M. C. Truß C. G. Stief S. Machtens T. Wagner U. Jonas Pharmakotherapie in der Urologie 2., vollständig überarbeitete Auflage
M. C. Truß C. G. Stief S. Machtens T. Wagner U. Jonas
Pharmakotherapie in der Urologie 2., vollständig überarbeitete Auflage
123
Prof. Dr. med. Michael C. Truß Direktor der Urologischen Klinik, Klinikum Dortmund gGmbH, Klinikzentrum Nord, Münsterstr. 240, 44145 Dortmund
Prof. Dr. med. Christian G. Stief Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik, Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München
Dr. med. Stefan Machtens Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Dr. med. Till Wagner Leitender Arzt der Klinik für Schmerztherapie, Medizinisches Zentrum Kreis Aachen, Mauerfeldchen 25, 52146 Würselen
Prof. Dr. med. Udo Jonas Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
ISBN 3-540-23449-7
Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
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SPIN 11009849
2111/Rü – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur 2. vollständig überarbeiteten und ergänzten Ausgabe Die 1. Auflage von »Pharmakotherapie in der Urologie« war schon kurz nach ihrem Erscheinen vergriffen und wurde seitdem mehrfach nachgedruckt. Offenbar wurde hier eine Marktlücke in der urologischen Literatur getroffen. Dieser Erfolg und die vielfältige, positive Resonanz hat uns sehr gefreut und war Anlass zu einer grundlegenden Überarbeitung. Viele neue Substanzen erfuhren zwischenzeitlich eine Markteinführung bzw. stehen kurz davor und werden in der 2. Auflage ausführlich diskutiert. Die vorliegende, vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage wurde wesentlich erweitert und geht ausführlich auf die neuen Therapieoptionen ein. Neben dieser sorgfältigen Überarbeitung der einzelnen Kapitel wurden die folgenden Themen neu aufgenommen: Therapie mit BCG beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom, topische Therapie beim oberflächlichen Urothelkarzinom der Harnblase, Therapieoptionen des hormonrefraktären Prostatakarzinoms, Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie, neue Aspekte der Sepsisbehandlung, Therapie der interstitiellen Zystitis, Management der akuten Kontrastmittelallergie, medikamentöse Therapie der Induratio Penis plastica, sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen und Möglichkeiten der Pharmakotherapie sowie ein Addendum Akupunktur in der Urologie. Das Buch richtet sich wiederum an Kollegen am Anfang ihrer Ausbildung und an erfahrene Fachärzte. Es soll sowohl ein schnelles Nachschlagen (»quick reference«) als auch eine vertiefte Auffrischung von wesentlichen Aspekten der urologischen Pharmakotherapie ermöglichen. Die Gliederung in vier Hauptabschnitte hat sich aus unserer Sicht bewährt und wurde bewusst beibehalten. Die Liste der Autoren und Ko-Autoren, sämtlich ausgewiesene Experten, wurde wesentlich erweitert. Unser Dank gilt den Autoren, die mit ihrem Fachwissen, ihrem Enthusiasmus und ihrer Disziplin eine zeitgerechte Realisierung dieses Buchprojektes erst ermöglicht haben. Die vielfältigen Anregungen von Kollegen haben uns sehr geholfen und direkten Eingang in die 2. Auflage erfahren. Für weitere Kommentare, Kritik und Anregungen sind wir auch in Zukunft dankbar. Unser besonderer Dank gilt auch dem Springer-Verlag und seinen Mitarbeitern für die professionelle und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Hannover, im März 2005 Die Herausgeber
VII
Inhaltsverzeichnis 4.3
I Urologische Onkologie S. Machtens
1
Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika . . . . . . . . . . . . .
3
4.4 4.5 4.6 4.7
H.-P. Lipp, C Bokemeyer
1.1 1.2 1.3 1.4
Einführung . . . . . . . . . . . . Toxizitätsprofil der Zytostatika Gastrointestinale Toxizität . . . Organprotektive Maßnahmen Literatur . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
4 4 5 22 28
2
Therapie mit BCG beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom . . . . . . . . . . 33 A. Böhle
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
3
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Entwicklung der intravesikalen BCG-Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verabreichung von BCG . . . . . . . . . . . Induktionszyklus . . . . . . . . . . . . . . . . Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . Stellenwert der BCG-Therapie . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Topische Therapie beim oberflächlichen Urothelkarzinom der Harnblase. . . . . . . . . . . . . . .
34 34 35 35 38 39 40
4
Zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Medikamente . . . . . . . . . . . . . Strategien zur Verbesserung der Effektivität der topischen Therapie . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
. . .
44 44 47
. .
47 48
Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms . .
51
O. Bolte, S. Machtens
4.1 4.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operative Therapie des fortgeschrittenen Harnblasenkarzinoms. . . . . . . . . . . . .
53 57 58 58 61 68
5
Vakzination und Immunchemotherapie zur adjuvanten oder palliativen Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms: Stand der Evidenz im März 2004 . . . . . . . . . . . . . . . 73
5.1 5.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adjuvante Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms . . . . . . . . . . . . . Palliative Therapie des metastasierten . . Nierenzellkarzinoms . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Rohde
5.3
6
Adjuvante medikamentöse Therapie des Prostatakarzinoms . . . . . . . . .
74 74 75 83
85
A. S. Merseburger, A. G. Anastasiadis, A. Stenzl, M. A. Kuczyk
M. G. Friedrich
3.1 3.2 3.3 3.4
Neoadjuvante, adjuvante und palliative Chemotherapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinoms der Harnblase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polychemotherapie mit 2 Substanzen . . Polychemotherapie mit 3 Substanzen . . Polychemotherapie mit 4 Substanzen . . Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 52
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10 6.11
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormontherapie nach primärer Radiatio Bilaterale Orchiektomie . . . . . . . . . . . Östrogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LHRH-Analoga . . . . . . . . . . . . . . . . . Antiandrogene . . . . . . . . . . . . . . . . . Maximale Androgenblockade . . . . . . . Androgen-withdrawal-Syndrom . . . . . . Sonstige Therapieformen . . . . . . . . . . Intermittierende Androgendeprivation . Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86 86 87 87 87 88 90 90 90 91 91 92
VIII
7
Inhaltsverzeichnis
Therapieoptionen des hormonrefraktären Prostatakarzinoms . . . .
95
A. Heidenreich, C. H. Ohlmann
7.1 7.2 7.3 7.4
Einleitung . . . . . . . . Definition des HRPCA . Glukokortikoide . . . . Chemotherapie. . . . . Literatur . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
8
Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens . . . . 107
9.5 9.6 9.7
. 96 . 96 . 98 . 98 . 103
8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10 8.11 8.12 8.13 8.14
9
9.1 9.2 9.3 9.4
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung von Patienten mit fortgeschrittener Metastasierung . . . . . Therapiedurchführung . . . . . . . . . . . . Primärtherapie fortgeschrittener Seminome (Stadium IIC/D und Stadium III) . . Einfluss der behandelnden Institution auf das Therapieergebnis . . . . . . . . . . Management von Patienten mit Hirnmetastasierung . . . . . . . . . . . Management von Patienten mit Lebermetastasen . . . . . . . . . . . . . Behandlung von Residuen nach erfolgter Chemotherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung von Rezidiven nach Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . Konventionell dosierte Salvage-Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spätrezidive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Substanzen in der Behandlung von testikulären Keimzelltumoren. . . . . Chemotherapieassoziierte Toxizität . . . . Keimzelltumoren extragonadalen Ursprungs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 144 . 145
M. C. Truß
108 109 109 110 116
10
Diagnostik urologischer Infektionen 149
10.1 10.2 10.3 10.4
Allgemeine Logistik der Diagnostik . Einteilung urologischer Infektionen . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankheitsbilder . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Therapie von Harnwegsinfektionen und Rezidivprophylaxe. . . . . . . . . 163
11.1
Epidemiologie, Definitionen und Infektionswege . . . . . . . . . . . Akute, unkomplizierte Harnwegsinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . Komplizierte Harnwegsinfektionen . Sonderformen . . . . . . . . . . . . . . Antibiotikaauswahl . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .
M. Menninger
116 117 117 120 11.2 120 125 125 126 128 131
11.3 11.4 11.5
150 150 152 157 162 162
. . . 164 . . . . .
. . . . .
. . . . .
164 165 165 165 174
12.1
Grundlagen der perioperativen Antibiotikaprophylaxe . . . . . . . . . Antibiotikaprophylaxe bei offenen Operationen . . . . . . . . . . . . . . . Antibiotikaprophylaxe bei endourologischen Operationen . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .
N. Schlote
12.3
. . 143
. . . . . .
Perioperative Antibiotikaprophylaxe 175
B. J. Schmitz-Dräger, G. Lümmen, T. Klotz, J. E. Altwein
. . 140 . . 140
. . . . . .
12
12.2
. . 140
. . . . . .
F. Imkamp, M. C. Truß
Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie . . . . 139
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der komplementären und alternativen Medizin . . . . . . . . Ernährung und Nahrungsergänzung . Unkonventionelle (medikamentöse) Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 143 . 144
II Infektionen, interstitielle Zystitis und Kontrastmittelallergie
J. T. Hartmann, M. A. Kuczyk, C. Bokemeyer
8.1 8.2
Sport und Bewegung . . . . . . . . . . . . Magnetfeldtherapie . . . . . . . . . . . . . Psychologische und andere alternative Behandlungsverfahren . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . 176 . . . 179 . . . 181 . . . 183
IX
Inhaltsverzeichnis
13
Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen . . . . . . . . 185
13.1 13.2
Urogenitaltuberkulose . . . . . . . . . . . . 186 Urogenitalmykosen . . . . . . . . . . . . . . 191 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
17
Pharmakotherapie der interstitiellen Zystitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
17.1 17.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oralsystemische Therapie der interstitiellen Zystitis . . . . . . . . . . Intravesikale Therapie der interstitiellen Zystitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
W. Vahlensieck, S. Lenk
A. van Ophoven, L. Hertle
17.3
14
Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen (Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Hämatoonkologie, Aids) und nach Nierentransplantation . . . 203
17.4
Einleitung . . . . . . . . Diabetes mellitus . . . Niereninsuffizienz . . . Nierentransplantation Hämatoonkologie . . . Aids . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
205 210 212 213 216 216 218
15
Sexuell übertragbare Erkrankungen und andere andrologisch bedeutsame Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . 221
15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7
Zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassische Geschlechtskrankheiten . . . Nichtgonorrhoische Urethritis . . . . . . Prostatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epididymitis und Orchitis . . . . . . . . . Sexuell übertragbare Virusinfektionen . Protozoonosen des Genitaltraktes. . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
K. Krämer-Schultheiss, D. Schultheiss
. . . . . . . .
222 223 227 228 230 231 232 233
16
Neue Aspekte der Sepsisbehandlung 235
16.1 16.2 16.3 16.4 16.5 16.6 16.7
Einführung . . . . Definitionen. . . . Letalität. . . . . . . Pathogenese . . . Pathophysiologie Therapie . . . . . . Neue Aspekte . . . Literatur . . . . . .
T. Schürholz, H. Ruschulte
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
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. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
236 236 237 237 237 238 238 241
. 245 . 248 . 253 . 255
18
Therapie der retroperitonealen Fibrose (M. Ormond) . . . . . . . . . . 259
18.1 18.2
Zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
M. Burg, V. Kliem
14.1 14.2 14.3 14.4 14.5 14.6
. 244
E. Waldkirch, J. H. Hagemann, M. C. Truß
19
Die Fournier-Gangrän . . . . . . . . . 265 J. H. Hagemann, E. Waldkirch, M. C. Truß
19.1 19.2 19.3 19.4 19.5 19.6 19.7
Pathogenese . . . . . . . . . Klinische Symptomatik . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . Chirurgische Therapie . . . Antibiotische Therapie . . . Weitere Therapieoptionen . Prognose. . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
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. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
266 267 267 268 268 269 269 270
20
Management der akuten Kontrastmittelallergie . . . . . . . . . 271
20.1 20.2 20.3
Pharmakologie . Klinik . . . . . . . Therapie . . . . . Literatur . . . . .
S. Linde
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
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. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
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. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
272 272 274 279
X
Inhaltsverzeichnis
25
Medikamentöse Therapie der Induratio penis plastica . . . . . . 359
25.1 25.2 25.3 25.4 25.5 25.6
Induratio penis plastica. . . . . . . . . . . . Probleme der medikamentösen Therapie Orale Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . Intraläsionale Therapie . . . . . . . . . . . . Transdermale Therapie . . . . . . . . . . . . Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
Therapie von Ejakulationsstörungen 367
26.1 26.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Klassifikation der Ejakulationsstörungen 368 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
27
Substitutionstherapie mit Androgenen . . . . . . . . . . . . . 381
27.1 27.2
Physiologie der Androgene . . . . . . . . . Klassifikationen des Testosteronmangels und differenzialdiagnostische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik des Androgenmangels . . . . Indikationen für eine Androgensubstitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Applikationsformen von Testosteron . . . Nebenwirkungen und Risiken . . . . . . . DHEA und Östrogene . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III Funktionelle Störungen C. G. Stief
E. W. Hauck, W. Weidner
21
Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen und Harninkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . 283
21.1
Klassifikation und klinische Manifestation neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes . . . . . . . . . . . Pharmakotherapeutische Ansatzpunkte zur Beeinflussung einer neurogenen Fehlfunktion des unteren Harntraktes . . Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Grünewald
21.2
21.3
285
O. Heuer, S. Machtens
286
288 306
22
Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms . . . 313
22.1 22.2 22.3 22.4 22.5 22.6
Zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie mit α1-Rezeptorenblockern . Therapie mit 5α-Reduktasehemmern. Therapie mit Pflanzenextrakten . . . . Kombinationstherapie . . . . . . . . . . MTOPS-Studie . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Therapie der erektilen Dysfunktion . 341
D. Schultheiss, N. Schlote, F. M. Köhn
M. Oelke, R. R. Berges, J. J. de la Rosette
. . . . . . .
. . . . . . .
314 317 325 331 332 333 337
27.3 27.4 27.5 27.6 27.7
24
Zum Thema . . . . . . . . . . . . . First-line-Therapieoptionen . . . Second-line-Therapieoptionen . Third-line-Therapieoptionen . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
342 342 348 350 350
Die Behandlung der prolongierten Erektion/Priapismus . . . . . . . . . . 353 J. H. Hagemann, E. Waldkirch, M. C. Truß
24.1 24.2
Zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
382
382 383 385 386 390 390 392
28
Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen und Möglichkeiten der Pharmakotherapie . . . . . . . . . 395
28.1 28.2
Physiologie von Clitoris und Vagina . . . . Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen – Klassifikation und mögliche Ursachen . Optionen der Pharmakotherapie sexueller Funktionsstörungen bei Frauen Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen – Fakt oder Fiktion? . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
E. Waldkirch, D. Schultheiss, S. Ückert, J.-U. Stolzenburg, M. C. Truß, C. G. Stief
23.1 23.2 23.3 23.4
360 360 361 363 364 364 365
S. Ückert, M. C. Truß
28.3 28.4
396 397 399 400 402
XI
Inhaltsverzeichnis
29
29.1 29.2 29.3 29.4
Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt . . . . . . . 405
33
Therapie chronischer Schmerzen und Tumorschmerztherapie . . . . . 461
W. Vahlensieck
33.1 33.2
Therapie chronischer Schmerzen . . . . . 462 Tumorschmerztherapie . . . . . . . . . . . 464 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
34
Addendum: Akupunktur in der Urologie . . . . . . 469
34.1
Akupunktur in der traditionellen chinesischen Medizin . . . . . . . . . . . . Akupunktur in der westlichen Medizin . . Neurophysiologische Grundlagen der Akupunktur . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Akupunkturforschung . . . . . . Akupunktur bei urologischen Störungen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einleitung . . . . . . . Ursachen . . . . . . . . Symptomatik . . . . . Therapiemodalitäten Literatur . . . . . . . .
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. . . . .
. . . . .
406 406 406 408 417
M. Karst, T. Wagner
M. Karst
IV Schmerztherapie
30
T. Wagner
34.2 34.3
Grundlagen der Schmerztherapie . . 423
34.4 34.5
T. Wagner
30.1 30.2 30.3 30.4 30.5 30.6 30.7 30.8
Einführung, Einteilung und Epidemiologie des Schmerzes . . . . . . . . . . . . . . . . . Physiologie und Pathophysiologie des Schmerzes . . . . . . . . . . . . . . . . . Schmerzentstehung. . . . . . . . . . . . . . Schmerzleitung und Schmerzwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nozizeptorschmerz . . . . . . . . . . . . . . Nervenschmerz. . . . . . . . . . . . . . . . . Schmerzmessung . . . . . . . . . . . . . . . Grundregeln der medikamentösen Schmerztherapie. . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
424 425 425 426 428 428 428 429 431
31
Medikamente in der Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
31.1
Medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
32
Therapie akuter Schmerzen in der Urologie . . . . . . . . . . . . . . 449
32.1 32.2
Therapie akuter Schmerzen . . . . . . . . . Systemische Pharmakotherapie postoperativer Schmerzzustände . . . . . Spezielle lokalanästhesiologische Verfahren bei urologischen Operationen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
M. Karst
T. Wagner
32.3
450 452 457 460
470 470 471 472 474 475
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
XIII
Autorenverzeichnis Altwein, Jens E., Prof. Dr. med.
Burg, Michael, Priv.-Doz. Dr. med.
Heidenreich, Axel, Prof. Dr. med.
Urologische Klinik, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Romanstr., 80639 München
Nephrologisches Zentrum Niedersachsen, Abteilung Innere Medizin/Nephrologie, Am Vogelsang 105, 34346 Hannoversch Münden
Leiter der Sektion für klinische und experimentelle urologische Onkologie, Klinik und Poliklinik für Urologie, Medizinische Einrichtungen der Universität zu Köln, Joseph-Stelzmann-Str. 9, 50931 Köln
Anastasiadis, Aristotelis G., Priv.-Doz. Dr. med.
Abteilung für Urologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen
Friedrich, Martin G., Dr. med.
Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum HamburgEppendorf, Universität Hamburg, Martinistraße 52, 20246 Hamburg
Berges, Richard R., Priv.-Doz. Dr. med.
Venloer Str. 288, 50823 Köln
Grünewald, Volker, Dr. med.
HELIOS Agnes-Karll Krankenhaus, Am Hochkamp 21, 23611 Bad Schwartau
Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Bokemeyer, Carsten, Prof. Dr. med.
Hagemann, Jörn, Dr. med.
Leiter der medizinischen Klinik und Poliklinik II, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Universität Hamburg, Martinistr. 52, 20246 Hamburg vormals: Universitätsklinikum der Eberhard-Karls-Universität, Medizinische Klinik II, Abteilung Hämatologie, Onkologie, Immunologie, Rheumatologie, Otfried-Müller-Str. 10, 72076 Tübingen
Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Böhle, Andreas, Prof. Dr. med.
Bolte, Oliver, Dr. med.
Medizinische Hochschule Hannover, Zentrum Innere Medizin, Oberarzt der Abt. VIII Hämatologie und Onkologie, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Hartmann, Jörg, Priv.-Doz. Dr. med.
Bereichsleitung Internistische Onkologie, Medizinische Klinik II, Abteilung Hämatologie, Onkologie, Immunologie, Rheumatologie, Universitätsklinikum der Eberhard-Karls-Universität, Otfried-Müller-Str. 10, 72076 Tübingen Hauck, Ekkehardt, Dr. med.
Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Universität Gießen, Rudolf-Buchheim-Str. 7, 35392 Gießen
Hertle, Lothar, Prof. Dr. med.
Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Münster, Albert-Schweitzer Str. 33, 48149 Münster Heuer, Olaf, Dr. med.
Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover Imkamp, Florian, Dr. med.
Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover Karst, Matthias, Priv.-Doz. Dr. med.
Zentrum Anästhesiologie der Medizinischen Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover Kliem, Volker, Priv.-Doz. Dr. med.
Nephrologisches Zentrum Niedersachsen, Abteilung Innere Medizin/Nephrologie, Am Vogelsang 105, 34346 Hannoversch Münden
XIV
Autorenverzeichnis
Klotz, Theodor, Priv.-Doz. Dr. med.
Lümmen, Gerd, Priv.-Doz. Dr. med.
Rosette de la, Jean, Prof. Dr. med.
Klinik für Urologie und Kinderurologie, Klinikum Weiden, Söllnerstr. 17, 92637 Weiden
Urologische Klinik und Poliklinik, Medizinische Einrichtungen der Universität Essen, Hufelandstr. 55, 45122 Essen
Köhn, Frank-Michael, Prof. Dr. med.
Machtens, Stefan, Dr. med.
Director of the Department of Urology, Academic Medical Center, University of Amsterdam, Meibergdreef 9, 1105 AZ Amsterdam, The Netherlands
Leitender Oberarzt, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie, Technische Universität München, Biedersteiner Str. 29, 80802 München
Medizinische Hochschule Hannover, Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Ruschulte, Heiner, Dr. med.
Zentrum Anästhesiologie der Medizinischen Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Menninger, Manfred, Dr. med. Krämer-Schultheiss, Katja S., Dr. med.
Hautklinik, Klinikum Minden, Portastr. 7–9, 32423 Minden
Klinikum Oberallgäu, Robert-Weixler-Str. 56, 87439 Kempten Merseburger, Axel, Dr. med.
Kuczyk, Markus A., Prof. Dr. med.
Abteilung für Urologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen
Abteilung für Urologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen Oelke, Matthias, Dr. med.
Schlote, Norbert, Dr. med.
Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover Schmitz-Dräger, Bernd, Prof. Dr. med.
EuroMed Clinic, Europa-Allee 1, 90763 Fürth
Urologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum der Humboldt Universität, Campus Charité, Schumannstr. 20–21, 10117 Berlin
Department of Urology, Academic Medical Center, University of Amsterdam, Meibergdreef 9, 1105 AZ Amsterdam, The Netherlands
Linde, Sylvia, Dr. med.
Ohlmann, Carsten H., Dr. med.
Zentrum Anästhesiologie der Medizinischen Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Klinik und Poliklinik für Urologie, Medizinische Einrichtungen der Universität zu Köln, Joseph-Stelzmann-Str. 9, 50931 Köln
Schürholz, Tobias, Dr. med.
Ophoven, Arndt van, Dr. med.
Stenzl, Arnulf, Prof. Dr. med.
Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Münster, 48129 Münster
Direktor der Abteilung für Urologie, Eberhard-KarlsUniversität Tübingen, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen
Lenk, Volker Severin, Prof. Dr. med.
Schultheiss, Dirk, Priv.-Doz. Dr. med.
Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Jena, Erlanger Allee 101, 07747 Jena
Lipp, Hans-Peter, Dr. rer. nat.
Chefapotheker, Universitätsapotheke, EberhardKarls-Universität Tübingen, Röntgenweg 9, 72076 Tübingen
Rohde, Detlef, Priv.-Doz. Dr. med., Dr.
Urologische Klinik des Klinikums Darmstadt, Grafenstr. 9, 64380 Darmstadt
XV
Autorenverzeichnis
Stief, Christian G., Prof. Dr. med.
Wagner, Till, Dr. med.
Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik, Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians-Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München
Leitender Arzt der Klinik für Schmerztherapie, Medizinisches Zentrum Kreis Aachen, Mauerfeldchen 25, 52146 Würselen Waldkirch, Eginhard, Dr. med.
Stolzenburg, Jens-Uwe, Priv.-Doz. Dr. med.
Leitender Oberarzt, Universitätsklinikum Leipzig, Klinik und Poliklinik für Urologie, Liebigstr. 21, 04103 Leipzig
Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover Weidner, Wolfgang, Prof. Dr. med.
Truß, Michael C., Prof. Dr. med.
Direktor der Urologischen Klinik, Klinikum Dortmund gGmbH, Klinikzentrum Nord, Münsterstr. 240, 44145 Dortmund vormals: Leitender Oberarzt, MHM®, Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover Ückert, Stefan, Dr. rer. biol. hum.
Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover Vahlensieck Jr., Winfried, Priv.-Doz. Dr. med.
Chefarzt der Urologischen Abteilung, Ärztlicher Direktor der Klinik Wildetal, Mühlenstr. 8, 34537 Bad Wildungen-Reinhardshausen
Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Universität Gießen, RudolfBuchheim-Str. 7, 35392 Gießen
I
Urologische Onkologie S. Machtens
1
Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika – 3 H.-P. Lipp, C. Bokemeyer
2
Therapie mit BCG beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom – 33 A. Böhle
3
Topische Therapie beim oberflächlichen Urothelkarzinom der Harnblase – 43 M. G. Friedrich
4
Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms – 51 O. Bolte, S. Machtens
5
Vakzination und Immunchemotherapie zur adjuvanten oder palliativen Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms: Stand der Evidenz im März 2004 – 73 D. Rohde
6
Adjuvante medikamentöse Therapie des Prostatakarzinoms – 85 A. S. Merseburger, A. G. Anastasiadis, A. Stenzl, M. A. Kuczyk
7
Therapieoptionen des hormonrefraktären Prostatakarzinoms – 95 A. Heidenreich, C. H. Ohlmann
8
Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens – 107 J. T. Hartmann, M. A. Kuczyk, C. Bokemeyer
9
Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie B. J. Schmitz-Dräger, G. Lümmen, T. Klotz, J. E. Altwein
– 139
1 Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika H.-P. Lipp, C. Bokemeyer
1.1
Einführung
–4
1.2
Toxizitätsprofil der Zytostatika
1.3
Gastrointestinale Toxizität
1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6 1.3.7 1.3.8 1.3.9 1.3.10 1.3.11 1.3.12 1.3.13
Übelkeit und Erbrechen – 6 Mukositis – 10 Xerostomie – 13 Gastrointestinale Motilitätsstörungen – 13 Die chemotherapieinduzierte Obstipation – 14 Myelosuppression – 14 Neutropenie – 15 Fieber unbekannter Genese – 16 Thrombozytopenie – 17 Anämie – 18 Alopezie – 19 Extra- und Paravasation – 20 Überempfindlichkeitsreaktionen – 21
–5
1.4
Organprotektive Maßnahmen
1.4.1 1.4.2 1.4.3
Mesna – 23 Dexrazoxan (ICRF-187) Amifostin – 26
Literatur
– 28
– 23
–4
– 22
I
4
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
1.1
Einführung
Zytostatika zählen zu den Arzneistoffen mit der geringsten therapeutischen Breite. Aufgrund des geringen Spielraums zwischen therapeutischer Effektivität und dem Spektrum unerwünschter Begleiterscheinungen ist es für alle an der Therapie beteiligten Personen sehr wichtig, das Auftreten substanzspezifischer Nebenwirkungen abschätzen und darauf rechtzeitig, wenn möglich prophylaktisch reagieren zu können. Viele Begleiterscheinungen ergeben sich aufgrund der Toxizität der Verbindungen auf rasch proliferierendes normales Gewebe, z. B. wie dem Knochenmark, den Schleimhäuten oder der Haare. Hingegen stehen Beeinträchtigungen der Organfunktionen, z. B. Nephrooder Neurotoxizität, sehr stark mit der Pharmakokinetik der eingesetzten Wirkstoffe und teilweise gebildeten toxischen Metaboliten in Zusammenhang. Unter diesen Gesichtspunkten erfordert der Umgang mit den verschiedenen Zytostatika und den darauf abgestimmten Supportivtherapien nicht nur ein hohes Maß an Erfahrung, sondern auch eine enge interdisziplinäre Einbindung des behandelnden Arztes [85]. In den letzten 20 Jahren wurden erhebliche Fortschritte bei der Aufklärung von Pathomechanismen und der Entwicklung darauf abgestimmter Supportivtherapien erzielt. Eines der bekanntesten Beispiele ist das zytostatikainduzierte Erbrechen und die bahnbrechende Entwicklung der Serotoninantagonisten (»setrone«). Allerdings dürfen solche medizinischen Fortschritte nicht darüber hinweg täuschen, dass eine Reihe von Toxizitäten wie z. B. die Mukositis, die Thrombozytopenie oder die Ototoxizität noch nicht zufriedenstellend prophylaktisch angegangen werden können, so dass derzeit primär die Erkennung und Vermeidung von Risikofaktoren im Vordergrund steht [16, 85]. Die zunehmend häufiger notwendige Steigerung von Einzeldosen oder kumulativen Gesamtdosen zur Verbesserung des therapeutischen Ergebnisses lassen aber auch die Toxizität auf bestimmte Organe immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass außer dem blasenschützenden Mesna im Rahmen einer Therapie mit Oxazaphosphorinen, außer dem Dexrazoxan im Rahmen einer The-
rapie mit Anthrazyklinen und dem Amifostin zur Verminderung cisplatininduzierter Nephrotoxizität sonstige Möglichkeiten der supportiven Therapie zur Organprotektion noch relativ begrenzt sind.
1.2
Toxizitätsprofil der Zytostatika
Zytostatika können je nach Dosis und Art der verwendeten Substanz ein breites Spektrum von Nebenwirkungen auslösen ( s. nachfolgende Übersicht). So ist die Toxizität auf sich rasch teilendes, normales Gewebe hinsichtlich des Ausmaßes und der Schwere der Funktionsstörung nicht nur von der gewählten Dosis, sondern auch von der jeweils eingesetzten Substanz abhängig: Während z. B. der konventionelle Einsatz der Taxane mit einer relativ
Spektrum der Nebenwirkungen einer Zytostatikatherapie 1. Überempfindlichkeitsreaktionen 2. Extra- und Paravasation 3. Dosisabhängige Toxizität auf rasch proliferierendes, normales Gewebe 3.1 Hauttoxizität (Alopezie, Erytheme, Pigmentierungsstörungen) 3.2 Gastrointestinale Toxizität (Mukositis, Diarrhoen, Emesis) 3.3 Myelosuppression (Leukozytopenie, Thrombozytopenie, Anämie) 4. Dosis- und wirkstoffabhängige Organtoxizität (akut, subchronisch und chronisch) 4.1 Nephro- und Urotoxizität 4.2 Hepatotoxizität 4.3 Kardiotoxizität 4.4 Lungentoxizität 4.5 Neurotoxizität 5. Spätfolgen einer Chemotherapie 5.1 Infertilität 5.2 Teratogenität 5.3 Sekundärmalignome
5
1.3 · Gastrointestinale Toxizität
hohen Inzidenz (>70%) einer Alopezie verbunden ist, tritt Haarausfall unter Einsatz von Gemcitabin nur bei etwa 10% der Patienten auf. Die Entstehung einer allergischen Reaktion, die schließlich in einen anaphylaktischen Schock münden kann, ist primär mit der Art der gewählten Verbindung (z. B. Asparaginase, Melphalan, Platinverbindungen) oder dem Einsatz bestimmter Hilfsstoffe (z. B. Cremophor EL) in Zusammenhang zu sehen. Das Risiko für schwerwiegende Ulzerationen nach Extra- oder Paravasation eines Zytostatikums ist stark an die Verwendung bestimmter Zytostatika-Klassen (z. B. Vinca-Alkaloide, konventionelle Anthrazykline) gebunden. Nebenwirkungen auf Organe wie z. B. Lunge, Herz, Leber, Nervensystem, Nieren und Blase sind zu einem großen Teil durch die Pharmakokinetik der Wirkstoffe vorbestimmt. So ist seit langem bekannt, dass durch die Entstehung von Acrolein während der Biotransformation der Oxazaphosphorine Cyclophosphamid und Ifosfamid ein stark urotoxischer Metabolit entsteht. Angesichts dieser
1
Kenntnis konnte wiederum mit dem Uroprotektivum Mesna diese Toxizität in den letzten 20 Jahren weitgehend vermieden werden. Eine große Herausforderung bleibt auch in Zukunft die Risikominimierung bestimmter zytostatikainduzierter Spättoxizitäten wie z. B. von Infertilität oder therapieinduzierten Sekundärmalignomen. Gerade in Hinsicht auf eine umfassende Aufklärung des Patienten über mögliche Risiken einer Chemotherapie ist den verbesserten Heilungschancen auch das erhöhte Risiko für bestimmte Organ- und Spättoxizitäten gegenüberzustellen.
1.3
Gastrointestinale Toxizität
Unter dem Komplex gastrointestinale Toxizität lassen sich die zytostatikainduzierte Nausea und Emesis, die Mukositis und therapieinduzierte Motilitätsstörungen zusammenfassen. Zur systematischen Einteilung der Schweregrade (⊡ Tabelle 1.1) und der damit verbundenen, besseren Vergleich-
⊡ Tabelle 1.1. Einteilung der gastrointestinalen Toxizität nach den »Common Toxicity Criteria«
Parameter
Grad I
Grad II
Grad III
Grad IV
Übelkeit
Gering
Mäßig; Nahrungsaufnahme vermindert
Stark; keine Nahrungsaufnahme möglich
Unstillbar
Erbrechen
Gering (1-mal/Tag)
Mäßig (2- bis 5-mal/Tag)
Stark (6- bis10-mal/Tag)
Bedrohlich (>10-mal/Tag)
Diarrhoen
Gering vermehrt (2–3 Stühle/Tag)
Mäßig vermehrt (4–6 Stühle/Tag)
Stark vermehrt (7–9 Stühle/Tag)
Oft blutig (>10 Stühle/Tag)
Stomatitis
Geringes Wundsein, Erythem
Mäßig schmerzhaft Erythem; feste/breiige Nahrung
Stark schmerzhaft Ödeme oder Ulzera; Flüssignahrung
Keine orale Nahrungsaufnahme mehr möglich
Obstipation
Gering
Mäßig
Ausgeprägt (Subileus)
Kompletter Ileus
Xerostomie
Gering; zäher Speichel; leichte Geschmacksstörungen
Mäßig; sehr zäher Speichel; mäßige Geschmacksstörungen
Komplett; Geschmacksverlust; Flüssignahrung
Akute Nekrosen, tiefe Ulzera; orale Nahrungsaufnahme nicht mehr möglich
6
I
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
barkeit von Studienergebnissen haben sich die »Common Toxicity Criteria« (CTC) inzwischen bewährt. Sie wurden ursprünglich vom National Cancer Institute entwickelt und von nationalen Arbeitsgemeinschaften noch erweitert. Wenig wünschenswert ist das Auftreten einer Grad-III-(IV-)Toxizität, da sie meist die Einleitung einer intensiven medizinischen Intervention erforderlich macht und eine Unterbrechung bzw. Modifikation der Therapie erzwingen kann.
1.3.1
Übelkeit und Erbrechen
Je nach Wahl des Zytostatikums ist – wie am Beispiel des Dacarbazin – bei über 90% der behandelten Patienten mit Übelkeit und Erbrechen unter der Therapie zu rechnen, während eine Therapie mit Vincristin keinen prophylaktischen Einsatz eines Antiemetikums erforderlich werden lässt (⊡ Tabelle 1.2) [58]. Pathophysiologisch ist von Bedeutung, dass durch Chemo-/Radiotherapie eine verstärkte Freisetzung von Serotonin aus den enterochromaffinen Zellen des Darmes beobachtet werden kann. Diesem Neurotransmitter kommt eine entscheidende Bedeutung bei der Entstehung des akuten Erbrechens zu, da er über die Stimulierung entsprechender Rezeptoren im Nucleus tractus solitarus und in der Area postrema zentral Übelkeit und Erbrechen auslöst. Die Markteinführung des ersten Serotoninantagonisten Ondansetron Ende der 80er-Jahre war zweifelsohne ein Durchbruch in der Prophylaxe der zytostatikainduzierten Nausea und Emesis. Inzwischen stehen mit Dolasetron (Anemet), Granisetron (Kevatril), Ondansetron (Zofran) und Tropisetron (Navoban) bereits vier verschiedene 5-HT3-Antagonisten (»setrone«) in Deutschland zur Verfügung. Ihre Eigenschaften sind in ⊡ Tabelle 1.3 zusammengefasst [37, 49, 83]. Mit Palonosetron (Aloxi) ist inzwischen ein weiterer Serotoninantagonist außerhalb Deutschlands zugelassen worden, der vor allem durch seine sehr lange Halbwertszeit (ca. 40 h), seine Einmalgabe in sehr geringer Dosis (0,25 mg i. v.) und der überlegenen Wirksamkeit im direkten Vergleich mit Ondansetron (1-mal 32 mg i. v.) bei moderat eme-
togenen Chemotherapien imponiert. Möglicherweise ist es die außerordentlich hohe Rezeptorbindungsaffinität der Verbindung, die etwa 100fach höher liegt als die herkömmlicher »setrone« [47]. Viele Studien haben inzwischen die Wirksamkeit der »setrone« zur Verhinderung des akuten Erbrechens eindrucksvoll herausgearbeitet. Hingegen ist ihre Wirksamkeit zur Vermeidung des verzögerten Erbrechens, das definitonsgemäß erst 24 h nach Abschluss der Chemotherapie auftritt, umstritten [43, 45]. Da die »setrone« beim verzögerten Erbrechen bei weitem nicht so effektiv sind wie beim akuten Erbrechen, müssen andere, serotoninunabhängige Prozesse bei der Pathogenese des verzögerten Erbrechens eine wichtige Rolle spielen. Am effektivsten galten lange Zeit für diese Phase des Erbrechens und der Übelkeit das Glucocorticoid Dexamethason (z. B. Fortecortin 2-mal tägl. 4 mg über 3–4 Tage) und das substituierte Benzamid Metoclopramid (z. B. 0,5 mg/kg p. o. alle 6 h über 3 Tage) [37, 43, 67]. Mit großem Interesse wurden deshalb Studienergebnisse verfolgt, die zeigten, dass durch den Einsatz der Neurokininantagonisten die antiemetische Wirksamkeit der Kombination aus 5-HT3Antagonist und Dexamethason sowohl beim akuten als auch beim verzögerten Erbrechen deutlich gesteigert werden konnte [97]. Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser Verbindungen war die Beobachtung, dass das körpereigene Peptid Substanz P emetogene Eigenschaften aufweist. Daraus wurde abgeleitet, dass ein möglichst spezifischer Antagonist an den entsprechenden Rezeptoren (Neurokinin-1) vorteilhaft bei der Vermeidung des akuten bzw. verzögerten Erbrechens sein müsste. Unter diesen Gesichstpunkten eröffnen die Neurokininantagonisten wichtige Perspektiven für eine noch weiter optimierbare Prophylaxe des zytostatikainduzierten Erbrechens. Inzwischen ist der erste Vertreter dieser Gruppe, das Aprepitant (Emend), für die Prophylaxe des Erbrechens in Verbindung mit hochemetogener, cisplatinhaltiger Chemotherapie zugelassen worden. Sein Einsatz ist mit einer Verbesserung der Abdeckung der akuten und verzögerten Nausea und Emesis verbunden (⊡ Tabelle 1.4), so dass die NCCN diese Substanz bereits in ihre aktuellen Leitlinien aufge-
1
7
1.3 · Gastrointestinale Toxizität
⊡ Tabelle 1.2. Emetogene Potenz verschiedener Zytostatika. (Mod. nach [58])
Schweregrad
Inzidenz des Erbrechens (ohne Prophylaxe)
Wirkstoff
5
>90%
Carmustin >250 mg/m2, Cisplatin >50 mg/m2, Cyclophosphamid >1,5 g/m2, Dacarbazin, Streptozocin
4
60–90%
Carboplatin, Carmustin (bis 250 mg/m2), Cisplatin <50 mg/m2, Cyclophosphamid >750 mg/m2, Cytarabin >1 g/m2, Doxorubicin >60 mg/m2, Melpahlan >50 mg/m2, Methotrexat >1.000 mg/m2, Procarbazin p. o.
3
30–60%
Arsentrioxid, Cyclophosphamid <750 mg/m2 (oder oral), Doxorubicin 20–60 mg/m2, Epirubicin ≤90 mg/m2, Idarubicin, Ifosfamid, Irinotecan (CPT-11), Lomustin, Methotrexat 0,25–1 g/m2, Mitoxantron <15 mg/m2, Oxaliplatin >75 mg/m2, Temozolomid
2
10–30%
Cytarabin 100–200 mg/m2, Docetaxel, Doxorubicin (liposomal), Etoposid, 5-Fluorouracil <1.000 mg/m2, Gemcitabin, Methotrexat <250 mg/m2, Mitomycin C, Paclitaxel, Topotecan
1
<10%
Asparaginase, Bleomycin, Capecitabin, Chlorambucil, Cladribin, Fludarabin, Hydroxyharnstoff, Imatinib, Melphalan, Methotrexat <50 mg/m2, Pentostatin, Thioguanin, Vinblastin, Vincristin, Vinorelbin
⊡ Tabelle 1.3. Pharmakokinetische und physikochemische Eigenschaften der 5-HT3-Antagonisten. (Mod. nach [43])
Parameter
Dolasteron (ANEMET)
Granisetron (KEVATRIL)
Ondansetron (ZOFRAN)
Tropisetron (NAVOBAN)
Dosierungen beim akuten Erbrechen
1-mal 100 mg (oder 1,8 mg/kg KG) intravenös; 1-mal 200 mg p. o.
1-mal tägl. 1–3 mg; 1-mal 2 mg oral
1- bis 4-mal tägl. 8 mg i. v.; 1- bis 2-mal 8 mg p. o.
1-mal tägl. 5 mg i. v. oder oral
Dissoziationskonstante a
4–20 nM b
0,6 nM
2,9 nM
3,1 nM
Clearance
109 l
154–228 l
160 l
554 l
Halbwertszeit
7–9 h
9–11,6 h
3,9 h
7,3 h
Metabolisierung
Carbonylreduktase; Cyp 2D6
Cyp 3A4
über Cyp 3A4, Cyp 1A2 und 2D6
über Cyp 2D6
a b
Werte sind über Rezeptorbindungsstudien mit radioaktiv markierten Liganden ermittelt worden. Dolasetron: 20 nM; aktiver Metabolit: 4 Hydrodolasetron: 4 nM.
8
I
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
⊡ Tabelle 1.4. Zusätzlicher Schutz vor Nausea und Emesis bei hochemetogener, cisplatin-haltiger Chemotherapie durch den Einsatz des Neurokinin-Antagonisten Aprepitant. (Mod. nach [60])
Regime I
Regime II
Tag 1: Ondansetron 32 mg i. v. und Dexamethason 20 mg p. o.
Tag 1: Ondansetron 32 mg i. v. und Dexamethason 12 mg p. o. und Aprepitant 125 mg p. o.
Tag 2–4: Dexamethason, 2-mal tägl. 8 mg p. o.
Tag 2+3: Dexamethason 1-mal tägl. 8 mg, Aprepitant 80 mg p. o. Tag 4: Dexamethason 1-mal tägl. 8 mg
Kein Erbrechen Tag 1
79,3%
90,0%
Tag 2–5
58,8%
80,8%
Tag 1–5
55,0%
77,7%
Tag 1
69,1%
72,3%
Tag 2–5
47,7%
51,0%
Tag 1–5
44,2%
47,5%
Tag 1
74,6%
84,8%
Tag 2–5
51,5%
66,4%
Tag 1–5
49,2%
63,4%
Keine Übelkeit
Kompletter Schutz
nommen hat und sie bereits bei moderat emetogenen Protokollen in der Prophylaxe gemeinsam mit einem 5-HT3-Antagonisten und Dexamethason vorsieht (⊡ Tabelle 1.5). Inwieweit Aprepitant noch wirkt, wenn bereits eine Therapierefraktärität eingetreten ist, ist Gegenstand aktueller Untersuchungen. Allerdings müssen noch einige Fragen geklärt werden, insbesondere, wie stark die potenziell Cytochrom-P450 3A4-hemmenden Eigenschaften unter Aprepitant zu beurteilen sind. Die NCCN kommt unter Berücksichtigung der aktuellen Studienergebnisse zu dem Ergebnis, dass keine Dosismodifikationen der Wirkstoffe Docetaxel, Paclita-
xel, Ifosfamid oder Vinorelbin beim Einsatz von Aprepitant in der Antiemese vorzusehen sind [27, 57, 60, 97]. In der Zwischenzeit steht eine fast unüberschaubare Zahl an Publikationen zur Verfügung, die den Einsatz verschiedener Antiemetika in der klinischen Onkologie untersuchten. Aus diesem Grund war es nötig, nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin (EBM) indikationsabhängige Empfehlungen für verschiedene Antiemetika zu etablieren [36, 43]. Im Folgenden sind die in diesem Zusammenhang wichtigsten Kernaussagen zusammengefasst ( s. nachfolgende Übersicht):
9
1.3 · Gastrointestinale Toxizität
⊡ Tabelle 1.5. Risikoadaptierter Einsatz von Antiemetika nach den aktuell gültigen NCCN-Leitlinien. <www.NCCN.org>
Häufigkeit des akuten Erbrechens
NCCN-Leitlinien 2004
Grad III–IV (hochemetogen)
Aprepitant 125 mg p. o. (Tag 1; 60 min vor CTX) und Aprepitant 80 mg p. o. (Tag 2+3) und 5-HT3-Antagonist und Dexamethason (8 mg–12 mg i. v.). Folgetage: Tag 2–4: Dexamethason 1 × 8 mg p. o. oder i. v.; Grad III-IV: Aprepitant fakultativa
Grad II
Dexamethason 8–12 mg p. o. (Tag 1); Alternativ: Prochlorperazin oder Thiethylperazin 10 mg p. o. (alle 4–6 h), Metoclopramid 20–40 mg (alle 4–6 h) und Diphenhydramin 25 mg p. o. (alle 4–6 h)
Grad I (gering emetogen)
Keine Antiemetika erforderlich
Bei Bedarf: Lorazepam 1 mg oral stündlich; a Alternative Dosisvorschläge finden sich im Text
Wichtige Eckpunkte, die es beim Einsatz von Antiemetika zur Vermeidung chemotherapieinduzierter Nausea und Emesis zu berücksichtigen gilt [6, 32, 37, 48, 88] Einsatz der 5-HT3-Antagonisten bei mittelund hochemetogenen Chemotherapieprotokollen – Zur Vermeidung des akuten, d. h. innerhalb der ersten 24 h nach Chemotherapie-Gabe, auftretenden Erbrechens erwiesen sich die »setrone« als sehr potent und sowohl bei hoch- als auch bei moderat emetogenen Chemotherapie-Protokollen den hochdosierten, substituierten Benzamiden vor allem hinsichtlich der Verträglichkeit als überlegen (z. B. Metoclopramid 2–3 mg/kg i. v. kurz vor und 2 h nach der Chemotherapie). Die Auswahl der entsprechenden Antiemetika richtet sich nach der emetogenen Potenz des Protokolls und innerhalb einer Wirkstoffgruppe nach dem Preis der zu verwendenden Menge. Die parenterale Gabe des »setrons« erfolgt üblicherweise 20–30 min vor Beginn der Chemotherapie. Grundsätzlich kann die Gabe des »setrons« auch oral erfolgen, da diese Applikationsart mit der gleichen Effektivität und Verträg▼
lichkeit verbunden ist. Die orale Gabe sollte etwa 60 min vor Applikation des Zytostatikums erfolgen [11, 41, 59]. Synergistischer Effekt des Dexamethason – Mit einer Kombination aus einem »setron« und einem Glucocorticoid, vorzugsweise Dexamethason, kommt es zu einem signifikanten Synergismus. Dabei ist eine Einmalgabe von 20 mg i. v. bzw. 8 mg i. v. pro Tag (gemeinsam mit dem »setron«) bei Cisplatin bzw. Non-Cisplatin-Protokollen vorzusehen. Nach den Untersuchungen von Roila et al. sind bei Non-Cisplatin-Protokollen mit 1-mal 8 mg i. v. gleiche Ergebnisse in der Vermeidung des akuten Erbrechens zu erzielen wie mit 8 mg i. v. gefolgt von 4 mg p. o. alle 6 h oder höheren Dosen von 1-mal 24 mg i. v. [106]. Vermeidung des verzögerten Erbrechens – Beim verzögert auftretenden Erbrechen ist die klinische Wirksamkeit der »setrone« weit weniger gut belegt als beim akuten Erbrechen. Als Mittel der Wahl wird das Glucocorticoid Dexamethason verwendet (z. B. 2-mal 4 mg oral Tag 2–5). Teilweise war die Kombination aus Metoclopramid und Dexamethason bei cisplatinbehandelten Patien-
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Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
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ten der Monotherapie mit Dexamethason überlegen. Die gewählte Dosis des MCP liegt bei 2- bis 4-mal täglich 20(–40) mg oral. Ganz entscheidend ist eine optimale Prophylaxe des akuten Erbrechens, da sich dadurch auch das Ausmaß des verzögerten Erbrechens nachhaltig beeinflussen lässt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Einsatz des Neurokinin-Antagonisten Aprepitant auch nachhaltigen Einfluss auf das verzögerte Erbrechen nimmt. Einsatz des Neurokinin-Antagonisten Aprepitant – Der inzwischen verfügbare Neurokinin-Antagonist Aprepitant erlaubt eine bessere Kontrolle des akuten und verzögerten Erbrechens. Die empfohlene Dosierung des Neurokinin-Antagonisten liegt bei 125 mg p. o. am Tag der Chemotherapie (Einnahme 60 min vor der Gabe des Zytostatikums) und jeweils 80 mg p. o. an den Folgetagen 2 und 3 [60]. Bei einer Kombination mit Dexamethason ist die Dosis des Glucocorticoids anzupassen.
1.3.2
Mukositis
Etwa 1–2 Wochen nach Gabe einer Chemotherapie kann je nach Dosis und Art des Zytostatikums eine mehr oder weniger schwere Ulzeration im Mundbereich auftreten. Zum einen beruht diese unerwünschte Begleiterscheinung auf der antiproliferativen Wirkung der Zytostatika auf das Mundschleimhaut-Epithel, zum anderen werden durch die Chemotherapie verschiedene Zytokine, wie z. B. der Tumornekrosefaktor, lokal stärker freigesetzt, der seinerseits die Gewebeschädigung vorantreibt und über eine Steigerung der Schleimhautdurchblutung das Zytostatikum noch besser an das betroffene Gewebe heranführt (⊡ Abb. 1.1). Die dabei entstehenden Läsionen und Ulzerationen in der Mundschleimhaut sind in mehrerer
Therapierefraktäres und antizipatorisches Erbrechen – Bei Patienten, die bereits vor Gabe des Zytostatikums über Übelkeit klagen oder die diesbezüglich negativ konditioniert sind, ist zur Vermeidung des antizipatorischen Erbrechens ein Anxiolytikum (z. B. Lorazepam) vorzuziehen, wenn die Gabe eines Medikaments erfolgen soll. In therapierefraktären Situationen, in denen trotz einer optimalen Abdeckung mit Serotoninantagonisten und Dexamethason keine ausreichende Kontrolle des akuten und verzögerten Erbrechens erreicht werden kann, erscheint der Einsatz ausgewählter Neuroleptika mit anticholinerger, antihistaminischer und dopaminantagonistischer Wirkung sinnvoll zu sein (z. B. Levomepromazin 2-mal tägl. 6,25 mg p. o.) Individuelle Risikofaktoren – Zu den wichtigsten Risikofaktoren, die das Auftreten eines zytostatikainduzierten Erbrechens begünstigen, zählen: junges Alter, weibliches Geschlecht, geringer Alkoholkonsum in der Vergangenheit, Anfälligkeit für z. B. Reiseübelkeit, ängstlich-depressives Verhalten und schlechte Erfahrungen mit dieser Nebenwirkung in den vorangegangen Zyklen.
Hinsicht als sehr ernstzunehmende Komplikation einer Chemotherapie aufzufassen: schmerzhafte Ulzerationen schränken die Lebensqualität des Patienten erheblich ein, sie erschweren die orale Aufnahme von Nahrungsmitteln oder Medikamenten und sie bilden eine ideale Eintrittspforte für Mikroorganismen wie z. B. den koagulase-negativen Staphylokokken [91, 100, 101, 122]. Auf keinem anderen Gebiet der Supportivtherapie der klinischen Onkolgie ist nach einer Vielzahl von Studien so viel Ernüchterung eingetreten wie in der Mukositisprophylaxe. Waren noch Mitte und Ende der 80er-Jahre zahlreiche Empfehlungen zum lokalen Einsatz des Prostaglandinderivats Misoprostol, zu Sucralfat, zu pflanzlichen Extrakten mit
1.3 · Gastrointestinale Toxizität
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⊡ Abb. 1.1. Zeitlicher Verlauf einer chemo- bzw. strahlentherapieinduzierten Mukositis: (Tag 0) Kurz nach der Behandlung wird eine Vielzahl von Zytokinen aus den Schleimhautepithelien freigesetzt. Durch die therapieinduzierte Proliferationshemmung wird die natürliche Regeneration von Epithelzellen beeinträchtigt. (Tag 6–12) Im Rahmen der ulzerativen Phase entstehen tiefe Erosionen mit fibrösen pseudomembranösen
Belägen. In dieser Phase besteht die höchste Gefahr für eine systemische Streuung von Keimen über die geschädigte Schleimhaut. (Ab Tag 12) In der Regenerationsphase wird die Wiederherstellung des natürlichen Epithels mit seiner physiologischen Barrierefunktion allmählich wieder erreicht. (Mod. nach [91])
Kamille, zu einem bei Bedarf hergestellten Allopurinol-Gel oder zu einigen desinfizierenden Lösungen mit z. B. Chlorhexidin im Umlauf, so wurde in den 90er-Jahren in Studien nach Kriterien der EBM die mangelnde Überlegenheit dieser Maßnahmen gegenüber Placebo sukzessive herausgearbeitet [34, 39, 42, 72, 80, 91, 101]. Unbestritten ist der Vorteil einer Calciumfolinatgabe (z. B. Leucovorin) in Verbindung mit einer mittel- bis hochdosierten Methotrexattherapie oder das Lutschen von Eiswürfeln im Rahmen der Bolusgabe von 5-Fluorouracil. Grundsätzlich empfohlen wird eine regelmäßige und gründliche Mundhygiene (z. B. Spülungen mit macrogolhaltigen Lösungen, wie z. B. Glandomed) und ein intermittierender Einsatz von Antiseptika mit einer Wirkung gegen grampositive Bakterien, z. B. auf der Basis von 0,05% Cetylpyridiniumchlorid (z. B. Dobendan). Ein ähnliches Konzept wird mit dem Produkt en3247 verfolgt, das sich derzeit noch in der klinischen Prüfung befindet und 0,1% Triclosan enhält, einem Stoff mit entzündungshemmender, antimikrobieller und leicht analgetischer Wirkung [46, 103]. Generell ist darauf zu achten, dass definierte, präventiv wirksame Ess- und Trinkgewohnheiten eingehalten werden (⊡ Tabelle 1.6) [127]. Darüber hinaus wird intensiv
nach weiteren Strategien zur Mukositisprophylaxe gesucht. So gelang es z. B. mit dem Parasympatholytikum Propanthelin (Gabe beginnend kurz vor der Infusion von hochdosiertem Etoposid) die Inzidenz der Mukositis signifikant zu reduzieren. Dabei dürfte die Reduktion des Speichelflusses und die damit verbundene reduzierte Verteilung des Zytostatikums in die Mundschleimhaut von entscheidender Bedeutung gewesen sein. Wie kontrovers allerdings Studienergebnisse in diesem Zusammenhang sein können, zeigen die Ergebnisse von Awidi et al., die auch mit dem Parasympathomimetikum Pilocarpin – also dem genau entgegengesetzten Prinzip des Propanthelin – eine signifikante Reduktion der Mukositisausbreitung erreichen konnten [7, 18, 98]. Die Problematik uneinheitlicher Studienergebnisse zur Mukositisprophylaxe zieht sich in der wissenschaftlichen Literatur fort. So existieren kontroverse Ergebnisse sowohl zum Einsatz von gluatminhaltigen Darreichungsformen [4, 5, 23, 69, 102] als auch zum lokalen Einsatz von zytokinhaltigen Mundspüllösungen auf der Basis von G-CSF oder GM-CSF [71, 121], so dass es derzeit schwer fällt, eine entsprechende Anwendung zu empfehlen.
12
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Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
⊡ Tabelle 1.6. Diätetische Maßnahmen, deren Vernachlässigung zu einer Verstärkung der Mukositis führen. (Mod. nach [127]) Allgemeine Maßnahmen
Nahrungsmittel so lange kochen, bis sie zart und leicht zu kauen sind; Nahrungsmittel in möglichst kleine Stücke schneiden und mit Flüssigkeit versetzen; Benutzen eines Strohhalms beim Trinken von Flüssigkeiten Hilfreich kann der Einsatz enteraler Zusatznahrung (z. B. BIOSORB ENERGIE 200 ml) sein
Art der Nahrung
Einsatz von pürierten Speisen, Pudding, Milkshakes, weichen Früchten mit niedrigem Säuregehalt (z. B. Bananen, Wassermelonen, Pfirsichen, Hüttenkäse, Rühreiern, Eis am Stiel
Vermeiden
Grobe oder trockene Nahrungsmittel (z. B. Toast, Rohgemüse, Biscuits), stark gewürzte und gesalzene, heiße Speisen; Zitrusfrüchte (z. B. Orangen, Grapefruits, Mandarinen); Alkohol; Zigarettenrauchen
Bezüglich der Anwendung von Zytokinen wird in den letzten Jahren dem Palifermin (KGF, »Keratinocyte Growth Factor«) große Aufmerksamkeit im Rahmen der Mukositisprophylaxe geschenkt. Dieses Zytokin stimuliert das Wachstum von Epithelzellen und wird insbesondere in der Wundheilung in hohem Maß neu gebildet. Erste Untersuchungen zur Anwendung von KGF (z. B. 40 µg/kg/ Tag i. v. über 3 Tage) hatten zum Ergebnis, dass eine prophylaktische Anwendung eine niedrigere Rate der Mukositis Grad 2–4 bei Patienten mit kolorektalem Karzinom zur Folge hatte. Mittlerweise liegen auch Phase-III-Studienergebnisse vor, die belegen, dass Palifermin eine beachtliche Wirksamkeit bei Lymphompatienten aufweist, die das HD-Beam-Protokoll erhalten hatten [95]. Wird im Rahmen der Tumortherapie (z. B. bei Kopf-Hals-Tumoren) auch etwa ein Drittel der Mundhöhle bestrahlt, so bestehen mit der lokalen Anwendung von Sucralfat oder einer AntiinfektivaKombination (z. B. PTA-Lutschtabletten mit 20 mg Polymyxin E, 1,8 mg Tobramycin und 10 mg Amphotercicin B) weitere Möglichkeiten zur Senkung des Mukositisrisikos. Allerdings kommt die Arbeitsgruppe um El-Fayed et al. im Rahmen ihrer groß angelegten Phase-III-Studie zu dem Schluss, dass diese Lutschtabletten keinen signifikanten Einflus auf den Schweregrad der Mukositis haben. Damit ist die klinische Bedeutung solcher Lutschtabletten wieder völlig offen [33, 99]. Die ge-
nannten Beispiele machen deutlich, dass die Reduktion des Mukositisrisikos weiterhin eine große Herausforderung darstellt und derzeit noch nicht zufrieden stellend gelöst ist [85]. Kommt es trotz Prophylaxe zu einer mehr oder weniger schweren Mukositis, so gilt es zuerst, die damit verbundene Schmerzsituation zu beheben und die individuelle Gefahr für systemische Infektionen abzuschätzen. Folglich wird generell der Einsatz von lokal wirksamen Antiseptika bei manifester Mukositis intensiviert. Zur lokalen Schmerzbehandlung ist die Anwendung von Lokalanästhetika empfehlenswert (z. B. 100 mg Tetracain-HCl, 50 mg Aminoquinurid-HCl in 10 ml Glycerol 85%; Zusammensetzung des früher handelsüblichen Herviros), in dem z. B. einige Tropfen in den Mund gegeben und mit der Zunge verteilt werden. Bei Bedarf kann diese Lösung rezepturmäßig von Apotheken hergestellt werden. In die gleiche Richtung geht die Zusammensetzung des »Magic Mouthwash« auf der Basis von z. B. AluminiumhydroxidSuspension (z. B. Maalox 5 mL), DiphenhydraminLösung (z. B. Benadryl 5 mL [12,5 mg]) und viskösem Lidocain (z. B. Xylocain viskös 2% 5 ml), der 6-mal am Tag alle 3 h angewendet wird [122, 127]. Eine weitere interessante Alternative zur lokalen symptomatischen Schmerzlinderung wurde von Cerchietti et al. [21] vorgestellt. Sie empfahlen den Patienten die lokale Anwendung einer Morphinlösung (15 ml 2%) 6-mal am Tag im Abstand von 3 h
13
1.3 · Gastrointestinale Toxizität
für etwa 2 min im Mund zu belassen und anschließend zu schlucken. Die genannten Strategien machen deutlich, dass bei manifester Mukositis die orale Mundhygiene, der angemessene Einsatz von Anästhetika und Analgetika und die Behandlung von Infektionen die wichtigsten Eckpunkte der Therapie darstellen [28].
1.3.3
Xerostomie
Eine abnorme Trockenheit der Mundhöhle (Xerostomie) ist relativ häufig nach der fraktionierten Bestrahlung des Kopf-Hals-Bereiches zu beobachten. Während die akute Xerostomie vor allem mit der lokalen Entzündungsreaktion in Zusammenhang steht, beruht die etwa ein Jahr später auftretende Xerostomie auf der allmählichen Fibrose von Speicheldrüsen. Für den Patienten ist nicht nur die starke, schmerzhafte Mundtrockenheit, sondern sind auch die damit verbundenen Sprach-, Essund Geschmacksstörungen sehr unangenehm. Gleichzeitig ist die Xerostomie auch Wegbereiter für eine höhere Infektionsgefahr im Mundbereich (z. B. Karies). Zur symptomatischen Behandlung stehen u. a. elektrolythaltige, künstliche Mundspeichellösungen auf der Basis von Carmellose (z. B. Glandosane), Lösungen mit Mucinen tierischen Ursprungs (z. B. Saliva Medac) oder enzymhaltige Lösungen zur Verfügung. Oft stellt sich allerdings in der klinischen Praxis das Problem, dass die Compliance mit zunehmender Anwendungsdauer für SpeichelSubstitutionsmittel immer schlechter wird. Hilfreich kann bei Patienten mit einer Restspeichelbildung der Einsatz des Parasympathomimetikums Pilocarpin sein. So ließ sich mit 3- bis 4-mal täglich 5 mg Pilocarpin (z. B. Salagen) eine signifikante Verbesserung der Speichelbildung erreichen, wobei die als Nebenwirkung zu erwartende, übermäßige Schweißbildung von den Patienten gut toleriert wurde [70, 119, 123]. Was die Prophylaxe der Xerostomie betrifft, so zeigen mehrere Studien, dass der begleitende Einsatz des Aminothiolderivats Amifostin während der Strahlentherapie die Inzidenz der akut und spät auftretenden Xerostomie bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren signifikant um etwa 15–20%
1
reduzieren kann. Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) kommt deshalb zu dem Schluss, dass Amifostin für diese Indikation eingesetzt werden kann.
1.3.4
Gastrointestinale Motilitätsstörungen
Neben verschiedenen Tumoren, wie z. B. den Vipomen oder den Gastrinomen, neben strahlentherapeutischen Interventionen oder einer »Graft-vs.Host-Disease« sind auch bestimmte Zytostatika, wie z. B. Irinotecan (CPT-11), 5-Fluorouracil und seine Derivate oder Cisplatin, in der Lage, Diarrhoen unterschiedlichen Schweregrades zu induzieren [19]. Mittel der ersten Wahl zur Behandlung von Diarrhoen ist der Wirkstoff Loperamid, der über die Bindung an intestinale Endorphinrezeptoren zu einer Motilitätshemmung führt. Da Loperamid die Blut-Hirn-Schranke kaum überwinden kann, sind im Gegensatz zu strukturverwandten Verbindungen, wie z. B. Diphenoxylat, weniger ZNS-Nebenwirkungen zu erwarten. Je nach Schweregrad kann die Loperamidgabe auf bis zu 2 mg alle 2 h intensiviert werden [19]. Insbesondere bei therapierefraktären Situationen hat sich die Anwendung des Somatostatinderivats Octreotid (z. B. Sandostatin) bewährt, welches hierzu – je nach Schweregrad – in Dosen von 2- bis 3-mal täglich 50–500 µg s. c. eingesetzt wird [20, 25]. In der Studie von Wasserman et al. reichte in etwa der Hälfte der Fälle eine Gabe von 3-mal 100 µg/Tag aus [125]. Ob neben der Loperamidgabe und der Injektion von Octreotid auch die Gabe von Opiumtinktur (z. B. 4-mal tägl. 0,3–1 ml p. o.) hilfreich sein kann, wurde bisher in klinischen Studien nicht untersucht. Werden ausschließlich motilitätshemmende Maßnahmen eingeleitet, so ist selbstverständlich auszuschließen, dass Infektionserreger, wie z. B. Salmonella spp., E. coli oder Clostridium difficile an dieser Begleiterscheinung beteiligt sind [62]. Insbesondere bei dem Topoisomerase-IHemmstoff Irinotecan (CPT-11) ist zu berücksichtigen, dass bis zu 90% der behandelten Patienten im Laufe der Therapie subakute Diarrhoen entwickeln, die meistens zwischen dem
14
I
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
4. und 10. Behandlungstag auftreten. Diese Diarrhoen sind von denjenigen zu unterscheiden, die bereits am Tag der Chemotherapie auftreten (akute Diarrhoen), da letztere vom Pathomechanismus mit einer vorübergehenden CPT-11-induzierten Hyperaktivität des Parasympathikus in Zusammenhang stehen und sehr gut prophylaktisch mit z. B. 0,4 mg Atropin verhindert werden können. Die subakuten Diarrhoen hingegen hängen mit einer wirkstoffinduzierten Hypersekretion des Darmes zusammen, wie sie in ähnlicher Form bei Cholera-Erkrankungen beobachtet werden kann. Kommt es unter CPT-11 zu subakuten Diarrhoen, die sich mit einer intensivierten Loperamidgabe nicht beherrschen lassen, so werden inzwischen verschiedene therapeutische Optionen, wie z. B. Budesonid, oral anzuwendende Aminoglykoside, alkalisierende Lösungen oder der Enkephalinase-Hemmstoff Racecadodril (z. B. Tiorfan), angeboten. Immer wieder ist allerdings die Gabe von Octreotid unvermeidlich [66, 113]. Generell ist zur Vorbeugung chemotherapieinduzierter Diarrhoen darauf zu achten, dass der Patient auf würzige Speisen, Alkohol, coffeinhaltige Nahrungsmittel, zu fetthaltige Speisen, zu ballaststoffreiches Essen und motilitätsfördernde Medikamente verzichtet. Zum Einsatz von L-Glutamin (z. B. 3-mal täglich 6 g oral) zur Reduktion der Inzidenz und Schwere der Diarrhoen sind die Daten immer noch widersprüchlich, so dass es derzeit schwer fällt, hierzu eine endgültige Empfehlung abzugeben [78, 96]. Akute Enteropathien sind auch bei Patienten nach Strahlentherapie nicht selten. Diese strahleninduzierte Beeinträchtigung der Darmepithelzellen hat u. a. zur Folge, dass es zu Diarrhoen, Veränderungen der Darmflora und einem Malabsorptionssyndrom kommen kann. Neben verschiedenen antiphlogistischen Interventionen (z. B. Steroide, 5-Aminosalicylsäurederivate) und einigen Adsorbentien (z. B.: Smektit, Bolus alba) wird dem Einsatz von Sucralfat (z. B. 6-mal 1 g/Tag über mehrere Wochen) in diesem Bereich eine immer größere Bedeutung eingeräumt [19, 54, 92, 124]. Möglicherweise ist dieser Komplex aus Aluminiumhydroxid und sulfatierter Sucrose in der Lage, ähnlich wie im Bereich des Magens auch
auf der strahlengeschädigten Mucosa einen Schutzfilm zu bilden, der weitere Irritationen durch Gallensäuren oder Nahrungsbestandteile unterbinden kann. Derselbe Wirkstoff wurde in den letzten Jahren immer wieder auch mit Erfolg bei chronischen, strahlentherapieinduzierten Proktitiden verwendet, insbesondere dann, wenn andere Strategien versagten [93].
1.3.5
Die chemotherapieinduzierte Obstipation
Im Gegensatz zu den Diarrhoen spielt die Obstipation als gastrointestinale Nebenwirkung einer Strahlen-/Chemotherapie eine eher untergeordnete Rolle. Sie ist oft die Folge einer anderen Medikamentenanwendung, wie z. B. von Opioiden, trizyklischen Antidepressiva, aluminiumhaltigen Antazida, Diuretika oder Folge unausgewogener Ernährung. Unter den Zytostatika sind es vor allem die Vinca-Alkaloide, die mit einer wirkstoffinduzierten Obstipation in Verbindung zu bringen sind, da sie toxisch auf das autonome Nervensystem wirken. Es erscheint deshalb ratsam, bei entsprechend behandelten Patienten einen prophylaktischen Einsatz eines Gleitmittels, wie z. B. Lactulose, vorzusehen, und im Bedarfsfall Metoclopramid als motilitätsfördernde Verbindung zu verwenden. Bei Patienten, die über 70 Jahre alt sind, wird in den meisten Fällen die maximale Vincristindosis auf 1 mg absolut begrenzt, um das neurotoxische Risiko so gering wie möglich zu halten [44].
1.3.6
Myelosuppression
Im Rahmen der zytostatikainduzierten Knochenmarkstoxizität kommt es je nach Dosis und Art des Zytostatikums zu einem mehr oder weniger starken Abfall der neutrophilen Granulozyten (Neutropenie, Granulozytopenie), der Lymphozyten (Lymphozytopenie) und der Blutplättchen (Thrombozytopenie). Ist auch die Biosysnthese der Erythrozyten betroffen, so wird dies mit zeitlicher Verzögerung an einem Abfall des Hämoglobinwerts sichtbar (⊡ Tabelle 1.7).
1
15
1.3 · Gastrointestinale Toxizität
⊡ Tabelle 1.7. Klassifikation der zytostatikainduzierten Myelosuppression in die Schweregrade I–IV. (Nach den Common Toxicity Criteria, CTC)
Parameter im Blut
Norm
Grad I
Grad II
Grad III
Grad IV
Leukozyten/µl
≥4.000
<4.000–3.000
<3.000–2.000
<2.000–1.000
<1.000
Thrombozyten/µl×1.000
≥100
<100–75
<75–50
<50–25
<25
Granulozyten/µl
≥2.000
<2.000–1.500
<1.500–1.000
<1.000–500
<500
Lymphozyten/µl
≥2.000
<2.000–1.500
<1.500–1.000
<1.000–500
<500
Hämoglobin (g/100 ml)
≥11,0
<11,0–10,0
<10,0–8,0
<8,0–6,5
<6,5
1.3.7
Neutropenie
Der Einsatz intensivierter Chemotherapien in Verbindung mit einer Transplantation von Knochenmark oder peripheren Stammzellen zählt heute zu einer etablierten kurativen Strategie bei der Behandlung verschiedener Tumoren. Allerdings sind solche Protokolle mit einer schweren und teilweise über Tage und Wochen andauernden Neutropenie mit Neutrophilenwerten unter 100–500/µl verbunden. Da durch den Einsatz von Wachstumsfaktoren, z. B. G-CSF, Dauer und Schwere der Neutropenie signifikant reduziert werden kann, sind solche Wachstumsfaktoren heute aus der hochdosierten Chemotherapie überhaupt nicht mehr wegzudenken. Die derzeit handelsüblichen Zytokine Filgrastim und Lenograstim sind hinsichtlich ihrer physikochemischen Eigenschaften nicht völlig identisch (⊡ Tabelle 1.8). Das gilt auch für das rekombinante GM-CSF (INN: Molgramostim), das inzwischen in Deutschland nicht mehr verfügbar ist, da es u. a. Verträglichkeitsnachteile gegenüber G-CSF-haltigen Präparaten aufweist [68, 112]. Ein analoges Präparat befindet sich allerdings noch in den USA mit dem Wirkstoffnamen Sargramostim (Leukine) auf dem Markt. Aufgrund der relativ hohen Kosten, die für den prophylaktischen Einsatz von G-CSF aufzubringen sind, ist es wichtig, dass mit Hilfe von Leitlinien der Gebrauch dieser Faktoren auf ein pharmakoökonomisch sinnvolles Maß eingeschränkt wird. Eine
gesicherte Indikation, G-CSF primär prophylaktisch bereits im ersten Chemotherapie-Zyklus zu geben, besteht dann, wenn ein neutropenisches Fieber zu erwarten ist, das bei mindestens 40% der behandelten Patienten auftritt. Für die meisten konventionell dosierten Chemotherapie-Protokolle, wie sie zur Behandlung solider Tumoren vorgesehen sind, kommt deshalb ein routinemäßige Einsatz von G-CSF nach diesen Vorgaben nicht in Frage [8, 9, 50]. Weisen die Patienten allerdings schon eine deutlich eingeschränkte Knochenmarksreserve auf, ist ihre Immunfunktion bereits eingeschränkt und ihre Gesamtverfassung schlecht, so müssen darüber hinaus auch individuelle Entscheidungen zum Einsatz von G-CSF fallen, auch wenn die Chemotherapie per se nicht mit der oben genannten Wahrscheinlichkeit der febrilen Neutropenie verbunden ist. Die Hauptindikation für den prophylaktischen Einsatz von G-CSF besteht üblicherweise dann, wenn Fieber in der Neutropenie im vorangegangenen Zyklus beobachtet wurde [8, 9, 15, 50]. In den letzten Jahren häufen sich Berichte, in denen gezeigt wurde, dass selbst nach hochdosierter Chemotherapie die G-CSF-Gabe nicht bereits 24 h nach erfolgter Zytostatikagabe erfolgen muss, sondern um 3–5 Tage verzögert werden kann, ohne dass es zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Parameter Fieber unbekannter Genese, Antiinfektiva-Verbrauch oder Krankenhausaufenthalt kam. Allerdings darf diese erste Gabe nicht allzu lange
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I
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
⊡ Tabelle 1.8. Eigenschaften der Zytokine Filgrastim, Lenograstim und Pegfilgrastim im Vergleich
Parameter
Filgrastim
Lenograstim
Pegfilgrastim
Pharmakologische Hersteller
Amgen
Chugai
Amgen
Art der Herstellung
E. coli (ge)
CHO (ge)
E. coli (ge)
Glykosyliert
Nein
Ja
Nein
spezifische Aktivität
30 Mio. E./300 µg
13,4 Mio. I.E./105 µg
Hämatopoetische Endzellen
Neutrophile Granuloyzten
Neutrophile Granulozyten
Neutrophile Granulozyten
Dosierung s.c.
I: 5 µg/kg/Tag II: 10 µg/kg/Tag
I und II: 150 µg/m2/Tag
I: einmal 6 mg s. c. nach Chemotherapie
Halbwertszeit
ca. 3,5 h
3–4 h
15–80 h
Darreichungsformen
300 und 480 µg Fertigspritze
13,4 und 34 Mio. I.E. Trockensubstanz
6 mg Injektionslösung
Anmerkungen: 50 U sind definiert als die Menge, mit der 50% der maximalen Stimulation der Koloniebildung bei normalen Knochenmarkszellen erreicht werden kann; Dosierungen (I) nach Chemotherapie; (II) nach myeloablativer Chemotherapie in Verbindung mit einer KMT oder PBSCT
hinausgezögert werden, da ansonsten der Wiederanstieg der Neutrophilen in ungünstiger Weise verzögert wird [22, 24, 51, 118]. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang die Empfehlungen von Baker et al., bei einem Chemotherapyiezyklus über Tag 1–3 die G-CSF 48–72 h nach Beendigung der Zytostatikagabe zu beginnen [8, 9]. Nicht empfohlen werden darf aus Kostengründen eine empirische Senkung der täglichen Dosis von 5 µg/kg/Tag auf z. B. 2 µg/ kg/Tag, da keine Studienergebnisse vorliegen, die zeigen, dass bei Patienten mit gesicherter Indikation die niedrigere Dosis zu vergleichbaren Ergebnissen führt [117]. Die G-CSF-Gabe kann dann beendet werden, wenn nach Durchlaufen des Nadirs wieder Neutrophilenwerte von mindestens 1.000/µl auf zwei aufeinanderfolgenden Tagen erreicht werden. Eine neue Möglichkeit, die täglich subkutane Gabe des G-CSF zu umgehen, besteht in der Anwendung von pegyliertem Filgrastim (Neulasta 6 mg ⊡ Tabelle 1.8). Pegfilgrastim erlaubt durch seine lange Eliminationshalbwertszeit eine ein-
malige subkutane Injektion 24 h nach Abschluss der Chemotherapie, wobei durch die anhaltenden Plasmaspiegel ein Wachstumsstimulus auf das Knochenmark von 14 Tagen gewährleistet ist. Folglich sollte keine Chemotherapie innerhalb dieser 14 Tage erfolgen, da ansonsten mit einer erhöhten Myelotoxizität gerechnet werden muss. Die Gabe von Pegfilgrastim erfolgt körpergewichtsunabhängig und bietet damit pharmakoökonomisch besondere Vorteile bei Patienten, die üblicherweise täglich 480 µg Filgrastim (Neupogen 48) über einen längeren Zeitraum erhalten müssten. Hinsichtlich der Wirksamkeit und Verträglichkeit ergeben sich zwischen dem Einsatz von Pegfilgrastim und Filgrastim nach bisherigen Untersuchungen keine Unterschiede [63].
1.3.8
Fieber unbekannter Genese
Während der Neutropenie kann es selbst unter GCSF-Gabe zu einem kritischen Anstieg der Körper-
17
1.3 · Gastrointestinale Toxizität
temperatur und der Entzündungsparameter (z. B. C-reaktives Protein [CRP]) kommen. Möglicherweise begünstigt eine vorangehende Lymphozytopenie das Auftreten febriler Episoden [12]. Die möglichen Ursachen eines neutropenischen Fiebers sind zwar sehr vielschichtig und möglicherweise nicht unmittelbar an eine mikrobiologisch dokumentierbare Infektion gekoppelt, jedoch kann nicht bis zum eindeutig nachweisbaren Befund eines Erregers mit der empirischen Gabe eines antiviralen, antibakteriellen oder antimykotischen Wirkstoffs gewartet werden. Wichtig für die Therapieentscheidung ist die Einstufung des Patienten als Hochrisiko- oder Niedrigrisikopatienten, um darauf die Wahl des geeigneten Antiinfektivums abzustimmen ( s. nachfolgende Übersicht). Faktoren, die bei Patienten mit hämatologischen Neoplasien ein hohes Infektionsrisiko bedeuten Höheres Alter Akute myeloische Leukämie, aplastische Anämie Organdysfunktion (z. B. Nieren- oder Leberfunktionsstörung) Begleitende Therapie mit Immunsuppressiva Lang anhaltende Neutropenie (>10 Tage) CD4-T-Zell-Zytopenie (<200/µl) Allogene Transplantation von peripheren Stammzellen oder Knochenmark Autologe Transplantation mit weniger als 2 Mio. CD34+-Zellen/kg KG Vorangegangene Therapie mit Adenosindesaminase-Hemmstoffen oder hochdosierten Steroiden (>1 mg/kg/Tag über mehr als 2 Wochen)
Bei Niedrigrisikopatienten mit Fieber unbekannter Genese (FUO) erscheint die Therapie mit einem intravenös applizierbaren Drittgenerationscephalosporin (z. B. Ceftriaxon oder Cefotaxim) oder die orale Gabe einer Kombination bestehend aus einem Gyrasehemmer (z. B. 1-mal täglich 500 mg Levofloxacin) und Amoxicillin/Clavulansäure (z. B. 2-mal täglich 1.000 mg) ausreichend zu sein. Aller-
1
dings sollte bei der oralen Therapie zuvor geprüft werden, ob von einer ausreichend hohen Compliance des Patienten ausgegangen werden kann und der Gastrointestinaltrakt funktionstüchtig ist, d. h. keine Zeichen für eine Malabsorption bestehen [76]. Bei Hochrisikopatienten mit FUO während der Neutropenie sehen Empfehlungen zur Initialtherapie die Gabe von 3-mal tägl. 4,5 g Piperacillin/Tazobactam vor. Lässt sich damit das Fieber binnen 48–96 h nicht zufriedenstellend senken, so kann der Zusatz von Vancomycin oder Teicoplanin erforderlich werden. Bei weiter bestehender Therapierefraktärität wird meist die Antiinfektiva-Therapie verändert und z. B. auf eine Carbapenem-Therapie gemeinsam mit Vancomycin umgestellt. Ergeben sich Hinweise auf eine Systemmykose ist so rasch wie möglich die empirische Therapie mit einem geeigneten Antimykotikum einzuleiten [3, 64].
1.3.9
Thrombozytopenie
Kommt es nach erfolgter Chemotherapie zu einem Abfall der Blutplättchen unter 10.000–20.000/µl, so besteht für den Patienten eine sehr hohe Gefahr lebensbedrohlicher Blutungen. Ist binnen 24 h ein Abfall der Thrombozyten in diesen Bereich zu erwarten, so wird frühzeitig eine Thrombozytentransfusion eingeleitet [53, 126]. Während die bereits genannten Wachstumsfaktoren G-CSF und GM-CSF keinen signifikanten Einfluss auf die Regeneration der Thrombozyten haben, spielt das endogen gebildete Thrombopoietin (TPO) eine wichtige Rolle beim Wiederanstieg der Thrombozyten [120]. Aus diesem Grund wurde schon vor Jahren an der Entwicklung eines rekombinanten TPO geforscht, jedoch mussten die Untersuchungen zu einem modifizierten TPO-Molekül (PEG-rhMGDF) aufgrund der beobachteten Bildung von neutralisierenden Antikörpern eingestellt werden. Weiterhin in der Entwicklung befindet sich ein rekombinantes, nichtmodifiziertes Thrombopoietin. Bisherige Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass sich durch dieses rekombinat herstellbare Zytokin (z. B. 1,2–3,6 µg/kg/Tag an verschiedenen Tagen) nicht nur die Dauer und Schwere der Thrombozy-
18
I
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
topenie signifikant reduzieren lässt, sondern auch die Zahl der notwendigen Thrombozyten-Transfusionen deutlich gesenkt werden kann [75]. In den USA und Europa ist inzwischen auch gentechnologisch gewonnenes Interleukin-11 (IL11) zur Vermeidung schwerer Thrombozytopenien nach Chemotherapie bei Patienten mit nichthämatologischen Tumoren zugelassen worden. Hintergrund dieser Zulassung ist die Tatsache, dass IL-11 (INN: Oprelvekin; Neumega 5 mg) die Produktion von Megakaryozyten-Vorläuferzellen und die Reifung der Megakaryozyten stimuliert. IL-11 wird dabei in einer Dosierung von 50 µg/kg/Tag s. c. über etwa 2–3 Wochen eingesetzt. Die erste Gabe erfolgt 6–24 h nach Abschluss der Chemotherapie, die Gabe wird bei Wiedererreichen von ca. 50.000 Plättchen/µl beendet. Nachteilig erscheint das relativ breite Nebenwirkungsspektrum nach Gabe von Oprelvekin. Aufgrund seiner plasmaexpandierenden Eigenschaften kommt es zu einer Reihe kardiovaskulärer Begleiteffekte (z. B. Arrhythmien, Palpitationen, Ödeme, dilatationsbedingte Anämie). Zu beachten sind ferner konjunktivale Infektionen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Dyspnoe, Arthralgien und Hautreaktionen [115, 116].
1.3.10
Anämie
Die Ursachen einer Anämie bei Tumorpatienten sind multifaktoriell: (1) zum einen kann – basierend auf einer chronischen Erkrankung – ein Eisenmangelzustand eingetreten sein; (2) sie kann Folge der zytostatikainduzierten Myelosuppression oder Nephrotoxizität sein oder (3) die maligne Erkrankung löst selbst eine Dysfunktion des haematopoietischen Systems aus. Ein schlechter Ernährungszustand des Patienten mit einer damit verbundenen verminderten Aufnahme von Vitamin B12, Folsäure und Eisensalzen ist ebenfalls von klinischer Relevanz [14, 94]. Anfang der 80er-Jahre bestand ausschließlich die Möglichkeit, Erythrozyten- bzw. Bluttransfusionen einzuleiten, wenn die Hämoglobinwerte unter die
kritische Marke von 8 g/dl gefallen waren. Mit rekombinantem Erythropoietin (rhEPO) besteht inzwischen eine Alternative, die im Gegensatz zur Transfusionen von Erythrozyten-Konzentraten zu keinem erhöhten Risiko immunologischer oder infektiologischer Folgekomplikationen führt [77]. Die Ansprechraten schwanken je nach Tumorart und der Art der Chemotherapie zwischen 6% und 86%. Die üblichen Dosen bei therapie- oder tumorinduzierter Anämie liegen bei wöchentlich 3mal 10.000 IU s. c. (entspr. 3-mal 150 IU/kg KG s.c.). Alternativ kann bei therapieinduzierter Anämie in Verbindung mit malignen Lymphomen auch eine einmal wöchentliche Gabe von 30.000 IU s. c. erfolgen. Insbesondere in den USA werden bei Patienten mit soliden Tumoren und dem Risiko einer schwerwiegenden Anämie auch einmal wöchentlich 40.000 IU s. c. appliziert; jedoch ist dieser Vorgehensweise in Deutschland bisher keine Zulassung erteilt worden. Die Dosierung kann nach 4 Wochen auf das Doppelte gesteigert werden (z. B. 3-mal wöchentlich 20.000 IU s. c.), falls kein Ansprechen erreicht wurde [26, 94]. Bleibt nach 4 Wochen ein Hb-Anstieg von mindestens 0,5 g/l, ein Anstieg der Retikulozyten um mindestens 40.000/µl und ein Anstieg der Transferrinwerte aus, so ist unter objektiven Gesichtspunkten von einem Nicht-Ansprechen des Patienten auszugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn gleichzeitig die EPO-Werte im Blut über 200 IU/ml ansteigen [1]. Allerdings wird immer wieder zu beobachten sein, dass die rhEPO-Therapie zu einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität des Patienten und der Verbesserung eines bestehenden Fatigue-Syndroms (z. B. chronischer Müdigkeit und Antriebsarmut) beitragen kann, ohne dass sich diese Verbesserung an objektiv messbaren Parametern festmachen lässt. Inzwischen steht mit Darbepoetin alfa (Aranesp, [»Novel Erythropoiesis Stimulating Protein«]) ein neuartiger Wirkstoff zur Stimulation der Erythropoese zur Verfügung. Aufgrund seines höheren Anteils an Sialinsäureresten (Kohlenhydratanteil NESP: 52% vs. EPO: 38%) ist die Verweildauer im Serum erhöht, so dass eine einmalige Applikation des Proteins pro Woche ausreicht. Die empfohlene Anfangsdosierung liegt bei 2,25 µg/kg KG/Woche, die nach 4 Wochen, falls das Ansprechen noch nicht
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1.3 · Gastrointestinale Toxizität
in vollem Ausmaß erfolgte, auf 4,5 µg/kg KG/Woche erhöht wird. Zur Zeit wird diskutiert, ob es nicht ratsam sein könnte, ein Front-Loading-Konzept zu entwickeln. Darunter versteht man ein Konzept, bei dem die Dosissteigerung nicht erst nach 4 Wochen vorgesehen ist, sondern bereits zu Beginn der Therapie mit höheren Dosen begonnen wird. Denkbar wäre z. B. beim Darbepoetin eine Gabe von 4,5 µg/ kg/Woche bei Patienten, deren Hb-Wert bereits bei oder unter 11 g/dl liegt, um rascher den Zielbereich von 12 g/dl wieder zu erreichen. Anschließend lässt sich die Dosierung wieder auf z. B. 4,5 µg/ kg KG alle 3 Wochen senken. Darüber hinaus wird auch geprüft, inwieweit auch eine fixe Dosis verabreicht werden kann, d. h. 325 µg absolut anstelle von 4,5 µg/kg KG/Woche [61]. Diese Untersuchungen machen deutlich, dass erheblicher Diskussionsbedarf auf dem Gebiet der Behandlung der therapie- und tumorinduzierten Anämie und des Fatigue-Syndroms in Verbindung mit rhEPO und Darbepoetin entstanden ist. In der Entwicklung befindet sich derzeit noch eine weitere Verbindung, die mit CERA (»continuous erythropoiesis receptor activator«) abgekürzt wird. Hierbei handelt es sich um ein rekombinantes Protein mit sehr langer Eliminationshalbwertszeit, das zu einem raschen, dosisabhängigen Anstieg der Retikulozyten führen kann [104].
1.3.11
Alopezie
Ist mit einer zytostatikainduzierten Alopezie zu rechnen, so fallen üblicherweise etwa 2–4 Wochen nach Beginn der Chemotherapie beim Patienten die ersten Haare aus. Binnen 3 Monaten wachsen sie meist wieder nach, wobei sich Form und Farbe im Einzelfall verändern können. Ausmaß und Schwere des Haarausfalls sind dosis- und substanzabhängig ( s. nachfolgende Übersicht) [31, 86]. Üblicherweise befinden sich die meisten Haare in der anagenen Phase (Wachstumsphase), während sich nur ein Bruchteil in der katagenen (Involution) oder telogenen Phase (Rest) befindet. Bestimmte Zytostatika sind in der Lage, die anagene Phase so nachhaltig zu beeinflussen, dass es zu einem Stillstand des Haarwachstums kommt, der Haarschaft
1
enger wird, das Haar bricht und ausfällt (»anagenes Effluvium«). In einem kürzlich erschienen Fallbericht von Sofroniadou et al. wurde beobachtet, dass eine Patientin trotz taxanhaltiger Chemotherapie keine Alopezie entwickelte. Dabei wurde nachträglich festgestellt, dass die Patientin während der gesamten Chemotherapie eigenmächtig ihre zuvor regelmäßige Einnahme der Schilddrüsenhormone unterbrochen hatte und damit während der Chemotherapie hypothyroid geworden war. Da bereits Erfahrungen vorliegen, dass durch Hypothyrodismus mehr Haare in der Telogenphase vorliegen, scheint der Effekt der Taxane auf das Haarwachstum vor allem auf die Anagenphase beschränkt zu sein [107].
Das Ausmaß der Alopezie hängt nicht nur von der Dosis, sondern auch von der Art des gewählten Zytostatikums ab. (Mod. nach [31]) I.
Starker Haarausfall wird induziert durch Cyclophosphamid, Daunorubicin, Docetaxel, Doxorubicin, Etoposid, Ifosfamid, Paclitaxel, Teniposid, Topotecan II. Mäßiger Haarausfall wird induziert durch Actinomycin, Amsacrin, 5-Fluorouracil, Hydroxyharnstoff, Methotrexat, Mitomycin, Mitoxantron, Procarbazin, Vinca-Alkaloide III. Geringer Haarausfall wird induziert durch L-Asparaginase, Carmustin, Bleomycin, Busulfan, Carboplatin, Lomustin, Chlorambucil, Cisplatin, Cytarabin, Dacarbazin, Gemcitabin, Melphalan, Mercaptopurin, Thioguanin, Thiotepa
Auch wenn die Alopezie nicht zu den lebensbedrohlichen Nebenwirkungen einer Chemotherapie zählt, so ist sie für die Patienten dennoch mit einer enormen psychischen Belastung verbunden. Sie fühlen sich von ihrer gewohnten Umgebung zunehmend abgegrenzt, verlieren an Selbstwertgefühl und werden sichtbar mit der Vergänglichkeit des Lebens konfrontiert. Kappen, die mittels Kälte, d. h. konstante Kühlung auf 5 °C über mehrere Stunden, eine vorübergehende Vasokonstriktion im Kopfbereich indu-
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I
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
zieren und somit die Verteilung des Zytostatikums in die Kopfhaut während der Infusion reduzieren, werden nur in bestimmten, darauf spezialisierten Zentren eingesetzt. Richtig angewendet, können sie das Ausmaß der Alopezie selbst nach Taxantherapie deutlich reduzieren. Inwieweit sie über ein palliatives Therapie-Setting hinaus angewendet werden dürfen und wie hoch das Risiko für Metastasen im Kopfbereich tatsächlich eingeschätzt werden kann, ist derzeit immer noch schwer zu beurteilen [73, 105]. Inzwischen stehen einige Zytostatika zur Verfügung, die nur zu einem geringen Prozentsatz zur Alopezie führen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass auch die Wahl der Formulierung (Arzneiform) Einfluss auf die Inzidenz der Alopezie haben kann. So lässt sich z. B. durch die Einbettung des Anthrazyklins Doxorubicin in pegylierte Liposomen (Caelyx) im Vergleich zur konventionellen Form und selbst zur liposomalen, nichtpegylierten Darreichungsform (Myocet) die Häufigkeit und Schwere der Alopezie erheblich reduzieren. Darüber hinaus wird seit Jahren an Wirkstoffen geforscht, mit deren supportivem Einsatz es möglich werden soll, die Alopezierate zu reduzieren. Zu den wichtigsten Verbindungen zählen in diesem Zusammenhang Vitamin E, Minoxidil, der Immunmodulator AS101 (Ammoniumtrichloro[dioxoeth ylen-0,0′]tellurat), ImuVert, der rekombinant gewonnene »Epidermal Growth Factor« (EGF) oder Calcitriol. Allerdings hat bis heute keine der genannten Verbindungen einen Stellenwert in der supportiven Therapie der Alopezie erreichen können [31, 111].
1.3.12
Extra- und Paravasation
Vor allem im Rahmen der peripher-venösen Gabe verschiedener Zytostatika ist zu beachten, dass es substanzabhängig nach Extra- oder Paravasation zu schwerwiegenden Ulzerationen bis hin zur Gelenksteifheit kommen kann. Das Hauptaugenmerk ist dabei auf die Anthrazykline in ihrer konventionellen Darreichungsform, das strukturverwandte Mitoxantron, die Vinca-Alkaloide, das Dactinomycin und Mitomycin C zu richten (⊡ Tabelle 1.9).
Bei einer Extra- oder Paravasation mit Anthrazyklinen gilt die rasche topische Applikation von 99%iger (unverdünnter) DMSO-Lösung (z. B. 4- bis 6-mal pro Tag – über 2 Wochen - einige Tropfen auf die betroffene Stelle träufeln, vorsichtig einreiben und an der Luft trocknen lassen; keine Umschläge!) als Mittel der Wahl. Zusätzlich kann innerhalb der ersten 24 h eine lokale Eiskühlung der betroffenen Stelle erfolgen (z. B. jede Stunde für etwa 15 min). Diese beiden Verfahren erscheinen auch in Fällen sinnvoll, bei denen eine Extra- oder Paravasation mit den Zytostatika Mitomyin C, Mitoxantron, Amsacrin oder Dactinomycin nicht auszuschließen ist [29]. In sehr seltenen Fällen kann auch bei der Nutzung eines zentralvenösen Zuganges eine Extravasation auftreten, vor allem dann, wenn der Katheter seine Position verändern sollte. In den 2 Fallbeispielen, die von Langer et al. vorgestellt wurden, erwies sich die intravenöse Gabe von Dexrazoxan 1.000 mg/m2 jeweils am Tag der Komplikation und dam darauf folgenden Tag und 500 mg/m2 i. v. 48 h nach Extravasation als erfolgreich, da bei keinem Patienten eine schwerwiegende Ulzeration auftrat. Somit ist Dexrazoxan (z. B. Cardioxane) die derzeit einzige Möglichkeit, systemisch eine schwer zugängliche Anthrazyklin-Extravasation behandeln zu können [81]. Im Gegensatz zu den bereits genannten Verbindungen ist bei einer wahrscheinlichen Extra-/Paravasation mit Vinca-Alkaloiden eine leichte Erwärmung der betroffenen Stelle von Nutzen. Als Mittel der ersten Wahl wird die Gabe von Hyaluronidase empfohlen. Hierzu werden z. B. 150–300 Units Hylase in 1,5–6 ml NaCl 0,9% gelöst und in die noch liegende Kanüle appliziert. Ist diese bereits entfernt, so werden etwa 6 subkutane Injektionen um das betroffene Gewebe herum injiziert. Es ist davon auszugehen, dass die geschilderten Maßnahmen über die Gewebsaufweichung und stärkere Durchblutung die Diffusion der Vinca-Alkaloide aus dem betroffenen Gewebe begünstigen sollen. Beim Vinorelbin ist bekannt, dass 5–10% der behandelten Patienten eine Phlebitis bei korrekter Anwendung der Infusion entwickeln können. Neben einer kurzen Infusionsdauer (ca. 6–10 min) könnte nach den Ergebnissen von Pilotstudien der Zusatz von Humanalbumin (z. B. 25 ml 20%-iges
21
1.3 · Gastrointestinale Toxizität
1
⊡ Tabelle 1.9. Der Einsatz bestimmter Zytostatika kann mit einem unterschiedlichen Risiko für schwerwiegende Ulzerationen nach Extra- oder Paravasation verbunden sein, wenn keine adäquaten Interventionen eingeleitet werden. (Mod. nach [29])
Hohes Risiko für schwerwiegende Ulzera
Auftreten von Irritationen wahrscheinlich, von Nekrosen selten
Keine Irritationen zu erwarten
Doxorubicin
Oxaliplatin
Liposomales Doxorubicin
Daunorubicin
Cisplatin
Liposomales Daunorubicin
Dactinomycin
Fluorouracil
Bleomycin
Epirubicin
Topotecan
Melphalan
Mechlorethamin
Paclitaxel
Carmustin, Carboplatin
Mitomycin C
Docetaxel
Dacarbazin
Mitoxantron
Cytarabin, Gemcitabin
Vincristin
Methotrexat
Vinorelbin
Etoposid, Teniposid
Vindesin
Cladribin, Fludarabin
Vinblastin
Cyclophosphamid, Ifosfamid, Irinotecan
Humanalbumin) in die vinorelbinhaltige Infusion von Nutzen sein. Andere Berichte schließen den Einsatz von 1.000 µg Natriumselenit (z. B. Selenase) in 500 ml NaCl 0, 9% mit ein. Weitergehende Studien stehen zu beiden Strategien allerdings aus. Bei den Taxanen ist nach bisherigem Kenntnisstand nur von einer geringen Gefahr für Ulzerationen in Verbindung mit einer Extravasation auszugehen. Sollten allerdings etwa 10% der gesamten Taxaninfusion in das betroffene Gewebe eingedrungen sein, so hat sich der Einsatz von Hyaluronidase (Dosierung vgl. Vinca-Alkaloide) zur lokalen Umspritzung bewährt. Der vorteilhafte lokale Einsatz von Wärme oder Kälte ist widersprüchlich. Hingegen ist von Strategien mit lokal appliziertem Natriumbicarbonat, Calciumfolinat oder selbst Hydrocortison abzuraten, da sie teilweise selbst zu einer Verstärkung der Ulzeration führten [29].
1.3.13 Überempfindlichkeitsreaktionen
Unter dem Einsatz bestimmter Zytostatika, wie z. B. den Asparaginase-Präparaten, den Platinverbindungen Cisplatin, Carboplatin und Oxaliplatin oder dem L-Melphalan, kann es zu teilweise sehr ernstzunehmenden Überempfindlichkeitsreaktionen kommen (⊡ Tabelle 1.10). Eine ähnliche Symptomatik ist auch dann zu beobachten, wenn bestimmte Hilfsstoffe, wie z. B. Cremophor EL, in der handelsüblichen Darreichungsform (z. B. Taxol, VM26) als Lösungsvermittler verwendet wurden [2, 86, 114]. Wie am Beispiel Taxol ist allerdings deutlich geworden, wie durch eine adäquate Prophylaxe – bestehend aus einem Glucocorticoid, einem H1und einem H2-Antihistaminikum (z. B. Diphenhydramin 50 mg und Famotidin 20 mg – 30 min i. v. vor der Chemotherapie) – das Risiko dieser Nebenwirkung auf ein sehr geringes Maß reduziert wer-
22
I
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
⊡ Tabelle 1.10. Antineoplastische Wirkstoffe, bei deren Einsatz das Auftreten von Überempfindlichkeitsreaktionen beobachtet werden kann. (Mod. nach [2])
Wirkstoff
Art der Überempfindlichkeitsreaktion
Häufigkeit
L-Asparaginase
Typ I
10–20%
Paclitaxel
Typ I
5–10%
Docetaxel
Typ I
5–10%
Procarbazin
Typ I, III
5–15%, selten
Teniposid
Typ I
5–15%
Carboplatin
Typ I
5–8%
Melphalan
Typ I
2–5%
Daunorubicin
Typ I
1–5%
Etoposid
Typ I, II
1–3%
Cisplatin
Typ I, II
1%
Alemtuzumab
Typ I
Rituximab
Typ I, III
8–15%, selten
Trastuzumab
Typ I
3–18%
30–40%
den konnte. Allerdings können trotz dieser Prämedikation ernstzunehmende Symptome einer Überempfindlichkeitsreaktion auftreten (z. B. plötzliches Auftreten einer Dyspnoe, Rückenscherzen und Flush) [13, 89, 90]. In diesen Fällen kann neben der Strategie einer Desensibiliserung, wie sie in einigen Zentren praktiziert wird, auch auf das strukturverwandte Docetaxel (Taxotere) gewechselt werden, wenn es die Tumorentität erlaubt, da in der handelsüblichen Formulierung kein Cremophor EL verwendet wird. Allerdings ist in sehr seltenen Fällen, wenn die Überempfindlichkeitsreaktion nicht auf dem eingesetzten Lösungsmittel, sondern auf dem Naturstoffgerüst des Taxans beruht, auch eine
Unterstützung der Überempfindlichkeitsreaktion durch Taxotere möglich [10, 35]. Wünschenswert erscheint in diesem Zusammenhang die Entwicklung von wasserlöslichen Derivaten, mit denen der Einsatz von allergisierenden Hilfsstoffen auf ein Mindestmaß zurückgedrängt werden kann. Eines der bekanntesten Beispiele ist in diesem Zusammenhang das Etoposidphosphat, das gegenüber dem herkömmlichen Etoposid (z. B. Vepesid) eine Reihe von Vorteilen in der Stabilität und Verträglichkeit aufweist. So sind mehrere Fälle bekannt, in denen Etoposidphosphat (Etopophos) unproblematisch verabreicht werden konnte, obwohl bereits Überempfindlichkeitsreaktionen auf die Gabe von Vepesid aufgetreten waren [114].
1.4
Organprotektive Maßnahmen
Ist die zytostatikainduzierte Toxizität auf das Knochenmark, die Haarfollikelzellen oder die Mundschleimhaut ein Ereignis, das primär auf der antiproliferativen Wirkung der Zytostatika auf sich rasch teilendes, gesundes Gewebe beruht, sind Nebenwirkungen auf die Nieren, die Blase, die Lungen oder das Herz vorwiegend substanzspezifisch und teilweise in Zusammenhang mit bestimmten Metaboliten zu sehen. So ist am Beispiel der Oxazaphosphorine, der Anthrazykline, des Bleomycin oder der Vinca-Alkaloide inzwischen mehrfach gezeigt worden, dass die Pharmakokinetik dieser Substanzen entscheidenden Einfluss auf die Organtoxizität hat. Gerade bei intensivierten Therapieregimen wird die manifeste Schädigung eines Organs immer mehr zum dosislimitierenden Ereignis, vor allem dann, wenn keine geeignete supportive Maßnahme zur Umgehung dieser Toxizität zur Verfügung steht. Aus diesem Grund wird weltweit fieberhaft an der Entwicklung von Substanzen geforscht, mit deren Hilfe das Risiko einer Organschädigung bestmöglich reduziert werden kann. Allerdings ist das bisher zur Verfügung stehende Instrumentarium zur spezifischen Verhinderung zytostatikainduzierter Organtoxizitäten vergleichsweise gering. Zu den seit Jahren etablierten, gezielten Maßnahmen zur Organprotektion zählt
23
1.4 · Organprotektive Maßnahmen
neben der Alkalisierung des Harnes im Rahmen einer Hochdosistherapie mit Methotrexat nur die Gabe des uroprotektiven Mesna im Rahmen einer Oxazaphosphorin-Therapie. Viele andere Maßnahmen, wie der Einsatz von Glutathion bei platininduzierter Organtoxizität, von Methylenblau bei ifosfamidinduzierter Neurotoxizität oder Natriumselenit als Radikalfänger bei Radiochemotherapien, müssen noch kritisch beurteilt werden, da sie nur auf der Basis von Pilotstudien mit geringen Fallzahlen als erfolgsversprechende supportive Maßnahme vorgestellt wurden. Einen wichtigeren Stellenwert nehmen international inzwischen die Verbindungen Amifostin (Ethyol) und Dexrazoxan (z. B. Zinecard, Cardioxane) ein.
1.4.1
Mesna
Mesna, das Natriumsalz des 2-Mercaptoethanolsulfonats, spielt seit über 20 Jahren eine unverzichtbare Rolle zum Schutz der Blase (Uroprotektion) nach konventionell und höherdosiertem Cyclophosphamid und Ifosfamid. Während der Biotransformation der Oxazaphosphorine entsteht u. a. das urotoxische Acrolein, das durch Mesna nichtenzymatisch in der Blase und den ableitenden Harnwegen durch eine Adduktbildung neutralisiert wird. Mesna steht zur parenteralen und oralen Darreichung zur Verfügung, die jeweilige Dosis wird auf die Art und Dosierung des gewählten Oxazaphosphorins abgestimmt (⊡ Abb. 1.2) [17, 74, 85]. Auch wenn die Wirksamkeit des Mesna unbestritten ist, so sind dennoch zwei Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren: Obwohl eine Vielzahl von Studien mit Mesna im Rahmen koventioneller OxazaphosphorinTherapien durchgeführt wurden, ist die Datenfülle im Rahmen hochdosierter Oxazaphosphoringaben wesentlich geringer. Zwar sind in der Fachinformation Empfehlungen zur Mesnagabe bei Kurz- und Dauerinfusion eines hochdosierten Oxazaphosphorins zu finden (⊡ Abb. 1.2), jedoch ist u. a. aus den Studienergebnissen von Fleming et al. zu entnehmen, dass der Einsatz von Mesna möglicherweise
1
noch optimierbar ist [38]. Fleming et al. schlagen z. B. vor, im Rahmen einer hochdosierten Cyclophosphamidgabe (z. B. 60 mg/kg KG i. v. über 2 h) sowohl intermittierende Bolusgaben über die ersten 6–9 h als auch eine Mesna-Dauerinfusion über 24–48 h vorzusehen. Hintergrund ihrer Empfehlung ist die Beobachtung, dass die alkylierende Aktivität im Patientenharn interindividuell hohen Schwankungen unterworfen ist und selbst noch 24 h und später teilweise recht hohe Werte erreichen kann [38]. Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) sieht deshalb noch Handlungsbedarf, was die eindeutigen Dosierungsempfehlungen für Mesna im Rahmen der Hochdosis-Oxazaphosphorintherapie betrifft. Mesna senkt zwar ursächlich die Inzidenz einer akut oder subakut auftretenden oxazaphosphorininduzierten Cystitis, es hat allerdings wenig Einfluss auf das Risiko einer chronisch auftretenden Cystitis – z. B. nach Hochdosis-Cyclophosphamid. Diese Form der hämorrhagischen Cystitis steht vielmehr in engem Zusammenhang mit einer Grad II–IV »Graft-vs.-Host-Disease« (GvHD), einer Reaktivierung von Cytomegalieviren, dem Einsatz von Busulfan in der Konditionierungsphase und dem Alter des Patienten. Nicht selten finden sich in diesem Stadium Adeno- oder Papillomaviren im Urin, die latent im Uroepithel vorhanden sind und in diesem Stadium reaktiviert werden können [109].
1.4.2
Dexrazoxan (ICRF-187)
Mit steigender kumulativer Gesamtdosis eines Anthrazyklins oder des strukturverwandten Mitoxantron nimmt das Risiko einer Herzinsuffizienz (synonym: kongestive Kardiomyopathie) zu (⊡ Tabelle 1.11). So können im Mittel etwa 7% der Patienten nach 550 mg/m2 Doxorubicin bzw. 900 mg/m2 Epirubicin kardiotoxische Symptome entwickeln, wobei die interindividuelle Schwankungsbreite beachtlich ist. Hilfreich wäre es sicherlich, wenn man mit Hilfe geeigneter Biomarker, wie z. B. die aus dem geschädigten Herzgewebe freigesetzte Menge
24
I
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
Schema 1A: I. v.-Mesnadosierung bei konventionellen Oxazaphosphorindosen als Kurzinfusion (z. B. 30–60 min) im stationären Bereich: Stunden (Uhrzeit):
0 (8.00 Uhr)
4 (12.00 Uhr)
8 (16 Uhr)
Oxazaphosphorin Dosis Uromitexan® Dosis
2.000 mg 400 mg
– 400 mg
– 400 mg
Jeweils 20% der Oxazaphosphorindosis werden als Mesna kurz vor, 4 Std. und 8 Std. nach Beginn der Cyclophosphamid-Kurzinfusion verabreicht. Schema 1B: I. v.-Mesnadosierung bei konventionellen Oxazaphosphorindosen als Kurzinfusion bei Patienten, die teilstationär (z. B. Tagesklinik) versorgt werden: Stunden (Uhrzeit):
0 (8.00 Uhr)
4 (12.00 Uhr)
Oxazaphosphorin Dosis Uromitexan® Dosis
2.000 mg 1.000 mg
1.000 mg
Jeweils 50% der Oxazaphosphorindosis werden als Mesna kurz vor und 4 Std. nach Beginn der OxazaphosphorinInfusion verabreicht. Schema 1C: Teils intravenös/teils perorale Therapie mit Mesna bei konventionellen Oxazaphosphorindosen als Kurzinfusion bei Patienten, die teilstationär (z. B. Tagesklinik) versorgt werden: Stunden (Uhrzeit):
0 (8.00 Uhr)
2 (10.00 Uhr)
6 (14 Uhr)
Oxazaphosphorin Dosis Uromitexan® Dosis
2.000 mg 400 mg i. v.
– 800 mg p. o.
– 800 mg p. o.
20% der Oxazaphosphorindosis werden als Mesna kurz vor der Infusion als Bolus verabreicht. Jeweils 40% der Oxazaphosphorindosis werden als Mesna peroral zur Stunde 2 und 6 eingenommen. Schema 2: Mesnadosierung bei konventionellen und hohen Oxazaphosphorindosen als Dauerinfusion (z. B. über 16–24 Std.) Stunde
0
Ifosfamid Infusion Uromitexan Bolus-Dosis Uromitexan Infusion
8.000 mg (= 100%) 1.600 mg (= 20%) 8.000 mg (= 100%) 4.000 mg (= 50%)
24
30
36
20% der Oxazaphosphorindosis werden als Mesna kurz vor Beginn der Dauerinfusion als Bolus verabreicht; 100% werden als Mesna parallel zur Dauerinfusion kontinuierlich infundiert (Mesna kann der Infusionslösung direkt zugesetzt werden). Nach Abschluss der Dauerinfusion werden über weitere 12 Stunden 50% der Oxazaphosphorindosis als Mesna perfundiert. Schema 3: Mesnadosierung bei einer Hochdosistherapie mit Oxazaphosphorinen als Kurzinfusion im stationären Bereich: Stunde
0
3
6
9
Cyclophosphamid Mesna
4,0 g (100%) 1,6 g (40%)
1,6 g (40%)
1,6 g (40%)
1,6 g (40%)
Mesna
4.000 mg (100%) als Perfusor über 24 Stunden
Jeweils 40–50% der Oxazaphosphorindosis werden als Mesna kurz vor, 3 Std., 6 Std. und 9 Std. nach Beginn der Cyclophosphamid-Kurzinfusion als Bolus verabreicht. Parallel dazu empfiehlt sich die kontinuierliche Infusion einer Mesna-Dosis, die 100% der Oxazaphosphorinmenge entspricht, über 24 Stunden. ⊡ Abb. 1.2. Dosierungsschemata für Mesna bei konventioneller und hochdosierter Oxazaphosphorintherapie
25
1.4 · Organprotektive Maßnahmen
1
⊡ Tabelle 1.11. Anthrazyklininduzierte kongestive Kardiomyopathie – kumulative Grenzdosen im Vergleich
Anthrazyklin(derivat)
Kumulative Gesamtdosis (mg/m2)
Dosierungsbereich (Beispiel)
Daunorubicin
500–600
45–60 mg/m2/Tag, Tag 1–3
Doxorubicin
500–550
60–75 mg/m2 alle 3 Wochen
Epirubicin
900
60–120 mg/m2 alle 3 Wochen
Idarubicin i. v.
120
12 mg/m2 Tag 1–3
Idarubicin p. o.
600–720
15–30 mg/m2 Tag 1–3
Liposomales Daunorubicin
>1.000
40 mg/m2 alle 2 Wochen
Liposomales, pegyliertes Doxorubicin
>1.000
40–50 mg/m2 alle 4 Wochen
Mitoxantron
200
12 mg/m2, Tag 1
an Troponin T, sehr früh feststellen könnte, welche Patienten auch unter deutlich geringeren kumulativen Gesamtdosen bereits eine Herzinsuffizienz entwickeln können [56, 65, 84]. Obwohl verschiedene Mechanismen für diese Kardiotoxizität diskutiert werden, wird doch der Freisetzung reaktiver Hydroxylradikale und -anionen die größte Bedeutung beigemessen. Eisen(III)-Ionen spielen im Rahmen der Haber-WeissReaktion dabei ein ganz entscheidende Rolle. Das EDTA-ähnliche Dexrazoxan (ICRF-187) ist nach seiner Biotransformation zum ICRF-198 in der Lage, diese Eisen-(III)-Ionen zu chelatisieren und damit den Radikalmechanismus nachhaltig zu unterbrechen. Im Gegensatz zu Desferoxamin, Deferiprone oder EDTA ist seine Affinität gegenüber anderen Metall-Ionen wesentlich geringer [128]. Zuerst wurde Dexrazoxan unter dem Handelsnamen Zinecard in den USA zugelassen – allerdings mit der Einschränkung, dass es nur bei Mammakarzinompatientinnen, die bereits mit 300 mg/m2 Doxorubicin vorbehandelt wurden, verwendet wird. Das Dosierungsverhältnis zwischen Doxorubicin und Dexrazoxan pro Zyklus liegt bei 1:10. Inzwischen liegen auch Studienergebnisse mit ICRF-187 und anderen Anthrazyklinen (z. B. Epirubicin) vor. In einem Dosierungsverhält-
nis 1:6 kam es selbst nach kumulativen Dosen von 1.200 mg/m2 Epirubicin zu keiner merklichen Abnahme der Auswurfsleistung des linken Herzventrikels [52, 87]. Inzwischen wurde Dexrazoxan unter dem Handelsnamen Cardioxane auch in Frankreich zum Einsatz bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Mammakarzinom zugelassen, wobei sich deutliche Abweichungen zur US-amerikanischen Zulassung erkennen lassen: das Dosierungsverhältnis zwischen Doxorubicin und Dexrazoxan beträgt 1:20 und der Beginn der Dexrazoxantherapie ist bereits zum ersten Doxorubicin-Zyklus möglich. Eine Beeinträchtigung der antineoplastischen Effektivität durch Dexrazoxan gilt nach den bisherigen Studienergebnissen als relativ unwahrscheinlich. Ob die kombinierte Anwendung von Dexrazoxan eine massive Steigerung der Anthrazyklin-Einzeldosis (z. B. >160 mg/m2 Epirubicin/Tag) erlaubt, ist fraglich, da in diesem Fall andere Nebenwirkungen, wie z. B. Hautreaktion (z. B.: Hand-foot-Syndrom) und Mukositis, an Bedeutung gewinnen und dosislimitierend werden könnten. Abzuwarten bleibt sicherlich auch die Klärung der Fragestellung, welchen Stellenwert die kombinierte Anwendung eines Anthrazyklins mit Dexrazoxan gegenüber der Monotherapie mit pegylier-
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Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
tem liposomalem Doxorubicin hat, da auch letzteres selbst bei kumulativen Gesamtdosen über 1.000– 1.600 mg/m2 i. v. mit einem außerordentlich geringen kardiotoxischen Risiko verbunden ist [128].
1.4.3
Amifostin
Das Aminothiolderivat Amifostin (WR2721) wurde ursprünglich entwickelt, um im Falle einer Nuklearkatastrophe einen systemischen Schutz vor den Folgen radioaktiver Strahlung zu gewährleisten. Inzwischen liegen allerdings zahlreiche Studien vor, die belegen, dass Amifostin auch eine wichtige Rolle bei der Prävention bestimmter strahlen- und chemotherapieinduzierter Organtoxizitäten spielt. Zugelassen ist der Wirkstoff inzwischen zur Vermeidung der Myelosuppression nach der kombinierten Gabe von Cisplatin und Cyclophosphamid bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom (FIGOStadium III oder IV), zur Prävention der cisplatininduzierten Nephrotoxizität und zur Reduktion der Dauer und Schwere der strahleninduzierten Xerosotomie. Weitere potenzielle Indikationen bestehen in der Reduktion der cisplatininduzierten Neuropathie, der mitomycin- oder carboplatininduzierten Hämatotoxizität oder der paclitaxelinduzierten Neuropathie. Das Aminothiolderivat Amifostin (WR-2721) wird nach intravenöser Gabe durch die alkalische Phosphatase in die Wirkform WR-1065 umgewandelt, die in das entsprechende Disulfid (WR-33278) weiter biotransformiert werden kann (⊡ Abb. 1.3). Der selektive Schutz des gesunden Gewebes gegenüber tumorinfiltriertem Gewebe beruht vor allem darauf, dass die Bioaktivierung des Prodrugs Amifostin nur über die alkalische Phosphatase erfolgen kann. Die Aktivität dieses Enzyms ist allerdings in tumorinfiltiertem Gewebe kaum oder gar nicht nachweisbar, so dass sich hieraus eine selektive Zytoprotektion für das gesunde Gewebe ergibt. Tatsächlich lassen die bisherigen Studienergebnisse den Schluss zu, dass es unter Amifostin zu keiner klinisch relevanten Protektion des Tumorgewebes kommt. Die Zytoprotektion selbst beruht zum einen auf der Reaktivität der freien Thiolverbindung gegenüber nukleophilen zytotoxischen Substraten, zum anderen in seiner generellen Funktion als Radikalfänger.
Besonders gut ist der zytoprotektive Effekt in Verbindung mit Cisplatin dokumentiert. So kommt es z. B. bei Patienten, die 100 mg/m2 Cisplatin pro Zyklus erhalten, nach 4 und mehr Zyklen zu einer Reduktion der Kreatinin-Clearance um 30–40%, während sie in Verbindung mit Amifostin nur bei 8–10% liegt. Allerdings ist das Prodrug Amifostin bereits ab dem ersten Zyklus zu verabreichen, da bei einer bereits bestehenden, cisplatininduzierten Nephropathie die nephroprotektive Wirkung des Amifostin nicht mehr gesichert ist. Die Nephroprotektion durch Amifostin steht in engem Zusammenhang mit dem Gehalt an alkalischer Phosphatase im Bürstensaum des proximalen Tubulus. Seine besondere Bedeutung bei der cisplatininduzierten Nephropathie hat inzwischen auch dazu geführt, dass die ASCO den Einsatz des Amifostin für diese Indikation ausdrücklich empfiehlt. Das gilt auch für die Indikation alkylantieninduzierte Neutropenie, wobei dieser relativ teuren supportiven Strategie die Möglichkeit einer Dosisreduktion der gewählten Zytostatika ohne Amifostin gegenüberzustellen ist.Allerdings empfiehlt die ASCO aufgrund der insuffizienten Studiendatenlage (nach den Kriterien der »Evidence-Based Medicine«)
⊡ Abb. 1.3. Amifostin (WR2721) wird über die alkalische Phosphatase in die eigentliche Wirkform WR1065 umgewandelt. Ein weiterer Biotransformationsschritt besteht in der Oxidation zum entsprechenden Disulfid (WR33278)
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1.4 · Organprotektive Maßnahmen
Vier entscheidende Parameter gilt es im Rahmen einer Amifostingabe einzuhalten, um das Risiko einer Hypotension und Übelkeit bzw. Emesis für den Patienten so gering wie möglich zu halten. (Mod. nach [30]) 1. Hydrierung Es ist darauf zu achten, dass der Patient zum Zeitpunkt der Amifostingabe nicht dehydriert bzw. dass er ausreichend hydriert ist. So sollte der Patient mindestens etwa 1 l Flüssigkeit am Tag vor der Amifostingabe trinken. Je nach Hydratationsstatus des Patienten werden ihm beginnend 60–90 min vor der Amifostingabe (740– 910 mg/m2) 1–2 l Flüssigkeit (z. B. NaCl 0,9%) i. v. verabreicht. 2. Einhaltung der Kurzinfusion Es ist darauf zu achten, dass Amifostin binnen 5–10 min verabreicht wird. Wird Amifostin über einen längeren Zeitraum verabreicht, so steigt das Nebenwirkungsrisiko. 3. Vermeidung der Hypotension Arzneimittel wie die ACE-Hemmer oder Diuretika, die den hypotensiven Effekt des
derzeit noch nicht den Einsatz des Amifostin zur Prävention der taxan- oder cisplatininduzierten Neurotoxizität oder der alkylantieninduzierten Thrombozytopenie [30, 40, 55, 79]. Zu beachten ist das Nebenwirkunsgprofil des Amifostin und die damit zusammenhängenden Vorsichtsmaßnahmen ( s. Übersicht). Aus pharmakoökonomischen Gesichtspunkten ist von Interesse, dass die Standarddosierung von 910 mg/m2 möglicherweise bereits ab dem ersten Zyklus auf 740 mg/m2 gesenkt werden kann. Dieser Schritt könnte nicht nur zur Kostensenkung, sondern auch zu einer Verbesserung der Verträglichkeit beitragen. In diesem Zusammenhang sind auch die kürzlich erschienenen Studienergebnisse zur Amifostin-Pharmakokinetik von Shaw et al. von Interesse [110]. Sie kommen aufgrund ihrer Daten zu dem Schluss, dass bei Dosen über 740 mg/m2 i. v. eine nichtlineare Amifostin-Pharmakokinetik beobachtet werden kann, da bei höheren Dosen mögli-
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Amifostin verstärken können, sollten 24 h vor Amifostingabe abgesetzt werden. Der Blutdruck wird alle 5 min während der Amifostingabe bestimmt. Während der Applikation sollte sich der Patient in Rückenlage befinden. Fällt der systolische Wert unter 20% des Ausgangswertes, ist die Amifostingabe zu unterbrechen, bis der Ausgangswert wieder erreicht ist. Erreicht er nicht mehr den Ausgangswert, so sollte beim nächsten Zyklus nur ca. 800 mg/m2 statt 910 mg/m2 bzw. 650 mg/m2 statt 740 mg/m2 verabreicht werden. 4. Antiemese Etwa 30–60 min vor der Amifostingabe ist die kombinierte Gabe eines 5-HT3Antagonisten mit Dexamethason (20 mg) und Diphenhydramin (25–50 mg) indiziert. Substanzen wie Triflupromazin sind nur unter sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung indiziert, da sie selbst zu hypotensiven Begleiteffekten führen.
cherweise eine stärkere kompensatorische Ausscheidung durch die Nieren erfolgt. Damit wären unter höheren Dosen keine höheren Plasmakonzentrationen an aktiver Substanz zu erwarten [110]. Fazit Vergleicht man die therapeutischen Möglichkeiten, die noch vor etwa 20 Jahren zur Vermeidung von zytostatikainduzierten Nebenwirkungen zur Verfügung standen, mit den inzwischen verfügbaren therapeutischen Optionen, wie z. B. den Serotoninantagonisten, den hämatopoietisch wirksamen Wachstumsfaktoren, des Amifostin und Dexrazoxan, so sind diesbezüglich zweifelsohne wichtige Fortschritte erzielt worden. Dennoch sind einige Problemfelder bisher nicht zufriedenstellend gelöst. Zum einen sind ▼
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Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
bestimmte Nebenwirkungen, wie z. B. die chemotherapieinduzierte Mukositis oder bestimmte Organtoxizitäten, wie z. B. die ifosfamidinduzierte Nephropathie, bisher nicht gezielt präventiv anzugehen. In vielen Fällen, wie dem Bleomycin, dem Docetaxel oder dem Oxaliplatin besteht auch bis auf weiteres nur die Möglichkeit, vorgegebene kumulative Gesamtdosen nicht zu überschreiten, um das Risiko einer substanzspezifischen Organtoxizität so gering wie möglich zu halten. Monat für Monat erscheinen immer neue Studienergebnisse unterschiedlicher Qualität, die neue Hoffnungen auf dem Gebiet der Supportivtherapie wecken. Allerdings ist es in diesem Zusammenhang unerlässlich, relativ strenge Maßstäbe bei der indikationsabhängigen Präparateauswahl nach den Vorgaben der EBM anzulegen. Solche Leitlinien dienen auch dazu, dass der routinemäßige Einsatz eines bisher noch nicht im Detail untersuchten Medikaments, wie z. B. Dexrazoxan, nicht unkontrolliert über definierte Einsatzgebiete hinausgeht. Die allmähliche Etablierung solcher Leitlinien ist allerdings immer mit dem Problem verbunden, dass die Entwicklungen im Bereich der klinischen Onkologie (z. B. im Rahmen der Dosisintensivierung) so rasant voranschreiten, dass ausschließlich EBM-konforme Supportivtherapien kaum Schritt halten können. Es bleibt deshalb unerlässlich, dass die Entwicklung verbesserter und neuer supportiver Strategien in der klinischen Onkologie nach den Kriterien der EBM auch in Zukunft mit größter Energie vorangetrieben wird.
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100. 101. 102.
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1
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32
I
Kapitel 1 · Supportive Therapie und Begleitmaßnahmen beim Einsatz von Zytostatika
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2 Therapie mit BCG beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom A. Böhle
2.1
Grundlagen
2.2
Historische Entwicklung der intravesikalen BCG-Therapie
2.3
Verabreichung von BCG
2.4
Induktionszyklus
– 35
2.5
Nebenwirkungen
– 38
2.6
Stellenwert der BCG-Therapie
Literatur
– 40
– 34
– 35
– 39
– 34
34
I
2.1
Kapitel 2 · Therapie mit BCG beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom
Grundlagen
Das Harnblasenkarzinom ist der fünfthäufigste maligne Tumor beim Mann und der siebthäufigste der Frau. Die Inzidenz beträgt ca. 17–19 pro 100.000 Einwohner und ist mit ca. 2–3% aller malignen Tumorerkrankungen der häufigste Tumor der ableitenden Harnwege [1]. Das Blasenkarzinom ist insgesamt für etwa 3,5% aller Krebstodesfälle verantwortlich. Als Todesursache beim Mann stehen sie an 6. Stelle, bei der Frau an 8. Stelle aller Todesfälle. In der Urologie ist es nach dem Prostatakarzinom der zweithäufigst anzutreffende Tumor [2]. Die meisten Patienten, ca. 70–80%, haben bei Diagnosestellung oberflächliche Tumoren der Stadien pTa, pT1 und CIS. In Abhängigkeit vom Tumorstadium und Differenzierungsgrad rezidivieren jedoch ca. 70% der Betroffenen nach ausschließlicher transurethraler Resektion; bis zu 25% der Patienten erleiden einen Progress im Sinne eines höheren Tumorstadiums bzw. schlechteren Differenzierungsgrads im Rezidiv [3]. Die korrigierte 5-Jahresüberlebensrate für Patienten mit pTa-Tumoren beträgt 95%, für das Tumorstadium pT1 G1–2 81% und für das Tumorstadium pT1 G3–4 64% [4]. Tritt ein Rezidiv auf, verschlechtert sich die Prognose bei pTa-Tumoren auf 77,7%, bei pT1G1–2-Tumoren auf 78,6% und bei pT1-G3–4-Tumoren auf 38,7%. Darüber hinaus sind der Differenzierungsgrad und die Multifokalität des Primärtumors von prognostischer Bedeutung: während hochdifferenzierte Tumoren nur in 0–6% eine Invasion der Lamina propria und damit eine Progression aufwiesen, zeigten 22–52% der mittelgradig differenzierten Tumoren und 5–82% der niedrig differenzierten Tumoren im Verlauf nach transurethraler Resektion ein invasives Wachstum. Primär multifokale Tumoren, mehr als 2 Tumoren bei Erstdiagnose, ein begleitendes Carcinoma in situ und eine Tumorgröße von >5 cm beeinflussen die Prognose ebenfalls im Sinne einer Verschlechterung [5]. Weitere wichtige Prognoseparameter für das oberflächliche Urothelkarzinom, unabhängig von Tumorstadium und Differenzierungsgrad, wurden von Kurth et al. der EORTC ermittelt. Neben dem Behandlungsjahr und der Erfahrung des behandelnden Arztes wurde insbesondere der Status des
Patienten nach 3 Monaten unabhängig von einer adjuvanten Behandlung als prognostisch ungünstig herausgestellt [6]. Aus den genannten Daten zur Rezidiv- und Progressionswahrscheinlichkeit oberflächlicher Tumoren ergibt sich die Notwendigkeit einer adjuvanten Therapie. Lediglich primäre monofokale Tumoren im Stadium pTa G1 bedürfen aufgrund der niedrigen Rezidiv- und Progressionswahrscheinlichkeit keiner adjuvanten Therapie. Bei allen anderen oberflächlichen Tumoren wird eine intravesikale Rezidivprophylaxe empfohlen [7]. In Deutschland kommen die intravesikale Zytostatika- sowie die intravesikale BCGInstillation zur Rezidivprophylaxe zum Einsatz. Nachfolgend soll der wissenschaftliche Hintergrund der BCG-Therapie, die praktische Durchführung der Behandlung, die Nebenwirkungen der Therapie sowie der Stellenwert der Behandlung im Vergleich zu anderen Therapieverfahren dargestellt werden.
2.2
Historische Entwicklung der intravesikalen BCG-Therapie
Nachdem die sog. Blasenpapillomatose noch in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts als eine Infektionskrankheit betrachtet wurde und mittels Desinfektion der Blase behandelt wurde, dauerte es bis zur Mitte der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts bis eine klinisch relevanten Immuntherapie für das Blasenkarzinom eingesetzt wurde. Angeregt durch das als »Coley’s Toxin« bekannt gewordenes Bakterienextrakt des amerikanischen Chirurgen W.B. Coley, der die Heilung eines rezidivierenden Lymphosarkoms nach Erysipelinfektion bereits Ende des 19. Jahrhunderts beobachtete und danach in die adjuvante Karzinomtherapie eingeführt hat [8] wurden weitere mikrobielle Substanzen untersucht, die zur Rückbildung von malignen Tumoren führten. Basierend auf der Beobachtung, dass eine chemisch bzw. radiogen induzierte Lymophopenie als prognostisch ungünstiges Zeichen bei Blasenkarzinompatienten zu werten war [9] und dass ein Zusammenhang zwischen der Progression von Blasentumoren und Immunsuppression bestand, entwickelte sich die Überlegung, dass die Stimula-
35
2.4 · Induktionszyklus
tion des Immunsystems, also eine Immuntherapie auch eine mögliche Form der Therapie beim Harnblasenkarzinom darstellen könnte. Neben dem »Coley’s Toxin«, dem Rabies-Virus und dem Corynebakterium parvum wurde besonders das Bacillus Calmette-Guérin (BCG) erfolgreich in der Therapie von malignen Melanomen bei intraläsionaler Injektion sowie bei systemischer Immunisierung bei Leukämien eingesetzt. 1935 beschrieb Holmgren erstmals die antineoplastische Wirkung von BCG [10]. Die stark immunogene Wirkung mykobakterieller Präparationen wurde von Freud erforscht und angewendet [11]. 1966 zeigten Coe u. Feldman, dass die Harnblase genau wie die Haut in der Lage ist, eine Immunantwort vom verzögerten Typ (»delayed type hypersensitivity«, DTH) auf einen antigenen Reiz auszulösen [12]. 1976 berichteten Morales et al. erstmals über die erfolgreiche topische Anwendung von BCG beim Harnblasenkarzinom durch Instillation von viablen BCG [13]. Alle Untersuchungen zum Wirkmechanismus ergaben bisher, dass eine Reihe immunologischer Phänomene involviert sind. Die komplexe Immunantwort mit Beteiligung humoraler und zellulärer Immunmechanismen auf die BCG-induzierte Infektion persistiert langfristig in der Harnblasenwand [14]. Neben einer charakteristischen Zytokinsekretion in den Urin, welche signifikant unterschiedlich zu einer unspezifischen Zystitis ist, kommt es zur Ausbildung eines sog. BCG-induzierten Granuloms in der BCG behandelten Harnblasenwand [15, 16]. In-vitro-Untersuchungen zum Wirkmechanismus konnten zytotoxische Effektorzellen die sog. BCG-aktivierten Killerzellen (BAK-) in Analogie zu den lymphokinaktivierten Killerzellen (LAK-) charakterisieren, die in der Lage sind in-vitro Blasentumorzellen abzutöten. Die Induktion von BAK-Zellen durch Stimulation von mononukleären Zellen mit BCG ist offensichtlich sehr komplex und unterscheidet sich deutlich von der durch IL-2-induzierten LAK-Zellen [17]. Nach neusten Kenntnissen handelt es sich bei dieser Effektorzelle um eine stimulierte natürliche Killer-(NK-)Zelle [18].
2.3
2
Verabreichung von BCG
Die intravesikale Instillation von BCG bei Patienten mit Harnblasenkarzinom wurde erstmalig von Morales et al. 1976 publiziert [13]. In einer offenen Studie mit 9 Patienten wurde BCG einmal wöchentlich 6 Wochen lang verabreicht. Das Therapieschema wurde gewählt, weil zum damaligen Zeitpunkt BCG in 6 Ampullen pro Packung verschickt wurde. Die wiederholte Instillation in wöchentlichen Abständen hat sich jedoch als so effektiv herausgestellt, dass eine Verbesserung dieses sog. Induktionszyklus nur schwer in umfangreichen klinischen Studien zu beweisen wäre. Die initial durchgeführte simultane intrakutane Applikation (Skarifikation) zeigte keine Verbesserung des Therapieerfolges als die intravesikale Instillation alleine, so dass heute keine Notwendigkeit zu ihrer Durchführung mehr besteht [19]. Eine Intrakutantestung vor BCG-Therapie mittels eines Multistempeltests ist zwar prinzipiell sinnvoll, um die Immunkompetenz des Patienten zu dokumentieren. Im klinischen Alltag ist es jedoch meist vollständig ausreichend, wenn der behandelnde Arzt durch eine sorgfältige Anamnese eine relevante zelluläre Immunschwäche ausschließt. Hierzu zählen Fragen nach einer medikamentösen Immunsuppression nach angeborenen Immunmangelsyndromen, Leukämien, einer HIV-Positivität oder einer aktiven Tukerkulose. Ebenfalls sollten transplantierte Patienten kein BCG erhalten. BCG sollte zudem nicht in der Schwangerschaft und Stillphase zum Einsatz kommen [20].
2.4
Induktionszyklus
Nach vollständiger transurethraler Elektroresektion des Blasentumors wird 7–21 Tage bei weitest gehender Granulation der Resektionswunde der Behandlungszyklus mit BCG begonnen. Er erstreckt sich über einen Zeitraum von 6 Wochen mit je einer Instillation pro Woche. Dabei wird dem Patienten über ein Einmalkatheter eine Suspension
36
I
Kapitel 2 · Therapie mit BCG beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom
von 1–5×108 viablen Keimen gelöst in 50 ml NaCl in die Blase appliziert, in der sie über 2 h verbleiben sollte. Zu beachten ist dabei, dass eine ausreichende aber nicht zu große Menge sterilen Gleitmittels verwendet wird, um die atraumatische Katheterisierung zu ermöglichen, nicht jedoch durch die antibakteriellen Komponenten des Gleitmittels die Viabilität von BCG zu gefährden [21]. In jüngster
Zeit wird die Anwendung von sog. Low-dose-Protokollen mit der Applikation z. B. einer halbierten Dosis geprüft, wobei in ersten Studien vergleichbare Resultate erzielt werden konnten [22]. Im Vergleich zur Literatur zeigte sich eine Verringerung der irritativen Blasenbeschwerden und des Fiebers. Die routinemäßige Übernahme derartiger Protokolle insbesondere bei Hochrisikopatienten kann
⊡ Tabelle 2.1. BCG vs. Chemotherapeutika-vergleichende randomisierte Studien (ADM Adriamycin, MMC Mitomycin C)
Autor
Therapie
Patienten
CR
Signifikanz
(n) Mori et al. 1986
BCG
88
81%
(p)
SWOG
ADM
83
46%
<0,001
Martinez-Pineiro et al. 1990
BCG ADM Thiotepa
67 53 56
87% 57% 64%
<0,002 <0,003 –
Rintala et al. 1989 (Finnbladder)
BCG MMC
40 36
97% 91%
– <0,001
v.d. Meijden et al. 1990
BCG-RIVM MMC
170 167
67% 71%
n. s. –
Lamm et al. 1991 SWOG (pTa, pT1) (CIS)
BCG ADM BCG ADM
63 68 64 67
37% 17% 45% 18%
0,015 <0,001
Lamm 1992 (SWOG)
BCG MMC
190 187
81% 67%
0,005 –
Melekos 1993
BCG EPI Kontr.
62 67 32
68% 60% 41%
<0,05 (BCG/Kontrollgruppe) n. s. (EPI/Kontrollgruppe)
Vegt 1995
BCG Tice BCG RIVM MMC
140 149 148
36% 54% 57%
0,01 (MMC/Tice) 0,01 (RIVM/Tice) n. s. (MMC/Rivm)
Lundholm 1996
BCG MMC
125 125
49% 34%
<0,03 –
Melekos 1996
BCG Epi
46 48
65% 54%
n. s. –
Krege 1996
BCG MMC Kontrollgruppe
102 113 122
53% 58% 40%
n. s. (MMC/BCG) <0,05 (MMC/TUR) <0,05 (BCG/TUR)
37
2.4 · Induktionszyklus
vor dem Hintergrund einer möglicherweise zu geringen Effektivität von BCG zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden [23]. Vor dem theoretischen Hintergrund der wiederholten Stimulation (Boosterung) des Immunsystems zur Verbesserung der Immuntherapie wurden Auffrischungsinstillationen durchgeführt. Das optimale Schema einer wiederholten Instillation war lange unklar. In kleinen Studien konnte zunächst ein verbesserter Effekt der Erhaltungstherapie gezeigt werde, allerdings wurde dieser mit einer Verstärkung der Nebenwirkungen erkauft [24]. Die wichtigste prospektiv randomisierte Studie zu dieser Thematik wurde von der Southwest Oncology Study Group (SWOG) durchgeführt. 660 Patienten mit schnell rezidivierenden Tumoren (Ta, T1, Tis) erhielten einen 6-wöchigen Standardinduktionszyklus BCG. Die Patienten wurden anschließend in einen Nachbeobachtungs- und einen Erhaltungstherapiearm randomisiert, in dem 3 BCG-Instillationen in wöchentlichen Abständen jeweils zum Zeitpunkt 3 und 6 Monate und anschließend halbjährlich bis zu 3 Jahren gegeben
2
wurden. Es zeigte sich, dass sowohl das rezidivfreie Überleben als auch das progressionsfreie Überleben bei Patienten mit Erhaltungstherapie signifikant verlängert war. Ein Problem stellt jedoch die mit der Erhaltungstherapie verbundene erhöhte Nebenwirkungsrate und die verlängerte Dauer der BCG-induzierten Zystitis dar, die nur 16% der Patienten im Erhaltungstherapiearm die kompletten 8 geplanten Erhaltungskurse vollenden ließ [25]. Trotzdem sind die Vorteile der Erhaltungstherapie so eindeutig, dass sie heute bei zumindest Patienten mit erhöhtem Rezidivrisiko, die nach einem BCG- Induktionszyklus rezidivfrei sind, die Methode der Wahl darstellt. Vergleichende Studien zu BCG und Chemotherapie: Eine Übersicht über die vergleichenden randomisierten Studien von BCG mit intravesikaler Chemotherapie zeigt ⊡ Tabelle 2.1. Gegenüber Doxorubicin, Epirubicin und Thiotepa konnten alle Studien einen statistisch signifikanten Vorteil für BCG belegen. Studien zum Vergleich von BCG mit Mitomycin C erbrachten hingegen unterschiedliche Ergebnisse: 6 Studien verglichen BCG mit Mitomycin C. Diejenigen, die
⊡ Tabelle 2.2. Optimale Behandlung mittels Erhaltungstherapie in vergleichenden Studien BCG vs. Mitomycin C (MMC)
Studie
Therapie
Erhaltungstherapie
Dauer der Erhaltungstherapie
Zeit bis Rezidiv im Vergleich zu MMC unterschiedlich?
Debruyne 1992
BCG (RIMV) MMC (30 mg)
Nein Ja
– monatlich/6 Monate
Nein
Vegt 1995
BCG (Tice) BCG (RIVM) MMC (20 mg)
Nein Nein Ja
monatlich/6 Monate
Nein
Krege 1996
BCG MMC (20 mg) Kontrolle
Nein (zu kurz) Ja
(monatlich/4 Monate) 2-wöchentlich/1 Jahr 4-wöchentlich/2 Jahr
Nein
Rintala 1989
BCG (75 mg) MMC (20–40 mg)
Ja Ja
monatlich/2 Jahr monatlich/2 Jahr
p<0,01
Lamm 1995
BCG (Tice) MMC (20 mg)
Ja Ja
monatlich/1 Jahr monatlich/1 Jahr
p<0,017
Lundholm 1996
BCG MMC (40 mg)
Ja Ja
monatlich/1 Jahr 3-monatlich/2 Jahre
p<0,03
38
I
Kapitel 2 · Therapie mit BCG beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom
als optimale Therapie im BCG-Arm eine langfristige Erhaltungstherapie durchführten, zeigten einen statistisch signifikanten Vorteil für BCG (⊡ Tabelle 2.2) [26].
2.5
Nebenwirkungen
Etwa 60–80% der BCG-behandelten Patienten erleiden Nebenwirkungen. Hauptsymptom ist eine Zystitis, die als eine normale Reaktion auf die intravesikale Therapie angesehen werden kann und deren Fehlen in Einzelfällen sogar auf ein Ausbleiben der immunologischen Reaktion und fehlende Wirksamkeit schließen lassen. Ein weiteres häufiges Symptom ist ein etwas 3–4 h nach Instillation auftretender gering gradiger Temperaturanstieg, der innerhalb von 24–48 h spontan rückläufig und nicht behandlungswürdig ist. Die Hospitalisation aufgrund von Nebenwirkungen ist selten und war
bei 2% der BCG-behandelten Patienten in einer Zusammenfassung der Nebenwirkungen einer internationalen multizentrischen Serie von 2.602 Patienten [27]. Obwohl >95% der Patienten die Therapie ohne schwere Nebenwirkungen tolerieren, müssen sie auf das Auftreten von lokalen Beschwerden hingewiesen und vor Instillationsbeginn ausführlich darüber aufgeklärt werden, dass diese als ein Bestandteil des Wirkmechanismus zu verstehen sind. Lokale Beschwerden können gut durch nichtsteroidale Antiphlogistika oder Acetylsalicylsäure (ASS) beherrscht werden, ohne die Wirkung von BCG zu beeinflussen. Eine regelmäßige Antibiotikaprophylaxe sollte wegen einer möglichen Interferenz mit der Viabilität von BCG nicht durchgeführt werden. Bei nachgewiesenem Harnwegsinfekt sollten aus diesem Grund möglichst keine Gyrasehemmer verabreicht werden, es sei denn, die inhibitorische Wirkung auch auf BCG ist erwünscht [28].
⊡ Tabelle 2.3. Liste der analysierten Studien zu BCG vs. MMC
Autor, Jahr
Patienten (MMC/BCG) (n)
BCG Erhaltung (≥1 Jahr) (J/N)
Qualität (A/B)
Risikogruppe (Mittel/hoch)
Ayed 1998
270
Ja
B
Mittel
DeBruyne 1992
325
Nein
A
Mittel
Jauhiainen 1989
91
Ja
A
Hoch
Krege 1996
214
Nein
A
Mittel
Lamm 1995
363
Ja
A
Hoch
Lundholm 1996
250
Ja
A
Hoch
Millan 2000
464
Ja
B
Mittel
Neingueira 2000
210
Nein
A
Mittel
Pagano 1987
114
Ja
B
Mittel
Vegt-RIVM 1995
270
Nein
A
Mittel
Vegt-Tice 1995
253
Nein
A
Mittel
61
Nein
B
Hoch
Lee 1992
2
39
2.6 · Stellenwert der BCG-Therapie
Studie
Exponierte Gruppe n/N
Kontrollgruppe n/N
Ayed 1998
72/189
50/81
DeBruyne 1992
66/158
60/167
Jauhiainen 1989
3/45
17/46
Krege 1996
26/102
30/112
Lamm 1995
78/182
101/181
Lundholm 1996
63/125
82/125
Millán 2000
70/218
134/246
Nogueira 2000
13/98
29/112
Pagano 1987
1/22
31/92
Vegt-RIVM 1995
62/134
58/136
Vegt-Tice 1995
75/117
58/136
Lee 1992
19/31
24/30
Total 95%Cl)
548/1421
674/1464
Stellenwert der BCG-Therapie
2.6
Schwere systemische Nebenwirkungen mit persistierendem Fieber und generalisierten Erscheinungen (Arthritis, Hautausschlag) bis zur Sepsis sind selten (Sepsis in 0,4%), die jedoch einer raschen und adäquaten Therapie bedürfen. Standardtherapie ist die tuberkulostatische Tripeltherapie mit Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol [29]. Die zusätzliche Gabe von Kortikosteroiden muss zur Beherrschung der hyperergen Komponente bei generalisierten BCG-Infektion (BCG-itis) empfohlen werden [30].
Welche Rolle spielt BCG in der Behandlung des oberflächlichen Harnblasenkarzinoms? In den Leitlinien der DGU wird eine intravesikale Rezidivprophylaxe bei Patienten mit niedrigem Progressionsrisiko entweder mit einer Chemotherapie oder der Immuntherapie mit BCG als gleichwertig empfohlen. Patienten mit hohem Progressionsrisiko (G3-Tumoren, Rezidivtumore) sollen mit intravesikalen BCG mittels eines Induk-
OR (95%Cl Random)
Gewicht %
■
OR (95%Cl Random)
9,4
0,38 [0,22, 0,65]
9,9
1,28 [0,82, 2,00]
5,2
0,12 [0,03, 0,45]
9,0
0,94 [0,51, 1,72]
■
10,1
0,59 [0,39, 0,90]
■
9,6
0,53 [0,32, 0,89]
10,3
0,40 [0,27, 0,58]
8,3
0,44 [0,21, 0,90]
2,9
0,09 [0,01, 0,73]
9,7
1,16 [0,72, 1,87]
9,6
2,40 [1,44, 3,99]
6,0
0,40 [0,13, 1,25]
100,0
0,62 [0,41, 0,93]
■
■
■
■ ■
■
■
■
[ ] Eckwerte 1 2 1 5 10 Bevorzugte Behandlung Behandlungskontrolle ⊡ Abb. 2.1. Ergebnis der Metaanalyse zum Rezidivverhalten BCG vs. MMC
40
I
Kapitel 2 · Therapie mit BCG beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom
tionszyklus und einer Erhaltungstherapie behandelt werden. Patienten mit pT1-G3-Tumoren sollten nach vollständiger TUR einer BCG-Therapie zugeführt werden und im Falle eines Rezidivs innerhalb von 3–6 Monaten eine radikale Zystektomie erhalten. Patienten mit einem Carcinoma in situ sollten obligat primär eine medikamentöse Therapie mit BCG erhalten, bei Therapieversagen ist auch hier die radikale Zystektomie indiziert [7]. Jüngste Metaanalysen konnten die Wirksamkeit von BCG gegenüber Mitomycin C (MMC) sowohl hinsichtlich der Überlegenheit bezüglich des Rezidivverhaltens als auch bzgl. der Progression erneut eindrucksvoll belegen [26]. Die formale Metaanalyse aller Studien zum Vergleich BCG gegen MMC zeigte einen statistisch signifikanten Vorteil zugunsten von BCG – interessanterweise nur, wenn eine Erhaltungstherapie durchgeführt wurde (⊡ Tabelle 2.3). In der Analyse zum Rezidivverhalten war dies ebenfalls für die Patientengruppe mit mittlerem Risiko nachweisbar, nicht wie bisher nur für die Hochrisikogruppe. Eine Änderung der Therapieempfehlungen ist somit absehbar (⊡ Abb. 2.1) [31]. Fazit Die Einführung von BCG stellt eine wesentliche Bereicherung der Therapieoptionen beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom dar. Aufgabe in der Zukunft wird sein, die Nebenwirkungen dieser Therapie zu vermindern und damit auch die Akzeptanz zu erhöhen. Dieses kann auf klinischer Studienebene möglicherweise durch kontrollierten Einsatz von Low-dose-Anwendungen und/oder in Kombination mit Chemotherapeutika oder anderen Immunmodulatoren (Interferon-α) erfolgen. Darüber hinaus kann die Effektivität der Therapie mit entsprechender Reduktion von Nebenwirkungen auch durch die gezielte Modulation von BCG selbst (gentechnisch verändertes rekombinantes BCG) auf der Grundlage der Umsetzung von Forschungsergebnissen zum Wirkmechanismus erreicht werden. Erst die gemeinsame Anstrengung von Grundlagenwissenschaftlern und klinisch tätigen Urologen wird hier einen weiteren Fortschritt ermöglichen.
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41
2
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3 Topische Therapie beim oberflächlichen Urothelkarzinom der Harnblase M. G. Friedrich
3.1
Zum Thema
– 44
3.2
Problematik
– 44
3.2.1 Therapie des nichtmuskelinvasiven Urothelkarzinoms der Harnblase – 44 Perioperative Rezidivprophylaxe – 44 3.2.2 Risikogruppengesteuerte adjuvante Instillationstherapie Low-risk-Harnblasenkarzinom – 45 Intermediate-risk-Harnblasenkarzinom – 45 High-risk-Harblasenkarzinom – 46
3.3
Neue Medikamente
3.4
Strategien zur Verbesserung der Effektivität der topischen Therapie – 47
Literatur
– 48
– 47
– 45
44
I
3.1
Kapitel 3 · Topische Therapie beim oberflächlichen Urothelkarzinom der Harnblase
Zum Thema
Die topische Therapie mittels Instillation mit Immun- oder Chemotherapeutika in die Harnblase hat heute ihren festen Platz in der adjuvanten Therapie des oberflächlichen Urothelkarzinoms der Harnblase. Die weiteste Verbreitung haben heute als Chemotherapeutikum das Mitomycin C sowie das Immuntherapeutikum Bacillus Calmette-Guérin (BCG) gewonnen. Während beim papillären pTa-G II- und pT1-G I–G II-Tumor eher das zu verwendende Medikament bzw. das optimale Therapieregime im Fokus der Diskussion stehen, besteht beim pTa-G I-Tumor die Frage, ob eine Chemoprophylaxe ein Zuviel an Behandlung darstellt (»Overtreatment«). Allerdings stellt sich beim pT1-G IIITumor die Frage, ob die Chemo- bzw. Immunoprophylaxe nach transurethraler Resektion des Tumors (TUR-B) eine ausreichende Behandlung darstellt oder eine primäre Zystektomie das Überleben der Patienten verbessert. Dieses Kapitel soll unter Berücksichtigung der aktuellen Literaturlage auf diese Fragen eingehen. Zusätzlich sollen neue Therapiekonzepte kritisch diskutiert werden.
3.2
Problematik
Bei steigender Inzidenz liegt das Harnblasenkarzinom heute in den Krebsstatistiken der westlichen Welt unter den bösartigen Neuerkrankungen bei Männern als auch bei Frauen unter den ersten zehn. Die Rate an Neuerkrankungen wurde in den USA mit 55.000 Fällen per annum beziffert. Eine grobe klinische Einteilung erfolgt hierbei in nichtmuskelinvasive Tumoren und muskelinvasive Tumoren [1]. 70–85% der Tumoren sind bei Erstdiagnosestellung nichtmuskelinvasiv, die übrigen 15–25% weisen bereits eine Infiltration der Wandmuskulatur auf oder sind bereits metastasiert [2, 3]. An erster Stelle der Therapie des Harnblasenkarzinoms steht die, wenn möglich, komplette transurethrale Resektion des Tumors. Im Falle eines nichtmuskelinvasiven Tumors wird meist eine organerhaltende Therapie angestrebt. Für muskelinvasive Tumoren ist eine radikale Zystektomie bzw. Zystoprostatektomie Therapie der Wahl. Im
Falle eines nichtmuskelinvasiven Tumors wird eine Nachresektion angestrebt [3, 4].
3.2.1
Therapie des nichtmuskelinvasiven Urothelkarzinoms der Harnblase
Während die Therapieoptionen des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms weitgehend standardisiert ist, ist die Therapie des nichtmuskelinvasiven Harnblasenkarzinoms weiterhin Gegenstand der Diskussion und vielschichtig. Trotz der Einteilung der Patienten in bestimmte Risikogruppen, bleibt die Prognose des individuellen Patienten schwer einzuschätzen. So haben auch Patienten mit einem Low-risk-Blasentumor immerhin ein Progressionsrisiko von 7,1% sowie ein Risiko von 4,3%, an diesem Tumor zu versterben. Für Patienten mit einem High-risk-Tumor beträgt das Progressionsrisiko sogar bis zu 41,6% und das Versterberisiko 36,1% [5]. Zielsetzung der Therapie des Urothelkarzinoms der Harnblase ist die Vermeidung eines Tumorrezidivs oder eines Tumorprogresses. Als wichtiger prognostischer Marker für das Auftreten eines frühen Tumorrezidivs ist hier die Radikalität der transurethralen Resektion anzusehen [6, 7]. Daher wird meist eine Nachresektion durchgeführt. Im Anschluss an die nach Möglichkeit komplette Resektion des Tumors erfolgt die adjuvante Therapie in Abhängigkeit vom Rezidiv- bzw. Progressrisiko [3]. Hierbei erfolgt die Einteilung in Risikogruppen nach dem histopathologischen »Staging« und »Grading« nach den Richtlinien der europäischen urologischen Vereinigung [3, 8].
Perioperative Rezidivprophylaxe Die postoperative Rezidivprophylaxe wird heute allgemein empfohlen. Hierbei wird nach Durchführung der TUR innerhalb von 24 h postoperativ eine Instillation über den liegenden Spülkatheter verabreicht. Sinnvoll ist diese postoperative Instillation bei Patienten, bei denen makroskopisch der Verdacht auf einen nichtmuskelinvasiven Tumor vorliegt. Voraussetzung ist, dass keine Blutung mehr vorliegt. Die postoperative Instillation sollte nach Möglichkeit innerhalb der ersten 6 h, spätestens aber innerhalb der ersten 24 h nach der transurethralen Resektion erfolgen. Es gibt mittlerweile
3.2 · Problematik
mehrere Arbeiten, die belegen, dass durch die einmalige postoperative Instillation eines Chemotherapie das Rezidivrisiko im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv, bei dem nur eine TUR durchgeführt wird, gesenkt werden kann [9, 10, 11]. In einer prospektiven randomisierten Untersuchung an 131 Patienten konnten Solsona et al. eine signifikant geringere Frührezidivrate nachweisen, bei Patienten, bei denen unmittelbar postoperativ eine Instillation von 30 mg Mitomycin C erfolgt war [9]. Hierbei ist zu beachten, dass Daten, die eine perioperative Prophylaxe mit einer standardmäßigen adjuvanten Therapie über 6 Wochen vergleichen, ausstehen. Die Wirksamkeit der postoperativen Instillation ist für unterschiedliche Medikamente beschrieben worden (Epirubicin [12], Mitomycin C [9], Thiotepa [13], Doxorubicin [13]. Ein Einfluss auf spätere Rezidive oder auf die Progressionsrate scheint nicht zu bestehen. Ob eines dieser Medikamenten den anderen überlegen ist, lässt sich derzeit nicht beurteilen. Als Fazit lässt sich hier festhalten, dass die postoperative Rezidivprophylaxe standardmäßig empfohlen werden kann. Als Medikamente werden die Gabe von 20–40 mg Mitomycin C oder die Gabe von 30–100 mg Epirubicin empfohlen. Unabhängig von der perioperativen Prophylaxe sollte eine risikogruppenadaptierte intravesikale Rezidivprophylaxe durchgeführt werden.
3.2.2
Risikogruppengesteuerte adjuvante Instillationstherapie
Low-risk-Harnblasenkarzinom Das sogenannte Low-risk-Harnblasenkarzinom beinhaltet die Gruppe des primären, singulären pTa-G I-Harnblasenkarzinom mit einem Durchmesser ≤3 cm. Die klinische Notwendigkeit der adjuvanten intravesikalen Therapie ist umstritten. In den Leitlinien der DGU und der EAU ist bei dieser Tumorentität keine adjuvante Instillationstherapie empfohlen [3]. Es gibt jedoch Daten, die darauf hinweisen, dass auch beim Low-risk-Urothelkarzinom durch eine adjuvante Chemotherapie die Rezidivrate gesenkt wird. Nach unserer Einschätzung kann durch die Behandlung auch das Progressionsrisiko beeinflusst werden, so dass im individuellen Fall
45
3
(z. B. sehr junge Patienten, Begleitfaktoren wie z. B. Dysplasie) eine adjuvante Therapie gerechtfertigt erscheint. Die adjuvante Therapie wird als Kurzzeittherapie mit einer wöchentlichen Gabe von z. B. Mitomycin C über 6 Wochen durchgeführt. Interessant wird für diese Tumorentität sein, wie sich die standardmäßige Chemoprophylaxe mit einer perioperativen Single-shot-Therapie vergleicht.
Intermediate-risk-Harnblasenkarzinom Die Gruppe des Intermediate-risk-Harnblasenkarzinoms umfasst rezidivierende pTa-G I-Tumoren sowie pTa-G II- bis einschließlich pT1-G II-Tumoren. In diese Gruppe werden auch multifokale Tumoren eingeschlossen sowie auch pTa-G I-Tumoren mit einem Durchmesser >3 cm. In zahlreichen Studie konnte gezeigt werden, dass speziell diese Subpopulation von der intravesikalen Rezidivprophylaxe profitiert. In der Rezidivprophylaxe werden unterschiedliche Therapiestrategien sowie unterschiedliche Therapieregime verwendet. Als konkurrierende Therapiestrategien wird hier eine intravesikale Chemotherapie oder alternativ eine intravesikale Immuntherapie mit BCG verwendet. Die Wahl des verwendeten BCG-Stammes spielt offenbar keine Rolle für den Therapieerfolg. Als Therapieregime werden Kurzzeitschemata, die aus einer wöchentlichen intravesikalen Instillation über einen Zeitraum von 6–8 Wochen, verabreicht. Alternativ kann eine Langzeittherapie verabreicht werden, bei der nach einem Induktionszyklus über 6–8 Wochen eine Langzeittherapie mit z. B. monatlichen Instillationen in einem Zeitraum von bis zu 3 Jahren verabreicht wird [14, 15]. In beiden Therapiestrategien können sowohl Chemotherapeutika wie z. B. Mitomycin C als auch Chemotherapeutika wie BCG verabreicht werden. Hinsichtlich des Vergleiches mit der Therapiestrategie sehen aktuelle Arbeiten einen eindeutigen Vorteil für die Langzeitstrategien [8, 16, 17]. Die eigene Arbeitsgruppe konnte in einer Studie an 492 Patienten mit Intermediate-risk-Harnblasenkarzinome (einschließlich kleiner singuläre primäre pT1-G III-Tumoren) einen signifikanten Vorteil für die Langzeittherapie mit MMC im Vergleich mit einer Kurzzeittherapie mit BCG oder MMC nachweisen [16]. In diesem Sinne kann auch der Effekt einer BCG-Erhaltungstherapie über 3 Jahre als gesichert angesehen wer-
46
I
Kapitel 3 · Topische Therapie beim oberflächlichen Urothelkarzinom der Harnblase
den. In einer Studie mit insgesamt 550 Patienten mit rezidivierenden pTa- bzw. pT1-Tumoren (einschließlich CiS) konnten Lamm et al. nachweisen, dass bei einer Erhaltungstherapie über 3 Jahre ein signifikant längeres krankheitsfreies Überleben gegenüber einer BCG-Standardtherapie ohne Erhaltungstherapie erreicht werden kann (p <0,001) [18]. Während ältere Arbeiten postulieren, dass im Gegensatz zu BCG die intravesikale Chemoprophylaxe die Rezidivrate, nicht aber die Progressrate beeinflusst [19], weisen aktuelle Arbeiten jedoch nach, dass zumindest durch eine Langzeitchemoprophylaxe auch die Progressionsrate gesenkt werden kann. In einer Studie an 261 Patienten konnten Malmström et al. nachweisen, dass bei einer Langzeitprophylaxe über insg. 2 Jahre hinsichtlich der Progressionsrate kein Unterschied zwischen einer Mitomycin- einer BCG-Therapie besteht [8]. Im Rahmen einer EORTC-Studie konnten Witjes et al. nachweisen, dass eine Langzeitchemoprophylaxe mit Mitomycin C (30 mg, wöchentlich über 8 Wochen, dann monatlich für 5 Monate) beim papillären Urothelkarzinom hinsichtlich der Progression einer 6-wöchigen BCG-Therapie überlegen ist [17]. Die Frage, welcher Therapiestrategie in der adjuvanten Therapie des Intermediate-risk-Harnblasenkarzinomes der Vorzug zu geben ist, kann heute nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden. Während in einigen Arbeiten ein Vorteil für die Immunprophylaxe mit BCG der Chemoprophylaxe gesehen wird (Übersicht bei Böhle et al. 2003 [20]), so zeigen aktuellere Arbeiten eine Gleichwertigkeit der Chemoprophylaxe oder sogar eine Überlegenheit der Chemoprophylaxe hinsichtlich Rezidivund Progressionsrisiko (s. oben). Zusammenfassend ist der Schluss zulässig, dass weniger die Wahl der prophylaktischen Substanz als vielmehr die Dauer der Prophylaxe für die Beeinflussung der Rezidiv- und Progressionsrate entscheidend ist. Aufgrund des günstigeren Risikoprofils sollte nach unserer Empfehlung eher eine Chemoprophylaxe bestehend aus einer Induktionstherapie mit einer anschließenden Erhaltungstherapie verabreicht werden.
High-risk-Harnblasenkarzinom Das sog. High-risk-Urothelkarzinom umfasst die Tumoren pT1, G III, das Carcinoma in situ (CiS)
sowie rezidivierende und größere multifokale Tumoren pTa oder pT1-G II-Tumoren. Eine Zuordnung ist nicht in allen Fällen eindeutig möglich. Der Nachweis eines pT1-G III-Tumors sowie der Nachweis eines CiS stellten angesichts der kritischen Langzeitprognose [21] vor der BCG-Ära üblicherweise eine Indikation zur Zystektomie oder Zystoprostatektomie dar. Allerdings konnten Helke et al. zeigen, dass in der Praxis nur 8,1% der deutschen Urologen eine radikale Operation als Therapie der ersten Wahl sehen [22]. Die meisten Urologen favorisierten im Rahmen dieser Befragung bei Patienten mit pT1-G III-Tumor einen Therapieversuch mit BCG. Mittlerweile gibt es mehrere Arbeiten, die belegen, dass solch ein Therapieversuch gerechtfertigt sein kann [23, 24]. Pansadoro et al. berichteten bei pT1-G III-Tumoren unter einer BCG-Prophylaxe während eines medianen »followup’s« von 74 Monaten eine Progressrate von nur 8% und eine Überlebensrate von 93% [25]. Auch ein Therapieversuch mit einer Chemoprophylaxe scheint bei einem ausgewählten Patientenkollektiv gerechtfertigt. Serretta et al. berichteten unter einer Kombinationschemotherapie mit Mitomycin und Epirubicin über eine Rezidivrate von 41% bei einer Progressrate von 6% [26]. Beim CiS ist eine BCG-Immunoprophylaxe die Therapie der Wahl. Gemäß einer prospektiven SWOG-Studie kann im 3-Jahres-Follow-up eine Rezidivfreiheit von 70% erzielt werden. Eine Langzeittherapie kann hier offenbar für eine weitere Verbesserung der Prognose sorgen. Sollte nach Abschluss eines 6-wöchigen Induktionszyklusses noch ein CiS nachweisbar sein, kann ein zweiter Induktionszyklus begonnen werden [15]. Soll bei Patienten mit einem High-risk-Harnblasenkarzinom eine organerhaltende Therapie durchgeführt werde, so ist bei diesem Patientenkollektiv eine Immunprophylaxe mit BCG der Standard. Diese Therapie hat dann als eine sog. Langzeittherapie zu erfolgen. Im Anschluss an eine 6-wöchige Induktionstherapie sollte eine Erhaltungstherapie mit jeweils 3-wöchentlichen Gaben alle 3–6 Monate erfolgen. Sollte im Rahmen der Nachsorge erneut ein Tumornachweis erfolgen, ist, sofern keine Zystektomie erfolgt, ein erneuter Induktionszyklus zu beginnen oder auf eine Chemoprophylaxe zu wechseln.
3.4 · Strategien zur Verbesserung der Effektivität der topischen Therapie
3.3
Neue Medikamente
Sowohl in der Gruppe der Chemotherapeutika als auch in der Gruppe der Immuntherapeutika gibt es neue verfolgenswerte Entwicklungen. Unter den Chemotherapeutika ist hier in erster Linie das Gemcitabin zu nennen, dass mittlerweile eine Standardtherapie in der systemischen Chemotherapie des Harnblasenkarzinomes ist [27]. Mittlerweile gibt es mehrere Berichte über tumorablative Wirksamkeit sowie eine gute Verträglichkeit von Gemcitabine in der topischen Therapie des Harnblasenkarzinoms [28, 29, 30]. Eine Empfehlung, Gemcitabine außerhalb klinischer Studien zur topischen Therapie einzusetzen, kann derzeit jedoch nicht ausgesprochen werden. Hinsichtlich der Immuntherapie gehen derzeit die Bestrebungen in die Richtung, Therapiestrategien zu entwickeln, um die Nebenwirkungen der BCG-Therapie zu reduzieren. Ein interessanter Ansatz ist hier, nicht das komplette Mykobakterium zu instillieren, sondern lediglich Zellwandbestandteile des Mykobakteriums. Hierunter können offenbar die Nebenwirkungen gesenkt werden, wobei die antitumorale Wirksamkeit erhalten bleibt [31]. Ein weiterer Ansatz zur Modifikation der Immuntherapie ist die Applikation von Cytokinen wie Interleukin-2 [32] oder Interferon α [33]. Für beide Medikamente ist die antitumorale Wirkung beschrieben, speziell die zusätzliche Gabe von Interferon α zu BCG ist eine vielversprechende Therapieoption bei Patienten mit einem Hochrisikotumor [34]. Auch für diese Therapiestrategien ist trotz vielversprechender Ergebnisse eine Therapie außerhalb von Studien nicht sinnvoll.
3.4
Strategien zur Verbesserung der Effektivität der topischen Therapie
Die standardmäßige Instillation des Medikamentes über einen Katheter hat den Nachteil, einer nur geringen Eindringtiefe des Medikamentes. Zur Verbesserung der Wirksamkeit werden technische Neuerungen vorgestellt, die eine verbesserte Wirksamkeit des instillierten Medikamentes bewirken. Hierzu gehört die Applikation von Hyperthermie
47
3
mit einem Mikrowellengenerator (Synergo). Hierdurch kann Anti-Tumoraktivität eines Chemotherapeutikums verbessert werden. In einer vergleichenden Untersuchung von Mitomycin-Instillation plus Hyperthermie konnten Colombo et al. eine signifikant geringere Rezidivrate nachweisen als in der Gruppe, in der lediglich MMC appliziert wurde [35]. Eine andere Technik, die eine bessere Gewebepenetration zur Folge hat, ist die elektrokinetische Applikation von intravesikalen Medikamenten. Hierbei kommt es durch Modifikation des elektrischen Spannung zu einer verbesserten Permeabilität der Urothelzellen für Mitomycin C und somit zu einer verbesserten Gewebepenetration. Unter dieser Modifikation konnten di Stasi et al. eine Verbesserung der Effektivität gegenüber einer Standardtherapie nachweisen [36]. Neben diesen technischen Modifikationen untersuchten Au et al. supportive Maßnahmen zur Verbesserung der Effektivität der Mitomycin-Therapie. Sie konnten nachweisen, dass durch Erhöhung der Mitomycin-Konzentration in der Harnblase durch Verminderung der Trinkmenge vor der Instillation sowie durch Erhöhung der MitomycinDosis sowie durch eine Stabilisierung des Medikamentes durch Alkalisierung des Urins eine Verbesserung der Effektivität der Therapie erreicht werden kann [37]. Fazit 1. Die perioperative Rezidivprophylaxe kann heute allgemein empfohlen werden; sie erfolgt mit 20–40 mg MMC oder mit 50 mg Epirubicin. 2. Patienten mit einem Low-risk-Tumor bedürfen nach TUR und perioperativer Instillation keiner weiteren adjuvanten Therapie. In Einzelfällen muss eine Kurzzeitrezidivprophylaxe über 6 Wochen (6-wöchentliche Gaben von Mitomycin C 20 mg) erwogen werden. 3. Bei Patienten mit einem Intermediate-riskTumor ist die Rezidivprophylaxe mit einem Chemotherapeutikum heute Standard. Langzeitstrategien sind Kurzzeitregimen überlegen. Vorgeschlagen wird ein Induktionszyklus bestehend aus 6-wöchentlichen ▼
48
I
Kapitel 3 · Topische Therapie beim oberflächlichen Urothelkarzinom der Harnblase
Gaben von Mitomycin C 20 mg mit einem anschließenden Erhaltungszyklus mit jeweils einer monatlichen MMC-Gabe für mindestens 1 Jahr bis zu 3 Jahren. Alternativ ist auch bei diesen Patienten eine Immunprophylaxe mit BCG zu erwägen. Auch hier ist eine Langzeittherapie mit einem Induktionszyklus sowie einer anschließenden Erhaltungstherapie anzustreben. 4. Bei Patienten mit einem High-risk-Blasentumor besteht die adjuvante Therapie aus der Immunprophylaxe mit BCG. Empfohlen wird ein 6-wöchiger Induktionszyklus, gefolgt von einer Erhaltungstherapie mit jeweils 3-wöchentlichen Applikationen alle 3–6 Monate. Sollte im Rahmen der Nachsorge erneut ein Tumorrezidiv nachgewiesen werden, ist mit einem erneuten Induktionszyklus zu beginnen. Kann keine Zystektomie erfolgen, kann alternativ auch auf ein Chemotherapieregime gewechselt werden. 5. Generell kann die Effektivität der Chemoprophylaxe durch Erhöhung der Konzentration des Medikamentes in der Blase verbessert werden. Dies kann durch Dosiserhöhung sowie z. B. durch Reduktion der Trinkmenge vor der Instillation erreicht werden. Eine Alkalisierung kann zusätzlich die Stabilität des Medikamentes erhöhen und zu einer Verbesserung der Effektivität beitragen.
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4 Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms O. Bolte, S. Machtens
4.1
Einleitung
– 52
4.2
Operative Therapie des fortgeschrittenen Harnblasenkarzinoms – 52
4.3
Neoadjuvante, adjuvante und palliative Chemotherapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinoms der Harnblase – 53
4.3.1 Neoadjuvante Chemotherapie – 54 4.3.2 Adjuvante Chemotherapie – 55 4.3.3 Palliative Chemotherapie – 56
4.4
Polychemotherapie mit 2 Substanzen
– 57
4.5
Polychemotherapie mit 3 Substanzen
– 58
4.6
Polychemotherapie mit 4 Substanzen
– 58
4.7
Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren
Literatur
– 68
– 61
52
I
4.1
Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
Einleitung
Bezogen auf alle Altersschichten stehen Krebserkrankungen sowohl bei Frauen als auch bei Männern an zweiter Stelle der Todesursachenstatistik [19]. Das Harnblasenkarzinom ist ein häufig diagnostizierter maligner Tumor mit einer weltweit ansteigenden Neuerkrankungsrate. In den USA ist das Harnblasenkarzinom der vierthäufigste Tumor bei Männern und liegt an achter Stelle der häufigsten malignen Tumoren bei Frauen [20]. Die globale Inzidenz dieser Krankheit wird mit 261.000 angegeben und zeigt eine weltweit ansteigende Neuerkrankungsrate; jährlich versterben etwa 115.000 Menschen an dieser Tumorkrankheit [50]. Die 5-Jahresüberlebensrate des Harnblasenkarzinoms hat sich im Vergleich der Zeiträume zwischen 1974–1976 und 1989–1995 von 73% auf 81% verbessert [19]. Etwa 3% aller bösartigen Tumoren in der Bundesrepublik Deutschland sind Harnblasenkarzinome; Männer sind mit einem Anteil von 3,5% vs. 1,5% bei Frauen häufiger betroffen [82]. In Deutschland rangiert diese Tumorentität an achter Stelle der nationalen Krebsstatistik [3]. Die Mehrheit der Harnblasenkarzinome (90%) leitet sich vom Übergangsepithel (Urothel) der ableitenden Harnwege ab. Plattenepithelkarzinome finden sich bei 3–12% aller Patienten und Adenokarzinome treten bei etwa 2% auf [29]. Während etwa 70–80% der Patienten mit Harnblasenkarzinom mit einem Tumor diagnostiziert werden, der auf die Mukosa (Ta, Tis) oder Submukosa begrenzt ist und als oberflächliches Harnblasenkarzinom bezeichnet wird, zeigen die übrigen 20–30% zum Zeitpunkt der Primärdiagnose bereits ein muskelinvasives (pT ≥2 nach UICC 1997) oder M1-Stadium [66, 68]. Nach initialer Therapie rezidivieren zwischen 20 und 50% der primär oberflächlichen Harnblasenkarzinome und bis zu 30% zeigen eine Progression des Tumorstadiums [23, 52]. In neueren Untersuchungen wird nach radikaler chirurgischer Therapie oberflächlicher Harnblasenkarzinome eine Rezidivrate in Höhe von 3% angegeben [39]. Die Prognose der Erkrankung ist in erster Linie abhängig von
der lokalen Tumorausdehnung, dem Differenzierungsgrad des Tumors, dem Lymphknotenstatus, dem Grad der Fernmetastasierung und bestimmten molekularen Faktoren [2, 13, 39, 65, 76].
Während bei oberflächlichen Tumoren die Prognose in Abhängigkeit vom Differenzierungsgrad und von der Tendenz zur lokalen Rezidiventstehung variiert, liegen die 5-Jahresüberlebensraten nach radikaler Zystektomie bei Patienten mit einem pT2-Karzinom zwischen 74 und 88% [39, 40, 42, 61]. Diese Zahlen reduzieren sich bei pT3-Tumoren auf 20–36% und sinken bei pT4-Karzinomen auf 5–25%, was meistens durch den deutlich erhöhten Anteil an Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten begründet ist. Bei Patienten mit Befall der regionären Lymphknoten sinkt die 5-Jahresüberlebenswahrscheinlichkeit auf weniger als 10% und ist noch geringer bei Fernmetastasen [55, 70]. Von Madersbacher werden aber 5-Jahresüberlebensraten für nodal positive Harnblasenkarzinome von 25% angegeben [39].
4.2
Operative Therapie des fortgeschrittenen Harnblasenkarzinoms
Basierend auf der histologischen Befundung nach transurethraler Blasenresektion (TUR) ist die radikale Zystoprostatovesikulektomie weiterhin die Therapie der Wahl bei muskelinfiltrierend wachsendem Harnblasenkarzinomen (T2–T4 N×M0). Ebenfalls sollte die radikale Operation bei multilokulären, nach topischer Therapie rezidivierenden oberflächlichen Tumoren erwogen werden [39, 59, 79]. Ob die primäre Operation bei pT1-G III-Karzinomen indiziert ist und einer primären topischen Therapie nach transurethraler Resektion überlegen ist, bleibt kontrovers diskutiert. Die zentrale Rolle radikaler chirurgischer Maßnahmen ist durch die Ergebnisse mehrerer Studien insbesondere in Bezug auf das rezidivfreie Überleben hervorzuheben [2, 13, 31, 65]. Der Tumorbefall regionärer
4.3 · Neoadjuvante, adjuvante und palliative Chemotherapie
Lymphknoten, als Ausdruck einer systemischen Erkrankung ist ein ungünstiger prognostischer Faktor, kann aber in Einzelfällen durch eine Lymphadenektomie im Rahmen einer radikalen Zystoprostatovesikulektomie langfristig erfolgreich therapiert werden. [30, 32, 44, 60, 65]. Positive Entwicklungen beim intra- und perioperativen Management der Patienten haben die Indikationsstellung zur radikalen Zystektomie erleichtert. So konnten die Morbiditäts- und Mortalitätsraten deutlich verringert werden. Die Mortalität des Eingriffs wird derzeit mit 1,5–2% angegeben [6]. Qualitativ hochwertige Harnableitungen ermöglichen den Patienten einen hohen postoperativen Lebensstandard und eine Eingliederung in ihr soziales Umfeld. Da der Schwerpunkt des Buches in der Darstellung der medikamentösen Therapieformen des Harnblasenkarzinoms liegen soll, wird im Hinblick auf die operativen Techniken zur radikalen Zystektomie und zum Harnblasenersatz auf die Darstellungen in zahlreichen Operationslehren verwiesen. Sonderformen der operativen Therapie wie der kurative Ansatz mittels organerhaltender TUR sollte in erster Linie dem unilokulären, hochdifferenzierten T2-Harnblasenkarzinom vorbehalten bleiben, da für diese Indikation günstige tumorabhängige 5-Jahresüberlebensraten bis zu 70% berichtet werden [58]. Die zentrale Schwierigkeit bei der Indikationsstellung zur TUR bei muskelinvasiven Blasentumoren ist das nicht seltene »Understaging« des Tumors im Rahmen der diagnostischen TUR. Trotz eines negativen präoperativen Stagings, einschließlich Computertomographie, lassen sich in bis zu 24% der Fälle unerwartete Lymphknotenmetastasen finden [39]. Unabhängig von dieser Problematik kann die TUR bei Patienten in hohem Lebensalter und schlechtem Allgemeinzustand als palliative Maßnahme eingesetzt werden. Eine partielle Zystektomie ist primär nur in Ausnahmefällen bei solitären Tumoren, insbesondere des Blasendachs mit ausreichendem Sicherheitsabstand von etwa 3 cm zum Blasenhals ohne begleitendes Carcinoma in situ oder bei histologi-
53
4
schen Sonderformen wie dem Urachuskarzinom indiziert [22].
4.3
Neoadjuvante, adjuvante und palliative Chemotherapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinoms der Harnblase
Bei lokal fortgeschrittenen bzw. metastasierten Harnblasenurothelkarzinomen ist in den meisten Fällen durch lokale Maßnahmen (Operation, Strahlentherapie) keine kurative Sanierung möglich. Da Harnblasenkarzinome grundsätzlich chemotherapiesensibel sein können, erscheinen neoadjuvante, adjuvante und palliative Therapiekonzepte in Kombination mit einer Lokaltherapie als aussichtsreiche Strategien. Diese Behandlungskonzepte sind wie folgt definiert: Neoadjuvante Chemotherapie. Bei der neoadjuvanten Chemotherapie wird das Therapieergebnis nach primärer Applikation zytotoxischer Substanzen durch Operation, Strahlentherapie und/ oder weitere Chemotherapie konsolidiert. Die Ratio für einen neoadjuvanten Therapieansatz ist die simultane Behandlung des Tumors und seiner Mikrometastasen. Eine primäre Chemotherapie kombiniert mit lokalen therapeutischen Maßnahmen kann hypothetisch das Tumorvolumen reduzieren und damit möglicherweise das rezidivfreie und Gesamtüberleben verbessern. Ein weiteres Ziel neoadjuvanter Konzepte ist ein möglicher Harnblasenerhalt. Adjuvante Chemotherapie. Bei der adjuvanten Chemotherapie werden zytotoxische Substanzen nach vollständiger operativer oder strahlentherapeutischer Tumorentfernung appliziert. Ziel der adjuvanten Therapie ist es, den Erfolg der vorangegangenen Therapie zu konsolidieren und eine evtl. vorhandene Mikrometastasierung zu behandeln, um das Tumorrezidivrisiko zu senken. Palliative Chemotherapie. Bei der palliativen Chemotherapie basiert die Behandlung auf dem Einsatz zytotoxischer Substanzen bei klinisch nachweisbarem sowie bidimensional messbarem Tumor bzw. Metastasierung mit den Zielen der Bes-
54
I
Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
serung einer evtl. vorhandenen klinischen Symptomatik oder der Verlängerung der tumorabhängigen Überlebenszeit.
4.3.1
Neoadjuvante Chemotherapie
Es existieren einige prospektiv randomisierte Studien, die den Wert einer neoadjuvanten Therapie valide untersucht haben. In den meisten Studien zur neoadjuvanten Chemotherapie bestand zwar eine Tendenz zur Überlebensverbesserung durch eine neoadjuvante chemotherapeutische Vorbehandlung, es ergaben sich jedoch nur in Ausnahmen [20, 47] bzw. Subgruppenanalysen [41] statistisch signifikante Unterschiede. Die Schwierigkeit der Interpretation dieser Ergebnisse lässt sich einerseits auf einen entsprechend hohen Anteil von Patienten mit einem günstigen Tumorstadium (≤pT2, pN0), deren Prognose nicht signifikant durch eine neoadjuvante bzw. adjuvante Chemotherapie verbessert werden kann und andererseits mit einer Verzögerung der definitiven Therapie in Form der radikalen Zystektomie bzw. Strahlentherapie bei Patienten, die auf eine neoadjuvante Chemotherapie nicht ansprechen, zurückführen. Es ist anzunehmen, dass sich die Prognose von »Non-Respondern« durch Verzögerung der kurativen Behandlung des Primärtumors eher verschlechtert [57]. Eine große Metaanalyse zur neoadjuvanten Kombinationstherapie des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms, basierend auf individuellen Patientendaten aus 10 randomisierten kontrollierten Studien mit insgesamt 2.100 Patienten, konnte ebenfalls eine signifikante Verbesserung des Überlebens für die neoadjuvant behandelte Gruppe demonstrieren. In einem Beobachtungszeitraum von 10 Jahren ließ sich ein 13% höheres Sterblichkeitsrisiko für Patienten ohne neoadjuvante Therapie berechnen. Bei entsprechend hoher Fallzahl ergibt sich hierbei eine Verbesserung der 5-Jahresüberlebensrate um 5%, von 45% für die Kontrollgruppe auf 50% für neoadjuvant behandelte Patienten [77]. In einer randomisierten Studie der Nordic Cooperative Bladder Cancer Study Group zur neoad-
juvanten Gabe von Cisplatin und Doxorubicin bei 325 Patienten mit Harnblasenkarzinom im Stadium T1, G3 und T2–4NXM0, die eine radikale Zystektomie erhielten, lag die korrespondierende Überlebensrate der Patienten mit Chemotherapie bei 64% vs. 54% für Patienten in der Kontrollgruppe. Es ergab sich kein Unterschied für Patienten mit Tumoren die als Stadium T1–T2 klassifiziert wurden, jedoch konnte ein um 15% signifikanter Unterschied bei Patienten mit T3- und T4-Tumoren beobachtet werden. [41]. Eine randomisierte Studie des Medical Research Council und der European Organizsation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) untersuchte den Unterschied einer neoadjuvanten Chemotherapie mit Cisplatin, Methotrexat und Vinblastin (CMV) gefolgt von einer Zystektomie oder Radiotherapie und einer Zystektomie bzw. Radiotherapie alleine. Diese Studie zeigte, dass das 2-jahreskrankheitsfreie Überleben im CMV-Arm geringfügig höher war (51% vs. 45%, p=0,06). Unter den Patienten, die eine radikale Zystektomie erhielten, hatten 33% der Patienten nach CMV keinen Tumornachweis im pathologischen Präparat verglichen mit 12% in der Gruppe ohne Chemotherapie [32]. Einschränkend ist jedoch zu betonen, dass das chemotherapeutische Regime in dieser Studie nicht MVAC gewesen ist, welches lange Zeit als das wirksamste Regime bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem Harnblasenkarzinom betrachtet wurde. Nach vielen Diskussionen und Debatten entwickelte die SWOG Genitourinary Committee ein Protokoll, das neoadjuvant MVAC gefolgt von einer Zystektomie mit alleiniger Zystektomie verglichen hat. Hierbei wurden drei Zyklen MVAC vor Durchführung des operativen Eingriffs verabreicht. In dieser Studie wurden außerdem Patienten durch die Eastern Cooperative Oncology Group and Cancer and Leukemia B eingebracht. Die Studie war für 298 Patienten mit Transitionalzellkarzinom der Stadien T2–4N0M0 vorgesehen. Es erfolgte eine Stratifizierung nach Patientenalter (<65 Jahre vs. ≥65 Jahre) und nach Krankheitsstadium (T2 vs. T3–T4a); primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben. In der Gruppe traten keine Chemotherapie-assoziierten Todesfälle auf.Von den 298 Patienten überlebten 128 nach einem medianen »follow-up« von 7,1 Jah-
4.3 · Neoadjuvante, adjuvante und palliative Chemotherapie
ren. In der neoadjuvant behandelten MVAC-Gruppe traten 85 Todesfälle auf, während in der Gruppe ohne Chemotherapie 95 Todesfälle zu verzeichnen waren (p=0,027). Auch diese Studie belegt einen Überlebensvorteil für Patienten mit lokal fortgeschrittenem Harnblasenkarzinom, die eine neoadjuvante Chemotherapie (MVAC) vor Durchführung einer Zystektomie erhielten [20, 47]. Die genannten Studien müssen dennoch im Kontext zu zahlreichen anderen negativen Studien gesehen werden. Ein Teil der Diskrepanzen lässt sich möglicherweise damit erklären, dass in einem Teil der Studien nicht MVAC als wirksames chemotherapeutisches Regime eingesetzt wurde. In diesem Zusammenhang werden besonders die Ergebnisse einer zurzeit noch nicht abgeschlossenen Studie von Interesse sein, die prospektiv randomisiert eine prä- und postoperative Therapie mit insgesamt 5 Zyklen MVAC mit alleiniger adjuvanter Therapie vergleicht [36]. Es ist davon auszugehen, dass durch die Entwicklung wirksamer Medikamente mit günstigerem Nebenwirkungsprofil bzw. Kombinationstherapien, wie z. B. Gemcitabine/Cisplatin, und auch durch den Einsatz molekularbiologischer Techniken zur Bestimmung der Chemosensibilität des Tumors und Risikostratifizierung die klinische Wirksamkeit der neoadjuvanten Chemotherapie verbessert werden kann [54].
4.3.2
Adjuvante Chemotherapie
Die Anzahl adjuvanter Therapiestudien ist noch geringer als im neoadjuvanten Setting. Dieses ist durch die Tatsache begründet, dass im Gegensatz zur neoadjuvanten Therapie eine primär invasive Operation ohne Option des Organerhaltes im Vorfeld stattfindet und die postoperative Morbidität häufig eine frühzeitige Applikation einer Chemotherapie in voller Dosierung verhindert. Ein weiterer Nachteil ist, dass das direkte Ansprechen auf eine Chemotherapie nur eingeschränkt bewertet werden kann [76]. Im Vergleich zu nichtoperativen Therapiekonzepten ist aber das Tumorvolumen reduziert und das genaue histopathologische Tumorstadium bekannt und damit eine Risikostratifizierung der Pa-
55
4
tienten möglich. Ferner kommt es zu keiner Verzögerung einer definitiven lokalen Therapie [76]. Im vergangenen Jahrzehnt wurden sieben Studien zum Vergleich des klinischen Verlaufs bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen und metastasierten Harnblasenkarzinomen nach alleiniger Zystektomie und nach adjuvanter Chemotherapie durchgeführt, von denen aber nur fünf randomisiert waren [7, 17, 34, 62, 72, 73, 75]. Drei der fünf randomisierten Studien zeigten eine signifikante zeitliche Verzögerung in der postoperativen Tumorprogression bei den adjuvant therapierten Patienten [17, 62, 72]. Kritisiert wurden die Studien aufgrund der geringen Anzahl rekrutierter Patienten, der Unterschiede in den histopathologischen Einschlusskriterien, statistischer Unzulänglichkeiten und in einem Fall wegen eines vorzeitigen Studienabbruchs. Weiterhin ist die Vergleichbarkeit der Studien durch den Einsatz verschiedener Therapieregime eingeschränkt. Es zeigte sich aber, dass durch die adjuvante Chemotherapie ein statistisch signifikanter tumorprogressionsfreier Überlebensvorteil in ausgewählten Studien nur bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem Tumorleiden (>pT2) und/oder geringgradiger Lymphknotenmetastasierung (
56
I
Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
Bisherige randomisierte klinische Studien zur adjuvanten Chemotherapie des Harnblasenkarzinoms konnten keine statistisch signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens zeigen [53]. Zur Klärung der Frage, welches Patientenkollektiv den größten Benefit von diesem Behandlungsregime hat, sollte nur unter Studienbedingungen adjuvant therapiert werden. Eine Studie der University of Southern California randomisiert in diesem Zusammenhang Patienten mit organbegrenztem Harnblasenkarzinom und Veränderung des p53-Tumorsuppressorgens auf Chromosom 17 in einen adjuvanten Therapiearm mit drei Zyklen MVAC vs. Beobachtung nach erfolgter radikaler Zystektomie [63]. Hierbei wird außer der Wirksamkeit einer adjuvanten Chemotherapie auch ein Vergleich der Patientengruppen hinsichtlich Veränderungen molekularer Marker (p53) und deren möglicher Eignung zur Risikostratifizierung durchgeführt.
4.3.3
Palliative Chemotherapie
Die Mortalität der Patienten mit einem hochgradigen Harnblasenkarzinom und tiefer Muskelinfiltration liegt bei 30–50% innerhalb der ersten beiden Jahre nach Diagnosestellung [74]. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Chemotherapeutika als Monosubstanzen zur palliativen Therapie des lokal oder systemisch fortgeschrittenen Harnblasenurothelkarzinoms eingesetzt. Die in Sammelanalysen publizierten Remissionsraten lagen für Cisplatin und Methotrexat mit etwa 30% am günstigsten. Dabei war der Anteil kompletter Remissionen bei nur 3–10%. Andere Zytostatika wie z. B. Doxorubicin, Vinca-Alkaloide oder 5-Flurouracil erreichten dagegen nur Remissionsraten von etwa 15% [70, 83]. Auch die Remissionraten für Carboplatin, welches vorzugsweise im Austausch für Cisplatin bei renal vorgeschädigten Patienten eingesetzt wurde, war mit durchschnittlich 12% deutlich geringer [14]. Das Ansprechen auf Monotherapien ist generell inkomplett, im Median 3–4 Monate andauernd und es finden sich nur wenige Remissionen [11, 21].
Im letzten Jahrzehnt wurden neue wirksame Substanzen identifiziert und innerhalb klinischer Studien als Monosubstanz oder als Bestandteil von Kombinationschemotherapien untersucht. Zu ihnen gehören das Antifolat Piritrexim und das Oxazaphosphorinanalogon Ifosfamid, die Taxane Paclitaxel und Docetaxel, das Nukleosidanalogon Gemcitabine und Gallium-Nitrat. Ansprechraten von etwa 40% für Piritrexim, Paclitaxel und Docetaxel wurden bei unvorbehandelten Patienten in frühen Phase-II-Studien beobachtet und später revidiert [15, 16, 56]. Die Ansprechraten reduzierten sich auf 7–18% bei nicht chemonaiven Patienten [9, 28, 43, 49]. Günstige Remissionsraten finden sich für die Monotherapie mit Gemcitabine sowohl bei chemonaiven Patienten (24–28%) mit einer mittleren Überlebenszeit zwischen 5–13 Monaten, als auch bei vorbehandelten Patienten mit 23–29% und einer mittleren Überlebenszeit zwischen 8–12,5 Monaten [18, 38, 45, 51, 64]. Die vorliegenden Daten deuten auf eine wirksame Therapieoption auch nach platinhaltiger Vortherapie hin. Die Therapieergebnisse meist cisplatinhaltiger Monotherapien im palliativen Setting wurden im Rahmen prospektiver Studien mit den Ergebnissen von Polychemotherapien verglichen, wobei signifikant häufiger objektive und komplette Remissionen unter dem Einsatz von Kombinationsschemata gesehen wurden [21, 24, 28, 37] (⊡ Tabelle 4.1). Deshalb sollte bei Patienten, deren Allgemeinzustand und Organfunktion einen palliativen Einsatz von Kombinationschemotherapien erlauben, diese auch bevorzugt gegenüber der Therapie mit Einzelsubstanzen zum Einsatz kommen. Eine Studie der SWOG, unterstützt durch das National Institute of Aging und das National Cancer Institute untersucht hierbei speziell den Einsatz von Chemotherapeutika beim älteren Menschen (>70 Jahre). Zum Einsatz kommen Gemcitabine 1.000 mg/m2 und Paclitaxel 175 mg/m2 gegeben an den Tagen 1 und 8 eines dreiwöchigen Therapiezyklus bei Patienten mit Harnblasenkarzinom, die älter sind als 70 Jahre. Neben Parametern wie An-
4
57
4.4 · Polychemotherapie mit 2 Substanzen
⊡ Tabelle 4.1. Zurzeit aktivierte nationale Therapiestudien beim fortgeschrittenen Harnblasenurothelkarzinom (Stand 01/2004). (Aus [www.auo-online.de])
Titel der Studie
Studienleiter
AUO-Nummer
Status
Randomized Phase III Study comparing paclitaxel/cisplatin/gemcitabine and cisplatin/gemcitabine in patients with metastatic or locally advanced urothelial cancer without prior systemic therapy
Prof. Dr. Andreas Böhle – Urologische Praxis Dr. Böhle, Lübecker Str. 18–20, 23611 Bad Schwartau, Tel.: 0451/24711,
[email protected]
EORTC 30987
Offen
Fixed dose rate gemcitabine: gemcitabine plus cisplatin or carboplatin in advanced or metastatic transitional cell carcinoma of the urothelium in a 21-day regimen. A phase I/II study (protocol version September 26, 2001)
Dr. Christian-Martin Lippert – Heidelberg, Uni Urologie, Im Neuenheimer Feld 110, 69120 Heidelberg, Tel.: 06221/56 36 438,
[email protected]
AB24/01/XX
Offen
A randomized study of adjuvant vs. progression-triggered treatment with gemcitabine after radical cystectomy for locally advanced transitional cell carcinoma of the bladder in patients not suitable for cisplatin-based chemotherapy
Prof. Dr. med. Michael Stöckle, Universtitätskliniken des Saarlandes, Kirrberger Str., 66421 Homburg/Saar, Tel.: 06841/16 24 700
AB22/00
Offen
Prospektiv-randomisierte Phase IIIStudie: Immucothel zur Rezidivprophylaxe bei oberflächlichen Harnblasenkarzinomen – Intravesikale KLH-Applikation vs. TUR
Prof. Dr. med. Herbert Rübben, Universitätsklinik Essen – Urologie, Hufelandstr. 55, 45122 Essen, Tel.: 0201/723 3261
AB14/98
Offen
sprechrate, Überleben und progressionsfreies Überleben sollen hierbei insbesondere auch Kenntnisse über die pharmakokintetischen Unterschiede dieser Population, Halbwertszeit und »area under the curve« sowie auch Lebensqualität und Komorbidität gewonnen werden [12].
4.4
Polychemotherapie mit 2 Substanzen
Nachdem Methotrexat und Cisplatin in Untersuchungen als wirksamste chemotherapeutische Einzelsubstanzen identifiziert wurden, waren diese Zytostatika auch Gegenstand von frühen Phase-IIStudien zur Kombinationschemotherapie. Dabei
zeigten sich Ansprechraten zwischen 45–56% [24, 74, 84] Im Vergleich zur Monotherapie mit Cisplatin zeigte sich die Kombination von Methotrexat und Cisplatin mit sowohl einer höheren Remissionsrate als auch einer größeren Zahl von kompletten Remissionen effektiver [24]. Die hohe Effektivität von Cisplatin und Gemcitabine als Einzelsubstanzen bei der Therapie des fortgeschrittenen Harnblasenkarzinoms und eine präklinisch dokumentierte synergistische Wirkung waren die Rationale für mehrere Phase-II-Studien der Kombination (CG) beider Substanzen. Es wurden Ansprechraten zwischen 41–57% bei mittleren Überlebenszeiten von 12,5–14,3 Monaten dokumentiert [27, 38, 46, 81].
58
I
Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurde eine prospektive Phase-III-Studie zum Vergleich von CD mit MVAC durchgeführt. 405 Patienten wurden für Gemcitabine 1.000 mg/m2 an den Tagen 1, 8 und 15 plus Cisplatin 70 mg/m2 am Tag 2 des 28. Zyklus oder für MVAC randomisiert. Im Hinblick auf das Gesamtüberleben, auf die Zeit bis zum Therapieversagen und die Remissionsrate zeigten sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den geprüften Therapieregimen bei Vorteilen für CG-Schemas hinsichtlich der Toxizität [81]. Es verblieben Zweifel an der Gleichwertigkeit der Tumorkontrolle durch das CG-Schema (im Vergleich zum MVAC-Regime), da die Größe des ausgewerteten Studienkollektivs keinen statistisch signifikanten einwandfreien Äquivalenznachweis erlaubte und der primär gewählte Endpunkt nicht erfüllt war [10]. Dennoch hat sich seit dem Jahr 2000 die Kombination aus Cisplatin und Gemcitabine als neuer Standard in der Therapie des lokal fortgeschrittenen und metastasierten Harnblasenkarzinoms zunehmend etabliert, insbesondere auf Grund der besseren therapeutischen Breite und geringerer höhergradiger Toxizitäten. In kleineren Studien wurden auch Carboplatin und Gemcitabine kombiniert. Es wurden komplette Ansprechraten von 6–23% bei einer allerdings hohen Rate (60–68%) an Grad-III- und -IV-Granulozyto- bzw. Thrombozytopenien beschrieben [33, 48, 85]. Zukünftig bleiben die Ergebnisse insbesondere zweier randomisierter Studien der EORTC abzuwarten. Die Studie EORTC 30987 vergleicht als Erstlinientherapie Paclitaxel/Cisplatin und Gemcitabine randomisiert mit Cisplatin/Gemcitabine und EORTC 30986 vergleicht randomisiert Carboplatin/Gemcitabine mit Methotrexat/Carboplatin und Vinblastin. Die letztgenannte Studie ist hierbei vor allem für Patienten vorgesehen, bei denen Kontraindikationen für Cisplatin vorliegen.
4.5
Polychemotherapie mit 3 Substanzen
Am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center wurde die Kombination Cisplatin, Paclitaxel und Ifosfamid mit supportiver Gabe eines granulozyten-
koloniestimulierenden Faktors (G-CSF), der die Vermehrung myeloischer Vorläuferzellen im Knochenmark stimuliert und eine schnellere Ausreifung der einzelnen Zellen bis hin zu neutrophilen Granulozyten im Blut fördert, untersucht. Bei 30 unvorbehandelten Patienten wurde eine Ansprechrate von 79% bei einer mittleren Überlebenszeit von 18,3 Monaten erreicht [80]. Auch die Kombination Carboplatin, Paclitaxel und Gemcitabine hat zu vielversprechenden Ergebnissen geführt. Eine Ansprechrate von 63% mit einem Anteil von kompletten Tumorremissionen von 30% wurde bei chemonaiven Patienten dokumentiert [12]. Die Kombination Cisplatin, Gemcitabine und Paclitaxel (CGP) führte in einer Phase-I/II-Studie der Spanish Oncology Genitourinary Group zu einer Ansprechrate von 78% bei einer mittleren Überlebenszeit von 24 Monaten in Phase I–II [4]. Auch in der folgenden Phase-II-Studie war nach 19 Monaten die mittlere Überlebenszeit noch nicht erreicht. Die prophylaktische Gabe von GCSF führte zu einem vergleichsweise moderaten Toxizitätsprofil [4]. Diese Ergebnisse führten zur Initiierung einer großen Intergroup-Studie zum fortgeschrittenen Harnblasenkarzinom zum Vergleich CGP gegen CG (EORTC, South West Oncology Group, National Cancer Institute of Canada, Radiation Therapy Oncology Group). Die Ergebnisse dieser internationalen Studie sind noch nicht verfügbar. Die Dreierkombination bestehend aus Cisplatin, Cylcophosphamid und Doxorubicin (CISCA) wurde in einer randomisierten Studien evaluiert; sie ist MVAC bzgl. Ansprechrate, progressionsfreiem Überleben und Gesamtüberleben unterlegen [35].
4.6
Polychemotherapie mit 4 Substanzen
Eine Gruppe des Memorial Sloan-Kettering Cancer Center (MSKCC) publizierte 1985 die Ergebnisse der Therapie von 24 Patienten mit fortgeschrittenem Harnblasenkarzinom mit einer Kombination aus Cisplatin, Doxorubicin, Methotrexat und Vinblastin. Sie zeigten eine Ansprechrate von 71%, die
Tag
Chemotherapeutikum Begleitmedikation
Dosis
Infusionsdauer Zeitpunkt
MVAC; 28 Tage (über max. 6 Zyklen)
1, 15, 22 2, 15, 22 2 2 2
Methotrexat Vinblastin Doxorubicin Cisplatin NaCl 0,9%
30 mg/m2 3 mg/m2 30 mg/m2 70 mg/m2
2
Dexamethason
8 mg
2 2
Tropisetron Mannit 20%
5 mg
Bolus Bolus 1h 1h 24 h; kontinuierlich mit Chemotherapie 15 min; 15 min vor Chemotherapie Bolus 15 min; 30 min vor und nach Cisplatin
1
Paclitaxel
175 mg/m2
3h
1
Carboplatin
0,5–1 h
1
Dexamethason
Standarddosis: 300–400 mg/m2/Tag. Dosisberechnung in mg entsprechend der angestrebten AUC (»area under the curve«, Fläche unter der KonzentrationsZeit-Kurve in mg/ml × min und der Nierenfunktion (GFR). Die angestrebte AUC beträgt 5–7 mg/ml × min in der Monotherapie und 4–6 mg/ml × min in Polychemotherapie-Protokollen 4 mg
1
Tropisetron
5 mg
1
Clemastin
2 mg
1
Ranitidin
50 mg
PaclitaxelCarboplatin; 21 Tage (über max. 4 Zyklen)
Bolus; 30 min vor Paclitaxel Bolus; 30 min vor Paclitaxel Bolus; 30 min vor Paclitaxel Bolus: 30 min vor Paclitaxel
Trägerlösung Infusionsmenge
2.000 ml NaCl 0,9%; 100 ml
125 ml
Dextrose oder isotone Kochsalzlösung; Zielkonzentration <1,2 mg/ml 5% Glukose oder NaCl 0,9%; Zielkonzentration: <0,5 mg/ml
59
Schema Zyklusdauer
4.6 · Polychemotherapie mit 4 Substanzen
⊡ Tabelle 4.2. Ausgewählte Chemotherapieprotokolle beim fortgeschrittenen Harnblasenurothelkarzinom
4
I 60
Schema Zyklusdauer
Tag
Chemotherapeutikum Begleitmedikation
Dosis
Infusionsdauer Zeitpunkt
GemcitabineCisplatin: 28 Tage (über max. 6 Zyklen)
1, 8, 15 2 1, 8, 15
Gemcitabin Cisplatin NaCl 0,9%
1.000 mg/m2 70 mg/m2
1, 8, 15
Dexamethason
4 mg
1, 8, 15
Tropisetron
5 mg
2
Mannit 20%
2
NaCl 0,9%
30–60 min 1h 1 h; 15 min vor Chemotherapie Bolus; 15 min vor Chemotherapie Bolus; 15 min vor Chemotherapie 15 min; 30 min vor und nach Chemotherapie 24 h; kontinuierlich mit Chemotherapie
1, 8 1
Gemcitabine Paclitaxel
GemcitabinePaclitaxel; 22 Tage (simultan und auf max. 6 Zyklen begrenzt)
1.000 mg/m2 175 mg/m2
30 min 3 h; unmittelbar nach Gemcitabine Gabe
Trägerlösung Infusionsmenge
NaCl 0,9%; 250 ml 500 ml
125 ml 2.000 ml
Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
⊡ Tabelle 4.2 (Fortsetzung)
61
4.7 · Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren
sie mit einer Rate von 72% an 121 Patienten vier Jahre später bestätigten [67, 69]. Andere Untersucher bestätigen ebenfalls Remissionen im Bereich von 13–19% [8, 25, 78]. Randomisierte Phase-III-Studien demonstrieren eine höhere Ansprechrate der MVAC-Therapie im Vergleich zu Cisplatin als Monosubstanz oder der Kombination aus Cisplatin, Cyclophosphamid und Doxorubicin und etablierten die Kombination als Standardtherapie der Wahl [35, 37] (⊡ Tabelle 4.2). Eine Verbesserung der progressionsfreien und Gesamtüberlebensraten bei gleichzeitig deutlicher Verbesserung des Toxizitätsprofils scheint durch G-CSF-gestützte Intensivierung des MVAC-Schemas möglich. So wurden kürzlich Ergebnisse einer prospektiven randomisierten Phase-III-Studie publiziert, die an 263 Patienten das Ansprechen auf klassisches MVAC gegen eine 14-tägige Modifikation mit G-CSF-Unterstützung untersuchte. Dabei konnte sowohl die komplette Remissionsrate von 11 auf 24% als auch das progressionsfreie Überleben signifikant zu Gunsten der dosisintensivierten Therapie gesteigert werden. Die Gesamtüberlebensrate nach 2 Jahren betrug für den »klassischen« Arm 25,4% und für den »dosisintensivierten« Arm 35,3% [71]. Sollten sich das verbesserte Therapieansprechen sowie das vergleichsweise moderate Toxizitätsprofil des dosisintensivierten MVAC (+G-CSF) im Rahmen weiterer prospektiver Studien reproduzieren lassen, ist eine zukünftige Randomisierung neuerer Zytostatikakombinationen gegen dieses Regime denkbar.
4.7
Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren
Nicht alle im Anhang aufgeführten Chemotherapieregime wirken derart myelotoxisch, dass ein primär-prophylaktierter Einsatz von hämatopoetischen Wachstumsfaktoren (CSF) erforderlich ist. Gemäß den ASCO-Guidelines ist dies nur bei solchen Schemata indiziert, bei denen eine etwa 40%iges Risiko für die therapierten Patienten besteht, eine febrile oder langanhaltende schwere Neutropenie zu erleiden [1, 5, 71, 80].
4
Allerdings existieren auch verschiedene patienten-, therapie-, oder behandlungszielabhängige Risikofaktoren, die auch bei weniger aggressiven Schemata einen primär-prophylaktischen Einsatz rechtfertigen können. Patientenbezogen sind folgende Risikofaktoren: Vorbehandlung mit myelosuppressiver Chemotherapie oder Strahlentherapie mit Knochenmarkbeteiligung, reduzierter Allgemeinzustand, erhöhte Infektionsgefahr durch verschlechterte Immunfunktion, offene Wunden oder floride Gewebsinfektion, Alter >65 Jahre. Therapiebezogene Risikofaktoren sind: Therapie mit nur einem Schema mit mehr als
einem myelosuppressiven Zytostatikum und myelosuppressives Zytostatikum in erhöhter
Dosis. Behandlungszielabhängige Risikofaktoren sind: Gefährdung eines kurativen Therapieansatzes
durch Intervallverlängerung oder Dosisreduktion. Bei Vorliegen von mehr als zwei der genannten selben Faktoren sollte eine primär-prophylaktischer Einsatz von CSF (z. B. Neupogen) erwogen werden. Für alle anderen Patienten sollten CSF sekundär-prophylaktisch verwendet werden, wenn im vorausgegangenen Zyklus eine schwere Neutropenie und/oder Fieber aufgetreten ist. Der CSF sollte dann etwa 6–8 Tage vor dem zu erwartenden Granulozytennadir appliziert werden. Die empfohlene Dosis für Neupogen beträgt 5 µg/kg Körpergewicht einmal täglich subkutan appliziert (⊡ Tabelle 4.3).
I 62
Substanzname
Nebenwirkungen
Kontrolluntersuchungen
Prophylaxe
Kontraindikationen
Inkompatible Substanzen
Methotrexat; Methotrexat Lederle
Mukositis, Diarrhoe, Emesis, Ulzera, Myelotoxzizität (Nadir: Tag 7–14; reversibel), Hepatotoxizität (mäßiggradig), Nephrotoxizität (dosisabhängig), Alopezie (reversibel), Anaphylaxie (selten), Lungenfibrose (selten)
Kreatininclearance, Blutbild, Leberwerte, Ausschluss Aszites und Pleuraerguss
→ Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren entsprechend ASCO Guidelines ( s. Text) → Dosisreduktion (75% der Solldosis) bei: – Leukozyten: 1.000–3000/µl – Thromobozyten: 75.000–150.000/ml – Bilirubin: 3,0–5,0 mg/dl → Dosisreduktion (10–50% der Solldosis) bei: – GFR (ml/min): 10–60 → Dosisreduktion (25% der Solldosis) bei: – Serum-Kreatinin: 1,5–2,0 mg/dl Antiemetika: Dimenhydrinat: 10–30 ml/Tag Triflupromazin: 10–30 mg/Tag Antidot: Kalziumfolinat; Hydratation, Alkalisierung
Leukozytenzahl: <1.000/µl; Thrombozytenzahl: <75.000/µl; Bilirubin: >5,0 mg/dl; GFR: <10 ml/min; Serum-Kreatinin >2,0 mg/dl
Bleomycin, Chlorpromazin, Daunorubicin, Droperidol, Epirubicin, Idarubicin, Metoclopramid, Prednisolon, Promethazin, Ranitidin
Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
⊡ Tabelle 4.3. Nebenwirkungen der in der Therapie des Harnblasenkarzinoms eingesetzten chemotherapeutischen Einzelsubstanzen und deren Behandlung und Prophylaxe
Substanzname
Nebenwirkungen
Kontrolluntersuchungen
Prophylaxe
Kontraindikationen
Inkompatible Substanzen
Vinblastin, Velbe
Emesis, Mukositis, Ileus, Myelotoxizität (Nadir: Tag 4–10, reversibel), Neurotoxizität (z. T. irreversibel), Alopezie (reversibel)
Blutbild, Serum-Bilirubin, Neurostatus
Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren entsprechend ASCO-Guidelines ( s. Text) → Dosisreduktion (75% der Solldosis) bei: – Leukozyten: 1.000–3.000/µl – Thromobozyten: 75.000–150.000/ml – GFR: <10 ml/min → Dosisreduktion (50% der Solldosis) bei: – Bilirubin: 1,5–3,0 mg/dl → Dosisreduktion (25% der Solldosis) bei: – Bilirubin: 3,1–5,0 mg/dl Antiemetika ( s. Methotrexat)
Leukozytenzahl: <1.000 /µl; Thrombozytenzahl: <75.000/µl; Bilirubin: >5,0 mg/dl; Obstruktive Lebererkrankungen, Anaphylaxie
Cefepim, Furosemid, Heparin-Natrium
4.7 · Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren
⊡ Tabelle 4.3 (Fortsetzung)
63
4
I 64
Substanzname
Nebenwirkungen
Kontrolluntersuchungen
Prophylaxe
Kontraindikationen
Inkompatible Substanzen
Doxorubicin, Adriblastin
Gastrointestinale Nebenwirkungen (ca. 50%), kardiale Toxizität bei kumulativer Gesamtdosis >550 mg/ m2, Alopezie (reversibel), Myelotoxizität (Nadir: Tag 8–14, reversibel), Rotfärbung Urin, Anaphylaxie (selten)
Leberwerte, KreatininClearance, EKG, Echokardiographie
→ Dosisreduktion (75% der Solldosis) bei: – GFR: <10 ml/min → Dosisreduktion (50% der Solldosis) bei: – Bilirubin: 1,5–3,0 mg/dl – >20 Gy Radiatio kleines Becken – S-GOT: 60–180 IU/l → Dosisreduktion (25% der Solldosis) bei: – Bilirubin: 3,1–5,0 mg/dl – S-GOT: >180 IU/l Antiemetika ( s. Methotrexat)
Leukozytenzahl: <1.000 /µl; Thrombozytenzahl: <75.000/µl; Bilirubin: >5,0 mg/dl; Kardiale Nebenwirkungen (Arrhythmie, ST-Streckensenkung, Sinustachykardie, T-Wellenabflachung, Anaphylaxie)
Aminophyllin, Cefalotin, Dexamethason, Diazepam, 5-FU, Furosemid, Ganciclovir, Heparin-Natrium, Hydrokortison, Natriumbikarbonat, Aluminium in Nadeln oder Infusionsbesteck
Cisplatin, Platinex, Platiblastin, CisplatinAsta
Nephrotoxizität (irreversibel, dosisabhängig), Myelotoxizität (Nadir: Tag 10–21, reversibel), Neurotoxizität (irreversibel), Emesis (ausgeprägt), Ototoxizität (dosisabhängig), Alopezie (reversibel), Anaphylaxie (selten)
Blutbild, KreatininClearance, HNO-Status, Neurostatus
Antiemetika ( s. Methotrexat), zusätzlich Ondansetron 8–24 mg/Tag, Tropisetron 5 mg/Tag
Leukozytenzahl: <1.000 /µl; Thrombozytenzahl: <75.000/µl; GFR: <60 ml/min; Anaphylaxie
5-FU, Mesna, Metoclopramid, Natriumbikarbonat, Natriumdisulfit, Natriumthiosulfat, Piperacillin, Tazobactam, Thiotepa, Aluminium in Nadeln oder Infusionsbesteck
Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
⊡ Tabelle 4.3 (Fortsetzung)
Substanzname
Nebenwirkungen
Carboplatin, Carboplat, Ribocarbo
Myelotoxizität (Nadir: Tag 14–21), (Anämie ca. 60%) Leukozytopenie ca. 55% Thrombozytopenie ca. 30% Nephrotoxizität (1%) Neurotoxizität (ca. 6%) Ototoxizität, Emesis, Alopezie (geringer als bei Cisplatin), Anaphylaxie (selten)
Kontrolluntersuchungen
Kontraindikationen
Inkompatible Substanzen
→ Dosisreduktion (Soll-AUC –1) bei: – GFR: <60 ml/min → Dosisreduktion (SollAUC –2) bei: – GFR: <40 ml/min Sekundäre Prophylaxe mit hämatopoetischen Wachstumsfaktoren entsprechend der ASCO Richtlinien ( s. Text); Verzögerung der Therapiefortsetzung in Intervallen von jeweils 3 Tagen bis Leukozyten >1.500/µl und Thrombozyten >100.000/µl → Dosisreduktion (SollAUC -1) bei: – Bei Intervallverlängerung um >3 Tage wegen Thrombozytopenie – Bei Mukositis mit Bläschenbildung und/oder Ulcera (= Grad 3 Toxizität)
GFR: <15 ml/min Leukopenien <1.500/µl und Thrombozytopenien <100.000/µl unter G-CSF Prophylaxe am Tag 22 und 29 nach Carboplatingabe. Klinische Gehörschädigung.Symptomatische Arrhythmie oder AV-Block (>1). Grad-3Neurotoxizität
5-FU, Mesna, Natriumbikarbonat, Aluminium in Nadeln oder Infusionsbesteck
65
Prophylaxe
4.7 · Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren
⊡ Tabelle 4.3 (Fortsetzung)
4
I 66
⊡ Tabelle 4.3 (Fortsetzung)
Nebenwirkungen
Kontrolluntersuchungen
Prophylaxe
Kontraindikationen
Inkompatible Substanzen
Paclitaxel, Taxol
Myelosuppression (ca. 30%; besonders Granulozytopoese, Nadir: Tag 10–12); Hypersensitivitätsreaktionen (ca. 3–30%); Flush, Urtikaria, Myalgien, Hypotonie, Bronchospasmus,Angioödem), Neurotoxizität (ca. 4% Parästhesien, selten paralytischer Ileus, selten zentralnervöse Störungen wie Schwäche, Krämpfe, Sehstörungen), kardiovaskuläre Nebenwirkungen (ca. 2%; selten Arrhythmien, Ischämie), Hepatotoxizität (ca. 5%; transienter Transaminasenanstieg, selten Leberschäden), gastrointestinale Nebenwirkungen (selten Übelkeit, Erbrechen, Mukositis, Diarrhöe, Obstipation)
Blutbild, Elektrolyte, Bilirubin, Transaminasen, EKG, evtl. Echo, Neurostatus
Therapie und Metaphylaxe einer symptomatischen bzw. asymptomatischen Myelosuppression mit hämatopoetischen Wachstumsfaktoren entsprechend ASCO-Guidelines ( s. Text) Gabe von Antiemetika (z. B. Metoclopramid 10–30 mg/Tag, Dimenhydrinat 10–30 ml/Tag, Triflupromazin-HCl 10– 30 mg/Tag, Ondansetron 8–24 mg/Tag); Dexamethason 4 mg i. v. 30 min vor Paclitaxel Clemastin 2 mg i. v. 30 min vor Paclitaxel, Ranitidin 50 mg i. v. 30 Minuten vor Paclitaxel; Angaben zur Dosisreduktion bei Einschränkung der hepatischen Funktion fehlen, Dosissreduktion um 1 Dosislevel bei: Mukositis mit Bläschenbildung/Ulzera, neurologischen Nebenwirkungen bis 2. Grades Taxol immer vor platinhaltigen Chemotherapeutika geben und immer nach Anthrazyklinen (z. B. Doxorubicin/Epirubicin)
Klinische Gehörschädigung, intolerable Parästhesien und schlechter, symptomatische Arrhythmie oder AV-Block >I. Grades, schwerste Leber- oder Nierenschäden, hämatologische Veränderungen wie bei Carboplatin
Amphotericin B, Chlorpromazin, Methylprednisolonsuccinat, Mitoxantron, PVC-Beutel und PVC-Bestecke
Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
Substanzname
Substanzname
Nebenwirkungen
Kontrolluntersuchungen
Prophylaxe
Kontraindikationen
Gemcitabine, Gemzar
Myelosuppression (Anämie Grad III bzw. IV: 6,4% bzw. 0,9% Granulozytopenie Grad III bzw. IV: 19% bzw. 6% Thrombozytopenie Grad III bzw. IV: 4% bzw. 1%); Transaminasenanstieg: Grad III bzw. IV: ca. 10%; Dyspnoe: Grad III bzw. IV: 1,6% bzw. 0,2%; Übelkeit und Erbrechen: 17%; Diarrhöen, Obstipation, Mukositis: <10%; Grippegefühl: ca. 20%; Proteinurie: selten; Alopezie: selten, periphere Ödeme: bis 28%
Blutbild, Transaminasen, Bilirubin
Therapie und sekundäre Prophylaxe hämatopoetischer Nebenwirkungen mit G-CSF entsprechend ACSO Guidelines ( s. Text) → Dosisreduktion (75% der Solldosis) bei: – Thrombozyten: 50.000–100.000/µl Prophylaxe Übelkeit und Erbrechen ( s. Paclitaxel)
Gesamtleukozyten: <500/µl; Thrombozyten: <50.000/µl; Nichthämatologische Nebenwirkungen Grad III und IV (außer Übelkeit, Erbrechen und Haarausfall)
Inkompatible Substanzen
4.7 · Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren
⊡ Tabelle 4.3 (Fortsetzung)
67
4
68
I
Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
⊡ Tabelle 4.4. Zurzeit aktivierte internationale Therapiestudie mit neuen Substanzen zur Therapie des fortgeschrittenen Harnblasenkarzinoms (Stand 01/04)
Studienleitung
Angestrebte Patientenzahl
Therapieregime
Bemerkungen
Spanish Oncology Genito-Urinary Group (SOGUG)
380
Gemcitabine/Taxan/Cisplatin vs. Beobachtung
Stadium pT3–pT4, N+
AUO 22/00
178
Gemcitabine unmittelbar vs. verzögert
Stadium pT3–pT4, N+, ungeeignet für cisplatinbasiertes Regime
EORTC 30987
610
Gemcitabine/Paclitaxel/Cisplatin versus Gemcitabine/Cisplatin
Stadium T4b (jedes N) oder jedes T, N2–3 oder M1
EORTC 30994
1.344
Gemcitabine oder M-VAC vs. hochdosiertes M-VAC
Stadium pT3–pT4, N+
Fazit Das lokal fortgeschrittene oder metastasierte Harnblasenurothelkarzinom ist grundsätzlich eine chemosensible Tumorentität. Zahlreiche Studien haben in der palliativen Situation gezeigt, dass eine deutliche Verlängerung des Überlebens am ehesten durch Polychemotherapie zu erzielen ist, wenn eine komplette Remission erreicht wird. Im Vergleich hierzu fehlen suffiziente Studien, die neoadjuvante und adjuvant/ postoperative Behandlungskonzepte absichern. Bis zum Jahr 2000 galt das klassische MVAC-Regime als »Goldstandard«, das seit 2000 jedoch durch die Kombination CG weitestgehend abgelöst wurde. Hauptgründe hierfür sind insbesondere die bessere therapeutische Breite und eine geringere Anzahl höhergradiger Toxizitäten. Zahlreiche zurzeit initiierte prospektive Therapiestudien werden zeigen, ob die Ergebnisse, die mit CG bisher erreicht wurden, sich durch Kombination mit einer weiteren Substanz (Paclitaxel) verbessern lassen. Alternativ scheint eine nachhaltige Verbesserung des Therapieansprechens bei gleichzeitiger Reduktion der Toxizität durch ein intensiviertes MVAC-Schema unter ▼
Einsatz von G-CSF möglich zu sein. Eine Rekrutierung möglichst vieler Patienten in die zurzeit laufenden Studien (⊡ Tabelle 4.1 und 4.4) ist Voraussetzung für einen schnellen Erkenntnisgewinn. Jede Polychemotherapie sollte ausschließlich an Zentren mit entsprechender Erfahrung durchgeführt werden.
Literatur 1. American Society of Clinical Oncology (1994) Recommendations for the use of hematopoietic colony-stimulating factors: evidence-based, clinical practice guidelines. J Clin Oncol 12(11): 2471–2508 2. Bassi P (2000) Outcome of radical cystectomy for invasive bladder cancer. Curr Opin Urol 10(5): 459–463 3. Becker NWJ (1997) Krebsatlas der Bundesrepublik Deutschland. 1981–1990. 3. Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo 4. Bellmunt J, Guillem V, Paz-Ares L et al. (2000) Phase I–II study of paclitaxel, cisplatin, and gemcitabine in advanced transitional-cell carcinoma of the urothelium. Spanish Oncology Genitourinary Group. J Clin Oncol 18(18): 3247–3255 5. Bennett CL, Smith TJ, Weeks JC et al. (1996) Use of hematopoietic colony-stimulating factors: the American Society of Clinical Oncology survey. The Health Services Re-
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Kapitel 4 · Pharmakologische Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinoms
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5 Vakzination und Immunchemotherapie zur adjuvanten oder palliativen Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms: Stand der Evidenz im März 2004 D. Rohde
5.1
Einleitung
5.2
Adjuvante Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms – 74
5.3
Palliative Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms – 75
5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5
Adjunktive Tumornephrektomie – 75 Primäre Metastasenresektion – 76 Systemische First-line-Therapie – 76 Vakzination – 76 Unspezifische medikamentöse Immunchemotherapien – 76 Arzneimittelrechtlich zugelassene Fertigarzneimittel in Deutschland – 76 Therapie-Regime, für die eine Verlängerung von überlebensbezogenen Parametern beschrieben wurde – 77 Welche Rolle spielt 5-FU? – 82
Literatur
– 83
– 74
I
74
Kapitel 5 · Vakzination und Immunchemotherapie zur adjuvanten oder palliativen Therapie
5.1
Einleitung
Je besser eine onkologische Therapie für eine Indikation erwiesen ist, desto weniger Raum bleibt für individuelle Überzeugungen. Seit der 1. Auflage der »Pharmakotherapie in der Urologie« im Jahr 2001 hat sich die Anzahl prospektiv-randomisierter Therapie-Studien für die adjuvante und palliative Behandlung des Nierenzellkarzinoms weiter erhöht. Das Zugeständnis des Springer-Verlags hat es ermöglicht, die ursprüngliche Deadline zu überschreiten und damit die spannendsten Arbeiten, die erst Ende Februar 2004 erschienen sind, im vorliegenden Beitrag aktuell zu berücksichtigen. Ich möchte hierfür Herausgebern und Verlag ganz besonders danken. Der vorliegende Beitrag verzichtet bewusst auf langatmige Propädeutik und konzentriert sich daher als »up-date« kurz und bündig auf die aktuell relevante Datenlage und Machbarkeit zur adjuvanten und palliativen systemischen Therapie des Nierenzellkarzinoms in Deutschland. Als relevant gelten Therapiedaten, die das progressionsfreie Überleben und/oder das GesamtÜberleben der Patienten verlängern. Machbarkeit wird sich an der für Juni 2004 erwarteten, aber noch schemenhaften Novellierung des Arzneimittelgesetzes, und wohl auch an der europäischen Rechtssprechung orientieren müssen.
5.2
Adjuvante Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms
Unspezifische medikamentöse (Immun-)Therapien und Vakzination Es gibt derzeit (Stand: 7.3.2004) in Deutschland KEINE Fertigarzneimittel oder Präparate, die durch die zuständigen Bundesoberbehörden für die »adjuvante« Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms zugelassen sind (Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte; Paul Ehrlich Institut für Impfstoffe und Sera). Bis zum 20.2.2004 gab es keine vollwertig publizierte, kontrollierte, prospektiv-randomisierte Phase-III-Studie, die eine adjuvante Behandlung in der Indikation gerechtfertigt hätte (Coppin u.
Porzsolt 2003). Weder eine prä- oder postoperative Bestrahlung, noch eine systemische Therapie mit Medroxyprogesteronacetat, Keyhole-Limpet-Haemocyanin (KLH), Interferon-α (IFN-α) oder autologen Tumorzellen (Coppin u. Porzsolt 2003), noch eine hochdosierte Therapie mit Interleukin-2 (IL-2) (Clark et al. 2003) oder einem α-NL-Interferon (ECOG-Intergroup Studie [Messing et al. 2003]), konnte eine signifikante Verlängerung der progressionsfreien Überlebens der Patienten nach Tumornephrektomie nachweisen. Am 21.2.2004 publizierten Jocham et al. in The Lancet (Jocham et al. 2004) über die Therapieergebnisse mit einer weiteren autologen Vakzine aus Nierentumorgewebe: 558 Patienten, die zu einer Tumornephrektomie anstanden, wurden von Januar 1997 bis September 1998 präoperativ randomisiert (55 teilnehmende Zentren) und erhielten in dem Fall, dass sich postoperativ die Einschlusskriterien tatsächlich erfüllten (i. e. Diagnose eines Nierenzellkarzinoms im Tumorstadium pT2–3b pN0–3 M0 nach der TNM-Klassifikation der UICC aus dem Jahr 1993 [!]), entweder eine Behandlung mit einer Vakzine oder keine adjuvante Behandlung. Die Vakzine wurde nach den Spezifikationen der Firma LipoNova (Hannover) hergestellt. Im Behandlungsarm wurde die Präparation insgesamt 6-mal intradermal im 4-wöchentlichen Abstand verabreicht. Die Behandlung erfolgte ambulant. Im Therapie-Kontrollarm wurde auf eine Placebotherapie verzichtet. 379 elegible Patienten wurden berücksichtigt (177 Vakzinepatienten, 202 Kontrollpatienten); 343 Patienten wurden »per-protocol« behandelt (113 vakzinierte und 133 nicht behandelte Patienten). Unter Zugrundelegung einer standardisierten Nachsorge in Abständen von 6 Monaten zeigte sich, dass 67,5% der Patienten mit einem Tumor des Stadiums pT3 (UICC 1993), die mit der Vakzine behandelt wurden (n=58), ohne Tumorprogression überlebten, während dies in der unbehandelten Kontrollgruppe (n=57) nur 49,7% der Patienten waren. Der Unterschied war statistisch signifikant (p=0,0204, Log-rank-Test). Für Patienten mit einem pT2-Nierenzellkarzinom (UICC 1993) fand sich hingegen kein signifikanter Unterschied im
5.3 · Palliative Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms
progressionsfreien Überleben zwischen vakzinierten (n=119) und unbehandelten (n=145) Patienten. Für Lymphknoten-positive Patienten wurde das progressionsfreie Überleben aufgrund der niedrigen Patientenzahl (insgesamt 11) nicht berechnet. Die Nebenwirkungen der Vakzinationstherapie waren unbedeutend. Der potenzielle Einfluss verschiedener Covarianten auf das Therapieergebnis wurde mit dem Cox-Proportional-Hazard-Model untersucht. Die multivariate Analyse ergab ein höheres Risiko für Männer, als für Frauen und zeigte einen Einfluss des Lebensalters auf das Therapieergebnis. Die absolute Zahl an Zellen und die relative Zahl an Tumorzellen in der Vakzinepräparation hatte ebenso wenig einen signifikanten Einfluss auf die Behandlungsdaten wie die Anzahl der erfolgten Vakzinationen. Die Autoren interpretieren die Therapieergebnisse so, dass eine adjuvante Behandlung von Patienten mit Nierenzellkarzinom mit dieser speziellen Vakzine nach radikaler Tumornephrektomie erfolgversprechend scheint, und bei Patienten mit einem Tumor von mehr als 2,5 cm im Durchmesser erwogen werden kann. Eine Verordnung der Vakzine der Firma LipoNova ist zulasten der GKV in Deutschland momentan noch nicht möglich (Stand: März 2004). Nach gegenwärtigem Wissen ist das Präparat auch in keinem Land als Fertigarzneimittel zugelassen. Mangels Zulassung ist das Präparat daher wohl noch nicht verkehrs- oder importfähig. LipoNova erhielt allerdings am 21.10.2002 durch die europäische Arzneimittelbehörde EMEA (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products) für das Präparat den Status eines »Orphan-Drugs« zuerkannt. Bei diesem Prädikat handelt es sich um keine Zulassung, jedoch soll ein offizieller Zulassungsantrag bei der EMEA gestellt worden sein. Ob ein im Zulassungsverfahren befindliches Fertigarzneimittel gleichzeitig als Rezepturarzneimittel abgegeben werden kann, ist fraglich.
75
5.3
Palliative Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms
5.3.1
Adjunktive Tumornephrektomie
5
Der Wert einer adjunktiven (zytoreduktiven) Tumornephrektomie bei einer manifesten Metastasierung wurde für ausgewählte Patienten durch die Daten des EORTC-Protokolls 30947 (Mickisch et al. 2001) und der SWOG 8949 (Flanigan et al. 2001) gesichert. Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom wurden randomisiert und erhielten einheitlich entweder eine Tumornephrektomie und nachfolgend Interferon-α2b (5 MIU/m2, 3-malwöchentlich s. c., bis zur nachgewiesenen Tumorprogression) oder wurden nur durch die Zytokintherapie bei in-situ belassenem Tumor behandelt. Aktuell wurde eine kombinierte Analyse der Ergebnisse aus beiden Studien publiziert (Flanigan et al. 2004). Randomisiert wurden insgesamt 331 Immun-Chemo-Therapie-naive Patienten (246 Patienten in der SWOG-Studie, 85 Patienten in der EORTC-Studie) mit einem Performance-Status von 0 oder 1, bei denen die Diagnose vor der Randomisation histologisch durch eine Biopsie gesichert wurde. Die erhobenen Daten wurden in einer echten Intend-to-treat-Analyse aufgearbeitet. Die mittlere Überlebenszeit (primärer Endpunkt) war durchschnittlich 5,8 Monate länger für die Patienten, die nephrektomiert wurden (13,6 Monate vs. 7,8 Monate bei belassenem Primärtumor). Der Unterschied war statistisch signifikant (p=0,002). Die 1-Jahresüberlebensraten betrugen 51,9% für die nephrektomierten Patienten, gegenüber 37,1% für die Monozytokintherapie. Patienten mit einem initialen Performance-Status von 0 hatten eine hochsignifikant höhere Überlebenszeit, als Patienten mit einem immer noch guten, aber leicht reduzierten Performance-Status (=1; p<0,0001). Die Metastasenlokalisation waren hingegen ohne Einfluss auf die Prognose. Auch die Tumoransprechraten (sekundäres Zielkriterium) unterschieden sich zwischen den beiden Behandlungsgruppen nicht signifikant (6,9% vs. 5,7%, p=0,60).
I
76
Kapitel 5 · Vakzination und Immunchemotherapie zur adjuvanten oder palliativen Therapie
5.3.2
Primäre Metastasenresektion
Der Wert einer operativen Entfernung von Metastasen wurde bisher nicht durch geeignete prospektiv-randomisierte Studien überprüft. Aus dem Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie (AUO) wurde eine prospektiv-randomisierte Studie initiiert (Autoren: G. Lümmen, J. Gschwend, D. Rohde), die den Stellenwert einer primären Resektion von Metastasen +/– pseudoadjuvanter systemischer Folgetherapie testet. Die offene, multizentrische Studie wird voraussichtlich Mitte 2004 gestartet.
5.3.3
Systemische First-line-Therapie
Als wichtigste klinische Zielgröße für einen Therapieerfolg muss beim metastasierten Patienten die Verlängerung der Überlebenszeit oder zumindest der Zeit bis zum (symptomfreien) Tumorprogress angesehen werden. Bedeutsam für die Bewertung des Nutzens einer Therapieform ist außerdem die Lebensqualitätseinschränkung des Patienten durch die Behandlung.
1 MIU/m2 IL-2 (3-mal pro Woche s. c.) verabreicht wurden (Müller et al. 2003). Der Evidenzlevel dieser Phase-I/II-Arbeiten ist momentan noch als zu niedrig anzusehen, um eine Therapieempfehlung treffen zu können.
5.3.5
Unspezifische medikamentöse Immunchemotherapien
Arzeimittelrechtlich zugelassene Fertigarzneimittel in Deutschland Für die Indikation zugelassen sind in Deutschland durch das Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Interferon-α2a für die subkutane Anwendung (Roferon-A, Hoffmann-La Roche), auch in Kombination mit Vinblastin, sowie Interleukin-2 (Aldesleukin; Proleukin und ProleukinS, Chiron Biopharmaceuticals) für die intravenöse und für die subkutane Applikation. Verordnungsrelevante Informationen zu den Fertigarzneimitteln und Dosierungen finden sich in der »Roten Liste«. Praxisorientierte Hinweise:
5.3.4
Vakzination Interferon-α2a (Roferon® A)
Die Vakzination als Behandlungsstrategie im metastasierten Tumorstadium ist noch heftiger umstritten als die Impfstrategien unter adjuvanter Zielsetzung. Historische Therapieversuche, die unter Einsatz unterschiedlichster antigenetischer Quellen und Adjuvanzien durchgeführt wurden, haben sich klinisch nicht durchsetzen können. Zur heutzutage präferierten Vakzination mit autologen dendritischen Zellen (DC), denen eine höhere immunologische Potenz zugemessen wird als anderen Präparationen, liegen für das metastasierte Nierenzellkarzinom bisher nur vier experimentelle Studien (Höltl et al. 2002, Märten et al. 2002, Oosterwijk-Wakka et al. 2002, Müller et al. 2003) vor. Am aussichtsreichsten scheint derzeit die Verwendung von autologen monozytären DC, die mit MUC1-Peptid und PADRE-Peptid beladen, und zusammen mit einer niedrigsten Dosis von
Roferon A (Hoffmann-La Roche) liegt als Fertiglösung oder als lyophilisiertes Pulver vor. Es sind Injektionsflaschen mit 3, 4, 5, 6, 9 und 18 Mio internationalen Einheiten (MIU) im Handel. IFN-α2a wird subkutan appliziert. Komfortabel für den Patienten ist die Verwendung des Roferon-Pens. Der Pen wurde bisher vom Hersteller auf Anfrage kostenneutral abgegeben. Interleukin-2 (Aldesleukin; Proleukin®S)
Für Proleukin besteht in Deutschland eine Zulassung für die Behandlung von Patienten mit einem metastasierten Nierenzellkarzinom bei intravenöser Gabe, bei ProleukinS auch für die subkutane Applikation. Auflösung: Das Pulver wird mit 1,2 ml sterilem Wasser für Injektionszwecke aufgelöst. Das Wasser für Injektionszwecke wird vorsichtig gegen die Seitenwand gerichtet eingebracht, um Schaumbildung
zu vermeiden. Danach vorsichtig schwenken, bis sich das Pulver vollständig gelöst hat. Nicht schütteln. Die entstehende Lösung muss eine klare und farblose Lösung sein, sie enthält 18×106 IE Aldesleukin/ml. Verdünnung: Für die subkutane Anwendung ist keine weitere Verdünnung notwendig. ProleukinS enthält keine Konservierungsmittel, so dass es erforderlich ist, die Lösung unter aseptischen Bedingungen herzustellen. Inkompatibilitäten: Die Auflösung von ProleukinS in anderer als der empfohlenen Weise kann zu unvollständiger Verfügbarkeit der Bioaktivität und/oder zu einem biologisch inaktivem Protein führen. Der Gebrauch von bakteriostatischem Wasser für Injektionszwecke oder 0,9%iger Natriumchloridlösung sollte wegen dem Risiko einer erhöhten Aggregatbildung vermieden werden. Der fertigen Injektionslösung dürfen keine anderen Arzneimittel zugesetzt werden. Es wird empfohlen, dass keine Filterung des ProleukinS eingeschaltet wird, da Untersuchungen (Bioassays) einen signifikanten Verlust von Aldesleukin durch Filtration aufzeigten. Eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung konnte bisher für keines der beiden Zytokine nachgewiesen werden (Coppin et al. 2001).
5
77
5.3 · Palliative Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms
Therapie-Regime, für die eine Verlängerung von überlebensbezogenen Parametern beschrieben wurde Interferon-α2a und Vinblastin ( ⊡ Tabelle 5.1).
Die Ergebnisse einer finnischen Studie (1988– 1994), die an drei Universitätsklinika durchgeführt wurde (Pyrhönen et al. 1996), führte in Deutschland 1997 zur arzneimittelrechtlichen Zulassung von IFN-α2a in Kombination mit Vinblastin. Zum ersten Mal konnte mit einem prospektiv-randomisierten Versuchsdesign an Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom gezeigt werden, dass sowohl die objektive Tumorremissionsrate (OR: 16,5%; 7 CR, 6 PR), die Zeit bis zur Tumorprogression (13 Wochen vs. 9 Wochen) und die mittlere Überlebenszeit (67,6 Wochen) für eine Behandlung mit Vinblastin und IFN-α2a signifikant höher waren (p<0.005), als für eine Monochemotherapie mit Vinblastin (2,5% (1 CR, 1 PR); 37,8 Wochen). Die 1-Jahres-, 3-Jahres-, 4-Jahres- und 5-Jahresüberlebensraten betrugen 55,7%, 11,7%, 8,1% und 4,1% für die Kombinationstherapie und 38,3%, 5,1%, 1,3% und 0 (%) für die Monochemotherapie (Pyrhönen et al. 1996; Pyrhönen et al. 1999). Am meisten profitierten Patienten von der Immunchemotherapie, die älter als 60 Jahre waren, eine hohe BSG hatten (>50 mm/h) und einen eingeschränk-
⊡ Tabelle 5.1. Phase-III-Studie: Interferon-α2a und Vinblastin vs. Vinblastin
Substanz
Dosis
Therapietage
Therapiedauer
(n)
OR
5-JÜL
Mittlere ÜL
Referenz
IFN-α2a (s. c./i. m.)
3 MIU/ 18 MIU
Tag 1, 3, 5 (Woche 1); 3× wöchentlich (ab Woche 2)
12 Mo. bis PD; 3 Mo. nach CR; >12 Mo. bei PR/SD
79
16,5%a
4,1%
67,6 Wo.a (19,9 Mo.)
Pyrhönen 1999 [23]
Vinblastin (i. v.)
0,1 mg/kg
Jede 3. Woche
Vinblastin (i. v.)
0,1 mg/kg
Jede 3. Woche
81
2,5%
0
37,8 Wo. (9,5 Mo.)
a
statistisch signifikant besser; MIU Millionen internationale Einheiten; Wo. Wochen; Mo. Monate; OR objektive Tumorremissionsrate; 5-JÜL 5-Jahresüberlebensrate; ÜL Überlebenszeit
Kapitel 5 · Vakzination und Immunchemotherapie zur adjuvanten oder palliativen Therapie
78
I
ten Performance-Status (Zubrod-Index=2) aufwiesen. Der Vergleich mit einer älteren Studie von Fossa et al., bei denen nach dem gleichen Behandlungsschema behandelt, aber gegen eine Monozytokintherapie mit IFN-α getestet wurde (Fossa et al. 1992), zeigt, dass die Chemotherapie (Vinblastin) hierbei von untergeordneter Bedeutung und am ehesten IFN-α die kardinale Substanz im Regime ist. Interferon-α2b als Monotherapie (⊡ Tabelle 5.2)
Auf dem Millennium-Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurden die aktualisierten Ergebnisse einer multizentrischen, prospektiv-randomisierten Phase-III-Studie des Medical Research Council (MRC) präsentiert (1992–1997; Hancock et al. 2000), in der eine Monozytokintherapie mit IFN-α2b mit einer Therapie mit Medroxyprogesteronacetat bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom verglichen wurde (Ritchie et al. 1999). Die 1-Jahres- (43%) und 2-Jahresüberlebensraten (22%) waren für Patienten nach Therapie mit IFN-α2b signifikant höher (p=0,013), als nach einer Behandlung mit Medroxyprogesteron-acetat (MPA) (32% und 13%). Das mittlere progressionsfreie Intervall betrug 4 Monate für IFN-α2b behandelte Patienten und 3 Monate für Patienten unter MPA. Das mittlere Überleben der Patienten wurden zwar mit statistischem Signifkanzniveau (p=0,001), aber dennoch nur von
6,75 auf 9 Monate verlängert. Außerdem waren die Patienten während der Dauer der Zytokintherapie durch eine signifikant stärkere Einschränkung der Lebensqualität belastet. Interleukin-2 (IL-2) als Monotherapie
Am 15.8.2003 publizierten Yang et al. im Journal of Clinical Oncology die erste prospektiv-randomisierte Phase-III-Studie, die eine palliative Monotherapie mit IL-2 mit einer anderen Immuntherapie hinsichtlich Überlebensdaten verglich (Yang et al. 2003). Eingeschlossen wurden ausschließlich Patienten mit einem ECOG-Performance-Status besser als 1 und mit einer überwiegend hellzelligen Histologie. Die Patienten erhielten entweder in einer zunächst zweiarmigen Studie (1991–1993) eine hochdosierte (HD) intravenöse Behandlung mit IL-2 (720.000 U/kg als Bolus 3× täglich, mit höchstens 15 konsekutiven Dosen pro Zyklus) oder eine 10fach geringere intravenöse Dosis (»low dose«, LD) IL-2 (72.000 U/kg als Bolus 3-mal täglich, mit höchsten 15 konsekutiven Dosen pro Zyklus). Nachdem 117 Patienten bereits randomisiert waren, wurde die Studie um einen dritten Behandlungsarm erweitert, in dem IL-2 subkutan verabreicht wurde (Montags bis Freitags, 250.000 U/ kg tgl. in Woche 1, 125.000 U/kg tgl. in den Wochen 2–5). Insgesamt wurden 156 Patienten durch eine Behandlung mit HD IL-2 i. v., 150 Patienten durch eine Behandlung mit LD IL-2 i. v. und 94 Patienten durch eine subkutane Gabe von IL-2 therapiert.
⊡ Tabelle 5.2. Phase-III-Studie: Interferon-α2b vs. Medroxyprogesteronacetat
Substanz
Dosis
Therapietage
Therapiedauer
(n)
OR
2-JÜL
Mittlere ÜL
Referenz
IFN-α2b (s. c.)
5 MIU
Tag 1, 3 in Wo. 1 Tag 5 in Wo. 1, danach 3× wöchentlich
12 Wochen
167
14% (16/117)
22%a
9 Mo.a
Ritchie et al. 1999 [24], Hancock et al. 2000 [9]
168
2%(2/97)
13%
6,75 Mo.
10 MIU
MPA (p. o.) a
300 mg
Täglich
statistisch signifikant besser; ns statistisch kein signifikanter Unterschied; MIU Millionen internationale Einheiten; Wo. Woche; Mo. Monate; OR objektive Tumorremissionsrate; 2-JÜL 2-Jahresüberlebensrate; ÜL Überlebenszeit
Die Behandlungsdaten, die nicht als Intend-totreat-Analyse ausgewertet wurden, ergaben bei einem mittleren »Follow-up« von 7,4 Jahren keinen signifikanten Unterschied im Gesamt-Überleben der Patienten zwischen den unterschiedlichen Therapiegruppen. Allenfalls wiesen die Patienten, die auf eine hochdosierte, intravenöse IL-2-Behandlung initial mit einer kompletten Tumorremission (CR) reagierten, einen grenzwertig signifikanten (p=0,04) Überlebensvorteil gegenüber den Patienten auf, die eine CR durch eine intravenöse, LDIL-2-Therapie erreichten. Die therapiebedingten Toxizitäten waren erwartungsgemäß bei den niedriger dosierten Behandlungen deutlich reduziert. Der besondere Wert der Studie ist darin zu sehen, dass erstmals auch von Seiten der langjährigen Protagonisten einer ausschließlichen, hochdosierten und intravenösen Behandlung mit IL-2 zögerlich anerkannt wurde, dass eine subkutane Gabe von IL-2 annähernd gleichwertig »machbar« ist.
5
79
5.3 · Palliative Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms
Zytokinkombination aus Interleukin-2 (IL-2) und Interferon-α (IFN-α) ( ⊡ Tabelle 5.3).
Mit der CRECY-Studie (»Cancer du Rein Etude Cytokine«) konnte erstmals prospektiv-randomisiert gezeigt werden, dass die Kombination von IL-2 und Interferon-α2a zu einer statistisch signifikant höheren Tumoransprechrate (18,6%) und einer höheren Rate an progressionsfreiem Überleben führte (p<0,01), als eine Monotherapie mit Interferonα2a oder Interleukin-2 (Négrier et al. 1996). Bei längerer Nachbeobachtung der Patienten ergab sich schließlich dennoch kein signifikanter Unterschied in der mittleren Überlebenszeit der Patienten (IFN-α2a: 13 Monate; IL-2: 12 Monate; IFN-α2a und IL-2: 17 Monate; p=0,55; Négrier et al. 1998). Außerdem lag die therapiebedingte Letalität durch die intravenöse Applikation von IL-2 hoch (IFNα2a: 0,7%; IL-2: 7,9%; IFN-α2a und IL-2: 3,6%). Inzwischen ergab eine multivariante Analyse der verschiedenen Covarianten der CRECY-Studie immerhin, dass nur die Behandlung mit der Kom-
⊡ Tabelle 5.3. Phase-III-Studie: Interferon-α2a und Interleukin-2 vs. Interferon-α2a vs. Interleukin-2
Substanz
Dosis
Therapietage
Therapiedauer
(n)
OR
1-J-PFÜL
Mittlere ÜL
Referenz
IFN-α2a (s. c.)
18 MIU
3× wöchentlich
10 Wochen (Induktion) 3 Wochen (Erhaltung)
147
7,5%
12%
13 Mo.
Négrier 1998 [17]
IL-2 c. i. v. (!!)
18 MIU/m2
Tag 1–5 + Tag 12–15
Induktionszyklen: (5 Tage IL-2, 6 Tage Pause) × 2 Erhaltungszyklen: (5 Tage IL-2, 3 Wo. Pause) × 4
138
6,5%
15%
12 Mo.
IFN-α2a (s. c.)
6 MIU
3× wöchentlich
Während IL-2 Zyklen
140
18,6a
20%a
17ns Mo.
IL-2 (c.i. v.)
18 MIU/m2
Wie oben
Wie oben
a
statistisch signifikant besser; ns statistisch kein signifikanter Unterschied; c.i. v. kontinuierliche intravenöse Gabe; MIU Millionen internationale Einheiten; Wo. Woche; Mo. Monate; OR objektive Tumorremissionsrate; 1-J-PFÜL 1-Jahresprogressionsfreies-Überleben; ÜL Überlebenszeit
80
I
Kapitel 5 · Vakzination und Immunchemotherapie zur adjuvanten oder palliativen Therapie
bination aus IL-2 und IFN-α ein unabhängiger Faktor für das Ansprechen der Metastasen war (neben dem metastatischen Befall von nur einem einzigen Organsystem; Négrier et al. 2000a). Die Behandlungen mit den einzelnen Substanzen stellten sich demgegenüber nicht als prognostischer Faktor heraus. Antikörpertherapie mit Bevacizumab (AVASTIN, ROCHE) als anti-angiogenetische Second-line-Therapie nach Vorbehandlung mit IL-2
Yang et al. berichteten am 31.7.2003 im The New England Journal of Medicine über einer randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-IIStudie, in der Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom mit einem humanisierten murinen monoklonalen Antikörper behandelt wurden (Yang et al. 2003). Bevacizumab (rhMAb-VEGF) ist ein humaner IgG1-Antikörper, in den die Antigen-bindende Region des murinen Antikörpers A.4.6.1. eingefügt wurde (7% des humanisierten mAk sind murinen Ursprungs). Der Antikörper ist gegen VEGF (»vascular endothelial growth factor«) gerichtet ist. Behandelt wurden von Oktober 1998 bis September 2001 überwiegend Patienten (ECOG 0– 2), die mit IL-2 vorbehandelt waren (108 Patienten) oder nicht für eine IL-2 Behandlung in Frage kamen (116 Patienten). Die Erkrankten erhielten randomisiert entweder jede zweite Woche eine parenterale Placeboinfusion (n=40), oder wurden mit einer etwa 30-minütigen Infusion behandelt, die 3 mg/kg (n=37) bzw. 10 mg/kg (n=39) Bevacizumab enthielt. An therapiebedingten Nebenwirkung traten bei einem insgesamt milden Toxizitätsprofil am häufigsten eine arterielle Hypertonie und eine asymptomatische Proteinurie auf. Durch ein engmaschiges, streng definiertes und standardisiertes Überwachungsprogramm wurde sichergestellt, dass das primäre Zielkriterium (i. e. Zeit bis zur Tumorprogression) und das Gesamt-Überleben der Patienten (als sekundäres Zielkriterium) aussagefähig bewertet werden konnte. Bei Progress im Placeboarm war allerdings eine Cross-over-Behandlung möglich. Die Studie konnte aufgrund einer Zwischenanalyse (»intend-to-treat!«) vorzeitig beendet wer-
den, da sich bereits eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Intervalls für die höher dosierte Antikörpertherapie (mittlere Zeit bis zur Progression: 4,8 Monate) gegenüber der Placebobehandlung (mittlere Zeit bis zur Progression: 2,5 Monate) ergab (p<0,001). Ein Vorteil in der mittleren Zeit bis zur Tumorprogression wurde durch eine Behandlung mit dem Antikörper in niedriger Dosierung nur mit grenzwertiger Signifikanz erhoben (p=0,041). Darüber hinaus traten objektive Tumorremissionen (10%) nur bei der höher dosierten Therapie auf. Schließlich betrug die Wahrscheinlichkeit für die Patienten 4 Monate bzw. 8 Monate, keine Tumorprogression zu entwickeln 64%, 39% und 20% bzw. 30%, 14% und 5%, je nach dem, ob mit höher dosiertem Antikörper, niedriger dosiertem Antikörper oder Placebo behandelt wurde. Interferon-α2a, Interleukin-2 und 5-Fluorouracil +/– 13-cis-Retinsäure (⊡ Tabelle 5.4)
Am 23.2.2004 wurden die Ergebnisse des Studienprotokolls der »Deutschen Urologisch-Internistischen Kooperativen Multicenter-Gruppe ChemoImmuntherapie des Nierenzellkarzinoms« (Protokoll DGCIN ’95) in Form einer elektronischen Vorab-Publikation der Ausgabe des Journal of Clinical Oncology (Druckausgabe 1.4.2004) publiziert (Atzpodien et al. 2004) In der multizentrischen, dreiarmigen Untersuchung (Behandlungszeitraum von Januar 1995 bis Oktober 1998) wurde eine Behandlung mit IFN-α2a (s. c.), Interleukin-2 (s. c.) und 5-FU (i. v.) +/– 13-cis-Retinsäure (p. o.) mit einer Behandlung aus IFN-α2a (s. c.) und Vinblastin (i. v.) (Kontrollarm) verglichen. Die Behandlung mit IFN-α2a und Vinblastin unterscheidet sich in Dosis, Zeitpunkt der Chemotherapie und Therapiedauer nur geringfügig von dem Regime, dass basierend auf den Daten von Pyrhönen et al. (Pyrhönen et al. 1996) ab 1997 in Deutschland die arzneimittelrechtliche Zulassung erhielt. Behandelt wurden Patienten mit einem histologisch gesicherten, progressiven und irresektablem, metastasierten Nierenzellkarzinom, die einen guten Performance-Status (Karnofsky >80%) hatten und außerdem durch eine niedrige oder intermediäre Risikokonstellation gekennzeichnet waren. Randomisiert wurden 341 Patienten (63 in den
5
81
5.3 · Palliative Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms
⊡ Tabelle 5.4. Phase-III-Studie: Interferon-α2a und Vinblastin vs. Interferon-α2a und Interleukin-2 und 5-Fluorouracil mit oder ohne 13-cis-Retinsäure
Substanz
Dosis
Therapietage
Therapiedauer
(n)
OR
mittlere ÜL
Referenz
IFN-α2a (s. c.)
5 MIU/m2
Tag 1, 3, 5 in Wo. 1
Mindestens 8 Wochen; bei keinem Progress i. d. R. 3 Zyklen; bei CR bis zu 6 Zyklen à 8 Wochen
63
20% (6% CR, 14% PR)
16 Mo.
Atzpodien 2004 [2]
10 MIU/m2
Tag 1, 3, 5 in Wo. 2–8
Vinblastin (i. v.)
6 mg/m2
Tag 1 in Wo. 2, 5, 8
IFN- α2a (s. c.)
5 MIU/m2
Tag 1 in Wo. 1+4 Tag 1, 3, 5 in Wo. 2+3 Tag 1,3,5 in Wo. 5–8 Tag 3,4,5 in Wo. 1+4 Tag 1,3,5 in Wo. 2+3 Tag 1 in Wo. 5–8
132
31% ns (5% CR, 26% PR)
25 Mo.a
Tag 1 in Wo. 1+4 Tag 1,3,5 in Wo.2+3 Tag 1,3,5 in Wo. 5–8
146
26% ns (8% CR, 18% PR)
27 Mo.a
5 MIU/m2 10 MIU/m2 IL-2 (s. c.)
20 MIU/m2 5 MIU/m2
5-FU (i. v.)
1 g/m2
IFN-α2a (s. c.)
5 MIU/m2 5 MIU/m2 10 MIU/m2
IL-2 (s. c.)
10 MIU/m2 5 MIU/m2
Tag 3, 4, 5 in Wo. 1+4 Tag 1, 3, 5 in Wo. 2+3
5-FU (i. v.)
1 g/m2
Tag 1 in Wo. 5–8
13-cRA (p. o.)
3×20 mg
täglich
a
statistisch signifikant besser; ns statistisch kein signifikanter Unterschied; Wo. Woche; MIU Millionen internationale Einheiten; ÜL Überlebenszeit; 13-cRA 13-cis-Retinsäure (Isotretinoin)
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Kapitel 5 · Vakzination und Immunchemotherapie zur adjuvanten oder palliativen Therapie
Therapiekontrollarm, 132 in die Trippel-Therapie, 146 in die Quadruppel-Behandlung). 8% der Patienten waren durch eine Chemo-, Immun- oder Chemoimmuntherapie vorbehandelt. Im Kern ergaben sich folgende zentralen Therapieergebnisse (Intend-to-treat-Analyse): 1. Es resultierte kein statistisch signifikanter Unterschied im primären Endpunkt der Studie, der Tumorremissionsrate, zwischen allen drei Therapieformen (Kontrolle: 6% CR, 14% PR; IFN-α/IL-2/5-FU: 5% CR, 26% PR; IFN-α/IL2/5-FU und 13-cis Retinsäure: 8% CR, 18% PR). 2. Das mediane progressionsfreie Überleben (sekundäres Zielkriterium) wurde nur durch die Retinoid-haltige Quadruppel-Behandlung (7 Monate) signifikant (p=0,0248) gegenüber der Kontrolltherapie aus IFN-α2a und Vinblastin (5 Monate) verlängert, nicht aber durch die Retinoid-freie Trippel-Therapie (6 Monate; p=0,1963) 3. Die mediane Überlebenszeit (sekundäres Zielkriterium) betrug für die Trippel- bzw. Quadruppel-Therapie 25 Monate bzw. 27 Monate, und war damit für beide Therapieformen statistisch signifikant länger, als unter der Kontrolltherapie (16 Monate; p=0,044 bzw. p=0,0227) Die therapiebedingten Toxizitäten werden als moderat oder gut toleriert angegeben. Nur 5% aller Patienten erlitten eine maximale Toxizität von WHO-Grad 3 oder 4, wobei allerdings insgesamt 17% aller Patienten die Behandlung wegen Intoleranz (14%) oder frühem Progress und Intoleranz der Therapie (3%) vor Ende des 1. Therapiezyklus abgebrochen hatten. Zu den interessanten Daten wurde in der gleichen Ausgabe des Journal of Clinical Oncology, in dem die Originalarbeit von Atzpodien et al. gedruckt wurde, ein Kommentar von Sylvie Négrier veröffentlicht – der lesenswert ist (Négrier 2004).
Welche Rolle spielt 5-FU? Der Beitrag des Chemotherapeutikums 5-FU an den Therapieergebnissen, die in Kombination mit IFN-α und IL-2 erzielt wurden, ist fraglich geblieben. Ein bedeutender Effekt ist unwahrscheinlich: die Ergebnisse der Groupe Francais d’Immuno-
thérapie haben prospektiv-randomisiert gezeigt, dass Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom, die mit IFN-α2a und IL-2 behandelt werden, nicht von einer zusätzlichen Gabe von 5-FU profitieren (Négrier et al. 2000b). Zwar ist die Vergleichbarkeit mit der in Deutschland häufig geübten Kombination aus 5-FU mit IFN-α und IL-2 (in der Anwendung nach Atzpodien et al.) nicht ohne weiteres gegeben, da nach ganz unterschiedlichen Behandlungsplänen therapiert wurde; jedoch lässt der Vergleich der Überlebenskurven zwischen einer 5-FU-haltigen oder 5-FU-freien Behandlung mit IFN-α und IL-2, die aus retrospektiven Daten der Gruppe von Atzpodien selbst abgeleitet wurden, bislang auch keine wesentlichen Unterschiede erkennen (Atzpodien et al. 2002). Fazit Die Immun- und Immunchemotherapie für Patienten mit fortgeschrittenem und metastasiertem Nierenzellkarzinom kann weiterhin als begründbar, sicher durchführbar, und ein wenig mehr als erwiesenermaßen wirksam gelten, als noch im Jahr 2001. Sie ist zudem überwiegend »machbar«. Wie gezeigt wurde, liegt eine Reihe interessanter, neuer Studien vor, die die Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms unter einem höheren Grad an Evidenz begründet – und transparenter macht, als bisher. Manche Fragen sind geblieben, neue geweckt worden und es deutet sich bei Drucklegung dieses Kapitels schon jetzt an, dass die Ergebnisse der aktuell publizierten Studien zu einer reichhaltigen Diskussion Anlass geben können – und werden. Laufende, gut konzipierte Studien anderer Arbeitsgruppen werden darüber hinaus sehr bald schon dazu beitragen, die aktuelle Datenlage noch besser einordnen zu können. Hierzu gehören »upfront«: 1. Die französische prospektiv randomisierte PERCY-Studie (»Programme Etude Rein Cytokines«), in deren DUO-Programm die Applikationsweise des IL-2 vergleichend getestet wird (Konzept: IFN-α (s. c.) + IL-2 (i. v.) vs. IFN-α ▼
Literatur
(s. c.) vs. IL-2 (s. c.); bereits mehr als 125 von 220 Patienten rekrutiert; Ergebnisse werden 2006 erwartet), und in deren QUATTRO-Programm die Kombination von subkutan appliziertem IFN-α mit diesmal auch subkutan verabreichtem IL-2 verglichen wird (Design: IFN-α (s. c.) vs. IL-2 (s. c.) vs. IFN-α und IL-2 (beide s. c.) vs. Medroxyprogesteronacetat; bereits 404 von 456 notwendigen Patienten eingebracht; Ergebnisse werden 2005 erwartet). 2. Die EORTC-Studie 30012 (gestartet Juli 2002), in der eine Monozytokin-Behandlung mit IFN-α (entsprechend dem Behandlungsschema des MRC) prospektiv-randomisiert verglichen wird mit der Trippel-Behandlung nach Atzpodien (IFN-α, IL-2, 5-FU). Die Studie wird voraussichtlich noch in diesem Jahr geschlossen. 3. Die Daten der EORTC-Studie 30951 (IFNα2a +/– 13-cis Retinsäure), die sich in der Auswertung befinden.
Literatur 1. Atzpodien J, Hoffmann R, Franzke M, Stief C, Wandert T, Reitz M (2002) thirteen-year, long-term efficacy of interferon 2a and interleukin 2-based home therapy in patients with advanced renal cell carcinoma. Cancer 95: 1045–1050 2. Atzpodien J, Kirchner H, Jonas U et al. (2004) Interleukin2- and interferon α-2a-based immunochemotherapy in advanced renal cell carcinoma: a prospectively randomized trial of the german cooperative renal carcinoma chemoimmunotherapy group (DGCIN). J Clin Oncol 22: DOI 10.1200/JCO.2004.06.155 3. Clark J, Atkins MV, Urba W et al. (2003) for the Cytokine Working Group. Adjuvant high-dose bolus interleuin-2 (HD IL-2) for patients (pts.) with high-risk renal cell carcinoma (RCC). A Cytokine Working Group randomized trial. Proc ASCO 2003: abstr. 659 4. Coppin C, Porzsolt F, Kumpf J, Coldman A, Wilt T (2001) Immunotherapy for advanced renal cell cancer (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, vol 1, 2001. Oxford: Update Software 5. Coppin C, Forzsolt F (2003) Kidney cancer. In: Mason M. (ed) Treating tumours of the urogenital system, section VI, chapter 30: pp 333–345
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Kapitel 5 · Vakzination und Immunchemotherapie zur adjuvanten oder palliativen Therapie
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6 Adjuvante medikamentöse Therapie des Prostatakarzinoms A. S. Merseburger, A. G. Anastasiadis, A. Stenzl, M. A. Kuczyk
6.1
Einleitung
– 86
6.2
Hormontherapie nach primärer Radiatio
6.3
Bilaterale Orchiektomie
6.4
Östrogene
6.5
LHRH-Analoga
– 87
6.6
Antiandrogene
– 88
– 86
– 87
– 87
6.6.1 Steroidale Antiandrogene – 89 6.6.2 Nichtsteroidale Antiandrogene – 89
6.7
Maximale Androgenblockade
– 90
6.8
Androgen-withdrawal-Syndrom
6.9
Sonstige Therapieformen
6.9.1 6.9.2 6.9.3 6.9.4
Estramustin – 90 Gestagen – 90 Ketokonazol – 90 Aminoglutethimid – 90
– 90
– 90
6.10 Intermittierende Androgendeprivation 6.11 Nebenwirkungen Literatur
– 92
– 91
– 91
I
86
Kapitel 6 · Adjuvante medikamentöse Therapie des Prostatakarzinoms
6.1
Einleitung Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden. (Georg Christoph Lichtenberg, Physiker, 18. Jahrhundert)
Prostatakarzinomzellen sind zu 80% hormonsensibel, d. h. durch Entzug von Dihydrotestosteron, welches die Krebszelle zur DNA-Synthese benötigt, kommt es zur Hemmung der Tumorprogression und zur Regredienz mit möglicher Stagnation der karzinomassoziierten Symptome. Erstbeschreiber dieses Phänomens der Hormonabhängigkeit des Prostatakarzinoms waren Huggins u. Hodges im Jahre 1941, wobei sie eine Tumorremission nach Orchiektomie oder einer systemischen Östrogengabe zeigen konnten. Diese durch den Nobelpreis der Medizin geehrte fundamentale Entdeckung ist seit den 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts an die Grundlage für die hormonelle Therapie des Prostatakarzinoms. Ein früh erkanntes Problem im Rahmen dieser Behandlung ist die ausgeprägte Heterogenität des Prostatakarzinoms mit primärer Hormonresistenz von etwa 20% Tumorzellklone. Diesbezüglich scheint ein Zusammenhang mit dem Differenzierungsgrad des Karzinoms zu bestehen, wobei den »hormontauben« Zellklonen ein Milieuvorteil mit sich daraus ergebender negativer Beeinflussung der klinischen Prognose der Patienten zu ergeben scheint. Die Hormontherapie greift mit wenigen Ausnahmen (z. B. differenzierungsinduzierte Wirkung der Antigestagene) im Gegensatz zur zytostatischen Chemotherapie in Regelkreise der hormonellen Wachstumskontrolle der Tumorerkrankung ein. Die früher übliche Unterteilung zwischen hormonablativer und hormonadditiver Therapie ist weitgehend verlassen worden. Heutige Therapieverfahren zielen auf die Blockierung der wachstumsstimulierenden Hormoneinflüsse ab. Dies kann geschehen durch Elimination körpereigener Hormone (z. B. durch Suppression hypophysärer oder gonadaler Hormonsekretion) oder durch Blockierung von Hormonrezeptoren mit sich daraus ergebender Blockierung der physiologischen Wirk-
samkeit der endogenen Hormonsekretion (z. B. Antiöstrogene, Antiandrogene). In den letzten Jahren zeichnete sich ein deutlicher Trend zu vergleichsweise niedrigeren pathologischen Stadien bei Diagnosestellung des Prostatakarzinoms ab. Diese, traditionell dem alten Mann zugeschriebene Krankheit betrifft durch verbesserte diagnostische Techniken nun vergleichsweise junge Männer zum Zeitpunkt vollster physischer und sexueller Aktivität. Zusätzlich hat sich in den vergangenen Jahren die Definition des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms dahingehend verändert, dass heutzutage auch Tumoren mit einem biochemischen Rezidiv im Sinne eines PSA-Progresses nach Primärtherapie hinzugerechnet werden. Diesbezüglich wäre eine möglichst nebenwirkungsarme adjuvante oder Second-line-Therapie, durch die eine lange Progressionsfreiheit erzielt werden kann, wünschenswert. Im Folgenden werden die verschiedenen Therapieoptionen der adjuvanten Therapie bei lokalisiertem Prostatakarzinom aufgezeigt und bzgl. ihrer Effektivität evidenzbasiert diskutiert.
6.2
Hormontherapie nach primärer Radiatio
Neben der radikalen Prostatovesikulektomie stellt die Strahlentherapie heutzutage eine annähernd gleichwertige therapeutische Alternative zur Operation dar, insbesondere bei fortgeschrittenem Lokalbefund, schlechtem Allgemeinzustand des Patienten oder als Salvagetherapie bei steigendem PSA-Wert nach radikaler Prostatektomie. Bei Nachweis einer pelvinen LK-Metastasierung oder bei Patienten mit Hochrisikoprofil (alle cT3 u. cT4 oder alle Gleason 7–10 bei gleichzeitigem PSA-Wert von 7–20 ng/ml, alle PSA-Werte >2–100 ng/ml) zeigte eine dreijährige zur Strahlentherapie adjuvante Gabe eines GnRH-Analogons eine statistisch signifikante Überlebensverbesserung [1]. Erste aussagekräftige Daten zeigte eine randomisierte EORTC-Studie, in der die alleinige Strahlentherapie der Prostata (ca. 70 Gy) und des Beckens (ca. 50 Gy) verglichen wurde mit Radiatio plus einer adjuvanten Hormonblockade mit Gose-
87
6.5 · LHRH-Analoga
relin über drei Jahre. Die Hormontherapie begann am ersten Tag der Radiatio und schloss eine Flareup-Prophylaxe mittels Cyproteron-Azetat (CPA) 3×50 mg/Tag im ersten Monat ein. Durch die zusätzliche hormonablative Therapie zeigte sich eine signifikante Verbesserung des 5-Jahres-Gesamtüberlebens [2, 3]. Die Early-Prostate-Cancer-(EPC-)Studie evaluierte den Effekt einer adjuvanten Therapie mit dem Antiandrogen Bicalutamid in der Dosierung von 150mg/Tag nach primärer Strahlentherapie an 1.370 Patienten mit einem frühen, nichtmetastasierten Prostatakarzinom. Hierbei zeigte sich nach einer Nachbeobachtungszeit von median 5,4 Jahren bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom eine signifikante Reduktion des Risikos einer objektiven klinischen Progression um 42% [4].
6.3
Bilaterale Orchiektomie
Die beidseitige Hodenentfernung stellt seit der Entdeckung der Hormonabhängigkeit des Prostatakarzinoms in den 40er-Jahren nach wie vor den Goldstandard in der hormonablativen Therapie dar. Sie bietet eine prozessoral einfache, im Rahmen von DRG-Bedingungen kostengünstige, jedoch irreversible adjuvante Therapieoption. Diese im wahrsten Sinne des Wortes einschneidendste Methode für den Patienten ist seit der Möglichkeit der chemischen Kastration und hiermit geringerer psychischer Belastung jedoch zunehmend in den Hintergrund getreten. Insbesondere ist nach dem Eingriff die Möglichkeit der intermittierenden Androgenblockade (Abschn. 6.10), die ein im Rahmen aktueller Studien untersuchtes Therapiekonzept darstellt, nicht mehr gegeben. Bei verminderter Compliance des Patienten stellt die Orchiektomie jedoch eine durchaus zu diskutierende Therapieoption dar. Auch reduziert sich die psychische Belastung durch »Erinnerung« an die vorhandene Krebserkrankung durch die fehlende Erfordernis einer tägliche Medikamenteneinnahme [5].
6.4
6
Östrogene
Die erstmals in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts angewendete Applikation von Östrogenen (Diethylstilbestrol) zur Unterbrechung der Hypophysen-Gonaden-Achse stellte über einen langjährigen Zeitraum die gängigste Form des Androgenentzugs dar. Das weibliche Sexualhormon bewirkt eine Reduktion der LHRH-Sekretion durch die Hypophyse und somit eine indirekte Absenkung des Serum-Testosteronspiegels. Zusätzlich wird eine direkte negativ regulatorische Wirkung auf die das Testosteron produzierenden LeydigZellen im Hoden diskutiert. Aufgrund der ausgeprägten Nebenwirkungen, wie Feminisierung, kardiovaskuläre Komplikationen (Elektrolytstörungen, Wasserretention, Thrombosen, Infarkte) und der Unterlegenheit im Vergleich mit anderen antihormonellen Therapien gilt diese Behandlung als heute obsolet [6, 7]. Im fortgeschrittenem Stadium des Prostatakarzinoms konnte durch Östrogene eine effektive Schmerzreduktion bei bis zu 2/3 der Patienten sowie ein signifikanter PSA-Abfall (>50%) bei 1/3 der Männer festgestellt werden [8, 9]. Diese Situation gilt heutzutage noch als anerkannte Indikation für die Östrogentherapie (Fosfesterol 1,2 g i. v./Tag über 10–14 Tage). Eine Reduktion der kardiovaskulären Risiken lässt sich durch Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern (100 mg Acetylsalicylsäure/ Tag) erreichen.
6.5
LHRH-Analoga
Die LHRH-Analoga (Luteotropen-hormon-releasing-Hormon) bzw. GnRH-Analoga (Gonadotropin-releasing-Hormon) sind seit den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts eine gleichwertige Alternative zur subkapsulären bilateralen Orchiektomie oder Östrogenapplikation. Die verfügbaren Präparate wie z. B. Goserelin, Leuprorelin, Triptorelin und Buserelin bewirken eine Hemmung der testikulären Androgenproduktion durch eine Herunterregulation der hypothalamisch-hypophysären Funktion. Durch diese synthetischen Hormonanaloga kommt es zu einer Dauerstimulation der Hypophyse, woraus eine hypophysäre Rezeptor-Down-
88
I
Kapitel 6 · Adjuvante medikamentöse Therapie des Prostatakarzinoms
⊡ Tabelle 6.1. Zusammenfassung der adjuvanten Therapieansätze
Therapieform
Vorteile
Nachteile
Interventionen
Bilaterale Orchiektomie »Kastration«
Gute Durchführbarkeit, kostengünstig, erfordert keine Compliance
Psychisch belastend, irreversibel, Libidoverlust, Potenzverlust
Psychotherapeutische Betreuung
Weibliche Sexualhormone, Östrogene (DES 1 mg/Tag); (Fosfesterol 1,2 g i. v./ Tag über 10–14 Tage)
Kostengünstig, Schmerzreduktion im Stadium der Filialisierung
Kardiovaskuläre NW, Hitzewallungen, Depressivität, Thrombosen, Flüssigkeitsretention, Libidoverlust, Potenzverlust,
Prophylaktisch Acetylsalicylsäure (100 mg/Tag), psychotherapeutische Betreuung
LHRH-Analoga, Buserelin, Goserelin, Leuprorelin etc.
Reduziertere Impotenz, Depotform 1–3 Monate
Libidoverlust/Impotenz, Flare-up-Phänomen, Abnahme von Energie und Muskelmasse, Reduktion der Knochendichte, Schlafstörungen
Zusätzliche Gabe eines Antiandrogens zur Prophylaxe des Flare-up-Phänomens
Steroidale Antiandrogene: Cyproteronazetat, Medroxyprogesteronazetat
Im Vergleich zur Östrogentherapie deutlich verringerte NW; reversibel
Impotenz, Libidoverlust, Muskelschwund, Gewichtszunahme, gelegentlich Hitzewallungen und Schweißausbrüche
Psychotherapeutische Betreuung, Antidiarrhoika
Nicht-Steroidale Antiandrogene: z. B. Flutamid, Nilutamid, Bicalutamid
Reversibel, meist erhaltene Potenz; verlängerte Progressionsfreiheit; weniger Nebenwirkungen
Hepatotoxizität, Durchfälle, Gynäkomastie
Psychotherapeutische Betreuung, Gynäkomastieprophylaxe durch lokale Radiatio: 3×4 Gy oder 1×10 Gy oder Tamoxifen, Antidiarrhoika
regulation resultiert [10]. Auf einen initialen Anstieg des Serum-Testosterons (3–8 Tage) folgt ein dauerhafter, jedoch reversibler Abfall auf Kastrationsniveau (ca. 0,5 ng/ml) [11]. Die Präparate werden in Depotform (subcutan) mit einer Wirksamkeit zwischen 1 und 3 Monaten verabreicht. Der LH-, FSH- und Testosteronanstieg wird als Flareup-Phänomen bezeichnet und kann mit einem PSA-Anstieg, der Zunahme neurologischer Symptome, obstruktiven Miktionsbeschwerden und einer Zunahme der Schmerzen einhergehen [12, 13]. Zur Vermeidung des Flare-up-Phänomens und eines evtl. raschen Tumorprogresses sollte in der primären Behandlungsphase zusätzlich ein Antiandrogen (z. B. Cyproteronacetat, Flutamid, Bicalutamid) für die Dauer von 14 Tagen verabreicht werden [14]. Dies sollte einige Tage vor Therapiebeginn
mit LHRH-Analoga erfolgen, um so eine vollständige Androgenrezeptorblockade im Sinne einer dann temporären kompletten Androgenblockade zu erreichen. Die Vorteile dieser adjuvanten Therapieform sind vielfältig und lassen sich aus dem modernen urologisch-onkologischen Management des Prostatakarzinoms nicht mehr wegdenken. Die Vorteile liegen in der Reversibilität des kontrasexuellen Prinzips, mit jedoch der Orchiektomie vergleichbaren Nebenwirkungen (⊡ Tabelle 6.1).
6.6
Antiandrogene
Diese Medikamente wirken direkt durch Blockade der zellulären Testosteronrezeptoren der Tumor-
6.6 · Antiandrogene
zellen und schließen somit das adrenale Testosteron im Sinne einer kompletten Androgenblockade mit ein. Die komplette Androgenblockade besteht aus einer Kombination von Antiandrogenen mit LHRH-Analoga.
6.6.1
Steroidale Antiandrogene
Steroidale Antiandrogene (z. B. Cyproteronazetat, Medroxyprogesteronazetat) verdrängen kompetitiv Testosteron von den zellulären Rezeptoren am Effektororgan mit darüber hinaus zentraler, progesteronartiger Wirkung gegenüber der Hypophyse [15]. Dies führt zur Erniedrigung des Serum-Testosterons und des hypophysär ausgeschütteten LH, woraus Nebenwirkungen resultieren, die mit denen nach LHRH-Gabe vergleichbar sind. Diese bestehen meist aus Impotenz, gelegentlichen Hitzewallungen und Schweißausbrüchen. Cyproteronazetat erscheint bei deutlich verringerten Nebenwirkungen gleichwertig bzgl. des progressionsfreien Überlebens und des Langzeitüberlebens im Vergleich mit Östrogenen [16]. In der Kombination mit einer Kastration zeigt eine Metaanalyse allerdings ein um 13% erhöhtes Sterberisiko gegenüber der alleinigen Kastration [48].
6.6.2
Nichtsteroidale Antiandrogene
Diese aufgrund ihrer ausschließlichen Wirkung gegenüber der Effektorzelle, auch als reine Antiandrogene bezeichnete Stoffgruppe (z. B. Flutamid, Nilutamid, Bicalutamid) unterscheidet sich bei einer Monotherapie von den übrigen Behandlungsansätzen vor allem durch den Erhalt bzw. der (noch im physiologischen Bereich liegenden) Erhöhung der Testosteronkonzentration im Blutserum. Demzufolge sind die sonst zu erwartenden Nebenwirkungen, insbesondere die Impotenz, nicht in dem zuvor bestehenden Ausmaß zu erwarten. Bei einer Langzeittherapie mit Bicalutamid 150 mg/Tag bleibt zudem die Knochendichte erhalten, während sie unter der Therapie mit einem LHRH-Analogon abnimmt [49]. Fowler et al. konnten zeigen, das selbst Patienten mit einem validierten Progress durch die zu-
89
6
sätzliche Gabe eines nichtsteroidalen Antiandrogens nach vorausgegangener Orchiektomie einen PSA-Abfall zeigten. Eine Verlängerung des Gesamtüberlebens konnte hierdurch jedoch bis dato nicht aufgezeigt werden [17, 18]. Bicalutamid ist das einzige nichtsteroidale Antiandrogen, das im Hinblick auf die therapeutische Effizienz direkt mit der chirurgischen Kastration verglichen wurde. Bei M0-Patienten zeigte sich ein vergleichbares Gesamtüberleben [50], so dass es bei geringer Tumorlast zur Monotherapie (150 mg/ Tag) des hormonresponsiven Prostatakarzinoms empfohlen wird [19]. Aktuelle Studien scheinen in mehreren Prostatakarzinomstadien einen verbesserten Risiko-Nutzen-Quotienten bei adjuvanter Bicalutamid-Therapie für verschiedene Tumorstadien im Vergleich mit anderen Antiandrogenen zu zeigen. Die bisher größte Studie evaluiert die Effektivität und Verträglichkeit der Monotherapie mit Bicalutamid 150 mg/Tag als alleinige Therapie oder aber als adjuvante Therapie zusätzlich zu einer radikalen Prostatektomie bei insgesamt 8.113 Patienten mit lokalem Prostatakarzinom [20, 51]. In der Bicalutamid-Gruppe zeigte sich über alle Patienten bisher eine mit 27% signifikante Reduktion des Risikos für einen objektiven klinischen Progress im Vergleich mit Placebo [52]. Als häufigste, jedoch erwartete Nebenwirkungen traten Gynäkomastie und Brustschmerzen auf [21, 22]. Patienten mit hohem Progressionsrisiko haben den größten Benefit von dieser Therapie in Form eines verlängerten progressionsfreien Überlebens [23]. Weitere Studien sowie ein verlängertes Followup werden klären müssen, ob das beschriebene reduzierte Progressrisiko mit einem verbesserten Gesamtüberleben korreliert. Neben einer prophylaktischen Bestrahlung der Mamillen eignet sich Tamoxifen (20 mg/Tag) für eine Gynäkomastieprophylaxe wie Conti et al. bei 114 Patienten zeigten. Ein Einfluss auf die Lebensqualität und den PSA-Wert wurde nicht beobachtet [24]. Zusammenfassend zeigen die aktuell vorliegenden Daten einen deutlichen Vorteil für das rezidivfreie Überleben von M0-Patienten innerhalb der mittleren und Hoch-Risikogruppe.
I
90
Kapitel 6 · Adjuvante medikamentöse Therapie des Prostatakarzinoms
6.7
Maximale Androgenblockade
Etwa 10% der Androgene werden von den Nebennieren produziert [25]. Der initial in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts durchgeführte experimentelle Ansatz einer bilateralen Adrenalektomie wurde aufgrund der damit assoziierten Morbidität bald verlassen [26]. Heutzutage wird durch Gabe eines Antiandrogens in Kombination mit chirurgischer Kastration oder LHRH-Therapie eine zusätzliche Suppression der adrenal synthetisierten Androgene erreicht. In zahlreichen Studien konnte zwar kein signifikanter Vorteil der kompletten Androgenblockade (maximale Androgenblockade/ MAB) bzgl. des progressionsfreien bzw. Langzeitüberlebens gezeigt werden [27, 28], doch belegt eine umfangreiche Metaanalyse [48], dass die Kombination mit nichtsteroidalen Antiandrogenen das Sterberisiko gegenüber der alleinigen Kastration signifikant um 8% senkt. Eine erneute Analyse historischer Studiendaten lässt schließen, dass dieser Vorteil signifikant auf 20% ansteigt, wenn das nichtsteroidale Antiandrogen Bicalutamid verwendet wird [53].
6.8
Androgen-withdrawal-Syndrom
Hierbei handelt es sich um ein endokrines Entzugssyndrom mit einem signifikanten PSA-Abfall um 20–30% nach Absetzen eines peripheren Antiandrogens. Dieses wurde im Status der Tumorprogression besonders nach Absetzen einer FlutamidTherapie beobachtet [29, 30]. Kausal wird dieses Phänomen möglicherweise durch eine Mutation des Androgenrezeptors erklärt, die dazu führt, dass Antiandrogene ihre Wirkung verlieren und stattdessen als Agonisten am zellulären Androgenrezeptor fungieren [31]. Die Folge sind ein rascher Tumorprogress und ein PSA-Anstieg. Deshalb sollte ein Absetzen des Antiandrogens initiale Erstmaßnahme bei Tumorprogress sein. Zusätzlich sei erwähnt, dass selbst hormonrefraktäre Prostatakarziome, unter initialer kompletter Hormonsuppression nach Testosteronzufuhr einen weiteren Wachstumsvorteil erfahren [32].
6.9
Sonstige Therapieformen
6.9.1
Estramustin
Estramustin ist ein Medikament mit kombinierter östrogenartiger sowie zytotoxischer Wirkung, wobei die antimitotische Wirkung auf einer spezifischen Bindung am Mikrotubulus beruht [33]. Hauptindikation besteht in der Therapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms. Hierbei konnte in Studien ein synergistischer Effekt in Kombination mit Chemotherapeutika wie Docetaxel oder Vinblastin festgestellt werden. Signifikant zeigte sich ein verlängertes progressionsfreies Überleben bei jedoch äquivalentem Gesamtüberleben. In der Monotherapie zeigte sich eine fehlende Wirksamkeit mit hohen Nebenwirkungen [34, 35, 36].
6.9.2
Gestagen
Gestagen bewirkt eine kompetitive Verdrängung des Testosterons an der Leydigzelle sowie eine zusätzliche Blockade des Steroidmetabolismus durch Unterdrückung der LH- und FSH-Sekretion [37]. Aufgrund der Nebenwirkungen wird es nicht als primäre Hormonbehandlung des lokalisierten Prostatakarzinoms empfohlen.
6.9.3
Ketokonazol
Dieses als breitwirksames Antimykotikum eingesetzte Medikament führt zur Blockade der testikulären und adrenalen Androgenproduktion. Rochlitz et al. postulierten zusätzlich einen direkt zytotoxischen Effekt auf Prostatakarzinomzelllinien [38]. Hauptsächliche Nebenwirkung ist die Hepatotoxizität bei Daueranwendung.
6.9.4
Aminoglutethimid
Aminoglutethimid hemmt die Androgensynthese in den Nebennieren, wird jedoch aufgrund der schweren Nebenwirkungen mit induziertem, medikamentös vermehrten ACT-Ausstoß nicht empfohlen [39].
91
6.11 · Nebenwirkungen
Komplimentierend müssen einige neue Therapieansätze erwähnt werden, welche sich in klinischen Phase-II- und -III-Studien befinden, jedoch in den kommenden Jahren klinische Relevanz erlangen könnten. Hierzu zählen folgende Therapieansätze: LHRH-Antagonisten, Mitoxantron, 17,20-Lyasehemmer, Apoptoseagonisten, Inhibitoren des Zellzyklus, 5α-Reduktasehemmer, Endothelin-Rezeptorantagonisten, Angiogeneseinhibitoren, Chemotherapie und Gentherapie.
6.10
Intermittierende Androgendeprivation
Bei etwa 200.000 Männern pro Jahr mit der Diagnose eines Prostatakarzinoms, von den sich 2/3 einer Operation oder Radiotherapie zur Therapie des Prostatakarzinoms unterziehen, erfahren in diesem Zeitrahmen bis zu 50.000 Patienten einen PSA-Progress nach Primärtherapie. Dieses stellt ein Schlüsselproblem für den Kliniker und vielleicht noch mehr für den betroffenen Mann und seine Familie dar. Ein persistierendes PSA nach primär kurativer interventioneller Primärtherapie zur Behandlung des klinisch lokalisierten Prostatakarzinoms ist ein Zeichen für die fortbestehende Krebserkrankung, wohingegen nicht detektierbare PSA-Werte kein Garant für Heilung bedeutet [40]. Gerade hier kann die adjuvante hormonelle Therapie, besonders die intermittierende Androgendeprivation (IAD) unter Berücksichtigung des PSA-Wertes, durch welchen andere Zeichen des Progresses um Monate, vielleicht Jahre vorhersagt werden können [41], eine Lebensqualitätverbesserung bewirken. Unter Kenntnis der Nebenwirkungen einer adjuvanten hormonellen Therapie besteht das Ziel für den Kliniker im Idealfall darin, eine Reduzierung der Nebenwirkungen bei gleichbleibender Wirksamkeit der Therapie zu erreichen. Die intermittierende Androgendeprivation soll diesem ge-
6
recht werden. Die IAD stützt sich auf die Theorie nach Gleave et al. [42], wonach nach Erreichen des PSA-Nadirs unter adjuvanter Hormontherapie (meist nach 7–9 Monaten) die Behandlung pausiert werden sollte. Bei erneutem PSA-Anstieg sollte die Hormontherapie wieder eingesetzt werden. Der Vorteil besteht aus einer deutlich besseren Lebensqualität unter den reversiblen Nebenwirkungen (v. a. mit Libido/Potenzverlust) und den geringeren Therapiekosten. Additiv kommt hinzu, dass eine Verzögerung der Hormonresistenz des Prostatakarzinoms erreicht werden kann, welche andernfalls meist nach 12–18 Monaten eintrifft. Ein signifikanter, aus dem Therapieansatz resultierender Überlebensvorteil konnte bisher nicht gezeigt werden. Voraussetzung für die intermittierende Androgenblockade ist ein aufgeklärter Patient mit guter Compliance, der sich regelmäßigen, initial monatlichen PSA-Kontrollen unterzieht [43, 44]. Alle bisherigen Erfahrungen unterstreichen die Praktikabilität der IAD, besonders unter dem Wissen des heutzutage früh erkannten Prostatakarzinoms mit im Idealfall langen adjuvanten Behandlungszeiten.
6.11
Nebenwirkungen
Wesentliche Voraussetzung für die Durchführung adjuvanter hormoneller Therapieverfahren ist die Festlegung eines individuellen, an den Einzelfall und die Wünsche des betroffenen Patienten adaptierten Therapiekonzeptes. Insbesondere im Hinblick auf die zu erwartenden Nebenwirkungen muss zwischen einer kurativ oder einer palliativ intervenierenden Therapie unterschieden werden. Therapeutische Zielsetzung ist das Erreichen einer kompletten oder, in der Palliativsituation, lang anhaltenden Tumorremission mit für den einzelnen Patienten akzeptablem Nebenwirkungsprofil der therapeutischen Intervention. Die Nebenwirkungen einer kastrationsbasierten Therapie sind mitunter erheblich und verlangen eine dokumentierte Festlegung der im Einzelfall vorhandenen sexuellen Aktivität des Mannes [45]. ⊡ Tabelle 6.1 fasst die adjuvanten hormonellen Therapieansätze mit den wichtigsten Nebenwirkungen zusammen.
92
I
Kapitel 6 · Adjuvante medikamentöse Therapie des Prostatakarzinoms
Durch therapeutische Ansätze wie der Antiandrogen-Monotherapie oder der intermittierenden Androgendeprivation lassen sich die Nebenwirkungen nennenswert reduzieren. Fazit Zur Radiatio als primärer Therapierform kann zusammenfassend gesagt werden, dass aufgrund der vorhandenen Daten (insbesondere der EORTC-Studie) eine risikoadaptierte, hiermit kombinierte Androgensuppression zu verbesserter lokaler Tumorkontrolle, der Senkung des Risikos für die Entwicklung von Fernmetastasen und zu einem verlängerten tumorfreien Langzeitüberleben führt. Der optimale Zeitpunkt sowie die Dauer der Applikation einer adjuvanten hormonellen Therapie werden zurzeit untersucht [46, 47], eine exakte Empfehlung vor dem Hintergrund valider Studien kann daher derzeit nicht ausgesprochen werden. Jede Hormontherapie sollte als additive, palliative Therapie gesehen werden, da das Prostatakarzinom aus androgensensitiven sowie androgeninsensitiven Zellklonen besteht. Nach durchschnittlich 18 Monaten entwickelt sich ein erneuter Tumorprogress, vielversprechend ist in diesem Zusammenhang die Anwendung der intermittierenden Hormondeprivation. Bicalutamid ist das einzige nichtsteroidale Antiandrogen, das im Hinblick auf die therapeutische Effizienz direkt mit der beidseitigen Orchiektomie verglichen wurde und hier bei M0-Patienten eine Gleichwertigkeit zeigte. Aus den gegenwärtig verfügbaren Literaturdaten lässt sich im Hinblick auf das Langzeitüberleben der Patienten nach Primärtherapie eine deutliche Überlegenheit dieser Therapieform ableiten. Weitere Multicenterstudien müssen erfolgen, um evidenzbasierte definitive Aussagen treffen zu können. Auf die therapieassoziierten Nebenwirkungen einer adjuvanten Hormontherapie müssen vor allem solche Patienten hingewiesen werden, die allein aufgrund eines ansteigenden ▼
PSA-Wertes ohne Verifizierung eines Lokalrezidivs nach Primärtherapie eine Hormontherapie wünschen. Insgesamt zeigt die adjuvante Hormontherapie (medikamentöse oder chirurgische Kastration) ein erhöhtes progressionsfreies Überleben nach radikaler Prostatektomie sowie Radiotherapie, und sollte daher in der modernen Therapieplanung des lokalisierten Prostatakarzinoms berücksichtigt werden.
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Kapitel 6 · Adjuvante medikamentöse Therapie des Prostatakarzinoms
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7 Therapieoptionen des hormonrefraktären Prostatakarzinoms A. Heidenreich, C. H. Ohlmann
7.1
Einleitung
7.2
Definition des HRPCA
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4
Antiandrogenentzug – 97 Androgenunabhängiges, hormonsensitives Stadium Östrogene – 97 Adrenale Androgeninhibitoren – 97
7.3
Glukokortikoide
7.4
Chemotherapie
7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5 7.4.6 7.4.7 7.4.8 7.4.9
Interpretation von bisherigen Studienergebnissen – 98 Besonderheiten der Chemotherapie beim HRPCA – 98 Ansprechkriterien – 98 Estramustinphosphat Mono- und Kombinationstherapie – 99 Anthrazykline – 99 Suramin – 100 Taxane – 100 Nichtzytotoxische Therapiealternativen – 101 Signaltransduktionsinhibitoren – 102
Literatur
– 103
– 96 – 96 – 97
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I
96
Kapitel 7 · Therapieoptionen des hormonrefraktären Prostatakarzinoms
7.1
Einleitung
Das Adenokarzinom der Prostata ist der häufigste bösartige Tumor des Mannes und ist in erster Linie durch das Stadium der Hormonrefraktarität mit einer hohen Morbidität und Mortalität vergesellschaft, die in den USA jährlich ca. 42.000 Todesfälle bedingt [35, 60]. Das hormonrefraktäre Prostatakarzinom (HRPCA) stellt keine einheitliche Tumorentität dar, sondern umfasst ein sehr heterogenes Erkrankungsstadium, das viele Patientenkollektive mit differenter biologischer Aggressivität des Primärtumors zusammenfasst. Die durchschnittliche mittlere Überlebenszeit variiert erheblich zwischen den einzelnen Gruppen von 6–40 Monaten (⊡ Tabelle 7.1). Klinisch wird das HRPCA dominiert durch Knochenmetastasen, die zu Schmerzen, pathologischen Frakturen, Gewichtsverlust, spinaler Kompression, Anämie, Thrombozytopenie und einer signifikanten Reduktion des körperlichen Allgemeinzustands führen können [42]. Obwohl mittlerweile eine Reihe symptomatischer, palliativer Therapieoptionen wie Narkotika, nichtsteroidale Antiphlogistika, Bisphosphonate, lokale Radiatio und Radionuklidtherapie zur Verfügung stehen,
⊡ Tabelle 7.1. Durchschnittliche Lebenserwartung der Patienten mit HRPCA in Abhängigkeit der klinischen Präsentation
Patientencharakteristik
Geschätztes mittleres Überleben
asymptomatischer PSA↑, keine Metastasen
19 Monate
asymptomatischer PSA↑, geringe Metastasenlast
14 Monate
Asymptomatischer PSA↑, hohe Metastasenlast
9–12 Monate
Symptomatischer PSA↑, geringe Metastasenlast
9 Monate
Symptomatischer PSA↑, hohe Metastasenlast
6–8 Monate
sollte die Zielsetzung zukünftiger therapeutischer Anstrengungen in der Identifikation von Einzelsubstanzen oder von Kombinationsschemata liegen, die nicht nur symptomatisch effektiv sind, sondern zudem einen lebensqualitätsverbessernden und lebensverlängernden Aspekt haben.
7.2
Definition des HRPCA
Durchschnittlich 18–36 Monate nach primärer Androgendeprivation mittels chirurgischer Kastration, LHRH-Analoga sowie steroidaler oder nichtsteroidaler Antiandrogene kommt es zur erneuten PSA-Progression als Zeichen des androgenunabhängigen aber hormonsensitiven Wachstums, bevor es zur Entwicklung der kompletten Hormonunabhängigkeit kommt [3, 42]. Aufgrund der oben geschilderten molekularen Ereignisse wird das metastasierte PCA bzgl. der therapeutischen Optionen in drei Krankheitsstadien klassifiziert [3, 42]: (1) Androgenabhängiges Stadium: Jegliche Form der medikamentösen oder chirurgischen Androgendeprivation bedingt einen PSA-Abfall (2) Androgenunabhängiges, hormonsensitives Stadium: Kein Ansprechen mehr auf primäre AD, aber sekundäre Hormontherapie wie Entzug steroidaler Antiandrogene, Östrogene, Ketokonazol, Glukokortikosteriode (3) Androgenunabhängiges und hormonrefraktäres Stadium: Kein Ansprechen mehr auf primäre oder sekundäre hormonelle Manipulation Das HRPCA wird definiert durch einen im Abstand von 2 Wochen dreimalig nachgewiesenen konsekutiven PSA-Anstieg nach primärer und sekundärer Hormontherapie trotz im Kastrationsbereich gelegener Testosteronserumspiegel [3] sowie eine Progression von Weichteil- oder Knochenmetastasen. Antiandrogene müssen über mindestens 6 Wochen abgesetzt worden sein. Die Behandlung mit LHRHAnaloga sollte zumindest bei den Patienten mit asymptomatischem PSA-Progress fortgesetzt werden [19, 27, 55].
97
7.2 · Definition des HRPCA
7.2.1
Antiandrogenentzug
Ca. 30% der Männer, die primär oder sekundär mit einem Antiandrogen therapiert wurden, entwickeln nach Absetzen des Antiandrogens ein sog. Antiandrogenentzugsyndrom [7, 21, 47], das sich durch einen signifikanten PSA-Abfall um mindestens 50% für ein mittleres Zeitintervall von 6–8 Monaten dokumentiert. Diese PSA-Antwort lässt sich bei allen Antiandrogenen induzieren. Differenzen zwischen den einzelnen Antiandrogenen existieren lediglich bis zum Eintreten des ersten PSA-Abfalls: nach Flutamid tritt der Effekt messbar innerhalb von 1–2 Wochen ein, während nach Bicalutamid ein Zeitfenster von ca. 6 Wochen berücksichtigt werden muss.
7.2.2
Androgenunabhängiges, hormonsensitives Stadium
Unabhängig von der Art der primären Androgenblockade sollte der Testosteronspiegel gemessen werden, der bei bis zu 10% der Patienten im Normbereich liegen kann. Nach chirurgischer Kastration oder primärem Testosteronentzug durch LHRHAnaloga kann die Addition eines nichtsteroidalen Antiandrogens bei ca. 25% der Patienten zu einem vorübergehenden therapeutischen Ansprechen führen [9]. Dieser Effekt ist unabhängig von der Art des gewählten Antiandrogens. Vor dem Einsatz von Bicalutamid empfiehlt sich die prophylaktische Bestrahlung der Brustdrüsen, um die Inzidenz der lästigen Gynäkomastie oder Mastodynie zu reduzieren.
7.2.3
Östrogene
Östrogenrezeptoren des PCA werden nach primärer Androgendeprivation sowohl im Tiermodell als auch unter klinischen Bedingungen überexprimiert, so dass die therapeutische Effektivität systemisch applizierter Östrogene in vielen klinischen Studien getestet wurde. Der Einsatz hochdosierter Östrogene (3–5 mg/Tag) war durch die hohe Frequenz kardiovaskulärer Komplikationen bedingt und konnte sich klinisch nicht durchsetzen. Die
7
Gabe niedrig dosierten Diethylbestrols (DES) führte in 2 klinischen Studien zu einer positiven PSAAnsprechrate von 43–80% und zeigte 2-Jahresüberlebensraten von 63%, so dass dieser Variante der sekundären Hormontherapie durchaus klinische Beachtung geschenkt werden sollte [23, 50]. Ähnlich positive Resultate werden nach der Anwendung von Östrogenpflastern mit einem signifikanten PSA-Abfall bei 95% der Patienten erzielt: nach einem »Follow-up« von 12–20 Monaten leben 19 von 20 Patienten tumorfrei [33]. Nachdem die therapieassoziierten Nebenwirkungen unter der transdermalen Applikation signifikant seltener Auftreten als nach intravenöser Applikation (31% Thrombosen, 7% Myokardinfarkt) könnte den Pflastern der Vorzug im klinischen Alltag gegeben werden.
7.2.4
Adrenale Androgeninhibitoren
5–10% des zirkulierenden Testosterons werden adrenal produziert, so dass eine Inhibierung der adrenalen Synthese eine mögliche Therapieoption bei PSA-Progress nach initialer AD darstellen könnte [39, 41, 48] Aminogluthetimid in Kombination mit Steroiden führte zu Ansprechraten von 30%; in prospektiv randomisierten Studien, in denen die Applikation von AG mit Hydrokortison gegen Hydrokortison getestet wurde, wird der positive Effekt auf die Ansprechraten allein auf das HC zurückgeführt. Nachdem in einer weiteren prospektiven Studie durch den Vergleich der Applikation von AG, HC und Antiandrogenentzug vs. AG und HC gezeigt werden konnte, dass die positiven Ansprechraten von 44% vs. 14% im Wesentlichen auf den Antiandrogenentzug zurückzuführen sind, spielt die Therapie mit AG/HC keine besondere klinische Bedeutung mehr. Ketokonazol, ein weiterer adrenaler Testosteronsynthese-Inhibitor führt bei Monotherapie zu Ansprechraten von ca. 20%. Die hochdosierte Therapie (1.200 mg/Tag) in Kombination mit HC (30 mg/Tag) bedingt PSA-Ansprechraten von 60– 80% mit einer mittleren Ansprechdauer von 6– 9 Monaten. Neuere Studien zeigen, dass die niedriger dosierte Ketokonazoltherapie (800 mg/Tag) in
98
I
Kapitel 7 · Therapieoptionen des hormonrefraktären Prostatakarzinoms
Kombination mit HC zu den gleichen Ergebnissen bei geringerer Toxizität führt, so dass diesem Regime der Vorzug in der Secondline-Therapie gegeben werden sollte.
7.3
Glukokortikoide
Glukokortokoide werden insbesondere aus palliativer Indikation bei Knochenschmerzen durch ossäre Metastasen beim HRPCA eingesetzt und führen bei bis zu 40% der Patienten zu einer Beschwerdelinderung [20, 33, 54]. Die Monotherapie mit HC (40 mg/Tag) nach Antiandrogenentzug resultiert in einem signifikanten PSA-Abfall bei 20% der Patienten; diese Daten müssen berücksichtigt werden, wenn die Therapieergebnisse moderner Zytostatika interpretiert werden, die oftmals kontinuierlich mit Steroiden kombiniert werden.
7.4
Chemotherapie
Trotz der zunehmenden Häufigkeit des HRPCA gibt es nach Tumorprogression unter chirurgischer oder medikamentöser Kastration keine etablierte Standardtherapie und die Frage nach einer systemischen Therapieoption mit hoher Effektivität bei vertretbarem Nebenwirkungsprofil steht weiterhin im Vordergrund. Zytotoxische Chemotherapien galten beim Prostatakarzinom lange Zeit als wenig wirksam und die Ergebnisse zahlloser älterer Therapiestudien waren mit objektiven Ansprechraten von meist unter 10% enttäuschend [61]. In den vergangenen 5–10 Jahren wurden eine Reihe innovativer chemotherapeutischer und biologischer Therapieansätze in klinischen Phase-I und Phase-II-Studien mit vielversprechenden Resultaten getestet, die zeigen, dass die bisher allgemein angenommene Zytostatikaresistenz des HRPCA relativiert werden muss [17].
7.4.1
Interpretation von bisherigen Studienergebnissen
Bei der Beurteilung klinischer Studien zur Chemotherapie beim HRPCA ist zu beachten, dass es sich
beim HRPCA um ein sehr heterogenes Krankheitsstadium mit erheblich variablen mittleren Überlebenszeiten handelt [17, 42]. Ein weiteres klinisches Problem stellt der oftmals noch fehlende Konsensus bzgl. der Definition von objektiven und reproduzierbaren Ansprechkriterien dar [9].
7.4.2
Besonderheiten der Chemotherapie beim HRPCA
Die meisten Prostatakarzinompatienten sind alt, ihre Komorbidität entsprechend hoch. Erzielte Resultate, insbesondere der Toxizität bei jüngeren Patienten mit gutem Performance-Status lassen sich nur mit Vorbehalten auf ältere Patienten übertragen. Neben Alter und Begleiterkrankungen beeinflussen auch Vorbehandlung und Ausdehnung des Prostatakarzinoms die Toleranz einer Behandlung. Großvolumige Radiotherapien und eine Knochenmarkskarzinose erschweren wegen kompromittierter Knochenmarksreserve eine zytotoxische Therapie.
7.4.3
Ansprechkriterien
Die meisten Patienten mit HRPCA haben aufgrund des isolierten PSA-Anstieges oder der oft ausschließlichen Skelettmetastasierung keine messbaren Krankheitsmanifestationen, für welche die klassischen Response-Kriterien anwendbar sind. Therapiebedingte Veränderungen des PSA-Serumspiegels wurden als möglicher Surrogatparameter eines positiven Ansprechens definiert, nachdem demonstriert werden konnten, dass ein 50%iger PSA-Abfall 8 Wochen nach Therapiebeginn mit einem signifikanten Überlebensvorteil einhergeht [51]. Die Definition des PSA als Surrogatparameter ist jedoch nicht unproblematisch nachdem in vitro Untersuchungen darauf hinweisen, dass ein PSA-Abfall nicht zwingend mit einer Tumorregression einhergehen muss [56]. Neben einem tatsächlichen Therapieerfolg könnte der PSA-Abfall lediglich eine günstigere Tumorbiologie widerspiegeln. Diese Hypothese wurde in klini-
99
7.4 · Chemotherapie
schen Studien bestätigt. In einer sehr aufwändigen Untersuchung analysierten Verbel et al. [58] den Einfluss des PSA auf das Überleben von 254 Patienten mit HRPCA. Obwohl die Autoren eine statistisch signifikante Korrelation zwischen dem PSA-Abfall und dem Überleben herstellen konnten, waren nur 17% der variablen Überlebenskurven allein auf die PSA-Veränderungen zurückzuführen. Andere Faktoren wie Alter, Allgemeinzustand, Ausmaß der ossären Metastasierung, LDH und Hämoglobin-Serumspiegel spielen währenddessen eine wesentlich größere Rolle in der Prognosebeurteilung als bisher angenommen.
7.4.4
Estramustinphosphat Monound Kombinationstherapie
Estramustinphosphat (EMP) stellt ein Kombinationspräparat von Stickstofflost und Östradiol dar, das zur Therapie Östrogenrezeptor-positiver Tumoren in den frühen 70er-Jahren entwickelt wurde. Die potenzielle antineoplastische Wirkung von EMP beruht auf seiner spezifischen Bindung am Mikrotubulusapparat des Zytoskeletts mit Hemmung der Synthese eines funktionstüchtigen Spindelapparates. Die Monotherapie des HRPCA mit EMP führt zu objektiven Ansprechraten von ca. 20% mit einer mittleren Ansprechdauer von 3–4 Monaten [1], so dass die Indikation zur EMP-Therapie derzeit nur im Sinne einer kurzfristigen sekundären Hormonmanipulation zu sehen ist. Bei bis zu 40% der Patienten ist jedoch mit einem vorzeitigen Therapieabbruch aufgrund gastrointestinaler und kardiovaskulärer Nebenwirkungen zu rechnen. Nachdem in In-vitro-Studien ein additiver Effekt von EMP in der Kombinationstherapie mit Taxanen, Vincaalkaloiden und Polypodopyotoxinen nachweisbar war, wurde die Kombination Vinblastin, Etoposid, Paclitaxel oder Docetaxel mit EMP in prospektiv randomisierten oder prospektiven einarmigen Studien kombiniert [18, 22, 29, 45, 57]. Die Kombination EMP/VBL zeigte zwar eine Verlängerung des progressionsfreien Intervalls um ca. 6 Wochen, hatte aber keinen Einfluss auf das Überlebensintervall. Die Kombination von EMP,
7
Etoposid und Paclitaxel resultierte in einer Ansprechrate von 65%, aber einer mittleren Ansprechdauer von nur 3,2 Monaten ohne Einfluss auf das Überlebensintervall. Die Kombination von Paclitaxel, Etoposid und EMP hingegen führte zu einer Ansprechrate von nahezu 100% bei einem mittleren Überleben von 24 Monaten [57]. Um die Toxizitäten der systemischen Chemotherapie zu senken, wurde Etoposid (100 mg/Tag) in wenigen Studien oral in Kombination mit EMP (840 mg/Tag) appliziert [52]. Auch wenn die allgemeine und die gastrointestinale Nebenwirkungsrate auf 10% bzw. 25% gesenkt werden konnte, betrug die objektive Ansprechrate lediglich 39% bei einer mittleren Ansprechendauer von 8 Wochen und einer mittleren Überlebenszeit von nur 50 Wochen. Ausgeprägte Beinödeme und Übelkeit repräsentieren die häufigsten Nebenwirkungen. Eine Dosisreduktion des Etoposid wegen hämatotoxischer Nebenwirkungen war in 25% der Patienten notwendig. Obwohl das genannte Schema eine Alternative zu vielen systemisch applizierten zytotoxischen Regimen darstellen könnte, hat auch diese Kombination keinen positiven Einfluss auf das Langzeitüberleben. Derzeit wird in klinischen Studien die Kombination von EMP mit Docetaxel geprüft. Die Therapie führt zu ungewöhnlich hohen objektiven PSAAnsprechraten im Bereich von 60–80% [2, 10, 13, 16, 25, 28, 30, 34, 36, 37, 44].
7.4.5
Anthrazykline
Anthrazykline wurden beim HRPCA intensiv eingesetzt, resultierten jedoch in einer objektiven Ansprechrate von max. 30% bei kurzfristiger palliativer Effektivität von im Mittel 3 Monaten. Aufgrund der therapieassoziierten Nebenwirkungen, die bei 15–30% zum Therapieabbruch gezwungen haben, spielt der Einsatz von Mitomycin, Epirubicin, oder Doxorubicin keine wesentliche Rolle mehr im modernen Management des symptomatischen oder asymptomatischen HRPCA. Auch die pharmakologische Fortentwicklung der Substanzen wie das liposomale pegylierte Doxorubicin konnten den therapeutischen Benefit der Anthrazykline nicht erhöhen.
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I
Kapitel 7 · Therapieoptionen des hormonrefraktären Prostatakarzinoms
Das Anthracendion Mitoxantron hat eine dem Doxorubicin ähnliche chemische Struktur, zeigt aber ein signifikant geringeres Toxizitätsprofil. Die Domäne des Mitoxantron liegt in der Therapie des HRPCA mit schmerzhaften Knochenmetastasen. In prospektiv randomisierten klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die Kombination von Mitoxantron/Prednison zu einer signifikant höheren und länger anhaltenden Schmerzreduktion führt als die alleinige Kortikosteroidgabe [20, 33, 53]. Es ist damit zu rechnen, dass ca. 40% der Patienten mit einer deutlichen Schmerzreduktion über ein Zeitintervall von ca. 45 Wochen ansprechen. Im Gegensatz zu der alleinigen Kortikosteroidtherapie zeigte die Kombination von Mitoxantron/ Hydrocortison zusätzlich einen signifikant positiven Einfluss auf die Lebensqualität unter Verwendung des EORTC QLQ-30 sowie des prostataspezifischen Moduls 14 (QOLM-P14). Es zeigt sich nicht nur eine generelle Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität, sondern es wurde ebenso eine signifikante Verbesserung von vier funktionellen Domänen und 9 Symptomen nur für die Kombinationstherapie beschrieben. Einen positiven Einfluss auf das tumorspezifische Überleben konnte für die Kombinationstherapie im Vergleich zu der alleinigen Gabe von Prednison in keiner Studie dokumentiert werden. Die therapieassoziierte Toxizität besteht im Wesentlichen in einer minimalen Hämatotoxizität sowie einer kumulativen Kardiotoxizität, die bei 16% der Patienten zu erwarten ist. Ab einer kumulativen Dosis von 144 mg/m2 empfiehlt sich die Echokardiographie, ab einer Dosis von 200 mg/m2 sollte kein Mitoxantron mehr appliziert werden.
7.4.6
Suramin
Suramin wurde als Inhibitor des TGF-β2 große Beachtung geschenkt, nachdem unter In-vitro-Bedingungen eine hoheAktivität gegen hormonrefraktäre PCA-Zelllinien nachgewiesen wurde. Unter klinischen Bedingungen zeigte sich ein PSA-Ansprechen bei bis zu 75% der Patienten bei einer hohen Frequenz therapieassoziierter Nebenwirkungen wie Fatigue, Übelkeit, Anorexie und Neurotoxizität. Lediglich in einer großen plazebokontrol-
lierten prospektiv randomisierten Studie [49] an 458 Patienten mit HRPCA war die Kombination Suramin/Hydrokortison gegenüber Placebo/Hydrokortison mit einer signifikanten Schmerzreduktion (43% vs. 28%), einer signifikant verlängerten Ansprechdauer (240 vs. 69 Tage) sowie einem deutlich geringeren Progressionsrisiko (1,0 vs. 1,5) vergesellschaftet. Ein Überlebensvorteil konnte für die Kombinationstherapie nicht attestiert werden, so dass der Einsatz von Suramin aufgrund des Toxizitätsprofils zurückhaltend gestellt werden sollte.
7.4.7
Taxane
Ursächlich für das schlechte Ansprechen des HRPCA auf die bisherigen chemotherapeutischen Optionen sind u. a. molekulare Spezifitäten wie Überexpression des antiapoptotischen Onkogens Bcl-2, durch Mutationen bedingte Inaktivierung des den Zellzyklus kontrollierenden p53 sowie Downregulation des Apoptose-fördernden Bax-Genes in nahezu allen Tumorzellen. Die Substanzgruppe der Taxane (Paclitaxel, Docetaxel) weist neben der Inhibierung des Zytoskelettes die Fähigkeit zur Phosphorylierung und Inaktivierung des Bcl-2 auf, so dass Apoptosewege wieder hergestellt werden können. Dabei kommt dem Docetaxel aufgrund spezifischer pharmakologischer Eigenschaften ein größerer Stellenwert zu als dem Paclitaxel. In 2 Phase-I-Studien wurden chemonaive und extensiv vortherapierte Patienten mit HRPCA einer Kombination von EMP und Docetaxel in sechs 3-Wochenzyklen ausgesetzt. In beiden Studien wurde die maximal tolerable Dosis für Docetaxel mit 70 mg/m2 angegeben; ein PSA-Ansprechen wurde bei 80% der Patienten für einen Zeitraum von 1–11 Monaten erzielt [2, 10, 13, 16, 25, 28, 30, 34, 36, 37, 44]. Das mittlere Überlebensintervall wurde mit 23 Monaten abgegeben. Hämatotoxizität WHOGrad III/IV, Diarrhöe und periphere Ödeme traten als wesentliche Nebenwirkungen bei 30% bzw. allen Patienten auf und stellen die dosislimitierenden Toxizitäten dar. Diese viel versprechenden Resultate konnten nunmehr in vielen klinischen Phase-II-Studien an über 200 Patienten mit einer objektiven PSA-An-
7
101
7.4 · Chemotherapie
⊡ Tabelle 7.2. Zusammenfassung der PSA-Ansprechraten nach taxanbasierter Chemotherapie des HRPCA
Autor
(n)
Begleittherapie
PSA↓ >50% (%)
PSA↓ >80% (%)
Savarese et al. 1999
47
EMP/HC
69
54
Sinibaldi et al. 2000
35
EMP a
45
Ø
Kosty et al. 2000
35
EMP
58
42
Petrylak et al. 2000
35
EMP
74
45
Copur et al. 2000
18
EMP
72
50
Beer et al. 2000
23
Ø
47
Ø
Miller et al. 2003
49
EMP
73
71% 68%
Heidenreich 2003
97
Mitoxantron
71
a
840–1120 mg/Tag.
sprechrate von 31–84% verifiziert werden (⊡ Tabelle 7.2). Die Hämatotoxizität als dosislimitierende Nebenwirkung war bei 13–42% der Patienten zu verzeichnen. Mittlerweile liegen die Daten von 2 prospektiv randomisierten klinischen Phase-III Studien vor, die einen statistisch signifikanten Überlebensbenefit für die Docetaxel-basierte Chemotherapie im Vergleich zu Mitoxantron/Prednison von 2,5 Monaten aufzeigen konnten. Zudem zeigte sich ein signifikant verbessertes Ansprechen bezüglich der Schmerzreduktion als auch der PSA-Reduktion um ≥50% für die Docetaxeltherapie. Derzeit ist die systemische Chemotherapie mit Docetaxel als die Referenztherapie für Patienten mit hormonrefraktärem Prostatakarzinom anzusehen.
7.4.8
} 1 Jahr
Nichtzytotoxische Therapiealternativen
Das symptomatische ossär metastasierte HRPCA ist durch eine kurze mittlere Überlebenszeit von ca. 40 Wochen gekennzeichnet, so dass ausschließlich palliative Therapieoptionen mit hoher analgeti-
scher Potenz und minimaler Nebenwirkungsrate zur Anwendung kommen sollten. Nachdem histomorphometrisch nahezu alle osteoblastischen Metastasen des HRPCA osteolytische Randzonen aufweisen, die für die Freisetzung von Schmerzmediatoren und Wachstumsfaktoren verantwortlich zu machen sind, fanden die Bisphosphonate Eingang in die Therapie des HRPCA (⊡ Tabelle 7.3; [14, 15, 26, 38, 53]). In einer großen einarmigen prospektiven Studie an 85 Patienten konnten Heidenreich et al. eine Schmerzfreiheit und -reduktion um mindestens 50% bei 75% der Patienten durch die orale Applikation von Clodronat (1.600 mg/Tag) erzielen [14, 15]. Die intravenöse Anwendung von Ibandronat (6 mg i. v. alle 3 Wochen) hat eine signifikante Schmerzreduktion bei 88% der Patienten induziert, ebenso die Applikation von Zoledronat (4 mg, infundiert über 15 min alle 3–4 Wochen). In beiden Studien war das Nebenwirkungsprofil äußerst mild und durch gastrointestinale Symptome in 5% oder grippeähnliche Begleiterscheinungen bei 12% der Patienten charakterisiert. In einer prospektiv randomisierten, placebokontrollierten Studie konnte nachgewiesen werden, dass der Einsatz von Zoledronat das Auftreten von ossär bedingten Neben-
Kapitel 7 · Therapieoptionen des hormonrefraktären Prostatakarzinoms
102
I
⊡ Tabelle 7.3. Behandlungsergebnisse der Bisphosphonatgabe bei HRPCA mit schmerzhaften Knochenmetastasen
Autor
(n)
Medikation
Response a (%)
Clarke 1992
42
Pamidronate
44
Lipton 1994
58
Pamidronate
60
Purohit 1994
34
Pamidronate
60
Cresswell 1995
27
Clodronate
37
Vorreuther 1992
41
Clodronate
71
Heidenreich 2001
85
Clodronate
75
Heidenreich 2003
45
Ibandronate
88
Rodrigues 2003
52
Clodronate
89
Fulfaro 2003
20
Zoledronate
77
a
pain-free, pain reduction >50%.
wirkungen beim Prostatakarzinom verzögert [41]. Zurzeit wird in randomisierten Studien geprüft, ob der frühe Einsatz von Zoledronat auch das Auftreten von knöchernen Metastasen verzögern kann. Zoledronat ist zwischenzeitlich für die Anwendung beim symptomatischen HRPCA zugelassen. Derzeit wird in prospektiv randomisierten klinischen Phase-III-Studien die Effektivität von Ibandronat im Vergleich zu Mitoxantron evaluiert.
7.4.9
Signaltransduktionsinhibitoren
Nachdem eine Vielzahl von Tyrosinkinaseinhibitoren (TRK) und ihre Rezeptoren [4, 5, 6, 8, 11, 12, 24, 31, 43, 46, 59] in die Progression des Prostatakarzinoms involviert sein sollen, haben sich eine Vielzahl von Therapieansätzen zur spezifischen Inhi-
bition der Signaltransduktion beim HRPCA entwickelt. Viele der innovativen Therapieansätze sind gegen Rezeptoren der EGFR-Familie und ihre nachgeschalteten, nukleär wirkenden signaltransduzierenden Komponenten gerichtet. Cetuximab
Cetuximab (C225) ist ein monoklonaler Antikörper, der speziell gegen die externe Bindungsdomäne des EGFR gerichtet ist [12]. In einer ersten klinischen Phase-I-Studie hat die Kombination von C225 mit Doxorubicin beim HRPCA zu einem stabilen Krankheitsverlauf bei 38% der Patienten geführt [46]. Präklinische Untersuchungen an androgenempfindlichen PCA-Zelllinien haben demonstriert, dass die duale Blockade der AR-Funktion durch Kombination eines Antiandrogens mit C225 einen signifikanten Wachstumsarrest bedingt. In dieser Kombinationstherapie könnte ein interessanter Ansatzpunkt für weitere Studien beim virginell metastasierten PCA liegen. Trastuzumab
Trastuzumab (Herceptin) ist ein monoklonaler Antikörper, der an den HER2/neu Rezeptor bindet. Auch wenn in wenigen Studien eine Überexpression von Her2/neu beim PCA nachgewiesen wurde, sind die Resultate zu inkonsistent als dass ein breiter klinischer Einsatz beim PCA oder beim HRPCA denkbar wäre. ZD1839
ZD1839 ist ein niedermolekularer Inhibitor der EGFR-Tyrosinkinaseaktivität, der zumindest in präklinischen Untersuchungen zu einer Wachstumsinhibition von PCA-Xenografts geführt hat [6, 12]. Dabei wurden die besten Therapieergebnisse für ZD1839 in der Kombination mit Paclitaxel und Carboplatin erzielt. In einer ersten klinischen Phase-I-Studie wurden 19 Patienten mit HRPCA in einer Dosierung von 100–1.000 mg behandelt; eine Dosis von 500 mg wurde vom Nebenwirkungsspektrum her als maximal tolerable Dosis identifiziert. Unter den 14 auswertbaren Patienten erreichten 2 einen PSA-Abfall um mindestens 50% für die Zeitdauer von 2,5 und 6,5 Monaten. 75% der Patienten erzielten eine signifikante Reduktion von Me-
103
Literatur
tastasen-assoziierten Beschwerden für einen Zeitraum von 1,5–6,5 Monaten. Diese Daten haben zur Initiierung von weiteren Phase-I-Studien geführt, in denen die Kombination von ZD1839 ± Docetaxel/Estramustin getestet wird. Der »Platelet-derived Growth Factor« (PDGF) und die verschiedenen Isoformen der PDGF-Rezeptoren werden auf Prostatakarzinomzellen sowie Zellen der PIN deutlich überexprimiert [11]. Ebenfalls wurden positive immunhistochemische Ergebnisse bzgl. der PDGF-Expression in metastatischen Herden von hormonrefraktären PCA des Knochenmarks nachgewiesen, so dass der PDGFFamilie eine Rolle in der Progression des PCA zukommen könnte [5]. In einer klinischen Phase-IIStudie wurden 39 Patienten mit einem HRPCA der systemischen Therapie mit dem PDGF-Inhibitor SU101 unterzogen [24]. Geringe PSA-Ansprechraten (3/39), ein geringes schmerztherapeutisches Ansprechen (9/21) sowie eine mittlere progressionsfreie Zeit von nur 90 Tagen lassen derzeit jedoch noch keinen klinischen Stellenwert des Signaltransduktionsinhibitors erkennen. Weitere klinische Phase-I- und Phase-II-Studien werden derzeit mit dem Imatinib im Rahmen einer neoadjuvanten Therapiestudie durchgeführt. Endotheline stellen parakrin und autokrin wirksame Wachstumsfaktoren dar, deren modulierende Aktivität auf die zelluläre Proliferation verschiedener Gewebetypen im Wesentlichen durch das Endothelin-1 (ET1) vermittelt wird [31]. Beim PCA sind die Schlüsselkomponenten der ET1-Degradation – ETB-Rezeptoren und Endopeptidase – deutlich reduziert, so dass es zu einem Anstieg der intrazellulären ET1-Konzentrationen kommt. ET1 ist ein mitogener Faktor für PCA-Zelllinien und Osteoblasten. Es konnte gezeigt werden, dass selektive ETA-Rezeptorantagonisten den proliferationsstimulierenden Effekt des ET1 auf PCA-Zellen und Osteoblasten effektiv inhibieren können. Basierend auf diesen präklinischen Daten wurde eine prospektiv randomisierte, placebokontrollierte klinische Phase-II-Studie mit dem ETA-Rezeptorantagonisten Atrasentan unter Einschluss von 288 Patienten mit metastasierten HRPCA initiiert [4]. Atrasentan führte zu einer signifikanten Verlängerung der progressionsfreien Zeit (196 vs. 129 Tage, p=0,021) sowie der mittleren Zeit bis zur
7
PSA-Progression (155 vs. 71 Tage, p=0,002). Bei einem tolerablen Nebenwirkungsprofil, dass sich in erster Linie durch Kopfschmerzen (15–20%), Rhinitis (22–28%) und periphere Ödeme (33%) auszeichnete, könnte diese Therapie eine Alternative zu den bisher üblichen zytostatischen Behandlungsoptionen darstellen. Derzeit wird die klinische Effektivität in prospektiv randomisierten klinischen Phase-III-Studien geprüft. Fazit Die Therapie des HRPCA ist in den letzten Jahren in einem starken Wandel begriffen. Es ist deutlich geworden, dass es sich bei den Patienten mit dieser Krankheit um ein sehr heterogenes Kollektiv handelt, das einer abgestuften Therapie bedarf. Dabei scheint der Einsatz von Medikamenten für die sekundäre Hormonmanipulation (z. B. Steroide, Ketokonazol) vor der Einleitung der Therapie mit zytotoxischen Substanzen indiziert. Untersuchungen der letzten Jahren belegen, dass das HRPCA ein chemotherapiesensibler Tumor ist, der besonders auf den Einsatz von Kombinationstherapien anspricht. Die taxanbasierten Zytostatika zeigen die höchsten serologischen und klinischen Ansprechraten. Der supportive Einsatz von Bisphosponaten bei Patienten mit ossären Metastasen ist etabliert. Weitere klinische Untersuchungen werden den Stellenwert alternativer Substanzen (z. B.Tyrosinkinaseinhibitoren, Endothelinrezeptorantagonisten) zur Therapie des HRPCA aufzeigen.
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Kapitel 7 · Therapieoptionen des hormonrefraktären Prostatakarzinoms
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8 Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens J. T. Hartmann, M. A Kuczyk, C. Bokemeyer
8.1
Einleitung
8.2
Einteilung von Patienten mit fortgeschrittener Metastasierung – 109
8.3
Therapiedurchführung
8.4
Primärtherapie fortgeschrittener Seminome (Stadium IIC/D und Stadium III) – 110
8.4.1 8.4.2 8.4.3
»Good prognosis« – 110 »Intermediate prognosis« – 113 »Poor prognosis« – 113
8.5
Einfluss der behandelnden Institution auf das Therapieergebnis – 116
8.6
Management von Patienten mit Hirnmetastasierung
8.7
Management von Patienten mit Lebermetastasen
8.8
Behandlung von Residuen nach erfolgter Chemotherapie – 117
8.9
Behandlung von Rezidiven nach Chemotherapie
8.10
Konventionell dosierte Salvage-Chemotherapie
8.10.1 8.10.2
8.10.4
Hochdosis-Salvage-Chemotherapie – 122 Prognostische Faktoren für den Ausgang der Hochdosis-Salvage-Chemotherapie – 124 Vergleich der konventionellen und der Hochdosis-Chemotherapie im Rezidiv – 124 Chirurgische Intervention nach Salvage-Chemotherapie – 125
8.11
Spätrezidive
8.12 8.13
Neue Substanzen in der Behandlung von testikulären Keimzelltumoren – 125 Chemotherapieassoziierte Toxizität – 126
8.14
Keimzelltumoren extragonadalen Ursprungs
8.10.3
Literatur
– 131
– 108
– 109
– 116
– 117
– 120 – 120
– 125
– 128
I
108
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
8.1
Einleitung
Die Behandlung von testikulären Keimzelltumoren gehört zu den erfolgreichsten Kapiteln der internistischen Onkologie. Selbst im metastasierten Stadium sind hohe Heilungsraten erreichbar. Addiert man die Therapieergebnisse für alle Krankheitsstadien, so liegt die Gesamtüberlebensrate nach 5 Jahren bei ca. 80%. Grundlagen für diesen Fortschritt waren ein sich weiterentwickelndes Verständnis der Pathobiologie von Keimzelltumoren, der systematische präklinische und klinische Einsatz von neuen Zytostatika und die Optimierung der Applikation bekannter Chemotherapiekombinationen. Heute liegen definierte Prognose- und Klassifizierungssysteme für gonadale und extragonadale Keimzelltumoren vor, die außerdem eine angepasste Therapiewahl ermöglichen. Trotzdem sind gewaltige Anstrengungen vonnöten, die im Rahmen kontrollierter klinischer Studien erreichten Therapieerfolge auch in der Breite zu realisieren, d. h. Therapiestandards flächendeckend sicherzustellen. Dies wird in erster Linie durch die Konzentration der Behandlung von Patienten auf erfahrene Zentren bzw. zumindest deren Konsultation vor Behandlungsbeginn erreicht. Weiterhin zielen die derzeitigen Therapiestrategien auf ein risikoadaptiertes Vorgehen ab, um die erreichten Behandlungserfolge bei gleichzeitiger Minimierung von Nebenwirkungen zu optimieren. Patienten mit fortgeschrittenen Stadien werden nach der international akzeptierten IGCCCG in drei Prognosegruppen eingeteilt: Für Patienten der sog. Good-prognosis-Gruppe gelten drei Zyklen Cisplatin, Etoposid und Bleomycin (PEB-Regime) in dreiwöchigen Abständen als Standardtherapie. Die Applikation des PEB-Schemas in der »amerikanischen Variante« als 5-Tagestherapie oder als »englische Variante« der 3-Tagestherapie gilt als gleichwertig, wenn die Höhe der Etoposid-Dosis streng beachtet wird. Patienten der »intermediate« und »poor-prognosis« Gruppen erhalten vier Zyklen des PEB-Regimens als Standard. Der Stellenwert der Hochdosis-Chemotherapie mit autologer peripherer Blutstammzelltransplantation ist weiterhin Gegenstand klinischer Studien
bei Patienten mit ausgedehnter Metastasierung (»poor-prognosis« nach IGCCCG) sowie für Patienten mit Rezidiv nach vorheriger cisplatinhaltiger Chemotherapie. In der ersten Gruppe liegt das Langzeitüberleben mit konventionell dosiertem PEB bei ca. 45–55%, in der zweiten Gruppe der Rezidivpatienten unter Verwendung standarddosierter konventioneller Chemotherapie bei ca. 20–25%. Zwei retrospektive Matched-pair-Analysen zum Vergleich der Hochdosis- mit der Standardtherapie zeigen, dass eine Verbesserung der Überlebensraten um 15% bei Poor-prognosis-Patienten in der Primärtherapie bzw. 10% in der Rezidivsituation durch die Hochdosistherapie erzielbar erscheint. Ergebnisse der randomisierten IT-94-Studie für den Rezidivbereich belegen allerdings, dass nicht alle Rezidiv-Patienten von der Hochdosistherapie gleichermaßen profitieren, sondern, dass eine sorgfältige Selektion der Patienten in kontrollierten Untersuchungen vorgenommen werden muss, um die Patientengruppe zu identifizieren, die den größten Nutzen hat. Entscheidende Einflussfaktoren sind zurzeit immer noch klinische Patientencharakteristika, wie z. B. die primäre Sensitivität des Tumors auf Cisplatin oder eine mediastinale Tumorlokalisation. Aufgrund der hohen Heilungsraten bei Hodentumoren sind zunehmend die Langzeitnebenwirkungen der Behandlung in den Vordergrund gerückt. Das Risiko für therapieinduzierte Zweittumoren gilt gegenüber der Normalbevölkerung als nur geringfügig erhöht. Allerdings weist etwa ein Viertel der behandelten Patienten Langzeiteffekte der cisplatinhaltigen Kombinationschemotherapie auf. Hierzu gehören Oto- und Nephroxizität, periphere Polyneuropathie, vaskuläre Spätfolgen und endokrinologische Veränderungen inklusive Fertilitätsstörungen. Weitere Anstrengungen sind daher nötig, um das Risiko von behandlungsinduzierter akuter und chronischer Toxizität detailliert zu erfassen und in weiterer Folge effektiv zu minimieren.
109
8.3 · Therapiedurchführung
8.2
Einteilung von Patienten mit fortgeschrittener Metastasierung
Die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen Hodentumoren erfolgt international stadiengerecht nach der IGCCCG-Klassifikation. Klinisch relevante Prognosefaktoren sind Serumtumormarker, viszeraler Organbefall und die primäre Tumorlokalisation ( s. Tabelle 8.1). Für Patienten mit extragonadalen Keinmzelltumoren wurde 2002 durch ein internationales Konsortium eine separate Prognoseklassifikation vorgestellt [94] (Abschn. 8.14).
8.3
Therapiedurchführung
Zunächst werden obligat zwei Zyklen der Chemotherapie verabreicht. Die Zyklen werden an Tag 22 unabhängig von den Leukozytenwerten wiederholt, um eine adäquate Dosisintensität sicherzustellen. Anschließend erfolgt die Re-Evaluation mit bildgebenden Verfahren und Bestimmung der Tumormarker. Bei Markerabfall und stabiler oder regredienter Tumormanifestation wird die Chemotherapie komplettiert [135]. Bei Markerabfall, aber wachsenden Metastasen, erfolgt eine Resektion nach Abschluss der Induktionstherapie, sofern keine Notfallsituation aufgrund des lokalen Tumorwachstums besteht. Nur bei dokumentiertem Markeranstieg nach zwei Zyklen Chemotherapie ist ein
⊡ Tabelle 8.1. »International Germ Cell Cancer Collaborative Group«-(IGCCCG-)Klassifikation. (Nach Mead u. Stenning 1997 [125]) »good prognosis« Nichtseminom
Seminom
Hoden-/Retroperitonealer Tumor UND »Good« Marker a UND Keine nichtpulmonalen viszeralen Metastasen
»Good« Marker:
Jede Primärlokalisation UND Jeder Marker UND Keine nichtpulmonalen viszeralen Metastasen
(≈ 5.000 iU/l) UND LDH <1,5×N
Hoden-/retroperitonealer Tumor UND »Intermediate« Markera UND Keine nichtpulmonalen viszeralen Metastasen
»Intermediate« Marker:
Jede Primärlokalisation UND Jeder Marker UND Nichtpulmonale viszerale Metastasen
(≈ 5.000–50.000 iU/L) ODER LDH <1,5–10 × N
Primär mediastinaler Tumor ODER Hoden-/retroperitonealer Tumor UND Nichtpulmonale viszerale Metastasen ODER »Poor« Markera
»Poor« Marker: AFP >10.000 ng/ml OR HCG >10.000 ng/mg (≈ 50.000 iU/l) ODER LDH >10×N
AFP <1.000 ng/ml UND HCG <1.000 ng/mg
»intermediate prognosis« Nichtseminom
Seminom
AFP <1.000–10.000 ng/ml ODER HCG <1.000–10.000 ng/mg
»poor prognosis« Nichtseminom
N Obergrenze Normalwert.
8
110
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
frühzeitiger Wechsel der Therapie indiziert. Hier sollte am ehesten frühzeitig auf eine dosisintensivierte Chemotherapie gewechselt werden, da eine konventionell dosierte Therapie ineffektiv ist (Abschn. 8.9). Bei Patienten mit Markerplateau auf niedrigem Niveau nach Abschluss der Chemotherapie wird zunächst zugewartet, ob eine vollständige Normalisierung eintritt. Eine Salvage-Chemotherapie ist nur bei eindeutigem Markerprogress indiziert [189].
8.4
Primärtherapie fortgeschrittener Seminome (Stadium IIC/D und Stadium III)
Auch in dieser Patientengruppe wird die primäre Chemotherapie bevorzugt, da Patienten im Stadium IIC/D oder Stadium III nach der TNM-Klassifikation mit seminomatösem Hodentumor eine hohe Rezidivrate von 20–30% mit alleiniger Strahlentherapie aufweisen [76, 183]. Patienten mit Seminomen sind bei Diagnosestellung etwa eine Dekade älter als mit nichtseminomatösen Keimzelltumoren. Der Tumor ist chemotherapiesensitiver im Vergleich zu Nichtseminomen. Die Toxizität spielt bei diesen Patienten insgesamt eine größere Rolle, so dass Carboplatin in dieser Patientengruppe ein bevorzugtes Studienmedikament darstellte. Frühere Studien zeigten Remissionsraten von ca. 80–90% mit einer standarddosierten cisplatinhaltigen Regime bzw. 77–93% mit einer carboplatinbasierenden Regime. Mit einer Carboplatin-Monotherapie wurden erkrankungsfreie Überlebensraten von ca. 75% erreicht [40, 63, 65, 75, 103, 105, 107, 118, 122, 127, 151, 162, 166] (⊡ Tabelle 8.2). Es liegen drei randomisierte Untersuchungen vor, die die beiden Platinanaloga Cis- und Carboplatin verglichen haben. In der ersten Untersuchung erhielten 69 Patienten mit Seminomen – klassifiziert als Good-risk-Erkrankung nach der Memorial-Sloan-Kettering-Cancer-Center-Klassifikation [30] – entweder die Kombination von Cisplatin/Etoposid (PE) oder Carboplatin/Etoposid (CE), jeweils über 4 Zyklen, verabreicht. Die objektiven Remissionsraten lagen bei 87% für PE und 94% für CE. Das ereignisfreie Überleben war für Patienten mit CE mit 82% vs. 87% niedriger (statis-
tisch nicht signifikant) [5]. Eine zweite Untersuchung verglich 4 Zyklen Carboplatin-Monotherapie (400 mg/m2) mit 4 Zyklen einer Kombination von Cisplatin und Etoposid bei Patienten mit fortgeschrittenem metastasiertem Seminom. Nach Rekrutierung von 130 Patienten wurde die Studie aufgrund von zeitgleich publizierten negativen Resultaten für Carboplatin bei nichtseminomatösen Keimzelltumoren abgebrochen. Während das progressionsfreie 2-Jahresüberleben mit 76% vs. 82% zu Gunsten der Cisplatin-Kombination lag, fand sich beim Gesamtüberleben kein Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen [104]. Die deutsche AG Hodentumoren hat in ihrer randomisierten Studie insgesamt 280 Patienten mit fortgeschrittenem Seminom behandelt. Die Patienten wurden entweder mit 4 Zyklen Carboplatin-Monotherapie oder der Kombination aus Cisplatin, Etoposid und Ifosfamid (PEI-Regime) behandelt. Während nach PEI-Therapie 5% Rezidive auftraten, lag die Rate im Carboplatin-Arm bei 26% (p<0,01). Die Gesamtüberlebensrate betrug 95% im PEI-Arm vs. 87% im Carboplatin-Arm (n.s.) [39]. Der vergleichsweise geringe Unterschied weist auf die Salvage-Option durch ein cisplatinhaltiges Regime im Rezidivfall hin. Trotzdem blieb eine 5%Differenz (n.s.) in einer gepoolten Analyse [20]. Daher gilt in Deutschland als Standardtherapie für Patienten mit fortgeschrittenen Seminomen nach den IGCCCG-Kriterien drei (»good prognosis«) bzw. vier (»intermediate prognosis«) Zyklen Chemotherapie mit Cisplatin/Etoposid/Bleomycin. Carboplatin wird nur bei Kontraindikationen gegen Cisplatin eingesetzt.
8.4.1
»Good prognosis«
Mit dem Erfolg der cisplatinbasierenden Kombinationschemotherapie bei testikulären Keimzelltumoren haben sich die Zielsetzungen in der Patientengruppe mit sog. »good prognosis« nach der IGCCCG-Klassifikation gewandelt. Es wird zunehmend versucht, die behandlungsbedingte Toxizität zu reduzieren, ohne die Langzeitüberlebensrate zu gefährden [12, 184]. Bestand bis zur Mitte der 80erJahre vorigen Jahrhunderts die Standardtherapie aus 4 Zyklen einer Kombination von Cisplatin, Vin-
111
8.4 · Primärtherapie fortgeschrittener Seminome (Stadium IIC/D und Stadium III)
8
⊡ Tabelle 8.2. Resultate carboplatin- und cisplatinhaltiger Chemotherapie bei fortgeschrittenen seminomatösen Keimzelltumoren
Autor
Jahr
Regime
Patienten (n)
Kontinuierliche CR-Rate (%)
[103] Horwich et al.
1992
C
70
77
[162] Schmoll et al.
1993
C
42
71
[127] Mencel et al.
1994
CE
35
83
[166] Sleijfer et al.
1996
CIVcr
27
93
[107] Jones et al.
1997
CCyc
31
77
[151] Pizzocaro et al.
1986
PVB/PEB
31
75
[122] Logothetis et al.
1987
P/Cyc
42
92
[63] Fossa et al.
1987
PVB/PEB
54
78
[118] Loehrer et al.
1987
PVB/PEB
60
66
[127] Mencel et al.
1994
VAB-6/EP
105
87
[65] Fossa et al.
1995
PIVcr
42
90
[40] Clemm et al.
1995
PEI/PVI
77
92
[106] Horwich et al.
1997
PEB/PVB
45
93
[17] Bokemeyer et al.
2001
P-based
103
90
[75] Gholam et al.
2003
PE(B), VAB-6, PIVcr
145
81
[5] Bajorin et al.
1993
PE vs. CE
69
87 vs. 82 (ns)
[104] Horwich et al.
2000
PE vs. C
130
91 vs. 77 (ns)
[39] Clemm et al.
2000
PEI vs. C
280
86 vs. 88 (p<0.05)
Randomisierte Vergleiche:
B Bleomycin, C Carboplatin, Cyc Cyclophosphamid, E Etoposid, I Ifosfamid, P Cisplatin, V Vinblastin, Vcr Vincristin.
blastin und Bleomycin (PVB×4), so hat sich bis zum heutigen Tage ein 5-Tagesregime oder alternativ ein 3-Tagesregime mit 3 Zyklen von PE500B für diese Patientengruppe durchgesetzt [5, 12, 29, 46, 47, 119, 161, 184, 188] (⊡ Tabelle 8.3). Insgesamt repräsentieren Patienten der Good-prognosis-Subgruppe ca. 60% aller metastasierten Keimzelltumoren
und weisen eine 5-Jahresüberlebensrate von 90% auf. Versuche, Bleomycin aus der Dreifach-Kombination zu entfernen, um die Akut- und Langzeittoxizität zu reduzieren, waren nicht erfolgreich [47, 119]. Auch der Ersatz des nephro- und neurotoxischen Cisplatins durch Carboplatin führte zu einem niedrigerem rezidivfreien Überleben und
112
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
⊡ Tabelle 8.3. Randomisierte Untersuchungen bei metastasierten Hodentumoren der Good-prognosis-Gruppe
Autor
Klassifikation
Regime
Ziel der Untersuchung
CRRate (%)
Kontinuierliche CR-Rate (%)
Kommentar
[29] Bosl et al. 1988
MSKCC
VAB-6×3
Neues 2-Zytostatikaregime
96
85
gleichwertig
93
82
EP × 4 [5] Bajorin et al. 1993
MSKCC
EC × 4 EP × 4
Carbo- vs. Cisplatin
80 88
87 76
EC × 4 schlechter
[119] Loehrer et al. 1995
Indiana
PEB × 3 PE × 3
kein Bleomycin
94 88
86 69
PE × 3 schlechter
[19] Bokemeyer et al. 1996
Indiana
CEB × 4 PEB × 3
Carbo- vs. Cisplatin
96 97
68 86
CEB × 4 schlechter
[47] Wit et al. 1997
EORTC
BEP × 4 EP × 4
kein Bleomycin
95 87
91 83
EP × 4 schlechter
[161] Saxman et al. 1998
Indiana
PEB × 4
Reduktion der Therapiezyklen
97
88
Gleichwertig
98
87
92
96
91
92
n.a.
90
gleichwertig
89 89
gleichwertig
PEB × 3 [44] Culine et al. 2003
IGCCCG
PEB × 3
kein Bleomycin, Erhöhung der Zyklenzahl
PE × 4 [46] Wit et al. 2001
IGCCCG
PEB × 3 PEB × 3/PE × 1 PEB (d1–5)
Reduktion der Therapiezyklen 5-Tages- vs. 3-Tagesregime
PEB (d1–3) [175] Toner 2001
MSKCC
PE500B90 × 3 PE360B30 × 4
gleichwertig
90 Indiana vs. MRC
90 91
99 88
Indiana besser
P Cisplatin, E Etoposid, B Bleomycin, C Carboplatin, VAB-6 Cisplatin + Vinblastin + Dactinomycin + Bleomycin + Cyclophosphamid; CR Komplette Remission, n.a. nicht angegeben.
Gesamtüberleben [19, 106]. Heute gelten 3 Kurse PEB als Standard. Bei Patienten mit vorbestehenden Lungenerkrankungen (DLCO <60% vor Therapie) können alternativ unter Verzicht auf Bleomycin 4 Zyklen PE verabreicht werden [44]. Risikofaktoren für eine unter Bleomycin-Kombinationschemotherapie entstehende Lungentoxizität sind
eingeschränkte Nierenfunktion, Alter >40 Jahre, fortgeschrittenes Stadium sowie kumulative Dosis >300 mg Bleomycin [144].
Das PEB-Protokoll wird in verschiedenen Ländern mit unterschiedlicher Etoposid- und/oder Bleomycin-Dosis verabreicht. Eine randomisierte Studie,
8.4 · Primärtherapie fortgeschrittener Seminome (Stadium IIC/D und Stadium III)
die das Indiana-PEB mit Etoposid 100 mg/m2, Tag 1–5, sowie Bleomycin 30 U, Tag 1, 8 und 15, mit dem »Medical Research Council«-(MRC)-PEB (Etoposid 120 mg/m2, Tag 1–3 sowie Bleomycin 30 U, Tag 1) verglich, zeigte ein vergleichbares Ansprechen von 88% und 87% [175]. Die Gesamtüberlebensrate war allerdings unter dem Indiana-PEB signifikant besser. Dieser Unterschied kam durch eine höhere Anzahl tumorbedingter Todesfälle in der MRC-PEB-Gruppe zustande. Die Dosisintensität des PEB-Regimes spielt daher eine entscheidende Rolle für Good-prognosis-Patienten. Das PEBRegime kann allerdings über 3 Tage verabreicht werden, wenn eine kumulative Etoposid-Dosis von 500 mg/m2/Zyklus verabreicht wird.
8.4.2
»Intermediate prognosis«
Die optimale Behandlung von Patienten mit intermediärer Prognose ist nicht abschließend geklärt, da diese Subgruppe von Patienten mit metastasierten Hodentumoren erst durch die Metaanalyse der IGCCCG-Studiengruppe im Jahre 1995 definiert wurde. Für diese Patientengruppe gibt es keine abgeschlossenen prospektiven Studien. Eine randomisierte Untersuchung, die Ifosfamid statt Bleomycin mit Platin und Etoposid (PEI × 4 vs. PEB × 4) in einer ähnlich definierten Subgruppe von Patienten verglichen hat, zeigte eine Langzeitüberlebensrate von 83% im PEB-Arm und 85% nach PEI-Chemotherapie. Insgesamt wurde die Toxizität im PEIArm höher eingestuft [49]. Die Studie wurde frühzeitig abgebrochen, da Ergebnisse eines Vergleichs in der Poor-prognosis-Gruppe keine höhere Effizienz des Ersatzes von Bleomycin durch Ifosfamid zeigte [139]. Behandlungsstrategien, die einer Verbesserung der Prognose dieser Patientengruppe dienen könnten, sind einerseits der Einsatz der primären Hochdosis-Chemotherapie, die zurzeit in der Poor-prognosis-Patientengruppe evaluiert wird, und andererseits der Einsatz neuer Zytostatika in Kombination zum derzeitigen Standardregime. Die EORTC führt hierzu eine prospektive Phase-III-Untersuchung durch, die PEB mit Paclitaxel-PEB vergleicht. Neuere Phase-II-Daten von Untersuchungen mit alternierenden Chemotherapieregimen wie BOP-CISCA-POMB-ACE sowie
113
8
dosisreduziertem CISCA/VB zeigen erkrankungsfreie Langzeitüberlebensraten von 83% (KI 95%, 68–100%) bzw. 88% (76–100%) [61]. Die derzeitige Konsensusempfehlung der AG Hodentumoren in Deutschland beinhaltet vier Zyklen PEB in Standarddosierung [2, 49]. Wegen der insgesamt ungünstigeren Prognose dieser Patientengruppe (5Jahresüberlebensrate 79% [KI 95%, 75–83%]) im Vergleich zu Patienten mit Good-prognosis-Konstellation sollte die Therapie in prospektiven Studien erfolgen.
8.4.3
»Poor prognosis«
Diese Patientengruppe verfügt trotz einer cisplatinbasierten Kombinationschemotherapie über eine unzureichende Heilungsrate. Vier Zyklen einer konventionell dosierten Chemotherapie resultieren in einer 5-Jahres-Gesamtüberlebensrate von ca. 48% [KI 95%, 42–54%], allerdings mit steigender Tendenz in aktuelleren Publikationen zu Phase-III-Untersuchungen [2, 12, 102, 167]. Die in der Vergangenheit getesteten Behandlungsstrategien, wie z. B. alternierende Chemotherapie-Protokolle mit BOP/VIP-B, CISCA/VB, CBOP/PEB oder PVB/ PEB, zeigten, verglichen mit der Standardtherapie bestehend aus 4 Zyklen PEB, keine signifikante Verbesserung der Remissions- oder Überlebensrate [38, 48, 52, 109]. Zusätzlich lag das Toxizitätsniveau der alternierenden Chemotherapieprotokolle zumeist deutlich höher. Die Ergebnisse randomisierter Studien bei Poor-prognosis-Patienten sind in ⊡ Tabelle 8.4 dargestellt [143, 147, 184, 187]. In den letzten Jahren haben Konzepte einer dosisintensivierten Chemotherapie zunehmend die experimentelle Therapie von Poor-prognosis-Patienten bestimmt. Die Rationale einer Hochdosis-Chemotherapie basiert auf der Hypothese einer DosisWirkung-Beziehung der verwendeten Zytostatika. Voraussetzung für ein solches Verfahren war die Entwicklung der peripheren autologen Blutstammzellsammlung und -transplantation (PBSC-T) sowie die Verfügbarkeit von rekombinanten hämatopoetischen Wachstumsfaktoren (G-CSF, GM-CSF). Versuche im Rahmen der konventionell dosierten Chemotherapie allein die Cisplatindosis zu steigern, waren an einem erhöhten Toxizitätsniveau
114
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
⊡ Tabelle 8.4. Randomisierte Untersuchungen bei metastasierten Hodentumoren der Poor-prognosis-Gruppe
Autor
Klassifikation
Regime
Ziel der Untersuchung
CR-Rate (%)
Kommentar
[184] Williams et al. 1987
Indiana
PVB × 4
Etoposid anstelle von Vinblastin
38
PVB schlechter
PEB × 4 [187] Wozniak et al. 1991
SWOG
PVB × 4
63 Etoposid anstelle von Bleomycin
PEV × 4 [147] Ozols et al. 1988
NCI
PVB × 4
Indiana
PEB × 4
gleichwertig
73 Addition von Etoposid und verdoppelte Dosis von Cisplatin
67
PVB schlechter
88
P(200)EBV × 4 [143] Nichols et al. 1991
77
verdoppelte Dosis von Cisplatin
P(200)EB × 4
73
gleichwertig
68
[48] Wit et al. 1995
EORTC
PEB × 4 PVB/BEP × 2
alternierende Regime
72 76
gleichwertig
[139] Nichols et al. 1998
Indiana
PEB × 4
Ifosfamid anstelle von Bleomycin
60
gleichwertig
PEI × 4 [109] Kaye et al. 1998
MRC/EORTC
PEB × 6
63 sequenzielle alternierende Regime
BOP/VIP-B × 3 [52] Droz et al. 2001
IGCCCG
PEB × 4 CISCAIVB × 4–6
57
gleichwertig
54 sequenziell alternierendes Regime
57
gleichwertig
54 P Cisplatin, V Vinblastin, B Bleomycin, E Etoposid, I Ifosfamid, O Vincristin, CR komplette Remission.
und fehlendem Wirksamkeitsanstieg gescheitert [143]. In Deutschland wurde die sog. sequenzielle Hochdosis-Chemotherapie mit dem Konzept der frühen Dosisintensivierung getestet. Die verwendeten Substanzen waren Cisplatin, Etoposid und Ifosfamid (PEI-Regime). Die Rationale der frühen Dosiseskalation besteht in der Vermeidung einer sich rasch entwickelnden Zytostatikaresistenz des Tumors bei Vorliegen von großen Tumormassen und unterschiedlicher Konzentrationsanflutung der Zytostatika. Im Gegensatz dazu steht die sonst praktizierte Hochdosis-Chemotherapie als späte
Konsolidierung nach Gabe mehrerer standarddosierter Chemotherapiezyklen. Bei der sequenziellen Hochdosis-Chemotherapie werden nach einem standarddosierten PEI-Zyklus und Sammlung von Blutstammzellen 3 (–4) Zyklen der HochdosisChemotherapie (HD-PEI) mit PBSC-Support appliziert (⊡ Abb. 8.1). Zwischen 1993 und 1999 sind 221 Patienten mit Advanced-disease-Kriterien (nach der Indiana-University-Klassifikation) auf acht verschiedenen Dosisstufen behandelt worden. Die Auswertung von 182 Patienten mit Poor-prognosis-Kriterien der Dosisstufen 3–8 (mit PBSC-T) ergab nach einer medianen Nachbeobachtungszeit
8.4 · Primärtherapie fortgeschrittener Seminome (Stadium IIC/D und Stadium III)
115
8
⊡ Abb. 8.1. Design der Phase-I/II-Untersuchung sequenzielles HD-PEI mit autologer Stammzelltransplantation
⊡ Abb. 8.2. US-Intergroup Studie
von 47 Monaten eine 5-Jahresüberlebensrate von 73% [163]. Bisher ist keine adäquate prospektive Studie abgeschlossen, die die Überlegenheit einer Hochdosis-Chemotherapie gegenüber der Standardtherapie eindeutig belegt. Eine retrospektive Matched-pair-Analyse, die Patientengruppen mit prognostisch vergleichbaren Merkmalen, die entweder mit Hochdosis-Chemotherapie nach dem HD-PEI-Protokoll plus PBSC-Transplantation oder mit dem PEB-Regime behandelt wurden, wiesen eine Differenz von 11% (82% vs. 71%) bzgl. des rezidivfreien 3-Jahresüberlebens und 16% (75% vs. 59%) bzgl. des 3-Jahresgesamtüberlebens zugunsten der mit Hochdosis-Chemotherapie behandelten Patienten auf [21]. Zurzeit laufen prospektive randomisierte Untersuchung zur Wertigkeit der Hochdosis-Chemotherapie bei Intermediate- und
Poor-prognosis-Patienten in den USA und Europa (⊡ Abb. 8.2). Die US-Intergroup-Studie hat inzwischen mehr als 200 der 280 geplanten Patienten eingeschlossen. Eine formale Interimanalyse zeigte jeweils 5 frühe Todesfälle in beiden Behandlungsarmen, so dass die Rekrutierung weiterläuft und die Studie voraussichtlich bis Ende 2004 abgeschlossen werden kann. Parallel werden in Deutschland weitere Anstrengungen unternommen, die primäre Hochdosis-Chemotherapie durch den Einsatz zusätzlicher aktiver Substanzen wie Paclitaxel zu verbessern [85, 96]. Allerdings scheint sich durch die Hinzunahme von Paclitaxel in der primären HochdosisChemotherapie keine signifikante Verbesserung der Ergebnisse zu ergeben, so dass für die weitere Entwicklung der Therapie wieder auf die HD-PEI-
116
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
Therapie in der ehemaligen Dosisstufe 6 zurückgegangen wird. Eine ergänzende Auswertung der Ergebnisse der HD-PEI-Studie zeigte, dass die Therapie eine erhebliche Anämie verursacht und dass im Schnitt über die gesamte Therapiesequenz 8–10 Erythrozytenkonzentrate transfundiert werden [23]. Zusätzlich werden die meisten Patienten konsekutiv einer Residualtumorresektion unterzogen und dabei erneut transfundiert. Im Rahmen o. g. Auswertung zeigt sich auch, dass Patienten, die insgesamt mit einem niedrigen Hb-Wert die Therapie durchlaufen bzw. nach Ende der Therapie bei einem niedrigen Hb-Wert (<10,5 g/dl) angelangt sind, eine signifikant schlechtere Überlebensrate aufweisen. Dies deutet in eine ähnliche Richtung wie andere Untersuchungen zur Rolle des Hamoglobinwertes, die im Zusammenhang mit Chemo- und Radiotherapie berichtet wurden. Bei Patienten mit Poor-prognosis-Konstellation besteht außerhalb von Studien die Standardtherapie aus 4 Zyklen PEB [121, 184]. Vier Zyklen PEI sind gleich wirksam, aber myelotoxischer [102]. Da eine hohe Anzahl dieser Patienten nach der Induktionschemotherapie aufgrund residueller Tumormassen operiert werden müssen, bietet das PEI-Schema gegenüber PEB den Vorteil der Vermeidung eines bleomycininduzierten Lungenschadens. Generelle Empfehlungen zu Therapiemodifikationen bei Patienten mit schlechtem Allgemeinzustand (Karnofsky <50%), ausgedehnter Leberinfiltration (>50%) und ausgedehnter pulmonaler Infiltration existieren nicht. In Zentren mit hoher Patientenzahl gilt die Vorschaltung eines dosisreduzierten Zyklus als routinegemäßes Vorgehen, um die hohe Komplikationsrate bei ausgedehnter Tumorlast zu reduzieren.
8.5
Einfluss der behandelnden Institution auf das Therapieergebnis
Grundsätzlich sollten Patienten mit fortgeschrittener Metastasierung in erfahrenen Zentren behandelt werden, da insgesamt eine hohe kurative Behandlungschance besteht. Es liegen mehrere Studien vor, die den Stellenwert der Institution bei der Behandlung von metastasierten Keimzelltumoren
untersuchten. Die EORTC fand ein verdoppeltes Sterblichkeitsrisiko in den Institutionen, die weniger als 5 Patienten in der EORTC/MRC-Studie 30895/TE13 behandelten, im Vergleich zu Institutionen mit mehr als 5 Patienten [41]. Diese Daten wurden durch Untersuchung des MSKCC aus der SEER-Datenbank bestätigt [60]. Ebenso fand ein schwedisch-norwegisches Projekt signifikant differierende 3-Jahresüberlebensraten bei Patienten mit metastasierten Hodentumoren in Zentren im Vergleich zu nichtspezialisierten Einrichtungen.
8.6
Management von Patienten mit Hirnmetastasierung
Etwa bei 10% aller Patienten der Poor-prognosisGruppe wird bei der initialen Diagnosestellung eine Hirnmetastasierung festgestellt. Selbst bei dieser Konstellation ist mit einer langfristigen Langzeit-Überlebenswahrscheinlichkeit von etwa 30–40% zu rechnen. Der optimale Einsatz und die Sequenz der einzelnen Therapiemodalitäten (Chemotherapie, Radiotherapie, Operation) sind nicht geklärt. Das zurzeit übliche Vorgehen ist die Einleitung einer konventionellen Chemotherapie bei symptomfreien Patienten und Durchführung einer Bestrahlung nach Abschluss der Chemotherapie. Ob die konsolidierende Bestrahlung bei kompletter Remission im Hirn sinnvoll ist, ist offen. Patienten mit manifesten Symptomen werden simultan chemoradiotherapiert. Die Indikation für eine primäre neurochirurgische Intervention ist auf Patienten beschränkt, die aufgrund der Hirnmetastasen keine Chemotherapiefähigkeit besitzen. Standard sind vier Zyklen einer konventionell dosierten platinhaltigen Chemotherapie. Die Strahlentherapie wird als Gesamthirn-Bestrahlung mit 40–45 Gy durchgeführt, ggf. mit Aufsättigung der Metastasenregion auf hier resultierende Gesamtdosen von 45–50 Gy. Die Applikation erfolgt in Einzeldosen von 1,8 bis maximal 2 Gy, 5-mal pro Woche. Eine in Abstraktform vorliegende retrospektive Untersuchung der GTCSG aus 81 deutschen Institutionen zeigte, dass die Hinzunahme der Strahlentherapie zur Chemotherapie eine signifikante Verbessung der 5-Jahresüberlebenszeiten
8.8 · Behandlung von Residuen nach erfolgter Chemotherapie
erbringt. Die Sequenz der Therapien (simultan vs. sequenziell), die Art der verabreichten Chemotherapie (konventionell vs. intensiviert) und das Ausmaß des ZNS-Befalls waren ohne Einfluss [82]. Die Indikation zur sekundären Resektion solitärer posttherapeutischer Residuen im Gehirn (MRT zwingend zur Abklärung von Mikrometastasen) nach Induktionschemotherapie ist nicht gesichert; sie hängt vom Ausmaß der systemischen Erkrankung ab. Sie sollte nur in individuellen Fällen (Resektion sonstiger Herde im Körper möglich, teratomhaltige Primärhistologie, zystische Veränderung des Hirntumors in der Bildgebung und operationstechnisch günstige Lokalisation) erfolgen.
117
8
strategie von metastasierten nichtseminomatösen Keimzelltumoren. Unsicherheiten bestehen weiterhin, ab welcher Größe der residuellen Herde eine chirurgische Intervention notwendig ist. In einer neueren Untersuchung wurde bestätigt, dass auch Tumore ≤20 mm zu einem hohen Prozentsatz Teratome oder vitale Tumoren aufweisen [145]. Insgesamt findet sich folgende histologische Verteilung in der Aufarbeitung von Residualtumoren bei Patienten mit normalisierten Tumormarkern nach Chemotherapie: 15–20% der Präparate zeigen einen vitalen undifferenzierten Tumor, 45–50% nekrotisches Material sowie 30–40% differenziertes Teratom [171].
Behandlung von Residuen nach erfolgter Chemotherapie
Nur Patienten, deren residuelle Tumormassen ein differenziertes Teratom oder einen entdifferenzierten Tumor aufweisen, profitieren von der chirurgischen Intervention. Differenzierte Teratome neigen zur malignen Transformation und sind mit Chemotherapie nicht zu beeinflussen. Patienten, deren residuelle Tumormassen nekrotisches Material oder einen undifferenzierten Tumor beinhalten, würden von einer sicheren Vorhersage der Histologie profitieren, die sie vor einer unnötigen Operation, verbunden mit einem Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko, bewahrt.. Die erstere Gruppe bedarf eigentlich keiner chirurgischen Intervention, während sich die zweite Gruppe für eine Salvage-Chemotherapie qualifiziert [50, 57]. 1995 wurde erstmals ein Modell für die Vorhersage der Histologie in residuellen Tumormassen präsentiert [170]. Unabhängige Faktoren für nekrotisches Gewebe waren: Abwesenheit von teratomatösen Elementen im Primärtumor, normales AFP und β-HCG vor Einleitung der Chemotherapie, erhöhte LDH, geringe Tumormasse vor und nach Chemotherapie sowie Größenabnahme des Tumors von mehr als 70% während der Chemotherapie.
Die sekundäre Resektion von residuellen Tumormassen nach Chemotherapie und Markernormalisierung ist ein etablierter Teil der Behandlungs-
Faktoren, die eine Unterscheidung zwischen undifferenziertem Tumor und differenziertem Teratom ermöglichen sollen, waren:
8.7
Management von Patienten mit Lebermetastasen
Es liegen 3 Publikationen zur multimodalen Behandlung von Patienten mit Lebermetastasen vor. Alle Studien stellen retrospektive Untersuchungen dar, die einem Selektionsbias unterliegen könnten [77, 95, 154]. In der Zusammenschau lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: 1. Es findet sich ein hoher Anteil an Teratom und vitalem Tumor nach Chemotherapie in resezierten Lebermetastasen. 2. Es findet sich ein substanzieller Anteil von Patienten mit differierenden, histologischen Ergebnissen im Vergleich zu anderen Lokalisationen wie Retroperitoneum. Die meisten Patienten hatten eine prognostisch ungünstigere Histologie in der Leber. 3. Die Langzeitüberlebensrate der resezierten Patienten liegt bei 65–75% und damit höher als ohne chirurgischen Eingriff. 4. Die Mortalitätsrate des operativen Eingriffs ist niedrig (<3%).
8.8
118
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
hohe LDH vor Chemotherapie, große residuelle Herde nach Chemotherapie
und relativ geringe Größenabnahme der residuellen
Herde unter Chemotherapie. Insgesamt ließ dieses Modell eine relativ gute Vorhersage für das Vorliegen von nekrotischem Gewebe zu, aber die präoperative Unterscheidung von undifferenziertem Tumor und differenziertem Teratom war weniger gut möglich [169], so dass das Routinevorgehen derzeit weiterhin die Resektion aller residuellen Massen darstellt. ⊡ Tabelle 8.5 zeigt die Überlebensdaten von insgesamt 893 Patienten mit metastasiertem nichtseminomatösem Keimzelltumor, die einer sekundären Resektion von residuellen Tumormassen nach first-line-cisplatinhaltiger Chemotherapie unterzogen wurden [67, 69, 72, 97, 99, 134, 172, 174]. Zwischen 72–89% aller Patienten sind nach drei Jahren erkrankungsfrei. Während die Überlebensraten für Patienten mit Nekrose oder differenziertem Teratom in den resezierten Operationspräparaten zwischen 80% und 95% betrugen, ist ein undifferenzierter Tumor im Resektat mit einer deutlich schlechteren Prognose behaftet [51, 99, 172, 173]. Ob durch die postoperative Gabe von cisplatinhaltiger »additiver« Chemotherapie die Prognose verbessert werden kann, ist unklar. Drei retrospektive Studien demonstrieren allerdings deutliche Unterschiede im erkrankungsfreien Überleben mit einer postoperativen Chemotherapie im Vergleich zu historischen Kontrollgruppen [51, 69, 173]. Eine internationale Studiengruppe validiert zurzeit den Wert einer additiven Chemotherapie nach Resektion eines undifferenzierten Tumors, nachdem eine retrospektive Metaanalyse mehrerer europäischer Zentren keine konklusiven Schlussfolgerungen zuließ [62]. Auch die AIO Hodentumoren führt eine randomisierte Studie zur adjuvanten oralen Etoposidtherapie vs. Beobachtung bei Resektion vitalen Tumors nach Salvage-Chemotherapie durch. Die Komplikationsrate einer Residualtumorresektion nach Chemotherapie ist höher als bei einer primären Operation. Es besteht kein Konsensus über die notwendige Ausdehnung der abdominellen Operation. Bei ausgewählten Patienten ohne schwere chemotherapieassoziierte desmoplasti-
sche Veränderungen im Retroperitoneum und bei kleinen Restherden ist es teilweise technisch möglich, Nervenfasern zu identifizieren oder eine eingeschränkte chirurgische Intervention i. S. einer Lumpectomy durchzuführen. Eine Studie mit 472 Patienten zeigte, dass etwa 20% der Patienten, die eine retroperitoneale Lymphadenektomie nach Chemotherapie erhielten, nervensparend operiert werden konnten. Von diesen 93 Patienten wurden 81 bzgl. des Ejakulationsstatus nachverfolgt. Die meisten Patienten erhielten eine unilaterale Lymphadenektomie bei geringem Tumorvolumen bereits vor Einleitung der Induktionschemotherapie. Nach einer mittleren Nachbeobachtung von drei Jahren berichteten drei Viertel der Patienten über ein normales Ejakulationsverhalten und es wurden zehn Schwangerschaften registriert. Von den sechs Patienten, die ein Rezidiv erlitten, trat keines im Operationsfeld auf [43]. Die Frage, ob die therapeutische Effizienz laparoskopischer Behandlungsansätze der der offenen Residualtumorresektion entspricht, kann derzeit nicht abschließend beantwortet werden. Bezüglich der Verteilung der Histologie residueller Tumoren scheint im Retroperitoneum häufiger als vitaler Tumor intrapulmonal vorzuliegen, so dass bei supra- und infradiaphragmalem Befall zunächst eine Resektion des retroperitonealen Befalls anzustreben ist [3, 35, 73, 84]. In den letzten Jahren wurde zunehmend die Positronenemissionstomographie, meist mit 2Fluoro-2-deoxy-Glucose (FDG), als zusätzliche diagnostische Maßnahme eingesetzt. Zwar kann mit diesem Verfahren mehr als 3 Wochen nach Ende der Chemotherapie mit hoher Wahrscheinlichkeit das Vorliegen eines vitalen undifferenzierten Tumors vorhergesagt werden, der Wert der Methode ist jedoch eingeschränkt, da eine Unterscheidung zwischen Nekrose und differenziertem Teratom im Resttumor nicht möglich ist. Beide Gewebe weisen einen relativ geringen metabolischen Index auf [71, 168]. Nach CT-morphologischer Komplettremission mit Markernormalisierung besteht im Gefolge der chemotherapeutischen Behandlung keine Indikation zur sekundären Lymphknotendissektion. Ein spezielles Problem stellen Patienten mit mehreren residuellen Raumforderungen an ver-
Autor
Patienten (n)
Progressionsfreies Überleben (%)
Gesamtüberleben (%)
Nachbeobachtungszeit (Monate)
Kommentar
»nec«
»td«
»vt«
alle
»nec«
»td«
»vt«
alle
101
92
95
58
89
92
86
58
94
55 (1–102)
[134] Mulders et al. 1990
55
–
–
–
72
93
92
27
78
36 (5–96)
[99] Hendry et al. 1993
231
–
–
–
–
93
88
41
80
60a
86
–
–
–
85
–
–
–
87
60a
157+
–
–
–
–
93
88
45
–
60a
inkl. postoperative CT bei ‹vt›
43
–
–
56
–
–
–
56
–
36
»Follow-up« überlebender Pt., inkl. postoperative CT bei 27 Pt.
[72] Gerl et al. 1995a
111
77
80
62
77
85
83
77
83
60a
inkl. postoperative CT bei ‹vt›
[97] Hartmann et al. 1997
109
78
67
66
72
90
83
77
84
60a
inkl. postoperative CT bei ‹vt›
48
–
–
–
–
–
–
–
80
66
(weitere 28 Pt. ohne OP: 90% Überleben)
[67] Fossa et al 1989
[172] Steyerberg et al. 1993 [174] Toner et al. 1990 [69] Fox et al. 1993
119
[137] Napier et al. 2000
inkl. 15 Pt. mit Seminom und 10 Pt. ohne komplette Markernormalisation
8.8 · Behandlung von Residuen nach erfolgter Chemotherapie
⊡ Tabelle 8.5. Resultate von Untersuchungen sekundärer Resektion residueller Tumormassen nach cisplatinhaltiger Chemotherapie bei metastasierten nichtseminomatösen Keimzelltumoren
– nicht angegeben; nec Necrose, Pt. Patienten, td differenziertes Teratom; vt vitaler Tumor; a kalkuliertes 5-Jahresüberleben nach Kaplan-Meier; + Untersuchung enthielt 185 Patienten, Überlebensdaten sind nur für Patienten, die einer retroperitonealen Resektion unterzogen wurden, verfügbar.
8
120
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
schiedenen Lokalisationen dar, da die histologischen Resultate der einzelnen Restherde nicht zwangsläufig identisch sein müssen. Es liegen zurzeit mehrere Untersuchungen vor, die unterschiedliche Histologien an verschiedenen Lokalisationen – Nekrose, Teratom oder vitaler Tumor – in einer Spanne von 25–47% der untersuchten Patienten aufzeigen [3, 35, 73, 84]. Hieraus ist zu schließen, dass – wenn technisch durchführbar – eine Operation aller residuellen Tumormassen anzustreben ist [35, 84]. Die Sekundäroperation bei Patienten mit seminomatöser Histologie und postchemotherapeutischen residuellen Tumormassen wird besonders konträr diskutiert. Im Gegensatz zu nichtseminomatösen Keimzelltumoren ist die perioperative Morbidität bei seminomatösen Tumoren aufgrund der schweren desmoplastischen Reaktion und der Obliteration von Gewebsstrukturen deutlich höher [58, 100]. Allerdings ist das Risiko für das Vorliegen eines undifferenzierten Tumors deutlich niedriger. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei etwa 10%. Diese Beobachtungen und das fehlende Auftreten eines differenzierten Teratoms sprechen für eine abwartende Haltung hinsichtlich der Sekundäroperation bei metastasierten oder extragonadalen Seminomen [17, 39]. Nach Daten der MSKCC erbringt die Resektion von residuellen Massen >3 cm eine Verbesserung der Prognose verglichen mit alleiniger Beobachtung [100, 152]. Der Einsatz additiver Strahlentherapie bei residuellen Tumormassen nach Chemotherapie metastasierter Seminome ist ohne gesicherten Vorteil [54]. Insgesamt scheinen sich die meisten großen Studiengruppen zunehmend gegen die Nachoperation von Residuen beim Seminom zu entscheiden. Das FDG-PET kann eine Distinktion zwischen Nekrose und Tumor bei einer Größe von >3 cm Restseminom treffen (europäischer Konsensus, eingereicht). Alternativ kann aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit für die Nekrose eine Wait-and-see-Strategie mit engmaschiger Überwachung des Patienten gewählt werden.
8.9
Behandlung von Rezidiven nach Chemotherapie
Patienten mit Keimzelltumoren, die nicht adäquat auf eine primäre Chemotherapie mit Cisplatin ansprechen oder nach einer platinhaltigen Chemotherapie rezidivieren, haben eine deutlich schlechtere Prognose [141]. Allerdings sollte vor Applikation einer Salvage-Chemotherapie das Rezidiv eindeutig gesichert werden. Mögliche klinische Situationen, die ein Rezidiv vortäuschen, sind: 1. Das Auftreten von nodulären Läsionen gegen Ende oder nach Komplettierung einer bleomycinhaltigen Chemotherapie bei Normalisierung der Tumormarker. Diese Konstellation kann auf bleomycininduzierte pulmonale Schäden hinweisen. 2. Im Falle einer Progression der Metastasen trotz Tumormarkernormalisierung, sollte an ein »growing teratoma syndrome« gedacht werden, und infolgedessen die Induktionschemotherapie komplettiert und anschließend eine operative Resektion vorgenommen werden. 3. Erhöhte Tumormarkerkonzentrationen – insbesondere von β-HCG – ohne klinisch aktive Erkrankung, können durch Laborfehler, Kreuzreaktivität mit luteinisierendem Hormon, Marihuana-Abusus oder bei ausgedehnten Tumormassen vor Chemotherapie und initialer Tumormarkerkonzentration größer 50.000 U/l mit anschließendem Markerplateau verursacht werden. 4. Falsch-positive Erhöhungen von AFP können durch Hepatome, Leberzirrhose oder Hepatitis hervorgerufen werden. 5. Das Vorliegen einer Remission ohne radiologischen Tumornachweis nach der Chemotherapie bei gleichzeitig steigenden Tumormarkern weist auf okkulte Tumorlokalisationen wie ZNS oder kontralateraler Hoden hin.
8.10
Konventionell dosierte Salvage-Chemotherapie
Etoposid, Ifosfamid, Gemcitabin und Paclitaxel haben als Monotherapeutika Aktivität bei mit Cisplatin vorbehandelten oder -refraktären Patienten
8
121
8.10 · Konventionell dosierte Salvage-Chemotherapie
⊡ Tabelle 8.6. Resultate standarddosierter Salvage-Chemotherapie bei relapierten oder refraktären Hodentumoren
Autor
Regime
[32] Bosl et al. 1985
PEI
45
18
50
9
[78] Hainsworth et al. 1985
PE ± andere
45
43
53
20
[150] Pizzocaro et al. 1985
PE ± andere
18
44
50
22
[120] Loehrer et al. 1988
PIE oder V
48
37
56
15
[130] Motzer et al. 1990
PIE
42
24
40
15
[80] Harstrick et al. 1991
PIE
30
53
88
7
[108] Josefsen et al. 1993
Verschiedene
55
78
67
25
[115] Ledermann et al. 1994
Verschiedene
38
47
28
39
[74] Gerl et al. 1995
Verschiedene
67
57
66
22
[59] Farhat et al. 1996
Verschiedene
54
44
58
19
[124] McCaffrey et al. 1997
PIE oder V
56
36
35
23
[121] Loehrer et al. 1998
PIV
135
47
49
24
[164] Shamash et al. 1999
MtxBleoVerCis
30
80
49
34
[132] Motzer et al.a 2000
PIT
37
62
22
41
[45] De Bono et al.b 2000
Verschiedene
41
n.a.
57
50
[181] Vuky et al. 2002
Verschiedene
15
60
11
53
756
≈48
≈51
≈26
Gepoolte Daten
Patienten (n)
CR/PRm(%)
Rezidiv nach CR/PRm(%)
Rezidivfreies Überleben (%)
P Cisplatin; E Etoposid; I Ifosfamid; V Vinblastin; T Paclitaxel; a Patienten mit guter Prognose, b 9 Patienten erhielten Hochdosischemotherapie, n.a. nicht angegeben, CR komplette Remission, PRm- partielle Remission mit Tumormarkernormalisierung.
gezeigt. Für Vinblastin liegen keine Daten zur Monotherapie vor. Im ersten Rezidiv werden cisplatinhaltige Kombinationstherapien wie das PEI-Regime oder das PVbl-Regime eingesetzt. Obwohl 30–60% der Patienten damit eine objektive Remission erreichen, ist ein Langzeitüberleben nur für 20% der Patienten zu erzielen (⊡ Tabelle 8.6). Prognostische Faktoren für den Therapieerfolg unter standarddosierter Chemotherapie im Rezidiv sind:
komplette Remission nach Induktionschemo
therapie, möglichst lang anhaltende Remissionsdauer, testikulärer Primärtumor, gering erhöhte Tumormarker im Rezidiv sowie begrenzte Vortherapie [68, 130].
Mehr als die Art der Rezidivtherapie entscheiden diese prognostischen Faktoren über die Heilungschancen des Patienten im Rezidiv.
122
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
8.10.1 Hochdosis Salvage-Chemotherapie
Seit Mitte der 80er-Jahre vorigen Jahrhunderts ist die Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation bei rezidivierenden oder cisplatinrefraktären Keimzelltumoren evaluiert worden. Initial durchgeführte Untersuchungen verwendeten Monotherapien mit Etoposid, Cyclophosphamid oder Kombinationen dieser beiden Zytostatika. Obwohl die Patienten partiell ansprachen, verliefen die Ergebnisse bzgl. des Langzeitüberlebens zunächst enttäuschend. 1989 führte die Kombination von hochdosiertem Carboplatin und Etoposid (HD-CE) zu einer objektiven Remissionsrate von 44% verbunden mit dauerhaften (länger als ein Jahr) Remissionen bei 12% der Patienten in einer Serie von 32 Patienten der Indiana University [142]. Andere Untersuchungen aus den USA und Europa konnten diese Resultate mit einigen Modifikationen der Kombination von Carboplatin und Etoposid bestätigen. Ursprünglich wurde die Hochdosis-Chemotherapie in den ersten Untersuchungen nur bei Patienten mit multiplen Rezidiven, die mit konventionell dosierter Therapie als inkurabel galten, durchgeführt. Mit steigender Erfahrung im Management der Nebenwirkungen dieser Behandlungsform wurde die Hochdosis-Chemotherapie zunehmend auch bei Patienten im ersten Rezidiv eingesetzt. Zurzeit gelten Patienten aus den folgenden drei Gruppen als Kandidaten für eine Hochdosis-Chemotherapie im Rezidiv: 1. Patienten mit inadäquater Remission unter Erstlinien-Therapie, 2. Patienten, die unter oder kurz nach ErstlinienTherapie rezidivieren sowie 3. Patienten mit inadäquater Remission oder Rezidiv nach konventionell dosierter SalvageTherapie. ⊡ Tabelle 8.7 fasst die Phase-II-Untersuchungen zur
Hochdosis-Chemotherapie bei rezidivierenden Keimzelltumoren zusammen. In den meisten Studien werden der Hochdosis-Chemotherapie zunächst mindestens ein oder mehrere Zyklen konventionell dosierter Chemotherapie vorangestellt, um zunächst die Chemotherapiesensitivität des Tumors vor der Hochdosis-Chemotherapie zu tes-
ten und um eine periphere autologe Blut-Stammzell-Separation vorzunehmen. Die behandlungsassoziierte Mortalität liegt heute durch die Entwicklung der modernen Supportivtherapie in erfahrenen Kliniken bei maximal 2–6% der behandelten Patienten. Im Rahmen einer kürzlich abgeschlossenen Studie der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Hodentumoren in Deutschland wurden rezidivierte Patienten mit einer intensiven konventionell dosierten Salvage-Chemotherapie (Paclitaxel, Ifosfamid, Cisplatin = TIP) und anschließend mit einem Hochdosiszyklus bestehend aus Carboplatin, Etoposid und Thiotepa (CET) behandelt. Insgesamt 80 Patienten wurden unter der Rationale einer Optimierung der konventionellen Therapie mit der Einführung von Paclitaxel und der Hochdosis-Chemotherapie mit Einschluss von Thiotepa, rekrutiert; 62 Patienten (78%) erhielten die vollständige Chemotherapie. Von den 62 verfügbaren Patienten erreichten 41 (66%) eine markernegative partielle oder eine komplette Remission. Die ereignisfreie 3-Jahresüberlebenszeit lag bei 25% und das 3-Jahresüberleben bei 30% [153]. Die Nebenwirkungen bestanden insbesondere aus einer sensorischen peripheren Polyneuropathie WHO°II–IV bei 24%, aus sensomotorischen Beeinträchtigungen WHO°II–IV bei 29% sowie Auftreten von Hauttoxizität°II/III bei 15% der Patienten. Die aktuell offene Studie zur Hochdosis-Rezidivtherapie in Deutschland untersucht das Prinzip der sequenziellen Hochdosistherapie gegenüber dem der Hochdosistherapie als Konsolidierung. Ein Therapiearm besteht aus einem Zyklus konventionellem PEI gefolgt von drei sequenziellen Zyklen Hochdosis-Carboplatin/Etoposid (1× PEI/3× HD-CE) mit PBSC-Rescue, während der zweite Arm drei konventionell dosierte Zyklen PEI gefolgt von einem HochdosisChemotherapiezyklus mit Carboplatin, Etoposid und Cyclophosphamid beinhaltet (3× PEI/1× HD-CEC).
8
123
8.10 · Konventionell dosierte Salvage-Chemotherapie
⊡ Tabelle 8.7. Phase-II-Untersuchungen zur Hochdosis-Chemotherapie bei Patienten mit mehrfach rezidivierten Keimzelltumoren
Autor
Jahr
Regime
Patienten (n)
CR/NED (%) initial
kontinuierlich
[185] Wolff et al.
1984
E
11
20
0
[13] Blijham et al.
1981
ECyc
13
40
0
[133] Mulder et al.
1988
Ecyc
11
18
9
35
≈26
≈3
Gepoolte Daten [142] Nichols et al.
1989
CE
33
25
12
[36] Broun et al.
1992
CE
38
24
13
[156] Rosti et al.
1992
CE
17
33
7
[37] Broun et al.
1995
CE (×2)
33
14
7
[113] Lampe et al.
1995
CE (×2)
23
37
26
144
≈27
≈13
Gepoolte Daten [53] Droz et al.
1993
PECyc
25
38
24
[117] Linkesch et al.
1992
CECyc
41
32
24
[131] Motzer et al.
1996
CECyc
58
40
21
[165] Siegert et al.
1994
CEI
68
31
28
[123] Margolin et al.
1996
CEI (×2)
19
40
40
[155] Rodenhuis et al.
1999
CTCyc (×2)
34
–
51
[79] Harstrick et al.
1999
CeCyc (×2)
46
61
57 (1-J)
[132] Motzer et al.a
2000
TI(×2)/CE(×3
37
57
40
[11] Bhatia et al.
2000
CE (×2)
65
88
57 (3-J)
[153] Rick et al.
2001
CET
62
66
25 (3-J)
455
≈50
Gepoolte Daten
≈37
Cyc Cyclophosphamid, I Ifosfamid, E Etoposid, C Carboplatin, P Cisplatin, T Thiotepa, T Paclitaxel, a schlechte Prognosekonstellation, CR komplette Remission, NED kein Erkrankungsnachweis (no evidence of disease).
124
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
8.10.2 Prognostische Faktoren
für den Ausgang der HochdosisSalvage-Chemotherapie Trotz der Rezidivtherapie mit Hochdosis-Chemotherapieprotokollen zeigen zwei Drittel der behandelten Patienten keine langfristig bestehende Remission. Aus diesem Grunde wurde versucht, Patienten zu identifizieren, die von einer HochdosisChemotherapie profitieren. In einer multiinstitutionalen Analyse wurden 283 Patienten bzgl. verschiedener prognostischer Indikatoren untersucht [9]. Faktoren wie progredientes Wachstum unter konventionell dosierter Chemotherapie vor Applikation der Hochdosis-Chemotherapie, primärer mediastinaler nichtseminomatöser Keimzelltumor, Refraktärität unter cisplatinbasierender konventionell dosierter Behandlung sowie hohe β-HCG-Spiegel vor der Rezidivtherapie deuten als multivariat geprüfte unabhängige Faktoren auf eine schlechte Prognose hin. Basierend auf den genannten Variablen wurde ein dreiteiliger Score entwickelt, der das 2-Jahres-ereignisfreie Überleben nach Hochdosis-Chemotherapie in drei Kategorien (»gut«, »intermediär«, »schlecht«) einteilt (⊡ Tabelle 8.8). Mit diesem Score können Subgruppen von Patienten mit extrem schlechter Prognose im Voraus selektioniert werden, die sonst unnötig einer Hochdosis-Chemotherapie unterzogen würden. Bei einer prospektiven Indiana-University-Studie mit 80 Patienten, die eine SalvageHochdosis-Chemotherapie mit zwei Zyklen Carboplatin/Etoposid erhielten und mindestens einen Poor-pognostic-Faktor besaßen, ergab eine erste prospektive Validierung des Scores, dass Patienten mit einem Score >2, mit absoluter Platinrefraktärität sowie primär mediastinalem Nichtseminom ein ereignisfreies Intervall nach 2 Jahren von 30%, 37% und 0% aufwiesen. Eine Doppel-Transplantation erscheint daher die negative Prognose – mit Ausnahme der chemotherapieresistenten mediastinalen Keimzelltumoren – zumindest partiell positiv beeinflussen zu können [177].
⊡ Tabelle 8.8. Ungünstige Prognosefaktoren für das Überleben nach Hochdosis-Chemotherapie im Rezidiv. (Nach Beyer et al. 1996 [9])
Faktor
Score
Primärer mediastinaler Keimzelltumor
1
Erkrankungsprogression vor HD-CT
1
Refraktäre Erkrankung vor HD-CT a
1
Absolut refraktäre Erkrankung vor HD-CT b
2
β-HCG >1.000 U/l vor HD-CT
2
a
b
Mindestens stabile Erkrankung, aber Progression innerhalb vier Wochen nach cisplatinhaltiger Chemotherapie. Zu keiner Zeit stabile Erkrankung unter cisplatinhaltiger Chemotherapie; HD-CT Hochdosischemotherapie.
8.10.3 Vergleich der konventionellen
und der Hochdosis-Chemotherapie im Rezidiv Es ist nicht abschließend geklärt, ob die HochdosisChemotherapie im ersten Rezidiv einer konventionell dosierten Salvage-Chemotherapie überlegen ist. In der multizentrischen, prospektiven, randomisierten IT94-Studie erhielten 263 Patienten mit Progress oder Rezidiv nach cisplatinhaltiger Primärtherapie und günstigen Prognosemerkmalen entweder 4 Zyklen einer konventionell dosierten Salvage-Chemotherapie oder 3 Zyklen dieser Therapie plus einen Zyklus einer Hochdosis-Chemotherapie [157]. In dieser Studie konnte kein Nutzen einer frühzeitigen Hochdosis-Therapie im Rahmen des ersten Salvage-Versuchs bei Patienten mit günstigen Prognosemerkmalen detektiert werden. Allerdings sind die Nachbeobachtungszeiten kurz und ein Teil der Patienten hatte zum Zeitpunkt der ersten Analyse den vorgesehenen Studienendpunkt noch nicht erreicht. Auch sind die Überlebenswahrscheinlichkeiten nach 2 Jahren im konventionell dosierten Therapiearm der IT94-Studie mit ca. 40% für das ereignisfreie Überleben und 60% für
8.12 · Neue Substanzen in der Behandlung von testikulären Keimzelltumoren
125
8
das Gesamtüberleben deutlich höher als bisherige Literaturangaben. Eine endgültige Bewertung kann daher erst nach einer längerfristigen Nachbeobachtung und entsprechender Analyse erfolgen. Die Hochdosis-Chemotherapie scheint vor allem eine Behandlungsoption für refraktäre (aber nicht absolut refraktäre) Patienten zu sein. Weiterhin ist diese möglicherweise sinnvoll für Patienten, die unter einer konventionell dosierten Salvage-Therapie keine Erkrankungsfreiheit erreichen, und für Patienten mit zweitem oder drittem Rezidiv nach konventioneller Therapie. Preliminäre Daten einer laufenden prospektiven randomisierten Phase-IIIUntersuchung in der ersten Rezidivsituation bei cisplatinsensitiven Patienten zeigen, dass der Therapiegewinn einer Hochdosis-Chemotherapie möglicherweise weniger als 20% beträgt. Dies wird durch eine kürzlich veröffentlichte retrospektive Analyse untermauert, die Patienten nach Hochdosis- oder konventionell dosierter Salvage-Therapie im ersten Rezidiv im Sinne einer Matched-pairAnalyse untersucht hat [10]. Eine abschließende Beurteilung des Stellenwerts der Hochdosis-Chemotherapie in der Rezidivsituation ist allerdings noch nicht zu treffen. Daher ist es empfehlenswert, diese Patienten im Rahmen von prospektiven Studien zu behandeln, um die potenziellen Kurz- und Langzeittoxizitäten sowie die Prinzipien der frühen Intensivierung oder der späten Konsolidierung durch Hochdosis-Chemotherapie in kontrollierten klinischen Studien zu untersuchen.
selektionierten Patienten mit erhöhten Tumormarkern ein kuratives Potenzial bei fehlenden therapeutischen Alternativen [136, 186]. Patienten mit einer solitären retroperitonealen Metastase und erhöhten AFP-Werten scheinen für diesen Ansatz die besten Kandidaten darzustellen. Diese Fälle sollten allerdings spezialisierten Zentren vorgestellt werden.
8.10.4 Chirurgische Intervention
Patienten, die nach konventionell dosierter oder Hochdosis-Salvage-Therapie ein Rezidiv erleiden, besitzen keine kurative Behandlungsoption [9, 125, 141]. Die Entwicklung von neuen Substanzen mit klinisch relevanter Aktivität bei Keimzelltumoren muss daher weiter vorangetrieben werden. Trotz der Verfügbarkeit einer Reihe von neuen Zytostatika sind nur wenige Vertreter der neuen Substanzgruppen bei Keimzelltumoren aktiv. Prolongiert oral verabreichtes Etoposid induziert eine vorübergehende oder in Einzelfällen länger andauernde Tumorkontrolle selbst bei Patienten, die refraktär auf standarddosiertes, intravenöses Etoposid sind, und erscheint daher als palliative Behandlungsmaßnahme indiziert. In seltenen Fällen führt diese
nach Salvage-Chemotherapie Die histologischen Ergebnisse von resezierten Tumormassen nach Secondline- oder Salvage-Chemotherapie unterscheiden sich deutlich von denen nach primärer Chemotherapie. Ein differenziertes Teratom oder ein undifferenzierter Tumor lassen sich in 10–40% bzw. 50–80% der untersuchten Operationspräparate nachweisen. Ausschließlich nekrotisches Gewebe findet sich nur bei einem Bruchteil der Patienten. Grundsätzlich sollten Patienten mit Tumormarkererhöhung nach Salvage-Chemotherapie keiner Operation unterzogen werden. Allerdings bietet die sog. Desperation-Operation bei
8.11
Spätrezidive
Spätrezidive, d. h. nach einem mindestens zwei Jahre anhaltendem erkrankungsfreien Intervall, treten bei 2–4% aller Patienten auf. Die Mehrheit aller Rezidivzeitpunkte betrifft das erste und etwas geringer das zweite Jahr nach Therapie. Es können zwei prognostische Gruppen betrachtet werden. Die erste Gruppe wird von Patienten gebildet, die ein isoliertes Teratom aufweisen, und nach Exzision dieser Läsion eine gute Prognose besitzen. Die zweite Gruppe beinhaltet Patienten mit Tumormarkerpositivem Karzinom, die ein Rezidiv mit hohem Tumorvolumen aufweisen. Diese Patienten sprechen nur mäßig auf eine Chemotherapie an und ein aggressives operatives Vorgehen erscheint daher indiziert [6]. Trotzdem bleibt die Prognose der zweiten Patientengruppe relativ ungünstig.
8.12
Neue Substanzen in der Behandlung von testikulären Keimzelltumoren
126
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
Therapie auch zu einer erneut operablen Erkrankungssituation. Paclitaxel unterscheidet sich bzgl. seines Wirkungsmechanismus von den DNA-interagierenden Substanzen Cisplatin und Ifosfamid und ist bei cisplatinresistenten Tumoren partiell aktiv [55, 65, 128, 159]. Klinische Phase-II-Studien haben die Aktivität von Paclitaxel als Monotherapie bei Keimzelltumoren belegt [16, 28, 129, 160]. Zurzeit wird Paclitaxel in verschiedenen Kombinationschemotherapien evaluiert [16, 128, 148]. Motzer et al. haben eine paclitaxelhaltige Rezidivtherapie mit oder ohne zusätzliche Hochdosis-Chemotherapie mit Erfolg eingesetzt [132]. Auch das Nukleosidanalogon Gemcitabin induzierte bei 19% der intensiv vorbehandelten Patienten partielle Remissionen oder Markerabfälle >90%. Das mediane progressionsfreie Überleben lag mit dieser Therapie bei vier Monaten [18, 56]. Oxaliplatin zeigt an Zelllinien von Keimzelltumoren eine inkomplette Kreuzresistenz gegenüber Cisplatin. Daher wurde das Medikament in einer Studie der deutschen Hodentumorstudiengruppe getestet. In zwei Gruppen mit unterschiedlichem Applikationsmodus wurden insgesamt 32 Patienten behandelt. Knapp 4/5 der Patienten hatten zuvor eine Hochdosis-Chemotherapie erhalten. Bei 4 Patienten wurde eine partielle Remission erreicht (13%) [112]. Aufgrund der Vorergebnisse wurde eine Kombination von Oxaliplatin und Gemcitabin bei 35 Patienten mit intensiver Vorbehandlung oder refraktärem Keimzelltumor prospektiv getestet. Die Ansprechrate lag bei 46% für die Gesamtgruppe und 44% für die cisplatinrefraktären Patienten [111]. Auch die Kombination von Paclitaxel und Gemcitabin ist beim refraktären Keimzelltumor mit einer signifikanten Aktivität verbunden. Die Remissionsrate lag bei 21% bei 28 untersuchten Patienten, wovon 2 Patienten in einem erkrankungsfreien Überleben nach 15 und 25 Monaten verblieben [101]. Weitere Substanzen und Kombinationen befinden sich zurzeit in Testung.
8.13
Chemotherapieassoziierte Toxizität
Während die akuten Nebenwirkungen der Chemotherapie heutzutage weitgehend vermeidbar bzw.
kontrollierbar sind, – akute Übelkeit/Erbrechen durch die Kombination von 5-HT3-Antagonisten und Dexamethason [1], akute Nephrotoxizität durch prophylaktische intensive Hydrierung und den Einsatz von Mannitol oder anderen Diuretika [31, 90, 180] –, stellen die Intermediär- oder Langzeittoxizitäten der Chemotherapie weiterhin ein erhebliches Problem dar. Cisplatinhaltige Chemotherapie führt zu einer Reduktion der glomerulären Filtrationsrate und zu tubulärer Schädigung der Niere, die irreversibel ist [87]. Ifosfamid selbst besitzt nephrotoxisches Potenzial [87, 130]. Die bisher durchgeführten Untersuchungen bzgl. der Nephroprotektion durch das Aminothiolderivat Amifostin lassen den Einsatz zum Erhalt der glomerulären Filtrationsrate sinnvoll erscheinen [88]. Die hierfür notwendige Dosis ist ungeklärt [89]. Eine deutlich günstigere Alternative zu Amifostin sind die Aminophylline wie z. B. Theophyllin, das als Upload-concept-Infusion zur Absättigung der Adenosin-1 und -2-Rezeptoren infundiert wird und als Erhaltungstherapie p. o. nach cisplatinhaltiger Chemotherapie verabreicht werden kann, um isoliert die Nierenfunktion zu erhalten [83]. Amifostin kann auch zur Prävention von Nebenwirkungen carboplatinhaltiger Hochdosis-Chemotherapie eingesetzt werden, da neben der nephroprotektiven Wirkung auch ein geringeres Ausmaß an Stomatitis, weniger Infektionen, eine verkürzte Knochenmarkdepressionsdauer und ein verkürzter Krankenhausaufenthalt zu Einsparung weiterer supportiver Maßnahmen führt [98]. Eine vorübergehende Knochenmarksdepression nach Chemotherapie mit PEB, oder noch ausgeprägter nach dem PEI-Regime, tritt häufig auf [139]. Neutropenisches Fieber wird bei 20–40% der Patienten, die mit dosisintensivierten Schemata behandelt werden, beobachtet. Hier erscheint der prophylaktische Einsatz von hämatopoetischen Wachstumsfaktoren, insbesondere bei Patienten, die eine Salvage-Chemotherapie erhalten, von Vorteil [22]. Der prophylaktische Einsatz von granulozytenstimulierenden Faktoren bei Patienten mit schlechter Prognose scheint die Applizierbarkeit der geplanten Therapie zu verbessern und führt zu einer Reduktion toxischer Todesfälle [66]. Eine behandlungsinduzierte Anämie tritt bei den meisten
8.13 · Chemotherapieassoziierte Toxizität
Patienten auf, führt aber während der StandardInduktionschemotherapie über 3–4 Zyklen nur selten zur Transfusionspflicht. Auch eine schwere Thrombozytopenie ist eher selten nach First-linePEB-Chemotherapie, tritt aber häufig während einer ifosfamidhaltigen Salvage-Therapie auf. Mit dem Behandlungserfolg der modernen Chemotherapie-Regime hat die Langzeittoxizität in der klinischen Forschung an Bedeutung gewonnen [15, 34, 146]. Die behandelten Patienten sind meist zwischen 25 und 35 Jahre alt und können nach einer erfolgreichen Behandlung eine annähernd normale Lebensspanne erwarten. Eine schlechtere Lebensqualität, eine erhöhte Inzidenz sekundärer Morbidität und der sozioökonomische Aspekt der Behandlung von Langzeittoxizitäten drohen als potenzielle therapieinduzierte Komplikationen. Die Wiedereingliederung in das bestehende Sozialsystem und die berufliche Rehabilitation seien ebenfalls in diesem Zusammenhang erwähnt. Inzwischen sind eine Reihe von Publikationen, die sich mit der Langzeittoxizität auseinandersetzen, erschienen: Oto-, Neuro- und Nephrotoxizität sind die dosislimitierenden Toxizitäten von Cisplatin; Neurotoxizität und vaskuläre Komplikationen – insbesondere das Raynaud-Phänomen – wurden nach Vinca-Alkaloiden berichtet; die vaskuläre Toxizität sowie pulmonale Fibrose nach Bleomycin und der substanzielle Einfluss verschiedener zytostatischer Substanzen auf die Fertilität und das Zweitkarzinomrisiko wurde dargelegt [7, 8, 15, 27, 33, 34, 81, 146, 158, 179, 182]. Eigene Untersuchungen zu Spätnebenwirkungen nach Chemotherapie bei Langzeitüberlebenden mit Hodentumoren zeigen, dass vielfältige Veränderungen des Hormonhaushaltes detektierbar sind. Eine Leydig-Zellinsuffizienz findet sich bei einem Drittel der Patienten und eine Erhöhung des follikelstimulierenden Hormons persistiert bei 60% der Fälle. Die häufigsten symptomatischen Toxizitäten 5 Jahre nach der Therapie betreffen das Raynaud-Phänomen bei 30%, die Schädigung des Hörorgans bei 21% und die periphere sensorische Polyneuropathie bei 17% der Patienten [7, 8, 15]. Als Hauptrisikofaktor für die Entwicklung von Lang-
127
8
zeittoxizität wurde die kumulative Dosis von Cisplatin identifiziert. Deutlich erhöhte Inzidenzen von Oto-, Neuro- und gonadaler Toxizität sowie arterieller Hypertension bestand bei Patienten, die eine kumulative Dosis von mehr als 400 mg/m2 Cisplatin erhalten hatten. Die subjektiv vom Patienten wahrgenommenen Spätfolgen korrelierten ebenfalls mit der verabreichten Cisplatindosis [15]. Individuelle Patientencharakteristika hatten statistisch eine untergeordnete Bedeutung (z. B. Rauchverhalten, Alter) mit Ausnahme der für das Auftreten von Ototoxizität prädisponierenden vorherigen Lärmexposition [14]. Bei einem Viertel der untersuchten Patienten fanden sich kardiovaskuläre Risikofaktoren; 15% der Patienten zeigten deutlich erhöhte Serumcholesterinwerte oder eine arterielle Hypertonie nach Chemotherapie. In einer weiteren Untersuchung zeigte sich ein 7-fach erhöhtes Risiko für eine koronare Herzerkrankung im Vergleich zur Normalbevölkerung [126]. Der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit nach Chemotherapie ist eine weitere relevante Nebenwirkung für Patienten mit Hodentumoren. Untersuchungen zeigen eine Einschränkung der Fertilität bereits vor Einleitung der Behandlung bei bis zu 50% der Patienten. Die Chemotherapie beeinflusst das Keimepithel durch direkt schädigende Effekte [8, 114, 116]. Allerdings kann noch zwei Jahre nach Beendigung der Behandlung, insbesondere bei jüngeren Patienten, eine Erholung der Fertilität einsetzen. Faktoren, die die Erholung der Spermatogenese negativ beeinflussen, sind eine niedrige Spermatozytenzahl vor der Chemotherapie und die Anwendung einer hohen kumulativen Dosis von Cisplatin [114]. Eine Spermakryokonservierung vor Chemotherapie wird daher generell empfohlen, auch bei Patienten, die bei Diagnosestellung subfertile Werte aufweisen. Mit den modernen Methoden der In-vitro-Fertilisierung wie die intrazytoplasmatische Spermatozyten-Injektion (ICSI) ist eine Befruchtung mit minimalen Spermienzahlen möglich. Neben der Fertilität haben psychologische Faktoren einen erheblichen Einfluss auf Sexualitätserleben und Lebensqualität geheilter Hodentumorpatienten. Etwa ein Viertel aller Patienten weist 5 Jahre nach Behandlung Einschränkungen im Sexualleben wie Erektions- oder Ejakulationsstörungen (nach retroperitonealer Chirurgie) auf
128
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
oder bewertet das eigene Sexualerleben deutlich negativer als Kontrollgruppen nach alleiniger Orchiektomie [81]. Neben metachronen kontralateralen Hodentumoren, die mit einer Häufigkeit von 2–4% auftreten, sind sekundäre behandlungsinduzierte Malignome zwar selten, aber ein erhöhtes Risiko, das länger als 20 Jahre nach Diagnose besteht, wurde in Studien nach cisplatinhaltiger Kombinationschemotherapie und Strahlentherapie beschrieben [176]. Sekundäre Leukämien, die charakteristischerweise balancierte Translokationen mit Einschluss des Chromosoms 11q aufweisen, treten bei weniger als 0,5% der Patienten auf, die eine Gesamtdosis unter 2 g/m2 Etoposid erhalten haben [4, 138]. Diese Form der Leukämie tritt allerdings bei bis zu 2% der Patienten auf, die mit höheren Etoposiddosen (>2 g/m2) behandelt wurden [110, 149]. Der Überlebensvorteil, der durch die Behandlungsverfahren erreicht wird, überragt das kleine absolute Sekundärleukämierisiko bei weitem. Sie müssen außerdem von den nichtbehandlungsassoziierten Leukämien/hämatologischen Malignomen der nichtseminomatösen mediastinalen Keimzelltumoren getrennt werden. Das Auftreten von sekundären soliden Tumoren, vor allem epithelialen gastrointestinalen Tumoren und Sarkomen, ist vorrangig mit der Anwendung einer Strahlentherapie verbunden [25, 178]. Insgesamt ist das Risiko für Sekundärmalignome im Vergleich zur Normalbevölkerung ca. 2–3fach erhöht [26, 64, 91]. Auswirkungen auf die Lebensqualität (QoL) bei Patienten, die mit 4 verschiedenen Regimen von Bleomycin, Etoposid und Cisplatin (PEB-Regime; 4 vs. 3 Zyklen verabreicht über 5 vs. 3 Tage) behandelt wurden, sind im Rahmen der EORTCund MRC-Studie 30941/TE20 untersucht worden. Es zeigten sich insgesamt vergleichbare QoL in allen 4 Untersuchungsgruppen. Zwei Jahre nach Beendigung der Chemotherapie verbesserte sich die Lebensqualität bei 36% der Patienten verglichen mit der Ausgangsuntersuchung. Bei 13% der Patienten verschlechterte sich dieser Wert sogar. Das 3-Tagesregime, wenn über 4 Zyklen verabreicht, war gegenüber dem 5-Tagesregime mit einer höheren gastrointestinalen Toxizität 3 Monate nach Beginn der Chemotherapie assoziiert. Mit dem ver-
kürzten 3-Tagesregime war auch ein erhöhtes Risiko für einen Tinnitus verbunden. Insgesamt fand sich 2 Jahre nach Therapie ein Raynaud-like-Syndrom, Tinnitus oder reduziertes Hören bei 21–26% der Patienten [64].
8.14
Keimzelltumoren extragonadalen Ursprungs
Während Keimzelltumoren überwiegend im Hoden entstehen, machen die sog. extragonadalen Keimzelltumoren einen Anteil von 2–5% aller Keimzelltumoren des Mannes aus [42]. Histologisch unterscheiden sich diese nicht von den primär testikulären Tumoren. Obwohl grundsätzlich die Möglichkeit besteht, dass durch Regression des Primärtumors mit oder ohne residuelle Narbe im Hodengewebe, die Metastasen dieses Tumors mit einem extragonadalen Keimzelltumor verwechselt werden können, sprechen folgende Hinweise für die Existenz von extragonadalen Keimzelltumoren als eigenständige Entität. 1. Sie entstehen nicht nur an den Lokalisationen, wo die Metastasen von primär gonadalen Keimzelltumoren gewöhnlich auftreten, sondern auch als solitäre Läsionen in Lokalisationen, die als Metastasierungsorte von testikulären Keimzelltumoren sehr ungewöhnlich sind, z. B. in der Sakrococcygeal-Region oder im Corpus pineale. 2. Histologische Untersuchungen zeigen eine Häufung von reinen endodermalen Sinustumoren in mediastinalen Keimzelltumoren, die in dieser Frequenz in primär gonadalen Tumoren des Erwachsenen nicht vorkommt. 3. Bezüglich der nichtseminomatösen mediastinalen Keimzelltumoren finden sich überzufällig häufig das Auftreten beim Klinefelter-Syndrom und die Entwicklung von assoziierten hämatologischen Erkrankungen [93, 140]. Es existieren zwei Hypothesen für die Entstehung von extragonadalen Keimzelltumoren, nämlich einerseits die Missmigration von Keimzellen während der Embryogenese oder andererseits eine physiologisch vorliegende Verteilung von Keimzellen in Leber, Knochenmark und ZNS unter der Vor-
stellung, dass diese Zellen wichtige regulatorische Funktionen an den jeweiligen Stellen wahrnehmen oder hämatologische und immunologische Informationen besitzen [70]. Aufgrund der relativ geringen Zahl von Patienten mit extragonadalen Keimzelltumoren und der vergleichbaren biologischen Eigenschaften sind die extragonadalen Keimzelltumoren in die Behandlungskonzepte von testikulären Hodentumoren mit einbezogen worden. Außer der zuvor beschriebenen Verbindung von nichtseminomatösen mediastinalen Keimzelltumoren mit hämatologischen Malignomen weisen die extragonadalen Keimzelltumoren kein erhöhtes spezifisch biologisches Risiko für die Entwicklung von sekundären Tumoren auf [92]. Die hämatologischen Neoplasien repräsentieren ein biologisches Phänomen und sind nicht behandlungsassoziiert. Sie betreffen vorwiegend die megakaryozytäre Reihe der Hämatopoese als akute megakaryoblastäre Leukämie (AML, M7), Myelodysplasie mit abnormalen Megakaryozyten oder idiopathische/essenzielle Thrombozytose [93]. Das Risiko der Entwicklung einer hämatologischen Neoplasie ist gegenüber einer alterstandardisierten Normalbevölkerung 250fach erhöht. Die jährliche Inzidenz liegt bei 2% (Konf.-Intervall 1,1–3,1%). Seminomatös differenzierte Keimzelltumoren des Mediastinums weisen diese Assoziation nicht auf. Im Gegensatz zu den nichtseminomatösen mediastinalen Tumoren, die eine schlechte Prognose besitzen, weisen mediastinale Seminome eine Über-
8
129
8.14 · Keimzelltumoren extragonadalen Ursprungs
lebenswahrscheinlichkeit von >80% nach 5 Jahren auf, die der metastasierter testikulärer oder retroperitonealer Seminome nach adäquater cisplatinbasierender Chemotherapie entspricht [17]. Ein bisher noch ungelöstes Behandlungsproblem stellen die Patienten mit Progression oder Rezidiv bei nichtseminomatösen Keimzelltumor dar. Während derzeitige Salvage-Therapien etwa 20–50% der rezidivierten Hodentumoren langfristig heilen können, besitzen nichtseminomatöse extragonadale Keimzelltumoren einer Untersuchungen mit 142 Patienten nach deutlich niedrige Überlebensraten. Insbesondere Patienten, die eine mediastinale Primärlokalisation aufweisen und die durch die initiale Chemotherapie mit in eine zumindest kurzzeitige Remission kommen, hatten unabhängig von der gewählten Salvage-Therapie nahezu keine Überlebenschance. Beide Faktoren waren unabhängige negative Prädiktoren für das Überleben, jeweils verbunden mit einer Verdoppelung des relativen Risikos [86]. Für die extragonadalen Keimzelltumoren wurden separate Prognosefaktoren in einer internationalen Untersuchung ermittelt, um als Basis für risikoadaptierte Chemotherapiekonzepte zu dienen. Die ⊡ Tabellen 8.9 und 8.10 fassen die Variablen mit multivariabler Signifikanz, den entwickelten Scores sowie die korrespondierenden Überlebensdaten der einzelnen Prognosegruppen zusammen. Komplettiert man diese Daten mit denen der Patienten mit seminomatösen Keimzelltumoren, er-
⊡ Tabelle 8.9. Variablen mit multivariater Signifikanz für das Gesamtüberleben von Patienten mit extragonadalen Nichtseminomen
Faktoren für OS
p
Hazard ratio
Konfidenzintervall 95%
Score
Präsenz von Lebermetastasen
0,006
1,72
1,17–2,52
1
Präsenz von Lungenmetastasen
0,028
1,43
1,04–1,97
1
Präsenz von ZNS-Metastasen
0,002
2,53
1,42–4,52
2
Höhe des β-HCG
0,022
1,48
1,06–2,08
1
Mediastinaler Primärtumor
0,000
2,29
1,64–3,20
2
130
I
Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
⊡ Tabelle 8.10. Resultierende prognostische Kategorien (Patienten mit extragonadalen Nichtseminomen)
Riskokategorie
»excellent« (Alle Seminoma-Patienten)
Patienten
CR/PRm-
(n)
(n)
95 a
(%)
Rezidivrate
ÜL-Rate
(n)
(%)
1 Jahr (%)
5 Jahre (%)
83
91
12
13
95
89
»intermediate low« (score 0 oder 1)
109
83
85
47
43
90
69
»intermediate high« (score 2 oder 3)
284
185
71
136
48
80
55
59
22
39
46
78
49
17
»poor« (score >3)
Anm.: Log rank P<0,0001 (n=547), CR komplette Remission, PRm- partielle Remission mit Tumormarkernormalisierung, ÜL Überleben.
⊡ Abb. 8.3. Gesamtüberleben in Abhängigkeit von der Risikokategorie. (Mod. nach Hartmann et al. 2002 [94])
131
Literatur
»Good«
»Intermediate«
3 × PEB ggf. a 4 × PE
4 × PEB (oder PEI)
Resttumor
vitaler Tumor im Resektat: 2 × PEI adjuvant (oder: Studie)
Markernormalisierung
4 × PEB (oder × PEI) oder: Studien zur Hochdosistherapie
Markerplateau
Wenn kein Anstieg a
»poor«
Marker Wiederanstieg: Salvage-Therapie (oder: Studie zur Hochdosistherapie)
Abwarten (1–3 Monate)
Elektive Resektion
8
Wenn Anstieg
Kontraindikation gegen Bleomycin
⊡ Abb. 8.4. Behandlungsynopsis des metastasierten Keimzelltumors analog der IGCCCG-Klassifikation
geben sich vier definierte Subgruppen von Patienten mit extragonadalen Keimzelltumoren: »excellent«, »intermediate low«, »intermediate high« und »poor« (log rank p<0,0001; ⊡ Abb. 8.3) [94]. Zur Rolle der Hochdosis-Chemotherapie bei primär mediastinalen nichtseminomatösen Keimzelltumoren wurde eine prospektive Studie mit 28 Patienten durchgeführt. Im Vergleich zu einer internationalen Datenbasis, die 253 Patienten mit dieser Lokalisation und Histologie unter konventionell dosierter Therapie beinhaltete, lag die 5-Jahresüberlebensrate ca. 10–15% höher [24]. Fazit Testikuläre Keimzelltumoren sind bösartige solide Tumoren, die selbst bei Nachweis einer Metastasierung häufig erfolgreich behandelt werden können. Unter Berücksichtigung aller Stadien liegt die Heilungsrate etwa bei 90–95%. Daher liegt der Schwerpunkt der Optimierung von Be▼
handlungsstrategien heutzutage in der Minimierung von Behandlungsnebenwirkungen unter Erhalt der hohen Heilungsrate. Die Behandlung sollte in erfahrenen Zentren im interdisziplinären Verbund von Urologie, Strahlentherapie und internistischer Onkologie erfolgen, um Therapiefortschritte im Rahmen von kontrollierten klinischen Studien zu erzielen und die geltenden Qualitätsstandards für alle Patienten zugängig zu machen (⊡ Abb. 8.4).
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Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
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138
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Kapitel 8 · Chemotherapie metastasierter Keimzelltumoren des Hodens
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189.
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9 Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie B. J. Schmitz-Dräger, G. Lümmen, T. Klotz, J. E. Altwein 1
9.1
Einführung
– 140
9.2
Bedeutung der komplementären und alternativen Medizin
9.3
Ernährung und Nahrungsergänzung
– 140
– 140
9.3.1 Prostatakarzinom – 140 9.3.2 Harnblasenkarzinom – 141
9.4
Unkonventionelle (medikamentöse) Therapie
9.5
Sport und Bewegung
9.6
Magnetfeldtherapie
9.7
Psychologische und andere alternative Behandlungsverfahren – 144
Literatur
1
– 143
– 143 – 144
– 145
Für den Arbeitskreis Prävention, Umwelt und komplementäre und alternative Medizin (AK PUK) von DGU und BDU.
I
140
Kapitel 9 · Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie
9.1
Einführung
Der Terminus »komplementäre und alternative Medizin«, abgekürzt CAM, beschreibt Therapieverfahren, die entweder ergänzend oder aber alternativ zur einer konventionellen Therapie erfolgen. Eine scharfe Trennung ist nicht möglich, da etliche Verfahren (z. B. die sog. Misteltherapie) sowohl begleitend als auch alternativ zum schulmedizinischen Vorgehen eingesetzt werden. Bislang existieren vielfältige Bemühungen, den Begriff der komplementären und alternativen Medizin zu definieren, jedoch noch ohne ein allseits befriedigendes Ergebnis. Versuche, die Definition am Evidenzniveau für ein Verfahren festzumachen erwiesen sich als Fehlschlag. In diesem Beitrag sollen unter dem Begriff der CAM Verfahren subsummiert werden, die nicht der sog. Mainstream-Medizin zugerechnet werden (Fair et al. 1999). Ansätze aus dem Bereich der CAM, deren Wirksamkeit belegt wird, können in die konventionelle Medizin übernommen werden. Umgekehrt ist dieser Weg nicht gangbar: Ansätze, deren Unwirksamkeit in Studien belegt sind, sind damit obsolet. Dabei ist klar, dass auch die hier gewählte Definition unscharf bleibt und verschiedene Ansätze (z. B. die Akupunktur) sich in einem Grenzbereich zwischen Schulmedizin und alternativer Medizin bewegen. Komplementäre und alternative medizinische Konzepte werden neben der Behandlung bestehender Erkrankungen auch in der Prävention urologischer Leiden, insbesondere auch von Tumorerkrankungen genutzt.
9.2
fanden Richardson et al. (2000), dass über 80% ein oder mehrere CAM-Verfahren nutzten. Eine ähnliche Untersuchung an einer, allerdings kleinen Gruppe von Patienten mit einem Prostatakarzinom zeigte, dass fast 40% dieser Patienten auf die CAM zurückgriffen (Kao u. Devine 2000). Für Deutschland bleibt anzunehmen, dass diese Zahl eher höher liegt. Beunruhigend dabei ist, dass mehr als 70% der Patienten ihren Arzt nicht über diese begleitenden Therapiemaßnahmen informierten (Eisenberg et al. 1993). Auch das gängige Vorurteil, dass eher ältere und ungebildete Personen sich der CAM zuwenden, ist inzwischen widerlegt. Nam et al. (1999) charakterisierten die häufigsten Anwender der CAM als Personen zwischen 25–50 Jahren mit höherem Schulabschluss und einem durchschnittlichen Jahresgehalt über $ 50.000,–. Die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben wurden zwischen $ 40,– bis 80,– angegeben. Die Einnahme von Vitaminen und Spurenelementen stellt dabei einen Schwerpunkt dar. Die Zahl der verschiedenen Ansätze in der CAM ist unendlich. In der nachfolgenden Übersicht wurde der Versuch unternommen, die verschiedenen Verfahren zu gruppieren. Einige ausgewählte Ansätze sollen im Folgenden diskutiert werden.
CAM-Therapiekonzepte in der Uroonkologie
Ernährung (Nahrungsergänzung) Unkonventionelle Medikation (z. B. Mistel) Bewegung/Physiotherapie Physikalische Verfahren (Magnetfeldtherapie, HBO, Akupunktur) Psychologische Verfahren (Meditation) Andere Verfahren (TCM, Aromatherapie)
Bedeutung der komplementären und alternativen Medizin
Bislang ignoriert die konventionelle Medizin die Existenz der komplementären und alternativen Medizin weitgehend. Dabei darf ihre Rolle nicht unterschätzt werden: Anfang der 90er-Jahre vorigen Jahrhunderts erfolgten in den USA ebenso viele Besuche bei Personen, die alternative Therapieformen anboten, wie beim Arzt. Der Umfang der – ausschließlich privat bestrittenen – Aufwendungen lag über $ 10 Mrd. (Eisenberg et al. 1993). In einer Umfrage bei 453 onkologischen Patienten
9.3
Ernährung und Nahrungsergänzung
9.3.1
Prostatakarzinom
Auf der Grundlage epidemiologischer Fall-Kontroll-Untersuchungen und von Migrationsstudien ergaben sich deutliche Hinweise darauf, dass die
141
9.3 · Ernährung und Nahrungsergänzung
Ernährung in der Entstehung des Prostatakarzinoms eine wesentliche Rolle spielt. Diese Beobachtungen wurden vielfach in prospektiven Kohortenstudien weiter verfolgt, um insbesondere den Wert einzelner Nahrungsbestandteile isoliert bewerten zu können (u. a. Schmitz-Dräger et al. 2001). Aus diesen Untersuchungen kristallisierten sich mehrere Nahrungsbestandteile heraus, die einen Einfluss auf die Entstehung urologischer Tumoren haben könnten. Für Selen zeigte sich in mehreren Untersuchungen ein Zusammenhang zwischen dem Serum- oder Gewebespiegel und dem Risiko, an einem Prostatakarzinom zu erkranken (Brandt et al. 2003). Ähnliches gilt offensichtlich für die Einnahme von Phytoöstrogenen. Männer mit hohem Anteil von Obst und Gemüse in der Ernährung erkrankten weniger häufig an einem Prostatakarzinom. Aus mehreren weiteren Untersuchungen ergaben sich deutliche Hinweise auf die Bedeutung von Vitamin E in der Ernährung bei Rauchern (Schmitz-Dräger et al. 2001). Der Zusammenhang zwischen Vitamin-E-Einnahme und dem Auftreten eines Prostatakarzinoms bei Rauchern wurde auch in einer interventionellen Studie bestätigt (α-Tocopherol, Beta Carotene Cancer Prevention Study Group 1994). Auch wenn die Inzidenz eines Prostatakarzinoms in dieser Studie kein primäres Zielkriterium war, kann der Wert einer Nahrungsergänzung mit Vitamin E zur Prophylaxe eines Prostatakarzinoms beim Raucher unter Berücksichtigung der gesamten Datenlage als bewiesen akzeptiert werden. Weitere Aufschlüsse über die Bedeutung einer Nahrungsergänzung mit Vitamin E in der Prävention des Prostatakarzinoms werden von der laufenden SELECTStudie erwartet. Auch die Einnahme von Selen wurde in einer interventionellen Studie überprüft (Clark et al. 1996). Dabei wurden die Ergebnisse aus vorangegangenen Fall-Kontroll- bzw. Kohortenstudien bestätigt. Allerdings ist dieses Ergebnis ebenfalls nur eingeschränkt verwertbar, da das Auftreten eines Prostatakarzinoms kein primäres Zielkriterium dieser Studie darstellte und dementsprechend nur eine kleine Zahl der Probanden an einem Prostatakarzinom erkrankten. Auch der Einfluss einer prophylaktischen Selengabe wird derzeit im Rahmen der SELECT-Studie überprüft.
9
Die Bedeutung sekundärer Pflanzenstoffe (z. B. Phytoöstrogene) in der Prävention des Prostatakarzinoms war Gegenstand etlicher Fall-KontrollStudien und Kohortenstudien. Insbesondere der in Tomaten und Tomatenprodukten enthaltene Wirkstoff Lykopen könnte einen präventiven Wert bei der Entstehung des Prostatakarzinoms haben (⊡ Tabelle 9.1). Trotz der eindeutigen Ergebnisse aus 2 großen Kohortenstudien – die Health Professionals Follow-up Study wurde erst kürzlich reevaluiert – spricht die Bewertung der Datenlage insgesamt jedoch eher dafür, dass nicht ein einzelner Stoff, sondern vermutlich eine Kombination sekundärer Pflanzenstoffe wirksam ist. Auch zum Einsatz von Phytoöstrogenen in der Behandlung von Patienten mit einem Prostatakarzinom liegen Daten vor. PC-SPES, ein Phytotherapeutikum bestehend aus Extrakten aus 8 verschiedenen Pflanzen, wurde in den vergangenen Jahren einer ersten wissenschaftlichen Bewertung zugeführt (Taille et al. 1999). Pfeifer et al. (2000) zeigten in einer Pilotstudie an 16 Patienten mit hormonrefraktärem PCA, dass unter PC-SPES der PSA-Wert absank und die Lebensqualität der Patienten zunahm. Als Nebenwirkungen wurden östrogenartige Effekte sowie Übelkeit, Durchfall, Brustschmerzen, Libidoverlust und Thromboembolien (in bis zu 4% der Fälle) beschrieben. Nachdem eine pharmakologische Prüfung Hinweise auf eine Kontamination u. a. mit dem »Blutverdünner« Warfarin ergab, wurde das Medikament von der FDA aus dem Markt genommen. Einer der Nachfolger ist Prostasol, das eine Kombination von z. T. aus der Behandlung der BPH bekannten Pflanzenextrakten (Serenoa Repens, Pygeum, Urtica Dioca [kleine Brennessel] und β-Sitosterol) enthält. Klinische Ergebnisse wurden bislang nicht vorgelegt.
9.3.2
Harnblasenkarzinom
Die Datenlage zur Prävention des Harnblasenkarzinoms durch Ernährung wurde kürzlich in einer Übersichtsarbeit bewertet (Zeegers et al. 2004). Dabei ergaben sich Hinweise auf einen präventiven Einfluss von Obst, Vitamin E und Selen, während die Zufuhr von Vitamin A oder C als Nahrungser-
142
I
Kapitel 9 · Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie
⊡ Tabelle 9.1. Der Einfluss des Verzehrs an Tomaten/Tomatenprodukten und des Serum-Lykopenspiegels auf das Prostatakarzinomrisiko. (Mod. nach Schmitz-Dräger et al. 2001)
Autor/Jahr
Studientyp
(n)
RR
Le Marchand et al. 1991
Fall-Kontroll-Studie
1.619/1.618
n. s.
Tzonou et al. 1999
Fall-Kontroll-Studie Tomatenprodukte
320/246
Fall-Kontroll-Studie Obst/Gemüse
628/602
Norish et al. 2000
Fall-Kontroll-Studie
Mills et al. 1989 7th-day-Adventists
p
95%-CI
0,70
<0,005
0,65
0,01
0,45–0,94
317/480
n0.s0.
0,76
0,50–1,17
Kohortenstudie
14.000
0,60
0,02
0,37–0,97
Giovannucci et al. 1995 (HPFS)
Kohortenstudie Tomaten Tomatensauce
>47.000 0,74 0,66
0,03 0,001
0,58–0,93 0,49–0,90
Giovannucci et al. 2002 (HPFS update)
Kohortenstudie Tomaten Tomatensauce
>47.000 0,84 0,77
0,003 <0,001
0,73–0,96 0,66–0,90
Hsing et al. 1990
Fall-Kontroll-Studie Serum-Lykopen
206
n. s.
Nomura et al. 1997
Eingebettete FallKontrollstudie Serum-Lykopen
284
n.s.
Gann et al. 1999 (PHS)
Eingebettete FallKontroll-Studie Plasma-Lykopen
1.156
0,75
0,12
0,54–1,06
Cohen et al. 2000
(Trend)
n Zahl der Patienten, RR relatives Risiko, p Wahrscheinlichkeit.
gänzung nicht mit dem Auftreten von Urotheltumoren assoziiert ist. In den vergangenen Jahren wurden mehrere Studien zur Rezidivprophylaxe von oberflächlichen Harnblasenkarzinomen publiziert. Bereits 1977 berichteten Byar und Blackard über die Ergebnisse eines prospektiv randomisierten Vergleichs zwischen einer Thiotepa-Instillationstherapie, der Einnahme von Vitamin B6 und einem Placebo. Dabei waren die Rezidivraten unter Thiotepa und Vitamin B6 signifikant reduziert. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine ebenfalls randomisierte Studie, bei der die Rezidivprophylaxe mit BCG im Thera-
piearm durch die orale Gabe eines Multivitaminpräparates (Vitamin A [40.000 IE], Vitamin B6 [100 mg], Vitamin C [2 g], Vitamin E [400 IE] und Zink [90 mg]) unterstützt wurde (Lamm et al. 1994). Im Rahmen einer prospektiv randomisierten Doppelblindstudie zeigten Studer et al. (1995), dass die Gabe des Vitamin-A-Analogs Etretinat (25 mg/ Tag) die Rezidivfrequenz oberflächlicher Harnblasentumoren signifikant reduzierte. Ähnliches gilt für die Einnahme von Lactobacillus casei: Aso et al. (1995) untersuchten in einer Doppelblindstudie die Rezidivfrequenz oberfläch-
143
9.5 · Sport und Bewegung
licher Harnblasentumoren unter Einnahme von 3 g Lactobacillus vs. Placebo. Bei primär multifokalen Tumoren und bei unifokalen Rezidivtumoren zeigte sich ein signifikanter präventiver Effekt.
9.4
Unkonventionelle (medikamentöse) Therapie
Verschiedene Klassen von Wirkstoffen fallen in diese Kategorie und der Übergang zur konventionellen, schulmedizinischen Therapie ist fließend. Überwiegend handelt es sich um Substanzen mit immunmodulierenden Effekten. Exemplarisch kann hier nur auf einige populäre Ansätze eingegangen werden. Das Keyhole limpet hemocyanin (KLH) wurde seit den ersten Beobachtungen Mitte der 70er-Jahre vorigen Jahrhunderts in den unterschiedlichsten Protokollen zur Rezidivprophylaxe von Harnblasentumoren eingesetzt. Obwohl eine Wirksamkeit als gesichert angenommen werden muss, bleibt der Stellenwert dieses Ansatzes bis heute unklar (Linn et al. 2000). Der Einsatz xenogener Peptide (Faktor AF-2) als komplementäre Maßnahme zur Chemotherapie urologischer Tumoren – insbesondere des Harnblasenkarzinoms – wurde in bislang 2 randomisierten Studien geprüft. Während in der Studie von Papadopoulos u. Wand (1989) die Rate der Therapieabbrecher in der Verumgruppe vermindert war, konnten Krege et al. (2002) diesbezüglich keine Unterschiede zwischen Verum- und Placebogruppe beobachten. Das Auftreten einer Myelotoxizität war allerdings unter einer zusätzlichen Therapie mit dem Faktor AF-2 signifikant geringer als in der Kontrollgruppe. Mistellektine werden vielfach in der Behandlung urologischer Tumoren eingesetzt. Es muss jedoch klar sein, dass derzeit keine ausreichende Datenlage im Sinne von randomisierten Studien vorliegt. Beim metastasierten Nierenzellkarzinom konnten Lümmen et al. (2001) im Rahmen einer randomisierten Studie keinen Überlebensvorteil im Vergleich der Therapie mit Interferon-α, Interleukin-2 und 5-Fluorouracil vs. Mistellektin beobachten. Die mediane Überlebenszeit war mit 18 vs. 15 Monten nicht signifikant unterschiedlich. Aller-
9
dings legen neuere, z. T. auch prospektive Untersuchungen, eine Wirksamkeit bei gastrointestinalen Tumoren, Mammakarzinom und dem Bronchialkarzinom nahe. Eine Überprüfung der Wirkungen von Mistellektinen bei Patienten mit anderen urologischen Tumoren erscheint lohnend und ist lange überfällig.
9.5
Sport und Bewegung
Seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert verkürzt sich die Zeit, in der es notwendig ist, körperlich zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zweifellos hat sich die körperliche Aktivität für große Teile der Bevölkerung in den Industrienationen in den Freizeitbereich verlagert. Diese »gesetzte« Lebensweise birgt Risiken. Adipositas, Osteoporose und koronare Herzerkrankungen sind bekannte Beispiele für Erkrankungen, die stark durch die Lebensweise beeinflusst sind. Auch für die Onkologie existiert mittlerweile eine gute Datenbasis, dass Sport für die Prävention einen Stellenwert besitzt. Zwischenzeitlich liegen eine Reihe von Untersuchungen vor, die sich mit dem Einfluss von Sport und Bewegung auf die Entstehung urologischer Tumoren, insbesondere das Prostatakarzinom, auseinandersetzen. Mehrere Übersichtsarbeiten, die bis zu 28 Studien zu diesem Thema zusammenfassen, kommen zu dem Schluss, dass Bewegung und Sport das Risiko eines Prostatakarzinoms vermutlich absenken (Oliveria u. Lee 1997; Friedenreic u. Thune 2001; Sommer et al. 2004). Demgegenüber liegen Daten vor, die darauf hinweisen, dass ausgeprägte sportliche Aktivität die Inzidenz von Harnblasentumoren erhöht. Wannamethee et al. (2001) berichteten über eine Kohortenstudie bei 7.500 Probanden, die über 18 Jahre verfolgt wurden. Ausgeprägte sportliche Aktivität war mit einem leicht erhöhten Risiko (OR 1,2) korreliert. Für Nieren- und Hodentumoren ist die Datenlage kontrovers, so dass ein wesentlicher Einfluss von Bewegung und Sport auf die Inzidenz dieser beiden Tumoren nicht zu erwarten ist.
I
144
Kapitel 9 · Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie
9.6
Magnetfeldtherapie
Bislang liegen keine Daten zur direkten Beeinflussung urologischer Tumorerkrankungen mit der Magnetfeldtherapie vor (Fischer et al. 2002). Allerdings ist die Wirkung der Magnetfeldtherapie u. a. auf die Knochenheilung nach tumorbedingten Knochenresektionen gut dokumentiert. In einer randomisierten und placebokontrollierten Studie an 47 Patienten wurde ein Magnetfeld mit 75 Hz acht Stunden täglich bis zu 1 Jahr lang appliziert (Capanna et al. 1994). In der Verumgruppe betrug die Heilungszeit im Mittel 6,7 Monate, in der Kontrollgruppe hingegen 9,4 Monate (p <0,001). Mooney (1990) erzielte in einer größeren, ebenfalls prospektiven-kontrollierten, vergleichenden Studie sogar mit einer geringeren Feldstärke und einer sehr niedrigen Frequenz von nur 1,5 Hz ähnliche gute Ergebnisse bereits nach einer 6-wöchigen Behandlung. In einer detaillierten Übersicht konnten Quittan et al. (2000) zeigen, dass in nahezu allen prospektiv-kontrollierten Studien zu dieser Thematik ein signifikanter Vorteil der Magnetfeldtherapie beobachtet wurde.
9.7
Psychologische und andere alternative Behandlungsverfahren
Schulmedizinische psychologische und psychotherapeutische Verfahren sind ein integraler Bestandteil in der modernen Behandlung urologischer Tumoren. Dem stehen weitere Verfahren (z. B. Meditation, sog. Body-mind-Techniken etc.) gegenüber, deren Wirkung auf den Verlauf urologischer Tumoren bislang nicht gesichert ist. Nichtdestotrotz nutzen über 10% aller Patienten mit einem Prostatakarzinom derartige Verfahren (Jones et al. 2002). Eine indirekte Wirkung derartiger Verfahren über einen Stressabbau in Zusammenhang mit einer Veränderung der Melatonin-Ausschüttung wird nahegelegt (Coker 1999): klinische Belege für einen auf Lebensqualität oder Überleben im Sinne von prospektiven Studien stehen jedoch bislang aus. Ähnliches gilt für verschiedene Ansätze aus der traditionellen chinesischen Medizin. Sie betreffen vielfach Nahrungsergänzungs-Präparatio-
nen ( s. oben) aber auch Massagen oder die Akupunktur. Die Akupunktur ist, im Gegensatz zu den anderen Ansätzen in multiplen randomisierten Studien geprüft worden. Ihre Wirksamkeit bei chronischen Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich darf als gesichert gelten (Furlan et al. 2002). Ohne dass explizite Studien zum metastasierten Prostatakarzinom vorliegen, sollte die Akupunktur als ergänzende Maßnahme zur klassischen Schmerztherapie mit dem Patienten diskutiert werden. Fazit Folgt man der Definition, dass es sich bei den komplementären und alternativen Therapieansätzen um Konzepte außerhalb der sog. Mainstream-Medizin handelt, so ist logisch, dass die meisten der Ansätze kein hohes Evidenzniveau erreichen. Mit Erreichen des Status einer akzeptierten Lehrmeinung wird ein Konzept aus der CAM in die Schulmedizin überführt. Auf dieser Grundlage ist es überraschend, dass mehrere Ansätze aus dem Bereich der CAM, die auf Grund der Datenlage als evidenzbasiert (Cochrane level I–II) betrachtet werden müssen, nach wie vor nicht in die Behandlung urologischer Tumorerkrankungen integriert sind. Beispielhaft mag man die Ernährung und Bewegung und sportliche Aktivität in der Prävention und z. T. auch in der Behandlung des Prostatakarzinoms anführen, was durch jüngste Untersuchungen erneut belegt wird (Hsieh et al. 2003; Ornish et al. 2003). Auch die (Multi-)Vitamingabe als Einzelmaßnahme oder adjuvant zur Instillationsprophylaxe bei oberflächlichen Harnblasentumoren scheint sinnvoll. Verhindert wird eine Umsetzung komplementärer Maßnahmen derzeit durch 1. unzureichende Kenntnisse bei Arzt und Patienten, 2. einen Mangel an entsprechenden Strukturen in den meisten Regionen (z. B. qualifizierte onkologische Diätberatung oder spezialisierte Physiotherapie) sowie 3. das Fehlen einer Finanzierung. ▼
Literatur
Die Verbesserung der Datenlage durch qualitativ hochwertige Studien und die konsequent evidenzbasierte Weiterbildung von Ärzten auf diesem Gebiet sind zentrale Maßnahmen, um alternative Ansätze aus ihrer unseligen Schattenexistenz herauszuführen und wirksamen Konzepten den ihnen zukommenden Stellenwert zu verschaffen. Damit wird auch dem Mythos der kritiklosen mafiösen Ablehnung alternativer Ansätze durch die klassische Medizin entgegengewirkt, der vielfach gezielt zur Verkaufsförderung genutzt wird.
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145
9
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II Infektionen, interstitielle Zystitis, Kontrastmittelallergie M. C. Truß
10
Diagnostik urologischer Infektionen M. Menninger
– 149
11
Therapie von Harnwegsinfektionen und Rezidivprophylaxe F. Imkamp, M. C. Truß
12
Perioperative Antibiotikaprophylaxe N. Schlote
13
Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen W. Vahlensieck, S. Lenk
14
Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen (Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Hämatoonkologie, Aids) und nach Nierentransplantation – 203 M. Burg, V. Kliem
15
Sexuell übertragbare Erkrankungen und andere andrologisch bedeutsame Infektionen – 221 K. Krämer-Schultheiss, D. Schultheiss
16
Neue Aspekte der Sepsisbehandlung T. Schürholz, H. Ruschulte
17
Pharmakotherapie der interstitiellen Zystitis A. van Ophoven, L. Hertle
18
Therapie der retroperitonealen Fibrose (M. Ormond) E. Waldkirch, J. H. Hagemann, M. C. Truß
19
Die Fournier-Gangrän – 265 J. H. Hagemann, E. Waldkirch, M. C. Truß
20
Management der akuten Kontrastmittelallergie S. Linde
– 163
– 175
– 185
– 235
– 243
– 259
– 271
10 Diagnostik urologischer Infektionen M. Menninger
10.1
Allgemeine Logistik der Diagnostik
– 150
10.2
Einteilung urologischer Infektionen
– 150
10.3
Diagnostik
10.3.1 10.3.2 10.3.3
Anamnese – 152 Körperliche Untersuchung – 152 Labor – 152 Untersuchungsmaterial – Urin, Abstriche, Prostataexprimat Materialverarbeitung – 153 Untersuchungsmaterial Blut – 155 Bildgebende Verfahren – 155 Sonographie – 155 Radiologie – 156 Nuklearmedizin – 157 Urodynamik – 157
10.3.4
10.3.5
– 152
10.4
Krankheitsbilder
10.4.1
Niere – 157 Akute Pyelonephritis – 157 Chronische Pyelonephritis – 158 Blase – 158 Akute bakterielle Zystitis – 158 Chronisch rezidivierende Zystitis – 159 Urethra – 160 Urethritis – 160 Prostata – 160 Akute Prostatovesikulitis – 160 Chronische Prostatovesikulitis – 160 Nebenhoden – 161 Epididymitis – 161
10.4.2
10.4.3 10.4.4
10.4.5
Abkürzungen Literatur
– 162
– 162
– 157
– 152
II
150
Kapitel 10 · Diagnostik urologischer Infektionen
10.1
Allgemeine Logistik der Diagnostik
Die häufigsten Erkrankungen im Fachgebiet der Urologie entfallen auf Harnwegsinfektionen. Sie sind Ursache von ca. 2.000.000 Arztbesuchen pro Jahr in der Bundesrepublik Deutschland. Obwohl die Prävalenz urogenitaler Infektionen damit die Größenordnung von Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie erreicht [5], finden diese Erkrankungen in unserer Gesellschaft noch längst nicht die adäquate Beachtung, die sie verdienen. Dies mag unter anderem auch daran liegen, dass man in der Öffentlichkeit über seinen Diabetes offener spricht, als über seine chronisch rezidivierende Prostatitis. Neben den ethisch-moralischen Verpflichtungen des Arztes gegenüber seinem Patienten in der Durchführung von Diagnostik und Therapie, gilt insbesondere in Zeiten von Budgetierung und Kosteneinsparung der Grundsatz: »Soviel Diagnostik wie nötig, jedoch so wenig wie möglich!«. Dass nicht in jedem Falle einer Harnwegsinfektion diese Abklärung auf universitärer Ebene zu erfolgen hat, versteht sich von selbst. Leider wenden sich jedoch viele Patienten mit Erkrankungen, welche zum Teil problemlos auch vom niedergelassenen Kollegen adäquat hätten behandelt werden können, primär an ein oder mehrere Zentren und verursachen somit unbewusst hohe Kosten. Zur Lösung dieser Problematik bedarf es einer engen Kooperation zwischen Hausärzten, Internisten, Urologen, Gynäkologen, Mikrobiologen, Radiologen und nicht zuletzt dem Patienten selbst. Kurz, zwischen allen an der Diagnostik von Harnwegsinfektionen Beteiligten. Eine rationelle Arbeitsteilung und die strickte Vermeidung von Doppeluntersuchungen schafft auch hier das Optimum. ⊡ Tabelle 10.1 zeigt eine mögliche Aufteilung der einzelnen diagnostischen Schritte auf die Fachdisziplinen [5].
10.2
Einteilung urologischer Infektionen
Der folgende Abschnitt soll als Wegweiser durch den Definitionspark urologischer Infektionen dienen und möchte zugleich das Spektrum dieser vielfältigen Gruppe von Krankheiten anreißen.
⊡ Tabelle 10.1. Kooperation bei urologischen Infektionen nach Hofstetter [5]
Diagnoseschritte
Disziplinen
Anamnese
H, I, U, G
körperliche Untersuchung
H, I, U, G
Probengewinnung z. B. Urin, Abstriche etc.
U, G,
Blutuntersuchung
H, I, U, G
Ultraschalldiagnostik
U
radiologische Untersuchungen
U, R
Endoskopie
U
Urodynamik
U
G Gynäkologe, H Hausarzt, I Internist, M Mikrobiologe, R Radiologe, U Urologe.
Die Ätiologie spezifischer Infektionen kann vom Pathologen am histologischen Präparat anhand des für diese Krankheit typischen pathologischen Bildes erkannt werden (z. B. Tuberkulose und Bilharziose). Bei unspezifischen Entzündungen hingegen gibt es zwar für das jeweilige Stadium der Infektion typische histopathologische Befunde, diese laufen jedoch bei vielen verschiedenen Krankheiten identisch ab und führen somit zu keiner Erregerbestimmung (⊡ Tabelle 10.2). Die Einteilung in unkomplizierte und komplizierte Infektionen ist für viele Nichturologen irreführend. Diese Begriffe unterscheiden nicht zwischen leichten und besonders schweren Infektionen, sondern geben im Falle einer komplizierten Entzündung an, dass ursächlich oder begleitend zur Infektion als komplizierender Faktor eine Obstruktion der Harnwege vorliegt, ohne deren Beseitigung keine Aussicht auf Heilung besteht. Dies bedeutet wiederum, dass insbesondere bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen immer auch an das Vorliegen von Harnabflussstörungen gedacht werden muss. Als weiterer komplizierender Faktor gelten auch vorangegangene invasive diagnostisch-
151
10.2 · Einteilung urologischer Infektionen
⊡ Tabelle 10.2. Einteilung urologischer Infektionskrankheiten
⊡ Tabelle 10.3. Organbezogene Aufstellung urologischer Infektionen
Begriffe/Begriffspaare
Organ
Krankheiten
Niere
akute Pyelonephritis, chronische Pyelonephritis, para- bzw. intrarenaler Abszess, Tbc, infizierte Harnstauungsniere
Blase
akute Zystitis, chronische Zystitis
Prostata
akute Prostatitis, chronisch bakterielle Prostatitis, chronisch abakterielle Prostatitis, Tbc
Urethra
Urethritis
STD
Nebenhoden
Epididymitis, Tbc
Urosepsis
Hoden
Orchitis
spezifische Infektionen
unspezifische Infektionen
komplizierte Infektionen
unkomplizierte Infektionen
Infektionen parenchymatöser Organe
Infektionen der Hohlorgane (nichtparenchymatös)
akute Infektionen
chronische Infektionen
chronisch rezidivierend
chronisch persistierend
bzw. therapeutische Manipulationen am Harntrakt. Die Unterteilung in parenchymatös sive nichtparenchymatös ist besonders praxisnah. Sie gelingt meist schon im Rahmen der Anamnese. Parenchymatöse Infektionen, also Erkrankungen von Niere, Prostata, Nebenhoden und Hoden, sind zyklische Infektionskrankheiten mit Beeinflussung des gesamten Organismus, was sich u. a. durch allgemeines Krankheitsgefühl und Fieber ausdrückt. Die ausschließliche Beteiligung von nichtparenchymatösen Organen, also der Hohlorgane Blase und Harnröhre, weisen nur lokale Symptome auf und gehen niemals mit Fieber einher (⊡ Tabelle 10.3). Wichtig
Ausnahme bilden ältere und immunkompromittierte Patienten, die häufig nur oligosymptomatisch reagieren, wodurch die Beteiligung parenchymatöser Organe leicht übersehen werden kann.
Die Differenzierung chronisch persistierend bzw. chronisch rezidivierend bringt den Pathomecha-
10
nismus der Krankheit ins Spiel. Bei einer persistierenden Infektion, mit immer wieder auftretenden Exazerbationen, findet sich innerhalb des Harntraktes ein Fokus, in dem die Erreger auch unter antibiotischer Therapie persistieren. Deshalb wird in den meisten infektiösen Episoden derselbe Keim identifiziert. Bei der rezidivierenden Form hingegen finden man im Verlauf variable Bakterien, deren Erregerreservoir nicht im Harntrakt des Patienten liegt, sondern meist im Enddarm des Kranken zu finden ist. Es findet somit bei jeder Episode eine erneute Infektion statt. STD bedeutet »sexual transmitted disease«. Diese Gruppe von Krankheiten werden von Erregern verursacht, die aufgrund ihrer Empfindlichkeit beim Verlassen der Schleimhäute schnell absterben. Eine Übertragung ist somit nur auf direktem Wege, von Schleimhaut zu Schleimhaut, also meist intracoital möglich ( s. dazu auch ⊡ Tabelle 10.9). Die Urosepsis ist eine aktive, überschießende Reaktion des Makroorganismus auf Bakterien bzw. deren Toxine, welche von einem Fokus im Urogenitaltrakt ins Blut gelangt sind. Die Urosepsis kann rasch in einen septischen Schock übergehen und ist dann in 50–70% letal.
152
Kapitel 10 · Diagnostik urologischer Infektionen
10.3
Diagnostik ⊡ Tabelle 10.4. Urologische Leitsymptome
10.3.1 Anamnese Bezeichnung
Definition
Algurie
schmerzhafte Miktion
Pollakisurie
hohe Miktionsfrequenz
Nykturie
hohe Miktionsfrequenz bei Nacht
Polyurie
>2.000 ml/Tag
Vorgeschichte und Prädispositionen
Oligurie
<500 ml/Tag
Vorgeschichte des Patienten Frühere Infektionen Zustand nach invasiven diagnostischen bzw. therapeutischen Maßnahmen am Urogenitaltrakt Bekannte Harnabflussbehinderungen, z. B. BPH-Syndrom, Harnsteinleiden etc. Schwangerschaft Gynäkologische Erkrankungen Stoffwechselerkrankungen, z. B. Diabetes mellitus Immunsuppressive Therapie bzw. Erkrankungen Kindliche Entwicklungsstörungen Darmerkrankungen Sexualpraktiken Medikamente
Anurie
<100 ml/Tag
Dysurie
erschwerte Miktion
Hämaturie
Blut im Urin
Pneumaturie
Luft im Urin
Urgesymptomatik
Gefühl des Harndranges, führt häufig zu Pollakisurie
Blasentenesmen
Blasenkrämpfe
II Wichtigste Weichen werden auch bei Harnwegsinfektionen bereits mit der Anamnese gestellt. So geben typische urologische Leitsymptome (⊡ Tabelle 10.4) in Verbindung mit der Vorgeschichte des Patienten (s. folgende Übersicht) die Richtung der Diagnostik an.
Weitere Symptome urogenitaler Infektionen sind Schmerzen im Bereich von Flanke, Damm, Skrotalinhalt, Unterbauch und Penis sowie Fieber und Inkontinenz. Die Kenntnis der Vorgeschichte und Prädispositionen, welche die Infektabwehr beeinflussen (s. obige Übersicht), sind für die weitere Diagnostik und Therapie von höchster Bedeutung.
10.3.2 Körperliche Untersuchung
Bei der urologisch körperlichen Untersuchung stehen vor allem Flanken- und Blasenregion, äußeres Genitale und die Prostata im Vordergrund. Für eine differenzialdiagnostische Beurteilung muss jedoch
eine orientierende Beurteilung des gesamten Patienten gefordert werden. Hier voran eine gründliche Exploration des Abdomens und eine orientierende Untersuchung von Herz und Lunge.
10.3.3 Labor
Untersuchungsmaterial – Urin, Abstriche, Prostataexprimat Neben Blut als wichtigem Lieferanten diagnostischer Parameter bietet sich in der urologischen Infektiologie in erster Linie Urin als Untersuchungsmaterial an. Je nach Fragestellung, insbesondere hinsichtlich der Lokalisation der Infektion, variiert die Art der Uringewinnung. Des Weiteren werden Spezialabstriche, Probebiopsien und Prostataexprimat gewonnen [4] (⊡ Tabelle 10.5). Die Uringewinnung bei Kleinkindern erfolgt mittels steriler Klebebeutel. Bei Frauen sollte insbesondere bei infektiologischer Fragestellung Ka-
153
10.3 · Diagnostik
10
⊡ Tabelle 10.5. Untersuchungsmaterialien
Material
Gewinnung
Zielorgan
Initialurin
erste Miktionsportion (10–20 ml)
Urethra
Mittelstrahlurin
zweite Miktionsportion
Blase und oberer Harntrakt
Exprimaturin
erste Miktionsportion nach Prostatamassage (10–20 ml)
Prostata
Katheterurin
mittels Blasenkatheter
Blase und oberer Harntrakt
Punktionsurin
mittels suprapubischer Punktion
Blase und oberer Harntrakt
Prostataexprimat
mittels Prostatamassage
Prostata
Ejakulat
Masturbation
männliche Adnexe
Abstriche
Abstriche von Urethra, Vagina, Portio, Glans penis
jeweiliges Organ
Materialverarbeitung ⊡ Tabelle 10.6. Urethralabstriche und 4-Gläser-Probe bei v. a. Urethroadnexitis
Untersuchung
Parameter
Urethralabstriche
Mo
Initialurin
pH, Ew, Glu, L, E, Osm, aS, Mo
Mittelstrahlurin
pH, Ew, Glu, L, E, Osm, aS, Mo
Prostataexprimat
L, E, Mo
Exprimaturin
L, E, Mo, Akute-Phase-Proteine, Leukozytenelastase
aS antibakterielle Stoffe, E Erythrozyten, Ew Eiweiß, Glu Glukose, L Leukozyten, Mo Mikroorganismen, Osm Osmolarität.
theterurin Verwendung finden, da die Kontaminationsgefahr von Mittelstrahlurin sehr hoch ist und somit zu einer unnötigen bzw. falsch orientierten antibiotischen Therapie führen kann. Die Abklärung einer Urethroadnexitis beim Mann erfolgt über die 4-Gläser-Probe nach Meares u. Stamey (⊡ Tabelle 10.6).
Sämtliche Untersuchungsmaterialien müssen frisch gewonnen werden und unter Vermeidung von Kontamination rasch auf die entsprechenden Nährmedien bzw. in die dafür vorgesehenen Versandkontainer überführt werden. Viele Erreger wie z. B. Escherichia coli verdoppeln sich bei Raumtemperatur im Urin innerhalb von 20–30 min, was bei der Auswertung zu Fehlinterpretationen und somit Fehlbehandlung führt. Entsprechend verschiedener internationaler Empfehlungen sollten sämtliche Proben innerhalb von 2 h im Labor eintreffen und dort sofort verarbeitet werden [6]. Fehler, die in dieser so trivial erscheinenden Phase (Präanalytik) passieren, kann auch das beste Labor nicht mehr korrigieren. Insbesondere bei den hochsensitiven Verfahren, wie z. B. PCR und LCR, ist auf eine sorgfältige Materialgewinnung und -verarbeitung zu achten. Teststreifenverfahren
Je nach verwendetem Fabrikat lassen sich via Teststreifen Parameter wie pH-Wert, Eiweiß, Glukose, Blut, Leukozyten, Nitrit, spezifisches Gewicht und Osmolarität schnell, jedoch z. T. mit großen Toleranzbereichen, bestimmen.
Kapitel 10 · Diagnostik urologischer Infektionen
154
Mikroskopie
II
Für die mikroskopische Beurteilung wird ein Urinsediment hergestellt. Dabei werden 10 ml Urin bei 1.500 Umdrehungen/min für 5 min zentrifugiert. 9,5 ml werden dekantiert, der Rest wird durch Aufschütteln erneut suspendiert. Davon kann nun ein Tropfen bei 400facher Vergrößerung mikroskopiert werden. Im Sediment kann man Erythrozyten, Leukozyten, Bakterien, Trichomonaden, Epithelien, Hefezellen, Zylinder, Parasiten und Kristalle finden bzw. beurteilen (Normwerte siehe ⊡ Tabelle 10.7). Das Prostataexprimat wird ohne vorherige Aufbereitung bei 1.000facher Vergrößerung mikroskopiert [2]. Eine Methylenblau- bzw. Gramfärbung erlaubt einen groben Überblick über die mikrobiologische Situation. Kulturelle Verfahren
Zum orientierenden Erregernachweis bzw. zur semiquantitativen Keimzahlbestimmung im Urin eignet sich in der urologischen Praxis das Objektträgereintauchverfahren. Es gibt dem Untersucher, bei relativ geringem Aufwand, hinreichend Auskunft, ob eine signifikante Keimzahl grampositiver oder -negativer Erreger vorliegt. Neben der unkomplizierten Anwendbarkeit leidet dieses Verfahren jedoch unter einigen Nachteilen. Keimzahlen kleiner oder gleich 103 werden nicht sicher erfasst. Bei Mischkulturen mit hoher Keimzahl ist die genaue biochemische Klassifizierung und Resistenz-
⊡ Tabelle 10.7. Normwertetabelle
Erythrozyten a
Leukozyten
Bakterien
IU-Sediment
0–3/Gf
0–5/Gf
0/Gf
MSU-Sediment
0–3/Gf
0–5/Gf
0/Gf
EU-Sediment
0–5/Gf
0–10/Gf
0–3/Gf
Prostataexprimat
0–5/Gf
0–20/Gf
0–3/Gf
a
ist nach vorher durchgeführten Urethralabstrichen nicht mehr aussagefähig, Gf Gesichtsfeld, IU Initialurin, MSU Mittelstrahlurin.
bestimmung einzelner Kulturen erschwert und gelingt, wenn überhaupt, erst mit ein- bis zweitägiger Verzögerung. Bei akuter unkomplizierte Zystitis oder zum orientierenden Erregernachweis als Kontrolle während einer antibiotischen Therapie mit bereits bekanntem Erreger, kann dieses Verfahren jedoch unbedenklich Verwendung finden [3]. Das Anlegen von Oberflächenkulturen erlaubt die folgenden Bestimmungen und ist somit dem Eintauchverfahren an Aussagekraft überlegen: Bestimmung der Gesamtkeimzahl, Bestimmung der Anzahl der unterschiedlichen Erreger, Bestimmung der Keimzahl der jeweiligen Spezies, Bestimmung der/des relevanten Keime/s nach Kriterien der signifikanten Bakteriurie, Isolierung der Erreger und deren biochemische Differenzierung und Resistenzbestimmung [3]. Hierbei wird jeweils ein Aliquot von 10 µl unzentrifugierten Harnes auf einer Blutagarplatte und einem Selektivmedium für Enterobacteriaceae (McConkey- oder Endoagarplatte) mit der 10 µlPlatinöse ausgestrichen und bei 36 °C (± 1 °C) für 24 h bebrütet. Nach 24 h lässt sich die Keimzahl und je nach Erfahrung des Untersuchers in einigen Fällen bereits der Keim selbst angeben. Die weitere Differenzierung erfolgt mit Hilfe einzelner biochemischer Tests, welche erregerspezifische Stoffwechselvorgänge zur Artbestimmung nutzen (z. B. Katalase-, Koagulasetest, bunte Reihe, API etc.). Zur Resistenzbestimmung eignet sich im urologischen Labor der Agardiffusionstest. Hierzu wird eine Bakterienkultur von der Agarplatte abgehoben, in physiologischer Kochsalzlösung suspendiert und gleichmäßig auf einen Mueller-HintonAgar aufgetragen. Der Agar wird anschließend mit den jeweiligen zu testenden Antibiotikaplättchen beschickt und für 24 h bebrütet. Am Vorhandensein bzw. an der Größe der sog. Hemmhöfe lässt sich dann das Resistenzmuster des Erregers ablesen. Für den Nachweis von Pilzen werden in oben beschriebener Weise Sabouraud-Agars angelegt und unter Berücksichtigung des langsameren Pilzwachstumes bis zu 72 h bebrütet.
155
10.3 · Diagnostik
⊡ Tabelle 10.8. Übersicht über Erreger urogenitaler Infektionen
Bakterien gramnegativ
grampositiv
Escherichia coli
Staphylococcus spec.
Proteus spec.
Streptococcus spec.
Klebsiella spec.
Enterococcus spec.
Enterobacter spec.
Peptococcusa
Citrobacter spec.
Peptostreptococcusa
Serratia spec. Providentia spec. Morganella spec. Pseudomonas spec. Bacteroides a Ziehl-Neelsen Mycobacterium tuberculosis Helminthen Schistosoma haematobium a
strikt anaerob.
Mit den oben beschriebene Verfahren lassen sich die meisten Erreger von Infektionskrankheiten im Urogenitaltrakt nachweisen (⊡ Tabelle 10.8). Fragestellungen, insbesondere die Gruppe der STD-Erreger (⊡ Tabelle 10.9) betreffend, bedürfen spezieller Untersuchungsverfahren, i.e. Spezialmedien für Transport und Kultur, Zellkulturen, Spezialnachweismethoden wie direkte Immunfluoreszenz, PCR/LCR u. a. [3].
10
tränkt und auf eine mit Bacillus subtilis beimpfte Agarplatte aufgelegt. Ein Hemmhof um das Plättchen nach 24-stündiger Bebrütung beweist das Vorhandensein antibakterieller Stoffe. Dieser Test eignet sich auch um die Compliance des Patienten hinsichtlich der Einnahme des Antibiotikums zu testen. Hemmhofpositive Kulturergebnisse müssen immer unter Vorbehalt beurteilt werden, da das Keimspektrum auf der Agarplatte alteriert ist [2].
Untersuchungsmaterial Blut Die Aktivität einer Infektion bzw. die Beeinflussung des Gesamtorganismus lässt sich u. a. an den allgemeinen Entzündungsparametern im Blut ablesen (⊡ Tabelle 10.10, [1–3]). Die in ⊡ Tabelle 10.10 unter den Punkten 4–13 aufgeführten Parameter sind insbesondere bei der Einschätzung septischer Verläufe hilfreich. Die Parameter 4–9 reagieren u. a. im Rahmen einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC). Die Parameter 10–12 geben Auskunft über die Funktion des respiratorisch-zirkulatorischen Systems. Procalcitonin wird als empfindlicher Parameter bei der Sepsisüberwachung geführt. Der Nachweis der Erregern im Blut mittels Blutkulturen und deren Resistenzbestimmung ist nach wie vor hinsichtlich einer testgerechten antibiotischen Therapie wichtiger Bestandteil der Diagnostik. Die serologische Diagnostik (⊡ Tabelle 10.9) gibt Auskunft über Kontakte der Patienten mit bestimmten Erregern bzw. deren Aktivität.
10.3.4 Bildgebende Verfahren
Sonographie Hemmstoffnachweis
Eine sterile Kultur kann bedeuten, dass im Untersuchungsmaterial tatsächlich kein Erreger vorhanden ist oder dass dessen Nachweis nicht gelang. Ursache dieses falschnegativen Resultates ist häufig das Vorhandensein antibakterieller Stoffe wie z. B. Antibiotika oder Desinfektionsmittel (Desinfektion des äußeren Genitale zur Uringewinnung) im Urin. Beim hierfür entwickelten Hemmstofftest wird ein Testplättchen mit Patientenurin ge-
Die Sonographie liefert rasch und für den Patienten vollkommen unschädlich dynamische Bilder der urologischen Organe wie Niere, Blase, Prostata, Hoden und Nebenhoden. Der Harnleiter ist wegen Darmüberlagerung nicht beurteilbar. Mittels Sonographie gelingt die Diagnostik von Harnstauungsniere, Restharn und Abszessen. Sie ist somit fester Bestandteil der Primärdiagnostik von Harnwegsinfektionen, da die Indikation zu invasiven Sofortmaßnahmen wie perkutane Nephrostomie, supra-
Kapitel 10 · Diagnostik urologischer Infektionen
156
⊡ Tabelle 10.9. STD-Erreger und deren Nachweismethoden [3]
II
Erreger
Diagnostik
Bakterien Mykoplasmen
Kultur (mod. A7-Med.), PCR
Ureaplasmen
Kultur (mod. A7-Med.), PCR
Chlamydia trachomatis (Serotyp D–K)
Antigennachweis (DFT, ELISA), PCR, Zellkultur (McKoy), Serologie
Chlamydia trachomatis (Serotyp L)
Serologie, DFT, Zellkultur (McKoy)
Neisseria gonorrhoeae
Präparat (Methylenblau, Gram), Kultur (Kochblutagar)
Treponema pallidum
Serologie (TPHA, 19 S-FTA-Abs, VDRL), PCR; Mikroskopie (Dunkelfeld – aus Primäraffekt von Lues I)
Haemophilus ducreyi
Mikroskopie (Fischzuganordnung), Kultur, PCR
Gardnerella vaginalis
Kultur (Humanblutagar, anaerob), Nachweis von »clue-cells«
Viren HIV
Serologie (ELISA, Western Blot)
Herpes-simplex-Virus
Zellkultur, DFT, PCR
Papillomaviren
PCR, DNA-Hybridisierung
Zytomegalievirus
Mikroskopie, Antigennachweis, PCR, Serologie
Hepatitis-B-Virus
Serologie
Protozoen Trichomonas vaginalis
Mikroskopie (nativ, Giemsa), Kultur (Diamond-Spez. Medium)
Pilze Candida albicans
Mikroskopie, Kultur (Sabauroud-Agar)
pubische Blasenpunktion, Abszessspaltung etc. mit ihrer Hilfe gestellt und z. T. sogar durchgeführt wird.
Radiologie Morphologische Veränderungen innerhalb des urologischen Hohlsytems und Abflussbehinderungen (Konkremente, Tumoren, Kompression von Außen etc.) werden, unter Berücksichtigung
der Nierenfunktion, mit dem Infusionsurogramm dargestellt. Infravesikale Abflussstörungen und ein vesikoureteraler Reflux werden mit Hilfe eines Miktionszysturethrogrammes verifiziert. Schichtverfahren wie Computertomographie und Magnetresonanztomographie sind u. a. beim Aufspüren von Abszessen und Neoplasien hilfreich. Des Weiteren können extraurogenitale Ursachen von Harnabflussstörungen wie z. B.
157
10.4 · Krankheitsbilder
10
10.3.5 Urodynamik ⊡ Tabelle 10.10. Entzündungsparameter
Parameter
Normwerte
1
Leukozyten
4.000–10.000/mm3
2
CRP
<0,5 mg/dl
3
BKS
8/18 mm und α 11/20 mm
4
Thrombozyten
>150.000/mm3
5
Quick
>80%
6
PTT
<40 s
7
Fibrinogen
150–450 mg/dl
8
Fibrinspaltprodukte
2 µg/ml
9
Antithrombin
80–120%
10
paO2
>75 mm Hg (je nach Alter)
11
pH-Wert
7,37–7,47
12
Laktat
<16 mg/dl
13
Procalcitonin
<0,5 ng/ml
Ureterkompression durch Tumoren abgeklärt werden.
Nuklearmedizin Weitere Auskunft über Nierenfunktion bzw. Vitalität einzelner Abschnitte der Niere geben MAG-IIIClearance und DMSA-Niere. Für den Infektiologen werden diese Untersuchungen interessant bei der intrarenalen Fokussuche bei chronisch persistierenden Harnwegsinfektionen. Mit diesen Methoden lassen sich Narben im Nierenparenchym aufspüren, die z. B. von einer kindlichen Pyelonephritis stammen und nun ihrerseits als Dauerfokus fungieren.
Neurogene Blasenentleerungsstörungen als komplizierender Faktor lassen sich im Rahmen einer urodynamischen Untersuchung abklären (siehe entsprechende Literatur).
10.4
Krankheitsbilder
Im Folgenden werden urologische Infektionskrankheiten exemplarisch vorgestellt. Bei der Diagnostik all dieser Krankheiten ist immer darauf zu achten, dass vor der Einleitung einer kalkulierten (noch ohne Erregernachweis und Antibiogramm) antibiotischen Therapie Material für den späteren Keimnachweis und dessen Resistenzbestimmung asserviert wird. Die kulturelle Diagnostik muss immer mit einer quantitativen Bewertung der Keimzahl gekoppelt werden. Dies verringert die Gefahr von Fehlinterpretationen unspezifischer Ergebnisse.
10.4.1 Niere
Akute Pyelonephritis Definition: akute bakterielle interstitielle Nephritis Ätiologie: meist kanalikulär aufsteigende Erreger, seltener hämatogen. Die komplizierte Form mit Abflussstörung wird auch als sekundär bezeichnet Symptomatik: schweres allgemeines Krankheitsgefühl, Fieber, Schüttelfrost, Flankenschmerzen, Appetitlosigkeit Diagnostik: – Anamnese: vorherige Infektionen, Prädispositionen ( s. Übersicht S. 152) – Körperliche Untersuchung: Flankendruck- und Klopfschmerz – Urinsediment: Leukozyturie, Erythrozyturie, Bakteriurie, z. T. Leukozytenzylinder – Urinkultur: signifikante Bakteriurie (>10 5 KBE/ml), meist gramnegative ▼
158
II
Kapitel 10 · Diagnostik urologischer Infektionen
Stäbchen aus der Gruppe der Enterobacteriaceae, davon E. coli als Hauptvertreter; (⊡ Tabellen 10.8 u. 10.9) – Blut: Leukozytose, CRP ↑↑, BKS ↑↑, – Sonographie: Ausschluss einer Harnstauungsniere, von Restharn und Abszessen Differenzialdiagnose: infizierte Harnstauungsniere, Pyonephrose, perirenaler Abszess, basale Pneumonie bzw. Pleuritis, akute Pankreatitis, Cholezystitis Komplikationen: Urosepsis, Übergang in chronische Form Weitere Abklärung nach erfolgreicher Therapie: Ausschluss von Abflussstörungen mittels IUG; MCU zum Nachweis eines vesikoureteralen Refluxes bzw. einer infravesikalen Obstruktion
Chronische Pyelonephritis Definition: chronisch bakterielle interstitielle Nephritis mit Tendenz zur Vernarbung von Gewebe und Verplumpung des Kelchsystems Ätiologie: meist als Folge einer nicht ausgeheilten akuten Pyelonephritis; begünstigend wirken nicht beseitigte Abflussstörungen und ein kompromittiertes Immunsystem durch z. B. Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Hyperurikämie), hohes Alter, Immunsuppression u. a. Symptomatik: das Spektrum reicht von Beschwerdefreiheit bis zum Vollbild der akuten Pyelonephritis bei Exazerbation; Patienten klagen häufig über unspezifische Symptome wie Appetitlosigkeit, subfebrile Temperaturen, Nachtschweiß, chronisch rezidivierende Zystitiden, Flankenschmerz; renale Hypertonie und Niereninsuffizienz als Spätfolge Diagnostik: – Anamnese: vorherige Infektionen, Prädispositionen ( s. Übersicht: Vorgeschichte und Prädispositionen) ▼
–
Körperliche Unterssuchung: ± Flankenklopfschmerz – Urinsediment: ± Leukozyturie, ± Erythrozyturie, ± Bakteriurie, z.T. Leukozytenzylinder, unbedingt mehrmalige Wiederholung der Untersuchung! – Urinkultur: pathogene Erreger (nicht immer nachweisbar ⇒ wiederholtes Anlegen von Kulturen); (⊡ Tabellen 10.8 u. 10.9) – Blut: harnpflichtige Substanzen normal oder ↑ – Sonographie: Ausschluss einer Harnstauungsniere und von Restharn, verkleinerte Niere, unregelmäßige Kontur mit Parenchymnarben, Konkrementsuche – Radiologie: verkleinerter Nierenschatten in der Übersicht; im IUG Darstellung von verplumpten Kelchen, z. T. verringerte Ausscheidung, Ausschluss von Abflussstörungen, MCU zum Nachweis eines vesikoureteralen Refluxes bzw. einer infravesikalen Obstruktion – Nuklearmedizin: Darstellung avitaler Areale bzw. von Bereichen mit verminderter Funktion mittels MAG-III-Clearance und DMSA-Niere Differenzialdiagnose: Uro-Tbc, rezidivierende Zystitiden Komplikationen: arterielle Hypertonie, Schrumpfniere, Steinbildung, Niereninsuffizienz
10.4.2 Blase
Akute bakterielle Zystitis Definition: akute bakterielle Entzündung der Blasenschleimhaut Ätiologie: über Urethra aufsteigende Erreger; betrifft als unkomplizierte Zystitis hauptsächlich junge Frauen; die kompli▼
10.4 · Krankheitsbilder
zierte Form mit infravesikaler Obstruktion tritt meist in Verbindung mit einer BPH in entsprechendem Mannesalter auf; neurogene Abflussstörungen gelten als weiterer komplizierender Faktor. Die Zystitis beim Mann gilt immer als kompliziert und muss dahingehend abgeklärt werden Symptomatik: Pollakisurie, Algurie, Blasentenesmen, Urgesymptomatik, z. T. Hämaturie Diagnostik: – Anamnese: vorherige Infektionen, Prädispositionen ( s. Übersicht S. 152) – Körperliche Untersuchung: Druckschmerz über der Blase, kein Fieber! – Urinsediment: Leukozyturie, Erythrozyturie, Bakteriurie – Urinkultur: signifikante Bakteriurie (>10 5 KBE/ml), meist gramnegative Stäbchen aus der Gruppe der Enterobacteriaceae, davon E. coli als Hauptvertreter, (⊡ Tabellen 10.8 u. 10.9) – Blut: keine erhöhten Entzündungsparameter – Sonographie: Ausschluss von Restharn Differenzialdiagnose: Fremdkörper, Urethritis Komplikationen: Übergang in chronische Form, Aszension in den oberen Harntrakt Weitere Abklärung nach erfolgreicher Therapie: Ausschluss von Abflussstörungen neurogen bzw. obstruktiv (BPH, Prostatakarzinom, Urethralstriktur und -klappen)
Chronisch rezidivierende Zystitis Definition: chronisch bakterielle Entzündung der Blasenschleimhaut, ≥3/Jahr bzw. ≥2/Halbjahr; u. a. auch chemisch physikalische Ursachen Ätiologie: wie in Abschn. 10.2 beschrieben, unterscheiden man zwischen einer persistierenden und einer rezidivierenden Form ▼
159
10
Symptomatik: Pollakisurie, Algurie, Blasentenesmen, Urgesymptomatik, z. T. Hämaturie; im Intervall meist beschwerdefrei Diagnostik: – Anamnese: vorherige Infektionen, Prädispositionen ( s. Übersicht: Vorgeschichte und Prädispositionen) – Körperliche Untersuchung: Druckschmerz über der Blase, Inspektion des äußeren Genitale – Urinsediment: Leukozyturie, Erythrozyturie, Bakteriurie bei Exazerbation – Urinkultur: pathogene Keime (⊡ Tabellen 10.8 u. 10.9); – Abstriche: von Urethra, Vagina und Portio ⇒ pathogene Keime (⊡ Tabellen 10.8 u. 10.9) – Blut: keine erhöhten Entzündungsparameter – Sonographie: Ausschluss von Restharn – Radiologie: Ausschluss von Harnabflussstörungen und Reflux mittels IUG und MCU – Urethrozystoskopie: Ausschluss infravesikale Obstruktionen, Blasentumoren und Fremdkörper – Nuklearmedizin: Darstellung avitaler Areale bzw. von Bereichen mit verminderter Funktion mittels MAG-III-Clearance und DMSA-Niere, die als Fokus dienen könnten – Urodynamik: neurogene Blasenentleerungsstörungen – Partneruntersuchung: zum Ausschluss des Ping-Pong-Effektes Differenzialdiagnose: Fremdkörper, Blasentumor (cave Cis!), Reizblase, interstitielle Zystitis Komplikationen: Aszension in den oberen Harntrakt, Plattenepithelkarzinom der Blase als Spätstadium der Bilharziose
160
Kapitel 10 · Diagnostik urologischer Infektionen
10.4.3 Urethra
II
10.4.4 Prostata
Urethritis
Akute Prostatovesikulitis
Definition: entzündliche Reaktion der Urethralschleimhaut; Unterscheidung zwischen gonorrhoischer und nichtgonorrhoischer Urethritis Ätiologie: Aszension pathogener Erreger, meist STD-Erreger (⊡ Tabelle 10.9); die nichtgonorrhoische Form wird insbesondere von Chlamydien und Mycoplasmatazeen verursacht (cave! gegen Betalaktam-Antibiotika resistent); chemisch physikalische Ursachen Symptomatik: Ausfluss aus Urethra (Fluor), Brennen in Urethra, Algurie, Dysurie, z. T. initiale Hämaturie Diagnostik: – Anamnese: vorherige Infektionen, Prädispositionen ( s. Übersicht: Vorgeschichte und Prädispositionen, S. 152) – Körperliche Untersuchung: geröteter Meatus urethrae, sichtbarer Ausfluss – Initialurin: >15 Leukos/Gf, Keimnachweis – Abstriche: Nachweis pathogener Keime im Urethralabstrich bzw. -sekret – Sonographie: Ausschluss von Restharn – Partneruntersuchung: zum Ausschluss des Ping-Pong-Effektes Differenzialdiagnose: Fremdkörper, Prostatourethritis Komplikationen: Strikturbildung Weitere Abklärung nach erfolgreicher Therapie: Radiologie: CUG bzw. MCU zum Ausschluss von Harnabflussstörungen der Urethra
Definition: akute bakterielle Entzündung von Prostata und Vesiculae seminales Ätiologie: meist Aszension von Erregern über die Urethra zur Prostata Symptomatik: Pollakisurie, Algurie, Dammschmerzen, z. T. Defäkationsschmerzen, Fieber, Schüttelfrost, ggf. Harnverhalt, ggf. Urethralfluor Diagnostik: – Anamnese: vorherige Infektionen, Prädispositionen ( s. Übersicht: Vorgeschichte und Prädispositionen, S. 152) – Körperliche Untersuchung: druckdolente Prostata (cave! kein Exprimation wegen Sepsisgefahr) – Urinsediment: Leukozyturie, Erythrozyturie, Bakteriurie – Urinkultur: signifikante Bakteriurie (>10 5 KBE/ml), meist gramnegative Stäbchen aus der Gruppe der Enterobacteriaceae, davon E. coli als Hauptvertreter; (⊡ Tabellen 10.8 u. 10.9) – Blut: Leukozytose, CRP ↑↑, BKS ↑↑, PSA ↑ – Sonographie: Ausschluss von Restharn und Prostataabszessen (transrektal) Differenzialdiagnose: Prostataabszess Komplikationen: Harnverhalt, Urosepsis, Strikturbildung Weitere Abklärung nach erfolgreicher Therapie: Radiologie: CUG bzw. MCU zum Ausschluss einer infravesikalen Obstruktion
Chronische Prostatovesikulitis Definition: chronische bakterielle Entzündung von Prostata und Vesiculae seminales Ätiologie: meist Aszension von Erregern über die Urethra zur Prostata, Persistenz der Erreger in minderperfundierten Arealen der Prostata (z. B. Narben und Biofilm) Symptomatik: Pollakisurie, Algurie, Dammschmerzen, z. T. Defäkationsschmerzen, ▼
161
10.4 · Krankheitsbilder
ggf. ziehende Schmerzen beidseitig inguinal, ausstrahlende Schmerzen in Penis, Urethralfluor Diagnostik: – Anamnese: vorherige Infektionen, Prädispositionen ( s. Übersicht: Vorgeschichte und Prädispositionen) – Körperliche Untersuchung: ggf. druckdolente Prostata – 4-Gläser-Probe: Leukozyten >20/Gf im Exprimat und >10 im Exprimaturin (⊡ Tabelle 10.7 ) – Kultur: Bakterien mit einer Keimzahl im Exprimat und Exprimaturin von mind. einer Zehnerpotenz höher als im Initial- und Mittelstrahlurin, meist gramnegative Stäbchen aus der Gruppe der Enterobacteriaceae, davon E. coli als Hauptvertreter; (⊡ Tabellen 10.8 u. 10.9) aber auch Chlamydien und Mykoplasmen – Sonographie: Ausschluss von Restharn, Beurteilung der Prostata (transrektal) – Radiologie: CUG bzw. MCU zum Ausschluss einer infravesikalen Obstruktion Differenzialdiagnose: Anogenitales Syndrom, Tbc Nach der neuen NIH–Klassifikation wird unterschieden: 1. akute bakterielle Prostatitis ( s. Übersicht: Akute Prostatovesikulitis) 2. chronische bakterielle Prostatitis ( s. Übersicht: Chronische Prostatovesikulitis) 3. chronische abakterielle Prostatitis/ chronisches Schmerzsyndrom des Beckens a) entzündliches chronisches Schmerzsyndrom des Beckens b) nichtentzündliches Schmerzsyndrom des Beckens 4. asymptomatische entzündliche Prostatitis ▼
10
Bei der chronischen »abakteriellen« Prostatitis liegt zwar eine entzündliche Erkrankung der Prostata vor, was sich im Exprimat durch >20 Leukos/Gf zeigt. Ein Nachweis von Erregern gelingt jedoch nicht. Bei den Punkten 3b und 4 lassen sich weder Erreger noch Leukos nachweisen.
10.4.5 Nebenhoden
Epididymitis Definition: akute bakterielle Entzündung des Nebenhodens Ätiologie: meist Aszension von Erregern über die Ductus deferentes. Häufig mit Prostatitis vergesellschaftet Symptomatik: Schmerzen im Skrotalbereich mit inguinaler Ausstrahlung, Fieber, Schüttelfrost Diagnostik: – Anamnese: vorherige Infektionen, Prädispositionen ( s. Übersicht: Vorgeschichte und Prädispositionen) – Körperliche Untersuchung: gerötete Skrotalhaut, Schwellung des Nebenhodens, extrem schmerzhafter Skrotalinhalt – Urinsediment: Leukozyturie, Erythrozyturie, Bakteriurie (nicht zwingend!) – Urinkultur: meist gramnegative Stäbchen aus der Gruppe der Enterobacteriaceae, davon E. coli als Hauptvertreter; (⊡ Tabellen 10.8 u. 10.9) – Blut: Leukozytose, CRP ↑↑, BKS ↑↑ – Sonographie: Ausschluss von Nebenhodenabszess, Hodentumor und Restharn Differenzialdiagnose: Hodentorsion, Hodentumor Weitere Abklärung nach erfolgreicher Therapie: Radiologie: CUG bzw. MCU zum Ausschluss einer infravesikalen Obstruktion
Kapitel 10 · Diagnostik urologischer Infektionen
162
Literatur
Fazit
II
Viele Kollegen, die sich für das Fach Urologie entschieden haben, streben mit ihrer Wahl eine vorwiegend operative Ausbildung an. In Anbetracht der Prävalenz von Harnwegsinfektionen, mit denen ein Urologe jedoch konfrontiert wird, ist die Bedeutung einer adäquaten infektiologischen Ausbildung zu unterstreichen. Der Erwerb von Kenntnissen der urologischen Infektiologie ist nicht minder wichtig, als das Erlernen bestimmter Operationstechniken. Die Diagnostik urologischer Infektionskrankheiten und die daraus resultierende professionelle Therapie lebt von der Sorgfalt des Untersuchers. Dabei ist ein »zu viel« an Diagnostik ebenso schädlich wie ein »zu wenig«.
Abkürzungen CUG Gf IUG LCR MCU PCR
Cysturethrogramm Gesichtsfeld Infusionsurogramm Ligase-Chain-Reaction Mictions-Cyst-Urethrogramm Polymerase-Chain-Reaction
1.
2.
3.
4. 5.
6.
7.
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11 Therapie von Harnwegsinfektionen und Rezidivprophylaxe F. Imkamp, M. C. Truß
11.1
Epidemiologie, Definitionen und Infektionswege
11.2
Akute, unkomplizierte Harnwegsinfektionen
– 164
Unkomplizierte untere Harnwegsinfektion – 164 Akute, unkomplizierte Pyelonephritis – 165
11.3
Komplizierte Harnwegsinfektionen
11.4
Sonderformen
11.5
Antibiotikaauswahl
11.5.1 11.5.2
Unkomplizierte Harnwegsinfektionen – 166 Komplizierte und im Krankenhaus erworbene Harnwegsinfektionen – 167 Sonderformen und multiresistente Erreger – 168 Besonderheiten bei Harnwegsinfektionen im Säuglingsund Kindesalter – 168 Besonderheiten bei Harnwegsinfektionen in der Schwangerschaft – 169 Besonderheiten bei Harnwegsinfektionen bei älteren Patienten – 171 Besonderheiten bei Harnwegsinfektionen bei Katheterpatienten – 172 Rezidivprophylaxe – 172
11.5.3 11.5.4 11.5.5 11.5.6 11.5.7 11.5.8
Literatur
– 174
– 164
– 165
– 165 – 165
II
164
Kapitel 11 · Therapie von Harnwegsinfektionen und Rezidivprophylaxe
11.1
Epidemiologie, Definitionen und Infektionswege
Harnwegsinfektionen sind die häufigsten bakteriellen Infektionen aller Organsysteme und die führende Ursache für Bakteriämien. Mit der Ausnahme von Neugeborenen sind sie beim weiblichen Geschlecht häufiger als beim männlichen. In den USA führen Harnwegsinfektionen zu schätzungsweise 8 Mio. ambulanten Arztkontakten und verursachen oder komplizieren ca. 1,5 Mio. stationäre Krankenhausaufenthalte pro Jahr. Vergleichbare Zahlen für Europa und Deutschland liegen nicht vor. Harnwegsinfektionen gehen typischerweise mit einer Bakteriurie und Pyurie einher. Unter einer Bakteriurie versteht man das Vorhandensein von Bakterien im Urin, die nicht durch eine Kontamination mit Keimen der Haut, der Vagina oder des Präputiums bedingt sind. Die nachzuweisende Keimzahl (cfu/ml: »Colony forming units«/ml) zur Diagnose eines signifikanten Harnwegsinfektes wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Während vielerorts von einer Keimzahl von ≥105 cfu/ml ausgegangen wird, gibt es durchaus klinische Hinweise darauf, dass bereits ≥103 cfu/ml uropathogener Keime als signifikant gelten können. Unter einer Pyurie versteht man das Vorhandensein von Leukozyten im Urin als Zeichen einer Infektionsantwort des Urothels auf die Bakterien. Klinisch hat sich die Unterteilung in unkomplizierte und in komplizierte Harnwegsinfektionen bewährt (Übersicht).
Eine komplizierte Harnwegsinfektion setzt mindestens einen der folgenden Faktoren voraus: Vorliegen von funktionellen oder strukturellen Veränderungen des Harntraktes, die das Ansprechen auf eine antimikrobielle Therapie beeinflussen (z. B. Lage- oder Fusionsanomalien, Z. n. Harnableitung, neurogene Harnblasenentleerungsstörungen, subvesikale Obstruktion etc.) Fremdkörper (z. B. Steine, Katheter, chirurgisches Nahtmaterial, Klammern etc.) Begleiterkrankungen, die eine Harnwegsinfektion begünstigen (z. B. Diabetes mellitus, Immunsuppression nach Organtransplantation, hämatologisch-onkologische Erkrankungen etc.)
Einer manifesten Harnwegsinfektion liegt meist eine aszendierende Keimbesiedelung per urethram durch fäkale Keime zugrunde. Eine hämatogene Keimbesiedelung der Niere mit nachfolgender Infektion der ableitenden Harnwege ist selten, eine lymphogene Besiedlung eine Rarität.
11.2
Akute, unkomplizierte Harnwegsinfektionen
Die häufigsten Erreger akuter, unkomplizierter Harnwegsinfektionen des unteren und oberen Harntraktes sind in der nachfolgenden Übersicht zusammengefasst.
Unkomplizierte untere Harnwegsinfektion Einteilung der Harnwegsinfektionen Unkomplizierte Harnwegsinfektionen bei Frauen und Männern – akute, unkomplizierte Harnwegsinfektion des unteren Harntraktes (Zystitis) – akute, unkomplizierte Pyelonephritis Komplizierte Harnwegsinfektion bei Frauen und Männern ▼
Unkomplizierte Harnwegsinfektionen des unteren Harntraktes (Zystitiden) treten bei Frauen im geschlechtsreifen Alter (16–35 Jahre) mit einer Prävalenz von 20% auf. Klinische Symptome sind Pollakisurie, Dysurie, Algurie, imperativer Harndrang und Hämaturie. Es gelingt der Nachweis einer Bakteriurie, Pyurie und Erythrozyturie. Bereits Keimzahlen von ≥103 cfu/ml mit uropathogenen Erregern sind als signifikant anzusehen. Für die Diagnosestellung und zur Verlaufskontrolle ist im Normalfall ein Urinstatus mittels Teststreifen ausreichend. Genaue
165
11.5 · Antibiotikaauswahl
Keimspektrum bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen Unkomplizierte Zystitis: – E. coli (79%) – Staphylococcus saprophyticus (11%) – Klebsiellen (3%) – Proteus spp. (2%) – Enterokokken (2%) Unkomplizierte Pyelonephritis: – E. coli (89%) – Proteus mirabilis (4%) – Klebsiella pneumoniae (4%) – Enterokokken – Staphylokokken
Daten zu Spontanheilungsraten sind nicht verfügbar.
Akute, unkomplizierte Pyelonephritis Bei der unkomplizierten Harnwegsinfektion des oberen Harntraktes (Pyelonephritis) können zusätzlich auftreten: Fieber (>38 °C), erhöhte Infektparameter (CRP, Blutsenkungsgeschwindigkeit, verminderte Konzentrierungsfähigkeit der Niere), Bakteriämie (20% der Fälle), Flankenschmerzen sowie Allgemeinsymptome wie Übelkeit und Erbrechen. Keimzahlen von ≥104 cfu/ml gelten als signifikant. Aufgrund der Anamnese, der körperlichen Untersuchung sowie durch den Urinstatus und das Urinsediment wird die Diagnose gestellt, sonographisch sollte eine Obstruktion der ableitenden Harnwege ausgeschlossen werden.
11.3
Komplizierte Harnwegsinfektionen
Komplizierte Harnwegsinfektionen treten meist im höheren Alter bei Männern und Frauen, aber auch bei Männern zwischen 40 und 65 Jahren auf. Entsprechend der Übersicht »Einteilung der Harnwegsinfektionen« liegt zumindest ein komplizie-
11
render Faktor vor. Eine dauerhafte Ausheilung der Infektion ist meist nur möglich, wenn der oder die komplizierenden Faktoren beseitigt werden. Hierzu ist oftmals eine spezielle urologische Diagnostik und Therapie (z. B. Sanierung eines Steinleidens, Beseitigung von Harntransportstörungen) notwendig. Die Diagnose eines komplizierten Harnwegsinfektes wird durch die o. g. Urinanalysen und durch weiterführende urologische Diagnostik wie Sonographie, Ausscheidungsurographie und Miktionscysturethrographie u. A. gestellt. Das Keimspektrum umfasst die in der Übersicht »Keimspektrum bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen« zusammengefassten Erreger sowie häufig Enterobacter, Citrobacter, Serratia, Pseudomonas, Providencia, Staphylococcus epidermidis und -aureus sowie Hefen. Letztlich kann das gesamte Keimspektrum, einschließlich multiresistenter Problemkeime vorliegen.
11.4
Sonderformen
Diese werden durch spezielle Erreger wie z. B. Chlamydien, Mycoplasmen, Gonokokken, Tuberkulosebakterien und Schistosoma verursacht bzw. stellen fortgeleitete Infektionen von Harnwegsinfektionen dar, z. B. Prostatitis, Epididymitis und paranephritischer Abszess.
11.5
Antibiotikaauswahl
Nicht in jedem Fall ist es möglich und nötig, von Beginn an eine testgerechte Antibiose durchzuführen. Aus der Art der Infektion (z. B. unkomplizierte Zystitis) können häufig Rückschlüsse auf das wahrscheinliche Erregerspektrum und dessen Empfindlichkeitslage gezogen werden. Bei unkomplizierten, nicht im Krankenhaus erworbenen Infektionen kann dann empirisch, auch ohne Anlegen einer
166
II
Kapitel 11 · Therapie von Harnwegsinfektionen und Rezidivprophylaxe
Urinkultur, therapiert werden. Bei in der Praxis oder im Krankenhaus erworbenen Infektionen ist es allerdings notwendig, dass die erhobenen bakteriologischen Befunde regelmäßig analysiert werden, um Veränderungen des Erregerspektrums und der Empfindlichkeit rechtzeitig zu bemerken. Eine breite »kalkulierte« Antibiotikatherapie sollte bei komplizierten, hochfieberhaften Harnwegsinfekten oder bei vermuteten Problemkeimen erfolgen. Diese sollte dann nach Eingang des Resistogramms ggf. testgerecht umgestellt werden. In diesen Fällen ist vor Beginn der antibiotischen Therapie eine Urinkultur und ggf. auch eine Blutkultur anzulegen. Die vorgeschlagene Antibiotikaauswahl berücksichtigt die Empfehlungen einer Experten-
kommission, einer Konsensuskonferenz der Paul Ehrlich Gesellschaft für Chemotherapie e.V., die Leitlinien zur Therapie von Harnwegsinfektionen der Deutschen Gesellschaft für Urologie und die EAU Guidelines on Urinary and Male Genital Tract Infections [4–8].
11.5.1 Unkomplizierte
Harnwegsinfektionen Bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen (akute, unkomplizierte untere und obere Harnwegsinfektionen) kommen die in ⊡ Tabelle 11.1 aufgeführten, vorwiegend oralen Substanzen in Frage.
⊡ Tabelle 11.1. Antibiotikauswahl bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen
Substanzklasse
Substanz
Handelsnamen (Auswahl)
Trimethoprim (TMP) TMP/Sulfonamid Kombinationen Aminopenicilline
Trimethoprim Cotrimoxazol (TMP/SMZ) Amoxicillin Ampicillin
Trimono, Baktrim, Eusaprim, Cotrim Amoxypen, Clamoxyl Binotal, Amblosin
Amoxicillin/Clavulansäure Ampicillin/Sulbactam
Augmentan Unacid
Gruppe 1
Cefalexin Cefadroxil Cefaclor
Ceporexin, Oracef Bidocef Panoral
Gruppe 2
Loracarbef Cefuroxim-Axetil
Lorafem Elobact, Zinnat
Gruppe 3
Cefixim Cefpodoxim-Proxetil Ceftibuten Cefetamet-Pivoxil
Cephoral Orelox, Podomexef Keimax Globocef
Fluorochinolone
Norfloxacin Enoxacin Ciprofloxacin Ofloxacin Levofloxacin
Barazan Enoxor Ciprobay Tarivid Tavanic
Aminoglycoside
Gentamycin Tobramycin
Refobacin Gernebcin
Aminopenicilline + β-Lactamaseinhibitor
Cephalosporine (oral)
Als die Therapie der Wahl bei einer unkomplizierten Zystitis der Frau kann, bei einer Resistenzrate von E. coli von weniger als 10–20%, die Einmaloder Kurzzeittherapie (bis 3 Tage) mit Trimethoprim oder Cotrimoxazol angesehen werden. Ansonsten sind Fluorchinolone mit hoher Urinauscheidungsrate und Cephalosporine der Gruppe 2 und 3 den Aminopenicillinen und den Cephalosporinen der Gruppe 1 überlegen. Alternativ können Fosfomycin-Trometamol als Einmalgabe und Nitrofurantoin oder Pivmecillinam für 7 Tage gegeben werden. Insgesamt erbringen längere Therapien (5 Tage oder länger) gegenüber der Einmaloder Kurzzeittherapie keinen Vorteil, führen jedoch zu einem größeren Selektionsdruck auf die physiologische fäkale, periurethrale und vaginale Flora. Auch unter dem Gesichtspunkt der Patientencompliance und der Therapiekosten ist die Einmal- bzw. Kurzzeittherapie einer längeren Therapiedauer vorzuziehen. Bei der akuten unkomplizierten, oberen Harnwegsinfektion (Pyelonephritis) empfiehlt sich die initiale parenterale Therapie, insbesondere wenn hohes Fieber, Übelkeit und Erbrechen vorliegen. Hierzu eignen sich insbesondere Cephalosporine der Gruppe 2 oder 3a, Aminoglykoside, Aminopenicilline in Kombination mit einem β-Lactamaseinhibitor sowie Fluorchinolone. Nach klinischer Besserung kann dann testgerecht auf eine orale Therapie umgesetzt werden, wobei das orale Antibiotikum nicht zur gleichen Substanzklasse wie das parenterale Antibiotikum gehören muss. In milden Fällen, in denen die enterale Resorption des Antibiotikums nicht gestört ist, kann auch initial oral mit den o.g. Substanzen therapiert werden. Die Therapiedauer sollte 7–14 Tage durchgeführt werden.
11.5.2 Komplizierte und im Krankenhaus
erworbene Harnwegsinfektionen Bei komplizierten und im Krankenhaus erworbenen Harnwegsinfektionen muss mit resistenten und multiresistenten Erregern gerechnet werden. Die in ⊡ Tabelle 11.1 aufgeführten Antibiotika müssen daher um weitere Gruppen ergänzt werden (⊡ Tabelle 11.2). Im Falle von leichteren Sympto-
11
167
11.5 · Antibiotikaauswahl
⊡ Tabelle 11.2. Zusätzliche Antibiotika zur Therapie von komplizierten und im Krankenhaus erworbenen Harnwegsinfektionen
Generischer Name
Handelsname (Auswahl)
Cephalosporine (i. v.) Gruppe 1
Cefazolin
Elzogram, Gramaxin, Basocef
Gruppe 2
Cefuroxim Cefotiam Cefoxitin
Elobact, Zinacef, Zinnat Spizef Mefoxitin
Gruppe 3a
Cefotaxim Ceftriaxon
Claforan Rocephin
Gruppe 3b
Ceftazidim Cefepim
Fortum Maxipime
Acylaminopenicilline
Mezlocillin Piperacillin
Baypen Pipril
β-Laktamase Inhibitor
Sulbactama Tazobactamb
Combactam Tazobac
Monobactame
Atztreonam
Azactam
Carbapeneme
Imipenem Meropenem Ertapenem
Zienam Meronem Invanz
a b
nur in Kombination mit β-Laktam Antibiotikum, nur als fixe Kombination mit Piperacillin.
men ohne Nausea, Erbrechen und mit ausreichender enteraler Resorption des Antiinfektivums kann mit einem Flourchinolon, einem Cephlosporin der Gruppe 2 oder 3 aber auch mit einem Aminopenicillin in Kombination mit einem β-Lactamaseinhibitor oral therapiert werden. Bei schweren Verläufen oder bei drohender Urosepsis sollte eine parenterale Therapie mit einem Cephalosporin der Gruppe 2 oder 3a, einem Flourchinolon oder auch mit einem Aminopenicillin in Kombiantion mit einem β-Lactamaseinhibitor begonnen werden. Ist unter einer solchen Antibiose nach zwei bis drei Tagen keine klinische Besserung eingetreten, muss
168
II
Kapitel 11 · Therapie von Harnwegsinfektionen und Rezidivprophylaxe
die Therapie auf ein Acylaminopenicillin mit βLactamaseinhibitor, ein Cephalosporin der Gruppe 3b oder auf ein Carbapenem umgestellt werden. Die antibiotische Therapie sollte nach Entfieberung für weitere drei bis fünf Tage fortgesetzt werden. Im stationären Bereich ist es sinnvoll, die verschiedenen Gruppen wechselnd zum Einsatz zu bringen, um den Selektionsdruck auf die Keime möglichst gering zu halten. Nach Möglichkeit sollte auch hier resistenzgerecht therapiert werden, falls jedoch eine kalkulierte initiale Therapie (drohende Urosepsis, operative Eingriffe) notwendig ist, sollte eine breiteste Abdeckung erfolgen.
⊡ Tabelle 11.3. Spezielle Antibiotika bei Sonderinfektionen und multiresistenten Enterokokken/Staphylokokken
Generischer Name
Handelsname (Auswahl)
Doxycyclin Minocyclin Tetracyclin
Vibramycin, Doxycyclin Klinomycin Achromycin
Makrolide
Erythromycin Roxithromycin Clarithromycin Azithromycin
Erythrocin Rulid Klacid Zithromax
Glykopeptide
Vancomycin Teicoplanin
Vancomycin Targocid
Lincosamide
Clindamycin
Sobelin
Fusidinsäure
Fusidinsäure
Fucidine
Metronidazol
Metronidazol
Clont, Flagyl
Oxazolidinone
Linezolid
Zyvoxid
Antimykotika
Amphotericin B Fluconazol
Amphotericin B Diflucan
Tetracycline
11.5.3 Sonderformen und multiresistente
Erreger Bei Infektionen mit Chlamydien, Ureaplasma und Mykoplasmen kommen Makrolide und Tetracycline zur Anwendung. Bei Infektionen mit Gardnerella und Trichomonaden ist Metronidazol indiziert. Indiziert sind Vancomycin und Teicoplanin bei multiresistenten Enterokokken und Vancomycin, Teicoplanin, Clindamycin, Fusidinsäure sowie Linezolid bei oxacillin resistenten Staphylokokken. Eine Candidurie bei abwehrgeschwächten Patienten kann mit Amphotericin-B-Instillationen behandelt werden. Ist eine systemische (oral oder parenteral) Therapie indiziert, kann auch Fluconazol gewählt werden (⊡ Tabelle 11.3).
11.5.4 Besonderheiten bei Harnwegs-
infektionen im Säuglings- und Kindesalter Die Pyelonephritis kann als typische Kinderkrankheit angesehen werden. Bei Jungen tritt sie vorwiegend in der ersten beiden, bei Mädchen in den ersten fünf Lebensjahren auf. Prädisponierende Faktoren sind der vesicorenale Reflux (VUR), angeborene Harntransportstörungen, das feuchtwarme Milieu während der Windelperiode und die belassene Vorhaut bei Knaben. Das typische Erregerspektrum bei Harnwegsinfektionen bei Neu-
geborenen, Säuglingen und Kindern ist in ⊡ Tabelle 11.4 aufgeführt.
Klinisch hat sich die Unterscheidung in afebrile (asymptomatische Bakteriurie, Zystourethritis) und febrile Harnwegsinfektionen (Pyelonephritiden) bewährt. Die afebrile Zystistis ist durch Schmerzen bei der Miktion, Bauchschmerzen im miktionsfreien Intervall, übelriechenden Urin und ggf. durch Einnässen gekennzeichnet. Definition
Febrile Harnwegsinfekte: signifikante Bakteriurie mit pathologischer Leukozyturie, Leukozytenzylinder im Urin, Fieber >38,5°C, BSG >25 mm/h, CRP >20 mg/dl, Leukozytose mit Linksverschiebung und unilaterale, transiente Nierenvergrößerung.
11
169
11.5 · Antibiotikaauswahl
⊡ Tabelle 11.4. Erregerspektrum bei Harnwegsinfektionen Neugeborener, Säuglinge und Kindern (in %). (Nach Winberg et al. 1974, [10])
Neugeborene
Knaben
Knaben
Mädchen
Rezidive
bis 1. Lebensjahr
bis 10. Lebensjahr
bis 10. Lebensjahr
bis 14. Lebensjahr
E. coli
75
85
33
83
47
Klebsiella
11
2
2
1
7
Proteus
0
5
33
3
9
Enterokokken
3
0
2
2
19
Staphylokokken
1
0
12
1
1
10
8
18
11
18
sonstige
Eine asymptomatische Bakteriurie bedarf, bei normal konfiguriertem Harntrakt, keiner antibiotischen Therapie. Bei einem afebrilen Harnwegsinfekt ist eine orale antibiotische Therapie (⊡ Tabelle 11.5) für insgesamt 10–14 Tage zumeist ausreichend. Ist eine Rezidivprophylaxe indiziert (z. B. bei vesicorenalem Reflux), so empfiehlt sich eine niedrigdosierte Therapie mit Trimethoprim oder Nitrofurantoin (1–2 mg/kg KG als abendliche Einzeldosis). Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder mit febrilem Harnwegsinfekt (Pyelonephritis) sind als Hochrisikogruppe anzusehen, da sie kurz- (akutes Krankheitsbild mit Dehydratation, Nausea, Erbrechen) und auch langfristig (Nierenparenchymverlust durch Narbenbildung) gefährdet sind. Ziel ist eine schnelle, innerhalb der ersten 24 h begonnene und wirksame Antibiotikatherapie, um die Gefahr eines Nierenparenchymverlustes einzuschränken. Aus diesem Grund empfiehlt sich eine primäre intravenöse Antibiotikagabe bis zur Fieberfreiheit und anschließend eine orale Weiterführung der Therapie bis zu einer Gesamtdauer von 10–14 Tagen (⊡ Tabelle 11.5).
11.5.5 Besonderheiten bei Harnwegs-
infektionen in der Schwangerschaft Eine asymptomatische Bakteriurie tritt bei 2–10% der Schwangeren auf. In 25–30% entwickelt sich hieraus eine akute Pyelonephritis. Ein prädisponierender Faktor ist die Dilatation der Ureteren, der eine Keimaszension begünstigt. Pyelonephritiden sind mit einem niedrigen Geburtsgewicht und mit Frühgeburtlichkeit assoziiert, woraus sich die Empfehlung zur antibiotischen Therapie auch asymptomatischer Bakteriurien bei Schwangeren ergibt. Aus diesem Grunde werden Schwangere zwischen der 12. und 16. Woche auf Bakteriurien untersucht. Bei asymptomatischen Patientinnen sollte eine Bakteriurie mit ≥105 cfu/ml durch eine zweite, unter optimalen Bedingungen (Einmalkatheterismus, Mittelstrahlurin) gewonnenen Probe verifiziert werden. ⊡ Tabelle 11.6 gibt einen Überblick über Antibiotika während der Schwangerschaft und Stillzeit. Aufgrund der großen Erfahrungen mit diesen Substanzgruppen sollte in der Therapie der asymptomatischen Bakteriurie und bei Harnwegsinfektionen nach Möglichkeit ein Penicillin, ein Cephalosporin oder Erythromycin gewählt werden. Eine asymptomatische Bakteriurie sollte für 3–7 Tage oral, eine Pyelonephritis 14 Tage parenteral behan-
170
Kapitel 11 · Therapie von Harnwegsinfektionen und Rezidivprophylaxe
⊡ Tabelle 11.5. Antibiotikatherapie bei der akuten Harnwegsinfektionen im Säuglings- und Kindesalter
II
Therapiegrundsätze 1. Therapiebeginn parenteral, »blind, aber kalkuliert« 2. Anpassung entsprechend des Antibiogrammes falls notwendig 3. Übergang auf die orale Therapie sobald klinisch möglich
Rezivivprophylaxe (jeweils mg/kg KG als abendliche Einzeldosis) Ab dem 1. Lebensmonat
Cefaclor
10
Ab dem 3. Lebensmonat
Trimethoprim Nitrofurantoin
1 0,5–1
Antibiotikadosierungen
4. Ggf. Langzeitprophylaxe bis zur Sanierung eines zugrunde liegenden Leidens
Substanz
Afebrile Harnwegsinfekte (Zystourethritis)
Parenteral
1. Bei fehlender Compliance initial parenterale Einmalgabe Cephalosporine Gruppe 3 Gentamycin 2. Orale Antibiotikatherapie für 10–14 Tage Amoxicillin Cephalosporine Trimethoprim
mg/kg KG/Tag
Einzeldosen
Ampicillin
60–300
3
Amoxicillin/ Clavulansäure
60–100
3
Ceftriaxon
50–100
1
Aztreonam
50–100
3
Gentamycin
5–7,5
1–3
Amoxicillin
50–100
2–3
Amoxicillin/ Clavulansäure
37,5–75
2–3
Cefalexin
50–100
3
Cefaclor
50–100
3
Cefixim
8–12
1–2
Trimethoprim
5–6
2
Nitrofurantoin
3–5
2
Febrile Harnwegsinfekte (Pyelonephritis) Oral 1. Parenterale Therapie bis zur Fieberfreiheit Ausreichende Hydrierung Cephalosporine Gruppe 3 oder Amoxicillin/Clavulansäure beim grampositiven HWI oder Aztreonam/Gentamicin bei Cephalosporinallergie 2. Orale Antibiotikatherapie für 10–14 Tage Amoxicillin Cephalosporine Trimethoprim
171
11.5 · Antibiotikaauswahl
11
⊡ Tabelle 11.6. Antibiotika während der Schwangerschaft und Stillzeit
Substanzgruppen
Embryonalperiode (1. Trimenon)
Fetalperiode
Peripartalperiode (40. SSW bis Geburt)
Stillzeit
Beispielsubstanzen
Penicilline
+
+
+
+
Penicillin, Ampicillin, Amoxicillin
Cephalosporine
+
+
+
+
Ceftriaxon
Aminoglycoside
–
+
+
+
Gentamycin
Flourchinolone
–
–
–
–
Ciprofloxacin, Ofloxacin
Tetrazykline
–
–
–
–
Doxycyclin
Makrolide
–
+
+
(+)
Erythromycin
Lincosamide
–
+
+
(+)
Clindamycin
Cotrimoxazol
(+)
(+)
–
(+)
Metronidazol
–
+
+
–
Nitrofurantoin
–
(+)
(+)
–
Vancomycin
(+)
(+)
(+)
(+)
(2./3. Trimenon)
+ keine Bedenken, (+) strenge Indikationsstellung, – kontraindiziert oder nicht empfohlen.
delt werden. Nach der antibiotischen Therapie muss die Sanierung des Infektes mit einer Urinkultur überprüft werden.
11.5.6 Besonderheiten bei Harnwegs-
infektionen bei älteren Patienten Bei 20% der Frauen und 10% der Männer über 65 Jahre ist eine asymptomatische Bakteriurie (≥105 cfu/ml in zwei Proben im Abstand von ≥24 h) nachweisbar. Falls es sich hierbei nicht um Harnsäure spaltende Keime (Proteus, Klebsiella, Serratia, Pseudomonas, Staphylokokken, Enterobacter) handelt und keine Harntransportstörung vorliegt, ist eine antibiotische Therapie nicht indiziert [3]. Diese ist nur dann indiziert, wenn komplizierende Faktoren wie Zustand nach Nierentransplantation,
eine geplante Intervention an den Harnwegen oder rezidivierende Harnwegsinfekte bestehen. Individuell muss die Behandlung einer asymptomatischen Bakteriurie bei Niereninsuffizienz, Immunsuppression oder Diabetes mellitus bewertet werden; eine generelle Therapieempfehlung gibt es nicht. Grundsätzlich sollten einige Überlegungen im Rahmen der Antibiotikatherapie bei älteren Patienten berücksichtigt werden: 1. Die Wahrscheinlichkeit, dass andere Medikamente eingenommen werden, ist im Vergleich zur Normalpopulation erhöht. Hieraus ergibt sich eine höhere Wahrscheinlichkeit von Arzneimittelinteraktionen.
172
II
Kapitel 11 · Therapie von Harnwegsinfektionen und Rezidivprophylaxe
2. Die Darreichungsform ist zu beachten, da viele ältere Patienten einen Saft der Tablette vorziehen. 3. Die Einschränkung der Nierenfunktion kann zu längeren Serumhalbwertszeiten und zu einer Verringerung der Urinkonzentration führen. 4. Eine Verringerung des Körpergewichtes kann ggf. eine Dosisanpassung erfordern.
11.5.7 Besonderheiten bei Harnwegs-
infektionen bei Katheterpatienten Bei einer offenen Harnableitung (Dauerkatheter, suprapubische Blasenfistel, Nephrostomiekatheter) ist in fast allen Fällen schon nach wenigen Tagen mit einer Bakteriurie zu rechnen. Das kumulative Risiko bei Dauerkatheterableitung einen Harnwegsinfekt zu entwickeln, beträgt bei Männern ca. 4% und bei Frauen ca. 10% pro Tag [3]. Nach Entfernung eines kurzzeitig liegenden Katheters sollte eine einmalige oder kurzzeitige Antibiose erfolgen, da in etwa einem Drittel der Fälle mit der Entwicklung eines symptomatischen Harnwegsinfektes zu rechnen ist. Die asymptomatische Bakteriurie bei Patienten mit Dauerableitung sollte nicht antibiotisch therapiert werden (Ausnahme: Harnsäure spaltende Keime: Gefahr der Urolithiasis), da hier aufgrund des Selektionsdruckes mit der Entstehung von resistenten Keimen gerechnet werden muss. Symptomatische Harnwegsinfekte sollten testgerecht therapiert werden, ggf. sollte eine Katheterwechsel (bei Obstruktion oder Inkrustation) erfolgen.
11.5.8 Rezidivprophylaxe
Bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen (>3/ Jahr) ohne anders zu therapierende Ursache empfehlen sich Maßnahmen zur Rezidivprophylaxe. Neben allgemeinen Maßnahmen, wie Anheben der Trinkmenge auf mindestens 2,5 l/ Tag, Miktion nach dem Geschlechtsverkehr und Vermeiden von Intravaginalpessaren zur Empfängnisverhütung,
wird heute überwiegend eine niedrigdosierte antibiotische Prophylaxe für 3–6 (–12) Monate empfohlen. Üblicherweise wird das Antibiotikum abends eingenommen, um die nächtliche Speicherphase durch wirksame Antibiotikaspiegel zu überbrücken. Hierbei stehen folgende Modalitäten zur Verfügung: tägliche Einnahme, jeden 2. Tag, 3-mal wöchentlich, postkoital und bei Beschwerden. Durch die antibiotische Prophylaxe kann die Infektionshäufigkeit um durchschnittlich 95% auf 0,1– 0,2 Harnwegsinfekte/Patientenjahr gesenkt werden. Die gebräuchlichen Substanzen sind in ⊡ Tabelle 11.7 zusammengefasst. Nitrofurantoin wird nahezu vollständig resorbiert und über die Nieren ausgeschieden. Im Serum und im Gewebe werden im Gegensatz zum Urin keine bakteriziden Spiegel erreicht. Obwohl dosisabhängig in 27–48% der Fälle Nebenwirkungen auftreten, ist Nitrofurantoin i. Allg. gut verträglich, die gastrointestinale Nebenwirkungen können jedoch gelegentlich zu Therapieabbrüchen führen. Schwerwiegende Nebenwirkungen (Lebertoxizität, Lungenfibrose, Polyneuropathie) treten vermehrt bei Niereninsuffizienz auf, sind aber insgesamt außerordentlich selten. Trimethoprim als Monosubstanz ist im Vergleich zu Nitrofurantoin äquieffektiv. Wie bei Nitrofurantoin können gastrointestinale Nebenwirkungen zu Therapieabbrüchen führen. Die Kombination Trimethoprim/Sulfamethoxazol (Cotrimoxazol) weist gegenüber der Monosubstanz keinen Vorteil auf, hat aber mehr Nebenwirkungen (allergische Reaktionen). Die Chinolone oder »Gyrasehemmer« (Ofloxazin, Ciprofloxazin, Norfloxazin) sind sowohl als Therapeutikum beim akuten Harnwegsinfekt als auch zur Prophylaxe wirksam gegen ein breites Spektrum uropathogener Keime und sind, ebenso wie Cotrimoxazol, als Reservepräparate zu Nitrofurantoin und Trimethoprim anzusehen. Es bleibt anzumerken, dass keines der genannten Antiinfektiva ein optimales Mittel zu Prophylaxe von rezidivierenden Harnwegsinfektionen ist. Durch den auf die physiologische Standortflora
173
11.5 · Antibiotikaauswahl
⊡ Tabelle 11.7. Antibiotika zur Langzeitprophylaxe rezidivierender Harnwegsinfekte
Prophylaxe
11
Beobachtung, dass Preiselbeersaft die Rezidivhäufigkeit verringern kann. Kontrollierte, klinische Studien liegen hierzu allerdings nicht vor. Fazit
Substanz
Dosis
Anwendung
Nitrofurantoin
50–100 mg
1×1 p. o.
Trimethoprim
100 mg
1×1 p. o.
Cotrimoxazol
80/400 mg
1×1
Bei Durchbruchinfektionen Norfloxacin
200 mg
pro Tag
Ciprofloxacin
125 mg
pro Tag
Cefalexin
250 mg
pro Tag; in der Schwangerschaft
ausgeübten Selektionsdruck, kann sogar das Risiko von Rezidiven unter Antibiotikatherapie ansteigen. Bei multiresistenten Problemkeimen und Blasenentleerungsstörungen kann die regelmäßige intravesikale Instillation von Neomycin und Sulfonamid oder Polymyxin mit Bacitracin und Neomycin in 50–70% der Fälle zur Infektfreiheit führen. Ein gänzlich anderer Ansatz zur Rezidivprophylaxe sind Immunmodulatoren. Urovaxom und Uromunal (orale Applikation) enthalten lyophylisierte Fraktionen aus verschiedenen E.-coli-Stämmen. Studien konnten zeigen, dass mit diesen Substanzen die Rezidivraten in einem Beobachtungszeitraum von 6 Monaten um 20–50% gesenkt werden konnten. Ebenfalls unklar ist die Rolle von Phytotherapeutika (z. B. Bärentraubenblätter, Meerettichwurzel, Sandelholz u. a.) sowie Nahrungsmitteln und Zusatzstoffen (»functional foods«, z. B. Preiselbeersaft, Knoblauch, Echinacea) zur Rezidivprophylaxe. Grundlagenwissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass einzelne Inhaltsstoffe von Preiselbeeren (Tannine und Fruktose) die Fähigkeit von E.-coliTyp 1-Fimbrien verringern, sich an Urothelzellen zu binden. Diese Ergebnisse unterstreichen die
Allgemeine Maßnahmen bei der Therapie von Harnwegsinfektionen sind nicht nur die Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr sondern auch die Beseitigung von urologischen Grundleiden, eine adäquate Genitalhygiene, allgemeine Verhaltensweisen und auch eine bedarfsgerechte Analgesie. Eine Antibiose wird »kalkuliert« so breit wie nötig begonnen und, sofern ein Antibiogramm vorliegt, testgerecht umgestellt. Nicht nur aus Kostengründen sollte so bald wie möglich oral therapiert werden. Nur bei schweren Allgemeinsymptomen wie Übelkeit und Erbrechen ist eine parenterale einer oralen Therapie vorzuziehen. Der Therapieerfolg sollte mittels Urindiagnostik (Status, Sediment, Bakteriologie) verifiziert werden. Unkomplizierte Harnwegsinfektionen: Bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen liegen keine komplizierenden urologischen Erkrankungen vor. Die unkomplizierte Zystitis der Frau wird mit Trimethoprim, Cotrimoxazol oder Flourchinolonen als Einmalgabe oder als dreitägige Kurzzeittherapie behandelt. Die Therapiedauer beträgt bei einer oberen unkomplizierten Harnwegsinfektion 7–14 Tage. Komplizierte Harnwegsinfektionen: Hierbei liegen komplizierende urologische Erkrankungen vor, wie z. B. subvesikale Obstruktion, Urolithiasis, vesikoureteraler Reflux oder andere Harntransportstörungen. Die komplizierte Harnwegsinfektion wird mit einer breiten Antibiose, die das zu erwartende Erregerspektrum abdeckt, behandelt und später testgerecht umgestellt. Es bieten sich initial z. B. Aminopenicilline, Cepahlosporine und Flourchinolone an. Die Therapie sollte nach Entfieberung für 3–5 Tage fortgeführt werden. Einer antibiotischen Therapie muss eine urologische Diagnostik und Therapie folgen. ▼
174
Kapitel 11 · Therapie von Harnwegsinfektionen und Rezidivprophylaxe
Literatur
II
Sonderformen und multiresistente Erreger: Hier sollte eine gezielte erregergerechte und ggf. testgerechte Therapie durchgeführt werden. Harnwegsinfektionen im Säuglingsund Kindesalter: Im Gegensatz zu afebrilen Harnwegsinfektionen bedürfen febrile Harnwegsinfektionen einer antibiotischen Therapie um bleibende Schäden zu vermeiden. Diese sollte schnell und wirksam erfolgen, so dass initial eine parenterale Applikation häufig sinnvoll ist. Harnwegsinfektionen in der Schwangerschaft: Bei der Wahl der Antibiotika muss die Teratogenität und der Übergang des Chemotherapeutikums in die Muttermilch beachtet werden. Eine asymptomatische Bakteriurie sollte zur Vermeidung einer Pyelonephritis für 3–7 Tage behandelt werden. Es bieten sich insbesondere klassische Antibiotika wie die β-Laktamantibiotika an. Harnwegsinfektionen bei älteren Patienten: Mit steigendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit einer asymptomatischen Bakteriurie an. Diese stellt nur bei komplizierenden Faktoren eine Indikation zur antibiotischen Therapie dar. Bei der Wahl des Therapeutikums müssen veränderte Verteilungsvolumina und eine möglicherweise eingeschränkte Elimination berücksichtigt werden. Harnwegsinfektionen bei Katheterpatienten: Eine asymptomatische Bakteriurie ist bei Katheterträgern als normal anzusehen. Nur eine symptomatische Harnwegsinfektion bedarf einer antibiotischen Therapie. Rezidivprophylaxe: Bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen (>3/ Jahr) empfehlen sich neben allgemeinen Maßnahmen eine niedrigdosierte Rezidivprophylaxe über 3–6 Monate mit Nitrofurantoin oder Trimethoprim. Darüber hinaus sind Immunmodulatoren eine mögliche Therapieoption.
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12 Perioperative Antibiotikaprophylaxe N. Schlote
12.1 Grundlagen der perioperativen Antibiotikaprophylaxe 12.2 Antibiotikaprophylaxe bei offenen Operationen
– 176
– 179
Offene Eingriffe außerhalb der Harnwege – 179 Offene Eingriffe ohne Darmsegment – 179 Offene Eingriffe mit Darmsegment – 180 Prothetik – 181 Refertilisierung – 181
12.3 Antibiotikaprophylaxe bei endourologischen Operationen Zystoskopie – 181 Urethrotomie – 181 TUR-B, TUR-P – 181 Ureterorenoskopie – 182 Perkutane Chirurgie – 182 Laparoskopie – 182 Endokarditisprophylaxe – 182
Literatur
– 183
– 181
II
176
Kapitel 12 · Perioperative Antibiotikaprophylaxe
12.1
Grundlagen der perioperativen Antibiotikaprophylaxe
Die perioperative Antibiotikaprophylaxe ist definiert als Verabreichung von antimikrobiellen Substanzen vor einer geplanten Operation ohne den Nachweis einer vorbestehenden Infektion. Sie ist bei offenen urologischen, endourologischen und endoskopischen Eingriffen, wie in allen operativen Fächern seit ihrer Einführung, unvermindert kontrovers diskutiert. Das Ziel der Prophylaxe ist die Vermeidung und Senkung postoperativer infektiöser Komplikationen. Selbstverständlich dürfen in diesem Rahmen Anforderungen an die Asepsis, Antisepsis und der Operationstechnik nicht gemindert werden. Die Infektionsprävention, Katheterhygiene und geschlossene Harnableitung bleiben Teil im Gesamtkonzept der Therapie und Infektionsprävention. In der Urologie soll insbesondere Infektionen des oberen und unteren Harntraktes (akute Pyelonephritis, fieberhafter Harnwegsinfekt, Prostatitis, Epididymitis, Urosepsis) sowie bei Schnittoperationen schwerer Wundinfektionen vorgebeugt
werden. Damit gehen die Anforderungen an die perioperative Antibiotikaprophylaxe in der Urologie über die der meisten chirurgischen Eingriffe hinaus. Die Empfehlung einer Prophylaxe muss sich an verschiedenen Entscheidungskriterien orientieren. Die Art des Eingriffes stellt ein Kriterium dar. Hierbei kann die Klassifikation des operativen Eingriffes nach Cruse u. Foord [5] herangezogen werden. Danach sind sie in vier Kategorien einzuteilen (⊡ Tabelle 12.1): 1. Saubere Operationen ohne bakterielle Kontamination des Operationssitus und ohne Eröffnung von Hohlorganen (Infektionsrate 1–2%) 2. Sauber, kontaminierte Operationen mit Eröffnung eines Hohlorgans, aber ohne wesentliche bakterielle Kontamination (ca. 8–10% Wundinfektionen) 3. Kontaminierte Operationen, d. h. Kontamination der Wunde mit signifikanten Keimzahlen (15% Wundinfektionen) 4. Schmutzige Operationen mit Eingriffen bei perforierten Hohlorganen oder Eiter im Operationsgebiet (40% Wundinfektionen)
⊡ Tabelle 12.1. Klassifikation der operativen Eingriffe. (Mod. nach Cruse u. Ford 1980 [5])
Kategorie
Häufigkeit (%)
1. Sauber: Nephrektomie, Orchiektomie, äußeres Genitale, Varikozelenoperation
75
2. Sauber-kontaminiert: Ureterolithotomie, Pyelolithotomie, Prostataoperation
Infektionsrate (%)
Definition
Prophylaxe
1,5
Elektiver Eingriff ohne Eröffnung kontaminierter Hohlorgane
Keine, Ausnahmen: Fremdkörperimplantation, Transplantationen
15
7,7
Elektiver Eingriff am Respirations-, Urogenital- oder oberen Gastrointestinaltrakt
Nur bei Risikopatienten und ggf. Prostataoperationen
3. Kontaminiert: Zystektomie und Harnableitung mit Darmeröffnung
5
15,2
Eröffnung infizierter Hohlorgane
Prophylaxe
4. Wundoperation: akutes Trauma, Conduit ohne Darmvorbereitung
5
40,0
Fäkale Kontamination, Traumen mit ausgedehnter Weichteilkontusion
Prophylaxe und postoperative Behandlung
12.1 · Grundlagen der perioperativen Antibiotikaprophylaxe
Die Gruppen 3 und 4 machen häufig die Indikationstellung für eine Antibiotikatherapie notwendig, während die Gruppen 1 und 2 ein Indikationsfeld der perioperativen Prophylaxe darstellen können. Die Entscheidung einer Prophylaxe sollte jedoch nicht nur an der Art des Eingriffes festgemacht werden. Patientenindividuelle und patientenunabhängige Faktoren sind weitere wichtige Entscheidungskriterien ( s. Übersichten »Patientenindividuelle Faktoren, die das postoperative Infektionsrisiko erhöhen können« und »Patientenunabhängige Faktoren, die das postoperative Infektionsrisiko erhöhen können«). Die Prophylaxe sollte also dem-
entsprechend risikoadaptiert und individualisiert durchgeführt werden.
Patientenindividuelle Faktoren, die das postoperative Infektionsrisiko erhöhen können 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Schwere Begleiterkrankung Hohes Alter Mangelernährung Adipositas Diabetes mellitus Maligne Erkrankung Immunsuppression Chemotherapie Radiatio Rezidivierende Infekte Langzeithospitalismus Schwangerschaft Endokarditsrisiko bei vorgeschädigten Herzklappen
Patientenunabhängige Faktoren, die das postoperative Infektionsrisiko erhöhen können 1. 2. 3. 4.
Katheter Schienen Drainagen Fremdmaterial
Von Bedeutung und in die Indikationsstellung mit einzubeziehen ist weiterhin die Schwere der zu vermeidenden Komplikation. Eine Sepsis, Peritonitis
177
12
oder Anastomoseninsuffizienz begründet durchaus eine Prophylaxe auch bei geringer Inzidenz der Komplikation. Die einfache Wundinfektion gilt hingegen nicht notwendigerweise als Indikation der Prophylaxe. Diese ist mit lokalen Therapien (Wunderöffnung, Drainage) zu behandeln. Eine Antibiotikatherapie ist in solchen Fällen ebenfalls nicht grundsätzlich indiziert. Das Infektionsrisiko beginnt mit dem Eingriff. Das Antibiotikum sollte also vor der Kontamination verabreicht werden. Ein wirksamer Antibiotikaspiegel ist für die Dauer des Riskozeitraumes in Abhängigkeit von der Pharmakokinetik wünschenswert, gegebenenfalls ist eine zweite intraoperative Gabe notwendig [4]. Entscheidend sind ausreichend bakterizide Wirkkonzentrationen des Antibiotikums. Auch in Rücksicht auf den klinischen Ablauf bietet sich die intravenöse Applikation des Antibiotikums 30–60 min vor dem Operationsbeginn an. Dieses entspricht etwa der Narkoseeinleitung. Der späteste Zeitpunkt für eine Prophylaxe ist eine intraoperative Gabe zum Beispiel beim Auftreten von Komplikationen. Eine einmalige Gabe in Normdosierung ist meist ausreichend. Lediglich bei längeren Operationen (>3 h) oder bei Präparaten mit kurzer Wirkdauer kann in Abhängigkeit von der Halbwertszeit des verabreichten Antibiotikums eine zweite Gabe erfolgen. Eine Prophylaxedauer von mehr als 24 h ist abzulehnen und entspricht prinzipiell nicht mehr der Prophylaxe, sondern einer Antibiotikatherapie. Die Wahl des Antibiotikums sollte sich nach dem zu erwartenden Erregerspektrum bei einer möglichen Kontamination richten. Dies bezieht die Erreger der normalen und pathologischen Besiedlung des Operationsgebietes, als auch der unmittelbaren Haut- und Schleimhautumgebung ein. Bei länger hospitalisierten Patienten sind gegebenenfalls Hospitalkeime mit zu erfassen ( s. nachfolgende Übersicht). Für urologische Operationen ist häufig eine renale Elimination des aktiven Wirkstoffs wünschenswert. Sie sollten möglichst bakterizid, nebenwirkungsarm, atoxisch und auch kostengünstig sein.
Kapitel 12 · Perioperative Antibiotikaprophylaxe
178
Häufigste Erreger nosokomialer Harnwegsinfekte
II
Escherichia coli Proteus mirabilis Enterokokken Pseudomonaden Staphylokokken Candida spp.
Für eine Prophylaxe in der Urologie eignen sich meist Cephalosporine der 2. Generation (Basiscephalosporine) oder Gyrasehemmer. Metronidazol ist bei einer zu erwartenden Kontamination mit Anaerobiern zu verwenden. Vor der Verwendung von Reserve- und Breitspektrumantibiotika ist abzuraten (z. B. Cephalosporine der 3. Generation, Vancomycin, Piperacillin, Mezlocillin), da diese der Therapie schwerer Infektionen vorbehalten sein sollten. Die Keimspektren und empfohlenen Regeldosierungen der verschiedenen Präparate sind in den ⊡ Tabellen 12.2–12.7 aufgeführt.
⊡ Tabelle 12.2. Gyrasehemmer (Chinolone)
Präparat
Wirkungsspektrum
Dosis
Norfloxacin (Barazan)
Staphylokokken, E. coli, Streptokokken, Enterokokken, Klebsiellen
400 mg p. o.
Ofloxacin (Tarivid)
Nahezu alle grampositiven und gramnegativen Erreger, nicht Anaerobier. Nur geringe Wirksamkeit gegen Enterokokken und Pseudomonas
200–400 mg p. o. oder i. v.
Ciprofloxacin (Ciprobay)
Nahezu alle grampositiven und gramnegativen Erreger, nicht Anaerobier. Nur mäßige Wirksamkeit gegen Enterokokken und Pseudomonas
250–500 mg p. o. oder i. v.
Levofloxacin (Tavanic)
Nahezu alle grampositiven und gramnegativen Erreger, nicht Anaerobier
250–500 mg p. o. 500 mg i. v.
Anmerkung: Alle Gyrasehemmer sind in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern wegen möglicher Knorpelschäden kontraindiziert.
⊡ Tabelle 12.3. Aminopenicilline
Präparat
Wirkungsspektrum
Dosis
Amoxicillin (Amoxipen)
Grampositive und gramnegative Erreger, Enterokokken, Proteus mirabilis; nicht Staphylokokkus aureus
750 mg p. o.; 1–2 g i. v.
Ampicillin (Binotal)
Grampositive und gramnegative Erreger, Enterokokken, Proteus mirabilis; nicht Staphylokokkus aureus. Kontraindiziert bei Mononukleose
0,5–1 g p. o.; 150–200 mg/kg KG i. v.
Amoxicillin/Clavulansäure (Augmentan)
Wie Amoxicillin, einschließlich β-Lactamasebildner
625–1250 mg p. o.; 1,2–2.2 g i. v.
179
12.2 · Antibiotikaprophylaxe bei offenen Operationen
12
⊡ Tabelle 12.4. Cephalosporine der 2. Generation
Präparat
Wirkspektrum
Dosis
Cefuroxim (Zinacef )
E. coli, Klebsiella, Proteus, H. influenzae, Acinetobacter; unwirksam gegen Enterokokken und Pseudomonas
0,75–1,5 g i. v.; (grampositiv 1,5 g)
Cefotiam (Spizef )
E. coli, Klebsiella, Shigella, Proteus mirabilis, Enterobacter; hochwirksam gegen β-Lactamasebildende H. influenzae, N. gonorrhoeae, Staphylokokkus aureus
1 g i. v. (grampositiv); 2 g i. v. (gramnegativ)
Cefoxetin (Mefoxitin)
E. coli, Klebsiella, Proteus, Bacterium fragilis, Acinetobacter, H. influenzae; unwirksam gegen Enterokokken und Pseudomonas
1 g i. v. (grampositiv); 2 g i. v. (gramnegativ
Cefuroximaxetil (Elobact)
Grampositive und gramnegative Bakterien, nicht bei Pseudomonas, Serratia, Enterobacter, Acietobacter, indol-positiver Proteus
125–500 mg p. o.
Anmerkung: Kreuzallergie mit Penicillin!
⊡ Tabelle 12.5. Cephalosporine der 3. Generation
Präparat
Wirkspektrum
Dosis (g i. v.)
Cefotaxim (Claforan)
Bei grampositiven Erregern weniger wirksam als Cephalosporine der 1./2. Generation, dagegen wesentlich wirksamer bei gramnegativen Keimen (Haemophilus)
1–2
Ceftriaxon (Rocephin)
Sehr gute Wirksamkeit gegen gramnegative Keime außer Pseudomonas aeroginosa, wenig gegen Staphylokokken
1–2
Ceftadizim (Fortum)
Sehr gute Wirksamkeit gegen gramnegative Keime, besonders Ps. aeroginosa, indol-positiver Proteus, Serratia; weniger gegen Staphylokokken
1–2
Cefsulodin (Pseudocef )
Cephalosporin der Wahl bei Pseudomonaden, gegen andere gramnegative Keime schlecht wirksam
1–2
Anmerkung: Kreuzallergie mit Penicillin!
12.2
Antibiotikaprophylaxe bei offenen Operationen
Ausnahmen stellt die Fremdkörperimplantation (Schwellkörperimplantate und Sphinkterprothesen) oder Transplantation dar.
Offene Eingriffe außerhalb der Harnwege Bei offenen Operationen außerhalb der Harnwege ist eine Antibiotikaprophylaxe nicht notwendig. Zur Diskussion steht die Prophylaxe bei lang dauernden großen Eingriffen oder entsprechend angepasst an die patientenindividuellen Faktoren.
Offene Eingriffe ohne Darmsegment Bei Operationen an den Harnwegen ist prinzipiell ein steriler Urin zu fordern. Eine Prophylaxe ist bei dem Vorliegen von Risikofaktoren ( s. obige Übersichten »Patientenindividuelle Faktoren, die das
180
Kapitel 12 · Perioperative Antibiotikaprophylaxe
⊡ Tabelle 12.6. Aminoglykoside
II
Präparat
Wirkspektrum
Dosis
Gentamicin (Refobacin)
Grampositive und gramnegative Keime, nicht Pneumokokken, Streptokokken, Enterokokken
3–5 mg/kg i. v.
Tobramycin (Gernebcin)
Grampositive und gramnegative Keime, nicht Pneumokokken, Streptokokken, Enterokokken, Neisserien, besonders Pseudomonas aeroginosa
3–5 mg/kg i. v.
Amikacin (Biklin)
Grampositive und gramnegative Keime, nicht Pneumokokken, Streptokokken, Enterokokken; insbesondere gentamicinresistente Erreger
15 mg/kg i. v.
Anmerkung: Oto- und Nephrotoxizität. Ggf. Bestimmung des Wirkspiegels.
⊡ Tabelle 12.7. Weitere Substanzen
Präparat
Wirkspektrum
Dosis
Trimetoprim/Sulfametoxazol (Bactrim)
Streptokokken, Staphylokokken, E. coli, Klebsiellen, Proteus, nicht Enterokokken, Enterobacter, Pseudomonas
160 mg TMP/800 mg SMZ p. o. oder i. v.
Metronidazol (Clont)
Anaerobier (Bacterium fragilis, Clostridien), Trichomonaden, Lamblien, Amöben
500 mg i. v.
Vancomycin (Vancomycin)
Oxacillinresistente Staphylokokken, Enterokokken, Clostridium difficile
1 g i. v.
postoperative Infektionsrisiko erhöhen können« und »Patientenunabhängige Faktoren, die das postoperative Infektionsrisiko erhöhen können«) angera-
ten. Häufigste zu erwartende Erreger sind E. coli, Enterokokken, Proteus spp. und Klebsiellen. Zusätzlich müssen Erreger nosokomialer Harnwegsinfektionen bedacht werden (Pseudomonas spp.). Bei dem zu erwartenden Keimspektrum eignen sich Chinolone (Gyrasehemmer), Aminopenicilline (Ampicillin und Ampicillin-Analoga) und Cephalosporine der 2. Generation. Bei antibiotisch vorbehandelten Patienten oder Patienten mit permanenter Harnableitung stehen Alcylaminopenicilline und Cephalosporine der 3. Generation zur Verfügung.
Bei intraoperativer Verletzung von Darmanteilen (z. B. Rektum im Rahmen der radikalen Prostatektomie) ist die Kombination mit intraoperativ verabreichten Metronidazol sinnvoll, um das postoperative Infektionsrisiko zu senken [2].
Offene Eingriffe mit Darmsegment Bei urologischen Operationen mit Darmsegmenten handelt es sich meistens um kontinente oder nichtkontinente Harnableitungen. Zur Verminderung der Infektionsgefahr ist eine präoperative Darmvorbereitung bei elektiven Eingriffen notwendig. Häufigste Erreger sind E. coli und andere Enterobacteriacceae, Enterokokken, Anaerobier und Streptokokken. Diese Darmbakterien sind verantwortlich für postoperative Infektionskomplika-
181
12.3 · Antibiotikaprophylaxe bei endourologischen Operationen
tionen. Zur Prophylae eignen sich Aminopenicilline und Alcylaminopenicilline in Kombination mit Betalactamaseinhibitoren (Clavulansäure, Sulbactam) und Cephalosporine der 2. Generation in Kombination mit Metronidazol.
Prothetik Bei der Implantation von Prothesenmaterial handelt es sich in den meisten Fällen um Material, das in keimfreies Gewebe eingesetzt wird (Penisprothese, artifizieller Sphinkter, Hodenprothese). Das Hauptrisiko besteht in der Infektion des Prothesenmaterials. Vom Keimspektrum dominiert Staphylococcus epidermidis. Als perioperative Prophylaxe empfiehlt sich die Kombination eines Cephalosporins der 2. Generation mit einem Aminoglykosid, z. B. 2 g Cephazolin mit 80 mg Gentamicin. In einer amerikanischen Studie wurden bei der Implantation von Penisprothesen [13] bei alleiniger Gabe von Ofloxacin vergleichbare Ergebnisse erzielt, da der Gyrasehemmer hohe Schwellkörperkonzentrationen erreicht. Gerade bei der Penisprothesenimplantation sind patientenindividuelle Risikofaktoren zu beachten. Es handelt sich häufig um Patienten mit Diabetes mellitus oder vaskulären Störungen, die primär ein erhöhtes Infektionsrisiko haben.
Refertilisierung Bei der Refertilisierungsoperation des Mannes, wie z. B.der Vaso-Vasostomie, ist eine perioperative Antibiotikaprophylaxe insofern indiziert, da schon die geringste Infektionen eine Schädigung der mikroskopisch durchgeführten Anastomose bewirkt. Dies vermindert die Chance der Refertilisierung erheblich. Prospektive Studien zur Antibiotikaprophylaxe in der Refertilisierungschirurgie stehen noch aus. Generell wird die Gabe eines Breitspektrumantibiotikums empfohlen. Eine Studie konnte hohe Wirkspiegel von Ampicillin und Sulbactam in Hoden und Nebenhodengewebe nachweisen [8], so dass diese Kombination empfehlenswert erscheint.
12.3
12
Antibiotikaprophylaxe bei endourologischen Operationen
Zystoskopie Die Zystoskopie stellt keine wesentliche Infektionsgefahr dar. Zu fordern ist jedoch ein steriler Urin und die notwendige Asepsis während der Spiegelung. Bei Vorliegen von Risikofaktoren kann eine Prophylaxe mit oralen oder parenteralen Gyrasehemmern sowie Cotrimoxazol sinnvoll sein.
Urethrotomie Das Risiko einer infektiösen Komplikation bei der Urethrotomie entspricht im Wesentlichen denen anderer transurethraler Eingriffe, die perioperativ antibiotisch behandelt werden sollten. Auf diese Eingriffe wird im Folgenden eingegangen.
TUR-B, TUR-P Bei transurethralen Eingriffen ist die Unterscheidung zwischen Patienten mit präoperativ sterilem Urin und solchen mit Infektionen von großer Bedeutung. Eine Bakteriämie nach einer TUR-P ist häufig und kann auch bei Patienten mit primär sterilem Urin auftreten. Bei einem infizierten Urin finden sich bei bis zu 50% positive Blutkulturen [9]. Die antibiotische Therapie eines bestehenden Harnwegsinfektes ist zur Vermeidung infektiöser Komplikationen demnach unabdingbar. Bei Patienten mit präoperativ sterilen Urin ist die Prophylaxe kontrovers. Auch verschiedene prospektiv randomisierte Studien konnten diese Kontroverse nicht lösen. Zu beachten ist auch die Möglichkeit einer intraoperativen Infektion. Als Infektionsquellen können der Kontakt des Okulars des Instrumentes mit dem Auge des Operateurs gelten, die Urethra, die Prostata, bakteriell besiedelte Blasentumoren und letztlich eine kontaminierte Spülflüssigkeit. Nach einer Resektion bleibt nicht selten nekrotisches Material zurück, das als Nährboden für Bakterien ideal ist. Zur perioperativen Prophylaxe empfehlen sich Gyrashemmer, Cotrimoxazol, Aminopenicilline mit Betalactamaseinhibitoren und Cephalosporine der 2. Generation.
182
II
Kapitel 12 · Perioperative Antibiotikaprophylaxe
Ureterorenoskopie
Endokarditisprophylaxe
Aufgrund desselben Zuganges ist für die URS eine ähnliche Rate an infektiösen Komplikationen wie bei transurethralen Operationen zu erwarten. Da zudem vorliegende Harnwegskonkremente häufig bakteriell kontaminiert sind, ist die Antibiotikaprophylaxe wie oben beschrieben zu empfehlen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass initial durchaus auch bei kontaminierten Konkrementen ein steriler Urinbefund vorliegen kann.
Patienten mit kardiovaskulären Fehlbildungen oder künstlichen Herzklappen haben ein hohes Risiko im Rahmen einer transitorischen Bakteriämie eine bakterielle Endokarditis zu erlangen. Diese kann ihren Ursprung bei Eingriffen im Urogenitalsystem haben. Ein durchschnittliches Endokarditisrisiko besteht bei kardiovaskulären Fehlbildungen (Ausnahmen s. unten), auch nach einem korrigierenden Eingriff sowie bei Mitralklappenprolaps mit Mitralinsuffizienz, bei rheumatischem Klappenfehler und bei hypertrophischer Kardiomyopathie.
Perkutane Chirurgie Bei perkutanen Eingriffen ist eine Antibiotikaprophylaxe sinnvoll. Es besteht das Risiko der Kontamination mit Hautkeimen oder eine Freisetzung von Keimen aus Steinmaterial, z. B. im Rahmen einer perkutanen Nephrolitholapaxie. Besteht der Verdacht einer Pyonephrose sollte dringend eine Prophylaxe durchgeführt werden. Zur perioperativen Prophylaxe empfehlen sich auch hier Gyrasehemmer, Aminopenicilline mit Betalactamaseinhibitoren und Cephalosporine der 2. Generation. Bei einer ESWL ist eine Prophylaxe dann notwendig, wenn Risikofaktoren vorliegen, wie sie in den Übersichten »Patientenindividuelle Faktoren, die das postoperative Infektionsrisiko erhöhen können« und »Patientenunabhängige Faktoren, die das postoperative Infektionsrisiko erhöhen können« genannt sind. Prinzipiell ist auch bei einem sterilen Urin vor der Therapie mit einer Infektion durch eine Freisetzung vom Keimen aus dem Steinmaterial zu rechnen. Aus diesem Grund sollte bei dem Vorliegen von Risikofaktoren die Indikation zur Antibiotikaprophylaxe gesehen werden [12].
Laparoskopie Beobachtungen infektiöser Komplikationen sind in der laparoskopischen Operationstechnik selten. Da die Platzierung der Troikare unter denselben sterilen Bedingungen wie bei Schnittoperationen durchgeführt wird, in einen sterilen Bereich eingegangen wird und eine Kontamination der Kamera durch die Videoführung unwahrscheinlich ist, ist das Infektionsrisiko sehr gering. Eine Antibiotikaprophylaxe ist generell nicht notwendig. Werden nun Eingriffe im Bereich der Harnwege durchgeführt, sollte eine Prophylaxe wie bei offenen Schnittoperationen durchgeführt werden ( s. oben).
Ein erhöhtes Risiko besteht bei künstlicher Herzklappe, Zustand nach stattgehabter bakterieller Endo-
karditis und systemisch-pulmonalen Shuntverbindungen.
Diese Patienten müssen eine konsequente Prophylaxe erhalten. Eine Prophylaxe ist nicht notwendig bei Mitralklappenprolaps ohne Klappeninsuffizienz, Vorhofseptumdefekt vom Sekundumtyp, Zustand nach operativen Verschluss eines Ventrikelseptumdefektes ohne Patchmaterial sowie eines Ductus arteriosus Botalli. Fazit Das Ziel einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe ist sowohl die Vermeidung symptomatischer Urogenitalinfektionen als auch schwerwiegender Wundheilungsstörungen. Die Notwendigkeit einer Prophylaxe ist von der Art des geplanten Eingriffes und den individuellen und patientenunabhängigen Risikofaktoren abhängig. Wird eine perioperative Antibiotikaprophylaxe durchgeführt, sollte das Antibiotikum entsprechend dem zu erwartenden Keimspektrum ausgewählt werden. Meist ist eine einmalige intravenöse Gabe im Rahmen der Operationseinleitung zu empfehlen. Bei prolongierter Operationsdauer kann eine weitere Gabe sinnvoll sein. Das gewählte Antibiotikum sollte bakterizid sein ▼
Literatur
und hohe Wirkstoffkonzentrationen in dem Operationsgebiet erreichen. Breitspektrum- und Reserveantibiotika sollten keine Anwendung finden. Eine Antibiotikaprophylaxe darf Anforderungen an die operative Asepsis und Operationstechnik nicht ersetzten.
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13 Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen W. Vahlensieck, S. Lenk
13.1
Urogenitaltuberkulose
13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5
Einleitung – 186 Epidemiologie – 186 Diagnostik – 186 Therapie – 188 Nachsorge – 191
13.2
Urogenitalmykosen
13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4
Einleitung – 191 Epidemiologie – 191 Diagnostik – 192 Therapie – 193 Allgemeine Maßnahmen – 193 Abwartendes Verhalten – 193 Lokale Antimykotika – 195 Systemische Antimykotika – 195 Invasive Therapie – 198 Nachsorge – 198
13.2.5
Literatur
– 200
– 186
– 191
186
Kapitel 13 · Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen
13.1
Urogenitaltuberkulose
13.1.1 Einleitung
II Die Tuberkulose ist eine Infektionskrankheit, die überwiegend durch das Mycobacterium tuberculosis oder seltener durch das Mycobacterium bovis hervorgerufen wird. Der Primärbefall betrifft die Lunge und den Darm. Die Streuung erfolgt im Rahmen der Generalisation in andere Organe (z. B. die Nieren), um später zu exazerbieren und Krankheitssymptome hervorzurufen. Am Ausgang des 20. Jahrhunderts stellte sich die Frage, ob diese Krankheit, deren Erreger vor über 100 Jahren durch Robert Koch entdeckt wurde, eradiziert ist. »Wenn sich die Überzeugung, dass die Tuberkulose eine exquisite Infektionskrankheit ist, unter den Ärzten Bahn gebrochen haben wird, dann werden die Fragen nach der zweckmäßigsten Bekämpfung der Tuberkulose gewiß einer Diskussion unterzogen werden und sich von selbst entwickeln«, sagte Robert Koch am 24. März 1882 am Ende seines Vortrages »Über Tuberkulose« vor der Berliner Physiologischen Gesellschaft. Damit hoffte er, dass bald eine weltweit effektive Behandlung einsetzt und die Tuberkulose kein Problem mehr darstellen wird. Dieser Wunsch ist leider bis heute nicht in Erfüllung gegangen.
13.1.2 Epidemiologie
Nach wie vor ist die Tuberkulose eine der häufigsten Infektionskrankheiten. Trotz Rückgang der Neuerkrankungen in den Industrieländern ist nach Schätzungen der WHO etwa die Hälfte der Weltbevölkerung mit Tuberkulose infiziert. Weltweit gibt es jährlich ca. 8 Mio. Neuerkrankungen und 3 Mio. Todesfälle an Tuberkulose. In 95% der Fälle sind davon Länder der sog. Dritten Welt betroffen. Das zeigt sehr deutlich, dass die Tuberkulose in erster Linie eine Krankheit ist, die in ihrer Ausbreitung eng mit dem sozialen Milieu der jeweiligen Bevölkerungsgruppe verbunden ist, und deren Bekämp-
fung mit der Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und der allgemeinen Lebensbedingungen einhergeht. Dank intensiver Bekämpfungsmaßnahmen nach dem 2. Weltkrieg kam es in Deutschland zu einem stetigen Rückgang der Tuberkuloseinzidenz. Insbesondere ging die Inzidenz an pulmonaler Tuberkulose zurück, während die Organtuberkulosen in der Abnahme der Neuerkrankungsrate stagnierten. Das ergibt sich aus dem noch relativ hohem Durchseuchungsgrad an Tuberkulose in der zunehmend älter werdenden Bevölkerung, hauptsächlich jedoch am prozentual besonders hohem Anteil an Tuberkuloseneuerkrankungen in der ausländischen Bevölkerung. Insgesamt wurden 2001 7.866 Meldungen von Tuberkulose an das Robert Koch-Institut übermittelt. Dies entspricht einer Inzidenz von 9,6 pro 100.000 Einwohner. Gegenüber den im Jahr 2000 erfassten 9.064 Fällen entspricht dies einem Rückgang von 13,2%. Die Inzidenz bei Männern betrug 11,5 Erkrankungen pro 100.000 und war damit im Durchschnitt 1,7-fach höher als bei Frauen (Inzidenz 6,9). In 5.739 Fällen (80,6%) handelte es sich um eine Lungentuberkulose, dabei überwog die Form der offenen Lungentuberkulose mit einer Inzidenz von 5,1 pro 100.000 Einwohner, während die Inzidenz der geschlossenen Form bei 1,9 lag. Die Inzidenz der Tuberkulose bei ausländischer Bevölkerung betrug 32,3 pro 100.000 Ausländer und war damit 5-mal höher als in der deutschen Bevölkerung. Bei der extrapulmonalen Tuberkulose wurden 2001 1.379 (Inzidenz 1,7) neue Fälle gemeldet. Mit 312 Neuerkrankungen (20,4%) lag 2000 die Urogenitaltuberkulose (UGT) an zweiter Stelle der extrapulmonalen Tuberkulose nach der Tuberkulose der peripheren Lymphknoten (48,5%).
13.1.3 Diagnostik
Die frühzeitige Diagnose der UGT ist die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Während der rechtzeitige Einsatz hochwirksamer Antituberkulotika zur Heilung ohne bemer-
13.1 · Urogenitaltuberkulose
kenswerte Funktionseinbußen führt, kommt es bei Verzögerung der Diagnosefindung zu massivem Gewebsuntergang. Die Symptomatik ist oft uncharakteristisch, wobei jedoch immer noch das Bild der therapieresistenten chronischen Zystitis überwiegt. Akute septische Krankheitsbilder sind heute selten, obwohl bei ca. 20% der Patienten mit UGT zusätzlich eine Mischinfektion mit harnwegsspezifischen Bakterien nachweisbar ist. Eine sterile Leukozyturie kann nach wie vor auf eine UGT hinweisen, insbesondere dann, wenn in der Anamnese eine bereits durchgemachte Tuberkulose angegeben wird. Hierbei ist zu beachten, dass die Latenzzeit zwischen früher durchgemachter Tuberkulose und Exazerbation einer UGT zunehmend länger geworden ist und jetzt durchschnittlich 30 Jahre beträgt. Typische Symptomatik der genitalen Verlaufsform der UGT ist die chronische, meist fistelnde Orchidoepididymitis. Eine erhöhte BSG, persistierende Leukozytose und unklares Fieber müssen nach Ausschluss anderer Erkrankungen differenzialdiagnostisch an eine Tuberkulose denken lassen. Bei den bildgebenden Verfahren ( s. folgende Übersicht) hat weiterhin das Ausscheidungsurogramm die größte Bedeutung und bei genitaler Beteiligung die retrograde Urethrographie. Typisch röntgenologische Veränderungen sind bereits bei der Nierennativaufnahme Kalzifikationen (Kitt- oder Mörtelniere) sowie der Nachweis tuberkulöser Destruktionen der Kelche und multiple Ureterstenosen (Gänsegurgelureter) nach Kontrastmittelinjektion. Schrumpfblase und vesikoureteraler Reflux sind weitere beim Ausscheidungsurogramm bereits nachweisbare Komplikationen. Bei forgeschrittenem Gewebsuntergang kann auch eine röntgenologisch »stumme« Niere vorliegen. Prostatakalzifikationen in der Beckenübersichtsaufnahme und kavernöse Destruktionen im Bereich der prostatischen Harnröhre bei der retrograden, aber auch bei der antegraden Urethrographie (Influx) sind typische Veränderungen nach durchgemachter, meist tuberkulöser Prostatitis. Sonographie und Computertomogramm können nur ergänzende Untersuchungen zum Nach-
187
13
Röntgenologische Hinweise auf Urogenitaltuberkulose Abdomenleeraufnahme – Nierenparenchymverkalkungen – Prostatakalzifikationen Ausscheidungsurogramm ( ggf. mit Kompression ) – Kelchdestruktionen – Kelchhalsstenosen – Kavernen – Harnstauungsnieren – Kelchstauungen – Pyelektasie – Harnleiterstenosen – Hydroureter/Hydronephrose – Gänsegurgelureter – Stumme Niere Retrograde Pyelographie Zystogramm – Schrumpfblase – Vesikoureteraler Reflux Urethrogramm – Prostatakavernen – Samenblaseninflux
weis von Kalzifikation und zystischen Parenchymveränderungen sowie zur Differenzialdiagnose einer funktionslosen Niere sein. Hier ist auch in jedem Fall eine retrograde Kontrastmitteldarstellung (Chevassu-Füllung) erforderlich. Tuberkulintests (z. B. Mendel-Mantoux-Test, TINE-Test) können bei überschießender Reaktion Hinweise auf eine mögliche Infektion bzw. Reinfektion mit Mykobakterien geben, bei Immunsuppression sind sie jedoch meist falsch negativ und können somit nicht zur Diagnosefindung beitragen. Angestrebtes Ziel ist die Sicherung der tuberkulösen Infektion durch mikrobiologischen Nachweis der Tuberkuloseerreger. Nur so kann die biologische Aktivität der Erkrankungen bestimmt, und die Art- sowie Resistenzbestimmung der Mykobakterien erfolgen. Bei der UGT steht die kulturelle Anzüchtung der Mykobakterien aus Urin, Genitalsekreten und Eiter an erster Stelle. Der mikroskopische Nachweis von säurefesten Stäbchen aus dem Urin ist ungenü-
188
II
Kapitel 13 · Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen
gend für die Diagnose Urotuberkulose, da atypische Mykobakterien (z. B. M. smegmatis) zu Fehlinterpretationen führen können. Zur kulturellen Anzüchtung wird konzentrierter Morgenurin an 3 aufeinanderfolgenden Tagen empfohlen, um bei insgesamt geringer Bakterienzahl im Urin die Treffsicherheit zu erhöhen. Der positive Nachweis erfordert allerdings 3– 4 Wochen, der Ausschluss einer Infektion kann erst nach 6–9 Wochen (insbesondere bei M. bovis) erfolgen. Mit Hilfe eines radiometrischen Verfahrens (BACTEC, Johnston Laboratories, Towson, MD, USA) kann durch Freisetzung und periodischer Messung von radioaktiv markiertem CO2 die Nachweiszeit einer positiven Kultur auf 2 Wochen verkürzt werden. Auch durch Polymerasekettenreaktion (PCR) ist sehr treffsicher und wesentlich früher der Tuberkulosenachweis aus Urin und Sekreten zu erbringen. Dieses Verfahren ist sehr aufwändig und teuer. Jedoch kann bei positivem Nachweis von Mycobacterium-tuberculosis-Komplex (M. tuberculosis, M. bovis, M. africanum, M. microti) und entsprechender Klinik wesentlich früher mit der antituberkulotischen Therapie begonnen werden. Die Artbestimmung erfolgt entweder biochemisch (über das unterschiedliche Stoffwechselverhalten der Mykobakterien) oder schneller durch Gensonden (Gen-Probe). Nicht immer gelingt der bakterielle Nachweis, so dass anhand des histologischen Befundes (Reaktion des Gewebes auf die Mykobakterien) auf das Vorliegen einer Tuberkulose geschlossen und somit eine antituberkulotische Therapie eingeleitet werden muss. Erkrankungen oder Tod an behandlungsbedürftiger Tuberkulose sind entsprechend § 6 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) vom Januar 2001 meldepflichtig. Dabei ist nicht nur die kulturelle Isolierung sondern auch der Nachweis von Mycobacterium-tuberculosis-Komplex mittels molekularbiologischen Verfahren (Nukleinsäure-Amplifikations-Techniken, z. B. PCR) aus jeglichem nativen Material zu melden.
13.1.4 Therapie
Die Prinzipien der medikamentösen Behandlung beruhen auf den Ergebnissen kontrollierter klinischer Prüfungen bei der Lungentuberkulose. Die dabei erarbeiteten Behandlungsrichtlinien gelten auch für die extrapulmonalen Tuberkulosen, wobei für die UGT der Ausscheidungsmechanismus und der Grad der Nierenfunktionseinschränkung bedeutsam sind. Grundsätzlich gibt es bei der UGT zwei sich gegenseitig nicht ausschließende Behandlungsverfahren: 1. alleinige medikamentöse Behandlung und 2. zusätzliche operative Therapie. Die Kombinationstherapie mit gleichzeitiger Applikation von 3–4 Antibiotika ist heute Therapie der Wahl. Weltweit werden 14 Substanzen zur Behandlung der Tuberkulose eingesetzt (⊡ Tabelle 13.1). Die wirkungsstärksten Antituberkulotika sind Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP) und Pyrazinamid (PZA). Streptomycin (SM), Ethambutol (EMB) und seltener Protionamid (PTH) werden zusätzlich mit den wirkungsstärksten Medikamenten in verschiedenen Therapieregimen kombiniert. Die Dosierung der Medikamente erfolgt nach dem Körpergewicht (⊡ Tabelle 13.2) und ist insbesondere bei der UGT außerdem von der Nierenfunktion abhängig. Die Behandlungsdauer sollte 9 Monate nicht überschreiten, nur bei Rezidiven wird in Einzelfällen ein 12-Monats-Regime empfohlen. Insgesamt wird jedoch bei unkomplizierten Fällen ein 6-Monats-Regime angewandt ( s. folgende Übersicht). 6-Wochen-Therapieregime der UGT 6 Wochen kontinuierlich dreifach (INH, RMP, EMB) 6 Wochen intermittierend (2× wöchentlich) dreifach 12 Wochen intermittierend zweifach (INH, RMP)
189
13.1 · Urogenitaltuberkulose
13
⊡ Tabelle 13.1. Antituberkulotika in historischer Reihenfolge
Gattungsnahme
Abkürzung
Jahr
Entdecker
Thioacetazon (Thiosemikarbazone)
TSC
1942
Domagk, Behnisch, Mietzsch, Schmidt
Aminosalyl (p-Aminosalizylsäure)
PAS
1943
Lehmann
Streptomycin
SM
1943
Waksman,Schatz, Bugie
Tetrazykline
TC
1945
Duggar
Viomycin; Isoniazid
VM; INH
1946
Mayer, Offe, Siefken u. Domagk, Grunberg u. Schnitzer Bernstein, Jambor, Lott, Pansy, Steinberg u. Yale
Pyrazinamid
PZA
1952
Kushner, Dalaian, Sanjuro, Bach jr., Safir, Smith u. Williams
Cycloserin
CS
1952
Kurosawa
Thiocarlid
TCA
1954
Eisman, Konopka u. Mayer
Kanamycin
KM
1955/58
Umezawa
Ethionamid/Prothionamid
ETH/PTH
1956/57
Libermann, Rist u. Grumbach
Capreomycin
CM
1960
Herr, Haney, Pittenger u. Higgins
Ethambutol
EMB
1961/67
Wikinson, Cantrall u. Sheperd
Rifampicin
RMP
1966
Maggi, Pasqualucci, Ballotta u. Sensi
⊡ Tabelle 13.2. Medikamentöse Therapie der UGT
Antituberkulotikum Isoniazid (INH)
mg/kg KG 5–15
Tagesdosis 300 mg
Rifampicin (RMP)
10–15
450–600 mg
Pyrazinamid (PZA)
25–35
1,5–2,5 g
Streptomycin (SM)
15–20
0,75–1,0 g
Ethambutol a (EMB)
20–25
0,8–2,0 g
Protionamid (PTA)
5–15
0,5–1,0 g
a
Nicht für Kinder unter 10 Jahre.
Wie bei der Behandlung der Lungentuberkulose unterscheidet man zwischen einer Initialphase (6–12 Wochen) mit kontinuierlicher Medikamenteneinnahme und nachfolgender Stabilisierungsphase mit meist intermittierender Gabe (2- bis 3-mal wöchentlich) von nur noch zwei Antituberkulosemitteln (INH, RMP). Die Therapie der UGT erfolgt heute überwiegend ambulant. Bewährt hat sich am Behandlungsbeginn jedoch eine kurzzeitige stationäre Aufnahme (5 Tage) zur Medikamenteneinstellung und Überprüfung der Verträglichkeit. Besonders zu beachten sind die Nebenwirkungen der Antituberkulotika (⊡ Tabelle 13.3). Eine genaue prätherapeutische Abklärung (Laborbefunde, Konsultation des Augenarztes [EMB], des HNO-Arztes [SM] und im Behandlungsver-
Kapitel 13 · Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen
190
⊡ Tabelle 13.3. Nebenwirkungen der Antituberkulotika
II INH
Häufig
Selten
Sehr selten
Akne (bei Jugendlichen)
Transaminasenanstieg, Hepatitis, periphere Neuropathie (spricht auf Pyridoxinbehandlung an), allergische Hautreaktionen
Schwindelgefühl, Krämpfe, OpticusNeuritis, psychische Veränderungen, hämolytische Anämie, aplastische Anämie, Agranulozytose, lupoide Reaktionen, Arthralgien, Gynäkomastie
Transaminasenanstieg, Hepatitis, allergische Hautreaktionen, thrombozytische Purpura, »Flu-Syndrome« (nur bei intermittierender oder unregelmäßiger Einnahme)
(nur bei intermittierender oder unregelmäßiger Einnahme) akutes Nierenversagen, hämolytische Anämie, Schock
RMP
PZA
Hyperurikämie, Anorexie, Brechreiz, Flush
Transaminasenanstieg, Hepatitis (dosisabhängig), Erbrechen, Arthralgie, allergische Hautreaktionen
sideroblastische Anämie, Photosensibilisierung
SM
allergische Hautreaktionen, Schwindelgefühl, Tinnitus
Drehschwindel, Ataxie, Hörverlust
Nephropathie, aplastische Anämie, Agranulozytose
Retrobulbärneuritis (dosisabhängig), Arthralgien
allergische Hautreaktionen, Transaminasenanstieg, periphere Neuropathie
EMB
PTH
gastrointestinale Störungen
Transaminasenanstieg, Hepatitis
lauf 6-wöchentlich) ist zur Vermeidung von Komplikationen unumgänglich. Zu besonderen Komplikationen kann bei der UGT die Behandlung mit PZA führen, da durch die Hyperurikämie sowie Hyperurikosurie und damit mögliche Steinbildung zusätzliche Probleme entstehen können. Entweder erfolgt die Therapie der UGT ohne PZA oder die Behandlung muss mit der Gabe von Xanthinoxidasehemmern kombiniert werden. Die Anwendung des PZA soll nur in der Initialphase erfolgen. Es wirkt nur gegen M. tuberculosis, gegen M. bovis ist es primär resistent und damit wirkungslos. Wichtig für den Therapieerfolg und die Vermeidung von Nebenwirkungen ist die Beachtung der möglichen Arzneimittelinteraktionen (⊡ Tabelle 13.4). Entsprechend der potenziellen Multimorbidität ist das Medikamentenspektrum zu eruieren
und zu berücksichtigen (z. B. Antidiabetika, Antikoagulantien). Bei Niereninsuffizienz sind bei nierengängigen Antituberkulotika zur Vermeidung der Kumulation und der Erhöhung der Toxizität Dosisreduktionen vorzunehmen (⊡ Tabelle 13.5.). Die operativen Eingriffe befassen sich bei der UGT heute überwiegend mit der Behandlung der Folgezustände wie Harnstauung, Nierengewebsdestruktion, Schrumpfnieren mit Hypertonus, Schrumpfblasen sowie mischinfizierten Pyonephrosen mit und ohne Harnsteinbildung. Der am häufigsten durchgeführte Eingriff (ca. in 25% der Patienten mit UGT) ist die Nephrektomie. Diese kann sowohl offen chirurgisch, aber auch laparoskopisch bzw. retroperitoneoskopisch durchgeführt werden. Häufigste Ursache ist die histologisch nachweisbare fortgeschrittene Tuberkulose – also die zu spät gestellte
191
13.2 · Urogenitalmykosen
⊡ Tabelle 13.4. Wichtigste Wechselwirkungen der Erstrangmittel mit anderen Substanzen
Erstrangmittel
Anderen Substanzen
Wechselwirkungen
Isoniazid
Phenytoin Carbamazepin Alkoholintoleranz
+ + –
Rifampicin
Ovulationshemmer Dicumarole Tolbutamid Digitalis Clinidin Kortikosteroide
– – – – – –
Pyrazinamid
Orale Antidiabetika Allopurinol
+ –
Streptomycin
Muskelrelaxanzien Antikoagulanzien Etacrynsäure Furosemid Aminoglykoside
+ + +
+ Wirkungsverstärkung, – Wirkungsschwächung.
Diagnose und damit verzögerte antituberkulöse Therapie. Durch die aggressive Antituberkulotika-Therapie heilen selbst fistelnde Epididymitiden aus, so dass eine Epididymektomie oder eine Orchiektomie nur noch selten im Behandlungsverlauf der UGT notwendig sind. Allerdings wird die Orchiektomie meist aus differenzialdiagnostischen Erwägungen (unspezifische Orchiepididymitis, Verdacht auf Hodentumor) durchgeführt und der histologische Befund ergibt dann eine Tuberkulose.
13.1.5 Nachsorge
Nach Behandlungsende sind in den ersten 2 Jahren halbjährlich und in den folgenden 3 Jahren jährlich bakteriologische Kontrolluntersuchungen zu fordern. Die Rückfallquote ist in den ersten beiden
13
Jahren nach Therapieende höher als in den folgenden. Für weitere Verlaufskontrolle von Patienten mit UGT, insbesondere bei Restnieren nach Nephrektomie, ist nach den ersten 5 Jahren eine jährliche Kontrolle von Urinstatus und Kreatinin im Serum ausreichend. Nur bei pathologischem Urinbefund (Leukozyturie) sind bakteriologische Harnkulturen und Tbk-Kulturen erforderlich.
13.2
Urogenitalmykosen
13.2.1 Einleitung
Die Zunahme von Patienten mit Risikofaktoren wie Nierentransplantation, Diabetes mellitus, längerer antibiotischer Therapie oder Fremdkörperimplantation sowie längere Überlebenszeiten immunsupprimierter Patienten haben zu einer generellen Zunahme von Urogenitalmykosen durch hämatogene Aussaat oder durch lokale Aszension in den letzten Jahren geführt (⊡ Tabelle 13.6). Bei entsprechenden Risikopatienten muss bei Harnwegsinfektionen, Harnstauungsnieren oder Verdacht auf ein Karzinom des Urogenitaltraktes auch immer an eine Mykose gedacht werden.
13.2.2 Epidemiologie
Der Urogenitaltrakt kann Ausgangspunkt oder Zielorganbereich von Mykosen darstellen. Bei Systemmykosen ist der Urogenitaltrakt in ca. 20–30% beteiligt. Bei nicht oder zu spät erkannten disseminierten Mykosen mit oder ohne Urogenitalbeteiligung kommt es bei bis zu 100% der Patienten zum Exitus. Daneben gibt es auf den Harntrakt beschränkte Mykosen. Hier steht die Pilzaszension, vor allen Dingen von Candida, aus exogenen oder körpereigenen Reservoirs im Vordergrund. In Mitteleuropa treten bei Urogenitalmykosen zu ca. 90% Hefen der Gattung Candida auf. Seltener kommen Schimmelpilzarten, Cryptococcus oder andere Pilze als Erreger vor. Symptomlose Individuen haben in 0–8% positive Urinpilzkulturen. Symptomatische Harnwegs-
Kapitel 13 · Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen
192
⊡ Tabelle 13.5. Antituberkulotika bei Niereninsuffizienz. (Mod. nach Höffler 1985)
II
Medikament
Renale Ausscheidung
Kumulation bei Niereninsuffizienz
Dosierung bei Niereninsuffizienz
Nebenwirkungen
INH
Nein
Nein
Unverändert
Bei »Langsamazetylieren« Leberschäden, periphere Nephritis, Psychosen
RMP
Nein
Nein
Unverändert
Thrombozytopenie, Leberschäden, akutes Nierenversagen
EMB
45–65%
Ja
Kreatininclearance bis 0,8 ml/s: 25 mg/kg/Tag, bis 0,2 ml/s: 15 mg/kg/Tag, unter 0,2 ml/s: 10 mg/kg/Tag
Periphere Neuritis, Optikusatrophie, Netzhautdefekte
SM
90%
Ja
Kreatininclearance bis 0,8 ml/s: 0,5 g/Tag, bis 0,2 ml/s: 0,3–0,5 g/Tag, unter 0,2 ml/s: 0,25–0,3 g/Tag
Ototoxität, Nephrotoxität
PZA
Glomerulär filtriert, Prozentsatz unklar
Ja
Reduzieren
Leberschäden
infektionen werden in ca. 2%, nosokomiale Infektionen in 8% durch Pilze verursacht.
13.2.3 Diagnostik
Die Krankheitssymptome sind unspezifisch und entsprechend den betroffenen Urogenitalorganen, die alle, allerdings in unterschiedlicher Häufigkeit betroffen sein können. In bis zu 96% bleibt eine Candidurie symptomlos (⊡ Tabelle 13.7). Da die verschiedenen Pilzarten auf die einzelnen Antimykotika unterschiedlich sensibel reagieren und auch zunehmend Resistenzen gegenüber Amphotericin B auftreten, muss eine eindeutige Erregerdifferenzierung und Resistenztestung erfolgen. Mehrfach positive Urinkulturen sind als klinisch relevant anzusehen. Bei Verdacht auf eine Systemmykose oder entsprechenden Organbefall müssen Pilzkulturen oder -präparate neben dem Urin auch aus Prostatasekret, Ejakulat, Abszesseiter, Blut, Sputum, Harn-
leiterschienen sowie Abstrichen (oral, vaginal, rektal etc.) und verschiedenen Geweben (abgegangene Pilzbälle, Biopsien von Knochenmark, Niere und Haut) angelegt werden. Für Candida und Aspergillus befindet sich eine PCR im Stadium der klinischen Erprobung. Zusätzliche serologische Untersuchungen wie Hämagglutination, Immunfluoreszenz, Immunelektrophorese, ELISA, EIA oder RIA haben bei Candida und Aspergillus nur eine eingeschränkte Aussagekraft und sind bei Coccidioides und Histoplasma hilfreich. Hauttests (Blastomyces, Coccidioides, Histoplasma) oder der direkte Antigennachweis (Blastomyces, Histoplasma, Cryptococcus) können ebenfalls wichtige Informationen liefern. Die bildgebenden Diagnoseverfahren (Sonographie, Urographie, CT) geben, außer bei Pilzbällen, nur unspezifische Hinweise, sind aber für die Verlaufsbeobachtung und eventuelle Operationsplanung von großer Bedeutung.
13
193
13.2 · Urogenitalmykosen
⊡ Tabelle 13.6. Prädisponierende Faktoren für Urogenitalmykosen Keine (11%)
Exposition aus der Umgebung
Besiedlung von Haut, Mund, Gastrointestinaltrakt und Vagina mit Pilzen und urogenitaler Streuung
Blumenerde Kartons
Systemmykose mit urogenitaler Streuung Obstruktion und (kongenitale) Anomalien des Harntraktes (38%) Gynäkologisch Frühgeburt orale Kontrazeptiva
Graviditas
Iatrogen Strahlentherapie Operationen (52%) Ileum-Konduit Transplantationen
Beatmung Gastrointestinal-Operationen Transurethrale Eingriffe
Sexuelle Übertragung Autoerotische Manipulationen Urethritis Vogelkot
Hände von Pflegepersonal und Ärzten kontaminierte Nahrungsmittel Balanitis Vaginalmykose
Stoffwechselstörungen Debilität Eisenmangel Hypothyreose Mangelernährung (17%) Niereninsuffizienz
Diabetes mellitus (39%) Hyperurikämie Leberzirrhose M. Cushing Zinkmangel
Konsumierende Erkrankungen Fremdkörper Harnblasenkatheter (78%) kontaminierte Zystoskope künstliche Herzklappen Schrittmacher Venenkatheter Medikamente Antibiotika (90%) Glucocorticoide
Harnleiterschienen Nephrostomiekatheter Peritonealdialysekatheter Tracheostomata
Cyclosporin A Zytostatika
13.2.4 Therapie
Allgemeine Maßnahmen Vor einer antimykotischen Therapie sollten bei Urogenitalmykosen allgemeine Maßnahmen wie Diabetes-Einstellung und Absetzen von Antibiotika, Immunsuppressiva oder Zytostatika erfolgen. Sinnvoll ist auch der Wechsel bzw. das Entfernen von Fremdkörpern wie transurethralen Dauerkathetern und Drainagen. Diese Maßnahmen führen in 35–76% der Fälle von auf den Harntrakt beschränkten Mykosen zu einer Heilung ohne medikamentöse Therapie.
Neutropenie Infektionen (85%) Malignome (22%)
jeder Genese z. B. Aids, CMV, Tuberkulose Leukämie, Lymphome, Myelome, Solide Tumoren
Sonstiges
Autoimmunerkrankungen Ileus Sarkoidose
Dyskrasien Polytrauma Verbrennungen
Alkohol und sonstige Drogen
Der positive Effekt einer Urinalkalisierung bei Harntraktmykosen ist bisher nicht eindeutig bewiesen.
Abwartendes Verhalten Bei symptomloser Fungurie kann bei immunkompetenten Patienten zunächst ohne Therapie abgewartet werden. Regelmäßige Kontrollen zum Ausschluss eines invasiven Wachstums sind dabei angezeigt. Bei Risikopatienten wie z. B. Transplantierten ist auch ohne Symptome eine antimykotische Therapie angezeigt. Symptomatische Mykosen sollten immer therapiert werden.
194
Kapitel 13 · Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen
⊡ Tabelle 13.7. Einteilung der Urogenitalmykosen
II
Art der Erkrankung
Erreger
Niere Harnstauungsniere, Pyonephrose Pilzaneurysma
C. parapsilosis
perinephritischer Abszess
Aspergillus fumigatus, C. albicans, C. glabrata
Pilzball
Aspergillus specc., C. albicans, C. (Torulopsis) glabrata, C. lusitaniae, C. krusei, C. tropicalis, Fusarium specc., Mucor specc., Pseudoallescheria boydii
Abszess, (emphysematöse) Pyelonephritis
Aspergillus flavus, A. fumigatus, Blastomyces dermatitidis, C. albicans, C. (Torulopsis) glabrata, C. tropicalis, Coccidioides immitis, Cryptococcus neoformans, Fusarium solani, Geotrichum candidum, Histoplasma capsulatum, Mucor specc., Pseudoallescheria boydii, Paecilomyces specc., Trichosporon beigelii, T. loubieri
Nierenarterienthrombose Pyocalix
C. albicans
Papillennekrose
Aspergillus flavus, C. albicans, C. (Torulopsis) glabrata, Histoplasma capsulatum
Ureter Pilzball, Ureteritis
Aspergillus specc., C. albicans, Paracoccidioides brasiliensis, Sporothrix schenckii
Harnblase Pilzball, Zystitis, perivesikaler Abszess
Aspergillus specc., Candida specc., C. (Torulopsis) glabrata, C. tropicalis, Coccidioides immitis, Curvularia specc., Geotrichum candidum, Penicillium citrinum, P. glaucum, Trichosporon asahii
Prostata Prostatitis, Abszess
Aspergillus specc., Blastomyces dermatitidis, C. albicans, C. glabrata, C. tropicalis, Coccidioides immitis, Cryptococcus neoformans, Hansenula fabianii, Histoplasma capsulatum
Harnröhre und Penis Urethritis
Aspergillus specc., C. albicans, Rhinosporidium seeberi
Penisprothesenabszess
C. albicans
Nebenhoden Epididymitis
Blastomyces dermatitidis, C. albicans, C. (Torulopsis) glabrata, Coccidioides immitis, Cryptococcus neoformans, Exophiala jeanselmi, Histoplasma capsulatum, Paracoccidioides brasiliensis, Sporothrix schenckii
195
13.2 · Urogenitalmykosen
13
⊡ Tabelle 13.7 (Fortsetzung)
Art der Erkrankung
Erreger
Hoden Orchitis
Aspergillus specc., Blastomyces dermatitidis, Fusarium solani, Histoplasma capsulatum, Paracoccidioides brasiliensis
Samenblase Vesiculitis
Histoplasma capsulatum
Genitalhaut
Blastomyces dermatitidis, Candida specc., Cryptococcus neoformans, Histoplasma capsulatum, Mucor specc., Tinea cruris, T. purpureum, T. rubrum
Makrohämaturie bei Gerinnungsstörung
Aspergillus fumigatus
Fraglich pathogen bei Nachweis im Urin
Candida guillermondi, C. krusei, C. parakrusei, C. pseudotropicalis, C. tropicalis, Curvularia specc., Penicillium specc., Rhodotorula flava
Lokale Antimykotika Bei Mykosen des ableitenden Harntraktes (Candidosen, Aspergillosen) ohne klinische Hinweise auf eine Parenchymbeteiligung kann über einen transurethralen Spüldauerkatheter bzw. eine perkutane Nephrostomie eine Spülbehandlung durchgeführt werden (⊡ Tabelle 13.8). Hierzu wird eine Lösung von 50 mg Amphotericin B in 1 l sterilem Wasser oder 5%iger Dextrose (Konzentration 0,05 mg/ml) über 24 h (42 ml/h) instilliert. Es tritt keine signifikante systemische Absorption oder Toxizität auf. Die Lösungsflasche muss mit Aluminiumfolie umwickelt werden, da die Substanz lichtempfindlich ist. Die Behandlung kann 4 Tage bis 9 Monate bzw. bis zum Nachweis zweier steriler Pilzkulturen fortgesetzt werden. Die Erfolgsquote dieser lokalen Instillationsbehandlung beträgt 50%–92%. Spülungen mit anderen Antimykotika wie Miconazol oder Nystatin waren nicht so erfolgreich. Bei mykotischer Urethritis können 25 mg Amphotericin B in 7,5 ml destilliertem Wasser plus 0,1 mg/ml Dextrose für 6 Tage lokal instilliert werden. Die verschiedenen Symptome von Mykosen der Haut und Genitalhaut können mit einer das Imidazol Clotrimazol enthaltenden Salbe nach
2–4 Wochen in 64,5–100% beseitigt werden. Alternativen sind Miconazol- oder Nystatinsalben. Probleme bereiten chronisch rezidivierende Vaginalmykosen, die oft erst durch eine Langzeittherapie, z. B. mit 100 mg Ketoconazol intravaginal über 6 Monate zufriedenstellend therapiert werden können.
Systemische Antimykotika Bei Hinweisen auf eine aszendierende oder im Rahmen einer generalisierten Pilzerkrankung entstandene, invasive Urogenitalmykose, sollten Antimykotika systemisch verabreicht werden (⊡ Tabelle 13.8). Amphotericin B, ein zellmembranschädigendes Polyenantibiotikum (wie Nystatin) aus Streptomycetis nodosus, wirkt bei fast allen Mykosen (Ausnahmen: Candida lusitaniae, C. parapsilosis, Paecilomyces specc., Pseudoallescheria boydii) (⊡ Tabelle 13.8). Dabei tritt eine fungizide oder fungistatische Wirkung auf. Es entwickeln sich nur selten resistente Stämme. 3% des Medikaments werden in den Urin ausgeschieden. Die Dosis wird bei der intravenösen Behandlung langsam von 0,1 mg/kg pro Tag auf 1 mg/kg pro Tag bzw. in vital bedrohlichen Fällen auf 1,5 mg/kg pro Tag erhöht.
196
Kapitel 13 · Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen
⊡ Tabelle 13.8. Behandlung von Mykosen mit Amphotericin B
II
Dosis:
IV: 0,1–1,5 mg/kg pro Tag, langsam steigern, 6 Einzelgaben/Tag maximal 4 g in 6 Wochen Lokal: 50 mg/1.000 ml aqua dest. pro Tag (42 ml/h) bei lokaler Irrigation
Anwendung:
Alle Mykosen (Ausnahmen: C. parapsilosis, Pseudoallescheria boydii)
Kontraindikationen:
Graviditas, Leber- oder Nierenfunktionsschäden
Nebenwirkungen:
Anämie Erbrechen Herzrhythmusstörungen Hypokaliämie Kopfschmerz Leberschaden (akutes Versagen) Schmerzen Schwindel Übelkeit
Zu beachten:
Einwickeln der Infusionsflasche in Aluminiumfolie (Lichtschutz) Parallele Gabe von Antihistaminika, Antipyretika, Corticoiden, Heparin, Ibuprofen, Kalium, Mannitol oder Sedativa Langsame Infusionsgeschwindigkeit (Einzeldosis über 4 h) Kombination mit 5-Flucytosin möglich Therapiepause bei Niereninsuffizienz
Kontrolle:
BB, Elektrolyte, Nieren- und Leberwerte 2×/Woche
Der resultierende Serumspiegel sollte bei 0,5– 4,0 mg/l liegen. Bei vital bedrohlichen Zuständen kann auch sofort die volle therapeutische Dosis verabreicht werden. Die Einzeldosen werden über 4 h verabreicht. Eine maximale Gesamtdosis von 4 g in mindestens 6 Wochen sollte nicht überschritten werden, da sonst irreversible Nierenschädigungen entstehen können. Bei schweren Leber- oder Nierenfunktionsstörungen ist die Substanz kontraindiziert. Schwere Nebenwirkungen (⊡ Tabelle 13.8), insbesondere Thrombozytopenie oder Leber- sowie Nierenschäden machen gelegentlich eine Therapiepause oder sogar ein Absetzen erforderlich. Zweimal wöchentlich müssen Blutbild, Elektrolyte, Nieren- und Leberwerte kontrolliert werden. Zu achten ist auch bei intravenöser Applikation auf den Lichtschutz durch Einwickeln der Infusionsflasche in Aluminiumfolie sowie eine langsame Infusionsgeschwindigkeit. Eine parallele
Anorexie Fieber Hörverlust Hypomagnesiämie Krämpfe Nephrotoxizität (Azidose, RTA) Schüttelfrost Thrombozytopenie Venenentzündung
Gabe von Ibuprofen, Sedativa, Antikonvulsiva, Antihistaminika, Corticoiden, Kalium oder Heparin kann ebenso wie die Dosisreduktion bei Kombinationstherapie mit 5-Flucytosin oder Rifampicin die Verträglichkeit der Behandlung verbessern. Lipidassoziertes Amphotericin B führt zu einer besseren Verträglichkeit und ermöglicht Dosierungen bis 4 mg/kg pro Tag. Dadurch wurden bei Systemmykosen vereinzelt noch Patienten nach Misserfolg der konventionellen Therapie gerettet. Die Kosten liegen 6-mal höher als bei konventionellem Amphotericin B. Falls kein handelsübliches Präparat vorliegt, kann Amphotericin auch mit 5%iger Glucoselösung gemischt werden. Eine Mischung mit Lipidinfusionslösungen sollte wegen möglicher Ausflockung unterbleiben (⊡ Tabelle 13.9). Das Nukleotidanalogon 5-Flucytosin (Ancotil) wird von Candida, Cryptococcus und den Chromomykosearten zum Zytostatikum 5-Fluorouracil
197
13.2 · Urogenitalmykosen
13
⊡ Tabelle 13.9. Behandlung von Mykosen mit 5-Flucytosin Dosis:
150 mg/kg Tag i. v., 4 Einzelgaben/Tag, 250 ml Infusionsflaschen mit 2,5 g
Anwendung:
Candidose Kryptokokkose
Chromomykose (Aspergillose)
Kontraindikationen:
Graviditas
resistente Keime
Nebenwirkungen:
Allergie
BB-Veränderungen (Knochenmarkdepression, Eosinophilie) Erbrechen Kolitis Leberschaden Sedierung Verwirrtheit
Diarrhoe Halluzinationen Kopfschmerz Schwindel Übelkeit Zu beachten:
Bei Niereninsuffizienz Dosis anpassen Kombination mit Amphotericin B möglich
Kontrolle:
BB und Pilzkultur 1×/Woche
metabolisiert (⊡ Tabelle 13.9). Aspergillus wird mit höheren Dosierungen erfasst. Coccidioides-, Fusarium-, Histoplasma- und Mucorarten sind resistent. Die Dosierung beträgt 100–200 mg/kg pro Tag i. v. über 3–8 Wochen. Die Einzeldosen werden alle 6 h verabreicht. Die orale Form steht in Deutschland nicht mehr zur Verfügung. Der therapeutische Wirkspiegel liegt bei 25–120 mg/l im Serum. Bei längerer Anwendung ist ein Monitoring der Serumkonzentration notwendig. 90% der Substanz werden im Urin ausgeschieden. Eine Kombination aus Amphotericin B mit 5-Flucytosin wirkt synergistisch. Die Dosis von Amphotericin B kann dabei herabgesetzt werden. Die Behandlungsdauer beträgt bei Candida 3 Wochen und bei Kryptococcus 6 Wochen. Die Erfolgsraten bei Urogenitalmykosen schwanken zwischen 45% und 90%. Bei Gravidität sollte die Substanz nicht eingesetzt werden. Schwere Nebenwirkungen, insbesondere Myelosuppression, Leberschäden oder zentralnervöse Symptome limitieren den Einsatz. Bei Niereninsuffizienz muss eine Dosisanpassung erfolgen. Da die Substanz dialysierbar ist, sollte sie, wenn nötig, auch bei terminal niereninsuffizienten Patienten eingesetzt werden. Einmal pro Woche müssen Blutbild und Leberwerte kontrolliert werden. Da relativ häufig eine Resistenzentwicklung
während der Behandlung auftritt (6–33%), sollten öfter Pilzkulturkontrollen erfolgen. Die häufig auftretenden Resistenzen relativieren heute den Gebrauch von 5-Flucytosin bei Urogenitalmykosen. Das neuere Triazol Fluconazol erreicht nach oraler oder intravenöser Gabe hohe Urinspiegel. C. glabrata wird mit höheren Dosen erfasst. Aspergillus, Candida krusei, Fusarium und Mucor sind immer resistent. In letzter Zeit haben die Resistenzen bei Nicht-albicans-Hefen zugenommen. Ob Nicht-albicans-Hefen durch den Einsatz von Fluconazol häufiger vorkommen, wird in der Literatur widersprüchlich angegeben. Es saniert, einmal täglich in einer Dosierung von 50–400 mg über 10 Tage verabreicht, 94–95% der Candiduriefälle und viele Urogenitalmykosen (⊡ Tabelle 13.10). Im Vergleich mit Amphotericin B wurden ähnliche Heilungsraten erzielt. Bei Kryptokokkose werden 400 mg über 8–10 Wochen verabreicht. Bei gravierenden Mykosen ist gegebenenfalls eine Kombination mit Amphotericin B und/oder Flucytosin angezeigt. Die einmalige Gabe von 150 mg Fluconazol per os ist bei Pilzvaginitis so effektiv wie die intravaginale Clotrimazolbehandlung. Übelkeit und Erbrechen treten bei weniger als 5% der Patienten auf. Neben einer Allergie können Kopfschmerzen und Krampfanfälle auftreten.
198
II
Kapitel 13 · Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen
Über das Triazol Itraconazol liegen nur wenige urologische Berichte vor. Die erzielten Gewebsspiegel liegen bei der ausgeprägt lipophilen Substanz 2- bis 3-mal höher als die Serumspiegel. Erfasst werden Aspergillus, Candida, Blastomyces, Coccidioides, Cryptococcus, Histoplasma und Sporotrix. C. glabrata wird mit höheren Dosierungen erfasst. Mucor- und Fusariumarten sind resistent. Die Dosierung beträgt 2–3×200 mg über 2–3 Tage p. o. oder i. v. und dann 200–400 mg/Tag über einen von der Ausdehnung der Erkrankung abhängigen Zeitraum. Die Imidazole, vor allem Miconazol und Ketoconazol werden bei Histoplasmose, Coccoidioidose und Blastomykose erfolgreich eingesetzt. Sie werden aber schlecht in die Nieren und den Harntrakt ausgeschieden, so dass die Heilungsraten von Harntraktmykosen nur bei 40–50% lagen. Über Erfahrungen mit Rifampicin liegen bei Urogenitalmykosen nur wenige Literaturmitteilungen vor. Trotz seiner antimykotischen Wirkung sollte es wegen einer möglichen Zunahme resistenter Tuberkulosestämme normalerweise nicht bei Mykosen eingesetzt werden. Über das zugelassene Echinocandin Caspofungin (50 mg/Tag i. v. bei Aspergillusinfektionen oder systemischen Candidosen) und dem Triazol Voriconazol (2×4 mg/kg/Tag oral oder i. v. bei Aspergillus-, Candida- oder Cryptococcusinfektionen) liegen noch keine Berichte von Behandlungen bei Urogenitalmykosen vor. Neuentwickelte Antimykotika wie weitere Echinocandine, weitere Triazole, Allylamine, Benanomycine, Nikkomycine, Pneumocandine, Pradymicine und Thiocarbamate befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Erprobung (⊡ Tabelle 13.10).
Nieren ist bei einseitigem Befall die Nephrektomie angezeigt. Zeigen Pilzbälle unter einer medikamentösen Therapie keine Rückbildungstendenz bzw. liegt ein doppelseitiger Befall oder eine bedrohliche Situation vor und es sollte die operative offene oder endourologische Entfernung des Pilzmaterials erfolgen. Gut die Hälfte der Patienten mit komplizierter Nierenmykose müssen operiert werden. Bei nachgewiesener Mykose von Prostata, Hoden oder Nebenhoden ist zunächst ein Behandlungsversuch mit Antimykotika angezeigt. Bei fehlendem medikamentösen Therapieerfolg nach mindestens 6 Wochen Therapie oder Auftreten von Komplikationen sollte die operative Sanierung erfolgen. Dabei empfiehlt sich die perioperative Abschirmung bzw., bei präoperativ nicht gestellter Diagnose, die postoperativ durchgeführte Anschlussbehandlung je nach gefundenem Erreger. Bei zufällig gefundenen Nebenhoden- oder Prostatamykosen ohne Zeichen der generalisierten Erkrankung kann nach einigen Autoren auch auf eine Nachbehandlung verzichtet werden. Bei einem Prostataabszess sollte eine transurethrale Resektion des Abszessdaches erfolgen. Nur bei sehr schwer erkrankten Patienten ist zunächst eine perineale, ultraschallgesteuerte Drainage über einen Pigtailkatheter sinnvoll. Bei bekannter Pilzspecies ist eine antimykotische Vorbehandlung erforderlich, die nach erfolgreicher Operation über 6 Wochen fortgesetzt werden sollte. Mit Pilzen infizierte Fremdkörper wie z. B. Penisprothesen oder artifizielle Sphinkter müssen oft entfernt und eine systemische antimykotische Therapie durchgeführt werden.
13.2.5 Nachsorge
Invasive Therapie Zur Unterstützung einer systemischen antimykotischen Behandlung bei Harnstauungsnieren durch Pilzbälle können Harnleiterkatheter oder Nierenfistelkatheter eingelegt werden. Bei einer Mykose der Prostata ist oft eine temporäre suprapubische Harnableitung sinnvoll. Begleitende Anomalien des Harntraktes wie Urolithiasis, Obstruktion sowie ein Reflux sollten operativ saniert werden. Bei völlig destruierten
Positive Pilzkulturen müssen auf jeden Fall kontrolliert werden. Sie sind nicht irrelevant und müssen ggf. durch eine Pilzserologie in ihrer Wertigkeit weiter beurteilt werden. Bei disseminierten Mykosen empfehlen sich engmaschige Kontrollen auch nach erfolgreicher Therapie, um Komplikationen, wie z. B. Pilzabszesse oder aneurysmen, zu vermeiden und mögliche Rezidive frühzeitig zu erfassen.
13
199
13.2 · Urogenitalmykosen
⊡ Tabelle 13.10. Medikamtöse Therapie der wichtigsten Pilzinfektionen des Urogenitaltraktes. (Nach Wise 2002)
Erkrankung
Ort
Medikament
Dosis
Dauer
Aspergillose
Niere
Amphotericin B
1,5 mg/kg/Tag i. v., bis 2 g, 50 µg/ml, 40 ml/h Spülung 2×200 mg p. o.
6–18 Wochen
unbekannt
Itraconazol
1,5 mg/kg/Tag i. v., 50 µg/ml, 40 ml/h Spülung 2×200 mg p. o.
Prostata
Ketoconazol Amphotericin B
400 mg p. o. 1–3 g i. v.
>1 Monat 3 Monate
Nebenhoden
Ketoconazol
400 mg p. o.
1 Jahr
Balanitis
Nystatin-Salbe Clotrimazol-Salbe Fluconazol
– – 150 mg p. o.
unbekannt unbekannt 1 Tag
Blase
Fluconazol Amphotericin B Miconazol
1×400 mg, dann 200 mg/Tag 50 µg/ml, 40 ml/h Spülung 50 µg/ml, 40 ml/h Spülung
14 Tage 4–14 Tage 5 Tage
Niere
Amphotericin B
1 g i. v., 50 µg/ml, 40 ml/h Spülung
unbekannt
Nebenhoden
Fluconazol Ketoconazol
200 mg/Tag 200 mg/Tag
6 Wochen 6 Wochen
Prostatitis
Amphotericin
2,5 g i.v.
Amphotericin B
± 200 mg Fluconazol oder Ketoconazol
4 Tage bis 6 Wochen 6 Wochen
Niere
Amphotericin B
>2 g i. v.
nicht bekannt
Prostata
Amphotericin B
2,5 g i. v.
4 Monate
Blase
Amphotericin B +Ketoconazol
2 g i. v. + 200 mg/Tag p. o.
1 Jahr
Prostata
Amphotericin B Flucytosin Fluconazol
1,1–3,4 g i. v. 100–150 mg/kg/Tag 400 mg/Tag
unbekannt 4–6 Wochen 8–10 Wochen
Niere
Amphotericin B
>1 g
38 Tage
Niere
Amphotericin B
>2 g i. v.
unbekannt
Prostata
Ketoconazol Itraconazol
600 mg/Tag 200 mg/Tag
unbekannt 12 Wochen
Niere
Amphotericin B
2,5–4,0 g i. v.
1 Monat
Itraconazol Prostata
Blastomykose
Candidiasis/ TorulopsisInfektion
Coccidioidomykose
Kryptokokkose (Torulose)
Histoplasmose
Mucormykose
Amphotericin B
1 Jahr?
unbekannt
200
Kapitel 13 · Urogenitaltuberkulose und Urogenitalmykosen
Fazit
II
Bei rückläufigen Zahlen der Tuberkulose in Deutschland ist die Urogenitaltuberkulose die zweithäufigste extrapulmonale Form. Insbesondere bei Migranten muss an sie gedacht werden. Die Therapie der Urogenitaltuberkulose erfolgt bei unkomplizierten Fällen ambulant, wobei eine 6-monatige medikamentöse Kombinationsbehandlung ausreichend ist. Die Anzahl urogenitaler Pilzinfektionen ist im Steigen begriffen, da immer mehr Risikopatienten mit reduzierter Abwehrsituation vorkommen. Symptomatik und Laborveränderungen sind bei beiden Entitäten nicht beweisend, so dass immer eine kulturelle Bestätigung angestrebt werden sollte. Die Therapie mit Antituberkulotika erfolgt über 6–12 Wochen mit 3–4 Präparaten, dann werden bis zum Ablauf von 6–9 Monaten 2- bis 3-mal pro Woche 2 Präparate verabreicht. Bei Urogenitalmykosen wird je nach Schwere der Erkrankung kalkuliert sofort oder testentsprechend nach Vorliegen der Pilzkultur behandelt, bei klinisch auf den Harntrakt begrenzter Mykose 4–14 Tage und bei Organbeteiligung bis 4 Monate. Je nach Erreger und Zustand des Patienten kann gegebenenfalls eine längere prophylaktische oder supprimierende Behandlung erforderlich sein. Bei destruiertem Gewebe oder mangelndem Ansprechen der medikamentösen Therapie erfolgt eine urochirurgische Herdsanierung. Bei beiden Erkrankungen sollte eine längere Nachsorge zum frühzeitigen Erfassen von Rezidiven angeschlossen werden.
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201
13
14 Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen (Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Hämatoonkologie, Aids) und nach Nierentransplantation M. Burg, V. Kliem
14.1
Einleitung
– 205
14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.1.4
Epidemiologie – 205 Pathogenese – 205 Klinik – 206 Therapie – 207
14.2
Diabetes mellitus
14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.2.4
Epidemiologie – 210 Pathogenese – 210 Klinik – 211 Therapie – 212
14.3
Niereninsuffizienz
14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4
Epidemiologie – 212 Pathogenese – 212 Klinik – 212 Therapie – 213
14.4
Nierentransplantation
14.4.1 14.4.2 14.4.3 14.4.4
Epidemiologie – 213 Pathogenese – 213 Klinik – 214 Therapie – 215
– 210
– 212
– 213
II
14.5
Hämatoonkologie
14.5.1 14.5.2 14.5.3 14.5.4
Epidemiologie – 216 Pathogenese – 216 Klinik – 216 Therapie – 216
14.6
Aids
14.6.1 14.6.2 14.6.3 14.6.4
Epidemiologie – 216 Pathogenese – 217 Klinik – 217 Therapie – 217
Literatur
– 216
– 218
– 216
205
14.1 · Einleitung
14.1
Einleitung
14.1.1 Epidemiologie
Harnwegsinfektionen zählen mit einem Anteil von 30–40% zu den häufigsten nosokomialen Infektionen und sind in bis zu 90% der Fälle mit einem Dauerkatheter causal assoziiert. Im nativen Harntrakt kommen die meisten Infektionen bei Frauen im sexuell aktiven Alter und im Rahmen von Schwangerschaften vor. Circa 10–20% aller Frauen haben im Verlauf ihres Lebens zumindest einen symptomatischen Harnwegsinfekt. Bei dem männlichen Geschlecht treten die meisten Harnwegsinfektionen bei Neugeborenen und Säuglingen infolge von urologischen Anomalien und im späteren Verlauf bei älteren Männern mit Prostatahypertrophie oder nach invasiven urologischen Eingriffen auf. Dabei ist die Entwicklung eines Harnwegsinfektes üblicherweise nicht Zeichen einer Immunschwäche. Diese Altersverteilung gilt jedoch nicht bei Patienten mit Systemerkrankungen oder nach Nierentransplantation. Hier bestimmt die Begleiterkrankung und/oder die Immunsuppression den Zeitpunkt und Verlauf von Harnwegsinfekten. Aufgrund der deutlich höheren Inzidenz und der oft schweren rezidivierenden Verläufe stellen in diesem Kollektiv Harnwegsinfektionen eine bedeutsame Ursache für Morbidität und Mortalität dar. Deshalb muss bei diesen Patienten bei Verdacht auf einen Harnwegsinfekt eine auf die Grunderkrankung abgestimmte sorgfältige Diagnostik erfolgen. Bei klinisch hochgradigem Verdacht oder dem Nachweis eines Harnwegsinfektes muss sich eine der Grunderkrankung und dem damit verbundenen Erregerspektrum angepasste Therapie anschließen. Hier sollte bei Patienten mit rezidivierenden Harnwegsinfekten immer die Resistenzlage berücksichtigt werden. Bei Patienten mit einem hochfieberhaften Infekt der oberen Harnwege nach Nierentransplantation muss ggf. die immunsuppressive Therapie modifiziert werden. Neben bakteriellen Infekten der Harnwege kann es in dem oben geschilderten Kollektiv von Patienten zu Pilzinfektionen der Harnwege kommen. Hier sind Patienten auf Intensivstationen be-
14
sonders gefährdet, da bei ihnen oft mehrere Risikofaktoren (u. a. Grunderkrankung, herabgesetzte Immunantwort, Blasenverweilkatheter) gleichzeitig vorliegen.
14.1.2 Pathogenese
Die Pathogenese von Harnwegsinfekten unterscheidet sich bei Patienten mit Systemerkrankungen oder nach Nierentransplantation nicht von der üblichen Bevölkerung. Der häufigste Erreger ambulant erworbener Harnwegsinfektionen ist auch in diesem Kollektiv Escherichia coli [27]. Zusätzlich sollte jedoch bei Patienten mit Systemerkrankungen oder nach Nierentransplantation an seltene Erreger wie Viren (Cytomegalievirus), Mykobakterium tuberkulosis, Chlamydien, Mykoplasmen oder Schistosomen gedacht werden. Ferner muss immer eine Pilzinfektion differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden, wobei Candidaspezies die größte Rolle spielen (⊡ Tabelle 14.1). Ein erst in den letzten Jahren entdecktes Krankheitsbild ist besonders nach Transplantation eine Polyomavirusinfektion (BK-Virus) der Niere [7]. Im Normalfall beginnt ein Harnwegsinfekt mit einer Besiedlung der Harnröhre durch Bakterien, die aus dem Kolon stammen. Den wichtigsten Abwehrmechanismus der Harnwege gegen die Besiedlung stellt die Durchspülung durch den Urin dar. Obwohl die meisten Bakterien die Fähigkeit der Adhärenz besitzen, kann durch die Aufrechterhaltung eines adäquaten Urinflusses (Diurese >2 l/Tag) eine bakterielle Besiedlung der unteren Harnwege sehr effektiv vermieden werden, da es durch den resultierenden Verdünnungs- und Spüleffekt zu einer Keimreduktion kommt. Dieser Zusammenhang spielt für die Entstehung von Harnwegsinfektionen zum Beispiel bei Niereninsuffizienz eine entscheidende Rolle, da in diesem Kollektiv ein hoher Anteil von Patienten wegen der eingeschränkten Nierenfunktion keine ausreichende Diurese aufrechterhalten kann. Auf Grund des eingeschränkten Urinflusses muss bei diesem Kollektiv der Einsatz eines Blasenverweilkatheters sorgsam bedacht werden. Keines-
206
Kapitel 14 · Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen und nach Nierentransplantation
⊡ Tabelle 14.1. Häufige Erreger von Harnwegsinfekten
II
Häufige Erreger von Harnwegsinfekten
(%)
Unkomplizierter Harnwegsinfekt, ambulant erworben Escherichia coli
89%
Proteus mirabilis
3%
Klebsiella pneumoniae
2%
koagulasenegative Staphylokokken
2%
andere gramnegative Erreger
2%
Komplizierte und/oder im Krankenhaus erworbene Harnwegsinfekte Enterokokken
29%
Escherichia coli
21%
koagulasenegative Staphylokokken
21%
Pseudomonas aeroginosa
12%
Proteus mirabilis
6%
Klebsiellen
6%
Enterobakter
3%
andere gramnegative Erreger
2%
Seltene Erreger von Harnwegsinfekten Ureaplasma urealyticum Schistosomen Mycobakterium tuberkulosis Chlamydia trachomatis Neisseria gonorrhoeae Mycoplasma hominis Viren (z. B. Cytomegalievirus, Polyomavirus)
falls sollte deshalb bei diesen Patienten routinemäßig die Anlage eines Dauerkatheters – z. B. aus pflegerischen Maßnahmen heraus – erfolgen. Dies gilt insbesondere, da die Anlage eines Blasenverweilkatheters für sich schon eine erhebliche Steigerung des Risikos der Entwicklung eines Harnwegsinfektes darstellt: Die tägliche Inzidenz einer neu erworbenen Bakteriurie steigt proportional mit der Liegedauer des Katheters und liegt bei transurethralen Verweilkathetern zwischen 3% und 10%. Insbesondere bei Risikopatienten oder wenn eine längerfristige Urinableitung notwendig erscheint, sollte frühzeitig eine suprapubische Urinableitung erwogen werden, da hierbei, im Gegensatz zum transurethralen Katheter, das Infektionsrisiko ca. 5-mal so niedrig ist [22]. Ebenfalls sollte bei Patienten mit Systemerkrankungen oder nach Nierentransplantation die Indikation zu instrumentellen Eingriffen am Urogenitalsystem streng gestellt werden, da instrumentelle Eingriffe bei diesem Kollektiv mit einer deutlich gesteigerten Inzidenz an infektiösen Komplikationen verbunden sind.
14.1.3 Klinik
Generell unterscheiden sich die Symptome eines Harnwegsinfektes eines Patienten mit einer Systemerkrankung oder nach Nierentransplantation nicht von denen eines Patienten ohne Begleiterkrankung. Bei einer unkomplizierten Infektion mit Beteiligung der unteren Harnwege kommt es zu den typischen klinischen Beschwerden wie Dysurie, Pollakisurie, gehäuftem Harndrang, suprapubischer Druckempfindlichkeit und Schmerzen (z. B. Blasenkrämpfe). Bei einem komplizierten Harnwegsinfekt unter Beteiligung der oberen Harnwege kommt es zu Fieber über 38 °C mit Schüttelfrost, Flankenschmerzen sowie laborchemischen Zeichen der systemischen Infektion wie Leukozytose, BSG-Beschleunigung und Erhöhung des C-reaktiven Proteins. Speziell bei Patienten mit Diabetes mellitus oder nach Nierentransplantation können die typischen klini-
207
14.1 · Einleitung
schen Symptome jedoch fehlen oder nur sehr diskret ausgeprägt sein. Dies gilt insbesondere für Virusinfekte nach Transplantation, die meist nicht mit der typischen Klinik eines Harnwegsinfektes einhergehen. Hier steht die klinische Symptomatik eines Virusinfektes (Fieber, Schwäche, Unwohlsein) im Vordergrund. Infolge des Virusbefalls der Niere kommt es oft zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion. Die Diagnose eines Harnwegsinfektes ist bei Patienten mit Systemerkrankungen oder nach Nierentransplantation nicht immer einfach. Eine signifikante Leukozyturie (mehr als 5 Leukozyten pro Gesichtsfeld) stellt dabei allein kein geeignetes Diagnosekriterium für einen Harnwegsinfekt dar. Bei diesem Kollektiv sollte daher zur Sicherung der Diagnose immer eine Urinkultur angelegt werden. I. Allg. kann bei Nachweis von mindestens 105 Keimen eines pathogenetisch relevanten Krankheitserregers von einem signifikanten Harnwegsinfekt ausgegangen werden [32]. Falls seltene Erreger wie Mykobakterium tuberkulosis, Chlamydien, Mykoplasmen oder Schistosomen in Betracht kommen, müssen Spezialuntersuchungen des Urins (Spezialnährböden und/oder Direktnachweis mittels Polymerasekettenreaktion) durchgeführt werden. Virusinfektionen der Niere lassen sich üblicherweise nicht im Urin nachweisen. Die Diagnose gelingt oft nur in der immunhistologischen und elektronenmikroskopischen Untersuchung der Niere. Einige Viren lassen sich mittels Polymerasekettenreaktion im Urin oder im Blut nachweisen. Im Falle des Polyomavirus lassen sich sog. Decoy-Zellen im Urin nachweisen [7]. Pilzinfektionen und hier am häufigsten Candidainfekte äußern sich klinisch durch Jucken, Brennen und Rötung der betroffenen Haut- und Schleimhautpartien. Insbesondere in dem hier beschriebenen Kollektiv von Patienten muss bei wiederholtem Nachweis einer sterilen Leukozyturie eine asymptomatische Candidurie in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden ( s. folgende Übersicht).
14
Manifestationen von Candidainfektionen der Harnwege Asymptomatische Candidurie Candidiasis des Urogenitaltraktes – Urethritis – Balanitis – Prostatitis – Vaginitis Candidazystitis Renale Candidiasis – Primär renale Candidiasis (hämatogen oder über das Urogenitalsystem aszendierend) – Generalisierte Candidiasis mit Nierenbeteiligung
Die Diagnose eines Harnwegsinfektes mit Candidaspezies kann durch die in der nachstehenden Übersicht genannten Methoden gestellt werden.
Diagnostische Methoden zum Nachweis von Pilzinfektionen der Harnwege Urinmikroskopie: schnell, geringe Sensitivität Urinkultur: Grundpfeiler der Diagnostik, zeitaufwändig Antigennachweis: schnell, niedrige Sensitivität Serologie: schnell, nur im Verlauf aussagekräftig Blutkultur: einfache Probengewinnung, niedrige Sensitivität Bildgebende Diagnostik: aufwändig, kein Speziesnachweis möglich Histologisch/zytologisch: Diagnosesicherung aus histologischem Material
14.1.4 Therapie
Die Therapie eines Harnwegsinfektes weicht in Abhängigkeit der Begleiterkrankungen des Patienten von der Standardtherapie eines Harnwegsinfektes ab. Deshalb muss bei der Therapieentscheidung
208
II
Kapitel 14 · Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen und nach Nierentransplantation
und Wahl des Antibiotikums die Begleiterkrankung berücksichtigt werden. Harnwegsinfektionen bei Patienten nach Nierentransplantation, insbesondere innerhalb der ersten Monate unter einer (noch) hohen Immunsuppression, und bei Patienten mit Systemerkrankungen, die eine Infektion mit rezidivierendem und/oder klinisch schwerem Verlauf haben, sollten generell als kompliziert angesehen werden. Bei Nachweis einer signifikanten Leukozyturie und/ oder klinischem Verdacht auf einen Harnwegsinfekt (Fieber, Leukozytose, Dysurie, Verschlechterung der Nierenfunktion) muss, nachdem eine Urinkultur angelegt wurde, umgehend mit einer antibiotischen Therapie begonnen und nicht erst das Eintreffen des Antibiogramms abgewartet werden. Bei positivem Keimnachweis in der Kultur sollte in den ersten Monaten nach Nierentransplantation und bei schweren, rezidivierend verlaufenden Harnwegsinfekten immer ein Antibiogramm angefertigt werden. Falls dies nicht verfügbar ist, kann man sich bei der Wahl des Antibiotikums an evtl. vorhandenen alten Antibio-
grammen orientieren. Verwendet werden sollen in erster Linie Antibiotika, die hohe Gewebespiegel erreichen, die gegen die üblicherweise zu erwartenden Erreger wirksam sind und oral eingenommen werden können. Primär zu bevorzugen sind Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure, Cefuroximaxetil, Fluorchinolone (z. B. Ciprofloxacin, Levofloxacin) oder Trimethoprim/Sulfamethoxazol (⊡ Tabelle 14.2). Bei komplizierten, schweren Harnwegsinfektionen mit Beteiligung der oberen Harnwege und/oder nachgewiesener bzw. klinisch vorliegender Bakteriämie im Sinne einer Urosepsis sollte initial eine intravenöse Antibiose erfolgen, wobei dann auch die oben erwähnten Antibiotika verwendet werden können. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss eine Anpassung der Antibiotikadosis erfolgen. Nephrotoxische Antibiotika wie Aminoglykoside und Vancomycin dürfen nur unter engmaschigen Spie-
⊡ Tabelle 14.2. Antibiotika der ersten Wahl zur Therapie von Harnwegsinfektionen bei Patienten mit Systemerkrankungen oder nach Nierentransplantation
Generika
Handelsname (Auswahl)
Dosierung und Dosisintervall
Besonderheiten
Trimethoprim/Sulfamethoxazol
Cotrim
160/800 mg, alle 12 h
Kreatininanstieg (reversibel)
Amoxicillin
Amoxypen
250–750 mg, alle 8 h
Allergie (z. B. Exanthem)
Amoxicillin/Clavulansäure
Augmentan
625 mg, alle 8 h
Cefuroximaxetil
Elobact, Zinnat
125–250 mg, alle 12 h
Psychische Veränderungen bei älteren Patienten
Ciprofloxacin
Ciprobay
250–500 mg, alle 12 h
Psychische Veränderungen bei älteren Patienten
Ofloxacin
Tarivid
100–200 mg, alle 12 h
Psychische Veränderungen bei älteren Patienten
Levofloxacin
Tavanic
125–500 mg, alle 24 h
Einmal tägliche Gabe ausreichend
Alle genannten Antibiotika müssen bei eingeschränkter Nierenfunktion in der Dosis der Nierenfunktion angepasst werden.
209
14.1 · Einleitung
gelbestimmungen angewendet werden. Die Antibiotikagabe erfolgt bei einem unkompliziertem Harnwegsinfekt üblicherweise über 7 Tage. Ein komplizierter Harnwegsinfekt sollte konsequent über einen ausreichend langen Zeitraum von 10– 14 Tagen behandelt werden. Hierbei ist die Möglichkeit einer sequenziellen Therapie zu prüfen, wo zunächst mit einer intravenösen Antibiose begonnen wird und nach klinischer Besserung die Umsetzung auf eine – ggf. ambulante – orale Antibiose erfolgen kann. Nach Eintreffen des Antibiogramms oder wenn sich die Klinik nach 3 Tagen Antibiotikagabe noch nicht gebessert hat, muss die Antibiose gezielt nach Befund des inzwischen vorliegenden Antibiogramms umgestellt werden. In Einzelfällen kann es sinnvoll sein, bei Harnwegsinfekten, die auf eine antibiotische Therapie nicht oder nur unzureichend ansprechen, eine dreitägige Antibiotikapause einzulegen, um eine erneute Urinkultur anzulegen, falls es die klinische Situation des Patienten zulässt. Diese sollte ohne therapeutisch wirksame Antibiotikaspiegel ein zuverlässigeres Resultat ergeben, da Urinkulturen unter laufender Antibiose oft keine sicheren Befunde erbringen, weil das Keimwachstum »in vitro« durch die noch vorhandenen Antibiotika inhibiert wird. Dieses Vorgehen empfiehlt sich besonders, wenn sich Harnwegsinfekte nicht erfolgreich therapieren lassen und primär keine Urinkultur angelegt wurde. Zur Kon-
14
trolle des Therapieerfolges sollte drei Tage nach Beendigung der Antibiotikagabe eine Kontrolluntersuchung des Urins erfolgen. Bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen müssen anatomische Ursachen wie Abflussstörungen oder chronisch infizierte Eigennieren als Infektquelle ausgeschlossen und ggf. therapeutisch angegangen werden. Virusinfektionen der Niere sind immer als Virusinfekte des ganzen Organismus zu werten. Hier stehen inzwischen verschiedene Virostatika zur Verfügung, die jedoch teils auch ein ausgeprägtes (nephro-)toxisches Potenzial haben. Diese Therapien sollten deshalb immer in die Hand von Ärzten gehören, die mit diesen Substanzen regelmäßig umgehen. In der antimykotischen Therapie einer systemischen Candidiasis kommen Amphotericin B und Flucytosin zur Anwendung (⊡ Tabelle 14.3). In ausgewählten Fällen kann bei ausgeprägten toxischen Nebenwirkungen die Gabe von liposomalen Amphotericin B (Ambisome) erwogen werden. Lokale Mykosen können sehr effektiv und nebenwirkungsarm mit Fluconazol und Itraconazol therapiert werden. Neben der antibiotischen oder antimykotischen Therapie gibt es Allgemeinmaßnahmen, die als Infektionsprophylaxe sehr hilfreich sind. Hier ist in erster Linie auf die Einhaltung einer ausreichenden Trinkmenge zu achten. Da ein entschei-
⊡ Tabelle 14.3. Antimykotika zur Therapie von Candidainfekten bei Patienten mit Systemerkrankungen oder nach Nierentransplantation
Generika
Handelsname (Auswahl)
Dosierung und Dosisintervall
Besonderheiten
Amphotericin B
Amphotericin B
0,5–1,5 mg/kg/Tag
Hepato- und Nephrotoxizität (meist reversibel)
Flucytosin
Ancotil
100–150 mg/kg/Tag alle 6 h
Knochenmarkstoxizität
Fluconazol
Diflucan
100–200 mg alle 24 h
Cyclosporin- und Tacrolimusspiegelerhöhung
Itraconazol
Sempera
200 mg alle 12 h
Cyclosporin- und Tacrolimusspiegelerhöhung
Die Antimykotika müssen abgesehen von Itraconazol alle bei eingeschränkter Nierenfunktion in der Dosis der Nierenfunktion angepasst werden.
210
II
Kapitel 14 · Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen und nach Nierentransplantation
dender pathogenetischer Faktor für die Entstehung eines Harnwegsinfektes die Adhärenz von Bakterien am Urogenitalepithel darstellt, sollte – wegen des damit verbundenen Spüleffektes – auf die Einhaltung einer Trinkmenge von mehr als 2 l geachtet werden. Es muss jedoch – insbesondere bei Patienten mit deutlich eingeschränkter Nierenfunktion – auf eine ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz geachtet werden, um eine Überwässerung der Patienten zu vermeiden. Eine weitere Möglichkeit der Infektprophylaxe speziell bei rezidivierend verlaufenden Harnwegsinfekten stellt die Ansäuerung des Urins dar. Dies kann entweder über die Gabe von Methionin (Acimethin) in einer Dosis von 3-mal 1–2 Tbl./Tag oder die Verwendung von 2-mal täglich einem EL Obstessig erfolgen. Dringend zu beachten ist hierbei, dass es bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion unter dieser Therapie zur Entwicklung einer metabolischen Azidose kommen kann, die eine Dosisreduktion notwendig macht.
14.2
Diabetes mellitus
14.2.1 Epidemiologie
Die Diagnose eines Diabetes mellitus Typ 1 und 2 kann in Deutschland inzwischen bei 4–5% der Bevölkerung gestellt werden. Durch die immer bessere medizinische Betreuung der Patienten und die damit verbundene gesteigerte Lebenserwartung sowie die derzeitigen Lebens- und Ernährungsgewohnheiten in der westlichen Welt wird besonders die Zahl der Typ-2-Diabetiker mit einer geschätzten Zunahme der Prävalenz von 0,5%/Jahr weiter ansteigen [36]. Die Prävalenz von Harnwegsinfekten beträgt bei Patienten mit Diabetes mellitus im Mittel ca. 20% [8]. Im Vergleich dazu beträgt die Prävalenz bei einer nichtdiabetischen Kontrollpopulation nur ca. 10%. Somit muss bei Diabetikern 2-mal häufiger mit dem Auftreten von Harnwegsinfektionen gerechnet werden.
14.2.2 Pathogenese
Bei Diabetikern existieren zusätzliche Faktoren, die die Entwicklung eines Harnwegsinfektes begünstigen können ( s. folgende Übersicht). Zusätzliche Risikofaktoren die bei Patienten mit Diabetes mellitus die Entstehung von Harnwegsinfekten begünstigen Schlechte Blutzuckereinstellung Diabetische Neuropathie mit der Entwicklung einer neurogenen Blasendysfunktion Hohes Alter Eingeschränkte Funktion der Leukozyten Mikro- und Makroangiopathie
Dabei erbrachten klinische Studien, die den Zusammenhang der einzelnen Risikofaktoren mit der Entstehung von asymptomatischen Bakteriurien untersuchten, keine eindeutigen Ergebnisse. So konnte kein sicherer Zusammenhang zwischen der Prävalenz von Harnwegsinfekten und der Diabetesdauer, dem Diabetestyp, der Blutzuckereinstellung (gemessen am HbA1c-Wert) oder der Ausprägung einer diabetischen Neuropathie gefunden werden. Es ließ sich jedoch eine Korrelation zwischen Bakteriurie und Retinopathie sowie Ausbildung einer Mikroangiopathie in der Niere nachweisen. Die Studienlage ist sicherlich in sich widersprüchlich und bedarf der Klärung in größeren prospektiven Untersuchungen. Aus Tierversuchen lassen sich weitere mögliche Mechanismen für das gehäufte Auftreten von Harnwegsinfekten bei Patienten mit Diabetes mellitus ableiten ( s. folgende Übersicht). Weitere potenzielle Risikofaktoren für die gehäufte Inzidenz von Harnwegsinfekten bei Patienten mit Diabetes mellitus Verminderte antibakterielle Aktivität durch glukosehaltigen Urin Neutrophilendysfunktion Erhöhte Adhärenz von Bakterien an uroepithelialen Zellen
211
14.2 · Diabetes mellitus
Diese Befunde stammen vor allem aus Untersuchungen an diabetischen Ratten [26, 30]. Diese Tiere sind anfälliger für Harnwegsinfekte mit Staphylokokkus aureus und Candida albicans. Auch kann das Wachstum einiger Bakterien durch die Zugabe von Glukose in den Urin beschleunigt werden. Diese Effekte treten jedoch nur bei sehr hohen Glukosekonzentrationen auf, so dass diese Befunde nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar erscheinen. Eine gestörte Neutrophilenfunktion war ebenfalls nur unter unphysiologischen Bedingungen nachweisbar. Klinisch treten Harnwegsinfekte bei Patienten mit Neutrophilendefekten oder Neutropenien jedoch nicht gehäuft auf. Die experimentellen Daten zur erhöhten Adhärenz von Bakterien an das Urothel diabetischer Tiere scheinen für die humane Situation relevanter zu sein, wobei sich das gehäufte Auftreten von Harnwegsinfekten bei Diabetikern sicherlich nicht auf einen einzelnen Pathomechanismus zurückführen lässt. In älteren Studien unterscheiden sich die Krankheitserreger bei Patienten mit Diabetes mellitus nicht von denen mit komplizierten Harnwegsinfekten bei Nichtdiabetikern ( s. folgende Übersicht). Eine aktuelle Studie kommt hier jedoch zu einem anderen Ergebnis. Hier waren häufiger nicht E. coli-Keime nachweisbar und es fanden sich deutlich mehr quinolonresistente Stämme [10]. Diese Studie bedarf sicher der Bestätigung. Allerdings ist es jedoch sicherlich vorstellbar, dass sich das Keimspektrum von Diabetikern von Nichtdiabetikern unterscheidet.
Keimspektrum von Harnwegsinfektionen bei Patienten mit Diabetes mellitus
Escherichia coli Serratia Spezies Klebsiella Spezies Enterobakter Spezies Streptokokkus faecalis Pilzinfektionen mit Candida Seltene Keime wie Mykobakterium tuberkulosis, Chlamydien, Mykoplasmen oder Schistosomen
14
14.2.3 Klinik
Wie bei Nichtdiabetikern können die Harnwegsinfekte in Infekte der unteren und der oberen Harnwege unterschieden werden, woraus sich auch meist die Klinik als symptomatischer oder asymptomatischer Harnwegsinfekt ableitet. Da eine Beteiligung der Nieren üblicherweise aszendierend entsteht, muss davon ausgegangen werden, dass sich symptomatische Harnwegsinfekte der oberen Harnwege aus primär asymptomatischen Infekten der unteren Harnwege heraus entwickeln. Bei Diabetikern kommt es gehäuft (in bis zu 75% der Fälle) zu einer Beteiligung der oberen Harnwege, wobei viele Patienten trotz einer Beteiligung der Nieren nur die klinischen Symptome eines Infektes der unteren Harnwege aufweisen. Infolge der diabetischen Neuropathie können die Harnwegsinfekte für den Patienten vollkommen ohne klinische Beschwerden verlaufen. Eine typische Komplikation bei Diabetikern ist die Entwicklung eines Nierenabzesses. Insbesondere wenn es nach 72 h antibiotischer Therapie noch nicht zu einer klinischen Besserung gekommen ist, muss an diese Komplikation gedacht werden. Durch Papillennekrosen, die hauptsächlich bei Diabetes und Analgetikanephropathie vorkommen, sind diese Nieren oft vorgeschädigt und für bakterielle Superinfektionen besonders anfällig. Kommt es zum Papillenabgang, droht durch die Möglichkeit einer akuten Harnwegsobstruktion eine zusätzliche Infektionsgefahr. Eine andere Komplikation, die am häufigsten bei Frauen mit Diabetes mellitus vorkommt, ist die emphysematöse Pyelonephritis, bei der es sich um eine nekrotisierende Infektion mit Gasbildung in und um die Niere handelt und die mit einer Letalität zwischen 40–70% einhergeht. Klinisch imponiert dabei Fieber, Flankenschmerz und bei ca. 50% der betroffenen Patienten eine tastbare Raumforderung im Bereich der Niere. Die Diagnose lässt sich mittels Computertomographie an Hand der Gasbildung im Bereich der Niere stellen [21]. Therapeutisch ist hier eine Nephrektomie meist unumgänglich. Die xanthogranulomatöse Pyelonephritis kommt ebenfalls bei Patienten mit Diabetes melli-
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II
Kapitel 14 · Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen und nach Nierentransplantation
tus gehäuft vor. Hierbei sind Frauen ca. zweimal häufiger betroffen. In der Urinkultur finden sich meist Proteus mirabilis und Escherichia coli. Der Prozess imponiert als lokalisierter Tumor und da die Abgrenzung zu einem malignen Geschehen oft nicht sicher möglich ist, ist eine Nephrektomie meist notwendig.
14.2.4 Therapie
Die Therapie von Harnwegsinfekten bei Patienten mit Diabetes mellitus orientiert sich an den in der Einleitung gegebenen Therapieempfehlungen (Abschn. 14.1.4). Bei diesem Kollektiv muss besonders auf den hohen Anteil an Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion hingewiesen werden. Für die Antibiotikadosierung ist daher immer die Kenntnis der aktuellen Nierenfunktion (möglichst als Kreatininclearance) notwendig, um toxische Antibiotikanebenwirkungen zu vermeiden. Patienten mit Diabetes mellitus haben eine erhöhte Inzidenz an rezidivierend verlaufenden Harnwegsinfekten. Auch sollte spätestens bei dem zweiten Infekt innerhalb von 3 Monaten immer eine Urinkultur mit einem Antibiogramm angefertigt werden, um eine gezielte, gegen den Keim gerichtete Antibiose durchführen zu können.
14.3
Niereninsuffizienz
14.3.1 Epidemiologie
Patienten mit eingeschränkter oder terminaler Nierenfunktion haben eine erhöhte Inzidenz an bakteriellen Infekten. In Abhängigkeit von der renalen Grunderkrankung ( s. folgende Übersicht) ist besonders die Frequenz von Harnwegsinfekten deutlich erhöht [14].
Nierenerkrankungen mit erhöhter Inzidenz von Harnwegsinfekten Interstitielle Nephritiden (vor allem in Kombination mit Nierensteinen) Analgetikanephropathie Refluxnephropathie Obstruktive Uropathie Diabetes mellitus Zystennieren
14.3.2 Pathogenese
Ursache der erhöhten Infektgefährdung von Patienten mit eingeschränkter oder terminaler Nierenfunktion ist eine immunologische Abwehrinkompetenz sowie eine oft herabgesetzte Urinmenge. In Abhängigkeit von der renalen Grunderkrankung treten auch Harnwegsinfektionen mit einer deutlich erhöhten Inzidenz auf. Hierbei sind insbesondere Patienten mit den in der obigen Übersicht »Nierenerkrankungen mit erhöhter Inzidenz von Harnwegsinfekten« genannten Nierenerkrankungen betroffen. Ein besonderes Problem stellt der oligoanurische Patient dar. Durch den fehlenden Urinfluss können von außen in die Harnröhre gelangte Bakterien nicht mehr weggespült werden. Auf Grund dessen muss insbesondere beim anurischen Patienten die Indikation zu instrumentellen Eingriffen am Urogenitalsystem sehr streng gestellt werden.
14.3.3 Klinik
Die Klinik von Harnwegsinfektionen bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist sehr variabel und geht von klinisch völlig blanden Verläufen über hochfieberhafte Infekte mit typischen klinischen Symptomen eines akuten Harnwegsinfektes bis hin zu lebensbedrohlichen Septikämien. Primär asymptomatische Verläufe finden sich insbesondere bei anurischen Patienten, da in diesem Kollektiv durch den fehlenden Urinfluss die typischen Be-
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14.4 · Nierentransplantation
schwerden eines Harnwegsinfektes meist fehlen und daher die Diagnose oft erst sehr spät gestellt wird. Nach rezidivierenden Pyelonephritiden, die meist in Folge von Harnabflussstörungen entstehen, kann sich eine chronische Pyelonephritis ausbilden. Durch die wiederholten Infekte der oberen Harnwege kann sich zusätzlich zur vorbestehenden renalen Erkrankung eine progrediente Niereninsuffizienz bis hin zum terminalen Nierenversagen entwickeln. Eine weitere renale Erkrankung, mit der ein gehäuftes Auftreten von Harnwegsinfekten assoziiert ist, sind polyzystische Nierenerkrankungen. Die Infekte entstehen oft nach stattgehabter Zysteneinblutung als Folge bakterieller Superinfektionen der Zysten durch eine Aszension von Keimen aus dem unteren Harntrakt.
14.3.4 Therapie
Durch moderne Antibiotika mit guter Gewebegängigkeit kann inzwischen auch bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, wenn auf eine ausreichend lange Therapiedauer von mindestens 10–14 Tage geachtet wird, ein guter Therapieerfolg erzielt werden. Damit wird die früher häufig notwendige Nephrektomie chronisch entzündeter Nieren nur noch selten erforderlich. Bei Patienten mit Zystennieren jedoch stellt eine aszendierende Infektion des oberen Harntraktes mit sekundärer Zysteninfektion eine lebensbedrohliche Situation dar, in der oft die Nephrektomie die einzige therapeutische Alternative darstellt. Besonders wichtig bei niereninsuffizienten Patienten ist die Anpassung der Antibiotikadosis an die Nierenfunktion. Speziell nephrotoxische Antibiotika wie Aminoglykoside und Vancomycin dürfen nur unter engmaschigen Spiegelkontrollen eingesetzt werden. Bei Dialysepatienten kann durch eine nur einmal wöchentliche intravenöse Gabe von 1 g Vancomycin meist ein ausreichender Wirkspiegel erreicht werden. Bei der heute sicherlich nur noch in Ausnahmefällen indizierten Instillation aminoglykosidhaltiger Antibiotika in die Blase oligoanurischer Patienten muss die Resorption des Antibiotikums mit
14
konsekutiv erhöhten Blutspiegeln und den damit verbundenen Nebenwirkungen (vor allem Ototoxizität) bedacht werden. Bei Pilzinfekten ist in Einzelfällen eine Blasenspülung mit Amphotericin B beim anurischen Patienten zu diskutieren. Hier muss in enger Absprache mit dem Nephrologen das Risiko einer Manipulation an den Harnwegen gegen den Nutzen einer lokalen antimykotischen Therapie abgewogen werden.
14.4
Nierentransplantation
14.4.1 Epidemiologie
Mit einer Inzidenz um 40–50% stellen Harnwegsinfektionen die häufigste bakterielle Infektion nach Nierentransplantation (NTX) dar [4, 18, 33]. Dies gilt besonders in den ersten 3 Monaten nach der Transplantation. Da die Infekte unter der in den ersten 3 Monaten nach Transplantation noch stärkeren Immunsuppression oft schwere klinische Verläufe mit systemischen Beteiligungen aufweisen können, stellen sie eine ernstzunehmende und für den Patienten im Einzelfall auch eine vital bedrohliche Komplikation dar. Die Gesamtinzidenz von Virusinfekten nach Transplantation beträgt bis zu 50%. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Viren nicht immer Niere und ableitende Harnwege befallen bzw. nicht immer dort diagnostiziert werden.
14.4.2 Pathogenese
Der häufigste Infektionsweg stellt der nach der NTX gelegte Blasenverweilkatheter dar, wobei mit der Liegedauer des Katheters die Inzidenz der Harnwegsinfekte ansteigt [25, 31]. Das durch einen Dauerkatheter bestehende Infektionsrisiko wird durch die immunsuppressive Medikation erheblich verstärkt. Dabei korreliert die Potenz der Immunsuppression mit der Inzidenz einer Harnwegsinfektion [5]. Ein kontrovers diskutiertes und bisher nicht ausreichend geklärtes Problem ist die Rolle eines vesikoureteralen Refluxes in die Eigennieren bei der Entstehung von Harnwegsinfekten. Während einige Autoren [19] einen günstigen Effekt
214
II
Kapitel 14 · Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen und nach Nierentransplantation
einer Eigennierennephrektomie bei nachgewiesenem Reflux in die nativen Nieren auf das Auftreten von Infekten nach NTX fanden, konnten andere Autoren dieses nicht bestätigen [1]. Auch die klinische Relevanz eines Refluxes in die Transplantatniere, der in Abhängigkeit von der chirurgischen Technik bei bis zu 80% der Patienten zu finden ist [17], ist noch nicht endgültig gesichert [6, 37]. Nach der heutigen Studienlage ist jedoch davon auszugehen, dass zumindest ein »low pressure reflux« mit einem gehäuften Auftreten von Harnwegsinfekten assoziiert ist. Eine Reihe an weiteren Faktoren kann das Auftreten von Harnwegsinfekten nach NTX günstig beeinflussen ( s. folgende Übersicht). Faktoren, die das Auftreten von Harnwegsinfekten nach Nierentransplantation begünstigen Blasenverweilkatheter Refluxnephropathie als renale Grunderkrankung Reflux in die Transplantatniere Harnwegsinfektionen vor der NTX, insbesondere in Kombination mit dem weiblichen Geschlecht Polyzystische Nierenerkrankung als renale Grunderkrankung Diabetes mellitus Chronische virale Infekte
Als Erregerspektrum kommen die folgenden Keime ( s. nächste Übersicht) vor [24]. Hier ist besonders das veränderte Keimspektrum mit gehäuftem Vorkommen von Klebsiellen und Proteus im Vergleich mit dem in ⊡ Tabelle 14.1 genannten Keimspektrum bei ambulant erworbenen Harnwegsinfektionen zu beachten.
Häufigste Erreger von Harnwegsinfekten bei Patienten nach Nierentransplantation
Escherichia coli (30–60%) Klebsiellen oder Proteus mirabelis (ca. 30%) Grampositive Kokken (ca. 20%) Seltene Keime wie Mykobakterium tuberkulosis, Chlamydien, Mykoplasmen oder Schistosomen
Neben bakteriellen Infekten spielen bei nierentransplantierten Patienten Pilzinfektionen der Harnwege eine wichtige Rolle. Außer den häufigeren Candidainfekten kann es auch zu Infektionen mit Aspergillen und Kryptokokken kommen. Besonders bei rezidivierender Leukozyturie ohne Nachweis von Bakterien muss an diese Möglichkeit gedacht werden und eine Pilzinfektion mit diesen ansonsten sehr selten anzutreffenden Erregern ausgeschlossen werden. Letztlich müssen bei persistierender Leukozyturie und negativen Bakterien oder Pilznachweis noch Besiedlungen der Harnwege mit Chlamydien oder Ureaplasmen mittels Spezialnährböden ausgeschlossen werden. Das gehäufte Auftreten von Virusinfekten nach Transplantation ist insbesondere als Folge der immunsuppressiven Therapie zu werten. Gerade in den USA, wo auf Grund der verschiedenen ethnischen Populationen eine intensivere Immunsuppression zum Einsatz kommt, stellen Virusinfekte ein ernsthaftes Problem dar [7, 13].
14.4.3 Klinik
Die Harnwegsinfekte treten gehäuft in der frühen postoperativen Phase um den 7. Tag herum auf, wodurch der durchschnittliche stationäre Aufenthalt meist verlängert wird. Diese frühen Harnwegsinfekte sind häufig mit der Entwicklung einer Transplantatpyelonephritis verbunden [35] und für ca. 60% der Bakteriämien bei nierentransplantierten Patienten verantwortlich [25]. Ursächlich für die hohe Rate an Pyelonephritiden im Transplantat sind pathogenetisch die oben beschriebenen Faktoren, wobei insbesondere in der Frühphase nach
14.4 · Nierentransplantation
NTX die Immunsuppression eine bedeutende Rolle spielt. Als zusätzliches Risiko kann es durch einen Harnwegsinfekt über eine Zytokinaktivierung zur Ausbildung einer infektgetriggerten Abstoßung kommen [19, 29]. Klinisch bedeutsam ist, dass 80% der Infekte zunächst im unteren Harntrakt lokalisiert sind und typische Symptome oft gar nicht oder nur sehr schwach ausgeprägt sind. Dies hat zur Folge, dass die Diagnose erst verzögert gestellt wird, wenn das klinische Bild einer beginnenden Urosepsis vorliegt. Bei steriler Leukozyturie muss die Möglichkeit einer Pilzbesiedelung der Harnwege mittels Spezialkulturen und Direktpräparaten ausgeschlossen werden, da sich bei generalisierten Pilzinfekten unter Immunsuppression lebensgefährliche Krankheitsbilder entwickeln können. Bei ebenfalls negativen Pilznachweis müssen Infektionen mit Chlamydien und Ureaplasmen mittels geeigneter Spezialnährböden ausgeschlossen werden. Infektionen mit Cytomegalieviren verursachen keine klinische Symptomatik im Bereich der Harnwege. Es kommt vielmehr zu unspezifischen grippeartigen Symptomen wie (Fieber, Schwäche, Appetitlosigkeit). Bei Beteiligung der Niere (histologisch Nachweis von sog. »Eulenaugen«) kann eine Cytomegalievirusinfektion zu einer deutlichen Funktionsverschlechterung bis hin zum akuten Nierenversagen der transplantierten Niere führen. Infektionen der Harnwege mit Polyomaviren verursachen keine klinischen Beschwerden, da sie jedoch auch Abstoßungen triggern können [20], muss besonders bei wiederholten Rejektionen eine Infektion mit Polyomaviren ausgeschlossen werden.
14.4.4 Therapie
Bei jedem nierentransplantierten Patient sollten im Rahmen von ambulanten Vorstellungen routinemäßig sowohl ein Urinstatus als auch ein Urinsediment angefertigt werden. Bei klinischem Verdacht und/oder pathologischem Urinstatus/-sediment muss eine Urinkultur einschließlich eines Antibiogramms angelegt werden. Bei klinischem
215
14
Hinweisen auf einen akuten Harnwegsinfekt kann eine Gramfärbung zur direkten Urinuntersuchung hilfreich sein, da sich hier sehr schnell das mögliche Keimspektrum einschränken lässt. Die Therapie von Harnwegsinfekten sollte sich bei nierentransplantierten Patienten an den in der Einleitung genannten Empfehlungen sowie der Nierenfunktion orientieren. Es ist hier in Abhängigkeit von der Infektlokalisation auf eine ausreichend lange Therapiedauer von üblicherweise 5–8 (max. bis 14 Tage) zu achten, wobei bei einer Infektion der unteren Harnwege i. Allg. eine Therapiedauer von 5–8 Tagen ausreichen wird. Insbesondere in den ersten 3 Monaten nach Transplantation muss vor Beginn der antibiotischen Therapie ein Antibiogramm angefertigt werden, ohne dass hierdurch der Therapiebeginn verzögert werden darf. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass eine prophylaktische Gabe von Trimethoprim/ Sulfamethoxazol zu einer deutlichen Reduktion des Risikos für die Entstehung von Harnwegsinfekten führt [3, 34]. Zu beachten ist, dass es unter der Behandlung mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol zu einem – nach Beenden der Therapie allerdings reversiblen – Kreatininanstieg kommen kann. Im Einzelfall kann es jedoch schwierig sein, diesen medikamentös bedingten Kreatininanstieg von einer möglicherweise infektgetriggerten Abstoßung zu unterscheiden. Für die Cytomegalievirus-Infektion bzw. -Erkrankung steht inzwischen als hochwirksames Medikament Ganciclovir zur Verfügung. Ein Nachteil der Therapie war bislang die in schweren Fällen immer notwendige parenterale Gabe. Das sog. Prodrug-Valganciclovir wird eine Verbesserung bringen, da es auch nach oraler Gabe ausreichend resorbiert wird und so eine ambulante Therapie ermöglicht. Bei Ganciclovir- und Valcanciclovir-resistenten Virusstämmen kommt als Alternative Foscavir in Betracht. Im Falle der PolyomavirusInfektion gibt es noch keine etablierten therapeutische Interventionen. Hier kann nur über eine Reduktion der Immunsuppression, so weit wie vertretbar, versucht werden das Fortschreiten der Erkrankung zu beeinflussen. Erste Berichte über eine virostatische Therapie mit Cidofovir liegen jedoch inzwischen vor [12].
216
II
Kapitel 14 · Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen und nach Nierentransplantation
Bei der Therapie von Pilzinfektionen muss die Interaktion von Fluconazol und Itraconazol mit Cyclosporin A (Sandimmun optoral) oder Tacrolimus (Prograf) berücksichtigt werden, weil es unter Therapie zu einem mit erheblichen Nebenwirkungen verbundenen deutlichen Anstieg der Medikamentenspiegel kommt. Deshalb sollte mit Beginn der antimykotischen Therapie die Dosis von Cyclosporin oder Tacrolimus um zunächst 30% reduziert werden. Sowohl unter laufender Therapie als auch nach Absetzen der Therapie müssen engmaschige Kontrollen der Cyclosporinoder Tacrolimusspiegel erfolgen. Insbesondere nach Abschluss der antimykotischen Therapie sollten diese Kontrollen erfolgen, um nach der vorangegangenen Dosisreduktion zu Beginn der antimykotischen Therapie eine Unterimmunsuppression mit der Folge einer Abstoßung zu verhindern.
14.5.3 Klinik
Aufgrund der eingeschränkten Immunantwort bei hämatoonkologischen Patienten, insbesondere nach einer Chemotherapie, verlaufen Harnwegsinfekte oft asymptomatisch. Bei unklarem Fieber oder Erhöhung der Entzündungsparameter sollte daher auch immer die Möglichkeit eines Harnwegsinfektes in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen und vor Einleitung einer antibiotischen Therapie eine Urinkultur angelegt werden.
14.5.4 Therapie
Bei Patienten mit hämatoonkologischen Erkrankungen stehen Harnwegsinfektionen hinsichtlich der prozentualen Häufigkeit erst an 4. Stelle nach pulmonalen Infekten, Septikämien unklarer Genese und Wundinfekten nach chirurgischen Eingriffen [28].
Die Therapie von Infektionen allgemein bei Patienten mit hämatoonkologischen Erkrankungen nach oder unter einer intensiven Chemotherapie sollte wegen der speziellen klinischen Situation in spezialisierten Zentren erfolgen. Dies gilt insbesondere für neutropenische Patienten. Aufgrund der oft sehr raschen Verläufe kann nicht das Eintreffen von Antibiogrammen abgewartet werden [16]. Die Antibiose erfolgt empirisch mit einer Kombinationsantibiose nach Standardprotokollen, wie sie u. a. von der Deutschen Gesellschaft für Hämato-Onkologie empfohlen werden [15]. Im Falle einer isolierten Harnwegsinfektion wird die antibiotische Therapie nach Versuch der Keimisolierung gemäß den üblichen Kriterien bzw. bei Vorliegen nach Antibiogramm durchgeführt.
14.5.2 Pathogenese
14.6
Hämatoonkologische Krankheitsbilder (wie Lymphome, Leukämien oder Karzinome) führen auf Grund der oft eingeschränkten Bildung von immunkompetenten Zellen zu einer vermehrten Infektgefährdung. Insbesondere gilt dies für neutropenische Patienten während oder nach einer Chemotherapie und nach Knochenmarkstransplantation. Die Entwicklung eines Harnwegsinfektes bei Patienten mit hämatoonkologischen Erkrankungen ist somit im Rahmen einer allgemein erhöhten Infektneigung zu sehen und nicht Ausdruck einer spezifischen Risikokonstellation im Bereich der ableitenden Harnwege.
14.6.1 Epidemiologie
14.5
Hämatoonkologie
14.5.1 Epidemiologie
Aids
Bakterielle Infekte stellen eine wichtige Ursache für die Morbidität und Mortalität bei HIV-(»human immunodeficiency virus«-)positiven Patienten dar. Dabei spielen Harnwegsinfekte eine zunehmend bedeutsame Rolle. Die Inzidenz von Harnwegsinfekten beträgt bei HIV-positiven Personen zwischen 5 und 20% [2, 11, 23]. Dies ist umso beachtenswerter, da es sich bei einem hohen Prozentsatz um jüngere Männer handelt, bei denen die Prävalenz von Harnwegsinfekten i. Allg. außerordentlich gering ist.
217
14.6 · Aids
14.6.2 Pathogenese
Die Pathogenese von Harnwegsinfekten bei HIVpositiven Patienten ist im Einzelnen noch ungeklärt. Bei Patienten mit Aids (»acquired immunodeficiency syndrome«) sind mit fortschreitender Erkrankung schwerwiegende Defekte der B-Zellaktivierung und Immunregulation nachweisbar. Dabei korreliert das Risiko der Entwicklung eines Harnwegsinfektes mit dem Ausprägungsgrad der Immunschwäche. Patienten mit weniger als 200 CD4+-Lymphozyten/mm3 haben eine erheblich höhere Inzidenz an Harnwegsinfekten verglichen mit Patienten mit einer höheren CD4+-Zahl [23]. In der Patientengruppe mit einer CD4+-Zellzahl <200/mm3 lag in 30% der Fälle eine Bakteriurie vor, während nur 11% der Patienten mit einer CD4+-Zellzahl zwischen 200 und 500/mm3 eine Bakteriurie aufwiesen. Bei Patienten mit mehr als 500 CD4+-Zellen/mm3 war hingegen keine Bakteriurie nachweisbar [9]. Ein weiterer Risikofaktor für die Entwicklung eines Harnwegsinfektes bei HIV-positiven Personen ist die urethrale Besiedlung nach Geschlechtsverkehr mit Frauen, bei denen eine Vaginalbesiedelung durch gramnegative Keime besteht. Analverkehr und auch der Zustand nach früheren Harnwegsinfekten scheinen keine zusätzlichen Risikofaktoren darzustellen. Die häufigsten Keime bei HIV-infizierten Patienten sind ähnlich denjenigen bei anderen Patienten mit komplizierten Harnwegsinfekte ( s. folgende Übersicht).
14
mit Aspergillen und Kryptokokken in die Differenzialdiagnose mit einbezogen und gegebenenfalls ein serologischer Erregernachweis versucht werden.
14.6.3 Klinik
Bei einem Drittel der HIV-positiven Patienten mit einer CD4+-Zellzahl <200/mm3 konnte ein Harnwegsinfekt nachgewiesen werden, wobei 62% der Infekte symptomatisch verliefen. Jedoch fand sich nur bei 24% der betroffenen Patienten eine Leukozyturie. Bei einer CD4+-Zellzahl >200/mm3 traten bei 11% der Patienten Bakteriurien auf, die in 40% der Fälle symptomatisch waren: Hier war bei 60% der Patienten eine Leukozyturie nachweisbar. Nur 31% der Fälle mit positiver Urinkultur waren mit einer Leukozyturie vergesellschaftet. Daraus folgert, dass insbesondere bei Patienten mit einer niedrigen CD4+-Zellzahl sehr häufig ein symptomatischer Harnwegsinfekt nicht diagnostiziert werden kann, wenn man sich ausschließlich an einer Leukozyturie orientiert und keine Urinkultur angelegt wird [9]. Der Einsatz von Trimethoprim/Sulfamethoxazol (z. B. Cotrim) im Rahmen der Pneumocystiscarinii-Prophylaxe konnte das Auftreten von Harnwegsinfekten bei Patienten mit Aids nicht positiv beeinflussen [2]. Es scheint vielmehr sogar so zu sein, dass die Prophylaxe mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol zu einer Entwicklung von multiresistenten Keimen im Urin beitragen kann.
Keimspektrum bei HIV-infizierten Patienten
14.6.4 Therapie
Die Behandlung von Harnwegsinfekten richtet sich nach den oben genannten Richtlinien. Wenn es sich um den zweiten Infekt innerhalb von 6 Monaten handelt, sollte die antibiotische Therapie – falls irgend möglich – nach Antibiogramm erfolgen und über 10–14 Tage durchgeführt werden.
Escherichia coli Pseudomonas aeruginosa Proteus spezies Enterobakter Klebsiellen Atypische Keime wie Salmonellen, Candida und Acinobacter calcoaticus
Neben den Pilzinfekten mit Candidaspezies müssen bei Patienten mit Aids auch Pilzinfektionen
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Kapitel 14 · Harnwegsinfektionen im Rahmen von Systemerkrankungen und nach Nierentransplantation
Fazit
II
Harnwegsinfekte bei Patienten mit Systemerkrankungen bedürfen besonderer Aufmerksamkeit, da sich die klinischen Verläufe deutlich von den Verläufen bei ansonsten gesunden Patienten unterscheiden können. So kann das Keimspektrum und das Resistenzmuster bei Patienten mit Diabetes mellitus durchaus anders sein als bei Nichtdiabetikern, auch wenn hier die Studienlage noch nicht ganz geklärt ist. Besondere Aufmerksamkeit bedarf ein Harnwegsinfekt bei nierentransplantierten Patienten. Hier muss bereits die asymptomatische Infektion konsequent therapiert werden, um aszendierende Infekte in die häufig refluxive Transplantatniere zu vermeiden. Auch sollte auf Grund der Immunsuppression an atypische Keime als Infektionserreger gedacht werden. Ebenfalls beachtet werden muss, dass nierentransplantierte Patienten meist eine eingeschränkte Nierenfunktion aufweisen. Nephrotoxische Antibiotika sollten möglichst vermieden und bei der antibiotischen Therapie muss die Dosis der Antibiotika an die Nierenfunktion angepasst werden. Eine weitere Besonderheit stellen Virusinfekte nach Transplantation dar. Da der gesamten Körper betroffen ist, kann sich der Virusinfekt zuerst auch an anderen Organsystemen als dem Urogenitaltrakt manifestieren. Bei Patienten mit einer Aids-Erkrankung ist die Inzidenz an Harnwegsinfekten ebenfalls deutlich höher als im Vergleich zur Normalpopulation. Die Therapie unterscheidet sich dabei nicht grundsätzlich von der Therapie bei nicht an Aids erkrankten Patienten.
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219
14
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15 Sexuell übertragbare Erkrankungen und andere andrologisch bedeutsame Infektionen K. S. Krämer-Schultheiss, D. Schultheiss
15.1
Zum Thema
15.2
Klassische Geschlechtskrankheiten
15.2.1 15.2.2 15.2.3 15.2.4 15.2.5
Syphilis – 223 Gonorrhö – 224 Ulcus molle – 225 Lymphogranuloma inguinale Granuloma inguinale – 226
15.3
Nichtgonorrhoische Urethritis
15.4
Prostatitis
15.5
Epididymitis und Orchitis
15.6
Sexuell übertragbare Virusinfektionen
15.6.1 15.6.2 15.6.3
Herpes genitalis – 231 Humane Papillomaviren (HPV) – Condylomata acuminata (Feigwarzen) – 231 Weitere Virusinfektionen – 232
15.7
Protozoonosen des Genitaltraktes
15.7.1 15.7.2
Trichomonas vaginalis Epizoonosen – 232
Literatur
– 233
– 222 – 223
– 226
– 227
– 228
– 232
– 230 – 231
– 232
II
222
Kapitel 15 · Sexuell übertragbare Krankheiten und andere andrologisch bedeutsame Infektionen
15.1
Zum Thema
In diesem Kapitel soll auf jene Infektionskrankheiten eingegangen werden, die zumeist durch Sexualkontakt übertragen werden oder sich vorwiegend an den männlichen (und weiblichen) Geschlechtsorganen manifestieren und dort zu Fertilitätsstörungen führen können. Diesem letztgenannten Aspekt wird besondere Beachtung geschenkt werden, da durch die schnell eingeleitete und adäquat durchgeführte Therapie der akuten Infektion ein postentzündlicher Verschluss der Samenwege verhindert werden kann. Weiterhin ist bekannt, dass ausgeprägte Infektionen der männlichen Adnexe zu Einschränkungen der Ejakulatqualität und Spermienfunktionsparameter führen, wohingegen ein geringer Leukozytennachweis, z. B. im Ejakulat, eher eine protektive Funktion zugesprochen wird [7, 14]. Letztlich führen ausgeprägte Verläufe einer Orchitis zu einer dauerhaften Spermiogenesestörung [17].
Der geläufige Terminus STD (»Sexually Transmitted Diseases«) wird heute im Englischsprachigen von einigen Autoren (WHO) durch den exakteren Begriff STI (»Sexually Transmitted Infections«) ersetzt. In Deutschland spielen die klassischen Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Gonorrhö, Ulcus molle und Lymphogranuloma inguinale eine vergleichsweise unbedeutende Rolle verglichen mit den verbreiteten Infektionen bedingt durch Chlamydien, Mykoplasmen und Viren [10]. Die Urogenitaltuberkulose sowie Mykosen des Genitaltraktes wurden bereits in Kap. 13 behandelt. Bei allen Erkrankungen ist grundsätzlich an eine Diagnostik und eventuelle Mitbehandlung des Partners zu denken. Bezüglich der z. T. differierenden Therapievorschläge für die aufgeführten Infektionen wurde in diesem Beitrag eine Synthese der relevanten dermatologischen und urologischen Literatur unter Berücksichtigung der neuesten Leitlinien versucht (⊡ Tabelle 15.1).
⊡ Tabelle 15.1. Auswahl der empfehlenswerten publizierten Leitlinien
Thema
Publizierendes Organ
Jahr der Publikation
Referenz
a) STD
Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU)
a) 2001
www.urologenportal.de/index. php?id=350 [28, 29]
b) HPV
b) 2002
STD
Deutsche STD Gesellschaft (DSTDG)
2001
www.dstdg.de; komplette Leitlinien nur unter [24]
a) STD
European Association of Urology (EAU)
a) 2003
a) [27]
b) 2001
b) http://www.uroweb.org/index. php?structure_id=140
2001
[2, 6, 8, 11, 12, 33]
b) Urethritis/ Prostatitis/ Epididymitis/ Orchitis STD und andrologische Infektionen
European Branch of the International Union against Sexually Transmitted Infection and the European Office of the World Health Organization (WHO)
keine
American Urological Association (AUA)
STD
Centers for Disease Control and Prevention (CDC)
www.auanet.org/timssnet/products/ guidelines/main_reports.cfm (Stand 1/2004) 2002
www.cdc.gov/std [5]
223
15.2 · Klassische Geschlechtskrankheiten
15.2
Klassische Geschlechtskrankheiten
Im Jahre 2001 ist das Infektionsschutzgesetz in Kraft getreten und hat das Bundesseuchengesetz und das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten abgelöst. Nach § 7 ist nunmehr lediglich der direkte oder indirekte Nachweis von Treponema pallidum und HIV nichtnamentlich meldepflichtig.
15.2.1 Syphilis Synonyme.
Lues, harter Schanker Erreger.
Treponema pallidum Prävalenz.
Im Jahre 2002 wurden in Deutschland 2.523 Fälle gemeldet, wobei in 85% Männer betroffen waren. Diese erkranken am häufigsten zwischen dem 30. und 39. Lebensjahr, Frauen hingegen zwischen dem 25. und 29. Lebensjahr. Weltweit liegt die Prävalenz bei 12 Mio. Erkrankungsfälle pro Jahr [13]. Klinik.
Im Primärstadium (Lues I) kommt es nach einer Inkubationszeit von ca. 9–90 Tagen (durchschnittl. 21 Tagen) zum Auftreten des Primäraffektes zumeist im Genitalbereich, seltener an der Mundschleimhaut, Rektum und anderen Kontaktstellen. Aus einer solitären derben Papel entwickelt sich das charakteristische, schmerzlose, harte Ulkus (Ulcus durum) mit einer regionalen, schmerzlosen, derben Lymphknotenschwellung. Nach einigen Wochen kommt es zur spontanen Abheilung. Das Sekundärstadium (Lues II) manifestiert sich nach ca. 9 Wochen bis 6 Monaten post infectionem. Es können Allgemeinsymptome wie Abgeschlagenheit und subfebrile Temperaturen auftreten. Fast immer findet sich eine schmerzlose Polyskleradenitis. In der Folge können makulöse, makulopapulöse oder papulöse Exantheme (Syphilide) intervallartig über Jahre auftreten (Cave: Hautveränderungen sind infektiös) mit in seltenen Fällen Beteiligung innerer Organe. Weiterhin typisch sind
15
die palmoplantaren Clavi syphilitici, Angina syphilitica, Plaques muqueuses der Zunge, Alopecia specifica und Condylomata lata. Unabhängig von der Behandlung kommt es innerhalb von 2–10 Wochen zur Abheilung der sekundären Läsionen. Das Latenzstadium stellt ein klinisch symptomloses Stadium von 2–5 Jahren Dauer dar. In 30–40% der Fälle entwickelt sich ein Tertiärstadiums (Lues III) mit Ausbildung von granulomatösen Abszessen (Gummen), wobei jedes Organsystem betroffen sein kann. Die Gummen sind nicht mehr infektiös. Im Quartärstadium (Lues IV) kommt es dann zum Befall des ZNS (Tabes dorsalis und Paralysis progressiva). Außerdem kann es während der Schwangerschaft zu einer diaplazentaren Übertragung der Syphilis kommen, was dann zum Abort, Totgeburt oder Missbildungen im Sinne von Lues connata praecox (Zeichen des Sekundärstadiums) oder tarda (nach Jahren klinische Zeichen) führen kann [23]. Diagnostik.
Aus dem Primäraffekt kann Reizserum exprimiert werden, in dem dann mittels Dunkelfeldmikroskopie die Erreger (Spiralen mit typischer Knick- und Schraubbewegung) nachgewiesen werden können. Alternativ wird der Erregernachweis unter Anwendung von monoklonalen FITC-markierten Antikörpern mit der direkten Immunfluoreszenz empfohlen [34]. Im Rahmen der Serologie werden folgende Parameter als Suchtest bestimmt:
Der Treponema pallidum Hämaglutinationstest (TPHA) ist hochspezifisch und ca. 3–4 Wochen nach Infektion bereits positiv: kann allerdings lebenslang als Seronarbe positiv bleiben. Des Weiteren ist der Veneral-Disease-Research-Laboratory-(VDRL-)Test als Suchtest zu verwenden, der nach 4–6 Wochen positiv und bei fehlender Krankheitsaktivität wieder negativ wird (somit auch Parameter zur Therapiekontrolle). ▼
224
II
Kapitel 15 · Sexuell übertragbare Krankheiten und andere andrologisch bedeutsame Infektionen
Bei positivem TPHA wird zur Bestätigung der IgG-FTA-ABS-Test durchgeführt, der nach 3 Wochen reaktiv wird. Zur Bestimmung der Krankheitsaktivität bzw. Therapiekontrolle werden neben dem VDRL (Titeranstieg um >2 Titerstufen zeigt Rezidiv bzw. Reinfektion an) der 19S-IgMFTA-Abs-Test herangezogen, der bis zu 2 Jahre reaktiv bleiben kann. Außerdem wird er zur connatalen Syphilis-Diagnostik verwendet [1, 23, 34].
Therapie.
Mittel der Wahl in allen Stadien sind Penicilline in entsprechender Dosierung und Behandlungsdauer. Die Wirksamkeit ist allerdings nur bei parenteraler Applikation und einem minimalen Blutspiegel von >0,03 µg/ml über mindestens 7 Tage gewährleistet. Unter der Therapie der Frühsyphilis werden die Lues I und II und die Lues latens seropositiva bis zum Ende des ersten Jahres post infectionem zusammengefasst. Ist der Infektionszeitpunkt nicht sicher festzustellen, sollte immer analog einer Spätsyphilis therapiert werden. Bisher wurde die Therapie mit Clemizol-Penicillin empfohlen. Dieses ist seit 01.07.2003 nicht mehr auf dem deutschen Markt erhältlich. Die DSTDG empfiehlt nun die Verwendung von Benzathin-Penicillin in Anlehnung an die Leitlinien der CDC und WHO. Hierbei sollte die einmalige intramuskuläre Gabe von Benzathin-Penicillin G 2,4 Mio. I.E. (z. B. Tardocillin 1200) auf zwei Injektionsorte gluteal und intramuskulär verteilt werden. Alternativ kann hierzu als Mittel der 1. Wahl auch Doxycyclin 2 × 100 mg/Tag (z. B. Doxy-Wolff 100) oral über 14 Tage gegeben werden. Mittel der 2. Wahl ist Ceftriaxon (z. B. Rocephin) 500–1.000 mg/Tag i. m. oder i. v. über 10–14 Tage. Zur Therapie der Spätsyphilis wird ebenfalls die intramuskuläre Gabe von Benzathin-Penicillin G 2,4 Mio. I.E. (z. B. Tardocillin 1200) empfohlen, allerdings sollte diese dreimal im Abstand von einer Woche erfolgen. Die Alternativtherapie mit Doxycyclin (z. B. Doxy-Wolff 100) sollte über 21 Tage durchgeführt werden.
Zur Therapie der Neurosyphilis sollte stationär die Gabe von Penicillin G i. v. alle 4 h 6 Mio. I.E. über 10–14 Tage erfolgen. Alternativ kann Ceftriaxon (z. B. Rocephin) 2 g/Tag i. m. oder i. v. über 10– 14 Tage verabreicht werden [24]. Bei bestehender HIV-Infektion sollte unbedingt eine Neurosyphilis ausgeschlossen werden (neurologische Untersuchung, Liquordiagnostik). Ist dies nicht gewährleistet, so sollten diese Patienten auch hochdosiert wie bei einer Neurosyphilis behandelt werden. Zur Behandlung der Lues connata sowie bei Klein- und Schulkindern erfolgt die Therapie je nach serologischem und klinischem Befund unter Berücksichtigung des Alters und des Körpergewichtes. In der Schwangerschaft sollten nur Penicilline oder Erythromycin eingesetzt werden. Als Therapiekomplikation kann es bei Behandlungsbeginn bedingt durch den raschen Zerfall der Erreger zu einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion mit Fieber, grippeähnlichen Symptomen sowie Arthralgien und Exazerbation der syphilisspezifischen Läsionen kommen. Prophylaktisch kann 25–50 mg Prednisolon (z. B. Decortin H) oral einmalig 1 h vor der ersten Injektion gegeben werden. Bei Nachweis von Gummen kann diese Dosis über 1–2 Wochen gegeben werden. Zur Therapie einer solchen Reaktion können 50–100 mg Prednisolon i. v. (z. B. SoluDecortin), ASS (z. B. Aspirin) und Bettruhe empfohlen werden [23, 24]. Zur Therapiekontrolle und zum Ausschluss einer Reinfektion bei Früh- und Spätsyphilis sollte eine klinische und serologische Kontrolle 3, 6 und 12 Monate nach Therapieende erfolgen. Im Anschluss daran sollte eine jährliche Kontrolle über 4 Jahre erfolgen. Bei Neurosyphilis sollte eine Liquorpunktion nach 6 Monaten, einem Jahr und dann für drei Jahre in jährlichen Abständen durchgeführt werden. Auch bei den Sexualpartnern muss sowohl klinisch als auch serologisch eine Kontrolluntersuchung erfolgen [24].
15.2.2 Gonorrhö Synonyme.
Tripper
225
15.2 · Klassische Geschlechtskrankheiten
15
Erreger.
Diagnostik.
Neisseria Gonorrhöa
In der Gramfärbung eines Abstrichs können intrazellulär liegende gramnegative Diplokokken in neutrophilen Granulozyten nachgewiesen werden. Zusätzlich kann ein kultureller Erregernachweis mit Antibiotikaresistenzbestimmung durchgeführt werden. Auch ein immunologischer Direktnachweis im Abstrichmaterial ist möglich [24].
Prävalanz.
Die Gonorrhö ist weltweit verbreitet und die häufigste sexuell übertragbare Erkrankung mit Spitzenwerten in den 70er-Jahren. Die Prävalenz betrug 1995 in Deutschland 5 gemeldete Fälle pro 100.000 Einwohner. Im Vergleich dazu gibt es Zahlen für die USA im Jahr 1991 von 250 Fälle/100.000 Einwohner [1]. Etwa seit 1995 wird in mehreren Ländern Europas ein deutlicher Anstieg der Gonorrhö-Fälle beobachtet [13]. Klinik.
Das Infektionsrisiko beträgt ca. 30% pro Geschlechtsverkehr. Die Diplokokken infizieren das Drüsenepithel des Urogenitaltraktes, des Rektums oder der Augen und nach einer Inkubationszeit von 2–5 Tagen (bei Frauen auch noch nach 2 Wochen) kommt es zu einer akuten eitrigen Infektion. Bei Männern treten plötzlich urethritische Symptome wie glasiger bis eitriger Ausfluss, Dysurie, urethraler Dauerschmerz und Pollakisurie auf. Außerdem können eine Prostatitis (oft nach Rückgang der akuten Urethritis), Epididymitis oder Arthritis auftreten. Bei Frauen werden häufiger asymptomatische Verläufe beobachtet. Die urethritischen Symptome sind meist milder als beim Mann und gehen fast immer mit einer Zervizitis einher. Außerdem kann es zu einer Adnexitis bis hin zu peritonealen Symptomen bei einer »pelvic inflammatory disease« (PID) kommen. Bedingt durch die Schädigung des Epithels kann anderen Erregern der Weg gebahnt werden, z. B. einer bakteriellen Vaginose. Außerdem kann es unter der Geburt zu einer Schmierinfektion kommen, welche als Ophthalmia neonatorum zur Erblindung des Neugeborenen führen kann (CredéProphylaxe mit 1%iger Silbernitratlösung). Für beide Geschlechter besteht im Rahmen der Gonorrhö-Infektion ein Risiko der Unfruchtbarkeit, wobei dies bei der Frau mit 5–10% höher liegt als beim Mann. Eine Gonokokkensepsis wird gekennzeichnet durch die Trias: intermittierendes Fieber, rezidivierende Arthropathien und Pusteln.Weitere Komplikationen sind Meningitis, Endokarditis und Arthritis.
Therapie.
Eine Gonorrhö wird durch die Einmalgabe von Spectinomycin (Stanilo) 2 g i. m. oder Ceftriaxon (z. B. Rocephin) 250 mg i. m. behandelt. Alternativ kommen als einmalige orale Gabe Cefixim (z. B. Cephoral) 400 mg, Ciprofloxacin (z. B. Ciprobay) 500 mg, Ofloxacin (z. B. Tarivid) 400 mg oral sowie Azithromycin (z. B. Zithromax) 1 g in Frage. Komplizierte und disseminierte Verläufe einer Gonokokkeninfektion sollten unter stationären Bedingungen mit Ceftriaxon (z. B. Rocephin) 1×1–2 g i. m. oder i. v. oder Cefotaxim (z. B. Claforan) 3×1–2 g i. v. über 7 Tage behandelt werden. Bei einer akuten Beckenentzündung (PID) wird bis zur klinischen Besserung therapiert und evtl. die Antibiotikagabe durch z. B. Doxyzyklin und Cefoxitin oder Clindamycin und Gentamycin ergänzt (Mischinfektion mit Chlamydien!) [1, 2, 10, 24].
15.2.3 Ulcus molle Synonyme.
Chancroid, weicher Schanker Erreger.
Hämophilus ducreyi Prävalanz.
In Europa ist da Ulcus molle sehr selten und tritt lediglich in Hochrisikogruppen auf. In Afrika, Lateinamerika und Asien ist es weit verbreitet, in Kenia und Zaire sogar das häufigste Genitalulcus. Klinik.
Die Inkubationszeit beträgt lediglich 2–5 Tage. Am äußeren Genitale bilden sich Papulopusteln mit Übergang in flache, weiche und sehr schmerzhafte
226
II
Kapitel 15 · Sexuell übertragbare Krankheiten und andere andrologisch bedeutsame Infektionen
Ulzera mit gezackten Rändern auf erythematösem Grund (Halo). Nach Auftreten der Ulzera kommt es zu einer schmerzhaften Schwellung der regionären Lymphknotenstationen (=Bubo, in 50% einseitig). Unbehandelt kommt es nach längerer Zeit oft unter Vernarbung der Eintrittspforte zur Abheilung [24]. Diagnostik.
Der Nachweis erfolgt mikroskopisch im Abstrichpräparat oder aus dem Lymphknotenpunktat. Die Spezifität und Sensitivität werden dabei als sehr gering erachtet. Zur Sicherung der Diagnose sollte ein kultureller Nachweis erfolgen. Der Nachweis mittels PCR ist hinsichtlich der Spezifität der Kultur gleichzusetzen, weist aber eine höhere Sensitivität auf. Therapie.
Bevorzugt wird in letzter Zeit die einmalige Gabe von Azithromycin (z. B. Zithromax Kps.) 1 g oral oder die einmalige Gabe von Ceftriaxon (z. B. Rocephin) 250 mg i. m. Des Weiteren wird Erythromycin (z. B. Erythrocin) 4×500 mg/Tag oral über 7 Tage oder Ciprofloxacin (z. B. Ciprobay) 2×500 mg oral über 3 Tage gegeben [1, 24].
15.2.4 Lymphogranuloma inguinale Synonyme.
Lymphogranuloma venereum, Lymphopathia inguinale, Lymphopathia venera
welche häufig schnell abheilt und somit unbemerkt bleibt, aber auch ulzerieren kann und dann schmierige Beläge aufweist. Nach einer bis mehreren Wochen zeigt sich dann eine meist einseitige Lymphangitis mit Lymphknotenschwellung (livide schmerzhafte mit der Umgebung verbackenen Lymphknoten). Im Rahmen dessen treten oft Allgemeinsymptome wie Abgeschlagenheit und Fieber auf und im weiteren Verlauf kann es zu Einschmelzung sowie Fistelbildung mit Lymphabflussstörungen bis hin zur Elephantiasis kommen. Diagnostik.
Chlamydien können aus Bläscheninhalt der Primärläsion oder Lymphknotenpunktat angezüchtet werden. Der immunologische Nachweis der Oberflächenproteine mittels Immunfluoreszenz ist möglich. Des Weiteren besteht die Möglichkeit der Amplifikation der DNA mit Hilfe von PCR und LCR [24]. Therapie.
Auch hier sind Tetracycline Mittel der ersten Wahl: z. B. Tetracyclin-HCl (Tetracyclin Wolff) 4×500 mg/ Tag oder Doxycyclin (z. B. Supracyclin) 2×100 mg/ Tag über jeweils 21 Tage. Alternativ kommt Erythromycin (z. B. Erythrocin) 4×500 mg/Tag oder die Kombination von Sulfamethoxazol 800 mg und Trimethoprim 160 mg (z. B. Cotrim) 2-mal/Tag über 21 Tage in Frage [24]. Eine Spaltung bzw. Punktion der Abszedierung im Leistenbereich wird empfohlen.
Erreger.
Chlamydia trachomatis (Serotyp L1-L3)
15.2.5 Granuloma inguinale
Prävalanz.
Synomye.
Lymphogranuloma inguinale kommt hauptsächlich in den Tropen und Subtropen vor. Die in Deutschland vorkommenden Fälle wurde zumeist im Ausland erworben. In Deutschland wurden 1993 nur 44 Fälle gemeldet [1].
Donovanosis, Granuloma venereum
Klinik.
Prävalanz.
Die Inkubationszeit wird mit mehr als 7 Tagen bis zu Monaten angegeben. Im Genitalbereich findet sich eine kleine Papel oder Bläschen,
In Europa ist das Granuloma inguinale sehr selten, kommt aber endemisch in tropischen und subtropischen Gebieten vor.
Erreger.
Calymmatobacterium granulomatosis = Donovania granulomatosis
227
15.3 · Nichtgonorrhoische Urethritis
Klinik.
Bei geringer Infektiosität ist die Inkubationszeit sehr variabel und liegt bei 1 Woche bis 3 Monate. Im gesamten Genitalbereich treten schmerzlose harte Indurationen auf, die bei Berührung leicht bluten ohne Einbeziehung der regionäre Lymphknotenstationen. Es kommt jedoch zur Ausbildung von Pseudobubonen, d. h. perilymphatischen Granulomen im subkutanen Fettgewebe der Leisten.
15
Urethritis, die auf Schleimhaut und paraurethrale Drüsen begrenzt war, auf die Prostata, Bläschendrüsen oder weiteren Samenwege (Prostatourethritis, Prostatourethrovesikulitis und Epididymitis) ausbreiten (Absch. 15.4 und 15.5). Man spricht dann auch von einer männlichen Adnexitis oder »male accessory gland infection« (MAGI), wobei diese Begriffe teilweise unterschiedlich streng definiert werden [7, 21]. Klinik.
Kleine Gewebeteile können meist schmerzlos ohne Lokalanästhesie vom Ulcusgrund mit dem Skalpell entnommen werden. In der Giemsafärbung finden sich zumeist die typischen intrazellulären Donovankörper in mononucleären Zellen.
Zumeist als akute Form mit den Kardinalsymptomen des urethralen Ausflusses sowie der ausgeprägten Dysurie (cave! Differenzialdiagnose Gonorrhö). Eine Übertragung der Infektion auf die Partnerin (Adnexitis!) birgt ein hohes Risiko der Infertilität.
Therapie.
Diagnostik und Therapie.
Azithromycin (z. B. Zithromax) 1×1g/Woche, Erythromycin (z. B. Erythrocin) 4×500 mg/Tag, Doxycyclin (z. B. Vibramycin) 2×100 mg/Tag, Trimethoprim/Sulfamethoxazol (z. B. Cotrim) 2×960 mg/Tag oder Ciprofloxacin (Ciprobay) 2×750 mg/Tag jeweils oral über 3 Wochen [24].
Eine ursächliche oder unterhaltende Pathologie der Harnwege (z. B. Striktur, Urethradivertikel) muss im entzündungsfreien Intervall abgeklärt bzw. ausgeschlossen werden. Als günstig erscheint auf jeden Fall eine direkte mikroskopische Untersuchung des Ausflusssekretes, des Primärstrahlurines (Morgenurin) oder des Abstrichpräparates (6 h nach zuletzt erfolgter Miktion), um sofort eine gezielte keimorientierte Therapie einleiten zu können und eine spätere Antibiotikaumstellung nach Eingang des Antibiogramms zu vermeiden [26]. Bei der häufigen Chlamydien-, Mykoplasmen- oder Ureaplasmeninfektion wird Doxyzyklin (z. B. Vibramycin) 2×100 mg oral (z. T. auch Tetrazyklin HCl 4×500 mg) über 10 Tage oder die Einmalgabe von Azithromycin (z. B. ZithromaxKps.) 1 g oral verordnet; Ausweichpräparate sind Erythromycin (z. B. Erythrocin) 4×500 mg oder Amoxicillin (z. B. Amoxypen oder Clamoxyl) 4×750 mg oral. Bei diesen Keimen handelt es sich um obligat intrazelluläre Erreger, die in der einfachen Sekret- oder Urinkultur meist nicht anzuzüchten sind und über einen Urethraabstrich (mindestens 2–4 cm mit rotierender Bewegung einführen) mit Gewinnung von oberflächlichen Urothelzellen nachgewiesen werden müssen. Kulturelle Verfahren sind hier zunehmend durch DNS-Amplifikationsmethoden (LCR und PCR) abgelöst.
Diagnostik.
15.3
Nichtgonorrhoische Urethritis
Erreger.
Häufig: Chlamydia trachomatis Serotypen D–K (häufig auch bei Reiter-Syndrom nachgewiesen), Mycoplasma hominis und genitalium, Ureaplasma urealyticum. Seltener: E. coli, Enterokokken, Staphylokokken, Proteus, Herpes simplex, Trichomonas vaginalis, Gardnerella vaginalis, Candida albicans [10, 11, 25–28]. Infektionsweg und Ätiologie.
Zumeist erfolgt eine vermehrte kanalikuläre Keimeinschleppung in die Harnröhre z.B. durch Geschlechtsverkehr, transurethrale Manipulationen oder die Keimvermehrung wird durch ein Nässetrauma verstärkt. In anderen Fällen kann sich auch eine vorbestehende Infektion (z. B. bakterielle Zystitis oder Genitalhautmykose) auf die Harnröhre ausdehnen, so dass keine isolierte Entzündung der Urethra vorliegt. Ebenso kann sich eine primäre
Kapitel 15 · Sexuell übertragbare Krankheiten und andere andrologisch bedeutsame Infektionen
228
II
Alle anderen bakteriellen Keime können zunächst blind mit Cotrimoxazol oder einem Gyrasehemmer therapiert werden. Auch hier muss die Behandlung über einen adäquaten Zeitraum fortgeführt und nach Antibiogramm oder bei fehlendem Ansprechen zügig umgestellt werden. Immer ist hierbei an eine Mischinfektion mit Chlamydien oder auch anderen Geschlechtskrankheiten zu denken. Die spezifische Therapie bei Herpes simplex, Trichomonaden und Candidainfektionen ist in den entsprechenden Abschnitten dargestellt. Als begleitende Medikation können bei einer akuten Urethritis in Analogie zur Zystitis sämtliche Analgetika und spasmolytische Präparate (z. B. Trospiumchlorid) notwendig werden.
15.4
men führen. Hilfreich ist hier die Klassifikation der NIH (National Institutes of Health) von 1995, wie sie in ⊡ Tabelle 15.2 wiedergegeben ist. Diese Einteilung orientiert sich an den klinischen Symptomen (akut – chronisch und schmerzhaft – asymptomatisch), dem Erregernachweis (bakteriell – abakteriell) und dem Vorliegen einer Entzündungsreaktion, d. h. einem Leukozytennachweis (entzündlich – nichtentzündlich). Die älteren Termini Prostatodynie und vegetatives Urogenitalsyndrom, entsprechend der Prostatitiskategorie IIIb, werden hierbei vermieden [16, 19, 20, 22, 35]. Erreger.
E. coli, Klebsiellen, Pseudomonas, Enterokokken, Streptokokken, Corynebakterien. Umstritten: Staphylokokken, Chlamydia trachomatis, Ureaplasma urealyticum, Mykoplasmen
Prostatitis Prävalanz.
Einteilung und Synonyme.
Der Symptomkomplex Prostatitis umfasst eine Gruppe von entzündlichen Erkrankungen dieses Organs und seiner Nachbarstrukturen, die sich oft nur schwer voneinander abgrenzen lassen und immer wieder zu differenzialdiagnostischen Proble-
Die geschätzte Prävalenz der Prostatitis beträgt 10%, wobei angenommen wird, dass die Hälfte aller Männer zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben prostatitisähnliche Symptome durchleben und daraus etwa 1/4 aller Besuche beim Urologen resultieren [3].
⊡ Tabelle 15.2. NIH Klassifikation der Prostatitis [19, 35]
Kategorie
Neue Bezeichnung
Kriterien/Erklärung
I
Akute bakterielle Prostatitis
Akute Infektion mit Nachweis von Bakterien
II
Chronische bakterielle Prostatitis
Chronische Infektion mit Nachweis von Bakterien
III
Chronisch abakterielle Prostatitis/ Chronisches Schmerzsyndrom des Beckens
Chronische Infektion ohne nachgewiesenen Erreger, die in die Kategorie IIIa und IIIb unterteilt wird
IIIa
Entzündliches chronisches Schmerzsyndrom des Beckens
Erhöhte Leukozytenzahl im Ejakulat, Prostataexprimat und/oder Exprimaturin
IIIb
Nichtentzündliches chronisches Schmerzsyndrom des Beckens
Keine erhöhte Leukozytenzahl im Ejakulat, Prostataexprimat und/oder Exprimaturin. Früher »Prostatodynie«
IV
Asymptomatische entzündliche Prostatitis
Keine klinischen Symptome! Entzündungsreaktion in Prostatabiopsie oder erhöhte Leukozytenzahl im Ejakulat, Prostataexprimat und/oder Exprimaturin als Nebenbefund im Rahmen einer anderen Diagnostik
15.4 · Prostatitis
Klinik.
Das klinische Bild der akuten bakteriellen Prostatitis (Kat. I) ist meistens eindeutig. Große Probleme kann hingegen das Symptombild der chronischen Prostatitiden bieten. Die Beschwerden müssen dabei nicht eindeutig dem Urogenitaltrakt zuzuordnen sein, sondern können von sehr unspezifischem Charakter sein. Das Spektrum reicht von miktionsunabhängigen Schmerzen im Becken über Kreuzschmerzen und Abdominalbeschwerden bis hin zu Müdigkeit, Arthralgien und Myalgien. Hilfreich bei der Symptomzuordnung sind hier die mittlerweile validierten Frageböge und Symptomscores wie der Gießener-Prostatitis-SymptomenScore (GPSS) oder der NIH-Chronic-ProstatitisSymptom-Index (NIH-CPSI) [9, 22, 31]. Diagnostik.
Bei der akuten bakteriellen Prostatitis (Kat. I) ist der Nachweis der Entzündungsreaktion (Leukozyten) sowie des Erregers (Direktmikroskopie und Kultur) im Urin oder auch Ejakulat vor Einleiten der Therapie zumeist problemlos. Erhöhte Restharnmengen und ein möglicher Prostataabszess müssen initial und in weiteren Kontrollen während der Therapie ausgeschlossen werden. Die chronische Prostatitis (v. a. Kat. IIIb) ist oft eine Ausschlussdiagnose, da trotz entsprechender Klinik der Erreger- bzw. Leukozytennachweis nicht geführt werden kann. Die mikroskopische und bakteriologische Untersuchung erfolgt im Prostataexprimat oder der Urinportion nach Prostatamassage [20, 22]. Therapie.
In der Phase einer akuten Prostatitis ist die Gewebegängigkeit des Organs für die meisten Antibiotika sehr gut, so dass auch Cotrimoxazol (Bactrim forte) 2×960 mg prinzipiell einsetzbar ist, obwohl es eine reduzierte Anreicherung im basischen Milieu des infizierten Prostatasekrets aufweist. So wird zumeist die ausdauernde Behandlung mit einem Fluorochinolon, Ciprofloxacin (Ciprobay) 2×250 mg oder Ofloxacin (Tarivid) 2×200 mg oral, über 10–28 Tage bevorzugt. Bei erhöhten Restharnmengen muss die passagere suprapubische Urinableitung und im Falle eines Prostataabszesses die Entlastung und Drainage desselben erfolgen. Zu-
229
15
grunde liegende Pathologika des Harn- und Genitaltraktes werden nach Abklingen der akuten Symptome evtl. aber noch oder wieder unter antibiotischem Schutz durchgeführt. Begleitend werden Analgetika, Antiphlogistika und Laxantien eingesetzt. Auch bei den chronischen Prostatitiden stellt der Einsatz von Antibiotika den Grundpfeiler der Behandlung dar: Die chronisch bakterielle Prostatitis (Kat. II) wird initial über einen Zeitraum von mindestens 4 Wochen bevorzugt mit einem Fluorochinolon behandelt. Cotrimoxazol oder Trimethoprim wird von den meisten Autoren aus dem oben genannten Grund abgelehnt. Ist der Nachweis einer Chlamydien, Ureaplasmen oder Mykoplasmen Infektion erfolgt, muss eine Behandlung mit einem Tetrazyklin, z. B. Doxyzyklin (z. B. Vibramycin ) 2×100 mg oral, oder Erythromycin (z. B. Erythrocin ) 4×500 mg oral über mindestens 2 Wochen erfolgen. Alle anderen Antibiotika können nur als 2. Wahl angesehen werden und sind daher primär zu vermeiden [3, 20, 21]. Bei Versagen der Primärtherapie soll bei weiterhin symptomatischen Patienten eine Langzeittherapie mit Trimethoprim 50–100 mg/Tag oder Furadantin 100 mg/Tag für 3–6 Monate angeschlossen werden, um die Symptomatik zu lindern und eine Exazerbation von Harnwegsinfektionen zu unterbinden. Als ultima ratio wird von einigen Autoren die operative Entfernung (komplette TUR-P) des entzündungstragenden Gewebes diskutiert [20, 21]. Bei der chronisch abakteriellen, entzündlichen Prostatitis (Kat. IIIa) gelingt per definitionem ein Keimnachweis nicht. Unter der Annahme einer okkulten Chlamydien-, Ureaplasmen- oder Mykoplasmen-Infektion ist hier dennoch die initiale zweiwöchige Behandlung mit Doxyzyklin oder Erythromycin angezeigt. Dies gilt natürlich nicht für asymptomatische Patienten, bei denen lediglich Leukozyten im Prostatasekret nachgewiesen wurden. Eine Reihe weiterer medikamentöser Therapien werden diskutiert. Hierzu gehört Allopurinol, α-1-Blocker zur Relaxation des Sphinkter internus, Muskelrelaxantien zur Entspannung des Beckenbodens und symptomatisch eingesetzte Analgetika und Antiphlogistika wie z. B. Diclofenac oder Ibuprofen. Letztlich wurde auch die transurethrale Mikrowellentherapie zur Linderung der prostatiti-
230
II
Kapitel 15 · Sexuell übertragbare Krankheiten und andere andrologisch bedeutsame Infektionen
schen Symptome eingesetzt [20]. Auch eine Reihe pflanzlicher Mittel fanden bisher Anwendung, z. B. das Roggenpollenextrakt Cernilton [32]. Das nichtentzündliche chronische Schmerzsyndrom des Beckens (Kat. IIIb), früher auch als Prostatodynie bezeichnet, findet sich bei bis zu 50% der Patienten mit Prostatitissymptomen. Die organische Ätiologie bleibt unklar und eine Zuordnung zum Formenkreis der psychosomatischen Erkrankungen, z. B. bei Stress und Partnerschaftsproblemen, scheint in vielen Fällen gerechtfertigt und sollte entsprechend behandelt werden. Symptomatisch werden bevorzugt α-1-Blocker, z. B. Terazosin oder Doxazosin, aber auch Muskelrelaxantien für den Beckenboden eingesetzt [20, 32].
15.5
Klinik.
Die akute Symptomatik der beiden Erkrankungen unterscheidet sich nicht: Schwellung des Skrotalinhaltes, fehlende Abgrenzung von Hoden und Nebenhoden, Überwärmung und Rötung der Skrotalhaut, evtl. Induration des Samenstranges und hohes Fieber. Anheben des betroffenen Hodens bringt Schmerzlinderung (Prehn-Zeichen). Diagnostik.
Eine bakteriologische Keimidentifizierung erfolgt entsprechend des Vorgehens bei der Prostatitis. Wichtig ist die differenzialdiagnostische Abgrenzung gegenüber einer Hodentorsion und einem Hodentumor. Eine Abszedierung muss auch im weiteren Krankheitsverlauf durch sonographische Kontrollen ausgeschlossen werden.
Epididymitis und Orchitis Therapie.
Erreger.
Die Epididymitis entsteht fast immer durch kanalikuläre Keimausbreitung eines Harnwegsinfektes oder einer Prostatitis, die selbst asymptomatisch verlaufen können. Bei jüngeren Männern und bei Verdacht des sexuellen Übertragungsweges sollte sie primär im Sinne einer Chlamydieninfektion oder auch Gonorrhö behandelt werden; ansonsten als bakterielle Infektion mit fakultativ pathogenen Keimen des Urogenitaltraktes. Nur selten entsteht die Infektion isoliert durch hämatogene Keimbesiedelung. Auch bei der Epididymitis sind chronische Verlaufsformen möglich, die oft therapeutische Probleme bieten. Außerdem ist immer auch an eine Urotuberkulose zu denken [12]. Eine Orchitis manifestiert sich entweder über direkte Ausbreitung einer Epididymitis als sog. Epididymorchitis oder isoliert durch hämatogene Streuung als Begleitorchitis im Rahmen nichtgenitaler bakterieller (z. B. Pneumokokken, Brucellen) oder viraler Erkrankungen (v. a. Mumps, aber auch Coxsackie oder Toxoplasmen bei HIV-Patienten). Etwa 30% der postpubertalen Mumpsinfektionen gehen mit einer solchen Begleitorchitis einher, die wiederum in 10–30% beidseitig auftritt. Eine Sonderform der Hodenentzündung bildet die granulomatöse Orchitis, die als Autoimmunreaktion angesehen wird und oft erst histologisch nach Orchiektomie diagnostiziert wird [15].
Bei der oben beschriebenen Patientengruppe mit erhöhtem Risiko einer sexuellen Keimübertragung (Gonokokken, Chlamydien) sollte initial über mindestens 10 Tage mit Tetrazyklinen behandelt werden, z. B. Doxyzyklin (z. B. Vibramycin) 2× 100 mg oral (Partnerbehandlung). Alle anderen Patienten werden über den gleichen Zeitraum mit einem Breitbandantibiotikum behandelt: Fluorochinolone wie Ciprofloxacin (Ciprobay) 2×250 mg oder Ofloxacin (Tarivid) 2×200 mg oral, oder Breitbandpenicillin wie Mezlocillin (Baypen) 3×2 g/Tag i. v., welches bei hochfieberhaftem Krankheitsbild auch initial mit einem Aminoglykosid, z. B. Gentamicin (z. B. Refobacin) 3×1 mg/kg KG i. v., kombiniert werden kann. Als lokale Maßnahme erfolgt die Hodenhochlagerung (verbesserte lymphatische Drainage) und Kühlung. Neben Einsatz des gesamten Spektrums von Analgetika kann die Schmerzsymptomatik auch durch Samenstranginfiltration mit einem Lokalanästhetikum gelindert werden, wobei diese auf Höhe des Leistenringes vorgenommen werden sollte, um eine lokale Keimausschwemmung zu verhindern. Bei chronischen und therapierefraktären Verläufen einer Epididymitis gilt als ultimatio ratio die Epididymektomie. Auch eine Orchitis sollte mit den oben aufgeführten Mitteln behandelt werden. Zur Schmerzlinderung wurde zudem die frühzeitige operative Inzision der Tunica albuginea empfohlen. Beglei-
231
15.6 · Sexuell übertragbare Virusinfektionen
tende Therapien mit Cortison, γ-Globulinen oder Interferon zur Beschwerdeminderung und Verhinderung einer anhaltenden Spermiogenesestörung sind bis heute nicht standardisiert [17]. Das Risiko einer Mumpsorchitis kann durch die entsprechende prohylaktische Impfung minimiert werden [15].
15.6
Sexuell übertragbare Virusinfektionen
15.6.1 Herpes genitalis Erreger.
Herpes-simplex-Virus Typ I (HSV I) und Herpessimplex-Virus Typ II (HSV II) sind DNA-Viren, die in Nervenganglien persistieren und durch Wanderung entlang der Nerven zu Reinfektionen der Haut führen können. Beide Virustypen können durch sexuelle Übertragung (HSV II) oder orogenitalen Kontakt (HSV I) zu einer Infektion im Genitalbereich führen. Prävalenz.
Die Durchseuchungsrate der Bevölkerung Europas beträgt etwa 70–80% für HSV I und immerhin 20–30% für HSV II [24]. Klinik.
Die meisten HSV-Erstinfektionen verlaufen asymptomatisch [13]. Vereinzelt kann es jedoch auch nach einer Inkubationszeit von 1–7 Tagen zu ausgeprägtem Verläufen sowohl der Erstinfektion als auch bei chronischen Rezidiven kommen. Neben grippeartigen Frühbeschwerden finden sich die typischen bläschenförmigen und schmerzhaften Genitaleffloreszenzen und eine inguinale Lymphknotenschwellung. Erfolgt keine Therapie verläuft die Erkrankung über 2–4 Wochen. Mögliche Komplikationen sind die bakterielle Superinfektion, Meningitis oder Enzephalitis sowie peripartale Übertragung auf das Neugeborene. 85% der Fälle erleiden mindestens ein symptomatisches Rezidiv. Genitale HSV-II-Infektionen machen häufiger Rezidive als genitale HSV-I-Infektionen [24].
15
Diagnostik.
Direkter Erregernachweis durch Abstrich aus Bläschen, mittels kultureller Anzüchtung, direkte Antigentests und molekularbiologische DNA-Methoden (PCR, LCR). Serologische Methoden haben nur eine Bedeutung bei der Unterscheidung zwischen Primärinfektion und Rezidiv (in der Gravidität von Bedeutung). Therapie.
Das Virostatikum Aciclovir (z. B. Zovirax) kann bei leichten Rezidiven topisch als Creme in vierstündlichem Abstand über 5–10 Tage aufgetragen werden. Bei schwereren Verläufen kann systemisch behandelt werden. Nur bei Beginn der Behandlung unmittelbar nach Auftreten der ersten Symptome, besser noch in der Prodromalphase, vermindern Virostatika den Schweregrad und die Dauer der Erkrankung. Zur Therapie des Primärinfektes kann Aciclovir (z. B. Zovirax) 3×400 mg oder 5× 200 mg p. o., Famciclovir (Famvir) 3×250 mg p. o. oder Valaciclovir (Valtrex) 2×1 g p. o. über 7–10 Tage gegeben werden. Bei einem genitalen Rezidiv verkürzt sich die Behandlung auf 3–5 Tage. Eine Suppressionstherapie kann bei mehr als 6 Rezidiven pro Jahr erfolgen, wobei Aciclovir 2×400 mg, Famciclovir 2×250 mg oder Valaciclovir 1×500 mg täglich über Monate gegeben wird [18].
15.6.2 Humane Papillomaviren (HPV) –
Condylomata acuminata (Feigwarzen) Erreger und Klinik.
HPV-Infektionen verlaufen zumeist asymptomatisch und werden nur bei Ausbildung von Genitalwarzen (wie dies vor allem für HPV 6 und 11 gilt) apparent. Benigne Sonderformen sind der BuschkeLöwenstein-Tumor und flachkondylomatöse HPVEffloreszenzen. HPV-Viren haben zudem ein karzinogenes Potenzial, wobei dieses für die einzelnen Subtypen unterschiedlich hoch ausgeprägt ist. Es wird in Low-risk- (6 und 11) sowie High-risk-HPVTypen (16, 18, 31, 33 und 35) unterschieden [24].
232
Kapitel 15 · Sexuell übertragbare Krankheiten und andere andrologisch bedeutsame Infektionen
Diagnostik.
II
Da der serologische HPV-Antikörpernachweis nur bei etwa 1/3 der Infizierten möglich ist und ein kulturelles Anzüchten nicht möglich ist, werden der direkte Antigentest oder aufwendige DNA-Nachweismethoden eingesetzt. Histologisch zeigen die Zellen des Stratum spinosum/granulosum typische zytopathische Effekte wie perinukleäre Vakuolisierung.
15.7
Protozoonosen des Genitaltraktes
15.7.1 Trichomonas vaginalis Prävalenz.
Die geschätzte Inzidenz liegt in Deutschland unter 1% (Prostituierte 10%, USA 2%); weltweit infizieren sich etwa 170 Mio. Männer und Frauen [24]. Klinik.
Therapie.
Hauptproblem jeder Therapie der Condylomata acuminata (Feigwarzen) ist die hohe Rezidivrate. Ein wesentlicher Faktor für eine dauerhafte Heilung scheint das Immunsystem des Patienten zu sein. Lokale zytotoxische und keratolytische Substanzen weisen eine Erfolgsrate zwischen 20 und 70% auf. Hierzu zählt das Aufbringen von Podophyllin-Lösung (z. B. Condylox), Trichloressigsäure, Salicylsäure und 5-Fluorouracil. In letzter Zeit wurden auch gute Ergebnisse mit dem Cytokininduktor Imiquimod (Aldara) als lokale 5%-Creme berichtet. Als weitere Immuntherapeutika werden Interferone (systemisch, intraläsional und topisch) eingesetzt. Die chirurgischen Behandlungsverfahren haben eine Erfolgsrate von 60–80%. Neben der konventionellen Exzision (evtl. Zirkumzision) findet hier auch die Elektrokoagulation, Kryoablation und Laserchirurgie (CO2, Erbium-YAG oder Nd-YAG) Anwendung [30].
Die Inkubationszeit beträgt 4–20 Tage, wobei der Verlauf häufig asymptomatisch ist. Bei Männern tritt eine milde unspezifische Urehritis auf, bei der Frau zeigt sich meist eine milde Vaginitis mit charakteristischem dünnem, gelblich-grünlichem, schaumigem und übelriechendem Fluor. Diagnostik.
Das birnenförmige Protozoon kann am besten im frischen Nativpräparat mittels Dunkelfeldoder Phasenkontrastuntersuchung erkannt werden (vier vordere und eine hintere Geißel, seitliche undulierende Membran). Kultureller Nachweis ist möglich. Therapie.
Einmalgabe von Metronidazol (z. B. Clont) 2 g oral oder bei Therapieversagen 2×500 mg oral über 1 Woche oder 2×1 g für 3–5 Tage. Auch bei Symptomfreiheit sollte der Partner mitbehandelt werden.
15.6.3 Weitere Virusinfektionen 15.7.2 Epizoonosen
Virusinfektionen, die neben anderen Infektionswegen auch sexuell übertragen werden, sind HIV (Humanes Immundefizienzvirus), Hepatitis B/C und Zytomegalievirus. Auf sie soll im Rahmen dieses Kapitels nicht näher eingegangen werden.
Bezüglich der Epizoonosen wie Pediculosis pubis und Scabies, die sich lediglich an der äußeren Haut des Genitales manifestieren sei auf entsprechende dermatologisch orientierte Literatur verwiesen [25].
Literatur
Fazit 1. Seit 2001 ist nur noch der direkte oder indirekte Nachweis von Treponema pallidum und HIV nichtnamentlich meldepflichtig! 2. Genitale Chlamydieninfektionen sind die häufigste STD in Deutschland (>100.000 Neuerkrankungen pro Jahr). Sie spielen eine wesentliche Rolle für die Ausbildung einer Infertilität v. a. bei der Frau (Adnexitis). 3. In mehreren Ländern Europas findet sich seit etwa 1995 ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit Gonorrhö. 4. Für die Therapie der Syphilis steht Clemizol-Penicillin seit Juli 2003 nicht mehr auf dem deutschen Markt zur Verfügung, weswegen nun Benzathin-Penicillin empfohlen wird. 5. Die Prostatitis sollte nach der Klassifikation der NIH (National Institutes of Health) von 1995 eingeteilt und behandelt werden (⊡ Tabelle 15.2). 6. Die meisten Herpes-simplex-Virus-(HSV-) Erstinfektionen verlaufen asymptomatisch. 85% der Patienten erleiden mindestens ein symptomatisches Rezidiv. Genitale HSV-IIInfektionen machen häufiger Rezidive als genitale HSV-I-Infektionen.
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Kapitel 15 · Sexuell übertragbare Krankheiten und andere andrologisch bedeutsame Infektionen
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16 Neue Aspekte der Sepsisbehandlung T. Schürholz, H. Ruschulte
16.1
Einführung
16.2
Definitionen
16.3
Letalität
16.4
Pathogenese
16.5
Pathophysiologie
16.6
Therapie
16.7
Neue Aspekte
16.7.1 16.7.2 16.7.3 16.7.4
Drotrecogin alfa (aktiviert) – 238 »Early goal-directed therapy« – 240 Intensivierte Insulintherapie – 240 Corticoidsubstitution – 241
Literatur
– 241
– 236 – 236
– 237 – 237 – 237
– 238 – 238
II
236
Kapitel 16 · Neue Aspekte der Sepsisbehandlung
16.1
Einführung
Trotz aller Verbesserungen in der postoperativen Nachbetreuung zählt die Sepsis zu den zehn häufigsten Todesursachen [7]. Die schwere Sepsis (Definition, s. folgende Übersicht, nach [4]) hat eine Letalität von 30% und führt jährlich in Europa zu etwa 150.000 und in den USA zu über 200.000 Todesfällen [1]. Die tatsächliche Zahl der an Sepsis Verstorbenen liegt aber eher höher als die derzeitigen Schätzungen widerspiegeln. Viele dieser Verstorbenen haben Begleiterkrankungen, die eher als eine Sepsis als Todesursache angegeben werden. Der wenig vertraute Umgang mit den Zeichen der Sepsis kann die korrekte Diagnose verhindern [15]. Oftmals wird die Sepsis-Erkrankung spät erkannt und die Patienten werden nicht aggressiv genug behandelt, bevor sie auf eine Intensivstation (ITS) aufgenommen werden. Die aufwändige medizinische Versorgung des septischen Patienten beansprucht erhebliche personelle, apparative und medikamentöse Ressourcen: Durchschnittlichen täglichen Kosten von etwa 850 Euro für einen Intensivpatienten stehen fast 1.500 Euro pro Tag für einen an schwerer Sepsis Erkrankten gegenüber [10]. Nachdem in der Vergangenheit viele Versuche fehlgeschlagen waren, die Mortalität der Sepsis entscheidend zu senken, wurden in den letzten Jahren neue Ansätze zum Management der schweren Sepsis oder des septischen Schocks veröffentlicht. Einige dieser Ansätze (Abschn. 16.7) zeigen bereits Wirkung auf das Überleben der Patienten auf einer ITS.
16.2
Definitionen
Unterschiedliche Definitionen zur Sepsis führten erst 1991 zu einer Vereinheitlichung im Rahmen einer Konsensus-Konferenz des American College of Chest Physicians (ACCP) und der Society of Critical Care Medicine (SCCM). Bone et al. publizierten diesen Konsens im darauf folgenden Jahr [4]. Seither haben diese Kriterien in der klinischen Anwendung und in der Literatur ihren festen Platz. Allerdings werden die Kriterien zur Definition von
Definition SIRS: Sepsis, septischer Schock. (Mod. nach [4]) »Systemic inflammatory response syndrome« (SIRS) – Temperatur ≥38°C oder <36 °C – Herzfrequenz >90/min – Atemfrequenz >20/min oder PaCO2 <32 mm Hg – Leukozyten >12.000/µl, <4.000/µl oder > 10% unreife Formen Sepsis – SIRS ( 2 oder mehr Punkte) mit vermuteter oder nachgewiesener Infektion Schwere Sepsis Sepsis mit wenigstens einer Organdysfunktion – Kardiovaskulär (Hypotension, Katecholaminpflicht) – Renal (Diurese weniger als 0,5 ml/kg KG/h) – Respiratorisch (paO2/FiO2 ≤250) – Hepatisch – Hämatologisch (Thrombozyten <80 G/L oder Abfall um 50%) – Metabolisch (pH ≤7,30 oder Basendefizit ≥5 mmol/l und Laktat >1,5fach erhöht) Septischer Schock – Sepsis-induzierte Hypotension trotz adäquater Volumenzufuhr, zusammen mit Veränderungen der Perfusion (Laktazidose, Oligurie, Verwirrtheit)
SIRS und Sepsis von 1992 als zu unspezifisch angesehen, um die auslösende Ursache zu diagnostizieren. Dies führte 2001 zu einer erneuten KonsensusKonferenz, auf der ein neues Klassifikationssystem (PIRO, »Predisposition, Infection, Response, Organ dysfunction«) vorgeschlagen wurde. Jedoch wird das Konzept von den Autoren als rudimentär und noch nicht geeignet für die klinische Praxis angesehen [8]. Daher bleibt es vorerst bei der klinischen Anwendung der in der obigen Übersicht beschriebenen Definitionen.
237
16.5 · Pathophysiologie
⊡ Abb. 16.1. Sterblichkeit in Abhängigkeit von der Erkrankungsschwere. (Aus [11])
% 60
16
Sterblichkeit
50 40 30 20 10 0 kein SIRS
16.3
Letalität
Die Letalität steigt mit der Schwere der Erkrankung (⊡ Abb. 16.1, nach [11]). Die Übergänge zwischen den einzelnen Stufen sind fließend und können innerhalb weniger Stunden zum Vollbild des septischen Schocks führen.
16.4
Pathogenese
Die Sepsis kann durch eine Infektion mit gramnegativen Bakterien (Enterobakteriazeen, Nonfermenter, Meningokokken) und grampositiven Bakterien (Staphylokokken, Streptokokken, Enterokokken) bzw. deren Bestandteile und Toxine (Endo-/Exotoxine) ausgelöst werden. Auch Mischinfektionen mit Anaerobiern oder Infektionen mit Pilzen, Viren oder Parasiten können die Ursache sein.
16.5
Pathophysiologie
Im Verlauf der Sepsis kommt es infolge einer Stimulation von Immunsystem und Endokrinium zur Aktivierung und Freisetzung einer Vielzahl von humoralen und zellulären Mediatoren. Die beteiligten Systeme können sowohl kaskadenartig ablaufen als auch im Sinne eines Netzwerks verbunden sein. Die initial häufig überschießende Immun-
3 SIRS- 4 SIRS2 SIRSKriterien Kriterien Kriterien erfüllt erfüllt erfüllt
Sepsis
Schwere Septischer Sepsis Schock
antwort kann im Verlauf in eine Immunparalyse übergehen. Durch die Dysregulation der Entzündungsantwort kommt es bei schwerer Sepsis zu einer gestörten Vasoregulation und Endotheldysfunktion mit konsekutiver Distributionsstörung in der Makro- und Mikrozirkulation. Obwohl durch ein erhöhtes Herzzeitvolumen und therapeutische Sauerstoffgabe ein gesteigertes Sauerstoffangebot anzunehmen wäre, führt ein bei verminderter Utilisation reduzierter Sauerstoffverbrauch zur Hypoxie einzelner Organe oder Organbezirke. Im Bereich der Mikrozirkulation treten rheologische Störungen sowie eine gesteigerte transkapilläre Flüssigkeitssequestration mit interstitiellem Ödem und Abnahme des intravasalen Volumens auf. Trotz Volumensubstitution und meist deutlich gesteigertem Herzzeitvolumen (HZV) kann damit der durch Vasodilatation, Maldistribution und gestörter Sauerstoffutilisation beeinträchtigte Zellstoffwechsel nicht gesichert werden. Organminderperfusion, Zellhypoxie und intrazelluläre Energieverarmung sind die gemeinsame Ursache der Organdysfunktion und damit die Hauptfaktoren für die Entwicklung des Multiorganversagens.
II
238
Kapitel 16 · Neue Aspekte der Sepsisbehandlung
16.6
Therapie
Prinzipiell besteht die Sepsistherapie aus den Hauptsäulen
Fokussanierung, Antibiotikatherapie und supportiver Therapie, d. h. Organersatzverfahren etc.
16.7
Neue Aspekte
Zusätzlich zur Standardtherapie sind in den letzten drei Jahren verschiedene Therapien vorgeschlagen worden. Jede für sich senkte die Mortalität des septischen Patienten entscheidend. Einen Überblick über die im Folgenden beschriebenen Ansätze zeigt ⊡ Tabelle 16.1.
16.7.1 Drotrecogin alfa (aktiviert)
Eine weitere Säule, die Unterbrechung des ToxinMediator-Netzwerkes durch neuere Entwicklungen (Drotrecogin alfa), wird im nächsten Abschnitt besprochen. Die frühe adäquate Antibiotikagabe reduziert deutlich sowohl die Entwicklung als auch die Mortalität der Sepsis. Neben den lokalen Empfehlungen steht auch weiterführende Literatur, die sich speziell auf Studien an septischen Patienten bezieht [13]. Aus der Pathophysiologie ergibt sich die Notwendigkeit der hämodynamischen Unterstützung des Patienten, mit dem Ziel, Gewebsperfusion wiederherzustellen und den Zellmetabolismus zu normalisieren. Eine ausreichende Flüssigkeitssubstitution führt manchmal allein zu normalen Blutdrücken und zu hämodynamischer Stabilität. Die Volumengabe erfolgt primär nach Blutdruck, Herzfrequenz und Urinproduktion, dabei wurde der Vorteil von kristalloiden oder kolloidalen Lösungen bisher nicht eindeutig belegt [6]. Wenn der optimale Hämoglobingehalt (Hb) auch strittig ist, empfehlen die meisten Experten einen Hb von 9–10 g/dl. Vasopressoren (z. B. Norepinephrin) werden gegeben, wenn trotz Volumensubstitution kein adäquater Blutdruck erreicht wird. Septische Patienten werden bei schwerer Tachypnoe (>40 Atemzüge/min) oder schwerer Hypoxie (Sauerstoffsättigung <90%) trotz Sauerstoffgabe intubiert, analgosediert und beatmet. Weitere Grundsätze zur Therapie und des Managements der schweren Sepsis und des septischen Schocks sind in den Empfehlungen des »International Sepsis Forum« zusammengefasst [13].
Die Bindung des endogenen Proteins C (PC) an den Thrombin-Thrombomodulin-Komplex ist notwendig, um das Protein zu aktivieren. In der schweren Sepsis ist die Konversion des PC zu aktiviertem Protein C (APC) gestört durch eine generalisierte endotheliale Dysfunktion und verminderte Thrombomodulin-Spiegel durch inflammatorische Zytokine. Drotrecogin alfa (aktiviert) (rekombinantes humanes APC) weist mehrere Funktionen auf [9] (⊡ Abb. 16.2):
Hemmung der Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa und damit Reduktion der im septischen Schock pathophysiologisch bedeutsamen Bildung von Thrombin. Fibrinolyse durch Hemmung des PAI-1 (Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1) und Reduktion der Bildung von TAFI (Thrombin-aktivierbarer Fibrinolyse-Inhibitor). Hemmung proinflammatorischer Zytokine. Hemmung des »Rolling« neutrophiler Granulozyten.
Die Effektivität von Drotrecogin alfa (aktiviert) zur Reduktion der Mortalität bei Patienten mit schwerer Sepsis wurde in einer Multizenterstudie untersucht (PROWESS, »Protein C Worldwide Evaluation in Severe Sepsis«) [3]. Therapiert wurde über 96 h in einer Dosierung von 24 µg/kg/h bei Patienten mit schwerer Sepsis innerhalb von 48 h nach Auftreten des Organversagens. Die Mortalität wurde von 30,8% auf 24,7% signifikant reduziert
239
16.7 · Neue Aspekte
16
⊡ Tabelle16.1. Zusammenfassung der vier Interventionen und Empfehlungen zur klinischen Anwendung. (Aus [15])
Intervention
Population
Interventionszeit
Empfehlung
Drotrecogin alfa (aktiviert)
Patienten mit schwerer Sepsis (min. 3 SIRS-Kriterien und min. 1 Organversagen)
Innerhalb 48 h nach Diagnose der Organdysfunktion
Patienten mit schwerer Sepsis und einem erhöhten Risiko zu versterben (APACHE II >25, oder ≥2 Organversagen)
Early-goal-directedTherapy
Patienten mit 2 SIRS-Kriterien und systolischem RR ≤90 mm Hg oder Laktat ≥4 mmol/l
Vor Aufnahme auf die ITS
Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock sollten frühzeitig aggressiv hämodynamisch mit Volumen und Inotropika bei Indikation behandelt werden
Corticoidsubstitution
Refraktärer septischer Schock
So bald sich der refraktäre septische Schock entwickelt
Nach einem ACTH-Test Gabe von Corticosteroiden, bei Patienten mit relativer adrenaler Insuffizienz
Intensivierte Insulintherapie
Hauptsächlich chirurgische Patienten mit SIRS oder Sepsis
Aufnahme auf die ITS
Strenge Blutzuckerkontrolle im physiologischen Bereich
SIRS »systemic inflammatory response syndrome«, APACHE »Acute Physiology and Chronic Health Evaluation«, ITS Intensivstation; ACTH Adrenocorticotropes Hormon.
⊡ Abb. 16.2. Wirkmechanismus von Drotrecogin alfa (aktiviert) [Xigris®]. IL Interleukin; TNF-α Tumor-Nekrose-Faktor α; PAI-1 Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1; TAFI Thrombin-akti-
vierbarer Fibrinolyse-Inhibitor. (Mod. nach [3]). Abb. mit freundlicher Genehmigung der Fa. Lilly, Deutschland
240
Kapitel 16 · Neue Aspekte der Sepsisbehandlung
(p=0,006). Dieser Effekt war am deutlichsten bei Patienten mit
II einem Alter >50 Jahre, einem APACHE-II-Score >25 und Vorliegen eines septischen Schocks mit Mehrorganversagen.
⊡ Tabelle 16.2. Zielwerte der EGDT für zentral-venösen Druck (ZVD), mittleren arteriellen Druck (MAP) und zentralvenöse Oxyhämoglobinsättigung (ScvO2). (Aus [12])
Variable
Protokoll
ZVD
8–12 mm Hg (zu erreichen durch 500 ml Kristalloide alle 30 min)
MAP
≥65 ≤90 mm Hg (Vasopressoren, wenn <65 mm Hg; Vasodilatatoren, wenn >90 mm Hg)
ScvO2
Wenn <70%, EK-Transfusion bis Hämatokrit ≥30%
Die wichtigste Nebenwirkung der Substanz ist eine leicht erhöhte Blutungsneigung. Aus diesem Grund soll frühestens 12 h postoperativ mit der Therapie begonnen werden. Bedeutsam ist ebenfalls die Thrombozytenzahl: Bei weniger als 30 G/L Thrombozyten wird eine Applikation nicht empfohlen. Die PROWESS-Studie führte zur Zulassung des Wirkstoffes Drotrecogin alfa (aktiviert) in den USA und in Europa unter dem Namen Xigris. Laut Zulassung sind in Europa zwei oder mehr sepsisbedingte Organversagen zur Anwendung nötig. Sowohl die Dosierung als auch die Länge der Therapie sind wie oben beschrieben. Die Anwendung ist nicht so zeitkritisch wie Lyse-Therapien beim Myocardinfarkt, aber der Beginn sollte nicht verzögert werden, wenn ein Patient für diese Behandlung identifiziert ist. Der Erfolg der Behandlung lässt sich laborchemisch an einer Reduktion von Interleukin-6 und rückläufigen D-Dimeren und klinisch an einer zügigen Reduktion der Katecholaminpflicht feststellen. Vorübergehend kann es zu einer Verlängerung der PTT kommen.
EGDT-Gruppe war eine zentralvenös bestimmte Oxyhämoglobin-Sättigung (ScvO2) von mehr als 70%. Nach den Kriterien in ⊡ Tabelle 16.2 wurde Dobutamin in Schritten von 2,5 µg/kg KG/min (bis 20 µg/kg KG/min) bis zum Erreichen einer ScvO2 von mehr als 70% gegeben, falls diese noch nicht erzielt war. Die EGDT-therapierte Gruppe hatte eine absolute Mortalitätsreduktion von 16% nach 28 Tagen. Der entscheidende Unterschied lag in der Gabe von mehr Volumenersatz (inklusive Erythrozytenkonzentraten) und mehr Inotropika. Für die o.g. Studie wurde ein spezieller Katheter verwendet, aber in der täglichen Praxis kann als Ersatz die Kontrolle der ScvO2 durch eine Blutgasanalyse dienen. Dieses Vorgehen liefert natürlich nur diskontinuierlich weitere Hilfe bei der Therapieentscheidung.
16.7.2 »Early goal-directed therapy«
16.7.3 Intensivierte Insulintherapie
Eine zielgerichtete Therapie versucht die kardiale Vorlast, die Nachlast und die Kontraktilität zu optimieren, um das Sauerstoffangebot und den -verbrauch auszugleichen. Da frühere Studien auf einer ITS keinen eindeutigen Vorteil ergaben, versuchte man den Beginn dieser Therapie in den Bereich der Notaufnahme vorzuverlegen. In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurden Patienten vor Aufnahme auf eine ITS für 6 h nach einem festen Schema (EGDT) oder nach Standardtherapie behandelt [12]. Zielgröße in der
Eine Hyperglykämie, verursacht durch Insulinresistenz in Leber und Muskel, ist eine häufig vorkommende Störung bei Patienten einer Intensiveinheit. Bisher wurde erst therapiert, wenn der Blutzucker 12 mmol/l (215 mg/dl) überschritt. Dass eine Hyperglykämie (mehr als 6,1 mmol/l [110 mg/dl]) eine höhere Mortalität und Morbidität mit sich bringt, wurde in einer prospektiven Studie bewiesen, wobei der genaue Pathomechanismus nicht eindeutig geklärt ist [14]. Verglichen wurde die konventionelle Therapie (Insulintherapie ab
241
Literatur
12 mmol/l, Erhaltung des Blutzuckers zwischen 10 und 11 mmol/l [180 und 200 mg/dl]) mit einer intensivierten Insulintherapie (ab 6,1 mmol/l, Blutzucker zwischen 4,4 und 6,1 mmol/l [80 und 110 mg/dl]). Als höchste Applikationsdosis galten 50 IE Insulin pro Stunde. Der Blutzucker wurde in 1- bis 4-stündlichen Intervallen kontrolliert. Die Mortalität lag in der normoglykäm eingestellten Gruppe signifikant niedriger (4,6% vs. 8% in der konventionellen Gruppe, p=0,036). Zudem zeigten sich weniger Fälle einer Bakteriämie, Critical-Illness-Polyneuropathie, prolongierten Beatmung und Intensivbehandlung von mehr als 14 Tagen. Die Autoren der Studie wie auch eine Expertenkommission [15] empfehlen daher die strenge Blutzuckerkontrolle, insbesondere bei chirurgischen Patienten.
16.7.4 Corticoidsubstitution
Die Gabe von Steroiden wurde schon vor zwei Jahrzehnten in wesentlich höheren Dosierungen über einen sehr kurzen Zeitraum durchgeführt. Dieses führte zu einer erhöhten Mortalität durch einen Anstieg nosokomialer Infektionen. Dagegen wurde ein niedrig dosiertes Steroid gut toleriert und konnte den Patienten bei der Überwindung des septischen Schocks helfen [5]. Die Ursache liegt u. a. in der relativen adrenalen Insuffizienz bei ca. 50–75% der Patienten mit septischem Schock. Diese und andere Studien mündeten in einer multizentrischen Untersuchung, die Aussage über eine mögliche Reduktion der Mortalität des septischen Schocks treffen sollte [2]. Bei den mit niedrig dosiertem Cortison behandelten Patienten dieser Studie zeigte sich eine signifikante Reduktion der Mortalität (63% Placebogruppe vs. 53% Verumgruppe, p=0,023), wenn sie nicht adäquat auf einen ACTH-(Adrenocorticotropen Hormon-)Test reagiert hatten. Therapiert wurde mit täglichen Dosen von 200 mg Hydrocortison i. v. (4 Boli) und 50 µg Fludrocortison per os über 7 Tage. Eine kontinuierliche Infusion des Hydrocortisons ist ebenfalls möglich, ein Rebound-Phänomen kann allerdings häufiger als bei diskontinuierlicher Gabe auftreten. Klinisch gestaltet sich die Gabe von Fludrocortison per os problematisch, da
16
viele Patienten an einem hohen Reflux leiden, der diesen Applikationsweg fragwürdig macht. Auch wenn das Ergebnis des ACTH-Tests noch nicht vorliegt, kann mit der Substitution begonnen werden. Sollte der Patient normal auf den Test reagieren, wird das Absetzen der Therapie empfohlen. Fazit Trotz aller Verbesserungen in der postoperativen Nachbetreuung zählt die Sepsis zu den zehn häufigsten Todesursachen. Nachdem in der Vergangenheit viele Versuche fehlgeschlagen waren, die Mortalität der Sepsis entscheidend zu senken, wurden in den letzten Jahren neue Ansätze zusätzlich zur Standardtherapie, zum Management der schweren Sepsis oder des septischen Schocks veröffentlicht. Neben einer möglichst frühzeitigen aggressiven Therapie zur Wiederherstellung adäquater Kreislaufverhältnisse treten die Behandlung einer relativen adrenalen Insuffizienz durch moderate Cortisonsubstitution, die Kontrolle des Blutzuckers im Rahmen der physiologischen Grenzen durch Insulin und die Gabe eines für die schwere Sepsis zugelassenen Wirkstoffes (Drotrecogin alfa [aktiviert]). Entscheidend für die rechtzeitige und adäquate Anwendung dieser Therapien ist die Diagnose der Sepsis. Geht wertvolle Zeit verloren und entwickelt sich die Sepsis weiter, verschlechtert sich die Prognose. Daher ist eine Kenntnis der klinischen Symptome in Abgrenzung zu Vorund Begleiterkrankungen unabdingbar.
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242
II
Kapitel 16 · Neue Aspekte der Sepsisbehandlung
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17 Pharmakotherapie der interstitiellen Zystitis A. van Ophoven, L. Hertle
17.1
Einleitung
17.2
Oralsystemische Therapie der interstitiellen Zystitis
17.2.1 17.2.2
17.2.3 17.2.4 17.2.5 17.2.6 17.2.7 17.2.8
Analgetika und Anästhetika – 245 Antiallergika – 245 Histaminrezeptor-Antagonisten – 245 Mastzellstabilisatoren – 245 Antidepressiva – 246 Anticholinergica – 247 Natriumpentosanpolysulfat – 247 Prostaglandine – 247 L-Arginin – 247 Immunsuppressiva – 248
17.3
Intravesikale Therapie der interstitiellen Zystitis
17.3.1 17.3.2 17.3.3 17.3.4 17.3.5 17.3.6 17.3.7
Natriumpentosanpolysulfat – 249 Heparin – 250 Dimethylsulfoxid – 250 Bacillus Calmette-Guérin – 251 Hyaluronsäure – 251 Chondroitinsulfat – 252 Hydrodistension der Blase – 252
17.4
Ausblick
Literatur
– 255
– 244
– 253
– 245
– 248
II
244
Kapitel 17 · Pharmakotherapie der interstitiellen Zystitis
17.1
Einleitung
Die interstitielle Zystitis (IC) ist eine seltene und komplexe Form der Harnblasenentzündung, welche bereits 1836 erste schriftliche Erwähnung findet [78] und 1887 von Skene detailliert beschrieben wird [105]. Neusten medizinhistorischen Erkenntnissen nach wird die Erstbeschreibung des Krankheitsbildes P.S. Physik zugeschrieben, der im Jahre 1808 wiederholt über eine Blasenerkrankung doziert hat, welche man retrospektiv glaubt als IC identifiziert zu haben [85]. Hinsichtlich der Pathogenese dieser chronischen Krankheit, die durch
Pollakisurie, imperativen Harndrang und chronischen Unterleibsschmerz im Bereich der Harnblase, des Genitals und der Dammregion gekennzeichnet ist,
gibt es zahlreiche Hypothesen. Nach wie vor ist aber der genaue Pathomechanismus dieser Krankheit unklar. Zahlreiche ätiologische Faktoren sind in diversen Hypothesen aufgegriffen worden; keine der zahlreichen Untersuchungen konnte jedoch eine definitive Ursache für die Entstehung der IC herausarbeiten. Auch wenn die meisten dieser Faktoren eher Teil des Circulus vitiosus sind und weniger diesen initiieren, sind sie doch gelegentlich sinnvolle therapeutische Ziele, um dem Patienten die ersehnte Linderung zu verschaffen. Denn im Widerspruch zu ihrem als gutartig definierten Charakter erweist sich die IC alles andere als gutmütig: sie kompromittiert durch die o. g. Symptome eine normale Lebensführung und führt gelegentlich Patienten durch die extreme Reduktion ihrer Lebensqualität bis an den Rand des Suizids. In Unkenntnis der Ätiologie und Pathogenese der IC ist ihre kausale Behandlung zurzeit nach wie vor nicht möglich. Die meisten der bislang veröffentlichten Therapiestudien weisen darüber hinaus das generelle Manko auf, weder randomisiert noch doppelblind oder placebokontrolliert durchgeführt worden zu sein und genügen in sofern nicht
⊡ Tabelle 17.1. Pharmakologische Therapiestrategien zur Behandlung der IC
Oral-systemisch
Intravesikal
Analgetika und Anästhetika
Natriumpentosanpolysulfat
Antiallergika
Heparin
Antidepressiva
Dimethylsulfoxid
Anticholinergica
Bacillus-CalmetteGuérin
Natriumpentosanpolysulfat
Hyaluronsäure
Prostaglandine
Chondroitinsulfat
L-Arginin
Hydrodistension der Blase
Immunsuppressiva
den Ansprüchen einer evidenzbasierten Medizin (EBM) [73]. Zahlreiche Anwendungsbeobachtungen und Fallberichtsammlungen lassen einen systematischen Ansatz vermissen und tragen zu einer Strukturierung der IC-Therapie i. Allg. nicht bei. Infolge dessen existiert zurzeit keine standardisierte, allgemein anerkannte und EBM-validierte Therapiestrategie. Vielmehr muss das individuelle Krankheitsbild inklusive der sozialen Umstände des Patienten sowie die Kenntnis über etwaige, oftmals frustrane Vortherapien in das Therapiekonzept einfließen. Rovner hat aus der US-amerikanischen IC-Patienten-Datenbank unter 581 Patientinnen 153 unterschiedliche Therapieverfahren herausarbeiten können. Aus dieser unüberschaubaren Vielzahl von therapeutischen Ansätzen sollen im Folgenden bekannte sowie bedeutsame und innovative pharmakologische Therapiestrategien, welche man in oral-systemische und intravesikale Behandlungen unterteilen kann (⊡ Tabelle 17.1) vorgestellt und anhand von Studiendaten hinsichtlich ihrer Wirksamkeit skizziert werden [118].
245
17.2 · Oralsystemische Therapie der interstitiellen Zystitis
17.2
Oralsystemische Therapie der interstitiellen Zystitis
17.2.1 Analgetika und Anästhetika
Zur Linderung der Algurie und Dysurie werden bei IC-Patienten analgesierende Medikamente individuell auf die Schmerzintensität des Patienten adaptiert. Hierbei kommt es zum Einsatz von nichtsteroidalen Antiphlogistika (z. B. Diclofenac oder Metamizol) bis hin zur regelmäßigen Verabreichung von Morphinderivaten. Ergänzend können Lokalanästhetika (z. B. Lidocain) in die Harnblase instilliert werden [46]. Gabapentin ist ein Antikonvulsivum mit unklarem, therapeutischem Effekt auf neurogene/ neuropathische Schmerzen. In einem initialen Bericht über zwei IC-Patienten wurde über eine Verbesserung des Gesamtzustandes und adäquate Schmerzkontrolle nach Ergänzung des Therapieregimes um Gabapentin berichtet [39]. In einer Folgestudie an 21 Patienten mit chronischem Schmerzsyndrom der Urogenitalregion konnte eine Schmerzreduktion bei 10 Patienten erzielt werden. Die Studie schloss 8 IC-Patienten ein, von denen 5 von der Gabapantingabe profitierten [101]. Ein einheitliches, standardisiertes Konzept zur Schmerztherapie bei interstitieller Zystitis liegt zurzeit noch nicht vor. Prinzipiell sollte man allerdings den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Therapie von chronischen Schmerzen folgen [69].
17.2.2 Antiallergika
Histaminrezeptor-Antagonisten Histaminrezeptor-Antagonisten spielen in der oralen Therapie der interstitiellen Zystitis seit langem eine zentrale Rolle. Sie inhibieren die Histaminausschüttung aus Mastzellen und interagieren weitläufig in der Pathophysiologie der Mastzellen, denen eine zentrale Rolle im pathophysiologischen Geschehen der interstitiellen Zystitis beigemessen wird [53, 110–112]. Darüber hinaus weisen die antihistaminergen Medikamente analgetische Eigenschaften auf [97, 98].
17
Trotz der weit verbreiteten Anwendung der Antihistaminika in der IC-Therapie veröffentlichten Thilagarajah et al. erst im Jahre 2001 eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie zur Anwendung des H2-Rezeptor-Blockers Cimetidin [113]. 36 Patienten wurden im Rahmen dieser Studie mit 2×400 mg Cimetidin pro Tag therapiert. Die Autoren evaluierten 34 dieser 36 Patienten ohne Angabe ihres Follow-up-Intervalls und berichten über einen statistisch signifikanten Rückgang im Symptom-Score sowie über einen statistisch signifikante Besserung von Schmerz und Nykturie. Harndrang, Pollakisurie und Dysurie waren ebenfalls in dieser Studie unter Anwendung von Cimetidin rückläufig, eine statistische Signifikanz wurde hierbei jedoch nicht erzielt. 1994 berichtete Theoharides über 40 IC-Patienten, die mit dem H1-Rezeptor-Antagonist Hydrocyzin (z. B. Atarax) im Rahmen einer nichtrandomisierten Studie behandelt wurden. Die Patienten wurden im Mittel 4,7 Monate mit jeweils 75 mg Hydroxyzin behandelt. Bei 37 Patienten konnte eine Verbesserung des Symptom-Scores für Pollakisurie, Nykturie und Algurie sowie Blasenschmerz und Dyspareunie erzielt werden [109]. Im September 2003 wurde eine vierarmige, multizentrische Studie, in deren Rahmen Hydroxyzin alleine und in Kombination mit Pentosanpolysulfat (Abschn. 17.2.5) gegen Placebo getestet wurde, veröffentlicht [100]. Beide Medikamente konnten die Beschwerden der Patienten weder nach Einzelgabe noch in Kombination statistisch signifikant beeinflussen. Befürworter der antihistaminergen Therapie verweisen jedoch auf die oftmals starken jahreszeitlichen Schwankungen sowohl der IC-Symptomintensität als auch des Ansprechens auf Antiallergika und sehen bei der hiervon betroffenen Gruppe von IC-Patienten repetitive Therapieversuche mit Antihistaminika als gerechtfertigt an.
Mastzellstabilisatoren Flavonoide sind pflanzliche Bestandteile, die antioxidierende, zytoprotektive und antientzündliche Aktivität aufweisen [68]. Zahlreiche dieser Bioflavonoide hemmen entzündliche Zellvorgänge, unterdrücken die Histaminausschüttung aus basophilen Zellen und wirken antiproliferativ auf menschliche Lymphozyten. Das Flavonoid Quer-
246
II
Kapitel 17 · Pharmakotherapie der interstitiellen Zystitis
ceptin inhibiert darüber hinaus auch die Mastzellsekretion [68, 86] und -proliferation [1]. Die Wirkung des Querceptins wird über die Phosphorylierung eines speziellen Proteins, dem sog. MACEDONIA-Protein (»MAst CEll DegranulatiON Inhibitors Agent«) vermittelt [110]. Querceptin findet sich im Fruchtfleisch von Citrusfrüchten und in zahlreichen Pflanzensamen, insbesondere im Olivenöl [9]. Querceptin wurde in einer prospektiven, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie zur Behandlung der chronischen Prostatitis eingesetzt (Dosis: 500 mg 2×tägl.) [103]. 67% der mit dem Verum behandelten Prostatitispatienten (n=17) zeigten eine signifikante Verbesserung ihrer Symptome im Vergleich zur Placebo-Gruppe (n=13). Eine Übertragung der Studienergebnisse auf IC-Patienten muss zurzeit noch kritisch diskutiert werden, da die gleiche Arbeitsgruppe bislang nur in einer offenen Therapiestudie mit 22 IC-Patienten nach 4-wöchiger Therapie in o. g. Dosierung über Linderung berichtet [45]. In den USA wird Querceptin als Monopräparat und als Kombinationspräparat unter Zusatz des Proteoglykans Chondroitinsulfat angeboten (Abschn. 17.3.6).
17.2.3 Antidepressiva
Amitriptylin ist ein trizyklisches Antidepressivum, welches in placebokontrollierten Studien schmerzheilende bzw. -lindernde Wirkung bei postherpetischer Neuralgie, diabetogener Neuropathie und chronischem Gesichtsschmerz bewiesen hat [20, 102, 116]. Für die Therapie der IC ist Amitriptylin erstmals 1989 einer nichtrandomisierten, offenen Studie bei 25 IC-Patienten eingesetzt worden: Bei 8 Patienten trat ein vollständiger Schmerzrückgang ein, bei 11 Patienten wurde ein Rückgang der Drangsymptomatik beschrieben. Von insgesamt 9 Frauen, die unter schmerzhaftem Geschlechtsverkehr gelitten hatten, konnte bei 8 ein vollständiges Ausbleiben der Dyspareunie erzielt werden [36]. Eine aktuelle prospektive, placebokontrollierte Doppelblindstudie aus dem Jahr 2004 bestätigt die
gute Wirksamkeit vom Amitriptylin bei IC [115]. 50 IC-Patienten (44 Frauen, 6 Männer) erhielten randomisiert Verum oder Placebo. Die Behandlung erfolgte über 4 Monate nach einem Selbsttitrierungsschema, welches den Patienten erlaubt, durch wöchentliche Dosissteigerungen von 25 mg ihre individuelle Wirkdosis zu finden. Die Maximaldosis betrug 100 mg Amitriptylin, die Medikamenteneinnahme erfolgte streng zur Nacht. Es wurde ein statistisch signifikanten Rückgang im IC-spezifischen Symptomindex und in der Schmerz- als auch Drangintensität beobachtet. Die Miktionsfrequenz und das funktionelle Blasenvolumen verbesserten sich in der Amitriptylin-Gruppe deutlich stärker als in der Placebo-Gruppe; die Unterschiede zwischen den Therapiegruppen zeigten hierbei statistisch einen starken Trend zur Signifikanz. Die anticholinergen Nebenwirkungen des Präparates stellten den wesentlichen Nachteil dieser Therapieform dar. Diese wurden von 22 Patienten der Amitriptylin-Gruppe (92%) und von 5 Patienten der Placebo-Gruppe (21%) berichtet. Mundtrockenheit war mit 79% die häufigste Nebenwirkung in der Verum-Gruppe. Der schmerzlindernde Mechanismus des Amitriptylins i. Allg. und bei der IC im speziellen ist unklar. Seine bekannte anticholinerge und sedative Wirkung wird für die Reduktion des Harndranges und der Miktionsfrequenz (mit)verantwortlich gemacht. Die eigentliche Schmerzreduktion wird wahrscheinlich über eine Hemmung der Wiederaufnahme von Neurotransmittern herbeigeführt (v. a. Serotonin-reuptake-Hemmung). Das resultierende Überangebot dieser Neurotransmitter soll die Schmerzverarbeitung und -weiterleitung im Rückenmark und Gehirn im Sinne einer pharmakologischen Neuromodulation beeinflussen. Die Wirkung von Amitriptylin wird hierbei nicht durch eine Verbesserung der Stimmungslage des Patienten vermittelt [65]. Es ist weiterhin beobachtet worden, dass Amitriptylin die Freisetzung von Histamin aus Mastzellen unterbinden kann [26]. Die selbsttitrierte Amitriptylineinnahme stellt für den Autor die erste Wahl der pharmakologischen Therapieoptionen bei IC dar.
247
17.2 · Oralsystemische Therapie der interstitiellen Zystitis
17.2.4 Anticholinergica
Tolterodin (Detrusitol) ist in einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie bei 177 Patienten mit überaktiver Blase angewandt worden und zeigte in der Low-dose-Gruppe (2×1 mg/Tag) eine signifikante Unterdrückung der Miktionsfrequenz und in der High-dose-Gruppe (2×2 mg/Tag) zusätzlich eine signifikante Verbesserung von Harndrang und Miktionsvolumen [64]. In einer Vergleichsstudie zeigte Tolterodin eine gleich gute Wirksamkeit wie Oxybutynin bei besserer Verträglichkeit [63]. Für die Behandlung der IC besitzen die Anticholinergika keinen Stellenwert, da sie fast ausnahmslos unwirksam sind [90]; ein Therapieansprechen stellt nach den Diagnosekriterien des National Institute of Diabetes, Digestive and Kidney Diseases (NIDDK) ein Ausschlusskriterium dar! Auch wenn die NIDDK-Kriterien sehr restriktiv sind und prinzipiell als ein Instrument zur Homogenisierung von Studienpopulationen zu verstehen sind, so sollte im klinischen Alltag ein Therapieansprechen auf Anticholinergika als sehr starkes Indiz dafür gewertet werden, dass das Symptombild des Patienten auf eine andere Blasenfunktionsstörung hinweist als auf eine IC.
17.2.5 Natriumpentosanpolysulfat
Das aus Buchenholz gewonnene semisynthetische Polysaccharid Natriumpentosanpolysulfat, ist ein häufig rezeptiertes Medikament zur Therapie der IC. In den USA ist es das einzige von der FDA zugelassene orale Medikament zur Behandlung der IC (Elmiron). Das Wirkkonzept des Natriumpentosanpolysulfats basiert auf einer Veränderung der natürlichen Adhärenz der Blasenschleimhaut infolge erhöhter Wasserbindung (sog. Coating-Effekt). Die Bildung einer zusätzlichen Wasserschicht zwischen Urothel und Blaseninhalt soll dabei die Adhärenz von Bakterien, Kristallen und Proteinen vermindert und der potenziell schädigende Einfluss dieser Substanzen auf das Urothel verringert werden. In seiner Metaanalyse kommt Hwang nach Analyse von insgesamt 4 randomisierten, doppelt-
17
blinden, placebokontrollierten Studien [41, 71, 80, 83] zur Schlussfolgerung, dass »Pentosanpolysulfat in der (oralen) Therapie von Schmerz, Harndrang und Pollakisurie effektiver als ein Placebo ist, in der Therapie der Nykturie jedoch nicht« [43, S. 43]. Die häufigste Nebenwirkung der Natriumpentosanpolysulfat-Therapie in der empfohlenen Dosis von ca. 300–400 mg/Tag ist bei 10% der Patienten Übelkeit. Die von Patientinnen besonders gefürchtete Alopezie (in ca. 2,5% der Fälle) scheint jedoch vollständig reversibel zu sein und ist vom Autor bislang noch nicht beobachtet worden. Wegen der oralen Bioverfügbarkeit von ≤5% und einer bis zu 11-monatigen Latenzzeit bis zum Wirkeintritt muss das Präparat stets über einen langen Zeitraum eingenommen werden [35]. Höhere Dosen von bis zu 900 mg/Tag erhöhen die Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen und weisen keine höhere Wirksamkeit auf [81].
17.2.6 Prostaglandine
Prostaglandine haben neben ihrer durchblutungsfördernden Wirkung einen zytoprotektiven Effekt auf Schleimhäute. In einer Open-label-Studie bei 25 IC-Patienten wurde von Kelly et al. das orale Prostaglandinanalogon Misoprostol in einer Dosierung von 600 mg/Tag über 3 Monate eingesetzt. Die Autoren berichten über eine signifikante Symptomverbesserung bei 56% nach 3 Monaten bei 48% ihrer Studienteilnehmer nach einem »Follow-up« von 9 Monaten. Die bekannten Nebenwirkungen der Prostaglandine (Bauchschmerzen, Magenkrämpfe, Diarrhö) führten in der Studie zum vorzeitigen Therapieabbruch von insgesamt 9 Patienten [46].
17.2.7 L-Arginin
Stickoxid (NO) ist ein bekannter Vasodilatator und Neurotransmitter [16, 61]. Darüber hinaus ist es in der Nociception und Schmerzverarbeitung auf Rückenmarksebene involviert [67]. Für verschiedene Typen von Zystitiden inklusive der IC sind bis zu 50fach erhöhte NO-Spiegel nachgewiesen und als Ausdruck einer inflammatorischen Entzündung
248
II
Kapitel 17 · Pharmakotherapie der interstitiellen Zystitis
gewertet worden [62]. L-Arginin soll als Substrat der Stickoxidsynthetase über eine erhöhte Stickoxidkonzentration relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur vermitteln. Obwohl im Urin von IC-Patienten eine reduzierte Aktivität der Stickoxidsynthetase (NOS) als auch eine reduzierte Aktivität des zyklischen Guanosinmonophosphates (cGMP) beschrieben worden ist [106] zeigt die Anwendung von L-Arginin Wirkung. In ihrer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie aus dem Jahre 1999 verabreichten Korting et al. 1,5 g L-Arginin pro Tag über einen Zeitraum von 3 Monaten [48]. Die Autoren beschreiben eine signifikante Verbesserung von Harndrang, Schmerzfrequenz und Intensität und erzielten bei 6 von 21 Patienten, die das Verum-Präparat erhalten hatten, Linderung. Der gleiche Erfolg wurde bei 2 von 25 Placebo-Patienten erzielt. In einer Intent-to-treat-Analyse fand sich jedoch kein Unterschied zwischen der Placebo- und VerumGruppe. Wesentlich schlechter fielen die Therapieergebnisse mit L-Arginin von Cartledge et al. aus. 16 Patienten wurden in dieser ebenfalls randomisierten, doppelblind und placebokontrollierten Crossover-Studie mit 2,4 g L-Arginin pro Tag für insgesamt 1 Monat behandelt. In keinem der untersuchten Parameter konnte eine signifikante Verbesserung aufgezeigt werden. Linderung der Beschwerden traten bei 3 Verum-Patienten sowie bei einem Placebo-Patienten auf [13].
17.2.8 Immunsuppressiva
Die Assoziation der IC mit Autoimmunerkrankungen und Kollagenosen führte zu Therapieversuchen mit Immunsuppressiva [2, 14, 32, 74, 75]. Azathioprin wurde von Oravisto et al. bereits 1976 bei 38 IC-Patienten oral eingesetzt [76]. Die initiale Dosis von 150 mg wurde auf eine Erhaltungsdosis von 50–100 mg innerhalb von 2 Wochen reduziert. 21 Patienten gaben hierunter Schmerzfreiheit an und 20 Patienten berichteten über eine deutliche Reduktion ihrer Miktionsfrequenz. Eine Leukopenie wurde bei keinem Patienten beobachtet. Zyklosporin wurde von Forsell et al. bei insgesamt 11 IC-Patienten eingesetzt [29]. Die tägliche
Dosierung des oralen Medikamentes betrug 2,5– 5 mg/kg Körpergewicht für die ersten 2–3 Wochen. Hiernach schloss sich eine Erhaltungstherapie von bis zu 3 mg/kg Körpergewicht an. Im Miktionstagebuch konnte ein signifikanter Rückgang der Miktionsfrequenz unter Zunahme der funktionellen Blasenkapazität verzeichnet werden. Nach Absetzen der Medikation traten bei den meisten Patienten jedoch wieder Symptome auf. Die Therapie der IC mit Immunsuppressiva sollte nach Ansicht der Autoren wegen der Nebenwirkungen bei fraglicher Wirksamkeit der Medikamente unterlassen werden.
17.3
Intravesikale Therapie der interstitiellen Zystitis
Beim intravesikalen Therapieansatz steht der hohen lokalen Wirkkonzentration eines Medikamentes mit geringer systemischer Nebenwirkung oftmals die mangelnde Akzeptanz der Patienten gegenüber. Aufgrund der starken Blasen- und oft auch ausgeprägten urethralen Beschwerden akzeptieren die Patienten die Katheterisierung auch nach vorheriger Instillation von Lokalanästhetika oftmals nicht. Diese können aber gelegentlich die Blasenreizung reduzieren und an sich symptomlindernd wirken und in zweiter Instanz die Akzeptanz anderer Instillate erhöhen. Patienten mit schwerer IC-Erkrankung können selten intravesikale Verweilzeit über 30 min erbringen. Atropinhaltige Suppositorien (z. B. Ichtho-Bellol-Zäpfchen) können evtl. die Akzeptanz der Instillation und somit die Verweilzeit erhöhen. Beispiele für verschiedene »Blasencocktails« sind in ⊡ Tabelle 17.2 aufgelistet. Die Wirksamkeit analgetischer Blaseninstillationen kann generell durch die EMDA-Methode (Elektro Motive Drug Administration) gesteigert werden. Bei der EMDA-Anwendung wird mit Hilfe von elektrischem Strom das gezielte Einbringen von Arzneimitteln in hoher Konzentration in bestimmte Gewebe ermöglicht. Basierend auf dem Wirkprinzip der Iontophorese (=aktiver Transport von ionisierten Molekülen, bedingt durch ein elektrisches Feld) und der Elektophorese (=Transport von ionisierten oder nichtionisierten Molekülen durch Bindung an ein hydratisiertes Trägermole-
249
17.3 · Intravesikale Therapie der interstitiellen Zystitis
17
⊡ Tabelle 17.2. Zusammensetzung und Anwendungshinweise verschiedener Instillationslösungen
Zusammensetzung
Applikationsfrequenz
Applikationsintervall
Quelle
Heparin 10.000 IE, 10 ml Bubivacain 0,5%
3×wöchentlich bis täglich
7 Tage
Chris Payne, Standford University, California
50 ml DMSO 50%, 100 mg Prednisolon, 10 ml Bubivacain 0,5%, 5 ml Natriumbicarbonat
Dito
Dito
Chris Payne, Standford University, California
50 ml DMSO, 10–20.000 IE Heparin, 40 mg Triamcinolon, 10 ml Natriumbicarbonat, 80 mg Gentamycin
Initial 1×wöchentlich, dann 2, 3 und 4 wöchentlich
Initial 6–8 Wochen, ausschleichend
Robert Moldwin, Long Island Jewish Medical Center, New York
30–40 ml Bubivacain 0,5% + Lidocain 2% (1:1 Mischung), 10–20.000 IE Heparin, 40 mg Triamcinolon, 80 mg Gentamycin
Wöchentlich in Praxis oder 3× wöchentlich durch Selbstkatheterismus
Initial bis zu 12 Wochen, bei Wirkung Ausschleichen mit Intervallverlängerung
Robert Moldwin, Long Island Jewish Medical Center, New York
20 ml, 10.000 IE Heparin in 10 ml, 100 mg Hydrokortison in 5 ml NaCl, 40 ml Natriumbicarbonat (48 mmol), ggfs. 80 mg Gentamycin bei Harnwegsinfekt
Wöchentlich, bei prämenstrueller Symptomexazerbation stets vor Mens
6 Wochen, monatlich
Kristene Whitmore, Graduate Hospital, Philadelphia, Pennsylvania
kül, welches iontophoretisch transportiert wird) ist es möglich, auf elektrochemischem Weg wasserlösliche Arzneimittel, ionisiert oder nichtionisiert, in die Blasenwand zu transportieren. Hierdurch werden intravesikal applizierte Medikamente tiefer und kontrollierter in das Gewebe eingebracht als es bei herkömmlicher Blaseninstillation infolge passiver Diffusion geschieht. Die EMDA-Therapie wird auf urologischem Gebiet vielfältig eingesetzt. Zu erwähnen sind hier insbesondere
Lokalanästhesie der Blasenwand [28, 44], intravesikale Chemotherapie [11] sowie Behandlung von neurogenen Blasenentleerungsstörungen [19].
Zur Anwendung der EMDA-Therapie bei IC liegen mehrere Publikationen vor [27, 34, 94, 95]. In keiner
der genannten Behandlungsbeobachtungen traten gravierende Nebenwirkungen oder Komplikationen im Rahmen der EMDA-Therapie auf. Dies gilt auch für die wiederholte EMDA-Behandlung. Die verwendete Konzentration der instillierten Substanzen Lidocain, Dexamethason und Adrenalin sowie ggf. Buscopan variierte in den verschiedenen Studien, auch wurden unterschiedliche Behandlungszeiten verwendet. Zusammenfassend zeigten alle Untersuchungen insbesondere eine Reduktion der Miktionsfrequenz sowie der Schmerzsymptomatik und dadurch nicht zuletzt auch eine gesteigerte Lebensqualität.
17.3.1 Natriumpentosanpolysulfat
Der o. g. generelle Vorteil einer hohen lokalen Wirkkonzentration scheint insbesondere beim Pentosanpolysulfat offensichtlich, da wie zuvor erläutert bei oraler Applikation lediglich maximal 5%
250
II
Kapitel 17 · Pharmakotherapie der interstitiellen Zystitis
der Wirksubstanz die Blase erreichen. In einer placebokontrollierten, doppelblinden Studie wurde bei 20 Patientinnen einmal pro Woche eine Instillation von Pentosanpolysulfat durchgeführt, welches in 50 ml 0,9%iger Kochsalzlösung aufgelöst worden war. Nach dem Behandlungszeitraum von 3 Monaten, berichteten 4 Patienten der VerumGruppe und 2 Patienten der Placebo-Gruppe über einen therapeutischen Erfolg. Nahm in der VerumGruppe die Nykturiefrequenz von 4,0 auf 2,8 Toilettengänge ab, so blieb die 24-h-Miktionsfrequenz in beiden Gruppen jedoch bei 18 Toilettengängen pro Tag unverändert. Die funktionelle Blasenkapazität steigerte sich in der Verum-Gruppe von 226 ml auf 265 ml [4]. Eine irritative Symptomatik infolge der intravesikalen Applikation wurde nicht berichtet.
20 Frauen einen negativen Test auf, lediglich 7 Frauen hatten unveränderten Drang und Schmerz unter Testung. Unter den Probanden befanden sich 10 Frauen mit IC, von denen 8 eine Symptomlinderung und 4 einen negativen Parsons-Test nach Heparin-Instillation vorwiesen. ⊡ Tabelle 17.2 zeigt, dass Heparin in fast jeder der unterschiedlichen Instillationskompositionen als Bestandteil aufgeführt wird. An dieser Stelle soll auch erwähnt werden, dass in der Literatur über Symptomlinderung nach subkutaner Heparin-Gabe von 5.000 I.E. 1- bis 3-mal wöchentlich berichtet wird, wobei die Arbeitsgruppe bei 8 Patienten eine Linderung der Symptome über mindestens 12 Monate beobachtete [59, 60]. Die Autoren können die Wirksamkeit von subkutaner Heparingabe bei mehreren Patienten bestätigen.
17.3.2 Heparin 17.3.3 Dimethylsulfoxid
Heparin entfaltet seine Wirkung durch Wiederaufbau der geschädigten Glykosaminoglykanschicht des Urothels und schützt in ähnlicher Art wie das Pentosanpolysulfat die Blasenmusukulatur somit vor Noxen aus dem Urin. Darüber hinaus wird die Fibroblasten- und Mastzellaktivität durch Heparin unterdrückt [23]. In einer offenen, prospektiven Studie mit 48 Patienten wurden 3-mal wöchentlich 10.000 I.E. Heparin intravesikal appliziert, wobei ein Kontakt zwischen Medikament und Blasenurothel mindestens eine Stunde bestand. Nach einer Behandlungszeit von 3 Monaten berichteten 56% der Patienten über subjektive Besserung, die Nykturiefrequenz sank von 3,9 auf 2,2 Toilettengänge. Der Wirkeintritt trat bei vielen Patienten erst mit Verzögerung von bis zu 6 Monaten ein. Ein Jahr nach Therapiebeginn berichteten 16 Patienten über eine Besserung verbunden mit dem Wunsch, die Therapie fortzusetzen [82]. Kuo berichtet über eine unkontrollierte Studie, in deren Rahmen 25.000 I.E. Heparin 2-mal wöchentlich über 3 Monate hinweg instilliert wurden [49]. Der Autor behandelte 40 Frauen mit einem Urgency-Frequency Syndrom, die alle einen positiven Kaliumtest in der Technik nach Parsons aufwiesen (Abschn. 17.3.5). Nach Therapie wiesen
Bei dem fett- und wasserlöslichen Lösungsmittel Dimethylsulfoxid (DMSO) kommt es zu einer chemischen Zystitis infolge der Auflösung von Kollagen. Durch dies Noxe kommt es zur nervalen Erschöpfung nociceptiver Afferenzen und folgender Symptomunterdrückung [6]. DMSO wird des Weiteren eine analgetische und entzündungshemmende sowie relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur zugeschrieben [77]. Die durch die chemische Zystitis hervorgerufenen Tenesmen treten bei ca. 10% der behandelten Patienten auf. In einer randomisierten, auswerterblinden, placebokontrollierten Cross-over-Studie behandelten Perez-Marrero et al. insgesamt 33 Patienten, denen 4×50 ml 50%iges DMSO im 2-Wochenintervall intravesikal appliziert wurde [88]. Neben urodynamischen Untersuchungen legten die Patienten ein Miktionsprotokoll an und füllten regelmäßig Befindlichkeitsskalen aus. Von den 33 Patienten wurden 32 in der Studie ausgewertet, wobei subjektive Verbesserungen unter DMSO von 53% der Patienten angegeben wurden (18% in der PlaceboGruppe). Eine mittels der o. g. Evaluationsinstrumente erhobene objektive Verbesserung konnte bei 93% der Verum-Patienten nachgewiesen werden (35% in der Placebo-Gruppe). Ein generelles
251
17.3 · Intravesikale Therapie der interstitiellen Zystitis
Problem von Studien mit DMSO ist jedoch, dass die Substanz mit einem deutlichen Knoblauchgeruch über die Lunge abgeatmet wird. 70% der Patienten der o. g. Studie erkannten das Verum am eigenen Fötor. Weitere nicht kontrollierte Studien geben die Erfolgsrate von DMSO mit 50–70% an und berichten über Therapieerfolge von 1–2 Monaten [99]. Aktuelle Studiendaten weisen darauf hin, dass eine 25%ige DMSO-Lösung gleich starke Wirkung bei reduzierten Nebenwirkungen zeigt [66]. Angesichts eines Fallberichtes über Pigmentablagerungen in der Augenlinse nach DMSO-Applikation sollten regelmäßige ophtalmologische Nachuntersuchungen erfolgen [96].
17.3.4 Bacillus Calmette-Guérin
Die intravesikale Anwendung von Bacillus Calmette-Guérin (BCG) induziert eine Urocystitis und sekundär eine lokale Immuninduktion, welche nicht nur in Therapie des Carcinoma in situ der Harnblase sondern auch zur Therapie der interstitiellen Zystitis genutzt wird [8]. Auf immunologischer Ebene wird hierbei der Wechsel von einer THelfer-2- zur T-Helfer-1-Immunantwort vermutet, infolge dessen es zu einer erhöhten Expression von Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), Interferon-γ (IF-γ) sowie zur Downregulation von Interleukin-1, -2 und -6 kommt. Hierdurch nimmt die Histaminausschüttung aus histaminergen Zellen ab und entzündliche Prozesse werden unterdrückt [7, 91]. Die Arbeitsgruppe von Peters berichtet in ihren randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studien von 1997 und 1998 positiv über die Anwendung von BCG zur Therapie der IC [40, 89]. In der initialen Studie mit 30 Patienten verabreichten die Autoren einmal wöchentlich BCG bzw. ein Placebo über einen Zeitraum von 6 Wochen. 9 der 15 BCG-Patienten wurden als »Responder« identifiziert, welche in der 2. Studie über 27 Monate weiterverfolgt wurden. Bei 8 Patienten erzielten die Autoren einen Schmerzrückgang von 81%, die dysurischen Beschwerden gingen um 82% zurück. Es wurde eine Reduktion des Harndranges um 71% und eine Zunahme der Blasenkapazität um 61% erreicht. Bei 8 Patienten wurde insgesamt eine
17
64%ige Verbesserung der Lebensqualität unter BCG-Therapie erzielt. Zu widersprüchlichen Ergebnissen in der Anwendung von BCG kam die Arbeitsgruppe von Peeker, welche in ihrer randomisierten, doppelblinden, Cross-over-Studie über 21 Patienten berichtete, denen 6 Wochen lang einmal wöchentlich entweder BCG oder DMSO intravesikal appliziert wurde [87]. In keinen der untersuchten Parametern (Miktionsfrequenz, Schmerz und Blasenkapazität) konnten die Autoren eine signifikante Verbesserung erzielen. Lediglich die mit DMSO behandelte Patientengruppe berichtete über eine signifikante Verbesserung von Miktionsfrequenz und Schmerz, wobei die Autoren in einer Subgruppenanalyse herausarbeiteten, dass es sich hierbei um Patienten mit der sog. klassischen, ulcerativen Form der interstitiellen Zystitis handelte. Die Gefahr einer iatrogenen Tuberkulose durch Anwendung von BCG wird von beiden Arbeitsgruppen nicht diskutiert. Um eine systemische Streuung von BCG zu vermeiden, muss streng auf atraumatisches Katheterisieren geachtet werden [24]. Zurzeit läuft in den USA eine NIDDK gesponserte Multicenter-Studie zur erneuten Beurteilung und Klärung der Wirksamkeit von BCG in der Therapie der IC, deren Ergebnisse noch ausstehen.
17.3.5 Hyaluronsäure
Die Verabreichung des gelösten Natriumsalzes der Hyaluronsäure substituiert den bei IC-Patienten beschriebenen Hyaluronsäureverlust und führt zu einem Wiederaufbau der subepithelialen Glykosaminoglykanschicht [25]. Die Hyaluronsäure wird auch als Viskoelastikum der Blase bezeichnet. Darüber hinaus führt sie zu einer Verringerung der Adhärenz von Immunkomplexen, zur Leukozyteninhibition und einer Zunahme der Endothelproliferation. Nebenwirkungen dieser Therapie sind nicht bekannt. In seiner prospektiven, klinischen Anwendungsbeobachtung aus dem Jahre 1996 verabreichte Morales 25 Patienten 4 Wochen lang einmal wöchentlich 40 mg Hyaluronsäure und schloss über 12 Monate eine einmalige monatliche Applikation an. Der Autor erhob einen Symptom-Score, Mik-
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Kapitel 17 · Pharmakotherapie der interstitiellen Zystitis
tionsprotokolle sowie eine Harndrang-Skala und konnte nach 12 Wochen bei 25% der Patienten ein komplettes (definiert als ≥90% Rückgang in Score, Schmerz und Harndrang) und bei 46% ein partielles Therapieansprechen (definiert als ≥50–90% Rückgang in o. g. Parametern) erzielen (Summe komplettes und partielles Ansprechen = 71%) [70]. Auch nach 48 Wochen zeigten noch 50% der behandelten Patienten ein komplettes bzw. partielles Therapieansprechen (13% komplett, 37% partiell). Nordling berichtet über 20 IC-Patienten, die über 3 Monate mit Hyaluronsäure behandelt und 3 Jahre lang nachbeobachtet wurden. 11 Patienten wünschten die Fortführung der Therapie über das initiale Behandlungsintervall hinaus und bei 2/3 der Patienten konnte eine moderate Symptomlinderung beobachtet werden [24, 72]. Ob die dem komperativen Kaliumtest zugeschriebene Vorhersage einer Therapieansprache auf Hyaluronsäure zukünftig einen Stellenwert bei der Therapieplanung erlangen wird, bleibt abzuwarten: Beim komperativen Kaliumtest wird nach initialer Instillation von 0,9% Kochsalzlösung und Bestimmung des maximalen Blasenvolumens eine erneute Instillation mit 0,2-molarer Kaliumchloridlösung vorgenommen (der sog. Parsons-Test schreibt 0,4-molare Kaliumchloridlösung vor und ist deutlich schmerzhafter [79, 84]) [18]. Wird hiernach eine Reduktion des Blasenvolumens von mehr als 30% vom initialen Ausgangswert beobachtet, spricht dieses Ergebnis für eine vorliegende IC und soll die Wahrscheinlichkeit für eine Therapieansprechen auf intravesikale Hyaluronsäureapplikation signifikant erhöhen (persönliche Kommunikation und [93]). Es wird zurzeit eine internationale, placebokontrollierte Doppelblindstudie zur Überprüfung der Wirksamkeit von Hyaluronsäure durchgeführt.
lust der Barrierefunktion des Urothels). Ähnlich der o. g. Hyaluronsäuretherapie wird versucht durch die Chondroitininstillation das Chondroitindefizit zu substituieren und die Proteoglykanschicht des Urothels aufzubauen. Steinhoff hat in einer offenen Studie 18 ICPatienten mit positivem Parsons-Test ( s. oben) 40 ml 0,2%iger Chondroitinsulfat instilliert (einmal wöchentlich über einen Monat lang, anschl. einmal monatlich über ein Jahr lang) [108]. Prüfparameter waren Lebensqualitätsbögen, IC-spezifische Symptomindices und Miktionsprotokolle, mit deren Hilfe bei 13 Patienten (66,7%) eine Symptomlinderung beschrieben wurde. Der Autor stellt eine placebokontrollierte Studie in Aussicht. Sorensen instillierte bei 24 IC-Patienten in den ersten 2 Wochen seiner offenen Studie eine konzentrierte, 2%ige Chondroitinlösung, gefolgt von einmal wöchentlichen 0,2%igen Instillationen über einen Monat sowie einmal monatlichen Instillation der 0,2%igen Lösung über eine weiteres Jahr [107]. Zum Zeitpunkt seiner Ergebnispräsentation waren noch 20 Patienten in Behandlung, erst bei 12 Patienten lag eine Evaluation über mindestens 12 Therapiemonate vor. Die Interimsanalyse der Behandlungsergebnisse zeigte eine Symptomlinderung bei allen 20 Patienten, 2 Patienten verließen die Studie wegen starker Schmerzpersistenz nach den initialen 2 Behandlungen und 2 weitere Patienten wurden im »Follow-up« verloren. Eine Beurteilung der Wirksamkeit von Chondroitinsulfat auf dem Boden der o. g. zwei Studien ist zurzeit noch schwierig. Randomisierte, kontrollierte Studien sind hierfür notwendig. Chondroitinsulfat ist seit Ende 2003 zur Blaseninstillation auf dem deutschen Medikamentenmarkt erhältlich.
17.3.7 Hydrodistension der Blase 17.3.6 Chondroitinsulfat
Immunhistochemische Untersuchungen haben gezeigt, dass im Urothel von IC-erkrankten Blasen ein Chondroitindefizit vorliegt [42]. Dieser Proteoglykanmangel wird als ein möglicher ätiologischer Faktor in der Pathogenese der IC diskutiert (Ver-
Da die Hydrodistension der Blase mit sterilem Kochsalz im weitesten Sinne eine intravesikale Therapie darstellt, soll sie an dieser Stelle abgehandelt werden. Die Hydrodistension der Blase ist zur Diagnose und Behandlung der interstitiellen Zystitis sehr weit verbreitet. Sie ist in der Diagnostik der IC gemäß den NIDDK-Kriterien essenziell [37] und
253
17.4 · Ausblick
ebenso umstritten [92]. Prospektiv kontrollierte Studien zur Überprüfung ihrer Wirksamkeit liegen nicht vor, auch der Wirkungsmechanismus bleibt schließlich unklar. Es wird hypothetisiert, dass infolge der Blasendistension ein unspezifischer Denervierungseffekt der Blase eintritt. An Ratten konnte mittels Blasendehnung eine kurzfristige Schädigung der cholinergen Blaseninnervation mit nachfolgender rascher Faserregeneration ausgelöst werden [54]. In Anlehnung an die auf internationalen Konsensuskonferenzen diskutierten Vorschläge zur Durchführung einer korrekten diagnostischen und therapeutischen Hydrodistension [3, 31] empfehlen die Autoren folgendes Prozedere: Zystoskopie und Auffüllen der Blase bei 80 cm Wassersäule bis zum Tropfenstillstand und Belassen der maximalen Blasenfüllung für 3 min. Hiernach Blasenentleerung und Dokumentation des Blasenvolumens durch Auffangen des Füllungsvolumens. Erneute Distension wie zuvor beschrieben und Dokumentation von Ausmaß und Lokalisation der induzierten Urothelveränderungen. Die erste Studie, die Daten zur Hydrodistension präsentierte, stammt aus dem Jahre 1957 von Franksson [30]. In dieser Studie behandelte der Autor 33 Patienten mit wiederholter Blasendehnung und beobachtete eine Besserung der Symptomatik bei 12 Patienten für einen Zeitraum von bis zu 4 Wochen und bei weiteren 14 Patienten bis zu 6 Monaten. Der maximale Therapieerfolg über ein Jahr wurde bei lediglich 7 Patienten erzielt. Im Gegensatz dazu berichtete Badenoch 1971, dass bei 54 von 56 Patienten nach Blasendehnung keinerlei Verbesserung der Symptomatik eingetreten sei [5]. In der täglichen Praxis bestätigt sich die Feststellung, dass »ca. 20% der Patienten eine kurzfristige Erleichterung ihrer Symptome (<3 Monate) nach Blasendistension erfahren« [52, S. 260]. Rosamilia weist darauf hin, dass nach EMDA-forcierter Lokalanästhesie der Blase ( s. oben) eine suffiziente Hydrodistension auch ohne Allgemeinanästhesie durchgeführt werden kann [95]. Blasenverletzungen infolge Hydrodistension sind selten, wurden aber in der Literatur beschrieben [33]. Diesbezüglich ist darauf zu achten, dass eine etwaige Gewebebiopsie aus der Blasenwand strikt nach Hydrodistension erfolgen sollte, auch wenn die Biopsie durch
17
eine distensionsinduzierte schwere Makrohämaturie sehr erschwert sein kann [92].
17.4
Ausblick
Verschiedene neue Therapieansätze sind in jüngster Zeit im Bestreben initiiert worden, mittels neuer Medikamente oder durch Übertragung von Therapiekonzepten für andere Krankheitsbilder die Symptome der IC zu lindern. Ob die Hoffnung auf Heilung der IC durch gentherapeutische Therapiestrategien voreilig oder berechtigt ist, bleibt abzuwarten [58]. Über tierexperimentelle Beobachtungen ist dieser Ansatz bislang noch nicht hinausgewachsen [15, 117]. Er deutet aber vielleicht in die Zukunft der IC-Therapie: Erforschung und Behandlung der Krankheit auf molekulargenetischer Ebene. Klinisch fortgeschrittenere, innovative Therapieansätze sollen im Folgenden skizziert werden. Ueda et al. haben den Immunregulator Suplatast Tosilat, welcher in der Therapie des Bronchialasthmas und bei atopischer Dermatitis Anwendung findet, bei IC-Patienten eingesetzt [114]. Suplatast Tosilat unterdrückt die T-Helferzellen vermittelte Produktion von IgE und eosinophile Entzündungsreaktionen. Bei 14 Patientinnen erzielte die Arbeitsgruppe unter 300 mg Suplatast Tosilat/Tag nach 12 Monaten eine Zunahme der funktionellen Blasenkapazität von durchschnittlich 88 ml auf 215 ml. Ebenso waren weitere IC-Beschwerden deutlich rückläufig, wenn auch ebenfalls statistisch nicht signifikant. Die therapeutische Potenz dieses Moleküls solle in Zukunft in randomisierten, placebokontrollierten Studien überprüft werden. Resiniferatoxin (RTX) ist ein ultrapotentes Analogon des Capsaicins, dem Extrakt des roten Cayenne-Pfeffers. RTX wird bereits in der Therapie der Detrusor-Hyperaktivität intravesikal angewandt [17, 21, 47, 50, 51, 104]. RTX führt über Vanilloidrezeptor-Aktivierung zu einer Erschöpfung der Synapsen von sensorischen Nervenenden. Infolge dessen kommt es zur Desensitivierung von afferenten C-Fasern. In einer initialen prospektiven, placebokontrollierten Studie mit 18 Patienten, die an einem
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Kapitel 17 · Pharmakotherapie der interstitiellen Zystitis
Urgency-Fequency-Syndrom mit imperativen Harndrang litten, konnte nach einmaliger intravesikaler Gabe von RTX ein statistisch signifikanter Rückgang von Pollakisurie, Nykturie und Schmerz beobachtet werden [55]. Die gleiche Arbeitsgruppe zeigte in einer weiteren placebokontrollierten Studie, dass die einmalige RTX-Applikation für 30 Tage Linderung brachte, diese aber nach 3 Monaten bereits wieder erloschen war [56]. Die Autoren favorisieren daher eine Langzeitbehandlung über 10 Tage mittels eines BystanderPumpensystems [57]. Bouchelouche et al. behandelten 10 IC-Patientinnen mit dem Leukotrienrezeptor-Antagonisten Montelukast [10]. Das Medikament mit dem Handelsnamen Singulair wird bislang zur Therapie des Bronchialasthmas eingesetzt und interferiert in der Kaskade der proinflammatorischen Entzündungsmediatoren. Nach der täglichen oralen Gabe von 10 mg Montekulast über einen Zeitraum von 2 Monaten fiel die 24-h-Miktionsfrequenz statistisch signifikant von 17,4 auf 12,6 Toilettengänge und das mittels einer visuellen Analogskala bestimmte Schmerzempfinden von 47 mm auf 23 mm ab. Die Autoren haben eine placebokontrollierte Studien durchgeführt, deren Ergebnisse zurzeit noch ausstehen. Dimitrakov et al. haben einen rekombinanten humanen Nervenwachstumsfaktor (rh-NGF) in einer prospektiven, placebokontrollierten Studie bei 30 IC-Patienten eingesetzt [22]. rh-NGF fördert die Differenzierung und Lebensspanne von sympathischen Neuronen und sensorischen Nervenfasern. Nach einer wöchentlichen Gabe über 3 Monate zeigten Blasenkontrollbiopsien eine dosisabhängige Reduktion der Mastzelldichte und Zunahme der Nervenfaseranzahl. Die klinischen Beschwerden waren rückläufig. Als Nebenwirkungen der Therapie traten bei 5% der Patienten Arthralgien, bei 4% Myalgien und bei 2% Myasthenien auf. Über die Toleranz und Compliance der Patienten angesichts allmonatlich entnommenen Blasenbiopsien berichten die Autoren nicht. Auch wenn die zuvor genannten Therapieansätze eine kritische Überprüfung ihrer therapeutischen Potenz bedürfen, so spiegelt sich dennoch in ihnen die eminent wichtige Motivation wider, innovative Wege in der Therapie der IC zu erkunden.
Hanno fasst in diesem Zusammenhang die Ergebnisse der gemeinsamen Konferenz des NIDDK und des National Institutes of Health (NIH) zur interstitiellen Zystitis zusammen: Obwohl kein Durchbruch in der Suche nach Heilung der [interstitiellen Zystitis] gelingt, so sind doch etwaige wesentliche Veränderungen bezüglich ihrer Diagnose und neuer Therapieformen in Sicht [38, S. 6]. Fazit Die interstitielle Zystitis (IC) ist eine seltene und komplexe Form der Harnblasenentzündung, die durch Pollakisurie, imperativen Harndrang und chronischen Unterleibsschmerz gekennzeichnet ist. In Unkenntnis der Ätiologie und Pathogenese der IC ist ihre kausale Behandlung zurzeit nach wie vor nicht möglich. Aus der Vielzahl pharmakologischer Therapieansätze und -optionen werden in diesem Buchkapitel bekannte sowie bedeutsame und innovative pharmakologische Therapiestrategien, welche in oralsystemische und intravesikale Behandlungen unterteilt werden, vorgestellt und anhand von Studiendaten hinsichtlich ihrer Wirksamkeit kritisch skizziert. Zurzeit existiert keine standardisierte, allgemein anerkannte und EBM-validierte Therapiestrategie für die IC. In das Therapiekonzept muss stets das individuelle Krankheitsbild inklusive der sozialen Umstände des Patienten sowie die Kenntnis über etwaige, oftmals frustrane, Vortherapien einfließen. Da zahlreiche Medikamente unterschiedliche Angriffspunkte vorweisen und in Ihrem Wirkmechanismus nicht untereinander konkurrieren, ist eine multimodale Therapie oft sinnvoll und keinesfalls Ausdruck einer Polypragmasie.
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Kapitel 18 · Therapie der retroperitonealen Fibrose (M. Ormond)
18.1
Zum Thema
Die retroperitoneale Fibrose wurde erstmals durch den französischen Urologen Albarran 1905 beschrieben und zählt zu den extrinsischen Ursachen einer obstruktiven Nephropathie. Bei ungefähr der Hälfte aller Patienten wird die Diagnose erst im fortgeschrittenen Stadium bei ausgeprägter Harnleiterkompression mit konsekutiver Hydronephrose und Niereninsuffizienz gestellt. Ormond fasste 1948 die Symptome wie folgt zusammen [17]: Anurie, Rückenschmerzen, allgemeines Krankheitsgefühl, Gewichtsverlust und Anämie. Der zugrunde liegende Prozess ist eine inflammatorische Bindegewebsproliferation im Retroperitoneum unklarer Ätiologie (primäre retroperitoneale Fibrose). Inzwischen gibt es Hinweise, dass Autoimmunmechanismen eine bedeutende Rolle bei der Pathogenese der retroperitonealen Fibrose spielen [16]. Bei ungefähr einem Drittel der Patienten gilt die Ätiologie als gesichert (sekundäre retroperitoneale Fibrose, s. nachfolgende Übersichten). Die Inzidenz beträgt ungefähr 1:200.000 [8], wobei der Anteil an erkrankten Männer im Verhältnis 2:1 überwiegt. Die retroperitoneale Fibrose tritt besonders häufig in einer Altersgruppe zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr auf [14].
Mögliche Ursachen einer sekundären retroperitonealen Fibrose [5, 12, 20, 24] Ergotaminhaltige Medikamente (Methysergid, Dihydroergotamin, LSD) β-Blocker Antihypertonika (Reserpin, Hydralazin) Analgetika (Phenacetin) Amphetamine, Haloperidol Chronisch-entzündliche Erkrankungen Operationen (abdominal und retroperitoneal) Bauchaortenaneurysma Infektionskrankheiten Strahlentherapie Maligne Erkrankungen
Diagnostik der retroperitonealen Fibrose [20]
18.2
Blutdruck Serumelektrolyte Nierenretentionswerte Blutsenkungsgeschwindigkeit CRP Blutbild Sonographie Ausscheidungsurogramm Ureteropyelogramm Computertomographie Magnetresonanztomographie CT-gesteuerte Biopsie Laparoskopie Explorative Laparotomie
Therapie
Für die Therapie der retroperitonealen Fibrose existiert aufgrund der niedrigen Inzidenz, der häufig unklaren Ätiologie und der verschiedenen Therapiekonzepte, die vor allem auf unkontrollierte, nichtrandomisierte Studien mit geringen Fallzahlen und empirisch erhobenen Daten beruhen, kein einheitliches Konzept. In Abhängigkeit von Klinik und Labordiagnostik steht zunächst eine Dekompression des gestauten Hohlsystem mittels Ureterstents oder perkutaner Nephrostomie im Vordergrund. Die Stentversorgung bietet die Möglichkeit einer retrograden Ureteropyelographie und erleichtert das Auffinden der Harnleiter im Rahmen einer ggf. später durchzuführenden Ureterolyse nach Stabilisierung des Patienten. Neben dem Ausgleich des Elektrolyt- und Flüssigkeithaushaltes sollte bei klinischem Verdacht eine mögliche Thrombose als Folge einer Kompression der Vena cava inferior ausgeschlossen werden. Bei Verdacht auf eine medikamenteninduzierte retroperitoneale Fibrose kann allein über die Identifikation und das Absetzen der entsprechenden Präparate in Einzelfällen eine Remission erzielt werden. Die Notwendigkeit der Gewinnung einer aussagekräftigen Biopsie zum Ausschluss eines malignen Prozesses vor Einleitung einer weiteren Therapie ist bei klas-
261
18.2 · Therapie
sischer Bildgebung, einer bzgl. eines Malignoms unauffälligen Anamnese und Klinik umstritten [7, 10, 13, 20]. Jedoch lassen sich bei bis zu 8% der Fälle Malignome als Ursache der Obstruktion nachweisen (z. B. Lymphom, Karzinoid, multiples Myelom, Pankreas- und Prostatakarzinom, Sarkom), so dass im Zweifelsfall die Gewinnung einer Biopsie indiziert ist. Zur Festlegung des weiteren Procederes, also konservative immunsuppressive oder operative Therapie, spielt neben der ggf. entnommenen Biopsie die Bildgebung (CT oder MRT) eine entscheidende Rolle: Nach Heidenreich et al. [28] ist bei Nachweis eines kontrastmittelaufnehmenden, also aktiv entzündlichen Prozesses zunächst eine immunsuppressive Therapie indiziert (Kortikosteroide, Azathioprin, Tamoxifen). In der Spätphase des M. Ormond ist zumeist eine ausgeprägte Fibrose ohne Kontrastmittelenhancement, also ohne inflammatorische Aktivität nachweisbar. In diesem Fall sollte eine operative Therapie mit Ureterolyse und Intraperitonealisierung erfolgen.
18.2.1 Medikamentöse Therapie
Kortikosteroide Der Erfolg einer adjuvanten bzw. neoadjuvanten Glukokortikoidtherapie bei retroperitonealer Fibrose ist durch gute Behandlungsergebnisse (meist retrospektive, teils prospektive Studien mit z. T. geringen Fallzahlen) ausreichend dokumentiert [3, 11, 25, 26]. Durch die Steroidtherapie lassen sich bei 10–20% der Patienten komplette und bei ca. 90% partielle Remissionen erzielen. Die Indikation zur Steroidgabe besteht bei initialen Therapie der aktiven inflammatorischen Phase nach Harnableitung, zur adjuvanten Therapie nach operativem Eingriff und zur Behandlung eines Rezidives. Es besteht kein einheitliches Therapieregime bzgl. Dosierung und Dauer der Steroidgabe. Üblich ist die Gabe von Prednison in einer Initialdosis von 40–100 mg/Tag bzw. 1 mg/kg KG/Tag, die in Abhängigkeit von Nebenwirkungen und Verlauf schrittweise (z. B. 20 mg/Tag nach 4 Wochen und 10 mg/ Tag nach weiteren 4 Wochen) auf eine Erhaltungsdosis von 5–10 mg reduziert werden sollte. Nach Heidenreich et al. [28] kann im Rahmen einer Verlaufskontrolle durch CT oder MRT nach Ablauf
18
von 3 Monaten eine Festlegung des weiteren Procederes erfolgen: Bei kompletter Remission wird die Erhaltungsdosis über drei Monate bis zum Therapieende weitergeführt. Ureterolyse mit Intraperitonealisierung ist bei nachgewiesener Residualfibrose ohne Kontrastmittelenhancement und persistierender Obstruktion bei erhaltener Nierenfunktion indiziert. Bei fortbestehender Entzündungsaktivität sollte die Immunsuppression fortgeführt werden, hier kann ggf. eine Kombinationstherapie mit Azathioprin in einer Dosierung von 1 mg/kg KG/Tag (bis zu 2,5 mg/kg KG/Tag als Initialdosis) durchgeführt werden [15]. In manchen Fällen wurden Rezidive bis zu 9 Jahre nach Abschluss der Steroidtherapie beobachtet, aus diesem Grunde sollte eine lebenslange Nachsorge erfolgen [11].
Tamoxifen Der nichtsteroidale Östrogenrezeptorantagonist Tamoxifen wird zur adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms bzw. zur Behandlung des metastasierenden Mammakarzinoms eingesetzt. Der therapeutische Effekt von Tamoxifen bei der Behandlung der retroperitonealen Fibrose beruht jedoch nicht auf der antiöstrogenen Wirkung, sondern wahrscheinlich, neben einer Histaminrezeptorblockade, auf der Hemmung der Proteinase-C-Aktivität und einer reduzierten Synthese und Sekretion von EGF sowie auf einer Stimulation der TGF-β Sekretion von Fibroblasten, die zu einer Proliferationshemmung führt [4, 21, 22]. Tamoxifen wird seit 1991 auch zur Behandlung der retroperitonealen Fibrose zumeist in einer Dosierung von 20 mg/Tag über mehrere Monate in Abhängigkeit der laborchemischen, klinischen und CT-morphologischen Befunde eingesetzt [6, 23]. In den wenigen dokumentierten Fällen wird von einer partiellen oder kompletten Remission des CT-morphologischen bzw. klinischen Befundes bei einer geringen Nebenwirkungsrate berichtet [1, 19]. Aufgrund des Fehlens prospektiver Studien und der geringen Fallzahlen gilt die Therapie mit Tamoxifen als klinisch-experimentell und sollte nur bei Vorliegen entsprechender Kontraindikationen für eine immunsuppressive Steroidtherapie durchgeführt werden. Neben der Einzelgabe scheint auch eine Kombinationstherapie mit Steroiden erfolgsversprechend [23].
262
II
Kapitel 18 · Therapie der retroperitonealen Fibrose (M. Ormond)
Neben den o. g. Präparaten werden in der Literatur weitere Wirkstoffe zur Therapie der retroperitonealen Fibrose erwähnt. Hierzu gehören u. a. Methotrexat, Cyclophosphamid, Progesteron und Penicillamin [9, 18].
pressive Therapie fortgesetzt werden. Bei fibrotischem Residualtumor, erhaltener Nierenfunktion und fortbestehender Obstruktion sollte eine operative Therapie mit Ureterolyse und Intraperitonealisierung sowie eine adjuvante immunsuppressive Therapie erfolgen.
18.2.2 Operative Therapie
Als Standardverfahren zur operativen Therapie der primären retroperitonealen Fibrose gilt die Ureterolyse mit Intraperitonealisierung des Harnleiters. Ohne weitere adjuvante Therapie ergibt sich eine Rezidivrate zwischen 10 und 30%. Die von einigen Autoren zusätzlich favorisierte Omentum-majusUmmantelung des Harnleiters (Omental flap technique) soll eine niedrigere Rezidivrate bewirken [12]. Eine abschließende Beurteilung ist hier aufgrund der Datenlage nicht möglich. Mit der Kombination aus Ureterolyse mit Intraperitonealisierung und anschließender adjuvanter immunsuppressiver Therapie konnten Wagenknecht u. Hardy [27] eine 5fach geringere Rezidivrate nachweisen (48 vs. 10%). Die Kombination aus immunsuppressive Therapie, Ureterolyse und Intraperitonealisierung (ggf. Omentum-majus-Ummantelung) bei fibrotischem Residualtumor und anschließender adjuvanter Immuntherapie stellt laut Heidenreich et al. [28] die Therapie der Wahl dar. Fazit Nach Dekompression des gestauten Hohlsystems durch perkutane oder endoluminale Harnableitung, Stabilisierung, Diagnosesicherung bzw. Ausschluss einer sekundären Genese der retroperitonealen Fibrose oder eines malignen Tumors kann zunächst eine medikamentöse Therapie mittels hochdosierter Kortikosteroidgabe (Prednison 40–100 mg/Tag) zur Immunsuppression über 2–4 Wochen mit anschließender Erhaltungsdosis (10 mg/Tag) für insgesamt 3 Monate erfolgen. Anschließend sollte eine Reevaluation in Form einer computertomographischen Verlaufskontrolle erfolgen. Sind weiterhin aktive, inflammatorische Areale nachweisbar, sollte zunächst die immunsup▼
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263
18
19 Die Fournier-Gangrän J. H. Hagemann, E. Waldkirch, M. C. Truß
19.1 Pathogenese
– 266
19.2 Klinische Symptomatik 19.3 Diagnostik
– 267
– 267
19.4 Chirurgische Therapie 19.5 Antibiotische Therapie
– 268 – 268
19.6 Weitere Therapieoptionen 19.7 Prognose Literatur
– 270
– 269
– 269
II
266
Kapitel 19 · Die Fournier-Gangrän
19.1
Pathogenese
Die Erstbeschreibung der foudroyanten Gangrän der Genital- und Anorektalregion wird allgemein Jean Alfred Fournier zugeschrieben [1], tatsächlich erfolgte sie jedoch über 100 Jahre zuvor durch Baurienne [2]. Es handelt sich hierbei um eine infektiöse, nekrotisierende Fasciitis. Die Inzidenz wird auf etwa 1 von 7.500 Patienten geschätzt. Ausgangspunkt dieser oft fulminant verlaufenden Infektion sind zumeist penile, urethrale, perineale oder anorektale Läsionen. Allerdings kann in etwa einem Drittel der Fälle keine Eintrittspforte eruiert werden. Die Infektion führt zu einer Thrombosierung von Gefäßen und anschließend zu einer Nekrose und Gangrän von Cutis, Subcutis und Weichteilgewebe. In älteren Publikationen wird typischerweise über einen abrupten Beginn der Erkrankung mit foudroyantem Verlauf bei bis dahin gesunden, jüngeren Männern berichtet. In neueren Publikationen hingegen beträgt das Durchschnittsalter etwa 50 Jahre. In seltenen Fällen kann die Erkrankung auch bei Kindern und Frauen auftreten. Die Erkrankung wird heute überwiegend bei Patienten mit systemischen Grunderkrankungen oder eingeschränktem Immunstatus gesehen. Nahezu jede Verletzung von Haut oder Schleimhäuten kann als Eintrittspforte für die auslösenden Krankheitserreger dienen, insbesondere Verletzungen der Penisschafthaut, Vorhauteinrisse, urethrale Verletzungen durch Katheterismus, Entzündungen von Haarfollikeln, Dekubiti, periproktitische Abszesse und Fissuren ebenso wie urogenitale (z. B. Harnröhrenschlitzung, Penisprothesenimplantation, Warzenabtragung, Vasektomie, Prostatabiopsien) und anorektale Eingriffe (Rektumbiopsien, Abtragung von Hämorrhoidalknoten, Analdilatation). Selbst die Anwendung einer Vakuumerektionshilfe mit Konstriktionsband wurde in einem Fall als auslösender Faktor einer Fournier-Gangrän beschrieben. Bei Frauen kann sich eine Fournier-Gangrän auf dem Boden eines Bartholin- oder Vulvaabszesses entwickeln oder als Komplikation nach Episiotomie, Hysterektomie oder septischem Abort auftreten. Typischerweise entwickelt sich eine Weichteilentzündung in der Umgebung der Eintrittspforte,
die sich dann subkutan und subfaszial ausbreitet und die mit einer obliterativen Endarteritis einhergeht. Diese führt dann zu einer Thrombose subkutaner und subfaszialer Gefäße mit nachfolgender Gewebsnekrose. Hierdurch kann sich die Entzündung dann auf zuvor gesundes Gewebe ausbreiten. Der schnelle Gewebsuntergang ist dann ein Resultat aus Minderdurchblutung und Ausbreitung der pathogenen Keime ( s. nachfolgende Übersicht).
Faktoren der Gewebszerstörung bei der Fournier-Gangrän Förderung der anaeroben Keimbesiedlung durch Gewebsischämie Gefäßthrombosierung durch – Aktivierung des Komplementsystems und Thrombozytenaggregation (Aerobier) – Produktion von Heparinase (Anaerobier) – intravasale Gerinnung und Septikämie durch Endotoxine (gramnegative Darmflora) Gewebezerstörung durch – Hyaluronidase (Staphylokokken, Streptokokken, Bacteroides) – Streptokinase, Streptodornase (Streptokokken) – Kollagenase (Bacteroides) – Toxine (Clostridien) Inhibition der Phagozytose (Bacteroides) Schutz von Bakterien durch »Fibrincoating« durch Collagenase (Staphylokokken)
Die Epidemiologie der Krankheit lässt darauf schließen, dass verschiedene Faktoren wie Erregerspektrum, urogenitale oder anorektale Verletzungen sowie eingeschränkter Immunstatus zusammentreffen müssen, damit aus einer unter normalen Umständen physiologischen Keimbesiedlung eine sich rasch ausbreitende, destruktive Infektion wird ( s. nachfolgende Übersichten). Ist es dann erst einmal zu einer »Initialzündung« gekommen, so weisen die verschiedenen Keime, die jeweils für sich genommen eine limitierte Patho-
267
19.3 · Diagnostik
genität aufweisen, häufig synergistische Mechanismen der Gewebszerstörung auf. Zumeist können bei einer Fournier-Gangrän mehrere, im Schnitt etwa vier verschiedene Keime isoliert werden. Die häufigsten Keime (Escherichia coli, Klebsiellen, Proteus, Enterokokken, Streptokokken, Staphylokokken, Pseudomonas, Clostridien u. a.) gehören dabei zur normalen Flora des Colons und des Perineums.
Erregerspektrum bei der Fournier-Gangrän
19.2
Escherichia coli Klebsiellen Proteus Enterokokken Streptokokken Staphylokokken Peptostreptokokken Pseudomonas Bacteroides Fusobakterium
Klinische Symptomatik
Die häufigsten Symptome der Fournier-Gangrän sind skrotale Schmerzen, Schwellung und Rötung sowie Fieber. Besonders im Anfangsstadium kann der Lokalbefund der Haut trotz bereits fortgeschrittener Infektion der tieferen Weichteilschichten wenig beeindruckend sein. Liegt einer der prädisponierenden Faktoren ( s. folgende Übersicht) vor, so muss die Fournier-Gangrän immer in die Differenzialdiagnose mitaufgenommen werden ( s. nachfolgende Übersicht). In seltenen Fällen kann allerdings eine Fournier-Gangrän auch die Erstmanifestation einer zugrunde liegenden Kompromittierung des Immunsystems sein. Weitere lokale Symptome einer FournierGangrän können Zyanose, Überwärmung, Induration, Krepitation und Nekrose der Haut bzw. des Subkutangewebes sein. Auch bei nur gering ausgeprägten lokalen Veränderungen können septische Allgemeinsymptome bis hin zum septischen Schock und Multiorganversagen auftreten.
19
Prädisponierende Faktoren bei Fournier-Gangrän
19.3
Alkoholismus (25–50%) Diabetes mellitus (40–60%) Terminale Niereninsuffizienz Trauma Z. n. Organtransplantation Chemotherapie/Malignome Medikamentöse Immunsuppression Leberzirrhose HIV-Infektion/Aids Unterernährung/geringer sozioökonomischer Status
Diagnostik
Anamnese und klinischer Befund führen meist zur Diagnose. Gelegentlich ist eine Abdomenübersichtsaufnahme hilfreich, wenn Gasansammlungen im Weichteilgewebe vermutet werden. Dieser Befund ist zwar nicht pathognomonisch, etabliert aber die Diagnose einer nekrotisierenden subkutanen Infektion. Eine Ultraschalluntersuchung kann eine Fournier-Gangrän von anderen pathologischen intraskrotalen Veränderungen abgrenzen, die mit einer skrotalen Schwellung, Schmerzen und einem Erythem einhergehen. Typisch ist eine diffuse Schwellung und Verdickung der Hodenhüllen und gelegentlich des Penis. Weiterhin kann die Ultraschalldiagnostik Gasansammlungen im Bereich des äußeren Genitale nachweisen, wenn klinisch noch keine Krepitation nachweisbar ist. Die Computertomographie und Kernspintomographie vermögen ebenfalls Gasansammlungen im Becken, Perineum und Skrotum nachzuweisen und können eine Abgrenzung zu primär intraabdominellen Prozessen bewerkstelligen. In Zweifelfällen ist eine chirurgische Exploration indiziert. Die Differenzialdiagnose der Fournier-Gangrän umfasst folgende Krankheitsbilder: Skrotalhernie, Skrotalabszess, Balanitis, Hodentorsion, skrotale Zellulitis,
268
II
Kapitel 19 · Die Fournier-Gangrän
Pyoderma gangränosum, allergische Vaskulitis und Poliarteritis nodosa.
Insbesondere die Abgrenzung zur Immunvaskulitis ist wichtig, da diese primär mit hohen systemischen Kortikoiddosen behandelt wird.
19.4
Chirurgische Therapie
Ein rasches und gründliches Wunddebridement mit Abtragung sämtlicher infizierter und nekrotischer Areale ist unerlässlich. Hierbei handelt es sich meist um Subkutangewebe und selten um tiefere Faszien- und Muskelschichten. Es ist zu beachten, dass sich die Infektion subkutan ohne kutane Zeichen der Infektion ausbreiten kann. Somit wird vom klinischen Bild her das Ausmaß der Erkrankung häufig unterschätzt. Postoperativ muss eine engmaschige Wundkontrolle erfolgen. Bei Zeichen einer sich weiter ausbreitenden Infektion muss zusätzlich eine unverzügliche operative Revision durchgeführt werden, insbesondere dann, wenn der Allgemeinzustand des Patienten sich nach dem Primäreingriff nicht verbessert und weiterhin nekrotisches Gewebe vermutet wird. Aktuelle Daten zeigen jedoch, dass trotz wiederholter Durchführung von Debridements nicht immer eine signifikante Verbesserung der Prognose zu erzielen ist [3]. Postoperativ kann eine enzymatische Wundreinigung oder eine Wundtoilette mit Wasserstoffperoxid bzw. Honig [4] erfolgen. Nach Abheilung der Infektion verbleiben häufig größere Hautdefekte, die plastisch-rekonstruktiv z. B. durch Verschiebeplastiken, Hauttransplantationen oder auch freie Muskel-Haut-Lappen geschlossen werden müssen. Traditionelle chirurgische Ansätze beinhalteten zunächst relativ simple Hauttransplantationen; wobei die Entwicklung jedoch zur einseitigen Anlage eines Haut-MuskelFlaps übergegangen ist, da sich eine deutliche Überlegenheit gegenüber dem ersteren Verfahren zeigte. Zugrunde liegend hierbei ist neben einem im Schnitt deutlich verkürzten stationären Aufenthalt ein verbessertes kosmetisches Ergebnis. Muskuläre Schwenklappen stellen hierbei eine exzellente Re-
konstruktionsmöglichkeit im Perinealbereich besonders bei Patienten mit eingeschränkter Immunantwort dar, insbesondere z. B. bei diabetischen Patienten [5, 6].
19.5
Antibiotische Therapie
Sinnvoll und heute gebräuchlich ist eine Kombination aus Cephalosporinen der 3. Generation, Aminoglycosiden und Metronidazol. Werden Enterokokken vermutet bzw. nachgewiesen, so kann ggf. Ampicillin hinzugefügt werden (⊡ Tabelle 19.1).
⊡ Tabelle 19.1. Antibiotikatherapie bei FournierGangrän (Beispiel) Cephalosporin der 3. Generation
z. B. Ceftriaxon (Rocephin) 1×2 g/Tag i. v. Cefotaxim (Claforan) 3×2(–4) g/Tag i. v. Cefmenoxim (Tacef ) 2–4×1–2 g/Tag i. v. Ceftizoxim (Ceftix) 2–4×2 g/Tag i. v. Ceftazidim (Fortum) 2–3×1–2 g/Tag i. v. Cefsulodim (Pseudocef ) 3×1–2 g/Tag i. v. Latamoxef (Moxalactam) 2×1–4 g/Tag i. v.
alternativ:
Penicillin G 6×4 Mio I.E./Tag i. v.
plus Aminoglykosid
z. B. Gentamycin 3–5 mg/kg KG/Tag i. v. Tobramycin 3–5 mg/kg KG/Tag i. v.
plus Metronidazol
40 mg/kg KG/Tag i. v.
alternativ: ggf. plus Ampicillin (Enterokokken)
Clindamycin 600 mg/Tag i. v. 3×2 g/i. v.
alternativ: Meropenem plus Vancomycin
3×0,5–1,0 g/Tag i. v. 4×0,5 oder 2×1 g/Tag i. v. (jeweils mindestens über 60 min)
269
19.7 · Prognose
Zu beachten sind jeweils die erforderlichen Plasmakonzentrationen der Antibiotika, aber auch entsprechend zu berücksichtigende Nebenund Wechselwirkungen: Penicillin ist in der angegebenen Dosierung wirksam gegen Streptokokken, Clostridien und einige andere Anaerobier, nicht jedoch vs. Bacteroides und gramnegative Keime. Aminoglycoside haben ein aus gezeichnetes Wirkspektrum gegen gramnegative Keime, sind aber oto- und nephrotoxisch. Eine erfolgreiche Monoantibiose mit Imipenem wurde in einer Publikation beschrieben [7], kann aber aufgrund der insgesamt geringen Datenlage nicht als Standard angesehen werden.
19.6
Weitere Therapieoptionen
Bei möglichem Vorliegen einer urethralen oder penilen Eintrittspforte sollte in jedem Fall eine Harnableitung durch eine suprapubische Zystostomie erfolgen. Zuzüglich kann bei analer Beteiligung eine Kolostomie indiziert sein. Weiterhin hat als auxiliäre Therapieoption die hyperbare Sauerstofftherapie Einzug in die Therapieschemata gefunden. Hierbei werden folgende Überlegungen zugrunde gelegt: Inhibition des Wachstums von Anaerobiern durch Gewebehyperoxigenierung, Reduktion des Gewebsödems durch Gefäßkonstriktion, Erhöhung der intrazellulären Antibiotikaspiegel, vermehrte Bildung von freien Sauerstoffradikalen sowie vermehrte Fibroblastenproliferation und Angiogenese. Der genaue Stellenwert dieser Therapiemodalität muss allerdings noch definiert werden. Zurzeit sollte eine hyperbare Sauerstofftherapie erwogen werden, falls keine hämodynamische Verbesserung trotz chirurgischer Intervention nachweisbar ist und es Hinweise auf eine Infektion mit Anaerobiern gibt. In keinem Fall darf durch eine hyperbare Sauerstofftherapie die chirurgische Therapie hinausgezögert werden [7].
19
Weitere zusätzliche allgemeine Maßnahmen bestehen sinnvollerweise aus einem adäquaten hämodynamischen Monitoring, und bei Bedarf aus einer Substitution von Blut und Gerinnungsfaktoren, Beatmung, ggf. Dialyse sowie einer hochkalorischen Ernährung. Prinzipiell muss jederzeit an eine intensivmedizinische Überwachung der teils multimorbiden Patienten gedacht werden.
19.7
Prognose
Die Mortalität der Fournier-Gangrän wird mit ca. 20% (0–80%) angegeben, wobei der Tod durch Sepsis und Multiorganversagen eintritt. Prognostisch ungünstige Faktoren sind eine verzögert eingeleitete Therapie, hohes Alter und eine primäre anorektale Infektion. Diabetes mellitus stellt zwar einen bedeutenden Risikofaktor dar, eine deutliche Verschlechterung der Prognose durch Diabetes gegenüber anderen vorliegenden Grunderkrankungen konnte jedoch zumindest in neueren Untersuchungen nicht gezeigt werden [8]. Eine Literaturübersicht der verfügbaren Daten vor 1945 und von 1945–1988 konnte interessanterweise keine Verbesserung der Mortalitätsprognose dokumentieren, die bei 20–22% liegt [9]. Auch in aktuellen statistischen Erhebungen findet sich keine signifikante Verbesserung der Prognose [10]. Fazit Die Fournier-Gangrän ist eine infektiöse, nekrotisierende Fasciitis, wobei als Ausgangspunkt dieser oft fulminant verlaufenden Infektion zumeist penile, urethrale, perineale oder anorektale Läsionen in Frage kommen. Hierbei können auch bei nur gering ausgeprägten lokalen Veränderungen septische Allgemeinsymptome bis hin zum septischen Schock und Multiorganversagen auftreten, wobei die Erkrankung heute überwiegend bei Patienten mit systemischen Grunderkrankungen oder eingeschränktem Immunstatus gesehen wird und nahezu jede Verletzung von Haut oder Schleimhäuten als Eintrittspforte für die auslösenden Krankheitserreger dienen kann. Der auftretende Ge▼
270
II
Kapitel 19 · Die Fournier-Gangrän
websuntergang ist dabei Resultat aus Minderdurchblutung und Ausbreitung der pathogenen Keime. Innerhalb der Diagnosefindung sind Anamnese, klinischer Befund und apparative Diagnostika wie Abdomenübersichtsaufnahmen, Ultraschalluntersuchungen sowie Computer- und Kernspintomographien richtungsweisend. Im therapeutischen Regime ist ein rasches und gründliches Wunddebridement mit Abtragung sämtlicher infizierter und nekrotischer Areale unerlässlich. Weiterhin erfolgt die breitbandige Applikation einer antibiotischen Therapie, meist als Kombination bestehend aus Aminoglycosid, Cephalosporin sowie Metronidazol, ggf. plus Ampicillin/Vancomycin. Prinzipiell ist immer eine mögliche Intensivpflichtigkeit dieser Patienten zu beachten und entsprechend zu monitoren. Eine hyperbare Sauerstofftherapie kann nur als zusätzlich ergänzende Therapieoption in Betracht gezogen werden. Trotz rechtzeitig eingeleiteter, prinzipiell suffizienter Therapie liegt die Mortalität der Patienten bei dieser Erkrankung durchschnittlich um 20% (0–80%).
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20 Management der akuten Kontrastmittelallergie S. Linde
20.1
Pharmakologie
20.2
Klinik
20.3
Therapie
20.3.1 20.3.2
Allgemeine Maßnahmen – 274 Medikamentöse Therapie – 275 Kurzportraits der oben angeführten Medikamente und Infusionslösungen – 276
Literatur
– 279
– 272
– 272 – 274
II
272
Kapitel 20 · Management der akuten Kontrastmittelallergie
20.1
Pharmakologie
Intravenös verabreichte Röntgenkontrastmittel (KM) werden in der Radiodiagnostik zur morphologischen und funktionellen Organbeurteilung verwendet. Sie verteilen sich nach der Applikation im Extrazellulärraum und werden vorwiegend über die Nieren ausgeschieden. Röntgenkontrastmittel sind komplexe Jodverbindungen, die Chelatbildung, Histaminfreisetzung und Komplementaktivierung auslösen können. Nichtionische Kontrastmittel, die in Europa fast ausschließlich eingesetzt werden, sind wasserlösliche jodhaltige mono- oder dimere Derivate der Trijodbenzoesäure. Die fehlende elektrische Ladung führt zu verminderter Beeinträchtigung biologischer Membranen. Geringe Osmolarität, niedrige Proteinbindung, verringerte Enzymaktivität sowie verminderte Chemotoxizität führen zu einer wesentlich besseren Verträglichkeit und mindern das Risiko von Sofortreaktionen.
Nebenwirkungen Während bei oraler oder lokaler Anwendung nur in wenigen Fällen schwere Nebenwirkungen auftreten, ist bei parenteraler Zufuhr mit Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zum schweren Schock zu rechnen. Es handelt sich dabei nach heutiger Auffassung um pseudoallergische und nicht um Antigen-Antikörper-Reaktionen [6, 13]. Für die Notfalltherapie ist eine Unterscheidung zwischen immunvermittelten (IgE-abhängigen) und (IgE-unabhängigen) anaphylaktoiden Reaktionen nicht erforderlich. Bei der anaphylaktoiden »pseudoallergischen« Reaktion kommt es durch Kontakt der auslösenden Substanz (z. B. Kontrastmittel) mit zellständigen Rezeptoren, z. B. über chemische, physikalische oder osmotische Reize, zur Freisetzung von Mediatoren, insbesondere Histamin aus den Mastzellen oder basophilen Granulozyten. Anaphylaktoide Wirkungen sind unabhängig von Dosis und Konzentration des verabreichten KM [3] und treten zu 95% innerhalb von 15–30 min nach intravenöser Applikation auf [4]. In der umfangreichen Studie von Katayama et al. [8] wird die Häufigkeit von Nebenwirkungen bei intravenöser Applikation eines nichtionischen, nie-
derosmolaren Kontrastmittels mit 3,13% angegeben. Ein anaphylaktischer Schock trat dagegen mit 0,04% selten auf. Nicht alle Symptome der anaphylaktoiden Reaktion lassen sich mit einer Histaminfreisetzung erklären; dies soll auf die Bedeutung der weiteren primären und sekundären Mediatoren hinweisen [10] (⊡ Tabelle 20.1).
20.2
Klinik
Vorbereitung des Patienten Im Vorfeld der radiologischen Untersuchung muss eine Allergieanamnese erhoben werden. Bei allgemein allergischer Disposition wie z. B. Asthma, Urtikaria, Neurodermitis oder vorangegangener KMUnverträglichkeit ist eine medikamentöse Prophylaxe durchzuführen. Wenn sich in der Anamnese Hinweise auf eine Kontrastmittelallergie oder eine allergische Disposition finden, werden verschiedene Medikationsregime empfohlen, die vorrangig die Gabe von Kortikosteroiden und Histaminrezeptor-Antagonisten einschließen [2, 15, 16]. Empfehlungen: s. Tabelle 20.2.
Bei Patienten mit erhöhtem Risikoprofil muss aufgrund des langsamen Wirkungseintritts der Kortikosteroide 12 h vor der KM-Applikation mit der ersten Gabe von z. B. Prednisolon begonnen werden. Ambulante Patienten sind darüber aufzuklären, dass durch die Gabe von Histaminantagonisten die Reaktionsfähigkeit im Straßenverkehr eingeschränkt ist. Patienten die unter einer Dauertherapie mit β-Blockern stehen, haben ein deutlich höheres Risiko einer anaphylaktoiden Reaktion nach KM-Applikation [9]. Während der Kontrastmittelinjektion verspüren Patienten häufig ein Wärmegefühl, welches als unangenehm empfunden wird, und mit leichter Übelkeit einher gehen kann. Diese subjektiven Beschwerden sistieren unmittelbar nach Beendigung der Injektion und bedürfen im Regelfall keiner weiteren Therapie. Erhöhte Wachsamkeit ist jedoch beim Auftreten von Übelkeit und Erbrechen geboten. Ebenso wie Urtikaria, Flushbildung und Schüttelfrost können sie der Beginn einer anaphylaktoiden Reaktion sein.
273
20.2 · Klinik
20
⊡ Tabelle 20.1. Mediatoren, die im Rahmen anaphylaktoider Reaktionen freigesetzt werden und ihre Wirkungen [17]
Mediator
Klinische Wirkung
Bedeutung
Histamin
Vasodilatation Tachykardie erhöhte Gefäßpermeabilität Arrhythmie positive Inotropie Bronchokonstriktion Hemmung der Histaminsynthese und -freisetzung Aktivierung inhibitorisch wirkender Lymphozyten
+++ +++ +++ + + (+) (+)
Plättchenaktivierender Faktor (PAF)
erhöhte Gefäßpermeabilität Bronchokonstriktion Thrombozytenaggregation und -aktivierung
+ ++ +
Prostaglandin D2
erhöhte Gefäßpermeabilität
+
Prostaglandin E2
Bronchodilatation
+
Prostaglandin F2α
Bronchokonstriktion
+
Leukotriene C4, D4, E4
Bronchokonstriktion erhöhte Gefäßpermeabilität
+++ ++
Adenosin
Bronchokonstriktion Modulation der Mastzelldegranulation
+++ +
Komplement C3a, C5a
Bronchokonstriktion erhöhte Gefäßpermeabilität Chemotaxis von Neutrophilen, Makrophagen, Monozyten
++ ++ ++
Komplement C5–C9
Zellmembranschädigung
++
Kininsystem
erhöhte Gefäßpermeabilität
+
(+)
Die an der KM-Reaktion beteiligten Mediatoren sind hervorgehoben.
Für die Praxis ist die Unterteilung anaphylaktoider Reaktionen in die Stadien O–IV unter Berücksichtigung der Organmanifestation sinnvoll (⊡ Tabelle 20.3): Die anaphylaktoiden Reaktionen zeigen sich an verschiedenen Organsystemen. Folgende Organmanifestationen sind besonders hervorzuheben: Haut: – Allergische Sofortreaktionen beginnen oft mit Juckreiz oder Brennen an Handinnenflächen, Fußsohle, perioral oder perianal.
Häufig treten auch Schwellungen im Bereich der Schleimhäute (Nase, Augen, Mund) sowie Lippen- oder Lidödeme auf. Des Weiteren werden Erythem, Urtikaria und Angioödem beobachtet. Atemwege: – Atemwegsobstruktionen können extrathorakal durch Ödeme im Larynx und Pharynx oder intrathorakal durch Bronchialobstruktion bedingt sein. Besonders ist auf die Entwicklung eines Larynxödems zu achten:
Kapitel 20 · Management der akuten Kontrastmittelallergie
274
⊡ Tabelle 20.2. Zur Prophylaxe der Kontrastmittelallergie gebräuchliche Medikamente und ihre Dosierungen. (Mod. nach [2, 15, 16])
II
Medikament
Dosis
Zeitpunkt der Applikation(en)
Prednisolon (z. B. Decortin H) oder:
50 mg oral
18, 12 und 6 h vor KM-Applikation
Prednisolon (z. B. Decortin H) oder:
50 mg oral
12 h und 2 h vor KM-Applikation
Methylprednisolon (z. B. Urbason)
32 mg oral
12–24 h und 2 h vor KM-Applikation
sowie zusätzlich: Dimetindenmaleat (z. B. Fenistil)
8 mg i. v.
+
+
Cimetidin (z. B. Cimetidin STADA)
400 mg i.v
Frühsymptome sind Heiserkeit und Stridor sowie ein Globusgefühl. Das Larynxödem ist die häufigste Todesursache bei anaphylaktoiden Reaktionen (in seltenen Fällen wurde ein akutes Lungenödem beschrieben, das auf ein Ödem der Alveolarmembranen zurückzuführen ist [5]). Kardiovaskuläres System: – Im Vordergrund steht die Hypovolämie, verursacht durch die Flüssigkeitsverschiebung ins Interstitium, verstärkt durch die begleitende Vasodilatation, gefolgt von Hypotension und Tachykardie. Gastrointestinaltrakt: – Permeabilitätsstörungen und gesteigerte Darmmotorik bedingt durch Stimulation der Histaminrezeptoren verursachen abdominelle Koliken, Erbrechen und Diarrhö. Zerebrale Symptome: – Schwindel,Verwirrtheit,Synkopen,Krampfanfälle und Bewusstseinstrübungen sind möglicherweise Folge einer zerebralen Minderdurchblutung.
20–30 min vor KM-Applikation als Kurzinfusion (100–200 ml) langsam i. v.
20.3
Therapie
Die Therapie der KM-Allergie besteht abhängig vom Schweregrad sowohl in einer klinischen- als auch in einer Pharmakotherapie. Nachfolgend sind beide Therapieformen in einer Übersicht dargestellt.
20.3.1 Allgemeine Maßnahmen
Allgemeine Maßnahmen haben vorrangig das Ziel dem Patienten eine stabile Herz-Kreislauf- und Atemfunktion zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Im Einzelnen sind dies: sofortige Unterbrechung der Kontrastmittelgabe, zuverlässiger, möglichst großlumiger venöser Zugang (soweit nicht schon vorhanden), rasche Volumensubstitution mit Elektrolyt- und kolloidalen Lösungen, Sauerstoffzufuhr (z. B. über Gesichtsmaske oder Nasensonde), Flachlagerung des Patienten, wenn möglich Trendelenburg-Lagerung (Ausnahme: Lungenödem!), bei bedrohlicher Hypotension und/oder Dyspnoe endotracheale Intubation und Beatmung mit 100% Sauerstoff und
275
20.3 · Therapie
⊡ Tabelle 20.3. Stadieneinteilung anaphylaktoider/ anaphylaktischer Sofortreaktion [1]
Stadium
Symptomatik
0
lokal begrenzte kutane Reaktion
I
leichte Allgemeinreaktion disseminierte kutane Reaktionen (z. B. Flush, generalisierte Urtikaria Pruritus) Schleimhautreaktionen (z. B. Nase, Konjunktiven) Allgemeinreaktionen (z. B. Unruhe, Kopfschmerz)
II
ausgeprägte Allgemeinreaktion Kreislaufdysregulation (Blutdruck-, Pulsveränderungen Luftnot (leichte Dyspnoe, beginnender Bronchospasmus) Stuhl- bzw. Urindrang
III
bedrohliche Allgemeinreaktion = anaphylaktischer Schock Schock Bronchospasmus mit bedrohlicher Dyspnoe Bewusstseinstrübung, -verlust, ggf. mit Stuhl-, Urinabgang
IV
vitales Organversagen Atem-, und Kreislaufstillstand
bei massivem Larynxödem im Notfall Konio-
tomie (bzw. perkutane Punktionskoniotomie).
20.3.2 Medikamentöse Therapie
Neben den bereits erwähnten allgemeinen Maßnahmen, wie sofortigem Beenden der KMApplikation, großzügiger Volumengabe und Sauerstoffzufuhr hat sich für die medikamentöse Therapie der Kontrastmittelallergie ein dem klinischen Schweregrad entsprechend abgestuftes Verfahren bewährt [1, 12, 14, 17] ( s. folgende Übersicht).
20
Medikamentöse Therapie der Kontrastmittelallergie nach klinischem Schweregrad Schweregrad I: Leichte Allgemeinreaktion, vorwiegend Haut- und Schleimhautreaktionen – H1- und H2-Antagonisten: z. B. 8 mg Dimetindenmaleat (Fenistil) und 400 mg Cimetidin (Tagamet) i. v. – Kortikosteroide: z. B. 250–500 mg SoluDecortin i. v. – Kristalloide: z. B. Ringerlactat Schweregrad II: Ausgeprägte Allgemeinreaktion, pulmonale und/oder kardiovaskuläre Beteiligung – β-Mimetika/Adrenalin inhalativ Dosieraerosole: z. B. Terbutalin, Fenoterol, Salbutamol (z. B. Sultanol Dosieraerosol 1–2 Hübe) – Kortikosteroide: z. B. 500 mg Solu-Decortin i.v oder Fortecortin 40–80 mg i. v. – kolloidale Lösungen: z. B. HAES steril 6% 200/0,5. Neben Kristalloiden sollten nun auch kolloidale Lösungen (1.000– 2.000 ml ) infundiert werden. – Adrenalin: bei zunehmender Kreislaufsymptomatik trotz Volumengabe: Suprarenin 0,1 mg/min i. v. Schweregrad III: Bedrohliche Allgemeinreaktion = anaphylaktischer Schock; schwere Hypotension, Bronchospasmus und Bewusstseinstrübung – Kolloidale und kristalloide Lösungen sollten in großen Mengen (2.000– 3.000 ml) infundiert werden – Katecholamine: Adrenalin Suprarenin fraktioniert 0,1 mg/min i. v. (bis 1 mg) oder 0,3 mg endotracheal – Noradrenalin: bei unzureichendem Therapieerfolg nach Volumengabe und insgesamt 1 mg Adrenalin: fraktioniert Arterenol 0,05–1 mg/min – β2-Mimetika: z. B. Salbutamol (Sultanol Dosieraerosol) – Kortikosteroide: 1.000 mg Prednisolon (z. B. Solu-Decortin) ▼
276
Kapitel 20 · Management der akuten Kontrastmittelallergie
Gelatine. –
II
Theophyllin: 0,2–0,4 g i. v. Bei Nichtansprechen des Bronchospasmus auf β2-Mimetika und 1.000 mg Prednisolon – H1- und H2-Antagonisten: 8 mg Dimetindenmaleat und 400 mg Cimetiden Stadium IV: Vitales Organversagen, Atemund Kreislaufstillstand – Kardiopulmonale Reanimation
Kurzportraits der oben angeführten Medikamente und Infusionslösungen Kristalloide Lösungen (z. B. Ringerlactat, 0,9%NaCl).
Fast ausschließlich werden Vollelektrolytlösungen verwendet. Kristalloide Lösungen können frei durch Kapillarmembranen diffundieren und bleiben daher nur zu höchstens einem Drittel im Gefäßsystem. Sie dienen zur Deckung des Basis-Flüssigkeitsbedarfes und Ersatz von geringeren Volumenverlusten. Ab dem Stadium III ist daher die alleinige Gabe von Elektrolytlösungen unzureichend. Kolloidale Lösungen.
Dies sind künstliche Kolloide wie z. B. Hydroxyethylstärke (z. B. HAES-steril 6%/0,5; Voluven), Gelatinepräparate (z. B. Gelafundin 4%, Haemaccel 35) oder Dextrane. Alle künstlichen Kolloide erhöhen den kolloidosmotischen Druck und weisen in Abhängigkeit von ihrem Molekulargewicht (MG) und Substitutionsgrad eine kürzere oder längere intravasale Verweildauer auf. Hydroxyethylstärke.
Hydroxyethylstärke (HES) ist ein Amylopectin-Hydrolysat. Der enzymatische Abbau erfolgt über die α-Amylase. Neben dem mittleren Molekulargewicht (70.000–200.000) ist auch der Substitutionsgrad (0,5–0,7) von Bedeutung. Die Volumenwirkdauer liegt zwischen 1,5 und 8 h (für eine 6%ige HES 200/0,5 beträgt sie 4 h). Moleküle mit einem MG >50.000 werden zunächst im RES gespeichert. Dies führt zu einer Dosislimitierung: Maximal sollten 20–33 ml/kg/Tag (ca. 1,5 l beim Erwachsenen) infundiert werden; z. B. HAES-steril 6% (200/0,5), Voluven (130/0,4).
Gelatine wird aus tierischem Kollagenmaterial hergestellt. Mit einem mittleren Molekulargewicht von 30.000–35.000 liegen die meisten Moleküle unterhalb der Nierenschwelle und werden daher rasch ausgeschieden; nur 5–8% werden über den Darm und 1% durch körpereigene Peptidasen eliminiert. Die Volumenwirkdauer beträgt 1,5 h. Maximal sollten 2.000 ml infundiert werden. ! Cave! Auch Gelatinepräparate können anaphylaktoide Reaktionen hervorrufen.
Durch veränderte Herstellungsverfahren konnte die Inzidenz auf 0,3% gesenkt werden [11]. Dextrane.
Dextrane werden wegen ihrer hohen Inzidenz von präparatspezifisch allergischen Reaktionen (1:70.000–1:200.000) und der Thrombozytenaggregationshemmung (coating) zur Therapie des anaphylaktischen Schocks nicht empfohlen. Katecholamine.
Adrenalin (Suprarenin) kann intravenös, intramuskulär, subcutan, endotracheal und als Dosieraerosol appliziert werden. Adrenalin wirkt sympathikomimetisch über α- und β-Rezeptoren. Als α-Adrenozeptoragonist hat es eine vasokonstriktive und antiödematöse Wirkung; über die Stimulation der β-Rezeptoren wirkt es sowohl bronchodilatatorisch (β2) als auch positiv inotrop und chronotrop (β1). ! Cave! Die i. v.-Gabe von Adrenalin darf nur fraktioniert in kleinen Dosen von 0,1 mg/min unter Blutdruck-, Puls- und EKG-Kontrolle erfolgen. Eine maximale Einzeldosis von 1 mg sollte nicht überschritten werden.
(Um eine genaue Dosierung zu erreichen wird 1 mg Adrenalin in einer 10 ml Spritze mit NaCl 0,9% aufgezogen.) Bei der endobronchialen Applikation beträgt die Dosis 0,3 mg. Die intramuskuläre Applikation von 0,3–0,7 mg kann alternativ anstelle der initialen i. v.-Gabe verabreicht werden [5, 14]. Adrenalin als Dosieraerosol: Infectokrupp inhal Dosis: 1–2 Sprühstöße (0,2 mg Epinephrin)
277
20.3 · Therapie
Noradrenalin (Arterenol).
Kann der Kreislauf nicht durch Adrenalin stabilisiert werden, sollte Noradrenalin eingesetzt werden. Noradrenalin wird wegen seiner bevorzugt α-stimulierenden Wirkung gezielt zur Erhöhung des Gefäßwiderstandes eingesetzt. Dosierung: 1 mg Arterenol wird auf 10 ml verdünnt, davon werden fraktioniert 0,1 mg/min verabreicht. Die Maximaldosis von 1 mg sollte in 10 min nicht überschritten werden. Glukokortikosteroide.
Ihre spezifische Wirkung besteht in der Hemmung der IgE-induzierten Histamin- und Arachidonsäurefreisetzung sowie in der Beeinflussung der Synthese verschiedener Lymphokine. Demgegenüber steht die unspezifische membranstabilisierende Wirkung. Dieser Wirkmechanismus setzt hohe Konzentrationen voraus, die kurzzeitig erreicht werden, wenn mindestens 500– 1.000 mg i. v. appliziert werden. Indikationen sind einerseits akute kutane und pulmonale Reaktionen, andererseits haben sie einen festen Platz in der Prophylaxe von Rezidivreaktionen und der Therapie von allergischen Spätreaktionen. Dosierung für die Akuttherapie: 500–1000 mg Prednisolon i. v. ( z. B. Solu-Decortin) Histaminrezeptor-Antagonisten (H1- und H2-Antagonisten).
Einen festen Platz in der Therapie kutaner anaphylaktoider Reaktionen haben die H1-Antagonisten. Trotz erheblich struktureller Unterschiede weisen sie den gleichen Wirkungsmechanismus auf: kompetitive Verdrängung des Histamins von seinem Rezeptor (Dimetinden und Clemastin haben die höchste Affinität zu H1-Rezeptoren). Kommt es zu keiner Linderung des klinischen Bildes oder zur Progredienz, werden zusätzlich H2-Antagonisten verabreicht. Diese Kombination hat den Vorteil, auch die Vasodilatation und Permeabilitätszunahme zu verhindern, da diese nur bei simultaner Blockade zu unterbinden ist [7]. Histamin-Rezeptorantagonisten sind nicht Mittel der ersten Wahl bei kardiovaskulären und
20
pulmonalen Reaktionen. Nur bei unzureichendem Therapieerfolg oder progredientem Verlauf sollten sie nach der Katecholamingabe eingesetzt werden. H1- und H2-Antagonisten sollten immer als Kurzinfusion (100–250 ml) über einen Zeitraum von 5 min verabreicht werden, da nach einer Bolusinjektion Histamin freigesetzt werden kann. Dosisempfehlung für H1-Antagonisten: – 8 mg Dimetindenmaleat (z. B. Fenistil) oder – 4 mg Clemastin (z. B. Tavegil) Dosisempfehlung für H2-Antagonisten: – 400 mg Cimetidin (z. B. Tagamet) oder – 50 mg Ranitidin (z. B. Ranitic) als Kurzinfusion beim normalgewichtigen Erwachsenen. β2-Sympathomimetika.
Durch die Aktivierung der Adenylatzyklase und die Erhöhung der intrazellulären Konzentration zyklischer Nukleotide vermindern die β-Sympathomimetika den Tonus der glatten Bronchialmuskulatur. Zusätzlich steigern sie die mukoziliäre Clearance und wirken antiödematös. Es werden folgende β2-Sympathomimetika empfohlen: Salbutamol (z. B. Sultanol Dosieraerosol Dosierung: 1–2 Sprühstöße (=0,1–0,2 mg), Fenoterol (z. B. Berotec Dosieraerosol) Dosierung: 1–2 Hübe (=100–200 µg) und Terbutalin (z. B. Aerodur Turbohaler) Dosierung: 1–2 Hübe (=0,5–1 mg). Theophyllin.
Theophyllin wird empfohlen bei schweren bronchospastischen Reaktionen, die nicht auf die Therapie von β-Sympathomimetika und Kortikoiden ansprechen. Theophyllin ist ein Methylxanthinderivat und bewirkt eine Relaxierung der glatten Bronchialmuskulatur. Initialdosis: 5 mg/kg z. B.: Bronchoparat 200 mg (1 Ampulle=10 ml) Um eine wirksame Therapie eventuell auftretender anaphylaktoider Reaktionen sofort einleiten zu können, muss stets eine ausreichende Notfallausrüstung von Medikamenten, Infusionslösungen
278
II
Kapitel 20 · Management der akuten Kontrastmittelallergie
und eine entsprechende Instrumentenausstattung in unmittelbarer Nähe vorhanden sein. Dies sind im Einzelnen ( s. auch folgende Übersicht): A Medikamente (alphabetisch geordnet) B Infusionslösungen C apparative Ausstattung
A Medikamente (alphabetisch geordnet) Arterenol Ampullen à1 mg (= Noradrenalin 1:1.000) Atropinsulfat Ampullen à 0,5 mg Berotec Dosieraerosol (=Fenoterol) Dosierung: 1–2 Hübe (= 100–200 µg) Theophyllin (z. B. Bronchoparat Ampullen à 200 mg) Dimetindenmaleat (z. B. Fenistil Ampullen à 4 mg) Solu-Decortin H Ampullen à 500 mg, 1.000 mg (=Prednisolon) Suprarenin Ampullen à 1 mg (=Adrenalin 1:1.000) Cimetidin (Tagamet Ampullen à 200 mg)
B Infusionslösungen Physiologische Kochsalzlösung (10-ml-Ampullen) Kristalloide Lösungen: z. B. Ringerlactat, NaCl 0,9% (500 ml Infusionslösung) Kolloidale Lösungen: z. B. HAES steril 6% (500 ml Infusionslösung)
C Apparative Ausstattung Notfallausrüstung bestehend aus: Blutdruckmessgerät Beatmungsbeutel und Masken Oro- und Nasopharyngealtuben O2-Insufflationsgerät mit Absaugevorrichtung Laryngoskop und Tuben, Blockerspritze und Klemme EKG-Monitor Notfalldefibrillator (z. B. Lifepack)
Fazit Um die Morphologie und Funktion der Nieren und der ableitenden Harnwege beurteilen zu können, werden routinemäßig intravenöse Kontrastmittel (=komplexe Jodverbindungen) zur Radiodiagnostik verabreicht. Da es jedoch bei ihrer Anwendung zu leichten bis schweren, in Ausnahmefällen sogar lebensbedrohlichen anaphylaktoiden Reaktionen kommen kann, werden im Interesse der Patientensicherheit folgende Qualitätsstandards empfohlen: Vor jeder Kontrastmittelanwendung muss eine sorgfältige Anamnese erhoben werden. Bei allgemein allergischer Disposition und bekannter Kontrastmittelallergie wird eine Prophylaxe mit Kortikosteroiden und H1und H2-Antagonisten dringend empfohlen. Der rasche Zugang zu Notfallmedikamenten und apparativen Hilfsmitteln muss gesichert sein. Nach der Kontrastmittelapplikation sollte der Patient noch 30 min observiert werden. Hat eine anaphylaktoide Reaktion stattgefunden, ist eine klinische Nachbeobachtung für 24 h unerlässlich, da sich die Symptome nach zunächst erfolgreicher Therapie, als Spätreaktion bis zu 12 h nach dem initialen Ereignis erneut manifestieren können. In Deutschland ist derzeit ein einheitliches Konzept für die Behandlung von anaphylaktischen Reaktionen im interdisziplinären Abgleich noch nicht vorhanden, deshalb wird von der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) vorgeschlagen, eine fachgebietsüberschreitende Leitlinie zu erarbeiten um damit einen Ansatz zur bestfundierten Behandlung anaphylaktischer Zwischenfälle anzubieten [14].
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279
20
III Funktionelle Störungen C. G. Stief
21
Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen und Harninkontinenz V. Grünewald
– 283
22
Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms – 313 M. Oelke, R. R. Berges, J. J. de la Rosette
23
Therapie der erektilen Dysfunktion – 341 E. Waldkirch, D. Schultheiss, S. Ückert, J.-U. Stolzenburg, M. C. Truß, C. G. Stief
24
Die Behandlung der prolongierten Erektion/Priapismus J. H. Hagemann, E. Waldkirch, M. C. Truß
25
Medikamentöse Therapie der Induratio Penis plastica E. W. Hauck, W. Weidner
26
Therapie von Ejakulationsstörungen O. Heuer, S. Machtens
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Substitutionstherapie mit Androgenen D. Schultheiss, N. Schlote, F.-M. Köhn
28
Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen und Möglichkeiten der Pharmakotherapie – 395 S. Ückert, M. C. Truß
29
Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt – 405 W. Vahlensieck
– 353
– 359
– 367
– 381
21 Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen und Harninkontinenz V. Grünewald
21.1
Klassifikation und klinische Manifestation neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes – 285
21.2
Pharmakotherapeutische Ansatzpunkte zur Beeinflussung einer neurogenen Fehlfunktion des unteren Harntraktes – 286
21.3
Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes – 288
21.3.1
Pharmakotherapeutische Beeinflussung der Detrusorhyperaktivität – 290 Substanzen mit vorwiegend anticholinerger (parasympatholytisch-antimuscarinerger) Wirkung – 291 Substanzen mit anticholinerger und weiteren Wirkungen (gemischte Wirkung) – 293 Substanzen mit β-adrenerger (sympathomimetischer) Wirkung – 294 Substanzen mit Wirkung auf Ionenkanäle der Zellmembran – 295 Substanzen mit mehreren Wirkungsmechanismen und nicht rezeptorvermittelt wirkende Substanzen – 296 Vanilloidrezeptoragonisten – 297 Substanzen mit Wirkung durch Hemmung der Freisetzung von Acetylcholin an den präsynaptischen Nervenendigungen (Acetylcholinfreisetzungsinhibitoren) – 298 Pharmakotherapeutische Beeinflussung der Detrusorhypokontraktilität – 299 Direkte Parasympathomimetika (Acetylcholinrezeptoragonisten, Cholinergika) und indirekte Parasympathomimetika (Cholinesteraseinhibitoren) – 299 Prostaglandine – 300
21.3.2
21.3.3
21.3.4
Literatur
Pharmakotherapeutische Senkung des Blasenauslasswiderstandes – 300 Relaxation der quergestreiften muskulären Komponente des Sphinktermechanismus – 300 Relaxation der glattmuskulären Komponente des Sphinktermechanismus – 301 Pharmakotherapeutische Steigerung des Blasenauslasswiderstandes – 303 Alpha-Sympathomimetika – 303 Östrogene – 304 Serotonin-/Noradrenalinwiederaufnahmehemmer – 304
– 306
21.1 · Klassifikation und klinische Manifestation neurogener Funktionsstörungen
21.1
Klassifikation und klinische Manifestation neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes
Prinzipiell und stark vereinfacht lassen sich neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntraktes pathophysiologisch und urodynamisch-funktionell in Störungen der Harnspeicherfunktion und Entleerungsfunktion unterteilen [58]. Leitsymptome der Harnspeicherstörungen sind Pollakisurie, Nykturie, imperativer Harndrang und Harninkontinenz. Entleerungsstörungen der Harnblase manifestieren sich klinisch durch Auftreten sog. Miktionssymptome wie z. B. Startverzögerung, Harnstrahlabschwächung, verlängerte Miktion etc. sowie unter Umständen abgeschwächtes oder aufgehobenes Blasenfüllungsgefühl. Sowohl die Harnspeicher- als auch die Entleerungsstörungen können auf eine Fehlfunktion der Harnblase (genauer genommen des Detrusors) oder eine Fehlfunktion des Blasenauslasses zurückzuführen sein [58]. Als Mischformen kommen detrusor- und auslassbedingte Störungen von Speicher- und Entleerungsfunktion in allen denkbaren Kombinationen, allerdings mit klinisch unterschiedlicher Häufigkeit und Relevanz vor. Weder anhand der klinischen Symptomatik noch durch eine urodynamische Untersuchung ist eine sichere Unterscheidung zwischen einer neurogenen und einer nichtneurogenen Ursache einer Funktionsstörung des unteren Harntraktes möglich. Trotz unauffälliger neurologischer Untersuchung besteht die Möglichkeit, dass es sich auch bei den vermeintlich nichtneurogenen Blasenfunktionsstörungen um Störungen auf neuronaler Ebene handelt, die aber zum Untersuchungszeitpunkt
285
21
mit den zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten nicht erfasst werden können [48]. Mit Hilfe sensitiverer Untersuchungsmethoden wie der Kernspintomographie oder der Positronenemissionsspektrographie sowie spezieller neurophysiologischer Untersuchungstechniken wie der Elektromyographie des Sphinkter urethrae und Levator ani bzw. der somatosensorisch evozierten Potenziale und Bulbocavernosusreflex-Latenzzeit-Messung können jedoch inzwischen auch bei einem zunehmend größeren Teil der bisher als idiopathisch klassifizierten Funktionsstörungen pathologische Veränderungen der neuronalen Steuerung und Koordination nachgewiesen werden [36, 69]. In Abhängigkeit von der Lokalisation (⊡ Abb. 21.1) und der Ausprägung nachgewiesener neurologischer Läsion(en) lassen sich typische klinische und urodynamisch funktionell zu beschreibende Befundmuster erheben (⊡ Abb. 21.2). Entsprechend kommt es bei spezifischen neurologischen Erkrankungen vielfach zu charakteristischen Veränderungen der Blasen- und der Blasenauslassfunktion (⊡ Abb. 21.3), die sich als sog. Symptome des unteren Harntraktes (»Lower Urinary Tract Symptoms«, LUTS) manifestieren und somit diese funktionellen Veränderungen widerspiegeln (⊡ Abb. 21.4). Eine im eigentlichen Sinne wirklich kausale medikamentöse Therapie existiert, bis auf wenige Ausnahmen, leider nicht für die meisten neurologischen Erkrankungen, die einer neurogenen Funktionsstörung des unteren Harntraktes ursächlich zugrunde liegen können. Im Sinne einer symptomatischen Therapie lassen sich daher lediglich die aus einer neurogenen Blasenfunktionsstörung resultierenden Sekundärveränderungen pharmakotherapeutisch beeinflussen. Da die Symptome, wie dargestellt, meist bestimmte funktionelle Veränderungen reflektieren, resultiert eine symptomatische Therapie neurogener Funktionstörungen des unteren Harntraktes dennoch sinnvoller- und praktischerweise in vielen Fällen in einer vornehmlich funktionell orientierten Behandlung. Diese ist Hauptgegenstand des vorliegenden Kapitels.
286
Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
⊡ Abb. 21.1. Klassifikation neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes in Abhängigkeit von der Lokalisation neurologischer Läsionen im zentralen bzw. peripheren Nervensystem
III
Neurogene Blasenfunktionsstörungen - Lokalisation der neurolog. Läsion -
Suprapontine Läsion
Suprasakrale Läsion
Sakrale/Periphere Läsion
⊡ Abb. 21.2. Typische urodynamisch-funktionelle Befundmuster in Abhängigkeit von der Lokalisation neurologischer Läsionen
21.2
Pharmakotherapeutische Ansatzpunkte zur Beeinflussung einer neurogenen Fehlfunktion des unteren Harntraktes
Ansatzpunkt einer spezifischen Pharmakotherapie sind in erster Linie die Rezeptoren der Neurotransmitter an neuronalen und neuromuskulären Strukturen im zentralen und peripheren Nervensystem, welche die Funktion des unteren Harntraktes steuern.
⊡ Abb. 21.3. Typische Lokalisation neurologischer Läsionen bei klinisch relevanten neurologischen Erkrankungen
Die periphere Innervation des unteren Harntraktes erfolgt durch das somatische und das autonome Nervensytem, wobei die beiden antagonistischen Komponenten des autonomen Nervensytem (Sympathicus und Parasympathicus) die größte Bedeutung besitzen. Die visceromotorische Komponente des parasympathischen N. pelvicus, die aus den spinalen Segmenten S2–S4 entspringt, beeinflusst die Blasenfunktion vornehmlich über exzitatorische (stimulierende) Impulse auf den glattmuskulären
21.2 · Pharmakotherapeutische Ansatzpunkte
⊡ Abb. 21.4. Symptome des unteren Harntraktes (»Lower Urinary Tract Symptoms« LUTS)
Detrusor (Kontraktion). Als Neurotransmitter, die diesen Effekt vermitteln, findet sich hier in erster Linie das an sog. muskarinische Rezeptoren (hauptsächlich der Subtypen M2 und M3) bindende Acetylcholin. Zusätzliche Bedeutung, insbesondere bei pathologischen Zuständen wie einer neurogen gestörten Funktion, kann Adenosintriphosphat (ATP) besitzen, welches seine Wirkung im Sinne der sog. nichtadrenergen, nichtcholinergen (NANC) Innervation, über purinerge Rezeptoren (P2X, P2Y) hervorruft. Die visceromotorische sympathische Innervation vermittelt durch den N. hypogastricus (Ursprung in den spinalen Segmenten L1–L3) führt zu einer Tonuserhöhung/Kontraktion der glatten Muskulatur im Bereich des Blasenhalses und der Urethra und besitzt hemmende Einflüsse auf die parasympathischen Ganglien und den Detrusor selbst. Während wie im parasympathischen Anteil des autonomen Nervensystems in präganglionären Neuronen des Sympathicus Acetylcholin als Neurotransmitter fungiert, hier allerdings über Bindung an sog. nikotinische Rezeptoren, spielt Noradrenalin als Neurotransmitter im postganglionären Anteil des sympathischen Nervensystems die letztlich funktionell bedeutungsvollere Rolle. Die ebenfalls aus den spinalen Segmenten S2– S4 entspringende somatomotorische Innervation des unteren Harntraktes, gesteuert über den N. pudendus, vermittelt eine willkürliche Kontraktion der quergestreiften Beckenboden- bzw. Urethral-
287
21
sphinktermuskulatur. Auch hier wird der Effekt über nikotinische Rezeptoren für Acetylcholin als Neurotransmitter vermittelt. Soweit bisher bekannt, haben im zentralen Nervensystems das sakrale Rückenmark (Segmente S2–S4) sowie das im Hirnstamm lokalisierte, sog. pontine Miktionszentrum im Bereich der Formatio reticularis für die nervale Steuerung von Kontinenz- und Entleerungsfunktion des unteren Harntraktes die größte Bedeutung. Beide Zentren jedoch unterliegen Modulationen durch übergeordnete Zentren des ZNS im Bereich des Zwischenhirnes und des Kortex. Erst das Zusammenspiel sämtlicher zentraler Steuerungsregionen ermöglicht die willkürliche Kontinenz- bzw. Miktionskontrolle. Zahlreiche zentralnervöse Neurotransmitter konnten in der Vergangenheit identifiziert werden. Zum Teil beeinflussen sie über spezifische Rezeptoren bzw. Rezeptorsubtypen auch die Funktion des unteren Harntraktes. Von den vornehmlich inhibitorisch (hemmend) wirkenden zentralen Neurotransmittern, zu denen z. T. bereits erwähnte Substanzen wie Acetylcholin, Noradrenalin und ATP, aber auch z. B. Dopamin, Glutamin und Substanz P zählen, werden die sog. exzitatorischen (erregenden) Neurotransmitter unterschieden. Zu ihnen gehören z. B. Serotonin, Glycin und γ-Aminobuttersäure (GABA), aber auch z. B. das bereits als inhibitorisch erwähnte Dopamin, was verdeutlicht, dass die Wirkung ein und desselben Neurotransmitters ebenso von der Art und der Lokalisation des Rezeptors (Subtyps) an den er binden kann, abhängig ist. Neben der bisher vorzugsweise thematisierten (efferenten) viscero- bzw. somatomotorischen Innervation des unteren Harntraktes haben somatound viscerosensible Afferenzen von der Blase zum ZNS einen mindestens ebenso bedeutende Einfluss auf die normale bzw. gestörte Funktion des unteren Harntraktes. Afferente Nerven übermitteln Impulse von Druck-, Dehnungs- und Schmerzrezeptoren im Bereich aller Blasenwandkomponenten. Insbesondere innerhalb der Mukosa reagieren die Nervenendigungen auf urothelial freigesetzte Substanzen wie Stickoxid (NO), Acethylcholin, ATP oder Prostaglandine. Beispielsweise findet sich in der Harnblase die größte Dichte
288
III
Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
von Acethylcholinrezeptoren im Bereich des Urothels (M2-Subtyp) und damit auf der afferenten Seite der Regulation. Während myelinisierte, schnell leitende Nervenfasern vom A-δ-Typ vornehmlich Impulse von Dehnungsrezeptoren weiterleiten und damit für die Vermittlung eines Blasenfüllungsgefühls verantwortlich sind, scheinen die nichtmyelinisierten, langsam erregungsleitenden Typ-C-Nervenfasern, obwohl normalerweise mit Mechanorezeptoren verkoppelt, auch toxische Reize weiterzuleiten und die Schmerzwahrnehmung zu vermitteln. Eine pharmakologische Blockade der Erregungsleitung in C-Fasern ist in diesem Zusammenhang ein Wirkprinzip bei bestimmten neurogenen Funktionsstörungen. Hierzu werden therapeutisch z. B. bestimmte pflanzliche Toxine eingesetzt (vgl. Abschn. »Vanilloidrezeptoragonisten«). Weitere Angriffspunkte zur pharmakologischen Beeinflussung der Funktion des unteren Harntraktes können Ionenkanäle der Zelle (Kalium und Calcium) und nicht rezeptorvermittelte, meist metabolische Mechanismen z. B. im Bereich des Neurotransmitter/Second-messenger-Stoffwechsels sein. Die über einen dieser Mechanismus wirkenden Substanzen verändern meist die Verfügbarkeit physiologischer Mediatoren. Beispiele sind z. B. Kalziumkanalblocker und Phosphodiesteraseinhibitoren. Zusätzlich zu den bisher dargestellten Strategien, die Funktion des unteren Harntraktes pharmakologisch zu beeinflussen, müssen abschließend die hormonell vermittelten Mechanismen angeführt werden. Sowohl durch die unmittelbare Applikation von Sexualhormonen wie z. B. von Östrogen als auch durch die Einflussnahme auf den Metabolismus von Sexualhormonen bzw. ihrer Vorstufen/Abbauprodukte (z. B. 5-α-Reduktasehemmer) lässt sich Einfluss auf die Funktion des unteren Harntraktes nehmen. Zunehmend spielt auch die Beeinflussung der hormonellen Steuerung des Wasserhaushaltes durch das antidiuretische Hormon (ADH) in der Therapie von bestimmten Funktionsstörungen des unteren Harntraktes (nächtliche Polyurie insbesondere des älteren Menschen) klinisch eine Rolle. Ein bedeutendes Grundprinzip jeglicher pharmakotherapeutischer Einflussnahme ist eine in je-
dem Fall größtmögliche Endorgan- bzw. genauergenommen Funktionsspezifität der eingesetzten Wirkungsmechanismen, um unerwünschte Wirkungen an anderen Organsystemen idealerweise zu vermeiden bzw. realistischerweise so gering wie möglich zu halten. Dieser Ansatz wird jedoch dadurch erschwert, dass bisher keine für den Harntrakt spezifischen Rezeptor-Subtypen identifiziert werden konnten. Beispielsweise wird beim Menschen die normale Miktion fast ausschließlich über den M3-Acethylcholinrezeptor vermittelt, gleichzeitig werden aber auch Speichelproduktion, Akkomodation und Pupillenreaktion hauptsächlich über den M3-Rezeptor vermittelt; er spielt eine wichtige Rolle im Gastrointestinaltrakt und findet sich im Herzen. Organ- bzw. Funktionsspezifität kann daher nicht durch Rezeptorselektivität erzielt werden, sondern entweder durch intravesikale Applikation oder durch Wirkung auf eine für die Harnblase typische Kombination von Rezeptoren (z. B. durch Trospiumchlorid und Tolterodine).
21.3
Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes
Eine Darstellung der pharmakotherapeutischen Möglichkeiten bei neurogenen Funktionsstörungen des unteren Harntraktes ist unter unterschiedlichsten Gesichtspunkten (z. B. Häufigkeit der Anwendung, Effektivität, Substanzklassen, Wirkungsmechanismen etc.) möglich. Für den meist unter Zeitdruck stehenden, eine geeignete Pharmakotherapie bei neurogenen Blasenfunktionsstörungen suchenden Arzt erscheint es am zweckmäßigsten, eine an der klinischen Problematik (Welche Funktion des unteren Harntraktes ist gestört und soll wieder hergestellt bzw. gebessert werden?) orientierte Gliederung der Darstellung zu wählen. Trotz unterschiedlicher Häufigkeit und klinischer Relevanz lassen sich prinzipiell folgende 4 funktionellen Grundmuster neurogener Störungen der Funktion des unteren Harntraktes beschreiben:
21.3 · Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen
289
1. Detrusorhyperaktivität
(insuffiziente Relaxation des Detrusors in der Speicherphase) Symptomatik: LUTS-Speichersymptome ältere Begriffe: Detrusorhyperreflexie, Detrusorinstabilität
2. Detrusorhypoaktivität/ Detrusorhypokontraktilität/ Detrusorakontraktilität
(insuffiziente Kontraktion des Detrusors in der Miktions phase) Symptomatik: LUTS-Miktionssymptome ältere Begriffe: Detrusorareflexie, Detrusorschwäche
3. Erhöhter Blasenauslasswiderstand infolge funktioneller infravesikaler Obstruktion bei: a) Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD)
b) Detrusor-Blasenhals-Dyssynergie
4. (Neurogene) Belastungsinkontinenz
21
(insuffiziente Relaxation der quergestreiften muskulären Komponente des Sphinktermechanismus in der Miktionsphase) Symptomatik: LUTS-Miktionssymptome ältere Begriffe: Sphinkterspastik, somatische Dyssynergie (insuffiziente Relaxation der glattmuskulären Komponente des Sphinktermechanismus in der Miktionsphase) Symptomatik: LUTS-Miktionssymptome ältere Begriffe: autonome Dyssynergie (insuffiziente Kontraktion des Sphinktermechanismus in der Speicherphase) Symptomatik: Inkontinenz ältere Begriffe: (Neurogene) Stressinkontinenz, Sphinkterparese, Sphinkterlähmung, Sphinkterschwäche
In der voranstehenden Gliederung wurde die aktuelle Terminologie der International Continence Society (ICS) in der Modifikation des Arbeitskreises Urologische Funktionsdiagnostik und Urologie der Frau der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) zugrunde gelegt [58]. In dieser Gliederung unberücksichtigt blieben die Störungen der Sensorik, die heute als Blasenhyper- bzw. -hyposensitivität bezeichnet werden. Des Weiteren unberücksichtigt blieb die ergänzende Darstellung der etwas abweichenden Terminologie bei nichtneurogenen Funktionsstörungen des unteren Harntraktes. Diese stellen sich funktionell und im Hinblick auf die Symptomatik den neurogenen Störungen identisch dar, allerdings ist
keine neurologische Grunderkrankung in diesen Fällen gesichert. Auch die medikamentöse Therapie neurogener und nichtneurogener Funktionsstörungen unterscheidet sich kaum. Während Detrusorhyperaktivität, Detrusorhypokontraktilität und Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie klinisch häufig zu beobachten sind, kommen die Detrusor-Blasenhals-Dyssynergie und die (neurogene) Belastungsinkontinenz (die praktisch immer mit einer Detrusorhypoaktivität/Detrusorhypokontraktilität assoziiert ist) nur sehr selten vor. Neben den aufgeführten isolierten Störungen der Funktion des unteren Harntraktes existieren theoretisch alle denkbaren Kombinationen. Von relevanter Häufigkeit und damit praktischer Be-
290
III
Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
deutung ist allerdings nur die (therapeutisch problematische) Kombination einer Detrusorhyperaktivität und einer Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie. Kombinierte Störungen können und werden in der Praxis durch kombinierte Anwendung von Pharmaka mit entsprechenden Wirkmechanismen behandelt. Die Beschreibung der in diesem Kapitel besprochenen Substanzen erfolgt, soweit möglich, nach der vorangehend dargestellten funktionellen Einteilung neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes. Angesichts der Vielzahl existierender und in der Entwicklung befindlicher Substanzen wurden insbesondere bei der Besprechung der vorwiegend antimuscarinergen, parasympatholytisch wirkenden Substanzen zur Behandlung der Detrusorhyperaktivität vorrangig solche besprochen, deren klinische Wirksamkeit in prospektiven placebokontrollierten Studien gesichert wurde bzw. solche, die bereits eine entsprechend weite Verbreitung in der klinischen Anwendung gefunden haben.
21.3.1 Pharmakotherapeutische
Beeinflussung der Detrusorhyperaktivität Neurogene und nichtneurogene Detrusorhyperaktivität sind nach wie vor eine Domäne der Pharmakotherapie. In einem therapeutischen Stufenkon-
⊡ Abb. 21.5. Therapeutisches Stufenkonzept bei neurogener und nichtneurogener Detrusorhyperaktivität
zept (⊡ Abb. 21.5) kommt die medikamentöse Therapie zu einem sehr frühen Zeitpunkt zum Einsatz und sollte in jedem Fall vor Anwendung invasiverer Therapiemaßnahmen weitest möglich ausgeschöpft werden. Auch wenn theoretisch zahlreiche pharmakotherapeutische Ansatzpunkte bestehen, so spielen doch in der klinischen Praxis die Substanzen mit vorwiegend anticholinerger (parasympatholytisch-antimuscarinerger) Wirkung u. U. in Kombination mit weiteren Wirkmechanismen die größte Rolle. Entscheidend für die medikamentöse Therapie ist die Tatsache, dass bei Überaktivität der Harnblase unwillkürliche Detrusorkontraktionen bestehen, die je nach klinischer Ausprägung Ursache für die Symptomatik sind. Aufgabe der medikamentösen Therapie ist deshalb die Verminderung der Überaktivität des Detrusors durch Unterdrückung oder Abschwächung unwillkürlicher Detrusorkontraktionen. Die medikamentöse Therapie erfolgt bei der neurogenen Detrusorhyperaktivität zusätzlich zu dem vorgenannten Aspekt unter folgenden klinischen Zielsetzungen: 1. Reduktion und wenn möglich Aufhebung der durch die Hyperaktivität induzierten Inkontinenz. 2. Verbesserung und wenn möglich Normalisierung einer pathologischen Hochdrucksituation in der Füllungsphase (inklusive »Low-Compliance«) und/oder der Entleerungsphase und dadurch Vermeidung von Sekundärveränderungen am oberen Harntrakt.
21.3 · Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen
3. Da die neurogene Detrusorhyperaktivität in den meisten Fällen, wie bereits erwähnt, mit einer Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie kombiniert ist, führt eine medikamentöse Reduktion der Detrusorkontraktilität unter Umständen zu einer erheblichen Verschlechterung der Blasenentleerung mit dann erforderlichem intermittierenden Katheterismus. Durch Vergrößerung der funktionellen Blasenkapazität erhöht die medikamentöse Detrusorrelaxation die Effizienz des Katheterismus (Entleerung größerer Volumina bei reduzierter Frequenz des Katheterismus).
Substanzen mit vorwiegend anticholinerger (parasympatholytisch-antimuscarinerger) Wirkung Die pharmakologische Wirkung der modernen Anticholinergika besteht darin, die muskarinergen M1-, M2-, M3- und M4-Rezeptoren zu blockieren und damit ein Ankoppeln des Acetylcholins an diese Rezeptoren zu verhindern, was letztlich zur fehlenden Freisetzung von Kalziumionen aus dem sarkoplasmatischen Retikulum führt und damit die Kontraktion des Muskels abschwächt oder verhindert. Diese Medikamentengruppe wird als Muskarinrezeptorantagonisten oder Anticholinergika (Abschwächung der Wirkung des Acetylcholins) bezeichnet. Da eine Hemmung der parasympathischen Innervation besteht, ist auch die Bezeichnung Parasympatholytika gebräuchlich. Weitere vorwiegend anticholinerg (antimuscarinerg) wirkende Präparate blockieren über die Muskarinrezeptoren hinaus auch direkt die Kalziumkanäle in der Zellmembran (kalziumantagonistische Wirkung), was ebenfalls zu einer wirksamen Reduktion des freien intrazellulären Kalziums führt. Diese Substanzen werden als Medikamente mit gemischter Wirkung bezeichnet (vgl. Abschn. »Substanzen mit anticholinerger und weiteren Wirkungen (gemischte Wirkung)«). Atropin als klassisches Anticholinergikum und die mit ihm verwandten antimuscarinergen Substanzen (z. B. Oxybutynin) sind chemisch tertiäre Amine. Sie werden durchweg sehr gut aus dem Gastrointestinaltrakt absorbiert und passieren die Blut-Hirn-Schranke. ZNS-Nebenwirkungen können deshalb den klinischen Einsatz limitieren. Tol-
291
21
terodin ist zwar auch ein tertiäres Amin, auf Grund der geringen Lipophilie passieren die Substanz und der pharmakologisch aktive Hauptmetabolite die Blut-Hirn-Schranke jedoch deutlich schlechter, ZNS-Nebenwirkungen treten entsprechend weniger auf [137–139]. Quarternäre Ammoniumverbindungen (z. B. Trospiumchlorid) werden demgegenüber nicht gut resorbiert, was zu starken Schwankungen der Plasmaspiegel führen kann, und passieren die Blut-ZNS-Schranke deutlich schlechter und haben somit eine geringere Inzidenz von ZNS-Nebenwirkungen. Keine der heute klinisch eingesetzten Substanzen ist blasenselektiv, so dass signifikante systemische Nebenwirkungen an anderen Organsystemen den therapeutischen Einsatz limitieren können. Solche typische Nebenwirkungen aller Anticholinergika sind Akkomodationsstörungen, Obstipation, erschwerte Blasenenleerung, Tachykardie und Mundtrockenheit. Sämtliche antimuscarinergen Substanzen sind bei unbehandeltem Engwinkelglaukom kontraindiziert [5]. Theoretisch können systemische Nebenwirkungen durch eine direkte intravesikale Instillation weitgehend vermieden werden, eine Applikation, die bei neurogenen Funktionsstörungen des unteren Harntraktes im Falle eines erforderlichen intermittierenden Katheterismus durchaus praktikabel ist. Trospiumchlorid.
Trospiumchlorid ist eine quarternäre Ammoniumverbindung mit anticholinerger Aktivität. Eine Selektivität für die muskarinergen Rezeptorsubtypen besteht nicht. Sowohl offene Studien [75] als auch placebokontrollierte doppelblinde Studien bei Patienten mit nichtneurogener und neurogener Detrusorhyperaktivität haben die Wirksamkeit der Substanz gegenüber Placebo zeigen können. Trospiumchlorid wurde in 5 randomisierten doppelblinden Studien an insgesamt 424 Patienten untersucht [2, 12, 77, 95, 106], wobei 2 Studien bei neurogener Detrusorhyperaktivität bei querschnittgelähmten Patienten [77, 106] und 2 Studien bei Patienten mit urodynamisch gesicherter nichtneurogener Destrusorhyperaktivität [2, 12] durchgeführt wurden. Eine Studie bei Patienten mit neurogener Detrusorhyperaktivität erfolgte als Ver-
292
III
Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
gleichsstudie zu Oxybutynin [77]. Aus den o. g. Studien lassen sich summarisch folgende Ergebnisse extrahieren: Trospiumchlorid führt bei durchschnittlich 72% der Verum behandelten Patienten zu einer subjektiven Verbesserung der klinischen Symptomatik. Es kommt zu einer Erhöhung der maximalen Blasenkapazität um durchschnittlich 84 ml, wobei eine geringe Zunahme des Restharnes um durchschnittlich 28 ml zu verzeichnen ist. Für Patienten mit neurogener Detrusorhyperaktivität ist zudem eine Verbesserung der Blasendehnbarkeit (Compliance) von erheblicher klinischer Relevanz, ebenso eine Abnahme des maximalen Detrusordruckes. Beides konnte für Trospiumchlorid in einer doppelblinden placebokontrollierten Studie an querschnittsgelähmten Patienten festgestellt werden [106]. Auch andere relevante urodynamische Parameter (Volumen der ersten instabilen Detrusorkontraktion und maximale Blasenkapazität) werden durch Trospiumchlorid im Vergleich zu Placebo signifikant positiv beeinflusst. Nebenwirkungen traten bei durchschnittlich 29% der mit Trospiumchlorid im Rahmen der o. g. Studien behandelten Patienten auf, wobei Mundtrockenheit zu den häufigsten Nebenwirkungen zählte. In der bereits erwähnten Vergleichsstudie zum Oxybutynin an Patienten mit neurogener Detrusorhyperaktivität [77] unterschieden sich beide Substanzen nicht hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, wohl aber hinsichtlich der Inzidenz von Nebenwirkungen, die für Trospiumchlorid geringer waren als für Oxybutynin. Tolterodin.
Tolterodin besitzt wie Trospiumchlorid keine Selektivität für die muskarinergen Rezeptorsubtypen, dennoch ist für die Substanz eine stärkere Wirkung an der Detrusormuskulatur als an den Speicheldrüsen im Tiermodell nachgewiesen worden [92], was auch für den Menschen zutrifft [105, 140]. Ebenso konnte eine stärkere Wirkung auf die Blasenkapazität als auf die Akkomodation gezeigt werden [141]. Beim metabolischen Abbau von Tolterodin wird ein pharmakologisch aktiver Metabolit gebildet, der für die Wirkung ebenso wie die Ausgangssubstanz verantwortlich ist.
Sehr umfassende klinische Phase-II-Studien zum Tolterodin zeigten zusammenfassend, dass unter einer Behandlung mit der mittlerweile empfohlenen Standarddosierung von 2×2 mg täglich eine statistisch signifikante Abnahme der Miktionsfrequenz und der Inkontinenzepisoden erreicht werden kann. Urodynamische Parameter, wie das Volumen bei erstem Harndrang, das Volumen bei der ersten instabilen Detrusorkontraktion, die maximale zystometrische Blasenkapazität und der Restharn, verbesserten sich ebenfalls dosisabhängig. Insgesamt wurden zum Tolterodin zahlreiche doppelblinde, randomisierte Phase-III-Studien an Patienten mit urodynamisch bestätigter Detrusorhyperaktivität bzw. typischen Symptomen der überaktiven Blase durchgeführt. In Studien mit kurzer (4-wöchiger) Behandlungsdauer konnte gegenüber Placebo eine signifikant ausgeprägtere Reduktion der Miktionsfrequenz und der Inkontinenzepisoden festgestellt werden [63, 64]. Dies konnte in weiteren Phase-IIIStudien mit 12-wöchiger Behandlungsdauer [1, 30, 86, 122] bestätigt werden, wobei das Signifikanzniveau der Ergebnisse deutlich höher lag. Ursache hierfür ist die mittlerweile bestätigte Tatsache, dass eine signifikante Wirksamkeit der Substanz bereits nach einer Woche nachweisbar ist, der Effekt der klinischen Wirkung von Tolterodin jedoch erst 4– 12 Wochen nach Behandlungsbeginn voll ausgeprägt ist [142, 143]. Der Einfluss von Tolterodin auf relevante urodynamische Parameter wurde in einer multizentrischen Studie, publiziert von Jonas et al. untersucht [64]. Es fand sich eine gegenüber Placebo signifikante Zunahme des Volumens der ersten instabilen Detrusorkontraktion und der maximalen cystometrischen Blasenkapazität. Unter den Nebenwirkungen stellt Mundtrockenheit beim Tolterodin, wie bei allen Anticholinergika, die am häufigsten angegebene Nebenwirkung dar. Mundtrockenheit wurde in den Studien mit 3monatiger Behandlungsdauer bei 24% der Patienten beobachtet, die mit einer reduzierten Dosis von 2×1 mg behandelt wurden. Weiterhin trat sie bei 39% der mit der Standarddosierung von 2×2 mg behandelten und bei 16% der mit Placebo behandelten Patienten auf.
21.3 · Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen
In 3 Vergleichsstudien wurde Tolterodin in der Standarddosierung von 2×2 mg, bzw. einer reduzierten Dosis von 2×1 mg gegen Oxybutynin in einer Dosierung von 3×5 mg getestet [1, 30, 122]. Während die Wirksamkeit anhand der Reduktion der Anzahl der Miktionen und der Inkontinenzepisoden pro 24 h sowie der Zunahme des Miktionsvolumens als vergleichbar zu Oxybutynin eingestuft werden konnte, lag die Nebenwirkungsrate unter Oxybutynin signifikant höher. Die Gesamtnebenwirkungsrate betrug für Oxybutynin 93% gegenüber Tolterodin 64% (2×1 mg) bzw. 78% (2×2 mg). Mundtrockenheit, als die häufigste unerwünschte Wirkung, trat für Oxybutynin bei 78% bzw. für Tolterodin bei 24% (2×1 mg) bzw. 39% (2×2 mg) der Patienten auf. Mittlerweile ist eine galenisch modifizierte, retardierte Form des Tolterodin (Dosierung: 1×4 mg) verfügbar. Eine randomisierte Vergleichsstudie zwischen Tolterodin retard (n=507 Patienten), Tolterodin 2×2 mg (n=514 Patienten) und Placebo (n=508 Patienten) über 12 Wochen zeigte eine verbesserte Effizienz und Verträglichkeit der Retardform gegenüber der 2×2 mg-Standarddosierung [123]. Eine sich an diese Studie anschließende Folgestudie mit Tolterodin retard (n=1077 Patienten) über 12 Monate bestätigte die Kontinuität der Wirkung und die anhaltend niedrige Inzidenz von Nebenwirkungen [70]. Tolterodin wurde auch gezielt bei neurogener Blase untersucht. In einer Dosisfindungstudie bei 90 Patienten mit urodynamisch nachgewiesener Detrusorhyperaktivität bei neurologischer Grunderkrankung zeigte sich eine klare DosisWirkungs-Beziehung für urodynamische Parameter (Volumen bei erster Detrusorkontraktion, maximale zystometrische Kapazität, Restharn, Volumen bei erster Empfindung der Blasenfüllung, bei normalem Harndrang und bei starkem Harndrang) und ein Trend für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung bzgl. der Parameter des Miktionstagebuches. Allerdings trat bei zwei Patienten unter Gabe von 2×4 mg Tolterodin Harnverhalt auf [144]. Bei Patienten mit multipler Sklerose und Detrusorhyperreflexie erwiesen sich 2×2 mg Tolterodin als vergleichbar wirksam aber deutlich besser verträglich als 3×5 mg Oxybutynin [145].
293
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Substanzen mit anticholinerger und weiteren Wirkungen (gemischte Wirkung) Oxybutynin.
Oxybutynin ist ein tertiäres Amin mit sowohl antimuscarinerger als auch direkt muskelrelaxierender und lokalanästhetischer Wirkung [133]. Die Wirkung von Oxybutynin ist in zahlreichen randomisierten kontrollierten Studien sowohl an Patienten mit neurogener Detrusorhyperaktivität, als auch an solchen mit nicht neurogener Detrusorhyperaktivität untersucht worden [11, 32, 43, 61, 74, 77, 85, 110, 112, 114, 117, 127, 135]. In einer die Ergebnisse dieser Studien zusammenfassenden Beurteilung kann die klinische Wirksamkeit von Oxybutynin hinsichtlich der Reduktion von Pollakisurie, Nykturie, der Miktionsfrequenz und der Inkontinenzepisoden bei allen untersuchten Indikationen als gut dokumentiert und zweifelsfrei nachgewiesen angesehen werden. In allen klinischen Studien zum Oxybutynin, insbesondere in den Vergleichsstudien mit anderen antimuscarinergen Substanzen wie Trospiumchlorid [77, 95], Propiverin [78, 127] und Tolterodin [1, 30, 122] ist eine für das Oxybutynin deutlich höhere Rate an unerwünschten Wirkungen, insbesondere hinsichtlich des Auftretens von Mundtrockenheit auffällig, wobei sich in den aufgeführten Studien die klinische Wirksamkeit der jeweils untersuchten Substanzen nicht signifikant unterschied. Einzelheiten o. g. Studienergebnisse wurden bei der Darstellung der entsprechenden Vergleichssubstanzen (Trospiumchlorid, Tolterodin, Propiverin) z. T. detaillierter erwähnt. Durch intravesikale Instillation von Oxybutynin kann die Verträglichkeit der Substanz bei gleicher Wirksamkeit deutlich verbessert werden [8, 10, 32, 65, 66, 74, 76]. Der eingangs erwähnte lokalanästhetische Effekt des Oxybutynins, der bei der oralen Applikation bedeutungslos ist, könnte bei der intravesikalen Applikation zur Wirkung beitragen. Sowohl bei neurogener Detrusorhyperaktivität als auch anderen Formen hyperaktiver Blase sind die Vergrößerung der Blasenkapazität und die Besserung der Symptomatik bei Kindern und Erwachsenen der oralen Applikation vergleichbar. Nach Kaplinsky et al. [65] tolerierten drei
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Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
Viertel der Kinder mit Myelomeningocele die intravesikale Oxybutynin-Instillation. Sie führte in 57% der Fälle zu Kontinenz bei Tag und Nacht, bei weiteren 24% zur Kontinenz tagsüber. Bei Palmer et al. [97] lag die Rate der Therapieabbrüche infolge schwierigen Handlings und Unverträglichkeit mit 65% deutlich höher. Die intravesikale Gabe von Oxybutynin ist für jene geeignet, die bereits intermittierend katheterisieren müssen, zwischenzeitlich inkontinent sind und die orale Medikation nicht vertragen. Die empfohlene Dosis für die intravesikale Instillation beträgt 2-mal täglich 5 mg, aufgelöst in 10±30 ml Kochsalzlösung. Seit kurzem ist eine Retardform des Oxybutynins (10 mg/Tag) verfügbar. Eine erste Studie im Vergleich zu Tolterodin (2×2 mg/Tag) an 276 Frauen und 56 Männern über 12 Wochen zeigte eine höhere Effizienz des Oxybutynin retard hinsichtlich einer Reduktion der Inkontinenzrate und der Miktionsfrequenz. Im Gegensatz zu vorangehend dargestellten Erfahrungen war die Inzidenz von Nebenwirkungen bei beiden Präparaten nicht signifikant unterschiedlich [6]. Eine weitere Studie, in der Oxybutynin retard in 2 Dosierungen (5 mg, n=313 Patienten; 10 mg, n=307 Patienten) mit ebenfalls 2 Dosierungen des Tolterodin retard (2 mg, n=333 Patienten; 4 mg, n=336 Patienten) verglichen wurde, bestätigte im Gegensatz dazu die bisherigen Erfahrungen über die höhere Inzidenz von Nebenwirkungen (in erster Linie Mundtrockenheit) bei Oxybutynin. Darüber hinaus ergab sich eine höhere Effizienz von Tolterodin retard 4 mg gegenüber Oxybutynin [109]. Propiverin.
Wie Oxybutynin ist Propiverin ein tertiäres Amin mit kombiniert anticholinerger, kalziumantagonistischer und lokalanästhetischer Wirkung, wobei in erster Linie die anticholinerge Aktivität klinisch relevant ist [56, 118, 124]. Wie alle tertiären Amine wird Propiverin schnell resorbiert. Verschiedene aktive Metabolite tragen zur Gesamtwirkung der Substanz bei [88]. Die Wirksamkeit von Propiverin wurde in insgesamt 9 kontrollierten Studien an 230 Patienten mit neurogener und nichtneurogener Detrusorhyperaktivität im Vergleich zu Placebo und anderen
antimuscarinergen Anticholinergika untersucht [53, 78, 79, 80, 96, 107, 111, 126, 127]. Die Reduktion von Pollakisurie und Miktionsfrequenz bzw. die Erhöhung der maximalen Blasenkapazität ist mit anderen Anticholinergika vergleichbar. Eine Besserung der klinischen Symptomatik konnte in 7 Studien für durchschnittlich 77% der Patienten festgestellt werden. Typische anticholinerge Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit und Akkomodationsstörungen fanden sich in o. g. Studien bei durchschnittlich 14% der Verum behandelten Patienten. Propiverin wurde auch an Patienten mit neurogener Detrusorhyperaktivität infolge suprasakraler Querschnittlähmung in einer kontrollierten Studie untersucht [107]. Gegenüber Placebo zeigte sich ein signifikanter Anstieg der maximalen Blasenkapazität. Eine Besserung der klinischen Symptomatik wurde unter Propiverin bei 63% der Patienten (23% unter Placebo) erreicht. Wie bei allen Anticholinergika bestanden die Hauptnebenwirkungen in Mundtrockenheit (37% Propiverin, 8% Placebo) und Akkomodationsstörungen (28% bzw. 2%). In einer anderen kontrollierten Studie, in diesem Fall bei Patienten mit nichtneurogener Dranginkontinenz [78] wurde Propiverin im Vergleich zu Oxybutynin untersucht. Es fand sich bei beiden Substanzen eine vergleichbare Wirkung im Hinblick auf die Steigerung der zystometrischen Blasenkapazität bei erstem und bei maximalem Harndrang sowie die Besserung der klinischen Symptome. Wie bei der Darstellung der Studienergebnisse anderer Studien in diesem Abschnitt bereits mehrfach gezeigt, war die Rate der Nebenwirkungen im Vergleich zu Oxybutynin signifikant geringer (Propiverin gegenüber Oxybutynin bei 64% bzw. 73% der Patienten, Mundtrockenheit: Propiverin 53% gegenüber Oxybutynin 67% der Patienten) und der Schweregrad signifikant geringer. Die Nebenwirkungen verminderten sich im 4-wöchigen Studienverlauf nur unter Propiverin.
Substanzen mit β-adrenerger (sympathomimetischer) Wirkung Von den vielfältigen molekularbiologisch und pharmakologisch zu differenzierenden Adrenorezeptorsubtypen findet man im menschlichen Harntrakt
21.3 · Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen
vorwiegend α1-, α2-, β2- und β3-Rezeptoren. β2und β3-Adrenorezeptoren wirken relaxierend auf den Detrusor vesicae, während α1-Adrenorezeptoren an Blasenhals, Urethra und beim Mann im Bereich der glatten Prostatamuskulatur konstringierenden Einfluss ausüben (vgl. Abschn. »Relaxation der glattmuskulären Komponente des Sphinktermechanismus« und »α-Sympathomimetika«). Aus diesem Grund kommt unter physiologischen Bedingungen der sympathischen Blaseninnervation eine miktionsinhibitorische und speicherungsfördernde Funktion zu. Sympatholytika wirken daher miktionsunterstützend, während Sympathomimetika eine Verbesserung der Speicherfähigkeit bewirken (β-Sympathomimetika durch Inhibition der Detrusor(hyper)aktivität, αSympathomimetika durch Erhöhung des funktionellen glattmuskulären Blasenauslasswiderstandes (vgl. Abschn. »α-Sympathomimetika«). Somit sollten β2- und β3-Adrenorezeptoragonisten theoretisch zur Therapie einer neurogenen Derusorhyperaktivität eingesetzt werden können.
β2-Adrenorezeptoragonisten. Während grundlagenwissenschaftliche Untersuchungen nachweisen konnten, dass β-Sympathomimetika einen deutlichen relaxierenden Effekt auf isolierte humane Detrusormuskelstreifen haben, zeigten klinische Studien mit den β2-Sympathomimetika Terbutalin und Clenbuterol ebenfalls ein klinisches Ansprechen allerdings bei einer begrenzten Anzahl von Patienten mit (nichtneurogener) Dranginkontinenz [49, 73]. Es existieren jedoch widersprüchliche Ergebnisse anderer Studien [13, 90], insbesondere bei älteren Patienten mit Detrusorinstabilitäten sowie bei jüngeren Patienten mit Meningomyelocele und neurogener Detrusorhyperaktivität, die keinen therapeutischen Nutzen belegen konnten [5]. Auch für andere theoretisch in Frage kommende Substanzen, wie z. B. das β2-Sympathomimetikum Orciprenalin konnten statistisch signifikante Therapieeffekte in der Literatur nicht dokumentiert werden. An typischen unerwünschten Wirkungen einer β-sympathomimetischen Therapie sind neben Unruhe und Tremor in erster Linie kardiale Nebenwirkungen (Tachykardie, tachykarde Arrythmie) zu nennen.
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β3-Adrenorezeptoragonisten.
β3-Adrenozeptoren stellen physiologisch einen wichtigen Mechanismus der Detrusorrelaxation während der Harnspeicherphase dar. Sie greifen direkt an den glatten Muskelzellen des Detrusors an und unterdrücken damit die Harnblasenkontraktion unabhängig vom kontraktilen Stimulus. β3-Adrenorezeptoragonisten sind in vivo in Tiermodellen der überaktiven Blase und in vitro an der isolierten menschlichen Harnblase wirksam [62]. Der definitive Wirksamkeitsnachweis dieses Therapieprinzips am Menschen steht noch aus. Mehrere β3-Adrenorezeptoragonisten befinden sich derzeit in der präklinischen oder der frühen klinischen Entwicklung. Mit einer kurzfristigen klinischen Verfügbarkeit ist nicht zu rechnen.
Substanzen mit Wirkung auf Ionenkanäle der Zellmembran Kalziumantagonisten.
Kalziumkanäle tragen zur glattmuskulären Kontraktion bei, indem sie durch einen Kalziumeinstrom von extrazellulär die Freisetzung von intrazellulärem Kalzium aus Kalziumspeichern des sarkoplasmatischen Retikulums induzieren. Die Inhibition dieser potenzialabhängigen Kalziumkanäle durch Antagonisten vom Nifedipintyp sollte theoretisch zu einer Reduktion der Blasenkontraktilität führen und somit einen Ansatzpunkt zur Therapie der Detrusorhyperaktivität darstellen. Obwohl eine Kontraktionshemmung von Detrusormuskelstreifen im Organbad auch nachweisbar ist und in frühen klinischen Studien ein positiver Effekt von Nifedipin auf Frequenz und Amplitude von Detrusoirnstabilitäten, eine Erhöhung der Blasenkapazität und eine Verbesserung der klinischen Symptomatik gezeigt werden konnte [101], haben isolierte Kalziumkanalblocker bis heute keinen nachhaltigen In-vivo-Wirksamkeitsnachweis erbringen können. Einzig Terodilin, eine anticholinerg und kalziumantagonistisch wirkende Substanz, konnte in kontrollierten Studien eine gesicherte klinische Wirksamkeit nachweisen, musste jedoch wegen schwerwiegender arrhythmogener kardialer Nebenwirkungen vom Markt genommen werden [27].
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Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
Kaliumkanalöffner.
III
Vertreter dieser Substanzklasse bewirken eine Öffnung von Kaliumkanälen. Dies hyperpolarisiert glatte Muskelzellen und hemmt damit ihre Kontraktion. Dieses Therapieprinzip ist in seiner Wirkung nicht vom Stimulus abhängig, der die unerwünschte Harnblasenkontraktion auslöst. Theoretisch wären diese Substanzen somit in der Speicherphase aktiv und unterdrückten eine Detrusorüberaktivität ohne einen Effekt auf die Detrusorkontraktion zu haben. Kaliumkanalöffner wie Cromakalim und Pinacidil sind zwar im Tiermodell wirksam, klinische Ergebnisse am Menschen sind jedoch enttäuschend [4, 57]. Da das Therapieprinzip darüber hinaus nicht selektiv für die glatte Muskulatur der Harnblase ist, wurden Kaliumkanalöffner auch zur Behandlung des hohen Blutdruckes entwickelt. Deshalb verwundert es nicht, dass der Einsatz von Kaliumkanalöffnern bei Versuchstieren bisher regelmäßig durch kardiovaskuläre Nebenwirkungen limitiert wurde, weshalb mehrere Vertreter dieser Wirkstoffklasse bisher in der präklinischen Entwicklung gescheitert sind [83]. Ob es in Zukunft möglich sein wird, Kaliumkanalöffner zu entwickeln, die ohne kardiovaskuläre Wirkungen an der Harnblase wirksam sind, ist bisher ungeklärt. Auch wenn dies gelingen sollte, bleibt abzuwarten, ob solche Präparate bei Patienten mit Detrusorhyperaktivität tatsächlich klinisch wirksam sind.
Substanzen mit mehreren Wirkungsmechanismen und nicht rezeptorvermittelt wirkende Substanzen Imipramin.
Obwohl für verschiedene Antidepressiva eine Verbesserung der klinischen Symptomatik bei Patienten mit Detrusorhyperaktivität berichtet wurde, ist Imipramin die einzige Substanz, die einen breiteren Einsatz bei dieser Indikation erfahren hat. Trotz zahlreicher Angaben in der Literatur zu den unterschiedlichen Wirkungskomponenten des Imipramin ist gegenwärtig nach wie vor nicht im Detail geklärt, auf welche Weise Imipramin zu einer Hemmung der Detrusoraktivität führt. Folgende Mechanismen werden diskutiert:
Auf indirektem Wege greifen die trizyklischen Antidepressiva in den Serotoninhaushalt (5-Hydroxytryptamin, 5HT) ein. Durch zentrale 5HTWiederaufnahmehemmung inhibiert Imipramin Detrusorhyperaktivitäten. Peripher entfaltet Imipramin anticholinerge und α-adrenerge Wirkungen, was die Speicherfähigkeit der Blase zusätzlich verbessert und zum gelegentlichen Einsatz der Substanz auch bei Belastungsinkontinenz (α-adrenerge Wirkungskomponente) und kindlicher Enuresis (anticholinerge Wirkungskomponente, Dosierung bei dieser Indikation 10–50 mg/Tag) führte [27]. Die klinischen Ergebnisse sind widersprüchlich. In einzelnen Studien wurde ein guter klinischer Effekt beschrieben; so zum Beispiel in einer nichtrandomisierten Studie von Castelden et al. [14] an nur insgesamt 10 Patienten, von denen unter Dosistitrierung bis maximal 150 mg/Tag 6 Patienten kontinent wurden und auch hinsichtlich relevanter urodynamischer Parameter wie cystometrische Blasenkapazität und maximaler Detrusordruck signifikante Verbesserungen zeigten. Andere Studien, bei denen Imipramin teilweise parenteral gegeben wurde, führten jedoch zu keiner Verbesserung unkontrollierter Detrusorkontraktionen oder der klinischen Symptomatik [5]. Die übliche Dosierung von Imipramin beim Erwachsenen schwankt zwischen 25 und 100 mg bis maximal 150 mg/Tag, die aufgrund der langen Halbwertszeit der Substanz nur einmalig appliziert werden müssen. Der maximale therapeutische Effekt ist meist nach etwa einer Woche nachweisbar. Aufgrund des umfangreichen und z. T. schwerwiegenden Nebenwirkungsspektrums von Imipramin wird die Substanz in der Behandlung von Harnspeicherstörungen (insbesondere auch was die Anwendung bei der kindlichen Enuresis betrifft) nur noch selten eingesetzt. Neben den häufigen typischen anticholinergen Nebenwirkungen können Allergien, hepatobiliäre Schäden, ZNS-Nebenwirkungen und vor allem kardiotoxische Nebenwirkungen (Manifestation in erster Linie als Arrhythmien) auftreten. Phosphodiesteraseinhibitoren.
Die zyklischen Nukleotide cAMP und cGMP steuern als intrazelluläre Botenstoffe (»Second
21.3 · Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen
Messenger«) Gewebe- und Organfunktionen. In glatter Muskulatur wird so über eine komplexe Regulationskaskade letztlich das intrazelluläre freie Kalzium reguliert. Die zyklischen Nukleotide werden durch die Gruppe der Phosphodiesterasen (PDE) hydrolysiert, denen somit eine zentrale Bedeutung bei der intrazellulären Regulation von Organ- und Gewebefunktionen, z. B. in glatter Muskulatur von Kontraktion und Relaxation, zukommt. Vinpocetin ist ein Phosphodiesterase-(PDE-) inhibitor, welcher das in der Blase prädominante Isoenzym I hemmt. Es wirkt nach dem gleichen Prinzip wie das für das Isoenzym V spezifische Sildenafil (Viagra). In einzelnen klinischen Studien konnte die Wirksamkeit von Vinpocetin, welches ursprünglich in niedrigerer Dosierung zur Verbesserung der zerebralen Durchblutung und Konzentrationssteigerung entwickelt wurde, in der Therapie der nichtneurogenen Detrusorhyperaktivität nachgewiesen werden [119, 120]. Allerdings hat dies bisher nicht zu einem umfangreicheren Einsatz der Substanz im klinischen Bereich geführt. Die empfohlene Tagesdosis für die Therapie der Detrusorhyperaktivität beträgt 3×20 mg.
Vanilloidrezeptoragonisten Vanilloidrezeptoren (VR1 und VR2) stellen eine spezielle Klasse von Nozizeptoren an unmyelinisierten sensorischen C-Fasern dar und sind bei Stimulation für die Perzeption von Wärme bzw. Schmerz verantwortlich. Da Vanilloidrezeptoren physiologisch einen Dehnungsreiz an das ZNS melden, mag es zunächst paradox erscheinen, dass Agonisten an diesen Rezeptoren einen Platz in der Behandlung der überaktiven Blase haben könnten. Capsaicin, das dem roten Pfeffer seine Würze verleiht, und das verwandte Resiniferatoxin (eine Substanz aus dem Kaktus Euphorbia resinifera) sind jedoch Agonisten an Vanilloidrezeptoren, die nach einer initialen Erregung und Überstimulation eine lang anhaltende Desensibilisierung der Rezeptoren bzw. Schädigung der afferenten C-Fasern ohne Beeinträchtigung der mechanosensorischen myelinisierten A-δ-Fasern vermitteln. Beide Stoffe müssen intravesikal instilliert werden. Deshalb haben sie keine oder minimale systemischen Nebenwirkungen. Bei Patienten mit neu-
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rogener Detrusorhyperaktivität wurde inzwischen mehrfach über positive Effekte dieses Therapieprinzips berichtet [16, 24]. Demzufolge befinden sich Vanilloidrezeptoragonisten momentan in Phase II der klinischen Prüfung, um für den Einsatz bei neurogener Detrusorhyperaktivität einen definitiven Wirksamkeitsnachweis zu führen. Weder Capsaicin noch Resiniferatoxin sind in den meisten Ländern für die klinische Anwendung zugelassen. Auch in Deutschland beschränkt sich die Anwendbarkeit auf klinische Studien oder einen Einsatz im Rahmen eines Heilversuches. Capsaicin.
Capsaicin, die Wirksubstanz des roten Pfeffers, wurde von Fowler et al. [40] in die Therapie der Detrusorhyperaktivität eingeführt: Intravesikal verabreicht blockiert es die Rezeptoren der den sakralen Blasenreflex vermittelnden, nichtmyelinisierten C-Fasern und führt so zur Dämpfung des Detrusors. Fowler et al. stellten ebenso fest, dass die beim Menschen wirksame Dosis mit 1–2 mM Capsaicin für 30 min intravesikal instilliert deutlich höher lag [40, 41], als bis dahin bekannt. Der Effekt einer Behandlung hält zwischen 2 und 7 Monaten an. Beobachtungen über 5 Jahre [21] sowie eine placebokontrollierte Studie [132] belegen die Effektivität: von 79 Multiple-Sklerose-Patienten mit spinaler Detrusorhyperaktivität wurden 45% trocken, bei weiteren 36% konnte eine zufriedenstellende Verbesserung erzielt werden. In einer Übersichtsarbeit von Ridder u. Baert [23] wurden die bis dahin bekannten Ergebnisse unterschiedlicher Studien zur intravesikalen Instillation von Capsaicin zusammenfasend analysiert. Von 115 in diesen Studien behandelten Patienten mit neurogener Detrusorhyperaktivität ließ sich danach bei 84% eine Verbesserung der klinischen Symptome feststellen. Da einige Studien placebokontrolliert durchgeführt wurden, steht eine objektive Wirksamkeit des Capsaicins außer Zweifel. Die von Ridder u. Baert zusammengefassten Ergebnisse decken sich mit denen eines früheren Reviews von Seze et al. [24]. Die intravesikale Applikation von Capsaicin ist schmerzhaft, eine Sedoanalgesie daher erforderlich.
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Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
Resiniferatoxin.
III
Resiniferatoxin ist wie Capsaicin ein Agonist an Vanilloidrezeptoren. Resiniferatoxin (RTX) ist 1.000-mal potenter als Capsaicin, hat aber weniger stark ausgeprägte initial-exzitatorische Effekte. Die dieser initialen Erregung und Überstimulation folgende lang anhaltende Desensibilisierung der Rezeptoren erfolgt bereits bei so geringen Konzentrationen, dass schmerauslösende Reaktionen kaum auftreten, was ein wesentlicher Vorteil dieser Substanz im Vergleich zum Capsaicin ist [16]. Die RTXInstillation ist daher meist ambulant und ohne Anästhesie möglich. Die Dosierung beträgt 50– 100 nmol RTX in 50 ml 10%igem Ethanol. Außer den möglichen initialen brennenden Missempfindungen sind keine Nebenwirkungen einer Resiniferatoxin-Behandlung beschrieben. Die Dauer der Blasendesensibilisierung beträgt mindestens 3 Monate [16]. Von Ridder u. Baert wurden in der beim Capsaicin bereits erwähnten Übersichtsarbeit [23] die zum Resiniferatoxin durchgeführten Studien zusammenfassend dargestellt, wobei nahezu alle Studien die oben angegebene RTX-Konzentration verwendeten. Im Mittel entsprechen die Ergebnisse denen der größten, an 27 Patienten mit multipler Sklerose und Detrusorhyperaktivität durchgeführten offenen Studie [22], in der bei 21 der 27 Patienten einen Monat nach erfolgter RTX-Instillation ein positiver klinischer Effekt der Behandlung nachweisbar war. Die durchschnittliche Blasenkapazität nahm von 208 auf 467 ml zu, der durchschnittliche Harnverlust/24 h reduzierte sich von 163 auf 23 ml.
Substanzen mit Wirkung durch Hemmung der Freisetzung von Acetylcholin an den präsynaptischen Nervenendigungen (Acetylcholinfreisetzungsinhibitoren) Botulinumtoxin.
Clostridium-botulinum-Toxin A entstammt dem Bakterium Clostridium botulinum und inhibiert die Acetylcholinfreisetzung aus den präsynaptischen Nervenendigungen. Durch die irreversible Schädigung der Neurovesikel ist eine wirkungsvolle Blockade cholinerger Nerven auch noch lange nach der Inaktivierung des Neurotoxins gewähr-
leistet. Kompensatorisch kommt es in den folgenden Monaten zu einer Neuaussprossung der Axone mit Reinnervation des Erfolgsorgans, weshalb die Behandlung gegebenenfalls wiederholt werden muss. Urologische Einsatzgebiete des ausschließlich lokal einzusetzenden Toxins (cave: systemische Nebenwirkungen bis hin zur Atemdepression nach akzidentieller i. v.-Injektion) sind die DetrusorSphinkter-Dyssynergie (transurethrale oder transperineale Injektion in den Sphinkter urethrae externus, vgl. Abschn. »Relaxation der quergestreiften muskulären Komponente des Sphinktermechanismus«) und die neurogene, aber zunehmend auch die nichtneurogene Detrusorhyperaktivität. Nach Erstvorstellung von Technik und ersten Ergebnissen der Detrusorinjektion auf der ICS-Tagung 1999 durch Stöhrer [108], publizierten Schurch et al. im folgenden Jahr erste Ergebnisse [103, 104]. Botulinumtoxin A (Botox) wurde in den Detrusor von 21 querschnittgelähmten Patienten mit Detrusorhyperaktivität und Inkontinenz injiziert. Alle Patienten führten den intermittierenden Katheterismus durch und ließen sich mit Anticholinergika nicht ausreichend effektiv behandeln. 200–300 I.U. Botox wurden unter Aussparung des Trigonums (Vermeidung der Induktion eines Reflux) an 20–30 Stellen (10 I.U. pro Injektionsort) injiziert. Sechs Wochen nach Injektion waren 17 von 19 Patienten komplett kontinent. Bei diesen Patienten konnte eine überlappend applizierte anticholinerge Medikation deutlich reduziert (13 Patienten) bzw. abgesetzt werden (6 Patienten). Urodynamisch zeigte sich eine statistisch signifikante Zunahme des Füllungsvolumens bei erster unwillkürlicher Kontraktion (von 207 auf 320 ml) und der maximalen Blasenkapazität (von 286 auf 458 ml). Des Weiteren war eine statistisch ebenfalls signifikante Abnahme des maximalen Detrusordruckes (von 62 auf 36 cm H2O) nachweisbar. Unerwünschte Wirkungen wurden in dieser Untersuchung nicht beobachtet, die Wirkungsdauer betrug etwa 9 Monate. Eine mehrfache Reinjektion bei Wirkungsverlust ist möglich und, trotz bei anderen Indikationen beschriebener Toleranzentwicklung infolge Antikörperbildung, bei der Detrusorinjektion bisher nicht beschrieben worden [46]. Die guten Ergebnisse konnten in größeren multizentrischen Studie reproduziert werden [100].
21.3 · Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen
Darüber hinaus finden sich in der Literatur zunehmend positive Berichte über die Anwendung dieser Technik bei der nicht neurogenen Detrusorhyperaktivität [17]. Alternativ zum Botox wird von einigen Autoren das meist in höherer Dosierung anzuwendende Dysport, ein anderer BotulinumtoxinA-Komplex, verwendet [47]. Auch das Botulinumtoxin A ist gegenwärtig in keiner Präparation für die klinische Anwendung offiziell in Deutschland zugelassen. Wie beim Capsaicin und Resiniferatoxin beschränkt sich die Anwendbarkeit im urologischen Bereich auf klinische Studien oder einen Einsatz im Rahmen eines Heilversuches. Zu den unerwünschten Wirkungen der Botulinumtoxin-A-Anwendung sei auf den Abschn. »Relaxation der quergestreiften muskulären Komponente des Sphinktermechanismus« dieses Kapitels verwiesen.
21.3.2 Pharmakotherapeutische
Beeinflussung der Detrusorhypokontraktilität Direkte Parasympathomimetika (Acetylcholinrezeptoragonisten, Cholinergika) und indirekte Parasympathomimetika (Cholinesteraseinhibitoren) Im ZNS modulieren muskarinische Acetylcholinrezeptoren die nikotinische Impulspropagation. Direkte Rezeptoragonisten (Carbachol, Bethanechol) kommen bei der Therapie der Detrusorhypokontraktilität zum Einsatz und haben auch in der urodynamischen Diagnostik zur Abgrenzung der neurogenen von der nichtneurogen bedingten Hypokontraktilität ihren Platz (Carbacholtest). Alternativ zu direkten Parasympathomimetika können auch indirekte Parasympathomimetika angewandt werden, welche über eine Hemmung der Cholinesterase zu einer anhaltend hohen Acetylcholinkonzentration im synaptischen Spalt führen. Aufgrund der summa summarum ähnlichen Wirkungsweise trotz differentem Mechanismus und der in der klinischen Grundaussage wenig differierenden Datenlage erfolgt an dieser Stelle nur eine zusammenfassende Besprechung des direkten Parasympathomimetikums Bethanechol – gewis-
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sermaßen stellvertretend für den Einsatz aller Parasympathomimetika zur Behandlung neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes. Bethanechol und die mit ihm verwandten Substanzen wie z. B. das Carbachol werden seit mehr als 50 Jahren für die Behandlung der Detrusorhypokontraktilität empfohlen. Diese auch heute noch verbreitete klinische Praxis lässt sich anhand wissenschaftlicher Daten allerdings nur schwer untermauern. Wein et al. konnten selbst bei subkutaner Applikation von 5 mg Bethanechol bei unterschiedlichen Patientengruppen keine signifikanten Veränderungen von Uroflow-Parametern oder Restharn feststellen [128, 129]. Bethanechol wurde in ihren Untersuchungen bei Frauen mit mehr als 20% Restharnmenge im Bezug auf die Blasenkapazität ohne Anhalt für eine neurologische Erkrankung oder eine infravesikale Obstruktion eingesetzt und mit den Daten gesunder Frauen einer gleichen Altersgruppe verglichen [128]. Auch Patienten mit einem positiven Bethanechol-Supersensitivitätstest zeigten klinisch keine signifikanten Veränderungen von Flow und Restharn [129]. Diese Ergebnisse decken sich mit denen anderer Arbeitsgruppen [7, 35]. Obwohl Bethanechol, wie von entsprechenden In-vitro-Daten zu erwarten, in der Lage ist, eine Zunahme des glattmuskulären Tonus auszulösen [134], scheint seine Fähigkeit eine koordinierte, anhaltende und annähernd physiologische Blasenkontraktion bei Patienten mit Blasenentleerungsstörungen zu erreichen wenig ausgeprägt zu sein [3, 37]. Bei oraler Applikation von Bethanechol beträgt die empfohlene Tagesdosis 100–200 mg, verteilt auf 4 Einzeldosen. Unerwünschte Wirkungen der Parasympathomimetika bestehen in Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Kopfschmerzen, Bronchospasmus, Akkomodationsstörungen usw. Eine (nicht vorgesehene) versehentliche i. m.- oder i. v.-Applikation kann zu schwersten, akuten kardiovaskulären Nebenwirkungen, bis hin zum Herzstillstand und HerzKreislauf-Versagen führen. Kontraindikationen der Anwendung von Parasympathomimetika sind: Asthma, Ulcus ventriculi et duodeni, Enteritis, Darmobstuktion,
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III
Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
Herzrhythmusstörungen und Schilddrüsenüberfunktion.
21.3.3 Pharmakotherapeutische Senkung
Prostaglandine
Relaxation der quergestreiften muskulären Komponente des Sphinktermechanismus
Prostaglandine entstehen bei der Arachidonsäureverstoffwechselung durch die Cyclooxigenase, ein Enzym, von dem zwei Isoenzyme existieren (COX1 und COX-2). Während COX-1 kontinuierlich Prostaglandine für physiologische Zellvorgänge liefert, wird COX-2 speziell durch Entzündungen stimuliert. Die Prostaglandine PGE1, PGE2, PGF2α und Thromboxan führen in vitro zu einer Kontraktion der glattmuskulären Detrusormuskulatur. Bultitude et al. berichteten erstmalig 1976, dass die intravesikale Instillation von 0,5 mg PGE2 bei Patientinnen mit unterschiedlichen Graden der Harnretention zur akuten Rekonstitution der Blasenentleerung führte, welche bei zwei Drittel der untersuchten 22 Patientinnen über mehrere Monate aufrecht erhalten werden konnte [9]. Ebenfalls positive Resultate wurden von Desmond [25] nach intravesikaler Instillation von 1,5 mg derselben Substanz bei 36 Patienten berichtet. Ähnlich durchgeführte Studien, sowohl mit PGE2 als auch mit PGF2α an vergleichbaren Patientenkollektiven, die keinerlei signifikanten Effekt auf die Blasenentleerung nachweisen konnten, finden sich allerdings in der Literatur fast häufiger als die zitierten positiven Berichte [20, 45, 125]. Aktuelle Arbeiten zu diesem Thema finden sich kaum, so dass offensichtlich die initialen positiven Berichte nicht in ausreichendem Maße zu einer größeren klinischen Verbreitung dieser Anwendung geführt haben, was normalerweise für eine nur limitierte klinische Effektivität spricht. Hindley et al. untersuchten in einer aktuellen Arbeit die Effektivität einer Kombination aus intravesikaler Instillation von 1,5 mg PGE2 in 20 ml NaCl 0,9% plus oraler Gabe von 4×50 mg Bethanechol/Tag im Vergleich zu Placebo an 19 Patienten mit Detrusorhypokontraktilität und Restharn über 300 ml bei erforderlichem intermittierendem Katheterismus. Sie konnten auch für diese Kombinationstherapie keinen signifikanten klinischen Effekt ermitteln [59].
des Blasenauslasswiderstandes
Es existiert leider keine Substanz oder Substanzklasse, die selektiv eine Relaxation der quergestreiften Beckenbodenmuskulatur bewirken kann. In der Vergangenheit wurden neben den muskelrelaxierend und sedierend wirkenden Benzodiazepinen in erster Linie die Antispastika Baclofen und Dantrolen zur Behandlung einer funktionellen infravesikalen Obstruktion im Bereich des quergestreiften Sphinktermechanismus eingesetzt. Während Benzodiazepine und Baclofen ihre Wirkung hauptsächlich im ZNS entfalten, wirkt Dantrolen peripher direkt auf den quergestreiften Muskel. Obwohl insbesondere Baclofen und Dantrolen durchaus in unterschiedlichem Maße klinisch wirksam sind, limitiert eine in therapeutischen Dosen ausgeprägte Schwäche der Skelettmuskulatur, Koordinationsstörungen und andere Nebenwirkungen (insbesondere eine schwere Hepatotoxizität beim Dantrolen) die klinische Anwendbarkeit dieser Substanzen erheblich. Baclofen.
Gammaaminobuttersäure (GABA) ist einer der wichtigsten inhibitorischen Neurotransmitter des ZNS. Sie interagiert spinal wie supraspinal mit sog. GABA-A- und GABA-B-Rezeptoren. Baclofen unterdrückt die mono- und polysynaptische Erregung von Motoneuronen und Interneuronen vornehmlich im Rückenmark durch Aktivierung von GABA-B-Rezeptoren [15]. Baclofen ist in der Lage, eine Skelettmuskelspastik z. B. bei neurologischen Erkrankungen wie multiple Sklerose und traumatischer Querschnittslähmung wirksam zu reduzieren [15]. Dies gilt auch für die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie bei neurogenen Erkrankungen [38, 50]. Die therapeutisch wirksame Dosis muss durch Titrierung individuell ermittelt werden und liegt meist bei 4×10 bis 4×20 mg/Tag. Nebenwirkungen wie Schwindel, Benommenheit, Schläfrigkeit, und generalisierte muskuläre Schwäche bis hin zu Stand- bzw. Gangbeeinträchtigung treten dosisabhängig auf und limitieren den klinischen Einsatz.
21.3 · Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen
Aufgrund der schlechten Passage der BlutHirn-Schranke wurde die intrathekale Applikation von Baclofen mit Hilfe spezieller, implantierbarer und wiederauffüllbarer Pumpensysteme empfohlen und erfolgreich klinisch eingesetzt [91]. Auch bei der Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie konnten z. T. auch urodynamisch objektivierbare gute Ergebnisse mit diesem invasiven Behandlungskonzept erzielt werden [71, 72]. Dantrolen.
Dantrolen inhibiert durch direkte periphere Wirkung die erregungsinduzierte Freisetzung von Kalziumionen aus dem sarkoplasmatischen Retikulum quergestreifter Muskelfasern und vermindert hierdurch die maximale Kontraktionskraft des Muskels. Trotz nachgewiesener oraler Wirksamkeit (Dosititrierung erforderlich, orale Standarddosis 4×100 mg) auch in der Behandlung der neurogenen Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie [52, 55, 89] wird Dantrolen aufgrund einer potenziell schweren Hepatotoxizität (toxische Hepatitis mit z. T. letalem Ausgang) zur Behandlung neurogener Blasenentleerungsstörungen gegenwärtig nicht mehr eingesetzt. Ein weiterer Grund Dantrolen als Therapeutikum zu verlassen ist eine wie beim Baclofen häufig auftretende, ausgeprägte Muskelschwäche. Benzodiazepine.
Trotz des in der Praxis weit verbreiteten Einsatzes von Benzodiazepinen in der Behandlung funktioneller Blasenentleerungsstörungen infolge Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie, existieren in der Literatur kaum auswertbare Daten über einen nachweisbaren Nutzen einer solchen Behandlung. Wein et al. konnten aufgrund ihrer eigenen klinischen Erfahrung bei der Anwendung von Diazepam in Dosen bis 40 mg/Tag zur Behandlung einer klassischen neurogen bedingten Detrusor-SphinkterDyssynergie keine signifikante Effektivität beobachten [130]. Botulinumtoxin.
Botulinumtoxin A als Inhibitor der Freisetzung von Acetylcholin an den präsynaptischen Nervenendigungen findet außer dem bereits zuvor dargestellten Einsatz in der Therapie der Detrusorhyperaktivität durch Injektion in den Detrusor schon
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seit der Erstbeschreibung durch Dykstra [31] erfolgreiche klinische Anwendung in der Behandlung der Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie. Auch bei dieser Indikation wird das Toxin direkt in das Erfolgsorgan, in diesem Fall den quergestreiften Urethralsphinkter, injiziert (Injektion an 4 Punkten, Gesamtdosis 150 I.U.) Sowohl bei der neurogen bedingten DetrusorSphinkter-Dyssynergie, als auch bei potenziell nichtneurogenen Störungen (Detrusor-SphinkterDysfunktion) ist diese Behandlung erwiesenermaßen effektiv [39, 98]. Neben der transurethralen Injektion wird auch die transperineale Injektion des Sphinkters angewendet [44, 131]. Von Schurch et al. wird aufgrund eigener Ergebnisse einer Vergleichsstudie beider Techniken die transurethrale Injektion bevorzugt [102]. Wie bei der Therapie der Detrusorhyperaktivität besteht das Hauptproblem der Anwendung von Botulinumtoxin in der zeitlich limitierten Wirksamkeit, die mit mindestens 2–3, maximal 6 Monaten angegeben wird [44]. Wesentliche Nebenwirkung stellt die potenzielle Parese benachbarter Muskeln dar, insbesondere wenn große Volumina des Toxins injiziert werden. Auch generalisierte Schwäche oder Kraftminderung weiter entfernter Muskelgruppen wurden beschrieben [87].
Relaxation der glattmuskulären Komponente des Sphinktermechanismus Alpha-Adrenorezeptorantagonisten (Alphablocker).
Die glatte Muskulatur des Trigonum vesicae, des Blasenhalses, der proximalen Urethra und der glatten Prostatamuskulatur enthält in erster Linie alpha-adrenerge Rezeptoren, von denen die Alpha1-Rezeptoren, und hier insbesondere der Subtyp Alpha 1a (neben Alpha 1b, Alpha 1d und u. U. Alpha 1l) die größte funktionelle Rolle spielt [54, 82]. Bereits seit Beginn der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts werden Alphablocker erfolgreich zur Behandlung einer (neurogenen) funktionellen infravesikalen Obstruktion eingesetzt [51, 84], wobei zu dieser Zeit in erster Linie die unspezifischen, sowohl Alpha-1- und Alpha-2-Rezeptoren blockierenden Substanzen Phentolamin und Phenoxybenzamin etwas später auch Prazosin zur Verfügung standen.
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Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
Phenoxybenzamin, Phentolamin und Prazosin.
III
Schon früh wurde beobachtet, dass unspezifische Alpha-1- und Alpha-2-Rezeptorenblocker wie das Phenoxybenzamin nicht nur, wie zu erwarten, bei Patienten mit Erhöhung des glattmuskulär induzierten Sphinktertonus wirksam waren [51], sondern auch bei solchen, die offensichtlich eine echte Dyssynergie des quergestreiften Urethralsphinktermechanismus aufwiesen [84]. Von verschiedenen Autoren wird dieser Effekt auf eine Blockade von zentralen Alpharezeptoren zurückgeführt. Zumindest für das Phenoxybenzamin [93] und das Prazosin [42] existieren entsprechende experimentelle Daten. In der klinischen Anwendung hat bis zur jüngsten Entwicklung neuerer spezifischer Alpha-1-Adrenorezeptorantagonisten das Phenoxybenzamin weite Verbreitung gefunden. Die in der Behandlung von (neurogenen) Blasenentleerungsstörungen anzustrebende Dosis liegt bei 10–20, wenn möglich 30 mg/Tag, verteilt auf 3 Einzeldosen. Aufgrund der häufigen Nebenwirkungen (orthostatische Hypotension, reflektorische Tachykardie, Schwindel, Durchfall, Übelkeit) bei durchschnittlich 30% der behandelten Patienten [68], wird eine bzgl. der Entleerungsstörung wirksame Dosis über 10 mg häufig nicht toleriert. Durch einschleichende Dosiserhöhung lässt sich dieser Effekt nur mäßig beeinflussen. Darüber hinaus wurde tierexperimentell ein potenziell mutagenes Potenzial (peritoneale Sarkome, Lungentumore) der Substanz beschrieben [60], was das Phenoxybenzamin weiter in Misskredit gebracht hat. Allerdings wurden beim Menschen nach mittlerweile mehr als 50-jähriger klinischer Anwendung des Phenoxybenzamins (Markteinführung 1953) keine durch die Einnahme der Substanz induzierten Tumoren beschrieben, so dass Te in einem Literatur-Review aus dem Jahre 2002 [113] neben der Indikation bei Phaeochromocytom induzierter Hypertonie auch für die Anwendung im urologischen Bereich in ausgewählten Fällen weiterhin eine Indikation sieht. Doxazosin, Terazosin, Alfuzosin und Tamsulosin.
Für die Behandlung des benignen Prostatasyndroms (BPS) wurden in der jüngeren Vergangenheit spezifische Alpha-1-Adrenorezeptorantagonisten entwickelt (vgl. Kap. 22). Diese Substanzen
beeinflussen in erster Linie die dynamische (glattmuskuläre) Komponente der Blasenauslassobstruktion (BOO) und sollten daher auch bei der klinisch allerdings seltenen glattmuskulär induzierten funktionellen infravesikalen Obstruktion neurogener aber auch nichtneurogener Genese wirksam sein. Suffiziente Studiendaten zu den in Deutschland zugelassenen vier verschiedenen neueren Alpha-1-Adrenozeptorantagonisten Alfuzosin (Dosierung: Alfuzosin Standard 3×2,5 mg, Alfuzosin SR 2×5 mg, Alfuzosin PR 1×10 mg), Doxazosin (Dosierung: 1×4–8 mg), Tamsulosin (Dosierung: 1× 0,4 mg) und Terazosin (Dosierung 1×5–10 mg) beziehen sich allerdings fast ausschließlich auf Patienten, die wegen eines BPS behandelt wurden. Unterschiede zwischen den Substanzen lassen sich sowohl hinsichtlich ihrer Selektivität für Subtypen der Alpharezeptoren als auch hinsichtlich ihrer pharmakokinetischen Eigenschaften nachweisen. Diese Unterschiede haben in erster Linie Einflüsse auf die Verabreichung und evtl. auf die Verträglichkeit der einzelnen Präparate, weniger auf die Wirksamkeit. Im direkten Vergleich der verschiedenen Alpha-1-Rezeptorenblocker konnte für keine Substanz eine Überlegenheit hinsichtlich der Wirkung nachgewiesen werden. Ohne in diesem Kapitel auf Einzelheiten eingehen zu wollen (vgl. Kap. 22), lässt sich die Datenlage für die oben erwähnten neueren Alpha-1-Adrenozeptorantagonisten wie folgt kurz zusammenfassen: Für alle genannten Substanzen existieren randomisierte klinische Studien mit einem Mindest-follow-Up von 6 Monaten. Im Vergleich zu Placebo verbessern die Alpha-1-Blocker beim BPS die Symptome (LUTS) deutlich um bis zu 65%, den maximalen Harnfluss aber nur gering (maximal 4,5 ml/s). Charakteristisch für die Alpha-1-Blocker ist der rasche Eintritt der maximalen Wirkung auf die Symptome und die Dosisabhängigkeit von Wirkungen und Nebenwirkungen. Zwar kann durch einen Alpha-1Rezeptorenblocker die Restharnmenge um bis zu 56% reduziert werden, allerdings bestanden in den meisten Studien keine signifikanten Unterschiede zu placebobehandelten Patienten. Für Alfuzosin konnte gezeigt werden, dass die Inzidenz eines akuten Harnverhaltes signifi-
21.3 · Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen
kant vermindert werden kann und dass nach stattgehabtem akuten Harnverhalt Alfuzosin signifikant häufiger zur Spontanmiktion führt als Placebo [81]. Ob es zu einer relevanten Abnahme der urodynamisch verifizierbaren infravesikalen Obstruktion unter Alpha-1-Rezeptorenblockern kommt, ist bisher aufgrund der wenigen Daten aus Druck-Fluss-Studien ungeklärt. Mögliche Nebenwirkungen einer AlphablockerBehandlung sind Abgeschlagenheit, Schwindel, Kopfschmerz, grippale Symptome und hypotone Dysregulation. Dabei sind die Wirkungen auf den Blutdruck bei Hypertonikern ausgeprägter als bei Normotonikern. Eine therapieassoziierte erektile Dysfunktion besteht in bis zu 3% [121], Ejakulationsstörungen in bis zu 11% der Fälle. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Alphablocker, die ursprünglich in der Hypertoniebehandlung eingesetzt wurden (Doxazosin, Terazosin), eine geringere Verträglichkeit aufweisen als jene, die primär für die BPS-Behandlung entwickelt wurden (Alfuzosin, Tamsulosin). Diese Beurteilung zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Alpha-1-Rezeptorenblockern deckt sich mit der einer umfangreichen Metaanalyse aus placebokontrollierten Studien [26]. Von der Deutschen Bluthochdruckliga werden Alphablocker daher nicht mehr zur Hypertoniebehandlung empfohlen [99].
21.3.4 Pharmakotherapeutische Steigerung
des Blasenauslasswiderstandes Alpha-Sympathomimetika Im Bereich des Blasenhalses, der proximalen Urethra und der Prostata beim Mann finden sich zahlreiche Alpha-1-Rezeptoren. Beim Menschen ist der Alpha-1a-Rezeptorsubtyp im Bereich des unteren Harntraktes am weitesten verbreitet. Während die medikamentöse Blockade der Alpharezeptoren, wie im vorangegangenen Abschnitt
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dargestellt, ein etabliertes Therapiekonzept zur Behandlung der dynamischen Komponente der BOO beim BPS sowie zur Behandlung einer funktionellen Widerstandserhöhung des glattmuskulären Sphinktermechanismus bei neurogenen und nichtneurogenen Blasenentleerungsstörungen darstellt, spielt die pharmakologische Stimulation dieser Rezeptoren durch Rezeptoragonisten zum Zwecke der Steigerung des (glattmuskulär) induzierten Blasenauslasswiderstandes klinisch eine weit geringere Rolle. In der Vergangenheit war in erster Linie die klassische Belastungsinkontinenz der Indikationsbereich, in dem man unterschiedliche Alpha-Sympatomimetika therapeutisch einsetzte. Neben unspezifischen, sympathische Alpha- und Betarezeptoren stimulierenden Substanzen wie Ephedrin haben als weitere alpha-adrenerge Substanzen das Phenylpropanolamin (vornehmlich in den USA) und das Midodrin (vornehmlich in Europa) verbreitete Anwendung gefunden. Unabhängig von der verwendeten Substanz ließ sich in den meisten klinischen Studien eine Wirksamkeit nur bei klinisch geringeren Graden einer Belastungsinkontinenz nachweisen. Stellvertretend sei an dieser Stelle eine placebokontrollierte Studie von Collste u. Lindskog [18] erwähnt, die 24 Frauen mit leichter bis moderater Belastungsinkontinenz mit Phenylpropanolamin behandelten und eine signifikante Verringerung der Inkontinenzepisoden gegenüber Placebo nur bei Patientinnen mit leichter (Grad-1-)Inkontinenz nachweisen konnten. Während in den meisten placebokontrollierten Studien mit dem Alpha-Sympathomimetikum Phenylpropanolamin (Dosis 2×50 mg) Besserungen der Inkontinenz in 20 und 60% beschrieben werden, kommt es bei nur maximal 15% der so behandelten Patienten zu einem Sistieren der Inkontinenzsymptomatik [130]. Die medikamentöse Therapie einer Belastungsinkontinenz mit Alpha-Sympathomimetika ist nicht nur aufgrund ihrer eingeschränkten Wirksamkeit problematisch. Alpha-Sympathomimetika, die vornehmlich in den USA auch als Appetitzügler und Erkältungsmittel z. T. frei verkäuflich waren, bergen das Risiko z. T. schwerwiegender Nebenwirkungen in sich. Hierzu gehören: Blutdruckanstieg, Kopfschmerzen,
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Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
Palpitationen, Herzrhythmusstörungen sowie kardio- und cerebrovaskuläre Komplikatio-
nen.
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Kernan et al. fanden in einer Studie an 702 Erwachsenen unter 50 Jahren mit Subarachnoidalblutung oder intracerebraler Blutung gegenüber einer Kontrollgrupe von 1.376 Patienten das Risiko einer Hirnblutung im Rahmen eines apoplektischen Insultes 16fach erhöht bei Frauen, die Phenylpropanolamin als Appetitzügler eingenommen hatten bzw. 3fach erhöht bei Frauen, die die Substanz weniger als 24 h als Erkältungsmittel angewendet hatten [67].
einer Erhöhung der funktionellen Blasenkapazität führt und die irritative Harndrangsymptomatik, die in der Postmenopause und im höheren Alter bei zahlreichen Frauen zu beobachten ist, positiv beeinflusst. Vor einer geplanten Östrogensubstitution sollte ein lokales Östrogendefizit z. B. durch Bestimmung des karyopyknotischen Indexes im Urethraloder Vaginalabstrich nachgewiesen werden. Aufgrund der bei systemischer Gabe potenziell auftretenden Nebenwirkungen sollte einer topischen Therapie mit Vaginalsuppositorien, Salben etc. der Vorzug gegeben werden.
Serotonin-/Noradrenalin wiederaufnahme hemmer
Östrogene Als Folge eines postmenopausalen Östrogenmangels kann es im Bereich des Urogenitaltraktes hiervon betroffener Frauen zu einer lokalen Perfusionsminderung mit konsekutiver Atrophie des Vaginal- und Urethralepithels sowie der subepithelialen Bindegewebsschichten kommen [28]. Als Symptome können neben einer Belastungsinkontinenz imperativer Harndrang bis hin zu einer Dranginkontinenz aber auch rezidivierende Harnwegsinfektionen auftreten. Östrogenrezeptoren finden sich im gesamten Urogenitaltrakt wobei die Rezeptorendichte der Urethra sich nicht von der der Vagina unterscheidet. Die Submukosa und der suburotheliale Gefäßplexus der Harnröhre bilden eine wesentliche passive Unterstützung des aktiven Sphinktermechanismus. Eine Atrophie als Folge eines Östrogenmangels kann diese passive Abdichtungsfunktion erheblich beeinträchtigen und das Auftreten einer Belastungsinkontinenz begünstigen. Eine weiterer Effekt der Östrogene scheint darin zu bestehen, die Empfindlichkeit der glatten Muskulatur im Bereich des Blasenhalses und der proximalen Urethra gegenüber alpha-adrenerger Stimulation zu erhöhen (potenziell additiver Effekt einer Östrogen- und Alpha-Sympathomimetikatherapie). Darüber hinaus scheint es durch Östrogensubstitution, welche die urogenitale Durchblutung nachweislich verbessert und die Atrophieerscheinungen mildern oder gar aufheben kann [28], zu einer Reduktion der Blasensensitivität zu kommen, was zu
Duloxetin.
Duloxetinhydrochlorid ist ein selektiver Serotonin-/Noradrenalinwiederaufnahmehemmer und wird zurzeit für die Behandlung von Frauen mit Belastungsinkontinenz klinisch erprobt. In der Literatur finden sich zahlreiche Hinweise auf eine Verbindung der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin mit der zentralnervösen Kontrolle des unteren Harntraktes. Während serotonerge Agonisten die parasympathische Aktivität unterdrücken und die sympathische und somatische Aktivität der nervalen Kontrolle des unteren Harntraktes erhöhen, also eine Harnspeicherung begünstigen, haben Antagonisten den gegenteiligen Effekt [19, 34, 115]. Noradrenerge Agonisten und Antagonisten beeinflussen je nach adrenergem Rezeptorsubtyp die sympathische und somatische Aktivität des unteren Harntraktes in unterschiedlicher Weise [29, 33]. Die Wirkung von Duloxetin in der Behandlung der Belastungsinkontinenz wird mit der Wiederaufnahmehemmung von Serotonin und Noradrenalin am präsynaptischen Neuron im Onuf-Nukleus des sakralen Rückenmarkes in Verbindung gebracht. Am synaptischen Spalt treten dann erhöhte und länger anhaltende Serotoninund Noradrenalinspiegel auf, wodurch alpha-adrenerge und 5-HT2-serotonerge Rezeptoren im postsynaptischen pudendalen Motoneuron stimuliert werden [116]. In tierexperimentellen Untersuchungen hatte dies zu einem starken Anstieg der elektromyographisch (EMG) ermittelten Aktivität der
21.3 · Funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen
quergestreiften Urethralspinktermuskulatur während der Harnspeicherphase geführt [116]. In einer doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten klinischen Phase-II-Studie [94] wurde Duloxetin bei 553 Frauen mit Stressinkontinenz im Alter zwischen 18 und 65 Jahren über einen Zeitraum von 12 Wochen verabreicht. 138 Patientinnen erhielten 20 mg/Tag, 137 Patientinnen 40 mg/Tag, 140 Patientinnen 80 mg/Tag Duloxetin und 138 Patientinnen erhielten Placebo. Die Studie zeigte im Vergleich zu Placebo eine signifikante und klinisch relevante Senkung der Harninkontinenzepisoden unter Duloxetin. Die Wirksamkeit von Duloxetin war dosisabhängig, wobei die Anzahl der Harninkontinenzepisoden bei Patientinnen, die 80 mg Duloxetin täglich erhielten, um 64% gesenkt wurde (p <0,001). Auch das Miktionsintervall war signifikant verlängert und die Lebensqualitätsskalen zeigten vergleichbar gute Ergebnisse. Als häufigste Nebenwirkung wurde Übelkeit genannt (9–13% vs. 2% bei Placebo). Mittlerweile ist auch eine randomisierte, placebokontrollierte doppelblinde Phase-III-Studie zum Duloxetin in der Behandlung der weiblichen Belastungsinkontinenz abgeschlossen worden [136]. In dieser Studie wurden 683 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren mit Belastungsinkontinenz und einer wöchentlichen Anzahl von mindestens 7 Inkontinenzepisoden eingeschlossen. 339 Frauen erhielten Placebo, 344 Frauen 80 mg Duloxetin/Tag über 12 Wochen. Im Vergleich zu Placebo zeigten die mit Duloxetin behandelten Patientinnen eine statistisch signifikante Reduktion der Inkontinenzepisoden, eine signifikante Zunahme der Miktionsintervalle und eine Verbesserung der Lebensqualität. Subjektiv kam es bei 62% der mit Duloxetin behandelten Frauen zu einer Verbesserung der Inkontinenzsituation, verglichen mit 39,6% in der Placebogruppe (p <0,001). Therapieabbrüche erfolgten bei 24% der Duloxetin und bei 4% der placebobehandelten Patientinnen. Übelkeit war die häufigste unerwünschte Wirkung und Grund für den Therapieabbruch (6,4%). Weitere Nebenwirkungen stellten Schläfrigkeit und Schwindel dar. Weitere Studien werden in naher Zukunft abgeschlossen werden und eine verlässlichere Beurtei-
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lung der Substanz erlauben. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Indikation und die Dauer der Wirksamkeit wünschenswert. Fazit Detrusorhyperaktivität, Detrusorhypokontraktilität, funktionelle infravesikale Obstruktion bei DSD oder glattmuskulärer Tonuserhöhung sowie die Kombination aus Detrusorhyperaktivität und DSD stellen die klinisch häufigsten therapierelevanten neurogenen Funktionsstörungen des unteren Harntraktes dar. Für die Behandlung der Detrusorhyperaktivität stehen zahlreiche potente, im Hinblick auf Effektivität und unerwünschte Wirkungen weitgehend gleichwertige Medikamente, überwiegend aus der Gruppe der Anticholinergika, zur Verfügung, die bei etwa 60% der betroffenen Patienten einen ausreichenden klinischen Effekt besitzen. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei der Vielzahl der von dieser Störung betroffenen Patienten und der aufgrund der Altersstruktur in den industrialisierten Ländern zu erwartenden weiteren Zunahme viele Patienten pharmakologisch nicht effektiv behandelt werden können. Viele werden die Therapie aufgrund von unerwünschten Wirkungen nicht tolerieren, so dass auch in diesem Bereich weiter Forschungsbedarf besteht. Zahlreiche pharmakotherapeutisch theoretisch nutzbare Ansatzpunkte zur Beeinflussung einer Detrusorhyperaktivität, die der Vollständigkeit halber im Abschn. 21.3.1 und Unterabschnitten behandelt wurden (z. B.: Beta-Sympathomimetika, Kalziumantagonisten, Kaliumkanalöffner, Phosphodiesteraseinhibitoren), sind von einem breiten klinischen Einsatz, trotz erfolgversprechender präklinischer Datenlage, z. T. noch weit entfernt. Demgegenüber haben im Sinne einer pharmakotherapeutischen Second-line-Therapie der neurogenen Detrusorhyperaktivität aufgrund der reproduzierbar guten klinischen Effektivität die in die Blase zu instillierenden Vanilloidrezeptoragonisten sowie ▼
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Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
Literatur das in den Detrusor zu injizierende Botulinumtoxin
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mittlerweile eine recht weite Verbreitung gefunden. Für die im Sinne einer echten neurogenen Funktionsstörung seltene, funktionelle, glattmuskuläre, infravesikale Obstruktion stehen therapeutisch mit den zahlreichen auf dem Markt befindlichen Alpha-1-Rezeptorenblockern gut untersuchte und nachgewiesenermaßen effektive Präparate zur Verfügung. Allerdings besitzen diese aufgrund der funktionell und symptomatisch kaum exakt abzugrenzenden dynamischen Komponente der Blasenauslassobstruktion (BOO) beim benignen Prostatasyndrom (BPS) besondere klinische Relevanz. Anders stellt sich die Situation bei der Detrusorhypokontraktilität und der echten DetrusorSphinkter-Dyssynergie dar. Bisher ist eine effektive Reduktion des quergestreiften Muskeltonus ohne schwerwiegende Nebenwirkungen an anderen Muskelgruppen bei der DSD pharmakologisch kaum erreichbar. Auch in der medikamentösen Therapie der Detrusorhypokontraktilität zeigen die verfügbaren Präparate oft nur marginale klinische Effekte. Für viele von ausgeprägten neurogenen und nichtneurogenen Entleerungsstörungen der Blase betroffenen Patienten steht somit bei Ineffektivität oder Unverträglichkeit der wenigen verfügbaren medikamentösen Therapieoptionen (Alphablocker, Antispastika, Parasympathomimetika) als ultima ratio auch heute noch nur die instrumentelle Drainage der Harnblase mit Hilfe des intermittierende Katheterismus oder eines suprapubischen Katheters zur Verfügung.
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Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
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Kapitel 21 · Pharmakologische Therapie von neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen
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21
22 Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms M. Oelke, R. R. Berges, J. J. de la Rosette
22.1
Zum Thema
22.2
Therapie mit α1-Rezeptorenblockern – 317 Wirkmechanismus von α1-Rezeptorenblockern – 317
22.2.1 22.2.2
22.3 22.3.1 22.3.2
– 314
Nebenwirkungen
– 322
Therapie mit 5α-Reduktasehemmern – 325 Wirkmechanismus von 5α-Reduktasehemmern – 326 Nebenwirkungen
– 330
22.4
Therapie mit Pflanzenextrakten
22.5
Kombinationstherapie
22.6
MTOPS-Studie
Literatur
– 337
– 333
– 332
– 331
III
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Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
22.1
Zum Thema
Die benigne Prostatahyperplasie (BPH) ist die häufigste Ursache von Miktionsstörungen des alternden Mannes. Die Prävalenz der BPH steigt mit zunehmendem Lebensalter kontinuierlich an. Metaanalysen aus Autopsiestudien ergaben, dass in der 6. Lebensdekade ca. 50%, in der 7. Lebensdekade ca. 70%, in der 8. Lebensdekade ca. 80% und in der 9. Lebensdekade ca. 90% der Männer die histologischen Zeichen einer BPH aufweisen. Aufgrund der Häufigkeit kann die BPH daher als Volkskrankheit bezeichnet werden. Es wird geschätzt, dass bei etwa der Hälfte der Männer mit einer histologischen BPH eine Prostatavergrößerung getastet werden kann sowie die Hälfte der Männer mit einer histologischen BPH auch eine moderate bis schwere Miktionssymptomatik haben. Die Krankheit, die sich bei Männern infolge der hyperplastischen Veränderung der Prostata entwickelt, ist durch die drei klinischen Hauptkomponenten
Prostatavergrößerung, Miktionssymptomatik und Obstruktion der prostatischen Harnröhre
gekennzeichnet. Zahlreiche Untersuchungen konnten zeigen, dass keine sicheren Zusammenhänge zwischen Prostatagröße und Blasenauslassobstruktion, Prostatagröße und Miktionssymptomatik sowie Blasenauslassobstruktion und Miktionssymptomatik bestehen. Demnach kann bei einem Patienten mit einer nur milden Miktionssymptomatik eine starke Prostatavergrößerung und/oder Blasenauslassobstruktion bestehen. Umgekehrt können auch bei einem Patienten mit ausgeprägter Miktionssymptomatik eine Prostatavergrößerung und Blasenauslassobstruktion fehlen. Folglich müssen bei einem Patienten die Prostatagröße, Symptomatik und Obstruktion einzeln betrachtet werden, ohne dass von einer Veränderung auf eine andere geschlossen werden kann. Die wechselhafte Ausprägung von Prostatavergrößerung, Miktionssymptomatik und Blasenauslassobstruktion sowie deren Kombinationen wird mit dem Überbegriff »benignes Prostatasyndrom« (BPS) gekennzeichnet.
Lediglich Symptome bei der Urinspeicherung oder Blasenentleerung veranlassen den Patienten, medizinische Hilfe zu suchen. Diese Symptome werden heute allgemein und unspezifisch als Symptome des unteren Harntraktes (»Lower Urinary Tract Symptoms«, LUTS) bezeichnet während der früher verwendete Begriff Prostatismus suggerierte, dass die Miktionssymptomatik durch eine BPH, Prostatavergrößerung oder Blasenauslassobstruktion hervorgerufen wurde. Mittels standardisierter Fragebögen (z. B. IPSS-Fragebogen) lassen sich die Häufigkeit sowie das Ausmaß der klinischen Symptome erfragen und quantifizieren. Anhand der Symptomsumme wird die Miktionssymptomatik eingestuft als mild (IPSS-Summe 0–7), moderat (IPSS-Summe 8–19) oder schwer (IPSS-Summe 20–35). Epidemiologische Untersuchungen in Deutschland ergaben, dass etwa 30% aller Männer im Alter von über 50 Jahren an behandlungsbedürftigen LUTS leiden. Der Anteil symptomatischer Männer steigt erwartungsgemäß mit dem Alter an: Während ca. 22% der 50- bis 69-jährigen Männer behandlungsbedürftige Symptome angeben, sind ca. 40% aller über 70-jährigen Männer betroffen (⊡ Abb. 22.1). Der Krankheitswert und die damit verbundene
⊡ Abb. 22.1. Männer in Deutschland mit behandlungsbedürftigen Symptomen bei der Urinspeicherung und -entleerung (IPSS >7) und der Anteil derjenigen mit moderater (IPSS 8–19) oder schwerer (IPSS 20–35) Symptomatik [9]
22.1 · Zum Thema
Lebensqualitätseinschränkung von einzelnen Miktionssymptomen wird von den betroffenen Männern unterschiedlich bewertet: Nachträufeln, imperativer Harndrang, Pollakisurie und Dranginkontinenz werden i. Allg. als störender empfunden als Pressen zur Miktion, schwacher Harnstrahl und Restharngefühl. Von den Betroffenen werden etwa die Hälfte – zum Teil über mehrere Jahre – wegen ihrer Miktionsstörungen medikamentös behandelt. Sogenannte Prostatamittel stehen hier an erster Stelle, da – so wird unterstellt – die meisten Betroffenen an prostatabedingten Miktionsstörungen leiden. An der Versorgung dieser Patienten sind in Deutschland mehrere Fachgruppen beteiligt. Es verwundert daher nicht, dass große Unterschiede in der Anwendung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen zwischen praktischen Ärzten, Allgemeinmedizinern, Internisten und Urologen bestehen. Nationale und internationale Studien haben gezeigt, dass sich etwa 50–70% der Männer mit einer moderaten bis schweren Miktionssymptomatik (IPSS >7) nicht in ärztlicher Behandlung befinden. Ein verändertes Gesundheitsbewusstsein, eine zunehmende Zahl von älteren Männern in Deutschland und knapper werdende Ressourcen im deutschen Gesundheitssystem machen es aus gesundheitsökonomischer Sicht zwingend notwendig, Diagnostik und Therapie des BPS möglichst rational und streng nach Evidenzkriterien einzusetzen. Da in Leitlinien evidenzbasierte Beurteilungen von Medikamenten zur Behandlung des BPS vorgenommen werden, sind u. a. die BPH-Leitlinien der deutschen Urologen sowie der Europäischen (EAU) und der amerikanischen (AUA) Urologenvereinigungen für einen guten und schnellen Überblick über die aktuelle Evidenz hilfreich. Für die medikamentöse Therapie des BPS sollten folgende Regeln eingehalten werden: Vor Einleitung einer Therapie sollte der Arzt klären, ob die Miktionssymptomatik durch eine BPH oder durch eine andere Erkrankung hervorgerufen wurde. Besonders die im höheren Lebensalter häufig auftretenden suprapontinen Läsionen des Nervensystems, das Prostatakarzinom oder metabolische Erkrankungen (v. a. Diabetes mellitus) können eine Miktionssymptomatik verursachen, die
315
22
der BPH-bedingten Miktionssymptomatik gleicht. Nachdem die BPH als Ursache der Miktionssymptomatik identifiziert wurde, sollte geklärt werden, in welchem Verhältnis Prostatavergrößerung, Miktionssymptomatik und Blasenauslassobstruktion stehen. Eine medikamentöse Therapie des BPS ist prinzipiell dann indiziert, wenn absolute Operationsindikationen fehlen ( s. nachfolgende Übersicht »Absolute Operationsindikationen bei BPH«) und eine relevante Blasenauslassobstruk-
tion ausgeschlossen wurde. Die Therapie sollte nach entsprechender Diag-
nostik und deren Bewertung durch einen Urologen durch Patientenselektion individuell angepasst sein und regelmäßig anhand eines Symptom-Fragebogens auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Die Therapie muss dem Indikationsbereich der Medikamente entsprechen. Eine Therapieindikation besteht, wenn Miktionssymptome zu einem deutlichen Leidensdruck/Lebensqualitätseinschränkung führen. Um Symptome und Lebensqualitätseinschränkung zu objektivieren, sollten Messinstrumente wie z. B. der Internationale Prostata-Symptomen-Score (IPSS, 7 Fragen zur Qualität und Ausprägung von Miktionssymptomen, Symptomsumme >7 = behandlungsbedürftige Symptome) und der Lebensqualitätsindex des IPSS (Qol-Index) eingesetzt werden. Alternativ können auch andere Fragebögen verwendet werden, solange diese validiert wurden (z. B. DAN-PSS, Madson-Iversen, Boyarski, ICS-male). Diese Fragebögen sollen helfen, Therapieindikation und -verlauf objektiv zu beurteilen. Vor, während und nach der Therapie sollte zur besseren Vergleichbarkeit immer nur ein Fragebogen derselben Art benutzt werden. Zur Therapie des BPS sollten nur Substanzen verwendet werden, deren Wirksamkeit in randomisierten, placebokontrollierten sowie doppelblinden Studien mit einem langen Followup (wünschenswert ≥1 Jahr) und ausreichender Patientengröße (wünschenswert ≥100) geprüft wurden und damit im Einklang mit den höchs-
316
III
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
ten Evidenzkriterien der internationalen BPHKonsensuskonferenz aus dem Jahr 2000 (Paris) stehen. Bei Bewertungen dieser Medikamente muss stets auch der Placeboeffekt untersucht und quantifiziert werden. Ein Placeboeffekt konnte sowohl für Wirkungen und Nebenwirkungen, als auch für subjektive und objektive Symptome beobachtet werden. Der maximale Placeboeffekt bei der Reduktion von Symptomen beträgt 39% und ist damit z. T. höher als der Verumeffekt in anderen Studien. Der Placeboeffekt ist in den ersten 6 Behandlungsmonaten am ausgeprägtesten, ein signifikanter Placeboeffekt ist aber selbst nach 12-monatiger Behandlung noch nachweisbar. Zur Beurteilung eines Therapieeffektes sollten nur solche Studien herangezogen werden, die in Ihrem Design die Beurteilung des maximalen Harnflusses und die Erfassung subjektiv eingeschätzter Symptome durch einen validierten Fragebogen beinhalten. Eine Kombinationstherapie (mit Ausnahme von α-Blockern in Kombination mit 5α-Reduktaseinhibitoren) oder eine Therapiekaskade sind bei fehlender Evidenz über deren Nutzen und aus Kostengründen abzulehnen.
Absolute Operationsindikationen bei BPH Rezidivierende Harnverhalte Rezidivierende Harnwegsinfektionen Konservativ nicht beherrschbare, rezidivierende Makrohämaturien Harnblasenkonkremente Dilatation des oberen Harntraktes, eingeschränkte Nierenfunktion oder Niereninsuffizienz durch Blasenauslassobstruktion
Die derzeitige Situation in Deutschland zeigt ein anderes Bild. Etwa 50% der Patienten mit prostatabedingten Miktionsstörungen befinden sich in der Behandlung von praktischen Ärzten, Allgemeinmedizinern oder Internisten, bei denen – so kann unterstellt werden – eine nur unzureichende Beurteilung des BPS aufgrund fehlender apparativer Ausstattung (transrektaler Ultraschall, Uroflowmeter, urodynamischer Messplatz) erfolgen kann. Pflanzenextrakte, zu deren Wirksamkeit nach Evidenzkriterien kaum eine Aussage möglich ist, werden in Deutschland zur Therapie von LUTS am häufigsten angewendet (⊡ Abb. 22.2). Es bleibt hingegen abzuwarten, wie sich durch die geplante
Source: IMS DPM (Pharmacy Audit)
⊡ Abb. 22.2. Verordnungen und Umsatz von α1-Blockern, 5α-Reduktaseinhibitoren und Phytopharmaka in Deutschland im Jahr 2002. Obwohl Phytopharmaka am häufigsten rezep-
tiert wurden, betrug der prozentuale Anteil am Gesamtumsatz lediglich 28%
317
22.2 · Therapie mit α1-Rezeptorenblockern
Streichung der Phytopharmaka aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen die Marktanteile in den nächsten Jahren verändern werden. In anderen Ländern (z. B. Niederlande, England, USA) sind Phytopharmaka nicht rezeptierbar oder erstattungsfähig, da ihnen bisher der Wirksamkeitsnachweis fehlt. Typisch beim BPS ist das wechselhafte Muster der Beschwerden. Art, Dauer und Ausprägung der Symptome spielen für die Auswahl des Behandlungsverfahrens eine entscheidende Rolle. Diskrete Krankheitszeichen müssen nicht immer mit Medikamenten behandelt werden. Unter Berücksichtigung der langsamen Progredienz des Leidens erscheint es bei geringen Beschwerden (IPSS ≤7) gerechtfertigt, zunächst mit einer Therapie abzuwarten, dieses Vorgehen wird als »kontrolliertes Zuwarten« bezeichnet. Die Untersuchungsintervalle sollten bei stabilem Verlauf in etwa 1/2-jährlichen Abständen erfolgen. Patienten mit hohen Restharnmengen sollten jedoch einer aktiven Therapie zugeführt werden. Welche Restharnmengen noch tolerabel erscheinen, lässt sich aufgrund fehlender Datenlage nicht mit Sicherheit definieren. Vorbeugend erscheint es aber sinnvoll, ein Restharnvolumen >100 ml als Therapieindikation anzusehen. Medikamente zur Behandlung des BPS führen zur effektiven Linderung von LUTS. Da aber unabhängig vom Ausmaß einer Blasenauslassobstruktion die subjektive Symptomatik bei allen Behandelten vermindert wird und α-Blocker, 5α-Reduktasehemmer oder Phytopharmaka eine infravesikale Obstruktion nicht oder nur geringfügig verändern, muss befürchtet werden, dass bei obstruktiven Patienten eine symptomatische in eine asymptomatische (stumme) Obstruktion überführt wird. Über den Langzeitverlauf einer stummen Obstruktion ist bisher wenig bekannt, allerdings sind typische Komplikationen einer länger bestehenden Blasenentleerungsstörung wie Restharnbildung, Blasentrabekulierung, Blasensteine, Detrusordekompensation, Harnstauungsnieren und/oder Niereninsuffizienz dann auch bei diesen Patienten möglich. Somit sollte eine moderate bis schwere infravesikale Obstruktion vor Behandlungsbeginn und im weiteren Behandlungsverlauf ausgeschlossen werden.
22
Besteht die Indikation zur Therapie, kann nach gründlicher Abklärung des Patienten, Ausschluss absoluter Operationsindikationen sowie Aufklärung über mögliche operative und konservative Behandlungsverfahren in den meisten Fällen eine medikamentöse Therapie gewählt werden. Für die medikamentöse Therapie des BPS stehen in Deutschland α1-Rezeptorenblocker, 5α-Reduktasehemmer sowie Phytopharmaka zur Verfügung.
22.2
Therapie mit α 1-Rezeptorenblockern
In der menschlichen Prostata sind neben Epithelund Bindegewebszellen auch glatte Muskelzellen vorhanden. Bei Patienten mit BPH konnte nachgewiesen werden, dass die glatte Muskulatur ca. 39% des totalen zellulären Volumens und ca. 51% des Stromavolumens ausmacht. Der Tonus der glatten Muskulatur in der Prostata wird durch das autonome Nervensystem vermittelt: Über den N. pelvicus gelangen parasympathische Nerven und über den N. hypogastricus sympathische Nerven zur Prostata.
22.2.1 Wirkmechanismus
von α 1-Rezeptorenblockern Grundlagen für das Verständnis des Wirkmechanismus von α1-Rezeptorenblockern sind der Aufbau und die Funktion des sympathischen Nervensystems (⊡ Abb. 22.3). Von Nervenkernen des Hirnstammes, insbesondere von denen im Locus coeruleus der Pons lokalisierten Nervenzellen ziehen im Rückenmark sympathische Nervenfasern zu den sympathischen Ganglien, in denen ein Nervenimpuls mittels des Neurotransmitters Acetylcholin auf das postganglionäre Neuron umgeschaltet wird. Ein Aktionspotenzial in der postganglionären Nervenzelle führt an der neuromuskulären Endplatte zur Freisetzung von Noradrenalin, welches am synaptischen Spalt an adrenerge Rezeptoren (Adrenozeptoren) bindet. An den Synapsen kommen zwei Hauptgruppen von Adrenozeptoren vor, die als α- und β-Rezeptoren bezeichnet werden. Diese können nochmals in α1- und α2- sowie
318
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
III
NA-Freisetzung
β1-Rezeptor β2-Rezeptor α1-Rezeptor α2-Rezeptor
⊡ Abb. 22.3. Schematische Darstellung des sympathischen Nervensystems mit einer überproportional vergrößerten adrenergen Synapse, an der ein Aktionspotenzial vom post-
ganglionären Neuron auf den Effektor (z. B. Muskelzelle) mittels Noradrenalin und Adrenozeptoren übertragen wird
β1-, β2- und β3-Rezeptoren unterteilt werden. Die Signaltransduktion über α-Adrenozeptoren wird durch G-Protein induzierte Aktivierung von Phospholipase C sowie durch vermehrte Bildung von Inositoltriphosphat und Diacetylglycerol als »second messenger« vermittelt, was nachfolgend Calciumionen aus dem sarkoplasmatischen Retikulum freisetzt und so die Kontraktion einer glatten Muskelzelle einleitet. Die Stimulation von postsynaptischen Adrenozeptoren kann aufgrund eines unterschiedlichen Rezeptorbesatzes in verschiedenen Effektororganen (z. B. Prostata, glattmuskulärer Sphinkter des unteren Harntraktes, Blutgefäße, Herz, Magen-Darm-Trakt) zu unterschiedlichen Wirkungen im menschlichen Körper führen. In der menschlichen Prostata wurden sowohl α1-, als auch α2-Adrenozeptoren nachgewiesen. Untersuchungen zur Verteilung dieser Adrenozeptoren ergaben, dass α1-Rezeptoren hauptsächlich in der glatten Muskulatur der Prostata (Verteilung α1:α2 = 4:1) und α2-Rezeptoren hauptsächlich im Epithel sowie
in den Blutgefäßen der Prostata lokalisiert sind [16]. Hyperplastisches BPH-Gewebe enthält mehr α-Adrenozeptoren als normales, nichthyperplastisches Prostatagewebe, die Menge der α1-Adrenozeptoren im BPH-Gewebe asymptomatischer und symptomatischer BPH-Patienten ist allerdings identisch. Mit der Technik der Radioligandenbindung und später mit der Klonierung von cDNA-Molekülen wurde herausgefunden, dass verschiedene α1Adrenozeptoren-Subtypen existieren, die als α1A-, α1B- und α1D-Adrenozeptoren bezeichnet werden. Der ursprünglich beschriebene α1C-Subtyp ist jedoch pharmakologisch mit dem α1A-Subtyp identisch, so dass die Benennung dieses Subtyps wieder fallengelassen wurde. Obwohl alle drei α1-Adrenozeptor-Subtypen in der humanen Prostata nachgewiesen worden sind, zeigten funktionelle Untersuchungen, dass die Kontraktion von Prostatagewebe hauptsächlich durch den α1A-Subtyp vermittelt wird. Etwa 70% der α1-Adrenozeptoren der Prosta-
319
22.2 · Therapie mit α1-Rezeptorenblockern
ta bestehen aus diesem α1A-Subtyp. α1A wird zwar hauptsächlich im Prostatagewebe exprimiert, kommt aber neben den α1B- und α1D-Subtypen auch in den Wänden von Blutgefäßen vor. Aus diesem Grund kann auch ein α1A-selektives Medikament eine vaskuläre Aktivität haben, was kardiovaskuläre Nebenwirkungen auch nach der Gabe von α1A-Adrenozeptorenblockern erklärt. Die Stimulation von α-Adrenozeptoren führt zur Zunahme des urethralen Druckes. Demgegenüber kann die Hemmung der adrenergen Innervation der Prostata durch nervale Blockade oder durch Verwendung von α-Rezeptorenblockern den Druck in der prostatischen Urethra um bis zu 47% reduzieren. Diese Tatsache hat zum Konzept der dynamischen und statischen Komponente der BPH-Obstruktion geführt. Diesem Konzept zur Folge verursacht der glattmuskuläre Tonus des Blasenhalses, des fibromuskulären Stromas der Prostata und der Prostatakapsel die dynamische Komponente der Blasensauslassobstruktion, während die Masse des Adenomgewebes die statische Komponente der Obstruktion darstellt. Ziel der pharmakologischen Therapie mit α1-Rezeptorenblo-
22
ckern ist demnach die Reduktion der dynamischen Komponente und Ziel der Therapie mit 5α-Reduktaseinhibitoren die Reduktion der statischen Komponente der Obstruktion. Durch selektive Hemmung des α1A-Adrenozeptor-Subtyps wird verständlich, warum α1-Rezeptorenblocker obstruktive Symptome der BPH lindern können, erklärt jedoch nicht, warum auch irritative Symptome während der Behandlung abnehmen. Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass α1D-Adrenozeptoren im Detrusor vorhanden sind und die Hemmung dieser zur Abnahme von irritativen Symptomen führt, werden doch irritative Symptome bei Männern durch alle im Handel erhältlichen α1-Rezeptorenblocker gleichermaßen gut beeinflusst. Selbst bei Frauen mit Urgency-Frequency-Symptomatik konnte mit α1-Rezeptorenblockern (Doxazosin) eine Besserung der irritativen Symptomatik beobachtet werden. Des Weiteren konnte nachgewiesen werden, dass auch α1-Adrenozeptoren im Rückenmark vorhanden sind und durch die Hemmung dieser Rezeptoren (Doxazosin) die Frequenz von Detrusorinstabilitäten – möglicherweise vermittelt über parasympathische
⊡ Tabelle 22.1. Für die Indikation »Behandlung der klinischen Symptome der BPH« zugelassene α1-Rezeptorenblocker in Deutschland (Stand: Herbst 2002)
Substanz
Handelsname
Hersteller
Alfuzosin/-SR*
Urion, Urion S*, Urion uno* UroXatral, UroXatral S*, UroXatral uno*
Altana Pharma (Byk Gulden) Sanofi-Synthelabo
Doxazosin/-SR*
Alfamedin Cardular Uro, Cardular PP Uro* Diblocin Uro, Diblocin PP Uro* Doxamax Doxazomerck Doxazosin-Apogepha Doxazosin β Doxazosin STADA Uriduct
Kade Pfizer AstraZeneca esparma Merck dura Apogepha betapharma STADA TAD Pharma
Tamsulosin
Alna* Omnic*
Boehringer Ingelheim Yamanouchi
Terazosin
Flotrin Terazoflo
Abbott GRY
Die gekennzeichneten Substanzen (*) entsprechen Retardtabletten. SR, S »Sustained (Slow) Release«, PP »Push/Pull«.
320
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
⊡ Abb. 22.4. Chemische Struktur der für die Indikation »Behandlung von Symptomen der BPH« zugelassenen α1-Rezeptorenblocker
III
Alfuzosin CH3O
CH3O
CH3 N
NH
N
O N
O
NH2
Doxazosin CH3O
CH3O
N N
O
N C O
N
O
NH2
Tamsulosin CH3 CH3O H2NO2S
CH2 C NHCH2CH2O
HCl
H OCH2CH3
Terazosin CH3O
CH3O
Nervenfasern und Acetylcholin – vermindert wird. In Deutschland sind die α1-Rezeptorenblocker Alfuzosin, Doxazosin, Tamsulosin und Terazosin zur Therapie der BPH-Symptome (⊡ Tabelle 22.1), Doxazosin und Terazosin zusätzlich zur Therapie der arteriellen Hypertonie zugelassen. Während Alfuzosin, Doxazosin und Terazosin QuinazolinDerivate sind und daher alle eine ähnliche chemische Struktur aufweisen, ist Tamsulosin ein Sulfonamid-substituiertes Phenethylamin (⊡ Abb. 22.4), welches strukturelle Ähnlichkeit mit Katecholaminen hat. Diese Substanzen können Adrenalin und Noradrenalin kompetitiv vom α1-Adrenozeptor verdrängen und so die sympathische Wirkung antagonisieren. Verschiedenartige galenische Zubereitungen sind für die pharmakokinetischen Eigenschaften dieser Substanzen verantwortlich
O
N N
O
N C
N NH2
(⊡ Tabelle 22.2). Alle Substanzen stehen als Tablettenform für die orale Einnahme zur Verfügung. Für Alfuzosin und Doxazosin sind auch Retardformulierungen entwickelt worden, die den Wirkstoff verzögert und gleichmäßig aus den Tabletten freisetzen. Bei dem sog. PP-Prinzip (»pull and push« ) wird durch langsamen Einzug von Wasser in eine Quellschicht der Tablette (»pull«) der Wirkstoff kontinuierlich ausgedrückt (»push«). Der pharmakologische Effekt gleicht somit einer Retardformulierung und führt zur verbesserten Verträglichkeit. Für die einmal tägliche Einnahme von 10 mg Alfuzosin wurde eine galenische Zubereitung entwickelt, die als GEOMATRIX-System patentiert wurde. Diese Tabletten sind aus drei Schichten aufgebaut, bestehend aus einem hydrophilen Kern mit Alfuzosinhydrochlorid und zwei inerten Hüllschichten (⊡ Abb. 22.5). Die beiden Hüllschichten
22
321
22.2 · Therapie mit α1-Rezeptorenblockern
⊡ Tabelle 22.2. Klinisch-pharmakologische Daten von α1-Rezeptorenblockern
Bioverfügbarkeit (%)
tmax
t1/2
(h)
(h)
Alfuzosin
64
1,5
Alfuzosin SR
50
Alfuzosin uno
Substanz
Empfohlene Tagesdosierung
Titrierung notwendig?
4–6
3×2,5 mg
teilweise
3
8
2×5 mg
teilweise
60
9
11
1×10 mg
nein
Doxazosin
65
2–3
20–22
1×2–8 mg
ja
Doxazosin SR
40
8–12
20–22
1×4–8 mg
ja
Tamsulosin
99
6
10–13
1×0,4 mg
nein
Terazosin
82
1–2
1×5–10 mg
ja
8–14
SR »Sustained (Slow) Release«, Retardformulierung, tmax Zeit bis zur maximalen Plasmakonzentration, t1/2 Plasma-Halbwertszeit
(eine schwellend, die andere erodierend) steuern die Hydratation und damit Schwellung des Alfuzosinkernes, so dass eine gleichmäßige Wirkstoffabgabe über 24 h erfolgt. Für Tamsulosin wird nur die Retardformulierung vermarktet. Aufgrund der langen Halbwertszeit von Terazosin ist eine nur einmalige Einnahme am Tag erforderlich, diese Substanz wirkt somit wie eine Retardformulierung. Die einmal tägliche Einnahme von Medikamenten soll die Patienten-Compliance erhöhen. Im Ver-
gleich zu Finasterid, welches nach regelmäßiger Einnahme erst nach Monaten zur Symptomlinderung der BPS-Patienten führt, tritt die Verminderung der obstruktiven und irritativen Symptomatik nach Einnahme von α-Rezeptorenblockern bereits nach wenigen Stunden ein. Nach der einmaligen Einnahme von α1-Rezeptorenblockern (Alfuzosin) wurde bereits nach 1,5 h eine signifikante Zunahme des maximalen Harnflusses (Qmax) dokumentiert. Auch diese schnellen Veränderungen
Schwellbare Schicht Alfuzosin Schwellbare erodierbare Schicht
Schwellphase
Defusionsphase
Erosionsphase Freigabe
Zeit a
b
⊡ Abb. 22.5. Das GEOMATRIX-System für die einmal tägliche Einnahme von Alfuzosin 10 mg (a). Die Tablette besteht aus 3 Schichten (einem Kern mit dem Wirkstoff Alfuzosin und zwei
c
d Auflösungsprofil inerten Hüllschichten, die eine schwellend und die andere erodierend (b, c) und führt im Körper zur gleichmäßigen Abgabe des Wirkstoffes (d) [70]
322
III
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
der Symptomatik und des Harnflusses tragen zur erhöhten Patienten-Compliance bei. Alle α1-Rezeptorenblocker werden zum größten Teil hepatisch metabolisiert und biliär ausgeschieden. Bei schwerer Leberfunktionsstörung/ Leberinsuffizienz sollte daher eine Dosisanpassung erfolgen. Bei nur leichter oder moderater Leberfunktionsstörung ist das pharmakokinetische Profil jedoch nicht signifikant verändert. Nierenfunktionsstörungen oder fortgeschrittenes Lebensalter haben demgegenüber keinen Einfluss auf die Elimination der α1-Rezeptorenblocker, so dass bei solchen Patienten keine Dosisanpassung erforderlich ist. Die PSA-Konzentration im Blut (gesamtes oder freies PSA) wird durch die Einnahme von α1-Rezeptorenblockern nicht verändert. Das Wirkprofil aller in Deutschland vermarkteter α1-Rezeptorenblocker ist ähnlich. Die Symptomatik des BPS-Patienten – gemessen in Symptomfragebögen – kann mit allen Substanzen um bis zu 65% (durchschnittlich ~40%) dauerhaft reduziert und Qmax um bis zu 4,3 ml/s (durchschnittlich ~2,5 ml/s, entsprechend einer Verbesserung um 20–35%) dauerhaft gesteigert werden (⊡ Tabelle 22.3). Klinische Studien zeigten, dass die Prostatagröße keinen Einfluß auf das Ausmaß der Symptomlinderung oder die Harnstrahlverstärkung während der Therapie mit α1-Rezeptorenblockern hatte. Veränderungen von Harnstrahlstärke und Miktionssymtomatik sind im Vergleich zu placebobehandelten Patienten signifikant und tragen zur Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Männer bei. Im direkten Vergleich der verschiedenen α1-Rezeptorenblocker konnte für keine Substanz eine Überlegenheit hinsichtlich der Wirkung nachgewiesen werden. Im Vergleich der α1-Rezeptorenblocker mit Phytopharmaka oder Finasterid zeigte sich aber hinsichtlich der Verbesserung des Harnflusses und der Symptomlinderung eine Überlegenheit der α1-Rezeptorenblocker. Ob äquivalente Wirkungen für einzelne Phytopharmaka im Vergleich zu α1-Rezeptorenblockern bestehen – wie sie erstmals mit Permixon, einem nur in Frankreich vermarkteten Sabal-Präparat, ermittelt wurden – bleibt in Folgeuntersuchungen v. a. auch für die in Deutschland vermarkteten Präparate abzuwarten.
Zwar kann durch einen α1-Rezeptorenblocker die Restharnmenge um bis zu 56% reduziert werden, allerdings bestanden nur in einigen Studien mit Alfuzosin signifikante Unterschiede im Vergleich zu placebobehandelten Patienten. Für α1Rezeptorenblocker (Alfuzosin) wurde in placebokontrollierten Studien nachgewiesen, dass die Inzidenz eines akuten Harnverhaltes signifikant vermindert werden kann. Allerdings zeigen die Ergebnisse der MTOPS-Studie (»Medical Therapy of Prostatic Symptoms«), dass im Langzeitverlauf ein α1-Rezeptorenblocker (Doxazosin) einen Harnverhalt nicht verhindern, sondern nur verzögern kann. Des Weiteren konnte für α1-Rezeptorenblocker (Alfuzosin) gezeigt werden, dass nach erfolgtem akuten Harnverhalt die Einnahme des α-Rezeptorenblockers signifikant häufiger zur Spontanmiktion führt als Placebo. Eine entsprechende Wirkung ist bei Doxazosin, Tamsulosin oder Terazosin aufgrund eines Gruppeneffektes sehr wahrscheinlich.
22.2.2 Nebenwirkungen
In Abhängigkeit von der verwendeten Wirksubstanz und der Dosierung treten unerwünschte Wirkungen bei 5–62% der untersuchten Patienten auf. Die große Spannbreite beim Auftreten von Nebenwirkungen resultiert neben den Präparateeigenschaften auch aus der unterschiedlichen Definition von Nebenwirkungen in den verschiedenen Studien. Fasst man alle Untersuchungen zusammen, ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der erwähnten Nebenwirkungen milder Natur sind. Müdigkeit und Schwindelgefühl lassen sich durch abendliche Einnahme der Medikamente reduzieren, im Therapieverlauf verschwinden sie oft vollständig. Hypotone Phasen werden vorwiegend bei den klassischen Antihypertensiva Doxazosin und Terazosin bei Therapiebeginn beobachtet. Daher sollten Doxazosin und Terazosin wegen der Blutdrucksenkung und der Gefahr einer orthostatischen Hypotonie bei Therapiebeginn einschleichend (innerhalb von 1–2 Wochen) bis zur empfohlenen Dosierung – bevorzugt am Abend – verabreicht werden. Bei der Verwendung von Alfuzosin sollte eine einschleichende Dosierung bei Patienten, die älter als 65 Jahre sind und gleichzeitig andere Anti-
22
323
22.2 · Therapie mit α1-Rezeptorenblockern
⊡ Tabelle 22.3. Randomisierte, placebokontrollierte Studien zur Bewertung der Wirksamkeit von α1-Rezeptorenblockern (Auswahl)
Substanz
Alfuzosin
Doxazosin
Tamsulosin
Terazosin
(Wochen)
Veränderung Symptome (%)
Veränderung Qmax (ml/s)
Veränderung Restharn (%)
3×2,5 Plazebo
24 24
–42 a, b –32 a
+1,4 a +1,3 a
–39a, b –9
194 196
2×5 SR Placebo
12 12
–31 b –18
+2,4 b +1,1
–17 b 0
Kerrebroeck et al. 2001 [70]
150 143 154
3×2,5 1×10 SR Placebo
12 12 12
–38,1 b –39,9 b –27,7
+3,2 b +2,3 b +1,4
– – –
Roehrborn 2001 [61]
176 177 175
1×10 SR 1×15 SR Placebo
12 12 12
–19,8 b –19,2 b –8,8
+1,7 b +0,9 b +0,2
– – –
Andersen et al. 2000 [4]
318 311 155
1×2–8 1×4–8 SR Placebo
13 13 13
–47,4 a, b a, b –45,3 –34,2
+2,2 a, b +2,6 a, b +0,8
– – –
Kirby et al. 2001 [38]
640 651 155
1×1–8 1×4–8 SR Placebo
13 13 13
–45 a, b –45 a, b –34 a
+2,6 a, b +2,8 a, b +1,1 a
– – –
Chapple et al. 1996 [17]
364 185
1×0,4 Placebo
12 12
–35,1 b –25,5
+1,6 a, b +0,6
–22,4 a –13,4
Narayan et al. 1998 [54]
244 237 235
1×0,4 1×0,8 Placebo
13 13 13
–28,5 b –31,9 b –18
+1,5 b +1,8 b +0,9
– – –
Lepor 1998 [43]
142 144 132
1×0,4 1×0,8 Placebo
40 40 40
–47,8 b –48,5 b –34
+1,7 b +2,1 b +0,4
– – –
Lepor et al. 1996 [42]
256 254
1×1–10 Placebo
–37,7 a, b –16,4 a
+2,7 b +1,4
– –
Roehrborn et al. 1996 [60]
976 973
1×1–10 Placebo
52 52
–37,8 a, b –18,4
+2,2 a, b +0,8
– –
81 82
1×1–10 Placebo
24 24
–27,5 b –5,1
+2,1 b +0,4
– –
Publikation
Patienten
Dosierung
Therapiedauer
(n)
(mg/Tag)
Jardin et al. 1991 [24]
251 267
Buzelin et al. 1997 [15]
Elhilali et al. 1996 [22] a
2–52 2–52
signifikant gegenüber Ausgangswerten (baseline), b signifikant gegenüber Placebo, SR »Sustained Release«.
324
III
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
hypertensiva erhalten, ebenfalls erfolgen. Die Titrierung ist bei der neuen galenischen Zubereitung von Alfuzosin 10 mg (z. B. UroXathral uno oder Urinon uno) nicht mehr notwendig. Die orthostatische Hypotonie ist allerdings eine charakteristische Nebenwirkung bei der Therapie mit allen α1-Rezeptorenblockern (Doxazosin ≈ Terazosin > Alfuzosin > Tamsulosin), die durch Vasodilatation infolge einer Blockade der α1-Adrenozeptoren in Venenwänden entsteht. Offenbar vermag aber die Blutdruckregulation den vasodilatierenden Effekt eines α1-Rezeptorblockers zu kompensieren, insbesondere wenn dieser langsam anflutet, abends eingenommen oder einschleichend dosiert wird. Beim Auftreten von pectanginösen Beschwerden sollte der α1-Blocker jedoch abgesetzt werden. Ebenfalls sollten Alfuzosin, Doxazosin oder Terazosin vor Operationen wegen der zu erwartenden Blutdrucksenkung währen der Narkose nicht mehr eingenommen werden. Kontraindiziert ist die Behandlung mit Alfuzosin, Doxazosin oder Terazosin bei Patienten mit anamnestisch bekanntem Orthostasesyndrom oder bei gleichzeitiger Behandlung mit anderen α-Rezeptorenblockern. Während der Therapie mit allen α1-Rezeptorenblockern können Schwellungen der Nasenschleimhaut, Ejakulationsstörungen, retrograde Ejakulationen oder Diarrhöen auftreten. Die Nasenschleimhautschwellung mit dem Gefühl der verstopften Nase entsteht durch die Blockade von α1-Adrenozeptoren in den Gefäßen der Nasenschleimhaut. Ejakulationsstörungen werden durch Blockade von α1-Adrenozeptoren im Ductus deferens und die retrograde Ejakulation durch Blockade von α1-Adrenozeptoren im M. sphincter urethrae internus verursacht. Für das Auftreten von Schwindel, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder Somnolenz werden neuerdings weniger der Blutdruckabfall, sondern die Blockierung von α1-Adrenozeptoren im zentralen Nervensystem verantwortlich gemacht. Etwa 40% der BPH-Patienten haben zusätzlich zu LUTS auch eine arterielle Hypertonie. Die gleichzeitige Therapie von arterieller Hypertonie und LUTS mit α1-Rezeptorenblockern wurde häufig als Argument für die Verwendung von Doxazosin oder Terazosin bei dieser Patientengruppe angeführt, da beide Substanzen auch als Antihyper-
tensiva zugelassen sind. Aufgrund neuerer Studien kann jedoch diese Strategie nicht mehr empfohlen werden, da α1-Rezeptorenblocker (Doxazosin) als Antihypertensiva anderen Substanzen (z. B. Diuretika, Kalziumkanal-Antagonisten, ACE-Hemmern) unterlegen waren (ALLHAT, »Antihypertensive and Lipid-Lowering treatment to prevent Heart Attack Trial«). Doxazosin konnte kardiovaskuläre Ereignisse (Angina pectoris, Myokardinfarkte, Herzinsuffizienz) nicht verhindern. Obwohl in der ALLHAT-Studie nur Doxazosin als Repräsentant eines α1-Rezeptorenblockers verwendet wurde, wird ein gleichartiges Wirkprofil aufgrund eines Gruppeneffektes auch für Terazosin unterstellt. Aus diesem Grund werden generell α1-AdrenozeptorAntagonisten zur Behandlung der arteriellen Hypertonie als Monosubstanz nicht mehr empfohlen. Deshalb sollte auch eine gleichzeitige Therapie von Hypertonie und LUTS nicht mehr durchgeführt werden. Im Unterschied zu den einheitlichen Wirkungen aller α1-Rezeptorenblocker ist das Nebenwirkungsprofil der Substanzen Alfuzosin oder Tamsulosin günstiger als das der Substanzen Doxazosin oder Terazosin. Der Anteil der Studienabbrecher nach Gabe von Doxazosin und Terazosin war deutlich erhöht (⊡ Tabelle 22.4). Nebenwirkungen durch Vasodilatation (Schwindel, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Hypotonie, orthostatische Dysregulation etc.), aber auch gastrointestinale Symptome sind für die signifikante Erhöhung der unerwünschten Wirkungen von Doxazosin und Terazosin verantwortlich. Diese erhöhte Inzidenz von Nebenwirkungen konnte sowohl in placebokontrollierten, als auch in vergleichenden Studien von α1-Rezeptorenblockern nachgewiesen werden. Die Häufigkeiten der Nebenwirkungen von Alfuzosin oder Tamsulosin waren im Vergleich zu Placebo – abgesehen von Ejakulationsstörungen bei Tamsulosin – nicht erhöht. Weiterhin nachteilig für die Substanzen Doxazosin und Terazosin ist die Notwendigkeit der Titrierung aufgrund der blutdrucksenkenden Wirkung. Somit scheint das NutzenRisiko-Profil für die Substanzen Alfuzosin und Tamsulosin zu sprechen. Diese Beurteilung zu Wirkungen und Nebenwirkungen von α1-Rezeptorenblockern deckt sich mit der einer umfangreichen Metaanalyse aus placebokontrollierten Studien.
325
22.3 · Therapie mit 5α-Reduktasehemmern
⊡ Tabelle 22.4. Studienabbrecher in randomisierten, placebokontrollierten Studien mit α1-Rezeptorenblockern. Der Anteil der Studienabbrecher nach Gabe von Doxazosin oder Terazosin war höher als nach Gabe von Placebo
Substanz
Alfuzosin
Doxazosin
Tamsulosin
Terazosin
Publikation
Studienabbrecher (%) Verum
Placebo
10,8
9,0
Hansen et al. 1994 [30]
1,0
1,0
Fawzy et al. 1995 [23]
14,0
2,1
Gillenwater et al. 1995 [25]
11,1
4,1
Abrams et al. 1995 [1]
4,0
3,0
Brawer et al. 1993 [14]
15,0
9,0
8,1
3,5
Jardin et al. 1991 [34]
symptomatik. Offensichtlich scheint die Verbesserung der Miktionssymptomatik auch mit einer Verbesserung der sexuellen Aktivität einherzugehen. Über ein ähnliches Phänomen wurde bereits in einer Untersuchung bei Patienten nach TURP berichtet, in der 102 Männer nach durchschnittlich 43 Monaten hinsichtlich ihrer postoperativen Potenz befragt wurden. 23% der Befragten berichteten über eine Potenzverbesserung nach TURP, die hochsignifikant mit einer Verbesserung der Miktionssymptomatik korrelierte. Versuche, α1-Rezeptorenblocker durch eine Unterdosierung verträglicher zu machen, sind kritisch zu bewerten. Wenn ein Präparat in einer 4–8oder 5–10-mg-Dosierung signifikante Effekte beim BPS erzielt, ist dies für eine geringere Dosierung nicht bewiesen. Effekte dieser Dosis müssten erst in kontrollierten Studien überprüft werden, bevor eine Empfehlung ausgesprochen werden kann.
22.3
Roehrborn et al. 1996 [60]
Sexuelle Funktionsstörungen.
Sexuelle Funktionsstörungen während der Therapie mit einem α1-Rezeptorenblocker sind insgesamt selten und nach dem Absetzen des Medikamentes reversibel. Eine therapieassozierte erektile Dysfunktion tritt in bis zu 3%, Ejakulationsstörungen in bis zu 11% und eine verminderte Libido in bis zu 3% der Fälle auf. Obwohl sexuelle Funktionsstörungen häufiger bei verum- als bei placebobehandelten Patienten nachgewiesen wurden, waren die Unterschiede bei der statistischen Berechnung der meisten Studien nicht signifikant. In Fragebögen zur Sexualität berichteten demgegenüber bis zu 45% der Patienten, die mit einem α1-Rezeptorenblocker behandelt worden waren, über eine verbesserte Sexualfunktion. Am ausgeprägtesten war diese Verbesserung bei Männern unter 65 Jahren und bei solchen mit initial starker Miktions-
22
Therapie mit 5α-Reduktasehemmern
Hormonelle, zumeist antiandrogene Therapieformen haben eine lange Tradition in der Behandlung von Erkrankungen der Prostata. Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts war bekannt, dass ein Hormonentzug zur Volumenreduktion der Prostata führt. Molekularbiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass Drüsenepithelzellen nach Androgenentzug einen genetischen Mechanismus einleiten, der über eine enzymatische Aufspaltung von DNA irreversibel zum Untergang der betroffenen Zellen führt. Dieser Mechanismus wird als programmierter Zelltod oder Apoptose bezeichnet und ist – neben anderen Faktoren – verantwortlich für die Reduktion des Prostatavolumens. Aufbauend auf den Erfahrungen mit der Kastration, die für die BPH-Therapie heute nur noch historischen Wert besitzt, wurden Studien mit synthetischen Antiandrogenen, LHRH-Analoga, Östrogenderivaten oder Antiöstrogenen durchgeführt. Obwohl alle Therapieformen zur Prostatavolumenreduktion führen, sind die Nebenwirkungen solcher Präparate z. T. gravierend. Bei der Behandlung mit LHRH-Analoga, steroidalen Antiandrogenen oder Östrogenen tritt ein Libidoverlust, bei Antiandrogenen oder Östrogenen treten Hitzewal-
326
III
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
lungen oder Brustschmerzen, bei Östrogenen kardiovaskuläre Nebenwirkungen (z. B. Herzinfarkt) und bei nichtsteroidalen Antiandrogenen auch gastrointestinale Beschwerden oder Hepatotoxizität auf. Daher sind diese anti-/hormonellen Therapieformen nicht zur Therapie von Patienten mit BPH und LUTS geeignet. Als alleiniges antiandrogenes Therapieprinzip hat sich die Syntheseblockade von Dihydrotestosteron (DHT) durch 5α-Reduktasehemmer durchgesetzt, da durch die selektive Hemmung des Enzyms 5α-Reduktase auf der zellulären Ebene der Prostata typische generalisierte Nebenwirkungen der anti-/hormonellen Therapie umgangen werden können. Die 5α-Reduktasehemmer Finasterid und Dutasterid zeigen keine unerwünschte Bindungen an Androgenrezeptoren, welche die Nebenwirkungen wie Libidoverlust und Impotenz bewirken würden.
22.3.1 Wirkmechanismus
von 5α-Reduktasehemmern Die Prostataentwicklung in der Embryonalperiode, das Prostatawachstum während der Pubertät und die Vergrößerung der Prostata im Alter entstehen nur bei Anwesenheit von testikulärem Androgen (Testosteron). Testosteron ist unter physiologischen Bedingungen das quantitativ vorherrschende Androgen des Mannes. Durch 5α-Reduktion entsteht DHT, welches durch eine höhere Affinität zum Androgenrezeptor eine 4–5fach stärkere androgene Potenz als Testosteron besitzt und der eigentliche Vermittler der androgenen Wirkung in der Prostata ist. Das Enzym 5α-Reduktase ist ein NADPH-abhängiges Enzym, welches in zwei unterschiedlichen Isoformen vorkommt. 5α-Reduktase Typ 1 ist auf Chromosom 5 kodiert und kommt nur in geringer Aktivität in der Prostata, aber in starker Aktivität in Talgdrüsen vor. 5α-Reduktase Typ 2 wird auf Chromosom 2 kodiert und wurde vor allem in Stroma- und Basalzellen der Prostata, aber u. a. auch in den Samenblasen und Haarfollikeln nachgewiesen. Die Umwandlung von Testosteron zu DHT erfolgt durch die 5α-Reduktase Typ 2 etwa 25-mal effektiver als durch die 5α-Reduktase Typ 1. 90% der Androgene der Prostata liegen als DHT vor, welches in den Stromazellen durch das kern-
membrangebundene Enzym 5α-Reduktase aus Testosteron entsteht. Nach Bindung von DHT an den Androgenrezeptor im Zellkern steuert der DHT-Androgenrezeptor-Komplex die Transkription, wodurch die Synthese von Proteinen – als Voraussetzung für eine Zellvermehrung – eingeleitet wird. Bei Patienten mit angeborenem Hypopituitarismus, Androgenrezeptor-Defekt oder autosomalrezessiver 5α-Reduktasedefizienz (männlicher Pseudohermaphroditismus) ist die Prostata nur rudimentär angelegt und bleibt auch im Alter frei von hyperplastischen Veränderungen. Bei solchen Männern sind Prostata und Samenblasen klein oder fehlen ganz. Prostatabiopsien dieser Männer enthalten ausschließlich fibromuskuläres Stroma ohne Drüsenzellen. Prostataspezifisches Antigen (PSA) ist daher im Serum dieser Männer zumeist nicht nachweisbar. Bei chirurgischer oder chemischer Kastrierung vor der Pubertät unterbleibt ebenfalls die Entwicklung einer BPH. Das Enzym 5α-Reduktase spielt demnach eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Prostata und beim Erhalt ihrer spezifischen Funktion. Die pharmakologischen Blockade dieses Enzyms ermöglicht erstmalig eine selektive Hemmung der DHT-Produktion in der Prostata, ohne jedoch die Testosteronproduktion und -wirkung im Gesamtorganismus zu stören. In Deutschland sind die 5α-Reduktasehemmer Finasterid (Proscar) und Dutasterid (Avodart) zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie zugelassen. Finasterid und Dutasterid sind synthetische Azasteroide (⊡ Abb. 22.6). Infolge des aromatischen Ringsystems wird Dutasterid lipophiler, langsamer abgebaut und unselektiver im Bindungsverhalten an 5α-Reduktase. Finasterid inhibiert selektiv, irreversibel und zeitabhängig die 5α-Reduktase Typ 2, Dutasterid kann demgegenüber beide Isoenzyme der 5α-Reduktase irreversibel hemmen (sog. dualer 5α-Reduktasehemmer). Im Vergleich zu Finasterid inhibiert jedoch Dutasterid die 5α-Reduktase Typ 2 dreimal potenter. Die pharmakokinetischen Eigenschaften von Finasterid und Dutasterid sind in der ⊡ Tabelle 22.5 gegenübergestellt. Beide Substanzen werden hepatisch metabolisiert und überwiegend über den Darmtrakt ausgeschieden, eine Dosisanpassung bei Patienten mit Niereninsuffizienz ist daher nicht erfor-
22
327
22.3 · Therapie mit 5α-Reduktasehemmern
CF3 H
O CH3
C
C
O
CH3
CH3
CH3
C
N
CF3 H
CH3
CH3
O
N
CH3
O
N H
N H
Dutasterid
Finasterid
⊡ Abb. 22.6. Chemische Struktur der für die Indikation »Behandlung der BPH« zugelassenen 5α-Reduktasehemmern
derlich. Aufgrund der langen Plasma-Eliminationshalbwertszeit wird Dutasterid nach dem Absetzen selbst noch nach Monaten im Körper nachgewiesen. Für die Therapie der BPH wird eine Dosierung von 5 mg Finasterid/Tag (1×1 Tbl. Proscar) oder 0,5 mg Dutasterid/Tag (1×1 Tbl. Avodart) empfohlen. Finasterid in geringerer Dosierung (1 mg) kann auch zur Behandlung der androgenetischen Alopezie bei Männern eingesetzt werden (1×1 Tbl. Propecia/Tag). Bei allen 5α-Reduktasehemmern ist sicherzustellen, dass Schwangere nicht in Kontakt mit Plasma (Bluttransfusionen) oder Ejakulat (Geschlechtsverkehr) kommen. Finasterid und Dutasterid wurden in zahlreichen randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien mit einer Studiendauer von bis zu 4,5 bzw. 2 Jahren untersucht, so dass für diese Präparate verlässliche Aussagen zur Langzeittherapie möglich sind. Bereits nach einer Einzeldosis von
1 mg Finasterid erfolgt bei gesunden Probanden eine Reduktion des DHT-Spiegels im Serum um 65% noch am Tag der Applikation. Bei kontinuierlicher Gabe von 5 mg Finasterid/Tag wird der DHTSpiegel im Serum um durchschnittlich 70% und der DHT-Spiegel in der Prostata um etwa 85–90% reduziert. 0,5 mg Dutasterid/Tag können die DHTKonzentration im Serum sogar um 90–95% vermindern, allerdings kann Dutasterid die intraprostatische DHT-Konzentration auch selbst bei 10– 20fach höherer Konzentration als die üblicherweise eingenommenen 0,5 mg/Tag nicht wesentlich mehr als mit Finasterid absenken. Während der Therapie mit 5α-Reduktasehemmern kommt es zur Erhöhung des Testosteronspiegels im Serum um bis zu 10% und ebenfalls zu einer Zunahme des intraprostatischen Testosteronkonzentration. Da aber Testosteron in der Prostata 5fach schwächer wirksam ist als DHT, fällt die geringfügig erhöhte Testoste-
⊡ Tabelle 22.5. Klinisch-pharmakologische Daten der für die Indikation »Behandlung der BPH« zugelassenen 5α-Reduktasehemmer
Substanz
Bioverfügbarkeit (%)
tmax (h)
t1/2
Empfohlene Tagesdosierung
Finasterid
63
1–2
6–8 h
1×5 mg
Dutasterid
60
2–3
5 Wochen
1×0,5 mg
tmax Zeit bis zur maximalen Plasmakonzentration, t 1/2 Plasma-Halbwertszeit.
328
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
III
⊡ Abb. 22.7. Prozentuale Veränderung des Prostatavolumens während der Therapie mit Finasterid oder Placebo. Nach einem Follow-up von 4 Jahren wird das Prostatavolumen mit
Finasterid um durchschnittlich 18% vermindert, währenddessen das Prostatavolumen im Placeboarm um durchschnittlich 14% ansteigt [50]
ronkonzentration funktionell nicht ins Gewicht. Messungen der Gonadotropin-Konzentration im Serum ergaben, dass sich diese während der Therapie mit 5α-Reduktasehemmern nicht verändert. Diese Ergebnisse untermauern, dass der Rückkopplungsmechanismus auf die Sekretion von LH-RH aus dem Hypothalamus und LH aus der Hypophyse durch Testosteron und nicht durch DHT gesteuert wird. Die fehlende Senkung der Testosteronkonzentration ist für die unbeeinträchtigte Libido und Sexualfunktion der Behandelten verantwortlich. Der Wirkmechanismus von 5α-Reduktasehemmern beruht auf einer langsamen Verkleinerung des Prostatavolumens durch Reduktion der Sekretproduktion in den Epithelzellen und durch Verringerung der ephithelialen Zellzahl durch Apoptose. Nach 24-monatiger Behandlung mit Finasterid (5 mg/Tag) wurde das Prostatavolumen um durchschnittlich 21%, mit Dutasterid (0,5 mg/Tag) um 26% reduziert (⊡ Abb. 22.7). Nach 54-monatiger Behandlung mit Finasterid verringerte sich das Prostatavolumen sogar um durchschnittlich 34%. Signifikante Unterschiede hinsichtlich des Prostatavolumens waren im Vergleich zu placebobehandelten Patienten bereits nach einem Monat Behandlungsdauer zu erheben. Bei der Verringerung des Prostatavolumens werden Transitionalzone einerseits und periphere sowie zentrale Zone ande-
rerseits gleichermaßen verkleinert. Die Verringerung des Prostatavolumens entspricht etwa dem Maximalwert jeder herkömmlichen Hormonablation (Kastration). Durch Subanalysen von Patientenkollektiven aus unterschiedlicher Studien mit Finasterid konnte gezeigt werden, dass die Drüsenvolumenreduktion und der Effekt auf LUTS um so stärker ausfällt, je größer die Prostata zu Therapiebeginn ist. Basierend auf diesen Analysen sollten nur solche Patienten mit Finasterid behandelt werden, deren Prostatavolumen 40 ml übersteigt. Patienten mit einem Prostatavolumen von weniger als 40 ml profitieren demgegenüber von dieser Therapie kaum. Bei der Therapie mit Dutasterid wird ein Ausgangsvolumen der Prostata von mehr als 30 ml empfohlen, allerdings existieren für diesen Grenzwert keine Beweise in publizierten Studien. Mit der Verkleinerung der Prostata geht auch eine Verbesserung des maximalen Harnflusses (Qmax) und eine Linderung der Symptome einher (⊡ Tabelle 22.6). Nach 12-monatiger Therapie mit Finasterid zeigten 56% der Behandelten (Placebo 45%) eine Symptomreduktion von mehr als 25% und 39% der Behandelten (Placebo 27%) eine Verbesserung der Symptome von mehr als 50%. In einer doppelblinden Untersuchung über 4 Jahre konnte die Symptomsumme des IPSS-Fragebogens innerhalb eines halben Jahres signifikant gesenkt werden und verringerte sich auch im weiteren Ver-
22
329
22.3 · Therapie mit 5α-Reduktasehemmern
⊡ Tabelle 22.6. Randomisierte, placebokontrollierte Studien zur Bewertung der Wirksamkeit von 5α-Reduktasehemmern (Auswahl)
Substanz
Publikation
Patienten (n)
Finasterid
Gormley et al. 1992 [26]
298 297 300
1×1 1×5 Placebo
52 52 52
Andersen et al. 1995 [2]
348 346
1×5 Placebo
Nickel et al. 1996 [55]
246 226
McConnell et al. 1998 [50] McConnell et al. 2003 [51] Dutasterid
a
Roehrborn et al. 2002 [62]
Dosierung (mg/Tag)
Therapiedauer (Wochen)
Veränderung Symptome (%)
Veränderung Qmax (ml/s)
Veränderung Prostatavolumen (%)
–9 –21 a, b –2
+1,4 a, b +1,6 a, b +0,2
–18 a, b –19 a, b –3
104 104
–14,9 a, b +1,5
+1,5 a, b –0,3
–19,2 a, b +11,5 a
1×5 Placebo
104 104
–13,3 a, b –4,2
+1,4 a, b +0,3
–21 a, b +8,4 a
1.513 1.503
1×5 Placebo
208 208
–22 a, b –8,7
+1,9 a, b +0,2
–18 a, b +14 a
768 737
1×5 Placebo
208 208
–32,9 a, b –28,8 a
+2,2 a, b +1,4 a
–19 a, b +24 a
2.167 2.158
1×0,5 Placebo
104 104
–26,5 a, b –13,5 a
+2,2 a, b +0,6 a
–25,7 a, b +1,5 a
signifikant gegenüber Ausgangswerten (»baseline«), b signifikant gegenüber Placebo.
lauf, während die Symptomsumme im Placeboarm zunächst um etwa 20% fiel (Placeboeffekt), dann jedoch wieder anstieg. Qmax wird innerhalb eines Jahres um etwa 1,6 ml/s gesteigert, erreicht nach 36 Monaten eine Verbesserung von ca. 2,4 ml/s und bleibt bis zum Ende des Nachbeobachtungszeitraumes von 48 Monaten konstant. Placebobehandelte Patienten zeigten in allen doppelblinden Langzeituntersuchungen zwar ebenfalls eine Verbesserung des maximalen Harnflusses, allerdings war diese Verbesserung signifikant geringer ausgeprägt als bei 5α-Reduktaseinhibitoren. Placeboeffekte waren bei Patienten mit einem Prostatavolumen ≤40 ml häufiger und ausgeprägter. Im Vergleich von jüngeren (<65 Jahre) zu älteren Patienten waren hinsichtlich Wirkungen und Nebenwirkungen keine Unterschiede zu erheben. Analysen von Studien mit langem Follow-up ergaben, dass v. a. solche Patienten von der Therapie mit einem 5α-Reduktasehemmer (Finsterid) profitieren, die initial
ein Prostatavolumen >40 ml und eine PSA-Konzentration i. S. ≥1,4 ng/ml haben. Mit Finasterid wurden Druck-Fluss-Studien durchgeführt. Bei kleiner Fallzahl und widersprüchlichen Ergebnissen können aber aus diesen Studien keine relevanten Schlüsse gezogen werden, so dass ungewiss bleibt, in welchem Ausmaß eine Blasenauslassobstruktion verändert wird. Daher gilt auch bei der Therapie mit 5α-Reduktasehemmern, dass vor Therapiebeginn eine Obstruktion ausgeschlossen werden sollte. Lebensalter, Konzentration des PSA im Serum und Prostatavolumen wurden als unabhängige Prädiktoren eines akuten Harnverhaltes und einer Notwendigkeit zur operativen Intervention an der Prostata identifiziert. 5α-Reduktasehemmer führen zur Verminderung der PSA-Konzentration und zur Prostataverkleinerung. In doppelblinden Langzeituntersuchungen mit 5α-Reduktasehemmern reduzierte sich – im Vergleich zu placebobehandel-
330
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
⊡ Tabelle 22.7. Reduktion des Risikos, eine Operation an der Prostata zu erhalten oder einen Harnverhalt zu entwickeln. Durch die Finasterid-Therapie wurden Ereignisse von 13 auf 7%, also um 51% reduziert [50]
III
Ereignisse
Placebo
Finasterid
(n)
(%)
(n)
Operationen (TURP)
125
8
Harnverhalt
99 199
Alle Ereignisse
(%)
Reduktion des Risikos (%)
64
4
49
8
42
3
57
13
100
7
51
ten Patienten – das Risiko eines Harnverhaltes um 50–67% und das Risiko einer operativen Intervention an der Prostata um 30–64% (⊡ Tabelle 22.7). Unterschiede zwischen dem Verum- und Placeboarm waren bereits nach 4-monatigem Follow-up signifikant. Somit ist mit 5α-Reduktasehemmern erstmalig für eine konservative Therapie nachgewiesen worden, dass die Progression der BPH verlangsamt oder gestoppt und eine Operation verhindert werden kann. Auch kann mit 5α-Reduktasehemmern die Rezidivwahrscheinlichkeit einer BPH-assozierten Makrohämaturie reduziert und damit das Risiko eines Krankenhausaufenthaltes sowie einer operativen Intervention signifikant vermindert werden. Eine einmal begonnene Therapie muss lebenslang fortgeführt werden, um die präventiven Effekte aufrechtzuerhalten. Eine Therapieunterbrechung würde zum erneuten Wachstum der Prostata mit den Gefahren Harnverhalt und Makrohämaturie führen.
22.3.2 Nebenwirkungen
Insgesamt gelten Finasterid und Dutasterid als gut verträglich. Nebenwirkungen von Finasterid wurden in einer 2-jährigen prospektiven Studie erhoben (PROSPECT) und sind verglichen mit anderen anti-/hormonellen Maßnahmen gering. Schwere gastrointestinale Nebenwirkungen oder Leberfunktionsstörungen – wie sie für Antiandrogene
typisch sind – wurden nicht beobachtet. Kardiovaskuläre Risiken – wie sie während der Therapie mit Östrogen und Antiandrogenen auftreten – sind ebenfalls nicht beschrieben worden. Auch konnte keine Veränderung der Knochendichte während langjähriger Therapie mit Finasterid nachgewiesen werden. In kontrollierten klinischen Studien mit 5 mg Finasterid/Tag wurden lediglich Störungen der Sexualfunktion in bis zu 10–15% der Behandelten berichtet, die Häufigkeit war im Vergleich zu placebobehandelten Patienten (5–7%) signifikant. Im Detail wurden nach 1 Jahr Therapiedauer gegenüber Placebo vermehrt Libidoabnahme (4,8% vs. 2,5%), Ejakulationsstörungen (3,5% vs. 1,1%) sowie erektile Dysfunktion (5,0% vs. 2,0%) genannt. Häufigkeit und Schwere dieser Nebenwirkungen waren bei Männern mit oder ohne vorbestehender sexuellen Dysfunktion gleich. In Langzeitstudien (>1 Jahr) mit Finasterid blieb von diesen Funktionsstörungen gegenüber Placebo lediglich eine verminderte Ejakulatmenge übrig (⊡ Tabelle 22.8). Für das Wohlbefinden und die Le-
⊡ Tabelle 22.8. Nebenwirkungen, die während einer 4-jährigen Finasterid-Therapie auftraten. Ab dem 2. Studienjahr wurden – außer einem verminderten Ejakulatvolumen – keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zu Placebo beobachtet [50]
Nebenwirkung
Studienarm
1. Jahr (%)
2.–4. Jahr (%)
Libido
Placebo Finasterid
3,4 6,4*
2,6 2,6
Impotenz
Placebo Finasterid
3,7 8,1*
5,1 5,1
Vermindertes Ejakulatvolumen
Placebo Finasterid
0,8 3,7*
0,5 1,5*
Brustvergrößerung
Placebo Finasterid
0,1 0,5*
1,1 1,8
Berührungsschmerzhaftigkeit der Brust
Placebo Finasterid
0,1 0,4
0,3 0,7
* signifikant gegenüber Placebo.
22.4 · Therapie mit Pflanzenextrakten
bensqualität der Behandelten spielte diese Nebenwirkung jedoch keine Rolle. Ähnliche Nebenwirkungen mit annähernd gleicher Häufigkeit wurden auch für Dutasterid publiziert. Da die Synthese des zur Früherkennung eines Prostatakarzinoms so außerordentlich wichtigen Glycoproteins PSA androgenreguliert ist, wird durch 5α-Reduktasehemmer eine Verminderung des PSA-Serumspiegels induziert. Die gemessenen PSA-Werte im Serum müssen daher während der Therapie mit 5α-Reduktasehemmern anders interpretiert werden, um die Dignität des Prostatagewebes beurteilen zu können. Inzwischen liegen umfangreiche Daten aus randomisierten klinischen Studien mit Finasterid und Dutasterid vor. Es konnte gezeigt werden, dass die Beurteilung des PSA-Wertes durch einen einfachen Algorithmus in gewohnter Weise erfolgen kann, ohne dass Einbußen in der Aussagekraft dieses Tumormarkers entstehen. Nach diesen Daten gilt als generelle Faustregel, dass der gemessene PSA-Wert im Serum bei Patienten während der Therapie mit 5α-Reduktasehemmern mit 2 zu multiplizieren ist (»2×-Regel«). Der daraus resultierte Wert entspricht in hinreichender Genauigkeit einem PSA-Wert ohne Therapie. Sensitivität (66%) und Spezifität (82%) zur Erkennung eines Prostatakarzinoms verschlechtern sich durch die Therapie mit 5α-Reduktasehemmern nicht. Zu beachten ist jedoch, dass in den ersten 3–12 Monaten nach Therapiebeginn die falschpositive Rate (PSA >4 ng/ml) der errechneten PSA-Werte etwas höher liegt als 1 Jahr nach Therapiebeginn (35% gegenüber 25%), da die Geschwindigkeit des PSA-Abfalls interindividuell hohen Schwankungen unterliegen kann. Zusammengefasst besteht nach den vorliegenden Daten zum Verhalten des PSA-Wertes während der Therapie mit 5α-Reduktasehemmern keine Einschränkung hinsichtlich der Früherkennung eines Prostatakarzinoms.
22.4
Therapie mit Pflanzenextrakten
Schwerer zu beurteilen als α1-Rezeptorenblocker oder 5α-Reduktaseinhibitoren sind die in Deutschland traditionell weit verbreiteten Phytopharmaka, da zu den meisten Substanzen nach Evidenzkrite-
331
22
rien keine aussagefähigen klinischen Studien vorliegen. Phytotherapie ist die arzneiliche Anwendung von Extrakten aus Pflanzen oder deren Teilen. In Deutschland sind zur Behandlung der BPH folgende Präparate zugelassen: Extrakte aus Sägezahnpalmenfrüchten (Serenoa repens, Sabal serrulata), Brennesselwurzeln (Urtica dioica), Kürbissamen (Cucurbita pepo), Roggenpollen (Secale cereale), Phytosterolen/β-Sitosterinen (Hypoxis rooperi, Pinus und Picea), Extrakte aus afrikanischem Pflaumenbaum (Pygeum africanum), Kaktusblütenextrakte (Opunita) und Kombinationen von pflanzlichen Inhaltsstoffen. Phytopharmaka zur BPH-Behandlung sind im neuesten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (2004) nicht mehr aufgelistet und daher auch nicht mehr erstattungsfähig, dürfen aber weiterhin in Apotheken verkauft werden. Ein Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit muss sich an anerkannten Grundlagen, vor allem an einer ausreichenden Therapiedauer und verbindlichen Prüfparametern orientieren. Hierbei ist ebenfalls im Interesse der Vergleichbarkeit von Präparaten aus derselben Pflanze eine Charakterisierung von Inhaltsstoffen und Leitsubstanzen erforderlich. Die hauptsächlichen Wirkungen der Pflanzenextrakte werden den Phytosterolen, Phytoöstrogenen, Fettsäuren, Lektinen, Flavonoiden, Pflanzenölen und Polysacchariden zugeschrieben, ohne dass im einzelnen Fall Studien zur in-vitro- oder in-vivo- Wirksamkeit vorliegen. Die Zusammensetzung von Tabletten derselben Pflanze, die aber von verschiedenen Herstellern produziert werden, kann erheblich variieren. Auch kann die Zusammensetzung von Kombinationspräparaten bei verschiedenen Herstellern schwanken. Nach Evidenzkriterien ist daher zu fordern,
332
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
⊡ Tabelle 22.9. Publizierte Metaanalysen zur Wirksamkeit von Phytopharmaka bei der Behandlung von Symptomen der BPH
III
Präparat
Publikation
Veränderung Symptomenscore
Veränderung Qmax
Veränderung Nykturie
Sabal
Wilt et al. 1998 [68]
–1,41 (1,11) n=1
+1,93 (+1,21) n=8
–0,76 (+0,45) n=10
Permixon
Boyle et al. 2000 [13]
n. a.
+2,2 (+0,51) n=11
–0,5 (+0,01) n=13
β-Sitosterol
Wilt et al. 1999 [69]
–4,9 (1,4) n=2
+3,91 (+2,99) n=4
n. a.
Roggenpollen
MacDonald et al. 2000 [45]
n. a.
nicht verbessert n=4
n. a.
n Zahl der eingeschlossenen Studien, n. a. nicht angegeben, Werte in Klammern ( ) entsprechen den Ergebnissen aus den Placeboarmen.
dass ein Wirksamkeitsnachweis für jedes Präparat erbracht werden muss. Derzeit liegen für β-Sitosterin-(Phytosterol-) enthaltende Präparate publizierte 6-Monats-Studien vor (Azuprostat, Harzol), die nach den erwähnten Evidenzkriterien eine Überlegenheit gegenüber Placebo konstatieren (Verbesserungen des IPSS-Scores um 35% und des Qmax um 4–4,5 ml/ s). Für Roggenpollenextrakte liegen Studien mit einem Follow-up von bis zu 6 Monaten vor, in denen eine Symptomlinderung von bis zu 40% gegenüber Placebo dokumentiert wird. Mit Kürbiskernen wurde eine Untersuchung mit 476 Patienten und einem Follow-up von 12 Monaten durchgeführt, bei der eine geringe, aber signifikante Abnahme der Symptomatik, nicht aber eine Veränderung des Qmax, Prostatavolumens, Lebensqualitätsindex oder des Restharnes dokumentiert wurde. Für ein Sabal-Präparat (Permixon) liegen überzeugende Daten hinsichtlich Wirkungen und Nebenwirkungen mit einem Follow-up von bis zu 12 Monaten vor, allerdings wird dieses Präparat nur in Frankreich vertrieben. Ob die Ergebnisse auf deutsche Präparate übertragen werden können, ist ungeklärt. Für kein Pflanzenextrakt liegt aber bisher eine placebokontrollierte Langzeitbeobachtung (>12 Monate) mit ausreichender Patientenzahl vor.
Publizierte Metaanalysen zu bestimmten Pflanzenextrakten deuten auf einen positiven Effekt hinsichtlich einiger Prüfparameter (Symptomenscores, Nykturie oder Qmax) hin (⊡ Tabelle 22.9). Darunter befinden sich Metaanalysen zu Sägepalmenextrakten, β-Sitosterin und Roggenpollenextrakten. Da die Einzelstudien dieser Metaanalysen in überwiegender Zahl nicht den erforderlichen Qualitätsstandards entsprechen, können derartige Analysen placebokontrollierte Doppelblindstudien nicht ersetzen; die Qualität einer Metaanalyse kann die der analysierten Einzelstudien generell nicht übersteigen. Insgesamt scheinen einzelne Präparate hinsichtlich ihrer Wirkung für die symptomatische Therapie des BPH-Syndroms geeignet zu sein und sollten daher auch weiterhin einer genauen klinischen Prüfung unterzogen werden. Vorteilig bei der Therapie mit Phytopharmaka ist aber – neben der guten Verträglichkeit – der geringe Preis für solche Präparate (⊡ Abb. 22.2).
22.5
Kombinationstherapie
Bei der gleichzeitigen Verwendung von zwei Medikamenten zur Behandlung des BPS sollen die jeweiligen Vorteile der einzelnen Therapien kombi-
333
22.6 · MTOPS-Studie
niert werden. Bisher wurde nur die Kombination eines α1-Rezeptorenblockers mit einem 5α-Reduktaseinhibitor klinisch getestet, bei der der rasche Wirkungseintritt des α1-Rezeptorenblockers mit der protektiven Wirkung des 5α-Reduktaseinhibitors kombiniert werden soll. Zusätzlich wurde in diesen Studien untersucht, ob die Kombination dieser Medikamentengruppen zur Zunahme von Wirkungen oder Nebenwirkungen führt. Zur Kombinationstherapie liegen die Ergebnisse von vier Studien vor (VA-, ALFIN-, PREDICT- und MTOPSStudie). Alle Studien wurden multizentrisch, randomisiert und placebokontrolliert mit großen Patientengruppen durchgeführt. Das Follow-up der jeweiligen Untersuchungen unterschied sich z. T. beträchtlich, was für die unterschiedlichen Ergebnisse von außerordentlicher Relevanz ist. Das Follow-up der ALFIN-Studie betrug 6 Monate, das der VA- und PREDICT-Studien 12 Monate und das der MTOPS-Studie 48–60 Monate. Alle Studien mit einem Follow-up von ≤12 Monaten zeigten, dass die Kombination eines α1-Rezeptorenblockers (Alfuzosin, Doxazosin, Terazosin) mit einem 5α-Reduktaseinhibitor (Finasterid) keine signifikanten Vorteile hinsichtlich Symptomlinderung und Verbesserung des Harnflusses im Vergleich zu den Einzelsubstanzen brachte und dass der α1-Rezeptorenblocker dem 5α-Reduktaseinhibitor nach diesem Follow-up überlegen war. Demgegenüber ergab der langdauernde Einsatz von Doxazosin und Finasterid in der MTOPS-Studie, dass die Kombination effektiver LUTS lindern und den Harnfluss verbessern kann als die Einzelsubstanzen, jedoch die Nebenwirkungen der einen Substanz zu denen der anderen Substanz addiert werden műssen. Zusätzlich zeigte die MTOPS-Studie, dass die Progression der BPH mit der Medikamentenkombination stärker aufgehalten werden kann als mit den Einzelsubstanzen. Die MTOPS-Studie ist nicht nur die längste Untersuchung zur Kombinationstherapie, sondern auch die längste placebokontrollierte Untersuchung von Wirkungen und Nebenwirkungen der α1-Rezeptorenblocker oder 5α-Reduktasehemmer. Deshalb sollen die Ergebnisse dieser Untersuchung detaillierter präsentiert werden.
22.6
22
MTOPS-Studie
Bei der MTOPS-Studie wurden 3.047 Männer mit BPS, einem Alter über 50 Jahre, einem Symptomenscore (AUA-/IPSS-) zwischen 8–35, einem maximalen Harnfluss (Qmax) zwischen 4 und 15 ml/s und einer PSA-Konzentration i. S. <10 ng/ml von 1993–1998 in die Untersuchung eingeschlossen sowie durch Randomisierung zu gleichen Teilen in Placebo-, Doxazosin-, Finasterid- und Doxazosin + Finasterid-Gruppen eingeteilt. Analysen von Wirkungen und Nebenwirkungen erfolgten bei allen Patienten regelmäßig während und am Ende der Untersuchung (⊡ Tabelle 22.10). Die hier vorgestellten Daten zeigen die Ergebnisse am Ende der Untersuchung nach 4–6 Jahren (durchschnittliches Follow-up 4,5 Jahre). Der Symptomenscore verringerte sich im Vergleich zu placebobehandelten Patienten in allen Gruppen signifikant. Doxazosin (–38,8%) führte zur signifikant stärkeren Reduzierung von LUTS als Finasterid (–31,8%) und die Kombination aus Doxazosin + Finasterid (–44%) war bei der Symptomenreduktion effektiver als Doxazosin oder Finasterid allein (p=0,006 bzw. p=0,001). Qmax wurde bei allen aktiven Therapien im Vergleich zu Placebo signifikant verbessert (Doxazosin +4,0 ml/s, Finasterid +3,2 ml/ s), Doxazosin war hinsichtlich der Verbesserung des Qmax nur nach einem Jahr Finasterid überlegen und die Kombination von Doxazosin + Finasterid führte im Vergleich zu den Einzelsubstanzen zur weiteren signifikanten Verbesserung des Qmax (+5,1 ml/s, p<0,001). Die PSA-Konzentration i. S. und das Prostatavolumen waren erwartungsgemäß nur in den Finasterid- und Kombinationstherapie-Gruppen im Vergleich zu Placebo oder Doxazosin signifikant unterschiedlich. Im Vergleich von Finasterid-Monotherapie zur Kombinationstherapie waren jedoch keine signifikanten Unterschiede zu erheben. Die PSA-Konzentration i. S. verringerte sich in den Gruppen mit Finasterid um 50% und das Prostatavolumen um 19%, was den Ergebnissen früherer Untersuchungen entspricht. Als Progression der Erkrankung wurde definiert: Anstieg des Symptomenscores um 4 Punkte, Harnverhalt,
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
334
⊡ Tabelle 22.10. Ergebnisse der MTOPS-Studie hinsichtlich Verbesserungen der Symptome, des maximalen Harnflusses (Qmax) und des Prostatavolumens. Die Symptomatik und Qmax wurden signifikant stärker durch die Kombination von Doxazosin mit Finasterid als durch die Einzelsubstanzen gebessert
Substanz
Dosierung (mg)
Anzahl Patienten (n)
Therapie dauer (Monate)
Veränderung Symptome (%)
Veränderung Qmax (ml/s)
Veränderung Prostatavolumen (%)
Doxazosin
1×4– 8
582
48
–38,8 a, b
+4,0 a, d
+24 a
Finasterid
1×5
565
48
–31,8 a, b
+3,2 a
–19 a, b, c
Doxazosin +Finasterid
1×4–8+1×5
598
48
–44,0 a, b, c, d
+5,1 a, b, c, d
– 19 a, b, c
Placebo
1 (2)×1
534
48
–23,8 a
+1,4
+24 a
III
signifikant gegenüber Ausgangswerten (baseline), b signifikant gegenüber Placebo, c signifikant gegenüber Doxazosin, d signifikant gegenüber Finasterid.
a
Niereninsuffizienz (Kreatininkonzentration
>133 µmol/l und >50% Anstieg), rezidivierende Harnwegsinfektionen (≥2 Infektionen innerhalb eines Jahres), Urosepsis oder Harninkontinenz. Progressionsereignisse traten mit Placebo bei 128, mit Doxazosin bei 85, mit Finasterid bei 89 und mit der Medikamentenkombination bei 49 Männern auf, was einer Inzidenz von 17%, 10%, 10% bzw. 5% entspricht. Bezogen auf alle Progressionsereignisse traten im Studienkollektiv bei 78% eine Zunahme der Symptomatik, bei 12% ein Harnverhalt und bei 9% eine Harninkontinenz ein. Im Vergleich zu Placebo konnte durch Doxazosin die Progression um 39%, durch Finasterid um 34% und bei der Medikamentenkombination um 66% reduziert werden (⊡ Abb. 22.8). Der Vergleich von Doxazosin mit Finasterid war nicht signifikant, jedoch war der Vergleich von Doxazosin oder Finasterid mit der Kombinationsgruppe in beiden Fällen statistisch signifikant (p<0,001). Einzelne Progressionsereignisse konnten mit Doxazosin, Finasterid oder der Kombination unterschiedlich gut verhindert werden. Ein Harnverhalt konnte im Vergleich zu placebobehandelten Patienten nur durch Finasterid und durch die Kom-
binationstherapie signifikant vermindert werden, was einer Risikoreduktion von 68 bzw. 81% entspricht (⊡ Abb. 22.9). Doxazosin konnte einen Harnverhalt in nur 35% verhindern, was gegenüber Placebo nicht signifikant war. Die Zeit bis zum Auftreten eines Harnverhaltes wurde jedoch durch Doxazosin verlängert. In der MTOPS-Studie wurde auch untersucht, wie effektiv die einzelnen medikamentösen Therapien eine Prostataoperation verhindern können (⊡ Abb. 22.10). Nur Finasterid und die Kombinationstherapie, nicht aber Doxazosin konnte eine operative Intervention signifikant vermindern; die Risikoreduktion betrug 64% für Finasterid und 67% für die Kombinationstherapie. Die Anzahl von Patienten, die medikamentös behandelt werden müssen, um eine Operation an der Prostata zu verhindern, betrug mit Doxazosin 60, mit Finasterid 29 und mit der Kombinationstherapie 26. Die Wahrscheinlichkeit für eine Operation wurde bei der Kombinationstherapie noch weiter reduziert, wenn initial eine PSA-Konzentration von >4 ng/ml oder ein Prostatavolumen >40 ml vorlag (23 bzw. 16 Behandlungen zur Verhinderung einer Operation). Demgegenüber konnte eine Zunahme der Symptomatik (>4 Punkte im AUA-/IPSS-Symptomenscore) durch Doxazosin, Finasterid und der Kombination gleich gut ver-
22.6 · MTOPS-Studie
335
22
⊡ Abb. 22.8. Kumulative Inzidenz einer BPH-Progression während der Therapie mit Finasterid, Doxazosin, Finasterid+Doxazosin (Kombination) oder Placebo [51]. Finasterid oder Doxazo-
sin können nahezu gleich gut die Gesamtprogression der BPH aufhalten, die Kombinationstherapie hält jedoch die Progression der Erkrankung effektiver auf als die Einzeltherapien
⊡ Abb. 22.9. Kumulative Inzidenz eines akuten Harnverhaltes während der Therapie mit Finasterid, Doxazosin, Finasterid+ Doxazosin (Kombination) oder Placebo [51]. Nur Therapien mit
Finasterid können die Inzidenz eines akuten Harnverhaltes signifikant vermindern, die Kombinationstherapie ist aber effektiver als die Monotherapie
336
Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
III
⊡ Abb. 22.10. Kumulative Inzidenz eines operativen Eingriffes an der Prostata während der Therapie mit Finasterid, Doxazosin, Finasterid+Doxazosin (Kombination) oder Placebo [51]. Nur Therapieformen mit Finasterid können eine Operation an
der Prostata signifikant reduzieren, zwischen der FinasteridMonotherapie und der Kombinationstherapie bestehen keine signifikanten Unterschiede
hindert werden. Rezidivierende Harnwegsinfektionen, Urosepsis oder Niereninsuffizienz traten im Follow-up sehr selten oder gar nicht auf, so dass in diesen Fällen keine Aussagen zur protektiven Wirkung von Medikamenten gemacht werden konnten. Die Häufigkeiten von Nebenwirkungen in den Doxazosin- und Finasterid-Gruppen entsprachen denen der bereits früher publizierten Studien der Einzelsubstanzen. In der KombinationstherapieGruppe traten prinzipiell alle Nebenwirkungen der Einzelsubstanzen auf. Die Häufigkeit der Nebenwirkungen entsprach in diesem Behandlungsarm der Summe der Einzelsubstanzen. Es wurden während der Kombinationstherapie signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeiten für abnormale Ejakulationen, periphere Ödeme und Dyspnoe berichtet. Insgesamt brachen 27% der mit Doxazosin-, 24% der mit Finasterid- und 18% der mit der Kombination behandelten Patienten die Untersuchung ab. Für die Studienabbrüche waren in der überwiegen-
den Zahl der Fälle Nebenwirkungen verantwortlich. Die Ergebnisse der MTOPS-Studie legen nahe, dass die Kombination eines α1-Rezeptorenblockers mit einem 5α-Reduktaseinhibitor eine sinnvolle Medikamentenkombination zur effektiven Behandlung der BPH bzw. von Symptomen der BPH im Langzeitverlauf ist. Ungeklärt ist aber bisher, welche Patienten mit der Kombination behandelt werden sollten. Mit der Zunahme der Wirkung geht auch eine Zunahme der finanziellen Ausgaben einher. Zukünftig sollten Kosten-Nutzen-Kalkulationen klären, ob dem Gesundheitssystem durch die Verhinderung der BPH-Progression und Vermeidung von Operationen finanzielle Vorteile entstehen.
337
Literatur
22
Fazit Vor Einleitung einer medikamentösen Therapie ist zu klären, ob LUTS eines jeweiligen Mannes durch eine BPH oder durch eine andere Erkrankung hervorgerufen werden. Beim Vorliegen absoluter Operationsindikationen sind medikamentöse Therapiemodalitäten kontraindiziert. Alle konservativen Therapieoptionen verbessern die obstruktive und irritative Symptomatik, eine Blasenauslassobstruktion wird jedoch nicht oder nur geringgradig beeinflusst. Daher sollte eine Blasenauslassobstruktion vor Therapiebeginn und im weiteren Therapieverlauf ausgeschlossen werden. Bei geringer Symptomatik (IPSS<7) sollte die Option des »kontrollierten Zuwartens« öfters berücksichtigt werden, da hier vielfach Ressourcen eingespart werden können. Zur medikamentösen Behandlung des BPS sind in Deutschland nur α1-Rezeptorenblocker, 5α-Reduktaseinhibitoren und Phytopharmaka zugelassen. Eine Therapiekaskade (Phytopharmaka → α1-Rezeptorenblocker → 5α-Reduktasehemmer) sollte aufgrund fehlender Evidenz hinsichtlich des Nutzens und aus Kostengründen vermieden werden. Die medikamentöse Therapie sollte mit Symptomfragebögen, Harnstrahl- (Qmax) und Restharnmessungen kontrolliert werden. Die Behandlungsmorbidität aller konservativen Therapien ist niedrig. α1-Rezeptorenblocker (Alfuzosin, Doxazosin, Tamsulosin, Terazosin) können zur symptomatischen Therapie eingesetzt werden, LUTS und Harnfluss bessern sich innerhalb von Stunden. Alle in Deutschland zugelassenen α1-Rezeptorenblocker verbessern LUTS und damit die Lebensqualität gleich potent, Nebenwirkungen sind aber bei Doxazosin ▼
oder Terazosin häufiger als bei Alfuzosin oder Tamsulosin. 5α-Reduktasehemmer (Dutasterid, Finasterid) können ebenfalls zur symptomatischen Therapie des BPS eingesetzt werden, LUTS und Harnfluss verbessern sich jedoch erst nach Monaten. Für die symptomatische Therapie mit 5αReduktasehemmern eignen sich nur Patienten mit einem Prostatavolumen über 30 ml (Dutasterid) bzw. 40 ml (Finasterid). 5α-Reduktasehemmer können die Progression der BPH aufhalten und bei jeweils etwa 50% der Patienten einen Harnverhalt und die Notwendigkeit einer Operation verhindern. 5α-Reduktasehemmer müssen aber lebenslang eingenommen werden, um diesen präventiven Effekt zu behalten. Die Kombinationstherapie eines α1-Rezeptorenblockers (Doxazosin) mit einem 5αReduktasehemmer (Finasterid) führt zur schnellen Symptomverbesserung und kann zusätzlich – im Langzeitverlauf – die Progression der BPH aufhalten. Die Kombinationstherapie ist hinsichtlich der Symptomlinderung, Verbesserung des Harnflusses und der Progression der BPH effektiver als die Einzeltherapien. Einzelne Studien von Phytopharmaka deuten auf eine gute Wirksamkeit bei der symptomatischen Behandlung des BPS hin, für die endgültige Beurteilung der Phytotherapie sind jedoch weitere Untersuchungen erforderlich.
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Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
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Kapitel 22 · Pharmakologische Therapie des benignen Prostatasyndroms
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23 Therapie der erektilen Dysfunktion E. Waldkirch, D. Schultheiss, S. Ückert, J.-U. Stolzenburg, M. C. Truß, C. G. Stief
23.1
Zum Thema
– 342
23.2
First-line-Therapieoptionen
23.2.1
Orale Therapie – 342 PDE-5-Inhibitoren – 342 Sildenafilcitrat (Viagra) – 343 Vardenafil (Levitra) – 344 Tadalafil (Cialis) – 345 Apomorphin (Ixense, Uprima) – 346 Yohimbin (Yocon-Glenwood, Yohimbin-Spiegel)
– 342
– 346
23.3
Second-line-Therapieoptionen
23.3.1 23.3.2
23.3.4 23.3.5
Lokale Pharmakotherapie – 348 Intraurethrale Therapie – 348 Prostaglandin E1 (Alprostadil, MUSE) – 348 Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT) – 348 Prostaglandin E1 (Caverject, Viridal) und Papaverin/Phentolamin (Androskat) – 348 Androgentherapie – 349 Vakuumerektionshilfen – 349
23.4
Third-line-Therapieoptionen
23.3.3
Operative Therapie
Literatur
– 350
– 350
– 348
– 350
III
342
Kapitel 23 · Therapie der erektilen Dysfunktion
23.1
Zum Thema
Die sich mit der erektilen Dysfunktion (ED) befassende Grundlagenforschung hat ihren Schwerpunkt im Bereich der peripheren und zentralen Mechanismen, die zu einer Relaxation der glatten Muskulatur im Bereich der Corpora cavernosa führen. Auf Grundlage zunehmender Kenntnisse über die intrazelluläre Signalübertragung im Rahmen der Tonusregulation kavernöser, glatter Muskulatur hat sich die Therapie der ED in den letzten zwei Jahrzehnten von der Chirurgie (penile Venenchirurgie, Revaskularisationschirurgie und Prothetik) und der intrakavernösen (Schwellkörperautoinjektionstherapie) oder intraurethralen Applikation vasoaktiver Substanzen hin zur oralen, medikamentösen Therapie entwickelt. Heutzutage ist die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit der Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (PDE-5-Inhibitoren: Sildenafil, Vardenafil, Tadalafil; [45, 55]) erwiesen. Der zentral wirksame Dopaminrezeptoragonist Apomorphin ist hingegen deutlich weniger wirksam. Vor der symptomatischen Behandlung einer ED muss eine mögliche kausal therapierbare und therapiepflichtige Genese (z. B. Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Hypogonadismus, psychische Ursachen, Beziehungsstörungen) ausgeschlossen bzw. diagnostiziert und therapiert werden. Ebenso können eine Reihe verschiedener Medikamente (Antihypertensiva, Psychopharmaka, Antihistaminika, Lipidsenker, Analgetika und Medikamente mit endokriner Wirkung) einen negativen Einfluss auf die Erektionsfähigkeit haben. Bei reiner oder überwiegend psychogener Ursache besteht die Möglichkeit einer Sexualtherapie, die oft in Kombination mit einer oralen Pharmakotherapie durchgeführt wird. Generell gilt, dass sexuelle Aktivität körperlich anstrengend sein kann und mit einer deutlich erhöhten Herzfrequenz und kardialer Belastung einhergeht. Aus diesem Grund sollte vor medikamentöser Therapie einer Erektionsstörung ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, insbesondere schwere kardiovaskuläre Erkrankungen wie instabile Angina pectoris oder schwere Herzinsuffizienz (New York Heart Association III oder IV), ausgeschlossen werden.
Zur Diagnostik und Therapie der ED sind folgende Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften erschienen: »Diagnostik und Therapie von Libido- und Erektionsstörungen« der Deutschen Gesellschaft für Urologie [49], »Guidelines on Erectile Dysfunction« der European Association of Urology [57] und »The Treatment of Organic Erectile Dysfunction« der American Urological Association [33].
23.2
First-line-Therapieoptionen
23.2.1 Orale Therapie
PDE-5-Inhibitoren Unter sexueller Stimulation kommt es zu einer Aktivierung des NO/cGMP-Signalübertragungsweges und dadurch zu einem Anstieg der intrazellulären 3′5′-cGMP-Konzentration. Dies führt über eine Verringerung des verfügbaren intrazellulären Ca2+ zu einer Relaxation der glatten Schwellkörpermuskulatur. Die oral verabreichten PDE-5-Inhibitoren entfalten ihre periphere Wirkung über die Hemmung des Abbaus von cGMP (⊡ Abb. 23.1). Des Weiteren inhibieren die PDE-5-Inhibitoren den aktiven Transport von cGMP aus der Zelle und die Ausschüttung von präsynaptischem Noradrenalin; auch erhöhen sie das intrazelluläre cAMP, wahrscheinlich über eine indirekte Beeinflussung der PDE 3. Diese zusätzlichen Wirkmechanismen sind synergistisch zur PDE-5-Inhibition und erklären die sehr gute klinische Wirksamkeit. Die Nebenwirkungen und Kontraindikationen der einzelnen PDE-5-Inhibitoren lassen sich durch die Schlüsselfunktionen der Phosphodiesterasen [48] und die spezifische Isoenzymverteilung in Organen und Geweben erklären. Alle drei zum jetzigen Zeitpunkt zugelassenen PDE-5-Inhibitoren weisen ein ähnliches Wirkpotenzial auf, unterscheiden sich aber in ihrer Selektivität gegenüber dem PDE-5-Isoenzym, ihrer Pharmakokinetik, ihrem Nebenwirkungsspektrum und der Quantität der zugänglichen Daten aus klinischen Prüfungen. Zu berücksichtigen ist, dass die im Folgenden zu den einzelnen Substanzen
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23.2 · First-line-Therapieoptionen
23
⊡ Abb. 23.1. Die intrazelluläre NO-Guanylatcyclase-cGMP-Regulationskaskade
aufgeführten Daten aufgrund von unterschiedlichem Studiendesign und Patientenselektion nicht direkt vergleichbar sind und randomisierte Vergleichsstudien zum heutigen Zeitpunkt nicht vorliegen.
Sildenafilcitrat (Viagra) Der PDE-5-Inhibitor Sildenafil wurde initial auf der Jahrestagung der American Urological Association im Jahre 1996 präsentiert [5]. Die Markteinführung erfolgte 1998 zuerst in den USA, seither hat
Sildenafil die Therapie von Erektionsstörungen revolutioniert, mittlerweile wurden weltweit über 20 Mio. Männer mit Sildenafil behandelt. Die Wirksamkeit von Sildenafil wurde in verschiedenen randomisierten, placebokontrollierten klinischen Studien mit über 3.000 Teilnehmern bei unterschiedlichen Ätiologien der Erektionsstörungen nachgewiesen. Sildenafil ist in einer Dosierung von 25, 50 und 100 mg erhältlich. Der Wirkeintritt liegt zwischen 12 und 37 min (im Mittel 25 min), wird jedoch durch fettreiche Nahrungszufuhr und Alko-
344
III
Kapitel 23 · Therapie der erektilen Dysfunktion
holgenuss verzögert. Die maximale Plasmakonzentration wird ca. innerhalb einer Stunde erreicht, die klinische Wirkungsdauer beträgt, bei einer Plasmahalbwertszeit von 4–5 h, bis zu 8–12 h. Bei Gabe von 100 mg Sildenafil kann von einer ca. 90% Hemmung der PDE-5 ausgegangen werden. Die Ansprechrate unter sexueller Stimulation (»Global Assessment Question«: »verbesserte Erektion«) ist abhängig von der Genese der Erektionsstörung und liegt zwischen 43% und 83%. Bezüglich des Kriteriums »erfolgreicher Geschlechtsverkehr« (SEP 3) schwanken die Zahlen je nach Genese der ED zwischen 48 und 80%. Die am häufigsten genannten Nebenwirkungen sind konzentrationsabhängig [6, 21]: Kopfschmerzen (10,8%), Gesichtsrötung (10,9%), Dyspepsie (3,0%), Rhinitis (2,1%), Schwindel (2,9%) und Farbsehstörungen (1,1%). Diese unerwünschten Effekte lassen sich durch die Isoenzymverteilung der Phosphodiesterasen im Körper erklären. So kommt die Phosphodiesterase 5 nicht nur im Corpus cavernosum, sondern auch in Gefäßwänden und im Gastrointestinaltrakt vor [55]. Auch hemmt Sildenafil schwach die Phosphodiesterase 6, ein Enzym, das im Rahmen der Farbwahrnehmung eine Rolle spielt. Aufgrund des synergistischen Effektes von PDE-5-Inhibitoren und Nitratverbindungen und/ oder NO-Donatoren kann die gleichzeitige Applikation von PDE-5-Inhibitoren zur Vasodilatation und möglicherweise zu einer Hypotension führen und ist deshalb absolut kontraindiziert. Weitere Kontraindikationen sind unter anderem: schwere kardiovaskuläre Vorerkrankungen, Hypotonie und Retinitis pigmentosa. Grundlagenwissenschaftliche Untersuchungen konnten einen Effekt von Sildenafil auf Koronararterien und im Myokardgewebe nachweisen [52]. Jedoch zeigte sich in der Häufigkeit des Auftretens von instabiler Angina pectoris und Myokardinfarkten bei Koronarpatienten kein Unterschied bei Einnahme von Sildenafil gegenüber Placebo [11].
Weiterhin belegen epidemiologische Untersuchungen, dass unter der Einnahme von Sildenafil statistisch keine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Angina-pectoris-Anfällen, Herzinfarkten oder Todesfällen im Vergleich zu einer alterskorrelierten Vergleichsgruppe in der Bevölkerung zu verzeichnen ist [58]. Neueste Untersuchungen legen sogar nahe, dass unter der Einnahme von PDE-5-Inhibitoren bei sexueller Aktivität weniger schwerwiegende kardiale Nebenwirkungen stattfinden als in der Placebogruppe oder der alterskorrelierten Vergleichsgruppe. Generell kann festgestellt werden, dass durch die Wiederaufnahme sexueller Aktivitäten bei Männern, die eine eingeschränkte koronare Durchblutung aufweisen, das Risiko, einen Myokardinfarkt zu erleiden, von sich aus erhöht ist [61]. Patienten, die an einer kardiovaskulären Erkrankung oder einer eingeschränkten ventrikulären Funktion leiden, sollten besonders vorsichtig bzgl. der Wiederaufnahme von sexueller Aktivität sein, um schwerwiegende kardiale Ereignisse zu vermeiden. Neben der Erschließung neuer Indikationen (pulmonale Hypertonie, koronare Herzerkrankung, chronische Herzinsuffizienz und arterielle Hypertonie; [18, 28]) wurde außer der On-demandTherapie der ED auch eine kontinuierliche, prophylaktische Langzeitmedikation mit Sildenafil nach nerverhaltender radikaler Prostatektomie untersucht [31, 39]. Als pathophysiologische Grundlage für das Auftreten einer ED nach radikaler Prostatektomie wird das Fehlen früher postoperativer, insbesondere nächtlicher Erektionen durch Läsionen des Gefäß-Nerven-Bündels intraoperativ vermutet. Chronische Hypoxie und Neuropraxis könnten so zu einer Atrophie der glatten Muskulatur mit zunehmender Fibrosierung führen und wahrscheinlich auch eine Apoptose der cavernösen, glatten Muskulatur induzieren. Vor diesem Hintergrund kann nach Montorsi et al. [34] die regelmäßige Gabe eines PDE-5-Inhibitors (Sildenafil 50– 100 mg zur Nacht) zu einer deutlich höheren Potenzrate führen.
Vardenafil (Levitra) Seit 2003 steht Vardenafil zur Verfügung. Vardenafil ist eine Substanz, die in vitro ungefähr zehnfach stärker die Hydrolyse von cGMP durch die
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23.2 · First-line-Therapieoptionen
Phosphodiesterase 5 inhibiert als Sildenafil (IC50 = 0,7 nM gegenüber 6,6 nM), jedoch eine geringere Bioverfügbarkeit von 15% aufweist. Vardenafil ist in Dosierungen von 10 und 20 mg erhältlich. Der klinische Wirkungseintritt wird wie bei Sildenafil schon nach 15–30 min und die maximale Plasmakonzentration nach im Mittel 60 min (30–120 min) erreicht. Somit sind Vardenafil und Sildenafil die am schnellsten anflutendenden PDE-5-Inhibitoren. Die klinische Wirkung kann bis zu 12 h betragen. Die Wirksamkeit von Vardenafil wurde in verschiedenen randomisierten, placebokontrollierten Studien bei Patienten mit Erektionsstörungen unterschiedlicher Ätiologie und Ausprägung nachgewiesen. In Abhängigkeit von der Dosis, der Ätiologie und der Schwere der Erektionsstörung lagen die Ansprechraten (»Global Assessment Question«: »Verbesserung der Erektion«) zwischen 48% und 80%. Bei dem »härteren« Kriterium »erfolgreicher Geschlechtsverkehr mit Samenerguss« werden Ansprechraten von ca. 75% erreicht. Die Verbesserung der erektilen Funktion durch Vardenafil ist unabhängig von Alter, Schweregrad und Ätiologie der Erektionsstörung sowie der Begleitmedikation. Bezüglich der Verträglichkeit von Vardenafil bei kardiovaskulären Risikopatienten zeigte die Kombination von Nitroglyzerin mit Vardenafil 10 mg nur minimale Veränderungen bei Blutdruck und Herzfrequenz, die vergleichbar mit denen einer placebokontrollierten Gruppe waren [30, 53]. Dennoch gilt auch für Vardenafil eine strenge Kontraindikation für die gleichzeitige Gabe von Nitraten oder NO-Donatoren (z. B. Molsidomin). Vardenafil wurde auch von Patienten, die zusätzlich eine antihypertensive Medikation (Diuretika, Betablocker, Calciumantagonisten oder ACE-Hemmer) einnahmen, gut toleriert und war wirksam. Die am häufigsten genannten Nebenwirkungen sind denen von Sildenafil, mit Ausnahme der Farbsehstörung, vergleichbar [59]: Kopfschmerzen (10–21%), Hautrötung (5–13%), Dyspepsie (1–6%) und Rhinitis (9–17%). Sehstörungen treten ebenfalls selten auf (0,1– <1%).
23
Tadalafil (Cialis) Ebenfalls im Jahr 2003 zugelassen wurde der PDE5-Inhibitor Tadalafil. Tadalafil ist in den Dosierungen 10 und 20 mg erhältlich. Tadalafil hat eine höhere Affinität gegenüber PDE 11 als Sildenafil und Vardenafil [13]. Die physiologische Bedeutung der PDE 11a, die vor allem in der Prostata, den Hoden und der Skelettmuskulatur nachweisbar ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht geklärt [60]. Veränderungen der Testosteron- bzw. Gonadotropinwerte oder der Ejakulatparameter fanden sich bei täglicher Einnahme von 20 mg Tadalafil über 6 Monate nicht [27]. Die maximale Plasmakonzentration wird nach 2 h erreicht. Die klinische Wirksamkeit wird wie bei den anderen PDE-5-Inhibitoren schon vorher, jedoch im Mittel später als bei diesen erreicht. Die Plasmahalbwertzeit beträgt 17,5 h, so dass Ansprechzeiten bis zu 36 h vorkommen. In placebokontrollierten Studien mit über 4.000 Teilnehmern konnte gezeigt werden, dass 75% der Patienten eine für den Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion erreichten. Bei Diabetikern verbesserte sich die erektile Funktion bei bis zu 64% der Patienten, die Tadalafil in einer Dosierung von 20 mg einnahmen. Zu den am häufigsten genannten Nebenwirkungen zählen Kopfschmerzen (7–21%), Dyspepsie (1–17%), Rhinitis (5%) und Gesichtsrötung (1–5%). Im Gegensatz zu Sildenafil und Vardenafil können nach der Einnahme von Tadalafil bei Patienten Myalgien (3–7%) und Rückenschmerzen (4–9%) auftreten [42]. Hierfür könnten die inhibierende Wirkung von Tadalafil auf die PDE 11a oder auch die lange Plasmahalbwertzeit verantwortlich sein [17]. Die Nebenwirkung war bei wiederholter Gabe des Medikamentes rückläufig [8]. In einer Dosierung von 20 mg hatte Tadalafil keinen signifikanten Effekt auf Blutdruck oder Herzfrequenz. Eine erhöhte Inzidenz von Myokardinfarkten war in allen klinischen Studien nicht nachweisbar [14]. Interaktionen zwischen Tadalafil und organischen Nitraten zeigten nur einen mäßigen synergistischen Effekt auf die Reduktion des mittleren systo-
346
III
Kapitel 23 · Therapie der erektilen Dysfunktion
lischen bzw. diastolischen Blutdrucks. Jedoch darf Tadalafil, wie auch Sildenafil und Vardenafil, nicht in Kombination mit Nitraten oder NO-Donatoren (z. B. Molsidomin) verabreicht werden. Zusammenfassend zeichnet sich Tadalafil durch eine lange klinische Wirkungsdauer (bis zu 36 h) für die Behandlung einer leichten bis schweren Erektionsstörung aus.
Apomorphin (Ixense, Uprima) Ursprünglich wurde Apomorphin zur Behandlung von Symptomen psychischer Erkrankungen bzw. zur Linderung von Dyskinesien im Rahmen von Epilepsie oder der Parkinson-Krankheit verwendet. In den 60er-Jahren vorigen Jahrhunderts wurde erstmals der dopaminerge Effekt von Apomorphin entdeckt [12, 29]. Der in Montreal arbeitende Psychiater Samarthji Lal untersuchte bereits 1984 die aus der Parkinson-Forschung bekannte proerektile Wirkung von Apomorphin [47]. Im Gegensatz zu den PDE-5-Inhibitoren und den α-Adrenozeptorantagonisten wirkt Apomorphin als zent raler Dopaminrezeptoragonist vermutlich ausschließlich im Bereich des zentralen Nervensystems. Es gilt als wahrscheinlich, dass Apomorphin durch eine Bindung an dopaminerge Rezeptoren im Bereich des Nucleus paraventricularis (Hypothalamus) über die zentrale und spinale Freisetzung von Oxytocin zu einer Stimulation der penilen Erektion führt [1, 30, 44]. Apomorphin ist in einer Dosierung von 2 und 3 mg seit Juni 2001 in Deutschland zugelassen und wird sublingual appliziert. Die Wirkung tritt unter sexueller Stimulation nach ca. 10–20 min ein, die klinische Wirkungsdauer beträgt ungefähr 2–3 h. In placebokontrollierten Studien mit über 4.000 Patienten konnte gezeigt werden, dass 50% der Patienten mit einer leichten bis mittleren Erektionsstörung unter sexueller Stimulation und Gabe von 3 mg Apomorphin eine Erektion bekamen und 60% aller Versuche Geschlechtsverkehr durchzuführen, erfolgreich waren. Auch bei Patienten mit Begleiterkrankungen wie arterieller Hypertonus oder Diabetes mellitus wurde Apomorphin erfolgreich getestet. Die Wirkung war unabhängig von Nahrungsaufnahme oder Alkoholgenuss [25]. Die kontinuierliche Einnahme zeigte eine Verbesserung der Erektionsfähigkeit mit gleichzeiti-
ger Reduktion der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Nebenwirkungen [40]. Allerdings scheint die klinische Wirksamkeit bei nichtselektionierten Patienten außerhalb von Studien deutlich geringer zu sein, so dass Apomorphin heute nicht als Mittel der ersten Wahl gelten kann. Wegen der signifikant geringeren Wirksamkeit im Vergleich zu der von PDE-5-Inhibitoren kann Apomorphin bei eher gering ausgeprägten Erektionsstörungen, überwiegend psychogen verursachten Erektionstörungen sowie dem Vorliegen von Kontraindikationen zu anderen Therapiealternativen im Rahmen eines Therapieversuches angewendet werden. Zu den am häufigsten genannten (dosisabhängigen) Nebenwirkungen zählen Übelkeit (2,1–20,4%), Kopfschmerzen (3,0–5,2%), Schwindel (3,0–13,9%), Schwitzen (1,6–9,9%), Gähnen (3,0–8,5%) und Synkopen (<1%) [1, 9, 50]. Interaktionen mit Antihypertensiva wurden nicht beobachtet. Bei der kombinierten Gabe mit Nitraten kam es bei einer höheren (5 mg) als empfohlenen Einnahme von Apomorphin zu Blutdruckabfällen und vasovagalen Symptomen, so dass hier vorsichtig verfahren werden sollte.
Yohimbin (Yocon-Glenwood, Yohimbin-Spiegel) Seit über einem Jahrhundert wird das Alkaloid Yohimbin, 1896 von dem Berliner Chemiker Leopold Spiegel aus dem Rindenextrakt des afrikanischen Corynanthe yohimbe Baumes isoliert, zur oralen Therapie von Erektionsstörungen eingesetzt [47]. Die proerektile Wirkung der Substanz soll vor allem auf einer kompetitiven Blockade zentraler α2-Adrenozeptoren beruhen. Yohimbin sollte zunächst in einer Dosierung von 3×5 mg (Anfangsdosis über drei Tage) verordnet werden. Anschließend ist eine Steigerung auf 3×10 mg (Erhaltungsdosis) möglich. Eine Verbesserung der Erektionsstörung tritt häufig erst nach 14 Tagen auf; die Einnahme sollte mindestens über sechs Wochen erfolgen [56].
347
23.2 · First-line-Therapieoptionen
23
⊡ Tabelle 23.1. Zusammenfassende Darstellung wichtiger pharmakologischer Daten der zur oralen Therapie der erektilen Dysfunktion in Deutschland zugelassenen Medikamente. Der α2-Adrenozeptorantagonist Yohimbin wurde aufgrund seines begrenzten Wirkungspotenzials und seiner letztlich nicht zweifelsfrei nachgewiesenen Effektivität in der Tabelle nicht berücksichtigt [35]
Sildenafil
Vardenafil
Tadalafil
Apomorphin
Wirkmechanismus
PDE-5-Inhibitor (peripher)
PDE-5-Inhibitor (peripher)
PDE-5-Inhibitor (peripher)
Dopamin-RezeptorAgonist (zentral)
Dosierung
25, 50 und 100 mg
10 und 20 mg
10 und 20 mg
2 und 3 mg
Wirkungsbeginn
12–37 min; im Mittel 25 min
15–30 min; im Mittel 25 min
ca. 45 min
ca. 10–20 min
Zeit bis max. Plasmakonzentration
ca. 60 min
ca. 60 min
ca. 120 min
30–45 min
Plasmahalbwertszeit
4–5 h
ca. 4 h
17,5 h
ca. 2 h
Wirkungsdauer
bis 12 h
bis 12 h
bis 36 h
ca. 2–3 h
Einnahme
oral
oral
oral
sublingual
Nebenwirkungen
Kopfschmerzen, Gesichtsrötung, Farbsehstörungen, Dyspepsie, Rhinitis
Hautrötung, Kopfschmerzen, Dyspepsie, Rhinitis, Sehstörungen
Kopfschmerzen, Dyspepsie, Rhinitis, Myalgien, Rückenschmerzen
Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Synkope
Verträglichkeit mit Nitraten
kontraindiziert
kontraindiziert
kontraindiziert
ja, Hypotonie bzw. vasovagale Symptome möglich
Interaktion mit Alkohol oder Nahrungsaufnahme
ja
ja
nein
nein
In einer Metaanalyse publizierter Studien [15] konnte eine klinische Wirksamkeit von Yohimbin gefunden werden. Entscheidend ist die Indikationsstellung zur Yohimbintherapie: Signifikante Verbesserungen der erektilen Funktion treten vor allem bei Patienten mit überwiegend psychogener ED (Versagens- und/oder Erwartungsängste) auf [24]. Für diese Indikation empfiehlt die DGU in ihren Leitlinien einen Therapieversuch mit Yohimbin, in der aktuellen Leitlinie der European Association of Urology wird Yohimbin allerdings nicht mehr empfohlen [49, 57]. Bei insgesamt günstigem Nebenwirkungsspektrum zählen zu den am häu-
figsten genannten, sehr vereinzelt auftretenden Nebenwirkungen Unruhe, Händezittern, Schlafstörungen, Tachykardien und Blutdruckveränderungen. Aus diesem Grund soll unter der Therapie mit Yohimbin, insbesondere bei Hypertonikern, eine regelmäßige Kontrolle des Blutdruckes erfolgen.
348
Kapitel 23 · Therapie der erektilen Dysfunktion
23.3
Second-line-Therapieoptionen
23.3.1 Lokale Pharmakotherapie
III
Befragt man Patienten mit ED vor Therapiebeginn, so ist die orale Pharmakotherapie die mit Abstand am häufigsten gewünschte Therapieoption. Hier muss aber bedacht werden, dass die Wirksamkeit der oralen Pharmakotherapie über alle Patientengruppen nur ca. 50–60% beträgt. Weiterhin weiß man, dass von den Patienten, bei denen ein PDE-5Inhibitor Wirksamkeit zeigt, nur ca. 50% eine zweite Verschreibung dieses verlangen. Demzufolge besteht ein durch die orale Therapie nicht abgedeckter Gesamt-Patientenanteil von ca. 70%, dem alternative Optionen angeboten werden müssen. Es ist von größter Wichtigkeit, den betroffenen Patienten mit ED auf diese Tatsachen vor der Initiierung einer oralen Therapie hinzuweisen und ihm zu erläutern, dass er sich wieder an seinen Arzt wenden soll, wenn die orale Therapie nicht anspricht oder er damit nicht zufrieden ist. Es stehen viele weitere Alternativen zur Verfügung, die dem Patienten dann selbstverständlich angeboten werden können.
23.3.2 Intraurethrale Therapie
liche Daten zur Verfügung: In den ersten Studien wurde ein erektionsinduzierender Effekt bei unselektioniertem Patientenkollektiv bei bis zu 70% der Anwendungen beobachtet [23, 38], in späteren Studien bei nichtselektionierten Patienten wurden erheblich geringere Ansprechraten (teilweise nur 20%) sowie hohe Abbruchraten bis zu 70–80% gefunden [16, 36]. MUSE ist insbesondere für Patienten mit postoperativer ED attraktiv, bei denen die orale Pharmakotherapie nicht anspricht. Zu den am häufigsten genannten lokalen Nebenwirkungen zählen: penile Schmerzen (24%), urethrale Schmerzen (19%), urethrale Blutung (5,1%), Hypotonus (3–8%), vaginale Irritationen (3%) und Synkopen (0,4%). Priapismen und Fibrosen sind nicht oder nur selten zu erwarten (<0,1%). Kontraindikationen bestehen bei Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff, Penisanomalien (Harnröhrenstriktur, schwere Hypospadie, Penisdeviation), Balanitis oder Urethritis.
23.3.3 Schwellkörperautoinjektionstherapie
(SKAT) Prostaglandin E 1 (Alprostadil, MUSE) Die intraurethrale Applikation von PGE1 [40] wurde zunächst 1996 in den USA und 1999 in Deutschland unter der Bezeichnung MUSE (»Medicated Urethral System for Erection«) zugelassen. Das System ist grundsätzlich einfach und patientenfreundlich in der Handhabung und seiner Darreichungsform. Über einen sterilen Applikator wird die in einer Mikrokapsel (Pellet) enthaltene Wirksubstanz in die Harnröhre eingeführt, gelangt über das die Harnröhre umgebende Corpus spongiosum in die Corpora cavernosa und führt dort zu einer Relaxation der glatten Schwellkörpermuskulatur. Der gleiche Wirkstoff ist auch zur direkten Injektion in die Schwellkörper im Rahmen der Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT, Caverject, Viridal) zugelassen. Prostaglandin E1 als MUSE steht in einer Dosierung von 250, 500 und 1.000 µg zur Verfügung. Zu den Wirkungsraten stehen unterschied-
Prostaglandin E 1 (Caverject, Viridal) und Papaverin/Phentolamin (Androskat) Im Jahr 1982 wurde erstmals über die intrakavernöse Injektion von Pharmaka zur Behandlung der Erektionsschwäche berichtet. Die Beschreibungen der Injektiontherapie durch Brindley und Virag [62, 63] gelten als ein Meilenstein in der Therapie der ED. Heute stehen verschiedene Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen zur Verfügung: Als erste Wahl gilt das Alprostadil (PGE1), weiterhin wird auch die Kombination Papaverin/Phentolamin (in Deutschland nicht zugelassen) angewendet. Die Schwellkörperautoinjektionstherapie wurde durch die Einführung der oral wirksamen Therapiemöglichkeiten weitgehend verdrängt. Jedoch ist die sehr wirksame und bei sachgemäßer Anwendung nebenwirkungsarme Injektionstherapie für Patienten, bei denen eine orale, systemische Therapie
349
23.3 · Second-line-Therapieoptionen
kontraindiziert oder unwirksam ist, eine gute Alternative. Die Wirkmechanismen der einzelnen Substanzen werden wie folgt beschrieben: Papaverin wirkt auf intrazellulärer Ebene als nichtselektiver Phosphodiesteraseinhibitor. Phentolamin ist ein nichtspezifischer α-Adrenozeptorblocker, entfaltet also seine lokale Wirkung nach Injektion in das Schwellkörpergewebe auf Rezeptorebene. Alleine verabreicht bewirkt Phentolamin keine ausreichende Erektion, die Kombination aus Phentolamin und Papaverin stellt aber eine wirkungsvolle Therapieoption der ED dar. Über die lokale, erektionsauslösende Wirkung von PGE1 wurde erstmals 1986 berichtet. Die Bindung erfolgt an spezifischen, zellmembranständigen Rezeptoren und führt über eine komplexe intrazelluläre Regulationskaskade zu einer Relaxierung der Schwellkörpermuskulatur. Bei der Schwellkörperautoinjektionstherapie ist zunächst eine Austestung der optimalen, individuellen Dosierung sowie eine ausführliche ärztliche Einweisung in die Anwendung unabdingbar. Die Kombination aus Papaverin (15 mg/ml) und Phentolamin (0,5 mg/ml) wird in einer Dosierung von 0,2 ml bis zu 2 ml angewendet, Alprostadil (PGE1) steht in einer Dosierung von 5–20 µg zur Verfügung. Die Wirkung der Kombination von Phentolamin und Papaverin ist mit Ansprechraten von 60–90% in zahlreichen klinischen Studien gut dokumentiert. Gute Ergebnisse werden insbesondere bei Patienten mit neurogener oder psychogener erektiler Dysfunktion erreicht. Die Wirksamkeit des Kombinationspräparates ist etwas geringer als die von Alprostadil (PGE1). Das Kombinationspräparat sollte aufgrund der deutlich höheren Rate prolongierter Erektionen nur bei Unverträglichkeit oder Versagen von PGE1 angewandt werden. Zu den weiteren Nebenwirkungen von Phentolamin/ Papaverin zählen Schwellkörperfibrosen, Penisverkrümmungen und Schmerzen (1–7%). Bei Patienten mit Alkoholabusus oder Leberschäden sollte die Indikation zur Therapie mit Phentolamin und Papaverin zurückhaltend gestellt werden. Das zur Schwellkörperautoinjektion in Deutschland zugelassene Alprostadil (PGE1) zeigt mit 70 bis über 90% die höchsten Ansprechraten aller pharmakologischen Therapieformen der ED.
23
Häufigste Nebenwirkung sind milde bis mäßige, penile Schmerzen im (5– 30%), Schwellkörperveränderungen (Fibrose, Penisverkrümmungen, Verhärtungen; 3–8%) und prolongierte Erektionen (ca. 2–3%, unter 1% der Injektionen). Ist bei maximaler Dosierung von Phentolamin/Papaverin oder PGE1 keine für den Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion zu erreichen, ist eine Kombination der drei Wirkstoffe (»Triple-Mix«) möglich. Hierbei ergaben sich hohe Ansprechraten von über 90%. Unter Umständen ist eine Reduzierung der Einzeldosierungen und dadurch der mit den entsprechenden Wirkstoffen verbundenen Nebenwirkungen möglich.
23.3.4 Androgentherapie
Die Indikation für eine Testosteronsubstitutionstherapie zur Behandlung einer ED ergibt sich bei nachgewiesener Störung des Androgenhaushaltes, also im Rahmen einer kausalen Substitutionstherapie eines primären oder sekundären Hypogonadismus. Dies trifft nur für einen geringen Anteil der ED-Patienten zu und erfordert eine weitergehende, spezifische Diagnostik. Bei entsprechender Indikation ist eine orale (eher ungünstig, da nur geringe Testosteronanstiege erzielt werden; Andriol), transkutane (Androderm, Testogel) oder intramuskuläre (Testoviron) Testosteronsubstitution möglich [26, 41, 50].
23.3.5 Vakuumerektionshilfen
Vakuumerektionshilfen spielen bei der heutigen Therapie der ED eine geringere Rolle. Zur Optimierung der Wirksamkeit sollten Patienten, die sich für diese Therapieoption entscheiden, eine individuelle Unterweisung in die sachgerechte Handhabung erhalten. Lokale Nebenwirkungen (Hämatom, Schmerzen, Missempfindungen) sind selten [33, 49].
350
Kapitel 23 · Therapie der erektilen Dysfunktion
23.4
Third-line-Therapieoptionen
Operative Therapie
III
Zu den operativen Therapieoptionen der ED zählen neben den penilen Implantaten die Venen- und Revaskularisationschirurgie, wobei die beiden letzteren Verfahren Ausnahmeindikationen darstellen und als experimentell anzusehen sind. Beide Verfahren weisen schlechte Langzeitergebnisse auf und haben allenfalls noch bei der Therapie einer hochselektiven Patientengruppe ihre Berechtigung. Die penilen Implantate hingegen zeichnen sich, eine entsprechende Indikationsstellung (schwere ED, Versagen der konservativen Therapie oder entsprechende Kontraindikationen) und Patientenaufklärung vorausgesetzt, durch hohe Akzeptanz und Zufriedenheit bei entsprechender Haltbarkeit und guten Langzeitergebnissen aus. Der Einsatz von Implantaten wird aufgrund der hohen Invasivität als »Third-line-Option« der ED-Therapie nach den Leitlinien der EAU eingestuft [57]. Neben den mehrheitlich implantierten, hydraulischen 3Komponentensystemen (gute Steuerbarkeit und gutes kosmetisches Ergebnis) stehen semirigide Implantate (geringere Kosten und leichte Handhabung) zur Verfügung. Zu den eingriffstypischen Komplikationen zählen die Implantatinfektion, der Funktionsverlust einzelner Komponenten einschließlich Leckage sowie die Perforation von Haut oder Urethra. Die im Rahmen von Multicenterstudien ermittelten 5-Jahresfunktionsraten lagen in Abhängigkeit des verwendeten Implantattyps zwischen 84% und 94% bei einer Patienten- und Partnerinnenzufriedenheit in über 85% der Fälle. Fazit Mit den drei PDE-5-Inhibitoren Sildenafil, Vardenafil und Tadalafil stehen hochwirksame, orale Substanzen als Therapieoption der ersten Wahl zur Verfügung. Die Substanzen weisen ein ähnliches Wirkpotenzial auf, unterscheiden sich aber in ihrer Selektivität gegenüber den PDE-Isoenzymen, ihren pharmakokinetischen und ihren Nebenwirkungsprofilen. Neben der On-demand-Therapie der ED kann eine konti▼
nuierliche, prophylaktische Langzeitmedikation mit PDE-5-Inhibitoren nach ein- oder beidseitig nerverhaltender radikaler Prostatektomie zu einer deutlich höheren Spontanerektionsrate führen. Der zentrale Dopaminrezeptoragonist Apomorphin eignet sich mit Abstrichen für die Behandlung leichter Erektionsstörungen und zeichnet sich durch einen raschen Wirkungsbeginn aus. Im Bereich der lokalen Pharmakotherapie gilt die intrakavernöse Applikation von PGE1 als Mittel der Wahl bei Nonrespondern auf PDE-5-Inhibitoren bzw. bei entsprechenden Kontraindikationen für PDE-5Inhibitoren. »Triple-Mix« bleibt PGE1-Nonrespondern vorbehalten, MUSE ist insbesondere für Patienten nach chirurgischen Eingriffen und Nichtansprechen auf orale Medikation attraktiv.
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23
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Kapitel 23 · Therapie der erektilen Dysfunktion
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24 Die Behandlung der prolongierten Erektion/Priapismus J. H. Hagemann, E. Waldkirch, M. C. Truß
24.1 Zum Thema 24.2 Therapie Literatur
– 358
– 354
– 355
III
354
Kapitel 24 · Die Behandlung der prolongierten Erektion/Priapismus
24.1
Zum Thema
Die prolongierte Erektion ist eine durch pharmakologische Substanzen induzierte Erektion, die länger als 4 h anhält. Der Terminus Priapismus geht auf den griechischen Gott der Fertilität und der körperlichen Liebe, Priapus, zurück. Mit Priapismus wird eine über mindestens 2 h anhaltende, schmerzhafte Erektion bezeichnet, die ohne sexuelle Erregung einhergeht und die nicht durch die Anwendung pharmakologischer Substanzen ausgelöst wird. Während die Ursache der prolongierten Erektion eine Überdosierung der applizierten vasoaktiven Substanz ist, findet sich beim Priapismus eine multikausale Genese (⊡ Tabelle 24.1). Pathophysiologisch lässt sich der Priapismus in einen (ischämischen) Low-flow- und einen (nichtischämischen) High-flow-Priapismus unterteilen. In ⊡ Tabelle 24.1 ist eine Übersicht über die zugrunde liegende Pathogenese aufgeführt. Klinisch fällt bei der prolongierten Erektion und beim Priapismus eine schmerzlose oder schmerzhafte Erektion mit rigiden Corpora caver-
⊡ Tabelle 24.1. Ätiologische Faktoren
Ätiologische Faktoren Trauma
Becken, Genitale, Perineum
Hämatologische Erkrankungen
Sichelzellanämie, Thalassämie, Thrombozythämie, Leukämien, paroxysmale nokturne Hämoglobinurie
Metabolische Erkrankungen
Amyloidose, Diabetes, Gicht, nephrotische Syndrom
Neurologische Erkrankungen
multiple Sklerose, Tabes dorsales, Querschnitt oberhalb S2
Medikamente
Antihypertensiva, Antikoagulanzien, ZNS wirksame Substanzen, Antidepressivsa
Drogenkonsum
Marihuana, Kokain etc.
Idiopathisch
nosa bei detumeszenter Glans und detumeszentem Corpus spongiosum auf. Wird der (ischämische) Low-flow-Priapismus nicht behandelt, so klingt er nach 2–3 Wochen spontan ab. Hieraus resultiert zumeist ein vollständiger fibröser Umbau der Corpora cavernosa mit vollständiger erektiler Dysfunktion. In der Folgezeit schrumpfen die Schwellkörper meist bis die Corpora cavernosa verkleinert und deutlich verhärtet sind. Anamnestisch lassen sich bereits erste Hinweise für die Unterscheidung zwischen einem Highflow- und einem Low-flow-Priapismus erheben. Während insbesondere traumatische Ereignisse auf einen High-flow-Priapismus hindeuten, so sind die Sichelzellanämie und andere hämatologische Erkrankungen in erster Linie verdächtig auf einen Low-flow-Priapismus. Die genaue Abgrenzung erfolgt durch eine Blutgasanalyse aus aspiriertem cavernösem Blut. Beim High-flow-Typ finden sich arterielle Blutgase, beim Low-flow-Typ venöse oder subvenöse Blutgase (⊡ Tabelle 24.2). Meist ist eine Abgrenzung schon durch Augenschein des aspirierten Blutes (helles, arterielles Blut bzw. dunkles, venöses Blut) möglich. Weiterhin findet sich beim High-flow-Typ dopplersonographisch ein massiv erhöhter intracavernöser Einstrom arteriellen Blutes. Eine Übersicht über die differenzialdiagnostischen Aspekte zur Beurteilung eines High-flowoder Low-flow-Priapismus ist in ⊡ Tabelle 24.3 aufgeführt.
⊡ Tabelle 24.2. Exemplarische Befunde der Blutgasanalyse bei High-flow- bzw. Low-flow-Priapismus
pHa
PO2 [mm Hg]a
PCO2 [mm Hg] a
arterielle BGAb (Normalbefund)
>70
<40
gemischtvenöse BGA (Normalbefund)
40
50
7,35
<30
>60
<7,25
Low-flowPriapismus a
typische Werte; b bzw. High-flow-Priapismus.
7,4
355
24.2 · Therapie
24
⊡ Tabelle 24.3. Differenzialdiagnostische Übersicht von High-flow- und Low-flow-Priapismus
Anamnese, Klinik, Laboruntersuchungen
High-flow-Priapismus (arteriell, nicht ischämisch)
Trauma (Becken, Genitale, Perineum)
eher wahrscheinlich
Hämatologische Erkrankungen
Low-flow-Priapismus (veno-okklusiv, ischämisch)
eher wahrscheinlich
Penile Schmerzen
eher nein
ja
Gut tolerierte Tumeszenz der Corpora cavernosa ohne volle Rigidität
ja
nein
Volle Rigidität der Corpora cavernosa
nein
ja
Abweichende cavernöse Blutgase
nein
▼PO2 , ▲PCO , ▼pH
24.2
Therapie
Die Therapie der prolongierten Erektion und des Low-flow-Priapismus ist eine urologische Notfallsituation und sollte unverzüglich erfolgen. Ein Behandlungserfolg ist nach 24–48 h nur noch selten zu erwarten, jedoch sind einzelne Fälle einer erfolgreichen Behandlung sogar noch nach mehreren Wochen dokumentiert [2]. Das therapeutisch angestrebte Ereignis, die vollständige Detumeszenz mit konsekutiver arterieller cavernöser Durchblutung, kann in den meisten Fällen durch ein stufenweises Vorgehen erreicht werden. Vor Beginn der Behandlung sollten Routineblutparameter (Blutbild, Gerinnung, Elektrolyte, Retentionswerte) bestimmt werden. Weiterhin sollte ein venöser Zugang gelegt werden und eine kontinuierliche Kreislaufüberwachung gewährleistet sein (⊡ Abb. 24.1). Zunächst werden beide Corpora cavernosa beidseits lateral an der Penisbasis mit großvolumigen Kanülen punktiert, über die dann 200–500 ml Blut aspiriert werden. Um eine möglichst vollständige Evakuierung der Corpora cavernosa mit venösem Blut beim (ischämischen) Low-flow-Priapismus bzw. bei der prolongierten Erektion zu erreichen, empfiehlt sich weiterhin die Spülung der Schwellkörper über die liegenden Kanülen. Hierbei kann eine Spülung mit isotoner Kochsalzlösung
und Aspiration von venösem Blut wechselnd über einen aufgesetzten Dreiwegehahn erfolgen. Sistiert die Erektion nach der Aspiration und Spülung nicht und kommt es zu einer sofortigen erneuten Füllung der Schwellkörper mit voller Rigidität, erfolgt nun die intrakavernöse Applikation von alpha-adrenergen Substanzen in die rigiden Corpora cavernosa (Cave: Injektion nur in vollständig rigide Schwellkörper zur Vermeidung schwerwiegender, systemischer Nebenwirkungen!) [4, 5]. Dabei sollte primär Phenylephrin (Dosierung: 0,1–0,5 mg) gegeben werden, da diese Substanz gemäß der Datenlage aus der Literatur seltener systemische Nebenwirkungen aufzeigt. Grundsätzlich ist hierbei zu bemerken, dass die Applikation alpha-adrenerger Substanzen nur unter sorgfältiger und kontinuierlicher Kreislaufüberwachung erfolgen darf. Für den Fall eines kritischen Blutdruckanstiegs müssen sofortige Gegenmaßnahmen eingeleitet werden (z. B. 10 mg Nifedipin sublingual oder eine halbe bis eine Ampulle Clonidin). Die am häufigsten verwendeten alpha-adrenergen Substanzen sind in ⊡ Tabelle 24.4 aufgeführt. Insbesondere sind für Metaraminol schwerwiegende Komplikationen (Blutdruckkrisen, Apoplex, letale Verläufe) beschrieben. Deshalb ist bei Verwendung dieser Substanz besondere Vorsicht geboten, insbesondere bei Patienten mit bekannten kardiovaskulären Erkrankungen.
356
Kapitel 24 · Die Behandlung der prolongierten Erektion/Priapismus
III
⊡ Abb. 24.1. Therapiealgorithmus bei Priapismus/prolongierter Erektion. (Mod. nach [10]: www.auanet.org/timssnet/products/ guidelines/priapism.cfm)
⊡ Tabelle 24.4. Alpha-adrenerge Substanzen zur Behandlung der prolongierten Erektion und des Priapismus
Substanz
Dosierung
Etilefrin
5–20 mg
Phenylephrin
0,1–0,5 mg
Epinephrin
0,03–0,05 mg
Metaraminol
2–4 mg
Noradrenalin
0,01–0,02 mg
Adrenalin
0,01–0,02 mg
Weiterhin wird innerhalb von Studien und Fallbeschreibungen alternativ zu der Gabe von AlphaAntagonisten die intrakavernöse Applikation von Methylen-blau, ein Guanylat-Cyclase-Inhibitor, beschrieben. Eine Routineanwendung dieser Substanz in der Praxis hat sich jedoch bisher nicht durchsetzen können [7]. Auch bleibt weiterhin ab-
zuwarten, inwieweit die bereits in Fallstudien durchgeführte orale Applikation von Terbutalin eine breitere klinische Anwendung erfährt [8], ebenso wie die Applikation von Lidocain als Penisblock. Durch die letztere Anwendung sollen Afferenzen unterdrückt werden, die über den N. dorsalis penis vermittelt werden und über penile Reflexbögen einen Priapismus weiter unterhalten könnten [9]. Als per-os-Medikation haben Gonadotropin-releasing-Hormonanaloga sowie Diethylstilbestrol im Rahmen von klinischen Studien Einzug in die Therapie des rezidivierenden Priapismus gehalten [9]. Falls die Applikation von alpha-adrenergen Substanzen nicht zu einer ausreichenden Detumeszenz führt, ist bei Low-flow-Priapismus und bei der prolongierten Erektion ein zusätzlicher venöser Abstrom aus den Schwellkörpern chirurgisch zu schaffen. Beim sog. Winter-Shunt werden mittels einer True-cut-Nadel mehrere Verbindungen zwischen Corpora cavernosa und Corpus spongiosum durch die Glans penis ausgestanzt [6] (⊡ Abb. 24.2). Da diese relativen dünnkalibrigen Shunts thrombosieren können und so eine sofortige Detumeszenz hierdurch nicht immer erreicht werden
24.2 · Therapie
⊡ Abb. 24.2. Winter-Shunt: Punktion der Corpora cavernosa mit einer True-Cut Nadel
⊡ Abb. 24.3. Ebbehoj-Shunt: Schaffung eines weiten spongiocavernösen Shunts durch Stichinzision der Corpora cavernosa durch die Glans penis (Schnittführung)
kann, ist man in letzter Zeit dazu übergegangen, mit einem Stichskalpell eine V-förmige Verbindung zwischen Glans und Corpora cavernosa dorsal des Meatus urethrae zu schaffen (Ebbehoj-Shunt, ⊡ Abb. 24.3). Hierdurch lässt sich meist ein ausreichender venöser Abstrom über die Glans penis und das Corpus spongiosum gewährleisten. Persistiert die Erektion weiter, kann die Schaffung eines zusätzlichen venösen Abstromes durch einen Veneninterponat zwischen Schwellkörper und V. saphena magna oder einer dorsalen Penisvene (GrayhackShunt) versucht werden. Eine weitere Möglichkeit der Anlage eines corporospongiösen Shunts besteht in der Anlage eine sog. El-Gorab-Shunts, der offen chirurgisch zwischen Glans penis und den distalen Enden der Corpora cavernosa angelegt werden kann. Postoperativ kann zur Aufrechterhaltung des Shunts eine Kinderblutdruckmanschette um den Penisschaft gelegt und in fünfminütigen Rhythmus aufgepumpt werden. Der arterielle Einstrom kann weiterhin nach Erreichen einer Detumeszenz durch
357
24
die Einlage eines Dauerkatheters, der zwischen den Beinen nach dorsal gelegt wird und dort mit Klebeband am Gesäß fixiert wird, erreicht werden [3]. Hierbei ist zu beachten, dass die ausreichende Durchblutung der Glans penis in kurzfristigen Abständen kontrolliert werden muss und die Fixierung des Dauerkatheters nach etwa 24 h gelöst wird. Besteht der Verdacht auf eine intracavernöse Thrombosierung, so kann nach Versagen der intracavernösen Injektion alpha-adrenerger Substanzen eine Lysetherapie mit 500.000 I.E. Streptokinase versucht weden. Die therapeutische Strategie beim (nichtischämischen) High-flow-Priapismus unterscheidet sich signifikant von der Strategie beim Low-flow-Typ. Bei einer spontanen Rückbildungsrate von 60% ist eine sorgfältige klinische Überwachung essenziell; im Gegensatz zum Low-flow-Priapismus sollte eine Punktion der Corpora cavernosa nur zur Differenzialdiagnostik (BGA) erfolgen [10]. Auch die Gabe von alpha-adrenergen Substanzen sollte nicht erfolgen, da es bei diesem Krankheitsbild vermehrt zu schweren systemischen Nebenwirkungen kommen kann. Stattdessen sollte eine konservative Therapie vorgenommen werden, die sowohl physikalische Maßnahmen (Kühlen, Kompression) als auch die Gabe von antiinflammatorischer Medikation (z. B. Diclofenac) sowie eine antibiotische Abdeckung beinhaltet. Gegebenenfalls kann eine supraselektive arterielle Embolisierung im Rahmen einer interventionellen, radiologischen Therapie vorgenommen werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es in der Vergangenheit bei bis zu 39% der embolisierten Patienten zu einer embolisationsbedingten erektilen Dysfunktion gekommen ist. Kommt es daraufhin zur erneuten rigiden Erektion, so ist die supraselektive Angiographie und Embolisierung des peripheren Gefäßbettes mittels autologem Material oder Bucrylat anzustreben [1, 2]. Diese interventionelle Maßnahme sollte jedoch spezialisierten radiologischen Abteilungen vorbehalten bleiben. Bei fachgerechter Embolisierung kann eine erektile Funktion in den meisten Fällen erhalten bleiben. Grundsätzlich empfiehlt sich nach erfolgreicher Behandlung einer prolongierten Erektion bzw.
358
III
Kapitel 24 · Die Behandlung der prolongierten Erektion/Priapismus
eines High-flow- oder Low-flow-Priapismus’ eine lokale Kühlung mittels Eisbeutel, antiinflammatorische Maßnahmen (z. B. Diclofenac) sowie eine antibiotische Abdeckung. Das skizzierte stufenweise Vorgehen hat sich in der Praxis der Autoren in den letzten Jahren bewährt. Fazit Bei der Beurteilung eines Priapismus ist zunächst eine präzise Differenzierung zwischen einem sog. (ischämischen) Low-flow- und einem (nichtischämischen) High-flow-Priapismus erforderlich. Die genaue Abgrenzung erfolgt dabei durch eine Blutgasanalyse aus aspiriertem cavernösem Blut. Bei einem (ischämischen) Low-flow-Priapismus sollte neben konservativen Maßnahmen (z. B. Kühlung) als medikamentöser Therapieansatz die Applikation von alpha-adrenergen Substanzen erfolgen; falls dieses nicht zu einer ausreichenden Detumeszenz führt, ist ein zusätzlicher venöser Abstrom aus den Schwellkörpern chirurgisch zu schaffen. Der (nichtischämische) High-flow-Priapismus ist per se keine Notfallsituation und verlangt nach einer zunächst ausschließlich konservativen Therapie ohne Einsatz von alpha-adrenergen Substanzen. Nur im Einzelfall sind weitergehende Maßnahmen notwendig wie z. B. die supraselektive Angiographie und Embolisierung des peripheren Gefäßbettes. Unabhängig von der Soforttherapie sollte ggf. zusätzlich die weitere Abklärung einer möglicherweise zugrunde liegenden Grunderkrankung erfolgen, die zum Priapismus geführt hat.
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25 Medikamentöse Therapie der Induratio penis plastica E. W. Hauck, W. Weidner
25.1
Induratio penis plastica
25.2
Probleme der medikamentösen Therapie
25.3
Orale Therapie
25.3.1 25.3.2 25.3.3 25.3.4 25.3.5 25.3.6 25.3.7
Kalium-Paraaminobenzoat (Potaba®) Vitamin E – 362 Propoleum – 362 Tamoxifen – 362 Colchicin – 362 Acetyl-L-Carnitin – 363 Propionyl-L-Carnitin – 363
– 361
25.4
Intraläsionale Therapie
25.4.1 25.4.2 25.4.3 25.4.4 25.4.5
Verapamil – 363 Interferon-α – 364 Kollagenase – 364 Cortison – 364 Superoxiddismutase
25.5
Transdermale Therapie
25.6
Schlussfolgerung
Literatur
– 365
– 360
– 363
– 364
– 364
– 364
– 361
– 360
III
360
Kapitel 25 · Medikamentöse Therapie der Induratio penis plastica
25.1
Induratio penis plastica
Die Induratio penis plastica (IPP) – im Englischen »Peyronie’s disease« – ist durch einen derben Plaque gekennzeichnet, der die Tunica albuginea und z. T. auch das angrenzende Gewebe der darunter liegenden Corpora cavernosa betrifft [1–3]. Dieser Plaque führt aufgrund eines narbigen Schrumpfungsprozesses mit konsekutiver Penisverkürzung zu einer meistens nach dorsal gerichteten Deviation des Penis. In der akuten, entzündlichen Phase treten penile Schmerzen vor allem bei der Erektion auf. Bei ca. 30–50% der Patienten kommt es zu einer begleitenden erektilen Dysfunktion. Diese Beschwerden schränken unter Umständen die Kohabitationsfähigkeit erheblich ein und können das Selbstwertgefühl des betroffenen Mannes deutlich mindern [1–3]. Von der IPP sollen zwischen 0,4% und 3% der männlichen Bevölkerung mit einem Erkrankungsgipfel zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr betroffen sein [1, 3]. Einerseits sind klinische Verläufe zwischen einer vollständigen Remission bei kurzer Anamnese und nicht kalzifizierten Plaques möglich [4]. Andererseits kann es zu einer Progression mit starken penilen Deformationen wie sanduhrförmigen Einschnürungen, Deviationen bis über 90° und vollständiger erektiler Dysfunktion kommen [4]. Die penilen Schmerzen bilden sich bei den meisten Patienten innerhalb von 12–18 Monaten nach Auftreten der ersten Symptome zurück und werden mit dem akuten, entzündlich-progressiven Stadium assoziiert [3]. Wenn die IPP über ein Jahr besteht und der Patient über einen Zeitraum von sechs Monaten schmerz- und progressionsfrei ist, wird die Erkrankung als stabil angesehen [1–3]. Die genaue Ätiopathogenese der IPP ist bis heute ungeklärt. Neben traumatischen werden genetische, immunologische, infektiöse und auch toxische Ursachen in Betracht gezogen. Wahrscheinlich entsteht der IPP-typische Plaque unter bestimmten (unklaren) Voraussetzungen durch wiederholte koitale Mikrotraumen mit Überdehnung der Tunica albuginea, die zu einer überschießenden Wundheilungsreaktion mit anschließender Narbenbildung führen [1–3]. Eine kausale Therapie der IPP steht nicht zur Verfügung, da die genaue Ätiopathogenese bislang
unbekannt ist. Es besteht darüber Konsens, dass im frühen aktiven, entzündlichen Stadium eine konservative Behandlung gewählt werden sollte. Eine chirurgische Therapie sollte nur in der stabilen, progressionsfreien Phase erfolgen [1–3]. Medikamentöse und andere konservative Maßnahmen sind häufig wenig erfolgreich [1–3, 5, 6]. Verschiedene chirurgische Interventionen sollen den Penis begradigen, können aber postoperativ zu Komplikationen wie einer weiteren Penisverkürzung oder zu einer erektilen Dysfunktion führen. Daher stellt die Therapie der IPP in vielen Fällen für den behandelnden Urologen ein Dilemma dar.
25.2
Probleme der medikamentösen Therapie
Eine optimaler therapeutischer Ansatz sollte den Plaque beseitigen, der die Ursache der Symptome Schmerz, Deviation und Beschwerden bei der Kohabitation darstellt. Hypothetisch sollte durch eine Wiederherstellung der normalen anatomischen Verhältnisse die Krankheit und ihre Symptome geheilt werden. Leider steht für die IPP bis heute weder eine konservative noch eine operative Therapie zur Verfügung, die diesen Anspruch vollständig erfüllt. Ein wesentlicher Aspekt bei der Beurteilung der bisher publizierten medikamentösen und anderen konservativen Therapieverfahren stellt der natürliche Verlauf der IPP dar. Dieser ist uneinheitlich und nicht prognostizierbar. Bei kurzem Bestehen der Symptome, jüngeren Patienten und kleinen, eher weichen Plaques soll die Rate spontaner Remissionen höher als bei einer vorhandenen Kalzifizierung des Plaques sein [3, 4]. Eine Arbeit konnte eine Spontanheilung bei 40% aller nichtverkalkten und bei 13% der Gesamtheit der Fälle zeigen [4]. Die Beurteilung möglicher Effekte einer konservativen Therapie sollte daher den natürlichen Krankheitsverlauf berücksichtigen. Daher sollte jede konservative Therapie nach den Kriterien einer prospektiven, randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Studie überprüft werden. Leider erfüllen nur wenige Studien diese Kriterien [1, 3, 5, 6]. Positive Effekte nichtkon-
361
25.3 · Orale Therapie
trollierter Studien sind in Anbetracht des natürlichen Verlaufs äußerst kritisch zu bewerten und können alleine den natürlichen Krankheitsverlauf mit seiner hohen Rate spontaner Heilungen in der Frühphase der IPP widerspiegeln. Daher wird in der folgenden Darstellung immer wieder darauf Wert gelegt, unter welcher Art von Studienprotokoll die Daten der einzelnen Substanzen erhoben wurden. In der Vergangenheit wurde eine breite Palette von Substanzen zur Therapie der IPP mit unterschiedlichen Applikationsarten verwendet, aber viele Präparate auch wieder verlassen. Der folgende Überblick beschränkt sich im Wesentlichen auf die Darstellung der Ergebnisse, der in den letzten 15 Jahren erschienenen Publikationen zur medikamentösen Therapie der IPP. Dabei wird die auf die orale und intraläsionale Therapie sowie die Anwendung von Salben eingegangen.
25.3
25
Orale Therapie
Zur oralen medikamentösen Therapie liegen Studien für sechs Substanzen vor (⊡ Tabelle 25.1). Bei nur zwei Präparaten konnte ein Effekt in randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien nachgewiesen werden. Eine vollständige Heilung in allen Fällen ist jedoch mit keinem Präparat möglich. In der Tabelle sind der Studientyp und das Ergebnis dargestellt.
25.3.1 Kalium-Paraaminobenzoat (Potaba®)
Der genaue Wirkmechanismus von Kalium-Paraaminobenzoat (Potaba) ist nicht bekannt. Die antifibrotische Wirkung soll auf einer Steigerung der Sauerstoffaufnahme des Gewebes und erhöhter Aktivität der Monoaminooxidase beruhen, die zu einer verminderten Konzentration des fibroseför-
⊡ Tabelle 25.1. Orale Therapie der IPP. (Mod. nach [1, 5, 6])
Orale medikamentöse Therapie Substanz
Studienart
Effekt
Kalium-Paraaminobenzoat (Potaba®)
Placebokontrollierte Doppelblindstudie [7]
Ja (auf Plaquegröße und Progression der Deviation)
Vitamin E
Placebokontrollierte Doppelblindstudie [8]
Nein
Propoleum
Placebokontrollierte Doppelblindstudie [9]
Ja (auf Schmerz und Deviation)
Tamoxifen
Placebokontrollierte Doppelblindstudie [10]
Nein
Colchicin
Unkontrollierte Studien [11, 12]
Nein (da die Daten der Colchicinstudien nur so gut wie die der Placebogruppe aus der Tamoxifenstudie sind [10])
Acetyl-L-Carnitin
Tamoxifenkontrollierte Doppelblindstudie [13]
Ja (auf Schmerzen, Deviation und Progression)
Propionyl-L-Carnitin
Oral Propionyl-L-Carnitin + intraläsional Verapamil vs. Oral Tamoxifen + intraläsional Verapamil [14]
Ja (auf Deviation, Plaquegröße und Progression)
362
III
Kapitel 25 · Medikamentöse Therapie der Induratio penis plastica
dernden Serotonins führen soll. Neben verschiedenen retrospektiven Studien gibt es eine große prospektive, doppelblinde, randomisierte Studie mit einem Applikations- und Beobachtungszeitraum von 12 Monaten [7]. Diese Studie an 103 nicht vorbehandelten Patienten mit unverkalkten Plaques zeigte eine signifikante Größenabnahme der Plaques mit einem Maximum des Effektes nach 6 Monaten sowie eine signifikante Hemmung der Progression der Deviation durch Kalium-Paraaminobenzoat [7]. Bezüglich Schmerzen und Rückgang der Deviation stellte sich kein signifikanter Unterschied zwischen Verum und Placebo dar [7]. Diese Daten zeigen bei langfristiger Anwendung zumindest einen progressionsprotektiven Effekt der Substanz. Als Indikation gilt der schmerzhafte, nicht verkalkte Plaque. Die Standarddosierung liegt bei 4×3 g/Tag (= 4×1 Beutel bzw. 4×6 Tbl.). Die Therapie mit Kalium-Paraaminobenzoat wird häufig wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen abgebrochen. Möglicherweise liegt dies an dem Geschmack des gelösten Pulvers, denn in der placebokontrollierten Studie war die Abbruchrate unter Verum und Placebo identisch [7].
25.3.2 Vitamin E
Vitamin E soll durch seine antioxidative Wirkung und Inaktivierung von Radikalen antientzündlich wirken. Es wird häufig verwendet und ist kostengünstig. Daher erfreut sich Vitamin E breiter Beliebtheit. Allerdings gibt es keine Studie, die einen positiven Effekt von Vitamin E bei der Behandlung der IPP belegt. Die einzige placebokontrollierte Studie konnte keinen Effekt von Vitamin E nachweisen [8]. Ein Vergleich des natürlichen Verlaufs gegenüber der Anwendung von Vitamin E zeigte ebenfalls keinen Unterschied [4]. Die Anwendung von Vitamin E zur Therapie der IPP entspricht daher einer Placebobehandlung. Kasuistische Besserungen der Symptomatik oder Heilungen sind als mögliche Varianten des natürlichen Krankheitsverlaufs anzusehen.
25.3.3 Propoleum
Propoleum ist eine in Kuba patentierte Substanz, deren genaue chemische Zusammensetzung und deren Wirkmechanismus unklar bleiben. Eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie zeigte eine signifikante Besserung der Symptome Schmerz und Deviation während kurzfristiger Anwendung [9]. Eine weitere Überprüfung dieses Präparates wurde bislang nicht publiziert.
25.3.4 Tamoxifen
»Transforming Growth Factor-β« (TGF-β) scheint eine entscheidende Rolle in der Ätiopathogenese der IPP zu spielen. Einerseits lässt sich in den Plaques eine erhöhte TGF-β-Expression nachweisen. Andererseits kann im Tierversuch durch intratunicale Injektion von Zytomodulin, einer Substanz mit TGF-β-analoger Aktivität, ein IPP-ähnlicher Plaque erzeugt werden. Das Antiöstrogen Tamoxifen soll die Produktion von TGF-β hemmen. Zwei unkontrollierte Untersuchungen konnten eine deutliche Besserung der Symptomatik beobachten. Die Ergebnisse liegen allerdings wieder im Bereich des natürlichen Krankheitsverlaufs. Dagegen konnte eine randomisierte Doppelblindstudie keinen signifikanten Effekt nachweisen [10].
25.3.5 Colchicin
Colchicin soll die Kollagenproduktion hemmen, die Kollagenaseaktivität steigern und antimitogen wirken. Außerdem soll durch eine verminderte Lipoxygenaseaktivität die Entzündungsreaktion reduziert werden. Zwei unkontrollierte Studien beschreiben positive Effekte bzgl. der Rückbildung des Plaques, der Schmerzen und der Deviation [11, 12]. Die Ergebnisse liegen aber auch hier im Bereich des natürlichen Krankheitsverlaufs, da Colchicin in diesen Studien ähnlich effektiv ist wie die Gabe von Placebo in der Tamoxifenstudie [10].
363
25.4 · Intraläsionale Therapie
25
⊡ Tabelle 25.2. Intraläsionale medikamentöseTherapie der IPP. (Mod. nach [1, 5, 6])
Intraläsionale medikamentöse Therapie Substanz
Studienart
Effekt
Verapamil
Placebokontrollierte Doppelblindstudien [16, 17]
Nein
Interferon-α
Placebokontrollierte Einzelblindstudie [19]
Ja (nur einzelblinde Studie)
Kollagenase
Placebokontrollierte Doppelblindstudie [20]
Ja (nur bei leichten Symptomen)
Betametason
Placebokontrollierte Einzelblindstudie [21]
Nein (nur einzelblinde Studie)
25.3.6 Acetyl-L-Carnitin
25.4
Die mögliche Wirkung von Acetyl-L-Carnitin soll auf einer Steigerung des Krebszyklus und des Metabolismus der Fettsäuren und der freien Radikale beruhen. Bislang wurde eine Studie bei IPP im Vergleich zu Tamoxifen durchgeführt [13], das sich bereits in einer placebokontrollierten Studie als wirkungslos erwies [10]. Dabei konnte im Vergleich zum placebogleichen Tamoxifen ein signifikanter Effekt auf den Rückgang von Schmerzen, die Deviation und eine Hemmung der Progression der Erkrankung nachgewiesen werden.
Bei der intraläsionalen Therapie wird der Plaque direkt oder die Umgebung mit dem entsprechenden Medikament infiltriert. Dadurch soll eine hohe lokale Konzentration unter Vermeidung systemischer Effekte erzielt werden. Zur intraläsionalen medikamentösen Therapie wurden in der jüngeren Vergangenheit fünf Substanzen eingesetzt (⊡ Tabelle 25.2). Nach den strengen Kriterien einer randomisierten, doppelblinden Studie konnte nur bei Patienten mit einem leichteren Krankheitsverlauf ein signifikanter Effekt bei der Anwendung von Kollagenase beobachtet werden. Interferon-α und Verapamil zeigten ebenfalls einen Effekt bei Patienten mit einem kürzeren Krankheitsverlauf in einzelblinden Studien, der für Verapamil einer Überprüfung in doppelblinden Studien nicht Stand hielt.
25.3.7 Propionyl-L-Carnitin
Propionyl-L-Carnitin soll eine noch stärkere Wirkung als Acetyl-L-Carnitin haben. Es liegt aber nur eine Studie vor, die die Effektivität von PropionylL-Carnitin in Kombination mit der intraläsionalen Anwendung von Verapamil vs. Tamoxifen in Kombination mit Verapamil vergleicht [14]. Derartige Kombinationen sind bei der Beurteilung der Effektivität einer Substanz als kritisch anzusehen. Die Kombination von Propionyl-L-Carnitin mit Verapamil soll auf die Symptome Deviation und Plaquegröße eine erheblich größere Wirkung aufweisen als die Kombination von Tamoxifen mit Verapamil [14].
Intraläsionale Therapie
25.4.1 Verapamil
Verapamil soll über eine Hemmung des kalziumabhängigen Sekretion von Makromolekülen der Fibroblasten einen Abfall der Kollagenproduktion und einem Anstieg der Kollagenaseaktivität bewirken und die Synthese und Sekretion von Fibronectin hemmen [15]. In zahlreichen Berichten konnten in unkontrollierten Studien gute Effekte auf Schmerzen, die Deviation und die Plaquegröße nachgewiesen werden [15]. Im Gegensatz dazu zeigten zwei placebokontrollierte, doppelblinde
364
III
Kapitel 25 · Medikamentöse Therapie der Induratio penis plastica
Studien, die bislang leider nur als Abstracts publiziert wurden, keinen signifikanten Effekt von Verapamil [16, 17]. Die fehlende Wirksamkeit von Verapamil konnte auch durch vergleichende Berechnungen mit dem natürlichen Krankheitsverlauf unter Einbeziehung verschiedener Studien belegt werden [18].
25.4.5 Superoxiddismutase
In den 90er-Jahren wurde häufig Superoxiddismutase Peroxinorm eingesetzt. Das Präparat wird aufgrund starker allergischer Reaktionen nicht mehr verwendet.
25.5
Transdermale Therapie
25.4.2 Interferon-α
Interferon-α soll dosisabhängig die Proliferation der Fibroblastenproliferation und die Kollagenproduktion hemmen. Außerdem soll es die Kollagenase aktivieren. Vier prospektive, unkontrollierte und eine einzelblinde Studie [19] mit jeweils einem relativ kurzen Beobachtungszeitraum konnten einen deutlichen Rückgang aller Symptome nachweisen. Aufgrund dieser positiven Tendenz sollte unbedingt eine placebokontrollierte Doppelblindstudie durchgeführt werden, um möglicherweise einen ähnlichen Sachverhalt unter kontrollierten Bedingungen wie bei Verapamil auszuschließen.
25.4.3 Kollagenase
Kollagenverbindungen werden durch Kollagenase aufgelöst. Daher konnte Kollagenase auch lokal bei IPP mit einer hohen Kollagenexpression eingesetzt werden. Eine placebokontrollierte Doppelblindstudie konnte einen signifikanten Effekt nur bei Patienten mit geringer Deviation und Plaquegröße nachweisen, während bei ausgeprägten Befunden keine deutliche Wirkung zu beobachten war [20].
Bei der transdermalen Anwendung von Medikamenten stellt sich stets die Frage, ob eine Substanz ihren Wirkungsort überhaupt erreicht. Für Verapamilgel konnte nachgewiesen werden, dass es zu keiner Infiltration der Tunica albuginea kommt und eine derartige Anwendung daher keine wissenschaftliche Grundlage hat [23]. Rekombinante Superoxiddismutase wurde als Gel in einer unkontrollierten Studie angewendet [22]. Dabei zeigte sich ein guter, auch kurzfristiger Effekt auf die Schmerzen sowie ein positiver Effekt auf die Plaquegröße. Signifikante Änderungen der Deviation traten nicht auf. Eine Sonderform der transdermalen Medikamentenanwendung stellt die Iontophorese dar. Diese verbessert unter lokaler Applikation eines elektromagnetischen Spannungsfeldes durch elektrokinetischen Transport die transdermale Gewebepenetration geladener Moleküle. Daher können lokal hohe Wirkstoffkonzentrationen auftreten. Neben mehreren unkontrollierte Studien, die verschiedene Substanzen verwendeten, konnte die einzige randomisierte Doppelblindstudie unter Verwendung von Superoxiddismutase (nicht mehr auf dem Markt), Dexamethason und Lidocain signifikant bessere Ergebnisse erzielen als unter Placebogabe [24].
25.4.4 Cortison
Steroide sollen die Kollagensynthese durch Hemmung der Fibroblasten reduzieren und antientzündlich wirken. Es existieren verschiedene, ältere, unkontrollierte Studien. Die einzige randomisierte, einzelblinde Studie konnte bei der Anwendung von Betamethason keinen Effekt im Vergleich zu Placebo nachweisen [21].
25.6
Schlussfolgerung
Zusammenfassend gibt es bis heute keine medikamentöse Therapie, die zu einer Heilung aller Symptome der IPP bei allen betroffenen Patienten führt. Positive Ergebnisse nichtkontrollierter Untersuchungen sind äußerst kritisch zu werten und bedürfen einer Überprüfung nach den Kriterien der »evidence-based medicine«.
Literatur
Im Einzelfall muss stets abgewogen werden, ob eine medikamentöse Therapie überhaupt erfolgen sollte. Dieses richtet sich sicher ganz entscheidend auch nach dem Leidensdruck des betroffenen Mannes. Der Patient sollte auf jeden Fall über die nur eingeschränkten Erfolgsaussichten einer konservativen medikamentösen Therapie aufgeklärt werden. Bei milder Symptomatik reicht unter Umständen ein aufklärendes Gespräch aus. Bei gleichzeitig vorhandener erektiler Dysfunktion ist unter Umständen die Gabe eines erektionsfördernden Präparates wie ein Phosphordiesterease-5-Inhibitor erforderlich. Fazit Es gibt bis heute keine medikamentöse Therapie, die zu einer Heilung aller Symptome der IPP bei allen betroffenen Patienten führt. Kalium-Paraaminobenzoat (Potaba) ist die einzige Substanz, die bei langfristiger Anwendung unter placebokontrollierten, doppelblinden Bedingungen einen Effekt auf die Verringerung der Plaquegröße und eine Hemmung der Progression der Deviation zeigen konnte. Trotz der häufigen Anwendung gibt es keinen Hinweis, dass der Einsatz von Vitamin E zur Behandlung der IPP sinnvoll ist. Die Anwendung aller anderen Substanzen, sowohl zur oralen als auch intraläsionalen Therapie der IPP, ist als Heilversuch anzusehen. Daten zur Wirksamkeit in placebokontrollierten Doppelblindstudien fehlen.
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366
III
Kapitel 25 · Medikamentöse Therapie der Induratio penis plastica
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26 Therapie von Ejakulationsstörungen O. Heuer, S. Machtens
26.1
Einleitung
26.2
Klassifikation der Ejakulationsstörungen
26.2.1
Ejaculatio praecox – 368 Therapie der Ejaculatio praecox – 369 Ejaculatio retarda – 375 Ejaculatio deficiens (auch Anejakulation, Anemission) Ejaculatio retrograda – 376
26.2.2 26.2.3 26.2.4
Literatur
– 377
– 368 – 368
– 375
III
368
Kapitel 26 · Therapie von Ejakulationsstörungen
26.1
Einleitung
Eine physiologische männliche Sexualfunktion bedarf der zeitlichen Koordinierung von Erektion, Orgasmus und Ejakulation. Obwohl Ejakulationsstörungen in der andrologischen Sprechstunde zumeist eine untergeordnete Rolle spielen und nur etwa 7% aller Männer mit Fertilitätsproblemen unter einer ejakulatorischen Dysfunktion leiden [36], scheinen zahlreiche epidemiologische Studien der jüngsten Vergangenheit zu belegen, dass die Ejakulatio praecox eine Prävalenz zwischen 4–75% in der männlichen Bevölkerung hat [31, 44, 47]. Diese Störungen können für die Betroffenen einen hohen Krankheitswert haben, besonders wenn eine Infertilität resultiert. Aus diesem Grunde sollen die zurzeit zur Verfügung stehenden therapeutischen Optionen für diese Funktionsstörung in diesem Kapitel dargestellt werden.
26.2
Klassifikation der Ejakulationsstörungen
Zur Klassifizierung einer ejakulatorischen Dysfunktion sollten einige obligatorische diagnostische Schritte durchgeführt werden. Eine eingehende Anamnese sollte Fragen nach dem Ejakulationsverhalten beim Koitus oder bei Masturbation, nach der Pollution und nach einem Orgasmus beinhalten. Anamnestischen Hinweisen auf das Vorliegen einer neurogenen Fehlfunktion sollte nachgegangen werden. Die Einnahme von Medikamenten mit bekannten Nebenwirkungen für die Ejakulation (z. B. Benzodiazepine, Antihypertonika, Antidepressiva) sollten erfragt werden. Ein Ejakulat sollte gewonnen werden, wobei eine entspannte Atmosphäre zum Zeitpunkt der Ejakulation sowie eine vorhergehende Abstinenz von mindestens 48 h die Wahrscheinlichkeit einer Fehlinterpretation des Ejakulatvolumens vermindert. Bei wiederholt diagnostizierter Reduktion des Ejakulatvolumens sollte eine retrograde Ejakulation ausgeschlossen werden. Der Patient wird nach der Ejakulation aufgefordert zu miktionieren und der gewonnene Urin nach Zentrifugation auf Spermien untersucht. Die serologische Bestimmung der Gonadotropine erlaubt eine Abschätzung
evtl. bestehender Spermatogeneseschädigungen. Eine körperliche Untersuchung ist obligat, um kongenitale oder erworbene Veränderungen (z. B. Hypospadien, Meatusstenosen) zu identifizieren, die einen ungestörten Ablauf des Ejakulationsvorganges behindern könnten. Eine neurologische Basisuntersuchung ist obligat. Ein transrektaler Ultraschall kann wichtige Informationen über das Vorhandensein und den Funktionszustand der Samenblasen liefern sowie pathologische Veränderungen der Prostata zeigen. Eine vermutete subvesikale Obstruktion kann durch den Einsatz der Uroflowmetrie, der Urethrographie oder der Urodynamik abgeklärt werden. In Einzelfällen kann eine Urethrocystoskopie Aufschlüsse über die Blasenhalsfunktion liefern. Nach Abschluss dieser Basisdiagnostik sollte eine Einteilung der Ejakulationsstörung möglich sein. Die Einteilung der ejakulatorischen Dysfunktion in 1. Ejaculatio praecox, 2. Ejaculatio retarda, 3. Ejaculatio deficiens (auch Anejakulation, Anemission) und 4. Ejaculatio retrograda erscheint bei den unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen sinnvoll. Im Folgenden sollen diese Ejakulationsstörungen definiert und die entsprechenden Behandlungsoptionen dargestellt werden.
26.2.1 Ejaculatio praecox
Die Ejaculatio praecox (Synonyma: premature Ejaculation, vorzeitiger Samenerguss) ist heute eine der am weitesten verbreiteten Sexualstörungen überhaupt. In der aktuellen Literatur wird die Prävalenz in der männlichen Bevölkerung mit 10–20%, in einigen Untersuchungen sogar mit bis zu 75% angegeben [31, 44, 47]. Die Definition dieser Fehlfunktion ist bis heute uneinheitlich. Der typische Patient beschreibt eine für ihn unbefriedigende Kontrolle über den Zeitpunkt seines Orgasmus, das heißt beim Geschlechtsverkehr kommt der Orgasmus unbefriedigend zu früh. Der Samenerguss ist jedoch nur eine Begleit-
26.2 · Klassifikation der Ejakulationsstörungen
erscheinung und nicht das eigentliche Problem. Andere Autoren ziehen den Grad der Befriedigung der Partnerin als qualitatives Kriterium heran [49], während wiederum andere eher quantitative Aspekte wie die Zahl der Beckenbewegungen nach dem Introitus vaginae [16, 24] oder die Minuten zwischen vaginaler Penetration und Ejakulation zum entscheidenden Faktor zählen [17, 70]. Die zurzeit wohl am weitesten besonders im englischsprachigen Raum verbreitete Definition ist im »Diagnostic and Statistical Manual IV (DSMIV)« zu finden. Hier wird die Ejaculatio praecox (E. P.) basierend auf dem Model von Masters und Johnson als Dysfunktion der Orgasmusphase definiert. Der Begriff beschreibt eine lebenslang bestehende oder neu auftretende Ejakulation nach nur minimaler sexueller Stimulation, während oder kurz nach der Penetration, bevor es der betroffene Mann wünscht und verbunden mit interpersoneller Konfliktsymptomatik. Die E. P. darf nicht durch einen direkten Effekt einer spezifischen Substanz wie dem Entzug eines Opiats bedingt sein. Weiterhin werden in diesem Manual diagnostische Kriterien zur Beurteilung des Schweregrads und der Genese der Störung vorgestellt wie: 1. Beginn und Dauer der Störung (lebenslang oder erworben), 2. situativer Kontext (immer oder partnerbezogen) und 3. Ätiologie (physisch oder psychisch) [2].
369
26
Obwohl organische Faktoren wohl nur selten monokausal für die Entstehung einer Ejakulationsstörung verantwortlich sind, sollten vor Beginn einer Therapie solche Ursachen möglichst erkannt werden, um, wenn möglich, eine Behandlung der primären Erkrankung einzuleiten. So wurden in der Literatur Verletzungen der sympathischen Innervation durch Operationen eines abdominellen Aortenaneurysmas oder Beckentraumen mit Ejakulationsstörungen in Verbindung gebracht [43, 51]. Pathologische Veränderungen der Prostata (benigne Prostatahyperplasie, Prostatitis) und der Harnröhre (Urethritis) können ejakulatorische Dysfunktionen bedingen [10, 68]. Ejakulationsstörungen wurden weiterhin im Zusammenhang mit dem Absetzen von Medikamenten wie Antipsychotika und Narkotika beobachtet [12, 39]. Alkoholismus, Diabetes mellitus, Arteriosklerose, kardiovaskuläre Erkrankungen, venöse Leckagen, Polyneuritis und Polycythämia vera werden als weitere kausale Ursachen diskutiert [28, 45]. Folglich sollten Fragen nach urogenitalen Symptomen, Anzeichen einer generalisierten oder lokalen neurologischen Erkrankung, stattgehabten Operationen des Abdomens oder des kleinen Beckens und nach dem Gebrauch von Medikamenten immer Teil einer Anamnese bei Patienten mit Ejakulationsstörungen sein.
Therapie der Ejaculatio praecox Traditionell wird die E. P. als psychologisches/psychiatrisches Krankheitsbild betrachtet. Die Ergebnisse von Tierversuchen und psychopharmakologischen Untersuchungen der jüngsten Vergangenheit lassen aber die Annahme zu, dass biologische Faktoren einen wichtigen Anteil an der Pathogenese dieser Dysfunktion haben. Diese Studien weisen auf die pathogenetische Beteiligung des zentralen Serotoninstoffwechsels und der Neuroanatomie des Hirnstamms hin. In-vitro-Untersuchungen lassen einen möglichen Einfluss von Stickoxid (NO) und Stickoxiddonatoren auf den Tonus glattmuskulärer Zellen der human Samenblase (vesicula seminalis) vermuten und bieten hier möglicherweise in naher Zukunft neue Therapieansätze in der Therapie der Ejaculatio praecox [38, 38a, 73, 75].
Die primäre Ejakulatio praecox entsteht überwiegend auf der Basis einer psychogenen Störung. Leistungsdruck und Angst sorgen zusätzlich dafür, dass das Phänomen in unserer schnelllebigen Zeit immer öfter und immer massiver auftritt. Da der Schweregrad der funktionellen Sexualstörung individuell sehr unterschiedlich ist, hat es sich bewährt ein gradiertes System therapeutischer Schritte anzuwenden. Zu diesem Zweck führte der Psychologe J. Annon gegen Ende der 70er-Jahre vorigen Jahrhunderts die PLISSIT-Methode ein, die ein Behandlungskonzept beschreibt, welches in den ersten drei von maximal vier vorgesehenen Therapiestufen durchaus auch durch niedergelassene Ärzte und Psychologen durchgeführt werden kann [3, 4].
370
III
Kapitel 26 · Therapie von Ejakulationsstörungen
Im Einzelnen seien die Behandlungsschritte kurz dargestellt: P »Permission« (Erlaubnis, Billigung). Viele Sexualstörungen lassen sich auf unbegründete Angst und Schuldgefühle zurückführen. Der Patient sucht ein Alibi, Dinge ausführen zu dürfen, die er zwar gerne tut, von denen er aber fürchtet, dass sie falsch oder abnormal sind. Eine mit fachlicher Autorität gegebene Erlaubnis oder Beruhigung kann daher viele Schwierigkeiten lösen. LI »Limited Information« (begrenzte Information). Oft liegen beim Patienten falsche sexuelle Vorstellungen und Erwartungen, Informationslücken und Lerndefizite vor. In diesen Fällen reicht häufig eine ausführliche Aufklärung des Patienten durch seinen behandelnden Arzt oder Psychologen. Meist genügen genaue anatomische und physiologische Auskünfte, z. B. Informationen über Nebenwirkungen von Medikamenten oder über die (Nicht-)Folgen bestimmter Unterleibsoperationen, um den Patienten wieder sexuell funktionsfähig zu machen. SS »Specific Suggestions« (spezifische Anregungen oder Vorschläge). Diese beinhalten praktische Hinweise oder Verhaltensanleitungen, die auf ein bestimmtes Problem zugeschnitten sind. Sie können vom Patienten bzw. dem Patientenpaar selbst durchgeführt werden. Sie bilden den Schwerpunkt der Behandlung der Ejakulatio praecox: – Entspannungsübungen, – körperbezogene Übungen, – Masturbationsübungen (u. a. Start-stopMethode nach Kaplan) und – Übungen zum Geschlechtsverkehr (z. B. Squeeze-Technik nach Masters und Johnson) IT »Intensive Therapy« (intensivierte Therapie, Psychoanalyse). Dieses setzt eine zeitaufwändige und anspruchsvolle therapeutische Intervention voraus, die nur von gut ausgebildeten Sexualtherapeuten zu leisten ist [35]. Die Durchführung der im Abschnitt »Specific Suggestions« angeführten Übungen führt in 60–95% der Fälle zum Therapieerfolg, bedarf aber der Kooperation des Partners. Bemerkenswert erscheint
auch die recht erhebliche Rezidivquote der Ejaculatio praecox im Langzeitverlauf [19, 37]. Obwohl eine psychosexuelle Therapie als entscheidender Grundpfeiler einer erfolgreichen Therapie insbesondere der primären Störung akzeptiert ist, lehnen zahlreiche betroffene Männer aus einer Vielzahl von Gründen diesen Ansatz ab. So fürchten einige Patienten das vermeintliche soziale Stigma, das sie mit der Betreuung durch einen Psychiater oder Psychotherapeuten verbinden. Andere dagegen sind nicht bereit, den zeitlichen Aufwand, den eine Therapie in mehreren Sitzungen erfordert, auf sich zu nehmen und verlangen nach schnelleren Lösungen. Dieser Umstand hat in den vergangenen Jahren zur intensiven Suche nach medikamentösen Alternativen geführt. Dabei rückte die Tatsache, dass die Einnahme zahlreicher Psychopharmaka mit dem Auftreten einer verzögerten Ejakulation assoziiert sind, in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. So wurden Monoaminooxidasehemmer (MAOHemmer) [7], Benzodiazepine [66], Clomipramin [1, 27, 29, 32, 67], Serotonin-reuptake-Inhibitoren (SSRIs) [72, 73] und weitere tricyclische und tetracyclische Antidepressiva im Rahmen von Fallberichten und kontrollierten Studien zur Therapie der Ejakulatio praecox eingesetzt. Neben der Verwendung von Antidepressiva existieren allerdings auch Berichte über den Einsatz von Neuroleptika, Alphablockern, Anxiolytica, glattmuskulären Relaxantien und Lithium mit der gleichen Indikationsstellung [62, 69]. Das relativ harmlose Nebenwirkungsspektrum und das fehlende Abhängigkeitspotenzial der Antidepressiva hat aber diese Substanzklasse zunehmend in den Mittelpunkt pharmakotherapeutischer Ansätze bei dieser Krankheit gerückt, obwohl es nur unzulängliche und teils divergierende Annahmen über den möglichen Wirkmechanismus gibt. Diskutiert werden zentral serotoninerge, peripher alpha-adrenerge und evtl. auch cholinerge Effekte, die für die Verlängerung des Zeitintervalls bis zur Ejakulation verantwortlich sein könnten. Zwischenzeitlich stehen die Ergebnisse zahlreicher offener und placebokontrollierter Studien zum Gebrauch von trizyklischen Antidepressiva bzw. SSRIs zur Verfügung (⊡ Tabelle 26.1). Obwohl
371
26.2 · Klassifikation der Ejakulationsstörungen
26
⊡ Tabelle 26.1. Studien zum Einsatz von Medikamenten unterschiedlicher Substanzklassen zur Therapie der Ejakulatio praecox
Autor
Studiendesign
Dosierung
Ergebnis
Eaton 1973 [20]
Offene Studie (n=13)
30–40 mg Clomipramin/ Tag bis 75 mg/Tag
12/13 mit positivem Ansprechen
Goodman 1980 [27]
Doppelblind, placebokontrolliert
Bis 40 mg Clomipramin/ Tag
Kein positiver Effekt nach vier Wochen
Goodman 1980 [27]
Dosiseskalationsstudie (n=16)
Bis 100 mg Clomipramin/ Tag
9/16 mit positivem Effekt
Girgis et al. 1982 [25]
Doppeblind, placebokontrolliert (n=39)
20 mg Clomipramin/Tag
25/39 mit positivem Effekt
Segraves 1987 [61]
Fallbericht (n=1)
1 mg Lorazepam 30 min vor GV
Ejakulationslatenz von 30 s auf 4–5 min verlängert
Segraves et al.1993 [62]
Doppelblind, placebokontrolliert (n=20)
25–50 mg Clomipramin/ Tag
Signifikante Verlängerung der Ejakulationslatenz (EL) (p<0.01)
Waldinger et al. 1994 [67]
Doppelblind, placebokontrolliert
20 mg Paroxetin/Tag: 1. Woche; 40 mg/Tag: 2.–6. Woche
EL von 30 s auf 7,5 min nach 3 Wochen und auf 10 min nach 6 Wochen verlängert. Vermehrte Anzahl von intravaginalen Stößen vor Ejakulation
Althof et al. 1995 [1]
Randomisiert, doppelblind, placebokontrolliert, »crossover«
25–50 mg Clomipramin/ Tag
Signifikante Verlängerung der EL zwischen Ausgangszustand und 25 bzw. 50 mg Clomipramin sowie zwischen Placebo und 25 bzw. 50 mg Clomipramin; 9/15 Partnerinnen mit verbesserter sexueller Zufriedenheit
Mendels et al. 1995 [53]
Randomisiert, doppelblind, placebokontrolliert, Dosiseskalationsstudie
50–200 mg Sertralin/Tag: 1.–3. Woche
EL in Verumgruppe signifikant verlängert. Weniger Ejakulationen beim Vorspiel. Verlängerte EL bei Masturbation
Graziottin et al. 1995 [28]
Dosisadaptationsstudie (n=25)
20 mg Fluoxetin/Tag in ersten 8 Wochen, dann 20 mg/an jedem 2. Tag für 4 Wochen und letztlich 20 mg/an jedem 3. Tag für 4 Wochen
23/25 Patienten mit kompletter Heilung (18) oder Besserung (5)
Cavallini G 1995 [12]
Doppelblind, »crossover«, placebokontrolliert
Alphuzosin, Terazosin gegen Placebo
50% Effektivität beider α-Blocker im Vergleich zu Placebo
Kara et al. 1996 [36]
Doppelblind, placebokontrolliert (n=7)
20 mg Fluoxetin/Tag für 1 Woche und 40 mg/Tag als Langzeittherapie
Signifikante Verlängerung der EL nach 4 Wochen in Verumgruppe (p<0,05)
372
Kapitel 26 · Therapie von Ejakulationsstörungen
⊡ Tabelle 26.1 (Fortsetzung)
III
Autor
Studiendesign
Dosierung
Ergebnis
Ludovico GM et al. 1996 [45]
Anwendungsbeobachtung (n=31)
20 mg Paroxetin/Tag für 2 Monate
31/31 Patienten zeigten eine verlängerte Ejakulationslatenz. Rezidiv bei 28/31 Patienten 2–3 Wochen nach Ende der Medikation
Haensel et al. 1996 [30]
Prospektiv, doppelblind, placebokontrolliert, »crossover«
25 mg Clomipramin 12–24 h vor GV
Signifikante Verlängerung der EL nur in der Gruppe der Patienten mit reiner EP ohne begleitende ED
Waldinger et al. 1997 [68]
Placebokontrolliert, doppelblind, randomisiert, Dosiseskalationsstudie
Gruppe A (n=17): 20 mg Paroxetin/Tag; Gruppe B (n=17): 40 mg/Tag
EL in beiden Gruppen signifikant verlängert (p<0,001) Kein Unterschied zwischen den Therapiearmen
Kim SC, Seo KK 1998 [38]
Placebokontrolliert, »crossover«, Anwendungsbeobachtung
40 mg Fluoxetin/Tag; 100 mg Sertralin/Tag; 50 mg Clomipramin/Tag
Signifikante Verlängerung der EL mit Clomipramin und Sertralin bei 36 Patienten (p<0,01); signifikante Steigerung der sexuellen Zufriedenheit beim Patienten nur mit Clomipramin (p<0,01); keine signifikant verbesserte sexuelle Zufriedenheit beim Partner mit allen Medikamenten
Haensel et al. 1998 [31]
Prospektiv, randomisiert, doppelblind, placebokontrolliert
5 mg/Tag Fluoxetin für 2 Wochen und 10 mg/Tag für 2 Wochen
Signifikante Verlängerung der EL nur bei Patienten mit Kombination aus ED und EP (p<0,03) (n=9)
Balbay et al. 1998 [5]
Anwendungsbeobachtung (n=16)
50 mg/Tag Sertralin für mind. 2 Wochen
14/16 Patienten zeigten klinische Verbesserung
Biri et al. 1998 [7]
Doppelblind, placebokontrolliert
50 mg/Tag Sertralin
Signifikante Verlängerung der EL nach 4 Wochen bei 22 Patienten (p<0,01)
McMahon CG 1998 [49]
Anwendungsbeobachtung als Dosiseskalationsstudie (n=46)
25 mg Sertralin/Tag für 3 Wochen, 50 mg/Tag für drei Wochen, 100 mg/Tag für drei Wochen
EL unter 25 mg auf durchschnittlich 7,6 min, unter 50 mg auf durchschnittlich 13,1 min und mit 100 mg auf 16,4 min verlängert
McMahon CG 1998 [50]
Randomisiert, placebokontrolliert, einzelblind, crossover mit Verumentzug bei positivem Ansprechen (n=37)
50 mg Sertralin/Tag
29/37 Patienten zeigten nach vierwöchiger Verumgabe eine signifikante Verlängerung der Ejakulationslatenz (p<0,001). 20/29 erfolgreich ansprechenden Patienten waren in der Lage das Medikament nach durchschnittlich 7,4 Monaten bei Fortbestehen des Therapieerfolges abzusetzen
Yilmaz U et al. 1999 [72]
Randomisiert, placebokontrolliert, doppelblind
20 mg Fluoxetin/Tag für 4 Wochen
Signifikante Verlängerung der EL und Anhebung der penilen Sensibilitätsschwelle p<0,05)
Strassberg et al. 1999 [66]
Randomisiert, doppelblind, placebokontrolliert, »crossover« (n=23)
25 mg Clomipramin 4–6 h vor Geschlechtsverkehr oder Placebo
Signifikante Verlängerung der EL in der Verumgruppe. Schlechte Ergebnisse bei Subkollektiv mit besonders kurzer EL vor Therapiebeginn
373
26.2 · Klassifikation der Ejakulationsstörungen
26
⊡ Tabelle 26.1 (Fortsetzung)
Autor
Studiendesign
Dosierung
Ergebnis
McMahon CG et al. 1999 [51]
Anwendungsbeobachtung mit unterschiedlicher Applikationsfrequenz
Gruppe A (n=61): 20 mg Paroxetin täglich, später 53/61 Patienten mit 20 mg 3–4 h vor Geschlechtsverkehr; Gruppe B (n=33): 20 mg Paroxetin 3–4 h vor GV
Signifikante Verlängerung der EL auf 4,5 min bei 53/61 Patienten in Gruppe A nach täglicher Gabe. 36/53 Patienten zeigten eine anhaltend verbesserte EL (5,5 min) nach Umstellung auf Bedarfsapplikation. Bei Patienten der Gruppe B verlängerte sich die EL auf 1,5 min
McMahon CG et al. 1999 [52]
Randomisiert, einzelblind, placebokontrolliert, crossover
Gruppe A (n=26) 20 mg Paroxetin 3–4 h vor GV; Gruppe B (n=26) Plazebo 3–4 h vor GV; Gruppe C (n=42) 10 mg Paroxetin/ Tag für 3 Wochen, dann 20 mg bei Bedarf für 4 Wochen; Gruppe D (n=42) Placebo täglich für 3 Wochen und dann Placebo bei Bedarf für 4 Wochen.
Verlängerung der EL in der Gruppe mit Kombination aus täglicher Gabe von Paroxetin und anschließender Bedarfsmedikation am signifikantesten (p<0.001)
Kim SW et al. 1999 [39]
Anwendungsbeobachtung mit unterschiedlicher Applikationsform (n=24)
50 mg Seratralin/Tag für 2 Wochen, danach 50– 100 mg 4–8 h vor GV
18/24 Patienten zeigten eine signifikant verlängerte EL nach zwei Wochen mit 50 mg/Tag. Signifikant verlängerte EL und verbesserte Patienten- und Partnerzufriedenheit auch nach zwei und vier Wochen Bedarfsmedikation
Rowland DL et al. 2001
Anwendungsbeobachtung mit unterschiedlicher Applikationsform (n=4), wenn 25 mg Clomipramin vor dem GV nicht ausreichten
Clomipramin in steigender Dosierung von 0–30 mg/ Tag für 12 Wochen, danach 20–30 mg/Tag
4/4 Patienten, die zuvor unter einer Bedarfsmedikation von 25 mg vor dem GV weiterhin über eine E. P. klagten, zeigten eine deutlich verlängerte EL unter einer tgl. Gabe von 20– 30 mg
Atmaca M et al. 2002
Randomisiert, placebokontrolliert (n=26) E. P. nach dem DSM-III-R diagnostiziert
Gruppe I (n=13) Citalopram 20–60 mg für 60 mg für 14 Tage; Gruppe II (n=13) Placebo
5 Patienten (38, 5%) von Gruppe I berichteten über sehr gute Ansprechraten unter Citalopram, 4 (30, 8%) über gute. Lediglich 1 Patient der Gruppe II berichtete über gute Ansprechraten. Die Unterschiede waren signifikant (p<0. 001).
Pasqualino M et al. 2003
Randomisiert, einzelblind, unterschiedliche Applikationsform (n=80)
Gruppe I (n=40) Fluoxitin 20 mg/Tag für 12 Wochen; Gruppe II (n=40) Fluoxitin 90 mg 1×/Woche für 12 Wochen
Unter der Therapie mit Fluoxitin verlängerte sich die EL von 0,48 min auf 3,37 min (Gruppe I) bzw. auf 3,57 min (Gruppe II) (p<0.01). Die unterschiedliche Dosierung zeigte bezogen auf die EL keine Signifikanz (p>0.01). Die Compliance spricht für einmalige wöchentliche Gabe von 90 mg
374
III
Kapitel 26 · Therapie von Ejakulationsstörungen
die Zielparameter der Untersuchungen verschieden waren, zeigten doch fast alle eine Verlängerung der Ejakulationslatenz oder eine Zunahme der sexuellen Zufriedenheit bei den Patienten und deren Partnern. Die Ergebnisse der zahlreichen Studien lassen sich zu folgenden Dosierungsempfehlungen für verschiedene Psychopharmaka zur Behandlung der Ejaculatio praecox zusammenfassen: Clomipramin wurde in einem Dosisbereich zwischen 20–50 mg/Tag erfolgreich eingesetzt, wobei eine Steigerung der Medikation eher zu einer Zunahme der Nebenwirkungen führte. Obwohl Sertralin in Dosierungen bis 200 mg/ Tag zur Anwendung kam, konnten signifikante Verlängerungen der Ejakulationslatenz schon ab 50 mg/Tag registriert werden. Paroxetin erwies sich in Gaben zwischen 20– 40 mg/Tag als therapeutisch wirksam und konnte nach beginnender Aufsättigungsphase auch bedarfsweise appliziert werden. Die Therapie mit Fluoxetin wurde mit Dosen zwischen 20–40 mg/Tag sowie 90 mg 1×/Woche untersucht. Während einige Studien signifikante Therapieerfolge für Fluoxetin zeigten, konnte eine Vergleichsuntersuchung mit Clomipramin und Sertralin dieses nicht bestätigen. Die gelegentlichen persistierenden Therapieerfolge auch nach Unterbrechung der Medikation lassen intermittierende Auslassversuche indiziert erscheinen. Die lokale Anwendung oberflächenanästhesierender Substanzen (Prilocain-Lidocain, Ethylaminobenzoat) im Bereich der Glans penis wurde mit divergierenden Erfolgsraten erprobt, können aber im Einzelfall eine effektive Therapieergänzung darstellen [18, 50]. Die intracavernöse Applikation vasoaktiver Substanzen, der Einsatz der Beckenbodengymnastik und die Neurotomie des dorsalen Penisnervenbündels müssen als experimentelle Therapieansätze gewertet werden [25, 46, 64].
Fazit Etwa 10% aller Männer bzw. Paare leiden unter Ejaculatio praecox. Nach der erektilen Dysfunktion handelt es sich um die zweithäufigste Störung männlicher Sexualität. Unter vorzeitigem Samenerguss versteht man ein anhaltendes oder wiederkehrendes Einsetzen des Orgasmus vor, bei oder kurz nach der Penetration des Penis und bevor die Person es wünscht. Davon zu trennen ist ein vorzeitiges ejakulieren, was in bestimmten Situationen, z. B. nach längerer sexueller Enthaltsamkeit, auftreten kann. Dies kann ein vorübergehendes Problem ohne ernste Bedeutung sein. Auf die Dauer kann ein vorzeitig einsetzender Orgasmus für beide Partner unbefriedigend sein und zu Problemen in der Beziehung führen. Männer, die mehrfach einen frühzeitigen Orgasmus hatten oder meinen, unter frühzeitigem Samenerguss zu leiden, sollten sich professionelle Hilfe suchen. Die Störung lässt sich im Anfangsstadium eher behandeln als später, wenn sie sich manifestiert hat. Es gibt viele Möglichkeiten, professionelle Hilfe zu finden. Einerseits kann ein Urologe weiterhelfen, aber auch Beratungsstellen wie Pro Familia sind geeignete Anlaufsstellen. Im Allgemeinen stehen bei der Ejaculatio praecox psychogene Faktoren im Vordergrund. Dennoch sollte eine organische Abklärung erfolgen, da dem Patienten u. a. so der Gang zu einem Psychotherapeuten erleichtert werden kann. Neben einer konservativen Behandlung (Start-stop-Methode, Kondome und Applikation von Lokalanästhetika) werden in der aktuellen Literatur Therapieversuche mit tricyclischen Antidepressiva (Serotoninwiederaufnahmehemmer) beschrieben. Die unterschiedlichen Studien konnten eine Verlängerung für die Ejakulationslatenz (EL) zeigen. Die Ergebnisse waren signifikant. Der Einsatz dieser Medikamente zur Dauertherapie der Ejaculatio praecox muss jedoch kritisch diskutiert werden, da die einzelnen Studien lediglich einen Beobachtungszeitraum von maximal 3 Mona▼
375
26.2 · Klassifikation der Ejakulationsstörungen
ten umfassten. Nachuntersuchungen oder Langzeitstudien werden in der aktuellen Literatur nicht beschrieben. Aufgrund des hohen Nebenwirkungspotenzials (Mundtrockenheit, Glaukom, Sedierung, Übelkeit, Schlafstörungen, Libidoverlust, Amnesie etc.) sollte die Anwendung von Psychopharmaka in der Therapie der Ejaculatio praecox nur nach eingehender Aufklärung des Patienten und nach zusätzlicher Vorstellung bei einem Psychotherapeuten erfolgen. Sie sollte vielmehr als Begleittherapie eingesetzt werden. Entsprechende Auslassversuche müssen erfolgen.
26.2.2 Ejaculatio retarda
Der Begriff der »Ejaculatio retarda« summiert Ejakulationen, die erst nach unverhältnismäßig langandauernder sexueller Stimulation auftreten. Definitionsgemäß ist der Ejakulationsreflexbogen bei den Betroffenen aber intakt. Da diese Normvariante bei den meisten Betroffenen keinen Leidensdruck provoziert, wird sie auch meist nicht thematisiert und erlangt auch keine klinische Relevanz in der täglichen Praxis.
26.2.3 Ejaculatio deficiens
(auch Anejakulation, Anemission) Die Ejaculatio deficiens ist meistens durch traumatische oder postoperative Läsionen der adrenergen Innervation der paraurethralen akzessorischen Geschlechtsdrüsen bedingt. Die Inzidenz wird in den USA auf etwa 12.000 geschätzt [74]. Ätiologisch sind Querschnittsverletzungen, Zustände nach retroperitonealer Lymphknotendissektion, ausgedehnte Operationen im kleinen Becken, Diabetes mellitus, psychogene Störungen, multiple Sklerose und andere neurologische Erkrankungen zu nennen. Weiterhin unterscheidet man die sehr seltene primäre von der sekundär erworbenen Störung.
26
Im Falle einer primären Ejaculatio deficiens ist eine weitgehende endokrine, neurologische bzw. urologische Abklärung der Krankheit erforderlich. Differenzialdiagnostisch kann die Anejakulation durch die Untersuchung des postmasturbatorischen Urins von der Ejaculatio retrograda abgegrenzt werden. Die idiopathische oder psychogene Ejaculatio deficiens sollte primär sexualtherapeutisch therapiert werden, wobei nur geringe positive Ansprechraten berichtet werden [34]. Medikamentöse Therapieansätze eignen sich für Patienten ohne Querschnittsläsionen. Zum Einsatz kommen hierbei α-Sympathomimetika. Diese Substanzklasse eignet sich sowohl zur Behandlung von Patienten mit Anejakulation als auch solcher mit retrograder Ejakulation. Die empfohlenen Dosierungen sind tabellarisch aufgeführt (⊡ Tabelle 26.2). Ein Beginn der medikamentösen Therapie 1–4 Wochen vor einer gewünschten Ejakulation scheint der Applikation als Bedarfsmedikation in der Ansprechrate überlegen [26, 60]. Während einige Autoren Erfolgsraten bis zu 32% berichten, zeigen eigene Erfahrungen, dass viele Patienten die Therapie auf Grund von Nebenwirkungen abbrechen [20, 58]. Die chemische Ejakulation durch die subkutane Injektion von Physostigmin kommt bei teilweise
⊡ Tabelle 26.2. Empfohlene α-Sympathomimetika und deren Dosierung zur Therapie der Ejaculatio deficiens und retrograda
Substanz
Dosis
Midodrin (z. B. Gutron)
5–15 mg i. v. vor Spermiengewinnung
Imipramin (z. B. Tofranil, Pryleugan)
4×25 mg oral/Tag
Ephedrin (z. B. Perspiran)
4×25–50 mg oral/Tag
Pseudoephedrin (z. B. Actifed)
4×60 mg oral/Tag
Phenylpropanolamin (z. B. Contac)
2×75 mg oral/Tag
376
III
Kapitel 26 · Therapie von Ejakulationsstörungen
erheblichen Nebenwirkungen nur selten zum Einsatz [9]. Da medikamentöse Therapieverfahren nicht selten mit nicht zu tolerierenden Nebenwirkungen verbunden sind, sollten Hinweise aus der Literatur zum erfolgreichen Einsatz der intensiven Prostatamassage zur Gewinnung von Spermatozoen für eine assistierte Reproduktion nicht unerwähnt bleiben [23]. Elektrostimulationen erlangten in den vergangenen Jahren eine zunehmende therapeutische Bedeutung insbesondere in der Gruppe querschnittsgelähmter Patienten mit Vaterschaftswunsch. Die penile Vibratorstimulation (PVS) erwies sich bei korrekter Indikationsstellung als technisch einfache und sichere Methode zur Spermiengewinnung bei Patienten mit Querschnittsläsionen [11]. Durch die Gabe von 30 mg Nifedipin 30 min vor der Vibrationsstimulation kann besonders bei Patienten mit Rückenmarksläsionen oberhalb von Th6 der autonomen Dysreflexie vorgebeugt werden. Da jüngste Untersuchungen ein qualitativ höherwertiges Ejakulat bei peniler Vibratorstimulation als bei transrektaler Elektrostimulation nachwiesen, was wahrscheinlich auf eine stärkere sekretorische Reaktion der akzessorischen Geschlechtsdrüsen auf den vibratorischen Reiz zurückzuführen ist, sollte der PVS der primärtherapeutische Vorzug gegeben werden [76]. Die posttraumatische oder postoperative Ejaculatio deficiens erfordert jedoch häufig eine pulsatile Ejakulationsinduktion durch transrektale Elektrostimulation, die bei nicht kompletter Rückenmarksläsion in Allgemeinanästhesie erfolgen muss [21]. Obwohl diese Methode in 60–90% der Fälle zur erfolgreichen, wenn auch häufig retrograden Ejakulation führt, sind die erzielten Schwangerschaften bei meist schlechter Spermienqualität ohne den Einsatz moderner assistierter Reproduktionsverfahren gering [14]. Falls auch durch Elektrostimulation keine Spermien gewonnen werden können, bestehen noch die Möglichkeiten der mikrochirurgisch epididymalen Spermienaspiration (MESA),
der testikulären Spermienextraktion (TESE)
oder Spermienaspiration (TESA).
Die gewählte Methode der assistierten Reproduktion sollte sich an der Qualität der gewonnenen Spermien orientieren und entweder durch intrauterine Insemination (IUI), In-vitro-Fertilisierung (IVF) oder intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) erfolgen.
26.2.4 Ejaculatio retrograda
Ein unvollständiger Verschluss des Blasenhalses zum Zeitpunkt der Spermienemission führt zu einem retrograden Abstrom des Ejakulats in die Harnblase. Ätiologisch kommen folgende Ursachen in Frage: neurogene (Rückenmarksläsionen, multiple Sklerose), operative (Transurethrale Prostataresektion, Blasenhalsresektion), kongenitale (Harnröhrenstrikturen, Harnröhrenklappen), endokrinologische (Diabetes mellitus) oder idiopathische. Die medikamentösen Therapieoptionen erstrecken sich ähnlich wie bei der Ejaculatio deficiens meist auf α-Sympathomimetika (⊡ Tabelle 26.2). Auch bei dieser Form der Ejakulationsstörung sind die Ergebnisse und die Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie sehr unterschiedlich und ein initial gutes Ansprechen kann durch Tachyphylaxie wieder abklingen. Erfolgreiche Berichte existieren über die Gewinnung von Spermien aus postmasturbatorischem Urin in Kombination mit der ICSI [59]. Zur Optimierung der Ergebnisse dieser Methode sollte der Urin alkalisiert werden. Weiterhin kann dem Patienten nach initialer Miktion und vor der Masturbation ein Zellzuchtmedium (z. B. Ham’s F-10) in die Harnblase instilliert werden [65]. In seltenen Fällen kann auch eine chirurgische Rekonstruktion des Blasenhalsverschlussmechanismus zur Wiedererlangung einer antegraden Ejakulation führen [61].
Literatur
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Kapitel 26 · Therapie von Ejakulationsstörungen
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379
26
27 Substitutionstherapie mit Androgenen D. Schultheiss, N. Schlote, F.-M. Köhn
27.1
Physiologie der Androgene
27.2
Klassifikationen des Testosteronmangels und differenzialdiagnostische Überlegungen
27.3
– 382
Diagnostik des Androgenmangels
– 383
27.4
Indikationen für eine Androgensubstitution
27.4.1 27.4.2 27.4.3 27.4.4
Primärer, sekundärer und tertiärer Hypogonadismus »Aging Male« und Altershypogonadismus – 385 Erektile Dysfunktion – 385 Andere Indikationen – 386
27.5
Applikationsformen von Testosteron
27.5.1
Intramuskuläre Applikation – 387 Testosteronenanthat – 387 Orale Applikation – 388 Testosteronundecanoat – 388 Mesterolon – 388 Transdermale Applikation – 388 Pflastersysteme – 388 Gele – 389
27.5.2
27.5.3
27.6
Nebenwirkungen und Risiken
27.6.1 27.6.2 27.6.3
Kardiovaskuläres System, Hämatopoese Prostata – 390 Knochenwachstum – 390
27.7
DHEA und Östrogene
27.7.1 27.7.2
DHEA – 390 Östradiol – 391
Literatur
– 392
– 390
– 382
– 386
– 390 – 390
– 385 – 385
III
382
Kapitel 27 · Substitutionstherapie mit Androgenen
27.1
Physiologie der Androgene
Die Produktion des Testosterons wird durch einen Regelkreislauf zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Leydig-Zellen kontrolliert. GnRH (»gonadotropin releasing hormone«) wird pulsatil ca. alle 90–120 min aus dem Hypothalamus freigesetzt. Über das Pfortadersystem gelangt dieses Dekapeptid zum Hypophysenvorderlappen, wo es nach Bindung an spezifische Rezeptoren der Zielzellen die Produktion und Sekretion der Gonadotropine FSH (Follikel stimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hormon) stimuliert. Jedem GnRH-Puls folgt ein LH-Puls. LH gelangt über den Blutkreislauf zu den Leydig-Zellen des Hodens, bindet dort an einen spezifischen Rezeptor und stimuliert so die Produktion von Testosteron aus Cholesterin. Die Testosteronwerte im Serum weisen eine zirkadiane Rhythmik auf mit den höchsten Konzentrationen am Morgen und niedrigeren Werten am Abend. Diese tageszeitlichen Schwankungen sind bei älteren Männern abgeflacht. Dennoch sollte die Bestimmung des Testosterons generell am Morgen bzw. frühen Vormittag erfolgen, um die Messung falsch-niedriger Werte zu vermeiden. Mehr als 95% des im Körper zirkulierenden Testosterons werden im Hoden produziert (täglich 5–7 mg). In der Blutbahn liegen nur 2% des Testosterons in freier Form vor; 44% sind an das sexualhormonbindende Globulin (SHBG) und 54% an Albumin gebunden. Im peripheren Gewebe wird Testosteron durch die 5α-Reduktase zu dem biologisch aktiven 5α-Dihydrotestosteron (DHT) reduziert bzw. zu Östradiol aromatisiert. Die Androgenwirkungen werden durch spezifische Androgenrezeptoren der Zielzellen vermittelt. Androgenabhängige Organe bzw. Zellen sind die Haut (Haare, Talgdrüsen), Muskeln, Leber, Niere, Knochen, Knochenmark, Gehirn, Prostata und männliches Genitale. Der Regelkreislauf zwischen Hypothalamus und Hypophyse wird durch Testosteron und seine Metaboliten wesentlich reguliert. Testosteron und DHT hemmen die Freisetzung von FSH und LH über eine Beeinflussung der pulsatilen Sekretion des GnRH. Östradiol scheint dagegen direkt an der Hypophyse anzusetzen und reduziert dort die Sekretion der Gonadotropine [38].
Das Wirkungsspektrum der Androgene zeigt eine weite Spannbreite von psychischen (Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Stimmung) und somatischen Effekten (Körpermuskulatur, Fettverteilung, Knochendichte oder Körperbehaarung). Bezüglich der Sexualfunktionen werden Libido, Erektionsfähigkeit, Spermatogenese und Funktion der akzessorischen Geschlechtsdrüsen, Prostata und Samenblasen, beeinflusst. Für die regelrechte Entwicklung der männlichen Geschlechtsorgane und deren Funktion ist die Anwesenheit der Androgene bereits intrauterin bis zum Ende der Pubertät obligat. Ein Hormonmangel oder Defekt während dieser Phase führt zu Fehlanlage oder irreversiblem Funktionsverlust. Für den geschlechtsreifen Mann sind die Androgene dann zur Aufrechterhaltung dieser Funktionen notwendig [38].
27.2
Klassifikationen des Testosteron mangels und differenzialdiagnostische Überlegungen
Die Klinik des Hypogonadismus ist wesentlich vom Zeitpunkt seines Auftretens, d. h. Lebensalter und Entwicklungsphase des Mannes abhängig. Darüber hinaus bestimmen auch die Testosteronwerte selbst die klinische Ausprägung des Testosteronmangels. So geht ein schon präpubertär bestehender Hypogonadismus z. B. mit eunuchoidem Hochwuchs (verzögerter Verschluss der Epiphysenfugen!) und unterentwickelten sekundären Geschlechtsmerkmalen und Genitalorganen einher. Eine suffiziente Substitution mit Testosteron kann zur Besserung der Beschwerden führen. Männer, bei denen ein Hypogonadismus erst später im Leben auftritt, weisen wegen unauffälliger Entwicklung während der Pubertät hingegen keinen Hochwuchs auf. Auch sind die sekundären Geschlechtsmerkmale und Penisgröße primär unverändert. Klinische Symptome eines Testosteronmangels durch fehlende oder herabgesetzte Empfindlichkeit der Androgenrezeptoren auf den Zielzellen sind seltener. Die Klassifikation des Hypogonadismus erfolgt in Abhängigkeit vom Ort der Schädigung des endokrinologischen Regelkreises.
383
27.3 · Diagnostik des Androgenmangels
Beim primären Hypogonadismus ist die Produktion des Testosterons in den Leydigzellen des Hodens gestört. Das Serum-LH ist im Sinne einer Gegenregulation erhöht (hypergonadotroper Hypogonadismus). Typische Beispiele für einen primären Hypogonadismus sind das Klinefelter-Syndrom, Hodenfunktionsstörungen nach Hodenhochstand oder erworbene Schädigungen, z. B. nach Intoxikationen, Verletzungen oder Chemotherapie. Beim sekundären Hypogonadismus ist die Sekretion von LH aus der Hypophyse beeinträchtigt, so dass die Stimulation der Leydig-Zellen ausbleibt, während beim tertiären Hypogonadismus durch eine Schädigung des Hypothalamus keine Stimulation des Hypophysenvorderlappens durch GnRH erfolgt, wodurch die Gonadotropine FSH und LH im Serum erniedrigt sind und eine Stimulation des Hodens fehlt (hypogonadotroper Hypogonadismus). Eine hypophysäre Schädigung liegt z. B. bei Hypophysentumoren wie Prolaktinomen vor. Das Kallmann-Syndrom und der idiopathische hypogonadotrope Hypogonadismus dagegen sind typische Beispiele für einen tertiären Hypogonadismus. Die genaue Diagnostik und Klassifikation eines Testosteronmangels hat wesentlichen Einfluss auf die Therapie. Ein hypogonadotroper Hypogonadismus kann in Abhängigkeit vom Ort der Schädigung des Regelkreislaufes durch GnRH (GnRHPumpe bei hypothalamischen Schäden) oder die Gonadotropine selbst (HCG und HMG oder reines bzw. rekombinant hergestelltes FSH) therapiert werden. Zusätzlich muss bei diesen Formen des Hypogonadismus berücksichtigt werden, ob ein aktueller Kinderwunsch besteht oder nicht. Bei aktuellem Kinderwunsch sollte in Fällen eines sekundären oder teriären Hypogonadismus der Testosteronmangel immer durch eine Stimulation der Leydig-Zellen (durch HCG [=LH-Aktivität]) behoben werden (bei gleichzeitiger Gabe von HMG [=FSHAktivität] oder reinem oder rekombinant hergestelltem FSH), da die alleinige Gabe von Testosteron in diesen Fällen die Spermatogenese nicht aktivieren könnte. Die verminderte Testosteronproduktion im Alter ist auf eine reduzierte Syntheseleistung der in ihrer Zahl verminderten und auf LH schwächer
27
ansprechenden Leydig-Zellen zurückzuführen. Die Pulsatilität des vom Hypophysenvorderlappen sezernierten LH ist nicht mehr so stark ausgeprägt. Insbesondere bei über 70-jährigen Männern sind außerdem die SHBG-(Sexualhormon bindende Globulin-)Konzentrationen erhöht, so dass das freie, biologische aktive Testosteron erniedrigt ist [32].
27.3
Diagnostik des Androgenmangels
Symptome des Testosteronmangels können sein: Abnahme der Libido, Erektionsstörungen, depressive Stimmungslage, Abnahme der allgemeinen Aktivität, Lustlosigkeit, Hitzewallungen und Nachlassen der Muskelkraft. Sekundäre Körperbehaarung und Rasurfrequenz sind u. U. reduziert. Insbesondere bei älteren Männern empfiehlt es sich, immer gezielt nach begleitenden chronischen Erkrankungen zu fragen, die mit Hypogonadismus assoziiert sein können (Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Lebererkrankungen, Asthma bronchiale, maligne Erkrankungen). Auch bei anderen chronischen Erkrankungen wie z. B. einer HIV-Infektionen kann ein Hypogonadismus auftreten. Medikamenteneinnahme wie z. B. chronische Anwendung von Kortikosteroiden können ebenfalls mit einem Hypogonadismus einhergehen. Die Anamnese sollte außerdem andere potenziell schädigende Faktoren wie Operationen bzw. Traumen erfassen und ebenso seltenere Symptome wie z. B. Sehstörungen bei hypophysären Tumoren mitberücksichtigen. Die körperliche Untersuchung sollte immer am vollständig entkleideten Patienten erfolgen und nicht nur auf das Genitale beschränkt sein. Auch dermatologisch relevante Aspekte wie Sebostase (trockene Haut bei Hypogonadismus) oder völlig fehlende Akneerscheinungen während der Pubertät können diagnostische Hilfen bieten. Neben der Anamneseerhebung und der körperlichen Untersuchung sollte bei Verdacht auf
384
III
Kapitel 27 · Substitutionstherapie mit Androgenen
Hypogonadismus eine Basisuntersuchung der endokrinen Laborparameter erfolgen [23]. Als erste Screening-Untersuchung kann hierbei unter Berücksichtigung der Kosteneffektivität die Bestimmung des Gesamttestosterons (Grenzbereich: 10–12 nmol/l, Normbereich: 12–35 nmol/l) sowie der Gonadotropine LH (Normbereich: 1–8 mIU/ ml) und FSH (Normbereich: 1–10 mIU/ml) in den Morgenstunden empfohlen werden. Eine Bestimmung des freien Testosterons ist auch möglich. Da Gesamttestosteron und freies Testosteron aber gut miteinander korrelieren, besteht hier keine absolute Notwendigkeit. Vorteilhafter ist eine Bestimmung des SHBG. Auch an eine Hyperprolaktinämie muss gedacht werden. Für spezielle Fragestellungen, z. B. eine Unterscheidung zwischen sekundärem und tertiärem Hypogonadismus, müssen endokrinologische Funktionstests durchgeführt werden. In der Praxis werden der GnRH-Test und der HCG-Test häufiger angewendet. Der GnRH-Test erfolgt bei reduzierten oder niedrig-normalen Konzentrationen der Gonadotropine FSH und LH. Er dient der Unterscheidung zwischen hypothalamisch oder hypophysär bedingten verminderten Gonadotropin-Konzentrationen im Serum. Steigen die Gonadotropine nach Injektion von GnRH an, liegt ein hypothalamischer Schaden vor; bleibt der Anstieg der GonadotropinKonzentrationen im Serum nach Injektion von GnRH aus, ist die Störung in der Hypophyse lokalisiert (⊡ Abb. 27.1). Mit dem HCG-Test kann die Funktion der Leydig-Zellen und somit die endokrine Reservekapazität des Hodens überprüft werden (⊡ Abb. 27.2). Seine klinische Aussagekraft bei der weiteren Abklärung eines Hypogonadismus ist aber mit Ausnahme von Sonderindikationen (z. B. Anorchie, Pubertas tarda) eingeschränkt. Zusätzlich zu den endokrinologischen Untersuchungen können bei jüngeren Patienten mit Hypogonadismus Ejakulatuntersuchungen sinnvoll werden. Bei gesicherter Diagnose empfiehlt sich auch eine Knochendichtebestimmung als Ausgangswert. Sind die betroffenen Patienten älter, muss besondere Sorgfalt auf Untersuchungen der Prostata verwendet werden (Palpation, Sonographie, PSA-Wert).
Durchfürung FSH, LH (»0-min-Wert«) ⇓ 100 μg GnRH i. v. ⇓ FSH, LH (»30-min-Wert«)
Indikation LH, FSH erniedrigt
Ergebnisse LH-Anstieg: 2–4 × FSH-Anstieg: 1,5–2 ×
Beurteilung Regulärer LH-/FSH-Anstieg = Tertiärer Hypogonadismus Kein LH-/FSH-Anstieg = Sekundärer Hypogonadismus ⇓ evtl. GnRH-Pumpentest ⊡ Abb. 27.1. Kurzzeit-GnRH-Test
Durchfürung Testosteron (»0-Wert«; 8.00–10.00 Uhr)) ⇓ 5.000 IE HCG/m2 i. m. ⇓ Testosteron (»72-h-Wert«)
Indikation Anorchie/Kryptorchismus Intersexualität Hypogonadismus, Reservekapazität der Leydigzellen
Ergebnisse Präpubertäre Jungen: >3,5 nmol/l (>100 ng/dl) Anstieg des T: 1.5–2,5× Testosteron/DHT-Quotient >30 = 5α-Reduktasemangel ⊡ Abb. 27.2. HCG-Test
Weitere Blutuntersuchungen nach gesichertem Hypogonadismus beinhalten vor allem ein Blutbild (Anämie?) und vor Beginn der Substitutionstherapie Bestimmungen der Blutfette. Besondere bildgebende Verfahren (CT/MRT) und molekularbiologische Spezialuntersuchungen
27.4 · Indikationen für eine Androgensubstitution
mit Bestimmung von Deletionen im Androgenrezeptorgen, LH- und FSH-Gen sind speziellen Indikationen und klinischen Bildern vorbehalten [32].
27.4
Indikationen für eine Androgensubstitution
27.4.1 Primärer, sekundärer und tertiärer
Hypogonadismus Alle Formen des Hypogonadismus mit messbar erniedrigten Testosteron-Serumwerten und entsprechender Klinik sind unter Berücksichtigung der möglichen Nebenwirkungen und Kontraindikationen der verwendeten Präparate behandlungsbedürftig. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder Mann mit Hypogonadismus prinzipiell mit Androgenen behandelt werden soll (siehe Abschnitt: Klassifikationen des Androgenmangels und differenzialdiagnostische Überlegungen) [32].
27.4.2 »Aging Male« und
Altershypogonadismus Statistisch fällt der Hormonspiegel um etwa 1% pro Lebensjahr, so dass eine alleinige Bewertung der Laborwerte nicht unbedingt von Bedeutung sein muss. Bestehen neben der signifikanten Erniedrigung des Serum-Testosterons weitere Symptome, so wird dies als PADAM (»partial androgen deficiency of aging male«) oder als Altershypogonadismus (»late-onset-hypogonadism«) bezeichnet [31, 48]. Die Begriffe Andropause und männliches Klimakterium sind eher irreführend, weil sie nicht zutreffende Parallelen zu den hormonellen Wechseljahren der Frauen suggerieren [14, 39]. Der therapeutische Nutzen einer Testosteronbehandlung bei grenzwertigen Hormonwerten ist hier erst noch in größeren Studien nachzuweisen [27]; auf jeden Fall sollten gerade bei diesen Patienten die möglichen Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System und die Prostata beachtet werden [29, 43]. Da meist noch eine eigene Androgenproduktion besteht, ist eine hochdosierte Substitution nicht nö-
385
27
tig, so dass die orale oder transdermale Applikation als geeignet anzusehen ist. Zudem lassen sich diese beiden Therapien bei Bedarf auch kurzfristig abbrechen.
27.4.3 Erektile Dysfunktion
Die Bedeutung eines Hypogonadismus bei der Genese von Erektionsstörungen wird häufig überschätzt. Weniger als 10% der Patienten mit Erektionsstörungen weisen auch einen Testosteronmangel auf und nur ein kleinerer Anteil dieser Patienten profitiert bzgl. der erektilen Dysfunktion von einer Testosteronsubstitution [4]. Die Erektionsfähigkeit wird sowohl über zentrale, als auch über periphere Mechanismen beeinflusst. Im Hypothalamus und im limbischen System konnte für Testosteron z. B. eine aktivierende Wirkung auf das sexuell stimulierende dopaminerge System und ein hemmender Einfluss auf das inhibitorische serotinerge System nachgewiesen werden. Diese Mechanismen sind v. a. für eine normale Libido von Bedeutung. Peripher bestehen Angriffsorte an proerektilen postganglionären parasymphatischen Neuronen und an Androgenrezeptoren im Corpus cavernosum penis selbst. Die genaue Bedeutung dieser unterschiedlichen Wirkorte ist bisher nicht eindeutig geklärt und z. T. nur im Tiermodell nachgewiesen. Von besonderer Bedeutung für die Erektilität scheint jedoch die testosteronabhängige Modulation von Erregungsausbreitungen über das autonome Nervensystem und der daran beteiligten Neurotransmittersysteme zu sein [40]. Klinische Erfahrungen zeigen, dass chirurgische oder chemische Kastration nicht obligat zu einem totalen Verlust der Erektionsfähigkeit führt. Daneben bewirkt die Testosteronsubstitution bei Hypogonadismus zwar eine Steigerung der Libido und Frequenz von nächtlichen Erektionen, das Auftreten von visuell induzierten Erektionen wird jedoch nicht gesteigert [17, 19]. Diese Sachverhalte machen klar, dass nicht alle für die Erektion wichtigen Mechanismen einer Hormonabhängigkeit unterworfen sind.
386
Kapitel 27 · Substitutionstherapie mit Androgenen
⊡ Tabelle 27.1. Übersicht zum Einsatz von Androgenen
III
Indikation
Bewertung
Anmerkung
Hypogonadismus, Pubertas tarda
Klinischer Standard
–
»Aging Male«/PADAM/«late onset hypogonadism«
In der Diskussion
Klinische Standards werden derzeit definiert
Übermäßiges Längenwachstum
Klinische Anwendung im Sinne eines Heilversuches
Alternative Behandlungen
Kontrazeption des Mannes
Gegenstand der aktuellen Forschung
Bisher nur experimentelle Anwendung
Aplastische/renale Anämie
Weitgehend obsolet
Ersetzt durch Erythropoetin u. a.
Idiopathische Infertilität
Obsolet
Keine theoretische Grundlage
Leistungssport und Bodybuilding
Missbrauch
Cave: Langzeitschäden
27.4.4 Andere Indikationen
27.5
Applikationsformen von Testosteron
Für eine Übersicht weiterer Indikationen, aber z. T. auch missbräuchlicher Anwendungen sei an dieser Stelle auf ⊡ Tabelle 27.1 verwiesen. Hervorgehoben werden soll die Tatsache, dass bei Patienten mit aktuellem Kinderwunsch die früher übliche hochdosierte kurzfristige Substitution (»rebound-effect«) mit Testosteronenanthat heute obsolet und damit kontraindiziert ist. Die exogene Zufuhr von Androgenen wirkt hemmend auf die zentrale Sekretion von LH und FSH, womit eine Unterdrückung der Spermatogenese induziert wird [7, 32]. Das Prinzip der Spermatogenesesuppression durch exogene Androgenzufuhr wird seit Jahren auch bei der experimentellen Anwendung von Kontrazeptiva für den Mann ausgenutzt [15, 34, 44]. Derzeit ist eine prophylaktische Testosteronsubstitution zur Vermeidung von Osteoporose bei älteren Männern (in Anlehnung an eine Osteoporose-Prophylaxe mit Östrogenen bei Frauen) nicht indiziert. Ausnahmen sind Männer mit eindeutigem Hypogonadismus unter Berücksichtigung der Kontraindikationen [9, 13, 14].
Für die Testosteronsubstitution stehen 3 verschiedene Applikationswege zur Verfügung [22, 24, 33]: oral, intramuskulär und transdermal Aus Resorptionsgründen ist dabei das Testosteronmolekül jeweils in bestimmter Form modifiziert. Die in den Anfangsjahren nach Einführung der Testosteronsubstitutionstherapie verwendeten Präparate waren durch eine zusätzliche Methylgruppe am Molekül modifiziert, um eine Metabolisierung in der Leber zu reduzieren. Diese Präparate wiesen jedoch eine deutliche Hepatotoxizität auf. Das ist bei den heute verwendeten Testosteronpräparaten nicht mehr der Fall. Ein wichtiger Punkt bei der Wahl der richtigen Medikation ist die Compliance des Patienten, da bei der oralen und transdermalen Anwendung durch Abweichungen von den täglichen Verabreichungsvorschriften der Wirkspiegel unter den Normbereich abfallen kann. Allerdings bieten aber gerade diese Applikationen bei korrekter Anwendung den Vorteil einer konstanten Wirkstoffabgabe; bei der transdermalen Form durch Pflaster
387
27.5 · Applikationsformen von Testosteron
27
⊡ Tabelle 27.2. Häufigste Applikationsformen des Testosterons bei männlichem Hypogonadismus
Applikation
Generic
Handelsname
Dosierung
oral
Testosteron-Undecanoat 40 mg
Andriol
2×40 mg bis 2×80 mg
Testosteron-Undecanoat 40 mg
Andriol Testocaps
2×40 mg bis 2×80 mg
intramuskulär
Testosteron-Enanthat
Testosterondepot JENAPHARM; Testovirondepot 250
250 mg alle 2–4 Wochen
transdermal
Testosteron 12,2 mg (entspricht 2,5 mg Wirkstofffreigabe/24 h)
ANDRODERM 2,5 mg
2 Pflaster/Tag (=5 mg)
Testosteron 25 mg /50 mg (entspricht 2,5 g/5 g Gel)
Testogel, Androtop-Gel
1 Beutel/Tag
wird zudem die physiologische zirkadiane Rhythmik imitiert. Eine Übersicht der in Deutschland zugelassenen Substanzen gibt ⊡ Tabelle 27.2. In der klinischen Erprobung befinden sich derzeit kurzwirkende bukkale Testosteronpräparate [2, 6]. Subkutane Implantate mit konstanter Freisetzung von Testosteron über mehrere Monate sind in einigen europäischen Ländern bereits zugelassen [11].
27.5.1 Intramuskuläre Applikation
Testosteronenanthat Testosteronenanthat ist eine veresterte Form des körpereigenen Testosterons. Es ist beim Mann zur Behandlung des Hypogonadismus, der Pubertas tarda, des überschießenden Längenwachstums von Knaben sowie der Therapie aplastischer und renaler Anämien zugelassen. Die Veresterung erfolgt, um die Absorption nach intramuskulärer Injektion zu verlangsamen und so die Verfügbarkeit des Hormons nach einmaliger Injektion über einen längeren Zeitraum sicherzustellen. Testosteron selbst hat im Plasma eine Halbwertszeit von 10–100 min. Für Testosteronenanthat beträgt der entsprechende Wert 4,5 Tage. Testosteron wird in der Leber zu 17-Ketosteroiden metabolisiert. Etwa 90% des Testosterons und seiner Metaboliten werden über den Urin als Glukuron- oder Schwefelsäurekonjugate ausgeschieden. Über Faeces werden ca. 6%, meistens in unkonju-
gierter Form, ausgeschleust. Mögliche Nebenwirkungen beim Mann sind: Gynäkomastie, Ödeme, Priapismus, Ödemneigung, Akne, Gynäkomastie, Hemmung der Spermatogenese, Hyperkalzämie und Unverträglichkeitsreaktionen. Wird Testosteronenanthat (z. B. Testoviron-Depot250, Testosteron Depot-Jenapharm) zur Substitutionstherapie bei Hypogonadismus eingesetzt, erfolgen die Injektionen in zwei- bis vierwöchigen Abständen (Einzeldosis 250 mg Testosteronenanthat). Der Nachteil dieser Therapieform besteht darin, dass zunächst über mehrere Tage nach der Injektion supraphysiologische Testosteronkonzentrationen erreicht werden. Die bis vor kurzem auch noch verfügbaren Kombinationen von Testosteronenanthat und Testosteronpropionat sind bei den Firmen Schering und Jenapharm nicht mehr erhältlich. Substanzen, die ein günstigeres Wirkspiegelprofil und eine längere Wirkdauer aufweisen (z. B. ölige Lösungen von Testosteronundecanoat), sind in verschiedenen Studien erprobt worden, stehen aber dem freien Markt noch nicht zur Verfügung [24, 33].
388
Kapitel 27 · Substitutionstherapie mit Androgenen
27.5.2 Orale Applikation
Testosteronundecanoat
III
Testosteronundecanoat ist ein in Position 17β mit Undecansäure verestertes Testosteron. Dadurch wird die Substanz so lipophil, dass sie aus dem Gastrointestinalsystem in die Lymphbahn aufgenommen wird. Vom Ductus thoracicus gelangt Testosteronundecanoat über die V. subclavia in den Blutkreislauf und schließlich zu den Zielorganen. Auf diese Weise wird eine vorzeitige Metabolisierung des Testosterons in der Leber durch den First-passEffekt vermieden. Testosteronundecanoat ist zur Substitutionstherapie bei Hypogonadismus, Behandlung männlicher »klimakterischer« Symptome und Störungen der Spermatogenese durch Androgenmangel sowie bei androgenmangelbedingter Osteoporose zugelassen. Nach oraler Aufnahme werden die höchsten Plasmakonzentrationen von Testosteronundecanoat im Durchschnitt nach 4 h gemessen, wobei Einnahme mit fettreicher Mahlzeit die Absorption noch erhöht. Durchschnittlich liegt die Bioverfügbarkeit nach oraler Aufnahme bei ca. 7%. Die Halbwertszeit beträgt ca. 100 min. Nach Abspaltung des Esters wird das Testosteron wie oben beschrieben (Abschn. »Testosteronenanthat«) metabolisiert und ausgeschieden. Mögliche Nebenwirkungen sind neben Überempfindlichkeitsreaktionen vorzeitige Pubertät bei Knaben, beschleunigte Knochenreifung und Spermatogenesehemmung. Ernsthafte Nebenwirkungen sind auch bei langjähriger Einnahme unter Berücksichtigung der Kontraindikationen nicht zu erwarten. Testosteronundecanoat steht nun in neuer Galenik zur Verfügung. Der neue Handelsname lautet AndriolTestocaps (vorher: Andriol Kapseln) mit jeweils 40 mg Testosteronundecanoat. Die Kapseln enthalten Rizinusöl und Propylenglycollaurat. Dadurch konnte die Haltbarkeit deutlich auf 3 Jahre bei Raumtemperatur verlängert werden [21]. Zur Substitutionstherapie werden 120–160 mg Testosteronundecanoat (2–0–1 oder 2–0–2 Kapseln) täglich verordnet. Nach drei Tagen wird ein »steady state« mit physiologischen Testosteronwerten im Serum erreicht. Bei Hypogonadismus
(z. B. bei Klinefelter-Syndrom) empfiehlt sich die Gabe von Testosteronundecanoat, wenn noch eine körpereigene Restproduktion von Testosteron erhalten oder aufgrund von Gerinnungsstörung eine intramuskuläre Applikation von Androgenen nicht möglich ist [24].
Mesterolon Beide in Deutschland noch bis 2003 verfügbaren Präparate mit der Monosubstanz Mesterolon sind aus dem Handel genommen worden. Mesterolon ist die 1α-Methylverbindung des 5α-Dihydrotestosterons, das als Testosteronmetabolit Wirkungen an androgenabhängigen Geweben entfaltet. Durch seine 5α-H-Konfiguration und die 1α-Methylgruppe ist es vor zu schneller Metabolisierung in der Leber geschützt. Da es sich aber um ein Dihydrotestosteron-Derivat handelt, erfolgt – im Gegensatz zu Testosteron – keine Aromatisierung zu Östrogenen. Das Wirkungsspektrum ist deshalb eingeschränkt und entspricht nicht vollständig dem des Testosterons.
27.5.3 Transdermale Applikation
Derzeit (Stand 1/2004) stehen in Deutschland zwei verschiedene transdermale Systeme (Pflaster, Gele) zur Substitutionstherapie bei männlichem Hypogonadismus zur Verfügung. Ein skrotal anwendbares Membransystem (Testoderm 15) zur Testosteronapplikation ist zwischenzeitlich in Deutschland vom Markt genommen worden [12].
Pflastersysteme Im Gegensatz zum Membransystem können Testosteronpflaster an der nichtskrotalen Haut appliziert werden. Dazu müssen dem Pflaster »Enhancer« beigemengt werden, welche die Resorption erhöhen. Das Testosteronpflaster (Androderm 2,5 mg) setzt in 24 h ca. 2,5 mg Testosteron frei. Um den täglichen Testosteronbedarf eines Mannes zu decken, müssen 2 oder 3 Pflaster aufgetragen werden. Nach Applikation um 22.00 Uhr wird eine den physiologischen Bedingungen entsprechende zirkadiane Rhythmik der Testosteronkonzentrationen erreicht. Da das Pflaster »Enhancer« enthält, ist die
27.5 · Applikationsformen von Testosteron
Irritationsrate größer als bei den skrotalen Systemen. Allergische Kontaktdermatitiden treten bei Anwendung der nichtskrotalen Systeme in 4% der Fälle auf. Beschrieben werden Juckreiz in 37% der Fälle, Blasen in 12% der Fälle, Rötungen in 7% der Fälle, Bläschen in 6% der Fälle, Hautbrennen in 3% der Fälle und lokale Induration in 3% der Fälle [25]. Die Patienten sollten daher darin instruiert werden, dass die Applikationsstellen täglich zu wechseln sind und mindestens 7 Tage zwischen 2 Applikationen an der gleichen Stelle liegen sollten. Die Skrotalhaut ist als Applikationsort ungeeignet. Auch Knochenvorsprünge sollten gemieden werden. Ansonsten können die Pflaster an Rücken, Bauch, Oberarm oder Oberschenkeln aufgeklebt werden [12].
Gele Gele sind streichfähige Zubereitungen, deren Bestandteil Flüssigkeiten sind. Bei den in Deutschland zugelassenen testosteronhaltigen Gelen (AndrotopGel, Testogel) wird ein Wasser-Alkohol-Gemisch verwendet, um Testosteron in Lösung zu bringen und dessen Aufnahme durch die Haut zu verbessern. In der Dermatologie werden Gele auch wegen ihres sog. »vanishing effects« verwendet, da mit ihrer Hilfe Wirkstoffe auf die Haut gebracht werden, ohne dass danach Salben- oder Cremereste verbleiben. Das Gel wird dünn und ohne einzureiben bevorzugt am Morgen auf die unversehrte Haut an Armen, Schultern oder Bauch aufgetragen. Dazu stehen Beutel mit 5 g Gel (enthalten 50 mg Testosteron) oder 2,5 g Gel (enthalten 25 mg Testosteron) zur Verfügung. Die Standarddosis beträgt 5 g. Bevor sich der Patient ankleidet, sollte ca. 5 min gewartet werden. Die Hände müssen mit Wasser und Seife gereinigt werden, um dort Gelreste zu entfernen. Da nach der schnellen Verdunstung der Alkoholkomponente eine direkte Hautübertragung auf andere Personen (cave v. a. bei Frauen und Kindern) kaum mehr stattfindet, ist diese Gefahr als gering einzuschätzen [37]. Von dem im Gel enthaltenen Testosteron werden ca. 10% in den Körper
389
27
aufgenommen. Durch die Anwendung des Gels am Morgen werden physiologische Konzentrationen des Testosterons im Serum bereits nach wenigen Tagen erreicht [12]. Dann sollten Kontrollen der Testosteronwerte im Blut vor der nächsten Anwendung erfolgen. Da das Gel hochprozentigen Alkohol enthält, sollte es zur Vermeidung von Hautreizungen nicht auf die Genitalhaut aufgetragen werden. Wird dieser Anwendungshinweis berücksichtigt, ist die Hautverträglichkeit gut. Geringgradige Hautreizungen sind bei ca. 5% der Patienten beschrieben worden. Daneben können durch die Stimulation von Talgdrüsen auch akneähnliche Hautveränderungen auftreten. Wie bei allen anderen Formen der Testosteronsubstitution sollte auch Testosterongel nur bei erniedrigten Testosteronwerten im Serum und entsprechender Symptomatik angewendet werden. Eine Substitution mit Testosteron ist kontraindiziert bei Männern mit Prostata- oder Mammakarzinom. Vorsicht ist wie bei allen anderen Testosteronpräparaten bei schweren Leber-, Nieren- oder Herzerkrankungen (Ödemneigung) oder vorbestehendem Bluthochdruck (weiterer Anstieg) geboten. Unter Therapie mit Testosterongel sollten die gleichen Parameter überprüft werden wie bei anderen Formen der Testosteronsubstitution. Studien an Männern mit niedrigen Testosteronwerten und Behandlung mit Testosterongel haben gezeigt, dass der Gehalt an Hämoglobin in den Erythrozyten nach ca. 90 Tagen signifikant zunimmt. Die Fettwerte bleiben bis auf einen Abfall des Gesamtcholesterins im Serum während des Behandlungsverlaufes weitgehend unauffällig. Besonders bei älteren Männern empfehlen sich regelmäßige Untersuchungen der Prostata (Tastbefund, Ultraschall, PSA-Wert im Serum), des Blutbildes mit Hämatokrit und Hämoglobin (Entwicklung einer Polyglobulie unter Testosteronsubstitution?) und der Blutfette. Daneben sind die Angaben des Patienten über eine Besserung seiner Symptomatik ( s. oben) natürlich ebenfalls von herausragender Bedeutung. Bei vorher schon bekannter Osteoporose sollte eine Knochendichtebestimmung nach frühestens einem Jahr erfolgen.
390
Kapitel 27 · Substitutionstherapie mit Androgenen
27.6
Nebenwirkungen und Risiken
27.6.1 Kardiovaskuläres System,
Hämatopoese
III
Wird eine Testosteronsubstitution bei älteren Männern mit Hypogonadismus und entsprechenden Beschwerden durchgeführt, sollten gerade in dieser Altersgruppe die potenziellen Wirkungen der Androgene auf das kardiovaskuläre System berücksichtigt werden. Obwohl eine Androgensubstitution bei manifestem Hypogonadismus auch positive Effekte auf den Blutlipidstoffwechsel und eine koronare Herzerkrankung hat, sind die möglichen kardiovaskulären Risiken einer Langzeitsubstitution immer noch ungenügend erforscht und bekannt [29]. Eine manifeste Herzinsuffizienz oder andere relevante kardiale Risikofaktoren gelten weiterhin als absolute bzw. relative Kontraindikation [8]. Weiterhin kann die Androgenbehandlung zu einer Anhebung des Hämoglobin- und Hämatokritwertes führen sowie eine Schlafapnoeneigung verstärken. Somit bestehen weitere Kontraindikationen für Erkrankungen wie Polyzythämia, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen und eine bekannte Schlafapnoe [29].
27.6.2 Prostata
Für die regelrechte Entwicklung der Prostata sind Androgeneffekte obligat. Durch eine Testosteronsubstitution bei Hypogonadismus wird eine unterentwickelte Drüse auf ihr Normalvolumen vergrößert und dadurch auch der PSA-Wert in den Normbereich angehoben. Die gehäufte Ausbildung einer benignen Prostatahyperplasie konnte dabei auch unter Langzeitsubstitution nicht beobachtet werden [3, 13, 14, 47]. Von großer Bedeutung ist hingegen die Problematik des Prostatakarzinoms bei älteren Patienten. Liegt ein solches in einem klinischen Stadium vor, ist zzt. nicht ausgeschlossen, dass durch eine externe Testosterongabe ein Wachstum und somit eine Metastasierung stimuliert werden können. Hieraus resultiert, dass vor und unter jeder Androgenbehandlung ein Prostatakarzinom mittels rektaler
Untersuchung oder transrektaler Prostatasonographie und Bestimmung des PSA-Wertes im Serum ausgeschlossen werden muss. Ob ein primär latentes Karzinom durch langfristige Androgengabe in ein klinisches Stadium überführt werden kann, ist nicht nachgewiesen [10, 13, 47].
27.6.3 Knochenwachstum
Bei Jugendlichen mit noch nicht abgeschlossenem Längenwachstum führt eine gesteigerte Testosteronzufuhr zu einem verfrühten Verschluss der Epiphysenfugen und kann somit einen Minderwuchs verursachen. Dieser Effekt wird in der Therapie des übermäßigen Längenwachstums ausgenutzt [9].
27.7
DHEA und Östrogene
27.7.1 DHEA
Neben Testosteron werden im Rahmen der sog. Life-style-Medizin andere Hormone als »Verjüngungsmittel« propagiert [18, 41]: das Nebennierenandrogen Dehydroepiandrosteron (DHEA), das nicht nur für das Körperwachstum wichtige humane Wachstumshormon (HGH = »human growth hormone«) und das für die Steuerung der Tagesrhythmik verantwortliche Melatonin. Allen Hormonen ist ein im Alter physiologisch abnehmender Plasmaspiegel gemein, der aber per se keine pathologische Bedeutung hat und auch keine Behandlungsindikation darstellt. Während die Anwendung dieser Präparate im Rahmen einer medizinisch indizierten Substitutionstherapie bei jeweils nachgewiesenem klinisch relevantem Hormonmangel zwar in einigen Details noch kontrovers diskutiert wird, ansonsten jedoch durchaus akzeptiert ist, bleibt der breite und unkontrollierte Einsatz dieser Substanzen im Sinne eines allgemeinen Anti-Aging oder Verjüngungsproduktes weiterhin abzulehnen. Besondere Beachtung hat in Europa das in den USA schon seit Jahren breit eingesetzte Dehydro-
27
391
27.7 · DHEA und Östrogene
⊡ Tabelle 27.3. Auswahl der veröffentlichten Empfehlungen und Leitlinien zur Androgensubstitution
Thema
Publizierendes Organ
Jahr der Publikation
Referenz
Hypogonadismus
Special Programme of Research, Development and Research Training in Human Reproduction of the World Health Organisation (WHO)
1992
[46]
The Endocrine Society of Australia
2000
[5]
The American Association of Clinical Endocrinologists (AACE) and The American College of Endocrinology (ACE)
2002
[35]
Deutsche Gesellschaft für Andrologie (DGA), DDG, Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) und Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU)
2000
[45]
Aging Advisory Panel on Testosterone Replacement in Men, National Institute on Aging
2001
[49]
Andropause Consensus Panel, The Endocrine Society
2001
a
International Society for the Study of the Aging Male (ISSAM)
2002
[31]
The National Academies, USA
2004
[28]
»Aging Male«/ Altershypogonadismus
a
www.endo-society.org/pubrelations/andro_cc_summary.pdf.
epiandrosteron (DHEA) gewonnen, das in Dosierungen von 25–50 mg täglich verabreicht wird. Einzelne gut kontrollierte, kleinere Studien haben positive Effekte z. B. auf das Erektionsverhalten sowie die Knochendichte und die Hydrierung der Haut gezeigt [1, 36]. In großen Metaanalysen aller zur Verfügung stehenden und aussagekräftigen Studien konnte ein gesicherter Effekt auf kognitive Funktionen und Wohlbefinden der Männer aber bisher nicht nachgewiesen werden [16]. Wenn »The Lancet« noch 1998 fragte, ob die Wissenschaft die Zeitungsschlagzeilen bestätigen werde, wonach DHEA, die »Mutter der Hormone«, ein Anti-agingWunderhormon und ein Jungbrunnen sei [26], so kann dies nach dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nur verneint werden.
27.7.2 Östradiol
Die Datenlage bzgl. des Östrogens bei älteren Männern ist ähnlich zu beurteilen wie die vom Wachstumshormon. Positive Effekte auf Knochenstoffwechsel, kardiovaskuläres System und evtl. das Gehirn sind bekannt [42]. Aussagekräftige Studien fehlen aber. Osteoporose ist ein bekanntes Phänomen bei lange bestehendem und nicht behandeltem Hypogonadismus. Unter Testosteronsubstitution hypogonadaler Männer kommt es zur deutlichen Zunahme der Knochendichte [4]. Bei Männern über 50 Jahre ist in ca. 20% der Fälle mit Osteoporose zu rechnen [30]. Da Östrogen eine wesentliche Rolle bei der Regulation des Knochenstoffwechsels des Mannes spielt [20], ist die Gabe von Östrogenen an ältere Männer diskutiert worden. Durch die Aromatisierung von Testosteron zu Östrogen ist aber bei Männern mit Hypogonadismus die Gabe von Testosteron sinnvoller.
392
Kapitel 27 · Substitutionstherapie mit Androgenen
Fazit
III
Klinische Symptome eines Hypogonadismus sind nur bei laborchemisch nachgewiesenem Androgenmangel therapiebedürftig. Jeder Hypogonadismus erfordert vor Therapiebeginn eine erweiterte Diagnostik. Vor jeder Androgentherapie sind eine digitorektale Palpation der Prostata sowie Bestimmungen des Blutbildes, der Fettwerte und des PSA-Wertes erforderlich. Das weitere Monitoring sollte im ersten Jahr dreimonatig und dann jährlich erfolgen. Die undifferenzierte Therapie mit Androgenen bei nur grenzwertig erniedrigten Hormonwerten beim alternden Mann ist derzeit abzulehnen. Sowohl Nutzen als auch Risiken und Nebenwirkungen einer solchen Langzeittherapie sind bisher nicht ausreichend belegt. Absolute Kontraindikationen einer Androgentherapie sind ein manifestes Prostatakarzinom oder viriles Mammakarzinom, signifikante obstruktive Miktionsbeschwerden bei benignem Prostatasyndrom (BPS) und eine Schlafapnoe. Weitere Einschränkungen bestehen bei Patienten mit ausgeprägten Fettstoffwechselstörungen, kardiovaskulären Erkrankungen, Polyzythämia und chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen. In diesen Fällen ist unbedingt ein engmaschiges internistisches Monitoring angeraten. Für die Androgentherapie sollten heute nur noch die Testosteronester (oral oder per injectionem) und die transdermalen Testosterone verwendet werden. Eine Auswahl der verfügbaren Empfehlungen und Leitlinien zur Androgensubstitution gibt ⊡ Tabelle 27.3.
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27
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28 Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen und Möglichkeiten der Pharmakotherapie S. Ückert, M. C. Truß
28.1 Physiologie von Clitoris und Vagina
– 396
28.2 Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen – Klassifikation und mögliche Ursachen – 397 28.3 Optionen der Pharmakotherapie sexueller Funktionsstörungen bei Frauen – 399 28.4 Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen – Fakt oder Fiktion? – 400 Literatur
– 402
III
396
Kapitel 28 · Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen und Möglichkeiten der Pharmakotherapie
28.1
Physiologie von Clitoris und Vagina
Im Gegensatz zu der intensiven wissenschaftlichen und klinischen Auseinandersetzung mit dem Mechanismus der penilen Erektion und der Pathophysiologie der erektilen Dysfunktion wurde der Physiologie der weiblichen Sexualität und ihren Beeinträchtigungen bisher nur wenig Beachtung geschenkt. Das betrifft gerade die Physiologie und Neurophysiologie der zentralen weiblichen Genitalorgane Vagina und Clitoris, deren Funktionen als wesentlich für ein unbeeinträchtigtes Erleben von Erregung und Sexualität betrachtet werden. Der langsame Fortschritt in der Erforschung und Beschreibung funktioneller Prozesse in diesen Organen ist sicher auch auf die Komplexität der Kontrollmechanismen zurückzuführen, welche die biologischen Basisfunktionen der mit der Sexualität und Reproduktionsfähigkeit verbundenen Strukturen der weiblichen Anatomie regulieren. Es ist bekannt, dass sexuelle Stimulation und Erregung mit somatischen Ereignissen in Organen außerhalb des Genitaltraktes, vor allem im Herz-Kreislauf-System, einhergehen. Die Ereignisse in der pelvinen Region betreffen vor allem die Vagina, Labia und Clitoris. Sexuelle Erregung führt über eine Steigerung des lokalen Blutflusses in den Genitalorganen auch zu einer Zunahme der Lubrikation des Vaginalkanals infolge der Sezernierung eines Plasma-Ultrafiltrats aus einem subepithelial gelegenen Netzwerk von Kapillargefässen. Diese als Transsudat bezeichnete Plasmafraktion gelangt passiv durch die intraepithelialen Räume auf die Oberfläche des Epithels. Die Zunahme der Lubrikation wird von einer Relaxation der glatten Muskulatur der Vaginalwand begleitet, die zu einer Erweiterung des Durchmessers und Umfangs des Vaginallumens und zu einer Reduzierung des luminalen Drucks führt. Diese Umfangserweiterung hat durch eine damit verbundene Erhöhung des Staudrucks in den subepithelialen Kapillaren wiederum eine stimulierende Wirkung auf die Transsudation von Plasma durch das Vaginalepithel [21, 22, 27]. Die Kombination aus der Relaxation der Vaginalwand und der Zunahme der Lubrikation erleichtert in der Folge die Einführung des männlichen Gliedes und die Durchführung des Geschlechtsverkehrs. Neben der Vagina gilt die Clitoris als eines der
wichtigsten Organe der Perzeption koitaler und nicht-koitaler Reize, die zu sexueller Erregung und schließlich zum Klimax führen. Die Clitoris ist als erektiles Organ charakterisiert, dessen histologischer Aufbau dem des männlichen Penis sehr ähnlich ist. Das paarige Corpus cavernosum clitoris ist von einer derben Bindegewebschicht, der Tunica albuginea, umgeben. Wie das Corpus cavernosum penis, so ist auch das erektile Gewebe der Clitoris aus schwammartig angeordneter glatter Trabekularmuskulatur, die cavernöse Lakunarräume umschließt, kleinen arteriellen Gefäßen und Kollagenfasern komponiert. Allerdings ist die Tunica der Clitoris lediglich unilaminar und es existiert kein venookklusiver Kompressionsmechanismus, so dass es unter sexueller Stimulation zwar zu einer clitoralen Tumeszenz infolge einer Erhöhung des Blutflusses in das Organ, nicht jedoch zu einer Rigidität kommt [10, 25]. Diese Tumeszenz wird als wesentlich für die biologische Vermittlung und subjektive Wahrnehmung sexueller Erregung gesehen. Über die Neurotransmitter und intrazellulären Signalübertragungssubstanzen, welche die Funktion der glatten Muskulatur der Vagina und des clitoralen Corpus cavernosum sowie der diese Organe versorgenden Blutgefässe vermitteln, ist bisher nur sehr wenig bekannt. Der Vorgang der clitoralen Tumeszenz, der Umfangserweiterung des Vaginallumens und Zunahme der Lubrikation als Reaktion auf sexuelle Erregung steht unter der Kontrolle parasympathischer vasodilatatorischer Mechanismen. Auf der Grundlage der Resultate neuerer Forschungsarbeiten wird heute vermutet, dass die NOcGMP-Signalübertragungskaskade (cGMP = zyklisches Guanosinmonophosphat) auch in der Kontrolle der weiblichen Genitalorgane eine zentrale Rolle spielt, dort möglicherweise sogar der wichtigste physiologische Mechanismus der Regulation der biologischen Funktion dieser Strukturen ist. Die wesentlichen Komponenten dieses Übertragungsweges sind die NO-generierenden Stickoxidsynthasen (NOS), die in endothelialen Grenzschichten und in Nervenfasern lokalisiert sind, die zytosolischen Guanylatzyklasen, deren Produktion des Second. Messenger-Moleküls cGMP durch NO aktiviert wird, und die cGMP-degradierenden
28.2 · Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen – Klassifikation und mögliche Ursachen
Phosphodiesterase- (PDE-)Enzyme, hier vor allem die PDE 5. Immunhistochemische Untersuchungen beschreiben die Expression von neuronaler NOS (nNOS) in Nervenfasern des Glanssegmentes und der Corpora cavernosa sowie von endothelialer NOS (eNOS) im vaskulären und sinusoidalen Endothel der Clitoris. Im Vaginalgewebe wurde Immunreaktivität gegen nNOS in Nervenendigungen detektiert, die kleine Gefäße in der Wand des Organs innervieren [9, 17]. Diese Daten zeigen, dass Clitroris und Vagina Orte der NO-Synthese sind und lassen eine Beteiligung des gasförmigen Transmittermoleküls am Vorgang der clitoralen Tumeszenz und an der Kontrolle des Blutflusses und der Kapillarpermeabilität in der Vagina vermuten. Auch die Präsenz der PDE 5, die als Zielprotein der pharmakologischen Wirkung von Viagra, Levitra und Cialis das wichtigste cGMP-degradierende PDE-Isoenzym ist, in der Clitoris wurde bereits mit biochemischen Methoden demonstriert. Diese Befunde wurden inzwischen durch immunhistochemische Untersuchungen bestätigt, die außerdem Details zur subanatomischen Lokalisation dieses PDE-Isoenzyms in der Clitoris lieferten [28, 38]. Die Anwendung dieser Methodiken ermöglichte auch den Nachweis immunreaktiven Proteins der PDE 5 in der glatten Muskulatur und in Blutgefässen der Vaginalwand [12, 39]. Funktionelle Daten zur Wirkung von NO-Donatoren und selektiven Inhibitoren der PDE 5 auf den Tonuszustand isolierter Gewebesegmente der humanen Clitoris oder Vaginalwand sucht man in der Literatur bisher vergeblich. Auch gibt es noch keine Antwort auf die Frage, ob das NO-cGMP System ein ubiquitärer Mechanismus ist, der auch in den weiblichen Genitalorganen relevant ist [11, 41]. So lassen einige Arbeiten durchaus auch eine Bedeutung der cAMP-abhängigen Signaltransduktion in der zellulären Kontrolle der Funktion weiblicher Genitalorgane vermuten: Die stimulierenden Effekte von Prostaglandin E1, VIP, dem Diterpen Forskolin und β-adrenergen Agonisten auf die Konzentration von cAMP in kultivierten glatten Muskelzellen der humanen Vagina wurden ebenso beschrieben wie die Gegenwart von cAMP-degradierenden PDE-Isoenzymen in Gewebedünnschnitten von Clitoris und Vagina [26, 37, 38].
28.2
397
28
Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen – Klassifikation und mögliche Ursachen
Störungen der weiblichen Sexualfunktion (FSD = »Female Sexual Dysfunction« einschließlich FSAD = »Female Sexual Arousal Disorders«), die in Abhängigkeit von der individuellen Konditionierung der davon Betroffenen durchaus zu einer Einschränkung der Lebensqualität führen können, sind ein vom Lebensalter abhängiges, progredientes sozialmedizinisches Problem mit einer hohen Prävalenz in der Bevölkerung westlicher Industrienationen. Eine unbeeinträchtigte Sexualfunktion wird heute, in einer Epoche, die gerade im westlich geprägten Kulturkreis durch eine zunehmende Definition der Persönlichkeit und Identität über deterministische körperliche Attribute gekennzeichnet ist, mehr denn je als wesentlicher Teil des femininen Selbstverständnisses und einer normwertigen weiblichen Kondition gesehen. Es besteht daher in den Reihen der Kliniker, Pharmakologen und Grundlagenforscher ein zunehmendes Interesse am Verständnis der physiologischen Mechanismen, welche die Variationen der sexuellen Motivation, die normale Funktion der weiblichen Genitalorgane und den Zyklus der sexuellen Erregung bis zum Orgasmus regulieren. Auf der Grundlage aktueller Daten wird geschätzt, dass in Nordamerika und Westeuropa 20–40% aller Frauen über 18 und unter 60 Jahren von sexuellen Funktionsstörungen betroffen sind [6, 20]. Zu diesen Störungen zählen Symptome einer verminderten Libido (»Hypoactive Sexual Desire Disorder« = HSDD), generelle Aversionen gegen sexuelle Kontakte (»Sexual Aversion Disorder«), Dyspareunie und Vaginismus (»Sexual Pain Disorders«) ebenso wie allgemeine Störungen der sexuellen Erregungsund Orgasmusfähigkeit (»Sexual Arousal Disorder, Orgasmic Disorder«), die sich infolge einer verminderten vaginalen Durchblutung, Lubrikation und Relaxation, fehlender clitoraler oder labialer Tumeszenz oder einer Verminderung der clitoralen bzw. labialen Sensibilität manifestieren können [8, 23]. Die Resultate der intensiven mehr als 15-jährigen wissenschaftlichen und klinischen Auseinandersetzung mit der Physiologie und Pharmakolo-
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Kapitel 28 · Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen und Möglichkeiten der Pharmakotherapie
⊡ Tabelle 28.1. Übersicht über den Formenkreis der sexuellen Funktionsstörungen der Frau (»Female Sexual Dysfunction«) und einige der die Symptomatiken verursachenden Faktoren entsprechend der Klassifikation der Konsensuskonferenz der American Foundation of Urologic Disease (AFUD) vom Oktober 1998
Sexuelle Funktionsstörungen der Frau („Female Sexual Dysfunction“)
III
»Hypoactive Sexual Desire Disorder« (HSDD)
»Sexual Arousal Disorder«
»Orgasmic Disorder«
»Sexual Pain Disorder«
Physiologische Ursachen (z. B. Hormonmangel); Psychologische Ursachen (»Sexual Aversion Disorder«)
Psychologische Ursachen; physiologische und klinische Ursachen, z. B. durch Erkrankungen des endokrinen Systems, verminderte clitorale und labiale Sensitivität, Reduktion der vaginalen und clitoralen Blutperfusion, mangelhafte Lubrikation der Vagina, insuffiziente Relaxation glatter Muskulatur der Genitalorgane oder als Folge der Einnahme von Medikamenten (Inhibitoren des Serotonin-Reuptakes)
Als primäre Kondition; als sekundäre Kondition z. B. infolge klinischer oder physiologischer Faktoren ( s. »Sexual Arousal Disorder«)
Dispareunie, Vaginismus, »Persistent Genital Pain«
gie der Erektion und der Pathophysiologie der erektilen Dysfunktion lassen die Frage berechtigt erscheinen, inwieweit wenigstens einigen der o. g. Funktionsstörungen ein neurologisches, physiologisches oder organisches Korrelat im Sinne einer Störung oder Dysregulation der in diesem Text beschriebenen Mechanismen, welche in ihrer Gesamtheit die Funktion der weiblichen Genitalorgane kontrollieren, zugeordnet werden kann. Ein derartiger Ansatz ist kein Ausdruck der Negierung psychologischer Faktoren als Ursache sexueller Funktionsstörungen. Trotz der limitierten Kenntnisse der zerebralen Kontrolle der weiblichen Sexualität und der Auswirkungen auf periphere Organe ist es sicher berechtigt, die Sexualfunktion und ihre Beeinträchtigungen als Einheit aus organischen Komponenten sowie persönlichen und zwischenmenschlichen Faktoren mit den sich daraus ergebenden psychologischen Stresselementen zu betrachten [16]. Dennoch wird vermutet, dass Defizite im Erleben und Ausüben von Sexualität ihre Ursache durchaus in einer konkreten Insuffizenz der wichtigsten weiblichen Perzeptions- und Funktionsorgane Clitoris und Vagina haben können. Diese organischen Störungen können die zentrale und lokale neuronale Innervation, die lokale Blutperfusion und die Funktion der glatten Muskulatur der
Erfolgsorgane betreffen oder auf eine endokrine Dysfunktion zurückgeführt werden. So haben HSDD, »Sexual Arousal Disorder« und »Orgasmic Disorder« ihre Ursache häufig in endokrinen Anomalien wie einem Östrogenmangel-Syndrom in der Postmenopause, einem Androgenmangel oder einer Hyperprolaktinämie. Das Östrogenmangel-Syndrom ist durch atrophische Veränderungen der Genitalien gekennzeichnet, was allerdings nicht zwangsläufig einen Libidoverlust zur Folge haben muss [31]. Allerdings kann der als Folge mangelnder Lubrikation und einer atrophischen Vaginalschleimhaut erschwerte und häufig schmerzhafte Sexualverkehr sekundär zu Vermeidungsverhalten und einem Verlust der sexuellen Appetenz führen. Auch ein Androgenmangel kann bei Frauen zu Defiziten in der Sexualfunktion führen, obgleich Frauen sehr viel niedrigere Testosteronkonzentrationen für eine normale sexuelle Motivation benötigen als Männer. Die Symptome eines Androgenmangels bei Frauen können eine erhebliche Verminderung der sexuellen Reaktions- und Orgasmusfähigkeit, die Reduzierung der Frequenz sexueller Aktivitäten sowie ein kompletter Verlust der Libido sein. Auch ein Verlust der erotischen Sensibilität der Brustwarzen und der Klitoris wird beschrieben [14].
28.3 · Optionen der Pharmakotherapie sexueller Funktionsstörungen bei Frauen
Es sind ultrastrukturelle Veränderungen in der Zelle als Folge des Hormonmangels, die schließlich zu der Beeinträchtigung oder zum Verlust der normalen Gewebefunktion führen: Wie bereits erwähnt, wird die NO-cGMP-Transduktionskaskade gegenwärtig als wichtigster Regulationsmechanismus in der Kontrolle der weiblichen Genitalorgane betrachtet. Die Expression der eNOS und nNOS in den Sexualorganen ist von einer normwertigen Hormonproduktion abhängig. Eine Depletion von Östrogen oder Androgenen führt zu einer Verminderung der Expression aktiven NOS-Proteins, außerdem zu einer Gewebeatrophie als Folge von apoptotischen Degenerationsprozessen, die durch den Hormonmangel in Nerven, der glatten Muskulatur, dem vaskulären Endothel und in epithelialen Grenzschichten induziert werden. Im Tiermodell sind diese Phänomene unter der Substitution mit Hormonen vollständig reversibel [5, 33, 42]. Die Störung der normalen weiblichen Erregungs- und Orgasmusfähigkeit kann auch die Folge anderer Beeinträchtigungen wichtiger somatischer Strukturen und physiologischer Mechanismen sein, die die Erregungs- und Orgasmusreaktionen und -reflexe vermitteln. So können zahlreiche Krankheiten, aber auch die Nebenwirkungen von Arzneimitteln – z. B. β-Blocker, alkylierende Agenzien, Anticholinergika, Antidepressiva, die als selektive Inhibitoren des Serotonin-Reuptakes (SSRIs) wirken, Benzodiazepine und Antiöstrogene – die Intaktheit und Funktion relevanter Strukturen beeinträchtigen [8]. Die organische Komponente der »Sexual Pain Disorders«, hier im Besonderen des Vaginismus, vermutet man auf der Grundlage von Untersuchungen zur sympathischen Neurotransmission im männlichen Penis in einer möglichen Dysregulation der Sezernierung oder Degradierung sympathischer Transmitter. Diese könnte zu einer Verschiebung des Verhältnisses von vasodilatatorischen zu vasokonstriktorischen Prozessen in der Peripherie zugunsten der Vasokonstriktion führen [4].
28.3
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28
Optionen der Pharmakotherapie sexueller Funktionsstörungen bei Frauen
Mit Ausnahme der Hormonersatztherapie befinden sich alle in diesem Abschnitt genannten pharmakologischen Optionen der Therapie von Symptomen sexueller Funktionsstörungen bei Frauen gegenwärtig noch in der Phase der klinischen Erprobung. Keine der Substanzen kann auf der Basis der bisher vorliegenden Daten als Goldstandard in der Pharmakotherapie von FSD und FSAD gesehen werden. Eine lokale oder topische Östrogen-Substitutionstherapie bei menopausalen Frauen mit Symptomen von FSD führt zu einer Steigerung der Libido, einer Zunahme der clitoralen Sensibilität und einer deutlichen Verminderung von Schmerzsensationen während des Koitus, wahrscheinlich durch eine Stimulation der vaginalen Lubrikation [32]. Seit einigen Jahren ist für solche Patientinnen, die für eine transdermale oder orale Substitutionstherapie nicht geeignet sind, ein Östradiolring verfügbar, der in die Vagina eingebracht wird und dort kontinuierlich geringe Mengen des Hormons freisetzt. Während es hinsichtlich der Wirkungen einer Substitutionstherapie mit oralem Methyltestosteron (0,25–1,25 mg/Tag) auf die Sexualfunktion androgendefizienter postmenopausaler Frauen widersprüchliche Berichte gibt, scheint die Gabe von Dehydroepiandrosteron eine Steigerung der sexuellen Appetenz und eine Verbesserung der Erregungsfähigkeit, Lubrikation und Orgasmusreflexe zu bewirken. Auch die tägliche topische Applikation von Methyltestosteron oder Testosteronpropionat in einer 1–2%igen Gelzubereitung führte zu einer verbesserten Libido und genitalen Sensibilität sowie zu einer Zunahme der vaginalen Lubrikation.Mögliche Nebenwirkungen der Androgentherapie sind eine Gewichtszunahme, eine benigne Vergrößerung der Clitoris, ein gesteigertes Wachstum der Körperbehaarung – gerade im Gesicht – sowie die Entwicklung einer Hypercholesterinämie [13, 34]. Auch der PDE-5-Inhibitor Sildenafilcitrat (Viagra) wurde in verschiedenen klinischen Studien hinsichtlich seiner Effekte auf die FSD-/FSADSymptomatik getestet. Sildenafil bewirkt durch
400
III
Kapitel 28 · Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen und Möglichkeiten der Pharmakotherapie
eine Inhibition der cGMP-degradierenden PDE 5 eine Akkumulation von cGMP in der Zelle und fördert somit gemäß der Theorie die NO-vermittelte Relaxation der vaskulären und nichtvaskulären glatten Muskulatur von Clitoris und Vagina. Die Studien zeigten positive Effekte der Substanz auf die Sexualfunktion prä- und postmenopausaler Frauen mit FSD-/FSAD-Symptomatik sowie bei Probandinnen mit sexuellen Funktionsstörungen infolge einer Beeinträchtigung der Funktion des zentralen Nervensystems, z. B. durch eine Läsion des Rückenmarks [7, 19, 35]. Eine überzeugende Validierung der Effektivtät des Präparates in doppelblinden, placebo-kontrollierten Studien steht bisher allerdings aus. Untersuchungen zur Wirksamkeit der anderen heute im Markt verfügbaren selektiven PDE-5-Inhibitoren Vardenafil (Levitra) und Tadalafil (Cialis) liegen bisher nicht vor. Wie bereits dargestellt, kann die Aktivität vasokonstriktorischer Transmitter des sympathischen Nervensystems die normale weibliche Sexualfunktion antagonisieren. Das Phentolaminmesylat, ein Antagonist alpha-adrenerger Rezeptoren, wird in der urologischen Praxis seit 1984 für die Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT) zur Behandlung von Erektionsstörungen verwendet. Ebenso wurde eine oral verfügbare Formulierung des Wirkstoffs (Vasomax) in placebo-kontrollierten Studien erfolgreich auf seine Sicherheit und Effektivität in der Behandlung von leichten bis mittelschweren Formen der erektilen Dysfunktion getestet [3]. Eine Pilotstudie bei menopausalen Frauen mit FSD zeigte eine Zunahme des vaginalen Blutflusses und eine subjektive Verbesserung der Erregungsfähigkeit unter der Medikation mit Phentolamin [30]. Eine topische Zubereitung des Vasodilators Prostaglandin E1 (PGE1) zur Behandlung der FSD-/FSAD-Symptomatik befindet sich zzt. ebenfalls in der klinischen Entwicklung [2]. Auch das PGE1 ist als Alprostadil bereits aus der SKAT-Therapie der erektilen Dysfunktion bekannt. Wie Phentolamin wirkt auch Alprostadil direkt auf das Erfolgsorgan und führt zu einer Akkumulation von cAMP im Gewebe. Die Applikation auf die Clitoris vor dem Beginn sexueller Interaktion soll die lokale Durchblutung und die Relaxation der glatten Muskulatur des Perzeptionsorgans fördern.
Ebenfalls aus der Therapie der erektilen Dysfunktion ist das Apomorphin bekannt, ein zentral wirkender Dopaminagonist mit erektionsfördernden Eigenschaften. Die Substanz aktiviert über die Bindung an Dopaminrezeptoren des Typs 1 und 2 im medianen preoptischen Areal des Hypothalamus oxytocinerge Übertragungswege, die zunächst auf spinale autonome Zentren der Sexualfunktion projizieren und dort auf nitrinerge Fasern umgeschaltet werden. Diese innervieren die Gentialorgane und bewirken dort eine Freisetzung von NO und eine Relaxation der Trabekular- und Gefäßmuskulatur [29]. Obwohl erste tierexperimentelle Studien an weiblichen Ratten keine relevanten Wirkungen auf das Sexualverhalten zeigten, soll die Substanz hinsichtlich ihrer Effekte auf das sexuelle Verlangen und die Erregungsfähigkeit von Frauen getestet werden [15].
28.4
Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen – Fakt oder Fiktion?
Die Diskussion um sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen und den Möglichkeiten der Pharmakotherapie der Symptome wird auch von kritischen Stimmen begleitet, die darauf verweisen, dass die vielfältigen Aktivitäten von Fachgesellschaften und der pharmazeutischen Industrie, die dieses Thema betreffen, nicht nur dazu geeignet sind, ein breites öffentliches Interesse zu wecken, sondern auch die Bereitschaft fördern, diese Symptome als verbreitete und medikamentös therapierbare Krankheit zu akzeptieren. Somit können sie durchaus einen Einfluss auf die Entwicklung eines kommerziell interessanten Pharmamarktes haben [24, 36]. Tatsächlich sind viele Wissenschaftler mit engen Beziehungen zu solchen Pharmaunternehmen, die auf den internationalen Märkten gegenwärtig in einem Wettbewerb um den kommerziellen Erfolg neuer Medikamente im lukrativen Segment sexuelle Funktionsstörungen stehen, federführend in der Definition und Klassifikation von FSD als einem neuen medizinischen Problem. Auch die eigentliche Rationale der klinischen Beschäftigung mit FSD, die vermeintliche Prävalenz der Symptomatik bei mehr als 40% der weiblichen Bevökerung im Alter von 18–60 Jahren, wird von einigen Autoren
28.4 · Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen – Fakt oder Fiktion?
bezweifelt. Es wird argumentiert, dass die von der Majorität der erwachsenen Frauen beschriebenen Formen einer subjektiven Beeinträchtigung der Sexualfunktion weder eine Krankheit noch eine Dysfunktion darstellen, sondern lediglich Ausdruck des großen Intervalls der Variabilität in der Realisierung und im Erleben von Sexualität in einer Population sind, in der transiente Änderungen des Sexualverhaltens durchaus die Norm sind. Es wird die Befürchtung ausgedrückt, dass die immer wieder zitierten, geradezu zum Dogma stilisierten Prävalenzdaten zu einer Fokusierung auf medizinische und pharmakologische Aspekte der weiblichen Sexualität führen könnten [1]. Schließlich würden durchaus alltägliche sexuelle Schwierigkeiten gesunder Frauen dann als charakteristische Merkmale eines pathologischen, behandlungsbedürftigen Zustandes angesehen. Während die Objektivierung der Erektionsfähigkeit ein offensichtlicher Parameter für die wichtigste sexuelle Funktionsstörung bei Männern, der erektilen Dysfunktion, ist, sind weibliche Reaktionen auf sexuelle Stimulation wesentlich schwieriger zu quantifizieren [8, 18, 40]. Allerdings gibt es bisher keine befriedigende Antwort auf die Frage, welche sexuelle Reaktion als gesund und welche als pathologisch bezeichnet werden kann. So sind inzwischen selbst einige Vertreter aus dem Kreis der sog. »Opinion Leader« im Bereich FSD der Auffassung, dass es zwar durchaus eine Bedeutung für pharmakologische Therapieoptionen gibt, diese aber nicht von emotionalen Aspekten und allgemeinen Faktoren einer Partnerschaft, die für Frauen hinsichtlich der subjektiven Qualität ihrer Sexualität ebenfalls von großer Bedeutung sind, isoliert werden dürfen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die aktuellen wissenschaftlich-klinischen Entwicklungen und Aktivitäten auf dem Gebiet der FSD sicher das Risiko einer Auflösung des Komplexes aus sozialen, persönlichen, psychischen und körperlichen Ursachen sexueller Funktionsstörungen zugunsten einer Reduzierung auf die somatische Komponente bergen, mit dem primären Ziel einer raschen
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Diagnose im Sinne empirischer Klassifikationsmodelle und der Verordnung eines Medikamentes. Dennoch sollten die positiven Effekte – das zunehmende öffentliche Interesse an der weiblichen Sexualtität und ihren möglichen Störungen, die intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema, die Entwicklung neuer und effektiver Medikamente und die Schaffung einer besseren Basis für die Kommunikation zwischen betroffenen Patientinnen und Ärzten – berücksichtigt und gewertet werden. Fazit Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Pharmakotherapie sexueller Dysfunktionen der Frau wird gegenwärtig durch eine gewisse Tendenz zur mechanistischen Medikalisierung bestimmt, die das Risiko einer ungerechtfertigten Pathologisierung der Probleme weiblicher Sexualität und die Vernachlässigung psychosozialer Aspekte mit sich bringt. Die z. T. gegebene Konvergenz der in der Literatur beschriebenen Symptomatiken aus dem Formenkreis der »Female Sexual Dysfunction« mit den Wirkungsprofilen einiger Medikamente sollte durchaus kritisch hinterfragt werden, zumal auf der Grundlage der bisher verfügbaren klinischen Daten keine dieser Substanzen als Standard in der Pharmakotherapie von FSD und FSAD angesehen werden kann. Allerdings kann es für keinen in diesem Feld Tätigen Zweifel daran geben, dass sexuelle Störungen bei Frauen vorkommen, zu erheblichem Leidensdruck führen und bisher oft nicht adäquat diagnostiziert und therapiert werden können. Sicher wird ein besseres Verständnis der Physiologie und Neurobiologie der weiblichen Sexualität mittelfristig dazu beitragen, das Spektrum der Therapieoptionen zur Behandlung sexueller Dysfunktionen der Frau erheblich zu erweitern, so dass die Verwendung bestimmter Arzneimittel zur Korrektur tatsächlich somatisch-biologischer Störungen der weiblichen Sexualfunktion so selbstverständlich sein wird, wie es heute der Gebrauch von PDE-5-Inhibitoren in der Behandlung von Erektionsstörungen ist.
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Kapitel 28 · Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen und Möglichkeiten der Pharmakotherapie
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403
28
29 Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt W. Vahlensieck
29.1
Einleitung
29.2
Ursachen
29.3
Symptomatik
29.4
Therapiemodalitäten
29.4.1
Prophylaxe – 410 Chemozystitis – 410 Radiogene Zystitis – 410 Prostatahyperplasie/Prostatakarzinom Alaun – 411 ε-Aminocapronsäure – 413 Chemotherapie – 413 Fibrinkleber – 413 Formalin – 414 Hormone – 414 Pentosanpolysulfat – 415 Phenol – 415 Prostaglandine – 415 Silbernitrat – 415 Thiazide bei Hyperkalziurie – 416 Tranexamsäure – 416 Weitere Substanzen – 416
29.4.2 29.4.3 29.4.4 29.4.5 29.4.6 29.4.7 29.4.8 29.4.9 29.4.10 29.4.11 29.4.12 29.4.13 29.4.14
Literatur
– 417
– 406 – 406 – 406 – 408
– 410
406
29.1
III
Kapitel 29 · Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt
Einleitung
Inwieweit Pharmaka bei der Behandlung einer Makrohämaturie von Nutzen sein können, hängt von der Ursache der Blutung ab. Die Entscheidung bzgl. einer alleinigen oder zusätzlichen pharmakologischen Therapie einer Hämaturie kann erst nach eingehender urologischer Diagnostik getroffen werden.
29.2
Ursachen
Jede der über 200 bekannten Ursachen einer Makrohämaturie kann zum massivem Blutverlust, zur Blutgerinnselbildung und Tamponade des Harntraktes führen (Betts u. O’Reilly 1992). Dabei resultiert die Makrohämaturie bei ca. 40% der betroffenen Patienten aus der Harnblase, 25% aus Prostata und Samenwegen, 15% aus den Nieren und je 5% aus Ureter und Harnröhre, ca. 33% der Fälle aus einer Infektion, 20% aus einem Tumor, 17% aus einer Stenose, 10% aus einer Urolithiasis und je 3% aus einem Trauma (einschließlich iatrogenem), einer Missbildung oder einer extrarenalen Ursache (Reuter 1983). Ca. 10% bleiben nach kompletter Diagnostik bzgl. Ursache und Lokalisation ungeklärt (Liedl et al. 1994; Reuter 1983; Vahlensieck u. Keller 1986; Vahlensieck et al. 1991). Zirkumskripte Blutungsquellen im ableitenden Harntrakt werden meist operativ endourologisch, seltener offen chirurgisch behandelt. Die massiven Blutverluste bei diffusen kapillären Blutungen durch fortgeschrittene Harnblasenkarzinome oder die nichtinfektiöse, hämorrhagische Zystitis nach Strahlen- bzw. Chemotherapie, sind oft durch konventionelle endourologische Standardtechniken nur schwer zu beherrschen (Brugieres et al. 1989; DeVries u. Freiha 1990; Fabricius et al. 1987; Müller-Mattheis et al. 1988; Parsons 1994; Rodriguez Luna et al. 1992; Stillwell u. Benson 1988) .
Je nach Modus (Dosis, Strahlenfeld, Aufteilung) schwankt die Inzidenz der Hämaturie wegen Strahlenzystitis nach Radiatio im kleinen Becken zwischen 0% und 9% (Hofstetter 1982; Ram 1970; Sell et al. 1990; Stillwell u. Benson 1988). Klinisch können bei der Chemozystitis zwischen asymptomatischer Mikrohämaturie und der rezidivierenden, massiven Makrohämaturie mit irritativen Miktionsymptomen, suprapubischen Schmerzen und Harnverhalt alle Übergänge auftreten. Das erklärt auch die Schwankung der Angaben zur Inzidenz der Chemozystitis nach Cyclophosphamidtherapie zwischen 0,5% und 33% (Atkinson et al. 1991; DeVries u. Freiha 1990; Hong et al. 1989; Sell et al. 1990; Stillwell u. Benson 1988). Seltener auftretende Ursachen der hämorrhagischen, nichtinfektiösen Zystitis sind Behandlungen mit weiteren Chemotherapeutika wie dem Alkylans Busulfan, Antibiotikum Bleomycin oder Oxazaphosphorin (= Stickstoff-Lostderivat) Isophosphamid sowie mit Penicillinen oder Danazol, einem Testosteronderivat (DeVries u. Freiha 1990). Das Antiasthmatikum Tranilast kann eine eosinophile Zystitis mit massiver Hämaturie auslösen (Okada et al. 1992). Eine lokal im Harntrakt applizierte, ungepufferte Chlorhexidinlösung wie auch einige andere Desinfizienzien und Antibiotika können eine Chemozystitis mit Hämaturie auslösen (Pearmann et al. 1988). Auch bei Erkrankungen wie der Amyloidose oder der eosinophilen Zystitis kann eine nichtinfektiöse hämorrhagische Zystitis auftreten. Weniger ausgeprägte klinische Verläufe sind nach chronischer Toxiningestion, Vergiftungen, Drogen, Allergien und infektiösen Zystitiden berichtet worden (⊡ Tabelle 29.1).
29.3
Symptomatik
Ein ausgeprägter Blutverlust durch eine Hämaturie führt evtl. zu einer Schocksymptomatik bis hin zum Tod (Eisenberger 1983). Eine Gerinnselbildung
407
29.3 · Symptomatik
29
⊡ Tabelle 29.1. Ursachen der hämorrhagischen Zystitis (Allergisch-toxisch-infektiös). (Nach DeVries u. Freiha 1990; Gopal u. Elliott 1988; Hudson u. Cain 1998; Kimura et al. 2003; Oh u. Zang 2003, Okada et al. 1992; Rodriguez Luna et al. 1992) Tumoren: Harnblase, Prostata, infiltrierende gynäkologische Tumoren Strahlenblase Chemo-/Immuntherapie
BCG Bleomycin Busulfan
Cyclophosphamid Isophosphamid Thiotepa
Sonstige Medikamente und Drogen
Antidepressiva Danazol Dimethoxycinnamoylanthranilsäure
Methaqualon Methenaminmandelat Penicilline
Lokaltherapeutika
Chlorhexidin Colistin Gentianaviolett
Kanamycin Nitrofurazon Noxythiolin
Kontrazeptive Suppositorien (versehentlich in der Blase) Chemische Substanzen
Äther Aniline Chlordimeform
Terpentin Toluidine
unklare Ursachen
eosinophile Zystitis
Amyloidose
Mikroorganismen
Bakterien Parasiten
Pilze Viren
im oberen oder unteren Harntrakt kann einen liegenden Katheter oder Harnröhre und Harnblase verstopfen sowie eine obstruktiv bedingte Niereninsuffizienz verursachen (Schlegel et al. 1958). Bei der Entwicklung einer Harnblasentamponade wird der Patient von erheblichen Tenesmen der überdehnten Harnblase gequält (Eisenberger 1983; Hofstetter 1982; Lurz u. Lurz 1961; Schmucki u. Leisinger 1975). Neben starken Schmerzen kann der Patient hierbei zunächst nur erschwert und schließlich kein Wasser mehr lassen (Eisenberger 1983; Steffens et al. 1990). Bei Störungen der Harnblasensensorik, z. B. bei Diabetikern, können klinische Symptome auch völlig fehlen (Madras u. Monaco 1985). Gelegentlich gelingt bei imperativem Harndrang das Absetzen von wenig blutigem Urin oder einzelnen Blutkoageln (Eisenberger 1983; Schmucki u. Leisinger 1975). Durch die Überdehnung der Harnblase und der Prostataloge nach transurethraler Elektroresektion der Prostata wird die Blutung
weiter unterhalten (Lurz u. Lurz 1961; Madras u. Monaco 1985; Steffens et al. 1990). Bei stärkerer Hämaturie und unzureichendem Flüssigkeitsspülstrom bei einer Dauerspülung kann sich allmählich ein immer größerer Blutkuchen bilden, auf dem die Spülflüssigkeit bis zur vollständigen Tamponade im Sinne einer Kurzschlussspülung zirkuliert, so dass die Blutungskomplikation erst spät erkannt wird (Weißbach u. Tümmers 1973). Die klinischen Einteilungen der Makrohämaturie bei knochenmarkstransplantierten Kindern nach Brugieres et al. (1989) sowie bei allen Hämaturiepatienten nach de Vries u. Freiha (1990) haben sich bisher noch nicht allgemein durchgesetzt. Ihre Anwendung, insbesondere bei Studien, wäre jedoch sinnvoll (⊡ Tabellen 29.2 und 29.3).
Kapitel 29 · Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt
408
⊡ Tabelle 29.2. Einteilung der hämaturiebedingten Komplikationen bei knochenmarkstransplantierten Kindern. (Nach Brugieres et al. 1989)
III
Grad
Hämaturiebedingte Komplikationen
Grad I
Makrohämaturie mit Thrombozytopenie
Grad II
Makrohämaturie mit Gerinnseln
Grad III
Makrohämaturie mit Gerinnseln und Harntraktobstruktion
⊡ Tabelle 29.3. Einteilung der Hämaturie. (Nach DeVries u. Freiha 1990)
Kategorie
Art der Hämaturie
Kategorie I: (MILD)
Kein akuter Hämatokritabfall Kontrolle mit einfachen Mitteln (NaCl 0,9%, Alaun, ε-Aminocapronsäure, Silbernitrat) Patient beschwerdefrei
Kategorie II: (MODERAT)
Hämatokritabfall über mehrere Tage, ≤6 Blutkonserven zunächst Gerinnselentfernung, dann Dauerspülung Tamponadebeschwerden
Kategorie III: (SCHWER)
Lebensbedrohliche Blutung, >6 Blutkonserven Kein Ansprechen auf Standarddauerspülungen
29.4
Therapiemodalitäten
Eine Elektrokoagulation ist oft bei diffusen Hämaturien nicht ausreichend. Die hydrostatische Kompression der Harnblase mittels Ballonkatheter und die Laserkoagulation mit dem Nd-YAG-Laser sind mögliche Alternativen. Auf weitere operative oder radiologische Verfahren und systemische Maßnahmen wie Absetzen des Chemotherapeutikums, Verringerung der Immunsupressiva bei Transplantierten, Steigerung der Diurese,
Harnalkalisierung, Analgetika, Antibiotika, Anticholinergika und Spasmolytika
soll in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden (Asim et al. 2003; Brugieres et al. 1989; DeVries u. Freiha 1990; Fabricius et al. 1987; Müller-Mattheis et al. 1988; Parsons et al. 1988; Rodriguez Luna et al.1992; Stillwell u. Benson 1988). Bei massiven Hämaturien des oberen oder unteren Harntraktes, die nicht oder nicht sofort durch die genannten Maßnahmen zu beherrschen sind, werden therapeutische Instillationen, Irrigationen oder Perfusionen der Harnblase mit physiologischer Kochsalzlösung oder anderen Substanzen vorgenommen (Britton et al. 1992; Bandhauer 1978; Steffens et al. 1990; Wechsel u. Kollwitz 1989; ⊡ Tabelle 29.4). Vor Verabreichung der Medikation sollten Koagel aus dem Harntrakt mechanisch herausgespült werden, um die Wirksamkeit der Therapie zu erhöhen. Durch den Spülstrom einer Spülung versucht man, abgesehen von dem reinen Verdünnungs- und Spüleffekt, die Gerinnsel mechanisch zu verkleinern. Außerdem soll die Geschwindigkeit und der Umfang von Koagelbildungen, die Festigkeit der Koagel bzw. die Voraussetzungen zu ihrer leichteren Desintegration positiv beeinflusst werden. Die Gerinnselbildung an der Harntrakthohlraumwand soll dabei nicht zu stark gehemmt werden, zum einen, um profuse Dauerblutungen zu verhindern und zum anderen, um die Abdichtung etwaiger Harntraktperforationen durch entstehende Blutgerinnsel nicht zu behindern (Hulten u. Sundström 1990; Vahlensieck 1997). Einige Substanzen werden auch systemisch (oral oder intravenös) verabreicht. Zum Einsatz kommen adstringierende Hämostyptika, Substanzen mit Beeinflussung der Blutgerinnung, Schleimhautprotektiva, Vasokonstriktiva und entzündungshemmende Substanzen (Brugieres et al. 1989; DeVries u. Freiha 1990; Fabricius
409
29.4 · Therapiemodalitäten
29
⊡ Tabelle 29.4. Behandlungstechniken bei massiven Hämaturien. (Nach Brugieres et al.1989; DeVries u. Freiha 1990; Fabricius et al. 1987; Müller-Mattheis et al. 1988; Parsons et al. 1988; Rodriguez Luna et al. 1992; Sommerkamp u. Finke 1998; Stillwell u. Benson 1988) Absetzen auslösender Medikamente oder Bestrahlungen Endourologisch
Ballondilatation Dauerspülung mit physiologischer Kochsalzlösung Elektrokoagulation Hyperthermie
Hyperbarer Sauerstoff
Sauerstoffdruckkammer (3 bar), 100% O2 , 90 min
Koagelausräumung Kryotherapie Laserkoagulation
Externe Kompression des Körpers mittels Schockanzug Radiologisch
Embolisation Aa. Vesicales, Aa. iliacae internae oder Aa. hypogastricae; Strahlentherapie
Offene Operation
Ligatur Aa. Vesicales, Aa. iliacae internae oder Aa. hypogastricae Zystotomie und offene Tamponade Blasenteilresektion und -augmentation Hohe Harnableitung mit/ohne Zystektomie
⊡ Tabelle 29.5. Pharmakotherapie bei Hämaturie. (Nach Brugieres et al. 1989; DeVries u. Freiha 1990; Fabricius et. al. 1987; Müller-Mattheis et al. 1988; Parsons et al. 1988; Rodriguez Luna et al. 1992; Roth et al. 1993; Stillwell u. Benson 1988; Vahlensieck et al. 1991)
Anwendung
Pharmakotherapie
Oral
ε-Aminocapronsäure, Östrogene, Pentosanpolysulfat, Tranexamsäure
i. v.-Injektion
ε-Aminocapronsäure, Östrogene, Prostaglandine, Tranexamsäure
Spülung/Instillation
Alaun, ε-Aminocapronsäure, Fibrinkleber, Formalin, Phenol, Prostaglandine, Silbernitrat, Tranexamsäure
Lokale Injektion
Fibrinkleber, Prostaglandine
et al.1987; Levine u. Kranc 1990; Müller-Mattheis et al. 1988; Noordzij u. Dabhoiwala 1993; Parsons et al. 1988; Rodriguez Luna et al. 1992; Stillwell u. Benson 1988). Alaun, Formalin, Phenol und Silbernitrat führen zur »Gerbung« bzw. »Fällung« der Blutungsherde, d. h. zu einer oberflächlichen Koagulationsnekrose und damit zur Versiegelung der Blutungsquellen.
Formalin und Phenol können nur unter Narkose instilliert werden (Roth et al. 1993). Die anderen lokal in der Blase einzusetzenden Substanzen beeinflussen die Fibrinbildung bzw. den Gefäßmuskeltonus (⊡ Tabelle 29.5). Abhängig von der Ausprägung der Hämaturie und der Nebenwirkungen der Therapieverfahren sollte ein abgestuftes Therapiekonzept verfolgt werden ( s. folgende Übersicht).
Kapitel 29 · Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt
410
29.4.1 Abgestuftes Therapiekonzept bei anhaltenden Blutungen der Harnblase. (Nach DeVries u. Freiha 1990; Roth et al. 1993; Sommerkamp u. Finke 1998)
III
1.
Stufe: Forcierte Diurese Thrombozytenkonzentrate Östrogene p. o. Pentosanpolysulfat p. o.
2. Stufe: Komplette Koagelevakuation Endoskopische Blutstillung Dauerspülung der Harnwege (Perfusion) mit NaCl 0,9% 3. Stufe: Hyperbare Oxygenierung (optional) Tranexamsäure oral/parenteral (cave renale Blutung) Harnblaseninstillationen/-irrigationen/ -perfusionen: – Alaun, Prostaglandine, Silbernitrat, Tranexamsäure, – Eis 4. Stufe: Hydrostatische Blutstillung Harnblasenistillationen/-irrigationen/ -perfusionen: – Fibrinkleber, Formalin, Phenol (cave Reflux, Anästhesie) 5.
Stufe: Radiologische Embolisation Gefäßligaturen Sectio alta mit Tamponade Harnableitung Cystektomie
Im Folgenden werden die wichtigsten Substanzen für die pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im Harntrakt vorgestellt.
Prophylaxe
Chemozystitis Ob durch eine prophylaktischen Dauerspülungen der Harnblase mit physiologischer Kochsalzlösung die Inzidenz der hämorrhagischen Zystitis gesenkt werden kann, ist umstritten (Atkinson et al. 1991). Auf jeden Fall empfiehlt sich eine verstärkte Diurese. Auf eine Kortisonmedikation sollte bei hämorhagischer Zystitis verzichtet werden (Vahlensieck et al. 1974). Die orale oder parenterale Applikation von 2-Mercaptoethannatriumsulfonat (Mesna) zusammen mit Cyclophosphamid reduziert die Inzidenz der Chemozystitis besser als der Einsatz von 2 g N-Acetylcystein oral alle 4 h (DeVries u. Freiha 1990; Munshi et al. 1992). Dabei wird bei Beginn der Zytostase 20% der Zytostatikadosis an Mesna intravenös verabreicht. Gleichzeitig erfolgt eine orale Zufuhr (25–50 kg KG = 1 Ampulle à 100 mg Mesna, 50–100 kg KG = 2 Ampullen à 200 mg Mesna). Die gleiche Dosis wird während der Chemotherapie alle 4 h oral weitergeführt. Die letzte Dosis erfolgt 8–12 h nach Beendigung der Zytostase (Roth et al. 1993) Durch intravesikale Cysteininstillation konnten Vahlensieck et al. (1974) die Endoxancystitisrate von 29,5% in der Gruppe nur mit forcierter Diurese auf 10,1% senken. Bezüglich positiver Wirkungen von Harnansäuerung oder -alkalisierung liegen widersprüchliche Angaben vor (Brühl et al. 1979; Stillwell et al. 1988). Vereinzelt positive Erfahrungen wurden mit intravesikalem Acetylcystein, Sucralfat bzw. Prostaglandinen und oralem Pentosanpolysulfat gemacht (Übersicht bei Stillwell et al. 1988)
Radiogene Zystitis Vitamin E, Trypsin und Orgotein haben bei radiogener Zystitis keine gesicherte prophylaktische Wirkung entfaltet. Positive Berichte liegen für das pflanzliche Heparinoid Pentosanpolysulfat (3×100– 150 mg p. o.) vor (Übersicht bei Roth et al. 1993).
Prostatahyperplasie/Prostatakarzinom Einige Autoren berichten über eine verringerte Blutungsneigung bei benigner Prostatahyperplasie oder Prostatakarzinom durch Verabreichung von oralem Östrogen, Flutamid oder Finasterid bzw. parenteralem Diethylstilbestrol (Foley et al. 2000;
29.4 · Therapiemodalitäten
Marshall u. Narayan 1993). Unter Finasteridtherapie verringert sich die Kapillardichte in der BPH (Hochberg et al. 2002). Eine Makrohämaturie bei BPH tritt unter 5 mg Finasterid bei 77% der Betroffenen nicht mehr auf (Kearney et al. 2002).
29.4.2
Alaun
Eine 0,5–5%ige Kalium- oder Ammonium-AlaunLösung (Kalium-/Ammonium-Aluminiumsulfat) (K-/NH3Al(SO4)2 · 12 H2O) in Wasser wird seit 1982 zur palliativen Blutstillung bei Strahlen- bzw. Chemozystitis oder bei fortgeschrittenen Tumoren des ableitenden Harntraktes eingesetzt (Arrizabalaga et al. 1987; Goel et al. 1985; Ostroff u. Chenault 1982). Der Effekt beruht auf einer adstringierenden Wirkung mit einer gelartigen lokalen Denaturierung der oberflächlichen Proteine von Urothelzellen und Interstitium, einer verringerten kapillaren Permeabilität, einer Vasokonstriktion und einer Verhärtung der Zementsubstanz der kapillären Endothelzellen. Dadurch erfolgt eine Verringerung von Ödemen, Entzündung und Exsudat (Arrizabalaga et al. 1987; Goel et al. 1985; Ostroff u. Chenault 1982). Eigene In-vitro-Untersuchungen zeigten eine Proteindenaturierung ohne Gefahr einer profusen Blutungsneigung (Vahlensieck 1997). Eine 1%ige Kaliumalaunlösung in sterilem, destillierten Wasser weist einen Aluminiumgehalt von 1,05 g/l und einen pH-Wert von 4,5 auf (Arrizabalaga et al. 1987). Sie kann z. B. durch Auflösen der benötigten Menge Kaliumalaun in sterilem Wasser gewonnen werden (Mukamel et al. 1986; Shoskes et al. 1992). Eine Neutralisierung der sauren 1%igen Lösung (pH-Wert von 4,5) ist wegen der Salzausfällung nicht möglich. Auf eine Sterilisierung der Lösung wird heute i. Allg. verzichtet, jedoch sollte die mit sterilem destillierten Wasser zubereitete Lösung relativ kurzfristig, d. h. innerhalb von 14 Tagen, verbraucht werden. Die Anwendung erfolgt als intermittierende Instillation, Irrigation oder – am besten – als Dauerspülung (Perfusion; Mukamel et al. 1986; Wechsel u. Kollwitz 1989). Die Regulation der Dauerspülungsmenge über einen dicklumigen Spülkatheter erfolgt je nach Bedarf, die Spülung sollte 5–8 h nach
411
29
Blutstillung beendet werden (Mukamel et al. 1986). Bei Rezidiven kann die Behandlung wiederholt werden (Wechsel u. Kollwitz 1989). Eine Analgosedierung ist nicht erforderlich (Mukamel et al. 1986; ⊡ Tabelle 29.6). Eine potenzielle Gefahr der intravesikalen Alaunspülung ist eine Aluminumintoxikation durch Einschwemmung mit Blutspiegeln über 1–2 µmol/l bei mangelnder renaler Ausscheidung infolge einer Niereninsuffizienz oder bei einer massiven, bzw. kumulativen Absorption (Kennedy et al. 1984; Schoostra 1990; Seear et al. 1990; Shoskes et al. 1992). Zeichen der Aluminiumintoxikation sind Sprachstörungen, Lethargie, Verwirrung, fehlendes Ansprechen auf Schmerzreize, Reflexausfälle und Konvulsionen (Arrizabalaga et al. 1987; Seear et al. 1990; Shoskes et al. 1992). Bisher wurde in der Literatur über vier Fälle berichtet. Ein Verlauf war tödlich (Phelps et al. 1999; Seear et al. 1990; Shoskes et al. 1992). Bei Patienten mit Niereninsuffizienz sollten die Dauer der Alaunanwendung auf 1–2 Tage und die Dosis auf maximal 3 g/h (300 ml/h) beschränkt sowie Serum-Aluminiumspiegelkontrollen durchgeführt werden (Seear et al. 1990). Weitere Nebenwirkungen sind Fieber, suprapubische Schmerzen und Blasenkrämpfe bei einem Drittel der Patienten, die bei knapp der Hälfte der betroffenen Patienten durch die Gabe von Spasmolytika beherrscht werden können (Arrizabalaga et al. 1987). Über Ileus, eine metabolische Azidose durch eine ungenügende Exkretion der Sulfationen des Alauns bei niereninsuffizienten Patienten und eine Koagulopathie wurde vereinzelt als Komplikationen berichtet (Arrizabalaga et al. 1987; Mukamel et al. 1986; Takashi et al. 1988). Selbst bei versehentlicher intraperitonealer Alaunspülung bei Harnblasenruptur traten keine toxischen Nebenwirkungen auf (Mukamel et al. 1986). Nach ein- oder mehrmaliger Spülung mit einer 1–5%igen Lösung ist primär in 84% der Fälle eine Blutstillung zu erreichen (Arrizabalaga et al. 1987; Goel et al. 1985; Goswami et al. 1993; Kennedy et al.
Kapitel 29 · Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt
412
⊡ Tabelle 29.6. Klinische Ergebnisse der Alauninstillation
Patienten (n)
Ursachen der Blutung BT
III
Radiologisch
Chemotherapeutisch
Andereb
15
13
2
4
2
9
8
1
0
1
12
10
2
0
8
7
7
5
2
1
Erfolg Absolut und in (%)
Autoren
9 (60%)
Arrizabalaga et al. 1987
9 (100%)
0 (0%)
Goel et al. 1985
0
6 (50%)
12 (100%)
Goswami et al. 1993
0
0
8 (100%)
6 (75%)
Kennedy et al. 1984
5
3
3
5 (100%)
0 (0%)
Mukamel et al. 1986
0
1
1
0
1 (100%)
1 (100%)
Seear et al. 1990
9
1
4
1
3
7 (78%)
1 (11%)
Takashi et al. 1988
22
17
?
?
5
22 (100%)
8 (36%)
Wechsel u. Kollwitz 1989
81
58a (72%)
68 (84%)
37 (46%)
22a (27%)
9a (11%)
14a, b (17%)
10 (67%)
Nebenwirkungen Absolut und in (%)
Gesamtergebnis
a
Gesamtzahl >81, Gesamtprozentzahl >100% bei Mehrfachnennungen; b 8× Prostata-Ca. (10%), 5× Cervix-Ca. (6%), 1× post-TURP (1%).
1984; Mukamel et al. 1986; Seear et al. 1990; Takashi et al. 1988; Wechsel u. Kollwitz 1989). Bei 7–70% der erfolgreich behandelten Patienten ist die Blutstillung dauerhaft (Arrizabalaga et al. 1987; Goel et al. 1985; Goswami et al. 1993; Kennedy et al. 1984; Mukamel et al 1986.; Schoostra 1990; Seear et al. 1990; Takashi et al. 1988; Wechsel u. Kollwitz 1989). Schoostra schlug 1990 vor, eine 0,5%ige Lösung im Gegensatz zu den bis dahin gebräuchlichen 1–5%igen Lösungen zu benutzen. Eine 0,5%ige Kaliumalaunlösung ist im Gegensatz zu höherprozentigen Lösungen klar. Durch die Halbierung des Aluminiumgehaltes ist das Risiko aluminiumbedingter Nebenwirkungen deutlich geringer. Außerdem bildet sich bei Anwendung einer 0,5%igen Kaliumalaunlösung keine kolloidartige Substanz, die bei Anwendung höherprozentiger Lösungen gelegentlich den Katheter verstopft und als fester Belag an der Harnblasewand später erforderlich werdende endourologische Operationen erschwert (Schoostra 1990).
Bei der eigenen klinischen Anwendung von 0,5% Kaliumalaun bei 10 Patienten (7 Männer, 3 Frauen) (3× Harnblasentumor, 2× Chemocystitis, 2× Dauerkatheterblutungen, 1× post TURP, 1× Pankreastransplantation in der Technik nach Sollinger, 1× unklare hämorrhagische Zystitis bei Komapatient) wurde primär bei 8 Patienten (80%) eine Blutstillung erreicht. Ein Patient mit blutendem Harnblasentumor musste einer Cystektomie unterzogen werden. Die Blutung aus dem Spenderduodenum bei dem Patient mit Z. n. Pankreastransplantation in der Technik nach Sollinger konnte erst durch eine Aprotinindauerspülung zur Inaktivierung der Pankreasenzyme gestoppt werden. Dabei kamen 2–6 l als Dauerspülung mit einer Tropfgeschwindigkeit von bis zu 300 ml/h zum Einsatz. Nebenwirkungen oder Rezidive traten nicht auf. 0,5% Kaliumalaunlösung ist ein potentes, palliatives Hämostyptikum in der Urologie. Die Aluminiumbelastung kann gegenüber den bisher gebräuchlichen Konzentrationen deutlich gesenkt werden.
413
29.4 · Therapiemodalitäten
Insgesamt führt eine 0,5%ige Alaunlösung nicht zu einer profusen Dauerblutung. Die Gerinnselbildung tritt, gefördert durch eiweißdenaturierende Effekte des Alauns, rasch ein. Die Gerinnsel sind weich und sollten damit nicht leicht zu einer Katheterverstopfung führen. Die Gerinnselexistenzzeit ist ebenfalls kurz, so dass bei anschließenden endourologischen Eingriffen keine Probleme durch Gerinnselauflagerungen an der Harntraktwand zu erwarten sind. Auch unsere Untersuchungen unterstützen die Forderung von Schoostra, eine 0,5%ige statt einer 1%igen Alaunlösung zur palliativen Blutstillung einzusetzen (Schoostra 1990, Vahlensieck 1997). Vorteile der Alaunspülung gegenüber anderen verwendeten Spüllösungen wie z. B. Formalin, Silbernitrat oder Phenol sind die fehlende Toxizität, die einfache Durchführung ohne Allgemeinanästhesie oder einen operativen Eingriff und die daraus resultierende geringe Morbiditäts- und Mortalitätsrate nach der Anwendung.
29.4.3
ε-Aminocapronsäure
ε-Aminocapronsäure wirkt durch die Hemmung der Plasminogenaktivierung antifibrinolytisch. Initial werden 5 g oral oder parenteral gegeben. Anschließend werden 1,0–1,25 g/h bis zu einem Maximum von 30 g in 24 h verabreicht. Im Harntrakt vorhandene Gerinnsel können durch die Substanz wesentlich fester werden, so dass ein Spontanabgang oder die mechanische Entfernung bzw. Zerkleinerung deutlich erschwert sind. Außerdem besteht die Gefahr von Harnstauungsnieren mit akuter Niereninsuffizienz. Deshalb sollte die Substanz bei oberen Harntraktblutungen oder Reflux nicht eingesetzt werden. Als weitere Nebenwirkung können Thrombosen, Arrhythmie, Rhabdomyolyse oder eine Hypotonie auftreten (Übersicht bei DeVries u. Freiha 1990; Singh u. Laungani 1992; Steffens et al. 1990). Durch intravesikale Perfusion (20 mg/100 ml physiologische Kochsalzlösung) konnten Singh u. Laungani (1992) bei 92% der Patienten die – bei ihren Patienten meist moderate – Hämaturie bei Radio-, Chemo- oder interstitieller Zystitis bzw. Harnblasenkarzinom stoppen. Die Spülungsge-
29
schwindigkeit wurde an das Ausmaß der Hämaturie angepasst und die Spülung nach Sistieren der Blutung für 24 h fortgesetzt. Der Erfolg war bei Blutung wegen eines Harnblasentumors am schlechtesten. Über Nebenwirkungen wurden bei dieser Form der Applikation nicht berichtet.
29.4.4
Chemotherapie
Bei einem Non-Hodgkin-Lymphom der Harnblase mit Makrohämaturie berichteten Oh u. Zang (2003) über eine erfolgreiche Blutstillung nach 2 Zyklen CHOP-Chemotherapie (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison).
29.4.5
Fibrinkleber
Bei nichtinfektiöser hämorrhagischer Zystitis kann der lokale oberflächliche Einsatz von Fibrinkleber zum Verschluss der Blutungsquelle führen. Außerdem wird die Wundheilung durch Stimulation der Bildung von Granulationsgewebe beschleunigt. Überschüssiger Kleber wird durch die Urokinase rasch abgebaut. Von den beiden möglichen Verfahren Applikation unter Sicht und blind über einen Sprühballonkatheter mit anschließendem Anpressen des Klebers nach 1– 2 min Einwirkzeit durch den dann aufgeblasenen Ballon an die Harnblasenwand ist letzterem der Vorzug zu geben. Entscheidend ist, während des Eingriffs die Harnableitung für 30 min über Harnleiterschienen unter Umgehung der Harnblase durchzuführen, um einer renalen Obstruktion vorzubeugen. Nachteile des Verfahrens sind die Invasivität mit der Notwendigkeit einer CO2-Gasfüllung der Harnblase und einer Anästhesie sowie eine Misserfolgsquote bis zu 40%. Vorteil ist die fehlende Toxizität der Substanz. Die Ergebnisse waren bei 3–5 Patienten (2× Cyclophosphamidzystitis, 1× Strahlenzystitis) exzellent, bei 2 Frauen (1× Strahlenzystitis, 1× Cyclophosphamidzystitis) allerdings erst nach zweimaliger Kleberapplikation. Bei einem Mann mit
414
III
Kapitel 29 · Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt
Strahlenzystitis fand sich eine Reduktion der Blutung ohne komplettes Sistieren und ein weiterer Patient mit Strahlenblase wies keinen Effekt auf. Vergleichende Untersuchungen zu anderen endourologischen Verfahren, insbesondere denen, die wie die Elektrokoagulation oder der Nd-Yag-Laser eine Nekrosezone hervorrufen, liegen bisher nicht vor (Fabricius et al. 1987; Müller-Mattheis et al. 1988). Bei umschriebenen Blutungsquellen ist die direkte endoskopische Injektion von Fibrinkleber über eine doppelläufige Injektionsnadel in die blutende Läsion als Reserveverfahren bei Misserfolg der Standardverfahren anzusehen (Liedl et al. 1994; Vahlensieck et al.1991)
29.4.6
Formalin
Das zur Desinfektion, zur histologischen Präparation und zum Ledergerben verwendete Formalin führt im Harntrakt durch Kreuzvernetzung der oberflächlichen Proteine zur Bildung einer amorphen Eiweißmasse. Durch diese Gerbung der Mukosa kommen 70–90% der lebensbedrohlichen Blutungen bei fortgeschrittenen Harnblasenkarzinomen, Strahlen- oder Chemozystitis zum Stillstand, nachdem andere Verfahren versagt haben. Da die Irrigation der Harnblase sehr schmerzhaft ist, muss sie in Vollnarkose oder Regionalanästhesie durchgeführt werden. Bei Patienten mit stark reduziertem Allgemeinzustand können 100 ml einer 2%igen Lidocainlösung vor der Formalinirrigation in die Harnblase instilliert werden. Ein Ballonspüldauerkatheter wird sanft gegen den Blasenhals gezogen, um einen Übertritt des Formalins in die Harnröhre oder auf das äußere Genitale zu vermeiden. Durch ein Zystogramm muss vorher ein Reflux ausgeschlossen werden. Anschließend wird die Harnblase mit 1 l einer 1%igen Lösung (entspricht 0,38% Formaldehydgas in Wasser) irrigiert. Dabei wird die Harnblase mit einem Druck von 15 cm Wassersäule komplett aufgefüllt und das Formalin 3–4 min in der Harnblase belassen. Dieser Vorgang wird über insgesamt 15 min wiederholt. Anschließend wird die Harnblase und der Katheter mit 1 l destilliertem Wasser oder 5%iger Glycinlösung gespült. Anschließend wird für 24 h eine Perfusion mit physiologischer Kochsalzlösung ange-
legt. Als Alternative kann auch eine Instillation mit 50–300 ml der Formalinlösung je nach Harnblasenkapazität über 4–30 min erfolgen. Bei einer Persistenz der Blutung kann die Prozedur insgesamt 3- bis 8-mal wiederholt werden. Ob mehr als 3 Behandlungen sinnvoll sind oder nicht, ist umstritten. Bei Gebrauch höherprozentiger Lösungen (bis 10%) steigt die Erfolgsrate nur bei Strahlenzystitispatienten an, doch ist mit einer höheren Komplikationsrate zu rechnen. Die Patienten sollten während der Behandlung eine umgekehrte Trendelenburglagerung einnehmen und eine forcierte Diurese erhalten. Bei Frauen sollte die Vagina mit einer Fettgazetamponade geschützt werden (Übersicht bei DeVries u. Freiha 1990; Übersicht bei Donahue u. Frank 1989; Giannakopoulos et al. 1997; Übersicht bei Mitcheson u. Schiff 1985). Falls doch Refluxpatienten mit Formalin behandelt werden sollen, können die Patienten während der Irrigation entweder in eine sitzende Position gebracht oder die Harnleiter mit (Ballon-) Ureterkathetern geblockt werden (Übersicht bei DeVries u. Freiha 1990; Donahue u. Frank 1989; Übersicht bei Mitcheson u. Schiff 1985). Bei höheren Formalinkonzentrationen treten Inkontinenz (30%), Schrumpfharnblase (40–75%) und häufiges Wasserlassen (30%) relativ oft auf. Bei einem Reflux können Nierenversagen, renale Obstruktion, Papillennekrose oder Harnstau auftreten. Bei einer Perforation der Harnblase sind Peritonitis, Fistelbildung und retroperitoneale Fibrose zu erwarten. Bei intraperitonealer Perforation sollte eine Laparotomie mit intensiver Spülung der Peritonealhöhle durchgeführt werden. Bei extraperitonealer Perforation reicht gegebenenfalls eine Harnableitung über Nephrostomiekatheter und Harnblasenkatheter. Bei 5%iger Lösung versterben 2,2% und bei 10%iger Lösung 5,7% der Patienten (Brown u. McClure 2001; Übersicht bei DeVries u. Freiha 1990; Giannakopoulos et al. 1997; Übersicht bei Mitcheson u. Schiff 1985).
29.4.7
Hormone
Die Fragilität von Blutgefäßen bei der Radio- oder Chemozystitis kann nach einigen Autoren durch die Gabe von Östrogenen verbessert werden. Durch
415
29.4 · Therapiemodalitäten
2×2,5 mg/Tag konjugierte Östrogene p. o. konnten Miller et al. (1994a) bei 5 von 7 Patienten mit Chemo- oder Radiozystitis die Hämaturie stoppen. Bei 3 Patienten wurden die Östrogene primär und bei 4 zusammen mit Formalin (n=3 Patienten) oder Phenol (n=1 Patient) eingesetzt. Die Dosis wurde innerhalb von 2–6 Wochen auf eine Erhaltungsdosis von 625 µg/Tag reduziert. Substanzbedingte Nebenwirkungen traten nicht auf. Die Dauer der Behandlung ist noch unklar, da Miller et al. (1994a) über ein Rezidiv nach Absetzen der Östrogene berichteten. Alternativ kann initial eine Ladungsdosis von 1 mg/kg KG intravenös verabreicht werden. Ab dem 3. Tag werden dann 5 mg oral gegeben (Liu et al. 1990; Rodriguez Luna et al. 1992). Bei florider Makrohämaturie wegen einer benignen Prostatahyperplasie dauert es im Schnitt 12 Tage unter Therapie mit 5 mg Finasterid/Tag, bis die Blutung sistiert. Bei kleinen oder voroperierten (TURP) Drüsen tritt dies schneller ein (Kearney et al. 2002).
29.4.8
Pentosanpolysulfat
Durch die orale Gabe von 3×100–150 mg des pflanzlichen Heparinoids Pentosanpolysulfat beim nüchternen Patienten konnte bei 77% mit hämorrhagischer Radio- oder Chemozystitis eine Kontrolle der Blutung erreicht werden. Als Wirkung wird eine Stabilisierung der Mukosa und der Harnblasenkapillaren postuliert. Über Nebenwirkungen wurde bisher nicht berichtet. Die Dauer der Behandlung ist noch unklar (Hampson u. Woodhouse 1994; Parsons 1996).
29.4.9
Phenol
Die Erfahrungen mit Phenol bei Chemozystitis sind gering. Es soll weniger gravierende Veränderungen der Harnblase herbeiführen als Formalin, da hauptsächlich die Mukosa und nicht die Muskularis alteriert wird. Der narkotisierte Patient erhält dabei eine Instillation von 30 ml 100% Phenol mit 30 ml Glycerin über 1 min über eine Sectio alta. Nach Entleerung der Harnblase wird in diese für 1 min 60 ml 95%iger Ethylalkohol instilliert. An-
29
schließend erfolgt eine gründliche Spülung der Harnblase mit physiologischer Kochsalzlösung (Übersicht bei DeVries u. Freiha 1990 sowie Mitcheson u. Schiff 1985).
29.4.10
Prostaglandine
Die Prostaglandine E1 , E2 und F2α (Carboprost Tromethamin) wurden vereinzelt erfolgreich intravesikal oder parenteral bei Radio- und Chemozystitis sowie viraler Zystitis abwehrgeschwächter Kinder verabreicht. 0,75 mg Prostaglandin E2 bzw. 1,4 mg Prostaglandin F2α verbleiben dabei mit 200 ml physiologischer Kochsalzlösung gemischt über 4 h in der Harnblase. Die Instillation wird täglich bis zum Erfolg wiederholt (bei einem Fall erst nach 142 Anwendungen). Alternativ wurden auch über Dauerperfusionen (0,8–1,0 mg% Prostaglandin F2α) oder andere Dosierungs- und Anwendungsschemata berichtet. Die Erfolgsraten liegen zwischen 50 und 83%. Durch ihren membranstabilisierenden und ödemprotektiven Effekt fördern Prostaglandine die Abheilung von Epithel und Gefäßen sowie Vasokonstriktion und Thrombozytenaggragation. Prostaglandin F2α führt in der Harnblase häufig zu Tenesmen (bis 78%). Über weitere Nebenwirkungen wurde bisher bei intravesikaler Applikation nicht berichtet (Übersicht bei DeVries u. Freiha 1990; Levine u. Jarrard 1993; Miller et al. 1994b; Trigg et al. 1990).
29.4.11
Silbernitrat
Über einen geblockten 18-Ch-Ballonkatheter kann eine Instillation der Harnblase mit 200 ml einer 0,5–1,0%igen Silbernitratlösung in sterilem Wasser über 10–20 min erfolgen. Anschließend wird entweder das Silbernitrat nur abgelassen oder eine Perfusion mit physiologischer Kochsalzlösung angeschlossen. Während der Behandlung ist nach einigen Autoren eine Narkose erforderlich. Mehrere Behandlungen sind möglich. Durch die Behandlung treten sehr oft Blasentenesmen auf. Bei Übertritt des Silbernitrats in das Nierenbeckenkelchsystem kann eine Obstruktion bis hin zum Nierenversagen auftreten.
416
III
Kapitel 29 · Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt
Bei Einsatz wegen Chemo- oder Radiozystitis liegt die Erfolgsrate bei etwa 70%. Nach 4 Wochen bis 2 Jahren treten bis zu 80% Rezidive auf (Übersicht bei DeVries u. Freiha 1990 sowie Mitcheson u. Schiff 1985). Wegen anders nicht zu stoppender Makrohämaturie aus dem oberen Harntrakt bei Sichelzellanämie, Nussknackerphänomen (Kompression der V. renalis zwischen A. mesenterica und Aorta) oder unklarer Ursache wurde Silbernitrat retrograd in einer Dosierung von 10–14 ml (0,25–1%ige Konzentration) bei 7 von 8 Patienten erfolgreich eingesetzt. Gravierende Komplikationen wurden dabei nicht berichtet. Da die therapeutische Alternative die Nierenentfernung wäre, ist das Risiko einer silbernitratinduzierten renalen Obstruktion vertretbar (Bahnson 1987; Diamond et al. 1981; Segawa et al. 1999).
29.4.12
Thiazide bei Hyperkalziurie
Bei Kindern mit Makrohämaturie und Pollakisurie, imperativem Harndrang sowie Algurie wird in 28% der Fälle eine Hyperkalziurie als (Mit-)Auslöser gefunden. Dieser Komplex wird mit Veränderung des Miktionsverhaltens und der Kost, Anticholinergika sowie bei Bedarf mit Thiaziden behandelt. Dies führt oft zum Verschwinden der Makrohämaturie (Parekh et al. 2000).
29.4.13
Tranexamsäure
Tranexamsäure (Anvitoff®, Cyclokapron®) ist ein Inhibitor sowohl von Plasminogen als auch Plasmin und wirkt so als Fibrinolyseinhibitor. Er kann oral, parenteral oder intravesikal verabreicht werden. Die Initialdosis intravenös beträgt 500 mg (1 Amp.), anschließend ist je nach Blutungsstärke eine Dauerinfusion mit 250 mg/h in einer wässrigen Lösung möglich. Die orale Dosis beträgt 3×500–1.000 mg/Tag. Intravesikal wird mit einer Lösung von 1.000 mg/l perfundiert. Bei Blutungen aus dem oberen Harntrakt sollte Tranexamsäure wegen der Gefahr einer Ureterobstruktion nicht eingesetzt werden (Roth et al. 1993).
29.4.14
Weitere Substanzen
Andere Substanzen sind entweder zu toxisch, weniger wirksam, nicht mehr im Handel, selten nötig oder nicht ausreichend untersucht ( s. folgende Übersicht).
Unwirksame, toxische oder in ihrer Wirkung unsichere Substanzen zur pharmakologischen Therapie bei Makrohämaturie ACTH (Übersicht bei Mitcheson u. Schiff 1985; Noordzij u. Dabhoiwala 1993) Äthoxysklerol 3% bei Varizenblutungen aus dem Ileumkonduit (Böhm u. Grigoleit 2000) Aluminiumhydroxid (Noordzij u. Dabhoiwala 1993; Übersicht bei Rodriguez Luna et al. 1992) Aprotinin (Fibrinolysehemmer; Bruester 1969; Lipsky u. Hubmer 1969; Müller-Marienburg u. Brühl 1967; Zwettler et al. 1992) Cyclocapron (Fibrinolysehemmer; Steffens et al. 1990) Dextrose 50% (Stillwell u. Benson 1988) D-Glucosamin (Noordzij u. Dabhoiwala 1993) Dimethylsulfoxid (50 ml einer 50%igen Lösung) bei eosinophiler Zystits oder Chemozystitis durch Nonoxynol (Mayersak u. Viviano 1993; Sibert et al. 2000) Disulfiram (Miller et al. 1994a) Epinephrin (Übersicht bei Sommerkamp u. Finke 1998) Essigsäure (Übersicht bei Brown u. McClure 2001) Glutaraldehyd (Gaston de Iriarte et al. 1981) Kortison (bei Chemozystitis durch Nonoxynol und BCG-Zystitis; Kimura et al. 2003; Mayersak u. Viviano 1993) Metacresolsulfonsäure mit Formaldehyd (Schmucki et al. 1973) (N-Acetyl)Cystein (Müller-Mattheis et al. 1988; Vahlensieck et al.1974) Natrium-2-mercaptoethansulfonat (Miller et al. 1994a) ▼
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Literatur
29
Literatur Levarterinol (Übersicht bei DeVries u. Freiha 1990) Lidocain (Mayersak u. Viviano 1993) Oxoferin Orgoteininjektionen (wegen Nebenwirkungen außer Handel) Rekombinanter Faktor VIIa (nach Knochenmarktransplantation; Blatt et al. 2001) Sucralfat (Henningsohn et al. 1997) Thrombin bei Prostataoperationen (Higaki et al.1988; Noordzij u. Dabhoiwala 1993; Suzuki et al. 1986) Vasopressininfusionen bei Chemozystitis und Sichelzellanämie (Übersicht bei DeVries u. Freiha 1990; Moudgil u. Kamil 1996; Übersicht bei Mitcheson u. Schiff 1985; Stillwell u. Benson 1988) Vitamin E oral (Goldstein et al. 1968; Übersicht bei Mitcheson u. Schiff 1985)
Fazit Bei den meisten Formen der Makrohämaturie ist der Blutverlust selbst nicht problematisch. Die häufig circumskripte Blutung kann in den meisten Fällen durch eine kausale Therapie beseitigt werden. Bei fortgeschrittenen Harnblasenkarzinomen und der hämorrhagischen Chemo- bzw. Radiozystitis sowie einigen anderen Erkrankungen kann die Makrohämaturie bedrohliche Ausmaße annehmen, ohne dass kausale Therapiemaßnahmen zur Verfügung stehen. Hier sollte ein abgestuftes Behandlungskonzept zur Anwendung kommen. Nach forcierter Diurese, Thrombozytenkonzentraten und Dauerspülung mit physiologischer Kochsalzlösung kommen verschiedene Pharmaka lokal oder systemisch zum Einsatz. Als ultima ratio werden radiologische Embolisationsverfahren oder offen chirurgische Gefäßligaturen bzw. Resektionsverfahren eingesetzt.
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418
III
Kapitel 29 · Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt
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III
Kapitel 29 · Pharmakologische Prophylaxe und Therapie von Blutungen im ableitenden Harntrakt
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IV Schmerztherapie T. Wagner
30
Grundlagen der Schmerztherapie T. Wagner
– 423
31
Medikamente in der Schmerztherapie M. Karst
32
Therapie akuter Schmerzen in der Urologie T. Wagner
33
Therapie chronischer Schmerzen und Tumorschmerztherapie – 461 M. Karst, T. Wagner
34
Addendum: Akupunktur in der Urologie M. Karst
– 433
– 449
– 469
30 Grundlagen der Schmerztherapie T. Wagner
30.1 Einführung, Einteilung und Epidemiologie des Schmerzes 30.2 Physiologie und Pathophysiologie des Schmerzes 30.3 Schmerzentstehung
30.6 Nervenschmerz 30.7 Schmerzmessung
– 425
– 425
30.4 Schmerzleitung und Schmerzwahrnehmung 30.5 Nozizeptorschmerz
– 426
– 428
– 428 – 428
30.8 Grundregeln der medikamentösen Schmerztherapie Literatur
– 431
– 424
– 429
IV
424
Kapitel 30 · Grundlagen der Schmerztherapie
30.1
Einführung, Einteilung und Epidemiologie des Schmerzes
Schmerz ist eine mehrdimensionale Sinneswahrnehmung, die nach unterschiedlichen Gesichtspunkten klassifizierbar ist. Zunächst kann eine Abgrenzung unterschiedlicher Schmerzen über die Dauer des Bestehens in chronischen Schmerz und akuten Schmerz erfolgen (⊡ Tabelle 30.1). Etwa 80% aller Patienten suchen einen Arzt auf, da sie unter akuten Schmerzen leiden. Dieser Schmerz hat eine warnende Funktion und ist fast immer mit einer Gewebetraumatisierung vergesellschaftet. Die Behandlung erfolgt bei akutem Geschehen durch die entsprechende Fachrichtung und häufig kann neben der Schmerzreduktion eine restitutio ad integrum erreicht werden. Von diesem Akutschmerz getrennt betrachtet werden muss der chronische Schmerz, der er letztlich durch mehrere Mechanismen seine ursprünglich warnende Funktion verliert und schließlich als eigenständige Entität angesehen werden muss. Ein Schmerz wird dann als chronisch bezeichnet, wenn eine Beschwerdepersistenz oder sogar eine zunehmende Ausbreitung und Intensität der Schmerzen über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten besteht. Neben dem kontinuierlichen Schmerz, wie er z. B. bei Tumorerkrankungen zu finden ist, fällt unter diese Klassifikation auch der chronisch intermittierende Schmerz, wie z. B. die Migräne. Eine weitere Unterteilung von Schmerzsyndromen erfolgt über den pathogenetischen Mechanis-
mus. Ein Nozizeptorschmerz wird durch eine Noxe oder ein Trauma verursacht und über intakte Sinneszellen (Nozizeptoren) und ein funktionierendes neuronales Datentransfersystem an das Gehirn weitergeleitet. Demgegenüber steht der neuropathische Schmerz, der von einem geschädigten Teil des Nervensystems quasi selbst generiert wird (z. B. der Phantomschmerz). Zusätzlich werden Mischformen aus beiden Schmerzentitäten, der sog. »mixed pain« beobachtet. Exemplarisch sei hier die Infiltration des Sacrums bei Prostata- oder Rektumkarzinomen erwähnt, wo es durch osteolytische Prozesse zu einem nozizeptiven Schmerz kommt und gleichzeitig durch direkten Druck auf eine Sakralwurzel ein neuropathischer Schmerz weitergeleitet wird. Nach aktuellen Erhebungen stellen die chronisch Schmerzkranken mit knapp 10% Bevölkerungsanteil, also 8 Mio. Patienten, die größter Gruppe chronisch Kranker in der Bundesrepublik Deutschland dar. Zur Behandlung dieser Patienten stehen zurzeit in Deutschland 579 spezialisierte schmerztherapeutische Einrichtungen in Kliniken und Praxen zur Verfügung. Nur 133 dieser Einrichtungen können eine stationäre Schmerztherapie in knapp 1.700 Betten durchführen. Dieses Missverhältnis zwischen Erkrankten und Therapeuten muss dringend verbessert werden, da die Kosten, die durch chronische Schmerzen entstehen, beträchtlich sind. Am Beispiel von Rückenschmerzen soll verdeutlicht werden, dass die Therapiekosten gegenüber den volkswirtschaftlichen Kosten durch
⊡ Tabelle 30.1. Differenzierung akuter vs. chronischer Schmerz
Akuter Schmerz
Chronischer Schmerz
Sinnvolle, evtl. sogar lebenserhaltende Funktion
Schmerz, der über die zu erwartende Heilungszeit hinausgeht
Warnzeichen
Keine Schutzfunktion für den Organismus
Schmerzwahrnehmung bedingt entsprechende Schutz- bzw. Fluchtreaktion
Eigenständige Schmerzerkrankung entwickelt sich
Relativ einfache psychische Verarbeitung
Physische, psychische und soziale Zermürbung
Hohe Akzeptanz durch Mitmenschen
Geringe Akzeptanz durch Umwelt
425
30.3 · Schmerzentstehung
Arbeitsunfähigkeit bei chronischen Schmerzerkrankungen minimal sind. Die Linderung der Schmerzen ist folglich nicht nur eine »Serviceleistung« des Behandlers, sondern eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe. Hierbei sollte bei akut aufgetretenen Schmerzen eine Schmerzfreiheit des Patienten so schnell wie möglich erreicht werden, um Chronifizierungsmechanismen vorzubeugen. Ist eine Chronifizierung der Schmerzen entstanden, ist meist nur eine Symptomlinderung zu erreichen und konsekutiv exponentiell ansteigenden Kosten durch Rehabilitationsmaßnahmen, Arbeitsunfähigkeitszeiten und Frühberentungen. Hieraus ergibt sich zweifelsohne die Indikation, mit unterschiedlichen Therapiekonzepten zu agieren. Gemeinsam ist jedoch beiden Therapieansätzen die persönliche Zuwendung des Arztes zum Patienten und der Versuch, dem Patienten das »Wieso« und »Warum« des Schmerzes verständlich zu machen. Die Anwendung der »Droge Arzt« ist nicht nur wirtschaftlich und nebenwirkungsarm sondern vielmehr die Grundlage einer Vertrauensbildung im Rahmen des Arzt-PatientenVerhältnisses. Schmerz ist nicht messbar, weswegen der Patient, der seinen Schmerz subjektiv erlebt und somit mit sehr unterschiedlichen Adjektiven belegt, in jedem Fall ernst genommen werden muss. Vor allem chronische Schmerzen führen zu einer Vereinsamung des Patienten, depressiver Stimmungslage und in erster Linie Angst, da der Patient in seiner Integrität durch eben diesen Schmerz bedroht ist. Hieraus resultiert, dass ein medikamentöser Einsatz allein im Rahmen der Schmerztherapie dem multimodalen Erleben des Schmerzpatienten nicht gerecht werden kann. Dies erfordert ein interdisziplinäres Vorgehen bei der Betreuung eines Schmerzpatienten mit Ausnutzung aller, für den Patienten als sinnvoll und vor allem schmerzlindernd anzusehenden, Möglichkeiten.
30.2
30
Physiologie und Pathophysiologie des Schmerzes
Um Schmerzsyndrome adäquat therapieren zu können, sollte man das Wesen und die Entstehungsmechanismen von Schmerz verstehen können. Diesem Anspruch kann man jedoch nur in Teilen der Schmerzpathophysiologie gerecht werden, da bei weitem noch nicht alle Daten und Fakten, vor allem in Bezug auf die Chronifizierungsmechanismen von Schmerzen bekannt sind. Bekannt hingegen sind die Vorgänge der Schmerzentstehung sowie Schmerzleitung und die Verarbeitungsmechanismen im zentralen Nervensystem, wo es nicht nur zur reinen Wahrnehmung sondern auch zur Verarbeitung des Symptomes Schmerz kommt. Hier wird deutlich, dass im Rahmen einer algesiologischen Betreuung eines Patienten nicht nur rein mechanistische Vorstellungen das Handeln eines Therapeuten leiten dürfen, sondern vielmehr auch psychosoziale Komponenten fester Bestandteil einer umfassenden Behandlung des Schmerzpatienten beinhalten.
30.3
Schmerzentstehung
Schmerzrezeptoren, sog. Nozizeptoren, befinden sich in fast allen Geweben des menschlichen Körpers. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass fast 90% aller Nozizeptoren in der Haut zu finden sind, was die Bedeutung des Schmerzes als Schutzund Fluchtorgan verdeutlicht. Nozizeptoren registrieren einerseits von außen heran getragene Reizqualitäten wie mechanische oder thermische Reize, andererseits endogene, chemische Reize wie sie z. B. durch Entzündungsmediatoren ausgelöst werden. Durch eine Gewebstraumatisierung kommt es zu einer Stimulation der Nozizeptoren. Durch Intensität und Dauer der Traumatisierung wird die Erregbarkeit dieser Rezeptoren gesteigert, da es durch die Ausschüttung von Mediatoren aus dem Gewebe oder den afferenten Nervenendigungen eine Erniedrigung der Erregbarkeitsschwelle erreicht wird. Diese Mediatoren sind algogene, also schmerzauslösende Substanzen, zu denen u. a. Prostaglandine, Kinine sowie Wasserstoff- und
426
Kapitel 30 · Grundlagen der Schmerztherapie
⊡ Abb. 30.1. Vereinfachte schematische Darstellung der Schmerzentstehung bei Nozizeptorschmerz
IV Kaliumprotonen gehören (⊡ Abb. 30.1). Durch den permanenten Reiz werden präsynaptisch (auf Rückenmarksebene) Überträgerstoffe wie Glutamat bzw. Substanz-P ausgeschüttet. Diese bewirken postsynaptisch eine Neuroplastizität mit zunehmender Erregungsweiterleitung und dem Effekt der Aktivierung von sog. NMDA-Rezeptoren und einer Genexpression (»immediate early gens«) im Sinne einer Förderung der Erregungsübertragung. Hierdurch entsteht eine anhaltende spinale Übererregbarkeit und somit eine intensivere Wahrnehmung des Schmerzereignisses. Diese Vorgänge können analog auch durch die direkte Zerstörung eines peripheren Nervens bzw. des zentralen Nervensystems, z. B. durch Tumorkompression, ausgelöst werden. Entsprechend ihrer Genese wird der Nozizeptorschmerz von dem Nervenschmerz abgegrenzt.
30.4
Schmerzleitung und Schmerzwahrnehmung
Schmerzimpulse werden zum einen über myelinisierte, schnelleitende (Aδ-)Fasern, zum anderen über nichtmyelinisierte und daher langsamleitende (C-)Fasern weitergeleitet. Während Aδ-Fasern den hellen, gut lokalisierbaren Sofortschmerz im Sinne eines Fluchtreflexes übertragen, vermitteln die C-Fasern den dumpfen, tiefen und schlecht zu lokalisierenden Zweitschmerz. Auf Rückenmarksebene werden diese ersten Neurone auf das zweite Neuron im Bereich der Substantia gelatinosa umgeschaltet. Als Neurotransmitter konnte hier die sog. Substanz-P ermittelt werden. Bevor die zweiten Neurone im Bereich der vorderen Kommisur zur kontralateralen Seite des Rückenmarks kreu-
zen, haben sie Verbindung zu motorischen und sympathischen Efferenzen, über die Reflexe vermittelt werden (Fluchtreflex, Veränderung der Durchblutung). Danach ziehen sie im kontralateralen Vorderseitenstrang (tractus spinothalamicus) weiter zum Gehirn. Über eine Vielzahl von zentralen Verschaltungen bestehen außer zum Thalamus (»Tor des Bewusstseins«) Verbindungen zu Atemund Kreislaufzentrum sowie zum aufsteigenden retikulär aktivierenden System mit Beeinflussung von Wachheit und Aufmerksamkeit. Verbindungen vom Thalamus zur Hirnrinde erlauben die Erkennung des Schmerzortes, durch die Verschaltung zum limbischen System erfolgt die emotional-affektive Komponente. Durch Interaktion mit der Hypophyse entsteht eine Verbindung zum Endokrinium, wodurch es u. a. zur Ausschüttung von Endorphinen kommt (⊡ Abb. 30.2). Im Rahmen der Schmerzweiterleitung kommt es auf Rückenmarksebene (segmental), im Bereich des zentralen Höhlengrau (deszendierende Hemmung) sowie durch Ausschüttung von Endorphinen und Enkephalinen zu Filterprozessen. Diese Hemmmechanismen stellen ein körpereigenes Regulationssystem in der Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung dar und bieten Ansatzpunkte in der Therapie von Schmerzen. Die endogenen, körpereigenen Morphine (Endorphine) spielen eine wichtige Rolle bei der Filterung des Schmerzerlebens. Diese Peptidsubstanzen werden überwiegend aus Nervenendigungen freigesetzt und sind somit als Neurotransmitter zu verstehen. Nur das β-Endorphin wirkt als Hormon und wird über die Hypophyse ausgeschüttet. Durch Stress kommt es zur vermehrten Ausschüttung von Endorphinen und verursacht die sog. Stressanalgesie. Die Wirkmechanismen von Akupunktur und niederfrequenter TENS (transcutane elektrische
30.4 · Schmerzleitung und Schmerzwahrnehmung
427
30
⊡ Abb. 30.2. Schematische Darstellung der Schmerzleitung sowie der Verschaltungen zur Schmerzwahrnehmung
Nervenstimulation) wirken wahrscheinlich über eine vermehrte Endorphinausschüttung. Über das im Hirnstamm befindliche zentrale Höhlengrau werden bei Schmerzen Efferenzen zum Rückenmark aktiviert, die auf Rückenmarksebene aufsteigende Schmerzimpulse filtern. Psychische Faktoren wie Stress, Angst oder Motivation haben entscheidenden Einfluss auf diese deszendierende Hemmung und bewirken eine vermehrte oder verminderte Ausschüttung der Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin in den synaptischen Spalt. Diese Filtermechanismen bilden die Grundlage für den Einsatz von Antidepressiva in der Schmerztherapie, da diese eine re-uptakeHemmung von Serotonin und Noradrenalin bewirken und somit über eine Konzentrationserhöhung der Transmitter im synaptischen Spalt
eine Verstärkung der deszendierenden Hemmung bewirken. Unter segmentaler Hemmung versteht man die Beeinflussung der Schmerzweiterleitung auf Rückenmarksebene. Die schmerzleitenden Aδ- und C-Fasern können durch die Aktivierung hemmender Interneurone durch Aβ-Fasern (Berührungsund Druckempfinden) in ihrer Aktivität gemindert werden (Beispiel: positive Schmerzbeeinflussung durch »wegpusten« des Schmerzes bei Kindern). Dieser Hemmprozess stellt die Grundlage für einige nichtmedikamentöse Therapieansätze wie Akupressur dar. Aus dem eben gesagten wird deutlich, dass nicht nur die Erregung von Nozizeptoren sondern auch die Störung von Hemmmechanismen zu dem Symptom Schmerz führen können (⊡ Abb. 30.2).
Kapitel 30 · Grundlagen der Schmerztherapie
428
⊡ Tabelle 30.2. Differenzierung zwischen somatischem, viszeralem und ischämischem Nozizeptorschmerz
Charakter
Lokalisierbarkeit
Besonderheiten
Somatisch (Knochen, Bindegewebe)
Stechend, scharf, drückend
Gut
Verstärkung durch Druck oder Bewegung
Viszeral
Brennend, dumpf, krampfartig, »tief«
Schlecht, ubiquitär
Übertragung in Head-Zonen Vegetative Symptome
Ischämisch
Hell, pochend
Extremität, auch viszeral möglich
Belastungsabhängig
IV
Durch Ausschaltung der Schmerzhemmung kann es durch die Hyperaktivität der zentralen Neurone zu dem sog. Deafferenzierungsschmerz kommen, der z. B. typisch für Phantomschmerzen ist.
30.5
Nozizeptorschmerz
Dieser Schmerz entsteht durch die direkte Aktivierung von Schmerzrezeptoren in den Geweben. Er stellt die Reaktion des Körpers auf einen von außen herangetragenen Reiz dar oder entsteht durch Veränderungen der körperlichen Integrität (z. B. Gewebedestruktion durch Tumorwachstum). Da er eine eindeutige Warnfunktion hat, repräsentiert er somit den akuten Schmerz, wie er z. B. nach operativen Eingriffen entsteht. Therapeutisch sind nozizeptive Schmerzen einer Analgetikatherapie zugänglich und zumeist opiatsensibel. Die Anwendung des WHO-Stufenschemas zur Therapie von Tumorschmerzen führt bei dem Nozizeptorschmerz fast ausnahmslos zum Erfolg. Zu differenzieren sind der viszerale (übertragene) oder Eingeweideschmerz von dem somatischen (lokalen) Schmerz, der von dem Halteapparat ausgeht (⊡ Tabelle 30.2). Viszerale Schmerzen werden häufig als krampf- oder kolikartig charakterisiert und die Tiefe projiziert. Somatische Schmerzen sind meist gut lokalisierbar und als dumpf, stechend oder ziehend charakterisiert.
30.6
Nervenschmerz
Nervenschmerzen oder neuropathische Schmerzen gehen aus einer Schädigung eines peripheren Nervens oder des zentralen Nervensystems hervor. Therapeutisch sind sie meist schwieriger zu beeinflussen als der Nozizeptorschmerz und zeichnen sich durch eine relative Opiatresistenz (höhere Dosen sind bis zur Wirksamkeit notwendig) aus. Der Schmerzcharakter weicht deutlich von dem nozizeptiver Schmerzen ab und zeigt häufig eine paroxysmale Qualität. Wegweisend ist das Ausbreitungsgebiet der Schmerzen innerhalb eines, von dem gestörten Nerven innervierten Gebietes. Typischerweise findet man bei der Neuropathie sensible (z. B. Un- oder Überempfindlichkeit der Haut), motorische (Lähmungen) und vegetative (Durchblutungs-, Schweißsekretionsstörungen) Störungen. Es werden unterschieden: neuralgiforme Schmerzen, Deafferenzierungsschmerzen und Sympathalgien (komplexe regionale Schmerzsyndrome = CRPS) (⊡ Tabelle 30.3).
30.7
Schmerzmessung
Zur initialen Evaluierung der Schmerzintensität, des Schmerzcharakters sowie der Schmerzausbreitung bzw. -ausstrahlung (⊡ Abb. 30.3) haben sich standardisierte Patientenfragebögen bewährt. In diese Fragebögen sind meist noch Fragen zu der subjektiven Stimmungslage des Patienten inte-
429
30.8 · Grundregeln der medikamentösen Schmerztherapie
30
⊡ Tabelle 30.3. Differenzierung der Nervenschmerzsyndrome
Charakter
Ursache
Besonderheiten
Neuralgie
Schneidend, stechend, attackenweise
Periphere Nervenläsion im Versorgungsgebiet des betroffenen Nerven
Neurologische Ausfälle, Hyp-, An-, Hyperästhesie, Par-, Dysästhesie, Allodynie
Deafferenzierungsschmerz
Brennend, kribbelnd, manchmal als schmerzhafte Taubheit empfunden
Nervenzerstörung mit unterbrochener Afferenz zum Rückenmark
Schmerzen in einem hypoanästhetischem Bereich
Sympathalgie
Brennend, bohrend, Durchblutungsstörungen
Nervendestruktion mit peripherer und zentraler Übereregbarkeit, nicht dermatomgerecht
z. B. CRPS I/II (früher M. Sudeck)
griert. Schmerz ist im klinischen Alltag nicht messbar, wohl aber klassifizierbar. Hierzu bedient man sich am besten standardisierter Skalen, die zwar objektive Ergebnisse liefern, jedoch immer die subjektive Einschätzung des Patienten widerspiegeln. Somit ist die Werteskala der Schmerzstärke nicht übertragbar, sondern nur für diesen einen Patienten vergleichbar. Eine häufig gebräuchliche Skala ist die visuelle Analogskala (VAS), bei der der Patient anhand ei-
ner Schieblade seine augenblickliche Schmerzintensität frei darstellen kann (⊡ Abb. 30.4). Auf der Rückseite der Skala befindet sich eine Einteilung von 0 (= kein Schmerz) bis 10 (oder 100 = stärkster vorstellbarer Schmerz). Diese nummerische Einteilung dient der einfacheren Dokumentation. Im Rahmen der Therapiekontrolle können so wichtige Anhaltspunkte über die Beeinflussbarkeit von Schmerzen gewonnen werden. Bei einem Wert von ≤3 sind die meisten Patienten als ausreichend analgetisch therapiert anzusehen.
30.8
⊡ Abb. 30.3. Zur genauen Schmerzlokalisation sollte man den Patienten den Schmerzort sowie eine eventuelle Schmerzausstrahlung in eine Schmerzfigur zeichnen lassen
Grundregeln der medikamentösen Schmerztherapie
Während bei der Therapie akuter oder postoperativer Schmerzzustände eine Sedierung des Patienten meist wünschenswert erscheint, kann dies für die Behandlung chronischer Schmerzen nicht akzeptiert werden, da der chronisch schmerzkranke Patient durch eine übermäßige Sedierung zusätzlich in seiner Lebensqualität eingeschränkt wäre. Während bei der Therapie akuter Schmerzen eine eher kurzwirksame Analgesie anzustreben ist, damit der Schmerzverlauf engmaschig beurteilt werden kann, sind chronische Schmerzen dauerhaft mit langwirksamen Medikamenten zu behandeln. Die alleinige Bedarfsapplikation von Analgetika bei chronischen Schmerzen ist nicht zu akzeptieren, da hierdurch eine Exazerbation der
430
Kapitel 30 · Grundlagen der Schmerztherapie
⊡ Abb. 30.4. Visuelle Analogskala mit nummerischer Dokumentationsmöglichkeit. Der Patient sollte zur Darstellung der Schmerzintensität eine freie, nichtnummerische Einstellung auf der Skala vornehmen
IV
Schmerzen hervorgerufen werden kann (denke an die psychosoziale Komponente des Schmerzes). Weiterhin sollte der chronisch Schmerzkranke seine Medikamente nach einem festgelegten Schema immer zur gleichen Zeit einnehmen. Hierdurch wird die exzessive Steigerung des Analgetikabedarfes durch die unkontrollierbare Bedarfsmedikation verhindert. Allerdings sollte dem Patienten zur Coupierung von Schmerzspitzen ein kurzwirksames Analgetikum rezeptiert werden. Die alleinige Opiattherapie von akuten Schmerzen ist zwar gerechtfertigt, jedoch kann durch die Supplementierung von antipyretischen Analgetika zusätzlich ein synergistischer Effekt erwartet werden. Dies kann zu einer Reduktion der Opiatdosierung und somit zu einer Verminderung der typischen Opiatnebenwirkung wie Atemdepression und Obstipation führen. Die Verabreichung von Co-Therapeutika bei einer Dauertherapie ist hingegen unbedingt erforderlich ( s. hierzu das WHO-Stufenschema zur Therapie chronischer Schmerzen).
Fazit Die Schmerztherapie ist nach wie vor ein stark vernachlässigtes Gebiet der Medizin. Mehr als 8 Mio. Menschen leiden in der Bundesrepublik Deutschland unter chronischen Schmerzen, wobei die Zahl entsprechender Einrichtungen zur Therapie dieser eigenständigen Krankheitsentität verschwindend gering ist. ▼
Wesentlich bei der Behandlung von Schmerzen ist die Differenzierung der Schmerzursache nach pathogenetischen Gesichtspunkten (neuropathischer vs. nozizeptiver Schmerz) sowie nach dem zeitlichen Verlauf (akuter vs. chronischer Schmerz). Aus dieser Differenzierung ergeben sich grundlegend unterschiedliche Behandlungskonzepte, die neben medikamentösen und invasiven Therapien auch psychologische Instrumente beinhalten. Vereinfacht betrachtet ist bei der Therapie akuter Schmerzen eine Schmerzfreiheit zu fordern, wohingegen bei der chronischen Schmerzerkrankung, so wie bei allen chronischen Erkrankungen, nur eine Symptomlinderung erreicht werden kann. Nozizeptive Schmerzen werden genau wie Tumorschmerzen gemäß WHO-Stufentherapie behandelt. Neuropathische Schmerzen hingegen werden aus einer Kombination von trizyklischen Antidepressiva, Antikonvulsiva sowie Opioiden therapiert. Wichtige Grundlage zur Behandlung von Schmerzen ist die umfassende Anamnese und Untersuchung des Patienten, die meist aufwändige und teure Untersuchungen unnötig macht.
Literatur
Literatur Diener HC, Maier CH (2003) Das Schmerztherapiebuch. 2. Aufl, Urban & Fischer, München Zenz M, Jurna I (2000) Lehrbuch der Schmerztherapie. 2. Aufl, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart Schockenhoff B (1999) Spezielle Schmerztherapie. Urban & Fischer, München Striebel HW (2002) Therapie chronischer Schmerzen. 4. Aufl, Schattauer, Stuttgart Beck H, Martin E, Motsch J, Schulte am Esch J (2002) Schmerztherapie, AINS BD 4, Thieme, Stuttgart Basler HD, Franz C, Kröner-Herwig B, Rehfisch HP, Semann H (1999) Psychologische Schmerztherapie. 4. Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Freye E (2001) Opioide in der Medizin – Wirkung und Einsatzgebiet zentraler Analgetika. 5. Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
431
30
31 Medikamente in der Schmerztherapie M. Karst
31.1
Medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie
31.1.1
Antipyretische (Nichtopioid) Analgetika – 434 NSAR – 435 Paracetamol – 437 Metamizol – 437 Opioidanalgetika – 437 Opioide gegen mäßige und mittelstarke Schmerzen (Opioide der Stufe 2 entsprechend dem WHO-Stufenplan) Opioide gegen starke und stärkste Schmerzen (Opioide der Stufe 3 entsprechend dem WHO-Stufenplan) Koanalgetika – 442 Trizyklische Antidepressiva – 442 Antikonvulsiva – 442 Neuroleptika – 443 Glucocorticoide – 443 Bisphosphonate – 444 Clonidin – 444 Antiemetika – 445 Laxanzien – 445
31.1.2
31.1.3
31.1.4 31.1.5
Literatur
– 446
– 434
– 439 – 440
434
Kapitel 31 · Medikamente in der Schmerztherapie
31.1
Medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie
31.1.1 Antipyretische (Nichtopioid)
Analgetika
IV
Hierzu gehören: nichtsteroidale antiphlogistische Antirheumatika (NSAR), Paracetamol und Metamizol. Antipyretische Analgetika beeinflussen die Biosynthese von Prostaglandinen durch Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase. Prostaglandine erhöhen die Empfindlichkeit der Nozizeptoren gegenüber algogenen Substanzen, zu denen man Bradykinin, Histamin, Serotonin, Substanz P, Noradrenalin u. a. rechnet. Algogene Substanzen werden wie die Prostaglandine selbst bei einer Gewebsschädigung gebildet und freigesetzt. Der Wirkort antipyretischer Analgetika ist verschieden. So hemmt Paracetamol z. B. die Postaglandinsynthese im Gehirn, hat aber im Gegensatz zu den NSAR keine derartige Wirkung in entzündetem Gewebe. In den letzten Jahren ist erkannt worden, dass zwei Isoformen der Cyclooxygenase vorliegen: Cyclooxygenase 1 (COX1) und Cyclooxygenase 2 (COX2). Während die COX1 unter physiologischen Bedingungen in nahezu allen Geweben vorkommt, wird die COX2 vor allem unter pathologischen Bedingungen exprimiert. Dies hat zur Entwicklung selektiver COX2-Hemmer geführt. Der theoretische Vorteil ist eine geringere Nebenwirkungsrate derjenigen Nebenwirkungen, die durch die Hemmung der physiologischen COX1 entstehen können. Hierzu rechnet man: Schleimhautschäden des Gastrointestinaltraktes, Verschlimmerung eines vorbestehenden Asthma bronchiale, Verschlechterung einer schon bestehenden Niereninsuffizienz oder Hemmung der Thrombozytenfunktion.
Zusammen mit der breiteren klinischen Anwendung von selektiven COX2-Hemmern ist allerdings erkannt worden, dass das COX2-Enzym auch unter physiologischen Bedingungen eine wichtige Rolle spielt: Bei der Hochregulation von Renin in Zuständen von Hypovolämie und Hyponatriämie (z. B. unter Diuretikatherapie) und bei der Inhibition von vaskulärem Prostacyclin (dadurch mehr Gefäßverengung) und bei der fehlenden Inhibition von Thromboxan (dadurch Zunahme der Thrombozytenaggregation). Klinisch bedeutet dies, dass der Einsatz von selektiven COX2-Hemmern zurückhaltend erfolgen sollte, sowohl bei Personen mit Niereninsuffizienz als auch bei Personen mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko – sofern nicht gleichzeitig eine Thrombozytenaggregationshemmung durchgeführt wird. Bezogen auf die renale Situation stellt die gleichzeitige Verabreichung mit einem Diuretikum und einem ACE-Hemmer (»triple whammy«) ein zusätzliches Risiko für die Dekompensation einer vorbestehenden Niereninsuffizienz dar. Bei den selektiven COX2-Hemmern Celecoxib und Valdecoxib (und sein i. v.-Prodrug Parecoxib) können allergische Reaktionen bei Personen auftreten, die eine allergische Disposition gegenüber Sulfonamiden aufweisen. Im Vergleich zu traditionellen NSAR haben selektive COX2Hemmer dann Vorteile, wenn ein erhöhtes Risiko für Schleimhautschäden im unteren Bereich des Gastrointestinaltraktes besteht, in dem Protonenpumpenhemmer nicht wirksam sind ( s. unten), und in der perioperativen Situation, bei der ihr Einsatz nicht mit einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden ist. »Keine Substanz hat nur einen einzigen Wirkmechanismus« ist ein Grundsatz, der auch für die antipyretischen Analgetika Gültigkeit hat. Nachgewiesen sind zentrale Effekte an verschiedenen neuroanatomischen Strukturen unter Einbeziehung verschiedener Neurotransmittersysteme. Eine Zusammenfassung des Wirkungsspektrums einiger antipyretischer Analgetika ist der ⊡ Tabelle 31.1 zu entnehmen. Besonders gut geeignet ist ein antipyretisches Analgetikum bei Knochenmetastasen, Weichteilschmerzen, entzündlicher Komponente,
435
31.1 · Medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie
31
⊡ Tabelle 31.1. Wirkungsspektrum verschiedener antipyretischer Analgetika
Analgetisch
Antiphlogistisch
Antipyretisch
Spasmolytisch
Metamizol
+++
(+)
+++
+
NSAR
++
+++
+
-
Paracetamol [i.v.]
+ [+++]
(+)
++
-
Spannungsschmerz innerer Organe und viszeralen Schmerzen.
Die antipyretischen Analgetika haben im Vergleich zu den Opioiden eine relativ geringe Wirkstärke. Deshalb müssen die initialen Dosierungen in der Nähe der empfohlenen Maximaldosierungen liegen und die Zeitintervalle der Nachdosierungen eingehalten werden. Das Überschreiten der Maximaldosierungen ergibt keine Wirkungsverbesserung. Da Nebenwirkungen sich oft nur begrenzt therapieren lassen, muss bei ihrer Zunahme das Medikament abgesetzt werden. Hierbei sind Gegenregulationen des Körpers nicht zu befürchten.
NSAR NSAR sind auf Grund ihres ausgeprägten antiphlogistischen Effektes besonders geeignet bei Schmerzen, die mit einer entzündlichen Komponente und Schwellungszuständen einhergehen. Diese Wirkungsweise kommt insbesondere der Behandlung von knöchernen Affektionen zugute, die meist mit höhergradigen entzündlichen Veränderungen einhergehen. Die gefürchtetsten Nebenwirkungen sind gastrointestinale Blutungen und Komplikationen, die sich aus der Entwicklung von gastrointestinalen Ulcera ergeben wie Blutung und Perforation. Hierfür sind nicht nur die Hemmung der COX1 verantwortlich, sondern auch lokale Faktoren (NSAR als schwache Säuren in der gastrointestinalen Mucosa) und patientenbezogene Risikofaktoren (Anamnese eines peptischen Ulcus, einer gastrointestinalen Blutung oder der Einnahme von H2-Blockern sowie die gleichzeitige Einnahme von Antikoagulantien oder Glucocorticoiden und Unregelmäßigkei-
ten in der Nahrungsaufnahme, höheres Alter sowie Alkohol- und Nikotinabusus). Dabei besteht das größte Risiko für das Auftreten der erwähnten Komplikationen innerhalb des ersten Monats nach Therapiebeginn. Neben der Auswahl möglichst verträglicher NSAR (ggf. selektive COX2-Hemmer, fehlender enterohepatischer Kreislauf, kurze Plasmahalbwertszeit und nichtsaure Prodruggalenik) ist bei Risikopatienten der prophylaktische Einsatz von Misoprostol, Famotidin oder Protonenpumpenhemmer zu empfehlen. Während Misoprostol (600–800 µg/ Tag) auf Grund seines dosisabhängigen Nebenwirkungsprofils (Durchfall, Bauchschmerzen) nur begrenzt zum Einsatz gelangen kann, muss Famotidin sehr hoch dosiert werden (2×40 mg/Tag), um einen prophylaktischen Effekt zu erzielen. Es gibt ausreichend Hinweise dafür, dass bei dem Protonenpumpenhemmer Omeprazol 20 mg ausreichend sind, um ähnlich effektiv wie Misoprostol das Auftreten von gastrointestinalen Schleimhautläsionen zu verhindern, so dass die Verwendung von einem niedrig dosierten Protonenpumpenhemmer sowohl aus medizinischer Sicht als auch aus Kostengründen von Vorteil ist. Ist die Besiedlung des oberen Gastrointestinaltraktes mit Helicobacter pylori (HP) nachgewiesen, wird die Eradikation empfohlen, weil diese Maßnahme ebenfalls zu einer Reduzierung NSAR-assoziierter gastrointestinaler Komplikationen beiträgt. Die gleichzeitige Antikoagulation mit ASS hebt die Vorteile von selektiven COX2-Hemmern in Bezug auf das gastrointestinale Nebenwirkungsrisiko wieder auf, so dass auch hier bei erhöhtem gastrointestinalem Risiko die Beimedikation mit einem Protonenpumpenhemmer zu empfehlen ist.
436
Kapitel 31 · Medikamente in der Schmerztherapie
⊡ Tabelle 31.2. Häufigkeit typischer Nebenwirkungen verschiedener NSAR. Ergebnisse der Metaanalyse von 67 randomisierten Studien zwischen 1966– 1996, in denen ein Therapieabbruch mit einem NSAR während längerzeitiger Schmerztherapie beschrieben wurde. (Nach Jage 2003)
IV
NSAR
Therapieabbruch in Prozent
Diclofenac (n=1.021)
17,8
Indometacin (n=556)
12,7
Naproxen (n=2.743)
7,4
Piroxicam (n=1.407)
4,8
ASS (n=434)
4,7
Ibuprofen (n=665)
3,8
n Gesamtzahl der Patienten pro NSAR.
Zur Häufigkeit typischer Nebenwirkungen, die einen Therapieabbruch erzwingen, siehe ⊡ Tabelle 31.2. Das relative Risiko unerwünschter gastrointestinaler Nebenwirkungen durch verschiedene Faktoren ist zusammenfassend in ⊡ Tabelle 31.3 angegeben. Über die Hemmung der Prostaglandin-gesteuerten Autoregulation der Nierendurchblutung kann es zur Natrium- und Wasserretention kommen und zu vermehrter Volumenbelastung des Herzens mit Widerstandserhöhung im Kreislauf. Innerhalb der ersten 20 Tage nach Therapiebeginn mit einem NSAR muss bei kardial vorbelasteten Patienten mit einem sechsmal höheren Risiko einer Krankenhauseinweisung wegen einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz gerechnet werden.
⊡ Tabelle 31.3. Relative Risikofaktoren für NSARassoziierte GI-Toxizität. (Nach McCarthy 1998)
Risikofaktoren
Relatives Risiko/ »Odds Ratio«
Gleichzeitige Einnahme von 2 oder mehr NSAR
23,3
Gleichzeitige Einnahme von Antikoagulantien
12–16
Unregelmäßigkeiten bei der Ernährung
14,3
Anamnese eines peptischen Ulcus
9,5
Hohe NSAR-Dosen (>120% der normalen durchschnittlichen Tagesdosis)
7,7
Anamnese einer GI-Blutung
6,7
Alter zwischen 70 und 80 Jahre
5,6
Eine gleichzeitige Alkoholassoziierte Diagnose
5,0
Gleichzeitige Einnahme von Glucocorticoiden
4,4
Anamnese früherer Einnahme eines H2-Blockers
3,9
NSAR + ASS (niedrig dosiert)
3,6
Ibuprofen:
Beispiele Acetylsalizyl- 500–1.000 mg alle 4–6 h (z. B. als säure (ASS): Brause-Tbl.) Auch als i.v.-Zubereitung (Aspisol) im Handel Maximale Tagesdosis 6.000 mg Diclofenac: 50–100 mg alle 4–8 h (Retardzubereitungen)
Naproxen:
Zum Beispiel Voltaren resinat 75 mg 12-stdl. Maximale Tagesdosis 300 mg In fixer Kombination mit Misprostol als Arthotec im Handel 400–800 mg alle 6–8 h (Retardzubereitungen) Zum Beispiel Ibuphlogont 800 mg 8- bis 12-stdl. Maximale Tagesdosis 2.400 mg 250–500 mg alle 12 (8) h Maximale Tagesdosis 1.000 mg Zum Beispiel Proxen S 250 und S 500
437
31.1 · Medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie
Piroxicam:
Meloxicam:
Celecoxib:
Etoricoxib:
Valdecoxib:
Mittlere Tagesdosis 20 mg Plasmahalbwertszeit ca. 40 h Zum Beispiel Felden 20 mg Preferenzieller COX2-Hemmer 7,5 oder 15 mg/Tag als Einmalgabe Zum Beispiel Mobec 15 mg Hoch selektiver COX2-Hemmer 100 oder 200 mg in 2 Dosen Zum Beispiel Celebrex 200 mg Hoch selektiver COX2-Hemmer 60–90 mg/Tag als Einmalgabe Zum Beispiel Arcoxia 60 mg Hoch selektiver COX2-Hemmer 20 mg alle 12 (24) h Zum Beispiel Bextra 20 mg Als Prodrug Parecoxib 40 mg auch i.v. möglich (perioperativ alle 12 h)
Paracetamol Da die analgetische Wirkung der enteralen Zubereitungsform nur mäßig ausgeprägt ist, ist Paracetamol nicht als Analgetikum der 1. Wahl bei Erwachsenen zu empfehlen. Allerdings zeichnet es sich durch gute Verträglichkeit bei fehlenden gastrointestinalen Nebenwirkungen aus. Nach wie vor ist Paracetamol das Antipyretikum und Analgetikum der 1. Wahl bei Kindern. Dosis: 500–1.000 mg alle 4 h: Maximale Tagesdosis 6.000 mg Darreichungs- Tabletten, Saft, Zäpfchen. Seit einiformen: ger Zeit auch intravenös zur Kurzinfusion (Perfalgan) mit deutlich größeren analgetischen Potenz als enteral einsetzbar Eine Intoxikation (>10 g) kann zu schweren, u.U. tödlichen Leberzellnekrosen führen.
Metamizol Durch gleichzeitige zentrale Wirkungen sehr effektives Analgetikum mit spasmolytischem Effekt auf die glatte Muskulatur von Gallenblase, Ureter und Darm. Es bestehen keine gastrointestinalen Nebenwirkungen. Wegen des spasmolytischen Effektes ist es besonders gut bei Koliken geeignet. HauptSchockgefahr bei zu schneller intraprobleme: venöser Verabreichung. Aus diesem Grund Kurzinfusion oder Dauerin-
31
fusion ( s. u.). Entwicklung einer Agranulozytose. Umstritten ist die Auftretenshäufigkeit, die zwischen 1:1.700 (Schweden) und 1:30.000 (Deutschland) Anwender angegeben wird bezogen auf die Einnahme über 1 Jahr. Bezogen auf eine Anwenderwoche und auf Deutschland wurde in der Vergangenheit das Auftreten einer Agranulozytose mit 1:1.500.000 angegeben. Halsschmerzen sowie entzündliche Veränderungen im Mund-Hals-Bereich gelten als Verdachtssymptome. Der Nachweis ist die Leukopenie. Die Therapie ist symptomatisch und bedingt das Absetzen des Medikamentes. Dosierungen Novalgin 500–1.000 mg alle 4 h (oral, Supp., Kurzinfusion) oder 6 g/50 ml NaCl 2 ml/h (z. B. postoperativ).
31.1.2 Opioidanalgetika
Dazu gehören Opioide gegen mäßige und mittelstarke Schmerzen (Opioide der Stufe 2 entsprechend dem WHO-Stufenplan) und Opioide gegen starke und stärkste Schmerzen (Opioide der Stufe 3 entsprechend dem WHOStufenplan), Opioide wirken rezeptorspezifisch durch 1. Hemmung der nozizeptiven Erregungsübertragung (im Rückenmark, Thalamus u. a.), 2. Aktivierung deszendierender hemmender Neurone (Ursprung im Mittel- und Stammhirn) und 3. Unterdrückung der Schmerzempfindung durch Reduktion des aufsteigenden Impulsstromes im Thalamus, im limbischen System und Locus coeruleus (Verminderung der affektiven Komponente). Alle Opioidwirkungen werden durch die Bindung und Interaktion an den Opioidrezeptoren hervorgerufen. Es können mehrere Rezeptoren unter-
Kapitel 31 · Medikamente in der Schmerztherapie
438
⊡ Tabelle 31.4. Einige Opioidrezeptortypen und Subtypen im ZNS und derzeit nachgewiesene und vermutete Wirkungen. (Nach Jage 2003)
IV
Rezeptortypen
Wirkungen
δ
Spinale Analgesie
ε
Supraspinale Analgesie
⊡ Tabelle 31.5. Äquianalgetische Dosierungen verschiedener Opioide. Dabei bedeutet das Morphinäquivalent diejenige fiktive Dosis eines Opioids in Milligramm (intramuskulär gegeben), die den gleichen analgetischen Effekt wie 1 mg Morphin (intramuskulär gegeben) hervorruft. Die teilweise unterschiedlichen Faktoren für die orale Anwendung begründen sich in unterschiedlicher oraler Bioverfügbarkeit der Substanzen
κ
Spinale Analgesie, Sedierung
Opiate
µ1
Supraspinale Analgesie
µ2
Atemdepression, Obstipation
σ
Psychotomimetische Effekte
Morphinäquivalent (oral in mg)
(i. m. in mg)
Morphin
60
1
(Dihydro)codein
400 (× 0,15)
6,8 (× 0,15)
Dipidolor
schieden werden (µ, κ, σ, δ, ε und ihre Subtypen). Siehe hierzu ⊡ Tabelle 31.4. Periaquäduktales Grau im Mittelhirn, Raphe-Kerne des Pons-Medullabereichs und Hinterhorn des Rückenmarks sind diejenigen Strukturen, die eine besonders hohe Dichte dieser Rezeptoren aufweisen. Wirkung und Nebenwirkungen der Opioide werden von genetisch bestimmten, individuell unterschiedlichem Verteilungsmuster der Rezeptortypen bestimmt. Dies erklärt die interindividuell unterschiedliche Verträglichkeit und Wirkung verschiedener Opioide. Die schwächer wirksamen Opioide der Stufe 2 weisen eine geringere Bindung und intrinsische Aktivität an den Opioidrezeptoren auf als die starken Opioide der Stufe 3, teilweise sogar eine antagonistische Wirkung am Rezeptor. Aus diesem Grund ist der Dosierungsspielraum der Opioide der Stufe 2 begrenzt. Eine analgetische Wirkungsverstärkung oberhalb einer jeweils typischen Grenzdosis ist kaum möglich. Alle Opioide der Stufe 2 unterliegen nicht der Btm-Verschreibungsordnung. Opioide, die partiell antagonistisch am Rezeptor wirken, sollten nicht mit rein intrinsisch wirkenden Opioiden kombiniert werden. Der antagonistische Anteil der »gemischten« Opioide konkurriert dabei mit den rein intrinsisch wirkenden Opioiden teilweise um die selben Bindungsstellen, so dass die Wirkstärke und die notwendigen Dosierungen unkalkulierbar werden. Trotz der genannten interindividuellen Rezeptorverteilung
1,5 (× 0,7)
Levomethadon
20 (× 3)a
0,5 (× 2)
Buprenorphin
0,8 s. l. (× 75)
0,04 (× 25) 0,01 (× 100)b
Fentanyl Hydromorphon
8,0 (× 7,5)
Oxycodon
30 (× 2)
a
b
0,15 (× 6,8)
Besonders im höheren Dosisbereich individuelle Titration notwendig, z. B. Beginn mit 10% der p. o. Morphintagesdosis als Einzeldosis, jedoch nicht mehr als 6 mg. Transdermal.
und anderer Einflussgrößen existieren zumindest für die starken Opioide sog. äquianalgetische Dosierungen, die einen Austausch untereinander ermöglichen (⊡ Tabelle 31.5). Opioide können auf nahezu jedem Weg in den Körper gebracht werden. Grundsätzlich gilt: Rasche Aufnahme bei akuten Schmerzen. Regelmäßige Aufnahme (Einnahme nach der Uhr, möglichst oral und möglichst in Form einer Retardgalenik) bei chronischen Schmerzen. Die Kontrolle akuter Schmerzen gelingt oft am besten über die intravenöse Verabreichung. Hier gilt das Prinzip der Titrierung (im Gegensatz zu den antipyretischen Analgetika): Ein bestimmtes geringes Quantum wird injiziert, der Effekt nach frühestens 5 min beurteilt,
31.1 · Medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie
und – wenn notwendig – solange in dieser Form nachinjiziert bis der Patient zufriedenstellend schmerzgelindert ist.
Opioide zeigen dosisabhängig folgende Nebenwirkungen
Sedierung Übelkeit/Erbrechen Obstipation Atemdepression Psychotomimetische Störungen Toleranzentwicklung/Suchtgefahr Blasenentleerungsstörungen Juckreiz
Eine Sedierung kann kurzfristig sogar erwünscht sein, bei der Langzeitanwendung gewöhnt sich der Körper innerhalb von 2–3 Wochen daran. Gegen Übelkeit und Erbrechen, die immerhin in ca. 30% aller Fälle auftreten, können zu Beginn einer Opioidtherapie Medikamente eingesetzt werden (Metoclopramid, Neuroleptika, zentrale Antiemetika). Meist kommt es innerhalb von 2–3 Wochen zu einem Rückgang der Symptomatik durch Gewöhnungseffekte. An die Obstipation gewöhnt sich der Körper nicht. Die Ernährung muss darauf eingestellt werden, Laxanzien müssen regelmäßig eingenommen werden. Die perkutane Verabreichung verhindert die direkte Einwirkung auf die Darmwand. Die Gefahr der Atemdepression entsteht, wenn eine zu hohe Dosis in zu kurzer Zeit gegeben wird. Richtet man die Dosis nach der Schmerzstärke aus und erhöht sie vorsichtig genug (»Titration«), lässt sich die Atemdepression relativ sicher vermeiden. Unübersichtlich wird die Situation, wenn sedierende Substanzen (Benzodiazepine, Barbiturate, Alkohol) dazugegeben werden oder postoperativ noch vorhanden sind. Bei längerfristiger Opioideinnahme kommt es zu einer Toleranzausbildung gegenüber der atemlähmenden Opioidwirkung. Entsteht doch eine stärker ausgeprägte Atemdepression, muss eine ausreichende Ventilation sicher gestellt sein gepaart mit vorsichtiger Opioidantagonisierung mit Naloxon (Opioidantagonist). Entzugssymptome dürfen hierbei nicht auftreten. Zu be-
439
31
achten ist, dass die Wirkzeit des Opioidantagonisten Naloxon nur ca. 30 min beträgt, die Wirkung vieler Opioide aber oft mehrere Stunden anhält. Zu psychotomimetischen Störungen rechnet man Verwirrtheit, Halluzinationen, Alpträume und Unruhe. Wenn sie im Therapieverlauf nicht zurückgehen, muss die Dosis verringert werden oder das Opioid gewechselt werden. Im Laufe der Zeit kommt es fast immer zu einer gewissen Toleranzentwicklung, die sich vornehmlich auf die Nebenwirkungen erstreckt, aber auch die Analgesie betreffen kann. Retardgalenik und zeitkontingente Einnahme des Opioids verhindern oder verzögern zu starke Toleranzentwicklungen, die die Analgesie betreffen. Während körperliche Abhängigkeit durchaus auftritt, kommt die psychische Abhängigkeit (Sucht) nicht vor bei ausreichender Führung der Therapie: Dies bedeutet regelmäßige Einnahme und ausreichend hohe Dosierungen. Hinzu kommt die völlig verschiedene Motivationslage: Während ein Süchtiger, Opioide eher zur Realitätsflucht einsetzt, wird ein Schmerzpatient Opioide einnehmen, um schmerzgelindert besser mit den Anforderungen der Realität umgehen zu können (Reintegration). Bei Harnverhaltungen können Medikamente helfen (Carbachol), manchmal gibt es eine Gewöhnung, unter Umständen hilft ein Opioidwechsel, zur Not der Blasenkatheter. Bei kolikartigen Schmerzen kann die gleichzeitige Verabreichung von Butylscopolamin und/oder Nitroverbindungen den ungünstigen Effekt der Opioide auf die glatte Muskulatur reduzieren. An das Hautjucken erfolgt keine Gewöhnung. Medikamente (Clemastin, Promethazin u. a.) oder ein Opioidwechsel können helfen. Endogene Ursachen, die nichts mit dem Opioid zu tun haben, müssen beachtet werden: z. B. Gallengangsverlegung, Nierenversagen, Diabetes mellitus.
Opioide gegen mäßige und mittelstarke Schmerzen (Opioide der Stufe 2 entsprechend dem WHO-Stufenplan) Bei schwachen bis mittelstarken Schmerzen kann diese Opioidgruppe zum Einsatz gelangen, bevor die stark wirksamen Btm-pflichtigen Opioide der Stufe 3 angewendet werden. Die Kombination mit einem antipyretischen Analgetikum ist sinnvoll,
440
Kapitel 31 · Medikamente in der Schmerztherapie
die Kombination mit einem stark wirksamen Opioid ergibt keinen zusätzlichen Vorteil.
Opioide gegen starke und stärkste Schmerzen (Opioide der Stufe 3 entsprechend dem WHO-Stufenplan)
Beispiele
Bei starken und stärksten Schmerzen kann diese Opioidgruppe zum Einsatz gelangen. Die Kombination mit einem antipyretischen Analgetikum ist sinnvoll, die Kombination mit einem schwach wirksamen Opioid ergibt keinen zusätzlichen Vorteil. Ihr Einsatz kann primär erfolgen oder dann, wenn eine Kombination aus einem schwachen Opioid mit einem antipyretischen Analgetikum nicht ausreicht. Eher aus Gewohnheit und Vertrautheit und auf Grund der niedrigen Kosten als auf Grund erwiesener Überlegenheit ist Morphin das Opioid der 1. Wahl. Als Opioide der 2. Wahl gelten Fentanyl (Durogesic SMAT-Pflaster), Methadon, Oxycodon, Hydromorphon und Buprenorphin. Piritramid, das nur als intravenöse Zubereitung existiert, eignet sich gut zum kurzfristigen parenteralen Morphinersatz. Als reine µ-Agonisten unterliegen die Opioide der Stufe 3 keiner Dosierungsbegrenzung. Die maximale Dosis wird durch die Nebenwirkungen limitiert. Einzige Ausnahme ist Buprenorphin, das zwar eine 25–50fach höhere Affinität zu den Opioidrezeptoren aufweist als das Morphin, aber als partieller Agonist eine geringere intrinsische Wirkung am Rezeptor entfaltet. Dies bedeutet, dass in höheren Dosisbereichen ein Sättigungseffekt (Ceiling-Effekt) an den Opioidrezeptoren entstehen kann, so dass durch weitere Erhöhung der Dosis keine stärkere Analgesie erreicht werden kann. Gegenüber früheren Annahmen, dass dieser Sättigungseffekt ab einer 24-h-Dosis von etwa 4 mg auftritt, zeigt die klinische Erfahrung, dass eine Zunahme der Analgesie auch noch in Dosen darüber hinaus bestehen kann. Der Sättigungseffekt gegenüber Atemdepression stellt sich ab einer 24-h-Dosis von etwa 8 mg ein.
Codein:
IV
Tramadol:
Tilidin/ Naloxon:
Bei akuten Schmerzen in fixer Kombination mit Paracetamol: z. B. Nedolon P (500 mg Paracetamol + 30 mg Codein) oder Talvosilen forte Supp. (1.000 mg Paracetamol + 60 mg Codein) Bei chronischen Schmerzen Dihydrocodein (DHC): 60–180 mg 8- bis 12-stdl. Maximale Tagesdosis: 720 mg 200 mg p. o. entsprechen der Analgesie von 30 mg Morphin p. o. Bei akuten Schmerzen in Tropfenform (20–40 Trpf. entsprechen 50– 100 mg) oder intravenös die gleiche Menge. Besonders wirkungsvoll in der Kombination mit Metamizol 500–1.000 mg Bei chronischen Schmerzen in Retardgalenik: z. B.Tramal long 100– 200 mg 8- bis 12-stdl. Maximale Tagesdosis: 600–800 mg 100 mg i. m. und 10 mg Morphin i. m. gelten als äquianalgetisch Bei akuten Schmerzen in Tropfenform (20–40 Trpf. entsprechen 50– 100 mg). Wirkungsbeginn bereits nach 10 min Minuten Bei chronischen Schmerzen in Retardgalenik: z. B. Valoron N retard 50–150 mg 8- bis 12-stdl. Maximale Tagesdosis: 600 mg 100 mg p. o. entsprechen der Analgesie von 10 mg Morphin p. o. Das bei enteraler Aufnahme inaktivierte Naloxon ist beigemischt, um die missbräuchliche intravenöse Anwendung zu verhindern.
Beispiele Piritramid:
Gut zur postoperativen Schmerztherapie geeignet Einzeldosis 2–4 mg »titriert« intravenös Häufig in Form von patientenkontrollierter Analgesie (PCA) im Einsatz
441
31.1 · Medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie
Morphin:
Buprenorphin:
Levomethadon:
Zulassung nur für intravenöse Anwendung. Handelsname Dipidolor 1 mg entsprechen äquianalgetisch 0,7 mg Morphin Bei akuten Schmerzen 1,5–5 mg »titriert« intravenös Bei chronischen Schmerzen in Retardgalenik: z. B. 30–200 mg MST 8- bis 12-stdl. Bei Schmerzspitzen 8–16 Trpf. Morphin-Merck 2% (10–20 mg) Wegen eines ausgeprägten Firstpass-Effektes in der Leber kommen bei oraler Aufnahme nur ca. 30% der Ausgangsdosis im ZNS an. Dies muss berücksichtigt werden, wenn der Verabreichungsweg gewechselt wird Es existieren verschiedene Zubereitungen (Capros, MST -Retard-Granulat), die sondengängig sind und trotzdem eine retardierte Freisetzung gewährleisten Bei akuten oder chronischen Schmerzen 0,2–0,8 mg Temgesic alle 6–8 h sublingual Keine orale Verabreichung wegen starkem First-pass-Effekt Auch als transdermales System im Einsatz (Transtec) mit verschiedener Wirkstoffabgabedosis (µg/h) (35; 52,5; 70). Für transdermale Systeme typische träge Pharmakokinetik, daher nicht geeignet für die Akutschmerztherapie Sättigungseffekt gegenüber Analgesie kann ab etwa 4 mg, gegenüber Atemdepression ab etwa 8 mg 24-hDosis auftreten. Eine Dosisanpassung bei älteren Personen ist meist nicht notwendig Mittel der 2. Wahl, wenn die Morphintherapie wegen analgetischer Ineffektivität oder anhaltend starker Nebenwirkungen problematisch ist. 10–20 Trpf. L-Polamidon (2,5–5 mg) alle 8–12 h (1 ml = 20 Trpf.)
Hydromorphon:
Oxycodon:
Fentanyl:
31
20–30 Trpf. (5–7,5 mg) bei vorheriger Morphintherapie Steigerung in Milligrammschritten wegen Kumulationsgefahr 1 mg Levomethadon i. m. entsprechen äquianalgetisch 0,5 mg Morphin i.m. Mittel der 2. Wahl, wenn die Morphintherapie wegen analgetischer Ineffektivität oder anhaltend starker Nebenwirkungen (Sedierung, psychotomimetische Störungen, Pruritus, Übelkeit/Erbrechen) problematisch ist. Wegen geringer Plasmaeiweißbindung auch gut geeignet, wenn eine umfangreiche Beimedikation besteht 4–24 mg (oder mehr) Palladon alle 8–12 h 7,5 mg p. o. entsprechen äquianalgetisch 60 mg Morphin p. o. Geringere psychotomimetische Wirkungen, bessere orale Bioverfügbarkeit als Morphin Duale Freisetzungsgalenik der Retardzubereitung: Wirkungsmaximum wird bereits nach 1 h erreicht (bei MST erst nach 2 h) 10–40 mg (oder mehr) Oxygesic 8bis 12-stdl., Steigerungen in 30%Schritten möglich 30 mg p. o. entsprechen äquianalgetisch 60 mg Morphin p. o. In der Hand des Erfahrenen als Akutschmerzmittel intravenös und rückenmarknah im Einsatz Wird in der Therapie chronischer Schmerzen als Fentanylpflaster (Durogesic SMAT) verwendet Rotation von Morphin auf Durogesic SMAT bei kaum therapierbaren Nebenwirkungen. Primär auch bei Schwierigkeiten oraler Aufnahme Geringste Dosis 12 µg/h (0,288 mg/ 24 h), höchste Dosis als Einzelpflaster: 100 µg/h (2,4 mg/24 h). Es können aber auch mehrere Pflaster gleichzeitig geklebt werden
442
IV
Kapitel 31 · Medikamente in der Schmerztherapie
Wechsel alle 72 h, in Ausnahmefällen alle 48 h Erst 3–24 h nach dem Auftragen des Pflasters wird die maximale Blutkonzentration erreicht. Deshalb ist ein überlappender Therapiebeginn notwendig, wenn das Pflaster nicht als primäre Therapie eingeführt wird. Niemals aber ist das Pflaster für die Akutschmerztherapie geeignet 0,6 mg/24 h Fentanyl transdermal entsprechen äquianalgetisch 60 mg orales Morphin/24 h.
31.1.3 Koanalgetika
Neben den antipyretischen Analgetika und den Opioiden sind weitere Substanzen für die Schmerztherapie sinnvoll einsetzbar. Mit ihrer Hilfe lassen sich teilweise erhebliche Mengen an Opioiden einsparen und damit opioidbedingte Nebenwirkungen verringern. Manchmal gelingt es überhaupt erst durch den Einsatz von Koanalgetika eine zufriedenstellende Schmerzlinderung zu erreichen. Wichtige Koanalgetika sind: trizyklische Antidepressiva, Antikonvulsiva, Neuroleptika, Glucocorticoide, Bisphosphonate und Clonidin.
Trizyklische Antidepressiva Die Wirkung erfolgt über die Hemmung der Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin im ZNS. Der Einsatz ist bei allen Arten von neuropathischen Schmerzen, aber auch bei chronischen Schmerzen in Verbindung mit Schlafstörungen und Depression möglich.
Beispiele Eher antriebshemmend und anxiolytisch wirkend: Amitriptylin (Saroten) Maximal bis 150 mg/Tag Z. B. Saroten Tabs retard 75–0–75 mg Eher antriebssteigernd wirkend: Clomipramin (Anafranil) Maximal bis 75 mg/Tag Z. B. Anafranil retard 25–25–0 mg Eher stark antriebssteigernd wirkend: Nortriptylin (Nortrilen) Maximal bis 50 mg/Tag Z. B. Nortrilen 25–25–0 mg ! Cave! Immer einschleichend dosieren. Also z. B. erst mit 10 mg beginnen und erst nach einigen Tagen schrittweise weiter die Dosis erhöhen.
Nebenwirkungen: Zu Beginn der Therapie oft ausgeprägte Müdigkeit, die bei niedriger Einstiegsdosis und schrittweiser Dosiserhöhung meist zurückgeht. Bei alleiniger Abenddosis oft auch erwünscht. Mundtrockenheit, Hypotension, Herzrhythmusstörungen, Obstipation, Miktionstörungen, Akutes Glaukom, Blutbildveränderungen. Kontraindikationen: akutes Glaukom, kardiale Reizleitungsstörungen höheren Gra-
des, frischer Herzinfarkt, manifeste Herzinsuffi-
zienz, Miktionsstörungen bei Prostatahypertrophie
(relativ), Epilepsie (relativ) bzw. Pylorusstenose (relativ).
Antikonvulsiva Die Wirkung erfolgt u. a. über die Hemmung des neuronalen Natriumeinwärtsstroms mit Hemmung der synaptischen Erregungsübertragung. Der Einsatz ist bei allen Arten von neuropathischen
443
31.1 · Medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie
Schmerzen, besonders aber bei einschießenden, paroxysmal auftretenden Schmerzen möglich.
Levomepromazin (Neurocil)
– 5–5–10(20) mg als Tropfen, Tabletten, Kurzinfusion – Stark sedierend wirkend: Bei Schlafstörungen nur abendliche Dosis
Beispiele Carbamazepin (Timonil, Tegretal)
– Maximal bis 1.200 mg/Tag – Z. B. Timonil 200 mg 3- bis 4-mal/Tag Gabapentin (Neurontin) – Maximal bis 2.400 mg/Tag, in Ausnahmefällen 3.600 mg/Tag – Gute Effekte oft schon in geringerer Dosierung – Z. B. Neurontin 100–400 mg 3- bis 4-mal/ Tag ! Cave! Immer einschleichend dosieren. Also z. B. erst mit 200 mg (Carbamazepin) oder 100 mg (Gabapentin) beginnen und erst nach einigen Tagen schrittweise weiter die Dosis erhöhen.
Nebenwirkungen: Zu Beginn der Therapie oft ausgeprägte Müdigkeit, die bei niedriger Einstiegsdosis und schrittweiser Dosiserhöhung meist zurückgeht. Bei alleiniger Abenddosis oft auch erwünscht. Herzrhythmusstörungen (nur Carbamazepin). Blutbildveränderungen (nur Carbamazepin). Kontraindikationen: AV-Block 2. und 3. Grades (nur bei Carbamazepin), schwere Knochenmarkschädigung (nur bei Carbamazepin) bzw. akute Pankreatitis (nur bei Gabapentin).
Neuroleptika Die Wirkung erfolgt über die Blockade des Dopaminrezeptors an der postsynaptischen Membran. Dadurch sind antiemetische, anxiolytische (Schmerz distanzierende) und sedierende Effekte möglich.
Beispiele Haloperidol (Haldol)
– Alle 8 h 0,5–5 mg als Tropfen, Tabletten, Kurzinfusion – Zur Antiemesis ist oft nur eine geringe Dosis notwendig
31
Nebenwirkungen: anticholinerge Wirkungen (Mundtrockenheit,
Mydriasis, Obstipation, Miktionsstörungen), sympathikolytische Wirkungen (Hypotensi-
on, (reflektorische) Tachykardie, Schwindel), Senkung der Krampfschwelle (Krampfanfall), endokrine Wirkungen (Gynäkomastie, Ame-
norrhö, Gewichtszunahme), extrapyramidal-motorische Wirkungen
(Frühdyskinesie, Parkinson-Syndrom) bzw. malignes neuroleptisches Syndrom (Bewusst-
seinsverlust, Fieber, Hypotension). Kontraindikationen: akutes Glaukom, Epilepsie, Depression (relativ), Prostatahypertrophie (relativ) bzw. M. Parkinson (relativ).
Glucocorticoide Glucocorticoide besitzen antiödematöse und antiphlogistische Wirkungen. Sie unterstützen die Inhibition der Phospholipase A2, das Schlüsselenzym des Phospholipidabbaus, der besonders bei Gewebetraumatisierung gesteigert ist. Dadurch kommt es zu einem geringeren Anstau von Arachidonsäure, dem Ausgangsprodukt der Prostaglandinsynthese ( s. auch oben). Glucocorticoide unterdrücken weitere entzündungsauslösende und entzündungsunterhaltende Substanzen wie Leukotriene oder Interleukine. Zusätzlich haben sie vermutlich auch zentrale Effekte. In kontrollierten Studien konnten Effekte bei metastatischen Knochenschmerzen und tumorbedingten Kompressionsschmerzen nachgewiesen werden. Außerdem besitzen sie stimmungsaufhellende und appetitanregende Wirkungen. Stets ist ein gezielter Einsatz von Tagen bis zu einigen Wochen zu empfehlen. Als sehr wirkungsvoll hat sich die Fortecortin-Stoßtherapie gezeigt:
444
IV
Kapitel 31 · Medikamente in der Schmerztherapie
40 mg Dexamethason (Fortecortin) i. v. als
Beispiele
Kurzinfusion über 3 Tage, 20 mg Dexamethason (Fortecortin) i. v. als Kurzinfusion über 2 Tage und 4×4 mg Dexamthason (Fortecortin) oral über einige Tage.
Pamidronsäure (Aredia)
Dann wird eine schrittweise weitere Reduktion auf eine Erhaltungsdosis von 4–8 mg morgens empfohlen. Als Magenschutz dient z. B. 50 mg Ranitidin (Zantic) zu den Infusionen i.v., oder täglich 20 mg Pantoprazol (Pantozol) oral. Nebenwirkungen: erhöhtes Infektionsrisiko (bei Tumorpatienten
z. B. Aktivierung eines Herpes zoster), Magen-Darm-Ulcera, diabetogene Stoffwechsellage, Nebennierenrindensuppression (schon nach
5 Tagen Therapie, daher immer »ausschleichen«) bzw. Osteoporose. Kontraindikationen: schwere bakterielle Infektionen oder Myko-
sen, floride Magen-Darm-Ulcera, gleichzeitig NSAR (relativ) und Osteoporose, Diabetes mellitus, Thrombose
(relativ).
– 60–90 mg in 500 ml NaCl 0,9% einmal pro Woche. Insgsamt 4 Infusionen – Auch: 90 mg in 500 ml NaCl 0,9% einmal pro Monat über 12 Monate hinweg Zoldronsäure (Zometa) – 4 mg als Kurzinfusion in 100 ml NaCl 0,9% einmal pro Woche. Insgesamt 4 Infusionen – Auch: 4 mg als Kurzinfusion in 100 ml NaCl 0,9% einmal pro Monat über 12 Monate hinweg Calcitonin (Karil): Auch bei Deafferenzierungsschmerz (z. B. maligner Genese) – 200 I.E. in 500 ml NaCl 0.9%/Tag über 1 Woche, in der 2. Woche an 3 Tagen, in der 3. Woche an 2 Tagen und in der 4. Woche noch einmal. – Um Nebenwirkungen gering zu halten, ist eine langsame Infusion (verdünnt in 500 ml NaCl 0,9%) über ca. 2 h zu empfehlen. Nebenwirkungen: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Sedierung, Duchfall, Hypertension, Hypotension, Tachykardie, grippeartige Symptome und Unruhe, Verwirrtheit.
Bisphosphonate
Kontraindikationen:
Die Wirkung erfolgt über die Hemmung der Osteoklastenaktivität im Knochen. Dadurch kommt es zur Verringerung der Freisetzung von entzündungs- und schmerzvermittelnden Substanzen aus tumorbetroffenem Gewebe und vermindertem Knochenabbau. Die Knochenbildung wird angeregt. Im urologischen Bereich bilden insbesondere das Prostatakarzinom und das Hypernephrom Knochenmetastasen, die oft mit erheblichen Knochendefekten, Instabilität, Spontanfrakturen, Hyperkalzämie und Schmerzen einhergehen.
Schwere Niereninsuffizienz
Clonidin Clonidin ist ein α2-Adrenozeptoragonist, der an verschiedenen Stellen des nozizeptiven Systems die Wirkung des Transmitters Noradrenalin im ZNS nachahmt, der eine Rolle bei den noradrenergen deszendierenden hemmenden Schmerzbahnen spielt. Außerdem dämpft Clonidin den zentralen Sympathikotonus, was auch die Begleitreaktionen Hypotension und Bradykardie erklärt. Auf spinaler Ebene befinden sich die α2-Adrenozeptoren in enger Nachbarschaft zu den µ-Opioidrezeptoren. Die Aktivierung beider Rezeptoren führt zu einer Hemmung der synaptischen Erregungsübertra-
445
31.1 · Medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie
gung. In Bezug auf ihre analgetische Wirkung verstärken sich Morphin und Clonidin gegenseitig. Dadurch kann Clonidin dazu beitragen, dass bei ausgeprägter spinaler Opioidtoleranz die Opioidrezeptoren wieder auf ein Opioid ansprechen. Clonidin kann eingesetzt werden bei schweren neuropathischen Schmerzen, aber auch bei ausgeprägten postoperativen Schmerzen.
Beispiel Intravenös: 5 µg/kg oder als Dauerinfusion mit
großem Dosierungsspielraum (cave: Bradykardie und Hypotonie) Peridural: 6–8 µg/kg oder als peridurale Dauerinfusion (30–75 µg/h) Oral: 0,075–0,150 mg 1- bis 4-mal pro Tag (einschleichend dosieren, auch Retardzubereitungen möglich: Depot-Kps. (Catapresan Depot Perlongetten) zu 0,25 mg Nebenwirkungen: Mundtrockenheit (40%), Müdigkeit (33%), Benommenheit (16%), Obstipation (10%), Orthostatische Störungen bzw. Miktionsstörungen (0,2%).
31
Weitere mögliche Ursachen sind abdominelle Probleme ([Sub-]Ileus, Pylorusstenose u. a.), metabolische Störungen (z. B. Urämie, Hyperkalzämie) und erhöhter Hirndruck. Übelkeit und Erbrechen werden ausgelöst durch Erregung von Chemorezeptoren in der Area postrema der Medulla oblongata entweder durch afferente Impulse aus dem oberen GITrakt oder direkt über Rezeptorwirkung (Opioide), Vestibularisreizung und Hirndrucksteigerung oder psychische (visuelle oder olfaktorische) Stimuli. Als antiemetische Substanzen kommen in Frage: prokinetische Substanzen: z. B. Metoclopramid (Paspertin) 3×10 mg, Neuroleptika: z. B. Haloperidol (Haldol) 3×0,5 mg, Antihistaminika: z. B. Dimenhydrinat (Vomex A) 3×100–200 mg, 5-HT3-Antagonisten: z. B. Tropisetron (Navoban) 1×5 mg, Glucocorticoide: z. B. Dexamethason (Fortecortin) 1×4–8 mg oder Anticholinergika: z. B. Scopolamin (Scopoderm TTS) 1 Pflaster (1,5 mg)/3–4 Tage.
Kontraindikationen: AV-Block 3. Grades, extreme Bradykardie und Hypotonie bzw. Raynaud-Syndrom.
31.1.4 Antiemetika
Ca. 30% aller Patienten, die mit einem Opioid behandelt werden, klagen über Übelkeit und Erbrechen. In den meisten Fällen kommt es innerhalb der ersten Behandlungswochen zu einem Rückgang der Symptomatik. Bis dahin ist eine konsequente antiemetische Therapie zu empfehlen. Übelkeit und Erbrechen ist auch ein typisches Begleitsymptom hoch oder mäßig emetogener Chemotherapie: Mehr als 75% der Patienten klagen in der Woche nach der Chemotherapie über Übelkeit und mehr als 55% über Erbrechen trotz wirkungsvoller antiemetischer Therapie.
31.1.5 Laxanzien
Obstipation ist entweder durch eine verzögerte Darmpassage oder einen gestörten Entleerungsreflex bedingt. Ursachen für eine verzögerte Darmpassage sind u. a. ballaststoffarme Ernährung, Tumore, Arzneimittel (Opioide, trizyklische Antidepressiva, Clonidin u. a.). Ein gestörter Defäkationsmechanismus kommt u. a. vor bei Hämorrhoiden, Analfissuren, Verlust des rektalen Dehnungsreflexes und Schwäche der Bauchpresse. Opioide haben bei den meisten Menschen eine ausgeprägt obstipierende Wirkung, die sowohl durch eine Herabsetzung der Darmmotilität und der intestinalen Sekretion als auch durch Wirkung auf cerebrale und spinale Rezeptoren bedingt ist. Leider kommt es hier nicht zu einer Toleranzentwicklung. Deshalb muss eine Schmerztherapie mit
446
IV
Kapitel 31 · Medikamente in der Schmerztherapie
Opioiden nahezu immer mit Laxanzien unterstützt werden. Verdauungsfördernde Basismaßnahmen sind Mobilisation, ballaststoffreiche Kost und reichlich Flüssigkeit. Diese sind nicht immer einsetzbar (z. B. bei fortgeschrittener Tumorerkrankung). Als Laxanzien kommen in Frage: osmotisch wirksame Substanzen: z. B. Macrogol 3350 (Movicol) 3–9 Beutel/Tag, Lactulose (Bifiteral) 3 (oder mehr) × 10–20 g, antiresorptiv und hydragog wirkende Substanzen: z. B. Natriumpicosulfat (Laxoberal) 1×5– 10 mg oder z. B. Sennosid B (Liquidepur) 1×1– 2 Essl., Gleitmittel: z. B. Paraffin (Agarol) 1×1–2 Essl. und Substanzen mit Wirkung auf den Defäkationsreflex: z. B. Sorbit (Microklist) 1×1 Klysma. Stufenplan zur Therapie der Obstipation: 1. Macrogol 3350 (Movicol)/Elektrolyte, 2. Macrogol 3350 (Movicol)/Elektrolyte + Natriumpicosulfat (Laxoberal), 3. Macrogol 3350 (Movicol)/Elektrolyte + Sennosid B (Liquidepur), 4. Macrogol 3350 (Movicol)/Elektrolyte + Sennosid B (Liquidepur) + Paraffin (Agarol), 5. Macrogol 3350 (Movicol)/Elektrolyte + Sennosid B (Liquidepur) + Paraffin (Agarol) + Suppositorium (Dulcolax)/+ Einlauf (Microklist), 6. Sennosid B (Liquidepur) + Paraffin (Agarol) + Amidotrizoat (Gastrografin), 7. Ricinusöl oder 8. manuelle Ausräumung. Der Abbau der im Dünndarm nicht absorbierbaren Lactulose im Dickdarm durch Bakterien geht u. a. mit Bildung von Milchsäure und verschiedenen Gasen einher. Dies kann zu ausgeprägter, schmerzhafter Spastik führen. Aus diesem Grund sollte Lactulose mit einem Sennaextrakt (z. B. Liquidepur) kombiniert werden, das durch direkte Stimulation am Plexus myentericus spastische Effekte durch Lactulose reduzieren kann, oder durch das von Bakterien nicht abbaubare Macrogol 3350 ersetzt werden. Das in der Vergangenheit häufig eingesetzte Prokinetikum Cisaprid (Propulsin) ist wegen teil-
weise tödlicher Störwirkungen am kardialen Reizleitungssystem vom Markt genommen. Fazit Zur pharmakologischen Behandlung schmerzhafter Zustände im urologischen Bereich kommen vor allem Nichtopioid-Analgetika und Opioide zum Einsatz, wobei die Kombination überadditive Effekte ergibt mit Einsparpotenzialen in den Einzeldosierungen, womit die Nebenwirkungsraten gesenkt werden können. Bei Schmerzen in Verbindung mit starken Schwellungszuständen sind NSAR, bei kolikartigen Schmerzen Metamizol Mittel der ersten Wahl. Bei Knochenschmerzen im Zusammenhang mit Metastasenbildung können die auf Osteoklasten hemmend wirkenden Bisphosphonate eingesetzt werden. Neuropathische Schmerzen zwingen häufig zum Einsatz von Antikonvulsiva und Antidepressiva, während Opioide zwar in den meisten Fällen auch helfen, aber oft erst in höheren Dosisbereichen. Während die Opioidnebenwirkungen Übelkeit/Erbrechen und Sedation sich normalerweise innerhalb kurzer Zeit zurückbilden, bleibt die opioidbedingte Obstipation meist bestehen und muss begleitend mitbehandelt werden. Die Toleranzentwicklung gegenüber Opioiden stellt im Zusammenhang mit malignen Schmerzen meist kein Problem dar, muss aber beachtet werden, wenn gutartige Schmerzsyndrome behandelt werden.
Literatur A.T.I. Arzneimittelinformation Berlin (1999) Arznei-telegramm 06/1999: 64–65 A.T.I. Arzneimittelinformation Berlin (2000) Arznei-telegramm 05/2000: 46–47 Evans HC, Easthope SE (2003) Transdermal buprenorphine. Drugs 63: 1999–2010 Galli G, Panzetta G (2002) Do non-steroidal anti-inflammatory drugs and COX-2 selective inhibitors have different renal effects? J Nephrol 15: 480–488 Heid F, Jage J (2002) The treatment of pain in urology. BJU International 90: 481–488 Jage J (2003) Medikamente gegen Krebsschmerzen. 4. Aufl, Thieme, Stuttgart
Literatur
McCarthy D (1998) Nonsteroidal anti-inflammatory drug-related gastrointestinal toxicity: Definitions and epidemiology. Am J Med 105 (5 A): 3 S–9 S Rothstein R (1998) Safety profiles of leading nonsteroidal antiinflammatory drugs. Am J Med 105 (5 A): 39 S–43 S Scheiman J, Isenberg J (1998) Agents used in the prevention and treatment of nonsteroidal anti-inflammatory drugassociated symptoms and ulcers. Am J Med 105 (5 A): 32 S–38 S Soll A (1998). Pathogenesis of nonsteroidal anti-inflammatory drug-related upper gastrointestinal toxicity. Am J Med 105 (5 A): 10 S–16 S
447
31
32 Therapie akuter Schmerzen in der Urologie T. Wagner
32.1
Therapie akuter Schmerzen
32.1.1 32.1.2 32.1.3
Therapie von Kolikschmerzen – 450 Schmerztherapie des akuten Skrotums – 450 Therapie postoperativer Schmerzen – 451
32.2
Systemische Pharmakotherapie postoperativer Schmerzzustände – 452
32.2.1 32.2.2
Grundlagen – 452 Empfehlungen zur praktischen Durchführung der medikamentösen Schmerztherapie – 453 Patientenkontrollierte Analgesie – 454 Regionalanästhesiologische Verfahren zur postoperativen Schmerztherapie – 456
32.2.3 32.2.4
– 450
32.3
Spezielle lokalanästhesiologische Verfahren bei urologischen Operationen – 457
32.3.1
Penile, skrotale und inguinale Eingriffe Peniswurzelblock – 457 Samenstranginfiltration – 457 N.-ilioinguinalis-Block – 458 Rippenbogenrandschnitt – 458 Intercostalblockade – 458 Wund-/Narbeninfiltration – 458 Schmerztherapie zur ESWL – 459
32.3.2
Literatur
– 460
– 457
450
Kapitel 32 · Therapie akuter Schmerzen in der Urologie
32.1
Therapie akuter Schmerzen
32.1.2 Schmerztherapie des akuten
Skrotums 32.1.1 Therapie von Kolikschmerzen
IV
Im Rahmen der urologischen Tätigkeit spielen Krankheitsbilder mit kolikartigen Schmerzen eine große Rolle. Verursacht werden Koliken durch abgehende bzw. okkludierende Nierenkonkremente, wobei die Pathophysiologie der hierbei entstehenden Schmerzen nicht nur eine spastische Komponente zeigt, sondern durch Schleimhautverletzungen sowie Ischämie des Harnleiters direkt viszerale Schmerzen ausgelöst werden. Je nach Intensität der Kolik kann es hierbei auch zu einer peritonealen Reizung mit Zeichen der Peritonitis sowie einer ausgeprägten Hypovolämie bis hin zum hypovolämen Schock, vermittelt über vagale Reize, kommen. Folglich ist für die Analgesie dieser Erkrankung eine Spasmolyse der daran beteiligten glattmuskulären Organe zwar wünschenswert, jedoch alleine meist nicht ausreichend, so dass eine Supplementierung von Analgetika, ggf. auch Opioiden, erforderlich ist. Hierbei spielt die Opioidnebenwirkung im Sinne einer Sphinkter-Aktivierung nur eine untergeordnete Rolle, da der Abflussweg durch den Kolikverursacher (in erster Linie ein Konkrement) meist okkludiert ist. Ein möglicher Therapiealgorhythmus ist in ⊡ Abb. 32.1 dargestellt.
Die Spannbreite des Schmerzereignises beim akuten Skrotum reicht von diskret ziehenden Schmerzen bis hin zum Vernichtungsschmerz. Demzufolge sollte bei diesem Krankheitsbild eine möglichst situationsbezogene Analgesie erfolgen, die auch nichtmedikamentöse Maßnahmen mit einschließt (⊡ Tabelle 32.1). Neben traumatologischen Ursachen können ätiologisch allgemein drei Krankheitsbilder unter der Subsummierung »akutes Skrotum« differenziert werden: Hodentorsion, Epididymitis/Orchitis und Fournier-Gangrän. Skrotaltraumen sowie Hodentorsionen gehen in aller Regel mit starken bis stärksten Schmerzen einher und erfordern somit das rasche Eingreifen
⊡ Tabelle 32.1. Synopsis der Therapie des akuten Skrotums. Die angegebenen Dosierungen sind Richtwerte für einen ca. 70 kg schweren Patienten. Es sollte unbedingt die Titration der notwendigen Dosis erfolgen
Analgetische Maßnahme Skrotaltrauma
Parecoxib 40 mg i. v. Alternativ Metamizol 2,5 g als Kurzinfusion Metoclopramid 20 mg i. v.
Hodentorsion beim Säugling/Kleinkind
Morphin 10–20 mg i. v. Metoclopramid 20 mg i. v. S-Ketamin 0,25–0,5 mg/kg KG i. m.
Epididymitis/Orchitis
Kühlung, Hoden-Hochlagerung Metamizol 2,5 g als Kurzinfusion
Fournier-Gangrän
Fentanyl 0,1–0,2 mg Metoclopramid 20 mg i. v.
⊡ Abb. 32.1. Stufenschema zur Therapie von Kolikschmerzen. Die Gabe von Morphin sollte unter Titration der zu benötigenden Dosis erfolgen
Intensivmedizinische Betreuung, ggf. operative Intervention
des Arztes. Die Applikation von Opioid-Analgetika ist gerechtfertigt, wobei beachtet werden sollte, dass es bei Irritationen der Tests zu peritonealen Reizen kommen kann und somit zu heftiger Übelkeit und Erbrechen. Hieraus resultiert die Notwendigkeit einer effektiven antiemetischen Therapie. Zu beachten ist, dass die Hodentorsion ebenfalls bei Säuglingen und Kleinkindern auftreten kann. Die adäquate Analgesie und Sedierung sollte mit S-Ketamin, ggf. auch intramuskulär verabreicht, erfolgen. Manuelle Retoquierungsversuche bei v. a. Hodentorsion sollten in jedem Fall unterbleiben und kommen als analgetische Maßnahme somit nicht in Betracht. Im Gegensatz hierzu sind physikalische Maßnahmen bei entzündlichen Prozessen des Hodens oder Nebenhodens das Mittel der ersten Wahl. Obwohl gerade bei der Epididymitis Schmerzen von intensivem drückendem Charakter auftreten können, sind die Hoden-Hochlagerung sowie Kühlung oftmals im Rahmen der Analgesie ausreichend. Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichen, so ist die Verabreichung eines antipyretischen Analgetikums gerechtfertigt. Das Krankheitsbild der Fournier-Gangrän ist zwar selten, dafür jedoch um so foudroyanter verlaufend und endet nicht selten tödlich. Nach Verletzungen (auch iatrogen, z. B. nach einem ambulanten operativen Eingriff wie der Vasektomie) des Skrotums bildet sich durch Infektion mit gasbildenden Erregern rasch ein extrem schmerzhafter gangränöser Bereich subkutan der Skrotalhaut. Überproportional häufig führt diese Infektion zu einem septischen Schock, der intensivmedizinisch entschlossenes Handeln erfordert (Intubation und Narkose sowie Reanimationsbereitschaft).
32.1.3 Therapie postoperativer Schmerzen
Jeder Patient hat ein Recht darauf, adäquat schmerztherapeutisch behandelt zu werden. Juristisch gesehen besteht eine Verpflichtung des Arztes im Rahmen des Behandlungsvertrages ärztlich gebotenen Bemühungen um eine wirksame Schmerztherapie durchzuführen. Weiterhin ist der Krankenhausträger zu einer Schmerzbehandlung nach den modernen Erkenntnisse der Anästhesie ver-
32
451
32.1 · Therapie akuter Schmerzen
pflichtet (Urteil des 6. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs; BGHZ 95, S. 63). Dieser Grundsatz gilt selbstverständlich auch für die postoperative Behandlung von Schmerzzuständen, womit jeder operativ tätige Kollege gefordert ist. Die Wirklichkeit in Deutschland sieht jedoch leider anders aus. Nach wie vor leiden 30–90% aller Patienten nach urologischen Operationen unter mäßigen bis heftigen Schmerzen (⊡ Tabelle 32.2). Um hier Abhilfe zu schaffen, ist es unerlässlich, ein valides, auf die jeweiligen Verhältnisse abgestimmtes Therapiekonzept zu entwickeln. Solch ein Therapiekonzept muss letztlich gewährleisten, dass für jeden Patienten die individuelle Behandlung seiner postoperativen Schmerzen ermöglicht wird. Hierzu ist die regelmäßige Schmerzerfassung und die Schmerzdokumentation notwendig. Es hat sich gezeigt, dass das, was dokumentiert wird auch stärkere Beachtung findet. So wäre es z. B. sinnvoll, ähnlich wie den Verlauf der Fieberkurve in der täglichen Patientendokumentation auch die Registrierung der postsoperativen Schmerzintensität mittels einer visuellen Analogskala zu registrieren. Hierauf basierend kann die individuelle Titration von Analgetika und Ko-Therapeutika durchgeführt werden. Ein interdisziplinäres Vorgehen ist auch bei der Therapie postoperativer Schmerzen anzu-
⊡ Tabelle 32.2. Häufigkeit der postoperativen Schmerzen in Abhängigkeit der urologischen Operation bei insgesamt 289 Patienten. (Nach Werner 1999)
Operativer Eingriff
Anzahl (n)
Schmerzangaben ≥ VAS 4 (%)
Tumornephrektomie
55
92,7
Radikale Prostatektomie
18
83,3
Flankeneingriffe und Nierentransplantation
24
70,8
Transurethrale Eingriffe
141
27,7
51
44,2
Genitalchirurgie
452
IV
Kapitel 32 · Therapie akuter Schmerzen in der Urologie
streben, da durch die sinnvolle Kombination aus Analgesie, Frühmobilisierung und Enteralisierung die Morbidität und Verweildauer des Patienten, besonders nach großen operativen Eingriffen, reduziert werden kann. Die wesentlichen Therapieansätze der postoperativen Schmerztherapie bestehen aus der systemischen Medikamentenapplikation sowie regionalanästhesiologischen Verfahren, von denen einige schon direkt vor der Operation (präemptive Analgesie), andere direkt postoperativ durch den Operateur durchgeführt werden können. Vor allem in der Kinderchirurgie und Kinderurologie haben sich Infiltrationsanästhesien im Operationsbereich sowie einzelne Blockadetechniken periphere Nerven im Zuge der postoperativen Schmerztherapie durchgesetzt. Diese Techniken sind natürlich auch auf erwachsene Patienten übertragbar und schon die einfache Wundspülung mit einem langwirksamen Lokalanästhetikum vor der Hautnaht zeigt eine deutliche Schmerzreduktion für 4–6 h nach einer Operation. Zusätzlich ist eine erweiterte Analgesie durch die Dauerapplikation von Lokalanästhetika mittels Kathetertechniken möglich. Exemplarisch sei hier der Interkostalkatheter nach Rippenbogenrandschnitt oder nach lateraler Thorakotomie erwähnt, der durch die Ermöglichung des schmerzfreien Abhustens und Durchatmens die pulmonale Situation des Patienten deutlich verbessert. Hierzu soll am Ende dieses Kapitels auf spezielle Operationstechniken und deren spezifischer Therapieoptionen im Rahmen der postoperativen Analgesie eingegangen werden.
32.2
Systemische Pharmakotherapie postoperativer Schmerzzustände
32.2.1 Grundlagen
Bei der postoperativen Schmerztherapie spielen die Opiate die zweifellos größte Rolle, da sie durch den zentral wirkenden Angriffsmechanismus bei den meisten Schmerzzuständen erfolgreich einsetzbar sind. Bei der Auswahl eines für den jeweiligen Patienten geeigneten Opiates, sollte nicht nur die analgetische Potenz des Medikamentes berücksichtigt werden, sondern vielmehr die persönli-
chen Erfahrungen des Therapeuten in Betracht gezogen werden. Weiterhin ist der Applikationsweg von entscheidender Bedeutung. Bewährt hat sich, aufgrund der schnellen Anflutung und der meist kurzfristigen Wirkdauer die intravenöse Verabreichung eines Opiates. Hierbei sollte auf jeden Fall die Wirkdosis titriert werden. Dazu werden mehrere kleinere Dosen eines Opiates bis zur ausreichenden Analgesie (VAS ≤ 3) injiziert. Erfahrungsgemäß entspricht der ungefähre Analgetikabedarf innerhalb der ersten 24 Stunden postoperativ dem Bedarf, der in den ersten 2–4 Stunden titriert wurde. Nach Titration der entsprechenden Erhaltungsdosis kann diese in regelmäßigen Abständen verabreicht werden. Von einer initialen intramuskulären Injektion eines Opiates ist dringend Abstand zu nehmen. Bedingt durch postoperative Zustände wie Hypovolämie und Hypothermie ist die Resorption aus der Muskulatur reduziert. Dadurch kann es, durch unzureichende Wirksamkeit durch die Wahl der falschen Applikationsart zu mehrfachen Nachinjektionen mit Schaffung eines intramuskulären Opiatdepots kommen. Sobald sich die Durchblutung der Muskulatur wieder normalisiert, kann sich eine konsekutive Opiatüberdosierung mit nachfolgender Atemdepression entwickeln. Am ersten postoperativen Tag kann die Umstellung der Opiatgabe auf eine sublinguale, intramuskuläre oder orale Applikationsform erfolgen. Hierbei sollte beachtet werden, dass durch den »firstpass-effect« bedingt, die orale Dosis von z. B. Morphin dreimal höher gewählt werden muss als die intravenös verabreichte Dosis. Normale Muskeldurchblutung vorausgesetzt, kann dieser Punkt bei intramuskulärer Injektion und bei der sublingualen Verabreichung vernachlässigt werden. Auch die geänderte Verabreichungsform sollte in den ersten zwei bis vier Tagen nach einer Operation nach einem zeitlich festgelegten Schema erfolgen. Danach kann die Verordnung als Bedarfsmedikation erfolgen, z. B. vor besonders schmerzhaften Ereignissen wie der Physiotherapie. Bei der Umstellung auf eine intermediäre Verabfolgung von Opiaten sollte jedoch immer der individuelle Analgetikabedarf anhand der Evaluierung der noch bestehenden Schmerzintensität beachtet werden. Ein starres Stationsschema eignet sich keinesfalls zur
adäquaten Schmerztherapie. Immer noch bestehende Vorurteile in Form der Erzeugung einer Abhängigkeit im Rahmen einer Opiattherapie sind nicht gerechtfertigt. Es ist in der Literatur nicht ein Fall von Opiatabhängigkeit nach postoperativer Schmerztherapie beschrieben worden. Beachtet werden sollte jedoch die Toleranzentwicklung bei prolongierter Gabe eines Opiates. Auch diesem Punkt muss individuell Rechnung getragen werden und ggf. eine Dosisanpassung stattfinden. Gänzlich ungeeignet für die postoperative Schmerztherapie ist die alleinige Verabreichung über den transdermalen Applikastionsweg in Form von z. B. Membranpflastern (Beladung mit den Opioiden Buprenorphin bzw. Fentanyl), da diese Präparate erst nach ca. 8–10 h die volle Wirkung entfalten und nach der Entfernung des Pflasters über den gleichen Zeitraum der Wirkstoff noch aus der Haut resorbiert wird. Dieser Fakt ist bei einer eventuellen Überdosierung unbedingt zu berücksichtigen. Aufgrund der schlechten Steuerbarkeit dieser Applikationsform ist die transdermale Verabreichung eines Opiates ausschließlich bei chronischen Schmerzzuständen zu empfehlen. Zu beachten ist auch hierbei die Notwendigkeit einer Dosisfindung.
32.2.2 Empfehlungen zur praktischen
Durchführung der medikamentösen Schmerztherapie Es sollen hier Empfehlungen für die praktische Durchführung der postoperativen Schmerztherapie an konkreten Beispielen exemplarisch aufge-
32
453
32.2 · Systemische Pharmakotherapie postoperativer Schmerzzustände
zeigt werden. Die angegebenen Dosierungsempfehlungen beziehen sich auf einen 70 kg schweren Patienten. Entsprechend der Physiognomie sowie des individuellen Schmerzerlebens des Patienten müssen diese Dosierungen angepasst werden. Die Verwendung anästhesiologischer Regionalanästhesien sollte präoperativ dem Patienten angeboten und mit dem behandelnden Anästhesisten besprochen werden. Ferner sollte auch die Verwendung einer PCA-Pumpe, vor allem nach größeren urologischen Eingriffen in Betracht gezogen werden. Zur Vereinfachung und einfachere Handhabbarkeit der Medikamente, die zur postoperativen Schmerztherapie eingesetzt werden, kann eine Einteilung der wesentlichen Analgetika in insgesamt drei Gruppen erfolgen (⊡ Tabellen 32.3–32.5). Diese Unterteilung der Analgetika in Opiate mit mittlerem und hohem analgetischen Potenzial sowie in eine Gruppe mit nichtopiaten Analgetika wird in den Therapieschemata zur Behandlung postoperativer Schmerzen aufgegriffen (⊡ Tabellen 32.6–32.8). Diese Therapieempfehlungen sollen nur als Leitschiene dienen. Abweichungen im Rahmen der individuellen Behandlung des Patienten sind durchaus erwünscht. Bei Anwendung dieser Empfehlungen sollte zusätzlich an die supportive Therapie gedacht werden. Vor allem die intravenöse Gabe von Opiaten verursacht Übelkeit und Erbrechen, so dass in jedem Fall eine antiemetische Therapie analog durchgeführt werden muss. Bewährt hat sich hierbei, wenn das Antiemetikum ungefähr 30 min vor Opiatapplikation verabreicht wird. Zusätzlich sollte bei laufender Opiatanalgesie ab dem 3. postope-
⊡ Tabelle 32.3. Opiat-Analgetika der Gruppe 1
Opiate gegen mittelstarke bis starke Schmerzen
Handelsname (Beispiele)
Titrationsdosis bei i. v.-Gabe [mg]
Repetitonszeit der GD [h]
Applikationswege
Tramadol
Tramal long
100
8–12
p. o.
Tilidin/Naloxon
Valoron N ret.
50–100
8–12
p. o.
GD Gesamtdosis.
454
Kapitel 32 · Therapie akuter Schmerzen in der Urologie
⊡ Tabelle 32.4. Opiat-Analgetika der Gruppe 2
IV
Opiate gegen starke bis stärkste Schmerzen
Handelsname (Beispiele)
Titrationsdosis bei i. v.-Gabe [mg]
Repetitonszeit der GD [h]
Applikationswege
Piritramid
Dipidolor
3,75–7,5
5–6
i. v., (i. m., s. c.)
Morphin
Morphin
5–7,5
4–5
i. v, i. m., p. o.
Buprenorphin
Temgesic
0,1–0,2
6–8
i. v., s. l.
Fentanyl
Fentanyl
0,05–0,1
0,5–1
i. v.
GD Gesamtdosis.
⊡ Tabelle 32.5. Nichtopiat-Analgetika (Antipyretika)
Antipyretisches Analgetikum
Handelsname (Beispiele)
Einzeldosis/Applikationsweg
Maximale Tagesdosis
Repetitionszeit [h]
Paracetamol
Ben-u-ron Perfalgan
1.000 mg supp/p. o./Kurzinfusion
600 mg
6
Metamizol
Novalgin
1–2 g p. o./Kurzinfusion
6g
6
Parecoxib
Dynastat
40–80 mg i. v.
80 mg
12–24
Ibuprofen
Aktren
400–600 mg supp/p. o.
200 mg
6
⊡ Tabelle 32.6. Therapieempfehlungen zur Behandlung kleinerer urologischer Eingriffe
Kleinere Eingriffe (z. B.: genitale Eingriffe): Am Operationstag:
1. Stufe: 2. Stufe:
Antipyretikum alle 6 h zusätzlich Gruppe 1-Opiat
1. Post-OP-Tag:
Antipyretikum alle 6 h
2.–6. Post-OP-Tag:
Antipyretikm bei Bedarf
rativen Tag eine laxierende Co-Medikation in Betracht gezogen werden.
32.2.3 Patientenkontrollierte Analgesie
Unter patientenkontrollierter Analgesie (PCA = »patient controled analgesia«) versteht man i. Allg. die intravenöse Verabreichung eines Analgetikums (meist ein Opiat) mittels einer Spritzenpumpe, wobei der Patient selbst die erforderliche Analgetikadosis abrufen kann (⊡ Abb. 32.2a und b). Über spezielle Programme kann der behandelnde Arzt die Bolusdosis mit dazugehörigen Sperrzeiten (nach einer erfolgreichen Anforderung des Analgetikums durch den Patienten ist eine sofortige Repetition nicht möglich), die Dauerinfusionsrate sowie die
455
32.2 · Systemische Pharmakotherapie postoperativer Schmerzzustände
⊡ Tabelle 32.7. Analgesieschema nach transurethralen Eingriffen und kleineren retroperitonealen Eingriffen
⊡ Tabelle 32.8. Therapieoptionen zur postoperativen Analgesie nach großen urologischen Eingriffen
Mittlere Eingriffe (z. B.: transurethrale Eingriffe, Kolposuspension)
Große Eingriffe (z. B.: Nephrektomie, Prostatektomie, Blasenersatz)
Am Operationstag:
Am Operationstag:
Gruppe 2-Opiat i. v., zusätzlich Antipyretikum als Kurzinfusion
1.–3. Post-Op-Tag
Gruppe 2-Opiat i. m. oder s. c., zusätzlich Antipyretikum als Kurzinfusion
4.–7. Post-OP-Tag:
Gruppe 2-Opiat i. m., s. c, s. l. oder p. o., zusätzlich Antipyretikum p. o. alle 6 h
Ab dem 8. Post-OP-Tag:
Gruppe 1-Opiat p. o. bei Bedarf, zusätzlich Antipyretikum p. o.alle 6 h
1. Post-OP-Tag:
2.–6. Post-OP-Tag:
a
32
1. Stufe:
Antipyretikum alle 6 h supp. oder Kurzinfusion
2. Stufe:
zusätzlich Gruppe 2-Opiat i. v.
1. Stufe:
Antipyretikum alle 6 h supp. oder p. o.
2. Stufe:
zusätzlich Gruppe 2-Opiat i. m. oder s. c. Gruppe 1-Opiat p. o. und/oder Antipyretikum p. o.
b
⊡ Abb. 32.2. a Beispiel für eine stationäre Spritzenpumpe zur Durchführung der patientenkontrollierten Analgesie. b Beispiel einer ambulanten/mobilen PCA-Pumpe
456
Kapitel 32 · Therapie akuter Schmerzen in der Urologie
⊡ Tabelle 32.9. Schema zur Befüllung und Einstellung einer PCA-Pumpe am Beispiel von Piritramid
45 mg Piritramid auf 45 ml NaCl 0,9% (entsprechend 1 mg = 1 ml)
IV
Basisinfusion
2–3 ml/h
Bolus
3 ml
Sperrzeit
8–10 min
Gesamtdosis in 4 h
30 mg
Höchstdosierung über einen bestimmten Zeitraum vorwählen. Eine mögliche Pumpeneinstellung zur patientenkontrollierten Analgesie ist in ⊡ Tabelle 32.9 dargestellt. Die initiale Dosisfindung für jeden einzelne Patienten erfolgt idealerweise während der Aufwachraum-Phase unter engmaschiger Kontrolle der Vitalparameter. Die PCA wird den Bedürfnissen der Patienten in Bezug auf die postoperative Analgesie am weitesten gerecht. Eine Therapiekontrolle in Form einer Schmerzintensitäts-Dokumentation ist auch bei dieser Methode unerlässlich. Zusätzlich kommt es zu einer Entlastung des Pflegepersonals und die Zufriedenheit des Patienten steigt: nicht nur aufgrund der nun zureichenden Schmerzarmut sondern auch in Bezug auf die Selbstbestimmung des Patienten. Er muss nun nicht mehr »bitten«, dass ihm geholfen wird, sondern kann dies in die eigene Verantwortlichkeit übernehmen. Zu den Nachteilen des Verfahrens gehören zweifelsohne die hohen Kosten für die entsprechend programmierbaren Pumpensysteme sowie die technischen Komplikationsmöglichkeiten. In jedem Fall ist darauf zu achten, dass über den gleichen venösen Zugang laufende Schwerkraftinfusionen mit einem Rückschlagventil zu versehen sind. Andernfalls kann es, vor allem wenn die Schwerkraftinfusion durchgelaufen ist, zu einer Befüllung des Infusionsschlauches mit dem Analgetikum aus der PCA-Pumpe kommen. Wird danach eine erneute Infusion angeschlossen, kommt es zu der Applikation eines viel zu großen Analgetikabolus mit dem Risiko der absoluten Überdosierung.
Neuere Untersuchungen zeigen die Wirksamkeit der durch den Patienten selbst zu applizierenden intranasalen Gabe von Fentanyl als erfolgversprechende und kostengünstige Methode. Die Patientenzufriedenheit ist vergleichbar der intravenösen PCA. Weiterhin konnten keine Unterschiede in Bezug auf Nebenwirkungen oder Vitalparameter festgestellt werden. Diese kostengünstige und einfach zu handhabende Form der PCA setzt jedoch die entsprechende Compliance des Patienten voraus. Eine Zulassung der patientenkontrollierten Analgesie mit nasalem Fentanyl liegt nicht vor und bleibt insofern nur der klinischen Erprobung vorbehalten.
32.2.4 Regionalanästhesiologische
Verfahren zur postoperativen Schmerztherapie In Abhängigkeit des operativen Vorgehens können viele unterschiedliche Blockadetechniken mit lokalen Anästhetika durchgeführt werden. Die bekannteste Methode stellt die Peridualanästhesie dar, die meist als kontinuierliches Verfahren über einen Katheter durchgeführt wird. Vor allem bei intraabdominellen und retroperitonealen Eingriffen, aber auch bei Operationen der unteren Extremität hat sich diese Methode als Mono-Anästhesie bzw. als Kombination mit einer Allgemeinanästhesie bewährt. Vorteile dieses Verfahrens ist die Kombination aus präemptiver, intraoperativer sowie der Option der postoperativen Analgesie durch repetitive Verabreichung eines Lokalanästhetikums und/oder eines Opiates über den Periduralkatheter. Ferner entfallen, vor allem nach intraabdominellen Eingriffen, durch die Verwendung dieser Methode viele unerwünschte Nebenwirkungen, wie sie durch die Verabreichung systemischer Opiate (z. B. Darmträgheit) auftreten. Die Durchführung der meisten regionalanästhesiologischen Verfahren bedarf der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Operateur und Anästhesist. Jedoch stehen durchaus Methoden der Lokal- oder Leitungsanästhesie zur Verfügung, die durch den Operateur alleine durchgeführt werden können.
32.3 · Spezielle lokalanästhesiologische Verfahren bei urologischen Operationen
Aktuell wird der positive Effekt der sog. präemptiven Analgesie durch regionalanästhetische Verfahren diskutiert. Hierunter wird i. Allg. die Verabreichung von Analgetika bzw. die Durchführung einer örtlichen Anästhesie im OP-Gebiet bevor der Schmerzreiz entsteht, verstanden. Hierzu gehören neben einer entsprechenden Prämedikation auch die Infiltration mit Lokalanästhetika der Haut im Bereich des OP-Gebietes sowie die Spinalbzw. Periduralanästhesie vor dem Hautschnitt. Die Bedeutung dieser Verfahren zur Beeinflussung postoperativer Schmerzen und somit ihres präemptiven Effektes wird durchaus gegensätzlich diskutiert. Eine Wirksamkeit ist nur nach Amputationen in Bezug auf die positiven Beeinflussung der Phantomschmerzen erwiesen.
32.3
Spezielle lokalanästhesiologische Verfahren bei urologischen Operationen
Die Durchführung der hier dargestellten Verfahren gelingt leicht und ist in aller Regel komplikationsarm. Bei jeder Lokalanästhetika-Injektion ist darauf zu achten, das eine intravasale Injektion auf jeden Fall vermieden wird. Hierzu muss vor jeder Injektion ein ausführlicher Aspirationstest durchgeführt werden. Weiterhin ist zu beachten, dass nicht unbedingt eine Vielzahl von Lokalanästhetika vorgehalten wird, sondern jede Blockade mit nur einem Medikament durchgeführt wird. Bei diesem Vorgehen scheiden systematische Fehler wie Über- oder Unterdosierung durch unterschiedliche Lokalanästhetika-Konzentrationen aus. Ferner sollten bevorzugt solche Medikamente eingesetzt werden, die der Therapeut gut kennt und deren Nebenwirkungsspektrum ihm gut bekannt sind. Die Verwendung von Adrenalin sollte nur vom Geübten durchgeführt werden und an der Körperperipherie (Skrotum, Penis etc.) generell unterbleiben. Als typische Nebenwirkung gelten bei den meisten Lokalanästhetika die Auslösung einer allergischen Reaktion bis hin zum anaphylaktischen Schock sowie Krampfneigung und Herzrhythmusstörungen bei versehentlicher systemischer Applikation. Die hier empfohlenen Verfahren sollten intraoperativ vor Beendigung oder anstelle der Allgemeinanäs-
457
32
thesie durchgeführt werden. Es sollte bei alleiniger Lokalanästhesie präoperativ ein venöser Zugang geschaffen werden und ein hämodynamisches Monitoring während der Operation gewährleistet sein.
32.3.1 Penile, skrotale und inguinale
Eingriffe Peniswurzelblock Indikation: Wundschmerzen nach Operationen am Penis, Anästhesie zur Circumcision bei Kleinkindern Technik: 1. Ciculäre Infiltration des proximalen oder distalen Penis mit ca. 8 ml Lokalanästhetikum; bei Kindern unter 5 Jahren maximal 5 ml; bei Kindern bis 18 Monaten maximal 1,5 ml 2. Blockade der Nn. dorsales penis ventralseitig. Punktion erfolgt im proximalen Penisanteil oberhalb beider Corpora cavernosa mit Stichrichtung auf den unteren Schambeinrand. Injiziert werden jeweils 3 ml Lokalanästhetikum, bei Kindern unter 12 Monaten 0,5–1,0 ml, Kinder zwischen 3– 5 Jahren 1,5 ml und Kinder unter 6 Jahren erhalten jeweils 2 ml Lokalanästhetikum pro Seite Material: 24G Nadel, Bupivacain 0,25% oder 0,5%, Lidocain 1%
Samenstranginfiltration Indikation: Hodenbiopsie, Hydrocelenresektion, Wundschmerz sämtlicher skrotaler Eingriffe, Vasektomie Technik: An der Basis des Skrotums wird der Funiculus spermaticus getastet und soweit wie möglich in Richtung des äußeren Leistenrings verfolgt. Nach Desinfektion und Setzen einer Hautquaddel erfolgt die Injektion in Richtung auf den fixiert gehaltenen Samenstrang und die Infiltration des perifuniculären Gewebes mit insgesamt 6–8 ml Lokalanästhetikum. Hier ist die Punktion des Samen-
458
Kapitel 32 · Therapie akuter Schmerzen in der Urologie
IV
Material:
stranges an sich zu vermeiden. Vor Injektion erfolgt die Aspiration um die intravasale Kanülenlage sicher auszuschließen. Zusätzlich kann im Bereich des lateralen Skrotalrandes ein Lokalanästhetika-Depot subcutan platziert werden, um so die Nervenfasern des N. ilioinginalis sowie den R. femoralis des N. genitofemoralis zu erreichen. Hierzu benötigt man ca. 4–5 ml Lokalanästhetikum pro Seite 22G-Nadel, mindestens 4 cm lang, Bupivacain 0,5%, Lidocain 2%
N.-ilioinguinalis-Block Indikation: Narbenschmerzen nach Herniotomie bzw. inguinaler Orchiektomie, Wundschmerzen nach Orchidopexie, Hydrozelen-OP oder Herniotomie Technik: Auf einer Linie zwischen Nabel und Spina iliaca ant. sup. liegt ca. 2–3 cm medial der Spina die Punktionsstelle. Setzen einer Hautquaddel nach Hautdesinfektion und Einstechen der Nadel in Richtung auf die Darmbeinschaufel-Innenfläche. Nach Penetration der Obliquus-Aponeurose erfolgt die subfasziale und intramuskuläre Infiltration. Danach fächerförmige Infiltration der Subcutis, der Muskulatur und der Fascien Material: 22G-Nadel (mind. 4 cm lang) Lokalanästhetikum: Bupivacain 0,5%, Mepivacain 1% oder Lidocain 1% Dosierung: 10–15 ml
32.3.2 Rippenbogenrandschnitt
Intercostalblockade Diese Technik kann als Single-shot-Technik oder als Kathetertechnik durchgeführt werden, wobei letztere ein etwas aufwendigeres Verfahren darstellt und möglichst in Kooperation mit einem darin geübten Anästhesiologen erfolgen sollte. Die Durchführung der Single-shot-Anästhesie hingegen ist, intraoperativ angewandt, ein komplikationsarmes
Verfahren, das unter Sicht auf die anatomischen Strukturen vor Wundverschluss durchgeführt wird. Indikation: Sämtliche Operationen an der Niere, des Nierenbeckens und des proximalen Harnleiters, die einen Rippenbogenrandschnitt erfordern Technik: In den dorsalen Abschnitten der 11. und/oder 12. Rippe erfolgt die Punktion der Gefäßnervenscheide am Rippenunterrand. Die Punktion mit der Kanüle erfolgt senkrecht direkt auf die Rippe (⊡ Abb. 32.3 – Ende der Date). Nach Knochenkontakt wird die Kanüle wenige Millimeter zurückgezogen und in senkrechter Haltung nach caudal bewegt, bis ein Vorbeigleiten am Rippenunterrand möglich ist. Bei Verwendung einer »stumpfen« Nadel (45°-Schliff) kommt es zu einem »Klick-Phänomen« beim Durchstoßen des M. intercostalis. Nun liegt die Kanüle korrekt in der Gefäßnervenscheide. Nach Aspiration muss die Injektion leicht und ohne großen Stempeldruck möglich sein. Sollte ein hoher Drucknotwendig sein, so liegt die Kanüle fälschlicherweise intramuskulär. In diesem Fall sollte die Kanüle unter Stempeldruck wenige Millimeter zurückgezogen werden bis die Injektion leichtgängig durchführbar ist Material: 22G-Kanüle mit stumpfem Schliff (45°), ca. 5 cm lang; zu empfehlen ist die Technik mit der sog. immobilen Nadel, an der ein kurzer Infusionsschlauch mit Luer-lock-Konnektor befestigt ist. So kann die Gefahr der Fehlplatzierung der Nadel durch Bewegungen an der Kanüle bei der Injektion minimiert werden Bupivacain 0,5% 5–6 ml pro Rippe
Wund-/Narbeninfiltration Nach dem neuraltherapeutischen Ansatz kann durch die Infiltration der Wundränder bzw. der OPNarbe mit einem Lokalanästhetikum ein sog. Stör-
32.3 · Spezielle lokalanästhesiologische Verfahren bei urologischen Operationen
459
32
⊡ Abb. 32.3. Anatomie und Technik der Intercostalblockade. Es ist darauf zu achten, dass zuerst Knochenkontakt hergestellt wird. Danach erfolgt das Austasten des Intercostalrau-
mes unter Beibehaltung der Stichrichtung in caudaler Richtung bis zum Auslösen eines »Klick-Phänomens«
feld ausgeschaltet werden, was eine weitreichendere analgetische Wirkung hat als die Ausbreitung des Lokalanästhetikums selbst. Hierdurch kann eine bis zu 4- bis 6-stündige Analgesie im OP-Gebiet erreicht werden. Technik: Vor Wundverschluss werden in die subfascialen, intramuskulären sowie intracutanen Wundränder kleine Lokalanästhetika-Depots (jeweils 1–2 ml) über den gesamten Narbenverlauf injiziert. Eine Wundheilungsstörung ist unter dieser Therapie nicht beschrieben worden Material: Bupivacain 0,5%, Procain 2%, Lidocain 2%, Naropin 0,75% jeweils maximal 15–20 ml
zusätzlich instrumentiert werden (z. B. Anlage einer Ureterschiene) und somit nicht anästhesiologisch betreut werden, für den behandelnden Urologen ein schmerztherapeutisches Problem dar. Algesiologisch gesehen handelt es sich bei den hier induzierten Schmerzen um die Kombination sowohl eines somatischen wie auch eines viszeralen Schmerzes. Die somatische Komponente ist durch die Verwendung von Vaseline als Kontaktmedium zwischen Haut und Elipsoid ausreichend zu coupieren (Becker et al. 1999), jedoch ist der viszerale Schmerz hierdurch nicht zu beeinflussen und somit bedarf es einer zusätzlichen Analgesie. Eigene Erfahrungen haben gezeigt, dass nicht ausschließlich eine adäquate Analgesie für die erfolgreiche Durchführung der ESWL entscheidend ist, sondern vielmehr die psychologische Betreuung vor und während der Therapie und somit die Distanzierung des Patienten vom eigentlichen Geschehen. Der apparative Aufwand dieser Behandlungsmethode scheint eine bedrückende Wirkung auf den Patienten auszuüben, der Geräuschpegel wäh-
Schmerztherapie zur ESWL Die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie stellt mittlerweile ein Routineverfahren in der Behandlung der Urolithiasis dar. Allerdings stellt die Therapie der Patienten mit dieser Methode, die nicht
460
IV
Kapitel 32 · Therapie akuter Schmerzen in der Urologie
rend der Zertrümmerung verstärkt diese bedrohliche Situation zusätzlich. Hierbei hat sich gezeigt, das die Verwendung stärker euphorisierender Opiate mit niedrigerer analgetischer Potenz zu einer höheren Patientenzufriedenheit geführt haben, als die singuläre Verwendung eines hochpotenten Opiatanlagetikums mit geringerer psychisch-stimulierender Wirkung. So konnte die Häufigkeit der Nachortung des Konkrementes durch ungewollte Patientenbewegung reduziert werden, was insgesamt die Therapiezeit deutlich verkürzt hat.
Folgendes Therapieschema ist zur Durchführung einer ESWL zu empfehlen Abendliche Prämedikation des Patienten mit einem anxiolytisch wirksamen Benzodiazepin (z. B. Clorazepat 10 mg p. o. bzw. Nitrazepam 5 mg p. o.) Anlage eines venösen Zuganges bei Eintreffen des Patienten im Behandlungsraum Infusion von 20 mg Metoclopramid in Kombination mit Metamizol 1.000 mg in 500 ml NaCl 0,9% Vor Beginn der Konkrement-Ortung Verabreichung eines mittelstark wirksamen Opiates mit euphorisierender Wirkung in niedriger Dosierung (z. B. Morphin 5 mg i. v. bzw. Dipidolor 3,75–7,5 mg i. v.) Nach Beginn der Therapie erfolgt zeitnah die Titration des initial verabreichten Opiates in Form von Repetitionen der Initialdosis
Diese Therapieempfehlung ist an die hämodynamische Überwachung sowie die kontinuierliche Messung der Sauerstoffsättigung des Patienten gekoppelt. Die Applikation von Sauerstoff (2–4 l/min) über eine Nasensonde kann supportiv erfolgen und wird von den Patienten meist als angenehm beschrieben. Weiterhin sollte eine akustische Abschirmung des Patienten in Form von Musik über einen Kopfhörer in Betracht gezogen werden. Hierzu kann der Patient ggf. aufgefordert werden, seine Wunschmusik in Form einer Musik-Kassette bzw. -CD zur Behandlung mitzubringen.
Fazit Um Chronifizierungsprozesse zu vermeiden, sollte der akute Schmerz rasch und konsequent therapiert werden. Hierzu ist neben der genauen Erfassung der Schmerzintensität eine Verlaufskontrolle der Schmerzentwicklung erforderlich. Weiterhin sollte ein, auf die Fachrichtung zugeschnittenes, Konzept erarbeitet werden, welches ein eskalierendes Therapieschema zur Analgesie enthält. Ein solcher Algorithmus sollte beinhalten, dass nach einer Titrationsphase zur Erfassung des individuellen Analgetikabedarfes die entsprechenden Medikamente nicht nach Bedarf verabreicht werden, sondern gemäß der jeweiligen Wirkdauer nach einem festen Zeitschema. Kann die notwendige Schmerzreduktion nach solch einem Algorithmus nicht hergestellt werden, sollte eine interdisziplinäre Therapie der Schmerzen, entweder mit der Anästhesieabteilung und idealerweise mit einem Akutschmerzdienst erfolgen. Neben der signifikant besseren Rekonvaleszenz der Patienten kann gleichzeitig eine Reduktion der Verweildauer der Patienten erreicht werden.
Literatur Becker AJ, Stief CG, Truss MC, Oelke M, Machtens S, Jonas U (1999) Petroleum Jelly is an ideal contact medium for pain reduction and successful treatment with extracorporal shock wave lithotripsie. J Urol 162: 18–22 Fischer J (2000) Schmerztherapie mit Lokalanästhetika. Thieme, Stuttgart Jage J (1997) Schmerz nach Operationen – Ein Leitfaden zur Therapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart Lehmann KA (1994) Der postoperative Schmerz. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Lehmann KA (1999) Patient-controlled analgesia: An efficient therapeutic tool in the postoperative setting. Eur Surg Res 31: 112–121 Scott DB (1998) Techniken der Regionalanästhesie. 3. Aufl. Thieme, Stuttgart Toussaint S, Maidl J, Schwagmeier R, Striebel HW (2000) Patient-controlled intranasal analgesia: effective aternative to intravenous PCA for postoperative pain relief. Can J Anaesth 47: 299–302 Werner W, Zermann DH, Kania S, Schubert J (1999) Postoperative Schmerztherapie in der Urologie. Urologe 2: 84–87 Zenz M, Jurna I (2000) Lehrbuch der Schmerztherapie. 2. Aufl. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart
33 Therapie chronischer Schmerzen und Tumorschmerztherapie M. Karst, T. Wagner
33.1
Therapie chronischer Schmerzen
33.1.1 33.1.2 33.1.3 33.1.4
Strukturelle Chronifizierungsmechanismen – 462 Chronifizierungsmechanismen – 462 Analyse des chronischen Schmerzes – 462 Pelvic-pain-Syndrom – 463
33.2
Tumorschmerztherapie
Literatur
– 467
– 464
– 462
462
Kapitel 33 · Therapie chronischer Schmerzen und Tumorschmerztherapie
33.1
Therapie chronischer Schmerzen
33.1.1 Strukturelle Chronifizierungs-
mechanismen
IV
Nervenzellen können nach dauerhafter Impulseinwirkung lernen und reagieren hierdurch intensiver. Hierbei ist es unwesentlich, ob der Impuls aus der Peripherie kommt oder vom zentralen Nervensystem selbst generiert wird. Dieses Phänomen der neuronalen Plastizität ist ein struktureller Vorgang, der bei ständig anhaltenden Schmerzen zu Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses führt. Durch wiederholte Reizung von Nozizeptoren und somit zu gehäuft weitergeleiteten Afferenzen kommt es auf Rückenmarkebene zur Freisetzung unterschiedlicher Transmitter, so auch Glutamat. Durch Erregung glutaminerger Synapsen spinaler Hinterhornneurone kommt es zu einer Potenzierung der Erregungsübertragung mit nachfolgender Erhöhung der Spontanaktivität der Zelle, d. h. auch ohne Schmerzreiz erfolgt eine Erregungskaskade, an deren Ende die sog. »immediate early genes« stehen. Diese schnell zu aktivierenden Genomanteile führen zu einer erhöhten und teils veränderten Proteinsynthese, so dass entweder vermehrt Neurotransmitter gebildet werden, oder die synaptische Membran der Zelle mit zusätzlichen Rezeptoren versehen wird. Die Zelle hat sich verändert und somit die ursprüngliche Schmerzinformation gespeichert – die strukturelle Chronifizierung des Schmerzes ist erfolgt.
33.1.2
Chronifizierungsmechanismen
Die Chronifizierung von Schmerzen findet jedoch nicht nur auf molekularer, struktureller Ebene statt. Neben dieser physischen Komponente sind psychologische Faktoren, das soziale Umfeld sowie spirituelle Einflüsse für die Entstehung der chronischen Schmerzkrankheit maßgeblich. So konnten aus den o. g. Bereichen Risikofaktoren erarbeitet werden, die die Entstehung eines chronischen Schmerzes unterstützen ( s. folgende Übersicht).
Risikofaktoren, die die Entstehung eines chronischen Schmerzes unterstützen Arbeitsunfähigkeit für mehr als 4 Monate Geringe Arbeitszufriedenheit, Mobbing am Arbeitsplatz Soziale und psychische Probleme, Ausgrenzungen Niedriger sozialer Status, fehlende oder niedrige Berufsqualifikation Depressionen Vermeidungsverhalten und übertriebene Durchhaltestrategien Psychotraumatologische Ereignisse in der Biographie (Gewalterfahrungen, Missbrauch etc.)
Bei ca. 50% der Klientel in spezialisierten schmerztherapeutischen Einrichtungen kann mit einer psychologischen, ja zum Teil auch psychiatrischen Ko-Morbidität gerechnet werden. Eine alleinige medikamentöse und/oder invasive Therapie wird folglich nie zu einem ausreichenden Erfolg führen, wenn auf die parallele psychosoziale Betreuung verzichtet wird.
33.1.3 Analyse des chronischen Schmerzes
Neben einer kompletten körperlichen Untersuchung und Erhebung eines neurologischen Status ist die Anamneseerhebung das wichtigste diagnostische Instrument eines Schmerztherapeuten. Hierzu sollten folgende Kriterien beachtet werden: ▬ Patient muss in seiner Gesamtheit betrachtet werden, ▬ Sozioökonomische Einflüsse (Arbeitsplatzsicherheit usw.), ▬ Psychologische Faktoren (Gewalterfahrung?), ▬ Erwartungen des Patienten sowie seine Bedürfnisse berücksichtigen, ▬ Funktionsbehinderungen beurteilen, ▬ Einschränkung der Alltagsaktivitäten (Lebensqualitätsverlust), ▬ Vertrauensverhältnis aufbauen.
33.1 · Therapie chronischer Schmerzen
33.1.4 Pelvic-pain-Syndrom
Dem sog. Pelvic-pain-Syndrom oder der Beckenboden-Myalgie liegt, nach Ausschluss einer floriden Entzündung bzw. eines malignen Prozesses, eine Vielzahl von rein symptomatischen Beschwerden zugrunde, die man als somatoforme autonome Funktionsstörungen des Urogenitaltraktes bezeichnen kann. Hierzu zählen die Prostatodynie, Orchalgie, unspezifische Urethritis, interstitielle Zystitis sowie eine Reihe von gynäkologischen Beschwerden, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Letztlich ist für keine der genannten Erkrankungen ein pathophysiologisches Korrelat zu definieren und somit sind auch die Standardtherapien nicht ursächlich für einen etwaigen Behandlungserfolg anzusehen. In einer Untersuchung von Rutherford et al. (1988) konnte gezeigt werden, dass bei 100 Patientinnen mit Pelvic-pain-Syndrom die Zystoskopie im Vergleich mit einer Zystoskopie in Verbindung mit einer Harnröhrendilatation keine signifikanten Unterschiede im Therapieerfolg erbrachte. 30% der Patientinnen waren danach beschwerdefrei, 50% gelindert und 20% zeigten keine Symptomveränderungen. Im Vordergrund der Symptomatik bei Beckenboden-Myalgie steht in erster Linie der Schmerz, der überwiegend einen ziehenden bis brennenden Charakter hat und in der Intensität extremen Schwankungen unterliegt. Das Versagen symptomatischer Therapieansätze wie Antibiose oder Operation verleitet den Therapeuten dazu, die Patienten als nicht organisch therapierbar in psychologische Betreuung abzuschieben. Eine psychische Komponente ist bei den betroffenen Patienten, wie bei allen chronisch Schmerzkranken, nicht von der Hand zu weisen, jedoch sollte die psychologische Betreuung nicht als der alleinige Therapieansatz angesehen werden. Wahrscheinlich liegt diesem Schmerzsyndrom auch eine funktionelle, also in erster Linie muskuläre Ursache zu Grunde, wobei letztlich alle den Beckenboden bildenden Muskelgruppen beteiligt sein können. Somit kann der Schmerz auch auf jedes Beckenbodenorgan projiziert werden und die Vielzahl der Symptome auslösen.
463
33
Ein multimodales Konzept zu Grunde legend, können hier Therapieerfolge durch die Kombination von entspannenden Verfahren (z. B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobson), Krankengymnastik zur Lockerung der Beckenbodenmuskulatur und begleitender, kurartiger Gaben eines antipyretischen Analgetikums erreicht werden. Weiterhin scheint der Therapieansatz mit peripheren α-Rezeptorenblockern im Rahmen der Entspannung des Beckenbodens erfolgversprechend zu sein. Durch die Erniedrigung des Blasenauslasswiderstandes kann es zu einer Entkrampfung der schmerzhaften Muskelgruppen kommen und somit zu einer suffizienten Schmerzreduktion. Der Einsatz von Biofeedback-Verfahren kann grundsätzlich erwogen werden, setzt aber die Compliance der Patienten sowie die Beherrschung entspannender Verfahren durch den Patienten voraus. Psychotherapiestudien belegen die auch über den Behandlungszeitraum hinaus wirksame Kombination von Krankheitsinformation, Entspannungstechniken, Stressbewältigung und konfliktzentrierten Gesprächen. Aus der hohen Placeboantwortrate in kontrollierten Studien lässt sich ableiten, dass schon regelmäßige Kontakte, wie sie im Ablauf von klinischen Untersuchungen üblich sind, zu einer Besserung der Beschwerden führen. Daraus kann abgeleitet werden, dass regelmäßige Einbestellungen etwa alle 4 Wochen ein sinnvolles Vorgehen darstellen können, wobei schon im Erstgespräch auf nachvollziehbare psychosoziale Belastungen geachtet werden sollte. Das Krankheitsverhalten, speziell Inanspruchnahmeverhalten, wird meist in erster Linie durch Ängstlichkeit und Depression beeinflusst. Die Behandlung einer ggf. parallel vorhandenen Depression (bei 30% zu erwarten) hat unter Berücksichtigung der weiteren Symptomatik Priorität. Ein Problem stellen chronische Verläufe dar. Eine schlechte Prognose haben insbesondere Patienten mit einer geringen Schmerztoleranz, psychischer Labilität, geringer Wortgewandtheit und geringer Schulbildung.
464
Kapitel 33 · Therapie chronischer Schmerzen und Tumorschmerztherapie
33.2
Tumorschmerztherapie
Wie in anderen Gebieten gilt auch in der Urologie der WHO-Stufenplan ( s. folgende Übersicht): WHO-Stufenplan
IV
1. Stufe: Einsatz von Nichtopioid-Analgetika + Koanalgetika 2. Stufe: Kombination von Stufe 1 mit niedrigpotenten Opioiden 3. Stufe: Wechsel von niedrig- zu hochpotenten Opioiden und weiter Stufe 1
Selbstverständlich muss dieser Rahmenplan nicht bei jedem Patienten »durchlaufen« werden. Ein starker Schmerz muss von Anfang an mit starken Mitteln behandelt werden. Standard sind auch die Prinzipien der WHO zur Tumorschmerztherapie:
Prinzipien der WHO zur Tumorschmerztherapie 1. Vorbeugende Schmerzmittelgabe: Wirkstoffkonzentration im Plasma sollte anhaltend über der schmerzlindernden Schwelle liegen 2. Schmerzmittelgabe nach festem Zeitplan, aber Zusatzmedikation für Schmerzspitzen: Dauerschmerz erfordert Dauertherapie 3. Auswahl der Medikamente nach WHO-Stufenschema: Unter- oder Übertherapie vermeiden, Kombinationstherapie nutzen, Anpassung der Therapie an den Verlauf 4. Orale Gabe, wenn irgend möglich: Ökonomisch, Unabhängigkeit des Patienten, sicherer Verabreichungsweg mit wenig Nebenwirkungen, gleichmäßigere Wirkstoffkonzentrationen im Plasma
Ziele sind: 1. Der Patient soll zufriedenstellend schmerzgelindert sein: Schmerzlinderung ist für den Krebspatienten die Voraussetzung für eine befriedigende Lebensqualität. Ausreichende
Schmerzlinderung bietet Hilfe bei der Akzeptanz nicht veränderbarer Beeinträchtigungen und der Erkrankung. Der Patient soll wach sein: Lebensqualität heißt auch Erhalt der Selbstständigkeit und der Fähigkeit, Aktivitäten zu entfalten und neu zu entdecken. 2. Der Patient soll familiär integriert sein: Eine ambulante Betreuung ist anzustreben. Wohlbefinden ist eher im häuslichen Umfeld als unter stationären Bedingungen zu erreichen. 3. Der Patient soll unabhängig sein: Geeignet sind schmerztherapeutische Maßnahmen, die den Patienten in die Lage versetzen, für sich und für sein Wohlbefinden Verantwortung zu übernehmen, unabhängig von Ärzten und Pflegepersonal. Im urologischen Bereich verlangen besonders folgende Tumore verstärkte schmerztherapeutische Aufmerksamkeit: ▬ metastasiertes Prostatacarcinom, ▬ metastasiertes Hypernephrom, ▬ metastasiertes Blasencarcinom und ▬ metastasierte Hodentumoren. Aus der Aufstellung wird deutlich, dass oft weniger der Primärtumor, der häufig chirurgisch entfernt wird, als vielmehr die Metastasierung und das Lokalrezidiv zu Schmerzen führen. Bei 30–70% aller Tumorpatienten bestehen ossäre Metastasen, die unabhängig von ihrem osteolytischen, osteoblastischen oder gemischtförmigen Charakter die häufigste Schmerzursache darstellen. Der Knochenschmerz ist pochend, bohrend, gut lokalisierbar und verstärkt sich bei Bewegung. Prädilektionsstellen für ossäre Metastasen stellen die Wirbelkörper (>60% Brustwirbelsäule, 20% lumbosakraler Übergang, 10% Halswirbelsäule) gefolgt von Beckenknochen, Rippen, proximalem Femur, Humerus, Scapula, Sternum und Schädel dar. Etwa 10–20% der ossären Metastasen in tragenden Knochen führen zu pathologischen Frakturen. Komplikationen vertebraler Metastasen sind Wurzel- und Myelonkompressionen mit den entsprechenden radikulären Schmerzen und neuro-
33.2 · Tumorschmerztherapie
logischen Ausfällen. Bei Verdacht auf eine disseminierte ossäre Metastasierung stellt das Knochenszintigramm die Methode der Wahl dar, wobei der Nachweis so nicht immer gelingt. Oft muss ein CT oder MRT durchgeführt werden, um eine diffuse, feinfleckige Durchsetzung des Knochens nachzuweisen. Therapie: ▬ Pharmakologische Analgesiemethoden ( s. oben) unter besonderer Berücksichtigung von NSAR oder Glucocorticoiden und Bisphosphonaten. ▬ Palliative Strahlentherapie (Analgesie und Prophylaxe pathologischer Frakturen). Appliziert werden meist Gesamtdosen von 30 Gy bei täglichen Einzeldosen von 2–3 Gy in 4–5 Fraktionen pro Woche als lokale Radiatio oder/und Großfeldbestrahlung. Bei beginnenden sensiblen oder motorischen Einschränkungen ist die Strahlenbehandlung als Notfallmaßnahme schnellst möglich einzusetzen, da länger als 1–3 Tage bestehende neurologische Ausfälle kaum noch zur Remission gebracht werden können. Bei über 80% der Patienten, in Abhängigkeit von der Tumorhistologie, lässt sich ein analgetischer Effekt nachweisen, der aber häufig erst einige Tage bis Wochen nach Beginn der Strahlentherapie einsetzt. Während der Bestrahlung kann es zu einer passageren Schmerzzunahme kommen, weshalb die aktuelle Schmerzsituation überprüft und die ggf. zusätzlich erforderliche analgetische Medikation der jeweiligen Situation angepasst werden muss. ▬ Primär oder adjuvant zur lokalen Radiatio können auch Radionuklide (89Strontium, 186Rhenium) eingesetzt werden. Hierdurch erreichen etwa 50% der so behandelten Patienten eine Symptomlinderung. ▬ Ein geringerer Prozentsatz profitiert – in Abhängigkeit vom Tumorstadium – von Hormonund Chemotherapie. ▬ Regionalanästhesiologische Verfahren (rückenmarknahe Analgesieverfahren, Intercostalblockaden etc.). Mehr als 50% aller Tumorschmerzen sind neuropathischen Ursprungs durch Infiltration von Mye-
465
33
lon, Plexus und peripheren Nerven. Wichtigstes Diagnostikum ist die exakte Schmerzanamnese einschließlich einer klinisch-neurologischen Untersuchung. Hinzu kommen bildgebende Verfahren (vor allem MRT). Im Wesentlichen sind zwei Formen des neuropathischen Schmerzes unterscheidbar: ▬ anhaltender, brennender, aber auch dumpf drückender und stechender Schmerz sowie ▬ einschießender, paroxysmal auftretender Schmerz. Therapie: ▬ Pharmakotherapie: Wegen häufig eingeschränkter Opioidsensibilität sind durchschnittlich höhere Opioiddosen notwendig, die aber bei ca. 70% der Betroffenen wirksam sind. Bei den Koanalgetika kommen vor allem Antikonvulsiva und trizyklische Antidepressiva zum Einsatz. Bei gleichzeitigen Myoklonien oder/und gesteigertem Muskeltonus sind Myotonolytika (z. B. Baclofen) indiziert. Glucocorticoide wirken über ihren antiödematösen Effekt. ▬ Die analgetische Wirksamkeit einer Strahlenund/oder Chemotherapie sowie die einer chirurgischen Intervention nimmt mit der Dauer der Nervenschädigung ab. ▬ Regionalanästhesiologische Verfahren (rückenmarknahe Analgesieverfahren, Intercostalblockaden etc.) müssen gelegentlich eingesetzt werden. Viszerale Schmerzen können entstehen durch ▬ Infiltration der parietalen Pleura und des Peritoneums, ▬ Kapselspannung (Niere, Leber, Milz), ▬ Verlegung von Hohlorganen (Niere, Harnblase etc.) und ▬ Infiltration von Intestina und umgebenden Strukturen. Typisch sind oft kolikartige, diffuse, schlecht lokalisierbare Schmerzen, die durch vegetative Begleitsymptome verstärkt werden. Neben Anamnese und klinischer Untersuchung sind auch hier bildgebende Verfahren diagnostisch wegweisend.
466
IV
Kapitel 33 · Therapie chronischer Schmerzen und Tumorschmerztherapie
Therapie: ▬ Kausale Therapieoptionen: Bei Verlegung von Hohlorganen Drainage- und Umgehungsanastomosen. ▬ Pharmakologische Analgetikatherapie unter besonderer Berücksichtigung von Metamizol (spasmolytische Effekte auf die glatte Muskulatur der Hohlorgane), von transdermalem Fentanyl und Buprenorphin (keine lokale obstipierende Wirkung). Bei den Koanalgetika kommen besonders Spasmolytika (N-Butylscopolamin) zum Einsatz. ▬ Bei Schmerzen im Versorgungsgebiet des Truncus coeliacus ist auch eine permanente Truncus-coeliacus-Blockade indiziert. Rückenmarknahe Anästhesieverfahren können ebenfalls eingesetzt werden.
Besondere Therapieverfahren Rückenmarknahe Verfahren (Peridural- oder Spinalkatheter): Bei ca. 5% der Tumorschmerzpatienten gelingt es im Endstadium nicht, eine suffiziente Schmerztherapie mit oraler, subkutaner, transdermaler oder intravenöser Analgetikagabe zu erreichen. Entweder liegen ungenügende Analgesie oder unerträgliche und therapieresistente Nebenwirkungen durch die systemisch gegebenen Opioide vor. Häufig werden die Katheter getunnelt und perkutan ausgeleitet oder komplett subkutan versenkt. Dies ist besonders bei spinalem Zugang wichtig, um das Risiko einer Meningitis zu reduzieren. Im Gegensatz zur postoperativen Schmerztherapie verschiebt sich die rückenmarknahe Medikation von den Lokalanästhetika zu den Opioiden (besonders Morphin und Sufentanil). Die Versorgung erfolgt meist über tragbare externe Pumpen mit einer Kombination aus kontinuierlicher Verabreichung und Bolusgaben. Ketamin: Seine antinozizeptive Wirkung beruht auf der Blockade sog. NMDA-Rezeptoren, was insbesondere bei neuropathischen Schmerzen zur Linderung beiträgt. Wegen ▼
sympathomimetischer und psychotomimetischer Nebenwirkungen ist die therapeutische Breite sehr gering. Obwohl es sich bei Ketamin um ein Anästhetikum handelt, das üblicherweise intravenös oder intramuskulär eingesetzt wird, liegen auch Einzelberichte vor, in denen es oral verwendet wurde (z. B. S-Ketamin in Saft 4×50 mg/Tag). Die orale Bioverfügbarkeit liegt bei ca. 20%. Cannabinoide: In Deutschland kann auf Betäubungsmittelrezept Dronabinol (δ 9-THC), die Hauptwirksubstanz von Cannabis, bezogen werden. Dronabinol besitzt eine überwiegend rezeptorvermittelte komplexe Wirkung auf das ZNS (Auswirkungen auf den Appetit, Stimmung, Erkennungsvermögen, Erinnerung und Wahrnehmung) sowie sympathomimetische Effekte. Seine analgetischen Effekte auf nozizeptiven Schmerz sind als gering einzustufen. Zum Einsatz gelangt es insbesondere zur Appetitanregung (2,5 mg vor dem Mittag- und Abendessen, ggf. Steigerung auf 2×5–10 mg) und als Antiemetikum (3–4×5 mg/Tag) bei emetogener Chemotherapie. Neuropathische Schmerzen scheinen auf Cannabinoide besser anzusprechen. Cyproheptadin: Chemisch nahe den Antidepressiva vom Amitriptylin-Typ verwandt mit antihistaminischen und Serotonin-antagonistischen Eigenschaften. Cyproheptadin kommt insbesondere bei Tumorkachexie zur Appetitsteigerung zum Einsatz: z. B. Peritol 3–4×4 mg/Tag. Die Nebenwirkungen und Kontraindikationen entsprechen im Wesentlichen denen von Amitriptylin und Antihistaminika. Tritt während der Therapie mit einem retardiert wirkenden Opioid ein Schmerzdurchbruch (eine Schmerzspitze) auf, muss ein geeignetes rasch wirkendes Opioid gegeben werden. Die bedarfsweise Gabe des Retardpräparates ist falsch, da die Wirkung zu spät (und ggf. zu stark) einsetzt. Aus Rücksicht auf die Unabhängigkeit des Patienten ▼
467
Literatur
33
Literatur und die Dynamik von Tumorschmerzen sollte man kein Retardpräparat ohne ein zusätzlich rasch wirkendes Opioid verschreiben. Am besten hierfür geeignet ist unretardiertes Morphin (z. B. Morphin-Merck 2%-Trpf., 8 Trpf. = 10 mg). Die übliche Zwischendosis liegt bei 1/10–1/6 der 24-h-Gesamtdosis. Ist mehr als 3-mal/24 h eine Zwischendosis notwendig, empfiehlt sich eine Erhöhung der Basisdosis. An den Extremitäten treten im Zusammenhang mit der Tumorerkrankung oder mit therapeutischen Maßnahmen (Chirurgie) häufig therapieresistente Lymphödeme auf, die durch die Spannung des Gewebes zu starken Schmerzen führen können. Neben einer Pharmakotherapie (Analgetika, Glucocorticoide, Furosemid) ist insbesondere an eine intensive Kompressionstherapie und an eine mechanische und manuelle Lymphdrainage zu denken.
Fazit Im Fachgebiet der Urologie sind vor allem die knöchernen Metastasen von Prostata- und Nierenzellcarcinom mit starken Schmerzen verbunden. Probleme bereiten pathologische Frakturen und neuropathische Schmerzen. Orientiert an das WHO-Stufenschema kommen pharmakotherapeutisch Opioide in Kombination mit Nichtopioiden zum Einsatz, häufig ergänzt durch Bisphosphonate, Antikonvulsiva und Antidepressiva. Zusätzlich profitieren die meisten Patienten auch von Radiatio, Hormonund Chemotherapie. Selten müssen regionalanästhesiologische Verfahren eingesetzt werden.
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34 Addendum: Akupunktur in der Urologie M. Karst
34.1 Akupunktur in der traditionellen chinesischen Medizin 34.2 Akupunktur in der westlichen Medizin
– 470
34.3 Neurophysiologische Grundlagen der Akupunktur 34.4 Klinische Akupunkturforschung
– 472
34.5 Akupunktur bei urologischen Störungen Literatur
– 475
– 470
– 474
– 471
IV
470
Kapitel 34 · Addendum: Akupunktur in der Urologie
34.1
Akupunktur in der traditionellen chinesischen Medizin
Akupunktur ist ein Behandlungsverfahren der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), bei dem an bestimmten Punkten des Körpers Nadeln eingestochen werden. Innerhalb der TCM stellt die Akupunktur einen Bestandteil eines umfassenden Behandlungskonzeptes dar, der seit mehreren tausend Jahren einen festen Platz in der Therapie verschiedener Symptome und Syndrome einnimmt. Nach den Vorstellungen der TCM kann es zu verschiedenen pathologischen Erscheinungen kommen, wenn die beiden polaren und doch ineinandergreifenden Zustandskräfte Yin und Yang kein ausgewogenes Gleichgewicht (mehr) bilden. In ihnen offenbart sich die feinstoffliche Energie Qì, die sich aus vorgeburtlichen und nachgeburtlichen Bestandteilen zusammensetzt, wobei die nachgeburtlichen Anteile sich aus Nahrung und Luft speisen. Die aufbauende Energie Yíngqì zirkuliert durch die feinenergetischen Meridiane, die als Leitungen oberflächlich am Körper verlaufen, aber spezifisch mit den durch die aufbauende Energie Yíngqì genährten Organfunktionskreisen im Innern des Körpers in Verbindung stehen. Während die Funktion der fünf Yin-Organe (Herz, Lunge, Milz, Leber, Nieren) im Produzieren, Umwandeln, Regulieren und Speichern der Grundsubstanzen – neben Qì auch Xùe (Blut), Jing (»Essenz«), Shén (Geist, Vitalität) und Jinyè (weitere Körpersäfte) – bestehen, obliegt den fünf Yang-Organen (Gallenblase, Magen, Dünndarm, Dickdarm, Harnblase) die Aufgabe, den Teil der Nahrung, der in die Grundsubstanzen umgewandelt werden soll, zu empfangen, aufzuspalten und aufzunehmen und die unbrauchbaren Anteile zu transportieren und auszuscheiden. Zu den Yin-Organen wird auch der Funktionskreis »Herzbeutel« gezählt, der zum peripheren Blutkreislauf in Beziehung gesetzt wird. Zu den YangOrganen wird der »dreifache Erwärmer« gerechnet, der das Zusammenwirken von Atmung, Verdauung und urogenitalem System regelt. Die energetische Verknüpfung der zwölf organbezogenen Funktionssysteme bildet eine Kette, wobei jeder der zwölf zugehörigen Hauptmeridiane mit seinen Akupunkturpunkten an den nächsten anschließt. Die Interaktionen dieser Organfunktions-
kreise in Bezug auf ihr Qì werden nach der Theorie der fünf elementverbundenen Wandlungsphasen – Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser – geregelt. Äußere und innere sog. krankheitsverursachende Faktoren und verschiedene, weder den einen noch den anderen eindeutig zuzuordnende Faktoren, können zu einem Ungleichgewicht von Yin und Yang führen, als Ausdruck einer Störung der Zirkulation von Qì und Xùe und damit zu einer Krankheit. Neben der Patientenbefragung nutzt die TCM vor allem die Inspektion (hauptsächlich der Zunge), Hören und Riechen, und die Palpation (hauptsächlich des Pulses) als Hauptdiagnostikinstrumente. Da so diagnostizierte Störungen in den Organfunktionskreisen sich in den Meridianen widerspiegeln und umgekehrt, kann über die Manipulation an bestimmten auf den Meridianen angeordneten und dort genau lokalisierten Punkten mit Akupunktur und/oder Moxibustion (Hitzeeinwirkung durch das Abbrennen des Beifußgewächses Artemisia vulgaris) das freie Fließen der aufbauenden Energie Yíngqì wieder hergestellt und damit die Balance von Yin und Yang beeinflusst werden. Dabei entscheidet die zugrunde liegende Störung auch über die Art und Weise, wie diese Manipulationen ausgeführt werden: stützend (suppletiv) oder ableitend (dispulsiv).
34.2
Akupunktur in der westlichen Medizin
Über Japan gelangte die Akupunktur erst Ende des 17. Jahrhunderts nach Europa, fand aber nur zögerlich Eingang in die medizinische Praxis. Europäische oder amerikanische Veröffentlichungen zu dieser Thematik finden sich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, darunter auch die erste Dissertation zum Thema Akupunktur. Mit der ab Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommenden kausal-analytisch orientierten Medizin ebbte das Interesse an der TCM wieder ab, ein Trend, der bis zu den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts anhielt. Verbunden mit der Öffnung Chinas und dem Besuch des amerikanischen Präsidenten Nixon 1972 führten Filme über Akupunktur-Anästhesie zu einem allgemein gesteigerten Interesse an der Akupunktur in den westlichen Ländern. Forschungsprogramme wur-
34.3 · Neurophysiologische Grundlagen der Akupunktur
den aufgelegt, es kam zu einer explosionsartigen Vermehrung von Veröffentlichungen über Akupunktur. 1979 wurde auf einem interregionalen Seminar der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine provisorische Liste von Krankheiten und Symptomen veröffentlicht, die mit Akupunktur behandelt werden können. Hierunter befindet sich als einzige urologische Störung nächtliche Enuresis. Unzweifelhaft ist es in der westlichen Welt zu einer weiten Verbreitung der Akupunktur gekommen. In den Vereinigten Staaten von Amerika werden jährlich etwa 9–12 Mio. Akupunkturbehandlungen durchgeführt. Für Europa wird geschätzt, dass 12– 19% der Bevölkerung Akupunkturbehandlungen erhält. Eine Umfrage unter schmerztherapeutischen Einrichtungen Großbritanniens ergab, dass die meisten dort tätigen Therapeuten (84%) Akupunktur zur Behandlung chronischer Schmerzen anbietet.
34.3
Neurophysiologische Grundlagen der Akupunktur
Die Entdeckung, dass Akupunktur Opioidpeptide freisetzen kann, hat viel zu ihrer Respektabilität beigetragen und die wissenschaftliche Grundlagenforschung beflügelt. Heute liegen Erkenntnisse vor, die viele Akupunktureffekte nahelegen: ▬ Beeinflussung des autonomen Nervensystems und der Hypothalamus-Hypophysenachse, ▬ Freisetzung verschiedener Neuropeptide und ▬ psychoneuroimmunologische Modulation. Wesentliche Voraussetzung für eine Akupunkturwirkung ist die mit dem Einstechen der Nadel erreichte, leicht schmerzhaft empfundene Erregung von Aδ-Fasern und im geringeren Umfang von C-Fasern, wodurch es einerseits zu segmentalen und andererseits zu heterosegmentalen Effekten kommt. Versuche, bei denen der Akupunkturpunkt selbst oder der dazugehörige sensible Nerv lokal betäubt worden waren, haben gezeigt, dass Akupunktur dann in dieser Region nicht wirksam ist. Über die stimulierten Aδ-Fasern kommt es auf Rückenmarkebene zur Aktivierung hemmender enkephalinerger Neurone, sog. »stalked cells« (⊡ Abb. 34.1).
471
34
Gleichzeitig können über Aδ-Faserstimulation in sensibilisierten Neuronen Enzyme aktiviert werden, die die Phosphorylierung von synaptischen Proteinen wieder rückgängig machen können. War bei einem chronischen Schmerz die Phosphorylierung synaptischer Proteine Ursache einer erhöhten synaptischen Übertragungsstärke zwischen nozizeptiven Aδ- und C-Fasern und Neuronen im Rückenmark, wird mit der Dephosphorylierung die synaptische Übertragungsstärke wieder reduziert, das »Schmerzgedächtnis« gelöscht. Ebenfalls über die Erregung nozizeptiver AδFaserafferenzen werden die heterosegmentalen Effekte hervorgerufen (⊡ Abb. 34.2). Dazu gehören neurohormonale Mechanismen mit Ausschüttung von freiem β-Endorphin und Metenkephalin, und die Aktivierung von drei absteigenden, im Rückenmark auf nozizeptive Neurone hemmend wirkenden Systemen, die zur Signalübertragung unterschiedliche Neurotransmitter einsetzen. Hierzu zählen das noradrenerge, das serotonerge und das opioiderge DNIC-(»diffuse noxious inhibitory controls«-) System. Die meisten dieser Mechanismen werden u. a. auch im periaquäduktalen Grau (PAG) verschaltet. Dort konnte eine somatotopische Organisation nachgewiesen werden, was als Erklärung dafür dienen kann, dass nicht jeder, notwendigerweise im Dermatom liegende Akupunkturpunkt, in gleicher Weise geeignet ist, therapeutisch effektiv zu sein. Im Gegensatz zur mechanischen Stimulation führt die thermische und chemische Reizung nur zu einer segmentalen Erhöhung von Opioiden. Dies kann als Hinweis für die Spezifität von mechanischer Stimulation, wie sie die Akupunktur darstellt, verstanden werden. Aus evolutionsbiologischer Sicht wurde die Theorie aufgeworfen, dass während der Säugetierentwicklung und Menschwerdung der Kontakt mit Dornen im Alltagsleben ein häufiges Ereignis gewesen sein muss, wodurch sich die genannten Mechanismen im Sinne einer Abwehrmaßnahme ausgebildet haben könnten. Die Spezifität von Akupunkturpunkten ergibt sich aus anatomischen Untersuchungen: Nahezu alle Akupunkturpunkte weisen eine besonders hohe Dichte subkutan, perivaskulär oder muskulär gelegener Nervenfasern auf. Es konnte gezeigt werden, dass die Lokalisation von 71% aller Akupunktur-
Exzitatorisch Inhibitorisch Haut
Schmerzhafte Narbe
Polymodale C-Fasern
ENK
SG
WDR
C Tractus spinothalamicus
IV
St
spinoreticularis
Kapitel 34 · Addendum: Akupunktur in der Urologie
Tractus
472
Aδ Mechanorezeptor M Akupunktur ⊡ Abb. 34.1. Über Aδ-Faserafferenzen (Aδ) Aktivierung hemmender enkephalinerger (ENK) »stalked cells« (St). Die Weiterleitung des ursprünglich aus C-Fasern (C) kommenden nozizeptiven Signals aus der Substantia gelatinosa (SG) zu den
»wide dynamic range«-(WDR-)Neuronen und damit zum Gehirn wird gebremst. Der Reiz durch die Akupunkturnadel wird über »marginal cells« (M) weitergeleitet und kann als »Stich« wahrgenommen werden. (Aus Bowsher 1998, S. 73)
punkten mit häufig beschriebenen Triggerpunkten übereinstimmt. Durch die Reizung perivaskulär gelegener vegetativer Nervenfasern könnten autonome Effekte erklärt werden: Beschrieben sind vorübergehende Vasokonstriktion gefolgt von einem länger anhaltenden Wärmeeffekt sowohl nach konventioneller Akupunktur als auch nach Elektroakupunktur.
auf, was vor allem mit den Schwierigkeiten in der Auswahl der Kontrollgruppe und der Frage der Verblindung zu tun hat. Die in den letzten Jahren am meisten eingesetzten Kontrollverfahren sind Scheinakupunktur (oberflächliches Nadeln an Nichtakupunkturpunkten) und Placeboakupunktur (stumpfe Nadeln berühren nur die Haut, penetrieren sie aber nicht). Aus naheliegenden Gründen wird die Einfachverblindung (nur Patient weiß nicht, in welchem Interventionsarm er sich befindet) akzeptiert. Die so geprüfte Wirksamkeit der Akupunktur konnte für eine Reihe von Symptomen belegt werden, worunter hauptsächlich Übelkeit (aus verschiedenen Gründen), postoperativer Schmerz nach Zahnbehandlungen und eine Reihe schmerzhafter muskuloskeletaler Syndrome zu finden sind.
34.4
Klinische Akupunkturforschung
Im Zeitalter der Evidenz-basierten Medizin (EbM) gilt die randomisierte, kontrollierte Studie (RCT) als »Goldstandard« der Erkenntnisgewinnung in der Erforschung von Therapieeffekten. Pro Jahr finden sich in der Datenbank »Medline« etwa 50– 100 Veröffentlichungen, die von klinischen Akupunkturstudien berichten, ein Anteil von etwa 10% aller wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu Akupunktur. Dabei weist eine große Zahl davon keinen hohen methodischen Qualitätsstandard
34
473
34.4 · Klinische Akupunkturforschung
Gyrus cinguli
Somatotopische Projektion zum sensorischen Kortex
Präfrontaler Kortex
Diffuse kortikale Projektion Nucleus medialis centralis
Thalamus Nuclei arcuati
Absteigende (Schmerz-) Hemmbahn OP PAG
Hypothalamus
DCS RF
Haut Taktiler Rezeptor
Aβ
Polymodaler Nozizeptor
C
St Schmerzhafte Narbe
NAD
LC
5HT nPGC
NAd
DNIC ? BA GA
T E N S
nRM
Aδ Mechanorezeptor Akupunktur ⊡ Abb. 34.2. Noradrenerge (NAD), serotonerge (5HT) und opioiderge (»diffuse noxious inhibitory controls« =DNIC) heterosegmentale Hemmung der durch C-Fasern (C) aktivierten Substantia gelatinosa (SG) entweder über enkephalinerge (ENK) »stalked cells« (St) oder direkt; dadurch Hemmung der afferenten Strukturen: Wide-dynamic-range-Neurone (WDR), Tractus spinoreticularis, Formatio reticularis (RF), Thalamus und corticaler Projektionsbahnen. Nach Aktivierung von AδFaserafferenzen (Aδ) Verschaltung über »marginal cells« zum Tractus spinothalamicus. Dort Verschaltung entweder über
ENK SP VIP
SG
Tractus spinoreticularis
Funiculus dorsolateralis
nRG
RF
WDR
Tractus spinothalamicus
PAG
Multisynaptisches System
Frontoarcuate Verbindung
Nucleus ventralis posterolateralis
M Thalamus, Cortex, Nucleus arcuatus, periaqäduktales Grau (PAG) oder Hypothalamus, PAG. Verschaltung des DNIC auch über Subnucleus reticularis dorsalis (R) und wahrscheinlich Nucleus paragigantocellularis lateralis (nPGC) und Locus coeruleus (LC). Außerdem Darstellung des wahrscheinlich GABAergen (Gammaaminobuttersäure) Gegenirritationsprinzips (»GateControl-Theorie«): Aktivierung von Aβ-Faserafferenzen durch transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) und »dorsal column stimulation« (DCS). (Aus Bowsher 1998, S. 78)
474
Kapitel 34 · Addendum: Akupunktur in der Urologie
34.5 Akupunktur bei urologischen
Störungen
IV
Obwohl in der TCM Chinas Akupunktur häufig bei urologischen Störungen eingesetzt wird, sind in der westlichen Welt nur wenige Studien durchgeführt und veröffentlicht worden, die sich diesem Gebiet angenommen haben. Die noch am besten untersuchten urologischen Krankheitsbilder sind: ▬ Reizblase (häufiges Urinieren, nächtliches Urinieren, Harndrang und Dranginkontinenz), ▬ rezidivierende Cystitis (häufiges Urinieren, Dysurie, suprapubischer Schmerz), ▬ nächtliche Enuresis, ▬ Impotenz und ▬ Harnretention. Die Datenlage bei Reizblase und rezidivierender Cystitis lässt spezifische Akupunktureffekte erkennen, die auch von günstigen Veränderungen urodynamischer Parameter und Restharnmenge begleitet sind. Dagegen liegen Studien für die anderen drei genannten Störungen nicht vor, die eine solche Aussage zulassen, obwohl nicht nur empirisch, sondern auch aus theoretischen Erwägungen heraus, günstige Akupunktureffekte vorstellbar sind. So könnten die Beeinflussung der Hypothalamus-Hy-
pophysen-Achse Auswirkungen auf Impotenz und Infertilität haben, die Beeinflussung segmentaler Abläufe auf neurogene Störungen der Blasenfunktion. Eine Auswirkung der Akupunktur auf mechanisch bedingte Harnretention (z. B. durch Prostatahypertrophie) ist eher unwahrscheinlich und konnte in einer aktuellen prospektiven Studie auch nicht nachgewiesen werden. In ⊡ Tabelle 34.1 sind Behandlungsvorschläge für die jeweiligen Störungsbilder zusammengefasst. Fazit Akupunktur als wichtiger therapeutischer Baustein der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) vermittelt aus westlicher Sicht seine Wirkungen über neurophysiologische Effekte. Vor allem monoaminerge und opioiderge Systeme werden aktiviert. Akupunktur wird sowohl innerhalb der TCM als auch im Westen hauptsächlich bei Reizblase, akuter und chronischer Cystitis, nächtlicher Enuresis, Impotenz und Harnretention eingesetzt. Dabei werden vor allem Punkte auf dem Milz-/Pankreas-, Blasen-, Nieren- und Ren-Meridian verwendet. Die ▼
⊡ Tabelle 34.1. Behandlungsvorschläge bei unterschiedlichen urologischen Störungen. Behandlung üblicherweise 1×/Woche über 6–10 Wochen. Die Organfunktionskreise sind abgekürzt
Westliche Diagnose
Betroffene Organfunktionskreise nach TCM-Vorstellungen
Behandlungsvorschläge
Reizblase
Niere, Harnblase
Mi6, Ma36, Ren4, Bl23, Bl28
Rezidivierende Cystitis
Niere
Mi6, Ni3, Ren3, Bl23, Bl28
Milz
Mi6, Mi9, Ma36, Ren3, Bl28
Leber
Mi6, Mi9, Le3, Ren3, Bl28
Nächtliche Enuresis
Niere
Mi6, Le1, Ren3, Bl23, Bl28, Du20
Impotenz
Niere
Mi6, Ni3, Ma36, Ren4, Bl23, Du4, He7
Harnretention
Niere, Milz
Mi6, Mi9, Ren3, Bl28, Bl39
Mi Milz, Ma Magen, Ni Niere, Bl Blase, He Herz; die Zahlen geben den Akupunkturpunkt auf dem jeweiligen Meridian an.
Literatur
Datenlage lässt nur bei den erstgenannten Störungen spezifische Akupunktureffekte erkennen, während bei den übrigen entsprechende Studien nicht vorliegen.
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477
A
Sachverzeichnis A Abstriche 153 Abszess 194 Acetylcholin, neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 N-Acetylcystein, Chemozystitis 410 Acetyl-L-Carnitin, Induratio penis plastica 361, 363 adjuvante Therapie (s. auch Chemotherapie) 53, 55–56 – Harnblasenkarzinom, adjuvante Instillationstherapie (s. Instillationstherapie) 45–46 – Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes 74 – – Interferon-α 74 – – – α-NL-Interferon 74 – – Interleukin-2 (IL-2) 74 – – Keyhole-Limpet-Haemocyanin (KLH) 74 – – Medroxyprogesteronacetat 74 – – Tumorzellen, autologe 74 – – Vakzinationstherapie, autologe 74–75 – – Vakzine 74–75 – Prostatakarzinom, adjuvante medikamentöse Therapie 86–96 – – Aminoglutethimid 90 – – Androgen-withdrawal-Syndrom 90 – – Androgenblockade (s. dort) 87–90, 97 – – Androgendeprivation, intermittierende 87, 91–92 – – Antiandrogene (s. dort) 88–90, 92, 96–97 – – Estramustin 90 – – Gestagen 90 – – Hormontherapie nach primärer Radiatio (s. dort) 86–87, 92 – – Ketokonazol 90 – – LHRH-Analoga 87–90, 96 – – Nebenwirkungen 91–96 – – Orchiektomie, bilaterale (Kastration) 87–88, 96 – – Östrogentherapie 87–89 – Urothelkarzinom, metastasierendes 55 – – MVAC 55
Adrenalektomie, bilaterale, Prostatakarzinom 90 Adrenalin – akute Kontrastmittelallergie 275–276, 278 – prolongierte Erektion/Priapismus 356 Adrenozeptorantagonisten – α-Adrenorezeptorantagonisten/ α-Blocker, Detrusorhypoaktivität 301 – – α1-Blocker 302 – β2-Adrenorezeptorantagonisten, Detrusorhyperaktivität 295 Adriblastin, Urothelkarzinom, fortgeschrittenes 64 Agardiffusionstest 154 »aging male« und Altershypogonadismus 385 – PADAM (»partial androgen deficiency of aging male«) 385 Aids/HIV 216–217 – Antibiotika der ersten Wahl (Übersicht) 208 – Keimspektrum bei HIV-Infizierten Patienten 217 Akupunktur als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140, 469–475 – klinische Akupunkturforschung 472 – neurophysiologische Grundlagen 471–472 – in der traditionellen chinesischen Medizin 470 – bei urologischen Störungen 474–475 – in der westlichen Medizin 470 Alaun, Blutungen im ableitenden Harntrakt 410–412 – klinsiche Ergebnisse der Alauninstillation (Übersicht) 412 Aldesleukin (IL-2), Nierenzellkarzinom, metastasierendes 76–77 Alfuzosin – BPH-/BPS-Therapie 320 – Detrusorhypoaktivität 302 Algurie 152 alkalisierende Lösungen 14 Allergie/allergische Reaktion (s. auch Kontrastmittelallergie) 272 – pseudoallergische Reaktion 272 – zytostatikainduziert 5
Allopurinol 10 Alopezie, zytostatikainduziert 4–5, 19–20 – anagene Phase 19 – anagenes Effluvium 19 – EGF (»epidermal growth factor«) 20 – geringer Haarausfall 19 – katagene Phase 19 – mäßiger Haarausfall 19 – starker Haarausfall 19 – supportive Therapie 20 – – Calcitriol 20 – – Immunmodulator AS101 20 – – ImuVert 20 – – Minoxidil 20 – – Vitamin E 20 – telogene Phase 19 α-adrenerge Substanzen, prolongierte Erektion/Priapismus 356 Alprostadil (Prostaglandin E1) – erektile Dysfunktion 341 – sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen 400 ältere Patienten, Harnwegsinfektionen 171–172 Aluminiumhydroxid-Suspension 12 Amifostin (Aminothiolderivat) 4, 13, 23, 26–28 – Hämatotoxizität 26 – Hypotension 27 – Myelosuppression 26 – Nephrotoxizität 26 – Neurotoxizität 27 – supportive Therapie 26–28 – – Antiemese 27 – – Dexamethason 27 – – Dexrazoxan 28 – – Triflupromazin 27 – Thrombozytopenie 27 – Übelkeit und Erbrechen 27 – Xerostomie 26 ε-Aminocapronsäure, Blutungen im ableitenden Harntrakt 413 Aminoglutethimid, Prostatakarzinom 90, 97 Aminoglykoside 14, 180 Aminopenicilline 178 Aminothiolderivat (s. Amifostin) 4, 13, 23, 26–28 Amoxicillin/Clavulansäure 17 Amphothericin B 196
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Sachverzeichnis
Analgesie, patientenkontrollierte (s. auch Schmerz) 454 Analgetika (s. auch Anäasthetika) – antipyretische [nichtopioid] (s. auch Schmerz) 434 – – ASS (Acetylsalizylsäure) 436 – – Celocoxib 437 – – Etoricoxib 437 – – Ibuprofen 436, 454 – – Koanalgetika (s. dort) 442–445 – – Meloxicam 437 – – Metamizol 435, 437, 454 – – Naproxen 436 – – NSAR (nichtsteroidale antiphlogistische Antirheumatika) 434–437 – – Opioidanalgetika (s. dort) 437–442 – – Paracetamol 434–435, 437, 454 – – Piroxicam 436–437 – – Valdecoxib 437 – interstitielle Zystitis, Analgetika und Anästhetika 245 – Nichtopiat-Analgetika (s. Antipyretika) 454 Anämie, zytostatikainduziert 4, 18–19 – supportive Therapie 18–19 – – Darbepoetin alfa 18 – – Erythropoietin (rhEPO) 18 anaphylaktoide Reaktionen/anaphylaktischer Schock 273–275 – Kontastmittelallergie (s. dort) 275 – Stadieneinteilung, anaphylaktoider/ anaphylaktischer Sofortreaktion 275 – zytostatikainduziert 5 Anästhesie 456–460 – lokalanästhesiologische Verfahren bei urologischen Operationen (s. dort) 457–460 – regionalanästhesiologische Verfahren zur postoperativen Schmerztherapie 456 Anästhetika und Analgetika, interstitielle Zystitis 245 Andriol, erektile Dysfunktion 349 Androderm, erektile Dysfunktion 349 Androgenblockade, Prostatakarzinom 88–90 – komplette 88–89 – maximale 90 – primäre 97 Androgendeprivation, Prostatakarzinom
– intermittierende (IAD) 91–92 – primäre 96 Androgene – erektile Dysfunktion (s. dort) 342–350, 385 – Physiologie 382 – Substitutionstherapie mit Androgenen (s. dort) 382–392 – Übersicht zum Einsatz von Androgenen 386 Androgeninhibitoren, adrenale, Prostatakarzinom (HRPCA) 97–98 Androgenmangel, Diagnostik 383–385 Androgenproduktion 90 – adrenale 90 – testikuläre 90 Androgenrezeptorenblocker 88 Androgensubstitution – Auswahl der veröffentlichten Empfehlungen und Leitlinien zur Androgensubstitution 391 – Indikationen 385–386 – – »aging male« und Altershypogonadismus 385 – – andere Indikationen 386 – – erektile Dysfunktion (s. dort) 385 – – Hypogonadismus, primärer, sekundärer und tertiärer 385 androgenunabhängiges, hormonsensitives Stadium, Prostatakarzinom (HRPCA) 97 Androgen-withdrawal-Syndrom, Prostatakarzinom 90 Androskat [Papaverin/Phentolamin], (Prostaglandin E1), erektile Dysfunktion 341 Anejakulation/Anemission (Ejaculatio deficiens) 375 anogenitales Syndrom 161 Anthrazykline 4 – Kardiomyopathie, anthrazyklindinuzierte 25 – Prostatakarzinom (HRPCA) 100 – – Doxorubicin (s. dort) 99–100 – – Epirubicin 99 – – Mitomycin 99 – – Mitoxantron (s. dort) 100, 102 Antiallergika, interstitielle Zystitis 245 Antiandrogene, Prostatakarzinom 88–90, 92, 96–97 – HRPCA, Antiandrogenentzug 97 – Monotherapie 92 – nichtsteroidale 89–90, 92, 96–97 – reine 89 – steroidale 89, 96
Antibiotika/Antibiotikatherapie – Antibiotikaauswahl (Übersicht) 166–167 – der ersten Wahl (Übersicht) 208 – Fournier-Gangrän (Übersicht) 268 – Prophylaxe, perioperative 175–183 – – bei endourologischen Operationen 181–183 – – – Laparoskopie 182 – – – perkutane Chirurgie 182 – – – TUR-B 181 – – – TUR-P 181 – – – Ureterorenoskopie 182 – – – Urethrotomie 181 – – – Zystoskopie 181 – – bei offenen Operationen 179–181 – – – außerhalb der Harnwege 179 – – – mit Darmsegment 180–181 – – – ohne Darmsegment 179–180 Anticholinergica, interstitielle Zystitis 247 Antidepressiva – interstitielle Zystitis 246 – trizyklische als Koanalgetika 442 Antiemetika 6, 9, 445 – Amifostin (Aminothiolderivat) 27 H2-Antihistaminikum 21 Antiinfektiva – Kombination 12 – Therapierefraktärität 17 Antikonvulsiva als Koanalgetika 442–443 Antimyotika 17, 195, 198 – lokale 195 – systemische 195 Antiphlogistika 14 Antipyretika (Nichtopiat-Analgetika) 454 – Ibuprofen 436, 454 – Metamizol 435, 437, 454 – Paracetamol 454 – Parecoxib 454 Antirheumatika, nichtsteroidale antiphlogistische (NSAR; s. auch Schmerz) 434–437 Antituberkulotika 189–190 – Nebenwirkungen 190 – bei Niereninsuffizienz 192 Anurie 152 Apomorphin (Ixense/Uprima) – erektile Dysfunktion 346 – sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen 400
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Sachverzeichnis
Aprepitant 6, 8–10 L-Arginin, interstitielle Zystitis 247–248 Aromatherapie als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140 AS101 (Immunmodulator) 20 Asparginase-Präparate 21 Aspergillose 199 ASS (Acetylsalizylsäure; s. auch Schmerz) 436 ATP, neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 Atrasentan (ET4-Rezeptorantagonist), Prostatakarzinom (HRPCA) 103 Atropin 14 – akute Kontrastmittelallergie 278 – Detrusorhyperaktivität 291
B Bacillus Calmette-Guérin, interstitielle Zystitis 251 Baclofen, Detrusorhypoaktivität 300 Bactrim (Trimetoprim/Sulfametoxazol) 180 BCG-(Bacillus Calmette-Guérin)Therapie – Immunprophylaxe 46 – beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom 34–41 – – Applikation 35 – – Arthritis 39 – – BCG vs. Chemotherapeutikavergleichende randomisierte Studien (Übersicht) 36 – – Boosterung 37 – – Erhaltungstherapie 37, 40 – – Fieber 39 – – Hautausschlag 39 – – Hospitalisation 38 – – Immunantwort vom verzögerten Typ 35 – – Immuntherapie 35 – – Induktionszyklus 35, 39–40 – – intravesikale Instillation 34–35 – – Nebenwirkungen 38–39 – – Rezidivverhalten (Übersicht) 39 – – Sepsis 39 – – Stellenwert der BCG-Therapie 39–40 – – tuberkulostatische Triplettherapie 39
– beim Urothelkarzinom der Harnblase – – adjuvante Instalationstherapie 45 – – topische Therapie 44 – – – Kombination mit Interferon-α 47 Belastungsinkontinenz, neurogene 289 Benzamid 6 Benzodiazepine – Detrusorhypoaktivität 301 – Ejaculatio praecox 370 Bevacizumab als Antikörpertherapie, Nierenzellkarzinom, metastasierendes 80 Bewegung/Sport als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140, 143–144 bildgebende Untersuchungsverfahren, urologische Infektionen 155–157 – Nuklearmedizin 157 – Radiologie 156–157 – Sonographie 155–156 Bisphosphonate – Koanalgetika (s. dort) 444 – Prostatakarzinom (HRPCA) 101, 103 Blase (s. auch Harnblase) Blasenauslassobstruktion, BPH-/BPS 314 Blasenauslasswiderstand 300, 303 – Senkung, pharmakotherapeutische 300 – Steigerung, pharmakotherapeutische 303 Blasenhydrodistension, interstitielle Zystitis 252 Blasentenesmen 152 Blastomykose 199 Bleomycin, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 108, 110–112 – PEB-Regime (Cisplatin, Etoposid und Bleomycin) 108, 112–113, 115 – PEI- vs. PEB-Regime (Ifosfamid statt Bleomycin mit Platin und Etoposid) 113 – PVBx4-Regime (Cisplatin, Vinblastin und Bleomycin) 110–111 Blutagarplatte 154 Blutungen im ableitenden Harntrakt, pharmakologische Prophylaxe und Therapie 406–417 – Alaun (s. dort) 410–412 – ε-Aminocapronsäure 413 – BPH/BPS/Prostatakarzinom 410 – Chemotherapie 413
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
A–B
Fibrinkleber 413 Formalin 414 Hormone 414 Makrohämaturie 406 Pentosanpolysulfat 414 Phenol 415 Prophylaxe 410 Prostaglandine 410, 415 Silbernitrat 410, 414 Symptomatik 406 Therapiemodalitäten 408–417 Thiazide bei Hyperkaziurie 416 Tranexamsäure 410, 416 Ursachen 406 weitere Substanzen 416–417 Zystitis – Chemozystitis 406, 410 – – N-Acetylcystein 410 – – Mesna (2-Mercaptoethannatriumsulfonat) 410 – – hämorrhagische Zystitis, Ursachen (Übersicht) 407 – – radiogene 410 »body-mind«-Techniken (Meditation) als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140, 144 Bolus alba 14 BOP-CISCA-POMB-ACE, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 113 BOP-VIP-B, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 113 Botulinumtoxin – Detrusorhyperaktivität 298–299 – Detrusorhypoaktivität 301 Boyarski-Fragebogen, BPH-/BPS 315 BPH-/BPS (benigne Prostatahyperplasie/benignes Postatasyndrom) 302, 314–337, 410 – Dranginkontinenz 315 – Fragebögen – – Boyarski 315 – – DAN-PSS 315 – – ICS-male 315 – – IPPS- 314 – – Madson-Iversen 315 – Harndrang, imperativer 315 – LUTS (»lower urinary tract symptoms«) 314 – MTOP-Studie 333–336 – Pollakisurie 315 – Therapie – – Kombinationstherapie 332–333 – – mit Phytopharmaka/Pflanzenextrakten 316–317, 331 – – – Cucurbita pepo (Kürbissamen) 331
Sachverzeichnis
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BPH-/BPS (benigne Prostatahyperplasie/benignes Postatasyndrom) – – – Hypoxis rooperi/Pinus/Picea (Phytosterole/β-Sitosterine) 331 – – – Opunita (Kaktusblütenextrakt) 331 – – – Pygeum africanum (afrikanischer Pflaumenbaum) 331 – – – Sabal serrulata 331 – – – Secale cereale (Roggenpollen) 331 – – – Serenoa repens 331 – – – Urtica dioica (Brennesselwurzel) 331 – – mit 5α-Reduktasehemmern 325–331 – – – Dutasterid 326–329 – – – Finasterid 326–329 – – – Nebenwirkungen 330–331 – – – Wirkmechanismen 325–330 – – mit α1-Rezeptorblockern 316–325 – – – Alfuzosin 320 – – – Doxazosin 320 – – – Nebenwirkungen 322–325 – – – Tamsulosin 320 – – – Terazosin 320 – – – Wirkmechanismen 317–322 Brennesselwurzel (Urtica dioica), BPH-/BPS-Therapie 331 Budesonid 14 Buprenorphin (s. auch Opioidanalgetika) 441, 454
C Candidiasis/Torulopsis-Infektion 199 Calcitriol 20 Calciumfolinat 11, 21 Candida albicans 156 Candidainfektionen der Harnwege 207 – Antibiotikatherapie (Übersicht) 209 Capsaicin, Detrusorhyperaktivität 297 Carboplat, Urothelkarzinom, metastasierendes 65 Carboplatin – Hodenkeimzelltumor, metastasierter 110 – – Kombinationstherapie 110 – – – Cis- und Carboplatin 110
– – Monotherapie 110 – – Salvage-Chemotherapie 122 – – – CET-Regime (Carboplatin, Etoposid und Thiotepa) 122 – – – HD-CE-Regime (hochdosiertes Carboplatin und Etoposid) 122 – – – 3xPEI/1x HD-CEC-Regime (Carboplatin, Etoposid und Cyclophosphamid) 122 – Urothelkarzinom, metastasierendes 56–59, 65 Cardioxane 25 Carmellose 13 Caverject (Prostaglandin E1), erektile Dysfunktion 341 CBOP/PEB, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 113 Celocoxib (s. auch Schmerz) 437 Cephalosporine 179 – 2. Generation 179 – 3. Generation 17, 179 – – Fournier-Gangrän 268 CET-Regime, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 122 – Salvage-Chemotherapie (Paclitaxel, Ifosfamid und Cisplatin) 122 Cetuximab, Prostatakarzinom (HRPCA) 102 Cetylpyridiniumchlorid (Dobendan) 11 CG, Urothelkarzinom, metastasierendes 58, 68 CGP, Urothelkarzinom, metastasierendes 58 Chancroid/Ulcus molle 222, 225–226 Chemotherapeutika (s. auch Zytostatika) 4–28 – BCG vs. Chemotherapeutika-vergleichende randomisierte Studien (Übersicht) 36 Chemotherapie (s. auch Onkologie, urologische) 3–131 – Blutungen im ableitenden Harntrakt 413 – Hodenkeimzelltumor, metastasierter 120–126 – – neue Substanzen in der Behandlung von testikulären Keimzelltumoren 125 – – Residuenbehandlung nach Chemotherapie 117–120 – – Salvage-Chemotherapie, konventionelle (s. dort) 120–125 – – Spätrezidive 125
– – Toxizität, chemotherapieassoziierte 126–128 – Keimzelltumoren extragonadalen Ursprungs, HD-Chemotherapie 131 – Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes 76–83 – – Immun-Chemotherapien, unspezifische medikamentöse (s. dort) 76–83 – Obstipation, chemotherapieinduzierte 5, 14 – Prostatakarzinom 91 – – HRPCA (s. dort) 98–103 – Spätfolgen 4 – – Infertilität 4 – – Sekundärmalignome 4 – – Teratogenität 4 – supportive onkologische Therapie (s. auch Zytostatika) 4–28 – Urothelkarzinom, metastasierendes 54–56 – – adjuvante Chemotherapie (s. dort) 53, 55–56, 68 – – neoadjuvante Chemotherapie (s. dort) 53–55, 68 – – palliative Chemotherapie (s. dort) 53, 56–57, 68 – – Polychemotherapie (s. dort) 57–61, 68 Chemozystitis 410 Chinolone (Gyrasehemmer) 17, 178 Chlamidia trachomatis 156 – Serotyp D-K 156 – Serotyp L 156 Chlorhexidin 11 Cholinergika, Detrusorhypoaktivität 299 Cholinesteraseinhibitoren, Detrusorhypoaktivität 299 Chondroitinsulfat, interstitielle Zystitis 252 Cialis (Tadalafil) – erektile Dysfunktion 342, 345–346 – sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen 400 Cimetidin, akute Kontrastmittelallergie 274 CISCA – Hodenkeimzelltumor, metastasierter, CISCA/VB 113 – Urothelkarzinom, metastasierendes 58 Cisplatin – Hodenkeimzelltumor, metastasierter, Kombinationstherapie
481
Sachverzeichnis
– – mit Carboplatin 110 – – CET-Regime (Paclitaxel, Ifosfamid und Cisplatin), Salvage-Chemotherapie 122 – – mit Etoposid 110 – – PEB-Regime (Cisplatin, Etoposid und Bleomycin) 108, 112–113, 115 – – PEI-Regime (Cisplatin, Etoposid und Ifosfamid) 110, 113–114, 121 – – PVBx4-Regime (Cisplatin, Vinblastin und Bleomycin) 110–111 – – TIP-Regime (Paclitaxel, Ifosfamid und Cisplatin), Salvage-Chemotherapie 122 – Urothelkarzinom, metastasierendes 54, 56–58, 60–61, 64, 68 cisplatininduzierte Nephrotoxizität 4 Clavulansäure/Amoxicillin 17 Clitoris und Vagina, Physiologie 396–397 Clodronat, Prostatakarzinom (HRPCA) 101 Clomipramin, Ejaculatio praecox 370 Clonidin als Koanalgetika 444–445 Coccidioidomykose 199 Codein (s. auch Opioidanalgetika) 440 Colchicin, Induratio penis plastica 361–362 Common Toxicity Criteria (CTC), Zytostatika 6 Condylomata acuminata (humane Papillomaviren [HPV]/Feigwarzen) 231–232 CPT-11 (Topoisomerase-I-Hemmstoff Irinotectan) 13–14 Cremophor EL 22 G-CSF 11, 15 – prophylaktischer Einsatz 61 – Urothelkarzinom, metastasierendes 61 GM-CSF 11, 15 CTC (Common Toxicity Criteria), Zytostatika 6 Cucurbita pepo (Kürbissamen), BPH-/BPS-Therapie 331 Cyclooxygenase (COX) 434 – COX 1 434 – COX 2 434 Cyclophosphamid – Hodenkeimzelltumor, metastasierter, Salvage-Chemotherapie 122 – – 3xPEI/1x HD-CEC-Regime (Carboplatin, Etoposid und Cyclophosphamid) 122
– Urothelkarzinom, metastasierendes 58, 61 Cyproteron-Azetat (CPA), Flare-upProphylaxe beim Prostatakarzinom 87–88 Cystitis (s. Zystitis) 23, 158–159, 164, 244–253, 410
D DAN-PSS-Fragebogen, BPH-/BPS 315 Dantrolen, Detrusorhypoaktivität 301 Darbepoetin alfa 18 Deafferenzierungsschmerz (s. auch Schmerz) 429 Deferiprone 25 Desferoxamin 25 Detrusorakontraktilität, pharmakologische Beeinflussung 289 Detrusor-Blasenhals-Dyssynergie 289 Detrusorhyperaktivität, pharmakologische Beeinflussung 289–299 – therapeutisches Stufenkonzept 290 – – β2-Adrenorezeptorantagonisten 295 – – Atropin 291 – – Botulinumtoxin 298–299 – – Capsaicin 297 – – Imipramin 296 – – Kaliumkanalöffner 296 – – Kalziumantagonisten 295 – – Oxybutynin 293–294 – – Phosphodiesteraseinhibitoren 296–297 – – Propiverin 294 – – Resiniferatoxin 298 – – Tolterodin 292–293 – – Trospiumchlorid 291–292 – – Vanilloidrezeptorantagonisten 297 Detrusorhypoaktivität, pharmakologische Beeinflussung 289, 299–300 – α-Adrenorezeptorantagonisten/αBlocker 301 – – α1-Blocker 302 – Alfuzosin 302 – Baclofen 300 – Benzodiazepine 301 – Botulinumtoxin 301 – Cholinergika 299 – Cholinesteraseinhibitoren 299 – Dantrolen 301 – Doxazosin 302
B–D
– Duloxetin 304 – GABA (γ-Aminobuttersäure) 300 – Östrogene 304 – Phenoxybenzamin 302 – Phentolamin 302 – Prazosin 302 – Prostaglandine 300 – Serotonin-/Noradrenalinwiederaufnahmehemmer 304 – α-Sympathomimetika 303 – Tamsulosin 302 – Terazosin 302 Detrusorhypokontraktilität, pharmakologische Beeinflussung 289 Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD) 289, 300 Dexamethason 6, 8–10, 21 – Amifostin (Aminothiolderivat) 27 Dexrazoxan (ICRF-187), Zytostatika 4, 20, 23–26 – Amifostin (Aminothiolderivat) 28 – Hand-Foot-Syndrom 25 – Herzinsuffizienz 23, 25 – kardiotoxische Symptome 23, 25 – Mukositis (s. dort) 25 – supportive Therapie 23–26 – – Cardioxane 25 – – Deferiprone 25 – – Desferoxamin 25 – – EDTA 25 Dextrane, akute Kontrastmittelallergie 276 DHEA (s. auch Substitutionstherapie mit Androgenen) 390–391 Diabetes mellitus 210–212 – Keimspektrum von Harnwegsinfektionen (Übersicht) 211 Diagnostik urologischer Infektionen 149–162 – bildgebende Verfahren (s. dort) 155–157 – körperliche Untersuchung 151 – Labor 152–153 – Materialverarbeitung 153–155 – Urodynamik 157 Diarrhoe, zytostatikainduziert 4–5, 13 Diclofenac (s. auch Schmerz) 436 Dimethylsulfoxid, interstitielle Zystitis 250–251 Dimetindenmaleat (Fenistil), akute Kontrastmittelallergie 274, 278 Diphenhydramin 11, 21 DMSO-Lösung 20 Dobendan (Cetylpyridiniumchlorid) 11
Sachverzeichnis
482
Docetaxel 8 – Prostatakarzinom (HRPCA) 99–100 – – Kombination mit Docetaxel 99 – Urothelkarzinom, metastasierendes 56 Dolasetron 6–7 Dopamin, neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 Doxazosin – BPH-/BPS-Therapie 320 – Detrusorhypoaktivität 302 Doxorubicin – Prostatakarzinom (HRPCA), pegyliertes Doxorubicin 99 – Urothelkarzinom, metastasierendes 45, 54–64 – – neoadjuvante Therapie 54 – – palliative Chemotherapie 56, 58, 61, 64 – – topische Therapie des Urothelkarzinoms der Harnblase 45 Dranginkontinenz, BPH-/BPS 315 Drotrecogin alfa (aktiviert), Sepis 238–240 DSD (Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie) 289 Duloxetin, Detrusorhypoaktivität 304 Dutasterid, BPH-/BPS-Therapie 326–329 Dyspareunie und Vaginismus (»sexual pain disorders«) 397 Dyspnoe, Überempfindlichkeitsreaktionen, zytostatikabedingt 22 Dysurie 152, 206
E Ebbehoj-Shunt, prolongierte Erektion/ Priapismus 357 EDTA 25 EGDT (»early goal-directed therapy«), Sepsis 240 Eintauchverfahren 154 Ejakulat 153 Ejakulation 368 – Störungen, Klassifikation und Therapie 368–376 – – Ejaculatio deficiens (Anejakulation/Anemission) 368, 375 – – – Ephedrin 375 – – – Imipramin 375 – – – Midodrin 375 – – – Phenylpropanolamin 375 – – – Pseudoephedrin 375
– – – –
– – – –
Ejaculatio praecox 368–375 – Benzodiazepine 370 – Clomipramin 370 – MAO-(Monoaminooxidasehemmer)-Hemmer 370 – – – Serotonin-reuptake-Inhibitoren 370 – – Ejaculatio retarda 368, 375 – – Ejaculatio retrograda 368, 376 Emesis, zytostatikainduziert (s. Übelkeit und Erbrechen) 4–10 EMP-(Estramustinphosphat)-Therapie, Prostatakarzinom (HRPCA) 99 – Kombinationstherapie 99–100 – – EMP und Docetaxel 99–100 – – EMP/VBL 99 – – EMP/Etoposid und Paclitaxel 99 – Monotherapie 99 en3247 11 Endokarditisprophylaxe 182–183 Endotheline (ET), Prostatakarzinom (HRPCA) 103 – ET1-Degradation 103 – ET4-Rezeptorantagonist (Atrasentan) 103 Enteropathie, akute, zytostatikainduziert 14 Entleerungsstörungen der Harnblase 285 Entzündungsparameter (Übersicht) 157 EORTC, Urothelkarzinom, metastasierendes 58 Ephedrin, Ejaculatio deficiens 375 Epididymitis 161, 194, 230–231 Epinephrin, prolongierte Erektion/ Priapismus 356 Epirubicin – Prostatakarzinom (HRPCA) 99 – Urothelkarzinoms der Harnblase 45–47 – – Rezidivprophylaxe, perioperative 47 – – topische Therapie des 45 Epizoonosen 232 Eprimaturin 153 Erbrechen, zytostatikainduziert (s. Übelkeit und Erbrechen) 4–10 erektile Dysfunktion (ED) 342–350, 385 – »first-line«-Therapieoptionen 342–348 – – Apomorphin (Ixense/Uprima) 346 – – orale Therapie 342 – – PDE-5-Inhibitoren 342–343 – – Sildenafilcitrat (Viagra) 342–344
– – Tadalafil (Cialis) 342, 345–346 – – Vardenafil (Levitra) 342, 344 – – Yohimbin (Yocon-Glenwood/ Yohimbin-Spiegel) 346–348 – NO-Donatoren 344 – NO/cGmP-Signalübertragungsweg 342 – »second-line«-Therapieoptionen 348–350 – – Androgentherapie 349 – – – Andriol 349 – – – Androderm 349 – – – Testogel 349 – – – Testoviron 349 – – intraurethrale Therapie 348 – – – Prostaglandin E1 (Alprostadil, MUSE) 341 – – lokale Pharmakotherapie 348 – – Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT) 348 – – – Prostaglandin E1 (Caverject, Viridal, Papaverin/Phentolamin) 341 – – Vakuumerektionshilfen 349–350 – »third-line«-Therapieoptionen 350 – – operative Therapie 350 Erektion, prolongierte/Priapismus 354–358 – ätiologische Faktoren 354 – Blutgasanalyse 354 – Differenzialdiagnose 355 – Therapie 355 – – α-adrenerge Substanzen 356 – – – Adrenalin 356 – – – Epinephrin 356 – – – Etilefrin 356 – – – Metaraminol 356 – – – Noradrenalin 356 – – – Phenylefrin 356 – – Ebbehoj-Shunt 357 – – Therapiealgorithmus 356 – – Winter-Shunt 357 Ernährung und Nahrungsergänzung als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140–143 – Harnblasenkarzinom 141–143 – Prostatakarzinom 140–141 Erreger nosokomialer Harnwegsinfekte, häufigste 178 Erythema, zytostatikainduziert 4 Erythropoietin (rhEPO) 18 Estramustin, Prostatakarzinom 90 Estramustinphosphat, Prostatakarzinom (s. EMP-Therapie) 99 ESWL (Stoßwellenlithotripsie), Schmerztherapie 459
483
Sachverzeichnis
Etilefrin, prolongierte Erektion/Priapismus 356 Etoposid – Hodenkeimzelltumor, metastasierter – – Kombinationstherapie – – – mit Carboplatin 110 – – – mit Cisplatin 110 – – – HD-CE-Regime (hochdosiertes Carboplatin und Etoposid) 122 – – – PEB-Regime (Cisplatin, Etoposid und Bleomycin) 108, 112–113, 115 – – – PEI-Regime (Cisplatin, Etoposid und Ifosfamid) 110, 113–114, 121 – – – PEI- vs. PEB-Regime (Ifosfamid statt Bleomycin mit Platin und Etoposid) 113 – – – 3xPEI/1x HD-CEC-Regime (Carboplatin, Etoposid und Cyclophosphamid) 122 – – Monotherapie 125 – – Salvage-Chemotherapie, konventionelle 120, 122 – Prostatakarzinom (HRPCA) 99 Etoricoxib (s. auch Schmerz) 437 Etretinat (Vitamin-A-Analog) 142 Extra- und Paravasation, zytostatikainduziert 4–5, 20–21 – supportive Therapie 20–21 – – Calciumfolinat 21 – – Dexrazoxan (s. dort) 20 – – DMSO-Lösung 20 – – Humanalbumin 20 – – Hyaluronidase 20–21 – – Hydrocortison 21 – – Natriumbicarbonat 21 – – Natriumselenit 21
F Faktor AF-2 zur Therapieunterstützung 143 Famotidin 21 Fasciitis, nekrotisierende (s. FournierGangrän) 266–270 »female sexual dysfunction« FSD (s. auch sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen) 396–402 Fenistil (Dimetindenmaleat), akute Kontrastmittelallergie 274, 278 Fenoterol, akute Kontrastmittelallergie 278
Fentanyl (s. auch Opioidanalgetika) 441, 454 Fibrinkleber, Blutungen im ableitenden Harntrakt 413 Fibrose, retroperitoneale (s. OrmondErkrankung) 260– 262 Fieber unbekannter Genese (FUO), zytostatikainduziert 16–17 – supportive Therapie 17 – – Amoxicillin/Clavulansäure 17 – – Antiinfektiva-Therapierefraktärität 17 – – Antimykotikum 17 – – Cephalosporin der 3. Generation 17 – – Gyrasehemmer 17 – – Piperacillin/Tazobactam 17 Filgrastim 15–16 – pegyliertes (Pegfilgrastim) 16 Finasterid, BPH-/BPS-Therapie 326–329 First-line-Therapie, systemische, fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom 76 5-Flucytosin 197 5-Flurouracil (5-FU) – Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 143 – – IFN-α, IL-2 und 5FU vs. Mistellektin 143 – Nierenzellkarzinom, metastasierendes 82 – Urothelkarzinom, metastasierendes 56 Flush, Überempfindlichkeitsreaktionen, zytostatikabedingt 22 Formalin, Blutungen im ableitenden Harntrakt 414 Fournier-Gangrän (nekrotisierende Fasciitis) 266–270 – Diagnostik 267–268 – Differentialdiagnose 267–268 – Erregerspektrum (Übersicht) 267 – Faktoren der Gewebszerstörung (Übersicht) 266 – klinische Symptomatik 267 – Pathogenese 266–267 – prädisponierende Faktoren (Übersicht) 267 – Prognose 269 – Therapie 268–269 – – antibiotische 268 – – chirurgische 268 Fungurie, symptomlose 193
D–G
G GABA (γ-Aminobuttersäure) – Detrusorhypoaktivität 300 – neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 Gallium-Nitrat, Urothelkarzinom, metastasierendes 56 Gangrän (s. Fournier-Gangrän) 266–270 Gardnella vaginalis 156 gastrointestinale Toxizität (s. auch Zytostatika, Nebenwirkungen) 4–22 – Fieber unbekannter Genese (s. dort) 16–17 – Motilitätsstörungen, gastrointestinale (s. dort) 13–14 – Muskositis (s. dort) 10–13 – Myelosuppression, zytostatikainduziert (s. dort) 4, 14–15 – Obstipation, chemoptherapieinduzierte 14 – Übelkeit und Erbrechen (s. dort) 4, 6–10 – Überempfindlichkeitsreaktionen (s. dort) 4, 21–22 – Xerostomie (s. dort) 13 Gelatine, akute Kontrastmittelallergie 276 Gemcitabin – Hodenkeimzelltumor, metastasierter, Salvage-Chemotherapie 120 – – Monotherapie 126 – – Paclitaxel und Gemcitabin 126 – Urothelkarzinom, metastasierendes 47, 56–58, 60, 67–68 Gemüse und Obst als komplementäre Medizin in der urologischen Onkologie 141 Gemzar, Urothelkarzinom, metastasierendes 67 Gentherapie, Prostatakarzinom 91 Geschlechtskrankheiten 222–227 – Gonorrhö 222, 224–225 – Granuloma inguinale 226–227 – Lymphogranuloma inguinale 222, 226 – Syphilis/Lues 222, 223–224 – Ulcus molle 222, 225–226 Gestagen, Prostatakarzinom 90 Glandomed 11 Glucocorticoide 6, 21 – als Koanalgetika 443–444 – akute Kontrastmittelallergie 277 – Prostatakarzinom (HRPCA) 98
Sachverzeichnis
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L-Glutamin 14 – neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 Glutathion 23 Glycin, neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 GnRH-Analoga, Prostatakarzinom 86 Gonorrhö 222, 224–225 Goserelin, adjuvante Hormonblockade beim Prostatakarzinom 87 Granisetron 6–7 Granuloma inguinale 226–227 Granulozytopenie, zytostatikainduziert 15 Gyrasehemmer (Chinolone) 17, 178
H Haarausfall (s. Alopezie) 4–5, 19–20 Haemophilus ducreyi 156 Hämatoonkologie 216 – Karzinom 216 – Leukämie 216 – Lymphom 216 Hämatotoxizität, Amifostin (Aminothiolderivat) 26 Hämaturie (s. auch Blutungen im ableitenden Harntrakt) 152, 408–409 – Behandlungstechniken 409 – Einteilung 408 – Makrohämaturie 406 – Pharmakotherapie 409 – Therapiekonzept 410 »hand-foot«-Syndrom, Dexrazoxan 25 Harnblase (s. auch Blase) Harnblasenentleerungsstörungen 285 – Harnstrahlabschwächung 285 – Startverzögerung 285 Harnblasenerkrankungen, Krankheitsbilder 158–159 Harnblasenfunktionsstörungen, neurogene (s. neurogene HBF-Strg.) 285–306 Harnblasenkarzinom, oberflächliches – BCG-Therapie (s. auch BCG) 34–41 – Ernährung und Nahrungsergänzung 141–143 – Instillationstherapie beim Harnblasenkarzinom, adjuvante (s. dort) 45 – Urothelkarzinom der Harnblase (s. dort) 44–48, 52–68 Harndrang, imperativer 285
– BPH-/BPS 315 Harninkontinenz, neurogene (s. auch neurogene Harninkontinenz) 285–306 – Belastungsinkontinenz, neurogene 289 Harnspeicherstörungen, Leitsymptome 285 Harnwegsinfektionen (s. auch Infektionen, urologische) 150–162 – Candidiainfektionen der Harnwege 207 – Diagnostik (s. dort) 152–157 – Einteilung (Übersicht) 151, 164–165 – – akute 151, 164–165 – – chronisch rezidivierende 151 – – Infektionen parenchymatöser Organe 151 – – komplizierte 151, 164, 167–168, 206 – – Sepsis/Urosepsis (s. dort) 151, 158, 236–241 – – »sexual transmitted disease« (s. STD) 151, 222–233 – – Sonderformen 165, 168, 171–172 – – – ältere Patienten 171–172 – – – Katheterpatienten 172 – – – rezidivierende Harnwegsinfektionen/Rezidivprophylaxe 172–173 – – – im Säuglings- und Kindesalter 168–170 – – – Schwangerschaft 169–171 – – spezifische 151 – – unkomplizierte 150, 164–167 – – – Antibiotikaauswahl (Übersicht) 166–167 – – – Pyelonephritis 157–158, 165 – – – Zystitis (s. dort) 23, 158–159, 164, 244–255 – Erreger nosokomialer Harnwegsinfekte, häufigste (Übersicht) 178, 206 – nach Nierentransplantation 213–215 – – Antibiotika der ersten Wahl (Übersicht) 208 – Pilzinfektionen der Harnwege, diagnostische Methoden zum Nachweis 207 – bei Systemerkrankungen 205–213 – – Aids/HIV (s. dort) 216–217 – – Antibiotika der ersten Wahl (Übersicht) 208
– – Diabetes mellitus (s. dort) 210–212 – – Hämatoonkologie (s. dort) 216 – – Niereninsuffizienz 212–213 Hauttoxizität, zytostatikainduziert 4 – Alopezie (s. dort) 4, 19–20 – Erythema 4 – Pigmentierungsstörungen 4 HBO-Therapie als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140 HD-PEI-Protokoll plus PBSC-Transplantation, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 115–116 Hemocyanin, KLH (»keyhole limpet hemocyanin«) – Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes 74 – als Therapieunterstützung 143 Heparin, interstitielle Zystitis 250 Hepatitis-B-Virus (HBV) 156, 232 Hepatotoxizität, zytostatikainduziert 4 Herpes (H.) – H. genitalis 231 – H. simplex-Virus (HSV) 156 Herzinsuffizienz, Dexrazoxan 23 Hirnmetastasen, metastasierte Keimzelltumoren des Hodens 116–117 Histaminrezeptor-Antagonisten – akute Kontrastmittelallergie (H1- und H2-Antagonisten) 275–277 – interstitielle Zystitis 245 Histoplasmose 199 HIV (»human immunodeficiency virus« s. Aids/HIV) 156, 216–217 Hodenkeimzelltumor, metastasierter 108–131 – Chemotherapie 120–126 – – Hochdosischemotherapie 108, 113 – – – mit autologer peripherer Blutstammzelltransplantation 108 – – – Carboplatin (s. dort) 122 – – – CET-Regime (s. dort) 122 – – – Cisplatin 122 – – – Cyclophosphamid 122 – – – Etoposid 122 – – – HD-CE-Regime (s. dort) 122 – – – Ifosfamid 122 – – – Paclitaxel 122 – – – PBSC-Rescue 122 – – – 3xPEI/1x HD-CEC 122 – – – sequenzielle 114 – – – Thiotepa 122
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Sachverzeichnis
– – – TIP-Regime (s. dort) 122 – – neue Substanzen in der Behandlung von testikulären Keimzelltumoren 125 – – Residuenbehandlung nach Chemotherapie 117–120 – – Salvage-Chemotherapie, konventionelle (s. dort) 120–125 – – Spätrezidive 125 – – Therapiedurchführung 108–110 – – – Bleomycin (s. dort) 108, 110–112 – – – BOP-CISCA-POMB-ACE 113 – – – BOP-VIP-B 113 – – – Carboplatin (s. dort) 110 – – – CBOP/PEB 113 – – – CISCA/VB 113 – – – Cisplatin (s. dort) 110 – – – Etoposid (s. dort) 110 – – – HD-PEI-Protokoll plus PBSCTransplantation 115–116 – – – Paclitaxel-PEB 113 – – – PE500B-Therapie 111 – – – PEB-Regime (s. dort) 108, 112–113 – – – PEI-Regime (s. dort) 110, 113–114 – – – PEI- vs. PEB-Regime (s. dort) 113 – – – PVBx4-Regime (s. dort) 110–111 – – – PVB/PEB 113 – – – Vinblastin (s. dort) 110–111 – – Toxizität, chemotherapieassoziierte 126–128 – Einfluss der behandelnden Institution auf das Therapieergebnis 116 – Einteilung bei fortgeschrittener Metastasierung 109 – Keimzelltumoren extragonadalen Ursprungs (s. dort) 128–131 – Klassifikation, IGCCCG- 109 – Management von Patienten – – mit Hirnmetastasen 116–117 – – mit Lebermetastasen 117 – Primärtherapie fortgeschrittener Seminome (Stadium IIC/D und III) 110–113 – – »good prognosis« 110–113 – – »intermediate prognosis« 113 – – »poor prognosis« 113–116 – Ernährung und Nahrungsergänzung 140–141 – hormonrefraktäres (s. HRPCA) 96–103
hömatopoetische Wachstumsfaktoren, metastasierendes Urothelkarzinom 61–68 Hormondeprivation, intermittierende, Prostatakarzinom 92 hormonrefraktäres Prostatakarzinom (s. HRPCA; s. auch Prostatakarzinom) 96–103 Hormontherapie – Blutungen im ableitenden Harntrakt 414 – Prostatakarzinom – – HRPCA 96–98 – – – Aminoglutethimid 97 – – – Androgenblockade (s. dort) 97 – – – Androgeninhibitoren, adrenale 97–98 – – – androgenunabhängiges hormonsensitives Stadium 97 – – – Antiandrogenentzug 97 – – – Hormonmanipulation, sekudäre 99 – – – Ketokonazol 97 – – – LHRH-Analoga 96 – – – Orchiektomie, bilaterale (Kastration) 96 – – – Östrogene 97 – – – Steroide 97 – – – Testosteronsynthase-Inhibitor, adrenaler 97 – – nach primärer Radiatio 86–87, 92 – – – adjuvante Hormonblockade 87, 91–92 – – – – mit Goserelin 87 – – – Androgenblockade (s. dort) 87–90 – – – Flare-up-Prophylaxe mittels Cyproteron-Azetat (CPA) 87–88 – – – GnRH-Analoga 86 – – – LHRH-Analoga 87–90, 96 – – – Orchiektomie, bilaterale (Kastration) 87–88 – – – Östrogene 87–88 HPV (humane Papillomaviren/Condylomata acuminata/Feigwarzen) 231– 232 HRPCA (hormonrefraktäres Prostatakarzinom) 96–103 – Androgeninhibitoren, adrenale 97–98 – androgenunabhängiges, hormonsensitives Stadium 97 – Antiandrogenentzug 97
– – – – –
G–H
Chemotherapie 98–103 – Ansprechkriterien 98–99 – Anthrazykline (s. dort) 99–100 – Docetaxel 99 – Estramustinphosphat (s. EMP-Therapie) 99 – – Etoposid 99 – – Ibandronat 102 – – Mitoxantron (s. dort) 100–102 – – Paclitaxel 99 – – Polypodopyotoxine 99 – – Suramin (s. dort) 100 – – Taxane (s. dort) 99–101 – – Vinblastin 99 – – Vincaalkaloide 99 – – Zytostatikaresistenz 97 – Definition 96–98 – Glukokortikoide 98 – Lebenserwartung, durchschnittliche 96 – LHRH-Analoga 96 – metastasierendes HRPCA 103 – nichtzytotoxische Therapiealternativen 101–102 – – Bisphosphonate 101, 103 – – Cetuximab 102 – – Clodronat 101 – – Endotheline (s. dort) 103 – – Ibandronat 101 – – »platelet-derived growth factor« (s. PDGF) 103 – – Trastuzumab 102 – – Tyrosinkinaseinhibitoren (TKR) 102–103 – – ZD1839 102 – – Zoledronat 101–102 – Östrogene 97 – Signaltransduktionsinhibitoren 102–103 – Stadien – – androgenabhängiges Stadium 96 – – androgenabhängiges hormon sensitives Stadium 96 – – androgenunabhängiges und hormonrefraktäres Stadium 96 – Suramin 100 – Taxane 100 HSDD (»hypoactive sexual desire disorder«) 398 5-HT3-Antagonisten 6–9 Humanalbumin 20 Hyaluronidase 20–21 Hyaluronsäure, interstitielle Zystitis 251–252 Hydrocortison 21
Sachverzeichnis
486
Hydrodistension der Blase, interstitielle Zystitis 252–253 Hydromorphon (s. auch Opioidanalgetika) 441 Hydroxyethylstärke, akute Kontrastmittelallergie 276 Hyperthermie, topische Therapie beim Urothelkarzinom der Harnblase 47 Hypogonadismus (s. auch Substitutionstherapie mit Androgenen) 382 – »aging male« und Altershypogonadismus 385 – primärer 385 – sekundärer 385 – tertiärer 385 Hypotension, Amifostin (Aminothiolderivat) 27 Hypoxis rooperi/Pinus/Picea (Phytosterole/β-Sitosterine), BPH-/BPS-Therapie 331
I Ibandronat, Prostatakarzinom (HRPCA) 101–102 Ibuprofen (s. auch Schmerz) 436, 454 IC (s. Zystitis, interstitielle) 23, 158– 159, 164, 244–253, 410 ICRF-187 (s. Dexrazoxan) 4, 20, 23–26 ICS-male-Fragebogen, BPH-/BPS 315 IFN-α (Interferon-α) 47, 74, 76, 78–80 – Induratio penis plastica 364 – Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 143 – – IFN-α, IL-2 und 5FU vs. Mistellektin 143 – Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes 74–80 – – adjuvante Therapie 74 – – – α-NL-Interferon 74 – – palliative Immun-Chemotherapie 78–80 – – – als Monotherapie 78 – – – Kombination aus IL-2 und 5-FU +/– 13 cis-Retinsäure 80 – – – Roferon-A (IFN-α2a) 76, 80 – Urothelkarzinom der Harnblase 47 – – Kombination mit BCG 47 Ifosfamid 8 – Hodenkeimzelltumor, metastasierender
– – Kombinationstherapie 110 – – – PEI-Regime (Cisplatin, Etoposid und Ifosfamid) 110, 113–114, 121 – – – PEI- vs. PEB-Regime (Ifosfamid statt Bleomycin mit Platin und Etoposid) 113 – – Salvage-Chemotherapie 120– 122 – – – hochdosiertes 122 – – – – CET-Regime (Carboplatin, Etoposid und Thiotepa) 122 – – – – TIP-Regime (Paclitaxel, Ifosfamid und Cisplatin) 122 – – – konventionelle 120 – – Urothelkarzinom, metastasierendes 56, 58 IL (Interleukin) 47 – IL-2, Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes 74–79 – – adjuvante Therapie 74 – – Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 143 – – – IFN-α, IL-2 und 5FU vs. Mistellektin 143 – – palliative Immun-Chemotherapie 78–79 – – – als Monotherapie 78 – – – Kombination aus IL-2 und IFN-α 79 – – – ProleukinS (IL-2) 76–77 – IL-11 18 Imipramin – Detrusorhyperaktivität 296 – Ejaculatio deficiens 375 Immunantwort vom verzögerten Typ, BCG-Therapie 35 Immunprophylaxe mit BCG 46 Immunmodulator AS101 20 Immunsuppressiva, interstitielle Zystitis 248 Immuntherapie – Harnblasenkarzinom, oberflächliches, BCG-Therapie 35 – Nierenzellkarzinom – – fortgeschrittenes, adjuvante Therapie 74–75 – – metastasiertes, palliative ImmunChemotherapien, 76–83 – – – Aldesleukin (IL-2) 76–77 – – – Bevacizumab als Antikörpertherapie 80 – – – 5-FU (5-Fluorouracil) 82 – – – IFN-α – – – – als Monotherapie 78
– – – – Kombination aus IL-2 und 5-FU +/- 13 cis-Retinsäure 80 – – – IFN-α2a 80 – – – IL-2 – – – – als Monotherapie 78 – – – – Kombination aus IL-2 und IFN-α 79 – – – Medroxyprogesteronacetat 78 – – – Monozytokintherapie mit IFN-α 78 – – – Proleukin 76 – – – ProleukinS (IL-2) 76–77 – – – Roferon-A (IFN-α2a) 76 – – – Vinblastin 77, 80 – – – Vinblastin und IFN-α2a 77 – – – Zytokintherapie 78–79 ImuVert 20 Indometacin (s. auch Schmerz) 436 Induratio penis plastica (IPP), medikamentöse Therapie 360–365 – intraläsionale Therapie 363–364 – – Cortison 364 – – IFN-α 364 – – Kollagenase 364 – – Superoxiddismutase 364–365 – – Verapamil 363–364 – orale Therapie 361–363 – – Acetyl-L-Carnitin 361, 363 – – Colchicin 361–362 – – Kalium-Paraaminobenzoat (Potaba) 361–362 – – Propionyl-L-Carnitin 361, 363 – – Propoleum 361–362 – – Tamoxifen 361–362 – – Vitamin E 361–362 – Probleme der medikamentösen Therapie 360–361 – transdermale Therapie 364 Infektionen, urologische (s. auch Harnwegsinfektionen) 149–162 – Ätiologie 150 – Diagnostik 149–162 – Entzündungsparameter (Übersicht) 157 – komplizierte 150, 164, 167–168, 206 – organbezogene Aufstellung (Übersicht) 151 – postoperatives Infektionsrisiko (Übersichten) 177 – unkomplizierte 150, 164–167 Infertilität, zytostatikainduziert 4 inguinale Eingriffe, Lokalanästhesie 457 Initialurin 153
487
Sachverzeichnis
Instillationstherapie beim Harnblasenkarzinom, adjuvante, risikogruppengesteuerte 45 – »high-risk«-Harnblasenkarzinom 46 – »intermediate-risk«-Harnblasenkarzinom 45 – »low-risk«-Harnblasenkarzinom 45 Insulintherapie, intensivierte, Sepsis 240–241 Intercostalblockade, Lokalanästhesie 458 Interferon-α (s. IFN-α) Interleukin (s. IL) IPPS-Fragebogen, BPH-/BPS 314 Irinotectan (Topoisomerase-I-Hemmstoff CPT-11) 13–14 Ixense (Apomorphin), erektile Dysfunktion 346
K Kaktusblütenextrakt (Opunita), BPH-/ BPS-Therapie 331 Kaliumkanalöffner, Detrusorhyperaktivität 296 Kalium-Paraaminobenzoat (Potaba), Induratio penis plastica 361–362 Kalziumantagonisten, Detrusorhyperaktivität 295 Kamille 11 Kardiomyopathie, anthrazylindinuzierte 25 kardiotoxische Symptome, Dexrazoxan 23 Kardiotoxizität, zytostatikainduziert 4 Karzinom 216 Kastration (bilaterale Orchiektomie), Prostatakarzinom 87–88, 96 Katecholamine, akute Kontrastmittelallergie 275–276 Katheterpatienten, Harnwegsinfektionen 172 Katheterurin 153 Keimzelltumoren – extragonadalen Ursprungs 128–131 – – Hochdosis-Chemotherapie 131 – des Hodens, metastasierte (s. Hodenkeimzelltumur) 108–131 Ketokonazol, Prostatakarzinom 90 – HRPCA 97 Kinder, Harnwegsinfektionen 168–170
Klassifikation, operative Eingriffe (Übersicht) 176 KLH (»keyhole-limpet«-Haemocyanin) – Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 143 – Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes 74 Koanalgetika (s. auch Schmerz) 442–445 – Antidepressiva, trizyklische 442 – Antikonvulsiva 442–443 – Bisphosphonate 444 – Clonidin 444–445 – Glucocorticoide 443–444 – Neuroleptika 443 Kolikschmerzen (s. auch Schmerz) 450 Kollagenase, Induratio penis plastica 364 kolloidale Lösungen, akute Kontrastmittelallergie 275, 278 Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140–145 – alternative Therapien 140–143 – – Akupunktur (s. dort) 140, 469–475 – – Aromatherapie 140 – – HBO-Therapie 140 – – Magnetfeldtherapie 144 – – Misteltherapie 140 – – physikalische Verfahren 144 – – TCM-Therapie 140 – Bedeutung der komplementären und alternativen Medizin 140 – Ernährung und Nahrungsergänzung 140–143 – – Harnblasenkarzinom 141–143 – – – BCG-Therapie 142 – – – Lactobacillus casei 142 – – – Obst 141 – – – Selen 141 – – – Thiotepa-Instillationstherapie 142 – – – Vitaminunterstützung (s. dort) 141–142 – – Prostatakarzinom 140–141 – – – Lykopen 141 – – – Obst und Gemüse 141 – – – PC-SPES 141 – – – Phytoöstrogen 141 – – – Prostasol 141 – – – Selen 141 – – – Vitaminunterstützung (s. dort) 141 – psychologische und andere alternative Behandlungsverfahren 144–145
H–K
– – Meditation (Body-mindTechniken) 140, 144 – – Psychologie 144 – – Psychotherapie 144 – SELECT-Studie 141 – Sport und Bewegung 140, 143–144 – unkonventionelle (medikamentöse) Therapie 143 – – Faktor AF-2 143 – – IFN-α, IL-2 und 5FU vs. Mistellektin 143 – – KLH (»keyhole limpet« Hemocyanin) 143 – – Peptide, xenogene 142 Kontrastmittelallergie, akute 272–279 – anaphylaktoide Reaktionen (Mediatoren-Übersicht) 273 – anaphylaktoider Schock 275 – Klinik/Vorbereitung des Patienten 272–274 – Nebenwirkungen 272 – Pharmakologie 272 – pseudoallergische Reaktion 272 – Stadieneinteilung, anaphylaktoider/ anaphylaktischer Sofortreaktion 275 – Therapie 274–279 – – allgemeine Maßnahmen 274–275 – – medikamentöse 275–276 – – – Adrenalin 275–276, 278 – – – Atropinsulfat 278 – – – Cimetidin 274, 278 – – – Dextrane 276 – – – Dimetindenmaleat (Fenistil) 274, 278 – – – Fenoterol 278 – – – Gelatine 276 – – – Glukokortikosteroide 277 – – – Histaminrezeptor-Antagonisten (H1- und H2) 275–277 – – – Hydroxyethylstärke 276 – – – Katecholamine 275–276 – – – kolloidale Lösungen 275, 278 – – – Kortikosteroide 275 – – – kristalloide Lösungen 275, 278 – – – Methylprednisolon 274 – – – β-Mimetika 275 – – – Noradrenalin 275, 277 – – – Prednisolon 274, 278 – – – β-Sympathomimetika 277 – – – Theophyllin 276–278 – Überempfindlichkeitsreaktionen 272 Kortikoidstroidtherapie – akute Kontrastmittelallergie 275 – Ormond-Erkrankung 261
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Kortikoidstroidtherapie – Prostatakarzinom (HRPCA) 100 Kortikoidsubstitution 241 Kortison, Induratio penis plastica 364 Krankheitsbilder 157–162 – Blase (s. auch Harnblasenerkrankungen) 158–159 – Nebenhoden 161 – Niere 157–158 – Prostata 160–161 – Urethra 160 kristalloide Lösungen, akute Kontrastmittelallergie 275, 278 Kryptokokkose/Torulose 199 Kürbissamen (Cucurbita pepo), BPH-/ BPS-Therapie 331
Lues (s. Syphilis) 222, 223–224 Lungentoxizität, zytostatikainduziert 4 LUTS (»lower urinary tract symptoms«) – neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 285, 287, 302 – BPH-/BPS 314 Lykopen als komplementäre Medizin in der urologischen Onkologie 141 Lymphogranuloma inguinale/Lymphopathia inguinale -/ venera 222, 226 Lymphom 216 Lymphozytopenie, zytostatikainduziert 14
M L Laboruntersuchung, urologischer Infektionen 152–153 Lactobacillus casei, alternative Therapieunterstütung 142 Lactulose 14 Laxanzien 445 Lebermetastasen, metastasierte Keimzelltumoren des Hodens 117 Lenograstim 15 Leucovorin 11 Leukämie 216 Leukozytopenie, zytostatikainduziert 4, 14 Levitra (Vardenafil) – erektile Dysfunktion 342, 344 – sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen 400 Levomethadon (s. auch Opioidanalgetika) 441 LHRH-Analoga, Prostatakarzinom 87–90, 96 Lidocain, visköses 12 lokalanästhesiologische Verfahren bei urologischen Operationen 457–460 – Intercostalblockade 458 – N. ilioinguinalis-Block 458 – penile, skrotale und inguinale Eingriffe 457 – Peniswurzelblock 457 – Rippenbogenrandschnitt 458 – Samenstranginfiltration 457 – Wund-/Narbeninfiltration 458–459 Loperamid 13
macrogolhaltige Lösungen 11 Madson-Iversen-Fragebogen, BPH-/ BPS 315 Magnetfeldtherapie als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 144 Makrohämaturie 406 Malignom, zytostatikainduzierte Sekundärmalignome 4 MAO-(Monoaminooxidasehemmer)Hemmer, Ejaculatio praecox 370 Mastzellstabilisatoren, interstitielle Zystitis 245–246 Meditation (»body-mind«-Techniken) als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140, 144 Medroxyprogesteronacetat, Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes – adjuvante Therapie 74 – palliative Immun-Chemotherapie 78 Meloxicam (s. auch Schmerz) 437 Mendel-Mantoux-Tuberkulintest 187 Mesna (2-Mercaptoethannatriumsulfonat) – Dosierungsschema (Übersicht) 24 – organprotektive Maßnahmen 4–5, 23–24 – Zystitis 23 – – Chemozystitis 410 Mesterolon (s. auch Testosteron) 388 Metamizol (s. auch Schmerz) 435, 437, 454 Metaraminol, prolongierte Erektion/ Priapismus 356 Metastasenresektion, primäre, fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom 76
metastasierendes/metastasierter – Hodenkeimzelltumor (s. dort) 108– 131 – – und Hirnmetastasen 116–117 – – und Lebermetastasen 117 – Nierenzellkarzinom (s. dort) 75–83 – Prostatakarzinom (HRPCA) 103 – Urothelkarzinom (s. Urothelkarzinom) 52–68 Methotrexat, Urothelkarzinom, metastasierendes – neoadjuvante Therapie 54 – palliative Chemotherapie 56–58, 62, 68 Methylenblau 23 Methylprednisolon, akute Kontrastmittelallergie 274 Metoclopramid 6, 9–10, 14 Metronidazol (Clont) 180 Midodrin, Ejaculatio deficiens 375 Mikroskopie 154 β-Mimetika, akute Kontrastmittelallergie 275 Minoxidil 20 Misoprostol 10 Misteltherapie 140 – Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 143 – – IFN-α, IL-2 und 5FU vs. Mistellektin 143 Mitomycin C (MMC) – Prostatakarzinom (HRPCA) 99 – Urothelkarzinom der Harnblase 44–46 – – adjuvante Instalationstherapie 45–46 – – Langzeitchemoprophylaxe 46 – – topische Therapie 44–45 Mitoxantron, Prostatakarzinom (HRPCA) 100, 102 – Kombination – – mit Hydrocortison 100 – – mit Prednison 100 Mittelstrahlurin 153 MMC-Therapie (s. Mitomycin C) Molgramostim 15 Monozytokintherapie mit IFN-α, Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes 78 Morbus/Syndrome (s. Syndrome) Morphin/Morphinlösung (s. auch Opioidanalgetika) 12, 441, 454 Motilitätsstörungen, gastrointestinale, zytostatikainduziert 13–14 – Diarrhoe 13 – Enteropathie, akute 14 – supportive Therapie 13–14
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Sachverzeichnis
– – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – –
alkalisierende Lösungen 14 Aminoglycoside 14 Antiphlogistika 14 Atropin 14 Bolus alba 14 Budesonid 14 L-Glutamin 14 Loperamid 13 Opiumtinktur 13 Racecadodril 14 Octreotid (Somatostatinderivat) 13 – – Semektit 14 – – Steroide 14 – – Sucralfat 14 – – Topoisomerase-I-Hemmstoff Irinotectan (CPT-11) 13–14 MTOP-Studie, BPH-/BPS-Therapie 333–336 Mucine 13 Mucormykose 199 Mukositis, chemo- bzw. strahleninduziert 4–5, 10–13, 25 – Dexrazoxan (ICRF-187) 25 – Prophylaxe/supportive Therapie 10–13 – – Allopurinol 10 – – Aluminiumhydroxid-Suspension 12 – – Antiinfektivakombination 12 – – Calciumfolinat 11 – – Cetylpyridiniumchlorid (Dobendan) 11 – – Chlorhexidin 11 – – G-CSF 11 – – GM-CSF 11 – – Diphenhydramin-Lösung 11 – – en3247 11 – – Glandomed 11 – – Kamille 11 – – Leucovorin 11 – – Lidocain, visköses 12 – – macrogolhaltige Lösungen 11 – – Misoprostol 10 – – Morphinlösung 12 – – Palifermin 12 – – Parasympathomimetikum 11 – – Paraxampatholyika 11 – – Pilocarbin 11 – – Propanthelin 11 – – Sucralfat 10, 12 – – Triclosan 11 – – Zytokine/zytokinhaltige Mundspüllösungen 11–12 MUSE (Prostaglandin E1), erektile Dysfunktion 341
MVAC, Urothelkarzinom der Harnblase 54–68 – adjuvante Therapie 55 – neoadjuvante Therapie 54–55 – palliative Chemotherapie 58–59, 61, 68 – – dosiertes MVAC 68 – – dosisintensiviertes MVAC (+G-CSF) 61 Myelosuppression, zytostatikainduziert 4, 14–15 – Amifostin (Aminothiolderivat) 26 – Anämie 4, 18–19 – Granulozytopenie 15 – Klassifikation der Schwergrade 15 – Leukozytopenie 4, 14 – Lymphozytopenie 14 – Neutropenie (s. dort) 14–16 – Thrombozytopenie (s. dort) 4, 14, 17–18 Mykoplasmen 156 Mykosen (s. Urgogenitalmykosen) 191–200
N Naloxon/Tilidin (s. auch Opioidanalgetika) 440 NANC-(nichtadrenerge, nichtcholinerge) Innervation 287 Naproxen (s. auch Schmerz) 436 Narben-/Wundinfiltration, Lokalanästhesie 458–459 Natriumbicarbonat 21 Natriumpentosanpolysulfat, interstitielle Zystitis 247, 249–250 Natriumselenit 21, 23 Nausea, zytostatikainduziert (s. Übelkeit und Erbrechen) 4–10 Nebenhodenerkrankungen, Krankheitsbilder 161 Neisseria gonorrhoae 156, 222, 224–225 neoadjuvante Chemotherapie (s. auch Chemotherapie) – Urothelkarzinom, metastasierendes 53–55, 68 – – Cisplatin 54 – – Doxorubicin 54 – – Methotrexat 54 – – MVAC 54–55 – – Vinblastin (CMV) 54
K–N
Nephrektomie, adjunktive Tumornephrektomie, fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom 75–76 Nephro- und Urotoxizität, zytostatika-/ cisplatin-induziert 4 – Amifostin (Aminothiolderivat) 26 Nervenschmerz (s. auch Schmerz) 428 – Deafferenzierungsschmerz 429 – Differenzierung der Nervenschmerzsyndrome 429 – Neuralgie 429 – Sympathalgie 429 N. ilioinguinalis-Block, Lokalanästhesie 458 Neupogen, Urothelkarzinom, metastasierendes 61 Neuralgie (s. auch Schmerz) 429 neurogene Harnblasenfunktionsstörungen und Harninkontinenz, pharmakologische Therapie 285–306 – funktionell orientierte Pharmakotherapie neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 288–306 – – α-Sympathomimetika 303 – – Belastungsinkontinenz, neurogene 289 – – Blasenauslasswiderstand, pharmakotherapeutische (s. dort) – – – Senkung 300 – – – Steigerung 303 – – Detrusorhyperaktivität, pharmakologische Beeinflussung (s. dort) 289–299 – – Detrusorhypoaktivität, pharmakologische Beeinflussung (s. dort) 289, 299–300 – – Östrogene 304 – – Serotonin-/Noradrenalinwieder aufnahmehemmer 304–306 – – Sphinktermechanismus – – – Relaxation der glattmuskulären Komponente 300–301 – – – Relaxation der quergestreiften muskulären Komponente 300 – Klassifkation und klinische Manifestation neurogener Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 285– 286 – LUTS (»lower urinary tract symptoms«) 285, 287, 302 – pharmakotherapeutische Ansatzpunkte zur Beeinflussung einer neurogenen Fehlfunktion des unteren Harntraktes 286–288 – – Acetylcholin 287
490
Sachverzeichnis
neurogene Harnblasenfunktionsstörungen und Harninkontinenz, pharmakologische Therapie – – GABA (γ-Aminobuttersäure) 287 – – ATP 287 – – Dopamin 287 – – Glutamin 287 – – Glycin 287 – – Neurotransmitter 287 – – Noradrenalin 287 – – Östrogene 288 – – Prostaglandine 287 – – 5-α-Reduktasehemmer 288 – – Serotinin 287 – – Stickoxid (NO) 287 – – Subtanz P 287 – – Vanilloidrezeptorantagonisten 288 Neurokininantagonisten 6, 8, 10 Neuroleptika als Koanalgetika 443 Neurotoxizität, zytostatikainduziert 4 – Amifostin (Aminothiolderivat) 27 Neurotransmitter, neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 Neutropenie, zytostatikainduziert 14–16 – supportive Therapie 15–16 – – G-CSF 15 – – GM-CSF 15 – – Filgrastim (s. dort) 15–16 – – Lenograstim 15 – – Molgramostim 15 – – Pegfilgrastim 16 – – Sagramostim 15 Nierenerkrankungen, Krankheitsbilder 157–158 Niereninsuffizienz 212–213 – Antibiotika der ersten Wahl (Übersicht) 208 – mit erhöhter Inzidenz von Harnwegsinfekten 212 Nierentransplantation, Harnwegsinfektionen nach 213–215 – Antibiotika der ersten Wahl (Übersicht) 208 Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes 74–83 – adjuvante Therapie (s. dort) 74 – – medikamentöse (Immun-) Therapien und Vakzination (s. adjuvante Therapie) 74–75 – palliative Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms (s. dort) 75–83
– – First-line-Therapie, systemische 76 – – Immun-Chemotherapien, unspezifische medikamentöse (s. dort) 76–83 – – Metastasenresektion, primäre 76 – – Tumornephrektomie, adjunktive (zytoreduktive) 75–76 – – Vakzination 76 NO (Stickoxid), neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 NO/cGmP-Signalübertragungsweg, erektile Dysfunktion 342 NO-Donatoren, erektile Dysfunktion 344 Noradrenalin – akute Kontrastmittelallergie 275, 277 – neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 – prolongierte Erektion/Priapismus 356 – Serotonin-/Noradrenalinwiederaufnahmehemmer, neurogene Harnblasenfunktionsstörungen 304–306 Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) 425, 428 NSAR (nichtsteroidale antiphlogistische Antirheumatika; s. auch Schmerz) 434–437 nuklearmedizinische Untersuchung, urologische Infektionen 157 Nykturie 152, 285
O Oberflächenkultur 154 Obst und Gemüse als komplementäre Medizin in der urologischen Onkologie 141 Obstipation, chemotherapieinduzierte 5, 14 – supportive Therapie 14 – – Lactulose 14 – – Metoclopramid 14 Octreotid (Somatostatinderivat) 13 Oligurie 152 Ondansetron 6–7 Onkologie, urologische 3–131 – Hämatoonkologie (s. dort) 216
– supportive onkologische Therapie (s. dort; s. auch Zytostatika) 4–28 operative Eingriffe, Klassifikation (Übersicht) 176 Opiatanalgetika 454 Opioidanalgetika (s. auch Schmerz) 437–442, 454 – Buprenorphin 441, 454 – Codein 440 – Fentanyl 441, 454 – Hydromorphon 441 – Levomethadon 441 – Morphin 441, 454 – Nebenwirkungen 439 – Opioide gegen mäßige und mittelstarke Schmerzen 439 – Opiode gegen starke und stärkste Schmerzen 440 – Oxycodon 441 – Piritramid 441, 454 – Tilidin/Naloxon 440 – Tramadol 440 – WHO-Stufenplan 439–440 Opiumtinktur 13 Oprelvekin 18 Opunita (Kaktusblütenextrakt), BPH-/ BPS-Therapie 331 Orchiektomie, bilaterale (Kastration), Prostatakarzinom 87–88, 96 Orchitis 194, 230–231 organprotektive Maßnahmen, Zytostatika 22–28 – Alkalisierung des Harnes 23 – Amifostin (s. dort) 26–28 – Dexrazoxan/ICRF-187 (s. dort) 20, 23–26 – Mesna (s. dort) 4–5, 23–24 – supportive Therapie 23 – – Amifostin 23 – – Dextrazoxan 23 – – Glutathion 23 – – Methylenblau 23 – – Natriumselenit 23 Organtoxizität, zytostatikainduziert 4 – Hepatotoxizität 4 – Kardiotoxizität 4 – Lungentoxizität 4 – Nephro- und Urotoxizität 4 – Neurotoxizität 4 »orgasmic disorder« 398 Ormond-Erkrankung (retroperitoneale Fibrose) 260– 262 – Diagnostik 260 – Therapie 260 – – medikamentöse Therapie 261 – – – Kortikosteroide 261 – – – Tamoxifen 261–262
491
Sachverzeichnis
– – operative Therapie 262 – Ursachen (mögliche) 260 Östradiol 391 Östrogentherapie – Detrusorhypoaktivität 304 – neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 288, 304 – HRPCA 97 – Phytoöstrogen als komplementäre Medizin in der urologischen Onkologie 141 – Prostatakarzinom 87–89 Ototoxizität, zytostatikainduziert 4 Oxaliplatin, Hodenkeimzelltumor, metastasierter, Salvage-Chemotherapie 126 Oxazaphosphorine 4 Oxybutynin, Detrusorhyperaktivität 293–294 Oxycodon (s. auch Opioidanalgetika) 441
P Paclitaxel 8 – Hodenkeimzelltumor, metastasierter – – Paclitaxel-PEB 113 – – Salvage-Chemotherapie 120–122, 126 – – – hochdosierte 122 – – – – CET-Regime (Paclitaxel, Ifosfamid und Cisplatin) 122 – – – – TIP-Regime (Paclitaxel, Ifosfamid und Cisplatin) 122 – – – konventionelle 120 – – – – Monotherapie 126 – – – – Paclitaxel und Gemcitabin 126 – Prostatakarzinom (HRPCA) 99–100 – – EMP, Etoposid und Paclitaxel 99 – Urothelkarzinom, metastasierendes 56–60, 66, 68 PADAM (»partial androgen deficiency of aging male«) 385 »pain« (s. Schmerz) – »pelvic-pain«-Syndrom 463 – »sexual pain disorders« (Dyspareunie und Vaginismus) 397 Palifermin 12 palliative Chemotherapie (s. auch Chemotherapie) 53, 56, 68
– Nierenzellkarzinom, metastasiertes 75–83 – – First-line-Therapie, systemische 76 – – Immun-Chemotherapien, unspezifische medikamentöse (s. dort) 76–83 – – Metastasenresektion, primäre 76 – – Tumornephrektomie, adjunktive 75–76 – – Vakzination 76 – Urothelkarzinom, metastasierendes 53–68 – – Adriblastin 64 – – Carboplatin 56–59, 65 – – Carboplat 65 – – CG 58, 68 – – CGP 58 – – CISCA 58 – – Cisplatin 56–58, 60–61, 64, 68 – – Cyclophosphamid 58, 61 – – Docetaxel 56 – – Doxorubicin 56, 58, 61, 64 – – EORTC 58 – – 5-Flurouracil 56 – – Gallium-Nitrat 56 – – Gemcitabine 56–8, 60, 67–68 – – Gemzar 67 – – Ifosfamid 56, 58 – – Methotrexat 56–58, 62 – – MVAC 58–59, 61, 68 – – – dosiertes 68 – – – dosisintensiviertes (+G-CSF) 61 – – Paclitaxel 56–60, 66, 68 – – Piritrexim 56 – – Platiblastin 64 – – Platinex 64 – – Ribocarbo 65 – – Taxan 68 – – Taxol 68 – – Vinblastin 58, 63 – – Vinca-Alkaloide 56 Palonosetron 6 Papaverin/Phentolamin [Androskat], (Prostaglandin E1), erektile Dysfunktion 341 Papillennekrose 194 Papillomaviren 156 Papillomaviren, humane [HPV] (Condylomata acuminata/Feigwarzen) 231–232 Para- und Extravasation (s. Extra- und Paravasation) 4–5, 20–21 Paracetamol (s. auch Schmerz) 434–435, 437, 454
N–P
Parasympathomimetika 11, 13 Paraxampatholyika 11 Parecoxib 454 PBSC, HD-PEI-Protokoll plus PBSCTransplantation, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 115 PCR (Polymerasekettenreaktion) 188 PC-SPES als komplementäre Medizin in der urologischen Onkologie 141 PDE-5-Inhibitoren, erektile Dysfunktion 342–343 PDGF (»platelet-derived growth factor«), Prostatakarzinom (HRPCA) 103 – PDGF-Familie 103 – PDGF-Inhibitor SU101 103 PE500B-Therapie, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 111 PEB-Regime (Cisplatin, Etoposid und Bleomycin), Hodenkeimzelltumor, metastasierter 108, 112–113, 115 – CBOP/PEB 113 – Paclitaxel-PEB 113 – PVB/PEB 113 Pegfilgrastim (pegyliertes Filgrastim) 16 PEI-Regime (Cisplatin, Etoposid und Ifosfamid), Hodenkeimzelltumor, metastasierter 110, 113–114, 121 – HD-PEI-Protokoll plus PBSC-Transplantation 115–116 – PEI- vs. PEB-Regime (Ifosfamid statt Bleomycin mit Platin und Etoposid) 113 – Salvage-Chemotherapie, konventionelle 121 Penicillin G, Fournier-Gangrän 268 penile Eingriffe, Lokalanästhesie 457 Penis – Erektion, prolongierte/Priapismus (s. dort) 354–358 – Induratio penis plastica, medikamentöse Therapie (s. dort) 360–365 Peniswurzelblock, Lokalanästhesie 457 Pentosanpolysulfat, Blutungen im ableitenden Harntrakt 414 Peptide, xenogene, zur Therapieunterstützung 142 Peyronie’s disease 360 Pflanzenextrakte (s. Phytopharmaka) 316–317, 331 Phenol, Blutungen im ableitenden Harntrakt 415 Phenoxybenzamin, Detrusorhypoaktivität 302
492
Sachverzeichnis
Phentolamin, Detrusorhypoaktivität 302 Phenylefrin, prolongierte Erektion/Priapismus 356 Phenylpropanolamin, Ejaculatio deficiens 375 Phosphodiesteraseinhibitoren, Detrusorhyperaktivität 296–297 physikalische Verfahren als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140 Phytoöstrogen als komplementäre Medizin in der urologischen Onkologie 141 Phytopharmaka/Pflanzenextrakte, BPH-/BPS-Therapie 316–317, 331 – Verordnungen und Umsatz 316 – Wirkungen 331–332 Phytotherapeutika 173 Picea /Pinus/Hypoxis rooperi (Phytosterole/β-Sitosterine), BPH-/BPS-Therapie 331 Pigmentierungsstörungen, zytostatikainduziert 4 Pilocarbin 11, 13 Pilzaneurysma 194 Pilzbefall 194 Pilze 156 Pilzinfektionen der Harnwege/des Urogenitaltrakts – diagnostische Methoden zum Nachweis 207 – medikamentöse Therapie (Übersicht) 199 Pinus/Picea/Hypoxis rooperi (Phytosterole/β-Sitosterine), BPH-/BPS-Therapie 331 Piperacillin/Tazobactam 17 Piritramid (s. auch Opioidanalgetika) 441, 454 Piritrexim, Urothelkarzinom, metastasierendes 56 Piroxicam (s. auch Schmerz) 436 »platelet-derived growth factor« (s. PDGF) 103 Platiblastin, Urothelkarzinom, metastasierendes 64 Platinex, Urothelkarzinom, metastasierendes 64 Pneumaturie 152 Pollakisurie 152, 206, 285 Polychemotherapie, metastasierendes Urothelkarzinom 57–68 – mit 2 Substanzen 57–58 – mit 3 Substanzen 58 – mit 4 Substanzen 58, 61 Polymerasekettenreaktion (PCR) 188
Polypodopyotoxine, Prostatakarzinom (HRPCA) 99 Polyurie 152 Postatahyperplasie, benigne/Prostatasyndrom, benignes (s. BPH-/BPS) 302, 314–337 Potaba (Kalium-Paraaminobenzoat), Induratio penis plastica 361–362 Prazosin, Detrusorhypoaktivität 302 Prednisolon, akute Kontrastmittelallergie 274, 278 Priapismus (s. Erektion, prolongierte) 354–358 Procalcitonin 155 Proleukin, Nierenzellkarzinom, metastasierendes 76 – ProleukinS (IL-2) 76–77 Propanthelin 11 Propionyl-L-Carnitin, Induratio penis plastica 361–363 Propiverin, Detrusorhyperaktivität 294 Propoleum, Induratio penis plastica 361–362 Prostaglandine – Blutungen im ableitenden Harntrakt 410, 415 – Detrusorhypoaktivität 300 – erektile Dysfunktion, Prostaglandin E1 341 – interstitielle Zystitis 247 – neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 – sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen, Prostaglandin E1 400 Prostasol als komplementäre Medizin in der urologischen Onkologie 141 Prostataerkrankungen, Krankheitsbilder 160–161 Prostataexprimat 152–153 Prostatakarzinom – adjuvante medikamentöse Therapie 86–96 – – Aminoglutethimid 90 – – Androgen-withdrawal-Syndrom 90 – – Androgenblockade (s. dort) 87–90, 97 – – Androgendeprivation, intermittierende 87, 91–92 – – Antiandrogene (s. dort) 88–90, 92, 96–97 – – Chemotherapie 91 – – Estramustin 90 – – Gentherapie 91 – – Gestagen 90
– – Hormontherapie nach primärer Radiatio (s. dort) 86–87, 92 – – Ketokonazol 90 – – LHRH-Analoga 87–90, 96 – – Nebenwirkungen 91–96 – – Östrogentherapie 87–89 – – Orchiektomie, bilaterale (Kastration) 87–88, 96 Prostatitis 194, 228–230 – NIH-Klassifikation (Übersicht) 228 Prostatovesikulitis 160 Prothetik 181 Protozoen 156 Protozoonosen des Genitaltraktes 232 – Epizoonosen 232 – Trichomonas vaginalis 232 pseudoallergische Reaktion (s. auch Kontrastmittelallergie) 272 Pseudoephedrin, Ejaculatio deficiens 375 psychologische Behandlungsverfahren zur Therapieergänzung 144 Psychotherapie zur Therapieergänzung 144 Punktionsurin 153 PVB/PEB, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 113 PVbl-Regime, Hodenkeimzelltumor, metastasierter, Salvage-Chemotherapie 121 PVBx4-Regime (Cisplatin, Vinblastin und Bleomycin), Hodenkeimzelltumor, metastasierter 110–111 Pyelonephritis, akute unkomplizierte 157–158, 165, 194 – Keimspektrum 165 Pygeum africanum (afrikanischer Pflaumenbaum), BPH-/BPS-Therapie 331
R Racecadodril 14 radiogene Zystitis 410 radiologische Untersuchung, urologische Infektionen 156–157 5-α-Reduktasehemmer – BPH-/BPS-Therapie 325–331 – – Nebenwirkungen 330–331 – – Verordnungen und Umsatz 316 – – Wirkmechanismen 325–330 – neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntraktes 288
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Sachverzeichnis
Refertilisierung 181 regionalanästhesiologische Verfahren zur postoperativen Schmerztherapie 456 Resiniferatoxin, Detrusorhyperaktivität 298 Retinitis pigmentosa 344 retroperitoneale Fibrose (s. OrmondErkrankung) 260– 262 α1-Rezeptorblocker, BPH-/BPS-Therapie 317–325 – Nebenwirkungen 322–325 – Wirkmechanismen 317–322 rezidivierende Harnwegsinfektionen/ Rezidivprophylaxe 172–173 Ribocarbo, Urothelkarzinom, metastasierendes 65 Rippenbogenrandschnitt, Lokalanästhesie 458 Roferon-A (IFN-α2a), Nierenzellkarzinom, metastasierendes 76 Roggenpollen (Secale cereale), BPH-/ BPS-Therapie 331 Rückenschmerzen, Überempfindlichkeitsreaktionen, zytostatikabedingt 22
S Sabal serrulata (Sägezahnpalmenfrüchte), BPH-/BPS-Therapie 331 Sagramostim 15 Salvage-Chemotherapie, metastasierter Hodenkeimzelltumor 108–131 – chirurgische Intervention nach Salvage-Chemotherapie 125 – Hochdosis-Salvage-Chemotherapie 122–123 – – prognostische Faktoren für den Ausgang 124 – konventionelle Salvage-Chemotherapie 120–122 – – Etoposid 120, 125 – – Gemcitabin 120, 126 – – Ifosfamid 120 – – Oxaliplatin 126 – – Paclitaxel 120, 126 – – PEI-Regime 121 – – PVbl-Regime 121 – – Vinblastin 121 – Vergleich der konventionellen und der Hochdosis-Chemotherapie im Rezidiv 124–125
Samenstranginfiltration, Lokalanästhesie 457 Säuglings- und Kindesalter, Harnwegsinfektionen 168–170 Schanker – harter (s. Syphilis) 222, 223–224 – weicher (s. Ulcus molle) 222, 225–226 Schmerz 423–469 – Dokumentation 430 – Dyspareunie und Vaginismus (»sexual pain disorders«) 397 – Einteilung 424–425 – – akuter Schmerz 424 – – chronischer Schmerz 424 – Entstehung 425–426 – Epidemiologie 424–425 – Lokalisation 429 – Messung von Schmerzen 428–429 – Nervenschmerz 428 – – Deafferenzierungsschmerz 429 – – Neuralgie 429 – – Sympathalgie 429 – Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) 425 – Nozizeptorschmerz 428 – Physiologie und Pathophysiologie 425 – Rückenschmerzen, zytostatikabedingte 22 – »sexual pain disorders« (Dyspareunie und Vaginismus) 397 – Therapie – – Akupunktur in der Urologie (s. dort) 140, 469–475 – – akute Schmerzen in der Urologie 449–461 – – – akutes Skrotum 450–451 – – – Kolikschmerzen 450 – – – postoperative Schmerzen 451 – – chronische Schmerzen in der Urologie 461–449 – – – Analyse des chronischen Schmerzes 462 – – – Pelvic-pain-Syndrom 463 – – – strukturelle Chronifizierungsmechanismen 462 – – ESWL (Stoßwellenlithotripsie), Schmerztherapie 459 – – medikamentöse Schmerztherapie in der Urologie 433–449 – – – Analgetika, antipyretische (nichtopioid) 434 – – – ASS (Acetylsalizylsäure) 436 – – – Celocoxib 437
P–S
– – – Cyclooxygenase, COX (s. dort) 434 – – – Etoricoxib 437 – – – Grundregeln der medikamentösen Schmerztherapie 429–431 – – – Ibuprofen 436, 454 – – – Koanalgetika (s. dort) 442–445 – – – lokalanästhesiologische Verfahren bei urologischen Operationen (s. dort) 457–460 – – – Meloxicam 437 – – – Metamizol 435, 437, 454 – – – Naproxen 436 – – – NSAR (nichtsteroidale antiphlogistische Antirheumatika) 434–437 – – – Opiate gegen starke bis stärkste Schmerzen 454 – – – Opioidanalgetika (s. dort) 437–442 – – – Paracetamol 434–435, 437, 454 – – – Parecoxib 454 – – – Piroxicam 436–437 – – – systemische Pharmakotherapie postoperativer Schmerzen 452–456 – – – Valdecoxib 437 – Tumorschmerztherapie 464–467 Schmerzleitung und Schmerzwahrnehmung 426–428 – schematische Darstellung 427 Schock – anaphylaktischer (s. dort) 5, 275 – septischer (s. auch Sepsis) 151, 236 Schwangerschaft, Harnwegsinfektionen 168–171 Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT), erektile Dysfunktion 348 Secale cereale (Roggenpollen), BPH-/ BPS-Therapie 331 Sekundärmalignome, zytostatikainduziert 4 SELECT-Studie 141 Selen als komplementäre Medizin in der urologischen Onkologie 141 – Harnblasenkarzinom 141 – Prostatakarzinom 141 Semektit 14 Sepsis/Urosepsis 151, 158, 236–241 – Definition 236 – Letalität 237 – neue Aspekte der Sepsisbehandlung 236–241
494
Sachverzeichnis
Sepsis/Urosepsis – – Corticoidsubstitution 241 – – Drotrecogin alfa (aktiviert) 238–240 – – »early goal-directed therapy« (EGDT) 240 – – Insulintherapie, intensivierte 240–241 – SIRS (»systemic inflammatory response syndrome«) 236 septischer Schock 151, 236 Serenoa repens (Sägezahnpalmenfrüchte), BPH-/BPS-Therapie 331 Serotonin, neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 Serotonin-/Noradrenalinwiederaufnahmehemmer – Detrusorhypoaktivität 304 – neurogene Harnblasenfunktionsstörungen 304–306 Serotoninantagonisten 4, 6 Serotonin-reuptake-Inhibitoren, Ejaculatio praecox 370 Setrone (s. auch Übelkeit und Erbrechen) 6–7, 9 sexuell übertragbare Erkrankungen (s. STD) 151, 222–233 sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen, Möglichkeiten der Pharmakotherapie 396–402 – HSDD (»hypoactive sexual desire disorder«) 398 – Klassifikation und mögliche Ursachen 397–399 – Optionen der Pharmakotherapie 399–400 – – Alprostadil 400 – – Apomorphin 400 – – Sildenafilcitrat (Viagra) 399 – – Tadalafil (Cialis) 400 – – Vardenafil (Levitra) 400 – »orgasmic disorder« 398 – Physiologie von Clitoris und Vagina 396–397 – »sexual arousal disorder« 398 – »sexual pain disorders« (Dyspareunie und Vaginismus) 397 Signaltransduktionsinhibitoren, Prostatakarzinom (HRPCA) 102–103 Silbernitrat, Blutungen im ableitenden Harntrakt 410, 414 Sildenafilcitrat (Viagra) – erektile Dysfunktion 342–344 – sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen 399
SIRS (»systemic inflammatory response syndrome« (s. Sepsis/Urosepsis) 236 SKAT (Schwellkörperautoinjektionstherapie), erektile Dysfunktion 348 skrotale Eingriffe, Lokalanästhesie 457 Skrotum, akutes, Schmerztherapie 450 Somatostatinderivat (Octreotid) 13 sonographische Untersuchung, urologische Infektionen 155–156 Sphinktermechanismus, Relaxation 300–301 – der glattmuskulären Komponente 300–301 – der quergestreiften muskulären Komponente 300 Sport und Bewegung als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140, 143–144 STD (»sexual transmitted disease«/ sexuell übertragbare Erkrankungen) 151, 222–233 – Definition 222 – Geschlechtskrankheiten (s. dort) 222–227 – Protozoonosen des Genitaltraktes (s. dort) 232 – STD-Erreger und deren Nachweismethoden (Übersicht) 156 – Virusinfektionen, sexuell übertragbare (s. dort) 231–232 Steroide 14 – Prostatakarzinom (HRPCA) 97 STI (»sexually transmitted infections« s. STD) 151, 222–233 Stickoxid (NO), neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 Stomatitis, zytostatikainduziert 5 SU101 (PDGF-Inhibitor), Prostatakarzinom (HRPCA) Substitutionstherapie mit Androgenen 382–392 – DHEA und Östrogene 390–391 – – DHEA 390–391 – – Östradiol 391 – Diagnostik des Androgenmangels 383–385 – Indikationen für eine Androgensubstitution 385–386 – – »aging male« und Altershypogonadismus 385 – – andere Indikationen 386 – – erektile Dysfunktion (s. dort) 385
– – Hypogonadismus, primärer, sekundärer und tertiärer 385 – Nebenwirkungen und Risiken 390 – – Hämatopoese 390 – – kardiovaskuläres System 390 – – Knochenwachstum 390 – – Prostata 390 – Physiologie der Androgene 382 – Testosteron, Applikationsformen 386–389 – – intramuskulär (Testosteronenanthat) 387 – – oral (Testosteronundecanoat, Mesterolon) 388 – – transdermal (Pflastersysteme, Gele) 388–389 – Testosteronmangel – – differenzialdiagnostische Überlegungen 382 – – Klassifikation 382 Subtanz P, neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 287 Sucralfat 10, 12, 14 Sulfametoxazol/Trimetoprim (Bactrim) 180 Superoxiddismutase, Induratio penis plastica 364–365 supportive onkologische Therapie (s. auch Zytostatika) 4–28 – gastrointestinale Toxizität (s. dort) 4–22 – organprotektive Maßnahmen (s. dort) 22–28 – Toxizitätsprofil der Zytostatika 4–5 – Uroprotektivum Mesna (s. Mesna) 4–5, 23–24 Suramin, Prostatakarzinom (HRPCA) 100 – Kombination mit Hydrokortison 100 Sympathalgie (s. auch Schmerz) 429 Sympathomimetika – α-Sympathomimetika – – Detrusorhypoaktivität 303 – – neurogene Harnblasenfunktionsstörungen 303 – β-Sympathomimetika, akute Kontrastmittelallergie 277 Syndrome – Fournier-Gangrän (s. dort) 266–270 – Ormond-Erkrankung (s. dort) 260– 262 – Peyronie’s disease 360 Syphilis/Lues 222, 223–224 – Treponema pallidum Hämaglutinations-(TPHA)-Test 223
495
Sachverzeichnis
– »veneral disease research laboratory«-(VDRL)-Test 223–224
T Tadalafil (Cialis) – erektile Dysfunktion 342, 345–346 – sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen 400 Tamoxifen – Induratio penis plastica 361–362 – Ormond-Erkrankung 261–262 Tamsulosin – BPH-/BPS-Therapie 320 – Detrusorhypoaktivität 302 Taxan (Paclitaxel/Docetaxel) – Prostatakarzinom (HRPCA) 99–100 – Urothelkarzinom, metastasierendes 68 Taxol, Urothelkarzinom, metastasierendes 68 Tazobactam/Piperacillin 17 TCM-Therapie als Komplementärmedizin in der urologischen Onkologie 140 Teratogenität, zytostatikainduziert 4 Terazosin – BPH-/BPS-Therapie 320 – Detrusorhypoaktivität 302 Testogel, erektile Dysfunktion 349 Testosteron, Applikationsformen 386–389 – intramuskulär (TestosteronEnanthat) 387 – oral (Testosteron-Undecanoat, Mesterolon) 388 – transdermal (Pflastersysteme, Gele) 388–389 Testosteron-Enanthat 387 Testosteronmangel (s. auch Substitutionstherapie mit Androgenen) 382 – Diagnostik 383–385 – differenzialdiagnostische Überlegungen 382 – Klassifikation 382 Testosteronsynthase-Inhibitor, adrenaler, Prostatakarzinom 97 Testosteron-Undecanoat 388 Testoviron, erektile Dysfunktion 349 Theophyllin, akute Kontrastmittelallergie 276–278 Thiazide bei Hyperkaziurie, Blutungen im ableitenden Harntrakt 416
Thiopeta – Hodenkeimzelltumor, metastasierter 122 – – Salvage-Chemotherapie, CET-Regime 122 – Urothelkarzinom der Harnblase 45 Thrombopoietin (TPO) 17 Thrombozytopenie, zytostatikainduziert 14, 17–18 – Amifostin (Aminothiolderivat) 27 – supportive Therapie 17–18 – – Interleukin 11 (IL-11) 18 – – Oprelvekin 18 – – Thrombopoietin (TPO) 17 Tilidin/Naloxon (s. auch Opioidanalgetika) 440 TINE-Tuberkulintest 187 TIP-Regime, Hodenkeimzelltumor, metastasierter 122 – Salvage-Chemotherapie (Paclitaxel, Ifosfamid und Cisplatin) 122 Tolterodin, Detrusorhyperaktivität 292–293 topische Therapie, Urothelkarzinom der Harnblase (s. Urothelkarzinom) 44–48 Topoisomerase-I-Hemmstoff Irinotectan (CPT-11) 13–14 Torulopsis-Infektion/Cadidiasis 199 Torulose/Kryptokokkose 199 Toxizitätsprofil der Zytostatika 4–5 TPHA-(Treponema pallidum Hämaglutinations)-Test 223 Tramadol (s. auch Opioidanalgetika) 440 Tranexamsäure, Blutungen im ableitenden Harntrakt 410, 416 Trastuzumab, Prostatakarzinom (HRPCA) 102 Treponema pallidum 156 Treponema pallidum Hämaglutinationstest (TPHA) 223 Trichomonas vaginalis 232 Triclosan 11 Triflupromazin, Amifostin (Aminothiolderivat) 27 Trimetoprim/Sulfametoxazol (Bactrim) 180 Tripper/Gonorrhö 222, 224–225 Trochomonas vaginalis 156 Tropisetron 6–7 Trospiumchlorid, Detrusorhyperaktivität 291–292 Tuberkulintests 187 – Mendel-Mantoux-Test 187 – TINE-Test 187
S–U
Tuberkulose (s. Urogenitaltuberkulose) 186–191 Tumornephrektomie, adjunktive (zytoreduktive), fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom 75–76 Tumorschmerztherapie 464–467 Tumorzellen, autologe, Nierenzellkarzinom, metastasierendes 74 TUR-B/TUR-P, perioperative Antibiotikaprophylaxe bei endourologischen OPs 181 Tyrosinkinaseinhibitoren (TKR), Prostatakarzinom (HRPCA) 102–103
U Übelkeit und Erbrechen/Emesis/Nausea, zytostatikainduziert 4–10 – akutes 6 – Amifostin (Aminothiolderivat) 27 – emetogene Potenz verschiedener Zytostatika (Übersicht) 7 – supportive Therapie 6–10 – – Antiemetika 6, 9 – – Aprepitant 6, 8–10 – – Benzamide 6 – – Docetaxel 8 – – Dolasetron 6–7 – – Glucocorticoide 6 – – Granisetron 6–7 – – 5-HT3-Antagonisten 6–9 – – Ifosfamid 8 – – Metoclopramid 6, 9–10 – – Neurokininantagonisten 6, 8, 10 – – Ondansetron 6–7 – – Paclitaxel 8 – – Palonosetron 6 – – Serotoninantagonisten 6 – – Tropisetron 6–7 – – Vinorelbin 8 Überempfindlichkeitsreaktionen, Zytostatika 4, 21–22, 272 – antineoplastische Wirkstoffe (Übersicht) 22 – Dyspnoe 22 – Flush 22 – Rückenschmerzen 22 – supportive Therapie 21–22 – – H2-Antihistaminikum 21 – – Asparginase-Präparate 21 – – Cremophor EL 22 – – Diphenhydramin 21 – – Famotidin 21 – – Glucocorticoid 21
496
Sachverzeichnis
Ulcus molle 222, 225–226 Ulzerationen, zytostatikainduziert 5 Uprima (Apomorphin), erektile Dysfunktion 346 Ureaplasmen 156 Ureterorenoskopie, perioperative Antibiotikaprophylaxe 182 Urethraerkrankungen, Krankheitsbilder 160 Urethralabstrich 153 Urethritis 160, 194 – nichtgonorrhoische 227–228 Urethrotomie, perioperative Antibiotikaprophylaxe 181 Urgesymptomatik 152 Urgogenitalmykosen 191–200 – Antimyotika (s. dort) 195, 198 – Einteilung 194–194 – prädisponierende Faktoren (Übersicht) 193 Urin/Urinuntersuchung 153 – Alkalisierung des Harnes, zytostatikainduziert 23 – Eprimaturin 153 – Initialurin 153 – Katheterurin 153 – Mittelstrahlurin 153 – Punktionsurin 153 Urogenitaltuberkulose 186–192 – Antituberkulotika (s. dort) 189–192 – röntgenologische Hinweise 187 Uroprotektivum Mesna (s. Mesna) 4–5, 23–24 Urosepsis (s. Sepsis) 151, 158, 236–241 Urothelkarzinom der Harnblase 44–48, 52–68 – adjuvante Instillationstherapie 45–47 – – Medikamente, adjuvante Instalationstherapie 45–46 – – – BCG-Therapie 45 – – – Mitomycin C 45–46 – – – MMC-Therapie 45 – – risikogruppengesteuert 45 – – – Intermediate-risk-Harnblasenkarzinom 45 – – – Low-risk-Harnblasenkarzinom 45 – – – High-risk-Harnblasenkarzinom 46 – lokal fortgeschrittenes Urothelkarzinom 53 – metastasierendes Urothelkarzinom, fortgeschrittenes 52–68 – – Chemotherapie (s. dort) 53–56
– – – adjuvante Chemotherapie (s. dort) 53, 55–56, 68 – – – neoadjuvante Chemotherapie (s. dort) 53–55, 68 – – – palliative Chemotherapie (s. dort) 53, 56–57, 68 – – – Polychemotherapie 57–61 – – – – mit 2 Substanzen 57–58 – – – – mit 3 Substanzen 58 – – – – mit 4 Substanzen 58, 61 – – hämatopoetische Wachstums -faktoren 61–68 – – operative Therapie 52–53 – topische Therapie 44–48 – – Effektivität der topischen Therapie, Strategien zur Verbesserung 47–48 – – Hyperthermie 47 – – Medikamente, topische Therapie – – – BCG-Therapie 44 – – – Doxorubicin 45 – – – Epirubicin 45 – – – Gemcitabin 47 – – – Interferon-α 47 – – – Interleukin-2 47 – – – Mitomycin C (MMC) 44–45 – – – Thiopeta 45 – – neue Medikamente, topische Therapie 47 – Rezidivprophylaxe, perioperative 44 – – Medikamente – – – Epirubicin 47 – – – Mitomycin C (MMC) 47 – Therapie des nichtmuskelinvasiven Urothelkarzinoms 44 urotoxischer Metabolit, Zytostatika 5 Urotoxizität, zytostatikainduziert 4 Urtica dioica (Brennesselwurzel), BPH-/ BPS-Therapie 331
V Vagina und Clitoris, Physiologie 396–397 Vaginismus und Dyspareunie (»sexual pain disorders«) 397 Vakuumerektionshilfen, erektile Dysfunktion 349–350 Vakzination, Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes – adjuvante Therapie 74–75, 96 – palliative Therapie 75–83
– – autologe dendritische Zellen (DC) 76 – – autologe monozytäre DC 76 Vakzine, Nierenzellkarzinom, fortgeschrittenes 74–75 Valdecoxib (s. auch Schmerz) 437 Vancomycin, perioperative Antibiotikaprophylaxe 180 Vanilloidrezeptorantagonisten – Detrusorhyperaktivität 297 – neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntrakts 288 Vardenafil (Levitra) – erektile Dysfunktion 342, 344 – sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen 400 VDRL (»Veneral-Disease-ResearchLaboratory«)-Test 223–224 Verapamil, Induratio penis plastica 363–364 Vesiculitis 195 Viagra (Sildenafilcitrat) – erektile Dysfunktion 342–344 – sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen 399 Vinblastin (CMV) – Hodenkeimzelltumor, metastasierter – – PVBx4-Regime (Cisplatin, Vinblastin und Bleomycin) 110–111 – – Salvage-Chemotherapie, konventionelle 121 – Nierenzellkarzinom, metastasierendes – – palliative Immun-Chemotherapie 77, 80 – – – Kombination CMV und IFN-α2a 77 – Prostatakarzinom (HRPCA) 99 – Urothelkarzinom, metastasierendes – – neoadjuvante Therapie 54 – – palliative Chemotherapie 58, 63 Vincaalkaloide – Prostatakarzinom (HRPCA) 99 – Urothelkarzinom, metastasierendes 56 Vincristin (s. auch Zytostatika) 6 Vinorelbin 8 Viren 156 Viridal (Prostaglandin E1), erektile Dysfunktion 341 Virusinfektionen, sexuell übertragbare 231–232 – Aids/HIV (s. dort) 216–217 – Condylomata acuminata (humane Papillomaviren [HPV]/Feigwarzen) 231–232 – Hepatitis-B-Virus (HBV) 156, 232
497
Sachverzeichnis
– Herpes genitalis 231 – Zytomegalievirus (ZMV) 156, 232 Vitamine als komplementäre Therapieunterstützung in der urologischen Onkologie 20, 141–142 – Multivitaminpräparat 142 – – Vitamin A, Vitamin B6, Vitamin C, Vitamin E und Zink 142 – Vitamin A 141 – – Vitamin-A-Analog Etretinat 142 – Vitamin B6 142 – Vitamin C 141 – Vitamin E 20, 141 – – Induratio penis plastica 361–362
W Winter-Shunt, prolongierte Erektion/ Priapismus 357 Wund-/Narbeninfiltration, Lokalanästhesie 458–459
X xenogene Peptide zur Therapieunterstützung 142 Xerostomie, zytostatikainduziert 5, 13 – Amifostin (Aminothiolderivat) 26 – supportive Therapie 13 – – Aminothiolderivat/Amifostin (s. dort) 13 – – Carmellose 13 – – Mucine 13 – – Parasympathomimetika 13 – – Pilocarpin 13
Y Yohimbin (Yocon-Glenwood/Yohimbin-Spiegel), erektile Dysfunktion 346–348
Z ZD1839, Prostatakarzinom (HRPCA) 102 Zink als komplementäre Therapieunterstützung in der urologischen Onkologie 142 – Multivitaminpräparat (Vitamin A, Vitamin B6, Vitamin C, Vitamin E und Zink) 142 Zoledronat, Prostatakarzinom (HRPCA) 101–102 Zystitis 23, 158–159, 164, 244–253 – akute bakterielle 158–159 – Chemozystitis 406, 410 – chronisch rezidivierende 159 – hämorrhagische Zystitis, Ursachen (Übersicht) 407 – interstitielle (IC), Pharmakotherapie 244–254 – – intravesikale Therapie 248–254 – – – Bacillus Calmette-Guérin 251 – – – Chondroitinsulfat 252 – – – Dimethylsulfoxid 250–251 – – – Heparin 250 – – – Hyaluronsäure 251–252 – – – Hydrodistension der Blase 252–253 – – – Natriumpentosanplysulfat 249–250 – – oralsystemische Therapie 245–248 – – – Analgetika und Anästhetika 245 – – – Antiallergika 245 – – – Anticholinergica 247 – – – Antidepressiva 246 – – – L-Arginin 247–248 – – – Histaminrezeptor-Antagonisten 245 – – – Immunsuppressiva 248 – – – Mastzellstabilisatoren 245–246 – – – Natriumpentosanpolysulfat 247 – – – Prostaglandine 247 – Keimspektrum 165 – beim Mann 159 – radiogene Zystitis 410 – zytostatikainduzierte 23 Zystoskopie, perioperative Antibiotikaprophylaxe 181 Zytokine/Zytokintherapie – Mundspüllösungen, zytokinhaltige 11–12
U–Z
– Nierenzellkarzinom, metastasierendes 78–79 – – Monozytokintherapie mit IFN-α 78 Zytomegalievirus (ZMV) 156, 232 Zytostatika 4–28 – BCG vs. Chemotherapeutika-vergleichende randomisierte Studien (Übersicht) 36 – Common Toxicity Criteria (CTC) 6 – emetogene Potenz (Übersicht) 7 – Nebenwirkungen 4–22 – – allergische Reaktion 5 – – Alopezie (s. dort) 19–20 – – Anämie (s. dort) 4, 18–19 – – anaphylaktischer Schock 5 – – Diarrhoe 4–5 – – Extra- und Paravasation (s. dort) 4–5, 20–21 – – Fieber unbekannter Genese (s. dort) 16–17 – – Haarausfall 5 – – Hauttoxizität 4 – – gastrointestinale Toxizität (s. dort) 4–22 – – Leukozytopenie 4 – – Motilitätsstörungen, gastrointestinale (s. dort) 13–14 – – Mukositis (s. dort) 4–5, 10–13, 25 – – Myelosuppression (s. dort) 4, 14–15 – – Nephrotoxizität, cisplatininduziert 4 – – Neutropenie 15–16 – – Obstipation, chemotherapieinduzierte (s. dort) 14 – – Organtoxizität (s. dort) 4 – – Ototoxizität 4 – – Stomatitis 5 – – Thrombozytopenie (s. dort) 4, 17–18 – – Übelkeit und Erbrechen/Emesis/ Nausea (s. dort) 4–10 – – Überempfindlichkeitsreaktionen (s. dort) 4, 21–22 – – urotoxischer Metabolit 5 – – Uzerationen 5 – – Xerostomie (s. dort) 5, 13 – organprotektive Maßnahmen (s. dort) 22–28 – Resistenz 97 – Toxizitätsprofil 4–5