten deuten daraufhin. dass die Briefe zwar als eine Orientierungshilfe dienen können, aber das Abstimmungsverh.alten letztlich doch von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird (Interview Ruppert 2010; Interview Shanna 2010; Interview 3). Unbestritten dürfte jedoch sein, dass die Briefe Au:linerksamk.eit erzeugen, wenn sie in den Medien besprochen werden. Steinschulte betont. dass die Lehrmäßige Note als eine Reaktion darauf zu ver-
stehen ist, dass die christliche Orientierung und das Wissen über Prinzipien bei politischen Entscheidungen häufig nicht mehr vorhanden sind (Interview Steinschulte 2010). 174 Vogt weist darauf hin, dass das Katholische Büro Nordrhein-Westfa1en Gespräche mit Vertretern der Ministerien, Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtags und mit Facbpolitikam such~ auf öffentliche Stellungnahmen werde verzichte!, weil der Weg an die Öffentlichkeit häufig eher kontraproduktiv sei. Ferner weist Vogt auf die offiziellen Anhörungen im Landtag von Nordrhein-Westfahlen hin, bei denen gesellschaftliche Kräfte zu Wort kommen (Interview Vogt 2010).
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des Heiligen Stuhls gewertet werden; sie sind - was die inhaltliche Ausgestaltung ihrer politischen Leitlinien anbelangt - kein eigenständiger Akteur. Wimmer verweist auf das Netz an Kontakten und die breite Bereitschaft, einem Gesprächswunsch des Heiligen Stuhls immer nachzukommen (Interview Wimmer2010). Selig- und Heiligsprechungen können dazu genutzt werden, öffentlich Druck auszuüben, denn Heilige werden für ihr Handeln geehrt und sollen den Gläubigen als Vorbilder dienen. m Insofern weist die päpstliche Auswahl der Personen, die zunächst selig, danach ggf. heilig gesprochen werden, immer auf die päpstliche Vorstellung von einem nachsbrnenswerten Leben hin (Hebblethwaite 1987: 128; Goldt 2004: 91-92). Hanson macht auf ein Beispiel in Spanien aufmerksam: Nachdem Premierminister Gonzäles das Abtreibungsrecht lockem und die Zuschüsse für kirchliche Schulen streichen will, eröffnet ihm Johannes PaullI. im Oktober 1982, dass die katholische Kirche beabsichtige, die Seligsprechungen von Bürgerkriegs-Märtyrern voranzutreiben (12 Bischöfe und 4184 Priester werden zwischen 1936 und 1938 ermordet). Nach Hanson hätte dies der spanischen Gesellschaft geschadet und emeut die traditionellen Konflikte des Landes angefacht (Hanson 1987: 128-129). Selig- und Heiligsprechungen sind ein Instrument, mit dem der Heilige Stuhl auch immer wieder gegen die chinesische Regierung opponiert. Der Heilige Stuhl kann - wenn er über den direkten Weg bei einem Entscheidungsträger keinen Erfolg findet - auch dessen Gegner bzw. Oppositionsgruppen unterstützen. Ideell gelingt ihm dies z. B. durch päpstliche Privataudienzen, die als ein Ausdruck seiner Wertschätzung gewertet werden. Materiell kann er Gruppen mit Geld oder benötigten Dingen (wie Papier und Faxgeräten) zur Seite stehen. Darüber hinaus gibt es immer wieder Parteien oder Gruppen, die mit der katholischen Kirche zusammenarbeiten wollen und sich dadurch Vorteile erhoffen, wie die französische Front National (Hanson 1987: 134). Diese Koalitionen können dann als eine Art Bypass-Strategie bezeichnet werden: Der Heilige Stuhl umgeht unkooperative Regierungen, indem er mit gesellschaftlichen Gruppen zusammenarbeitet oder sich mit diesen gegen die Regierung verbündet. HasencleverlRittberger sehen durch die Zustimmung einer Religionsgemeinschaft ein "Upgrading" der eigenen Position bzw. ein "Downgrading" der gegnerischen Haltung: ,,1dentifying the claims of one party with the commands of God or the cosmic order gives them an uncontestable superiority over com175 Johannes Pauill. nimmt in seinem Pontifikat 1 338 Selig- und 482 Heiligsprechungen vor (Vatikan 20IOc).
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peting claims" (Hasenclever/Rittberger 2003: 121). Die katholische Kirche bzw. der Papst können als moralische Autorität Prestige verleihen (Interview Verbeek 2010; Interview Ruppert 2010; Interview Vogt 2010). Politiker müssen glaubwürdig und integer wirken, um gewählt zu werden oder Unterstützung mobilisieren zu können. So besteht die Möglichkeit, dass Kommunalpolitiker von ihren Pfarrern auf lokaler Ebene ein "Upgrading" erhalten, Landespolitiker und Bundespolitiker z. B. bei Bischöfen oder die Staatsspitze beim Heiligen Stuhl. Politiker stehen dort, wo die katholische Kirche ein wichtiger Teil der Gesellschaft ist, mit ihr an der Seite vorteilhafter da und möchten nicht als Opposition zu einer moralischen Instanz bewertet werden; das Charisma und die moralische Integrität des Papstes können auch auf andere abfärben.'" Die Autorität des Papstes erwächst aus dem Auftrag des Glaubens (Interview Vogt 2010), aus der humanitären Hilfe der katholischen Kirche, ihrer Präsenz vor Ort, ihrem Einsatz für Werte, dem Aufruf zur Versöhnung und der Fähigkeit, internationale Unterstützung aufordern zu können (John6ton 1994: 261). Der Heilige Stuhl kann sich über die Ortskirchen mit finanziellen Zuwendungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich engagieren, von denen letztlich 176 .,Natürlich zeigen sich nach wie vor Politiker hierzulande wie anderswo gerne mit Bischöfen oder auch mit dem Papst, soweit es in ihr Kalkül passt und Pluspunkte :für die öffentliche Auseinandersetzung einzubringen scheint, werden kirchliche Stellungnahmen zu Krieg und Frieden in den Parteien und den Medien wahrgenommen. kritisiert oder auch zustimmend registriert." (Ruh 2003: 111) Facius sieht vor allem die Aufinerksamkeit, die ein Zusammentreffen
mit dem Papst scha:ffi; so wie sich manche gerne mit dem Dalai Lama schmücken, verspreche auch der Papst die Anziehungskraft des Fremden (Interview Facius 2010). Vogt führt 80, dass die katholische Kirche zwar aufwerten und Prestige verleihen könne, dass dies aber kein Automatismus sei: DeJjenige, der eine Aufwertung erfahren wolle, müsse vorher schon mit christlichen Positionen aufgefallen sein oder danach leben. sonst laufe jeder Aufwertungsversuch ins Leere (Interview Vogt 2010). Ein Interviewpartner weist daraufhin, dass es zwar von einem gewissen Status zeuge, wenn man vom Papst empfangen wird; die Wirkmächti.gkeit eines Fotos mit ihm hänge jedoch davon ab, an wen es adressiert sei: In einer Gesellschaft, in der der Papst oder die katholische Kirche keine Rolle spielen, sei auch ein Foto mit dem Papst nebensächlich (Interview 2). Verbeek spricht von "Signalen", die ein Foto mit dem. Papst sendet (Interview Verheek 2010). Biskupek macht darauf aufinerksam, dass die katholische Kirche nur dann Prestige verleihen kann, wenn sie ein hohes Ansehen hat (Interview Biskupek: 2010). Wimmer gibt zu Bedenken, dass ein Foto mit dem. Papst alleine schon geschätzt sei, weil der Papst ein Staatsoberhaupt ist; auch ein Foto mit dem. amerikanischen Präsidenten oder der deutschen Bund.eskanzlerin könne sich positiv auswirken (Interview Wimmer 2010). Wahrend RDppert bejaht, dass eine Audienz beim Papst Prestige verleihe, der Papst aber keine Legitimatioo verleihen könne, weil die katholische Kirche z. B. in Deutschland längst keine Volkskirehe mehr sei (Interview Ruppert 2010), hält Sharma auch die Verleihung voo Legiti-
mation fiir möglich: Viele Staats- und R~erungschefs fiirchteten die päpstliche Autorität, weil sie selbst nicht über feste Werte und Ube:rzeugungen verfügten, um selbst eine Autorität darate1leo zu können (Interview Sharma 2010).
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auch der Staat profitiert. Die deutschen Bischöfe sammeln über die Organisationen Misereor und Adveniat Geld für Menschen in Lateinamerika (Hanson 1987: 250). Weitere katholische Hilfsorganisationen aus Deutschland sind das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken, Caritas International, das Kinderhilfswerk Die Sternsinger und Missio. 177 In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass es der katholischen Kirche wie keiner anderen Organisation gelingt, Menschen zum Geldspenden zu mobilisieren. Vogt hebt die finanziellen Zuwendungen der katholischen Kirche auch an die deutsche Gesellschaft hervor; viele Kommunen könnten auf die organisatorischen und finanziellen Mittel der katholischen Kirche nicht verzichten (Interview Vogt 2010). Der Heilige Stuhl besitzt eine hohe sachliche Kompetenz (Interview 2; Interview Ruppert 2010; Interview Sharma 2010) und eine detaillierte Informiertheit, von der auch Politiker profitieren können. 17' Nicht unterschätzt werden sollte der Einfluss der katholischen Kirche auf das Programm von Parteien (Sauvant 1987: 81). Hier ist von einem antizipierenden Effekt auszugehen: Es ist denkbar, dass die Position der Kirche berücksichtigt wird, um Kontroversen zu vermeiden (Einfluss der Kirche anf den politics-Bereich); sie erhebt den Anspruch, allgemeingültige Verhaltensmuster und sittliche Wertvorstellungen zu bestimmen und damit Maßstäbe zu setzen (Einfluss anf den policy-Bereich). In Deutschland fiihlen sich besonders CDU und CSU den Wertvorstellungen der katholischen Kirche verpflichtet. 17'
177 Das Bonifatiuswerk der deutschen KDtholiken wird 1849 gegründet und hat eine verbesserte Seelsorge in Diasporagem.einden (vor allem. in Nordeuropa) zum Ziel. Caritas International leistet Kataslrophenhilfe auf der ganzen Wel~ unterstülzt jährlich über I 000 IIilfsprojekte und :finanziert sich über Spenden und Kirchensteuermittel. Das Kinderhilfswerk Die Sternsinger sammelt seit 1846 Geld für Slraßenkinder. In Deutsebland beläuft sieb we Spendensumme im Jahr 2008 auf 71,3 Millionen Euro. Missio (gegründet 1832) gehört zu den päpstlichen Missionswerken und unterstützt die Ortskirchen in Afrika, Asien und Ozeanien (Deutsche Bischofskonferenz 20IOd). 178 Vaillancourt nennt die Informationsgewinnung des Heiligen Stuhls eine seiner Techniken, mit denen er Kontrolle ausüben kann (Vaillancourt 1980: 285). Ein Gespriiebsparlner weist darauf hin. dass Kardinal Höffuer als ein ausgewiesener Sozialpolitiker zu bezeichnen war, der Prinzipien des Sparens entwickelt und die politische Spardiskussion in Deutschland zu seiner Zeit begleitet !tabe (Interview 4). Biskupek hebt we Meinungslühreracltaft der kalholiachen Kirehe in sozialen Fragen noch bis in die 1960er Jahre hervor, an der sich auch Kommunisten orientiert hätten (Interview Biskupek 2010). 179 In Interviews wird der gegenwärtige Einfluss der katholiseben Kirelte auf Parteiprogramme mehrheitlich bealritten (Interview Ruppert 2010; Interview S!tarma 2010; Interview Vogt 2010). Anders sei dies zwar im. Deutschland der 1950er Jahren, aber mittlerweile hätten sich selbst die christlichen Parteien in Deutschland zu sehr von den kirchlichen Positionen entfernt, als dass man noch eine Einflussnahme unterstellen könnte (Interview 4).
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Das Informationsnetzwerk der katholischen Kirche setzt sich wie folgt zusammen: Der diplomatische Dienst des Heiligen Stobls gilt als einer der bestinformierten Dienste der Welt (Rossi 2004: 71-74). Eine zusätzliche Informationsquelle bilden die beim Heiligen Stobl akkreditierten Diplomaten. Der Papst erhält Besuche von Stastsoberhäuptem und Regierungschefs; ihre Zahl hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen. Katholische Bischöfe aus der ganzen Welt reisen in regelmäßigen Abständen (alle fiinf Jahre) in den Vatikan, um den Papst im Rahmen ihrer Ad-limina-Besuche über die Lage in ihren Heimatstasten zu berichten. Informiert durch ihre Pfarrer können die Bischöfe von den Problemen der Gläubigen berichten, über die diese - auch im Rahmen der Beichte - mit ihren Seelsorgern gesprochen haben. 180 Die katholische Kirche unterhält Verbindungen in die entlegensten Gebiete der Welt durch ihre Pfarreien. 18 ! Eine weitere Informationsquelle sind die zahlreichen Orden: Mit der katholischen Kirche sind u. a. die Jesuiten, Dominil
180 Biskupek sieht die Informationsgewinmmg über die Beichte skeptisch: Das Beichten habe nicht mehr die Bedeutung wie noch in den 1950er oder 1960er Jahren in Deutschland; auch ginge nur ein bestimmtes Klientel beichten. Was in den Menschen vorgeht, erfahre man eher über das direkte Gespräch (Interview Biskupek 2010). 181 "Man hört oft, daß der Vatikan die bestinfonnierte Organisation der Welt sei. ( ... ) Und ao
Orten. die noch kein Geheimagent irgendeiner Großmacht je besucht hat. kann man einen Priester finden. Er kommt mit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zusammen und kann sich, da er unverheiratet und :frei von Familienpflichten ist. vollkommen seinen Aufgaben widmen. So hreitet sich das Netz katholischer Organisationen, hier dichtet, dort diinner, über alle IünfErdteile." (Wall 1956: 173-174)
182 Laustsen/Wawer weisen darauf hin, dass Ideologien sowohl politische Inhalte als auch politische Systeme durch ihre quasi-religiöse Semantik legitimieren können. Sie definieren eine Ideologie in Anlehnung an ZiZek: über die Merkmale des kohärenten Systems an Ideen und Visionen, die den Sehnsüchten einer Gruppe und der Schaffung einea Unterwerfungsverbältnissea entsprechen (LaustseolWawer 2003: 165-166).
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wenn der Nationalismus noch jung oder nicht ausgeprägt ist.'" MauIl bezeichnet es als eine Schwäche von Staaten, wenn sie ihre identitätsstiftende Rolle nicht auszufüllen vermögen (Mauli 2000: 372). In einem solchen Fall kann der katholischen Kirche eine systemstabilisierende Funktion für Gesellschaften zukommen: Religiöses Erzählen bildet eine Art kollektives Gedächtnis, scham gemeinsame Erfahrungen, interpretiert die Gegebenheiten und kann eine Orientierung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sein (VendleylLittle 1994: 307). Die katholische Kirche leistet das Angebot f:'ter Dienste: Sie vermittelt in Konfliktfällen und übernimmt Friedensdienste;' sie hat weitgefächerte Kontakte, die es ihr erleichtern, internationale Unterstützung zu mobilisieren (Rubin 1994: 31). Sie arbeitet mit anderen Regierungen in3 Bereich der Entwicklungs-
183 Steinschulte nennt als Beispiele die Sympathie Pauls VI. für die kirchlichen Bemühungen um die Überwindung der autoritären Diktaturen in Portugal und Spanien (1974/1975) und die Rolle Johannea Pauls 11., Pinochet in Chile (1987) und Castro in Kuba (in den 1990er Jahren) zur Abgabe der Macht an eine demokratische Regierung zu bewegen (Interview Steinschulte 2010). Während dea Jugoslawienkriegs verfolgt der Heilige Stuhl das primiire Ziel, die vornehmlich katholischen Länder Slowenien und Kroatien zu schützen. 1990 unterstreicht er ihr Recht auf eine eigene Regierung und erkennt sie im Januar 1992 (als einer der ersten) als unabhängige Staaten an. Der kroatische Nationalismus ist seit jeher eng mit dem Katholizismus verbunden (Melady 1994: 139, 144). Hanson spricht von der ,,capacity ofreligion to transfarm inatitutions and soeieties" (Hanson 1987: 355). 184 Ein Beispiel sind die Grenzstreitigkeiten zwisehen Chile und Argentinien um den BeagleKanal, die 1978 auf eine militärische Auseinandersetzung hinauslaufen. Nachdem ein internationales Schiedsgericht zwischen 1971 und 1977 das Problem. nicht lösen kann. verhindert Johannes Paul 11. durch sein Vermittlungsangebot im letzten Moment den Kriegsausbruch. Im Dezember 1978 reist der päpstliche Gesandte Antonio Kan:linal Samore nach Buenos Aires und Santiago de Chile und bereitete mit seiner Pendel-Diplomatie Gespräche vor. Durch öffentliche Appelle erreicht er in den beiden katholisch dominierten Staaten. dass es zu keiner militärischen Auseinandersetz zwischen den Konfliktparteien kommt. Zwisehen Mai 1979 und Dezember 1983 treffen sich Delegationen aus Argentinien und Chile einzeln mit vertretern dea Heiligen Stuh!a im Vatikan. Verbeek, der zu dieser Zeit Botschafter der Bundearepublik Deutschland in Buenos Aires ist. weist auf die praktische Hilfe und effektive Vermittlung durch den Heiligen Stuhl hin (Interview Verbeek 2010). Ein Friedens- und Freundachaftsvertrag wird zwischen den Konfliktparteien 1984 unterzeichnet Als Stärken und besondere Leistung des Heiligen Stuh!a beurteilt Laudy die stabilen Kontakte, die er zwischen Chile und Argentinien herstellt, seine Geduld und Neutralität als Mediator sowie die moralische Autorität des Papstea, die beaondera in einem katholisch geprägten Land ihre Wirl
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hilfe zusammen und kann durch ihre Präsenz in den Gesellschaften für Versöhnung sorgen: Sie ist in der Regel immer bereits vor Ort ist und bleibt auch dort, wenn bspw. die Eingreiftruppen von NATO oder UNO wieder abgezogen werden (Johnston 1994: 261). Die katholische Kirche besitzt durch ihr Gemeindesystem eine weltweite Infrastruktur. Sie tritt global in Erscheinung und ist hierarchisch strukturiert (Vallier 1972: 130; BuH 1987: 11); von dieser Organisiertheit können auch Staaten profitieren. Hanson nennt als Beispiel den Ost-West-Konflikt: Je schlechter das amerikanisch-sowjetische Verhältnis wird, desto wichtiger geraten die Kontakte, die die katholische Kirche z. B. über Österreich nach Ungam oder über die BRD in die DDR unterhält (Hanson 1987: 343, 347). Kein religiöses Oberhaupt besitzt ein so umfassendes und regelmäßiges Netz aus weltlichen und interreligiösen Kontakten wie der Papst (Ring-Eifel 2004: 33). Durch seine organisatorischen Fähigkeiten wird er zu einer SchnittsteHe transnationaler Kontakte, die globale Gemeingüter wie Frieden und Werte schaffi. In vielen Entwicklungsländern oder sogenannten schwachen Staaten stellt die katholische Kirche mitonter die einzig funktionierende oder stärkste Institution dar (Rubin 1994: 24). Zur Infrastruktur gehören auch die von der katholischen Kirche unterhaltenen Medien wie Radiostationen und Zeitungen. Auf nationaler Ebene organisieren sich die Bischöfe eines Landes in einer nationalen Bischofskouferenz. Zu ihren Hauptaufgaben zählen die gegenseitige Beratong, die Koordination der kirchlichen Arbeit, die Kontaktpflege zu Bischofskonferenzen anderer Länder und zum Heiligen Stuhl. Für die zweimal jährlich stattfindende Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz entwickeln 14 Bischöfliche Kommissionen - nach ihren jeweiligen Sachbereichen - SteHungnahmen (Deutsche Bischofskonferenz 20IOa). Die nationalen Bischofskonferenzen können sich zu weiteren kontinentalen Zusammenschlüssen organisieren: So besteht der Lateinamerikanische Bischofsrat CELAM (Consejo Episcopal Latinoamericano) aus 22 nationalen Bischofskonferenzen; er soH die Kooperation untereinander fördern und den lateinamerikanischen Anliegen ein größeres Gewicht verleihen. 185 Die Deutsche Bischofskonferenz besitzt darüber hinaus eine weitere interessante Einrichtong: Das Kommissariat der deutschen Bischöfe - Katholi185 Der Bischofsrat wird 1955 auf Initiative von Pius xn. gegründet und hat seinen Hauptsitz in Bogotä (Adveniat 2010). Zur Föderation Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC) haben sich die nationalen und regionalen Bischofskonferenzen in Asien zusammengeschlossen; in Afrika nennt sich die Vereinigung Symposium der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar (SECAMISCEAM). Johannes PaullI. fOrdert in seinem Pontifikat die Organisationen von Bischöfen aufnationaler, regionaler und kontinentaler Ebene (Sacco 1999: 23).
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sches Büro in Berlin ist die Lobbyvertretung der Deutschen Bischofskonferenz auf Bundesebene; aber auch auf Landesebene gibt es Katholische Büros, da z. B. die Schulpolitik unter die Länderhoheit fällt. 18' Nach eigenen Angaben ist seit seiner Gründung 1950 (zu dieser Zeit noch mit Sitz in Bonn) die Aufgabe des Katholischen Büros, eine "Schnittstelle zur Politik" zu sein und als solche den Kontakt zu den Regierungen auf Bundes- und Landesebene, zu Ministerien, Patteien und anderen gesellschaftlichen Verbänden herzustellen. Es versucht, die Interessen und Vorstellungen der katholischen Kirche zu wahren und beschreibt sein HandeIn wie folgt: Das geschieht zum Beispiel durch Stellungnahmen bei Gesetzesanhörungen und der Vorbereitung, Prüfung und Abschluss von Verträgen und Vereinbarungen. Außerdem werden Kon· takte gepflegt, Hintergrundgespräche geführt und Diskussionsforcn angeboten. Die Arbeit der
Katholischen Büros soll so zu einem dialogischen und vertrauensvollen Verhältnis zwischen Staat und Kirche beitragen (Deutsche Bischofskonferenz 201 Ob).187
186 Das Katholische Büro Nordrhein-Westfalen besteht aus einem. Leiter, zwei Juristen und einem Pädagogen. Bedeutsam an der Arbeit des Büros seien neben dem Sachverstand der Mitarbeiter ihre persönlichen Kontakte zu den Ministerien. die Gespräche ermöglichen. Als Themen der jüngeren Vergangenheit nennt Vogt die Inventarisierung der Kirchengebäude nach 1945, den Religionsunterrich~ das Ladeoößhungsgesetz, Kinderbildungsgesetz und Bestattungsgesetz (Interview Vogt 2010). 187 Als Themen, um die es zwischen dem Katholischen Büro in Berlin und der Politik gegenwärtig gebe, nenoen Ruppert und Sberma die Missbrauchsfiil1e, Kirchensteuer, Islamkonferenz, Sozialkürzungen der Bundesregierung, Entwicklungshilfe und Rüstungs""llarte (Interview Rupper! 2010; Interview Sberma 2010). Es wird unterstrichen, dass der zentrale Unterschied des Katholischen Büros zu herkömmlichen Lobbyisten darin besteht. dass sich die katholischen Vertreter für die Interessen aller Menschen einsetzen und nicht nur für das Wohlergehen einer bestimmten Gruppe (Interview Vogt 2010; Interview 4). Vogt weist fiir seine Arbeit auf eine Kooperation mit der evangelischen Kirche in Deutschland bei gesellschaftlichen Fragen hin: Es gebe ,,Doppelkopfbriefe", bei denen eine gemeinsame Erklärung abgegeben werde (Interview Vogt 2010). Rupper! und Sberma erleben die Zusammenarbeit zwischen katholischer und evangelischer Kirche in Deutschland als kollegiales Miteinander statt Gegeneinander (interview Rupper! 2010; Interview Sberma 2010). Wimm<:r berichtet von einem ,,Achtergremium" in Deutschland, das sich aus vier katholischen und vier protestantischen Würdenträgern zusammensetze und sich der Dinge annehme, die ..fiir beide Kirchen in Deutschland von zentraler Bedeutung sind" (Interview Wimmer 2010). Rauch listet weitere katholische Einrich· tungen .uJ; die in Berlin vertreten sind und den direkten oder indirekten Kontakt zu Abgeordneten und Ministerien suchen: Misereor, der Deutsche Caritasverband (DCV), die Deutsche Kommission Justitia et Pax und der katholische Familienbund sind mit je einer eigenen Geschäftsstelle in der Hauptstadt vertreten. Wechselnd organisieren die Katholische Akademie Berlin, das Katholische Büro in Berlin, das Zen1ralkomitee der deutschen Katholiken und die Norddeutsche Provinz der Jesuiten das ,,Foyer fiir Gespräche zwischen Kirche, Gesellschaft, Politik". Die Katholische Akademie Berlin ist eine Begegnungsstätte und richtet als Tagungszentrum Veranstaltungen auch für die im. Bundestag vertretenen Parteien aus. Innerhalb des Bundestages werden im Kardinal-HöJfoer-Kreis (nur Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion)
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Die ComECE (Commissio Episcopatuum Communitatis Europensis) ist die Kommission der europäischen Bischofskonferenzen in Brüssel und setzt sich aus je einem Bischof pro EU-Mitgliedsland zusammen. Sie wird 1980 gegründet und steht in der Nachfolge des Europäischen Pastoralinformationsdienstes, der 1979 ins Leben gerofen wird. Ähnlich dem Katholischen Büro in Berlin besteht die Aufgabe der ComECE darin, die politischen Prozesse in der Europäischen Union zu begleiten und die Politik nach katholischen Gesichtspunkten mitzugestalten. Darüber hinaus dient sie als Berichterstatterin innerhalb der katholischen Kirche über die Vorgänge in der EU. Die Aufrechterhaltung eines Dialoges zwischen katholischer Kirche und der Europäischen Kommission, dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament sind ebenso als ihr Auftrag zu nennen. Die Lobbyarbeit der ComECE ist breit gefächert: Sie reicht von der Biotechnologie bis zur Wochenarbeitszeit und richtet sich vor allem an katholische Parlamentarier, Kommissionsmitglieder und christliche Parteien (RyaIl2001: 49).188 und im Politischen Club (kalholische Abgeordnete aller Parteieo) Gesprächskreise mit promi.
nenten Vertretern der katholischen Kirche ermöglicht; das Ziel ist dabei die Orientierung auf eine christliche Politik (Rauch 2000). 188 Europapolitisch setzt sich der Heilige Stuhl für die vollständige Integration Osteuropas ein und propagiert die christlichen Werte und Traditioneo in der EU. Er tritt Iiir die Ptivilegieosichorang der kalholischeo Kirche in deo Mitgliedsstaaten und Iiir ein Europa als Friedeosstifter ein. Weitere bedeutsame Themen sind: religiöse Symbole in öffentlichen Gebäuden; Fragen des Wet!bewetbsrechts (Regulierung von Religionsgemeinschaften, wenn sie als Dieostleister im Sozialbereich oder Gesundheitswesen agiereo); die Gleiebbehandlungaricbtlinie (bestimm· te kircbliche Ämter sind Männern vorbehalten); die Mehrwertsteuerrichtlinie und Bankenrichtlinie, die religiöse Einriebtungen begiinstigen; Regelungen der Arbeitszei~ die Iiir Geistliebe nicht gilt die Fernschriebtlinie (kirchliebe Seodongen dörfen niebt von Werbung unterbreeben werden); Fragen des Datenschutzes. Die Sonderregelungen der EU :für Religionsgemeinschaften gehen soweit, dass bspw. Busfahrer von der Beschränkung auf eine maximale Fahrzeit nicht betroffen sind. wenn sie Gläubige transportieren. die im. Rahmen ihrer religiösen Praxis eine Reise unternehmeo (Uedhegener/Gerstenbauer 2010: 160-161, 168·169). Der Heilige Stuhl setzt sich darüber hinaus :für eine großzügige und humanitäre Zuwandenmgspolitik. und gegen die Förderung von Embryonen- und Stammzellenforschung ein. Er zeigt sich skeptisch gegenüber der Aufuabme von nicbt-christlichen Staaten (Rotte 2007: 152-158). Bereits der Vertrag von Maastricht schützt die Privilegien der Religionsgemeinschaften in den Mitgliedsstaaten und wird durch deo sogenannten .,Kirchenartikel" der Regierungslronferenz von Ams· terdam bekräftigt. Hinsichtlich des Sekundärrechts sind Religionsgemeinschaften in deo Eot· sebeidungsprozess innerhalb der EU eingebunden; diese Einbindung ist aber eher informeller Art. Uedhegener/G=teohaner weisen auf Lobbyvertretongen der evangelischen Kirche hin. mit denen es eine Zusammenarbeit bei gemeinsamen Interessen gibt. Zu nennen sind auf pr0testantischer Seite die KDnJerenz Europäischer [(jrchen (KEK), die Ölaunenische Kommission für Kirche und Gesellschaft (EECCS) und die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). Uedhegeoer/Gerstenbeuer folgern ein breites Entgegenkommen der EU gegenüber den beiden christlichen Kirchen; zwar sei die EU wertanschaulich neutral, schiebe Religion aber niebt als Ptivatangelegenheit beiseite (Uedhegener/Gerstenhaner 2010: 165. 167. 170).
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Die Bischöfe der ComECE treffen sich zwei Mal im Jahr; das ständige Sekretariat umfasst derzeit elf Mitarbeiter. Für die Deutsche Bischofskonferenz ist der Erzbischof von München und Freising Reinhard Kardinal Man< seit 2006 Mitglied der ComECE und seit 2009 ihr Vizepräsident (Deutsche Bischofskonferenz 201Oc; ComECE 2010). Die Europäische Bischoftkonferenz CCEE unterstreicht den Organisationsgrad auf europäischer Ebene; sie hat ihren Sitz in St Gallen und die gleiche Aufgabe wie die ComECE: "information sharing and advocacy" (Ryall 2001: 49). So verfolgt sie das Ziel, den Gottesbezug in der EU-Verfassung zu verankern und die Sonderrechte der katholischen Kirche in den Mitgliedsstaaten zu schützen. Vervollständigt wird das katholische Engagement auf europäischer Ebene durch den Apostolischen Nuntius des Heiligen Stuhls bei der EU in Brüssel (seit 1999). Er vermittelt zwischen den Interessen des Heiligen Stuhls und denen der Ortskirchen und hat auf Grund seiner Privilegien als Diplomat Zugang zum Europäischen Parlament und zu Dokumenten (Liedhegener/Gerstenhauer 2010: 167). Eine Vertretung des Heiligen Stuhls gibt es auch beim Europarat in Straßburg.
6.1.5
Der Zugang des Heiligen Stuhls zu Journalisten und die kirchlichen Medien
Wie der Heilige Stuhl konzentrieren sich auch die Medien in der Regel auf den Diskurs über Menschenrechte, Demokratie, Werte und Gerechtigkeit (Matlary 2001: 85-86). Journalisten befinden sich in einer Gegnerschaft zum politischen System, wenn sie sich gegen die Alleinherrschaft des Staates über Informationen und Definitionen auflehnen. Ihr Ziel fiir die Gesellschaft ist eine vom Staat unabhängige Meinungsbildung; in autoritären Systemen können sich die Medien dagegen nicht oder nur beschränkt durchsetzen (CzempieI1999: 69). Zwischen dem Heiligen Stuhl und den Medien bestehen gegenseitige Interessen: Der Heilige Stuhl profitiert von einer ausfiihrlichen Berichterstattong und bedient gleichzeitig die Suche der weltweiten Medienindustrie nach Bildern und Nachrichten (Rauch 2005: 41; Cava 1992: 179).'89 Meuser spricht von einer "Symbiose" zwischen Papst Johannes Paul 11. und den Medien: Die Medien sind jederz.eit auf der Suche naeh den mythisehen Bildern, den sinnlichen Sensa· tionen. Sie wissen, daß sie mit dem Papst das größte nur mögliche Spektakulum haben kön-
189 Johannes Paul 11. vertritt die Meinung. dass jeder bedeutsame Moment im Leben der Kirche verbreitet werden soll (Accattoli 2005: 87).
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neo, das denkbar ist. ( ... ) Die Medien können auf den Papst nicht verzichten, und der Papst kann aufdie Medien nicht verzichten (Meuser 1986: 246).
Der Papst kann mit seinen Reisen weltweit in Erscheinung treten und Erfahrungen sammeln; 190 aber erst die Medien - allen voran die säkularen - tragen die Bilder der Armutsviertel, die der Papst besucht, in die Welt und zünden damit gleichsam die Sprengkraft, die der Papst hat, wenn er durch seine Präsenz auf die Notlage der Menschen hinweist. Die Medien haben einen erheblichen Anteil an der Verbreitung seiner Gedanken, die er über E~kliken, Apostolische Briefe, Ansprachen und Predigten der Welt verkündet. 91 Der Heilige Stuhl erwartet von Journalisten, dass sie nicht nur über das Negative in der Welt berichten, weil es sich als Sensation besser verkaufen lässt, sondern vielmebr aus einem ethischen Verantwortungsbewusstsein heraus die Friedensarbeit unterstützen, indem sie dezidiert über Versöhnung iuformieren und damit die Jugend zum Frieden erziehen (König 1979: 153). Johannes Paul II. begrüodet diese Notwendigkeit mit dem Einfluss der Medien auf die öffentliche Meinung (Johannes Paul II. 1983). Medien interessieren sich primär für den politischen Einfluss des Heiligen Stuhls sowie für Affiiren und Auseinandersetzungen in der Kirche. Gemmingen schreibt aber auch der zentralen Botschaft der katholischen Kirche eine gewisse Attraktivität für die Medien zu und verweist auf den Glanz der Kirche mit ihren in der Welt verstreuten Mitgliedern (Gemmingen 2005: 280).192 Er nennt 400 ständig beim Presseamt des Heiligen Stuhls akkreditierte Korrespondenten (Gemmingen 2005: 275); bei dern Begräbnis von Johannes Paul II. sind sogar 4843 Rundfunk- und Bildjournalisten und über 2 500 Pressejournalisten akkreditiert: 155 Fernsehsender berichten live in 84 Länder mit dem wohl größten
190 Johannes PaullI. unternimmt 104 Reisen auBerhalb Italiens in 129 Staaten, 146 Reisen innerhalb Italiens (außerhalb des Vatikan und Caate! GandoIfo); debei hält er insgesamt 3 288 Ansprachen (Vatikan 201Oc). Verwehrt bleiben ihm Reisen nach Russland, China, Nordkorea und Vietnam (Coppa 2008: 197). Für die Ablehnung eines Besuches in Ruas1and ist die russisch-<>rthodexe Kirche verantwortlich (Evans 2007: 173). In der Berichterstattung über den Tod von Johannes PaullI. herrscht Einigkeit darüber, dass noch nie zuvor eine Person von so vielen Menschen gesehen und fotografiert worden ist und niemandes BiW in so vielen Privathauabalten hängt wie das des veratorbenen Papstes (Gemmingen 2005: 264; Coppa 2008: 197; Schlot! 2008: 16). Benedik!XVI. unternimmt in den 1etzen lünfeinhalb Jahren (Stand: 17.12.2010) 21 Reisen innerhalb Italiens und 18 internationale Reisen (Vatikan 201Ob). 191 Johannes Paui 11. verfasst während seines 26jährigen Pontifikats 14 Enzykliken. neon Apostolische Konstitutionen und 64 Apostolische Schreiben. Bis Mitte Dezember 2010 veröffentlicht Benedikt XVI. drei Enzykliken und 21 Apoatolische Schre!ben (Vatikan 201Oc. 201Ob). 192 Aber auch das Geheimnisvolle von Kirche und Vatikan dürfte von Attraktivität sein.
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Publikum, das je erreicht wird (Klenk 2008: 60).193 Der Heilige Stuhl ist ein lukratives Thema für Journalisten: Der Papst hat durch seine Stellvertreterrolle Christi Starpotential: Sein Amt gibt es nur ein einziges Mal und verleiht seinem Leben etwas Geheimnisvolles; er ist ein Zuschauermagnet, so dass es berechtigt erscheint, von der Macht der weißen Soutane zu sprechen. Erklärungsversuche für das Fernsehprivileg des Papstes sehen in seiner Gestalt die optimale Entsprechung des Bedürfnisses der Massenmedien nach symbolischer Vereinfachung. l94 Johannes Paul Ir. habe erkannt, dass er durch die Präsenz in den Medien ein gräßeres Publikum erreichen kann als über Audienzen und schriftliche Verlautbarungen und sei deshalb den Erfordernissen der Medien nach Übertreibung, Vereinfachung und Unterhaltung entgegengekommen. Als kommunikativer Mensch habe sich Johaunes Paul 11., der mit der Kunst des Theaters und der Theatralik der polnischen Liturgie bestens vertraut ist, gnt in seine Rolle eingefunden (Accattoli 2005: 88). Seinen Erfolg darin bestätigt Genuningen: Durch Gesten wie dem Küssen des Bodens (bei demjeweils ersten Besuch in einem Land), dem Umarmen von Kindern oder Tragen von jeweils für die Region typischen Kopfbedeckungen habe sich Johaunes Paul Ir. den Menschen genähert und sei einer von ihnen geworden (Gernmingen 2005: 263). Dies trage auch dem Bedürfnis der Medien Rechnung, ihn von seiner menschlichen Seite zeigen zu wollen (Klenk 2008: 64).'" Cava fiihrt aus, dass Johaunes 193 Gemmingen weist daraufhin, dass in Anbetracht des erwarteten ,,JahrlnmderImedienereignisses", bestehend aus dem. Begräbnis von Johannes Paul 11. und dem. anschließenden Konklave, bereits Jahre vor dem. ereignisreichen Monat April 2005 von Journalisten Dachterrassen in Rom angemietet worden sind (Gemmingen 2005: 266). 194 So z. B. ,.Der Papst verurteilt den Krieg." (Accattoli 2005: 87) Für Bieger entsprechen der Papst und seine Reisen den ,,kODllllllllikativen Bedingungen des Fernsehzeitalters". Bieger weist aber daraufhin, dass diese Personalisierung zu Lasten des Bischofskollegiums gehe: ..So wie die Parteien hinter ihren Spitzenk.andidaten fast verschwinden. gewinnt auch das Bischofsko1legium hinter dem. Papst in einer Femsehgesellscha:ft keine Konturen," (Bieger 2000: 62-64) Ruh sieht darin ein strukturelles Problem, da die katholische Kirche nicht nur Rom sei (Ruh 2005: 165). In diesem Sinne argumentiert auch Maier von einer ..atillen Opposition" gegen den römischen Zen1ralislDllS (Maier 2001: 154). 195 Weiss arbeitet für die Rolle von Ehefrauen amerikanischer Präsidenten heraus, dass diese vor allem im Wahlkampf - als eine Art Weichzeichner ihren Mann menschlicher erscheinen lassen (Weiss 2008: 135). Der Papst :findet seinen Weichzeichner in Darstellungen, die ihn nicht als moralische Instanz oder Oberhaupt der katholischen Kirche thematisieren, sondern. ihn in Situationen zeigen, die Aussagen über seine Persönlichkeit erlauben. Bredekamp befasst sich mit dem Camauro, einer Pelzmütze, die vornehmlich von Renaissance-Päpsten getragen und von Benedikt XVI wiederbelebt und in den Medien als Zeichen seines Modebewusstseins aufgenommen wird; das unterstellte Modebewusstsein :findet als vermeintlich menschliche Schwäche positive Erwähnung: ,,Erst als Papst, so lautete der Tenor der Kommentare, habe sich ( ... ) Joseph Ratzinger jene Milde gestatten können, die ihm zuvor als Zuchtmeister der
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Paul Ir. das Papstamt zum größten religiösen Medienevent der Neuzeit macht (Cava 1992: 179). Als Einf1ussfaktoren auf die Berichterstattung der Massenmedien werden von Bleistein deren wirtschaftliche Interessen, ihre redaktionelle Personalausstattung und die grundsätzliche politische Ausrichtung des Mediums genannt (Bleistein 1987: 24). Dass Ereignisse der katholische Kirche häufig mit Stereotypen hearheitet werden, erklärt Bleistein mit einem Argument von Niklas Luhmann: Eine Gesellschaft könne immer nur eine gewisse Anzahl an Themen gleichzeitig verarbeiten, die dann mit Hilfe von Stereotypen verhandlungsfiihig gemacht würden, um nach ihrem kurzen Höhepunkt in der Aufinerksamkeit schnell wieder zu verschwinden. Als Beispiel nennt Bleistein den Konflikt der Befreiungstheologen mit dem Heiligen Stuhl, der im Wesentlichen personalisiert als Streit zwischen Leonardo Boffund seinem früheren Doktorvater Joseph Kardinal Ratzinger dargestellt wird (Bleistein 1987: 55, 73). Das Verhältnis des Heiligen Stuhls zu den Medien ist dabei nicht immer ohne Kontroverse: Gregor XVI. verschmäht in seiner Enzyklika MIRARI VOS (1832) die Pressefreiheit, weil durch sie die Zeitungsleser zum Liberalismus und Sozialismus gefiihrt würden (Hebblethwaite 1987: 213).196 Bleistein arbeitet heraus, dass die katholische Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil eine dezidiert ablehnende Haltung gegenüber den Medien hat und diese erst in COMMUNIO ET PROGRESSIO (1971) korrigiert; die Unvereinbarkeit von Glaube und Medienkultur wird aufgelöst: Nachdem die Ins1nJktion [sc. COMMUNIO ET PROGRESSIOj mediale Eigengesetzlichkei· ten anerkennt, die Wirkung medialer Kommunikation außerordentlich positiv einschätzt und
dem journalistischen Beruf Hochachtung entgegenbringt, eröffnet sich erst die Möglichkeit eines Gespräches zwischen Theologie und Kommunikationswissenschaften, zwischen Theologen und Journalisten (Bleistein 1987: 175, 177).
Die Anerkennung der Presse als Teil der demokratischen Ordnung fiihrt zu einer Öffuung zu ihr (Klenk 2008: 29-30): Denn sprechen die Päpste bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur auf Lateinisch und ist es bspw. bis zu Paul VI. verboten, dem Papst Fragen zu stellen, prägt Johannes Paul 11. einen neuen Umgang mit Kirche nicht gestattet gewesen sei. Ratzinger mit einer gleichsam keck-modischen Mütze: In diesem. BiW erfiillt sich seine neue persona. Die Autoritätsschwächung kam der Autorität zugote." (Bredekamp 2007: 94-95, H. i. 0.) 196 Auch Pius IX. verurteilt in SYLLABUS ERRORUM (1864) die Pressefreiheit Pius XII. ist der erste Papst, der eine Botschaft über das Radio verkündete. und erst Paul Vi nutzt die Mas-
senmedien bei seinen Auslandsreisen. Bis zu seinem Pontifikat kann man den Papst nur in Rom sehen (Klenk 2008: 61).
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den Journalisten. Als erster Papst hält er schlagfertige Stegreif-Reden und steigert mit dem Durchbrechen des steifen Rituals das Interesse an seiner Person und seinem Amt. Johannes Paul Ir. beantwortet - ohne Zensur - Fragen an Bord der Flugzeuge während seiner Reisen und lässt sich bereitwillig beim Bergwandem, Skifahren, im Bett der Gemelli-Klinik (nach dem Attentat vom 13. Mai 1981) oder beim Streicheln von Koala-Bären und Rhinozerossen ablichten (Accattoli 2005: 87). Seine Antwotten sind improvisierend, was bei seinen Vorgängern in dieser Form nicht vorstellbar ist. Damit hebt er die Selbstbeschränkung des öffentlichen Aufuetens auf den liturgischen Vollzug auf.'" In der Gegenwart deckt die katholische Kirche als Ansprechpartnerin einen nahezu unbegrenzten Themenbereich ab. Sie äußert sich nicht nur zu Fragen der Moral, sondern meldet sich auch bei Terroranschlägen, Naturkatastrophen und Konflikten zwischen Staaten zu Wort. Die Ansprachen des Papstes ziehen ein großes Interesse auf sich: Besonders von seinen Enzykliken werden Antworten auf Fragen erwartet, die Parteien oder gesellschaftliche Verbände nur unzureichend zu geben imstande sind. Die Regensburger Rede von Benedikt XVI. nelnnen manche Kommentaturen zum Aulass für folgende Überlegung: Sie wollen nicht glauben, dass dem Papst während seiner Vorlesung mit dem Zitat des byzantinischen Kaisers Manuel Ir. über Mobammed198 ein Missgeschick unterlaufen sei und vermuten, er habe bewusst die Gewalt im Islam thematisieren wollen. Dies hätte sich - nach den Krawallen um den dänischen Karikaturen-Streit 2006 und dem zu erwartenden Druck - kein nationaler Politiker trauen können (Knobloch 2006: 1389).199 Auch das Interesse an päpstlichen Reisen ist 197 So geht er z. B. auch auf die Frage ein. welcher Mannschaft er beim italienisch-polnischen Fußballspiel die Daumen drückt: ,,Für mich wäre es besser, mich zu verstecken." (Johannes Paul II. zil in: A=lttoli 2005: 88) Weiss macht auf den Zuwachs an Infotainment durch die aggressive Wettbewerbssituation und den Grad an Kommerzialisierung im amerikanischen Meclieosystem aufinerl<sam uod beleuchtet die Folgeo für den amerikanisebeo Präsidenten (Weiss 2008: 121-124). Die Unterhaltuogsorieotieruog wird kaum dazu führen, dass man den Papst - wie den amerikanischen Präsidenten - beim Bowlen zeigt. Der Hinweis von Weiss kann jedoch erklären. warum auch der Papst die Nachfrage nach BiWem, die Aussagen über seine Persönlichkeit zulassen. nicht ignorieren kann. 198 ..Ohne sich auf Einzelheiten wie die unterschiedliche Behandlung von ,SchriftbesitzeIn' und ,Ungläubigen' einzulassen, wendet er [sc. Kaiser Manuei ll.] sich in erstaunlich schroffer, für uns unannehmbar schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion uod Gewalt überbaupt an seineo Gesprächspartner. Er sagt: ,Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes :finden wie dies, daß er vorgeaebriebeo ba~ den Glauben, den er predigte, durch das Sebwert zo verbreiten'." (Beoedikt XVL 2006a) 199 Knobloeb siebt eineo weiteren Vorteil in der Regeosburger Rede: "Von llannab Areoclt
stammt der Satz: Wer als Jude angegriffen wird, muss sich auch als Jude wehren. Vielleicht ist
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seit jeher groß: Live-Sendungen, die über Stunden von den Besuchen berichten, füllen das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender,2°O und Gesten (wie der Empfang von Hans Küng im September 2005) sind imstande, über Tage zum Gegenstand in den Medien zu werden (Drobinski 2005: 4). Von den imposanten Auftritten des Papstes abgesehen, ist insgesamt jedoch ein folgenschweres Defizit in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Heiligen Stuhls und der Ortskirchen festzustellen. Facius hält die ,,Manpower" für eine professionelle PR-Arbeit zwar für gegeben, hält das System aber für zu schwerfällig.20 ! Auch sei der fehlende theologische Sachverstand in den Redak-
es der katholischen Kirche gar nicht so Unrecht. wenn sie der politische Islam in sein Feindbild ausdrücklich einschließt, weil er sie damit nolens volens auch zusammenschließt Es stärkt die Gruppenidentitä~ wenn man als Gruppe angefeindet wird - ist doch der Islam selbst das beste Beispiel dafür, dass eine Gruppierung, die als Religion politisch angegriffen wird, gar nieht anders kann als zusammenzurücken und sich zu politisieren." (Knobloch 2006: 1392, H. i. 0.) Eine derartige Absieht bestreitet Bencdikt XVI. freilich. NachtIäglich wird in der Fußnote zu dem. umstrittenen Zitat vermerkt: ,,Dieses Zitat ist in der muslimischen Welt leider als Ausdruck meiner eigenen Position aufgefaßt worden und hat so begreiflicherweise Empörung hervorgerufen. Ich hoffe, daß der Leser meines Textes sofort erkennen kann, daß dieser Satz nicht meine eigene Haltung dem Koran gegenüber ausdrückt, dem. gegenüber ich die Ehrfurcht empfinde, die dem. heiligen Buch einer großen Religion gebührt. Bei der Zitation des Texts von Kaiser Manuei 11. ging es mir einzig darum, auf den wesentlichen Zusammenhang zwischen Glaube und Vernunft hinzuführen. In diesem. Punkt stimme ich Manuei zu. ohne mir deshalb seine Polentik zuzueignen." (Bencdikt XVI. 2006a) Zahlreiche Interviewpartner halten die Überlegung von Knobloch für unzutreffend (Interview Facius 2010; Interview Steinschulte 2010). Dennoch spricht Knobloeh damit an, dass dem Papst Möglichkeiten eingeräumt werden. die man bei Politikern. nicht sieht. Steinschulte berichtet. dass nach seinen Informationen ein italienischer und ein amerikanischer Journalist am Tag der Rede bereits morgens beim. Frühstück beschlossen hätten. Benedikt XVI mit seinen (erst noch zu haltenden) Ausführungen diskreditieren zu wollen (Interview Steinschulte 2010). 200 So ist z. B. die Reise von BenediktXVI. nach Bayern vom 9. bis 14. September 2006 zu nennen: Der Bayerische Rundfunk: berichtet darüber mit insgesamt 66 Stunden geplanter Sendezeit (Berichte vor und nach der Reise nicht berücksichtigt). Dabei kommen über 1 000 Mitarbeiter und 250 Kameras zum Einaatz (Klenk 2008: 12). ARD (Betichterstattung 09.09.2006 bis 14.09.2006: 20 Stunden) und ZDF (Betichterstattung im gleiehen Zeitraum: 11,5 Stunden) stellen eigens eingerichtete Hom.epages bereit (www.papst.ard.de, www.papst.zdf.de). Ein Interviewpartner weist darauf hin, dass die Berichterstattung über die Bayernreise von Benedikt XVI, die in ihrer Intensität nicht einmal von den Terroranschlägen 2001 überhöht werde, ein singuläres Ereignis darstellt. Diese Intensität in der Berichterstattung sei keinem Konkordat geaehulde~ sondem dem unterstellten Interesse dea bayetischen Zuachaoera. Der Interviewpartner macht darauf au:finerksam, dass mit der Wahl eines Deutschen zum Papst die Stelle desARD-Sonderlwrrespo.dent Vatilw. eingetiehtet wird (Interview 1). 201 Als Beispiel nennt er den Umgang mit den. Missbrauchsfällen. in Deutschland: Hier habe es viel zu lang gedauert, eine einheitliche Linie zu finden. Die Präsentation der Leitlinien habe dann an einem für den Medienbetrieb ungünstigen Ort zu einer ungünstigen Uhrzeit stattge-
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tionen ein Problem: Zwar gebe es an der katholischen Universität EichstättIngolstadt einen Lehrstuhl für Journalistik und in München dss Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses, das auch prominente Journalisten hervorgebracht habe, was insgesamt jedoch nicht ausreichend sei (Interview Facius 2010; Interview 4). Die Medien geraten zum wunden Punkt der katholischen Kirche, was aber nicht nur an den Defiziten in den Redaktionen liegt (Interview Vogt 2010; Interview Facius 2010; Interview 4),'0' sondern auch am verbesserungswürdigen Umgang des Heiligen Stuhls mit den Medien: Smoltczyk bemerkt, dass Benedikt XVI. einen Spin-Doctor brauche, der ihn nicht dem Zeitgeist anpasse und moralische Überzeugungen verflache, sondern dsfür sorge, dass die Positionen des Heiligen Stuhls angemessen wahrgenommen und nicht missverstanden werden (Interview Smoltczyk 2010). Es erscheint daher
funden, so dass nur in beschränkter Intensität in den Medien darüber berichtet worden sei (Interview Facius 2010). 202 In den Interviews werden die jüngsten Vorfälle diskutiert: Die Berichterstattung über die Missbrauchsfälle in Deutschland sei dem. Problem. häufig nicht gerecht geworden, indem viel-
fach der Zölibat als Ursache des Übels hingestellt und Fakten (wie dass 90 Prozent aller Missbräuche von Kindern in den Familien stattfinden. wo die Täter in der Regel verheiratet sind) unberücksichtig geblieben seien. Bei allen Fehlern, die von der katholischen Kirche gemacht worden seien (Vertuschungsversuche. defizitärer Umgang mit dem Problem in der Öffentlichkeit), müsse festgestellt werden, dass manche Medien vor allem ein Geschäft mit dem. Thema intendiert hätten. weil es sich gut verkaufen ließ (Interview 4). Um sich zu wehren, könne man bei groben Verstößen zwar einzelne Journalisten oder Chefredaktione:n ansprechen, aber ein Erfolg sei nicht immer feststellbar (Interview Vogt 2010). Zu den Missbrauchsfälleo bemerlrt Steinschulte: ,,Hier ist es wichtig den Menschen zu zeigen. dass man bestimmte Dinge begrif-
fen hat; man sollte in der nächsten Zeit kleinere Brötchen backen und sich um äußerste Korreldheit im Verbalteo bemüheo. Während des Skandals wucden viele Kommunikationsfehler gemacht. Es gab einige Bischöfe, die nicht sonderlich hilfreich waren, indem sie den Zölibat in die Diskussion gebracht haben. Wenn jemand nicht zölibatär leben will, vergreift er sich nicht an Kindern, sondern geht einen anderen Weg. Hier handelt es sich doch um zwei völlig unterscbiedliche Dispositiooeo." (Interview Steinschulte 2010) Der Papstbesuch in Bogland im September 2010 belege, wie mit Vorurteilen gearbeitet werde: Dieser sei im VorfeW niedergeschrieben worden, aber letztlich ein großer Erfolg für Benedikt XVI. gewesen. Nur wenige Journalisteo hätten sich im Nachhineio zu ihrer Fehleinschätzung bekannt (Interview 4; interview Steinschulte 2010). Ein weiteres Beispiel ist die Berichterstattung über die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft im Frühjahr 2009, unter denen sich der Holocaust-Leugner Richard Williamson befindet: Die pastorale Versöhnungsgeste von Benedikt XVI. wird von zahlreichen Joumalisten dazu benutzt. ihn in einer "Orgie von ,Papst-Bashing'" mit AntiSemitiSlDllS in Verbindung zu bringen. indem ein Bezug zur Wiederzulassuog der Karfreitagsfiirbitte für die Juden hergestellt wird. Voreilig werdeo Exkommunikatioo uod Rehsbilitieruog gleichgesetzt uod des gesamte Pootilikat als Ansammluog voo Panneo diffamiert (Püttmann 2009; Raddatz 2009). Zu diesem Vorgang bekeont Benedikt XVl später allerdings auch, dass "uosere Pressearbeit verssgt hsr' (Beoedikt XVl201Ob: 39).
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folgerichtig, dass der Heilige Stuhl sich kooperativer zeigen und kontroverse Haltungen kraftvoller erklären sollte, wenn er sich die Medien zu Nutze macht, die ihm Öffentlichkeit verschaffen. Zudem gilt es, die Quantität der Öffentlichkeitsarbeit zu sichern, d. h. präsent zu sein, für sich zu werben sowie selbstbewusst und allgemeinverständlich wahrgenommen zu werden.'·' Auf das Erfordernis, gerade die säkularen Medien nicht aus den Augen zu verlieren und sich zu sehr auf die eigenen kirchlichen Medien zu verlassen, macht Zimmer aufmerksam: Selbst Kat130liken wählten ihren Zugang zu Papst und Kirche über Informationen säkularer Publikstionen; die Kirchen- und Bistumszeitungen hätten nur eine nachgeordnete Bedeutung. Diese könnten ihre Stellung als Informations- und Servicedienst für fremde Medien aber ausbauen (Zimmer 2005: 320; Klenk 2008: 43). Der Umgang mit den eigenen kirchlichen Medien wird als Schwachstelle identifiziert. Von den Publikstionen der Bistümer in den Ortskirchen abgesehen, ist zunächst der L'Osservatore Romano zu nennen: Er wird 1861 gegründet, erscheint in der italienischen Ausgabe täglich in einer Auflage von 10 000 Exemplaren (seit dem Zweiten Weltkrieg auch als Wochenausgabe in weiteren Sprachen) und richtet sich vornehmlich an KirchenmitgJieder oder Leser, die mit dem Heiligen Stuhl beruflich verbunden sind. Der L'Osservatore Romano besteht aus einem großen Dokumentationsteil und ist eine Art halboffizielles Regierungsblatt, das über die Tätigkeit des Papstes und der Kurie informiert und versucht, über die Welt in3 Sinne des Heiligen Stuhls zu berichten (Interview Steinschulte 2010). Gemmingen schätzt, dass er insgesamt bis zu 100 000 Leser erreicht. Hanson bewertet ihn als ein politisches Instrument (Hanson 1987: 70); Hebbletl3waite sieht seine Hochzeit während des Faschismus, als er die einzige unabhängige Zeitung Italiens ist (Hebblethwaite 1987: 214). In Mailand erscheint seit 1968 mit Avvenire eine weitere katholische Tageszeitung (Benz 203 Hier sei zwar schon viel geschehen; mittlerweile habe jedes Bistum in Deutschland einen Beauftragten fiir die Öffentlichkeitsarbeit, aber es fehle noch an Professionalität und Absprache unter den Bistümern, um eine gemeinsame Haltung nach außen zu vertreten (Interview 4). Benedikt Steinschulte ist derfür Europa zuständige Referent des Päpstlichen Rates für die Sozialen Kommunikationsmittel (PCCS). Der PCCS ist eine Beratungs- und Unterstützungsinstitution, eine Art .,Medienministerium" des Heiligen Stuhls, das in einem weltweiten Horizont für alle Mediensparten zuständig ist und die katholisclle Aktivität in den vielfiiltigen Kommunikationsweisen fOrdern soll. Dazu gehären die Beobachtung der Medien ebenso wie die Förderung der Beziehuogen aller katholischen Vereiniguogen. die auf dero Gebiet der Medienarbeit tätig aind. Als Gründe für die Defizite der Öffentlicbkcitsarbeit des Heiligen Stub!s vermutet Steinschulte. dass die Bedeutung von professioneller Öffentlichkeitsarbeit an den zuständigen Stellen noch nicht richtig erkannt worden sein könnte und dass vielleicht auch das Geld für daa n-..dige Personal feble (Interview Steinachulte 2010).
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1993: 108). Radio Vatikan ist der größte Radio-Sender der Welt, verbreitet die Lebre der katbolischen Kirche in 40 Sprachen und kostet mit 400 Angestellten jährlich ca. 20 Millionen Euro. Gennningen beklagt das (überraschende) Desinteresse des Staats sekretariats an Erkenntnissen über das Verhältnis zwischen dem Finanzaufwand und der Wirkungsmacht des Senders. Radio Vatikan sendet auf eigenen Frequenzen und über externe Radiostationen und ist vergleichbar mit der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Voice of America. Gemmingen scbreibt ihm eine Bedeutung vor allem fiir die Bevölkerung von Entwicklungsländern und Diktaturen zu. Hinzu kommen das vatikanische Fernsehzentrum CTV, das weltweit Fernsehstationen mit Bildmaterial über Audienzen, Angelusgebete, Gottesdienste u. ä. Veranstaltungen beliefert, und der vatikanische Pressesaal: Hier arbeiten neben dem Pressesprecher des Papstes 25 weitere Angestellte, die täglich ein Bulletin herausgeben und in direktem Kontakl mit den Agenturen der Weltpresse stehen. Der vatikanische Medienrat besteht aus 25 Ratsmitgliedern und 45 weiteren Mitarbeitern und hat primär eine beratende Funktion. Mit Ausnahme des Fernsehzentrums und des Pressesaals erhalten die hier genannten Medien nur eine geringe Aufmerksamkeit sowohl von den Lesern bzw. Hörern als auch von dem fiir sie zustiindigen Staatssekretariat (Gemmingen 2005: 268-280). Gennningens Darstellung läuft darauf hinaus, dass die Wirkungsmacht der kirchlichen Medien wesentlich durchschlagender sein könnte, wenn eine Professionalisierung stattfände: ,,Es kann daher nicht davon die Rede sein, dass der Vatikan eine ausgeklügelte Medienarbeit macht, dass er die Weltmeinung durch seine Tätigkeit bewußt beeinflusse. Vieles ist Zufall oder von persönlichen Beziehungen und Freundschaften abhängig.'.204 (Gemmingen 2005: 277) Im Hinblick auf die Publikstionen der Ortskirchen bemerkt Facius fiir Deutschland, dass das frühere katbolische Medienimperium zu Grunde gerichtet worden sei: Hier habe man die Leitlinien der katbolischen Kirche über das Interesse einer ausgewogenen Berichterstattung gestellt (Interview Facius 2010).205
204 Und Gemmingen weiter: ,,Die Qualität und Quantität dieser Arbeit hängt kaum von der
Struktur ab, sondern zum größten Teil von den Personen, die hier arbeiten; einer macht viel aus seiner Stelle, ein anderer wenig - und das über Jahre. ( ... ) Wenn einer wenig leistet, aber keine öffentlich bemerkbaren Fehler macht, dann kann er oder sie jahrelang gut auf seinem Posten bleiben - ohne dass das jemanden aufregt." .Am Pressesaal - dem wohl wichtigsten Medieninstrument des Heiligen Stuhls - kritisiert Gemmingen das Unvermögen, sensible
Themen (Sexualität, Ökumene, Kirchenrecht) in einer Weise zu behandeln, dass die säkularen Medien diese lnfurmationen sachlieh weitergeben (Gemmingen 2005: 267-268, 276·277). 205 Biskupek fragt sich, warum die deutschen Bischöfe keine gemeinsame Kirchenzeitung herausgeben., die für ganz Deutschland gilt und qualitativ so hochwertig ist, dass sie in der
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Wie herausgearbeitet wird, ist der Heilige Stuhl auf die säkularen Medien angewiesen; dass er auf Journalisten in ähnlicher Weise Druck ausüben kann wie auf Politiker, ist zwar zu bezweifeln; dennoch ist auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass er gegenüber Journalisten Interviews verwehren oder die Mitreise im Papsttlugzeug ablehnen kann. 2• 6 Seine Fähigkeit, Hintergrundgespräche oder Kontakte zu vermitteln, ist auch fiir Journalisten von Interesse (Interview Smoltczyk 2010). Facius weist darauf hin, dass die Zahl der Auslandsjournalisten insgesamt ahnimmt und in erster Linie die ItalienKorrespondenten über den Heiligen Stuhl berichten Es sei zu vermuten, dass durch den Verzicht auf eigene Vatikan-Korrespondenten die Qualität der Berichterstattung über die katholische Kirche leide. Die Attraktivität des Postens als Vatikan-Korrespondent hat nach Facius und Smoltczyk abgenommen und an Prestige verloren; Steinschulte differenziert diese Aussage nach den jeweiligen Liindern, fiir die berichtet wird; er arbeitet die ,,italienischen Vaticanisti" als meinungsbildend heraus, an denen sich ausländische Journalisten orientieren (Interview Facius 2010; Interview Steinschulte 2010; Interview Smoltczyk 2010).2.7 In Anbetracht der Fähigkeit von Medien, Realitäten nicht nur beschreiben sondern auch konstruieren zu können, ist daher zu fragen, ob der Heilige Stuhl dem fehlenden theologischen Sachverstand in Redaktionen nicht offensiver begegnen muss. Darüber hinsus scheinen sowohl ein höheres Maß an Transparenz als auch die Bereitschaft erforderlich, den Gesetzmäßigkeiten der Medien entgegenzukommen (Interview Facius 2010). Kardinal Cordes gesteht ein, dass die Medienarbeit der katholischen Kirche bisweilen verbesserungswiirdig sei, weist aber auf die Schwierigkeit hin, den Verkündigungsauftrag der Kirche mit den Interessen der Medien zu verbinden, die häufig darauf aus seien, durch Polarisierung und Skandalisierung ihre Auflage zu steigern (Interview Kardinal Cordes 2010).
Folge die gebührende Aufinerksamkeit erfährt. Als Vorbild nennt er die in Frankreich erscheineode VacaDa. (Interview Biskupek 2010). 206 Facius macht darauf aufmerksam. dass zunächst zwischen Journalisten zu unterscheiden ist, die als Korrespondenten nach Rom entsandt werden und denjenigen, die von ihrem Heimatstandort aus über den Heiligen Stuhl und die katholische Kirche berichten. Da Journalisten im Ausland unter dem Druck stünden, ihren Redaktionen etwas bieten zu müssen. könne die Gefahr des Nicht-Gewährens von Interviews ein Problem. :für sie darstellen. Manche Journalisten würden sich deshalb "wohlverhalten" (Interview Facius 2010). 207 Auf die Wahl von Benedikt XVI habe z. B. die italienische Presse sehr positiv reagiert, weil Kardinal Ratzinger ihnen immer mit Respekt begegnet sei; sie hätten ihn nie als persönlich unsympathisch erlebt oder beschrieben (Interview Steinschulte 2010).
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6.1.6
Inszenierung, symbolische Politik und die Starqualitäten des Papstes
Mit seinen Lehrschreiben und Ansprachen alleine kann der Papst kaum ein Millionenpublikum erreichen. Deshalb sind Reisen für ihn von Bedeutung, auf denen er sich den Menschen zeigen und für imposante Bilder von Begegnungen sorgen kann. Die sichtbare Inszenierung um einen Papstauftritt fördert die eindrucksvolle Darbietung: Dazu gehören die in schwarzen Anzügen auftretenden Zivilbeamten der Schweizer Garde (im Kontrast zum Unschuld und Reinheit ausstrahlenden Weiß des Papstes), eine umfangreiche Delegation aus Würdenträgern, das eigens für den Papst gefertigte Papamobil, der Schmuck der Orte (Blumen, Sauberkeit), die Begeisterung der Menschen u. ä. In dem feierlichen Einzug in eine Stadt (Fahrt mit dem Papamobil durch die Straßen zu großen Plätzen und Stadien; Anreise nach Köln zum Weltjugendtag 2005 per Schiff auf dem Rhein) sieht Bieger einen wichtigen Teil der Gesamtinszenierung, der seine Wurzeln in einer Zeit hat, in der es weder Fernsehen noch Buchdruck gibt (Bieger 2000: 62). Unter Johannes Paul 11. analysiert der für die Liturgie zustiindige päpstliche Zeremonienmeister Erzbischof Piero Marini nach jedem Papstauftritt mit Hilfe von Fotos und Fi1rnaufuahmen die einzelnen Gesten und Bewegungen und erarbeitet Vorschläge im Hinblick auf eine noch bessere Wirkung. In dieser Folge ist fast jeder Papstauftritt bis ins Detail geplant und gleicht in seinem Ablauf einer Choreographie.20' In einer Arbeit über 208 MaurerlKepplinger arbeiten für Politiker heraus, dass inszenierte Auftritte, wie z. B. auf Parteitagen und Wahlkampfveranstaltungen. einen positiveren Effekt auf die Zuschauer haben als nicht-inszenierte Auftritte. Als Gründe nennen sie die Möglichkeit der besseren Kontrolle und Planung sämtlicher Einzelheiteo und Darstellungsweiseo (Kamerafiihrung, Schnittfolge). Ferner würde der Politiker, wenn er vor seinen Parteikollegen agiert, in einem. Umfeld be0bachtet. das ihm positiv gesonnen sei, was auch eine gewisse Zustimmung unter den Zuschauern hervorrufe (MaurerlKepplioger 2003: 83). Ein Beispiel für diese Beobachtung sind die Reden von amerikanischen Politikern. die mit dem Rücken zu applaudierenden Anhängern gehalten werden. Für den Papst gelten diese Vorteile in ähnlicher Weise. Darüber hinaus sind Elemente in Auftritten zu beobachten, die Herrschaft vermitteln und symbolisch Macht aufbauen: Der Papst ist stets umgeben von seinen höfischen Begleitern. Begleiter visualisieren Macht, in dem sie dorch ihre Präseoz deo Herrschaftsapparat deotlich lIlllCbeo (Scheok 2003: 64-65). Das .Arrangement, in dem sich der Papst bewegt. ist auf Symmetrie angelegt. das immer ihn im Mittelpllllkt hat. Es sitzt erhöht auf eioem 1broo und erfährt Ebrerbietungeo durch Verbeugungen und dem Küssen seines Ringes. Sein Thron steht und der Papst bewegt sich in der Regel auf Teppichbödeo. Im Zeremooiell gilt der Teppich - vor allem der rote - als Instrumeot der Abgreozung. Aoch der Baldachin, unter dem sinb Päpste in früherer Zeit fortzubewegeo pflegeo, dieot - neben dem Schutz - der Abgreozung (Scheok 2003: 455). Die Kleidung des Papstes ist strengen Regeln unterworfen: In Privatkleidung aufzutreten., käme einem Gesichtsverlust gleich; seine liturgischen Gewänder sind in der Vergangenheit so schwer, dass er sich nur bewegen kann, weon er getrageo wird (Leist 1971: 119-120). Auch die Besucher
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Inszenierung und deren Interpretation führt Hoffinann aus, dass sich die Themen in den Medien besonders gut durchsetzen lassen, die die "Elemente handelnde und Koriflikte austragende Personen" beinhalten (Hoffinann 2003: 86, H. i. 0.), und bezieht diese Aspekte auf zwei Frames, die von Journalisten dankbar aufgenommen würden. Als ersten Frame nenot er David gegen Goliath und führt als Beispiel die Anti-Brent-Spar-Kampague von Greenpeace an, die einen dramatischen Kampf zeigt, den es - fiir die Zuschauer - zu unterstützen gelte als gleichsames Recht des Schwächeren. Sein zweiter Frame behandelt die Entwicklung Vom Tellerwüscher zum Millionär: Eine Person aus dem unteren Bereich der Gesellschaft setzt sich - auch gegen Widerstand - aus eigener Kraft durch und erreicht einen hohen Status in der Gesellschaft (Hoffinann 2003: 8687). Beide hier genannten Frames werden vom Papst bedient: Während z. B. nach der realistischen Schule Politiker der Gefahr von Atomwaffen mit der Anschaffung eigener Atomwaffen begegnen sollten, liegt die Antwort des Papstes auf die nukleare Bedrohung im Gebet; dieses Ungleichgewicht in den Vorgehensweisen mobilisiert Sympathie fiir den Papst, weil seine Stellung derart aussichtslos erscheint, dass man ihn unterstützen möchte. Der Papst steht ferner fiir die Karriere eines Mannes (an der weltweit Anteil genommen wird), der es vom einfachen Theologiestudenten bzw. Priester zum Oberhaupt einer der größten Religionsgemeinschaften der Welt geschaffi hat und nun die Verbindung zum Heiligen Kosmos herstellt. Hoffmann bezieht sich auf Goffinan, der zu "theatra1em Handeln unter normativen Ansprüchen" die Unterscheidung zwischen Vorderbühne (Ort der Normen, Darstellung der Werte einer gesellschaftlichen Gruppe) und Hinterbühne (Ort ohne Normen) einführt (Hoffinann 2003: 87-89). Vereinfacht dargestellt kann mit dieser Differenzierung der Papst auf der Vorderbühne als Hüter der Moral und Kämpfer fiir die Würde des Menschen erklärt werden: Er steht im Scheinwerferlicht (dargestellt über die jubelnden Massen und das Interesse der Medien, die ihre Kameras auf ilm richten und ibm Sendezeit bereitstellen), während soziale Missstände und ihre Verursacher (z. B. Kapitalismus oder korrupte Politiker) kontrastierend auf die Hinterbühne gedrängt werden. Sie des Papstes obliegen einer Kleiderordnung: Damen haben bei Audienzen einen schwarzen Schleier, Herren einen dunklen Anzug zu tragen. Von weiterem. Interesse sind die vom vatikanischen Presseamt veröffentlichten Fotos nach einer Audienz: Hinlänglich bekannt ist die Einstellung, bei der der Papst an seinem Schreibtisch sitzt und der Besucher wie ein ,,Bittsteller" davor Platz nimmt (Neidt 2009: 9). Das Zeremoniell ist grundsätzlich eine Form der Inszenierung, die Machtverhältnisse verdeutlicht: Neben dem. Herrscher sind die Zuschauer Teil der Aufführung. Je näher sie an den Herrscher gelangen. desto privilegierter sind sie: Seine Nähe bedeutet Auszeichnung (Schenk 2003: 506-507).
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erscheinen in einem schlechten Licht und werden damit zu Statisten der Opposition zum Papst. Der Papst ist bei seinen Auftritten in einer Weise raumeinnehmend, dass man bei ihm von einer symbolischen Personalisierung sprechen kann: Sie liegt vor, wenn die Person nicht dargestellt, sondern geschaffen wird; sie ist nicht ein Teil des Themas, sondern das Thema selbst. Mayer spricht von einem ,,Kunstkörper", dem einstudierten Image, das taktisch vorbereitet und einer Person lediglich angezogen wird. Dadurch entsteht aus der Person ein Produkt, und ihre Rolle wird eingeübt. Die Person macht sich selbst zu ihrem Werkzeug, um ihr Ziel zu erreichen. Symbolische Personalisierung geschieht vor allem dort, wo die Sachverhalte unübersichtlich sind (Mayer 1992: 179). Die Päpste der Moderne stehen immer fiir dasselbe: Sie transportieren symbolisch Frieden und Nächstenliebe; sie stehen in der Tradition ihrer Vorgänger. So wie Spitzenpolitiker die Personifizierung der Politik ihrer Partei werden und - im günstigsten Fall- die Möglichkeit zur Identifikation liefern (Sarcinelli 1989: 303), wird der Papst zur Personifizierung der Botschaft der katholischen Kirche. Gebhardt et al. bescheinigen Benedikt XVI. ,,Amtscharisma"; es existiert unabhängig von seiner Person und wird (von Papst zu Papst) weitergegeben durch die Rituale bei der Amtseinfiihrung und die Ausstattung mit den Insignien seiner Macht (z. B. Fischerring, Hirtenstab, Thron). Das Amtscharlsma wird auch durch die lange Ausbildungszeit des Papstes sowohl vor seiner Inthronisierung als auch danach erzeugt: Berater achten darauf, dass sein Auftreten Tat- und Überzeugungskraft, Vertrauen, Sicherheit und Kongruenz ausstrahlt (Gebhardt et al. 2007: 143). In dieser Folge lässt sich bei dem Inhaber des Papstamtes eine doppelte Körperlichkeit feststellen, wie Bourdieu sie fiir Herrscher herausarbeitet: Der Repriisentant (z. B. der König) ist ewig: wie Kantorovitsch gezeigt ha~ verfügt der König über einen dDppelten Körper: einen biologisehen, sterblichen, den leibliehen Gebrechen, der
Leidenschaft oder dem Schwachsinn unterworfenen Körper und einen politischen, unsterblichen, unstoffiiehen, aller Gebrechliehkeiten und Sehwächen enthobenen Körper (Bourdieu
1982: 130).
Die Politik der Päpste ist zu einem erheblichen Teil symbolischer Natur. Als ein Beispiel fiir symbolische Politik nennt Mayer Gandhis sogenannten Salzmarsch von 1930: Um gegen das Salzmonopol der britischen Kolonialherrschaft zu protestieren, wandert Gandhi an den Meeresstrand von Dandi, um dort Salz aufZusammeln. Mayer kommentiert dieses Vorgehen:
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Ein Handeln, dessen Ziel nicht der Erfolg der Handlung selbst ist, sondern die Sicht auf die bestehenden Verhältnisse, die sie freimacht, und das Nachdenken über diese, das sie vcranlaßt. Es geht um ein einfaches, bildhaftes Geschehen, an dem jeder teilhaben kann. Und doch geht es nicht um dieses Geschehen selbst, sondern um die Einsichten, die aus den Bildern des Geschehens hervortreten (Mayer 1992: 157).
Der Papst sefolet Orte und Menschen und bringt ihnen damit symbolisch Heil und Frieden; 09 er lässt Kirchenglocken läuten, um ein Zeichen zu setzen. Symbolische Politik ist auch ein Instrument, um Politik besser vermitteln zu können; sie dient der Bindung zwischen Bürgern und Agierenden; sie liefert Rituale, die dem Bürger vermeintlich einen Zugang zur Politik verschaffen (Sarcinelli 1989: 305-306). Die Notwendigkeit von eindringlichen Symbolen und symbolischen Handlungen sieht Weiss in der Gegenwart bedingt durch die Flut von Nachrichten und Bildmaterial, wegen der der Zeitdruck für einzelne Meldungen steigt und prägnante Bilder erforderlich werden (Weiss 2008: 120). Tritt der Papst in der Öffentlichkeit auf, wird er von jubelnden Menschenmassen gefeiert; seit dem Pontifikat von Johannes Paul II. sind auch Sprechchöre zu vernehmen, die den Papst wie einen Popstar feiern, was mit der Ehrfurcht und Untertänigkeit, mit der man den Päpsten noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts begegnet, nichts gemein hat. Deutlich wird diese Begeisterung vor allem während einer Reise, mit der der Papst weltweit Präsenz zeigt und auf den Wunsch der Gläubigen trim, seine Hände küssen oder sein Gewand beröhren zu wollen: 2!O Der Papst verströmt die ,,magische Macht des Heiligen", wie Jesus sie verströmt hat (Leist 1971: 125). Um sich diesem Phänomen zu nähern, scheint ein Vergleich mit den sogenannten Celehritys hilfreich, wie Prominente aus Gesellschaft, Kultur und Sport bezeichnet werden, die regelmäßig öffentlich auftreten. Krais beschreibt sie wie folgt: 209 Das Segnen entspricht nicht der Nachahmung des Kreuzes Jesu, sondern der sogenannten Vierung (die Verbindung der vier Dimenaionen dea Irdischen, Himmlischen, Göttlichen und Menschlichen). Dadurch wird der Segnende zum Hei1sübermittier (Leist 1971: 60-61). Für P<>litiker arbeitet IIitzier das Erfordernis heraus, ihren Worten entsprechende Handlungen oder Gesten folgen zu lassen, um eine Kongruenz herzustellen, die das Bild über sie in der Öffentlichkeit festigt (llitzier 1992: 206-207). Auf deo Papst bezcgen bedeutet diea: Wenn er vom Frieden spricht, ist es von Bedeutung, dass er diesen (zumindest symbolisch durch das Segnen) auch vollzieht. Das Segnen hat in diesem Kontext eine Rückwirkung auf seine eigene Person: Er bringt den Frieden. 210 Benedikt XVL selbst erklärt diesen Wunsch mit dem Geheimnisvollen und Heiligen seines Amtes und sieht die Gründe hiertür nicht in seiner Person (Benedikt XVI. 201Ob: 95). Schenk arbeitet heraus, dass das BerührenwoUen der Papstsoutane als das BesitzenwoUen von Gegenständen, die dem Papst gehüren, verstanden werden kann. Im Spoliieren nach dessen Tod, also in der Übernahme seines Besitzes, sieht Schenk. den Wunsch an der "Teilhabe nach etwas Numinosem" (Schenk 2003: 497).
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Die celebrities machen Lebensstile, Haltungen, Werte, Verhaltensweisen, Ideale der körperlichen Präsentation, kurz: einen spezifischen Habitus sichtbar und intuitiv crfassbar. Dabei ist die ,Sichtbarkeit' im öffentlichen Raum wörtlich zu nehmen: Im Unterschied etwa zur Hofberichterstattung in den Gazetten des 19. Iahrhunderts beschreiben die modemen Medien die Spitzen der Gesellschaft nicht nur mit Worten, sie liefern uns vielmehr BiWer, Fotos, Fernsehaufuahmen, Werbeclips USW. Die Bildlichkeit der modernen Medien eröffnet der öffentlichen Inszenierung und Selbst-Inszenierung der Spitzen der Gesellschaft ungeahnte Möglichkeiten. ( ... ) Ihre [sc. Celebritys] Existenz macht es aber auch möglich, bestimmte einzelne Aspekte bescnders zu betonen; sc werden Ideele weiblicher Schönheit durch Filmstars oder Models verkörpert, besondere Ausprägungen von Tüchtigkeit und Leistung beispielsweise durch Spitzensportler. Gerade in der differenzierten modemen Gesellschaft mit ihren divergierenden Lebenswelten ist diese praktizierte, gelebte Form der Vermittlung von W~ Wünschen und Idealen durch das ,charakteristische Sosein' der Personen, die im Rampenlicht stehen, ein zentraler Aspekt der Reproduktion und Modifikation der sozialen Ordnung (Krais 2003: 106-107, H. i. 0.).
Dieser Darstellung folgend wird der Papst zu einem Star, weil er den Habitus des guten Menschen sichtbar macht: Er erscheint als eine Art weißer Friedensengel, der Ideale wie Nächstenliebe und Gerechtigkeit in sich vereinigt; er zeigt Mut und Unabhängigkeit gegenüber weltlichen Autoritäten. Dass er der letzte absolutistische Herrscher Europas ist, in der Nachfolge Jesu Christi steht, die Verbindung zum Heiligen Kosmos herstellt und ihn die Aura des Geheimnisvollen der 2000jährigen Geschichte der katholischen Kirche umgibt, verstärkt dieses Image ebenso wie das ihn umgebende Zeremoniell und sein Anspruch auf Unfehlbarkeit;2ll der Papst verspriiht Exotik (Interview Facius 2010). Er vermag 211 Die Unfehlbarlreit des Papstes in Fragen dea Glauhens und der Sitten verlriindet Pius IX. 1870 anf dem Ersten Vatikanischen Konzil. In der dcgmatischen Konstitution LUMEN GENTIUM heißt es unter Paragraph 25: ,,Dieser Unfehlbarkeit erfreut sich der Bischof von Rom, das Haupt des Bischofsk.ollegiums, kraft seines Amtes, wenn er als oberster Hirt und Lehrer aller Chtiatgläubigen, der seine Brüder im Glauben stärkt (vgl. LI; 22,32), eine Glaubens- oder Sittenlehre in einem endgültigen Akt verkündet (... ). Daher heißen seine Defmitionen mit Recht aus sich und nicht erst aufgrund der Zustimmung der Kirche unanfechtbar, da sie ja unter dem. Beistand des Heiligen Geistes vorgebracht sind, der ihm. im heiligen Petrus verheißen wurde. Sie bedürfen daher keiner Bestätigong durch andere und dulden keine Berufung an ein anderea Urteil. In diesem Falle trägt nämlich der Bischof von Rom seine Entscheidong nicht als Privatperson vor, sondern legt die katholische Glaubenslehre aus und schützt sie in seiner Eigenschaft els oberster Lehrer der Geaamilirche, in dem als einzelnem des Chatisma der Unfehlbarkeit der Kirche selbst gegeben ist ( ... ). Die der Kirche verheißene Unfehlbarkeit ist auch in der Körperschaft der Bischöfe gegeben, wenn sie das oberste Lehramt zusammen mit dem. Nachfolger Petri ausübt. Diesen Definitionen kann aber die Beistimmung der Kirche niemals fehlen vermöge der Wirksamkeit desselben Heiligen Geistes, kraft deren. die gesamte Herde Chtiati in der Einheit des Glaubens bewahrt wird und voranschreitet (...)." (Vatikan 201Oa) Accattoli bemerkt hierzu, dass alleine schon der Anspruch auf Unfehlbarkeit das Gewicht der päpstlichen Äußerungen erhöht (Accattoli 2005: 292). Diea korrespondiert mit der Lückenlosigkeit der römischen Bischofsliste. die Triepel anspricht (Kapitel 5.3.1): Bisweilen sei das,
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zu einem Vorbild in seinem Lebensstil zu werden, wenn er sich dem Wohl der gesamten Menschheit widmet. Devotionalien fördem den Kult um den Papst: Fotografien sollen ihn sichtbar machen; das päpstliche Wappen ist in vatikanischen Palästen sogar auf den Lichtschaltern angebracht und lässt den Herrscher gegenwärtig werden (Hebblethwaite 1987: 199); der Jahrestag der Papstwah\ ist jeweils der offizielle Nationalfeiertag des Vatikan. 212 Das Phäoomen des Stars ist vielschichtig: Für die Benenoung der Voraussetzungen, um zu seinem Star zu werden, müssen diverse Aktionsrahmen und abweichende Rationalitäten des Publikums berücksichtigt werden. 213 Faulstich nennt als Eigenschaften eines Stars Erfolg, Image und Kontinuität (Faulstich et al. 1997: 11-12). Hinzu tritt das Geheimnisvolle, um das Interesse am Star aufrecht zu erhalten sowie eine gewisse Unnahbarkeit (Faulstich et al. 1997: 1718; Hickethier 1997: 39; Sommer 1997: 118). Hickethier defiuiert einen Star als eine Person, "die durch ihre körperliche Präsenz, ihr Auftreten, ihre Gestik und Mimik uicht nur eine Rolle glaubhaft verkörpem kann, sondem darüber hinaus auch noch ein Publikum zu faszinieren und auf seine Person zu fixieren weiß". Er ergänzt, dass "das Publikum in ihm auf idealisierte, überhöhte Weise Eigenschaften wiedererkennt, die es sich selbst zuschreibt." (Hickethier 1997: 31) So verkörpert der Star eine Gruppe, hebt sich aber gleichzeitig von ihr ab; er verfügt über eine exponierte Stellung innerhalb der Gruppe, die er repräsentiert. Sommer sieht in dieser "dialektische[n1 Spannung" den Reiz des Bewunderten fiir den Bewundernden (Sommer 1997: 118). Um als Politiker zu einem Star zu werden, ist ein Amt keine notwendige Voraussetzung, während Macht ein bedeutender Aspekt ist. Die Bedingungen, um ein Starpolitiker zu werden, haben sich gewandelt: Sind früher militärische Erfolge, rhetorische Fähigkeiten oder ein zur Schau gestellter Luxus ausschlaggebend, steht heute vor allem die Femsehpräsenz im Mittelpunkt; geblieben ist hingegen die öffentliche Selbstwas man glauben wolle, wirkungsmächtiger als das, was man glauben dürfe. Für Benedikt XVL spiegelt das Unfehlbarkeitsdogma lediglich den Wunsch des Ersten Vatikanischen Konzils wider, eine Instanz zu besitzen, die letzte Entscheidungen trifft (Bcnedikt XVL 201Ob: 22).
212 Über die Funktion solcher Zeichen referiert Bourdieu: .,zu den Mitteln, sich dem gattungsspozifischen Los der Sterblichkeit zu entziehen, gehört die Repräsentation, so Portrait oder Statur, welche die dargestellte Person - zuweilen als eine Art Pleonasmus sogar noch zu Lebzeiten UIIS.erblich machen" und für die Nachwelt bewahren (BOUIdieu 1982: 130, H. i. 0.). 213 Sommer beurteilt den Star als ein ,,soziales Konstrukt, das von der spezifischen Perspektive der jeweiligen Konstrukteure und vom je relevanten soziokulturellen Kontext abhängt." (Sommer 1997: 114) Hinzu kommt, dass z. B. für Asta Nielsen und Henny porten, die zu Bo. ginn des 20. Jahrhunderts die ersten deutschen Filmstars werden, andere Kriterien zu nennen sind als für eine Person des 21. Jahrhunderts.
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darstellung als notwendige Bedingung, um als Politiker zu einem Star zu werden (Kepplinger 1997: 176, 178, 193). Cava ergänzt als Faktoren, die Johannes Paul Ir. zu einem Star machen, seine Männlichkeit, Beharrlichkeit und sein persönliches Charisma (Cava 1992: 179). HepplKrönert erklären die Notwendigkeit, den Papst als Medienberühmtheit auszurichten: ,,Durch sie [sc. die Inszenierung des Papstes1 fügt sich der Papst in das generelle System von Medienberühmtheiten und kann erst hierdurch als Markensymbol des Katholizismus Teil einer öffentlichen Auseinandersetzung um Bedeutung werden." (HepplKrönert 2009: 169) Schlott weist auf die Webcam hin, die den Blick auf das Grab von Johannes Paul 11. im Petersdom live ins Internet überträgt (Schlott 2008: 21). Die Bezeichnung Heiliger Vater drückt aus, dass der Papst nicht nur der Bischof von Rom und das religiöse Oberhaupt der katholischen Kirche ist, sondern auch die Vaterschaft für die ganze Menschheit übernimmt (Leist 1971: 22). Diese Bezeichnung unterstreicht in ihrer Emotionalität auch die spirituelle Zusammengehörigkeit (Weingardt 2007: 47).
6.1. 7
Der Event als ein Instrument der katholischen Kirche am Beispiel des Welijugendtages in Köln
xx.
So wie die Bedeutung von Gewerkschaften nach ihren Mitgliederzahlen und von Parteien nach ihrem Anteil an Wählerstimmen beurteilt werden, ist für die katholische Kirche das Kriterium entscheidend, wie viele Menschen sie erreichen und mobilisieren kann, sich zu ihr zu bekennen. Der Weltjugendtag (WJT) erscheint als ein ideales Instrument der katholischen Kirche, auf ihre Anhängerschaft aufmerksam zu machen. Für diese Veranstaltung bringt sie Menschen aus allen Ländern zusammen; sie vereint die junge Generation an einem Ort für eine bestimmte Zeit, was in vergleichbarer Weise nur die Olympischen Spiele zu schaffen verstehen, und gibt den einzelnen Nationen damit ein Gesicht. Sie steigert dadurch als Organisatorin ihr eigenes Gewicht als ein gesellschaftlicher Akteur. Mit den zu dem Weltjugendtag stattfindenden Feierlichkeiten zeigt sie das Ideal des friedlichen Zusammeulebens unterschiedlicher Völker auf und sendet damit die gelebte Umsetzung ihrer Botschaft. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll der XX. Weltjugendtag in Köln eine genauere Betrachtung erfahren: Er ist nicht nur der erste Weltjugendtag von Benedikt XVI., sondern auch ein Überraschungserfolg hinsichtlich der Begeisterung und Tei1nelnnerzahl. Möglicherweise auch vor dem Hintergrund, dass von der katholischen Kirche gefordert wird, sie dürfe sich nicht abschotten und müsse sich der Zeit anpassen, wird die Einrichtung des Weltjugendtages in seiner Rezeption als ein 168
Event bezeichnet. Über die Definition des Events soll sich dem Phänomen des Welijugendtages mit seinen Zielen genähert werden, bevor die Ergebnisse der Welijugendtagsforschung im Mittelpunkt stehen. Klenk definiert einen Event in Anlehnung an Opaschowski über die Merkmale des inszenierten Kulissenzaubers (so echt wie möglich), der Attraktion (die das Ereignis unvergänglich macht), der Perfektion der (langfristigen) Planung und der Quantität der (möglichst internationalen) Besucher (Klenk 2008: 69). Gebhardt et al. beziehen sich auf die sozial- und betriebswirtschaftliehe Eventtheorie: Als Event wird dort die ,spätmodemc' Variante eines Festes bezeichnet, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie von einer professionellen Organisatianselite als monothematisch zentriertes, ,einzigartiges Ereignis' zur Verwirklichung eines vordefinierten Zweckes geplant, vorbereitet, durchgeführt und von einer ebenfalls professionellen Reflektionselite mit Sinn und Bedeutung versehen wiId (Gebhanlt et al. 2007: 207).
Die Aspekte des kulturellen Synkretismus und des totalen Erlebnisses eines exklusiven Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühls spielen ebenso eine Rolle. Der Welijugendtag wird 1984 von Johannes Paul II. als "Internationales Jubiläum der Jugend" initiiert und findet seitdem alle zwei bis drei Jahre an einem zentralen Ort statt. Als Ziele werden von der katholischen Kirche die Begegnung mit Gott in der Gemeinschaft und das Kennenlernen der unterschiedlichen Kulturen genannt (Klenk 2008: 73). Dabei setzt sie auf das "emotionalisierende Element der populären Event- und Jugendkultur" statt auf eine kritische Diskussion und theologische Reflexion. Eingeladen sind Jugendliche im Alter von 16 bis 30 Jahren; vor allem Kirchenferne sollen mobilisiert werden, doch die Analyse zeigt, dass das Gesamtdesign weniger an einer offenen Beteiligung ausgerichtet ist, als mehr auf die Internationalität der aus den katholischen Milieus stammenden Jugendlichen (Gebhardt et al. 2007: 13, 174175). Zu den Strukturmerkmalen des Welijugendtages gehören, dass der Papst selbst einlädt (und keine Laien), der als glaubhafte Vaterfigur, Freund und Erzieher mit charismatischer Anziehungskraft immer wieder im Mittelpunkt steht; weitere Aspekte sind die wechseInden Veranstaltungsorte in den diözesanen Teilkirchen (meist spielt der touristische Anreiz eine Rolle21'), die Besucher 214 Zeitlich findet der Weltjugendtag immer in den Sommerferien statt, um den Pilgern während der schulfreien Zeit die Teilnahme zu ermöglichen. Damit fiillt der Weltjugendtag aber auch in das sogenannte Sommerloch, in dem. die Medien Ressourcen für eine ausführliche Berichterstattung bereitstellen können.
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aus allen Teilen der Welt und diversen kirchlichen Jugendbewegungen sowie die Mischung unterschiedlicher Kommunikations- und Erlebnismöglichkeiten (von der Messe bis zum Happening) (Klenk 2008: 74-77). Die Vorbereitungszeit eines Wel1jugendtages umfasst mehrere Jahre.215 Die Forschungsliteratur bestätigt, dass es sich beim Wel1jugendtag um einen Event handelt, der nach modernen Marketingregeln organisiert und medial inszeniert wird (Gebhardt et al. 2007: 208-210): Der Wel1jugendtag ist künstlich gesetzt (im Gegensatz zu historischen Ereignissen) und dient den Zielen der katholischen Reevangelisierung der Jugendlichen und Herstellung des Gemeinschaftsgefiihls der katholischen Familie. Er verfolgt die "sitoative Einzigartigkeit" nach dem Gesetz des Immer-Noch-Spektakulärer. Eine Organisationselite plant das Ereignis, stellt es mit seinem Veranstalter (der katholischen Kirche) in der Öffentlichkeit medienwirksarn dar und vollzieht es als internationale Massenveranstaltung, in der nichts dem Zufall überlassen wird:'16 So gibt es Drehbücher, die den Medien dabei helfen, die Stimmung und den Papst optimal einzufangen und darzustellen (HepplKrönert 2009: 51). Der We11jugendtag zählt drei Hauptakteure: die teilnehmenden Pilger, die Medien und den Papst. Wie in Köln zu beobachten ist (aber auch davor in Manila 1995, Paris 1997, Rom 2000 und Toronto 2002), gelingt es der katholischen Kirche, ein junges Millionenpublikum zu mobilisieren, ohne dabei Abstriche von ihrer Botschaft zu machen, damit diese besser ankommt. Auffällig ist, dass der ,,Papstkult" (Schuhueister 2000: 23) auch in den Ländern entsteht, wo man eine solche Begeisterungsfiihigkeit vorher nicht vermutet. Bei den Pilgern handelt es sich primär um Jugendliche der Mittel- und Oberschicht, bei dem ausländischen Publikum dominiert die Oberschicht. Etwa 50 Prozent bezeichnen sich als "sehr religiös" bis ,,religiös" ("mittel": 39 Prozent), 54 Prozent besuchen wöchentlich den Gottesdienst, 43,5 Prozent haben
eine "sehr positive" bis "positive" Einstellung zur katholischen Kirche (,,mittel": 40,2 Prozent) (Gebhardt et al. 2007: 21-22, 36-39). Die Zahl von 8 263 akkreditieren Journalisten beim We11jugendtag in Köln spricht fiir das außerordentliche
215 Der Austragungsort steht immer schon viel früher
fes~
als er verkündet wird, damit die
Organisatoren bei ihrem. Vorgänger-Weltjugendtag hospitieren können. So weisen Gebhardt et al. daraufhin, dass die Planung Iür den Weltjugendtag in Köln bereits im April 2001 beginnt (Gebhardt et al. 2007: 164).
216 Gebhardt et al. argumentieren., dass es sich genau genommen um einen ,,Hybridevent· handelt, da der Inhalt ein religiöser ist, der in der Verantwortung einer Großinstitution liegt, die unter Einbeziehung von traditionellen Fest- und Feierformen wie Liturgie und Katechese auf eine transzendente Wirklichkeit verweist (Gebhardt et al. 2007: 210).
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Interesse der Medien an dieser Großveranstaitung. 217 Zwar vermag der Weitjugendtag die Präsenz der Kirche in den Medien nur für einen begrenzten Zeitraum zu sichern, es ist jedoch davon auszugehen, dass das Interesse an kirchlichen Themen dadurch langfristig steigt und das Ansehen von Kirchenredaktionen senderintem erhöht wird (Klenk 2008: 164). Auch wenn eigentlich die Pilger im Mittelpunkt stehen sollen, ist das Medieninteresse - und letztlich auch das der Jugendlichen - besonders dann hoch, wenn der Papst aufuitt. Er erscheint als eine At! Medienberühmtheit, die von Jugendlichen wie ein Filmoder Rockstar empfangen und von den Medien wie ein Celebrity aufbereitet wird. Damit fungiert er als Schnittstelle zwischen dem Sakralen und Populären: Er verbindet beide Bereiche miteinander und scham Aufmerksamkeit für das von den Jugendlichen und Medien weniger beachtete Sakrale, was Gebhardt et al. als ,,kommunikstive Klammerfunktion" bezeichnen (Gebhardt 2007: 142, 144-145; HepplKrönert 2009: 142).218 Die Besonderheit des Weltjugendtages gegenüber herkömmlichen Events verorten Gebhardt et al. in fünf Merkmalen: Das totale Gemeinschaftsgefiihl drückt sich neben dem situationsbezogenen Gemeinschaftserlebnis, das auch bei Sportveranstaltungen oder Rockkonzerten entsteht, in der ,,religiösen Vergemeinschaftungserfahrung" aus;21' der Pilger erlebt sich als Teil einer welturnspannenden Religionsgemeinschaft. Religiöse und jugendkultorelle Elemente vereinigen sich zu einer "Religionsparty im Megaformat"; die weltlichen und religiösen Grenzen verschwimmen. Kollektive Gewissheiten, die die katholische Kirche bspw. in ihrer Morallehre vertritt, werden durch eine ,,religiöse Selbstermächtigung" ersetzt; die Haltung der Kirche zu bestimmten Themen wird toleriert, für das eigene Leben jedoch kritisch reflektiert oder ggf. unberücksichtigt gelassen. Der Weltjugendtag wird zu einem öffentlichen Raum, in dem die
217 Berücksichtigt werden muss bei der hohen Anzahl voo Akkreditierungen jedoch, dass der
Weltjugendtag 2005 mit dem vorausgegangenen Tod von Johannes Paul 11. und der Wahl von Benedikt XVI in einem. Umfeld stattfindet. das sich förderlich auf das internationale Interesse am Weltjugendtag auswirkt Alleine der WDR beschäftigt über 700 Mitarbeiter, 109 Kameras, 41 Übertraguogswagen uod produziert damit Materiallür 56 Sender (Klenk 2008: 82). 218 Die Bezichuog zwischen Papst, Pilgern uod Medien beachreiben HeppIKrönert in ähnlicher Weise: ..Greifbar wird einmal mehr, dass das Sakrale des Katholizismus über die Person des Papstes kommunikativ verhandelbar gemacht und über die Jugend mit dem Populären konfrontiert wird - was in diesem. Spannungsverhältnis über die Medien auch Nicht-Katholiken anziehen kann." (HeppIKrönert 2009: 55-56) 219 HepplKrönert erläutern den Begtiff der Vergerneinschaftung: ,,Mit Vergerneinachaftung werden - in Anlehnung an klassische Überlegungen Max Webers - soziale Beziehungen bezeichnet, die auf subjektiv gefühlter Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruhen" (HeppIKrönert 2009: 172-173)
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vormals privatisierte Religiosität mit anderen Menschen erlebt werden kann. Befragungen unter den Wel1jugendtsg-Teilnehmern zeigen, dass sich viele Jugendliche in ihrem Heimatland mit ihrem Glauben in einer Minderheit erleben und ihn deshalb dort nicht-öffentlich vollziehen. Die katholische Kirche wird in einem intemationalen und interkulturellen Umfeld erlebt und als ein weItumspannender Global Player wahrgenommen (Gebhardt et al. 2007: 109-113; HepplKrönert 2009: 177). Die Analyse der Medienberichterststtung zeigt die Darstellung der katholischen Kirche als eine Glaubensgemeinschaft ohne territoriale Beschränkung;220 sowohl das Sakrale (z. B. im Fernsehgottesdienst) als auch das Populäre des Wel1jugendtsges (Party und Spaß haben) werden gezeigt und miteinander verbunden. Dies fiibrt in der Summe dazu, dass sich die katholische Kirche durch die Strategie der Mediatisierung des Events Weltjugendtsg ein (neues) Branding gibt. Nach Gebhardt et al. sei dies - auf Grund der Konkurrenz auf dem Religionsmarkt - auch erforderlich und werde durch das zentrale Papstsmt begünstigt, das den katholischen Glauben symbolisiert (Gebhardt et al. 2007: 160). Der Papst wird zum Markenzeichen seiner Religionsgemeinschaft und entspricht damit den Erfordernissen der Mediengesellschaft; aber auch Religion selbst erfährt ein positives Branding (HepplKrönert 2009: 267). Klenk beurteilt den Weltjugendtsg deshalb als das perfekte Instrument der internen PR, die iuformieren und motivieren möchte, und der externen PR, die den Bekanntheitsgrad der katholischen Kirche steigern und ein bestinuntes Image erzeugen möchte (Klenk 2008: 74). Der katholischen Kirche ist es in wenigen Jahren gelungen, ein feierliches Ereignis zu implementieren, das nur mit einer Großveranstaltung wie den Olympischen Spielen oder Krönungen und Begräbnissen von Monarchen zu vergleichen ist (Gebhardt et al. 2007: 115). Mit der Eventisierung des Gerneinschaftsgefiihls stärkt die katholische Kirche ihre öffentliche Wahmehmung und schallt direkte zwischenmenschliche Begegnungen religiöser (primär-) Erfahrung (Klenk 2008: 25; HepplKrönert 2009: 275).221 Sie unterstötzt die Medien 220 Nach Gebhardt et al. bedeutet daa Gelühl der Weltgemeinschaft auf dem
Wel~ugendtag
aus
globalisierungstb.eoretischer Perspektive eine Versammlung von Teilnehmern aus unterschiedlichen Ländern.. die ihr Zusammentreffen als Gemeinschaft erleben. Dabei werden ihre jeweiligen Kulturen nicht aufgelöst (wie bspw. die Homogenisierungsthese vermutet); diese "transnationale Weltgemeinschaft" beruht auf einer Imagination, die durch Symbole (z. B. Papst oder Lieder) und Zugehörigkeitsbekundungen erzeugt wird (Gebhardt et al. 2007: 99). 221 Gebhardt et al. sprechen von einem. "schleichenden Prozess der Verszenung", dem es vorzubeugen gelte: Die katholische Kirche verliere als Institution ebenso an Bedeutung wie die Kir-
chengemeinden in ihrer Funktion als zentraler Ort: Es bildeten sich einzelne Szenen heraus (z. B. die scgenannten Neuen Geistlichen Gemeinschaften), die gerade vor dem Hintergrund
172
dabei, den Papst als Medienberühmtheit zu inszenieren (Hepp/Krönert 2009: 276). Kritiker sehen den Weltjugendtag dagegen als Marketing-Veranstaltung eines machtgierigen konservativen Klerus für eine Spaß suchende Jugend.222 Differenziertere Beobachtungen warnen die katholische Kirche vor einem Gemeinmachen mit dem Zeitgeist: So erscheint als Gefahr zwar nicht unabwendbar aber dennoch realistisch, dass das Sakrale durch eine Popularisierung in den Medien verflacht. Ernstzunehmen ist auch der Hinweis, dass sich das jahrhundertealte Papstarnt wandelt, wenn der Inhaber vor allem als Medienberühmtheit erscheint und sich damit z. B. von der akademischen Auseinandersetzun,Ji entfernt (Gebhardt et al. 2007: 160-161; HepplKrönert 2009: 275276).
6.1.8
Gesellschaftliche Präsenz und der Zugang des Heiligen Stuhls zu Gläubigen224
Das Interesse der Gläubigen an der katholischen Kirche liegt in der Erlangung von Seelenheil, Orientierung und Gemeinschaftsgefiihl. 225 Der direkte Zugang
zusammengefiiln1 werden müssten. dass sich die katholische Kirche als eine ,,allumfassende und verpflichtende Einheif' versteht (Gebhardt et al. 2007: 213).
222 Untersuchungen zeigen. dass diese theoretischen Bedenken von den Pilgern weniger geteilt werden, die keinen Widersprueh zwischen Feiern und Beten sehen (Gebhardt et aL 2007: 205207).
223 Als ein Beispiel für die Konsequenzen, die sich aus der Distanzierung von der akademischen Auseinandersetzung ergeben, führen HepplKrönert die Regensburger Rede von Benedikt XVI. während seines Bayernbesuches 2006 an: Die Bemerkungen Kaiser ManueIs II. über Moham-
m.ed, die der Papst zitiert. seien nicht als Teil einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung verstanden worden, sondern voreilig mit dem. Markenzeichen des Kiltholizismus, also dem Paps~ gleichgesetzt werden. Dieser Gefahr, so HepplKröo~ sei jede Medienberühmtheit ausgesetzt (HepplKröoert 2009: 276). Dass die Popularisierung des Papstamtos zwangsläufig
zu einer theologischen Vert1achung fiihrt, ist jedoch kein Konsens: Bei Johannes Paul 11. sei dies unter Umständen der Preis dafür gewesen. in den Medien einen derartigen Raum einnehmen zu können (Interview Facius 2010); bei einem. Theologen wie Benedikt XVI bestehe diese Gefahr jedoch nicht (Interview Smoltczyk 2010). Die Zusammenarbeit zwischen Heiligem Stuhl und Medien sollte deshalb eher als eine Chance verstanden werden (Interview Vogt 2010). Steinsehulte iührt aus, dass die theologische Verflachuog auf Seiten der Wahrnehmeo-
den geschehe und nicht auf der des Papstes: Der "unvorbereitete Rezipienf' könne bestimmte Dinge, wie z. B. die Auswahl der liturgischen Gewänder, nicht mehr einordnen, wodurch Missverständoisse entstündeo (Interview Steinschulte 2010). 224 Unter dem Begriff Gläubige werdeo all diejenigeo Personen gefasst. die eine spirituelle Disposition nicht leugoen, Religionsgemeinschaften nicht grundsätzlieh ablehnen und ggf. s0gar bereit sind, deren Regeln zu befolgeo.
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des Heiligen Stuhls zu den Katholiken findet über die Sozialisation in der katholischen Kirche (Taufe, Kommunion, Firmung, Hochzeit), über die Gottesdienste und den Religionsunterricht in der Schule statt. Hier erzieht die katholische Kirche die Menschen zu ihrem Glauben und ihren Werlen. Sie tritt als moralische lnstanz auf, und der Heilige Stuhl verwaltet gleichsam die ethischen Normen und Werte, die zur Identität der westlichen Welt geworden sind. 226 Es ist davon auszugehen, dass die Botschaft der katholischen Kirche auch die Menschen erreicht, die nicht regelmäßig ao Messen teilnehmen oder keine Sozialisation in der katholischen Kirche erfahren, weil nicht zuletzt religiöse Feste wie Ostern und Weihnachten zum allgemeinen Kulturgut geworden sind. Im Mittelpunkt dieser Kultur steht die Lehre, dass alle Menschen Geschöpfe des einen Gottes und daher von gleichem Rang, alle einaoder geschwisterlich verwaodt, alle fiireinaoder veraotwortlich und dazu aufgerufen sind, den Nächsten zu lieben, wer immer dies auch sei. Sie verspricht, dass Gott jeden einzelnen Menschen fiir immer liebt und Gerechtigkeit herrschen wird (Ratzinger 2004: 19). Diese Zusicherung - verbunden mit dem Erlösungsgedanken und der Hoffnung auf das Himmelreich als Paradies - ist vor allem fiir die ärmeren Teile der Weitbevölkerung von Attraktivität. Gerechtigkeit und Nächsteuliebe sind positiv belegte Begriffe, die interkulturell Zustimmung finden. Abgesehen von Gotteshäusern, die das Stadtbild prägen, können Kruzifix und Hostie der katholischen Kirche - bei aller Rücksicht auf ihren religiösen Gehalt - als Produkte der Massenkultur bezeichoet werden: Weltweit ist das Kruzifix die plastische Darstellung des gekreuzigten Christus, der fiir den Menschen gestorben ist und dem christlichen Tod einen positiven Sinn gegeben hat. Auch die Hostie steht universell fiir die eine Bedeutung: Jeder, der von dem gebrochenen Brot, von Christus, isst, tritt in Gemeinschaft mit ihm und bildet in ihm einen einzigen Leib. Durch die Eucharistiefeier vereint sich der Mensch schon zu Lebzeiten mit der Liturgie des Himmels und nimmt das ewige Leben vorweg, in dem Gott alles in allen sein wird (Katechismus der Katholischen Kirche 1993: 1010, 1326,
225 Biskupek nennt als weitere Interessen der Gläubigen an der katholischen Kirche ihre Suche nach dem Sinn des Lebens, nach wahrer Freiheit, Solidarität und Gereehtigkeit (Interview Biskupek 2010). Das Bediirfhis nach Orientierung wäehst gerade in einer Zeit, in der die GI.,. ba1isierung die Welt steuerlos und anarchisch wirlren lässt und die Geschwindigkeit der Informationsgesellschaft Verstörung auslöst (Schulmeister 2000: 17, 21-22). Die katholische Kir-
che bildet Strukturen. schaftl eine Ordnung und ein Sinn:reservoir für das Zusammenleben der Menschen (s. Kapitel 2.5). 226 Die Vormachtstellung der westlichen Welt wirkt sich wiederum positiv auf die katholische Kirche aus: Die Ideen von Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde werden versucht, auch in die nicht-christliche Welt zu tragen.
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1329).227 Die Kleidung von katholischen Geistlichen hat gleichsam einen weltweiten Wiedererkennungswert. Insgesamt spricht Zoche sogar von einer ,,konsequent durchgezogenen Corporate Identity" (Zoche 2005: 12). Die Botschaften und Stellungoahmen der katholischen Kirche, die durch die Gottesdienste und die Medien verbreitet werden, haben Einfluss au! die öffentliche Meinung;228 die Menschen werden für ausgewählte Themen sensibilisiert: Wie Kapitel 2 herausarbeitet, kann die katholische Kirche Denkstrukturen beeinflussen. Die Gläubigen schenken dem Papst Aufmerksamkeit, weil er in theologischen Fragen die Suprematie besitzt (d. h. die direkte Macht über die katholische Kirche und ihre Glaubenslehre; ihm kommt die Definitionsmacht zu) und symbolisch die Wahrheit transportiert (Kallscheuer 2005: 11). Aber nicht nur der Papst, Bischöfe oder Priester können einen Einfluss ausüben, sondern auch einfache Katholiken, z. B. in den Gemeinden: In nahezu jeder Gesellschaft findet man Katholiken, die das öffentliche Leben (sicher in divergierender Intensität) prägen oder mitgestalten (Interview Biskupek 2010). An dieser Stelle ist auch das katholische Vereinswesen zu nennen, das der Kirche in der Gesellschaft ebenso ein Gesicht gibt wie die katholischen Schulen, Universitäten, Zeitungen, Radiosender und Krankeubäuser oder Alteubeime (RyalI2001: 41,46; Vaillancourt 1980: 271).229 Die Wahlhirtenbrlefe sind ein Beispiel dafür, wie die katholischen Kirche das politische Handeln ihrer Gläubigen beeinflussen kann: Hierin spricht sie in der Gestalt der Deutschen Bischofskoulerenz für die Bundestagswahl eine Empfehlung aus; zwar wird diese nicht mehr - wie noch bis in die 1980er Jahre hinein - mit der Zustimmung für oder Ablehnung von einer ausdrücklich genannten Partei gegeben, findet aber durch den Hinweis darau!, welche Themen und welche Positionen wahlentscheidend sein sollen, indirekt noch immer statt. 230 Grundsätzlich kann sich die katholische Kirche 227 In diesem. Zusammenhang müssen auch die Gebete, wie das Vaterunser, oder der Dekalog als ..ein Licht für das Gewissen jedes Menschen" erwähnt werden. die weltweit denselben Inhalt haben (Katechismus der Ka1holischen Kirche 1993: 509). 228 Offensiv schaltet sich die katholische Kirche in Italien ein. als sie im Juni 2005 dazu aufruft, das Referendum über liberalere Regeln zur künstlichen Befruchtung und Genforschung zu
boykottieren: Hier beziehen nicht nur Benedikt XVI und die italienische Bischofskonferenz deotlich Stellung gegen we mit dem Referendum verbundenen Änderungen; in deo Plllrreien rufen die Priester während der Gottesdienste dazu auf, sich nicht an der Abstimmung zu beteiligen und sie damit scheitern zu lassen (Spieker 2008: 282·283). 229 Das katholische Vereinswesen ist in Deutschland nach dem Klllturkampf zweifellos ausgeprägter als zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
230 Während es in den 1980er Jahre noch heißt. dass die Partei Die Grünen fiir einen Katholiken nicht wählbar sei. äußern sich die Deutschen Bischöfe gegenwärtig zurückhaltender. Für die Bundestagswahl2009 werden als wichtige Themen der uneingeschrllnkte Schotz des mensch· lichen Lebens, der Ehe und Familie herausgearbeitet. Die Themen Bildung. Integration von
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jederzeit in eine politische Diskussion einschalten, indem sie durch die Pfarrer in den Messen Stellung bezieh!.231 Auch wenn die Wahmehmung der katholischen Kirche in der Gegenwart nicht ohne Kontroverse ist (in Teilen der Gesellschaft wird sie nur mit ihrer Sexualmoral in Verbindung gebracht), findet die katholische Kirche einen Zugang auch zu Nicht-Gläubigen, weil sie sich fiir den Schutz der Grund- und Menschenrechte der gesamten Weltbevölkerung einsetzt. Sie ermutigt die Menschen dazu, den Frieden einzufordern und die Gründe fiir Gewalt zu bekämpfen (Rauch 2006: 62, 64, 66); damit gewinnt sie an Ansehen auch bei denjenigen, die keinen direkten Bezug zu ihr haben. Die katholische Kirche existiert seit über zwei Jahrtausenden und leistet humanitäre Hilfe: Sie setzt sich fiir Alte, Kranke, Kinder, Behinderte, Hilfs- und Schutzbedürftige ein, die sonst keine Lobby haben. Czernpiel weist daraufhin, dass die katholische Kirche seit dem 4. Jahrhundert als eine internationale Nichtregierungsorganisation nachweisbar ist und weitere, eigene NGOs unterhält (CzempieI1981: 164),232 deren Ansehen und Einsatz wiederum auch der katholischen Kirche zugute kommt, weil sie als eine Art Schirmherrln fungiert. Hier wirkt die von Wahl dargestellte "Stellvertreterrolle": Ein Akteur fühlt sich verantwortlich, gegen eine Ungerechtigkeit vorzugehen und befreit andere davon, selbst tätig werden zu müssen (Wahl 2000: 305). Indem eine Organisation Verantwortung und Aufgaben fiir ein Publikum übernimmt, verschaffi sie sich Ansehen. In diesem Sinne erscheint es folgerichtig, auch dem Papst bzw. der katholischen Kirche die Übernahme einer solchen Stellvertreterrolle zuzuschreiben: Sie setzen sich weltweit fiir
Ausländern und die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise spielen ebenso eine Rolle (Deutsche Bischofskonferenz 2009). Hanson zitiert einen Bischof mit den Worten, dass es zwar nicht die Aufgabe der Kirche sei, politische Entscheidungen vorzubereiten, diese aber sehr wohl mit Botschaften zar sozialeo Gerechtigkeit zu begleiteo (Hanson 1987: 272). Ein In-
terviewpartner weist daraufhin, dass es für die katholische Kirche zudem auch unklug sei, sich nur an eine Partei zu binden (Interview 4). 231 Von 1871 bis 1953 gilt der von Bismarck während des Kulturkampfes erlassene Kanzelparagraph, der es Geistlichen verbietet, sich im Rahmen ihrer Amtsausübung politisch zu äußern. Ein Blick auf die gegenwärtige Arbeitsweise von (deutschen) pfarrern stößt auf ein monatlich erscheinendes, ca. 12 bis 20 Seiten umfassendes Amtsblatt des Bistwns. das Hinweise zu Briefen des Papstes oder des jeweiligen Bischofs enthält, die in den Messen verlesen werden sollen. Bei aktuellen Ereignissen werden vom Ordinarius Faxe oder E-Mails an die Pflurbüros geschickt (Interview Biskupek 20\0; Interview 5).
232 Im Interesse der Vollständigkeit sollte der Hinweis von Czempiel um die Information ergänzt werden, dass bis zum Investiturstreit im 11. Jahrhundert die Bischöfe durch den Kaiser eingesetzt werden und weltliche Macht ausüben: So gelten z. B. die Bistümer Köln. Trier und Mainz zu diesem Zeitpunkt als Tenitorialstaaten.
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leidende Menschen ein, und die Beobachter haben das Gefühl, nicht selbst eingreifen zu müssen, da ja schon etwas getan werde. Das Auftreten von Würdenträgern der katholischen Kirche ist in der Regel besonnen, beherrscht und würdevoll; es suggeriert Vertrauenswürdigkeit. 233 Das Vorhandensein von Charisma und guten Kommunikationsfähigkeiten der Kirchenvertreter sowie Visionen von einem besseren Leben wirken sich dabei ebenfalls positiv aus. Die katholische Kirche fordert alle Menschen dazu auf, Rechenschaft vor sich selbst abzulegen, und ermahnt sie zu einem christlichen Leben. Ihr Druckmittel dabei sind negative Gefühle, insbesondere die Scham. 234 Sie kann nur dann Einfluss auf die Emotionen von Menschen ausüben, wenn sie als glaubwürdige und moralische Autorität bewertet wird, die altrnistisch handelt. 23' Der katholische Glaube integriert durch die Ritualisierung des Alltags den Einzelnen in das kollektive Ganze;"· er verbindet die Menschen weltweit miteinander und leistet eine Identifikationsmöglichkeit: Es gibt ein Verständnis von Werten oder bestimmten Definitionen, ein gemeinsames Oberhaupt und die katholische Theologie als gemeinsamer Ausgangspunkt. Die transnationale katholische Identität wird durch Spenden von Katholikenfiir Katholiken, durch die Begeguungen auf den Welljugendtagen oder das gleichzeitige Begehen katholischer Feste weltweit sichtbar. Die Katholiken bilden ein nichtterritoriales Weltreich; das katholische Wert- und Normensystem kann auch der Abgrenzung nach außen dienen. Die katholische Kirche erreicht nicht zuletzt auch mit Hilfe von ritualisierten Ereignissen im Vatikan eine Präsenz in der Gesellschaft, die unabhängig von den o. g. Feiertsgen festzustellen ist: Das sonntägliche Angelusgebet wird zwar bereits von Pius XII. eingeführt, doch erst Paul VI. und Johannes Paul 11. nutzen es zu deutlichen Äußerungen über die aktuelle Weltlage und zu politischen Appellen. Der Weltfriedenstag geht auf Paul VI. zurück und wird seit 1968 233 Damit unterscheidet es sich z. B. von dem sportlich-agilen Auftreten, das gerne von Politikern genutzt wird, um Selbstbewusstsein und Durchsetzungstähigkeit auszustrahlen. 234 Biskupek weist darauf hin, dass er sich eine Kirche ohne jeden Druck wünschte und möchte lieber davon sprechen, dass ,,Einfluss" ausgeübt wird. Diese Einflussausübung geschehe qua Predigt und Heiliger Schrift, aber auch durch die praktisehe Umsetzung der Näehatenliebe und die Gemeinscbaft der Gläubigen (Interview Biskupek 2010). 235 Kardinal Cordes unterstreicht, dass der Heilige Stuhl vor allem dann seine normativen Vorstellungen in konkrete Politik umsetzen kann, wenn ea ihm gelingt, in der Kommunikation glaubwürdig und überzeugend zu sein; der Papst könne sich bei dieser Aufgabe auch auf seine Mitstreiter verlaasen (Interview Kardinal COldea 2010). 236 Dies geschieht auch durch die Einbindung der Menschen in das Gemeindeleben, seien es Pfarrfeate, die Begegnungen achaffen, oder Veranstaltungen für Senioren.
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jedes Jahr am 1. Januar begangen. Er steht immer in Verbindung mit einer pragmatischen Grundsatzbotschaft und ermahnt alle Menschen dazu, sich fiir den Frieden in der Welt einzusetzen (Schambeck 1992: 310); er stärkt das Bewusstsein fiir das Projekt Frieden, erhöht die Sensibilität dafiir (Goldt 2004: 88) und enthält neben allgemeingültigen Prinzipien zur Friedensförderung auch konktete Anweisungen (Kirchschläger 1992: 89). Am 1. Januar 2011 steht die Religionsfreiheit als der Schlüssel zum Frieden im Mittelpunkt der Botschaft von Benedikt XVI. 237 (Benedikt XVI. 2010a) Die Neujahrsansprache vor dem diplomatischen Corps beim Heiligen Stuhl wird als eine Art Regierungserklärung genutzt. Auch gegen Vorbehalte in den eigenen Reihen organisiert Johannes Paul II. im Oktober 1986 das erste Weltgebetstreffen in Assisi. Diese interreligiöse Versammlung, an der 60 Delegationen (darunter 32 christliche, zwei jüdische und 26 nicht-christliche Organisationen) teilnehmen, bringt zum ersten Mal in der Weltgeschichte ein einziges Gebet fiir den Frieden hervor.238 Das Weltgebetstreffen in Assisi wiederholt sich während des Jugoslawienkriegs 1993 und im Januar 2002 als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001. Das Ziel ist es, den Dialog und gegenseitigen Respekt unter den Religionsgemeinschaften als Grundlage fiir den Frieden zu unterstreichen. Als Organisatorin dieser Veranstaltung setzt sich die katholische Kirche selbst an die Spitze der anwesenden Vertreter. Der Welijugendtag zieht als Event alle zwei bis drei Jahre eine breite Aufmerksamkeit auf sich. Beim Heiligen Jahr, das alle 25 Jahre stattfindet, handelt es sich offiziell um eine Romwallfahrt zu den Apostelgräbern: Es wird 1300 von Bonifaz VIII. eingeführt; 1900 nimmt Leo XIII. die Tradition des Heiligen Jahres wieder auf und legt den Abstand zwischen den Festen auf 25 Jahre fest. Leist sieht darin das Ziel, Rom und den Papst in den Mittelpunkt zu riicken (Leist 1971: 83-84). Festzuhalten ist, dass der Heilige Stuhl kultorelle und mediale Instrumente nutzt und darüber hinaus auch neue hervorbringt, um in der Gesellschaft präsent zu sein und auf sie einzuwirken, sei es über Feiertage, Welijugendtage, Angelus-Gebete, Enzykliken oder dem Glockeuleuten als Protestzeichen gegen ktiegerische Auseinandersetzungen.
237 Da die Friedensbotschaft bereits am 8. Dezember 2010 unterzeichnet wird, geht der Papst auf den Anschlag auf die koptischen Christen in AlelUllldria (am Silvestertag) erst am 2. Januar 2011 nach dem Angelusgebet ein (Benedikt XVI. 2011).
238 Da es in vielen Religionen keine zentrale Organisation oder eine allgemeine Repräsentanz gibt. nehmen z. B. für den Hinduismus einfache Vertreter teil Gemeinsam gebetet wird allerdings nicht (Gold! 2004: 94·95).
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Die Gläubigen selbst sind vor der Organisation der katholischen Kirche jedoch nahezu machtlos;23' auch wenn es in einzelnen Ländern Vereinigungen gibt, die versuchen, die Stimmen der Gläubigen zu bündeln, haben sie weder eine effektive Mitgliederstärke auJZuweisen noch ist ihre Mitwirkung an Entscheidungen in der katholischen Kirche institutionell vorgesehen.
6.2
Der Heilige Stuhl in ausgewählten Konflikten
In den Fallbeispielen wird zunächst der Einfluss des Heiligen Stuhls auf die Politik der nationalen Ebene am Beispiel der Zusammenarbeit mit der polnischen Gewerkschaft Solidamosc unter einer vergleichenden Berücksichtigung des Beitrages der katholischen Kirche zur Beendigung der Marcos-Diktatur auf den Philippinen dargestellt. Die Beeinflussung innergesellschaftlicher Entwicklungen wird an der Debatte über den Schwangerenkonfliktberatungsschein in Deutschland abgebildet; Bezug wird aber auch auf die International Conference on Population and Development (ICPD) in Kairo genommen, um die Ablehnung von Abtreibung auch auf der internationalen Ebene aufzeigen zu können. Mit dem Irakkrieg 2003 ist der Heilige Stuhl als Teil der internationalen Beziehungen zu analysieren: Hier steht er der letzten Supermacht in einem Konflikt gegenüber.
6.2.1
Die Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stuhl und der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc in den I980er Jahren
Der Beitrag von Johannes Paul 11. zum Fall des Kommunismus in Osteuropa ist in der Forschungsliteratur unumstritten (Appleby 2000: 12; Rotte 2007: 215). Das erste Fallbeispiel untersucht die transnationale Beziehung zwischen dem Heiligen Stuhl und der polnischen Gewerkschaft Solidamosc. Besonderheiten dieser Zusammenarbeit sind der persönliche Einsatz des Papstes, die Unterstützung, die er von der polnischen Bevölkerung erfiilJrt, und die Frage nach dem richtigen Umgang mit einem kommunistischen Regime. Zunächst ist aber die grundsätzliche Ablehnung der katholischen Kirche gegenüber dem Kommunismus aufzuzeigen; ihr folgt eine chronologische Darstellung der Vorgänge in Polen, an deren Ende die Wahl von Lech Walesa zum polnischen Staatspräsi239 Vogt weist aber darauf hin, dass Kin:henaustritte ein wunder Punkt der katholischeo Kin:he sind (Interview Vogt 2010).
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denten steht. Trotz aller Eigenheiten, die das polnische Beispiel aufweist, ist der Beitrag der katholischen Kirche ao einem friedlichen Massenaufstaod kein singuläres Ereignis; dies belegen die Ereignisse auf den Philippinen, die Corazon Aquino zur Präsidentin des Laodes befördem. Eine Gegenüberstellung der beiden Konflikte macht die Parallelen dentIich und hilft dabei, fiir zusätzliche Klarheit im polnischen Vorgang zu sorgen.""
6.2.1.1
Die Position des Heiligen Stuhls zum Kommunismus und Gemeinsamkeiten
Die katholische Kirche lehnt den Kommunismus als eine totalitäre und atheistische Ideologie seit jeher ab (Katechismus der Katholischen Kirche 1993: 2425); der Umgaog mit ihm flillt jedoch unterschiedlich aus. Kemper nennt die Zeit der Pontifikate von Pius XI. (1922-1939) und Pius XII. (1939-1958) die Phase der offenen Konfrontation: Pius XI. spricht 1937 in seiner Enzyklika DIVINI REDEMPTORIS über den Kommunismus von der ,,Herrschaft des Bösen", der nicht weniger als das Christentum auarotten wolle (Kemper 2004: 38). Pius XII. droht in den 1950er Jahren in Italien auf Plakaten damit, Sympathlsaoten der kommunistischen Partei zu exkommunizieren und verbündet sich mit dem Westen während des Kalten Kriegs (Rotte 2007: 198-199).241 Erst mit den Pontifikaten der gemäßigter auftretenden Päpste Johannes XXIII. (1958-1963) und Paul VI. (1963-1978) setzt die Suche nach einem Zusammenleben mit dem Kommunismus als einem Staats system ein (Ryall 1998: 26).242 Das Zweite Vatikanische Konzil begiinstigt die Neuausrichtung: Als einen Grund fiir diese Entwicklung nennt Evans die Sorge um die Zerstörungskraft von Massenvernichtungswaffen (Evaos 2007: 171). Darüber hinaus hebt das Zweite Vatikanische Konzil Einheit, Frieden und Menschenrechte als Ziele der katholischen Kirche hervor und ermutigt die Bischöfe, sich aktiv dafiir einzusetzen (Christiansen 2003: 82). Von besonderer Bedeutung fiir den neuen Umgaog mit dem Kommunismus sind auch die Verhandlungen, die Agostino Kardinal Casaroli 240 Der tabellarische Überblick unter Kapitel 6.2.1.6 kann aueh als eine Art Cheekliste Iür die katholische Kirche gelesen werden., wie sie sich erfolgreich in eine Revolution einbringen kann. 241 Wie sehr die Sowjetunion zu dieser Zeit als Bedrohung wahrgenommen wird, drückt sich in den Fluchtplänen Iür Pius XII. aus Iür den Fall einer Übernahme Roms dureh die sowjetisehe Armee (Franco 2008: 65).
242 Johannes XXIII. öffnet sich als erster Papst auch gegenüber linken Parteien in Italien (Vaillancourt 1980: 205).
180
mit den Regimen des Ostblocks führt; Paul VI. gewährt - ungeachtet der Einsprüche des Westens - Politikern aus Osteuropa Audienzen, weil er glaubt, dass der Kommunismus noch über längere Zeit eine Rolle spielen wird und man sich mit ilun arrangieren muss (Kemper 2004: 38-39; Rotte 2007: 204-205; Verbeek 2006: 4). Trotz der Unterschiede zwischen dem Kommunismus und der katholischen Kirche sind es wahrscheinlich die Gemeinsamkeiten, die ein Zusammenleben der beiden erschweren und dazu führen, dass sie sich gegenseitig bekämpfen. Wenn man von der ungleichen finanziellen und politischen Schlagkraft absieht, glauben sowohl der Kommunismus als auch die katholische Kirche, die Wahrheit zu besitzen und streben nach einer Weltherrschaft. Beide sind in der Lage, Gemeinschaften zu bilden, seien es regionale Zentren, nationale Parteien oder die Errichtung von Strukturen und Netzwerken fiir eine internationale Zusammenarbeit. Mit ihren Vorstellungen und Normen können sie Einfluss auf Staaten oder Gesellschaften ausüben (Vallier 1972: 141).
6.2.1.2
Grundsätzliche Ziele der Ostpolitik des Heiligen Stuhls
Die Ostpolitik des Heiligen Stuhls seit Paul VI. beschreibt Hammel als Versuch, "das Überleben der Kirche im marxistisch-leninistischen Weltanschauungs staat mittelalterlicher Macht:fiille zu sichern" (Hammel 1984: 7). Dabei konzentriert sich die jeweilige Ortskirche vor allem darauf, Freiräume fiir das religiöse Leben der Gläubigen zu schaffen, kirchliche Ämter selbständig besetzen und Priester ausbilden zu dürfen sowie die Entfaltung des Ordenslebens voranzutreiben. 243 Die zentrale Schwierigkeit der neuen Ostpolitik liegt jedoch darin, dass das atheistische Regime in Moskau eine kirchliche Hierarchie, die sich zudem außerhalb seines territorialen Einflusses befindet, nicht duldet. Das Politbüro sieht die Gefahr, dass die katholische Kirche über die religiöse Praxis hinaus die Haltung der Gläubigen zu politischen Themen beeinflussen und damit zu einer 243 Um die desolate Lage der Ortskirchen (besonders in Ungarn und der Tsehechoslowakei) zu verbessem und den Kontakt zu den Christen hinter dem Eisemen Vorhang aufrecht zu erhalten, reist Kardinal König ab den 1960er Jahren mit fil1sehem Pass und in Verkleidong nach
Budapest. Ziel ist es, Lösungen für die vakanten Bischofsstühle und den unter Arrest stehenden JozsefKardinaI Mindszenty zu finden (Stehle 1993: 299). In der Nachfolge Königa wird
Agostino Casaroli mit seiner Ostpolitik zu dem. ..ein:Oussreichste[n] und umstrittenste[n] Vatikandiplomat[en] seit dem Zweiten Weltkrieg" (Ring·EifeI2004: 148). Casaroli unteratreieht gegenüber Verbeek in einem persönlichen Gespräch, dass es bei seinem Engagement immer nur um pastorale Anliegen ging: wie man die Situation der Katholiken verbessern und den Bischof von Ostberlin Joachim Meisner in das deutsche Bischofssystem einbinden konnte oder die Bistumsgrenzen geatalten sollte (Verbeek 2005: 67.08).
181
Konkurrenz für die politische Elite werden könnte (Verbeek 1990: 14). Schließlich erkennen die Regierungen des Ostblocks aber auch, dass sie die Spiritoalität ihrer Bürger nicht unterdrücken können und ihr internationales Ansehen auf dem Spiel steht, weil gerade die KSZE-Verhandlungen dazu geraten, einen Vergleich zwischen dem Ost- und Westsystem anzustellen (Kemper 2004: 59).
6.2.1.3
Zusammenarbeit Heiliger Stuhl- Solidamosc
Um die Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stuhl und Solidamosc einordnen zu können, müssen zunächst die Ursachen für die Stärke der katholischen Kirche in Polen erörtert werden. Winkler nennt den hohen Anteil der Katholiken in der Bevölkerung und ihre Suche nach Wahrheit angesichts der zahlreichen Teilungen des Landes und dem schließlich aufgezwungenen Kommunismus, der von den Menschen nie wirklich angenommen wird (Winkler 1990: 97; Kühn 1999: 11). In dieser Folge stehen sich in Polen die schwächste kommunistische Partei und die stärkste katholische Ortskirehe in Europa gegenüber (Hanson 1987: 345). Im Jahr 1956 kommt es zu einem Übereinkommen zwischen der katholischen Kirche und der polnischen Regierung: Die katholische Kirche erhält in Polen die Autonomie über ihre inneren Angelegenheiten zurück; sie darf katholische Vereine und in bescheidenem Umfang eine katholische Presse unterhalten. Im Gegenzug verpflichten sich die polnischen Bischöfe gegenüber der Regierung, die Bevölkerung zu ermahnen, ihren Pflichten gegenüber dem Staat nachzukommen (Laba 1991: 84). Die polnische Ortskirche profitiert von der Einheit und Ausprägung ihrer Institution: Sie verfügt über engagierte Kirchenfiihrer und Bürger, die eher mit dem Katholizismus ihren Nationalismus identifizierten als mit der politischen Ideologie (Religion gleich Vaterland>, sowie über zahlreiche Priesterseminare und eine katholische Universität. Seit 1947 ist sie die letzte organisierte gesellschaftliche Einrichtong, die nicht unter dem Einfluss der kommunistischen Partei steht und als die Bewahrerin der polnischen Identität und Besonderheit auftritt (Micewski 1988: 9; Holzer 1985: 17). Nach der Wahl von Karol Wojtyla zum Nachfolger von Johannes Paul!. fiihlen sich die Polen mit einem Landsmann in Rom furchtloser gegenüber ihrem kommunistischen Regime (Rauch 2006: 67). Holzer beschreibt diese Furchtlosigkeit wie folgt: Jetzt indessen erhielt die polnische Kirche eine enorme Unterstützung seitens der höchsten katholischen Autorität und sie entwickelte ein Gefühl der Stärke und der Unantastbarkeit
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Genauer gesagt: die Bevölkerung war jetzt von der Stärke und Unantastbarkeit der Kirche überzeugt und dies strahlte auf die um die Kirche gescharte Nation aus (Holzer 1985: 80).
Johannes Paul 11. kennt die Situation der Menschen im Ostblock aus eigener Erfahrung; er lehnt den Kommunismus ab, weil dieser die Würde des Menschen missachtet. Obwohl sich Johannes Paul 11. gegenüber den USA öffnet, vermeidet er eine zu große Nähe zum Westen, um sich als Verhandlungspartner für beide Machtblöcke zu erhalten (Rotte 2007: 211-212). Er lehnt eine offizielle Zusammenarbeit mit der DDR ab, die während des Pontifikates von Paul VI. vorbereitet wird,244 und tendiert in seiner Haltung zu einer "FundamentaIopposition gegen das kommunistische Regime" (Verbeek 2006: 4-5). Vom 2. bis 9. Juni 1979 unternimmt Johannes Paul 11. seine erste Polenreise (die auch die erste Reise eines Papstes in ein kommunistisches Land darstellt). Das Medieninteresse ist außerordentlich und ebenso die Anstrengungen der polnischen Regierung, den triumphalen Empfang durch die Bevölkerung zu stören. Die kommunistische Partei sieht voraus, dass der Besuch Unruhe in die Gesellschaft bringen wird, kann ihn aber nicht verhindern. Einzelne Politiker unternelnnen dazu den Versuch, sich mit dem Papst an ihrer Seite aufwerten zu wollen. Holzer spricht in diesem Zusammenhang von einem fehlenden Konzept der polnischen Regierung (Holzer 1985: 80). Nahezu zehn Millionen Menschen besuchen die Messen des Papstes in Warschan, Gnesen, Tschenstochau und Krakan, was einem Drittel der polnischen Gesarntbevölkerung entspricht. In seinen Ansprachen vermeidet Johannes Paul II. direkte Angriffe gegen die polnischen Machthaber und verpackt seine Kritik in religiöser Sprache: Er mahnt in seinen Ausführungen über die katholische Soziallehre dazu, die Würde des einzelnen Menschen zu achten und sie unter keinen Umständen zu beschneiden. Der Papst sagt in Bezug auf den dem polnischen Volk aufgezwungenen atheistischen Kommunismus: ,,Man kann Christos nirgendwo auf Erden aus der Geschichte des Menschen ausschließen, gleich um welchen Längen- oder Breitengrad es sich handelt. Der Ausschluss Christi aus der Geschichte des Menschen ist ein gegen den Menschen selbst gerichteter Akt" (Johannes Paul 11. zit. in: Accattoli 2005: 80); dann spricht er von der Würde der Arbeiter. Accattoli folgert: "Aus kirchlichen Zusammenkünften werden Gewerkschaftsversammlungen und schließlich politische Manifestationen." (Accattoli 2005: 79) Dem Papst gelingt es mit dieser Reise, für neun Tage den christlichen Glauben
244 Hammel verweist darauf. dass Paul VI. mit großer Sicherheit der DDR eine eigenständige Bischofskonferenz gestattet hätte. die von der Bischofskonferenz der BRD unabhängig gewesen wäre (Hammel 1984: 104).
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in das öffentliche Leben zurückzubringen und das Selbstbewusstsein der Bevölkerung zu stärken. Er wird zu einem Zeichen für die geistige Unabhängigkeit der polnischen Bevölkerung (Reychler 1997; Holzer 1985: 81). Dass die Sabotageversuche der Behörden fehlschlagen, ist für den damaligen Zeitpunkt ein beachtlicher Vorgang. Für Willey stellt die erste Polenreise den politischen Höhepunkt von Johannes Paul Ir. dar (Willey 1992: 231). Nachdem in Polen 1980 die Preise für Lebensmittel drastisch erhöht werden, kommt es nach einer Gedenkveranstaltung"" zu landesweiten Protesten, an deren Spitze sich der Danziger Werftarbeiter Lech Walesa setzt. Neben den materiellen Forderungen nach höheren Löhnen und der Verringerung der Arbeitszeit werden auch gesellschaftliche und politische Ziele formuliert (Micewski 1988: 25-26). Die Bewegung Solidamosc wird gegründet und von polnischen Intellektuellen unterstützt. Diese Gründung ist zwar nicht von der polnischen Ortskirche initiiert, wird aber von Anhängern aus dem katholischen Milieu (darunter auch Priester) befürwortet (Verbeek 2005: 82). In einem Brief an die polnischen Bischöfe fordert Johannes Paul 11. diese dazu auf, die Demonstranten in ihrem Kampf für eine Verbesserung ihrer Lebenssituation zu begleiten; er selbst bekräftigt im Radio die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen. Die katholische Kirche versucht, als Maklerln zwischen der polnischen Regierung und der Führung von Solidamosc zu vermitteln (Micewski 1988: 27). Schließlich lenkt die polnische Regierung ein, und die erste freie Gewerkschaft wird mit gleich acht Millionen Mitgliedern (darunter auch zahlreiche Mitglieder der Kommunistischen Partei) Ende August 1980 zugelassen. Am 15. Januar 1981 empfängt Johannes Paul 11. Lech Walesa und andere Führungsmitglieder von Solidamosc zu einer Privataudienz im Vatikan. Die ihnen entgegengebrachten Ehren entsprechen denen eines Staatsbesuchs. Hammel kommentiert: ,,Noch nie widerfuhr einem Laien im Vatikan solche Ehre wie Arbeiterfiihrer Lech Walesa, der ( ... ) mit seiner Delegation wie ein Staatsgast behandelt wurde." (Hammel 1984: 26) Bei der Audienz verleiht der Papst den Forderungen der Gewerkschaft Nachdruck und Legitimität; sein Zuspruch fällt nun deutlicher aus als zuvor, weil Solidamosc mittlerweile von der polnischen Regierung anerkannt ist; Johannes Paul 11. lobt die Reife seines Landes (Stehle 1993: 355). Die päpstliche Aufinerksamkeit für Walesa ist auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass der radikale Flügel der Gewerkschaft vor Walesas Vatikan-Besuch damit droht, ihn abzusetzen (Kühn 1999: 241). In Polen wird es Solidamosc unterdessen gestattet, eine Wochenzeitung herauszugeben, und die 245 Man gedenkt der Demonstranten, we bei Protesten im Dezember 1970 ums Leben gekommen sind (Kühn 1999: 13).
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Gewerkschaft organisiert neue Streiks für weitere politische Reformen. Die kommunistische Partei verliert an Unterstützung in der Bevölkerung: Das Misstrauen wächst auch auf Grund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes,'" während die Mitgliederzahl von Solidamosc auf 9,5 Millionen steigt (Micewski 1988: 37). Primas Wyszynski bemüht sich (wie schon während der Proteste 1970-1971), mäßigend auf Solidamosc und insbesondere den radikalen Flügel einzuwirken (Laba 1991: 86; Kühn 1999: 147). Doch durch das Attentat auf den Papst am 13. Mai 1981 und den Tod von Primas Wyszynski (18. Mai 1981) entsteht Unruhe: Solidamosc stellt zunächat alle Proteste ein, bricht aber dann die Trauer- und Ruhezeit von 30 Tagen, die Johannes Paul II. für Wyszynski anordnet (Holzer 1985: 266-267; Kühn 1999: 162). Wyszynski, der der polnischen katholischen Kirche von 1948 bis 1981 vorsteht, zeichnet sich in seiner Amtsausübung vor allem durch ein kluges und besonnenes Vorgehen aus, das weniger für die verlorenen Rechte der katholischen Kirche kämpft, sondem für die polnische Gesellschaft; es herrscht Ungewissheit über den Kurs seines Nachfolgers (Hammel 1984: 21; Kühn 1999: 158). Mit seiner Enzyklika LABOREM EXERCENS (September 1981) legitimiert Johannes Paul II. die Forderungen von Solidamosc emeut, ruft die Gewerkschaft aber zugleich zur Mäßigung auf, in der sich die Fronten der einzelnen Flügel (gemäßigter Flügel um Walesa gegen den radikaleren nationalkonservativen Flügel) zu verhärten scheinen. Auch die polnische Bischofskouferenz unterstützt Solidamosc weiterhin in ihren Forderungen und ersucht in einem Memorandum die polnische Regierung um die Behebung der sozialen Missstiinde (Micewski 1988: 41). Doch die Auseinandersetzungen geraten außer Kontrolle; der Nachfolger von Wyszynski, Primas Glemp, kann die unrealistischen Forderungen von Solidamosc nicht entschärfen: Sein Vermittlungsversuch zwischen dem seit wenigen Monaten amtierenden polnischen Ministerpräsidenten Jaruzelski und Walesa im Oktober 1981 scheitert (Micewski 1988: 4647; Kühn 1999: 238). Nachdem die Führung von Solidamosc an einem Generalstreik festhält, verhängt Jaruzelski im Dezember 1981 das Kriegsrecht, das mit erheblichen Einschnitten im Bereich der Menschenrechte einhergeht. Jaruzelski verbietet die Gewerkschaft, inhaftiert ihre Führung und tausende Anhänger oder stellt sie - wie Lech Walesa und zahlreiche Intellektuelle - unter Hausarrest. Der engagierte Einsatz der polnischen Bischofskonferenz und des Papstes für Solidamosc und die Freiheit Polens schlägt damit vorerst fehl (Hammel 1984: 16). Primas Glemp setzt sich nach der Ausrufung des Kriegsrechts weiter dafür
246 Die InfIationsquote liegt im I. Quartal 1981 bei 25 Prozent (Micewski 1988: 41).
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ein, die aufgeladene Stimmung im Land zu beruhigen und ermahnt unablässig zur Besonnenheit (Laba 1991: 87). In einer beachteten Predigt sagte er: Klugheit bedeutet nich~ mit dem Kopf eine Mauer niederreißen zu wollen, denn der Kopfhat eine andere Bestimmung. Auch ihr müßt die Situation in Ruhe überdenken, die den Frieden,
die Rettung von Leben bringen 8014 damit es zu keinem Blutvergießen kommt. (... ) Ihr dürft keine wahnwitzigen Taten vollbringen, denn eine wahnwitzige Tat kommt stets einer Niederlage gleich (Glemp zit. in: Kühn 1999: 272).
In einem Brief vom 18. Dezember 1981 ao Jaruzelski sorgt sich Johannes Paul Ir. vor einem sowjetischen Einmarsch in Polen und unterstreicht das Selbstbestimmungsrecht des Landes; allerdings kann er Jaruzelski nicht zu einer Aufhebung des Kriegsrechts bewegen (Dziwisz 2007: BI). In seiner Weihnachtsansprache bietet der Papst seine Vermittlung in Polen ao und wirbt fiir die Menschenrechte. Ab Jaouar 1982 äußert er sich jeden Mittwoch bei der Generalaudienz zur Situation in Polen und hält damit das Thema präsent.24' Vor einer allzu großen Nähe zu Solidarnosc muss sich der Papst jedoch schützen, da er Teile der Gewerkschaft fiir unberechenbar und radikal hält (Stehle 1993: 360). Sowohl die katholische Kirche in Polen als auch der Papst versuchen in den Jahren 1982 und 1983, durch permaoenten Druck auf die polnische Regierung die Situation der politisch Inhaftierten zu verbessern oder die Repressionen gegen nicht-inhaftierte Solidarnosc-Anhänger zu mildem. So setzt sich die Ortskirche fiir Lehrer ein, die mit einem Berufsverbot bestraft worden sind, oder fiir Schüler, die vom Unterricht ausgeschlossen werden; sie ermahnt inuner wieder zur Achtung der Menschenrechte (Micewski 1988: 132, 134, 179, 184). Darüber hinaus leistet die katholische Kirche den Inhaftierten und den mit Sanktionen belegten Menschen praktische Hilfe: Da mao die katholische Hilfsorganisation Caritas der katholischen Kirche schon vor 1980 enteignet, griindet sie unter dem Namen Primas-Hilfskomitee, später Caritativ-soziales PrimasKomitee einen Verein, der sowohl finanzielle als auch seelsorgerische und moralische Betreuung sowie medizinische und juristische Hilfe aobietet. Zwischen Dezember 1981 und Dezember 1982 werden ao ca. 80 Prozent der Inhaftierten und Internierten24• nahezu 8 500 Hilfspakete mit Toilettenartikeln, Kleidung, Zigaretten (oder Keksen zu Weihnachten) geschickt. Gefangene 247 So sagt Johaones Paul Il. am 13.01.1982: •.Heute fehlen hier meine Landsleute, die sonst gewöhnlich zur Audienz erscheinen. Ihr wißt genau, warum das so ist Dennoch möchte ich zu
ihnen. um die Gewohnheit beizubehalten, in ihrer Muttersprache zu sprechen. das auch heute tun." (Johaones Paul 11. zil in: Kühn 1999: 289; Johaones Paul 11. 1982) 248 Micewslri spricht Iiir den o. g. Zeilraum von 10 000 Internierten und 2 500 Inhaftierten (Micewski 1988: 188).
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werden in den Haftanstalten besucht; für 515 Erwachsene wird eine Sommererholung und für Kinder ein Ferienlager organisiert. Diese Hilfe kann nur dadurch geleistet werden, dass das Komitee von der polnischen Gesellschaft getragen und mit Zuwendungen versorgt wird (Micewski 1988: 188, 190-192). Johannes Panl II. kooperiert ab Juni 1982 mit Präsident Reagan: 249 Die CIA versorgt den Heiligen Stuhl mit Informationen und Solidarnosc mit Geld;2So der Heilige Stuhl lässt der Opposition im Untergrund über die Diplomatenpost die benötigten Dinge zukommen und nutzt die Infrastruktur der katholischen Kirche, um eine Gegenöffentlichkeit zu ermöglichen: Die über 8 000 Pfarreien besitzen nicht nur Papier und Kopiergeräte, mit denen sich die politischen Vorstellungen von Solidarnosc verbreiten lassen, sie dienen auch als geheimer Versammlungsort. Unterdessen setzt sich der Papst für weitere Verhandlungen ein und achtet auf seine Unabhängigkeit von den USA; er bleibt für beide Seiten (für Solidarnosc und das politische Regime Polens) ein Ansprechpartner. Dies erreicht er durch die Beachtung der "Spielregeln", indem er die politische Elite und ihr Handeln nicht direkt kritisiert und sich nur allgemein gehalten äußert (Hammel 1984: 89; Micewski 1988: 161). Die Zusammenarbeit zwischen Johannes Panl 11. und Präsident Reagan ist von besonderer Bedeutung: Riebling zitiert Kardinal Silvestrini, der diese informelle Kooperation25 ! als besonders schlagkräftig beschreibt, weil die USA auf der politischen Ebene und der Heilige Stuhl auf der moralischen Ebene das gemeinsame Ziel, die Freiheit Polens, verfolgen (Riebling 2005).
249 Die Zusammenarbeit wird während der Audienz von Ronald Reagan bei Johannes Paul 11. im. Sommer 1982 vereinbart (Franco 2008: 93). Für eine detaillierte Darstellung s. Kapitel 7.1.2. 250 Dziwisz bestätigt direkte Kontakte mit der amerikanischen Regierung, bei denen es vor allem um den Austausch von Informationen gegangen sei; explizit verweist er auf Gespräche mit dem. damaligen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski. Von finanziellen Zuwendungen an Solidarnoac will er allen:lings nichts wissen: Dziwisz unterstreicht die rein moralische Unterstützung, die Meoscheo in ihrem Kampffiir Freiheit zu unterstützeo (Dziwisz 2007: 130, 151). Dass auch aus dem Vatikan Gehl an Solidarno§C fließt, ist in der Forschungsliteratur jedoch unbestritten (Kühn 1999: 338). Die Koordination der Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stub! und deo USA zur Unterstützung voo Solidamoie koordiniert CIA·Direktor William Ca· sey (Coppa 2008: 188). Vernon Walters, zu dieser Zeit Reagans Trouhleshooter, versorgt den Papst mit aktuellen Satellitenfotos von sowjetischen Truppen und Raketen in Polen und weiteren Ostblockstaateo (Franco 2010: 57). 251 Eine formelle Ailiaoz gibt es zwischeo dem Heiligen Stub! und der US-Regierung nich~ dies hätte nach Riebling der Unabhängigkeit und dem Anseheo des Papstes geschadet (Riebling 2005).
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Im Jahr 1983 unternimmt Johannes Paul Ir. seine zweite Po1enreise. 252 Bereits am Flughafen spricht er davon, zu allen Menschen, ausdrücklich auch zu den Inhaftierten in den Gefängnissen, gekommen zu sein (Dziwisz 2007: 153). Während der Messen demonstrieren die Menschen für die Gewerkschaft Solidamosc. Der Papst unterstützt sie, indem er immer wieder den Namen der Gewerkschaft nennt: Scheinbar geht es in den Ansprachen um den Begriff der Solidarität in der katholischen Soziallehre, doch da Solidarität auch der Name der polnischen Gewerkschaft ist, fiihlen sich die Arbeiter in doppelter Weise angesprochen (Verbeek 2006: 6). Während einer Messe in Kattowitz lüften Messdiener ihre Chorhemden, und der rote Solidamosc -Schriftzug auf ihren TShirts kommt zum Vorschein (Dziwisz 2007: 155).253 Jaruzelski versucht, Johannes Paul II. mit Zugeständnissen an die katholische Kirche im Land zu ködern und die Ausrufung des Kriegrechts zu erklären. Stehle bemerkt hierzu: ,,zum ersten Mal in der Geschichte kommunistischer Machtbehauptung sah sich ein Par!eichef zu dem Versuch veraulaßt, seine Politik vor einem Papst öffentlich zu rechtfertigen.'0254 (Stehle 1993: 364) Der Papst trifil sich jedoch unbenommen mit Oppositionsgruppen, Intellektuellen und Opfern der Polizeigewalt. Eine Zusammenkonft mit Walesa fmdet in einer Berghütte bei Zakopane statt: Die Zuneigung zu Solidamosc und Walesa betont der Papst dadurch, dass das Treffen an dem Tag stattfindet, der als privat deklariert ist und dem Papst der persönlichen Erinnerung dienen soll (Micewski 1988: 161). Einschüchterungsversuchen, die ein Treffen zwischen Papst und Walesa oder das Thematisieren bestimmter Probleme verhindem sollen, begegnet Johannes Paul II. mit der Drohung, nach Rom abzureisen (Dziwisz 2007: 153-155). Er gibt den Menschen Kraft, indem er die Einheit der polnischen katholischen Kirche mit der Weltkirehe und seiner Person in Rom unterstreicht (Micewski 1988: 159). Er kritisiert
252 Das Ziel dieser Reise, die nur mit erheblichem Aufwand organisiert werden kann, beschreibt Micewski wie folgt: ,,Denn der Episkopat war sich sehr wohl darüber im Klaren, daß die Reise des Heiligen Vaters durch seine Heimat eine gewaltige integrierende Bedeutung für die polnische Bevölkerung haben würde, die von der erlittenen Niederlage [sc. die Beschränkung der Freiheitsrechte durch die Ausrufung des Kriegsreehts] sehr bedrückt war. So bekam die Pilgerreise des Papstes neben ihrem. übergeordneten religiösen Sinn auch einen zweiten Hintergrund. Es ging darum, die Gesellschaft moralisch zu stärken und zu integrieren., eine Gesellschaft, die in den vergangenen Jahren großen Prüfungen und psychologischer Überlastung ausgesetzt war." (Micewski 1988: 138) 253 Der polnische Episkopat versucht zwar im. Vorfeld, politische Kundgebungen zu unterbinden, sieht sich aber damit im Widerspruch zu Johannes Paul 11., der diese toleriert und sogar fördert (KüIm 1999: 376).
254 Kühn erklärt die Bereitschaft Jaruzelskis. die katholische Kirche immer wieder als Verband1ungspartner zu akzeptieren, mit ihrem Einsatz für Gewaltlosigkeit (KüIm 1999: 241).
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die Ausrufung des Kriegsrechts nur verhalten, lässt aber keinen Zweifel daran, dass die katholische Kirche die Beschränkung der Menschenrechte auf Dauer nicht akzeptieren wird (Kühn 1999: 332). Zwar wird kurz nach der Abreise des Papstes am 22. Juli 1983 das Kriegsrecht in Polen offiziell aufgehoben - auch dank dem Einsatz des Heiligen Stuhls -, doch eine härtere Gesetzgebung bleibt bis Ende des Jahres 1985 bestehen (Verbeek 2006: 7). Hinsichtlich der Repressionen gegenüber Regimegegnern ändert sich kaum etwas; auch der polnische Schriftstellerverband wird aufgelöst (Kühn 1999: 333). Im Dezember 1983 erhält Lech Walesa den Friedensnobelpreis fiir sein Engagement, obwohl das politische Regime in Polen im Vorfeld versucht, Walesa rnit einer Verleumdungskampagne in Verruf zu bringen. Den Preis nimmt in Oslo Walesas Frau Danuta in Empfang, weil Walesa befiirchtet, an seiner Rückreise nach Polen gehindert zu werden. Walesa wird durch den Nobelpreis zu einer ,,international bekannte[n], hochgeschätzte[n] Persönlichkeif'; einen unmittelbaren Gesinnungswandel in der kommunistischen Partei kann die Auszeichnung jedoch nicht bewirken (Kühn 1999: 335). Im Jahr 1984 erlebt Solidamosc trotz ihres Verbotes ein Comeback und organisiert Proteste: Da ein gewaltsamer Aufstand der polnischen Arbeiter angesichts der 200 000 in Polen stationierten so\\jetischen Soldaten aussichtslos ist, entscheiden sich die Arbeiter und Angestellten dafiir, ihrem Arbeitsaufuag nicht mehr gebührend nachzukommen und lähmen damit die polnische Wirtschaft (Walesa 2005: 4). Die katholische Kirche versucht sich unterdessen davor zu schützen, von Solidamosc und Jaruzelski politisch instrumentalisiert zu werden. Im Juni 1987 unternimmt Johannes Paul II. seine dritte Reise nach Polen. Jaruzelski, der den Papst wenige Monate zuvor im Vatikan aufsucht (13. Januar 1987), erhoffi: sich von diesem Besuch eine Befriedung der angespannten Sitoation, wird jedoch enttäuscht: Der Papst bekennt sich in Polen zu Solidarnose und verleiht der Gewerkschaft damit nenen Auftrieb. Im Frühjahr 1988 kommt es zu einer weiteren Streikwelle. Die katholische Kirche übernimmt die Vermittlung zwischen Jaruzelski und Walesa, die am sogenannten Runden Tisch zu dem Ergebnis kommt, dass im April 1989 halbfreie Wahlen stattfinden. Solidamosc wird wieder zugelassen, und im August wird der erste nichtkommunistische Regienmgschef des Ostblocks ins Amt gewählt. 255 Diesen Wahlen gehen Verhandlungen zwischen Primas Glemp, Jaruzelski und dem
255 Im Wahlkampf erhält Solidamoic Unterstützung vno der katholischen Kirche: Vergleichbar mit den Wahlhirtenbriefen der deutschen Bischöfe nsch dem Zweiten Weltkrieg rufen polnische l'farrer in ihren Messen dazu auf. SolidamoSc zu wählen (BernateinlPoliti 1997: 563).
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sowjetischen Botschafter in Polen voraus (Kühn 1999: 478). Im Dezember 1990 übernimmt Walesa das Amt des Staatspräsidenten.
6.2.1.4
Parallelen zum Ende der Marcos-Diktatur auf den Philippinen 1986
Die jeweiligen Zeiträume, in denen die katholische Kirche in Polen und auf den Philippinen agiert, unterscheiden sich dentIich: Den polnischen Prozess begleitet sie über zehn Jahre, die Revolution auf den Philippinen dauert in ihrer Hochzeit nur wenige Tage. Vergleicht man den Einsatz der katholischen Kirche fiir die polnische Bevölkerung gegen das kommunistische Regime dennoch mit ihrem Engagement auf den Philippinen 1986, lassen sich interessante Parallelen feststellen. Die soziale Ungleichheit auf den Philippinen steigt unter Diktator Ferdinand Marcos in den 1980er Jahren stark an und sorgt fiir Verdrossenbeit in der Bevölkerung: Es gibt weder ein Wirtschaftswachstum noch politische Stabilität; dafiir grassieren Korruption und Armut, die Löhne sinken, und die Zahl der Arbeitslosen wächst. Als Machthaber auf den Philippinen zu dieser Zeit identifiziert Wooster neben dem Marcos-Regime das Militär, die katholische und protestantische Kirche,256 eine evangelikale Sekte, die kommunistische Partei, Wirtschaftsgruppen, Gewerkschaften, die Medien und die US-Regierung (Wooster 1994: 153, ISS). Im Vorfeld der Revolution stellt die Ermordung des aus dem Exil kommenden Oppositionsfiihrers Benigno Aquino im August 1983 einen negativen Höhepunkt der Marcos-Diktatur dar; ihr wird der Auftrag zum Mord angelastet. An Aquinos Begräbnis nehmen Millionen Menschen teil, und seine Witwe Corazon Aquino wird zur Symbolfigur der politischen Opposition. Mitte der 1980er Jahre gelingt es der katholischen Kirche, die verschiedenen Oppositionsgruppen zueinander zu fiihren. 257 Auch Teile der Wirtschaft bewegen sich auf die Opposition zu; die USA distanzieren sich von Marcos. Regelmäßig meldet sich die katholische Kirche mit pro-oppositionellen Hirtenbriefen zu Wort, deren Inhalt über die 2000 Pfarreien verbreitet wird. Darin themati256 Auf den Philippinen herrscht seit dem 16. Jshrbundert wegen der spanischen Kolonialzeit überwiegend der katholisehe Glaube; die indigene Kultur und religiösen Praktiken (ab dem
15. Jahrhundert werden hier islamische Sultanate gegründet) werden von den Besatzern ausgerottet (Ofreneo 1987: 320). 257 Ofreneo nenot hier vor allero Die Gelben (bensnnt nseh ihreo gelben Flaggen). deren Mitgli.,.
der aus der Mittelschicht kommen, und Die Roten, deren Anhängerschaft aus Priestern, Mitarbeitern voo Sozialprogrammen. Sympathisanten der Linken. Arbeitern, Slum-Bewobnero und Ungebildeten besteht (Ofreneo 1987: 327).
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siert sie sozialpolitische Fragen, Menschenrechte und die Menschenwürde, ruft zur Gewaltlosigkeit auf und stellt konkrete Forderungen an Marcos (Wooster 1994: 155, 159). Sie kritisiert den Machtmisshrauch der Regierung, politisch motivierte Ermordungen und Entführungen sowie die Verhaftung von Priestern. Damit versucht sie, die politische Opposition lebendig zu halten, auch wenn sie Gefahr läuft, von Marcos mit Repressionen belegt zu werden. Marcos wirft Kardinal Sin vor, der Erzbischof von Manila und eine prominente Stimme des Landes ist, die Philippinen destabilisieren zu wollen; das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist angespannt (Youngblood 1987: 1243; Ofreneo 1987: 327). Am 7. Februar 1986 erklärt sich Marcos zum Sieger der PräBidentschaftswahl. Weil sein Wablbetrug offensichtlich ist, spricht ihm am 15. Februar die philippinische Bischofskonferenz (CBCP) in einem Hirtenbrief die moralische Legitimität zum Regieren ab. 2S' Am darauffolgenden Tag erklärt der Sprecher des Papstes Joaquin Navarro-Valls vorsichtig, dass der Heilige Stuhl die philippinischen Bischöfe unterstützt; Johannes Paul II. ruft zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes auf. Am 23. Februar erklären der Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile und General Fidel Ramos die militärische Rebellion gegen Marcos. Die unterlegene Präsidentschaftskandidatin Corazon Aquino fordert die Bürger zu zivilem Ungehorsam gegen Marcos auf; sie nähert sich inhaltlich frühzeitig der katholischen Kirche und greift deren Semantik und Forderungen aus den Hirtenbriefen in ihren Reden auf. Unterstützung erhält sie dabei von Jamie Kardinal Sin. Die katholische Kirche moderiert die Proteste, indem sie über ihren Radiosender Veritas zu Demonstrationen aufruft und der politischen Opposition eine Stimme gibt; sogar Nonnen und Priester beteiligen sich am Widerstand und stellen sich schützend vor die Demonstranten (Ofreneo 1987: 329). Zwar ermahnt der Nuntius des Heiligen Stuhls auf den Philippinen, Erzbischof Bruno Torpigliani, Kardinal Sin zur Neutralität, doch von den nationalen Bischofskonferenzen der USA, West-Deutschlands, Kanadas und einzelnen protestantischen Bischöfen erhält Sin Unterstützung (Youngblood 1987: 1247). Der Protest der Demonstranten gestaltet sich besonnen: Sie drücken ihre Friedfertigkeit durch Gebete und das Zeigen von Rosenkränzen und Madonnenfiguren aus (Wooster 1994: 161-163). Marcos, der zunehmend an Unterstützung verliert, flieht Ende Februar mit seiner Familie nach Hawaii, und Aquino wird zur Präsidentin der Philippinen vereidigt. Wooster beschreibt die Rolle der katholischen Kirche wie folgt: 258 Imelda Marcos, die bei den Bischöfen für ihre Tränenausbrüche und Tobsuchtsanfiille bekannt ist, versucht noch am Abend zuvor, die Veröffentlichung des Hirtenbriefs zu verhindern (Youngblood 1987: 1247).
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The Church's denunciation of the election, coupled with its declaration that the regime had lost its mandate to govem, was a momentous step. With thc cxccption of a somewhat similar role under similar ci:rcumstances in Poland, the Roman Catholic Church has seldom S8DCtioned the undermining of a govemment in power. lcaving such matters instead to the individual conscience. Thus this action bad 'an electri:fying effect· both on the regime and on the popu1ace ofthis Catholic nation (Woostcr 1994: 161).
Das friedliche Vorgehen der Demonstranten wird als ein Erfolg von Corazon Aquino, aber vor allem als Leistung der katholischen Kirche gewertet (Ofreneo 1987: 329; Bautista 2006: 300). Das Zweite Vatikanische Konzil legitimiert das Engagement der katholischen Ortskirchen am politischen Protest, weil es explizit dazu auffordert, die Gesellschaft gerechter zu gestalten und gegen Benachteiligung vorzugehen (Wooster 1994: 164). Die katholische Kirche verfügt auf den Philippinen mit ihrem Netz aus Pfarreien über die einzige vom politischen System unabhängige Infrastruktur. Sie besitzt mit Kardinal Sin eine populäre Autorität, die die katholische Kirche zum moralischen Gewissen des Landes macht, die mutig und friedlich gegen die Unterdrückung der Bevölkerung vorgeht und sich fiir Menschenrechte und Demokratie einsetzt (Wooster 1994: 168-169). Wie in Polen löst die katholische Kirche den Konflikt zwischen der Bevölkerung und ihrer Regierung nicht aus, sondern intensiviert ihn, indem sie sich auf die Seite der Bevölkerung stellt und diese begleitet, auch wenn sie damit Gefahr läuft, selbst vom Regime sanktioniert zu werden. 259 Nicht unerheblich dürfte dabei sein, dass die katholische Bevölkerung in beiden hier genannten Staaten dominiert. Die katholische Kirche ergänzt die Unzufriedenheit der Bevölkerung um die Forderung nach Respektierung der Menschenwiirde und rechte und kanalisiert den Widerstand. Sie führt die oppositionellen Kräfte zusammen und trägt sie, indem sie ihre Infrastruktur zur Verfügung stellt und den Forderungen öffentlich eine Legitimation erteilt: In den Messen werden Hirtenbriefe verlesen, die die Proteste als notwendig bewerten; der Radiosender der katholischen Kirche gibt die Versammlungsorte der Demonstrationen bekannt; Nonnen und Priester protestieren mit der Bevölkerung und stellen sich schützend vor sie. Die katholische Kirche fordert dabei wie in Polen zur Gewaltlosigkeit und friedlichern Protest auf; ungewöhnlich sind dagegen die deutlichen und direkten Angriffe gegen Präsident Marcos.26o
259 Hasenclever/Juan wählen als Metaphorik. die Unterscheidung zwischen .,Brandursache" und "Brandbescbleunige," (Haseoclever/Juan 2007: 12). 260 Die Angriffe kommen aber eher von der philippinischen Ortskirche als aus dem Vatikan.
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Sowohl in Polen als auch auf den Philippinen gibt es eine populäre Gestalt aus der katholischen Kirche, die sich mit einer weltlichen Persönlichkeit, die ein prominenter Teil des Protestes ist, zusammenschließt: Sind es in Polen Johannes Paul Ir. und Primas Wyszynski bzw. Glerop, die mit Lech Walesa kooperieren, so assozüeren sich auf den Philippinen Jamie Kardinal Sin und Corazon Aquino. In beiden Ländern greift die katholische Kirche in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates ein. Es gelingt ihr, die Revolte auf den Philippinen als eine religiöse Veranstaltung erlebbar zu machen: Inhaltlich geschieht dies, indem der christliche Glaube als Gegensatz zum korrupten Nationalstaat aufgezeigt wird, praktisch durch die Bereitstellung des gesamten kirchlichen Personals, das sich an die Seite der Bevölkerung stellt. Hinzu kommen christliche Symbole wie Rosenkränze, Kreuze und Ikonographien, die die religiöse Identität sichtbar und gegenwärtig machen; sie transformieren die politischen Proteste in spirituelle Äußerungen (Bautista 2006: 303, 309) und verdeutlichen, dass es nicht nur um soziale und politische Fragen geht, sondern auch um Religiosität: Die Proteste werden zu einem "event of religious and moral significance against the oppressive state regime" (Bautista 2006: 309). Kardinal Sin dechiffriert die Ermordung von Benigno Aquino als Allegorie fiir das Leiden Christi; er stellt Benigno Aquino als einen modernen Märtyrer dar. Der Anstrich einer heiligen Revolution entsteht dabei nicht durch die simple Verbindung von politischen Forderungen und religiösen Zeichen, sondern vielmehr durch die Legitimität, die von katholischer Seite verliehen wird (Bautista 2006: 299, 303).
6.2.1.5
Zusammenfassung und Bewertung
Im polnischen Fall ist das Vorgehen des Heiligen Stuhls der sogenannten Monnet-Methode (Weidenfeld/Wessels 2002: 167) in der Entwicklungsgeschichte der Europäischen Union nicht unähnlich: Anstatt seine Pläne mit einem großen Wurf umsetzen zu wollen, versucht der Heilige Stuhl mit kleinen Verbesserungen und funktionalen Schritten, die aus einer sachlogischen Notwendigkeit heraus zu einem weiteren Voranschreiten fiihren, sich langsam und pragmatisch seinem Ziel zu nähern und eine Verbesserung in Etappen fiir die Menschen und die Arbeitsbedingungen der katholischen Kirche zu erreichen. So schaltet sich der Heilige Stuhl in die Vorgänge in Polen von Beginn an ein und versucht, die Proteste zu moderieren. Die Moderationsrolle entwickelt sich zu einer Mediationsaufgabe, die mit einer Art Schlichterspruch einhergeht. Obwohl
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der Heilige Stuhl nur bedingt Einfluss auf die Führung von Solidamosc nehmen kann,261 setzt er sich für ihre Anerkennung ein, die wiederum zu weiteren Zugeständnissen der polnischen Regierung führt (z. B. zur Erlaubnis, eine Zeitung herauszugeben). Johannes Paul 11. nimmt sich das Recht auf Reisen in sein Heimatland; in der Folge scham er dadurch Aufinerksamkeit für das Thema Polen. Religiöse Zusammenkünfte werden dabei zu Protestkundgebungen: Durch seine Präsenz macht der Papst den Menschen Mut. Auf Grund der Infrastruktur der katholischen Kirche (die sich im Vorfeld von staatlichem Einfluss befreit) und der hohen Identifikation der Polen mit der katholischen Kirche, kann sie praktische Hilfe leisten und als einzige Institution unabhängig vom Staat agieren. Das grundsätzliche Ziel der Ostpolitik von Johannes Paul II. ist es, den Ostblock in die Gemeinschaft Europas zu integrieren, indem er ihm eigenständige Strukturen verwehrt (Cava 1992: 193).262 Casaroli weist in einem Gespräch mit Verbeek darauf hin, dass er selbst zu Konzessionen an den Kommunismus bereit gewesen sei, Johannes Paul II. dies aber strikt abgelehot habe (Interview Verbeek 2010). Die polnische Bevölkerung nimmt den Kommunismus als Ideologie nie an, während es der katholischen Kirche gelingt, durch gemeinsame Werte und die religiöse Weltanschauung Gemeinschaften zu bilden; der katholische Glaube ist das konstitnierende Element Der Papst wirbt in den Messen während seiner Polenreisen für Freiheit und Gerechtigkeit; Christus dürfe nicht ausgeschlossen werden. Er gibt den Menschen Kraft, weil er sie durch den Glauben miteinander verbindet; er beansprucht das polnische Nationaigefiih1 für die katholische Kirche, da diese bei allen Teilungen, die Polen in seiner Geschichte erlebt hat, die polnische Identität aufrecht erhiilt (Verbeek 2006: 2-3). So besteht die Leistung von Johannes Paul 11. darin, dass er das ideologische Problem des Sowjetsystems, den Anspruch auf das Wahrheits- und Machtmonopol, deutlich macht Dabei geht er konsequent vor und wird zu der glaubwürdigsten Person einer Fundamentalopposition gegen die kommunistische Ideologie, während der Westen eine eher uneinheitliche Position zum Sozialismus verttitt (Interview Verbeek 20 I 0). Auf den Philippinen werden die Demonstrationen als religiöse Veranstaltung erlebbar; die Lehre der katholischen Kirche tritt an die Stelle der 261 Die Gewerkschaft ist zeitweise zerstritten., und Walesa muss sich Vorwürfe wegen seiner Näher zur katholischen Kirche gefaIleo lasseo (Micewski 1988: 198). 262 In diesem Zusammeohang spielt auch der 1982 gegründete Päpstliche Rat für Kultur (pCC) eine wichtige Rolle. dessen Ziele denen der UNESCO ähneln: Der PCC stellt Kontakte zwischen Wissenschaftlem, Künstlern und Intellektuellen verschiedener Nationen her (Cava 1992: 194).
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korrupten Staatsideologie. [SPC 4: Politische und religiöse Weltanschauung, Werte] Der Katholizismus wird in beiden Ländern nicht nur als eine Alternative zum vorherrschenden System präsentiert: Die katholischen Normen und Werte werden in einen nationalen Konsens umgewandelt [SPC 34: Maßstäbe setzen] Madonnenfiguren und Rosenkränze dienen bei den Protesten auf den Philippinen als Zeichen des friedlichen Protestes. In ähnlicher Weise wird in Polen das Bild der Schwarzen Madonna von Tschenstochau verwandt, die fiir die christliche Nächstenliebe steht [SPC 5: Produkte der Massenkultur] Der Papst macht sich während seiner Polenreisen durch seine physische Präsenz zu einem Zeichen fiir die geistige Freiheit der polnischen Bevölkerung. Dass er sich an einem als privat deklarierten Tag mit Walesa trim, unterstreicht seine Zuneigung zu ihm. Eine geistige Präsenz erreicht der Papst, indem er osteuropäische Feste zur selben Zeit in Rom mitfeiert (Kemper 2004: 43). Laba beurteilt die polnischen Streiks als einen symbolischen Akt der Auflehnung: Jeder Teilnehmer entferne sich durch seine Teilnalune von seinen politischen, ökonomischen und familiären Strukturen. Der Streik sei dabei ein Ereignis, das die Menschen miteinander verbinde (Laba 1991: 130-131). [SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Dass Walesa den Friedensnobelpreis erhält, kommt nicht nur der polnischen Gewerkschaft, sondern auch dern Papst zugute: Seine Unterstützung von Solidarnosc erhält dadurch zusätzliche Legitimität von dem Nobelpreiskomitee als einer anerkannten Autorität [SPC 8: Nobelpreise] Die christliche Bildung des Menschen und seine Sozialisation in der katholischen Kirche sind das Fundament, auf das sich der Papst in seinen Ausfiihrungen immer wieder beziehen kann. Kernper unterstreicht den mäßigenden Einfluss von Johannes Paul 11. auf den Katholiken Lech Walesa und seinen geschickten Umgang mit Jaruzelski, auf dessen christliche Erziehung sich der Papst bezieht (Kernper 2004: 46-47). [SPC 9: Bildung] Der Bevölkerungsanteil der Katholiken liegt in Polen bei über 90 Prozent; die Polen definieren sich eher über den Katholizismus als über ihre kommunistische Führung. Auf den Philippinen beträgt der Anteil der katholischen Bevölkerung über 80 Prozent Diese breite Anhängerschaft sorgt fiir Empfänglichkeit fiir die katholische Mediation und erleichtert die Konsenssuche untereinander. [SPC 19: Homogenität der eigenen Bevölkerung] Wie in kaum einem anderen Kouflikt wird die polnische Gesellschaft zu einem Verbündeten der katholischen Kirche: Die Bürger Polens unterstützen das Primas-Hilfskomitee bzw. Caritativ-soziales Primas-Komitee; Messdiener lüften während eines Papstgottesdienstes ihre Chorhemden und demonstrieren damit fiir Solidarnosc. Es wird deutlich, dass der katholische Glaube der Bevölkerung fiir die gesellschaftliche Stellung und Stärke der Kirche unverzichtbar ist: Die Bevölkerung trägt die katholische 195
Kirche, und diese wiederum stärkt den Zusammenhalt gegen das politische Regime (Kühn 1999: 12). [SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranten als Outside Partner] Der Papst fordert Freiheit und Gerechtigkeit für die unterdrückten Bürger im Osten und belebt damit ihr Selbstbewusstsein (Kemper 2004: 4345). Er nimmt direkte Verhandlungen auf, um den Gläubigen in kommunistischen Staaten ein Minimum an religiösem Leben zu ermöglichen; die katholische Kirche unterstützt die Menschen in ihrem Kampf um bessere Lebensbedingungen. Auch auf den Philippinen meldet sich die Ortskirche regelmäßig mit Hirteobriefen zu Wort, die den Forderuogen der Bevölkeruog eine Legitimation verleihen. Damit hilft sie den Menschen dabei, sich selbst zu verwirklichen; die gesellschaftlichen Konflikte werden identifiziert und angeklagt. Zur Prämisse für jedweden Protest wird Gewaltlosigkeit erklärt.26' [SPC 11: Humanitätsideal gesetzlicher Regelungen] Johannes Paul 11. ist ein charismatischer Führer auf Grund seines Amtes und seiner Persöulicbkeit; er kenot den Kommunismus aus eigener Erfabruog. Die Polen sind furchtloser mit einem polnischen Papst in Rom, weil sie ihm Macht zuschreiben. Auf den Philippinen ist es Kardinal Sin, der als prominente Stimme des Landes dem katholischen Standpunkt zum Konflikt ein Gesicht gibt. [SPC 13: Charismatische Führer] Johannes Paul II. kooperiert mit Ronald Reagan, pflegt darüber hinaus aber auch einen respektvollen Umgang mit der polnischen Regierung unter Jaruzelski: So kritisiert er den Kommunismus nie direkt, sondero ignoriert ihn vielmehr; er ermahnt, ohne dass die Angesprochenen dabei ihr Gesicht verlieren (Micewski 1988: 222). [SPC 14: Regieruog als kooperativer Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung] Trotz der Zusammenarbeit mit den USA und der Unterstützung von Solidamosc ist der Papst um Neutralität und Unabhängigkeit bemüht: Er bietet nach Ausrufung des Kriegsrechts offiziell seine Vermittlung an und lässt sich von keiner Konfliktpartei vereinoalnnen; er beachtet die allgemeinen "Spielregeln". Auch Primas Wyszynski und Primas Glemp versuchen, zwischen der polnischen Bevölkeruog und ihrer Regieruog zu vermitteln; Glemp moderiert die Gespräche am Runden Tisch 1988. [SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] Über die Pfarreien auf lokaler Ebene sind das polnische Episkopat und der Heilige Stuhl in Rom über die Situation vor Ort umfassend iuformiert. [SPC 28: Informationen sammeln und steuero] Das Zusammenspiel zwischen Papst und polnischer Kirche funktioniert zuverlässig; Hammel beschreibt es wie folgt: Die Bischöfe werden ,,zum Fürsprecher der breiten Massen des Volkes, während der 263 Micewski schreibt der katholischen Kirche das Venlienst zu, dass SolidarnoiC oboe Gewaltanwendung für ihre Ziele kämpft (Micewski 1988: 221).
196
Papst die öffentliche Weltmeinung für das Schicksal der Menschen in seiner Heimat mobilisiert." (Hammel 1984: 43) Dabei geht es stets um das Wohl der polnischen Nation; Eigeninteressen der katholischen Kirche treten in den Hintergrund (Micewski 1988: 223). Pfarrer rufen in den Gottesdiensten dazu auf, Solidamosc zu wählen; Primas Wyszynski und sein Nachfolger Glemp genießen hohes Ansehen in der Bevölkerung. Auf den Philippinen unterstötzen Nonnen und Priester den Protest der Menschen, indem sie sich schützend vor die Demonstranten stellen. Kardinal Sin erhält von den nationalen Bischofskouferenzen Deutschlands, Kanadas und der USA Unterstötzung. [SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen im eigenen Land] Mit dem Pfarreisystem besitzt die katholische Kirche in beiden Ländern eine Infrastruktur, die unabhängig vom Staat ist. Ihre organisatorischen Fähigkeiten werden an der Einrichtung des Primas-Hilfskomitees bzw. Caritativ-soziales Primas-Komitees dentlich: Gefangene und Hilfsbedürftige werden unterstötzt. Die Infrastruktur ermöglicht sowohl in Polen als auch auf den Philippinen den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit zur staatlichen Informationspolitik (Bereitstellung von Papier und Kopiergeräten, Pfarreien als Versammlungsorte). [SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten] Der katholische Radiosender Veritas gibt auf den Philippinen die Demonstrationstermine und -orte bekannt und wird, indem er seinen rein religiösen Auftrag verlässt, zu einem Sprachrohr für die massenwirkaame Verhreitung von Gesinnungen und Einstellungen. [SPC 29: Zivile Kommunikationsnetzwerke] Der Heilige Stuhl wird zu einer Schnittstelle transnationaler Kontakte zwischen Polen und der Weltkirche: Er verbindet die katholischen Gläubigen weltweit miteinander und gibt ihnen Kraft durch das Gerneinschaftsgefiihl; über den Heiligen Stuhl erreichen CIA-Informationen die polnische Ortskirche und Solidamosc. [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontakte] Johannes Paul II. und die polnische Bischofskonferenz setzen sich in Polen für die Menschenrechte ein; auf den Philippinen agiert die Ortskirche in gieicher Weise. Mit der Förderung von Menschenrechten schaIR der Heilige Stuhl ein globales Gemeingut. Der Stellenwert, den der Papst den Menschenrechten zuspricht, ist neu und eine Provokation für die Staaten des Ostblocks (Rauch 2006: 67). [SPC 27: Globale Gemeingüter erzeugen] Mit dem Beginn des Jahres 1982 spricht der Papst bei jeder Generalaudienz von der Situation in Polen; vor allem durch die Reisen in seine Heimat gelingt es ilnn, den Freiheitskampf seiner Landsleute auf die Tagesordnung zu
197
setzen.26< Mit den Selig- und Heiligsprechungen von Osreuropäem erkennt er ihre Leistungen an und empfiehlt sie als Vorbilder: So würdigt er den Heiligen Stanislaw (ein Nationalheld Polens) als ein Idol im Kampf für Menschenrechte, Menschenwürde, Freiheit und Moral. Indem Johannes Paul 11. dem Patron Europas (Benedikt von Nursia) die Slawenaposteln Cyrill und Methodius gleichwertig zur Seite stellt, unterstreicht er den Stellenwert der osteuropäischen Staaten für Europa. Selig- und Heiligsprechungen schaffen nicht nur Aufmerksamkeit, sondern sind hier auch ein Ausdruck von Wertschätzung für die Menschen in Osteuropa, die damit in ihrem Vorgehen bestärkt werden (Kemper 2004: 50-51). [SPC 32: Agenda-Serting, Priming, Framing; Präferenzen formen] Der Papst mobilisiert in Polen mehr als zehn Millionen Menschen, die seine Messen besuchen. Die Rolle von Johannes Paul 11. schätzt Walesa wie folgt ein: Der Papst habe das Volk ,,aufgeweckt" und ein Sich-Wehren überhaupt erst thematisiert und in Betracht gezogen. Durch das Stellen der richtigen Fragen habe er die Polen zum Nachdenken angeregt. Indern er sich zu Solidarnose bekannt habe, sei die Bewegung, der bisweilen die Kraft ausgegangen sei, immer wieder mental gestärkt worden (Walesa 2005: 5). In äbnlicher Weise habe die Verleihung des Friedensnobelpreises AnerkennunlLvon der westlichen Welt gegeben und dazu ermutigt, sich weiter zu engagieren. 5 Der Katholizismus in Polen wird durch einen polnischen Papst noch selbstbewusster und avanciert zu einem "Geburtshelfer und Paten" von Solidarnose (Stehle 1993: 355). Verbeek verweist darauf, dass nach dem ersten Papstbesuch (1979) aus einem halben Dutzend Solidamose-Anhänger fiinfMillionen Mitglieder werden (Verbeek 2006: 2). Auf den Philippinen gestaltet sich die Situation ähnlich: Die katholische Kirche ruft zu Protesten auf; und die Menschen folgen ihr. [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit] Weil der Papst durch sein Amt und seinen Einsatz für die Menschenrechte zu einem moralischen Vorbild wird, versuchen einzelne polnische Politiker, sich mit ihm an ihrer Seite aufzuwerten: Der Papst kann durch seine moralische Stellung Einfluss auf Staaten nelnnen, indem er ihre Politiker auf- oder abwer-
264 Durch einen Polen als Papst steigt das Interesse der Welt an seinem. Heimatland, und die polnische Gesellschaft erfiihrt eine Verstärkung ihrer Religiosität (Holzer 1985: 80). 265 Wie wichtig dieses Aufwecken und Kraftgeben zu dieser Zeit im. Ostblock ist, beschreibt Kardinal Mcimer in einem. Interview über die Lebensbedingungen der Menschen in der DDR: "Wissen Sie, wenn man mit einem. Löwen im. Käfig sitzt, dann zieht man nicht am Schwanz. ( ... ) Die Gläubigen in der DDR, die lebten seit 1933 in einer Ausnahmesituation. Zuerst bedrängt von den Nazis, dann von den Kommunisten. Man kann vielleicht drei oder vier Jahre in der Anfechtung lebeo. Weoo es aber um vierzig oder fiinlZig Jahre geh~ da geht einem dann laogaam die Puste aus." (Meisner 2009: 7)
198
tet. Er empfängt Walesa wie einen Staatsgast und erhöht ihn damit; durch seine Enzyklika LABOREM EXERCENS (1981) legitimiert er die Forderungen von Solidarnosc. Roß sieht in ihr einen ,)istigen und vielschichtigen" Text, der vordergründig zum 90. Jahrestag der Sozialenzyklika RERUM NOVARUM von Leo XIII. verfasst ist, aber vielmehr einen "theologischen Geleitschutz" fiir Solidarnosc darstellt, der die Unterdrückung der Arbeiter durch die Fabrikanten während der Industrialisierung mit der Diktatur der Kommunisten gleichsetzt (Roß 2002: 96-97). [SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle] Johannes Paul 11. hat Einfluss auf die polnische Gewerkschaft durch seine Verbindung zu Walesa, der ein prominenter Vertreter des Widerstandes ist: Walesa identifiziert sich mit dem Papst und unterschreibt die Danziger Vereinbarung (1980) mit einem überdimensionalen Kugelschreiber, auf dem Johannes Paul 11. abgebildet ist; das Ansehen von Walesa und das Vertrauen in ihn übertragen sich in dieser Weise auch auf den Papst. Auf den Philippinen ist es wiederum Corazon Aquino, die als beksnnte Persöulichkeit aus der Gesellschaft mit der katholischen Kirche zusammenarbeitet. [SPC 36: Prominente EinzeIpersonen als Outside Partner] Die katholische Kirche stellt sich demonstrativ hinter die Gewerkschaft Solidarnosc und kämpft nach ihrem Verbot fiir ihre WiederzuIassung. Primas Wyszynski bricht 1980 seinen Rom-Aufenthalt ab, um der Zulassung von Solidarnosc beizuwohnen (falls es im letzteo Moment zu Schwierigkeiten oder einem Wortbruch der polnischen Regierung kommt); der Papst trifft sich in Polen mit Intellekluellen und Oppositionsgruppen. Auf den Philippinen gelingt es der katholischen Kirche, die einzelnen Oppositionsgruppen zusammenzufIihren (Micewski 1988: 220, 234). [SPC 38: NGOs und Verbände als Outside Partner]
6.2.1.6
Gegenüberstellung der Konflikte in Polen und auf den Philippinen PoleD ab 1979
PbIllpplnen 1986 - Jamic Kardinal Sin
kathol1schen
- Johannes Paul 11. • Primas Wyszynski · Primas Glcmp
Kirehe charismatischer
- Lech Walesa
- Corazon Aquino
• Solidarnoie - Reagan-Administration und CIA
- oppositionelle Kräfte werden zusammengeführt • Verteidigungsminister Enrile und General Ramos schließen sich den Protesten an
charismatischer Führer aUI der
weltHcher Führer Zusammenarbeit mit weltlieheu. bzw. gesellschaft-
Hehen Gruppen
199
Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung AusgBDgIsituation
Auslöser des KonOiktes Unterstützung durch deo
Helligeo Stubl und die Weltkirche
Instrumente der katholischen Kirche vor Ort
200
- Bevölkcru:ngsanteil über 90 Prozent; der katholische Glaube ist Teil der
polnischeo Identität - Unzufriedenheit mit dero oktroyiertem Kommunismus, der in der Bevölkerung nie angenommen wird; daher auch nur eine schwache kommunistische Partei
- steigende Lebensmittelkosten 1980 - Forderungeo der Gewerkschaft Solidamoic - Zweites Vatikanisches Konzil fördert politisches Engagement der Ortsk:irchen - Johannes Paul IT. legitimiert in Rom die Forderungeo von Solidamole (auch über seine Enzyldikeo) - hält da. Thema Polen (nach Ausrufung des Kriegsrecht) in deo Geoeralaudienzen und bei anderen Veranstaltungen wach; demit sorgt er für AuJinerksamkeit - finanzielle Unterstützung und (elA-) Informationen über Papst und Ortskirche an Solidamosc - Papst gibt durch seine Person der polnischen Kirche die Einheit mit dem Vatikan; stärkt die Menschen dadurch in ihrem Selbstbewusstsein (vor aIlcm durch die Papstreisen: physische Präsenz) - Papst trifft Oppositionsgruppen in Polen und im Vatikan - Gegenstände für Protestbewegung über Diplomatcnpost nach Polen - Selig- und Heiligsprechungeo machen der Bevölkerung Mut; osteuropäische Feste werden zur selben Zeit in Rom mitgefeiert (geistige Präsenz) - Papst bleibt unabhängig von USA und Kommunisten - Inftas1rnktur. 8 000 Pfarreien, die als geheime Versammlungsorte genutzt werden; verfiigen über Papier und Kopiergeräte; Mobilisierung einer Ge.eoöffentlichkei~ die unabhänoio von
- Bevölkerungsanteil über 80 Prozent (wegen spanischer Kolonialzeit) - Ungerechtigkeit und Verdrossenheit in der Bevölkorung seit deo 1980er Jahren; Marcos-Diktatur steht für Veoerowirtschaft, Korroption, Armut und Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne, politische Instabilität und fehlendes Wirtschaftswachstum. - Ermordung von Benigno Aquino 1983 - Wahlbetrug 1986 - Forderungen der Opposition werden durch deo Beiligeo Stuhl (vorsichtig) legitimiert; Johlumes Paul IT. fordert eine friedliche Lösung des Konfliktes - moralische Unterstützung von Bischofskonferenzen auderer Staaten (der Vatikan als verbindendes Element und Schnittstelle für die Weltkirehe)
- Infrastruktur: 2 000 Pfarreien; Demonstrationen werden organisiert, die Bevölkerung wird zur Teilnahme mobilisiert
der staatlichen ist - humanitäre Hilfe für Inhaftierte und Bedürftige, Hilfspakete vom Hilfskomitee - Primas Wyszynski und Glemp vennitteIn zwischen Solidamo§c und Jaruzelski; versuchen eine Radikalisicrung der Gewerkschaft zu verhindern und rufen
zur Gewaltlosigkeit auf - kcine dll-ekten Angriffe - Hirtenbriefe legitimieren die Forderungen von Solidamosc - stärken das Selbstbewusstsein der Menschen - pfarrer begleiten die Proteste (in den Gottesdiensten wird der Protest legitimiert) und rufen zur Wahl von Solidarnose auf - eigene (katholische) Ideologie, die als Alternative attraktiver wirkt als die vorherrschenden Werte: Christentum wird als eine Alternative zum Kommunismus präsentiert - religiöse Symbole geben dem. politisehen Protest eine spirituelle Konnotation (die Schwarze Madonna von Tsehenstochau für christliche Nächsten-
- Bischofskonferenz klagt den Wahlbe1rug Marcos' öffentlieh an und spricht ihm die moralische Legitimität ab
- pro-oppositionelle Hirtenbriefe
- Pfarrer und Nonnen stellen sich schützend vor die Demonstranten und stärken das Selbstbewusstsein der Menschen; rufen zu gewa1tl<>sem und friedlichem Protest
auf - in den Gottesdiensten wird der Protest legitimiert - Radio Veritas schaffi: Gegenäffentlichkcit und ruft
zu Protesten auf - eigene (katholische)
Ideologie, die als Alternative attraktiver wirkt als die vorherrschenden Werte - Rosenkränze und Muttergot-
tes-Figuren transformieren als religiöse Symbole den politischen Protest zu spirituellen Äußerungen
liebe)
.. .. Tab. 4: Gegenüberstellung der Konflikte m Polen und auf den Phihppmen
6.2.2
Kampfgegen Abtreibung
Die katholische Kirche steht dem Thema Abtreibung seit jeher ablehnend gegenüber. Im Lauf der 1990er Jahren wird an zwei Ereignissen dentIich, wie sie Einfluss auf innergesellschaftliche Entwicklungen nimmt: Der Konflikt in Deutschland um den Beratungsschein für einen legalen Schwangerschaftsabbruch legt ihren Einsatz auf nationaler Ebene gegen Abtreibung offen und zeigt den Papst, wie er sich gegen das Eigenstiindigkeitsstreben dentscher Bischöfe durchsetz! und den Befindlichkeiten deutscher Politiker eine Absage erteilt, ferner wie er die Vorstellungen in einer Gesellschaft darüber formt, was Recht und Unrecht ist. Das Auftreten des Heiligen Stohls bei der UN-Kouferenz in Kairo 1994 enthüllt sein Vorgehen auf internationaler Ebene, um Abtreibung zu ächten. 201
6.2.2.1
Grundsätzliche Ablehnung
Ein Recht auf Abtreibung ungeborener Kioder schließt die katholische Kirche grundsätzlich aus (Williams 2007: 172). In eioer Abhandlung über das fünfte Gebot heißt es zur Abtreibung im Katechismus der Katholischen Kirche: "Da der Embryo schon von der Empfängnis an wie eioe Person behandelt werden muß, ist er wie jedes andere menschliche Wesen im Rahmen des Möglichen unversehrt zu erhalten, zu pflegen und zu heilen." Jede Abtreibung und die Mitwirkung an ihr siod deshalb eio schweres sittliches Verbrechen; die Bestrafung mit der Exkommunikation wird angedroht (Katechismus der Katholischen Kirche 1993: 2272, 2274). Der Schutz des Embryos erwächst aus der Würde des Menschen, die dieser auf Grund seioer Gottesebenbildlichkeit besitzt. Eioe weitere Dimension dieses Problemfeldes ist, dass der Geschlechtsakt vor allem der Fortpflanzung dienen soll und keine Berechtigung hat, wenn er nicht darauf ausgerichtet ist; auch künstliche Verhütungsmittel werden aus diesem Grund abgelehnt (Katechismus der Katholischen Kirche 1993: 2332, 2366, 2370). Die Zustiiodigkeit für das Aufstellen von Regeln im Bereich der Sexualität erwächst der katholischen Kirche nach ihrer Auffassung daraus, dass diese eioen sozialen und io der Folge öffentlichen Aspekt io Bezug auf das Gemeinwohl beiohaltet (Williams 2007: 173).
6.2.2.2
Der Schwangerenkonfliktberatungsschein io Deutschland
Nach der Wiedervereinigung verabschiedet der Bundestag am 29. Juni 1995 eio neues Abtreibungsrecht, das wegen der Vereioheitlichung des BRD- und DDRStrafrechts und eioes Urteils des Bundesverfassungsgerichts notwendig wird. 266 Das Schwangeren- und Familienhiifeänderungsgesetz sieht bei eioer Abtreibung Straffreiheit für den Fall vor, dass eioe vorherige Beratung erfolgt ist, der Abbruch ionerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen stattfindet und von eioem Arzt durchgefiihrt wird (Reiter 1999: 15_16).267 Die Bundesregierung 266 Mit dem. Einigungsvertrag kommt es 1992 zu einer Fristenregelung mit Beratungskonzept, nach der ein Schwangerschaftsabbruch nicht mehr als Rechtswidrigkeit gilt, wenn zuvor ein Beratungsgespräch stattgefunden hat Das Bundesverfassungsgericht spricht sich in seinem Urteil im Mai 1993 gegen diese Neuregelung aus, weil der Staat seiner Aufgabe nicht gerecht werde, das ungeborene Kind in ausreichendem. Maße zu schützen (Loos 1989: 252). 267 Anderenfalls legt das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe fest. Abtreibungen, die wegen einer mediziniseben oder kriminologischen Indikation durchge. führt werden, sind von dieser Regelung nicht betroffen. Das Beratungsgesprä.ch dient dem
202
vollzieht damit eineo ,,Paradigmeowechsel": Sie geht davon aus, dass das Leben des ungeboreoeo Kindes durch die Verpflichtung zu einer Beratung und die Leistung von sozialer Hilfe besser zu schützen ist als durch eine Strafandrohung. Spieker vermutet, dass diese Neuausrichtung eher einem Meotalitätswandei in der Bevölkerung geschuldet ist, nach dem der Schutz des ungeborenen Kindes weniger zählt als das Selbstbestimmungsrecht der Frau (Spieker 2000: 92, 94). Das beschlosseoe Gesetz widerspricht in Grundsätzen deo Forderungen, die Johannes Paul Ir. in seiner Enzyklika EVANGELIUM VITAE im März desselbeo Jahres aufstellt. Hierin spricht er sich strikt gegen die Mitwirkung an Abtreibung und Euthanasie aus. Da die für die straffreie Abtreibung geforderte Beratung auch in katholischen Einrichtungeo268 durchgefiihrt wird, weodet sich Johannes Paul 11. im September 1995 in einem ersten Brief an die deutschen Bischöfe und ermahnt sie, sich nicht an der Tötung von Kindern zu beteiligen. Er begrüßt und unterstützt es zwar, schwangereo Frauen helfen zu wollen, sieht in dem Ausstellen eines Scheines, der für die Abtreibung beoötigt wird, jedoch eine indirekte Mitwirkung am Unrecht (Götz 1999: 186-187). Auf ihrer Herbstvollversammlung im September 1995 beraten die deutschen Bischöfe die Rechtslage und beschließeo, im staatlichen Beratungssystem verbleibeo zu wolleo. Sie argumeotiereo, dass es ihnen zwar missfalle, dass der Beratungsschein für eine straffreie Abtreibung geoutzt werdeo kann, giaubeo aber, nur durch die Ausstellung eines solcheo Scheines Fraueo überhaupt erreichen zu können, die eine Abtreibung in Betracht zieheo. Im Dezember 1995 und April 1997 reist eine Delegation aus fünf Bischöfeo in deo Vatikan, um dem Heiligen Stuhl die Haltung der Deutscheo Bischofskonferenz (DBK) zu erläutern (pfeiffer 2007: 64). Regelmäßig erfolgen Erklärungeo der deutschen Bischöfe, die Abtreibung Zie~
Hilfe zu leisten und eine Fortführung der Schwangerschaft zu erreichen (Reiter 1999: 15-
16).
268 Im Jahr 1997 befinden sich von den insgesamt 1 686 Schwangerenkon:fl:iktberatungsstellen in Deutschland 865 in :freier Trägerschaft. Sie werden betrieben von der katholischen Kirche (mit 270 Beratungseinrichtungen), der evangelischen Kirche (255), dem Deotschen Caritssverhand (152), dem Sozialdienst katholischer Frauen (110), der Arbeiterwohlfahrt (110), dem Deotschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (18), dem Deotschen Roten Kreuz (61), Pro Familia (151) und anderen Trägern (8) (Spieker 2000: 121). Die Finanzierung ist in jedem Bundea1and unterachiedlich geregelt: So belaufen sich die Kosten der 24 katholischen Konfliktberatungs-
stellen in Bayern zu dieser Zeit pro Jahr auf 10 Millionen DM. von denen 8 Millionen DM der Staat und 2 Millionen DM die katholische Kirche aufwenden. Für das Erzbistum Köln gilt
wiederum eine eigene Regelung, nach der die dortigen 24 Beratungsstellen 1996 über ein Budget von 4,46 Millionen DM verfügen, das sich zu 19 Prozent aus LandesmitteIn, 9 Prozent aus Zuschüssen von Kommunen und 70 Prozent aus Kirchensteuermitte1n zusammensetzt (Spieker 2000: 123).
203
als Unrecht bezeichnen (September 1996, Februar 1997); die Schwangerenkonfliktberatung mit der Ausstellung des Scheines findet jedoch weiterhin statt. Nachdem sich die deutschen Bischöfe (mit Ausnahme von Bischof Dyba) im Mai 1997 erneut für die Fortführung der kirchlichen Beratung aussprechen, richtet sich Johannes Paul II. im Januar 1998 mit einem zweiten Brief an sie und formuliert darin die eindringliche Bitte, den bisherigen Beratungsschein in katholischen Einrichtungen nicht länger ausstellen zu lassen, da die Kirche insgesamt an Glaubwürdigkeit verliere, wenn sie Teil eines Abtreibungssystems ist; die Beratung dürfe aber weiterhin durchgefiihrt werden. Die Opposition der katholischen Kirche zum staatlichen Vorgehen kommentiert Johannes Paul II. wie folgt: ,,Dass die Kirche den Weg des Gesetzgebers in einem bestimmten Punkt nicht mitgehen kann, wird ein Zeichen sein, das gerade im Widerspruch zur Schärfung des öffentlichen Gewissens beiträgt und damit letztlich auch dem Wohl des Staates dient." (Johannes Paul II. 1998: 203-206) Die DBK reagiert mit der Einrichtung einer Arbeitsgruppe im März 1998 unter dem Vorsitz von Bischof Lehmann. Zwei Monate später weist Kardinal Ratzinger bei einem Vortrag in Hamburg auf die Dringlichkeit einer Lösung hin (Götz 1999: 191). Bei der Herbstvollversammlung der deutachen Bischöfe 1998 werden die bisherigen Ergebnisse der Arbeitsgruppe präsentiert, und im Frühjahr 1999 erklären die Bischöfe wiederholt, im staatlichen Beratungssystem zu bleiben, um möglichst viele Frauen erreichen zu können. Der Schein, gegen den sich Johannes Paul Ir. ausspricht, erhält den neuen Namen Beratungs- und Hilfeplan (Beckmann 2000: 188). BischofLehmann reist zwar erneut in den Vatikan, um dern Papst die Entscheidung der deutschen Bischöfe zu erklären, Johannes Paul Ir. ist mit dem Ergebnis jedoch unzufrieden und ermahnt in einem dritten Brief (im Juni 1999) dazu klarzustellen, dass der Schein - auch unter neuem Namen - nicht zu einer straffreien Abtreibung verwandt werden darf. Bischof Lehmann wertet dies zunächst als Aufforderung, aus der Beratung auszusteigen, und es kommt zu einem "offenen Konflikt" (Spieker 2000: 161). Die Bischöfe verständigen sich schließlich auf den auf dem Schein vermerkten Hinweis ,,Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden" und setzen die Beratungstätigkeit fort (Beckmann 2000: 189). Da der Staat auf die katholische Kirche im Beratungssystem nicht verzichten will und die kirchliche Beratung auch weiterhin für eine straffreie Abtreibung nutzen möchte, einigen sich Bundesjustizministerin Däub1er-Gmelin und die zuständigen Landespolitiker im Juli!August 1999 unter Mitwirkung von Staats- und Verfassungsrechtlern darauf, den von Johannes Paul Ir. geforderten Hinweis auf dem Beratungsschein schlichtweg zu ignorieren (Beckmann 2000: 204
189-190). Obwohl sie wissen, dass sie damit die Intention des Papstes unterlaufen, wird der in katholischen Einrichtungen ausgestellte Schein auch weiterhin als Bedingung für eine straffreie Abtreibung akzeptiert. Kardinal Meisner und Bischof Dyba verurteilen dieses Vorgehen als Täuschung, und weil ein Gespräch zwischen ihnen, Bischof Lehmann und Johaunes Paul 11. in Castel Gandolfo im September 1999 ohne Ergebnis verläuft, erteilen Kardinal Ratzinger und Kardinal Sodano der DBK in einem Brief den Aufuag, gegen den Missbrauch des Beratungsscheines unverzüglich vorzugehen. Sie weisen darauf hin, dass die Diskrepanz zwischen der Absicht des Beratungsscheines und seiner Anwendung in der Praxis der katholischen Kirche Schaden zufüge (RatzingerlSodano 1999: 241-242). Auf ihrer HerbstvollversammIung kommt es zu einer Spaltung unter den deutschen Bischöfen: Sie sind sich uneinig über ihr weiteres Vorgehen,'" so dass sich Johaunes Paul 11. genötigt sieht (im November 1999), in einem vierten Brief an die dentschen Bischöfe anzuordnen, dass kein Schein - unter welchem Namen auch immer - mehr ausgestellt werden darf (Johannes Paul 11. 1999: 253). In der Folge findet die Beratung für Schwangere zwar weiterhin statt, ein Schriftstück, das das Gespräch dokomentiert, wird jedoch nicht mehr ausgestellt (pfeitler 2007: 65). In der Zwischenzeit gründet das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) am 24. September 1999 den Verein Donum vitae. Ziel dieses Vereins ist es, das Katholische auch weiterhin im staatlichen Beratungssystem zu erhalten, auch wenn gerade das vom Heiligen Stuhl abgelehnt wird. Die Anweisung des Papstes wird dem eigenen Interesse untergeordnet, auch die Frauen erreichen zu wollen, die ohne das Angebot eines Scheines nicht in eine Beratungsstelle kommen würden (Büchner 2003: 371). Das ZdK vollzieht bereits zwei Jahre zuvor einen Bruch mit dem Papst, als es sich deutlich gegen seine Position zur Schwangerenkonfliktberatung stellt und zu einem "aggressiven Kritiker" wird (Spieker 2000: 191). Seit dem Ausstieg der Bischöfe aus der Scheinausstellung beruhigt sich die öffentliche Auseinandersetzung über die Schwangerenkonfliktberatung. Kardinal Ratzinger schreibt im Juli 2003 einen Brief an den Vorsitzenden der DBK Lehmann, der mittlerweile zum Kardinal ernannt worden ist; dieser möge dafür sorgen, dass sich Bischöfe, Priester und Laien von Donum vitae distanzieren, weil der Verein "separatistische Tendenzen unter den deutschen Katholiken" fördere (Ratzinger zit. in: Spieker 2008: 278). In ähnlicher Weise äußert sich Kardinal Levada, Nachfolger von Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glauhens269 Die Hälfte aller versammelten Bischöfe möchte den Entschluss von Johannes Paul 11. nicht akzeptieren (Spieker 2000: 172-174).
205
kongregation in den Jahren 2006 und 2007. Spieker spricht von einem ,,Mehltau", der sich über die katholische Kirche bei diesem Thema gelegt habe (Spieker 2008: 281). Donum vitae beschäftigt im Jahr 2003 212 Beraterinoen in Vollzeit, die - je nach Landesverband - bis zu 80 Prozent aus den früheren Beratungsstellen der katholischen Kirche kommen und nun jährlich über 30 000 Erstberatungsgespräche fiihren (Foitzik 2003c: 225-226). Im Jahr 2008 zählt der Verein über 100 Beratungsstellen; seine Kosten bestreitet er überwiegend aus staatlicher Förderung, denn die erhoffte Spendenbereitschaft von Katholiken bleibt aus. 27• Obwohl die katholische Kirche dem Verein in jeder Form das Katholische abspricht, unterstreichen Politiker wie Bernhard Vogel und Annette Schavan, dass Donum vitae nicht außerhalb der katholischen Kirche liege (Spieker 2008: 275, 279). Die Anzahl der Frauen, die in den verbleibenden AnlaufsteIlen der katholischen Kirche nach einer Beratung suchen, tendiert gegen Null (Foitzik 2003c: 225).
6.2.2.3
Die jeweiligen Interessen und Machtmittel der beteiligten Akteure
Im Streit über den Schwangerenkonfliktberatungsschein stehen sich unterschiedliche Interessen gegenüber: Von der Unvereinbarkeit von Abtreibung und katholischer Lehre abgesehen, sorgt sich Johannes Paul Ir. um die Einheit der katholischen Kirche. Er befürchtet, dass die Vorgehensweise der Ortskirche in Deutschland zu einem Vorbild fiir andere Staaten werden könnte. Er ist fiir einen Verbleib im Beratungssystem, um Frauen in einer Konfliktsitustion helfen und ungeborene Kinder schützen zu können; von seiner Haltung, dass die Kirche nicht Teil eines Abtreibungssystems sein darf, indem sie der Frau eine Bescheinigung verschafft, die diese zur straffreien Abtreibung benutzen kann, rückt er allerdings nicht ab (Lehmann 1998: 62, 70). Er sieht in der Ausstellung eines Scheines eine Lebensgefahr, in die das ungeborene Kind gerät. Auf einen weiteren Aspekt macht Büchner aufmerksam, den auch der Papst thematisiert: Nach Angaben des Deutschen Caritasverbandes würden ein Drittel aller Frauen die Beratungsstellen aufsuchen, weil sie von ihren Familien zu einer Abtreibung gedrängt würden (Büchner 2003: 372). Johannes Paul Ir. sieht die Kirche in einer Mitschuld an dieser Druckausübung auf Frauen, wenn sie in diesen Fällen einen Schein ausstellt. Auch wenn der Papst in seinen Briefen an die deutschen Bischöfe von einer ,,Bitte" spricht, lässt die Semantik seiner Schreiben keinen 270 Donum vitae bestreitet in Bayem seine Kosten zu über 90 Prozent aus Mitteln des Landes (Foitzik 2003c: 226).
206
Zweifel darüber aufkommen, dass damit eine unmissverständliche Anweisung gemeint ist (Reiter 1999: 17; Lehmann 1998: 60). Johannes Paul 11. muss davon ausgehen, dass er an Autorität verliert, wenn die deutschen Bischöfe seinem Entschluss nicht folgen, und dass Bischofskonferenzen anderer Länder ihren Gehorsam ebenso aufweichen. Das Machtmittel des Papstes gegenüber den Bischöfen besteht in seiner uneingeschränkten Autorität über die katholische Kirche: Zunächst wendet er sich schriftlich an die Bischöfe, wird in der Folge deutlicher in seinem Anliegen und agiert kompromisslos; prominente Vertreter des Heiligen Stuhls unterstötzen ihn dabei öffentlich. Dem Versuch von Politikern, den Beratungsschein zu missbrauchen und den Verein Donum vitae zu unterstötzen, kann er (außer einer Verurteilung) zunächst nichts entgegensetzen. Ähnlich verhält es sich mit seinem Einfluss auf das ZdK: Er kann dem Vorgehen des Vereins nur seine Legitimität absprechen und die rechtmäßige Verwendung des Prädikats katholisch absprechen; die Eigenständigkeit von Laienverbänden ist fiir ihn nicht akzeptabel. Die deutschen Bischöfe wollen um ungeborene Kinder kämpfen und entschließen sich fiir das gleichsam kleinere Übel: Sie glauben, dass Frauen in einer Konfliktsituation nur dann die Beratungsdienste der katholischen Kirche in Anspruch nehmen, wenn die Möglichkeit der Scheinausstellung gegeben ist, die einen straffreien Abbruch der Schwangerschaft ermöglicht. So unterstötzen die Bischöfe lieber indirekt etwas, das sie grundsätzlich ablehnen, wenn dadurch zumindest die Möglichkeit der Rettung von ungeborenen Kindern gegeben ist.271 Es entsteht der Eindruck, dass sie auf Zeit spielen, um sich dem Willen des Papstes nicht unterwerfen zu müssen. Dabei wird ihr Bemühen deutlich, beiden Seiten gerecht werden zu wollen: der Reinheit der katholischen Lehre und der Hilfsbedürftigkeit der Frauen. 272 Das Engagement der deutschen Bischöfe im Sozialbereich beschert ihnen Mitwirkungsrechte, die sie zu verlieren drohen, wenn sie ihre Beteiligung kündigen. Die Uneinigkeit innerhalb der Bischofskonferenz über das richtige Vorgehen spiegelt auch die Kontroverse wider, die das Thema Abtreibung in der Gesellschaft erfiihrt. Das Machtmittel
271 Reiter argumentiert in gleicher Weise: Obwohl er selbst auf die Schwierigkeit hinweist. dass verlässliche Zahlen auf diesem Gebiet kaum zu erbringen sind. spricht er von jährlich 4 000 Kindern, die in den 270 katholischen Beratungsstellen vor einer Abtreibung bewahrt würden: ..Es ist nachgewiesen, daß von jenen Frauen., die mit einer Option für die Abtreibung eine katholische Beratungsstelle aufgesucht haben, jede dritte ihre Absicht geändert hat" Frauen in einer K.on:t1iktsituation kämen nicht immer mit einem bereits feststehenden Entschluss in die Beratung (Reiter 1999: 14, 17). 272 Wesentlich radikaler treten dagegen die Bischöfe in Spanien auf: Sie drohen damit, Ärzte zu exkommunizieren, die die Abtreibungspille RU486 verschreiben (Beckmann 2000: 37).
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der deutschen Bischöfe scheint sich darin zu erschöpfen, über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung ihrer Position Nachdruck zu verleihen; gegenüber dem Papst ist ihre institutionelle Stellung schwach. Der Konflikt zeigt, dass die Mitwirkung der Kirche im Sozialbereich eines Landes inuner auch eine politische Dimension hat (Ring-Eifel 2004: 40). Mit Ausnalune der PDS spricht sich zu dem hier besprochenen Zeitraum jede Fraktion im Deutschen Bundestag für den Verbleib der katholischen Kirche im Beratungssystem aus (Reis 2001: 32). Mehrere Politiker versuchen, die katholische Kirche zu einem Verbleib zu drängen, indem sie darauf hinweisen, dass getrennte Wege im staatlichen Beratungssystem auch zu einer Abkühlung der Zusammeoarbeit in anderen Bereichen fiihren würden (Reiter 1999: 19). Zumindest öffentlich bezeichoet Bischof Lehrnann diese Drohung als haltlos: Die katholische Kirche müsse sich ihre Eigenständigkeit erhalten und sich auch dann zu ihrer Meinung bekennen, wenn diese der staatlichen Auffassung entgegenlaufe (Lehrnann 1998: 71). Mehr als die angedrohte Abkühlung in der Zusammenarbeit scheinen dentsehe Politiker gegenüber der katholischen Kirche nicht ausspielen zu können: Sie ignorieren den Kompromiss der dentschen Bischöfe aus dem Jahr 1999'73 und missachten damit nicht nur die Anweisung von Johannes Panl Ir., den Schein nicht länger für eine strameie Abtreibung zu benutzen; Landespolitiker unterlaufen in ihrer finanziellen Förderung von Donum vitae die Autonomie der katholischen Kirche in deren Entscheidung, dem Verein das Prädikat katholisch abzusprechen (Spieker 2000: 249).274 Das Interesse der Politik an der Teiloahrne der katholischen Kirche im Beratungssystem dürfte zwei Motive haben: Zum einen profitiert der Staat von der Mitwirkung der katholischen Kirche im Sozialbereich (Reiter 1999: 20);27' zum anderen verleiht die katholische Beteiligung eine Art Legitimation für die Regelungen, die von Politikern in einem ethisch und moralisch schwierigen Problembereich getroffen werden und der auch in der Bevölkerung bewegt diskutiert wird. So kommt der katholischen Kirche eine "objektive systetnStabilisierende Wirkung" zu. 27< Sie soll dabei helfen, einen gesellschaftlichen Konsens zu errei-
273 Der Kompromiss besteht in dem Zusatz auf dem. Beratungsschein ,,Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden." 274 Spieker fügt hinzu, dass gerade CDUlCSU-gefiihrte Länder die Einbiruhmg von Donum vitae in das Beratungssystem besonders zügig umgesetzt hätten (Spieker 2000: 245). 275 Die katholisehe Kirche betreibt in Deutsehland ca. 25 000 Sozialeinrichtungec (Krackenhäusero Sozialstationen, Altenheime) und über 10 000 Kindergärten und Horte; sie gehört zu den größtec Arbeitgeberincec das Lacdes (Beclanaon 2000: 178). 276 Beclanaon zitiert einen Buodastagsabgeordneteo det CDU/CSU-Fraktioo, nach dem man den Bürgern otit Hilfe det katholischen Kirche das Abtreibucgssystem leichter als ,,Lebecsschutz-
208
chen, indem sie durch ihre Mitwirkung den moralischen Wert der Entscheidung suggeriert (Beckmann 1999: ISO, 153). Spieker geht davon aus, dass Bundeskanzler Kohl die kaiholische Kirche in der Person von Bischof Lehmann braucht, um die Abgeordneten seiner eigenen Fraktion zu befrieden, denen selbst eine einheitliche Meinung zum Thema Abtreibung fehlt (Spieker 2000: 244). Das Zentralkomitee der dentschen Kaiholiken empfiehlt sich als Vertretong der kaiholischen Laien in Deutschland.277 Es begleitet den Konflikt über den Beratongsschein von Anfang an und setzt sich vehement fiir einen Verbleib im Beratongssystem ein. Reis beurteilt das Komitee allerdings weniger als unabhängige Interessenvertretong von Kaiholiken, sondern vielmehr als "das Sprachrohr der im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien" (Reis 2001: 24). Beckmann weist darauf hin, dass das Führungspersonal des ZdK. vornehmlich aus ehemaligen oder noch aktiven Berufspolitikern besteht, die als ZdK.-Mitglieder vielfach ihrer eigenen Politik Beifall klatschten und einen christlichen Stempel aufdrücken wollten (Beckmann 2000: 171).278 Auch Spieker kritisiert diesen Umstand und warnt: "So ist es nicht verwunderlich, daß die kirchlichen Gremien in der Gefahr stehen, eher Akklamations- als Kontrollorgane fiir jene politischen Entscheidungen zu sein, die von denselben Personen als Mandatsträger der CDU/CSU geprägt oder wenigstens getragen werden." Spieker betont das Gewicht des ZdK. bei der Meinungsbildung der Bischöfe, wenn es um politische oder gesellschaftliche Fragen geht (Spieker 2000: 245). Reis fiihrt an, dass das ZdK das Prädikat katholisch nicht fiir sich in Anspruch nehmen könne, weil der Papst nicht nur weisungsbefugt gegenüber den Bischöfen, sondern auch gegenüber Laien ist und der Verein schließlich gegen den Willen des Heiligen Stohls entstanden ist (Reis 2001: 57-58). Beckmann folgert: ,,Erstmals schaffen kaiholische Laien Strukturen, um eine päpstliche Weisung konzepf' verkaufen konnte, um die immer wieder aufbrechenden Diskussionen über den Paragraphen 218 zu beruhigen (Beckmann 2000: 77).
277 Das ZdK. setzt sich aus Vertretern. der Diözesanräte, Mitgliedern katholischer Verbände, katholischen Laien und Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft zusammen (Zentralkomitee der ~hen Katholiken 2010). 278 Zu den prominentesten Mitgliedern der ZdK-Vollversamm1uog gehören zu Beginn des Jahres 2011 Dieler Althaus (Ministerpräsident .. D.). Maria Biihmer (Staatsministerin). Bemd Busom.ann (Justizminister Niedersachsen). Georg Fahrenschon (Finanzmjnister Bayern), Alois Glück (als Präsident des ZdK). Barbara Heodricks. Julla Klöckoer (Staatsekretärin .. D.). Winfried Kretsehmaon (Ministerpräsident). Armin Laachet (Landeaminister .. D.). Hildegard Mllller (Staatsackretärin .. D.). Philipp Rösler (Bundesminister). Barb.... Stamm (Präsidentin des Bayerischen Landtaga). Monika Stolz (LandesJDinisterin .. D.) und Wolfgang Thierse (Bundestaga-Vizepräsident) (Zentralkomitee der dentschen Katholiken 2011).
209
der letztlich auch alle Bischöfe folgen wollen - offen zu umgehen.,,279 Der Autor kritisiert femer den Namen des Vereios, da er - indem er an eine gleichnamige Verlautbarung der Kongregation für die Glaubenslehre (1987) und die Enzyklika EVANGELIUM VlTAE (1995) erinnere - das Katholische suggeriere, das er für seine Aufgabe nicht in Anspruch nehmen dürfe (Beckmann 2000: 169-170; Reis 2001: 57). Da der Papst gegenüber Laien zwar weisungsberechtigt aber nicht sanktionsfiihig ist,280 kann das ZdK unabhängiger als die deutschen Bischöfe agieren; durch seine Verbindungen zur Politik können finanzielle Ressourcen für die Beratungstätigkeit von Donum vitae generiert werden. Die Suche nach dem richtigen Weg in der Abreibungsfrage gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil es nicht möglich ist, mit Daten belegen zu wollen, welcher Weg sich im Lauf der Zeit als der vorteilhaftere herausstellt. Zumimlest für Zahlen, die sich auf durchgefiihrte oder verhinderte Abtreibungen beziehen, gilt seit Beginn ihrer Erhebung die Aussage von Spieker: ,,Die Statistik der Schwangerschaftsabbrüche ist ein dorniges Feld. Mit Sicherheit läßt sich nur behaupten, daß es keine sicheren Zahlen gibt." (Spieker 2000: 52) Beckmann bestätigt, dass fast alle Zahlen, die zu Abtreibungen und Beratungsgesprächen existieren, mehr auf Schätzungen als auf Tatsachen beruhen, da es für die Frauen nach der Beratung keine Rückmeldepflicht gibt (Beckmann 2000: 6567). So spricht z. B. der Caritasverband in einer Erhebung für die Jahre 1996 und 1997 davon, dass sich 25 Prozent der beratenen Frauen keinen Schein ausstellen ließen und folgert daraus, dass entsprechend viele ungeborene Kinder gerettet wurden. Offen bleibt jedoch, ob sich die Frauen den für eine legale Abtreibung notwendigen Schein von einer anderen Stelle haben ausstellen lassen oder tatsächlich auf eine Abtreibung verzichtet haben (Spieker 2000: 129). Die katholische Kirche prägt mit ihrem Vorgehen das Bewusstsein der Menschen darüber, was Recht und was Unrecht ist oder ob ein ungeborenes Kind auch im Alter von nur wenigen Wochen schon als schützenswert gilt. 281 Hierzu äußert sich der Kölner Generalvikar Feldhoff:
279 .,Die Gründung von Donum vitae stand dem ZdK. nicht zu und richtete sich gegen den Papst" (Interview 4) 280 Zwar besteht als StraJinaßnahme die Möglichkeit der Exkommunikation, von der jedoch kaum mehr Gebrauch gemacht wird, weil sie kirchenrechtlich umstritten ist. 281 Die evangelische Kirche - sofern bei ihrer Vielfalt von der Kirche gesprochen werden kann hst mit dem SchWlll1jlCfCl1- und Familienhilfeänderungsgesetz von 1995 weniger Schwietigkeiten. Zwar betont sie ihre grundsätzliche Ablehnung von Abtreibung. verweist jedoch auf die Notlagenindikation, die anzuerkennen sei. und kritisiert den Ausstieg der katholischen Kirche, wie er von Johstmes Pao! Il gefordert wird (Spieker 2000: 215-216).
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Die Entwicklung in Deutschland zeigt leider, dass der Schutz des ungeborenen Lebens im Bewusstsein immer mehr in den Hintergrund tritt. Man verdrängt mehr und mehr, dass hier Unrecht geschieht. Abtreibung ist unter gewissen Voraussetzungen straffre~ und die Kirche beteiligt sich an diesem Verfahren. Dann kann es ja nicht so schlimm sein, ja, es wird sogar von einem Recht auf Abtreibong gesprochen. ( ... ) Sofern die Kirche in diesem System mitwirkt, ist sie nicht unschuldig an dieser Bewusstseinsentwicklung, und sie verdunkelt damit ihren Einsatz für den Schotz des ungeborenen Lebens (Feldhoff zit. in: Beclanann 2000: 93).
6.2.2.4
Die UN-Konferenz in Kairo 1994: Der Heilige Stuhl gegen die USA, China und die UNO
Zwischen dem 5. und 13. September 1994 findet in Kairo die International Conference on Population and Development (ICPD) statt, die vom United Nations Population Fund (UNFPA) organisiert wird. Im Mittelpunkt dieser Konferen2 stehen die Themen Familienplanung, reproduktive Gesundheit282 und Rechte, Abtreibung und Geburtenkontrolle sowie Immigration, Kindersterblichkeit und der Zugang von Freuen zum Bildungs- und Gesundheitswesen (UNFPA 1995; Schwarz 2007: 560). Über 20 000 Delegierte von Regierungen, UNO, NGOs und Medien aus 179 Staaten nehmen an der Konferen2 teil (UNFPA 1995). Im Vorfeld der ICPD deutet alles damnf hin, dass das sogenannte Aktionsprogramm Abtreibung als legitimes Mittel der Familienplanung anerkennen will. Besonders die USA und Schweden machen sich dafür stark, aber auch China und Indien unterstützen diesen Vorstnß. Der Heilige Stuhl lehnt ihn kategorisch ab: Das Programm steht diametral zu seinen Vorstellungen von Familien- und Lebensschutz (Schwarz 2007: 560).283 Auf einer Vorkonfer= in New York ist er mit seiner Ablehnung jedoch isoliert: Hat der Heilige Stuhl unter Präsident Reagan noch einen Verbündeten im Kampf gegen Abtreibung, ist diese Unterstützung in der Amtszeit Clintnns verloren (Ryall 200 I: 51).
282 Das Bundesministerium :für wirtscha:ftli.che Zusammenarbeit und Entwicklung definiert reproduJctjve Gesundheit wie folgt: "Im weiteren Sinne beschreibt der Begriff nicht nur die
Abwesenheit von Krankheiten oder Beschwerden der menschlichen Fortpflanzungsorgane, sondern den Zustand des vollständigen seelischen, körperlichen und sozialen Wohlbefindens im Hinblick auf Sexualität und Fortpflanzung. Der Begriff bezieht sich auf alle Phasen des Lebens. Nach der Definition des Aktionsprogramms der UN-Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 bedeutet reproduktive Gesundhei~ dass ,Menachen ein befriedigendes und ungofiihrliches Sexualleben haben können und dass sie die Fähigkeit zur Fortpflanzung und die
freie Entscheidung darüber haben, ob, wann und wie oft sie hiervon Gebrauch machen wollen'." (Bundesministerium für wirtscl!aftliehe Zusammenarbeit und Entwicklong 2010) 283 Der zentrale Streitpunkt ist die Frage, was unter dem Begriff reprodulctive Gesundheit
verstanden werden soll.
211
Sechs Monate vor der Konferenz setzen die diplomatischen Bemühungen des Heiligen Stohls ein: Im März 1994 trifft sich der Papst mit der Generalsekretärin der ICPD Nafis Sadik zu einem Gespräch. Sadik argomentiert, dass das Aktionsprogramm lediglich vorsehe, Frauen Zugang zu einer sicheren Abtreibung zu verschaffen und dadurch die Frauensterblichkeit zu senken. In einer anschließenden Presseerklärung macht der Papst deutlich, dass er die Beschränkung von Familiengräßen sowie die Durcbfiihrung von Sterilisation und Abtreibung ablehnt (Singh 1998: 50). Das Aktionsprogramm widerspreche seinen Vorstellungen von der Würde der Frau, über die er in seiner 1988 veröffentlichten Enzyklika MULIERIS DIGNITATEM spricht. Auch ein Treffen mit US-Präsident Clinton im Juni 1994 verläuft ohne Ergebnis: Die Gegensätze in den jeweiligen Positionen sind zu groß; der Papst beklagt das mangelnde Verständnis der Welt und insbesondere das der USA fiir die Würde des menschlichen Lebens (Coppa 2008: 194). Johannes Paul 11. schreibt einen Brief an alle Staatsoberhäupter der Erde, in dem er seiner Ablehnung Nachdruck verleiht (Appleby 2000: 18-19). Er hält das Aktionsprogramm fiir den Ausdruck des Zeitgeistes in den entwickelten und reichen Ländern, der zu Lasten der Menschen in den Entwicklungsländern gehe. Statt einer Geburtenkontrolle fordert er Bildung, Arbeitsplätze und eine gleichberechtigte Stellung fiir Frauen in den Ländern, die unter einer Überbevölkerung oder einem Entwicklungsdefizit leiden (Coppa 2008: 229). Alle beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten werden einbestellt, und Johannes Paul 11. erläutert ihnen seine Ablehnung des Aktionsprogramms. Zu dieser Zeit lässt der Papst keinen öffentlichen Auftritt aus, um sich gegen Abtreibung auszusprechen; die Mitglieder des Kardinalskollegiums unterstützen ihn dabei (Neale 1998: 110). Der Pressesprecher des Heiligen Stohls, Joaquin Navarro-Valls, erläutert in einer Reihe von Treffen mit Medienvertretero die Haltung des Papstes und versucht, sie fiir Johannes Paul 11. zu gewinnen. Navarra-Valls wird schließlich auch der Sprecher der Delegation des Heiligen Stohls in Kairo, die einen Monat vor der ICPD mit Repräsentanten des Irans und Libyens Gespräche darüber fiibrt, wie man sich gemeinsam gegen das Aktionsprogramm durchsetzen kann (Ring-Eifel 2004: 226-227; Neale 1998: 111). Während der Konferenz blockiert die Delegation des Heiligen Stohls unter der Leitong von Bischof Renato Martino über Tage die Verhandlungen, indem sie über den Wortlaut von Beschlüssen streitet und die gesamte Konferenz auf eine Diskussion über das Thema Abtreibung reduziert. Ermöglicht wird dies dadurch, dass der Heilige Stohl wegen seines formellen Beobachterstatus bei UN-Konferenzen weitestgehend ähnliche Kompetenz besitzt wie Vollmitglieder (Bathon 2001: 606-607). Der Heilige Stohl präsentiert sich als das Gewissen der 212
Kotiferenz und Hüter von Moral und Ethik (Neale 1998: 111, 117). Er weicht von seinen Vorstellungen über Familie, Ehe und Sexualität in keiner Weise ab und sucht die Nähe zu Staaten, die Abtreibung aus kulturellen oder religiösen Gründen ebenfalls ablehnen. Unterstützer findet er in den UN-Vollmitgliedern Costa Rica, Argentinien, Malta, Venezuela, Marokko und Ecuador (Singh 1998: 55). Mit ihnen gelingt es dem Heiligen Stuhl, sich in entscheidenden Punkten durchzusetzen; als seinen größten Erfolg wird der Zusatz des Schlussdokuments gewertet, dass Abtreibung als Teil der Familienplanung unter keinen Umständen gefördert werden dürfe; damit durchkreuzt er in besonderer Weise die Interessen Chinas (Ring-Eifel 2004: 227; Leung 2005: 358). Der Heilige Stuhl verhindert auch einen Ausbau von Aufklärungskampagnen, die Jugendliche über Sexualität und Aids informieren sollen. Die Delegation der USA lenkt nach ihrer Kritik am Vorgehen des Heiligen Stuhls ein, weil sie wegen der Abstimmungsmodalitäten von UN-Konferenzen einsieht, dass eine Fortfiihrung des Konfrontationskurses zum Block um den Heiligen Stuhl nur das Scheitern der ICPD zur Folge hat (Ring-Eifel 2004: 227; Bathon 2001: 607-608). Den USA gelingt es nicht, Abtreibung als Menschenrecht zu verankern (Rya1l2001: 52). Der Heilige Stuhl setzt zum Erreichen seiner Ziele "gnt organisierte, breit angelegte und mit Blick anf die Medien inszenierte Kampagnen" ein (Ring-Eife! 2004: 228). Das Beispiel dieser UN-Konferenz zeigt, dass es dem Heiligen Stuhl auch ohne Vollmitgliedschaft bei der UNO gelingt, seinen Einfluss geltend zu machen. Dass es sich hierbei um keinen Einzelfall handelt, belegt seine Durchsetzungskraft bei der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 in Bezug auf Abtreibung und Verhütung (Bathon 2001: 607-608).284 Neale arbeitet heraus, dass die spirituelle Macht des Papstes den gesellschaftspolitischen Positionen des Heiligen Stuhls Gewicht verleiht und diese spirituelle Macht in eine weltliche Macht transformiert wird (Neale 1998: 114). Dies geschehe anf folgende Weise: Die Gebärllihigkeit der Frau werde zu etwas Heiligem erklärt, woraus sich die Zuständigkeit der katholischen Kirche ergebe, die sogleich Vorschriften bereit halte. Durch die Fähigkeit des Papstes, Bedeutungen zu verleihen und
284 Die vierte UN· Weltfrauenlronferenz, die 1995 in Peking stattfindet, zählt zwischen 28 000 und 45 000 Besucher - die Angahen schwanken je nach Quelle. Ziel der Konferenz ist es, gegen die Diskriminierung von Frauen vorzugehen und fiir Gleichberechtigung zu kämpfen (Dawson 1996: 11, 14). Dieses Mal ist es die Europäische Union, die sich fiir eine Liberalisierung von Abtreibung stark macht. Der Heilige Stuhl setzt, nachdem man ihm Frauenfeindlichkeit vorwirft, die Harvard-Juraprofessorin Mary Ann Glendon als prominentes Delegationsmitglied ein, die sich in einer "textbook illustration of lobbying" an alle großen Zeitungen Europas wendet und die Europäische Kommission schließlich veranlasst, zurü.ckhaltender für die Liberalisierung von Ahtreibnng einzutreten (Ryall2001: 52).
213
Werte bestimmen zu können, gelinge es ihm, die von ihm favorisierten Betrachtungsweisen zu fördern und andere zu delegitimieren.'" Zwar zieht der Heilige Stuhl durch sein Vorgehen massive Kritik auf sich, doch es gelingt ihm, die Richtung der Kouferenz in Kairo neu zu bestimmen und das Thema Abtreibung wiederholt auf die Tagesordnung zu setzen (Neale 1998: 115-117). Dabei erhält er Unterstützung von radikalen und fundamentalistischen Regierungen, wie z. B. dem Sudan, Iran und Libyen (Coppa 2008: 229; Mayr-Singer 2000: 193).286 Schwarz zieht das Fazit: "In der Folge setzte sie [sc. die katholische Kirche1wie niemals zuvor alle ihr zur Verfiigung stehenden Mittel ein, um von den ersten Vorkouferenzen bis zur Verabschiedung der Kouferenzbeschlüsse in Kairo ihre Vorbehalte, Intentionen und Formulierungen durchzusetzen." (Schwarz 2007: 560) Der Heilige Stuhl besitzt bei UN-Kouferenzen zwar weitgehende, aber nicht die vollen Rechte eines ordentlichen Mit~lieds; indem er sich mit Vollmitgliedern verbündet, gleicht er dieses Defizit aus. 87 285 Vergleichbar mit der kommerziellen Werbung, in der Prominente ihren Namen einem. Produkt leihen und damit ihr Renommee auf den zu bewerbenden .Artikel zu übertragen versuchen, überträgt sich das Ansehen des Papstes auf seine Aussagen. 286 Es wird kolportiert, dass der Heilige Stuhl im Gegenzug Libyen in der Lockerbi.,.Affiire unterstützen will, was in der Öffentlicbkeit freilich dementiert wird (Neale 1998: 118). 287 Neben der Diskussion über das Abtreibungsrecht ist das Thema Homosexualität ein weiterer prominenter Streitpunkt im innergesellschaftlichen Bereich. Unter dem Titel ,,Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen" veröffentlicht der Heilige Stuhl im Juni 2003 ein Schreiben der K0ngregation für die Glaubenslehre, das die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität zusammenfasst. Eindringlich geht es um die Verhinderung der rechtlichen Gleichstellung hum<>sexueller Lebensgemeinschaften, die in einigen Ländern mit der Erlaubnis zur Adoption von Kindern verbunden ist. Das Schreiben betont zunächst den Schutz von Ehe und Familie. Um diesen Schutz zu erreichen. macht es sich die Kongregation zum Ziel, ..die katholischen Politiker in ihrer Tätigkeit zu orientieren und ihnen Verhaltensweisen danulegen, die mit dem. christlichen Gewissen übereinstimmen". Es appelliert an alle Menschen. die sich dem Schutz des Gemeinwohls verpflichtet liihlen. Ihre Zustiindigkeit begründet die Kongregation damit, dass dieses Thema das natürliche Sittengesetz berühre und es um grundlegende Werte des Menschheitserbes gehe, für die sich die katholische Kirche einsetzen müsse. Homosexualität wird als ein ..beunruhigendes moralisches und soziales Phänomen" und ,,abwegiges Verhalten" bescbtieben (Kongregation Iür die Glaubenslebre 2003: 5, 15). Zwar dürften hoowsexuel1e Menschen nicht diskriminiert werden, doch ihre Partnerschaften und Handlungen verstießen als eine ,,Anomalie" gegen das natürliche Sittengesetz, weil sie kein neues Leben hervorbrächten; deshalb dürften sie nicht beiürwortet werden (Kongregation Iür die GlaubensIebre 2003: 7·8). Die rechtliche Gleichatellung verändert nach Auffassung der Kongregation vor allem "bei den jungen Generationen das Verständnis und die Bewertung" dessen, was als erstrebenswert gilt; ferner könnten Menschen mit homosexueller Tendenz dazu ermutigt werden, sich ihrer Neigung hinzugeben. Die sittlichen Grundwerte würden verdunkelt, die Ehe als nur eine Form des Zusammenlebens betrachtet und in der Folge entwertet. Die Kongregation erwartet auch für die von Homosexuellen adoptierten Kinder Probleme in ihrer Entwicklung, da
214
6.2.2.5
Zusammenfassung und Bewertung
Bei der Auseinandersetzung über den Schwangerenkonfliktberatungsschein in Deutschland und der UN-Konferenz in Kairo handelt es sich zwar um zwei unterschiedliche Konflikte: Im erstgenannten geht es um eine innerkirchliche Kontroverse, in der eine nationale Regierung als Nebendarstellerin auftritt; der zweitgenannte Fall zeigt eine Konfrontation auf internationaler Ebene zwischen dem Heiligen Stuhl mit diversen Staaten und einer internationalen Organisation. Beiden Beispielen gemeinsam ist jedoch der Kampf des Heiligen Stuhls gegen Abtreibung, mit dem er in der Folge Einfluss auf die nationale Politik von Staaten und gesellschaftliche Entwicklungen nimmt. Der Heilige Stuhl hat die Suprematie über die katholische Theologie; er prägt damit die wissenschaftliche Ausrichtung und das moralische Bewusstsein; andersdenkende Theologen können suspendiert oder zum Schweigen aufgefordert werden. Bereits im Religionsunterricht in den Schulen erzieht die katholische Kirche Kinder zu ihren Vorstellungen von Moral und Ethik. [SPC 7: Wissenschaft und Technologie: Führungs- oder Vorreiterrolle; SPC 9: Bildung] Auch durch die Sozialisation der Menschen in der katholischen Kirche kann der Heilige Stuhl sie für seine Sichtweise sensibilisieren. [SPC 19: Homogenität der eigenen Bevölkerung] Der Heilige Stuhl ist gegen Abtreibung, weil er ungeborenes Leben schützen will und argumentiert, dass es nicht zugelassen werden könne, dass Frauen ihre Kinder abtreiben, weil ihnen z. B. die finanziellen Mittel fehlen oder sie sich überfordert fühlen; hier fordert er den Staat dazu auf, Verantwortung zu übernehmen. [SPC 11: Humanitätsideal gesetzlicher Regelungen] sie sowohl der Vaterschaft als auch der Mutterschaft bedürften. Einer homosexuellen Lebensgemeinschaft stehe nicht die Wertschätzung zu, die eine herkömmliche Ehe fiir sich beanspruche, denn nur diese sorge :für das Weiterbestehen der Gesellschaft (Kongregation für die Glaubenslehre 2003: 10-13). In der Koosequenz werden vor allem Politiker wegen ihres Auftrages zor Förderung des Allgemeinwohls dazu aufgefordert, sich gegen die Umsetzung der Gleichstellung einzusetzen. An einer konkreten Handlungsanleitung feblt es dem Schreiben nicht:
..Wenn sie [sc. die Politiker] mit Gesetzesvorlagen zu Gunsten homosexueller Lebensgem.einscbaften konfrontiert werden, sind folgende ethische Anweisungen zu beachten. Wird der gesetzgebenden Versammlung zum ersten Mal ein Gesetzentwurf zu Gunsten der rechtlichen Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften vorgelegt, hat der katholische Parlamentarier die sittliche Pflicht. klar und öffentlich seinen Widerspruch zu äußern und gegen den Gesetzentwurf zu votieren. Die eigene Stimme einem für das Gemeinwohl der Gesellschaft so schädlichen Gesetzestext zu geben., ist eine schwerwiegend unsittliche Handlung. Wenn ein Gesetz zu Gunsten homosexueller Lebensgemeinschaften schon in Kraft ist, muss der katholische Parlamentarier auf die ihm mögliche Art und Weise dagegen Einspruch erheben und seinen Widerstand öffentlich kundtun." (Kongregation für die Glaubenslehre 2003: 14)
215
Durch sein internationales Engagement und seinen Beobachterstatus bei der UNO wird der Heilige Stuhl als Verhandlungspartner akzeptiert. [SPC 14: Regierung als kooperativer Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung] Da sich der Heilige Stuhl international neutral verhält, kann er mit ungewöhnlich vielen Staaten zusammenarbeiten. Dies ermöglicht ihm, selbst mit Ländem wie dem Iran, Sudan und Libyen ein themenspezifisches Bündnis einzugehen.''' [SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] Der Papst scheut die Kritik an der staatlichen Abtreibungsregelung in Deutschland nicht und lässt sich auch von der Drohung einiger Politiker, es werde zu einer Abkühlung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche kommen, nicht einschüchtern. Dieses selbstbewusste Auftreten ist möglich, weil er weder an einer Wiederwahl interessiert ist noch die Meinung der Gläubigen berücksichtigen muss. [SPC 18: Politische Stabilität in der Gegenwart] Aus dem göttlichen Auftrag, die Welt zu evangelisieren, macht es sich die katholische Kirche zur Aufgabe, nicht nur die Gesellschaft christlich zu prägen, sondern auch als Hüterin von Moral und Ethik und als Gewissen der Welt aufZutreten. Dabei sieht sie sich für alle Menschen verantwortlich (und nicht nur für Katholiken). Der Heilige Stuhl empfiehlt seine Publikationen (Enzykliken, Katechismus der Katholischen Kirche) als Handlungsanleitung mit Allgemeingültigkeit für jeden. [SPC 21: Selbstiuszenierung und Nation-Branding] Von einem funktionierenden Zusammenspiel der katholischen Institutionen ist insofern zu sprechen, als dass der Papst von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen kann (und z. B. die Ausstellung des Scheines für einen legalen Schwangerschaftsabbruch in Deutschland verbietet). Er besitzt die uneingeschränkte Autorität über die katholische Kirche, weshalb seine Entscheidungen inuner auch eine Auswirkung auf die Politik der einzelnen Länder haben, denn deren Bischöfe sind dem Papst zu Loyalität und Gehorsam verpflichtet (Ryal12001: 50-51). Auch eigenmächtig handelnde Laien werden nicht akzeptiert, so dass der Papst innerkirchlich durchsetzungsstark ist. [SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen im eigenen Land] Durch den Organisationsgrad der Bischöfe wird die katholische Kirche zu einem Verhandlungspartner für die nationalen Regierungen; dabei kann der Staat auch von der katholischen Infrastruktur profitieren. Auf internationaler Ebene verfiigt der Heilige Stuhl über ein diplomatisches Netz; durch internationale Mitgliedschaften hat er Zugänge. [SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten]
288 Eine solche Kooperation schreckt andere Staaten jedoch auch ab und kann der Scft Power des Heiligen Stob!s schaden.
216
Der Papst stößt mit seinen Enzykliken gesellschaftliche Debatten an; dabei gelingt es ihm, Themen wie Abtreibung und Euthanasie in einem Licht darzustellen, das eine Verurteilung als folgerichtig erscheinen lässt: Die spirituelle Macht des Papstes verleiht seinen gesellschaftspolitischen Positionen Gewicht. Die Ortskirche in Deutschland möchte mit ihrem Widerspruch zum staatlichen System das öffentliche Gewissen schärfen; sie prägt die Meinung der Menschen darüber, was Recht und Unrecht ist. Der Papst macht in Pressekonferenzen seine Ablehnung von Abtreibung deutlich und schreibt einen Brief an alle Staatsoberhäupter; er lässt mit seinen Kurienkardinälen keine Gelegenheit aus, um öffentlich gegen das Aktionsprogramm der ICPD Stellung zu beziehen. Damit scham er Aufmerksamkeit. Darüber hinaus werden Lebnnäßige Noten zu gesellschaftlichen Fragen an Politiker verschickt; der Heilige Stuhl initiiert Kampagnen zur Durchsetzung seiner Positionen. Bei der Weltfrauenkonferenz in Peking wendet sich Mary Ann Glendon an europäische Zeitungen, um gegen die EUKommission Stimmen zu mobilisieren. [SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Framing; Präferenzen formen] Auf der ICPD gelingt es dem Heiligen Stuhl, die Delegationen aus Costa Rica, Argentinien, Malta, Venezuela, Marokko und Ecuador fiir sich zu gewinnen; er organisiert Widerstand und schmiedet Allianzen gegen das Aktionsprogramm. Damit konterkariert er das Ansinnen von bevölkerungsreichen Staaten wie China, in die Familienplanung der Bürger mit finanzieller Unterstötzung der UNO einzugreifen. [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit] Vor allem über die Gläubigen in den Messen kann er zu einer SchärfUng des öffentlichen Gewissens beitragen und versuchen, sie fiir seine Haltung zu gewinnen. [SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranten als Outside Partuer] Das deutsche Fallbeispiel zeigt auch, dass die katholische Kirche der Politik dabei helfen kaun, gesellschaftliche Debatten zu entschärfen, indem sie durch ihre Mitwirkung den moralischen Wert einer Regelung suggeriert: Sie kaun einer politischen Entscheidung einen Wert verleihen und hat dadurch eine systemstabilisierende Wirkung. Sie kaun legitimieren und delegitimieren, wie sie es bei der Aufwertung der Ehe und Abwertung der gleichgeschlechtlichen Partuerschaft beabsichtigt. International wird der Heilige Stuhl (aufgrund seiner Fähigkeiten und der ihm entgegengebrachten Aufmerksamkeit) zum Sprachrohr einer ideologischen Allianz, die sich fiir ungeborene Kinder einsetzt. [SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle] Mit der Harvard-Professorln Mary Ann Glendon gibt der Heilige Stuhl auf der UN-Konferenz in Peking seiner Delegation ein prominentes Gesicht. [SPC 36: Prominente Einzelpersonen als Outside Partuer] Der Pressesprecher des Papstes versucht, die Medien ausländischer Staaten fiir die Position des Heiligen 217
Stuhls zu gewinnen. [SPC 41: Meinungsführer in ausländischen Gesellschaften als Outside Partner1
6.2.3
Irakkrieg 2003
Johannes Paul Ir. ist strikt gegen einen Angriff des Iraks und bemüht sich um eine friedliche Lösung des Konfliktes; das Aufgebot an Diplomaten, Staats- und Regierungschefs im Vatikan in den Monaten Februar und März 2003 ist dabei beispiellos. Der Fokus dieses Fallbeispiels liegt auf den Instrumenten, mit denen der Heilige Stuhl in den internationalen Beziehungen agiert und einen Krieg verhindern will sowie der Frage - nachdem der Papst den Militärschlag nicht abwenden kann -, ob sein Engagement dennoch etwas bewirkt. Aufschlussreich ist das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und der US-Administration nach dem Kampfeinsatz, das ebenso beleuchtet wird. Es sprengte den Rshmen dieser Untersuchung, wenn der Irakkrieg in sämtlichen Details und mit allen katholischen Reaktionen weltweit dargestellt werden wollte. Der Schwerpunkt liegt deshalb auf dem Vorgehen des Heiligen Stuhls und auf pointierten Aktionen der katholischen Weltkirche, die in den Verlauf des Konfliktes eingeordnet werden. Doch zunächst ist zu erörtern, unter welchen Kriterien der Heilige Stuhl einen Krieg als gerecht akzeptiert.
6.2.3.1
Die katholische Lehre vom gerechten Krieg
Mit den Anschlägen vom I!. September 2001 erreicht der Terrorismus eine neue Intensität und wird zu dem Hauptsrgument der Bush-Regierung, den Irak anzugreifen. Czempiel spricht vom Terrorismus, wenn gesellschaftliche Akteure direkte Gewalt gegen andere gesellschaftliche Akteure oder Verlreter des politischen Systems richten, ohne diese in einem politischen Programm begründet zu haben. Als Beispiel nennt er den Anschlag der Aum-Sekte auf das UBahnnetz von Tokio 1995 (CzempieI2003: 46). Johannes Paul Ir. verurteilt die Terroranschläge vom I!. September 2001 auf das Schärfste; als langfristige Wirkung befürchtet er eine Gegnerschaft zwischen den Religionsgemeinschaften (Franco 2008: 124). Er setzt sich deshalb dafür ein, ihren Dialog untereinander zu fördern und warnt vor einer Vorverurteilung des Islam sowie vor einer Gewaltsnwendung im Namen Gottes; er benennt als Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung des Terrorismus Gerechtigkeit zwischen den Völkern (Rotte 2007: 226; Nicholson 2004). Bei der 218
Suche nach dem richtigen Vorgehen gegen den Terrorismus spielt die Lehre vom gerechten Krieg eine ausschlaggebende Rolle. Der Heilige Stuhl schließt ihn nicht aus und orientiert sich in seiner DefInition an Augustinus: Wie die Charta der Vereinten Nationen gesteht der Heilige Stuhl zu, dass ein Krieg unter strengen Bedingungen möglich ist; er verfolgt keinen PazifIsmus um jeden Preis (Johnstone 2003: 313; Nicholson 2004; Matlary 2001: 83).289 Der Ausgangspunkt des christlichen Friedensauftrags ist - so fasst Rauch zusammen - "das im Evangelium bezeugte Verstiindnis vom Menschen, der selbst nicht den endgültigen Frieden in Gestalt irgendeiner politischen Ordnung herbeizufiihren vermag, ihn aber von Gott in Christus endgültig verheißen bekommen hat" (Rauch 2005: 42). Der kirchliche Auftrag verlangt Friedensförderung nach Recht und Gerechtigkeit und Friedenssicherung mit politischen und militärischen Mitteln, denn ein gerechter Friede ist der notwendige Teil der idealen Sozialordnung (Matlary 2001: 80).290 Zum Erreichen des gerechten Friedens bemüht sich der Heilige Stuhl - angesichts der über zwei Milliarden weltweit in Armut und Elend lebenden Menschen - um eine Lösung der Gründe fiir Auseinandersetzungen in der Welt, an erster Stelle also die Beantwortung der "internationalen sozialen Frage". Die Kritik am Irakkrieg 2003 ist nach Rauch deshalb schon alleine darin begriindet, dass die dort investierten Milliarden Dollar nach Auffassung des Heiligen Stuhls in Projekten der Entwicklungshilfe besser angelegt gewesen seien (Rauch 2005: 40, 42). Im Katechismus der Katholischen Kirche werden die Bedingungen dafiir genannt, unter denen es einem Volk gestattet ist, ,,sich in Notwehr militärisch zu verteidigen": Der Schaden, der der Nation oder der Völkergcmeinschaft durch den Angreifer zugefügt
wird. muß sicher feststehen. schwerwiegend und von Dauer sein. Alle anderen Mittel. dem. Schaden ein Ende zu machen, müssen sich als undurchführbar oder wirkungslos erwiesen haben. Es muß ernsthafte Aussicht auf Erfolg bestehen. Der Gebrauch von Waffen darf nicht Schäden und Wirren mit sich bringen, die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel. Beim Urteil darüber, ob diese Bedingung erfiillt ist, ist sorgfältig auf die gewaltige Zerstörungskraft
der modernen Waffen zu achten. ( ... ) Die Beurteilung. ob alle diese Voraussetzungen für die sittliche Erlaubtheit eines Verteidigungskrieges vorliegen, kommt dem klugen Ermessen derer zu, die mit der Wahrung des Gemeinwohls betraut sind (Katechismus der Katholischen Kirche 1993: 2309).
289 Die UNO nennt die Bedingongen für einen gerechten Kieg in ihrer Charta unter Kapitel VII, Artikel 39 und 42. Der Heilige Stuhl vertritt bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes die Idee
des gerechten Kriegs wegen der atomaren Bedrohung aber eher verhalten. 290 Zu diesem gerechten Frieden gehören auch eine gerechte Verteilung von Waren und ein gerechtes ziviles Leben mit Menschenrechten.
219
Selbstverteidigung wird also akzeptiert, wenn eio Staat angegriffen wird und die Ziele seines Gegenschlages Frieden und Vergebung siod (Johnstone 2003: 324).291 Die Haltung von Jobannes Paul II. zum Irakkrieg 2003 wird bisweilen missverstanden; er argumentiert nicht als Pazifist gegen einen Angriff des Iraks,292 sondern verlangt die Ausschöpfung aller diplomatischen Anstrengungen (Foitzik 2003b: 167). Denooch ist - neben der theoretischen Möglichkeit eioes gerechten Kriegs - im Pontifikat von Jobannes Paul II. eioe Distanzierung zu ihm festzustellen (Christiansen 2003: 87-89, 91); sie verläuft äbnlich der Haltung zur Todesstrafe: Im Katechismus der Katholischen Kirche von 1993 wird die Todesstrafe io schwerwiegenden Fällen noch als mögliche Bestrafung akzeptiert; zwei Jahre später erklärt sie Jobannes Paul 11. io seioer Enzyklika EVANGELIUM VITAE fiir nicht mehr notwendig. In dieser Logik argumentiert Erzbischof Renato Martino als Präsident des Päpstlichen Rates Justitia et Pax, dass auch der gerechte Krieg nicht mehr notwendig sei, da es genügend andere Wege gebe, um einen Konflikt zu lösen (Spieker 2003: 164-165). Neu ist auch die direkte Verurteilung eioes konkreten Gewaltaktes: Bis zum Pontifikat von Jobannes Paul H. nehmen die Päpste während eioes Konfliktes keioe klare Absage an Gewalt oder eioe Verurteilung vor, weil die angesprochenen Staaten dadurch fiir weitere Appelle oder eioe kirchliche Vermittlung nicht mehr zugänglich seio könoten oder sich die katholische Kirche durch allzu kritische Initiativen nur selbst schadete (Johnstone 2003: 319). Der gerechte Krieg wird also nicht ausgeschlossen, doch die Kriterien dafiir werden so hoch angesetzt, dass sie kaum erfiillt werden könoen. Um der Diskussion über den gerechten Krieg keioen zu großen Raum zu geben, verwendet Johanoes Paul 11. vermehrt den Begriff der gerechten internationalen Ordnung. Von den USA wird die Debatte über den gerechten Krieg jedoch angefacht: Die Administration von George W. Bush mächte ilm um den Präventivschlag erweitern. In der Forschungsliteratur herrscht eine gewisse Verwirrung um die Unterscheidung der Begriffe Präemptiv- und Präventivschlag; hinzu kommt, dass ihre Grenzen häufig fließend siod. Unter eioem präemptiven Schlag wird verstanden, dass eio Angriff auf das eigene Land unmittelbar bevorsteht und nun vom zuküoftigen Opfer versucht wird, diesen durch einen
291 Weil der Friede zerbrechlich und die menschliche Natur schwach sind, muss nach AufilIssung des Heiligen Stuhls auch Vergebung (neben Frieden) praktiziert werden (Johnstone 2003: 313). 292 Der Pazifismus wird von der katholischen Kirche alleine schon wegen seiner Nähe zum KommUJrismus abgelehnt (Fronco 2008: 125).
220
Gegenschlag abzumildern oder zu verbindern. Als Beispiel kann der SechsTage-Krieg von 1967 genannt werden: Israel gibt zwar den ersten Schuss ab, aber im Vorfeld ist es eindeutig, dass ein Angriff der arabischen Welt kurz bevorsteht. Ein präventiver Schlag beabsichtigt dagegen, mit dem militärischen Vorgehen gegen einen anderen Staat vorsorglich zu verhindern, dass dieser in die Lage versetzt wird, einen Angriff unternehmen zu können; eine unmittelbare Gefahr ist nicht vorhanden. Die modifizierte Sicherheitsstrategie der USA unter der Beraterin Condoleezza Rice nimmt den Präventivschlag trotz zahlreicher Proteste schließlich als legitimes Mittel auf. Völkerrechtlich ist dieses Vorgehen jedoch nicht legitimiert; für den Fall, dass der Präventivschlag als Erweiterung des Präemptionsbegriffes akzeptiert wird, ist von einer Abnahme der Hemmschwelle vor militärischen Einsätzen auszugehen. Darüber hinaus wird ein neues Wettrüsten erwartet, um sich durch Abschreckung vor einem Angriff zu schützen (Hoppe 2003: 228-229). Johannes PanI II. warnt die USA und Großbritannien schon bei seiner Weihnachtsansprache 2002 vor der Akzeptanz eines Präventivschlags (Johnstone 2003: 310).
6.2.3.2
Der Konfliktverlaufund die Friedensbernühungen des Heiligen Stohls
Der Konflikt, der 2003 zum Irakkrieg fiihrt, beginnt nach Spieker arn 2. August 1990, als Saddarn Hussein in Kuwait einmarschiert und es als die 19. Provinz des Iraks ausruft (Spieker 2003: 167). Die UNO stellt in ihrer Resolution 660 einen Verstoß gegen den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit fest, und nachdem Hussein Kuwait trotz mehrerer Ultimaten nicht verlässt, beginnen am 17. Januar 1991 die Lnflangriffe, die durch ein UN-Mandat legitimiert sind (UN-Resolution 678, 29. November 1990). Johannes PanI II. spricht sich 1990 trotz des UN-Mandats gegen einen Angriff des Iraks aus und nimmt damit die eigene Isolierung in Kauf. In seinem Verständnis geht es nur scheinbar um die Rettong Kuwaits; in Wirklichkeit wolle man sich das Öl des Iraks sichern und Saddam Hussein eine Lektion erteilen. Der Papst wehrt sich gegen Vereinnahmungsversuche und weigert sich, als "ideologisches Maskottchen" seinen Segen zu erteilen (Roß 2002: 169-170). Nach einer Landoffensive werden die Kampfhandlungen am 28. Februar 1991 eingestellt, und die UNO beschließt am 3. April 1991 in ihrer Resolution 687 ein Abrüstongsprogrannn für den Irak. Im Dezember 1998 werden die Inspektenre, die die Abrüstung kontrollieren, von Hussein des Landes verwiesen. Erst nach dem Ende der Präsidentschaft 221
Clintons und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kommt erneut Bewegung in den Konflikt: Der UN-Sicherheitsrat droht in seiner Resolution 1441 am 8. November 2002 mit ernsten Konsequenzen für den Fall, dass der Irak den Bedingungen des Waffenstillstandes vom 3. März 1991 nicht nachkommt (Spieker 2003: 167-168). Der Resolution geht (ab dem Sommer 2002) eine internationale Debatte in den Medien voraus, ob der Irak über Massenvernichtongswaffen verfügt und damit eine direkte Bedrohung darstellt (Zumach 2004: 289). In der möglichen Vorgehensweise gegen Saddam Hussein bilden sich zwei Lager: Die USA, die den Irak militärisch angreifen wollen, erhalten Unterstützung von Großbritannien, Spanien, Italien, Polen und weiteren Staaten; sie formieren sich zur Koalition der Willigen. Vor allem Deutschland, Frankreich und Russland setzen sich für eine diplomatische Lösung ein und lehnen einen Militärschlag ohne UN-Mandat entschieden ab; sie bezweifeln die Existenz von Massenvernichtongswaffen im Irak und befiirchten die Konsequenzen eines Präventivschlags: Auch andere Staaten (wie Nordkorea) könnten den Präventivschlag in ihre Sicherheitsstrategie aufnehmen, der internationale Terrorismus würde angefacht und einzelne Regionen destabilisiert. Innerhalb der nationalen Bevölkerungen ist die Ablehnung eines Irakkrlegs groß; am 15. Februar 2003 demonstrieren weltweit über elf Millionen Menschen gegen einen US-Schlag (Lucke 2003: 392). Johannes PauI II. spricht sich sehr früh gegen Gewalt und Krieg im Irak aus (27. Januar 2002).293 Er verurteilt die mangelnde Kooperationsbereitschaft von Saddam Hussein, weist aber auch auf das menschenunwürdige Embargo des Iraks hin, unter dem vor allem die Bevölkerung zu leiden habe:" In seiner Forderung nach Gerechtigkeit und Vergebung spielt für den Papst das Wohl der christlichen Minderheit des Iraks eine bedeutende Rolle: Vor dem Krieg 2003 leben im Irak insgesamt ca. 17 Millionen Menschen; die Zahlen über die Christen schwanken erheblich und reichen für die Zeit vor dem Irakkrieg 2003 von 500 000 bis 1,2 Millionen; beständig
293 Auch innerhalb des Heiligen Stuhls soll es unterschiedliche Meinungen über das richtige Vorgehen geben: Wahrend Kardinalstaatssekretär Sodano einen militärischen Einsatz für möglich hält, zeigt sich im September 2002 der AuJlenminister des Heiligen Stuhls Erzbischof Jean-Louis Tauran einem militärischen Einsatz im. Irak. gegenüber dezidiert skeptisch. Er schließt ihn zwar nicht aus. dieser dürfe jedoch nur mit einem UN-Mandat erfolgen (Nicholson 2004; A11eo 2002; Lepenies 2003: 13; Franco 2008: 131-132). 294 Um auf die Not der irakischen Bevölkerung aufmerksam zu machen, plant lohannes Paul II. bereits für das Jahr 1999 eine Reise nach Bagdad; diese wird von irakischer Seite jedoch mit der Begründung verwehrt, dass man die Sicherheit des Papstes nicht gewährleisten könne (Kopp 2003: 347-348).
222
sind jedoch Schätzungen, die von 600 000 bis 800 000 Christen ausgehen (Kopp 2003: 348; Caritas International 2010; Christiansen 2003: 85)."5 Der Heilige Stuhl möchte nach den Anschlägen vom 11. September 200 I den USA zur Seite stehen, ihr Vorgehen begleiten und nach allen Kräften einen Religionskrieg verhindern. Der Afghanistan-Einsatz wird noch als Recht und Pflicht der USA erklärt, gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen; die Taliban werden als gemeinsame Feinde angesehen (Franco 2008: 125-126). Doch mit der Erweiterung der US-Sicherheitsstrategie um den Präventivkrieg werden die unterschiedlichen Positionen deutlich, und Johannes PanI 11. schreibt im Herbst 2002 einen Brief an George W. Bush, in dem er seine Ablehnung des Präventivschlags erklärt. Er ermahnt Bush, über Inspekteure Einfluss auf den Irak zu nehmen und von einem Krieg abzusehen. Er kritisiert die mangelnde Bereitschaft, den Konflikt diplomatisch zu lösen und fordert eine internationale Ordnung mit einer starken Stellung der UNO (Rotte 2007: 224-225). Für weiteren Konfliktstoff sorgen die Fragen nach der Rolle der USA in der Welt (Allen 2004). In seinem Antwortschreiben weist Bush auf die Gefahr durch Saddam Hussein hin und lässt durch seinen Sprecher der Öffentlichkeit mitteilen, dass die Ausfiihrungen von Johannes PanI 11. keinen Einfluss auf seine Entscheidungen haben (Franco 2008: 153; Englisch 2003c). Der Papst lässt in der Folge keine Gelegenheit aus, sich öffentlich und nicht-öffentlich gegen einen Angriff des Iraks auszusprechen (Fotizik 2003a: 167). Christiansen fasst die Interessen des Heiligen Stobls im Irak zusammen: Der Heilige Stuhl will die Menschen im Irak schützen, den Konflikt mit friedlichen Mitteln lösen und die internationalen Beziehungen mit moralischen Überlegungen begleiten (durch die Forderung von Menschenrechten, Religionsfreiheit, Entwicklung und Frieden). Er möchte das Christentom an dessen Geburtsort erhalten, denn viele Christen fliehen wegen der widrigen Lebensbedingungen, die durch Saddam Hussein und die UN-Sanktionen ausgelöst werden; assyrische Christen fiihlen sich von Hussein benachteiligt (Christiansen 2003: 83, 85, 95). Um den Irakern im Allgemeinen und den irakisehen Christen im Besonderen zu helfen, begleitet der Heilige Stobl auch die Friedensprozesse im Nahen Osten, wirbt für den Irak im Westen, bemüht sich um ein besseres ökumenisches Verhältnis zu den orientalischen Christen, kritisiert das UN295 Davon werden die einzelnen Gruppen wie folgt beziffert: 400 000 Cbaldäer, 90 000 Assyrer, 60 000 Syrisch-Katholisebe, 40 000 Syriach.orthodoxe, 30 000 Armenisch·Orthodoxe, 10 000 Protestanten und 17 000 andere (Armenisch·Katholisebe, Griechisch·Orthodoxe, Lateinische Christen, Melkiten) (Missio 2010; Kopp 2003: 348). In Bagdad und Mosul gibt es 54 katholische Kirchen, 496 Priester, 28 katholische Kindergllrten und 12 katholische Schulen (Englisch 2003a).
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Embargo und schickt Caritas International in den Irak, um Hilfsprojekte im Bereich der Wasserversorgung und Gesundheitsfürsorge zu koordinieren. Der Heilige Stuhl versucht, internationale Organisationen zu stärken, weil ein multilaterales Vorgehen im Rahmen der UNO Gewaltanwendung erschwert. Er kämpft fiir ein internationales Recht, will den amerikanischen Unilateralismus und die Aufualnne des Präventivschlags in die Gerechte-Kriegs-Lehre verhindern und die Entwaffuung des Iraks und die Nicht-Verbreitung von Waffen vorantreiben (Cbristiansen 2003: 86-87, 92-95). Franco macht darauf aufinerksam, dass der Heilige Stuhl Saddam Hussein fiir einen der letzten die Religionsfreiheit akzeptierenden Regierungschefs in einer Region hält, die von religiösen Fundamentalisten dominiert wird. Er sieht in Husseins Absetzung die Gefahr, dass nicht-islamische Gemeinschaften, die unter ihm noch relativ geschützt existieren können, Vertreibung und Gewalt erfahren könnten. In dieser Sorge distanziert sich Johannes Paul 11. von den USA und bekräftigt seinen Respekt gegenüber dem irakischen Präsidenten (Franco 2008: 152). Mit dem Heiligen Stuhl kämpfen auch die Ortskirchen und katholischen Organisationen gegen einen Angriff des Iraks: Bei einem Treffen im Spätsommer 2002 in Palermo, das von Sant'Egidio organisiert wird, äußern sich prominente Kardinäle wie Etchegaray, Moussa und Kasper ablehnend gegenüber einem Militärschlag gegen den Irak. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit richtet Sant'Egidio 2002/2003 mehrere Treffen in Rom Trastevere aus, bei denen Vertreter der Arabischen Liga versuchen, über Sant'Egidio den Papst zu einer Verhinderung des Irakkriegs aufzufordern, indem er Druck über die amerikanischen Katholiken aufbaut. Bei diesen Treffen soll auch der katholische Patriarch von Bagdad, Raphael Kardinal Bidawid, anwesend sein, dem man einen guten Kontakt zu Saddam Hussein zuschreibt (Englisch 2003a). Offiziell organisiert Sant'Egidio lediglich die Friedensmärsche am 1. Januar 2003. Am 10. September 2002 treffen sich australische Bischöfe der katholischen Kirche mit weiteren 31 Religionsfiihrern und fordern Premierminister John Howard dazu auf, sich gegen eine amerikanische Invasion im Irak einzusetzen (Allen 2002). Auch die Deutsche Bischofskonferenz erklärt am 27. September 2002 einen Präventivkrieg fiir unzulässig (Deutsche Bischofskonferenz 2002); dieses Urteil wiederholt sie bei ihrer Frühjahrs-Vollversammlung Mitte März 2003 (Deutsche Bischofskonferenz 2003). Gemeinsam mit der evangelischen Kirche in Deutschland protestiert sie gegen die religiöse Rhetorik von Präsident Bush in der Rechtfertigung eines Irak-Angriffs; diese befördere die Vorstellung, dass das Christentum einen Feldzug gegen die islamische Welt führe (Facius 2003: 2). Die amerikanische Bischofskonferenz weist in ihrer Vollversammlung im November 2002 die Legitimität eines Präventivschlags gegen den Irak 224
zurück und macht auf die Notwendigkeit eioes UN-Mandates aufmerksam (Oertel 2003: 183). Sie spricht promioenteo katholischen Intellektuellen wie George Weigel das Recht ab, eioen Angriff auf den Irak als gerechten Krieg zu bezeichnen (Ruh 2003: 109; Kissler 2003: 13).296 In deo Weihnachts- und Neujabrsansprachen der britischen, französischen, deutschen und amerikanischen Bischöfe wird die Ablehnung eioes Irak-Angriffs immer wieder thematisiert; Johannes Paul 11. spricht io seioer Weihnachtsbotschaft dem amerikanischen Präsidenten das Recht ab, eioen Angriff auf den Irak als Glaubenskrieg zu bezeichnen (Foitzik 2003a: 58; Lepenies 2003: 13). In eioem Interview mit der katholischen Zeitung Avvenire stellt Kardinal Ratzinger klar, dass nicht einzelne Länder über Krieg oder Friedeo bestimmen dürften, sondern dies nur im Ra1nnen der UNO geschehen könne. Er weist auf die Unvereiobarkeit eioes Präventivschlags mit dem Katechismus der Katholischen Kirche hin (Zenit 2002). Der Generalsekretär der italienischen Bischofskonferenz Erzbischof Giuseppe Betori erklärt am 30. Januar 2003, dass eio UNMandat die notwendige Bedingung fiir eioen Angriff des Iraks sei, dass als hinreichende Bedingung jedoch die Gerechtigkeit eioes militärischen Eiosatzes beurteilt werdeo müsse (Nauerth 2003: 7). Zwei Tage zuvor (28. Januar 2003) eröffnet Bush, den Irak auch ohne UN-Mandat angreifen zu wollen. Eioe ausführliche Begründung fiir die Ablehnung eioes Angriffs auf den Irak liefert Johannes Paul 11. io seioer Botschaft zum Weltfrledeustag und zum Neujabrsempfang des diplomatischen Corps beim Heiligen Stuhl: In seioer Botschaft zum Weltfriedenstag 2003 stellt Johannes Paul 11. die Enzyklika PACEM IN TERRIS von Johannes XXIII. io den Mittelpunkt seiner Rede und ermahnt zur Verwirklichung des io ihr geforderteo Friedens, der mit Wahrhei!,
296 George Weigei ist Biograph von Johannes Paul ll. und Träger eines päpstlichen Ordens. Zu einem Zwischenfall mit einem weiteren in den USA prominenten Katholik.en kommt es, als auf Einladung des Botschafters der USA beim Heiligen Stob~ James Nicbolson, der amerika· nische Philosoph und einflussreiche ,,1heo-Con" Michael Novak. in den Vatikan reist, um während eines Symposiums bei der politischen und religiösen Elite Italiens :für den Präventivkrieg und einen militärischen Angriff auf den Irak zu werben (Kissler 2003: 13; Franco 2004: 39, 131). Novak empfiehlt sich als eine unabhängige Stimme und versuch~ Angustinus im Interesse der Bush-Administtation auszulegen, sorgt jedoch fiir einen Eklat als herauskommt, dass sein Arbeitgeber, das American Enterprise Institute (einer der wichtigsten Think TIlllks in Wsshingtan) von der Ölfirma finanziert wird, die bereits nach Ölarbeitern tiir den Irak sucht, als der Krieg noch gar nicht begonnen hat (Zwick 2003). Der Versuch von Bush scheitert, den Heiligen Stuhl über Nicholson und Novak. für seine Position zu gewinnen und für seine Idee des Präventivkriegs zu werben (Frankfurter Rundschau 18.01.2003: 6; KallscheuerlInacker 2003: 7).
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Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit zu erreichen sei. Dabei erläutert er die Aufgabe der Religion bei der Friedenssuche: Die Religion besitzt eine lebenswichtige Rolle beim Anregen von Friedensgesten und bei der Festschreibung von Voraussetzungen für den Frieden. Diese Rolle kann sie um so wirksamer wahrnehmen, je entschlossener sie sich auf das konzentriert, was ihr eigen ist: die Öffnung für Gott, die Lehre von einer universalen Brüderlichkeit und die Förderung einer Kultur der Solidarität. Der ,Gebetstag für den Frieden', den ich am 24. Januar 2002 in Assisi unter Einbeziehung der Vertreter mhlreicher Religionen abgehalten habe, hatte genau diesen Zweck. Er wollte den Wunsch zum Ausdruck bringen, dllJ"Ch dio Verbreitoog einer Spiritualität und KDltur des Friedens zum Frieden zu erziehen (Johannes Paul n 2002).
Beim Neujahrsempfang des diplomatischen Corps im Vatikan am 13. Januar 2003 kritisiert der Papst den Krieg als eine menschliche Niederlage, die vermeidbar sei (Foitzik 2003a: 58; Kopp 2003: 347; Johnstone 2003: 309). Johannes Paul 11. spricht zunächst von einem Ja zum Leben und verurteilt Abtreibung und Euthanasie. Er fordert die Einhaltung von "unantastbaren Prinzipien", die dem menschlichen Leben Sicherheit und Freiheit ermöglichen. Seine Argumentation führt ihn vom individuellen Leben zur Gemeinschaft: Es bestehe eine Pflicht zur Solidarität und der gemeinsamen Verantwortung füreinander. Der Papst ermutigt dazu, Egoismus und Krieg abzulehnen: Und was soll man über einen drohenden Krieg sagen, der über die Bevölkerung des Irak, des Landes der Propheten, hereinbrechen könnte, eine Bevölkerung, die schon von einem zwölf Jahre andauernden Embargo entkräftet ist? Der Krieg ist nie ein Mittel wie andere, das man zur Beilegung von .Auseinandersetzungen zwischen Nationen einsetzen kann. Die Charta der Vereinten Nationen und das Völkerrecht erinnern daran, daß der Krieg, auch wenn es um. die Sicherung des Gemeinwohls geht, nur im äußersten Fall und unter sehr strengen Bedingungen gewählt werden dorf, ohne dabei die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung während und nach den Kampfhandlungen zu vergessen (Johannes Pau! 11. 2003.).
Der Papst setzt sich für ein internationales Recht ein, das verbindlich von allen einzuhalten ist (Christiansen 2003: 92); er ermahnt die Staats- und Regierungschefs zur Verfolgung des "universalen Gemeinwohls" (womit er den Frieden für alle Völker meint) und zur Verantwortung vor Gott. Nächstenliebe und Religionsfreiheit seien dabei wichtige Preiler (Johannes Paul Ir. 2003a). Johannes Paul Ir. weist auf die Gefahr hin, dass ein Angriff auf den Irak als ein Akt gegen die nruslimische Welt verstanden werden könnte (Foitzik 2003b: 167). Dabei fällt auf, dass sich der Papst öfter auf die UN-Charta als auf den Katechismus der Katholischen Kirche bezieht. Im Februar und März 2003 wird der Vatikan zum Schauplatz der diplomatischen Bemühungen zur Verhinderung eines Irakangriffs (Nicholson 2004; 226
Foitzik 2003b: 167); dieses Aufgebot an Staats- und Regierungschefs sowie hohen Diplomaten ist in seiner Geschichte beispiellos. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer sucht den Papst am 7. Februar 2003 auf und bezeichnet es als ein persönliches Anliegen, Johannes Paul Ir. über die Sitzung des UNSicherheitsrates zu iuformieren, der er als Präsident vorgestanden hat. Fischer werden dabei die Ehren entgegen gebracht, die sonst nur einem Staatsoberhaupt zustehen, was als ein Zeichen dafür gewertet wird, dass sein Besuch als wichtig empfunden wird. Der Außeurninister beurteilt die Positionen des Heiligen Stuhls und der deutschen Bundesregierung als identisch, was jedoch nur zum Teil zutrifft: Die Regierung von Gerhard Schröder lehnt einen Krieg um jeden Preis ab, während der Papst die Möglichkeit eines gerechten Kriegs nicht völlig ausschließt (Fischer 2003a: 5).297 Themen bei diesem Treffen sind neben dem Irakkonflikt auch der Gottesbezug in der EU-Verfassung und der rechtliche Status von religiösen Gemeinschaften (Die Welt 08.02.2003; Kohl 2003a: 7). Am 13. Februar 2003 empfängt Johannes Paul 11. den Oberrabbiner von Rom und betont die Verpflichtung, dass sich Juden und Christen für Frieden in der Welt einsetzen müssen (Johannes Paul Ir. 2003b). Während westliche Staaten ein direktes Gespräch mit der irakisehen Führung ablehnen, gewährt Johannes Paul Ir. am 14. Fehruar 2003 dem stellvertretenden Ministerpräsidenten des Iraks und chaldäischen Christen Tarek Aziz eine Audienz. Aziz überreicht dem Papst eine Friedensbotschaft (üher deren Inhalt nichts bekannt wird) und versichert, dass der Irak zu einer Zusammenarbeit mit der UNO bereit sei und abrüsten wolle (Kohl2003b: 15). Die im Vorfeld gestreute Vermutung, die irakisehe Führung wolle den Papst zu einem Besuch einladen, bestätigt sich hingegen nicht (Süddeutsche Zeitung 12.02.2003: 8). Am 18. Fehruar 2003 trifft Kofi Annan den Papst im Vatikan. Das Treffen wird vom Heiligen Stuhl im Anschluss als "herzlich und tiefgehend" beschrieben. Johannes Paul 11. unterstützt den UN-Generalsekretär und dessen Versuch, durch den Einsatz von inspekteuren eine friedliche Beilegung des Konfliktes zu erreichen (Foitzik 2003b: 167). Gespräche führt Annan auch mit den Kardinälen Sodano und Etchegaray. Am 22. Fehruar 2003 trifft mit Tony Blair ein Kriegsbefiirworter in einer dreißigrninütigen Audienz zunächst auf den Papst und dann auf Kardinal Sodano und Erzbischof Jean-Lonis Tauran. Der hritische Premierminister, der auch von der anglikanischen Kirche heftigen Widerspruch zu seiner Politik erfährt, äußert 297 Johannes Paul n. macht sich mit der deutschen und französischen Haltung nicht gemein. Er sieht wohl zum einen die wahlkampftaktische Bedeutung der deutschen Ablehnung und b.,. m.ängelt zum anderen die harsche Kritik von Jacques Chirac an den osteuropäischen Staaten, die der US-Regierung ihre Unterstützung zusagen (Franco 2004: 39).
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Verständnis für die ablehnende Haltung der Kirchen zu einem Militäreinsatz, verweist jedoch auf die zwölfjährigen Bemühuogen, den Irak auf friedlichem Weg zu entwaffuen (Klein 2003: 4). Am selben Tag trifft sich der Papst mit religiösen Führern aus Indonesien uod betont, dass sich Religionsgemeinschaften ihre Freuodschaft zueinander niemals durch die Politik beschädigen lassen dürften (Fischer 2003b: 3). Mit Jose Maria Aznar, in dessen Land 90 Prozent der Spanier gegen eine Beteiliguog ihrer Armee arn Irakkrieg sind, trifft arn 27. Februar 2003 ein weiterer Kriegsbefürworter im Vatikan ein (Fischer 2003a: 5; Schrnid et al. 2003: I). Der stellvertretende iranische Parlarnentspräsident (uod jiingere Bruder des Präsidenten) Chatami sucht Johannes PauI II. arn gleichen Tag zu einer Audienz auf (Fischer 2003a: 5).298 Weitere diplomatische Bemühuogen laufen parallel oder folgen: Der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UNO, Erzbischof Migliore, hält arn 19. Februar 2003 eine Rede vor dem Sicherheitsrat in New York, bei der er eindringlich zu einer friedlichen Lösuog des Konfliktes aufruft; das letzte Wort habe das Gewissen, das stärker sei als Ideologien uod Religionen. Krieg uod Gewalt seien keine Instrumente der Diplomatie; die Folgen eines Angriffs für die Menschen uod die Region müssten bedacht werden (Migliore 2003). Am 27. Februar 2003 werden die beim Heiligen Stuhl akkreditieren Diplomaten aus allen 174 Ländern einberufen und von Erzbischof Jean-Lonis Tauran über die Haltong von Johannes PauI II. informiert: Dabei wird die Ablehnung eines Präventivkriegs bekräftigt uod die Respektieruog der UNO eingefordert (Kohl 2003c: 3). Am 15. Februar 2003 reist Roger Kardinal Etchegaray nach Bagdad uod trifft dort auf Saddam Hussein, um ihm eine persönliche Botschaft des Papstes zu übermitteln. Die Begegnuog fällt mit über 90 Minuten relativ lang aus (Süddeutsche Zeitung 19.02.2003: 6), uod Hussein bekermt in diesem Gespräch, dass er bald sterben müsse (Interview Wimmer 2010). Anfang März schickt Johannes PauI II. Pio Kardinal Laghi nach Washington, um Präsident Bush eine persönliche Nachricht zu überreichen uod ihn von einem Angriff auf den Irak abzuhalten. Laghi gilt als ein persönlicher Freuod von George Bush
298 Johannes Paul 11. berät auch mit den Regierungschefs von Mexiko und Chile, wie gegen die Kriegspläne der USA vorgegangen werdeo könne (Rotte 2007: 255). Am 4. April 2003 triffi der französische Außenminister Dominique de Villepin Johannes Paul 11. zu einer Privataudienz. Themen sind dabei die Zukunft des Iraks sowie die Rolle der UNO und der EU. Nachdem die Kampfhandlungen im Irak. bereits beendet sind. sucht Silvio Berlusconi den Papst am 4. Mai 2003 auf; auch Berlusconi steht in Italien unter Druck, weil die Mehrheit der Bevölkerung und 59 Abgeordoete seiner Regierungskoalition we italienische Beteiligong am Iraldaieg ablebneo (Stuttgarter Zeituog 13.022003: 5). Welche Argumente in den einzelnen Audienzen aosgetauscht werden, dringt nicht an we Öffentlichkeit.
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sen., wird im Weißen Haus jedoch frostig empfangen, weil sein Besuch als eine Belästigung empfunden wird. Condoleezza Rice macht dies gegenüber vier amerikanischen Kardinälen bereits im Vorfeld seiner Ankunft deutlich und weist während des Zusammentreffens auf die Gefahr hin, die von Saddam Hussein ausgeht; sie vergleicht Hussein mit einem Krebsgeschwür und mit Hitler, gegen den Europa auch zu spät vorgegangen sei (Franco 2008: 39, 134139). Laghi erkundigt sich nach den Beweisen fiir die Behauptungen der USRegierung, Hussein habe Massenvernichtungswaffen und unterstütze Al-Qaida; Laghi wird im Hinblick auf die von katholischen Priestern begangenen Missbrauchsfälle, die zu dieser Zeit in den USA publik werden, aber darauf hingewiesen, dass der Papst zunächst die Probleme innerhalb der katholischen Kirche lösen solle, bevor er die Politik der USA beeinflussen wolle (Franeo 2008: 140141). George W. Bush zitiert bei dem Zusammentreffen mit Laghi aus der Bibel und führt an, dass Jesus ihn von seiner Alkoholsucht befreit habe und ihm nun bei der Entscheidung über einen Irakkrieg zur Seite stehe (Franco 2008: 141); er [sc. Bush1 stünde in einem permanenten Kontakt mit Gott und greife den Irak auf seine Weisung hin an (Interview Wimmer 2010). Bei der anschließenden Pressekonferenz verurteilt Laghi einen Angriff des Iraks ohne UN-Mandat als "unmoralisch, illegal und ungerecht" und weist auf die Notwendigkeit hin, dass die UNO sowohl von den USA als auch von Saddam Hussein respektiert werden müsse (Hamburger Abendblatt 07.03.2003). Er äußert seine Sorge daröber, dass ein Angriff des Iraks als christlicher Kreozzug gewertet werde und sucht allerdings ohne Ergebnis - den Kontakt zu Colin Powell, dessen persönliche Vorbehalte gegen einen Irakkrieg bekannt sind. Die amerikanischen Bischöfe sind zu dieser Zeit wegen der Missbrauchsfalle in den USA geschwächt und verhalten sich gegenüber ihrer Regierung zurückhaltend (Franco 2008: 140143). Johannes Panl II. ruft fiir den 5. März 2003 zu einem weltweiten Fastenund Gebetstag fiir den Frieden auf (Ring-EifeI2004: 16). Am 8. März reisen die deutschen Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler (CSU) und Willy Wimmer (CDU) nach Bagdad; die Einladung dazu ergeht über Joseph Kardinal Ratzinger mit Wissen des Papstes an die Abgeordneten. In Bagdad treffen sie mit Vertretern der christlichen Gemeinden zusammen und gewinnen den Eindruck, dass Hussein Religionsfreiheit gewährt und sich die Christen vor Ort nicht bedrängt fiihlen. Sie fUhren Gespräche mit dem päpstlichen Nuntius von Bagdad und Kardinal Sfeir in Beim!, bevor sie am 11. März im Vatikan auf Kardinal Ratzinger treffen. Ziel des Gespräches mit Kardinal Ratzinger ist es, eine Reisemöglichkeit fiir amerikanische Bischöfe in den Irak zu organisieren, um damit Aufmerksamkeit fiir die Folgen eines Kriegs fiir die 229
irakisehen Christen zu schaffen. Das Gespräch mit Kardinal Ratzinger beschreibt Wimmer wie folgt: Das Erlebnis in der Glaubenskongregation mit Kardinal Ratzinger ist für mich ein Nachweis dafür, dass innerhalb von Sekunden eine Verbindung bestehen kann und es keine HünIen gibt. Manche Leute besitzen die Fähigkeit, in Kürze genau die richtigen Dinge zu machen, und den Eindruck hatte ich von Kardinal Ratzinger.
Die Erkenntnisse der Abgeordneten aus Bagdad haben auch Einfluss auf den politischen Meinungsbildungsprozess in Deutschland (Interview Wimmer 2010). Am 16. März 2003 fordert der Papst beim Angelusgebet in einer energischen Rede Frieden fiir den Irak und berichtet auf sehr persönliche Weise (die man in dieser Form von Päpsten nicht kennt) von seinen eigenen Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs (Foilzik 2003b: 167). Diese Stellungnalune wird als eine der emotionalsten Reden bezeichnet, die Johannes Paul Ir. je hält (America 31.03.2003). Der Papst fordert sowohl Saddam Hussein als auch George W. Bush dazu auf, alles fiir den Erhalt des Friedens zu unternehmen (Fischer 2003c: 2). Nachdem US-Außenminister Colin Powell Johannes Paul 11. am 17. März 2003 über den bevorstehenden Angriff iuformiert, will der Papst in letzter Minute vor der UN-Generalversanuulung auftreten und mit Frankreich eine Friedensresolution auf den Weg bringen, wozu es jedoch nicht mehr kommt (Rotte 2007: 226). Präsident Chirac wendet sich bereits zuvor mit dem Vorschlag an den Papst, man müsse eine internationale Kouferenz zur Beilegung des Nahost-Konfliktes organisieren, um Frieden im Irak zu schaffen (Hamburger Abendblatt 25.03.2003). Den Heiligen Stuhl erreichen über 60 000 E-Mails und Anrufe von Kriegsgegnern; darin wird Johannes Paul Ir. gebeten, durch eine Reise in den Irak einen Krieg zu verhindern (Süddeutsche Zeitung 19.03.2003: 5).
6.2.3.3
Nach dem Ende der Kampfhandlungen: Wiederaufbau und Sicherung der eigenen Stellung
Am 20. März 2003 greifen die USA den Irak an, nachdem Saddam Hussein dem illtimatum Bushs, den Irak binnen 48 Stunden zu verlassen, nicht nachgekommen ist. Die US-Administration deklariert ihr militärisches Vorgehen als einen Präventivschlag und rechtfertigt ihn damit, dass der irakisehe Staatschef die 230
UN-Resolutionen ignoriert und die Menschrechte in seinem Land nicht geachtet habe, über Massenvernichtungswaffen verfüge und islamische Terrororganiaationen unterstütze (Rotte 2007: 222-223). Die Kampfhandlungen werden am 14. April 2003 mit der Eiunahrne Tikrits eingestellt, am 1. Mai 2003 wird der Krieg für beendet erklärt. Der UN-Sicherheitsrat verurteilt den Angriff auf den Irak nicht, weil die USA und Großbritannien als ständige Mitglieder ihre Zustimmung verweigern. Auch von Seiten des Heiligen Stuhls kommt es nach dem Kriegsbeginn zu keiner verbalen Herabsetzung der USA: Der Papst zieht sich - wie bekannt gegeben wird - zunächst in seine Privatkapelle zum Beten zurück; nur sein Sprecher Navarro-Valls beklagt das Unrecht der USA, lässt aber die Verweigerungshaltung von Saddam Hussein nicht unerwähnt (Kohl 2003d: 8). Als einen Grund für diese Zurückbaltung führt Franco an, dass ein Drittel der (zu dieser Zeit) 150000 amerikanischen Soldaten im Irak Katholiken sind und der Papst ihnen nicht das Gefühl geben will, ihr religiöses Oberhaupt verstoße sie (Franco 2008: 143). Statt die USA öffentlich zu verurteilen, spricht sich Johannes Paul II. in den Tagen nach Kriegsbeginn für ein schnelles Ende der Kampfhandlungen aus und ist einer der wenigen, der seine diplomatische Vertretung im Irak nicht schließt. 29. Er lässt weltweit die Kirchen zum Gebet öffuen und die Kirchenglocken läuten (DrobinskilKohi 2003: 8). Der Heilige Stuhl bietet statt Kritik vielmehr seine Hilfe beim Wiederaufhau des Iraks an und setzt sich dafür ein, die Not der Menschen zu lindern: Während der Kampfhandlungen dienen die Kirchen und Pfarrgebäude im Irak Gläubigen aller Koufessionen als Unterschlupf; für die Zeit nach dem Irakkrieg dient das Gemeindenetz der katholischen Kirche im Irak als Infrastruktur für die Hilfsleistungen (America 28.04.2003: 4). Als am 27. März 2003 Colin Powell im Vatikan auf den Papst trifft, heißt es in einer anschließenden Erklärung, dass das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA belastet aber nicht beschädigt sei. Bei der Karfreitagsprozession in Rom kann Johannes Paul 11. wegen seines angeschlagenen Gesundheitszustandes das Kreuz nicht selbst tragen; für einen Teil der Strecke übernimmt dies eine irakische Familie. Damit macht Johannes Paul II. auf die Not der Menschen in der Kriegsregion aulinerksam (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20.04.2003: I). Vom 28. Mai bis 3. Juni 2003 besucht der Präsident des Päpstlichen Rates Cor Unum Paul Josef Kardinal Cordes den Irak. Er möchte sich nicht nur über die Hilfsaktionen iuformieren, sondern mit seiner Reise auch ein Zeichen dafür 299 Die USA fonIern bereits im Vorfeld des Irakkriegs den Heiligen Stuhl dazu au~ die irakisehen Diplomaten auszuweisen, was er jedcch ablehnt (Franco 2008: 130).
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setzen, dass der Papst an den Irak denkt, denn immer mehr irakische Christen verlassen nach Kriegsende das Land (Kopp 2003: 349). Kardinal Cordes weist darauf hin, dass bei seiner Reise auch der Wunsch nach eioer freien Religionsausübung für die Mitchristen im Irak eine Rolle spielt; seio Besuch soll sowohl Ängste vor Ort abbauen als auch zum friedlichen Miteioander aufrufen (Interview Kardioal Cordes 20 I 0). Die Hilfseinsätze von katholischen Organisationen, die schon während der Kampfhandlungen beginnen, werden fortgefiibrt; bereits im April sondiert Caritas International die Sitoation vor Ort (Ametica 28.04.2003: 4). Die Hilfe wird dabei nicht nur Christen zuteil, sondern überall dort geleistet, wo sie notwendig ist, was der katholischen Kirche Ansehen verschafil. Caritas und Kirche in Not bauen Krankenhäuser, Schulen und Priestersernioare auf. Über dieses Engagement soll auch versucht werden, Christen als gleichwertigen Teil der irakisehen Gesellschaft zu stärken, denn durch ihr Fliehen aus dem Irak besteht die Gefahr, dass das Christentum aus der Öffentlichkeit des gesamten Landes gedrängt wird. Der Heilige Stohl fordert, dass der Irak die christliche Minderheit anerkennen und Religionsfreiheit garantieren müsse (Kopp 2003: 348-350). Am 2. Juni 2003 besucht Colio Powell Johannes Paul 11. Themen siod dabei die Beteiligong des Heiligen Stohls am Wiederaufbau des Iraks und der Friede im Nahen Osten. Der Heilige Stohllässt überraschend wissen, dass die Krieg!!führung der USA bestimmte Kriterien eioes gerechten Kriegs erfülle; es komme aber nun auf eioen dauerhaften Frieden an, der nur mit Hilfe der UNO gelingen könne (Fischer 2003d: 2). Der Papst fordert, dass im Irak Menschenrechte und Religionsfreiheit garantiert werden müssen (Süddeutsche Zeitung 03.06.2003). Nach Vizepräsident Dick Cheney (im Januar 2004) wird auch George W. Bush am 4. Juni 2004 im Vatikan vorstellig.'oo Das Treffen findet auf besonderen Wunsch von George W. Bush statt, der für den Papst sogar die Reisepläne seines Europa-Aufenthaltes ändert, weil Johannes Paul 11. dem Besuch von Jugendlichen io der Schweiz eioe höhere Priorität eioräumt als der Visite des amerikanischen Präsidenten (Franco 2008: 173-174). Der Papst fordert bei der Begegnung mit Bush eioe neue ioternationale Ordoung, die die Würde des Menschen achtet und die Entwicklung der Gesellschaft sowie Solidarität der Staaten untereioander als Ziele verfolgt (Fischer 2004: I; Allen 300 Über we Audienz Cheneys berichtet der L·Osservatore Romano lediglich auf Seite 5. was als Hinweis auf das getrübte Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA gewertet wird (Francc 2008: 146-147). Gecrge W. Bush trifft den Papst in seiner Amtszeit bereits am 23. Juli 2001 in Castel Gandulfo uod am 28. Mai 2002 im Apostolischeo Palsst
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2004). Er unterstreicht die Notwendigkeit zu verhindern, dass schiitische Fundamentalisten im Irak die Oberhand gewinnen und spricht sich deshalb gegen einen voreiligen Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak aus. 301 Bush verleiht dem Papst mit der Freiheitsmedaille den höchsten amerikanischen Orden; Johanues Paul II. mahnt ein besseres Verständnis zwischen Europa und den USA an. Die Forderung nach einer nenen internationalen Ordnung bekräftigt der Papst in seiner Friedensbotschaft zum I. Januar 2004 und beklagt den Terrorismus: Dieser könne nicht mit Gewalt ausgelöscht werden, sondern nur durch die Beseitigung der Griinde, die zum Terrorismus fiihren. Er fordert dazu auf, die Menschen zum Frieden zu erziehen (Johanues Paul 11. 2003c). Am 7. September 2003 kommen über 450 Vertreter von Religionen und Persöulichkeiten des öffentlichen Lebens sowie ca. 5000 Interessierte in Aachen zu einem Friedenstreffen zusammen. Diese Begegnung wird von Sant'Egidio organisiert, soll den Respekt und das Wissen übereinander fördern und geht in der Konzeption auf die Gebetstreffen in Assisi zurück (Deckers 2003: 4; Käsgen 2003: 6). Ein Jahr später stellt Erzbischof Giovanni Lajolo (zu dieser Zeit Sekretär des Staatssekretariats für die Beziehungen mit den Staaten) vor der UN-Genera1versammiung am 29. September 2004 fest, dass der Irakkrieg die Welt nicht sicherer gemacht habe und weist auf die Not der Kinder und Hilfsbedürftigen hin (Lajolo 2004). Im Dezember des gleichen Jahres beklagt er die Vorbehalte gegenüber dem Christentum, die durch die USA geschürt worden sind (Franco 2008: 162-163).
6.2.3.4
Zusammenfassung und Bewertung: Die jeweiligen Interessen und der Erfolg des Heiligen Stuhls
Das Interesse der Bush-Administration an Johanues Paul II. lässt sich wie folgt zusammeufassen: Franco vermutet, Bush wolle in> Vorfeld des Irakkriegs von Johanues Paul 11. die Legitimation erhalten, die er von der UNO nicht bekommt (Franco 2008: 177). Nachdem ihm diese versagt bleibt und nicht einmal sein Minin3alwunsch - sich keiner weiteren Verurteilung ausgesetzt zu sehen - in Erfiillung geht, unterstreicht Bush seine Unabhiingigkeit vom Papst und verhält sich reserviert (in> Herbst 2002). Nach dem Irakkrieg sucht die BushAdministration eine Lösung för das in> Irak ausgebrochene Chaos, und der 301 Bereits als 19 italienische Soldaten Mitte November 2003 bei einem. Selbstmordattentat im Irak ums Leben kommen. plädieren italienische Kardinäle gegen einen Abzug italienischer Truppen (Franco 2008: 146).
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Heilige Stuhl erscheint als potentieller Helfer: Er ist in der Lage, mit den religiösen Führern des Iraks zu sprechen, Einfluss auf die chaldäischen Christen im Irak auszuüben und die anti-amerikanische Stimmung in Europa zu beruhigen, die 2004 wegen der Gefangenenfolterungen in Abu Ghraib einen neuen Tiefpunkt erreicht (Franco 2008: 144, 174). Zudem lässt das Aufgebot der amerikanischen Staatsspitze im Vatikan vermuten, dass Bush nicht zuletzt den 67 Millionen Katholiken in den USA (die 25 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen) vor der Präsidentschaftswahl im November 2004 signalisieren möchte, dass er trotz aller Differenzen eine solides Verhältnis zum Heiligen Stuhl hat. Der Papst kann auf Grund seines moralischen Ausehens eine Legitimation verleihen; ihn erreichen über 60 000 E-Mails und Anrufe von Bürgern aus der ganzen Welt mit der Bitte, dass er den Krieg verhindern möge. [SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle1 In Anbetracht der Ablehnung, die der Papst und die Vertreter des Heiligen Stuhls in Washington erfahren, überrascht sein duldsames Auftreten während und nach den Kampfhandlungen gegenüber der Bush-Regierung. Dafiir erscheinen folgende Gründe plausibel: Es bestätigt sich, dass der Heilige Stuhl grundsätzlich alle Gesprächskanäle offen hält und diese nicht abbricht. Er möchte die Politik der USA als Partner und nicht als verfeindeter Beobachter begleiten. Glendon sieht mit dem Ende der Kampfeinsätze ein die USA und den Heiligen Stuhl verbindendes Interesse: "The Holy See's interest now is really similar to !hat of the United States in that they are very worried about building a stable political order that will protect the rights of Christians and other religious minorities." (Glendon zit. in: Donnelly 2008) Im Jahr 2009 zählt der Irak ca. 500 000 bis 600 000 Christen, deren Zahl der Heilige Stuhl nicht weiter sinken sehen will. Er nutzt den Neuanfang des Iraks, um seine Vorstellungen von Religionsfreiheit umzusetzen. Hinzu kommt, dass sich der Heilige Stuhl zu dieser Zeit von Regierungen bedroht fiihlt, die sich in ihrer Gesetzgebung immer weiter von den Vorstellungen der katholischen Kirche entfernen. Hervorsticht dabei der spanische Ministerpräsident Zapatero, der die Vereinfachung von Scheidungsverfahren, die Aufhebung von verpflichtendem Religionsunterricht in Schulen und die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in Spanien einfiihrt (Franco 2008: 54, 168, 177). Mit Bush verbinden Johannes Paul 11. immerhin gieiche Vorstellungen zu gesellschaftlichen Fragen. Die Entscheidung über den Gottesbezug in der EU-Verfassung steht zu dieser Zeit ebenfalls an: Der Papst kann mit der Aufmerksamkeit, die ihm über den Irakkonflikt zuteil wird, unter Umständen auch in der EU Sympathien für sich schaffen.
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Alleine die Tatsache, dass sich Staats- und Regierungschefs in dieser Intensität um Johannes Paul II. bemühen, zeigt sein Gewicht in den internationalen Beziehungen. Die Politiker, die ihn zu einer Audienz aufsuchen, bemühen sich um seinen "Segen" für ihre jeweilige Haltung (Foitzik 2003b: 167), der sich vorteilhaft in Bezug auf die Katholiken im eigenen Land auswirken kann. Zwar argumentieren manche Politiker (wie die deutsche Oppositionsfiihrerin Angela Merkei), ob man gegen den Irak militärisch vorgehen dürfe, sei keine Glaubensfrage, sondern ein sicherheitspolitisches Problem, für das man die Bibel nicht wortwörtlich zur Lösung heranziehen könne. Andere wiederum (wie Bundeskanzler Gerhard Schröder) verteidigen ihre Ablehoung des Irak-Angriffs mit dem Hinweis darauf, dass sich auch der Papst dagegen ausgesprochen habe (Foitzik 2003a: 58). Indem der Heilige Stuhl sich in der dargebotenen Vehemenz in internationale politische Fragen einschaltet und für Mandatsträger zu einem Argument für ihr eigenes politisches Vorgehen wird, ist er an der Gestaltung der internationalen Beziehungen beteiligt. Während die UNO vor dem Ausbruch des Irakkriegs wegen der Blockadehaltung der USA und Großbritaoniens gleichsam gelähmt erscheint, wird der Vatikan ,,zu einer Drehscheibe der internationalen Diplomatie ( ... ) Nie zuvor in der Modeme war ein Papst von so vielen Spitzenpolitikern als letzter Rettungsanker und als lagerübergreifende moralische Instanz aufgesucht worden. In manchen Momenten schien es, als habe der Pontifex mehr Einfluß als die UNO." (Ring-EifeI2004: 16) [SPC 14: Regierung als kooperativer Partoer für Frieden, Sicherheit und Entwicklung] Johanoes Paul II. begleitet die Diskussion über einen Irak-Angriff mit einer theologischen Untermauerung seiner Kriegsablehoung und rekurriert auf katholische Werte. Kardinal Cordes weist daraufhin, dass sich der Erfolg der päpstlichen Friedensappelle nicht nur in der direkten Wirkung ablesen ließen; berücksichtigt werden müssten vielmehr auch die langfristigen Effekte wie die Ausbildung des Gewissens oder die Orientierung für Verantwortungsträger (Interview Kardinal Cordes 2010). [SPC 4: Politische und religiöse Weltaoschauung, Werte; SPC 34: Maßstäbe setzen] Der Heilige Stuhl ist um Ausgleich zwischen den Konfliktparteien bemüht und markiert die Schwierigkeiten beider Seiten. Er kann sich auf Grund seiner Neutralität mit Vertretern jedes Staates treffen und schickt Sondergesandte nach Washington und Bagdad, die vermitteln und Handlungsspielräume sondieren. Dass Aziz den Papst aufsucht, zeigt, dass der Irak den Heiligen Stuhl als eine unabhängige Vermittiungsinstanz akzeptiert. [SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] Der Papst scham etwas, was anderen nicht gelingt: Er spricht mit
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jedem und ermöglicht Gespräche. Seine diplomatischen Kanäle bleiben zu jeder Zeit und zu allen Seiten hin geöffuet. 302 Der Papst triffi sich auch mit Vertretern anderer Religionsgemeinschaften und verfolgt dabei das Ziel, in einer Art religiöser Allianz mit einer Stimme gegen den Irakkrieg zu sprechen. Von den guten Kontakten des Papstes in die arabische Welt, auf die bereits seine Kooperationen während der UN-Konferenzen 1994 und 1995 hinweisen, können auch westliche Staaten profitieren. 303 [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontaktel Der Heilige Stuhl versucht, die christliche Minderheit im Irak zu schützen, indem er darauf hinweist, dass der Angriff der USA nichts mit dem Christentum zu tun hat. Steinschulte markiert in diesem Zusammenhang ein interkulturelles Missverständnis: Die islamische Welt nehme den Papst nicht nur als Oberhaupt des gesamten Christentums wahr (dort berücksichtige man nicht, dass es auch Protestanten und Orthodoxe gebe, so wie sich der Westen mit der Unterscheidung von Sunniten und Schiiten in ähnlicher Weise bisweilen schwer tne); die weniger gebildeten Menschen in der arabischen Welt sähen im Papst sogar das Oberhaupt des Westens, da im Islam nicht zwischen Staat und Religion unterschieden werde. Dort verstehe man nicht, dass der Papst das Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft ist, die formal von der Politik getrennt ist: ,,Bei uns wird die Unterscheidung zwischen Politik und Religion als selbstverständlich vorausgesetzt, und wir denken gar nicht daran, dass das dort anders sein könnte." (Interview Steinschulte 20 I 0) Der Heilige Stuhl klagt vor und nach dem Krieg das Leid der irakischen Bevölkerung an, die unter dem Embargo leidet, und rückt von der eigenen Lehre des gerechten Kriegs ab: So wie der Todesstrafe die moralische Legitimation entzogen wird, deklariert er Gewalt als Instruroent zur Konfliktlösung als kaum
302 Ein Grund dafür ist sicher auch die Tatsache, dass er keine Rücksicht auf innergesel1schaftliehe Debatten oder einen politischen Meinungsbildungsprozess nehmen muss: .,Wo europäische und nordamerikanische Politik: vorsichtig taktierte und lange debattierte, von wem. Aziz empfangen werden könne, griff der Vatikan zu und gewährte ihm die vierte Audienz beim Papst Und während die Botschaften der Europäischen Union überlegten, ihr Personal auf eine Rumptbesetzung zu reduzieren, schickte Johannes Paul 11. seinen Sondergesandten :für alle Fälle in die Straßen von Bagdad." (Kopp 2003: 347) 303 Als weitere Indizien fiir die guten Kontakte in die arabische Welt werden die Rede des Papstes vor der Al-Amar-Universität in K.airo im Februar 2000 genannt und die gemeinsame Erklärung mit islamischen Theologen. dass Gott niemals als Motiv für Gewalt missbmucht werden dürfe. (Im Gegenzug für diese Erklärung soll die katholisehe Kirche versprochen haben, auf Missionierung in islamischen Ländern zu verzichten.) Das Ansehen von Johannes PaullI. in der arabischen Welt basiert auch dara.uf: dass er 1982 erstmals und dann weitere acht Mal Jassir Arafat zu einer Audienz empfiingt und sich (im Gegensatz zu den USA) für die Interessen der Palästinenser stark macht (Coppa 2008: 187).
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zu rechtfertigen. [SPC lO: Auftreten der Regierung im Inland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen; SPC 11: Humanitätsideal gesetzlicher Regelungen] Der Heilige Stuhl und die Ortskirchen verurteilen einen Angriff des Iraks: Der Papst agiert auf der internationalen Ebene, die Ortskirchen auf nationaler Ebene. [SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen im eigenen Land] Beide stuBen in den Gesellschaften Debatten an und versuchen sie fiir ihre Haltung zu gewinnen;'04 der Heilige Stuhl hat Zugänge zu deutschen Parlamentariern. [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit; SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranten als Outside Partuer] Er schafft Ereignisse, über die in den Medien berichtet werden: Dazu gehören das emotionale Angelusgebet (vier Tage vor Kriegsausbruch), die Einberufung des diplomatischen Corps, die Botschaft zum Weltfriedenstag und die Friedenstreffen. Der Papst geißelt die Aufnahme des Präventivschlags in die Sicherheitsdoktrin der USA; er löst Diskussionen über internationales Recht, die Rolle der UNO und der USA in der Welt aus. [SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Framing; Präferenzen formen] Weil der Papst keine Sanktionsmöglichkeiten hat, um die USA von einem Angriff auf den Irak abzuhalten, muss er mit Symbolen und Zeichen versuchen, auf seine Haltung aufinerksam zu machen. So werden dem deutschen Außenminister, der gegen einen Angriff des Iraks ist, die Ehrerbietungen fiir ein Staatsoberhaupt zuteil. Johannes Paul Ir. ruft zu einem weltweiten Fasten- und Gebetstag auf, lässt nach dem Angriff auf den Irak Kirchenglocken läuten sowie Kirchen zum Gebet öffnen. Bei der Karfreitagsprozession wird das Kreuz von einer irakischen Familie getragen, womit die Menschen in der Kriegsregion in den Mittelpunkt gerückt werden. [SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Die katholische Kirche hat selbst im Irak, wo sie eine religiöse Minderheit darstellt, eine Infrastruktur, die fiir Hilfsleistun~en genutzt werden kaun; die Kirchen dienen allen Menschen als Zufluchtsort. 0' [SPC 27: Globale Gemeingüter erzeugen] Sant'Egidio,06 organisiert ein Diskussionsforum in Palermo (mit prominenten katholischen Würdenträgern), Geheimtreffen in Rom Trastevere mit Vertretern der arabischen Welt, Friedensmärsche am 1. Januar 2003 und ein Friedenstreffen in Aachen im September 2003. Der Heilige Stuhl nutzt das bei 304 Die Schwäche der amerikanischen Bischöfe zeigt aber auch., dass sich die katholische Kirche einen Vertrauensverlust in der Gesellschaft nicht leisten kann. 305 Das Gem.einde:netz soll an dieser Stelle vor allem in seiner Bedeutung für humanitäre Hilfe hervorgehoben werden. 306 Sant'Egidio ist zwar eine unabhängige Organisation, die aber de facto in der Nähe der Außenpolitik des Heiligen Stuhls anzusiedeln ist. Deshalb wird sie nicht unter SPC 38: NGOs und Verbände als Ou ..ide Partner aufgeführt, sondern als Teil der Strukturen des Heiligen
Stubls betrachtet.
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ihm akkreditierte diplomatische Corps, und Kardinal Cordes besucht als Präsident des Päpstlichen Rates Cor Unum den Irak. Auch Caritas International und Kirche in Not engagieren sich vor Ort: Sie bauen Schulen, Kraokenhäuser und Priesterseminare auf. [SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten] Als Ergebnis ist daher festzuhalten: Johannes Paul II. kann den Irakkrieg zwar nicht verhindern, doch sein Engagement ist nicht ohne Wirkung; er ninunt die Aufgabe wahr, die ihm zusteht: Er setzt sich fiir Frieden ein (Interview Facius 2010), betätigt sich - in der Unterscheidung nach Reychler - als PeaceBnilder und Peace-Maker (s. Kapitel 2.5) und sensibilisiert die Menschen langfristig fiir eine gewaltfreie Welt (Interview Kardinal Cordes 2010). Er sorgt dafiir, dass der Aogriff des Iraks nicht als Kampf des Christentums gegen den Islam erscheint (Mörschel 2007: 11-12). Er widerspricht der Behauptuog von Is!amisten, es handle es sich um einen christlich-zionistischen Feldzug und schützt dadurch die Christen weltweit und besonders die christliche Minderheit im Irak (Interview Verbeek 2010); er macht auf die Folgen des lrakkriegs fiir das dortige Christentum aufmerksam (Interview Wimmer 2010). Der Papst nimmt mit seiner Ablehnung Einfluss auf die öffentliche Meinung, erntet in der islamischen Welt Zuspruch und beugt dem Fehlschluss vor, dass das Christentum ein Verbündeter der USA sei oder mit ihnen gleichgesetzt werden könne (Ring-Eifel 2004: 17). Johannes Paul 11. versagt George W. Bush, den Aogriff auf den Irak als Auftrag Gottes zu rechtfertigen und erhöht die Notwendigkeit fiir eine schlüssige Argumentation eines Angriffs auf den Irak (Interview Rupper! 2010). Er verurteilt nicht nur den Krieg im Allgemeinen, sondern explizit den bevorstehenden Irakkrieg, was sich in dieser Deutlichkeit zuvor keiner seiner Vorgänger in einem Konflikt erlaubt. "Tatsächlich war er [sc. Johannes Paul 11.] vielleicht der einzige welt-kirchliche Christ, der die Autorität besaß, dern Führer des mächtigsten Weltreiches seine moralische Glaubwürdigkeit und seinen religiösen Anspruch vor aller Welt zu bestreiten." (Bahr 2005: 1118) Die Vehemenz, mit der sich Johannes Paul II. fiir eine friedliche Lösung einsetzt, bringt ihm Anerkennung und Aufmerksam ein (Foitzik 2003b: 167; Interview Smoltczyk 2010). Nach Umfragen in Italien nimmt die katholische Kirche nach 40 Jahren wieder die Position der glaubwürdigsten Einrichtuog des Landes ein (Englisch 2003b). Das Fallbeispiel macht ferner deutlich, dass der internationale Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates den Heiligen Stnhl nicht davon abhält, sich zu Wort zu melden, wenn es um geistliche oder moralische Fragen geht oder Katholiken einer Gefahr ausgesetzt sind. Der Irakkrieg zeigt, dass der Heilige Stohl Gewalt kaum mehr als legitimes Mittel fiir die Beilegung von Konflikten ansieht: Er rückt von der Lehre des gerechten 238
Kriegs ab und fordert Verhandlungen im Rahmen der UNO (Christiansen 2003: 95). Dabei betrachtet er ein UN-Mandat als notwendige Bedingung fiir eine Intervention; die Entscheidung darüber, ob auch die hinreichende Bedingung erfiillt ist, behält er sich selbst vor (wie der Irakkrieg 1991 zeigt), womit er sich faktisch über die UNO stellt. [SPC 21: Selbstinszenierung und NationBranding]
6.3
Zusammenfassung: Die Soft Power des Heiligen Stuhls
In der Systematik der Soft-Power-Checkliste sollen an dieser Stelle - neben den Zusammenfassungen und Bewertungen der einzeInen Fallbeispiele - die Leistungen des Heiligen Stuhls in einer Gesamtschau dargestellt und vervollständigt werden: Die Vielfalt der kirchlichen Medien ist groß: Radio Vatikan berichtet weltweit über die katholische Kirche und verbreitet ihre Lebre; die VatikanHomepage wartet mit einem breiten Informationsmaterial auf, und CTV produziert Filmaufuahmen vom Papst fiir Sendeanstalten weltweit. In der BRD kann die katholische Kirche über die Konkordate das Programm der öffentlichrechtlichen Fernseh- und Radiosender mitbestimmen. [SPC I: Radio, Film, Femsehen und Internet] Die katholische Kirche hat mit der Heiligen Schrift (und deren Einfluss auf diverse Künste) eine Art Kulturhegemonie in der westlichen Welt; sie ist die "Trägerin einer Kultur" (Interview Vogt 2010). [SPC 2: Musik-, Kunst- und Literaturszene] Die katholische Lebre stellt ein stabiles intellektuelles Fundament dar, das zu einer Alternative zu politischen Weltanschauungen werden kann; sie gibt Kraft und Selbstvertrauen (durch Orientierung und Seelenheil sowie dem Erlösungsgedanken und einer Vision von einem besseren Leben). Sie schützt die Würde des Menschen, der als soziales Wesen seine Persöulichkeit nur in der Gemeinschaft entfalten kann. Die drei Gesellschaftsprinzipien der christlichen Sozial\ehre sind Gemeinwohl, Solidarität und Subsidiarität (Rotte 2007: 98; Rauch 2006: 59). Die zentralen Werte der katholischen Kirche wie Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Nächsteuliebe finden auch über Kulturkreise hinaus Zustimmung. [SPC 4: Politische und religiöse Weltanschauung, Werte] Kirchliche Symbole sind weltweit verbreitet und haben einen Wiedererkennungswert; dazu gehören Kruzifix und Hostie ebenso wie die Bibel, Gotteshäuser oder die Kleidung katholischer Geistlicher. Über diese Produkte hält sich die katholische Kirche im Bewusstsein der Menschen. [SPC 5: Produkte der Massenkultur] Indem die Päpste beharrlich Frieden fordern und aktiv werden, geraten sie selbst zu einem Zeichen: Sie erscheinen gleichsam als 239
weißer Friedensengel; sie bringen durch das Segnen symbolisch das Heil. Das Papstamt ist eine Art ,,Kunstkörper", der angezogen wird. Der Heilige Stuhl betreibt symbolische Politik, wenn er Kirchenglocken gegen den Krieg läuten lässt. [SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Er besitzt sachliche Kompetenz, eine Führungsrolle im Bereich von Ethik und Moral und ist als seriöser Träger anerkannt (Interview 2; Interview Ruppert 20 I 0). Er besitzt nicht nur die Suprematie über die katholische Theologie und bestimmt damit die wissenschaftliche Auseinandersetzung; vielmehr nimmt er fiir sich das Alleinverwendungsrecht fiir das Prädikat katholisch in Anspruch. Rotte spricht in Anlehnung an Susan Strange von struktureller Macht, wenn die Kontrolle über Wissen, Glauben und Ideen gegeben ist: Strukturelle Macht sei an der Intensität der kulturell-wissenschaftlichen Vorherrschaft eines Akteurs abzulesen, mittels derer er seine Haltung beabsichtigt oder unbeabsichtigt auch bei anderen implementiert und damit ihre Entscheidungen beeinflussen kann (Rotte 2007: 125).'07 [SPC 7: Wissenschaft und Technologie: Führungs- oder Vorreiterrolle] Der Heilige Stuhl investiert in die Erziehung und (katholische) Bildung der Menschen. Vaillancourt weist darauf hin, dass durch die bessere Ausbildung der Geistlichen die Autorität der katholischen Kirche gewachsen ist (Vaillancourt 1980: 271). [SPC 9: Bildung] Die katholische Kirche unterhält Krankenhäuser und Altenheime; der Heilige Stuhl tritt fiir diejenigen ein, die sonst keine Lobby haben. [SPC 10: Auftreten der Regierung im Inland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen] Er fordert Nächstenliebe, ruft dazu auf; Verantwortung zu übernehmen und die Würde des Menschen sowie die Gleichheit aller Menschen zu achten. Er ist gegen die Todesstrafe und tritt fiir Gewaltlosigkeit ein. [SPC 11: Hunurnitätsideal gesetzlicher Regelungen] Da sich der Heilige Stuhl nie nur auf das Geschehen im eigenen Land konzentriert, ist er besser aufgestellt als herkömmliche Staaten, die an Souveränität verlieren. Er versucht, Ausgleich zwischen den Völkem zu schaffen, weil alle Menschen ein Recht darauf haben, sich zu entwickeln. [SPC 12: Qualität der Regierungspolitik] Päpste besitzen Amtscharisma; bei Johannes Pani 11. tritt sein persönliches Charisma hinzu: Er ist der erste Papst, der das vorgeschriebene Ritual verlässt und sein Amt der Popnlarität und dem Starkult öffnet. Er bedient die fiir die Massenmedien attraktiven Frames Vom Tellerwäscher zum Millionär und David gegen Goliath. Das in der Regel 307 Bei Strange heißt es im Original: ..the power to determine what knowledge ,hall be sought; how it shall be accumulated and applied; how and wh.ere knowledge once accumulated shall be stored; and to whom it shall be communicated and on what terms, constitutes another kind of structura1 power in world society and in Ibe world economy" (Strange 1989: 168-169).
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ruhige und besonnene Aufueten von katholischen Würdenträgern kann sie in ihrer Amtsführung unterstützen. [SPC 13: Charismatische Führer] Der Heilige Stuhl ist ein kooperativer Partner: Er steht für Kontinuität, Verlässlichkeit und Diskretion; er stellt seine Verhandlungspartner nicht bloß, hat gote Kontakte und ist durch seine Infrastruktur immer vor Ort. Wegen der Katholiken in den jeweiligen Bevölkerungen sind weder Papst noch Nuntius Fremde in einem Land (im Gegensatz zu herkömmlichen Staatsoberhäuptern und Diplomaten). Die katholische Kirche kann durch ihre Ideologie und durch gemeinsame Erfahrungen mit der Gesellschaft systemstabilisierend wirken, indem sie die Gegebenheiten interpretiert und eine Orientierung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft scham. [SPC 14: Regierung als kooperativer Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung] Der Heilige Stuhl leistet weltweite Friedensdienste mit gewaltlosen Mitteln und Vernunft. Durch seine Neutralität begegnen ihm Staaten mit weniger Vorbehalten und akzeptieren ihn als Vermittler. Er besitzt eine größere Objektivität, weil herkömmliche Staaten in ilnn keine Gefahr sehen. Ryall schreibt ilnn Macht durch Neutralität zu (Ryall 1998: 32). [SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] Es stellt sich die Frage, ob Gemeinden als Kulturinstitute der Public Diplomacy verstanden werden können: Dafür spricht, dass die katholische Kirche mit der Einrichtung von Gemeinden auf Gesellschaften zugeht und jede Gemeinde (direkt oder indirekt) auch für neue Katholiken wirbt; dagegen muss gewertet werden, dass Gemeinden Teil der eigenen Gesellschaft und aus ihr hervorgegangen sind. Zumindest die aktive Missionierung kann als eine Art Public Diplomacy verstanden werden. [SPC 16: Public Diplomacy] Der Heilige Stuhl erfährt Anerkennung und Respekt durch seine 2 OOOjährige Geschichte; seine Privilegien sind durch Tradition legitimiert. In früherer Zeit ist er ein eigener Machtfaktor, der seine Autorität auch nach dem Zusammenbruch des Kirchenstaates nicht verliert. [SPC 17: Eigen- und Fremdwahrnehmung der Geschichte eines Landes] Der Heilige Stuhl leitet eine der größten Religionsgemeinschaften der Welt; die katholische Kirche wird nicht zuletzt während eines Weltjugendtages als Global Player wahrgenommen. Der Heilige Stuhl ist unabhängig (von Wirtschaft und Wählerstimmen); über Konkordate sorgt er für stabile Beziehungen zu einzelnen Staaten. [SPC 18: Politische Stabilität in der Gegenwart] Die Gesamtheit der katholischen Gläubigen weltweit könnte heterogener nicht sein; durch die religiöse Unterweisung und die Sozialisation in der katholischen Kirche scham der Heilige Stuhl aber gemeinsame Standards, die universal gelten und damit zu Referenzpunkten werden: Er sorgt für ein Set an geteilten Werten und Überzeugongen, weshalb seine KonfliktvermittJung besonders in katholischen Staaten effektiv ist. [SPC 241
19: Homogenität der eigenen Bevölkerung] Demographische Untersuchungen belegen, dass Frauen, die regelmäßig den Gottesdienst besuchen, mehr Kinder zur Welt bringen als diejenigen, die dem Gottesdienst fernbleiben; dieser Effekt wird auch über die Drittvariable Ehe erreicht'o, Insofern kann die katholische Kirche als Religionsgemeinschaft auch einer Alterung der Gesellschaft entgegenwirken.'o, [SPC 20: Demographie und Gesundheitszustand] Der Heilige Stuhl setzt sich für alle Menschen ein, empfiehlt sich als Gewissen der gesamten Menschheit und überkonfessionelle Weltautorität Er sieht sich als Anfiihrer (,,Bannerträger") einer ideologischen Allianz und möchte ein Sprachrohr auch für andere Religionsgemeinschaften sein. Er nin3mt für sich in Anspruch, als von Jesus Christus gestiftete Kirche der Ursprung von Wahrheit und Moral zu sein. In diesem Kontext ist auch das Unfehlbarkeitsdogma zu sehen, das wichtig für die Autorität des Papstes ist (Vaillancourt 1980: 2). Der Heilige Stuhl empfiehlt die katholische Lehre und seine Publikationen als universal geltend. Die Inszenierung um einen Papstauftritt (höfisches Zeremoniell), die Schweizer Garde und die vatikanischen Paläste tragen den Prunk der Vergangenheit in die Gegenwart. Die Bezeichnung Heiliger Vater dröckt die Verbindung des Papstes zu jedem einzelnen Menschen aus. [SPC 21: Selbstinszenierung und NationBranding] Der Vatikan ist ein Touristenmagnet und unterstreicht das Interesse der Menschen (unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit) an der päpstlichen Institution (Schlott 2008: 18). [SPC 22: Anziehungskraft von Natur und Urbanität] Der Papst kann mit der Ernennung von Kardinälen die Kirche auch für die Zeit nach seinem Pontifikat prägen: Der Heilige Stuhl strahlt Kontinnität und Verlässlichkeit aus; alle Päpste stehen in einer Tradition, so dass der Wechsel an der Spitze der katholischen Kirche nicht vergleichbar mit einem Regierungswechsel in einem herkömmlichen Staat ist [SPC 23: Ausstrahlen von Macht und Verlässlichkeit für die Zukunft] Der Zentralismus der katholischen Kirche sorgt für Konfliktstoff; es scheint in Anbetracht ihrer Größe und ihrem Anspruch anf Einheit und Universalität aber keine Alternative dazu zu geben. Der Heilige Stuhl besitzt direkte Macht über die gesamte katholische Kirche (Rink 1997: 71); seine Autorität wächst durch die Unterdröckung der Laien im institutionellen Arrangement der katholischen Kirche, durch die Fom3alisierung des kanonischen Rechts, durch Konkordate und religiöse Verhaltensregeln (Vaillancourt 1980: 271). [SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen in3 eigenen Land] Wie keine andere Institution 308 Die katholische Kirche tritt für die Ehe ein, und eine geregelte Partnerschaft kann für Stabilität sorgen, die sich wiederum vorteilhaft auf die Bereitschaft für Kinder auswirken kann. 309 Siebe auch Kapitel 2.4.
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ist die katholische Kirche weltweit präsent. Der Heilige Stuhl verfügt über eio diplomatisches Netz; die Römische Kurie ist io Anbetracht der Größe der Kirche eio schlanker Apparat. Die Ortskirchen können politisch als verlängerter Arm des Heiligen Stuhls verstanden werden. In vielen sogenannten schwachen Staaten oder Ländern der Dritten Welt ist die katholische Kirche die einzige stabile und vom Staat unabhängige Institution. Als Ausdruck von Organisationsstärke können die kirchlichen Medien, politischen Eiorichtungen (Katholisches Büro io Berlio, ComECE io Briissel), die zahlreichen Unterorganisationen und kirchlichen NGOs sowie die Fähigkeit, eio globales Ereignis wie den Weltjugendtag zu organisieren, gewertet werden. [SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten] Keio religiöses Oberhaupt hat eio so umfassendes und regelmäßiges Netz aus weltlichen und ioterreligiösen Kontakten wie der Papst; er hält Gesprächskanäle auch für andere offen. In Konflikten kann der Heilige Stuhl in eioem Multi-Level-Approach Gespräche von der Staatsspitze bis auf die lokale Ebene organisieren. Ein eiodrucksvolles Beispiel für seio Friedensengagement ist der Audienzmarathon vor dem Ausbruch des Irakkriegs 2003; er ermöglicht diskrete Begegnungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontakte] Für die Reduzierung der eigenen InterdependenzVerwundbarkeit empfehlen Keohane/Nye den USA die Übernahme eioer Politikkoordinierung und eioe ioternationale Fübrerschaft - z. B. durch Förderung und Ausbau der Kooperation io internationalen Organisationen und Regimen (Keohane/Nye 1977: 106). Der Heilige Stuhl schafft ein globales Gemeingnt, indem er die ioternationale Fübrerschaft im Bereich der Moral und Ethik übernimmt und Friedensdienste anbietet. Er kämpft für die Würde aller Menschen und engagiert sich io internationalen Organisationen (KSZE/OSZE, Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag 1971).310 Roß nennt Johannes Paul Ir. den letzten unüberhörbaren Kapitalismuskritiker, nachdem die Kommunisten verschwunden sind (Roß 2002: 15). [SPC 27: Globale Gemeiogüter erzeugen] Der Heilige Stuhl hat eioe Fülle von Informationen durch seioe weltweite Infrasttuktur, durch Besuche (von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs sowie Bischöfen), durch katholische Organisationen (Sant'Egidio, Opus Dei, Pax Christi) und seine Orden. [SPC 28: Informationen sammeln und steuern] Wenn es kirchlichen Medien gelingt, eio breites (auch nicht-katholisches) Publikum anzusprechen, können sie sogar als zivile Kommunikationsnetzwerke bezeichnet wer-
310 Helbig führt hierzu aus, dass solche internationalen Vereinbarungen nicht nur einen politischen Sinn, sondern auch einen ethischen Gehalt haben. den die katholische Kirche mitgestaltenlnÖchte(He1big 1981: 175-176).
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den. 3ll Publikationen auf Bistumsebene können die Verbindung in einem gesellschaftlichen Subsystem sein, in denen katholische Rechtsanwälte für ihre Praxen werben oder katholische Familien katholische Hausangestellte suchen. [SPC 29: Zivile Kommunikationsnetzwerke] Zumindest theoretisch ist eine Reforrnf"ahigkeit der katholischen Kirche und der Römischen Kurie durch das Weisungsrecht des Papstes gegeben; inwiefern dies in der Praxis geschieht, kann nicht beurteilt werden, da die vorliegende Untersuchung interne Abläufe als Black Box unberücksichtigt lässt. Es ist aber zumindest zu erkennen, dass der Heilige Stuhl bereit ist, Positionen zu korrigieren (z. B. werden die Vorbehalte gegenüber der Demokratie und Journalisten aufgegeben). [SPC 31: Anpassung und Reformfähigkeit] Öffentliche Gebete und Appelle, Enzykliken, Briefe an Politiker oder Wahlhirtenbriefe können Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben, Lernpathologien festigen oder Erfahrungsresistenzen fördern. Der Papst zieht das Interesse der Weltpresse auf sich und liefert imposante Bilder (Macht der weißen Soutane); er kann die Themen der Tagesordnung beeinflussen (Interview Verbeek 2010; Interview Ruppert 2010; Interview Sharma 2010). Der Heilige Stuhl zählt über 400 ständig bei ihm akkreditierte Journalisten und unterhält eigene Medien. Als Anführer einer ideologischen Allianz oder als Sprachrohr kann der Heilige Stuhl vor allem seine eigenen Themen platzieren; durch die Präsenz der katholischen Kirche in der Gesellschaft (Feiertsge, Weltjugendtage, Gotteshäuser, Strukturierung der Zeit) verschaffi er sich Aufmerksamkeit. Die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden gilt als der Think Tank des Heiligen Stuhls in Bezug auf internationale Entwicklungen und Fragen (Donnelly 2002: 157). Smoltczyk weist daraufhin, dass die katholische Kirche mit AbM Pierre, Mutter Teresa oder den Franziskanerpatres gute Aushängeschilder habe, die dabei helfen würden, Themen an die Öffentlichkeit zu bringen (Interview Smoltczyk 2010). In Deutschland gelingt es der katholischen Kirche über die Deutsche Bischofskouferenz (mit Hirtenbriefen, Stellunguahmen des Ständigen Rates oder der Vollversammlung) Präsenz in den Medien zu zeigen; besonders effektiv ist sie dabei, wenn sie mit der evangelischen Kirche zusammen auftritt (Interview 4). Ein Interviewpartner unterstreicht, dass sie vor allem dann die Themen der Tagesordnung beeinflussen kann, wenn sie durch Sachargumente überzeugt (Interview 3). Ruppert macht in Bezug auf das Agenda-Setting auf die tägliche Kommunikation mit den Gläubigen vor Ort aufmerksam (Interview
311 Biskupek weist darauf hin, dass sich das Domradio in Köln einer breiten Beliebtheit erfreut und sich immer mehr Bistümer dem Programm anschließen (Interview Biskupek 2010).
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Ruppert 2010).312 [SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Framing; Präferenzen fonnen] Die katholische Kirche mobilisiert jede Woche Gläubige, den Gottesdienst zu besuchen; der Kirche zu dienen um Gott zu dienen ist ein Mobilisierungsfaktor erster Güte. Wie keiner anderen Organisation gelingt es ihr, Menschen zum Geldspenden zu bewegen. Der Heilige Stuhl bringt Religionsgemeinschaften in Assisi zusammen; die Ortskirehen können Beziehungen zwischen der Regierung und ihrem Volk herstellen. Der Papst ist die Personifizierung des Katholizismus, was die Mobilisierung vereinfacht; zehntausende Menschen stehen am Straßenrand, um ihn bei seinen Reisen zu sehen; mit dem Welijugendtag bringt er ein Millionenpub1ikum zusammen. 313 [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit] Der Heilige Stuhl wird durch fachliches und moralisches Wissen zum Experten anf diversen Gebieten; er besitzt Macht durch Expertenturn (Vaillancourt 1980: 267-268). Durch Selig- und Heiligsprechungen gibt er den Menschen Vorbilder. [SPC 34: Maßstäbe setzen] Die katholische Kirche wird selbst zu einem Vorbild, wenn ihre Normen zu internationalem Konsens werden: So setzt sie weltweit ein Verständnis von Werten oder bestimmten Definitionen durch; daran wird auch die transnationale katholische Identität deutlich. Als geistliche Souveränität und moralische Autorität kann sie mit Scham arbeiten und eine Legitimation verleihen. Der Heilige Stuhl kann die Positionen von Politikern auf- oder abwerten; dies gelingt auch durch das Gewähren von Audienzen. Er übernimmt weltweit Verantwortung für das Gemeinwohl und hat eine Stellvertreterrolle, wenn seine Arbeit anerkannt wird. [SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle] Für viele Menschen ist es eine Ehre, dem Papst dienen zu dürfen: Er gewinnt prominente Wissenschaftler oder pensionierte Baokdirektoren, die unentgeltlich in päpstlichen Delegationen oder Kommissionen tätig sind. [SPC 36: Prominente Einzelpersonen als Outside Partner] Dass Firmen wie VW oder Volvo dem Papst eine gepanzerte Limousine schenken, reicht zwar nicht aus, um einzelne Wirtschaftsvertreter als Outside Partner zu werten, aber es bezeugt doch zumindest, dass es als eine Auszeichnung empfunden wird, wenn der Papst
312 Smoltczyk. betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, vor allem. telegene und rhetorisch versierte Vertreter der katholischen Kirche für die Medienarbeit abzustellen (interview Smoltczyk 2010). 313 Ein Gesprächspartner bemerkt hierzu: "Wenn Milliooen Jugendliche zu den Welljugendtagen
kommen, wofür sie lange gespart haben., oder nach Rom fahren., um Johannes Paul n., der im. Sterben liegt. nahe zu sein - obwohl sie wissen., dass sie ihn nicht sehen werden - dann heißt das doch etwas. ( ... ) Dem Papst wird in gewisser Weise der Respekt und die Verehrung zu Teil, die man für Jesus Christus empfindet. Der Papst wird von Menschen verehrt... (Interview 2)
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bestimmte Produkte verwendet'!< [SPC 37: Wirtschaft als Outside Partner] Der Heilige Stuhl kann Organisationen Zugänge verschaffen oder sie in ihrem Vorhaben unterstiitzen; mit Gewerkschaften gibt es gemeinsame Aufrufe zu Friedensdemonstrationen. Gesellschaftliche Gruppen suchen den Kontakt zum Heiligen Stuhl bzw. zur katholischen Kirche, weil sie sich dadurch Vorteile erhoffen. m [SPC 38: NGOs und Verbände als Outside Partner] Die katholische Kirche verbindet die Menschen weltweit miteinander. Indem sich Katholiken fiir Katholiken einsetzen, wird die katholische transnationale Gesellschaft deutlich. Interviewpartner unterstreichen die gesellschaftliche Präsenz der katholischen Kirche als Machtressource (Interview 2; Interview Vogt 20 I 0). Die katholische Kirche hat vor allem in katholisch geprägten Ländern Einfluss; auf Gemeindeebene kann soziale Macht durch Gruppenzwang (unter Katholiken) bestehen. Jeder Katholik kann die Gesellschaft christlich prägen und mitgestalten.'!· Durch die Ritualisierung des Alltags wird der Einzelne in die Gemeinschaft integriert. [SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranten als Outside Partner] Wenn z. B. König Abdulla13 von Saudi-Arabien den Papst besucht, sendet er damit auch ein Signal an die arabische Welt317 Durch die Ausbildung von Journalisten versucht die katholische Kirche, Meinungsführer in den Medien fiir sich zu gewinnen. [SPC 41: Meinungsführer in ausländischen Gesellschaften als Outside Partner] Resümierend kann bereits an dieser Stelle die erste These der Untersuchung verifiziert werden: Der Heilige Stuhl verfügt über ein breites Soft-PowerInstrumentarium, mit dem er Einfluss auf politische Entscheidungen nelnuen kann.
314 Dies entspräche dann den Betrieben, die sich in Monarchien damit schmücken dürfen, Lieferanten des Hofes zu sein. 315 Caritas International, Brot fiir die Wel~ Advenia~ das Bonifutiuswerk der deutschen Katholiken. das Kindermissionswerk ,,Die Sternsinger"" Misereor oder Missio müssen dagegen als Inside Partner bezeichnet werden. 316 Die katholische Kirche wird nicht nur von Würdenträgern vertreten, sondern auch von Laien: von Gottesdienstbesuchem, Prozessionsteilnehmem, von Eltern. die ihre Kinder zum christlichen Glauben erziehen. von Menschen. die auf Gemeindeebene ein Ehrenamt bekleiden etc. (Schmidt 1999: 80-81; Interview Biskupek 2010)
317 Das Treffen im. Vatikan:findet im. November 2007 statt. In diesem. speziellen Fall wird der König von Saudi-Arabien nicht als Staatsoberhaupt seines Landes, sondern als Meinungsführer in der arabischen Welt beurteilt.
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A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
zu den kommenden und gehenden Präsidenten31 ' der Vereinigten Staaten spielt in der Untersuchung ebenso eine Rolle wie die unterschiedlichen Instrumente, mit denen beide Akteure ihre Ziele zu erreichen versuchen.
7.1.1
Amerikanische Schwächen
Mit der Präsidentschaft von Barack Obama hat eine gleichsam messianische Lichtgestalt die Amtsgeschäfte der USA übernommen. Obama versucht nicht weniger, als die USA zu erneuern, das negative Amerika-Bild im Ausland zu korrigieren, das unter Präsident George W. Bush und dem Irakkrieg 2003 entstanden ist, und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Nach einer Umfrage des Pew Research Center, die im Juni 2005 veröffentlicht wird, ist das Ansehen der USA im Ausland schlechter als das von China; in den Jahren 2006 und 2007 erreichen diese Werte einen weiteren Tiefpunkt (Franeo 2008: 157).'19 Schon während des Präsidentschaftswahlkampfes wird Obama im Ausland ein enormer Vertrauensvorschuss entgegengebracht; er weckt die Hoffnung, dass die USA wieder stärker mit ihren Partnern zusammenarbeiten und zu einer moralischen Stellung zurückfinden.'20
318 Johannes Paul II. steht in seinem 26jährigen Pontifikat gleich mit vier mächtigsten Männern der Welt in Kontakt. Dieser Tatbestand dürfte ihm nicht nur einen reichen Erfahrungsschatz bescheren, sondern auch ein authentisches Selbstbewusstsein im. Umgang mit einem amerikanischen Präsidenten. Die Formulierung der kommenden und gehenden Präsidenten soll dabei eine Art Inkommensurabilität zwischen dem Amt des Papstes und dem .Amt eines gewählten Staatsoberhauptes unterstreichen: Der Heilige Vater wird mit Gottes Hilfe auf Lebenszeit erwählt Die Kardinäle im. K.on1dave verpflichten sich durch Eid, sich fiir denjenigen zu entscheiden, von dem. sie annehmen, dass Gott ihn bestimmt hat. Dies drückt die vor jedem einzelnen Wahlakt zu sprechende traditionelle Eidesformel aus: "Testor Christum Dominum. qui m.e iudicaturus est. me eum eligere, quem secundum Deum iudico eligi debere." In deutscher Übersetzung: ,,Ich rufe Christus den Herrn, der mein Richter sein wird, zum Zeugen an, daß ich den gewählt habe, von dem ich glaube, daß er nach Gottes Willen gewählt werden müsse." (Uwer o. J.) Dagegen ist ein für einen überschaubaren Zeitraum gewählter Regierungschef auf das Wohlwollen seines Volkes und seiner Regierungspartner angewiesen. 319 Bereits unter Präsident Bush wird die Notwendigkeit zum Handeln erkannt und Char10tte Bears mit der Leitung der Public Diplomacy der USA beauftragt, der sie zu früherer Geltung verhelfen soll. Nach Franco ist in diesem Zusammenhang auch die engagierte Hilfe der USA bei der Tsunami-Katastrophe 2004 zu verstehen, über die verlorene Sympathie zurückgewonneo werden soll (Franco 2008: 148-150. 163). 320 Diese Hoflhung wird durch die Biographie Obamas und die Tugenden genährt. zu denen er die Amerikaner ermahnt. Seine Vision von einer Welt ohne Nuklearwaffen triffi den Geschmack
vieler Menschen weltweit (Transatlantic Trends 2009).
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Das negative Amerika-Bild, das Obama bei seiner Amtsübernahme vorfindet, wird zu seinem Referenzpunkt und muss an dieser Stelle zunächst offengelegt werden: Nach dern Umbruchjahr 1989 sind die USA die einzige global handlungsfähige Supermacht (Berg-Schlosser/Stanunen 2003: 290). Stellt man die sich daraus ergebenden Möglichkeiten und die gewaltige Sympathie, die Amerika nach den Terroranschlägen des 11. Septernber 2001 entgegengebracht wird, der Betrachtung der USA am Ende der Präsidentschaft von George W. Bushs entgegen, drängt sich der Eindruck auf; dass gleich mehrere Chancen vertan worden sind. 1m Ausland spielen Arroganz, Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit in der Wahmehmung Amerikas eine bestimmende Rolle (Nye 2003: 11). Alleingänge, wie die Ablehnung eines internationalen Strafgerichtshofs, der Ausstieg aus dem Klima-Protokoll von Kyoto oder die Missachtung des Atomwaffensperrvertrages durch die Entwicklung einer neuen Generation von kleinen Atomwaffen (Roth 2005: 85) schwächen das amerikanische Ansehen und damit die weiche Macht genauso, wie Guan!änamo (mittlerweile das Schreckenswort fiir einen rechtsfreien Raum) an der Glaubwürdigkeit der USA nagt. Das "Gespenat eines amerikanischen Unilateralismus" geht umher (Nye 2003: 65). Angesichts dieses Auftretens fragt sich Nye, ob Amerika die Globalisierung verschlafen habe; das mangelnde Interesse an Zusammenarbeit (bspw. in den Bereichen Finanzstabilität, Klimawandel, Drogenproblernatik, Infektionen und Terrorismus, wo militärische Macht keine sinnvolle Antwort ist) spreche jedenfalls dafiir (Nye 2003: 13). Dass die USA zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, wird nicht zuletzt an der Reduzierung der ausländischen Berichterstattung in den Medien um zwei Drittel deutlich. 321 Dies kann nach Nye dazu fiihren, dass Amerika seine Position als "Schnittstelle transnationaler Kontakte" verliert (Nye 2003: 35). Nye empfiehlt Obama, dass er die Smart Power der USA vergrößern könnte, indern er der Diplomatie, Kommunikation und Wirtschaftshilfe eine größere Aufmerksamkeit schenkt. Die USA sollten Demokratie, Menschenrechte und die Entwicklung der Zivilgesellschaft vorantteiben; wichtig sei die Schaffung von globalen Gütern wie Entwicklung, Gesundheitsfiirsorge und die Bekämpfung des Klimawandels. Dem Auftreten des Präsidenten spricht Nye dabei eine entscheidende Rolle zu: Sensibilität und Respekr vor anderen müsse zum bestimmenden Moment werden (Nye 2009b).
321 Diese Angabe bezieht sich auf den Zeitraum zwischen 1989 und 2000. Nye: ,.Der Direktor von MSNBC sah einen ,nationalen Nebel des Materialismus, des Desinteresses und des Wegschauens' aufsteigen." (Nye 2003: 7-8)
249
7.1.2
Die Aufoahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA
Erst seit 1984 unterhalten die USA und der Heilige Stuhl wieder offizielle diplomatische Beziehungen, nachdem sie 1868 abgebrochen werden (Kirchner 1996: 142). Die Aufnahme konsularischer Beziehungen unter Präsident John Adams erfolgt im Jahr 1797, weil die USA wirtschaftliche Interessen am Kirchenstaat haben, dieser als ausgezeichneter Horchposten gilt und amerikanische Reisende in der Region einen Ansprechpartner haben sollen (Melnyk 2009: 75; EssigIMoore 2009: 742). Präsident James Polk richtet 1848 zwar volle diplomatische Beziehungen ein, sie werden nach zwanzig Jahren jedoch wieder eingestellt: Als Grund nennen die USA das Verbot fiir die Protestanten der USGesandtschaft in Rom, ihre Gottesdienste zu feiern; tatsächlich werden hinter dem Abbruch jedoch politische Beweggründe des Kongresses vermutet (EssigIMoore 2009: 742-743). Während der Heilige Stuhl schon im Pontifikat von Pius xn. wieder ein gesteigertes Interesse an einer Zusammenarbeit mit den USA hat - Großbritannien kann nach seiner Auffassung das Gleichgewicht in Europa nicht mehr garantieren (Franeo 2008: 68) -, bemühen sich die Präsidenten Eisenhower, Kennedy und Johnson um eindeutige Distanz zum Heiligen Stuhl. 322 Nixon, Car!er und Reagan umgehen dagegen den Kongress, indem sie persönliche Repräsentanten zum Heiligen Stuhl entsenden (Fogerty 1984: 587588).323 Für die Wiederaufuahme voller diplomatischer Beziehungen im Jahr 1984 machen EssigIMoore das Zusammentreffen von Ereignissen und Persöulichkeiten verantwortlich: Johannes Paul 11. hat unter den Nationalsozialisten und Kommunisten gelitten, während Reagan strikter Antikommunist und an Polen interessiert ist, das er als den wunden Punkt des Ostblocks betrachtet; beide haben kurz zuvor einen Mordanschlag nur knapp überlebt. Das erste Treffen zwischen Johannes Paul H. und Präsident Reagan findet im Juni 1982 statt und flillt mit sechs Stunden ungewöhnlich lang aus (EssigIMoore 2009: 745-747). In
322 Besonders Kennedy will nicht den Eindruck entstehen lassen, er wolle als erster katholischer Präsident den Menschen in den USA seinen Glauben au1Zwingen. In dieser Folge unternimmt er keine Anstrengungen, das Verhältnis zum Heiligen Stuhl zu verbessern und geht auf Abstaod (Fogerty 1984: 587, 589). Obwohl sich Johaones XXIll. wiibrend der Kuba-Krise als professioneller Vermittler empfiehlt, legt die Kenn.edy-Administration keinen Wert auf eine Aopassung ihres Verbältnisses zum Heiligeo Stuhl, wird aber zumindeat wachsam, als Nikita Chruschtschow diese Distanz :für sich zu nutzen versucht und Johannes xxm. sich mit seiner Enzyklika PACEM IN TERRlS den Kommunisten öffnet (Franco 2008: 81-83). 323 Der Kongress muss seine Zustimmung zu sämtlichen diplomatischen Beziehungen geben.
250
den Medien wird eine Heilige Allianz kolportiert, die eingegangen worden sei, was beide Staatsoberhäupter jedoch bestreiten. Essig/Moore zitieren Paul Kengor: "They shared a strong sense of faith, experienced near-fatal assassination attempts, held parallel views on communism, and possessed a faith-based optimism." (Kengor zit. in: Essig/Moore 2009: 749) Als Beweggründe fiir Reagan, volle diplomatische Beziehungen wieder aufzunehmen, geben Essig! Moore ein Treffen zwischen Kardinal Casaroli und Reagan an, bei dem eine vertiefte Zusammenarbeit erörtert wird. Ferner führen die Autoren das religiöse Umfeld von Reagan an, das aus den gläubigen Katholiken Alexander Hai~ William Clark:, Vemon Walters, Richard Allen und William Casey besteht. 3 Als ausschlaggebend beurteilen sie auch äbnliche politische Interessen in Lateinamerika (die Befreiungstheologie wird wegen ihrer Nähe zum Kommunismus als Gefahr fiir die katholische Kirche und die USA angesehen) und die religiösen Spannungen im Mittleren und Nahen Osten. Schließlich weisen Essig/Moore auf einen Brief hin, den Johannes Paul H. im November 1981 an Reagan und Breschoew schreibt, in dem er sich über deren Aufrüstung beklagt, die die Sicherheit der gesamten Welt gefährden würde. Der Brief sorgt fiir öffentliche Irritationen, und die US-Administration vermutet, die Befiirchtungen des Papstes wären erst gar nicht entstanden, wenn es formelle Beziehungen gegeben hätte. Für abwegig halten Essig/Moore die Annahme, Reagan habe mit der Aufuahme voller diplomatischer Beziehungen der Sowjetunion nur zuvorkommen wollen: Zwar habe es diese Idee unter Chruschtschow gegeben, als seine Tochter und ihr Ehemann zu einer Audienz zu Johannes XXIII. reisen und während eines Besuches von Außernninister Gromyko bei Paul VI.; bei einer Absichtserklärung sei es jedoch geblieben (Essig/Moore 2009: 749-751, 753755). Wilson, der erste von Reagan ernannte Botschafter beim Heiligen Stuhl, ergänzt als Grüode fiir die Aufuahme voller diplomatischer Beziehungen das Weltreich der katholischen Kirche, den Einfluss des Heiligen Stuhls auf die Meinung und das Leben der Menschen (auch in den Regionen, in denen die USA nicht vertreten sind), den Status des Heiligen Stuhls als Völkerrechtssubjekt und seine Mitgliedschaft in zahlreichen internationalen Organisationen sowie die eimnalige Persönlichkeit von Johannes Paul H. und seine Rolle in den internationalen Beziehungen (Wilson zit. in: Essig/Moore 2009: 757).
324 Reagan selbst ist Protestan~ hat aber einen katholiseben Vater (EssigIMoore 2009: 751). EssigIMoore weisen auch auf die Empfehlung von Königin Elizabeth II. hin, die sich bei einem Abendessen mit Reagan im. März 1983 sehr zufrieden über die vollen diplomatischen Beziehungen Großbritanniens zum Heiligen Stuhl äußert.
251
Im Gegensatz zu Präsident Harry Truman, der 1951 noch eio Desaster erlebt, als er wieder offizielle Beziehungen zum Heiligen Stuhl einrichten will,325 räumt Reagan im Vorfeld der Aufuahme sämtliche Fallstricke aus dem Weg: Senat und Kongress siod vorbereitet, und die Medien halten sich auffällig zurück; nach eioer Gallup-Umfrage im Januar 1984 begrüßen 57 Prozent der Amerikaner die Aufuahme. Kritik gibt es nur vereiozelt von protestantischen, jüdischen und sogar einigen katholischen Gruppen: Sie führen an, dass die Aufualune voller diplomatischer Beziehungen zum Heiligen Stuhl die io der Verfassung festgeschtiebene Trenoung zwischen Staat und Kirche gefährde. Diese Bedenken bleiben jedoch folgenlos (EssigIMoore 2009: 755-756, 759760). Als Ursache fiir die Protestlosigkeit summieren EssigIMoore die enorme Bewunderung fiir und das Prestige von Johanoes Panl H. und die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, die sich gegen Diskriminierung jeglicher Art - auch von Religionen - eiosetz! (EssigIMoore 2009: 760-761). Die Autoren zitieren ferner den Soziologen Joseph Varacalli, nach dem der Katholizismus io den USA der 1980er Jahre nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen wird, die er fiir viele Amerikaner noch im 19. Jahrhundert darstellt. Varacalli macht diese Entwicklung an den katholischen Werten fest, die Eiozug in weite Teile der amerikanischen Gesellschaft gefunden haben. Als nicht weniger bedentsam beurteilen EssigIMoore, dass sich das Federal-Court-System bereits im Vorfeld skeptisch gegenüber möglichen Klägern gegen die Aufuahme diplomatischer Beziehungen zum Heiligen Stuhl zeigt und es keine schlagkräftigen protestantischen Gruppen gibt, die zum Protest aufrufen (EssigIMoore 2009: 761, 764). Fogerty unterstreicht, dass es sich als giiostig fiir die Aufuahme von diplomatischen Beziehungen erweist, dass das Zweite Vatikanische Konzil die Zusicherung der religiösen Freiheit garantiert; dadurch werde der amerikanischen Bevölkerung die Sorge genommen, die Trenoung von Staat und Kirche könote verwässert werden. Für nicht minder wichtig hält Fogerty die durch die Aufuahme voller diplomatischer Beziehungen zum Ausdruck gebrachte Auerkenoung der Rolle des Heiligen Stuhls in den internationalen Beziehungen;
325 Die Einsetzung eines Botschafters beim Heiligen Stuhl im Oktober 1951 unter Harry Tl"UIIllU1
scheitert an massiven protestantischen Protesten und einer antikatholischen Medienkampagne. Danach bleibt auch der Heilige Stuhl distaoziert, weil er in der amerikanischen Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit eine neue Gefahr für den Frieden sieht (Ring-EifeI2004: 113-114; Hanson 1987: 338·339). Neben der ablehnenden Haltong der amerikanischen Bevölkerong zu
vollen diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl nennt Fogerty die selbstbewussten und auf Eigenatändigkeit pochenden amerikanischen Bischöfe, die sieh lange gegen einen
Nuntius in Washington sträuben. weil sie sich für den Kontakt zwischen Papst und amerikanisehero Präsidenten zuständig halten (Fogerty 1984: 589).
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diese Bedeutung sei vor allem durch das Engagemeot von Casaroli gestiegen (pogerty 1984: 589). Franco betont die ähnlichen politischeo Interesseo: Reagan habe im Papst einen Verbündeteo in deo internationaleo Beziehungeo gesehen und sich durch Johannes Paul II. Sympathien für die USA erhofft (Franco 20lO: 57,90,94-95). Die Zusammenarbeit zwischen Johannes Paul II. und Reagan bezieht sich zunächst auf die Situation in Polen: Es findet ein gemeinsamer luformationsaustausch statt, deo Verbeek wie folgt beschreibt: ,,Kein Botschafter aus deo Hundettschaften von Diplomaten, die Washington bevölkerten, konnte sich eines solch unkomplizierteo Zugangs zu der amerikanischen Machtzentrale erfreuen." (Verbeek 2005: 93) Im Innereo Polens sorgt der Papst für moralische Unterstützung, von außen übt Reagan Druck aus. Die ClA liefert Geld, Fax- und Kopiergeräte sowie Geheimsender. EssigIMoore zitiereo aus einem Privatbrief Reagans, in dem er bekennt: ,,I have had a feeling particularly in the pope's visit to Poland, that religion may torn out to be the Soviets' Achilles' heel. ,,326 (Reagan zit. in: EssigIMoore 2009: 753) Johannes Paul H. beruhigt im Gegenzug die amerikanische Bischofskoufereoz, die Reagans Nuklearpolitik ablehnt, und richtet seine Führung in Lateinamerika USA-freundlich aus, indem er sich gegeo die Befreiungstheologie ausspricht, die kommunistische Strömungen beinhaltet (Verbeek 2005: 90, 92-93).
7.1.3
Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA
Die katholische Kirche in deo USA ist die reichste Ottskirche und gehört mit 67 Millionen Katholikeo auch zu deo größten (nach Brasilieo mit 149 Millioneo und Mexiko mit 92 Millionen) (Evans 2007: 172; Coppa 2008: 224). Sie umfasst 195 Diözesen mit 19000 Gemeinden und 45000 Priestern. Durch die Missbrauchsfälle, die in den Jalrreo 2002 bis 2003 publik werden, gerät sie in eine tiefe Krise, die deo Bankrott einiger Diözesen zur Folge hat (pranco 2008: 101, lO9). Politisch gesehen ist die katholische Kirche vor allem für die Wähler der demokratischen Partei von Relevanz; demokratische Senatoren und Abgeordnete setzen auf deo Katholizismus, wenn es um die Durchsetzung von
326 Das Verhältnis zwischen Johannes Paul II. und Ronald Reagan beschreiben BemsteinlPoliti als dezidiert wohlwollend (BernsteinlPoliti 1997: 566). KDntalde zwischen dem Papst und der amerikanischen Cen1ral lotelligence Agency beatätigen Thomas/Morgan-Witts (Ibomasl Morgan-Witts: 1984: 422). Die CIA ist in dieser Zeit an der Informatioosinfrastruktur der ka-
tholischen Kirche in Europa interessiert (Franco 2008: 68).
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Wohlfahrtsprogrammen oder den Kampf gegen Marktradikalismus geht; aber auch republikanische Gouverneure beziehen sich in Fragen der Moral auf ihn (lIanson 1987: 341; Roß 2002: 166). Trotz der guten Zusammenarbeit zwischen Johannes Paul 11. und Präsident Reagan erhält sich der Heilige Stuhl seine Unabhängigkeit: Vehement kritisiert Johannes Paul 11. den sich nach der Wende von 1989 in den Ländern des früheren Ostblocks breitmachenden Kapitalismus amerikanischer Prägung als Wirtschaftsform und den Liberalismus als Ideologie (Ring-Eifel 2004: 219). Eine Verschärfung der Meinungsverschiedenheiten ist während der Präsidentschaft Bill Clintons festzustellen, der sich für eine Förderung von Abtreibung und Sterilisation als Mittel der Familienplanung einsetzt.'27 Johannes Paul 11. ergreift sämtliche Maßnahmen, um dem ,,moralischen Verfall" und "Rückschritt für die Menschheit" entgegenzutreten (Johannes Paul 11. zit. in: Ring-Eifel 2004: 225). Mit dem Methodisten George W. Bush liegt Johannes Paul 11. zwar in Fragen des Lebensschutzes und der Familienpolitik auf einer Linie und lässt den Angriff auf Afghanistan gleichsam geschehen;32' einen Präventivkrieg gegen den Irak lehnt er aber mit Entschiedenheit ab und verurteilt die neue Sicherheitsdoktrin der USA. Vor dem Ausbruch des Irakkriegs 2003 mahnt er innerhalb von sechs Monaten fünfzig Mal eine diplomatische Lösung des Konfliktes an; während der sechswöchigen Kampfhandlungen meldet er sich mit 25 Friedeusappellen zu Wort (Ring-Eifel 2004: 221). Obwohl die Beziehungen zwischen den USA und dem Heiligen Stuhl in der heißen Phase vor dem Irakkrieg 2003 intakt bleiben, kämpfen beide Seiten fiir ihre Überzeugungen. Zur Jahreswende 2002/2003 versagt Johannes Paul 11. mit den Worten ,,Nein zum Krieg! Er ist nie ein unabwendbares Schicksal. Er ist immer eine Niederlage der Menschheit" (Johannes Paul 11. zit. in: Rauch 2005: 43) dem Präsidenten den Segen fiir den Irakkrieg. 329 Dass bei der Beisetzung von Johannes Paul 11. George W. Bush, seine Frau Laura, Außenministerin Condoleezza Rice und die früheren Präsidenten Bush und Clinton anwesend sind, wird als bedentende Auszeichnung gewertet. Bei dem Begräbnis von Paul VI. nehmen lediglich Rosalynn Carter und bei Johannes XXIII. Vizepräsident Lyndon B. Johnson teil (Franco 2008: 178-179).
327 Für eine detaillierte Darstellung s. Kapitel 6.2.2. 328 Über seinen Sprecher NaVll1ro-Valls wird das Recht der USA auf Selbstverteidigung zwar anerkannt, Johannea Pau! Il. vermeidet ea jedoeh, sieh persönlich zu dem Krieg gegen die Taliban zu äußern. und überlässt dem. für die Außenpolitik. zuständigen Staatssekretariat das öffentliche Agieren (Ring-Eife12004: 287). 329 Für eine detaillierte Darstellung s. Kapitel 6.2.3.
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Während es zwischen dem Heiligen Stuhl mit George W. Bush also Einigkeit über gesellschaftliche Fragen und Uneinigkeit in der Außenpolitik gibt, herrscht mit Barack Obama relative Einigkeit über die Vorstellungen von Außenpolitik, Immigration und Armutsbekämpfung; Obama steht für eine moralischere Wirtschaft. Unterschiedliche Ansichten gibt es dagegen bei den Themen gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Abtreibung und Stammzellenforschung (Franco 20\0: 51-52). Einige amerikanische Bischöfe machen im Präsidentschaftswahlkampf 2008 keinen Hehl daraus, dass ein Katholik Obama nicht mit gutem Gewissen wählen könne, weil diesem eine religiöse Vision fehle und er Auffassungen zu gesellschaftlichen Fragen vertrete, die konträr zu denen der katholischen Kirche stünden. Während der Heilige Stuhl zunächst befürchtet, Obama könne zu einem amerikanischen Zapatero werden, vermutet Franco, dass man mittlerweile einen Weg gefunden habe, miteinander umzugehen (Franco 20\0: 52-53,62-63). Obama setzt sich zu Beginn seiner Amtszeit hohe Ziele: Er möchte die nukleare Abrüstung vorantreiben, die Beziehungen zu Russland und zur arabischen Welt verbessern, den Nahost-Konflikt entschärfen sowie gegen den Klimawandei und die weltweite Armut vorgehen. Seine Ausgangslage, die er mit der Übernahme der Präsidentschaft vorfindet, ist jedoch verheerend: Die amerikanische Wirtschaft hat massive Probleme, die Armee der USA scheint nicht mehr unbesiegbar, und das Vertrauen in die Führungsrolle der USA ist nur noch gering. Mit den Grenzen seiner Macht konfrontiert, versucht Obama deshalb, auf Überzeugung statt auf Zwang und Arroganz zu setzen; statt harter Linien übt er sich in dem Signalisieren von Kompromissbereitschaft und unternimmt kleine Schritte statt großer Würfe (Klare 20 I 0: 8). Rauch arbeitet in einem Vergleich zwischen der Friedensdiplomatie des Heiligen Stuhls und der amerikanischen Sicherheitspolitik heraus, dass der in der Öffentlichkeit entstandene Eindruck der Gegnerschaft zwischen dem Heiligen Stuhl und der amerikanischen Führung nach dem Irakkrieg 2003 oberflächlich ist. Die internationalen Beziehungen werden vom Heiligen Stuhl und Washington jedoch in unterschiedlicher Weise wahrgenommen: Geht es der amerikanischen Regierung um die eigene nationale Sicherheit und die ihrer Verbündeten, verfolgt der Heilige Stuhl einen dauerhaften Weltfrieden für alle Menschen. Er verfolgt ein Ordnungsgefüge, das - wie es Johannes XXIII. in PACEM IN TERRIS beschreibt - auf Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit beruht; Johannes Paul 11. nennt diese Grundwerte der katholischen Soziallehre "immerwährend". Diese Ideale liegen von der "atlantischen Zivilisa-
255
tion""O jedoch nicht weit entfernt. Rauch glaubt sogar, dass der Heilige Stuhl bis zu der neuen Sicherheitsstrategie der Bush-Administration eine sa'!fte Hegemonie der USA als Stabilitätsfaktor in der Welt begrüßt (Rauch 2005: 40, 42-44). Gemeinsam ist den USA und dem Heiligen Stuhl das gerechte Menschenbild. Doch während die USA häufig auf Stärke setzen, ,,manche Möglichkeit, Freundschaft und Partnerschaft zu gewinnen", ausschlagen (Nye 2003: 66) und multilaterale Verhandlungen lediglich als eine Option ansehen, verfolgt der Heilige Stuhl eine konsequente Politik der Diplomatie (Rauch 2005: 43) und ist in der Lage, mit nahezu jedem Staat eine Kooperation einzugehen. In Anbetracht der Machtverhältnisse in der Welt kann dem Heiligen Stuhl nicht daran gelegen sein, einen konsequent anti-amerikanischen Kurs zu verfolgen. Die USA sind ein christlich geprägtes Land, mit dem es trotz zeitweiliger Spannungen solide Übereinstinunungen bei den Grundwerten gibt (Ring-Eifel 2004: 291): Obwohl in den eher calvinistisch geprägten USA andere Schwerpunkte in der Soziallehre gelegt werden, erfreuen sich die Werte der katholischen Kirche gerade in Fragen der Ehe, Familie und des Menschenbildes eines hohen Zuspruchs (Rauch 2005: 44). Amerika gehört nicht zuletzt mit seinen Megachurches zu den religiösesten und kirchgangsfreudigsten Nationen der Welt (Röhrich 2005: 24); in keiner anderen westlichen Demokratie wird das Wahlverhalten von der religiösen Einstellung der Bürger so eindentig bestinunt wie in den USA."l Rund 80 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich als Chris330 Rauch bezicht sich mit dem Begriff der ,,atlantischen Zivilisation" aufHannah Arendt und deo
amerikanischen Historiker Robert Palmer; sie verstehen darunter Perspektiven. die sich aus Demokratie, Wohlstand und Freiheit ergehen (Rauch 2005: 42).
331 Bram! zitiert eine Gallup-Analyse aus dem. März 2004, nach der zwei Drittel der wahlberechtigteo Amerikaner Religion als eotscheideodes Wahlkriterium neonen (Bram! 2005: 30). Ein interessantes Phänomen in der ame:rikanischen Gesellschaft ist die Christliche Rechte: Sie entsteht in den 1970er Jahren als Antwort auf die Potestbewegungen in den USA" die sich für Frieden und die Rechte von Frauen und Homosexuellen einsetzen. Obwohl die Christliche Rechte nicht als homogene Gruppe bezeichnet werden kann und vielmehr aus diversen Gruppierungen besteht. ist es das erklärte und gemeinsame Ziel, dem Evangelium und Jesus Christus einen zentralen Stellenwert im individuellen Leben und in der Gemeinschaft zu geben, um wiedergeboren werden zu können. Zu dieser evangelikalen Gruppe zählen sich etwa 23 bis 26 Prozent der Amerikaner (Bram! 2005: 30; Brocker 2007: 24-25). Sie kämpfun gegeo gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Abtreibung, Pornographie, Euthanasie, Stammzellenforschung und das Klonen, zeigen sich skeptisch gegenüber internationalen Organisationen und haben nach dem 11. September 2001 im Islam einen neuen Gegner entdeckt. Sie setzen sich für die Werte der jüdisch-christlichen Tradition ein. die Rechte Jsraels (und gegeo die Eigeoständigkeit Palästinas). filr Schulgebete uod Bibellektiire an öffeotlicheo Schulen. die Förderung religiöser Privatschulen, die Schöpfungsgeschichte der Bibel (im Biologie-Unterricht) uod sexuel-
le Enthaltsamkeit vor der Ehe. Das Auftreten der Christlichen Rechten wandelt sich dabei im.
256
ten, römisch-katholischen Glaubens sind 21,8 Prozent der Gesamtbevölkerung (Braml 2005: 30). Die Kabinettssitzungen im Weißen Haus beginnen stets mit einer kurzen Andacht, und Abgeordnete und Senatoren mit "moralisch konservativer, christlich rechter Gesinnung" sind im Kongress gut organisiert (Röhrich 2005: 23; Bram! 2005: 34). Zu der religiösen Ausdrucksweise, die George W. Bush während seiner Präsidentschaft bemüht, bemerkt Braml: ,,Diese Rhetorik ist darüber hinaus identitätsstiftend und ruckt das ,von Gott beinahe auserwählte' (almost chosen) Amerika (so schon Abraluun Lincoln) in die unmittelbare Nähe des auserwählten Volkes Israel." (Bram! 2005: 36) Durch die Zuwanderung der Hispanics werden die USA gerade in Kalifornien, Texas, Florida und New York immer katholischer.'32 Nach dem 11. September bewegt die USA ihre Angst um die eigene Sicherheit, während den Heiligen Stuhl die Zukunft des Christentoms beschäftigt; in beiden Fällen spielt der Islam eine bedeutende Rolle (Franco 2008: xii). Obwohl Franco in den USA und dem Heiligen Stuhl zwei Extrema der westlichen Zivilisation sieht, entdeckt er folgende Übereinstimmungen: Beide erreichen die ganze Welt und kämpfen gegen Fundamentalismus und für christliche Werte. Vor allem in George W. Bush findet Johannes Paul 11. einen Verbündeten in gesellschaftlichen Fragen. Trotz der Auseinandersetzung über den irakkrleg ist es für den Heiligen Stuhl von Vorteil, dass bei der Präsidentschaftswahl 2004 nicht John Kerry gewinnt, weil man über die Themen Politik und Religion, Familie, Abtreibung, Stammzellenforschung und gleichgeschlechtliche Partnerschaften eine grüßere Nähe zu den Republikanern hat (Franco 2008: xi-xii, 166). Franco arbeitet heraus, dass die USA und der Heilige Stuhl jedoch am besten miteinander leben, wenn sie ihre Unterschiede statt der Gemeinsamkeiten betonen; Distanz und Wettbewerb seien für beide in ihrer Wahrnehmung durch Dritte von Vorteil (Franco 2008: 194). Institutionell gesehen haben Papst und Präsident die Doppelfunktion von Staatsoberhaupt und Regierungschef. Weiss nennt den Präsidenten den wahr gewordenen Traumjedes Amerikaners: Er ist die PersonifIzierung des American Lauf der Zeit: Sie nimmt von aggressiven Protestaktionen Abstand und konzentriert sich auf Lobbyarbeit und Zugänge zur Spitze der Republikaniseben Partei, auf publizistisebes und ju-
ristisches Vorgehen gegen Gesetzesentwürfe sowie auf die Mobilisierung von Wahlerstimm.en :für konservative Kandidaten. Auch wenn die Umsetzbarkeit ihrer Forderungen in Frage stehtabgeseben von einigen inhaltlieben Erfolgen während der Präsidentsehaft von George W. Bush -, ist es ihr doch gelungen, eine stabile Anhängerschaft und Finanzierong zu sichern und sieb als ernsthafte politisebe Kraft zu präsentieren (Brocker 2007: 26-28, 30). 332 Die Zahl der Protestanten in den USA wird für das Jahr 2005 auf 100 Millionen, der Katholiken auf 67 Millionen, der Juden uod der Anhänger des Islam auf jeweils 6 Millionen geschätzt (Uniled States Diplomatie Mission To Germany 2010).
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Dream und ein moralisches Vorbild (Weiss 2003: 83-84); die Bindung an ihn entsteht auch dadurch, dass er der einzige Politiker mit einem nationalen Mandat ist. Das Amt des Papstes hingegen ist das Symbol für die Anbindung des Menschen an Gott. Beide Ämter beinhalten damit ein hohes Maß an Emotionalität für ihre Anhänger. Die Zusammenarbeit zwischen Papst und Präsident dürfte neben den inhaltlichen Übereinstimmungen stark abhängig von der persönlichen Sympathie füreinander sein: Während bei herkömmlichen Staaten immer auch gegenseitige wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, die sich förderlich auf die Bereitschaft zur Kooperation auswirken, ist dieses disziplinierende Moment für den Kontakt zum Heiligen Stohl nicht gegeben. So verschieden die USA und der Heilige Stohl in ihrem Auftreten auch sind, so begrüßenswert erscheint es aus der Perspektive des Heiligen Stohls, dass die USA (und nicht etwa die ehemalige UdSSR) die letzte verbleibende Supermacht sind: Die USA können dem Heiligen Stohl dabei helfen, christliche Vorstellungen in die Welt zu tragen und unterstützen ihn (direkt oder indirekt) bei seinem Kampf für Menschenrechte und Religionsfreiheit. Der Heilige Stuhl trifft in den USA auf ein für ihn giinstiges Klima, das empfänglich für seine Werte ist; aus der katholischen Ortskirehe in den USA bezieht er den Großteil seiner fmanziellen Zuwendungen. Der Heilige Stohl hat darüber hinsus (auf Grund seiner Skepsis gegenüber der ausgeprägt kapitalistischen und bisweilen selbstverliebten Einstellung der USA) das Interesse, deren Politik als Partner zu begleiten, anstatt diese als Gegner nur beobachten zu können: Es ist für den Heiligen Stohl nicht erstrebenswert, dass die USA die Welt alleine führen, so dass er sich für eine multilaterale Politik einsetzt. In Anbetracht der religiösen Disposition amerikanischer Wähler ist es für die Regierung in Washington wiederum vorteilhaft, ein solides Verhältnis zum Heiligen Stohl zu unterhalten. Dieser kann zudem ein positives Amerika-Bild im Ausland befördem (vor allem in Lateinamerika und Europa) und damit Präsident Obama bei seiner bereits benannten Mammutaufgabe unterstützen: Die USA brauchen einen international glaubWÖTdigen Verbüodeten, was der Heilige Stohl für sie sein kann (Franco 2008: 199); er besitzt des Weiteren die Fähigkeit, Zugiinge zu schaffen (z. B. zur arabischen Welt) und kann ein religiöses Gegengewicht zum Islam zu sein. Die katholische Theologie stellt die theoretische Ausarbeitung der Werte dar, die die USA in die Welt tragen wollen.
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7.1.4
Fazit
Die Werte der katholischen KITche haben Einzug in die amerikanische Gesellschaft gehalten und erfreuen sich eines hohen Zuspruchs; die moralischen Vorstellungen der katholischen KITche werden zu einem Referenzpunkt fiir amerikanische Politiker. Die Attraktivität der USA liegt in ihrer Vision von den unbegrenzten Möglichkeiten fiir jeden Menschen (Greenwald 2010) und ähnelt darin der katholischen Lehre, nach der jeder Mensch gleich an Würde ist. [SPC 4: Politische und religiöse Weltanschauung, Werte; SPC 34: Maßstäbe setzen] Die amerikanische Ortskirehe leistet soziale Dienste fiir die amerikanischen Bürger. [SPC 10: Auftreten der Regierung im Inland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen] Der Heilige Stuhl kann auf Grund seiner Rolle in den internationalen Beziehungen zu einer Alternative zur UNO werden (z. B. durch das Verleihen von Legitimation) und steigert dadurch das Interesse der US-Administration an ihm; den Heiligen Stuhl und die USA verbinden ähnliche politische Interessen. [SPC 14: Regierung als kooperativer Partner fiir Frieden, Sicherheit und Entwicklung] Der Heilige Stuhl ist ein solider Verhandlungspartner, weil er auf keine gesellschaftlichen Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen braucht. Von einem abrupten Richtungswechsel seiner Politik ist auch bei einem Pontifikatswechsel nicht auszugehen. [SPC 18: Politische Stabilität in der Gegenwart; SPC 23: Ausstrahlen von Macht und Verlässlichkeit fiir die Zukunft] Während die USA in der Gefahr stehen, ihre Rolle als Schnittstelle transnationaler Kontakte zu verlieren, wird spätestens mit dem Irakkrieg 2003 deutlich, über welches Potential der Heilige Stuhl in diesem Bereich verfügt. [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontakte] Er besitzt Informationen, die auch fiir die CIA von Interesse sind. [SPC 28: Informationen sammelo und steuern] Die Zusicherung von Religionsfreiheit durch das Zweite Vatikanische Konzil baut die Vorbehalte gegenüber der katholischen Kirche in den USA ab; sie wird verhandlungsftihiger. Der Heilige Stuhl bewahrt sich stets seine Unabhängigkeit. [SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] Die katholische Kirche profitiert davon, dass die christliche Rechte und christlich-konservative Abgeordnete und Senatoren gut orgsnisiert sind. [SPC 39: Gesellschaft, einzeloe Bürger und Migranten als Outside Partner] Durch die Zuwanderung werden die USA immer katholischer. [SPC 19: Homogenität der eigenen Bevölkerung] Ein solides Verhältnis zum Heiligen Stuhl kann in mehrfacher Weise fiir eine amerikanische Regierung von Vortei1 sein: Der Papst hat Einfluss auf die amerikanischen Bischöfe (die sich in inneramerikanischen Vorgängen zu Wort melden); [SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen im eigenen Land] er kann
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unter Umständen das Wahlverhalten der Bürger beeinf1ussen [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit; SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle] und über die Ortskirehen außerhalb der USA als gesellschaftliche Kraft io ausländischen Gesellschaften für eio positives USA-Bild sorgen. [SPC 41: Meioungsführer io ausländischen Gesellschaften als Outside Partoer]
Der Heilige Stuhl und die UNO: Die Schwächen der Vereinten Nationen als Stärken des Heiligen Stuhls?
7.2
Nach eioer kurz gehaltenen Darstellung der UNO, ihrer Ziele und Schwächen wird ihre Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stoh\ untersucht. Der Sonderstatus des Heiligen Stoh\s wirft die Frage auf, ob er seine Privilegien eioer historisch eiomaligen Gelegenheit verdankt, oder ob nicht vielmehr iohaltliche Gründe dafür sprechen, eioe enge Kooperation mit der UNO eiozugehen.'" Der Verzicht auf eioe Vollmitgliedschaft bei der UNO lässt Rückschlüsse auf die Rolle des Heiligen Stoh\s io den internationalen Beziehungen zu.
7.2.1
Anspruch und Schwächen der UNO
Die UNO ist eioe zwischenstaatliche Organisation mit 192 Mitgliedsstaaten. Ihr System setzt sich aus Haupt-, Neben- und Sekretariatsorganen zusammen; zu den sechs Hauptorganen gehören u. a. die Generalversammlung, der Sicherheitsrat und der Wirtschafts- und Sozialrat (Horn 2007: 11). Der Sicherheitsrat kann Entscheidungen treffen, die für alle UN-Mitgliedsstaaten biodend siod (pleuger 2006: 7). Die UNO bietet eio System aus Normen und Regelo an und erwartet von ihren Mitgliedsstaaten deren Eiohaltung; diese Hoffnung wird jedoch häufig enttäuscht. Ziel ist es daher, die verschiedenen nationalen Interessen zu koordinieren und iotensiv nach Kompromissen zu suchen. Die UNO ist weder eioe Weltregierung noch stellt sie mit ihrer Generalversammlung eioe Art 333 Die UNO (selbst ein Völkerrechtssubjekt) ist mit ihren Haupt- und Nebenorganen, zahlreieben
Sonderorganisationen und angeschlossenen Organisationen, die insgesamt mehr als 53 300 Mitarbeiter beschäftigen. eine der vielschichtigsten Institutionen weltweit (United Nations Information Serviee 2010; United Nations 2010.). Die Zusammenarbeit des Heiligen Stuhls nach der Kooperation mit den einzelnen Einheiten der UNO zu di:fferen.zi.e.ren., stellte ein eigenes Forschungsprojekt dar. Die sich im. Rahmen der vorliegenden Arbeit hier stellende Frage, was eine Religionsgemeinschaft und eine internationale Organisation wie die UNO miteinander verbindet, erlaubt es, verallgemeinernd von der UNO zu sprechen.
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Parlament dar (Horn 2007: 10, 12, Ill). Die Hauptakteure im System der UNO sind die einzelnen Nationalstaaten, die ihren jeweiligen Interessen Nachdruck verleihen wollen. Die Vertreter der UN-Sekretariate begleiten sie (lediglich) durch Fachwissen und die Bereitstellung eines Rahmens fiir multilaterale Prozesse (Horn 2007: 19, 21, 23); ein unabhängiger Akteur ist die UNO in nur wenigen Fällen und in begrenztem Umfang (Horn 2007: 14). Bei ihrer Gründung verfolgt sie nicht weniger, als die Zusammenarbeit der einzelnen Nationalstaaten fiir das Gemeinwohl auszubauen, die Menschenrechte zu verteidigen, die Souveränität und Freiheit jedes Staates zu schützen sowie soziale Gerechtigkeit, bessere Lebensbedingungen, Frieden, Sicherheit und Entwicklung zu fördern. Der Heilige Stuhl beobachtet die Gründung von Beginn an mit Interesse und sieht die damals neu geschaffene Organisation als eine Chance (Melnyk 2009: 50). Welche Rolle die UNO in den internationalen Beziehungen tatsächlich einnimmt, wird je nach theoretischem Standpunkt unterschiedlich beurteilt: Nach der realistischen Schule dient sie vor allem als Instrument der Durchsetzung nationaler Interessen; nach der institutionalistischen Schule unterstreicht sie den Aspekt der multilaterslen Staatenkooperation, was vor allem den kleineren Staaten zugute kommt (Varwick 2006: 244; Horn 2007: 14; Maull 2000: 375). Eine Hauptschwierigkeit der UNO besteht jedoch darin, dass unilaterales Vorgehen von großen und mächtigen Staaten bevorzugt wird, weil Multilaterslismus ihre Handlungsmöglichkeiten beschneidet (Horn 2007: 25). Während die katholische Kirche auf eine mehr als 2 OOOjährige Geschichte zurückblicken kann, scheint die UNO über 65 Jahre nach ihrer Gründung von der Zeit überholt worden zu sein (Hartmann 2001: 221): Ihre Konstruktion entspricht den Erfordernissen und internationalen Machtverhältnissen nach dem Zweiten Weltkrieg. Vielfach wird deshalb die Gefahr gesehen, dass insbesondere die Akzeptanz und Legitimität der Entscheidungen des Sicherheitsrats beschädigt werden könnten (Pleuger 2006: 7; Horn 2007: 84; Varwick 2006: 248). Neben der ungerechten Privilegierung und Vernachlässigung einzelner Staaten'34 bemängelt Hartmann, dass nur ein Viertel der Mitgliedsstaaten die Menschen- und Minderheitenrechte ernsthaft verfolgten und ein verurteilter Aggressor nur dann die UNO fiirchten müsse, wenn die USA oder die NATO ihren "bewaffueten Arm" dafiir reichten (Hartmann 200 I: 222). Debiel attestiert der
334 lIartmann nennt hier die Bevorzugung Frankreichs und Englands als ständige Sicherheitsratsmitglieder, während Länder wie Indien und Brasilien trotz ihrer hohen Bevölkerungszahl weitgehend unheröcksichtigt bleiben (Hartmann 2001: 221). Pleuger fordert, dass alle fünf Regionen der Welt im Sicherheitsrat vertreten sein sollten (Pleuger 2006: 12).
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UN-Bfuokratie erhebliche Fehleinschätzungen, ein unbefriedigendes Management und inadäquate Handlungsstrategien (Debiel 2000: 227). Nach Misserfolgen in Somalia, Ruanda und Jugoslawien sieht sich die UNO mit einem fortschreitenden Vertrauensverlust in ihre Fähigkeiten konfrontiert. Deshalb müssten sowohl der Aufbau der Organisation33' als auch die Charta der UNO überarbeitet werden: Vor allem Kapitel V1l sei in Teilen hinfällig geworden, während Themenfelder wie Krisenprävention, Umweltfragen und demographische Entwicklungen vernachlässigt würden (Varwick 2006: 238). Dem Schutz der Menschenrechte müsse überdies wieder ein grüßerer Stellenwert zukommen, er werde nicht in der gebotenen Intensität verfolgt. Varwick übt Kritik an der Menschenrechtskommission: Diese diene mehr dazu, dass sich Staaten, die Menschenrechte verletzen, durch ihre dortige Mitgliedschaft vor Sanktionen schützen könnten, anstatt die Sicherung und den Ausbau von Menschenrechten voranzutreiben; er sieht in der Menschenrechtskommission ein Versagen, das dem Ansehen der gesamten UNO schadet (Varwick 2006: 238, 250_251).33. Dass die Reformen der UNO wegen der Kompromisslosigkeit der Mitgliedsstaaten regelmäßig scheitern, zeigt, wie abhängig sie von diesen ist (Varwick 2006: 252; Horn 2007: 82). Varwick fiirchtet, dass nach dem misslungenen Versuch im Jahr 2005, den UN-Sicherheitsrat zu reformieren, ein erneuter Anlauf fiir längere Zeit nicht darstellbar ist und er deshalb an Bedentung verlieren wird (Varwick 2006: 248). Trotz ihrer Defizite ist die UNO das zur Zeit am ehesten geeignete Forum, um kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern (Hoppe 2003: 230). Welche Schwächen der UNO identifiziert werden und welchem Anspruch sie gerecht werden soll, hängt auch hier nicht zuletzt von der Theorie ab, mit der man sich dem internationalen System nähert. Nicht vernachlässigt werden darf auch, dass die Leistungen der UNO nach ihren jeweiligen Politikfeldern unterschieden werden müssen (Varwick 2006: 240, 244).
335 Die Koordinierung der Gesamtorganisation UNO sei in ihrer Unübersichtlichkeit kaum noch zu leisten (Varwick 2006: 238). 336 Die UN-Menschenrechtskommission wird im Sommer 2006 durch den UN-Menschenrechtsrat ersetzt (United Nations 201Od). Dass sich Mitgliedsstaaten des Menschenrechtsrates. die gegen die Menschenrechte verstoßen, immer noch gegenseitig vor einer Ahndung schützen können., ist aber auch hier zu beobachten. Die Schwierigkeit, Menschenrechtsver1etzungen in der arabischen Welt anzuklagen, kann bislang ebenso nicht gelöst werden.
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7.2.2
Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und der UNO
Als Reaktion auf die beiden Weltkriege wird die UNO 1945 in der Hoffnung gegründet, Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit dauerhaft bewirken zu können. Pius XII. begrüßt diese Initiative ausdrücklich und nennt Grundsätze, nach denen internationale Friedensabkommen zustande kommen sollen (Pius XII. 1945; Köck 1996: 83); er reist aber nicht nach San Francisco337 und zeigt sich nach dem Gründungstreffen enttäuscht, weil die UNO hinter den Anforderungen einer Weltfriedenskonferenz zurückgeblieben sei: Internationale Gerechtigkeit sei dem Hegemoniestreben einiger Großmächte geopfert worden (Köck 1996: 85). Trotz dieser Skepsis und dem fehlenden Gottesbezug in sämtlichen UNDokumenten unterstützt der Heilige Stuhl die Friedensbemühungen der UNO, wenn dies ihm angemessen erscheint. Die Grundlage hierfür ist die Erklärung der Menschenrechte von 1948; sie mache die UNO zu einem Motor fiir den Weltfrieden (Goldt 2007: 340). Dieser Frieden unter den Völkern lässt sich nach Auffassung des Heiligen Stuhls vor allem in internationalen Organisationen herstellen (Cardinale 1976: 229), und während bspw. die USA die UNO als ein freiwilliges Kooperationsforum betrachten, versteht der Heilige Stuhl sie als ein souveränes Gebilde (Allen 2004). Johannes XXIII. erkennt in seiner Enzyklika PACEM IN TERRIS (1961) die universale Stellung der UNO als Forum zur Konfliktschlichtung und Krlegsvermeidung an (Köck 1996: 86);'" auch die 337 Zu diesem Zeitpunkt sollen neutrale Staaten wie der Vatikan und die Schweiz ohnehin von der Organisation ausgeschlossen bleiben (Köck 1996: 83). 338 Neben dem Hinweis auf die Notwendigkeit zur internationalen Zuaammenarbeit (Johm·
nes XXIII. 1963: 56, 58) äußert sich Johannes XXIII. über die UNO wie folgt: "Wie allen bekannt ist. wurde am 26. Juni 1945 die Organisation der Vereinten Nationen (ON) gegründet, der in der Folgezeit kleinere Institutionen beigefügt wurden. die sich aus bevollmächtigten Mitgliedern verschiedener Nationen zusammensetzen. Ihnen sind große, in allen Teilen der Welt zu erfüllende Aufgaben auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem, erz.iehetischem Gebiet und auf dem. Gebiet des öffentlichen Gesundheitswesens übertragen. Ferner stellen sich die Vereinten Nationen als Hauptaufgabe. den Frieden unter den Völkern zu schützen und zu festigen sowie freundschaftliche Beziehungen unter ihnen zu pflegen und zu entwickeln. die auf den Grundsätzen der Gleichhei~ der gegenseitigen Hochachtung und der vie1fiiltigen Zusammenarbeit auf allen Gebieten menschlicher Aktivität gründen. Ein Akt von höchster Bedentung ist die ,Allgemeine Erklärung der Menachenrechte', die am 10. Dezember 1948 von
der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde. In der Präambel dieser Erklärung wird eingeschärft. alle Völker und Nationen mußten [sie!] in erster Linie danach trachten, daß alle Rechte und Formen der Freihei~ die in der Erklärung beachtieben sind, tatsächlich anerkannt und unverletzt gewahrt werden. Wir verlrennen nicht, daß gegenüber einigen Kapiteln dieser Erklärung mit Recht von manchen Einwände geäußert worden sind. Nichtsdestoweniger ist diese Erklärung gleichsam als Stufe und als Zugang zu der zu schaffenden rechtlichen und politischen Ordnung aller Völker auf der Welt zu betrachten. Denn durch sie wird
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Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils und das Motu Proprio SOLLICITIJDO OMNIUM ECCLESIARUM (1969) von Paul VI. bewegen sich auf die UNO zu und führen schließlich zu einer Fonnalisierung der Beziehungen (Schwarz 2007: 557). Johannes Paul Ir. baut mit der Reform des kanonischen Rechts die Rolle des Ständigen Beobachters bei der UNO juristisch und inhaltlich aus (Melnyk 2009: 107). Die UNO bietet auch Nicht-Mitgliedsstasten und Organisationen die Möglichkeit der Partizipation an. Dabei unterscheidet sie zwischen einem Beobachterstatus und einem Konsultativstatus. Beobachterstatus erhalten stastliche und nichtstastliehe Akteure, die Völkerrechtssubjektivität besilzen, aber keine Mitgliedschaft in der UNO verfolgen; zu unterscheiden ist zwischen Beobachtern, die zu ausgewählten Konferenzen eingeladen werden, und Ständigen Beobachtern, deren Zutritt nicht beschränkt ist Die Kompetenzen der einzelnen Beobachter varueren: Sie haben ein Mitwirkungsrecht an den Projekten der UNO, aber in der Regel kein Stimmrecht; sie haben Zugänge zu UNOrganen, -Kouferenzen und Dokumenten; sie dürfen Stellungnalnnen als offizielles UN-Dokument in Umlauf bringen; das Recht auf AntragsteIlung ist möglich. Zur Zeit besilzen fast zwei Dulzend Entitäten eine dauerhafte Eiuladung, als Beobachter an der Generalversammlung und an UN-Kouferenzen tei1zunelnnen (United Nations 20IOb). Dazu gehören neben dem Heiligen Stuhl auch Palästina, seit 1990 das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, seit 1994 der Weltbund der Rotkreuz- und Roihalbmond-Gesellschaften und (auf der Basis der Resolution 48/265) der Souveräne Malteser-Ritterorden als historisch gewachsenes Völkerrechtssubjekt. Der formelle Beobachterstatus wird nur an Stasten verliehen; ihn besi1zt - nachdem die Schweiz 2002 Mitglied geworden ist - nur noch der Heilige Stuhl (United Nations 2010c; Mayr-Singer 2000: 196; Horn 2007: 39-40). die Würde der Person fiir alle Menschen feierlich anerkannt. und es werden jedem Menschen die Rechte zugesprochen. die Wahrheit frei zu suchen, den Normen der Sittlichkeit zu folgen. die Pflichten der Gerechtigkeit auszuüben. ein menschenwürdiges Dasein zu fiihren. Darüber hinaus werden noch andere Rechte ausgesprochen, die mit den erwähnten in Zusammenhang stehen. Es ist daher zu wünschen. die Vereinten Nationen möchten ihre Organisation und ihre Mittel immer mehr der Weite und dem hohen Rang ihrer Aufgaben anzupassen imstande sein, damit bald die Zeit komme. in der diese Vereinigung die Rechte der menschlichen Person wirksam schützen kann; Rechte, die deswegen allgemein. unverletzlich und unveränderlich sind, weil sie unmittelbar aus der Würde der menschlichen Person entspringen. Und das um so mehr, weil die Menschen gegenwärtig in ihrer Nation mehr an der Gestaltung des öffentlichen Lebens teilhaben, mit lebhafterem Interesse die Anliegen aller Völker ununterbrochen verfolgen und sich immer mehr bewußt sind, daß sie als lebendige Glieder zur allgemeinen Menschheitsfamilie gehören." (Johannes XXIII. 1963: 75)
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Der Konsultativstatus wird hingegen an nichtstaatliche Akteure verliehen, die keine Souveränität besitzen, und kann gemäß Artikel 71 der UN-Charta beantragt werden. Im Jahr 2000 besitzen 2012 NGOs einen Konsultativstatus. 339 Ihre Einbindung findet fast ausschließlich im Rahmen der UNWeltkonferenzen und des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) statt, der auch die Koordinierung der NGOs an den Entscheidungsprozessen der UNO vornimmt (Horn 2007: 92). Ziel ist es, ihr Expertenwissen zu nutzen und die Zivilgesellschaft durch sie einzubinden;34o diese Einbindung ist jedoch auf ausgewählte Themen oder Konferenzen begrenzt. Es wird unterschieden zwischen dem Allgemeinen Konsultativstatus (fiir internationale Dachverbände mit weitgefächertem Tbemenspektrum; sie haben ein Recht anf schriftliche maximal 2 000 Wörter - und mündliche Stellungnabmen), dem Besonderen Konsultativstatus (Recht auf mündliche Stellungnahmen und schriftliche Erklärungen bis maximal 500 Wörter) und der Aufnahme in das Register (hier gilt das Konsultationsrecht nur, wenn die NGO dazu anfgefordert wird) (MayrSinger 2000: 196). Die Zahl der Organisationen, die diverse Interessen der Zivilgesellschaft im UN-System vertreten, ist in den letzen Jahren merklich gestiegen, was von den Mitgliedstaaten nicht immer begrüßt wird, weil die Verhandlungsprozesse dadurch komplizierter werden können. Außerdem stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation dieser Organisationen (Horn 2007: 41). Der Heilige Stuhl ist formeller Beobachter mit einer dauerhaften Einladung, sich an den Aktivitäten der UNO zu beteiligen. Er entsendet seit 1964 einen Ständigen Beobachter nach New York, seit 1967 nach Genfund seit 1979 nach Wien. Weitere Beobachter befinden sich in Rom und Paris sowie bei UNUnterorganisationen in Nairobi, Madrid, Landon, Montrea!, Bern und Den Haag (Bathon 2001: 606; Mayr-Singer 2000: 195; MeInyk 2009: 109). Der Ständige Beobachter unterschreibt und ratifiziert UN-Verträge; er nimmt an UNKonferenzen teil und hat hier ein volles Stimmrecht Er ist an den Debatten und (bestimmten) Entscheidungen der Generalversammlung beteiligt, aber auch an den weltweit verstreuten UN-Agenturen, -Kommissionen und -Komitees. Der Ständige Beobachter in New York spricht durchschnittlich elf Ma! pro Jahr vor der Generalversammlung oder den Komitees (Center for Reproductive Rights 2000: 3). Der Heilige Stuhl hat damit die weitestgehenden Rechte eines Nicht-
339 NGOs müssen bestimmte Standards erfüllen., um einen Konsultativstatus zu erhalten (Hom 2007: 38). 340 Die Einbindung der Zivilgesellschaft soll deo Folgeo der Globalisierung und Transnationalisierung Recboung trageo (Horn 2007: 38).
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mitgliedes und steht faktisch zwischen einer Vollmitgliedschaft und dem Beobachterstatus (Vereinte Nationen 2005: 21). Als erster Papst des 20. Jahrhunderta führt Paul VI. die Auslandsreise als Mittel der Außenpolitik ein und bekennt, dass er den Anschluss an internationale Organisationen nicht verpassen will. In dieser Folge spricht er zum 20jährigen Jubiläum der UNO am 4. Oktober 1965 vor der Vollversammlung. Der Auftritt des früheren Diplomaten wird als Sensation und historisches Ereignis empfunden. Ersttnals wendet sich ein Papst an ein globales Publikum. 341 Seine Friedensbotschaft trifft den Ton der damaligen Weltlage und findet ein uneingeschränkt positives Echo (Ring-Eifel 2004: 134-135, 137);342 sie markiert auch die Fortsetzung der Internationalisierung, die von Johannes XXITI. angestoßen wird (Sacco 1999: 1). Paul VI. fordert die Einrichtong einer Weltautorität, die juristische und politische Fragen für alle Nationen verbindlich beantwortet (paul VI. 1965). Dass auch Johannes Paul 11. bereits ein Jahr nach seiner Amtseinfiihrung vor der UN-Vollversammlung spricht, wird als Zeichen seiner Wertschätzung und als Ausdruck für die Kontinnität zu Paul VI. gewertet (Sacco 1999: 17). Er fordert die Einhaltong der Menschenrechte und ermahnt die Industrienationen, den Entwicklungsländern zu helfen (Johannes Paul 11. 1979b). Bei seiner Rede zum 50jährigen Jubiläum der UNO 1995 ermutigt er sie, zu einern Zentrum der Moral zu werden; die Probleme der Welt könnten nur gemeinsam und in einer ernst gemeinten Zusammenarbeit gelöst werden. Wenn ein Staat die Menschenrechte nicht achte, müsse die UNO dagegen vorgehen, um schlinnnere Folgen zu verhindern. Johannes Paul 11. lobt daröber hinaus die l.eistongen der universellen Erklärung der Menschenrechte: Sie habe trotz der Unterschiedlichkeit der Nationen und Kulturen einen gemeinsamen Standard geschaffen, den es nun einzuhalten gelte. Er betont das Recht auf Religionsfreiheit als Teil dieser Menschenrechte (Johannes Paul 11. 1995). Benedikt XVI. spricht im Rahmen seiner USA-Reise am 18. April 2008 vor der Generalversammlung und fordert ein stärkeres Engagement der Organisation im Bereich der präventiven Konfliktlösung; die Ungleichheit der Völker
341 Mit dieser Rede wertet er nicht nur die UNO auf, sie gerät auch zu seinem eigenen Vorteil durch die weltweite Aufmerksamkeit. die ihm die UN-Bühne bietet EU-Parlamentarier werben dafür, dass Benedikt XVI. auch vor ihnen spricht (Raclio Vatikan 2007). 342 Paul Vi betont die Gemeinsamkeiten zwischen dem HeiIigeo Stuhl und der UNO. Er empfiehlt sich als Experte in humanitären Fragen und weist auf die einmalige Chance der UNO hin, den Menschen zu einem. würdigen Leben zu verhelfen und den von Gott versprochenen Frieden zu schaffen. Der Kern seiner Botschaft lautet beschwörend: ,jamais plus les uns contre les autres, jamais. plus jamais! ( ... ) jamais plus la guerre, jamais plus 1a guerre!" (paul VI. 1965)
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müsse abgebaut werden. Kurz vor dem 60. Jabrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht diese im Fokus seiner Rede: Der Papst weist darauf hin, dass die vollen Menschenrechte nur mit einem freien Glauben einhergehen. Den interreligiösen Dialog markiert er als essentiell und will iho vorantreiben (Benedikt XVI. 2008; Melnyk 2009: 174-176). Auch wenn Benedikt XVI. in seiner Rede mitunter abstrakt bleibt, greift er die Gedanken seiner Vorgänger unmissverstiindlich auf und macht sich dafiir stark, der Religion wieder einen größeren Platz in der Öffentlichkeit zuzugestehen. Der Heilige Stuhl unterhält breitgefiicherte Beziehungen zu Spezialorganisationen der UNO, wie der UNESCO, FAO, UNICEF und dem UNHCR (in Form eines Beobachters). Ordentliches Mitglied ist der Heilige Stuhl als Vertretung der katholischen Kirche nur in der IAEO (Köck 1996: 88).'43 In wessen Vertretung der Heilige Stuhl letztlich auftritt, liegt in seiner Verantwortung; er entscheidet völlig frei (Bull 1987: 174): ,,As the supreme authority ofboth the Church and the Vatican City, it is the Holy See's responsibility to determine whether its representatives act in the name of the Holy See, the Vatican City, or both." (Bathon 2001: 606) Die Diplomatie des Heiligen Stuhls in internationalen Organisationen zielt darauf ab, christliche Werte in die Gesellschaft zu bringen (Melnyk 2009: 99); die katholische Kirche nimmt fiir sich in Anspruch, die ,,moralische Oberinstanz der Welt" zu sein (Mayr-Singer 2000: 193). Die Basis fiir das Engagement des Heiligen Stuhls innerhalb der UNO ist deshalb auch seine spirituelle Mission (Bathon 2001: 606; Melnyk 2009: 50). Der Heilige Stuhl wirbt seit der Entsendung seines Stiindigen Beobachters dafiir, die einzelnen Nationen an einen gemeinsamen UN-Verhandlungstisch zu bringen (Melnyk 2009: 51); er setzt sich fiir eine starke UNO ein, fordert jedoch auch Reformen, um ihre Handlungsfähigkeit zu erhöhen (RyalI2001: 55; Allen 2004). Der Heilige Stuhl wirkt innerhalb der UNO vor allem über Stellungnalunen, mit denen er die Debatten zu steuern versucht. Er erhält Iuformationen und lässt die UNO an seinen Jahrhunderte langen diplomatischen Erfahrungen teilhaben; er begleitet die Organisation mit der Frohen Botschaft (Melnyk 2009: 112-113, 153-155). Die teilweise siebzig Jabre alten Dokumente der katholischen Kirche zur sozialen Ordnung sind dabei immer noch aktuell und hilfreich, um die Würde des Menschen in den internationalen Beziehungen zu wabren (Melnyk 2009: 203). Koli Annan betont darüber hinaus die Bedentung von religiösen
343 Außerhalb der UNO vertritt der Heilige Stuhl die katholisebe Kirche als Vollmitglied nur in der OSZE; .ufGrund seiner Slaatlicbkeit ist der v.tikan wiederum Mitglied bei Organisatio· nen ntit einern eher tcclmischcn Interesse (Köck 1996: 73; Wuthe 2002: 31-32). S. auch Kapi·
teI3.\.\.
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Führern fiir die Beilegung von Konflikten, vor allem, wenn es sich bei den Konflikten um Glaubensfragen oder Jahrzehnte alte Konflikte handelt (Melnyk 2009: 193-194). Celestino Migliore, Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls in New York von 2002 bis 2010, charakterisiert das Engagement des Heiligen Stuhls in der UNO wie folgt: Er agiere auf dem Fundament des Evangeliums fiir das Wohl aller Menschen und Gesellschaften. Er habe dabei eine Universalität erreicht, weil er weder geographische noch ethnische Grenzen kenne. Seine Humanität liege in der Vorstellung, dass alle Menschen das Ebenbild Gottes und deshalb gleich an Rechten seien. Melnyk resümiert: Through their theological and diplomatie tra.ining, combined with extensive field cxperience, the Permanent Observer and bis staff, on behalf of the Church, apply the purification of reason in their analysis, offering Christian insight into understanding the signs of the times and the needs ofthe world (Melnyk 2009: 203·204).
Sowohl der Heilige Stuhl als auch die UNO besitzen eine weltweite Infrastruktur und universelle Ziele mit einer zentralen Autorität (Melady 1994: 33-34). Die Universalität der UNO liegt in weltlichen Angelegenheiten, die der katholischen Kirche im spiritoellen Bereich (Cardinale 1976: 230). Ihre gemeinsamen Ziele sind der Weltfrieden, internationale Sicherheit, freundschsft1iche Beziehungen zwischen den Völkern sowie die Förderung der internationalen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Zusammenarbeit (Cardinale 1976: 233; Melnyk 2009: 154; Mayr-Singer 2000: 195). Sie leisten Friedensmissionen und unterstützen Entwicklungsländer (Bull 1987: 174-175). Sowohl der UNGeneralsekretär als auch der Papst appellieren an das Gewissen der Menschen. 344 Hom macht auf den Aspekt des Prestiges der UNO aufmerksam: ,,Die Entscheidungen der Vereinten Nationen geben dem kollektiven Handeln Legitimität und moralische Autorität"; je genauer ein Staat die Normen der UNO einhalte, desto stärker sei seine Glaubwürdigkeit (Horn 2007: 17-18). So kann die UNO den Irakkrieg 2003 zwar nicht verhindem, erschwert mit ihrer ablehnenden Haltung aber zumindest die Rolle der USA und Großbritanniens (Nye 2007). In ähnlicher Weise kann die Leistung des Heiligen Stuhls beurteilt werden, wie Kapitel 6.2.3 herausarbeitet. Bei allen Gemeinsamkeiten in den Zielen und den immer wieder zum Ausdruck gebrachten Respektsbekundungen fiir einander kommt es auch zu Auseinandersetzungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der UNO: Im Jahr 1996 gibt der Heilige Stuhl bekannt, seinen symbolischen Jabresbeitrag von 344 Der frühere UN-Generalsekretär Dag Hannnarskjöld bezeichnet sich selbst als ,,eine Art säkularer Papst" (Dag Hammarskjöld zit. in: Bouillon 2007: 221).
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2 000 US-Dollar nicht mehr an UNICEF überweiseo zu wolleo; damit protestiert er gegeo deo Weg, deo UNICEF im Bereich der Familieoplanung einschlägt (Singh 1998: 171-172). Bereits 1994 in Kairo und 1995 in Peking kommt es bei deo UN-Weltkonferenzeo zu bittereo Konfrontationeo über die Themen reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte: Der Heilige Stuhl stellt sich gegeo die Pläne der UNO, Abtreibung zu erleichtern und die Aufklärung von Jugendlichen sowie Aids-Präveotion voranzutreibeo. Er blockiert die Verhandlungen und verhindert mit der Hilfe Sudans, Irans und Libyens Hilfestellungen fiir Frauen und Kinder, weil diese ihm inopportun erscheinen (MayrSinger 2000: 193).345 Hier wird deutlich, dass sich der Heilige Stuhl nicht anders als herkömmliche Staaten verhält, wenn es um seine gleichsam vitalen Interessen geht: Er nutzt die UNO zur Umsetzung seiner Ziele. Dass der Heilige Stuhl trotz der Religionsfeme der UNO und ihrer konträreo Auffassungen zu bestimmten Themeo an ihr festhält, erklärt sich zum eineo mit deo zahlreich vorhandeoeo Übereinstimmungen, zum andereo mit einem Mangel an Alternativen zur UNO: Gegenwärtig gibt es keine Organisation, die ihre Anfgaben übernehmeo und fiir eine gerechtere Welt eintreteo könnte. Wenn es deshalb auch scheint, als neige der Heilige Stuhl dazu, "eineo Grabeokampf zur Verteidigung dessen aufzunehmen, was er offenbar als die letzten christlicheo Werte in einer mehr und mehr säkularisierenden internationalen Gesellschaft versteht" (Köck 1996: 91) und daröber bisweilen in Konflikte mit der UNO gerät, haben beide Institutionen eine gleichartige Mission, was sie miteinander verbindet. Es stehen sich zwei Organisationen gegenüber, die deo Kapitalismus nicht als die einzig mögliche Weltordnung erachten, aber bisweilen unterschiedliche Wege zu ihrer gemeinsamen Alternative dazu einschlagen. Regelmäßig tauchen Forderungen nach der Aberkennung der Privilegieo und Sonderregelungen fiir den Heiligeo Stuhl auf. Besonders kritisch ist die katholische Laieobewegung CathoUes for a Free Choiee (CFFC) aus Washington, die mit siebzig weitereo NGOs im März 1999 eine Protestnote an Generalsekretär Koli Annan verfasst und fordert, die Sonderrechte des Heiligen Stuhls aufzuheben (Mayr-Singer 2000: 197). Als Argumeot fiihreo die Kritiker an, dass der Heilige Stuhl nicht fiir Staatsbürger spreche, sondern fiir eine Religionsgemeinschaft, die ihre Moralvorstellungeo auf andere Staateo übertrageo wolle (Center for Reproductive Rights 2000: I). Bezweifelt wird daröber hinaus nicht nur die Staatlichkeit des Vatikan (Ceoter for Reproductive Rights 2000: 2); da die Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhls aus einer historischen Tradition erwächst und aus göttlichem Recht abgeleitet wird, ist es umstritten, ihm die 345 Für eine ausfiihrliche Darstellung s. Kapitel 6.2.2.
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gleichen Rechte zuzubilligen wie herkömmlichen Staaten (Mayr-Singer 2000: 193-194). Der Heilige Stuhl habe sich selbst in die UNO eingeladen, und seine Sonderrechte seien vielmehr aus einer Fehleinschätzung heraus entstanden: U Thant habe 1964 den Wunsch Pauls VI. nach einem Ständigen Beobachter voreilig akzeptiert, ohne die Generalversammlung zu befragen. Ab 1967 habe der Heilige Stuhl sein Netz aus Ständigen Beobachtern kontinuierlich ausgebaut und damit vor allem seine Einflussmöglichkeiten verstärkt (See Change 2010: 3, 9). Scharf verurteilt wird, dass der Heilige Stuhl Bündnisse mit Staaten eingeht, um bei Konferenzen einen Konsens zu verhindern (Center for Reproductive Rights 2000: 5). Der Heilige Stuhl sieht sich auch dem Vorwurf ausgesetzt, er vernachlässige die Hilfe fiir Notleidende und verfolge stattdessen sein Ziel, kompromisslos seine Position durchsetzen zu wollen: Er gebe sich zu Unrecht als Staat aus und dränge anderen seine Meinung auf (See Change 2010: 6; Center for Reproductive Rights 2000: 6-8). Obwohl es eher unwahrscheinlich ist, dass man den Forderungen nach der Aberkennung der Privilegien des Heiligen Stuhls nachkommt (Rotte 2007: 138; Mayr-Singer 2000: 198), muss in der Tat seine einseitige Bevorzugung festgestellt werden: Die katholische Kirche ist die einzige Religionsgemeinschaft, die in den Genuss eines Beobachterstatus kommt und über derart umfassende Sonderrechte verfügt (Rya1l2001: 50; See Change 2010: I). Eine Zurücksetzung auf einen Konsultativstatus, wie ihn bspw. der Weltkirchenrat"" besitzt, ist jedoch kaum möglich, weil der Heilige Stuhl dies als Abwertung verstehen würde und - im Gegensatz zum Weltkirchenrat - ein offizielles Völkerrechtssubjekt ist. Denkbar ist nach MayrSinger viehnehr, dass die Rechte anderer Organisationen heraufgesetzt werden (Mayr-Singer 2000: 198).'·7 Trotz der Kontroverse um den Status des Heiligen Stuhls hat die UNGeneralversannulung in ihrer Resolution 58/314 (1. Juli 2004) seine BeteiligunJ! als Beobachter bestätigt und seine Kompetenzen in Teilen sogar ausgeweitet.'
346 Der Weltkirchenrat besteht aus über 330 protestantischen und orthodoxen Kirchen aus über 100 Ländern mit insgesamt über 400 Millionen Christen. Seit August 2000 hat er einen Allgemeinen Konsultativstatus (Mayr-Singer 2000: 196). 347 Hier lohnte es sich der Frage nachzugehen, wie der Heilige Stuhl dieser Aufwertung gegenübersteht. Zumindest bei den Verträgen mit den neuen Bundesländern Deutschlands (1994·
1998) achtet der Heilige Stuhl darauf, dass die Rechte seiner Mitbewerber nicht über die eigenenhinausgchen (s. KapiteI3.2.5).
348 Hierzu bemerkt Melnyk: "This expanded capacity to fulfill its spiritual mission aHows for the Holy See to participate in th.e general debates at the General Assem.bly, to make interventions, replies, to have its communications issued and circulated directly as official documents of the Assembly and conferences, to raise points of order involving the Holy See, to co-sponsor draft
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Noch einfacher als bisher ist es dem Heiligen Stuhl nun erlaubt, sich in der Generalversammlung als Redner zu äußern und Einfluss auf die Tagesordnung auszuüben. Der Ständige Beobachter sitz! bei Kouferenzen hinter den Mitgliedsstaaten aber vor den anderen Beobachtern (Vereinte Nationen 2005: 21). Auf der Suche nach den Gründen für die Ausweitung seiner Kompetenzen kann - neben den bereits genannten Gemeinsamkeiten, die zu einem partnerschaftlichen Verhältnis gefiihrt haben - ein Gedanke von Raffalt nützlich sein, den er bereits in den 1970er Jahren formuliert; Raffalt sieht zwischen dem Heiligen Stuhl und der UNO eine Art "Spiegelbildlichkeit": Die UNO nehme die politischen, wirtschaftlichen und erzieherischen Interessen der Menschheit wahr, lasse das Religiöse aber unberücksichtigt. Die katholische Kirche sei wegen ihrer Internationalität und ihrem Organisationsgrad bestens dafür geeignet, dieses Defizit auszugleichen und sich Problemen anzunehmen, bei denen ein religiöser Zugang von Vorteil ist (Raffalt 1973: 111-112).
7.2.3
Der Verzicht auf eine Vol/mitgliedschaft
Bis heute ist das Verhältnis zwischen UNO und Heiligem Stuhl von ,,hohem wechselseitigen Respekt" geprägt (Köck 1996: 88); die engen und regelmäßigen Kontakte werden an nahezu allen UN-Standorten gepflegt (Bathon 2001: 605). Dennoch begnügt sich der Heilige Stuhl tnit dern Status eines Ständigen Beobachters. 349 Er hat sich gegen eine Vollmitgliedschaft in der UNO entschieden, damit er sich nicht an Sanktionen gegen einen anderen Staat beteiligen muss oder dazu gezwungen ist, Entscheidungen über Krieg und Frieden oder den Einsatz von UN-Truppen mitzutragen. Darüber hinaus büßte er durch eine Vollmitgliedschaft seine herausgehobene Stellung ein und könnte verstärkt in Sachzwiinge und politische Machtspiele gezogen werden, was seinem Ansehen als moralischer Instanz schadete (Faber 1968: 117; Ring-Eifel 2004: 134-135, 254-255). Zwar sieht die UNO eine Vollmitgliedschaft nur für Staaten vor, wäre im Fall des Heiligen Stuhls aber gewiss zu einer Sonderbehandlung bereit."· Flexibilität zeigt sie schon, als es um die Bezeichnung des Kontaktes geht: Während sie zunächst Beziehungen zum Staat der Vatikanstadt unterhält, wird resolutions and decisions that make reference to the Holy See. and to raise a point on agenda items." (Melnyk 2009: 108)
349 Er ist auch dem Völkerbund nicht beige1reten (Köck 1979: 229). 350 Trotz der Zugeständnisse an den Heiligen Stuhl ist aber davon auszu~ dass die UNO einen Beobachterstatus des Heiligen Stuhls gegenüber Dritten besser vermitteln kann als eine Vollmitgliedschaft; diese wörde Kritikern des Heiligen Stuhls nur Auftrieb verleihen.
271
später eine Umbenennung in Beziehungen zum Heiligen Stuhl vorgenommen, nachdem Generalsekretär Dag Hammarskjöld 1957 erklärt: "When I request an audience from the Vatican, I do not go to see the King of Vatican City, but the head of the Catholic Church." (Hammarskjöld zit. in: Köck 1979: 627)351 Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Debatte darüber, ob der Heilige Stuhl Staatlichkeit besitzt, von untergeordneter Bedeutung. Aus der Sicht des Heiligen Stohls hat sein Beobachterstatos mit erweiterten Kompetenzen deu Vorteil, dass er involviert ist, sich aber jederzeit distanzieren kann, wenn ihm dies nützlich erscheint. Er profitiert (wie jeder Staats- und Regierungschef) von der globalen Bühne, die ihm die UNO im Allgemeinen und die GeneralversannnIung im Besonderen geben; sie verleiht dem Heiligen Stohl Gewicht.'" Im Umgang mit seinen Privilegien ähnelt er in seinem Verhalten nicht zuletzt den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates: Die einmal gewonnenen Vorrechte werden verteidigt, auch wenn der Gesamtorganisation dadurch Nachteile entstehen. Die UNO kämpft an vielen Fronten und wird zu einem Spielball ihrer Mitgliedsstaaten. Hier kann sich der Heilige Stohl als wirklich unabhängige Institotion positionieren:'" Seine unvoreingenommene Suche nach der objektiven Lösung eines Problems erscheint authentisch; weder steht er einer Region näher als einer anderen (wie das bei Staaten verständlicherweise der Fall ist) (Raffalt 1973: 73), noch ist er eine Interessenvertretong von Katholiken, sondern will allen Menschen dienen. Die inhaltliche Unabhängigkeit des Heiligen Stohls kann fiir die UNO zu einem Vorteil werden: Sie hat die Möglichkeit, in einer Art Bypass-Strategie ihre Mitgliedsstaaten umgehen, indem sie sich an eine Organisation wendet, die in ihren Mitgliedsstaaten eine gesellschaftliche 351 Bei dieser Umbenennung ist es das Ziel von beiden Seiten. dass ..der kirchlich-pastorale Aspekt der Handlungen des Papstes in den Vordergrund rücken soll und nicht so sehr der staatlich..äkulare des Vatikanstaates." (Goldt 2004: 205) 352 S1range liihrt z. B. das Renommee von Amnesty International auch darauf zurück, dass es enge Verbindungen zur UNO unterhält (Strange 1996: 95). Es ist zu verowten, dass der Heili-
ge Stuhl in den internationalen Beziehungen an Bedeutung verlieren würde, wenn er von den Aktivitäten der UNO ausgeschlossen bliebe. 353 Diese Unabhängigkeit drückt sich letztlich auch in der Distanz zur UNO aus. Kapitel 7.1 zitiert Franco, der daraufhinweist. dass es:für den Heiligen Stuhl und die USA von Vorteil ist, wenn sie vor Dritten ihre Unterschiedlichk.eit betonen und nicht als Partner wahrgenommen weiden. Eine zu große (und vor allem sichtbare) Nähe zwischen Heiligem Stuhl und UNO könnte in ähnlicher Weise zu Irritationen tühren. Womöglich lässt sich eine zu große Vertrautheit auch nicht mit dem jeweiligen Anspruch von Heiligem Stuhl und UNO vereinbaren: Während die UNO dezidiert unreligiös ist, verfulgt der Heilige Stuhl den Auftrag, der gesamten Welt die Heilsbotschaft zu verkünden und dabei unabhängig von weltlichen Mächten zu
sein.
272
Kraft ist und für Zustimmung sorgen kann.''' Wenn die UNO wie gelähmt erscheint, kann der Heilige Stuhl weiter aktiv sein, wie das Fallbeispiel Irakkrieg 2003 zeigt. Mit seinem Eintreten für eine Stärkung der UNO festigt der Heilige Stuhl aber auch seine eigene Position, weil er einen Prozess anstößt, der staatliche Macht auf eine nichtstaatliche Institution überträgt. Köck sieht in dem Verzicht auf eine Vollmitgliedschaft die Gefahr, dass der Heilige Stuhl von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen wird, sollte sich "der Wind der internationalen Politik wieder in eine weniger kirchenfreundliche Richtung drehen" (Köck 1996: 89). Diese Sorge kann gegenwärtig jedoch nicht als gerechtfertigt gelten: Nicht zuletzt durch die Beschäftigung mit dem Islam wird deutlich, dass Religion wohl auch zukünftig eine bedeutende Rolle in den internationalen Beziehungen spielen wird.
7.2.4
Fazit
Die UNO ist nur so handlungsfähig, wie ihre Mitgliedstaaten es zulassen, während der Heilige Stuhl von niemandem gegängelt wird. Beide Institutionen ergänzen sich in ihren weltlichen und spirituellen Interessen und profitieren davon, ein kooperatives Verhältnis zueinander zu unterhalten: Es wäre kontraproduktiv, sich gegenseitig herabsetzen oder übervorteilen zu wollen. Beide Akteure versprechen Legitimität und Prestige und können sich öffentliche Fehden deshalb kaum leisten.'" Sie stellen Foren zur Verfiigung, in denen multilaterale Verhandlungen ermöglicht werden; [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontakte; SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] sie setzen sich für die Menschheit ein [SPC 10: Aufueten der Regierung im Iuland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen; SPC 11: Humanitätsideal gesetzlicher Regelun354 Darin würde sie dann der EU-Kommission ähneln, die die Staats· und Regierungschefs der
Mitgliedsstaaten bisweilen dadurch zu umgehen versucht, dass sie den direkten Kontakt zu einzelnen Regionen aufnimmt 355 Menschen können sich mit nichtstaatlichen Vereinigungen, die ihre Interessen vertreten, eher identifizieren, als mit staatlichen (Wolfers zit in: Sauvant 1987: 72). Öffentliche Zerwürfnisse sind hier in hohem. Maße schädlich. Das Verhältnis zwischen dem. Heiligen Stuhl und der UNO erinnert deshalb in gewisser Weise auch an die Beziehung zwischen dem Europäischen Gerichtshof und dem deutschen Bundesverfassungsgericht: Wer von beiden tatsächlich das letzte Wort hat, ist für bestimmte Rechtsbereiche noch immer nicht endgültig geklärt. Über dieses Defizit hilft ein höfliches Miteinander und Wohlwollen dem anderen gegenüber hinweg. Sich gegenseitig benachteiligen zu wollen oder es auf eine Machtprobe ankommen zu lassen, wäre Irontraproduktiv und würde der Glaubwürdigkeit der Rechtspreclnmg, auf die
beide angewiesen sind, schaden.
273
gen] und präsentieren eine Weltsnschauung, die eine Alternative zu bestehenden Ideologien darstellen kann. [SPC 4: Politische und religiöse Weltsnschauung, Werte] Durch ihren Einsstz für Frieden und Gerechtigkeit unter den Völkern erzeugen sie einen globalen Wert. [SPC 27: Globale Gemeingüter erzeugen] Sie setzen Normen für das Zusammenleben [SPC 34: Maßstäbe setzen] und können Debatten anstoßen. [SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Framing; Präferenzen formen] Ihre eigene Handlungsunfähigkeit (keine Sanktionsmittel, keine greifbare Vollzugsgewalt) kann bis zu einem gewissen Grad dadurch gemildert werden, dass sie sich gemeinsam für oder gegen etwas aussprechen oder mit symbolischen Handlungen auf sich oder einen Sachverhalt aufinerksam machen. [SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Beide haben eine zentrale Autorität, die Amtscharisma besitzt (Nye 2007). [SPC 13: Charismatische Fiihrer] Die Privilegien des Heiligen StohIs sind historisch gewachsen und in kleinen Schritten ausgebaut worden; dieses Wachstum erklärt sich mit den Vorteilen, die beide für den jeweils anderen bereithalten. Der Heilige StohI ist für die UNO ein verlässlicher Partner, weil er u. a. auf kein Wahlvolk Rücksicht zu nehmen braucht. [SPC 18: Politische Stabilität in der Gegenwart; SPC 23: Ausstrahlen von Macht und Verlässlichkeit für die Zukunft] Kofi Annan und Ban Ki Moon erklären in ihrer Amtszeit die Absicht, im Bereich der Prävention von Konflikten offensiver auftreten zu wollen. Sie mächten im Vorfeld Struktoren schaffen, um potentiellen Auseinandersetzungen zuvorzukommen, statt lediglich auf sie zu reagieren. 356 Melnyk beurteilt diese Ausrichtong als zeitgemäß: Die UNO müsse ihren Fokus auf eine präventive Diplomatie legen, und hierzu passe die päpstliche Diplomatie vorzüglich, da die Gesandten des Heiligen StohIs Friedensstifter per definitionem seien. Der Versuch, Religionsgemeinschaften aus der Politik auszuschließen und auf ihre Kompetenz zu verzichten, sei zudem nicht zielfiihrend (Melnyk 2009: 207-208). Die UNO kann in der Konfliktprävention von dem Organisationsgrad und der weltweiten Präsenz der katholischen Kirche profitieren. [SPC 14: Regierung als kooperativer Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung; SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten]
356 Zwischen 2006 und 2007 gibt die UNO über 15 Milliarden US-DoUar für Friedensmissioneo aus, nur ein geringer Teil davon wird für Präventivmaßnahmen aufgewendet (Melnyk 2009: 207). Für das Jahr 2007 zählt Pleuger 18 Friedensmissionen mit über 90 000 Soldaten, Polizisten und ziviieo Kräften (Pleoger 2006: 9).
274
7.3
Der Heilige Stuhl im Vergleich mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Der Heilige Stuhl ist nicht nur das Leitungsgremiuro des Stastes der Vatikanstadt, sondern auch der katholischen Kirche, die sich als Religionsgemeinschaft mit ihrem Heilsauftrag durchsetzen möchte. An dieser Stelle soll geklärt werden, ob die katholische Kirche als eine Nichtregierungsorganisation (NGO) verstanden werden kann und welche Vorteile sie gegenüber einer herkömmlichen NGO hat. Im Ralunen dieser Arbeit kann nur eine Annäherung an den Begriff sowie eine Darstellung der Stärken und Schwächen von NGOs vorgenommen werden; das Verhältnis zwischen NGOs und Medien ist dabei von besonderem Interesse und weitet den Blick zusätzlich fiir die Beurteilung der Medienarbeit des Heiligen Stuhls.
7.3.1
Annäherung an den BegriffNGO
NGOs sind Akteure des sogenannten Dritten Sektors: Neben dem stast (Sektur 1) und der Wirtschaft (Sektor 2) agieren sie in einem zivilgesellschaftlichen Bereich (FrantzlMartens 2006: 18). Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes gelten die 1990er Jahre als Dekade der NGOs (Roth 2001: 38; FrantzlMartens 2006: 16). Zählt die Union oflntemational Associations (UIA)3S7 1909 noch 176 NGOs, sind es 1978 bereits 2420, 1985 liegt ihre Zahl bei 4676, 2001 bei 6 398 und im Jahr 2007 bei 7 628 NGOs (Union of International Associations zit. in: Bundeszentrale fiir politische Bildung 2009). Die UN-Weltkonferenzen gelten hierbei als Motor;'" Kohout/Mayer-Tasch erklären den Zuwachs mit der Überforderung des Stastes, sämtliche innen- und außenpolitische Fragen alleine kläreo zu müssen (Kohout/Mayer-Tasch 2002: 16). In diesem Zusammenhaog ist auch der Machtverlust von Parteien und Verbänden zu sehen, die auf Ursachen von Entwicklungen reagieren müssen, die sich nicht in ihrem geographischen Aktionsbereich befinden (FrantzlMartens 2006: 81). Ein weiterer Faktor fiir den Auftrieb von NGOs ist der Fortschritt in den Bereichen Kommunikation
357 Die Union 0/ International Associations ist selbst eine NGO und wird 1907 gegründet. Sie hat ihren Sitz in BfÜSsel. stellt einen weithin akzeptierten Kriterienkatalog für NGOs aufund gIbt das Yearbook o[International Organizations heraus (Frantz/Martens 2006: 37). 358 An der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 nehmen über 1400 NGOs teil, an der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 840 NGOs (FrantzlMarten 2006: 86).
275
und Verkehr (FrantzlMartens 2006: 52, 54). Obwohl NGOs von der UNO'" und der EU teilweise in Entscheidungen eingebunden werden, hält man sie mittlerweile jedoch für die am meisten überbewerteten politischen Akteure der jüngsten Vergangenheit (FrantzlMartens 2006: 16-17; Wahl 2000: 294); die politischen Großtheorien des Realismus und Neo-Realismus sehen nicht einmal eine ernstzunehmende Beteiligung von NGOs an internationalen politischen Entscheidungen (KohoutlMayer-Tasch 2002: 15). Um den Begriff der NGO herrscht Uneinigkeit; drastischer drücken es Esmao/Uphoff aus und unterstreichen damit, dass es sich hierbei um einen Sammelbegriff handelt: ,,Fast alles, was man über NGOs sagen kann, ist wahroder falsch - in einem speziellen Fall, irgendwo." (Esmao/Uphoff zit. in: Roth 2005: 96) NGOs haben ihre Wurzeln in christlichen Orden des Mittelalters (KIeinlWalk/Brunnengräber 2005: 11; FrantzlMartens 2006: 53) und sind zivilgesellschaftliche Akteure, die auf nichtstaatliche Initiative zusammengekommen sind, unter Verzicht auf Gewalt und orientiert an Menschenrechten handeln und auf Probleme inhaltlich Bezug nehmen; sie akzeptieren den Staat und das politische System. Sie stellen moralische Forderungen auf, die sich auf die öffentlichen Interessen bestimmter Gruppen beziehen, und verfolgen eine Einflussnahme auf politische Entscheidungen oder die Wirtschaft. Sie verfiigen
über einen organisatorischen Apparat und agieren im Bereich der "soft issues",
also in der Sozial-, Umwelt- und Entwicklungspolitik. 360 Die Union 0/ International Associations benennt weitere Kriterien für transnationale NGOs: Diese müssen eine internationale Mitgliedschaft vorweisen, ihre finanziellen Mittel aus mindesteus drei Staaten beziehen, in mindestens drei Staaten aktiv sein und über Wahlmechanismen für das Leitungsgremium sowie einen Hauptsitz und einen festen Mitarbeiterstab verfügen. Ihre Unabhängigkeit muss gesichert sein;
359 Die Zahl der bei der UNO akkreditierten NGOs liegt 1948 bei 40, 1995 bei I 068 und 2005 bei
2614. Die Resolution 1996/31 stellt Kriterien auf, die NGOs :für eine .Akkreditierung ertüllen müssen. Der Konsultativstatus bedeutet für eine NGO primär Zugänge: Gespräche mit Diplomaten in Kantinen seien ebenso wichtig wie das Recht auf eine Stellungnahme während der Konfereez. UN-Mitgliedsstaaten können die Akkreditierung oieer NGO verhindern, zieben aber damit unter Umständen Kritik auf sich. wie das Beispiel von Human Rights Watch 1991 zeigt: Kuba, der Irak, Syrien, Algerien und der Sudan verbindern eieen Konsultativstatus, weil Human Rights Watch zuvor über Menschenrechtsverletzungen in ihrem. Staat berichtet. Nach Protesten in den Medien stimmen sie dem. Akkreditierungsverfahren zwei Jahre später zu (FrantzlMartens 2006: 32, 98, 99, 101). 360 Das Verbot von Tandroinen stellt hierbei eine .Ausnahme dar (Wahl 2000: 303). In der Regel geht es aber um Fragen., die die Gesellschaft betreffen, wie Frauen- und Minderheitenrechte, Entwicklungshilfe und Umweltsebutz (FrantziMartens 2006: 56).
276
sie darf nicht von Mitgliedern eines Staates dominiert werden (Klein/Walk/ Brunnengräber 2005: 14-15). Im Gegensatz zu Parteien basieren die Leitungsgremien von NGOs nicht auf demokratischen Wahlen (KohoutlMayer-Tasch 2002: 16); NGOs müssen ihre Ziele nicht als ,,Anliegen einer repräsentativen Mehrheit der Bevölkerung" verteidigen und wollen - wie bereits ausgeführt - staatliche Macht lediglich beeinflussen statt sie selbst auszuüben (FrantzlMartens 2006: 27, 130). Das Unterscheidungsmerkmal zu Interessengruppen liegt darin, dass nicht die Durchsetzung einer Politik verfolgt wird, die den Wünschen einer bestimmten Klientel entspricht; NGOs sind gemeinwoblorientiert (KohoutlMayer-Tasch 2002: 16). NGOs sind darüber hinaus zu unterscheiden von Transnationalen sozialen Bewegungsorganisationen (TSMO), von sogenannten Quasi-NGOs (QUANGOs), die von Staaten finanziert werden oder in einer anderen Weise abhängig von diesen sind (z. B. das Internationale Komitee des Roten Kreuzes), und von Govemment Organized NGOs (GONGOs), die auf Initiative eines staatlichen Akteurs gegründet werden und vor allem im Bereich der Entwicklungshilfe anzutreffen sind; sie zählen im engeren Sinne nicht zu den NGOs (FrantzlMartens 2006: 41-45). Für das Überleben von einzelnen NGOs sind eine breite Rekrutierung, eine authentische Interessenvertretung und eine effiziente politische Zielverwirklichung notwendig (Janett 2000: 165). Auf eine Anpassungsleistung an die spezifischen Rationalitäten der Akteursgruppen können vor allem transnationale NGOs nicht verzichten (Wahl 2000: 313). Roth resümiert, dass man verschiedene NGO-Welten akzeptieren muss, die in der Regel separat, gelegentlich auch überlappend existieren (Roth 2005: 95); FrantzlMartens wagen dennoch einen Definitionsversuch: "NGOs sind formale (professionalisierte), unabhängige
gesellschaftliche Akteure, deren Ziel es ist, progressiven Wandel und soziale Anliegen auf der nationalen oder internationalen Ebene zu fordern." (FranW Martens 2006: 49-50, H. i. 0.)
7.3.2
Stärken und Schwächen von NGOs
NGOs können öffentliche Debatten anstoßen und das Bewusstsein verändern. Sie erscheinen als politische Hoffuungsträger einer nenen transnationalen Ordnung, die über Grenzen hinweg regionale und globale Probleme und Risiken auf die Tagesordnung setzen (Roth 2005: 84, 101). Sie werden - indem sie sich auf eine globale Zivilgesellschaft bzw. Weltkultur beziehen - zu einem wichtigen Ausgangspunkt fiir Gegenmachtbildung (Roth 2005: 110). Sie besitzen den 277
Reiz des Neuartigen und sind ein lebendiger und moralischer Kontrapunkt zu den ,Jmmergleichen Politikergesichtern" (Wahl 2000: 303). Die Konzentration auf Einzelthemen ist ihr Erfolgsrezept. Als ihre Machtressourcen benennt Roth Wissen und Öffentlichkeit. NGOs erweitern das Handlungsrepertoire durch unkonventionelles Handeln, wie Konsumentenboykott, zivilen Ungehorsam und symbolische Aktionen, und setzen in Bezug auf ökologische Demokratie auf veränderte Zeithorizonte. Sie bilden epistemische Gemeinschaften, also Netzwerke aus Personen mit anerkanntem Expertenwissen und Kompetenz (Roth 2005: 101, 104-105, 111), und werden von Staaten zur Steigerung der Projekteffizienz eingesetzt (Wahl 2000: 303). Ihre Arbeitsweise gilt als unbürokratisch, flexibel, effizient und unbestechlich; weitere Vorteile liegen in der hohen Motivation und dem Zusammengehörigkeitsgefiihl der Mitarbeiter und deren Bereitschaft, in prekären Verhältnissen zu arbeiten (Janet! 2000: 164; Wahl 2000: 303). Die demokratische Legitimation transnationaler Politik ist jedoch brüchig, und NGOs gründen selbst nicht auf demokratischen Wahlen (KIeinlWalk/ Brunnengräber 2005: 54; Debiel 2005: 135). Bisweilen mangelt es auch an Transparenz; Debiel fordert für NGOs jedoch einen eigenen Maßstab (Debiel 2005: 143). Ihre Einbettung in reale Zivilgesellschaften ist unterschiedlich ausgeprägt.361 Das Vertrauen innerhalb der Bevölkerung ist eines ihrer wichtigsten Güter; ohne Vertrauen finden öffentliche Mobilisierung und Ressourcenzuflüsse nicht statt (KIeinIWalk/Brunnengräber 2005: 56). Um kommunikationsflihig zu werden, können sich NGOs von diplomatischen Gepflogenheiten nicht frei machen; Kompromisszwänge üben einen Anpassungsdruck auf ihre Positionen aus (Wahl 2000: 303). Ihr politischer Erfolg ist in der Regel nur durch Professionalisierung zu erreichen, worunter aber die Sympathie innerhalb der Anhängerschaft leiden kann: Debiel fasst zusammen, dass die Quelle ihrer Stärke (das freiwillige Engagement) zu versiegen droht, wenn NGOs kompetent und bürokratisch arbeiten (Debiel 2005: 135). Eine Professionalisierung macht darüber hinaus die Ausweitung von hauptamtlich beschäftigten Mitarbeitern notwendig, wodurch die eigenen Kosten und die Gefahr steigen, dass die Selbsterhaltung das vorrangige Ziel wird (FrantzlMartens 2006: 63, 125_126).362 Das Engagement der Mitarbeiter ist zwar hoch, aber auch instabil, und deren Interessenvielfalt ist oft groß (Janet! 2000: 148-149). Auch NGOs ist Menschliches
361 In Deutscbland spielen NGOs eine erhebliche Rolle (Roth 200S: 118). 362 FrantzlMartens zitieren einen früheren Greenpeace-Aktivisten, der bemängelt, dass mit zunehmender Professionalisierung Karrieristen in den Vordergrund und die Werte und Ziele von Greenpeace in den Hintergrund getreten seien (Castie zil in: FrantzlMartens 2006: 127).
278
nicht fremd: Wahl beobachtet Intrigen, Mobbing, Karriereplanungen der einzelnen Mitarbeiter und Korruption. Das Selbstbild von NGOs ist moralisch und ethisch aufgeladen, was bisweilen zu Lasten ihrer eigenen Kritikfähigkeit geht Wahl sieht hier die Gefahr, die eigene Arbeit nicht mehr reflexiv und selbstkritisch zu analysieren (Wahl 2000: 306). NGOs geben demokratische Impulse, die Frage nach der Reichweite und Nachhaltigkeit dieser Impulse bleibt jedoch unbeantwortet (Roth 2005: 112). Sie müssen ihre Aktionen und Initiativen immer im knappen Zeitfenster eines internationalen Verhandlungsprozesses platzieren, was eine erhebliche Planungskompetenz etfordert, die bei organisatorischen und finanziellen Grenzen häufig nicht gegeben ist (Wahl 2000: 306; Debiel 2005: 135). Erschwerend kommen bei transnationalen NGOs die nationalen Unterschiede wie Kultur- und Sprachbarrieren (Roth 2005: 105) und ungleiche Mobilisierungskontexte hinzu (Themenpriorität, politische Kultur; Allianzen und Gegnerschaften variieren je nach Land) (Janett 2000: 155). Weitere Belastungen entstehen durch Reise- und AufenthaItkosten, die Produktion von Unterlagen in mehreren Sprachen und durch benötigte Spezia\kenutnisse über Institutionen und Arbeitsweisen in den unterschiedlichen Ländern. Roth bezweifelt, dass NGOs wirklich unabhängig von Staaten und der Wirtschaft sind; gerade auf internationaler Ebene seien sie stärker auf öffentliche Alimentierung anr,wiesen als auf nationaler Ebene (Roth 2005: 115; FrantzlMartens 2006: 27) .•3 Wenn NGOs den zunehmenden Rückzug von staatlichen Akteuren aus der Entwicklungspolitik kompensieren, drohen sie zu einern Ausfiihrungsorgan staatlicher Macht zu werden (DebieI2005: 135), zu einer Art Co-Elite zu mutieren (Brand 200 I: 87) oder daran beteiligt zu sein, dass humanitäre Hilfe zum Spielball der Politik wird (DebieI2005: 151). Innerhalb der NGO-Welt herrscht ein Nord-Süd-Gefiille; sogenannte ,,Edel-NGOs" aus den USA, Kanada und Westeuropa dominieren das Geschehen (JägerlPauius zit in: Roth 2005: 113). Ihre Themen sind vielfach auf die Interessen des spendenfreudigen Publikoms aus der OECD-Welt zugeschnitten; transnationale NGOs sind daher primär Projekte des Nordens. Problematisch wirkt sich zudern der Umstand aus, dass staatliche und internationale Institutionen (besonders das UN-Regime) häufig darüber entscheiden, ob es überhaupt einen Bedarf an einer NGO-Beteiligung gibt (Roth 2005: 113, 115). Es stellt sich die Frage, wie NGOs unabhängig sein wollen, wenn sie gleichzeitig Teil des Entscheidungssystems sind (Franzt/Martens 2006: 17). KohoutlMayer363 Amnesty International, Greenpeace und Ärzte ohne Grenzen weigern sich jedoch, staatliche Gelder anzunehmen, um ihre Unabhllngigkeit und Selbständigkeit nicht zu verlieren (FrantzlMartens 2006: 129).
279
Tasch beobachten bei NGOs eine Simplifizierung von Sachverbalten, um die Aufmerksamkeit möglichst vieler Menschen gewinnen zu können (KohoutJMayer-Tasch 2002: 20). Weitere Kritikpunkte liegen in dem Vorwurf, Politik würde durch sie privatisiert, und die Fokussierung auf Detailfragen verhindere übergreifende Antworten. Der Begriff NGO wird auch missbraucht: FrantzlMartens berichten von einer Konferenz des UN-Menschenrechtskomitees, bei der eine chinesische NGO eine geschönte Darstellung der Menschenrechtssituation in China vorträgt und sich im Anschluss herausstellt, dass es sich bei den NGO-Vertreterinnen um die Ehefrauen von Regierungsmitgliedern handelt (FrantzlMartens 2006: 133). Ein übereilter Ver!rauensvorschuss ist auch deshalb nicht immer gerechtfertigt.
7.3.3
NGOs und Medien
Medien sind die ,.Achillesferse" von NGOs (FrantzlMartens 2006: 128); beide Akteurstypen teilen jedoch gegenseitige Interessen: Medien suchen nach Themen, neuartigen Bildern und Sensationen. Dabei sind sie in der Lage, NGOs die Öffentlichkeit zu verschaffen, die diese fiir ihre öffentliche Mobilisierung und Ressourcenzuflüsse brauchen (FrantzlMartens 2006: 14). Vor diesem Hintergrund ist es möglich, dass NGOs in eine Abhängigkeit geraten oder an Authentizität verlieren: Beobachtet wird, dass manche NGOs ohne den "symbolischen Inszenierungszauber massenmedial gesteuerter Protestkampagnen" nicht mebr auskommen (Roth 2005: 117-118); medientaktische Themen und Aktionsformen balten Einzug, und die Gefahr einer Orientierung am Publikumsgeschmack besteht. So werden Medien gezielt dafiir eingesetzt, um Mitleid zu erzeugen und die Spendenbereitschaft zu erhöhen (Debiel 2005: 148). Diese Inszenierungen werden mit der Zeit immer spektakulärer und emotionaler (bis hin zu fingierten Szenen), da es NGOs in der Regel nur fiir kurze Zeit gelingt, das Interesse der Medien anf sich zu ziehen (Janet! 2000: 146).364 Wahl arbeitet am Beispiel von Greenpeace die drarnaturgischen Erfordemisse einer Aktion heraus: So wird der Eindruck erweckt, David kämpfe gegen Goliath, wenn Schlauchboote gegen Riesentanker antreten; selten agieren mebr als ein Dutzend Personen, um Chaos und eine Angst einflößende Menschenmasse zu umgehen. Die Kleidung der Aktivisten ist stets in Sympathlefarben gebalten (orange); die Protagonisten 364 FrantzlMartens nennen als Beispiel für unkonventionelle Methoden, die die Aufmerksamkeit der Medien wecken sollen, das Platzieren eines toten Wales vor der japanischen Botschaft in Berlin (FrantzlMartens 2006: 14).
280
werden fast ausschließlich von Männer gestellt, was den Anschein einer ,,nach militärischen Regeln operierendern] Gruppe" hervorruft. Die Aktionen strahlen auch noch im Protest Modernität, Ordnung und Sauberkeit aus und bieten eine Identifikationsmöglichkeit, die man aus der Ästhetik des Hollywoodfilms kenot; das Image des edlen Ritters, der sich kühn für andere einsetzt, überträgt Emotionen (Wahl 2000: 304). FrantzlMartens zitieren Brunoengräber mit einer Darstellung von Rollen, die die Sprecher einer NGO in den Medien einnelnnen könoen: SDrechertvuen Advokaten
HeWen Experten
Reorisentant als treuhänderischer Anwalt der Betroff.,.
nen als Stellvertreter des modialen Publikum als Delegierter einer Oroanisation
Medienzunne moralisch-ethische Begründung
Mittel Information, Projekte
Inszenierung von Protest
Aktionen, ,Schlagbilder· Studien, Gutacbten,
fachliche &pertise
..
policy paperB
Tab. 5: Sprechertypen emer NGO (Brunoengraber Zlt. m: FrantzlMartens 2006: 58)
7.3.4
Fazit: Die katholische Kirche als NGO und ihre Vorteile gegenüber herkömmlichen NGOs
Wie NGOs ist die katholische Kirche auf nichtstaatliche Initiative aus der Zivilgesellschaft hervorgegangen und arbeitet gemeinnützig. Sie orientiert sich nicht nur an den Menschenrechten, sondern bestimmt diese sogar und gestaltet sie inhaltlich. [SPC 4: Politische und religiöse Weltanschauung, Werte] Dabei geht sie gewaltlos vor und nutzt ihre weltweite Infrastruktur. Sie strebt zwar nach politischer EinllussnaInne, akzeptiert aber den Staat und will staatliche Macht nicht übemelnnen. Sie setzt sich nicht nur für Katholiken ein, sondern für alle Menschen weltweit. [SPC 10: Auftreten der Regierung im Inland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen; SPC 11: Humanitätsideal gesetzlicher Regelungen] Der Papst wird als Oberhaupt der katholischen Kirche durch eine Wahl bestimmt und steht dem Heiligen Stuhl vor; sein Amt ist als Identifikationsobjekt das Symbol für die katholische Kirche. In der katholischen Kirche selbst gibt es keine Dernokratie; auch die demokratische Legitimation für die Mitwirkung der katholischen Kirche an politischen Entscheidungen ist zuroindest nicht erschöpfend geklärt; ein Mangel an Transparenz bei Entscheidungen ist vorhanden. Die katholische Kirche stößt über Grenzen hinweg Debatten an, formt das 281
Bewusstsein der Menschen und gibt (über den herkömmlichen Zeithorizont365 hinaus) Orientierung. [SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Framing; Präfereozen formen] Sie besitzt eioe hohe ethische und moralische Kompetenz; [SPC 34: Maßstäbe setzen] der Papst hat die Suprematie io der katholischen Theologie. [SPC 7: Wissenschaft und Technologie: Führungs- oder Vorreiterrolle] Die katholische Kirche bietet mit ihrem System aus Seelsorge und sozialen Leistungen Dienste an, die ihr Ansehen erhöhen. [SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle] Ihre Mitarbeiter üben ihre Tätigkeit unter bisweilen extremen Bedingungen aus (wie bitterer Armut, io Bürgerkriegen, mit Schwerstkranken) oder werden io bestimmten Regionen sogar verfolgt. Die katholische Kirche unterhält weitere Organisationen, die eigenständige NGOs siod: Zu diesen UnterNGOs gehören z. B. Misereor, Caritas, Renovabis und Sant'Egidio. [SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten] Bei den Gläubigen ist eioe hohe Motivation festzustellen, sich zu engagieren;"6 eio Ehrenamt io der katholischen Kirche ist praktizierte Nächstenliebe und eioe Annäherung an das Ideal des gottgefälligen Lebens. Die katholische Kirche ist io der Lage, Menschen zu mobilisieren und biodet sie an sich (z. B. durch das Gemeindeleben). [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit] Bei ihrem weltweiten Engagement steht auch sie vor der Herausforderung, die unterschiedlichen nationalen Rationalitäten und knltorellen Unterschiede berücksichtigen zu müssen: Die katholische Theologie und die katholische Sozialisation der Menschen (Initiationsriten, Messen, Religionsunterricht) bilden dabei jedoch eioe gemeinsame Basis, auf die sie sich beziehen kann. NGOs bündeln soziale Macht durch einen freiwilligen Zusammenschluss mit gemeiosamen Werten, Interessen und Zielen als Referenzpunkt; es findet eine freiwillige Verhaltenskoordinierung auf der Grundlage gemeiosamer Überzeugungen und Ziele statt. Auch die katholische Kirche synchronisiert iodividuelles Handeln auf der Basis gemeiosamer Überzeugungen und Werte (z. B. weltweite Spendenaktionen) (Maull 2000: 370, 379). [SPC 19: Homogenität der eigenen Bevölkerung] Auf Grund ihrer Erfahrung und geographischen Ausdehnung besitzt die katholische Kirche eioen Grad an ioterknltoreller Kompetenz wie kaum eine andere Institution. Ver!reter des Heiligen Stuhls reisen zu Konferenzorten, versuchen ihre Forderungen io den politischen Prozess eiozubringen und bedienen sich dabei des Rückgriffs auf Werte und Normen, die allgemeioe Geltung beanspruchen können. Da der Heilige Stuhl seit Jahrhunderten Teil der ioternationalen und transnationalen Beziehungen ist, bringt er die nötige Professionalität und eio 365 Mit einem. herkömmlichen Zeithorizont ist z. B. eine Legislaturperiode gemeint. 366 Dazu zählt nicht :m1etzt die Bereitschaft. Zeit und Ressourcen in den Glauben zu investieren.
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angemessenes Auftreten mit. Staaten und internationale Organisationen nutzen die Hilfe der katholischen Kirche, wenn und solange sie sich Vorteile von ihrer Einbindung erhoffen. In Konflikten agiert sie schnell und sicher: Es wird unmittelbar gehandelt (s. Fallbeispiele); [SPC 14: Regierung als kooperativer Partner fiir Frieden, Sicherheit und Entwicklung] dabei ist sie diskret und schafl\ durch ihre lange Existenz Vertrauen. [SPC 17: Eigen- und Fremdwahrnehmung der Geschichte eines Landes] Sie muss sich davor hüten, vereinnahmt zu werden; ihre grundsätzliche Unabhängigkeit von Staat und Wirtschaft ist jedoch gegeben, was sie weniger anfällig fiir Kompromisszwänge macht. Die katholische Kirche wird zu einem Ausgangspunkt fiir Gegenmachtbildung bzw. zu einer Alternative zu Parteien und dem Staat;'67 wichtig ist hierfiir ihre Präsenz in der Gesellschaft und eine Unterstützung durch diese, da sie sonst an Einfluss verliert. Eine fortschreitende Säkularisierung oder ein Vertrauensverlust (z. B. durch die gegenwärtig diskutierten Missbrauchsfiille) schaden ihr in hohem Maße. Besteht bei NGOs die Gefahr, durch eine zunehmende Professionalisierung an Sympathien zu verlieren, so steht auch die katholische Kirche vor der Herausforderuog, durch die Zusammenleguog von Pfarreien und den Prlestermangel in Europa dem Vorwurfbegegoen zu müssen, sich nur noch der Verwaltung zu widmen, anstatt sich um das Seelenheil der Gläubigen zu kümmern. Die Erweiterung des Handlungsrepertoires geschieht auf Seiten der katholischen Kirche durch das Beten oder symbolische Aktionen wie dem Läuten von Kirchenglocken. [SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Das Selbstbild ihrer Mitarbeiter ist emotional aufgeladen und verhindert effektive Feedbackmechanismen; Intrigen, Mobbing, Karrieristen und ähnliche Probleme gibt es auch innerhalb der Römischen Kurie. 368 Die Medien spielen auch fiir die katholische Kirche eine bedeutende Rolle; sie machen ihre Meinung und Handlungen einem hreiten Publikum zugänglich. In den Medien tritt die katholische Kirche - nach dem Schema von Bruonengräber - als Advokat (Anwalt fiir die Menschenrechte) und Experte (fachliches Wissen über Moral, Ethik und katholischer Theologie) auf; Medien und katholische Kirche haben gemeinsame Themen und gemeinsame Interessen.'69
367 Eine Alternative zu Parteien wird sie vornehmlich in inhaltlichen Fragen; einen Reiz des Neuartigen oder die Geltung als politischer Hoffnungsträger hat sie dagegen wohl kaum. 368 Steinschulte äußert sich dazu wie folgt: ,,Hier arbeiten Menschen, keine Halbgötter, also ,menschelt' es auch hier, jedoch eher etwas weniger als anderswo; es gibt ein Milieu, einen Stil und Umgangsformen, die menschliche Schwächen mit Nachsicht übergehen, aber schweres Fehlverhalten nicht zulassen." (Interview Steinschulte 2010) 369 Für eine detaillierte Darstellung s. Kapitel 6.1.5.
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Die katholische Kirche hat entscheidende Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen NGOs: So ist sie im Kräfteverhältnis mit den Medien in einer stärkeren Position als eine gewöhnliche NGO. Der Papst kann sich über einen Mangel an Interview-Anfragen nicht beklagen: Neben den eigenen kirchlichen Medien (L'Osservatore Romano, Radio Vatikan, Publikationen der einzelnen Bistümer) sind die beim Heiligen Stuhl akkreditierten Journalisten zu nennen. Dem Papst gelingt es (z. B. bei einem Auslandsaufenthalt) über Tage hinweg fiir die Medien interessant zu sein. Während er mit seinen Reisen und Ansprachen also selbständig Themen setzen kann, brauchen NGOs in der Regel einen Träger, dessen Attraktivität oder Aklualität sie sich zunutze machen können: So bedarf es (im Allgemeinen) z. B. einer Umweltkatastrophe, damit Umweltverbände um eine Stellungnalnne gebeten werden. Seit Johannes Paul 11. bemühen sich die Päpste zwar um eine eindrucksvolle Darbietung ihrer Auftritte, zu einer Orientierung am Publikumsgesclnnack kommt es jedoch nicht.37• Die katholische Kirche beschränk! sich nicht auf einzelne Themen oder Detailfragen, sondern nimmt fiir sich eine gewisse Allzuständigkeit in Anspruch. Sie muss sich auch nicht auf das Zeitfenster einer internationalen Kouferenz beschränken, um auf sich aufmerksam machen zu können; vielmehr kann sie selbst Kouferenzen einberufen. Bei internationalen Organisationen fällt ihr zudem der Zugang leichter als einer herkömmlichen NGO, denn der Heilige Stuhl hat - entweder als Leitungsgremium der katholischen Kirche oder wegen der Staatlichkeit des Vatikan - Mitgliedschaften oder einen Beobachterstatus. Der Heilige Stuhl besitzt mit den katholischen Gläubigen - trotz der zu beobachtenden Austrittswellen in Europa und der unterschiedlich ausgeprägten Einbindung der katholischen Kirche in die Zivilgesellschaften - eine relativ stabile Anhängerschaft;37l [SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranten als Outside Partner] die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche besteht in der Regel qua Geburt; sie wird gleichsam vererbt. Durch die Zugehörigkeit breiter Bevölkerungsschichten zur katholischen Kirche sind die Ressourcenzuflüsse gesichert, bisweilen (wie in Deutschland) sogar institutionalisiert: Die fmanzielle Situation der katholischen Kirche ist nicht vergleichbar mit den beschränkten Möglichkeiten einer 370 Dass es dem Heiligen Stuhl nicht auf .choellen Beifall aokommt, zeigt die Kritik, die er auf Grund seiner Haltung zu bestimmten Themen immer wieder auf sich zieht. So hält Bene-
clikt XVI bei seiner Afrika-Reise im. März 2009 trotz großer Proteste an seiner Ablehnung von Kondomen zur Verhinderung der Ausbreitung von mv/AIDS fest, obwohl er zu diesem. Zeitpunkt durch die Aftäre um die Pius-Bruderschaft in der öffentlichen Meinung geschwächt erscheint. 371 Die !dentifikation mit einer Glaubensgemeinschaft dürfte ohoehin als bestllndiger aogesehen
werden als bspw. die Haltung zu einer umweltpolitischen Kontroverse.
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NGO. Mit unterschiedlichen Mobilisierungskontexten und Spezialkenntnissen hat der Heilige Stuhl durch sein weltweites Netz aus Gemeinden und Nuntiaturen keine Schwierigkeit;372 förderlich wirkt sich auch hier die eine katholische Theologie und Sozialisation aus, die weltweit universal ist. Resümierend bestätigt sich These 2 der vorliegenden Arbeit: Die katholische Kirche erfiillt die allgemein gültigen Kriterien einer transnationalen NGO und tritt als solche auch auf. Die alltäglichen Fallstricke einer herkönnnlichen NGO sind ihr dagegen fremd. Sie verschafft sich über ihren Status als Völkerrechtssubjekt und die Staatlichkeit des Vatikan Aufmerksamkeit und Zutritt und baut dabei ihre Position als Religionsgemeinschaft kontinuierlich aus. 373 Andererseits emtet sie Sympathien und eine Identifikationsbereitschaft der Menschen, die Regierungen in der Regel uicht erhalten.'74 Aus dem für die internationalen und transnationalen Beziehungen eigentümlichen Gebilde aus Staat und NGO ergibt sich für den Heiligen Stuhl die Möglichkeit, je nach Bedarf entweder als gesellschaftlicher oder als staatlicher Akteur aufzutreten. Diese Zweigesichtigkeit scham Flexibilität und fiihrt dazu, die Vorteile beider Akteurstypen für sich nutzen zu können, während deren Nachteile umgangen werden.
372 Auch wenn eine gewisse Europalastigkeit nicht zu übersehen ist, wird durch die Internationalisierung der Römischen Kurie, die das Zweite Vatikanische Konzil einleitet. die Dominanz Italiens kontinuierlich abgebaut. 373 .,Die katholische Kirche kann durch ihre Präsenz vor Ort in der Tat als eine Art Nichtregierungsorganisation verstanden werden. die ihre Durchsetzungskraft dadurch erhöht, dass sie einen Staat hinter sich weiß." (Interview Vogt 2010) Dass die katholische Kirche ihre Position als Religionsgemeinschaft ausbaut, erklärt sich aus der naheliegenden Folgerung, dass detjenige, der Religionsfreiheit implementiert, dadurch auch zum dominierenden Akteur in der Religionsausübung wird. 374 Eine Ausnahme könnte der bisweilen emotionale Patriotismus der US-Amerikaner darstellen.
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A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
die Homogenität der Staatsbürger, was eine funktionale Differenzierung in den gesellschaftlichen Teilbereichen unwahrscheinlich werden lässt.'76 Auch in der katholischen Kirche ist die Stellung des Papstes unangefochten: Er ist weisungsbefugt gegenüber der Gesamtkirche; Bischöfe und Laien haben Gehorsam zu leisten. Die Organisation der katholischen Kirche ist auf den Papst ohne formale Kontrolle ausgerichtet (Rotte 2007: 129). Auch der Erhebung in den Bischofsstand gehen langwierige Prüfungen der Kandidaten vomus, so dass der Heilige Stuhl selbst darüber entscheidet, wer eine Leitungsfunktion in der katholischen Kirche übernimmt. Damit wird das Risiko ausgeschlossen, dass ein gleichsam unberechenbarer Kandidat durch Wählerwillen ins Amt kommt. Den Gläubigen wiederun3 witd mit der religiösen Unterweisung Folgsamkeit und Opferbereitschaft eingeübt; die individuelle Disposition, Autoritäten zu vertrauen, ist bei christlichen Konfessionen ohnehin hoch. Die Einbindung von Laien in Entscheidungen, die jenseits von Gottesdienstzeiten liegen, ist nicht vorgesehen, so dass insgesamt davon gesprochen werden kann, dass der Heilige Stuhl die Beflihigung zum Durchregieren besitzt. Das Konglomerat aus Vatikan und katholischer Kirche verschließt sich dem direkten Vergleich mit der Idee des idealen Staates in Platons Politeia, obwohl der dort beschriebene ebenso ein autokratischer Staat ist, der die Leistungen seiner Bürger ganz fiir sich vereiunabn3t. Die Verfassung der Politeia beruht - wie in> Vatikan und in der katholischen Kirche nach kanonischem Recht - auf einer Herrschsft der Besten bzw. des Besten. Die Parallelen zwischen dem Amt des Papstes und dem des Philosophenkönigs sind beachtlich: Dank ihrer besonderen Begabung und langen Ausbildungszeit377 vereinigen sie nach Priifungen und strenger Auswahl Weisheit und Macht in sich. Da keine verfassungsmäßige Beschränkung die Macht des Herrschers begrenzt, liegt alleine in der durch die Ausbildung erworbenen Einsicht das Wohl des Staates begriindet (Platon 2000: 563d-e, 565e, 569c). Platons Ablehnung der Demokratie, weil aus iht Anarchie und die Tyrannis folge, entdeckt man auch in einer Aussage von Joseph Kardinal Ratzinger in seiner Funktion als Vorsitzender der Glaubenskongregation: Volkssouveränität gebe es in der katholischen Kirche bzw. dem Vatikan nicht; dafiir existierten Organe, die die Aufgaben des Volkes kompetentet wahrnehmen würden, als das Volk dies je könnte. Aus der Bibel376 Die vatikanische Bevölkerung besteht zum Großteil aus Pricstern; sie haben sich gegen eine Familie und für den Dienst Gottes entschieden. Eine Rebellion hat in diesem. Kontext einen größeren Stellenwert, weil sie die realistische Gefahr birgt, alles (d. h. Existenzgrundlage, b.,. rufliche Karriere, Gemeinschaft) zu verlieren. 377 Bei Benedili XVL, der im. Alter von 78 Jahren zum Papst gewählt wird. dürfte man von einer fast 60jährigen Ausbildungszeit sprechen können.
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stelle "Wir sind das Volk Gottes" ließe sich nicht ein Wir bestimmen ableiten, so Kardinal Ratzinger. Zum Volk Gottes zu gehören, heiße, sich unterzuordnen, zu dienen und Entscheidungen (wie z. B. die Wahl des Herrschers) dem ,,heiligen Ursprung" zu überlassen (Ratzinger 2004: 199-203). Der Katechismus der Katholischen Kirche unterstreicht die Forderung nach Vertrauen auf eine höhere Instanz: ,,Der vom Herrn Gesandte spricht und handelt nicht in eigener Autorität, sondem kraft der Autorität Christi." (Katechismus der Katholischen Kirche 1993: 875) Die Herrschaft im Vatikan und in der katholischen Kirche verlangt Gehorsam und Gefolgschaft unter Berufung auf eine geschlossene Weltanschauung (ideologisch-religiöses Selbstverständnis).
8.2
Der komfortable Platz zwischen den Stühlen: Staat und NGO
Dem Heiligen Stohl gelingt die Quadratur des Kreises: Obwohl er einem Staat vorsteht, ohne den er wohl kaum in der dargestellten Intensität handlungsfähig wäre, positioniert er sich als nichtstaatliche Organisation. Dies beginnt auf nationaler Ebene damit, dass die katholische Kirche als ein gesellschaftlicher Akteur neben Gewerkschaften oder Verbänden auftritt und fiihrt auf internationaler Ebene zu dem Engagement des Heiligen Stohls in der UNO: Die Staatlichkeit des Vatikan beschert dem Heiligen Stohl den formellen Beobachterstatus, sein Auftreten ist aber das einer Religionsgemeinschaft (während anderen Religionsgemeinschaften dieser Zugang verwehrt bleibt). Zu einer ähnlichen Doppelgleisigkeit kommt es bei den päpstlichen Reisen: Sie sind stets als Apostolische Reisen deklariert, und der Papst besucht Staaten als Pilger seiner Religionsgemeinschaft; er wird aber wie ein Staatsgast empfangen: Dafiir sprechen die protokollarischen Ehren, die iIun entgegengebracht werden (Begriißung und Verabschiedung durch die Staatsspitze), und nicht zuletzt die Darstellungsweise seines Besuches in den Medien (HepplKrönert 2009: 155, 159). Seine Öffentlichkeit und Symbolträchtigkeit lässt das Pastorale in den Hintergrund treten: So werden Treffen mit ausgewählten Oppositionsgruppen zu einer politischen Aussage oder der Besuch z. B. Kubas zu einem Aufruf; die dortige Bevölkerung von der Not zu befreien, die das Embargo verursacht. Der Papst agiert vor Ort durch politische Malmungen, die in religiöser Sprache verpackt sind, oder durch das Sichtbarmachen von Missständen; wie bei herkömmlichen NGOs spielen die Medien dabei eine zentrale Rolle. Abgesehen davon, dass der Heilige Stuhl vielfach bewusst offen lässt, ob der Papst als Staatsoberhaupt oder religiöses Oberhaupt auftritt, kann die folgende Analogie dabei helfen, die Vermischung beider Funktionen zu erklären: Nachdem ein 288
Mitglied der italienischen Regierung im Sommer 2003 mit abfälligen Bemerkungen über deutsche Urlauber auf sich aufmerksam macht, entscheidet sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, seinen alljährlichen Italienurlaub in Hannover stattfinden zu lassen. Prompt wird die private Urlaubsplanung der Familie Schröder über mehrere Tage zum Gegenstand in den Medien mit politischer Bedentung (Nutt 2003: 9). Dieses fast schon banale Beispiel zeigt, dass ab einem bestimmten Grad von Öffentlichkeit des Amtes die Privatsphäre nicht mehr privat ist. Dieses vergleichbare Phänomen ist nun auch bei dem Inhaber des Papstamtes zu beobachten: Die Frage, ob er aus pastoralen oder politischen Motiven reist, tritt durch seine Öffentlichkeit in den Hintergruod: Die religiöse Mission wird auf Grund der ihr entgegengebrachten Aufmerksamkeit zu einer politischen. Hinzu tritt die Projektion des Übermenschlichen auf den Papst, der als messianische Gestalt zwischen dem Heiligen und dem Irdischen steht; ihn umgibt der Nimbus des Eigentlich-nicht-von-dieser-WeltSeienden. Wie Kapitel 7.3 zeigt, ist es daher insgesamt folgerichtig, den Heiligen Stahl als den einzigen Akteur in den internationalen und transnationalen Beziehungen zu bezeichnen, der zugleich einem Staat und einer NGO vorsteht und von den Vorteilen beider Akteurstypen profitieren kann. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird auch deutlich, dass katholische Kirche, Vatikao und Papst bzw. Heiliger Stahl als eine Entität wahrgenommen und - vor allem - behandelt werden. Da der Heilige Stahl seit dem 19. Jahrhundert auf militärische und wirtschaftliche Stärke verzichten muss und durch die Lateranverträge zu außenpolitischer Neutralität verpflichtet ist (Schwarz 2007: 555), stellt sich die Frage, wie er diese Beschränkungen kompensiert: Zunächst ist davon auszugehen, dass durch den Mangel an harter Macht Vertrauen bei seiner Umwelt entsteht, da er keine eigenen Interessen im herkömmlichen Sinne hat. Weil er sich fiir das Wohl aller Menschen (vor allem von Schwachen und Hilfsbedürftigen) einsetzt, kann er sich als moralische Autorität auf das Gewissen der Menschen beziehen und ist in der Gesellschaft veraokert. Er macht aus seiner Not gleichsam eine Tugend, indem er in der Verfolgung seiner Ziele gruodsätzlich gewaltlos vorgeht und konsequent auf eine Diplomatie mit friedlichen Mittelo setzt, wofiir er Respekt erntet (Rubin 1994: 31). Darüber hinaus kann er sich seit dem Verlust des Kirchenstaates auf seine originären Aufgaben, dem geistlichen und moralischen Engagement, konzentrieren (Schwarz 2007: 555). Der Heilige Stahl bildet symbolisch Macht aus durch die Repräsentation der Person Jesu Christi, durch die Herstellung der Verbindung zum Göttlichen, das Segnen (Frieden bringen)
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sowie durch seine höfische Inszenierung und den Eiosatz für die gesamte Menschheit. Die mitunter lange Amtszeit des Papstes, der Kurienmitglieder und des diplomatischen Personals führt dazu, dass es keioe grundsätzlichen Brüche gibt: Mit der Auswahl der Kardinäle bestinunt der Papst den Kurs der katholischen Kirche auch für die Zeit nach seinem Pontifikat. Die päpstliche Politik ist langfristig ausgelegt und entzieht sich der hektischen Suche nach Antworten für den politischen Augenblick. Zahlreiche Autoren sehen den Heiligen Stuhl überdies ioternational gut aufgestellt, weil er seit jeher in globalen Kategorien denkt und arbeitet, während herkömmliche Staaten eioen Verlust im Bereich ibrer Souveränität feststellen müssen (Matlary 2001: 84; Kallscheuer 2010: 44);378 der Heilige Stuhl ist prädestiniert dafür, globale Fmgen zu beantworten und globale Prozesse zu begleiten. Die katholische Kirche ist durch ihr Gemeiodenetz (oder durch ihre kircheneigenen NGOs) nahezu immer und überall auf der Welt vertreten. Vallier stellt bereits Anfang der 1970er Jabre fest, dass der Heilige Stuhl (im Vergleich zum Zeitpunkt als Kirchenstaat) nun zwar abhängiger von seinem Prestige und Einfluss ist, den er als spiritueller und moralischer Führer generiert, weil die gegenseitige Stützung von Staat und Kirche aus früherer Zeit weggefallen ist und sich viele Staaten von dem Einfluss der Kirche befreit haben; nun könne er aber leichter grenzüberschreitend arbeiten als früher (Vallier 1972: 148-149). JosselinlWailace benennen als Faktoren, die NonState-Actors stark machen, eioe hohe Anzahl von Mitgliedern oder Unterstützern, Reputation und Fachwissen, finanzielle Stärke, die Fähigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen, Zugänge zu ioternationalen Organisationen und nationalen Regierungen sowie moralische Autorität (im Bereich der Menschenrechte und Demokratie) (Josselin/Wallace 2001: 253). Die katholische Kirche erfüllt sämtliche von den Autoren aufgestellten Kriterien. Eio weiterer Aspekt, durch den der Heilige Stuhl den Verlust seioer Hard Power ausgleicht, ist der Eiofluss, den er durch seine ideologische Begleitung hat: Der pastorale Auftrag der katholischen Kirche bezieht sich auf das menschliche Zusammenleben, und da
378 Im. Original heißt es bei Matlary: ..States are pressured to justify their foreign and domestic policies not just in terms of interest but ratb.er justice. Governments unwilling to submit to this scrutiny frequently invoke the narm. of non-intervention. A growing body of scholarship that suggests that, since the end of the Cold War, this is indeed happening: sovereignty is increasingly circumscribed and the principle of non-intervention in the classical sense is under siege. The Haly See is uniquely positioned to mak.e use of this development, since it was never defined by the Westphalian state system and its notion of absolute territorial sovereignty. The ascendancy of human rights over the norm. of absolute state sovereignty is in complete accord with its world-view." (Matlary 2001: 84)
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es auch in den internationalen und transnationalen Beziehungen immer um eine soziale Interaktion geht, erwächst daraus für den Heiligen Stuhl eine ,,A1lzuständigkeit" für seine Leitlinien und Stellungnahmen (Rotte 2007: 130). Diesen geistigen Beitrag verbindet er mit einem operativen Einsatz im Rahmen seiner Infrastruktur durch das Gemeindenetz. Die vorliegende Arbeit zeigt wiederholt, wie wichtig die organisatorischen Fähigkeiten des Heiligen Stuhls sind: Die katholische Kirche ist die einzige Religionsgemeinschaft mit staatlichen Strukturen.
8.3
Egalität und Neutralität
Der Heilige Stuhl kann anklagen, appellieren, zur Versöhnung beitragen und Feindbilder abbauen. Dennoch ist sein politischer Einfluss begrenzt; er kann sich in der Regel nur in einem Bündnis mit politischen, gesellschaftlichen oder religiösen Kräften durchsetzen. Im Lauf der Untersuchung wird deutlich, dass er immer wieder als kooperativer Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung geschätzt wird, weil er zunächst jeden Verhandlungspartner als gleichwürdig betrachtet und auf Grund seiner Neutralität mit nahezu jedem Staat zusammenarbeiten kann: So macht Pius XI. 1949 die Exkommunikation der Kommunisten rückgängig, und Johannes xxm. lädt sie zum Dialog ein, wodurch der Zusammenarbeit mit den Ländern des früheren Ostblocks der Weg geebnet wird (RingEifel 2004: 129). Johannes PanI Ir. kritisiert nicht nur Fidel Castro, indern er ihm dessen eigenen Anspruch vorhält, sondern im gleichen Atemzug auch die USA für ihre Embargopolitik; auf der UN-Konferenz in Kairo geht er sogar eine Allianz mit fundamentalistischen Staaten ein. Neutralität und Unabhängigkeit sind die bestimmenden Momente im Verhaltensmuster des Heiligen Stuhls. Er wird dafür respektiert, dass er sich nicht nur für Katholiken einsetzt, sondern für alle Menschen; er kämpft auch für die Freiheit anderer Religionsgemeinschaften: Unmissverständlich kritisiert Johannes PanI II. polemische Äußerongen europäischer Politiker über den Islam (Ferrari 2004: 83) und bekondet seinen Respekt gegenüber dem "authentischen Islam".379 Auch wenn eine Allianz zwischen Religionsgemeinschaften schwierig
379 Johannes Paul 11. während seiner Reise nach Armenien und Kasachstan vom 22. bis 27. September 2001 (Kopp 2001: 555). Watzai weist daraufhin, dass die Religionsgemeinschaften durch die Politisierung ihrer Glaubensinhalte erheblichen Schaden nehmen (Watzai 2005: 2).
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und nur in einem begrenzten thematischen Rahmen möglich ist,'"· steht der Heilige Stuhl jedem Dialog offen gegenüber. Kein religiöses Oberhaupt unterhält ein so umfassendes und regelmäßiges Netz aus interreligiösen Kontakten wie der Papst, was sich nach Ring-Eifel auch politisch bezahlt macht (RingEife12004: 33). Der Heilige Stuhl hat in den internationalen und transnationalen Beziehungen eine Sonderrolle und erflihrt von seiner Umwelt eine durch Tradition legitimierte Privilegierung. Augenscheinlich ist es fiir Staats- und Regierungschefs von Ländern, in denen die katholische Kirche stark ist oder geschätzt wird, von großem Reiz, sich mit dem Glanz des Papsttums zu schmücken. Es scheint fast, als erhöhten sie sich selbst, wenn sie sich unter den moralischen Einfluss des Papstes stellen; das päpstliche Ansehen als moralische Instanz kann sich auch auf andere übertragen (Rotte 2007: 130).'81 Der Respekt gegenüber dem Papst ist aber letzt1ich auch ein Ausdruck des Respekts gegenüber den Katholiken im eigenen Land. Die weltweit verstreuten Gläubigen der katholischen Kirche bilden eine soziologische Größe, die - nicht zuletzt bei einer Wahl - zu einer Kraft werden kann.'82 In diesem Sinne sprechen manche Autoren wiederholt von einer Weltmacht Vatikan bzw. Weltmacht katholische Kirche. Für die Weltherrschaft eines Staates müssen nach Schwarzenberger drei Bediugungen erfiillt sein: eine Machtüberlegeuheit (vor allem in militärischer Hinsicht), eine Ideologie, die Kraft und Selbstvertrauen zur Erfiillung der Weltmission gibt (Werte und Ideale, die nicht nur fiir die eigene Bevölkerung identifikationsfordernd sind, sondern auch fiir fremde Bevölkerungen) sowie verwaltongstechnisehe und organisatorische Fähigkeiten, um das Reich begriinden und behaupten zu können (Schwarzenberger 1955: 120-121). Die vorliegende Arbeit zeigt, dass der Heilige Stuhl mit seiner katholischen Theologie (und der sich daraus ableitenden christlichen Sozialethik) sowie mit seiner weltweiten Organisation und Infrastruktur bis auf die Ebene von Gemeinden das zweite und dritte Kriterium nach Schwarzenberger erfiillt. Eine Machtüberlegenheit (erstes Kriterium) ist 380 Der Universalitätsanspru.ch der katholischen Kirche (es gebe nur einen Christus. also könne es auch nur eine Braut und in dieser Folge nur eine wahre Kirche geben) beschränkt die Kooperationsliihigkeit und sorgt (z. B. in der protestantischen Kirche) liir Unverständnis (Vallier 1972: 145; Rotte 2007: 108).
381 Lyndon B. Johnson z. B. war es wichtig, von der Weltöffentlichkeit und der eigenen Bevölkerung als ein Staatsmann wahrgenommen zu werden, der nach ethischen Prinzipien entscheidet. Zur Umsetzung bemühte er sich uro ein gutes Verhältnis zuro Papst (Ring·Eifel 2004: 152153). 382 Benedikt XVI antwortet in einem Interview auf die Frage, wie der Heilige Stuhl Einfluss auf
die Kriegsparteien im israelisch-libanesischen Krieg nehmen könnte, dass man alle Christen und moralischen Kräfte mobilisieren müsse (Benedik.t XVI. 2006b).
292
dagegen nur themenspezifisch zu beobachten (z. B. in der Beantwortung ethischer und moralischer Fragen).
8.4
Die katholische Kirche als Leerstelle des bürgerlichen Lebens
Etwas Vergleichbares wie die katholische Kirche gibt es unter den Religionsgemeinschaften kein zweites Mal:'" Sie festigt über Jahrhunderte die Ideologie von Großreichen (wie der Habsburger und Spanier) und schützt die Kulturen von Staaten (wie in Polen oder Irland) (Kallscheuer 20\0: 45). Als die dafiir notwendigen Eigenschaften arbeitet die Untersuchung ihre Mobilisierungsfähigkeit sowie ihre politische und religiöse Weltanschauung und Werte heraus. Die Voraussetzung zur politischen Einflussnahme ist ihre Verankerung in der Gesellschaft: Zwar ist sie im Leben der Menschen sicher unterschiedlich ausgeprägt, dennoch dürfte sie durch kirchliche Feiertage und Symbole, Gotteshäuser im Stadtbild oder die Schaffung neuer Rituale (Weltgebetstreffen in Assisi, Welijugendtage) groß sein. Erst durch die Präsenz der katholischen Kirche in der Gesellschaft hat die Einmischung des Heiligen Stuhls Einfluss auf die öffentliche Meinung und kaun durch seine Fähigkeit, die Weltpresse zu erreichen, noch einmal gesteigert werden."4 Aber auch die Gläubigen haben einen bedeutenden Anteil an der gesellschaftlichen Verankerung der katholischen Kirche: Durch ihr Engagement wird das Christliche in Politik und Gesellschaft getragen (Uertz 2005: 15). Der Heilige Stuhl hat fiir die katholische Kirche eine Universalität erreicht, die nicht hoch genug bewertet werden kaun: Seit Benedikt XV. (1914-1922) gilt ein fiir die gesamte Kirche einheitliches, schriftlich fixiertes Recht. Weltweit gibt es in der katholischen Kirche ein Verständnis von zentralen Werlen wie Gerechtigkeit und Nächstenliebe.'" Im Gegensatz zu anderen Religionsgemein383 So ist z. B. der Dalai Lama eher mit dem Papst um 1870 zu vergleichen (Kallscheuer 2010: 4445). 384 Accattoli stellt hierzu fest: "Inzwischen ist er [sc. Johannes Paul 11.] ja weit mehr als der Oberste seiner Milliardengemeinde; er ist zu einer Weltinstitution geworden, für die einen als lebendes Wunder, für die anderen als Superstar unter den Superstars. Die Medien, auch die im d"",h und d"",h kommerzialisierten Amerika, verschwenden geradezu ihre Sendezeit auf ihn, als sei er ein Außerirdischer. Er polarisiert, wird bejubelt und verteufelt, manchmal in kurzem. Abstand von derselben Person. Selbst sein Schweigen hat Gewicht." (Accattoli 200S: 292) 385 Bei der Ausbildung dieser Universalität spielen die Medien sicher keine unerhebliche Rolle: Die weltweite Öffentlichkeit verhindert z. B., dass Bischöfe (wie noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika) unbeobachtet ein autoritäres Regime unterstützen kön· nen; ihr Handeln wird nun vergleichbar mit dem von Bischöfen anderer Länder.
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schaften hat die katholische KITche ein einheitliches Auftreten und eine Gesamtorgaoisation."6 Das religiöse Fundament dient der ideellen Selbstverständigung, die die Menschen stärkt und ihren Wunsch nach Gemeinschaft erfiillt. 387 In diesem Zusammenhang darf der Anspruch auf die Unfehlbarkeit des Papstes nicht unberückaichtigt bleiben: Die Gläubigen fiihlen sich mit dem Papst verbunden;'" er transportiert symbolisch die Wahrheit (Kallscheuer 2005: 11). Nach der christlichen Ethik ist das Gewissen das Eiufallstor des göttlichen Willens. Die katholische Kirche appelliert nicht nur an das Gewissen, sondern bildet es auch aus (auf der Gruodlage der Offenbarung); sie gibt eine Anleitong und Hilfestellung zur Orientierung (Interview 2). Während es als gleichsam moralisch unbedenklich gilt, bei der Rechtmäßigkeit der eigenen Vorteilssicherung gegenüber dem Staat (sei es bei der Steuererklärung oder der Einhaltong von Gesetzen) ein Auge zuzudrücken, fordert die katholische Kirche die Menschen dazu auf, mit Hilfe ihres Gewissens vor sich selbst Rechenschaft abzulegen; damit besetzt sie eine Leerstelle des bürgerlichen Lebens, was als die dritte zentrale These dieser Dissertation formuliert wurde: Sie schützt personale Identitäten, nimmt sich des Seelenheils der Menschen an und beantwortet die Frage nach dem Sinn des Lebens. Der Heilige Stohl implementiert mit seinem Regelkatalog gleichsam die von Schattschneider in Kapitel 4 zitierte ,,mobilization ofbias". Die Verfasstheit von Vatikan und katholischer KITche sowie seine nahezu uneingeschränkte Unabhängigkeit unterstützen ihn dabei, glaubhaft und authentisch als moralische Instanz der Welt auftreten zu können. Der Heilige Stohlleitet den einzigen Staat der Welt, der Menschenrechtspolitik zu seiner Hauptaufgabe gemacht hat: Als moralische Macht ist er in der Lage, das Ansehen von Personen zu erhöhen 386 So liegen z. B. die orthodoxen Kirchen in ihren dogmatischen Standpunkten weit auseinander, und im Fall der anglikanischen Kirche ist der Wirl
mitunter lange Amtszeit des Papstes die symbolische Integration der über 1,1 Milliarden Kalholiken weltwei~ besonders in Ländere Lateinamerikaa und Afrikas wird die besondere lnteg· rationskraft von Johannes Paul IL deutlich. Vergleichbares kennt man in Europa nur von Monarchen. die seit Jahrzehnten im. Amt sind, wie z. B. Königin Elizabeth 11. 388 Accattoli spricht von einer "Globalisierung der spirituellen Art. Soviel Feindschaft das Papsttum mit dem ungeheuerlichen Anspruch der moralischen hrtumslosigkeit auf sich gez0gen hat, es hat doch etwas von dem. befeindeten Nimbus abgetärbt und verleiht päpstlichen Mahnungen zu sozialen und rechtlichen Themen wesentlich mehr Nachdruck, als angesichts der faktischen Machtlosigkeit des schwachen Greises [sc. Johannes Paul 11.] zu erwarten wäre. Und damit ist er zu einem entscheidenden politischen Faktor und Weichensteller geworden." (Aocattoli 200S: 292)
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oder zu verringern. Er schafft globale Gemeingüter durch die Implementierung von Menschenrechten und Religionsfreiheit sowie Strukturen für humanitäre Hilfe und Bildung. Mit der Fübrerschaft im Bereich der Moral und Menschenrechte reduziert der Heilige Stuhl seine Interdependenz-Verwundbarkeit, wie es KeohanelNye empfehlen (KeohanelNye 1977: \06); die vorliegende Untersuchung zeigt die Bedeutung seines Humanitätsideals und seiner Rollen als Vorbild und Stellvertreter. Die katholische Kirche setzt sich mit ihrem Gemeindenetz für die gesamte Menschheit ein; die Frage Sta1ins nach der Anzahl der päpstlichen Divisionen, ohne die kaum ein Aufsatz über den politischen Eiofluss des Heiligen Stuhls auszukommen scheint, findet hier - erstmals - ihre Beantwortung: Der Heilige Stuhl verfiigt mit jeder katholischen Pfarrei über eine Division. 389
8.5
Die Grenzen des Heiligen Stuhls und seine Aufgaben für die Zukunft
Die Grenzen der Einflussmöglichkeiten des Heiligen Stuhls werden dort deutlich, wo es um die vitalen Interessen der Großmächte geht (Schwarz 2007: 560). Das Fallbeispiel Irakkrieg 2003 zeigt, dass der Heilige Stuhl die Lage von Gegnern zwar erschweren kann, aber letztlich zuschauen muss, wenn man seine Appelle und Initiativen ignoriert. Nicht jeder ist für die heilige Soft Power empfänglich: Die Macht des Heiligen Stuhls beruht auf einer rationalen Argumentation und erreicht nur diejenigen, die hierfür offen sind. Der internationale Terrorismus gehört gegenwärtig zu den vordringlichen Problemen; Papst Johannes Paul II. verurteilt Terroranschläge stets auf das Schärfste: Terroristen missachteteo die Würde des Menschen in eklatanter Weise. Während des Weltgebetstteffens in Assisi 2002 versucht er, die Vertretet des gemäßigten Islam gegen den religiösen Terrorismus in die Pflicht zu nehmen. Auf Selbst389 Die Reaktion der Interviewpartner auf diese These tällt unterschiedlich aus. Während Biskupek nicht glaubt, mit seiner Ffarrei eine Division zu sein und diese Rolle eher bei Personalprälaturen und geistlichen Erneuerungsbewegungen (z. B. Legionäre Christi, Opus Dei) sieht (interview Biskupek 2010), ermahnt ein anderer Gesprächspartner zur Vorsieht, wenn es darum geh~ militärisehe Begtiffe auf we katholisehe Kirehe zu übertragen. Allerdiegs stellt er fest: "Der Pfarrer, aber auch Laiee, sied Multiplikaturen und Kämpfer für dee Heiligee Vater, das stimmt. Der Papst kann ja viel sagen. aber wenn es an der Basis nicht umgesetzt wird, ist das ein Problem." (Interview 4) In einem. weiteren Interview heißt es: .)a. diese Formulierung gefällt mir. Division zu sein, bedeutet ja nicht immer etwas Negatives, Gefahrvolles. Ich bin ein Mitstreiter des Papstes, ich kämpfe mit ihm für die Verbreitung des Glaubens. Das ist ja etwas Positives." (Interview 5)
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mordattentäter und Al-Qaida-Sympathisanten macht dies jedoch wenig Eindruck: Sie sind in ihrem Fanatismus unbeeindruckt von der kirchlichen Friedenslehre und Rationalität. Die Werte einer säkularisierten Welt decken sich oftmals nicht mit denen der katholischen Kirche, die in der Gegenwart häufig als eine anachronistische Institution wahrgenommen wird. Der von Joseph Kardinal Ratzinger beklagte Relativismus wird zu einer Bedrohung: Die Vorstellung, dass alle Religionen und Weltanschauungen gleich gültig und wahr seien, lasse die Menschen der katholischen Kirche nur mit geteilter Aufiuerkaamkeit zuhören (Ratzinger 2005: 7-11); verschärft wird die Situation durch die Zunalune von Anbietem auf dem Religionsmarkt. Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass eine beträchtliche Anzahl von Menschen in viele Gegenden Europas kaum noch über religiöses Wissen verfügen und in dieser Folge die kirchlichen Mahnungen weder verstehen noch einordnen können. Der Trend, komplexe Sachverhalte zu vereinfachen, deckt sich zudem nicht mit dem intellektuellen Anspruch der katholischen Theologie. Die katholische Kirche steht in der Folge vor der Schlüsselfrage, wie sie eine Kultur schaffen kann, die empfänglich für die von ihr aufgestellten Regeln ist (Ryal11998: 32).''' Eine weitere Schwierigkeit betrifft die Diplomatie des Heiligen Stuhls: Sie versucht, Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen, damit der Verhandlungspartner nicht unter Druck gerät. Nach Rotte liegt darin die Ursache für oftmals schwer vermittelbare Kompromisse, die die Stützung autoritärer und totalitärer Regime zur Folge habe. Hinzu komme, dass die Erfolge des Heiligen Stuhls nur schwer zu messen seien (Rotte 2007: 279-281). Dass der Heilige Stuhl seine diplomatischen Leistungen nicht bekannt machen kann, weil er dadurch seine Gesprächskanäle gefährdete, gerät zu seinem Nachteil (Interview Facius 2010; Interview 2). Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der Soft-Power-Checkliste erscheinen die folgenden Aufgaben für den Heiligen Stuhl als vordringlich: Habermas bemängelt in einer Abhandlung über die Folgeprobleme der wirtschaftlichen Globalisierung, dass es an einer "weltbürgerlichen Solidarität" fehle, um Ungleichverteilung und soziale Ungerechtigkeit sowie dem Um- und 390 Die Sinus-Milieu-Studie, die im. Jahr 2005 von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegeben wird, kommt zu dem Ergebnis, dass die katholische Kirche in Deutschland nur noch drei bis vier von insgesamt zehn Milieus erreicht; dazu gehören die sogenannten Konservati· ven, Traditionsverwurzelten und in geringerem Maße die Bürgerliche Mitte und die Postmaterie11en (Spielberg 2006: 252-253; Hainz 2006). Eine weitere konkrete Frage laulet: Wie kann die katholische Kirche verhindern, dass sich die Rechtsprechung bspw. des Bundesverfils· sungsgerichts in Deutschland immer mehr von ihren Positionen und Überzeugungen entfernt?
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Abbau des Sozialstaates bedingt durch eine Deregulierung der Märkte entgegenzuwirken (Habermas 1998: 78). Der Heilige Stuhl ist prädestiniert dafür, eine derartige weltbürgerliche Solidarität vorantreiben. [SPC 27: Globale Gemeingüter erzeugen] Er ist (neben der UNO) die z. Z. einzige Institution, die eine Verbindung zwischen der Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Welt herstellt und nicht an territoriale Grenzen gebunden ist (Sacco 1999: 64). Für dieses Projekt sollte der Heilige Stuhl eine Neuevangelisierung vorantreiben und versuchen, Menschen zurückzugewinnen (Interview 4). [SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranten als Outside Partner] Biskupek weist darauf hin, dass die katholische Kirche in vielen Ländern Europas die Arbeiterschaft und in der Jugendarbeit an Boden verloren habe (Interview Biskupek 2010). Vogt schlägt vor, dass Nuntien länger in einem Land bleiben und in einer Art Public Diplomacy auf die Menschen zugehen sollten, um die öffentliche Meinung und das geistige Klima nachhaltiger prägen zu können; [SPC 16: Public Diplomacy] der einzelne Katholik dürfe nicht aus den Augen verloren werden (Interview Vogt 2010). Der Heilige Stuhl muss dafür Sorge tragen, dass seine rationale Argumentation verstanden wird; es scheint daher folgerichtig, dass die katholische Kirche stärker im Bildungsbereich auftreten und in säkularisierten Gebieten eine religiöse Aufklärung vorantreiben sollte.391 Der Heilige Stuhl kann die Aufmerksamkeit, die er erfährt, dafür nutzen, seine Position als Sprachrohr von Religionsgemeinschaften weiter zu festigen sowie ein Forum für sie darzustellen, in dem sie sich artikulieren können (Sacco 1999: 63); dieses Forum ermöglicht unter Umständen, Einfluss auf fremde Religionsgemeinschaften auszuüben. Eine Art Sicherheitsrat der Religionsgemeinschaften ist zwar kaum vorstellbar, aber immerhin erzielt Johannes Paul 11. erste Erfolge, als er mit Vertretern des Islam die Vereinbarung trifft, dass Gott niemals als Argument für Gewalt angefiihrt werden dürfe (Coppa 2008: 187).'92 Der Heilige Stuhl scham für Staaten Zugänge zu anderen Religionsgemeinschaften. [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontakte] Er übernimmt damit eine Art Politikkoordination für den Sachbereich Religion, kann seine internationale Führerschaft in diesem Bereich festigen und in der Folge auch hiermit seine Interdependenz-Verwundbarkeit verringern.
391 Ein höheres Engagement im Bildungsbereich erscheint durchsetzbar: Die katholische Kirche profitiert gegenwärtig von der Rücksichtnahme, die dem. Islam zuteil wird. Der Versuch, islamische Religionslehrer in Deutschland auszubilden, wirkt auch stabilisierend auf die Strukturen der katholischen Kirche im Bildungsbereich (Interview 2). 392 Facius hält den Dialog mit dem Islam fiix eine zentrale Aufgabe der katholischen Kirche (Interview Facius 2010).
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Aus den geführten Interviews geht unmissverständlich hervor, wie bedeutend es ist, dass Pfarrer ihreo Fokus auf die menschlichen Belange der Gläubigen und weniger auf die Verwaltung ihrer Gemeinden legen sollten. 393 Wenn die Kirchenbesucherzahlen zurückgehen und die katholische Kirche an gesellschaftlicher Präsenz bzw. tatsächlicher Verankerung in der Gesellschaft verliert, büßen sowohl Fotos mit dem Papst (bzw. sein Prestige) als auch die Rolle des Heiligen Stuhls in den internationalen und transnationalen Beziehungen an Bedeutung ein. 394 Für den Erfolg des Heiligen Stuhls ist die richtige Balance zwischen der Eiubeit der katholischen Kirche und den Interessen der einzelnen Ortskirchen entscheidend, weil er über die nationalen Strukturen in den einzelnen Ländern seinen internationalen Einfluss generiert (RyalI2001: 55-56): Der Heilige Stuhl bezieht von den Ortskirchen nicht nur die finanziellen Mittel, die den Betrieb der Gesamtkirche aufrecht erhalten, sondern vielmehr auch die Legitimation, sich als Teil der Gesellschaft am internationalen Willensbildungsprozess beteiligen zu dürfen. Für die Ortskirchen wiederum hält ein Gesprächspartner ein einheitliches Bild fiir unentbehrlich.'" [SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen in> eigenen Land] Der Heilige Stuhl braucht ein professionelles Medienmanagement und eine fachkundige Öffentlichkeitsarbeit. Wenn er sich einerseits die weltweite Öffentlichkeit durch die Medien zu nutze macht, muss er anderseits auch offensiver als
393 .,Der Priester darf nicht zum Manager verkommen. der den Gottesdienst runterspult und von einer Piarrei zur anderen fährt. Der Kontakt zu den Gläubigen muss gegeben sein. Das Gespräch muss gesucht und gepflegt werden. Der Mensch im. Pf'arrer muss gesehen werden, nicht nur der Liturg, der etwas aufführt." Ähnliches gelte für Bischöfe (Interview 4). Biskupek beurteilt für den Einfluss der katholischen Kirche auf die Gesellscbaft die tätige Nächatenliebe als entscheidend: Mutter Teresa sei zu einer .,We:rbeikone der katholischen Kirche" geworden. aber auch die ermordeten Bischöfe in Guatemala oder der Einsatz von Johannes Paul n. in Polen seien als Beispiele zu nennen (Interview Biskupek 2010). 394 Steinschulte stellt für die katholische Kirche in vielen Ländern. Europas ein Präsenzproblem. fest; die Gesellschaft habe das Interesse an ihr und dem religiösen Sujet verloren. Die Kulte hätten sich verschoben: Rituale und dergleichen tänden nun z. B. bei FuBballvereinen statt, die sich vielfach zu parareligiösen Veranstaltungen entwickelt hätten. Die Aufmerksamkeit für die katholische Kirche sei abgewandert, aber das religiöse Potential sei immer noch da und müsse zurückgewonnen werden (Interview Steinscbulte 2010). 395 Eigenständigkeit sei zwar gewünscht und produktiv, aber jeder Bischof habe auch eine Verantwortung für die Gesamtkirche; separatistische Tendenzen oder ein uneinheitliches BiW in der Öffentlichkeit seien deshalb schädlich. Es gebe vereinzelt auch ,,Diven" unter den Bischöfen, die emplänglich für Statussymbole, Preatige und Inszenierung seien; Medien wüssten das auszunutzen (Interview 4). Facius weist auf das bisweilen anzutreffende emotional aufgeladene Selbstbild von kirchlichen Würdenträgern hin, das sie für Vcrbesserungsvorschläge oftmals resistent mache (Interview Facius 2010).
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bisher seine Haltung zu konfliktträchtigen Fragen erklären.''' Das Desaster um die Pius-Bruderschaft im Januar 2009 zeigt die Notwendigkeit, dass derartige Ereignisse oder auch Veröffentlichungen zu sensiblen Themen sachkundiger an das Publikum getragen werden müssen, es weist aber auch auf interne Kommunikationsprobleme hin.'97 So sollten bereits im Vorfeld von Veröffentlichungen jeglicher Art Argumentationshilfen und Experten oder Verbündete gesucht werden, um die Debatte von Beginn an begleiten und steuern zu können, anstatt im Nachhinein den Schaden nur begrenzen zu können (Interview Biskupek 2010; Interview Vogt 2010).398 Die Kontakte zu den Medien sollten ausgebaut und verbessert werden, indem Spezialisten des Heiligen Stuhls die Korrespondenten begleiten und deren häufig anzutreffende theologische Unkenntnis auffangen. Besonders Benedikt XVI. behandle kaum Mainstream-Themen, 396 Steinschulte schlägt vor, dass sich der Heilige Stuhl zumindest in weithin säkularisierten Ländern Europas dun:h Irompetente Laien vertreten lassen könnte (Interview Steinschulte 2010). Günstig wäre es auch, wenn die ka1holisehe Kirche prominente Einzelpersonen für sich gewinnen könnte, die ihr ein (weiteres) positives Gesicht geben. [SPC 36: Prominente Einzelpersonen als Outside Partner] Der Heilige Stuhl sollte sich der Diskussion mit Andersdenkenden stellen (so stöBt z. B. das Gespräch zwisehen Joseph Kardinal Ratzinger und Jürgen Habermas im Jahr 2004 auf groBes Interesse) und darauf schten, dass die Bandbreite der Themen, die die katholische Kirche behandelt, auch wahrgenommen und sie nicht nur auf ihre Sexualm.oral reduziert wird. Dem. gestiegenen Bedürfuis der Menschen nach Mitsprache muss argumentativ begegnet werden, damit die Chtistenrechte nicht zum Ausgangspunkt einer "doppelten Wahrheif' werden, wie Heimbach-Steins argumentiert (Heimbach-Steins 2001: 51). 397 Kallscheuer macht in diesem Zusammenhang auf eine unzureichende Abstimmung innerhalb der Römischen Kurie aufmerksam:; auch das Fehlen von Feedback-Mechanismen wird als Problem beorteilt (Kal1scheuer 2010: 4748). Den Fall Williamson kommentiert Steinschulte wie folgt: "Und dabei denkt man immer, dass gerade der Heilige Stuhl bestens organisieren kann und sich keine Fehler leistet. Aber diese Fehler passieren: Im. Fall von Wil1iam:son ist die Information über sein Leugnen des Holocaust nicht an den Papst weitergegeben worden. Das darfnicht passieren." Als Feedback beurteilt Steinschulte die Ad-limina-Besuche der Bischöfe und die Berichte der Nuntien. Steinschulte bemängelt, dass es bei den Verlautbarungen des Heiligen Stuhls immer wieder zu folgensehweren Übersetzungsfehlern kommt (Interview Steinschulte 2010). 398 Lawler erinnert sich seiner Tätigkeit bei einer kirchlichen Zeitung: "Twenty years ago, when I was editing an archdiocesan newspaper, I complained to my publisher (a cardinal-archbishop) that major Vatican announcem.ents always caught me by swprise. Th.ere was something wrong with the system, I argued. when the editor of an oflicial Catholic publication heard the news :first from the secular media. Why did the pope's critics always seem to have an advance copy. while bis defenders waited for the official release?" Er kommt zu dem Schluss, dass sich an diesem Defizit bis heote nichts geändert habe (Lawler 2009: 9). Dazu bemerkt Biskupek: ,,Das hat zur Folge, dass Priester sich auf den Inhalt der Briefe nicht vorbereiten können; und dann wird die Kirche geschlachtet, und die Gläubigen müssen zuschauen. Man ist als pfarrer nicht in der Lage, eine Argumentationshilfe zu formulieren eder die Neuigkeiten, die bekacnt gegeben werden, mit ihrer Veröffentlichung zu crklären. Das ist ein Problem." (Interview Biskopek 2010)
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sondern weniger zugängliche Felder, wie z. B. das Verhältnis von Glaube und Vernunft (Interview Steinschulte 2010). Dass die katholische Kirche in den Medien nur verkürzt oder inhaltlich unzutreffend wiedergegeben wird, verantwortet sie zu einem Großteil selbst. Sie muss Meinungsführer für sich gewinnen, die zumindest ausgewogen berichten. 399 [SPC 41: Meinungsführer in ausländischen Gesellschaften als Outside Partner] Des Weiteren sollte der Heilige Stuhl nicht nur in dem Setzen von Themen stark sein, sondern seine Fähigkeiten im Bereich des Fratnings und Primings ausbauen, indem er Einfluss auf die Interpretationsmuster und die Auswahl einzelner Aspekte einer Meldung nimmt. [SPC 32: Agenda-Setting, Pritning, Fratning; Präferenzen formen] Womöglich kann im RaInnen der Suche nach einer neuen Art der Öffentlichkeitsarbeit auch das Gespräch verstanden werden, das Benedikt XVI. mit dem deutschen Journalisten Peter Seewald fiihrt und im November 2010 in Buchform veröffentlicht. Da sich selbst Gläubige kaum noch über Enzykliken mit dem Denken des Papstes auseinandersetzen, kann diese Publikation als Schritt zu einer neuen Mitteilungsform verstanden werden, um die katholische Lehre in einer der Zeit entsprechenden Weise zu transportieren. 400 Die katholische Kirche
399 Die Etablierung einer loumalistenschule in München ist dabei nicht ausreichend. Trauthig gibt :für den geringen Stellenwert von Religion in den deutschen Medien zwei Gründe an: Zum einen gäbe es in den Redaktionen vergleichsweise wenig gläubige Menschen. so dass eine verzerrte Berichterstattung stattfände, in der Kirchenkritiker auffiillend häufig zu wort kämen, Klischees bedient und die Themen der Kirche auf die Sexualmoral reduziert würden. Zum. anderen sei die Zusammenarbeit der katholischen Kirche mit den Medien verbesserungswürdig (Trau1hig 2006: 2). Hierzu bemerkt Biskupek: ,,In den Medien werden aber immer nur die ka· tholischen Repräsentanten befragt, die die konservativen Vorurteile bedienen. Kirche ist nicht abgestandener Muff und Staub mit traurigen Menschen. die leiden und keine Lust mehr am Leben haben; und daa muss gezeigt werden." (Interview Biskupek 2010) Roß weist ferner darauf hin. dass mit der katholischen Kirche z. B. auch viele Feministinnen gegen künstliche Empfängnisverhütung seien und den Anspruch der ständigen sexuellen Verfiigbarkeit an die Frau beklagten. Ein weiteres Beispiel findet Roß in dem. Einsatz des Heiligen Stuhls gegen die Erleichterungen von Abtreibung: Mit Geburtenkontrollen in der Dritten Welt welle der Weaten lediglich seine KDsten für die Entwicklungshilfe gering halten (Roß 2002: 15). Vogt macht wiederum darauf aufinerkaam, dass die Enzyklika HUMANAE VITAE einzig auf daa Verbot der Pille reduziert werde, aber die wegweisenden Aussagen von Paul VI zur ehelichen Liebe stets unberückaichtigt blieben (Interview Vogt 2010). 400 Auch das erste Femsehin.terview eines Papstes (Benedild XVI im September 2005 mit dem. polnischen Sender TYP) oder Reportagen, die ihn in seinem. Arbeitsalltag und in privaten Momenten zeigen (mit seinem Bruder Georg Ratzinger oder beim Spaziergang in den vatikanischen Gärten), sind in diesem Kontext zu sehen. Sie tragen dem. Bedürfnis Rechnung, den Papst als Privatmenschen kennenlernen zu wollen (s. hierzu auch Kapitel 6.1.5). Erwähnenswert scheint an dieser Stelle der Dokumentarfilm. Francesco und der Papst (Deutschland 2011. Regie: Ciro Cappellari). der im April 2011 in den Kinos aeläuft: Hier wird die Cl&-
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kann sich den veränderten Wahrnehmungsstrukturen in der Gesellschaft nicht entziehen und sollte eine Sprache finden, die auch verstanden wird: Viele ihrer Begriffe stanunten aus dem Mittelalter und würden heute falsch aufgenommen (Interview Biskupek 2010). Kardinal Cordes hält es in diesem Zusammenhang fiir wünschenswert, dass die humanitäre Hilfe der katholischen lGrche eine breitere Wahrnehmung erfährt (Interview Kardinal Cordes 2010).401 In der Gegenwart ist die Situation der katholischen lGrche in bestimmten Ländem der Welt nicht ohne Schwierigkeit. Es wirkt sich zu ihrem Nachteil aus, dass sie ihre Inhalte eben nicht - wie es häufig bei NGOs zu beobachten ist nach den Regeln oder Interessen der finanziell starken und einflussreichen westlichen Gesellschaften ausrichtet. Die Rolle der Frau in der lGrche, der Zölibat und die Sexualmoral gehören zum ,,Kanon der Kritik" (Ratzinger 2004: 193; Rink 1997: 44).402 Auch der Umgang von lGrchenvertretem mit sensiblen Themen, die mangelnde Transparenz bei Entscheidungen oder die Stellung von Laien sorgen in liberalen und pluralistischen Gesellschaften des Westens fiir Konfliktstoff (Rotte 2007: 276-277; Roß 2002: 14; Hörner 1995: 22). Sharma macht darauf aufmerksam, dass es der katholischen lGrche als werteorientierte Organisation schadet, wenn sich Funktionsträger nicht selbst an die katholischen Werte halten (Interview Sharma 2010).403 Für die Versorgungslücke, die der Heiligen Stuhl mit seiner Berufung zum Gewissen der Welt gleichsam schließt, sind moralische Integrität und ein breite Akzeptanz die Voraussetzungen, um Menschen fiir sich gewinnen und an sich binden zu können. Der Verweis darauf, dass in vielen Gegenden der Welt die genannten Kritikpunkte fiir weniger Konfliktstoff sorgen, scheint vor dem Hintergrund folgewidrig, dass aus den westlichen Gesellschaften die größten finanziellen Ressourcenznflüsse generiert werden. Das sollte zwar nicht dazu fiihren, dass der Heilige Stuhl seine Haltong schichte eines elfjährigen Chorknaben, der vor Benedikt XVI. ein Solo singen dart: mit Einblicken in den Vatikan und in das Privatleben des Papstes verbunden. 401 Der Heilige Stuhl müsste z. B. deutlicher herausstellen, dass 25 Prozent aller Aids-Kranken der Welt (in manchen Ländern. sogar über 40 Prozent) unter der Obhut der katholischen Kirche gepflegt werden (Benedikt XVI. 201Ob: 145), und sich dagegen wehren, in dieser Thematik einzig auf das Kondomverbot reduziert zu werden. 402 Joseph Kardinal Ratzinger räumt in Bezug auf diese Kritikpunkte Defizite in der Öffentlichkeitsdarstellung der katholischen Kirche ein, verweist aber dara~ dass die Beurteilung der Kirche und des Vatikan je nach Kulturnation unterschiedlich ausfiille (Ratzinger 2004: 182183).
403 Auf die Frage nach dem wunden Punkt der katholischen Kirche weist Wimmer darauf hin, dass er vor allem die Wunden sehe, die sich die Kirche selbst zugefügt habe; Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit seien ihre höchsten Güter und dürften nicht verspielt werden (Interview Wimmer 2010). Stcinschulte sieht besonders im aggressiven Säkularismus in Westcuropa eine Gefahr fiir die katholische Kirche (Interview Steinschulte 2010).
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zu bestimmten Themen dann doch an dem jeweiligen Geschmack dieser Länder ausrichtet, aber in diesem Bewusstsein könnte er zu einer Reflexion darüber gelangen, ob die katholische Kirche immer in der Weise wahrgenommen wird, wie sie wahrgenommen werden möchte. Auf die Frage nach den Einflussmöglichkeiten des Heiligen Stuhls ist als Ergebnis der vorliegenden Arbeit festzustellen: Die Macht des Papstamtes ist in hohem Maße abhängig von der Person, die es ausübt. Es liegt an Benedikt XVI., ob und wie er die ihm zur Verfügung stehenden Instrumente nutzt. Die Rahmenbedingungen sprechen jedoch fiir ihn: Der Papst verleiht auch heute noch in bestimmter Weise eine Art Legitimation durch seine weltweite Öffentlichkeit und sein Ansehen als moralische Instanz. Nachdem der Heilige Stuhl seine Hard Power in Soft Power transformiert hat, ist er ähnlich einflussreich - wenn nicht sogar noch einflussreicher - wie vor dem Verlust des Kirchenstaates; dabei wirkt es sich fiir ihn güU8tig aus, dass militärische Macht in ihrer Bedeutung gegenwärtig auf dem Rückzug ist. Der Apparat der katholischen Kirche ist ein immer noch aktiver Teil der gesellschaftlichen Elite, der es jedoch vorzieht, diskret zu agieren und sich dabei auf die gewachsenen Machtstrukturen zu beziehen.
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A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Von nicht weniger großer Bedeutung ist die Frage, welchen Einfluss der Heilige Stuhl auf die Aufuahme neuer EU-Mitgliedsstaaten ausübt. So soll er sich bspw. für Länder mit starker katholischer Tradition (wie Litauen, Polen, die Slowakei, Ungarn und Slowenien) eingesetzt haben, um der EU ein neues christliches Gesicht zu geben. Mit welchen Mitteln gelingt es ilnn darüber hinaus, seine kirchliche Besitzstandswahrung in der EU zu sichern? Der Amsterdamer Vertrag (1997) und der EU-Verfassungsentwurfbzw. der Vertrag von Lissabon (2007) garantieren der katholischen Kirche (aber auch anderen Religionsgemeinschaften), dass ihre Privilegien in den Mitgliedsländern unberührt bleiben und es in der Folge z. B. Geschiedenen auch weiterhin verwehrt bleibt, sich in ein Arbeitsverhältnis bei einer kirchlichen Organisation einzuklagen. Zu klären wäre auch, welche Absichten der Heilige Stuhl in seinen Kontakten zum Islam verfolgt. Kann er zu einem Vermittler zwischen den Interessen der westlichen und der arabischen Welt werden? Eine den asiatischen Kontinent verändernde Wirkung könnte es haben, wenn es dem Heiligen Stuhl geliinge, seine Beziehungen zu China auszubauen (Interview Wimmer 2010). China, das in weiten Teilen seines Territoriums immer noch auf dem Stand eines Entwicklungslandes ist, wird die USA als Supermacht in naher Zukunft nicht ablösen können; nicht unberücksichtigt sollte auch die unberechenbare Kraft bleiben, die ein unterdrücktes Volk entwickeln kann. Dennoch ist zu beobachten, dass China in Afrika und Lateinarnerika zunelnnend Fuß fasst. Welches Verhältnis China dort zur katholischen Kirche pflegt, wie beide Akteure von einander profitieren können und ob eine mögliche Zusammenarbeit westliche Staaten beunrohigt, stellt ein nicht minder interessantes Forschungsprojekt dar.
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A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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