Parker und die »Western-Mafia« Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
»Gütiger Himmel, m...
35 downloads
863 Views
519KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Parker und die »Western-Mafia« Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
»Gütiger Himmel, mein Junge, Sie sind schon wieder zurück?« Lady Agatha, groß, stattlich und von junonischer Fülle, starrte Mike Rander entgeistert an und griff nach ihrer langstieligen Lorgnette, um den gut aussehenden Anwalt genauer zu mustern. Durch die Optik ihrer altertümlichen Stielbrille, die normalerweise an einer äußerst soliden Silberkette um ihren Hals hing, sah sie einen etwas über mittelgroßen, etwa vierzigjährigen Mann vor sich, der sie seinerseits irritiert musterte. »Wieso soll ich schon wieder zurück sein, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander dann in jenem ein wenig nasal klingenden Englisch, wie man es nur an den Universitäten von Cambridge oder Oxford zu hören bekommt. »Offen gestanden, ich war überhaupt nicht weg.« »Natürlich waren Sie weg, Mike.« Agatha Simpson ließ sich nicht irritieren, »ich habe Sie ja eben noch vorn an der Rezeption gesehen.« »Tatsächlich? Sind Sie sicher?« »Eine Lady Simpson irrt sich nie«, vermerkte sie mit ihrer dunklen, stets ein wenig grollenden Stimme. »Sie müssen einen Doppelgänger haben, Mike«, schaltete Kathy Porter sich ein, die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady. Sie war fünfundzwanzig, fast so groß wie Mike Rander und hatte kastanienbraunes Haar mit einem pikanten Rotstich. Es paßte ausgezeichnet zu ihren mandelförmig geschnittenen Augen und betonten Wangenknochen. Kathy Porter war eine interessante Schönheit, die die Blicke der Männer automatisch anzog. Dennoch - sie schien es nicht zu wissen - erinnerte sie meist an ein ungemein scheues und auch ein wenig ängstliches Reh. »Papperlapapp, Doppelgänger«, raunzte Lady Agatha und ließ ihre majestätische Fülle in einen tiefen, bequemen Sessel plumpsen, »ich habe doch Augen im Kopf, Kindchen. Nein, nein, ich habe Sie gesehen, Mike! Und Sie haben mir sogar noch zugenickt...« »Wenn Sie darauf bestehen, Mylady.« Mike Rander ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er machte stets einen leicht phlegmatischen Eindruck. »Sie unterhielten sich mit einer jungen Dame, Mike«, redete Lady Agatha weiter. Sie war eine Frau, die sich nicht von dem abbringen ließ, was sie sich mal in den Kopf gesetzt hatte. Lady Simpson war immens reich, mit dem Blut- und Geldadel Englands eng verschwistert und verschwägert und bekannt und gefürchtet wegen
ihrer mehr als skurrilen Einfälle. Vor Jahren hatte sie beschlossen, keinen Geburtstag mehr zu feiern. Sie wollte nicht mehr daran erinnert werden, daß sie das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte. Agatha Simpson nutzte ihre reichlich bemessene Freizeit, um Kriminalfälle zu lösen. Darüber hinaus gedachte sie, eine gewisse Agatha Christie als Autorin auszustechen. Die ältere Dame, die jetzt wieder mal durch kein Gegenargument zu erschüttern war, rechnete mit literarischem Ruhm. Bisher hatte sie sich allerdings noch nicht für ein Thema entschieden. Sie ließ sich allzu gern ablenken, um die Schreibmaschine zu Hause in London meiden zu können. »Bin ich das dort?« fragte Mike Rander und lächelte. Er deutete beiläufig auf einen Mann, der die Lobby des Hotels betrat und sich in einer Nische häuslich niederließ. Lady Agatha wandte sich ungeniert um und musterte den Mann durch ihre Lorgnette. Dann nickte sie bestätigend. »Das sind Sie, Mike«, erwiderte sie mit fester Stimme. Erst dann ging ihr auf, daß sie wohl doch das Opfer einer optischen Täuschung geworden war. Sie drehte sich zu Rander um und schnaufte ärgerlich. »Eine verblüffende Ähnlichkeit, das müssen Sie doch zugeben, oder?« »Natürlich, Mylady.« Rander lächelte. »Ich hätte mich auch gewundert und in meinen Paß gesehen.« »Es könnte ihr Zwillingsbruder sein«, behauptete die ältere Dame. »Schon was die Größe anbetrifft.« »Das sage ich doch, Mike.« Die passionierte Detektivin klappte die Stielbrille zusammen und wechselte das Thema. »Ich möchte wissen, wo Mr. Parker bleibt. Wahrscheinlich hat er sich in dieser scheußlichen Stadt verlaufen.« »Sie ist ziemlich groß, Mylady«, warf Kathy Porter ein. »Kein Vergleich mit London«, sagte die ältere Dame abfällig, »dieses Los Angeles ist doch nur ein Dorf, das etwas aus den Fugen geraten ist! Kein Stil, keine Atmosphäre!« »Kathy, dort kommt jetzt Ihre Doppelgängerin«, warf Mike Rander lässig und auch ein wenig ironisch ein. »Sie ist nur etwas kleiner und rundlicher.« Es war zu erwarten gewesen. Lady Agatha wandte sich erneut ungeniert um, faltete die Stielbrille auseinander und musterte die junge Dame, die gerade neben Mike Randers angeblichem Doppelgänger Platz genommen hatte. »Zum Verwechseln ähnlich«, behauptete Lady Agatha prompt und gegen allen Augenschein. »Aber schreckliche Manieren, finden Sie nicht auch, Kindchen? Wie, um alles in der Welt, kann man seinen Schmuck nur derart zur Schau stellen? Er wird natürlich falsch sein.« »Ich glaube, ich kenne das Gesicht«, warf Mike Rander ein, der sich einige Jahre in den USA aufgehalten hatte, bevor er nach London zu einem gewissen Butler Parker zurückgekehrt war. »Ich würde sagen, der Schmuck ist echt.« »Er ist selbstverständlich falsch«, sagte die Detektivin, »und wer soll diese Frau sein?«
»Ich komme im Moment nicht auf den Namen«, entschuldigte sich Mike Rander, »aber ich möchte wetten, daß sie so etwas wie eine Millionenerbin ist.« »Ausgeschlossen!« Lady Agatha widersprach aus Gewohnheit. »Sie weiß mit Sicherheit noch nicht mal, wieviel Nullen eine Million hat, mein Junge. Verlassen Sie sich auf meine Menschenkenntnis, Mike! Ich irre mich nie!« *** Sie hießen Bernie, Hale und Jody, saßen in einer der vielen Bierbars in Venice und sahen gelangweilt auf einen Teil dieses riesigen Rummelplatzes am Strand des Pazifik. Venice, das man einst zu einer Art Venedig von Los Angeles umgestalten wollte, erinnerte nur noch andeutungsweise an dieses Vorhaben. Von den geplanten Kanälen und gewölbten Brücken war kaum noch etwas auszumachen. Venice hatte sich im Lauf der Jahre zu einer Art Coney Island entwickelt und bot Amüsement aller Art, vor allen Dingen auch Anonymität, die diese drei bemerkenswerten Männer sehr schätzten. Sie sahen zwar aus wie Manager der mittleren Preisklasse, waren gut gekleidet, zeigten auch durchaus akzeptable Manieren, aber sie waren Gangster der gehobenen Kategorie, die bisher solo gearbeitet hatten. Ihre speziellen Fähigkeiten vermieteten sie an Interessenten und verlangten gesalzene Honorare. Sie waren sich ihres Werts bewußt und sollten zum ersten Mal zusammenarbeiten. Sie kannten sich selbstverständlich, was ihre Namen und Fähigkeiten anbetraf, doch zu engeren Kontakten war es bisher nie gekommen. Seit einer Viertelstunde hatten sie sich wechselseitig beschnuppert und eingeschätzt. Die Hackordnung untereinander war noch nicht festgelegt. Sie wußten auch nicht, aus welchem Grund man sie engagiert hatte. Es mußte sich allerdings um ein besonders interessantes Unternehmen handeln, denn billig waren sie nicht... »Noch fünf Minuten, dann wissen wir mehr«, sagte Bernie, ein schlanker Mann mit ovalem Gesicht. Er mochte fünfunddreißig Jahre zählen. »Ich will nicht mehr, ich will alles wissen«, erklärte der etwa dreißigjährige Hale. Er war kompakt gebaut und hatte ein volles Gesicht. Er sah erstaunlich vertrauenerweckend aus. »Mir paßt die ganze Richtung nicht«, sagte Jody, ein Fünfundzwanzigjähriger, der das Stadium des Babyspecks noch nicht, überstanden zu haben schien. »Wenn ich gewußt hätte, daß wir hier in Massen auftreten, wäre ich überhaupt nicht gekommen.« »Dich hat die fette Anzahlung scharf gemacht, wie?« erkundigte sich Bernie. »Und du hast deine Anzahlung in den Müll geworfen, wie?« biß Jody sofort zurück. Er hatte die Augen eines Greises, dem nichts Menschliches mehr fremd ist. »Wir können doch jederzeit aussteigen«, erinnerte Hale in versöhnlichem Tonfall, »hat man euch doch auch am Telefon gesagt, oder?« »Da tut sich was.« Bernie deutete zur Bartheke, wo ein Brillenträger erschienen war, der einen dunkelblauen Anzug trug. Dieser rund fünfzig Jahre alte Mann fragte laut und deutlich nach Milch.
Die drei Spezialisten warfen sich kurze Blicke zu und beobachteten den Barkeeper, der zu einer schnoddrigen Antwort ansetzte, sie dann jedoch derart hastig verschluckte, daß er husten mußte. Der Barkeeper beeilte sich, die verlangte Milch auf den Tresen zu stellen. »Das ist unser Mann«, redete Bernie weiter. »Jetzt bin ich aber wirklich gespannt.« Der Mann im dunkelblauen Anzug trug sein Glas Milch wie selbstverständlich an den Tisch, an dem die drei Spezialisten saßen. Er nahm Platz und nickte den Männern knapp zu. »Wollen Sie Ärger haben?« fragte Jody gereizt. Es paßte ihm nicht, mit welcher Selbstverständlichkeit der neue Gast sich bewegte. »Ich komme natürlich nicht in eigener Sache«, antwortete der Dunkelblaue und überhörte die Frage von Jody. »Betrachten Sie mich als Verbindungsmann.« »Ich hab Sie was gefragt«, erinnerte Jody wütend. »Wollen Sie etwa Ärger haben, Jody?« erkundigte sich der Dunkelblaue und lächelte kühl. »Außer uns sind hier in der Bar noch wenigstens zwanzig Personen. Könnte doch sein, daß einige davon zu mir gehören, oder?« Jody bekam einen roten Kopf und schluckte seinen Ärger. Verstohlen sah er sich in der Bierbar um. Er fühlte sich plötzlich beobachtet und unsicher. »Ich vertrete eine gewisse Organisation«, redete der Dunkelblaue inzwischen weiter, »daher auch Ihre erstklassigen Honorare.« »Was verlangt man dafür von uns?« wollte Hale wissen. »Im Beverly Hills Hotel ist eine Miß Maud Wilmington abgestiegen«, antwortete der Dunkelblaue und nippte kurz an seiner Milch, »sie ist millionenschwer, wie Sie wissen. Sie, das heißt, ihre Familie, soll um ein paar Scheine erleichtert werden.« »Das klingt ja direkt nach einem Verbrechen«, meinte Bernie und lächelte, »sind Sie sicher, daß Sie die richtigen Männer angerufen haben?« »Woher sollte ich Ihre Deckadressen und Telefonnummern haben?« »Sie wollen, daß diese Maud Wilmington entführt wird.« Hale war für eine knappe Diktion. Er hielt nichts von Mätzchen, wie Bernie sie wohl mochte, wie er gerade gezeigt hatte. »Sie und ihren Verlobten.« Der Dunkelblaue nickte. »Sie werden morgen einen Trip nach Palm Springs machen und dort Freunde treffen. Sie werden selbstverständlich nicht ankommen.« »Wohin sollen sie gebracht werden?« Hale, der rundlich-kompakte Mann, war automatisch zum Wortführer geworden. »Zu einem Hubschrauber, der genau zur richtigen Zeit da sein wird«, lautete die Antwort des Dunkelblauen, »damit ist die Sache für Sie dann bereits erledigt.« »Das klingt nach einem Spaziergang«, meinte Bernie ein wenig abfällig. »Meine Auftraggeber haben nichts dagegen, wenn es einer wird«, gab der Dunkelblaue lächelnd zurück. »Noch etwas, meine Herren: Meine Auftraggeber gehen davon aus, daß Sie faire Geschäftspartner sind.«
»Ich will endlich wissen, wer diese Leute sind«, schaltete sich Jody ärgerlich ein, »ich arbeite nur für Kunden, die ich kenne.« »In Ordnung, Jody, dann steigen Sie aus«, schlug der Dunkelblaue vor und nickte. »Vergessen Sie, was Sie gehört haben!« »Und was ist, wenn ich jetzt aufstehe und gehe?« Jody leckte sich die Lippen, die ihm ein wenig trocken geworden waren. »Gehen Sie, Jody!« »Aber nicht allein. Ich werde Sie mitnehmen ... so als 'ne Art Rückendeckung.« »Ich werde selbstverständlich nicht mitkommen, Jody.« Der Dunkelblaue verlor nichts von seiner Ruhe. »Ich würd's an Ihrer Stelle nicht darauf ankommen lassen«, drohte Jody. »Hier ist ein Foto mit dem Paar«, redete der Dunkelblaue weiter. Er schien Jodys Gegenwart bereits vergessen zu haben. Er reichte Hale ein Foto. »Der Mietwagen für Miß Wilmington ist für zehn Uhr geordert worden.« »Ich werde jetzt gehen und Sie werden mitkommen«, sagte Jody. Sein rosiges Gesicht war weiß geworden, als sei es mit Reispuder behandelt worden. »Und später werd' ich Ihnen ein paar Fragen stellen!« Weder Bernie noch Hale griffen begütigend ein. Der Dunkelblaue nickte Jody zu und stand auf. »Noch etwas«, sagte der Dunkelblaue, bevor er den Tisch verließ, »die Dame könnte eventuell bewacht werden. Sie wissen, was Sie dann zu tun haben, aber möglichst kein Blutbad, ja?« Er ging, ohne sich weiter um Jody zu kümmern. Und Jody blieb sitzen und nagte wie ein trotziges Riesenbaby an seiner vollen Unterlippe. *** Josuah Parker war das Urbild eines englischen Butlers, wie es ihn wohl zur Zeit der Queen Victoria gab. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und strahlte Würde und Gemessenheit aus, die fast schon Irritation und Verlegenheit auslöste. Er hatte das undurchdringliche Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers, das keine Gefühlsregung zeigte. Butler Parker trug einen schwarzen Zweireiher, ein weißes Hemd mit Eckkragen und eine schwarze Krawatte. Auf seinem Kopf saß ein ebenfalls schwarzer Bowler, im Volksmund auch spöttisch Melone genannt, und über dem angewinkelten Unken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm, dessen Bambusgriff beachtliche Ausmaße hatte. Vor Jahren war Josuah Parker mal der Butler von Mike Rander gewesen. Gemeinsam hatten sie viele Kriminalfälle gelöst und waren in der Unterwelt zu einem Begriff geworden. Nachdem der Anwalt in die Staaten übergewechselt war, hatte Parker sich der Lady Agatha Simpson gewidmet und anschließend alle Hände voll zu tun gehabt, sie vor Schaden zu bewahren. Als Mike Rander wieder nach England zurückkehrte, erhielt Parker das Vergnügen, sich nun auch wieder Mike
Randers anzunehmen. Lady Agatha hatte Mike Rander wie selbstverständlich »vereinnahmt« und ihn zum Treuhänder ihres beachtlichen Vermögens ernannt. Aus dem Trio Lady Agatha-Kathy Porter-Butler Parker war somit ein Quartett geworden, das sich ausgezeichnet verstand. Dieser Butler betrat die Lobby des Beverly Hills Hotels am Sunset Boulevard und schritt gemessen auf Lady Agatha zu, die ihn durch ihre Lorgnette musterte. Parker lüftete höflich die schwarze Melone und deutete eine knappe Verbeugung an. »Ich dachte schon, Sie hätten sich von irgendeiner windigen Filmgesellschaft engagieren lassen«, meinte die ältere Dame. »Wo, um alles in der Welt, haben Sie gesteckt, Mr. Parker?« »Mylady bedurften meiner bescheidenen Wenigkeit?« erkundigte sich Josuah Parker würdevoll. Er blieb abwartend stehen. »Ich brauche Sie als Schiedsrichter, Mr. Parker.« »Mylady dürfen versichert sein, daß meine bescheidene Person sich um ein objektives Urteil bemühen wird.« »Sehen Sie sich das Paar dort drüben in der Nische mal an, Mr. Parker«, forderte Lady Agatha ihren Butler auf. »Hat es nun Ähnlichkeit mit Miß Porter und Mr. Rander? Ich hoffe, Sie sind meiner Meinung: Man sieht sich zum Verwechseln ähnlich.« Josuah Parker wandte sich unmerklich um, warf einen kurzen Blick auf das Paar und verbeugte sich zustimmend. »Eine gewisse, wenn auch oberflächliche Ähnlichkeit ist nicht völlig auszuschließen«, urteilte er dann. »Na, was habe ich gesagt?« Lady Agatha sah Kathy Porter und Mike Rander triumphierend an. »Völlige Übereinstimmung, wie Mr. Parker ja gerade sagte!« »Das Gesicht der jungen Dame kommt mir bekannt vor«, warf Mike Rander ein. »Es handelt sich um eine gewisse Maud Wilmington, Sir«, gab Parker umgehend zurück. »Sie ist das einzige Kind und die Tochter eines sogenannten Industrietycoons, wie man in den Vereinigten Staaten zu sagen pflegt.« »Ihr Vater hat also Geld?« fragte Agatha Simpson dazwischen. »Dem ist nur beizupflichten, Mylady.« Parker verbeugte sich leicht. »Mr. Wilmington ist an Stahlwerken, Kohlengruben, Reedereien und einigen lokalen Fluglinien beteiligt. Wenn es erlaubt ist, möchte ich mir gestatten, noch mal auf Miß Wilmington zurückzukommen. Die junge Dame ist mit einem gewissen James Holloway verlobt, auf dessen Konto einige kleinere Skandale gehen, wenn ich es so umschreiben darf.« »Umschreiben Sie nicht, Mr. Parker, werden Sie deutlicher!« verlangte die ältere Dame. »Mr. James Holloway dürfte das sein, Mylady, was man gemeinhin einen Playboy nennt. Er hatte einige Affären mit Filmstars und Damen der sogenannten Gesellschaft.« »Sie sind mal wieder bestens informiert«, stellte Mike Rander lachend fest.
»Eine Information, Sir, die sich aus einem Zufall ergab«, erläuterte Josuah Parker, »die Zeitungen berichteten von der Ankunft Miß Wilmingtons hier in Los Angeles und von den Plänen Mr. Holloways, seine Verlobte in einem Musical als Star herauszustellen. Entsprechende Fotos, die diesen Artikel ergänzten, erregten meine bescheidene und flüchtige Aufmerksamkeit.« »Und er gleicht Ihnen doch, Mike.« Lady Agatha kam zum Ausgangspunkt des Gesprächs zurück. Dann wandte sie sich an Kathy Porter. »Und Sie, Kindchen, könnten ihre Zwillingsschwester sein, nicht wahr, Mr. Parker?« »Durchaus, Mylady, falls man sich auf einen flüchtigen Blick beschränkt, wenn ich so sagen darf.« »Ich wußte doch, daß ich mich auf meine Augen verlassen kann«, stellte sie fest. »Im übrigen langweile ich mich in dieser Stadt, um das mal klar zu sagen. Von Los Angeles habe ich mir mehr versprochen.« »Darf ich höflichst daran erinnern, daß Mylady am morgigen Tag eine IndianerReservation zu besuchen gedenken?« Parker war wegen dieses Abstechers eben erst in einem Reisebüro gewesen und hatte Erkundigungen eingezogen. Er wußte, daß man einer Lady Agatha Simpson immerhin etwas bieten mußte. »Haben Sie ein hübsches Plätzchen gefunden, Mr. Parker?« Die Detektivin sah ihn wohlwollend und erwartungsvoll an. »In der Tat, Mylady«, antwortete Parker, »in den San Bernardino Mountains gibt es einen Indianerstamm, der noch der edlen Kunst des Bogenschießens huldigt.« »Das klingt recht erfreulich, Mr. Parker.« Sie lächelte. »Ich werde mich mit diesen Leuten selbstverständlich im Wettschießen messen können, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady, ein diesbezügliches Arrangement wurde bereits getroffen. Mylady können darüber hinaus das Kriegsbeil und diverse Messer werfen.« »Dann sollen wir morgen schon recht früh aufbrechen«, sagte die ältere Dame, die einen durchaus animierten Eindruck machte. Dies hatte natürlich seinen besonderen Grund, denn sie war tatsächlich eine Sportbogenschützin und erstklassige Golfspielerin, deren Spezialität kraftvolle Schläge waren. »Wie kommen wir denn raus zu diesen Burschen?« erkundigte sich Mike Rander. »Die Anfahrt erfolgt über Riverside und Palm Springs, Sir«, lautete Parkers Auskunft. »Mylady werden übrigens mit Zuschauern rechnen können, denn dieser Stamm veranstaltet im Rahmen des Fremdenverkehrs jeden Tag ein solches Schauspiel.« »Sehr gut!« Die Lady war äußerst zufrieden. »Dann werde ich diesen Indianern mal zeigen, wie man mit einem Bogen umgeht. Sie sollen auf ihre Kosten kommen!« *** »Da sind sie«, sagte Bernie, der neben Jody auf dem Beifahrersitz des geländegängigen Buick saß. Er nahm seinen Feldstecher hoch und beobachtete das junge Paar, das aus dem Hotel kam. Sicherheitshalber schaute er dann noch mal auf das
Foto, das der Dunkelblaue ihnen gegeben hatte. Als er einen Vergleich mit dem Paar vornehmen wollte, schob sich ein Bus ins Blickfeld des Feldstechers. Bernie fluchte leise und beugte sich ungeduldig vor. Als die Sicht wieder frei war, hatte das junge Paar bereits Platz in einem luxuriösen Ford genommen und war nur noch undeutlich auszumachen. Dennoch, Bernie vergewisserte sich, daß er es mit dieser Maud Wilmington zu tun hatte, nickte und setzte den Feldstecher zufrieden ab. »Moment mal! Und wer ist das?« fragte Jody aggressiv. Er deutete mit der Hand auf ein zweites Paar, das auf den Wagen zuging. »Wer soll das schon sein?« Hale, der im Fond des Buick saß, schob sich ein wenig vor. »Das ist die Leibgarde unseres Goldvogels.« »Diese beiden Vogelscheuchen?« Jody lachte ein wenig unvermittelt und grell. »Beste Tarnung«, stellte Hale fest, »sehen aus wie ein Butler und wie 'ne stämmige Kinderfrau oder Krankenschwester.« »Das sind doch Schießbudenfiguren«, mokierte sich Jody und ließ den Buick anrollen. »Ich würde nichts darauf geben, wie sie aussehen«, warnte Hale gelassen, »so was täuscht.« »Die stammen doch aus 'nem Wachsfigurenkabinett.« Jody grinste. Er fädelte den Buick in den Verkehr ein und folgte dem schweren Ford, der von jenem Mann gesteuert wurde, der wie ein Butler aussah. Bernie nahm noch mal seinen Feldstecher hoch und informierte sich. Er hatte sich nicht getäuscht. Die junge Frau hatte das rote Haar wie diese Maud Wilmington auf dem Farbfoto. Eine Verwechslung war ausgeschlossen. »Wie viele Millionen mag die Puppe wohl wert sein?« fragte Jody und leckte sich unwillkürlich die Lippen. Er warf Bernie einen kurzen Blick zu. »Ein paar schon«, lautete Bernies Antwort, »aber sie ist es nicht wert, freiwillig Selbstmord zu begehen.« »Natürlich nicht«, entgegnete Jody gegen seine innere Überzeugung. Er nahm kurz den Kopf zu Hale herum. »Wo, meinst du, werden wir zuschnappen?« »Das werden wir aus dem Ding hier hören«, gab Hale knapp zurück. Zur Unterstreichung seiner Worte nahm er das handliche Funksprechgerät hoch, das man ihm per Boten im Hotel zugestellt hatte. »Unser Verbindungsmann wird sich schon rechtzeitig melden und mit dem Hubschrauber antanzen.« »Ist doch klar«, daß die Mafia das Ding aufzieht, oder?« fragte Jody. »Könnte schon sein.« Hale sagte nicht das, was er dachte. Ihm gefiel dieser Job nicht. Ihm war längst klar, daß sich ein Haar in dieser Suppe befand, er hatte es bisher jedoch noch nicht entdecken können. »Hat die Mafia nicht ihre eigenen Spezialisten?« fragte jetzt Bernie. »Natürlich, aber eben keine wie uns«, rühmte Jody ihre Fähigkeiten. »So was wie das da erledigen normalerweise Typen aus dem dritten Glied«, dachte Bernie laut weiter, während Hale immer hellhöriger wurde.
»Ein Millionending?« Jody schüttelte den Kopf. »Da bist du aber auf dem Holzweg, Bernie. Was ich noch fragen wollte, Leute: Wie war das mit dem Blutbad?« »Vermeiden«, erinnerte Hale. »Und wenn diese beiden Schießbudenfiguren verrückt spielen?« »Dann gibt es höchstens ein paar gezielte Schüsse, die schnell verheilen«, sagte Bernie eindringlich. »Mach' ich sogar links.« Jody war sich seiner Sache sicher. Er verdrängte gewisse Ideen, die ihm gekommen waren. Liebend gern hätte er dieses Geschäft auf eigene Rechnung erledigt. Bernie und Hale mochten gute Leute sein, aber seine Klasse besaßen sie natürlich nicht. Wenn man später nur schnell genug zog, dann hatten sie gegen ihn keine Chance. Aber nein, daran wollte er lieber erst gar nicht denken. Bernie hatte sich zurückgelehnt und dachte über die Methoden der Mafia nach. Und er fragte sich erneut, warum die Organisation nicht mit eigenen Leuten arbeitete. Selbst wenn sie heimische Spezialisten nicht einschalten wollte, genügte doch ein Anruf, zum Beispiel in Frisco, um von dort Fachleute zu bekommen. Hale dachte ebenfalls nach. Er hatte das Gefühl, daß man ihn aufs Kreuz legen wollte. Die Bezahlung war einfach zu fürstlich für diesen an sich harmlosen Coup. Die Mafia war keine Organisation, die verschwenderisch mit Geld umging. Und wenn sie es tat, hatte sie plausible Gründe dafür. Hale beschloß, mehr als vorsichtig zu sein. *** Butler Parker saß am Steuer des eleganten und komfortablen Ford und warf hin und wieder einen prüfenden Blick in den Rückspiegel. Ihm war nicht entgangen, daß sie offenbar beschattet wurden. Er hatte einen Buick ausgemacht, wie er speziell für schwieriges Gelände gebaut wurde. In diesem Wagen saßen drei Männer, die auf keinen Fall wie Touristen aussahen. Der Fahrer des Buick sorgte dafür, daß zwischen ihm und dem Ford stets einige andere Wagen fuhren. Der Fahrer bemühte sich, nicht aufzufallen. Parker hatte bisher keinen aktuellen Anlaß gefunden, warum' man Lady Simpson, Miß Porter, Anwalt Rander und ihn beschattete. Man war nach Los Angeles gekommen, um hier einige geschäftliche Dinge abzuwickeln. Genauer gesagt, es war um Orangen gegangen, deren eingedickter Saft in England zur Herstellung von Fruchtsaftgetränken dienen sollte. Mike Rander hatte die Verhandlungen schnell und erfolgreich geführt. Er verwaltete ja das immense Vermögen der älteren Dame und steuerte auch sehr diskret die vielen geschäftlichen Beteiligungen Lady Simpsons an Firmen in Großbritannien. War der Großeinkauf von Orangensirup ein Grund, Verfolger auf Myladys Spur zu setzen? Parker hatte diesen Gedanken längst verworfen und dachte selbstverständlich an die Mafia, die noch einige Rechnungen zu präsentieren hatte.
Seit ihrer Ankunft in den Staaten war es immer wieder zu Kontakten mit der Mafia gekommen. Man hatte versucht, alte Rechnungen zu begleichen und dabei stets Niederlagen einstecken müssen. Witterte die Mafia jetzt endlich eine Möglichkeit zum Gleichziehen? Der Ford hatte die Ausläufer der San Bernardino Mountains inzwischen erreicht, doch Parker hatte kaum ein Auge für die Schönheiten der romantischen Gegend. Er fühlte sich schließlich für die Sicherheit seiner Mitfahrer verantwortlich, die offensichtlich noch ahnungslos waren. Der Butler bedauerte wieder mal unendlich, daß sein hochbeiniges Monstrum in England zurückbleiben mußte. Diese raffinierte Trickkiste auf Rädern hätte ein Abschütteln der Verfolger leicht gemacht. Jetzt und hier aber mußte er improvisieren, falls es zu einem Überfall kam. Er überprüfte unauffällig die vielen Kugelschreiber in den Westentaschen. Sie sahen normal und harmlos aus, doch sie hatten es in sich. Sie waren in Parkers privatem Labor in England präpariert worden und ließen sich vielfältig einsetzen. Weiter stand Parker noch der altväterlich gebundene Regenschirm zur Verfügung, der nichts anderes war als eine äußerst geschickt getarnte Waffe. Würden Kugelschreiber und Regenschirm ausreichen, um dem Angriff von drei Gegnern zu begegnen? Falls es sich um Gangster der Mafia handelte, waren sie sicher bis an die Zähne bewaffnet. Es handelte sich wohl ohne Zweifel um erstklassige Spezialisten ihres mörderischen Fachs. War es taktisch richtig, erst mal abzuwarten? Oder sollte man die drei Männer im Buick herausfordern und zwingen, Hals über Kopf aktiv zu werden? Wahrscheinlich wollten sie hier irgendwo in der Bergwelt einen Überraschungsangriff starten; war es da nicht besser, sie selbst zu überraschen? Parker unterlief gern die Pläne seiner Gegner und zog das Gesetz des Handelns an sich. Was hinderte ihn daran, erneut so zu verfahren? Ein Hinweisschild verwies auf den Ort Banning. Und kurz danach gab es eine Abzweigung nach Süden. Eine schmale und gewundene Schotterstraße führte in unübersichtliches Gelände. Josuah Parker bremste scharf und schwenkte den schweren Wagen von der Hauptstraße hinunter. Schon nach wenigen Metern sorgten die Reifen für eine kompakte Staubwolke hinter dem Heck. »Hallo, Parker«, rief Mike Rander, »gibt es Ärger?« »Das wäre ja zu schön«, freute sich Lady Agatha übergangslos. »Eine kleine Kursänderung, Sir, die mögliche Verfolger aus ihrer bisherigen Reserve locken könnte.« »Seit wann werden wir verfolgt?« Rander wandte sich um, doch er konnte durch das breite Rückfenster nichts als dichte, gelb gefärbte Staubwolken erkennen. »Wenn meine bescheidenen Sinne mich nicht trügen, Sir, dürfte man sich für Mylady seit dem Verlassen des Hotels interessieren.«
»Das klingt gut, Mr. Parker.« Lady Agatha übersah wieder mal souverän die Gefahr, in der sie sich möglicherweise befand. »Ich werde es diesen Flegeln zeigen.« »Sehen Sie doch, ein Hubschrauber!« Kathy Porter deutete auf einen Hügel, hinter dem ein Helikopter erschien und sich scharf in eine Kurve legte. »Der nimmt Kurs auf uns«, sagte Mike Rander. Er beobachtete den Hubschrauber, der angedrückt wurde und auf sie zustrich. Es handelte sich um einen schnellen und wendigen Viersitzer. Er wirkte auf die Insassen des Ford wie ein riesiges, bösartiges Insekt. »Hoffentlich haben Sie sich etwas einfallen lassen, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson, »ich möchte diesen Subjekten eine Lektion erteilen.« »Haben wir so etwas wie Schußwaffen an Bord?« erkundigte sich Mike Rander. »Ich bedaure unendlich, Sir.« »Das ist doch wieder mal typisch«, grollte die Detektivin und sah Parker vorwurfsvoll an. »Sie sind eben zu arglos, Mr. Parker.« »Mylady sehen meine bescheidene Person ungemein zerknirscht.« »Aber die Burschen im Buick werden doch Waffen haben, oder?« fragte der Anwalt. »Falls es sich tatsächlich um Gangster handelt, sollte man davon ausgehen, daß die Bewaffnung umfassend ist, Sir.« »Na also!« Rander lächelte. »Dann werden wir uns deren Kanonen eben ausleihen. Kein Problem!« »Genau das wollte ich gerade vorschlagen, Mike.« Lady Agatha nickte unternehmungslustig. »Kathy, was macht der Hubschrauber?« »Er ist dort hinter dem Kakteenhügel verschwunden«, meldete Myladys Gesellschafterin. »Er kommt doch hoffentlich zurück«, sorgte sich Lady Agatha, um sich dann wieder dem Butler zuzuwenden. »Welchen Plan habe ich gefaßt?« »Mylady werden den Verfolgern eine Falle stellen«, lautete Parkers höfliche Antwort. »Mylady werden die Verfolger irritieren und dann entwaffnen.« »Richtig«, gab sie nachdrücklich zurück, »ich höre schon, daß Sie mich verstanden haben. Sie können erst mal frei improvisieren, später werde ich Ihnen dann nähere Anweisungen geben. Was wären Sie ohne mich, Mr. Parker!?« *** »Bist du wahnsinnig?« brauste Bernie auf und stemmte sich mit den Schuhen gegen den Wagenboden. »Du bringst uns um!« »Die hängen mich nicht ab«, sagte Jody. Sein Gesicht hatte einen verbissenen Ausdruck angenommen. »Du kannst doch überhaupt nichts sehen«, brüllte Bernie und wandte sich kurz zu Hale um. Der dritte Mann hatte sich tief in die rechte Wagenecke gedrückt und hielt sich an einer Halteschlaufe.
Jody jagte mit Vollgas in die dichten Staubwolken und riß das Lenkrad herum. Das Heck des Wagens brach aus und schrammte gegen einen vorspringenden Felsen. Jody steuerte gegen und bekam den ausbrechenden Buick wieder unter Kontrolle. »Die haben Lunte gerochen«, rief er überflüssigerweise, »aber die kommen nicht weit!« »Werden sie erst gar nicht versuchen«, antwortete Hale mit erstaunlich ruhiger Stimme. »Sie werden uns eine Falle stellen.« »Die beiden Schießbudenfiguren knall' ich zusammen«, redete Jody weiter. Er meinte das, was er sagte. »Ich schieß' sie ab wie Tontauben.« »Paß' doch auf!« Bernie wurde gegen die Tür geschleudert, und der Buick schrammte erneut gegen eine steinige Böschung. Jody biß sich auf die Unterlippe, fluchte und ... sah plötzlich den Ford, der still und friedlich auf einer parkplatzartigen Ausbuchtung der Schotterstraße stand. Jody machte eine brutale Vollbremsung, ließ den Wagen diesmal sogar bewußt ausbrechen und rutschte mit ihm ebenfalls auf die Ausweichbucht. »Leer«, sagte er dann enttäuscht und wütend, stieß die Wagentür auf und stieg aus. Seine Hand lag bereits unter dem linken Revers seines Jacketts und war bereit, blitzschnell den Revolver aus der Schulterhalfter zu ziehen. Bernie folgte und war ebenfalls schußbereit; Hale dagegen nahm sich Zeit und pflegte das ungute Gefühl, das er hatte. Für ihn waren die beiden sogenannten Schießbudenfiguren mit Sicherheit keine grünen Anfänger, mochten sie auch aussehen, wie sie wollten. Jody und Bernie pirschten sich inzwischen an den leeren Wagen heran und bückten dabei immer wieder mißtrauisch nach allen Seiten. Dann blieben sie plötzlich stehen und beobachteten einen Hubschrauber, der tief unten im Tal herumsirrte. »Weit können die noch nicht sein«, meinte Jody wütend. »Aber wo könnten sie sein?« fragte Bernie und deutete auf das dichte Unterholz zu beiden Seiten der Schotterstraße. »Irgendwo müssen doch Spuren sein«, vermutete Jody, »die Leute hocken bestimmt in der Nähe.« »Und haben euch im Visier«, rief Hale ihnen zu. »Die Sache ist geplatzt, machen wir uns doch nichts vor.« Er war ausgestiegen, hielt sich aber beim Buick auf. Das kleine Funksprechgerät in der linken Hand schaltete er ein. Unmittelbar darauf war eine quäkende Stimme zu hören. »... ruft Naturfreunde!« Libelle ruft »Naturfreunde!« »Hier Naturfreunde!« Hale hatte sich den Code eingeprägt. Er war dem Funksprechgerät beigefügt worden. »Wir haben den Kontakt verloren. Libelle von Naturfreunden: Wir haben den Kontakt verloren.« »Zweihundert Meter hangabwärts, hinter den Kakteen«, kam prompt die Antwort. »Wir kreisen über der Stelle.«
Hale schaltete das Gerät ab und deutete nach unten. Er rief seinen Partnern zu, wo ihre Opfer Deckung bezogen hatten. Dann wies er auf den Hubschrauber, der tatsächlich hangabwärts enge Kreise zog. »So, und jetzt sind wir an der Reihe«, meinte Jody und zückte seine Schußwaffe. »Ich schnappe sie mir von der Seite.« Bevor Bernie oder Hale darauf antworten konnten, rutschte Jody bereits über eine offene Geröllhalde nach unten und war wenig später im Unterholz verschwunden.« »Mit dem bekommen wir noch Spaß«, sagte Bernie. »Haben wir schon«, pflichtete Hale ihm bei. Er zündete sich eine Zigarette an und schien viel Zeit zu haben. »Ich frage mich die ganze Zeit, warum die Mafia gerade uns engagiert hat.« »Das frage ich mich auch.« Bernie verspürte ebenfalls Lust auf eine Zigarette. »Irgendwie stinkt die Sache.« »Braucht die Mafia vielleicht ein paar Trottel, die 'ne bestimmte Suppe auslöffeln?« Hale beobachtete den Hubschrauber, der tiefer ging und hinter einer Kuppe verschwand. »Gehörte der Dunkelblaue überhaupt zur Mafia?« fragte Bernie. »Woher hatte er unsere Telefonnummern und Namen?« »Die kann er sich auf anderen Wegen besorgt haben.« »Ein Profi war's aber«, erwiderte Bernie nachdenklich. »Wie er Jody hat abfahren lassen, war schon gekonnt.« »Was machen wir jetzt?« Hale blieb neben einem Baumstamm stehen. »Mal sehen, was aus Jody wird«, schlug Bernie vor. »Wenn wir hier zum Schein verschwinden, werden die vier Typen aus dem Ford zur Straße zurückkehren.« »Gute Idee«, fand Hale. Er wollte noch mehr sagen, doch in diesem Moment fiel ein gellender Schrei. Die beiden Spezialisten sahen sich kurz an, aber sie wußten nicht, wer diesen wirklich entsetzlichen Schrei ausgestoßen hatte. *** Jody starrte auf den bunt gefiederten Pfeil in seinem linken Oberschenkel. Der Schrei stammte von ihm, doch er hatte ihn bereits vergessen. Er traute sich nicht, den stricknadellangen Pfeil aus dem Oberschenkel zu ziehen. Doch spürte er bereits einen brennenden Schmerz, der mit Juckreiz gepaart war. Er wußte nicht, wer dieses unheimliche Geschoß auf ihn abgefeuert hatte, nur, daß solche Pfeile mit Sicherheit vergiftet sein konnten. Vor wenigen Tagen hatte er erst einen Fernsehfilm gesehen, in dem solche Pfeile von Amazonasindianern verschossen worden waren. Der Getroffene war wenig später unter scheußlichen Qualen gestorben. Jody umklammerte seinen Revolver, auf dessen Mündung ein langer Schalldämpfer aufgeschraubt war. Er keuchte vor Angst und Grauen, drehte sich um, glaubte eine Bewegung gesehen zu haben und feuerte blindlings drei Schüsse auf diese Stelle ab.
Eine völlig unschuldige Kaktee von der Größe eines Mannes schluckte die Geschosse ohne Schwierigkeit und rührte sich noch nicht mal. Jody hörte dann aber hinter sich das Splittern und Kollern eines Steins, fuhr erneut herum und schoß. Dann rief er laut und ungeniert nach seinen beiden Partnern und benutzte dabei ihre Vornamen. Ihm wurde speiübel. Er schwankte, fühlte ein Schwindelgefühl und starrte wieder auf den Pfeil in seinem linken Oberschenkel. Er warf die Schußwaffe zu Boden und faßte vorsichtig nach dem Pfeilschaft, brachte es jedoch nicht über sich, das Blasrohrgeschoß aus der Wunde zu ziehen. Er rechnete mit Widerhaken und mit einem Ansteigen der Schmerzen. Der eben noch blutrünstige Spezialist schluchzte trocken auf, mußte sich setzen und verfluchte seine beiden Partner Bernie und Hale, die noch nicht mal geantwortet hatten. »Ihr feigen Schweine!« brüllte Jody. »Wo bleibt ihr denn? Ihr könnt mich hier doch nicht umkommen lassen. Bernie! Hale! Wo seid ihr?« Die ersehnte Antwort blieb aus. Jody hielt für einen Augenblick die Luft an und horchte hangaufwärts. Schritte waren nicht zu hören, auch nicht Steine, die kollerten. Bernie und Hale dachten nicht im Traum daran, Jody zu Hilfe zu kommen.« »Dafür bring' ich euch um«, schrie Jody durch die Stille, denn der Hubschrauber war inzwischen verschwunden. »Ich knall' euch über den Haufen, ihr Mistkerle!« Oben auf der Schotterstraße blieb alles ruhig. Jody streckte das getroffene Bein aus, schloß die Augen und... griff dann zu. Er war überrascht, wie mühelos der kleine Pfeil sich aus der juckenden Wunde ziehen ließ. Er öffnete vorsichtig die Augen und stierte auf die Pfeilspitze, die verständlicherweise ein wenig mit Blut besudelt war. Dennoch erkannte er deutlich die tiefdunkle Pfeilspitze. Diese Stelle mußte das Pfeilgift enthalten haben. So war es auch im Fernsehfilm gewesen. Haß breitete sich in ihm aus. Bernie und Hale dachten nicht daran, auch nur einen Finger für ihn zu rühren. Und dieser Haß wallte noch zusätzlich hoch, als er das Aufheulen eines Wagenmotors hörte: Bernie und Hale setzten sich einfach ab! Sie ergriffen die Flucht und ließen sich auf kein Risiko ein... Jody lehnte sich zurück und rollte sich auf die Seite. Die Müdigkeit und Schwere in seinem Körper verstärkten sich. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Pfeilgift sein Inneres zerfraß und er vor Schmerzen schreien würde. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Jody zerrte seine Brieftasche mit den falschen Papieren hervor, faltete sie auseinander und fand eine Tankquittung. Seine Hände zitterten, als er nach einem Schreibgerät suchte. Er wollte unbedingt die Namen und Adressen von Bernie und Hale aufschreiben. Wenn er schon sterben mußte, dann sollten sie ihm möglichst schnell folgen. Er benutzte die Pfeilspitze und fand gerade noch Zeit, die bewußten Telefonnummern niederzuschreiben. Sie fielen nicht sonderlich akkurat und deutlich
aus, doch sie waren immerhin lesbar. Dann schwanden ihm die Sinne, und er wurde bewußtlos. Jody sah nicht mehr, daß ein Mann, der wie ein Filmbutler aussah, hinter einer breiten, übermannshohen Kaktee hervortrat und sich ihm höflich und gemessen näherte. *** »Darf ich mir erlauben, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen?« fragte Josuah Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Sie dürften sich in momentanen Konditionsschwierigkeiten befunden haben.« Jody fuhr sich mit der rechten Hand fahrig über die Stirn und brauchte einige Sekunden, bis er zu dem Schluß kam, daß er noch lebte. Er spürte zwar eine lähmende Müdigkeit in seinen Gliedern, doch seine Hirnzellen arbeiteten plötzlich wieder auf Hochtouren. Er besann sich auf den stricknadellangen Blasrohrpfeil in seinem Oberschenkel und griff unwillkürlich nach der noch immer juckenden Stelle. Der Pfeil allerdings war verschwunden. »Was ... Was ist passiert?« erkundigte Jody sich, um erst mal Zeit zu gewinnen. Er hatte den Butler wiedererkannt. Das war einer der Leibwächter der Maud Wilmington, auf die man ihn, Bernie und Hale angesetzt hatte. Dieser Leibwächter war allein, und Jody schöpfte Hoffnung. Vielleicht war dieses Spiel doch noch nicht verloren. Er schielte nach seinem Revolver und hatte dann Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Die Waffe lag hinter einem dicken Stein und schien von diesem komischen Butler noch nicht entdeckt worden zu sein. »Ich war so frei, Ihren Aufschrei zu registrieren«, beantwortete Josuah Parker inzwischen die Frage des Spezialisten. »Verständlicherweise suchte meine bescheidene Wenigkeit nach der Quelle des Verursachers.« »Haben Sie... Äh... Haben Sie da irgendeinen Wisch entdeckt?« fragte Jody hastig weiter. Er verlagerte sein Körpergewicht, um später blitzschnell nach seiner Waffe langen zu können. »Einen Wisch, wie Sie sich auszudrücken beliebten?« »'ne Tankquittung.« Jody suchte ungeniert nach dem belastenden Papier. Er ärgerte sich nachträglich darüber, daß er die Telefonnummern von Bernie und Hale aufgeschrieben hatte. »Ich sah in der Tat einen Fetzen Papier, der vom Wind allerdings leider weggetragen und entführt wurde. Handelte es sich, wenn man fragen darf, um ein wichtiges Dokument?« »Ach was ...« Jody schüttelte den Kopf und bemühte sich, Schwäche zu zeigen. Er wollte diesen komischen Typ mit dem fast schon auf die Nerven gehenden englischen Tonfall in Sicherheit wiegen. »Hören Sie, Mann, Sie haben nicht zufällig auf mich geschossen?« »Von einem Schuß war nichts zu hören, wie ich Ihnen versichern darf und kann.«
»Schon gut, schon gut.« Jody hatte sich inzwischen ein Bild von dem Mann gemacht. Wahrscheinlich war er Mitglied eines Detektivbüros und stammte dazu noch aus England. So etwas konnte nie ein ernsthafter Gegner sein. »Sind Sie allein hier in der Gegend?« fragte Jody weiter und setzte sich etwas hoch. »Ich meine, wie kommen Sie hierher?« »Ein kleiner Ausflug, um die wilde Schönheit dieses Landstrichs zu genießen«, antwortete Parker. »Ich darf in Ihnen eine verwandte Seele begrüßen?« »Eine was?« Jody hatte Mühe, der Ausdrucksweise des Butlers zu folgen. Er beschloß, wieder aktiv zu werden und deutete dann gespielt entsetzt über Parkers Schulter hinweg auf eine stämmige Kaktee. Josuah Parker ging auf dieses Ablenkungsmanöver ein und wandte sich würdevoll um. Dann hörte er hinter sich eine harte, unangenehm klingende Stimme, die ihn aufforderte, möglichst schnell die Hände hochzunehmen. Der Butler drehte sich wieder zu dem Spezialisten um und schien die Waffe in der Hand des Gangsters noch nicht wahrgenommen zu haben. »Sollte etwas Ihre Aufmerksamkeit erregt haben?« fragte er höflich. »Flossen hoch!« Jody hob drohend die kurzläufige Waffe. Er richtete die Mündung auf den Leib des Butlers. »Muß man das als Drohung auffassen?« erkundigte sich Parker. »Mann, ich jage Ihnen gleich 'ne Probeladung in den Wanst«, brüllte Jody sein Gegenüber an, »wo stecken die anderen Typen? Reden Sie verdammt schnell, sonst verliere ich die Beherrschung.« »Könnten Sie sich ein wenig deutlicher ausdrücken?« Parkers Gesicht blieb undurchdringlich. »Da war doch noch diese Dicke, und dann das junge Pärchen«, sagte Jody und zwang sich zur Ruhe. Er brauchte Informationen. Schießen konnte er später immer noch. »Sie denken in diesem Zusammenhang sicher an Lady Simpson, Miß Porter und Mister Rander, oder sollte ich irren?« »Reden Sie doch keinen Stuß, Mann!« Jody nahm Druckpunkt. »Ich meine die kleine Wilmington. Ich gebe Ihnen genau drei Sekunden Zeit, mit der Wahrheit rauszurücken, sonst ist Ihr rechter Fuß kaputt.« »Sie meinen Miß Maud Wilmington, wie ich vermute?« »Natürlich, Sie alter Trottel, Miß Wilmington!« »Da muß ich zu meinem Leidwesen bedauern«, erwiderte Josuah Parker würdevoll. »Sie und Ihre beiden Freunde scheinen eindeutig den falschen Wagen verfolgt zu haben. Hoffentlich ergeben sich daraus für Sie keine Konsequenzen.« »Dann eben nicht!« Jody freute sich darauf, endlich schießen zu können. Er zog den Abzug durch... *** »Hier Naturfreunde! Wir hören, Libelle!«
Hale hatte das handliche Funksprechgerät wieder eingeschaltet und war heilfroh, daß endlich die abgerissene Verbindung wiederhergestellt war. Danach war er nicht mehr froh. Er bekam Dinge zu hören, die ihm gar nicht paßten. Die Gegenstelle, die sich Libelle nannte, belegte ihn mit ausgesuchten Schimpfwörtern, um erst dann zur Sache zu kommen. Dieses etwas einseitige Gespräch dauerte fast sechzig Sekunden, und Hale hatte nur hin und wieder die Chance, eine knappe Gegenfrage zu stellen. Dann knackte es im Lautsprecher, und die Gegenseite hüllte sich in Schweigen. Hale, ein beherrschter Mensch, hätte das kleine Funksprechgerät am liebsten zu Boden geschmettert. In solch einer Art und Weise hatte ihn bisher noch kein Mensch behandelt und angesprochen. Er ging Bernie entgegen, der hinter einem natürlichen Steinwall hervorkam, von wo aus er die parkplatzähnliche Ausbuchtung und den Ford beobachtet hatte. Bernie hatte sich von seinem Beobachtungsposten gelöst und wollte wahrscheinlich in Erfahrung bringen, was es an Neuigkeiten gab. »Wie steht der Kurs?« fragte Bernie ahnungslos. »Wir sind die größten Idioten der Staaten«, antwortete Hale, »habe ich eben per Sprechfunk erfahren.« »Wieso Idioten?« Bernie sah Hale erstaunt an. »Wir haben uns an die falschen Typen gehängt.« »Das darf doch nicht wahr sein!« Bernie schluckte. »Aber Moment mal, wer hat sie denn identifiziert und war sich seiner Sache völlig sicher?« »Jody, klar, aber was ändert das? Wir sind hinter vier verrückten Engländern hergefahren. Die kleine Wilmington und ihr Begleiter sind längst in Palm Springs.« »Dafür sollte man Jody den Hals umdrehen.« »Du kommst der Sache ziemlich nahe, Bernie.« »Sollen wir ihn...« Bernie brauchte nicht weiterzusprechen, denn sein Partner hatte verstanden. »Wir sollen«, bestätigte Hale knapp. »Falls es ihn da unten am Hang nicht erwischt hat, müssen wir ihn aus dem Weg schaffen. Klarer Fall!« »Mensch, wenn sich das mit dieser Panne erst mal rumspricht, können wir einpacken.« Bernie war tief verärgert und dachte an sein Image als Spezialist. »Einpacken können wir so oder so«, antwortete Hale nachdenklich. »Ob die uns noch mal 'ne Chance geben werden, ist nicht sicher.« »Jody hat mir von Anfang an nicht gefallen.« »Ein unbeherrschtes Großmaul, aber was soll's? Jetzt sitzen wir tief in der Tinte.« »Bringen wir wenigstens das mit Jody über die Bühne«, schlug Bernie vor. »Soll mir sogar ein Vergnügen sein, Hale.« »Fragt sich, wer da unten am Hang geschrien hat«, erwiderte Hale. »Fehlt nur noch, daß Jody die vier Engländer abschlachtet. Dann haben wir nämlich genau die Schlagzeilen, die man vermeiden wollte.«
»Sehen wir doch nach. Retten wir, was noch zu retten ist.« Hale zog seine Schußwaffe aus der Schulterhalfter und setzte sich in Bewegung. Bernie folgte ihm dichtauf und nahm ebenfalls seine Waffe in die Hand. Normalerweise erledigte er seine Aufträge kühl und beherrscht, in diesem Fall aber brannte er darauf, Jody aus der Welt zu schaffen. Sie erreichten den Ford und legten eine kleine Sicherheitspause ein. »Weißt du, was das für vier Engländer sind?« fragte Bernie, während er den Hang hinunterspähte. »Nee, dazu wurde nichts gesagt«, gab Hale zurück. »Wahrscheinlich aber sind das völlig harmlose Touristen.« »Wahrscheinlich waren das harmlose Touristen«, korrigierte Bernie. »Mensch, Hale, stell' dir doch mal vor: Jody und diese vier Typen, 'n Wolf in 'ner Schafherde ist doch harmlos dagegen!« *** Lady Agatha befand sich in Hochstimmung. Sie sah die beiden Männer kommen und freute sich auf die Begegnung. Sie hatte ihrem Butler eben erst versichert, daß sie mit dem Ausflug durchaus zufrieden war. Hier gab es wenigstens etwas zu tun, was ganz nach ihrem Herzen war. In der rechten Hand schwang sie ihren Pompadour, der dem Aussehen nach aus der Zeit der Queen Victoria stammte. Dieser mit Perlen bestickte Handbeutel hing an soliden Schnüren und Ketten. Im Pompadour befanden sich allerdings keineswegs jene kleinen Dinge, die eine Dame von Welt bei sich trug, sondern ein einstmals modisches Utensil, ein echtes Hufeisen, das aus Gründen der Humanität oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. Die Zierperlen waren übrigens recht groß und massiv ausgefallen. Ihnen sah man keineswegs an, daß sie gewisse Überraschungen bargen, die zur Selbstverteidigung dienten. Einige dieser Zierperlen stammten übrigens aus Parkers privatem Labor und ließen sich aufschrauben. Lady Agatha musterte einen der sich vorsichtig anpirschenden Männer und war mit ihrer Wahl durchaus zufrieden. Dieser kompakt aussehende Mann mit dem vollen Gesicht war ein würdiges Ziel für ihren Pompadour, wie sie fand. Natürlich merkte sie nicht, daß der Butler hinter ihr Stellung bezogen hatte. Er hielt seinen Universal-Regenschirm »schußbereit« in den schwarz behandschuhten Händen, um im Fall eines Falles hilfreich und diskret eingreifen zu können. Dieser altväterlich gebundene Regenschirm hatte es in sich. Der Schirmstock war hohl und nichts anderes als ein Lauf, durch den der Butler nach Belieben Blasrohrpfeile oder auch Kleinstgeschosse verschießen konnte. Die Blasrohrpfeile befanden sich in kleinen, kaum wahrnehmbaren Köchern, die in den oberen Teilen des Spanngestells untergebracht waren. Selbst ein aufmerksamer oder mißtrauischer Beobachter wäre wohl kaum auf das Geheimnis dieser runden Spannköpfe gekommen.
Angetrieben wurden die Geschosse durch eine Spezial-Kohlensäurepatrone im schweren und fast unförmigen Bambusgriff dieses Schirms. Dadurch war Parker in der Lage, so gut wie geräuschlos seine Treffer anzubringen. In speziellen Fällen jedoch brauchte er nicht einzuschreiten... Lady Agatha hatte ihren Pompadour in Schwingung gebracht und wirbelte ihn an den Schnüren kreisförmig durch die Luft. Sie stand hinter einer Art Hecke aus Kakteen und visierte den kompakten Mann an, der sich ihr inzwischen bis auf etwa zwanzig Meter genähert hatte. Der Mann gab sich vorsichtig und mißtrauisch. Parker lenkte ihn ab, damit seine Herrin ungeniert ihren Pompadour auf die Luftreise schicken konnte. Er warf einen kleinen Stein seitlich neben den Kompakten, der prompt reagierte und beim Aufprall des Steins auf dem Boden wie eine zustoßende Viper herumfuhr und in die Knie ging. Er riß dabei seinen Revolver hoch und visierte einen dornigen Strauch an. »Komm' raus«, sagte er warnend, »ich sehe dich.« Was er Sekunden später wirklich sah, waren äußerst bunte und geometrische Figuren, die jeden Künstler begeistert hätten. Der Kompakte verdrehte die Augen und warf dann seine stämmigen Beine hoch in die Luft: Diese kleine akrobatische Einlage hing mit dem Pompadour zusammen, der auf seinem Hinterkopf gelandet war. Myladys »Glücksbringer« sorgte für eine oberflächliche Gehirnerschütterung, die den Mann veranlaßte, sich erst mal flach auf den steinigen, staubigen Boden zu legen. »Darf ich mir erlauben, Mylady zu diesem Treffer zu beglückwünschen?« fragte Josuah Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. »Reden wir nicht über Selbstverständlichkeiten, Mr. Parker«, gab sie wohlwollend zurück. »Was macht das dritte Subjekt?« »Es dürfte diesen erfreulichen Zwischenfall noch nicht registriert haben, Mylady. Es schürt, wenn ich es so waidmännisch ausdrücken darf, auf Miß Porter und Mr. Rander zu.« »Hoffentlich schaffen die Kinder es«, sorgte die Detektivin sich. »Ich sollte wohl besser zu ihnen hinübergehen.« »Vielleicht später, Mylady«, schlug der Butler gemessen vor. »Die jungen Herrschaften sollten möglicherweise ihre eigenen Erfahrungen machen.« Parker kannte nur zu gut die Absicht seiner Herrin, Kathy Porter und Mike Rander in allen Ehren zusammenzuführen. Sie träumte nicht nur davon, die »Kinder« miteinander zu verheiraten, nein, Lady Agatha nutzte jede sich nur bietende Gelegenheit, diesen Traum Realität werden zu lassen. »Was war das?« fragte sie plötzlich und sah Parker irritiert an. Sie hatte den Eindruck gehabt, als sei ganz in ihrer Nähe eine Sektflasche geöffnet worden. »Mylady hörten einen, schallgedämpften Schuß«, antwortete Josuah Parker in seiner gemessenen Art. »Der Gangster hat geschossen?«
»Davon sollte man ausgehen, Mylady«, kommentierte der Butler, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Er spielte diese Gelassenheit nicht nur, sie war echt. Er kannte die sportlichen Fähigkeiten Kathy Porters und Mike Randers. Die Gesellschafterin und Sekretärin der älteren Dame mochte zwar wie ein scheues Reh aussehen, doch sie konnte sich in Bruchteilen von Sekunden in eine wilde Pantherkatze verwandeln. Sie war erfahren in allen Künsten fernöstlicher Verteidigung und nahm es spielend leicht sogar mit einigen Angreifern auf. Ähnliches galt auch für Mike Rander. Hinter seinem Phlegma verbarg sich ein durchtrainierter Sportsmann, der mit Handkanten und Fäusten exzellent umzugehen verstand. Wie recht er mit seiner Ruhe hatte, zeigte sich wenig später. Er hörte nämlich seinen Namen. »Sir?« antwortete Parker höflich und trat hinter dem Kakteenvorhau vor. »Darf ich davon ausgehen, daß man den dritten Mann außer Gefecht gesetzt hat?« »Dieser Sportsmann lief direkt in meinen Haken«, sagte Mike Rander und erschien neben einigen Sträuchern, die eine kleine Erdfalte säumten. Er rieb sich oberflächlich die Knöchel seiner rechten Hand und trat höflich zur Seite, als Kathy Porter neben ihm auftauchte. Sie hielt in der linken Hand einen Revolver, dessen Mündung ein langer Schalldämpfer zierte. »Aller guten Dinge sind drei«, freute sich die ältere Dame und nickte Kathy Porter und Mike Rander wohlwollend zu. »Aber jetzt möchte ich endlich wissen, warum man mich ermorden wollte, Mr. Parker. Wo kann ich die Strauchdiebe verhören? Sorgen Sie dafür, daß ich das ungestört tun kann.« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, antwortete der Butler. »Vielleicht sollte man aber erst mal die Fahrt fortsetzen. Der Hubschrauber könnte immerhin noch mal zurückkehren und sich als ausgesprochen störend und hinderlich erweisen.« *** In einem hübschen, bewaldeten Seitental in der Nähe der Indianer-Reservation fand Josuah Parker mit sicherem Instinkt eine Jagdhütte, die zur Zeit unbewohnt war. Er stellte den Ford unter einigen Bäumen ab, stieg aus und wartete auf den Buick, der von Mike Rander gesteuert wurde. Er erschien wenig später in dem schmalen Tal und hielt. Parkers Vermutung bestätigte sich. Die Jagdhütte war leer. Er brauchte nur wenige Sekunden, bis das an sich recht solide Vorhängeschloß sich fast freiwillig öffnete. Zum »Überreden« dieses Schlosses benutzte der Butler sein kleines Spezialbesteck, das an einem Schlüsselbund normaler Art erinnerte, jedoch einige Zusatzinstrumente enthielt, die einen professionellen Einsteigedieb mit Sicherheit neidisch gemacht hätte. Parker öffnete die Tür, schaute sich kurz um und lüftete dann seine schwarze Melone in Richtung Lady Agatha.
»Recht hübsch«, urteilte sie, nachdem sie den Wohnraum kurz besichtigt hatte. »Schaffen Sie diese Subjekte herein, Mr. Parker, aber fassen Sie sie nicht unnötig mit Glacehandschuhen an!« »Wie Mylady wünschen ...« Parker ging zum Ford und sperrte den Kofferraum auf. Die Spezialisten Bernie, Hale und Jody lagen einträchtig nebeneinander und schössen giftige Bücke auf den Butler ab. »Ich möchte Sie nicht unnötig beunruhigen«, schickte Josuah Parker würdevoll voraus, dämpfte allerdings bewußt seine Stimme. »Lady Agatha wünschen, die Herren zu verhören.« »Verschwendete Zeit«, sagte Jody gereizt. »Vorschnell pflegt die Jugend zu urteilen, wie es im Volksmund treffend heißt«, stellte der Butler höflich fest. »Lady Simpson pflegt selten Zurückhaltung.« »Die Alte hat nur eine Chance, lebend davonzukommen«, schaltete Bernie sich ein. »Sie soll sich schleunigst in die nächste Maschine setzen und Los Angeles verlassen.« »Kann ich nur unterstreichen«, fügte Hale knapp hinzu. »Nun, Sie sollten Mylady Ihre Vorschläge persönlich unterbreiten«, schlug Parker vor. »Wenn ich die Herren bitten darf, den Kofferraum zu verlassen?« Sie hatten einige Schwierigkeiten, ihre Beine auf den Boden zu stellen. Josuah Parker hatte den Verbandskasten des Ford geplündert und ausreichend Heftpflaster und Mullbinden verwendet, um die drei Gangster geschickt und nachhaltig zu fesseln. Mit kleinen Schritten bewegten sich die drei Spezialisten in die Hütte und blieben überrascht stehen, als sie Lady Agatha erblickten, die gewisse Vorbereitungen für das geplante Verhör traf. Sie hielt eine lange Hutnadel in der rechten Hand. Dieses Gerät, das an einen mittleren Bratspieß erinnerte, stammte aus ihrer Kopfbedeckung, einer pikanten Kreuzung aus einem Napfkuchen und einem Südwester. Doch es war nicht die Hutnadel allein, die die drei Gangster prompt nervös machte. Es waren Mike Randers Worte: «... muß ich wirklich protestieren, Mylady«, sagte er gerade eindringlich und deutete auf den »Bratspieß«, »das ist ja das reinste Folter- und Mordinstrument. Als Anwalt muß ich gegen Ihr Vorhaben protestieren.« »Papperlapapp, Mike«, sagte die Sechzigerin grollend und prüfte vorsichtig die Spitze der Hutnadel. »Seien Sie nicht so empfindlich, mein Junge. Ich will ja nicht S i e pieksen! Und überhaupt - ich werde höchstens zwei bis drei Zentimeter zustechen. Das ist in meinen Augen noch nicht mal eine leichte Körperverletzung.« »Wenn die Herren Platz nehmen würden?« Parker deutete auf drei einfache Hocker. »Die Vernehmung wird gleich beginnen. Ich möchte darauf verweisen, daß kein Mensch Sie zwingen wird, Aussagen zur Sache zu machen.« »Seid ihr bekloppt?« brauste Jody auf. »Das könnt ihr doch mit uns nicht machen. He, Sie da, Sie komischer Butler, pfeifen Sie die verrückte Alte zurück!« »Ich sehe mich in Anbetracht Ihrer Ausdrucksweise, die einer Beleidigung nahe kommt, gezwungen, Sie ein wenig
zurechtzuweisen«, antwortete Josuah Parker und klopfte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms dezent auf Jodys Kopf, der daraufhin fast vom Hocker rutschte und nach Luft schnappte. »Die Herren sollten sich einer höflichen und respektvollen Ausdrucksweise befleißigen«, schloß Parker gemessen. »Verstöße gegen ein gesittetes Benehmen werden pädagogische Maßnahmen meinerseits auslösen.« »Und auch meinerseits«, warf die ältere Dame ein und stieß die Spitze ihrer Hutnadel in das Holz des Tisches. »Ich bin eine leicht erregbare Frau, denken Sie daran!« »Zuerst mal zu Ihnen, Sie Flegel«, begann Lady Agatha und widmete sich Jody, dessen leicht verglaste Augen wieder klarer wurden. »Sie haben auf meinen Butler geschossen.« »Aber der hatte doch vorher die Patronen rausgenommen«, verteidigte sich Jody und sah den Butler fast entschuldigend an. »Was Sie aber nicht wußten, Sie Lümmel«, herrschte die resolute Dame den Spezialisten an. »Sie wollten einen Mord begehen.« »Als Ihnen dies mißlang, genierten Sie sich nicht, Ihre beiden Begleiter zu verraten«, schaltete sich Josuah Parker ein und präsentierte Jody und dessen Partnern die bewußte Tankquittung mit den Telefonnummern. Dann las er diese beiden Telefonnummern sicherheitshalber laut vor, worauf Bernie und Hale Blicke tauschten. »Weil... weil die abgehauen waren«, verteidigte sich Jody hastig und wandte sich dann an Bernie und Hale; »Wer hat denn die Kurve gekratzt? Wer wollte mich denn in die Pfanne hauen, he?« Bernie und Hale verzichteten bewußt auf eine Antwort und übersahen Jody, dem bereits Schweißperlen auf der Stirn standen. Er wußte schließlich genau, was Parkers Aussage bedeutete: Falls er noch mal frei kam, mußte er die Staaten so schnell wie möglich verlassen, falls er an einem Weiterleben noch interessiert war. Er hatte schließlich gegen die ungeschriebenen Gesetze seines Berufsstands verstoßen und damit sein Todesurteil unterschrieben. »Sie hatten also den Auftrag, Miß Maud Wilmington zu entführen«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »War das Ihre eigene Idee - oder geschah das tatsächlich in fremdem Auftrag, wie dieses Subjekt dort behauptete?« Sie deutete auf Jody, der so etwas überhaupt nicht gesagt hatte, doch Hale und Bernie reagierten nicht auf Jodys empörtes Kopf schütteln, der vor Überraschung erst kein einziges Wort hervorbrachte. Als er es dann aber schaffte und wortreich beteuerte, er habe kein Wort gesagt, maßen die beiden Spezialisten ihn mit einem verächtlichen Blick. »Sie handelten also in Fremdauftrag«, stellte Josuah Parker wie selbstverständlich fest. »Ich möchte mir an dieser Stelle erlauben, meiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen. Da Sie im Fremdauftrag handelten, wie jener Herr dort bestätigte, gehören Sie offensichtlich nicht jener Organisation an, die man
gemeinhin die Mafia nennt. Mylady erwarten, daß Sie nun nähere Angaben machen werden, die Ihren Auftraggeber betreffen.« »Wir sollten lieber gehen«, sagte Mike Rander in diesem Augenblick leise, aber dennoch deutlich genug zu Kathy Porter. »Ja, bitte«, sagte sie dankbar, »ich kann kein Blut sehen.« »Ich will nicht sehen und wissen, was jetzt passiert«, rief Anwalt Rander der älteren Dame zu, »aber ich sage Ihnen noch mal, Mylady, was Sie jetzt tun werden, kann ich als Anwalt nur tief mißbilligen.« Die drei Spezialisten hatten selbstverständlich keine Ahnung, daß Ihnen nur etwas vorgespielt wurde. Sie schnauften und beobachteten Kathy Porter und Mike Rander, die schleunigst die Jagdhütte verließen. Die drei Gangster wären liebend gern aufgestanden und mitgegangen, doch da war der Regenschirm in der Hand des Butlers, der sie veranlaßte, vorerst doch auf den Hockern zu bleiben. »Kommen wir also zu Ihrem Auftraggeber«, sagte die Detektivin und schlenderte um den Tisch herum. In der rechten Hand hielt sie die überlange, spitze Hutnadel. Lady Agatha nahm Kurs auf Jody, der sich nun doch etwas erhob, aber wegen der Fußfesseln nicht losspurten konnte. »Bitte, Mylady, nicht zu tief, wie seinerzeit in Chikago«, bat Josuah Parker höflich, wandte sich aber sicherheitshalber ab. »Wer war der Auftraggeber für dieses Kidnapping?« fragte Lady Simpson und sorgte dafür, daß Jody wieder Platz nahm. Sie hatte die Nadelspitze gezielt vorschnellen lassen und den Spezialisten damit wieder zur Räson gebracht. Jody schielte erneut auf diesen »Bratspieß« und verfärbte sich. Er hatte natürlich keine Ahnung, daß dies alles nur Bluff war, der ihn in die richtige Plauderstimmung versetzen sollte. *** »Nun, haben die Burschen es überstanden?« erkundigte sich Mike Rander eine Viertelstunde später, als Parker aus der Jagdhütte kam. »Die drei Herren sprechen übereinstimmend und offensichtlich glaubwürdig von einem Auftraggeber, den sie als den >Dunkelblauen< zu bezeichnen belieben«, erwiderte Josuah Parker. »Mehr hat Lady Simpson nicht herausgebracht?« wunderte sich Rander lächelnd. »Mehr hatten die drei Herren nicht anzubieten«, entgegnete der Butler höflich. »Es dürfte übrigens eine erwiesene Tatsache sein, daß die drei Männer keineswegs Mitglieder der Mafia sind. Man könnte sie als Einzelunternehmer in Sachen Verbrechen und Mord bezeichnen.« »Drei Einzelunternehmer«, wiederholte Mike Rander nachdenklich. »Wahrscheinlich inserieren sie nicht gerade in den Zeitungen, wie?« »Keineswegs und mitnichten, Sir«, pflichtete Parker dem Anwalt bei. »Man dürfte nur auf recht komplizierte Art und Weise mit ihnen in Verbindung treten
können. Derjenige also, der sie engagierte, muß über bemerkenswerte Kenntnisse verfügt haben, was die Usancen der Unterwelt anbetrifft.« »Drei Spezialisten, um eine junge Frau zu entführen«, schaltete sich Kathy Porter ein. »Hat dieser Auftraggeber denn keine Angst gehabt, daß die drei Männer dieses Geschäft auf eigene Rechnung weiterführen könnten, Mr. Parker?« »Eine äußerst wichtige Frage, Miß Porter, die den Kern der Sache trifft«, stellte Josuah Parker fest. »Diese drei Spezialisten hatten hur den Auftrag, Miß Wilmington und ihren Begleiter zu einem Hubschrauber zu bringen. Die jeweiligen Honorare für diese Arbeit möchte ich als exorbitant bezeichnen.« »Wieviel sollte denn jeder bekommen, Parker?« erkundigte sich Mike Rander. »Nach einer Anzahlung von fünftausend Dollar noch mal zehntausend nach ausgeführter Arbeit.« »Fünfzehntausend, nicht schlecht.« Mike Rander lächelte mokant. »Und das für eine Art Spaziergang.« »Fünfundvierzigtausend Dollar«, sagte Kathy Porter nachdenklich. »Der Auftraggeber scheint nicht gerade mittellos zu sein.« »In der Tat, Miß Porter«, pflichtete Parker ihr bei. »Hinzu kommt noch das Risiko, das er mit der Verpflichtung der drei Männer eingegangen ist. Sie sind doch gut für ein Geschäft auf eigene Rechnung. Daraus lassen sich, wie zu bemerken ich mir erlaube, gewisse Schlüsse ziehen.« »Dieser Auftraggeber kannte das Risiko, Parker, fürchtete es aber nicht. Das wollen Sie damit doch sagen, nicht wahr?« »Er fürchtete es nicht, weil er über Mittel verfügt, die drei Spezialisten jederzeit zur Ordnung rufen zu können, Sir.« »Genau das meine ich, Parker.« Mike Rander nickte langsam. »Ein Privatmann kann es also nicht gewesen sein, ich denke da an einen Privatmann, der per Zufall an die Adressen der drei Gangster geraten ist. Nein, nein, dieser Auftraggeber wußte genau Bescheid und verfügt über Mittel, Extratouren der drei Burschen im Keim zu ersticken.« »So etwas würde doch nur die Mafia können«, warf Kathy Porter ein. »Wenn Sie erlauben, Miß Porter, möchte ich mich Ihrer Ansicht anschließen«, entgegnete der Butler. »Die Mafia hat die drei Spezialisten engagiert, aus Gründen, die sich einer genaueren Beurteilung leider noch entziehen.« »Was halten Sie denn davon, wenn die Mafia drei Sündenböcke präsentieren wollte, Mr. Parker?« »Eine Begründung, die man nur als bestechend bezeichnen sollte, Sir.« »Vielen Dank!« Mike Rander lächelte. »Es tut immer wieder gut, von Ihnen gelobt zu werden, Parker. Was machen wir jetzt mit den drei Burschen? Könnte man sie nicht als Lockvögel verwenden?« »Müssen wir diese Miß Wilmington nicht warnen? Sollte man nicht die Polizei verständigen?« fragte Kathy Porter.
»Sie befindet sich zur Zeit wohl noch in Palm Springs«, gab Parker Auskunft. »Die drei Männer wurden wenigstens, wie sie einräumten, dahingehend von ihrem Auftraggeber informiert.« »Dann sollten wir aber keine Zeit verlieren.« Rander warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Mal hören, was Lady Simpson dazu sagt.« Mike Rander hatte diesen Satz noch nicht ganz ausgesprochen, als die Lady in der Tür der Jagdhütte erschien. Sie machte einen sehr zufriedenen Eindruck. »Das muß man sich mal vorstellen«, sagte sie, allerdings ohne jeden Ärger in der Stimme, »man hat es doch gewagt, mich zu beleidigen. Es fielen da ein paar Ausdrücke, die ich nicht wiederholen möchte.« »Ein Tun, das man nur als ausgesprochen verwerflich bezeichnen sollte und auch muß, Mylady«, kommentierte der Butler diese Feststellung. »Sie haben diese Burschen zur Verantwortung gezogen, Mylady?« fragte Mike Rander und lächelte. »Allerdings.« Agatha Simpson nickte. »So etwas kann man sich als schwache Frau ja nicht bieten lassen. Ich habe diese Subjekte geohrfeigt.« »Wenn Sie gestatten, Mylady, werde ich mich umgehend ein wenig um die Geschädigten kümmern«, meinte Parker. Er lüftete seine schwarze Melone und machte sich auf den Weg in die Jagdhütte. Er hatte schon oft beobachten können, wie niederschmetternd im wahrsten Sinn des Worts solche Ohrfeigen ausfielen. Der Butler hielt es daher für dringend notwendig und angebracht, eine Art erste Hilfe zu leisten. *** Aus dem Lautsprecher des kleinen Funksprechgeräts quäkte eine Stimme. Mike Rander hatte das Gerät sicherheitshalber auf Empfang geschaltet und wurde für seine Vorsicht belohnt. Er griff nach dem Gerät und nahm eine Libelle zur Kenntnis, die sich mit gewissen Naturfreunden in Verbindung setzen wollte. »Hier Naturfreunde«, erwiderte er, die Sprechtaste drückend. »Libelle, kommen!« »Alles erledigt?« fragte die Gegenseite. »Alles klar«, antwortete Mike Rander und zwinkerte Kathy Porter zu, die knapp vor ihm stand. »Was machen die Engländer?« wollte die Libelle wissen. »Sieht böse aus«, schwindelte Mike Rander weiter aus dem Stegreif heraus, »die haben ... Pech mit ihrem Ford gehabt.« Auf der Gegenseite blieb es einen Moment still, dann war wieder die quäkende Stimme zu hören. »Wir kommen. Wo steckt ihr?« »In 'nem Seitental knapp vor Idyllwild«, antwortete der Anwalt. »Wie lange braucht ihr?« »Zehn Minuten. Macht euch bemerkbar! Ende!«
Mike Rander schaltete das Gerät ab und zog ein nachdenkliches Gesicht. »Haben die nun den Bluff durchschaut oder nicht?« fragte er Kathy Porter. »Diese Funksprechgeräte verzerren jede Stimme.« »Vielleicht existiert ein Codewort, das wir nicht kennen.« »Das könnte dann tödlich werden«, gab Kathy Porter zurück. »Wie sollen wir uns bemerkbar machen?« »Nun ja, auf die Lichtung stellen und winken«, sagte Mike Rander. »Keine besonders reizvolle Situation, falls diese Libelle eine Maschinenpistole an Bord hat.« Das fanden auch Butler Parker und Lady Simpson, die aus der Jagdhütte kamen. Nachdem sie von dem Funkkontakt gehört hatten, wußte die Detektivin einen Rat. »Wir stellen die drei Flegel neben den Buick«, sagte sie energisch, »auf die eigenen Leute wird man doch wohl nicht schießen, oder?« »Falls man dies plant, Mylady, könnte man das Feuer erwidern«, schlug Josuah Parker vor. »Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werde ich die drei Herren zum Buick bringen.« »Und wie warnen wir Miß Wilmington?« fragte Kathy Porter. »Anschließend, Kindchen«, meinte die ältere Dame, »alles zu seiner Zeit... Erst möchte ich diese Subjekte außer Gefecht setzen. Ich fühle mich in sehr guter Stimmung.« Butler Parker geleitete die drei Gangster Bernie, Hale und Jody zum Buick, den Mike Rander auf eine Lichtung gefahren hatte. Mit einigen Mullbinden »befestigte« der Butler die drei Gangster am Wagen. Sie mußten dies über sich ergehen lassen, machten aber keinen sonderlich glücklichen Eindruck. »Was soll das?« fragte Bernie, der von Minute zu Minute nervöser wurde. »Ich denke, wir bekommen bald Besuch«, erwiderte Mike Rander und deutete zum blauen Vormittagshimmel, »da hat sich eben eine Libelle angesagt.« »Libelle?« wiederholte Hale und warf einen schnellen Blick nach oben. »Wollen Sie uns auf 'nem Servierteller anbieten?« fragte Bernie. »Rechnen Sie möglicherweise damit, daß man auf Sie schießen wird?« erkundigte sich der Butler. »Quatsch«, lautete die umgehende, aber nicht überzeugende Antwort. »Man wird selbstverständlich alles zu Ihrem Schutz unternehmen«, versicherte der Butler den drei Spezialisten. »Die Frage drängt sich allerdings auf, ob Sie für Ihre Auftraggeber überhaupt noch relevant sind. »Was sind wir?« blaffte Jody den Butler an. »Möglicherweise haben die Herren Ihren Part bereits gespielt und werden nicht mehr weiter benötigt«, machte der Butler ihnen deutlich; ohne auf Jodys Frage näher einzugehen. »Man könnte sich auch vorstellen, daß der dunkelblaue Auftraggeber befürchtet, Sie könnten ihn durch irgendeinen Hinweis gefährden oder sogar verraten.« »Unsinn, wir wissen nichts«, erklärte Bernie, »und das haben wir der Lady bereits gesagt. Wir sind ganz ahnungslos.«
»Ich glaube, der Hubschrauber kommt«, ließ sich Mike Rander in diesem Moment vernehmen und deutete tief ins Tal. »Bringen wir uns in Deckung«, sagte die ältere Dame. »Ich habe ein ungutes Gefühl. Was ist, wenn diese Libelle etwa Bomben abwerfen wird? Nicht auszudenken!« »Gegen solch eine aggressive Handlungsweise wäre man natürlich machtlos, Mylady«, stellte Butler Parker fest. Er sah die drei Spezialisten fast bedauernd an. »Nun, sollte das eintreten, womit ich rechne, werden wir Ihnen eine würdige Bestattungsfeier richten lassen«, tröstete die Lady die drei Gangster, die erstaunlich knieweich wurden und wie hypnotisiert auf das riesige Insekt starrten, das auf halber Talhöhe zu erkennen war... *** »Er sucht das Tal Stück für Stück ab«, sagte Kathy Porter, die zusammen mit Lady Agatha und Mike Rander weit von der Jagdhütte entfernt im dichten Unterholz Schutz gesucht hatte. Sie und ihre beiden Begleiter befanden sich im Besitz der Schußwaffen, die man den drei Gangstern abgenommen hatte. Sie richteten sich darauf ein, den Hubschrauber unter gezieltes Feuer zu nehmen. Ihnen war allerdings auch klar, daß man sie schon nach den ersten Schüssen ausfindig machen würde. Mit wütendem Gegenfeuer war dann bestimmt zu rechnen. »Wo steckt denn Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Simpson. Sie hätte es zwar nie zugegeben, doch sie vermißte Parkers Gegenwart. »Parker scheint Feuerholz schlagen zu wollen«, antwortete Mike Rander leichthin. »Ich sah ihn mit einer Handaxt auf die Felskanzel marschieren.« »Feuerholz?« wunderte sich die ältere Dame und schüttelte den Kopf. »Das verstehe, wer will.« »Man hört tatsächlich Axtschläge«, warf Kathy Porter ein. »Manchmal irritiert mich dieser Mann«, räumte Lady Agatha nun doch ein. »Wahrscheinlich trifft er Vorbereitungen für den Tee«, meinte der Anwalt und lächelte ironisch. »Der Hubschrauber kommt immer näher«, meldete Kathy Porter. »Und Mr. Parker schlägt Feuerholz!« Agatha Simpsons Stimme hatte ihren grollenden Unterton angenommen, »und dabei ist hinter der Jagdhütte doch Holz gestapelt, wie ich gesehen habe.« »Er hat eben so seine Eigenarten«, erklärte Mike Rander, »wir kennen ihn doch! Richtig, er hat mir noch etwas gesagt, bevor er losmarschierte: Wir sollen nach den ersten Schüssen aus unseren Revolvern schleunigst den Standort wechseln.« »Und dieser Mann schlägt jetzt Holz!« Lady Agatha richtete sich auf und musterte den Felsvorsprung etwa fünfzig Meter über und hinter ihr. Dieser Vorsprung erinnerte tatsächlich an eine riesige Kanzel, die allerdings mit Stangenholz bewachsen war. »Ich glaube, das bringt meinen Kreislauf in Unordnung ...«
»Der Hubschrauber«, mahnte Kathy Porter und deutete auf die riesige Libelle, die jetzt deutlich zu sehen war. Vorn in der Glaskanzel waren zwei Männer zu erkennen. Die Tür auf der Seite des Co-Piloten war ausgehängt worden. Der Hubschrauber blieb in der Luft stehen, die beiden Männer mußten inzwischen das Dach der Jagdhütte entdeckt haben. Das Rieseninsekt beschrieb einen kleinen Halbkreis, entfernte sich ein wenig und verschwand hinter den Bäumen. »Diese Zeitgenossen da oben sind aber verdammt mißtrauisch«, bemerkte Anwalt Rander. »Wahrscheinlich werden sie dort durch die Schneise kommen.« Er deutete auf die Fortsetzung der natürlichen Lichtung. Von Parkers Holzfällerarbeit war übrigens längst nichts mehr zu hören. Das harte Schlagen der Rotorblätter übertönte alle Geräusche. »Er kommt«, rief Mike Rander und warf einen prüfenden Blick auf seinen Beuterevolver. »Wir sollten gleichzeitig schießen, schlage ich vor, das massiert das Feuer und erhöht die Trefferchancen.« »Ich kann Mr. Parker einfach nicht verstehen«, räsonierte die resolute Dame jetzt ärgerlich. »Hat dieser Mann denn kein Pflichtgefühl? Oder sollte ihm diesmal nichts eingefallen sein!?« *** Josuah Parker schaute äußerst wohlgefällig auf die vier langen Hölzer, die er bereits notdürftig entastet hatte. Diese Holzstangen, eben noch junge Bäumchen, waren pro Stück etwa vier Meter lang und machten vorerst noch einen recht nutzlosen Eindruck. Der Butler hatte sie, deren Durchmesser etwa achtzehn bis zwanzig Zentimeter betrug, an den äußersten Rand der Felskanzel geschleift und beobachtete jetzt den Hubschrauber, der die Lichtung vor der Jagdhütte ansteuerte. Die beiden Insassen des Helikopters mußten die Gangster neben dem Buick längst ausgemacht haben. Parker verfolgte den durchaus gekonnten Flug des Hubschraubers, der schneller wurde und direkt auf den Buick zuhielt. Parker sah von seiner natürlichen Kanzel aus sogar noch mehr. Der Co-Pilot hielt einen länglichen Gegenstand in den Händen und beugte sich weit aus der Türöffnung. Das konnte nur eine Schußwaffe sein. Der Hubschrauber schwenkte mit seinem Hinterteil herum und brachte den Schützen in eine bessere Position. Parker konnte nur hoffen, daß Lady Simpson, Kathy Porter und Mike Rander dieses Manöver richtig deuteten und das Feuer aus den Revolvern eröffneten. Er hörte zwar nichts, weil das Geräusch der Rotoren wirklich zu laut war, doch er sah deutlich, wie der Hubschrauber plötzlich leicht schwankte und dann steil hochgerissen wurde. Wie ein überdimensional großer Fahrstuhl stieg der Helikopter senkrecht nach oben und strich dann ab. Er überflog das Versteck der Schützen und setzte sich genau auf dem Kurs ab, den der Butler vorausberechnet
hatte. Nicht umsonst hatte er Mike Rander gebeten, im dichten Unterholz seitlich hinter der Jagdhütte Stellung zu beziehen. Der Pilot wollte möglichst schnell der Feuerzone den Rücken kehren und hinter dem Felsvorsprung erst mal verschwinden. Der Co-Pilot nahm sich aber noch die Zeit, eine Art Ball nach unten zu werfen. Dieser schwarze Ball detonierte plötzlich, produzierte einen Feuerblitz und eine Staubwolke, durch die kleine Äste und Blattwerk drangen und sich weit verstreuten. Butler Parker deutete dies als einen unfreundlichen Akt und antwortete umgehend. Er nahm die erste Holzstange in beide schwarz behandschuhten Hände, balancierte sie kurz aus, verließ sich auf die Kraft seines rechten Arms und betätigte sich als olympischer Speerwerfer. Es war frappierend, mit welcher Kraft er seinen improvisierten Speer weit in die Luft beförderte. Die Holzstange bewegte sich viele Meter nach vorn, senkte sich dann und geriet aus dem Gleichgewicht. Sie überschlug sich und näherte sich dem Hubschrauber, dessen Insassen von dieser akuten Gefahr noch nichts bemerkt hatten. Als es dann soweit war, zuckte der Hubschrauber förmlich zurück. Die lange Holzstange trudelte dicht an den beiden kreisenden Rotorblättern vorbei nach unten und verschwand in der abziehenden Staubwolke, die die Handgranate hinterlassen hatte. Parker hatte seinen ersten »Speer« absichtlich nicht direkt auf den Hubschrauber geworfen. Ihm ging es nur darum, dem Piloten einen Adrenalinstoß zu versetzen und ihn dazu zu bringen, nicht den alten Kurs beizubehalten. Der Mann tat ihm diesen Gefallen. Wie gesagt, der Hubschrauber zuckte zurück, schwenkte zur Seite und geriet in die Reichweite der beiden nächsten Stangenhölzer, die der Butler bereits nach unten geworfen hatte. Der Effekt war geradezu dramatisch ... Das dritte Stangenholz landete in den Rotoren und richtete dort Verwirrung an. Ein Rotor knickte etwas ab und kam aus der Form. Der Hubschrauber taumelte wie ein flügellahmer Schmetterling und sah gar nicht mehr bedrohlich aus. Das riesige Insekt sackte nach unten weg, kippte zur Seite und rauschte dann in das dichte Blattwerk einiger halbhoher Bäume. Von dem harten Schlagen der Rotoren war längst nichts mehr zu vernehmen. Dafür krachten kleine und große Äste, die unter dem Gewicht des Helikopters brachen. Josuah Parker legte sich den bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms korrekt über den angewinkelten Unken Unterarm, prüfte den, Sitz der schwarzen Melone und schritt dann gemessen zu dem Steilhang, um zurück zur Lichtung zu gehen. Er war mit seiner sportlichen Einlage durchaus zufrieden, wenngleich man seinem Pokergesicht auch keine Gefühlsregung ansah. Nach wenigen Augenblicken blieb er kurz stehen und beobachtete das Feuer, daß sich in zwei Baumgipfeln ausbreitete. Kurz danach war eine reißende Detonation zu hören. Der Helikopter hatte sich in seine Einzelbestandteile aufgelöst.
Nun, seiner Schätzung nach hatten die beiden Männer im Hubschrauber noch ausreichend Zeit gehabt, ihr Luftfahrzeug zu verlassen. Die Liftfahrt mit dem beschädigten Hubschrauber hatte höchstens zehn Meter betragen. Die Wucht des Aufschlags, der dazu noch vom Geäst gemildert worden war, hatte nicht besonders hart sein können. *** Sie machten einen betretenen Eindruck, waren von Lady Agatha, Kathy Porter und Mike Rander bereits geborgen und in Haft genommen worden. Die beiden Männer aus dem Hubschrauber saßen mit gekreuzten Beinen auf dem Rasen der Lichtung und starrten auf die drei am Buick festgezurrten Gangster, die ihrerseits gereizt in die Gegend stierten. Mike Rander hielt die beiden Piloten mit dem Revolver unter Kontrolle. »Mylady mögen meine Eigenmächtigkeit entschuldigen«, sagte Parker und lüftete in Richtung seiner Herrin die Melone, »aus Gründen, die mit dem Zeitzwang in direktem Zusammenhang stehen, war es meiner bescheidenen Person leider nicht mehr möglich, nähere Einzelheiten meiner Absichten zu erläutern.« Die beiden Piloten rissen förmlich die Köpfe herum und starrten den Butler entgeistert an. Solch einen Satz hatten sie wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben gehört. Kathy Porter und Mike Rander sahen sich nur kurz in die Augen und lächelten dann. »Sie haben doch schon einiges von mir gelernt«, gab Lady Agatha unverfroren zurück, »genau das mit diesen Holzstangen wollte ich Ihnen vorschlagen.« »Mylady billigen demnach auch noch nachträglich meine Handlungsweise?« erkundigte sich Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Reden wir nicht mehr davon«, sagte sie wohlwollend und deutete dann auf die beiden Piloten, die noch immer Augen und Mund weit geöffnet hielten. »Sie haben hoffentlich gesehen, daß diese Subjekte eine Handgranate nach mir geworfen haben.« »Wenn es gestattet ist, möchte ich noch nachträglich meinem Entsetzen Ausdruck verleihen, Mylady.« »Sie haben auch auf unsere drei Freunde geschossen«, warf Mike Rander beiläufig ein. »Um ein Haar wären sie erwischt worden. Sehen Sie sich mal die Einschüsse im Buick an.« »Demnach trachtete man den drei Herren dort nach dem Leben?« fragte Parker. »Das kann man wohl sagen, Parker!« Rander nickte und lachte leise. »Hier wollte ein dunkelblauer Auftraggeber reinen Tisch machen. Daraus ergibt sich zumindest eine Schlußfolgerung.« »Richtig«, warf Lady Simpson ein, »welche übrigens? Sie ist mir im Moment entfallen.«
»Die drei Burschen dort müssen doch wissen, wer sie engagiert hat«, redete der Anwalt weiter, »wäre das nicht der Fall, hätte man nicht versucht, sie ins Jenseits zu befördern. Meinten Sie das, Mylady?« »Selbstverständlich.« Sie nickte. »Und jetzt werden die Subjekte wohl ein Interesse daran haben, mir die ganze Wahrheit zu sagen. Falls nicht, bleiben mir ja noch die beiden Piloten.« »Wenn es erlaubt ist, Mylady, möchte ich mir gestatten, einen sogenannten Ortswechsel vorzuschlagen«, sagte Josuah Parker. »Die Rauchsäule dessen, was mal ein Hubschrauber war, dürfte inzwischen registriert worden sein.« »Sie nehmen mir wieder mal das Wort von der Zunge, Mr. Parker.« Lady Agatha nickte beifällig. »Räumen wir das Feld, bringen wir die Subjekte an einen Ort, wo ich sie ungestört verhören kann.« »Parker und ich werden das Verladen übernehmen«, meinte Anwalt Rander, »ich hoffe, der Buick ist noch fahrbereit.« »Hören Sie«, meldete sich einer der beiden Piloten jetzt zu Wort, »Sie begehen einen schweren Fehler.« »Könnten Sie sich möglicherweise etwas präziser ausdrücken?« fragte der Butler. »Dies würde einem Zwiegespräch dienlich und förderlich sein.« »Warum setzen Sie sich nicht in einen der Wagen und hauen ab?« äußerte der Pilot, »warum vergessen Sie nicht einfach, was Sie gesehen haben?« »Darf man die Gründe für diesen Vorschlag in Erfahrung bringen?« »Das hier ist 'ne interne Sache zwischen denen da und uns«, erklärte der Pilot eifrig und deutete auf die drei festgezurrten Gangster, »um Sie geht es überhaupt nicht, Ehrenwort! Sie werden nie wieder von uns hören, das kann ich Ihnen versprechen.« »Sie haben eine Handgranate auf mich geworfen«, erinnerte die ältere Dame grollend, »so etwas kann ich nicht dulden.« »Wir hatten doch die da drüben gemeint«, entschuldigte sich der Pilot und deutete auf die Spezialisten am Buick. »Sie sprachen gerade von einer internen Auseinandersetzung«, hielt Josuah Parker fest, »sollten Mylady rein zufällig in das geraten sein, was man gemeinhin einen Bandenkrieg zu nennen pflegt?« »Das ist 'ne rein private Geschichte. Die haben uns mal reingelegt und übers Ohr gehauen.« »Könnten Sie möglicherweise Mitglieder der Mafia von Los Angeles sein?« fragte Josuah Parker gemessen und höflich weiter. »Die Mafia existiert nur in Romanen und in Filmen«, behauptete der Pilot wegwerfend. »Nun, wenn dem so ist, Mylady?« Parker wandte sich der Detektivin zu, »vielleicht sollte man in diesem Fall die Handgranate vergessen.« »Moment mal«, rief Jody prompt und mit leicht heiserer Stimme, »glauben Sie dem Schwein doch kein Wort. Natürlich ist er von der Mafia. Ich weiß es genau, ich kenne ihn. Und ob der von der Mafia ist...«
»Wahrscheinlich sind Ihre Worte das, was man eine Schutzbehauptung nennt.« Parker tat ahnungslos. »Das sind zwei Killer von der Spitze«, redete Jody hastig weiter. »Stuß, was das Miststück da sagt«, verteidigte sich der Pilot wütend. »Schließen Sie sich vielleicht der Meinung Ihres Partners an?« Parker sah Bernie und Hale interessiert an. Diesmal zeigte sein Gesicht eine Regung. Bernie und Hale musterten zuerst Jody, dann die beiden Piloten des Hubschraubers, der ausbrannte und leider eine beträchtliche Rauchsäule zum Himmel steigen ließ. Dann nickte Bernie zögernd. »Die beiden Piloten dort sind Killer der Mafia?« fragte Parker. »Wenn Sie schon wegfahren, dann binden Sie uns wenigstens los, damit wir 'ne kleine Chance haben«, warf Hale ein. »Und wo befindet sich der Sitz der örtlichen Mafia?« erkundigte sich Lady Agatha neugierig und wandte sich an die beiden Piloten. »Diese Leute möchte ich mir mal aus der Nähe ansehen. Wie heißt zum Beispiel der Boß, oder wie man das nennt?« »Walt Heston«, reagierte Jody prompt und überhörte die gespielte Ahnungslosigkeit und Naivität der Lady. »Er wohnt drüben in Palm Springs. Dort macht er auf Produzent.« »Mylady, wir sollten jetzt aber losfahren«, erinnerte Mike Rander, »wir werden hier bald Besuch bekommen.« »Gut, verladen wir diese Subjekte«, sagte Lady Agatha, »aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich möchte noch viel mehr hören. Mr. Parker, lassen Sie sich unterwegs einfallen, wo man ungestört miteinander plaudern kann. Und dann möchte ich endlich meinen zweiten Tee einnehmen.« »Sie wollen uns mitnehmen?« fragte der Pilot. »Was dachten denn Sie?« Agatha Simpson nickte grimmig. »Dann werden Sie nicht mehr lange leben«, warnte der Pilot noch mal und verzichtete auf alle Vorsicht. »Wer sich mit der Mafia einläßt, der ist reif...« *** Der große Ford lag tief in den Federn, denn die Ladung war immerhin beachtlich und bestand aus fünf ausgewachsenen Männern, die sich den großen Kofferraum teilen mußten. Es hatte sich herausgestellt, daß der Buick nicht mehr fahrbereit gewesen war. Parker saß am Lenkrad und steuerte den Wagen aus dem Tal. Das Quartett hatte genau den richtigen Zeitpunkt gewählt, denn unterwegs kamen bereits zwei Streifenwagen der Polizei entgegen. Die Rauchsäule war also doch wahrgenommen worden und hatte Alarm bei den zuständigen Stellen ausgelöst. Der zweite Streifenwagen wurde von seinem Fahrer schräg zur Fahrbahn ausgerichtet und stoppte so die Fahrt des Ford. Josuah Parker stieg aus und schritt
einem Streifenwagen entgegen. Der Polizist nestelte sicherheitshalber an seiner Dienstwaffe herum. »Ich möchte eine Anzeige erstatten«; sagte Josuah Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Falls meine bescheidenen Sinne mich nicht getrogen haben, so muß ein Hubschrauber weiter unten im Tal mit einem Baumwipfel in eine gewisse Kollision geraten sein.« »Was war das? Wiederholen Sie das noch mal...« Der Streifenbeamte sah den Butler mißtrauisch an. »Mit anderen Worten: Ein Hubschrauber dürfte ein wenig abgestürzt sein«, präzisierte Parker. »Lady Simpson erlitt daraufhin eine gewisse Kreislaufschwäche, die eine ärztliche Konsultation erforderlich zu machen scheint.« »Sie ... Ah ... Sie kommen aus England?« fragte der stämmige Sergeant, der sich auf die Tonart des Butlers inzwischen eingestellt hatte. »In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler. »Mylady bewohnt zur Zeit eine Suite im Beverly Hills Hotel, wie Sie leicht feststellen könnten, falls Sie meinen Worten nicht unbedingt Glauben schenken wollen.« »Ich denke, ich werde mal anrufen«, erwiderte der Streifenbeamte und nickte seinem Fahrer zu, der diese Unterhaltung amüsiert mitgehört hatte. Der Mann ging zum Wagen, beugte sich durch das geöffnete Wagenfenster und langte nach dem Hörer des Funktelefons. »Ich muß zu meiner Schande gestehen, Sir, daß ich mich verfahren habe«, redete Josuah Parker inzwischen weiter. »Es war Myladys Absicht, Miß Maud Wilmington zu besuchen, die bei Freunden in Palm Springs ist. Dürfte ich Sie in diesem Zusammenhang um einen Gefallen bitten?« »Wir sind für die Gäste in unserem Land immer da.« Der Sergeant war zu dem Schluß gekommen, daß er es mit verrückten Engländern zu tun hatte. Er hatte den Butler geschickt zum Ford zurückdirigiert und warf einen Blick ins Wageninnere. Er musterte Kathy Porter, Mike Rander und vor allen Dingen Lady Agatha, die sichtlich litt. Sie massierte sich ihre Schläfen und gab ächzende Töne von sich. Dann erst schien sie den Sergeant erspäht zu haben. Sie richtete sich auf und maß ihn mit kühlem Blick. »In England sind die Straßen besser ausgeschildert«, sagte sie vorwurfsvoll. »Und warum werde ich angehalten? Glauben Sie etwa, ich hätte diesen Hubschrauber abgeschossen, junger Mann?« »Wohl kaum, Lady«, erwiderte der Sergeant lächelnd. »Sie wollen nach Palm Springs?« »Zu Miß Wilmington, aber ich habe vergessen, wo sie da zu finden ist. Der Hubschrauber hat mich völlig durcheinander gebracht.« »Ich glaube, daß ich Ihnen da 'nen Tip geben kann«, sagte der Sergeant trocken, »sie wird bei Steve McCurdy sein, schätze ich.« »Und wer ist das, junger Mann? Ich glaube, daß ich diesen Namen tatsächlich gehört habe.«
»McCurdy ist ein Fernsehboß, dem ein paar Stationen gehören, Lady. Ich wette, Sie werden dort Miß Wilmington finden. McCurdy gibt so 'ne Art Barbecue-Fiesta. Ein paar Kollegen von uns sind dort abgestellt worden und regeln den Verkehr.« »Alles in Ordnung«, rief in diesem Moment der Fahrer des Streifenwagens dem Sergeant zu, »die Angaben stimmen.« »Was dachten denn Sie, junger Mann?« Agatha Simpson maß ihn mit grimmigem Blick. »Hubschrauber jage ich nur drüben in England.« Der Sergeant salutierte und ging zurück zum Streifenwagen, blieb dann jedoch stehen und wandte sich um. Er zog seine Dienstwaffe und näherte sich noch mal dem Butler, der neben der geöffneten Fahrertür stand. »Weshalb ist der Wagen so überladen?« fragte der Sergeant und deutete auf den Kofferraum. »Kein Wunder, junger Mann«, erwiderte die Lady aggressiv, »Wir transportieren fünf Gangster im Kofferraum.« »Wenn Sie sich möglicherweise überzeugen wollen, Sir?« Parker wies mit der Schirmspitze einladend nach hinten. »Die Herren machen sich deshalb nicht bemerkbar, weil ich mir die Freiheit nahm, sie in einen oberflächlichen chemischen Schlaf zu schicken.« »Natürlich.« Der Sergeant grinste. »Die Lady jagt hier ja keine Hubschrauber, sondern nur Gangster, oder?« »So könnte man es ausdrücken, Sir«, bestätigte der Butler, »um es noch mal zu wiederholen: Ich werde Ihnen gern behilflich sein, den Inhalt des Kofferraums zu kontrollieren.« »Schon gut, schon gut«, sagte der Sergeant und winkte amüsiert, »bringen Sie Ihre fünf Gangster sicher nach Palm Springs! Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt!« Parker lüftete höflich die schwarze Melone und wartete, bis der Streifenwagen sich in Bewegung gesetzt hatte. Bevor er am Steuer Platz nahm, ließ sich Josuah Parker von Mike Rander eine Plastikschachtel reichen, die aus der Jagdhütte stammte. Parker ging am Ford entlang, öffnete die Plastikschachtel und ... verstreute großzügig den Inhalt der Schachtel auf der geschotterten Straße. Anschließend fuhr er derart übertourt an, daß die Hinterräder durchdrehten und Parkers Aussaat mit Schotter und Staub bedeckten. *** Zwei Cowboys, die aus einem John Wayne-Film zu stammen schienen, standen vor einem Wagen, der quer zur Fahrbahn aufgebaut worden war. Sie trugen schwere Sechsschüsser in ihren Halftern und machten einen durchaus energischen Eindruck. Die Straßensperre war taktisch recht geschickt gewählt worden. Zu beiden Seiten der Fahrbahn gab es steile Geröllhalden, die mit Kakteen bedeckt waren und nicht zum Spaziergang einluden. Zudem konnte man von der Straßensperre aus die Hänge gut einsehen.
Die Westernhelden staunten nicht schlecht, als Parker aus dem Wagen stieg und sich ihnen näherte. Als er die beiden erreicht hatte, lüftete der Butler höflich die Melone. »Gehe ich recht in der Annahme, daß drüben im Talkessel die Barbecue-Fiesta des Mr. McCurdy gefeiert wird?« erkundigte er sich. »Kann schon sein«, quetschte der stämmigere der beiden Cowboys hervor und grinste, »aber das ist kein Maskenfest, wenn Sie das vielleicht meinen.« »Melden Sie bitte die Ankunft der Lady Simpson aus England«, bat Josuah Parker. »Mylady hat ihre Ankunft bereits telefonisch angekündigt.« »Sie, Mann, sind Sie eigentlich echt?« fragte der zweite Cowboy mißtrauisch. »Wie darf ich Ihre Frage unter Umständen verstehen?« erkundigte sich der Butler. »Sind Sie etwa 'n echter Butler?« »In der Tat und durchaus«, bestätigte Josuah Parker. »Würden Sie bitte dafür sorgen, daß Mylady angekündigt wird?« Der erste Cowboy hielt bereits ein kleines Funksprechgerät in der Hand und sprach mit seiner Gegenstelle. Als er das Gerät ausschaltete, gab er sich sehr liebenswürdig. »Ich räume sofort die Straße«, sagte er. »Mr. McCurdy erwartet Sie bereits.« »Ist das Gelände aus irgendeinem bestimmten Anlaß so streng abgesichert?« fragte Parker. »Darauf können Sie sich verlassen«, entgegnete der Cowboy. »Auf der Fiesta ist so alles vertreten, was Rang und Namen hat.« Der Wagen wurde zur Seite gefahren. Wenig später rollte der immer noch überlastete Ford über die schmale, aber erstklassig asphaltierte Straße in einen weiten Talkessel, der wie eine Oase in dieser an sich bereits ausgeprägten Wüstenlandschaft wirkte. Eine ausgeklügelte Wasserführung sorgte für üppiges Grün, hohe Palmen und Zitrushaine. Beherrschend in diesem weiten Talkessel war ein zweistöckiges Haus im spanischen Stil, das von einstöckigen Seitenflügeln optisch in die Arme genommen wurde. Im Hintergrund, vor einigen Felsgebilden, gab es eine Art Arena mit einer überdachten Tribüne. In geräumigen Pferchen daneben tummelten sich Pferde und Rinder. »Das riecht aber recht angenehm«, fand Lady Agatha, die das Fenster auf ihrer Seite heruntergelassen hatte. »Mr. Parker, fahren Sie sofort durch bis zu den Bratrosten. Diesen McCurdy kann ich mir später immer noch ansehen.« Auf besonders präparierten Plätzen vor dem riesigen Ranchgebäude waren kalte Büfetts aufgebaut, drehten sich Ochsen am Spieß und wurden Getränke von attraktiven Cowgirls serviert. Heiterer konnte sich eine Barbecue-Fiesta nicht präsentieren, doch Parker hörte, daß seine innere Alarmanlage in Aktion trat. Er war noch nie so leichtsinnig gewesen, solch eine Ankündigung zu ignorieren. Er richtete sich darauf ein, Schaden von seinen drei »Schutzbefohlenen« abzuwenden.
*** McCurdy empfing sie in der Bibliothek. Die großen Türen des saalartigen Raums, dessen Fenster mit Büchern bedeckt waren, führten auf eine weite Terrasse. McCurdy war etwa sechzig Jahre alt, ein athletischer Typ, dessen Gesicht tiefbraun und wettergegerbt war. Er trug Cowboykleidung und sah darin keineswegs »verkleidet« aus. »Miß Wilmington wird gleich kommen«, sagte er, nachdem man sich bekannt gemacht hatte, »ich glaube nicht, daß hier was passieren kann, Mylady. Das Tal ist, erstklassig abgeschirmt. Sie sind sicher, daß man Sie nicht angeschwindelt hat?« »Eine Lady Simpson pflegt man nicht zu belügen«, erwiderte die hoheitsvoll, »wen ich verhöre, der sagt schließlich die Wahrheit, Mr. McCurdy.« »Sind Sie sicher?« McCurdy lächelte kühl. »Offen gesagt, ich weiß nicht, was ich von dem Anruf halten soll. Schließlich kenne ich Sie ja überhaupt nicht.« Steve McCurdy war ein paar Schritte zurückgetreten und stand neben seinem schweren Schreibtisch. Seine rechte Hand lag auf dem Kolben seines Sechsschüssers, der sehr echt aussah. Er musterte die ältere Dame, Kathy Porter und Mike Rander. Besonders aber schaute er sich den Butler an, der die Spitze seines Universal-Regenschirms ein wenig angehoben hatte. »Ihr Mißtrauen, Sir, ist selbstverständlich berechtigt«, schaltete sich der Butler ein. »Um es jedoch zu beschwichtigen, sollten Sie vielleicht die Handelskammer von Los Angeles anrufen und sich nach Lady Simpson erkundigen. Myladys Name ist dort nicht unbekannt, wie ich Ihnen versichern darf.« »Eine gute Idee, und wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich ...« Er lächelte breit, als plötzlich knapp hinter ihm ein Teil der Bücherwand wie eine Tür aufschwang und zwei Cowboys erschienen. Sie hielten schwere Sechsschüsser in Händen und machten einen recht unangenehmen Eindruck. »Was soll das, McCurdy?« entrüstete sich die Detektivin. Sie schien die Schußwaffen nicht zu sehen. »Nur eine Sicherheitsmaßnahme«, stellte McCurdy klar, »ich fühle mich schließlich für Miß Wilmington verantwortlich. Ich bin ihrem Vater mehr als nur verpflichtet, wir sind gute Freunde.« »Nehmen Sie bitte die Hände hoch«, sagte einer der beiden Cowboys mit höflich-harter Stimme, »bis zum Durchchecken Ihrer Identität werden wir Sie in ein Gästezimmer bringen.« »Mr. Parker, sagen Sie mir, was ich von diesem Benehmen halten soll?« erkundigte sich Lady Agatha bei ihrem Butler. »Wenn es erlaubt ist, Mylady, sollte man dieser Einladung Folge leisten«, schlug der Butler vor, »Mylady werden die Vorsichtsmaßnahmen des Hausherrn sicher im Endeffekt begrüßen.« »Da bin ich mir aber noch nicht so sicher«, gab sie grollend zurück und dachte nicht im Traum, daran, ihre Hände zu heben. Kathy Porter und Mike Rander
schienen diese Aufforderung ebenfalls nicht gehört zu haben. Josuah Parker hingegen hatte die Arme hochgeschoben. Seine linke Hand befand sich in Höhe seiner schwarzen Kopfbedeckung. »Die fünf Männer aus dem Kofferraum Ihres Ford sind bereits untergebracht«, redete der Cowboy weiter. Er schaute kurz zu McCurdy hinüber, »die machen zwar einen angetrunkenen Eindruck, aber sie sind bestimmt nicht ohne Grund mitgekommen.« »Fünf Männer im Kofferraum?« McCurdy staunte und machte einen sehr verblüfften Eindruck. »Das wird ja immer verrückter!« »Es handelt sich um jene Herren, die Miß Wilmington und ihren Verlobten entführen wollten«, warf Josuah Parker gemessen ein. »Ich war so frei, dies bereits per Telefon anzudeuten, wenn Sie sich zu erinnern belieben, Sir.« »Schafft die Leute erst mal weg«, befahl McCurdy und räusperte sich. »Sie werden erstklassig behandelt, stehen aber unter Kontrolle, ist das klar?« »Ab durch die Mitte«, sagte der Cowboy, der bisher das Wort geführt hatte. Er unterschätzte eindeutig das Quartett aus England und bestand nicht darauf, daß man die Hände hochnahm. Er setzte auf seine Erfahrung und den Sechsschüsser in seiner Hand. Mit dem Lauf deutete er auf die Türöffnung in der Bücherwand. »Ich glaube, ich werde mich bald sehr ärgern«, verkündete die ältere Dame grimmig, »so behandelt man eine Lady Simpson nicht, McCurdy! Und zudem bricht gleich mein Kreislauf zusammen ... Ich spüre es ganz deutlich. Ihrer nicht auch?« *** McCurdys Kreislauf brach nicht direkt zusammen. Er hielt sich noch für eine Sekunde auf den Beinen, bevor er haltlos zusammenrutschte. Danach zappelte er noch einen Moment mit den Beinen, um dann allerdings Ruhe zu geben. Er hatte gar nicht mitbekommen, was ihn gefällt hatte. Es war Parkers Melone, die mit seinem Kinn kollidierte. Da der Rand von Parkers Kopfbedeckung mit Stahlblech gefüttert war, konnte der Bowler sich in eine gefährliche Waffe verwandeln, falls er richtig und blitzschnell aus dem Handgelenk geschleudert wurde. Josuah Parker war darin wahrer Meister. In seinen Händen wurde aus der Melone eine Art Untertasse, die diskusartig durch die Luft wirbelte und für diverse Zusammenbrüche sorgte. Die beiden Cowboys hatten nach ihren Sechsschüssern greifen wollen, was ihnen ja nicht zu verdenken war, doch sie hatten es nicht mehr geschafft, die Colts aus den Halftern zu ziehen. Mit kraftvollem Tritt hatte Mike Rander den schweren und mit reichem Schnitzwerk verzierten Besuchersessel in Fahrt gebracht, der die beiden verdutzten Westmänner attackierte. Das Sitzmöbel hatte die Hände der beiden
Revolvermänner daran gehindert, blitzschnell in die Waagerechte zu gehen. Der Rest war Sache der beiden Damen, wie sich zeigte. Lady Agatha setzte ihren Pompadour auf die Stirn des ersten Cowboys, der weiche Knie bekam und sich erst mal niederließ. Mit dem zweiten Waffenträger befaßte sich Kathy Porter. Das angeblich so scheue Reh glitt wie auf Rollschuhen an den Mann heran und streichelte mit der Handkante seinen Hals. Er sah sie daraufhin nicht gerade verliebt an, grunzte in wenig schöner Art und Weise und fiel dann über den ersten Mann. »Das war recht erfrischend«, stellte die Detektivin fest, als Parker ihr höflich den Pompadour mit dem darin befindlichen »Glücksbringer« zurückbrachte. Sie schaute sich animiert um. »Und was mache ich jetzt, Mr. Parker?« »Mylady haben besondere Wünsche?« erkundigte sich Parker gemessen. Auf seinem Kopf saß bereits wieder die schwarze Melone. »Schaffen Sie erst mal diese Lümmel fort«, meinte sie und deutete angewidert auf die drei Männer, »und dann möchte ich Miß Wilmington endlich sprechen.« »Sollte man sich nicht um unsere fünf Gangster kümmern?« warf Mike Rander ein. »Ein Vorschlag, Mylady, den aufzugreifen sich empfiehlt«, sagte Josuah Parker, »wenn es erlaubt ist, möchte ich mir gestatten, die Lage zu sondieren.« Er wartete diese Erlaubnis natürlich nicht ab, sondern passierte die Geheimtür in der Bücherwand und durchschritt würdevoll einen langen, schmalen Korridor, bis er eine Art Büro erreichte. In einem Raum, dessen Fenster vergittert waren, befanden sich Aktenschränke, Regale und Schreibtische. Eine Tür dieses Raums war halb geöffnet', und Parker konnte in einen Nebenraum blicken, der als Sattelkammer eingerichtet war. Warmer Stallgeruch wehte ihm entgegen. Er ging weiter und erreichte nach dem Passieren eines kleinen Korridors einen Pferdestall, dessen Boxen allerdings leer waren. Kathy Porter war ihm gefolgt und sah den Butler fragend an. »Etwaige Fragen Ihrerseits, Miß Porter, vermag ich zu meinem Leidwesen im Augenblick nicht zu beantworten«, sagte Josuah Parker. »Die allgemeine Lage ist das, was man nur als ein wenig unübersichtlich und verworren bezeichnen kann. Ich erlaube mir sogar die Frage zu stehen, ob man es tatsächlich mit Mr. McCurdy zu tun gehabt hat.« »Aber das hier ist doch eindeutig sein Haus«, sagte sie. »Was man nicht als einen letzten und schlüssigen Beweis gelten lassen sollte, Miß Porter. Im allgemeinen Durcheinander und in Anbetracht der Vielzahl der anwesenden Gäste sind gewisse interne Täuschungsmanöver durchaus möglich.« »Fragen wir doch diesen Mann, der sich als McCurdy vorgestellt hat«, schlug Kathy Porter vor, »inzwischen dürfte er sich ja wieder erholt haben.« »Ein Vorschlag, den man nur als akzeptabel bezeichnen kann, Miß Porter«, bedankte sich der Butler und wandte sich um. Dann wurde sein Gesicht womöglich noch ausdrucksloser, was wohl mit einigen Männern in mexikanischer
Landestracht zusammenhing, die ihre Gewehrläufe auf ihn und Kathy Porter gerichtet hatten. *** Mike Rander hatte eine der Terrassentüren geöffnet und sah ins Freie. Jenseits der Terrasse, auf dem sattgrünen Rasen, quirlten die vielen Gäste durcheinander und amüsierten sich großartig, wie deutlich zu sehen war. Die ungemein attraktiven Cowgirls servierten noch immer Getränke und versorgten andere Gäste wieder mit saftigen Bratenstücken frisch von den vielen Grills. Über der Szene erklangen die Rhythmen einer mexikanischen Straßenband. Von einer bedrohlichen Atmosphäre war wirklich nichts zu spüren. Lady Agatha erschien neben dem Anwalt und winkte einem blonden Cowgirl. Äußerst zufrieden blickte die ältere Dame auf das Tablett, auf dem Drinkgläser und Bratenstücke zu sehen waren. »Kommen Sie, Kindchen«, forderte Agatha Simpson das Cowgirl auf, »werfen Sie einen Blick auf diese Gäste da ... Ich fürchte, Mr. McCurdy hat sich ein wenig übernommen.« Das Cowgirl war und blieb arglos, als Lady Agatha vorausging und ihm dann die drei Männer vor dem schweren Bücherregal zeigte. »Das ist doch Mr. McCurdy, nicht wahr?« erkundigte sich Lady Agatha. »Aber nein, Madam.« Das Cowgirl schüttelte den Kopf. »Das ist einer der Gäste. Mr. McCurdy ist vor einer halben Stunde mit einigen anderen Leuten zum Gästehaus geritten.« »Wie man sich doch täuschen kann, Kindchen.« Lady Agatha nahm das reichlich gefüllte Tablett ab. »Und wo steht dieses Gästehaus?« »Ich glaube, dort drüben in einem schmalen Seitental, wo die Quelle ist, Madam.« »Richtig«, schaltete sich Mike Rander ein, »Mr. McCurdy ist mit Miß Wilmington hinübergeritten, nicht wahr? Ich kann mich erinnern, daß so was geplant war.« »Mit Miß Wilmington und ihrem Verlobten, Sir.« »Ganz allein, liebes Kind?« fragte die ältere Dame weiter. »Nein, nein, es waren ein paar Cowboys dabei, aber die kenne ich natürlich nicht, Madam. Wir sind ja nur für diesen Tag' hier engagiert worden.« »Dann möchte ich Sie nicht länger stören.« Lady Agatha zeigte ein erstaunliches Gesicht und befaßte sich dann ungeniert mit einem ersten Steak. Mike Rander geleitete das Cowgirl zurück zur Terrasse und stellte weitere Fragen. Er mußte sich erst nachdrücklich räuspern, . bevor Lady Agatha ihm einen Bück gönnte. »Ich habe noch ein interessantes Detail erfahren«, sagte er, »Walt Heston gehört ebenfalls zu den Gästen dieser Barbecue-Fiesta, Mylady.« »Wer ist Walt Heston?« fragte Lady Agatha. »Kann es sein, daß ich diesen Namen schon mal gehört habe?«
»Nach den Aussagen der Gangster, Mylady, ist das der Mafia-Boß von Los Angeles. Davon wußte die junge Dame natürlich nichts. Für sie ist dieser Heston ein wichtiger Show-Produzent.« »Richtig, dieser Heston also.« Sie knabberte gierig an einem zweiten Steak. »Mylady, Heston ist der Mann, der wahrscheinlich die beiden Piloten samt dem Hubschrauber losgeschickt hat«, präzisierte Mike Rander leicht verzweifelt, »und er dürfte auch über diesen dunkelblauen Mittelsmann die drei anderen Gangster engagiert haben.« »Natürlich, Mike.« Sie ließ sich nicht weiter stören, »ich werde ihn mir gleich kaufen, sobald ich mich etwas gestärkt habe. Sagen Sie, wo bleiben Kathy und Mr. Parker?« »Ich werde mal nachsehen, Mylady. Bleiben Sie hier?« »Natürlich, mein Junge.« Sie nickte gnädig. »Sie werden ja wohl nicht für eine Ewigkeit wegbleiben, oder?« Sie folgte Mike Rander zur Geheimtür und baute sich vor den am Boden liegenden drei Männern auf, während sie sich weiter stärkte. Die drei Männer vor den Bücherregalen bewegten sich leicht, doch Lady Agatha brachte das nicht aus ihrer Ruhe. Neben ihr auf der Schreibtischkante lag der Pompadour, mit dessen Inhalt sie jederzeit etwaige Unbotmäßigkeiten der Männer im Keim ersticken konnte. Mike Rander war überraschend schnell wieder zurück. »Schlechte Nachrichten«, sagte er, »Kathy und Parker sind verschwunden, Mylady.« »Sie werden irgendwo vor dem Haus an einem Grill stehen, Mike.« »Ausgeschlossen«, erwiderte der Anwalt nachdrücklich, »Parker und Kathy hätten uns sonst verständigt. Ich fürchte, man hat sie weggeschafft, Mylady.« »Schnickschnack, Mike!« Sie schüttelte den Kopf. »Haben Sie gesehen, wie viele Leute sich hier herumtreiben? So etwas wäre doch aufgefallen.« »Eben nicht, Mylady«, widersprach der Anwalt, »gerade weil so viele Gäste hier sind, würde so etwas nicht auffallen. Haben Sie mal gesehen, was für ein Trubel draußen herrscht? Die Fiesta läuft auf Hochtouren.« »Dann werde ich wohl wieder aktiv werden müssen«, sagte sie und deutete auf die drei Männer, die inzwischen die Augen aufgeschlagen hatten, jedoch noch nicht imstande waren, sich auf die Beine zu stehen. »In ein paar Minuten wissen wir mehr.« »Worauf Sie sich verlassen können«, vernahm man in diesem Moment eine barsche Stimme, die von der Haupttür her kam. Lady Agatha drehte sich um und schaute zwei uniformierte Polizisten an, die ihr nicht unbekannt waren. Es waren die beiden Streifenbeamten, leider nicht allein... ***
»Sie werden uns einiges erklären müssen«, sagte der Sergeant und marschierte auf Lady Agatha zu. Ihm folgten seine Kollegen aus dem Streifenwagen, dann aber auch noch zwei drahtige Zivilisten. »Und Sie sollten sich erst mal vorstellen«, herrschte Agatha Simpson die Männer an. »Haben Sie Ihre Manieren in diesem Seitental zurückgelassen.« »Möglich, dafür haben wir aber einen Buick gefunden, der ziemlich gelöchert worden ist. Und zwar von Einschüssen. Diesen Wagen müssen Sie gesehen haben ... Wo sind die Insassen dieses Buick? Was ist nun wirklich mit dem Hubschrauber geschehen? Und wo ist der Pilot?« »Und wer hat diese verdammten Nägel auf die Straße gestreut?« wollte der zweite Streifenpolizist wissen. »Wir haben uns zwei Platten gefahren, wenn Sie's genau wissen wollen.« »Ich sagte ja bereits, daß die Straßenverhältnisse in England wesentlich besser sind«, antwortete die ältere Dame und deutete dann auf die drei Männer, die sich jetzt vorsichtig erhoben. »Bevor ich mich mit Ihren Fragen befasse, verhaften Sie erst mal diese Subjekte. Sie haben uns mit Waffen bedroht. Ich dachte schon, das Herz würde mir stehenbleiben. Ich bin schließlich eine schwache Frau.« »Ich bin William McCurdy«, stellte der hünenhafte Sechziger sich vor und deutete dann auf die beiden Cowboys neben sich, »und das sind Angestellte meines Bruders Steve.« »Sie sind McCurdy?« Lady Agatha sah den Weißhaarigen nun doch sehr verdutzt an. »Nicht der McCurdy«, präzisierte der Mann, »ich bin sein älterer Bruder. Und was diese ... Dame da betrifft, so halte ich sie für eine raffinierte, aber auch heimtückische Hochstaplerin. Sie hat uns alle reingelegt, sonst wäre das nicht passiert.« »Jetzt mal hübsch der Reihe nach«, schlug der Zivilist vor, der bisher fast desinteressiert wirkte, »ich bin Leutnant Jeff Ryan, das ist Sergeant Grow. Wir sind vom Detective-Department der Stadtpolizei.« »Warum hetzen Sie eine schwache Frau wie mich?« beklagte sich Lady Simpson und maß den ihrer Ansicht nach falschen McCurdy mit drohendem Bück. Dann wandte sie sich den beiden Detektiven zu. »Noch hetzen wir keinen Menschen, Lady, wir stellen nur ein paar Fragen und hoffen auf ein paar Antworten.« Jeff Ryan lächelte verbindlich. »Können Sie sich zum Beispiel ausweisen?« »Unsere Identität ist doch bereits von den beiden Streifenbeamten festgestellt worden«, schaltete sich Mike Rander ein. »Nur indirekt«, erwiderte der uniformierte Sergeant wütend, »okay, im Beverly Hills Hotel sind vier Personen abgestiegen, die so heißen und aus England kommen, aber das beweist noch längst nicht...« »Das fällt Ihnen erst jetzt ein, junger Mann?« schnappte Lady Agatha sofort wie ein bissiger Hund. »Sie sollten sich Ihr Lehrgeld zurückzahlen lassen.« »Können Sie sich nun ausweisen oder nicht?« fragte Leutnant Ryan noch mal.
»Unsere Pässe sind im Hotel«, antwortete Mike Rander, »schließlich sind wir vor ein paar Stunden losgefahren, um uns die Gegend anzusehen. Wer rechnete denn damit, daß wir in eine Kidnapping-Affäre hineinschlittern.« »Mit diesem Trick haben sie versucht, sich hier Zutritt zu verschaffen«, schaltete sich William McCurdy prompt ein, »angeblich soll Miß Wilmington entführt werden! Das wurde am Telefon behauptet.« »Ich glaube, ich werde Sie gleich ohrfeigen«, warnte Lady Agatha den Hünen. »Eine Lady Simpson arbeitet nicht mit Tricks! Wo sind denn die fünf Subjekte aus dem Kofferraum des Ford? Wollen Sie etwa abstreiten, daß ich sie mitgebracht habe?« »Ganz sicher nicht.« William McCurdy schüttelte den Kopf. »Das heißt, gesehen habe ich sie natürlich nicht, mir ist das von den beiden Männern hier berichtet worden.« »Wo stecken die fünf Männer?« erkundigte sich Leutnant Ryan fast beiläufig bei den Cowboys. »Als wir den Ford sicherheitshalber durchsuchten, haben wir sie gefunden«, lautete die Antwort. »Die Männer waren restlos fertig, sah man auf den ersten Blick. Da haben wir sie erst mal in die Angestelltenkantine gebracht.« »Sehen wir sie uns an und fragen wir sie«, schlug Mike Rander vor, »aber ich wette, sie sind längst über alle Berge. Falls Sie sich nicht bereits auf die Fährte von Miß Wilmington gesetzt haben.« *** »Ich möchte meinem Bedauern tiefsten Ausdruck verleihen«, entschuldigte sich Butler Parker bei Kathy Porter. »Es steht zu fürchten, daß ich Sie in eine Lage gebracht habe, die man nur als prekär bezeichnen kann.« »Wir werden sie schon durchstehen, Mr. Parker«, erwiderte Kathy Porter. »Wohin wird man uns bringen?« »Wahrscheinlich aus dem Talkessel heraus, Miß Porter«, antwortete Josuah Parker, »die Straße, auf der der Wagen sich befindet, gleicht jener, die zum Anwesen des Mr. McCurdy führte. Sie befindet sich in einem ausgezeichneten Zustand, wie Sie bereits bemerkt haben dürften.« Josuah Parker und Kathy Porter lagen einträchtig nebeneinander im Kofferraum eines Chevrolet und konnten sich relativ gut miteinander verständigen. Die vier Mexikaner hatten sie gekonnt zu dieser Fahrt eingeladen. Gewiß, man hätte sich dagegen vielleicht zur Wehr setzen können, doch der Butler hatte Kathy Porter durch einen schnellen Blick zu verstehen gegeben, daß das Risiko einfach zu groß war. Er hatte sofort erkannt, daß man es mit perfekten Routiniers zu tun hatte, die sich nicht so einfach übertölpeln ließen. »Wir sind in Händen der Mafia, Mr. Parker?« erkundigte sie sich und rutschte gegen den Butler. Der Wagen hatte sich in eine Kurve gelegt und beschleunigte.
»Ihre Frage ist zu bejahen«, antwortete der Butler, »man sollte davon ausgehen, daß unser gemeinsames Kommen etwas zu publik gemacht wurde.« »Hat McCurdy das hier mit uns veranlaßt? Wie mag es Lady Simpson und Mute Rander ergehen?« »Mr. McCurdys Route vermag ich im Moment nicht zu beurteilen«, gab Parker höflich wie stets zurück, »was Lady Simpson und Mr. Rander anbetrifft, so möchte ich die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Diese Barbecue-Fiesta des Mr. McCurdy scheint eindeutig auch von Gangstern besucht worden zu sein.« »Um Miß Wilmington zu entführen?« »Miß Wilmingtons Entführung war mit einiger Sicherheit anders geplant, Miß Porter, wenn ich an die Szenen im Tal erinnere. Als die Fiesta bereits eröffnet wurde, sollte Miß Wilmington sich längst in den Händen ihrer Entführer befinden. Beachten Sie freundlicherweise den Zeitfaktor!« »Demnach wären die Gangster regulär zur Fiesta eingeladen worden?« »Nicht als Gangster, wie ich betonen möchte, sondern als ehrenwerte Gäste. Ich darf Sie daran erinnern, Miß Porter, daß Gangster nur in seltenen Fällen auch wie Gangster auszusehen pflegen. Darf ich in diesem Zusammenhang auf Mr. Walt Heston verweisen, der der örtliche Mafia-Boß sein soll? Er wohnt in Palm Springs und geriert sich als Produzent wie Mr. McCurdy. Wahrscheinlich ist er zur Fiesta eingeladen worden. Falls er diese Einladung angenommen hat, wird er selbstverständlich nicht allein gekommen sein. Spitzenmanager der Mafia umgeben sich erfahrungsgemäß stets mit ausgesuchten Leibwächtern. Sie könnten in die Kostüme der Mexikaner geschlüpft sein und Sie und meine Wenigkeit entführt haben.« »Aber woher wußte dieser Heston Bescheid, Mr. Parker. Sie haben doch mit McCurdy gesprochen.« »Ein McCurdy meldete sich, Miß Porter, ob er es allerdings war, vermag ich nicht zu sagen. Und falls er es war, so kann er sich möglicherweise ratsuchend an Mr. Heston gewandt haben. Es gibt da recht viele Möglichkeiten, die allerdings reine Spekulation bleiben.« »Der Weg wird schlechter, Mr. Parker«, stellte Kathy fest, »sagen Sie, ob McCurdy und dieser Heston vielleicht unter einer Decke stecken? Mir kam gerade diese Idee.« »In Sachen Entführung, Miß Porter?« »Ich weiß, das klingt ziemlich gewagt, aber könnten McCurdy und Heston nicht Miß Wilmingtons Vater erpressen? McCurdy und Heston sind Produzenten, brauchen also viel Geld. Miß Wilmingtons Vater wäre eine tolle Geldquelle.« »Ich bin sicher, Miß Porter, daß Sie noch weitere Gedanken zu dieser Theorie beisteuern können.« »Mich stört es überhaupt nicht, daß dieser Heston ein Mafiaboß ist, Mr. Parker. Er kann über Mafiagelder be-* stimmt nicht nach Belieben verfügen. Warum sollte er nicht zusammen mit McCurdy eine reine Privaterpressung geplant haben?« »Sie denken jetzt sicher an die Herren Bernie, Hale und Jody, nicht wahr?«
»Eben, Mr. Parker. Sie sind über einen Mittelsmann, aber nicht von der Mafia engagiert worden, um Miß Wilmington zu entführen.« »Man wird Zeit haben, diese Theorie von allen Seiten zu beleuchten, Miß Porter«, gab der Butler zurück und rutschte zur Abwechslung gegen Kathy Porter. Er entschuldigte sich daraufhin formvollendet und stellte fest, daß mit weiteren Körperkontakten durchaus zu rechnen sei. »Man dürfte die normale Straße inzwischen verlassen haben«, sagte er dann, »Schotter fliegt gegen die Innenseiten der Kotflügel und gegen die Unterseite des Kofferraums.« »Man wird uns irgendwo in der Wüste erledigen wollen, nicht wahr?« »Solch eine Absicht sollte man in der Tat nicht ausschließen«, meinte der Butler würdevoll, »aber auf der anderen Seite läßt sich dagegen mit Sicherheit einiges tun.« »Wollen wir nach dem öffnen des Kofferraums einen Coup versuchen, Mr. Parker?« »Man sollte ihn grundsätzlich nicht ausschließen«, antwortete Josuah Parker, »man könnte aber vielleicht schon jetzt gewisse Gegenmaßnahmen treffen, die allerdings, wie ich gestehen möchte, nicht ohne Risiko sind.« »Was haben Sie vor, Mr. Parker?« Die junge Dame rutschte gegen Parker und schien sich schutzsuchend an ihn kuscheln zu wollen. »Ich gedenke, einen meiner Patentkugelschreiber einzusetzen«, entgegnete Parker, »hoffentlich befinden wir uns in einem Gelände, in dem der Wagen relativ gefahrlos ausrollen kann...« *** »Was geht denn hier vor?« fragte der schlanke Mann, der die Bibliothek in Begleitung einiger Personen betrat. Er beherrschte sofort die Szene, und William McCurdy rutschte förmlich in sich zusammen. Er sah den Mann an, der mit schnellen, energischen Schritten auf die beiden Streifenbeamten zuging. »Wer sind Sie denn, junger Mann?« erkundigte sich Lady Agatha. »Das ... Das ist mein Bruder Steve«, stellte William McCurdy vor. Dann deutete er auf die ältere Dame. »Und das will Lady Simpson sein.« Die Detektivin musterte den Hausherrn, der etwa fünfundfünfzig Jahre zählte und einen Kopf kleiner war als sein hünenhafter älterer Bruder. Mike Rander sagte nichts. Er wartete, bis Erklärungen ausgetauscht würden. Die beiden McCurdyBrüder und die Polizeibeamten beschossen sich förmlich mit Fragen, unterbrachen sich wechselseitig und brauchten einige Zeit, bis sie wieder auf das eigentliche Thema zu sprechen kamen. »Miß Wilmington ist mit mir ausgeritten«, bestätigte Steve McCurdy, wandte sich um und deutete auf die angebliche Doppelgängerin von Kathy Porter. Nun, eine gewisse Ähnlichkeit war tatsächlich vorhanden, wie Mike Rander insgeheim einräumen mußte, doch Maud Wilmington bedurfte mit Sicherheit einiger
kosmetischer Manipulationen, bis ihr Gesicht jugendliche Frische angenommen hatte. Diese Prozedur mußte jeden Morgen Zeit kosten. »Ich sollte entführt werden?« fragte sie und lachte spöttisch. Sie sah die ältere Dame prüfend an. »Haben wir uns nicht im Beverly Hills Hotel gesehen?« »Richtig«, bestätigte die ältere Dame. »Sie saßen in der Lobby und unterhielten sich mit Ihrem Verlobten.« »Und Sie haben uns sehr ausgiebig gemustert«, warf Maud Wilmingtons Verlobter ein. Auch er hatte bei großzügiger Betrachtung eine gewisse Ähnlichkeit mit Mike Rander. »Warum habe ich vom Anruf der Lady nichts erfahren?« herrschte Steve seinen Bruder William an. »Ich... Ich habe diesen Anruf für Wichtigtuerei gehalten«, entschuldigte sich William McCurdy. Ihm war anzusehen, daß er von seinem jüngeren Bruder gegängelt wurde und offensichtlich von ihm abhängig war. »So etwas nimmt man nicht auf die leichte Schulter«, antwortete Steve McCurdy gereizt, »du hast eine einmalige Art, Verwirrung zu stiften.« »Wer sollte mich schon entführen?« mischte sich Maud Wilmington ein. Ihre Stimme klang ein wenig schrill. »Hören Sie, Maud, Sie sind nicht gerade arm«, argumentierte Steve McCurdy, »überlegen Sie doch mal, welche Lösegelder man aus Ihnen herausholen kann.« »So, schnell wird sie nicht entführt«, behauptete der Verlobte. James Holloway warf sich in seine sportlich durchs trainierte Brust, »schließlich bin ich ja auch noch da.« »Sie ahnungsloser Jüngling, Sie«, herrschte Lady Agatha ihn an, »wenn diese Verwechslung nicht passiert wäre, könnte man wahrscheinlich bereits Ihr Begräbnis vorbereiten!« »Das denke ich allerdings auch«, pflichtete Steve McCurdy der älteren Dame bei und wandte sich dann an Leutnant Ryan. »Warum suchen Sie nicht nach diesen fünf Strolchen, die mein Bruder so großzügig hat laufen lassen?« »Das war nicht ich, das waren deine Angestellten«, verteidigte sich William verhalten. Er schien ein Petzer zu sein, denn er deutete auf die beiden Cowboys, die einen betretenen Eindruck machten und wie auf Kommando zu Boden bückten. »Wir reden später darüber.« Steve maß seinen Bruder William mit einem Bück, der nichts Gutes verhieß, »aber jetzt geht es erst mal um Miß Wilmingtons Sicherheit, denke ich.« »Eine vernünftige Feststellung«, lobte die Detektivin. »Es geht aber auch um meine Gesellschafterin und um meinen Butler. Sie sind spurlos verschwunden! Ihre Ranch hier scheint ja die reinste Räuberhöhle zu sein, McCurdy...« »Ich schlage vor, Sie regen sich später auf«, meinte Anwalt Rander und lächelte Steve McCurdy spöttisch an. »Sie haben auch einen gewissen Walt Heston zur Fiesta eingeladen?« »Natürlich, er ist ja mein Nachbar.« Steve McCurdy nickte. »Sie kennen ihn näher, Mr. McCurdy?«
»Er ist Produzent wie ich, nur eben in kleinerem Rahmen.« »Ein ehrenwerter Bürger dieses Landes?« Nach dieser Frage war Ryan an der Reihe, spöttisch zu lächeln. Er schien zu wissen, welche Rolle Walt Heston sonst noch spielte. »Natürlich kenne ich da manchen Klatsch und Tratsch, den man sich über ihn erzählt«, räumte Steve McCurdy ein, »aber Nachbar ist Nachbar. Und bis das Gegenteil bewiesen ist, bleibt Heston für mich ein Nachbar, mit dem man freundschaftlich verkehrt.« »Zeigen Sie mir diesen Mann«, verlangte die ältere Dame und sah Steve McCurdy streng an, »ich werde ihm auf den Zahn fühlen.« »Das sollten Sie sich vielleicht gründlich überlegen, Mylady«, warnte Leutnant Ryan. »Papperlapapp, junger Mann«, gab sie grollend zurück, »ich pfeife auf diplomatische Feinheiten. Sorgen Sie dafür, daß Miß Wilmington nicht doch noch entführt wird! Ich will es mal ganz deutlich sagen: Ich traue hier keinem über den Weg!« Die Detektivin wandte sich ab und marschierte zu einer der hohen Terrassentüren. Mute Rander seufzte leise auf und folgte ihr. Er wußte mit letzter Sicherheit, daß weitere Komplikationen zu erwarten waren. Lady Agatha glich wieder mal einem Kampfpanzer, der sich anschickte, alle Hindernisse niederzuwalzen. *** Walt Heston war ein elegant aussehender Mann von fünfzig Jahren. Der schlanke, mittelgroße Vertreter der Mafia wirkte natürlich nicht wie ein Gangster, sondern erinnerte an einen seriösen Spitzenmanager. Er unterhielt sich angeregt mit einigen Gästen und wurde geschickt von zwei jungen Männern unter Sichtkontrolle gehalten. Es handelte sich bestimmt um seine Leibwächter, die ihren Herrn und Meister nicht aus den Augen ließen. »Was wird jetzt passieren?« erkundigte sich Leutnant Ryan bei Mute Rander. »Ich kenne Lady Simpson seit Jahren«, erwiderte der Anwalt achselzuckend, »aber ich wage immer noch keine Prognosen zu stehen.« »Ich habe während der Herfahrt Erkundigungen eingezogen«, sagte Leutnant Ryan, »mir wurde über Sprechfunk mitgeteilt, wer Lady Simpson ist. Sie muß ja sagenhafte Beziehungen haben.« »Sie glauben, daß unsere Angaben zur Person stimmen?« »Daran besteht kein Zweifel mehr«, erwiderte Ryan und lachte leise. »Eine Lady Agatha kann man wohl nicht kopieren.« »Darauf können Sie Gift nehmen, Ryan.« Mike Rander seufzte leise. »Sie ist manchmal recht strapaziös. Unsere Geschichte mit der geplanten Entführung Miß Wilmingtons stimmt übrigens.«
»Ist mir inzwischen völlig klar, Rander.« Die beiden Männer verstanden sich inzwischen und redeten formlos, wie es in den Staaten gern getan wird. »Aber ich frage mich, wer diese drei Gangster wohl engagiert haben könnte.« »Unserer Meinung nach steht nicht die Mafia dahinter. Die hätte andere und wohl auch bessere Möglichkeiten gehabt.« »Denke ich auch, Rander.« Ryan nickte. »Aber mir geht der Hubschrauber nicht aus dem Sinn. Dieses Kidnapping ist gut vorbereitet gewesen. Die Planung kann nur von einem Insider durchgeführt worden sein.« »Heston?« Rander deutete auf den Gangsterboß, der keine Ahnung hatte, in welch akuter Gefahr er sich befand. Lady Agatha hatte sich bereits dem riesigen Grill genähert und schob sich an die beiden jungen und sportlichen Leibwächter heran. Natürlich war Mike Rander bereit, sofort und nachdrücklich einzugreifen, doch er setzte sich schon jetzt in Bewegung, um schnell zur Sache zu kommen. Auch Leutnant Ryan machte sich einsatzbereit. Er ließ die beiden Leibwächter nicht aus der Sichtkontrolle. »Falls Heston das Kidnapping geplant hat, Rander, hätte er mit seinen eigenen Leuten operiert«, beantwortete Leutnant Ryan Mike Randers Frage. , »Wer ist dieser McCurdy, Ryan?« »Steve ist ein knochenharter Geschäftsmann, sehr erfolgreich und geldschwer«, gab Ryan Auskunft. »Sein Bruder William ist ein Versager und wird nur als Hofnarr und Blitzableiter geduldet. Er ist von seinem jüngeren Bruder völlig abhängig.« »Könnte er das Ding mit Miß Wilmington geplant haben?« »Offen gesagt, daran habe ich auch bereits gedacht, Rander. Vielleicht möchte er sich endlich mal auf eigene Füße stellen.« »Ist hier allgemein bekannt, welche Rolle Heston in der Unterwelt spielt?« »Durchweg.« Leutnant Ryan nickte. »Aber wer würde es schon wagen, sich mit ihm anzulegen oder ihn zu ignorieren. Die Angst ist einfach größer als manches Rückgrat.« »Nicht im Fall der Lady Simpson«, erklärte Mike Rander. »Wir sollten noch etwas näher gehen.« »Was tut sie denn da?« fragte Leutnant Ryan. »Will sie mit der Kohlenzange auf Heston losgehen?« »Lassen wir uns überraschen«, meinte Anwalt Rander. »Gleich wird es Wirbel geben. Lady Simpson macht wieder mal einen verdammt aufgekratzten Eindruck. So was löst in mir immer Panik aus...« *** Lady Agatha hielt eine lange Kohlenzange in der Hand und stocherte damit versonnen in der glühenden Holzkohle.
Sie schien Heston und dessen Leibwächter überhaupt nicht zu sehen und erinnerte in diesem Augenblick an ein großes, verspieltes Kind, das gern im Feuer schürt. Sie war verspielt, doch sie hatte ihre- Absicht nicht vergessen. Plötzlich ergriff die langstielige Kohlenzange ein glühendes Stück Holzkohle. Die ältere Dame schwenkte das Gerät herum und ... ließ die Holzkohle äußerst geschickt in die linke Jackettasche des einen Leibwächters gleiten. Blitzschnell langte sie nach einem zweiten Holzkohlenstück und praktizierte es ungemein gekonnt in die Ziertuchtasche des anderen Leibwächters. Beide Männer hatten nichts wahrgenommen. Sie konzentrierten sich weiter auf ihren Herrn und Meister, der sich jetzt umwandte und eine Dame begrüßte, die ihn angesprochen hatte. Er schaffte es sogar, ihr einen etwas verunglückten Handkuß zu verabreichen. Dann aber wurde Walt Heston doch ein wenig abgelenkt. Seine beiden Leibwächter rauchten plötzlich und absolvierten Lämmersprünge. Die glühende Holzkohle hatte sich schnell durch die Anzugstoffe gefressen und produzierte Kalorien. Heston staunte nicht schlecht, als seine beiden Leibwächter sich anschickten, eine Art Schuhplattier alpenländischer Provenienz zu zeigen. Sie schlugen mit den flachen Händen auf ihre Anzüge und begannen anschließend zum Vergnügen der Umstehenden mit einem Striptease. Sie wurden schnell von Gästen umringt, die interessiert zuschauten, wie die beiden Männer sich erst mal die Jacketts vom Körper rissen. Dabei wurden zu Hestons Mißvergnügen die Schulterhalfter seiner beiden Begleiter sichtbar, Schulterhalfter, die mit Revolvern gefüllt waren. Die beiden Schuhplattler achteten jedoch nicht darauf. Sie fetzten sich die glimmenden Hemden von ihren sportlich durchtrainierten Oberkörpern und stießen dabei kleine Schreie aus. Lady Agatha nutzte die Gunst des Augenblicks. Statt einer Kohlenzange bevorzugte sie nun allerdings eine kleine Kohlenschaufel, mit der die Grillköche die glühende Holzkohle zusammenschieben und aufhäufen konnten. Sie belud die kleine Schaufel mit Glut und warf dieses Transportgut auf die Lackschuhe von Walt Heston, der zuerst mal nichts merkte. Doch dann ging ein leichtes Zucken durch seine Füße. Er sprang erst mal senkrecht hoch und schaffte eine Höhe von zehneinhalb Zentimetern. Dann versuchte er sich im Step, wobei er allerdings eine gewisse rhythmische Linie vermissen ließ. Inzwischen qualmten nicht nur seine Schuhe, sondern auch seine Fesselsocken. Walt Heston versuchte sich noch in einigen Hochsprüngen, brüllte dazu recht unverständliches Zeug und entledigte sich dann seiner Schuhe. Dabei griffen seine Hände in kleine glühende Holzkohlenteile, die sich in den Lack bereits eingefressen hatten. Dies steigerte seine Ausdruckskraft im freien Tanz. Er setzte
sich dummerweise auf den Rasen und befaßte sich mit seinen Socken, von denen kleine Rauchwölkchen zum Himmel stiegen. Die Zuschauer waren hingerissen und begeistert. Eine gewisse Schadenfreude war nicht zu übersehen. Die meisten Zuschauer ahnten oder wußten, welchem Beruf Heston hauptsächlich nachging. Man fürchtete diesen Mann und seine dunklen Beziehungen. Und man gönnte ihm jetzt diese Lektion! Walt Heston, der Mafia-Boß von Los Angeles, saß übrigens nicht lange im sattgrünen Rasen. Sein Gesäß kam mit der glühenden Holzkohle in Berührung, die sich auf dem Boden ausgebreitet hatte. Nun qualmte auch die Kehrseite dieses Mannes, der aufsprang und dann zu einem Spurt ansetzte. Sein Ziel war ein kleiner Zierteich, in dem sich Goldfische tummelten. Hoch spritzte das Wasser, als Walt Heston ein Bad nahm. Er plumpste in das stehende Gewässer, brachte die eben noch gelassen schwimmenden Fische in die Nähe eines Infarkts und verdrehte dann wohlig die Augen. Lauter Beifall rauschte auf. Lady Agatha schritt gemessen auf Heston zu und beugte sich zu ihm hinunter. »Ich bin Krankenschwester«, behauptete sie. »Sie müssen sofort behandelt werden, sonst könnten Sie sich Viren der Familie Inversis Correactualis zuziehen.« »Was? Viren?« fragte Heston, der wie viele Amerikaner allergisch gegen Bakterien und andere Krankheitserreger war. »Ein Wundstarrkrampf wäre dagegen noch harmlos«, schwindelte die ältere Dame weiter und deutete auf das Ranchgebäude. »Kommen Sie, junger Mann, man darf keine Zeit verlieren.« Walt Heston erhob sich aus dem flachen Zierteich, pflückte einen verwirrten Goldfisch aus seinem Hemdkragen und ließ sich dann im wahrsten Sinn des Worts von Lady Agatha abführen. Es machte ihr nichts aus, daß die beiden leicht lädierten Leibwächter automatisch folgten. Für sie war es eine bereits ausgemachte Sache, auch diese Verfolger nach ihrer sehr persönlichen Art zu behandeln. *** Aus dem geplanten Coup des Butlers wurde nichts. Bevor er einen seiner Patent-Kugelschreiber einsetzen konnte, wurde der Wagen jäh gebremst. Sekunden später öffnete sich der Kofferraum, und Kathy Porter und er schauten in die Mündungen einiger Winchestergewehre. »Ihr Aufwand ist beträchtlich«, stellte Josuah Parker fest, der sofort merkte, daß noch nicht geschossen werden sollte. »Darf man davon ausgehen, daß das Ziel der Ausfahrt erreicht wurde?« »Dürfen Sie«, sagte der Ober-Mexikaner und grinste. »Aussteigen, die Hände hinter dem Nacken verschränken und rüber ins Haus gehen.« Josuah Parker ließ Kathy Porter den Vortritt, was nicht nur mit seiner Höflichkeit zusammenhing. Als sie nämlich aus dem Kofferraum stieg, verdeckte sie ihn mit
ihrem Körper für einen Augenblick, doch der reichte vollkommen aus, um zwei Patentkugelschreiber in den Schäften seiner schwarzen, hohen Schuhe verschwinden zu lassen. Anschließend begab sich auch Parker ins Freie und kam, was die Haltung seiner Arme anbetraf, den Wünschen der drei Mexikaner nach. Es waren Natürlich keine echten Mexikaner, wie er bereits im Pferdestall der McCurdy Ranch festgestellt hatte. Es handelte sich um verkleidete Mexikaner, die wahrscheinlich der Mafia angehörten. Der Butler und Kathy Porter gingen auf eine Ranch zu, die vor einem der hier typischen Tafelberge stand. Links vom Wohnhaus waren ebenfalls Korrals zu sehen. Alles machte einen gepflegten, sogar kaum benutzten Eindruck. Die Ranch diente wahrscheinlich nur als Staffage für Wochenendausflüge und Partys. Die drei Männer waren sehr auf der Hut und ließen Parker und Kathy Porter nicht aus den Augen. Wahrscheinlich waren sie inzwischen genau instruiert worden Und wußten, daß sie es auf keinen Fall mit reinen Touristen zu tun hatten. »Darf man in Erfahrung bringen, wem man diese Einladung zu verdanken hat?« erkundigte sich Parker in der Haue des Ranchgebäudes. »Lassen Sie sich überraschen«, sagte der Wortführer der angeblichen Mexikaner. »Nur nicht die Geduld verlieren.« »Man wird Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit inzwischen vermissen.« »Macht ja nichts.« Der Mann grinste. »Nach euch wird bald kein Hahn mehr krähen.« »Würden Sie einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann erlauben, ein wenig Platz zu nehmen?« fragte Parker. »Die Fahrt hat meine bescheidene Wenigkeit doch überfordert.« »Sie können sich gleich sogar hinlegen«, lautete die Antwort. »Wir haben ein nettes Quartier vorbereitet. Strecken Sie erst mal Ihre Hände vor!« »Sie halten es für notwendig, mich zu fesseln?« »Dringend«, antwortete der vorgebliche Mexikaner. »Sicher ist sicher. Sie sollen 'n ganz raffinierter Typ sein.« »Eine mehr als freundliche Übertreibung.« Parker streckte seine Hände vor und ließ sich fesseln, Es war einfach zu gefährlich, Widerstand zu leisten. Es gab da schließlich zwei Winchester, deren Läufe auf ihn und Kathy Porter gerichtet waren. Und diese Gewehre wurden von Fachleuten gehandhabt. Nachdem Parker gefesselt worden war, kam Kathy Porter an die Reihe. Sie spielte den drei Mexikanern ein scheues, zutiefst verängstigtes Reh vor. Sie schien panische Angst vor den drei Männern zu haben und wich jeder Berührung möglichst aus. »So, und jetzt erst mal viel Vergnügen«, sagte der Wortführer der Männer und ging voraus. »Das heißt, Moment noch. Wir wollen doch keinen Fehler machen, wie?« Er baute sich vor dem Butler auf und visitierte dessen Taschen. Er beschäftigte sich vor allen Dingen mit sämtlichen Westentaschen und pickte jeden noch so
kleinen und harmlos aussehenden Gegenstand hervor. Parker verlor auf diese Art und Weise leider seine diversen Patent-Kugelschreiber, Pillendose, Feuerzeug und auch die Taschenuhr. Man nahm ihm die schwarze Melone und auch seinen Universal-Regenschirm ab. »Mann, Sie schleppen ja verdammt viel mit sich herum«, sagte der Wortführer und deutete auf den Tisch, auf dem Parkers Eigentum sich stapelte. »Ein Butler sollte stets allen Widerwärtigkeiten des Lebens entgegentreten«, erwiderte Parker. »Wie Sie sich überzeugen können, meine Herren, handelt es sich nur um banale Dinge des Alltags.« »Möglich«, blieb der Gangster skeptisch und hob eine kleine Staubbürste hoch, besichtigte dann einen Schlüsselbund und klopfte noch mal sämtliche Taschen ab. Nachdem er sicher war, nichts übersehen zu haben, ließ er Parker und Kathy Porter wegschaffen. Der Butler war durchaus zufrieden, wenngleich dies seinem Gesicht nicht anzusehen war. Der Gangster hatte erfreulicherweise viel übersehen. Deren Phantasie reichte eben doch nicht aus, um sich in die Gedankenwelt und Erfindungsgabe eines Josuah Parker zu versetzen. *** »Nun zieren Sie sich nicht, junger Mann«, herrschte Lady Agatha den Mafia-Boß an. »Sie können nur glauben, daß ich sehr wohl weiß, wie ein Mann aussieht.« »Sind Sie wirklich eine Krankenschwester?« preßte Walt Heston hervor. Er stand mit Lady Agatha in einem geräumigen Badezimmer und genierte sich, seine Hosen herunterzulassen. Er sah zu den beiden Leibwächtern hinüber, die sich langsam in den gekachelten Raum schoben, jedoch nicht ganz bei der Sache waren, zumal ihre Anzüge immer noch rauchten und qualmten. »Unter die Dusche mit Ihnen!« Agatha Simpsons Stimme glich der eines altgedienten Kompaniefeldwebels. Die beiden jungen Sportsmänner zuckten zusammen und gehorchten. Sie passierten die resolute Dame, deren Pompadour in leichte Schwingungen geraten war. Walt Heston sah alles, doch er war nicht fähig, einen Warnruf auszustoßen. Er weigerte sich zu glauben, was er sah. Die angebliche Krankenschwester verabreichte den beiden Leibwächtern nämlich eine Therapie, die man als zumindest ungewöhnlich bezeichnen mußte. Der Pompadour schwang kraftvoll vor und traf den Hinterkopf jenes Leibwächters, der als letzter die ältere Dame passierte. Der »Glücksbringer« verschaffte dem Getroffenen den Eindruck, von einem Pferd getreten worden zu sein. Der Mann fiel nach vorn, legte sich flach auf die Luft, die sich nicht als tragfähig erwies, und klatschte dann auf die Fliesen. Der erste Leibwächter fuhr blitzschnell herum und wurde von dem zurückschwingenden Pompadour voll erwischt. Seine Nase verformte sich. Dem Mann schoß das Wasser in die Augen. Er legte sich auf seinen Partner, strampelte noch ein wenig mit den Beinen und gab dann Ruhe.
»Nun zu Ihnen, Heston«, sagte Lady Agatha und musterte grimmig den MafiaBoß. »Machen wir nicht viel Worte: Wohin haben Sie Mr. Parker und meine Sekretärin schaffen lassen?« »Wo ... Wovon reden Sie eigentlich?« fragte Walt Heston und wich zurück. »Wohin?« wiederholte Lady Agatha noch mal. »Sie können nur auf Ihren Befehl hin entführt worden sein.« Walt Heston schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, brachte aber vor lauter Heiserkeit kein verständliches Wort heraus. Er schob sich noch weiter zurück und geriet in die Nähe der riesigen Wanne, die in den Boden eingelassen war und fast an einen kleinen Swimming-pool erinnerte. »Mein... Mein Ehrenwort, ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte er dann endlich mit sehr rauher Stimme und... fiel rücklings in die überdimensional große Bodenwanne. Er schrie und schlug mit den Händen um sich. »Und wer hat den Hubschrauber auf mich gehetzt?« stellte die Lady ihre nächste Frage. »Ich denke, ich werde Sie erst mal einweichen, Heston. Wie möchten Sie das Wasser haben, heiß oder kalt?« Walt Heston starrte die energische Sechzigerin an, sah den schwingenden Pompadour und geriet in Wut. Ihm war jetzt klar, daß er sich von einer angejahrten Frau hatte hereinlegen lassen. Er wußte nun auch, wer ihm die glühende Holzkohle beschert hatte, besann sich auf seine Männlichkeit und sprang blitzschnell auf. Zu dem zähnefletschenden Wolf, der er vor vielen Jahren mal in den Dschungeln amerikanischer Großstädte gewesen war, wollte er wieder werden. Heston stürzte sich auf Lady Simpson. Er war fest entschlossen, mit seinen Fäusten auf diese Frau einzudreschen, verlor jede Selbstkontrolle und wollte nur noch Blut sehen. Das sah er dann auch! Es kam aus seiner Nase und tropfte auf die Hosenbeine. Aus glasigen Augen stierte der Mafia-Boß auf Lady Agatha, die gelassen den Heißwasserhahn aufdrehte, um Walt Heston ein wenig zu erfrischen. Nach Myladys Rundschlag mit dem Pompadour hatte er es auch verdient... *** Josuah Parker und Kathy Porter befanden sich in einem bunkerähnlichen Raum, der zu Dreiviertel seines Volumens unter der Erde lag. Es gab nur einen Sichtschlitz hoch oben an der Wand, der aus Drahtglas bestand und zusätzlich noch vergittert war. In diesem Bunker, der aus Beton gegossen war, stand nur eine einfache Feldpritsche, eine Kiste als Tisch und ein mehr als wackliger Stuhl. »Ich möchte nur wissen, was man mit uns vorhat«, sagte Kathy Porter, die auf der Kiste Platz genommen hatte.
»Man dürfte die Absicht haben, Sie, Miß Porter, und meine bescheidene Wenigkeit als Geisel zu benutzen«, erwiderte der Butler gemessen. »Man ist aller Wahrscheinlichkeit nach noch an Lady Simpson und Mr. Rander interessiert.« »Wegen der Hubschraubergeschichte?« erkundigte sie sich. »Möglicherweise«, bestätigte der Butler mit Vorbehalt. »Die Herren der Mafia könnten allerdings inzwischen auch wissen, daß Lady Agatha auf der Liste der Mafia weit oben steht.« »Werden wir etwas unternehmen, Mr. Parker?« »Zuerst sollte man sich der hinderlichen Fesseln entledigen«, antwortete Josuah Parker. »Danach wird man weitersehen.« Parker nahm auf der Kante der Feldpritsche Platz und langte mit seinen gefesselten Händen ohne Schwierigkeiten zu seinem rechten Schuhabsatz. Kathy Porter lehnte sich mit dem Rücken gegen die rauhe, kühle Betonwand. Sie beobachtete, was Parker tat. Seine Bewegungen waren sehr zielstrebig. Er zog den Absatz seines rechten Schuhs ruckartig ab, um diesen Teil, der von einer starken Feder gehalten worden war, dann leicht und spielerisch zur Seite zu drehen. Dem hohlen Absatz entnahm er ein winziges Springmesser. Auf einen Knopfdruck hin schnellte eine rasiermesserscharfe Klinge aus dem Heft. »Dieses kleine Messer kenne ich aber noch nicht«, sagte Kathy Porter fasziniert. »Eine Neuentwicklung, Miß Porter«, erläuterte der Butler. »Die Schärfe des Absatzeisens ließ auf die Dauer doch einige Wünsche offen, ein Fehler, den zu korrigieren ich mich bemühte.« »Sagenhaft«, kommentierte sie, denn Parker brauchte nur Sekunden, bis das Messer die Handfesseln durchtrennt hatte. Parker erhob sich und ging zu Kathy Porter hinüber. Sie hielt ihm ihre Hände entgegen, und Parker befreite auch seine Begleiterin von den stramm gezogenen Stricken. »Es empfiehlt sich, Miß Porter, die Fesseln nicht völlig abzustreifen«, sagte er, »eintretende Besucher sollten den Eindruck gewinnen, daß Sie und meine Wenigkeit nach wie vor gebunden sind.« Parker ließ das zusammengeklappte Messer wieder im Absatz verschwinden, nicht ohne vorher noch eine Plastikkapsel herausgenommen zu haben. Sie war mehrfach durchbrochen und wies kleine Öffnungsschlitze auf. In dieser perforierten Plastikkapsel war eine Glasampulle zu sehen. Der Butler ließ die Kapsel schnell im Knoten seines schwarzen Binders verschwinden. »Tatsächlich nichts zu sehen«, staunte Kathy Porter und lächelte unwillkürlich. Sie deutete zuerst auf den Absatz, dann auf den Binder. »Ist der andere Absatz ebenfalls hohl, Mr. Parker?« »In der Tat, Miß Porter!« Parker deutete ein zustimmendes Nicken an und machte sich daran, auch ihn vom Schuh zu ziehen und dann seitlich wegzudrehen. Aus der Höhlung dieses Absatzes holte er mit spitzen Fingern eine genau eingepaßte, kleine Blechschachtel, die er vorsichtig öffnete. »Was ist denn das?« erkundigte sich Kathy Porter. Sie war noch neugieriger geworden.
»Diese plastilinähnliche Masse, Miß Porter, ist verformbarer Sprengstoff«, dozierte Parker gemessen. »Dies hier ist ein Spezialzünder, der in diesem kleinen Seitenfach sicher untergebracht ist. Durch ein Verdrehen der beiden Metallhälften gegeneinander entwickelt er die notwendige Hitze, um den Sprengstoff zu zünden.« »Und damit laufen Sie herum?« Die junge Dame hob abwehrend die Hände. »Es besteht absolut keine Gefahr, solange der Zünder nicht in Tätigkeit versetzt worden ist«, beruhigte Parker seine Begleiterin. »Nach der Zündung sollte man sich allerdings tunlichst in Deckung begeben. Ich darf Ihnen versichern, daß die Sprengkraft das ist;, was ich als beachtlich bezeichnen möchte.« »Moment, Mr. Parker!« Sie deutete auf die schwere Bohlentür, die noch zusätzlich mit starkem Eisenblech beschlagen war. »Ich glaube, wir bekommen Besuch.« »In der Tat«, bestätigte der Butler und brachte seinen Absatz in Ordnung, nachdem er die kleine Blechschachtel wieder darin untergebracht hatte. »Man sollte sein Pulver nicht zu früh verschießen, wenn ich so sagen darf.« Es dauerte nur noch wenige Augenblicke, bis die Tür aufgesperrt wurde. Zwei »Mexikaner« richteten die Läufe ihrer Winchester auf Butler Parker und Kathy Porter. »Mitkommen«, sagte einer der beiden Gangster, »und schön die Hände im Nacken verschränken, klar? Wir haben Besuch bekommen...« »Sollte Mr. Heston sich die Ehre geben wollen?« fragte der Butler und erhob sich. »Oder ist mit der Anwesenheit Mr. McCurdys zu rechnen?« »Los, macht schon«, schnarrte der zweite »Mexikaner« ungeduldig, um dann aber hinterhältig zu lächeln. »Ihr werdet auf jeden Fall Augen machen!« In Anbetracht dieser Ankündigung verzichtete Parker erneut; darauf, jetzt und hier das Blatt zu wenden. Es wäre mehr als leichtsinnig gewesen, eine Aktion zu starten, ohne zu wissen, was sich oben im Ranchgebäude getan hatte. Kathy Porter paßte sich Parker an und ging mit ihm in die Küche, von wo aus man diesen Bunker erreicht hatte. Die beiden Gangster waren wachsam und sicher bereit, sofort zu schießen. Man schien sie tatsächlich eindringlich gewarnt zu haben. Josuah Parker betrat den Wohnraum und zuckte Natürlich mit keiner Wimper, als er sich einigen Bekannten gegenübersah. Die drei Gangster Bernie, Hale und Jody hatten sich eingefunden, doch Jody machte einen mehr als nur leicht mitgenommenen Eindruck. Sein Gesicht war angeschwollen, und er hatte eindeutig ein blaues Auge. Hinter diesen drei Gangstern standen die beiden. Hubschrauberpiloten, die ebenfalls keinen freundlichen Eindruck machten. »Ich gestatte mir, den Herren einen guten Tag zu wünschen«, begrüßte der Butler die ehemaligen Insassen des Kofferraums. »Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß Sie meiner bescheidenen Person gegenüber einigen Groll hegen, den ich Ihnen allerdings noch nicht mal verdenken kann.«
»Wir werden dir gleich zeigen, wie geladen wir sind«, sagte Bernie und zeigte dem Butler einen Holzknüppel. »Uns vermasselt man nur einmal die Tour, dann nie wieder!« »Sie hegen unfreundliche Absichten gegenüber meiner Wenigkeit?« fragte Parker würdevoll. »Habe ich Sie nicht davor bewahrt, mit Personen in Konflikt zu geraten, deren Reaktion geradezu mörderisch zu nennen wäre?« Die Männer schauten sich wechselseitig an und gerieten ein wenig aus dem Konzept. Für ein paar Sekunden wenigstens ... *** »Im Badezimmer ist es verdächtig ruhig«, sagte Leutnant Ryan und sah Mike Rander unruhig an. »Ich möchte die Lady ja nicht beleidigen, aber wahrscheinlich ist sie mit den Burschen doch nicht fertig geworden, oder?« »Sie kennen Agatha Simpson nicht«, beruhigte Mike Rander den Detektivleutnant. »Sie hat eine ungemein handfeste, beruhigende Art. Aber überzeugen Sie sich doch selbst, Ryan!« Jeff Ryan und Sergeant Grow setzten sich umgehend in Bewegung und verschwanden im Haus. Mike Rander hatte es weit weniger eilig mit seiner brennenden Zigarette in der Hand. Er schlenderte zur Terrasse hinüber, wo Steve McCurdy stand und sich mit Maud Wilmington und ihrem Verlobten James Holloway unterhielt. Der Veranstalter der Fiesta lächelte etwas schief, als der Anwalt sich zu ihnen gesellte. »Meine Fiesta dürfte geplatzt sein.« Steve McCurdy deutete auf einige Wagen, die den großen Parkplatz verließen. »Wenn's nur das ist, McCurdy«, erwiderte Mike Rander. »Hauptsache ist doch wohl, daß Miß Wilmington nicht gekidnappt worden ist.« »Sollte sie wirklich entführt werden?« fragte Holloway skeptisch. »Wieso zweifeln Sie daran?« Rander musterte den Verlobten der Millionenerbin. »Nun ja, offen gesagt, das ist doch nur eine Behauptung von Ihnen, Rander. Um noch offener zu sein: Wer kennt Sie denn schon und Ihre Begleiter?« »Möchten Sie zumindest mich kennenlernen?« fragte der Anwalt gelassen und musterte den sportlich aussehenden Holloway, der daraufhin prompt einen halben Schritt zurückwich. »Bitte, James, rede keinen Unsinn«, Fauchte Maud Wilmington ihren Verlobten an. »Ich werde auf jeden Fall nicht ohne Polizeischutz zurück ins Hotel fahren.« »Dazu würde ich Ihnen ebenfalls raten, Miß Wilmington«, sagte Mike Rander. »Ich könnte Sie per Hubschrauber befördern lassen«, bot Steve McCurdy an. »Vielleicht ist das noch sicherer.« »Werden Sie in Los Angeles bleiben, Miß Wilmington?« fragte der Anwalt sie, ohne sich zu McCurdys Angebot zu äußern. »Auf keinen Fall!« Sie schüttelte fast heftig den Kopf. »Ich habe gerade mit meinem Vater gesprochen. Er besteht darauf, daß ich das Hotel solange nicht
verlasse, bis einige seiner Angestellten hier sind. Dann werde ich mit unserem Privatjet zurück nach Frisco fliegen.« »Und deine Pläne?« mischte James Holloway sich ein. »Denk' doch bitte an das Musical, das ich mit dir herausbringen will.« »Ich weiß nicht, ob mich das noch interessiert.« Sie winkte ab. »Erst werde ich nach San Francisco zurückfliegen, James. Sicher ist sicher.« »Hatten Sie die Idee, Miß Wilmington in einem Musical herauszustellen, Holloway?« fragte Rander und wandte sich an den Verlobten der Millionenerbin. »Natürlich.« Er nickte und deutete auf Steve McCurdy. »Darum habe ich ja auch Kontakt mit Mr. McCurdy aufgenommen.« »Und ich war sofort mit Probeaufnahmen einverstanden«, bestätigte der Produzent. »Es wäre schon sensationell, wenn ich Miß Wilmington groß herausbringen könnte. Zu schade, Maud, daß Sie nicht mehr dazu kommen, ein paar Nummern zu singen. Paul Lasinger hatte alles bestens vorbereitet.« »Ein neuer Name, mit dem ich leider nichts anfangen kann«, sagte Mike Rander. »Mein Produktionschef«, antwortete der Gastgeber und deutete dann auf einen etwa fünfzigjährigen Mann, der eine Brille trug. Er stand unterhalb der Terrasse und redete auf einige Gäste ein, die in Aufbruchstimmung waren. Paul Lasinger trug, wie Mike Rander beiläufig feststellte, einen dunkelblauen Anzug. Er verabschiedete sich von den Gästen und eilte dann auf McCurdy zu. »Faule Entschuldigungen am laufenden Band«, meldete er. »In zehn Minuten werden wir unter uns sein, Steve. Die Sache mit Miß Wilmington hat sich 'rumgesprochen. Und plötzlich erinnert man sich daran, daß Heston nicht ganz astrein ist, was seine gesellschaftliche Stellung betrifft. Ehrlich, diese Fiesta wird uns noch mächtig schaden.« »Aber Bernie, Hale und Jody lassen schön grüßen«, schaltete sich Mike Rander in diesem Augenblick ein und schob sich vor Paul Lasinger, der ihn anstarrte, dann wieder nervös an seiner Brille rückte und irritiert die Schultern hob. »Wer läßt grüßen?« fragte er schließlich. »Bernie, Hale und Jody«, wiederholte Mike Rander. »Ich werde Ihnen die Burschen bei Gelegenheit mal vorführen. Meiner Schätzung nach müssen sie hier in der Gegend sein.« *** »Los, sagen Sie schon, was Sie wissen«, forderte Gangster Bernie den Butler auf. »Es liegt meiner Wenigkeit fern, mich über Sie zu mokieren«, antwortete Josuah Parker höflich, »aber ist Ihnen tatsächlich entgangen, daß man Sie nur dazu benutzt, besonders heiße Kastanien aus dem Feuer zu holen? Wundern Sie sich wirklich nicht darüber, daß die beiden Piloten in Diensten der hiesigen Mafia stehen? Sie hatten doch eindeutig den Auftrag, Sie dorthin zu befördern, was man gemeinhin das Jenseits nennt.«
»Quatsch, es ging um euch Amateure«, sagte einer der beiden Hubschrauberpiloten etwas hastig. »Euch sollten wir wegscheuchen.« »In wessen Auftrag denn, wenn man höflichst fragen darf?« erwiderte der Butler. »Sie werden diesen Flug ja nicht auf eigene Rechnung durchgeführt haben, möchte ich annehmen.« »Lassen wir uns doch nicht einwickeln«, brauste der zweite Pilot auf, »merkt ihr denn nicht, daß er uns nur aufeinanderhetzen will?« »Ich möchte davon ausgehen, daß bei den Herren bereits das eingesetzt hat, was man einen Denkprozeß nennt«, sagte Parker und nickte Bernie und Hale zu. Jody machte nämlich nach wie vor einen benommenen und leicht geistesabwesenden Eindruck. Er schien von seinen Partnern Bernie und Hale nachdrücklich wegen seiner Informationspolitik gerügt worden zu sein. »Tja, wer hat euch denn eigentlich losgeschickt?« wollte Hale nun wissen und drehte sich zu den beiden Piloten um. »Darauf habt ihr bisher nicht geantwortet«, erinnerte Bernie kühl. »Wir... Wir haben 'nen Anruf von der Zentrale bekommen«, sagte der erste Pilot, »und wenn so was kommt, stellen wir keine Fragen. Ihr wißt doch, wie das ist.« »Wenn Sie die Zentrale nennen, können Sie nur Mr. Heston meinen«, warf der Butler ein. »Schon möglich, daß der Boß den Flug veranlaßt hat«, räumte danach der erste Pilot ein. »Und deshalb bemühten Sie sich auch, Ihre drei Freunde am Buick nachhaltig mit Schüssen zu belegen, nicht wahr?« Parker blieb hartnäckig bei diesem Thema. »Wer ordnete das an, wenn man weiter fragen darf? Sie müssen die Stimme aus der Zentrale doch zumindest erkannt haben, wie ich unterstehen möchte. Männer wie Sie reagieren doch nie auf einen x-beliebigen Anruf.« »Eben«, pflichtete Hale dem Butler bei und schaute die beiden Piloten eindringlich an, »rückt, doch mal raus mit der Sprache.« »Wir können uns später immer noch prügeln«, schlug einer der Mexikaner vor und hob warnend den Lauf seiner Winchester, »jetzt geht's doch erst mal um die beiden Amateure hier.« »Sollte man davon ausgehen, daß auch Ihnen meine Fragen nicht sonderlich behagen?« erkundigte sich Parker bei dem verkleideten Gangster. »Daß Sie eindeutig auf Seiten der Mafia stehen und von ihr bezahlt werden, dürfte inzwischen jedem Laien klar sein.« Bernie und Hale tauschten einen schnellen Blick, wie Kathy Porter bemerkte. Die beiden Spezialisten fühlten sich nicht wohl in ihrer Haut, denn sie waren eindeutig in der Minderzahl. »Es wird Zeit, daß man dir das Maul stopft«, erwiderte der Wortführer der Kostümierten. »Wir haben uns da was Hübsches einfallen lassen. Die Tecks werden später von einem bedauerlichen Unfall reden.«
»Könnten Sie Miß Porter und meiner Wenigkeit übersetzen, was mit dem Ausdruck >Teck< gemeint ist?« fragte der Butler, um Zeit zu gewinnen. Seine linke Hand bewegte sich wie zufällig zum Knoten seines schwarzen Binders. »Bullen, Polizeidetektive«, erklärte der Mann und grinste. »Warum haben Sie sich auch auf 'nen wilden Gaul gesetzt, Mann? Da muß man sich doch das Genick brechen!« »Sie bestehen offensichtlich darauf, daß meine Wenigkeit ein Wildpferd zureiten soll, wenn ich Sie recht verstanden habe?« Parkers Hand lag jetzt über dem Knoten des Binders. Er war nun in der Lage, blitzschnell nach der Plastikkapsel zu greifen. »Sie haben's erfaßt, Mann«, lautete die wenig schöne Antwort. »Wenn Sie länger als 'ne halbe Minute auf dem Gaul bleiben sind Sie bereits 'n sagenhafter Könner.« Nach dieser Eröffnung hielt Josuah Parker es für angebracht, die Plastikkapsel einzusetzen. An einem privaten Rodeo war er nicht interessiert. *** Kein Gangster bekam mit, wie Parker die kleine Plastikkapsel aus ihrem Versteck im Binderknoten holte und dann zu Boden fallen ließ. Die Männer trauten sich nicht über den Weg und belauerten sich mißtrauisch. Parker hatte es durch seine Hinweise und Fragen verstanden, allgemeine Unsicherheit auszulösen. Die Plastikkapsel landete auf dem Boden, und Parker stellte durch Verlagerung seines Standbeins die Unke Schuhsohle auf die perforierte Kapsel, deren Glasampulle daraufhin zerbrach. Das Resultat war frappierend. Plötzlich jagte eine schmale, weißgraue Nebelwolke zur Zimmerdecke. Sie breitete sich ungewöhnlich schnell aus und sorgte erst mal für allgemeine Verwirrung. Die Inhaber der diversen Winchester brühten ihre Gäste an, die ihrerseits erwiderten. Parker und Kathy Porter waren bereits nicht mehr zu sehen. Leider ereignete sich in diesem Moment ein Mißgeschick. Kathy Porter, die sich wie Parker absetzen wollte, lief genau in einen Fausthieb, der ihr Genick traf. Sie brach sofort zusammen und war besinnungslos. Josuah Parker griff im richtigen Moment zu, nahm sie auf seine Arme und trug sie behutsam aus der Gefahrenzone. Da jetzt an eine generelle Flucht nicht mehr, zu denken war, änderte er seine Pläne. Während die Gangster sich in der Wohnhalle gegenseitig Schwierigkeiten bereiteten, entschied sich Josuah Parker für eine Rückkehr in den Betonbunker unterhalb der Küche. Seiner Ansicht nach würde man dort zuletzt nach Miß Porter und ihm suchen... Er trug Kathy Porter in den Raum zurück und legte sie vorsichtig auf das Feldbett. Dann ging er noch mal zurück in den eigentlichen Keller und horchte nach oben.
Dort wurde inzwischen geschossen, wie mehr als deutlich zu vernehmen war. Man schien sich endgültig in die Haare geraten zu sein. Parker hatte nicht die Absicht, sich störend einzumischen. Er kümmerte sich um Kathy Porter, die inzwischen wieder zu sich kam, aber noch nicht so recht wußte, was passiert war. »Ich... Ich habe alles verpatzt«, sagte sie ärgerlich und richtete sich vorsichtig auf. Sie massierte sich den immer noch schmerzenden Nacken und merkte erst jetzt, wo sie sich befand. Sie lächelte. Man kann nur hoffen, daß meine bescheidene Rechnung aufgeht«, sagte Josuah Parker. »Die Herren Gangster dürften wahrscheinlich draußen in der freien Natur nach Ihnen und meiner Wenigkeit suchen, Miß Porter.« »Ob wir uns zum Wagen durchschlagen können, Mr. Parker? Ich bin wieder fit, wirklich.« »Im Augenblick sollte man davon Abstand nehmen«, entgegnete der Butler. »Die Gangster dürften sich in einer äußerst gereizten Stimmung befinden und auf alles schießen, was sich verdächtig bewegt.« »Sie haben sie ganz schön durcheinandergebracht.« Kathy Porter lächelte und massierte sich weiter den Nacken. »Die Kernfrage bleibt, Miß Porter, wer von der Mafia die drei Spezialisten engagiert hat«, erwiderte Josuah Parker höflich. In seiner Gegenwart verwandelte sich der Betonbunker in einen Salon, in dem nur im Plauderton gesprochen wurde. Seine Persönlichkeit ließ vergessen, daß die Situation mehr als prekär war. Man hatte es immerhin mit Gangstern zu tun, die unbedingt morden wollten. »Haben die Antworten der Gangster Sie weitergebracht, Mr. Parker?« wollte Kathy Porter wissen. »Nicht unmittelbar und direkt, Miß Porter«, lautete Parkers Antwort. »Die beiden Piloten könnten Licht in das Dunkel bringen. Sie wissen mit Sicherheit, wer Ihnen den Auftrag erteilte, auf die drei Spezialisten zu schießen, ganz zu schweigen von dem Auftrag, Miß Wilmington in irgendein Versteck zu schaffen.« »Könnte dieses Versteck nicht dieser Bunker hier sein, Mr. Parker?« »Eine sehr interessante Hypothese, Miß Porter.« Parker nickte. »Einiges deutet in der Tat daraufhin, daß man hier zumindest eine Person fest verwahren wollte. Übrigens ist es oben im Haus ein wenig ruhiger geworden.« »Ob wir mal nachsehen, Mr. Parker?« Die junge Dame stand auf und huschte geschmeidig zur Tür und blieb dann wie angewurzelt stehen. Parker sah, daß Kathy Porter langsam die Hände hob. Diese Bewegung hing eindeutig mit dem Gewehrlauf zusammen, der auf ihren Körper gerichtet war. *** »Wie hat Walt Heston das Plauderstündchen überstanden?« erkundigte sich Mike Rander, als Leutnant Ryan und Sergeant Grow aus dem Haus kamen. Mike Rander hatte sich von McCurdy und Maud Wilmington getrennt. Sie waren in die
Wohnhalle gegangen, während James Holloway und Paul Lasinger sich noch leise miteinander unterhielten. Es war vor allen Dingen der Verlobte von Miß Wilmington, der auf den Produktionschef einredete. »Hestons Anblick war Balsam für meine Seele«, gestand Ryan ,und lächelte. »So was hätte man auf Fotos festhalten sollen«, fügte sein Sergeant begeistert hinzu. »Ein Gangsterboß in einer fast kochenden Badewanne, Blut und Wasser schwitzend. Ihre Lady, Sir, ist sagenhaft!« »Wem sagen Sie das, Grow!« Mike Rander lachte. »Was hat sie aus dem Gangsterboß herausgeholt?« »Heston schwört Stein und Bein, daß er mit dem geplanten Kidnapping nichts zu tun gehabt hat. Was natürlich nichts besagt, um das gleich mal festzuhalten.« »Wer würde sich getrauen, hinter seinem Rücken einen Mafia-Hubschrauber starten zu lassen?« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Ich denke an die beiden Piloten, die die Spezialisten abschießen sollten, von uns mal ganz zu schweigen. Er muß von der Aktion gewußt haben.« »Denke ich ebenfalls, Rander, aber wie will man ihm das nachweisen? Da liegt der Hund begraben.« »Stellt Lady Simpson ihm weitere Fragen?« »Ich habe ihr davon abgeraten, Rander. Aha, da kommt sie ja bereits ... Sie wird ohnehin mit einer gepfefferten Anzeige rechnen müssen, Heston hat ihr das bereits angekündigt. Er will sie auf schwere Körperverletzung und Erpressung verklagen.« »Das wird er sich ein paarmal überlegen, Ryan. Stellen Sie sich Lady Simpson vor, wenn sie vor einem Gericht auf wehrlose Frau macht. Heston würde sich bis auf die Knochen blamieren.« Lady Agatha machte einen aufgekratzten Eindruck, als sie auf Mike Rander zukam. In der feuchten Wärme des Baderaums hatten ihre Locken sich aufgelöst, auch ihr skurriler Hut wirkte ein wenig deformiert, doch dies alles scherte sie nicht. »Es war sehr nett«, sagte sie zu Mike Rander, »diesem Mafia-Flegel habe ich endlich mal Manieren beigebracht.« »Ist er noch gehfähig?« Rander wußte, was sich in Myladys Pompadour befand. »Er schleppt sich gerade zu seinem Wagen, Mike«, sagte sie, »aber an seinen beiden Leibwächtern wird er dabei wenig Hilfe haben, auch die hatten keine Kondition.« »Hat er es weit bis zu seinem Haus?« erkundigte sich Mike Rander bei Leutnant Ryan. »Auf keinen Fall, soviel ich weiß. Er braucht nur dort über die Bergkuppen zu fahren. Er ist ja ein unmittelbarer Nachbar von McCurdy. Es wäre sinnlos, ihm mit dem Streifenwagen zu folgen.« »Das erledigen ich und Mr. Rander«, warf Lady Agatha kriegerisch ein. »Sie halten ihn für den Drahtzieher, der die drei Spezialisten engagiert hat, Mylady?« wollte Mike Rander wissen. »Unbedingt.« Die Detektivin nickte. »Und er fährt wahrscheinlich dorthin, wohin man Kathy und Mr. Parker verschleppt hat. Ich wette, er möchte sich jetzt
möglichst schnell an ihnen rächen. Ich werde übrigens den Wagen steuern, mein Junge, Sie sind mir etwas zu zurückhaltend.« »Mylady, er wird doch mit Sicherheit merken, wer ihm folgt«, warnte Leutnant Ryan. »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben, junger Mann. Ich hoffe, daß er mich in eine Falle lockt.« »So etwas kann leicht tödlich enden. Ich werde mitkommen, einverstanden? « »Das könnte ihn abschrecken, Leutnant«, sagte sie und schüttelte energisch den Kopf. »Und zudem ist das hier mein Fall, vergessen Sie das nicht!« »Ich finde auch, Ryan, Sie sollten sich um Miß Wilmington und ihren Verlobten kümmern«, warf Mike Rander ein. »Sorgen Sie dafür, daß sie heil ins Hotel zurückkommen.« »Ich würde ja hebend gern noch diese McCurdy-Brüder verhören«, meinte die ältere Dame, »und auch diesen dunkelblau gekleideten Mann dort. Sie stecken mit Heston bestimmt unter einer Decke, glauben Sie mir. Aber Kathy und Mr. Parker haben jetzt Vorrang. Gerade Mr. Parker braucht mich wieder mal. Was wäre dieser Mann ohne mich!?« *** »Selbstverständlich wird man sich der nackten, rohen Gewalt beugen«, sagte der Butler und trat neben Kathy Porter. Parker sah sich einem etwa fünfzigjährigen Mann gegenüber, der eine Brille trug sowie einen Rancheranzug alten Stils, der allerdings in diese Umgebung paßte. »Darf man davon ausgehen, daß Sie es waren, der die drei Spezialisten Bernie, Hale und Jody engagierte?« »Dürfen Sie«, erwiderte der Mann wie selbstverständlich, »wenn es Sie beruhigt?« »Sie haben Miß Porter und meine bescheidene Person relativ schnell gefunden.« Parker dachte nicht im Traum daran, den Fünfzigjährigen außer Gefecht zu setzen, denn dieser Mann war leider nicht allein. Die beiden Piloten standen hinter ihm und hielten Faustfeuerwaffen in den Händen. Sie hatten sich so aufgebaut, daß jeder jeden deckte. »Ich habe nachgedacht, im Gegensatz zu anderen«, spöttelte der fünfzigjährige Brillenträger, ohne sich allerdings nach den beiden Piloten auch nur andeutungsweise umzuwenden. »Aber gehen wir doch 'rauf an die frische Luft.« »Wer kann solch einer Einladung schon widerstehen?« gab Parker höflich zurück. »Ich möchte Sie übrigens darauf aufmerksam machen, daß Sie keine Brutalität aktivieren sollten. In solch einem Fall würde ich Ihre Waffen übersehen und dann wohl als Geisel ausfallen.« »Das gilt auch für mich«, erklärte Kathy Porter leise und sah den Fünfzigjährigen sehr betont und eindringlich an. Er nahm diesen Blick zur Kenntnis und schien plötzlich genau zu wissen, daß er keine leeren Drohungen gehört hatte.
»Wir werden schon zurechtkommen«, sagte er und trat zur Seite. »Ich möchte tatsächlich noch die Lady und diesen Rander hier sehen.« Unter Wahrung aller Vorsicht ging man nach oben und erreichte ohne Zwischenfall den Wohnraum. Jody lag auf dem Boden und hielt sich mit beiden Händen den linken Oberschenkel, der eindeutig getroffen worden war. Seine beiden ehemaligen Partner Bernie und Hale saßen nicht weit von ihm auf dem Boden und waren gefesselt. Sie wurden von den drei Mexikanern bewacht. »Ihre Sündenböcke, wie zu vermuten ich mir erlaube«, sagte der Butler und deutete auf die drei Spezialisten. »Diese Einzelgänger tragen immer Scheuklappen«, meinte der Fünfzigjährige und lächelte freundlich. »Sie halten sich für einmalig und sind doch nur Marionetten, die man wegpackt, wenn man sie nicht mehr benötigt. Aber wem sage ich das? Sie kennen ja gewisse Praktiken, Mr. Parker.« »Ihren Hinweisen entnehme ich, daß die Mafia bereits Erkundigungen eingezogen hat.« »Wir wissen jetzt Bescheid«, bestätigte der Brillenträger. »Ich glaube, wir alle hier werden uns eine fette Prämie verdienen.« »Hat die Mafia möglicherweise eine Art Kopfgeld auf Lady Simpson, Miß Porter, Mike Rander und auf meine bescheidene Wenigkeit ausgesetzt?« »Vor allen Dingen auf Ihren Kopf, Parker.« Der Fünfzigjährige lachte zufrieden und machte überhaupt keinen gangsterhaften Eindruck, wie es in einschlägigen Filmen so oft der Fall ist. »Sagen Sie, wie haben Sie's eigentlich geschafft, die Fesseln loszuwerden?« »Ein Trick, den mir ein Entfesselungskünstler freundlicherweise zur Verfügung stellte.« »Lieferte er auch das Messer dazu?« Der Brillenträger hob die durchschnittenen Stricke vom Tisch. »Ihre Mitarbeiter müssen ein Messer übersehen haben«, entschuldigte Parker die übrigen Gangster. »Es steht Ihnen selbstverständlich frei, mich noch mal zu durchsuchen.« »Lohnt sich kaum noch, Parker. Und Sprengstoff oder Bomben werden Sie ja nicht gerade mit sich herumschleppen, oder?« »Sie überschätzen meine unwichtige Person. Wie darf ich Sie übrigens anreden?« »Ich bin Butch Harpers, falls Ihnen das was sagt.« Der Brillenträger lachte wieder freundlich. »Und arbeiten mit Sicherheit in einer anderen Stadt als hier in Los Angeles.« »Wie kommen Sie denn darauf?« Harpers' Lächeln wurde ein wenig dünn. »Als Mitarbeiter der Mafia von Los Angeles wären Sie den Herren Bernie, Hale und Jody bekannt gewesen, wie ich rückschließen möchte. Ihr momentaner Aufenthalt in der Stadt und jetzt in Palm Springs deutet daraufhin, wenn ich weiter schlußfolgern darf, daß Sie in und mit einem ganz speziellen Auftrag zu Mr. Heston gekommen sind.«
»Jetzt geht die Phantasie aber mit Ihnen durch, Parker.« Der Brillenträger lächelte nicht mehr. »Wenn es erlaubt ist, möchte ich in Gedanken einen weiteren Schritt tun«, redete der Butler weiter. »Da Sie die drei Spezialisten engagierten, müssen Sie die Adressen und Telefonnummern der Herren von der hiesigen Mafia erhalten haben. Mr. Heston wußte also Bescheid und erlaubte Ihnen, die Aktivitäten in seiner Stadt, um es mal so zu umschreiben. Daraus ergibt sich wiederum, daß nicht die hiesige Mafia für das geplante Kidnapping zeichnete.« »Mir wird immer klarer, warum man gerade auf Ihren Kopf eine besonders hohe Prämie gesetzt hat.« Der Fünfzigjährige nagte an seiner Unterlippe. »Was haben Sie denn sonst noch auf Lager?« »Die Mafia der Stadt, in der Sie leben, Mr. Harpers, wollte mit Miß Wilmingtons Entführung nur einen an sie gerichteten Auftrag erledigen, wie ich weiter unterstellen möchte. Es muß sich um eine Art Eilauftrag gehandelt haben, denn sonst hätten Sie gewartet, bis Miß Wilmington in die betreffende Stadt zurückkehrte. Letztendlich schlußfolgere ich mit Ihrer gütigen Erlaubnis daraus, daß dieser private Auftraggeber sehr genau wußte und weiß, was Miß Wilmington hier zu unternehmen gedachte.« »Sie legen da einen ganz schönen Drahtseilakt hin, Parker«, meinte der Mann, der sich als Butch Harpers vorgestellt hatte. Er sah kurz zu den Mexikanern hinüber und dann zu den beiden Piloten, die schweigend zuhörten. »Wenn Sie gestatten, möchte ich dieses Gedankenspiel beenden«, sagte Butler Parker. »Ich stehe nur also jetzt die Frage, wer genau darüber informiert war und ist, was Miß Wilmington hier in Los Angeles zu tun gedachte. Dafür kommen drei Personen in Betracht.« »Jetzt wird's wirklich interessant, Parker.« Butch Harpers beugte sich vor. »Diese drei Personen sind einmal Miß Wilmington, dann ihr Verlobter Holloway und schließlich ...« »Schließlich?« Harpers leckte sich die Lippen. »Die Familie der Miß Wilmington, sprich, ihre engsten Angehörigen. Ich denke da an ihren Vater, der mit Sicherheit nicht damit einverstanden sein kann, daß sein einziges Kind sich mit einem Mann liiert, dessen Vita nicht gerade als standesgemäß zu bezeichnen sein dürfte.« »Mann, Parker, Sie bauen ja verwegene Konstruktionen«, quälte Butch Harpers seinen Stimmbändern ab. »Warum sollte der alte Wilmington dann ausgerechnet seine Tochter entführen lassen?« »Um Holloway im Verlauf dieses Kidnappings umbringen zu lassen«, schloß Parker, »aber wie gesagt, dies alles sind nur Gedankenspiele, die man nicht zu ernst nehmen sollte.« »Okay, bisher war das Ihr Part, Parker«, sagte Harpers, »jetzt bin ich dran. Mir schwebt da eine nette Inszenierung vor, damit ich meine drei Sündenböcke endlich einsetzen kann. Die Polizei kann später darüber rätseln, wer wen zuerst umgebracht hat.«
»Darf man erfahren, welche Inszenierung Ihnen vorschwebt, Mr. Harpers?« »Ein kleines, privates Rodeo, Parker, das die drei Einzelgänger mit Ihnen und Miß Porter veranstalten. Und ich schwöre Ihnen, daß Ihnen diesmal keine Mätzchen mehr helfen werden! Von mir aus können wir Sie auch sofort zusammenschießen. Wir haben ja drei Mörder...« Er deutete auf die Spezialisten, die keinen glücklichen Eindruck machten. *** »Allmächtiger Gott, er wird sich noch das Genick brechen«, stieß Lady Agatha aus und beugte sich vor. Sie schaute durch ihre Lorgnette auf einen Pferch, in der Parker sich als Zureiter wider Willen betätigte. Er saß auf einem buckelnden Wildpferd, und es war sicher nur noch eine Frage von Sekunden, bis er abgeworfen wurde. Das Pferd, ein wahrer Teufel auf vier Beinen, mühte sich wütend, seinen Reiter auf den Boden zu befördern. Butler Parker trug seine schwarze Melone und hatte selbst auf seinen UniversalRegenschirm nicht verzichtet. Ein skurrileres Bild konnte man sich wirklich nicht vorstehen. »Er sitzt erstaunlich gut auf dem Pferd«, stellte Mike Rander fachkundig fest. »Nicht mehr lange«, unkte die ältere Dame. »Ich verstehe nicht, warum Mr. Parker ausgerechnet jetzt ein Pferd zureiten möchte.« »Es hängt wohl mit den Mexikanern drüben am Gatter zusammen«, gab der Anwalt gelassen zurück. »Diese Burschen scheinen ihn dazu gezwungen zu haben.« »Mexikaner?« Lady Agatha entdeckte erst jetzt die drei Zuschauer am Gatter. »Sie haben Winchester«, fügte Mike Rander hinzu, »und sie dürften sich mit Kathy beschäftigt haben.« Lady Agatha schnaufte und wechselte erneut die Blickrichtung. Sie sah ihre Gesellschafterin und Sekretärin, die man an einem Pfosten festgezurrt hatte. Sie trug die Tracht eines Cowgirls, doch dieses Kostüm war an vielen Stehen eingerissen. Dicht neben ihrem Kopf steckte ein schweres Wurfmesser im Holz. »Warum stehen wir hier noch untätig herum, Mike?« fragte sie aufgebracht und versetzte ihren Pompadour in Schwingungen. »Mit diesen drei Mexikanern werde ich doch bestimmt noch fertig.« »Sie sind der Speck in der Falle«, warnte Mike Rander. »Vergessen Sie nicht Heston und seine beiden Leibwächter. Und wahrscheinlich treiben sich auch noch die beiden Piloten und die drei Spezialisten dort unten herum.« »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich kapitulieren werde, wie?« Ihre Stimme hörte sich an wie das Grollen eines Gewitters, das bereits nahe heran war. »Ich würde noch einen Moment warten«, schlug Mike Rander vor. »Parker sitzt noch sehr fest auf dem Gaul und muß uns längst entdeckt haben.« Mike Rander hatte nicht übertrieben.
Das Pferd mühte sich nach wie vor, den Butler abzuwerfen, doch Parker saß wie festgeschmiedet auf dem Vierbeiner und bot selbst jetzt ein Bild der Würde und Gemessenheit. Die Bewegungen des Pferds waren übrigens schon etwas langsamer geworden. Das Fell war schweißnaß, und dicke Schaumflocken lösten sich vom Maul des Vierbeiners. »Ich werde mit dem Wagen bis in das Farmhaus jagen, Mike«, verkündete die Detektivin, »nehmen Sie Platz, Mike, wenn Sie mitfahren wollen! Diesen Subjekten werde ich jetzt zeigen, wer Lady Simpson ist!« »Warum fahren wir nicht bis zum Pferch?« schlug der Anwalt vor. »Dann könnten wir erst mal Kathy und Parker bergen.« »Mike, Sie haben keine Phantasie«, widersprach Lady Agatha und sah den Anwalt kopfschüttelnd an, »genau diese Fahrtrichtung haben die Gangster doch bestimmt einkalkuliert.« »Da ist was dran, Mylady.« Mike Rander suchte den Boden bis zum Gatter ab. Es waren bis zum Pferch etwa hundert Meter, und der felsige Boden machte eigentlich einen recht soliden Eindruck. Lady Agatha und er standen hier oben neben einigen zyklopischen Felstrümmern, die den Wagen verbargen. Welche Teufelei mochte Heston sich ausgedacht haben? Viel Zeit und Vorsprung hatte er nicht gehabt. Irgendeine gut getarnte Fallgrube konnte es nicht geben, dazu hätte die Zeit nicht gereicht. »Ich glaube, ich hab's, Mylady«, sagte er plötzlich. »Sehen Sie diese Kakteensammlung am Ende des Wegs?« »Man scheint sie, dort zusammengetragen zu haben, wie?« Lady Agatha nahm bereits am Steuer Platz und ließ den Motor an. »Und wahrscheinlich befindet sich darunter so etwas wie eine Sprengladung«, meinte der Anwalt. »Wir sollten die Stelle weiträumig umfahren.« »Kleinigkeit«, sagte sie und ließ den Wagen bereits anrollen. Mike Rander mußte sich beeilen, um mitfahren zu können. »Es bleibt dabei, Mike: Ich werde das Ranchhaus rammen.« »Dann nehmen Sie wenigstens die Fensterfront, Mylady«, bat Mike Rander. »Machen wir es uns nicht unnötig schwer.« Er unterdrückte einen Seufzer und setzte sich zurecht. Er holte die beiden Sechsschüsser hervor, die er sich von den McCurdys ausgeliehen hatte und schickte ein kleines Stoßgebet zum Himmel. Das Leben an Lady Simpsons Seite war nicht gerade idyllisch zu nennen... *** »Sie kommen«, sagte Heston und lud seine Winchester durch. »Sie tun genau das, was ich erwartet habe.« »Und werden gleich in die Luft fliegen«, meinte Butch Harpers. Er stand neben Walt Heston und beobachtete den Wagen, der oben am Hang zu sehen war.
Neben Heston und Harpers hatten sich die beiden Piloten aufgebaut. Auch sie waren natürlich bewaffnet wie Hestons Leibwächter. Die Gangster verfügten über geballte Feuerkraft und hatten alle Vorteile auf ihrer Seite, wie sie glaubten. »Hoffentlich kommt uns die Polizei nicht dazwischen«, sagte Harpers. »Die schafft die kleine Wilmington zurück ins Hotel«, antwortete Walt Heston. »Wir werden ganz unter uns sein. Und noch einmal: Diese verrückte Lady will ich ganz allein für mich haben, damit das klar ist!« »Der Schlitten hält genau auf die Kakteen zu«, flüsterte Harpers fast andächtig. Er hob seine Winchester und visierte die geballte. Ladung an, die darunter verborgen war. Es handelte sich um einige Benzinkanister, die er per Schuß hochjagen wollte. Natürlich reichte das nicht aus, um den heranbrausenden Wagen durch die Luft wirbeln zu lassen, doch darum ging es den Gangstern auch gar nicht. Sie wollten nur dafür sorgen, daß ihre beiden Verfolger vom Kurs abkamen, den Wagen verrissen und dann strandeten. »Was ... Was ist denn das?« sagte Heston plötzlich wütend. »Die drehen ja ab!« »Sie haben Lunte gerochen«, stieß Harpers hervor. »Verdammt, die schlagen einen Bogen und ...« »... Deckung, Deckung«, brüllte Heston und zog sich hastig in die Tiefe des Raums zurück. Er hatte den Eindruck, als wolle der heranjagende Wagen das Ranchgebäude rammen, ein Eindruck übrigens, der sich als richtig erwies. Was nun folgte, spielte sich mit atemberaubender Schnelligkeit ab. Der schwere Wagen schlingerte, beschrieb einen Halbkreis, passierte ungeschoren die explodierenden Benzinkanister und hielt genau auf die Fensterfront zu, hinter der die Gangster sich aufgebaut hatten. Sie hatten die Absicht, aus allen verfügbaren Rohren auf den Wagen zu schießen. Es fielen auch tatsächlich einige Schüsse, doch sie schafften es nicht, den Wagen zu stoppen. »Deckung!« brüllte Heston noch mal und ... setzte sich endgültig ab. Er hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, sich in der rückwärtigen Küche umzusehen. Harpers teilte diesen Wunsch und schloß sich ihm an. Die beiden Piloten und die beiden Leibwächter spritzten auseinander und hasteten in den Speiseraum neben der Küche. Genau in diesem Augenblick rauschte der Wagen mit voller Fahrt durch die Fensterfront und nahm dabei zwei Stützpfeiler mit. Daraufhin senkte sich das Dach ein wenig. Die Schindeln rauschten nach unten, Glas splitterte, Blech kreischte in allen Tönen, Holz brach. Eine mächtige Dampfwolke, die aus dem geborstenen Kühler des Autos stammte, sorgte für natürlichen Nebel. Das Chaos war perfekt. »Ich bin sofort wieder zurück, Mylady«, entschuldigte sich Mike Rander, »ich schaue mal nach Kathy und Parker. Vielleicht werden meine Sechsschüsser gebraucht.« »Nehmen Sie sich Zeit, mein Junge«, erwiderte die Detektivin und ließ sich von ihm aus dem lädierten Wagen ziehen. Sie rückte sich ihren verrutschten Hut
zurecht und marschierte mit dem Anwalt nach draußen. »Ich werde diese Subjekte im Haus festnageln.« Sie nahm sehr fachmännisch die doppelläufige Schrotflinte hoch, die sie sich von McCurdy ausgeliehen hatte und strahlte. Das hier war so ganz nach ihrem Herzen. Sie brauchte sich wenigstens nicht zu langweilen... *** »Darf ich mir erlauben, Mylady meinen tiefen Respekt zu bezeugen?« fragte Josuah Parker und lüftete seine schwarze Melone. Er und Kathy Porter erschienen zusammen mit Mike Rander an der Stirnseite eines rechteckigen Staugebäudes. »Sie dürfen.« Die Sechzigerin nickte gnädig. »Wie sind Sie denn heil vom Pferd gekommen, Mr. Parker?« »Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es ein wenig erleichtert war, meine bescheidene Wenigkeit los zu werden«, sagte der Butler in seiner höflichen Art. »Es legte sich freiwillig zu Boden, damit ich bequem absteigen konnte.« »Die drei Mexikaner sind ausgeschaltet«, meldete Anwalt Rander und lachte. »Parker hat sie mit einem seiner Kugelschreiber behandelt.« »Sie befinden sich in zeitbegrenzter Bewußtlosigkeit«, fügte Josuah Parker hinzu. »Meiner bescheidenen Berechnung nach werden sie vor einer halben Stunde nicht zu sich kommen.« »Bis dahin werde ich diese Subjekte längst ausgeräuchert haben«, entgegnete die ältere Dame und deutete auf das Stallgebäude. »Wie wäre es mit Feuer, Mr. Parker?« »Wer ist denn noch im Stall?« erkundigte sich Kathy Porter. »Heston und ein paar Gangster«, sagte die ältere Dame aufgekratzt. »Die genaue Bestandsaufnahme, kann Mr. Parker später immer noch vornehmen.« »Damit vermag meine Wenigkeit bereits jetzt zu dienen«, antwortete der Butler und zählte auf, wer sich im Stall befinden mußte. »Wenn es gestattet ist, sollte man die Herren sehr nachdrücklich zum Verlassen des Stalls bringen.« »Feuer«, wiederholte Lady Agatha noch mal. »Ein plötzlicher Schock wäre unter Umständen geeigneter«, sagte Josuah Parker, »ein passendes Mittel stünde zur Verfügung.« Er nahm auf einem Querbalken Platz und holte aus seinem Schuhabsatz die flache Blechschachtel hervor. Lady Agatha und Mike Rander schauten fasziniert zu. »Die Sprengkraft ist beachtlich zu nennen«, redete Parker weiter, nachdem er seinen Schuhabsatz wieder in Ordnung gebracht hatte. Er bereitete die kleine Sprengladung vor. »Sie übertreiben wieder mal, Mr. Parker«, fand die ältere Dame und zeigte Skepsis. Sie deutete auf die flache Blechschachtel, »damit beeindruckt man noch nicht mal ein Kaninchen.« »Wenn die Herrschaften sich bitte in
Deckung begeben möchten?« Parker deutete auf einen Farmwagen, der etwa zehn Meter von der Stirnseite des Stalls entfernt auf dem Innenhof stand. Er löste die Zeitzündung aus, wog seine Ladung in der Hand und... warf sie dann durch eines der weit geöffneten Stallfenster in das rechteckige Gebäude. *** »Donnerwetter«, sagte Mike Rander und klopfte sich den Staub vom Anzug. Er sah zu Agatha Simpson hinüber, die sich unfreiwillig hingesetzt hatte. Kathy Porter half ihr beim Aufstehen. »Nun ja, recht nett«, meinte die Detektivin. »Sie haben die ganze Zeit über diese Höllenladung mit sich herumgetragen?« »Als eine Art letztes Mittel zur Überredung von Gangstern, Mylady«, gab der Butler zurück. »Wenn ich mich jetzt entschuldigen dürfte? Die Herren bedürfen der Hilfe und des Zuspruchs.« Er hatte nicht übertrieben. Aus den Trümmern des Stallgebäudes, das übrigens landesüblich aus Holz bestanden hatte, erschienen Heston, Harpers und die übrigen Gangster. Sie hatten ihre Waffen weggeworfen und taumelten ins Freie, wobei sie husteten wie Kettenraucher am frühen Morgen. Sie wankten durch die Holztrümmer, stolperten und schnappten nach Luft. »Bringen wir es zum Abschluß«, sagte Josuah Parker und wandte sich an Heston und Butch Harpers. »Ich möchte in Ihrem Interesse vermeiden, daß Lady Simpson die entsprechenden Fragen steht. Wie Sie inzwischen wissen, Mr. Heston, ist Mylady ein wenig ungeduldig.« »Fragen Sie«, ächzte Heston. Er warf der älteren Dame einen scheuen Blick zu. »Harpers kam zu Ihnen, um Sie und Ihre Organisation um Mitarbeit zu bitten, nicht wahr?« »Stimmt«, sagte Heston müde. »Und Sie, Harpers, kommen woher?« »Frisco«, lautete die prompte Antwort. »Wir hatten 'nen Privatauftrag übernommen.« »Sie räumen ein, daß meine Hypothese richtig war und ist?« »Natürlich, natürlich...« Harpers wankte und fühlte sich sichtlich unwohl. »Und wer ist der Auftraggeber, der Miß Wilmington entführen lassen wollte? Der Vater der jungen Dame, oder?« »Haben Sie doch bereits rausgefunden«, meinte Harpers niedergeschlagen. »Im Rahmen dieser Entführung sollte Miß Wilmingtons Verlobter den Tod finden, nicht wahr?« »Nicht ganz«, schwindelte Harpers hastig, »ihm sollte nur 'ne Lektion erteilt werden. Die kleine Wilmington sollte sehen, wie feige Holloway ist.« »Nun, klammern wir dieses Detail aus«, schlug der Butler vor. »Die drei Spezialisten aber sollten in jedem Fall als Sündenböcke herhalten, nicht wahr?«
»Mann, woher hatten Sie so plötzlich das Dynamit?« fragte Heston und hustete wieder. »Ich begreif das nicht.« »Sie werden noch viel Zeit haben, sich darüber diverse Gedanken zu machen«, antwortete der Butler höflich. »Ich glaube, die Polizei naht, wenn ich es so umschreiben darf.« Josuah Parker hatte völlig recht gesehen. ' Oben, zwischen den zyklopischen Felsblöcken, erschienen zwei Streifenwagen der Polizei. Wenig später tauchte Leutnant Ryan auf und kam mit schnellen Schritten auf das Quartett aus England zu. Er schaute sich irritiert-respektvoll um, während seine Mitarbeiter die Gangster vereinnahmten. »Ich will ja nicht neugierig sein«, schickte Leutnant Ryan voraus, »aber wie schafft man so was?« »Sie spielen sicher auf die kleine Unordnung an, Sir«, fragte der Butler. »Unordnung? Hier scheinen sich ein Erdbeben und ein Vulkanausbruch zusammengetan zu haben.« Er schüttelte den Kopf und sah dann die ältere Dame an. »Sie übertreiben, junger Mann«, gab sie zurück. »Ich habe mich noch sehr zurückgehalten.« »Aha, zurückgehalten«, antwortete Ryan und schluckte. »Normalerweise hinterlassen wir nur flach geebneten Boden«, frotzelte Mike Rander, »aber dazu fehlte heute die Zeit, nicht wahr, Parker?« »In der Tat, Sir«, antwortete Josuah Parker höflich-gemessen, »Mylady pflegen den Tee in einer Stunde zu nehmen. Falls Sie weitere Fragen haben sollten, Sir, so werden Sie Mylady im Hotel finden. Wenn man sich jetzt höflichst verabschieden dürfte?« Er lüftete seine schwarze Melone und schritt auf einen der beiden Streifenwagen zu, in dem Lady Agatha, Mike Rander und Kathy Porter Platz nahmen. Ryan staunte noch, als der Streifenwagen längst hinter der Bergkuppe verschwunden war. Ryan hatte das Gefühl, sehr wird und intensiv zu träumen... ENDE Scan: crazy2001 @ 02/2011 Corrected: santos22
Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen
Nr. 201
PARKER schnurrt mit den »Judo-Katzen« Diese zweibeinigen Katzen konnten durchaus schnurren und schmeicheln, doch in erster Linie nutzten sie gewisse Fähigkeiten dazu, ahnungslose und abenteuerlustige Männer auszunehmen. Ihnen ging es nicht um Kleingeld, sie waren an höheren Beträgen interessiert. Und wer sich zur Wehr zu setzen versuchte, mußte mit Handkanten und Fußtritten dieser »Judo-Katzen« rechnen und anschließend mit einem längeren Aufenthalt in einem Hospital. Butler Parker spielte dank seiner Verwandlungskunst einen liebestollen Kater und wurde dabei von Anwalt Mike Rander unterstützt, der schon bald dem wilden Charme dieser Karate-Girls erlag. Günter Dönges schrieb einen weiteren Krimi, in dessen Mittelpunkt der skurrile und listenreiche Butler Parker steht, der aus dem Handgelenk improvisiert und schließlich immer wieder die Lacher auf seiner Seite hat. Wer Spannung, Humor und Action liebt, sollte Parker-Krimis lesen, die immer gut sind für tolle Überraschungen…