Springer-Lehrbuch
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Basiswissen Urologie 5., vollständig überarbeitete Auflage Mit 131 Abbildungen und 1...
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Springer-Lehrbuch
Thomas Gasser
Basiswissen Urologie 5., vollständig überarbeitete Auflage Mit 131 Abbildungen und 13 Tabellen
123
Professor Dr. med. Thomas Gasser Urologische Universitätsklinik Basel – Liestal Klinik Liestal Rheinstr. 26 4410 Liestal, Schweiz
ISBN 978-3-642-21134-8 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011 Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Christine Ströhla, Heidelberg Projektmanagement: Axel Treiber, Heidelberg Lektorat: Ursula Illig, Gauting Titelbild: © photos.com PLUS Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin Satz und Reproduktion der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg SPIN 80021255 Gedruckt auf säurefreiem Papier.
15/2117 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur 5. Auflage Sie halten bereits die 5. Auflage des 1997 von Prof. G. Rutishauser begründeten »Basiswissen Urologie« in den Händen. Allen Unkenrufen zum Trotz, die im Zeitalter des Internet das Ende des Buches prophezeit hatten, erfreut sich das »Basiswissen« nach wie vor großer Beliebtheit. Über die Gründe kann man spekulieren. Sicher hat in jüngster Zeit eine Veränderung des Lernens stattgefunden. Während die herkömmliche Aufgabe von Lehrbüchern war, vor allem Wissen zu vermitteln, ist dieser Aspekt heute in den Hintergrund gerückt. Dank dem Internet mit seinen zahlreichen medizinischen Plattformen ist jegliches Wissen immer und für alle zugänglich. Allerdings ist das Internet unkontrolliert, ungeordnet und unsystematisch. Sich in diesem »Informationssmog« zu Recht zu finden und richtig zu gewichten, wird immer schwieriger. Hier mag ein kleines, kompaktes Kompendium wie das »Basiswissen« willkommene Hilfestellung leisten. Das Büchlein wurde umfassend überarbeitet und auf den aktuellen Wissensstand hin kontrolliert und wo nötig angepasst. Das Fallquiz wurde leicht erweitert und umfasst nun die häufigsten, klinisch relevanten urologischen Probleme. Auch die Überprüfungsfragen wurden neu so formuliert, dass die Antwortmöglichkeiten eindeutig sind und mehr dem gewohnten Prüfungsablauf entsprechen. Schliesslich wurde im Antwortteil jeweils begründet, weshalb eine Antwort richtig oder falsch ist. Die Erklärungen der Antworten wurden so gestaltet, dass sie auch ohne mühsames Hin- und Herblättern verständlich sind und für sich genommen ein kleines Repetitorium darstellen. Den modernen medialen Konsumgewohnheiten entsprechend, wurde erstmals ein Farbdruck gewählt. Die Abbildungen sind vierfarbig, und es wurden vermehrt Fotografien, die die Memorisierung erleichtern sollen, eingebaut. Die konsequentere Unterteilung zwischen Text, den Überprüfungsfragen am Ende der Kapitel, den MC-Fragen und dem Fallquiz erlaubt es zu »zappen« und sich mehr dem einen oder anderen Lernweg zuzuwenden. Am Grundaufbau des Basiswissens wurde aber nichts verändert. Der Grundsatz der Beschränkung auf das absolut Notwendige wurde auch in der neuesten Ausgabe konsequent verfolgt – selbst das Vorwort wurde gekürzt. Die Urologie bleibt ein überblickbares und doch in die Tiefe gehendes, hochinteressantes Gebiet, das sich in einem kontinuierlichen Wandel befindet. Über die letzten Jahre hat sich der Trend zu immer aufwändigerer medizinischer Technik fortgesetzt; parallel dazu ist eine weitere Verschiebung vom rein chirurgischen Fach zu vermehrter ambulanter Tätigkeit fest zu stellen. Diese Entwicklung wird weiter gehen. Das »Basiswissen« will sich auch diesen Veränderungen anpassen. Entsprechend sind wie immer Rückmeldungen und konstruktive Kritik hoch willkommen. Nur so kann das »Basiswissen« die Anforderungen der Leser erfüllen und gleichzeitig fachlich aktuell bleiben. Möge dieses kleine Büchlein dem einen oder der anderen als Kompass in Zeiten der übermäßigen Informationsflut dienen. Thomas Gasser Liestal, im Sommer 2011
Basiswissen Urologie
Inhaltliche Struktur: Klare Gliederung durch alle Kapitel
Leitsystem führt durch die Sektionen
Examen: Das wurde schon geprüft (hier Stex Frühjahr 2009)
Tabellen: Kurze Übersicht der wichtigsten Fakten
Fallbeispiele: Typische Fälle zum Thema
F09
Navigation: Kapitel und Seitenzahlen für die schnelle Orientierung
Zahlreiche farbige Abbildungen veranschaulichen komplexe Sachverhalte
Wichtig: Zentrale Informationen auf einen Blick
Übungsfragen und Lösungen zur Wissensüberprüfung
IX
Inhaltsverzeichnis Symptome und Diagnostik 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.2 1.3 1.4
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.4 2.4.1
Urologische Leitsymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolik (Nieren-, Harnleiterkolik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nierenschmerzen (»mal aux reins«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blasenschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prostataschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hoden- bzw. Nebenhodenschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungen der Harnmenge und Harnzusammensetzung . Miktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Symptome aus dem Sexualbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 4 4 4 5 5 5 5 6 7
Urologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Penis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Skrotum und Testes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rektalstatus (Prostatabeurteilung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vaginalstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neurourologische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige urologische Laboruntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . Serum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Urinuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilung der Nierenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildgebende Untersuchungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konventionelle Uroradiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nuklearmedizinische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Computertomographie (CT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kernspintomographie/Magnetresonanztomographie (MRT) . . . . . . . . Instrumentell-endoskopische Untersuchung und Endourologie . Katheterismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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9 10 10 10 11 11 12 12 12 13 13 13 14 14 15 15 15 16 18 18 18 19
X
2.4.2 2.4.3 2.5 2.5.1 2.5.2
Inhaltsverzeichnis
Blasenspülung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urodynamische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blasendruck- und Sphinkterdruckmessung (Zystomanometrie) Harnflussmessung (Uroflowmetrie) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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22 22 24 24 25
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29 32 32 33 33 34 34 34 34 35 35 36 37 38 38 40 40 40 40 41 41 43 44 44 44 44 45 45 45 45
Urologische Erkrankungen 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.8 3.1.9 3.1.10 3.1.11 3.2 3.2.1 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.5 3.5.1
Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane . . Nierenanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variationen von Größe, Zahl, Lage und Form der Nieren Hypoplasie (kleiner als 50%) . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrfachbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rotationsanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschmelzungsanomalien (Hufeisennieren) . . . . . . . Dystopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nierengefäßanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zystische Nierenfehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . Polyzystische Nierenfehlbildungen . . . . . . . . . . . . . Markschwammniere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nephroptose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anomalien des Nierenhohlsystems . . . . . . . . . . . Hydronephrose (»Sackniere«) . . . . . . . . . . . . . . . . Ureteranomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zahlenmäßige Anomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lageanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Anomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anomalien an der ureterovesikalen Einmündung . . . . Reflux . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ektopische Uretermündung . . . . . . . . . . . . . . . . . Ureterozele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Retroperitoneale Fibrose (M. Ormond) . . . . . . . . . . . Blasenanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urachusfistel/Urachuszyste . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blasenekstrophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blasendivertikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anomalien der Urethra und der Genitalorgane . . . . Harnröhrenstenosen und -klappen . . . . . . . . . . . . .
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XI Inhaltsverzeichnis
3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.5.6
Hypospadie . . . . . . . . . . . . . . Epispadie . . . . . . . . . . . . . . . . Phimose . . . . . . . . . . . . . . . . Paraphimose (Notfall) . . . . . . . . Deszensusanomalien des Hodens
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45 46 46 46 46
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Entzündungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der unspezifische Harnwegsinfekt (HWI) . . . . . . . . . . . . Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infektionswege und pathogenetische Faktoren . . . . . . . . . Allgemeine Infektdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akute Infekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chronische Infekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unspezifische Entzündungen der Urethra und der Adnexe Prostatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medikamente zur Behandlung von Harnwegsinfekten . . . Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems . . . . . Harnwegs- und Genitaltuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . Bilharziose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Echinokokkenerkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gonorrhö . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lues (Syphilis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spitze Kondylome (Condylomata accuminata) . . . . . . . . . .
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49 50 50 50 52 53 53 54 56 57 58 59 59 62 63 63 63 64
5.1 5.1.1 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4 5.4.1
Harnsteinerkrankung (Urolithiasis) . . . . . . . . Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harnsteinbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammensetzung, Form und Lage der Harnsteine . Klinik und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steinkolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie und Metaphylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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66 67 67 69 71 71 71 76 76
6
Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren) . . . . . . . . .
84 85 87 87 90 90
4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.5 4.6 4.6.1 4.6.2 4.6.3 4.6.4 4.6.5 4.6.6
5
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6.1 Gutartige Tumoren des Nierenparenchyms . . . . . . . 6.2 Bösartige Nierentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Nierenzellkarzinom (Adenokarzinom, »Hypernephrom«) 6.2.2 Nephroblastom (Wilms-Tumor) . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Liposarkom, Fibrosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XII
Inhaltsverzeichnis
6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.6 6.7
Tumoren des Urothels . . . . Nierenbeckentumoren . . . . Uretertumoren . . . . . . . . . Blasentumoren . . . . . . . . . Prostatakarzinom . . . . . . . Ätiologie . . . . . . . . . . . . . Pathologie . . . . . . . . . . . . Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . Therapie . . . . . . . . . . . . . Prognose . . . . . . . . . . . . . Hodentumoren . . . . . . . . Diagnose . . . . . . . . . . . . . Therapie und Prognose . . . . Seminome . . . . . . . . . . . . Nichtseminomatöse Tumoren Peniskarzinom . . . . . . . . . Skrotalkarzinom . . . . . . . .
7
Störungen der Harnentleerung und -speicherung . . . . . . . . 117
7.1 7.1.1 7.1.2 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.6.1 7.6.2 7.6.3 7.6.4 7.6.5 7.6.6
Prostatahyperplasie . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prostatakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neurogene Blasenfunktionsstörungen . . . . . Harnröhrenstrikturen . . . . . . . . . . . . . . . . Angeborene Harnröhrenerkrankungen . . . . Inkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belastungsinkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . Dranginkontinenz (engl. Urge) . . . . . . . . . . . . Mischinkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harninkontinenz bei chronischer Harnretention Extraurethrale Inkontinenz . . . . . . . . . . . . . . Sonderformen der Harninkontinenz . . . . . . . .
8
Sexualpathologie des Mannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
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8.1 Erektile Dysfunktion . . . . . . . . . 8.1.1 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Infertilität . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Varikozele . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Vasektomie und Familienplanung
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91 91 92 92 98 100 100 100 101 102 107 109 110 112 112 113 114 115
118 120 124 128 128 131 132 132 133 134 135 135 135 136
140 141 142 144 144
XIII Inhaltsverzeichnis
8.5 8.6 8.6.1 8.6.2
Klimakterium virile . . . . . . . . . . . . . . . . Orgasmusstörungen . . . . . . . . . . . . . . . Vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox) Verzögerter oder fehlender Samenerguss . .
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145 147 147 148
9
Urologie und Sexualpathologie der Frau . . . . . . . . . . . . . . . 149
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6
Infektionen und Reizsyndrome . . . . . . . . . Interstitielle Zystitis . . . . . . . . . . . . . . . . Harnröhrenerkrankungen . . . . . . . . . . . . Inkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fistelbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sexualpathologie mit urologischen Bezügen
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150 151 151 152 152 152
10
Urologische Erkrankungen im Kindesalter . Allgemeine Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . Angeborene Abflussbehinderungen . . . . . . . . Abflussbehinderung aus der Niere . . . . . . . . . . . Abflussbehinderung im terminalen Ureter . . . . . . Abflussbehinderung in der Blase . . . . . . . . . . . . Abflussbehinderung in der Harnröhre . . . . . . . . . Distale Urethrastenose beim Mädchen . . . . . . . . Primärer vesikoureteraler Reflux . . . . . . . . . . . Blasenekstrophie, Epi- und Hypospadie . . . . . . Kryptorchismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phimose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Torsion des Hodens und seiner Anhangsgebilde Tumoren des Urogenitalsystems . . . . . . . . . . . Enuresis (nocturna) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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154 155 155 155 155 155 156 156 156 157 158 158 159 159 160
10.1 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.5 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 10.9
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11
Verletzungen der Urogenitalorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6
Klinik der Urogenitalverletzungen Schmerz . . . . . . . . . . . . . . . . . Hämaturie . . . . . . . . . . . . . . . . Anurie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nierenverletzungen . . . . . . . . . Harnleiterverletzungen . . . . . . . Harnblasenverletzungen . . . . . . Harnröhrenverletzungen . . . . . . Verletzungen des Genitale . . . . .
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162 162 162 162 163 165 165 166 168
XIV
Inhaltsverzeichnis
Urologische Behandlung in Klinik und Sprechstunde 12
Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen . . . . . . . . 173
12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.5.1 12.5.2 12.6 12.6.1 12.6.2 12.6.3 12.7 12.8 12.9
Nephrektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nierenbeckenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Perkutane Nierenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blasenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harnumleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorübergehende Harndeviation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definitive Harndeviation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nierentransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leichennierentransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebendspendernierentransplantation . . . . . . . . . . . . . . . Urologische Komplikationen nierentransplantierter Patienten Radikale Prostatektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endoskopische (transurethrale) Eingriffe . . . . . . . . . . . Laparoskopie und Retroperitoneoskopie in der Urologie .
13
Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie . . . . . 185
13.1 13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4 13.2.5 13.3 13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.4
Hämaturie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Makrohämaturie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mikrohämaturie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalisatorische Differenzialdiagnose der Blutungsquelle . Oligurie und Anurie, Harnverhaltung . . . . . . . . . . . . . Ausscheidungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Supravesikale Transportstörung (Nierenbecken → Blase) . . Entleerungsstörungen der Blase . . . . . . . . . . . . . . . . . Vesikale Funktionsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infravesikale Harnröhrenverlegung (akute Harnverhaltung) Unfreiwilliger Harnabgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz) . . . . . . Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz) . . . . . . . . . . . . . . Mischinkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harninkontinenz bei chronischer Harnretention (früher Überlauf-Inkontinenz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.5 Extraurethrale Harninkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.6 Sonderformen der Harninkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Akute Urogenitalinfekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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174 175 176 176 176 176 178 180 180 181 181 182 182 182
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187 187 189 189 189 190 190 191 191 191 191 192 192 192
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193 193 193 193
XV Inhaltsverzeichnis
13.5 13.6 13.6.1 13.6.2 13.6.3 13.6.4 13.6.5 13.6.6 13.6.7 13.6.8 13.7 13.8 13.9 13.10 13.10.1 13.10.2 13.10.3 13.10.4
Steinkolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes, Hodenschmerzen Hodentumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hydrozele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spermatozele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hernia inguinalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Varikozele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epididymitis/Orchitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hodentorsion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Differenzialdiagnose: Hodentorsion/Epididymitis . . . . . . . . Induratio penis plastica (M. Peyronie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Priapismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paraphimose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychosomatische Aspekte der Urologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prostata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhalten bei Verdacht auf psychosomatische Beteiligung . . . . . . . .
194 195 196 196 197 197 197 199 199 201 201 202 202 202 203 203 204 204
Anhang Lösungen zu den Übungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Weiterführende Internet-Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
XVI
Übersichtgrafiken
Urologische Anatomie – Übersicht
XVII Übersichtgrafiken
Urologische Anatomie – Untere Harnwege
I
Symptome und Diagnostik Kapitel 1
Urologische Leitsymptome
Kapitel 2
Urologische Diagnostik
–9
–3
1 Urologische Leitsymptome 1.1
Schmerzen
–4
1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5
Kolik (Nieren-, Harnleiterkolik) – 4 Nierenschmerzen (»mal aux reins«) – 4 Blasenschmerzen – 5 Prostataschmerzen – 5 Hoden- bzw. Nebenhodenschmerzen – 5
1.2
Veränderungen der Harnmenge und Harnzusammensetzung – 5
1.3
Miktionsstörungen
1.4
Symptome aus dem Sexualbereich
–6 –7
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_1, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
4
Kapitel 1 · Urologische Leitsymptome
Leitsymptome, die auf urologische Erkrankungen hinweisen sind:
1
4 4 4 4
Schmerzen, Veränderungen der Harnmenge und Harnzusammensetzung, Miktionsstörungen und Symptome aus dem Sexualbereich.
Schmerzen
1.1
Schmerzen, die ihre Ursache in den oberen Harnwegen haben, sind praktisch immer Kolikschmerzen. Echte nierenbedingte lumbale Dauerschmerzen sind selten (z. B. starke entzündliche Schwellung des Nierenparenchyms). Die Schmerzen in Blase, Prostata und Genitale haben keinen Kolikcharakter. Sie sind »dumpf«, evtl. krampfartig oder brennend.
1.1.1
Kolik (Nieren-, Harnleiterkolik)
Ursache Akute Verlegung der oberen Harnwege → Überdruck, evtl. Spasmus. Klinik »Vernichtender«, einseitiger Dauerschmerz von wechselnder Intensität, verbunden mit Übelkeit, Erbrechen, Kollaps, Darmlähmung (»vegetatives Gewitter«), Ausstrahlung in Richtung Genitalien und Oberschenkel. Im Intervall oft schmerzfrei. Therapie Rasche Therapie hat Vorrang vor ausführlicher Diagnostik! Intravenös! Analgetika (z. B. Metamizol), evtl. Opiate.
1.1.2
Nierenschmerzen (»mal aux reins«)
! Chronische Rückenschmerzen sind kaum jemals nierenbedingt (→ orthopädische Abklärung, WS-Metastasen?). Vorkommen Konstantes lumbales Druckgefühl im kostovertebralen Winkel, möglich bei Tumor (Nierenzellkarzinom, Hydronephrose, Zystennieren), bei Entzündung (Pyelonephritis, Paranephritis) und bei beginnender Steinkolik. Differenzialdiagnose Orthopädische, gynäkologische, rheumatologische, metastasenbedingte (Prostatakarzinom) Rückenschmerzen.
5 1.2 · Veränderungen der Harnmenge
1.1.3
1
Blasenschmerzen
Vorkommen Akute Retention: heftiger suprapubischer Dauerschmerz; akute bakterielle Zystitis: brennender Schmerz in der Urethra; Blasenkrämpfe (Tenesmen).
1.1.4
Prostataschmerzen
Vorkommen Bei akuter abszedierender Prostatitis, selten bei subakut-chronischer Prostatitis. Schmerzhafte Defäkation und dumpfes Druckgefühl im Dammbereich.
! Uncharakteristische Beschwerden im Unterbauch bzw. im Dammbereich genügen nicht für die bequeme Schnelldiagnose »chronische Prostatitis«. Differenzialdiagnose Hämorrhoiden, Proktalgie. Nicht selten psychosomatische
Überlagerung.
1.1.5
Hoden- bzw. Nebenhodenschmerzen
Bei Infekt, nach Trauma: akut, heftig bis »vernichtend«, oft ausstrahlend; bei Varikozele, Hydrozele, Tumor: dumpf, wenig intensiv, »ziehend«.
1.2
Veränderungen der Harnmenge und Harnzusammensetzung
Anurie (IMPP GK-2:10.2). Als Anurie wird die fehlende Urinausscheidung (<100 ml Urin/24 h) bezeichnet. Die Ursache kann prärenal (z. B. Hypovolämie), renal (z. B. Nephritis) oder postrenal (z. B. obstruierender Ureterstein bei Einnierigkeit) liegen. 7 Kap. 13.2, S. 189. Hämaturie (IMPP GK-2:10.5). Blutbeimengung im Urin. Makro-, Mikrohämaturie; initiale, terminale, totale Hämaturie. Für eine erkennbare Makrohämaturie genügen 0,5 ml Blut in 1.000 ml Urin. Eine relevante Mikrohämaturie besteht, wenn mehr als 2–3 Erythrozyten pro Gesichtsfeld erkennbar sind.
! Hämaturie muss immer abgeklärt werden; sie ist so lange tumorverdächtig, bis das Gegenteil bewiesen ist.
6
1
Kapitel 1 · Urologische Leitsymptome
Oligurie (IMPP GK-2:10.11). Verminderte Harnausscheidung (<500 ml/24 h): bei Dehydratation, akutem und chronischem Nierenversagen. Schaumiger Urin (IMPP GK-2:10.14). Urin schäumt normalerweise. Davon ab-
zugrenzen ist eine Gasbeimengung durch Infekt mit gasbildenden Bakterien. Die so genannte Pneumaturie (»Urin der pssst macht«) ist gekennzeichnet durch Luftbeimengung zum Urin, oft gegen Ende der Miktion. Praktisch beweisend für Darm-Blasen-Fistel. Braunverfärbter Urin (IMPP GK-2:10.8). So genannter »bierbrauner«, schau-
miger Urin durch Bilirubinurie bei Ikterus. Polyurie (IMPP GK-2:10.13). Vermehrte Harnproduktion z. B. bei Diabetes oder
bei Behandlung einer Herzinsuffizienz mit Diuretika; führt zur Pollakisurie und Nykturie. Entlastungspolyurie nach Behebung einer Harnverhaltung (gelegentlich >5.000 ml/24 h). Pyurie (IMPP GK-2:10.1, 10.8). Leukozyten im Urin in unterschiedlicher Menge,
in der Regel gleichzeitige Bakteriurie, Leukozytenzylinder bei Nierenbeteiligung. Urin meist übelriechend, trüb. »Sterile« Pyurie: bei Tbc, nach Antibiotikabehandlung, bei Chlamydien, Mykoplasmen. ! Keine Zystitis ohne Bakteriurie und Leukozyturie (Pyurie), Pollakisurie und Nykturie!
1.3
Miktionsstörungen
Akute Harnverhaltung (IMPP GK-2:10.9). Entleerungsunmöglichkeit mit qualvollem Harndrang → urologische Notfallsituation. Therapie: Entlastung mit Ka-
theter oder suprapubischer Ableitung. Schmerzhafte Miktion (Algurie) (IMPP GK-2:10.15). Krampfartige, schmerz-
hafte Miktion bei Entzündungen (Zystitis, Urethritis, Prostatitis). Dysurie (IMPP GK-2:10.4). Mit Missempfindungen verbundene verzögerte Ent-
leerung, schwacher Strahl (bei Entzündungen und Abflussbehinderung). Enuresis Enuresis nocturna (»Bettnässen«): meist psychosomatische Erkrankung (7 Kinderurologie).
7 1.4 · Symptome aus dem Sexualbereich
1
Imperativer Harndrang (engl. »Urge«) Unbeherrschbarer Drang zu – meist schmerzhafter – Entleerung bei Zystitis, nach Blasenoperationen und nach Strahlentherapie, kann bis zu Inkontinenz führen. Typisches Symptom bei gutartiger Prostatavergrößung. Initiales Warten Verzögerter Miktionsbeginn. Meist Prostatavergrößerung. Harninkontinenz (unfreiwilliger Harnabgang) (IMPP GK-2:10.6). Verschiedene Ursachen und Schweregrade. Missbildung: totale Inkontinenz; defekter Verschlussapparat: Belastungsinkontinenz; neurologischer Defekt: Dranginkontinenz (»Urge«-Inkontinenz) → reflektorische Entleerung. Nykturie (IMPP GK-2:10.10). Häufiges nächtliches Wasserlassen meist in kleinen
Portionen. Zu unterscheiden von nächtlicher Polyurie bei Herzinsuffizienz. Pollakisurie (IMPP GK-2:10.12). Häufige Entleerung kleiner Portionen (bei
Blasenentzündungen oder Abflussbehinderung). Tenesmen Blasenkrämpfe im Anschluss an die Miktion z. B. bei Zystitis oder Fremdkörpern in der Blase → imperativer Harndrang. Veränderungen des Harnstrahls Zweiteilung, Drehung, dünner Strahl z. B. bei Urethraerkrankungen (Entzündungen) oder Narbenbildung (Strikturen).
1.4
Symptome aus dem Sexualbereich
Blutiges Ejakulat (Hämatospermie oder Hämospermie) (IMPP GK-2:12.1). Meist ohne große Bedeutung; wird gelegentlich beobachtet bei Entzündungen von Prostata und Samenblasen, sehr selten bei Tumoren. Die Patienten sind in der Regel sehr verängstigt und müssen beruhigt werden. »Nasenbluten an der falschen Stelle«. Fehlende Ejakulation Nach ausgedehnten paraaortalen Lymphadenektomien (bei Hodentumoren) oder nach Prostataoperationen (retrograde Ejakulation in die Blase). Erektile Dysfunktion (»Impotenz«) Länger dauerndes Unvermögen, eine für den Geschlechtsverkehr taugliche Erektion zu erzielen (7 Kap. 8.1, S. 140).
8
Kapitel 1 · Urologische Leitsymptome
Infertilität (Sterilität) (IMPP GK-2:11.4). Zeugungsunfähigkeit (7 Kap. 8.2,
1
S. 142). Ausfluss aus der Harnröhre (IMPP GK-2:10.3). Physiologisch bei starker sexueller Erregung (sog. »Liebestropfen«). Sonst meist Zeichen einer Urethritis. Bei miktionsunabhängigem, eitrigem Ausfluss an Gonorrhö denken. Bei Chlamydien/ Mykoplasmainfekten oder bei unspezifischen Urethritiden ist der Ausfluss weißlich, glasig. Übungsfragen zu den Kapiteln 1 und 2 → Seite 210
2 Urologische Diagnostik 2.1
Klinische Untersuchung
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7
Nieren – 10 Blase – 10 Penis – 11 Skrotum und Testes – 11 Rektalstatus (Prostatabeurteilung) – 12 Vaginalstatus – 12 Neurourologische Untersuchung – 12
– 10
2.2
Wichtige urologische Laboruntersuchungen
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Serum – 13 Urin – 13 Weitere Urinuntersuchungen – 14 Beurteilung der Nierenfunktion – 14
– 13
2.3
Bildgebende Untersuchungsverfahren
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5
Sonographie – 15 Konventionelle Uroradiologie – 15 Nuklearmedizinische Untersuchungen – 16 Computertomographie (CT) – 18 Kernspintomographie/Magnetresonanztomographie (MRT) – 18
2.4
Instrumentell-endoskopische Untersuchung und Endourologie – 18
2.4.1 Katheterismus – 19 2.4.2 Blasenspülung – 22 2.4.3 Endoskopie – 22
2.5
Urodynamische Untersuchung
– 24
2.5.1 Blasendruck- und Sphinkterdruckmessung (Zystomanometrie) – 24 2.5.2 Harnflussmessung (Uroflowmetrie) – 25 T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_2, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
– 15
2
10
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik
2.1
Klinische Untersuchung
2.1.1
Nieren
Inspektion Tumoren sind höchstens bei Kindern zu erkennen. Palpation Bimanuell am Patienten in Rückenlage. Bei tiefer Inspiration ist bei ma-
geren Patienten der untere Nierenpol, evtl. die ganze Niere palpierbar (. Abb. 2.1). Klopfschmerz bei Pyelonephritis. Auskultation Bei <5% der Hypertoniker systolisches Geräusch im Kostoverte-
bralwinkel bzw. im Oberbauch als Hinweis für eine Nierenarterienstenose. Sonographie Bei Verdacht auf Tumoren, Zysten, Steine, Harnstauung.
2.1.2
Blase
Inspektion Erkennbarer Unterbauchtumor bei chronischer Harnretention. Palpation und Perkussion Nützlich zur Restharnbeurteilung. Katheterismus Bei der Frau zur Harngewinnung für die bakteriologische Unter-
suchung.
. Abb. 2.1 Nierenuntersuchung, bimanuelle Palpation der Niere in Inspiration
11 2.1 · Klinische Untersuchung
2
. Abb. 2.2 Ultraschallbild in 2 Ebenen zur Restharnbestimmung. a Querschnitt; b Sagittalschnitt
Harnflussmessung Nützlich für die Beurteilung von Abflussbehinderungen und
für die Kontrolle von Harnröhrenstrikturen (Harnflussrate in ml/s). Sonographie Zur Messung der Restharnmenge (angenähert) (. Abb. 2.2).
2.1.3
Penis
Inspektion Phimose, Meatusstenose, Hypo- bzw. Epispadie, Primäraffekt, spitze Kondylome, Balanitis, Urethraausfluss, Tumor. Palpation Narbige Verhärtungen: Strikturen, Induratio penis plastica.
2.1.4
Skrotum und Testes
! Jede schmerzlose Volumenzunahme des Skrotalinhalts ist zunächst einmal tumorverdächtig. Inspektion Hauterkrankungen, Hodengröße und -lage (Leistenhoden, Pendelhoden, Kryptorchismus).
! Bei Hodenhochstand im Kleinkindesalter ist die rechtzeitige Behandlung angezeigt (Zeugungsfähigkeit).
12
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik
Palpation Bimanuell, ohne Druck, Beurteilung von Hoden und Nebenhoden: Abgrenzbarkeit, Schmerzhaftigkeit usw.
2
Sonographie Zur Differenzialdiagnose Tumor – Hydrozele – Spermatozele.
2.1.5
Rektalstatus (Prostatabeurteilung)
Inspektion Anorektale Erkrankungen (Hämorrhoiden, Fissuren). Palpation 4 Rektum: Sphinktertonus, Rektumkarzinom; 4 Prostata: Konsistenz, Begrenzung, Oberflächenbeschaffenheit, Schmerzhaf-
tigkeit, Größe (die Größe erlaubt keinen Schluss auf das Ausmaß einer Abflussbehinderung); 4 Samenblasen: sind nur selten tastbar. ! Die Rektaluntersuchung dient der Früherkennung des Prostatakarzinoms. Sie ist obligater Bestandteil der Allgemeinuntersuchung bei Männern jenseits des 50. Lebensjahres.
2.1.6
Vaginalstatus
Inspektion Vulva (Ausfluss), Urethramündung (Tumor, Karunkel, Entzündung,
Schleimhautatrophie). Palpation Blasenhals und Urethra (Divertikel, Abszess).
2.1.7
Neurourologische Untersuchung
4 S2-S4-Sensibilität: perianaler Bereich. 4 S2-S4-Reflexe: Achillessehnenreflex und Bulbokavernosusreflex (Pressen der Glans → Kontraktion des Analsphinkters).
13 2.2 · Wichtige urologische Laboruntersuchungen
2.2
Wichtige urologische Laboruntersuchungen
2.2.1
Serum
2
Kreatinin und Harnstoff Wichtige Parameter zur Beurteilung der Nierenfunktion. Serumelektrolyte Dyselektrolytämie bei Nierenfunktionseinschränkung.
Kalzium (Hyperparathyreoidismus), Harnsäure, Zitrat, Oxalat bedeutungsvoll bei rezidivierender Urolithiasis. Tumormarker Bei Hodentumoren:
4 AFP (α-Fetoprotein), 4 β-HCG (humanes Choriongonadotropin). Beim Prostatakarzinom: 4 PSA (prostataspezifisches Antigen) (7 Kap. 6.4)
2.2.2
Urin
! Die Urinbeurteilung gehört obligat zum Allgemeinstatus des urologischen Patienten. Nur frischen Urin untersuchen. Urinentnahme Die Uringewinnung ist von Alter und Geschlecht abhängig:
4 Männer: Mittelstrahlurin, 4 Frauen: In der Regel steriler Einmalkatheterismus, ausnahmsweise Mittelstrahlurin, 4 Kinder: Mittelstrahlurin, beim Mädchen evtl. Katheter, 4 Kleinkinder: steriler Klebebeutel. Beurteilung Die chemische Diagnostik mit Teststreifen ist für die Praxis vollauf
genügend: 4 Nitrit (Koliinfekt, unzuverlässig), 4 pH, 4 Protein, 4 Glukose, 4 Ketonkörper, 4 Leukozyten, 4 Urobilinogen, 4 Bilirubin, 4 Hämoglobin.
14
2
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik
Die Untersuchung mit dem Mikroskop kann Hinweise geben auf: Erythrozyten, Leukozyten, Bakterien, Spermien, Kristalle, Zylinder. Die Objektträgerkultur gestattet eine bakteriologische Diagnose am Krankenbett: 4 >100.000 Keime = Infekt 4 ~10.000 Keime = Infektverdacht 4 <10.000 Keime = Kontamination Keimidentifikation und Resistenzbeurteilung anschließend im Labor. ! Antibiotische Therapie resistenzgerecht nach Antibiogramm. Keine Ex-juvantibus-Behandlung.
2.2.3
Weitere Urinuntersuchungen
Urinzytologie Zur Diagnose von Urotheltumoren und zur Verlaufskontrolle. 24-h-Urin Zur Messung der Elektrolytausscheidung (Kalzium, Oxalat, Zystin) v. a. bei rezidivierender Harnsteinerkrankung. Phasenkontrastmikroskopie des Urinsediments Gestattet Unterscheidung
zwischen glomerulären Erythrozyten und Erythrozyten aus den ableitenden Harnwegen.
2.2.4
Beurteilung der Nierenfunktion
Spezifisches Gewicht des Urins Konzentration möglich bis ca. 1.030 (50-jährig),
bis 1.040 (20-jährig). Bei fortschreitendem Nierenschaden Absinken der Konzentrationsfähigkeit bis 1.006/1.010. Proteinurie Bis 100 mg/24 h physiologisch. Beurteilung sollte immer im Zusammenhang mit dem spezifischen Gewicht erfolgen. Ursache v.a. glomeruläre Nephropathien. Serumkreatinin 50–120 μmol/l (0,6–1,2 mg%). Clearanceuntersuchungen Endogene Kreatininclearance gestattet approximative Beurteilung der glomerulären Filtration (70–140 ml/min = normal, <10 ml/min = dialysepflichtige Niereninsuffizienz) → 7 auch Isotopendiagnostik.
15 2.3 · Bildgebende Untersuchungsverfahren
2.3
Bildgebende Untersuchungsverfahren
2.3.1
Sonographie
2
Wegen der einfachen Anwendung und Risikofreiheit ist die Sonographie zum am häufigsten verwendeten bildgebenden Verfahren in der Urologie geworden. Besonders wichtig ist sie 4 für die Differenzialdiagnose von raumfordernden Nierenprozessen (Zysten, Tumoren), 4 für die Restharnbestimmung und zur Prostatabeurteilung (Rektalsonde), 4 für die Differenzialdiagnose von »Kolikschmerzen« und Nierenstaus, 4 für die Beurteilung von Skrotalschwellungen, 4 für Punktionen und Biopsien (interventionelle Sonographie). Die Sonographie ist keine einfache Untersuchungsmethode. Ihre Anwendung will erlernt sein und die Deutung der Befunde fällt auch dem Erfahrenen nicht immer leicht.
2.3.2
Konventionelle Uroradiologie
Die Röntgenuntersuchung der Nieren und Harnwege mit ihren verschiedenen Spezialmethoden ist nach wie vor eines der wichtigsten diagnostischen Verfahren in der Urologie. Abdomenübersichtsaufnahme im Liegen ohne Kontrastmittel (»Leeraufnahme«) Beurteilt werden:
4 4 4 4 4
Psoasschatten (gestattet Beurteilung der Qualität der Aufnahme), Nierenschatten (Achsenstellung, Lage, Größe, Form), Ureterverlauf, kalkdichte Verschattungen (Harnsteine, Phlebolithen, verkalkte Lymphome), Skelett (Anomalien, Metastasen).
! Harnsäuresteine sind nicht schattengebend! Urogramm (»Ausscheidungsurogramm«, »intravenöse Urographie«) Darstellung der Nieren und Harnwege durch intravenöse Verabreichung eines jodierten, niederosmolaren Kontrastmittels. Untersuchungsablauf je nach Fragestellung: 4 Harnleitersteine: Stauung? Steinlage? 4 Abflussbehinderung der Blase: Stauung der oberen Harnwege? Restharn?
H07
16
2
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik
4 Einschränkung der Nierenfunktion: Infusionsurogramm evtl. mit Schichtaufnahmen. 4 Nachteile: Zeitaufwendig. Kontraindiziert bei Überempfindlichkeit jodhaltige Kontrastmittel. 4 Heute weitgehend ersetzt durch Computertomographie. ! Kontrastmittel bei Nierenfunktionseinschränkung nephrotoxisch! Zuvor Serumkreatinin bestimmen! Retrograde Urographie (»retrogrades Ureteropyelogramm«) Kontrastdarstel-
lung der oberen Harnwege über einen zystoskopisch eingelegten Ureterenkatheter. Vorteil: Entnahme von Material aus den oberen Harnwegen für Bakteriologie oder Zytologie. Nachteil: Gefahr der iatrogenen Infekteinschleppung Deszendierende Urographie (»antegrades Pyelogramm«) Nach Punktion und
Fistelung von Harnstauungsnieren durch die Haut: zur Beurteilung der Abflussbehinderung. Meist bei transplantierten Nieren. Zystographie Kontrastdarstellung der Harnblase über einen Katheter bei Verdacht auf Tumor, Divertikel, Reflux (Miktionszystourethrogramm (MCUG): bei Refluxverdacht.) Urethrographie, retrograde Kontrastmittelfüllung der Harnröhre zur Darstel-
lung von Strikturen und Divertikeln. Bei Harnröhrentrauma: zur Prüfung der Harnröhrenkontinuität (Abriss? Kontrastmittelaustritt?). Nierenangiographie Vor allem zur Beurteilung von Nierenverletzungen und bei
Verdacht auf renale Hypertonie. Selektive Penisangiographie, Kavernosographie Seltene uroradiologische Un-
tersuchungen bei erektiler Dysfunktion. 2.3.3
Nuklearmedizinische Untersuchungen
Prinzip Eine radioaktive Substanz wird injiziert. Nachdem sich das Radionuklid
angereichert hat, wird die Strahlung mit einer Gammakamera gemessen. Es lassen sich so sowohl statische wie auch dynamische Prozesse messen. Skelettszintigramm (Knochenszintigramm) Zur Suche von Knochenmetasta-
sen. Sehr zuverlässig. 99m Technetiumphosphat wird intravenös injiziert und reichert sich an Stellen erhöhten Knochenumbaus an.
17 2.3 · Bildgebende Untersuchungsverfahren
2
. Abb. 2.3 Isotopennephrogramm. Praktisch funktionslose Niere links. Funktion rechts und Anflutung in Blase normal
Nierenszintigramm (Isotopennephrogramm) Zur Beurteilung von Nierenfunktion, Obstruktion und Narbenbildungen der Nieren. Das früher verwendete 131J-Hippuran ist heute weitgehend durch 99m Technetium ersetzt. Es lassen sich 3 Phasen beurteilen: 4 Durchblutungsphase, 4 Sekretionsphase, 4 Entleerungsphase.
Bei der dynamischen Untersuchung wird 99m Technetium-Mercaptoacetyltriglycin (MAG3) verwendet. Es wird überwiegend renal ausgeschieden und kann zur Beurteilung einer Harntransportstörung im oberen Harntrakt verwendet werden. Erlaubt die Unterscheidung zwischen Dilatation (z. B. refluxbedingt) und Obstruktion (z.B. durch Ureterabgangsstenose) sowie den relativen Funktionsvergleich zwischen den beiden Nieren (. Abb. 2.3). Bei der statischen Untersuchung wird 99m Technetium-Dimercaptosuccinicacid (99m Tc-DMSA) verwendet, das sich in intaktem Nierengewebe anreichert. Es ist deshalb geeignet zur Beurteilung von renalen Narben und zur Darstellung von dystopen Nieren. Kommt vor allem bei Kindern zur Anwendung.
2
18
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik
2.3.4
Computertomographie (CT)
Radiologisches Untersuchungsverfahren, das axiale Querschnittsbilder des Körpers vermittelt. Moderne Geräte lassen dreidimensionale Rekonstruktionen zu. Die Untersuchung ohne Kontrastmittel wird in der Steindiagnostik eingesetzt (viel schneller als Urogramm). Mit Kontrastmittel zur Beurteilung des Parenchyms (Tumorstadium) und von Metastasen: 4 Infiltration in benachbarte Strukturen (Blase, Prostata, Nieren), 4 Befall regionaler Lymphknoten, 4 Fernmetastasen.
2.3.5
Kernspintomographie/Magnetresonanztomographie (MRT)
Auf der magnetischen Kernresonanz beruhendes Untersuchungsverfahren, das Schnittbilder des Körpers in beliebiger Ebene (axial, sagittal und frontal) vermittelt. Vorteil: keine ionisierende Strahlung, verschiedene Schnittebenen. Diagnostische Wertigkeit bei urologischen Erkrankungen: Dem CT vergleichbar, diesem nur ausnahmsweise überlegen. Positronenemissionstomographie (PET) Auf Anregung von Positronen beruhende neue, noch teure Methode. Geeignet zur Metastasensuche (in Ausnahmefällen).
2.4
Instrumentell-endoskopische Untersuchung und Endourologie
Die Instrumentation der Harnwege verlangt eine aseptische Technik. Sie sollte deshalb – mit Ausnahme des Katheterismus – nur unter Operationsbedingungen vorgenommen werden. Die unsachgemäße Einführung der Instrumente ist nicht nur sehr unangenehm, sondern kann auch gravierende Spätfolgen nach sich ziehen. Instrumentelle und endoskopische Maßnahmen beim Mann sind deshalb die Domäne des Urologen.
19 2.4 · Instrumentell-endoskopische Untersuchung
2
. Abb. 2.4 Gebräuchliche Kathetertypen
2.4.1
Katheterismus
Indikationen
4 Blasenentleerung bei Abflussbehinderung, 4 Freihaltung und Überwachung der Urinausscheidung (postoperativ, Trauma, Schock), 4 Restharnbestimmung (ausnahmsweise), 4 Uringewinnung zur bakteriologischen Untersuchung bei der Frau. Instrumente Einmalkatheter (aus Kunststoffmaterial). Dauerkatheter (meist
Silikon mit Ballon). Sonden und Bougies (aus Kunststoffmaterial) zur Beurteilung des Harnröhrenkalibers und zur Erweiterung von Strikturen. Kaliber und Typ Die Kaliberbezeichnung erfolgt traditionsgemäß in Charrière (Charr), im Angelsächsischen French (F) genannt (. Abb. 2.4). Mit der Charrièrezahl meint man den Umfang (U) in mm. Davon ausgehend ergibt sich der Durchmesser (= 2r) wie folgt: U = 2r × π; π = ungefähr 3; → Durchmesser = U/π also etwa = U/3.
! Charrière = Umfang. Charrière durch 3 ergibt in etwa den Durchmesser in mm.
Die wichtigsten Kathetertypen sind die geraden »Nelaton«-Katheter und die »Tiemann«- (oder »Mercier«-)Katheter mit aufgebogener Spitze (. Abb. 2.4).
20
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik
2
. Abb. 2.5 Tiemann-Katheter bei der Einführung in die Blase. Die gekrümmte Katheterspitze passt sich der Biegung der hinteren Harnröhre im Prostatabereich an; dadurch werden Verletzungen vermieden
! Das Instrument der Wahl für die Behebung der Harnverhaltung des Prostatapatienten ist ein Tiemann-Katheter, Charrière 16–20 (. Abb. 2.5). Durchführung Man benötigt: Katheter, Desinfektionsmittel, Tupfer, Gleitmittel,
Klemme, Schale, Handschuhe auf steriler Unterlage. Vorgehen Patient in Rückenlage, evtl. Beckenbereich unterlegen. Streng aseptisches und atraumatisches Vorgehen. Desinfektion der Urethramündung. Instillation eines anästhesierenden Gleitmittels (Einmalgebrauchspackung). Katheter mit Hand (sterile Handschuhe!) oder Klemme 5–7 cm hinter der Spitze fassen. Katheterende zwischen 4. und 5. Finger der gleichen Hand klemmen (. Abb. 2.6). Katheterspitze mit reichlich Gleitmittel versehen. Katheter einführen und 15–20 cm vorschieben. Pavillon loslassen. Mit der Hand vorsichtig vollständig einführen (. Abb. 2.7).
! Niemals Gewalt anwenden (Verletzungs-/Strikturgefahr). Infektprophylaxe ist nur ausnahmsweise notwendig. Bei Einführungsproblemen (z. B. vergrößerte Prostata) – suprapubische Blasendrainage (7 Kap.12).
21 2.4 · Instrumentell-endoskopische Untersuchung
2
. Abb. 2.6 Katheterismus. Haltung des Katheters für die sterile Einführung in die Blase. Die Katheterspitze wird mit einer sterilen Pinzette fixiert; das Katheterende wird zwischen dem 4. und 5. Finger der Katheterhand gehalten
. Abb. 2.7 Ballonkatheter. Funktionsgerechte Lage des Ballonkatheters mit aufgefülltem Ballon
2
22
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik
2.4.2
Blasenspülung
4 Gelegentlich zur mechanischen Reinigung der Blase bei Dauerkatheterträgern mit Tendenz zur Steinbildung, z. B. mit Ringerlaktat. Eine dem Blasenvolumen entsprechende Flüssigkeitsmenge wird unter Verwendung einer Blasenspritze und mit kräftigem Stempeldruck mehrfach instilliert. 4 Zur Gewinnung von Zellmaterial bei Verdacht auf Urothelkarzinom. Identisches Vorgehen, aber mit 50–100 ml physiologischer NaCl-Lösung.
2.4.3
Endoskopie
Die endoskopische Untersuchung der unteren und oberen Harnwege ist aus der urologischen Diagnostik und Therapie nicht wegzudenken. Durch kontinuierliche technische Verbesserung der Instrumente, Optiken und Monitore ist heute der gesamte Harntrakt der direkten Sicht zugänglich geworden. Die starren Instrumente werden mehr und mehr durch flexible Endoskope ergänzt oder durch diese ersetzt. Das Prinzip ist bei allen urologischen Endoskopien gleich. Das Instrument verfügt über eine Optik, einen Kanal zur kontinuierlichen Spülung und einen Arbeitskanal, durch den verschiedene Instrumente (Zangen, Schlingen etc.) eingeführt werden können. Das Licht wird über ein Glasfaserkabel von der externen Lichtquelle zum Endoskop und durch dieses an den Beobachtungsort geleitet. Das Bild wird meist mit einer Kamera registriert und auf einen Monitor übertragen. H07
Untersuchung von Harnröhre und Blase (Zystoskopie oder Urethrozystoskopie) (. Abb. 2.8) Für die Diagnostik und die Tumornachsorge (bei Blasentumoren)
werden heute aus Komfortgründen fast ausschließlich flexible Zystoskope verwendet (v.a. bei Männern, da die flexiblen Instrumente sich der Harnröhre des Mannes anpassen). Dazu wird die Harnröhre mit einem ein Lokalanästhetikum enthaltenden Gel unempfindlich gemacht. Das Einführen der Instrumentes erfolgt unter Sicht und erlaubt die Beurteilung der Harnröhre (Einengungen, Via falsa, Tumoren), der Prostata (Obstruktion, Größe) und der Blase (Divertikel, Tumoren, Fremdkörper, Lage der Ostien). Für Interventionen werden in der Regel starre Instrumente verwendet und der Patient erhält eine Analgosedierung oder eine Anästhesie. Mögliche zystoskopische Maßnahmen sind: Einführen von Kathetern in die oberen Harnwege zur Diagnostik (retrograde Röntgendarstellung, Entnahme von seitengetrenntem Urin für bakteriologische oder zytologische Untersuchungen) und Therapie (Sicherung der Harnabflusses durch Einlage von Ureterschienen, z. B. Doppel-
23 2.4 · Instrumentell-endoskopische Untersuchung
2
. Abb. 2.8 Die flexible Zystoskopie
J-Katheter). Für transurethrale chirurgische Eingriffe an und in der Blase und an der Prostata ist eine Anästhesie (spinal oder Vollnarkose) nötig. Untersuchung der Harnleiter (Ureterorenoskopie, URS) Mit speziellen, dünnen
(7–11 Charr), starren (zunehmend auch flexiblen) Instrumenten, die im Prinzip gleich aufgebaut sind wie die Urethrozystoskope. Die Ureterorenoskopie ist angezeigt bei Harnleitersteinen, Tumoren und unklaren Befunden in Harnleiter und Nierenbecken. Anästhesie notwendig (. Abb. 2.9). Perkutane Nephro- oder Renoskopie Dazu wird nach perkutaner Punktion des
Nierenbeckens (unter Röntgen- oder Ultraschallkontrolle) und langsamer Erweiterung des Punktionskanals durch diesen ein Instrument direkt ins Nierenbecken eingeführt, mit dem der Nierenhohlraum inspiziert und Operationen (Steinentfernungen, Tumorabtragungen) durchgeführt werden können.
24
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik
2
. Abb. 2.9 Ureterorenoskopie (nach Hautmann u. Huland 1997)
2.5
Urodynamische Untersuchung
2.5.1
Blasendruck- und Sphinkterdruckmessung (Zystomanometrie)
Druckregistrierung in Blase und hinterer Harnröhre bei langsamer Füllung; wird oft mit Röntgendarstellung kombiniert.
25 2.5 · Urodynamische Untersuchung
2
. Abb. 2.10 Urethradruckprofil
Indiziert ist die Zystomanometrie zur Beurteilung von neurogenen und myogenen Blasenerkrankungen und bei Schäden am Verschlussapparat (Differenzialdiagnose verschiedener Inkontinenzformen). Zur Beurteilung des Sphinkterschlusses wird ein Messkatheter, aus dem eine Spüllösung in konstantem Fluss ausströmt, langsam durch die hintere Harnröhre gezogen und ein »Druckprofil« aufgezeichnet (. Abb. 2.10).
2.5.2
Harnflussmessung (Uroflowmetrie)
Die Uroflowmetrie ermöglicht die objektive Messung des Harnflusses in ml/s und ist indiziert zur Beurteilung der Abflussbehinderung bei Prostataerkrankungen und Harnröhrenstrikturen. Normale Harnflussrate: 15–40 ml/s. Werte unter 15 ml/s sind pathologisch. Die Messungen müssen mehrfach vorgenommen werden und sind nur verwertbar, wenn die entleerte Urinmenge nicht weniger als 150–200 ml beträgt (. Abb. 2.11). Cave: Die Urinflussrate kann auch bei schwachem Detrusor erniedrigt sein (nicht nur bei Obstruktion).
26
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik
2
. Abb. 2.11 Charakteristische Miktionsbilder
Übungsfragen zu den Kapiteln 1 und 2
Lösungen → S. 210
1. Was verstehen Sie unter »imperativem Harndrang« und an welche Erkrankungen denken Sie bei diesem Symptom? 2. Was ist der Unterschied zwischen Pollakisurie und Polyurie? 3. Wie prüfen Sie, ob bei einem Rückenmarksverletzten eine Kaudaläsion vorliegt? 4. Nennen Sie wichtige Indikationen für eine Ultraschalluntersuchung (Sonographie) der Harnwege! 5. Was ist das typische am Nieren-, Harnleiterkolikschmerz? 6. Warum führen Sie bei einem 60-jährigen Mann eine Rektaluntersuchung durch? 7. Wie viele Keime müssen auf einer Urin-Objektträgerkultur vorhanden sein, damit Sie die Diagnose »Infekt« stellen? 8. Was verstehen Sie unter einem »Urogramm«, »Computertomogramm«? 9. Mit welchem Kathetertyp beheben Sie die Harnverhaltung eines 70-Jährigen? 10. In welchen Einheiten notieren Sie das Ergebnis einer Harnflussmessung?
II
Urologische Erkrankungen Kapitel 3
Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
– 29
Kapitel 4
Entzündungen
– 49
Kapitel 5
Harnsteinerkrankung (Urolithiasis) – 66
Kapitel 6
Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren) – 84
Kapitel 7
Störungen der Harnentleerung und -speicherung – 117
Kapitel 8
Sexualpathologie des Mannes – 139
Kapitel 9
Urologie und Sexualpathologie der Frau – 149
Kapitel 10
Urologische Erkrankungen im Kindesalter – 154
Kapitel 11
Verletzungen der Urogenitalorgane – 161
3 Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane 3.1
Nierenanomalien
– 32
3.1.1 Variationen von Größe, Zahl, Lage und Form der Nieren – 32 3.1.2 Hypoplasie (kleiner als 50%) – 33 3.1.3 Mehrfachbildungen – 33 3.1.4 Rotationsanomalien – 34 3.1.5 Verschmelzungsanomalien (Hufeisennieren) 3.1.6 Dystopien – 34 3.1.7 Nierengefäßanomalien – 34 3.1.8 Zystische Nierenfehlbildungen – 35 3.1.9 Polyzystische Nierenfehlbildungen – 35 3.1.10 Markschwammniere – 36 3.1.11 Nephroptose – 37
3.2
Anomalien des Nierenhohlsystems
3.2.1 Hydronephrose (»Sackniere«)
Ureteranomalien
3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4
Zahlenmäßige Anomalien – 40 Lageanomalien – 40 Strukturelle Anomalien – 40 Anomalien an der ureterovesikalen Einmündung – 41 Reflux – 41 Ektopische Uretermündung – 43 Ureterozele – 44 Retroperitoneale Fibrose (M. Ormond)
3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8
– 38
– 38
3.3
– 34
– 40
– 44
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_3, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
3.4
Blasenanomalien
– 44
3.4.1 Urachusfistel/Urachuszyste 3.4.2 Blasenekstrophie – 45 3.4.3 Blasendivertikel – 45
– 44
3.5
Anomalien der Urethra und der Genitalorgane – 45
3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.5.6
Harnröhrenstenosen und -klappen – 45 Hypospadie – 45 Epispadie – 46 Phimose – 46 Paraphimose (Notfall) – 46 Deszensusanomalien des Hodens – 46
31 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
3
! Etwa 1/3 der Fehlbildungen des menschlichen Körpers entfallen auf die Urogenitalorgane. Diese haben damit die höchste Fehlbildungsquote aller Organsysteme (. Abb. 3.1). Ursache Komplexe Embryologie. Die Nierenentwicklung durchläuft mehrere ontogenetische Phasen: 4 Vereinigung der Ureterknospe des Wolff-Ganges mit dem Nierenblastem, 4 verschiedene Verschiebungs-, Reduktions- und Rotationsprozesse.
Blase und Genitalien entwickeln sich unter Teilnahme aller 3 Keimblätter.
. Abb. 3.1 Wichtige Anomalien in der Übersicht
32
Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
3 a
b
c
. Abb. 3.2a–c Verschiedene Nieren- und Ureteranomalien. a, b Verschmelzungsnieren: a Hufeisenniere, b gekreuzte Dystopie, c rechts Ureter fissus, links Beckenniere
Bedeutung Der größere Teil der Anomalien sind Normvarianten ohne patho-
genetische Folgen (z. B. Nierenbeckenvariationen). Manche Anomalien sind aber echte Missbildungen mit entsprechend schweren Konsequenzen für den Betroffenen (z. B. Blasenekstrophie). Einige sind mit dem Leben gar nicht zu vereinbaren (z. B. Nierenagenesie, frühkindliche Form der polyzystischen Nierendysplasie). Entdeckung Oft zufällig (Ultraschall), evtl. pränatal oder bei der Abklärung von
Nierenfunktionsstörungen, Harnwegsinfekten, Hypertonie.
3.1
Nierenanomalien
Grundsätzlich lassen sich folgende Arten von Anomalien unterscheiden (. Abb. 3.2): 4 Zahlen- und größenmäßige Anomalien, 4 Lage- und Formanomalien, 4 Gefäßanomalien, 4 zystische Nierenfehlbildungen.
3.1.1
Variationen von Größe, Zahl, Lage und Form der Nieren
4 Bilaterale Agenesie: Sehr selten; letal. 4 Unilaterale Agenesie: Bei gesunder Restniere bedeutungslos (1 : 1.000).
33 3.1 · Nierenanomalien
3
Ursache Fehlen des Wolff-Ganges bzw. der Ureterknospe, Ausbleiben der Differenzierung des metanephrogenen Gewebes. In ca. 40% mit anderen Fehlbildungen assoziiert (vesikoureteraler Reflux, Megaureter, Ureterabgangsstenose).
! Keine Entfernung einer verletzten oder erkrankten Niere ohne vorherige Beurteilung des Schwesterorgans.
3.1.2
Hypoplasie (kleiner als 50%)
Ursache Asymmetrische Verteilung des Nierenblastems, reduzierte Blutversorgung → reduzierte Funktion (. Abb. 3.3). DD: entzündliche Schrumpfniere.
3.1.3
Mehrfachbildungen
Ursache Spaltung der Ureterknospe → dendritisches Nierenbecken → Ureter fissus
→ Ureter duplex (2 Ostien).
. Abb. 3.3 Nierenhypoplasie rechts. Niere rechts ist geschrumpft, aber funktionsfähig
34
Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
Meyer-Weigert-Regel Kranial-laterales Ostium (mit kurzem intramuralem Ureter) gehört zum kaudalen ableitenden System (. Abb. 3.7b). Klinik Bei Ureter duplex findet sich gehäuft Reflux, gelegentlich auch Stauung
(z. B. durch Ureterozelenbildung). Es handelt sich in der Regel aber um harmlose – bei der urographischen Untersuchung entdeckte – Zufallsbefunde.
3 3.1.4
Rotationsanomalien
Zum Beispiel: »Kuchenniere« mit ventral gelegenem Nierenbecken, ähnlich den Hufeisennieren. Meist ohne Bedeutung. F08
3.1.5
Verschmelzungsanomalien (Hufeisennieren)
H08
Ursache Fusion beider Nierenblasteme, kaudal der A. mesenterica inferior, häufig kombiniert mit weiteren Anlagestörungen: asymmetrische Verlagerung (L-Nieren), Hypoplasie eines Nierenanteils, Gefäßanomalien, Malrotation, unvollständige Aszension. Männliches Geschlecht bevorzugt (2 : 1). Klinik 1:400 Personen betroffen. Häufig ist der Abfluss aus dem Nierenbecken
behindert (Hydronephrose), dadurch vermehrte Steinbildung (30%) und Infektdisposition. 2/3 der Hufeisennieren bleiben symptomlos. Diagnostik Ultraschall, CT, Urographie: typisch kaudalwärts konvergierende Nierenachsen.
3.1.6
Dystopien
Beckenniere, Thoraxniere, gekreuzte Dystopie (Niere liegt auf der Gegenseite, Uretermündungen normal). 3.1.7
Nierengefäßanomalien
Variationen der Gefäßversorgung sind sehr häufig und in der Regel bedeutungslos. Gelegentlich sind sie die Ursache von Hydronephrosen, weil sie als »Polgefäße« den pyeloureteralen Übergang kreuzen. Intrarenale Gefäßmissbildungen (Aneurysmen, arteriovenöse Fisteln) können angeboren oder erworben (Punktionen) sein.
35 3.1 · Nierenanomalien
3
Die fibromuskulöse Hyperplasie der Nierenarterienwand engt das Gefäßlumen ein und ist eine Ursache der renalen Hypertonie.
3.1.8
Zystische Nierenfehlbildungen
Mit der zunehmenden Verwendung von Ultraschall und CT und der sicher ständig verbessernden Auflösung werden vermehrt zystische Raumforderungen in der Niere gefunden. Diese werden heute nach den Kriterien von Bosniak (aufgrund des CT-Bildes) in 4 Kategorien eingeteilt (. Tab. 3.1). ! Banale Zysten sind häufig und müssen nicht behandelt werden.
3.1.9
Polyzystische Nierenfehlbildungen
Angeboren, vererbbar, bilateral, progredient, oft kombiniert mit Zysten anderer Organe, v. a. der Leber.
. Tab. 3.1 Einteilung der zystischen Nierenfehlbildungen nach Bosniak
Kategorie
Charakteristika
Klinische Konsequenz
I
Glatt begrenzt, dünne Wand, keine Kontrastmittelanreicherung
Gutartige, banale Zyste; kein Behandlungsbedarf
II
Wie I, aber dünne Septen, minimale Verkalkungen, leicht erhöhte Dichtewerte
Gutartige Zyste; kein Behandlungsbedarf
IIF
Wie II, aber Verkalkungen können dicker oder nodular sein, minimales Anreichern der Septen
Maligner Tumor selten; Kontrolle nach 6–12 Monaten
III
Komplizierte Zyste, dickere Wand, mehr Verkalkungen, dickere Septen. Meist gutartig, aber Tumor nicht ausgeschlossen
Tumorverdacht; chirurgische Freilegung und/oder Entfernung
IV
Irreguläre Zysten mit dicker Wand, solide Anteile, Kontrastmittelanreichernd
Zystisches Nierenzellkarzinom; chirurgische Entfernung
36
Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
3
. Abb. 3.4 Zystennieren beidseits. Große, das ganze Nierenparenchym verdrängende Zysten (Pfeile) in beiden Nieren. Die übrigen Bauchorgane sind verdrängt
4 Infantile Form: Unmittelbar letal (autosomal-rezessiv vererbt). 4 Adulte Form: Manifestiert sich in der Regel zwischen dem 30. und 50. Lebens-
jahr (autosomal-dominant vererbt). Klinik Schmerzlos, gelegentlich lumbales Völlegefühl oder intestinale Verdrängungs-
erscheinungen, evtl. Hämaturie, Steinbildung, Infekt, später: Niereninsuffizienz. Diagnostik Im Urogramm typische lang ausgezogene, auseinandergedrängte
Kelche. Im Sonogramm/CT: rundlich-zystische Hohlräume unterschiedlicher Größe (. Abb. 3.4). Therapie Eine kausale Behandlung gibt es nicht. Im Spätstadium: Dialyse →
Transplantation. Prognose In der Regel vergehen vom Zeitpunkt des Auftretens klinischer Erscheinungen bis zur Niereninsuffizienz 5–10 Jahre.
3.1.10
Markschwammniere
Charakteristisch sind pfefferkorngroße Zysten im Bereich der Papillen, ein- oder doppelseitig auftretend; evtl. sind nur Teile einer Niere befallen. Angeboren, aber nicht hereditär.
37 3.1 · Nierenanomalien
3
Klinik Die Krankheit ist häufig kombiniert mit Hyperkalziurie und Tendenz zur Steinbildung in den Zysten: Rezidivierende Uretersteine. Diagnostik Multiple, pfefferkornartige Verschattungen im Papillenbereich auf der Leeraufnahme. Im Urogramm sind die erweiterten Sammelrohre mit kleinen Zysten gelegentlich deutlich erkennbar. Therapie Meist keine. Bei partiellem Befall der Niere evtl. Teilresektion.
3.1.11
Nephroptose
(»Senkniere«, »Wanderniere«, Ren mobilis). Die normale Niere verschiebt sich um 1–2 Wirbelkörper (Liegen → Stehen). Die rechte Niere steht immer tiefer. Die Nephroptose ist Ausdruck einer allgemeinen Enteroptose und abnormer Beweglichkeit durch Lockerung der renalen Fixierung. In der Regel symptomlos, in Einzelfällen vorübergehende Abflussbehinderung mit Druckgefühl möglich (. Abb. 3.5).
. Abb. 3.5 Nephroptose: Senkung und Kippung der Niere. Zug am Gefäßbündel. Vorübergehende Abflussbehinderung aus dem Nierenbecken möglich
38
Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
Betroffen ist vorwiegend die rechte Niere, besonders bei grazilen Frauen (oder nach starker Gewichtsabnahme). Keine Behandlungsnotwendigkeit. ! Rückenschmerzen (»mal aux reins«) sind selten nierenbedingt. Daher keine voreiligen, die Nieren involvierende Diagnosen. Vorsicht mit Nephropexie (chirurgische Fixierung der Niere).
3
ä Fallbeispiel Anamnese Eine 55-jährige Frau konsultiert wegen Oberbauchbeschwerden, vor allem Druck- und Völlegefühl, den Hausarzt, der zuerst symptomatisch behandelt. Wegen einer Hypertonie von 150/95 wird eine blutdrucksenkende Therapie eingeleitet. Als einige Wochen später eine rechtsseitige Nierenkolik mit Hämaturie auftritt, wird eine Serumprobe entnommen, die eine Kreatininerhöhung auf 150 mol/L ergibt. Im Urinstatus finden sich nur leicht vermehrt Erythrozyten. Weitere Abklärungen Erstmals wird nun der Oberbauch der Patientin inspiziert. Er ist aufgetrieben, man denkt an eine Lebervergrößerung. Zur Abklärung wird eine Computertomographie veranlasst, die beidseits massiv vergrößerte Zystennieren ergibt. Retrospektiv erfolgt nun auch eine genauere Familienanamnese. Diese ergibt, dass eine Tante mit 50 Jahren an Urämie gestorben ist. Diagnose Polyzystische Nierenerkrankung vom Erwachsenentyp, möglicherweise mit rechtsseitiger Steinepisode. Beurteilung Unheilbar fortschreitende Nierenerkrankung, die letztlich zum Nierenversagen führt. Therapie Symptomatisch, Eiweißrestriktion, Blutdruckbehandlung, letztlich Nierenersatztherapie (Dialyse, Transplantation). Vor einer eventuellen Transplantation muss manchmal aus Platzgründen im Abdomen einseitig nephrektomiert werden.
3.2
Anomalien des Nierenhohlsystems
3.2.1
Hydronephrose (»Sackniere«)
Normalerweise fasst das Nierenbecken 4–5 ml. In hydronephrotisch erweiterten Sacknieren finden sich bis zu 1.000 ml Urin. Ätiologie Abflussbehinderung aus dem Nierenbecken durch Kompression von außen (Gefäße, Bindegewebestränge). Andere Ursachen: kongenitale subpelvine Harnleiterstenose (sog. Ureterabgangsstenose) oder sekundäre Stenosierung des pyeloureteralen Übergangs z. B. durch Konkremente.
39 3.2 · Anomalien des Nierenhohlsystems
3
. Abb. 3.6 Hydronephrose im Sonogramm. Massiv dilatiertes Nierenbeckenkelchsystem (dunkler Pfeil) und verschmälerter Parenchymsaum (weißer Pfeil)
Pathophysiologie Senkung des effektiven Filtrationsdrucks → Sammelrohr- und Tubuluserweiterung → Durchblutungsverminderung → Parenchymatrophie → atrophische Sackniere. Klinik Die Entwicklung verläuft häufig symptomlos. Bei großen Hydronephrosen gelegentlich lumbales Druckgefühl und gastrointestinale Verdrängungserscheinungen. Symptome manifestieren sich in der Regel erst beim Auftreten von Komplikationen (Schmerzen, Hämaturie, septische Erscheinungen). Diagnostik Sonographie (. Abb. 3.6), Urogrammbefunde je nach Stadium, im
Spätstadium keine Darstellung (»stumme« Niere) und Verdrängung des Darms. Weitere Abklärung durch CT. DD: große Zyste. Therapie Das Ziel ist die Erhaltung der vorhandenen Nierenfunktion. Sehr oft bleibt auch nach erfolgreicher Therapie eine Restaufweitung bestehen, die i. d. R. nicht Ausdruck eines Therapieversagens ist. Bei funktionstüchtigem Organ Nierenbeckenplastik nach Anderson-Hynes (. Abb. 12.3, S. 175): Resektion des pyeloureteralen Übergangs und Verkleinern des aufgeweiteten Nierenbeckens; Neueinpflanzung des Harnleiters in das verkleinerte Nierenbecken an tiefster Stelle. In jüngster Zeit wird die offene Nierenbecken- oder Pyelonplastik vermehrt durch einen laparoskopischen oder retroperitoneoskopischen Eingriff ersetzt. Gleiches Prinzip, aber technisch anspruchsvoll. Die minimal-invasive endoskopische
40
Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
Schlitzung des pyeloureteralen Übergangs, die so genannte »Endopyelotomie« wird wegen schlechterer Resultate immer seltener angewendet. Entfernung der Niere nur bei schwerer Schädigung. ! Grundprinzip der Nieren- und Harnwegschirurgie: funktionstüchtiges Nierenparenchym soll erhalten werden, wenn immer es klinisch sinnvoll und technisch möglich ist.
3 3.3
Ureteranomalien
4 4 4 4
Zahlenmäßige Anomalien (Agenesie, Mehrfachanlagen), Lageanomalie (retrokavaler Ureterverlauf), strukturelle Anomalien (Megaureter), Anomalien an der ureterovesikalen Einmündung (Obstruktion, Reflux, Ureterozele), 4 retroperitoneale Fibrose (M. Ormond).
3.3.1
Zahlenmäßige Anomalien
Doppelanlagen (. Abb. 3.7)
4 Ureter fissus: 1 Ostium. 4 Ureter duplex: 2 Ostien, nicht selten vesikorenaler Reflux mit Infektkomplikationen, Ureterozelenbildung, ektopische Mündung eines Ureters; 7 auch Abschn. 3.1 (Mehrfachbildungen).
3.3.2
Lageanomalien
Retrokavaler Ureter Sehr selten. Erweiterung von proximalem Ureter und Nieren-
becken.
3.3.3
Strukturelle Anomalien
Megaureter Rein deskriptiver Begriff für angeborene Uretererweiterung, oft ohne
sicheres Abflusshindernis an der vesikoureteralen Einmündung, mit oder ohne Reflux. Gelegentlich kombiniert mit Blasen- bzw. Blasenhalsanomalien und Urethrastenosen.
41 3.3 · Ureteranomalien
a
3
b
. Abb. 3.7a,b Doppelanlagen; a Ureter fissus, b Ureter duplex (Meyer-Weigert-Regel: Das kraniale System mündet distal in der Blase)
3.3.4
Anomalien an der ureterovesikalen Einmündung
Obstruktiver Megaureter (Hydroureter) Angeborenes stenotisches Segment
oder erworbene Stenose an der ureterovesikalen Einmündung (iatrogen, Stein, Tumor). Therapie Operative Behebung der Abflussbehinderung, Vorgehen je nach Ursache und Ausmaß; evtl. Neueinpflanzung.
3.3.5
Reflux
Antirefluxmechanismus Die Längsmuskelfasern der Uretermündung, die ins
Trigonum einstrahlen, werden während der Miktion durch die Trigonummuskulatur blasenhalswärts gespannt. Dadurch verengt sich das Lumen des terminalen Ureters zum virtuellen Spalt. Gleichzeitig wird der intramural-intravesikale Abschnitt durch den Miktionsdruck der Blase (bis zu 50 mmHg) auf der Muskelunterlage komprimiert. Vesikoureteraler Reflux Der ureterovesikale Einmündungsbereich ist funktionell
ein Einwegventil. Bei Versagen tritt vesikoureteraler Reflux auf.
F07
42
Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
Ätiologie Die Ursachen sind vielfältig. Entwicklungsstörungen der Trigonum-
3
architektur, neurogene Erkrankungen, subvesikale Abflussbehinderung. Sie legen eine Einteilung in primären und sekundären Reflux nahe: 4 Primärer Reflux: Beruht auf einer anlagemäßigen Fehlbildung des ureterovesikalen Übergangs. Nach »Reifung« dieser Strukturen kann der Reflux verschwinden. Häufigkeit >10% aller Kinder. Bei Kindern mit Harnwegsinfekt findet sich Reflux in bis zu 70% (Neugeborene 70% → 4-Jährige 25%). 4 Sekundärer Reflux: 5 Obstruktiv: Kongenitale Urethraanomalien, Prostataerkrankungen, Ure-
thrastrikturen. 5 Neurogen: Neurogene Blasen nach Rückenmarkstrauma bzw. -erkran-
kung. 5 Entzündlich: Bei chronischer Zystitis, interstitieller Zystitis und bei akti-
nischer Blasenschädigung. 5 Postoperativ-iatrogen: Nach Ostiumoperationen wegen Ureterozele oder
Uretersteinen. Einteilung In 5 Grade. Grad 1: Reflux in den distalen, 2: in den proximalen Ureter
und die Nierenbecken, 3–5: mit zunehmender Dilatation (. Abb. 3.8). ! Steriler, unkomplizierter Reflux führt nicht zu Nierenparenchymschädigung und verschwindet oft mit der normalen Entwicklung des ureterovesikalen Übergangs. Harnwegsinfekte mit Reflux können zu progredienten Nierenschäden und Parenchymnarben führen.
Das Aufsteigen von Bakterien aus den unteren Harnwegen ins Nierenbecken ist die Hauptursache der chronischen Pyelonephritis.
. Abb. 3.8 Internationale Klassifikation des vesikoureteralen Refluxes. Schemazeichnung der Refluxgrade
43 3.3 · Ureteranomalien
3
Klinik Symptome bei Neugeborenen oft unspezifisch (Lethargie, Fieber), bei älteren Kindern suggestiv für Harnwegsinfekt (Fieber, Dysurie, übelriechender Urin, Pollakisurie, Übelkeit, Erbrechen). Diagnostik Diagnostisch beweisend ist das Miktionszystourethrogramm (MCUG).
F08
Es ist indiziert beim ersten pyelonephritischen Schub, bei unklarer Uretererweiterung und bei ungeklärten Lumbalbeschwerden während der Miktion. Immer sollte auch eine Urinbakteriologie angelegt werden.
H08
Therapie Je geringer der Refluxgrad und je jünger der Patient, desto konservativer die Behandlung! Die meisten Refluxgrade I und II und etwa 50% der Grade III heilen spontan aus. Da aber auch von den Graden IV und V einige ausheilen, ist oft – v. a. bei sehr kleinen Kindern – ein konservatives Vorgehen zu rechtfertigen. 4 Konservativ: Vor allem bei Kleinkindern. Möglichst häufige und vollständige Entleerung der Harnwege nach der Uhr. Zur Verhinderung von Infekten (Refluxgrade III bis V): Niederdosis-Langzeit-Antibiotikaprophylaxe bis zur Ausheilung des Refluxes. Bei septischen Symptomen sofortige Harnableitung und hochdosierte Antibiotikagabe. Regelmäßige Kontrolle von Urin, Nierenentwicklung und -funktion. 4 Chirurgisch: Oft – aber nicht routinemäßig – bei hohen Refluxgraden (IV und V). Indiziert bei progredienter Nierenfunktionsverschlechterung, »Durchbruchsinfekten« trotz Antibiotikaprophylaxe und perisistierendem Reflux bei älteren Kindern. 4 Behandlung von Refluxursachen wie Abflussbehinderung 4 Ausgleich der Funktion bei neurogener Blase (z. B. durch intermittierenden Selbstkatheterismus oder TUR) 4 »Reparatur« des Antirefluxventils: Unterspritzung des Ostium mit »bulking agents« (z. B. Silikone oder Kollagen) oder antirefluxive Neueinpflanzung des Ureters 4 Entfernung des infektiösen Herdes bei einseitigem Befall und gesunder Gegenniere durch Nephrektomie.
3.3.6
Ektopische Uretermündung
Im Trigonum (Ureter duplex), in der Urethra (vor oder hinter dem Sphinktersystem), in Vagina, Samenblasen und Rektum (sehr selten). Gemäß der Meyer-Weigert-Regel handelt es sich immer um den zum kranialen Teil der Niere gehörenden Doppelureter (. Abb. 3.7).
44
Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
Klinik Kontinuierliches Harnträufeln (»Inkontinenz«), sofern die Mündung au-
ßerhalb des Verschlussapparates liegt.
3.3.7
3
Ureterozele
Kongenitale Ostiumstenose: ballonartige Vorwölbung des submukösen Ureterabschnitts mit punktförmigem Ostium, gelegentlich Hydroureter. Klinik Stauungsschmerzen, Steinbildung, Infekt → Pyelonephritis.
F09 H09
3.3.8
Retroperitoneale Fibrose (M. Ormond)
Seltene Form der Abflussbehinderung im Bereich der Harnleiter durch eine pathogenetisch bisher unvollständig geklärte, langsam fortschreitende retroperitoneale Bindegewebeneubildung. Möglicherweise Zusammenhang mit Atherosklerose. Betroffen sind v. a. Männer im mittleren Alter (Geschlechtsverhältnis 4:1). Differenzialdiagnostisch kommen in Frage: 4 Trauma (organisiertes Hämatom, Urinextravasat), 4 Entzündung (Divertikulitits, Kolitis), 4 Infiltration durch retroperitoneale Tumoren. Die Erkrankung manifestiert sich durch Ureterkompression meist auf Höhe L4/L5 mit zunehmender Ektasie und Medialverlagerung der betroffenen Harnleiter-Nierenbecken-Einheit. Klinik Unterschiedlich starke, uncharakteristische, lumbale Druckbeschwerden. Die Behandlung besteht in der »Ausschälung« und intraperitonealen Verlagerung des betroffenen Ureters. Bei fortgeschrittenen, doppelseitigen Fällen kann eine Harnumleitung notwendig werden. Kortikosteroide und Immunsuppressiva können im Anfangsstadium (gelegentlich durchaus mit Erfolg) versucht werden.
3.4
Blasenanomalien
3.4.1
Urachusfistel/Urachuszyste
Selten. Vollständige bzw. partielle Persistenz des Urachusganges. Klinik Zystenbildung in der Medianlinie, Urinaustritt in der Nabelgegend.
45 3.5 · Anomalien der Urethra und der Genitalorgane
3.4.2
3
Blasenekstrophie
Sehr selten, häufiger bei Knaben. Blase plattenartig, mit der Haut kommunizierend, kombiniert mit Anomalien der Bauchdeckenmuskulatur und des Beckenskeletts (fehlender Symphysenschluss). Es sind unterschiedliche Schweregrade möglich (→ Epispadie). Klinik Inkontinenz, lokale Entzündungen und Pyelonephritis, gehäuft Tumoren
der Blasenschleimhaut. Verschlussoperationen sind selten erfolgreich: Kontinenz lässt sich kaum je erreichen; deshalb wird häufig eine supravesikale Harnumleitung durchgeführt (7 Kap. 10.4).
3.4.3
Blasendivertikel
Häufig. Die Disposition – eine lokale Schwäche der Detrusormuskulatur – kann angeboren sein. Die ballonartige Ausstülpung der Schleimhaut durch die Blasenwand erfolgt besonders oft im Bereiche der Uretereinmündungsstellen und wird durch subvesikale Abflusshindernisse (meist obstruktive Prostata) und neurogene Dysfunktion gefördert. Klinik Schwacher Harnstrahl, chronische Blaseninfekte mit Steinbildung.
3.5
Anomalien der Urethra und der Genitalorgane
3.5.1
Harnröhrenstenosen und -klappen
Lokalisation meist am Blasenhals, in der Pars membranacea und in der Fossa navicularis. Manifestation im Säuglings- oder Kleinkindalter mit Harnstauung und Infekt. Die Behandlung besteht in der transurethralen Resektion der Klappen- bzw. Blasenhalsverengung.
3.5.2
Hypospadie
Ventrale Verschlussstörung der Urethralrinne (Hypospadia glandis, penis, penoscrotalis). Meist besteht ein distaler Bindegewebestrang (Chorda), der eine Peniskrümmung nach unten zur Folge hat (. Abb. 10.1, S. 157).
46
Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
Nach Exzision der Chorda wird die Urethralrinne plastisch verschlossen. Die operative Korrektur sollte bis zum Schuleintritt abgeschlossen sein. 3.5.3
3
Epispadie
Viel seltener als Hypospadie! Offenbleiben des Urethraldaches (dorsal) meist mit Sphinkterdefekt. Extreme Ausbildung → Blasenekstrophie. Auch hier wird die offene Urethralrinne plastisch verschlossen. Bei fehlendem Sphinktermechanismus (Inkontinenz): supravesikale Harnumleitung. 3.5.4
Phimose
Angeborene oder erworbene Enge der Vorhautöffnung → Smegmaretention → Balanitis → narbige Verengung (→ Peniskarzinom). Die Behandlung erfolgt durch Zirkumzision. Bei Verengung des Meatus (Meatusstenose) ist die chirurgische Erweiterung (Meatotomie) notwendig. 3.5.5
Paraphimose (Notfall) (. Abb. 13.8, S. 203)
Nicht reponierbare, hinter die Glans zurückgezogene verengte Vorhaut: → Ödem → Einengung → Nekrosen im Bereich des Vorhautrings (»Schnürring«). Die manuelle Reposition ist oft nicht mehr möglich und zudem sehr schmerzhaft, daher in der Regel sofortige Inzision des Schnürrings in der Längsrichtung auf dem Dorsum penis in Lokalanästhesie → urologischer Notfall. Paraphimose gehäuft bei Dauerkatheterträgern. Deshalb immer darauf achten, dass bei liegendem Katheter die Vorhaut nach vorne reponiert ist. ! Bei liegendem Katheter Vorhaut nach vorne!
3.5.6
H07
Deszensusanomalien des Hodens (. Abb. 3.9)
4 Kryptorchismus: Hoden ist nicht tastbar; retroperitoneale Retention. 4 Leistenhoden: Hoden ist im Leistenkanal zu tasten. 4 Pendelhoden: Hoden liegt normalerweise im Skrotum, kann in den Inguinal-
kanal hinaufrutschen (meist ohne Krankheitswert). 4 Hodenektopie: Hoden liegt außerhalb der normalen Deszensusroute (z. B. im
Dammbereich). Auswirkungen und Behandlung (7 Kap. 10.5)
47 3.5 · Anomalien der Urethra und der Genitalorgane
3
. Abb. 3.9 Hodendystopie; Hodenretentionen: a präskrotal, b inguinal, c abdominell. Hodenektopien: d suprafaszial-inguinal, e und f femoral
Deszensusanomalien im Erwachsenenalter Bei Deszensusanomalien ist das Risiko für die spätere Entwicklung eines Hodentumors um ein Vielfaches (bis zu 10-mal) größer als bei orthotoper Hodenlage. Diese Feststellung gilt auch für operativ reponierte Hoden (Orchidopexie). Nach der Pubertät werden deshalb unvollständig deszendierte Hoden am besten entfernt. ä Fallbeispiel Anamnese Bei der Rekrutenmusterung wird festgestellt, dass bei einem 19-jährigen Lehrling der rechte Hoden fehlt. Er wird deshalb an die urologische Poliklinik gewiesen. Weitere Abklärung Das rechte Hemiskrotum ist hypotroph und leer. Der äußere Leistenring ist tastbar. Ein Samenstrang oder Hoden lässt sich im bzw. unterhalb des Leistenrings nicht finden. Hormonstatus und Spermiogramm sind unauffällig. Deshalb wird ein Magnetresonanztomogramm (MRI) durchgeführt, in dem der Hoden retroperitoneal rechts oberhalb der Beckengefäße zur Darstellung kommt. Er ist stark hypoplastisch. Diagnose Retroperitoneal-abdominelle Hodenretention rechts bei 19-jährigem Mann.
F09 H09
48
3
Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane
Beurteilung Wegen der hohen Lage und der Hypoplasie des kryptorchen Hodens ist eine Orchidopexie weder möglich noch sinnvoll. In kryptorchen Hoden besteht zudem ein stark erhöhtes Risiko für maligne Entartung. Eine Selbstkontrolle ist selbstverständlich nicht möglich. Es wird dem Patienten deshalb die Entfernung des rechten Hodens empfohlen. Therapie Laparoskopische, selten retroperitoneale Revision und Orchiektomie rechts. Histologisch handelt es sich um weitgehend sklerosiertes Hodengewebe mit angedeuteter Kanälchenbildung ohne erkennbares Samenepithel. Empfehlung Regelmäßige Selbstkontrolle des linken Hodens.
Übungsfragen 1. 2. 3. 4.
5. 6. 7. 8. 9.
Lösungen → S. 210
Was versteht man unter einer Hufeisenniere? Was ist der Unterschied zwischen einem Ureter fissus und einem Ureter duplex? Wo mündet beim doppelt angelegten Ureter, der die obere Kelchgruppe ableitende Harnleiter in die Blase? Was ist der Unterschied zwischen einer Nierenzyste und einer Hydronephrose? Überlegen Sie sich die Behandlung der genannten Erkrankungen! Wie werden Nierenzysten eingeteilt? Welche Konsequenzen ergeben sich? An welche Ursachen denken Sie, wenn Sie auf einer Seite einen erweiterten Ureter feststellen? Wie diagnostizieren Sie einen Reflux? Kennen Sie den Unterschied zwischen Hypospadie und Epispadie? Wie steht es mit der Harnkontinenz bei diesen Fehlbildungen? Wie beraten Sie einen jungen Mann bei dem nur auf einer Seite ein (normaler) Hoden tastbar ist?
4 Entzündungen 4.1
Der unspezifische Harnwegsinfekt (HWI)
4.2
Pathophysiologie
– 50
4.2.1 Infektionswege und pathogenetische Faktoren 4.2.2 Allgemeine Infektdiagnostik – 52
4.3
Klinik
– 50
– 50
– 53
4.3.1 Akute Infekte – 53 4.3.2 Chronische Infekte – 54
4.4
Unspezifische Entzündungen der Urethra und der Adnexe – 56
4.4.1 Prostatitis
– 57
4.5
Medikamente zur Behandlung von Harnwegsinfekten – 58
4.6
Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems – 59
4.6.1 4.6.2 4.6.3 4.6.4 4.6.5 4.6.6
Harnwegs- und Genitaltuberkulose – 59 Bilharziose – 62 Echinokokkenerkrankung – 63 Gonorrhö – 63 Lues (Syphilis) – 63 Spitze Kondylome (Condylomata accuminata)
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_4, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
– 64
4
50
Kapitel 4 · Entzündungen
4.1
Der unspezifische Harnwegsinfekt (HWI)
Im Gegensatz zu den »spezifischen« Entzündungen der Harnwege (z. B. Tbc, Bilharziose usw.) werden »unspezifische« Harnwegsinfekte in der Regel durch gramnegative Keime verursacht, seltener durch grampositive Kokken. Die Keime stammen meist aus dem Darm, seltener aus Vagina oder perinealer Haut. Das Keimspektrum in Praxis und Krankenhaus zeigt beachtliche Unterschiede: E. coli sind für 85% der Infekte in der Praxis und für 50% im Krankenhaus verantwortlich. Dagegen sind im Krankenhaus sog. »Problemkeime« wie Proteus mirabilis, Pseudomonas aeruginosa, Serratia und vermehrt auch multiresistente Keime verbreiteter. ! E. coli ist der mit Abstand häufigste Keim bei Harnwegsinfekten (ca. 70%). Sofern keine zusätzlichen Krankheitsfaktoren wie Harnabflussbehinderung, Funktionsstörungen der Blase, Fremdkörper u. a. hinzukommen (= komplizierte HWI), haben bakteriell bedingte Infektionen (= banale oder unkomplizierte HWI) eine bemerkenswerte Tendenz zur Selbstheilung. ! Komplizierter Harnwegsinfekt: Vorliegen einer strukturellen oder funktionellen Abnormalität des Harntraktes.
Komplizierte HWI lassen sich durch antibakterielle Chemotherapie allein meist nicht zur definitiven Ausheilung bringen (→ chronische HWI). Hier muss auch der den Infekt unterhaltende Faktor ausgeschaltet werden. Entzündungen der parenchymatösen Urogenitalorgane, also der Nieren, der Prostata, der Nebenhoden, der Hoden, verursachen in der Regel Fieber und eine starke Beeinträchtigung des Allgemeinzustands, während Infekte der Hohlorgane, wie der Blase oder der Urethra, häufig afebril verlaufen.
4.2
Pathophysiologie
4.2.1
Infektionswege und pathogenetische Faktoren
4 Aszendierend: Urethra → Blase → Nierenbecken. Häufigster Infektionsweg, be-
sonders bei Frauen (>90%), begünstig durch die kurze weibliche Harnröhre. Die meisten Infektepisoden entwickeln sich ohne äußeren Anlass »spontan«. Gelegentlich Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr (»Honeymoon«-Zystitis). 4 Hämatogen: gesichert für Nierenabszesse, Nierentuberkulose und für Mumpsorchitis. Infektentwicklung Es ist verständlich, dass sich Bakterien in erkrankten oder
funktionsgestörten Harnwegen festsetzen und einen HWI verursachen können.
51 4.2 · Pathophysiologie
4
Unklar ist, weshalb sich ein Infekt auch in anatomisch und funktionell »gesunden« Harnwegen etabliert und gelegentlich sogar chronisch wird, obwohl die Abwehrsysteme funktionieren. Hier spielen verschiedene Virulenzfaktoren (Haftungsfähigkeit von Bakterien auf der Mukosa durch Fimbrien und sog. Adhesine, Motilität, Zytotoxin- und Ureaseproduktion) eine pathogenetische Rolle. Abwehrsysteme sind: 4 Klärmechanismus: anhaltende Spülung der Harnwege durch den Urin; 4 endogenes Abwehrsystem: antibakterielle Faktoren in der Harnwegsmukosa und in den Drüsensekreten (z. B. im Prostatasekret). Grundlage des Klärmechanismus ist der regelmäßige Urinaustausch. Die Bakterienpopulation verdoppelt sich in geometrischer Reihe alle 30 min, während das Urinvolumen wesentlich langsamer zunimmt. ! Die infektbegünstigende Wirkung von Abflusshindernissen beruht auf der Beeinträchtigung des Gleichgewichts zwischen Urinaustausch und Bakterienvermehrung. Entscheidend für den Spüleffekt in der Blase sind Miktionsvolumen, Miktionsfrequenz und Restharn.
Nach physiologischer Miktion bleibt kein Urin in der Blase zurück. Die Bakterien sind den endogenen Abwehrfaktoren intensiv ausgesetzt. Durch den neu ausgeschiedenen Urin wird ihre Konzentration zudem reduziert. Der Zeitfaktor ist allerdings in Bezug auf die Bakterienverdünnung nur linear, in Bezug auf die Bakterienvermehrung aber im Quadrat wirksam. Deshalb sind Diuresesteigerung und häufige Miktionen die Grundlage der Infekttherapie. Im Ureter wirken angeborene Anomalien wie Megaureter und vesikoureteraler Reflux infektfördernd. Das Gleiche gilt für das Nierenbecken (infizierte Hydronephrose). In den Sammelrohren ist eine verminderte Urinbildung gleichbedeutend mit mangelhafter Durchspülung. Der aufsteigende Infekt etabliert sich in einer Kelchnische, breitet sich in der Medulla aus und führt schließlich zu Herden im Parenchym. Die Tatsache, dass (trotz Spülmechanismus) in der Blase zurückbleibende Bakterien normalerweise in kurzer Zeit unschädlich gemacht werden, deutet auf in der Mukosa lokalisierte Abwehrsysteme, deren Wirkungsmechanismus unvollständig geklärt ist. Frauen haben eine starke Tendenz zu Infektrezidiven. Dabei bestehen zwei Möglichkeiten: 4 Nach Behandlungsabschluss manifestiert sich erneut der ursprünglich identifizierte Keim = Rückfall (Therapieversagen!). 4 Es lässt sich ein neues, bisher nicht nachgewiesenes Bakterium isolieren = Reinfektion (Defekt im Abwehrmechanismus?).
52
Kapitel 4 · Entzündungen
! Rezidivierende Harnwegsinfekte: 4 Rückfall (engl. »relapse«): gleicher Keim 4 Reinfekt: neuer Keim Begünstigende Faktoren: Restharn in der Blase (Prostataerkrankungen, Divertikel) Abflussbehinderung in den oberen Harnwegen durch Fehlbildungen
4
(Hydronephrose, Megaureter) oder Erkrankungen (Kompression durch Tumor) begünstigen die Entwicklung eines Harnweginfekts. Vesikoureteraler Reflux wirkt wie Restharn. Blasen-Dauerkatheter oder Nephrostomiedrains führen immer zur bakteriellen Besiedelung des Hohlorgans. Die antibiotische Behandlung solcher Bakteriurien ist sinnlos, solange die Ableitungen belassen werden müssen und einwandfrei funktionieren.
4.2.2
Allgemeine Infektdiagnostik
Harngewinnung Grundsätzlich nur Mittelstrahlurin nach vorheriger Reinigung der Harnröhrenmündung. Bei pathologischem Mittelstrahlurinbefund der Frau → Katheterismus. Die diagnostische Blasenpunktion wird kaum noch verwendet. Teststreifenuntersuchung Zur raschen semiquantitativen Bestimmung von pH, Proteinurie, Glukosurie, Hämaturie, Ketonkörpern, Urobilinogen, Bilirubin. Auch Erythrozyten oder Leukozyten lassen sich erfassen, zudem vermittelt die Nitritprobe erste Hinweise auf einen Infekt. Teststreifen sind sehr sensitiv. Negative Befunde sind zuverlässig, ein pathologischer Befund sollte durch eine Sedimentund allenfalls bakteriologische Untersuchung bestätigt werden. Sedimentuntersuchung In zentrifugiertem (400 g/5 min) Urin findet man
(40er-Objektiv, 10er-Okular) normalerweise 0–2 Erythrozyten und 3–5 Leukozyten pro Gesichtsfeld; mehr als 10 sind eindeutig pathologisch, ebenso Leukozytenzylinder (Pyelonephritis). Trichomonaden müssen im Nativpräparat von frisch gelöstem Urin gesucht werden (Bewegung!). Mikrobiologische Diagnostik Bei jedem nicht innerhalb etwa einer Woche spontan abklingendem Infekt muss eine bakteriologische Untersuchung (Erregernachweis/Resistenzprüfung) erfolgen. Eintauchnährböden Objektträger mit bestimmten Kulturmedien in den Urin
eintauchen → Wärmeschrank (fakultativ) → Ablesen nach ca. 24 h → ≥105 Kolonien
53 4.3 · Klinik
4
. Abb. 4.1 Anfertigung einer Objektträgerkultur
bedeuten signifikante Bakteriurie. Wenn nötig (Rezidiv, unwirksame Therapie) zur Differenzierung und Resistenzprüfung in ein bakteriologisches Labor geben (. Abb. 4.1). Einige gramnegative Bakterienstämme (E. coli, Proteus) bilden Nitrite, die sich mit einem Farbumschlag auf einem Teststreifen nachweisen lassen. Cave: Keine antibiotische Therapie nur aufgrund eines Streifentestes; Klinik mit einbeziehen! Typische Erreger sind: E. coli, Proteus, Staphylococcus aureus, Pseudomonas, seltener Streptococcus faecalis (Enterokokken), Klebsiellen.
4.3
Klinik
4.3.1
Akute Infekte
Bei der Frau sind akute Blaseninfekte häufig und entwickeln sich oft nach Geschlechtsverkehr. Beim jungen Mann dagegen ist die akute Zystitis selten. Oft sind hier zusätzliche Faktoren beteiligt (Restharn, Steine, Tumoren). Akute Zystitis Pollakisurie, Algurie, Tenesmen. Gelegentlich terminale Häma-
turie. Gelegentlich subfebrile Temperaturen. Akute Pyelonephritis Hohes Fieber, Schüttelfrost, lumbales Druckgefühl, Übel-
keit, Erbrechen, ausgeprägtes Krankheitsgefühl.
54
Kapitel 4 · Entzündungen
! Der akute pyelonephritische Schub kann in der Regel schon aus der Anamnese diagnostiziert werden: hohes Fieber, Schüttelfrost, Beeinträchtigung des Allgemeinzustands, klopfdolente Nierenloge. Häufigste Fehldiagnose: »Grippe«. Behandlung (resistenzgerecht) Kann das Resultat der bakteriologischen Resis-
4
F08 H08
tenzprüfung nicht abgewartet werden, empfiehlt sich ein Medikament, das die häufigsten uropathogenen Keime abdeckt: 4 Trimethoprim/Sulfomethoxazol (= Cotrimoxazol), 4 Ciprofloxacin, 4 Amoxicillin, evtl. mit Clavulansäure, 4 Nitrofurantoin, Bei unkomplizierten Blasenentzündungen der Frau Kurzzeitbehandlung über (1–)3 Tage. Bei Frauen mit häufigen, unkomplizierten Reinfektionen ist die Selbstbehandlung eine gute Alternative zu häufigen Arztbesuchen. Eine weitere Möglichkeit ist die Langzeitprophylaxe (z. B. ½ Tabl. Cotrimoxazol abends). Besteht ein Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr, kann 1 Dosis eines wirksamen Medikaments unmittelbar anschließend sowie die sofortige Blasenentleerung empfohlen werden. Komplizierte HWI, mit Fieber (das auf Nierenbeteiligung hinweist) bei bekannten Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes) sowie bei Männern, müssen in voller Dosierung während 7–10 Tagen behandelt werden. Schwangere erhalten ein nichtteratogenes Antibiotikum (z. B. Amoxicillin 3-mal 375 mg/Tag) während einer Woche. Behandlungsabschluss erst, wenn negative Kulturen vorliegen. Bei Therapieresistenz und anamnestischen Hinweisen auf komplizierende Faktoren ist eine uroradiologische Abklärung angezeigt. ! Wiederholte Schüttelfrostanfälle sind dringend verdächtig auf Urosepsis und machen sofortige Krankenhauseinweisung notwendig. Bei Hinweis auf Stauung → notfallmäßige Entlastung (Ureterkatheter, Nephrostomie, Blasenkatheter).
4.3.2
Chronische Infekte
Chronische Bakteriurie und Pyurie sind Ausdruck einer chronischen Pyelonephritis und verlangen nach sorgfältiger radiologischer und funktioneller Abklärung. Die Identifikation der Keime ist bei solchen Patienten nur der erste diagnostische Schritt. Unterhaltende Faktoren sind:
55 4.3 · Klinik
4 4 4 4
4
Reflux, Nephrolithiasis, Diabetes, Abflussbehinderung.
Die Klinik ist häufig symptomarm; evtl. leichte Blasenreizung, trüber, übelriechender Harn, Müdigkeit, Kopfschmerz, Inappetenz, sekundäre Anämie, leichte Proteinurie. Leukozytenzylinder sind beweisend für Pyelonephritis. In fortgeschrittenen Fällen finden sich radiologisch asymmetrisch verkleinerte, unregelmäßig konturierte Nieren mit plumpen Kelchen (. Abb. 4.2). Die Behandlung ist ursachenzentriert: Sanierung der Harnwege (Abflussbehinderung, Reflux, Divertikel usw.). Weiter ist eine gezielte antiinfektiöse Chemotherapie notwendig, ggf. als »Langzeitbehandlung« über Monate (in verminderter Dosierung im symptomfreien Intervall). Bei Nierenfunktionseinschränkung muss die Dosis angepasst werden.
b
a
c . Abb. 4.2a,b a Gesunde, radiologisch unauffällige Niere, b, c pyelonephritische Parenchymnarben und Kelchverplumpungen
56
Kapitel 4 · Entzündungen
ä Fallbeispiel Anamnese Eine 30-jährige Lehrerin muss immer wieder einmal wegen »grippaler Erkrankung« dem Unterricht fernbleiben. Angeblich ist sie seit vielen Jahren empfindlich für Erkältungen aller Art. Jetzt konsultiert sie, weil sie sich gegen Grippe impfen lassen möchte. Befund Der Hausarzt macht einen Urinstatus und findet eine massive Leukozyturie. Gleichzeitig stellt er erhöhtes C-reaktives Protein (CRP) fest. Im Urin finden sich in der Objektträgerkultur > 105 E. coli pro ml. Weitere Abklärung Es wird ein CT mit Kontrastmittel durchgeführt, das eine schwer entzündlich destruierte rechte Niere mit Papillennekrosen und hydronephrotischer Aufweitung des Hohlsystems zeigt. Auch der rechte Ureter ist segmentartig erweitert. Die linke Niere ist vergrößert und das Nierenbeckenkelchsystem unauffällig. Ein Isotopennephrogramm ergibt eine Funktionsverteilung von 30 zu 70 zugunsten der linken Niere. Eine Refluxabklärung findet nicht statt. Beurteilung Schwere chronisch-entzündliche Infektnephropathie rechts mit massiver Funktionseinbuße möglicherweise auf der Basis von vesikoureteralem Reflux rechts. Therapie Nephroureterektomie rechts. Verlauf Drei Monate nach dem Eingriff ist bei einer Kontrolle der Urin steril und das CRP normal. Die Patientin hat an Gewicht zugenommen und fühlt sich völlig gesund.
4
4.4
Unspezifische Entzündungen der Urethra und der Adnexe
Urethritis Harnröhrenausfluss, Brennen, Rötung und Verklebung des Meatus
H09
urethrae. Grampositive oder gramnegative Erreger im Ausstrich → Kultur- und Resistenzprüfung. An die Möglichkeit einer Gonorrhö, einer Harnröhrenstriktur oder eines Fremdkörpers denken. Bei negativer Kultur Abklärung auf Trichomonaden, Chlamydien, Mykoplasmen. Behandlung der Wahl: Quinolone, evtl. Erythromycin. Bei Trichomonaden: Metronidazol.
57 4.4 · Unspezifische Entzündungen
4.4.1
4
Prostatitis
»Prostatitis« wird oft als Verlegenheitsdiagnose missbraucht für unklare, manchmal auch psychosomatisch bedingte Urogenitalbeschwerden. Die Diagnose muss deshalb durch einen Urologen gesichert oder ausgeschlossen werden. Keine vorschnelle Diagnose und »probatorische« oder »Ex-juvantibus«-Antibiotikagabe. Es gibt verschiedene Klassifikationen. Die heute gebräuchlichste ist die gemäß dem amerikanischem National Institute of Health (NIH), 1998. 4 Kategorie I: Akute bakterielle Prostatitis. Eindrückliche, typische Klinik: perineale oder suprapubische Schmerzen, Fieber, Abgeschlagenheit, imperativer Harndrang, Pollakisurie, manchmal Harnverhalt. Extrem schmerzhafte, geschwollene Prostata. Im Blut Infektzeichen. Urin pathologisch. Therapie: Antibiotika gemäß Resistenzprüfung, Analgetika, Bettruhe. 4 Kategorie II: Chronisch bakterielle Prostatitis. Oft Ursache rezidivierender Harnwegsinfekte. Symptome weniger spezifisch: Dammbeschwerden, Blasenreizung, Miktionsbeschwerden. Kein Fieber. Im Prostatasekret Leukozyten und Bakterien. Positive Urinbakteriologie nur in 5%. Therapie: Antibiotika resistenzgerecht, meist Quinolone. Ausreichend lange, 4–12 Wochen. 4 Kategorie III: Chronisches Beckenschmerzsyndrom (engl. »chronic pelvic pain syndrome«, CPPS). Kein Bakteriennachweis. Symptome unspezifisch.
Meist Schmerzen im Damm-, Blasen- oder Genitalbereich. Irritative Miktionsbeschwerden. Gelegentlich Schmerzen bei der Ejakulation. Die entzündliche Kategorie IIIA (chronisch abakterielle Prostatitis) unterscheidet sich von der Kategorie IIIB (Prostatodynie) nur durch den Nachweis von Leukozyten im Prostatasekret. Therapie: Oft wenig erfolgreich. Keine Antibiotika. Antiphlogistika. Alphablocker. Evtl. Prostatamassage. 4 Kategorie IV: Asymptomatische inflammatorische Prostatitis. Keine Symptome. Oft Zufallsbefund in Biopsien oder Prostataresektaten. Nachweis von Entzündung in Prostatagewebe oder durch PSA-Erhöhung. Meist keine Therapie nötig, evtl. Antibiotikaprophylaxe vor endoskopischen Eingriffen. ! Nie Verlegenheitsdiagnose »Prostatitis« bei unklaren urogenitalen Beschwerden oder perinealen Schmerzen. Urologische Abklärung. Epididymitis Meist kanalikulär aszendierend bei Prostatitis oder Zystitis, durch
Dauerkatheter, nach Prostatektomie. Akute, stark schmerzhafte einseitige Skrotalschwellung, oft hohes Fieber. Wichtigste Differenzialdiagnose bei Adoleszenten ist die Hodentorsion. Die Behandlung besteht in Antibiotikaverabreichung, Bettruhe, Hodenhochlagerung, evtl. kühle Umschläge. Selten operative Revision wegen Abszedierung nötig.
58
Kapitel 4 · Entzündungen
ä Fallbeispiel Anamnese Ein 64-jähriger Weinhändler, auf der Durchreise, meldet sich auf der Notfallstation mit starkem Fieber, Schüttelfrost und Abgeschlagenheit. Er berichtet, dass 3 Tage zuvor eine Biopsie aus der Prostata wegen einer PSA-Erhöhung durchgeführt worden sei. Er habe Fieber und einmal Schüttelfrost gehabt und fühle sich nun abgeschlagen. Zudem habe er ständigen Harndrang und das Gefühl, er könne die Blase nicht vollständig entleeren. Befund Der Patient macht einen kranken Eindruck. Im Urinstatus findet sich eine massive Leukozyturie. Die Leukozyten im Blut betragen 16.000/μl und das CRP 184 mg/l. Im Ultraschall finden sich rund 100 ml Restharn. Die oberen Harnwege sind nicht dilatiert. Eine rektale Untersuchung ist wegen Schmerzen nicht möglich. Beurteilung Es liegt eine akut bakterielle Prostatitis vor, wohl als Folge der Biopsie. Gefahr von Urosepsis und Prostataabszess. Therapie Hospitalisation. Bettruhe. Intravenöse Antibiose mit einem Breitspektrum-Cephalosporin. Analgetika und Antiphlogistika zur Fiebersenkung. Alpha-Blocker zur Linderung der Miktionsbeschwerden. Ableitung der Harnblase mit einer suprapubischen Zystostomie. Verlauf In den folgenden 2 Tagen entwickelt der Patient immer wieder Fieberzacken. Ab dem 3. Tag fühlt er sich deutlich besser. Bei restharnfreier Miktion wird die Zystostomie entfernt. Entlassung des Patienten und Weiterführen der peroralen Antibiose für 10 Tage. Eine Kontrolle nach 6 Wochen zeigt einen wieder gesunden Patienten. Er berichtet noch etwas über Miktionsbeschwerden. Der PSA-Wert beträgt noch 18 ng/ml und hat sich nach weiteren 3 Monaten wieder auf 2,6 ng/ml normalisiert.
4
4.5
Medikamente zur Behandlung von Harnwegsinfekten
Sulfamethoxazol-Trimethoprim 2-mal 2 Tbl. oder 2-mal 1 forte Tbl. Spektrum: grampositive und -negative Keime, ohne Pseudomonas. Indikation: akute Infekte der oberen und unteren Harnwege. Nicht bei Neugeborenen (Kernikterus) und Schwangeren. Norfloxacin 2-mal täglich 400 mg per os. Spektrum: Alle grampositiven und -negativen Keime, inklusive Pseudomonas. Weniger gut gegen Enterokokken. Indikation: komplizierte Infektionen der oberen und unteren Harnwege. Nicht bei
Kindern und Schwangeren.
59 4.6 · Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems
4
Ciprofloxacin 2-mal täglich 500 mg per os, bei schweren Infekten 2-mal 750 mg p.o.. Spektrum: wie Norfloxacin, aber höhere Gewebespiegel, kann auch intra-
venös gegeben werden (intravenös 10-mal teurer!). Bei Pyelonephritis angezeigt. Nitrofurantoin 3-mal täglich 100 mg per os. Spektrum: viele grampositive und -negative Keime, ohne Pseudomonas und einige Klebsiella, Enterobacter, Proteus. Indikation: unkomplizierte Harnwegsinfekte. Amoxicillin 3-mal täglich 375–750 mg per os. Spektrum: grampositive und -negative Keime, nicht β-Laktamase-stabil. Indikation: akute Infekte der oberen
und unteren Harnwege. Als Endokarditisprophylaxe geeignet. Clavulansäure-Amoxicillin 3-mal täglich 375–625 mg per os. Spektrum: wie Amoxicillin, aber erweitert, da β-Laktamase-stabil. Evtl. auch intravenös. Cephalosporine Dosierung je nach Medikament. Spektrum: breit. Indikation:
schwere Infektionen der oberen Harnwege. Meist intravenöse Verabreichung. Nicht Medikament der ersten Wahl. Tobramycin 3-mal 80 mg i.v. Spektrum: sehr breit, meist grampositive und -negative Keime inklusive Pseudomonas. Wenig Resistenzen. Indikation: schwere
Infektionen, Urosepsis. Nur in Kombination mit anderen Antibiotika (z. B. Amoxicillin). Vorsicht bei Niereninsuffizienz, Vestibularisschäden. Carbapeneme Reserve-Breitspektrum-Antibiotika. Nur intravenöse Applikation. Spektrum: Sehr breit, inklusive Pseudomonas. Indikation: Sehr schwere
grampositive und gramnegative Mischinfektionen. In hohen Dosen nephrotoxisch. Nur in ausgewählten Fällen verwenden
4.6
Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems
4.6.1
Harnwegs- und Genitaltuberkulose
Wichtigste und immer noch häufigste spezifische Entzündung des Urogenitaltrakts. Rund 7% der Fälle betreffen den Urogenitaltrakt. Weltweit wird seit 1985 wieder eine Zunahme registriert, v. a. in Entwicklungsländern. AIDS-Patienten sind besonders gefährdet. ! Weltweit betrachtet ist Tuberkulose die häufigste opportunistische Infektion von AIDS-Patienten!
60
Kapitel 4 · Entzündungen
4
. Abb. 4.3 Typische Erkrankungsstellen bei Urogenitaltuberkulose, mit Hinweisen auf die Folgen der Erkrankung
Pathologie Der Primärherd liegt in der Regel in der Lunge. Von dort erfolgt eine hämatogene Streuung, häufig im Zusammenhang mit der postprimären Frühgeneralisation (Pleuritis, Erythema nodosum). Dabei bilden sich multiple disseminierte Herde im Nierenparenchym (»parenchymatöses Initialstadium«), die vollständig oder teilweise abheilen oder aber lokale Destruktion verursachen. Konglomerattuberkel brechen ins Nierenbecken durch und führen zur offenen Nierentuberkulose (»ulzerokavernöses Stadium« – Stadium 2). Nun besteht die Möglichkeit zur »Pseudoheilung« durch Abriegelung oder aber zum weiteren Umsichgreifen der Krankheit bis zur totalen Destruktion (tuberkulöse Pyonephrose, »tuberkulöse Kittniere« – Stadium 3). Die Krankheit breitet sich je nach Immunitätslage auch deszendierend weiter aus: Nierenbecken → Harnleiter → Blase → Prostata → Nebenhoden (. Abb. 4.3). Klinik Im Initialstadium (Stadium I) bestehen nur Allgemeinerscheinungen und
Tuberkelbakteriurie. Bei langdauernden, wenig spezifischen urogenitalen Symptomen ohne gute Erklärung daran denken!
61 4.6 · Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems
4
. Abb. 4.4 Stadieneinteilung der Nierentuberkulose mit Hinweisen für eine kombinierte medikamentös-chirurgische Therapie
Im ulzerokavernösen Stadium II findet man eine abakterielle Leukozyturie (»sterile Pyurie«), Mikrohämaturie und lokal begrenzte Destruktionen. Subjektiv besteht oft eine therapieresistente Zystitis. Im destruierenden Stadium III finden sich ausgedehnte, gravierende Veränderungen von mindestens 2 Kelchen oder 2/3 der Niere (. Abb. 4.4). ! Jede »sterile Pyurie« und jede chronisch-therapieresistente Zystitis ist verdächtig auf Harnwegstuberkulose.
Die Diagnose wird gesichert durch Nachweis von Tuberkelbazillen im Urin im Direktpräparat (Ziehl-Neelsen) oder mit Löwensteinkultur. Resultat nach 6–8 Wochen erhältlich. Morgenurin verwenden, mindestens 3 Untersuchungen, da Tuberkelbakterien intermittierend ausgeschieden werden. Radiologische Hinweise für das Vorliegen einer chronischen Harnwegstuberkulose ergeben sich oft schon aus einer Leeraufnahme (typische Verkalkungen). Wichtig für die Beurteilung des Stadiums ist die Urographie (evtl. ergänzt durch Tomogramme). Befall der Prostata zeigt sich evtl. im Urethrogramm (Kavernenbildungen). Therapie Grundlage der Behandlung der Urogenitaltuberkulose ist die tuberkulostatische Chemotherapie mit mehreren Medikamenten. Antituberkulotika der ersten Wahl sind: Rifampizin, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol. Initial wird eine 3fach-Kombination für 2–3 Monate verabreicht, dann wird zur Stabilisierung während 3–4 weiteren Monaten mit einer 2fach-Kombination weitergefahren.
62
4
Kapitel 4 · Entzündungen
Bei Einschränkung der Nierenfunktion muss die Dosierung angepasst werden. Die antituberkulöse Behandlung benötigt strenge Kontrollen und dauert minimal 6 Monate (wenn während der ganzen Behandlungsdauer Rifampizin und Isoniazid verabreicht werden konnte), sonst verlängert sich die Therapiedauer auf 9–12 Monate. Eine chirurgische Zusatzbehandlung ist selten notwendig. Sie erfolgt in der Absicht, die »Herdsanierung« zu unterstützen. Darunter versteht man die Entfernung des zerstörten Nierenabschnitts oder einer evtl. total zerstörten Niere. Funktionstüchtiges Parenchym wird nach Möglichkeit erhalten Patienten mit behandelter Urogenitaltuberkulose sollten zunächst alle 3 Monate, später halbjährlich bis jährlich nachkontrolliert werden. Die Rezidivhäufigkeit im Verlauf der anschließenden 2–8 Jahre beträgt 10–15%. Für die Praxis ist im Hinblick auf die Urogenital-Tbc bedeutsam, dass man bei chronischen, therapieresistenten Pyurien die Tuberkulose in die Differenzialdiagnose miteinbezieht. Mischinfekte mit banalen Keimen sind durchaus möglich (ca. 20%). In der Nachsorge dürfen urographische Kontrollen nicht vergessen werden. Die tuberkulostatische Therapie bewirkt »eine erwünschte Vernarbung, aber oft am unerwünschten Ort« → Strikturen → Abflussbehinderung → Nierenschaden durch Stauung.
4.6.2
Bilharziose
Bei chronisch-therapieresistenter Zystitis lohnt sich die Aufnahme einer »Reiseanamnese«. Bei Aufenthalten in Endemiegebieten sind parasitäre Infestationen möglich. Bei der Schistosomiasis verursachen die aus kleinen Blutgefäßen durch Ulzera in die Blase entleerten Eier von Schistosoma haematobium entzündliche Symptome (terminale Dysurie) und Hämaturie. Narbenbildungen und Verkalkungen führen schließlich zu Blasenschrumpfungen und Stauung bzw. Reflux, später auch zu Blasenkarzinomen. Zystoskopisch lassen sich tuberkelähnliche Knötchen oder Ulzera erkennen. Die Histologie bestätigt die Vermutungsdiagnose. Der Allgemeinzustand ist durch Fieber und Schüttelfröste beeinträchtigt und im Blutbild findet sich eine Eosinophilie. Therapie Die Behandlung erfolgt mit Praziquantel (20 mg/kg 2- bis 3-mal täglich) und wird, wenn notwendig, durch chirurgische Maßnahmen ergänzt.
63 4.6 · Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems
4.6.3
4
Echinokokkenerkrankung
Die Infektion mit Echinococcus multilocularis (auch granulosus) kann zu Zystenbildungen in der Niere führen, die typischerweise ringförmige Kalkeinlagerungen zeigen und bei raumverdrängenden Prozessen differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden müssen. Meist oligosymptomatisch (dumpfer Flankenschmerz). Diagnose durch CT. Gelegentlich serologische Bestätigung notwendig. Therapie Chirurgische Resektion, medikamentöse Therapie mit Albendazol.
4.6.4
Gonorrhö
Die Gonorrhö manifestiert sich bei Mann und Frau mit einer eitrigen Urethritis und wird deshalb ab und zu auch in der urologischen Praxis beobachtet. Bei der Frau führt sie überdies zu aufsteigenden Infektionen der inneren Genitale. Auch beim Mann kann sie eine Prostatitis oder Epididymitis zur Folge haben. Der verursachende gramnegative intrazelluläre Diplococcus führt typischerweise nach 3- bis 10-tägiger Inkubation zu starkem Brennen bei der Miktion, kann aber auch (bei Frauen häufiger: 50–60%) klinisch weitgehend symptomfrei vorhanden sein. Die Diagnose ist im Direktpräparat mit Gramfärbung oder in der Kultur problemlos möglich. Urethraler Abstrich und spezielle Nährböden notwendig. Therapie Die Behandlung ist einfach und erfolgreich. Die früher gebräuchlichen Penizilline sind wegen hoher Resistenzraten obsolet. Mittel der Wahl ist die intramuskuläre Einmaldosis von Ceftriaxome. Alternativen sind Ciprofloxacin oder Doxycyclin per os.
! Abklärung und Behandlung des Partners! An AIDS denken (ungeschützter Geschlechtsverkehr).
4.6.5
Lues (Syphilis)
Durch Treponema pallidum verursachte Geschlechtskrankheit. In jüngster Zeit wieder deutliche Zunahme der Fälle. Im Primärstadium singuläres, induriertes Ulkus. Da dieses schmerzlos ist, wird es oft verpasst (daran denken!). Unbehandelt verschwindet das Ulkus oft, nicht aber die Erkrankung (latentes Stadium). Im Sekundärstadium (nach 4–10 Wochen) kutane und Schleimhautmanifestationen. Tertiäres Stadium = generalisierte Erkrankung, die jedes Organ befallen kann,
F09
64
Kapitel 4 · Entzündungen
4
. Abb. 4.5 »Spitze Kondylome«: Condylomata accuminata. Warzenförmige Veränderungen an der Glans
ohne typische Zeichen (»großer Imitator«). Diagnose mit Dunkelfeldmikroskopie und serologischen Tests. Behandlung mit Penizillin G intramuskulär.
4.6.6
Spitze Kondylome (Condylomata accuminata)
Virusbedingte (durch Sexualkontakt übertragbare) warzenförmige Haut- und Schleimhauteffloreszenzen am Penisschaft, Vorhaut, Glans und Meatus, gelegentlich auch in der vorderen Urethra (. Abb. 4.5). Sehr kleine Effloreszenzen können mit Essigsäurelösung erkennbar gemacht werden. Unbehandelt können spitze Kondylome wachsen und mit der Zeit ein tumorartiges Aussehen annehmen (Buschke-Löwenstein-Tumor). Differenzialdiagnostisch muss an ein Peniskarzinom gedacht werden. Es kann eine Behandlung mit Podophyllin- oder Fluorouracillösungen versucht werden. Besser ist die Elektrooder Laserkoagulation. ä Fallbeispiel Anamnese Ein 46-jähriger Facharbeiter aus dem Balkan wird vor dem Abschluss einer Lebensversicherung ärztlich untersucht. In der Familie keine erwähnenswerten Erkrankungen. Der Patient fühlt sich gesund und hat mit Ausnahme des 6
65 4.6 · Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems
4
Abganges eines kleinen Ureterkonkrementes rechts vor 3 Jahren in der letzten Zeit keine Gesundheitsstörung bemerkt. Befund Im Urin finden sich ca. 20 Leukozyten und ca. 10 Erythrozyten pro Gesichtsfeld. Der bakteriologische Objektträgerkulturbefund ist negativ. Das C-reaktive Protein beträgt 15. Nach einer ungezielten zweiwöchigen Behandlung mit Ciprofloxacin ist die Pyurie unverändert nachweisbar. Weitere Abklärung Ein Computertomogramm ergibt eine rosettenartige Ausweitung der unteren Kelchgruppe rechts, wobei der unterste Kelch mit lockeren Verkalkungen gefüllt ist. Der Hauptkelch der unteren Kelchgruppe ist stenosiert. Bei der Blasenspiegelung finden sich Rötungen im Bereich des rechten Ostiums. Sonst ist die Blase unauffällig. Ebenso sind Hoden und Nebenhoden beidseits unauffällig. Auch die Prostatabetastung ergibt keine Besonderheiten. Tuberkelbazillennachweis im Urin positiv. Diagnose Ulzerokavernöse Nierentuberkulose rechts, Stadium 2. Therapie 3er-Kombinationsbehandlung mit Rifampicin, Isoniazid und Ethambutol drei Monate lang. Anschließend ist eine 4- bis 5-monatige »Stabilisierungstherapie« mit einer 2er-Kombination geplant. Vorerst besteht keine chirurgische Indikation, etwa zu einer Teilresektion. Der Verlauf wird regelmäßig, vorerst in kürzeren und dann in längeren Abständen kontrolliert.
Übungsfragen 1. 2. 3. 4. 5. 6.
7. 8.
Lösungen → S. 211
Was verstehen Sie unter einem »komplizierten« Harnwegsinfekt? Welches ist der häufigste uropathogene Keim bei einer einfachen Zystitis? Welche Methode benutzen Sie zur Uringewinnung beim Mann, wenn es um die Frage geht, ob ein Harnwegsinfekt vorliegt? Und bei der Frau? Wie lange benötigt eine banale Zystitis zur Abheilung? Zu welchen Überlegungen bezüglich Pathogenese und Therapie veranlasst Sie das Auftreten von Schüttelfrostanfällen im Rahmen der Betreuung eines Patienten mit Harnwegsinfekt? Nennen Sie zwei gebräuchliche Medikamente zur Behandlung von Harnwegsinfekten! Bei welchem Harnbefund denken Sie an die Möglichkeit einer Harnwegstuberkulose?
5 Harnsteinerkrankung (Urolithiasis) 5.1
Pathophysiologie
5.1.1 Harnsteinbildung
– 67
– 67
5.2
Zusammensetzung, Form und Lage der Harnsteine – 69
5.3
Klinik und Diagnostik
– 71
5.3.1 Steinkolik – 71 5.3.2 Diagnostik – 71
5.4
Therapie und Metaphylaxe
5.4.1 Therapie
– 76
– 76
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_5, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
67 5.1 · Pathophysiologie
5
Die Erkrankung ist seit dem Altertum bekannt und weltweit verbreitet; sie tritt gehäuft in warmen, trockenen Zonen und in Gebieten mit einseitiger Mangelernährung auf. Die Häufigkeit nimmt offenbar auch in Europa eher zu: rund 3–4% der Bevölkerung leidet an Harnsteinen (größenordnungsmäßig ähnlich Diabetes mellitus).
5.1
Pathophysiologie
5.1.1
Harnsteinbildung
Die Konkremententstehung wird heute als Kristallisationsprozess aufgefasst, der in einem mit steinbildenden Substanzen übersättigten Urin (Ionenprodukt über der Löslichkeitsgrenze) abläuft. Die Kristalle lagern sich zusammen. Man spricht von Aggregation und anschließender epitaktischer Auflagerung neuer Kristalle auf die Oberfläche der Aggregate, wodurch die typische Schichtung der Harnsteine zustande kommt (. Abb. 5.1). Die Rolle eines – vermutlich organischen – Kristallisationszentrums (Matrix) als Ausgangspunkt der Steinbildung ist umstritten. Unumstritten ist aber, dass die Übersättigung des Urins mit steinbildenden Ionen (Ca, NH4, PO4, Oxalat, Urat) eine fördernde und die Anwesenheit von »Inhibitoren« (Zitrat, Pyrophosphat, saure Mukopolysaccharide u. a.) eine hemmende Wirkung haben. Weitere, den Kristallisationsvorgang beeinflussende Faktoren sind: 4 pH des Urins: Phosphate sind bei niedrigem Urin-pH besser löslich, für Harnsäure gilt das Gegenteil; die Löslichkeit der Oxalate lässt sich durch pH-Verschiebungen nicht beeinflussen (. Abb. 5.2). 4 Urinvolumen: größere Urinmengen bedeuten geringeren Sättigungsgrad. 4 Komplexbildner: Sie vereinigen sich mit steinbildenden Ionen zu leicht löslichen Verbindungen (Ca-Zitrat, Mg-Oxalat) und behindern die Kristallisation.
. Abb. 5.1 Zeichnung eines Blasensteins mit typischer Schichtung. Im Zentrum des schalenförmigen Steins, die organisches Material enthaltende »Matrix«
68
Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)
. Abb. 5.2 Löslichkeit steinbildender Salze und Urin-pH (schematische Darstellung). Hoher Sättigungsgrad begünstigt Steinbildung
5 Die Konzentration der steinbildenden Substanzen im Urin wird, abgesehen von der Diurese, bestimmt durch: 4 die Zufuhr mit der Nahrung (Kalzium in Milchprodukten; Oxalat in gewissen Pflanzen wie Spinat, Rhabarber, Kakao; Purinkörper in gewissen Fleischwaren usw.). Es kommt aber nicht nur auf die Menge, sondern auch auf das Verhältnis an: So vermindert vermehrte orale Kalziumzufuhr bei hoher Oxalatbelastung das Steinrisiko durch Bildung eines schwer resorbierbaren KalziumOxalates. 4 den Grad der intestinalen Absorption (z. B. Ca-Hyperabsorber). 4 die endogene Freisetzung von steinbildenden Substanzen (z. B. Oxalsäure und Harnsäure als Stoffwechselendprodukte, Kalzium durch vermehrte Resorption aus dem Knochen (Hyperparathyreoidismus). Für rund 20% der Harnsteine kennt man die Entstehungsursache oder zumindest wesentliche kausalgenetische Faktoren. Beim verbleibenden Teil spricht man von idiopathischer (ungeklärter) Steinbildung. In der Regel wirken bei der Steinentstehung mehrere Faktoren zusammen. Geklärt ist die Steinbildung bei 4 primärem Hyperparathyreoidismus (2–3%): Gesteigerte Parathormonsekretion → Hyperkalziämie → Hyperkalziurie und verminderte tubuläre Phos-
phatreabsorption. 4 Oxalose (sehr selten): Angeborene Störung des Oxalatstoffwechsels → Ne-
phrokalzinose im Kindesalter. 4 Markschwammnieren (<3%): Angeborene Mikrozystenbildung in den Papil-
len → Urinstase → Steinbildung. 4 Hyperurikämie und Hyperurikosurie (10–15%): Großes exogenes und endo-
genes (Gicht) Purinkörperangebot. Bei niedrigem Urin-pH → Ausfall von Harnsäurekristallen → Steinbildung.
5
69 5.2 · Zusammensetzung, Form und Lage der Harnsteine
4 Zystinsteinen (<1%): Seltene autosomal-dominant vererbte Stoffwechselstö-
rung im proximalen Tubulus (fehlende Rückresorption für dibasische Aminosäuren). 4 Renal-tubulärer Azidose (<3%): Funktionsdefekt im Tubulus: Es kann kein ausreichend saurer Urin gebildet werden → Kalziumphosphatsteine. 4 Infektsteinen (ca. 15%): Fast obligat bei chronischer Pyelonephritis mit ureasebildenden Bakterien (z. B. Proteus) die Harnstoff in Kohlensäure und Ammoniak spalten → Alkalisierung des Urins → verminderte Löslichkeit für Phosphate → Ca-Phosphat- und Struvitsteine. Als wichtige kausalgenetische Teilfaktoren sind erkannt: 4 Einseitige Diät: Überreichliche Zufuhr von Milch- und Fleischprodukten, Vitamin-D-Überschuss, Vitamin-A-Mangel, Vitamin-B6-Mangel. 4 Dehydratation: Klima, Lebensgewohnheiten, Darmerkrankungen wie Kolitis, Ileostomaträger. 4 Harnstauung: Hydronephrosen begünstigen Nierenbeckensteine, Blasenabflussbehinderung → Blasensteine. 4 Immobilisation führt zu vermehrtem Knochenumbau und konsekutiver Hyperkalziurie.
5.2
Zusammensetzung, Form und Lage der Harnsteine
Chemisch reine, nur aus einer Substanz bestehende Konkremente sind selten. Orientiert man sich an der am Stein maßgeblich beteiligten Substanz, so ergibt sich die in . Tab. 5.1 angegebene Häufigkeitsverteilung. Je nach Form, Größe und Lage verursacht das Konkrement die Erscheinungen der Harnsteinkrankheit (. Abb. 5.3). Ihre Prognose ist letztlich abhängig von den steinbedingten Rückwirkungen auf die Nierenfunktion.
. Tab. 5.1 Häufigkeit der verschiedenen Konkremente
Steinart
Chemie
Häufigkeit (%)
Anorganische Konkremente
Kalziumoxalat Kalziumphosphat und Magnesiumammoniumphosphat
~65 ~20
Organische Konkremente
Harnsäure Zystin, Xanthin
~15 ~1
70
Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)
5
. Abb. 5.3 Lokalisation, Form und Bezeichnung für einige im Harnsystem auftretende Steine
. Abb. 5.4 3D-CT-Rekonstruktion eines Ausgussteins (Pfeil) der rechten Niere. Man erkennt die räumliche Struktur und weiß, dass es sich um einen kalziumhaltigen Stein handelt (Konkrement blau)
71 5.3 · Klinik und Diagnostik
5
Klinisch unterscheidet man Harnwegskonkremente überdies nach ihrer Röntgenschattendichte (in abnehmender Reihenfolge): Kalziumphosphat → Kalziumoxalat → Ammoniummagnesiumphosphat → Zystin → Harnsäure (. Abb. 5.4). Reine Harnsäuresteine sind für Röntgenstrahlen durchlässig und ergeben folglich keinen Kontrastschatten. Durch die berechneten Dichteunterschiede sind sie aber im CT zu erkennen.
5.3
Klinik und Diagnostik
5.3.1
Steinkolik
Parenchymverkalkungen und Kelchsteine machen in der Regel keine Beschwerden (»stumme« Steine). Freibewegliche, manchmal sehr kleine Konkremente im Nierenbecken und im Harnleiter behindern den Harnfluss und verursachen dadurch den typischen »Kolikschmerz«. Die Kolik tritt oft in Ruhe und nachts auf. Sie ist gekennzeichnet durch vernichtenden, an- und abschwellenden Schmerz in der Flanke oder dem Unterbauch, teilweise mit Ausstrahlung in die Genitalien. Patienten mit einer Kolik krümmen sich förmlich vor Schmerz. Die Kolik ist meist begleitet von Übelkeit, Erbrechen, Darmparese mit Meteorismus, Druck- und Klopfempfindlichkeit im betroffenen Nierenlager. Ganz im distalen Harnleiter gelegene Steine können auch irritative Miktionsbeschwerden und ständigen Harndrang verursachen. Tritt zur Stauung ein Infekt, kann rasch eine lebensbedrohliche Urosepsis auftreten. ! Stauung + Infekt = Urosepsisgefahr. Differenzialdiagnose (je nach Schmerzlokalisation) Gallensteinkolik, Cholezystitis, Appendizitis, Adnexitis, Sigmadivertikulitis, Hodentorsion, Aortenaneurysma (. Abb. 5.5).
5.3.2
Diagnostik
4 Klinik: Koliken. Klopfempfindlichkeit im betroffenen Nierenlager. Im Urin meist Mikro-, evtl. Makrohämaturie. Bei Infekt: Fieber, Schüttelfrost, Er-
höhung C-reaktives Protein, massive Leukozytose, evtl. Kreislaufsymptome. 4 Ultraschall: erstes bildgebendes Verfahren. Meist ist eine Dilatation in den
über dem Stein gelegenen Harnwegsabschnitten festzustellen. Oft kann der Stein direkt gesehen werden. Auch »röntgennegative« Steine (Harnsäure) können erkannt werden.
H08
72
Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)
5
. Abb. 5.5 Schmerzprojektion beim Nieren- oder Ureterstein und beim Gallensteinleiden
4 Abdomenleeraufnahme im Liegen: Zeigt rund 80% der Konkremente als
röntgendichte Schatten im Bereich der Harnwege. 4 Urogramm: Lässt auch röntgendurchlässige Steine erkennen. Gibt Hinweise
auf Nierenfunktion und stauungsbedingte Aufweitung des Hohlsystems. Fehlt bei vollständiger Verlegung des Harnabflusses die Kontrastmittelausscheidung spricht man von »stummer Niere«. Heute nur noch selten verwendet. 4 Computertomogramm: (. Abb. 5.6) Hat das Urogramm weitgehend verdrängt. Untersuchung rasch und meist ohne Kontrastmittel möglich (»Stein-CT«). Erkennt auch röntgennegative Steine, Stauung und etwaige andere Pathologien der Niere und des Abdomens. Moderne Dual-CT lassen Rückschlüsse auf die Steinzusammensetzung zu (. Abb. 5.7). Nachteil: höhere Strahlenbelastung. 4 Endoskopische Untersuchungen: Praktisch immer im Zusammenhang mit Therapiemaßnahmen → z. B. Einlage einer Ureterschiene (Doppel-J-Katheter) oder zur ureteroskopischen Steinentfernung. ! Die bildgebenden Verfahren der Wahl bei Harnsteinverdacht sind Ultraschall und Computertomographie ohne Kontrastmittel. Urogramm nur noch selten. Spezielle Abklärungsuntersuchungen Eine erste Steinepisode benötigt keine Abklärung der Stoffwechselsituation. Bei Steinrezidiv oder doppelseitigem Befall der
73 5.3 · Klinik und Diagnostik
5
a
b . Abb. 5.6a,b Pyelonstein rechts. a Im Abdomen-Leerbild im Liegen nur schlecht zu sehen (Pfeil). b Im CT ohne Kontrastmittel ist der Stein (Pfeil) bei demselben Patienten viel besser zu sehen
normalen, nichtinfizierten Harnwege muss eine Stoffwechselursache für das Steinleiden ausgeschlossen werden. Dazu sind die folgenden Abklärungen nützlich: 4 Analyse abgegangener Konkremente, 4 Ernährungsgewohnheiten, 4 Serumkreatinin, 4 quantitative Serum- und Urinanalyse (24-h-Urin) auf steinbildende Ionen und Salze (Hyperkalziämie und Hypophosphatämie wecken Verdacht auf Hyperparathyreoidismus),
74
Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)
5 . Abb. 5.7 Harnsäurestein: 3D-CT-Rekonstruktion eines linksseitigen Uretersteins (Pfeil) . Die rote Färbung lässt auf einen Harnsäurestein schließen
4 pH-Bestimmung im Urin (pH-Profil bei Harnsäuresteinverdacht), 4 Belastungstests (Ca, Purin, Ammoniumchlorid) zur Beurteilung des intestinalen und renalen Kalziumstoffwechsels sollten nur in spezialisierten Steinzentren durchgeführt werden. Komplikationen und Verlauf Die Stauung durch ein abflussbehinderndes Konkrement führt zur Ausweitung des proximal gelegenen Harnwegsabschnitts. Stauungen leichteren Grades sind ohne weiteres reversibel und können über Wochen toleriert werden. Eine über Monate anhaltende Stauung kann eine Druckatrophie und eine entsprechende Funktionsminderung der betroffenen Niere zur Folge haben. Infizierte Steine (meist Ausgusssteine) unterhalten eine chronische Pyelonephritis und führen im Lauf der Jahre letztlich zur Zerstörung des Organs. Ohne Entfernung des Steins kann der Infekt nicht zur Ausheilung gebracht werden. Septische Komplikationen sind bei Harnwegsinfekt und steinbedingter Stauung jederzeit möglich. Gefürchtet ist der septische Schock. Betroffene Patienten müssen sofort eingewiesen werden (→ Doppel-J-Katheter . Abb. 5.8 oder perkutane Entlastungsnephrostomie, . Abb. 5.9).
75 5.3 · Klinik und Diagnostik
5
. Abb. 5.8 Doppel-J-Katheter. Einlage via Blase über Führungsdraht an Hindernis vorbei. Selbsthaltende Fixation in Nierenbecken und Blase durch beidseitige Krümmung
. Abb. 5.9 Perkutane Nephrostomie (PCN)
76
Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)
5.4
Therapie und Metaphylaxe
5.4.1
Therapie
4 Kolik: Analgetika: Metamizol-Natrium 2–5 ml langsam i.v., Pethidin 80–100 mg
i.v.. Nichtsteroidale Analgetika (z. B. Ibuprofen) fördern den Steinabgang. Bei distalen Steinen beschleunigen α-Blocker (z. B. Tamsulosin) den Steinabgang. Analgetika müssen bei Koliken intravenös verabreicht werden. Wenn notwendig »Entlastung« durch Doppel-J-Katheter (. Abb. 5.7) oder Nephrostomie. ! Bei Koliken hat die rasche intravenöse Analgesie Vorrang vor lang-
5
wieriger Diagnostik. 4 Konkremente: Zurückhaltend, abwartend. Symptomlose Parenchymverkal-
kungen und Kelchsteine bedürfen in der Regel keiner Behandlung. Mehr als 80% aller Steine gehen spontan ab! Die Wahrscheinlichkeit des Spontanabganges hängt von der Steingröße ab (. Tab. 5.2) Bei abgangsfähigen Steinen korrekte Analgesie im Kolikfall, Bewegung. Die früher gängige forcierte Diurese gilt heute als obsolet, da sie Koliken verstärken und eine Kelchruptur induzieren kann. ! Kein endoskopischer und chirurgischer Hyperaktivismus! Primum nil nocere! 4 Interventionell: Nur bei persistierenden, therapieresistenten Koliken, bei per-
sistierender Stauung, bei Hinweisen auf Infekt oder bei wegen der Größe nicht spontan abgangsfähiger Steine (ca. 5 mm). Für unkomplizierte, im Nierenbecken und im oberen Harnleiter gelegene Steine hat die berührungsfreie Steinzertrümmerung (ESWL = extrakorporelle Stoßwellenlithotrypsie) die Chirurgie weitgehend ersetzt. Im Wasserbecken werden mit Generatoren Druckwellen erzeugt, die in der ellipsenförmigen Wanne reflektiert werden. Fokussierung auf den Stein mit Röntgen- oder Ultraschallortung. Die zur Zertrümmerung notwendige Energie wird außerhalb des Körpers erzeugt und auf den mit Röntgen oder Ultraschall georteten Stein gerichtet (. Abb. 5.10 . Tab. 5.2 Spontanabgangsrate in Abhängigkeit der Steingröße
Steingröße
Wahrscheinlichkeit Spontanabgang
<5 mm 5–8 mm >8 mm
90% 15% 5%
77 5.4 · Therapie und Metaphylaxe
5
. Abb. 5.10 Schematische Darstellung der ESWL (extrakorporale Stoßwellenlithotrypsie)
a
b
. Abb. 5.11a,b Großer Pyelonstein (Pfeil) a vor und b nach ESWL. Auf dem rechten Bild ist der Stein nicht mehr sichtbar
und . Abb. 5.11). Eine wichtige Voraussetzung sind freie Abflussverhältnisse: Nierenbeckenabgangsstenosen sind Kontraindikationen. Wenn große Steintrümmermassen erwartet werden oder wenn Infektverdacht besteht, ist es empfehlenswert, Ableitungskatheter (sog. Doppel-J-Katheter) durch Blase und Harnleiter in das Nierenbecken einzulegen (. Abb. 5.8). Solche Maßnahmen sind bei etwa einem Drittel der Patienten notwendig. Gelegentlich kommt es zu einer Ablagerung von
78
Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)
5
. Abb. 5.12 Steinstraße« (Pfeile). Mehrere Desintegrale im Ureterverlauf rechts. Zur Entlastung musste eine Nephrostomie eingelegt werden
Desintegraten im Ureter. Man spricht dann – auch im Englischen – von einer »Steinstraße« (. Abb. 5.12). Blasensteine entstehen in der Blase aufgrund einer Abflussbehinderung (meist Prostatahyperplasie) und sind nicht »heruntergekommene« Nierensteine. Sie werden je nach Größe endoskopisch mit einer Zange oder mit über eine Sonde an den Stein gebrachten Stoßwellen zerkleinert und ausgespült. In der Regel erfolgt in gleicher Sitzung die Sanierung der Abflussverhältnisse (z. B. TUR-P). Harnleitersteine, die nicht spontan abgehen, werden heute – wenn nicht z. B. ein intravesikal entwickeltes Prostataadenom den Zugang zum Ostium behindert – ureteroskopisch zertrümmert und entfernt (. Abb. 5.13). Auch für Harnleitersteine gilt das »primum nil nocere«. Eine vorerst konservative Grundhaltung gegenüber symptomarmen Harnleitersteinen ist deshalb nie falsch. Nierensteine können ebenfalls auf endoskopischem Weg entfernt werden. Dank stark verbesserter flexibler Ureteroskope, feiner Lasersonden und moderner Körbchen und Zangen können auch Kelch- und sogar Unterpolsteine erfolgreich angegangen werden. Gerade bei den – normalerweise schwer abgehenden – Unterpolkonkrementen ist die flexible Ureterorenoskopie viel versprechend und möglicherweise der ESWL überlegen. Sehr große Nierensteine (i. d. R. >2 cm), welche mehrere ESWL-Behandlungen benötigen würden, können erfolgreich auf perkutanem Weg angegangen werden. Dazu wird das Nierenbecken durch die Haut
79 5.4 · Therapie und Metaphylaxe
a
5
b
. Abb. 5.13 Ureteroskopie und endoureterale Lithotrypsie
(unter Röntgen- oder Ultraschallkontrolle) angestochen und der Stichkanal anschließend so aufgeweitet, dass er ein Endoskop aufnehmen kann, durch das sich der Stein nach Zertrümmerung mit Zangen entfernen bzw. ausspülen lässt. Dieses »perkutane Litholapaxie« genannte Verfahren hat durch die Verbreitung der extrakorporalen Steinzertrümmerung an Bedeutung eingebüßt (. Abb. 5.14). Chirurgische Steinoperationen sind selten geworden. Indiziert sind sie weiterhin beim Vorliegen von komplizierenden chirurgischen Nierenerkrankungen, die z. B. eine Pyelonplastik oder eine Teilresektion notwendig machen. Auch große, nicht voroperierte Ausgusssteine sind eine gelegentliche chirurgische Indikation geblieben. Eine Steinauflösung durch peroral zugeführte Medikamente ist bei (röntgendichten) kalziumhaltigen Steinen unmöglich. Anders bei Harnsäurekonkre-
80
5
Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)
. Abb. 5.14 Perkutane Litholapaxie eines Nierenbeckensteins
menten, die durch Harnalkalisierung auf pH 6,4–6,7 und Diuresesteigerung aufgelöst werden können. ä Fallbeispiel Anamnese Eine 52-jährige Hausfrau meldet sich wegen Flankenschmerzen auf der urologischen Poliklinik. Seit einigen Monaten bemerkt sie dumpfe Flankenschmerzen, die teilweise auch etwas stärker sind. Fraglich bemerkt sie auch immer wieder Blut im Urin, vor allem nach dem Joggen. Außer 2 normalen Geburten und einer Blinddarmoperation war sie immer gesund. Befund Im Urinstatus findet sich eine Mikrohämaturie, Bakterienwachstum lässt sich keines nachweisen. Im Ultraschall lässt sich auf der rechten Seite eine große schattengebende Formation im Pyelon feststellen. Mit Verdacht auf Pyelonstein wird deshalb ein Computertomogramm (CT) angefertigt. Es zeigt einen 3 cm großen Pyelonstein. Die Niere selbst erscheint unauffällig. Beurteilung Großes Pyelonkonkrement rechts. Empfehlung zur perkutanen Entfernung, da bei einer Steinzertrümmerung mit mehreren Behandlungen zu rechnen ist. Weiteres Vorgehen Die Patientin wünscht eine Behandlung. Sie wünscht zunächst nur einen minimal-invasiven Eingriff und entschließt sich zur ESWL. Eine Kontrolle danach zeigt, dass kaum eine Fragmentation des Steins eingetreten ist. Sie entschließt sich deshalb schließlich doch zur perkutanen Nephrolitholapaxie (PNL). In einem rund 1½-stündigen Eingriff in Narkose kann der Stein vollständig zertrümmert und entfernt werden. Verlauf Ein Röntgenbild und ein antegrades Pyelogramm via die noch liegende Nephrostomie am 3. postoperativen Tag bestätigt die Steinfreiheit und zeigt einen guten Ablauf. Entfernung der Nephrostomie und Entlassung am Folgetag. Empfehlung: Diuresesteigerung. Kontrolle nach 1 Jahr.
81 5.4 · Therapie und Metaphylaxe
5
Rezidivprophylaxe (Metaphylaxe) Die Steinentfernung bedeutet in der Regel nur den Abschluss einer Episode des Harnsteinleidens. Bei 30–50% der Patienten manifestiert sich die Steinkrankheit innerhalb der folgenden 10 Jahre erneut. Rezidive sind um so häufiger, je mehr prädisponierende Faktoren vorhanden sind. Die Metaphylaxe ist deshalb ein wesentlicher Teil der Behandlung. Allgemeine Richtlinien Diuresesteigerung auf mehr als 1,5 l Urin täglich. Das
spezifische Gewicht sollte unter 1.015 liegen. Für den täglichen Gebrauch genügt es, wenn der Patient darauf achtet, hellen oder gar »wasserklaren« Urin zu haben. Normale, körperlich aktive Lebensweise. Gezielte Behandlung von Infekten durch Chemotherapie und Ansäuerung des Harns. Keine einseitige Diät (z. B. zu proteinhaltige Nahrung). Auch hier ist die sog. »mediterrane« Diät empfehlenswert (viel Gemüse, wenig Fleisch und tierische Fette). Salzkonsum beschränken. Für ausreichend Ballaststoffe sorgen, Abführmittel vermeiden. Erhöhung der Zitratausscheidung (Hemmstoff). Voraussetzung für die Empfehlung spezifischer Metaphylaxemaßnahmen ist das Vorliegen einer Steinanalyse. Praktische Empfehlungen bei kalziumhaltigen Harnsteinen 4 Diuresesteigerung: Kräutertee, Mineralwasser; Milchgetränke in größeren
Mengen vermeiden. 4 Vitaminreiche, säuernde Kost: Brot, Fleisch, Fisch. Für Oxalatsteinpatienten:
Zurückhaltung mit Tomaten, Spinat, Rhabarber, Beerenobst, Schokolade. 4 Medikamentöse Metaphylaxe (nur bei speziellen Indikationen): Senkung
des Kalziums im Urin bei idiopathischer Hyperkalziurie durch Thiazide zur Steigerung der tubulären Kalziumrückresorption. Normale Kalziumausscheidung beim Mann bis 300 mg/24 h, bei der Frau bis 250 mg/24 h. Alkaliverabreichung zur Anhebung der Zitratausscheidung. Praktische Empfehlungen bei Harnsäuresteinen 4 Diuresesteigerung auf über 2 l/24 h: Frucht- und Gemüsesäfte, Zitronen-
wasser, Kräutertee, alkalisierende Mineralwasser zur Erhöhung des Urin-pH. Weniger empfehlenswert: Bohnenkaffee, Kakao, schwarzer Tee, Alkohol. 4 Kost: Bei Übergewicht Gewichtsabnahme anstreben. Normale Mischkost: Zurückhaltung mit stark harnsäurebildenden (purinreichen) Nahrungsmitteln wie Innereien, Sardinen, Heringe usw. 4 Medikamentöse Prophylaxe (und Steinauflösung): Einstellung des Urin-pH auf 6,4–6,7 mit Alkalizitrat unter Kontrolle des Urin-pH mit Indikatorpapier. Allopurinolverabreichung bei erhöhter Serumharnsäure.
H10
82
Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)
Praktische Empfehlungen bei Zystinsteinen (~1%)
4 Massive Diuresesteigerung: >3 l/24 h. 4 Kost: eiweißarm, alkalisierend. 4 Medikamente: Ascorbinsäure (5-mal 1 g/Tag), sog. Chelatbildner. ä Fallbeispiel
5
Ein 30-jähriger Kaufmann leidet seit 12 h an zunehmend starken Nierenkoliken links. Er sucht im Kolikintervall die Notfallstation auf. Anamnese Der Kolikschmerz ist dem Patienten nicht unbekannt. Seit dem 20. Lebensjahr hat er gelegentlich Steinkoliken durchgemacht. Es sind 3 Uretersteine abgegangen (links und rechts). Eine Steinanalyse fand bisher nicht statt. In den letzten Stunden hat sich der Schmerz nach unten in die linke Leistengegend verlagert und strahlt gegen das Skrotum aus. Fieber besteht nicht. Beurteilung 4. Steinepisode bei ätiologisch unabgeklärter Urolithiasis beidseits. Weiteres Vorgehen Aktuelle Steinepisode: Notfallmäßiges Stein-CT (ohne KM) im Kolikintervall. Diese zeigt einen leicht erweiterten Ureter links mit einem prävesikalen pfefferkorngroßen Konkrement. Die Nieren sind sonst unauffällig, abgesehen von einer pfefferkorngroßen Verkalkung im Bereich der rechten Niere. Es ist demnächst mit dem spontanen Abgang des Konkrements zu rechnen. Sollten nochmals Koliken auftreten, so lässt sich der Patient eine Ampulle Metamizol-Natrium (2 ml, evtl. 5 ml) i.v. spritzen. Das abgehende Konkrement wird er, wenn möglich, abfangen. Abklärung des Steinleidens Analyse des Konkrements. Es handelt sich um einen Oxalat-Phosphat-Mischstein. Bestimmung der Serumelektrolyte, besonders Kalzium und Phosphor. Die Werte sind im Normbereich. Ein Hyperparathyreoidismus ist daher unwahrscheinlich. Auch das Serumkreatinin und Urinelektrolyte im 24-h-Urin sind im Normbereich. Die Abklärung der Essgewohnheiten des Patienten ergibt, dass er eine normale Mischkost zu sich nimmt. Empfehlungen für die Rezidivprophylaxe Diuresesteigerung wenn möglich auf 1,5 l/Tag. Keine Diätvorschriften. Vermehrte körperliche Aktivität wird empfohlen.
83 5.4 · Therapie und Metaphylaxe
Übungsfragen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
5
Lösungen → S. 211
Welche Harnsteinarten kennen Sie bezüglich ihrer chemischen Zusammensetzung und wie beurteilen Sie ihre relative Häufigkeit? Charakterisieren Sie aufgrund von Lage und Form vier verschiedene Steinsituationen in den oberen Harnwegen! Nennen Sie drei kausalgenetische Teilfaktoren, die die Bildung von Harnsteinen begünstigen! Welche Harnsteinart kann man allenfalls medikamentös auflösen? Welches ist die wichtigste Empfehlung in der Harnsteinrezidivprophylaxe? Nennen Sie 3 Methoden zur Steinbehandlung? Wie kann eine obstruierte Niere entlastet werden?
6 Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren) 6.1
Gutartige Tumoren des Nierenparenchyms
6.2
Bösartige Nierentumoren
– 85
– 87
6.2.1 Nierenzellkarzinom (Adenokarzinom, »Hypernephrom«) – 87 6.2.2 Nephroblastom (Wilms-Tumor) – 90 6.2.3 Liposarkom, Fibrosarkom – 90
6.3
Tumoren des Urothels
6.3.1 Nierenbeckentumoren 6.3.2 Uretertumoren – 92 6.3.3 Blasentumoren – 92
– 91 – 91
6.4
Prostatakarzinom
– 98
6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6
Ätiologie – 100 Pathologie – 100 Klinik – 100 Diagnostik – 101 Therapie – 102 Prognose – 107
6.5
Hodentumoren
6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4
Diagnose – 110 Therapie und Prognose – 112 Seminome – 112 Nichtseminomatöse Tumoren – 113
6.6
Peniskarzinom
6.7
Skrotalkarzinom
– 109
– 114 – 115
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_6, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
85 6.1 · Gutartige Tumoren des Nierenparenchyms
6
Die wichtigsten Tumoren des Urogenitalssystems sind in . Abb. 6.1 schematisch dargestellt. Nach den Angaben zentraleuropäischer Krebsregister ist das Prostatakarzinom mit ca. 20% vor dem Lungenkarzinom (17,6%) und dem Kolonkarzinom (13%) das häufigste Malignom der männlichen Bevölkerung. Das Blasenkarzinom folgt mit 6% an 5. Stelle. Sowohl das Prostatakarzinom (rektale Untersuchung, PSA) wie auch das Urothelkarzinom (Hämaturieabklärung) sind der Früherkennung durchaus zugänglich. Die TNM-Klassifikation mit Einschluss des histologischen Differenzierungsgrades (G1–G3) ermöglicht eine überall verständliche Charakterisierung der Tumorausdehnung und des Malignitätspotenzials, was angesichts der modernen multidisziplinären Krebstherapie, an der neben dem Allgemeinpraktiker der Urologe, Onkologe und Radioonkologe maßgeblich Anteil nehmen, große Vorteile bietet. ! TNM-Klassifikation: 4 T = Primärtumor 4 N = Regionäre Lymphknoten 4 M = Fernmetastasen Tumoren des Urogenitalsystems haben gewisse Gemeinsamkeiten: 4 Leitsymptom: (intermittierende) Hämaturie. Hämaturie ist immer verdächtig auf ein malignes Geschwulstleiden in der Blase bzw. in den oberen Harnwegen. Beim Nierenzellkarzinom tritt die Hämaturie leider oft erst in einer späten Erkrankungsphase auf. 4 Meist geringe und erst spät auftretende subjektive Beschwerden. Tumoren der Nieren, der Harnwege, der Prostata oder des Hodens machen in frühen Erkrankungsphasen kaum Beschwerden. 4 Bevorzugt lymphogene Metastasierung. Vom Adenokarzinom der Nieren und vom Chorionkarzinom des Hodens abgesehen, die früh hämatogene Metastasen setzen können, breiten sich die Urogenitaltumoren vorwiegend lymphogen im Becken und im Retroperitoneum aus. ! Tumoren des Urogenitaltraktes metastasieren lymphogen iliakal und retroperitoneal. Ausnahme: Peniskarzinom → inguinal.
6.1
Gutartige Tumoren des Nierenparenchyms
Gutartige Nierentumoren sind selten, meist klein und symptomlos; häufig handelt es sich um Zufallsbefunde. Meist sind es Adenome mit tubuluszellähnlichem Gewebebild. Diese sind wahrscheinlich Ausgangspunkte der Nierenzellkarzinome. »Adenome« mit einem Durchmesser von über 2 cm sind deshalb nicht mehr als gutartig zu betrachten. Daneben gibt es Fibrome, Lipome, Onkozytome, Hämangiome, Hamartome, Angiolipoleiomyome (gehäuft bei tuberöser Sklerose).
F09 H09
86
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
6
. Abb. 6.1 Wichtige Neoplasmen des Urogenitalsystems
87 6.2 · Bösartige Nierentumoren
6.2
Bösartige Nierentumoren
6.2.1
Nierenzellkarzinom (Adenokarzinom, »Hypernephrom«)
6
Häufigster Nierentumor des Erwachsenen, aber insgesamt doch ein seltener Tumor (1–2% aller Tumoren). Männer sind häufiger betroffen (2 : 1), Altersgipfel 50–70 Jahre. Ätiologie Grawitz (1884) glaubte an eine Entstehung aus in der Niere liegenden, versprengten Nebennierenzellen → Bezeichnung »Hypernephrom«. Diese Hypothese hat sich als unrichtig erwiesen. Die Bezeichnung ist indessen weiterhin gebräuchlich. Wahrscheinlich entstehen Nierenzellkarzinome aus Adenomen. Gehäuft bei von Hippel- Lindau-Erkrankung. Pathologie Die Tumoren entwickeln sich meist in einem Nierenpol → konzentrisches Wachstum (»raumfordernder Prozess« im Sonogramm/CT). Verdrängung des Hohlsystems → Einbruch in Nierenbecken und in Nierenvenen → Einwachsen in Nierenhauptvene und in V. cava (→ »symptomatische« Varikozele durch Behinderung des Blutabflusses aus der V. spermatica). Metastasierung nach dem Hohlvenentyp → Lunge (60%), Skelett (30%), Leber, Hirn. Lymphogene Metastasierung → lumbale Lymphknoten (30%). Frühe Metastasierung ist nicht die Regel, aber spätes Auftreten von Metastasen, Jahre nach Entfernung des Primärtumors, ist möglich. Klinik Im Frühstadium meist symptomlos. Oft Zufallsbefund bei Sonographie
oder CT. Makrohämaturieepisoden ohne Schmerzen sind Leitsymptom, aber meist nicht Frühsymptom des Nierenkarzinoms. Weniger häufig: lumbales Druckgefühl, tastbarer Flankentumor. Weitere Symptome: ungeklärtes remittierendes Fieber, Polyzythämie, CRP-Erhöhung, Müdigkeit, Kachexie. Zeichen einer Leberschädigung (paraneoplastisches Syndrom). ! Nierenkarzinome sind oft symptomlos, können sich aber in relativ frühen Stadien mit einem paraneoplastischen Syndrom manifestieren. Diagnose Die meisten Nierentumoren werden zurzeit bei der Ultraschalluntersuchung des Abdomens (häufig zufällig) entdeckt. Andere werden im Rahmen der Hämaturieabklärung gefunden. 4 Ultraschalluntersuchung: Entscheidung Zyste/solider Tumor mit Ultraschall fast immer (95%) möglich.
88
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
4 Computertomographie (. Abb. 6.2) sichert Diagnose (±100%) und erlaubt
Ausdehnungsbeurteilung. Einwachsen in Nierenvene und Vena cava kann erkannt werden. 4 Arteriographie und Kavographie werden nur ausnahmsweise benötigt (z. B. Operationsplanung bei Einzelniere). 4 Biopsie: Da die Diagnose von malignen Tumoren fast immer aufgrund der Bildgebung möglich ist und die (geringe) Gefahr der Tumorverschleppung besteht, ist die Biopsie von Raumforderungen der Niere von untergeordneter Bedeutung. Ausnahmen: Unterscheidung zwischen Primärtumor und Metastasen bei bekanntem Zweittumor (z. B. Raumforderung bei bekanntem Melanom).
6
H07 F09 H09
Differenzialdiagnose Sie ist mit Ultraschall und CT problemlos. In Frage kommen im Wesentlichen: 4 Angiolipoleiomyome, 4 Onkozytome (trotz des Namens gutartig!), 4 solitäre Nierenzysten und 4 Hydronephrosen. Behandlung Die chirurgische Therapie ist Behandlung der Wahl und hängt im Wesentlichen von der Tumorgröße und -lokalisation ab: Bei kleinen, peripheren Geschwülsten ist meist die Nierenteilresektion möglich, ohne die Prognose zu beeinträchtigen. Große oder zentral wachsenden Tumoren benötigen eine »En-bloc«-Entfernung von Niere, perirenalem Fett und Faszie, je nach Tumorlage und -ausdehnung laparoskopisch oder von einem abdominalen oder gar thorakoabdominalen Zugang aus. Der kurative Wert der Lymphadenektomie ist umstritten, dagegen ist die Exzision solitärer Metastasen (Lunge, Hirn) sinnvoll. Eine palliative Nephrektomie ist auch bei metastasierenden Nierenkarzinomen meist indiziert (Diagnosesicherung, Verhinderung lokaler Komplikationen, bessere Prognose). Sehr selten kommt eine Embolisierung über die Nierenarterie in Frage.
! Das Nierenzellkarzinom spricht auf Strahlen- und Hormontherapie nicht an. In jüngster Zeit Erfolg versprechende Chemotherapie bei metastasiertem Leiden mit Angiogenesehemmern. Chemotherapie Bis vor kurzem galt das Nierenkarzinom als »Chemotherapie-
resistent«. In jüngster Zeit Erfolg versprechende neue Chemotherapie mit Tyrosinkinase-Hemmern (Hemmern der Angiogenese). Mit Sorafenib und Sunitinib Ansprechraten bis 40% und moderate Verbesserung des tumorfreien Überlebens. Relativ toxisch. Genauer Stellenwert dieser neuen Medikamente noch nicht geklärt.
89 6.2 · Bösartige Nierentumoren
6
a
b
c . Abb. 6.2 a Großer Nierentumor ventral rechts (Pfeil). b Kleines Nierenkarzinom (Pfeil) rechts an der dorsalen Nierenseite im CT-Bild; c intraoperativer Befund (b und c = derselbe Patient)
90
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
Immuntherapie Mit den modernen Methoden zur Beeinflussung der Immuni-
tätslage scheinen sich (vorerst in klinischen Studien) neue Therapiemöglichkeiten zu eröffnen (Interferon, Zytokine, tumorinfiltrierende Lymphozyten). Prognose In Frühfällen günstig. Bei organbegrenzten Tumoren 70–90% Über-
lebende nach 5 Jahren, bei Infiltration der Fettkapsel ca. 50%. Kleine Nierentumoren (T1) können durch Nephrektomie oder Nierenteilresektion in 80–90% der Fälle definitiv geheilt werden. Lymphknotenbefall (N+) verschlechtert die Prognose deutlich: Fünfjahresüberlebensrate maximal 25%. Bei multiplen Fernmetastasen (M+) überleben weniger als 10% 5 Jahre. Spontanremissionen sind extrem selten (<0,5%).
6
6.2.2
Nephroblastom (Wilms-Tumor)
Häufigster Abdominaltumor des Kindes, 90% in der Altersgruppe 1–7-Jahre. Im Gegensatz zum Adenokarzinom gutes Ansprechen auf Strahlen- oder Chemotherapie. Prognose der kombinierten chirurgisch-radiotherapeutisch-chemotherapeutischen Behandlung günstig (7 Kap. 10.8).
6.2.3
Liposarkom, Fibrosarkom
Sehr selten. Symptomatologie und Behandlung wie Adenokarzinom. Prognose wesentlich ungünstiger, weniger als 10% Überlebende nach 5 Jahren. ä Fallbeispiel Anamnese Ein 60-jähriger Redakteur, Kettenraucher, hat bei sich nun schon zum 2. Mal eine kurzdauernde Makrohämaturieepisode beobachtet und ist beunruhigt. Befund Zurzeit im Urin nur 7 Erythrozyten pro Gesichtsfeld. Urinzytologie negativ. Im Ultraschall solide orangengroße »Raumforderung« im Unterpol der rechten Niere. Deshalb erfolgt ein Computertomogramm des Abdomens, das einen Tumor beweist. Die Nierenvene ist gut erkennbar ohne Tumor. Auffällige Lymphome im Hilusbereich lassen sich nicht nachweisen. Eine Thoraxaufnahme ist unauffällig, das C-reaktive Protein ist erhöht. Diagnose Nierenzellkarzinom rechts, Stadium T2N0M0. Therapie Extrakapsuläre Nephrektomie über einen Interkostalschnitt 10./11. Rippe. Unter extrakapsulär versteht man die Mitnahme des perirenalen Fettgewebes innerhalb der sog. Gerota-Kapsel. Verlauf Komplikationsloser postoperativer Verlauf. Nachkontrollen nach 6 und 12 Monaten. Es ist mit einer Dauerheilung zu rechnen.
91 6.3 · Tumoren des Urothels
6.3
6
Tumoren des Urothels
Diese Neoplasmen entwickeln sich aus dem Übergangsepithel der Harnwege und zeigen daher trotz unterschiedlicher Lokalisation ein nahezu identisches histologisches Bild. Zum Zeitpunkt der Diagnose sind 70% oberflächlich wachsende und 30% muskelinvasive Karzinome vorhanden. Die oberflächlich wachsenden Urotheltumoren (sog. pTa-Tumoren) verhalten sich gutartig und werden deshalb auch als »Papillome« oder etwas umständlicher als »Tumoren mit niedrigem Malignitätspotenzial« bezeichnet. Sie haben eine hohe Rezidivierungstendenz (>50%). Bei den muskelinvasiven Tumoren handelt es sich um aggressive, relativ rasch metastasierende Tumoren. In rund 5% finden sich Plattenepithelanteile. Eine Zwischenstellung nimmt das sog. Carcinoma in situ ein. Es ist ein oberflächlich wachsender Tumor mit Metastasierungspotenzial. Es ist genetisch den invasiven Tumoren näher. Sehr selten sind Adenokarzinome. Am häufigsten ist die Blase befallen (>90%), dann in abnehmender Häufigkeit die Nierenbecken, die Ureteren und die hintere Urethra.
6.3.1
Nierenbeckentumoren
Nierenbeckentumoren machen rund 10% aller Nierentumoren aus und sind fast immer (90%) papilläre Urothelkarzinome. Oft treten die Geschwülste multipel auf (30–40%) oder führen zu Ablegern in Ureter und Blase. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Ätiologie Neben der unspezifischen, chronischen Entzündung gibt es seltene, regional auftretende Nephritiden mit erhöhtem Tumorrisiko (Balkannephritis). Eine wichtige Ätiologie in Westeuropa war der Phenazetinabusus (Kopfschmerztabletten). Nikotinabusus. Weitere ätiologische Hinweise 7 Blasentumoren. Pathologie Die dünne Wand der oberen Harnwege ist rasch durchwachsen → Infiltration ins peripelvine Fettgewebe und Metastasierung in lumbale Lymphknoten. Klinik Hauptsymptom (80%) und (im Gegensatz zum Nierenzellkarzinom) auch Frühsymptom ist die Mikro- (Makro-)hämaturie. Im CT und Urogramm manifestiert sich der Tumor durch Kontrastmittelaussparung. Gelegentlich ist ein retrogrades Pyelogramm notwendig, mit dem der Füllungsdefekt besser dargestellt werden kann. Differenzialdiagnostisch kommen in Frage: Gefäßimpressionen, röntgennegative Konkremente, evtl. Tuberkulose. Hilfreich sind Urinzytologie, evtl. Ureterorenoskopie.
92
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
Therapie Nephroureterektomie, unter Mitentfernung der Uretermündung. Die vollständige Entfernung des Ureters ist notwendig wegen der Gefahr einer späteren Geschwulstentwicklung im zurückgebliebenen Ureterstumpf (bis 30%). Prognose Je nach Tumortyp und Stadium: bei bedingt malignen Tumoren 80%,
bei infiltrierenden Karzinomen 25% Überlebende nach 5 Jahren.
6.3.2
Uretertumoren
Diese sind seltener (ca. 3% aller Urotheltumoren) und entwickeln sich in der Regel im distalen Abschnitt.
6 F10
Klinik Ähnlich wie bei den Nierenbeckentumoren. Im intravenösen oder retro-
graden Kontrastbild erkennt man eine tumorbedingte Kontrastaussparung und in der Regel eine mehr oder weniger starke Stauung. Therapie Nephroureterektomie. Bei gutartigen distalen Geschwülsten ist gelegent-
lich eine Teilresektion mit Neueinpflanzung in die Blase möglich. Bei infiltrierendem Karzinomwachstum ist die Prognose ungünstig; nur wenige Prozent Überlebende nach 5 Jahren.
6.3.3
Blasentumoren
Der Blasentumor ist nach dem Prostatakarzinom der zweithäufigste Urogenitaltumor. Befallen sind vorzugsweise Männer (3 : 1) in der Altersgruppe von 50–80 Jahren. Ätiologie Bereits 1895 hat der Chirurg Rehn einen Zusammenhang zwischen
Blasentumoren und einer Exposition mit Farbstoffen nachgewiesen. Seine Bezeichnung »Anilinkrebs« ist allerdings unzutreffend. In Wirklichkeit sind es aromatische Amine (Amingruppe in Orthostellung), die im Tierversuch Blasentumoren verursachen. Gefährdet sind die Arbeiter in gewissen Sparten der Textil-, Leder-, Farb- und Gummiindustrie. Zur Tumorinduktion ist eine gewisse Expositionszeit notwendig (2 Jahre). Das Auftreten der Tumoren erfolgt nach einer Latenzzeit, die je nach Expositionsdauer und Intensität zwischen 5 und 40 Jahren beträgt. Heute selten. Auch das Zigarettenrauchen ist als blasentumorinduzierender Faktor gesichert. Die Konzentrationen der Tryptophanmetaboliten im Urin liegen bei Rauchern bis zu 50% höher. Weiter können chronische Entzündungen (besonders
93 6.3 · Tumoren des Urothels
6
. Abb. 6.3 Blasentumorstadien im TNM-System. Ta, Tis, T1–T4 bedeuten unterschiedliche Infiltrationstiefe, N0–N+ beurteilen die lymphogene Metastasierung, M0–M+ beurteilen die Fernmetastasierung
Bilharziose, evtl. Steine) zur Tumorbildung Anlass geben (→ Plattenepithelkarzinome). Urinstase und Restharn (in Divertikeln) begünstigen vermutlich die Tumorentstehung (auch in den oberen Harnwegen). Pathologie (. Tab. 6.1) Es handelt sich in der Regel (>90%) um Tumoren vom Übergangsepitheltyp (Urothelkarzinome). Vom Wachstumstyp her unterscheidet man papilläre Tumoren, oberflächliche (Carcinoma in situ) und infiltrierende Karzinome unterschiedlicher T-Stadien (. Abb. 6.3). Das Carcinoma in situ (CIS) der Harnblase ist vermutlich eine Vorstufe der invasiven Tumoren.
! Für die Klinik ist die Unterscheidung zwischen oberflächlichen (meist relativ gutartigen) und invasiven (aggressiv wachsenden und metastasierenden) Urothelkarzinomen hilfreich. Klinisches Verhalten (. Tab. 6.1) Das Wachstum erfolgt meist exophytisch, papillomatös und häufig multizentrisch. Die oberflächlichen pTa-Tumoren (»Papil-
lome«, »Tumoren mit niedrigem Malignitätspotenzial«) metastasieren praktisch nie, zeigen aber eine hohe Rezidivierungstendenz (>50%). Die muskelinvasiven (≥pT2) Blasenkarzinome verhalten sich aggressiv, metastasieren früh und haben eine ungünstige Prognose. Geschätzte 50% der Patienten haben zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Mikrometastasen. Die Metastasierung geschieht vorwiegend
H10
94
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
lymphogen → Beckenlymphknoten → paraaortokavale Lymphknoten → Lunge, Leber, Knochen (hämatogene Fernmetastasen). pT1-Tumoren sind früh entdeckte, muskelinvasive Tumoren. Eine besondere Stellung nimmt das so genannte Carcinoma in situ (Cis) ein. Es wächst ganz oberflächlich, ist manchmal schwierig zu diagnostizieren, hat aber unbehandelt ein hohes Malignitätspotenzial (ca. 50% werden muskelinvasiv). Genetische Untersuchungen zeigen, dass es den invasiven Tumoren verwandt ist. ! Das Carcinoma in situ (Cis) spricht gut auf BCG-Instillationen an. Klinik Haupt- und Frühsymptom: schmerzlose Mikrohämaturie mit Makro-
6
hämaturieepisoden (80%); seltener Pollakisurie und »Zystitis« (20%). Beginn schleichend, ohne Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens. Die Erscheinungen werden daher vom Patienten, gelegentlich aber auch vom Arzt (zu Unrecht) bagatellisiert. ! Mikro- und Makrohämaturie sowie therapieresistente Zystitiden sind immer tumorverdächtig. Diagnostik (. Tab. 6.1)
H06
4 Die Urethrozystoskopie, manchmal ergänzt durch eine Urinzytologie, zeigt den Typ, die Ausdehnung und die Anzahl der Tumoren. Gesichert wird die Diagnose mit einer transurethralen Resektion der Blase (TUR-B) (. Abb. 6.4). Durch die Anwendung der sog. photodynamischen Diagnostik (PDD) kann die Detektionsrate von flachen, schwer sichtbaren Blasentumoren verbessert
. Abb. 6.4 Zwei papilläre Harnblasentumoren. Mit der elektrischen Metallschlinge wird der Tumor abgetragen und zu histologischen Untersuchung gesandt
95 6.3 · Tumoren des Urothels
6
werden. Hexaminolävulinsäure wird ca. 2 h vor der TUR-B in die Blase instilliert und reichert dort in sich rasch vermehrenden Zellen an. Befallene Stellen leuchten rot und können mit speziellen Fluoreszenz-Zystoskopen gut gesehen werden. Kommt insbesondere bei Verdacht auf Carcinoma in situ (CIS) zur Anwendung. → Fallquiz, Fallbeispiel 7, S. F36. 4 CT oder Urographie: Füllungsdefekte in der Harnblase, gelegentlich einseitige Stauung der oberen Harnwege durch infiltratives Wachstum im Trigonumbereich. Eine Urographie oder CT-Untersuchung ist bei Hämaturie und anders motiviertem Tumorverdacht obligatorisch (. Abb. 6.5). Die Beurteilung der lokalen Ausdehnung (Infiltration in benachbarte Strukturen) und des Lymphknotenbefalls erfolgt durch die Computertomographie oder auch Magnetresonanztomographie (. Abb. 6.6). Zur Suche nach Fernmetastasen in
. Abb. 6.5 Kugeliger, papillär wachsender Tumor der linken Harnblasenwand. Kontrastmittelaufnahme. Kein Hinweis auf Infiltration
. Abb. 6.6 Magnetresonanztomogramm eines Blasentumors. Man sieht einen diffus wachsenden Tumor (Pfeil), der die Blasenwand aber noch nicht überschritten hat
96
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
Lunge, Leber und Skelettsystem eignen sich Thoraxaufnahmen, Computertomogramm und Skelettszintigramm. Therapie (. Tab. 6.1) Bei der Indikationsstellung zu berücksichtigen sind Stadium, histologischer Typ, Malignitätsgrad, Alter, Allgemeinzustand, familiäre Situation u. a. H10
6 F09 H09
H08 H10
Behandlungsmöglichkeiten: 4 Transurethrale Resektion (TUR-B): Erster diagnostischer Schritt und Basis für
die Beurteilung des weiteren Vorgehens. Ist gleichzeitig die definitive Therapie bei oberflächlichen, gut differenzierten und lokalisierten Tumoren (Ta, T1, evtl. T2 immer mit Nachresektion einige Wochen später). Vorteile: kleines Operationstrauma, geringe postoperative Beschwerden, kurze Krankheitsdauer, jederzeit wiederholbar. 4 Blasenteilresektion: Sehr selten indiziert: z. B. bei einem für die TUR-B ungünstigen Tumorsitz in der Blasenkuppe bzw. an der Blasenhinterwand und beschränkter Lebenserwartung; Gefahr der Tumorzellverschleppung. 4 Zystektomie + Lymphadenektomie + Harndeviation: Für alle infiltrierenden und multizentrisch wachsenden Tumoren, die die Möglichkeiten der TUR-B übersteigen und bei denen Heilung angestrebt wird (therapieresistentes Cis, T2/T3, N0, M0). Die Zystektomie ist nur sinnvoll, wenn kein offensichtlicher Befall der regionalen Lymphknoten besteht (präoperatives CT, Schnellschnittuntersuchung). Der Urin wird meist nach außen umgeleitet. Zur Harnumleitung am gebräuchlichsten ist ein sog. Ileumconduit mit äußerlich aufgeklebtem Auffangbeutel (. Abb. 12.8). Alternativ lässt sich ein inneres Darmbeutelreservoir (»Ersatzblase«, »Neoblase«, »Pouch«) bilden, das »kontinent« ist. Bevorzugt wird beim Mann, in letzter Zeit auch vermehrt bei der Frau, die Verbindung dieser Neoblase mit der Urethra, sofern diese tumorfrei ist (»orthotoper Blasenersatz«; . Abb. 12.7). Diese Patienten haben eine mehr oder weniger »normale« Pressmiktion. Seltener wird ein kontinenter Blasenersatz mit Verbindung zur Bauchhaut (meist im Nabelbereich) gewählt, der regelmäßig durch Katheterismus entleert werden muss. 4 Chemotherapie: Die Zytostatikabehandlung ist zu einer wichtigen Zusatztherapie geworden, die die Prognose des Blasenkarzinoms günstig beeinflusst. 5 Die intravesikale Instillationsbehandlung (in Kombination mit der TUR-B) bei diffusem oberflächlichen Tumorbefall (Mitomycin C, Adriamycin, BCG) senkt die Rezidivrate und verlangsamt die Entstehung histologisch bösartiger, infiltrierender Rezidive. Die Instillation von BCG (Bacillus-Calmette-Guerin = Tbc-Bakterien) ist für das gefürchtete Carcinoma in situ (Tis) erste Behandlungsoption. Bei infiltrativem Tumorwachstum (T2) sind Instillationsbehandlungen wertlos.
6
97 6.3 · Tumoren des Urothels
. Tab. 6.1 Blasentumoren. Schematische Übersicht über Diagnostik, Prognose und Therapie in Abhängigkeit vom Stadium
Klinische Bezeichnung
Pathologische Einteilung
Diagnostik
Therapie
Prognose
»Papillom«, »Tumor mit niedrigem Malignitätspotenzial«
pTa
TUR-B
TUR-B (Diagnostik = Therapie)
Gut. Rezidive in >50%
»Cis«
Carcinoma in situ
TUR-B, Zytologie (90% pathologisch)
BCG Instillation, selten Zystektomie
Behandelt: günstig (>90% tumorfreies 5-Jahresüberleben)
»T1-Tumoren«
pT1
TUR-B
TUR-B und BCG-Instillation oder Zystektomie
Mit frühzeitiger, aggressiver Therapie günstig
»(Muskel-) Invasive Tumoren«
≥pT2
TUR-B, evtl. Re-TUR-B
Zystektomie
Ungünstig. Mit aggressiver Therapie 50–70% tumorfreies 5-Jahresüberleben
5 Die systemische Chemotherapie mit verschiedenen Zytostatika-Kombinationen wird in chirurgischen Grenzfällen prä- und postoperativ (»neoadjuvant« und »adjuvant«) mit Erfolg eingesetzt. Auch in der Behandlung des metastasierenden Blasenkarzinoms lassen sich zumindest partielle Remissionen erreichen. Die wichtigsten Medikamente (mit ihren objektiven Ansprechraten) sind Cisplatin (30%), Gemcitabin (25%), Methotrexat (30%), Adriamycin (18%) und Vinblastin (18%). Das früher übliche M-VAC-Schema wurde zugunsten einer Kombination aus Cisplatin und Gemcitabin verlassen. Gleich gute Ansprechraten (ca. 40%), aber deutlich weniger Nebenwirkungen.
98
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
Prognose (. Tab. 6.1) Die Prognose hängt ab von der Infiltrationstiefe (T-Kategorie) und vom Malignitätsgrad (G). Die 5-Jahresüberlebensrate bei wenig invasivem Tumorwachstum (T1/T2) liegt bei rund 60% oder weniger (bei niedrigem Differenzierungsgrad); bei fortgeschrittener Infiltration der Harnblasenwand (T3/T4) 10% oder weniger. ä Fallbeispiel Anamnese »Hämorrhagische« Zystitis bei einem 61-jährigen Magazinverwalter (Nichtraucher). Nach Behandlung mit Norfloxacin über zwei Wochen gehen die Beschwerden nur teilweise zurück. Besonders die Pollakisurie bleibt und im Urin kann weiterhin eine Mikrohämaturie nachgewiesen werden. Bakterien finden sich aber bei wiederholter Untersuchung nicht. Weitere Abklärung Im CT unauffällige Nieren und unauffällige obere Harnwege. In der Blase vereinzelte Aussparungen im Kontrastbild (Koagula?). In der Urinzytologie vereinzelt unregelmäßige Urothelien, ohne dass eine sichere Malignitätsdiagnose gestellt werden kann. Deshalb wird eine flexible Zystoskopie durchgeführt, die drei nebeneinander liegende exophytische Wucherungen über dem rechten Ostium ergibt. Die übrige Blase ist unauffällig. Diagnose Multiple exophytisch wachsende Urotheltumoren der Blase. Therapie Transurethrale Abtragung der Geschwülste mit Hochfrequenzschlinge (TURB). Histologisch handelt es sich um oberflächliche Karzinome pTa (ohne Durchbruch durch die Lamina propria der Submukosa). Weiteres Vorgehen Drei Monate später Nachresektion im Operationsgebiet. Bei tumorfreiem Präparat kann von Heilung ausgegangen werden. Anschließend sind aber Kontrollen in sechsmonatigen Abständen notwendig (Urinzytologie und Zystoskopie), da bei multiplen Tumoren mit einer hohen Rezidivhäufigkeit (bis 70%) gerechnet werden muss.
6
H10
6.4
Prostatakarzinom
Es ist das häufigste Urogenitalkarzinom des Mannes und ein ausgesprochenes »Alterskarzinom«. Klinisch nicht in Erscheinung getretene »latente« Karzinome finden sich anlässlich der Autopsie von über 70-jährigen Männern in rund 40% der Fälle. In Deutschland ca. 40.000 neue Fälle pro Jahr und ca. 12.000 Todesfälle am Tumor. Es ist zudem die häufigste Krebserkrankung des Mannes überhaupt. Die jährliche Prostatakrebsinzidenzrate pro 100.000 Männer beträgt zurzeit in Basel um die 85. Die Stadieneinteilung ist in . Tab. 6.2 dargestellt. ! »Nur« jeder 3. bis 4. Mann, der an Prostatakarzinom erkrankt, stirbt daran → Gefahr der Überbehandlung.
99 6.4 · Prostatakarzinom
6
. Tab. 6.2 Prostatakarzinom. Vereinfachte TNM-Klassifikation (UICC 2002). Dunkel hinterlegt sind lokal fortgeschrittene Tumoren; alle anderen sind lokal begrenzt (potenziell heilbar)
T-Stadium
Definition
T-Primärtumor T1
Tumor klinisch nicht erkennbar (Abtasten, Bildgebung)
T1a
Zufälliger histologischer Befund (z. B. bei TUR-P), ≤5% des untersuchten Gewebes befallen
T1b
Wie T1a, aber >5% des untersuchten Gewebes befallen
T1c
Tumor durch Biopsie diagnostiziert, z. B. wegen PSA-Erhöhung
T2
Tumor begrenzt auf Organ
T2a
Befall ≤50% eines Lappens
F08
T2b
Befall >50% eines Lappens
H08
T2c
Befall beider Lappen
T3
Tumor durchbricht Prostatakapsel
T3a
Extrakapsuläre Ausbreitung
T3b
Infiltration Samenblasen
T4
Tumor ist fixiert oder infiltriert benachbarte Strukturen (z. B. Rektum)
N – Regionäre Lymphknoten (LK) Nx
LK nicht beurteilbar, nicht bekannt
N0
Keine regionären LK
N1
Regionäre LK-Metastasen
M – Fernmetastasen Mx
Fernmetastasen nicht beurteilbar
M0
Keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
100
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
6.4.1
Ätiologie
Die Krankheitsursachen sind unbekannt. Alter (»Alterskarzinom«), hormonale Faktoren (Androgene stimulieren offenbar das Tumorwachstum) und Rasse (Japan: seltener, Afroamerikaner: häufiger betroffen) und möglicherweise auch die Umwelt (Ernährung zu fett!) spielen eine Rolle. Es besteht eine höhere Inzidenz in den Industrieländern. Daneben spielt die genetische Disposition eine Rolle. Bei I.-gradig Verwandten (Vater, Bruder) Risiko 2- bis 3-mal höher.
6.4.2
6
Fast immer von Drüsenepithelien ausgehend (Adenokarzinom). Selten Sarkome. Das Prostatakarzinom entwickelt sich in der Prostata entlang den Lymphspalten, durchbricht die anatomische Kapsel und infiltriert lokal zunächst die Samenblasen. Später metastasiert es in die regionalen (= iliakalen und obturatorischen) Lymphknoten und streut hämatogen bevorzugt in das Skelett (Becken, LWS). Der Tumor entwickelt sich vollständig unabhängig von – aber häufig gleichzeitig mit – einer benignen Prostatahyperplasie (BPH). Das histologische Wachstumsmuster wird nach Gleason differenziert. Ein tiefer Gleason-Score (2–6) bedeutet eine günstige, ein hoher (8–10) eine ungünstige Prognose. Ein Gleason-Score von 7 liegt dazwischen.
6.4.3
H07
F08 H08
Pathologie
Klinik
Initial liegen meist keine Symptome vor. »Klinisch-manifest« wird ein Prostatakarzinom durch sein abflussbehinderndes Tumorwachstum oder selten durch Metastasenschmerzen (»Lumbago«, »Ischias«) als erstes Krankheitssymptom überhaupt. Beim »okkulten« Karzinom werden zuerst Metastasen nachgewiesen (z. B. durch Röntgenaufnahmen). Das »inzidentielle« Karzinom findet sich unerwarteterweise bei der histologischen Untersuchung von Prostatagewebe nach TUR bei vermeintlich gutartiger Vergrößerung (ca. 10%). Von der Patientengruppe, die wegen Dysurie einen Arzt aufsucht, haben ca. 10% ein Prostatakarzinom. Bei rund der Hälfte dieser Patienten sind zu diesem Zeitpunkt bereits Metastasen vorhanden. Heutzutage werden die meisten Prostatakarzinome (>95%) nicht aufgrund von Symptomen entdeckt, sondern wegen einer PSA-Erhöhung. ! Chronische Lumbalgien bei über 60-jährigen Männern sind metastasenverdächtig.
101 6.4 · Prostatakarzinom
6.4.4
6
Diagnostik
Rektaluntersuchung 70% der Karzinome entwickeln sich im peripheren, dorsalen Anteil der Prostata und können deshalb oft vom Rektum aus getastet werden. Seitdem die Bestimmung des PSA (Prostata spezifisches Antigen) weite Verbreitung gefunden hat, ist der Anteil der tastbaren Karzinome stark zurückgegangen. Beurteilt werden: 4 Begrenzung → unscharfe Begrenzung bedeutet Infiltration. 4 Konsistenz → jede Induration ist karzinomverdächtig. 4 Oberflächenbeschaffenheit → die glatte Oberfläche des Adenoms wird durch Karzinomknoten unregelmäßig. Laboruntersuchungen Prostataspezifisches Antigen (PSA). Das PSA ist der wichtigste Parameter für die Früherkennung des Prostatakarzinoms, für die Beurteilung von dessen Aktivität und für die Erkennung eines Rezidivs nach der Behandlung. Über den genauen Stellenwert des PSA beim Prostatakarzinom-Screening herrscht eine Kontroverse, ebenso über den Norm- oder Grenzwert. Das PSA sollte deshalb stets im Kontext (Verlauf über die Zeit, Tastbefund, Alter des Patienten und therapeutische Optionen) bestimmt und beurteilt werden. Generell werden folgende Werte angenommen: 4 »Normwert«: bis 4 ng/ml (= 4 mg pro Liter) 4 »Graubereich«: 4–10 ng/ml 4 Abklärungsbedürftig: >10 ng/ml
Erhöhte Werte in der Regel kontrollieren. Steigende Werte sind abklärungsbedürftig. PSA-Erhöhung auch bei gutartiger Prostatahyperplasie, Entzündungen, transurethralen Manipulationen. Im Zweifel Beurteilung durch den Urologen. Unbestritten ist das PSA in der Tumornachsorge. Bei diagnostiziertem Prostatakarzinom sind steigende PSA-Werte mit einem Rezidiv oder einer Progression gleichzusetzen. ! Das PSA ist organ-, nicht aber karzinomspezifisch. Es ist deshalb kein eigentlicher Krebstest.
Die sehr unspezifische alkalische Phosphatase (AP) spricht, wenn sie beim Prostatakarzinom erhöht ist, für eine Skelettmetastasierung. Die saure Prostataphosphatase wird nicht mehr gemessen. Biopsie Mit rektaler Palpation und PSA kann ein Prostatakarzinom vermutet
werden. Die Sicherung der Diagnose erfolgt jedoch nur durch die ultraschallgezielte transrektale Biopsie (. Abb. 6.7).
102
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
F08 H08
6 . Abb. 6.7 Biopsie der Prostata. Transrektale Entnahme von Gewebe aus der Prostata mit einer feinen Nadel zur histologischen oder zytologischen Untersuchung
Radiologische und nuklearmedizinische Untersuchungen (. Abb. 6.8) Sind
H09
meist bei gesichertem Prostatakarzinom zum Staging (Stadieneinteilung) indiziert: 4 Kapseldurchbruch und Samenblasenbefall können im CT erkennbar sein. Harnleiterabflussbehinderung spricht für Einwachsen des Tumors im Ostiumbereich. 4 MRI nicht routinemäßig, da nicht besser als CT. Meist zu Planung einer Bestrahlung 4 Die Skelettszintigraphie ist ein sehr empfindlicher bildgebender Test für die Erfassung von Metastasen (DD: M. Paget). 4 Skelettröntgenaufnahmen sind nur ausnahmsweise nötig (osteoplastische Metastasen), Frage nach Frakturgefährdung.
6.4.5
Therapie
Alle Therapiemaßnahmen in der Chirurgie erfolgen aufgrund einer Indikationsstellung, bei der eine Vielzahl von Faktoren (z. B. Überlebenserwartung, Tumorstadium, Differenzierungsgrad usw.) berücksichtigt werden. Die Therapiemöglichkeiten aufgrund des Tumorstadiums sind in . Tab. 6.3 aufgeführt.
103 6.4 · Prostatakarzinom
a
6
b
. Abb. 6.8a,b Knochenszintigramm, a normal, b zahlreiche Metastasen (dunkle Flächen und Punkte)
F08 H08
! Für Therapie und Prognose ist entscheidend, ob der Tumor noch organbegrenzt (≤T2) ist (»Prognostische Wasserscheide«). F10
Die radikale Prostatektomie ist nur in Frühstadien (bis T2 N0) wirklich sinnvoll. Sie bedeutet ein Risiko für die Erhaltung der Erektionsfähigkeit und der Kontinenz (Belastungsinkontinenz) und für Strikturbildungen an der vesikourethralen
H10 F08 H08
104
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
. Tab. 6.3 Therapiemöglichkeiten aufgrund des Tumorstadiums
6
H10
F08 H08
T1 + T2 (N0M0)
Radikale Prostatektomie: vollständige Entfernung der Prostata mit Samenblasen in kurativer Absicht (suprapubisch, perineal, laparoskopisch, roboterassistiert) Strahlentherapie: externe Hochvoltbestrahlung oder Brachytherapie (»seeds«) Abwartende Haltung (»wait and watch«, »active surveillance«): bei hochdifferenziertem Tumor, beschränkter Lebenserwartung
T3 (NxM0)
Wie T2, in der Regel jedoch keine Prostatektomie. Bei Hochvolttherapie größere Bestrahlungsfelder und zusätzlich antiandrogene Behandlung
T3 + T4 (M+)
Hormonentzugsbehandlung: Androgensuppression (Orchiektomie oder LH-RH-Agonisten)
Anastomose. Die radikale Prostatektomie kann auf retropubischem, perinealem und laparoskopischem Weg, in jüngster Zeit auch laparoskopisch-roboterassistiert, durchgeführt werden. Das Prinzip ist bei allen 3 Zugängen identisch (. Abb. 6.9). Zurzeit ist unklar, ob eine der Methoden überlegen ist. Die Strahlentherapie mit kurativem Ansatz ist nur in lokal begrenzten Stadien (bis T3, N0–1, M0) sinnvoll. Sie kann eine vorübergehende Reizsymptomatologie der Blase und des Darms zur Folge haben. Dauerschäden sind selten. Die Potenz ist bei einem großen Teil der Patienten im späteren Verlauf ebenfalls beeinträchtigt. Eine besondere Art der Strahlentherapie ist die sog. Brachytherapie (»SeedImplantation«, »Spickung«). Dabei wird die Strahlenquelle auf perinealem Weg direkt in die Prostata eingebracht und entfaltet dort ihre Wirkung. Als Strahlenquelle verwendet man meist kleine, permanent belassene, radioaktive Metallstifte (»Seeds«; 125Iod oder 103Palladium), seltener von außen eingestochene und nach der Behandlung wieder entfernte Metallstäbe (109Iridium; sog. After-loadingTechnik). Langzeitresultate liegen erst beschränkt vor. Vorteil scheinen geringere Nebenwirkungen, v. a. auf die Sexualfunktion zu sein. Die Verlaufsbeobachtung ohne Behandlung ist in ausgewählten Fällen durchaus gerechtfertigt und wird zunehmend angewandt. Hochdifferenzierte Tumoren bleiben oft jahrelang stationär und dürfen deshalb durchaus vorerst einmal ohne Behandlung beobachtet werden (. Tab. 6.4). Obwohl sich noch kein genereller Konsens ausgebildet hat wird das beobachtende Zuwarten (»watchful waiting«) eher älteren Patienten mit beschränkter Lebenserwartung empfohlen. Die Kontrolle erfolgt mit Abtasten der Prostata und PSA-Bestimmungen. Bei der aktiven Über-
6
105 6.4 · Prostatakarzinom
a
c b . Abb. 6.9a–c Schematische Darstellung der radikalen Prostatektomie. a Prostata mit organbeschränktem Tumor. b Entfernung der gesamten Prostata mit Samenblasen und Endstücken der Ductus deferentes. Oft gleichzeitiges Entfernen der iliakalen und obturatorischen Lymphknoten zu diagnostischen Zwecken. c Anastomose zwischen Blasenhals und Urethrastumpf
wachung (»active surveillance«) handelt es sich um eine intensivierte Überwachung mit zusätzlichen Biopsien in regelmäßigen Abständen (alle 6–12 Monate). Bei Tumorprogression (z. B. höherer Gleason-Score in der Rebiopsie) wird eine Therapie in kurativer Absicht angeboten. Sie wird auch bei jüngeren Patienten angewandt. Einem erheblichen Teil der Betroffenen können so eine Behandlung (und damit auch deren Nebenwirkungen) erspart bleiben. Setzt eine gewisse Differenziertheit und eine gute Compliance voraus, ist aber manchmal psychologisch belastend. Die Indikationsstellung und Durchführung der Therapie verlangen aus den angeführten Überlegungen große Erfahrung und enge Zusammenarbeit der beteiligten Disziplinen (Urologie, Strahlentherapie, Onkologie) sowie die positive Mitwirkung des über sein Leiden aufgeklärten Patienten.
F08 H08
106
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
. Tab. 6.4 Mittlere Lebenserwartung für Männer (Quelle: Statistisches Jahrbuch der Schweiz)
6 H07
F08 H08
Alter
Ø Lebenserwartung
60 65 70 75 80 85
19,6 15,8 12,5 9,4 7,1 3,8
Behandlungsgrundsätze für das metastasierende Prostatakarzinom (M+) Endokrine Therapie: Ausschaltung der wachstumsanregenden Wirkung der Andro-
gene auf den Primärtumor und die Metastasen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: 4 Orchiektomie (chirurgische Androgensuppression): Entfernung des Hodenparenchyms unter Belassung des Nebenhodens (evtl. der Tunica albuginea). Der Patient fühlt sich nicht vollständig »kastriert« → Plasmatestosteron fällt jedoch auf Kastrationswerte (einfach, kostengünstig). 4 Medikamentöse Androgensuppression (»medikamentöse« Kastration) 5 LH-RH-Analoga: Die regelmäßige Verabreichung von LH-RH-Analogen erniedrigt – nach einer initialen Stimulationsphase – den Androgenspiegel auf Kastrationsniveau. 5 Antiandrogene: Es gibt steroidale (Cyproteronazetat) und nichtsteroidale (Flutamid, Bicalutamid) Antiandrogene, die sich in gewissen Nebenwirkungen unterscheiden. Antiandrogene blockieren die zellulären Androgenrezeptoren an Prostatazellen. 5 Östrogene wirken zentral antigonadotrop. Sie blockieren die LH-Sekretion und damit die Androgenausscheidung. Wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen werden Östrogene zurzeit wenig eingesetzt. ! Antiandrogene Therapie (= Hormonentzugsbehandlung) bei fortgeschrittenen Prostatakarzinomen.
In der Planung der endokrinen Therapie gibt es offene Fragen: 4 Soll die Androgensuppression unmittelbar nach der Feststellung von PSAAnstieg oder Metastasen eingeleitet werden oder soll das Auftreten von Beschwerden abgewartet werden? Nach derzeitigem Wissen ist der frühzeitige Behandlungsbeginn nicht besser. 4 Soll eine »komplette« Androgenblockade (zur Blockierung der 5% Testosteron aus der Nebenniere) durch zusätzliche Verabreichung eines Antiandrogens
107 6.4 · Prostatakarzinom
6
durchgeführt werden? Nach aktuellem Wissensstand ist die routinemäßige komplette Androgenblockade nicht indiziert. Bei einzelnen Patienten kann aber durchaus ein positiver Effekt erzielt werden. Gelegentlich auch Ansprechen des Tumors auf späteres Wiederabsetzen des Antiandrogens (sog. »Antiandrogenentzug«). 4 Chemotherapie: Bis vor kurzem galt das hormonrefraktäre Prostatakarzinom als weitgehend »chemotherapieresistent« und somit »austherapiert«. Neuere Behandlungsmodalitäten mit Taxanen (Docetaxel) und Kortikosteroiden verbessern aber nicht nur das Überleben, sondern haben vor allem einen günstigen Effekt auf die Lebensqualität. 4 Bisphosphonate: Bei generalisierter Knochenmetastasierung werden erfolgreich Bisphosphonate eingesetzt. Sie inhibieren die Osteoklastenaktivität und verringern skelettale Komplikationen (Frakturen) und Schmerzen eindrücklich. Cave: Bei nicht sanierten Zähnen erhöhte Gefahr von Unterkiefer-Osteonekrosen. Strahlentherapie Bei Metastasierung mit lokalen Metastasenschmerzen »am Ort der Not« ist die Strahlentherapie sehr wirkungsvoll. TUR Bei Harnabflussbehinderung palliative transurethrale Prostataresektion.
6.4.6
Prognose
Bei stadiengerechter Behandlung: 4 T1: ± normale Lebenserwartung, 4 T2: nach 5 Jahren 80% Überlebende, nach 10 Jahren 60% Überlebende, 4 T3/M0: nach 5 Jahren 40% Überlebende, nach 10 Jahren 25% Überlebende, 4 T3/T4/M+: Lebenserwartung einige Monate bis 1 Jahr. Leider befinden sich zum Zeitpunkt der Diagnose viele Patienten bereits im Stadium T3/T4/M+ und können nur noch palliativ behandelt werden. Die Suche nach Frühfällen ist deshalb sinnvoll. Frühe Erkennung gestattet es bei rund 40% der Karzinomträger, die Therapie in einem noch lokalisierten, von der Prognose her aussichtsreichen Stadium einzuleiten. Die Mithilfe bei der Früherkennung ist deshalb – neben der Beratung des Patienten und gegebenenfalls der Durchführung und Überwachung der antiandrogenen Therapie – eine sehr wichtige Aufgabe des Hausarztes (Rektaluntersuchung, PSA-Bestimmung).
108
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
ä Fallbeispiel
6
Anamnese Ein 50-jähriger Chemiker unterzieht sich einer »Check-up«-Untersuchung, anlässlich derer – auf seinen Wunsch – auch das PSA bestimmt wird. Miktionsbeschwerden bestehen nicht. Anlass der Untersuchung war, dass sein älterer Bruder an einem Prostatakarzinom erkrankt war. Befund PSA 8 ng/ml, bei der rektalen Untersuchung erweist sich die Prostata als etwa 30 g schwer. Der rechte Lappen ist etwas asymmetrisch vergrößert und zeigt eine etwas vermehrte Konsistenz. Weitere Abklärung Es erfolgt eine mit rektalem Ultraschall gezielte Biopsie, bei der acht Gewebeproben (vier aus jedem Lappen) entnommen werden. Zwei der drei Proben aus dem rechten Lappen sind von einem Adenokarzinom (GleasonScore 7) durchsetzt. Diagnose Prostatakarzinom im rechten Lappen (Stadium T2; Gleason-Score 7). Therapie Radikale Prostatektomie unter Schonung des »neurovaskulären Bündels« links, in der Hoffnung auf Erhaltung der Potenz. Verlauf Nach Katheterentfernung ist der Patient kontinent. Es besteht noch eine Belastungsinkontinenz, die sich aber in den ersten 3 Monaten bessert und nach 1 Jahr verschwunden ist. Die Kontrolle des PSA-Wertes nach drei Monaten ergibt unmessbare Werte (<0,01 ng/ml). Es wird empfohlen, den PSA-Wert in 8–12 Monaten wieder zu kontrollieren. Die definitive Beurteilung der Potenz sollte nicht vor Ablauf eines Jahres erfolgen.
ä Fallbeispiel Anamnese Ein 74-jähriger Bauer meldet sich in der Sprechstunde mit Miktionsbeschwerden und zunehmenden Rückschmerzen. Er sei bis anhin noch nie bei einem Arzt gewesen. Befund Bei der rektalen Palpation findet sich eine große, derbe, irregulär begrenzte Prostata. Der PSA-Wert beträgt 76 ng/ml. Im Ultraschall finden sich ungefähr 80 ml Restharn bei einer großen Prostata. Die oberen Harnwege sind undilatiert. Beurteilung Verdacht auf metastasiertes Prostatakarzinom. Der Patient würde von einer antiandrogenen Behandlung profitieren. Weitere Abklärung Es wird dem Patienten eine Biopsie aus der Prostata empfohlen, welche in allen Stanzen ein Prostatakarzinom mit einem Gleason-Score von 4 + 5 = 9 ergibt. Ein Skelettszintigramm zeigt eine diffuse Anreicherung im Stammskelett. Diagnose Metastasiertes Prostatakarzinom T3 Nx M1, Gleason-Score 9. Therapie Eine kurative Therapie ist nicht mehr möglich. Dem Patienten wird deshalb die antiandrogene Therapie mit einer beidseitigen Orchiektomie empfohlen. 6
109 6.5 · Hodentumoren
6
Verlauf 3 Wochen postoperativ sind die Rückenschmerzen verschwunden. Auch die Miktion hat sich verbessert. Eine PSA-Kontrolle 3 Monate postoperativ zeigt, dass der PSA-Wert auf 0,8 ng/ml abgefallen ist. Regelmäßige Kontrollen in halbjährlichen Abständen. Nach über 6 (!) Jahren beginnt der PSA-Wert wieder zu steigen. Der Tumor wird rasch progredient und der Patient stirbt 83-jährig zu Hause.
6.5
Hodentumoren
Häufigkeit und Bedeutung 1–2% aller Malignome des Mannes.
Pro Jahr und pro 100.000 Einwohner sind 6–7 Neuerkrankungen, vorwiegend in der Altersgruppe 20–35 Jahre, zu erwarten. Fast durchweg (95%) handelt es sich um bösartige Geschwülste, die rasch wachsen und früh metastasieren. Je nach histologischem Typ haben 25–30% der Erkrankten zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Metastasen. Trotz leichter Zugänglichkeit für die Selbstuntersuchung beträgt die Zeit zwischen erstem Symptom und ärztlicher Diagnose gelegentlich Wochen bis Monate. Ätiologie Die Ätiologie ist unbekannt. Gehäuftes Vorkommen in der Phase größter sexueller Aktivität. 95% der Malignome gehen vom Keimepithel aus. An ihrem Ursprung steht die maligne Entartung der germinalen Stammzelle. Nach Behandlung eines Hodentumors ist das Risiko für einen zweiten Tumor auf der Gegenseite signifikant erhöht.
! Bei gestörtem Hodendeszensus (auch nach reparativer Orchidopexie) ist das Risiko für die Entwicklung einer Geschwulst rund 10-mal höher als bei normotopem Hoden. Pathologie Es gibt verschiedene histologische Klassifikationsschemata. Die WHO hat versucht, diese zu vereinheitlichen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, gibt die . Tab. 6.5 einen Überblick.
! Für die Klinik wird im Hinblick auf Therapie und Prognose grob vereinfachend unterschieden zwischen Seminomen und Nicht-Seminomen.
Die Metastasierung erfolgt lymphogen oder/und hämatogen: 4 Lymphogen: Entlang dem Lymphabfluss des Hodens zur Nierengefäßkreuzung. Inguinale Metastasierung ist nur nach vorausgegangenen inguinalen Operationen zu erwarten. 4 Hämatogen: Rasche hämatogene Metastasierung besonders bei Tumoren mit Trophoblastanteilen (Choriokarzinom).
110
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
. Tab. 6.5 Einteilung der Hodentumoren (nach WHO)
6
Keimgewebetumoren (95%)
Seminome (>50%) Teratome/Teratokarzinome Embryonale Karzinome (<50%) Choriokarzinome Dottersacktumoren (selten, Kinder) Mischformen
Stromatumoren (4%), oft gutartig
Leydig-Zellen-Tumoren Sertoli-Zellen-Tumoren
Metastasen (1%)
Häufig maligne Lymphome
6.5.1
Diagnose
Die Frühdiagnose ist an sich leicht, wird aber nicht selten durch den Patienten (weil kaum schmerzhaft) und gelegentlich auch durch den Arzt (der zu wenig an diese gefährliche Erkrankung denkt) verzögert. Der typische Hodentumor ist sehr hart und indolent. ! Eine schmerzlose oder wenig schmerzhafte derbe Hodenschwellung ist so lange tumorverdächtig, bis das Gegenteil erwiesen ist. Die Abklärung hat notfallmäßig zu erfolgen.
Hilfreich bei der Erstbeurteilung sind neben der Anamnese, Inspektion und Palpation die Ultraschalluntersuchung oder, wenn nicht möglich, die Diaphanoskopie (»Durchleuchtung« des erkrankten Skrotalinhalts mit einer starken Lichtquelle). Differenzialdiagnostisch kommen in Frage:
4 Epididymitis/Orchitis (Rötung, Schmerz, Fieber, Harnwegsinfektzeichen), 4 Hydrozele/Spermatozele (bei der Diaphanoskopie erkennbar, positiv durchscheinend), 4 Hodentorsion (akuter, hochschmerzhafter Beginn). Wichtige Abklärungen: 4 Onkofetale Tumormarker (Blutentnahme vor Orchiektomie!): α-Fetoprotein (AFP) bei Seminom nicht erhöht; β-HCG (humanes Choriongonadotropin) bei Seminom nur ausnahmsweise erhöht. Bei 80–90% der Träger einer nichtseminomatösen Hodengeschwulst sind α-Fetoprotein oder β-HCG oder beide Marker erhöht. Die Kontrolle der Tumormarker ist für die Nachsorge sehr bedeutungsvoll.
111 6.5 · Hodentumoren
6
4 Gynäkomastie spricht für einen hormonaktiven (Stroma-)Tumor → Hormonstatus. 4 Computertomographie des Abdomens und der Thoraxorgane: zur Beurteilung der lymphogenen Metastasierung im Retroperitoneum und in den Lungen (Stadiumdiagnostik). Beurteilt werden:
4 Tumorausdehnung im Orchidektomiepräparat: pT-Stadium, 4 computertomographische Beurteilung der lymphatischen Ausbreitung: N-Stadium, 4 Thoraxaufnahmen (bzw. Thorax-CT): M-Stadium, 4 histologische Diagnose und Ergebnis der Tumormarkerbestimmungen. Im Hinblick auf die Therapie werden die folgenden klinischen Stadien unterschieden (. Abb. 6.10): 4 Stadium I: Tumor auf Hoden beschränkt, keine Metastasen, 4 Stadium II: Lymphknotenmetastasen unterhalb des Zwerchfells (. Abb. 6.11), 4 Stadium III: Metastasen oberhalb des Zwerchfells und Fernmetastasen.
. Abb. 6.10 Stadien des Hodentumors
112
6
. Abb. 6.11 Hodentumor. Große retroperitoneale Lymphknotenmetastasen (Pfeile) bei nichtseminomatösem Hodentumor. Die linke Niere wird verdrängt
6.5.2 F07 H07
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
Therapie und Prognose
Inguinale Orchidektomie (»Semicastratio«) Bei allen Hodentumoren ist die erste Therapiemaßnahme die Entfernung des Hodens von einem Inguinalschnitt aus, wobei der Samenstrang am inneren Leistenring durchtrennt wird. Der entfernte Hoden liefert die histologische Diagnose und das pT-Stadium. Daraus und aus den eben erwähnten Beurteilungskriterien wird in Zusammenarbeit mit Onkologen und Strahlentherapeuten ein für den individuellen Erkrankungsfall geeigneter Therapieplan erstellt. Da sich die Behandlungsmöglichkeiten kontinuierlich weiterentwickeln, werden hier nur einige grundsätzliche Aspekte dargestellt.
6.5.3
Seminome
4 Seminome sind sehr strahlensensibel.
4 Klinisches Stadium I(–II): Bestrahlung des Lymphabflussgebietes der Hoden
entlang der großen Gefäße bis zum Zwerchfell. In letzter Zeit vermehrt 2 Zyklen Carboplatin (geringeres Risiko von Zweittumoren). 95–100% Fünfjahresheilungen. 4 Klinisches Stadium II(–III): Eventuell Zusatzbestrahlung des Mediastinums, zytostatische Chemotherapie, meist im Sinne einer Kombinationsbehandlung mit Cisplatin, Etoposid, Bleomycin (PEB). Fünfjahresüberlebensrate je nach Tumormasse und Lokalisation der Metastasen im Stadium II 95%, im Stadium III 70–90%.
113 6.5 · Hodentumoren
6.5.4
6
Nichtseminomatöse Tumoren
4 Klinisches Stadium I: Fünfjahresüberlebensrate: 95–100%. Es bestehen 3 Mög-
lichkeiten: 5 sorgfältige Nachkontrollen in kurzen Zeitabständen ohne weitere Therapiemaßnahme (Überwachung oder »wait and see«), 5 adjuvante Chemotherapie (PEB), 5 seltener retroperitoneale Lymphadenektomie. 4 Klinisches Stadium II: Fünfjahresüberlebensrate bis 95%. Zur Diskussion stehen Lymphadenektomie gefolgt von Chemotherapie (PEB) und umgekehrt. 4 Klinisches Stadium III: Fünfjahresüberlebensrate 70–90%. Chemotherapie (PEB) evtl. kombiniert mit tumorreduktiver Metastasenchirurgie. Bei Choriokarzinomen und malignen Teratomen mit Trophoblastanteilen ist die Prognose in fortgeschrittenen Stadien ungünstig. Die sich laufend weiterentwickelnde zytostatische Chemotherapie hat die Prognose der Hodentumorträger massiv verbessert. Allerdings um den Preis von wiederholten, für den Patienten unangenehmen Chemotherapiebehandlungsphasen (mit Stomatitis, gastrointestinaler Symptomatik, Leukopenie und Haarausfall). Mit moderner antiemetischer Therapie sind Übelkeit und Erbrechen viel seltener geworden. Während der Therapie bedarf der durch sein Tumorleiden auch psychisch unter Druck stehende Patient einer sehr engen ärztlichen Führung, an der selbstverständlich auch der Hausarzt wichtigen Anteil hat. ä Fallbeispiel Anamnese Ein 24-jähriger Bäcker, Mitglied eines Fußballclubs, wird wegen linksseitiger kaum schmerzhafter Hodenschwellung vier Wochen lang antibiotisch behandelt und konsultiert nun einen Arzt, weil er keine Besserung bemerkt hat. Zwei Brüder und eine Schwester sind gesund, ebenso die Eltern. In der persönlichen Anamnese keine Besonderheiten im Urogenitalbereich. Befund Der linke Hoden ist auf knapp Hühnereigröße angeschwollen, von derber Konsistenz, aber glatter Oberfläche. Kein Durchschimmern der Lichtquelle bei der Diaphanoskopie. Im Ultraschall solide Verschattung. Von den Tumormarkern im Serum ist das α-Fetoprotein mit 7 U/l normal und das β-HCG mit 10 U/l nur wenig über der Norm. Das Thoraxbild ist unauffällig, ebenso das CT des Abdomens, wo sich insbesondere im Nierenbereich keine Lymphknotenpakete finden. Verdachtsdiagnose Markernegativer Hodentumor links, klinisches Stadium I. Therapie Hohe Ablatio testis (Absetzung des Samenstranges am äußeren Leistenring). Gleichzeitig wird aus dem rechten Hoden eine Probebiopsie entnommen (intraepitheliale Neoplasie?). 6
F10
114
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
Histologie Seminomatöse Hodengeschwulst von ca. 2,5 cm Durchmesser mit Infiltration des Rete testis. Samenstrang und Tunica albuginea testis tumorfrei (Stadium pT1). Die Biopsie des rechten Hodens ist unauffällig. Weitere Behandlung Da die Seminome sehr strahlenempfindlich sind, wird eine adjuvante Strahlentherapie des Retroperitoneums durchgeführt. Anschließend kann sich der Patient als geheilt betrachten. Die 5-Jahresüberlebensrate beträgt 100%.
6.6
Peniskarzinom
Häufigkeit Rund 0,5% aller Karzinome der Männer in Europa.
6
Ätiologie Deutlich gehäuftes Auftreten in Gebieten mit geringer Genitalhygiene: offensichtlicher Zusammenhang zwischen Smegmaretention und Tumorbildung. Smegma hat im Tierexperiment kanzerogene Wirkung. Eine Phimose kann einen Tumor zudem lange verbergen. Zirkumzision ist eine wichtige tumorprophylaktische Maßnahme. Das Risiko erhöht sich mit zunehmender Zahl der Sexualpartner (wahrscheinlich durch Übertragung von Human-Papillomavirus, HPV). Pathologie Die Erythroplasie Queyrat, die Leukoplakie, die Balanitis xerotica obliterans und der Morbus Bowen (Carcinoma in situ) werden als Präkanzerosen aufgefasst. Der Morbus Bowen führt – unbehandelt – häufig zum Karzinom. Peniskarzinome entwickeln sich langsam und sind zu 95% Plattenepithelkarzinome. Die Metastasierung erfolgt zunächst in die inguinalen Lymphknoten.
! Inguinale Lymphknoten sind häufig palpierbar, aber nicht jede palpierbare Schwellung ist gleichbedeutend mit Metastasierung, besonders dann nicht, wenn eine ausgeprägte Balanitis besteht. Klinik Peniskarzinome manifestieren sich kaum vor dem 5. bis 6. Lebensjahrzehnt. Sie befallen vorwiegend Glans und Präputium (. Abb. 6.12). Der Patient konsultiert den Arzt in der Regel wegen einer »Entzündung«. Die Erkrankung wird vom Patienten nicht selten über längere Zeit verschleppt. Differenzialdiagnostisch an gutartige Condylomata acuminata (Buschke-Löwenstein-Tumor) denken. Bei zweifelhaftem Befund ist eine Biopsie indiziert, evtl. auch im Bereich des inguinalen Lymphabflussgebiets (»Schildwache«-Lymphknoten, »sentinel lymph node«). Die Therapie richtet sich nach dem Stadium. Bei kleinem Primärtumor: Exzision im Gesunden (Zirkumzision) evtl. Laserbehandlung, evtl. Lymphknotenbiopsie. Bei größeren Tumoren Penisamputation und inguino-(iliakale) Lymph-
115 6.7 · Skrotalkarzinom
6
. Abb. 6.12 Verhornendes Plattenepithelkarzinom des Penis
adenektomie. Als Zusatzbehandlung (evtl. auch als Primärtherapie sehr kleiner Tumoren) kommen die Strahlentherapie und evtl. eine adjuvante zytostatische Chemotherapie (v. a. mit Bleomycin) in Frage. Prognose In Frühstadien ohne Lymphknotenmetastasierung günstig: 70–90% Fünfjahresheilungen. Bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen ungünstig: 20–50% Überlebende nach 5 Jahren.
6.7
Skrotalkarzinom
Heute in Westeuropa seltener Hautkrebs (Plattenepithelkarzinom), verursacht durch chronischen Kontakt mit Karzinogenen bei mangelhafter Hygiene. Medizinhistorisch interessant als »Kaminfegerkrebs«. Übungsfragen
Lösungen → S. 211
1. Was ist charakteristisch für die Metastasierung der wichtigsten Urogenitaltumoren (Blase, Prostata, Hoden)? 2. Bei welchen Urogenitaltumoren ist eine Chemotherapie besonders aussichtsreich und bei welchen weitgehend erfolglos? 3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Symptom »Hämaturie« und Tumoren des Harnapparates? 6
116
6
Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)
4. Welche Überlegungen machen Sie, wenn in einem CT ein »raumverdrängender zystischer Prozess« der Niere festgestellt wird und wie klären Sie den Befund weiter ab? 5. Wie »übersetzen« Sie den Bericht, dass bei einem Ihrer Patienten ein Urothelkarzinom der Harnblase vom Stadium T4, N+, M?/G3 vorliegt den Angehörigen bezüglich der Behandlungsmöglichkeiten und der Prognose? 6. Wie beurteilen Sie das Rezidivrisiko bei »gutartigen« Blasenpapillomen (Ta/G1) 4 wenn ein solitäres Papillom entfernt wurde? 4 wenn mehrere Papillome entfernt wurden? 7. Welche Erkrankungen können zu einer Konsistenzvermehrung und zu einer Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit der rektal tastbaren Prostataabschnitte führen? 8. Welche Untersuchungen veranlassen Sie, wenn Sie ein Prostatakarzinom vermuten? 9. Welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen grundsätzlich im Anfangsstadium (T2) eines Prostatakarzinoms? 10. Was bedeutet ein Gleason Score von 9? 11. Nennen Sie drei Erkrankungen, die eine einseitige Schwellung des Skrotalinhaltes verursachen können! 12. Welche Erkrankung begünstigt eindeutig die Entstehung eines Peniskarzinoms?
7 Störungen der Harnentleerung und -speicherung 7.1
Prostatahyperplasie
– 118
7.1.1 Klinik – 120 7.1.2 Therapie – 124
7.2
Prostatakarzinom
– 128
7.3
Neurogene Blasenfunktionsstörungen
7.4
Harnröhrenstrikturen
7.5
Angeborene Harnröhrenerkrankungen
7.6
Inkontinenz
– 128
– 131
– 132
7.6.1 7.6.2 7.6.3 7.6.4
Belastungsinkontinenz – 133 Dranginkontinenz (engl. Urge) – 134 Mischinkontinenz – 135 Harninkontinenz bei chronischer Harnretention – 135 7.6.5 Extraurethrale Inkontinenz – 135 7.6.6 Sonderformen der Harninkontinenz – 136
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_7, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
– 132
118
7
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
. Abb. 7.1 Ursachen der Behinderung des freien Harnabflusses aus der Blase
Verschiedene Pathologien subvesikaler Abflussbehinderung führen zu gleichen Symptomen und Folgeerscheinungen. Die wichtigsten Ursachen für eine erschwerte Blasenentleerung sind (. Abb. 7.1): 4 gutartige Prostata- und Blasenhalserkrankungen (benigne Prostatahyperplasie, Sphinktersklerose), 4 Prostatakarzinom (7 Kap. 6.4), 4 neurogene Blasendysfunktion, 4 Harnröhrenstrikturen, 4 angeborene Harnröhrenerkrankungen (Klappen, Stenosen).
7.1
Prostatahyperplasie
Die wichtigste und häufigste Behinderung der Blasenentleerung ist zweifellos die sog. benigne Prostatahyperplasie (BPH), eine gebräuchliche, aber in verschiedener Beziehung inkorrekte Bezeichnung für eine gutartige Adenomyofibromatose. Sie kann bei praktisch allen Männern über 50 Jahren nachgewiesen werden, verursacht jedoch nur bei einem kleinen Teil davon behandlungsbedürftige Symptome. Anatomie Die Prostata ist ein fibromuskuläres Drüsenorgan mit dünner Bindegewebskapsel von der Form einer Esskastanie. Länge: ca. 3 cm, Gewicht: 15–20 g.
119 7.1 · Prostatahyperplasie
7
. Abb. 7.2 Schema der formalgenetischen Entwicklung der Prostataadenomyomatose
Physiologie Die Prostata entwickelt sich hormonal gesteuert, parallel zur geschlechtlichen Reifung. Die Drüse nimmt in der Pubertät stark an Größe zu. Kastration hat Atrophie zur Folge. Das Prostatasekret ist zusammen mit dem Samenblasensekret ein wichtiger Bestandteil der Samenflüssigkeit. Es enthält physiologische Ionen, Fruktose, Zitronensäure, Zink, Phosphatasen und eiweißspaltende Enzyme, darunter das PSA. Diese bewirken die Auflösung der Spermienagglutination und sind mitverantwortlich für Mobiliät der Samenfäden. Pathologie Die BPH ist ein gutartiger, aus verschiedenen histologischen Kompo-
nenten zusammengesetzter Tumor, eigentlich eine Fibroadenomyomatose. Die Bezeichnung »Prostatahyperplasie« ist deshalb nicht korrekt, aber sehr gebräuchlich. Formalgenese Ausgangspunkt des Tumorwachstums ist das submuköse Gewebe
der sog. Übergangszone am Blasenhals (. Abb. 7.2). Bisher wenig geklärte Faktoren induzieren dort – etwa ab Mitte 30 – die Proliferation von Drüsenzellengruppen. Kausalgenese Als kausalgenesische Risikofaktoren sind lediglich das Alter und
die intakte Androgeninkretion bewiesen. Sowohl Androgene wie auch Östrogene scheinen in der komplizierten, vermutlich mehrstufigen kausalen Genese der BPH eine Rolle zu spielen. Auch altersbedingte Änderungen im Androgen/ÖstrogenVerhältnis werden als krankheitsauslösende Faktoren diskutiert. ! Die BPH ist als Geschwulstbildung an sich völlig harmlos. Krankheitsverursachend sind die Rückwirkungen dieser Geschwulst auf die Harnwege und später auf die Nierenfunktion.
120
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
7.1.1
Klinik
Prostatabedingte Miktionssymptome werden oft als »Prostatismus« bezeichnet. In letzter Zeit wird zunehmend auch das Akronym LUTS (lower urinary tract symptoms) verwendet. Der Begriff ist umständlicher, aber korrekter, weil auch andere Erkrankungen (z. B. Urethrastriktur, Zystitis usw.) ähnliche Miktionsbeschwerden hervorrufen können. Wichtige Symptome sind: 4 Verzögerter Miktionsbeginn (»initiales Warten«), schwacher Strahl, verlängerte Miktionsdauer, Nachträufeln, plötzlicher Harndrang (imperativer Harndrang), 4 Pollakisurie, Nykturie (durch Herabsetzung der Reizschwelle des Blasenmuskels), 4 selten Hämaturie (aus kongestionierten Prostatarandvenen), 4 nächtliche Inkontinenz (bei chronischer Harnretention), 4 Durst, Gewichtsabnahme (Zeichen einer beginnenden Niereninsuffizienz).
7
Die »Belästigung« durch die BPH-Symptome wird gerne in einem Symptomenund Lebensqualitätsindex festgehalten, der die Beurteilung des Verlaufs und der Behandlung erleichtert (. Tab. 7.1). Untersuchungsbefunde Abnahme des maximalen Harnflusses (<15 ml/sec),
Verlängerung der Miktionsdauer, Auftreten von Restharn, der sonographisch gemessen werden kann (. Abb. 2.2, S. 11). Anhebung des Beckenbodens in der Sonographie. Bei chronischer Harnretention ist bei der Inspektion des Abdomens gelegentlich eine Verwölbung erkennbar und tastbar, die der überdehnten Blase entspricht. In fortgeschrittenen Fällen findet man Stauungszeichen in den oberen Harnwegen (Verbreiterung und Schlängelung der Harnleiter, angelhakenartige Deformation der Uretereinmündung) und in der Blase eventuell Divertikel oder Steine. Später Anstieg des Serumkreatinins. Rektaler Tastbefund: Deutliche Volumenzunahme der Prostata. Der rektale Tastbefund erlaubt keinen Rückschluss auf das Ausmaß der Abflussbehinderung: eine nur geringfügige Prostatavergrößerung bedeutet nicht, dass lediglich eine geringfügige Abflussbehinderung vorliegt und umgekehrt. ! Eine große Prostata allein ist noch keine Indikation zur Behandlung. Für die Behandlung ist eine Stadieneinteilung nützlich (. Abb. 7.3): 4 Stadium I: Initialstadium (Reizstadium); kompensierte Abflussbehinderung, Restharn wenige ml; keine Behandlungsnotwendigkeit, evtl. Medikamente (Phytotherapie) 4 Stadium II: Restharnstadium; Restharnwerte zwischen 50 und 150 ml, zunehmende subjektive Beschwerden, Behandlung notwendig. Behandlungsversuch mit Medikamenten (α-Rezeptorenblocker, 5-α-Reduktasehemmer)
1
1
0
0
0
0
Wie oft mussten Sie innerhalb von 2 Stunden ein zweites Mal Wasser lassen?
Wie oft mussten Sie beim Wasserlassen mehrmals aufhören und wieder neu beginnen (Harnstottern)?
Wie oft hatten Sie Schwierigkeiten, das Wasserlassen hinauszuzögern?
Wie oft hatten Sie einen schwachen Strahl beim Wasserlassen? 6 1
1
1
0
Wie oft hatten Sie das Gefühl, dass Ihre Blase nach dem Wasserlassen nicht ganz leer war?
seltener als in einem von fünf Fällen (<20%)
niemals
Angaben beziehen sich auf die letzen 4 WochenBitte ankreuzen
Symptomindex
2
2
2
2
2
seltener als in der Hälfte aller Fälle
3
3
3
3
3
ungefähr in der Hälfte aller Fälle (ca. 50%)
4
4
4
4
4
in mehr als in der Hälfte der Fälle
5
5
5
5
5
fast immer
. Tab. 7.1 Symptomenindex (I-PSS= internationaler Prostate Symptom Score). 0–7 Punkte leichte Symptome, 8–19 mäßige Symptome, 20–35 schwere Symptome (nach Proceedings 4th International Consultation on Benign Prostatic Hyperplasia, 1997)
7.1 · Prostatahyperplasie
121
7
Lebensqualitätsindex L =
Wie würden Sie sich fühlen, wenn sich Ihre jetzigen Symptome bei Wasserlassen künftig nicht ändern würden?
Lebensqualitätsindex
ausgezeichnet (0)
zufrieden (1)
einmal (1)
niemals (0)
Wie oft sind Sie im Durchschnitt nachts aufgestanden, um Wasser zu lassen? Maßgeblich ist der Zeitraum vom Zubettgehen bis zum Aufstehen am Morgen
überwiegend zufrieden (2)
unglücklich (5)
viermal (4)
4
überwiegend unzufrieden (4)
dreimal (3)
3
gemischt teils zufrieden teils unzufrieden (3)
zweimal (2)
2
7
Gesamtsymptomenscore S =
1
0
Wie oft mussten Sie pressen oder sich anstrengen, um mit dem Wasserlassen zu beginnen
Symptomindex
. Tab. 7.1 (Fortsetzung)
sehr schlecht (6)
fünfmal oder mehr (5)
5
122 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
123 7.1 · Prostatahyperplasie
a
b
7
c
. Abb. 7.3a–c Stadien der benignen Prostatahyperplasie. a Durch zunehmende infravesikale Obstruktion entsteht eine Hypertrophie des Blasenmuskels mit so genannter »Balkenblase«. b Bei vermindertem Harnabfluss Entstehen von Restharn. c Bei lang andauernder Obstruktion Rückstau in die oberen Harnwege mit Hydronephrose und möglicher Nierenschädigung
4 Stadium III: Stadium der chronischen Harnretention; der Restharn übersteigt
150–200 ml. Es manifestieren sich Zeichen zunehmender Blasenschädigung (Divertikel, Überdehnung). Anstieg des Serumkreatinins deutet auf zunehmenden Nierenschaden. Operative Behandlung dringlich. Eine akute Harnretention kann in jedem Stadium der Prostatahypertrophie auftreten und lässt sich nicht voraus sagen.
H07 H08 F08 H08
7
124
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
7.1.2
Therapie
Medikamentöse Behandlung In den Stadien I und II Beeinflussung der Symptome durch Dekongestion der Prostata, körperliche Betätigung und leichte Laxanzien (Phytotherapeutika: dekongestionierende Wirkung). Neuere Medikamente, die den Abfluss durch Tonussenkung oder Volumenverkleinerung des Adenoms verbessern, sind: 4 α-Rezeptorenblocker. Sie senken den muskulären Tonus am Blasenhals und in der Prostata, verbessern den Harnabfluss und mildern die irritativen Symptome. 4 5-α-Reduktasehemmer. Sie reduzieren das Prostatavolumen durch Blockierung der Testosteron → Dihydrotestosteronumwandlung. Langzeitbehandlung notwendig. Wirksam vor allem bei großen Adenomen >40 g. Reduzieren den PSA-Wert um 50% (cave: falsche Sicherheit).
Antiandrogene, die ebenfalls eine Volumenreduktion bewirken, kommen wegen ihrer Nebenwirkungen (Potenzverlust) als Dauertherapie nicht in Frage. Bei inoperablen Patienten und bei akuter Harnverhaltung: Dauerkatheter oder suprapubische Ableitung. Operative Behandlung Methoden der operativen Behandlung sind: 4 transurethrale Prostatektomie (TURP), 4 suprapubisch-transvesikale (oder prävesikale) Prostatektomie (TVP).
Die Operationsmethoden sind, was die Entfernung des Adenoms betrifft, grundsätzlich gleichwertig. Weitaus am häufigsten (in 80–90% der Fälle) erfolgt die Prostatektomie auf transurethralem Wege (. Abb. 7.4). Bei der transurethralen Prostatektomie (TUR-P) wird unter Sicht das hyperplastische, obstruierende Gewebe mit einer elektrischen Schlinge in kleinen Portionen abgetragen und ausgespült. Trotz einer größeren Anzahl an alternativen Methoden ist die TUR-P – dank erheblicher Fortschritte bei den Instrumenten, den Stromgeneratoren und den Optiken – nach wie vor die Methode der Wahl in der operativen Therapie der Prostatahyperplasie. ! Es gibt keine »beste« Operationsmethode für alle Patienten mit operationsbedürftiger BPH. Sehr wohl gibt es aber für einen bestimmten Patienten und für eine bestimmte Situation ein optimal geeignetes Verfahren.
Die postoperative Mortalität der Prostataoperationen liegt heute auch bei breiter Indikationsstellung unter 0,5%. Dabei ist der oft ungünstige Allgemeinzustand alter Patienten, die wenn immer möglich von ihrem Katheter befreit werden möchten, in Rechnung zu stellen.
125 7.1 · Prostatahyperplasie
7
. Abb. 7.4 Schematische Darstellung der transurethralen Prostataresektion (TUR-P)
Die Erektionsfähigkeit bleibt nach transurethraler und auch nach transvesikaler Prostatektomie im Prinzip erhalten. In der Gruppe, die eine ungünstige Beeinflussung der Potenz beklagt (10–20%), finden sich Patienten mit psychischen Auffälligkeiten (erhöhte Ängstlichkeit, depressive Lebenseinstellung) und vor allem auch Patienten, die ungenügend über den Eingriff und seine Auswirkungen informiert wurden. Unabhängig von der Operationsmethode ist aber die Fertilität nach der Prostatektomie in der Regel erloschen, da nach der Entfernung des Adenoms die Ejakulation retrograd in die Blase erfolgt (. Abb. 7.5). Alternativ-instrumentelle Behandlung Trotz sehr geringer Mortalität darf die
Morbidität nach TURP (15–20%) und die Notwendigkeit von Zweiteingriffen (innerhalb von 5 Jahren) nicht bagatellisiert werden. Diese Fakten sind u. a. Ursache für das anhaltende Interesse an alternativen Behandlungsverfahren. Diese zielen auf eine Verbesserung des Harnflusses unter Vermeidung der Risiken der Prostatektomie und, wenn immer möglich, auch der Anästhesie. Als etabliert bei Hochrisikopatienten (z. B. nicht absetzbare Antikoagulation) gilt die Laserabtragung des obstruierenden Prostatagewebes. Es kommen dabei verschiedene Lasertypen mit unterschiedlichen Energien zur Anwendung. Folgende grundsätzlichen Techniken werden angewandt: 4 Transurethrale Enukleation des Adenoms: mit einem »schneidenden« Laser wird das Adenom entlang der chirurgischen Kapsel enukleiert. Das Adenom fällt in die Blase zurück und wir mit einem »Morcellator« zerkleinert und abgesaugt. Vorteil: Geringe Blutungsneigung, histologische Untersuchung des Gewebes möglich. Nachteil: Technisch anspruchsvoll, oft lange Operationsdauer.
126
7
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
. Abb. 7.5 Retrograde Ejakulation. Durch den nach der Operation weit offenen Blasenauslass nimmt das Ejakulat den Weg des geringsten Widerstandes in die Blase und wird bei der nächsten Miktion ausgeschieden. Das Orgasmusgefühl bleibt erhalten
4 Transurethrale Vaporisation: mit einem seitlich abgelenkten Laser wird das obstruierende Gewebe vaporisiert (»verdampft«). Vorteil: Geringe Blutungsneigung, technisch relativ einfach durchführbar. Nachteil: Keine histologische Aufarbeitung des Gewebes. Weitere alternative Verfahren sind u. a.: 4 Inzision des Blasenhalses bei kleiner, obstruktiver Prostata, 4 Thermotherapie mit Mikrowellenenergie. ! Bei der transurethralen und der transvesikalen Prostatektomie wird nur das obstruierende Gewebe innerhalb der sog. »chirurgischen Kapsel« entfernt. Nicht zu verwechseln mit der radikalen Prostatektomie bei Krebs, bei der auch die periphere Zone und die Samenblasen sowie die Endstücke der Samenleiter entfernt werden. BPH in der Praxis Die Aufgaben des praktischen Arztes bei der Abklärung und Behandlung von BPH-Patienten sind vielfältig: 4 Wichtig ist die Beurteilung des Rektalbefundes: Handelt es sich allenfalls um ein Karzinom?
127 7.1 · Prostatahyperplasie
7
4 Die Prostatektomie (Adenomresektion) bringt keine Sicherheit im Hinblick auf die spätere Entwicklung eines Prostatakarzinoms. Da das Karzinom meist vom peripheren Drüsengewebe ausgeht, von der sog. »chirurgischen Kapsel«, ist trotz Prostataresektion die Entstehung eines Prostatakarzinoms möglich. ! Prostatakrebs ist auch nach Prostatektomie möglich. 4 Beratung und Betreuung des nicht operationsbedürftigen Patienten; medikamentöse Behandlung. 4 Mitberaten des Patienten über die Prostatektomie und ihre Folgen. 4 Nachbehandlung und Kontrolle des Patienten in der postoperativen Phase. Die nach der Operation obligate Leukozyturie verschwindet 2–3 Monate nach dem Eingriff spontan. Antibiotika und Chemotherapie sind deshalb bei der Nachbehandlung des afebrilen Prostatikers selten notwendig. Bei länger anhaltender Pyurie und bei erneutem Auftreten dysurischer Erscheinungen ist eine urologische Kontrolle unumgänglich. 4 Betreuung inoperabler Prostatiker mit Dauerkatheter. Katheterwechsel in 4bis 6-wöchigen Abständen; Blasenspülungen und andere Maßnahmen der Blasenhygiene (Instillationen) je nach Befund. ä Fallbeispiel Anamnese Der 67-jährige, mit einer Freundin zusammenlebende Witwer bemerkt seit Jahren eine Abnahme der Kraft des Harnstrahls. Er muss in letzter Zeit nachts 1- bis 2-mal aufstehen und kann dabei die Blase nur unbefriedigend entleeren. Tagsüber verspürt er häufig Harndrang, den er oft kaum zurückhalten kann. Die Selbstbehandlung mit verschiedenen Blasentees hat keine Besserung gebracht. Befunde Der Symptomenindex beträgt 20, der Lebensqualitätsindex 4. Der Patient ist also erheblich symptomatisch und in seiner Lebensqualität eingeschränkt. Der Allgemeinzustand ist gut, der Urinstatus normal. Serumkreatinin und PSA (3,7 ng/ml) sind normal. Rektal spürt man eine mandarinengroße glatte, gut begrenzte von der Konsistenz her prall elastische Prostata. Bei mehreren Untersuchungen misst man immer wieder einen Restharn von rund 100 ml. Der Harnfluss ist bei zweimaliger Untersuchung mit einem Blaseninhalt von etwa 200 ml auf maximal 8 ml pro Sekunde vermindert. Endoskopisch findet sich ein obstruktives, dreilappiges Prostataadenom (Mittellappen!) sowie eine deutliche Balkenzeichnung der Blase. Diagnose Obstruktives Prostataadenom, klinisches Stadium II. Therapie In einem ausführlichen Aufklärungsgespräch wird dem Patienten die transurethrale Prostataresektion empfohlen. Im Gespräch wird besonders auch auf die Konsequenzen des Eingriffs für das Sexualleben (retrograde Ejakulation, 6
128
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
möglicherweise Abnahme der Potenz) eingegangen. Eine medikamentöse Therapie mit Alpha-Blockern oder 5-α-Reduktase-Hemmern scheint in dieser Situation wenig erfolgversprechend. Der Patient ist mit dem Therapievorschlag einverstanden. Operation Anlässlich der etwa einstündigen Operation in Spinalanästhesie werden insgesamt 47 g Gewebe entfernt, das sich histologisch als Prostataadenomyomatose mit Infarkt und Entzündungsherden erweist. Verlauf Bei der vereinbarten Kontrolle drei Monate nach der Operation findet man eine restharnfreie Entleerung der Blase mit gutem Harnstrahl und unauffälligem Urinstatus. Die Beschwerden sind völlig verschwunden, und die Lebensqualität hat sich normalisiert. Eine Abnahme der Potenz hat der Patient nicht beobachtet. Er ist mit seinem Zustand zufrieden und fühlt sich geheilt.
7.2
7
Prostatakarzinom
(7 Kap. 6.4)
7.3
Neurogene Blasenfunktionsstörungen
Physiologie Die Blasenfunktion ist zweiphasig und steht unter willkürlicher
Kontrolle. Die Miktionsanamnese (Entleerungsfrequenz und Menge) gibt wichtige diagnostische Hinweise. In der Speicherphase füllt sich die Blase bei nahezu konstantem niedrigem Druck bis zur Kapazitätsgrenze (300–500 ml). Die Füllung führt zum Anstieg der Wandspannung, die von Spannungsrezeptoren registriert wird. Diese »melden« nach Erreichen der Kapazitätsgrenze dem zerebralen Zentrum Harndrang, dem stattgegeben wird, der aber auch unterdrückt werden kann. Der Blasenverschluss oder die Kontinenz ist garantiert durch ein Geflecht glattmuskliger Schlingen um den Blasenauslass und um die hintere Harnröhre sowie durch die muskulären Strukturen des Beckenbodens. Der harnaustreibende Detrusormuskel ist vorwiegend parasympathisch, die den Harn zurückhaltende Verschlussmuskulatur am Blasenauslass sympathisch innerviert. Die Blasenentleerung ist ein durch das ZNS konditionierter (bewusst ablaufender und beeinflussbarer) Reflexvorgang: Die Detrusorkontraktion führt zur Steigerung des Blaseninnendrucks und zum Tiefertreten des Blasenauslasses, gleichzeitig erschlaffen Verschlussmuskulatur und Beckenbodenmuskulatur, womit die Miktion beginnt.
129 7.3 · Neurogene Blasenfunktionsstörungen
7
. Abb. 7.6 Schema der Blaseninnervation und der typischen neurogenen Funktionsstörungen
Pathophysiologie Neurogene Entleerungsstörungen treten auf bei 4 Systemerkrankungen: multiple Sklerose, diabetische Neuropathie, Parkinsonismus, Neurolues, Zerebralsklerose; 4 Querschnittssyndrom: Trauma, Tumor; 4 verschiedene andere Erkrankungen des ZNS: Myelomeningozelen, Diskushernien.
Der Typ der Entleerungsstörung ist verschieden je nach Lage und Ausdehnung der Läsion und je nach Ausmaß des neurologischen Funktionsdefizits. Typische Beispiele sind die Querschnittsyndrome (. Abb. 7.6). Eine supranukleäre Läsion (oberhalb des im Sakralmark gelegenen Miktionszentrums) lässt den Reflexbogen intakt. Es entwickelt sich eine Reflexblase mit automatischer Entleerung. Die zentralen, regulierenden Impulse zur Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Füllung und Entleerung können sich aber nicht mehr auswirken. Die Folgen sind Restharn und häufige spastische Miktionen. Die nukleäre bzw. infranukleäre Läsion betrifft das sakrale Miktionszentrum selbst bzw. die von dort in die Peripherie verlaufenden Nerven. Hier ist der Reflexbogen zerstört, sodass eine reflektorische Miktion nicht mehr möglich ist. Es besteht eine schlaffe, sog. autonome Blase, d.h. das Organ ist vollständig abgekoppelt vom Reflexzentrum und von zentralnervösen Einflüssen. Eine Entleerung ist nur durch Bauchpresse oder Katheter möglich. Diese Form der neurogenen Dysfunktion sieht man z. B. nach Nervenschädigung in der Peripherie im Zusammenhang mit Eingriffen im kleinen Becken (Rektumamputation).
130
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
Klinik Die Diagnose des Funktionstyps beruht auf der Beurteilung der neurologischen Ausfälle. Bei der Reflexblase sind Bulbokavernosusreflex und Analreflex (somatisch) erhalten. Der Eiswassertest (autonom) ist positiv (spontane Ausstoßung des Katheters nach Füllung der Blase mit eiskaltem Wasser). Bei der Zystometrie sieht man einen meist raschen Anstieg der Druckkurve und das Auftreten von ungehemmten (reflektorischen) Druckwellen.
! Hohe intravesikale Drücke schädigen die oberen Harnwege!
7
Bei der autonomen Blase sind sämtliche Reflexe erloschen. Bei der Zystometrie resultiert eine flache Kurve ohne Druckwellen. Die Behandlung strebt ein tolerables Verhältnis zwischen Restharn und Blasenkapazität an. Zur Beurteilung des Funktionszustandes dient der RestharnKapazitäts-Test: Durch Addition von Restharn und unmittelbar vorher entleertem Harnvolumen erhält man die Kapazität. Toleriert werden die folgenden Restharnmengen (ausgedrückt in Prozent der Kapazität): 4 Reflexblase 25%, 4 autonome Blase 10%. Höhere Restharnwerte bedeuten auf Dauer Gefahr für die oberen Harnwege und Nieren (chronische Rückstauung → zunehmende Nierenschädigung). Weitere notwendige Untersuchungen zur Beurteilung der Harnwegsfunktion sind: 4 CT oder intravenöses Urogramm (Stauung, Steine, Pyelonephritis), 4 Zystogramm (Reflux in die oberen Harnwege, Divertikel der Blase), 4 Urethrozystoskopie (Verhältnisse am Blasenausgang, Konkremente). Therapie Durch Blasentraining während und nach Abschluss der initialen Dauer-
katheter-/suprapubische Ableitung wird eine ausgeglichene Blasenfunktion angestrebt: 4 ein großes Glas Flüssigkeit jede Stunde; 4 regelmäßige Entleerung nach der Uhr, wobei darauf zu achten ist, dass die entleerten Mengen nicht größer sind als die physiologische Blasenkapazität (etwa 250 ml); 4 wenn möglich, regelmäßige Kontrolle durch »sauberen« Selbstkatheterismus, im Spital durch Ultraschall. Medikamente: Bei hypotonem Detrusorfunktionstyp, z. B. Bethanecholchlorid (4-mal tgl. 25 mg per os); bei spastischem Funktionstyp z. B. Tolterodin (1-mal täglich 4 mg retard per os), Oxybutinin (3-mal 5 mg täglich per os oder als trans-
131 7.4 · Harnröhrenstrikturen
7
dermales Pflaster) oder Solifenacin (1-mal täglich 5 mg per os). Gelegentlich wirkt auch ein trizyklisches Antidepressivum wie Imipramin günstig. Wirkungsmechanismus unklar. Zur Verbesserung der Entleerung durch Relaxation des Blasenhalses (α-Blocker oder Myorelaxanzien), z. B. Tamsulosin (1-mal 400 μg retard täglich per os), Terazosin (5–10 mg täglich per os), Alfuzosin (1-mal 10 mg retard täglich per os) oder Baclofen (4-mal täglich. 25 mg per os). Medikamente werden oft schlecht vertragen oder lassen in der Wirkung nach. Die Alternative ist der saubere (nicht aseptische) Selbstkatheterismus (3- bis 4-mal täglich). Chirurgie: Bei zusätzlicher BPH oder Sphinktersklerose → transurethrale Resektion des Blasenhalses; bei spastischem Beckenboden → transurethrale Inzision oder Resektion des Sphincter externus.
7.4
Harnröhrenstrikturen
Das maximale Kaliber der Harnröhre beim Mann beträgt 24–26 Charr., bei der Frau 28–30 Charr. Harnröhrenstrikturen haben oft eine traumatische Ursache. Nicht selten sind sie Folge iatrogener Verletzungen durch Katheter und Instrumente. ! Beim Katheterisieren von Bewusstlosen und Narkotisierten ist größte Vorsicht angezeigt. Niemals Kraft anwenden. Bei Schwierigkeiten → perkutane suprapubische Ableitung.
Gonorrhoische Strikturen, die früher häufig waren, sind heute kaum mehr anzutreffen. Unspezifische Entzündungen allein führen äußerst selten zur Ausbildung einer Striktur. Unbehandelt führen Strikturen zu Harnrückstau (Blasenüberdehnung, Divertikelbildung) und begünstigen damit die Steinentwicklung sowie die Entstehung von Harnwegsinfekten. Sie manifestieren sich durch einen dünnen, gedrehten, oft auch geteilten Strahl sowie durch zunehmende Dysurie. Verdacht auf eine Harnröhrenstriktur besteht, wenn beim Katheterismus ein elastischer Widerstand auftritt. In solchen Situationen darf niemals Gewalt angewendet werden. Die Vermutungsdiagnose wird vielmehr durch eine vorsichtige Urethrographie gesichert. Die Behandlung erfolgt durch Bougierung mit Sonden (aus dem französischen Bougie = Kerze) von steigendem Kaliber. Charr. 10–22. Manchmal sind sog. »filiforme« Sonden, auf die stärkere Kaliber nach Wahl aufgeschraubt werden notwendig. Wirkung: Dehnung der verengten Harnröhrenabschnitte; Nachteil: starke Wiedervernarbungstendenz.
132
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
Eine andere Möglichkeit ist die innere Urethrotomie unter Sicht (sog. Sachse Urethrotomie). Instrumentelle Spaltung der Striktur, evtl. über einem Führungskatheter mit einem durch das Instrument vorschiebbaren Messer. Wirkung: glatter Schnitt, geringere Wiedervernarbungstendenz. ! Urethrastrikturen haben eine große Rezidivtendenz. Definitive Heilung ist nur von plastischen Operationen zu erwarten: 4 Einzeitige Operationen:
7
5 Resektion des verengten Abschnitts und Reanastomose der Stümpfe (höchste Erfolgsrate), 5 Erweiterung des verengten Abschnitts durch Implantation rautenförmiger gestielter Hautlappen (sog. Insellappen) oder freier Transplantate (z. B. Mundschleimhaut). 4 Zweizeitige Operationsverfahren (heute selten angewendet): 5 Freilegung, Spaltung und Marsupialisation des verengten Urethraabschnitts (künstliche Hypospadie), 5 einige Monate später plastischer Verschluss.
7.5
Angeborene Harnröhrenerkrankungen (7 Kap. 10.2)
7.6
Inkontinenz
Als Urininkontinenz wird jeder unwillkürliche Harnverlust bezeichnet. Sie ist ein Symptom für ätiologisch sehr unterschiedliche Affektionen des Detrusors oder des Verschlussapparates der Blase. Letzterer garantiert beim Gesunden die Kontinenz. Wird der Verschlussapparat durch Blasenerkrankungen überlastet oder ist er selbst geschädigt, resultiert Inkontinenz. Inkontinenz ist ein immer noch tabuisiertes Thema, das die Betroffenen, aber auch die Umgebung und die Angehörigen erheblich belasten kann. In Deutschland gibt es geschätzte 5 Millionen Menschen, die an Inkontinenz leiden, wovon etwa die Hälfte über 60 Jahre alt ist. Rund 11% der 60-Jährigen und rund ein Drittel der 80-Jährigen sind betroffen. Frauen sind viel häufiger betroffen als Männer (ca. 4 : 1). Inkontinenz ist der häufigste Grund für die Einweisung in ein Pflegeheim. Durch Inkontinenz entstehen in Deutschland jährliche Kosten von rund 1 Milliarde €. Mit zunehmender Überalterung ist mit einer weiteren Zunahme zu rechnen. Es gibt verschiedene, teilweise komplizierte Klassifikationen. Für die tägliche Praxis hat sich die folgende Einteilung bewährt (entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie; . Tab. 7.2):
133 7.6 · Inkontinenz
7
. Tab. 7.2 Relative Häufigkeit der wichtigsten Inkontinenzformen bei Mann und Frau
Inkontinenzform
Frau (%)
Mann (%)
Belastungsinkontinenz
49
<10
Dranginkontinenz
22
40–80
Mischinkontinenz
29
10–30
4 4 4 4
Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz), Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz), Mischinkontinenz. Mischform von Belastungs- und Dranginkontinenz, Harninkontinenz bei chronischer Harnretention (früher Überlauf-Inkontinenz), 4 extraurethrale Harninkontinenz (selten), 4 Sonderformen der Harninkontinenz.
7.6.1
Belastungsinkontinenz
Sie ist bedingt durch einen insuffizienten Verschlussmechanismus der Harnröhre, meist als Spätfolge schwerer oder mehrfacher Geburten. Sie ist die häufigste Ursache für den unfreiwilligen Urinverlust bei Frauen. Etwa 50% der Frauen in der zweiten Lebenshälfte sind betroffen – meist allerdings nur in leichter Form. Bei plötzlichem intraabdominalem Druckanstieg kommt es zum Abgang geringfügiger bis größerer Urinmengen. Männer sind sehr viel seltener betroffen. Meist ist sie Folge eines operativen Eingriffes, z. B. einer radikalen Prostatektomie. Diagnostik Genaue Anamnese. Inspektion: Urinverlust aus der Urethra bei Husten, manchmal Absinken der Harnröhre. Allen-Test: Nach Fixation der Urethra durch Finger in der Vagina verschwindet die Inkontinenz. Zur Abgrenzung von Dranginkontinenz meist Zystomanometrie nötig. Es werden verschiedene Schweregrade unterschieden: 4 Grad I: Harnverlust beim Husten und Niesen, 4 Grad II: Harnverlust beim Lagewechsel, Gehen und Aufstehen, 4 Grad III: Harnverlust bei unangestrengten Bewegungen, im Liegen. Therapie Behandlungsbedürftigkeit besteht bei 10–15% der Betroffenen. In leichteren Fällen kann durch Beckenbodengymnastik, u. U. unterstützt durch
134
7
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
elektrische Stimulationsbehandlung und Biofeedback, eine Stärkung der Beckenbodenmuskulatur und dadurch eine Verbesserung der Inkontinenz erreicht werden. Manchmal können auch Medikamente (Serotonin- und NoradrenalinWiederaufnahmehemmer; z. B. Duloxetin) erfolgreich eingesetzt werden. Bei ausgeprägter Symptomatologie sind operative Maßnahmen notwendig, die alle zum Ziel haben, die Urethra an ihre physiologische Position zu bringen, den urethrovesikalen Übergang zu stabilisieren und so ein Absinken der Harnröhre bei intraabdominalem Druckanstieg zu verhindern. Die früher gebräuchlichen offenen Operationen (z. B. nach Marshall-Marchetti oder Burch) sind heute verlassen zugunsten minimal-invasiver Methoden. Am gebräuchlichsten sind synthetische Polypropylen-Bänder, die sich aufgrund ihrer Netzstruktur im Gewebe selbst verankern. Sie werden vorwiegend bei Frauen erfolgreich eingesetzt. Die Bänder werden wie eine Hängematte spannungsfrei (engl. »tension-free«) unter die Harnröhre gelegt und entweder suprapubisch oder durch das Foramen obturatorium platziert. Mit diesen sog. TVT (»transvaginal tension-free tape«) oder TOT (»transobturator tape«) können bei reiner Belastungsinkontinenz bis 80–90% langfristige Heilungsraten erreicht werden. Bei Mischinkontinenz sind die Resultate weniger gut (ca. 40%). Bei leichter bis mittlerer Belastungsinkontinenz des Mannes, meist nach radikaler Prostatektomie, werden vermehrt suburethrale Bänder mit unterschiedlichen Resultaten verwendet. Bei ausgeprägter Belastungsinkontinenz des Mannes kann der Einbau eines künstlichen Schließmuskels sinnvoll sein (teuer, komplikationsträchtig).
7.6.2
Dranginkontinenz (engl. Urge)
Sie ist von starkem Harndrang begleitet (Detrusorkontraktionen). Als Ursache kommen Reize in der Blase in Frage, z. B. schwere bakterielle Zystitis, interstitielle Zystitis, Strahlenblase, Fremdkörper oder Tumor. Sie ist die häufigste Form der Inkontinenz beim Mann. Der Symptomenkomplex Pollakisurie, Nykturie und imperativer Harndrang (mit oder ohne Urinverlust) wird auch als überaktive Blase oder »overactive bladder« (OAB) bezeichnet. Diagnostik Die genaue Anamnese (Harndrang unmittelbar vor oder während des Urinverlustes) ist sehr suggestiv. Ausschluss einer behandelbaren Blasenpathologie (Urinstatus, Zystoskopie). Die Diagnose ist gesichert mit einer Zystomanometrie (Druck-Volumenmessung bei Füllen der Blase).
! Bei persistierender, therapieresistenter überaktiver Blase immer an Carcinoma in situ der Harnblase denken!
135 7.6 · Inkontinenz
7
Therapie In der Regel medikamentös. Anticholinergika (Tolterodin, Oxybutinin,
Solifenacin). Neuerdings Injektion von Botulinumtoxin in den Detrusor. Oft sehr erfolgreich, sicher, aber meist nur von beschränkter Dauer (3–6 Monate). Nach Möglichkeit behandeln der Ursache (z. B. TUR-P).
7.6.3
Mischinkontinenz
Es handelt es sich um eine Mischung von Belastungs- und Dranginkontinenz. Unwillkürlicher Harnverlust, der von imperativem Harndrang begleitet ist und auch bei körperlicher Belastung auftritt. Mischformen unterschiedlicher Ausprägung sind relativ häufig. Diagnostik Anamnese. Inspektion. Zystoskopie. Zystomanometrie (wie bei Belas-
tungs- und Dranginkontinenz). Therapie Zurückhaltung mit Operation. Manchmal gute Erfolge durch Operation und medikamentöse Behandlung (Anticholinergika).
7.6.4
Harninkontinenz bei chronischer Harnretention
Wurde früher als Überlauf-Inkontinenz bezeichnet. Sie betrifft meist Männer mit großen Restharnmengen und äußert sich durch tropfenweisen Urinverlust. Diagnostik Vorwiegend Männer betroffen. Unfreiwilliger, meist kontinuierlicher
Harnverlust bei übervoller, durch infravesikales Abflusshindernis passiv stark überdehnter Blase. Diese imponiert manchmal als »Tumor« im Unterbauch und kann leicht perkutiert werden. Im Gegensatz zur akuten Harnretention (»Harnverhaltung«) kaum Harndrang. Diagnosesicherung mit Ultraschall. Therapie Dauerableitung der Blase mit transurethralem Blasenkatheter. Meist Ableitung über viele Wochen oder gar Monate nötig. Deshalb immer schon initial suprapubische Ableitung erwägen, da die Einlage nach Entlastung der Blase viel schwieriger ist (kollabierte Blase). Beheben der Ursache (z. B. TUR-P).
7.6.5
Extraurethrale Inkontinenz
Inkontinenz durch Pathologie außerhalb der Harnröhre. Der Verschlussapparat ist intakt. Die Inkontinenz tritt durch »Umgehung« des Schließmuskels auf,
H10
136
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
z. B. durch einen unterhalb des Sphinkters mündenden ektopischen Harnleiter, aber auch bei Harnleiter-Scheiden- oder Blasen-Scheidenfisteln. Gekennzeichnet durch kontinuierlichen Urinverlust. Diagnostik Zystokopie: Eine Fistel kann gelegentlich direkt gesehen oder vermutet werden (umschriebene Rötung). Zystogramm: Füllen der Blase mit wässrigem
Kontrastmittel; Manchmal kann der Fistelgang dargestellt werden. CT mit Kontrastmittel und dreidimensionaler Rekonstruktion. Therapie Ursächlich. Fistelverschluss. Neueinpflanzung Ureter.
7.6.6
7 H10
Sonderformen der Harninkontinenz
Dazu rechnet man die anderweitig nicht klassifizierbaren und in keine der obgenannten Kategorien passenden Formen der Inkontinenz. Dazu gehören zum Beispiel: 4 Harnröhrenrelaxation ohne intraabdominellen Druckanstieg oder Detrusorkontraktion, 4 Fehlbildungen mit Sphinkterdefekt. Bei ausgeprägter Epispadie. 4 Reflexinkontinenz (»Reflexblase«). Verlust der zerebralen Kontrolle des sakralen Reflexbogens, z. B. bei Querschnittsyndrom. Deshalb kein Harndrang (7 Abschn. 7.3), 4 Enuresis nocturna bei Kindern, 4 Inkontinenz bei Demenz. Diagnostik Ausschlussdiagnose. Therapie Ursachenorientiert und Situationsangepasst (medikamentös, Vorlagen, Kondomurinal etc.) ä Fallbeispiel Anamnese Ein 68-jähriger Rentner kommt mit seiner Gattin in die Sprechstunde, weil er den Urin nicht mehr halten kann. Das ist für ihn und vor allem für die Partnerin aus hygienischen Gründen ein großes Problem. Zudem berichtet sie, dass er wegen seiner fast stündlichen Nykturie kaum durchschlafen könne und deshalb dauernd müde sei. Der Patient dissimuliert eher, berichtet aber, dass er oft starken Harndrang verspüre und es ihm deshalb manchmal nicht zur Toilette reiche, da er etwas gehbehindert ist. Er nehme einen Alpha-Blocker ein, der aber keine wesentliche Wirkung mehr zeige. 6
137 7.6 · Inkontinenz
7
Befund Der Urinstatus ist bland. Im Ultraschall findet sich eine mittelgroße Prostata mit einem großen, in die Blase hinein ragenden Mittellappen. Es finden sich ungefähr 120 ml Restharn. Der PSA-Wert beträgt 2,3 ng/ml. Beurteilung Es liegt wahrscheinlich eine Dranginkontinenz bei Prostatahyperplasie vor. Die großen Restharnmengen verbieten den Einsatz von Anticholinergika. Therapie Dem Patienten wird die transurethrale Resektion der Prostata in Spinalanästhesie empfohlen. Verlauf Nach 3 Monaten bestehen noch Pollakisurie und imperativer Harndrang, die Inkontinenz ist aber schon wesentlich besser. Der Restharn ist verschwunden. Eine Kontrolle nach 6 Monaten zeigt, dass die Nykturie auf 1- bis 2-mal zurückgegangen ist und der imperative Harndrang bis zur Inkontinenz nur noch ausnahmsweise vorkommt. Der Patient fühlt sich wieder viel besser ausgeruht.
ä Fallbeispiel Anamnese Eine 50-jährige sportliche Hausfrau beklagt sich beim Hausarzt über häufigen Harndrang und unfreiwilligen Urinverlust, besonders beim Sport. Sie hat gehört, dass man mit einer Operation, bei der die erschlafften Bänder wieder gerafft werden, die lästige Harninkontinenz beheben könnte. Im Rahmen des Gesprächs gibt sie an, schon als Schulmädchen »eine schwache Blase« gehabt zu haben. Die Schwangerschaften verliefen normal, die Patientin hat drei gesunde Kinder. Befund Die Patientin trägt eine Einlage, die sie einmal täglich wechselt. Der Urin ist unauffällig. Die Blase ist nach der Miktion leer. Beim Pressen erkennt man eine leichte Zystozele. Differenzialdiagnose Liegt hier eine Belastungsinkontinenz vor, als deren Ursache man sich durch einen durch drei Geburten geschwächten Beckenboden vorstellen könnte? Was hat es auf sich mit der »schwachen Blase« im Schulalter? Der unfreiwillige Urinverlust erfolgt offenbar nur bei größerer Anstrengung, und die abgehende Urinmenge scheint recht gering (Grad I). Weitere Abklärung Zur Abklärung des Inkontinenztyps wird der Patientin eine Zystourethromanomentrie empfohlen: Bei langsamer kontinuierlicher Füllung der Blase wird der in der Blase herrschende Druck registriert. Dabei werden mehrfach kurze Druckspitzen erkennbar, die unwillkürlichen Detrusorkontraktionen entsprechen. Die Blasenkapazität ist mit 250 ml relativ niedrig und die anschließende Urethradruckmessung zeigt eine Kontinenzzone an der unteren Normgrenze. Diagnose Eine reine Belastungsinkontinenz kann ausgeschlossen werden. Vermutlich handelt es sich um eine gemischte Inkontinenz mit Belastungs- und Drangkomponente. Indikationsstellung und Behandlung Zurückhaltung mit einer Suspensionsoperation. Versuch mit Beckenbodentraining unterstützt durch Spasmolytika. Reevaluation in einem halben Jahr.
138
Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung
Übungsfragen 1.
2. 3. 4.
5.
7
6. 7. 8
Lösungen → S. 212
Welche Auswirkungen hat die Behinderung der Harnentleerung 5 an der Blase? 5 an den oberen Harnwegen? 5 an der Niere? Nennen Sie drei Symptome, die bei prostatahyperplasiebedingter Entleerungsstörung beobachtet werden! Gibt es medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten bei Prostatahyperplasie? In welcher Beziehung steht die anlässlich der Rektaluntersuchung festgestellte Größe der Prostata zum Ausmaß der Behinderung der Harnentleerung? Kann nach der operativen Behandlung eines Prostataadenoms trotzdem später noch ein Prostatakarzinom auftreten? Welches ist die wichtigste Ursache von Harnröhrenstrikturen? Nennen Sie drei Ursachen für neurogene Entleerungsstörungen der Blase! Welche Formen der Urininkontinenz kennen Sie? Häufigkeit bei Mann und Frau?
8 Sexualpathologie des Mannes 8.1
Erektile Dysfunktion
8.1.1 Therapie
– 140
– 141
8.2
Infertilität
– 142
8.3
Varikozele
– 144
8.4
Vasektomie und Familienplanung
8.5
Klimakterium virile
8.6
Orgasmusstörungen
– 144
– 145 – 147
8.6.1 Vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox) – 147 8.6.2 Verzögerter oder fehlender Samenerguss – 148
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_8, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
140
Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes
Die Sexualfunktion des Mannes beruht auf den 4 Teilaspekten Libido (sexuelles Verlangen), Erektion (Versteifung des Gliedes), Ejakulation (Samenerguss) und Orgasmus (Lustvolles Empfinden des Höhepunktes). Diese sind zwar eng aneinander gekoppelt, aber mindestens teilweise unabhängig. So ist etwa eine Erektion auch ohne Libido möglich (z. B. durch mechanische Stimulation), eine Ejakulation ohne Erektion (bei Erektionsstörungen) und ein Orgasmus ohne Ejakulation (z. B. nach radikaler Prostatektomie). Die ungestörte Sexualfunktion ist – zusammen mit normaler Fertilität – Voraussetzung für eine Fortpflanzung auf natürlichem Weg. Störungen der sexuellen Gesundheit beinträchtigen nicht nur die Lebensqualität, sondern können auch Vorboten oder Symptom einer bislang nicht bekannten Erkrankung sein.
8.1
Erektile Dysfunktion
Erektile Dysfunktion (ED) (früher Impotentia coeundi) ist die andauernde Un-
8
fähigkeit, eine für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion zu bekommen und aufrecht zu erhalten. Der Begriff »Impotenz« sollte nicht mehr verwendet werden, da er negativ besetzt und wenig spezifisch ist. Ein einmaliges oder gelegentliches Versagen – wie es bei jedem Mann vorkommt – genügt nicht für die Diagnose einer erektilen Dysfunktion. Potenzstörungen sind häufig und finden sich in unterschiedlichem Ausmaß bei rund der Hälfte der Männer in der Altersgruppe zwischen 40 und 70 Jahren. Dabei ist der Urologe zu Recht der zuerst konsultierte Spezialist. Er hat zu beurteilen, ob eine organische Ursache vorliegt (70–80%) oder ob sich eine psychische Konfliktsituation in der Sexualsphäre auswirkt und eine entsprechende Behandlung notwendig wird. Bei der erektilen Dysfunktion ist die Libido in der Regel erhalten. Die Hormonwerte im Serum sind in den meisten Fällen normal. Nur 1,5–3% der Fälle von erektiler Impotenz haben eine endokrine Ursache (z. B. ein Prolaktinom der Hypophyse). ! Rauchen verursacht Erektionsstörungen. Diagnose Wichtig ist der Ausschluss organischer Ursachen wie z. B.:
4 Diabetes mellitus (50% der Diabetiker haben eine Erektionsstörung), 4 multiple Sklerose und andere neurologische Erkrankungen, 4 vaskuläre Erkrankungen (Hypertonie, Arteriosklereose und Thrombosen der Beckengefäße), 4 Peniserkrankungen wie Induratio penis plastica (bindegewebige Plattenbildung und Deformation) oder Verletzungsfolgen,
141 8.1 · Erektile Dysfunktion
8
4 sekundäre ED (nach Zystoprostatektomie, Ablatio testium, Bestrahlung im Prostata-Blasen-Bereich), 4 Toxikomanien (Nikotin- und Alkoholabusus), 4 Medikamente, insbesondere Tranquilizer, Antidepressiva und Antihypertensiva. Solche organischen bzw. »exogenen« Ursachen sind auszuschließen, bevor eine psychische oder emotionale Ursache der Erektionsstörung angenommen wird. Auf die nichtorganischen Ursachen von ED und ihre psychiatrisch-sexologische Behandlung kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden. Wichtig sind eine verständnisvolle Aufnahme der Anamnese, eine vollständige Aussprache über mögliche Ursachen, das Ausräumen falscher Vorstellungen und der Verzicht auf die unkritische Substitution von Androgenen. Die Abklärung und die Indikationsstellung bei organisch bedingten Erektionsstörungen benötigen spezielles Wissen und technische Hilfsmittel. Sie ist deshalb Sache einer in diesem Bereich spezialisierten Institution. Erektionsstörungen stellen nicht nur eine Einschränkung der Lebensqualität dar, sondern gehen oft anderen Gefäßerkrankungen, z. B. der koronaren Herzkrankheit, um Jahre voraus. Sie sind deshalb immer ernst zu nehmen. ! Erektionsstörungen können Hinweise auf andere Gefäßerkrankungen sein (sog. Markerkrankheit).
8.1.1
Therapie
Grundlage jeder Therapie ist eine genaue Diagnosestellung. Die Behandlung der zugrunde liegenden Ursachen lohnt sich, da die Erektionsfähigkeit verbessert werden kann (z. B. gute Einstellung eines Diabetes mellitus, Behandlung des Prolaktinoms, Nikotinstopp etc.). Die Therapie der Erektionsstörungen hat in den vergangen 20 Jahren eine gewaltige Entwicklung erlebt. Der therapeutische Nihilismus hat einer effizienten, nebenwirkungsarmen und individualisierten Behandlung Platz gemacht. Parallel zur Einführung wirksamer Medikamente hat das Verständnis der normalen Erektion und ihrer Störungen in gleichem Maße zugenommen, wie das ganze Gebiet der Sexualfunktionsstörungen enttabuisiert wurde. Je nach Situation stehen heute folgende therapeutische Optionen zur Verfügung: 4 Orale Medikation: Die sog. Phosphodiesterase-5-Hemmer, haben die Behandlung revolutioniert und die Abklärung vereinfacht. Sildenafil, Vardenafil und Tadalafil gehören zur selben Substanzklasse und erleichtern die Erektion
F08 H08
142
4
4
4 4
Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes
durch Senken der Reizschwelle. Sexuelle Stimulation nötig. Gewisse Unterschiede bestehen im Wirkungseintritt und der Wirkdauer. Die Medikamente sind sicher und werden in der Regel gut vertragen. Wichtigste Kontraindikation: nitrathaltige (Herz-)Medikamente. Intrakavernöse Injektion: Vasoaktive Substanzen – meist Prostaglandin E1 – werden mit feinen Nadeln direkt in den Schwellkörper injiziert. Die Erektion entsteht unabhängig von sexueller Stimulation. Nach Anleitung als Selbstbehandlung (SKAT: Schwellkörper-Autoinjektionstherapie). Gewisse Gefahr der verlängerten Erektion (→ Priapismus). Prothesen: Schwellkörperimplantate mit kompliziertem Mechanismus. Auslösen der Erektion durch Druck auf Ventil im Skrotum. In den USA relativ beliebt, in Europa seltener. Gefäßchirurgische Maßnahmen (selten indiziert). Endokrine Therapie (nur bei nachgewiesenem Hypogonadismus).
Bei sorgfältiger Indikationsstellung sowie genauer Instruktion und Überwachung der Patienten, kann der Mehrzahl der Betroffenen eine zweckmäßige und wirkungsvolle Behandlung angeboten werden.
8
ä Fallbeispiel Anamnese Ein 71-jähriger, nicht insulinpflichtiger Diabetiker, Nichtraucher, seit 5 Jahren Witwer, mit 55-jähriger Partnerin, konsultiert wegen Erektionsschwäche, die einen normalen Geschlechtsverkehr verunmöglicht. Befunde Erhaltene Libido, keine morgendlichen Spontanerektionen. Bei Stimulation Auftreten einer gewissen Tumeszenz ohne Rigidität. Unauffälliger neurologischer Reflexstatus im Urogenitalbereich (Bulbokarvernosusreflex und Analreflex). Vermutungsdiagnose Diabetisch-arteriosklerotische Erektionsstörung. Therapie Mehrere Behandlungsversuche mit einem PDE-5-Hemmer (Sildenafil) schlugen fehl. Der Patient entscheidet sich für eine intrakavernöse Pharmakotherapie mit Prostaglandin E1. Nachdem die benötigte Dosis unter ärztlicher Kontrolle eruiert ist (in diesem Fall 15 μg), erlernt der Patient die Selbstinjektion in die Corpora cavernosa, um eine Erektion, wenn erwünscht, selbst auslösen zu können (SKAT: Schwellkörperautoinjektionstherapie). Der Patient bleibt unter regelmäßiger Kontrolle und würde sich bei einer prolongierten Erektion (mehr als 2 h) sofort melden.
8.2
Infertilität
Infertilität (früher Impotentia generandi) bedeutet Zeugungsunfähigkeit. Auch bei der Abklärung und Behandlung männlicher Infertilitätsstörungen hat die
143 8.2 · Infertilität
8
Urologie eine wichtige Aufgabe. Mit dem Erfolg der hochtechnisierten (und entsprechend teuren) Reproduktionsmedizin wird die genaue Abklärung der männlichen Infertilität oft umgangen. Dabei wird vergessen, dass viele der Störungen, z. B. Varikozelen oder Infekte, recht einfach zu behandeln sind. Zudem können ohne genaue Evaluation schwerwiegende Erkrankungen wie Hodentumoren oder Hypophysentumoren übersehen werden. Primäre Infertilität wird bei rund 15% aller Paare mit Kinderwunsch beobachtet. In 30–40% der kinderlosen Ehen liegt die Ursache beim Mann, weshalb die Grundzüge der Abklärung und Behandlung männlicher Fertilitätsstörungen auch dem Allgemeinarzt geläufig sein sollten. Eine Fertilitätsstörung liegt vor, wenn bei Kinderwunsch und einer Koitusfrequenz von 2- bis 4-mal pro Woche innerhalb eines Jahres keine Schwangerschaft eintritt. Findet der Gynäkologe dafür bei der Frau keine hinreichende Erklärung, so muss die Ursache beim männlichen Partner vermutet werden. Diagnose Die Abklärung beinhaltet eine gezielte Anamnese: Familiäre Vorgeschichte, Kryptorchismus, Torsion, Mumps, genitale Infektionen, Suchtmittel, Medikamente usw. Neben einer gezielten körperlichen Untersuchung (Behaarung, Körperentwicklung, Hinweise auf genetische Ursachen oder Endokrinopathien, Operationsnarben, Hodengröße, Nebenhoden und Samenstrang, Prostata, Urinstatus, Urinbakteriologie) sind der Hormonstatus (Testosteron, FSH, LH, SBGH, Schilddrüsentests, Prolaktin) und das Spermiogramm (nach mindestens 2 bis maximal 7-tägiger Abstinenz) entscheidend. Das Ejakulat ist weißlich-grau, gelartig und verflüssigt sich in 15–30 min. Es gibt verschiedenen Methoden der Beurteilung des Spermiogramms, teilweise mit computerassistierter Analyse. Die gebräuchlichste Einteilung erfolgt nach den Kriterien der WHO (. Tab. 8.1).
F09 H09
! 4 Oligospermie = verminderte Spermienzahl (≤15 Mio/ml) 4 4 4 4
Azoospermie = fehlende Spermien Asthenospermie = verminderte Beweglichkeit Teratospermie = vermehrt abnorme Spermaformen Oft kombiniert: Oligoasthenoteratospermie (OAT-Syndrom)
Wichtig ist auch der Fruktosegehalt der Spermaflüssigkeit. Da Fruktose fast ausschließlich in den Samenblasen gebildet wird, schließt ihr Nachweis einen Verschluss der Samenwege distal davon praktisch aus. Therapie Die Möglichkeiten einer kausalen medikamentösen Therapie beim Oligoasthenoteratospermie-(OAT)-Syndrom sind sehr begrenzt (allenfalls bei Infekten als Ursache). Die empirische Behandlung mit Humangonadotropinen oder Antiöstrogenen ist selten erfolgreich und wird nicht mehr durchgeführt. Chirurgisch kommt bei Verschlussazoospermien (Zustand nach Vasektomie), die
H09 F10 H10
F10
144
Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes
. Tab. 8.1 Spermiogramm. Referenzwerte der WHO (2010)
8
Volumen
≥1,5 ml
pH
≥7,2
Spermienkonzentration:
≥15 Mio/ml
Totale Spermienzahl:
≥39 Mio Spermatozoen/Ejakulat
Beweglichkeit
≥40%
Morphologie
≥15% normale Formen (strikte Kriterien)
Lebende Spermien
≥58%
Leukozyten
≤1 Mio/ml
Vasovasostomie oder Vasoepididymostomie in Frage, oft kombiniert mit der sogenannten TESE (testikuläre Spermienextraktion). Mit mikrochirurgischer Technik sind diese Operationen in einem hohen Prozentsatz erfolgreich (Durchgängigkeit bei Vasovastostomie bis 90%). Leider liegt die Schwangerschaftsrate wesentlich tiefer, v. a. weil sich im Anschluss an eine Vasektomie Antikörper gegen die eigenen Spermien bilden können (in ca. 30%). In therapieresistenten Fällen wird heute immer häufiger versucht, die Ovozyste extrakorporell durch Injektion eines einzelnen Spermiums zu befruchten → intrazytoplasmatische Injektion von Samenzellen in die Eizelle (ICSI).
8.3
Varikozele
Eine Varikozele kann möglicherweise die Spermaqualität beeinträchtigen und Ursache eines OAT-Syndroms sein. Bei ausgeprägter Varikozele und Kinderlosigkeit wird die retroperitoneale Durchtrennung der V. spermatica oberhalb eines inneren Leistenringes empfohlen. Damit lässt sich die Qualität des Spermas in vielen Fällen etwas verbessern. Die Schwangerschaftsrate wird allerdings nur unwesentlich erhöht (10–40%), weshalb die Therapie kontrovers diskutiert wird (7 Kap. 13.6).
8.4
Vasektomie und Familienplanung
Die Vasektomie ist ein sicherer, einfacher männlicher Beitrag zur Verhütung. Sie gewinnt zur definitiven Empfängnisverhütung weiterhin an Bedeutung, seit ge-
145 8.5 · Klimakterium virile
8
. Abb. 8.1 Vasektomie. Entfernung eines Stückes vom Vas deferens und Verschluss der Faszie über einem Stumpf
wisse Probleme der langfristigen hormonalen Kontrazeption und des Intrauterinpessars bei der Frau offensichtlich geworden sind. Als Eingriff ist sie – im Gegensatz zur Tubensterilisation – risikoarm und kann ohne weiteres ambulant in Lokalanästhesie durchgeführt werden (. Abb. 8.1). Die Vasektomie setzt in der Regel ein Alter um oder über 25 Jahre und volle Einsicht in die grundsätzliche Endgültigkeit des Eingriffs voraus. Die ausführliche Vorbesprechung hat folgende Punkte zu berücksichtigen: 4 Die Vasektomie bewirkt keine Veränderung des Hormonstoffwechsels und beeinträchtigt deshalb weder die Attribute der »Männlichkeit« noch die Erektions- oder Orgasmusfähigkeit. Da Spermien nur etwa 1% des Ejakulates ausmachen, ist diesem der Zustand nach Unterbindung nicht anzusehen. 4 Die Aussichten für eine erfolgreiche Reanastomose liegen bei ca. 90%. Die Chance für eine Konzeption hängt von der Zeit seit der Unterbindung ab (>10 Jahre → Chancen gering) ab (mögliche Spermienresorption mit Antikörperentwicklung gegen eigene Spermien). 4 Die 20–25 ersten Ejakulate nach dem Eingriff enthalten noch Spermien. Auf Verhütungsmaßnahmen kann deshalb erst verzichtet werden, wenn bei einer Kontrolluntersuchung des Ejakulats keine Samenfäden mehr nachweisbar sind. Von den Akutkomplikationen müssen die (manchmal erheblichen) Hämatombildungen (ca. 2%) und lokale Infekte (2–3%) beachtet werden, ebenso die Entwicklung von (evtl. schmerzhaften) Spermagranulomen (1–2%). Als Spätfolgen können lokale Druckempfindlichkeit und selten Hodenschmerzen persistieren.
8.5
Klimakterium virile
Der Mann hat eine gegenüber der Frau um rund 8 Jahre verkürzte Lebenserwartung. In jüngster Zeit gibt es deshalb vermehrt Diskussionen, ob hormonale Un-
146
Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes
terschiede dafür verantwortlich sind, und in der Folge auch, ob es ein männliches Pendant zum Klimakterium der Frau gibt. Die große Anzahl synonymer Begriffe ist Ausdruck der unscharf definierten Veränderungen des älter werdenden Mannes: Klimakterium virile, Andropause, late onset hypogonadism (LOH), (partielles) Androgendefizit des alternden Mannes (ADAM oder PADAM). PADAM ist von allen Begriffen der korrekteste, da er rein deskriptiv ist. Während der Hormonabfall bei der Frau in der Menopause abrupt erfolgt, sind die Veränderungen beim Mann langsamer und kontinuierlicher. Der Testosteronspiegel nimmt ab dem 30. Lebensjahr ca. 2% pro Jahr ab, weist aber große individuelle Schwankungen auf. Die typischen tageszeitlichen Schwankungen (mit höchsten Testosteronwerten am frühen Morgen) verlieren sich mit zunehmendem Alter. Verschiedene altersbedingte Veränderungen lassen sich auch bei Testosteronmangel finden: 4 Libidoverlust, 4 Antriebslosigkeit, 4 depressive Verstimmung, 4 Muskelschwund, 4 Osteoprose, 4 Konzentrationsmangel.
8
Der Schluss lag deshalb nahe, dass Testosteron eine entscheidende Rolle spielen könnte. Bei der Komplexität der Alterungsvorgänge ist es aber unwahrscheinlich, dass ein einzelner Faktor ursächlich ist. Andere Veränderungen wie Abnahme von Wachstumshormon, Dihydroepiandrosteron (DHEA), Melatonin etc. spielen möglicherweise ebenfalls eine Rolle. Während beim hypogonaden Mann die Testosterongabe angezeigt ist, bleibt umstritten, ob die supraphysiologische Androgenverabreichung beim normogonaden Mann sinn- und wirkungsvoll ist. Die Androgengabe ist nämlich mit gewissen Risiken verbunden, die bedacht werden müssen: 4 Propagierung eines latenten oder manifesten Prostatakarzinoms, 4 Exazerbation einer gutartigen Prostatavergrößerung, 4 Polyzythämie, 4 Schlafapnoe. Bis jetzt fehlen zuverlässige Studien über Nutzen, Dosierung, Dauer und Langzeitrisiken der Testosterongabe. ! Keine unkritische Testosterongabe bei älteren Männern. Während bei einzelnen Patienten mit typischen Zeichen des PADAM und nachgewiesenem Hormonmangel (hypophysäre Ursachen ausgeschlossen) die Androgengabe sinnvoll ist, muss vor einer unkritischen Verabreichung als »Lifestyle-
147 8.6 · Orgasmusstörungen
8
Medikament« bis zum Vorliegen zuverlässiger Daten gewarnt werden. In jedem Fall ist vor einer Androgengabe ein Prostatakarzinom auszuschließen (rektale Palpation, PSA, evtl. Biopsie). Während der Behandlungsdauer sind regelmäßige urologische Kontrollen angezeigt. Testosteron kann intramuskulär (auch als 3-Monatsdepot) oder als Hautgel verabreicht werden. Orale Formen sind nicht empfohlen (ungenügende Resorption, schwer steuerbar).
8.6
Orgasmusstörungen
Orgasmusstörungen sind häufig; über den Orgasmus und seine Störungen ist
aber wenig bekannt. Die WHO erkennt Orgasmusstörungen mittlerweile als Krankheit an.
8.6.1
Vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox)
Eine der häufigsten Sexualfunktionsstörungen des Mannes. Geschätzte Prävalenz 25–40% bei Männern jeden Alters, aber große Dunkelziffer. Keine Einheitliche Definition. Folgende Definitionen sind gebräuchlich: 4 Unfähigkeit, den Samenerguss für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr hinaus zu zögern. 4 Intravaginale Latenzzeit <2 min. Die Ursachen sind weitgehend unbekannt. Diskutiert werden organische Faktoren (penile Hypersensibilität, übererregbarer Reflexbogen, Endokrinopathien, genetische Disposition) und psychogene Faktoren (ängstliche Erwartungshaltung, unregelmäßiger Geschlechtsverkehr). Manchmal in Zusammenhang mit einer Erektionsstörung (Ejakulation bevor eine genügende Erektion erreicht wurde). Diagnostik Sie ist aus nahe liegenden Gründen schwierig. Man verlässt sich auf die Auskunft des Patienten. Therapie Die Behandlung beruht auf Verhaltensmaßnahmen, systemischen und lokalen Medikamenten: 4 Verhaltensmaßnahmen: »Stop-and-Go«-Übungen (Stimulationsstop kurz vor der Ejakulation) oder »Squeeze«-Methode (Pressen der Glans vor der Ejakulation). Oft erfolgreich. 4 Systemische Medikamente: Serotonin-Wiederaufnahmehemmer verzögern die Ejakulation. Dapoxetin ist in vielen Ländern für die Indikation Ejaculation
148
Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes
präcox zugelassen. Aber auch andere Antidepressiva sind wirksam, z. B. Paroxetin, Fluoexitin oder Clomipramine. Bei Erektionsstörung gute Erfolge mit PDE-5-Hemmern (Sildenafil). 4 Lokale Medikamente: Lokalanästhesiehaltiger Gel auf Glans auftragen. Reduziert die Empfindlichkeit der Glans.
8.6.2
Verzögerter oder fehlender Samenerguss
Unfähigkeit, einen Samenerguss und/oder einen Orgasmus zu bekommen. Keine befriedigende Therapie, allenfalls verursachende Medikamente wechseln. Mögliche Ursachen: 4 Medikamentös: Antidepressiva. Können den Orgasmus erschweren oder verunmöglichen. α-Blocker können zu retrograder Ejakulation führen. 4 Iatrogen: Nach retroperitonealer Lymphadenektomie bei Hodentumoren oder nach Gefäßeingriffen (Aortenprothese). Retrograde Ejakulation nach TUR-P (Orgasmus erhalten). Nach radikaler Prostatektomie fehlt das Ejakulat (da Prostata, Samenblasen, Ampullen der Ductus deferentes entfernt werden); Orgasmusgefühl aber oft erhalten.
8
Übungsfragen 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Lösungen → S. 212
Nennen Sie drei organische Ursachen für erektile Dysfunktion! Nennen Sie drei wichtige Methoden zur Behandlung der erektilen Dysfunktion! Weshalb muss eine Erektionsstörung ernst genommen werden? Wie beurteilen Sie die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten beim Oligoasthenoteratospermiesyndrom (OAT)? Was wissen Sie über Ursache und mögliche Folgen der Varikozele? Wann und wie kontrollieren Sie, ob eine zur Familienplanung erfolgte Vasektomie erfolgreich war?
9 Urologie und Sexualpathologie der Frau 9.1
Infektionen und Reizsyndrome
– 150
9.2
Interstitielle Zystitis
9.3
Harnröhrenerkrankungen
9.4
Inkontinenz
9.5
Fistelbildungen
9.6
Sexualpathologie mit urologischen Bezügen – 152
– 151 – 151
– 152 – 152
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_9, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
150
Kapitel 9 · Urologie und Sexualpathologie der Frau
Die besonderen anatomischen und physiologischen Beziehungen zwischen dem unteren Harntrakt und dem Genitale der Frau machen verständlich, dass sich gynäkologische Probleme häufig auch im urologischen Bereich manifestieren.
9.1
Infektionen und Reizsyndrome
Das häufigere Auftreten von Harnwegsinfekten ist Folge der kurzen weiblichen Harnröhre und des sie umgebenden weiblichen Perineums mit seiner Keimbesiedlung. Zusätzliche infektfördernde Faktoren sind: 4 Besondere Miktionsgewohnheiten (Zurückhalten der Miktion), 4 mechanische Irritation beim Geschlechtsverkehr, 4 hormonale Umstellung in der Schwangerschaft und 4 Östrogenmangelatrophie in der Menopause.
9
Für Diagnostik und Behandlung von Infekten gelten die allgemeinen Richtlinien (7 Kap. 4). In der Schwangerschaft ist die physiologische Dilatation der oberen Harnwege (vor allem rechts) mit verlangsamtem Urintransport und zusätzlicher Stauung durch den vergrößerten Uterus gelegentlich Ursache für eine Schwangerschaftpyelonephritis (1–2%), zu deren Therapie sich besonders Breitspektrumpenizilline und Cephalosporine eignen. Bei septischen Zeichen sollte mit der Einlage einer Doppel-J-Schiene nicht gezögert werden (. Abb. 5.7). Häufiger als akute Schwangerschaftspyelonephritiden sind asymptomatische Bakteriurien (ca. 10%), die keine Antibiotika benötigen. Auch nach mikrobiologischer Abheilung eines Blaseninfektes kann bei der Frau eine Reizsymptomatologie persistieren, für die sich oft keine leicht fassbare Ursache finden lässt. Man konstatiert die typischen Erscheinungen einer Zystitis, aber ohne Leukozyten und Bakterien (im Katheterurin). Gelegentlich persistiert das klinische Bild der »Reizblase«. Für die Beurteilung ist es dabei wesentlich, ob die Pollakisurie auch nachts weiterbesteht (→ organische Ursache). Neben organischen Auslösern – wie z. B. durch Östrogenmangel bedingte Schleimhautatrophie nach der Menopause – dürfen aber bei der »Reizblase« psychosomatische Ursachen nicht außer acht gelassen werden: »Die Blase ist der Spiegel der Seele«, wie die Chinesen richtig sagen. Keine Antibiotika! Dafür sich Zeit nehmen für die Aufnahme einer vertieften persönlichen Anamnese (mit Sexualanamnese).
151 9.3 · Harnröhrenerkrankungen
9.2
9
Interstitielle Zystitis
Das klinische Erscheinungsbild dieser pathophysiologisch völlig ungeklärten Erkrankung entspricht zumindest in der Anfangsphase demjenigen der »Reizblase«. Im Vordergrund steht eine oft quälende Pollakisurie (bei Tag und Nacht!) ohne relevanten (bakteriologischen) Urinbefund. Bei der Endoskopie ist die Schleimhaut häufig blass und bei Dehnung sehr leicht blutend. Gelegentlich sieht man ein Ulkus (so genanntes Hunner’sches Ulkus). Die Blasenkapazität ist verringert, und aus der Pollakisurie wird mit der Zeit eine Dranginkontinenz. Die Prognose ist ungünstig und die konservative Behandlung, z. B. durch Dehnung der Blase in Anästhesie oder Botoxinjektionen in den Detrusor, hilft meist nur vorübergehend. Gelegentlich entwickelt sich eine echte Schrumpfblase, und es muss eine Blasenerweiterungsplastik oder eine Harnumleitung vorgenommen werden.
9.3
Harnröhrenerkrankungen
Nicht allzu selten entwickelt sich bei älteren Frauen an der äußeren Harnröhrenmündung ein Ektropium der Schleimhaut, das polypenartige Form annehmen kann (auch »Harnröhrenkarunkel« genannt). Diese gutartige Affektion blutet leicht und führt zu Reizerscheinungen. Differenzialdiagnostisch muss an ein Urethrakarzinom gedacht werden. Die Behandlung besteht in der chirurgischen Abtragung. Urethradivertikel (. Abb. 9.1) entstehen aus erweiterten paraurethralen Drüsen, die sich während der Miktion zunehmend mit Urin füllen. In solchen Diver-
. Abb. 9.1 Radiologische Diagnose eines Urethradivertikels bei der Frau mittels Spezialkatheters
152
Kapitel 9 · Urologie und Sexualpathologie der Frau
tikeln entwickeln sich eitrige Entzündungen, und es kann zur Steinbildung kommen. Bei der Palpation der Urethra von der Vagina aus sind die Divertikel u. U. zu tasten. Die Betastung ist oft schmerzhaft und es tritt eitrig-gelbe Flüssigkeit aus der Harnröhrenmündung. Die Behandlung besteht in der Exzision von der vorderen Scheidenwand aus.
9.4
Inkontinenz
7 Kap. 7.6, Seite 132
9.5
9
Fistelbildungen
Im Zusammenhang mit gynäkologischen und geburtshilflichen Eingriffen bzw. nach Bestrahlung weiblicher Genitaltumoren kann es zu Fistelbildungen und/oder Stenosierungen im Bereich des distalen Harnleiters kommen. Meist führt der Fistelgang ins Scheidengewölbe. Bei Blasenscheidenfisteln (vesiko-vaginale Fisteln, VVF) nach Blasenläsionen im Zusammenhang mit einer Hysterektomie, besteht eine mehr oder weniger große Kommunikation zwischen Blase und Scheide. Mit einer Spontanheilung ist in beiden Fällen nicht zu rechnen. VVF sind in zivilisierten Ländern selten, in Entwicklungsländern als Folgen traumatischer Geburt weit verbreitet. Ureterscheidenfisteln werden durch Neueinpflanzung des Harnleiters in die Blase behoben, während Blasenscheidenfisteln je nach Größe entweder vaginal (kleine Fisteln) oder aber abdominal-transvesikal verschlossen werden.
9.6
Sexualpathologie mit urologischen Bezügen
Der Urologe ist nicht Frauenarzt und überlässt die mannigfachen, vor allem auch hormonal verursachten Probleme dieses Bereichs grundsätzlich dem Gynäkologen. Er muss aber die wichtigsten Aspekte der weiblichen Sexualpathologie kennen, weil die Betroffenen nicht selten urologische Symptome äußern, denen zum Teil eine urologische Organpathologie zugrunde liegen kann (Urethratumoren, Urethradivertikel, Harnwegsinfekte u. a.). Findet sich keine organische Ursache für die Dyspareunie, so lohnt sich die Zeitinvestition für die Aufnahme einer Sexualanamnese. Häufig bringt sie den Schlüssel zur Erklärung der Beschwerden und ist Grundlage für therapeutische Entscheidungen.
153 9.6 · Sexualpathologie mit urologischen Bezügen
9
Die wichtigsten Störungen der Sexualfunktion der Frau sind: 4 Libidodysfunktion (Abnahme, Verlust, bis zum Ekel vor sexuellen Kontakten): Nach Ausschluss von organischen (vor allem Stoffwechselkrankheiten), medikamentösen (Sedativa, Antihypertensiva) und offensichtlich psychischen Ursachen (Depressionen) bleibt ein weites Feld von psychologischen, aus der Erziehung erklärbaren oder partnerbezogenen Problemen. 4 Orgasmusdysfunktion: Fehlendem oder seltenem Orgasmus liegt meist ein sexualtherapeutisch behandelbares (Koordinations-)Problem der Partner zugrunde. 5-10% der Frauen erleben nie einen Orgasmus. 4 Dysparenuie (Algopareunie): Als schmerzhafte Empfindung während/nach Geschlechtsverkehr hat sie oft eine lokale organische (gynäkologische oder urologische) Ursache, kann aber durchaus Ausdruck psychischer, meist partnerschaftlicher Probleme sein und sich bis zum Vaginismus – der Unmöglichkeit zur Imissio penis – steigern. Beurteilung und Behandlung sind die Domäne des Sexualtherapeuten. Übungsfragen 1. 2. 3. 4. 5.
Lösungen → S. 153
Welche Ursachen sind für das häufige Auftreten von Harnwegsinfekten bei der Frau mitverantwortlich? Nennen Sie drei! Welche differenzialdiagnostischen Möglichkeiten erwägen Sie bei einer Frau mit andauernder »Reizsymptomatologie«? Was verstehen Sie unter einer interstitiellen Zystitis? Wie äußern sich Blasenscheidenfisteln? Was sind mögliche Ursachen? Was sind die spezifischen Mitursachen einer so genannten Schwangerschaftspyelonephritis?
10 Urologische Erkrankungen im Kindesalter 10.1 Allgemeine Diagnostik
– 155
10.2 Angeborene Abflussbehinderungen 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.5
– 155
Abflussbehinderung aus der Niere – 155 Abflussbehinderung im terminalen Ureter – 155 Abflussbehinderung in der Blase – 155 Abflussbehinderung in der Harnröhre – 156 Distale Urethrastenose beim Mädchen – 156
10.3 Primärer vesikoureteraler Reflux
– 156
10.4 Blasenekstrophie, Epi- und Hypospadie 10.5 Kryptorchismus 10.6 Phimose
– 157
– 158
– 158
10.7 Torsion des Hodens und seiner Anhangsgebilde – 159 10.8 Tumoren des Urogenitalsystems 10.9 Enuresis (nocturna)
– 159
– 160
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_10, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
155 10.2 · Angeborene Abflussbehinderungen
10.1
10
Allgemeine Diagnostik
Die rezidivierende Pyurie beim Kind ist häufig Symptom einer angeborenen Missbildung der Harnwege (. Abb. 3.1, 7 Kap. 3). Deshalb ist Zögern mit der bildgebenden Diagnostik nicht am Platz; vor allem mit der Ultraschalluntersuchung und der Urographie. Damit lassen sich die Anomalien der oberen Harnwege und der Blase erkennen und beurteilen. Bei Refluxverdacht ist eine Miktionszystourethrographie indiziert und bei Blasenabflussstörungen die Urethrozystoskopie. Basis der Diagnostik sind die einschlägigen Urin- und Blutuntersuchungen. Die Nierenfunktion kann vergleichend mit dem Isotopennephrogramm (7 Kap. 2.3, S. 15) beurteilt werden. Eine Systematik der Nieren- und Harnleiterfehlbildungen findet sich in 7 Kap. 3, S. 29.
10.2
Angeborene Abflussbehinderungen
10.2.1
Abflussbehinderung aus der Niere
Extrinsisch durch Gefäße oder Bindegewebsstränge. Intrinsisch durch Stenose des Ureters am Abgang aus dem Nierenbecken. Die Folge ist eine Ausweitung des Nierenbeckens, eine sog. Hydronephrose. Die Behandlung zielt auf Normalisierung der Abflussverhältnisse durch Behebung der von außen wirkenden Abflussbehinderung oder durch Resektion des verengten Ureterabschnittes und Neueinpflanzung des Harnleiters ins verkleinerte Nierenbecken. 10.2.2
Abflussbehinderung im terminalen Ureter
Mechanisch durch intramurale Fibrose der Uretermuskulatur (angeboren? entzündlich?). Funktionell (?) beim so genannten primären Megaureter (Innervationsstörung (?) der terminalen Uretermuskulatur), oft kombiniert mit Reflux. Es kommt dadurch zur Erweiterung und Verlängerung des Harnleiters mit Transportinsuffizienz. Die Behandlung besteht in der Ausschaltung des afunktionellen Uretersegments, evtl. kombiniert mit einer plastischen Kaliberverengerung und einer Antirefluxureterozystoneostomie. 10.2.3
Abflussbehinderung in der Blase
Durch Ureterozele (ballonartige Aufblähung des Ostiumbereichs ins Blasenlumen), häufig kombiniert mit Ureter duplex, wobei die Ureterozele in der Regel zum Ureter gehört, der den oberen Nierenabschnitt ableitet.
156
Kapitel 10 · Urologische Erkrankungen im Kindesalter
Therapie Elektrochirurgische Schlitzung, in schweren Fällen Resektion der Ureterozele. Gelegentlich muss auch der zugehörige (erweiterte) Harnleiter mit dem (pyelonephritisch-atrophischen) oberen Nierenpol reseziert werden.
10.2.4
Abflussbehinderung in der Harnröhre
Proximale Urethraklappen beim Knaben Segelartige Klappen im Kollikulusbereich. Urethroskopisch oft nicht leicht erkennbar, können als schweres Abflusshindernis wirken → Balkenblase, Deformation, Divertikelbildung, vesikoureteraler Reflux. Therapie Endoskopische Resektion der Klappen und wenn nötig Korrekturoperationen an der Blase.
10.2.5
Distale Urethrastenose beim Mädchen
Sehr selten (normales Urethrakaliber in Charrière: 10 + Alter). Beim Knaben bei hypospader Urethramündung Stenose möglich.
10.3
10
Primärer vesikoureteraler Reflux
Aufgrund eines insuffizienten Ventilverschlusses an der Uretermündung (7 Kap. 3.3). Angeboren ist er oft Ausdruck einer unvollständigen Ausdifferenzierung dieser Strukturen. Kongenitaler Reflux (ohne zusätzliche Ureteranomalie) heilt deshalb in der Mehrzahl der Fälle (bei Infekten unter konsequenter Dauertherapie) spontan innerhalb des ersten bis zweiten Lebensjahres. Die Diagnose erfolgt mittels Miktionszystographie → verschiedene Schweregrade (7 Kap. 3.3, . Abb. 3.7). Therapie Grad I–III konservativ, Grad IV–V meist operativ (extra- oder intra-
vesikale Antirefluxplastik). Prognose In leichteren Fällen günstig (ca. 90% Heilungen). Bereits ausgebildete refluxbedingte Nierenveränderungen bilden sich nicht zurück.
157 10.4 · Blasenekstrophie, Epi- und Hypospadie
10.4
10
Blasenekstrophie, Epi- und Hypospadie
Die Blasenekstrophie ist eine sehr seltene schwerwiegende Fehlbildung von Blase und Urethra infolge embryonaler Fehlentwicklung im Kloakenbereich: die Blase liegt als Platte auf der Bauchwand und die Harnröhre ist dorsal offen. Die Symphyse klafft. Behandlung: Es wird eine primäre Rekonstruktion von Blase und Genitale angestrebt. Die Behandlung stellt höchste Ansprüche an ein interdisziplinäres Behandlungsteam. Oft bleiben Inkontinenz und vesikoureteraler Reflux zurück. Nicht selten ist deshalb später doch noch eine Harnumleitung notwendig. Bei geringgradiger Fehlbildung der Kloakenmembran ist die Blase zwar geschlossen, die Harnröhre aber dorsal mehr oder weniger ausgedehnt gespalten. Es resultiert eine Epispadia pubis, penis oder im besten Fall glandis. Behandlung: plastischer Verschluss. Der Hypospadie, einer vergleichsweise häufigeren Urethrafehlbildung (0,5% der neugeborenen Knaben) liegt eine Verschlussstörung unterschiedlichen Grades der Urethralrinne zugrunde (. Abb. 10.1). Anstelle der distalwärts fehlenden Urethra findet sich ein bindegewebiger Strang (Chorda), der zu einer ventralen Krümmung des Penis führt. Das Präputium ist ventral gespalten (dorsale Vorhautschürze).
. Abb. 10.1 Hypospadie. Lokalisation des Meatus bei Hypospadie. Beachte die ventrale Verkrümmung des Penis
158
Kapitel 10 · Urologische Erkrankungen im Kindesalter
Behandlung: Mit verschiedenen plastisch-chirurgischen Verfahren wird die Harnröhre rekonstruiert. Angestrebt wird die Verlagerung der Urethralmündung an die Spitze der Glans.
10.5
Kryptorchismus
Angeborene Deszensusstörung eines oder beider Hoden. Ursache multifaktoriell, im Detail unbekannt. Für einen normalen Deszensus ist eine funktionierende Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse notwendig. Eine der häufigsten Missbildungen bei Geburt (3–5% aller männlichen Neugeborenen, häufiger bei Frühgeburten). 95% unilateral. Im Verlaufe der ersten 3 Lebensmonate deszendieren viele Hoden spontan (ca. 70%). Eigentliche Ektopien außerhalb der Deszensusbahn selten (<10%). Pendelhoden sind eine Normvariante und benötigen keine Therapie. Beim Kryptorchismus ist der Hoden nicht tastbar (Bauchhoden oder Aplasie). Nichtdeszendierte Hoden haben ein stark erhöhtes (10-fach) Risiko für spätere maligne Entartung. Der nicht oder zu spät behandelte Maldeszensus hat häufig eine Fertilitätsstörung zur Folge (. Abb. 3.8). Therapie Nicht innerhalb der ersten 3 Lebensmonate. Primär operativ bei Be-
gleithernie und Ektopie: Funikolyse und Orchidopexie. Meist zuerst Behandlungsversuch mit HCG oder LHRH (Erfolgsrate aber nur ca. 20%). Bleibt der Erfolg aus → Operation. Die Behandlung sollte bis zum Ende des ersten Lebensjahres erfolgt sein.
10 10.6
Phimose
Beim Neugeborenen und Säugling besteht physiologisch eine Verklebung des inneren Vorhautblattes mit der Glans. Diese löst sich gegen den dritten Geburtstag spontan. Dehnungsmaßnahmen sind unnötig und können durch konsekutive Narbenbildung einen gegenteiligen Effekt haben. Therapie Plastische Erweiterung oder Zirkumzision sind nur ausnahmsweise
notwendig (Harnverhaltung, massive Balanitiden). Beim Zurückgleiten der (zu engen) Vorhaut in den Sulcus coronarius kann sich ein schmerzhafter Schnürring mit Ödem entwickeln (Paraphimose), der (notfallmäßig) chirurgisch gespalten werden muss (7 Kap. 13.9).
159 10.8 · Tumoren des Urogenitalsystems
10.7
10
Torsion des Hodens und seiner Anhangsgebilde
Die Hodentorsion (. Abb. 13.5, 7 Kap. 13.6) ist für über 90% der plötzlich auftretenden einseitigen schmerzhaften Skrotalschwellungen des Heranwachsenden verantwortlich. Sie tritt in ca. 1 pro 4000 Männern und Knaben <25 Jahre auf. Sie muss innerhalb der 6-Stundengrenze operiert werden. Der betroffene Hoden wird detorquiert und fixiert. Aus prophylaktischen Gründen wird auch der Gegenhoden fixiert. ! Keine Zeit für Diagnostik und konservative Therapie opfern. Alle Verdachtsfälle sofort einweisen.
! Die Differenzialdiagnose des »akuten Skrotums« erfolgt am freigelegten Hoden. Im Zweifel immer operieren! ä Fallbeispiel Anamnese Ein 16-jähriger Schüler auf einer Fahrradtour wird frühmorgens von plötzlich aufgetretenen massiven Schmerzen im rechten Hoden geweckt. Der zurate gezogene Arzt konstatiert einen leichten Hochstand des geschwollenen und beim Anheben sehr schmerzhaften Hodens. Das Skrotum ist gerötet. Der Urinstatus ist normal. Überlegungen des Notfallarztes Am wahrscheinlichsten ist eine Hodentorsion. Gegen eine Entzündung sprechen der normale Urinstatus und das plötzliche Auftreten der Symptome. Er entscheidet deshalb, den Patienten sofort (drei Stunden nach Beginn der Schmerzattacke) in ein Spital einzuweisen. Therapie Die sofortige Revision des rechten Hodens in Narkose und innerhalb der Sechs-Stunden-Grenze bestätigt die Vermutungsdiagnose. Der Hoden ist dunkelblau-rot verfärbt und innerhalb der Hodenhüllen um 270º verdreht. Die Lösung der Torsion führt zur raschen Besserung des Befundes. Die Durchblutung normalisiert sich. Es erfolgt nun eine Orchidopexie, die ein Rezidiv verhüten wird. Da in solchen Fällen das Gubernaculum testis vielfach beidseits ungenügend ausgebildet ist, erfolgt in gleicher Sitzung auch eine prophylaktische Orchidopexie auf der Gegenseite. Verlauf Komplikationslose Heilung, keine Kontrollen notwendig.
10.8
Tumoren des Urogenitalsystems
Sind bei Kindern selten. Am häufigsten ist der Wilms-Tumor (ein maligner Mischtumor der Niere mit mesenchymalen und epithelialen Anteilen). Er manifestiert sich häufig als einseitige abdominale Schwellung oder mit allgemeinen Symptomen (Gewichtsabnahme, allgemeine Krankheitserscheinungen).
H10
160
Kapitel 10 · Urologische Erkrankungen im Kindesalter
Der Wilms-Tumor und seine Metastasen sind sehr strahlensensibel und sprechen gut auf zytostatische Chemotherapie an. Die Behandlung richtet sich nach dem Stadium und ist in der Regel kombiniert chirurgisch-strahlentherapeutisch-zytostatisch. In der Mehrzahl der Fälle (mehr als 80%) ist heute eine Heilung möglich. Weitere, seltene bis sehr seltene maligne Tumoren im Kindesalter sind das retroperitoneale (Katecholamin produzierende) Neuroblastom, Sarkome von Blase und Prostata (alle mit ungünstiger Prognose) sowie Hodentumoren.
10.9
Enuresis (nocturna)
Unter Enuresis versteht man tagsüber, vor allem aber nachts (E. nocturna) auftretenden (portionsweisen) unkontrollierten Harnabgang. Bis zum Abschluss des dritten (evtl. vierten) Lebensjahres physiologisch. Im Alter von fünf Jahren sind noch etwa 15% der Kinder nachts nicht trocken. Bis zum 15. Lebensjahr vermindert sich diese Zahl auf 1%. Die Ursachen der verspäteten nächtlichen Blasenkontrolle sind multifaktoriell und im Detail nicht bekannt. Psychosoziale Faktoren sind möglicherweise seltener als bisher angenommen. Es gibt vermehrte Evidenz, dass ein Missverhältnis von relativ großer nächtlicher Urinproduktion bei relativ kleiner Blase, verbunden mit sehr tiefem Schlaf die Enuresis nocturna begünstigt.
10
Therapie Durch Verhaltenstraining (Urinalarmsysteme), gelegentlich unterstützt durch Medikamente (antidiuretisches Hormon als Nasenspray zur Reduktion der nächtlichen Urinmenge). In Zweifelsfällen müssen zuvor mögliche organische Ursachen ausgeschlossen werden (ektopische Uretermündung, Entzündungen, Entleerungsstörungen der Blase, neurologische Defekte). Übungsfragen 1. 2.
3. 4. 5. 6.
Lösungen → S. 213
Was ziehen Sie ursächlich in Erwägung, wenn Sie ein zweijähriges Mädchen wiederholt wegen Harnwegsinfekten behandeln müssen? Wenn bei diesem Mädchen ein vesikoureteraler Reflux (Grad 2) als Ursache für die rezidivierenden Harnwegsinfekte nachgewiesen wurde, halten Sie eine Spontanheilung für möglich? Nennen Sie vier Fehlbildungen im Nieren-, Ureter- und Blasenbereich! Ein kleiner Patient von Ihnen hat eine Hypospadia penis. Bis wann, raten Sie den Eltern, sollte diese Fehlbildung spätestens korrigiert sein? Was verstehen Sie unter einem Pendelhoden? Therapie? Wie heißt der typische Nierentumor des Kindesalters und wie ist seine Prognose?
11 Verletzungen der Urogenitalorgane 11.1 Klinik der Urogenitalverletzungen
– 162
11.1.1 Schmerz – 162 11.1.2 Hämaturie – 162 11.1.3 Anurie – 162
11.2 Nierenverletzungen
– 163
11.3 Harnleiterverletzungen
– 165
11.4 Harnblasenverletzungen
– 165
11.5 Harnröhrenverletzungen
– 166
11.6 Verletzungen des Genitale
– 168
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_11, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
162
Kapitel 11 · Verletzungen der Urogenitalorgane
Verletzungen der Urogenitalorgane sind oft ein Teilaspekt von abdominalen Traumen (Nierenverletzung, Blasenruptur), von Beckenfrakturen (Harnröhrenverletzungen) und seltener von Thoraxtraumen (Nierenverletzungen). Rund 5% der Mehrfachverletzungen haben eine ins Gewicht fallende Mitverletzung im Bereich des Urogenitalapparates.
11.1
Klinik der Urogenitalverletzungen
Die wichtigsten Symptome der Urogenitalverletzungen sind Schmerz, Hämaturie und Anurie. 11.1.1
Schmerz
Bei Nierenverletzungen → Lumbalschmerz durch subkapsuläres oder perirenales Hämatom, selten Ureterkoliken durch Blutgerinnsel. Bei Blasenverletzungen → Tenesmen (krampfartiger Harndrang) durch abflussbehindernde Koagula in der Blase. 11.1.2
11
Hämaturie
Die Hämaturie ist meist eine Makrohämaturie, seltener eine Mikrohämaturie (Nierenkontusion). Eine Urethrablutung spricht für Harnröhrenverletzung außerhalb des Verschlussapparates. Kontinuierlicher Austritt von blutigem Urin aus einer Hautwunde (bei penetrierender Verletzung) spricht für Nieren- oder Blasenmitverletzung. Nachweis: Kreatininbestimmung in der Wundabsonderung. 11.1.3
Anurie
Die Anurie kann einen Blutungsschock zur Ursache haben. Bei Blasenruptur besteht eine blutige »Anurie«, d. h. ein Miktionsversuch ergibt lediglich einige Tropfen blutiger Flüssigkeit. Bei vollständigem Abriss der Urethra entleert sich trotz miktionsbedingter Erleichterung kein Urin nach außen. Untersuchung Die allgemeine Untersuchung interessiert sich für Schocksymp-
tome (Hypotonie, Anstieg der Pulsfrequenz, Zeichen der Kreislaufzentralisation) und lokale Erscheinungen (Hämatome, Prellungen, Flankentumor) sowie für den Urinstatus (Hämaturie).
163 11.2 · Nierenverletzungen
11
! Bei Verdacht auf Harnröhrenverletzung darf nicht katheterisiert werden. Suprapubische Harnableitung!
Eine zentrale Stellung bei der Beurteilung von Urogenitalverletzungen in der akuten Phase haben heute die Ultraschalluntersuchung und die Computertomographie. Sie orientieren über den Zustand der Nieren (Rupturen) und zeigen intra- und extraperitoneale Flüssigkeitsansammlungen. Wichtig ist immer noch die intravenöse Urographie. Das Kontrastmittel kann sofort, nachdem ein venöser Zugang angelegt ist, infundiert werden. Bereits die orientierende Abdomenleeraufnahme ergibt Hinweise auf eine mögliche Mitbeteiligung der Niere. Weitere Fragen beantworten die Kontrastaufnahmen: Sind beide Nieren vorhanden? Extravasate? Die Nierenangiographie als digitale Subtraktionsangiograpie hat eigentlich nur noch eine Bedeutung bei gestörter Nierendurchblutung (Thrombose?). Die Endoskopie mit retrograder Darstellung ist sehr selten indiziert (Ureterabriss?). Bei Verdacht auf Harnröhrenverletzung ist das retrograde Urethrogramm die Untersuchungsmethode der Wahl, bei Verdacht auf Blasenruptur kann eine Zystographie indiziert sein.
11.2
Nierenverletzungen
Die Nieren sind bei 1–2% aller Unfallverletzten mitbeteiligt. Rund 25% der Nierenverletzten sind Jugendliche. 90–95% der Verletzungen erfolgen stumpf (Kontusionen). Beim häufigen stumpfen Trauma können Parenchymschäden verschiedener Schwergrade resultieren: unbedeutende Kontusionen bis lebensbedrohliche Organrupturen (. Abb. 11.1 und . Abb. 11.2). Operationsindikation sehr zurückhaltend stellen; nur bei Kreislaufinstabilität. Weniger als 10% der Verletzungen müssen operativ versorgt werden. Die Operationstaktik ist organerhaltend. Nephrektomien lassen sich aber nicht immer vermeiden. Penetrierende Verletzungen (Schuss, Stich) sind selten und müssen raschmöglichst revidiert werden. Erst durch die Freilegung werden das volle Ausmaß und die etwaige Mitbeteiligung anderer Organe (Darm, Pankreas, Milz, Leber) überhaupt beurteilbar. Auch hier ist die Operationstaktik organerhaltend. ä Fallbeispiel Anamnese Ein 26-jähriger Motorradfahrer wird nach einem Sturz zur Kontrolle auf die Notfallstation gebracht. Er kommt zu Fuß, klagt aber über diffuse Rückenund Bauchschmerzen. 6
164
Kapitel 11 · Verletzungen der Urogenitalorgane
a
b
d
e
c
f
. Abb. 11.1a–f Einteilung des Nierentraumas; a kleiner Parenchymeinriss, b subkapsuläres Hämatom, c einzelne, d multiple, große Parenchymverletzungen, e Beteiligung des Hohlraumsystems, f Nierenstielverletzung
11
. Abb. 11.2 Nierentrauma links. Großes subkapsuläres, perirenales Hämatom (weißer Pfeil). Die Niere ist nach ventral verdrängt (gestrichelter Pfeil)
165 11.4 · Harnblasenverletzungen
11
Befund Eine genaue Untersuchung inklusive Röntgenbilder ergibt keine Hinweise auf Frakturen. Im Bereich der linken Flanke Kontusionsmarke. Der Urinstatus zeigt eine Mikrohämaturie. Im CT mit Kontrastmittel zeigt sich eine Lazeration der linken Niere mit einem eindrücklichen perirenalen Hämatom. Die linke Niere scheidet etwas verzögert aus, der Abfluss ist aber unbehindert. Beurteilung Nierenverletzung bei Kontusionstrauma, großes perirenales Hämatom. Therapie Hospitalisation. Regelmäßige Kreislaufüberwachung (Gefahr der zweizeitigen Milzruptur). Regelmäßige Ultraschallkontrollen der Niere. Verlauf Nach 4 Tagen kann der Patient, der immer kreislaufstabil war, wieder entlassen werden. Eine Intervention war nicht notwendig. Sportverbot für 6 Wochen. Eine Abschlusskontrolle nach 6 Monaten zeigt, dass das Hämatom vollständig resorbiert ist und die Niere normal arbeitet.
11.3
Harnleiterverletzungen
Harnleiterverletzungen im Zusammenhang mit einem stumpfen Abdominaltrauma sind eine Rarität. Nicht selten haben sie eine iatrogene Ursache (Eingriffe im kleinen Becken).
11.4
Harnblasenverletzungen
Harnblasenverletzungen sind dagegen nicht allzu selten bei Beckentrauma. Ein Schlag auf die gefüllte Blase kann zur Ruptur führen. Andererseits kann die Blase bei Beckenfrakturen durch Knochensplitter verletzt werden (in 5–10%) und schließlich natürlich auch durch ein penetrierendes Trauma (z. B. Stich). Meist liegen relativ schwere Zerreißungen vor: die gefüllte Blase »explodiert« bei abrupter Drucksteigerung. Die Ruptur kann extra- oder intraperitoneal liegen: Im Zusammenhang mit Beckenfrakturen sind 80% der Rupturen extraperitoneal. Verständlicherweise treten sie besonders leicht bei vorgeschädigter Blase auf (Retentionsblase, Tumorblase). Hauptsymptom der Blasenruptur ist Harndrang ohne Miktion (»blutige Anurie«). Bei leichteren Verletzungen Hämaturie. Bei intraperitonealer Ruptur oft Schulterschmerz (Peritonealreizung durch Urin) später Peritonitiszeichen. Bei extraperitonealer Ruptur droht eine Urinphlegmone (. Abb. 11.3). Die Behandlung besteht im Verschluss der verletzten Blase, Drainage des perivesikalen Raumes und zuverlässiger Urinableitung.
F08 H08
166
Kapitel 11 · Verletzungen der Urogenitalorgane
a
b
11
. Abb. 11.3a,b a Extraperitoneale Blasenverletzung bei Beckenringfraktur (schematisch), b intraperitoneale Blasenverletzung, ebenfalls bei Beckenfraktur (schematisch von der Seite)
11.5
Harnröhrenverletzungen
Bei den Harnröhrenverletzungen muss unterschieden werden zwischen 4 Einriss oder vollständiger Durchtrennung, 4 im Diaphragma urogenitale (häufig bei Beckentrauma) oder weiter distal gelegener Ruptur, 4 einfacher oder kombinierter Verletzung (Mitbeteiligung von Beckenskelett und/oder Genitale). Harnröhrenverletzungen äußern sich durch Blutaustritt aus der Urethra, gegebenenfalls durch eine für den Patienten erleichternde Miktion ohne Urinaustritt.
167 11.5 · Harnröhrenverletzungen
11
. Abb. 11.4 Urethraruptur bei Beckentrauma. In typischer Weise erfolgt die Ruptur im Sinne einer Abscherung, proximal vom Diaphragma urogenitale. Es bildet sich ein großes Hämatom, das die Prostata kranialwärts verdrängt
Ist die Urethra im Beckenboden durchtrennt, so werden Blase und Prostata durch das Hämatom kranialwärts verlagert, was bei der rektalen Palpation getastet werden kann: Die Prostata ist »beweglich« geworden. Im retrograden Urethrogramm zeigt das Kontrastmittelbild Lage und Ausmaß der Verletzung (. Abb. 11.4). Therapie Die Behandlung sorgt vorerst für eine sichere suprapubische Urinab-
leitung durch Punktionsdrainage. Bei geringfügigen Einrissen genügt die vorübergehende Harnumleitung. Bei schweren Verletzungen (z. B. im Beckenboden) richtet sich das Vorgehen nach der Situation (Nebenverletzungen, Allgemeinzustand): Möglich ist eine primäre chirurgische Versorgung, in der Regel Adaptation der Stümpfe über einem Katheter oder aber auch der völlige Verzicht auf primäre Versorgung und spätere Operation der Narbenstriktur. Spätkomplikationen: Strikturen (Harnröhrenplastik, Bougierung, Sichturethrotomie) und erektile Dysfunktion bei Mitverletzung des N. pudendus und seiner Ausläufer sowie bei Gefäßverletzungen.
168
Kapitel 11 · Verletzungen der Urogenitalorgane
ä Fallbeispiel Anamnese Ein 34-jähriger Bankangestellter wird auf die Notfallstation gebracht. Bei einem Go-Kart-Rennen während eines Betriebsausfluges hat er ein perineales Trauma erlitten. Aus der Urethra entleere sich etwas Blut. Beurteilung Verdacht auf Urethraverletzung, allenfalls Beckenfraktur. Befund Es findet sich ein perineales Hämatom. Die Röntgenbilder zeigen keine Hinweise auf Beckenfraktur. Eine Miktion ist dem sehr verängstigten Patienten nicht möglich. Therapie Es wird eine suprapubische Kathetereinlage durchgeführt. Antibiotische Abschirmung. Ein retrogrades Urethrogramm zeigt ein Extravasat im Bereich der bulbären Harnröhre, möglicherweise ein Abriss. Verlauf Der immer kreislaufstabile Patient wird kurzzeitig hospitalisiert. Ein Urethrogramm nach 6 Wochen zeigt eine hochgradige Striktur an der Stelle des ehemaligen Extravasates. Nach 3 Monaten wird dem Patienten die Urethraplastik durch eine Resektion des betroffenen Abschnittes und einer End-zu-End-Anastomose empfohlen. Nach weiteren 3 Monaten ist der Patient beschwerdefrei. Die aufgrund des Traumas befürchtete Erektionsstörung ist nicht eingetreten. Die Urinflussmessung ergibt einen maximalen Fluss von 31 ml/s und einen durchschnittlichen Fluss von 18 ml/s. Es liegt kein Restharn vor. Der Patient kann als geheilt betrachtet werden.
11.6
11
Verletzungen des Genitale
Offene und stumpfe Penisverletzungen sind selten. Als offene Verletzung sieht man im Zusammenhang mit Unfällen gelegentlich ein Décollement der Penishaut (Schindung). Stumpfe Traumen führen zu Hämatomen. Eine typische Kohabitationsverletzung ist die Penisfraktur (keine eigentliche »Fraktur«, sondern Riss der derben Tunica albuginea der Schwellkörper bei erigiertem Glied). Ihre Entstehung ist in aller Regel von einem Frakturgeräusch begleitet, und es entwickelt sich rasch ein massives Hämatom. Die Abknickung ist unschwer erkennbar und muss operativ versorgt werden (Naht der Tunica albuginea). Verletzungen des Skrotums und des Skrotalinhaltes sind vorwiegend Folge direkter Gewalteinwirkung (Fußtritt, Ballwurf usw.). Bei den offenen Verletzungen kommt es häufig zur Ablederung der Haut, wodurch die Hoden freigelegt werden. Stumpfe Traumen können zu massiven Hämatomen Anlass geben. Die Behandlung besteht in Ruhigstellung und Kälteapplikation, allenfalls Ausräumung einer Hämatozele. Bei offenen Verletzungen wird nach den Prinzipien der Wundversorgung vorgegangen. Verletzte Hoden werden, wenn möglich, erhalten.
169 11.6 · Verletzungen des Genitale
Übungsfragen 1. 2. 3.
4.
11
Lösungen → S. 213
Was interessiert Sie am Urinstatus eines Unfallverletzten? An was denken Sie, wenn ein Patient mit Schambeinfraktur Harndrang verspürt und nicht urinieren kann? Bei Verdacht auf Urethraabriss ist eine diagnostische Maßnahme kontraindiziert. Welche? Hingegen kann Ihnen unter Umständen die Rektaluntersuchung weiterhelfen. Warum? Was ist das Prinzip der Behandlung von Nierenverletzungen beim Kreislauf stabilen Patienten?
III
Urologische Behandlung in Klinik und Sprechstunde Kapitel 12
Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen – 173
Kapitel 13
Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie – 185
12 Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen 12.1 Nephrektomie
– 174
12.2 Nierenbeckenplastiken
– 175
12.3 Perkutane Nierenoperationen 12.4 Blasenoperationen 12.5 Harnumleitung
– 176
– 176
– 176
12.5.1 Vorübergehende Harndeviation – 176 12.5.2 Definitive Harndeviation – 178
12.6 Nierentransplantation
– 180
12.6.1 Leichennierentransplantation – 180 12.6.2 Lebendspendernierentransplantation – 181 12.6.3 Urologische Komplikationen nierentransplantierter Patienten – 181
12.7 Radikale Prostatektomie
– 182
12.8 Endoskopische (transurethrale) Eingriffe – 182 12.9 Laparoskopie und Retroperitoneoskopie in der Urologie – 182
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_12, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
174
Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen
12.1
Nephrektomie
Hauptindikation zur Entfernung einer Niere sind Tumoren des Nierenparenchyms (Nierenzellkarzinome), Urotheltumoren des Nierenbeckens, infizierte Steinnieren und Hydronephrosen. Teilresektionen sind bei kleinen, im Polbereich gelegenen Geschwülsten sinnvoll und müssen selbstverständlich bei Tumoren in Einzelnieren versucht werden (. Abb. 12.1). Bei Infekten wird der extraperitoneale Zugang durch einen lumbalen Schrägschnitt bevorzugt, bei Tumoren ein transperitonealer Rippenbogenrandschnitt (. Abb. 12.2). Zunehmend auch Nierenoperationen auf laparoskopischem und retroperitoneoskopischem Weg. Besonders sorgfältig muss bei der (extraperitonealen) Nierenentnahme von Lebendspendern präpariert werden, um z. B. die Durchblutung des Ureters nicht zu gefährden. Bei Urotheltumoren muss der Harnleiter bis zur Blase (mit einer Blasenmanschette) entfernt werden.
a
12
b
c
. Abb. 12.1a–c Nephrektomietechnik: a Lagerung, b stumpfe Freipräparation der Nierenstielgefäße, c Ligatur und Durchtrennung der Gefäße nach Anlegen von Stielklemmen
175 12.2 · Nierenbeckenplastiken
12
. Abb. 12.2 Schnittführung für urologische Operationen
12.2
Nierenbeckenplastiken
Sie erfolgen über einen extraperitonealen Zugang, vermehrt auch retroperitoneoskopisch. Das erweiterte Nierenbecken wird reseziert, eventuelle Steine werden entfernt und der Harnleiter wird an der tiefsten Stelle des Nierenbeckens eingepflanzt (. Abb. 12.3). Ureterabgangsstenosen können auch endoskopisch behandelt werden: retrograd (durch die Blase) oder anterograd (perkutan). Erfolgsrate etwas weniger gut als bei laparoskopischer oder offener Chirurgie, deshalb nur noch selten durchgeführt.
. Abb. 12.3 Nierenbeckenplastik nach Anderson-Hynes
176
Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen
12.3
Perkutane Nierenoperationen
Nierensteine, die sich für eine extrakorporelle Steinzertrümmerung nicht eignen, werden über eine perkutane Nephrostomie instrumentell zertrümmert und entfernt (. Abb. 5.12). 12.4
Blasenoperationen
Die meisten Eingriffe in der Blase (bei Steinen und Tumoren) erfolgen endoskopisch. Es kann aber notwendig werden, die Blase über einen suprapubischen Medianschnitt freizulegen und zur Entfernung eines Steines oder eines Fremdkörpers zu eröffnen (Sectio alta). Auch Divertikeloperationen und Harnleiterneueinpflanzungen erfolgen auf diesem Wege. Bei ausgedehnten Blasentumoren (T2/T3) muss die Blase mit den Samenblasen und der Prostata (u. U. auch mit der Urethra) entfernt werden (Zystektomie). Bei der Frau werden auch Uterus und Tuben mitentfernt (vordere Exenteration). Immer wird auch eine (diagnostische) Lymphadenektomie im Obturatoriusbereich durchgeführt. 12.5
12
Harnumleitung
Mit der Zystektomie entfällt das Harnspeicherorgan, und der Urin muss definitiv umgeleitet werden. Harnumleitungen können aber auch als vorübergehende Maßnahme bei verschiedenen anderen Harnwegserkrankungen notwendig werden. Für die definitive Harnumleitung sind verschiedene Verfahren gebräuchlich. Keines kann allen Anforderungen an einen idealen Harnblasenersatz voll genügen. Diese sind: 4 volle Erhaltung der äußeren Integrität des Körpers, 4 Speicherfunktion mit Füllungssensibilität, 4 Kontinenz, 4 keine Resorption des Ersatzblaseninhalts, 4 kein Reflux in die oberen Harnwege, 4 Infektfreiheit. 12.5.1
Vorübergehende Harndeviation
Nephrostomie Vor allem bei Verlegung des Harnleiters z. B. durch einen infizierten Stein. Nephrostomien werden heute fast ausschließlich auf perkutanem Wege angelegt (. Abb. 5.6, S. 73).
177 12.5 · Harnumleitung
12
a
c
b . Abb. 12.4 Suprapubische Blasendrainage mit dem Zystofixpunktionssystem; schematische Darstellung der Punktionstechnik
Ureterokutaneostomie Als definitive Harndeviation nur bei starker Uretererweiterung und voraussichtlich geringer Lebenserwartung zweckmäßig. In diesem Falle evtl. über ein einziges Stoma (mit Einpflanzung des gegenseitigen Harnleiters in den zur Haut herausgeleiteten) oder nach Unterbindung des Ureters der funktionell schlechten Niere. Zystostomie Nach Harnröhrenverletzungen oder -operationen (. Abb. 12.4).
H09
178
Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen
12.5.2
Definitive Harndeviation
Ureterosigmoidostomie Älteste gebräuchliche Form der definitiven Harndeviation, indiziert z. B. bei Blasenekstrophie oder nach Zystektomie. Voraussetzung für diese Harnumleitung ist ein funktionstüchtiger Sphincter ani. Ihre Gefahren liegen v.a. in der Resorption von Harnelektrolyten (→ hyperchlorämische Azidose) und im Reflux von Darminhalt in die oberen Harnwege (→ pyelonephritische Schübe). Durch Bildung eines »Darmbeutels« am Übergang des Sigmas zum Rektum kann die Speicherkapazität erhöht und der Druck im Darm in erwünschter Weise gesenkt werden (. Abb. 12.5). Problematisch sind Harnwegsinfekte und als Spätfolge Karzinominduktion im Einpflanzungsbereich der Ureteren. Heute kaum noch verwendet. Rektumblase Diese ist der Ureterosigmoideostomie insofern überlegen, als Stuhl und Urin getrennt abgeleitet werden. Als Nachteil muss die inkontinente Stuhlableitung durch einen Anus praeter in Kauf genommen werden (. Abb. 12.6). Diese Form der Urinumleitung ist heute fast vollständig ersetzt durch so genannte Darmbeutelersatzblasen (»Pouches« oder »Neoblasen«). Ersatzblasen (Pouches, Darmbeutelreservoir) Zum Blasenersatz nach Zystektomie werden aus dem terminalen Ileum oder dem ileozökalen Darm – nach Ausschaltung aus der Kontinuität und antimesenterialer Eröffnung – Beutel konstruiert, die entweder orthotop auf den Urethrastumpf aufgepflanzt oder im Nabelbereich herausgeleitet werden. Die Ureteren werden in diese Pouches eingeleitet,
12
. Abb. 12.5 Ureterosigmoidostomie
. Abb. 12.6 Rektumblase
12
179 12.5 · Harnumleitung
b
a
c
d
. Abb. 12.7a–d Orthotope Darmersatzblase aus dem Ileum; a Isolierung von 60–70 cm terminalen Ileums und antimesenteriale Detubularisierung, b W-förmige Lagerung, c, d Beutelbildung und Anastomose mit dem Harnröhrenstumpf
wobei versucht wird, Reflux von Urin in die Nierenbecken zu vermeiden. Durch die Bauchdecke abgeleitete Darmersatzblasen müssen regelmäßig katheterisiert werden. Orthotope Ersatzblasen (. Abb. 12.7) können mit der Bauchpresse entleert werden. Problematisch sind neben der nicht seltenen nächtlichen Inkontinenz Entleerungsstörungen, Reflux und Störungen des Elektrolythaushaltes. In der Regel aber gute Lebensqualität.
180
Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen
a
b
. Abb. 12.8a,b Ileumconduit (sog. Brickerblase), b Sigma-(kolon-)conduit
Ileumconduit und Kolonconduit Eine derzeit immer noch häufig verwendete
Harnumleitungsmethode ist das seit Jahrzehnten bewährte komplikationsarme Ileumconduit, viel seltener das Kolonconduit (. Abb. 12.8). Das in die Haut eingepflanzte Darmstück hat keine Reservoirfunktion, sondern dient der Verhinderung von Strikturen auf Hautniveau (Strikturen bei Ureterokutaneostomie häufig). Nachteilig ist hier das inkontinente, »nasse« Hautstoma (»Urostoma«). Der Urin wird mit einem auf die Haut geklebten Beutel aufgefangen. Die Beutelsysteme sind jedoch heute so perfekt, dass eine vollständige soziale Reintegration des Patienten die Regel ist.
12
12.6
Nierentransplantation
Die Nierentransplantation stellt die beste (auch kostengünstigste) Therapie des chronischen Nierenversagens dar. In den letzten Jahren Ausdehnung der Indikation zur Transplantation (jüngere und ältere Empfänger, Diabetiker usw.).
12.6.1
Leichennierentransplantation
Bei frisch Verstorbenen transperitoneale »En-bloc«-Entnahme beider Nieren mit Aorten- und Cava-Manschette (»Patch«) sowie langem Ureter. Transplantation in zwei immunologisch kompatible Empfänger.
181 12.6 · Nierentransplantation
12.6.2
12
Lebendspendernierentransplantation
Wegen des chronischen Mangels an Leichennieren weltweite Zunahme der Nierentransplantation zwischen Verwandten oder emotional verbundenen Personen. Setzt sehr sorgfältige Abklärung und Information von Spender und Empfänger voraus. Auf die Transplantation selbst kann hier nicht eingegangen werden. Die Nierenentnahme beim gesunden Lebendspender stellt eine Besonderheit dar, weil es sich um eine Operation ohne primären Nutzen für den Operierten handelt, sondern weil altruistische Beweggründe im Vordergrund stehen. Entsprechend haben die Sicherheit für den Spender und das Organ höchste Priorität. Die Lebendspendernephrektomie soll nur von erfahrenen Chirurgen vorgenommen werden. Durch die Vertrautheit mit der Niere ist der Urologe dazu besonders geeignet. Besseres Überleben des Transplantates durch optimales Timing und kurze warme und kalte Ischämie. Nach heutigem Wissensstand keine nachteiligen Folgen für den Spender. Wegen der geringeren Belastung für den Spender werden heute die meisten Lebendspendernephrektomien auf Laparoskopie-assistiertem Wege durchgeführt. Prinzip Die Niere wird ohne Fettkapsel, aber mit genügend Ureterfett allseitig frei präpariert, ohne die vaskuläre Versorgung zu beeinträchtigen. Getrennte Darstellung von Nierenvene und -arterie. Absetzen über Klemmen und sofortiges Spülen mit kalter Konservierungslösung. Unmittelbare Transplantation in den von einem zweiten Team vorbereiteten Empfänger. Sorgfältige Versorgung der Nierengefäße.
12.6.3
Urologische Komplikationen nierentransplantierter Patienten
Die urologischen Komplikationen des Transplantates sind dank verbesserter Operationstechnik auf wenige Prozent zurückgegangen. Folgende Komplikationen können auftreten: 4 Ureterstenose (meist an der Ureter-Blasen-Anastamose), 4 Ureternekrosen, 4 Urinleck, 4 Steine im Transplantat, 4 Tumoren in Transplantat oder nativen Urogenitalorganen des Empfängers.
182
Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen
Viele der urologischen Komplikationen können minimal invasiv behandelt werden, z. B. mit: 4 Blasenkatheter bei Urinleck, 4 Doppel-J-Katheter bei Ureterstenose oder Ureterleck, 4 perkutaner Transplantatnephrostomie bei Ureterobstruktion, 4 offen chirurgischer Versorgung (Ureterneueinpflanzung); selten notwendig.
12
12.7
Radikale Prostatektomie (7 Kap. 6.4)
12.8
Endoskopische (transurethrale) Eingriffe
Erkrankungen und Unfallfolgen im Bereiche der Harnröhre, Prostata und Blase werden heute in den meisten Fällen endoskopisch instrumentell behandelt. Harnröhrenstrikturen werden unter Sicht mit einem im Instrument integrierten, beweglichen Messer gespalten. Tumoren der Prostata, insbesondere die benigne Prostatahyperplasie, werden mit einer beweglichen Drahtschlinge mit Hochfrequenzstrom schichtweise abgetragen (TUR-P) (7 Kap. 7.1). Tumoren der Blase werden in gleicher Weise aus der Blasenwand herausgeschnitten (TUR-B). Blasensteine werden mechanisch mit Zangen oder aber mit über Sonden an den Stein herangebrachter Energie (z. B. Ultraschall- oder Laserenergie, u. a.) zertrümmert und ausgespült. Steine im Ureter und in der Niere können über entsprechend dünne und lange starre und flexible (aktiv biegbare) Endoskope extrahiert oder zertrümmert und ausgespült werden (7 Kap. 5.4). Häufig wird anschließend (zur inneren Harnableitung) ein so genannter Doppel-J-Katheter in den Harnleiter eingelegt, der dank seiner Krümmung im Nierenbecken fixiert bleibt und dieses mit der Blase kurzschließt (. Abb. 5.6). Gelingt die Einlage nicht, so muss gelegentlich vorübergehend eine perkutane Nephrostomie angelegt werden.
12.9
Laparoskopie und Retroperitoneoskopie in der Urologie
Nachdem die Laparoskopie in der Urologie lange Zeit von untergeordneter Bedeutung war, ist sie nun als minimal-invasive Methode bei verschiedenen urologischen
183 12.9 · Laparoskopie und Retroperitoneoskopie
12
Eingriffen etabliert. Ihr genauer Stellenwert wird sich aber noch zeigen müssen. Da es sich meist um technisch anspruchsvolle Eingriffe handelt, bleibt sie zurzeit spezialisierten Zentren vorbehalten. Möglicherweise werden sog. »Operationsroboter«, die den Chirurgen unterstützen, die Verbreitung fördern. Bei der Laparoskopie wird der von anderen chirurgischen Gebieten her bekannte intraperitoneale Zugang verwendet. Nach Anlegen eines Pneumoperitoneums können die Nieren, die Harnleiter, die Blase und die Prostata erreicht werden. Noch kontrovers diskutiert, an einzelnen Zentren aber routinemäßig, wird auf diesem Wege z. B. die laparoskopische radikale Prostatektomie durchgeführt. Langzeitresultate stehen noch aus. Zunehmend wird auch die Lebendnierenspende Laparoskopie-assistiert durchgeführt. In jüngster Zeit wird vermehrt der retroperitoneale Zugang (sog. Retroperitoneoskopie) verwendet. Dabei wird das Retroperitoneum (das ja einen virtuellen Raum darstellt) mit Expandern »entwickelt« und dann mit Gas gefüllt. Auf diesem Wege ist der direkte Zugang auf die Niere und die Harnleiter möglich. Vorteil: Keine Behinderung durch Darmschlingen, geringe Verletzungsgefahr der inneren Organe. Nachteil: enge Platzverhältnisse. In geübten Händen eignet sich die Retroperitoneoskopie für Eingriffe an der Niere, am Nierenbecken (z. B. Nierenbeckenplastik) und am Harnleiter. ä Fallbeispiel Anamnese Eine 26-jährige Friseuse wird mit Verdacht auf Pyelonephritis hospitalisiert. Sie klagt über rechtsseitige Flankenschmerzen, Fieber bis 40°C und Abgeschlagenheit. Befund Fieber 39,6°C. Massive Leukozyturie. Im Ultraschall zeigt sich ein stark dilatiertes Nierenbeckenkelchsystem rechts. Ein Stein kann nicht identifiziert werden. Beurteilung Es wird eine obstruktive Pyelonephritis rechts angenommen. Gefahr der Urosepsis. Therapie Notfallmäßige Einlage eines Doppel-J-Katheters rechts. Es entleert sich trüber Urin. Nach 3 Tagen kann die fieber- und beschwerdefreie Patientin mit liegendem Doppel-J-Katheter entlassen werden. Nach 3 Wochen Entfernen des Doppel-J-Katheters und Durchführen eines CT mit Kontrastmittel. Dieses zeigt eine Aufweitung des Nierenbeckenkelchsystems mit etwas verplumpten Kelchen; der Ureter ist schlank. Eine Isotopennephrogramm bestätigt die vermutete Obstruktion im Bereich des pyeloureteralen Überganges. Der Patientin wird die retroperitoneoskopische Nierenbeckenplastik empfohlen. Nach einer 4-tägigen Hospitalisation wird die Patientin wieder entlassen. Eine Kontrolle mit i.v. Urogramm nach 6 Monaten zeigt freie Abflussverhältnisse mit einer leichten Restdilatation der betroffenen Seite.
184
Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen
Übungsfragen 1. 2. 3. 4.
12
Lösungen → S. 214
Nierensteine werden nur selten offen operiert. Wie heißen die gängigen Verfahren zur minimal-invasiven Behandlung von Nierensteinen? Wie werden Ureterabgangsstenosen behandelt? Nennen Sie zwei Möglichkeiten für eine definitive Harnumleitung nach Blasenentfernung! Wie werden Harnröhrenstrikturen endoskopisch behandelt?
13 Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie 13.1
Hämaturie
13.1.1 13.1.2 13.1.3
Makrohämaturie – 187 Mikrohämaturie – 189 Lokalisatorische Differenzialdiagnose der Blutungsquelle – 189
13.2
Oligurie und Anurie, Harnverhaltung
13.2.1 13.2.2
Ausscheidungsstörung – 190 Supravesikale Transportstörung (Nierenbecken → Blase) – 190 Entleerungsstörungen der Blase – 191 Vesikale Funktionsstörung – 191 Infravesikale Harnröhrenverlegung (akute Harnverhaltung) – 191
13.2.3 13.2.4 13.2.5
– 187
– 189
13.3
Unfreiwilliger Harnabgang
13.3.1
13.3.5 13.3.6
Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz) – 192 Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz) – 192 Mischinkontinenz – 192 Harninkontinenz bei chronischer Harnretention (früher Überlauf-Inkontinenz) – 193 Extraurethrale Harninkontinenz – 193 Sonderformen der Harninkontinenz – 193
13.4
Akute Urogenitalinfekte
13.5
Steinkolik
13.3.2 13.3.3 13.3.4
– 191
– 193
– 194
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5_13, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
13.6
Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes, Hodenschmerzen – 195
13.6.1 13.6.2 13.6.3 13.6.4 13.6.5 13.6.6 13.6.7 13.6.8
Hodentumor – 196 Hydrozele – 196 Spermatozele – 197 Hernia inguinalis – 197 Varikozele – 197 Epididymitis/Orchitis – 199 Hodentorsion – 199 Spezielle Differenzialdiagnose: Hodentorsion/Epididymitis – 201
13.7
Induratio penis plastica (M. Peyronie)
13.8
Priapismus
13.9
Paraphimose
13.10
Psychosomatische Aspekte der Urologie – 202
13.10.1 13.10.2 13.10.3 13.10.4
Niere – 203 Blase – 203 Prostata – 204 Verhalten bei Verdacht auf psychosomatische Beteiligung – 204
– 201
– 202 – 202
187 13.1 · Hämaturie
13.1
13
Hämaturie
Die Hämaturie ist ein Alarmsymptom, das sich bei vielen Nieren- und Harnwegsaffektionen findet und auf ernsthafte Erkrankungen hinweisen kann (. Tab. 13.1).
13.1.1
Makrohämaturie
Durch Blutbeimengung leicht erkennbar rot gefärbter Urin; verifiziert durch mikroskopischen Erythrozytennachweis oder durch Teststreifen. Die Hämaturie kann schmerzhaft sein (. Abb. 13.1). Auszuschließen sind: 4 Blutbeimengungen von außerhalb der Harnwege (weibliches Genitale), 4 Rotfärbung des Urins durch Nahrungmittel (Randen/rote Bete) und Medikamente (Pyridium, Laxanzien der Anthrachinonreihe, Pyrazolone), 4 Rotfärbung des Urins durch Urate (Ziegelmehlsediment), 4 Hämoglobinurie, Porphyrie.
. Tab. 13.1 Ursächliche Differenzialdiagnose der Hämaturie
Urologische Ursachen
Internistische Ursachen
Niere und obere Harnwege
Tumoren, Steine, Trauma, Tuberkulose
Allgemeinerkrankungen: hämorrhagische Diathese, Hämoblastosen, Antikoagulanzienbehandlung, Periarteriitis nodosa, nephrotoxische Medikamente u. a.
Missbildungen, polyzystische Nierendegeneration
Nierenparenchymerkrankungen: Glomerulonephritis, interstitielle Nephritis, Pyelonephritis/Papillennekrosen, Analgetikanephropathie, Niereninfarkt und Nierenvenenthrombose
Blase
Tumoren, Fremdkörper, Zystitis, Divertikel, Steine, Endometriose
Hämoglobin- und Myoglobinurie: schwere hämolytische Anämie, Vergiftungen, schwere Infekte, Muskelverletzungen
Adnexe
Prostatahypertrophie, Prostatitis
Urethra
Tumoren, Verletzungen, Fremdkörper
188
Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie
13 . Abb. 13.1 Häufigste Ursachen und Lokalisationen schmerzloser und schmerzhafter Makrohämaturien
189 13.2 · Oligurie und Anurie, Harnverhaltung
13.1.2
13
Mikrohämaturie
Erhöhte Erythrozytenzahl im Urinsediment; bei der »Harnschau« nicht erkennbar; aber nachgewiesen durch Teststreifen und mikroskopische Sedimentbeurteilung: (>5 Erythrozyten/Gesichtsfeld). ! Makro- und Mikrohämaturie sind tumorverdächtig bis zum Ausschluss bzw. bis zum Nachweis einer anderen Blutungsursache.
13.1.3
Lokalisatorische Differenzialdiagnose der Blutungsquelle
Makroskopisch Größere Koagula mit Blasentenesmen sprechen für die Blase als Blutungsquelle. Ist die Blase mit Gerinnseln ausgefüllt, spricht man von einer Blasentamponade.
! Blasentamponade → Klinikeinweisung! Wurmförmige Koagula (Ureterausguss) werden gelegentlich bei Blutungen aus den Nieren beobachtet. Meist bestehen auf der betroffenen Seite kolikartige Schmerzen. Blutaustritt aus der Harnröhre unabhängig von der Miktion spricht für eine Blutungsquelle unterhalb des Blasenverschlusses. Mikroskopisch Erythrozytenzylinder stammen aus den Sammelrohren und sprechen für eine Blutungsquelle im Nierenparenchym. Mit dem Phasenkonstrastmikroskop lassen sich morphologische Unterschiede zwischen »glomulären« (renal-parenchymatösen) und »urologischen« (Nierentumoren, Harnwegserkrankungen) Erythrozyten erkennen.
13.2
Oligurie und Anurie, Harnverhaltung
! Oligurie <500 ml Urin/24 h Anurie <100 ml Urin/24 h
Man unterscheidet prärenale, renale und postrenale Anurieursachen. Handelt es sich um ein Abflusshindernis unterhalb des Blasenauslasses, so spricht man von Harnverhaltung. Die Ätiologie einer Oligurie/Anurie muss dringlich geklärt werden, da sich die Prognose des Patienten rasch verschlechtert.
190
Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie
. Tab. 13.2 Ursachen, Topographie und pathogenetische Mechanismen der Oligo-/Anurie
Pathogenese
Topographie
Wichtige Ursachen
Ausscheidungsstörung
prärenal
Hypovolämie Schock Ileus
renal
Nephritis Vergiftung
Transportstörung
postrenal (Nierenbecken, Ureter)
Tumoren Steine Papillennekrosen
Entleerungsstörung
(Blase, Blasenauslass, Urethra)
Prostataerkrankungen Harnröhrenstriktur
Überlegungen zur Differenzialdiagnose und Therapie der Oligo-Anurie finden sich in . Tab. 13.2.
13.2.1
Ausscheidungsstörung
Sicherung der Diagnose Traumatischer, septischer, hämorrhagischer Schock? Vergiftung? Gefäßprozess (Embolie, Thrombose)? Therapie Ausschaltung der Schockursache; Volumenersatz, Hämodialyse.
13.2.2
13
Supravesikale Transportstörung (Nierenbecken → Blase)
Sicherung der Diagnose
4 4 4 4 4
keine Hinweise auf eine prärenale/renale Ursache, Schmerzen? Kolik? (Steinschatten auf der Abdomenleeraufnahme), Rektalbefund (Tumor im kleinen Becken? Prostata? Kollum?), leere Blase (Katheter!), gestaute obere Harnwege im Ultraschall (in welcher Höhe liegt das Hindernis?).
191 13.3 · Unfreiwilliger Harnabgang
13
Therapie Endoskopische Uretersondierung. Einlage eines Doppel-J-Katheters. Wenn unmöglich, perkutane Nephrostomie.
13.2.3
Entleerungsstörungen der Blase
Sicherung der Diagnose: Perkussion oder sonographische Untersuchung. Differenzialdiagnose: vesikale oder infravesikale Ursache?
13.2.4
Vesikale Funktionsstörung
Neurogen: Nervenschädigung nach Rektumamputation, Rückenmarkstrauma oder multipler Sklerose. Medikamentös-psychosomatisch: Medikamente (v.a. Psychopharmaka, Anticholinergika), Drogen. Postoperative Miktionshemmung (bei 10–20% aller Operierten).
13.2.5
Infravesikale Harnröhrenverlegung (akute Harnverhaltung)
4 Prostataadenom oder -karzinom, 4 Urethrastriktur, 4 Urethraruptur (Beckentrauma). Therapie Bei vesikalen Funktionsstörungen und infravesikaler Verlegung durch Prostataerkrankungen: Katheterismus oder suprapubische Zystofixableitung (. Abb. 12.4). Bei Striktur- bzw. Rupturverdacht sind Katheterisierungsversuche kontraindiziert → Urethrogramm.
13.3
Unfreiwilliger Harnabgang
Beurteilung aufgrund einer gezielten Anamnese: 4 Art des unfreiwilligen Harnverlustes: kontinuierlich? → Fistel ausschließen; diskontinuierlich? → mit oder ohne Dranggefühl. 4 Unter welchen Umständen erfolgt der unfreiwillige Harnverlust? Im Liegen, im Stehen? Bei Anstrengungen? Bei Ruhe? 4 Welches Ausmaß hat der unfreiwillige Harnverlust? Müssen Vorlagen getragen werden, wie viele tagsüber? nachts?
192
Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie
Zu unterscheiden sind im Wesentlichen die folgenden Formen der Inkontinenz (7 Kap. 7.6, S. 132).
13.3.1
Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz)
Schädigung des Verschlussapparates durch Geburtstrauma oder Blasenhalsoperationen → Erschlaffung des Beckenbodens. Häufigste Inkontinenzform der Frau. Wichtig ist die Abgrenzung zur Dranginkontinenz. Häufigste Ursache beim Mann sind Prostataoperationen, z. B. radikale Prostatektomie. Diagnose Genaue Anamnese. Inspektion zeigt Urinverlust bei Husten. Sicherung
der Diagnose und Differenzialdiagnose zur Dranginkontinenz mit Zystomanometrie. Therapie Behandlung mit Beckenbodentraining. Chirurgische Behandlung mit Schlingenoperationen.
13.3.2
Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz)
Unwillkürlicher Harnverlust infolge unkontrollierbarer Detrusorkontraktionen. Meist verbunden mit imperativem Harndrang. Oft im Zusammenhang mit Prostatavergrößerung. Häufigste Inkontinenzform des Mannes. Diagnose Genaue Anamnese (imperativer Harnddrang?). Zystomanometrie. Therapie Anticholinergika. Botulinumtoxin-Injektion in den Detrusor. Eventuell
trizyklische Antidepressiva.
13.3.3
13
Mischinkontinenz
Mischform von Belastungs- und Dranginkontinenz. Diagnose Zystomanometrie. Therapie Richtet sich nach der vorherrschenden Form. Zurückhaltung mit einer Operation.
193 13.4 · Akute Urogenitalinfekte
13.3.4
13
Harninkontinenz bei chronischer Harnretention (früher Überlauf-Inkontinenz)
Unfreiwilliger, meist kontinuierlicher Harnverlust bei übervoller, durch infravesikales Abflusshindernis passiv überdehnter Blase. Vorwiegend bei Männern. Diagnose Perkussion. Ultraschall. Therapie Dauerableitung Blasenkatheter und Beheben der Ursache (z. B. TUR-P).
13.3.5
Extraurethrale Harninkontinenz
Selten. Die Ursache liegt außerhalb des Verschlussapparates, z. B. ektop mündender Harnleiter. Blasen-Scheidenfisteln. Diagnose Zystokopie. Zystogramm. CT mit Kontrastmittel. Therapie Neueinpflanzung Ureter. Fistelverschluss.
13.3.6
Sonderformen der Harninkontinenz
In keine der oben genannten Kategorien passend oder nicht klassifizierbar. 13.4
Akute Urogenitalinfekte
Die Intensität der Erscheinungen einer akuten Zystitis verlangt nach sofortiger Behandlung: 4 Harndesinfizienzien: Sulfomethoxazol-Trimethoprim, Norfloxacin, Ciprofloxacin, u. a., 4 Analgetika/Antipyretika, 4 Diuresesteigerung. Vor Therapiebeginn sollte eine bakteriologische Abklärung (Objektträgerkultur) eingeleitet werden. Bei Frauen: Uringewinnung mittels Einmalkatheter. Bei ungünstiger Resistenzlage Umstellung der Therapie. Bei Epididymitis: Ruhe, Hochlagerung des Skrotums, kühle Umschläge. ! Harnwegsinfekte, die nicht innerhalb von 3 Wochen vollständig abheilen, benötigen eine urologische Abklärung.
194
Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie
Bei Pyelonephritis mit Abflussbehinderung auf der betroffenen Seite (Stein, nekrotische Papille) entwickelt sich u. U. das akut lebensbedrohliche Krankheitsbild der Urosepsis, das notfallmäßig behandelt werden muss: perkutane Nephrostomie evtl. transvesikale Doppel-J-Katheter-Einlage. Symptome: Septische Temperaturen, Tachykardie, Blutdruckabfall (bei Verdacht sofortige Klinikeinweisung!). Im Zusammenhang mit einer schweren Pyelonephritis kann sich ein paranephritischer Abszess bilden, der sofort drainiert werden muss. Ein heute seltenes, aber schweres septisches Zustandsbild bietet auch die akute Prostatitis/Prostataabszess. Die Prostata ist extrem schmerzhaft und prall. Bei Verdacht sofortige Einweisung zur chirurgischen Drainage. Eine seltene, aber besonders dramatische Form eines akuten Urogenitalinfekts ist die sog. Fournier-Gangrän. Es handelt sich um eine gangränöse, nekrotisierende Faszitis des männlichen Genitale, bedingt durch eine Streptokokkeninfektion. Ausgangspunkt ist oft eine kleine Verletzung oder eine Operation im Genitalbereich. Prädisponierende Faktoren: Diabetes mellitus, Alkoholismus mit Verwahrlosung, perirektale oder perianale Infektionen. Oft Gasbildung (Krepitation bei Palpation, Luft im Röntgenbild). Dramatische Ausbreitung von kleiner Eintrittsporte zu großflächiger Phlegmone innerhalb von Stunden möglich. Sofortiges, ausgiebiges Débridement und i.v. Antibiotikagabe entscheidend. Mortalität 20%. ! Die Fournier-Gangrän ist ein echter Notfall: daran denken! Sofortige Hospitalisation! Notfallmäßiges ausgedehntes Débridement!
13.5
13
Steinkolik
Äußerst eindrücklicher akuter Schmerz auf der betroffenen Seite. Körperliche Unruhe, Meteorismus, Darmatonie. Differenzialdiagnose: »Akutes Abdomen«, Gallenkolik, Gefäßembolie, Appendizitis, Pankreatitis (. Abb. 13.2). Sobald die Diagnose feststeht, Analgetika verabreichen: 4 Metamizol 2–5 ml i. v., 4 Pethidin 75–100 mg. i. v. Sofortige Klinikeinweisung zur evtl. Entlastung der Niere bzw. Steinbehandlung. ! 80% der Uretersteine sind spontan abgangsfähig.
195 13.6 · Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes
13
. Abb. 13.2 Schmerzausstrahlung im Bereich des Abdomens bei abdominellen Erkrankungen
13.6
Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes, Hodenschmerzen
Ohne Schmerzen:
4 Hodentumor, 4 Hydrozele/Spermatozele, 4 Hernia inguinalis. Mit leichten Beschwerden:
4 Hodentumor (Schweregefühl), 4 Varikozele (typischer Inspektionsbefund im Stehen), 4 Hernia inguinalis (inguinale Schwellung, ziehende Unterbauchbeschwerden).
H08
196
Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie
Akut stark schmerzhaft:
H06 H10
4 Hodentorsion und Torsion von Hodenanhangsgebilden, 4 Hodentumor (bei Blutung in die Geschwulst mit intratunikaler Drucksteigerung), 4 Hodentrauma (Hämatozele), 4 Hernia inguinalis (bei Inkarzeration – Ileus), 4 Epididymitis acuta (Infektanamnese, pathologischer Urinbefund).
13.6.1
Hodentumor
7 Kap. 6.5.
13.6.2
Hydrozele
Langsam zunehmende Flüssigkeitsansammlung innerhalb der Tunica vaginalis testis (Hydrocele testis), seltener im Bereich des Samenstrangs (Hydrocele funiculi) (. Abb. 13.3 und . Abb. 13.4). Bei der idiopathischen Hydrozele ist die Ursache unbekannt. Eine symptomatische Hydrozele kann sich entwickeln nach Trauma, bei Hodentumoren sowie bei entzündlichen Erkrankungen (»Begleithydrozele«). Bei Durchleuchtung mit einer starken punktförmigen Lichtquelle (Diaphanoskopie) schimmert der Lichtstrahl rötlich durch. Die Ultraschalluntersuchung eignet sich gut für die Differenzialdiagnose. Die Entleerung der Hydrozele durch Punktion in Lokalanästhesie ist meist nur vorübergehend erfolgreich. Eine sichere Heilung ist nur durch Operation möglich (Abtragung bzw. Umstülpung des Hydrozelensackes). Bei Tumorverdacht immer chirurgische Revision veranlassen.
13
a
b
c
. Abb. 13.3a–c Hydrozele; a der Tunica vaginalis testis, b vaginalis communis, c funiculi
197 13.6 · Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes
13
. Abb. 13.4 Intraoperative Aufnahme einer Hydrozele. Die Tunica vaginalis testis ist eröffnet und gibt den Blick frei auf Hoden (weißer Pfeil) und Nebenhoden (schwarzer Pfeil). Beachte die gelblich-klare Flüssigkeit der Hydrozele
13.6.3
Spermatozele
Es handelt sich um ein Konglomerat von multiplen Zysten, gefüllt mit milchig trüber Flüssigkeit, das tumorartig oberhalb und hinter dem Hoden gelegen imponiert. Pathologisch-anatomisch sind es zystisch erweiterte Gänge des Nebenhodenkopfes (Retentionszysten). Die differenzialdiagnostische Abgrenzung von Tumoren geschieht mit Ultraschall. Bei Beschwerden: Amputation des Nebenhodenkopfes mit der Spermatozele.
13.6.4
Hernia inguinalis
Typisch die offene Bruchpforte und der in der Regel reponierbare Bruchsackinhalt. Peristaltik im Skrotum gelegentlich erkennbar oder hörbar. Bei Inkarzeration: schmerzhafte Ileuserscheinungen.
13.6.5
Varikozele
Krampfaderartige Erweiterung des Plexus pampiniformis, meist links (90%). Bei etwa 5% aller Männer mehr oder weniger eindrücklich ausgebildet. Verursacht gelegentlich »dumpfe«, ziehende, linksseitige Hodenschmerzen oder wird bei der Abklärung einer Fertilitätsstörung entdeckt.
H09
198
Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie
. Abb. 13.5 Venöser Hauptabfluss des Hodens; rechts direkt in die V. cava, links in die V. renalis. Die ungünstigen Abflussverhältnisse links disponieren zur Entstehung einer Varikozele. Die typische Behandlung der Varikozele besteht in der retroperitonealen Unterbindung (+) der V. spermatica
13
Ursache sind insuffiziente Klappen der V. spermatica und ihre rechtwinklige Einmündung in die V. renalis (. Abb. 13.5). Selten als symptomatische Varikozele bei tumorbedingter Verlegung der V. renalis bzw. der V. cava. Bei der idiopathischen Form führt die venöse Stase zu einem Temperaturanstieg im Skrotum und dadurch zu einer Verminderung der normalen Temperaturdifferenz Hoden-Körperhöhle (von bis zu 2,5°C). Diskutiert werden auch andere Mechanismen der Hodenschädigung wie Hypoxie oder Regurgitation von Nebennierenblut mit spermiziden Hormonmetaboliten. Therapie Unterbindung bzw. Embolisierung der V. spermatica.
199 13.6 · Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes
13
. Abb. 13.6 Schwere Epididymitis. Das Skrotalfach ist geschwollen, gerötet. Beginnende Abszedierung
13.6.6
Epididymitis/Orchitis
Akute (kanalikulär deszendierende) Nebenhodenentzündung (7 Kap. 4.4). Gefährdet sind ältere Patienten mit Harnwegsinfekten (besonders Dauerkatheterträger). In der Regel akuter Beginn mit Schmerzen, Fieber und lokaler Schwellung. Im Vollbild der Erkrankung kann der Nebenhoden nicht vom Hoden abgegrenzt werden. Eine Orchitis liegt aber nur ausnahmsweise vor (Hodenabszess). Anheben des befallenen Hodens bringt Erleichterung. Es besteht ein typisch entzündliches Harnsediment und eine positive Urinkultur. Therapie (Resistenzgerechte) Antibiotikatherapie, Hochlagerung, kühle Umschläge. Die Schwellung des Nebenhodens kann mehrere Wochen anhalten. Echte Orchitiden sieht man im Zusammenhang mit Parotitis epidemica, Varizellen und Mononukleose. Behandlung: symptomatisch (7 Kap. 4.4).
13.6.7
Hodentorsion
Die Hodentorsion (. Abb. 13.7) führt, wenn sie nicht oder zu spät erkannt wird, zum Verlust des betroffenen Organs. Ursache ist eine meist doppelseitige kongenitale Anomalie: ein strangförmiges Mesorchium. Deshalb erfolgen Hodentorsionen praktisch nur im Kindes- und
F07 H07
200
Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie
a
b
. Abb. 13.7a,b a Intravaginale Hodentorsion, b Intraoperative Aufnahme einer Hodentorsion. Der Samenstrang ist torquiert und der Hoden livide verfärbt
13 F09 H09
Adoleszentenalter (postpubertäres Hodenwachstum) und fast immer innerhalb der Tunica vaginalis testis. Extravaginale Samenstrangtorsionen sind selten (evtl. bei Deszensusstörung). Auslösender Faktor kann eine Bewegung beim Spiel oder Sport sein, aber auch eine Drehung im Schlaf. Ein eigentliches Trauma wird äußerst selten angegeben. Die Torsion führt zur Durchblutungsstörung: Zuerst sind die Venen gestaut (Ödem), in der Folge kommt es auch zur Drosselung der arteriellen Blutzufuhr und zur Gangrän. Der anoxische Schaden ist in der Regel nach 6 Stunden irreversibel. Klinisch manifestiert sich die Hodentorsion durch plötzlich auftretende, heftige Schmerzen verbunden mit Skrotalschwellung, nach Stunden evtl. leichtes Fieber und Leukozytose. Viel zu häufig wird in dieser Situation differenzialdiagnostisch die Diagnose »Epididymitis« vorgezogen, obwohl der Urinstatus völlig bland ist. Dadurch wird die Behandlung, die in der sofortigen Hodenfreilegung und Detorsion besteht, mit fatalen Folgen verzögert.
! Die chirurgische Revision bei einem torsionsverdächtigen Hoden ist nie falsch; zur Prophylaxe wird die Revision mit der Orchidopexie auch auf der Gegenseite abgeschlossen.
201 13.7 · Induratio penis plastica (M. Peyronie)
13.6.8
13
Spezielle Differenzialdiagnose: Hodentorsion/Epididymitis
Torsion:
4 4 4 4 4
perakut, ohne erkennbaren Anlass, afebril, Urinsediment unauffällig, bei Anheben des Hodens Zunahme der Beschwerden.
! Grob vereinfachend: »Der junge Mann hat keine Epididymitis, der alte keine Torsion«! Epididymitis acuta:
4 4 4 4 4
akut, in der Anamnese oft Harnwegsinfekt, oft febril bis hochfebril, oft Leukozyturie, Pyurie, bei Anheben des Hodens Rückgang der Beschwerden.
Therapie Bei Verdacht chirurgische Revision innerhalb der 4- bis 6-Stunden-
Grenze. Bei Jugendlichen mit akuter schmerzhafter Hodenschwellung, ohne urologische Anamnese und ohne Urinbefund, liegt fast mit Sicherheit eine Torsion vor. Sofortige Klinikeinweisung. Die Unterlassung der sofortigen Revision in Verdachtsfällen ist fahrlässig. 13.7
Induratio penis plastica (M. Peyronie)
Es handelt sich um eine lokalisierte fibröse Verhärtung in der Schwellkörperwand mit (oft schmerzhafter) Verkrümmung des erigierten Penis und Kohabitationsbehinderung. Die Ätiologie ist unbekannt. Die Erkrankung tritt gelegentlich kombiniert mit Dupuytren-Kontrakturen der Hohlhandfaszie auf. Die Betroffenen sind meist über 45 Jahre alt, der Palpationsbefund ist eindeutig, differenzialdiagnostisch kommt eigentlich nur ein Zustand nach schwerem Penistrauma in Frage. Therapie Die Behandlung ist im Ganzen unbefriedigend, spontane Besserungen sind selten. Versuchsweise werden Vitamin E p.o. und die lokale Injektion von Kortikoiden angewendet. Oft sind die chirurgische Exzision der Narbenplatte und Deckung mit freien Unterhauttransplantaten oder die Anbringung einer Plikatur (eines »Abnähers«) auf der Gegenseite notwendig (Operation nach Nesbit).
202
Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie
13.8
Priapismus
Unter Priapismus versteht man eine schmerzhafte Dauererektion, die länger als 2 h anhält. Solche Patienten müssen sofort auf eine urologische Abteilung eingewiesen werden. Eine spezifische Ursache ist in der Mehrzahl der Fälle nicht eruierbar. Symptomatisch tritt der Priapismus gehäuft bei Bluterkrankungen (Leukosen, Sichelzellenanämien) und Neoplasien auf. In jüngerer Zeit gelegentlich als Folge der Schwellkörperinjektionstherapie bei erektiler Dysfunktion (7 Kap. 8.1). ! Der unbehandelte idiopathische Priapismus führt zum irreversiblen Verlust der Erektion durch hypoxische Schädigung des Schwellkörpergewebes. Therapie Die Behandlung besteht in der Punktion der Corpora cavernosa, Aspi-
ration von Blut, Spülung mit NaCl 0,9% und Sympathomimetika (unter anästhesiologischer Überwachung). Bringt diese Maßnahme keinen Erfolg, so wird eine Anastomose zwischen Corpus cavernosum einerseits und Corpus spongiosum angelegt, wofür verschiedene Verfahren empfohlen werden.
13.9
13
Paraphimose
Die Paraphimose entsteht durch Strangulation der Glans durch eine enge, zurückgestreifte Vorhaut. Bei der Einlage von Kathetern muss die Vorhaut zur Paraphimoseprophylaxe immer reponiert werden. Die Zirkulationsstörung durch den Schnürring führt zum Ödem der Glans und später zu Nekrosen im Bereiche des Sulcus coronarius. Ist ein Repositionsversuch (. Abb. 13.8a) – nach Verabreichung eines kräftigen Analgetikums (z. B. Morphin 10 mg i.v.) – erfolglos, so muss der Schnürring auf dem Dorsum penis in Lokalanästhesie ausgiebig gespalten werden, bis die Reposition möglich ist (. Abb. 13.8b). Als definitive Therapie muss später eine Zirkumzision erfolgen.
13.10
Psychosomatische Aspekte der Urologie
Obwohl sich die klassischen psychosomatischen Syndrome in erster Linie an den Kreislauf- und Atemorganen, an der Haut und am Magen-Darm-Trakt manifestieren, gibt es gar nicht so selten auch an den Urogenitalorganen Erscheinungen, die einen psychosomatischen Hintergrund vermuten lassen.
203 13.10 · Psychosomatische Aspekte der Urologie
13
a
b
c
. Abb. 13.8a,b a Manuelle Reposition einer Paraphimose, b dorsale Längsinzision des Präputiums, c quere Vernähung
13.10.1
Niere
Bei der Niere ist eine affektiv ausgelöste Polyurie bekannt. Auch eine anfallartig auftretende Phosphaturie wird beschrieben. Sie soll auf der psychischen Ebene mit Affektlabilität und Introvertiertheit einhergehen. Gelegentlich besteht auch bei »Nierenschmerzen« Veranlassung, an einen psychosomatischen Hintergrund zu denken (Nephroptose).
13.10.2
Blase
Die rasche und empfindliche Reaktion der Blase auf psychische Einflüsse ist auch dem Laien geläufig: Kältereiz oder plätscherndes Wasser führen zu Harndrang, ganz besonders bei »nervösen« Menschen. Pollakisurie und andere Reizblasensymptome sind bei emotionell labilen Menschen nicht selten. Gelegentlich mögen sie Ausdruck von Konflikten im sexuellen Bereich sein; manchmal verbirgt sich hinter ihnen eine uneingestandene
204
Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie
Karzinophobie oder Angst vor venerischen Erkrankungen. Letzteres besonders bei Patienten, bei denen ein bestimmter sexueller Kontakt Schuldgefühle hervorgerufen hat. Nicht ganz selten persistieren bei jüngeren Patientinnen nach Abheilung echter, bakterieller Zystitiden, infolge hypochondrischer Fixierung (dann nur noch psychogen bedingte) Miktionsbeschwerden. Oligurie, verursacht durch Umweltbedingungen, wird von ängstlichen, psycholabilen Persönlichkeiten gelegentlich als Harnsperre interpretiert.
13.10.3
Prostata
Ein erheblicher Teil der Erkrankungen an sog. chronischer bakterieller Prostatitis sind in Wirklichkeit Prostataneurosen (»Prostatosen«) und stehen im Zusammenhang mit Partnerproblemen, Potenzstörungen oder uneingestandener Angst vor Geschlechtskrankheiten. Erektile Dysfunktion (besonders bei jüngeren Patienten) ist häufig psychogen mitverursacht und vielfach Ausdruck von Minderwertigkeits-, Schuld- oder Angstgefühlen, etwa Versagerangst, Angst vor sexueller Überforderung, aber auch Ausdruck durchaus unspezifischer psychischer Stresssituationen.
13.10.4
Verhalten bei Verdacht auf psychosomatische Beteiligung
In allen Verdachtsfällen ist ein ausführliches Gespräch mit dem Ziel, dem Patienten behutsam Einsicht in mögliche psychologische Hintergründe seiner Erscheinungen zu vermitteln, von großer Bedeutung. Die Verschreibung von Psychopharmaka kann höchstens in akuten Fällen, und auch dann nur als Begleitmedikation, kurzfristig und gut überwacht, von Nutzen sein. ! Die für den vielbeschäftigten Arzt bequeme »Somatisierung« von
13
unklaren Urogenitalsyndromen mit vielfach offensichtlichem psychosomatischem Hintergrund (z. B. der »Prostatitis«), und ihre nutzlose Behandlung mit Antibiotika, ist eine ernstzunehmende und oft folgenreiche Fehlbehandlung.
205 13.10 · Psychosomatische Aspekte der Urologie
Übungsfragen 1.
2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
13
Lösungen → S. 214
Wie kann der Arzt bei einem Hämaturiepatienten schon bei der Aufnahme der Anamnese schon erste Hinweise auf die Lage der Blutungsquelle erhalten? Wann spricht man von Anurie, und an welchen drei Stellen kann die Ursache (grundsätzlich) liegen? Was ist der Unterschied beim Einnässen wegen kongenitaler extrasphinkterieller Dystopie der Harnleitermündung und wegen Enuresis nocturna? Was denken Sie, wenn ein Harnwegsinfekt trotz korrekter Behandlung nach drei Wochen immer noch (oder wieder) nachweisbar ist? Können Uretersteine auch spontan abgehen? Wenn ja, wie viel Prozent schätzen Sie, sind abgangsfähig? Nennen Sie zwei Ursachen für eine nicht, bzw. kaum schmerzhafte einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes! Nach welcher Zeit sprechen Sie bei einer Dauererektion von Priapismus und was unternehmen Sie (in der Praxis)? Was unternehmen Sie bei einem Patienten mit Paraphimose? Was ist ein Priapismus?
IV
Anhang Lösungen zu den Übungsfragen Weiterführende Internetseiten Stichwortverzeichnis
– 209 – 215
– 217
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
Lösungen zu den Übungsfragen
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
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Anhang
Kapitel 1 und 2 1. Zwanghafter Drang zur Miktion, z. B. bei Zystitis 2. Pollakisurie: Häufige Entleerung kleiner Urinmengen unabhängig von der Gesamturinmenge. Polyurie: häufige Entleerungen wegen großer Gesamturinmenge 3. Perianaler Sensibilitätsausfall, fehlender Achillessehnen- und Bulbokavernosusreflex 4. Restharn, Harnstauung, Tumorverdacht 5. Vernichtender, einseitiger Dauerschmerz von wechselnder Intensität 6. Sie wollen wissen, ob Hinweise für ein Prostatakarzinom bestehen. 7. Mehr als 100.000 8. Urogramm: Radiologische Darstellung von Nieren und Harnwegen nach intravenöser Verabreichung eines jodierten Kontrastmittels. CT: Radiologische Erzeugung von axialen Querschnittsbildern des Körpers, oft ohne Kontrastmittel (Steindiagnostik). 9. Tiemann, Charr. 16–18 10. In ml/s
Kapitel 3 1. 2. 3. 4.
5. 6. 7. 8.
9.
Fusion der beiden Nierenunterpole kaudal von der A. mes. caudalis Ureter fissus: ein Ostium; Ureter duplex: zwei Ostien Der Harnleiter von der oberen Kelchgruppe mündet auf der Ureterleiste weiter distal. Die Zyste hat keine Verbindung zum Nierenbecken: operative Behandlung nur ausnahmsweise angezeigt. Die Hydronephrose ist eine stauungsbedingte Erweiterung des Nierenbeckens: operative Behandlung zur Behebung der Abflussbehinderung angezeigt. Die Einteilung erfolgt nach Bosniak in 4 Kategorien. Mit höherer Zahl steigt das Risiko eines malignen Tumors. Missbildung, Tumor, Stein Mit einem Miktionszystogramm (MCUG) Die Harnröhrenmündung ist in beiden Fällen proximalwärts verlagert. Liegt sie auf der Ventralseite so handelt es sich um eine Hypospadie. Liegt sie auf der Dorsalseite so liegt eine Epispadie vor. Kontinenz normal. (Im Extremfall ein inkontinenter Übergang zur Blasenekstrophie.) Wenn der gesuchte Hoden retroperitoneal angelegt ist, sollte wegen der Gefahr einer malignen Entartung zur Entfernung geraten werden.
211 Lösungen zu den Übungsfragen
Kapitel 4 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Ein Harnwegsinfekt bei Vorliegen einer strukturellen oder funktionellen Anomalie wie Steine, Abflussbehinderung usw. Escherichia coli Mittelstrahlurin Mittelstrahlurin (beweisend nur bei negativem Ausfall der bakteriologischen Untersuchung). Im Zweifel: Katheterurin Einige Tage (je nach Behandlung) Nierenbeteiligung, Urosepsisgefahr, intensive Antibiotikatherapie, bei Andauern unverzügliche Spitaleinweisung Trimethoprim, Norfloxacin, Ciprofloxacin, Nitrofurantoin Mikrohämaturie und »sterile« Pyurie
Kapitel 5 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Kalziumoxalat 60–70%, Kalziumphosphat (besonders Kalzium-Magnesium-Ammoniumphosphat) rund 20%, Harnsäure 10–15%, Zystin/Xanthin selten Ausgussstein, Ureterstein, Kelchstein, Nierenbeckenstein Dehydration, Harnstauung, einseitige Diät, Immobilisation Harnsäuresteine, durch Alkalisierung Diuresesteigerung Extrakorporelle Stoßwellenlithotrypsie (ESWL), Ureteroskopie (URS), perkutane Nephrolitholapaxie (PNL) Doppel-J-Katheter, perkutane Nephrostomie
Kapitel 6 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Vorwiegend lymphogene Metastasierung, v. a. iliakal und retroperitoneal. Nur das Peniskarzinom metastasiert inguinal. Hodentumoren sprechen sehr gut auf Chemotherapie an, Nierentumoren wenig, Prostatakarzinome kaum. Hämaturie ist Leitsymptom für Urotheltumoren, seltener Nierenzellkarzinome (hier Spätsymptom). Tumor/Zyste. Differenzialdiagnose durch Ultraschall und/oder Computertomographie, Einteilung der Zysten nach Bosniak (I–IV) Es handelt sich um einen weit fortgeschrittenen Blasenkrebs, für den es keine Heilung mehr gibt. Evtl. Behandlung mit Gemcitabin. Relativ gering 20–30%/groß rund 70%
212
Anhang
7. Praktisch nur das Prostatakarzinom, selten Prostatakonkremente und chronische Entzündungen 8. Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) und gegebenenfalls Bestätigung der Vermutungsdiagnose durch ultraschallgezielte Biopsie 9. Radikale Prostatektomie – kurative Bestrahlung – Brachytherapie – Beobachtung ohne Behandlung (bei einer Lebenserwartung von weniger als 5–8 Jahren und gut differenzierten Tumoren) 10. Wenig differenziertes, aggressives Prostatakarzinom 11. Hodentumor, Leistenhernie, Hydro-(Spermato-)zele, Epididymitis 12. Phimose
Kapitel 7 1. 2. 3. 4.
5. 6. 7. 8.
Restharn, Ausbildung einer Balkenblase, später Rückstau mit Erweiterung der oberen Harnwege, später Tubulusschädigung und beginnende Niereninsuffizienz Verzögerter Miktionsbeginn, schwacher Harnstrahl, Gefühl der unvollständigen Entleerung, Nachträufeln, Pollakisurie imperativer Harndrang Ja, Phytotherapie, α-Rezeptorenblocker, 5-α-Reduktasehemmer In keiner bis nur sehr geringer Beziehung: Es gibt durchaus ältere Männer mit eindrücklich vergrößerter Prostata ohne Symptome und Restharn, aber auch das Umgekehrte ist möglich. Ja, sicher, denn bei der Operation bleibt der größte Teil der Drüse als sog. chirurgische Kapsel zurück. Unsorgfältiger Katheterismus Multiple Sklerose, diabetische Neuropathie, Morbus Parkinson, Rückenmarksläsionen Belastungsinkontinenz (Frau 50%); Dranginkontinenz (Mann 40–80%). Mischinkontinenz. Inkontinenz bei chronischer Harnretention. Extraurethrale. Sonderformen
Kapitel 8 1. 2. 3. 4.
Diabetes mellitus, Arteriosklerose, radikale Prostatektomie, neurologische Erkrankungen Medikamente (z. B. Sildenafil), intrakavernöse Injektionsbehandlung, Penisprothesen Weil sie die gleichen Risikofaktoren wie die koronare Herzkrankheit hat und dieser oft voraus geht (Markerkrankheit). Ungünstig, allenfalls erfolgreich bei Infekten
213 Lösungen zu den Übungsfragen
5.
6.
Ursache: Klappeninsuffizienz in der V. spermatica links und behinderter Blutabfluss durch rechtwinklige Einmündung in die V. renalis. Ungünstige Beeinflussung der Spermaqualität Mit einem Spermiogramm, nach Abgang von ca. 20 Ejakulaten
Kapitel 9 1.
2. 3. 4. 5.
Die kurze weibliche Harnröhre, Miktionsgewohnheiten (Zurückhalten der Miktion), mechanische Reizung beim Geschlechtsverkehr, hormonale Umstellung in Schwangerschaft und Menopause Banale Zystitis, interstitielle Zystitis, Urothelkarzinom der Harnblase, Harnwegstuberkulose, Harnröhrenerkrankung, psychosomatische Problematik Unklare, schmerzhafte »Reizblase«. Führt zu quälender Pollakisurie und schließlich zu einer Schrumpfblase. Durch kontinuierlichen Urinverlust durch die Scheide. Folge gynäkologischer Tumoren oder Operationen. Selten Physiologische Dilatation der oberen Harnwege mit verlangsamtem Urintransport und Stauung durch den vergrößerten Uterus
Kapitel 10 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Eine Fehlbildung der Harnwege, u. a. auch vesikoureteraler Reflux Ja, unter geeigneter Infekttherapie und Überwachung darf durchaus auf spontane Heilung gehofft werden. Ureter duplex, Ureterozele, Megaureter, Blasendivertikel, Nierenbeckenabgangsstenose usw. Bis zum Schuleintritt Ein stark beweglicher Hoden, Normvariante, die keine Therapie benötigt. »Wilms«-Tumor (maligner Mischtumor). Bei kombinierter Behandlung ist die Prognose günstig.
Kapitel 11 1. 2. 3. 4.
Hämaturie bedeutet möglicherweise Nieren- bzw. Harnwegsmitverletzung. Verdacht auf Blasenruptur, evtl. auch Urethraverletzung Katheterismus ist kontraindiziert. Rektale Untersuchung ergibt »bewegliche«, kranialwärts verlagerte Prostata. Die Diagnose wird durch ein Urethrogramm bestätigt. Nach Möglichkeit konservatives Vorgehen
214
Anhang
Kapitel 12 1. 2. 3. 4.
Extrakorporelle Steinzertrümmerung, perkutane Litholapaxie, Ureteroskopie. Chirurgisch durch Resektion der pyelouretralen Überganges und Reanastomose von Ureter und Pyelon. Heute meist laparoskopisch Ileum- oder Kolonconduit, Ersatzblasen (»Pouches«) aus Dünn- und/oder Dickdarm Durch »Sichturethrotomie«, das heißt durch ein Endoskop, in dem ein bewegliches Messer unter Sicht durch die Verengung geführt werden kann.
Kapitel 13 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Initiale versus totale Hämaturie/Ureterkoagula im Urin/einseitige Schmerzen Weniger als 100 ml Urin/24 h. Ursachen: prärenal, renal, postrenal Der unfreiwillige Harnverlust erfolgt im ersten Falle kontinuierlich. Es handelt sich um einen sog. »komplizierten« Infekt. Es besteht Abklärungsbedürftigkeit. Ja, rund 80% Hydrozele, Hodentumor Spermatozele, Inguinalhernie Nach 2 h. Sofortige Einweisung Repositionsversuch, wenn erfolglos, dorsale Spaltung in Lokalanästhesie Erektion >2 h ohne sexuelle Erregung. Notfall → Punktion der Corpora cavernosa oder Shunt zwischen Cc. cavernosae und Glans
Weiterführende Internet-Seiten
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
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Anhang
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU); Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): www.awmf.org Guidelines der Europäischen Urologen Gesellschaft (EAU): www.uroweb.org/nc/professionalresources/guidelines/online/ European Board of Urology: www.ebu.com Guidelines Amerikanische Urologengesellschaft (AUA): www.auanet.org/guidelines Amerikanisches National Institute of Cancer (NCI): www.cancer.gov/ Literaturdatenbank des amerikanischen National Center for Biotechnology Information (NCBI); Pubmed: www.ncbi.nlm.nih.gov/sites/entrez Digital Urology Journal: www.duj.com Krebsinformationsdienst (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg: www. krebsinformationsdienst.de/index.html Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU): www.dgu.de Schweizerische Gesellschaft für Urologie (SGU): www.urologie.ch Österreichische Gesellschaft für Urologie und Andrologie (ÖGU): www.uro.at Societé Internationale d’Urologie (SIU):www.siu-urology.org European Group of Robotic Urology: www.gfmer.ch/EGRU/Index.htm Deutsche Kontinenzgesellschaft: www.kontinenz-gesellschaft.de/daten_fakten.htm Selbsthilfegruppen Blasenkrebs in Deutschland: www.harnblasenkrebs.de/Selbsthilfe/ selbsthilfe.html Förderverein Interstitielle Zystitis: www.ica-ev.de Weltgesundheitsorganisation (WHO): www.who.int
Stichwortverzeichnis
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
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Stichwortverzeichnis
A Abszess, paranephritischer 194 ADAM 146 Adenokarzinom 87 Algopareunie 153 Algurie 6 Alphablocker 124 5-Alphareduktasehemmer 124 Amoxicillin 59 Androgendefizit, partielles 146 Androgensuppression, medikamentöse 106 Andropause 146 Anomalien, Urogenitalorgane 31–48 Antiandrogene 106 Anurie 5, 189 – Ursachen 190 Asthenospermie 143 Ausfluss 8 Azidose – hyperchlorämische 185 – renal-tubuläre 69 Azoospermie 143
B Bakteriurie 6 – chronische 54 Balkenblase 156 Bauchhoden 158 Beckenbodentraining 133, 192 Beckenschmerzsyndrom, chronisches 57 Begleithydrozele 196 Belastungsinkontinenz 133, 139, 192 Bilharziose 62 Blase – autonome 129, 130 – Teilresektion 96 – transurethrale Resektion 94, 96 – überaktive 134 – Untersuchung 10
Blasenanomalien 44, 45 Blasendivertikel 45 Blasendruckmessung 24, 25 Blasenekstrophie 45, 157 Blasenfunktionsstörungen – medikamentöse-psychosomatische 191 – neurogene 128–133, 191 – vesikale 191 Blasenentzündung 7 Zystitis Blasenoperation 176 Blasenscheidenfistel 152 Blasenschmerz 5 Blasenspülung 22 Blasenstein 67, 78 – endoskopische Entfernung 182 Blasentamponade 189 Blasentraining 130 Blasentumor 92–98, 176 – Ätiologie 92 – Carcinoma in situa 93 – Diagnostik 94 – endoskopische Resektion 182 – Klinik 93, 94 – Therapie 96, 97 Blasenverletzungen 165, 166 Bougierung 131 Bosniak-Klassifikation 35 Brachytherapie 104 Brickerblase 180 Buschke-Löwenstein-Tumor 64
C Carbapeneme 59 Carcinoma in situ 93 Cephalosporine 59 Choriokarzinom 113 Ciprofloxacin 59 Clavulansäure-Amoxicillin 59 Computertomographie 18 Condyloma acuminatum 64
219 Stichwortverzeichnis
D
F
Darmbeutel 96, 178 Dauerkatheter, transurethral 19–21 Deszensusanomalien 46, 47 Diabetes mellitus, Erektionsstörungen 140 Diagnostik, photodynamische 94 Doppel-J-Katheter 182, 191 Dranginkontinenz 133–135, 192 Dysfunktion, erektile 7 erektile Dysfunktion Dyspareunie 153 Dysurie 6
Fibrosarkom 90 Fibrose, retroperitoneale 44 Fournier-Gangrän 194
E Echinokokkose 63 Ejaculatio praecox 147, 148 Ejakulat, blutiges 7 Ejakulation – fehlende 7, 148 – retrograde 125, 148 – vorzeitige 147, 148 – verzögerte 148 Endoskopie 22, 23 Enuresis 6 – nocturna 160 Epididymitis 57, 199 – akute 201 – Therapie 200 Epispadie 46, 136, 157 erektile Dysfunktion 7, 140–142 – psychogene Ursachen 204 – Therapie 141, 142 – Ursachen 140, 141 Erektionsstörungen 140, 141 – 7a. erektile Dysfunktion Ersatzblase 96, 178 – orthotope 178 ESWL 76
G Genitaltuberkulose 59–62 Genitalverletzungen 168, 169 Gonorrhö 63
H Hämaturie 5, 162, 187 – Ursachen 187, 188 Hämoglobinurie 187 Hämospermie 7 Harnabgang, unfreiwilliger 191 Harnblase 7 Blase Harndeviation 96, 176 – definitive 176, 178–180 – vorübergehende 176 Harndrang – imperativer 7, 120, 134 – krampfartiger 162 – plötzlicher 120 Harnflussmessung 11, 25 Harninkontinenz 7 Inkontinenz Harnleiter 7 Ureter Harnleiterfistel 152 Harnleiterkolik 4 Harnleiterstein 78 – endoskopische Entfernung 182 Harnleiterverletzungen 165 Harnretention 189 – akute 6, 123, 191 – chronische 135, 193 Harnröhre 7 Urethra Harnröhrenerkrankungen 151 Harnröhrenverletzungen 166–168
A–H
220
Stichwortverzeichnis
Harnsäurestein 15 Harnsediment 52 Harnstein 7 Urolithiasis – Harnumleitung 7 Harndeviation – Harnverhaltung 7 Harnretention – Harnwegsinfekt 50–55 – akuter 53, 193 – chronischer 54, 55 – Diagnostik 52–54 – Klinik 53–56 – komplizierter 50, 54 – Pathophysiologie 50, 51 – rezidivierender 52 – Schwangerschaft 150 – Therapie 58, 59 – unspezifischer 50 Harnwegstuberkulose 59–62 Hautstoma 180 Hernia inguinalis 196, 197 Hodenaplasie 158 Hodenektopie 46 Hodenhochstand 11 Hodenschmerz 5, 195, 196 Hodentorsion 159, 196, 199, 200 – Therapie 206, 207 Hodentumor 47, 109–113, 160 – Diagnostik 110 – Metastasierung 109 – nichtseminomatöse 113 – Pathophysiologie 109, 110 – Therapie 112 – Tumormarker 13 Honeymoon-Zystitis 50 Hufeisenniere 34 Hunner-Ulkus 151 Hydrocele – funiculi 196 – testis 196 Hydronephrose 38, 39, 155, 174 Hydroureter 41 Hydrozele 196, 197
– idiopathische 196 – symptomatische 196 Hypernephrom 87 Hyperurikämie 68 Hyperurikosurie 68 Hypospadie 45, 46, 157
I Ileumconduit 180 Impotenz, sekundäre 141 Induratio penis plastica 140, 201 Infertilität 8, 142, 143 Inkontinenz 7, 132–137, 191–193 – extraurethrale 133, 135, 136, 193 Instillationsbehandlung, intravesikale 96 Isotopennephrographie 17
K Kastration, medikamentöse 106 Katheterismus 10, 19–22 Kavernosographie 16 Kernspintomographie 19 Klimakterium virile 145, 146 Knochenszintigramm 16 Kolik 4 Kolonconduit 180 Kondylom, spitzes 64 Kreatinin 13 Kreatininclearance 13 Kryptorchismus 46, 158 Kuchenniere 34
L Labordiagnostik 13, 14 Laparoskopie 182, 183 Late-onset-Hypogonadismus 146 Leisenhoden 46 Leitsymptome 4–8
221 Stichwortverzeichnis
Leukozyturie 6 Libidoverlust 153 Liposarkom 90 Lithotrypsie 7 Stoßwellenlithotrypsie lower urinary tract symptoms 120 Lues 63, 64 LUTS 120
M Magnetresonanztomographie 19 Makrohämaturie 94, 162, 187 Markschwammniere 36, 37, 68 Megaureter 40 – obstruktiver 41 – primärer 155 Meyer-Weigert-Regel 34 Mikrohämaturie 94, 162, 189 Miktion, schmerzhafte 6 Miktionsstörungen 6, 7 Miktionszysturethrographie 155 Mischinkontinenz 135, 192 Morbus – Ormond 44 – Peyronie 201 multiple Sklerose, Erektionsstörungen 140
N Nebenhodenschmerz 5 Neoblase 96, 178 Nephrektomie 174 Nephroblastom 90, 159, 160 Nephropexie 38 Nephroptose 37, 38, 203 Nephroskopie, perkutane 23 Nephrostomie 176 Neuroblastom 160 Niere – Agenesie 32 – Dystopie 34
H–O
– Hypoplasie 33 – Rotationsanomalien 34 – Untersuchung 10 Nierenangiographie 16, 163 Nierenanomalien 31–38 Nierenbeckenplastik 175, 183 Nierenbeckentumor 91, 92 Nierenfehlbildungen, zystische 35 Nierenfunktion, Beurteilung 14 Nierengefäßanomalien 34, 35 Nierenhohlsystem, Anomalien 38–40 Nierenkarzinom 87–90 – metastasierendes 88 Nierenkolik 4 Nierenkontusion 163 Nierenoperation, perkutane 176 Nierenparenchymtumoren 85–86, 174 Nierenresektion 7 Nephrektomie Nierenschmerz 4, 203 Nierenstein 78 Nierenszintigraphie 17 Nierentransplantation 180–182 – Lebendspende 181 – Leichenniere 180 Nierentumoren – bösartige 87–90 – gutartige 85, 86 Nierenverletzungen 163, 164 Nierenzellkarzinom 87–90 Nierenzyste 35 Nitrofurantoin 59 Norfloxacin 58 Nykturie 6, 7, 120, 134
O OAT-Syndrom 143 Oligoasthenoteratospermie 143 Oligospermie 143 Oligurie 6, 189 – psychosomatische Aspekte 204
222
Stichwortverzeichnis
Orchidopexie 207 Orchiektomie 106 – inguinale 112 Orchitis 199 Orgasmusstörungen – bei der Frau 153 – beim Mann 147, 148 Oxalose 68
P PADAM 146 Paraphimose 46, 158, 202 Pendelhoden 46, 158 Penisangiographie, selektive 16 Penisfraktur 168 Peniskarzinom 114, 115 Penisverletzungen 168 Penisuntersuchung 11 Perkutane Nephrolapaxie (PNL) 78–80 Phimose 46, 158, 159 Phosphaturie 203 Pneumaturie 6 Pollakisurie 6, 7, 120, 134, 151, 203 Polyurie 203 Porphyrie 187 Potenzstörungen 140 – 7a. erektile Dysfunktion Potenzstörungen 140 Pouch 178 Priapismus 142, 202 Prostataabszess 194 Prostatahypertrophie 118–127 – Ätiopathogenese 119 – benigne 118 – chirurgische Therapie 124–132 – Diagnostik 120 – Klinik 120, 121 – medikamentöse Therapie 124 – Stadieneinteilung 120, 123 – transurethrale Enukleation 125
– transurethrale Vaporisation 126 Prostatakarzinom 98–108 – Active surveillance 104 – Brachytherapie 104 – Chemotherapie 107 – Diagnostik 101, 102 – endokrine Therapie 106 – Früherkennung 12, 13 – Klinik 100 – metastasiertes 106, 107 – Pathophysiologie 100 – Prognose 107 – Strahlentherapie 104 – Therapie 102–107 – TNM-Klassifikation 99 Prostataneurose 204 Prostataschmerz 5 prostataspezifisches Antigen 13, 101 Prostatatumor 182 Prostatektomie – laparoskopische 183 – radikale 103, 104 – roboterassistierte 104 – transurethrale 124, 125 – transvesikale 126 Prostatismus 120 Prostatitis 5, 57, 58, 194 – akute 57 – asymptomatische inflammatorische 57 – chronische 57 Proteinurie 14 PSA 7 prostataspezifisches Antigen Pyelogramm, antegrades 16 Pyelonephritis 194 – akute 53, 54 Pyurie 6, 54 – sterile 61
Q Querschnittsyndrom 129
223 Stichwortverzeichnis
R Reflexblase 129, 130, 136 Reflexinkontinenz 136 Reflux, vesikoureteraler 41–43, 156 – primärer 42 – sekundärer 42 Reizblase 150, 203 Rektaluntersuchung 12, 101 Rektumblase 178 Renoskopie, perkutane 23 Restharnbestimmung 11 Retroperitoneoskopie 183
S Sackniere 38, 39 Samenerguss 7 Ejakulation Schrumpfblase 151 Schwellkörper-Autoinjektionstherapie 142, 202 Schwellkörperimplantat 142 Sediment 7 Harnsediment Selbstkatheterismus 131 Seminom 112 Sildenafil 141 SKAT 142 Skelettszintigraphie 17 Skrotalkarzinom 115 Skrotalverletzungen 168 Skrotum, Untersuchung 11 Sonographie 15 Spermatozele 197 Spermiogramm 143, 144 Sphinkterdruckmessung 24, 25 Steinkolik 71, 76, 194 Steinniere, infizierte 174 Steinoperation 79 Sterilität 8 Stoßwellenlithotrypsie, extrakorporelle 76
O–U
Stressinkontinenz 7 Belastungsinkontinenz Struvitstein 69 Sulfamethoxazol 58 Syphilis 63, 64 Szintigraphie 17
T Tenesmen 7, 162 Tension-free Vaginal Tape (TVT) 134 Teratom 113 Teratospermie 143 Testosteronsubstitution 146, 147 Tiemann-Katheter 20 Tobramycin 59 Transobturator tape (TOT) 134 Transportstörung, supravesikale 190 transvaginal tension-free tape 134 Tuberkulose, Urogenitalsystem 59–62 TUR-B 96 TURP 124, 125
U Ultraschalluntersuchung 15 Untersuchung, neurologische 12 Urachusfistel 44 Urachuszyste 44 – duplex 33, 40, 155 – fissus 33, 40 – retrokavaler 40 – Untersuchung 23 Ureter… 7a. Harnleiter… Ureterabgangsstenose 39 Ureteranomalien 40–44 Ureterentumor 92 Uretermündung, ektopische 43, 44 Ureterokutaneostomie 177 Ureterorenoskopie 23, 78 Ureterosigmoidostomie 178 Ureterozele 44, 155
224
Stichwortverzeichnis
Ureterpyelogramm, retrogrades 16 Ureterscheidenfistel 159 Ureterstein 194 Urethra – Anomalien 45, 46 – Divertikel 151 – Klappe 45, 156 – Ruptur 175 – Stenose 45 – Blutaustritt 189 – Bougierung 131 – Schleimhautektropium 151 – Striktur 131, 132, 182 Urethra… 7a. Harnröhren… Urethritis 56 Urethrographie, retrograde 16, 163 Urethrotomie 132 Urethrozystoskopie 22, 23, 94, 155 Urge-Inkontinenz 7, 138, 192 Urin – 24-h-Urin 14 – braunverfärbter 6 – pH-Wert 67 – schaumiger 6 – spezifisches Gewicht 14 Urinentnahme 13 Urinsediment 14 Urinuntersuchung 13, 14 Urinzytologie 14 Uroflowmetrie 25 Urogenitalverletzungen 161–168 Urographie 15 – bei Kindern 155 – deszendierende 16 – intravenöse 163 – retrograde 16
Urolithiasis 67–82 – Diagnostik 71–75 – Klinik 71–75 – Pathophysiologie 67–69 – Prophylaxe 81–83 – Therapie 76–1 Uroradiologie 15, 16 Urosepsis 71, 194 Urostoma 180 Urotheltumor 91, 174
V Vaginalstatus 12 Varikozele 144, 197, 198 Vasektomie 144, 145 Vasovesikulographie 16 Vesicourethraler Reflux 41–43
W Wilms-Tumor 90, 159, 160
Z Zystektomie 96, 176 Zystenniere 35, 36 Zystinstein 69 Zystitis 6 – akute 53, 193 – interstitielle 151 Zystographie 16 Zystomanometrie 24, 25 Zystoskopie 22, 23 Zystostomie 177
MC-Fragen und Fälle zur Prüfungsvorbereitung
T. Gasser, Basiswissen Urologie, DOI 10.1007/978-3-642-21135-5, © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011
F2
Basiswissen Urologie – Fallquiz
MC-Fragen ? 1. Ein 63-jähriger Bankier sucht Sie auf. Der Hausarzt hat anlässlich eines »Check-ups« Nierenzysten festgestellt. Welche Aussagen sind richtig?
A Einfache Nierenzysten sind häufige und harmlose Veränderungen. B Multiple Nierenzysten gelten per se als kompliziert. C Die Bosniak-Klassifikation ermöglicht aufgrund sonographischer Kriterien (Multiplizität, Echogenität, Verkalkungen) die Unterscheidung zwischen einfacher und komplizierter Zyste. D Mit Hilfe der Bosniak-Klassifikation können Zysten aufgrund computertomographischer Eigenschaften (Kontrastmittelaufnahme, Septierung, Verkalkungen) in vier Grade eingeteilt werden. ? 2. Bei einer Frau im mittleren Alter wurde eine adulte polyzystische Nierenerkrankung (APKD) diagnostiziert. Sie kommt mit ihrer 26-jährigen Tochter und will sich über die Krankheit orientieren. Welche Antworten sind richtig? Die APKD:
A ist eine Krankheit mit autosomal-rezessivem Erbgang; B führt praktisch nie zu terminaler Niereninsuffizienz; C führt rund 10–15 nach Auftreten klinische Symptome zur terminalen Niereninsuffizienz; D sollte im Kindesalter erfasst werden und gehört deshalb zum Screening im Vorschulalter. ? 3. Bei einer 23-jährigen Medizinstudentin wird im Rahmen des Ultraschallkurses eine Hydronephrose rechts festgestellt. Sie ist überrascht und schaut im Lehrbuch nach. Was kann Sie dort nachlesen?
A Eine Hydronphrose ist meistens sehr schmerzhaft. B Eine Hydronphrose muss nur behandelt werden, wenn die Nierenfunktion beeinträchtigt wird. C Eine Hydronphrose ist bei Obstruktion und gleichzeitiger Infektion der beteiligten Niere (Pyelonephritis) als Notfall zu beurteilen und bedarf einer Harnableitung (perkutan oder transurethral). D Eine Hydronphrose deutet häufig auf eine Nierenbeckenerkrankung (Uretersteine, Tumoren etc.) hin.
F3 Basiswissen Urologie – Fallquiz
? 4. Bei der Untersuchung eines Neugeborenen können Sie einen Hoden nicht tasten. Was ist richtig?
A Kryptorchismus ist mit lebenslang erhöhter Tumorgefahr (10-fach) dieses Hodens assoziiert, auch wenn eine zeitgerechte Therapie durchgeführt wurde. B Kryptorchismus ist oft doppelseitig. C Kryptorchismus tritt bei 3–5% aller männlichen Neugeborenen auf. D Kryptorchismus ist spätestens in der Pubertät aktiv zu behandeln, da durch die hohe Spontandeszensusrate eine Operation meist erspart werden kann. ? 5. Eine 38-jährige, attraktive Geschäftsfrau konsultiert Sie beunruhigt wegen immer wiederkehrenden Blasenentzündungen. Welche der folgenden Auskünfte sind richtig?
A »Wiederkehrende Blasenentzündungen sind meistens unkompliziert, da ihnen keine strukturelle oder funktionelle Abnormalität zugrunde liegt. Sie sind harmlos und echte Reinfektionen«. B »Wiederkehrende Blasenentzündungen haben als Ursache die Bakterienpersistenz in Bereich der Vagina. Verwenden Sie mehr Vaginalsprays«. C »Die Infekte werden oft chronisch und führen zu Pyelonephritis«. D »Wiederkehrende Blasenentzündungen kommen meist bei sexuell aktiven Frauen vor«. ? 6. Ein 78-jähriger, rüstiger Bewohner eines Altersheims hat vom Hausarzt nun schon die 3. Antibiotikakur bekommen. Trotzdem stellt man immer wieder Bakterien im Urin fest. Was sind die häufigsten Gründe dafür?
A Es liegt wahrscheinlich ein Harnwegsinfekt mit multiresistenten Bakterien vor. B Der Mann hat wahrscheinlich die Tabletten nicht richtig eingenommen. C Es liegt vermutlich eine strukturelle oder funktionelle Ursache (z. B. Prostatavergrößerung mit Restharnbildung) vor, die nach resistenzgerechter Behandlung des Infektes behoben werden muss. D Der Mann braucht eine »richtige« Behandlung über mindestens 3 Wochen. ? 7. Eine 28-jährige brasilianische Tänzerin wird am Freitagabend mit Fieber (38,7°C) und linksseitigen Flankenschmerzen hospitalisiert. Was entscheiden Sie als Stationsärztin?
A Sie vermuten einen grippalen Infekt und verordnen Bettruhe und kühle Wickel. B Sie vermuten eine Zystitis, legen einen Blasenkatheter und verordnen Antibiotika.
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Basiswissen Urologie – Fallquiz
C Sie vermuten eine vorbestehende Nierenpathologie, entlassen die Patientin mit Schmerzmitteln und veranlassen für Montag einen Ultraschall und entscheiden dann je nach Befund. D Sie vermuten eine beginnende Urosepsis, veranlassen sofort einen Ultraschall und organisieren die »Entlastung« der Niere. ? 8. Ein junger Mann kommt wegen heftigster Schmerzen in der linken Flanke, auf die Notfallstation. Aktuell ist er gerade schmerzfrei. Welche der folgenden von Ihnen veranlassten Maßnahmen waren richtig?
A Es handelt sich um eine Nierenkolik. Sie verordnen Schmerzmittel, viel Flüssigkeit (Schwemmen) und warten bis der Stein abgegangen ist. B Da der Mann wieder beschwerdefrei ist, organisieren Sie ihm für die folgende Woche eine ESWL zur Steinzertrümmerung. C Sie legen einen intravenösen Zugang, damit Analgetika bei Bedarf rasch verabreicht werden können. Sie organisieren ein Computertomogramm und bestimmen dann das weitere Procedere. D Nachdem Sie kein Fieber und keine Infektzeichen festgestellt haben, entlassen Sie den Mann und empfehlen ihm, gelegentlich den Hausarzt aufzusuchen. ? 9. Bei einer 47-jährigen Busfahrerin mit rezidivierenden, jeweils Antibiotikabedürftigen Harnwegsinfektionen führen Sie wegen unspezifischen Bauchschmerzen ein Abdomen leer durch. Überraschenderweise finden Sie einen Nierenbeckenausgussstein rechts. Welche Antworten stimmen?
A Übermäßige Antibiotikaeinnahme führt zu Nierensteinen. B Die Patientin trinkt zu wenig und hat darum Harnwegsinfekte und Nierensteine. C Beta-Lactamasen produzierende Bakterien sind häufig Ursache von Harnwegsinfekten und damit von Infektsteinen. D Ausgusssteine sind häufig Infektsteine und bestehen aus Struvit. ? 10. Ein 55-jähriger Lehrer hat schon längere Zeit Rückenschmerzen. Ein Freund ist kürzlich an Krebs erkrankt und er befürchtet nun bei sich einen Nierentumor. Welche der folgenden Auskünfte sind richtig?
Ein Nierentumor manifestiert sich meist: A mit Makrohämaturie, B durch Skelettmetastasen, C als Zufallsbefund, im Rahmen einer radiologischen Abklärung (US, CT), D durch Niereninsuffizienz.
F5 Basiswissen Urologie – Fallquiz
? 11. Der Redakteur Ihrer Lokalzeitung will einen Bericht über das Prostatakarzinom schreiben. Vor der Publikation will er sich aber noch bei Ihnen absichern. Welche der geplanten Aussagen sind falsch?
A B C D
Das Prostatakarzinom ist der häufigste maligne Tumor des Mannes. Weiße sind doppelt so häufig betroffen wie Schwarze oder Asiaten. Das Prostatakarzinom ist der Tumor des alternden Mannes. Beim Prostatakarzinom kommt eine familiäre Häufung vor.
? 12. Ein gerade 50 gewordener Uhrmacher, dessen Vater an einem Prostatakarzinom verstorben sei, meldet sich zur Vorsorgeuntersuchung. Welche Untersuchungen sind korrekt?
A B C D
Rektalpalpation und Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) Magnetresonanztomographie mit Kontrastmittel Transrektale Ultraschallaufnahme Knochenszintigramm
? 13. Bevor der oben erwähnte Uhrmacher sich untersuchen lässt, möchte er noch mehr Informationen über das prostataspezifische Antigen (PSA). Er habe gehört, man könne damit den Prostatakrebs nachweisen. Welche Aussagen sind richtig?
A Das PSA ist der wichtigste Bluttest bei der Prostatakarzinomvorsorge, ist aber nicht krebsspezifisch. B Ein erhöhtes PSA ist beweisend für ein Prostatakarzinoms. C Ein PSA-Anstieg nach einer radikalen Prostatektomie bedeutet sicher ein Rezidiv. D Die PSA-Derivate (gesamtes und freies PSA, komplexiertes PSA, PSAVerdoppelungszeit, PSA-Dichte u. a. m.) sind bezüglich Aussagekraft des PSA betreffend Prostatakarzinom viel besser. ? 14. Ein 79-jähriger pensionierter Lehrer meldet sich für eine zweite Meinung. Bei ihm wurde auf sein Drängen eine Prostatabiopsie durchgeführt, die nun ein Prostatakarzinom (Gleason-Score 3+3=6) ergeben hat. Welche von seinem Urologen vorgeschlagenen Optionen sind korrekt?
A Radikale Prostatektomie. Ein lokalisiertes Prostatakarzinom kann nur mittels Totalentfernung sicher geheilt werden. B Nichts tun (»wait and watch«) C Perkutane, externe Strahlentherapie D Hormontherapie (LH-RH Agonisten)
Basiswissen Urologie – Fallquiz
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? 15. Ein 65-jähriger, wegen lumbaler Rückenschmerzen behandelter und ansonsten gesunder Straßenarbeiter wird vom Hausarzt zur urologischen Beurteilung zugewiesen. Er hat eine vergrößerte und höckrige Prostata getastet sowie einen PSA-Wert von 89,3 ng/ml festgestellt. Welche diagnostischen Schritte sind richtig?
A B C D
PSA wiederholen Urinuntersuchung (Streifentest, Urinstatus und/oder evtl. Bakteriologie) Prostatabiopsie Knochenszintigraphie
? 16. Welche therapeutischen Optionen sind für den obigen Patienten bei histologisch bewiesenem Prostatakarzinom sinnvoll, nachdem lumbale Metastasen nachgewiesen wurden?
A B C D
Radikale Prostatektomie Perkutane Strahlentherapie der Prostataregion TUR-P Antiandrogene Therapie
? 17. Ein 17-jähriger Gymnasiast meldet sich am frühen Morgen telefonisch bei der Sprechstundenhilfe und berichtet über Hodenschmerzen seit ca. 2 Stunden mit plötzlichem Beginn. Sie sind stark beschäftigt. Welche Empfehlungen sind richtig?
A Er solle Eis auflegen und sich in 2 Tagen wieder melden, da solche Schmerzen in der Pubertät häufig seien. B Es solle in der Praxis vorbei kommen und ein Rezept für ein Antibiotikum abholen, da wahrscheinlich eine Epididymitis vorliege. C Er solle unverzüglich die nächste Notfallstation aufsuchen, da eine Hodentorsion vorliegen könnte. D Er solle nächste Woche vorbei kommen, damit ein maligner Tumor ausgeschlossen werden könne. ? 18. Ein 51-jähriger gesunder Bereiter (Pferdedressur) beklagt eine langsam zugenommene, prallelastische Hodenschwellung der linken Seite, die permanent vorhanden ist. Trotz seines Berufes ist er eigentlich nicht eingeschränkt. Im Ultraschall finden Sie viel Flüssigkeit um den Hoden. Welches Vorgehen ist richtig?
A Sie empfehlen dringend eine operative Revision bei Verdacht auf malignen Hodentumor. B Sie führen eine Punktion des Inhaltes zu zytologischen Untersuchung durch (Ausschluss Malignität).
F7 Basiswissen Urologie – Fallquiz
C Sie beruhigen ihn und empfehlen Zuwarten, da Sie eine Hydrozele vermuten. D Sie verschreiben 10 Tage Antibiotika unter der Verdachtsdiagnose Epididymitis. ? 19. Ein 26-jähriger Eishockeyspieler meldet sich wegen einer schmerzlosen, einseitigen Hodenschwellung. Er vermutet, er habe einmal unbemerkt einen Tiefschlag bekommen. Sie stellen einen leicht vergrößerten, harten, aber schmerzlosen Hoden rechts fest. Welche Diagnose ist am wahrscheinlichsten?
A Eine Epididymitis; B ein Hodentumor; C ein altes Hämatom, wahrscheinlich traumatisch. Zuwarten und Kontrolle in 6 Wochen; D Normalbefund. Ein Hoden ist meist härter. Sie beruhigen den Patienten und schließen die Behandlung ab. ? 20. Der diensttuende Notfallassistent ruft Sie am Sonntagmorgen um 5 Uhr an und berichtet über einen 45-jährigen italienischen Kellner, der behauptet, seit 4 Stunden eine Erektion zu haben. Es werde nun langsam schmerzhaft. Welche Anweisungen sind richtig?
A Patienten beruhigen. Er solle froh sein, habe er eine Erektion. Viele Männer würden ihn darum beneiden. Er solle zuwarten und sich – falls das Problem nicht verschwindet – am Montag beim Hausarzt melden. B Der Patient solle versuchen, zu ejakulieren, dann fällt die Erektion zusammen. C Er solle unverzüglich ins Krankenhaus kommen. Eine frühzeitige chirurgische Therapie verhindert Schäden am Schwellkörper. D Der Patient solle ein Beruhigungsmittel (Diazepam) und ein Schmerzmittel einnehmen. ? 21. Der 69-jährige Witwer will wieder einmal seine Prostata kontrollieren lassen. Das Wasserlassen sei »nicht mehr wie früher«. Welche typischen Symptome treten bei einer Prostatahyperplasie auf?
A B C D
Algurie und Polyurie Hämaturie und Oligurie Pollakisurie und Nykturie Pneumaturie
Basiswissen Urologie – Fallquiz
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? 22. Bei obigem Witwer stellen Sie neben den Symptomen eine leicht vergrößerte, unverdächtige Prostata und ca. 50 ml Restharn fest. Welche medikamentöse Therapie empfehlen Sie als erstes?
A B C D
α-Rezeptorenblocker β-Rezeptorenblocker 5-α-Reduktasemmer PDE-5-Hemmer
? 23. Ein 66-jähriger, immer noch berufstätiger Fahrlehrer konsultiert, da ihn die Pollakisurie und der imperative Harndrang beim Unterrichten stören. Die lange α-Rezeptorenblocker-Therapie verliert die Wirkung. Sie empfehlen die transurethrale Resektion der Prostata. Was kann der Patient von diesem Eingriff erwarten?
A B C D
Verbesserung des Harnflusses; Verhinderung der Entwicklung eines Prostatakarzinoms; muss keine α-Rezeptorenblocker mehr einnehmen; bessere Lebensqualität durch weniger Pollakisurie und imperativen Harndrang.
? 24. Auf einem Transatlantikflug kann ein 63-jähriger Geschäftsmann der ersten Klasse trotz quälendem, schmerzhaftem Harndrang die Blase nicht entleeren. Sie werden als zufällig mitfliegender Arzt zu ihm gerufen. Der Patient hat Schmerzen und schwitzt. Es steht ihnen der Notfallkoffer der Fluggesellschaft zur Verfügung. Welche Handlungen sind korrekt?
A Sie geben ein Diuretikum, um die Diurese anzuregen. B Sie lassen dem Kapitän ausrichten, eine Harnverhaltung sei ein urologischer Notfall. Er müsse den nächsten möglichen Flughafen ansteuern. C Sie legen einen transurethralen Dauerkatheter. D Sie spritzen ein Schmerzmittel und ein Entspannungsmittel (Diazepam). ? 25. Ein 84-jähriger Insasse eines Altenheims wird gebracht, da er den Urin nicht halten kann. Welche Ursachen kommen in Frage?
A Zerebrovakulärer Insult B Subklinische Diskushernie mit Wurzelkompression thorakal 12; Entwicklung einer »autonomen Blase« C Demenz D Multiple Sklerose mit Beteiligung des Miktionszentrums S2–S4
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? 26. Ein 24-jähriger Medizinstudent meldet sich bei Ihnen. Er hat Schwierigkeiten, die verschiedenen Inkontinenzformen zu unterscheiden. Welche seiner Fragen sind richtig?
A Wird die Überlaufinkontinenz auch als Reflexinkontinenz bezeichnet? B Können unkontrollierte Detrusormuskelkontraktionen zur Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz) führen? C Kann eine infravesikale Obstruktion zur Überlaufinkontinenz führen? D Ist bei der Belastungsinkontinenz die Blasenspeicherfunktion gestört? ? 27. Eine 46-jährige Verkäuferin mit einer milden Form von multipler Sklerose klagt über Dranginkontinenz. Die Blasenentleerung ist restharnfrei möglich, eine Belastungsinkontinenz liegt nicht vor. Welche Therapieempfehlungen sind richtig?
A α-Rezeptorenblocker zu Hemmung der Detrusorkontraktionen B Anticholinergika zur Verbesserung der Symptomatik der hyperaktiven Blase. C Blasentraining. Sie soll versuchen, die Miktion so lange wie möglich hinaus zu zögern. D Botulinumtoxin-Injektionen zum Verbessern der Blasenspeicherfunktion. ? 28. Eine 55-jährige, 3-fache Mutter möchte wieder mit Sport beginnen. Sie leidet aber unter unwillkürlichem Urinverlust bei Anstrengung. Welche Möglichkeiten können Sie ihr anbieten?
A Blasensuspension (z. B. nach Marshall-Marchetti) B Beckenbodentraining, denn vor der operativen Therapie der Inkontinenz sollten die konservativen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft worden sein. C Die Implantation eines künstlichen Sphinkters wäre wahrscheinlich erfolgversprechend. D Ein TVT (»tension free vaginal tape«) wäre wahrscheinlich erfolgversprechend. ? 29. Ein 61-jähriger, etwas übergewichtiger Malermeister mit eigenem Geschäft hat kürzlich einen Koronarstent erhalten. Seit dieser Intervention habe er Erektionsstörungen. Er vermutet, man habe »etwas verletzt«. Welche Aussagen sind richtig?
A Die Ursache der erektilen Dysfunktion (ED) ist vermutlich durch Medikamente (Nebenwirkungen) bedingt, die er wegen seiner koronaren Herzkrankheit einnehmen muss. B Die ED ist vermutlich vaskulär bedingt und eine andere Spielform der kardiovaskulären Erkrankung.
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Basiswissen Urologie – Fallquiz
C Rauchen ist ein wesentlicher Risikofaktor für ED. D Die ED ist vermutlich psychogen bedingt. ? 30. Ein 58-jähriger Börsenhändler kommt in die Sprechstunde. Er ist geschieden und hat eine neue, viel jüngere Freundin. Er habe nun zunehmend Mühe, die Erektion aufzubauen. Den Nikotinabusus hat er schon auf 1 Packung pro Tag reduziert. Ein kürzliches »Check-up« sei in Ordnung gewesen. Was können Sie ihm anbieten?
A Behandlung bei einem Psychosomatiker, der ihm hilft, Stress abzubauen und ihm das Rauchen zu entwöhnen; B PDE-5-Hemmer (Sildenafil, Vardenafil, Tadalfil); C Testosteronpflaster, da eine erektile Dysfunktion meist Ausdruck von Hormonmangel ist; D Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT) mit Prostaglandin E1. ? 31. Ein kürzlich in seinem Heimatland wegen einer Prostatavergrößerung transurethral resezierter 63-jähriger Bauarbeiter berichtet in gebrochenem Deutsch, dass er keine Ejakulationen mehr habe. Welche Erklärungen sind richtig?
A Nach einer transurethralen Resektion der Prostata (TUR-P) erfolgt der Samenerguss meist retrograd in die Harnblase. B Nach einer transurethralen Prostatektomie kommt es nie zu einem Orgasmus. C Häufig kommt es zu einem Samenerguss bevor oder kurz nach Einführen des Penis in die Vagina. D Häufig leiden die Patienten an einer verzögerten Ejakulation. ? 32. Ein 23-jähriger Sportstudent ist beim Mountainbiken mit der Flanke auf den Lenker gestürzt. Er berichtet über erhebliche Schmerzen. Der Urin ist blutig, das Hämoglobin (Hb) beträgt 12,3 g%. Was unternehmen Sie?
A Entlassung nach Hause, da das Hb gut ist und keine penetrierende Nierenverletzung vorliegt. B Ambulantes CT des Abdomens, um allfällige Läsionen zu dokumentieren (forensische Gründe). C Hospitalisation und Überwachung für 24 h. Kontrolle von Blutdruck und Hb. CT mit und ohne Kontrastmittel. D Rasche chirurgische Revision planen wegen der Gefahr der Nierenruptur. Das Hb ist für den jungen Sportler zu tief.
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? 33. Ein 44-jähriges Unfallopfer mit Beckenfraktur wird auf die Notfallstation gebracht. Es tritt Blut aus der Urethra aus und er kann nicht Wasser lösen. Was unternehmen Sie aus urologischer Sicht korrekterweise?
A B C D
Ich versuche, vorsichtig transurethral zu katheterisieren. Ich lege einen suprapubischen Katheter. Ich plane ein retrogrades Urethrogramm. Ich führe eine rektale Untersuchung durch.
? 34. Ein 68-jähriger Architekt berichtet über immer wiederkehrende Infekte der Blase. Gegen Ende des Wasserlösen »zische und stottere« der Urin; er glaube, es komme Luft. Er fragt: »Ist das normal, Frau Doktor?« Welche Antworten sind richtig?
A Die Pneumaturie ist eine seltene physiologische Manifestation und daher nicht weiter abklärungsbedürftig. B Die Pneumaturie ist pathognomonisch für eine vesiko-intestinale Fistel. C Es liegen wahrscheinlich gasbildende Bakterien vor, die man antibiotisch behandeln muss. D Es handelt sich um eine optische Täuschung, denn Urin schäumt stark. ? 35. Sie werden auf die Intensivstation zu einem 71-jährigen Mann mit akuter Pneumonie gerufen. Er ist seit 2 Tagen dort. Die betreuende Pflegeperson kann die Vorhaut des katheterisierten Patienten nicht mehr nach vorne streifen. Welche Schlussfolgerungen sind richtig?
A Es liegt eine Paraphimose vor (Einklemmung der Vorhaut hinter der Glans im Sulcus coronarius, wodurch zunächst zu einer Schwellung des inneren Präputialblattes kommt). B Durch sofortige Vorhautreposition nach Manipulationen (nach dem Waschen) hätte die Paraphimose verhindert werden können. C Man sollte eine manuelle Reposition versuchen. D Es ist eine operative Sanierung (Spaltung in Lokalanästhesie) indiziert.
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Basiswissen Urologie – Fallquiz
Antworten v 1. Frage Nierenzysten: Richtige Antwort A, D. A: Banale Nierenzysten sind häufig und harmlos. B: Auch multiple Zysten können banal sein. C, D: Die Bosniak-Klassifikation ist heute am gebräuchlichsten. Sie erfolgt aufgrund radiologischer (nicht sonographischer) Kriterien im CT, wobei Grad I für die einfache Zyste und Grad IV hochverdächtig für das Nierenzellkarzinom steht. v 2. Frage Polyzystische Nierenerkrankung: Richtige Antwort C. A: Autosomal-dominant vererbt. B, C: Endet meist in terminaler Niereninsuffizienz nach rund 10 Jahren Latenz. D: frühe Erfassung zur optimalen Überwachung, Blutdruckeinstellung usw. und kann Niereninsuffizienz hinauszögern, gehört aber nicht zum generellen Screening, sondern nur bei direkten Nachkommen Betroffener. v 3. Frage Hydronephrose: Richtige Antwort C. A: Hydronephrose meist schmerzlos oder-arm. B: Einseitiger Nierenfunktionsverlust führt nicht zu Niereninsuffizienz, da Gegenniere übernimmt → Behandlung einer Hydronephrose (Erhalten der Restfunktion) auch bei normaler Nierenfunktion. C: Schmerzen und Fieber sind Hinweis auf die Gefahr der Urosepsis bei Infekt und Obstruktion → sofortige Entlastung. D: eine Hydronephrose (Aufweitung des Nierenbeckens) kann Ausdruck eines infrarenalen Hindernisses oder von Reflux sein. v 4. Frage Kryptorchismus: Richtige Antwort A, C. A: Kryptorchismus erhöht Risiko für Hodentumor 10-fach. B: in 95% unilateral. C: Kryptorchismus bei ca. 3% aller Knaben. D: 70% spontaner Deszensus in ersten 3 Lebensjahren; Behandlung bis Ende erstes Lebensjahr. v 5. Frage Rezidivierender Harnwegsinfekt: Richtige Antwort A. A: Falls strukturelle oder anatomische Abnormität ausgeschlossen ist → echte Reinfektionen (»lästig, aber harmlos«). B: Keime stammen meist aus Perineum, Vaginalbakterien schützen → keine Vaginalsprays, die natürliche Flora beeinträchtigen. C: Zystitis führt in der Regel nicht zu Pyelonephritis. D: Gelegentlich rezidivierende Infekte gehäuft bei sexueller Aktivität, betreffen aber alle Alter. v 6. Frage Rezidivierender Harnwegsinfekt: Richtige Antwort A, C. A: Multiresistente Bakterien werden häufiger → Behandlung gemäß Antibiogramm; B: Compliance oft ein Problem, weniger aber in Altersheimen; C: komplizierter Infekt = Vorliegen einer funktionellen oder strukturellen Abnormität, im vorliegenden Fall BPH wahrscheinlich, D: keine »blinde« Langzeitbehandlung! v 7. Frage Urosepsis: Richtige Antwort D. A: Obstruktive Pyelonephritis oft als »grippaler Infekt« missgedeutet. B: Zystitis praktisch immer afebril. C: Fieber und Flankenschmerzen immer verdächtig auf Harnwegsinfekt und Obstruktion. D: Urosepsis lebensgefährlich → bei Obstruktion notfallmäßige Ableitung der Niere (DoppelJ-Katheter oder Nephrostomie). v 8. Frage Ureterstein: Richtige Antwort C. Es liegt vermutlich ein Ureterstein vor. A: »Schwemmen« ist obsolet, da durch die Flüssigkeitsbelastung oft Koliken ausge-
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löst oder verstärkt werden. B: Uretersteine oft einer ESWL nicht zugänglich. C: Patient im schmerzfreien Intervall, aber Kolik jederzeit wieder möglich → i.v. Zugang, CT ohne Kontrastmittel fast 100% spezifisch. D: Gefahr der erneuten Kolik groß. 9. Frage Ausgussstein: Richtige Antwort D. Nierenbeckenausgusssteine sind meist Infektsteine. A: Die Patientin hat Antibiotika als Folge der Infekte eingenommen, sie sind sicher nicht Ursache. B: Infektsteine sind Folge von Infekten und haben nur beschränkt mit der Flüssigkeitszufuhr zu tun. C: β-Lactamasen führen zu bakteriellen Resistenzen, aber nicht zu Steinen. D: Ausgusssteine sind meist Infektsteine und bestehen aus Struvit; entstehen durch die Spaltung von Harnstoff durch ureaseproduzierende Bakterien wie z. B. Proteus mirabilis → Infekt- und Steinsanierung parallel. 10. Frage Nierentumor: Richtige Antwort C. A: Makrohämaturie bei Nierentumor selten → gelegentlich in fortgeschrittenen Stadien. B: Nierentumoren metastasieren vorwiegend in die Lunge, können aber auch jedes andere Organ befallen. C: Die meisten Nierentumoren sind völlig symptomlos und werden zufällig entdeckt. D: Nierenfunktion bei gesunder Gegenniere normal. 11. Frage Prostatakarzinom: Richtige Antwort B. A: Prostatakarzinom = häufigster maligne Tumor des Mannes; B: Schwarze sind häufiger als Weiße betroffen; Asiaten entwickeln am seltensten ein Prostatakarzinom. C: Autopsiestudien haben gezeigt, dass rund 50–60% der 60-Jährigen und mit zunehmendem Alter rund 80% der 80Jährigen ein Prostatakarzinom aufweisen. D: Genetische Komponente heute erweisen. Das Krankheitsrisiko steigt mit der Anzahl der direkten Angehörigen mit Prostatakarzinom. 12. Frage Prostatakarzinom Screening: Richtige Antwort A. A: Als erste Untersuchungen werden der PSA-Wert im Blut bestimmt und eine Rektalpalpation durchgeführt. Damit kann mit genügend guter Sicherheit ein Prostatakarzinom ausgeschlossen werden. Zwischen dem 50. und 70. Altersjahr sinnvoll. B, C: MRT und Ultraschall bieten zwar eine ausgezeichnete Bildgebung der Prostata, können aber nicht sicher zwischen gutartiger und maligner Veränderung unterscheiden. D:Szintigramm nur bei gesichertem Prostatakarzinom zum Staging. 13. Frage PSA: Richtige Antwort A, C. Das PSA ist organ-, aber nicht krebsspezifisch A: Trotz einiger Schwächen und neuer Marker ist das PSA der wichtigste Bluttest zu Prostatakrebsfrüherkennung. B: PSA-Erhöhung auch bei benigner Prostatahyperplasie, Prostatitis, Samenerguss, u. a. m. C: Ein erneuter PSA-Anstieg nach kurativer Therapie gilt als biochemisches Rezidiv. Nach totaler Prostataentfernung fällt der PSA unter die Nachweisgrenze ab und ist anschließend als Tumormarker hoch sensitiv. D: Derivate verbessern die Aussagekraft von PSA etwas, ersetzen dieses aber nicht. 14. Frage Prostatakarzinom: Richtige Antwort B, C. Es liegt ein wahrscheinlich insignifikantes Prostatakarzinom bei einem Mann im fortgeschrittenen Alter vor. A: Eine radikale Prostatektomie kann lokalisierte Tumoren heilen, es profitieren
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aber vor allem jüngere Männer (<70). B: Ein kleines, gut differenziertes Karzinom beim asymptomatischen Mann mit einer Lebenserwartung unter 10 Jahren kann beobachtet und bei auftretender Symptomatik palliativ behandelt werden (sog. »watchful waiting«). Nicht jedes entdeckte Prostatakarzinom muss behandelt werden. C: Die Strahlentherapie (extern oder als Brachytherapie) ist wirksam, aber im vorliegenden Fall nicht zwingend nötig. D: Die Hormontherapie (korrekt hormonblockierende Behandlung) hat palliativen Charakter. Bei Auftreten von Metastasen mit Symptomen indiziert. 15. Frage Prostatakarzinom: Richtige Antwort B, C, D. Die Befunde sind hoch verdächtig auf ein Prostatakarzinom. A: Eine Wiederholung der PSA-Bestimmung brächte in diesem Fall kaum ein Informationszugewinn. B: Eine gleichzeitige Infektion (Zystoprostatitis) führt ebenfalls zu einer PSA-Erhöhung. C: Auch bei eindeutiger Klinik und hoch verdächtigem PSA-Wert für ein Prostatakarzinom muss die Diagnosesicherung histologisch erfolgen. D: Bei der genannten Konstellation ist eine Knochenmetastasierung durchaus möglich und diese könnte die Lumbago verursachen, was deren Therapie entscheidend beeinflusst. 16. Frage Metastasiertes Prostatakarzinom: Richtige Antwort D. Es liegt ein metastasiertes Prostatakarzinom vor A: Die radikale Prostatektomie ist nur bei lokalisiertem, nicht aber bei metastasiertem Prostatakarzinom indiziert. B: Das Gleiche gilt für die Radiotherapie in kurativer Absicht. C: Der Patient hat keine Miktionsbeschwerden angegeben, weshalb sich dieser Eingriff nicht aufdrängt. D: Die antiandrogene Therapie ist die Therapie der Wahl, da kein lokalisiertes Leiden mehr vorliegt. 17. Frage Torsion: Richtige Antwort C. Bei einem jungen Mann immer an eine Torsion denken! A: Bei einer Torsion wäre der Hoden nach 2 Tagen verloren. B: Eine Epididymitis ist auch möglich, aber viel weniger wahrscheinlich. Zeitverlust! C: Eine Torsion muss innerhalb von maximal 6 h operiert werden → echter Notfall. Lieber einmal zu vorsichtig sein, als den Hoden riskieren! D: Ein Tumor ist selten schmerzhaft. 18. Frage Hydrozele: Richtige Antwort C. Man vermutet eine Hydrozele. A: Ein Hodentumor ist zwar auch schmerzlos, ist aber hart und tritt meist bei jüngeren Männern auf. B: Keine Punktion des Hodens: Bei Verdacht auf Tumor → Freilegung und Semikastratio; bei Hydrozele Gefahr der Keimverschleppung, zudem füllt die Hydrozele wieder nach. C: Eine Hydrozele ist nur behandlungsbedürftig, wenn sie symptomatisch ist. D: Eine Epididymitis ist schmerzhaft. 19. Frage Hodentumor: Richtige Antwort B. Man vermutet einen Hodentumor A: Eine Epididymitis ist schmerzhaft, Entzündungszeichen. B: Ein Hodentumor ist meist sehr hart und indolent. Typisches Alter. Sich nicht von Erklärungsversuchen der Patienten ablenken lassen. Beim geringsten klinischen, sonographischen oder laborchemischen Verdacht auf das Vorliegen eines Hodentumors ist eine unverzügliche explorative Hodenfreilegung zum Ausschluss oder Sicherung der Diagno-
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se angezeigt. C: Hodentrauma, das zu Hämatom führt ist extrem schmerzhaft → kann nicht unbemerkt erfolgen. D: Falsch! Meist ist ein Hoden etwas größer, ein normaler Hoden ist aber nie hart. 20. Frage Priapismus: Richtige Antwort C. A: Ein Priapismus ist ein urologischer Notfall! Erektionen über 4–6 h sind behandlungsbedürftig. B: Ein Priapismus ist schmerzhaft. Eine Ejakulation löst das Problem nicht. C: Ein längere Zeit bestehender Priapismus kann zu irreparablen Schädigung der Schwellkörper und damit zur erektilen Dysfunktion führen. Meist ist eine invasive oder chirurgische Therapie nötig. D: Ein Priapismus ist organisch bedingt und kann nicht mit Psychopharmaka behandelt werden. 21. Frage BPH: Richtige Antwort C. A: Algurie (= schmerzhafte Miktion) untypisch für BPH → Infekt; Polyurie (= große Urinmengen) → renales Problem. B: Hämaturie (= Blut im Urin) selten bei BPH → Blasentumor. C: Typische Miktionsbeschwerden bei BPH sind Strahlabschwächung, Pollakisurie (häufiges Wasserlassen), imperativer Harndrang, initiales Warten und Nykturie. D: Pneumaturie (= Luft im Urin) → pathognomonisch für vesiko-intestinale Fistel. 22. Frage BPH: Richtige Antwort A. Es liegt eine symptomatische BPH mit irritativer Komponente vor. A: α-Rezeptorenblocker haben eine günstige Wirkung auf die Miktionsymptome, rascher Wirkungseintritt. B: β-Blocker haben keinen Stellenwert, da in der Blase keine β-Rezeptoren vorliegen. C: 5-α-Reduktasemmer vorwiegend bei großer Prostata, langsamer Wirkungseintritt. D: PDE-5-Hemmer werden bei Erektionsstörungen eingesetzt. 23. Frage TUR-P: Richtige Antwort A, C, D. A: Durch die Behebung der Obstruktion verbessert sich der Harnstrahl. B: Die Entstehung eines Prostatakrebses wird nicht verhindert, da dieser meist in der Außendrüse entsteht. C: Die Medikamente muss der Patient nicht mehr einnehmen. D: Die Miktionssymptome bessern meist deutlich, oft aber erst nach Wochen. 24. Frage Harnverhalt: Richtige Antwort C. A: Diuretika sind kontraindiziert, da sie das Problem noch verschärfen. B: Nicht nötig. C: Eine sofortige Entlastung der Blase ist einfach und befreit den Patienten von seinem Problem. Er soll am Zielort einen Urologen aufsuchen. D: Medikamente nützen nichts, da es sich meist um ein mechanisches Problem handelt. 25. Frage Inkontinenz: Richtige Antwort A, C, D. A: Neurogene Blasenentleerungsstörungen können bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen (zerebrovaskulärer Insult, MS etc.) auftreten. B: Das Miktionszentrum liegt bei S2–S4. Eine sog. autonome Blase kann bei einer Läsion des sakralen Miktionszentrums entstehen. C: Für eine normale Kontinenz und Miktion braucht es kognitive Fähigkeiten, die bei Demenz gestört werden können D: siehe B. 26. Frage Inkontinenz: Richtige Antwort B, C. A: Überlaufinkontinenz entsteht, wenn durch ein infravesikales Hindernis die Entleerung nicht mehr möglich ist (»die Blase überläuft«). Reflexinkontinenz bezeichnet die unkontrolliert, reflekto-
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Basiswissen Urologie – Fallquiz
rische Kontraktion der Blase. B: Die Dranginkontinenz ist Folge ungehemmter Detrusorkontraktionen. C: Ja; siehe A. D: Bei der Belastungsinkontinenz ist der Schließmechanismus gestört. Die Speicherfunktion wäre intakt. 27. Frage Dranginkontinenz: Richtige Antwort B, D. A: α-Rezeptorenblocker erweitern den Blasenhals, haben aber keinen Einfluss auf den Detrusor. B: Anticholinergika »beruhigen« den Detrusor oft. C: Die Blase kann man nicht trainieren wie einen Muskel D: Bei Versagen oder Unverträglichkeit der Anticholinergika gute Wirkung durch Botulinumtoxin-Injektionen direkt in den Detrusor. 28. Frage Belastungsinkontinenz: Richtige Antwort B, D. Es liegt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Belastungsinkontinenz vor. A: Die offen-chirurgischen Blasensuspensionen (»Höherhängen der Blase«) zeigten zwar gute Resultate. Sie wurden aber durch minimal-invasive Methoden weitgehend verdrängt. B: Mit Beckenbodentraining können milde Formen der Belastungsinkontinenz behandelt werden. C: Ein künstlicher Sphinkter ist eine (seltene) Option bei insuffizientem Schließmuskel, z. B. nach radikaler Prostatektomie. Kaum angewendet bei Frauen. D: Chirurgische Therapie der Wahl ist heute das minimal-invasive »tensionfreevaginal tape« (TVT) oder das transobturatorische Band (TVT-O). Bei beiden Methoden wird die Urethra stabilisiert, um ein »Absinken« bei intrabdominaler Druckerhöhung zu verhindern. 29. Frage Erektile Dysfunktion (ED): Richtige Antwort A, B, C. A: Viele Medikamente, v. a. Antihypertensiva und β-Blocker gehen oft mit einer erektilen Dysfunktion einher. B: ED hat die gleichen Risikofaktoren wie die koronare Herzkrankheit und geht dieser oft Monate oder Jahre voraus (»Markererkrankung«). C: Nikotinund Alkoholabusus sind Risikofaktoren für die Entstehung einer erektilen Dysfunktion. D: Psychische Faktoren sind meist nicht ursächlich, aber mit beeinflussend. Mit der Intervention selbst hat die ED wahrscheinlich nichts zu tun (Kausalitätsbedürfnis). 30. Frage Erektile Dysfunktion (ED): Richtige Antwort A, B, D. A: Stress und v. a. Rauchen sind Risikofaktoren für die ED. Verbesserung der Grunderkrankungen ist immer empfehlenswert und oft erfolgreich. B: Heute sind PDE-5-Hemmer Mittel der ersten Wahl. C: Testosteron- oder sonstiger Hormonmangel sind sehr seltene Ursachen der erektilen Dysfunktion. D: Bei Versagen der PDE-5 Hemmer → Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT) oft erfolgreich. 31. Frage Ejakulationsstörung: Richtige Antwort A. A: Nach einer transurethralen Prostataresektion kommt es häufig zu einer retrograden Ejakulation, da der innere Schließmuskel entfernt wird. B: Die Orgasmusfähigkeit bleibt erhalten. C: Ejaculatio praecox ist häufig, hat aber nichts mit der TUR-P zu tun. D: Verzögerte Ejakulation (meist retrograd) nicht folge der TUR-P, eher bei antidepressiver Therapie. 32. Frage Nierentrauma: Richtige Antwort C. A: Nierentraumata können zu einem erheblichen retroperitonealen Blutverlust führen. Entlassung nach Hause wäre fahrlässig. B: Dokumentation der Verletzungen wichtig, aber nicht erst im Verlauf.
F17 Basiswissen Urologie – Fallquiz
An Verletzung anderer Organe denken (zweizeitige Milzruptur) C: Hospitalisation zur Überwachung und raschen Intervention bei Bedarf. Dokumentation des Ausmaßes der Verletzung. D: Eine offene Revision ist nach stumpfen Nierentraumata nur in 1–2% der Fälle nötig. Selbsttamponade durch Blutung in Retroperitonealraum. v 33. Frage Urethraverletzung: Richtige Antwort B, C, D. A: Es liegt wahrscheinlich ein Urethraabriss vor. Transurethraler Katheterismus ist kontraindiziert! B: Falls Blase gefüllt → suprapubischer Katheter (Umgehung der Harnröhre). C: Ein (vorsichtiges) Urethrogramm dokumentiert das Ausmaß der Urethraverletzung. D: Bei vollständigem Urethraabriss ist die Prostata nach kranial verschoben. Manchmal kann die Lücke getastet werden. v 34. Frage Pneumaturie: Richtige Antwort B. A: Eine Pneumaturie ist nie physiologisch! B: Die Pneumaturie ist praktisch beweisend für das Vorliegen einer vesikointestinalen Fistel. Abklärung durch Zystogramm, Zystoskopie, evtl. Kolonoskopie. Durch eine intestinovesikale Fistel können auch Stuhlpartikeln in die Harnblase eindringen, was die Infekte erklärt. Chirurgische Sanierung. C: Gasbildende Anaerobier kommen isoliert in der Blase praktisch nicht vor. D: Urin schäumt erst in der WC-Schüssel. v 35. Frage Paraphimose: Richtige Antwort A, B, C, D. A: Eine Paraphimose entsteht durch Ödem des inneren Blattes und führt zu einer Strangulation der Glans. Oft – aber nicht immer – bei liegendem Dauerkatheter. B: Die sofortige Reposition der Vorhaut nach Manipulation ist die wichtigste Handlung zur Prävention von Paraphimosen. C: Ein manueller Repositionsversuch ist oft erfolgreich. Manchmal lohnt sich die Gabe von Schmerzmitteln und das geduldige, manuelle »Auspressen« des Ödems. D: Spaltung des Schnürringes in Lokalanästhesie nur, wenn Reposition nicht möglich.
Basiswissen Urologie – Fallquiz
F18
Fälle 1 Gerötetes, schmerzhaftes Skrotum Schritt I ä Ein 63-jähriger, etwas verwahrloster ehemaliger Knecht sucht Sie im Notfalldienst
am Samstagabend auf und berichtet über eine Rötung am Skrotum und Schmerzen. Sie stellen den folgenden Befund fest (. Abb. F.1). Die Leukozyten im Blut betragen 22.000/ml, das C-reaktive Protein 261 mg/dl. Die Gerinnung ist noch normal.
. Abb. F.1 Klinisches Bild
? Frage 1: Was fällt Ihnen auf? ? Frage 2: Welche weiteren diagnostischen
Diagnose stellen Sie?
Schritte leiten Sie ein und welche
F19 Basiswissen Urologie – Fallquiz
1 Gerötetes, schmerzhaftes Skrotum Schritt II v Antwort 1: Es findet sich eine Schwellung und Rötung des Skrotums. Bei ge-
nauer Betrachtung sieht man eine kleine Nekrose rechts unterhalb der Peniswurzel. Auch die suprapubische Gegend ist gerötet. Die Befunde lassen an einen Infekt oder Abszess denken. v Antwort 2: Die
Anamnese und die kleine Nekrose sind praktisch pathognomonisch für die Diagnose einer Fournier-Gangrän, einer hoch-aggressiven, nekrotisierenden Gangrän des männlichen Genitales. Eine weitere Diagnostik ist nicht nötig.
?
Frage 3: Wie beurteilen Sie Dringlichkeit und Prognose?
?
Frage 4: Welche therapeutischen Maßnahmen sind indiziert?
F20
Basiswissen Urologie – Fallquiz
1 Gerötetes, schmerzhaftes Skrotum Schritt III v
Antwort 3: Es handelt sich um einen echten Notfall. Eine Behandlung hat noch am Samstagabend zu erfolgen. Ein Wiedereinbestellen des Patienten für den kommenden Montag wäre ein grober Fehler.
v
Antwort 4: Der Patient wird notfallmäßig zur Operation angemeldet. Gleichzeitig wird eine intravenöse Antibiose mit einem Breitspektrumantibiotikum begonnen.
>
Der weitere Verlauf: Intraoperativ entleert sich massiv Eiter. Die Nekrose hatte sich bereits bis zur rechten Axilla (!) ausgebreitet. Der Mann wurde 3 Tage auf der Intensivstation behandelt. Der weitere Verlauf war verzögert, aber im Wesentlichen ohne Probleme. Die Wunde heilte zunächst sekundär und wurde nach rund 4 Wochen chirurgisch verschlossen. Der Patient erholte sich vollständig.
F21 Basiswissen Urologie – Fallquiz
2 Flankenschmerzen und rezidivierendes Fieber Schritt I ä Ein 38-jähriger Verkaufsleiter meldet sich mit dumpfen Flankenschmerzen rechts.
Koliken waren keine aufgetreten. Hingegen hat er schon den 3. Harnwegsinfekt durchgemacht. Der erste sei von einem Arzt in den Ferien mit Antibiotika behandelt worden. Die folgenden habe er jeweils selbst behandelt. Nun möchte er aber doch wissen, was er habe. Eine Urinbakteriologie sei seines Wissens nie gemacht worden. ? Frage 1: Welche differenzialdiagnostischen Überlegungen stellen Sie an? ? Frage 2: Welche weiteren Untersuchungen veranlassen Sie?
F22
Basiswissen Urologie – Fallquiz
2 Flankenschmerzen und rezidivierendes Fieber Schritt II v
Antwort 1: Sie denken an ein Infektgeschehen in der rechten Niere. In Frage kommen eine Pyelonephritis, ein Infekt in einer gestauten Niere (z. B. bei Ureterabgangsstenose), oder ein infiziertes Steinleiden. Seltener sind perinephritische Abszesse. Vermehrt muss auch wieder an die Tuberkulose gedacht werden.
v
Antwort 2: Sie veranlassen im Antibiotika-freien Intervall eine bakteriologische Untersuchung des Urins. Diese zeigt >105 Keime/ml Proteus mirabilis, empfindlich auf Ciprofloxacin. Sie veranlassen weiter ein CT (ohne, evtl. mit Kontrastmittel) und bitten den Radiologen, er möchte sagitale und koronare Rekonstruktionen anfertigen. Das CT zeigt den folgenden Befund (. Abb. F.2).
. Abb. F.2 Koronare Rekonstruktion eines CT ohne Kontrastmittel
? Frage 3: Welche Diagnose stellen Sie? ? Frage 4:
tienten?
Welche therapeutischen Maßnahmen besprechen Sie mit dem Pa-
F23 Basiswissen Urologie – Fallquiz
2 Flankenschmerzen und rezidivierendes Fieber Schritt III v
Antwort 3: Es liegt ein (partieller) Ausgussstein rechts vor. Aufgrund der Steingröße und der Urinbakteriologie ist ein infektbedingter Struvitstein wahrscheinlich. Urease-produzierende Bakterien (zu denen der Proteus gehört) spalten den Urinharnstoff in Ammoniak und Bikarbonat. Im nun alkalischen Milieu fallen Phosphate aus und bilden Kalziumphosphat- und Struvitsteine. Der Infekt führt zur (oft raschen) Steinbildung, aber die Steine unterhalten wiederum den Infekt. Die Sanierung des einen gelingt nicht ohne das andere.
v
Antwort 4: Der Stein ist sicher behandlungsbedürftig. Ziel ist die vollständige Steinfreiheit, u. U. in mehr als einer Sitzung. Am erfolgversprechendsten ist die perkutane Litholapaxie (PNL), evtl. in Kombination mit einer Ureteroskopie. Aufgrund der großen Steinmasse wird eine ESWL wohl kaum zum Erfolg führen. Eine offene Steinentfernung ist zwar nicht falsch, wird aber heute kaum mehr durchgeführt. Über die die Steinsanierung hinweg ist eine resistenzgerechte, konsequente antibiotische Therapie notwendig.
>
Der weitere Verlauf: Der Patient entschloss sich zu einer PNL. In einer ersten Sitzung konnten in einem mehrstündigen Eingriff praktisch alle Steine entfernt werden. Ein kleines Restkonkrement wurde nach ein paar Wochen mittels flexibler Ureteroskopie entfernt. Der Patient wurde während 2 Wochen mit Ciprofloxacin behandelt. Seither ist er infekt- und beschwerdefrei.
F24
Basiswissen Urologie – Fallquiz
3 Starke Koliken Schritt I ä Der Hausarzt schickt einen 43-jährigen Flugkapitän, der starke Schmerzen auf der
linken Seite hat, in die Notfallambulanz. Der Patient ist mittlerweile praktisch beschwerdefrei. Er verspürt nur noch ein Ziehen in der linken Flanke. Doch noch während der Untersuchung berichtet er über erneut auftretende, heftigste Schmerzen. Der Patient windet sich, wird unruhig und erbricht. ? Frage 1: Welche Sofortmaßnahmen leiten Sie ein? ? Frage 2: Welche Maßnahmen führen Sie anschließend durch?
F25 Basiswissen Urologie – Fallquiz
3 Starke Koliken Schritt II v
Antwort 1: Sie vermuten eine Ureterkolik und spritzen ihm sofort Novaminsulfat langsam intravenös, worauf der Patient rasch schmerzfrei wird.
v
Antwort 2: Er berichtet Ihnen, dass er vor über 10 Jahren einmal einen kleinen Nierenstein spontan »geboren« habe. Sobald der Patient ohne Schmerzen ist, führen Sie eine Urinuntersuchung durch, die eine Mikrohämaturie zeigt. Im Ultraschall ist die linke Niere dilatiert. Sie veranlassen ein Computertomogramm (CT), das den folgenden Befund zeigt (. Abb. F.3):
. Abb. F.3 Computertomogramm der linken Niere
? Frage 3: Welche Diagnose teilen Sie dem Patienten mit? ? Frage 4: Welche Therapieoptionen haben Sie?
F26
Basiswissen Urologie – Fallquiz
3 Starke Koliken Schritt III v
Antwort 3: Es liegt ein Ureterstein auf der linken Seite vor (kleiner weißer Fleck vor dem M. Psoas).
v
Antwort 4: Der Stein ist an sich spontan abgangsfähig (Wahrscheinlichkeit 80% bei Steinen <4 mm). Da ein Pilot aber mit Harnsteinen nicht fliegen darf, wird dem Patienten am Folgetag der Stein mittels einer Ureterskopie entfernt. Außer einer Anleitung zu guter Diurese sind keine weiteren Maßnahmen nötig.
F27 Basiswissen Urologie – Fallquiz
4 Flankenschmerzen mit hohem Fieber Schritt I ä Die 19-jährige Studentin der Slawistik hat immer wieder dumpfe Schmerzen in der
linken Flanke und im linken Unterbauch. Wegen Fieber bis 39°C weist sie der Hausarzt ein. Im Urin findet sich eine massive Leukozyturie und im Blut eine Leukozytose von 21.000. Eine Urinbakteriologie wird abgenommen, um später u. U. auf ein resistenzgerechtes Antibiotikum wechseln zu können. Die linke Flanke ist klopfdolent. Im Ultraschall ist die linke Niere dilatiert. ? Frage 1: Welche Differenzialdiagnosen kommen in Frage? ? Frage 2: Welche Untersuchung(en) veranlassen Sie und mit welcher Priorität?
F28
Basiswissen Urologie – Fallquiz
4 Flankenschmerzen mit hohem Fieber Schritt II v
Antwort 1: Sie denken an eine Adnexitis oder einen Harnwegsinfekt.
v
Antwort 2: Sie veranlassen notfallmäßig ein Computertomogramm des Abdomens. Es findet sich folgendes Bild (. Abb. F.4):
. Abb. F.4 Computertomogramm des Abdomens
? Frage 3: Welche Diagnose stellen Sie? ? Frage 4: Welche besonders gefährliche Situation könnte sich entwickeln? ? Frage 5: Welche Therapiemaßnahmen leiten Sie notfallmäßig ein? Auf welche
weitere Therapie nach Abklingen der akuten Situation muss sich die Patientin einstellen?
F29 Basiswissen Urologie – Fallquiz
4 Flankenschmerzen mit hohem Fieber Schritt III v
Antwort 3: Die klinischen Befunde und das CT legen eine Ureterabgangsstenose nahe.
v
Antwort 4: Die Kombination aus Obstruktion und Infekt (obstruktive Pyelonephritis) kann rasch in eine lebensgefährliche Urosepsis übergehen.
v
Antwort 5: Es ist eine notfallmäßige Therapie einzuleiten. Die Patientin wird sofort zur Einlage eines Doppel-J-Katheters (Ureterkatheter zur Entlastung der Niere) angemeldet. Gleichzeitig wird eine intravenöse Antibiotikatherapie mit einem Penicillin begonnen.
>
Der weitere Verlauf: Bei der Doppel-J-Einlage entleert sich eitriger Urin unter Druck aus der linken Niere. 3 h nach der Einlage entwickelt die Patientin nochmals eine Fieberzacke bis 39°C. In den folgenden Tagen werden die Fieber am Abend immer geringer und nach 3 Tagen ist sie afebril. Sie wird nach 4 Tagen entlassen, fühlt sich aber noch müde. Der Doppel-J-Katheter blieb 6 Wochen in situ. Ein Nierenszintigramm nach Entfernung des Doppel-J-Katheters bestätigt eine Ureterabgangsstenose links. Eine Ureterabgangstenose ist eine angeborene Fehlbildung, die sich auch erst im Erwachsenenalter manifestieren kann. Unbehandelt führt sich meist zu Funktionsverlust der Niere. Die operative Therapie mit Resektion des pyeloureteralen Übergangs ist am erfolgversprechendsten. Die Resultate der endoskopischen (laparoskopischen) Therapie sind gleich gut wie offen-chirurgisch, aber weniger invasiv und kosmetisch besser. Die Endopyelotomie wurde weitgehend verlassen, da die Langzeitresultate weniger gut sind. Die Patientin wurde laparoskopisch operiert. Ein Nierenszintigramm nach 3 Monaten zeigt unbehinderte Abflussverhältnisse. Eine gewisse Restdilatation der Niere wird bestehen bleiben.
Basiswissen Urologie – Fallquiz
F30
5 Verdacht auf Nierentumor bei Beschwerdefreiheit Schritt I ä Der 68-jährige Dachdeckermeister sucht wegen Müdigkeit im Anschluss an eine
Grippe den Hausarzt auf. Als Zufallsbefund zeigt sich im Ultraschall der Verdacht auf einen Nierentumor, weshalb der Patient zur weiteren Abklärung und Behandlung zu Ihnen überwiesen wird. Er ist beschwerdefrei. Auch auf genaues Befragen gibt er keine Schmerzen an. Blut im Urin hat er nie bemerkt. ? Frage 1:
tät?
Welche Untersuchung(en) veranlassen Sie und mit welcher Priori-
F31 Basiswissen Urologie – Fallquiz
5 Verdacht auf Nierentumor bei Beschwerdefreiheit Schritt II v
Antwort 1: Sie veranlassen bald, aber nicht notfallmäßig, ein Computertomogramm, das folgendes Bild zeigt (. Abb. F.5):
? Frage 2: Welche Diagnose stellen Sie? ? Frage 3: Welche weiteren Untersuchungen veranlassen Sie? ? Frage 4: Welche Therapie ist indiziert?
. Abb. F.5 Computertomogramm des Abdomens
F32
Basiswissen Urologie – Fallquiz
5 Verdacht auf Nierentumor bei Beschwerdefreiheit Schritt III v
Antwort 2: Aufgrund des Computertomogramms gibt es wenig Zweifel an der Diagnose Nierenzellkarzinom.
v
Antwort 3: Weitere bildgebende Verfahren wie PET oder MRT liefern keine zusätzlichen Informationen. Eine Biopsie ist nicht nötig, da diese nur bei bekanntem Zweittumor manchmal hilfreich ist (z. B. wenn bei dem Mann ein Bronchuskarzinom bekannt gewesen wäre). Die Müdigkeit dürfte von der durchgemachten Grippe stammen und hat nichts mit dem Nierentumor zu tun.
v
Antwort 4: Die Indikation zur chirurgischen Therapie ist klar gegeben. Es wird eine Tumornephrektomie rechts durchgeführt. Die Histologie bestätigte ein Nierenzellkarzinom (pT2) und eine Entfernung im Gesunden. Weitere Maßnahmen (Chemotherapie, Bestrahlung) sind nicht notwendig.
>
Der weitere Verlauf: Der Patient wird zunächst 6-monatlich, dann jährlich mit Röntgenaufnahmen des Thorax sowie Ultraschalluntersuchung der linken Niere nachkontrolliert, um einen eventuellen erneuten Tumor so früh zu erkennen, dass eine organerhaltende Therapie möglich wäre.
F33 Basiswissen Urologie – Fallquiz
6 Unklarer Nierenbefund Schritt I ä Bei diesem erst 52-jährigen Unternehmensberater wird im Rahmen einer Hyper-
tonieabklärung ein unklarer Befund der rechten Niere festgestellt. Der Hausarzt hat ein Computertomogramm veranlasst, das der Patient mitbringt (. Abb. F.6). Der Mann ist sehr beunruhigt und will möglichst rasch Klarheit über das weitere Vorgehen.
. Abb. F.6 Computertomogramm der Nieren
? Frage 1: Welche Diagnose teilen Sie dem Mann mit? ? Frage 2: Welche weiteren diagnostischen Schritte leiten Sie ein?
F34
Basiswissen Urologie – Fallquiz
6 Unklarer Nierenbefund Schritt II v
Antwort 1: Es liegt ein Nierentumor rechts vor. Er ist peripher gelegen. Das Computertomogramm ergibt keine Hinweise auf Metastasen. Nierentumoren sind in über 90% der Fälle maligne.
v
Antwort 2: Es sind keine weiteren diagnostischen Schritte sinnvoll. Eine Biopsie ist nicht hilfreich, da die Tumoren oft heterogen aufgebaut sind: Bei Vorliegen von Tumor muss operiert werden, bei negativem Befund besteht erheblicher Zweifel, ob repräsentatives Material gewonnen wurde
? Frage 3: Welche Therapie empfehlen Sie dem Patienten? ? Frage 4: Wie beurteilen Sie die Lage und die Größe des Tumors?
F35 Basiswissen Urologie – Fallquiz
6 Unklarer Nierenbefund Schritt III >
Antwort 3: Der Befund ist resektionsbedürftig, da er mit größter Wahrscheinlichkeit maligne ist.
>
Antwort 4: Der Befund ist von Lage und Größe her im Moment noch mit Erhalt der Niere entfernbar.
>
Der weitere Verlauf: Obwohl der Patient beruflich stark engagiert ist, entschließt er sich zur Operation. Im Rahmen der Nierenteilresektion wird der tumortragende Teil der Niere abgetragen. Die Schnellschnittuntersuchung des Tumorgrundes ergibt eine Resektion im Gesunden. Die definitive Histologie ergibt ein Nierenzellkarzinom von 3 cm (pT1), Resektion im Gesunden. Der weitere Verlauf ist unauffällig. Die regelmäßigen, zunächst halbjährlichen, dann jährlichen Kontrollen mit Ultraschall beider Nieren nimmt der Patient zuverlässig wahr. In den folgenden 5 Jahren tritt kein Rezidiv auf und der Patient ist als geheilt zu betrachten.
F36
Basiswissen Urologie – Fallquiz
7 Ständiger Harndrang Schritt I ä Die 69-jährige, äußerst fitte, gepflegte Unternehmersgattin leidet unter ständigem
Harndrang und Pollakisurie. Sämtliche Behandlungsversuche mit Antibiotika durch den Hausarzt schlugen fehl. Die Anamnese ist sehr suggestiv für rezidivierende Harnwegsinfekte. Der ständige Harndrang und das fehlende Ansprechen auf Antibiotika machen Sie aber stutzig. ? Frage 1: Welche diagnostischen Maßnahmen empfehlen Sie der Dame?
F37 Basiswissen Urologie – Fallquiz
7 Ständiger Harndrang Schritt II v
Antwort 1: Sie führen eine Zystoskopie sowie eine Urinspülzytologie durch. Zystoskopisch ist eine leichte Rötungen der Schleimhaut zu erkennen, die Urinspülzytologie ergibt den Verdacht auf maligne Zellen. Die Zystoskopie in Spinalanästhesie mit photodynamischer Diagnostik zeigte das folgende Bild (. Abb. F.7):
. Abb. F.7 Photodynamische Diagnostik
? Frage 2: Welche Verdachtsdiagnose stellen Sie? ? Frage 3: Welche weiteren diagnostischen Untersuchungen leiten Sie ein? ? Frage 4: Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es?
F38
Basiswissen Urologie – Fallquiz
7 Ständiger Harndrang Schritt III v
Antwort 2: Sie denken an ein Carcinoma in situ der Harnblase. Die geröteten Areale sind tumorverdächtig.
v
Antwort 3: Sie führen kalte Biopsien der geröteten Stellen durch. Sie bestätigen das Carcinoma in situ der Harnblase.
v
Antwort 4: Das Carcinoma in situ ist ein maligner Tumor, der unbehandelt invasiv werden und metastasieren kann. Wegen des diffusen Erscheinungsbildes kann mit einer Operation allein nicht der gesamte Tumor entfernt werden. Das Carcinoma in situ spricht sehr gut auf eine Instillation mit BCG (Bacille Calmette Guérin) an. Die in die Blase instillierten abgeschwächten Tuberkulosebakterien führen zu einer Immunreaktion, die die Rezidiv- und Progressionsrate des Carcinoma in situ signifikant senkt.
>
Der weitere Verlauf: Nach 6 Behandlungen im Abstand von einer Woche wird die Patientin nach 3, 6, 9 und 12 Monaten zystoskopiert. Sie bleibt tumorfrei, insbesondere sind auch die irritativen Miktionsbeschwerden verschwunden.
F39 Basiswissen Urologie – Fallquiz
8 Schmerzlose Makrohämaturie Schritt I ä Der 66-jährige Wirt, ein starker Raucher, berichtet über stark rot gefärbten Urin. Da
er aber keine Schmerzen hatte und das Blut wieder verschwunden sei, habe ihn das nicht weiter beunruhigt. Er meldet sich nun aber doch auf Drängen seiner Frau. ? Frage 1: Welche Differenzialdiagnosen stellen Sie? ? Frage 2: Welche diagnostischen Schritte leiten Sie ein?
F40
Basiswissen Urologie – Fallquiz
8 Schmerzlose Makrohämaturie Schritt II v
Antwort 1: Die schmerzlose Makrohämaturie ist verdächtig auf ein Blasenkarzinom, v. a. bei einem Raucher. Infekte, Fremdkörper oder Steine sind meist mit Miktionsbeschwerden oder Schmerzen verbunden, können aber auch einmal symptomarm verlaufen.
v
Antwort 2: Zunächst wird die Hämaturie bestätigt und dem Patienten eine Zystoskopie vorgeschlagen. Dabei zeigt sich folgendes Bild (. Abb. F.8):
. Abb. F.8 Zystoskopisches Bild
? Frage 3: Welche Diagnose stellen Sie? ? Frage 4: Welche weiteren diagnostischen Untersuchungen führen Sie durch?
Benötigen Sie bildgebende Verfahren?
F41 Basiswissen Urologie – Fallquiz
8 Schmerzlose Makrohämaturie Schritt III v
Antwort 3: Es besteht der hochgradige Verdacht auf einen soliden Blasentumor.
v
Antwort 4: Dem Patienten wird die transurethrale Resektion des Blasentumors (TUR-B oder TUR-BT) zur Diagnosesicherung empfohlen. Wegen der beruflichen Belastung lässt er den Eingriff erst 3 Monate später vornehmen. Vor der Operation wird noch ein CT durchgeführt (. Abb. F.9).
. Abb. F.9 Computertomogramm der Harnblase
? Frage 5: Welches therapeutische Vorgehen ist indiziert? ? Frage 6: Welche Urinableitung empfehlen Sie dem Patienten?
F42
Basiswissen Urologie – Fallquiz
8 Schmerzlose Makrohämaturie Schritt IV v
Antwort 5: Der Blasentumor macht im Computertomogramm einen soliden Eindruck, ist aber wahrscheinlich noch auf die Blase beschränkt. Die Histologie ergibt ein wenig differenziertes Urothelkarzinom mit Muskelinvasion (mindestens pT2) der Harnblase. Dies bedeutet, dass der Tumor auf transurethralem Wege nicht geheilt werden kann. Dem Patienten wird daher die radikale Zystektomie inklusive iliakaler Lymphadenektomie nahe gelegt, da damit die besten Heilungschancen bestehen.
v
Antwort 6: Als Urinableitung wird ein kontinentes Niederdruckreservoir (»Ersatzblase«, »Pouch«) empfohlen. Damit sind – nach einer Anlernphase – eine gute Kontinenz und ein weitgehend normales Leben möglich. Auch wenn heutzutage die Ersatzblase meist erste Wahl ist, bleibt das Ileumconduit eine bewährte und sichere Option.
>
Der weitere Verlauf: Bei dem Patienten ergab die definitive Histologie ein Urothelkarzinom der Harnblase pT2 pN0 M0 G2 R0 (das bedeutet: pT2 = der Tumor war muskelinvasiv, pN0 = die Lymphknoten waren tumorfrei, M0 = es gab keine Hinweise auf Fernmetastasen, G2 = histologisch mäßig differenziertes Karzinom, R0 = Resektion im Gesunden). Der weitere Verlauf war ohne Hinweis auf eine Tumorprogression. Das 5-Jahres-Überleben beträgt bei muskelinvasiven Tumoren allerdings nur rund 50%.
F43 Basiswissen Urologie – Fallquiz
9 Juckender Penis mit Miktionsbeschwerden Schritt I ä Ein 72-jähriger ehemaliger Automechaniker berichtet über leichtes Jucken am
Penis seit ein paar Monaten. Das Wasserlösen sei »auch nicht mehr wie früher«. Sie vertiefen die Anamnese in Richtung Miktionsbeschwerden, da Sie an eine Prostatahyperplasie denken. ? Frage 1: Welche einfache Untersuchungsmethode empfehlen Sie?
F44
Basiswissen Urologie – Fallquiz
9 Juckender Penis mit Miktionsbeschwerden Schritt II v
Antwort 1: Zwingend (aber leider oft vernachlässigt) ist eine Untersuchung des äußeren Genitale. Sie finden den folgenden Befund (. Abb. F.10):
. Abb. F.10 Klinisches Bild des Genitales
? Frage 3: Welche Diagnose stellen Sie? ? Frage 4: Sind weitere Untersuchungen notwendig? Wenn ja, welche? ? Frage 5: Welche Therapie empfehlen Sie?
F45 Basiswissen Urologie – Fallquiz
9 Juckender Penis mit Miktionsbeschwerden Schritt III v
Antwort 3: Es liegt eine hochgradige, sog. absolute Phimose vor (d. h. die Vorhaut kann auch bei schlaffem Glied nicht zurückgestreift werden).
v
Antwort 4: Weitere Abklärungen sind unnötig. Die narbige Präputialhautveränderung kann durch konservative Maßnahmen nicht entscheidend beeinflusst werden. Es ist verständlich, dass der Patient auch Beschwerden beim Wasserlösen hat.
v
Antwort 5: Sie denken daran, dass ein Peniskarzinom praktisch nur bei nichtzirkumzidierten Männern vorkommt. Sie schlagen dem Patienten eine Beschneidung in Lokal- oder Spinalanästhesie vor.
>
Der weitere Verlauf: Die Zirkumzision verläuft ohne Probleme. Die darunter liegende Glans ist gerötet; es findet sich viel Smegma. Hinweise auf ein Peniskarzinom liegen nicht vor. Die erste Zeit ist die entzündete Glans noch empfindlich. Bei der Abschlusskontrolle nach 6 Wochen ist der Patient mit dem Resultat sehr zufrieden. Auch die Miktionsbeschwerden sind besser geworden, wenn auch nicht ganz verschwunden.
F46
Basiswissen Urologie – Fallquiz
10 Tumor im Unterbauch Schritt I ä Ein 81-jähriger, rüstiger ehemaliger Politiker stellte sich in der Sprechstunde vor,
weil sein »Wohlstandsbauch« trotz Gewichtsreduktion persistiere. Da die Schwellung im Blasenbereich lag, suchte er den Urologen auf. Schmerzen gab er keine an, machte sich aber doch etwas Sorgen. Bei der Untersuchung zeigte sich folgendes Bild (. Abb. F.11):
. Abb. F.11 Klinische Präsentation des Tumors im Unterbauch. Der Kopf des Patienten ist links im Bild
? Frage 1: Woran denken Sie? ? Frage 2: Welche diagnostischen Maßnahmen ergreifen Sie?
F47 Basiswissen Urologie – Fallquiz
10 Tumor im Unterbauch Schritt II v
Antwort 1: Der Befund ist sehr suggestiv für eine (über-)volle Harnblase. Differenzialdiagnostisch kommen aber auch andere intraabdominale Tumoren in Frage.
v
Antwort 2: Auf genaueres Befragen hin gibt der Patient an, schon länger inkontinent zu sein. Er trage deshalb Vorlagen. Mit einer Palpation und Perkussion kann der Verdacht einer vollen Blase erhärtet werden. Im Ultraschall bestätigt sich der flüssigkeitsgefüllte Hohlraum. Die Nieren zeigen eine beidseitige Aufweitung mit etwas verschmälertem, aber noch erhaltenem Parenchym.
? Frage 3: Welche Diagnose stellen Sie? ? Frage 4: Sind weitere Untersuchungen notwendig? Wenn ja, welche? ? Frage 5: Welche Therapie empfehlen Sie?
F48
Basiswissen Urologie – Fallquiz
10 Tumor im Unterbauch Schritt III v
Antwort 3: Es liegt eine Überlaufblase vor, wahrscheinlich aufgrund einer Prostatavergrößerung. Man spricht auch von einer Prostatahyperplasie Grad III (Rückstau in die Nieren). Es ist nicht klar, weshalb ein Teil der Patienten ein schmerzhaftes, akutes Harnverhalten erleben, und andere eine weitgehend unbemerkte Überlaufblase.
v
Antwort 4: Eine Abschätzung der Nierenfunktion ist angezeigt (Kreatinin, evtl. Clearance). Eine rektale Palpation bestätigt die – wenn auch nicht eindrücklich – vergrößerte Prostata.
v
Antwort 5: Die Blase muss entlastet werden. Da mit einer langen Katheterliegedauer zu rechnen ist, empfiehlt sich eine suprapubische Ableitung in Lokalanästhesie. Bei eingeschränkter Blutgerinnung (Cumarine, Thrombozytenaggregationshemmer) → transurethraler Ballondauerkatheter (z. B. Tiemann – Silikonkatheter Charrière 16). Festhalten der Menge des Blaseninhaltes, da dies prognostische Bedeutung hat (bei >1000 ml Blaseninhalt muss mit einer Ableitung über mehrere Wochen gerechnet werden). Das früher praktizierte »fraktionierte« Ablassen des Blaseninhaltes ist obsolet (sog. »E-vacuo-Blutungen« sind sehr selten und meist leichter Natur). Kontrolle der Elektrolyte nach der Entlastung, da gelegentlich eine Hyponatriämie auftreten kann. Im weiteren Verlauf ist eine TUR-P zu planen, meist nach 6–8 Wochen.
>
Der weitere Verlauf: Der Patient wurde hospitalisiert. Wegen Antikoagulation wurde ein transurethraler Katheter eingelegt. Der Blaseninhalt betrug 1200 ml, das Kreatinin war leicht auf 127 μmol/l erhöht. Der Verlauf war problemlos und der Patient wurde am Folgetag entlassen. Nach 6 Wochen trat er zur TUR-P wieder ein. Diese verlief problemlos. Nach Entfernen des Katheters kam die Miktion etwas zögerlich in Gang, war aber auf natürlichem Wege möglich. Bei dem alten Patienten wurden erhöhte Restharnwerte um 180 ml toleriert. Das Kreatinin sank auf 79 μmol/l. Der Patient wurde beschwerdefrei, ohne Katheter – und mit deutlich kleinerem Bauch – entlassen.